Gott wahrnehmen: Die Sinne im Johannesevangelium. Ratio Religionis Studien IV 9783161548994, 9783161549007, 316154899X

Wunderbar wohlschmeckender Wein auf der Zunge, Todesgeruch in der Nase und den Finger in der Wunde zur Vergewisserung de

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German Pages 427 [444] Year 2017

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Table of contents :
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Titel
Reihenvorwort
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1. Gegenstand der Untersuchung
2. status quaestionis
3. Aufbau und Ziel
4. Zur Methode: Motivinterpretation
Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)
1.1 Das theologische Problem: Die Unfassbarkeit Gottes durch die Sinne – Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε … (Joh 1,18a)
1.2 Die christologische Lösung: Joh 1,18b (… ἐκεῖνος ἐξηγήσατο) als hermeneutisches Programm
1.3 Der literarische Zugriff: Die „johanneische Sehweise“
1.3.1 Das Johannesevangelium als „spirituelles Evangelium“ (Klemens von Alexandrien)
1.3.2 Geschichte und „Fleisch“ als Zugang zu Erkenntnis und Glauben (1. Johannesbrief; Evangelium Veritatis)
1.4 Der Zugang über die sinnliche Wahrnehmung
1.5 Christologie als Theologie: „Von jetzt an kennt ihr den Vater und habt ihn gesehen“ (Joh 14,1-11)
1.6 Das soteriologische Ziel: Gotteserkenntnis und Glaube als Quelle von Licht und Leben
1.7 Hintergrund: Der religions- und geistesgeschichtliche Horizont der Frage nach der Wahrnehmbarkeit Gottes und die Wendung zur religiösen Ästhetik
1.7.1 Das numinos-kultische Verbot, Gott zu sehen
1.7.2 Das theologische Verbot, Gott sichtbar zu machen
1.7.3 Die Unfähigkeit der menschlichen Sinne, zu Gott vorzudringen
1.7.4 Erkenntnis und todüberwindendes Heil in der religiösen Philosophie
1.7.5 Die Suche nach einem Kontaktpunkt zwischen Gott und Welt im religiösen Platonismus der frühen Kaiserzeit
1.7.6 Die apokalyptisch-eschatologische Hoffnung auf ein Sehen Gottes
1.8 Die johanneische Jesusgeschichte im Rahmen der religiösen Ästhetik der frühen Kaiserzeit
1.9 Brechungen: Die Ambivalenz sinnlicher Wahrnehmung und die Ambivalenz des Wahrgenommenen
1.9.1 Nicht Sinneswahrnehmung per se
1.9.2 Die Perspektive der Rezipienten
1.9.3 „Das Fleisch ist nichts nütze“ – Das rechte Verständnis der „Zeichen“
1.9.4 Literarische Signale für Brechungen der Wahrnehmung
Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben
2.1 „Er schmeckte das Wasser, das zu Wein geworden war, und wusste nicht, woher es kam“: Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)
2.1.1 Die literarische Einbettung: die Jesus-Erzählung als eschatologischer Ausblick in den geöffneten Himmel
2.1.2 Literarische Einordnung ins Gesamtevangelium
2.1.3 Aufbau und Gliederung
2.1.4 Handlungsfiguren und Entwicklung der Szenerie
2.1.5 Gattungskritische Einordnung: Wundererzählung, historisierte Gleichniserzählung oder Chrie
2.1.6 Die Wahrnehmung des Tafelmeisters als Pointe der Kana-Erzählung und ihre theologische Deutung
2.1.7 Drei Interpretationsfallen und ein vorgeschlagener Deutungsweg
2.1.8 Wunderbarer Wein im Überfluss: Exegetischer Durchgang durch Joh 2,1-11
2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit: Motivgeschichtliche Perspektiven
2.2.1 Die Motivik
2.2.2 Der Wein
2.2.3 Die Hochzeit als Motivrahmen der Weinfülle
2.2.4 Verschmelzung jüdisch-christlicher mit paganen Traditionen?
2.2.5 Fazit: Die Bildhorizonte von Wein und Hochzeit
2.3 „Woher?“ – Zur Bedeutung der Frage nach der Herkunft im Johannesevangelium
2.3.1 Woher stammt Jesus? – Zur Dialektik der johanneischen Christologie
2.3.2 Das Woher der Gaben Jesu
2.3.3 Das Woher der Wirkkraft Jesu: die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9)
2.3.4 Das Woher im Erkenntniszusammenhang: Die Herkunft der Erkenntnis Jesu
2.3.5 Woher? Ein Fazit
2.4 Zusammenfassung
Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“: Menschliche Todesverfallenheit und der Geruch des Lebens in Joh 11,1–12,11
3.1 Einführung
3.2 Die kompositorische Zusammengehörigkeit der beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1-12,11)
3.2.1 Verknüpfung über die beteiligten Personen und durch explizite Vor- und Rückverweise
3.2.2 Verknüpfung über den Ort: Bethanien
3.2.3 Verknüpfung durch das Thema: Tod und Todesüberwindung
3.2.4 Verknüpfung durch die Tötungspläne gegen Jesus und Lazarus
3.2.5 Verknüpfung durch das Geruchsmotiv: ὄζειν – ὀσμή
3.2.6 Folgerungen: Zur Bedeutung des Erzählzusammenhangs von Joh 11,1–12,11
3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch
3.3.1 Geruch der Salbe als Lebensgeruch: Die ägyptische „Dufttheologie“ (Kügler) und ihre Relevanz für das Verständnis des Duftmotivs als Lebensmotiv bei Johannes
3.3.2 Alttestamentliche Stellen zum Duft und zur Salbung
3.3.3 Die frühjüdische und rabbinische Tradition vom Lebensgeruch
3.3.4 Wohlgeruch und Epiphanie
3.3.5 Der Gestank von Sünde und Tod
3.3.6 Geruch des Todes – Geruch des Lebens: 2Kor 2,14-16
3.3.7 Auswertung im Blick auf die Opposition Tod-Leben im Zusammenhang des Geruchs
3.4 Zur Stellung der Erzählungen von den bethanischen Geschwistern im Aufbau des Evangeliums
3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext: Interpretierender Durchgang durch die beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1–12,11)
3.5.1 ,Er riecht schon‘? – Der Geruch des Todes bleibt aus (Joh 11,1-44)
3.5.2 ,Es riecht schon!‘ – Der Geruch des Lebens breitet sich aus (Joh 12,1-11)
3.6 Der Tod als Umschlag zum Leben: Fazit zum Gesamtaufbau und theologischen Gefälle des Evangeliums
3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven
3.7.1 Die literarische und motivische Einbindung in den weiteren Kontext des Johannesevangeliums
3.7.2 Die Rezeption bei den Kirchenvätern
3.7.3 Die Aufnahme in der mandäischen Ginzâ
3.8 Zusammenfassung
Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen: Thomas und andere Zu-spät-Gekommene
4.1 Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20
4.1.1 Die szenische Entwicklung hin zur Thomasepisode im Durchgang durch Joh 20,1-24
4.1.2 Sehen und Berühren: Thomas (Joh 20,24-29)
4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?
4.2.1 Die unterminologische Ausdrucksweise vor dem Hintergrund der Terminologie des Berührens und Betastens
4.2.2 Thomas und die Legitimität körperlicher Wahrnehmung als Weg und Mittel zum Glauben
4.3 Zusammenfassung
Kapitel 5: Resümee: Die Wahrnehmung Gottes und seines Heils in Christus
Literaturverzeichnis
1. Abkürzungen
2. Quellen und Übersetzungen
2.1 Biblische Texte
2.2 Einzelautoren
2.3 Sammlungen
2.4 Papyri und Inschriften
3. Hilfsmittel
4. Kommentare zum Johannesevangelium
5. Weitere Sekundärliteratur
Stellenregister
1. Altes Testament
2. Neues Testament
3. Frühjüdische Literatur
4. Rabinische Literatur
5. Qumran
6. Pseudepigrapha
7. Papyri und Inschriften
8. (Früh-)christliche Literatur
9. Antike Autoren
Namen- und Sachregister
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Gott wahrnehmen: Die Sinne im Johannesevangelium. Ratio Religionis Studien IV
 9783161548994, 9783161549007, 316154899X

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Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Hans-Josef Klauck (Chicago, IL) · Tobias Nicklas (Regensburg) J. Ross Wagner (Durham, NC)

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Rainer Hirsch-Luipold

Gott wahrnehmen Die Sinne im Johannesevangelium Ratio Religionis Studien IV

Mohr Siebeck

Rainer Hirsch-Luipold, geboren 1967; Studium der Ev. Theologie und Griechischen Philologie; seit 2011 Ordentlicher Professor für Neues Testament und Antike Reli­ gions­geschichte an der Universität Bern; seit 2015 zusätzlich Extraordinary Professor at Stellen­bosch University (SA), Department of Ancient Studies.

ISBN 978-3-16-154899-4 eISBN 978-3-16-154900-7 ISSN 0512-1604 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb. de abrufbar. © 2017 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden.

Für Barbara

Reihenvorwort Ratio Religionis Studien Studien zur religiösen Philosophie und philosophischen Religion der frühen Kaiserzeit In der frühen Kaiserzeit werden Traditionen der gelebten Religion verstärkt als Quelle philosophischen Denkens interpretiert und plausibilisiert. Heilige Erzählungen, Riten und Kultgegenstände erscheinen als Reflex göttlicher Wahrheit. Umgekehrt beruft sich philosophische Weltdeutung auf die religiöse Tradition als letzten Erkenntnisgrund.  Diese Verschmelzung religiöser und philosophischer Diskurse, der kreative Neudeutungen in beiden Feldern entsprangen, ist Gegenstand des Projekt Ratio Religionis. Als DFG-Emmy-Noether-Nachwuchsforschergruppe an der Universität Göttingen begonnen, hat es sich zu einem an der Universität Bern angesiedelten, interdisziplinären Forum von Forschern im Bereich der religiös-philosophischen Literatur der frühen Kaiserzeit entwickelt.  Die Ratio Religionis Studien geben die Ergebnisse dieses Dialogs zusammenhängend, aber in die jeweiligen Fachreihen eingeordnet heraus. Dies spiegelt eine Grundthese des Projekts: Eine religiös-philosophische Hermeneutik entwickelt sich im kaiserzeitlichen Platonismus jüdischer, christlicher und pagan-religiöser Provenienz als übergreifendes und verbindendes Phänomen.

Vorwort „Weißt Du wie Gott aussieht? – Gott sieht genau wie Jesus aus, nur unsichtbar“ David, 5 Jahre

Sinneswahrnehmung als Gotteserfahrung – das mag als eine allzu zeitgemässe und plakative, den Themen von Körperlichkeit und Sinnlichkeit verplichtete Fragestellung erscheinen. Und tatsächlich sind die entsprechenden johanneischen Erzählungen vom wundervoll wohlschmeckenden Wein auf der Zunge, dem den Leichengeruch hinwegblasenden Lebensgeruch der Nardensalbe in der Nase oder dem Finger in der Wunde dazu gedacht, die Leserinnen und Leser unmittelbar anzusprechen. Sie wollen plakativ sein. Zugleich aber führt das Johannesevangelium damit auf die fundamentalsten Themen inkarnatorischer und mithin ins Zentrum neutestamentlicher Theologie. Mit der ästhetisch vermittelten Gotteserkenntnis stehen Glauben und Heil auf dem Spiel. Wie in Christus Gott selbst sichtbar und spürbar wird und wie aus dieser Erfahrung Heil und Leben entsteht, davon erzählt das Johannesevangelium – und lässt so das Geschehen bei den Leserinnen und Lesern gegenwärtig werden. Wo die Protagonisten der Geschichte die Realität des in Christus geschenkten Heils wahrnehmen, da sieht, schmeckt und riecht mit ihnen, wer die Geschichte liest oder hört, und wird zugleich sensibilisiert für Heilsdimension sinnlicher Erfahrung. Nicht puritanische Kritik, sondern theologische Durchdringung solcher Heilserfahrung ist die Aufgabe einer inkarnatorischen Theologie. Solche theologische Durchdringung ist das Ziel des vorliegenden Buches. Die hier vorgelegte Studie ist die Zwischenstation eines Weges, der theologische und philologische sowie philosophie- und religionsgeschichtliche Perspektiven zusammengeführt hat. Es handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Arbeit, die bereits im Jahr 2010 im Wesentlichen abgeschlossen und als Habilitationsschrift von der Theologischen Fakultät der Universität Göttingen angenommen wurde. Da die Arbeit lange gereift ist, habe ich vielen Menschen zu danken, die mich auf dem Weg wissenschaftlich und persönlich begleitet haben, mir Inspiration, Unterstützung, Konzentration und Zerstreuung, Rat und Ermunterung gegeben haben. Insbesondere danke ich Reinhard Feldmeier, dem theologischen Lehrer, Weggefährten und Freund, der zu dieser

X VIII

Vorwort

Arbeit in viele Gesprächen beigetragen und das Erstgutachten verfasst hat, daneben Florian Wilk für ein akribisches Zweitgutachten mit einer Vielzahl von Korrekturen und Anregungen, sowie Jörg Frey, der als exzeptioneller Kenner ein ausführliches Außengutachten beigesteuert hat und von Anfang an den Fortgang der Arbeit und ihre Aufnahme in WUNT unterstützt hat. Ein besonderer Dank gebührt meiner langjährigen Göttinger Kollegin und Freundin Frances Back, mit der ich intensiv über Johannes diskutiert und auch gemeinsame Veranstaltungen zu Johannes gehalten habe. Die Arbeit an unseren Habilitationen ging so intensiv ineinander, dass bei einzelnen Gedanken und Ideen nur schwer eindeutig gesagt werden kann, von wem sie stammen. Leider konnte sie das Erscheinen beider Arbeiten, ihrer wie meiner, nicht mehr erleben, obwohl sie Vorfassungen meines Manuskripts kritisch gelesen hat. Eine ganze Reihe Menschen haben durch Anregungen, Diskussionen und Rückfragen den Fortgang der Arbeit gefördert (Troels Engberg-Pedersen, der mir freundlicherweise vorab Einblick in sein wichtiges Buch über „John and Philosophy“ erlaubte, Herwig Görgemanns, Zlatko Pleše, Martin Hengel, HansDieter Betz, Sönke von Stemm, Fritz Heinrich, Jan van der Watt, Jack Levison, George Parsenios, Ilinca Tanaseanu-Döbler, Jane Heath, Samuel Vollenweider, Ross Wagner; zu ihnen zählen auch Michael von Albrecht, Philip Stadter und Luc Van der Stockt, Heinz-Günther Nesselrath und das ganze SAPERE-Team, das mir über die Jahre immer ein intellektueller und bisweilen auch ein spiritueller Jungbrunnen war) und bei der Fertigstellung in den unterschiedlichen Phasen geholfen (meine Assistentinnen und Assistenten Sonja Froese-Brockmann, Zbyněk Kindschi Garský, Ralf Sedlak, dazu Nancy Rahn und eine Reihe von wissenschaftlichen Hilfskräften in Bern und Göttingen). Das Gespräch mit Mitarbeitern und Studierenden über theologische Fragen, aber auch Fragen des Lebens allgemein, ist eines der wertvollen Geschenke akademischer Arbeit, und hat an vielen Stellen Spuren in dieser Arbeit hinterlassen. Zu danken habe ich auch dem Team von Mohr Siebeck für die wie immer exzellente, kompetente und freundliche herstellereische Betreuung der Arbeit und insbesondere Henning Ziebritzki für seine Geduld und sein beharrliches Interesse. Eine Familie nimmt nolens volens an den Stationen des Wegs zu einer umfangreicheren Monographie teil. Das bedeutete manchen Verzicht. Mir vergegenwärtigte alles Ball- und Kartenspielen, drinnen und draussen, alle gemeinsamen Momente des Fragens, Entdeckens und Kräftemessens, auch des Genießens mit meinen Söhnen David, Johannes und Elias heilsam, dass es noch eine Realität jenseits des Schreibtischs gibt. Auch Euch danke ich sehr! Den Anteil, den Barbara, meine Liebe, meine Gefährtin und mein Korrektiv, in jeder Weise an dieser Arbeit hat, kann ich nicht in Worte fassen. Ihr sei als Zeichen des Dankes dieses Buch gewidmet.

Bern, Weihnachten 2016

Rainer Hirsch-Luipold

Inhaltsverzeichnis XI Vorwort ............................................................................................................. IX

Einleitung.......................................................................................................... 1 1. Gegenstand der Untersuchung..................................................................... 1 2. status quaestionis ......................................................................................... 2 3. Aufbau und Ziel......................................................................................... 12 4. Zur Methode: Motivinterpretation............................................................. 13

Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18) .................................................................................................. 25 1.1 Das theologische Problem: Die Unfassbarkeit Gottes durch die Sinne – Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε … (Joh 1,18a) ............................ 27 1.2 Die christologische Lösung: Joh 1,18b (… ἐκεῖνος ἐξηγήσατο) als hermeneutisches Programm ..................................................................... 32 1.3 Der literarische Zugriff: Die „johanneische Sehweise“ .......................... 40 1.3.1 Das Johannesevangelium als „spirituelles Evangelium“ (Klemens von Alexandrien)............................................................ 40 1.3.2 Geschichte und „Fleisch“ als Zugang zu Erkenntnis und Glauben (1. Johannesbrief; Evangelium Veritatis)......................... 43 1.4 Der Zugang über die sinnliche Wahrnehmung........................................ 47 1.5 Christologie als Theologie: „Von jetzt an kennt ihr den Vater und habt ihn gesehen“ (Joh 14,1-11) .............................................................. 50 1.6 Das soteriologische Ziel: Gotteserkenntnis und Glaube als Quelle von Licht und Leben ................................................................................ 56

XII

Inhaltsverzeichnis

1.7 Hintergrund: Der religions- und geistesgeschichtliche Horizont der Frage nach der Wahrnehmbarkeit Gottes und die Wendung zur religiösen Ästhetik ................................................................................... 58 1.7.1 Das numinos-kultische Verbot, Gott zu sehen ............................... 58 1.7.2 Das theologische Verbot, Gott sichtbar zu machen ........................ 60 1.7.3 Die Unfähigkeit der menschlichen Sinne, zu Gott vorzudringen ... 60 1.7.4 Erkenntnis und todüberwindendes Heil in der religiösen Philosophie ..................................................................................... 71 1.7.5 Die Suche nach einem Kontaktpunkt zwischen Gott und Welt im religiösen Platonismus der frühen Kaiserzeit ............................ 75 1.7.6 Die apokalyptisch-eschatologische Hoffnung auf ein Sehen Gottes .............................................................................................. 80 1.8 Die johanneische Jesusgeschichte im Rahmen der religiösen Ästhetik der frühen Kaiserzeit................................................................................ 82 1.9 Brechungen: Die Ambivalenz sinnlicher Wahrnehmung und die Ambivalenz des Wahrgenommenen ........................................................ 87 1.9.1 Nicht Sinneswahrnehmung per se .................................................. 90 1.9.2 Die Perspektive der Rezipienten ..................................................... 90 1.9.3 „Das Fleisch ist nichts nütze“ – Das rechte Verständnis der „Zeichen“ ........................................................................................ 91 1.9.4 Literarische Signale für Brechungen der Wahrnehmung ............... 91

Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben ..................................... 101 2.1 „Er schmeckte das Wasser, das zu Wein geworden war, und wusste nicht, woher es kam“: Das erste Zeichen (Joh 2,1-11) .......................... 103 2.1.1 Die literarische Einbettung: die Jesus-Erzählung als eschatologischer Ausblick in den geöffneten Himmel ................. 105 2.1.2 Literarische Einordnung ins Gesamtevangelium .......................... 108 2.1.3 Aufbau und Gliederung ................................................................ 108 2.1.4 Handlungsfiguren und Entwicklung der Szenerie ........................ 110 2.1.5 Gattungskritische Einordnung: Wundererzählung, historisierte Gleichniserzählung oder Chrie ..................................................... 111 2.1.6 Die Wahrnehmung des Tafelmeisters als Pointe der KanaErzählung und ihre theologische Deutung.................................... 120 2.1.7 Drei Interpretationsfallen und ein vorgeschlagener Deutungsweg ................................................................................ 122 2.1.8 Wunderbarer Wein im Überfluss: Exegetischer Durchgang durch Joh 2,1-11 ........................................................................... 130

Inhaltsverzeichnis

XIII

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit: Motivgeschichtliche Perspektiven ........................................................................................... 140 2.2.1 Die Motivik ................................................................................... 140 2.2.2 Der Wein ....................................................................................... 142 2.2.3 Die Hochzeit als Motivrahmen der Weinfülle .............................. 163 2.2.4 Verschmelzung jüdisch-christlicher mit paganen Traditionen? ... 166 2.2.5 Fazit: Die Bildhorizonte von Wein und Hochzeit ........................ 171 2.3 „Woher?“ – Zur Bedeutung der Frage nach der Herkunft im Johannesevangelium .............................................................................. 172 2.3.1 Woher stammt Jesus? – Zur Dialektik der johanneischen Christologie .................................................................................. 174 2.3.2 Das Woher der Gaben Jesu ........................................................... 180 2.3.3 Das Woher der Wirkkraft Jesu: die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) ................................................................ 184 2.3.4 Das Woher im Erkenntniszusammenhang: Die Herkunft der Erkenntnis Jesu ............................................................................. 186 2.3.5 Woher? Ein Fazit .......................................................................... 186 2.4 Zusammenfassung ................................................................................. 188

Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“: Menschliche Todesverfallenheit und der Geruch des Lebens in Joh 11,1–12,11 ........ 191 3.1 Einführung ............................................................................................. 191 3.2 Die kompositorische Zusammengehörigkeit der beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1−12,11) ......................... 193 3.2.1 Verknüpfung über die beteiligten Personen und durch explizite Vor- und Rückverweise ................................................................ 195 3.2.2 Verknüpfung über den Ort: Bethanien ......................................... 196 3.2.3 Verknüpfung durch das Thema: Tod und Todesüberwindung ..... 196 3.2.4 Verknüpfung durch die Tötungspläne gegen Jesus und Lazarus.. 197 3.2.5 Verknüpfung durch das Geruchsmotiv: ὄζειν – ὀσµή .................. 197 3.2.6 Folgerungen: Zur Bedeutung des Erzählzusammenhangs von Joh 11,1–12,11 ....................................................................... 199 3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch .... 200 3.3.1 Geruch der Salbe als Lebensgeruch: Die ägyptische „Dufttheologie“ (Kügler) und ihre Relevanz für das Verständnis des Duftmotivs als Lebensmotiv bei Johannes ......... 200

XIV

Inhaltsverzeichnis

3.3.2 Alttestamentliche Stellen zum Duft und zur Salbung................... 203 3.3.3 Die frühjüdische und rabbinische Tradition vom Lebensgeruch .. 205 3.3.4 Wohlgeruch und Epiphanie .......................................................... 209 3.3.5 Der Gestank von Sünde und Tod .................................................. 210 3.3.6 Geruch des Todes – Geruch des Lebens: 2Kor 2,14-16 ............... 211 3.3.7 Auswertung im Blick auf die Opposition Tod-Leben im Zusammenhang des Geruchs ........................................................ 213 3.4 Zur Stellung der Erzählungen von den bethanischen Geschwistern im Aufbau des Evangeliums .................................................................. 215 3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext: Interpretierender Durchgang durch die beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1–12,11) .................................................................................... 218 3.5.1 ,Er riecht schon‘? – Der Geruch des Todes bleibt aus (Joh 11,1-44) ................................................................................. 219 3.5.2 ,Es riecht schon!‘ – Der Geruch des Lebens breitet sich aus (Joh 12,1-11) ................................................................................. 245 3.6 Der Tod als Umschlag zum Leben: Fazit zum Gesamtaufbau und theologischen Gefälle des Evangeliums ................................................ 258 3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven.............................. 263 3.7.1 Die literarische und motivische Einbindung in den weiteren Kontext des Johannesevangeliums ............................................... 263 3.7.2 Die Rezeption bei den Kirchenvätern ........................................... 270 3.7.3 Die Aufnahme in der mandäischen Ginzâ .................................... 273 3.8 Zusammenfassung ................................................................................. 274

Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen: Thomas und andere Zu-spät-Gekommene .......................................... 277 4.1 Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20......... 281 4.1.1 Die szenische Entwicklung hin zur Thomasepisode im Durchgang durch Joh 20,1-24 ...................................................... 281 4.1.2 Sehen und Berühren: Thomas (Joh 20,24-29) .............................. 294 4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben? ........................... 308 4.2.1 Die unterminologische Ausdrucksweise vor dem Hintergrund der Terminologie des Berührens und Betastens ........................... 308

Inhaltsverzeichnis

XV

4.2.2 Thomas und die Legitimität körperlicher Wahrnehmung als Weg und Mittel zum Glauben ...................................................... 329 4.3 Zusammenfassung ................................................................................. 342

Kapitel 5: Resümee: Die Wahrnehmung Gottes und seines Heils in Christus ......................................................................................... 347 Literaturverzeichnis ......................................................................................... 351 1. Abkürzungen ........................................................................................... 351 2. Quellen und Übersetzungen .................................................................... 352 2.1 Biblische Texte ................................................................................ 352 2.2 Einzelautoren ................................................................................... 352 2.3 Sammlungen .................................................................................... 358 2.4 Papyri und Inschriften...................................................................... 359 3. Hilfsmittel ................................................................................................ 359 4. Kommentare zum Johannesevangelium .................................................. 360 5. Weitere Sekundärliteratur........................................................................ 361 Stellenregister .................................................................................................. 385 1. Altes Testament ....................................................................................... 385 2. Neues Testament ..................................................................................... 388 3. Frühjüdische Literatur ............................................................................. 395 4. Rabinische Literatur ................................................................................ 397 5. Qumran .................................................................................................... 398 6. Pseudepigrapha ........................................................................................ 398 7. Papyri und Inschriften ............................................................................. 398 8. (Früh-)christliche Literatur ...................................................................... 398 9. Antike Autoren ........................................................................................ 400 Namen- und Sachregister ................................................................................. 405

Einleitung 1. Gegenstand der Untersuchung Gegenstand der vorliegenden Arbeit sind die vielfältigen Aussagen über sinnliche Wahrnehmungen im Johannesevangelium. Nicht nur Sehen und Hören, sondern auch Schmecken, Riechen und Fühlen durchziehen das Evangelium wie ein roter Faden. Solche Sinneswahrnehmungen sind im Evangelium in dezidiert theologische Zusammenhänge gestellt und in den Horizont des Glaubens eingeordnet. Im Rahmen einer Motivinterpretation sollen sie im Folgenden zusammenhängend in ihrer literarischen Funktion untersucht und auf ihren theologischen Aussagegehalt hin befragt werden. Eine solche übergreifende Interpretation der verschiedenen Aspekte der Sinneswahrnehmung steht bislang noch aus. Während Sehen und Hören im Johannesevangelium bereits verschiedentlich behandelt worden sind, lässt sich die programmatische Bedeutung sinnlicher Wahrnehmung insbesondere an drei für den Aufbau der johanneischen Jesusgeschichte zentralen Erzählungen über die sogenannten „niederen Sinne“1 sichtbar machen: an der Hochzeit zu Kana (Joh 2; Geschmack), an der Erzählung von den bethanischen Geschwistern (Joh 11–12; Geruch) und an der Thomasepisode (Joh 20; Tastsinn). Diese drei Erzählungen stehen im Zentrum der Arbeit. Vorangestellt sei die These, die im Folgenden entfaltet werden soll: Der Sinn der sinnlichen Wahrnehmungen im Johannesevangelium, die überwiegend christologisch zentriert sind, besteht darin, dass sich in ihnen Wahrnehmung Gottes ereignet. Im fleischgewordenen Wort können wir Gott sehen, hören, spüren, schmecken, riechen – seine Herrlichkeit, seine heilsame, lebenspendende Güte und Wahrheit wird gegenwärtig in dem wunderbaren Wein und dem Brot vom Himmel, im ausbleibenden Todesgeruch des Lazarus und dem vom Leben kündenden Wohlgeruch der Salbe, im Sehen und Berühren der Wundmale des Auferstandenen. Wird das Wahrgenommene für wahr genommen, so führt es zu Gotteserkenntnis, Glauben und Leben. Die Jesus1 Philon nennt unter den fünf Sinnen den Geschmacks-, Geruchs- und Tastsinn „die am ehesten Tieren und Sklaven zukommenden“ Sinne (ζωωδέσταται µὲν οὖν καὶ ἀνδραποδωδέσταται, De Abr. 149; Sehen und Hören nennt er demgegenüber die „Leitsinne“ [αἱ ἡγεµονίδαι αἰσθήσεις], De spec. leg. I 29).

2

Einleitung

geschichte, die das Johannesevangelium erzählt, die Geschichte der Kirche auch und die Glaubensgeschichte jedes einzelnen Christen ist die Geschichte vom Ringen mit dieser Aufgabe: Gott wahrzunehmen.

2. status quaestionis Dem Zusammenhang von körperlicher Wahrnehmung und Glauben im Johannesevangelium wurden bereits verschiedene, teils umfangreiche Arbeiten gewidmet. Die bisherige Forschungsliteratur allerdings konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die sogenannten „höheren“ Sinne – Sehen und Hören.2 Zuletzt wurde eine umfassende Untersuchung aller fünf Sinne und damit der Bedeutung von Sinnlichkeit und Körperlichkeit überhaupt für das Johannesevangelium als Desiderat angemahnt in einem programmatischen Aufsatz von D. Lee.3 Immer wieder wird im Johannesevangelium der Zusammenhang von Sehen und Glauben betont. Zu Nathanael sagt Jesus: „Weil ich dir gesagt habe, dass ich dich unter dem Feigenbaum gesehen habe, deshalb glaubst du? Du wirst Größeres als das sehen!“ (1,50). Zum Abschluss der Erzählung von dem letzten Zeichen, der Auferweckung des Lazarus, wird in Joh 12,9-114 erzählt, viele Juden seien zu Jesus gekommen, nicht nur seinetwegen, sondern auch, um den auferweckten Lazarus zu sehen – und seien daraufhin als Gläubige wieder von dannen gezogen. Und als der Lieblingsjünger mit Petrus zum leeren Grab kommt, heißt es: καὶ εἶδεν καὶ ἐπίστευσεν (20,8). Dass das Sehen für den vierten Evangelisten von besonderer Wichtigkeit ist, hat man immer wieder festgestellt und verschiedentlich explizit zum Thema gemacht, man denke nur an die grundlegenden Aufsätze zu Sehen und Glauben im Johannesevangelium von O. Cullmann5 und F. Hahn6 sowie die Studie von 2 Ausnahmen stellen der Sammelband von J. KÜGLER (HG.), Die Macht der Nase. Zur religiösen Bedeutung des Duftes. Religionsgeschichte – Bibel – Liturgie, SBS 187, Stuttgart 2000, hier bes. 158-171, und die Dissertation von J.S. WEBSTER, Ingesting Jesus. Eating and Drinking in the Gospel of John, AcBib 6, Atlanta 2003, dar. 3 D.A. LEE, The Gospel of John and the Five Senses, JBL 129 (2010), 115-127: „While some of the senses have been recognized and disucssed extensively, others have been paid scant attention; nor has the cooperation of all five senses together been sufficiently observed“ (115). 4 Zum Zusammenhang 11,1–12,11 vgl. u. Kap. 3, bes. 195-202. 5 O. CULLMANN, Εἶδεν καὶ ἐπίστευσεν. La vie de Jésus, object de la „vue“ et de la „foi“, d’après le quatrième Évangile, in: J.-J. von Allmen (Hg.), Aux sources de la tradition chrétienne (FS M. Goguel), BT(N), Neuenburg 1950, 50-61; vgl. ders., Urchristentum und Gottesdienst, AThANT 3, Zürich 21950, 40-58; ders., Der johanneische Gebrauch doppeldeutiger Ausdrücke als Schlüssel zum Verständnis des Vierten Evangeliums, in: ders., Vorträge

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F. Mussner zur „johanneische[n] Sehweise“.7 Cullmann untersucht, wie im Evangelium körperliches Sehen und intellektuelles Durchschauen in verschiedener Weise ineinandergreifen müssen, um Glauben zu erzielen, wie andererseits der Glaube mal Folge, mal Voraussetzung des richtigen Sehens ist. Dafür zieht er auch all jene Stellen heran, an denen das körperliche Sehen problematisiert wird oder eben nicht zum Glauben führt. Hahn markiert eine Öffnung des Themas über das Sehen hinaus als Desiderat: „Eine vollständige Behandlung des Themas müsste sehr weit ausholen und vor allem auch die Beziehungen zu dem parallelen Themenkreis ,Hören‘ und ,Glauben‘ berücksichtigen.“ Insbesondere aber stellt Hahn die Frage, „warum das ,Sehen‘ theologisch eine solche Bedeutung gewinnen konnte“.8 Mussner tat den entscheidenden Schritt, von der Betonung des Sehens auf eine neue, auf Erkenntnis hin ausgerichtete „johanneische Sehweise“ zu schließen, von der das Evangelium insgesamt geprägt sei. Deshalb widmet Mussner auch den verschiedenen, im Johannesevangelium reichlich vorkommenden gnoseologischen Termini eine eingehende Untersuchung.9 Jüngst griff J.C. Tam die Frage unter dem Stichund Aufsätze 1925-1962, hg. von K. Fröhlich, Tübingen/Zürich 1966, 176-186 [= ThZ 4 (1948), 360-372]. 6 F. HAHN, Sehen und Glauben im Johannesevangelium, in: H. Baltensweiler/B. Reicke (Hgg.), Neues Testament und Geschichte. Historisches Geschehen und Deutung im Neuen Testament (FS O. Cullmann), Tübingen/Zürich 1972, 125-141. 7 F. MUSSNER, Die johanneische Sehweise und die Frage nach dem historischen Jesus, QD 28, Freiburg i.Br. u.a. 1965. Mussner hat auf die herausragende Rolle der Verben des Sehens im Johannesevangelium wie in der johanneischen Literatur insgesamt hingewiesen: θεᾶσθαι erscheint sechs Mal im Evangelium, drei Mal im 1. Johannesbrief, θεωρεῖν 24 Mal im Evangelium, einmal im 1. Johannesbrief; ὁρᾶν 31 Mal im Evangelium, acht Mal in den Briefen; βλέπειν 17 Ma l im Evangelium, einmal im 2. Johannesbrief. Die Häufung betrifft indes nicht das Sehen allein, sondern körperliche Wahrnehmungen insgesamt, und es drückt sich nicht allein in Verben, sondern auch in Substantiven aus (Rezeptionsorgane und Gegenstände der Wahrnehmung). Wir werden auf die relevanten Stellen im Einzelnen zu sprechen kommen. Vgl. weiter K. LAMMERS, Hören, Sehen und Glauben im Neuen Testament, SBS 11, 1966; G.L. PHILIPPS, Faith and Vision in the Fourth Gospel, in: F.L. Cross (Hg.), Studies in the Fourth Gospel, London 1957, 83-96; H. WENZ, Sehen und Glauben im Johannesevangelium, ThZ 17 (1961), 17-25; H. SCHLIER, Glauben, Erkennen, Lieben nach dem Johannesevangelium (1962), in: ders. (Hg.), Besinnung auf das Neue Testament. Exegetische Aufsätze und Vorträge 2, Freiburg i.Br. u.a. 1964, 279-293; R. GEBAUER, Sehen und Glauben. Zur literarisch-theologischen Zielsetzung des Johannesevangeliums, ThFPr 23 (1997), 39-57; S.-E. FARRELL, Seeing the Father (Jn 6:26; 14:9), ScEs 44 (1992), 1-24.159183; J. PAINTER, John 9 and the Interpretation of the Fourth Gospel, JSNT 28 (1986), 31-61; N. WALTER, Glaube und irdischer Jesus im Johannesevangelium, in: ders., Preparatio Evangelica. Studien zur Umwelt, Exegese und Hermeneutik des Neuen Testaments, hg. von W. Kraus/F. Wilk, WUNT 98, Tübingen 1997, 144-150, bes. 149f. 8 HAHN, Sehen und Glauben, 125. 9 MUSSNER, Sehweise, 26-34.

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wort „Apprehension of Jesus“ auf, wobei er wie Mussner Sehen und Hören mit gnoseologischer Begrifflichkeit verband, um nach der Intention des Autors bei der Verwendung dieser Terminologie zu fragen.10 Umfangreiche Analysen bieten die Arbeiten von C. Hergenröder11, R. Ramos Pérez12 und C. Traets.13 Sie bemühen sich auch um eine semantische Differenzierung der unterschiedlichen Verben des Sehens.14 R. Zimmermann hat sich in seiner Arbeit zur „Christologie der Bilder im Johannesevangelium“ ausführlich mit der Rolle des Sehens auseinandergesetzt. Er sieht „die Rückbindung an den geschichtlichen Jesus als visuelles Zeugnis gestaltet.“ Dies werde „schon darin deutlich, dass die Botschaft des Evangeliums – wie auch des 1Joh – bewusst von Augenzeugen präsentiert wird.“15 Bereits 1946 hatte

10 J.C. TAM, Apprehension of Jesus in the Gospel of John, WUNT II/399, Tübingen 2015. Interessanterweise klammert auch Tam die „niederen“ Sinne aus seiner Untersuchung aus, obwohl er von den semantischen Feldern nach LOUW/NIDA ausgeht (41-44), wo die „sensory events and states“ auch „smell“, „taste“ und „touch, feel“ einschließen (§§ 24.71-73). 11 C. HERGENRÖDER, Wir schauten seine Herrlichkeit. Das johanneische Sprechen vom Sehen im Horizont der Selbsterschließung Jesu und der Antwort des Menschen, FzB 80, Würzburg 1996, bes. 489-567. Hergenröder spricht im Anschluß an R. Guardini programmatisch von Johannes als „Mann des Auges“ (ebd., 3). 12 F. RAMOS PÉREZ, Ver a Jesús y sus signos, y creer en Él. Estudio exegético-teológico de la relación „ver y creer“ en el evangelio según san Juan, SFT 106, Rom 2004. 13 C. TRAETS, Voir Jésus et le Père en Lui selon l’Évangile de Saint Jean, AnGr 159, Rom 1967. 14 Eine besonders differenzierte philologische Untersuchung und theologische Würdigung bietet HERGENRÖDER, Wir schauten, 45-206; vgl. E.A. ABBOTT, Johannine Vocabulary. A Comparison of the Words of the Fourth Gospel with those of the Three, London 1905, 104114; PHILIPPS, Faith and Vision, 84f.91f.; RAMOS PÉREZ, Ver, 14-44; FARRELL, Seeing the Father. Vgl. dies., Seeing According to the Fourth Gospel, MTh-Thesis Edmonton/Alberta 1979 [n.v.]. Farrell sieht einen Fortschritt von einem ursprünglichen Nichtsehen über ein physisches Sehen hin zu einem „relational seeing“. Dieser Fortschritt lasse sich den unterschiedlichen Verben (ὁρᾶν; βλέπειν; θεᾶσθαι) zuordnen. TRAETS, Voir Jésus, 7-52, hebt neben der Semantik der Einzelbegriffe die Verwendung der Zeitstufen als Ausdrucksmittel hervor. Von einer weitgehenden Synonymität der Begriffe des Sehens (βλέπειν, θεᾶσθαι, θεωρεῖν, ὁρᾶν) im Johannesevangelium, die sich nicht weiter differenzieren ließen, geht R. BULTMANN aus: ders., Das Evangelium des Johannes, KEK 2, Göttingen 211986, 45 Anm. 1; ders., Theologie des Neuen Testaments, durchges. und ergänzt von O. Merk, Tübingen 9 1984, 424; vgl. HAHN, Sehen und Glauben, 126. 15 R. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004, 428. Zimmermann hebt das Sehen hervor, weil es ihm im Zusammenhang des Bildbegriffs um die visuelle Technik des Evangeliums geht. Vgl. ders., „Du wirst noch Größeres sehen …“ (Joh 1,50). Zur Ästhetik der Christusbilder im Johannesevangelium – Eine Skizze, in: J. Frey u.a. (Hgg.), Metaphorik und Christologie, TBT 120, Berlin u.a. 2003, 93-110.

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sich M. Barth16 ausführlich mit dem Thema der sinnlichen Wahrnehmung des Christusereignisses auseinandergesetzt. Anders als der Titel „Der Augenzeuge“ erwarten lässt, greift seine Arbeit zur „Wahrnehmung des Menschensohnes durch die Apostel“, wie es im Untertitel heißt, in origineller Weise die Beobachtung auf, dass neben dem Sehen und Hören auch den anderen Sinnen und Sinneswahrnehmungen bei Johannes eine ganz eigentümliche Bedeutung zukommt. Dies nimmt Barth zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen: „Die folgenden Ausführungen sind deshalb in der Hauptsache mit Aussagen aus dem Johannesevangelium begründet, weil augenscheinlich in diesem Evangelium die Frage nach dem Sinn des Hörens, Sehens und Betastens am deutlichsten unter allen neutestamentlichen Schriften gestellt und beantwortet ist.“17 Im Zusammenhang von Gesamtdarstellungen zur Sprache und Theologie des Johannesevangeliums ist die Frage des Verhältnisses von Sehen (und Hören) und Glauben immer wieder aufgenommen worden.18 Dass dem Hören eine besondere Bedeutung zukommt, scheint kaum verwunderlich bei einer Schrift, die die Wortchristologie zum Zentrum macht.19 In lutherischer Tradition hat man entsprechend versucht, dem Hören und dem Wort gegenüber dem Sehen sogar eine privilegierte Stellung zuzuweisen. Insbesondere C. Koester unterstreicht das Hören als Voraussetzung des Glaubens und argumentiert damit für eine Vorordnung des Hörens vor das Sehen und die sinnliche Wahrnehmung allgemein.20 16

M. BARTH, Der Augenzeuge. Eine Untersuchung über die Wahrnehmung des Menschensohnes durch die Apostel, Zollikon-Zürich 1946. 17 Ebd., 37. Die Verbindung von Wahrnehmung und Zeugnis steht im Zentrum des Interesses bei S.K.H. WANG, Sense Perception and Testimony in the Gospel According to John, Diss. Durham 2014, erscheint Tübingen 2017 (freundlicherweise habe ich die Arbeit von der Verfasserin zu Verfügung gestellt bekommen, allerdings erst nach Abschluss meines Manuskripts). Mit dem Zeugnis stellt Wang den Aspekt der Kommunikation einer Botschaft (und damit der Rhetorik) ins Zentrum, während für die vorliegende Arbeit der Aspekte der individuellen Begegnung mit dem jenseitigen Gott und damit der Hermeneutik und Epistemologie im Zentrum steht. 18 R. KYSAR, John, the Maverick Gospel, Louisville/London 32007, 93-113; C. KOESTER, Symbolism in the Fourth Gospel. Meaning, Mystery, Community, Minneapolis 22003, 138140; A. MEYER, Kommt und seht. Mystagogie im Johannesevangelium ausgehend von Joh 1,35-51, FzB 103, Würzburg 2005, bes. 203-241; O. SCHWANKL, Licht und Finsternis. Ein metaphorisches Paradigma in den johanneischen Schriften, HBS 5, Freiburg i.Br. u.a. 1995, bes. 330-340: „Empirie I. ,Optik‘“. 19 Zum Hören vgl. J. KAUFMANN, Der Begriff des Hörens im Johannesevangelium. Eine Begriffsuntersuchung auf dem Hintergrund der johanneischen Offenbarungstheologie, Rom 1978; J. GNILKA, Zur Theologie des Hörens nach den Aussagen des Neuen Testaments, BiLe 2 (1961), 71-81, hier 77-79. 20 C. KOESTER, Hearing, Seeing and Believing in the Gospel of John, Bib 70 (1989), 327348; ders., Symbolism, 138-140. Demgegenüber betont das Evangelium, wie wir sehen werden, in unterschiedlicher Weise die glaubenstiftende Bedeutung der Autopsie. Diese Fra-

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Gegenüber dieser Konzentration auf Sehen und Hören betrachtet die vorliegende Untersuchung die Sinneswahrnehmung als übergreifendes Motiv.21 Komplementär zu den bisherigen Studien zum Thema widmet sie sich dabei schwerpunktmäßig den sogenannten „niederen Sinnen“, da neben Sehen und Hören (insb. Joh 1; Joh 9-10) eben auch das Schmecken (insb. der Geschmack des Weins in Joh 2,1-11)22, Riechen (der Gestank des Toten und der Geruch des Salböls Joh 11,39/12,3) und Fühlen (das Berühren des Auferstandenen in Joh 20) in signifikanter Weise mit dem Thema des Glaubens verbunden werden. Zu einer solchen übergreifenden Betrachtung der Sinne existieren einige wenige Arbeiten, die das Neue Testament insgesamt in den Blick nehmen. Zu nennen ist zuvorderst der Aufsatz von E. von Dobschütz über „Die fünf Sinne im Neuen Testament“23, der auch den religionshistorischen Hintergrund ausleuchtet. Dobschütz konstatierte bereits 1929, dass es sich um ein „bisher wenig beachtetes Problem“ handelt.24 Daran hat sich bis heute wenig geändert. Insbesondere wird Dobschütz’ Bemerkung kritisch zu bedenken sein, eine „Theorie über die fünf Sinne, wie sie die griechische Philosophie aufgestellt hat“, fehle dem Neuen Testament, da es philosophischen Theorien fern stehe.25 Die sogenannten niederen Sinne, so Dobschütz, treten fast ganz zurück.26 Joh 2 markiert er als eine der wenigen Stellen (neben Mk 5,23; Mt 27,34), an denen Schmecken in eigentlicher Bedeutung erscheint, freilich – wie Dobschütz meint – ohne unmittelbare religiöse Implikationen.27 Auch für den Geruch in eigentlicher Bedeutung weiß er nur (neben 1Kor 12,17) Joh 11,39 und 12,3 anzugeben.28 Dem Tastsinn im Neuen Testament widmet Dobschütz einen größeren Raum, und wiederum spielt das Johannesevangelium eine gewichtige Rolle, obwohl Joh 20,27 nicht thematisiert wird. Den Tastsinn kann Dobschütz gar als „Mittel gen, die auch das Verhältnis von körperlicher Wahrnehmung und sprachlichem Zeugnis berühren, müssen insbesondere bei der Auslegung der Thomasperikope aufgenommen werden. 21 Eine entsprechende Untersuchung an den synoptischen Evangelien steht ebenfalls noch aus. Sie kann im Rahmen dieser Arbeit nicht geleistet werden, verspricht aber eigene interessante Ergebnisse im Blick auf die Anthropologie (und auch die Theologie) dieser Evangelien. 22 Zum Schmecken bzw. zum Gaumen ist vom Befund des Evangeliums her das Essen und Trinken bzw. der Magen hinzuzunehmen (Joh 4 und 6), wie dies bei WEBSTER, Ingesting Jesus, 53-89, auch geschieht. 23 E. VON DOBSCHÜTZ, Die fünf Sinne im Neuen Testament, JBL 48 (1929), 378-411. Dobschütz legt religionsgeschichtlich ein Entwicklungsmodell von einer niederen Stufe der Religion, bei der dem Sinnlichen größere Bedeutung zukommt, zu einer höheren, vergeistigten Form der Religion zugrunde. Insofern sei das Interesse des Religionswissenschaftlers gerade darauf gerichtet, den „Prozeß der Vergeistigung“ sichtbar zu machen (ebd., 379). 24 Ebd., 378. 25 Ebd., 380; vgl. 382. 26 Ebd., 383. 27 Ebd., 384. 28 Ebd., 386.

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der Überzeugung von Wirklichkeit auch in Bezug auf die gesamte Lebenserscheinung Jesu in Betracht“ ziehen.29 Nach diesem kurzen Überblick konzentriert sich auch Dobschütz auf Hören und Sehen. Letzteres trägt seines Erachtens bei Johannes den Hauptton. Über eine „Grundschicht“, für die das Hören im Zentrum stand, habe sich eine zweite Schicht gelegt, die das Sehen betone.30 In Hinsicht auf das Sehen wiederum meint Dobschütz eine zweite historische Entwicklung innerhalb des Johannesevangeliums erkennen zu können: Neben einer späteren „metaphysisch-präexistentiellen“ Betrachtungsweise, die vor allem im Prolog zum Ausdruck komme und die Identität Jesu als Offenbarer auf seine Schau des Vaters zurückführe, sieht er eine ältere, die „das Sehen als ein im Leben und Wirken des irdischen Jesus gegenwärtiges“ denke.31 Werden sie also auch nicht theoretisch entfaltet32, so werden die fünf Sinne bei Johannes doch in herausgehobener Weise thematisiert. Den biblischen Befund zu den fünf Sinnen hat R. Feldmeier in einer Serie von kurzen Beiträgen zum Thema gemacht und theologisch ausgewertet.33 Feldmeier steuert das Thema über die – auch für pagan-philosophisches Denken attraktive34 – bildlose Gottesverehrung der Juden an, die sich bei Philon von Alexandrien mit platonischer Ontologie und Anthropologie verband und damit die „Synthese zwischen biblischem Glauben und griechischem Denken“ schuf, die das christliche Abendland möglich machte.35 Es handle sich hierbei 29

Ebd., 389, mit Verweis auf Joh 1,14; 1Joh 1,1. Vgl. ebd., 400. 31 Ebd. 32 Die Abstraktbegriffe αἴσθησις (Phil 1,9) und αἰσθητήριον (Hebr 5,14) kommen, wie Dobschütz zu Recht bemerkt, nur jeweils einmal im Neuen Testament vor (ebd., 383). 33 R. FELDMEIER, Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne, in: ders., Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Glauben, WUNT 330, Tübingen 2014, 313-336 [= Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne. Beitragsserie für die Nachrichten der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern in sechs Teilen, München 1997, 195-197. 231f. 272f. 300f. 341-343; 1998, 14-16]. Vgl. M. FAESSLER U.A., Les cinq sens, métaphores de Dieu, BCPE 52/2-3 (2000), 1-46. Wie Feldmeier behandeln die Autoren jeden Sinn in einem eigenen kleinen Beitrag. Bei dieser von der Psychologie der Sinneswahrnehmung ausgehenden Darstellung spielt das Johannesevangelium eine sehr untergeordnete Rolle. 34 Vgl. die Bezeichnung der Juden als Philosophengeschlecht bei Theophrast (zitiert bei Porph. De abstin. II 26) und die positive Erwähnung der Kritik an theriomorphen und anthropomorphen Götterbildern, wie sie Ägypter bzw. Griechen verehren, bei Strab. Geogr. XVI 2,35 (die Stellen nennt FELDMEIER, Sinne, 196). Varro und Plutarch zufolge soll bereits Numa einen bildlosen Kult in Rom installiert haben; vgl. Numa 8,7. Dazu vgl. G.H. VAN KOOTEN, Pagan and Jewish Monotheism according to Varro, Plutarch, and St. Paul. The Aniconic, Monotheistic Beginnings of Rome’s Pagan Cult – Roman 1,19-25 in a Roman Context, in: A. Hilhorst/É. Puech/E. Tigchelaar (Hgg.), Flores Florentino. Dead Sea Scrolls and Other Early Jewish Studies (FS F. García Martínez), Leiden 2007, 633-651. 35 FELDMEIER, Sinne, 196. 30

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allerdings, so Feldmeier, um ein „Danaergeschenk“ – erkauft um den Preis einer vernunftzentrierten Gottesverehrung und gleichzeitigen Abwertung der Sinne und des Körpers in der christlichen Theologie.36 Bei den modernen Auslegern verbinde sich im Gegenzug mit der Frage nach den Sinnen, die dem zeitgenössischen Bedürfnis nach ganzheitlicher Erfahrung und Theologie Rechnung trage, die Versuchung, „die lange Tradition christlicher Problematisierung der menschlichen Sinne und Sinnlichkeit dadurch kompensieren zu wollen, dass man nun – im Kontext unserer Erlebnisgesellschaft – durch eine entsprechende Auswahl einschlägiger biblischer Passagen eben diesen Sinnen einen bevorzugten Platz in der religiösen Erfahrung einräumt“.37 Im Blick auf die Untersuchung der Sinnlichkeit bei Johannes ergeben sich aus dieser impliziten Mahnung an den Exegeten zwei Vorfragen: 1. Lässt sich die Vorstellung einer grundsätzlichen Abwertung des Körperlichen und der Welt, wie sie vielfach postuliert wird, tatsächlich am Text des Johannesevangeliums verifizieren, oder handelt es sich gerade um eine notwendige Korrektur überwiegend leibkritischer, vom Text her nicht gedeckter Interpretationen, wenn man auf die pointiert sinnlich-körperlichen Aspekte der johanneischen Erzählung hinweist? Hier ist wiederum Dobschütz zur Geltung zu bringen, der – freilich im Kontrast zu Platon, Philon und der hermetischen Literatur – festhält: „Gerade im Vergleich zu griechisch-orientalischen Gedankengängen muß im Neuen Testament auffallen, wie wenig von Entsinnlichung im strengen Sinne des Wortes hier die Rede ist.“38 Dass sich die Forschung von solchen sinnlichen Aspekten zumeist eher peinlich berührt zeigte, mag man als weiteres Indiz dafür werten, dass hier der richtige Interpretationsschlüssel noch nicht gefunden ist. 2. Entscheidend ist zweitens die Frage nach dem Referenzpunkt innerhalb der griechischen Tradition: Wie beurteilen die Denker der Zeit tatsächlich die Rolle von Körper und Sinneswahrnehmung im Blick auf Gotteserkenntnis und Gotteskontakt? Zu sehr waren die modernen Interpretationen vielfach anachronistisch bestimmt von späteren gnostisch-dualistischen Denkfiguren. Es gilt deshalb im Folgenden nicht nur, die besondere Bedeutung des Motivs der Sinneswahrnehmung für das Johannesevangelium aufzuzeigen, es gilt vielmehr auch, diesem Motiv vor dem Hintergrund des alttestamentlichen Bilderverbots eine eigene Funktion zuzuweisen39, gerade wenn – wie hier gezeigt werden 36

Ebd. Ebd., 195. 38 DOBSCHÜTZ, Sinne, 408. 39 Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Zwischen Bilderverbot und einem Bild Gottes – neutestamentliche Perspektiven, in: H.H. Behr/D. Krochmalnik/B. Schröder (Hgg.), „Du sollst Dir kein Bildnis machen …“. Bilderverbot und Bilddidaktik im jüdischen, christlichen und islamischen Religionsunterricht, Religionspädagogische Gespräche zwischen Juden, Christen und Muslimen 3, Berlin 2013, 63-90. 37

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soll – die Aufwertung der Sinne im hermeneutisch-theologischen Zusammenhang steht. Drei jüngere Forschungsentwicklungen sind für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung: 1. Die Verlagerung des Auslegungsparadigmas von einer historisch-entstehungsgeschichtlichen hin zu einer synchron-literarischen40 und literaturwissenschaftlichen41 Betrachtung des Evangeliums als Voraussetzung der Frage nach der strukturbildenden und interpretatorischen Qualität eines literarischen Motivs. 2. Eine verstärkte Wahrnehmung und hermeneutische Reflexion bildhaftsymbolischer Aspekte des vierten Evangeliums. Geschichtlich-körperliche Grundlage und spirituelle Deutung des Jesusgeschehens in der johanneischen Erzählung werden durch solche Interpretationsverfahren zusammengeschaut, ohne eines in das andere aufzulösen.42 3. Die insbesondere von M.M. Thompson43 und D.A. Lee44 geleistete Neubewertung der körperlichen Aspekte im Zusammenhang der inkarnatorischen Christologie des Evangeliums in Verbindung mit einer konsequent theologischen Interpretation. Die Frage nach der Bedeutung sinnlicher Wahrnehmung 40

Besonders konsequent und zuweilen extrem durchgeführt im Johanneskommentar von H. THYEN (Das Johannesevangelium, HNT 6, Tübingen 22015). Thyen verkörpert gleichsam mit seiner Biographie den Paradigmenwechsel in der Johannesforschung. Sein langer Weg, der zunächst noch ganz in den literarkritischen Spuren von R. Bultmann begann und ihn bis hin zu einer konsequent synchronen Betrachtungsweise führt, findet sich dokumentiert in seinen Gesammelten Aufsätzen zu Johannes (H. THYEN, Studien zum Corpus Iohanneum, WUNT 214, Tübingen 2007). 41 Die Initialzündung hierfür ging aus von der bereits klassisch gewordenen Durchführung literaturwissenschaftlicher Methodik bei R.A. CULPEPPER, Anatomy of the Fourth Gospel. A Study in Literary Design, Philadelphia 1983. 42 Diese Aspekte versuchen in je eigener Weise zusammenzuhalten ZIMMERMANN, Christologie der Bilder; D.A. LEE, The Symbolic Narratives of the Fourth Gospel, JSNT.S 95, Sheffield 1994; G.R. O’DAY, Revelation in the Fourth Gospel. Narrative Mode and Theological Claim, Philadelphia 1986; dies., Narrative Mode and Theological Claim. A Study in the Fourth Gospel, JBL 105/4 (1986), 657-668; X. LÉON-DUFOUR, Towards a Symbolic Reading of the Fourth Gospel, NTS 27 (1981), 439-456; vgl. auch die verschiedenen Beiträge in J. FREY/J.G. VAN DER WATT/R. ZIMMERMANN (HGG.), Imagery in the Gospel of John. Terms, Forms, Themes, and Theology of Johannine Figurative Language, WUNT 200, Tübingen 2006. 43 M.M. THOMPSON, The Incarnate Word. Perspectives on Jesus in the Fourth Gospel, Peabody 1988 (= The Humanity of Jesus in the Fourth Gospel, Philadelphia 1988); dies., The God of the Gospel of John, Grand Rapids/Cambridge 2001; dies., „God’s Voice You Have Never Heard, God’s Form You Have Never Seen“. The Characterization of God in the Gospel of John, Semeia 63 (1993), 177-204. 44 D.A. LEE, Flesh and Glory. Symbolism, Gender and Theology in the Gospel of John, New York 2002.

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knüpft an Überlegungen zur Rolle der körperlich-irdischen Realität Jesu im Rahmen der Herrlichkeitschristologie des vierten Evangeliums an45, insofern die körperlich-geschichtliche Darlegung gewissermaßen die christologische Vorbedingung eines anthropologischen und hermeneutischen Ansatzes über die Sinne formuliert. Diese Diskussion, die insbesondere mit den Namen R. Bultmann46 und E. Käsemann47 verbunden ist, entzündet sich an den beiden Hälften der inkarnatorischen Grundsatzaussage in Joh 1,14. Bultmann wie Käsemann gehen bekanntlich von Joh 1,14 als Zentralaussage des Evangeliums aus; Bultmann erblickte die Pointe in 1,14a („das Wort ward Fleisch und nahm Wohnung unter uns“), Käsemann dagegen in 1,14b („und wir sahen seine Herrlichkeit“). Hatte Bultmann die völlige Menschlichkeit des Inkarnierten als zentrale Provokation des Johannesevangeliums aufgefasst48, so stellt das Evangelium nach Käsemann im Gegenteil Jesus in einem „naiven Doketismus“ als „über die Erde schreitenden Gott“ dar.49 M.M. Thompson arbeitet diese Auseinandersetzung in ihrer Dissertation auf, um von dort aus eine Neubestimmung des Verhältnisses vorzunehmen.50 J. Zumstein formuliert seinerseits die Quint45 Vgl. zum Aspekt der Leiblichkeit Jesu jetzt J. FREY, Leiblichkeit und Auferstehung im Johannesevangelium, in: ders., Die Herrlichkeit des Gekreuzigten, WUNT 307, Tübingen 2013, 699-738 [= in: T. Nicklas u.a., The Human Body in Death and Resurrection, DCLY 2009, Berlin u.a. 2009, 285-327], bes. 705-717; zur Funktion der Rede vom Schauen der Herrlichkeit vgl. ders., „… dass sie meine Herrlichkeit schauen“ (Joh 17,24). Zu Hintergrund, Sinn und Funktion der johanneischen Rede von der δόξα Jesu, in: ebd., 639-662 [= NTS 54 (2008), 375-397]. 46 BULTMANN, Komm. 47 E. KÄSEMANN, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen 41980. 48 BULTMANN, Komm., 40: „Der Offenbarer ist nichts als ein Mensch“; dem Verlangen, in der Offenbarung etwas nie Dagewesenes, Übermenschliches zu sehen, „zum Trotz heißt es: der Logos ward Fleisch. In purer Menschlichkeit ist er der Offenbarer. Gewiß, die Seinen sehen auch seine δόξα (V. 14b); und wäre sie nicht zu sehen, so könnte ja von Offenbarung nicht die Rede sein. Aber das ist die Paradoxie, die das ganze Evg durchzieht, dass die δόξα nicht neben der σάρξ oder durch sie, als durch ein Transparent, hindurch zu sehen ist, sondern nirgends anders als in der σάρξ, und dass der Blick das aushalten muss, auf die σάρξ ausgerichtet zu sein, ohne sich beirren zu lassen, – wenn er die δόξα sehen will.“ 49 KÄSEMANN, Letzter Wille, 154; vgl. 26.35.66.137.151; ders., Aufbau und Anliegen des johanneischen Prologs (1957), in: ders., Exegetische Versuche und Besinnungen II, Tübingen 3 1970, 155-180, hier 171-177. Käsemann greift eine Formulierung F.C. BAURs auf (Kritische Untersuchungen über die kanonischen Evangelien, ihr Verhältnis zu einander, ihren Charakter und Ursprung, Tübingen 1847, 87.313), die in der religionsgeschichtlichen Schule weite Verbreitung fand. 50 THOMPSON, Incarnate Word, 1-11. Die einzelnen Kapitel ihrer Arbeit thematisieren Aspekte, die auch für die vorliegende Untersuchung grundlegend sind: die Herkunft Jesu (1331), Inkarnation und σάρξ (33-52), unter der Überschrift „Zeichen, Sehen und Glauben“ die Rolle, speziell die Materialität, der σηµεῖα (53-86) und schließlich die Bedeutung des Todes Jesu (87-115).

2. status quaestionis

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essenz der Diskussion wie folgt: Es sei unwesentlich, ob die Pointe im Paradox der Inkarnation liege (Bultmann) oder in der offenbarten Herrlichkeit (Käsemann): „Von der johanneischen Erzählperspektive aus gilt es zu verstehen, dass der fleischgewordene Logos der Raum der δόξα ist.“51 Entsprechend rückt Thompson das Menschsein Jesu in seinen verschiedenen Facetten als Ort der Offenbarung in den Fokus; Lee redet von der Verbindung von „Flesh and Glory“ im Leben des johanneischen Jesus und von einer das Evangelium durchziehenden „Symbolik des Fleisches“ Jesu.52 Thompson wie Lee suchen nach dem rechten Verständnis des Zusammenhangs der zwei für die johanneische Sehweise und Glaubenspädagogik grundlegenden Darstellungsebenen, also des Zusammenhangs der körperlich-geschichtlichenn Grundlage mit der spirituell-symbolischen Deutung. Einem solchen Zugriff kann das Porträt Jesu im Johannesevangelium, wie es S.M. Schneiders formuliert hat, als „a literary icon“ erscheinen.53 In dem literarischen Bild, so sagt es G. O’Day, begegnet der Leser Jesus: „The reader encounters Jesus […] through the narrative itself.“54 Alle diese Studien gehen in unterschiedlicher Weise von der Christologie, von Jesus, seiner wahren Menschennatur und Körperlichkeit, also vom Gegenstand der Wahrnehmung aus. Demgegenüber ruht der Blick der vorliegenden Arbeit mit der Frage nach der Sinneswahrnehmung auf der Rezeptionsperspektive, der Perspektive des Menschen in der Begegnung mit der geschichtlichen Offenbarung auf dem Weg zum Glauben. 51

J. ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, AThANT 84, Zürich 22004, 50. Vgl. J. RAHNER, „Er aber sprach vom Tempel seines Leibes“. Jesus von Nazareth als Ort der Offenbarung Gottes im vierten Evangelium, BBB 117, Bodenheim 1998, 9-11 und passim. 52 Vgl. LEE, Flesh and Glory, 36: „Revelation arises from within the structures and shape of human experience and materiality (sarx).“ Dies wird von Lee in den Zusammenhang der Gottebenbildlichkeit des Menschen eingeordnet. Sie kommentiert zu Joh 1,14 (Symbolic Narratives, 23f.): „Jesus, the incarnate Logos, is the one who reveals not just things about God, nor even God in an abstract, metaphysical sense, but rather discloses in his own person (σάρξ) that God is to be found in material reality.“ Dem liege eine inkarnationstheologische Konzeption zugrunde: „As human beings are made in Gods image (Gen 1,26-27), so in the Johannine view salvation involves centrally the human capacity to image the divine being. This is seen above all in the Johannine Jesus. The incarnational nature of John’s theology is paralleled by the way in which theological meaning is formed and carried by the literary structures of the Fourth Gospel […] In formalist terms, such structures cannot be peeled away in order to disclose a pure Johannine message. Just as σάρξ cannot be discounted in John’s theology, neither can narrative or symbolic form be disregarded in favour of a detachable view of meaning.“ 53 S.M. SCHNEIDERS, History and Symbolism in the Fourth Gospel, in: M. De Jonge (Hg.), L’Évangile de Jean. Sources, redaction, théologie, BEThL 44, Leuven 1977, 371-376, hier: 374f. Ihre der Bildkunst entnommene Metaphorik illustriert sie von van Goghs Selbstporträt her. 54 O’DAY, Revelation, 89f.

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Einleitung

3. Aufbau und Ziel Den drei Erzählungen, die im Mittelpunkt der vorliegenden Motivinterpretation stehen, ist jeweils ein exegetisches Kapitel gewidmet: der Hochzeit zu Kana in Joh 2, der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus mit der anschließenden Salbung in Joh 11–12 und schließlich der Thomasgeschichte in Joh 20.55 Jeweils wird das Motiv sinnlich-körperlicher Wahrnehmung in seinem Kontext interpretiert, auf seine literarische Funktion und seine glaubenstiftende Bedeutung hin befragt sowie in seinen anthropologischen, christologischen und theologischen Implikationen ausgedeutet. Hinzu treten motivgeschichtliche Untersuchungen, die den Boden für ein vertieftes Verständnis der Bedeutungsmöglichkeiten des jeweiligen Motivs bereiten sollen. Die drei Kapitel reflektieren damit einen gleichsam dreigipfligen Aufbau des Johannesevangeliums im Blick auf die sinnlich-körperliche Erfahrung des Heils. Der Prolog wird von Joh 1,18 her als eine hermeneutisch-theologische Leseanleitung interpretiert, die zugleich die Rahmenbedingungen der Begegnung mit dem der Sinneserfahrung schlechterdings unzugänglichen Schöpfergott formuliert. Um diese These im Rahmen des Gesamtaufbaus des vierten Evangeliums sowie der religionsgeschichtlichen Hintergründe und geistesgeschichtlichen Entwicklungen der Zeit zu verorten und zu erläutern, sind den exegetischen Untersuchungen in einem ersten Kapitel einige vom Prolog ausgehende Prolegomena zur inkarnationstheologischen Hermeneutik und ihrer literarischen Umsetzung im Rahmen des Johannesevangeliums sowie deren religions- und geistesgeschichtlichem Kontext vorangestellt. Dieses einleitende Kapitel bringt Joh 1,18 im Rahmen des Prologs als Programmsatz zur Geltung, dem die johanneische Darstellung der Jesusgeschichte folgt. Die den Hauptteil der Arbeit ausmachenden exegetischen Studien münden in einige Schlussfolgerungen zum Ort der vielfältigen Aussagen über körperliche Wahrnehmungen in der johanneischen Hermeneutik, Christologie und Theologie. Mit der vorliegenden literarischen Untersuchung will die Arbeit so zugleich einen Beitrag zur Theologie des vierten Evangeliums und zum Verständnis seiner geistigreligiösen Grundlagen leisten. Von den drei genannten Geschichten gingen in der Rezeptions- und Auslegungsgeschichte gerade aufgrund ihrer betonten Körperlichkeit deutliche Irritationen aus. Gerade zum vorausgesetzten spirituellen Charakter des Evangeliums schienen sie nicht zu passen. Mit der Neuverortung der Aussagen über die Sinneswahrnehmungen will die Arbeit deshalb einen Beitrag nicht nur zum besseren Verständnis, sondern auch zur weiteren Akzeptanz dieses Evangeli55

Da es um Sinneswahrnehmungen, nicht Sinnlichkeit und Körperlichkeit allgemein geht, gehe ich auf manche durchaus signifikant körperlichen Erzählungen wie etwa die Fußwaschung der Jünger durch Jesus in Joh 13 nicht gesondert ein.

4. Zur Methode: Motivinterpretation

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ums leisten, das von der Frühzeit des Christentums bis heute nicht selten Befremden und Abwehr ausgelöst hat.

4. Zur Methode: Motivinterpretation Die Arbeit nähert sich dem Evangelium methodisch weitgehend synchron über eine literarische Analyse. Im Rahmen einer Motivinterpretation werden Sinne und Sinneswahrnehmungen als ein die Erzählung durchziehendes Element interpretiert. „Motiv“ wird in der vorliegenden Arbeit ein (wiederkehrender) Elementarbestandteil einer Erzählung genannt, der zu Motivketten, Motivlinien oder Motivclustern innerhalb der Erzählung ausgebaut sein kann. Hierdurch entstehen Strukturen, die eine übergreifende Interpretation ermöglichen und nahelegen.56 Damit schließt sich die Arbeit methodisch an W. Freedman an, dessen Aufsatz „Literary Motif. A Definition and Evaluation“ als Gründungsurkunde der Motivinterpretation gelten kann.57 Vor nunmehr fast 50 Jahren hat Freedman darin die Grundzüge der Methode skizziert. Er weist auf die doppelte Verwendung von „Motiv“ in der Literaturwissenschaft hin: 1. für ein Thema, einen Charakter oder dergleichen, die sich über unterschiedliche Autoren, Werke und Zeiten hinweg nachverfolgen lassen; 2. für ein wiederkehrendes Motiv innerhalb eines einzelnen Werkes.58 Es ist diese letztere Bedeutung, die Freedman seinen Überlegungen zugrunde legt und die den Ausgangspunkt der vorliegenden Arbeit bildet. Freedman fasst seine Überlegungen in einer Definition von „Motiv“ zusammen: „A motif […] is a recurrent theme, character, or verbal pattern, but it may also be a family or associational cluster of literal or figurative references to a given class of concepts and objects, whether it be animals, machines, circles, music, or whatever. It is generally symbolic – that is, it can be seen to carry a meaning beyond the literal or immediately apparent; it represents on the verbal level something characteristic of the structure of the work, the events, the characters, the emotional effects or the moral and cognitive content“ (127f.).

Abschließend weist Freedman darauf hin, dass die Motivinterpretation zwei Deutungslinien zusammenbringt: die rein textimmanente, literarische Interpretation und – in der Frage nach Autorintention, reader response, soziologischen 56

Vgl. E. FRENZEL, Motive der Weltliteratur. Ein Lexikon dichtungsgeschichtlicher Längsschnitte, Stuttgart 51999; dies., Stoff-, Motiv- und Symbolforschung, Stuttgart 41978. 57 W. FREEDMAN, The Literary Motif. A Definition and Evaluation, Novel 4 (1971), 123131 [= in: M.J. Hoffman/P.D. Murphy (Hgg.), Essentials of the Theory of Fiction, London 2 1996, 200-212]. 58 FREEDMAN, Motif, 123f. unter Rekurs auf K. BECKSON/A. GANZ, A Reader’s Guide to Literary Terms, New York 1960, 129.

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Einleitung

und historischen Produktionsbedingungen des Textes – eine historische Perspektive. Bei einer Motivinterpretation geht es um den „attempt to discover clusters or families of related words or phrases that, by virtue of their frequency and particular use, tell us something about the author’s intentions, conscious or otherwise“ (123). Gegenüber rein an Metaphernfamilien als „metaphoric substructures“ bzw. an sich wiederholenden Bildern und Metaphern orientierten Studien sieht es Freedman als den Fortschritt einer Motivuntersuchung an, figurative und „wörtliche“ (literal) Komponenten eines Motivfeldes im Zusammenhang zu interpretieren. Der Aufweis eines Motivs muss dabei nach Freedman immer verbunden werden mit der Frage, welchen strukturellen und inhaltlichen Beitrag das Motiv im Rahmen des jeweiligen Werks leistet. Das Motiv ist „necessarily recurrent and its effect cumulative“ (124). Aus einem beschriebenen Detail kann ein Motiv in das Vokabular und die Bildsprache eines Autors hinübergleiten und so einen Assoziationshorizont bilden, ohne dass ein unmittelbarer Zusammenhang jeweils hergestellt sein muss. Ein Motiv kann für die Gesamtperspektive einer Schrift, ihre Atmosphäre, ihre Struktur und ihren Aufbau konstitutiv sein (125) – und, so wird man hinzufügen dürfen, zudem für ihre moralische, philosophische oder theologische Aussage. Motive, so Freedman, können ein literarisches Werk auf der kognitiven, affektiven oder strukturellen Ebene bereichern (125); diese Aspekte treten in unterschiedlicher Weise in den Vordergrund und sind meist kombiniert. Ziel der Motivanalyse ist es, die literarische, strukturelle, affektive und zuletzt theologische Funktion eines Motivs, in unserem Fall des Motivs der Sinneswahrnehmung, aufzuzeigen. Zwei Elemente konstituieren nach Freedman ein Motiv: 1. die Häufigkeit des Erscheinens (frequency) innerhalb eines Textes, um die Notwendigkeit und Intentionalität eines Motivs zu sichern; 2. die Unwahrscheinlichkeit (avoidability, unlikelihood) des Motivs, die sein Erscheinen überraschend macht. Die genannten Elemente kehren zudem in einer Aufzählung von fünf Aspekten wieder, welche die Wirkkraft eines Motivs ausmachen: 1. die Häufigkeit (wozu auch das Ausmaß der Ausgestaltung an der Einzelstelle zu rechnen ist); 2. die Unwahrscheinlichkeit als Aufmerksamkeitsmarker59; 3. das Vorkommen an entscheidenden, klimaktischen Stellen der Erzählung, besonders, wenn zugleich eine unmittelbare Beziehung zum „symbolischen Referenten“ des Motivs besteht (127); 59

Beim Johannesevangelium als dem „geistlichen“ Evangelium könnte man – jedenfalls im Blick auf die Auslegungsgeschichte – schon das verstärkte Vorkommen körperlich-sinnlicher Aspekte an sich als Element überraschender Unwahrscheinlichkeit bezeichnen.

4. Zur Methode: Motivinterpretation

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4. der Bezug auf ein gemeinsames Aussageziel, das alle Vorkommen des Motivs zum Teil eines unit mit einer gemeinsamen Aussage macht; 5. die Stimmigkeit (appropriateness) des Motivs zur intendierten Aussage. Die Methode der Motivinterpretation setzt also voraus, dass ein Motivkomplex innerhalb einer Schrift in unterschiedlichen Zusammenhängen mit einer übergreifenden Aussageintention aufgenommen wird.60 Dies kann als gegeben gelten, wenn ein bestimmtes Motiv innerhalb einer Schrift mit einer hinreichenden Dichte und Prominenz wiederkehrt, aber auch eine gewisse Varianz aufweist (wozu in unserem Fall die einzelnen Sinne als Teilmotive der Sinneswahrnehmung insgesamt gerechnet werden können). Eine Motivinterpretation, wie sie in der vorliegenden Arbeit am Motiv sinnlicher Wahrnehmung durchgeführt werden soll, setzt einen übergreifenden Gestaltungswillen voraus, der es möglich (und nötig) macht, die verschiedenen Aspekte des Motivkomplexes über verschiedene Kapitel und sprachliche Formen hinweg in einer Schrift zu verfolgen und zusammenhängend zu interpretieren. Diesen Zusammenhang zu erhellen, trägt zu einem vertieften Verständnis des Textes jenseits seines historischen Werdeprozesses bei. Die betonte Nennung von sinnlichen Wahrnehmungen an einzelnen Stellen lässt sich in diesem Sinne in einen motivischen Gesamtaufriss des Evangeliums einzeichnen und in ihrer theologischen wie literarischen Funktion erhellen.61 Wenden wir die genannten Konstitutiva eines Motivs auf die Sinneswahrnehmung im Johannesevangelium an, so lässt sich bereits am Ausgangspunkt unserer Untersuchung Folgendes sagen: 1. Die Häufigkeit des Erscheinens von Verben des Sehens und Hörens wurde immer wieder bemerkt. Man könnte unschwer zeigen, dass Sinneswahrnehmungen nahezu auf jeder Seite des Evangeliums in prägnantem Sinne zum 60

Vgl. FREEDMAN, Motif, 124, Regel 1 und 5. Dies setzt freilich voraus, dass – wie immer wir uns den Werdeprozess des Evangeliums im Einzelnen vorzustellen haben – die kanonisch rezipierte Version des Evangeliums tatsächlich als Produkt einer solchen Gestaltung anzusehen ist. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass dies für Joh 1-20 im Wesentlichen gilt. Joh 20,30f. bieten einen klaren theologischen wie literarischen Abschluss der Erzählung (vgl. J. ZUMSTEIN, Das Johannesevangelium I, KEK 2, Göttingen 2016, 773: „In 20,30-31 liegt nicht nur der theologische Abschluss des Evangeliums vor, es [sic!] sondern es handelt sich auch um dessen literarisches Ende. Diese Verse wollen als Schlusswort des Erzählkomplexes verstanden werden und betrachten die Kapitel 1-20 rückschauend als ein in sich abgeschlossenes Buch“). Joh 21 setzt demgegenüber als Nachtragskapitel eigene Akzente, indem Themen des voranstehenden Evangeliums aufgegriffen und kommentierend weitergeführt werden. Die Mahlszene mit Jesus als „Koch“ in Joh 21,9-13, der den Jüngern mit gegrilltem Fisch und Brot aufwartet, wird deshalb in der Arbeit nicht ausführlich diskutiert, obwohl sie im Kontext des Themas der Arbeit in die Augen sticht. Die Betonung des Essens innerhalb dieser Erzählung ist als Relecture des Motivs der Sinneswahrnehmung innerhalb des Evangeliums und zugleich als Auseinandersetzung mit dem Lukasevangelium zu verstehen. 61

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Einleitung

Thema werden und dabei gerade auch Schmecken, Riechen und Fühlen eine zentrale Rolle spielen. Dies dient als Ausgangspunkt für die Annahme, dass die Sinneswahrnehmungen als zusammenhängendes Motiv übergreifend interpretierbar sind. 2. Die Unwahrscheinlichkeit, ja Anstößigkeit des Motivs, bildet auf der Makroebene von der Rezeptionsgeschichte her einen Ausgangspunkt der vorliegenden Untersuchung. Immer wieder hat man sich an den als grob-sinnlich empfundenen Aspekten des Evangeliums gestört, allen voran erschien die wundersame Bereitstellung von Wein durch Jesus einer asketisch gesinnten Frömmigkeit unangemessen.62 Nach Freedman allerdings muss das Motiv zugleich passend sein (appropriateness), um wirken zu können. Entscheidend ist deshalb der Nachweis, dass das Motiv (der körperlich-sinnlichen Wahrnehmung als Zugang zu Gotteserkenntnis und Glauben) zwar überraschend und unkonventionell ist, sich richtig verstanden im Kontext der Theologie des Evangeliums und im Kontext des zeitgenössischen Denkens aber als zutiefst angemessen erweist. Innerhalb der neutestamentlichen Exegese wurden Freedmans Leitlinien im Sinne einer synchron-literarischen Interpretation von Motiven bisweilen aufgegriffen63, werden aber erst in den letzten beiden Jahrzehnten in exegetischen Arbeiten der Analyse zugrunde gelegt und selbst dann selten konsequent interpretativ umgesetzt.64 Zu sehr standen historische und im Blick auf die 62

Vgl. u. Kap. 2 Anm. 90. Zur Untersuchung des Johannesevangeliums vgl. schon CULPEPPER, Anatomy, 183. Zu Markus: K.R. IVERSON, „Wherever the Gospel is Preached“. The Paradox of Secrecy in the Gospel of Mark, in: ders./C.W. Skinner, Mark as Story, SBL 2011, 181-209, hier 189f. 64 Vgl. zum Johannesevangelium WEBSTER, Ingesting Jesus; J. VAN DER WATT, Family of the King. Dynamics of Metaphor in the Gospel according to John, BIS 47, Leiden 2000; U. BUSSE, Das Johannesevangelium. Bildlichkeit, Diskurs und Ritual, BETL 162, Leuven 2002. Erwähnenswert, wenn auch ohne den Bezug auf Freedman, sind M. APPOLD, The Oneness Motif in the Fourth Gospel. Motif Analysis and Exegetical Probe into the Theology of John, WUNT II/1, Tübingen 1976; A.T. LINCOLN, Truth on Trial. The Lawsuit Motif in the Fourth Gospel, Peabody 2000. Einige weitere monographische Arbeiten wenden die Methode auf andere neutestamentliche Schriften an, wie etwa L. GALLUSZ, The Throne Motif in the Book of Revelation, London 2014; J.M. MORGAN, Encountering Images of Spiritual Transformation. The Throughfare Motif within the Plot of Luke-Acts, Eugene 2013, 19-23; D.J. HORTON, Death and Resurrection. The Shape and Function of a Literary Motif in the Book of Acts, Cambridge 2011, oder die jüngst vorgelegte Berner Habilitationsschrift von S. AL-SUADI unter dem Titel „Inspiration und Auslegung. Synchron-literarische Motivinterpretation vom Geist insprierter Rede im Lukasevangelium“. Sie alle verbinden, Freedmans Klassifikation des Motivs als eines „recurrent […] verbal pattern“ (127) aufnehmend, Freedmans Ansatz mit klassisch-formkritischen Methoden. HORTON spricht vom „motif as an analytical tool“ (1). So legitim ein analytischer Ansatz von Motivstudien ist, so gilt doch deutlich herauszustellen, dass die Pointe der Methode von Freedman nicht in der Analyse, sondern in der Synthese besteht. Die analytische Beschreibung des jeweiligen Motivs dient 63

4. Zur Methode: Motivinterpretation

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Untersuchung von Motiven deshalb motivgeschichtliche Verfahren im Vordergrund, die darauf zielten, bestimmte Motive aus Vorläufern und Traditionen abzuleiten und auf diesem Wege über ihre Herkunft zu interpretieren. Dies ist in vielen Studien auch noch spürbar, nachdem im Rahmen des linguistic turn Metaphern- und Symbolforschung sowie literarisch-narrative Interpretationsansätze verstärkt auch für das Johannesevangelium fruchtbar gemacht wurden.65 Der Begriff „Motiv“, wie wir ihn im Folgenden verwenden wollen, meint also immer die literarische Umsetzung innerhalb eines konkreten Textes. Indem ein thematisches Element diesen Text durchzieht und in immer neuen Variationen wiederaufgenommen wird, trägt es literarisch zur Strukturierung des Textes bei. Da den Motiven in der Regel ein bildhafter („metaphorischer, allegorischer, symbolischer“) Sinn innewohnt, lässt sich nach ihrer theologischen oder philosophischen Bedeutung innerhalb des Einzeltextes fragen. Bei der Interpretation geht es also darum, die bildhafte Referenz eines Motivs durch Signale, die den Einzeltext durchziehen, plausibel zu machen; in sprachwissenschaftlicher Terminologie könnte man gleichsam von der „Performanz“ des Motivs sprechen.66 Als synchron-literarische Analyse sucht eine Motivinterpretation das Motivgeflecht des Evangeliums also in seiner Funktion im Rahmen der literarischen Endgestalt des Textes auszuwerten. Freilich gewinnt jedes literarische Motiv (ebenso wie jeder Einzelbegriff oder jede Metapher) seine Bedeutung auf der Basis von Bedeutungsmöglichkeiten, die sich aus der Verwendungsgeschichte (und bisweilen spezieller aus direkten intertextuellen Bezügen) ergeben, in dem zu analysierenden Text aber kreativ in ein neues Bedeutungsgeflecht mit einer eigenen Semantik verwoben sind. Abzugrenzen ist das „Motiv“ – als literarischer Begriff – eben deshalb

nicht primär dazu, zugehörige literarische Einheiten zu isoliern, die dann interpretiert werden können, sondern einer Beliebigkeit im Umgang mit dem Terminus „Motiv“ zu wehren, die in der Literaturwissenschaft wie in der Exegese gleichermaßen verbreitet ist. Zur Motivanalyse und -interpretation im griechischen Drama s.u. Anm. 88. 65 Selbst bei ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, wirkt es nach: in formaler Weise, insofern seine formkritische Unterteilung die Einheit der Bildsprache des Evangeliums an mancher Stelle zu konterkarieren droht, in materialer Hinsicht insbesondere bei der „symbolischen Bildlichkeit“, deren Interpretationsschlüssel sich für Zimmermann insbesondere traditionsgeschichtlich erschließt (vgl. u. 19-22). 66 N. CHOMSKY, Aspekte der Syntax-Theorie, Frankfurt a.M. 1973 (=STW 42), unterscheidet die Kompetenz („Bedeutungslexikon“) von der Performanz als Umsetzung im jeweiligen Sprechakt; er nimmt letztlich die klassische Unterscheidung von F. de Saussure in langue (abstraktes Sprachsystem) und parole (aktuale Sprachverwendung) auf (F. DE SAUSSURE, Cours de linguistique générale, hg. v. C. Bally/A. Sechehaye, Lausanne/Paris 1916); vgl. J. LYONS, Einführung in die moderne Linguistik, München 81995, 52-54.

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insbesondere vom „Symbol“.67 Von einem Symbol sprechen wir, wo bestimmte Motive sich kulturell verfestigt haben zu einem Deutungsmuster.68 Vielfach findet ein sehr viel weiterer Begriff des „Symbolischen“ Anwendung, der allgemein das Phänomen einer theologischen Bildsprache meint, wie bei R.A. Culpepper, der den entsprechenden Abschnitt mit „Symbolism“ überschreibt.69 Culpepper unterscheidet vier Arten der Herkunft des Symbolischen: „The meaning of symbols may be entirely created by the author and conveyed by the context, ,symbols of ancestral vitality‘ lifted from earlier sources, archetypal symbols whose context is virtually universal, or ‚symbols of cultural range‘ drawn from the social and historical context of the author and his intended readers.“70 Dieser weitere Symbolbegriff prägt auch die fundamentale Studie johanneischer Symbolsprache von C.H. Dodd71 ebenso wie G. Stembergers ethisch zentrierte Darstellung des johanneischen Symbolismus von gut und böse72 oder W.A. Meeks’ symbolische Interpretation der johanneischen Geographie.73 Die Definition von S.M. Schneiders74 unterstreicht den Ausgangspunkt von einem „wahrnehmbaren Aspekt der Wirklichkeit“: ein Symbol sei „1) a sensible reality 2) which renders present to and 3) involves a person subjectively in 4) a transforming experience 5) of the mystery of the transcendent“. Diese Definition, die sie in weiteren Publikationen zu Grunde gelegt hat75, nimmt entscheidende Punkte der johanneischen Bildsprache, ihres historischen Ausgangspunkts und ihrer die Existenz verwandelnden Zielrichtung auf, indem sie a.) von einem spezifischen Vorkommen der jeweiligen „reality“ und ihrer Rezeption ausgeht und b.) die rein literarische Betrachtung sowohl ontologisch als auch existentiell transzendiert. Ein solches „expansive concept of symbolism“ wiederum geht Culpepper zu weit, wo die exklusive Christuszentriertheit dadurch verdeckt zu werden droht.76 D.A. Lee 67

Eine Diskussion der unterschiedlichen Termini Symbol, Metapher, Zeichen (im literaturwissenschaftlichen Sinne) und Motiv bieten CULPEPPER, Anatomy, 180-190; VAN DER WATT, Family of the King, 1-24, bes. 4f. 68 FREEDMAN, Motif, 124, unterscheidet das „symbolic motif“ vom „symbol“; vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder: „Symbolische Bildlichkeit“ (137-165). P. WHEEL8 WRIGHT, Metaphor and Reality, Bloomington/London 1980, spricht von „archetypal symbols“ (116). 69 CULPEPPER, Anatomy, 180-198; darunter fasst er neben Metapher und Motiv auch das „Symbol“ im engeren Sinne (182f.). 70 Ebd., 184. 71 C.H. DODD, The Interpretation of the Fourth Gospel, Cambridge 1953, bes. 133-143. 72 G. STEMBERGER, La symbolique du bien et du mal selon saint Jean, Paris 1970. 73 W.A. MEEKS, Galilea and Judea in the Fourth Gospel, JBL 85 (1966), 159-169. Vgl. weiter KOESTER, Symbolism (ein Symbol definiert er als „an image, an action, or a person that is understood to have transcendent significance“; ebd., 4); LÉON-DUFOUR, Symbolic Reading; S. HAMID-KHANI, Revelation and Concealment of Christ. A Theological Enquiry in the Elusive Language of the Fourth Gospel, WUNT II/120, Tübingen 2000, 65-75; R. KIEFFER, Le monde symbolique de Saint Jean, LeDiv 137, Latour-Maubourg 1989. 74 S.M. SCHNEIDERS, Symbolism and the Sacramental Principle in the Fourth Gospel, in: P.-R. Tragan (Hg.), Segni e sacramenti nel Vangelo di Giovanni, Rom 1977, 221-235, hier 223. 75 S.M. SCHNEIDERS, History and Symbolism; dies., Written that you may believe. Encountering Jesus in the Fourth Gospel, New York 22003. 76 CULPEPPER, Anatomy, 187.

4. Zur Methode: Motivinterpretation

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geht von einem ebenso umfassenden Symbolbegriff aus, behält jedoch den eindeutig christologischen Kristallisationspunkt im Auge; sie kann von Jesu „Fleisch“ als dem zentralen Symbol der Herrlichkeit sprechen.77 Die Zusammenfassung der johanneischen Darstellungsform bei P. Ricca zeigt, wie sehr man geneigt war, diese insgesamt als „symbolisch“ aufzufassen, obwohl dies gerade nicht der johanneischen Terminologie entspricht: „Geschichte ist bei Joh immer und ausschließlich bedeutsame Geschichte, d.h., johanneisch ausgedrückt, Symbol. Für Johannes ist das historisch, was symbolisch ist; und symbolisch ist, was zum Bekenntnis des Glaubens führt. Joh weiß nichts von unserer Unterscheidung zwischen Symbol und Wirklichkeit. Das, was für ihn symbolisch ist, ist wirklich, und was wirklich ist, ist als solches auch symbolisch. […] Alle joh. Berichte haben also zu gleicher Zeit historischen und symbolischen Gehalt […].“78

Kommen wir von der in der Forschung bisweilen gegenwärtigen allgemeinen Verwendung des Begriffs Symbol zu seiner prägnanten Bedeutung zurück, so mag der Wein als signifikantes Beispiel dienen. Der Wein, der in Joh 2 und Joh 15 (und auch in Joh 6, selbst wenn dort nicht explizit von Wein die Rede ist) ein wichtiges Element der neuen Lebensordnung bildet, wird traditionell als Symbol der Lebenskraft verwendet. Solcherlei Bedeutungen eignen einem Symbol in einer Weise allgemein, die es erlaubt, sie als Grundbedeutung gewissermaßen in ein ‚Bedeutungslexikon‘ zu übernehmen. Ein Symbol kann einzeln verwendet werden und ist von seinen dem Einzeltext vorausliegenden historischen Bedeutungsmöglichkeiten her interpretierbar. Anders beim Motiv. Hier würde es zu einer unangemessenen Allegorisierung führen, der Verwendung an einer Einzelstelle aufgrund der Motivgeschichte isoliert vom Kontext eine Bedeutung zuzuweisen. Vielmehr gilt es, auf symbol- und motivgeschichtlichem Wege ein ‚Bedeutungslexikon‘ zu erstellen, das von allen Einzelverwendungen ausgehend den Bedeutungsraum festlegt, und von dort aus die kontextuelle Umsetzung des Motivs an der Einzelstelle zu bestimmen. Auch für eine synchrone Interpretation des Motivgehalts bedarf es deshalb durchaus der Betrachtung der Bedeutungsmöglichkeiten, die über motivgeschichtliche Studien erhoben worden sind. Ein Beispiel, das unten in Kapitel 3 ausgeführt werden wird: Das Motiv des Geruchs erscheint im Johannesevangelium zweimal (11,39; 12,3). Indem sich über motivgeschichtliche Betrachtungen nicht nur der theologische Zusammenhang der Opposition von Übel- und Wohlgeruch erweist, sondern dieser sich als Bedeutungskomponente in die Opposition von Leben und Tod einordnen lässt, legt sich eine Deutung nahe, die in dem Motiv in Joh 11–12 an einer Scharnierstelle des Evangeliums über die Sinneswahrnehmung die Frage nach Tod und Leben „verkörpert“ sieht; auf diese Weise wird im Kontext des Johannesevangeliums in aller Dringlichkeit die theologische Frage nach der Zueignung der todüberwindenden Lebens77

LEE, Flesh and Glory, bes. 9-28 sowie Kap. 2: „Restoring Glory. The Symbol of Jesus’ Flesh“, 29-64; bes. 62. 78 P. RICCA, Die Eschatologie des Vierten Evangeliums, Zürich u.a. 1966, 28.

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macht Gottes gestellt. Da das zur Sinneswahrnehmung im allgemeinen gehörende Teilmotiv des Geruchs innerhalb des Evangeliums nur kurz aufleuchtet, bedarf es zur Deutung eines Blicks in das ,Motivlexikon‘ der Symbol- und Motivgeschichte, wo das Motiv insbesondere von der ‚Dufttheologie‘ Ägyptens her seinen Verstehenshintergrund erhält.79 Über solche kulturell-anthropologisch, historisch bedingte Überlegungen hinausgehend führen der Linguist G. Lakoff und der Philosoph M. Johnson bildhafte Ausdrucksformen auf eine grundsätzlich metaphorische Struktur menschlichen Denkens zurück.80 Metaphorik, Bildhaftigkeit ist damit nicht nur sprachlich-literarisches Werkzeug („not just a matter of language“81), sondern gedankliche Grundstruktur, die auf konzeptualisierter Alltagserfahrung beruht. Dies wurde von M. Johnson in „The Body in Mind“ weiter im Blick auf die körperliche Verfasstheit des Menschen expliziert.82 Diese fundamentale Einsicht in die Verknüpfung von Bildsprachlichkeit und Körperlichkeit bei dem Versuch, in der Komplexität der Weltund Selbsterfahrung Orientierung zu schaffen, ist für die Darstellungsform des Johannesevangeliums außerordentlich wichtig. Bildhafte Konzepte, so macht diese Einsicht deutlich, sind nicht von einer Wahrheitsebene abzulösen oder einfach auf diese hin zu transzendieren, sondern sie sind, von körperlichen Konzeptionen ausgehend, unser Zugang zur Wahrheit und zum Sein. Im Johannesevangelium wird diese Einsicht im Prolog nicht nur – gewissermaßen kontingenterweise – mit dem Gedanken der Inkarnation des göttlichen Logos reflektiert. Vielmehr suchte die religiös-philosophische Literatur der frühen Kaiserzeit nach einer Bildhaftigkeit der Sprache, die der platonischen Einsicht in die bildhafte Grundstruktur der Welt adäquaten Ausdruck verleihen konnte.83

Das diachrone Erhellen des Verstehenshintergrunds, das gewissermaßen als das Aufschlagen eines ‚Motivlexikons‘ betrachtet werden kann, unterstreicht im Rahmen der vorliegenden Arbeit indes nur, worauf die Untersuchung eigentlich zielt: es geht darum, das Motivcluster der Sinneswahrnehmungen innerhalb des Johannesevangeliums zu erhellen, das mit einer eminent theologischen – und soteriologischen – Aussage verbunden ist; in dieses Motivcluster sind das Geruchsmotiv wie das Geschmacksmotiv eingeordnet. Es handelt sich somit um einen methodischen Dreischritt, wenngleich die einzelnen Schritte nicht immer sauber voneinander getrennt werden können: grundlegend ist die literarische Analyse der Verwendung eines Motivs in einem zu analysierenden Text. Das Ergebnis ist sodann mit den motivgeschichtlichen Voraussetzungen, dem 79

Vgl. KÜGLER, Nase, 123-171. Dazu ausführlich u. Kap. 3. G. LAKOFF/M. JOHNSON, Metaphors We Live By, Chicago 22003 [dt.: Leben in Metaphern. Konstruktion und Gebrauch von Sprachbildern, Heidelberg 72011]. 81 Ebd., 6. 82 M. JOHNSON, The Body in Mind. The Bodily Basis of Meaning, Imagination, and Reason, Chicago/London 1987; vgl. G. LAKOFF/M. JOHNSON, Philosophy in the Flesh. The Embodied Mind and its Challenge to Western Thought, New York 1999. 83 Dies habe ich zu Plutarch darzulegen versucht; vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken in Bildern. Studien zur literarischen, philosophischen und religiösen Funktion des Bildhaften, STAC 14, Tübingen 2002. Zum Phänomen insgesamt vgl. u. 75-80. 80

4. Zur Methode: Motivinterpretation

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‚Motivlexikon‘, abzugleichen, um so Folgerungen für die (oft bildhaft-theologische) Bedeutung des Motivs an der einzelnen Stelle zu ziehen und nach der Einbindung dieser Bedeutung in die Motivik und Aussageintention des Gesamttextes zu fragen. Culpeppers Fazit der sich stellenden Aufgabe nimmt unter Verwendung des Symbolbegriffs entscheidende Aspekte dessen auf, was im Rahmen der folgenden Motivinterpretation intendiert ist: „… symbols must be related to the gospel’s whole metaphorical system and the social setting in which it was composed. What is needed is a treatment of John’s symbolism that: (1) is based on adequate definitions, (2) is sensitive to movement and development in the gospel, (3) relates the metaphores, symbols, and motifs to one another, and (4) analyzes their function within the gospel as a literary whole.“84

Mit dem genannten johanneischen Beispiel sollte die fundamentale Abgrenzung der Motivinterpretation von der Motivgeschichte bzw. die Zuordnung der letzteren zur ersteren deutlich geworden sein. Wenngleich eine Motivinterpretation grundsätzlich synchron ansetzt, beruht jede Motivik innerhalb eines Einzeltextes auf einer Geschichte, die ihr semantisches Bedeutungsspektrum markiert. Diese Geschichte ist im Sinne eines ‚Bedeutungslexikons‘ der verwendeten Motive als kulturelles Wissen vorauszusetzen, wo es nicht durch bestimmte Textsignale explizit aufgerufen wird, ein Lexikon des literarischen, religiösen und kulturellen Wissens, das sich freilich je nach realem Leser, nach Herkunft und Bildungsstand unterscheiden wird. Versucht man dieses ‚Lexikon‘ zu rekonstruieren, so erhält man einen Bogen möglicher – oder gar wahrscheinlicher – Sinndimensionen des Textes. Deshalb ist mit unserem Ansatz, wie gesagt, eine diachrone Perspektive im Kern verbunden, wenn sie auch nicht im Zentrum der vorliegenden Untersuchung steht. Motivgruppen entwickeln ihr semantisches Potential in weiteren Kontexten sowie im Zusammenhang von Prä- und Cotexten. Eine Motivinterpretation ist deshalb ebenso wenig von der historischen Verankerung ablösbar wie jede semantische Studie. In diesem Sinne sind auch die vielfältigen traditionsgeschichtlichen Bezüge insbesondere zum Alten Testament und zu zeitgenössischen jüdischen Diskussionen, aber auch zur griechischen Tradition, in die Diskussion mit einzubeziehen. Es wird sich zeigen, dass das Evangelium gerade von dem Zusammenspiel jüdischer Tradition und griechisch-philosophischen Denkens, das bereits bei Philon vorbereitet ist, entscheidende formale wie inhaltliche Impulse erhält. Das Rezeptionspotential symbolischer und metaphorischer Überlieferung wird man dabei nur erfassen und zugleich eine vorschnelle Trennung von „Judentum und Hellenismus“85 vermeiden, wenn stets bewusst bleibt, dass Kontexte viel mehr 84 CULPEPPER, Anatomy, 188. Culpepper diskutiert Licht, Wasser und Brot beispielhaft, ebd., 190-198. 85 M. HENGEL hat in seiner epochalen Studie (Judentum und Hellenismus. Studien zu ihrer Begegnung unter besonderer Berücksichtigung Palästinas bis zur Mitte des 2.Jh.v.Chr.,

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Einleitung

sind als Texte, dass wir vielmehr mit einer komplexen Weiterentwicklung von Motivtraditionen auch außerhalb der textlichen Überlieferung rechnen müssen.86 Im Zusammenhang und unter Zuhilfenahme dieser Motivüberlieferungen sucht der Text in einen Dialog mit dem Leser einzutreten.87 Dennoch bilden motivgeschichtliche Untersuchungen jeweils nur den Anweg und machen nicht das Eigentliche der Motivinterpretation aus. Vielmehr hat die Untersuchung von der Umsetzung einer Motivtradition innerhalb eines gegebenen Textes auszugehen, um von dort aus – unter Einbeziehung der Rekonstruktion gesellschafts-, religions- und geistesgeschichtlich bedingter Aktualisierungen – die Textsignale für die intendierten Leser zu einem Gesamtbild der Theologie und des Denkens der Schrift zusammenzufügen. Es geht bei der Motivinterpretation des Johannesevangeliums also darum, aufzuzeigen, wie das Evangelium (durch Aufnahme alttestamentlicher und frühjüdischer Traditionen sowie der religiös wie philosophisch durchwirkten Sprache der ‚paganen‘ Umwelt) Deutungsangebote für die Jesusgeschichte schafft.88 WUNT 10, Tübingen 21973) die Grundlagen für eine integrativere Sicht des Problems geschaffen. Vgl. den von T. ENGBERG-PEDERSEN herausgegebenen Sammelband zu Paulus unter der Überschrift „Paul beyond the Judaism/Hellenism Divide“, Louisville 2001. 86 Vgl. T. SÖDING, Wege der Schriftauslegung. Methodenbuch zum Neuen Testament, Freiburg i.Br. u.a. 1998, 175: „Neben den Gattungen gehören auch Motive zum Repertoire, das die kulturelle, speziell die religiöse Umwelt den neutestamentlichen Autoren zur Formulierung ihrer Frohbotschaft bereitstellt.“ Freilich geht es im vorliegenden Zusammenhang weniger um einen analytischen, der Gattungskritik und -geschichte analogen Schritt, sondern um einen synthetischen, hermeneutischen und interpretativen Vorgang, der an den motivischen Zusammenhängen innerhalb einer Schrift orientiert ist. 87 Vgl. hierzu die Studien der Konstanzer Schule zur Rezeptionsästhetik: H.-R. JAUSS, Ästhetische Erfahrung und literarische Hermeneutik, Frankfurt a.M. 31991; ders., Literaturgeschichte als Provokation der Literaturwissenschaft, Frankfurt a.M. 111997. 88 Motivstudien finden sich interessanterweise insbesondere in der Literatur zum griechischen Drama; wenn sich diese Methode fruchtbar auf das Johannesevangelium übertragen lässt, mag dies auch dem dramatischen Charakter des Johannesevangeliums geschuldet sein. Vgl. etwa G.A. SEECK, Unaristotelische Untersuchungen zu Euripides: Ein motivanalytischer Kommentar zur Alkestis, BKAW II/75, Heidelberg 1985. Eine solche Interpretation bringe „sehr komplizierte Fragen ins Spiel; denn die motivische Struktur eines Stückes ist keine lineare Kette, sondern ein stereometrisches vieldimensionales Gebilde. Ein und dasselbe Motiv kann sehr verschiedene Funktionen ausüben und dementsprechend in der Gesamtstruktur verschiedenen Stellenwert haben. Es kann ein alleinstehendes oder ein wiederholtes Motiv sein, und es kann sich mit anderen Motiven zu kleineren Komplexen zusammenschließen, die ihrerseits wieder in größere Einheiten eingefügt sind. Dabei gibt es Querverbindungen, Übergänge, Umdeutungen und so fort. Es handelt sich dabei auch nicht einfach um ein Spiel auf mehreren Ebenen, wenn unter Ebene etwas zu verstehen ist, was durchgängig für das ganze Stück gilt. Es ist vielmehr ein ständiges Übergreifen und Zurückkehren, Einheit und Vielheit zugleich, so dass sich auch nicht ein leicht durchschaubarer Konstruktionsplan aufzeigen lässt, der die Struktur eines Stückes angibt“ (12f.). Die Polyvalenz erkennt Seeck als weiteres Konstitutivum des Motivs: „Es gibt keine Spielregeln dafür, welche Assoziationen erlaubt

4. Zur Methode: Motivinterpretation

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Die Problematik von Motivuntersuchungen zeigt sich bei einem Blick in die relevanten Vergleichsstudien. Sie bewegen sich zwischen den Polen einer rein motivgeschichtlichen Untersuchung, die nur mögliche Vorstufen benennt, aber die Interpretation des Textes nicht eigentlich in den Blick bekommt, und Motivdeutungen, die auf der Grundlage motivgeschichtlicher Erhebungen Einzelmotive des Textes mit oftmals allegorisierenden Deutungen versieht.89 Dies geschieht insbesondere dort, wo nicht die Motivlinien und -zusammenhänge interpretiert werden, sondern das Vorkommen eines Motivs an einer Einzelstelle aufgrund motivgeschichtlicher Voraussetzungen interpretiert wird. Wenngleich man vor der Gefahr allegorisierender Überzeichnungen nie gefeit ist, wo man versucht, den Assoziationshorizont von Texten zu erheben und für die Deutung des Textes fruchtbar zu machen, so soll hier doch ein deutlich anderes Verfahren gewählt werden, das methodisch nachvollziehbare und eingegrenzte Deutungen erlaubt, weil es kontextuell abgesichert ist. Für eine synchrone Motivinterpretation ist konstitutiv, nicht Einzelmotive zu isolieren und zu ihrer Geschichte in ein mehr oder weniger plausibles Verhältnis zu setzen, sondern Motivlinien innerhalb des Textes nachzuzeichnen. Dies gilt sowohl auf der Makroebene, wo wir uns dem Motivkomplex körperlicher Wahrnehmungen zuwenden, als auch auf der Mikroebene der einzelnen Erzählung, wo im Rahmen dieser Gesamtstruktur die Verwendung des Motivs einer bestimmten Sinneswahrnehmung erhellt werden soll. Die Pointe des religions- und philosophiegeschichtlichen Zugriffs liegt also weniger darin, traditionsgeschichtlich neue, bisher wenig beachtete Parallelen beizubringen. Vielmehr geht es darum, die geistes- und literaturgeschichtliche Landschaft der frühen Kaiserzeit zwischen hellenistischem Judentum, entstehendem Christentum und paganer Religiosität so wahrzunehmen, dass die bildhaft-symbolische Wahrnehmung des Christusgeschehens innerhalb des vierten Evangeliums mit ihrer hermeneutischen, erkenntnistheoretischen und im engeren Sinne theologischen Abzweckung einen stimmigen Ort erhält. So wird es möglich, im Rahmen neuerer Überlegungen insbesondere zur Christologie und Theologie des Evangeliums die spirituelle Redeweise und die körper-

sind und welche nicht“ (13). Wichtig ist auch noch eine methodische Leitline, die Seeck anschließt: Unter Motiven will er nicht „vage geistige Gebilde“ verstehen, „sondern Gedanken, die sich jeweils in ganz genau abgrenzbaren Textstellen konkretisieren“ (15). Hierauf wird auch in der vorliegenden Untersuchung zu achten sein, um nicht dem Assoziationsfluss allzu ungebremsten Lauf zu lassen, wie das verschiedentlich in der Literatur zu beobachten ist. Nur so ist es möglich, zwischen klaren textlichen Bezügen, möglichen intertextuellen Bezugnahmen und bloßen Assoziationshorizonten zu unterscheiden, während in der Literatur vielfach der Übergang vom einen zum anderen kaum kontrolliert und kontrollierbar geschieht. 89 Diese Kritik trifft auch die Analyse von WEBSTER, Ingesting Jesus, die sich explizit an Freedman anschließt; auf ihre Arbeit werden wir unten (102f.) zurückkommen.

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Einleitung

liche Darstellungsweise des Evangeliums zu einem stimmigen Gesamtbild zusammenzufügen.

Kapitel 1

Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18) Die Hervorhebung körperlich-sinnenhafter Erfahrungen im Johannesevangelium überrascht im Blick auf dessen vielfach beobachteten spirituellen Charakter. Man könnte dies als den entscheidenden Aspekt der „Unwahrscheinlichkeit“ (unlikelihood) im Sinne Freedmans begreifen.1 Die Spannung, die sich daraus ergibt, und ihr literarisches wie theologisches Potential gilt es im vorliegenden einleitenden Kapitel aufzuarbeiten. Dabei soll von den grundlegenden Aussagen des Prologs, insbesondere von den Versen 1,14.18, ausgegangen werden. Denn der Prolog – wie auch immer man im Blick auf seinen historischen Entstehungsprozess sein Verhältnis zum Johannesevangelium bestimmen mag – bietet in der vorliegenden Gestalt des Evangeliums auch im Blick auf die Funktion der Sinneswahrnehmung die Prolegomena. Mit der Rede von dem Wort, das als Licht in die Welt tritt und Fleisch wird (1,9.14), um auf diese Weise Gott, den niemand jemals gesehen hat, „offenzulegen“ (ἐξηγήσατο; 1,18), sind die Bereiche des Sehens und Hörens bereits prominent angesprochen – die Rede vom „Fleisch“, von der vollen menschlichkörperlichen Realität und Greifbarkeit des Logos impliziert die Möglichkeit, ihm mit allen Sinnen zu begegnen. In der Spitzenformulierung 1,18 („Keiner hat Gott jemals gesehen“) ist die grundsätzliche Unmöglichkeit formuliert, Gott über die Sinne wahrzunehmen und zu erkennen – und gleichzeitig verortet dieser Satz in paradoxer Weise jede Erkenntnis Gottes in einer Figur der Geschichte, Jesus von Nazareth.2 Die angesprochene Spannung durchzieht die johanneische Jesusgeschichte: Die Erfahrung mit der irdischen Geschichte von Jesus, dem Christus und Gottessohn, wie sie in den Synoptikern wiedergegeben wird, erscheint spiritualisiert. Sie wird betrachtet als die Geschichte des in die Welt eingetretenen göttlichen Logos, Lichts und Lebens. Jeder Zug dieser Geschichte führt bildhaft die in Jesus gegenwärtig gewordene Realität Gottes vor Augen. Die im Evangelium pointiert thematisierten Wahrnehmungsvorgänge, die alle Sinne umfassen und zumeist in dezidiert christo- bzw. theo1

Vgl. o. 14. A. Kleinberg hat in seinem philosophie- und religionsgeschichtlichen Überblick das Paradoxon, über den jenseits aller körperlichen Kategorien der Welt stehenden Gott denken und reden zu wollen, unter die Chiffre der Inkarnation gestellt (A. KLEINBERG, The Sensual God. How the Senses make the Almighty Senseless, New York 2015, 56 u.ö.). 2

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

logischen Zusammenhängen stehen oder entsprechend interpretiert werden, setzen eine Aufwertung des Körperlich-Geschichtlichen in theologischer und epistemologischer Hinsicht voraus. Die Verbindung zwischen Spiritualisierung und Körperlichkeit stellt das Johannesevangelium durch den Gedanken der Inkarnation her (1,14-183): Die Aussage „Der Logos wurde Fleisch“, die Bultmann, wie viele andere, als das „Thema des ganzen Johannes-Evangeliums“ bestimmt4, erlaubt es, die Ebenen der transzendenten Sphäre Gottes und jene der körperlichen Wahrnehmung zueinander in Beziehung zu setzen.5 Diese Kernaussage des Evangeliums gewinnt ihre Kontur in besonderer Weise, wenn man sie vor dem Hintergrund der Bildtheologien der Zeit betrachtet.6 Die in Joh 1,18 formulierte Problemstellung und die inkarnationstheologische Lösung bilden den Leitfaden der nun folgenden Prolegomena.

3

Vgl. 1Joh 4,2; 2Joh 7. BULTMANN, Theologie, 392. 5 H. Weder formuliert es folgendermaßen: „Wer im Christus die Fleischwerdung des göttlichen Wortes sieht, kann darin das endgültige Kommen Gottes erblicken“ (H. WEDER, Gegenwart und Gottesherrschaft. Überlegungen zum Zeitverständnis bei Jesus und im frühen Christentum, BThSt 20, Neukirchen-Vluyn 1993, 82; vgl. ders., Ursprung im Unvordenklichen. Eine theologische Auslegung des Johannesprologs, BThSt 70, Neukirchen-Vluyn 2008, 139). 6 Im Neuen Testament denkt man unmittelbar an die Aussagen über den Christus in 2Kor 4,4: ὅς ἐστιν εἰκὼν τοῦ θεοῦ; sowie noch expliziter Kol 1,15, wo von Christus gesagt wird: …, ὅς ἐστιν εἰκὼν τοῦ θεοῦ τοῦ ἀοράτου (vgl. Hebr 1,3: … ὃς ὢν ἀπαύγασµα τῆς δόξης καὶ χαρακτὴρ τῆς ὑποστάσεως αὐτοῦ [sc. τοῦ θεοῦ]). Es ist kein Zufall, dass Philon gerade in den Legum allegoriae, der allegorischen Deutung der Schöpfungs- und Paradieserzählung (Gen 13), als er sich in besonderer Weise mit der Frage des Zusammenhangs von Himmel (= Welt des göttlichen Nous = Zahl 7) und Erde (= Welt der körperlichen Wahrnehmung = Zahl 6; im Anschluß an Gen 2,1 LXX) beschäftigt, eine Vielzahl von Bildtermini zusammenballt: παράδειγµα, εἰκών, ἀπεικόνισµα, σκιά, ἀρχέτυπος (Leg. All. III 96 in einer Auslegung zu Gen 1,27). Dennoch: das Konzept einer Bildtheologie ist bei Johannes zwar deutlich erkennbar, die Terminologie des Bildes indes fehlt, man könnte geradezu sagen, das Evangelium scheint sie zu vermeiden (vgl. BULTMANN, Komm., 56, sowie u. Kap. 1 Anm. 257). Man könnte dies mit der Christologie des Evangeliums in Verbindung bringen: Da der Akzent der Terminologie von Gen 1,26f. her auf der Anthropologie liegt und die Stelle in diesem Sinne gerade bei Philon diskutiert wird, reicht dem Evangelisten diese Bezeichnung nicht aus. Das Ereignis, dass der göttliche Logos im Fleisch ins Werden tritt, sprengt die Kategorien jeder Anthropologie und Kosmologie und sprengt darin auch jeden platonischen Bezugsrahmen. 4

1.1 Das theologische Problem

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1.1 Das theologische Problem: Die Unfassbarkeit Gottes durch die Sinne – Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε … (Joh 1,18a) „Keiner hat Gott jemals gesehen.“7 Am Ende des Prologs führt das Johannesevangelium pointiert das Motiv sinnlich-körperlicher Wahrnehmung ein und markiert es als Problem, das sogleich (in Joh 1,18b) im Horizont einer theologischen Hermeneutik verortet wird. Diese Problemanzeige und die anschließende Lösung fungieren zugleich als Leseanleitung für die folgende Jesusgeschichte. Aus anthropologischem Blickwinkel wird in 1,18a die prinzipielle Grenze menschlicher Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit bezüglich der Realität Gottes als Ausgangsproblem konstatiert, das auf eine Lösung drängt.8 Dieses Problem gründet in der kategorialen Unterschiedenheit „dieser Welt“9, auf die sich körperliche Wahrnehmung allein beziehen kann, von der Wirklichkeit Gottes. Der Abstand zwischen Gott und Welt bzw. Mensch und die sich daraus ergebenden Probleme des Erkennens spiegeln sich im Evangelium in vielfältiger Weise: Missverständnisse, Rätselhaftigkeiten, Doppeldeutigkeiten stürzen die Akteure der Erzählung immer wieder in Unverständnis, Zweifel und Ableh7

Vgl. 1Joh 4,12: θεὸν οὐδεὶς πώποτε τεθέαται, sowie Joh 6,46: οὐχ ὅτι τὸν πατέρα ἑώρακέν τις εἰ µὴ ὁ ὢν παρὰ τοῦ θεοῦ, οὗτος ἑώρακεν τὸν πατέρα. Noch grundsätzlicher formuliert 1Tim 6,16 (vgl. 1,17), wo es im Blick auf Gott heißt: „… den [sc. Gott] kein Mensch je gesehen hat noch sehen kann“ (… ὃν εἶδεν οὐδεὶς ἀνθρώπων οὐδὲ ἰδεῖν δύναται; vgl. Jos. Bell. Iud. VII 346). Eine ekklesiologische Lösung der Frage nach der Sichtbarkeit Gottes schließt der 1. Johannesbrief in 1Joh 4 an: ἐὰν ἀγαπῶµεν ἀλλήλους, ὁ θεὸς ἐν ἡµῖν µένει καὶ ἡ ἀγάπη αὐτοῦ τετελειωµένη ἐν ἡµῖν ἐστίν, und impliziert so, dass Gott sich im geliebten Nachbarn zeigt (1Joh 4,12; vgl. 4,20 und 4,7f.: Wer liebt, erkennt Gott). Zu dieser gnoseologischen Komponente in der Ekklesiologie des 1. Johannesbriefs vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Prinzipiell-theologische Ethik in der johanneischen Literatur, in: F.-W. Horn/ R. Zimmermann (Hgg.), Jenseits von Indikativ und Imperativ. Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik Bd. 1, WUNT 238, Tübingen 2009, 289-307, hier 304-307. Zum Folgenden vgl. M. THEOBALD, Die Fleischwerdung des Logos. Studien zum Verhältnis des Johannesprologs zum Corpus des Evangeliums und zu 1Joh, NTA 20, Münster 1988, 344-373. 8 Man kann das Perfekt geradezu als anthropologische Grundvoraussetzung der Erkenntnistheorie verstehen: Der Zugang zum Bereich der göttlichen Wahrheit ist dem Menschen (jenseits der Inkarnation des Logos) grundsätzlich verschlossen. Zur Gotteswahrnehmung und -erkenntnis als Kernproblem des vierten Evangeliums vgl. DODD, Interpretation, 151-169; KOESTER, Symbolism, 1. Dodd weist auf, wie sehr bei diesem Thema hebräische und griechische Vorstellungen ineinandergehen. Als Ausgangsproblem des Evangeliums versteht den Satz auch R. BULTMANN, Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε (Joh 1,18), in: ders., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, Tübingen 1967, 174-197 (= Untersuchungen zum Johannesevangelium. B. Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε Joh 1,18, ZNW 29 [1930], 169-192). MUSSNER, Sehweise, untersucht deshalb neben den Verben des Sehens auch die gnoseologische Terminologie (26-34). 9 ὁ κόσµος οὗτος; Joh 8,23; 9,39; 11,9 u.ö.

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

nung. Diesen Abstand zu überbrücken und für die Erkenntnisproblematik eine Lösung bereitzustellen, dazu ist das Evangelium geschrieben, oder auch: dazu ist der göttliche Logos als das wahre Licht in die Welt gesandt worden (1,5.9f.14). Ohne das Licht der göttlichen Wahrheit, das er bringt, bleibt diese Welt, die doch zu Licht und Leben bestimmt ist, ein Ort der Dunkelheit, des Unverständnisses und des Todes. Liest man 1,18 als hermeneutischen Programmsatz, so wird darin gleich zu Anfang des Evangeliums die theologische Zielrichtung der Wahrnehmung festgeschrieben: Es geht im Kern um die Wahrnehmung und das Wesen Gottes.10 C.K. Barrett hat die theologische Zielrichtung der Christologie des Evangeliums nachdrücklich unterstrichen: „It seems clear to me that we must now, without abandoning either anthropology or Christology, go on to speak about theology in the strict sense of the term. John is writing about, and directing our attention to, God“11; die christologische Frage, die nach immer noch gängiger Einschätzung Kern und Ziel der Darstellung des Johannesevangeliums bildet, wird hier nicht ersetzt, sondern in ihrer theologischen Bestimmung ernst genommen: „There could hardly be a more Christocentric writer than John, yet his very Christocentricity is theocentric.“12

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Vgl. u. 50-56. „... the ultimate aim ... is to provide an experience, mediated by images, of divine reality“ (H.W. ATTRIDGE, The Cubist Principle in Johannine Imagery. John and the Reading of Images in Contemporary Platonism, in: Frey u.a., Imagery, 47-60, hier 47). Dies gilt gegenüber der gängigen Einschätzung in der Forschung, derzufolge die christologische Frage im Zentrum der Darstellung des Johannesevangeliums steht. Das Thema einer „Gotteslehre“ des Johannesevangeliums, das seit langer Zeit als Desiderat erkannt ist (wie das Thema der neutestamentlichen Gotteslehre insgesamt; vgl. N.A. DAHL, The Neglected Factor in New Testament Theology, Reflection 73 [1975], 5-8), ist in der letzten Zeit stärker in den Blick genommen worden: THOMPSON, God; P.W. MEYER, „The Father“. The Presentation of God in the Fourth Gospel, in: Culpepper/Black, Exploring the Gospel, 255-273; A.J. KELLY/F.J. MOLONEY, Experiencing God in the Gospel of John, Mahwah 2003, 18-22; D.R. SADANANDA, The Johannine Exegesis of God. An Exploration into the Johannine Understanding of God, BZNW 121, Berlin u.a. 2004. Neuerdings widerspricht der These einer Erkenntnis Gottes vehement T. ENGBERG-PEDERSEN, John and Philosophy, in Auseinandersetzung mit meinen (und H. Attridges) Thesen (erscheint Oxford 2017; der Verf. hat mir freundlicherweise ein Manuskript des Buches zur Verfügung gestellt). 11 C.K. BARRETT, Christocentric or Theocentric? Observations on the Theological Method of the Fourth Gospel, in: ders., Essays on John, London 1982, 1-18, hier 3 [= in: J. Coppens (Hg.), La Notion biblique de Dieu, BETL 41, Leuven 1976, 361-376]. 12 C.K. BARRETT, ‚The Father is greater than I‘ (John 14.28). Subordinationist Christology in the New Testament, in: ders., Essays on John, 19-36, hier 32. G.R. O’DAY (HG.), The Gospel of John, NIB 9, Nashville 1994, 523, schwenkt auf Barretts Linie ein: „[1,18] is central to understanding the Fourth Gospel, because it states explicitly John’s understanding of Jesus’ ministry and saving work: to make God known“ (so lautet O’Days Übersetzung für ἐξηγεῖσθαι). Vgl. D.M. SMITH, The Theology of the Gospel of John, New Testament Theology, Cambridge u.a. 11995, 75: „The fundamental question of the Fourth Gospel is the question of God, not whether a god exists, but who is God and how God reveals himself.“

1.1 Das theologische Problem

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Zu beachten ist die Perspektive. Subjekt ist in Joh 1,18 zunächst der Mensch, Thema seine Möglichkeit der Gotteswahrnehmung (οὐδεὶς ἑώρακεν). Ausgangspunkt ist nicht eine Wesenslehre von dem ἄγνωστος θεός, sondern die Frage der Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit des Menschen. Es ist die Perspektive der Rezeption der Realität Gottes.13 Der veränderte Ausgangspunkt und die veränderte Perspektive in Joh 1,18a fallen vor allem angesichts der in der Umwelt gängigen prinzipiellen negativ-theologischen Gottesaussagen ins Auge, die das Wesen Gottes mit α-privativa im Gegenüber zur Welt bestimmen. Entsprechende Aussagen zur Unkörperlichkeit Gottes finden sich bei Philon14 ebenso wie bei Plutarch und im Corpus Hermeticum an einer Vielzahl von Stellen.15 Die vollkommene Transzendenz und Unerreichbarkeit garantiert hier seine göttliche Würde, seine Ewigkeit und Macht. Demgegenüber führt die Perspektive der Rezeption auf eine Kernfrage des vierten Evangeliums und seiner Darstellungsweise, die von einer grundsätzlichen Erkennbarkeit Gottes als Bedingung der Möglichkeit von Heil ausgeht: Wie können Menschen unter den Bedingungen der Welt Gott wahrnehmen? Wie kann Gott – so er das will – sich der Welt wahrnehmbar machen? „How God is known is a question raised repeatedly, both explicitly and implicitly, in the Gospel of John.“16

13 Vgl. H. WEDER, Deus incarnatus. On the Hermeneutics of Christology in the Johannine Writings, in: R.A. Culpepper/C.C. Black (Hgg.), Exploring the Gospel of John (FS D.M. Smith), London u.a. 1996, 327-345, hier 331. 14 Vgl. u. 65-70. 15 Vgl. die Darlegung der platonischen Vorstellung von Gott in Max. Tyr. or. 11,9 (τίς ὁ θεὸς κατὰ Πλάτονα): „Den göttlichen Geist nun nennt uns der Bote aus der Akademie [Platon] Vater und Schöpfer des Ganzen. Allerdings nennt er dessen Namen nicht, denn er weiß ihn nicht; auch beschreibt er nicht seine Gestalt, denn er sah ihn nicht, nennt auch seine Größe nicht, denn er berührte ihn nicht. Dies sind auch nur natürliche Eigenschaften, Wahrnehmungen von Leib und Augen (φύσεις αὗται, σαρκῶν καὶ ὀφθαλµῶν συνέσεις). Die Gottheit selbst aber ist nicht sichtbar den Augen, nicht aussprechbar der Zunge, nicht fühlbar dem Fleisch, nicht hörbar dem Ohr (τὸ δὲ θεῖον αὐτὸ ἀόρατον ὀφθαλµοῖς, ἄρρητον φωνῇ, ἀναφὲς σαρκί, ἀπευθὲς ἀκοῇ), sondern sie ist allein dem schönsten, reinsten, geistigsten, leichtesten und erhabensten Teil unserer Seele sichtbar kraft der Ähnlichkeit, hörbar kraft der Verwandtschaft und wird als Ganzes in einem Erkenntnisakt auf einmal erfaßt. Wenn nun jemand die Sonne ansehen möchte, versucht er sie nicht mit dem Gehör zu erfassen, wie auch kein Liebhaber harmonischen Wohlklanges diesen mit den Augen sucht, sondern das Auge die Farben liebt, das Ohr die Töne; so sieht und hört auch der Geist das Intelligible“ (Übersetzung O.u.E. Schönberger). Zentral wird die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes (über die Sinne) in den Schriften des Corpus Hermeticum, die sie wie ein roter Faden durchzieht. Dies spiegelt sich teilweise schon in deren Titeln; vgl. insbes. CH V: ὅτι ἀφανὴς θεὸς φανερώτατός ἐστιν. Dort aber wird die Frage, wie in der hellenistischen Welt üblich, von der Natur Gottes her angegangen. Vgl. u. 70f. 16 THOMPSON, God, 101; vgl. DODD, Interpretation, § 3: „The Knowledge of God“ (151169); C. KOESTER, Jesus as the Way to the Father in Johannine Theology (John 14,6), in:

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Blickt man von dieser Problemstellung in 1,18a auf den Prolog zurück, so wird deutlich, dass auch die Aussagen zuvor im Horizont der Frage nach den Voraussetzungen der Wahrnehmbarkeit Gottes und der göttlichen Wahrheit unter den Bedingungen der vorfindlichen Welt verstanden werden können. Eine solche Wahrnehmung wird erst ermöglicht durch den Eintritt des von Gott ausgegangenen göttlichen Wortes (1,1-3), das auch selbst Gott genannt werden kann (1,1.18), bzw. des (wahren) Lichts (1,5.9f.17), in die Welt.18 Es handelt sich um eine Reformulierung der Schöpfungsgeschichte im Blick auf die Wahrnehmung durch den Menschen. Wahre, letztgültige Schöpfung ereignet sich dort, wo die Wahrnehmung der im göttlichen Wort in die Welt getretenen Wahrheit Gottes zu einer Neuschöpfung, einer erneuten Geburt aus Gott heraus (1,12f.) führt, die ewiges Leben eröffnet. Die Ermöglichung solcher erkenntnisstiftenden Wahrnehmung liegt in der Fleischwerdung und Körperlichkeit des göttlichen Logos (1,14). Diese Aussage wird von der Problemstellung menschlicher Rezeptionsfähigkeit her verständlich. Im Blick auf das der platonischen Tradition entstammende Postulat, das Göttliche und die Welt der Ideen seien notwendig unkörperlich (ἀσώµατος) und deshalb unsichtbar bzw. nicht sinnlich wahrnehmbar, fällt diese hermeneutische Grundvoraussetzung als Provokation besonders ins Auge. Wenn das Attribut ἀσώµατος die Unvergänglichkeit Gottes garantiert, dann muss der Gedanke der Fleischwerdung als eine Verendlichung erscheinen, die im Kern den Gottesgedanken selbst negiert.19 G. van Belle u.a. (Hgg.), Theology and Christology in the Fourth Gospel, BEThL 184, Leuven 2005, 117-134. 17 Zu diesem Zusammenhang vom Erscheinen des Lichts und der Gotteserkenntnis in Christus vgl. Joh 12,45f. 18 Trotz der Ermöglichung ist die Gotteswahrnehmung in Christus freilich kein Automatismus. Verhindert wird sie durch Sünde und Dunkelheit. Joh 3,19-21 ist in diesem Zusammenhang besonders aufschlussreich: Schlechtes Handeln führt dazu, dass man sich vom Licht abwendet (weil das Licht die schlechten Taten im wahrsten Sinne des Wortes ans Licht bringen würde; zur Logik vgl. Plutarchs ‚Lebe im Verborgenen‘ [R. HIRSCH-LUIPOLD, Gedeihen im Licht – Verderben im Dunkel. Bilder für die existentielle Bedeutung einer Ethik des Politischen, in: U. Berner u.a. (Hgg.), Plutarch, Ist ,Lebe im Verborgenen‘ eine gute Lebensregel?, eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 1, Darmstadt 22001, 99116], insb. 1128C-E: gerade wer schlecht lebt, meidet das Licht, obwohl gerade das Licht philosophischer Kritik Heilung erwarten ließe). „Sünde“ (als Abwendung vom Licht) ist also keine anthropologische Kategorie (jedenfalls nicht ausschließlich), sondern beruht auf einer Entscheidung, die im schlechten Handeln selbst grundgelegt ist. Umgekehrt erscheint gutes Handeln, das von Johannes als „Tun der Wahrheit“ bezeichnet wird (3,21), als eine Art Propädeutik des Sehens. 19 LEE, Flesh and Glory, 47, geht deshalb gegenüber LÉON-DUFOUR, Symbolic Reading, 445, zu Recht einen Schritt weiter: Nicht erst der heilstiftende Tod ist der Punkt, an dem sich die symbolische Ebene einschaltet und die Menschen sich mit Unverständnis abwenden, sondern bereits der Gedanke der Inkarnation des göttlichen Logos.

1.1 Das theologische Problem

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Diese Differenz widerlegt keineswegs den Bezug zu platonischen Gedanken, der sich auf terminologischer wie konzeptueller Ebene deutlich genug erweisen lässt, wie C.H. Dodd dies in seiner umfassenden Studie überzeugend dargelegt hat.20 Wohl aber verbindet sich mit dem Gedanken der Fleischwerdung des göttlichen Wortes eine auch im Gegenüber zu Philon deutlich ins Auge stechende Akzentverschiebung: Gott, der Vater, selbst, nicht nur sein Name oder seine δύναµις, wird in Christus körperlich sichtbar und allgemein wahrnehmbar, wie sich insbesondere in Joh 14,7-9 zeigen wird. Die Fleischwerdung ist Gott also nicht wesensfremd; mindestens macht Gott die Körperlichkeit in seinem Sohn als Voraussetzung seiner Wahrnehmbarkeit zu einem Wesenszug seiner selbst. Alttestamentlich-jüdische und griechische Weltwahrnehmung sind eine neue Verbindung eingegangen, für die man vergeblich nach direkten Parallelen sucht.21 In den 1,18 unmittelbar vorausgehenden Versen 1,14-17 stellt der Johannesprolog einen Bezug zu jener alttestamentlichen Stelle her, an der das Thema der Gottesschau und der Vermittlung des göttlichen Lichtglanzes in die Welt hinein in besonderer Weise zum Ausdruck kommt: zur Sinaierzählung (Ex 32-34).22 Sein Ansinnen, die δόξα θεοῦ zu schauen, bleibt dem Moses verwehrt. Aber schon die Nähe Gottes und das Reden mit ihm reicht aus, um das Angesicht des Mose mit einem Lichtglanz zu versehen, der das Volk Israel in

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Dodd spricht explizit von „philosophical presuppositions“ (DODD, Interpretation, 142f.). Er geht bei seiner Interpretation der johanneischen Jesusgeschichte von gedanklichen Konzepten aus, denen die einzelnen Kapitel gewidmet sind: Symbolism, Eternal Life, Knowledge of God, Truth (144-150; 170-178; 201-212; 263-285). Gegen diese Rekonstruktion im Wesentlichen platonischer Voraussetzungen des Evangeliums stellt jetzt Engberg-Pedersen seine dezidiert stoische Interpretation in John and Philosophy. 21 Vgl. DODD, Interpretation, 168. 22 Vgl. etwa C. DOHMEN, Exodus 19-40, HThKAT, Freiburg i.Br. u.a. 2004, 347-352; ders. „Nicht sieht mich der Mensch und lebt“ (Ex 33,20). Aspekte der Gottesschau im Alten Testament, JBTh 13 (1998), 31-51; zu Johannes P. BORGEN, The Gospel of John and Hellenism. Some Observations, in: Culpepper/Black, Exploring the Gospel, 98-123, hier 102f. L. SCHWIENHORST-SCHÖNBERGER, Sehen im Nicht-Sehen. Mose auf dem Berg Sinai, in: S. Gehrig/S. Seiler (Hgg.), Gottes Wahrnehmungen (FS H. Utzschneider), Stuttgart 2009, 102-122. Bereits die Geschichte vom goldenen Kalb kreist um das Problem des menschlichen Wunsches, Gott sehen zu können. Als zweiter entscheidender Referenzpunkt dient dem Johannesevangelium die prophetische Gottesschau bei Jesaja (Jes 6,1-10), wo Sehen und Hören verbunden sind. Freilich ist es bei Jesaja, wie auch in der Bitte des Mose Ex 33,18, nicht Gott selbst, der geschaut wird, sondern seine δόξα. Eine weitere traditionsgeschichtliche Linie dieses Motivs führt zur δόξα τοῦ θεοῦ ἐν προσώπῳ Ἰησοῦ Χριστοῦ in 2Kor 4,6, die ihrerseits freilich – im Rahmen von 2Kor 2,14-4,6 – eine Aufnahme und Interpretation der Sinaierzählung darstellt (vgl. dazu F. BACK, Verwandlung durch Offenbarung bei Paulus. Eine religionsgeschichtlich-exegetische Untersuchung zu 2Kor 2,14-4,6, WUNT II/153, Tübingen 2002. Back diskutiert auch die religionsgeschichtlichen Parallelen, insbesondere aus dem Bereich des hellenistischen Judentums [24-76]).

32

Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Schrecken versetzt – denn auf seinem „verherrlichten“23 Antlitz trägt Moses etwas vom Lichtglanz der Herrlichkeit Gottes in die Welt hinein.24 Um wie viel mehr aber wird dieser Glanz der Herrlichkeit Gottes strahlen, wenn er selbst als Licht der Welt ins Werden tritt? Genau dies aber ist in der Geschichte Jesu geschehen: Wurde durch Moses die Macht Gottes in Form der Gesetzestafeln und das Licht seiner Herrlichkeit auf seinem Antlitz vom Berg herab vermittelt, so traten in Jesus Gottes Güte und Wahrheit ins Sein und brachten den Lichtglanz seiner Herrlichkeit vom Himmel auf die Erde (Joh 1,17).

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Unsichtbarkeit Gottes im Johannesprolog nicht als theologisches Axiom formuliert wird, sondern als erkenntnistheoretisches und damit zugleich theologisches und soteriologisches Problem, das auf eine Lösung hinstrebt.25 Diese Lösung wird in und mit der Erzählung des Evangeliums gegeben.

1.2 Die christologische Lösung: Joh 1,18b (… ἐκεῖνος ἐξηγήσατο) als hermeneutisches Programm „Keiner hat Gott jemals gesehen … jener hat (ihn) dargelegt“ (Θεὸν οὐδεὶς ἑώρακεν πώποτε … ἐκεῖνος ἐξηγήσατο).26 Der programmatische Schlusssatz des Johannes-Prologs liefert mit der erkenntnistheoretischen Problemstellung zugleich seine eigene Antwort auf das Problem des Zugangs zur Wahrheit Gottes mittels der Sinne des menschlichen Körpers. „The final verse of the Gospel’s prologue throws down the gauntlet in the form of the bold claim that although no one has ever seen God, the Son has made the father known (1:18). 23

… δεδόξασται ἡ ὄψις τοῦ χρώµατος τοῦ προσώπου αὐτοῦ … , Ex 34,29. Bereits in Jes. 60,1 (ἥκει γάρ σου τὸ φῶς καὶ ἡ δόξα κυρίου ἐπὶ σὲ ἀνατέταλκεν; vgl. Lk 2,32: φῶς εἰς ἀποκάλυψιν ἐθνῶν καὶ δόξαν λαοῦ σου Ἰσραήλ). Zum Aufstieg: Quaest. in Ex. II 27-46 sowie De vit. Mos. II 69-71; Leg. All. III 95-103, bes. 101f. Die Quaest. in Ex. brechen allerdings leider in Ex 29 ab. 25 Vgl. J. RINGLEBEN, Das philosophische Evangelium. Theologische Auslegung des Johannesevangeliums im Horizont des Sprachdenkens, Tübingen 2014, 116f. 26 „Gott“ muss offenbar als Objekt vorausgesetzt werden, obwohl ἐξηγήσατο in für Johannes typischer Weise ohne Objekt steht (vgl. K.H. RENGSTORF, Interpretation und Übersetzung neutestamentlicher Texte, in: Möglichkeiten und Grenzen einer Revision des Luthertextes, VLAR 1, Erlangen 21981, 85-112, hier 87). Den Gedanken der grundsätzlichen Unzugänglichkeit Gottes für die menschliche Wahrnehmung nimmt Joh 5,37b auf und weitet ihn auf das Hören aus, wobei die Unfähigkeit, Gott wahrzunehmen, nun polemisch auf die Gegner zugespitzt wird. Dies kann wohl wiederum als Reminiszenz der Sinaiperikope verstanden werden: „Ihr habt nie seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen.“ Die polemische Wendung gegen eine bestimmte Gruppe („Ihr“) impliziert ebenso wie die Negation, dass die Unzugänglichkeit grundsätzlich durchaus überwunden werden kann und also nicht im Wesen Gottes begründet liegt. Eine Aufnahme finden solche Gedanken in Apg 17 in der Predigt des Paulus über den ἄγνωστος θεός. 24

1.2 Die christologische Lösung

33

Knowledge of God is thus possible through the Son.“27 Der johanneischen Darstellung der Jesusgeschichte liegt demnach ein hermeneutisches Programm zugrunde: Das Defizit menschlicher Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit wurde, so sagt 1,18b, durch den Eingeborenen, der im Schoß des Vaters war28, überwunden, da dieser den Gott, den keiner je gesehen hat, „dargelegt“ hat (ἐξηγήσατο). Wie aber ist diese Vermittlung der Gotteserkenntnis durch den Sohn gedacht? Gibt Jesus, weil er schon am Anfang im Schoß des Vaters war (1,18) und den Vater gehört und gesehen hat (3,11.32; 5,19; 6,46; 8,3829), weiter, was er bei Gott gesehen hat? Offenbart er die auch jenseits der Inkarnation gültige „göttliche Wahrheit, dass Gott hören und gehört werden kann, sehen und gesehen werden kann, berühren und gefühlt werden kann“?30 Oder legt der göttliche Logos durch seine Fleischwerdung, als Sohn und Gesandter Gottes, durch seine Person und seine Geschichte dar, wie Gott selbst seinem Wesen nach ist, und macht dessen Wahrheit wahrnehmbar? ἐξηγήσατο (Joh 1,18) ist verschiedentlich inhaltlich auf die Lehre Jesu gedeutet worden in dem Sinne, dass Jesus vom Wesen des Vaters künden könne, weil er als einziger von allen Menschen Gott gesehen habe.31 In diesem Sinne ergänzt H. Lausberg Joh 1,18b folgendermaßen: „ἐκεῖνος (ἑώρακεν καὶ ἃ ἑώρακεν) ἐξηγήσατο.“32 Dies liefe auf die Logik hinaus: „Kein Mensch hat Gott je

27

THOMPSON, God, 101. M. THEOBALD, Das Evangelium nach Johannes, Bd. I, Kapitel 1-12, RNT, Regensburg 2009, 135f., diskutiert die möglichen Bildbereiche für κόλπος. 29 Außer im Prolog sind die Aussagen – mit Ausnahme von Joh 5,19 – im Perfekt formuliert. 30 BARTH, Augenzeuge, 40. 31 Vgl. z.B. THYEN, Komm., 104; H. STRATHMANN, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 101963, 39; THEOBALD, Komm. I, 136. U. SCHNELLE, Das Evangelium nach Johannes, ThHK 4, Leipzig 42009, 53: „Mit der Inkarnation ging auch die einmalige und unmittelbare Gotteserfahrung Jesu in die Geschichte ein und ist nun für die Menschen als Offenbarung des Gottessohnes vernehmbar.“ Schnelle zitiert das Onomastikon des Pollux VIII 124: „Ausleger (ἐξηγηταί) werden diejenigen genannt, die das die göttlichen Zeichen und die anderen heiligen Dinge Betreffende erklären“. 32 H. LAUSBERG, Miniscula philologica VII. Das Epiphonem des Johannes-Prologs (1,18), NAWG.PH, Göttingen 1982, 269-289, hier 273. Nach Lausberg nimmt Johannes die Thematik des Sehens aus Sir 43,31 auf und beantwortet gleichsam implizit die dort rhetorisch gestellten Fragen: τίς ἑόρακεν αὐτὸν καὶ ἐκδιηγήσεται καὶ τίς µεγαλυνεῖ αὐτὸν καθώς ἐστιν; L. BRUN, Die Gottesschau des johanneischen Christus, SO 5 (1927), 1-22, untersucht die Stellen für ein Hören und Sehen des Vaters durch den johanneischen Christus. Da in Joh 1,18 nicht gesagt werde, „dass überhaupt keiner (außer Christus) Gott gesehen, sondern nur, dass (außer Christus) kein Mensch während seines irdischen Lebens, im gegenwärtigen Äon, Gott geschaut hat“ (ebd., 13), sieht er hier eine Unterscheidung zwischen einer präexistenten Schau und einer unter den Bedingungen des irdischen Lebens sich ereignenden Schau. 28

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

gesehen. Jesus aber hat Gott gesehen. Deshalb kann er vom Wesen Gottes künden.“33 Jedoch sieht sich eine solche Interpretation mit Schwierigkeiten konfrontiert.34 Schaut man nämlich auf den tatsächlichen Inhalt der Lehre Jesu im Johannesevangelium, so fehlt dort im Unterschied zu den synoptischen Evangelien eine theologische Unterweisung Jesu im Sinne unmittelbarer Aussagen über Gott (bzw. über das Reich Gottes) weitgehend. Der johanneische Jesus formuliert eben nicht aus, „was er beim Vater gehört hat“.35 Er lehrt gerade nicht über Gott, sein Wesen und sein Reich.36 Stattdessen verweist der johanneische Christus in Fragen der Gotteslehre regelmäßig auf sich selbst: „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“ (14,9).37 Es geht also gar nicht pri33

Ein solches Verständnis legt sich im Blick auf 3,32 („Was er gesehen und gehört hat, das bezeugt er“) ebenso nahe wie im Blick auf 6,46: „Nicht, dass einer den Vater gesehen hätte, außer dem, der von Gott ist, dieser hat den Vater gesehen“ sowie 8,38 (und eventuell 3,11) nahe. Auch 8,26.28; 12,49; 15,15 lassen sich als Belegstellen für ein solches Verständnis anführen (vgl. W. BOUSSET, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus, FRLANT 21, Göttingen 21921, 170), obwohl dort nicht unmittelbar vom Sehen die Rede ist. 34 Besonders klar hat deshalb H. Weder einem solchen Verständnis widersprochen: Bei dem Auslegen des Sohnes kann es sich nicht um eine Information handeln, die verbal vermittelt wird (vgl. WEDER, Deus Incarnatus, 333; ders., Ursprung, 139 Anm. 32). 35 Unmittelbare Berichte Jesu über das von ihm Gesehene und Gehörte, wie wir sie etwa von Jesaja (Jes 6,1-5) oder von Johannes dem Täufer (1,32f.) erfahren, fehlen. 36 H.W. ATTRIDGE, Art. Johannesevangelium, RGG4 Bd. 4, 551-562, formuliert eine entsprechende Beobachtung im Blick auf die ethische Unterweisung des johanneischen Jesus: „Eine konkrete Anleitung zum Leben in der Nachfolge fehlt. Weder lehrt Jesus seine Jünger zu beten wie in Mt 6,9-13 noch bietet er ihnen eine Unterweisung im Fasten und Almosengeben. Stattdessen konzentriert er sich auf das eine große Gebot der Liebe“ (554f.). Attridge beurteilt dies als Problem der Überlieferung. Folgt man allerdings der wachsenden Zahl derer, die wieder mit einer Kenntnis der synoptischen Tradition (und auch mindestens des einen oder anderen der synoptischen Evangelien) bei Johannes rechnen, so könnte man im Gegenteil schließen, dass das Johannesevangelium in solchen Aussagen die Lehre Jesu über Gott und das Reich Gottes aus der synoptischen Überlieferung als bekannt voraussetzt und auf ihr aufbaut (vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Prinzipiell-theologische Ethik, 290 Anm. 2; zu Christus als alleinigem Referenzpunkt jeglicher Theologie und Handlungsorientierung im Johannesevangelium vgl. ebd., 300f.). Darin, dass Jesus bei Johannes als der Offenbarer präsentiert, über das bloße Dass hinaus aber nichts offenbart werde, erblickte R. Bultmann das Rätsel des Johannesevangeliums (vgl. R. BULTMANN, Die Bedeutung der neuerschlossenen mandäischen und manichäischen Quellen für das Verständnis des Johannesevangeliums, in: ders., Exegetica, 55-104; vgl. J. ASHTON, Understanding the Fourth Gospel, Oxford 22007, 14). Bultmanns Lösung der Rekonstruktion eines zugrundeliegenden gnostischen Erlösermythos hat sich freilich forschungsgeschichtlich nicht durchsetzen können. 37 Von den Gottesaussagen des Johannesevangeliums sind die meisten – insbesondere diejenigen im Munde Jesu – christologisch verankert. Schon allein die geradezu inflationäre Verwendung des Vaternamens im Johannesevangelium (vgl. C. ZIMMERMANN, Die Namen

1.2 Die christologische Lösung

35

mär um das, was Jesus gesehen hat, sondern um das, was die Jünger sehen sollen. Insbesondere die für das Evangelium charakteristischen Ich-bin-Worte behaupten immer wieder Jesus selbst als Ort der Gottesbegegnung.38 Die „Darlegung“, die Jesus bringt, geschieht offenbar nicht primär in seinen Worten, sondern in seiner Person insgesamt und in seinen Taten, die als „Zeichen“ über sich hinausweisen und in denen Gott gegenwärtig wird. Die logische Struktur wäre dann eher: „Bislang hat kein Mensch Gott je gesehen. In Jesus als dem fleischgewordenen göttlichen Logos aber wird Gott sichtbar und wahrnehmbar.“39 Es legt sich also nahe, Jesus nicht nur und nicht primär als implizites Subjekt des ἑώρακεν zu verstehen, als einzig den Vater Sehenden. Die Aussage zielt zugleich auf den Sohn als Objekt des Sehens, als einzig den Vater Sichtbar-Machenden40: Jesus „legt offen“, insofern er mit seiner Geschichte den einzigen Punkt innerhalb der Welt bildet, an dem Gott gesehen, gehört, gerochen, ja sogar – wie es in Joh 4 und 6 nahegelegt wird – gegessen und getrunken werden kann. Damit ist der für das johanneische Schrifttum charakteristische und grundlegende Gedanke der Fleischwerdung des göttlichen

des Vaters. Studien zu ausgewählten neutestamentlichen Gottesbezeichnungen vor ihrem frühjüdischen und paganen Sprachhorizont, AJC 69, 2007, 25) unterstreicht diesen Aspekt. Der Vater, so sagt Jesus, sendet den Sohn (5,23.36f.; 6,44.57 u.ö.); er kennt den Sohn (10,15) und gibt Zeugnis von ihm (5,37); er ist größer als alles (10,29) und eins mit dem Sohn (10,30), er ist in ihm (10,38; 14,10f.); er liebt den Sohn (10,17); er gebietet dem Sohn (14,31). In diese Beziehung von Vater und Sohn werden auch die übrigen Glaubenden mit hineingenommen: der Vater wirkt (5,17); er erweckt die Toten und macht sie lebendig (5,21); er richtet nicht (5,22); hat Leben in sich (5,26); er zieht Menschen zu sich (6,44); er liebt (14,21.23); er gibt Jesus und den Glaubenden (5,26.36f.; 6,32.37; 14,16). Ein ähnlicher Befund ergibt sich bei den auktorialen Aussagen des Evangeliums: Gott liebt (3,16.35; 16,27), gibt (3,16; 3,34f.; 11,22; 16,23), redet (9,29), und lehrt (6,45), erhört (9,33), verherrlicht den Sohn (13,32) und gibt alles in seine Hände (13,3); Gott ist Vater (8,41f.54) und Geist (4,24), er ist wahrhaftig (3,33), er sendet Menschen (1,6). 38 Vgl. E. SCHWEIZER, Ego eimi. Die religionsgeschichtliche Herkunft und theologische Bedeutung der johanneischen Bildreden, zugleich ein Beitrag zur Quellenfrage des vierten Evangeliums (FS R. Bultmann), Göttingen ²1965; H. THYEN, Ich bin das Licht der Welt. Das Ich- und Ich-Bin-Sagen Jesu im Johannesevangelium, in: ders., Studien, 213-251 [=JbAC 35 (1992), 19-46]; ders., Art. „Ich-bin-Worte“, RAC 17 (1995), 147-213. 39 Vgl. BULTMANN, Komm., 54. 40 Insofern ist auch zu fragen, in welcher Weise 6,46 als Parallelstelle zu 1,18 zu verstehen ist, wie dies oft vertreten wird. Ist hier selbstverständlich exklusiv Jesus ὁ ὢν παρὰ τοῦ θεοῦ , von dem gesagt wird, dass er den Vater gesehen habe (vgl. 7,29)? Oder könnte es auch auf die Hörenden und Glaubenden zu beziehen sein, die unmittelbar vorher genannten πάντες διδακτοὶ θεοῦ (6,45), insofern der lebenstiftende Glaube, von dem anschließend in 6,47 die Rede ist, sich dadurch auszeichnet, dass man in der Lage ist, den Vater im Sohn zu erkennen? Auch in 6,40 ist der Sohn Objekt des Sehens, der Glaubende aber Subjekt: Durch sein Sehen und den daraus entstehenden Glauben erhält er das ewige Leben.

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Logos (Joh 1,14) in seiner epistemologischen Funktion umrissen.41 Wie ist dies zu verstehen? Der Abstand und damit auch die Grenze der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen, so lässt sich 1,18b im Anschluss an die Problemstellung in 1,18a verstehen, wurde durch die Inkarnation des Eingeborenen, der im Schoß des Vaters ist und aus dieser Perspektive selbst Gott genannt werden kann42, überwunden. Er ist mit dem Vater in ewiger Einheit43 und Liebe44 verbunden. Mit dieser Aussage werden neben dem erkenntnistheoretischen Ausgangsproblem und der christologischen Lösung zugleich deren Voraussetzungen reflektiert: Ontologisch wie relational geben die Begriffe µονογενής und κόλπος unter Rückgriff auf den Sohnesgedanken in seinen unterschiedlichen Sinndimensionen die unmittelbare Einheit als Grund der Offenbarungsqualität an.45 Aufgrund dieser Einheit konnte Jesus, zu dessen Geschichte der Prolog den Auftakt bietet, mit seinen Taten und Worten den Gott, den keiner je gesehen hat, wahrnehmbar machen und ihn so „darlegen“ (ἐξηγήσατο). Es geht im Kern des Evangeliums also um die Wahrnehmung und das Wesen Gottes des Vaters, das durch das Auftreten, Wirken und Reden des Sohnes erkennbar und erfahrbar wird. Die prinzipielle Unmöglichkeit, Gott den Vater zu sehen, wird im Sohn zur Möglichkeit. Gott selbst also stellt die Brücke her: nicht indem er die Erkenntnisfähigkeit oder das Wesen des Menschen verändert, sondern indem er sich dem Menschen selbst analog und dadurch zugänglich macht.46 Diese Perspektive schaut Christologie und Theologie in eins: Für den 41 Vgl. ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung, 50. Dodd versteht die Verben des Sehens im Anschluß an Joh 1,14 ebenfalls in diesem Sinne: „The meaning is that those who, whether in actual physical presence, or in retrospect through the witness of the Church, contemplate the historic life of Jesus, and recognize the divine quality in it – His ,glory‘ – have attained a knowledge of Him which is the real ,vision of God‘“ (Interpretation, 167). 42 µονογενὴς θεός (ohne Artikel: P66 ‫א‬BCL sowie teilweise bei Origenes und Didymus; der Artikel steht in P75 sowie der Minuskel 33 und teilweise bei Origenes und Klemens von Alexandria; in ‫ א‬ist er nachgetragen) ist gegenüber µονογενὴς υἱός (ACΘΨ, Minuskelfamilien, Mehrheitstext und lateinische wie syrische Übersetzungen und bei Irenäus sowie teilweise bei Klemens von Alexandria) besser bezeugt. µονογενὴς υἱός erscheint als lectio facilior gegenüber der semantisch wie sprachlich sperrigen und theologisch steilen Lesart µονογενὴς θεός. 43 Joh 10,30; 14,10; 17,11.21-23. 44 Joh 3,35; 5,20; 10,17; 14,31; 15,9f.; 17,23.26; vgl. 14,21.23; 16,27. Dass die Liebe der Christen untereinander als Reaktion auf die vorgängige Liebe Gottes sichtbarer Ausdruck und zugleich Präsenz des Gottes ist, den keiner jemals gesehen hat, formuliert 1Joh 4,7-13.16.19f. 45 Vgl. SCHNELLE, Komm., 53. Dies kann auch formuliert werden als Sehen und Kennen des Vaters und seiner Taten, wodurch Jesus zugleich zum eigenen vollmächtigen Handeln ermächtigt wird (vgl. 5,19.30; 8,28f.; vgl. 3,32; 8,38.40). 46 Vgl. E. JÜNGEL, Das Evangelium als analoge Rede von Gott, in: W. Harnisch (Hg.), Die neutestamentliche Wissenschaft im Horizont von Hermeneutik und Literaturwissenschaft, WdF 575, Darmstadt 1982, 340-366 [= Gott als Geheimnis der Welt. Zur Begründung der

1.2 Die christologische Lösung

37

Evangelisten ist deshalb „das Erzählen des irdischen Schicksals Christi und das Berichten über Gott (ἐξηγεῖσθαι) ein- und dieselbe Sache. Genauer gesagt: Es ist die Erzählung des Evangeliums, die Gott Sichtbarkeit verleiht und ihn zu Wort kommen lässt […] Über das Leben Jesu zu berichten bedeutet, Gott zu erzählen, ihn vor Augen zu führen und zur Sprache zu bringen.“47 Der Anstoß zu diesem Verfahren aber, so formuliert es bereits Origenes in seiner Auslegung zu Joh 1,18, kommt von der Wahrnehmungsfähigkeit des Menschen her: „Da in der Gottheit alles unbekannt ist, muss uns, die wir Menschen sind, solches kundgetan werden mittels menschlicher Ausdrucksformen.“48 Um zu einem möglichen Gegenstand menschlicher Wahrnehmung zu werden, tritt in Christus, um es mit dem außerordentlich treffenden Buchtitel von E. Jüngel zu sagen, das göttliche Sein ins Werden49, ein für einen Platoniker schlechterdings unerträgliches Paradox. Behauptet der Satz: „Das Wort ward Fleisch“ doch, dass Gottes ewiges, unkörperliches Sein (wie man es platonisch ausdrücken würde) sich nicht nur in der gewordenen Welt abbildet, sondern dass Gott selbst Fleisch wird.50 Wenn aber Gott, das wahre Sein, ins Werden tritt, dann wird er notwendig auch der Vergänglichkeit anheimgegeben. Dieser Gedanke, der unmittelbar auf den Tod des fleischgewordenen Logos zuläuft, ist

Theologie des Gekreuzigten im Streit zwischen Theismus und Atheismus, Tübingen 31978, 383-408]. Indem Gott aus sich selbst heraustritt, wird aus dem transzendenten ,Logos‘ der immanente Sohn (der wiederum das Wort laut werden lässt). Die umgekehrte hermeneutische Logik formuliert Goethe demgegenüber im Einklang mit antik-philosophischen Vorstellungen: „Wär nicht das Auge sonnenhaft,/ Die Sonne könnt es nie erblicken;/ Läg nicht in uns des Gottes eigne Kraft,/ Wie könnt uns Göttliches entzücken?“ (J.W. VON GOETHE, Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bden., textkrit. durchges. und komm. von E. Trunz, München 16 1996, I 367). Das Johannesevangelium und die neutestamentliche Botschaft insgesamt betonen aber den umgekehrten Weg: Nicht indem er das Auge sonnenhaft macht, führt Gott den Menschen zur Möglichkeit, ihn zu sehen, sondern indem er sich selbst, die ‚Sonne‘, erdenhaft macht. Im Prozess wird dann freilich auch der zum Glauben kommende Mensch verwandelt; wenn er das Zeugnis annimmt, findet er zu einer neuen Sichtweise, zum Glauben und Erkennen, erhält den Geistparakleten (14,26; 15,26; 16,13; vgl. 7,39), der ihn in der Wahrheit leiten wird, und wird so als Kind Gottes neu geboren. 47 ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung, 50f. „Die Vergangenheit des Lebens Jesu erhält insofern konstitutiven Charakter, als sie zum einzigen Ort der Offenbarung Gottes erklärt wird.“ 48 Frgm. 14 PREUSCHEN (Übersetzung R. GÖGLER, Origenes. Das Evangelium nach Johannes. Übers. und eingef., MKZU 4, Einsiedeln 1959, 178). Was Gögler über Origenes ausführt, ließe sich unmittelbar auf das Johannesevangelium selbst übertragen: „Origenes legt die Unerkennbarkeit Gottes nicht in dessen Wesen wie die Gnosis, sondern in unsere leibgebundene Erkenntnisfähigkeit“ (ebd., Anm. 3). 49 E. JÜNGEL, Gottes Sein ist im Werden. Verantwortliche Rede vom Sein Gottes bei Karl Barth, Tübingen 41986. 50 Vgl. Kol 2,9: in Christus wohnt die Fülle der Göttlichkeit körperlich (σωµατικῶς).

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

das skandalon dieses Evangeliums in jedem platonischen Kontext51, das durch die das Evangelium gegenläufig durchziehende und die gesamte Darstellungsweise legitimierende Botschaft von der Überwindung dieses Todes durch das Leben eine neue Pointe erhält. Die Anstößigkeit des Gedankens der Fleischwerdung des Göttlichen lässt sich im Spiegel der frühen Rezeption insbesondere der Auferstehungsgeschichten ermessen.52 Σάρξ kann man, wie es in der Thomasgeschichte besonders plastisch wird, nicht nur sehen, sondern sogar anfassen. Im gnostisierenden Schrifttum wird genau dieser Aspekt deshalb zurückgedrängt: Nun greift man durch den Auferstehungsleib hindurch.53 Auch über den Aspekt des Essens

51

Ähnliches gilt, wie THEOBALD, Komm. I, 141, zu Recht sagt, für die frühjüdische Weisheitstheologie, die im Konzept des schöpferischen Logos zwar aufgenommen ist, aber durch den Gedanken, dass „ein Mensch die inkarnierte Weisheit in Person ist“, doch entscheidend überschritten ist (vgl. Justin, Dial. 48,1). 52 Dies wird besonders deutlich in der Polemik des Kelsos, die uns bei Origenes erhalten ist (vgl. J.G. COOK, The Interpretation of the New Testament in Greco-Roman Paganism, STAC 3, Tübingen 2000, 40f.; 62-68; [aber auch Macarius zu „mein Fleisch essen“; 202205]. Vgl. weiter B. MUTSCHLER, Das Corpus Johanneum bei Irenäus von Lyon, Studien und Kommentar zum dritten Buch von Adversus Haereses, WUNT 189, Tübingen 2006; ders., Irenäus als johanneischer Theologe. Studien zur Schriftauslegung bei Irenäus von Lyon, STAC 21, Tübingen 2004; A. WUCHERPFENNIG, Heracleon Philologus. Gnostische Johannesexegese im zweiten Jahrhundert, WUNT 142, Tübingen 2002). 53 Klemens berichtet von solchen Positionen in den Adumbrationes zu 1Joh 1,1 (STÄHLIN III 210,12-15): Fertur ergo in traditionibus, quoniam Iohannes ipsum corpus quod erat extrinsecus tangens, manum suam in profunda misisse et ei duritiam carnis nullo modo reluctatam esse, sed locum manui praebuisse discipuli („In den Überlieferungen wird gesagt, dass Johannes, als er den äußeren Körper [Jesu] berührte, seine Hand tief ins Innere ausgestreckt habe und dass die Festigkeit des Fleisches keinen Widerstand bot, sondern der Hand des Jüngers wich“). Die Aussagen lassen sich, entgegen früherer Forschungsmeinungen, nicht unmittelbar mit den Johannes-Akten in Zusammenhang bringen, wie K. SCHÄFERDIEK in E. HENNECKE, Neutestamentliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. Apostolisches, Apokalypsen und Verwandtes, hg. von W. Schneemelcher, Bd. 2, Tübingen 61997, 138f., aufweist, da diese Schrift erst im Ausgang des dritten Jahrhunderts sicher bezeugt ist (ebd., 143). Jedenfalls zeigt die Schrift einen ganz ähnlichen Umgang mit dem Berührungsmotiv, das hier ebenfalls (in Aufnahme von 1Joh 1,1) dem Apostel Johannes zugewiesen wird (ActJoh 93: Ἑτέραν δὲ ὑµῖν δόξαν ὁρῶ ἀδελφοί· ποτὲ βουλόµενος αὐτὸν κρατῆσαι ἐν ὑλώδει καὶ παχεῖ σώµατι προσέβαλλον· ἄλλοτε δέ ποτε πάλιν ψηλαφῶντός µου αὐτὸν ἄυλον ἦν καὶ ἀσώµατον τὸ ὑποκείµενον καὶ ὡς µηδὲ ὅλως ὄν. „Eine andere Herrlichkeit will ich euch *berichten*, Brüder: Manchmal, wenn ich ihn anfassen wollte, stieß ich auf einen materiellen, festen Körper; ein andermal dann wieder, wenn ich ihn berührte, war die Substanz immateriell und unkörperlich und so, als sei sie überhaupt nicht existent“; Übersetzung K. Schäferdiek). Demgegenüber versucht die Epistula Apostolorum, dem johanneischen Konzept der Leiblichkeit Jesu zur Durchsetzung zu verhelfen, indem sie das Sehen und Betasten des Auferstandenen bezeugt (Ep.Ap. 2; 11-12); vgl. W. VON LOEWENICH, Das Johannesverständnis im 2. Jahrhundert, Gießen 1932, 57-59.

1.2 Die christologische Lösung

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des Auferstandenen (Joh 2154) und die Frage, wie dies konkret gedacht werden könne, wurde heftig gestritten.55

Letztlich kann im vierten Evangelium die Christuserkenntnis als Wahrnehmung der Herrlichkeit Gottes im Angesicht seines fleischgewordenen Logos verstanden werden. Insofern ereignet sich in ihr zugleich heilschaffende Gotteserkenntnis, die extra Christum nicht möglich wäre. Dies sei diesem hermeneutischen Kernsatz als These entnommen, die es im Folgenden zu erhärten gilt. Hermeneutisch ist deshalb auch die Funktion der erzählenden und erinnernden Darstellungsweise des Evangeliums: hier werden nicht abstrakte Wahrheiten über Christus und Gott proklamiert, sondern es wird die Geschichte Jesu so erzählt, dass der Leser in ihr Jesus Christus als den göttlichen Sohn und damit als die inkarnierte Seite Gottes wahrnehmen und glauben kann. Wird Jesus entsprechend betrachtet, dann erschließt sich gemäß dem Johannesevangelium – das hierin gegenüber den Synoptikern einen deutlich anderen Akzent setzt – die Erfahrung der geschichtlichen Figur des Jesus von Nazareth als Funktion der Gotteserkenntnis: In dem Jesus der johanneischen Erzählung soll man Gott selbst erkennen.56 Die Voraussetzung einer solchen Darstellungsweise wie auch ihr Sinn sind also gleichermaßen christologisch wie theologisch. Barrett hat die Verknüpfung des christologischen Haftpunktes mit dem theologischen 54

Lk 24; Apg 10. Vgl. Valentin Frgm. 3 [= Klem. Alex. Strom. III 59,3]: „Jesus verwirklichte seine Gottheit, er aß und trank auf eigentümliche Weise, weil er die Speisen nicht ausschied“; zitiert und diskutiert bei C. MARKSCHIES, Die valentinianische Gnosis und Markion. Einige neue Perspektiven, in: G. May u.a. (Hgg.), Marcion und seine kirchengeschichtliche Wirkung (Internationale Fachkonferenz Mainz 2001), TU 150, Berlin u.a. 2002, 159-175, hier 162; ders., Valentinus Gnosticus? Untersuchungen zur valentinianischen Gnosis mit einem Kommentar zu den Fragmenten Valentins, WUNT 65, Tübingen 1992, 83-117. Markion ging das Problem der Leiblichkeit Christi nach dem Zeugnis Tertullians und Ephraems über das Essen der Engel in Gen 18,8 an (vgl. MARKSCHIES, Markion, 162f.). 56 Vgl. 12,45; 14,7. „The figure of Jesus does not (so John in effect declares) make sense when viewed as a national leader, a rabbi, or a θεῖος ἀνήρ; he makes sense when in hearing him you hear the Father, when in looking at him you see the Father, and worship him“ (BARRETT, Theocentric, 16). Barrett macht deutlich, wie das Johannesevangelium etwas ausfaltet, was man durchaus bereits in den Synoptikern angelegt sehen kann. Während aber dort Jesus von dem Täufer als eschatologischer Prophet angekündigt wird und dann als der Bringer des Gottesreiches auftritt, der in einer besonderen Beziehung zu Gott steht und in seiner Vollmacht heilt und Sünden vergibt und damit den Anbruch der göttlichen Herrschaft in der Welt repräsentiert, wird man in dem johanneischen Jesus Gottes selbst ansichtig. Nur das Johannesevangelium kann folglich Jesus selbst θεός nennen. Bei Johannes ist deshalb die Taufe durch eine Täuferbegegnung (Joh 1,29-34) ersetzt, die die Funktion eines visionären Erschließungsaktes hat. Sie greift auf eine vorgängige Audition des Täufers zurück und setzt dessen Zeugnis aus sich heraus. Jesus wird als derjenige proklamiert, der von Anfang her war. Der johanneische Jesus kündigt entsprechend das Reich Gottes nicht nur an, in ihm ist Gott selbst gegenwärtig, und folgerichtig fordert Jesus mit dem ἐγῶ εἰµι Glauben an sich selbst. 55

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Zielpunkt im Johannesevangelium mit besonderer Klarheit gesehen und hervorgehoben: Ziel des Johannes war es nicht „to write about a divine-human hybrid, but about a real man who was unique in that when men looked at him with the eye of faith they saw the invisible God“.57 Dieses „Anschauen mit den Augen des Glaubens“ lässt sich als ein alle Sinne umfassendes „Wahr-Nehmen“ verdeutlichen, das der besonderen Darstellungsform der johanneischen Jesusgeschichte zugrundeliegt.

1.3 Der literarische Zugriff: Die „johanneische Sehweise“ R. Guardini nannte Johannes bekanntlich einen „Mann des Auges“, F. Mussner sprach – ausgehend von der Häufung von Verben des Sehens – von einer spezifisch „johanneischen Sehweise“, die das Leben und Wirken Jesu noch einmal ganz neu zu erfassen sucht. Mussner macht bereits im Titel die Rezeptionsperspektive zum Schlüssel der johanneischen Darstellungsform. Die dieser (nach dem bisher Ausgeführten selbstverständlich unterschiedliche Formen körperlicher Wahrnehmung umfassenden) „Sehweise“ innewohnende Spannung hat als erster Klemens von Alexandria im Zusammenhang platonischer Erkenntnistheorie mit der Rede vom „spirituellen Evangelium“ auf den Punkt gebracht. 1.3.1 Das Johannesevangelium als „spirituelles Evangelium“ (Klemens von Alexandrien) Wenn auch die irdische Herkunft Jesu betont wird (6,42; vgl. 7,27) und einige Details insbesondere im Blick auf die Zeiten und Orte sehr konkret erzählt sind, so sieht sich der Leser bereits im Prolog mit einer Terminologie konfrontiert, wie sie eher im Bereich von Philosophie und Mysterien geläufig ist, sich inzwischen aber auch in der jüdischen Weisheitsliteratur und insbesondere bei dem hellenistisch-jüdischen Schriftausleger Philon von Alexandria mit der Darstellung der biblischen Heilsgeschichte und der Auslegung der Tora verbunden hatte: Logos, Licht, Leben, Wahrheit.58 Die Geschichte von Jesus erscheint als Kulminationspunkt in der Geschichte Gottes mit der Welt, beginnend mit der

57

BARRETT, Theocentric, 12. Ähnlich THYEN, Komm., 528: „Der ewige Logos Gottes ist in Jesu irdischem Weg und in seinen Werken Fleisch und sinnlich wahrnehmbar geworden.“ Vgl. L. SCHENKE, Christologie als Theologie. Ein Versuch über das Johannesevangelium, in: R. Hoppe/U. Busse (Hgg.), Von Jesus zum Christus. Christologische Studien (FS P. Hoffmann), BZNW 93, Berlin u.a. 1998, 445-465. 58 Entsprechend bietet Johannes auch einen grundsätzlich anderen geographischen und chronologischen Aufriß der Geschichte als die Synoptiker.

1.3 Der literarische Zugriff: Die „johanneische Sehweise“

41

Weltschöpfung.59 Auf geheimnisvolle Weise war dieser Jesus, dessen Lebensgeschichte als bekannt vorausgesetzt wird und in der Folge erzählt werden soll, als göttlicher Logos schon bei der Schöpfung anwesend. Entsprechend sucht das Evangelium hinter der äußeren Geschichte von Jesus konsequent eine tiefere, theologische Bedeutung sichtbar zu machen. Eine bildhaft-allegorische Ebene durchzieht Jesu Handeln und Reden, aber auch beschriebene Orte und Zeitabläufe.60 Dieser Grundzug des Evangeliums, der zwei Ebenen der Wirklichkeit sichtbar macht, wurde in der Forschung vielfach im Sinne einer dualistischen Entgegensetzung von Geist und Fleisch und von Gott und Welt interpretiert. Das Evangelium rückte in die Nähe gnostischer61 oder hermetischer62 Schriften, der johanneische Jesus erschien als ein „über die Erde schreitender Gott“.63 Bereits Klemens von Alexandria indes deutet diesen „geistlichen Charakter“ und damit die gegenüber den drei synoptischen Evangelien völlig andere Sprach- und Gedankenwelt des vierten Evangeliums im Zusammenhang seines berühmten Diktums vom πνευµατικὸν εὐαγγέλιον64, indem er die pneumatische Redeweise zur Fleischwerdung des Logos in Jesus Christus (und damit zu dessen Körperlichkeit) als dem zentralen Theologumenon des Johannesevan-

59 Damit ist im Verhältnis zur Tradition Israels, wie ich meine, ein Doppeltes gesagt: Einerseits behauptet das Evangelium Jesus als einzigen Ort letzter Gotteserkenntnis und setzt ihn gerade darin von der von Mose gegebenen Tora ab. Damit ist aber keineswegs diese Tradition zur bloßen „Hohlform“ geworden (THEOBALD, Komm. I, 142). Wohl aber fehlt ihr der letzte Deutungsschlüssel, der erst durch die einmalige Fleischwerdung gegeben ist. Diese Hermeneutik lässt sich durchaus mit den prophetischen Deutungen durch den Lehrer der Gerechtigkeit in den pescharim aus Qumran vergleichen. 60 Zu diesem Phänomen des Bildhaften im Johannesevangelium vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, sowie FREY U.A., Imagery, darin bes. R. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext in Bildern. ἀληθινός κτλ., παροιµία – παρρησία, σηµεῖον als Signalwörter für eine bildhafte Darstellungsform im Johannesevangelium, 61-102; DODD, Interpretation, 133-143; LEE, Symbolic Narratives; dies., Flesh and Glory; O’DAY, Narrative Mode; LÉON-DUFOUR, Symbolic Reading. Zur weiteren Begriffsverwendung des Symbolischen als Oberbegriff vgl. o. 18f. Unter den Oberbegriff der Allegorie will Z. GARSKÝ, Das Wirken Jesu in Galiläa bei Johannes. Eine strukturale Analyse des vierten Evangeliums mit den Synoptikern, WUNT II/325, Tübingen 2012, die Darstellungsweise des Evangeliums fassen. 61 Vgl. L. SCHOTTROFF, Der Glaubende und die feindliche Welt. Beobachtungen zum gnostischen Dualismus und seiner Bedeutung für Paulus und das Johannesevangelium, WMANT 37, Neukirchen-Vluyn 1970, bes. 228-296. Dabei geht auch Schottroff von dem Zusammenhang zwischen Semeia und der Thematik des Fleisches aus, zieht aber die gegenteiligen Konsequenzen. 62 So v.a. in den Arbeiten von C.H. DODD. 63 Vgl. o. 10. Vgl. W. WREDE, Charakter und Tendenz des Johannesevangeliums, in: ders., Vorträge und Studien, Tübingen 1907, 178-231, hier 206. 64 So Klemens bei Euseb. H. E. VI 14,5–7; vgl. FREY, Leiblichkeit, 285-290.

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

geliums in Beziehung setzt.65 Gleichzeitig beleuchtet er die Darstellungsweise des Johannesevangeliums im Verhältnis zu derjenigen der Synoptiker. τὸν µέντοι Ἰωάννην ἔσχατον, συνιδόντα ὅτι τὰ σωµατικὰ ἐν τοῖς εὐαγγελίοις δεδήλωται, προτραπέντα ὑπὸ τῶν γνωρίµων, πνεύµατι θεοφορηθέντα πνευµατικὸν ποιῆσαι εὐαγγέλιον.66

Als Letzter freilich habe Johannes, weil er sah, dass alle äußerlich-körperlichen Aspekte (des Lebens Jesu) bereits in den (übrigen) Evangelien dargelegt waren, – bedrängt von den Freunden und gottbegabt durch den Geist – ein geistliches Evangelium verfasst.

Klemens stellt die äußeren, „körperlichen“ Fakten (τὰ σωµατικά), die in den übrigen Evangelien ausgeführt würden, der im Johannesevangelium gewählten „geistlichen“ Darstellungsform gegenüber. Nicht im Gegenstand, sondern in der literarischen Präsentation verortet er den Gegensatz. Der bei den Synoptikern dargelegte Gegenstand der Geschichte – das, was tatsächlich geschehen ist (τὰ σωµατικά) – wird nun in einer Darstellungsform präsentiert, die die Heilsbedeutung des Geschehenen in den Vordergrund stellt (πνευµατικὸν εὐαγγέλιον). Das Johannesevangelium, so lässt sich diese Verhältnisbestimmung verstehen, setzt die synoptischen Evangelien als Darlegung der äußeren Begebenheiten um Jesus voraus, um diese äußeren Begebenheiten mit einer geistlichen Deutung zu versehen und in ihrem tiefen theologischen Gehalt zu erschließen.67 Diese Erschließungsleistung gelingt dort, so können wir von Klemens lernen, wo Leib und Geist nicht als Antagonismen betrachtet werden, sondern wo hervortritt, dass sich der Geist körperlicher Ausdrucksformen bedient, um sich den Menschen zu vermitteln.

65

Vgl. T. RÜTHER, Die Leiblichkeit Christi nach Clemens von Alexandrien, ThQ 107 (1926), 231-254. 66 Klemens bei Euseb. H. E. VI 14,7. 67 Entsprechend bestimmt Origenes die Aufgabe der Auslegung in seinem Johanneskommentar wie folgt: „Bei der Untersuchung des Evangeliums scheint uns dies nicht umsonst gesagt zu sein, da wir gleichsam von einem wahrnehmbaren Evangelium ein gedankliches und geistliches Evangelium durch das Denken unterschieden haben. Jetzt liegt noch die Aufgabe vor uns, das wahrnehmbare Evangelium als geistliches zu begreifen. Denn was brächte die Erzählung des wahrnehmbaren, wenn es nicht als geistliches aufgefasst würde?“ (ταῦτα δὲ ἐξετάζοντες περὶ τοῦ εὐαγγελίου οὐ µάτην εἰρηκέναι ἡγούµεθα, οἱονεὶ αἰσθητὸν εὐαγγέλιον νοητοῦ καὶ πνευµατικοῦ τῇ ἐπινοίᾳ διακρίνοντες. Καὶ γὰρ νῦν πρόκειται τὸ αἰσθητὸν εὐαγγέλιον µεταλαβεῖν εἰς πνευµατικόν· τίς γὰρ ἡ διήγησις τοῦ αἰσθητοῦ, εἰ µὴ µεταλαµβάνοιτο εἰς πνευµατικόν; Comm in Io. I 8,44-45). In der noch unabgeschlossenen Debatte über das literarische Verhältnis des Johannes zu den synoptischen Evangelien (vgl. nur die Zusammenfassung bei J. FREY, Das Vierte Evangelium auf dem Hintergrund der älteren Evangelientradition. Zum Problem. Johannes und die Synoptiker, in: ders., Herrlichkeit, 239-294 [= in: T. Söding (Hg.), Johannesevangelium, Mitte oder Rand des Kanons. Neue Standortbestimmungen, QD 203, Freiburg i.Br. u.a. 2003, 60-118]) gilt es diese wichtige frühchristliche Stimme wieder neu zu Gehör zu bringen.

1.3 Der literarische Zugriff: Die „johanneische Sehweise“

43

Die Mahnung unterstreicht O. Cullmann: „Die stumme Voraussetzung dieses Evangeliums ist, dass das historische Geschehen, wie es hier dargestellt ist, in sich selber außer dem mit den Sinnen Wahrnehmbaren den Hinweis auf weitere Heilstatsachen enthält, mit denen jene einmaligen Grunddaten verbunden sind. Daher ist es falsch, wenn immer wieder ,geschichtliche‘ und ,symbolische‘ Erklärungen der johanneischen Erzählungen als Gegensätze gegeneinander ausgespielt werden und eine Alternative aufgebaut wird, als ob im Sinne des Evangelisten eine Aussage entweder nur als historische Tatsache oder nur als Hinweis auf einen theologischen ,mystischen‘ Sachverhalt gemeint sein könne. Damit versperrt man sich von vornherein das Verständnis dieses Evangeliums, das gerade beides, einmalige Geschichte und Hinweis dieser Geschichte, auf ihre Vor- und Nachwirkungen in einer Zusammenschau darstellen will.“ 68

1.3.2 Geschichte und „Fleisch“ als Zugang zu Erkenntnis und Glauben (1. Johannesbrief; Evangelium Veritatis) Die Johannesdeutung des Klemens liefert damit ein Interpretationsmodell für die eingangs angesprochene Beobachtung, dass das Johannesevangelium an vielen Stellen in auffälliger Weise sinnliche, körperliche Wahrnehmungen betont in den Vordergrund stellt – in Erzählzusammenhängen, aber auch im Rahmen programmatischer Passagen und theologischer Deutungen.69 Das Evangelium nimmt die bei den Synoptikern dargelegten σωµατικά zum unverzichtbaren geschichtlichen Ausgangspunkt. Wahrgenommen als Gottesbegegnung und transzendiert auf ihre „geistliche“ Bedeutung hin, wird diese Begegnung mit dem geschichtlichen Jesus zum Mutterboden der jeweils eigenen christlichen Existenz, zu Anstoß und Versicherung lebenstiftenden Glaubens. Diese herausgehobene Bedeutung sinnlicher Wahrnehmung unterstreicht der 1. Johannesbrief mit seinem pointierten Einstieg (1Joh 1,1-3), wenn er die christologisch-theologische Rede von den verschiedenen Sinnen – mit Anklängen an den Johannesprolog – konzeptionell verdichtet.70 Ausgangspunkt aller Aussagen über die Realität der göttlichen Lebensmacht und das Heil des Menschen sind geschichtliche, in der Zeit geschehene, körperliche Erfahrungen

68 CULLMANN, Urchristentum und Gottesdienst, 55 (Hervorhebungen O.C.). Zum Verhältnis von geschichtlicher Erinnerung und übergeschichtlicher Bedeutung vergleiche den Appendix in DODD, Interpretation, 444-453. 69 Vgl. LEE, Flesh and Glory, 29-64, bes. 48-50. Zum Aspekt des Konkreten in der Christologie des Evangeliums vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 447: „Die Christologie der Bilder führt zweifellos in einer kaum gekannten Konkretion vor Augen, wer und wie Christus ist“; ähnlich THOMPSON, Incarnate Word, 50.56-63. 70 Die Kirchenväter bringen die beiden Stellen verschiedentlich in einen unmittelbaren Zusammenhang. H.-J. KLAUCK, Der erste Johannesbrief, EKK 23/1, Neukirchen-Vluyn u.a. 1991, 56-58, stellt einen ausführlichen Vergleich mit dem Johannesprolog an. Als „hermeneutischen Schlüssel“ zum Evangelium versteht ZUMSTEIN den Text (Kreative Erinnerung, 61).

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

des Menschen mit der Realität Gottes in seinem Sohn.71 Dabei ist im Eröffnungssatz neben Hören und Sehen auch das Betasten erwähnt: Ὃ ἦν ἀπ᾿ ἀρχῆς, ὃ ἀκηκόαµεν, ὃ ἑωράκαµεν τοῖς ὀφθαλµοῖς ἡµῶν, ὃ ἐθεασάµεθα καὶ αἱ χεῖρες ἡµῶν ἐψηλάφησαν περὶ τοῦ λόγου τῆς ζωῆς – (1Joh 1,1).72 Die Wirklichkeit des von Gott ausgegangenen und in der Welt erschienenen „Wortes des Lebens“, so wird hier deutlich gemacht, konnte in Christus buchstäblich mit allen Sinnen erfahren, ‚begriffen‘ werden: Selbst mit dem Tastsinn ließ sich die Gegenwärtigkeit des Heils, der λόγος τῆς ζωῆς, erfahren. Dieses „Wort des Lebens“ bringt eine körperlich-sinnliche, Gemeinschaft und lebenstiftende Begegnung mit dem lebendigen Gott. Um die Konkretheit dieser körperlichen Wahrnehmungen zu unterstreichen, sind den Verben die entsprechenden Wahrnehmungsorgane betont hinzugefügt: Augen und Hände (ὀφθαλµοί, χεῖρες).73 Diese programmatischen Worte legen es nahe, nach der konkreten Umsetzung im Rahmen der johanneischen Jesusgeschichte zu fragen.74 Hier sollen nicht metaphysische Aussagen über Gott bzw. den λόγος τῆς ζωῆς getroffen, sondern Erfahrungen und Erfahrungsweisen bzw. -möglichkeiten von Menschen bezeugt werden. Entsprechend formuliert 1Joh 1,1-3 in der 1. Person Plural: „was wir gesehen haben …“75 Im Kern nimmt die johanneische Literatur durch die Betonung der Inkarnation ihren Ausgangspunkt von der Hermeneutik, vom ‚Zugriff‘ des Menschen auf das Heil her (,wir haben erfahren‘), also von der Erfahrung, dass Gott den Erfahrungsformen von Menschen zugänglich ge-

71

Vgl. 1Joh 5,20. Bereits A. Schlatter nimmt die Besonderheit wahr, dass das Berühren hier erwähnt wird: „Wenn wir uns über das verwundern, was uns das Auge und das Ohr melden, so rufen wir die Hand zur Hilfe, damit sie uns von der Wirklichkeit der Dinge überzeuge“ (A. SCHLATTER, Die Briefe und die Offenbarung des Johannes, Stuttgart 1965, 6). Die von ihm gemachte Abstufung allerdings ist dem Text nicht zu entnehmen; vielmehr werden dort einfach die verschiedenen Möglichkeiten, sich der Welt sinnlich zu vergewissern, nebeneinander gestellt. 73 Dabei ist das in Joh 20,25.27 verwendete Verbum βάλλειν (in die Wundmale „hineinlegen“) noch deutlich konkreter als das in 1Joh 1,1 verwendete ψηλαφᾶν (das Heil „betasten“; vgl. dazu ausführlich u. Kap. 4). Dezidiert anders H. MERKLEIN, Christus als Bild Gottes im Neuen Testament, JBTh 13 (1998), 53-75, hier 68: das Bild diene bei Johannes, wie in Kol 1,15a, nicht der „Visualisierung des Unsichtbaren Gottes“. 74 Und dies gilt unabhängig davon, wie man die chronologischen Verhältnisse beurteilt, ob man also das Proöm des 1. Johannesbriefs als Zusammenfassung des im Evangelium dargestellten oder das Evangelium als Ausformulierung des im Proöm grundgelegten Programms verstehen will. Zu den möglichen Rekonstruktionen der chronologischen Abfolge vgl. nur U. SCHNELLE, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen 82013, 555-557. 75 Die 1. Person Plural lässt sich hier durchaus so verstehen, dass diese Erfahrung auch die angesprochene Gemeinde (und dementsprechend auch die späteren Leser) einbezieht, deren Glaube sich auf diese Erfahrung gründet. 72

1.3 Der literarische Zugriff: Die „johanneische Sehweise“

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worden ist76, nicht vom Wesen eines begrifflich zu fassenden Gegenstands (,Christus bzw. Gott ist …‘). Der Brief stellt die Hermeneutik des Heils an den Anfang, indem er die Erkenntnisgründe theologischer Aussagen thematisiert. In der ersten Person Plural drückt sich die Wendung zur Ästhetik des Glaubens aus: die Botschaft des Evangeliums des Lebens gründet auf dem Zeugnis von einer unmittelbaren, lebenstiftenden Begegnung. Wahrnehmung, Zeugnis und Verkündigung, die in die Gemeinschaft „mit dem Vater und seinem Sohn Jesus Christus“ und darüber auch in die Gemeinschaft untereinander führen, greifen auf dem Weg zu Glauben und Leben ineinander. Ein interessantes frühes Rezeptionszeugnis dieser Hermeneutik des Johannesevangeliums bietet das Evangelium Veritatis (NHC I/3 30,23-32; 33,33– 34,34), das auch an anderer Stelle bekanntermaßen ausführlich auf johanneische Tradition zurückgreift.77 Die Schrift nimmt die christologische Wahrneh76

Dies führt umgekehrt dazu, dass die Erlösung den ganzen Menschen in seiner leiblichen Existenz umfasst: So ist der erlöste Mensch nicht der von seiner Leiblichkeit befreite (göttliche) Logos, sondern das im Glauben an den Sohn neu geborene Kind Gottes. 77 Vgl. T. NAGEL, Die Rezeption des Johannesevangeliums im 2. Jahrhundert. Studien zur vorirenäischen Aneignung und Auslegung des vierten Evangeliums in christlicher und christlich-gnostischer Literatur, ABG 2, Leipzig 2000, 369-379. Nagel führt unsere Stelle zwar unter den „weniger wahrscheinlichen Bezügen“ auf: „Das Motiv der sinnlichen Wahrnehmbarkeit des Auferstandenen, wie es in Joh 20,25.27; Lk 24,36, aber auch in anderen frühchristlichen Texten begegnet, könnte hier Aufnahme gefunden haben, ohne dass allerdings ein näherer Hinweis auf eine spezifische Rezeptionsgrundlage erkennbar ist. Weiterhin geht es in EvVer 30,27-36 nicht um den Auferstandenen, sondern um den irdisch wirkenden Erlöser“ (377; den Bezug auf 1Joh 1,1-3 hält Nagel dagegen im Anschluss an H.W. ATTRIDGE/G.W. MACRAE, The Gospel of Truth, NHC I,3 16,31-43,24, in: ders. (Hg.), Nag Hammadi Codex I (The Jung Codex), Notes, NHS 23, Leiden 1985, 39-135, hier 87, für wahrscheinlich; auch K. GROBEL stellt diesen Bezug her und unterstreicht gleichzeitig, dass in EvVer über 1Joh 1,1-3 hinaus von allen fünf Sinnen die Rede ist [The Gospel of Truth. A Valentinian Meditation on the Gospel, New York/Nashville 1960, 121]). Im Verlaufe der vorliegenden Untersuchung wird aber deutlich werden, dass es im Johannesevangelium gerade nicht nur um die sinnliche Wahrnehmbarkeit des Auferstandenen, sondern wesentlich – wie im EvVer – um die Erkenntnis des Vaters im Irdischen geht. Zu den Einleitungsfragen vgl. E. THOMASSEN, The Spiritual Seed. The Church of the „Valentinians“, Leiden/Boston 2008 (= NHMS 60, Leiden/Boston 2006), 146-150; ders., Art. Gospel of Truth (NHC I,3; XII,2), EBR 10, 700f.; H.W. ATTRIDGE/G.W. MACRAE, The Gospel of Truth: NHC I,3 16,31-43,24, in: ders. (Hg.), Nag Hammadi Codex I (The Jung Codex). Introduction, Texts, Translations, Indices, NHS 22, Leiden 1985, 55-117; ders.,/MACRAE, Notes; Z. PLEŠE, „Gnostic Literature“, in: R. Hirsch-Luipold u.a. (Hgg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven. Ratio Religionis Studien I, STAC 51, Tübingen 2009, 163-198; H.-M. SCHENKE u.a. (Hgg.), Nag Hammadi Deutsch, Bd. 1, NHC I,1-V,1, GCS NF 8, Berlin u.a. 2001, 28-33 [= in: C. Markschies/J. Schröter (Hgg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 7. Aufl. der von E. Hennecke begründeten und von W. Schneemelcher fortgeführten Sammlung, Bd. 1, Evangelien und Verwandtes, Tübingen 2012, 1248-1260]. Schenke nennt unter den zentralen Konzepten,

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

mungshermeneutik des Johannesevangeliums mit allen fünf Sinnen als Mittel der Gotteserkenntnis in einer Art Kurzzusammenfassung auf:78 „Die Erkenntnis des Vaters und die Erscheinung des Sohnes gab ihnen die Fähigkeit des Begreifens. Denn als sie ihn sahen und hörten, veranlasste er, dass sie von ihm kosteten, dass sie ihn rochen und dass sie den geliebten Sohn anfassten, wobei er sich dadurch kundtat, dass er sie über den Vater, den Unbegreiflichen, belehrte, und ihnen einblies, was immer in jenem Denken ist, und so seinen Willen erfüllte. Viele wandten sich ihm zu, nachdem sie das Licht empfangen hatten. , denn sie waren fremd, sahen seine Gestalt nicht und konnten ihn (also) nicht erkennen.“79

Wie in der Thomasgeschichte geht die Aufforderung zur Erfahrung mit eben jenen Sinnen (riechen, kosten, anfassen) von Jesus selbst aus. Dieses Verständnis des Johannesevangeliums leuchtet im Blick auf Joh 6 (von ihm kosten) und Joh 20 (ihn berühren) unmittelbar ein. Das Einbeziehen des Geruchs kann indes nur von Joh 11–12 her motiviert sein. Dies setzt eine Interpretation des Geruchs innerhalb dieser Kapitel im Sinne des von Jesus ausströmenden Lebensduftes voraus, wie sie in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen werden wird.80 Wir hätten damit hier einen sehr frühen Beleg nicht nur der Wahrnehmungshermeneutik des Johannesevangeliums, sondern speziell des Verständnisses des Geruchsmotivs in Joh 11–12 in diesem Zusammenhang.

die im EvVer aus dem Johannesevangelium aufgenommen werden, zuerst jenes der Erkenntnis des transzendenten Gottes durch seine Geschöpfe; vgl. auch C.K. BARRETT, The Theological Vocabulary of the Fourth Gospel and of the Gospel of Truth, in: ders., Essays on John, 50-64 [= in: W. Klassen/G.F. Snyder (Hgg.), Current Issues in New Testament Interpretation (FS O.A. Piper), New York 1962, 210-223]. Barretts These allerdings, die Unterschiede bei allen Ähnlichkeiten seien auf die Rezeption vorjohanneischer gnostischer Strömungen zurückzuführen (ebd., 62f.), überzeugt gerade am Beispiel der sinnlichen Wahrnehmung als Zugang zur Gotteserkenntnis schon deshalb nicht, weil dieses Konzept gemäß der hier vorgelegten Argumentationen als Neuerung des vierten Evangelisten zu betrachten ist und sich die zusammenfassende Sicht der fünf Sinne in EvVer NHC I/3 30,23-32 nur als Rezeption dieses Konzepts verstehen lässt. 78 Auch nach den Stellenangaben von SCHENKE, Nag Hammadi Deutsch 1, 39, der merkwürdigerweise für das Essen (Hebr 6,4f.; 1Petr 2,3) und Riechen (2Kor 2,14) nur auf außerjohanneische Belegstellen zurückgreift. M. KRAUSE/K. RUDOLPH, Die Gnosis, Bd. 2: Koptische und mandäische Quellen, Düsseldorf 2007, 76, identifizieren dagegen neben dem „Anfassen“ (und dem anschließenden Anblasen) auch das „Kosten“ als Anspielung auf das Johannesevangelium. 79 EvVer NHC I/3 30,23-32. Die Kursivierung bei Schenke weist darauf hin, dass der Text sich mit den sahidischen Fragmenten von NHC XII,2 deckt. Für die Diskussion über diesen Abschnitt danke ich Zlatko Pleše. 80 Vgl. dazu u. Kap. 3. Im strikten Sinne nämlich beziehen sich die Aussagen über das Riechen dort nicht auf Jesus selbst, sondern zunächst auf Lazarus, an dem sich die Lebenskraft Gottes (durch Ausbleiben des Todesgeruchs) offenbart bzw. die Salbe, die das Haus mit Wohlgeruch erfüllt und so von dieser Lebenskraft kündet.

1.4 Der Zugang über die sinnliche Wahrnehmung

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1.4 Der Zugang über die sinnliche Wahrnehmung Das vierte Evangelium betont den Blickwinkel der Rezipienten. Noch innerhalb des Prologs schwenkt die Perspektive aus der Beschreibung des uranfänglichen Schöpfungs- und Heilswerks („am Anfang war das Wort“; 1,1), das in der Fleischwerdung des göttlichen Logos seinem Höhepunkt zustrebt („und das Wort ward Fleisch“; 1,14a), zur Wahrnehmung dieser Geschichte („… und wir sahen …“; 1,14b): Das Drama, das sich entfaltet, ist wesentlich aus der Perspektive der Mitspieler (und damit zugleich auch der Betrachter) erzählt – mit enormen theologischen und soteriologischen Konsequenzen. Diese für die Darstellungsweise des Evangeliums zentrale Perspektive, die dem Leser eine besondere Form der Identifikation ermöglicht, tritt durch eine literarische Untersuchung der sinnlichen Wahrnehmungsvorgänge innerhalb des Evangeliums gleichsam wie von selbst hervor. Ausgezeichnet beschreibt H. Thyen die Funktion einer Perspektive, die sich der körperlich-sinnlichen Annäherung an den Christus verdankt: „[…] diese ,Aufnahme des Zeugnisses der Augenzeugen‘ in das Bekenntnis der Kirche macht nun auch dessen Bekenner wiederum zu Augen- und Ohrenzeugen des Auferstandenen, sodaß sie – wie die Leute aus der Stadt Sychar – nicht mehr aufgrund des überlieferten Zeugnisses der Augenzeugen glauben, sondern weil ihnen deren Zeugnis Augen und Ohren dafür geöffnet hat, nun selbst ihren lebendigen Herrn zu ,schauen‘: τῇ τε γυναικὶ ἔλεγον ὅτι Οὐκέτι διὰ τὴν σὴν λαλιὰν πιστεύοµεν, αὐτοὶ γὰρ ἀκηκόαµεν καὶ οἴδαµεν ὅτι οὗτός ἐστιν ἀληθῶς ὁ σωτὴρ τοῦ κόσµου.“81

Ähnlich beschreibt B. Lindars die vom vierten Evangelium intendierte Rezeptionshaltung als einen „act of contemplation“, der in Joh 1,18 grundgelegt ist: „[…] through his human flesh he [Jesus] reveals in a manner accessible to human eyes the invisible glory of God, whom no one can look upon and live.“82 Im Akt des Lesens oder Hörens schlüpfen die Adressaten in die Haut der ersten Jünger; gleichsam in der Thomas-Rolle83 werden sie staunend Zeugen des Anbruchs des Reiches Gottes und der Ankunft Gottes auf Erden in der Geschichte Jesu. Wie Thomas werden sie letztlich zu dem Bekenntnis „mein Herr und mein Gott“ geführt. Lindars bringt die Wirkung dieser religiösen Ästhetik des Evangeliums auf den Punkt: „The reader is bound to be left gazing with Thomas. Before his eyes there has been presented a pregnant multiplicity in unity which fascinates the contemplative. To read John is an act of contemplation; it is to share in John’s own act of contemplation. […] John has communicated

81

THYEN, Komm., 94. B. LINDARS, The Fourth Gospel: An Act of Contemplation, in: Cross, Studies, 23-35, hier 27. 83 Vgl. die Ausführungen zu Thomas u. Kap. 4. 82

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

the incommunicable, and the secret of the entire universe has been made known in a Person who is victorious love.“84

Lindars sieht den Evangelisten das Thema in immer größeren Kreisen entwickeln, wobei 1,18 implizit gleichsam als Überschrift über jedem dieser Kreise steht. Vor den Augen des Lesers entfaltet sich im Johannesevangelium das Drama der Wahrnehmung des unsichtbaren Gottes unter den Bedingungen der phänomenal-körperlichen Welt. Dabei macht das Evangelium dem Leser, wie die genannten Interpretationen zeigen, ganz unterschiedliche Identifikationsangebote. Die zuweilen irritierende Multiperspektivität der johanneischen Bildsprache versucht H.W. Attridge in der Bezeichnung „cubist imagery“ aufzufangen.85 Rezeption und Reaktion, diese beiden Aspekte kennzeichnen die Erzählperspektive des vierten Evangeliums. Es entfaltet erzählerisch die geschichtliche Erfahrung mit Jesus Christus über die subjektive Wahrnehmung derer, die mit ihm konfrontiert sind: Jünger, faszinierte oder abgestoßene Juden, Griechen, die kommen, um Jesus zu sehen (offenbar hellenistische Juden oder Sympathisanten der Synagoge86), Samaritaner, die ihm zunächst zufällig begegnen, die römische Besatzungsmacht in der Person des Pilatus. Ihre Begegnungen werden zur Begegnung des Lesers, ihr Unverständnis und ihr Zweifeln reflektiert das seine, mit ihnen allen sieht er sich vor eine Entscheidung zwischen Annahme und Ablehnung gestellt. In der Vielfalt der Reaktionen vermittelt der Evangelist erzählerisch die Logik des göttlichen Heilsplans: Das geschichtliche Offenbarungsgeschehen soll wahrgenommen, verstanden, geglaubt und bezeugt werden – es sind immer wieder dieselben Schritte, die uns in der Erzählung vorgeführt werden. Dabei wird das in Christus erfahrene Heil zum Kriterium allen vorgängigen Wissens und zum Anfang des Glaubens. Durch die von der Wahrnehmungsperspektive bestimmte Erzählweise des Evangeliums wird der Blick der johanneischen Gemeinde wie jedes Lesers des Evangeliums exklusiv auf die Person Jesu von Nazareth justiert; auf seine Person, seine Taten und Reden oder auf Dinge, die unmittelbar von ihm ausgehen, beziehen sich die Wahrnehmungen nahezu ausschließlich.87 Dieser auf die

84

LINDARS, The Fourth Gospel, 35. ATTRIDGE, Cubist Imagery. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 421-423; ders., „Du wirst noch Größeres sehen …“, 110, gebraucht die Metapher des Mosaiks. 86 Joh 12,20f.; vgl. 7,35. 87 Jesus ist also überwiegend Objekt der Wahrnehmungen. Wo er indes selbst der Wahrnehmende ist, stehen die Wahrnehmungen vor allem in zwei Zusammenhängen: auf der einen Seite sieht und hört Jesus den Vater und seine Taten (1,18; 3,32; 6,46; 8,28; 12,28; 15,15; 17,8; vgl. 12,49; 16,12). Solches Sehen und Hören bildet die Grundlage seines Handelns und seiner Verkündigung. Auf der anderen Seite sieht und hört Jesus die Menschen um sich herum. Dies gilt im Sinne der Zuwendung an sie und im Sinne einer außergewöhnlichen 85

1.4 Der Zugang über die sinnliche Wahrnehmung

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geschichtliche Figur Jesus konzentrierte Ausgangs- und Zielpunkt der Darstellung ist nun allerdings christologisch und theologisch im spezifischen Sinne der Offenbarung jenes Gottes, den niemand je gesehen hat88: Es geht also nicht primär messianologisch darum, Jesus als den angekündigten Messias zu erweisen. In diesem Sinne hat man den ersten Johannesschluss vielfach interpretiert89: „Noch viele andere Zeichen tat Jesus vor seinen Jüngern, die nicht in diesem Buch aufgeschrieben sind. Dies ist aufgeschrieben, damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes, und damit ihr durch den Glauben Leben habt in seinem Namen“ (Joh 20,30f.). Bezieht man das, was hier über die σηµεῖα als Anstoß des Glaubens gesagt wird, hingegen auf die zuvor dargelegte Jesusgeschichte insgesamt, so war dort die Funktion der „Zeichen“, die Herrlichkeit Gottes in den Augen der Welt sichtbar zu machen (vgl. 1,14.51) – deshalb setzen sie unmittelbar Glauben aus sich heraus.90 Das ist es, was das Wesen des Christus ausmacht: dass er durch die Offenbarung der Liebe und Lebensmacht Gottes Gotteserkenntnis und Glauben – und im Glauben Leben – eröffnet. Damit setzt die Schlussformulierung des Evangeliums eine Neudeutung des Messiasbegriffes im Blick auf die Gotteserkenntnis voraus. Es geht prophetisch-seherischen Gabe (insbesondere bei Nathanael Joh 1,47-50 und bei der samaritanischen Frau am Brunnen Joh 4,16-19.29.39). 88 Vgl. BARRETT, Theocentric, 14-16. Gegen eine solche theologische Zielrichtung des Evangeliums, die mir grundlegend zu seinem Verständnis scheint, wendet sich ENGBERGPEDERSEN, John and Philosophy, 443f., besonders deutlich, wie wir oben schon gesehen haben, und setzt seine stoische inspirierte Deutung dagegen, die eine überraschend starke Separierung Gottes von der Welt impliziert: „God stays in heaven. His logos becomes present in Jesus at the baptism as carried by the pneuma. And this means that Jesus becomes divine, not that God becomes human“ (444). 89 Vgl. W.J. BITTNER, Jesu Zeichen im Johannesevangelium. Die Messiaserkenntnis im Johannesevangelium vor ihrem jüdischen Hintergrund, WUNT II/26, Tübingen 1987; HAMID-KHANI, Revelation. 90 2,23: „Viele glaubten an seinen Namen, als sie die Zeichen sahen, die er tat.“ Vgl. 6,14; 12,11; 14,11; 20,30f.; vgl. auch HAHN, Sehen und Glauben, 127. In Joh 6,2 ist das Sehen der Zeichen der Grund für die Nachfolge, die mindestens als erster Schritt auf dem Weg zum Glauben zu verstehen ist. Entsprechend tragen die Gesprächspartner in 6,30 die Anfrage an Jesus heran: „Was für ein Zeichen tust du, damit wir es sehen und dir glauben?“ Dabei sind sie sich – im Sinne johanneischer Ironie – der Tiefe ihrer Frage nicht bewusst. Sie verwenden den Begriff σηµεῖον ganz im Sinne alttestamentlich-prophetischer Legitimationswunder: Ihr Verständnis drückt sich nicht nur darin aus, dass sie das erwartete Zeichen Jesu mit den Zeichen des Mose kontrastieren, sondern auch dadurch, dass sie durch den Dativ πιστεύσωµέν σοι deutlich machen, dass nicht Jesus Gegenstand des Glaubens ist, sondern – in prophetischem Sinne – etwas von ihm über Gott Ausgesagtes (zu πιστεύω vgl. RAMOS PÉREZ, Ver, 56-58). Genau diese Unterscheidung aber nivelliert das Johannesevangelium bewusst: Jesus ist selbst der Gegenstand des von ihm Bezeugten, er ist selbst der Gegenstand des Glaubens. Zum Verweischarakter der johanneischen Semeia vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, 89-99.

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also im Kern des Evangeliums durchaus um das Geheimnis des Wesens Jesu Christi. Der Blick auf Joh 14 wird aber zeigen, dass dies gerade nicht gegen eine theologische Deutung ausgespielt werden darf: denn die Herrlichkeit, die sich in Jesu Zeichen offenbart, ist eben die Herrlichkeit Gottes.

1.5 Christologie als Theologie: „Von jetzt an kennt ihr den Vater und habt ihn gesehen“ (Joh 14,1-11) Im Kontext der Abschiedsreden spricht Jesus im Dialog mit Thomas und Philippus davon, wie die Glaubenden durch ihn Gott sehen und so den Weg zum Vater finden können. Diesen hermeneutischen Schlüsseltext91, der am Beginn der Abschiedsreden die Frage der theologischen Dimension der ästhetischen Christologie des Johannesevangeliums dramatisch umsetzt und zugleich die soteriologische Zielbestimmung der Offenbarung in Jesus Christus reflektiert, gilt es etwas genauer zu betrachten. Jesus hatte erklärt, er werde zum Vater gehen, um den Jüngern eine Wohnstatt vorzubereiten. Als er fortfährt, die Jünger wüssten ja den Weg dorthin, wohin er jetzt gehe (14,2-4), reagiert Thomas mit Unverständnis: keineswegs wüssten die Jünger, wohin Jesus gehe – wie sollten sie dann den Weg kennen? (14,5).92 Jesu Antwort versucht gleichsam die Erkenntnisoptik des Thomas neu zu justieren:

91

Für R. SCHNACKENBURG, Das Johannesevangelium, HThK IV/3, Freiburg i.Br. u.a. 1982, 73f., stellt das Selbstoffenbarungswort Joh 14,6f. einen Höhepunkt johanneischer Theologie dar im Sinne seiner „ganz auf Jesus Christus begründeten Heilslehre: in Jesus Christus hat sich der unsichtbare und unbegreifliche Gott in seinem den Menschen zugewandten Heilswillen so greifbar und begreiflich gemacht, dass sie auf diesem Weg, in der gläubigen Annahme der ihnen in Jesus Christus erschlossenen Wahrheit, und in der Teilnahme an seinem Leben, das Ziel ihrer Existenz erreichen können.“ Zur Auslegung vgl. A. DETTWILER, Die Gegenwart des Erhöhten. Eine exegetische Studie zu den johanneischen Abschiedsreden (Joh 13,31-16,33) unter besonderer Berücksichtigung ihres RelectureCharakters, FRLANT 169, Göttingen 1995, 141-181; H.-U. WEIDEMANN, Der Tod Jesu im Johannesevangelium. Die erste Abschiedsrede als Schlüsseltext für den Passions- und Osterbericht, Berlin u.a. 2004, 154-162. Bei C. HOEGEN-ROHLS, Der nachösterliche Johannes. Die Abschiedsreden als hermeneutischer Schlüssel zum vierten Evangelium, WUNT II/84, Tübingen 1996, die sich auf die pneumatologischen Akzente konzentriert, wird diese Stelle nicht eigens ausgewertet. Origenes legt Joh 14,7-9 in Cels. VII 43,14-36 im Zusammenhang der Frage nach dem Sehen Gottes aus und verbindet den Text mit Joh 1,14.18 und Mt 5,8. 92 πῶς δυνάµεθα τὴν ὁδὸν εἰδέναι; Ähnlich wie in 9,10.15.19.21.26 geht die Frage nach dem „Wie?“ in die Leere und wird durch die Frage nach dem „Wer?“ ersetzt. 4

1.5 Christologie als Theologie ἐγώ εἰµι ἡ ὁδὸς καὶ ἡ ἀλήθεια καὶ ἡ ζωή. οὐδεὶς ἔρχεται πρὸς τὸν πατέρα εἰ µὴ δι᾿ ἐµοῦ. εἰ ἐγνώκατέ µε, καὶ τὸν πατέρα µου γνώσεσθε. καὶ ἀπ᾿ ἄρτι γινώσκετε αὐτὸν καὶ ἑωράκατε αὐτόν.

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Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich. Wenn ihr mich erkannt habt, so werdet ihr auch meinen Vater erkennen. Und von nun an erkennt ihr ihn und habt ihn gesehen.

(14,6-793)

Jesus selbst ist der Weg. Diesen Weg kann auch beschreiten, wer das Ziel noch nicht kennt. Damit bekommt Jesu Aussage in 14,4 (ὅπου ἐγὼ ὑπάγω οἴδατε τὴν ὁδόν) geradezu den Sinn: „wo auch immer ich hingehe – ihr kennt den Weg!“ Die Pointe liegt also nicht im Wissen um das Ziel, sondern im Wissen um den Weg, das hier relational als Beziehung zu einer Person gefasst wird.94 Demgegenüber fragt das ποῦ des Thomas nach einem bestimmten Ort, den man mitteilen könnte.95 Diese Frage nach dem Zielort bedeutet eine Objektivierung gegenüber der Personalisierung Jesu.96 Jesu „Wegbeschreibung“ im Ich-binWort 14,6 („Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“) nimmt das Ichbin-Wort aus der Lazaruserzählung auf: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (11,25) und gibt sich darin zugleich als Zielbeschreibung zu erkennen.97 Was dort objektiv ausgesagt und bezeugt bzw. erzählerisch umgesetzt ist, wird nur verständlich über die Einsicht in die Einheit Jesu mit dem θεὸς ζῳοποιῶν, um die Formulierung des Paulus aus Röm 4,17 aufzunehmen.98 Der Weg zu dieser Einsicht führt ausschließlich über die Betrachtung und Deutung des in Jesus geschichtlich Gegenwärtigen. Wollen die Jünger den Weg zum Leben 93 Zur Stelle vgl. neben den Kommentaren KOESTER, Jesus as the Way, 117-134; I. DE LA POTTÉRIE, La Vérité dans Saint Jean, 2 Bde., Rom 1977, 253-280; ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung, 182; RAMOS PÉREZ, Ver, 469-476; ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 433437 (speziell zur Frage des Sehens bzw. des Bildes). WEIDEMANN, Der Tod Jesu, 152-157 (mit Diskussion der textkritischen Entscheidung zwischen Indefinitus und Irrealis in 14,7; ebd., 154 Anm. 67). Nach DETTWILER, Gegenwart, 117, bietet 14,6-11 die „Rekapitulation und Summe der in Joh 1-12 erarbeiteten und entfalteten Sohn-Christologie“. 94 Dass dieser Weg zum Vater zugleich der Weg zu Heil und Leben ist, macht das Ich-binWort 10,9 von der Tür klar. 95 Die Frage ποῦ wird bereits in 1,38f. nicht einfach beantwortet, sondern führt die Johannes-Jünger auf einen Weg. Wie unten ausführlich dargelegt wird (Kap. 2, bes. 170-187), drückt sich im Fragen nach dem Wo, Woher und Wohin eine Suchbewegung aus, die über die Person Jesu in das Wesen Gottes hineinführt. „Kommt und seht!“ (1,39) richtet sich deshalb als programmatische Aufforderung auch an die suchenden Leser. 96 Ähnlich bedeutet später die Frage des Pilatus in Joh 18,38: „Was ist Wahrheit?“ (τί ἐστιν ἀλήθεια;) eine unangemessene Verobjektivierung: Tatsächlich steht die Wahrheit vor ihm. 97 Vgl. 8,12: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Dunkelheit wandeln, sondern das Licht des Lebens haben.“ 98 Vgl. Joh 5,21.26.

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finden, dann hilft allein, auf Jesus als den Weg zu schauen, da in ihm das Wesen des Vaters zu erblicken ist, und wie Lazarus auf den Ruf seiner Stimme als der Stimme des Lebens zu hören.99 Die Antwort auf die Frage nach dem Ziel, das zugleich Leben bedeutet, ergibt sich also aus dem Wissen um den rechten Weg. Theologisch gewendet: Der Weg zur Erkenntnis Gottes führt nur über die Geschichte seines Sohnes als der Geschichte Gottes mit der Welt. Freilich, wie Bultmann zu Recht sagt, „ist er der Weg so, dass er zugleich das Ziel ist; denn er ist auch ἡ ἀλήθεια καὶ ἡ ζωή: die ἀλήθεια als die offenbare Wirklichkeit Gottes, die ζωή als die göttliche Wirklichkeit, die dem Glaubenden das Leben als das Sich-Verstehen in Gott spendet“.100 Entscheidend ist für unseren Zusammenhang, dass diese Erkenntnis des Vaters nicht durch eine Information vermittelt ist, sondern über das Sehen, also über die unmittelbare geschichtliche Begegnung.101 Damit verbinden sich ein unglaublicher Zuspruch und ein Anspruch gleichermaßen: Durch Jesus ist die Gottesschau nicht mehr nur eine eschatologische Hoffnung, die Eschatologie ist vielmehr gegenwärtig fassbar geworden.102 „Wenn ihr mich kennt (d.h. mein Wesen kennen gelernt habt), werdet ihr auch den Vater erkennen. Und von nun an kennt ihr den Vater und seid seiner ansichtig geworden.“103 Insbesondere das wiederholte Perfekt (ἑωράκατε V. 7; ἑωρακώς, ἑώρακεν V. 9) weist dabei über die Ebene der Handlungsfiguren hinaus auf die Ebene der Leser104: Die geschichtliche Offenbarung, die 99

Diese Begegnung kann nach Jesu Gang zum Vater freilich nur literarisch über die Lektüre des Evangeliums und pneumatologisch über die Erschließung durch den Geist stattfinden, wie dies in den Abschiedsreden ausgeführt wird. 100 Komm., 468 (Hervorhebung R.B.). Und Bultmann fährt fort: „Alle drei Begriffe aber sind in dem ἐγώ aneinandergebunden: so wie Jesus der Weg ist, indem er das Ziel ist, so ist er auch das Ziel, indem er der Weg ist. Er kann über dem Ziel nicht vergessen werden, weil der Glaubende die ἀλήθεια und die ζωή nicht als einen verfügbaren Besitz haben kann: Jesus bleibt für ihn der Weg. Freilich auch nicht so, als ob ἀλήθεια und ζωή nur ein ständig erstrebtes, unendlich fernes Ziel wären; vielmehr im Gehen des Weges ist das Ziel erreicht.“ 101 Dies betont WEDER, Deus Incarnatus, mehrfach (332-336). Ähnlich auch THOMPSON, Incarnate Word, 82-86. 102 Von Joh 1,18 angefangen wird diese steile Christologie im Laufe der Erzählung immer wieder unterstrichen (vgl. 5,20-23.25-29; 8,24-29. 54-58; 10,30.34-38; 12,44f.). 103 Es ist nach dem Johannesevangelium einer der Hauptvorwürfe, die zu seiner Tötung führen: Jesus mache sich Gott gleich (5,18; vgl. 10,33). Dies bedeutet in der jüdischen Tradition den äußersten Frevel (vgl. die Belegstellen bei BULTMANN, Komm., 183). Für ihn fordert das Gesetz den Tod durch Steinigung (Lev 24,10-16; Num 15,30f.; Dtn 21,22f.). Das Missverständnis liegt, wie Bultmann zu Recht sagt, im Offenbarungsverständnis: während die Gottgleichheit für „die Juden“ eine Selbsterhebung bedeutet, mit der sich der entsprechende Mensch Gott gegenüberstellt, ist die Einheit bei Johannes Vorbedingung der Offenbarung. 104 Zur Funktion des Perfekts vgl. J. FREY, Die johanneische Eschatologie, Bd. 2: Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998, 107-110. Hier geschieht mehr als in der momentanen Epiphanie griechischer Götter und in der partiellen Gestaltwerdung göttli-

1.5 Christologie als Theologie

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Möglichkeit, Gott in Jesus wahrzunehmen, zu sehen, zu hören und zu spüren, ist die abgeschlossene Voraussetzung des gegenwärtigen Zeugnisses. Was im Erzählrahmen des Evangeliums allerdings notwendig noch aussteht, ist die endgültige Klärung dieses unerhörten Anspruches Jesu. Innerhalb des Evangeliums geschieht diese Klärung proleptisch und zeichenhaft in der Person des Blindgeborenen durch ein doppeltes Augenöffnen105 – erst physisch (9,6f.) und sodann spirituell (9,35–38). Ebenso proleptisch geschieht sie an der Person des Lazarus, der aus dem Grab herausgerufen wird. Endgültig aber geschieht die Bestätigung des Anspruches Jesu, das Leben zu sein, durch seine eigene Auferstehung. Von der Klärung dieses Anspruchs durch die Erfahrungen mit dem Auferstandenen erzählen die Erscheinungsberichte in Joh 20 bis hin zum Bekenntnis des Thomas: „Mein Herr und mein Gott!“ (20,28). Bei den Lesern des Evangeliums geschieht diese Klärung dadurch, dass sie sich mit dem Blindgeborenen die Augen für das Geschehen öffnen lassen und mit Thomas das Unfassliche begreifen, um so das Geschehene wahr-nehmen und in ihrem eigenen Leben aktualisieren zu können. Es bleibt allerdings auch hier ein Rest der Verhüllung, insofern alles körperlich Wahrgenommene notwendig der Deutung bedarf. Eindeutige Klarheit wird es erst dann geben, wenn wir von Angesicht zu Angesicht sehen und keine Fragen mehr haben; dann wird Jesus παρρησίᾳ περὶ τοῦ πατρ ός reden (16,25). Dieses Problem der Vorläufigkeit gegenwärtiger Gotteserkenntnis in Christus, die eines erschließenden Verständnisses und vertrauenden Glaubens bedarf, steuert der anschließende Dialog mit Philippus an (14,8-11), wobei die gemachten Aussagen noch einmal präzisiert werden. Philippus hat, so zeigt sich, die eben formulierte zentrale Botschaft des Evangeliums noch immer nicht verstanden: „Zeig uns doch den Vater, das genügt uns!“ (14,8). Als Antwort auf diese Bitte, Gott, den Vater, vor Augen geführt zu bekommen, die durchaus an die Bitte des Mose am Sinai erinnern mag106, verweist Jesus auf sich selbst als den einzigen Punkt innerhalb von Welt und Geschichte, in dem der Vater wahrgenommen und so der Weg zu ihm gefunden werden kann. Auf keinen anderen Punkt innerhalb der Geschichte kann das christliche Zeugnis gemäß der Überzeugung des vierten Evangelisten verweisen!107 cher Präsenz in der frühjüdischen Engellehre (zum religionshistorischen Horizont von Epiphanie und Metamorphose vgl. S. VOLLENWEIDER, Die Metamorphose des Gottessohns. Zum epiphanialen Motivfeld in Phil 2,6-8, in: ders., Horizonte neutestamentlicher Christologie, Studien zu Paulus und zur frühchristlichen Theologie, WUNT 144, Tübingen 2002, 285-306). 105 Vgl. u. 265-268. 106 καὶ λέγει δεῖξόν µοι τὴν σεαυτοῦ δόξαν (Ex 33,18). Dies gilt zumal dann, wenn man sich klarmacht, dass auch nach dem Johannesevangelium den Vater sehen bedeutet, seine δόξα zu sehen. 107 Mit dieser Pointierung hebt sich das Johannesevangelium sowohl von Bildtheologien ab, die die Welt insgesamt als bildhaften Ausdruck des Wesens Gottes verstehen, als auch

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ὁ ἑωρακὼς ἐµὲ ἑώρακεν τὸν πατέρα· πῶς σὺ λέγεις· δεῖξον ἡµῖν τὸν πατέρα; οὐ πιστεύεις ὅτι ἐγὼ ἐν τῷ πατρὶ καὶ ὁ πατὴρ ἐν ἐµοί ἐστιν;

Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen!108 Wie kannst du sagen: Zeige uns den Vater? Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir ist?

(14,9-10)

Jesus unterstreicht noch einmal, dass es – verlangt man nach Gottesschau – außer ihm nichts zu sehen gibt: „Wer mich gesehen hat, der hat den Vater gesehen.“ Grund dafür ist die reziproke Immanenz von Sohn und Vater (vgl. 10,38; 14,10f.; 17,21).109 Man hat Jesu Antwort an Philippus verschiedentlich als Zurückweisung einer unangemessenen Erkenntnisform verstanden.110 Der Fortgang aber zeigt, dass eine Abwertung dieses Zugangs zum Glauben gerade nicht im Interesse des Evangelisten liegt. Der Evangelist polemisiert nicht gegen das Sehen, im Gegenteil: Der johanneische Jesus kritisiert, dass Philippus blind ist für das, was doch längst sichtbar vor Augen steht. Die Antwort Jesu an Philippus verweist den Leser zurück auf Joh 1,50f., wo das Sehen von etwas „Größerem“ gleichsam als Überschrift über die Darlegung des Lebens Jesu gesetzt worden war. Zumstein sieht im Gespräch zwischen Philippus und Jesus die Bestätigung dieser Erzählstrategie des Evangeliums: „Über das Leben Jesu zu berichten bedeutet, Gott zu erzählen, ihn vor Augen zu führen und zur Sprache zu bringen. Diese höchst profilierte These ist nicht das Ergebnis einer ,dogmatischen‘ Auslegung, wird sie doch von den Abschiedsreden entschieden be-

von solchen Entwürfen, die von Gen 1 her speziell im Menschen (bzw. seinem Denkvermögen) bildhafte Züge des Göttlichen wiedererkennen. 108 Vgl. 12,45. 109 Die (notwendige) Paradoxie in den Aussagen Jesu über sein Verhältnis zum Vater zwischen Gleichheit und Einheit einerseits und Unterordnung und Abhängigkeit andererseits (vgl. 5,19; 7,16; 10,29; 14,28b), die an den meisten der genannten Stellen unmittelbar nebeneinander stehen, hat C.K. BARRETT, Das Evangelium nach Johannes, KEK.S, Göttingen 1990 [= The Gospel According to St. John. An Introduction with Commentary and Notes on the Greek Text, New York 1955], 107, auf den Punkt gebracht: „Da Jesus Christus (nicht sich selbst, sondern) den Vater offenbart, ist der Vater größer als er. Da jedoch Jesus zu sehen heißt, den Vater zu sehen (14,9), ist er eins mit dem Vater (10,30) und ihm gleich (5,18).“ 110 Nach BULTMANN, Komm., 470, ist es die Torheit des Philippus, dass er „über die Offenbarung hinaus eine direkte Schau Gottes“ begehrte. Er habe begehrt, wie Johannes Chrysostomos es ausgedrückt hat (In Io. hom. 74,1), τοῖς τοῦ σώµατος ὀφθαλµοῖς zu sehen. Deshalb diskutiert Bultmann die Frage, gegen welche Form des Sehens der Evangelist polemisiere: gegen ein krud-körperliches Verständnis (so WREDE, Das Messiasgeheimnis in den Evangelien. Zugleich ein Beitrag zum Verständnis des Markusevangeliums, Göttingen 1901, 190), gegen eine Schau im Sinne einer Theophanie, der Epoptie der Mysterien, oder einer philosophischen Theoria (BULTMANN, Komm., 470 Anm. 4).

1.5 Christologie als Theologie

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stätigt […] Die literarische Gattung Evangelium erhält hier ihre treffendste theologische Rechtfertigung.“111 Philippus darf durchaus mit den Augen des Körpers sehen, das entspricht dem mit dem Gedanken der Fleischwerdung gegebenen Element der Theophanie in der Geschichte Jesu. Dem Philippus wird sein Ansinnen ebenso wenig verwehrt wie vorher Martha und später Thomas: er darf tatsächlich den Vater sehen – eine bemerkenswerte Aussage vor dem Hintergrund des ablehnenden Bescheids, den Mose auf dem Sinai von Gott erhalten hatte! Aber Philippus will diese unglaublich einfache Aussage Jesu nicht verstehen. Er verschließt seine Augen ihr gegenüber, weil er mehr erwartet, wo es mehr doch gar nicht geben kann: Jesus ist die praesentia dei in Person. Das Problem des δεῖξον liegt also nicht in der Visualität, sondern darin, dass jedes „Zeigen“ von Jesus wegweisen würde.112 Das Problem hat sich gegenüber der Moseerzählung ebenso verlagert wie gegenüber der negativen Theologie Philons: Nicht, dass Gott nicht gesehen werden könnte oder dürfte, ist das Problem. Vielmehr hat Philippus ihn längst gesehen, aber nicht als solchen erkannt. Dass es sich hier nicht um das Problem oder die Korrektur von Einzelpersonen handelt, sondern um eine hermeneutische Aussage, die über den Jüngerkreis und den Erzählkontext hinaus an die Gemeinde gerichtet ist, macht der Evangelist in der anschließenden Aufforderung Jesu schon durch den Plural deutlich: πιστεύετέ µοι ὅτι ἐγὼ ἐν τῷ πατρὶ καὶ ὁ πατὴρ ἐν ἐµοί· εἰ δὲ µή, διὰ τὰ ἔργα αὐτὰ πιστεύετε.

Glaubt mir, dass ich im Vater bin und der Vater in mir. Wenn ihr meinen Aussagen aber nicht glauben könnt, dann glaubt aufgrund der Werke selbst!

(14,11)

Wiederum ist die ästhetische ,Pädagogik‘113 des johanneischen Jesus bemerkenswert, die sich in dem εἰ δὲ µή ausdrückt: Gegenüber dem Glauben an die Botschaft allein eröffnet Jesus hier – ähnlich wie schon einleitend gegenüber Nathanael in 1,50f. und später gegenüber Thomas – einen zweiten Weg: die Begegnung mit seinen Werken.114 Entscheidend ist für den johanneischen Jesus, die Menschen auf den Weg zum Glauben zu bringen, der Leben schafft. Allein die Botschaft vermag schon im Jüngerkreis den Glauben nicht ohne 111

ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung, 51. Vgl. THYEN, Komm., 624f., mit Verweis auf H.-J. IWAND, Predigtmeditationen, Göttingen 41984, 644f. 113 R. ZIMMERMANN rückt in verschiedenen Publikationen den ästhetischen Charakter der Christologie ins Zentrum (vgl. bes. „Du wirst noch Größeres sehen …“ [Joh 1,50]. Zur Ästhetik der Christusbilder im Johannesevangelium – Eine Skizze, in: J. Frey u.a. [Hgg.], Metaphorik und Christologie, TBT 120, Berlin u.a. 2003, 93-110), J. ZUMSTEIN spricht von einer „Strategie des Glaubens“ (Kreative Erinnerung, 31-45). 114 Vgl. bes. 10,38 sowie 5,20.36; 9,3f.; 10,32. 112

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weiteres zu bewirken.115 Glauben braucht einen Anhalt in der Erfahrung.116 Deshalb verweist Jesus auf seine Taten, die die Taten des Vaters sind und so die heil- und lebenstiftende Kraft des Vaters spürbar machen. Körperliche Wahrnehmung als Weg zur Erkenntnis des Vaters kennzeichnet verschiedene Erzählungen des Evangeliums: von der Hochzeit in Kana über die Heilung des Blindgeborenen bis zur Auferweckung des Lazarus und zuletzt der Thomaserzählung. Der Hinweis auf die Werke (ἔργα), die den Glauben schaffen sollen, ist somit im literarischen Zusammenhang als Hinweis auf die σηµεῖα zu verstehen und wird entsprechend im ersten Buchschluss (Joh 20,30f.) noch einmal unterstrichen. „Gerade das auf den ersten Blick so ,spiritualistisch‘ erscheinende Johannesevangelium betont somit die irdische Konkretheit der Offenbarung, was für seine Christologie und Pneumatologie von erheblicher Bedeutung ist.“117 Ist dem uneingeschränkt zuzustimmen, so bedeutet doch die Konzentration auf die Christologie, die von R. Bultmann herkommt und von H. Conzelmann am Beginn des Teils zur johanneischen Christologie in seinem „Grundriß der Theologie des Neuen Testaments“ aufgegriffen wurde118, eine Engführung, der die Gotteslehre (im Sinne der Lehre von Gott dem Vater) noch hinzuzufügen wäre. Denn die Erzählung von Jesus zielt, wie aus 14,6-11 in besonderer Weise deutlich wird, immer zugleich darauf, in der Person Christi, in seinen Taten und Worten Gott, den Vater, aufscheinen und greifbar werden zu lassen.

1.6 Das soteriologische Ziel: Gotteserkenntnis und Glaube als Quelle von Licht und Leben Der Weg zur Überwindung menschlicher Todesverfallenheit besteht für den vierten Evangelisten in der Erkenntnis Gottes und im Glauben an seine lebenstiftende Kraft, die in der Sendung des Christus in die Welt hineingetreten ist und in der Auferstehung Jesu als Geschenk des Lebens den Glaubenden zuteil115 Immer wieder bedarf es im Rahmen der Geschichte mehrerer Anläufe, die Jünger, die doch schon glauben, zum vollen Verständnis zu führen, immer wieder sprechen die Jünger Bekenntnisse, deren Vorläufigkeit im Blick auf die eigene Glaubenshaltung erzählerisch vorgeführt wird. Neben der Philippusgeschichte ist dies besonders deutlich und vieldiskutiert in der Haltung der Martha (vgl. u. 236-245), und bei der Thomasepisode (vgl. u. Kap. 4). Man fühlt sich in diesem „schon jetzt und noch nicht“ an Mk 9,24 erinnert: „Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben.“ 116 Vgl. schon den Titel des Kommentars von KELLY/MOLONEY: Experiencing God in the Gospel of John. 117 HAHN, Sehen und Glauben, 136. 118 H. CONZELMANN, Grundriß der Theologie des Neuen Testaments, Tübingen 61997, 373.

1.6 Das soteriologische Ziel

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geworden ist. „Dies ist das ewige Leben, dass sie dich, den einzig wahren Gott erkennen, und den du gesandt hast: Jesus Christus“ (17,3); „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: wer mein Wort hört und dem glaubt, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht ins Gericht, sondern ist schon vom Tod ins Leben hinübergeschritten“ (5,24119). Gotteserkenntnis und Heil werden, wie im Folgenden ausgeführt werden soll, im Johannesevangelium in der körperlich-sinnlichen Begegnung mit Jesus als dem fleischgewordenen göttlichen Logos im Sinne der Überwindung des Todes zusammengeführt. Sinnliche Wahrnehmungen befördern lebenstiftenden Glauben, ja sie begründen ihn sogar, insofern nur über sie das Zeugnis von der geschichtlichen Offenbarung aufgenommen werden kann. Die erkenntnistheoretische Problematik ist damit in eine soteriologische eingeordnet. Die Gotteswahrnehmung in Jesus Christus führt zu Erkenntnis und Glauben, und dieser wiederum bedeutet die Gabe des Lebens.120 Die Möglichkeit zu dieser heilschaffenden Erkenntnis ist unmittelbar an den Gedanken der Fleischwerdung des göttlichen Logos gebunden: „Revelation arises from within the structures and shape of human experience and materiality (sarx). … Only now, because God has taken on flesh, can all flesh disclose the glory of God. What is at stake is the reality of salvation.“121 Dieser Zusammenhang zwischen Erkenntnis und Heil bzw. Leben wird in hellenistisch-jüdischen und paganen philosophisch-religiösen Texten der frühen Kaiserzeit ebenso wie im Johannesevangelium hergestellt.122 Freilich setzt dieser Erkenntnisweg als Heilsweg eine individuelle Annahme, ein Für-wahrNehmen voraus, ohne das der Mensch trotz des in der Welt scheinenden, Leben vermittelnden Lichts in Dunkelheit und Tod verbliebe.123 Das Thema der heilbringenden Erkenntnis der Lebenskraft Gottes in seinem Sohn wird verschiedentlich aufgegriffen124 und in der im Blick auf den Aufbau

119

Vgl. 20,31. Vgl. 1,4; 3,16; 4,10-14; 5,21.24-29.37-39; 6,27.33.35.39f.48.54-58 u.ö. Freilich kommt auch die Sündenverfallenheit des Menschen zu Wort, so in dem Täuferwort 1,29.35. Die Verbindung von Gotteswahrnehmung, Erkenntnis und Lebensgabe findet sich im Neuen Testament nicht nur im Johannesevangelium, sondern auch in 1Joh, 1Kor, 1Tim 6,13-16 (vgl. zum unsichtbaren Wesen Gottes 1,17). 121 LEE, Flesh and Glory, 36. 122 Die Verbindung kommt (negativ gewendet) sehr klar im Titel von CH VII zum Ausdruck: „Das größte Unglück unter den Menschen ist die Unkenntnis über Gott.“ Zum Thema der Soteriologie bei Johannes vgl. J. VAN DER WATT, Salvation in the Gospel according to John, in: ders. (Hg.), Salvation in the New Testament. Perspectives on Soteriology, Leiden 2005, 101-131, hier 108-119. 123 Vgl. Joh 1,5.9-13. 124 Vgl. 8,12; 11,25; 14,6; 20,30f. und die Ich-bin-Worte insgesamt. 120

58

Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

des Evangeliums zentralen Erzählung von der Auferweckung des Lazarus erzählerisch umgesetzt.125

1.7 Hintergrund: Der religions- und geistesgeschichtliche Horizont der Frage nach der Wahrnehmbarkeit Gottes und die Wendung zur religiösen Ästhetik Die programmatische Bedeutung der dargestellten Problemstellung in Joh 1,18a sowie des angebotenen Lösungsansatzes in 1,18b im Sinne einer inkarnatorisch grundgelegten religiösen Ästhetik erhält vor dem Hintergrund von Überlegungen zur Wahrnehmbarkeit und Erkennbarkeit Gottes in der alttestamentlichjüdischen wie in der pagan-religiösen Welt ein geschärftes Profil.126 1.7.1 Das numinos-kultische Verbot, Gott zu sehen Der Wunsch, Gott unmittelbar zu sehen, um sich auf diese Weise seiner zu vergewissern und zu ihm in Beziehung zu treten, wird in der alttestamentlichjüdischen wie in der griechisch-mythologischen Tradition in je eigener Weise laut. Moses bittet Gott am Sinai: „Lass mich deine Herrlichkeit sehen“ (Ex 33,18)127; Semele, die Geliebte des menschengestaltigen Zeus, möchte den Gott in seiner ganzen Größe und Pracht spüren, um auf diese Weise den Beweis dafür zu erlangen, dass es tatsächlich der Gott ist, der sie umfangen hält.128 Die Möglichkeit, dass der Mensch Gott sehen oder allgemein sinnlich wahrnehmen könnte, ist an beiden Stellen vorausgesetzt.129 Hier geht es also nicht um das Problem der mangelnden Fähigkeit des Menschen, Gott wahrzunehmen. Solche Wahrnehmung ist ihm vielmehr verwehrt, da er vor dem Anblick nicht bestehen könnte und zugrunde gehen müsste. Es ist die Natur des Göttlichen selbst, seine numinose Macht und Heiligkeit, seine für den sterblichen Menschen vernichtende Kraft, die eine unmittelbare Berührung nicht

125

Zu 11,1–12,11 mit dem Ich-bin-Wort 11,25 vgl. u. Kap. 3, bes. 221-231.234. Vgl. BULTMANN, θεόν. 127 καὶ λέγει δεῖξόν µοι τὴν σεαυτοῦ δόξαν (‫ֹאמר ה ְַראֵ ֥ נִי ָנ֖א ֶאת־כְּב ֶֹדָֽך‬ ֑ ַ ‫)וַיּ‬. Zum Sehen im Alten Testament vgl. H.-F. FUHS, Sehen und Schauen. Die Wurzel ‫ חזה‬im Alten Orient und im Alten Testament, FzB 32, Würzburg 1978. 128 Ovid Met. III 280-295. Bei dem – durch die eifersüchtige Iuno eingeflüsterten – Ansinnen klingt etwas Frevelhaftes an. 129 Vgl. BULTMANN, θεόν, 176.181.183. Die Möglichkeit wird in Ex 24,9-11 (Moses steigt mit einigen Männern auf den Berg Sinai, wo sie Gott sehen) ganz selbstverständlich vorausgesetzt. Offenbar hat sich hier noch eine ältere Vorstellung bewahrt. 126

1.7 Hintergrund

59

zulässt.130 So antwortet Gott selbst dem Mose: „Mein Angesicht kannst du nicht sehen; denn kein Mensch wird leben, der mich sieht“ (Ex 33,20).131 Deshalb hält Gott, als er vorbeizieht, schützend seine Hand über Mose – lediglich hinterherschauen darf er ihm (Ex 33,22f.). Die verzehrende Kraft des Göttlichen erfährt Semele: Im Unterschied zum Gott des Mose gewährt Zeus, gebunden durch einen zuvor geleisteten Eid, der Geliebten schweren Herzens die Bitte – und vernichtet sie mit dem Strahl seiner göttlichen Macht.132 Die Kraft der Heiligkeit Gottes, der gegenüber der Mensch nicht bestehen kann, wird im Alten Testament mit dem Gedanken der Sündhaftigkeit und mangelnden Reinheit des Menschen verbunden. Selbst in der visionären Schau des Propheten ist das Thema der vernichtenden Machtfülle Gottes gegenüber dem unreinen, vergänglichen Menschen präsent. So heißt es in der Berufungsvision Jesajas: „Weh mir, ich vergehe. Denn ich bin unreiner Lippen und wohne unter einem Volk von unreinen Lippen; denn ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen“ (Jes 6,5).133 „Er weiß, dass er als Sünder vor Gott verloren ist. Ihm und den Zeitgenossen war gewiss: Kein Mensch überlebt die Gottesschau.“134 Selbst in der prophetischen Vision135

130

Vgl. DOHMEN, Aspekte der Gottesschau, 32, sowie Ex 19,12; bei der Epiphanie Gottes darf niemand, weder Mensch noch Tier, den Berg berühren: „Und zieh eine Grenze um das Volk und sprich zu ihnen: Hütet euch, auf den Berg zu steigen oder seinen Fuß anzurühren; denn wer den Berg anrührt, der soll des Todes sterben.“ Indes kann man Gott, wie vielfach geschildert wird im Alten Testament, problemlos hören. Im Johannesevangelium aber ist selbst das Hören in der Rezeption gebrochen: als in Joh 12,28-30 die Stimme Gottes vom Himmel erschallt, halten manche dies für einen Donner. Zur Unmöglichkeit, Gott zu sehen und zur visio Dei als eschatologischer Hoffnung vgl. die Belegstellen bei STRBILL I, 207-215 (zu Mt 5,8). 131 Vgl. Ex 3,6; 19,21; Ri 6,22f. 13,22; Jes 6,5; 1Kön 19,13; Num 4,20. Von der Gefahr der unmittelbaren Begegnung erzählt auch Jakobs Kampf am Jabbok, insbesondere Gen 32,31: „Und Jakob nannte die Stätte Pnuël; denn, sprach er, ich habe Gott von Angesicht gesehen, und doch wurde mein Leben gerettet.“ Mit dieser Stelle begründet Philon immer wieder die offenbarungstheologische Sonderstellung Israels (als des ὁρῶν θεόν). 132 Ovid Met. III 287-309; Luk. Dial. deor. XII 2 (µετὰ βροντῶν καὶ ἀστραπῶν ἥκειν παρ’ αὐτήν). Vgl. Eur. Bacch. 6-9.571-574; Nonnos Dionys. I 1-3. 133 Jesaja bedarf ebenso des Schutzes (durch die Seraphim) wie Moses am Sinai. Vgl. auch die Gottesbegegnung Elias am Horeb. Nachdem sich Gott weder im Sturmwind, noch im Erdbeben und im Feuer, sondern schließlich in einem stillen, sanften Sausen genähert hatte, tritt Elia in den Eingang seiner Höhle, nicht ohne sich zuvor das Antlitz verhüllt zu haben (1Kön 19,11-13). Elia spricht unmittelbar mit Gott, sehen indes darf er ihn nicht. 134 O. KAISER, Der Prophet Jesaja, Kap. 1-12, ATD 17, Göttingen 1960, 58. KLAUCK, 1. Johannesbrief, 182 stellt den Zusammenhang zu Joh 1,18 unmittelbar her: „Die Stellungnahme des AT zur Frage der Gottesschau kann man zusammenfassen mit einem Wort aus dem Johannesevangelium: ,Niemand hat Gott je gesehen‘ (Joh 1,18).“ Vgl. W.W. GRAF BAUDISSIN, „Gott schauen“ in der alttestamentlichen Religion, ARW 18 (1915), 173-239.

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bleibt die Begegnung mit dem Göttlichen für die Menschen gefährlich136, und sogar die Seraphim bedecken ihr Angesicht mit ihren Flügeln (Jes 6,2). 1.7.2 Das theologische Verbot, Gott sichtbar zu machen Neben diesem numinos-kultisch begründeten Verbot, Gott zu sehen, steht im Alten Testament das theologische Verbot des Versuches, Gott durch Abbildungen sichtbar, greifbar zu machen und auf diese Weise zu verendlichen: „Du sollst dir kein Bildnis machen!“137 Sicherlich nicht zufällig stehen dieses Verbot und die Geschichte von seiner Übertretung bei der Schaffung des Goldenen Kalbes (Ex 32) in einem Erzählzusammenhang mit derjenigen von der Bitte des Moses, Gott zu sehen. Der Gott Israels lässt sich nicht sehen, sondern hören. Er spricht durch seine Boten, die sein Wort weitergeben: Moses, Jesaja und insgesamt die Propheten als von Gott Gesandte und Beauftragte. 1.7.3 Die Unfähigkeit der menschlichen Sinne, zu Gott vorzudringen Wenden wir uns dem Johannesevangelium zu, so fällt auf, dass das vierte Evangelium als Grund der Unmöglichkeit, Gott unmittelbar zu begegnen, nicht die Gefahr der Vernichtung benennt. Auch um die Gefahr einer unangemessenen Verendlichung Gottes ist es dem Evangelisten nicht zu tun. Vielmehr nimmt das Evangelium seinen Ausgangspunkt anthropologisch von der Unfähigkeit der menschlichen Sinne, zu Gott vorzudringen: Der Mensch kann Gott nicht sehen bzw. allgemein körperlich wahrnehmen.138 Mit der Frage nach der Erkennbarkeit der transzendenten göttlichen Realität unter den Bedingungen der körperlichen Welt greift das vierte Evangelium ein Thema auf, das die zeitgenössische religiös-philosophische Diskussion beschäftigte. Insbesondere 135 Vgl. E. FASCHER, Deus invisibilis. Eine Studie zur biblischen Gottesvorstellung, MThSt 1 (1931), 41-77, hier 41. 136 Freilich kennt das Alte Testament auch gegenläufige Aussagen, in denen ganz unbefangen von einem unmittelbaren Sehen Gottes die Rede ist. Gott redet mit Moses von Angesicht zu Angesicht (Ex 33,11 u.ö.). Von der ungebrochenen Schau des Mose redet Num 12,8 LXX: στόµα κατὰ στόµα λαλήσω αὐτῷ ἐν εἴδει καὶ οὐ δι᾿ αἰνιγµάτων καὶ τὴν δόξαν κυρίου εἶδεν . In Ex 24,9-11 zeigt sich Gott nicht nur dem Mose selbst, sondern auch den siebzig Ältesten, die ihn begleiten (vgl. Dtn 5,4). Zum Problem der Wahrnehmbarkeit Gottes im Alten Testament vgl. J.M. VINCENT, Das Auge hört. Die Erfahrbarkeit Gottes im Alten Testament, BThSt 34, Neukirchen-Vluyn 1998. Dies enstpricht dem selbstverständlichen Umgang der Götter des Epos (nicht allgemein den mythischen Göttern!) mit den Menschen. 137 Vgl. Ex 20,4; Dtn 4,16-18.23; 5,8f.; Jes 40,12-25; 46,5-9. Mit der Verendlichung des Schöpfers und Herrn der Welt geht jeweils eine „Divinisierung weltlicher Phänomene“ einher; vgl. FELDMEIER, Der unsichtbare Gott, 313. 138 Vgl. 1Tim 6,16: „Kein Mensch hat Gott je gesehen noch kann ihn jemals sehen“ (δύναται). Demgegenüber hebt Joh 3,3 mit dem Konditionalsatz die prinzipielle Grenze faktisch auf: ἐὰν µή τις γεννηθῇ ἄνωθεν, οὐ δύναται ἰδεῖν τὴν βασιλείαν τοῦ θεοῦ.

1.7 Hintergrund

61

in der platonischen Tradition, an der das hellenistische Judentum partizipiert und damit auch dem frühchristlichen Denken in vielfältiger Weise den Weg bereitet, erscheint die prinzipielle Unfähigkeit der menschlichen Sinne, zum Wesen der göttlichen Wahrheit vorzudringen, als Problem jeglicher sicheren Erkenntnis – und damit auch des Gottesverhältnisses.139 Dies gilt im Bereich des jüdischen Platonismus (insbesondere bei Philon von Alexandria140) ebenso wie im pagan-religiösen Teil des kaiserzeitlichen Platonismus141, wie er im 1./2. Jahrhundert insbesondere bei Plutarch greifbar ist.142 Die Frage ist auf der Grundlage einer platonischen Ontologie und Erkenntnistheorie besonders drängend, in der die transzendente Ideensphäre als das einzig wahre Sein und als Urgrund der Wahrheit der körperlichen Welt von Werden und Vergehen gegenübersteht.143 Der ontologische Gegensatz zwischen Transzendenz und 139 Zum Platonismus der Kaiserzeit nach wie vor grundlegend: J. DILLON, The Middle Platonists. A Study of Platonism 80 B.C. to A.D. 220, London 21996. 140 Vgl. H.A. WOLFSON, Philo. Foundations of Religious Philosophy in Judaism, Christianity, and Islam, Cambridge ²1948; Bd.1, 3-86; Bd. 2, 94-126; D. RUNIA, The Beginnings of the End. Philo of Alexandria and Hellenistic Theology, in: D. Frede/A. Laks (Hgg.), Traditions of Theology. Studies in Hellenistic Theology, its Background and Aftermath, Leiden u.a. 2002, 281-316; A.L. MONTES-PERAL, Akataleptos theos. Der unfassbare Gott, ALGHJ 16, Leiden u.a., 1987. 141 ‚Pagan‘ wird hier wertneutral verwendet im Sinne einer religiösen Verortung außerhalb von Judentum und Christentum. Die oft verwendete Kategorie ‚griechisch-römische Religiosität‘ erscheint nicht unproblematisch: Unabhängig davon, ob damit eine sprachliche, eine lokale oder geistesgeschichtliche Differenzierung vorgenommen werden soll, lässt sich das frühe Christentum ebenso wenig wie das hellenistische Judentum klar abgrenzen. ‚Paganreligiös‘ verwende ich, um deutlich zu machen, dass es mir auch in diesem Bereich nicht um eine areligiös-philosophische Gruppierung geht, sondern um einen Platonismus, der auch im paganen Bereich fest in der religiösen Tradition verwurzelt ist. G.E. Sterling benennt in den ersten beiden Jahrhunderten eine Gruppe von „philosophers who read sacred oriental traditions through the lenses of occidental philosophies by means of allegorical exegesis“ (G.E. STERLING, Platonizing Moses. Philo and Middle Platonism, SPhA 5 [1993], 96-111, hier 99). 142 Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD (HG.), Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder, RGVV 54, Berlin u.a. 2005; ders., Art. „Plutarch“, RAC 27 (2016), 1010-1038; ders., Viele Bilder – ein Gott. Plutarchs polylatrischer Monotheismus, in: N. Hömke/G.F. Chiai/A. Jenik (Hgg.), Bilder von dem Einen Gott. Die Rhetorik in monotheistischen Gottesdarstellungen der Spätantike, Philologus Supplemente 6, Berlin/Boston 2016, 43-68; J. WHITTAKER, Plutarch, Platonism and Christianity, in: H.J. Blumenthal/R.A. Markus (Hgg.), Neoplatonism and Early Christian Thought (FS A.H. Armstrong), London 1981, 50-63; F.E. BRENK, Plutarch, Judaism and Christianity, in: ders. (Hg.), With Unperfumed Voice. Studies in Plutarch, in Greek Language, Religion and Philosophy, and in the New Testament Background, PAwB 21, Stuttgart 2007, 100-120. 143 Vielleicht ist es sogar jenseits des Seins (ἐπέκεινα τῆς οὐσίας) angesiedelt, wie es Platon in der Republica (VI 509b) über die Idee des Guten sagt. Die Formulierung wird in der platonischen Tradition vielfach wiederholt.

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Immanenz, zwischen einer Welt des Seins und einer Welt des Werdens und Vergehens, zwischen geistiger Erkenntnisweise und körperlicher Wahrnehmungsweise, schlägt sich erkenntnistheoretisch nieder.144 Aus der ontologischen Scheidung zwischen intelligibler und phänomenaler Welt folgt erkenntnistheoretisch die grundsätzliche Unmöglichkeit, mittels der auf Wahrnehmung der phänomenalen Welt bezogenen Sinne über bloße Meinungen (δόξαι) hinaus zur Erkenntnis der Seinsgründe, der Wahrheit, vorzudringen. Allenfalls ein Abbild und einen Schattenriss der dahinterstehenden wahren Welt erreichen die Wahrnehmungsorgane.145 Die radikale Skepsis, die sich daraus ergibt, traf in besonderer Weise die Wahrnehmbarkeit und Erkennbarkeit des Göttlichen unter den Bedingungen der Welt. Wenn der Mensch mit seinem Körper der Sphäre der Erscheinungen zugehört, Gott aber – um dem Postulat der Ewigkeit und Unvergänglichkeit zu entsprechen – notwendig unkörperlich und somit jeglicher sinnlichen Wahrnehmung, die sich nur auf Körperliches bezieht, enthoben sein muss146, kann das Göttliche dann von Menschen überhaupt wahrgenommen und erkannt werden, und wenn ja, wie ist dies zu denken, ohne das Postulat der Transzendenz und Unkörperlichkeit Gottes zu verletzten? Wie lassen sich sinnvoll Aussagen über Gott treffen?147 Wie, so wird die später stärker soteriologisch gewendete Frage lauten, soll der Mensch zu Heil und Leben finden, wenn ihm der Zugang zum Göttlichen verwehrt ist? Denn dieser religiös-philosophischen Tradition gilt es, wie wir gesehen haben, als ausgemacht, dass ein Zugang zum Heil nicht allein über kultische Vermittlung geschehen kann, sondern über eine verstehende Annäherung angestrebt werden muss, die zur ὁµοίωσις θεῷ führt.

144

τὸν µὲν οὖν ποιητὴν καὶ πατέρα τοῦδε τοῦ παντὸς εὑρεῖν τε ἔργον καὶ εὑρόντα εἰς πάντας ἀδύνατον λέγειν (Plat. Tim. 28c). Zur Rolle akademisch-skeptischer Traditionen im zeitgenössischen Platonismus vgl. J. OPSOMER, In Search of the Truth. Academic Tendencies in Middle Platonism, Brüssel 1998. 145 Der locus classicus für die Behandlung dieses Problems ist freilich Platons Höhlengleichnis in der Republica. 146 Dies wird in besonderer Klarheit in der Rede des Ammonios am Ende von Plutarchs Dialog De E apud Delphos formuliert (vgl. u. 72), aber auch in der negativen Theologie Philons (vgl. etwa die in Gegensatz zum griechischen Gedanken einer Erkenntnis des Schöpfers aus seinen Werken gestellte Auslegung Philons zu Ex 33 in Leg. All. III 95-103). Grundlegend ist der Gedanke der Inkompatibilität des Göttlichen mit jeglicher menschlichen Vorstellung bereits bei Xenophanes formuliert: „Ein Gott ist bei den Göttern und Menschen der Höchste, Sterblichen nicht an Gestalt und nicht an Gedanken vergleichbar“ (εἷς θεὸϛ ἔν τε θεοῖσι καὶ ἀνθρώποισι µέγιστος, οὔ τι δέµας θνητοῖσιν ὁµοίιοϛ οὐδὲ νόηµα; DK 21 B 23). 147 In den Bereich dieser Debatte, die E. NORDEN aufarbeitet (Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Darmstadt 41956), gehört auch die Areopagrede Apg 17 sowie Röm 1 mit der Frage nach der Erkennbarkeit Gottes aus der Welt, die denen keine Entschuldigung lässt, die behaupten, Gott nicht zu kennen.

1.7 Hintergrund

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Eine wesentliche Voraussetzung dieser Debatte ist eine zunehmende Theologisierung der Prinzipienfrage, die sich nicht nur im hellenistischen Judentum, sondern auch im pagan-religiösen Bereich findet148 und die durch philosophische Auseinandersetzung mit Überlieferungen der religiösen Tradition in der frühen Kaiserzeit weiter Vorschub erhielt. Diese religiös-philosophische Debatte hat C.H. Dodd in besonderer Klarheit als Hintergrund des Johannesevangeliums analysiert, wobei er von zentralen Konzepten des Evangeliums ausging. Dodd vertrat einen Zusammenhang zwischen der Darstellungsweise des Johannesevangeliums und platonischer Ontologie: „To a writer with the philosophical presuppositions of the evangelist there is no reason why a narrative should not be at the same time factually true and symbolic of a deeper truth, since things and events in this world derive what reality they possess from the eternal Ideas they embody.“149

Dodds Analyse des platonischen Einflusses auf die Darstellungsweise des vierten Evangeliums bleibt grundlegend, auch wenn seine Interpretation unmittelbar im Rahmen der platonischen Ideenlehre zu Recht kritisiert wurde150: Eine apersonale Ideenwelt nämlich ist dem Johannesevangelium ebenso fremd wie eine grundsätzliche Abwertung der körperlichen Welt als Sphäre des bloßen Scheins.151 Wenn R. Schnackenburg allerdings in einer Gegenbewegung 148

Deutlich tritt der Gottesgedanke in der pseudoaristotelischen Schrift De mundo (J. THOM U.A. [HGG.], Cosmic Order and Divine Power. Pseudo-Aristotle On the Cosmos, hg., eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 23, Tübingen 2014; dort bes. ders., „The Cosmotheology of De mundo“, 107-120), bei Eudoros (M. BONAZZI, Eudoro di Alessandria alle origini del platonismo imperiale, in: ders./V. Celluprica [Hgg.], L’eredità platonica. Studi sul platonismo da Arcesilao a Proclo, Neapel 2005, 115-160), bei Cicero in De natura deorum und später im Corpus Hermeticum hervor (vgl. weiter die verschiedenen Beiträge in FREDE/LAKS, Traditions of Theology). Diese Wendung von der philosophischen Rede von der Ideenwelt hin zur Theologie wird von den Mittelplatonikern, insbesondere von Plutarch übernommen. Ob Plutarch damit als Erbe einer (alexandrinischen?) Traditionslinie zu betrachten ist, in die wesentlich auch jüdische Gedanken eingeflossen sind, bedürfte noch ausführlicher Untersuchungen (vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Der eine Gott bei Philon von Alexandrien und Plutarch, in: ders., Gott und die Götter, 141-167). 149 DODD, Interpretation, 142f. Vgl. W. HEITMÜLLER, Das Johannes-Evangelium, in: W. Bousset/W. Heitmüller (Hgg.), Das Johannes-Evangelium, die Johannes-Briefe und die Offenbarung des Johannes, SNT 4, Göttingen 31918, 9-184, hier 58. 150 Immerhin schränkt Dodd selbst im Blick auf die historische Verortung des platonischen Einflusses ein: „I do not suggest that the evangelist had direct acquaintance with the Platonic doctrine of Ideas; but there is ample evidence that in thoughtful religious circles at the time, and circles with which Johannine thought has demonstrable affinities, that doctrine had entered into the texture of thought“ (DODD, Interpretation, 139). 151 Hier unterscheidet sich das Johannesevangelium signifikant von Philon; vgl. D. HAGNER, The Vision of God in Philo and John, JETS 14 (1971), 81-93, hier 84.

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zur hellenistischen Akzentuierung bei Dodd davor warnt, den „Symbolcharakter“ des Evangeliums „sogleich von einem (platonisierenden) Bilddenken her zu deuten“152, und die Darstellungsweise dagegen im „biblischen, messianischen Denken verwurzelt“ sehen will153, so wird damit eine Alternative zwischen „griechischem“ und „biblischem“ Denken aufgemacht, die in jüngerer Zeit mehr und mehr als problematisch erkannt wird.154 Dodds Analyse kommt indes gerade dann zu besonderer Strahlkraft, wenn man nicht mehr Platon zum Referenzpunkt nimmt, wie er selbst das tat, sondern den zeitgenössischen religiös-philosophischen Platonismus, in den jüdische Elemente längst eingeflossen sind.155 152

Ähnlich P. BORGEN, Hellenism, 98. SCHNACKENBURG, Komm. I, 350 (Hervorhebung R.S.). 154 T. Engberg-Pedersen prägte für die damit aufgemachte, seines Erachtens aber zu überwindende Dichotomie den Begriff „Judaism/Hellenism-divide“ (ENGBERG-PEDERSEN, Judaism/Hellenism Divide). Dieser verbindet sich im Blick auf das Johannesevangelium in ungünstiger Weise mit einem „religion/philosophy-divide“: Man meint die Begriffe und Denkfiguren des Evangeliums klar der einen oder der anderen Seite zuschlagen zu müssen. 155 Hierzu vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Die religiös-philosophische Literatur der frühen Kaiserzeit und das Neue Testament, in: ders., Religiöse Philosophie, 117-146, hier bes. 124-135; ders., Klartext, 61-63. Die Kritik, die ENGBERG-PEDERSEN, John and Philosophy, 441-444, an meiner Rekonstruktion platonischer Hintergründe des Evangeliums äußert, geht eben deshalb ins Leere, weil sie die Hinwendung zu einer positiveren erkenntnistheoretischen Bewertung der körperlichen Welt und der Sinne im zeitgenössischen Platonismus, von dem ich ausgehe, nicht hinreichend berücksichtigt. ENGBERG-PEDERSEN bestreitet zwar grundsätzlich den Wert bildhaft-symbolischer Interpretationen nicht, fordert aber, einen „quite substantial degree of concreteness“ in der Darstellung des Evangelisten anzuerkennen (ders., Logos and Pneuma in the Fourth Gospel, in: D.E. Aune/F.E. Brenk [Hgg.], Greco-Roman Culture and the New Testament, Supplements to Novum Testamentum 143, Leiden 2012, 2748, hier 30). Dies liegt ganz offensichtlich in der Linie des vorliegenden Entwurfs. Indes geht es mir darum, den aus meiner Sicht problematischen Gegensatz von Bildhaftigkeit und körperlicher Konkretheit zu überwinden. Eben darin liegt das Programm des kaiserzeitlichen religiösen Platonismus, wie ich hier und in früheren Publikationen zu zeigen versucht habe (und dies ist der Grund, weshalb m.E. dem mittelplatonischen gegenüber dem stoischen Denken zum Verständnis des Johannesevangeliums ein deutlich höherer Erkenntniswert als heuristischem System zukommt): das Bild kann nur deshalb das Abgebildete sichtbar machen, weil es den göttlichen Logos tatsächlich abbildet. Hier ist aber zugleich die dividing line zwischen einer platonischen und einer stoischen Sicht, die sich gerade am Verständnis von πνεῦµα exemplifizieren lässt (vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, The Dividing Line. Theological/ Religious Arguments in Plutarch’s Anti-Stoic Polemics, in: J. Opsomer u.a. [Hgg.], A Versatile Gentleman. Consistency in Plutarch’s Writings [FS L. Van der Stockt], Plutarchea Hypomnemata, Leuven 2016, 17-36, hier 27-30): die mittelplatonische Position wehrt sich vehement gegen die Gefahr, das Göttliche oder Gott in die Elemente der phänomenalen Welt aufzulösen. Das Johannesevangelium geht in der Rolle, die es dem fleischgewordenen Logos zuweist, mit dem Gedanken des Eintritts ins Werden über diese mittelplatonische Position hinaus (vgl. o. 37f.) – aber es kommt keineswegs bei einer stoischen Position an (zumal der 153

1.7 Hintergrund

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Das Thema der Unfähigkeit des Menschen, Gott zu sehen, wurde freilich auch schon im Alten Testament reflektiert, nämlich im prophetischen Motiv der Verstockung156, das in Joh 12,40157 Aufnahme gefunden hat. Mit den verneinten Verben ‫„( בין‬Einsicht gewinnen“) und ‫„( ידע‬Verständnis erlangen“) ist in Jes 6,9f. diese Unfähigkeit in weisheitlicher Terminologie in den Erkenntniszusammenhang gestellt.158 Mittels des Verstockungsmotivs versucht der Evangelist einem Problem zu begegnen, das wie aus jeder Offenbarungstheologie so insbesondere aus seiner ästhetischen Theologie notwendig erwächst: Wenn doch Gottes Heilswerk offen zu Tage liegt und die Wahrnehmung Glauben hervorruft, wie kann es dann zu Unverständnis und Ablehnung kommen?159 Wir kommen auf dieses Thema sogleich zurück. Zunächst aber ist der jüdische Schriftausleger und platonische Denker Philon von Alexandria zu würdigen, der die platonischen Vorstellungen der absoluten Transzendenz und Unerkennbarkeit Gottes und der daraus sich ergebenden Erkenntnistheorie in ganz eigener Weise mit dem biblischen Bilderverbot verbindet, und sodann das Corpus Hermeticum. 1.7.3.1 Philon von Alexandrien In der hellenistisch-jüdischen Literatur fließen die Aspekte des biblischen Verbots der Verendlichung Gottes und der epistemologischen Einsicht in die Begrenztheit menschlicher Wahrnehmungsfähigkeit ineinander. Dabei wird die philosophische Skepsis gegenüber der Erkenntnisqualität pointiert auf philosophische Aussagen im Blick auf die Gotteserkenntnis zugespitzt. Besonders wichtig ist die Ausprägung im Sinne einer negativen Theologie bei Philon von Alexandria.160 Die skeptische Enthaltung (ἐποχή) von Urteilen bedeutet bei ihm Gedanke des Werdens, des Eintretens ins Sein, auch für den Stoiker notorisch problematisch ist). Der Gedanke der Bildhaftigkeit, wie er im frühkaiserzeitlichen Platonismus entwickelt und m.E. im Johannesevangelium aufgegriffen wird, dient gerade in einer Weiterentwicklung der Epistemologie Platons dazu, an der Unterschiedenheit des Gottes, den keiner je gesehen hat, von der Welt festzuhalten und zugleich seine immanente Wahrnehmbarkeit zu behaupten. 156 Jes 6,9f. 157 Vgl. Mt 13,13-15; Apg 28,26f. Im Zitat in Mk 4,12 dagegen fehlt der explizite Bezug auf die Verstockung. 158 Vgl. H. WILDBERGER, Jesaja 1-12, BKAT X/1, Neukirchen-Vluyn 21980, 257. 159 Dabei zeigt sich auch ein letzter, unaufhebbarer Sprung von der Wahrnehmung zum Erkennen der Wahrheit, der im Johannesevangelium in vielfältiger Weise zum Thema wird. An dieser Stelle wird die Wirkung des πνεῦµα bei Johannes zentral, das die Kluft zwischen Mensch und Gott herstellt. Entscheidend ist dabei, dass der vierte Evangelist πνεῦµα stoisch versteht als Philon (und auch Plutarch). Anders als bei Philon wird das πνεῦµα nicht zu einer Kapazität des Menschen (eingeblasen etwa bei der Geburt; Gen 2,7), durch das sich der Mensch der Wahrheit annähern kann, weil es sich um ein gottanaloges Element handelt. 160 C.H. Dodd hat besonders deutlich die zentrale Bedeutung philonischer Denkmodelle zum Verständnis des Johannesevangeliums herausgehoben. Zu Philons negativer Theologie

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insbesondere eine Enthaltung von jeglichen Aussagen über Gott. Lediglich über seine Existenz, nicht aber über sein Wesen lassen sich Aussagen treffen.161 In Philons radikal negativer Theologie kommt es zu einer Synthese aus dem alttestamentlichen Bilderverbot als dem Versuch, jeder konkret-sinnlichen Vorstellung von Gott einen Riegel vorzuschieben, und einer mit griechisch-philosophischem Vokabular sich ausdrückenden erkenntnistheoretischen Skepsis. Gott lässt sich lediglich über α-privativa als Negation menschlich-irdischer Wirklichkeit aussagen; als der schlechthin Andere, gegenüber der Vergänglichkeit dieser Welt einzig Seiende, als ihr transzendenter, immaterieller Urgrund, steht Gott dieser körperlichen Welt gegenüber. ὁ ἄφθαρτος kann bei Philon geradezu zu einem Gottesprädikat werden.162 Ähnliches gilt für ὁ ἄποιος (ohne bestimmbare Eigenschaften).163 Die meisten übrigen Bildungen mit α-privativa beziehen sich dagegen auf den noetischen Bereich der Ideen; dieser Bereich wird als unkörperlich (ἀσώµατος164) und damit auch jenseits der Wahrnehmbarkeit bezeichnet (ἀόρατος165). vgl. WOLFSON, Philo, 94-126; MONTES-PERAL, Akataleptos theos zeigt insbesondere das Ineinander von Transzendenz- und Immanenzaussagen bei Philon. Zur Theologie Philons allgemein vgl. RUNIA, Beginnings. Zur Frage einer Schau Gottes bzw. der noetischen Welt vgl. G. KUHLMANN, Theologia naturalis bei Philon und bei Paulus, NTF Reihe 1/7, Gütersloh 1930, 20-23. Zur philosophiegeschichtlichen Verortung vgl. H.J. KRÄMER, Der Ursprung der Geistmetaphysik. Untersuchungen zur Geschichte des Platonismus zwischen Platon und Plotin, Amsterdam 1964, 234-291. 161 Vgl. RUNIA, Beginnings. 162 De decal. 41: ὁ ἀγένητος καὶ ἄφθαρτος καὶ ἀίδιος καὶ οὐδενὸς ἐπιδεὴς καὶ ποιητὴς τῶν ὅλων καὶ εὐεργέτης καὶ βασιλεὺς βασιλέων καὶ θέος θεῶν. Leg. All. I 51 kommentiert Philon zu Ex 20,23: δεῖ γὰρ ἡγεῖσθαι καὶ ἄποιον αὐτὸν καὶ ἕνα καὶ ἄφθαρτον καὶ ἄτρεπτον; vgl. Leg. All. I 78; III 31.36; De sacr. 101; Quod deus 26; Her. 15.118.205; De mut. nom. 3; De Jos. 265; vgl. R. FELDMEIER, Der erste Brief des Petrus, ThHK 15/1, Leipzig 2005, 49-52; ders., „Unvergänglichkeit“. Die soteriologische Transformation eines metaphysischen Gottesprädikats bei Paulus, in: ders., Der Höchste, 228-242, hier 238-240 [= Θεὸς ζῳοποιῶν. Die paulinische Rede von der Unvergänglichkeit in ihrem religionsgeschichtlichen Kontext, in: U. Dalferth u.a. (Hgg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre (FS E. Jüngel), Tübingen 2004, 77-91]. ἄφθαρτος ist auch die Natur des Guten, der Tugenden (De Abr. 55) usw. Der Unvergänglichkeit der Welt hat Philon bekanntlich eine eigene Schrift gewidmet (De aeternitate mundi; griechisch: Περὶ ἀφθαρσίας κόσµου; „Von der Unvergänglichkeit der Welt“). 163 Leg. All. I 36.51; III 36; De congr. 61. Leg. All. III 36 redet Philon von der irrigen Meinung, ὅτι ποιός ἐστιν ὁ θεὸς ὡς καὶ τὰ γλυπτὰ ὁ ἄποιος, ὅτι φθαρτὸς ὡς τὰ χωνευτὰ ὁ ἄφθαρτος. 164 Vom παράδειγµα bzw. den Ideen oder der noetischen Welt: De opif. 16.19.34-36 u.ö.; Leg. All. I 1; von der zuerst geschaffenen Welt De opif. 29. Verschiedentlich setzt Philon die Schau der Seele und des Körpers zueinander in Beziehung, vgl. De opif. 53: εἰδώς τε (sc. ὁ θεὸς) ὅτι τῶν ὄντων ἄριστον τὸ φῶς ἐστιν, ὄργανον αὐτὸ τῆς ἀρίστης τῶν αἰσθήσεων ὁράσεως ἀπέφαινεν· ὅπερ γὰρ νοῦς ἐν ψυχῇ, τοῦτ΄ ὀφθαλµὸς ἐν σώµατι· βλέπει γὰρ ἑκάτερος, ὁ µὲν τὰ νοητά, ὁ δὲ τὰ αἰσθητά χρεῖος δὲ ὁ µὲν νοῦς ἑπιστήµης εἰς τὸ γνωρίσαι τὰ ἀσώµατα,

1.7 Hintergrund

67

Da dieser als vollkommen Seiendes gedachte Gott ohne bestimmbare Eigenschaften (ἄποιος) ist, bleibt er dem Menschen unsichtbar (ἀειδής166) und sogar mit dem Denken unbegreiflich (ἀπερινόητον; ἀκατάληπτον167). Sein Name ist unaussprechlich (ἄρρητον, ἀκατονόµαστον168): nicht einmal im Wort ist Gott darstellbar, da ihn jede Beschreibung verendlichen würde.169 Selbst dem Auge der Seele bzw. des Verstandes bleibt er seinem Wesen nach unsichtbar170: οὐδεὶς αὐχήσει τὸν ἀόρατον θεὸν ἰδεῖν.171

ὀφθαλµὸς δὲ φωτὸς εἰς τὴν τῶν σωµάτων ἀντίληψιν. Die Qualität der ἀσωµατότης kommt dem Hen zu (Leg. All. I 3). Die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes stellt sich in der Stoa aufgrund von deren immanenter Gottesvorstellung völlig anders dar. Dort steht Gott bekanntlich der Welt nicht gegenüber, sondern ist selbst materiell, wenn auch feinstofflich. Gott ist also Teil der Welt und damit auch Teil des Menschen; wenn Gott aber in uns zu finden ist, so müssen alle äußerlichen religiösen Rituale und Gebete, die darauf zielen, das Göttliche zu beeinflussen, sinnlos erscheinen (Seneca, ep. 41). Dem religiösen Platonismus erscheint diese Position faktisch als Gottlosigkeit. Für Klemens von Alexandria gipfelt der Materialismus der Stoiker in ihrer Behauptung, dass sogar Gott ‚Leib‘ sei: ἀλλὰ καὶ οἱ Στωικοί, ὧν καὶ αὐτῶν µέµνηται, σῶµα ὄντα τὸν θεὸν διὰ τῆς ἀτιµοτάτης ὕλης πεφοιτηκέναι λέγουσιν, οὐ καλῶς (Strom. I 51,1). 165 Z.B. Quaest. in Ex. II 37; De opif. 69. Nach BULTMANN, θεόν, 178, weist die Verwendung der Wortbildungen mit α-privativa darauf hin, dass die Unsichtbarkeit Gottes zu seiner Seinsweise in Beziehung gesetzt ist. Als jenseits der Zeit stehend (ἄχρονος) werden die Kräfte Gottes (De sacr. 76) oder der Bereich, in dem er sich aufhält, charakterisisert (verschiedentlich mit dem Adverb ἀχρόνως). Ähnliche Bezeichnungen finden sich im Codex Parisinus 2316; Ign. Polyc. 3,2 (vgl. NORDEN, Agnostos Theos, 16 Anm. 1). 166 Quod det. 86. Aus sich selbst heraus, so heißt es da, hat die Seele nicht das Vermögen, Gott zu schauen. 167 Quod det. 89; De conf. ling. 138-140: τὸ δὲ θεῖον καὶ ἀόρατον καὶ ἀκατάληπτον καὶ πανταχοῦ ὂν ὁρατόν τε καὶ καταληπτὸν οὐδαµοῦ πρὸς ἀλήθειάν ἐστιν … τῶν οὖν µεταβατικῆς κινήσεως ὀνοµάτων οὐδὲν ἐφαρµόττει τῷ κατὰ τὸ εἶναι θεῷ, τὸ ἄνω, τὸ κάτω, τὸ ἐπὶ δεξιά, τὸ ἐπ’ εὐώνυµα, τὸ πρόσω, τὸ κατόπιν· ἐν οὐδενὶ γὰρ τῶν λεχθέντων ἐπινοεῖται, ὡς οὐδ’ ἂν µετατρεπόµενος ἐναλλάττοι χωρία („Das Göttliche ist unsichtbar und unwahrnehmbar, und wiewohl es überall ist, ist es doch im Blick auf sein wahres Sein nicht sichtbar und nicht wahrnehmbar … Kein Begriff für eine Ortsveränderung lässt sich auf den wahrhaft seienden Gott anwenden: oben, unten, nach rechts, nach links, nach vorne, nach hinten. In keiner dieser Aussagen lässt sich das Göttliche begreifen, da es als Unwandelbares seinen Ort nicht wechselt“); εἰ τὸ τῶν ὄντων πρεσβύτατον ἄρρητον, ὁπότε καὶ ὁ λόγος αὐτοῦ κυρίῳ ὀνόµατι οὐ ῥητὸς ἡµῖν· καὶ µὴν εἰ ἄρρητον, καὶ ἀπερινόητον καὶ ἀκατάληπτον (De mut. nom. 15). 168 De somn. I 67. 169 Philon beschäftigt sich an unterschiedlichen Stellen mit der Frage nach dem Verhältnis von körperlicher Wahrnehmung und Denken und nach der Bedeutung der Sinneswahrnehmung für das Gottesverhältnis, am auffälligsten in seiner Auslegung von Gen 2-3 in den Legum allegoriae. 170 ψυχῆς ὄµµα (De sacr. 36.78; Quod deus 181; Quod det. 22; De sobr. 3; De migr. 39.191; De congr. 135; De praem. 37; De mut. nom. 3.203; De somn. I 164; De Abr. 58.70;

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Philon greift die platonische Unterscheidung von intelligibler und phänomenaler Welt sowie die ontologische Vorrangstellung des absoluten Einen (Hen) bei dem Alexandriner Eudoros172 auf, um dann aber Gott in einer monotheistischen Überbietung in der theologischen Spitzenpassage in De praem. 40 noch über die Eins und das Gute selbst zu setzen. Nur von sich selbst kann das transzendent Göttliche geschaut werden: ἐκεῖνο µὲν γάρ, ὃ καὶ ἀγαθοῦ κρεῖττον καὶ µονάδος πρεσβύτερον καὶ ἑνὸς εἰλικρινέστερον, ἀµήχανον ὑφ’ ἑτέρου θεωρεῖσθαί τινος, διότι µόνῳ θέµις αὐτῷ ὑφ’ ἑαυτοῦ καταλαµβάνεσθαι.

Jenes aber, das mächtiger als das Gute ist, älter als die Monas und reiner als die Eins, kann unmöglich von etwas Anderem geschaut werden. Denn nur von sich selbst darf es erfasst werden.

De praem. 40

Sichtbar herabgestiegen, so Philon in seiner Auslegung zu Ex 24,16, sei Gott nicht in seinem Wesen, sondern nur bezüglich seiner δόξα.173 Als locus classicus für das wahrnehmbare Erscheinen der Herrlichkeit Gottes innerhalb der Welt erscheint Philon die Erzählung von der Jakobsleiter in Gen 28; dieses Erscheinen löst im Menschen den Drang aus, aufzusteigen und Gott selbst zu De vit. Mos. I 185; De decal. 68; De spec. leg. I 37; III 4; IV 140); διανοίας ὄµµα (z.B. De opif. 71; De post. 167; De somn. I 199; De Jos. 106). Vgl. Jos. Bell. Iud. VII 346. 171 Quaest. in Ex. II 37. Gleichwohl kann Philon in Quod det. 86-89 sagen, dass Gott der menschlichen Seele etwas von seiner Göttlichkeit eingeblasen hat, damit sie mit seinen unsichtbaren Kräften (ἀοράτους δυνάµεις) eine Vorstellung von ihm bekommen kann. Und in De opif. 69-71 rechnet er damit, dass die menschliche Denkkraft sich von der Wahrnehmung der körperlichen Welt über die Kontemplation der intelligiblen Dinge in einer Art „nüchternen Trunkenheit“ hinausschwingen kann und zuletzt gar den „Großkönig“ selbst schauen zu können glaubt (letzteres ist immerhin auch hier durchaus vorsichtig formuliert). 172 Vgl. C. MAZZARELLI, Raccolta e interpretazione delle testimonianze e dei frammenti del medioplatonico Eudoro di Alessandria. Parte prima: Testo e traduzione delle testimonianze e dei frammenti sicuri, RFNsc 77 (1985), 197-209; M. BONAZZI, Towards Transcendence. Philo and the Renewal of Imperial Platonism, in: F. Alesse (Hg.), Philo of Alexandria and Post-Aristotelian philosophy, Leiden 2008, 233-251, hier 236-238; Ders., Eudoro di Alessandria; H. DÖRRIE, Der Platoniker Eudoros von Alexandria, Hermes 79 (1944), 25-39. 173 Vgl. De post. 167f.: Wenn Gott zu Moses sagt: ἴδετε, ἴδετε ὅτι ἐγώ εἰµι (Dtn 32,39), bedeutet dies nach Philon nicht: „Seht mich!“, sondern: „Seht, dass ich exisitiere!“ (in einer Passage über die Frage der körperlichen Sichtbarkeit des einzig Seienden [τὸ ὄν]). Entsprechend heißt es in Quaest. in Ex. II 45: „Unbegehbar und unnahbar ist der Ort Gottes in Wirklichkeit“ (ἄβατος καὶ ἀπροσπέλαστος ὄντως ἐστὶν ὁ θεῖος χῶρος), sodass auch das reinste Denken zu einer solchen Höhe nicht aufzusteigen vermag. Im Blick auf die Aussage in Ex 24,17, die Herrlichkeit Gottes habe ausgesehen wie ein verzehrendes Feuer, geht Philon anschließend von der erkenntnistheoretischen auf die offenbarungstheologische Ebene und unterscheidet zwischen dem wahren Sein Gottes und dem, wie Gott sich den Schauenden zeigen will (φαίνεσθαι τοῖς ὁρῶσι; 47). Seine δόξα erscheint wie eine Flamme, ist aber nicht wirklich eine Flamme (οὐ φλὸξ ἀληθής).

1.7 Hintergrund

69

schauen. Aus dieser Passage stammt die für Philon typische Etymologisierung Israels als ὁρῶν θεόν174, die von ihm allegorisch auf die menschliche Denkkraft gedeutet wird.175 Israel, der ὁρῶν θεόν, sieht den Glanz der himmlischen, noetischen Welt und ist von einer solchen Sehnsucht ergriffen, auch den Wagenlenker176, Gott selbst, zu schauen, dass es der Vater und Retter ihm gewährt, mit seiner Sehkraft zu Gott durchzudringen, so viel es dem geschaffenen und vergänglichen Menschen eben möglich ist: nicht das Wesen Gottes bekommt er zu sehen, erfährt aber immerhin seine Existenz.177 Vor diesem Hintergrund lässt sich bei Philon ein besonderes Interesse an der Frage der erkenntnistheoretischen (und ethischen) Relevanz der fünf Sinne erkennen. Philon diskutiert die fünf Sinne an verschiedenen Stellen im Zusammenhang.178 In De opif. erscheinen die Sinne als Teil der guten Schöpfungsordnung Gottes; durch sie wird es dem Menschen ermöglicht, die Güte der Schöpfung und damit zugleich Gottes als des Schöpfers zu erfassen. In dieser Funktion wurden sie am fünften Schöpfungstag geschaffen. Die Fünfzahl bringt er an unterschiedlichsten Stellen der Tora mit den fünf Sinnen in Verbindung: die fünf Könige in Gen 14,2 (De congr. 92f.); die fünf bunten Röcke, die Joseph dem Benjamin gibt, sowie die von Joseph angeordnete Abgabe eines 174

Vgl. bes. De praem. 36-46; De mut. nom. 81; De congr. 51; De fug. 208; De Abr. 57; De conf. ling. 56; Her. 78. Diese Deutung setzt Philon sowohl auf der individuellen Ebene des Erzvaters, als auch auf der kollektiven des Volkes Israel um. 175 Insbes. in De mut. nom. 81; vgl. De fug. 208; De Abr. 57; De somn. II 173; Leg. All. III 15; De sacr. 120. 176 Vgl. Plat. Phaedr. 246a-247e. 177 γνήσιον δὲ ἵµερον καὶ πόθον ἰδὼν ὁ πατὴρ καὶ σωτὴρ ἠλέησε καὶ κράτος δοὺς τῇ τῆς ὄψεως προσβολῇ τῆς ἑαυτοῦ θέας οὐκ ἐφθόνησε, καθ’ ὅσον οἷόν τε ἦν χωρῆσαι γενητὴν καὶ θνητὴν φύσιν, οὐχὶ τῆς ὅ ἐστιν ἐµφαινούσης, ἀλλὰ τῆς ὅτι ἔστιν (De praem. 39). Diesem Verlangen lässt sich durchaus der Hunger nach Göttlichkeit zu Beginn von Plutarchs De Iside et Osiride vergleichen, der durch das Geschenk der Götter zustande kommt, die den Menschen – so viel es eben möglich war – Anteil an der Kenntnis über sich selbst gegeben haben (De Is. 1-2). 178 De opif. 62; Leg. All. III 58; De Abr. 29.147.149.162.236-238; De fug. 182; De cherub. 73; De conf. ling. 52.90 und öfter. Der Alexandriner führt die fünf Sinne dabei regelmäßig in derselben Reihenfolge auf: Gesichtssinn, Gehör, Geruch, Geschmack, Fühlen, wobei die Reihenfolge zwischen Geruch und Geschmack wechseln kann, wie etwa in De Abr. 236-238 (vgl. DOBSCHÜTZ, Sinne, 380). Ähnlich später Augustin in seinen 124 Traktate zum Johannesevangelium: „Er sagt nicht: du hast mich berührt, sondern: du hast mich gesehen, weil das Gesicht gewissermaßen ein allgemeiner Sinn ist. Denn auch bei den vier anderen Sinnen pflegt man es zu nennen; wie wenn wir sagen: Hör’ und sieh, wie gut es klingt; riech und sieh, wie gut es riecht; koste und sieh, wie gut es schmeckt; taste und sieh, wie es gut warm ist. Überall hört man „sieh“, obwohl man nicht leugnet, daß das Sehen den Augen zukommt” (121,5; Üs. T. Specht). Die Stelle habe ich einem Aufsatzmanuskript entnommen von B. SCHLIESSER, To Touch or not to Touch? Doubting and Touching in John 20,24–29 (erscheint in Early Christianity 8 [2017]).

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Fünftels der Ernte (beides in De migr. 203f.) und anderes mehr. Philon schließt sich mit solchen Gedanken an Platon an, der im Timaios, auf den sich Philons Gedanken beziehen, eine positivere Wendung einer ästhetischen Erkenntnistheorie angedeutet hat (46e-47e).179 Die Sinne bekommen eine gewisse propädeutische Qualität im Blick auf die Erkenntnis (Gottes) zugewiesen. Sie bilden eine Station auf dem Weg, von der man weiter fortschreiten muss in Richtung wahrer Erkenntnis. Deshalb bleibt bei Philon stets die begrenzte, vorläufige Qualität des Körperlich-Sinnlichen im Blick. Diese Begrenztheit lässt sich theologisch wie anthropologisch ausformulieren. Den Körper betrachtet er in platonischer Tradition als Ort des Gefangenseins, den er bildhaft mit dem Ägypten der Exoduserzählung gleichsetzen kann.180 Aus diesem Bereich muss die Seele (Israel), die allein Gott schauen kann, sich befreien, um zur wahren Schau aufzusteigen. 1.7.3.2 Zur Unkörperlichkeit Gottes (Corpus Hermeticum und Testament Abrahams) Als besonderes Problem musste vor dem Hintergrund einer solchen negativen Theologie der Gedanke der körperlichen Präsenz des Göttlichen innerhalb der Welt erscheinen.181 In Corpus Hermeticum II182, dem Dialog ohne Titel, der mit „Über das Unkörperliche und über Gott“ überschrieben werden könnte, erscheint das Motiv der Unkörperlichkeit als Gottesprädikat, in II 4 gleichsam als Definition des Göttlichen: τὸ δὲ ἀσώµατον ἢ θεῖόν ἐστιν ἢ ὁ θεός. In II 12 werden τὸ ἀσώµατον und ὁ θεός im Verhältnis zueinander nacheinander definiert. Gott als die Ursache aller Dinge und als das Gute wird in II 14-15 noch über alles Körperliche wie Unkörperliche gesetzt. Zugleich aber kann im Corpus Hermeticum die allumfassende Natur Gottes so gesteigert werden, dass er alles in sich einschließt, Unsichtbarkeit und körperliche Wahrnehmbarkeit, Unkörperlichkeit und Allkörperlichkeit.183 Anders wäre Offenbarung nicht 179 Zur an Platon anknüpfenden religiösen Ästhetik Plutarchs als des zweiten großen mittelplatonischen Autors vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Aesthetics as Religious Hermeneutics in Plutarch, in: A. Pérez Jímenez/F. Titchener (Hgg.), Valori letterari delle Opere di Plutarco (FS I. Gallo), Malaga/Logan 2005, 207-213. 180 Vgl. S.J.K. PEARCE, The Land of the Body. Studies in Philo’s Representation of Egypt, WUNT 208, Tübingen 2007, 85-89.101-127. 181 Vgl. Alkin. 10,7: ἄτοπον δὲ τὸν θεὸν ἐξ ὕλης εἶναι καὶ εἴδους· οὐ γὰρ ἔσται ἁπλοῦς οὐδὲ ἀρχικός· ὥστε ἀσώµατος ἂν εἴη ὁ θεός. 182 Vgl. G. LÖHR, Verherrlichung Gottes durch Philosophie. Der hermetische Traktat II im Rahmen der antiken Philosophie- und Religionsgeschichte, WUNT 97, Tübingen 1997. 183 CH IV 9f.: οὗτος ὁ θεὸς ὀνόµατος κρείττων, οὗτος ὁ ἀφανής, οὗτος ὁ φανερώτατος· ὁ τῷ νοῒ θεωρητός, οὗτος ὁ τοῖς ὀφθαλµοῖς ὁρατός· οὗτος ὁ ἀσώµατος, ὁ πολυσώµατος, µᾶλλον δὲ παντοσώµατος. οὐδέν ἐστιν οὗτος ὃ οὐκ ἔστι· πάντα γὰρ ἃ ἔστι καὶ οὗτός ἐστι. καὶ διὰ τοῦτο αὐτὸς ὄνοµα οὐκ ἔχει, ὅτι πάντων ἐστὶ πατήρ.

1.7 Hintergrund

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möglich: ἀδύνατον γὰρ ἀσώµατον σώµατι φανῆναι.184 In diesem Sinne kann – und muss – dann wieder von der Sichtbarkeit Gottes gesprochen werden. Er ist sichtbarer als alles andere: εἶτα φῄς, ἀόρατος ὁ θεός; εὐφήµησον. καὶ τίς αὐτοῦ φανερώτερος; δι’ αὐτὸ τοῦτο πάντα ἐποίησεν, ἵνα διὰ πάντων αὐτὸν βλέπῃς. τοῦτο ἐστι τὸ ἀγαθὸν τὸ τοῦ θεοῦ, τοῦτο δὲ αὐτοῦ ἀρετή, τὸ αὐτὸν φαίνεσθαι διὰ πάντων· οὐδὲν γὰρ ἀόρατον, οὐδὲ τῶν ἀσωµάτων· νοῦς ὁρᾶται ἐν τῷ νοεῖν, ὁ θεὸς ἐν τῷ ποιεῖν.

Weiter sagst du, Gott sei unsichtbar? Schweig! Wer ist denn offenbarer als er? Eben darum hat er alles geschaffen, dass du ihn durch alles sehen kannst. Darin zeigt sich Gottes Güte, darin seine besondere Fähigkeit, dass er sich durch alle Dinge zeigt. Nichts ist nämlich unsichtbar, auch nicht von den unkörperlichen Dingen. Die Denkkraft wird sichtbar in ihrem Denken, Gott in seinem Handeln.

CH XI 22

Die Unterscheidung von intelligibler und phänomenaler Welt ist damit nicht aufgelöst: Es wird gesagt, dass Gott alle Dinge umfasst und deshalb in allen Dingen als Schöpfer sichtbar ist, nicht aber, dass er selbst körperlich geworden wäre. Aufschlussreiche Überlegungen im Blick auf das Problem der Vorstellung der Körperlichkeit in der göttlichen Sphäre finden sich im Testament Abrahams in Auslegung von Gen 18.185 Sie nehmen manches der später in gnostischen Texten sich niederschlagenden Diskussionen über die Körperlichkeit Christi voraus. Die Unkörperlichkeit der ἐπουράνια πνεύµατα wird für den Erzengel Michael zum Problem, als ihn nämlich Gott zu Abraham schickt. Wie soll er mit der Situation umgehen, dass Abraham ihn vor einen gedeckten Tisch setzen wird: „Herr, alle himmlischen Geister existieren unkörperlich; sie essen nicht und trinken nicht“ (TestAbr 4,36-38 Rec. A).186 Gott muss ihm dafür eigens ein πνεῦµα πάµφαγον schicken, um das Problem zu überbrücken. 1.7.4 Erkenntnis und todüberwindendes Heil in der religiösen Philosophie Philosophische Skepsis und negative Theologie unterscheiden sich (als zwei Seiten derselben Medaille) in ihrem Ausgangspunkt: während Erstere gnoseologisch von den Grenzen der Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit des Menschen ausgeht, setzt Letztere bei metaphysischen Aussagen über die 184

CH IV 9. Diese Voraussetzung berührt sich mit derjenigen der inkarnatorischen Theologie des Johannesevangeliums; während hier allerdings eine pantheistische oder kosmotheologische Folgerung gezogen wird, sucht das Johannesevangelium nach einer konsequent christologischen Überwindung des Problems. 185 Zu den Einleitungsfragen vgl. D.C. ALLISON JR. (HG.), Testament of Abraham, Berlin 2003, 28-52. 186 Κύριε, πάντα τὰ ἐπουράνια πνεύµατα ὑπάρχουσιν ἀσώµατα, καὶ οὔτε ἐσθίουσιν οὔτε πίνουσιν;

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absolute Transzendenz des Göttlichen jenseits der Körperlichkeit und Phänomenalität der Welt an. Werden die Schwierigkeiten einer körperlichen Wahrnehmung des Göttlichen also – je nach Ausgangspunkt – in unterschiedlicher Weise gesehen, so ist das sich ergebende Problem dasselbe: die Frage nach einem Kontakt (der Welt) Gottes mit „dieser Welt“, der eine Interaktion, Wahrnehmung und damit auch eine heilsame und lebenstiftende Verbindung trotz der kategorialen Unterschiedenheit möglich macht. Es ist die soteriologische Dimension, die solchen Fragen ihre zunehmende Dringlichkeit verleiht. Die Suche nach Gott wird zur Todesproblematik in Beziehung gesetzt, die – im Johannesevangelium wie an vielen anderen Stellen des Neuen Testaments und in der Umwelt – als eine Kernfrage menschlicher Lebensbewältigung wahrgenommen wird. Darin sprechen sich die bedrängende Erfahrung menschlichen Todes und menschlicher Vergänglichkeit und zugleich das Verlangen nach ihrer Überwindung aus, die Suche nach Wegen, die über dieses irdische Leben hinausweisen.187 Der Dualismus von Leben und Tod, den Plutarch seinen Lehrer Ammonios besonders radikal und grundsätzlich am Ende von De E apud Delphos (393F-394C) formulieren lässt, verdankt sich der prinzipiellen Unterscheidung zwischen Mensch und Gott, zwischen der Welt des Seins und der Welt von Werden und Vergehen.188 Wenn Gott – gemäß platonischer Überzeugung – allein seiend und ewig ist,189 und dies Eingang in die hellenistisch-jüdische Tradition durch Wiedergabe des Gottesnamens in Ex 3,14 in der Septuaginta mit ἐγώ εἰµι ὁ ὤν findet, und wenn bei ihm und in ihm allein wahres Leben ist190, dann können die Menschen nur durch ihn und in ihm zu Sein und Leben kommen. Dies aber setzt platonisch eine Erkenntnis Gottes voraus191, die als Teilhabe an der göttlichen Ewigkeit anzusehen ist, als „Angleichung des Menschen an das Göttliche“ (ὁµοίωσις θέῷ). Deshalb nennt Plutarch am Anfang von De Iside et Osiride das Streben nach der göttlichen Wahrheit ein Verlangen nach Göttlichkeit (θειότητος ὄρεξις192) und damit nach Heil, insofern der Mensch sich mittels seines Logos auf den Weg und auf die 187

Als besonders eindrückliches Beispiel sei lediglich an den ps.-platonischen Axiochos („Über den Tod“) erinnert. 188 Von sich aus haben die Menschen wie alle sterblichen Wesen keinerlei Anteil am Sein: ἡµῖν µὲν γὰρ ὄντως τοῦ εἶναι µέτεστιν οὐδέν (Plut. De E 392A). Zum Thema der Überwindung von Tod und Sterblichkeit bei Plutarch vgl. R. FELDMEIER, Der Gott der Toten als Gott des Lebens. Plutarchs interpretatio plationica des Osirismythos (De Iside 76-78), in: ders., Der Höchste, 79-90 [= Osiris. Der Gott der Toten als Gott des Lebens. De Iside Kap. 76-78, in: Hirsch-Luipold, Gott und die Götter, 215-227]. 189 Gott ist zugleich τὸ ὄν und ὁ ὤν. 190 Dies wird innerhalb des Johannesevangeliums verschiedentlich unterstrichen; vgl. Joh 5,21; vgl. 1,4; 3,16; 11,25; 14,6; 17,3. 191 Vgl. Joh 17,3. 192 De Is. 351E5.

1.7 Hintergrund

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Suche nach dem göttlichen Logos macht.193 Wenn aber die Erlangung des Heils von der Erkenntnis Gottes abhängig ist, dann ist mit der Frage, wie der Mensch etwas über einen Gott wissen, aussagen und glauben soll, wenn er ihn nicht wahrnehmen kann, zugleich die weitere Frage gestellt, wie der Mensch überhaupt zum lebensrettenden Glauben an Gott und damit zum Heil kommen kann.194 Die Todesproblematik bildet auch die Ausgangsfrage der Sapientia Salomonis. Der Tod in Sap 1-2 wird als schuldhafte Folge verfehlten Denkens (und darauf basierenden Handelns) eingeführt.195 Eine Lösung kann deshalb nur die Weisheit bringen. Symptomatisch für eine todbringende Einstellung, die den Blick nicht über das körperliche Leben hinauszurichten vermag, argumentieren die Unvernünftigen mit der Flüchtigkeit der Welt (2,1-5): Ὀλίγος ἐστὶν καὶ λυπηρὸς ὁ βίος ἡµῶν, καὶ οὐκ ἔστιν ἴασις ἐν τελευτῇ ἀνθρώπου, καὶ οὐκ ἐγνώσθη ὁ ἀναλύσας ἐξ ᾅδου. ὅτι αὐτοσχεδίως ἐγενήθηµεν καὶ µετὰ τοῦτο ἐσόµεθα ὡς οὐχ ὑπάρξαντες. … καὶ παρελεύσεται ὁ βίος ἡµῶν ὡς ἴχνη νεφέλης καὶ ὡς ὁµίχλη διασκεδασθήσεται διωχθεῖσα ὑπὸ ἀκτίνων ἡλίου καὶ ὑπὸ θερµότητος αὐτοῦ βαρυνθεῖσα. σκιᾶς γὰρ πάροδος ὁ καιρὸς ἡµῶν, καὶ οὐκ ἔστιν ἀναποδισµὸς τῆς τελευτῆς ἡµῶν, ὅτι κατεσφραγίσθη καὶ οὐδεὶς ἀναστρέφει. Sap 2,1-2a.4b-5

193

Kurz ist und voller Leid unser Leben, und nicht gibt es Heilung beim Ende des Menschen, und nicht ist einer bekannt geworden, der aus dem Hades befreit. Denn nur zufällig sind wir geworden, und nachher werden wir sein, als wären wir nie gewesen. … Und vorbeigehen wird unser Leben wie die Spur einer Wolke, und wie ein Nebel wird es aufgelöst werden, der vertrieben wird von den Strahlen der Sonne und von ihrer Wärme niedergedrückt. Eines Schattens Vorüberziehen ist ja unsere Zeit, und nicht gibt es ein Zurück von unserem Ende, denn es wurde besiegelt und niemand kehrt wieder.196

Entsprechend erscheint ἡ περὶ τοῦ θεοῦ ἀγνωσία gemäß der Überschrift von CH VII als das schlimmste Übel. Der genannte Erkenntnis- und Heilsweg kann zugleich als Weg von der Finsternis ins Licht bzw. aus dem Hades zur Sonne oder zur Ebene der Wahrheit beschrieben werden. 194 Die Frage stellt sich also zunächst auf der Ebene einer individuellen Heilserwartung. Die Lösung des Alten Testaments, dass Gott im Heilsgeschehen des Exodus greifbar geworden ist, was in der Feier des Passa jeweils aktualisiert wird, erscheint im Blick auf diese Frage nach der individuellen Todesverfallenheit zu kollektiv. In diese Situation hinein spricht das Johannesevangelium und sucht nach eigenen Formen der Aktualisierung der Heilsgeschichte durch das Verbreiten und Nachvollziehen der Botschaft vom fleischgewordenen Logos. 195 Zur Todesproblematik: 1,11-14; 2,1-5.24f. Verschiedentlich wird Unsterblichkeit als Bestimmung des Menschen und zentrale Hoffnung fomuliert, vgl. 2,23; 3,4.7. Vgl. M.V. BLISCHKE, Die Eschatologie in der Sapientia Salomonis, FAT II/26, Tübingen 2007, bes. 86-89; 114-116; C. KURZEWITZ, Weisheit und Tod. Die Ätiologie des Todes in der Sapientia Salomonis, TANZ 50, Tübingen 2010. 196 Übersetzung H.-G. Nesselrath, in: K.-W. NIEBUHR U.A. (HGG.), Sapientia Salomonis (Weisheit Salomos), eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 27, Tübingen 2015 (leicht verändert).

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Von der sterblichen Natur der Menschen, die in 7,1-5 in geradezu naturwissenschaftlicher Diktion beschrieben wird, unterscheidet sich selbst König Salomo in nichts, wie zunächst in 7,1 beschrieben und dann in 7,5f. ringkompositorisch noch einmal aufgenommen wird. Εἰµὶ µὲν κἀγὼ θνητὸς ἄνθρωπος ἴσος ἅπασιν καὶ γηγενοῦς ἀπόγονος πρωτοπλάστου· καὶ ἐν κοιλίᾳ µητρὸς ἐγλύφην σὰρξ δεκαµηνιαίῳ χρόνῳ παγεὶς ἐν αἵµατι ἐκ σπέρµατος ἀνδρὸς καὶ ἡδονῆς ὕπνῳ συνελθούσης. καὶ ἐγὼ δὲ γενόµενος ἔσπασα τὸν κοινὸν ἀέρα καὶ ἐπὶ τὴν ὁµοιοπαθῆ κατέπεσον γῆν πρώτην φωνὴν τὴν ὁµοίαν πᾶσιν ἴσα κλαίων … οὐδεὶς γὰρ βασιλέων ἑτέραν ἔσχεν γενέσεως ἀρχήν, µία δὲ πάντων εἴσοδος εἰς τὸν βίον ἔξοδός τε ἴση. Sap 7,1-6

Auch ich bin ein sterblicher Mensch, gleich allen, und des aus Erde Entstandenen Nachkomme, des Erstgeformten, und im Bauch der Mutter wurde ich als Fleisch geformt, während einer Zeit von zehn Monaten fest geworden im Blut aus dem Samen eines Mannes und aus der Lust, die sich zum Schlaf gesellte. Auch ich, als ich geboren wurde, sog die (allen) gemeinsame Luft ein, und auf die Erde, der dies immer in gleicher Weise widerfährt, fiel ich, als ersten Laut, der dem aller gleich ist, stieß ich wie sie alle ein Weinen aus … Keiner von den Königen hatte ja einen anderen Beginn seines Werdens, sondern nur einen Eintritt für alle gibt es ins Leben und den gleichen Ausgang.

Die Texte sind etwas ausführlicher zitiert, weil sie ein Gefühl davon vermitteln, wie sehr die menschliche Hinfälligkeit als Problem gesehen wird, die unvergängliche Natur Gottes der göttlichen Weisheit aber als Lösung.197 Die Weisheit, der hier die Funktion der Repräsentanz der göttlichen Lebensmacht zugeschrieben ist198, eignet dem Menschen – gleichsam als eine zweite Mutter, wie sich aus der antithetischen Struktur zur betonten Schilderung der körperlichen Entstehung aus der Mutter nahelegt – unvergängliches Leben in der Gottesnähe zu199, ein Leben, das über die von der leiblichen Mutter geschenkte physische Existenz hinausgeht. Was hier durch die anthropologische Grundlegung vorbereitet ist, wird im Johannesevangelium unter der Vorstellung einer neuen Geburt zu einer zentralen soteriologischen Figur.200

197

Vgl. Sap 9,14f. Vgl. M. NEHER, Wesen und Wirken der Weisheit in der Sapientia Salomonis, BZAW 333, Berlin 2004, 98f.101; D. WINSTON, The Ancestral Philosophy. Hellenistic Philosophy in Second Temple Judaism, hg. von G.E. Sterling, Providence 2001, 88f. 199 Sap 6,18-20; 8,13.17. 200 Vgl. Joh 1,13; 3,3.5. 198

1.7 Hintergrund

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1.7.5 Die Suche nach einem Kontaktpunkt zwischen Gott und Welt im religiösen Platonismus der frühen Kaiserzeit201 Die soteriologische Dimension erklärt die Bedeutung, welche die Frage nach der Erkennbarkeit der transzendenten göttlichen Realität unter den Bedingungen der körperlichen Welt in den religiös-philosophischen Diskussionen der frühen Kaiserzeit insbesondere im Bereich des Platonismus erlangte. Die radikale, ontologisch bedingte erkenntnistheoretische Kluft, deren sich die Philosophie in ihrer skeptischen Phase bewusstgeworden war, wurde nun als Problem menschlicher Zukunftshoffnung wahrgenommen. Auf jüdischer Seite (in der Weisheitsliteratur202 und in anderer Weise bei Philon von Alexandrien) ebenso wie im paganen Bereich gewinnt die Suche nach einem Kontaktpunkt an Bedeutung, der eine Wahrnehmung und Erkenntnis des transzendenten Gottes unter den Bedingungen der körperlichen Welt und damit eine Kommunikation zwischen Gott und Mensch ermöglichen würde, die Zugang zu Heil und Leben bedeutet. Dieser Kontaktpunkt konnte auch in Form einer Vermittlungsinstanz gedacht werden, die – wie Hermes – zwischen beiden Welten hin und her geht, als Zwischenwesen wie Engel und Geister, daimones (insbesondere das Daimonion des Sokrates, das in der frühen Kaiserzeit im Rahmen einer Sokrates-Renaissance an Bedeutung gewinnt203) oder historische und mythische Mittlerfiguren wie Moses, Orpheus, Pythagoras, Jesus, Apollonius von Tyana.204 Anthropologisch konnten die Seele bzw. der menschliche Nous oder Logos als Vermittlungsinstanz fungieren.205 Kosmologisch verbanden sich solche Überlegungen mit Schichten- und Emanationsmodellen. Bei dieser Suche gingen die genannten Autoren in einer für den Platonismus charakteristischen Weise von einer kreativen Relecture der Schriften Platons aus, die sich mit einer Neuinterpretation religiöser Überlieferungen verband. Mit der Figur des Eros als einem „großen Daimon“ hatte Platon im Symposium eine Figur geschaffen, die wie alle göttlichen Wesen zwischen Gott und dem Sterblichen steht, weder Gott noch ein Sterblicher.206 Seine Aufgabe ist es, 201

Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Religiös-philosophische Literatur, 136f.; zum Problem der Gotteserkenntnis vgl. R. VAN DEN BROEK U.A. (HGG.), Knowledge of God in the GraecoRoman World, EPRO 112, Leiden u.a. 1988. 202 Vgl. WEDER, Deus Incarnatus, 328f. Vgl. Sap 7,25f. 203 Vgl. Plut. De gen. Socr.; Apul. De deo Socr. 204 Das Interesse für solche Figuren spiegelt sich in den Karikaturen Lukians (Peregrinus Proteus, Alexander von Abonuteichos). 205 „Je transzendenter Gott gedacht wird, desto wichtiger wird der Logos. Der Logos ist die Größe, die ein letztes Auseinanderreißen von Gott und Welt verhindert“, so formuliert G. SELLIN mit Blick auf Philon (Gotteserkenntnis und Gotteserfahrung bei Philo von Alexandrien, in: H.-J. Klauck [Hg.], Monotheismus und Christologie. Zur Gottesfrage im hellenistischen Judentum und Urchristentum, QD 138, Freiburg i.Br. u.a. 1992, 17-40, hier 22). 206 πᾶν τὸ δαιµόνιον µεταξύ ἐστι θεοῦ τε καὶ θνητοῦ (Plat. Symp. 202d).

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

zwischen Menschen und Göttern und zugleich zwischen Unkenntnis und Weisheit hin und her zu vermitteln. Denn: Gott vermischt sich nicht mit dem Menschen.207 Dieses Modell einer Mittlerfigur, die als dritte Größe zwischen Gott und Mensch bzw. Welt hinzukäme, wurde im pagan-religiösen Platonismus im Rahmen der Daimonologie208, bei Philon in seiner Lehre von den δυνάµεις, durchgespielt.209 Platons ontologische Scheidung von intelligibler und phänomenaler Welt legte zunächst ein Aufstiegsmodell nahe, wie es im Höhlengleichnis der Republica (VII 514a-517a) ausformuliert ist, demzufolge sich der Mensch mittels seines Denkens aus der schattenhaften Existenz der bloßen Erscheinungen, Abbilder und Schatten befreien und zur Schau der eigentlichen, wahren Welt der Ideen aufsteigen muss. Die Möglichkeit hierzu ist anthropologisch verankert. Der Mensch hat ein Organ in sich, das Gott verwandt oder sogar Teil des Göttlichen ist: den göttlichen Nous oder Logos210, der dem Göttlichen entstammt, nun aber im Körper eingekerkert und durch das Körperliche in seiner Sehfähigkeit und Klarheit beeinträchtigt ist. Je mehr der Mensch von diesem Teil her lebt, umso mehr gleicht er sich dem Göttlichen an und wird zugleich fähig, es zu erkennen – die platonische ὁµοίωσις θεῷ κατὰ τὸ δυνατόν.211 Das Aufstiegsmodell, das sich bei Philon in seiner Schrift über die Auswanderung Abrahams (De migratione Abrahami) und noch deutlicher in der Tabula Cebetis mit dem Wegmotiv verbindet, geht dabei von einer notwendigen Überwindung der täuschenden Welt des Körperlichen aus. Indes ließ sich der Gedanke der Bildhaftigkeit der Welt, wie dies bereits in Platons Timaios, der mit seinem Weltschöpfungsmythos im Hellenismus zum einflussreichsten Text Platons wird, angedeutet ist, auch im Sinne einer optimistischeren Erkenntnistheorie und einer erkenntnistheoretischen Aufwertung der phänomenalen Welt (als εἰκὼν τοῦ νοητοῦ θεὸς αἰσθητός, 92c) und der Sinne (46e47e) ummünzen. In gewisser Umkehrung der skeptischen Erkenntnistheorie der Republica ließ sich dies im Sinne einer „Bildtheologie“ entfalten: Wenn die körperliche Welt ein Abbild, eine Ausprägung oder ein Schattenriss der ihr zugrundeliegenden geistigen, göttlichen Welt ist, wie vor allem das Höhlengleichnis der Republica deutlich macht, dann muss es umgekehrt möglich sein, 207

θεὸς ἀνθρώπῳ οὐ µείγνυται (203a). CH IX 10 formuliert es grundsätzlicher: ἀδύνατον γὰρ ἀσώµατον σώµατι φανῆναι. 208 Zur ausgefeilten Daimonologie Plutarchs vgl. F.E. BRENK, In Mist Apparelled. Religious Themes in Plutarch’s Moralia and Lives, Leiden 1977, bes. 85-183. 209 Ähnlich schon in Ps.-Arist. De mundo 6f. Im Rahmen kosmogonischer Entwürfe kann man dieses Modell in der auf einer Auslegung des platonischen Timaios fußenden Unterscheidung eines höchsten Gottes von einem Demiurgen wiederfinden (vgl. J. OPSOMER, Demiurges in Early Imperial Platonism, in: Hirsch-Luipold, Gott und die Götter, 51-99). 210 Vgl. KRÄMER, Geistmetaphysik, 264-292. 211 Plat. Theaet. 176b.

1.7 Hintergrund

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von den Bildern auf das wahre Sein zurückzuschließen. Auf diesem Weg gewinnt insbesondere Plutarch aus Platons Abbild-Lehre eine religiöse Ästhetik der körperlich-sinnlichen Welt212: Die Abbilder der göttlichen Sphäre (denn als Sphäre des Göttlichen versteht Plutarch die platonische Ideenwelt) lassen sich als der einzige Ort innerhalb der phänomenalen Welt betrachten, von dem der Weg zurück zum wahren Sein des Göttlichen führt. Dies gilt freilich nur unter dem Vorbehalt, dass sie richtig gedeutet werden. Dazu aber gehört zuallererst, die Bilder als Bilder, und das heißt: in ihrem Verweischarakter zu erkennen. Die Welt insgesamt, in besonderem Maße aber die religiöse Tradition, konnte so als „Bild“ oder „Abdruck“ der göttlichen Wahrheit begriffen werden. Auf diese Weise versucht platonische Bildtheologie, den Gedanken der Transzendenz so weit wie möglich mit immanenter Präsenz zu verbinden, ohne dem Immanentismus der Stoa anheim zu fallen. Die Metapher vom Siegelabdruck in Wachs, der ohne jegliche Materialität das Bild in der Materie sich abzeichnen lässt und sich beim Schmelzen wieder vollkommen auflöst, bringt diese Versuche auf den Punkt.213 Das Prägebild des Stempels ist im Wachs sichtbar, obwohl der Stempel nicht materiell gegenwärtig ist und obwohl sich das Bild verflüchtigt, sobald das Wachs schmilzt. Es ist gleichsam als Negativ gegenwärtig. Freilich geht das Evangelium mit dem σάρξ ἐγένετο signifikant über solche Vorstellungen hinaus: Ziel der Metaphorik vom Wachsabdruck ist gerade zu zeigen, dass Gott bzw. die intelligible Welt eben nicht Fleisch oder Welt wird, sondern sich als Bild im Gewordenen abzeichnet und dort sichtbar wird. Jedenfalls erhält die phänomenale Welt, auch in Aufnahme peripatetischer Traditionen214, nun einen eigenen erkenntnistheoretischen Wert zugewiesen und wird nicht mehr als bloßes Abbild und Schatten der Ideenwelt begriffen, sondern als tatsächliches Bild, das einen Rückschluss auf das Abgebildete erlaubt.215 Verbundenheit und Unterschiedenheit der körperlichphänomenalen und der göttlich-intelligiblen Welt ließen sich in eine ganze Palette von „Kontaktmetaphern“ fassen: optische Metaphern (Spiegel, Lichtbrechung, Durch- und Widerschein), akustische Metaphern der Resonanz216, 212

Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Aesthetics, passim. Plut. De Pyth. orac. 404C-D; vgl. Plat. Theaet. 191c. 214 Vgl. dazu insb. die Darstellung der aristotelischen Hintergründe der „Cosmotheologie“ in Ps.-Arist. De mundo bei J. THOM, On the Cosmos, 5f.; 107f.; 119f. 215 Wenig nach Plutarch bringt der christlich-platonische Kirchenvater Klemens von Alexandria diese Aufwertung in einer hermeneutischen Passage in den Stromateis auf den Punkt: Wenn der νόµος, so sagt er da in Aufnahme von Hebr 10,1 (vgl. 8,5), auch nur ein Bild und Schatten der Wahrheit sei, so sei er eben tatsächlich ein Schatten (d.h. er macht wirklich – wenn auch nur in Umrissen – etwas vom Wesen der Wahrheit sichtbar): κἂν ὁ νόµος εἰκὼν καὶ σκιὰ τῆς ἀληθείας τυγχάνῃ, σκιά γε ὁ νόµος τῆς ἀληθείας (Strom. VI 7,58); vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, 73 Anm. 38. 216 Plut. De gen. Socr. 589C-D. 213

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Metaphern aus dem Bereich der Kunst, der Münzprägung, weiter die ontologische und relationale Metaphorik der Zeugung und Kindschaft, des Ausflusses, aber auch poetologische Metaphern (Architekt – Skizze – Bauwerk, für das stufenweise Hervortreten des göttlichen Logos in die körperliche Welt bei Philon217). Solche Kontaktmetaphern finden sich bei Plutarch und Dion von Prusa ebenso wie bei Philon und in der Sapientia Salomonis.218 Innerhalb des Neuen Testaments erscheinen solche Metaphern in christologischem Zusammenhang in 2 Kor 4,4–6, Kol 1,15 und Hebr 1,3.219 Durch einen solchen Kontakt zwischen Gott und Welt wird es möglich, Wahrnehmungen der Welt als Weg zur Erkenntnis Gottes zu begreifen. Diese Bildhermeneutik ist Teil eines „Heilswerks“ des Göttlichen oder Gottes gegenüber dem ihn suchenden Menschen: Ein sich aktiv um die Welt sorgender Gott, der nun auch in pagan-religiösen Texten mit einer Vielzahl personaler Metaphern ausgestattet sein kann und unmittelbar in den Weltlauf eingreift220, schafft die Voraussetzungen dafür, etwas von seinem Wesen mitzuteilen.221 Er legt Spuren seiner selbst222, Bilder, Strukturen, Ausflüsse seines Wesens, seiner göttlichen Schönheit und Wahrheit, in die wahrnehmbare Welt hinein, auch Rätsel, die dem Menschen Anstoß zur Suche nach der göttlichen Wahrheit

217

Vgl. Philon De opif. 15-21. V.a. 7,25f.: ἀτµίς, ἀπόρροια, ἀπαύγασµα, ἔσοπτρον, εἰκών. 219 Auch die Metapher des Spiegels in 1Kor 13,12, die nicht (primär) christologisch konnotiert ist, wäre hier zu nennen. 220 So Plut. Amat. 764F-765A über den Eros, der als Arzt und Heiland (ἰατρὸς καὶ σωτήρ) sich durch die Körper naht (διὰ σωµάτων ἀφικόµενος) und so die Seelen als Mystagogos zur „Wahrheit, aus dem Hades zur Ebene der Wahrheit“ führt (ἀγωγὸς ἐπὶ τὴν ἀλήθειαν, ἐξ Ἅιδου δ’εἰς ‘τὸ ἀληθείας πεδίον’, οὗ τὸ πολὺ καὶ καθαρὸν καὶ ἀψευδὲς ἵδρυται κάλλος, ἀσπάσασθαι καὶ συγγενέσθαι διὰ χρόνου ποθοῦντας ἐξαναφέρων καὶ ἀναπέµπων εὐµενὴς οἷον ἐν τελετῇ παρέστη µυσταγωγός). 221 Dies ist eine wesentliche Funktion der Schöpfung nach Philons De opif. 77f.: Wie ein Theater hat Gott die Welt bereits vor dem Auftreten des Menschen so geschaffen, dass sie im Menschen die zur Unsterblichkeit führende Lust nach Gotteserkenntnis entfacht. Vgl. Plut. De tranqu. an. 477C-D, wo von der Welt als dem der Gottheit würdigsten Tempel voller Gottesbilder die Rede ist; De Is. 1-2 (Gotteserkenntnis als höchstes Geschenk der Götter; im Zusammenhang einer kosmogonischen Interpretation des ägyptischen Mythos als Hervorgang der wahrnehmbaren Welt [Horus] aus dem göttlichen Logos [Osiris]). Dass wir bei Plutarch (wie bei Philon) das Thema der Schöpfung – verbunden mit der schöpferischen Kraft des Logos – im unmittelbaren historischen Umfeld des Johannesevangeliums prominent im Bereich des religiösen Platonismus vorfinden, ist ein wichtiger Grund, weshalb mir im Gegensatz zu T. Engberg-Pedersen platonisches Denken als heuristischer Zugang zur Erschließung des gedanklichen Rahmens des Johannesevangeliums plausibler erscheint als stoisches Denken, in dem der Gedanke eines einmaligen Schöpfungsaktes keinen Platz hat. 222 Vgl. Plut. De sera 550C. 218

1.7 Hintergrund

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geben und ihm helfen, den Weg dorthin zu finden.223 Dieses „Heilswerk“ zu beschreiben, ist eines der fundamentalen Themen in Plutarchs Schrift über das rätselhafte E(I)-Zeichen vor dem Apollontempel in Delphi (De E apud Delphos)224: Was der Gott gleichsam aus sich heraus in die Welt bringt, so sagt dort Plutarchs Lehrer Ammonios, bindet die Welt, die in ihrer Schwachheit in die Auflösung driftet, zusammen.225 Dies geschieht gemäss der theologischsoteriologischen Deutung des E(I)-Zeichens durch Ammonios wesentlich dadurch, dass der Gott den Menschen zu sich in Beziehung setzt: εἶ – „du bist“ – ist nämlich die Anrede, mit der der Mensch beim Eintreten in den Tempel dem Göttlichen gegenübertreten und dadurch ihn als das einzig wirklich Seiende anerkennen soll.226 Dies erscheint mir eine für den religionsgeschichtlichen Vergleich besonders interessante Pointe.227 Insbesondere in der religiösen Tradition mit ihren Mythen, Symbolen und Riten – so ist diesen Autoren zu entnehmen – hat Gott diesen Kontakt hergestellt, der durch eine bildhafte Interpretation sichtbar gemacht werden kann.228 Ist damit ein Element der Vermittlung geschaffen, so bleibt dennoch der Logos vonnöten, da die göttliche Wahrheit immer nur gleichnishaft oder bildhaft bzw. 223

Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Aesthetics, 207-213. Aufgrund der damit gegebenen Gefahr der Verwechslung von Schöpfer und Geschöpf müssen solche Gedanken freilich in jüdischer wie christlicher Tradition anstößig erscheinen (vgl. Röm 1,25) – die Gefahr wird von Plutarch selbst in De Iside et Osiride und anderswo thematisiert. 224 Zwei neuere Doktorarbeiten (T. THUM, Plutarchs Dialog De E apud Delphos. Eine Studie, Ratio Religionis Studien II, STAC 80, Tübingen 2013; H. OBSIEGER, Plutarch. De E apud Delphos/Über das Epsilon am Apolltempel in Delphi. Einführung, Ausgabe und Kommentar, Stuttgart 2013) sehen demgegenüber in De E vorweigend ein intellektuelles Spiel, ein Schaustück der Bildung und literarischen Darstellungskunst des Autors. 225 Vgl. Plut. De E 393E-F: τοὐναντίον γὰρ ὃ θεῖον ἁµωσγέπως ἐγγέγονε τῷ κόσµῳ, τοῦτο συνδεῖ τὴν οὐσίαν καὶ κρατεῖ τῆς περὶ τὸ σωµατικὸν ἀσθενείας ἐπὶ φθορὰν φεροµένης. Diese Sicht entwickelt Plutarch in Auseinandersetzung mit der polemisch den Stoikern zugewiesenen Position, Gott baue wie ein Sandkastenspieler die Welt, um sie dann jeweils wieder zusammenzuwerfen (393E). 226 De E 392A; 394A; vgl. 393F. 227 Vgl. W. BURKERT, Plutarch. Gelebte Religion und philosophische Theologie, in: ders., Kleine Schriften VIII. Philosophica, hg. von T.A. Szlezák/K.-H. Stanzel, Göttingen 2008, 222-239, hier 230 Anm. 45 [= Plutarco. Religiosità personale e teologia filosofica, in: I. Gallo (Hg.), Plutarco e la religione, Neapel 1996, 11-28, hier 19 Anm. 47]. 228 Plutarch verdeutlicht dies neben dem genannten Beispiel in De E auch in De Iside et Osiride, seiner bildhaften Deutung nicht nur des Mythos von Isis und Osiris, sondern auch der Riten und Symbole der ägyptischen Religion bis hin zum Tierkult. Auch die Betrachtung der Götterbilder bei einer kunstgeschichtlichen Führung durch die Kunstschätze Delphis in De Pythiae oraculis lässt sich hier einordnen. Zum Ganzen vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, ‚The Most Ennobling Gift of the Gods‘ – Religious Traditions as the Basis for Philosophical Interpretation in Plutarch, in: P. Volpe Cacciatore (Hg.), Plutarch’s Writings: Transmission, Translation, Reception, Commentary, Neapel 2013, 203-217.

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

in Form eines aufzulösenden Rätsels in die Welt hineintreten kann und deshalb der Deutung durch den Logos bedarf. Mittels des Logos erkennt der Mensch die tiefere Wahrheit hinter den wahrgenommenen körperlichen Zeichen. Diese Bildstruktur der Welt wird hermeneutisch in eine bildhafte, symbolische oder allegorische Darstellungsweise umgesetzt. Nicht nur sind die betreffenden Texte von bildhafter Sprache229 durchzogen. Die Gleichnissprache der Evangelien lässt sich ebenso in diesem Rahmen verstehen wie die Bibelhermeneutik Philons, des Paulus oder des Hebräerbriefs, die in je eigener Form die biblische Geschichtsüberlieferung für ihre Zeit neu zum Sprechen bringen. 1.7.6 Die apokalyptisch-eschatologische Hoffnung auf ein Sehen Gottes Wie wir gesehen haben, lässt sich die Verneinung jeder Möglichkeit der unmittelbaren, körperlich-sinnlichen Gottesbegegnung sowohl erkenntnistheoretischphilosophisch von der kategorialen Unterscheidung zwischen phänomenaler und intelligibler Welt als auch theologisch aus der mangelnden Reinheit des Menschen in der Begegnung mit der göttlichen Herrlichkeit begründen. Im Rahmen einer heilsgeschichtlichen Betrachtungsweise in der Apokalyptik entsteht nun die Hoffnung auf ein baldiges Sichtbarwerden Gottes und seiner Macht, auf ein Heraustreten Gottes aus seiner Verborgenheit. Das Sehen Gottes wird nun als Sehen seiner machtvollen Wirkungen interpretiert. Dabei knüpft die apokalyptische Hoffnung, die Welt möge (gerade in der Situation des Leidens) das Eingreifen Gottes und die Durchsetzung seiner Macht sowie die Verwandlung der Welt insgesamt sehen, an die in einzelnen Psalmen in den Mund (bedrängter) Einzelfiguren gelegte Zuversicht an, Gott selbst von Angesicht zu Angesicht sehen, d.h. im Tempelkult begegnen, und (als reiner Mensch) vor ihm bestehen zu können.230 Die Psalmen reden in kultischer Sprache vom 229

Der in der theologischen Forschung vielfach favorisierte Begriff der Allegorie, der auch quellensprachlich belegt ist, insbesondere bei Philon, greift m.E. als Oberbegriff für das Phänomen zu kurz, da er an einem bloß sprachlichen Verfahren orientiert ist, während die platonischen Deutungsverfahren ihre Legitimation aus ihrer ontologischen und erkenntnistheoretischen Grundlegung beziehen. 230 Vgl. Ps 11,7; 17,15; (84,8). H.-J. KRAUS, Psalmen 1-59, BKAT XV/1, NeukirchenVluyn 72003. In Ps 17,15 bittet der Beter in der Bedrängnis zunächst darum, dass Gott auf ihn schauen und ihn hören möge, um dann der tröstlichen Hoffnung Ausdruck zu verleihen, dass er – wenn er erwacht – sich in Gerechtigkeit an Gottes Angesicht satt sehen könne (eine ähnliche Hoffnung drückt der Beter in Ps 42 aus angesichts der höhnischen Frage: „Wo ist nun dein Gott?“ [Ps 42,4]: „Meine Seele dürstet nach Gott, nach dem lebendigen Gott. Wann werde ich dahin kommen, dass ich Gottes Angesicht schaue?“; Ps 42,3). Allgemein meint das Schauen des Angesichts die Hoffnung darauf, dass Gottes Eingreifen in der Welt zugunsten der Schwachen sichtbar wird (Ps 27,13; vgl. Jes 38,11; vgl. Ps 63,3). Umgekehrt bedeutet das Verbergen des Angesichts, dass sich Gott in seinem Zorn von den Menschen abwendet (Ps 51,13). Vgl. BULTMANN, θεόν, 184f.

1.7 Hintergrund

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„Angesicht Gottes“ im Anschluss an die religiöse Umwelt Israels, wo diese Rede selbstverständlich auf die Präsenz von Gottesbildern bezogen war, und beziehen diese Rede auf die Anwesenheit der Macht Gottes im Tempel.231 Dies wird später im Sinne eschatologischer Hoffnung interpretiert. Diese Hoffnung greift im frühen Christentum Raum. In Mt 5,8 („Selig sind, die reinen Herzens sind, denn sie werden Gott schauen“; τὸν θεὸν ὄψονται) findet sie ihren unmittelbarsten Ausdruck232, wird aber breit rezipiert – gerade auch im Bereich der Frömmigkeit. So dringt die Hoffnung et in carne mea videbo deum aus der Vulgata-Übersetzung von Hi 19,26b233 im Sinne christlicher Auferstehungshoffnung in die anglikanische Bestattungsliturgie (und von dort aus in Händels Messiah: „in my flesh I shall see God“) ein und findet in einer Vielzahl von

231

Vgl. KRAUS, Psalmen, 46f.; R. FELDMEIER/H. SPIECKERMANN, Der Gott der Lebendigen. Eine biblische Gotteslehre, TOBITH 1, Tübingen 2011; H. SPIECKERMANN, Heilsgegenwart. Eine Theologie der Psalmen, FRLANT 148, Göttingen 1989. Die kultische Verankerung der Rede vom Sehen Gottes, wie sie in den Psalmen besonders greifbar ist, wurde von F. NÖTSCHER, „Das Angesicht Gottes schauen“ nach biblischer und babylonischer Auffassung, Darmstadt 21969, und J. REINDL, Das Angesicht Gottes im Sprachgebrauch des Alten Testaments, EThSt 25, Leipzig 1970, auf altorientalische Hintergründe zurückgeführt, wo man im Tempel tatsächlich dem Bild der Gottheit begegnen konnte. Zu Recht allerdings wehrt sich VINCENT, Das Auge hört, 13f., dagegen, aus dieser Tatsache eine verschliffene Bedeutung „die Kultstätte besuchen“ zu konstruieren, wie NÖTSCHER, Angesicht, 88, dies tut. Vielmehr stehe der Ausdruck für eine (heilsam erfahrene) „Begegnung des Menschen mit dem sich offenbarenden Gott“. 232 Vgl. 1Joh 3,2; 1Kor 13,12; Hebr 12,14; Apk 22,4, aber auch Mt 18,10. BULTMANN, θεόν, 187, führt die Hoffnung auf die Heimkehr Gottes zum Zion (Jes 52,8) und auf das Erscheinen seiner Herrlichkeit an (Jes 60,2; Sach 9,14; Ps 102,17). Zum Alten Testament vgl. weiter BAUDISSIN, „Gott schauen“, 173-239; zu den rabbinischen Belegen STRBILL I, 206215. Interessant sind die – auch wirkungsgeschichtlichen – Ausführungen bei U. LUZ zu Mt 5,8 (Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1, Neukirchen-Vluyn 52002, 285-287). Luz verweist für die Bedeutung der Gottesschau innerhalb der griechischen Philosophie insb. auf Plat. Rep. VII 527d-e; VII 533d; Symp. 211d-e; Arist. Eth. Eud. 1249b16-23. Die von Luz aufgegriffenen Stellen zeigen zwar eher asketische Tendenzen, er weist aber mit Nachdruck darauf hin, dass dies von der Intention des Textes her nicht zu einer Entweltlichung führen dürfe. 233 Der ausgesprochen problematische hebräische Text von Hi 19,26b (‫שׂ ִ֗רי אֶ ֽ ֱח ֶז ֥ה ֱאלֽוֹ ַהּ‬ ָ ‫)וּ ִמ ְבּ‬ ist wohl eher im umgekehrten Sinne zu verstehen: „auch ohne meinen Körper werde ich Gott schauen.“ ‫ חזה‬meint denn auch eher ein visionäres Schauen als ein physisches Sehen, wogegen in 19,27 ‫ ראה‬verwendet wird und explizit von den Augen die Rede ist. Ganz anders übersetzt die Septuaginta: οἶδα γὰρ ὅτι ἀέναός ἐστιν ὁ ἐκλύειν µε µέλλων ἐπὶ γῆς. ἀναστήσαι τὸ δέρµα µου τὸ ἀνατλῶν ταῦτα· παρὰ γὰρ κυρίου ταῦτά µοι συνετελέσθη, ἃ ἐγὼ ἐµαυτῷ συνεπίσταµαι, ἃ ὁ ὀφθαλµός µου ἐόρακεν καὶ οὐκ ἄλλος. Nun ist nicht mehr Gott das Objekt des Sehens, sondern das von ihm ausgehende Heil.

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Liedern Eingang ins Evangelische Gesangbuch.234 Paulus bezieht sie in 2Kor 4 ausdrücklich auf das Angesicht Christi. Bereits Origenes wird in seinem Johanneskommentar Mt 5,8 mit Joh 1,18 verbinden, indem er καρδία im Sinne von νοῦς interpretiert und die καθαροὶ τῇ καρδίᾳ als solche versteht, die ihren Geist von aller Unvernunft, Schlechtigkeit und Körperlichkeit befreit haben.235 In Contra Celsum VII 43 verknüpft Origenes in einer Passage über das Sehen Gottes seine Adaption von Platons Tim. 28c (‘τὸν ποιητὴν’ δὴ ‘καὶ πατέρα τοῦ παντὸς’ ἡµεῖς φαµεν ἰδεῖν ‘ἔργον’; mit einer signifikanten Ersetzung von Platons „suchen“ [εὑρεῖν] durch „sehen“ [ἰδεῖν]), mit Joh 14,7 („wer mich sieht, hat den Vater gesehen“), Mt 5,8 und dem fleischgewordenen Logos Joh 1,14, durch den das Bild des „unsichtbaren Gottes“ sichtbar werde.236

1.8 Die johanneische Jesusgeschichte im Rahmen der religiösen Ästhetik der frühen Kaiserzeit Die eigentümlich theologisch aufgeladene Art und Weise, wie die Jesusgeschichte im Johannesevangelium zur Darstellung kommt, lässt als Hintergrund die dargelegte erkenntnistheoretische Debatte erkennen und führt diese mit der apokalyptischen Hoffnung auf ein unmittelbares Heraustreten Gottes aus seiner Verborgenheit zusammen (vgl. 1,50f.). Die johanneische Jesusgeschichte erzählt davon, wie in Jesus Christus als dem eingeborenen Sohn der göttliche Vater sichtbar und spürbar vor Augen tritt. Sie erzählt damit nicht von der Erwartung einer künftigen Offenbarung Gottes, wie es für die Apokalyptik kennzeichnend wäre, sondern gibt Zeugnis ab von einer bereits vollendeten Geschichte, deren Zukunft in der Zueignung an die Leserinnen und Leser besteht (Joh 20,30f.).237 Und es ist nicht allein Gottes Kraft (δύναµις), Herrlichkeit (δόξα) und königliche Herrschaft (βασιλεία)238, deren man in dieser Geschichte ansichtig wird. Vielmehr tritt Gott selbst ins Werden ein.239 Wer 234

Dies zeigt, wie fest sich diese Hoffnung in der kirchlichen Praxis bis heute verankert hat, besonders deutlich im Glaubenslied 184,5; weiter 20,8; 38,3; 50,5; 82,8; 140,3-4; 142,3.6; 152,4; 153,1.3.5; 155,3; 165,8; 166,1; 278,2; 322,9; 382,2; 390,3; 517,2; 521,3 Dabei sind nur solche Liedverse ausgewählt, die vom Schauen auf Gott und sein Angesicht reden. 235 Frgm. 13,12-29. 236 Cels. VII 43,14-36. Vgl. o. Kap. 1 Anm. 91. 237 Diese Aufgabe der Zueignung obliegt dem Geistparakleten. Damit scheint aber auch zugleich das Geschehen der Wiederkunft Christi umschrieben zu sein, der die Glaubenden zu sich holt, nachdem er die Bleibe beim Vater vorbereitet hat (Joh 14,3). 238 Joh 3,3.5 und insb. 18,36. 239 Sehen, sogar berühren, kann man Gott als Bild auch in CH V 2, aber hier eben in einer Art pantheistischer, natürlicher Theologie. In Sap 13,3-5; Röm 1; Philon De opif. lässt die gute Schöpfung das an sich unerkennbare Wesen Gottes, seine ewige Kraft und Göttlichkeit (Röm 1,20) erkennbar hervortreten. Was hier gesehen und gefühlt werden kann, ist also die

1.8 Die johanneische Jesusgeschichte

83

den Sohn sieht, hört, fühlt, isst, nimmt Gott den Vater wahr.240 Solche Wahrnehmung führt über die Erkenntnis Gottes letztlich zum Leben. Eine entscheidende Pointe des johanneischen Inkarnationsgedankens, dass nämlich die irdische Geschichte des Logos in seiner Körperlichkeit nur die eine Seite der Medaille ist, dass vielmehr in dieser Geschichte Gott selbst wahrnehmbar gegenwärtig und erkennbar ist, leuchtet vor dem Hintergrund der mittelplatonischen Bildhermeneutik auf. Zeigt doch schon der Prolog, dass im Leben Jesu etwas sichtbar wird und auf dem Spiel steht, das durch die Stichworte „Gott“ und „Wahrheit“ gekennzeichnet ist und das – wenn man zu ihm findet – Licht und Leben verspricht. Wenn Johannes deshalb in der Folge Geschichten aus dem Leben Jesu erzählt – die sich zum Teil durchaus mit den Synoptikern überschneiden – so erzählt er damit in der Tat Gott, wie Zumstein dies pointiert formuliert hat.241 Damit greift das vierte Evangelium ein Lösungsmodell für das gestellte Problem der immanenten Erkennbarkeit des transzendenten Gottes auf, das die mittelplatonische Bildhermeneutik zur Verfügung stellt.242 Sie nämlich erlaubt es, beides zusammenzudenken243: immanente Wahrnehmbarkeit und zugleich Wahrung der Transzendenz, geschichtlich-sinnenhafte Erfahrung und ,geistliche‘ Deutung, Identität und Unterschiedenheit. Gerade durch den Gedanken der Bildhaftigkeit kann der „paradoxe Sachverhalt […] Ausdruck finden […], dass im Offenbarer wirklich Gott begegnet, und dass Gott doch nicht direkt, sondern im Offenbarer begegnet.“244 Obwohl aufgrund der Einheit („Ich und der Vater sind eins“; 10,30) körperlich wahrnehmbares Bild des Unsichtbaren, ist das Bild zugleich von dem Abgebildeten unterschieden und wird nur richtig verExistenz Gottes und sein gütiges Wesen, nicht aber Gott selbst, wie das Johannesevangelium behauptet. 240 Diese theologische Dimension des Bildgedankens formuliert Zimmermann als Fazit seiner Untersuchung zur Christologie der Bilder im Johannesevangelium: „Wer jetzt [sc. in nachösterlicher Perspektive] in Jesus das Urbild erkennt, der kann – wie Thomas in Joh 20,28 – den Auferstandenen sogar expressis verbis ,Gott‘ nennen. So erfüllt sich die Ankündigung des Prologs, dass der eigentlich für die Menschen Unsichtbare, dessen Gestalt niemand gesehen hat (Joh 1,18a; vgl. 5,37; 6,46), in Jesus sichtbar wird“ (ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 432). Und weiter spitzt Zimmermann – etwas zu platonisch – zu: „Erst vom Christusbild her wird Gott als Urbild erkennbar“ (ebd., 436). 241 Vgl. o. 54. 242 Dabei reden wir freilich nicht von unmittelbaren Abhängigkeiten. Vielmehr handelt es sich um das Gespräch mit Gedankenfiguren, die über Philon und andere hellenistisch-jüdische Autoren auch in gebildeten jüdisch-christlichen Zirkeln en vogue sind. 243 „Obviously for Philo, as well as for other Jewish and Christian thinkers influenced by Middle Platonism, the problem of the knowledge of God takes into account both the immateriality and the transcendence of God, as well as the nature of human knowledge of such a God“ (THOMPSON, God, 103). 244 BULTMANN, Komm., 17.

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

standen, wenn und insofern es in seinem Verweischarakter wahrgenommen wird („Der Vater ist größer als ich“; 14,28). Beide Aspekte sind beim Verständnis des Geschehens zusammenzuhalten. Gleichwohl erzeugen die beiden Aspekte widersprüchliche Aussagen, die die christologische Debatte über die Jahrhunderte hinweg beschäftigen sollten. Ein besonderes Licht wirft die positive Ästhetik der Mittelplatoniker auf die gegenwärtigen Versuche, der Bedeutung der Menschlichkeit und speziell der Körperlichkeit Jesu neues theologisches Gewicht beizumessen.245 Denn die Lösung der anfangs entfalteten, im Blick auf Gott bestehenden Erkenntnisproblematik findet das „geistliche Evangelium“ programmatisch nicht in der Bestreitung der Valenz des Körperlichen, sondern im Gegenteil in der Betonung der Fleischwerdung des göttlichen Logos im Menschen Jesus Christus. Sie stellt den Kontakt her und ermöglicht – nach dem antiken Grundsatz „Gleiches wird von Gleichem erkannt“246 – eine Wahrnehmung und Erkenntnis des Göttlichen unter den Bedingungen der Welt. Dieser Kontakt, dieses Sehen des Vaters im Sohn, eröffnet den Weg zurück zum Haus des Vaters, zur Wahrheit und zum Leben.247 Mit der Betonung der Wahrnehmbarkeit tritt Johannes zudem zweifelsohne Positionen entgegen, der göttliche Logos habe das Fleisch, das Menschsein, nur gleichsam als äußere Hülle angezogen.248 Die mit der Betonung der vollen Menschlichkeit Jesu („Fleisch“; σάρξ) verbundene Aufwertung der körperlichen Welt sowie der körperlich-sinnlichen Erfahrung lässt sich also durchaus im Rahmen einer Entwicklung innerhalb des zeitgenössischen Platonismus verstehen. Gerade dieser Aspekt der johanneischen Christologie und Theologie hat immer wieder Irritationen ausgelöst. Neben deutlichen Übereinstimmungen im hermeneutischen Zugriff lassen sich zugleich signifikante Akzentverschiebungen namhaft machen, durch die sich die johanneische Hermeneutik von dem Modell mittelplatonischer Bildhermeneutik abhebt: 1. Gott zeichnet sich im Johannesevangelium nicht nur bildhaft in der Welt ab. Er prägt sich nicht als die göttliche Vernunft der materiellen Welt, dem Bereich des Werdens und Vergehens, als ordnende Struktur von außen her ein,

245

Vgl. FREY, Leiblichkeit; LEE, Flesh and Glory, passim. Zur Geschichte des Prinzips, das bei Empedokles eine wichtige Rolle spielt, vgl. K.VON FRITZ, Grundprobleme der Geschichte der antiken Wissenschaft, Berlin 1971, 601604; C.W. MÜLLER, Gleiches zu Gleichem. Ein Prinzip frühgriechischen Denkens, KlassischPhilologische Studien 31, Wiesbaden 1965. 247 Zur Metapher des Weges und des Hauses vgl. insb. Joh 14,2-11. Hierzu s.o. 50-56. 248 Vgl. U. SCHNELLE, Antidoketische Christologie im Johannesevangelium. Eine Untersuchung zur Stellung des vierten Evangeliums in der johanneischen Schule, FRLANT 144, Göttingen 1987. Besonders deutlich kommt diese antidoketische Spitze neben Joh 1,14 in den johanneischen Briefen (1Joh 4,2; 2Joh 7) zum Ausdruck. 246

1.8 Die johanneische Jesusgeschichte

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ohne in ihr aufzugehen.249 Das Johannesevangelium behauptet vielmehr, dass Gott in seinem Logos selbst ins Werden hineintritt. 2. Entsprechend geschieht die Verbindung Gottes mit der Welt, die eine Erkennbarkeit Gottes möglich macht, im Johannesevangelium in persona. Der göttliche Logos kommt aus dem Sein Gottes, wird aber als ein konkreter Mensch Teil der Welt des Werdens und Vergehens – zugespitzt und für jeden nichtchristlichen Platoniker unerträglich sichtbar im Symbol des Kreuzes. Damit ist die Präsenz Gottes in der Welt im vierten Evangelium zugleich historisch gebunden. Es ist ein einziger Punkt innerhalb von Welt und Geschichte, eine einzelne historische Figur, in der und durch die Gotteserfahrung und -erkenntnis möglich werden: Jesus Christus als der Fleisch und damit Welt gewordene Logos, als der in Einheit mit dem Vater redende und handelnde, eingeborene Sohn.250 Die exklusive Fleisch- und damit Weltwerdung des göttlichen Logos stellt den Kontakt zwischen dem Bereich des ewigen Gottes und dem Kosmos her. 3. Es ist nicht allgemein von einer Präsenz Gottes in der Schöpfung die Rede. Nicht die wahrnehmbare Welt insgesamt erscheint – wie im zeitgenössischen religiösen Platonismus – als Bild Gottes251; auch nicht einzelne Aspekte der Welt oder der religiösen Tradition, nicht die Regelmäßigkeit der Planetenbahnen252, die Schönheit und Wohlordnung der Natur, und schon gar nicht ein religiöses Artefakt.253 Wir haben es also weder mit natürlicher Theologie stoischer oder platonischer Prägung noch mit aristotelischer Kontemplation der 249 So wird das Verhältnis von göttlichem Logos und Welt etwa in Plutarchs Interpretation der ägyptischen Religion in De Iside et Osiride und in seiner Auslegung der platonischen Seelenlehre im Timaios (De animae procreatione in Timaeo) bestimmt. 250 Die Metapher der Sohnschaft gehört wiederum zum Bildvokabular des Mittelplatonismus, wie aus der philosophischen Deutung des Osiris-Mythos in Plutarchs De Iside et Osiride ersichtlich wird. Dort freilich steht Horus, der Sohn, wiederum für den wahrnehmbaren Kosmos insgesamt. Darauf, dass die Metapher der Sohnschaft schon im Alten Testament und dessen Umwelt in unterschiedlichen Bezügen vorkommt, muss nicht eigens hingewiesen werden (zum Ganzen vgl. M. HENGEL, Der Sohn Gottes, in: ders., Studien zur Christologie, Kleine Schriften IV, hg. von C.-J. Thornton, WUNT 201, Tübingen 2006, 74145). J. KÜGLER, Pharao und Christus? Religionsgeschichtliche Untersuchung zur Frage einer Verbindung zwischen altägyptischer Königstheologie und neutestamentlicher Christologie im Lukasevangelium, BBB 113, Bodenheim 1997, weist insb. auf die Beziehungen des Sohnestitels zu Ägypten hin. 251 Bei Plutarch heißt es: εἰκὼν γάρ ἐστιν οὐσίας ἐν ὕλῃ γένεσις καὶ µίµηµα τοῦ ὄντος τὸ γινόµενον (De Is. 372F-373A; vgl. 371A-B; 373B; De tranqu. an. 477C-D; De an. procr. 1013C sowie HIRSCH-LUIPOLD, Denken in Bildern, 159-224, bes. 203). Stärker der aristotelischen Tradition verpflichtet ist Ps.-Arist. De mundo. 252 Plut. De sera 550C-D. 253 Vgl. z.B. Dions Rede über die berühmte chryselephantine Zeusstatue des Phidias in Olympia (H.-J. KLAUCK U.A. [HGG.], Dion von Prusa, Olympische Rede, eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 2, Darmstadt 22002, bes. 186–216).

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Weltphänomene zu tun. Pointiert spitzt das Evangelium die Möglichkeit sinnlicher Gotteserkenntnis gegenüber stoischer Immanenz wie gegenüber orthodox platonischer Transzendenz, gegenüber stoischem Pantheismus wie gegenüber der jüdischen Überzeugung der Möglichkeit einer Erkenntnis Gottes aus der Schrifttradition254 auf einen historischen Punkt zu. Einzig in Jesus als dem Sohn und Gesandten wird solche Wahrnehmung möglich.255 4. Aus der philosophischen Tradition schwer nachvollziehbar ist der über den im Sohnestitel aufgefangenen Aspekt der Abkunft hinausgehende Gedanke der Hineinnahme des Sohnes in die Einheit des Vaters (10,30).256 5. Signifikanterweise wird der im Mittelplatonismus geläufige Begriff „Bild“ (εἰκών) bei Johannes – anders als bei Paulus und im Kolosserbrief – nicht für Christus verwendet.257 Das ist besonders bemerkenswert, da die Terminologie über die Septuaginta (Gen 1,26f.) bereits Eingang in die biblische Tradition gefunden hatte und von dort her schon bei Philon mit platonischen Interpretationen verbunden worden war.258 Es mag sein, dass dem Johannesevangelium die Bezeichnung des Sohnes als Bild aufgrund der im Bildbegriff implizierten ontologischen Unterscheidung als zu schwach erschien: für Johan254

Vgl. Joh 5,37-40: Aus den überlieferten Schriften lässt sich das lebenstiftende Wort nicht vernehmen, sondern nur von dem fleischgewordenen Wort (vgl. 5,25). Während Johannes sich mit der Aussage, keiner hätte je das Angesicht Gottes gesehen, ganz im Rahmen jüdischer Überzeugungen bewegt, widerspricht die Aussage, die Juden hätten nie die Stimme Gottes vernommen, völlig jüdischem Selbstverständnis (vgl. insb. Dtn 4,12 und THEOBALD, Komm. I, 413). Es handelt sich also m.E. bei 5,37, anders als bei 1,18a, nicht um eine allgemeingültige Aussage über das Wesen menschlicher Erkenntnisfähigkeit (wie bei THOMPSON, God’s Voice vorausgesetzt); auch nicht um eine Aussage, die sich nur an die in Joh 5,10 angesprochenen jüdischen Autoritäten richtet (so W. KRAUS, Johannes und das Alte Testament. Überlegungen zum Umgang mit der Schrift im Johannesevangelium im Horizont biblischer Theologie, ZNW 88 [1997], 1-23, hier 4), sondern um eine polemische Zuspitzung gegen alle Juden, die Gott nicht sehen und hören wollen, wo es (in Christus) möglich wäre. 255 Dahinter wird der Streit um die biblische Tradition sichtbar, der bei Johannes geführt wird als Streit um die Frage nach der Offenheit für Neues gegenüber der mosaischen Tradition in einer bestimmten Auslegung. Für Johannes bedeutet dies freilich – anders als in der „mündlichen Tora“ der Pharisäer – nicht nur eine Ausdeutung des mosaischen Gesetzes, sondern eine vollständige und allen Gläubigen zugängliche Offenbarung und Gottesschau (bzw. allgemeiner: eine Gottes-Wahrnehmung). 256 Vgl. Joh 17,11.21. Jedenfalls, solange der Sohn nicht in die Einheit des Vaters aufgeht, wie dies in der platonischen ὁµοίωσις θεῷ gedacht ist. Für den metaphysischen Gedanken der Unvergänglichkeit und Ewigkeit ist die Eins als unteilbares Prinzip konstitutiv. Demgegenüber integrieren die Christen das Moment der Beziehung und der Geschichtlichkeit in ihren Gottesbegriff. Diese Einheit wird ekklesiologisch ausgedehnt in den Abschiedsreden (Joh 17,11.21.23). 257 In diesem Punkt muss ich also meine Ausführungen in „Klartext“ korrigieren und präzisieren (vgl. auch die Kritik von ENGBERG-PEDERSEN, John and Philosophy, 442f.). 258 Vgl. bes. De opif. 67-76.

1.9 Brechungen

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nes ist der fleischgewordene Sohn, der in der Einheit mit dem Vater lebt, viel mehr als ein Bild. 6. Dem entspricht eine anthropologische und gnoseologische Perspektive: Nicht ein menschlicher Logos, der dem κατ’ εἰκόνα ἡµετέραν καὶ καθ’ ὁµοίωσιν geschaffenen Menschen (Gen 1,26) mit dem göttlichen Geist- und Lebenshauch (Gen 2,7) als ἀπόσπασµα θεῖον259, als ein „göttliches Teilchen“ eingehaucht worden wäre, stellt als ein den Menschen mit Gott verbindendes Organ gemäß dem Prinzip „Gleiches wird von Gleichem erkannt“ die Möglichkeit zur Gotteserkenntnis her. Der Logos ist nicht ein gottanaloges Organ des Menschen, sondern vom biblischen Schöpfungsbericht her göttliches Schöpferwort, das sowohl die Welt als auch die Neuschöpfung bzw. Wiedergeburt des Menschen durch die göttliche Botschaft ins Werk setzt. Entsprechend resultieren Erkennen (γιγνώσκειν) und Glauben (πιστεύειν) einzig aus der Begegnung mit dem fleischgewordenen Logos. Der Logos wird bei Johannes also nie zu einer Erkenntnismöglichkeit des Menschen; als Fleischgewordener steht er den Menschen immer als Ermöglichung der Gotteserkenntnis und damit der Gottesbeziehung gegenüber.260 Dies findet besonderen Ausdruck in der Betonung der körperlich-sinnenhaften Rezeption des in Jesus gegenwärtigen Heils. Auch der Schlüssel zum Verständnis kommt deshalb von außen: durch den Heiligen Geist, den παράκλητος, den Jesus nach seiner Verherrlichung schicken will, der ihn vertritt und der die Glaubenden alle Dinge lehren wird.261

1.9 Brechungen: Die Ambivalenz sinnlicher Wahrnehmung und die Ambivalenz des Wahrgenommenen Der Gedanke, dass durch die Fleischwerdung des Logos Gott wahrnehmbar vor Augen getreten ist, wirft seine eigenen Fragen auf: Wie ist er mit der 259 Philon Leg. All. III 161; De somn. I 34. Der göttliche Schöpfungslogos wird hier auch zur anthropologischen Kategorie, wenn nämlich Gott nach Gen 2,7 dem Menschen seinen Geist einhaucht, der es zuallererst möglich macht, Gott zu erkennen und damit zum eigentlichen Leben zu finden. 260 Hier wird die völlig veränderte Akzentsetzung gegenüber Philon deutlich. Denn nach H. TOBIN, The Prologue of John and Hellenistic Jewish Speculation, CBQ 52 (1990), 252269, hier 260, besteht die „anagogische“ Funktion des Logos bei Philon darin, ebenfalls diese Grenze zu überwinden: „[…] the logos was meant to guide the human soul to the realm of the divine. For Philo the goal of the human soul was the knowledge and vision of God (Deus 143), to become like God or to be assimilated to God […] (De fug. 23).“ Die Fähigkeit dazu liegt, wie wir gesehen haben, in der Teilhabe des menschlichen am göttlichen Logos, die – wie Tobin weiter ausführt – gerade zu einer Abwendung der Seele vom Körper und von der Sinneswahrnehmung führt (De fug. 91f.; Her. 69-74). 261 Joh 14,16f.26; vgl. 7,39; 15,26; 16,7.13; 20,22.

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

historischen Erfahrung der Ablehnung der Botschaft bei Juden und Griechen einerseits und des Unglaubens innerhalb der Gemeinde andererseits in Einklang zu bringen? Welche Bedeutung kann die historisch einmalige Offenbarung für kommende Generationen gewinnen, die diesen unmittelbaren Zugang zur Offenbarung nicht mehr haben? Die Behauptung, dass über die Begegnung mit Jesus ein Zugang zur Wahrheit Gottes möglich geworden ist, rückt solche Fragen in den Vordergrund. Jesus wird selbst von seinen engsten Vertrauten nicht als Offenbarer Gottes erkannt, worüber er sich wiederholt zu beklagen hat262: „Ihr habt mich gesehen und glaubt doch nicht“ (6,36); „Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen. Wie kannst Du sagen: Zeig uns den Vater?“ (14,9). Der geheilte Blindgeborene sagt zu dem vor ihm Stehenden (auf die Frage, ob er an den Menschensohn glaube): „Und wer ist es, Herr, damit ich an ihn glauben kann?“ Auch Martha kann es nicht fassen: Obwohl sie ihren Glauben an Christus, den in die Welt gekommenen Sohn Gottes, der Auferstehung und Leben ist, bekennt (11,27), bleibt sie im Todesgeruch der alten Welt gefangen (11,39).263 Und die ,Juden‘ wollen es nicht fassen. Sie schotten sich selbst ab vor der in Christus manifesten Realität (9,39-41). Das Evangelium verlagert die Thematik in die Rezeptionsperspektive: vom ‚Gegenstand‘ auf die Bedingungen der Möglichkeit seiner Wahrnehmung. Das Problem der Rezeption und Deutung des von Gott in der Welt Gegenwärtigen tritt so ins Zentrum, und damit die Frage: Kann man Gott – so man ihn sieht – denn auch erkennen? Oder auch umgekehrt: nimmt man ihn überhaupt wahr, wenn man von den falschen Voraussetzungen ausgeht? Die Mehrdeutigkeit jeglicher Erscheinung Gottes unter den Bedingungen der Welt ist hiermit angesprochen. Das Evangelium verortet das Problem anthropologisch: mit dem Blindgeborenen in Joh 9 wird exemplarisch ein Mensch gezeigt, dem alle Voraussetzungen des Sehens abgehen. Diese Voraussetzungen müssen deshalb durch Jesus erst geschaffen werden. Dies wird kontrastiert mit denjenigen, die (aufgrund der Deutekategorien ihrer Tradition) alle Voraussetzungen von Geburt an mitbringen, die klar vor Augen liegende Botschaft wahrzunehmen, sich ihr gegenüber aber aktiv verschließen, weil sie bereits zu sehen meinen.264 262

Es stellt sich die von Paulus im Blick auf das Judentum als besonders schmerzlich empfundene Frage, mit der er in Röm 9-11 ringt, warum manche dieses offensichtlich vor Augen stehende Heil nicht zu sehen im Stande sind. 263 Vgl. ausführlich u. Kap. 3. 264 Vgl. Joh 9,39-41. In der tragischen Umkehrung von Sehen und Blindheit lässt sich ein „Ödipus“-Motiv erkennen, das eine Kenntnis des entsprechenden Motivs der Selbstblendung durch die Berufung auf die vermeintliche Scharfsichtigkeit verrät. Solches Sehen unter falschen Voraussetzungen wird in Joh 9,39-41 (wie im Ödipus Rex) als schuldhaft angesprochen. Die Beziehung zu Ödipus ist in der neueren Forschung vergessen worden, findet sich aber bereits bei Irenäus Adv. haer. V 13,2: Μάταιοι οὖν ὄντως καὶ ἄθλιοι, οἱ τὰ οὕτως ἔκδηλα καὶ φανερὰ µὴ θέλοντες συνορᾶν ἀλλὰ φεύγοντες τὸ φῶς τῆς ἀληθείας, οἱ κατὰ τὸν τραγικὸν

1.9 Brechungen

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Das Problem der Spannung zwischen der konkret sichtbaren und spürbaren Realität des Heils und dem vielfach ungehörten Verhallen dieses Rufs zum Glauben ist von Johannes durch eine Reihe von literarischen Konstruktionen und Brechungen aufgenommen.265 O. Cullmann sieht in seinem Aufsatz zum „Gebrauch doppeldeutiger Ausdrücke als Schlüssel zum Verständnis des vierten Evangeliums“ deshalb eine Vermittlungsfunktion auf jeder Ebene des Evangeliums am Werk: „So lässt sich von der kleinsten sprachlichen Einheit, dem Worte, bis zur grösseren, dem Satze, vom Satze zur Perikope, von der Perikope zum ganzen Evangelium zeigen, wie der Evangelist bestrebt ist, in dem einmaligen, durchaus realen historischen Geschehen des Lebens Jesu zugleich die zeichenhaft schon in diesem enthaltene weitere heilsgeschichtliche Entfaltung zu entdecken und im Leser das Verständnis für diese Zusammenschau von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wachzurufen. Hier handelt es sich nicht um Allegorie, auch nicht um Mystik, die in Geschichte eingekleidet ist, sondern um Heilsgeschichte, die ihr sinngebendes Zentrum im historischen Leben des fleischgewordenen Logos hat“. 266

Οἰδίποδα ἑαυτοὺς τυφλώττοντες (griechisch überliefert bei Johannes von Damaskus). Ödipus hatte das Rätsel der Sphinx gelöst und war so König von Theben geworden. Als ihm der blinde Seher Teiresias die Wahrheit über seine eigene Geschichte erzählt, verlacht ihn Ödipus und beruft sich gegenüber dessen körperlicher Blindheit auf seine eigene Fähigkeit, Rätsel zu lösen – und endet in der Katastrophe. Wie Ödipus berufen sich auch „die Juden“ darauf, dass sie die „Seher“ sind – und dies tritt für sie umso klarer hervor im Gegenüber zu dem Blinden (dessen Krankheit, wie die Anfangsverse zeigen, in der traditionellen Wahrnehmung zudem für seine Entfernung von Gott und der Wahrheit spricht). So evident freilich die Ansprüche auf das eigene Wissen jeweils sind – sie stellen sich gleichzeitig gegen eine religiöse Instanz, die jeweils durch einen Blinden repräsentiert wird: bei Sophokles durch den blinden, im Dienst des Orakelgott Apollon stehenden Seher, der – das müsste auch Ödipus wissen – nie in seinen Aussagen fehlgeht, bei Johannes durch den geheilten Blindgeborenen, der in seiner Heilung dem langersehnten Messias begegnet ist, welcher ihm nach biblischer Verheißung die Augen aufgetan hat. Die Ironie liegt jeweils in der Umkehrung des Selbstverständlichen. Ödipus hat schon das Rätsel der Sphinx gelöst – sollte er das vor Augen liegende nicht sehen können? Die Juden haben mit dem mosaischen Gesetz die göttliche Wahrheit erhalten. Sollten sie nicht besser zu sehen in der Lage sein als ein von Anfang an Blinder? „Die Juden“ sind also nicht blind, obwohl sie sehen können, sondern gerade weil sie sich auf ihr Sehen berufen und durch ihr Sehen geblendet werden. Demgegenüber hätten sie nur auf das Augenöffnen schauen müssen (9,30), dann hätten sie – gerade weil sie als Juden von Geburt an Sehende sind – gewusst, dass nur jemand, der von Gott kommt, solche Dinge tun kann (vgl. 10,21; 14,11). In beiden Fällen verspotten die vermeintlich klar Sehenden den Blinden – und sprechen sich darin selbst ihr Urteil. Deutlich verbindet Irenäus in seiner Interpretation Joh 9,39-41 mit 3,19-21. 265 Zu diesen Kategorien vergleiche die knappe Zusammenfassung bei ATTRIDGE, Art. Johannesevangelium; sowie weiter THYEN, Komm., 90f.; HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, 79-89. 266 CULLMANN, Doppeldeutige Ausdrücke, 185f.

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

1.9.1 Nicht Sinneswahrnehmung per se Es ist nicht Sinneswahrnehmung per se, die zu Glauben und Leben führt, sondern in einer bestimmten Weise gefüllte, gedeutete Sinneswahrnehmung. Dies zeigt sich an der Reaktion der Protagonisten auf die Offenbarung. In der Jesus-Erzählung des Johannesevangeliums bleibt das sinnlich Wahrgenommene weitgehend missverstanden, die Sehenden bleiben blind für die Wahrheit und die Hörenden verschließen ihre Ohren. Immer wieder führt das Evangelium die Problematik von Sehen und Nichtsehen, Erkennen und Verfehlen vor Augen, denn ein echtes Wahrnehmen setzt nach Johannes selbstverständlich Erkennen, und Erkennen Glauben aus sich heraus. Das Wahrgenommene, so zeigt sich, gibt dem erkennenden Subjekt die darin zur Darstellung kommende Wahrheit erst preis, wenn es als Zeichen für etwas Höheres wahr-genommen und verstanden wird.267 Entsprechend sind die sinnlichen Wahrnehmungen des fleischgewordenen Logos im Evangelium in verschiedener Weise gebrochen. 1.9.2 Die Perspektive der Rezipienten Auffällig ist in diesem Zusammenhang die Betonung der Rezeptionsperspektive, die wir bereits hervorgehoben hatten: Durch die körperliche Annäherung an Jesus, aber auch durch das betonte „wir“ (beispielsweise im Prolog 1,14), werden die Leserinnen und Leser des Evangeliums über verschiedene Brechungen hinweg mit in die Geschichte hineingenommen.268 Indem die Erzählung des Evangeliums die Wahrnehmung in den Vordergrund rückt, wird die Natur des erkennenden Subjekts ebenso wichtig wie der ‚Gegenstand‘ der Erkenntnis. Damit aber wird die Wirkung des Heils in erstaunlicher Weise an die Rezipienten gebunden: Das Licht scheint in der Finsternis, aber wenn die in der Finsternis Sitzenden nicht zum Licht kommen (Joh 3,19-21) und die Augen nicht öffnen wollen (vgl. Joh 9,39-41), dann erfahren sie nicht die offen zu Tage liegende Heilsgegenwart Gottes. Gott ist als Liebe unter den Menschen wirksam, aber wenn sie selbst die Liebe in ihrem Leben nicht verwirklichen, dann ist auch Gott nicht unter ihnen.269

267 Vgl. F. HAHN, Das Glaubensverständnis im Johannesevangelium, in: E. Gräßer/ O. Merk (Hgg.), Glaube und Eschatologie (FS W.G. Kümmel), Tübingen 1985, 51-69, hier 65: „Jesu Handlungen werden für den Glaubenden erst und nur dann relevant, wenn sie zu einem σηµεῖον geworden sind und auf die Person dessen verweisen, der sie vollbringt.“ 268 P.S. MINEAR, John. The Martyr’s Gospel, New York 1984, 3f. betont, dass sich der Evangelist mit diesem „wir“ in die Gemeinschaft der Glaubenden eingliedert. Bewusst identifiziert er ihre Perspektive mit der eigenen. 269 Dieser Gedanke wird ausformuliert in 1Joh 4; vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Prinzipiell-theologische Ethik, 305f.

1.9 Brechungen

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1.9.3 „Das Fleisch ist nichts nütze“ – Das rechte Verständnis der „Zeichen“ An verschiedenen Stellen scheint das Johannesevangelium einen auf äußerlichen Wunderzeichen basierenden Glauben zu kritisieren (4,48). Andererseits weisen die faktische Verwendung des σηµεῖον-Begriffs, die gesteigerte Wunderhaftigkeit gegenüber den Synoptikern, das Hervortreten körperlich-sinnlicher Erfahrung im Glaubenszusammenhang und schließlich die verschiedentliche Betonung der glaubenstiftenden Wirkung der „Werke“ (bes. Joh 14,11) in eine andere Richtung. Nicht um eine Kritik der Zeichen als eines körperlichsinnlichen Zugangs zum Glauben geht es, kritisiert wird vielmehr eine Haltung, die nicht über den Bereich des Körperlichen hinauszublicken in der Lage ist. Nur in ihrer Zeichenhaftigkeit begriffen führen die Zeichen über die einmalige Heilserfahrung hinaus. Joh 6,63 („Das Fleisch ist nichts nütze“) wäre dementsprechend zu interpretieren in dem Sinne: „Das Fleisch allein ist nichts nütze.“ „The disciples (like the ,Jews‘ of V. 52) do not rightly perceive the flesh of which Jesus speaks … They do not see ‚the Word become flesh‘ (1:14). … The flesh as flesh is useless; only the spirit gives life to the flesh, and the spirit dwells in the Son of Man (cf. 1:33) and in the words that Jesus speaks. V. 63 recalls 1:13 and 3:4-8. A new life born of flesh and spirit is possible to those who believe, but if one limits one’s understanding of life to one’s preconceptions of what is possible in the flesh, one will receive nothing. Spirit and flesh must be held together; this is the heart of the incarnation.“270

1.9.4 Literarische Signale für Brechungen der Wahrnehmung Die Brechungen der Wahrnehmung werden innerhalb der Erzählung durch eine Reihe literarischer Signale angedeutet. 1.9.4.1. Terminologie271 a. σηµεῖον Eine Brechung ist bereits terminologisch angedeutet, wenn die Wunder bei Johannes als σηµεῖα272, als „Zeichen“ in den Blick kommen. Unter den Bedin270

O’DAY, Komm., 610 (Hervorhebung G.O’D.). Da dies in HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, ausführlich dargestellt wurde, kann ich mich hier kurzfassen. 272 Vgl. K.H. RENGSTORF, Art. σηµεῖον κτλ., ThWNT VII, 199-268; DODD, Interpretation; vgl. weiter BITTNER, Jesu Zeichen; C. WELCK, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21, WUNT II/69, Tübingen 1994; W.H. SALIER, The Rhetorical Impact of the Sēmeia in the Gospel of John, WUNT II/186, Tübingen 2004; W. WILKENS, Zeichen und Werke. Ein Beitrag zur Theologie des vierten Evangeliums in Erzählungs- und Redestoff, AThANT 55, Zürich 1969; S. HOFBECK, Semeion. Der Begriff des „Zeichens“ im Johannesevangelium unter Berücksichtigung seiner Vorgeschichte, MüSt 3, Münsterschwarzach 1966; W. NICOL, The Semeia in the Fourth Gospel. Tradition and Redaction, NT.S 32, Leiden 1972. 271

92

Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

gungen dieser Welt wird in dem fleischgewordenen Logos die die Welt verändernde Logik Gottes handgreiflich wahrnehmbar. Allerdings eben nur für den, der das Geschehen in seinem Verweischarakter erkennt und sich zum Glauben führen lässt. Diese Sichtweise lässt sich auf die johanneische Jesusgeschichte insgesamt übertragen: Entscheidend ist, das Erzählte als „Zeichen“ für die darin zur Darstellung kommende höhere Wirklichkeit zu verstehen und damit in Christus den zur Welt gekommenen Gott zu erkennen, mit anderen Worten: das „FürWahr-Nehmen“ des Wahrgenommenen.273 In diesem Sinne kann man die johanneische Jesusgeschichte insgesamt als σηµεῖον begreifen. b. ἀληθινός κτλ. In der Verwendung des Wortstammes ἀλήθεια, ἀληθινός, ἀληθής κτλ. im Johannesevangelium drückt sich die Unterscheidung zweier Ebenen aus: Hinter der körperlich-sinnlichen Ebene ist eine tiefere, „wahre“ Ebene erkennbar.274 Insbesondere kennzeichnet Wahrhaftigkeit das Wesen Gottes (3,33; 7,28; 8,26) als der Quelle jener Wahrheit, die der Sohn in die Welt hinein vermittelt (8,26.40). Von Gott geht alle Wahrheit aus, und was in der Welt als „wahr“ betrachtet werden kann, steht zu dieser Wahrheit, die zugleich Leben ist, in Beziehung. Das Adjektiv bezeichnet in einer im Rahmen des biblischen Schrifttums eigentümlichen ontologisierenden Redeweise in der Regel Gegenstände der vorfindlichen Welt („wahres Brot, wahre Speise, wahres Licht, wahrer Weinstock“; 1,9; 6,32.55; 15,1) in ihrem über diese Welt hinausweisenden

273

Vgl. HAHN, Sehen und Glauben, 136-139; vgl. die in rückblickenden Reflexionen, nämlich beim Abschluss der Zeichentätigkeit Jesu (12,37) und im ersten Buchschluss (20,30f.) erscheinende Betonung, dass diese Taten getan und überliefert wurden, um Glauben zu wecken. 274 Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, 68-79; DODD, Interpretation, 139f. 170-178; CULLMANN, Doppeldeutige Ausdrücke, passim. Allgemein zum Wahrheitsbegriff bei Johannes: F. BÜCHSEL, Der Begriff der Wahrheit in dem Evangelium und in den Briefen des Johannes, BFChTh 15/3, Gütersloh 1911; DE LA POTTÉRIE, La Vérité; R. BULTMANN, Art. ἀλήθεια κτλ., ThWNT I, 233-251; ders., Untersuchungen zum Johannesevangelium. A. ἀλήθεια, ZNW 27 (1928), 113-163; S. AALEN, „Truth“, a Key Word in St. John’s Gospel, in: F.L.Cross (Hg.), Studia Evangelica 2, TU 87, Berlin 1964, 3-24; Y. IBUKI, Die Wahrheit im Johannesevangelium, BBB 39, Bonn 1972, 113-163; HAMID-KHANI, Revelation, 341-345; H.-G. LINK, Art. Wahrheit/Lüge. ἀλήθεια κτλ., ThBLNT2, 1834-1844; H. SCHLIER, Meditationen über den Johanneischen Begriff der Wahrheit, in: ders., Besinnung, 272-278. ENGBERG-PEDERSEN, John and Philosophy, 442f., vermag, wie er am Beispiel des „wahren Brotes“ zu zeigen versucht, eine solche Trennung zweier Ebenen nicht zu erkennen (auf meine Interpretation von Joh 6 in Klartext, 75-79, wo dies ausführlich erläutert und auf die schon räumliche Dimesion des Himmels bzw. des Von-Oben-Herab, das die beiden Bereiche markiert, verwiesen wird, geht er indes nicht ein).

1.9 Brechungen

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Charakter.275 Seltener erscheint „Wahrheit“ als vermittelte Qualität derjenigen, die sich für die Wahrheit Gottes öffnen.276 Die Verschmelzung beider Ebenen geschieht in Jesus Christus, der als geschichtliche Figur die Wahrheit als eine nicht mehr den Sinnen verborgene verkörpert. c. Offenheit versus Verborgenheit Die Spannung zwischen offenbarer Klarheit und Verborgenheit durchzieht die Sprach- wie die Handlungsebene im Johannesevangelium.277 Sie zeigt sich insbesondere in der Spannung zwischen παροιµία („Bild- oder Rätselrede“) und παρρησία auf der Sprachebene278 sowie zwischen Offenheit (ἐν παρρησίᾳ) und Verborgenheit (ἐν κρυπτῷ) auf der Handlungsebene.279 1.9.4.2. Erzähltechnik280 Auch auf der Ebene der Erzähltechnik findet sich eine ganze Reihe von Elementen, die auf die Ambivalenz der körperlichen Wahrnehmung der in Christus gegenwärtig gewordenen göttlichen Wahrheit hindeuten.281 a. Missverständnisse Immer wieder entzünden sich Missverständnisse282 daran, dass die Gesprächspartner Jesu ihre Wahrnehmungen unter den Bedingungen der „alten Welt“ deuten. Ihnen gelingt es nur, die Oberfläche des Geschehens wahrzunehmen. Der Prozess hin zu einem immer größeren Verständnis wird bei der Begegnung 275

HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, 69f. Nathanael ist deshalb „in Wahrheit ein Israelit“ (ἀληθῶς Ἰσραηλίτης), weil er sich durch Hören und Sehen sofort zum Glauben rufen lässt. 277 HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, 79-89. 278 Vgl. U. POPLUTZ, Paroimia und Parabole. Gleichniskonzepte bei Johannes und Markus, in: Frey u.a., Imagery, 103-120. 279 Vgl. insb. Joh 7,1-13. Vgl. M. LABAHN, Die παρρησία des Gottessohnes im Johannesevangelium. Theologische Hermeneutik und philosophisches Selbstverständnis, in: J. Frey/U. Schnelle (Hgg.), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, WUNT 175, Tübingen 2004, 321-363; S.B. MARROW, Parrhēsia in the New Testament, CBQ 44 (1982), 431-446. 280 CULPEPPER, Anatomy; O’DAY, Revelation. 281 Während die im Folgenden aufgezählten Elemente Ambivalenzen innerhalb der Erzählung signalisieren, listet M.W.G. Stibbe eine Reihe von offenen Fragen auf, die der Evangelist dem Leser mit auf den Weg gibt, indem er Entscheidendes ungesagt lässt: wer ist das Wort (1,1), warum erkennt ihn die Welt nicht (1,10), wo wohnt Jesus (1,39), wann und wie hat Jesus Nathanael gesehen (1,48) usw. (M.W.G. STIBBE, John’s Gospel, London/New York 1994, 15f.). 282 J. RAHNER, Missverstehen um zu verstehen. Zur Funktion der Missverständnisse im Johannesevangelium, BZ 43 (1999), 212-219. 276

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

mit der samaritanischen Frau besonders deutlich, in der über eine Folge von Missverständnissen das Wesen Jesu immer weiter geklärt wird, bis sie selbst zur Verkünderin wird, die viele zum Glauben an Jesus führt (Joh 4,39). b. Johanneische Ironie Die Charaktere der Handlung sagen verschiedentlich – zum Teil unfreiwillig – etwas aus, dessen Sinn und Bedeutung sie selbst nicht verstehen. Dieses literarische Mittel, das im Bereich des antiken Dramas als „tragische Ironie“ bekannt ist, hat man als „johanneische Ironie“ bezeichnet.283 Culpepper begreift die johanneische Ironie unter der Überschrift „Implicit Commentary“ als literarische Technik, die der Kommunikation des Autors mit seinen Lesern dient: „The implied author smiles, winks, and raises his eyebrows as the story is told.“284 Culpeppers ausgesprochen breite Definition, die er im Gespräch mit literaturwissenschaftlichen Entwürfen gewinnt285, schließt unterschiedliche Formen von Bildhaftigkeit ein.286 Culpepper fasst die Funktion johanneischer Ironie wie folgt zusammen: „John’s irony is calculated, therefore, primarily to include readers among the circle of believers committed to the evangelist’s theology. The implied author’s irony is not designed, like that of Socrates, to extract the truth, but to expose it and to include the observer in the circle of those who have recognized it.“287 Die Ironie ist also Teil eines Kommunikationsakts. Aufgrund von Spannungen im Text wird hinter der Erzähloberfläche eine Tiefenstruktur erkennbar, die eine Schichtung der Wirklichkeit offenbart. Diese beruht nach der Überzeugung Culpeppers allerdings auf einem grundsätzlichen Dualismus: Die Aufgabe des Lesers liege gemäß der Intention des impliziten Autors darin, von der trügerischen Ebene des Fleisches und der Dunkelheit sich zur Ebene des Geistes erheben zu lassen. Ist Culpepper darin zuzustimmen, dass diese Technik auf eine Kommunikation mit dem Leser zielt und eine ontologische Analyse der Wirklichkeit voraussetzt, so liegt die Pointe gerade nicht in einer dualistischen Entgegensetzung, sondern im Zusammenhang der Ebenen. Es geht nicht darum, dass der Leser eine Ebene „zurückweisen“ soll, um zu einer andern vorzudringen: Vielmehr liegt die Tragik der Ironie darin, dass ihre

283 Vgl. CULPEPPER, Anatomy, 165-180; ders., Reading Johannine Irony, in: Culpepper/ Black, Exploring the Gospel, 193-207; O’DAY, Revelation, 3-32; K. SCHOLTISSEK, Ironie und Rollenwechsel im Johannesevangelium, ZNW 89 (1998), 235-255; HAMID-KHANI, Revelation, 75-85. Einen Vergleich des Johannesevangeliums mit dem antiken Drama führt G. PARSENIOS, „No Longer in the World“ (John 17:11). The Transformation of the Tragic in the Fourth Gospel, HTR 98 (2005), 1-21, anhand der Abschiedsreden durch. 284 CULPEPPER, Anatomy, 165f. 285 Vgl. D.C. MUECKE, The Compass of Irony, London 1969; ders., Irony and the Ironic. The Critical Idiom 13, London 1970; W.C. BOOTH, A Rhetoric of Irony, Chicago 1974. 286 Monographisch ausgearbeitet wurde das Thema von seinem Schüler P. D. DUKE (Irony in the Fourth Gospel, Atlanta 1985). 287 CULPEPPER, Anatomy, 180.

1.9 Brechungen

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,Opfer‘ die Wahrheit sehen (etwa die Heilung des Blindgeborenen durch Jesus), aber ihre Bedeutung nicht erkennen oder nicht erkennen wollen und deshalb die vor Augen liegende Wahrheit – mit schlimmen Folgen – zurückweisen. Es ist gerade der Zusammenhang, den der Logos durch seine Fleischwerdung hergestellt hat, der eine Spannung schafft, die die Gegenstände der Welt changieren lässt und somit ironische Aussagen ermöglicht.

Gegenüber einer zu breiten Definition der johanneischen Ironie im Sine des Phänomens der Bildhaftigkeit allgemein ist es hilfreich, diese Definition durchaus im Sinne „tragischer Ironie“ auf solche Fälle einzugrenzen, bei denen eine Person unbewusst und teilweise auch schuldhaft eine Aussage trifft, deren Wahrheit ihr selbst nicht bewusstwird, oder die ein Ergebnis entgegen der eigenen Intention überhaupt erst herbeiführt. Das klarste Beispiel ist die Aussage des Hohepriesters Kaiaphas in Joh 11,50: „Ihr bedenkt auch nicht, dass es zu euren Gunsten ist, dass ein Mensch stirbt für die Volksmenge und nicht das gesamte Volk zugrunde geht“, die unmittelbar anschließend in einer auktorialen Bemerkung als prophetisches Wort qualifiziert wird, das Kaiaphas nicht von sich selbst aus gesagt habe. Der Hohepriester führt durch sein Todesurteil genau das herbei, was er verkündet – vollkommen konträr zu seiner Intention. Auch die Heilung des Blindgeborenen in Joh 9 ist voller Aussagen, die dem Leser eine weit größere Bedeutung erschließt als sie von den Figuren der Erzählung intendiert war.288 c. Aufbau der Geschichten aus Einzelszenen Verschiedene Geschichten innerhalb des Johannesevangeliums sind so aufgebaut, dass sie über mehrere aufeinander in fortschreitender Ordnung bezogene Einzelszenen den Leser auf einen Erkenntnisweg mitnehmen. In diesen stark dialogischen Szenen spielt die Klärung sinnlicher Wahrnehmungen eine wichtige Rolle.289 Sowohl die Erzählung mit der Frau am Brunnen als auch die Heilung des Blindgeborenen und die Auferweckung des Lazarus, aber bereits die Erzählung der Gewinnung der ersten Jünger in Joh 1 nimmt den Leser auf einen Erkenntnisweg über verschiedene Stationen mit.290 288

Vgl. CULPEPPER, Anatomy, 175f. Der dramatische Charakter des Johannesevangeliums wird unterstrichen z.B. von L. SCHENKE, Das Johannesevangelium. Einführung – Text – dramatische Gestalt, Stuttgart 1992; ders., JohannesKommentar, durchges. elektronische Aufl., Mainz 2014 (urspr. Düsseldorf 1998), 339f.; J.-A.A. BRANT, Dialogue and Drama. Elements of Greek Tragedy in the Fourth Gospel, Peabody 2004; K.B. LARSEN, Recognizing the Stranger. Recognition Scenes in the Gospel of John, BIS 93, Leiden 2008; G. PARSENIOS, Rhetoric and Drama in the Johannine Lawsuit Motif, WUNT 258, Tübingen 2010; vgl. aber schon E.K. LEE, The Drama of the Fourth Gospel, ExT 65 (1953-1954), 173-176. 290 Diese literarische Technik findet sich besonders eindrücklich umgesetzt in der Tabula Cebetis, einer allegorischen Bildbeschreibung des Lebenswegs, auf dem man die Hauptfigur gleichsam bei der Lektüre begleitet (R. HIRSCH-LUIPOLD U.A. [HGG.], Die Bildtafel des 289

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

d. Die Rede von Scheidung und Spaltung (σχίσµα und κρίµα/κρίνειν) Auf der Erzählebene führt das Erzählte zu einer Spaltung zwischen denen, die sehen und glauben, und denen, die in der Blindheit verharren wollen.291 Sie schotten sich gleichsam selbst von der Wahrheit und von dem Licht ab, das sie längst umgibt (9,39-41). Dies wird terminologisch verdichtet in den Begriffen σχίσµα bzw. κρίµα/κρίνειν.292 In 9,39 wird dabei besonders deutlich, dass das Gericht (κρίµα), zu dem Jesus Christus in die Welt gekommen ist, als Ergebnis einer Unterscheidung (κρίµα) zustande kommt, die der Einzelne dadurch vollzieht, wie er sich zu Jesus als dem Christus stellt.293 Die Spaltung ereignet sich angesichts der Wahrnehmung und Deutung der Geschichte Jesu, was für die Theologie und Soteriologie des Evangeliums, aber auch für das Verständnis der im Evangelium angelegten Textpragmatik von eminenter Bedeutung ist. An der Frage der Deutung des Wahrgenommenen scheiden sich die Geister. Verschließt man sich vor der im Evangelium sich darstellenden Wahrheit Gottes in Christus, dann wird diese Wahrheit für den Einzelnen auch nicht wirksam – durch die individuelle Ablehnung ist das Gericht damit bereits vollzogen. e. Ineinanderblendung/Verschränkung der Zeitebenen und der Seinsebenen (oben/unten) Literarisch wird die Spannung zwischen Offenbarung und Verborgenheit durch eine Verschmelzung und Ineinanderblendung der Zeitebenen umgesetzt. Die Erzählung von der Vergangenheit des geschichtlich gegenwärtig gewordenen Heils wird stets überblendet mit gegenwärtiger Erfahrung und eschatologischer Hoffnung. J. Frey hat in seiner wegweisenden Arbeit dieses Geflecht der Zeitebenen dargestellt und theologisch interpretiert.294 Dabei hat er den unaufgebbaren Zusammenhang der verschiedenen zeitlichen Perspektiven hervorgehoben.295 Seine Beobachtungen lassen sich auf das Spannungsfeld von gegenwärtigem und zukünftigem Sehen sowie von einem Wahrnehmen der körperKebes. Allegorie des Lebens, eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 8, Darmstadt 2005). 291 Das reflektiert, den ersten Teil des Evangeliums abschließend, Joh 12,47-50. Eine sehr viel aktivere Rolle, das deutet Jesus an dieser Stelle an, wird dem Sohn im eschatologischen Gericht zukommen (vgl. 5,29f.). 292 Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, 88f., sowie allgemein J. BLANK, Krisis. Untersuchungen zur johanneischen Christologie und Eschatologie, Freiburg i.Br. u.a. 1964, 262f. 293 Insofern erscheint das Gericht als eschatologische Sanktionierung des faktisch sich schon vollziehenden Gerichts, was vor dem (dort allerdings ethischen) Horizont in Mt 25,3146 zu leuchten beginnt. Auch dort spricht der Menschensohn letztlich nur als Urteil aus, was die Menschen sich durch ihre Handlungen selbst zugezogen haben. 294 Vgl. FREY, Eschatologie II-III. 295 Vgl. ebd., II, 297.

1.9 Brechungen

97

lich-irdischen und der darin sich zeigenden transzendent-himmlischen Realität übertragen. Die Herkunft Jesu wie des Brotes bleibt rätselhaft und ambivalent (was sich in den vielfachen Fragen um das wo und woher [ποῦ, ποθέν] spiegelt296). Fehl gehen die Akteure da, wo sie einen Gegensatz zwischen den beiden Ebenen herstellen und es nicht verstehen, die eine Ebene als Ausdruck der anderen wahrzunehmen. f. Metaphorik – Bildhaftigkeit – doppeldeutige Ausdrücke Während bei den Synoptikern eine bildhafte Ebene vorwiegend in der Gleichnissprache Jesu zum Tragen kommt, durchzieht eine solche Ebene im vierten Evangelium das Erzählmaterial insgesamt.297 Die äußeren Aspekte der heilsamen Begegnung mit Jesus von Nazareth (Speisung, Heilung, Auferweckung), so wird dabei deutlich, werden nur richtig wahrgenommen, wenn man in und hinter ihnen einen weiteren Horizont erkennt, den Horizont der lebenspendenden göttlichen Wahrheit. Auf ihn referieren auch die „doppeldeutigen Ausdrücke“298 bzw. allgemein die polyvalente Sprache des Evangeliums.299 g. µαρτυρία – göttliche Offenbarung und menschliches Zeugnis Mit der Betonung der Rezeption tritt zugleich die Frage der Vermittlung hervor. Dieser Aspekt ist im Begriff µαρτυρία (bzw. µαρτυρεῖν) zusammengefasst.300 Offenbarung impliziert Vermittlung. Diese Vermittlung bringt Jesus im Wort, insofern er von der Wahrheit Gottes Zeugnis ablegt (Joh 3,11.31-33; 5,34), er bringt sie aber darüber hinaus in seinem Auftreten und seinen Taten (5,36). Beides bedarf aufgrund der Geschichtlichkeit der Offenbarung notwendig des Zeugnisses (zunächst durch den Täufer, dann durch die Jünger, später durch den Geist-Parakleten). Insofern Christus der alleinige geschichtliche Ort vollständiger Gottesoffenbarung ist, führt jeder Glaube an Gott nur über die 296

Vgl. u. 172-189. Freilich hat es immer auch allegorisierende oder psychologisierende Deutungen einzelner Erzählzüge der synoptischen Erzählungen gegeben (etwa der beiden Blindenheilungen in Mk 8,22-26; 10,46-52). Man könnte aber durchaus mit einiger Berechtigung fragen, ob nicht auch den Erzählungen mindestens bei Lukas, aber auch bei Markus bereits eine konsequente bildhafte Ebene eingezeichnet ist, so dass nicht nur in den Gleichnissen Jesu, sondern auch in seinem Auftreten Gott sein Volk gegenwärtig besucht (vgl. Lk 1,68 und das wiederkehrende σήµερον – „heute“). 298 Vgl. CULLMANN, Doppeldeutige Ausdrücke. 299 Vgl. LÉON-DUFOUR, Symbolic Reading. HERGENRÖDER spricht von der „Dimension der Bedeutungstiefe im johanneischen Sprechen“ (Wir schauten, 34-36). 300 Joh 1,7f.15.19.32.34; 2,25; 3,11.26.28.32f.; 4,39.44; 5,31-39; 7,7; 8,13f.17f.; 10,25; 12,17; 15,26f.; 18,37; 19,35; 21,24. Vgl. J. BEUTLER, Martyria. Traditionsgeschichtliche Untersuchungen zum Zeugnisthema bei Johannes, FTS 10, Frankfurt a.M. 1972, bes. 209306. 297

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Kapitel 1: Prolegomena: Vom Sinn der Sinnlichkeit (Joh 1,14.18)

Wahrnehmung des fleischgewordenen Logos. Da er als geschichtliche Größe aber der Vergangenheit angehört, lässt das Zeugnis die unmittelbare Begegnung mit Gott in Christus präsentisch erfahrbar werden. h. µνηµονεύειν/µιµνῄσκεσθαι – erinnernde Vergegenwärtigung des Geschichtlichen Da sich die Wahrheit dieser Geschichte, die Identität des Sohnes mit dem Vater und die Bedeutung der Verheißung „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (11,25), endgültig erst von Kreuz und Auferstehung als der Überwindung des Todes her erschließt301, bedarf es der rückblickenden Erinnerung (µνηµονεύειν302) bzw. des Sich-Erinnerns vom Ausgang, von der Erfüllung des innerhalb der Geschichte Jesu proleptisch Erfahrenen her.303 Es ist wesentlich der GeistParaklet, der diese Funktion übernehmen wird (14,26; vgl. 15,26; 16,13).304 i. Das Privileg der Zu-spät-Gekommenen305 Die genannten Punkte laufen nach der Darstellung des vierten Evangeliums auf ein Paradox hinaus: Auf der einen Seite stehen die Jünger, die zwar die geschichtliche Gottesbegegnung in Jesus Christus erfahren durften, aber zu der Zeit, als sie ihre Erfahrungen machten, notwendigerweise den Schlüssel zu ihrem Verständnis noch nicht in den Händen hielten: Die Auferstehung als letzte Bestätigung der Identität Jesu als des „Ich bin“ stand noch aus. Auf der anderen Seite stehen die Leserinnen und Leser des Evangeliums. Als Zu-spätGekommene können sie die unmittelbare, einmalige Erfahrung nicht mehr machen, kennen dafür aber den Ausgang der Geschichte, von dem her sich dessen Verständnis nur erschließt. Sie können sich die Geschehnisse über die – durch das Zeugnis vermittelten – Sinne der ersten Zeugen in der Erinnerung vergegenwärtigen. Auf diese Weise können sie beide Aspekte in ähnlicher Weise zusammensetzen, wie es in den Ostererzählungen auch den Jüngern nach

301 Allen Handlungsfiguren, auch den Jüngern, bleibt ein letztes Verstehen vor dem Abschluss der Geschichte notwendigerweise noch verschlossen; vgl. auch 16,12.18. 302 Vgl. insbesondere Joh 16,4 und auch 14,26 sowie C. BREYTENBACH, µνηµονευειν. Das ,Sich-Erinnern‘ in der urchristlichen Überlieferung. Die Bethanienepisode (Mk 14,3-9; Joh 12,1-8) als Beispiel, in: A. Denaux (Hg.), John and the Synoptics, BETL 101, Leuven 1992, 548-557. 303 Vgl. 2,22; 12,16; (20,9). 304 Dabei erfüllt der Geistparaklet wesentlich die hermeneutische Funktion, als Geist der Wahrheit die über das Zeugnis wahrgenommenen Ereignisse erkenntnis- und glaubenswirksam werden zu lassen, damit die Hörenden „es glauben und im Namen Christi das Leben haben“ (20,31). 305 Vgl. ausführlich u. Kap. 4.

1.9 Brechungen

99

und nach gelungen ist. Dies gilt es in den folgenden Kapiteln über die Auslegungen dreier signifikanter Erzählabschnitte nachzuvollziehen.

Kapitel 2

Schmecken, Sättigung und Leben Im ersten Teil der Erzählungen von Jesu Wirksamkeit im Johannesevangelium (2,1–7,521) spielen Essen und Trinken, der Geschmack und das Gefühl körperlicher Sättigung eine auffällige Rolle: Wein in wunderbarer Qualität und unglaublicher Fülle bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2), Wasser für die Durstigen bei der Begegnung mit der samaritanischen Frau am Brunnen (Joh 4) und Brot für die Hungrigen im Überfluss in dem Brotkapitel Joh 6, an dessen Ende Essen und Trinken in einen sakramentalen Zusammenhang gestellt werden.2 Wie Sehen und Hören sind auch Essen und Trinken bzw. der Geschmack und die Sättigung unmittelbar mit Nachfolge und Glauben verbunden: „Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, der wird nie mehr hungrig sein, und wer an mich glaubt, der wird nie mehr Durst leiden“ (Joh 6,35).3 Zum Schmecken wird deshalb bei der Untersuchung das Essen und Trinken bzw. das körperliche Gefühl der Sättigung hinzuzunehmen sein. Dies legt sich bereits durch die Bedeutung des Verbums γεύοµαι in der Profangräzität wie in der Septuaginta 1

Joh 7 verstehe ich als Resümee aus den Zeichen des ersten Teils: mit dem Rückzug Jesu, der Diskussion über Offenheit und Verborgenheit und schließlich dem öffentlichen Auftreten beim Laubhüttenfest in Jerusalem formuliert das Evangelium die Konsequenzen der Zuspitzung des Konflikts. Joh 8 führt zwar die Frage nach der Identität Jesu (7,26-28.31f.4043.46.52; 8,12.19.23-25.28.38.49.53.57f.) und das Thema des Richtens (7,24.51; [7,53-8,11]; 8,15-18) weiter, dessen unmittelbares Ergebnis der Versuch ist, Jesus zu steinigen (8,59). Mit dem Ich-bin-Wort in 8,12 über Jesus als Licht und Leben wird jedoch ein neues Thema eingeführt, das die folgenden Kapitel bis 12,50 regiert. Dass man vor dem Ich-bin-Wort die Erzählung von der Ehebrecherin eingefügt hat, mag als weiteres Indiz dafür gelten, dass man hier bereits früh eine entscheidende Zäsur wahrgenommen hat. Wie der erste Teil in Joh 7 ein abschließendes Resümee bietet, so auch der 2. Teil: in 12,35-50 greift Jesus die Rede vom Licht, das in die Welt gekommen ist, auf (12,46), um darüber zu reflektieren, was mit denjenigen geschieht, die das Licht ablehnen bzw. annehmen. 2 Freilich ist die Sakramentalität dieser Passage, die R. Bultmann bekanntlich als spätere Hinzufügung erschien, eine heftig debattierte Streitfrage. Auf den Kernpunkt weist O’Day in ihrer vorsichtigen Diskussion der Frage hin (O’DAY, Komm., 539): Es handelt sich um eine Sakramentalität im johanneischen Sinne, die einen körperlich-sinnenhaften Zugang zu einer diese körperliche Welt übersteigenden Heilserfahrung zu denken in der Lage ist. 3 Vgl. 4,13: „Jesus sprach zu ihr: Wer von diesem Wasser trinkt, wird wieder Durst bekommen. Wer aber von jenem Wasser trinkt, das ich ihm gebe, in dem wird eine Quelle des Wassers entstehen, die sprudelt zum ewigen Leben.“

102

Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

und sodann im Neuen Testament nahe: denn diese Bedeutung umgreift sowohl das Schmecken und Kosten als auch allgemein das Essen (vom Mahl Lk 14,24).4 Die Kapitel 2, 4 und 65 gehen von Geschichten über das Essen und Trinken aus, um durch bildhafte Interpretationen, durch typologische Verbindung zur Speisung der Israeliten mit Manna in der Wüste6 und durch die Ich-bin-Worte 6,35.[41].48.51 zu christologischen Überbietungen fortzuschreiten. Vom Essen des Lebens-Brotes ist am Ende von Joh 6 in überaus konkreter Weise die Rede, wo in 6,54-58 viermal das Verbum τρώγω („essen/zermahlen“) verwendet wird. In Joh 2-6 lässt sich demnach ein zusammenhängender motivischer Bogen ausmachen.7 J.L. Webster hat in einer Monographie das literarische Motiv des Essens und Trinkens sowie der Mahlsituationen im Johannesevangelium untersucht.8 Auch Lebensmittel (Wasser, Wein, Brot, Weizenkorn, Fleisch) rechnet sie zum Gegenstand ihrer Untersuchung hinzu. Die Berührungen mit der vorliegenden Untersuchung sind offenkundig, sowohl was die Methode der Motivinterpretation als auch was den Gegenstand betrifft. Websters Ausgangspunkt ist freilich nicht die Sinneswahrnehmung des Geschmacks, sondern das johanneische Sprechen vom Essen und Trinken.9 Es handelt sich also um eine gewissermaßen komplementäre Motivstudie. Resümierend notiert Webster ihre Ergebnisse im Anschluss an Freedmans fünf Faktoren für die Wirksamkeit eines Motivs.10 Sie verweist auf die Häufigkeit von Essen und Trinken (sie zählt sechs „Mahlszenen“11), die keineswegs notwendige Auswahl von Geschichten, die Essen und Trinken zum Thema machen (avoidability), das Erscheinen an klimaktischen Punkten12, weiter auf 4

Vgl. zur Wortbedeutung u. 137. Vgl. Joh 7,37-39. 6 Vgl. 1Kor 10,1-4. 7 Man mag sich in diesem Zusammenhang fragen, ob es zufällig ist, dass der Evangelist für Joh 7 gerade das Laubhüttenfest, das jüdische Erntedankfest, als Erzählrahmen wählt. Zur Rolle der Feste vgl. D. FELSCH, Die Feste im Johannesevangelium. Jüdische Tradition und christologische Deutung, WUNT II/308, Tübingen 2011. 8 S. WEBSTER, Ingesting Jesus. Eating and Drinking in the Gospel of John, AcBib 6, Atlanta 2003. 9 Ähnlich E. KOBEL, Dining with John. Communal Meals and Identity Formation in the Fourth Gospel and its Historical and Cultural Context, Leiden/Boston 2011, insb. 69-107, die das Thema im Zusammenhang der Mahlforschung diskutiert. 10 WEBSTER, Ingesting Jesus, 147-151. Zu Freedmans fünf Faktoren vgl. o. 14f. 11 „These include the wedding in Cana, the ‚lunch‘ in Samaria, the Feeding of the Multitude, the Supper in Bethany, the Last Supper, and the Resurrection Breakfast“ (WEBSTER, Ingesting Jesus, 147). 12 Hier nennt sie Kana (2,1-11), den Tod Jesu (19,28-37) und seine Auferstehung („Resurrection Breakfast“; 21,1-25). Wenn man diese drei Erzählungen als klimaktisch bezeich5

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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den inneren Zusammenhang des Motivs, den Webster vor allem in der Rolle Jesu als Spender von Nahrung sieht, der sogar sich selbst als Brot des Lebens (gewissermaßen als ‚Lebensmittel‘ gibt13), aber auch in der Antwort der Glaubenden, die zunächst Jesu Fleisch essen und sein Blut trinken (6,52-58) und dann die Speise an andere weitergeben sollen. Websters Studie enthält einige Überlegungen zum Motiv von Geschmack und Sättigung, die im vorliegenden Zusammenhang besonders interessant sind. In dem Motiv sieht sie den Kontrast zwischen Leben und Tod umgesetzt („Living Water and Dying Food“; „Tasting Life and Tasting Death“). Es wird zu zeigen sein, inwiefern diese Opposition zur Interpretation des Geschmacksmotivs erhellend sein kann. Indessen zeigt sich an Websters Untersuchung der Kana-Perikope14 ein entscheidender methodischer Unterschied zur vorliegenden Motivinterpretation. Webster untersucht die einzelnen Vorkommen jeweils lokal, ausgehend von motivgeschichtlichen Skizzen und oftmals deutlich allegorisierend. Dies geht zu Lasten des Versuchs, zu einer übergreifenden Interpretation durchzustoßen, die das Motiv als ein die Erzählung strukturierendes Element mit einer eigenen Aussage begreift. 2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

2.1 „Er schmeckte das Wasser, das zu Wein geworden war, und wusste nicht, woher es kam“: Das erste Zeichen (Joh 2,1-11) Das erste öffentliche „Zeichen“ Jesu findet signifikanterweise bei einem Fest, einer Hochzeit, statt.15 Es hat den Wein zum Gegenstand, der selbstverständlich nen möchte, müsste man ihren inneren theologischen und erzählerischen Zusammenhang noch klarer beschreiben, als Webster dies tut. Bereits die problematische Bezeichnung „Auferstehung“ für Joh 21 deutet die Schwierigkeit an. 13 Webster nimmt von daher die Anspielung auf das Passalamm (1,29.36) in ihre Untersuchung mit auf. 14 WEBSTER, Ingesting Jesus, 37-43. 15 J. BREUSS, Das Kanawunder. Hermeneutische und pastorale Überlegungen aufgrund einer phänomenologischen Analyse von Joh 2,1-12, BiBe 12, Einsiedeln 1976; A. SMITMANS, Das Weinwunder von Kana. Die Auslegung von Joh 2,1-11 bei den Vätern und heute, BGBE 6, Tübingen 1966; W. LÜTGEHETMANN, Die Hochzeit von Kana (Joh 2,1-11). Zu Ursprung und Deutung einer Wundererzählung im Rahmen johanneischer Redaktionsgeschichte, BU 20, Regensburg 1990; R. SCHNACKENBURG, Das erste Wunder Jesu. Johannes 2,1-11, BG.NT 2, Leipzig 21960; H. LEROY, Das Weinwunder in Kana, BiLe 4 (1963), 168-175; A. GEYSER, The Semeion at Cana of the Galilee, in: M.C. Rientsma u.a. (Hgg.), Studies in John (FS J.N. Sevenster), NT.S 24, Leiden 1970, 12-21; R.F. COLLINS, Cana (John 2,1-12), the First of His Signs or the Key to His Signs?, in: ders., These Things have been Written. Studies on the Fourth Gospel, LThPM 2, Leiden 1990, 158-182; C. KOESTER, Symbolism in the Fourth Gospel. Meaning, Mystery, Community, Minneapolis 22003, 82-86; R. AUS,

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zur Feier der Hochzeit gehört und zur Freude über die neue Verbindung, der aber zugleich der Freude über den Hochzeitsbund Gottes mit seinem Volk sinnlichen Ausdruck verleiht.16 Doch der Wein geht zur Neige – peinlich für den Gastgeber und eine Bedrohung der Festfreude. Durch sein erstes „Zeichen“ schafft Jesus auf die Intervention seiner Mutter hin Abhilfe: Das Wasser in sechs steinernen Krügen, die gemäß der jüdischen Reinheitsgesetze – von den Dienern bis zum Rand gefüllt – zur Reinigung bereitstehen, wird zu feinstem Wein: eine schier unermessliche Menge von ungefähr 600-700 Litern!17 Nachdem die Vorkehrungen für die Verwandlung geschildert worden sind, schließt die Erzählung – für die Ausleger vielfach überraschend – mit der Bestätigung des Wunders durch den wundervollen Geschmack des Weins. In einer literarischen Analyse des Motivs sinnlicher Wahrnehmung indes erschließt sich dieses Logion über den außergewöhnlichen Geschmack des Weins als literarischer Zielpunkt der Erzählung. Damit ist zugleich die Frage nach der Bedeutung des Weins und seiner Fülle gestellt, die offenbar mit der Frage nach dem Woher des Weins zusammenhängt, da ja die Unkenntnis bezüglich dieses Woher die Verwunderung des Tafelmeisters motiviert.18 Die Bedeutung der Motivik des Geschmacks und der Fülle gilt es zunächst innerhalb der Perikope zu deuten, um sodann Motivlinien sichtbar zu machen, die das Evangelium durchziehen.

Water into Wine and the Beheading of John the Baptist. Early Jewish-Christian Interpretation of Esther 1 in John 2,1-11 and Mark 6,17-29, BJSt 150, Atlanta 1988, 1-37; M. LABAHN, Jesus als Lebensspender. Untersuchungen zu einer Geschichte der johanneischen Tradition anhand ihrer Wundergeschichten, BZNW 98, Berlin u.a. 1999, 123-167; O. CULLMANN, Urchristentum und Gottesdienst, AThANT 3, Zürich 21950, 65-71; K. HANHART, The Structure of John 1,35–4,54, in: Studies in John, 22-46. 16 Zur „bildliche[n] Interferenz von Geschlechterrelation und Gottesbeziehung“ vgl. das gleichnamige Kapitel in R. ZIMMERMANN, Geschlechtermetaphorik und Gottesverhältnis. Traditionsgeschichte und Theologie eines Bildfelds in Urchristentum und antiker Umwelt, WUNT II/122, Tübingen 2001, 688-711. „It appears that NT writers revive the covenant as marriage metaphor found in Hosea and Jeremiah and create the concept of a messianic wedding banquet“ (J.-A.A. BRANT, John, Paideia Commentaries, Grand Rapids 2011, 59). Dagegen lässt sich nach M. SATLOW, Jewish Marriage in Antiquity, Princeton 2001, 43, ein Aufgreifen der prophetischen Ehemetapher für den Bund zwischen Gott und Israel nur überraschend wenig nachweisen. 17 Die archäologischen Befunde ebenso wie die Vorschriften der Halacha diskutiert R. DEINES, Jüdische Steingefäße und pharisäische Frömmigkeit. Ein archäologisch-historischer Beitrag zum Verständnis von Joh 2,6 und der jüdischen Reinheitshalacha zur Zeit Jesu, WUNT II/52, Tübingen 1993 (zum Text von Joh 2,6 vgl. dort bes. 24-34). 18 Diese Punkte werden unten 170-187 ausführlich diskutiert.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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2.1.1 Die literarische Einbettung: die Jesus-Erzählung als eschatologischer Ausblick in den geöffneten Himmel Das „Zeichen“ schließt unmittelbar an die Verheißung Jesu gegenüber Nathanael in Joh 1,50 an, mit der Jesus körperliche Wahrnehmung und Glauben verknüpft: „Weil ich dir gesagt habe, dass ich dich unter dem Feigenbaum gesehen habe, deshalb glaubst du? Du wirst Größeres als dies sehen“ (µείζω τούτων ὄψῃ). Dies wird sogleich in eine allgemeine Verheißung ausgeweitet: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offenstehen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen auf den Menschensohn“ (1,51). Die in apokalyptischer Tradition stehende Verheißung wird in der folgenden Erzählung von den Taten und Worten Jesu, beginnend mit der Hochzeit zu Kana (vgl. 2,11 ἐφανέρωσεν τὴν δόξαν αὐτοῦ) eingelöst und entfaltet.19 Mitten in Welt und Zeit eröffnet sich über die Sinne ein eschatologischer Ausblick, gleichsam ein Blick in den geöffneten Himmel. Dieser Ausblick wird möglich, weil die Herrlichkeit Gottes auf die Erde herabgestiegen ist. Die Anspielung 19

Umstritten ist dabei, ob die Verheißung unmittelbar auf das erste Zeichen bezogen werden soll (so K.L. SCHMIDT, Der johanneische Charakter der Erzählung vom Hochzeitswunder in Kana, in: E. von Dobschütz u.a. [Hgg.], Beiträge zur Kirchengeschichte [FS A.von Harnack], Leipzig 1921, 32-43, hier 33: „Man möchte am liebsten die gewaltigen Worte von 1,51: ,Ihr werdet den Himmel offen sehen usw.‘ auf 2,1 ff. beziehen“), auf die Zeichen Jesu insgesamt (M.-É. BOISMARD/A. LAMOUILLE, L’Évangile de Jean. Synopse des Quatre Évangiles en Français III, Paris 1977, 99; B. WITHERINGTON, John’s Wisdom. A Commentary on the Fourth Gospel, Louisville 1995, 77; B.J. MALINA/R.L. ROHRBAUGH, Social-Science Commentary on the Gospel of John, Minneapolis 1998, 69; U. SCHNELLE, Antidoketische Christologie im Johannesevangelium. Eine Untersuchung zur Stellung des vierten Evangeliums in der johanneischen Schule, FRLANT 144, Göttingen 1987, 87f.; J. PAINTER, The Quest for the Messiah. History, Literature and Theology of the Johannine Community, Nashville 21993, 186; B. SCHWANK, Das Johannesevangelium, Bd. 1, WB 7/1, Düsseldorf 1986, 86), oder auf die gesamte Jesuserzählung (vgl. S.S. SMALLEY, Johannes 1,51 und die Einleitung zum vierten Evangelium, in: R. Pesch/R. Schnackenburg [Hgg.], Jesus und der Menschensohn [FS A. Vögtle], Freiburg i.Br. u.a. 1975, 300-313, bes. 313; G.R. BEASLEY-MURRAY, John, WBC 36, Nashville 21999, 28; LABAHN, Lebensspender, 124). C. KOESTER, Hearing, Seeing and Believing in the Gospel of John, Bib 70 (1989), 327348, hier 330, versteht 1,51 als Vorausschau nicht nur auf die Hochzeit zu Kana, sondern auch auf die Tempelreinigung. Beide Episoden seien in engem Zusammenhang zu lesen. Jeweils verwende Jesus eine jüdische Institution (Reinigungskrüge/Tempel), um seine Identität und seine Botschaft zu enthüllen. In 2,18.22f. wird zudem der Zusammenhang von Zeichen und Glauben aufgegriffen. Nach M.M. THOMPSON ist Joh 2 im Anschluss an 1,51 als Offenbarung Gottes zu interpretieren, obwohl Gott nicht genannt wird („God’s Voice You Have Never Heard, God’s Form You Have Never Seen“. The Characterization of God in the Gospel of John, Semeia 63 [1993], 177-204, hier 190f.). W. LOADER, John 1,50-51 and the „Greater Things“ of Johannine Christology, in: C. Breytenbach u.a. (Hg.), Anfänge der Christologie (FS F. Hahn), Göttingen 1991, 255-274, will die Aussage speziell auf „Jesus’ exaltation and glorification as Son of Man“ in seiner Kreuzigung und Erhöhung beziehen.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

auf die Erzählung von der Jakobsleiter in Gen 28,12, welche schon Philon als biblisches Fundament jeglicher Hermeneutik des Wesens Gottes gedient hatte20, fängt diese Gegenbewegung auf. Die Leiter, auf der die Engel auf- und absteigen, verbindet Himmel und Erde. Gemäß der etymologisierenden Deutung Philons wird Jakob hier zum „Israel“, zum ὁρῶν θεόν.21 Die Identität als „Gott-Schauer“ bildet dem Alexandriner zufolge (neben der Sinai-Offenbarung) das Fundament des Anspruchs Israels, die Brücke zum Bereich der göttlichen Wahrheit zu besitzen, vom Himmel herabgebracht durch Moses und Gestalt geworden in der von ihm gegebenen Tora.22 In Joh 1,51 nun wird der Menschensohn als der fleischgewordene Logos (Joh 1,17f. aufnehmend) gewissermaßen zu einem Teil der die Welten verbindenden Leiter, wenn es heißt, dass die Engel auf ihm herauf- und herabsteigen, oder er wird gar mit der Leiter identifiziert.23 In Jesu Person und seinen „Zeichen“, von denen das Johannesevangelium Zeugnis gibt, nimmt die Herrlichkeit Gottes (δόξα θεοῦ) so Wohnung, dass jedem, der seine Wahrnehmungen für wahr nimmt, Gott selbst mit seiner lebenstiftenden Kraft erkennbar wird. Über die Verbindung des apokalyptischen Horizonts mit der individuellen Geschichte Jesu Christi ist eine entscheidende Deutekategorie der positiven Valenz sinnlicher Wahrnehmung im vierten Evangelium gegeben. Der geöffnete Himmel mit dem in die Welt eintretenden Hofstaat Gottes indes signalisiert, dass es Gottes neue Welt ist, die hier innerhalb der alten Welt als anbrechend wahrgenommen wird. Bereits das ganze erste Kapitel hatte mit einer Vielzahl von Aussagen über das Sehen und Hören auf die apokalyptische Voraussage Jesu hingeführt. Im Anschluss an die Prologaussagen über Wort und Licht, über die Fleischwerdung des göttlichen Logos und über das Sehen des der Wahrnehmung bislang verborgenen Gottes wird das Thema der Wahrnehmung mit dem Zeugnis des Täufers von einer Vision (1,32; vgl. 1,34) und einer vorgängigen Audition (1,33) fortgeführt und kulminiert im wiederholten christologisch fokussierten Imperativ „Siehe“ (1,29.36). Die anschließende erste Jüngerbegegnung ist in geradezu irritierender Weise von Aussagen über das Sehen und Hören bestimmt. Diese auffällige Häufung lässt sich in keiner Weise durch eine Notwendigkeit der Erzählung motivieren.24 Der Imperativ „Kommt und seht“ (1,39) bleibt ebenso wie das folgende „und sie kamen und sahen, wo er blieb …“ merkwürdig unbestimmt: Was sie sehen sollten bzw. sahen, erfährt der Leser nicht. 20

De opif. 69; De post. 92; Her. 78; De congr. 51; De fug. 208; De somn. I 171. Zur Etymologie vgl. o. 68. 22 Auf entsprechende Ansprüche in der zeitgenössischen jüdischen Theologie zielt Joh 1,17 ab. 23 Dies reflektiert eine eigenwillige Interpretation des hebräischen ‫בּוֹ‬, die auch in der rabbinischen Literatur bezeugt ist (vgl. GenR 68,18, wo R. Chijja es auf die ebenfalls maskuline Leiter, ‫ ֻס ָלּם‬, bezieht, während R. Jannai es als Verweis auf Jakob liest); vgl. BARRETT, Komm., 210f. 24 Hierin ist deshalb, wie wir bereits oben gesagt haben, ein Moment der Unwahrscheinlichkeit im Sinne Freedmans gegeben. 21

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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Vier Punkte sind im Blick auf die literarische Rahmung in 1,50f. und 2,11 festzuhalten: 1. Nach 1,18 und dem einleitenden Kap. 1 wird am Anfang der Erzählung von den Worten und Taten Jesu ein weiteres Mal die Sinneswahrnehmung als hermeneutische Kategorie etabliert. 2. Bezieht man 1,51 auf das, was in der folgenden Jesusgeschichte insgesamt, beginnend mit der Hochzeit zu Kana, zur Darstellung kommt, so fällt bereits am ersten „Zeichen“ auf, dass das Entscheidende – anders als in 1,51 formuliert – nicht gesehen, sondern geschmeckt wird.25 Die Ankündigung erfüllt sich also nicht nur im Sehen, sondern in der Sinneswahrnehmung überhaupt. Der Bogen sinnlicher Wahrnehmung bei Johannes ist offensichtlich weiter zu fassen: „Sehen“ wird als Oberbegriff für sinnliche Wahrnehmung überhaupt verwendet.26 Dies wird im Folgenden zu überprüfen sein. 3. Der Abschluss in 2,11 greift die apokalyptische Perspektive aus Joh 1,50f. auf mit dem Fazit, dies sei das erste der Zeichen in Kana in Galiläa gewesen, durch die Jesus seine göttliche Machtfülle (δόξα) offenbar gemacht und dadurch den Glauben der Jünger hervorgerufen habe.27 Der Leser ist zugleich auf den Prolog, insbesondere auf 1,14 zurückverwiesen, womit die letztlich theologische Perspektive unterstrichen ist. ἐφανέρωσεν τὴν δόξαν αὐτοῦ greift die Prologaussage auf: καὶ ἐθεασάµεθα τὴν δόξαν αὐτοῦ, δόξαν ὡς µονογενοῦς παρὰ πατρός. 4. Nach dem Prolog, dem Täuferzeugnis und den in der apokalyptischen Ankündigung des geöffneten Himmels gipfelnden Jüngerberufungen ist die Bühne bereitet, auf der sich das Drama der Offenbarung der göttlichen 25

Das ist angesichts der – im Übrigen völlig richtigen – einleitenden Betonung des Sehens in Joh 1 bei R. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004, 203, zu unterstreichen. 26 Dass und inwiefern das Sehen als Oberbegriff der Sineswahrnehmung aufgefasst werden kann, explizit bei Philon De migr. 50f.: „denn die Dinge, die die anderen Wahrnehmungen betreffen, sind alle sichtbar (τὰ µὲν γὰρ κατὰ τὰς ἄλλας αἰσθήσεις πάνθ' ὁρατά): die Farben, die Geschmacksrichtungen, die Ausdünstungen, das Warme, das Kalte, das Glatte, das Raue, das Weiche und Harte, insofern es sich um Körper handelt. Was es damit auf sich hat, will ich (noch) klarer sagen: Der Geschmack ist sichtbar, nicht insofern er Geschmack, sondern nur insofern er ein Körper ist, denn insoweit er Geschmack ist, wird das Kosten feststellen; und die Ausdünstung wird, insoweit sie Ausdünstung ist, von der Nase geprüft werden, insoweit sie aber Körper ist, auch von den Augen; auch das Übrige wird auf diese Weise geprüft werden.“ (Übersetzung H.-G. Nesselrath). 27 Verschiedentlich wird auch 2,12 als Abschluss der Perikope verstanden (so etwa BARRETT, Komm., 211-217). In jedem Fall ist dieser Vers, der den Übergang zur folgenden Tempelreinigung bildet, durch das bei Johannes häufig zur Gliederung verwendete µετὰ τοῦτο (vgl. 11,7.11; 19,28 sowie das bedeutungsgleiche µετὰ ταῦτα in 3,22; 5,1.14; 6,1; 7,1; 19,38; 21,1) als Zäsur und Übergang markiert.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

Herrlichkeit im Leben Jesu entfalten kann. Im Blick auf die Kana-Erzählung wird dabei die Frage entscheidende Bedeutung gewinnen, wodurch er seine Herrlichkeit in dieser Erzählung offenbart hat. 2.1.2 Literarische Einordnung ins Gesamtevangelium Von der Erzählung spannen sich Fäden über das Evangelium hinweg. Unübersehbar sind die Anknüpfungspunkte beim zweiten Zeichen in Kana in Joh 4,4628: „Er kam nun wieder nach Kana in Galiläa, wo er das Wasser zu Wein gemacht hatte.“ Der explizite Bezug auf die Weinwandlung wird durch das πάλιν sowie die Ortsangabe unterstrichen. Die Bezüge zur Heilung des Sohnes des königlichen Beamten betten die Hochzeit zu Kana retrospektiv in das für das Evangelium zentrale Thema von Tod und Auferstehung ein.29 Freilich: Der Jüngling war noch nicht gestorben, sondern lag fiebernd an der Schwelle des Todes (ἤµελλεν γὰρ ἀποθνῄσκειν; 4,47). Der abschließende Vers 4,54 unterstreicht den Bezug erneut. Nicht nur werden πάλιν sowie die Ortsangabe Galiläa wiederholt. Zudem greift der Evangelist die Zeichenzählung aus 2,11 auf. 2.1.3 Aufbau und Gliederung Die Bestimmung von Aufbau und dramatischem Gefälle dieser Erzählung bereitete der Forschung große Schwierigkeiten. Obwohl es sich augenscheinlich um eine Wundergeschichte handelt, wird gerade das Wunder nicht berichtet. Zeichnet man den Duktus der Erzählung nach, wie dies im Folgenden geschehen soll, so erweist sich überraschenderweise nicht die Wandlung des Weins als der Kern der Geschichte, sondern die Qualität und Menge des neuen Weins. Zudem empfand man den abschließenden Ausspruch des Architriklinos gegenüber dem Bräutigam eher als peinliche Antiklimax einer Geschichte, in deren Zentrum man Jesus und seine Mutter als Handlungsträger sah. So 28

Die Art der Verknüpfung ähnelt derjenigen der beiden Geschichten von den bethanischen Geschwistern. Auf die Ähnlichkeiten der beiden Kana-Erzählungen im Aufbau wie in einzelnen Elementen wurde in der Literatur verschiedentlich hingewiesen (z.B. M.M. THOMPSON, The Incarnate Word. Perspectives on Jesus in the Fourth Gospel, Peabody 1988 [= The Humanity of Jesus in the Fourth Gospel, Philadelphia 1988], 71f.). Die Schilderung der Notlage bildet hier unmittelbar den Auftakt, gefolgt von einem Gesprächsgang mit Bitte, Ablehnung, erneuter Bitte und Gewährung der Bitte, die unmittelbar den Glauben des königlichen Beamten auslöst. Nach einem Szenenwechsel erfolgt der Bericht vom Eintreffen der Zusage Jesu mit einer Deutung und dem Bericht von der glaubenstiftenden Wirkung für den ganzen Hausstand des Beamten (51-53). 29 Insbesondere mit der Rede von der „Stunde“, die auf Jesu Todesstunde verweist, stellt der Evangelist die „Zeichen“ unter die Perspektive des Todes Jesu, ein Bezug, der bereits den Täuferworten Joh 1,29.36 zu entnehmen war. Zur „Stunde“ vgl. u. Kap. 2 Anm. 132.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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betrachtet gerät der dramatische Aufbau in der vorliegenden Form in eine merkwürdige Schieflage, die sich in der Auslegungsgeschichte nur aus einer Rekonstruktion seiner Genese erklären ließ.30 Eine synoptische Parallele, die zur Erhellung beitragen könnte, fehlt.31 Gegenüber solchen Schwierigkeiten, die sich zum Teil auch einem körper- und lustfeindlichen Vorurteil verdanken, lässt sich bei einer synchronen Betrachtung ein klarer, auf die Pointe hinführender Handlungsfaden aufweisen. Auf die Exposition mit der Vorstellung von Zeit, Situation, Ort und Handlungsfiguren (V. 1-2) folgt in äußerster Knappheit im Genitivus absolutus das Ausgangsproblem der Geschichte: der Mangel an Wein als Störung der Festfreude. Die Lösung entwickelt sich in einer schnellen Szenenfolge, die offenbar jenseits der Festgesellschaft spielt (vom Verlauf der Hochzeit hören wir nichts mehr): Auf den Dialog zwischen Mutter und Sohn (V. 3-4) folgt in nur einem Satz eine Anweisung der Mutter Jesu an die beim Fest Aufwartenden32 (διάκονοι; V. 5), worauf diese sich offenbar Jesus zuwenden. Sie erhalten von ihm den Auftrag, der die Lösung bringen wird (V. 7-8). Dieser Auftrag besteht aus zwei Teilen (Befüllen der Krüge; Schöpfen und Auftragen33), jeweils gefolgt von der entsprechenden Handlung der Aufwartenden. In äußerster Knappheit folgen so Anweisung und Ausführung jeweils aufeinander. Die Aussage Jesu in direkter Rede ist nach vorne abgesetzt durch eine kurze vorbereitende Schilderung der für die folgende Anweisung notwendigen Requisiten (tönerne Wasserkrüge; V. 6).34 In V. 9-10 wechselt die Szenerie bei der Schilderung und Bestätigung der eingetretenen Abhilfe (wobei gar nicht klar ist, ob der Mangel in der Festgesellschaft überhaupt bemerkt wurde; der Architriklinos scheint davon keine Notiz genommen zu haben). Als Überleitung dient lediglich die Erwähnung des Architriklinos durch Jesus am Ende von V. 8. Der Ort der Handlung wechselt, es treten neue Handlungsfiguren auf. Die Bestätigung gliedert sich wiederum in zwei Teile: neben dem Bericht von der Verkostung des Weins durch den 30 Nach J. WELLHAUSEN, Das Evangelium Johannis, Berlin 1908, 14, fehlt damit die Pointe der gesamten Geschichte. 31 Anders Z. GARSKÝ, Das Wirken Jesu in Galiläa bei Johannes. Eine strukturale Analyse des vierten Evangeliums mit den Synoptikern, WUNT II/325, Tübingen 2012, 126f. (mit Verweis auf BARRETT, Komm., 212), weil er auch die motivischen Bezüge insb. zu Mk 2,1822 als synoptische Parallele bezeichnet. Zur Deutung des Gleichnisses im Kontext von Mk 2,22 bei Dodd und Lindars vgl. u. 117f. 32 Die etwas altertümliche Übersetzung ist hier gewählt, um eine Präjudizierung bezüglich der Funktion und sozialen Stellung der διάκονοι (wie sie bei der Übersetzung „Diener“ gegeben wäre) zu vermeiden; vgl. dazu u. 110. 33 Ein Objekt der Handlung fehlt in V. 8 in für Johannes charakteristischer Weise. Auch beim Bericht der Handlung fehlt das Objekt (οἱ δὲ ἤνεγκαν). 34 Eine symbolische Deutung der Krüge weist R.E. BROWN, The Gospel according to John, 2 Bde., AncB 29, New York u.a. 1966/1970, I 100, zu Recht als weit hergeholt zurück.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

Architriklinos (mit Erklärung seiner Verwunderung aus seiner Unkenntnis) steht die „Weinregel“ in dessen Munde. Der Bräutigam wird hierzu bemerkenswerterweise eigens herbeizitiert; das Wort ergeht an ihn. Dies könnte man durchaus als Hinweis darauf interpretieren, dass der Evangelist hier ein Wort aufnimmt, das eine Anrede in der zweiten Person enthielt. Den kommentierenden Abschluss bietet V. 11, bevor µετὰ ταῦτα in V. 12 den Übergang zur folgenden Tempelreinigung in Jerusalem markiert. Die Perikope lässt sich damit wie folgt gliedern: 1 – 2: 3 – 5: 6 – 8: 9 – 10: 11:

Exposition Der zur Neige gehende Wein Problembehebung Das Wunder des neuen Weins Kommentierender Abschluss

2.1.4 Handlungsfiguren und Entwicklung der Szenerie Die Gliederung lässt sich an dem eigentümlichen Wechsel der Handlungsträger festmachen. Jeweils am Ende eines Gliederungsabschnittes werden die neuen Handlungsträger eingeführt. Treten in der Exposition zunächst die Mutter Jesu sowie Jesus selbst und seine Jünger als Gäste der Hochzeit auf, so verengt sich bereits in der Problemschilderung der Fokus auf Jesus und seine Mutter.35 Die Jünger werden bis zum kommentierenden Abschluss nicht mehr genannt. In V. 5 wendet sich die Mutter Jesu an die bislang nicht genannten diakonoi, die gemeinsam mit Jesus die Vorbereitung zur Problembehebung bestreiten, während die Mutter Jesu zurücktritt und erst im Übergang zur Tempelreinigung (V. 12) noch einmal erwähnt ist. Mit den diakonoi kommen – passend zum Thema der Problembehebung – nach ausgewählten Gästen der Hochzeit nun die mit der Organisation betrauten Personen in den Blick. Mit Jesu Anweisung: „Schöpft nun und bringt dem Tafelmeister“ (V. 8) schwenkt die Kamera gewissermaßen. Mit den Aufwartenden öffnen wir gleichsam die Tür zum Festsaal. Die konstatierende Schlussszene bleibt dem Tafelmeister überlassen (wobei die Aufwartenden noch gewissermaßen in Klammern über eine kurze auktoriale Bemerkung bezüglich ihres Wissens präsent sind – und Jesus in gewisser Weise in dem πόθεν). Diese Fokussierung der Erzählperspektive führt den Blick des Lesers auf die entscheidende Pointe hin. Der Tafelmeister ruft sich zwar den Bräutigam hinzu, so dass zuletzt doch noch ein Mitglied der 35 A. WUCHERPFENNIG, Die Hochzeit zu Kana. Erzählperspektive und symbolische Bedeutung, ThPh 79 (2004), 321-338, hier 334, sieht die Erzählperspektive, die er zu Recht als Mittel johanneischer Leserlenkung hervorhebt, durch die Mutter Jesu bestimmt, weil sie noch vor allen anderen Gästen genannt wird.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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Hochzeitsgesellschaft selbst auftritt. Was als Klimax im Aufbau der Handlungsfiguren erscheinen müsste, bleibt indes bemerkenswert blass. Der Bräutigam wirkt eher wie ein Requisit, ohne Kontur und Redeanteil.36 Dies wird bei der Frage nach der Motivik der Erzählung mit zu bedenken sein. 2.1.5 Gattungskritische Einordnung: Wundererzählung, historisierte Gleichniserzählung oder Chrie Die Beurteilung der Bedeutung und Zielrichtung der Perikope hängt wesentlich von der Bestimmung der vorliegenden Gattung ab. Diese indes bereitet einige Schwierigkeiten. 2.1.5.1 Wundererzählung Meist wird die Erzählung von der Hochzeit zu Kana von ihrem Thema her selbstverständlich als Wundergeschichte interpretiert: Jesus verwandelt in wunderbarer Weise Wasser in Wein. In dem genannten Aufbau meint man die Formmerkmale einer Wundergeschichte wiederfinden zu können (Exposition [1-2]; Bedürfnisanzeige [3-5]; Schilderung des Wunders [6-8]; Konstatierung des Wunders [9-10]; kommentierender Abschluss [11]).37 Weiter deuten der Gegenstand (Weinwandlung) sowie die johanneische Bezeichnung als σηµεῖον (verstanden als „Wunder“) auf die Form einer Wundererzählung hin. Hier aber beginnen die Probleme: a. Die Wunderhandlung wird nicht eigens erzählt und bleibt im Vergleich zur ausführlichen Schilderung der Begleitumstände merkwürdig unterbestimmt. Bemerkenswerterweise steht also nicht die Handlung Jesu im Zentrum der Darstellung, der Vollzug eines Wunders, ja Jesus steht überhaupt nicht im Zentrum.38 Von der Wandlung des Wassers in Wein, die gemeinhin als Gegenstand des Wunders gilt, wird nahezu nichts berichtet.39 36

Gleichwohl erhält auch der Bräutigam einen Artikel von E.W. KLINK, „The Bride– groom at Cana. Ignorance is Bliss“, in: S.A. Hunt u.a. (Hgg.), Character Studies in the Fourth Gospel. Narrative Approaches to Seventy Figures in John, WUNT 314, Tübingen 2013, 233237. Notwendigerweise ist es ein Beitrag über einen Nicht-Charakter. 37 In leicht abgewandelter Form jeweils BULTMANN, Komm., 79; SCHNELLE, Komm., 69 Anm. 3; O’DAY, Komm., 536; dies./S. HYLEN, John, WeBC, Louisville 2006, 35; ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 204; LABAHN, Lebensspender, 156. 38 Wenngleich M. HENGEL, Der „dionysische“ Messias. Zur Auslegung des Weinwunders in Kana (Joh 2,1-11), in: ders., Jesus und die Evangelien. Kleine Schriften V, hg. von C.J. Thornton, WUNT 211, Tübingen 2007, 568-600, hier 582f. [= The Interpretation of the Wine Miracle at Cana. John 2,1-11, in: L.D. Hurst/N.T. Wright (Hgg.), The Glory of Christ in the New Testament. Studies in Christology (FS G.B. Caird), Oxford 1987, 83-112], in seiner Betonung der einzelnen Erzählzüge gegenüber einer völligen Allegorisierung Recht zu geben ist, ist es eben nicht die Handlung („die zugrundeliegende konkrete Tat des fleischgewordenen Logos“, 583), der eine essentielle Bedeutung zukommt, sondern das von Jesus hervor-

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b. Jesus tritt als „Wundertäter“ in der Darstellung nach den Vorbereitungen des Wunders zurück. c. Die Pointe der Erzählung liegt mit dem Ausspruch des Architriklinos in einem prägnanten Einzelwort, auf das die Erzählung wie bei einer Chrie zuläuft. Andererseits fehlt ein „Chorschluss“ im Sinne von M. Dibelius, der die glaubenstiftende Wirkung des Wunders auf die Zuschauer formuliert.40 d. Das Wort des Architriklinos regt zur Suche nach einem bildhaft-übertragenen Sinn der Geschichte an, wie er einem jesuanischen Gleichnis entstammen könnte. e. Da die Wunderhandlung nicht im Zentrum der Erzählung steht, bleibt von 2,11 her die Frage offen: Wodurch genau zeigt Jesus seine δόξα?41 gebrachte Ergebnis. Ebenso wenig steht die Mutter Jesu im Zentrum; geg. A. LEINHÄUPLWILKE, Rettet ein Buch? Spurensuche in den Rahmenteilen des Johannesevangeliums, in: K. Löning/M. Faßnacht (Hgg.), Rettendes Wissen. Studien zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Frühjudentum und im frühen Christentum, AOAT 300, Münster 2002, 269-315, der die Geschichte als Konstitution einer neuen „Wissensfamilie“ Jesu über seine Mutter lesen will (292). 39 Wie bei der Weinwandlung wird auch bei der Sturmstillung das Wunder der Stillung selbst gar nicht erzählt: „The evangelist probably did assume that the incident did involve a miracle, but the muted way in which the miraculous aspect of the story is recounted focuses attention on Jesus’ words egô eimi, mê phobeteiste, ‚I am, do not be afraid‘ (John 6,20)“ (KOESTER, Hearing, 340). Auch bei der Speisung der 5000 wird die wundersame Vermehrung nicht eigens erzählt (vgl. E. LOHSE, Miracles in the Fourth Gospel, in: ders. [Hg.], Die Vielfalt des Neuen Testaments. Exegetische Studien zur Theologie des Neuen Testaments, Göttingen 1982, 45-56, hier 48). Immerhin bleibt Jesus in der Erzählung präsent und greift verschiedentlich ein. Er gebietet den Jüngern, die Menge sich setzen zu lassen (6,10); nimmt die Brote, dankt, und teilt den Lagernden dann Brot und Fisch aus (6,11). Als alle satt sind, befiehlt er den Jüngern, die Brocken einzusammeln (6,12). Wir sehen also dem Wundertäter die gesamte Zeit über zu. G. THEISSEN, Urchristliche Wundergeschichten. Ein Beitrag zur formgeschichtlichen Erforschung der synoptischen Evangelien, StNT 8, Gütersloh 1974, 111114, sieht die Erklärung für die Auslassung in der formgeschichtlichen Analogielosigkeit von Geschenkwundern. Charakteristiken eines Geschenkwunders sind für ihn die „Spontaneität des wunderbaren Handelns, die Unauffälligkeit des Wunders selbst und die Betonung des Demonstrationsschlusses“ (111). Das erste formkritische Merkmal zeige sich darin, dass der Wundertäter nie um ein Wunder gebeten werde. Joh 2,3 wird als mögliche Ausnahme von dieser Regel notiert. Nach LABAHN, Lebensspender, 144, soll „diese verhüllende Erzählart irdisch-innerweltliche Mittel in seinem Wirken vom Wundertäter“ fernhalten. 40 Vgl. P.W. MEYER, John 2,10, JBL 86 (1967), 191-197, hier 193. Einen solchen Chorschluss kann man in johanneisch gewandelter Form in 2,11 erblicken. BULTMANN, Komm., 82, dagegen betrachtet zu Recht die Äußerung des Tafelmeisters in 2,10 als abschließendes Schlusswort, gegenüber dem jedes weitere Wort nur eine Abschwächung bedeuten würde. Wie ansonsten in einer Demonstration oder einer Äußerung des Publikums die Größe des Wunders gezeigt werde, so hier in 2,9f. in einer „konkrete(n) Szene“, die in der Aussage des Tafelmeisters kulminiert. 41 Vgl. BROWN, Komm. I, 104f.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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f. Es fehlt an einer echten Parallele zu dieser außergewöhnlichen, in manchem rätselhaften Wundergeschichte. Die synoptischen Evangelien kennen die Geschichte nicht, und sogar innerhal fb des Johannesevangeliums steht die Art eines Wunders, das eine Fülle von Lebensmitteln bereitstellt, scheinbar ohne dabei auf einen existentiellen Mangel zu reagieren42, für sich allein. Herausgehoben sei das Votum von A. Geyser. Er notiert als Schwierigkeit, dass sich diese Züge nicht mit dem Grundzug aller von Jesus erzählten Wundergeschichten übereinbringen ließen, nämlich „that they prefigure the conditions which would prevail in the Kingdom“.43 Im Reich Gottes hätten weder Hunger und Durst noch Krankheit und Tod einen Platz. „Jesus’ miracles were ‚Kingdom miracles‘ even though the Fourth Gospel calls them σηµεῖα. They parallel and illustrate in deeds the central theme of his proclamation: ,The Kingdom of God is at hand.‘“44 Dann aber fährt er überraschenderweise fort: „It is difficult to see a connection between the Kingdom theme and the wine for the wedding at Cana in the Galilee.“ Die Aussage überrascht: Nicht nur stellt das Votum Geysers die Bedeutung des Kanawunders so deutlich heraus, dass man sich fragt, wie es möglich war, dass er bei einer so klaren Analyse den Zusammenhang nicht sehen konnte (jedenfalls, wenn man neben der Wunder- auch die jesuanische Gleichnistradition mit Mt 22 in den Blick nimmt). Zudem legt Geyser mit dem Hinweis auf die jesuanische Verkündigung vom Kommen des Reiches Gottes die Zuspitzung des Johannesevangeliums offen: Während es bei den Synoptikern die Herrschaft Gottes ist, die sich zu offenbaren begonnen hat, ist nach dem Johannesevangelium Gott selbst in seinem Sohn wahrnehmbar in die Welt eingetreten.

Diese Abweichungen führten zu einer Reihe spezifischer Gattungszuordnungen, die im Folgenden kurz anzusprechen sind45: als „Luxuswunder“46, weil es 42 Anders als in 6,5-13; 21,5f.11. So ursprünglich D.F. STRAUSS, Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet, Bd. 2, Tübingen 1836, 224, zuletzt aufgenommen bei THYEN, Komm., 149. Oft allerdings wird bei dieser Einschätzung die soziologische Bedeutung von Festen in der Antike übersehen. Feste bedeuten auch eine Repräsentation der Familie nach außen. Die Unfähigkeit, die Gäste zu bewirten, bedeutet in diesem Zusammenhang eine große Blamage für die Gastgeber und insofern durchaus eine Notlage; vgl. MALINA/ROHRBAUGH, Komm., 66f. Zum Konzept von Schande in der Antike vgl. B. MALINA, The New Testament World. Insights from Cultural Anthropology, Louisville 32001, 27-57. 43 GEYSER, Kana, 14; als zweite Ausnahme neben der Hochzeit zu Kana betrachtet er die Erzählung vom verdorrten Feigenbaum. 44 Ebd. 45 Einen Überblick bieten LABAHN, Lebensspender, 156; G. THEISSEN/A. MERZ, Der historische Jesus. Ein Lehrbuch, Göttingen 32001, 265-269. 46 STRAUSS, Leben Jesu, 224; W. BAUER, Das Johannesevangelium, HNT 6, Tübingen 1933, 46; LOHSE, Miracles, 49. Schon Calvin äußert sich befremdet darüber, dass Christus als der Lehrer einfachen Lebens große Mengen feinsten Weins bereitstellt: „mirum est quod Christus, frugalitatis magister, vini et quidem praestantissimi magnam copiam largitur“ (J. CALVIN, In evangelium secundum Johannem Commentarius. Pars prior, hg. von H. Feld, in: Ioannis Calvini Opera Omnia II, Bd. XI, 1, Genf 1997, 68. Übersetzung M. Trebesius/H.C. Petersen, in: Johannes Calvins Auslegung des Johannes-Evangeliums, in: O. Weber (Hg.), Calvin, Auslegung der heiligen Schrift, Bd. 14, Neukirchen-Vluyn 1964, 49. Vgl. K. BARTH, Erklärung des Johannes-Evangeliums [Kapitel 1-8], Vorlesung Münster,

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

nicht formgerecht auf einen existentiellen Mangel oder eine akute Not zu antworten scheint, oder neutraler als „Geschenkwunder“47, als „Wandlungswunder“48 im Anschluss an die alttestamentlichen Vorbilder bei Moses und Elia. Gegenüber dem Begriff „Naturwunder“49, der rationalistische Obertöne hat, weist derjenige eines die uranfängliche Schöpfung wiederholenden „Schöpfungswunders“50 oder auch der des „Allmachtswunders“51 der Geschichte eine stärker theologische Bedeutung zu. Schließlich wird die

Wintersemester 1925/1926, wiederholt in Bonn, Sommersemester 1933, hg. von W. Fürst, Karl Barth Gesamtausgabe II. Akademische Werke 1925/1926, Zürich 1976, 196); ähnlich H.J. HOLTZMANN, Evangelium, Briefe und Offenbarung des Johannes, Hand-Commentar zum Neuen Testament 4, Tübingen 31908, 75, und BAUER, Komm., 43. Zur Problematik des „Luxuswunders“ vgl. SMITMANS, Weinwunder, 31; K. WENGST, Das Johannesevangelium, ThKNT 4, 2 Bde., Stuttgart u.a. 22007, I 105f. Verschiedentlich wird betont, dieses Wunder sei mit dem Jesusbild der Synoptiker unvereinbar, so etwa BAUER, Komm., 46f.; STRATHMANN, Komm., 57-59. Als auffällig hebt jedenfalls bereits E. HIRSCH, Das Vierte Evangelium in seiner ursprünglichen Gestalt, Tübingen 1936, 123f., hervor, dass gerade Johannes diese Geschichte auswählte und zum Auftakt der „Zeichen“ machte. Dies erschließe sich nur demjenigen angemessen, der in die literarische Eigenart des Evangeliums eindringe, dessen Wundererzählungen insgesamt nur dieses eine Wunder gleichnishaft vergegenwärtigten, „dass das Wort des Lebens zu uns kommt und uns das Leben, d.h. die Gemeinschaft mit dem Vater, geben will. […] Zum Zeichen gehört für den Verfasser noch hinzu, dass das Bewirkte echtes Gleichnis der inneren Art der göttlichen Hoheit und Gewalt sei“ (ebd., 124). 47 Vgl. K. BACKHAUS, Die Jüngerkreise des Täufers Johannes. Eine Studie zu den religionsgeschichtlichen Ursprüngen des Christentums, PaThSt 19, Paderborn u.a. 1991, 361; J. BECKER, Das Evangelium nach Johannes, 2 Bde., ÖTBK 4, Gütersloh 31991, I 106-112; J. GNILKA, Johannesevangelium, NEB.NT 4, Würzburg 41993, 22; THEISSEN, Wundergeschichten, 111-114, sowie ders./MERZ, Jesus, 267; THEOBALD, Komm. I, 201. 48 R. PESCH, Leben für alle. Das Wunder der Brotvermehrung, Frankfurt a.M. 1998, 74. In Ex 7,19-22 verwandelt Moses auf das Geheiß Gottes das Wasser des Nil – und überhaupt alles Wasser in Ägypten, auch in den hölzernen und steinernen Gefäßen – in Blut; in Ex 15,23-25 verwandelt Moses das vergällte Wasser, das die Israeliten nach drei Tagen ohne Wasser in der Wüste in Mara („Bitterquelle“) gefunden hatten, in Trinkwasser; vgl. 2Kön 2,19-22. Der Vergleich mit alttestamentlichen Wandlungswundern trägt nach LABAHN, Lebensspender, 147 wenig aus. 49 So schon Thomas von Aquin (Lect. in Io. Nr. 335). Vgl. J. WEISS, Das Urchristentum. Nach dem Tode des Verfassers hg. und am Schlusse erg. von R. KNOPF, Göttingen 1917, 619; J.P. LANGE, Das Evangelium nach Johannes, THBW 4, Bielefeld 21862, sowie unter den neueren COLLINS, Cana, 159; J.P. MEIER, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus, Bd. 2, Mentor, Message, and Miracles, New York u.a. 1994, 934-950; U.C. VON WAHLDE, The Earliest Version of John’s Gospel. Recovering the Gospel of the Signs, Wilmington/Delaware 1989, 74. 50 H. NOETZEL, Christus und Dionysos. Bemerkungen zum religionsgeschichtlichen Hintergrund von Johannes 2,1-11, AVTRW 11, Berlin 1960, 48. 51 SCHMIDT, Hochzeitswunder, 38; B. WEISS, Das Johannes-Evangelium, KEK 2, Göttingen 81893, 115. Er zieht eine Linie zu 18,6 und spricht von der „Freude am Mirakel“.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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Erzählung als „Epiphaniewunder“ 52 apostrophiert, das Jesus als neuen Dionysos vorstelle. Bultmanns Einordnung als „Epiphaniewunder“ findet jüngst wieder Anhänger. Jesus trete, so M. Labahn, wie Dionysos als Gott auf, „und zwar so, dass die Epiphanie Jesu als θεός ausgesagt wird“.53 Labahn markiert als „formkritische Besonderheit gegenüber der Gattung ,Epiphanie‘“, dass die „Realität des Erschienenen“54 nicht herausgestellt werde. Als Lösung bietet er ein „doketisches Desinteresse“ am Irdischen an. Damit allerdings wird der entscheidende Unterschied zur Epiphanie verdeckt: Dionysos offenbart in dem Wein sich selbst. Der Wein, den Dionysos gibt, ist er selbst. Dionysos offenbart nicht seine Göttlichkeit, sondern allenfalls die Göttlichkeit des Weins; „Gott in Menschengestalt“ ist gerade nicht die Pointe. Wollte man Labahns Parallelisierung in Anschlag bringen, so würde Jesus nicht als Gott präsentiert, wie Labahn sagt, sondern als Wein. In diesem Sinne würde die Geschichte unmittelbar auf Joh 15 hinführen. Die Offenbarung Joh 2 zeigt aber nicht Gott als Wein, sondern als Schöpfer und Geber des Weins, ebenso wie er sich in den folgenden Kapiteln als Geber des lebenspendenden Wassers, Brotes und Lichts, und zuletzt des Lebens selbst erweist. Wo Christus auftritt, breitet sich wohlschmeckende Fülle und Wohlgeruch als Unterpfand des neuen Lebens aus, das er als höchstes Geschenk bringt. Indem dies allerdings in ihm spürbar wird, schafft es das Leben, das es verspricht. In diesem Sinne ist tatsächlich in dem johanneischen Jesus eine Epiphanie der göttlichen Lebensmacht greifbar. Wer diese Macht in sich aufnimmt wie der Dionysosmyste den Wein, der wird tatsächlich von ihr ergriffen.

Auch mit solchen Spezifizierungen, die gerade die in der formgeschichtlichen Methodik liegende Pointe der Verallgemeinerung und Vergleichbarkeit aushebeln, und zudem in der Vielfalt der angebotenen Lösungen, zeigt sich, dass sich manche Aspekte der Erzählung nicht reibungslos in eine Einordnung als Wundererzählung einfügen. 2.1.5.2 Novelle55 Man hat die Erzählung als „novellistische Wundergeschichte“ oder allgemeiner als „Kana-Novelle“56 bezeichnet. K.L. Schmidt redet von dem „Torso eines novellenhaften Stückes“.57 Wenn Dibelius die novellistischen Züge der Quelle des Evangelisten zuweist, so enthält diese Zuordnung eine historische, theologische und moralische Wertung. Novellistische Züge, die er gerade in der „Weltlichkeit“ der Erzählung erblickt, könnten nicht vom Evangelisten stammen, „denn Stil und Technik der Novellisten ist der seinen gerade 52

BULTMANN, Komm., 83; LABAHN, Lebensspender, 156f. LABAHN, Lebensspender, 157. 54 Ebd., 159, mit Zitat aus THEISSEN, Wundergeschichten, 76. 55 Zur Novelle allgemein vgl. M. DIBELIUS, Die Formgeschichte des Evangeliums, Tübingen 1919, Nachdr. 61971, 66-100. 56 DIBELIUS, Formgeschichte, 99. 57 SCHMIDT, Hochzeitswunder, 36. Vgl. H. SCHMIDT, Die Erzählung von der Hochzeit zu Kana. Eine religionsgeschichtliche Studie, Berlin 1931. 53

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entgegengesetzt“ (88). Dibelius betrachtet die johanneischen semeia (in ihrer von ihm postulierten vorjohanneischen Gestalt) insgesamt als Novellen und resümiert: Solchen Geschichten ermangele es an „erbaulicher Stilisierung“, sie zeichneten sich durch eine Fülle profaner Motive, eine Steigerung des Wunderhaften und ein besonderes Interesse am „Vorgang selbst“ (sowie an „Wundertätern und Wundertechnik“) aus (90). Am Beispiel der Hochzeit zu Kana weisen solche Züge (gewaltige Weinmenge, kein Rettungswunder, „launiger Ton“ der Erzählung) auf deren außerchristlichen Ursprung (98). Dabei handelt es sich freilich um eine petitio principii: Die Unterscheidung zwischen Evangelist und Quelle ist nicht vom Text her nachgewiesen (und ließe sich auch nicht nachweisen: Wo ist etwa bei der Hochzeit zu Kana das besondere Interesse am „Vorgang selbst“?), sondern theologisch vorausgesetzt. Dibelius deutet die Novellen von Markus her als Epiphaniegeschichten. Sie würden abseits vollzogen, da die Gottesschau nicht den Vielen zuteilwerde.58 Wie anders nehmen sich gerade bei einer solchen Analyse die „Zeichen“ des Johannesevangeliums aus, die gerade auf eine breite, glaubenstiftende Wahrnehmung abzielen!59 2.1.5.3 Historisiertes Gleichnis C.H. Dodd stellt die Erzählung von der Hochzeit in ganz eigener Weise in einen Zusammenhang mit synoptischen Traditionsstücken, nachdem er zunächst die vielfältigen Aspekte johanneischer Prägung aufgezählt hatte (Vorzugsvokabular wie die Rede von der „Stunde“, σηµεῖον, Offenbarung der δόξα; präzise Nennung von Daten und Fakten; Interesse am Einzelcharakter).60 Den Ausgangspunkt hierfür bietet ihm die Motivik des Festes, der Hochzeit und des Weins. Bei den Synoptikern wird von einer Hochzeit zwar nicht auf der Erzählebene berichtet, wohl aber erscheint sie als Motiv in der Gleichnissprache Jesu. Dodd nennt das Gleichnis von der „königlichen Hochzeit“ (Mt 22,1-14), jenes von den klugen und den törichten Jungfrauen (Mt 25,1-13) und das Bildwort in Lk 12,35f. Implizit findet er das Thema in dem Wort über die υἱοὶ τοῦ νυµφῶνος in Mk 2,19f. aufgenommen (dort folgt in 2,22 das Wort über den alten und den neuen Wein, das verschiedentlich mit unserer Geschichte in Zusammenhang gebracht wird).61 In der matthäischen und lukanischen 58

Vgl. DIBELIUS, Formgeschichte, 91. Dibelius verweist auf die Auferweckung der Tochter des Jairus Mk 5,22-43 sowie die Heilungen des Taubstummen (Mk 7,31-37) und des Blinden (Mk 8,22-26). 59 Vgl. Joh 5,13; 11,45; 12,11.17. 60 C.H. DODD, Historical Tradition in the Fourth Gospel, Cambridge 1963, 226. 61 Man könnte dem die lukanische Version vom großen Abendmahl hinzufügen (Lk 14,1524). Zwar spielt sie nicht bei einer Hochzeit, aber dieser Motivhorizont wird bereits in Lk 14,8 eingeführt.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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Gleichnissprache gehöre das Motiv des Hochzeitsfestes „to the eschatological scheme of symbolism“ (227). Dies führt Dodd zu der These, die Geschichte könnte sich aus einer ursprünglichen Parabel heraus entwickelt haben, die bei einer Hochzeit spielte. In der Aussage des Architriklinos: „Du hast den guten Wein bis jetzt aufgehoben“ (Joh 2,10), läge die Pointe „in the sense that the coming of the Kingdom of God with the advent of Christ is the far better thing to which the whole dispensation of law and prophets pointed forward“.62 Diese Parabel habe sich in der Überlieferung in ein Geschehen im Leben Jesu verwandelt.63 Dieses hätte sich dann bei dem Übergang vom Gleichnis zur Gleichniserzählung mit einer typischen volkstümlichen Wundererzählung zur Weinwandlung verbunden.64 Im Gegensatz zu Joh 6, wo es nicht um das bloße Wunder gehe, sondern um „the mystery of the loaves“, ist für Dodd die Hochzeit zu Kana „in form a miracle story pure and simple, even though it is intended to be understood symbolically. It is a story about a miraculous supply of wine.“65 Die Geschichte, die jetzt als „Zeichen“ zu einem Teil johanneischer Theologie geworden ist, sei in unmittelbarem Kontakt mit synoptischer Tradition entstanden. Nimmt man diese Entwicklung an, so wäre der Ausspruch des Tafelmeisters tatsächlich als ursprünglicher Kern und Ziel der Erzählung zu betrachten. Diese These wurde von B. Lindars aufgegriffen und ausgearbeitet.66 Lindars hält den Spruch des Tafelmeisters aufgrund eines Vergleichs mit Mk 2,22 und Lk 5,39 für ein authentisches Jesuswort, das ursprünglich Teil eines ReichGottes-Gleichnisses gewesen sein könnte.67 Weil das Gleichnis das Wunder

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DODD, Historical Tradition, 227. Zum Vergleich für eine solche Entstehung einer Geschichtserzählung aus einer Parabel zieht Dodd die Geschichte vom verdorrten Feigenbaum (Mk 11,12-14.20-25; vgl. Lk 13,6-9) heran; außerdem Mt 17,37, das er als ein „parabolic saying almost in the act of making the transition“ betrachtet (Historical Tradition, 227). 64 Ders., Historical Tradition, 224f., mit vielen Parallelen zur Weinwandlung, die er J. VÜRTHEIM, The Miracles of the Wine at Dionysos’ Advent, ClQ 14 (1920), 92-96, entnimmt. 65 Ebd. Hier schlagen sich Dionysosmotivik und -tradition nieder, allerdings nicht in bewusster Aufnahme, die Christus als neuen Dionysos präsentieren will, sondern in unbewusster Adaption heidnischer Motivik. 66 B. LINDARS, Two Parables in John, NTS 16 (1969-70), 318-329 [= Essays on John, SNTA 17, Leiden 1992, 9-20]; ders., The Gospel of John, NCeB, London 1972, 126. 67 Ähnlich schon C.H. WEISSE, Die evangelische Geschichte kritisch und philosophisch bearbeitet, 2 Bde., Leipzig 1838, II 199-204, der die Erzählung als missverstandene Parabel interpretiert. Wäre die johanneische Version der Geschichte allerdings tatsächlich aus der Verbindung des ursprünglichen Jesuslogions mit einer über Jesus erzählten Wundergeschichte entstanden, wie Lindars meint, dann hätten wir hier einen klassischen Fall von GenreBending im Sinne von H.W. ATTRIDGE vor uns (Genre Bending in the Fourth Gospel, JBL 63

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aber nicht voraussetze, so Lindars gegenüber Dodd, sei es wahrscheinlich, dass es sich um zwei unabhängige Jesusüberlieferungen (ein Wunder und ein Gleichnis) handelte, die in diese Geschichte eingegangen sind. 2.1.5.4 Apophthegma/Chrie Mit den Modellen von Dodd und Lindars bewegen wir uns im Bereich der Spekulation im Blick auf die Genese des Textes. Für die Interpretation in seiner vorliegenden Gestalt haben ihre Analysen aber in jedem Fall wichtige Implikationen. Beide Forscher bestimmen das Wort, das bei Johannes dem Architriklinos zugewiesen ist, von ihnen aber in der Jesustradition verortet wird, als Nukleus der Erzählung und zugleich als deren Zielpunkt, auf den hin sie formuliert wurde. Gattungskritisch führt dies auf die Einordnung als Apophthegma bzw. als Chrie hin. Als Apophthegma bezeichnet man einen einprägsam formulierten Ausspruch, der – anders als die Gnome – einer bestimmten Person, in der Regel einer bekannten Persönlichkeit oder Personengruppe, zugeschrieben wird (wie etwa bei den Worten der Sieben Weisen). Ist der Ausspruch in eine kurze Geschichte eingearbeitet, die auf das Wort hin komponiert ist, so spricht man von einer Chrie, auch wenn die Übergänge in der Literatur fließend sind.68 Wie bei einer Chrie zielt nun das literarische Gefälle von Joh 2,1-11 auf diese Aussage des Tafelmeisters über die Qualität des Weins, die die kurze Erzählung abschließt. Dessen Aussage bringt damit die entscheidende Pointe und Klimax der Geschichte.69 Wird so die Aussage des Architriklinos im Blick auf die Entstehung als Nukleus und im Blick auf die literarische Funktion als Fluchtpunkt der Erzählung von der Hochzeit zu Kana erkannt, so stellt dies die Analyse des literarischen Aufbaus der Geschichte wieder vom Kopf auf die Füße: 121 [2002], 3-21). Diese Umformung wäre durch die Verbindung der Wundererzählung mit einem markanten Ausspruch zu Stande gekommen. 68 Vgl. DIBELIUS, Formgeschichte, 149-164: „Es ist die Wiedergabe eines kurzen pointierten Ausspruchs von allgemeiner Bedeutung, der auf eine bestimmte Person zurückgeführt und aus einer bestimmten Situation abgeleitet wird“ (150); H. LAUSBERG, Handbuch der literarischen Rhetorik. Eine Grundlegung der Literaturwissenschaft, Stuttgart 31990, 536-540: „Die chria ist also eine lehrreiche kurze Anekdote, die eine Sentenzweisheit als Realität des praktischen Lebens erweist“ (536 § 1117). Aus der rhetorischen Schultradition stammt die Definition: Χρεία ἐστὶ σύντοµος ἀπόφασις ἢ πρᾶξις µετ’ εὐστοχίας ἀναφεροµένη εἴς τι ὡρισµένον πρόσωπον ἢ ἀναλογοῦν προσώπῳ (Theon Prog. V 96,19f.). Vgl. weiter T. SÖDING, Art. Apophthegma, LThK3, 848; H.-A. GÄRTNER, Art. Apophthegma, DNP 1, 893f.; J. STENGER, Apophthegma, Gnome und Chrie. Zum Verhältnis dreier literarischer Kleinformen, Philologus 150 (2006), 203-221; K. BERGER, Formgeschichte des Neuen Testaments, Heidelberg 1984, 80-93; ders., Hellenistische Gattungen im Neuen Testament, ANRW II/25.2, Berlin u.a. 1984, 1031-1432, hier 1092-1110. 69 Vgl. LABAHN, Lebensspender, 127; SCHWANK, Komm. I, 82.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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Gegenüber der gängigen Auffassung70, die in der Verwandlung des Weins (und damit in der Handlung des Wundertäters) das Zentrum der Erzählung sieht, weist das Erzählgefälle den Wein, seine Fülle und seinen Geschmack als zentrales Motiv der Erzählung aus. Die Einschätzungen der literarischen Wirkung des Ausspruchs des Tafelmeisters gehen weit auseinander. M. Rissi ist der Meinung, dass „die Weinregel eigentlich die ganze Pointe der Perikope verdirbt“.71 A. Leinhäupl-Wilke sieht in ihr „das tragische Ende einer sich erzählökonomisch auf und ab bewegenden Geschichte“72, für M.W.G. Stibbe passt die Aussage zum komischen Charakter der Geschichte: „Comic stories often conclude with the appearance of a new society, and this new society is marked by a party of festive ritual, of which weddings are the most common.“73 Stibbe sieht hier das Happy End im Sinne einer „realized eschatology“ bereits am Anfang der Jesus-Geschichte erzählt. Stibbes Ausführungen ergänzen das bereits über das Weinmotiv Gesagte: Der Leser wird über die Wahrnehmung des Tafelmeisters mit hineingenommen in das Fest des neuen Lebens. Zugleich erweist sich dieses Fest als von Anfang an gefährdetes Fest: Der Wein droht auszugehen – Vorschein des großen Ungemachs, das im Laufe der Erzählung droht. So ist das Happy End nicht nur vorzeitig, sondern auch vorläufig, solange es noch nicht seine endgültige Bestätigung gefunden hat. Trotz der Bedrohung allerdings lässt die Geschichte weder an einem letztlich guten Ausgang, an der Überwindung aller Widerstände bis hin zum Tod, einen Zweifel aufkommen, noch daran, woher die Überwindung kommen wird. Und bereits hier zeigt sich: Die Überwindung der Bedrohung des ausgelassenen Lebensfestes führt nicht etwa zu einer Restituierung des Ausgangszustands, sondern zu einer noch nie dagewesenen Qualität: Zwar hat das Fest schon begonnen und das Happy End steht schon fest – aber das Beste, so konstatiert der Tafelmeister zu Recht, kommt am Schluss!74

70 Vgl. z.B. SCHMIDT, Hochzeitswunder, 38: Die Verwandlung „ist das Wesentliche, auf das es dem Evangelisten ankommt“; ähnlich BECKER, Komm. I, 110; O’DAY, Komm., 539f., die allerdings zugleich einen weiteren Deutungshorizont dieses Wunders andeutet: „It is a miracle of abundance, of extravagance, of transformation and new possibilities“ (540). 71 M. RISSI, Die Hochzeit in Kana (Joh 2,1-11), in: F. Christ (Hg.), Oikonomia. Heilsgeschichte als Thema der Theologie (FS O. Cullmann), Hamburg 1967, 76-92, hier 78. 72 A. LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen im Johannesevangelium. Ein Zugang über die narrativen Rahmenteile (Joh 1,19-2,12 – 20,1-21,25), NTA NF 45, Münster 2003, 189. 73 M.W.G. STIBBE, John. Readings. A New Biblical Commentary, Sheffield 1993, 47. 74 Stibbes Überlegungen zum Happy Beginning werden unterstützt durch V. PROPPS Untersuchungen zur „Morphologie des Märchens“ (Leningrad 1928 [dt.: München 1972]), an die uns LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen, 201, in seinen Überlegungen zum Hochzeitsmotiv erinnert. Auch er nennt den ungewöhnlichen Aspekt, dass die Erzählung noch nicht zu Ende ist, sondern eigentlich erst beginnt.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

2.1.6 Die Wahrnehmung des Tafelmeisters als Pointe der Kana-Erzählung und ihre theologische Deutung Dieses erste „Zeichen“ Jesu und insbesondere die Aussage des Tafelmeisters nach der Verkostung des neu hereingebrachten Weins haben vielfach Befremden hervorgerufen – gerade aufgrund der Sinnenhaftigkeit.75 Die „Weinregel“ klingt wie die Pointe einer burlesken Anekdote und wird verschiedentlich entsprechend interpretiert76, wenn man sie nicht überhaupt als unpassend abtut. B. Olsson nennt die Geschichte weniger wertend „one of the most mysterious texts in the New Testament“.77 M. Hengel fasst zusammen: „At first glance, one is puzzled by it’s (sc. the miracle’s) profane nature, culminating in the reproach of the host, which has often caused embarrassment to interpreters.“78 Aufgrund der negativen Beurteilung unterbleibt meist eine konsequente Auslegung der Reaktion des Tafelmeisters und damit auch des von ihm bezeugten außergewöhnlichen Geschmacks des Weines im Horizont des Wandlungswunders (verbunden mit der Frage, „woher der Wein war“; 2,9).79 Demgegenüber gilt es, die merkwürdige Betonung dieses Logions nicht nur wahrzunehmen, sondern theologisch zu interpretieren. Wo dies geschieht, da bleibt umstritten, wie genau die einzelnen Aspekte des Textes, insbesondere der Wein, sein Geschmack und seine Fülle, zu interpretieren sind. Ob die Aussage des Tafelmeisters als Rüge des Bräutigams zu verstehen ist oder als Lob, wie vereinzelt vertreten wird, muss im Blick auf den sprachlichen Befund offenbleiben.80 Die Antwort wird auch davon abhängen, wie man die Rolle des Bräutigams bestimmt. Wenn Labahn der Reaktion des Tafelmeisters ein „implizit auf den Wundertäter81 gehende(s) Lob“ entnehmen zu können meint82, so fragt sich im Anschluss an das Gesagte: Wofür wird er gelobt? Für 75 HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 572, etwa nennt die Aussage des Architriklinos „anstößig-vulgär“; vgl. J.D.M. DERRETT, Law in the New Testament, London 1970, 245. Überhaupt wurde die Geschichte aufgrund der vermeintlichen Präsentation Jesu als eines vollmächtigen Magiers mit dem Aspekt ungezügelten Weingenusses vielfach als anstößig empfunden. Vgl. M. WELKER, Weinwunder, Weinstock, lebendiges Wasser, Geist. Die anstößige Botschaft auf der Hochzeit zu Kana, in: A. Wagner u.a. (Hgg.), Gott im Wort, Gott im Bild. Bilderlosigkeit als Bedingung des Monotheismus?, Neukirchen-Vluyn 2005, 201-205. 76 Vgl. BULTMANN, Komm., 82; ders., Die Geschichte der synoptischen Tradition, mit einem Nachwort von G. Theißen, FRLANT 29 [= NF 12], Göttingen 101995 [= Berlin 41961], 240f.; C.H. DODD, The Interpretation of the Fourth Gospel, Cambridge 1953, 297. 77 OLSSON, Structure, 18. 78 HENGEL, Wine miracle, 84 (Hervorhebung M.H.). 79 Vgl. aber MEYER, John 2,10; LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen, 188. 80 Für die letztere Position lässt sich immerhin die offensichtlich positive Bedeutung von τηρέω an der ebenfalls schwierigen Stelle 12,7 in Anschlag bringen. 81 Hervorhebung R.H.-L. 82 LABAHN, Lebensspender, 145.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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die Verwandlung oder dafür, dass er nicht nur Wasser in Wein verwandeln, sondern ihn zudem mit einer besonderen Güte versehen kann (denn von Letzterem, vom außergewöhnlichen Geschmack des neu hereingebrachten Weins83, redet doch der Architriklinos)? Für das Wunder der Verwandlung von Wasser in Wein wären der besondere Geschmack und die außergewöhnliche Qualität des Weins unnötig.84 Am Geschmack, an der Qualität aber kommt ein Mehr zum Ausdruck, das über den Aspekt der Wundertat hinausreicht. Über den Geschmack vermittelt dieses „Zeichen“ den Einbruch eschatologischer Freuden, wie sie der synoptische Jesus in seiner Gleichnissprache verheißen hatte.85 Gemeinsam mit der Beobachtung Hengels, dass eine wesentliche Pointe des Verfassers in dem Kontrast zwischen der Konkretheit der Alltagswelt und der hohen Christologie in 2,11 zu erblicken sei, weist diese Betonung im Rahmen unseres Themas auf die Pointe, dass in dem Handeln Jesu die Realität Gottes schon im Rahmen der Welt den Menschen unmittelbar sinnlich erfahrbar geworden ist. Trifft dies zu, so liegt der Ton der Geschichte nicht messianologisch auf der Identifikation des Wundertäter Jesus, sondern theologisch auf der Wahrnehmung dessen, was er mit seinem Auftreten in die Welt bringt.86 Mit diesem emphatischen Abschluss des umstrittenen Zeichens sind vielfältige Anknüpfungen und Vorverweise gegeben – nicht nur im Blick auf die Schlussnotiz in 20,30f., sondern vor allem im Blick auf 1,14.18 und 1,51. So beginnt die öffentliche Wirksamkeit Jesu bei Johannes mit einer Geschichte, die ganz der Sinnenhaftigkeit, einer geradezu paradiesischen Sinnenhaftigkeit, verpflichtet ist: Fest, Wein, Genuss, Fülle. Sie weist auf ein eschatologisches Fest des Lebens, das im Geschmack und in der Sättigung gegenwärtig wird. Wo Jesus Wasser gibt, da ist es „lebendiges Wasser“, wo Brot, da ist es „Brot des Lebens“. Im Wein wird im ersten „Zeichen“ die schöpferisch-verwandelnde Kraft des lebenstiftenden Schöpfergottes, oder, wie Joh 2,11 zusammenfassend sagt, die in Jesus gegenwärtige und durch ihn spürbare δόξα θεοῦ erfahren.

83

Vgl. D. DAUBE, The New Testament and Rabbinic Judaism, London 1965, 45. Es wäre auch schon ein Wunder gewesen, wenn Jesus das Wasser in einen bodenständigen Württemberger Trollinger verwandelt hätte. Ebenso leuchtet nicht ein, weshalb die Erwähnung der Menge die Wunderhaftigkeit steigern soll (so R. BAUCKHAM, Gospel of Glory. Major Themes in Johannine Theology, Grand Rapids 2015, 55f.). 85 Man denke insbesondere an Lk 14,16-24, wo in V. 24 vom künftigen „Schmecken meines Festmahls“ die Rede ist. 86 Vgl. o. 49. 84

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

2.1.7 Drei Interpretationsfallen und ein vorgeschlagener Deutungsweg87 Bei der Interpretation der Erzählung und bei der Bewertung ihres sinnenhaften Charakters lassen sich drei Interpretationsfallen ausmachen88: 2.1.7.1 Die ethisierende Deutung Insbesondere bei einer ethischen Interpretation musste diese Geschichte Anstoß erregen. Kritisiert wird der Gegenstand des Wunders, aber auch die Menge des Weines. Ist das ein sinnvolles Wunder, Wein im Überfluss für eine Hochzeitsgesellschaft bereitzustellen? Bereits D.F. Strauss charakterisierte die Geschichte als „Luxuswunder“89, weil „Jesus durch dieses Wunder nicht, wie er sonst pflegte, irgendeiner Noth, einem wirklichen Bedürfniß abhalf, sondern nur einen weiteren Reiz der Lust herbeischaffte; nicht sowohl hülfreich, als vielmehr gefällig sich erwies; mehr nur so zu sagen ein Luxuswunder, als ein wirklich wohlthätiges, verrichtete.“ In der Regel, so bemerkt Strauss weiter, beruhten die Wunder Jesu nicht nur formal auf ihrer glaubenstiftenden Außerordentlichkeit, sondern auch inhaltlich in einer wohltätigen Absicht. M. Dibelius bringt in seiner „Formgeschichte des Evangeliums“ den Anstoß auf den Punkt: Wein in Hülle und Fülle sei „keineswegs notwendig …“ Ein solches Wunder sei vielmehr „vielleicht sogar bedenklich“, habe jedenfalls aber „mit evangelischem Ethos nichts zu tun“.90 Die ethisierende Betrachtung im Stile von Dibelius interpretiert die Erzählung als Geschehen im Leben Jesu als eines ethischen Lehrers und Vorbildes. Dessen Handlungen werden sodann an den Maßstäben einer bürgerlichen Ethik des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts gemessen. Ein solcher Zugang geht an der Pointe der Kana-Erzählung wie der Darstellungs- und 87 Nicht einzugehen brauchen wir hier auf Versuche einer rationalisierenden Erklärung, wie sie sich in der älteren Forschungsliteratur, etwa bei H. OLSHAUSEN, Biblischer Commentar über sämmtliche Schriften des Neuen Testaments, Königsberg 1832, aber auch schon bei Augustin und Johannes Chrysostomus finden. Schon STRAUSS, Leben Jesu, 230-233, hatte die Probleme eines wörtlichen, rationalisierenden Verständnisses der Perikope aufgezählt. 88 Für BARTH, Komm., 196, sind es zwei Fragen, die man „sich hier nicht in die Quere kommen lassen“ darf: „Die Alkoholfrage und die Frage, ob Historie oder Mythus.“ Für das erste Deutungsproblem nennt er Calvin und Schleiermacher. Wo aber, so Barth, Christus seine Herrlichkeit offenbart, und dies „durch v 4 in aller Bestimmtheit in den Schatten des Kreuzes gestellt ist“, da habe es keinen Sinn, „Moral und Unmoral gegeneinander abzuwägen.“ 89 STRAUSS, Leben Jesu, 224. 90 DIBELIUS, Formgeschichte, 98. Ähnlich urteilen DERRETT, Law, 244. F. SARDINI, Le Nozze di Cana. „Il matrimonio, L’acqua e il vino“, BeO 29 (1987), 97-100, geht von der These aus, dass Jesus keinesfalls ein so schädliches alkoholhaltiges Getränk wie Wein hervorgebracht haben dürfte. Vielmehr habe es sich um ein dem Wein ähnliches, alkoholfreies Getränk gehandelt.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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Aussageintention des Johannesevangeliums gleichermaßen vorbei und führt in Aporien.91 In Joh 9,3 erteilt der johanneische Jesus selbst einer ethischmoralischen Betrachtungsweise eine klare Absage und stellt seine Handlung in den Zusammenhang mit der Offenbarung der ἔργα θεοῦ.92 Wenngleich das Problem dort etwas anders gelagert ist (die moralische Betrachtung trifft nicht primär Jesu Handlung93, sondern die Krankheit des Blindgeborenen, die auf moralische Verfehlungen zurückgeführt wird), so ist die geforderte Hermeneutik, das Geschehen im Lichte der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes zu betrachten, jeweils dieselbe. „The story, then, is not to be taken at face value. Its true meaning lies deeper.“94 Das erste Wunder ist als σηµεῖον aufzufassen, als körperliches, geschichtliches ,Zeichen‘ für eine tiefere Realität: „Das von Johannes ausschließlich verwendete Wort σηµεῖον bringt dieses ,Verweisen‘ nachdrücklich zum Ausdruck.“95 Erst so betrachtet erschließt sich der Sinn der johanneischen Zeichen. Mit anderen Worten: Mit der Erzählung des ersten Zeichens will der Verfasser des Evangeliums eine Botschaft kommunizieren, die nicht im Bereich der (Alltags-)Ethik zu erblicken ist96 und auch über die Präsentation Jesu als Wundertäter hinausgreift. Indes trifft die Kategorisierung von Strauss als ‚Luxuswunder‘ durchaus einen wesentlichen Aspekt und eine entscheidende motivische Pointe nicht nur der Hochzeit zu Kana, sondern der Erzählweise des vierten Evangeliums insgesamt. Der ,Luxusaspekt‘ – unterstrichen durch die Betonung der Sinneswahrnehmung – lässt sich an verschiedenen Stellen innerhalb des Evangeliums wahrnehmen: auch die Salbungserzählung in Joh 12,3 mit der Betonung des raumfüllenden Wohlgeruchs des edlen Salböls und wieder die Salbung des Leichnams Jesu mit hundert Litern köstlichster Salbe erzählen von beinahe unglaublichem Luxus. Dies gilt es nicht moralisch zu kritisieren, sondern theologisch zu interpretieren.

91

Dies zeigt sich in ähnlicher Weise bei dem Versuch, dem Zögern Jesu bei der Nachricht von der tödlichen Krankheit seines Freundes Lazarus (Joh 11,6) im Kontext einer ethischen Interpretation einen Sinn abzuringen. 92 In 11,15 wird zudem mit dem χαίρω δι’ ὑµᾶς die soteriologische Bedeutung der Semeia durch ihre glaubenstiftende Wirkung hervorgehoben. 93 Vgl. aber auch Joh 9,24. 94 DODD, Interpretation, 297. 95 HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 572. Nach OLSSON, Structure, 113f., ist die insgesamt symbolische Geschichte aufgebaut aus einer Vielzahl von Einzelelementen mit unterschiedlichsten Verweisstrukturen, die auf diesen Symbolcharakter der Geschichte als ganzer hinweisen. 96 Vgl. MEYER, John 2,10, 192. Meyer plädiert dafür, die symbolische Bedeutung der Perikope insgesamt und insbesondere des Weins bei der Interpretation ernstzunehmen.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

2.1.7.2 „Das Wunder als Beweis für die Göttlichkeit des Täters“ (W. Bauer) W. Bauer versucht, das in der Exegese aufgeworfene ethische Problem durch die Betonung des Wunderaspekts zu lösen: „Das ,Luxuswunder‘ wird richtig nur beurteilt, wenn man – wie ähnlich beim verfluchten Feigenbaum oder bei den Taten des Jesusknaben in der Kindheitserzählung des Thomas – allen Nachdruck auf das Wunder als Beweis für die Göttlichkeit des Täters legt, ohne sich auszumalen, welche Wirkung das Vorgehen Jesu auf die Hochzeitsgesellschaft, die sich auf einmal mit neuem Trinkstoff versehen sieht, haben muss.“97 Bauer versteht das Wunder also gleichsam als prophetisches Legitimationswunder in neuem Gewand und spricht ihm programmatisch jede inhaltlichmotivische Bedeutung ab. Nicht nur beraubt Bauers Sicht die Geschichte ihrer Pointe. Sie muss zudem erklären, warum Jesus als Wundertäter – wie wir gesehen haben – in der Erzählung gerade zurückgenommen ist. Vor allem aber löst diese Sicht das selbstgestellte Problem nicht, warum gerade ein „kaum erträglich[es]“ Wunder als erstes Zeichen Jesu vollführt wird. Die göttliche Macht hätte sich auch an Wundern zeigen lassen, die den vermeintlichen Anstoß nicht bieten. 2.1.7.3 Die Auflösung der Geschichtlichkeit in Allegorie oder Symbol Der Anstoß lässt sich auch beheben, indem man die Aussage der Erzählung ausschließlich auf einer allegorischen Ebene erblickt.98 Hierfür wurden – ausgehend von einem religionsgeschichtlichen Vergleich – eine Vielzahl symbolischer oder allegorischer Deutungen vorgeschlagen.99 B. Lindars verschiebt in aller Klarheit den Fokus von der wunderhaften Tat Jesu zur symbolischen Valenz der Erzählung: „We have a miracle-story in which the miracle itself is unimportant and all the interest lies in the symbolical possibilities of the event. In fact, once the search for allegorical detail is begun, the possibilities seem to be endless.“100 97

BAUER, Komm., 46. Deshalb will Bauer diese Wunder mit ähnlichen Taten im Kindheitsevangelium des Thomas vergleichen. Auch LINDARS, Komm., 127, ordnet die Erzählung ins Umfeld der apokryphen Kindheitsgeschichten Jesu ein. Vgl. ders., Parables, 14f. R. PESCH, Das Weinwunder bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-12). Zur Herkunft der Wundererzählung, ThG 24 (1981), 214-225. WEISS, Komm., 114-116, spricht von einem „göttlichen Allmachtswunder“. 98 BAUER, Komm., 46, qualifiziert dies explizit als Strategie zur Lösung des Anstoßes: „Einem allegorischen Verständnis heben sich die Anstöße.“ Zur Kritik dieses Verfahrens vgl. HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 571-573, sowie BARTH, Komm., 200f. 99 Vgl. BROWN, Komm. I, 110: „The primary meaning of the wine is clearly Jesus’ gift of salvation, for which light, water, and food are other Johannine symbols.“ Ähnlich HANHART, Structure, 38: „This aggadah is an allegory.“ 100 LINDARS, Komm., 123.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

125

Eine sehr weitgehende symbolische Deutung für das Aufbewahren im Wort des Tafelmeisters bietet Lausberg101, der es als ,christologische Prophetie‘ versteht (vergleichbar den Aussagen des Hohenpriesters 11,50 und des Pilatus 19,19-22). Seine Deutung beruht auf einer Reihe von Voraussetzungen, die vor allem mit der Verwendung von τηρεῖν in 2,10 (vgl. 12,7) zusammenhängen. Lausberg sieht darin eine Anspielung auf die Anordnung in Ex 12,6, ein Lamm bis zum vierzehnten Nisan aufzubewahren (διατετηρηµένον ἕως …), und identifiziert so den neuen Wein mit dem Passalamm. Wahrer Adressat des σύ (du hast aufbewahrt …) sei damit Jesus, der den guten Wein, sein sündenvergebendes Blut, bis jetzt, bis zu seiner Stunde, aufbewahrt habe.102

Solchen Interpretationen wohnt die Gefahr inne, die Deutungsebene zu verabsolutieren und die sozio-kulturelle Anbindung, die reale Bedeutung von Wein im Rahmen eines Festes wie der Hochzeit, aber auch die Geschichtlichkeit des erfahrenen Heils und damit letztlich die Pointe des Gedankens der Inkarnation, die gerade auf der untrennbaren Verknüpfung der beiden Ebenen beruht, aus den Augen zu verlieren. Bereits Heitmüller verortete seine bildhaften Interpretationen im platonisierenden Denken. Für ihn weisen die „Zeichen“ Jesu auf „Ideen und höhere Wahrheiten“.103 Er führt seine platonische Sicht der johanneischen Zeichen im Zusammenhang der Hochzeit zu Kana aus: „Zum ,Zeichen‘ im johanneischen Sinn gehört ein Zweifaches: Es ist zunächst ein Wunder, ein wunderbares Erlebnis oder Tun, das als solches die übermenschliche Art Jesu erweist.104 Zum ,Zeichen‘ aber wird ein solches Wunder erst durch ein zweites, das wichtigste Moment: das Wunder ist zugleich und vor allem Ausdruck, Sinnbild, Verkörperung einer höheren Wahrheit oder Erkenntnis – es ist ein Transparent, durch das eine derartige Wahrheit hell hindurchscheint. Zugrundeliegt dabei die […] schon besprochene eigentümliche Anschauung: die Geschichte mit ihren Tatsachen ist Abschattung oder Verkörperung von Ideen. Sie ist Geschichte, aber sie hat Wert und Bedeutung nur, weil und soweit sie höhere Wahrheiten zur Darstellung bringt.“105 So offenbare dieses erste Wunder die göttliche Majestät Jesu, offenbare aber als Epiphanie „zugleich Wesen und Gaben der Gottheit“.

101

H. LAUSBERG, Die Verse Joh 2,10-11 des Johannes-Evangeliums. Rhetorische Befunde zu Form und Sinn des Textes, NAWG.PH, Göttingen 3/1986, 115-125, hier 119f. 102 Dies setzt zugleich die Identifikation Jesu mit dem Bräutigam voraus. Zur Kritik dieser Form intertextueller Lektüre, die sehr isoliert von einzelnen lexikalischen und motivgeschichtlichen Bezügen ausgeht, vgl. F. SCHLERITT, Der vorjohanneische Passionsbericht. Eine historisch-kritische und theologische Untersuchung zu Joh 2,13-22; 11,47-14,31 und 18,1-20,29, BZNW 154, Berlin u.a. 2007, 80-83, der freilich jegliche Form „synchroner Lektüre, besonders in ihrer narratologischen Ausprägung“ (83) aufs Korn nimmt. 103 HEITMÜLLER, Komm., 58. 104 Die Falle der symbolischen Entgeschichtlichung schließt hier an die oben genannte Falle einer Sicht des semeion als einer die Göttlichkeit des Protagonisten beweisenden Wundertat an. 105 Nach HEITMÜLLER, Komm., 15, „vergewaltigt“ Johannes das historische Geschehen, worin sich eine „Gleichgültigkeit gegenüber dem geschichtlichen Stoff“ zeige. „Diese wunderbaren Ereignisse sind vornehmlich, in der Sprache des Evangelisten zu reden, ,Zeichen‘, Vorgänge, die etwas bedeuten, versinnbildlichen, einen tieferen Sinn, eine Wahr-

126

Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

Eine solche Herleitung der Darstellungsweise des Johannesevangeliums von einer platonischen Ontologie führt C.H. Dodd fort, wie wir oben gesehen haben.106 Die Interpretation der Erzählung des vierten Evangelisten unmittelbar vor dem Hintergrund der Ontologie Platons führte Dodd wie Heitmüller auf die Vorstellung zweier Ebenen der Geschichtsdarstellung. Anders als Heitmüller hält Dodd jedoch beide Ebenen fest, die geschichtliche und diejenige einer tieferen symbolischen Wahrheit; der Platoniker sei durchaus in der Lage, sie nebeneinander und als aufeinander bezogene zu denken. Auf die Kritik an dieser platonisierenden Deutung, die in der Folgezeit laut wurde, waren wir oben schon eingegangen. 2.1.7.4 Der vorgeschlagene Deutungsweg: Geschichtlicher Anstoß und bildhafte Deutung Wie in Kap. 1 dargelegt wurde, ist mit Schnackenburgs Kritik an dem Versuch, den platonischen Ideenhimmel im Johannesevangelium wiederzufinden, die Frage platonischer Einflüsse und insbesondere platonischen Bilddenkens107 nicht erledigt. Als philosophiegeschichtliche Referenzgröße allerdings ist nicht die Ideenlehre Platons, sondern der zeitgenössische Platonismus anzusetzen108, in welchem sich eine Wendung zu einem personaleren Gottesbild vollzieht.109 Eine bildhafte Interpretation hebt in platonischer Sicht, wie sowohl bei Philon als auch bei Plutarch deutlich sichtbar ist, die Bedeutung des geschichtlich Erfahrenen gerade nicht auf. In einem Aufsatz, der die Probleme aufzeigt, die die Erzählung insbesondere für moderne Interpreten bietet, und sie mit den frühesten Auslegungen bis hin zu Irenäus kontrastiert, wendet sich M. Hengel gegen die Auflösung der Geheit verkündigen […] Die Auferweckung des Lazarus verkündet aller Welt laut und gewiss, dass Jesus der Bringer des Lebens, dass er selbst das Leben ist (11,25); die Heilung des Blindgeborenen, dass Jesus der Träger des Lichts, ja das Licht selbst ist (9,5). Die Speisung versinnbildlicht den Gedanken, dass Jesus der Spender des wahren Lebensbrotes, ja dass er selbst das Brot des Lebens ist (6,35). Auch die sonstigen Erkenntnisse verkörpern Erkenntnisse und Wahrheiten […] Die Geschichte ist nur eine andere Form der Lehre. Alles Vergängliche, d.h. hier alles Geschichtliche ist nur ein Gleichnis“ (15). 106 Vgl. o. 63f. 107 R. HIRSCH-LUIPOLD, Art. Image/Imagery, EBR 12, 919-922. 108 Vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext in Bildern. ἀληθινός κτλ., παροιµία – παρρησία, σηµεῖον als Signalwörter für eine bildhafte Darstellungsform im Johannesevangelium, in: Frey u.a., Imagery, 61-102, hier 61-63; ders., Die religiös-philosophische Literatur der frühen Kaiserzeit und das Neue Testament, in: ders. u.a. (Hgg.), Religiöse Philosophie und philosophische Religion der frühen Kaiserzeit. Literaturgeschichtliche Perspektiven. Ratio Religionis Studien I, STAC 51, Tübingen 2009, 117-146, bes. 128-135. 109 R. HIRSCH-LUIPOLD, Der eine Gott bei Philon von Alexandrien und Plutarch, in: ders., Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder, RGVV 54, Berlin u.a. 2005, 141-167, hier 156-161.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

127

schichte ins Symbol, indem er in ähnlicher Weise wie Dodd für eine Verbindung von geschichtlicher Grundlage mit symbolischer Deutung plädiert und damit zugleich griechisch-dionysische und biblische Tradition zueinander in Beziehung setzt: „Sollte darum das Weinwunder in Joh 2,1-11 nicht zugleich Symbol der ‚Fülle‘ und ‚Freude‘ sein, die der Messias bringt?“110 Der anstößigsinnliche Charakter bekommt so eine theologische Bedeutung zugewiesen, die die geschichtliche Erfahrung nicht aufhebt, sondern von ihr ausgeht, um sie zu transzendieren. Hengel arbeitet den symbolischen Charakter ebenso heraus wie die gleichzeitige Betonung der körperlichen Gegenwart der Heilserfahrung in Christus durch den Evangelisten. Zu Recht insistiert er immer wieder darauf, dass sich die Geschichte nicht nach einer Seite – Geschehen oder symbolischer Deutung – auflösen lässt, so dass die symbolische Deutung das Geschehen selbst unbedeutend oder gar überflüssig erscheinen lassen würde.111 Der Verweis sei vielmehr, so betont er, in der zeichenhaften Wundertat zu erblicken: „[…] man kann nicht letztere zugunsten der ersteren für völlig unwesentlich erklären. Ohne die ,Tat‘ gibt es auch keinen ,Verweis‘.“112 Zu einem ähnlichen Urteil im Blick auf das Verhältnis von symbolischer Spekulation und geschichtlichem Bericht kommt Ansgar Wucherpfennig:113 „Die Hochzeit zu Kana ist die erste geschlossene Erzählung, die er [sc. der Autor des Evangeliums] uns aus dem Leben Jesu berichtet. Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass er durch ihre Symbolik das ‚unvergängliche und ewige Licht‘ im Leben Jesu erkennen lässt. Augustinus hatte seinen besonderen Charakter als contemplator lucis internae atque aeternae treffend beschrieben. Das Johannesevangelium spricht aber dagegen, ihn nur in diesem symbolischen Sinn ernst zu nehmen und ihn deswegen zu weit von den drei synoptischen Evangelien abzurücken. Er hat die symbolische Bedeutung seiner Erzählung untrennbar mit ihrer literalen Bedeutung verbunden. Als Erzähler vom ewigen Licht bleibt er ein contemplator vitae Jesu Christi.“

Eine Geringschätzung des Körperlich-Sinnlichen ist hier nicht zu finden: „Mit einem leib- und materiefeindlichen Dualismus lässt sich dieses Wunder gerade nicht vereinbaren.“114 Ein Seitenblick auf die in vielem parallele Erzählung von der Speisung der Menge in Joh 6 lässt die Bedeutung der geschichtlichkörperlichen (und damit ästhetischen) Erfahrung besonders deutlich hervortre110

HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 588. SCHMIDT, Hochzeitswunder, macht in einem Durchgang durch die Wundergeschichten des Evangeliums die Verbindung von geschichtlicher Erzählung und symbolisch-bildhafter Deutung plastisch. Dabei zeigt er an verschiedenen Einzelerzählungen, dass Jesus jeweils das Leben, das Licht spendet und zugleich ist (39f.). Beides ist nicht voneinander zu trennen. 112 HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 583 (Hervorhebung M.H.). Wichtig ist das Insistieren Hengels auf der Vielschichtigkeit der schon vom Evangelisten angelegten Deutungen. Freilich ist hinter seiner Argumentation das Interesse an der Historizität zu spüren, die für unsere Überlegungen hier weniger wesentlich ist als die Anbindung der Deutung an körperliche Erfahrungen. 113 WUCHERPFENNIG, Hochzeit, 338. 114 HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 576. 111

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

ten: Dort kann das Brot nur deshalb als Symbol des Lebens fungieren, weil die Erzählung ihren Ausgang von der geschichtlichen Erfahrung der Bewahrung vor Hunger damals in der Wüste und nun auf dem Berg am See Tiberias nimmt. Ohne die körperliche Erfahrung, hier insbesondere ohne Schmecken und Sattwerden, gibt es kein Symbol. Die Bedeutung liegt gemäß der Hermeneutik des vierten Evangeliums im geschichtlichen Geschehen selbst, muss aber als darüber hinausführend betrachtet werden. So unterstreicht H. Thyen (in Auseinandersetzung mit Hanhart115 und auch Lütgehetmann116), dass der tiefere Sinn nicht allegorisch als etwas Anderes betrachtet werden dürfe: „Denn nichts Anderes, als das, was mit ihrem ‚face value‘ am Tage liegt, will sie sagen, sondern zugleich mit diesem und weit darüber hinaus will sie mehr sagen.“117 Gegenüber einer Auflösung des Geschichtlichen ins Symbol ist die Konkretheit des Körperlichen in dieser Erzählung festzuhalten: Es handelt sich bei der Übertragung nicht um ein bloß intellektuelles Spiel, weshalb es auch nicht – aufgrund poststrukturalistischer Offenheit oder traditionsgeschichtlicher Verästelung – beliebig bleibt, welcher Aspekt der Erzählung bildhaft gedeutet wird. Wenn man, wie wir das versucht haben, das Wunder als Zeichen in seinem Verweischarakter ernst nimmt und dabei seine Geschichtlichkeit nicht allegorisch oder symbolisch auflöst, gilt es zu spezifizieren, welcher Aspekt der Erzählung genau den Verweis leistet, worauf er referiert und in welcher Weise der Verweis geschieht. Von der Antwort auf diese Frage hängt ab, in welche motivgeschichtlichen Zusammenhänge wir bei der Deutung verwiesen sind. Die literarische Analyse hat verschiedene Anknüpfungspunkte für eine biblische Kontextualisierung und für bildhafte Deutungen sichtbar gemacht, wobei eine Schwerpunktverlagerung gegenüber den gängigen Auslegungen deutlich wurde. Der Spruch des Tafelmeisters hat sich sowohl in gattungskritischer als auch in erzählanalytischer Perspektive als Pointe der Darstellung erwiesen. Damit wird deutlich: Der Wein ist als Kern der Erzählung zu betrachten und sollte den Ausgangspunkt einer motivischen Deutung bilden (nicht die Hochzeit, die Mutter Jesu oder auch die Wandlung des Weins). Vom Geschmack des Weins und seiner Fülle her stellt sich die Frage nach seinem Woher. Im Folgenden gilt es den motivgeschichtlichen Hintergrund, der damit aufgerufen ist, zu erhellen und das Verhältnis zu den übrigen Teilmotiven, die in der Erzählung entdeckt wurden (Hochzeit, Mutter Jesu, Wandlung, Neuheit, Ablösung des Alten Testaments, Reinheit usw.), zu klären. Im Sinne einer Motivinterpretation, wie wir sie hier vornehmen, geht es dabei nicht primär darum, motiv115

HANHART, Structure, 38. LÜTGEHETMANN, Hochzeit, 292-316. 117 THYEN, Komm., 149f. (Hervorhebung H.T.). Als synoptischen Prätext verweist Thyen auf Mk 2,18-21. Zur kritischen Auseinandersetzung mit Hanhart und Lütgehetmann vgl. THYEN, Komm., 158f. 116

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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geschichtliche Abhängigkeiten nachzuweisen, sondern Bedeutungskontexte der innerhalb der Erzählung verwendeten Motivik im Sinne eines ‚Bedeutungslexikons‘ offen zu legen.118 Auf dieser Grundlage wird sodann das Motiv im literarisch-motivischen Gesamtzusammenhang des Evangeliums interpretiert. Demgegenüber herrscht in der Auslegungsliteratur von den Kirchenvätern bis heute vielfach ein Verfahren einer allegorisierenden Isolierung von Einzelzügen vor, für die mögliche Interpretationszusammenhänge aus der biblischen Tradition oder der Umwelt angegeben und dadurch Bedeutungsebenen für das Johannesevangelium konstruiert werden. Gerade im Blick auf den Aspekt des Bräutigams werden die Grenzen einer allegorisierenden Deutung nicht immer klar genug gesehen. Verschiedentlich wird Jesus – über die Verbindung mit 3,29 – mit dem Bräutigam identifiziert oder jedenfalls in engen Zusammenhang mit ihm gebracht: „Im Denken des Johannesevangeliums hat also Jesus die Rolle des Bräutigams eingenommen.“119 Die literarische Analyse mahnt hier zur Vorsicht, hat sie doch ergeben, dass der Bräutigam eine auffällig zurückgesetzte Rolle innerhalb der Geschichte spielt. Wie wir bereits gesehen haben, fehlen die Mitglieder der Hochzeitsgesellschaft in überraschender Weise als Handlungsfiguren (lediglich der Bräutigam erscheint als Objekt der Kritik des Tafelmeisters; gemäß der Logik der Erzählung hatte dieser aber mit der Beschaffung des Weins nichts zu tun). Obwohl der Christus in Joh 3,29 von Johannes dem Täufer in einem Bildwort mit einem Bräutigam identifiziert und damit der eschatologische Horizont des Hochzeitsmotivs wieder aufgegriffen wird, erlaubt dies nicht, den Bräutigam in Joh 2 im Sinne einer das Evangelium durchziehenden Allegorie mit Jesus Christus zu identifizieren, zumal der Bräutigam in der Erzählung eben als eigene Erzählfigur auftritt. Zimmermann versucht dieses Problem abzumildern, indem er einen „Rollentausch“ annimmt. Gegenüber dem „schlechten“, „unzuverlässigen Bräutigam“, der der ihm gestellten Aufgabe, für den Wein zu sorgen, in keiner Weise gerecht werde, erweise sich Jesus als der wahre Bräutigam.120 Diese ingeniöse Auslegung müsste freilich zudem eine Umkehrung der Weinregel annehmen: Was unter den gängigen Kategorien des Umgang (zu dem auch der

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Vgl. o. Einleitung 13-24. BREUSS, Kanawunder, 25 (Hervorhebung J.B.); vgl. O’DAY, Komm., 538; STIBBE, Komm., 46; F.J. MOLONEY, Belief in the Word. Reading John 1-4, Minneapolis 1993, 87; K. SCHOLTISSEK, Ironie und Rollenwechsel im Johannesevangelium, ZNW 89 (1998), 235-255, hier 242f.; OLSSON, Structure, 61. Nach O’DAY/HYLEN, Komm., 36, übernimmt Jesus demgegenüber die Rolle des Architriklinos: „The stewards role at a wedding was to make sure the wedding guests had food and wine, but now Jesus takes on the role of host at the meal by offering wine to the steward (vv. 9-10).“ LÜTGEHETMANN, Hochzeit, 283-348, will das Hochzeitsmotiv zur zentralen christologischen „Deute-Chiffre“ (308) machen und meint gar, in der Hochzeit zu Kana als der Hochzeit Jesu (so unter Berufung auf Joh 3,29!) „die Verbindung von logos und sarx“ erblicken zu können (310); vgl. auch J. MCWHIRTER, The Bridegroom Messiah and the People of God. Marriage in the Fourth Gospel, MSSNTS 138, Cambridge 2006. 120 Vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 209-212. 119

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

Bräutigam gehört) schlecht ist, nämlich den besten Wein zuletzt zu bringen, das ist gerade der Aspekt, an dem man den „wahren Bräutigam“ erkennen kann.121

Gegenüber einer solchen allegorisierenden Auslegung bemüht sich die folgende Analyse, jedes Motiv auf der Basis der im motivgeschichtlichen Teil erhobenen Bedeutungsmöglichkeiten aus dem motivischen Geflecht des Johannesevangeliums heraus zu interpretieren. Eine herausragende Rolle wird dabei die Frage spielen, in welches Verhältnis sich alttestamentlich-jüdisches und hellenistischdionysisches zueinander setzen lassen. Festzuhalten ist dies: Die Einsicht in den Verweischarakter ist für das Verständnis der johanneischen „Zeichen“ und für die Darstellungsform des Evangeliums insgesamt fundamental.122 Ebenso fundamental aber ist (gegenüber den pagan-religiösen Bildtheologien der Zeit, seien sie nur platonischer oder stoischer Provenienz) die Feststellung, dass das Evangelium einen einzigen Kontaktpunkt innerhalb von Geschichte und Welt reklamiert, der einen Zugang zur Ebene der göttlichen Wahrheit erlaubt, nämlich den einziggeborenen Sohn Gottes als dessen fleischgewordenes Wort.123 2.1.8 Wunderbarer Wein im Überfluss: Exegetischer Durchgang durch Joh 2,1-11 Zunächst erhält der Leser eine ausführliche Schilderung der Ausgangssituation: Anlass ist ein Fest, eine Hochzeit (γάµος124), an der die Mutter Jesu teilnimmt.125 Auch Jesus selbst ist mit seinen Jüngern geladen (2,1f.) – sie 121

Im damit implizierten Gedanken, dass der Logos sich zuletzt selbst ausschenkt, kann man zugleich auch den Hintergrund des Essens der Buchrolle wiederentdecken, von dem der Prophet Ezechiel spricht (Ez 2,8–3,3; vgl. Jer 15,16; Offb 10,8-10). Die Rolle sättigt den Propheten und sie hinterlässt den Geschmack von süßem Honig (vgl. Ps 19,11; 119,103). 122 DODD, Interpretation, 142, beschreibt ausgezeichnet das Verhältnis von „Zeichen“ und Geschichte: „… , while in the first intention the feeding of the multitude signifies the timeless truth that Christ, the eternal Logos, gives life to men, and the healing of the blind that He is the bearer of light, yet in the development of the argument we discover that Christ’s work of giving life is accomplished, in reality and in actuality, by the historical act of his death and resurrection. In that sense, every σηµεῖον points forward to the great climax.“ Allerdings kann man dem einzelnen σηµεῖον doch etwas mehr Eigengewicht geben: Die Feier des in Jesus gegenwärtigen Lebens hat mit dem Genuss des Weins im Überfluss bereits begonnen! 123 Vgl. HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 571f. Darauf macht der Evangelist erzählerisch durch den Kontrast zwischen der anschaulich der Alltagswelt zugehörigen Bemerkung des Tafelmeisters und der hohen Christologie in 2,11 aufmerksam. 124 Der Singular ist ungewöhnlich zur Bezeichnung der Hochzeitsfeier, die üblicherweise γάµοι genannt wird; vgl. BAUER/ALAND s.v. γάµος. 125 Über die Nähe der Mutter Jesu zur Festgesellschaft ist viel spekuliert worden. Eine solche könnte man aus der besonderen Verantwortung schließen, die ihr offenbar für die Bewirtung zukommt: Sie scheint als erste von der prekären Situation Kenntnis zu haben, und sich vor allen anderen um Abhilfe zu bemühen und gibt dazu den bei Tisch Aufwartenden Anwei-

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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erscheinen allerdings offenbar erst später.126 Dieses Fest geschieht „am dritten Tag“, eine Zeitangabe, die mit Ex 19,16 in Verbindung gebracht wurde: Der dritte Tag ist der Tag der Gabe der Tora und der Erscheinung der Herrlichkeit Gottes (‫כָּבוֹד‬, δόξα) über dem Berg.127 Die Offenbarung der δόξα im ersten Zeichen schließt so an die Sinaioffenbarung an.128 Wie es für eine Wundergeschichte durchaus gattungsgerecht wäre, erhalten wir als Tatsachenbericht die Schilderung eines Problems: Der Wein beim Fest ist zur Neige gegangen (ὑστερήσαντος οἴνου). Die Mutter Jesu129, deren Namen wir bei Johannes nicht erfahren, trägt dieses Problem an ihren Sohn heran – mit der impliziten Aufforderung, Abhilfe zu schaffen: „Sie haben keinen Wein mehr“ (οἶνον οὐκ ἔχουσιν, 2,3). Wenn auch nicht lebensbedrohlich, so bedeutet die geschilderte Situation als Blamage und Stigmatisierung (einer ärmeren Familie?) doch ein ernstzunehmendes Problem.130 Damit ist das Thema der Geschichte etabliert: Der Wein bzw. dessen Mangel und die plötzlich durch Jesus herbeigebrachte Fülle und Qualität. Zunächst allerdings erfolgt, gleichsam als retardierendes Moment, eine ablehnende Reaktion Jesu131 gegenüber seiner Mutter mit dem Hinweis, seine Stunde sei noch nicht gekommen (2,4).132 sungen. Auch hat man der unterschiedlichen Art, wie Maria auf der einen und Jesus mit den Jüngern auf der anderen Seite eingeführt werden, entnommen, dass Maria nicht als Gast geladen war, sondern als Verwandte bei der Hochzeit geholfen hat. 126 Das Fest zieht sich traditionell über sieben Tage hin. An das Faktum, dass Jesus offenbar später zum Fest kommt, knüpfen sich unterschiedlichste Deutungsversuche, die uns hier nicht zu beschäftigen brauchen. 127 Vgl. B. OLSSON, Stucture and Meaning in the Fourth Gospel. A Text-Linguistic Analysis of John 2,1-11 and 4,1-42, CB.NT 6, Lund 1974, 102-109 („The Sinai-Screen“); THYEN, Komm., 152. Insbesondere im Targum Pseudo-Jonathan (M. GINZBURGER [HG.], PseudoJonathan, Thargum Jonathan ben Usiël zum Pentateuch, nach Londoner Handschrift Brit. Mus. add. 27031, Berlin 1903, 132f. und 142f.) wird eine Chronologie der Ereignisse der Gottesoffenbarung am Sinai ausgeführt. Zur Bedeutung der Zeitangaben in Joh 2,1-11 vgl. J. FREY, Die johanneische Eschatologie, Bd. 2: Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998, 192-196.224-226. Die oft vertretene Verknüpfung zur Ostertradition und der Auferstehung am dritten Tage scheint mir dagegen eher vage, der motivische Bezug zu 2,19 (etwa SCHNELLE, Komm., 69f.) nicht tragfähig genug. Auch der wiederum allgemeine Hinweis auf die kreuzestheologische Bedeutung der „Stunde“ (s.u. Kap. 2 Anm. 132) im Johannesevangelium vermag dieses Gewicht nicht zu tragen. 128 Bereits im Prolog wird die Sichtbarkeit Gottes im fleischgewordenen Logos als Steigerung der Sinaioffenbarung gedeutet; vgl. o. 28. 129 Vgl. M.L. COLOE, The Mother of Jesus. A Woman Possessed, in: Hunt, Character Studies, 202-213. 130 Vgl. o. Kap. 2 Anm. 42. 131 Vgl. Joh 4,48; 11,6. Zu Recht bemerkt BARRETT, Komm., 215, dass die Aussage von V. 7 her keinesfalls als grundsätzliche Weigerung verstanden werden kann und Jesus also seine Meinung geändert hätte. Vielmehr weise Jesus auf die Unabhängigkeit seines Handelns hin. Jesus orientiert sich weder an menschlichen Erwartungen noch an menschlicher Verbun-

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Die Deutung der Reaktion Jesu nimmt in der Exegese der Perikope großen Raum ein. Formuliert Jesu τί ἐµοὶ καὶ σοί, γύναι eine harsche Zurückweisung?133 Mit γύναι redet er später auch die samaritanische Frau (4,21) und Maria Magdalena (20,15) an. Daher kann lediglich die Frage sein, ob darin eine Distanzierung gegenüber der eigenen Mutter zum Ausdruck kommt. Im Blick auf die Wiederaufnahme in 19,26 scheint letzteres wenig wahrscheinlich. Mit τί ἐµοὶ καὶ σοί, einer geläufigen Wendung, die in der Septuaginta134 als Übersetzung von ‫ ַמה־לִּי ָולְָך‬erscheint, wird entweder ein gemeinsames Handlungsinteresse oder die gegenseitige Verpflichtung verneint.135 Dieses Element sticht besonders heraus, wenn für manche Ausleger die Mutter Jesu zur Schlüsselfigur der Szene wird, sei es aus mariologischer136, ekklesiologischer137 oder feministischer Sicht.138 Da die Mutter Jesu eine bedeutende Rolle in der Kana-Episode139 wie auch im Evangelium insgesamt spielt, deutet

denheit, sondern untersteht „einem eigenen Gesetz und hat auf eine andere Stimme zu hören“ (BULTMANN, Komm., 81). K. Barth interpretiert diesen Aspekt theologisch: Die Bitten des Menschen in existentiellen Situationen werden von Gott nicht jeweils im nächsten Moment beantwortet. Vielmehr weist dieses Element auf den prinzipiellen Unterschied zwischen der einmaligen, punktuellen Frage der bedürftigen Menschen und der endgültigen Beantwortung dieser Fragen durch Gott (BARTH, Komm., 193). 132 Die Rede von der „Stunde Jesu“, die als Grund für die Zurückweisung gegeben zu werden scheint, erscheint hier zum ersten Mal und kehrt in 7,30 (vgl. 7,6.8) und 8,20 (als noch nicht gekommen) sowie in 12,23.27; 13,1; 17,1 (als bereits gekommen) wieder. Sie wird die Verherrlichung bringen und verweist so über Jesu irdische Machttaten hinaus auf die Überwindung des Todes in Kreuz und Auferstehung; vgl. FREY, Eschatologie II, 215-221; SCHNACKENBURG, Komm. II, 498-512; W. THÜSING, Die Erhöhung und Verherrlichung Jesu im Johannesevangelium, Aschendorff 1960, 75-100; T. KNÖPPLER, Die theologia crucis des Johannesevangeliums. Das Verständnis des Todes Jesu im Rahmen der johanneischen Inkarnations- und Erhöhungschristologie, WMANT 69, Neukirchen-Vluyn 1994, 102-115; zum Tod Jesu im Johannesevangelium allgemein vgl. G. VAN BELLE (HG.), The Death of Jesus in the Fourth Gospel, BEThL 200, Leuven 2007. 133 So etwa BULTMANN, Komm., 81, BARRETT, Komm., 214; ähnlich auch THYEN, Komm., 153. Vgl. A.H. MAYNARD, „TI EMOI KAI SOI“, NTS 31 (1985), 582-586; COLOE, Mother, 205f. 134 Ri 11,12; 1Kön 17,18; 2Kön 3,13; Hos 14,8. SCHNELLE hebt besonders die Bezüge zu 1Kön 17,7-24 heraus (Komm., 70 mit Anm. 12). 135 J. LIEU, The Mother of the Son in the Fourth Gospel, JBL 117/1 (1998), 61-77, hier 65; vgl. MAYNARD, TI EMOI, 584; BULTMANN, Komm., 81; BROWN, Komm. I, 99. Im Neuen Testament bedienen sich die Dämonen dieser Worte in ihrer Anrede an Jesus (Mk 5,7; Mt 8,29; vgl. Mk 1,24). 136 Vgl. J. MC HUGH, The Mother of Jesus in the New Testament, London 1975, 351-404. 137 Z.B. LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen, 207-211. 138 Vgl. LIEU, Mother; L.M. BECHTEL, A Symbolic Level of Meaning. John 2,1-11 (The Marriage in Cana), in: A. Brenner (Hg.), A Feminist Companion to the Hebrew Bible in the New Testament, The Feminist Companion to the Bible 10, Sheffield 1996, 241-255, hier 247250.254f. 139 Die Mutter Jesu wird in 2,1 als erste Handlungsfigur genannt und erscheint in 2,12 wiederum als erste unter denen, die Jesus nach Kapernaum begleiten (vgl. LIEU, Mother, 64).

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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die rätselhafte Anrede für Brown auf eine symbolische Bedeutung.140 Eine solche wäre jedoch im Motivzusammenhang der Perikope wie des Evangeliums insgesamt zu bestimmen. Jedenfalls unterstreicht die betonte Nennung von Vater und Mutter im Johannesevangelium 141 das Menschsein Jesu, in welchem und durch welches das Heil und die Herrlichkeit Gottes gegenwärtig wird. Coloe sieht mit Lieu die Funktion der merkwürdigen Spannung der Passage eher darin, auf die Bedeutung der Stunde hinzuweisen – das Entscheidende an den Handlungen Jesu muss erst noch offenbart werden.142 Die Aussage hätte eine ähnliche Funktion wie 2,22: Erst von der Auferstehung her kann klarwerden, was Jesus hier tut. So verstanden könnte seine Antwort sogar ein vorsichtiges „Ja“ enthalten, insofern sie lediglich besagt, dass seine Handlung gegenwärtig noch nicht zu verstehen ist.143 Die gleichwohl harsche Reaktion könnte darauf bezogen sein, dass die Mutter zwar weiß, wozu ihr Sohn in der Lage ist, nicht aber die tiefere Bedeutung versteht. Die „wissende“ Mutter verkennt in V. 3, was der Mundschenk in V. 10 „unwissend“ bekennt.144

Jesu Mutter fordert daraufhin die bei Tisch Aufwartenden auf, sich eng an Jesus zu halten und zu tun, was er ihnen aufträgt (2,5). διάκονοι wird klassisch im Sinne von „Diener“ interpretiert.145 Barrett und Thyen verweisen demgegenüber auf die ungewöhnliche Verwendung des Lexems διάκονος (statt der „eher zu erwartenden Lexeme δοῦλος oder παῖς“146). Zwar treten διάκονοι auch in Mt 22 auf und sind dort selbstverständlich Diener. Jedoch handelt es sich in der matthäischen Version der Parabel um ein gänzlich anderes semantisches Umfeld, einen königlichen Hofstaat. Oder sollte man die Hochzeit zu Kana in einem ausgesprochen wohlhabenden Milieu verorten?147 Wahrscheinlicher handelt es sich bei den diakonoi um Freunde des Bräutigams, die nach orientalischer Sitte bei Tisch aufwarten. In diese Richtung weist Joh 12,2, wo die Verbform διηκόνει in einem vergleichbaren Zusammenhang beim Fest verwendet wird. Hier bezeichnet sie wohl den Tischdienst von Verwandten oder Freunden.148 Eine solche Bedeutung würde die prominente Rolle der Maria 140

BROWN, Komm. I, 99. Joh 6,42; vgl. 7,27. 142 COLOE, Mother, 206f.; LIEU, Mother, 66. 143 Die Reaktion vieler Exegeten, die die einzelne Handlung Jesu atomisiert betrachten und kritisieren, hätte der johanneische Jesus dann bereits vorausgesehen. 144 Vgl u. Kap. 2 Anm. 176. 145 BULTMANN, Komm., 82; U. BUSSE, The Relevance of Social History to the Interpretation of the Gospel According to John, SKerk 16 (1995), 30-32. M. HENGEL spricht noch pointierter von „Sklaven“ (Der „dionysische“ Messias, 592f.). 146 THYEN, Komm., 155 (im Anschluss an OLSSON, Structure, 46); vgl. BARRETT, Komm., 214. 147 Vgl. SCHNELLE, Komm., 71; M. HENGEL, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, mit einem Beitrag zur Apokalypse von J. Frey, WUNT 67, Tübingen 1993, 307. 148 Vgl. PGL, 350 s.v. διακονέω I.A.1: „serve; of waiting at table“. Zu διακονία und διακονέω (ausgehend vom Lukasevangelium) vgl. A. HENTSCHEL, Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen, WUNT II/226, Tübingen 2007. 141

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

innerhalb der Geschichte erklären, die sich um die Versorgung der Gäste kümmert; dies lässt sich am besten durch ihre Nähe zur Familie des Bräutigams verstehen. Verwandtschaftliche Nähe könnte zudem den jovialen Ton des Speisemeisters gegenüber dem Bräutigam erklären, den man sich bei einem Diener nur schwer denken könnte.149 Sodann werden eine Reihe von Vorbereitungen im Tatsachenbericht geschildert (2,6-8): Jesus fordert die bei Tisch Aufwartenden auf, die für die Reinigung wahrscheinlich in einem Vorraum bereitstehenden sechs Wasserkrüge150 mit Wasser zu füllen und dem Tafelmeister (ἀρχιτρίκλινος) daraus zu schöpfen (ἀντλήσατε) – was diese auch tun. Das Verb ἀντλέω, das im Neuen Testament nur bei Johannes vorkommt151, meint eigentlich das Schöpfen aus einer Quelle.152 Es ist deutlich, dass aus den Krügen geschöpft werden soll und nicht die Krüge selbst aufgetragen werden.153 Wie einige andere Erzählzüge hat auch das in typisch johanneischer Weise ausgeführte erzählerische Detail der Wasserkrüge Anlass zu unterschiedlichen symbolischen Deutungen gegeben. Man erblickte darin einen Hinweis auf das mosaische Ritualgesetz (Wasser der Reinigung), das durch das Evangelium vom Kommen der messianischen Zeit (Wein der Freude und Wahrheit) abgelöst wird. Der alte Wein, so ließ sich dann V. 10 deuten, wurde am Beginn der Endzeit durch den neuen, guten Wein ersetzt. In der Ersetzung des Wassers der Reinigung durch den guten Wein konnte man eine Antithese zwischen Moses und Jesus Christus in Joh 1,17 erzählerisch umgesetzt wiederfinden.154 149

Eine weitere Möglichkeit zieht BARRETT, Komm., 214, in Erwägung: Die Verwendung des ungewöhnlichen Wortes könnte dadurch motiviert sein, dass διάκονοι im heidnischen und christlichen Kult der Festgesellschaft den Wein brachten. 150 DEINES, Steingefäße, 274. 151 Joh 4,7.15 sowie ἄντληµα in 4,11. 152 Vgl. neben Joh 4,7 auch Gen 24,20; Ex 2,19; Jes 12,3. Verschiedentlich wird deshalb eine Verbindung zu Joh 4 und der Rede vom lebendigen Wasser hergestellt; vgl. E.C. HOSKYNS/F.N. DAVEY, The Fourth Gospel, London 1947, 189; BARRETT, Komm., 215. 153 Dies wäre bei der Größe der Behälter kaum möglich. Zugleich mag Jes 12,3 anklingen: καὶ ἀντλήσετε ὕδωρ µετ’ εὐφροσύνης ἐκ τῶν πηγῶν τοῦ σωτηρίου (so THYEN, Komm., 156, mit Verweis auf H. LAUSBERG, Die Verse J 2,7-9 des Johannes-Evangeliums. Rhetorische Befunde zu Form und Sinn des Textes, NAWG.PH, Göttingen 5/1986, 187-193, hier 189.]). 154 Vgl. jetzt ZUMSTEIN, Komm., 120: „In Kana erschließt der joh Jesus eine neue Wirklichkeit, die den Alten Bund überbieten soll. Dem Leser würde eine narrative Ausführung von 1,17 begegnen.“ Deutlich massiver STIBBE, Komm., 43: „The phrase, ‚they have no more wine’ (2.3) symbolizes the inadequacy of Judaism; Judaism now has no more to offer humanity by way of salvation. The fact that there are only six jars (2.6) further signals the failure and incompleteness of the old order. The saving of the good wine until now shows that Jesus is the fulfilment of Judaism (2.10).“ Auch nach BARRETT, Komm., 216, zeigt „die überlegene Qualität des Weines, den Jesus zur Verfügung stellt“: „der neue Glaube, der sich auf das eschatologische Ereignis gründet, ist besser als der alte.“

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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Bemerkenswert ist zudem die unglaubliche Menge des Wassers (und damit implizit auch des Weins) von wie gesagt 600-700 Litern. Die ins Unglaubliche gesteigerte Menge erinnert an die absurde Menge von hundert Pfund Salbe, die Nikodemus nach Joh 19,39 zum Begräbnis Jesu mitbrachte.155 M. Hengel verband die Menge in einer pneumatologischen Deutung mit dem Geist, der in der Fülle gegeben wird (Joh 3,34; 7,38).156 Das Wasser, das in Joh 2,6-8 als Motiv hervortritt, wird an späterer Stelle im Evangelium eine zentrale Bedeutung erlangen (bes. Joh 4,4-15; weiter 3,5; 5,7; 7,38; 19,34).157 In der vorliegenden Erzählung kommt ihm aus literarischem Blickwinkel kein eigenes (positives oder negatives) Gewicht zu. Der dramatische Effekt der Vorbereitungen ist der eines retardierenden Moments, welches das Hauptthema des Weins hervorhebt: Der Leser wartet gespannt auf die Wendung, die zum eingeführten Thema zurückführen wird. Dies gilt umso mehr, je präsenter populäre Geschichten von der Verwandlung von Wasser in Wein im kollektiven Bewusstsein sind, wie sie sich insbesondere um den Gott Dionysos ranken. Wie M. Smith dargelegt hat, sind sie in neutestamentlicher Zeit bereits weit in den semitischen Bereich eingedrungen.158 Nun erfolgt – spannungsvoll vorbereitet – ein bemerkenswerter Wechsel der Perspektive: Von den bisherigen Akteuren, die nicht mehr erwähnt werden, vom gebieterischen Wort Jesu und den entsprechenden Handlungen der Aufwartenden, zum Tafelmeister, der nun die Szene beherrscht (2,9). Über die Verwandlung des Wassers selbst erhalten wir wie gesagt keinen Bericht.159 155 Nach BULTMANN, Komm., 82 mit Anm. 5, kommt es dem Evangelisten gerade auf die Menge des Weins an (zum Vergleich verweist er auf ActThom 120, wo in offensichtlicher Aufnahme und Kritik der Kana-Erzählung von µετρηταὶ οἴνου die Rede ist). 156 HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 588f. Eine solche pneumatologische Deutung betrachtet bereits HIRSCH, Komm., 122-127, als Kern der Erzählung von der Hochzeit zu Kana. 157 Vgl. dazu W.-Y. NG, Water Symbolism in John. An Eschatological Interpretation, SBLit 15, New York 2001; L.P. JONES, The Symbol of Water in the Gospel of John, JSNT.S 145, Sheffield 1997; WEBSTER, Ingesting Jesus, 53-59; ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 142-152; LÜTGEHETMANN, Hochzeit, 176-195). Wasser wird (insbes. in Joh 4 und 7) ein herausgehobenes Symbol der lebenstiftenden Kraft der Begegnung mit Jesus sein. Es wäre deshalb merkwürdig, wenn im Rahmen der Kana-Erzählung der symbolische Kern in der Ersetzung des Wassers (als Symbol einer an ritueller Gesetzlichkeit orientierten jüdischen Religion) zu erblicken wäre. Von „neuem, gereinigtem“ Wasser ist hier wie in der Folge keine Rede. Die Rede vom „lebendigen Wasser“ (Joh 4,10-15; vgl. 7,38; 19,34) baut nicht auf einem Gegensatz auf, sondern auf einer Überbietung irdischen Wassers, die sich durch Christus als dem neuen Lebensspender ereignet. 158 M. SMITH, On the Wine God in Palestine. Gen. 18, Jn. 2, and Achilles Tatius, in: S. Liebermann/A. Hyman (Hgg.), FS S.W. Baron, Jerusalem 1974, 815-829, hier 821-829. 159 Vgl. SCHNACKENBURG, Das erste Wunder, 10. Hätte der Architriklinos seine Beobachtung für sich behalten, hätte niemand außer Maria etwas vom Wunder gewusst, so P. CASSEL, Die Hochzeit von Cana theologisch in Symbol, Kunst und Legende ausgelegt. Mit einer Ein-

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Lediglich in der partizipialen Wendung τὸ ὕδωρ οἶνον γεγενηµένον kann man das Wunder der Verwandlung als Ergebnis zusammengefasst erblicken.160 Dies muss umso mehr auffallen, je stärker man ein Verwandlungswunder als Zentrum der Erzählung betrachtet. In der Bildkunst wird zumeist der Moment dargestellt, als das Wasser in die Krüge gegossen wird. Wenn dabei Jesus als Wundertäter die Krüge mit einem thaumaturgischen Stab berührt161, wird als Kern der Geschichte ein Aspekt visibilisiert, der gerade nicht erzählt wird. Ebenso interessant sind die Auslegungen der Kirchenväter, die bei Smitmans ausführlich diskutiert werden.162 Ausschmückungen des Weinwunders finden sich v.a. bei Nonnos in seiner Paraphrase des Johannesevangeliums und in der westlichen Tradition. Dabei wird die Wandlung in Farbe, Duft und Geschmack beschrieben – aus der Perspektive der Diener natürlich, die die einzigen Zeugen des Geschehens sind. Im Evangelium freilich kommen sie nicht zu Wort.

Wir erfahren also nichts über den Vorgang der Verwandlung des Wassers in Wein, ebenso wenig wie über die ausgelassene Freude der Festgesellschaft, die nun ihren Lauf nehmen kann. Indes erlebt der Leser mit, wie der Tafelmeister auf den neu hereingebrachten Wein reagiert. „Als der Tafelmeister das Wasser geschmeckt hatte (ἐγεύσατο; V. 9), das zu Wein geworden war, und nicht wusste, woher er kam …, da ruft der Tafelmeister den Bräutigam und spricht zu ihm: Jedermann trägt den feinen Wein zuerst auf, und wenn alle betrunken sind, den weniger guten. Du aber hast den feinen Wein bis jetzt aufbewahrt“

leitung in das Evangelium Johannis, Berlin 1883, 100-102. Cassel schließt daraus, dass es Johannes offenbar nicht um einen Machterweis zu tun ist, sondern dass Jesus hier sein Wesen mitteilt. 160 Vgl. LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen, 188. In Joh 4,46 allerdings wird die Handlung in einem für Johannes typischen Rückverweis tatsächlich in einer finiten Verbform Jesus direkt zugeordnet; hier erscheint die Verwandlung von Wasser in Wein als Zusammenfassung der Geschichte (ἐποίησεν τὸ ὕδωρ οἶνον). Es überzeugt jedoch nicht, wenn LÜTGEHETMANN, Hochzeit, 303f., versucht, bereits der beiläufigen Formulierung in 2,9 eine besondere Betonung dieses Aspekts der Verwandlung zu entnehmen. Ebenso geht die Überlegung, wann sich die Wandlung vollzogen haben könnte (vgl. THYEN, Komm., 155f.) ins Leere. 161 Vgl. U. NILGEN, Art. Hochzeit zu Kana, LCI 2, 299-305. Auf Katakombenbildern wie Sarkophagdarstellungen findet sich Christus seit dem 3.Jh.n.Chr. neben den sechs Krügen dargestellt, die er mit dem thaumaturgischen Stab berührt (vgl. C.M. KAUFMANN, Handbuch der christlichen Archäologie, Paderborn 21913, 361). Schöne Exemplare von Sarkophagen finden sich bei F.W. DEICHMANN (HG.), Repertorium antiker christlicher Sarkophage, Wiesbaden 1967, z.B. 6f. Kat.Nr. 6 Taf. 2; 22f. Kat.Nr. 25 Taf. 8; 383f. Kat.Nr. 919 Taf. 146. S. auch G. KOCH, Frühchristliche Sarkophage, München 2000. Die Darstellung findet sich auch auf einer Tafel des Holzportals aus dem 5.Jh. der Basilika Santa Sabina in Rom; vgl. G.H. BAUDRY, Handbuch der Frühchristlichen Ikonographie. 1.-7. Jh., Freiburg i.Br. u.a. 2010, 180f. Abb. 2. 162 SMITMANS, Weinwunder, passim.

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

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(2,9-10).163 Dies ist die Pointe, auf die die Geschichte im Sinne einer Chrie zuläuft.164 Mit dem Verb γεύεσθαι („schmecken/verkosten“) wird die Erzählung von der Ebene auktorialen Berichts auf die Ebene subjektiver Erfahrung hinübergeführt. Das Erstaunen des Tafelmeisters über die außerordentliche Qualität des Weins veranlasst ihn zu einer Aussage, die den Kontext des Festes überaus lebendig widerspiegelt. Wir nehmen das Wunder also nur über die Reaktion des Tafelmeisters auf seine Degustation wahr!165 Nicht das Wandlungswunder, sondern dessen Ergebnis tritt über die körperliche Wahrnehmung in den Vordergrund. Darauf weist schon K.L. Schmidt hin166, der es allerdings nur als Merkwürdigkeit begreifen kann167: „Die Hauptsache, die Verwandlung des Wassers in Wein, wird nicht ausdrücklich berichtet, sondern in V. 9 einfach als geschehen vorausgesetzt. Auffallender noch ist die Tatsache, dass wir von der Wirkung des Wunders auf die Beteiligten (abgesehen von den Jüngern) nichts erfahren.“ Da genau dies nicht berichtet werde, folgert Schmidt, dass die Geschichte nicht zusammenhängend überliefert sein könne. Das Problem der Deutung von Schmidt besteht in der gattungskritischen Einordnung der Geschichte als Wandlungswunder. Olssons Fazit seiner Analyse des ,information flow‘ überrascht168: „If we consider the information flow in the text as a whole we have a coherent unit in vv. 3-10. The item in v. 3a proclaims the situation (the lack of wine) which in the text is changed to the reverse (wine) and

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BULTMANN, Komm., 85, empfindet diese Aussage sprachlich als störend und qualifiziert den Satz als Zusatz des Evangelisten. Wenig später interpretiert er diesen Zusatz theologisch: Der Satz bilde „die menschliche Blindheit angesichts der Person des Offenbarers ab“. W. GRUNDMANN, Verkündigung und Geschichte in dem Bericht vom Eingang der Geschichte Jesu im Johannes-Evangelium, in: H. Ristow/K. Matthiae (Hgg.), Der historische Jesus und der kerygmatische Christus. Beiträge zum Christusverständnis in Forschung und Verkündigung, Berlin 1961, 289-309, hier 296f., und F.-M. BRAUN, Jean le Théologien, EtB, 3Bde., Paris 1959-1966, Bd. 2: Les grandes traditions d'Israël et l'accord des écritures selon le Quatrième Évangile, 1964, 199, deuten das Aufbewahren des Weins in der Aussage des Architriklinos darauf, dass es sich um die endzeitliche Gabe des messianischen Äons handelt. 164 Vgl. o. 117. „Die eigentliche Spitze erreicht die Erzählung erst in V. 10, wo die außergewöhnliche Qualität des erzeugten Weins gelobt wird“ (LABAHN, Lebensspender, 144). 165 Auf diesen erstaunlichen Befund hat bereits CASSEL, Cana, 100-102, aufmerksam gemacht. 166 Hochzeitswunder, 36. Vgl. BREUSS, Kanawunder, 25: „Der Verwandlungsprozess wird mit keiner Silbe erwähnt. Es ist auch nicht die Rede von Worten oder Gesten Jesu, welche die Wandlung bewirken.“ 167 E. SCHWEIZER, Ego eimi. Die religionsgeschichtliche Herkunft und theologische Bedeutung der johanneischen Bildreden, zugleich ein Beitrag zur Quellenfrage des vierten Evangeliums (FS R. Bultmann), Göttingen ²1965, 100, nennt die Geschichte einen „erratischen Block“ innerhalb des Johannesevangeliums; BULTMANN, Komm., 83, betrachtet sie als den Auftakt der von ihm postulierten Semeia-Quelle. 168 Vgl. OLSSON, Structure, 88-92.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

even more (good wine) by the events described.“169 Was er mit diesen beschriebenen Vorgängen meinen könnte, ist mir unklar. Sie werden eben nicht beschrieben! Ebenso problematisch erscheint die folgende Aussage: „The text we now possess is interested in both Jesus’ act and the role of the servants.“170 Wo spricht der Text überhaupt von einer Tat Jesu? Alles ist konzentriert auf die Voraussetzungen und auf die Reaktion. In seiner strukturalen Analyse nennt Olsson eine Vielzahl von Fragen, auf die ein Leser, der den Text als einfache Erzählung liest, die Antwort erwarten könne: Wann kam Jesus in Kana an? Um wessen Hochzeit handelt es sich? Warum ging der Wein aus? Warum werden die Wassertröge so detailliert beschrieben? Warum konnte die Mutter Jesu den Aufwartenden Anweisungen erteilen? Wie reagierten die Gäste angesichts dieser großen Mengen von Wein?171 Olsson führt diese Fragen auf, um deutlich zu machen, dass eine umfassende Schilderung der Vorgänge bei der Hochzeit nicht im Interesse des Evangelisten lag. In der Tat haben viele dieser Fragen die Forschung beschäftigt und zu einer Reihe – teilweise überaus phantasievoller – Lösungsversuche geführt. Eine Frage vermissen wir allerdings in Olssons Aufzählung, obwohl sie doch auf der Hand liegt: Wie kam es dazu, dass aus dem Wasser Wein wurde? Gerade dies nämlich wird nicht geschildert.

Wenn die Verwunderung des Tafelmeisters darauf zurückgeführt wird, dass er nicht wusste, woher der Wein war, dann müssen wir nun noch einmal nachhaken. Worin genau bestand der Wissensvorsprung der Aufwartenden, die eben diese Herkunft kannten? Welche Antwort auf dieses Woher ist eigentlich vorausgesetzt? Doch wohl, dass sie wussten, dass der Wein nicht aus den häuslichen Vorräten kam, sondern aus dem Wasser, das sie in die Krüge gefüllt hatten. Die Frage nach dem Woher taucht im Johannesevangelium an vielen Stellen auf, die Antwort auf diese Frage ist ebenso vielschichtig wie theologisch gewichtig. Wir werden darauf in einem Exkurs zurückkommen.172 Jedenfalls haben die Aufwartenden im Gegensatz zu dem Tafelmeister mitbekommen, dass der Wein im Zusammenhang mit Jesus steht.173 Aber haben sie damit wirklich das Geheimnis seiner Herkunft ergriffen? Wohl kaum. Umstritten ist die Frage, ob die „Weinregel“ traditionell oder eine ad hocBildung des Evangelisten ist, und auch, ob sich darin ein tatsächlicher usus spiegelt.174 Dass die Figur des Tafelmeisters und der lebensnahe Charakter 169

Ebd., 90 (Hervorhebung R.H.-L.). Vgl. C.H. TALBERT, Reading John. A Literary and Theological Commentary on the Fourth Gospel and the Johannine Epistles, Reading the New Testament Series, Macon 22005, 88, der von „symbolic actions“ Jesu redet. 171 OLSSON, Structure, 91f. 172 Vgl. u. 172-189. 173 Vgl. O’DAY, Komm., 538: „The question of where Jesus’ gifts come from is pivotal in the Fourth Gospel (4,11; 6,5). Knowledge of the source of Jesus’ gifts is a step towards the knowledge of where Jesus himself comes from.“ 174 Die antiken Belege zur „Weinregel“ führt der NEUE WETTSTEIN I/2, 122-124 auf: Plin. Nat. Hist. XIV 14,91 (qui etiam convivis alia quam sibimet ipsis ministrant aut procedente mensa subiciunt); Mart. I 25,9f.; Cass. Iatrosophistes 48; und der Komödiendichter Theopomp (so bei Plut. Lys. 13,5; bei Theodoros Metochita dem Historiker Theopomp zugeschrieben [= FGrH II, 115]). H. WINDISCH, Die johanneische Weinregel (Joh 2,10), ZNW 14 170

2.1 Das erste Zeichen (Joh 2,1-11)

139

seiner „Weinregel“ zum Kolorit der Hochzeit beitragen175 und damit zugleich die lebensweltliche Konkretheit johanneischer Erzählungen unterstreichen, ist mit Sicherheit in literarischer Hinsicht richtig gesehen. Zwei Aspekte scheinen an dieser Konstatierung des Heils, die aus der Rezeptionsperspektive geschieht, entscheidend zu sein: 1. Es handelt sich bei der Szene um eine Verkostung des neu hereingebrachten Weins. Wir sollen den Tafelmeister also offenbar als einen Fachmann des Geschmacks betrachten, was seinem Zeugnis besonderes Gewicht verleiht. 2. Der Tafelmeister legt sein Zeugnis unwissend ab: Explizit wird notiert, dass er – im Gegensatz zu den Aufwartenden – nicht wusste, woher der Wein kam.176 Offenbar hatte er auch nicht mitbekommen, dass der Wein zur Neige gegangen war. Demnach zählte die Sorge um den ,Weinkeller‘ nicht zu seinen Aufgaben. Gerade aufgrund seiner auf seinem Nichtwissen basierenden Unvoreingenommenheit des Urteils und seiner eigentlich völlig anderen Rolle bietet er ein gleichermaßen kompetentes wie vertrauenswürdiges Zeugnis. So wird dieser Zug in der Forschung zu Recht als objektive Beglaubigung des Wunders gedeutet.177 Gerade weil er den Zusammenhang der Wunderhaftigkeit nicht (1913), 248-257, kommt in seiner Untersuchung zu dem Ergebnis, dass es eine allgemeine Regel nicht gegeben hat. Immerhin zeigen die Stellen bei Plinius und Theopomp, dass es sich durchaus um eine common-sense-Aussage (πᾶς ἄνθρωπος) handelt, wenn auch um eine, die von den Autoren mit deutlichem Missfallen quittiert wird. Die Aussage bei Plinius scheint mir die engste Parallele zu unserer Stelle zu bieten, insofern auch die Situation eines privaten Gastmahls und nicht das professionelle Ausschenken von Wein thematisiert wird. Wie man die „Weinregel“ angesichts solcher Parallelen jedenfalls im Blick auf ihren Inhalt als spontane Bildung bezeichnen kann, ist mir nur verständlich, wenn man damit den exakten Wortlaut meint. Einen usus in dieser Richtung konnte Johannes offensichtlich voraussetzen. 175 Dies gilt unabhängig davon, ob man sie für eine verbreitete Handlungsmaxime hält oder nicht. 176 J.L. STALEY, The Print’s First Kiss. A Rhetorical Investigation of the Implied Reader of the Fourth Gospel, SBL.DS 82, Atlanta 1988, 86-88, hebt unter rhetorisch-literarischen Gesichtspunkten hervor, dass hier in für Wundergeschichten ungewöhnlicher Weise das Wunder nur von jemandem bezeugt wird, der davon selbst überhaupt nichts mitbekommt. Er schildert eine Wahrnehmung, deren Deutung ihm aber selbst verborgen bleibt. LEINHÄUPLWILKE, Rettendes Wissen, 207-211, bestimmt die Funktion des Architriklinos deshalb im Kontrast zum Wissen der Mutter, in der er die Zentralfigur der Erzählung erblickt. Diese Sicht kann einer literarischen Analyse nicht standhalten. Sie verlagert den Schwerpunkt der Geschichte an ihren Anfang, während am Ende eine irrige Meinung stünde, die jedoch dramatisch herausgehoben und über das Bildmaterial mit reichen intertextuellen Obertönen ausgestattet ist. 177 Vgl. J.A. BENGEL, Gnomon Novi Testamenti, Berlin 21860, 297: Ignorantia architriclini comprobat bonitatem vini; scientia ministrorum, veritatem miraculi; sowie THYEN, Komm., 157; C. WELCK, Erzählte Zeichen. Die Wundergeschichten des Johannesevangeliums literarisch untersucht. Mit einem Ausblick auf Joh 21, WUNT II/69, Tübingen 1994, 132; SCHNELLE, Komm., 71; O’DAY, Komm., 538. Bei LEINHÄUPL-WILKEs Einspruch (Rettendes

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

kennt, wundert sich der Tafelmeister über den besonderen Geschmack des Weins.178 Zutreffend bemerkt Labahn: „Sein derbes Wort über den schlechteren Wein, den es nach dem Brauchtum den betrunkenen Gästen vorzusetzen gilt, ist, recht verstanden, vor allem ein Wort über den edlen Wein.“179 Der Tafelmeister bestätigt insbesondere die Güte des neugebrachten Weins.180 Der abschließende Vers 2,11 qualifiziert das Vorangegangene abschließend als „Zeichen“ (σηµεῖον), das Jesu Herrlichkeit offenbart und damit Glauben schafft: „Damit machte Jesus in Kana in Galiläa den Anfang der Zeichen und offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger kamen zum Glauben an ihn“ (2,11). Grammatikalisch knüpft der Vers mit ταύτην τὴν ἀρχήν unmittelbar an das zuvor Gesagte an. Inhaltlich allerdings lässt sich nicht so leicht bestimmen, worauf das ταύτην referiert. Dabei ist gerade diese Verbindung von entscheidender theologischer Bedeutung: Wodurch eigentlich geschieht die Offenbarung? Die traditionelle Antwort lautet: durch das Wunder der Wandlung. Dagegen legt unsere Analyse des Erzählduktus der Geschichte nahe, dass sich über den Geschmack und die Fülle des Weins etwas von der Herrlichkeit Gottes, die in Christus körperlich in die Welt getreten ist, vermittelt hat. Über die Inszenierung des Architriklinos als Zeugen wird der Gaumen zum Rezeptionsorgan für das Unerhörte, das Jesus bringt.

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit: Motivgeschichtliche Perspektiven 2.2.1 Die Motivik Gegenüber der geläufigen Überschrift der Perikope, die man Joh 2,1 (γάµος ἐγένετο) entnimmt, hat sich der Wein als das zentrale Thema erwiesen, obwohl er erst zu Beginn der Problemschilderung (ὑστερήσαντος οἴνου; 2,3) eingeführt wird. Das Hochzeitsfest ist damit als Rahmen zu verstehen: Die Hochzeit Wissen, 188, gegen Schnelle) scheint es sich um ein Missverständnis zu handeln: Spricht man von einer Beglaubigung des Wunders, so gilt dies natürlich nicht „im Gang der Handlung“, wie Leinhäupl-Wilke zu Recht sagt, wohl aber von der Wirkung auf den Leser. Von einer indirekten Akklamation spricht J.P. MEIER, A Marginal Jew. Rethinking the Historical Jesus, Bd. 1: The Roots of the Problem and the Person, New York u.a. 1991, 935 mit Anm. 205. 178 Vgl. LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen, 188.191. WUCHERPFENNIG, Hochzeit, 323; OLSSON, Structure, 79, verstehen die Aussage des Tafelmeisters als Hinweis auf einen Ortswechsel. 179 LABAHN, Lebensspender, 132f. Vgl. BULTMANN, Komm., 82; SCHNELLE, Komm., 71. 180 Vgl. O’DAY, Komm., 538. Nach THEISSEN, Wundergeschichten, 113, soll die „Weinregel“ den Verdacht abwehren, man habe den Wein gestreckt und „darauf gebaut, dass die trunkenen Gäste es nicht merken.“

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

141

motiviert als sozialgeschichtlicher Hintergrund den Genuss von Wein, tritt aber als eigenständiges Thema zurück. Diese Analyse bestätigt ein Blick auf die Protagonisten der Handlung. Aus dem für eine Hochzeit konstitutiven Personenkreis treten als Handlungsfiguren weder Bräutigam und Braut181 noch die Brautjungfern182 oder die Eltern des Brautpaares183 hervor, sondern lediglich der wohl als Freund des Bräutigams zu denkende ἀρχιτρίκλινος.184 Von dessen Aufgaben findet wiederum lediglich die Verkostung des Weins Erwähnung. Diese Abwesenheit der Hauptpersonen einer Hochzeit muss umso mehr ins Auge stechen, je deutlicher man die traditionsgeschichtliche und theologische Bedeutung des Motivs der Hochzeit herausarbeitet. Die übrigen Handlungsfiguren (die Mutter Jesu, Jesus, die Jünger; 2,1b-2) werden nur zur Hochzeit in Beziehung gesetzt, insofern sie als Gäste qualifiziert werden185 – dies motiviert ihre Anwesenheit beim Fest. Erkennt man den Wein als das eigentliche Thema der Geschichte, so wird ein klarer Handlungsfaden sichtbar, der unmittelbar auf die Pointe hinführt. Um den Wein ranken sich einige weitere Motivaspekte, deren jeweiliges Verhältnis zum Weinmotiv vielfach selbstverständlich vorausgesetzt oder unmittelbar konstruiert wird: Geschmack, Fülle, Sättigung, Trunkenheit, Gemeinschaft, Hochzeit/Fest186, alt/neu (Verwandlung als Ersetzung); zudem die ansonsten christologisch verortete Frage nach dem Woher. Die jeweilige Verknüpfung mit dem Weinmotiv kann aber nicht einfach vorausgesetzt werden, sondern sie wird sorgfältig aus dem johanneischen Kontext auf der Basis motivgeschichtlicher Betrachtungen zu erheben sein. Einige methodische Vorbemerkungen sind noch notwendig, bevor die Motive im Einzelnen diskutiert werden. Die motivgeschichtliche Betrachtung des Weinmotivs erschöpft sich in der Forschung vielfach in der Frage, ob die Kana-Erzählung (und insbesondere das Weinmotiv) in Folge der klassischen These von Bultmann als Übertragung einer Dionysoslegende auf Jesus oder 181

Vgl. Mk 2,19f. par; Mt 25,1-13; Joh 3,29; Offb 18,23; 19,7; 21,2.9; 22,9; Jes 49,18; 61,10; 62,5; Jer 2,32; 7,34; 16,9; 25,19; 33,11; Joel 2,16. Interessant ist Lk 14,8-14 zum Vergleich: Auch hier spielen die Hauptfiguren der Hochzeit keine Rolle, sondern lediglich die Gäste und ihr Verhältnis untereinander. Dies wird im Gegenüber zur Parallele bei Mt 22,2-14 deutlich, wo der Vater des Bräutigams eine wichtige Rolle spielt (bei Lukas wird diese Geschichte in Lk 14,16-24 wiederum ohne den Bezug zur Hochzeit erzählt; vgl. EvThom 64). 182 Vgl. Mt 25,1-13. Zu den sozialgeschichtlichen Hintergründen vgl. R. ZIMMERMANN, Das Hochzeitsritual im Jungfrauengleichnis. Sozialgeschichtliche Hintergründe zu Mt 25,113, NTS 48 (2002), 48-70, hier insb. 58f. 183 Vgl. Mt 22,2-14. 184 Vgl. o. 135-140. 185 ἐκλήθη δέ lässt sich aufgrund des folgenden καί auch auf Maria zurückbeziehen, deren Anwesenheit in 2,1b zunächst neutral notiert worden war. 186 Allerdings können Hochzeit und Fest(mahl) in der synoptischen Tradition als Austauschmotiv innerhalb der jesuanischen Schilderung des Reiches Gottes erscheinen.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

aber im Rahmen alttestamentlich-jüdischer Weinmotivik zu verstehen sei.187 Wichtiger ist für die vorliegende Motivinterpretation, welcher semantische Horizont sich für die einzelnen Motive ermitteln lässt. Folgende Aspekte sind bei der Beurteilung vorliegender Deutungen zu berücksichtigen: a. Die Identifikation von Traditionen ist kein Selbstzweck. Im Rahmen einer literarischen Motivinterpretation, die sich auf die Umsetzung eines Motivs im vorgegebenen Text (im Sinne von Motivlinien und Motivclustern) konzentriert, dient sie dazu, den Bedeutungshorizont eines Motivs, gewissermaßen das „Motivlexikon“, so erheben. b. Bei der Motivinterpretation einer Einzelgeschichte muss man sich jeweils über die Gefahr einer nicht sachgemäßen Allegorisierung Rechenschaft ablegen. Als Korrektiv dienen insbesondere die Einbindung der Analyse des literarischen Gefälles der Perikope und der motivischen Einbindung in den Gesamttext des Evangeliums. Der Aspekt der Hochzeit stellt, wie wir gesagt haben, bei der ersten Kana-Erzählung zunächst einmal den Rahmen für das Weinmotiv dar; dies muss auch bei der Motivinterpretation Berücksichtigung finden. Ausgehend von dem zentralen Motiv des Weins wird zu zeigen sein, ob und in welcher Weise er sich motivisch mit dem Horizont der Hochzeit verbinden lässt bzw. selbstverständlich verbindet. c. Der folgende Überblick geht methodisch konsequent von der Umsetzung von Motiven im Text und nicht von vorausliegenden Traditionen aus. 2.2.2 Der Wein188 Verschiedene Motivaspekte mit einem je eigenen Beitrag zum motivischen Mosaik lassen sich isolieren: a. Die Fülle des Weins: Zunächst ist der Wein als Lebensmittel aufzufassen, das hier von Jesus ebenso zur Verfügung gestellt wird wie die Brote und Fische 187

Zur motivgeschichtlichen Betrachtung vgl. LÜTGEHETMANN, Hochzeit, passim; MCWHIRTER, Bridegroom Messiah, passim. 188 Vgl. die gut lesbare und mit vielen Textbeispielen ausgestattete Darstellung von O. BÖCHER, Der Wein und die Bibel, Grünstadt 31996, sowie LÜTGEHETMANN, Hochzeit, 147168. Zur Symbolik des Weins: BAUER, Komm., Exkurs 46f.; DODD, Interpretation, 297-299; BULTMANN, Komm., 83f.; HENGEL, Der „dionysische“ Messias; I. BROER, Das Weinwunder zu Kana (Joh 2,1-11) und die Weinwunder der Antike, in: U. Mell/U.B. Müller (Hgg.), Das Urchristentum in seiner literarischen Geschichte (FS J. Becker), Berlin 1999, 291-308; E. LINNEMANN, Die Hochzeit zu Kana und Dionysos, NTS 20 (1974), 408-418; K. NIELSEN, Old Testament Imagery in John, in: J. Nissen/S. Pedersen (Hgg.), New Readings in John, JSNT.S 182, Sheffield 1999, 66-82, hier 72-76. Allgemein zu Wein und Weingenuss vgl. G. DALMAN, Arbeit und Sitte in Palästina, Bd. 4, Gütersloh 1935, 291-408; I. MILANO (HG.), Drinking in Ancient Societies. History and Culture of Drinks in the Ancient Near East. Papers of a Symposion held in Rome, May 17-19, 1990, HANES 6, Padua 1994; B. JANOWSKI, Art. Wein II. Biblisch, RGG4 Bd. 8, 1358f.

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

143

in Joh 6 (vgl. Joh 21,9). Wein allerdings bringt, was für die Symbolik entscheidend ist, qualifiziertes Leben, erfülltes Leben, er wirkt belebend und dient als Spender ausgelassener Festfreude. Letzteres hängt auch mit dem Aspekt einer paradiesischen Fülle zusammen, die das Versprechen umfassenden Heils in sich birgt. b. Der Architriklinos: Als „Vorkoster“ ist er unmittelbar an das Motiv des Weins und seines Geschmacks gebunden. c. Der wunderbare Geschmack des Weins: An der Sinneserfahrung kristallisiert sich die Deutung der Perikope. Sie führt auf das Woher als entscheidende Deutungskategorie. d. Der Vorgang der Ersetzung von Wasser durch Wein: Dieser Aspekt wurde, wo man ihn nicht als Aufnahme hellenistischer Dionysosmotivik verstand, meist im Sinne der Ablösung (alt/neu) des mosaisch-rituellen Gesetzes – symbolisiert im Reinigungswasser der rituell konnotierten Tonkrüge (2,6) – durch das Evangelium von Jesus Christus gedeutet.189 In diesem Zusammenhang spielte die Opposition von Wasser und Wein eine besondere Rolle, angestoßen durch die auffällig ausführliche Schilderung der Tonkrüge. Die Formulierung „gemäß der Reinigungsgesetze der Juden“ (2,6) kennzeichnet allgemein die Funktion der Krüge im jüdischen Haushalt und trägt damit zum jüdischen Kolorit der Szene bei. Sie wird vielfach als Anspielung auf das jüdische Ritualgesetz oder die jüdische Religion insgesamt gedeutet, die durch den christlichen Glauben überboten oder abgelöst werde.190 Eine solche Allegorisierung allerdings legt der Text nicht nahe. Erwähnt wird das enorme Volumen der Krüge. Diese Erläuterung für den Leser dient zugleich dazu, die Menge des Wassers zu unterstreichen. So folgt auf die Aufforderung Jesu, die Krüge zu füllen, die Bemerkung, die Aufwartenden hätten die Krüge „bis oben hin“ angefüllt. Da das Wasser erst noch in die Krüge gefüllt werden muss, erscheint es nicht in seiner kultischen Funktion als Reinigungswasser.

Von einer Opposition alt/neu ist hier jedenfalls keine Rede, sondern allenfalls von der Opposition früh/spät. Inwieweit dieser Opposition eine symbolische Bedeutung zuzuweisen ist, wird zu klären sein.

189

Vgl. DODD, Interpretation, 297-300.303; CULLMANN, Urchristentum und Gottesdienst, 69f.; SCHNACKENBURG, Komm. I, 339; BARRETT, Komm., 192; KOESTER, Symbolism, 82-86 HIRSCH, Komm., 122-127. Das Thema der Ersetzung bzw. Überbietung der jüdischen Tradition kann man an verschiedenen Stellen wiederfinden: Gnade und Wahrheit durch Jesus anstelle des mosaischen Gesetzes; Wiederaufbau des Tempels nach drei Tagen im Körper Jesu; „lebendiges Wasser“ statt Jakobsbrunnen; Brot des Lebens statt Manna. Bei einer allzu starren Entgegensetzung zwischen dem Alten und dem Neuen wird man indes darauf hinweisen müssen, dass die Tischdiener auf das Geheiß Jesu hin eben aus den jüdischen Reinigungskrügen schöpfen. Wie bei Paulus liegt auch hier der Gedanke der Vollendung näher als derjenige der Ersetzung. 190 Vgl. z.B. SCHNELLE, Komm., 71.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

Ausgehend von dem Ergebnis, dass der Wein, seine Fülle und sein Geschmack als Zentrum der ersten Kana-Erzählung in ihrer vorliegenden Gestalt zu erblicken ist, lassen sich motivgeschichtliche Linien sowohl in den Bereich hellenistischer Dionysosverehrung als auch in den Bereich alttestamentlichprophetischer Rede von Israel als Weinberg Gottes191 und in den Bereich messianischer Heilserwartung ziehen. Wir setzen aber zunächst mit der Funktion des Architriklinos an, weil über ihn in besonderer Weise der Aspekt des Schmeckens bzw. des Geschmacks in die Geschichte eingeführt wird. 2.2.2.1 Der Architriklinos und seine motivische Funktion Die genaue Rolle und Funktion des Architriklinos zu bestimmen, bereitet aufgrund des Mangels an Parallelstellen einige Schwierigkeiten.192 Als einzigen Beleg für ἀρχιτρίκλινος aus der griechischen Umwelt lässt sich Heliodor von Emesa, Aethiopica VII 27 angeben193: Ὁ δὲ „Τὸ ξένον µειράκιον“ ἔφη „προτετίµηται ἡµῶν, καὶ χθὲς καὶ τήµερον παρεισδεδυκὸς οἰνοχοεῖν ἐπιτέτραπται καὶ τοῖς ἀρχιτρικλίνοις ἡµῖν καὶ ἀρχιοινοχόοις πολλὰ χαίρειν φράσαν ὀρέγει φιάλην καὶ παρίσταται πλησίον βασιλικοῦ σώµατος τὸ µέχρις ὀνόµατος ἡµῶν ἀξίωµα παραγκωνισάµενον.“

„Der junge Ausländer gilt mehr als ich“, sagte er. „Gestern hat er sich hier eingedrängt, jetzt ist er schon Mundschenk. Ohne sich um mich als Obertafelmeister und Oberweinschenk zu scheren, reicht er die Trinkschale und pflanzt sich neben ihrer Königlichen Hoheit auf, so dass ich meinen Posten nur dem Namen nach einnehme.“

Vielfach hat man den Tafelmeister in der vorliegenden Geschichte als den Chef einer Gruppe von Dienern betrachtet, als „head waiter“194 oder „Oberkellner“.195 Wäre er tatsächlich mit der Aufsicht über Speisen und Getränke betraut 191

Vgl. Jes 5,1-9. Zur Diskussion und zum Architriklinos allgemein vgl. M.L. COLOE, The Servants/Stuart at Cana. The „Wispering Wizard’s“ Wine-Bearers, in: Hunt, Character Studies, 228232; BARRETT, Komm., 215f.; THYEN, Komm., 156; HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 591f. mit Anm. 83; LÜTGEHETMANN, Hochzeit, 278-280; OLSSON, Structure, 56. Ein Äquivalent fehlt auch in der rabbinischen Literatur (vgl. STRBILL II, 407). Wichtig ist aber Sir 32,1, worauf STRBILL verweist, da dort ein Festteilnehmer als ἡγούµενος beim Mahl eingesetzt wird. Zur Rolle des arbiter bibendi vgl. Hor. carm. II 7, 25f. 193 Übersetzung R. Reymer (R. REYMER, Heliodor, Aithiopika. Die Abenteuer der schönen Chariklea, BAW, Zürich/Stuttgart 1950, 220); vgl. NEUER WETTSTEIN I/2, 108. Immerhin findet sich ein klinarches bei Philon In Flacc. 137, in Zusammenhang mit einem Symposiarchen. 194 HOSKYNS/DAVEY, Komm., 189. 195 BARTH, Komm., 199. LSJ bieten für diese Stelle die Bedeutung „head-waiter“, während für Joh 2,9 die Übersetzung „president of a banquet“ vorgeschlagen wird. BAUER/ALAND s.v., 226: „d. Festordner, d. Sklave, der f. d. Ordnung b. Mahl verantwortlich ist; bei den Römern architriclinus, triklinarchia.“ 192

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

145

gewesen, so meint etwa K. Wengst196 unter Berufung auf tBer 4,10 (4,8 bei Zuckermandel), so hätte er das Ausgehen des Weins sicherlich bemerkt. Hier aber kümmert sich die Mutter Jesu um den Mangel an Wein, und der Tafelmeister muss darauf erst aufmerksam gemacht werden. Sein Aufgabenfeld scheint also nicht im Bereich der Bedienung zu liegen. Wahrscheinlicher ist, dass es sich bei dieser Position ebenfalls um den Dienst eines Freundes oder Verwandten des Bräutigams, der den Vorsitz beim Festmahl führt, also um ein Mitglied der Festgesellschaft, handelt.197 Dies würde den kolloquialen Ton der „Weinregel“ verständlicher machen, der auf eine Nähe schließen lässt, die eine solche Bemerkung zulässt. Entsprechend nähme der Architriklinos eine Ehrenposition ein; ein Spezialist, ein „nüchterner ,Fachmann‘“198 wäre er nicht durch seine Profession, wohl aber im Blick auf seine unmittelbare Rolle. Für eine solche Deutung lässt sich die Erklärung im Onomastikon des Grammatikers Pollux sub voce συµποσίαρχος anführen: ὁ µὲν οὖν συνιστὰς τὸ συµπόσιον ἑστιάτωρ, ἑστιῶν, ξενίζων, συµποσίαρχος, συµποσίου ἄρχων, ὁ τῆς συνουσίας ἡγεµών. … καὶ ἄλλως δὲ καλεῖται συµποσίαρχος ὁ ἐν ἰσοτελεῖ τινὶ κοινωνίᾳ κατὰ κλῆρον ἢ κατὰ δόγµα προαιρεθεὶς τοῦ συµποσίου ἐπιµελητής. (VI 11)199

Der Organisator eines Symposiums nun heißt Wirt, Bewirtender, Gastgeber, Zechmeister, Symposienleiter, Führer des Symposiums. … In einem anderen Sinn aber wird derjenige „Zechmeister“ genannt, der in irgendeiner Versammlung Gleichberechtigter durch Los oder Beschluss zum Festordner des Symposiums bestimmt wird.

Philon verwendet in Aufnahme der Septuaginta-Terminologie eine ähnliche Begrifflichkeit, was aber in der Diskussion merkwürdig wenig Berücksichtigung findet. Der verschiedentlich erscheinende ἀρχιοινοχόος (bzw. οἰνοχόος θεοῦ, De somn. II 183), der neben einem ἀρχιµάγειρος und einem ἀρχισιτο196

WENGST, Komm. I, 111. BARRETT, Komm., 215f.; LABAHN, Lebensspender, 132 Anm. 53; D. MOLLAT/F.M. BRAUN, L`Évangile et les Épitres de Saint Jean, SB(J), Paris 21960, 76; J.H. BERNARD, A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel according to St. John, hg. von A.H. McNeile, 2 Bde., ICC, New York 1928, Nachdr. Edinburgh 1953, I 77f. Freilich stellt sich bei dieser Deutung die Frage nach dem prägnanten Sinn des φωνεῖ: Woher ruft er den Bräutigam und wohin, wenn er doch Teil der Festgesellschaft ist? 198 SCHENKE, Komm., 53. 199 Zitiert bei NEUER WETTSTEIN I/2, 107 (Übersetzung R. Hirsch-Luipold). Vgl. Ps.-Plut. Apoph. Lacon. 208B-C. Agesilaos ist als durch das Los bestimmter Symposiarch keineswegs für die Menge des zur Verfügung stehenden Weins zuständig (diese fällt in den Bereich des οἰνοχόος), wohl aber für dessen Zuteilung. Plutarch hat der Rolle des Symposiarchen ein Kapitel seiner Symposiaka gewidmet. Demnach besteht eine Aufgabe des Symposiarchen darin, jedem Teilnehmer des Symposiums die seiner Trinkfestigkeit entsprechende Mischung von Wein und Wasser zuzuteilen (Quaest. conv. 620E-F). In einer ähnlichen Funktion kann man sich den ἡγούµενος in Sir 32,1f. vorstellen. 197

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

ποιός steht, weist zumindest eine deutliche Ähnlichkeit in der Wortbildung auf. Die Josephsgeschichte, der die Begriffe sämtlich entstammen (Gen 39-41 LXX200), wird bei Philon in De somn. II 155-158.181-183 in der Opposition zwischen einem dem Leib und einem der Vernunft verpflichteten Leben ausgedeutet. Der Schankmeister Gottes, der ἀρχιοινοχόος θεοῦ, der dem Schankmeister des unmäßigen, gefräßigen Pharao entgegengesetzt ist, symbolisiert den Hohenpriester, den Logos, der sich selbst als ungemischten Trank darbietet (183). Die Wirkung des Weins (164-165) wie der Gastmähler (167-168) kann grundsätzlich sowohl positiv als auch negativ sein. So ist der Weinstock (ἄµπελος), wie Philon sagt, ein Symbol zweier gegensätzlicher Dinge, nämlich sowohl der Unvernunft als auch der Freude (ἄνοιας τε καὶ εὐφροσύνης; 169). Die Metaphorik bei Philon erscheint derjenigen der Hochzeit zu Kana in einem entscheidenden Punkt näher als jene der üblicherweise angeführten Parallelen: nicht der Bräutigam oder dessen Vater sind hier zentral, sondern eben der Schankmeister und der von ihm ausgeschenkte Wein. Zugleich sind jedoch Unterschiede zu markieren, die sich bereits an der Terminologie festmachen lassen: der ἀρχιοινοχόος dürfte eben auch für die Beschaffung des Weins zuständig gewesen sein, während der ἀρχιτρίκλινος lediglich für dessen Verkostung und vielleicht auch für die Verteilung verantwortlich ist.201 Mit dem Aspekt der Verteilung ist die Unterscheidung zwischen Wein, Geber und ,Genießer‘ angesprochen: So verlockend es wäre, die Identifikation des Schankmeisters mit dem Logos aus Philon zu übernehmen, so schenkt der johanneische Architriklinos gerade nicht sich selbst, auch gibt er nicht den Wein, sondern er beurteilt die Qualität des Geschenks. Mit aller Vorsicht können wir Folgendes aus der philonischen Deutung des Weinschenks der Josephsgeschichte für die johanneische Hochzeitsgeschichte gewinnen: Wie sich dort der Logos als Mundschenk Gottes selbst schenkt, so füllt hier gleichsam der fleischgewordene göttliche Logos als ἀρχιοινοχόος die Becher mit sich selbst als dem kostbaren, lebenstiftenden Wein. Vorgeführt aber wird uns nicht der ἀρχιοινοχόος, der Geber des Weins, sondern mit dem ἀρχιτρίκλινος der Anführer derjenigen, die das Geschenk der göttlichen Offenbarung in Christus empfangen. Erneut wäre mit dieser „Personalentscheidung“ die Rezeptionsperspektive ins Zentrum gerückt: Das Schmecken bietet den Ausgangspunkt einer Antwort auf die empfangene Offenbarung. Der Vergleich lässt umso deutlicher hervortreten, wie im Gegensatz zur philonischen Leib-Seele-Opposition in der johanneischen Szene der Wein 200 ἀρχιοινοχόος in der Septuaginta sonst nur Tob 1,22; ἀρχιµάγειρος noch mehrfach in 2Kön 25 und Jer 47–48.52 sowie Dan 2,14. ἀρχιοινοχόος bei Plutarch Alex. 74; Pyrrh. 5,9. Bei Philon finden sich die Begriffe breit: ἀρχιοινοχόος De ebr. 208.210.216.218; De Jos. 88.90.99 u.ö.; ἀρχιµάγειρος De ebr. 210 u.ö.; De somn. II 16; De Jos. 27.61.104 u.ö.; ἀρχισιτοποιός De ebr. 210.214.216; De somn. II 5.16.155.158; De Jos. 88.93 u.ö. 201 Vgl. Ps.-Plut. Apoph. Lacon. 208B-C.

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

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gerade als Element und Förderer einer körperlich vermittelten Festfreude erscheint. Das ungewöhnliche, merkwürdig gesuchte Wort ἀρχιτρίκλινος könnte sich dadurch erklären, dass der Autor an eine Art Symposiarchen gedacht hat, aber bewusst die entsprechende Terminologie vermeidet, um nicht einem gräzisierenden Missverständnis anheim zu fallen. 2.2.2.2 „Schmecken“ (γεύεσθαι) Die Bedeutung des Verbums γεύεσθαι in der Profangräzität wie in der Septuaginta und sodann im Neuen Testament umfasst Schmecken und Kosten ebenso wie allgemein das Essen.202 Von dort aus wird es für eine existentielle Heilserfahrung verwendet (Ps 33,9 LXX; 1Petr 2,3), und weitet sich metaphorisch im Sinne von „Anteil bekommen“.203 In der Septuaginta gibt γεύεσθαι in der Regel ‫ טעם‬wieder.204 Klassisch wird γεύοµαι, ebenso wie ἐσθίω und τρώγω205, mit dem partitiven Genitiv konstruiert, gelegentlich auch präpositional erweitert mit ἀπό oder ἐκ. Während τρώγω auch den Akkusativ nach sich ziehen kann, wenn nämlich das ganze Objekt der Handlung im Blick ist, ist der in Joh 2,9 erscheinende Akkusativ nach γεύοµαι, das von seiner semantischen Grundstruktur her üblicherweise auf einen Teil bezogen ist („kosten von“), ungewöhnlich.206 In der textlichen Überlieferung zu Joh 2,9 wurde der Akkusativ aber nicht angezweifelt. Kann man dem Kasusgebrauch hier also einen prägnanten Sinn abgewinnen, wenn man ihn nicht einfach als Hebraismus erklären will?207 Der Akkusativ 202

Vom Mahl Lk 14,24. Vgl. Philon De virt. 188 (σοφίας); CH X 8 (ἀθανασίας); Hebr 6,4 (dort parallel zu µετόχους γενηθέντας). 204 Gesenius s.v. gibt dafür die Bedeutungen „kosten“ (mit der Erläuterung „den Geschmack prüfen“ bzw. „ein wenig genießen“) und „schmecken“ (2Sam 19,36) an (W. GESENIUS, Hebräisches und aramäisches Handwörterbuch über das Alte Testament, bearb. v. F. Buhl, Leipzig 171915, Nachdr. Berlin u.a. 1962). W. GRIMM, Art. γεύοµαι, ThBLNT I, 416f., weist weiter auf Hi 20,18 hin. Vgl. weiter J. BEHM, Art. γεύοµαι, ThWNT I, 674-676; H.-J. VAN DER MINDE, Art. γεύοµαι, EWNT I, 590f. Die Annahme einer Sonderbedeutung „fühlen, empfinden“ für die übertragene Verwendung in Ps 34,9 (neben ‫ ראה‬als einem weiteren Verbum sinnlicher Wahrnehmung; aufgenommen in 1Petr 2,3), Hi 20,18 und Spr31,18 (vom Trinken von Wein reden Spr 31,4-7) scheint allerdings nicht notwendig. Entsprechendes gilt für die bei Grimm genannten Belege aus Jos. Bell. Iud. II 158; Philon De virt. 188. 205 Vgl. dazu C. SPICQ, τρώγειν. Est-il synonyme de ΦΑΓΕΙΝ et d’ΕΣΘΙΕΙΝ dans le Nouveau Testament?, NTS 26 (1979/80), 414-419. 206 Vgl. BLDR § 169 Anm. 7; Abbott, Johannine Vocabulary, 76f. [§§ 2016-2017]. 207 BEHM, γεύοµαι, 675 Anm. 7, verweist für die Konstruktion mit Akkusativ auf möglichen Einfluss von ‫טעם‬. So heißt es in Sifre Num 86 zu Num 11,4 ‫ ָטעֲם אוֹתוֹ‬, „sie haben es gekostet“ (M. PÉREZ FERNÁNDEZ, Midás Sifre Números. Versión critica, intrducción y notas, Valencia 1989). Gerade die von Behm ebenfalls angeführte Wendung ‫ ָטעַם ֵמעֵין הַעוֹלַם ַהבָּא‬, 203

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würde anstelle der partitiven Komponente, dass der Tafelmeister ein wenig des neuen Weins gekostet hat, die Erfahrung des Weins als solchen zum Thema machen. Im prägnanten Sinne von Schmecken erscheint γεύεσθαι im Neuen Testament außerhalb von Joh 2,9 kaum.208 Stärker steht der Aspekt des „Anteil- Bekommens“ (an den göttlichen Gaben) im Vordergrund, wobei das Verb mit seiner partitiven Komponente spürbar macht, dass hier noch ein eschatologischer Vorbehalt bleibt. Beide Bedeutungen verbinden sich in der Wendung γεύεσθαι θανάτου209: Sie meint „mit dem Tod in Berührung kommen“ und beinhaltet doch zugleich eine ästhetische und zugleich emotionale Bedeutung: sie vermittelt den „bitteren Geschmack“ des Todes.210 In Hebr 6,4-6 stehen beide Bedeutungen in der pointierten Wiederholung von γεύεσθαι nebeneinander. Dies wird durch den Kasusgebrauch wie das jeweilige semantische Umfeld deutlich: Ἀδύνατον γὰρ τοὺς ἅπαξ φωτισθέντας, γευσαµένους τε τῆς δωρεᾶς τῆς ἐ πουρανίου καὶ µετόχους γενηθέντας πνεύµατος ἁγίου καὶ καλὸν γευσαµένους θεοῦ ῥῆµα δυνάµεις τε µέλλοντος αἰῶνος καὶ παραπεσόντας, πάλιν ἀνακαινίζειν εἰς µετά νοιαν, ἀνασταυροῦντας ἑαυτοῖς τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ καὶ παραδειγµατίζοντας.

Das „Kosten“ (γεύεσθαι + Genitiv) des himmlischen Geschenks der Sündenvergebung, das sich in der Taufe ereignet hat, führt zur Teilhabe (µετόχους γίγνεσθαι) am Heiligen Geist (6,4). Dabei „schmecken“ (γεύεσθαι + Akkusativ) die Christen das gute Wort (καλὸν ῥήµα) Gottes und die Kräfte der kommenden Welt.211 Wie in Joh 2,10 bezieht sich γεύεσθαι in Hebr 6,5 auf ein durch καλόν qualifiziertes Objekt. Dem Schmecken des Lebens, das in Joh 2,1-11 zum Ausdruck kommt, steht – worauf Webster hingewiesen hat – im Johannesevangelium das Schmecken des Todes gegenüber.212 In ganz metaphorischem Sinne sagen „die Juden“ in die im babylonischen Talmud auf Hiob (bBB 15b) und die Erzväter (bBB 16b) bezogen ist, würde man allerdings eher wieder mit (präpositional erweitertem) Genitiv ins Griechische übersetzen. 208 Allenfalls Mt 27,34; 1Petr 2,3; mit Einschränkungen Lk 14,24. 209 Joh 8,52; davor 8,51 θάνατον θεωρεῖν (zu Letzterem vgl. Hebr 11,5; Lk 2,26). Vgl. wieder den Gegenbegriff ἰδεῖν τὴν βασιλείαν (Joh 3,3), was sofort mit εἰσελθεῖν gleichgesetzt wird. 210 Von der Bitterkeit des Todes reden 1Sam 15,32; Sir 41,1. Zum Schmecken der künftigen Welt vgl. insbesondere Jesu Aussagen zum Essen und Schmecken in seinem Gleichnis vom großen Abendmahl (Lk 14,15.24) sowie die bei BEHM, γεύοµαι, 675, angeführten rabbinischen Belege. 211 Gegen einen Bedeutungsunterschied B. WEISS, Der Brief an die Hebräer, Göttingen 6 1897, 156; H.-F. WEISS, Der Brief an die Hebräer, KEK 13, Göttingen 151991, 343f. 212 WEBSTER, Ingesting Jesus, 65-90 („Tasting Life and Tasting Death“); zu 8,51f. bes. 89f. Vom Schmecken des Todes reden Mk 9,1 par Mt 16,28; Hebr 2,9; EvThom 1; 18f.; 85

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8,52 zu Jesus: „Nun wissen wir, dass du von einem bösen Geist besessen bist. Abraham ist gestorben und die Propheten, und du sprichst: Wenn einer mein Wort bewahrt, der wird den Tod in Ewigkeit nicht schmecken!“ Damit greifen sie die Aussage Jesu aus 8,51 in leicht veränderter Form auf: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wenn einer mein Wort bewahrt, der wird den Tod in Ewigkeit nicht schauen.“ Die variatio unterstreicht erneut den Zusammenhang der Sinneserfahrungen.213 Denn die von Webster im Blick auf das Schmecken konstatierte Opposition zwischen Leben und Tod kennzeichnet die Sinneswahrnehmungen insgesamt. Auch beim Geruch in Joh 11–12 wird sich diese Opposition als Leitkategorie erweisen. Wie beim Geruch wird beim Berühren (in der Auferstehungsszene Joh 20) die Perspektive des Todes allerdings nur implizit bzw. in der vom Einbruch des Lebens noch nicht ergriffenen Erwartung der Jünger Jesu laut (in der Grablegungsszene indes haben wir einen detaillierten Bericht der Vorbereitung des Leichnams Jesu zum Begräbnis einschließlich der Totensalbung). Die Ästhetik des Heils zeigt sich im Blick auf die Herrlichkeit Gottes, die in Christus wahrnehmbar geworden ist, innerhalb der Geschichte: Nur wer durch die Begegnung mit Jesus Christus zum Glauben gekommen und so aus Gott neu geboren worden ist (1,12f.), der nimmt in dieser Geschichte tatsächlich den Geruch und Geschmack des Reiches Gottes wahr und schmeckt nicht mehr den Tod der Weltverfangenheit.214 2.2.2.3 Wein und Weinwandlung im Zusammenhang der Dionysosverehrung Wenn auf wunderbare Weise eine Fülle wohlschmeckenden Weins anstelle von Wasser gespendet wird, zumal in einer Geschichte, die bei den Synoptikern (mit Rekurs auf Joh 8,52); 4Esra 6,26; Ps.-Philon, Lib. ant. 48,1. Vorausgesetzt ist dabei die prophetische Rede von Trinken des Zorneskelchs Jes 51,17.22; Jer 25,15.27f.; Ez 23,31-34; Hab 2,16; Ps 75,9; vgl. Offb 14,10; 16,19. 213 Entsprechende Aussagen über das Reich und das Heil Gottes sind in grammatikalisch ähnliche Sätze gekleidet. „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn einer nicht von oben her geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht schauen“ (3,3); „Wahrlich, wahrlich, ich sage dir: Wenn einer nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er in das Reich Gottes nicht hineingehen“ (3,5). Die durch das Schauen/Schmecken sich vollziehende Anteilgabe ergreift den Menschen in seiner ganzen Existenz, wie die Metapher des Eingangs (εἰσελθεῖν) deutlich macht. 214 In Kol 2,21 erscheint das Verb γεύεσθαι im Zusammenhang anderer Sinne in antirigoristischer Polemik: „Fasse dies nicht an, probiere davon nicht, berühre jenes nicht!“, so werden die Gegner zitiert (vgl. u. 327f.). Während ästhetische Erfahrung im Johannesevangelium insgesamt, aber gerade in der Kana-Erzählung, emphatisch positiv gewertet ist, sind hier die körperlichen Dinge als Adiaphora gekennzeichnet; man soll sich ihnen nicht unterwerfen, sie sind aber auch nicht in der Lage, Macht auszuüben. Wiederum weist uns die Parallele gerade im Kontrast auf die positive Ästhetik des Johannesevangeliums.

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nicht berichtet wird und ihnen in Manchem fremd zu sein scheint, dann liegt es nahe, Einfluss von Traditionen des Dionysoskults zu postulieren. Insbesondere R. Bultmann hat in seinem Johanneskommentar im Anschluss an W. Bousset215 und C. Clemen216 die Erzählung von der Hochzeit zu Kana als direkte Aufnahme einer paganen Dionysos-Legende betrachtet.217 Im dionysischen Kontext lässt sich auch die ausgelassene Festatmosphäre, wie sie einer Hochzeit zueigen ist, und insbesondere die freudestiftende Wirkung des Weins verorten. Zu diesem Bereich sind eben jene Aspekte der Fülle und der Weinwandlung bzw. einer als heidnisch betrachteten Wunderhaftigkeit zu rechnen, die aus einem christlichen Blickwinkel vielfach Anstoß geboten haben.218 Wein fließt hier in den dionysischen Weinwundererzählungen in Strömen, vielfach begleitet von göttlichem Wohlgeruch – ein typischer Zug der Epiphanie.219 Eine besondere Süße des Weins und Milch und Honig220 sowie das Ersetzen von Wasser durch Wein treten weiter hinzu.221 215

W. BOUSSET, Kyrios Christos. Geschichte des Christusglaubens von den Anfängen des Christentums bis Irenaeus, FRLANT 21, Göttingen 21921, 62. 216 C. CLEMEN, Religionsgeschichtliche Erklärung des Neuen Testaments, Gießen 21924, 267. 217 Komm., 83f. BULTMANN hielt die Verwandlung von Wasser in Wein für ein „typisches Motiv der Dionysos-Legende“, die hier auf Jesus übertragen worden sei; vgl. THEOBALD, Komm. I, 203-208; BECKER, Komm. I, 110f.; I. BROER, Noch einmal: Zur religionsgeschichtlichen „Ableitung“ von Joh 2,1-11, SNTU.A 8 (1983), 103-123; ders., Weinwunder u.a. Zur Diskussion vgl. HENGEL, Der „dionysische“ Messias; F. SCHNIDER, Das frühe Christentum angesichts der dionysischen Mysterien. Religionswissenschaftliche Überlegungen zu Joh 2,111, in: D. Lüddeckens (Hg.), Begegnung von Religionen und Kulturen (FS N. Klaes), Dettelbach 1998, 119-133; LINNEMANN, Hochzeit; SMITMANS, Weinwunder, 31-34; LÜTGEHETMANN, Hochzeit, 261-272; LABAHN, Lebensspender, 146-160; W. EISELE, Jesus und Dionysos. Göttliche Konkurrenz bei der Hochzeit zu Kana (Joh 2,1-11), ZNW 100 (2009), 128. Den prominentesten Einspruch gegen diese Position formulierte H. NOETZEL mit seinem Büchlein Christus und Dionysos. Noetzel bestreitet die Existenz von Weinwandlungswundern im Zusammenhang mit Dionysos, um damit gegen eine Verbindung der Kana-Erzählung mit hellenistischer Dionysostradition zu argumentieren. Noetzel stellt in seiner Kritik an Bultmann die Gegenthese auf: Das Weinwunder sei im Anschluss an biblische Motivik als Zeichen dafür zu verstehen, dass die eschatologische Freude des himmlischen Hochzeitsmahls bereits gegenwärtig geworden ist (ebd., 53). Noetzel greift damit zurück auf J. JEREMIAS, Jesus als Weltvollender, BFChTh 4/33, Gütersloh 1930, 28f. 218 LABAHN, Lebensspender, 146-160, diskutiert breit die religionsgeschichtlichen Parallelen sowohl aus dem alttestamentlichen als auch aus dem hellenistischen Bereich, um wieder eine Beziehung zu Dionysos stark zu machen (149-156); vgl. auch THEOBALD, Komm. I, 203f. 219 Vgl. Diod. Sic. III 66,2. 220 Vgl. Hor. carm. II 19,9-12: „Jetzt muss ich singen, wie die Thyade schwärmt,/ wie aus Quellen, Milch in den Bächen strömt,/ und wie in Fülle Honig träufelt/ nieder vom Spalt der gehöhlten Bäume“ (Übersetzung F. Burger). 221 Vgl. das bei Pausanias (VI 26,1f.) berichtete Weinwunder in Elis.

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Schauen wir uns die möglichen Kontaktpunkte im Einzelnen an: Es gehört zum Wesen des griechischen Gottes, Wein im Überfluss hervorsprudeln zu lassen, wie schon Euripides schreibt: „Manch andere stieß ihre Gerte in den Boden, da ließ die Gottheit einen Born von Wein aufsprudeln“ (ἄλλη δὲ νάρθηκ’ ἐς πέδον καθῆκε γῆς / καὶ τῆιδε κρήνην ἐξανῆκ’ οἴνου θεός).222 Im Wein, der teilweise anstelle von Wasser fließt, in seiner sprudelnden Fülle und seiner belebenden Wirkung auf diejenigen, die ihn zu sich nehmen, offenbart sich der Gott in einer Epiphanie.223 Insbesondere im Machtbereich des Gottes, an seinen Festen und Orten, verwandelt sich Wasser in Wein. Auf Teos sprudelt nach der Überlieferung am Dionysosfest aus der Quelle Wein224, der sich durch seinen Wohlgeruch auszeichnet (εὐωδίᾳ διαφέροντος) – für die Einwohner von Teos ein Beweis der Herkunft des Gottes aus dieser Stadt.225 Wenn der Wein sich wieder in Wasser verwandelt, sobald er aus dem Machtbereich des Gottes herauskommt, so wird deutlich: Der Wein ist eine Erscheinungsform des Gottes, dessen Namen er metonymisch tragen kann. Die genannten Belegstellen beschreiben allgemein das Wesen des Dionysos als Geber von Wein, sind aber doch weit von der Kana-Erzählung entfernt. Bei ihnen handelt es sich um Epiphanieerzählungen, die an den Gott, seine Orte und Festzeiten gebunden sind. Anders ist dies in der bei Achilleus Tatios in dem Roman Leukippe und Kleitophon berichteten kulturätiologischen Erzählung, die davon handelt, wie der Gott Dionysos den Menschen den Wein bringt.226 Wenngleich sich signifikante formgeschichtliche und inhaltliche Unterschiede namhaft machen lassen, weist diese Geschichte, die wohl ins ausgehende 2.Jh.n.Chr. zu datieren ist227, einige überraschende motivische Konvergenzen zur Kana-Erzählung auf. Dionysos, so wird dort erzählt, kam einmal zu einem besonders gastfreundlichen Hirten. Der Hirte setzte ihm alles vor, womit die Landwirtschaft aufwarten konnte – als Getränk allerdings lediglich Wasser, denn Wein kannte er nicht. Diesen spendet ihm der Gott. 222

Eur. Bacch. 706f. (Übersetzung D. Ebener). Vgl. die im NEUEN WETTSTEIN I/2, 112-118, sowie die bei K. BERGER/C. COLPE, Religionsgeschichtliches Textbuch zum Neuen Testament, TNT 1, Göttingen 1987, 151f. gesammelten Belege. 224 Vgl. das ungewöhnliche Verb ἀντλεῖν in Joh 2,8. 225 So berichtet der Historiker Diodorus Siculus (III 66). Zum Aspekt des Geruchs vgl. auch Nonnos Dionys. XIV 411-420. 226 Vgl. HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 595-597; SMITH, Wine God, 817; LABAHN, Lebensspender, 152-154. Die dort erzählte Geschichte vom phönizischen Dionysos bietet, so Hengel, eine Verbindung von palästinischem Flair und Dionysoserzählung. Er sieht darin die griechische Adaption eines früheren phönizisch-kanaanäischen Mythos. Die Geschichte wird als Ursprungssage des Dionysosfestes in Tyros eingeführt. Labahn nimmt Silius Italicus Pun. VII 186-194 hinzu, wo der Aspekt der Epiphanie abschließend besonders deutlich hervorgehoben wird: et haud ultra latuit deus. Vgl. weiter Luk. Ver. hist. I 7. 227 Vgl. M. FUSILLO, Art. Achilleus Tatios, DNP 1, 82-84, hier 82. 223

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καὶ ὁ Διόνυσος ἐπαινεῖ τῆς φιλοφροσύνης τὸν ποιµένα καὶ αὐτῷ προτείνει κύλικα φιλοτησίαν. τὸ δὲ ποτὸν οἶνος ἦν. ὁ δὲ πιὼν ὑφ’ ἡδονῆς βακχεύεται καὶ λέγει πρὸς τὸν θεόν· Πόθεν, ὦ ξένε, σοὶ τὸ ὕδωρ τοῦτο τὸ πορφυροῦν; πόθεν οὕτως εὗρες αἷµα γλυκύ; οὐ γάρ ἐστιν ἐκεῖνο τὸ χαµαὶ ῥέον. τὸ µὲν γὰρ ἐς τὰ στέρνα καταβαίνει καὶ λεπτὴν ἔχει τὴν ἡδονήν, τοῦτο δὲ καὶ πρὸ τοῦ στόµατος τὰς ῥῖνας εὐφραίνει καὶ θιγόντι µὲν ψυχρόν ἐστιν, εἰς τὴν γαστέρα δὲ καταθορὸν ἀναπνεῖ κάτωθεν ἡδονῆς πῦρ.

Und Dionysos lobte den Hirten für seine Freundlichkeit und reichte ihm einen Becher als Zeichen der Freundschaft; das Getränk aber war Wein. Als er ihn ausgetrunken hatte, begann er sich vor Freude wie toll zu gebärden und sagte zum Gott: ,Woher hast du dieses purpurrote Wasser, mein Freund? Wo hast du ein so süßes Blut gefunden? Denn es ist nicht das Wasser, das auf der Erde fließt. Das sinkt einfach in die Brust hinab und enthält nur mäßige Freude; dieses hier hingegen entzückt schon vor dem Mund die Nase und ist zwar, wenn man es berührt, ganz kalt; doch ist es einmal in den Magen hinabgehüpft, so verströmt es von dort ein Feuer des Glücks herauf!‘228

Im Anschluss führt der Gott den Hirten zum Weinstock, um ihm zu zeigen, wie man dieses Wasser aus den Trauben presst: „Dies ist, so sprach er, das Wasser, dies ist die Quelle“ (Τοῦτο µέν ἐστιν, ἔφη, τὸ ὕδωρ, τοῦτο δὲ ἡ πηγή; II 2,6). Verschiedene Ähnlichkeiten zu Joh 2 fallen ins Auge. Auch bei Achilleus Tatios wird die Verwandlung von Wasser in Wein – so sie denn vorauszusetzen ist – nicht erzählt und ist nicht Gegenstand der Erzählung. Aber selbst wenn daran gedacht sein mag, dass der Weingott gar nicht Wasser verwandelt, sondern den Kelch unmittelbar mit Wein füllt, fällt die Bezeichnung als τὸ ὕδωρ τοῦτο τὸ πορφυροῦν auf. Wie in Joh 2 wird der Geschmack des Weins zum Thema, dazu sein Geruch und sein Aussehen sowie die wärmende, berauschende Wirkung. Zudem werden in poetischem Duktus die Rezeptionsorgane Mund und Nase genannt. Auch die metaphorische Bezeichnung des Weinstocks als Quelle des „Wassers“ wird man aufmerksam registrieren. Über die genannten, auf der Motivebene liegenden Übereinstimmungen hinaus lässt sich auch bezüglich der Gattung eine besondere Nähe beobachten: Wie in Joh 2 handelt es sich um eine Erzählung, nicht um die Beschreibung eines Kultortes oder eine Darlegung des Wesens des Gottes. Dadurch erscheint bei Achilleus Tatios der Wein als ein von einer Person bereitgestelltes Geschenk, hier freilich erweitert um die Konnotation der Belohnung und der Ätiologie; beide Aspekte spielen bei Johannes keine Rolle. Formgeschichtlich haben wir eine Kulturätiologie bzw. eine Epiphanieerzählung vor uns, nicht aber eine Wundererzählung. Es gibt keinen Mangel, der zu einer Anfrage führen würde (höchstens eine frugale Bewirtung, die einem hohen Gast nicht ange228

Übersetzung von K. Plepelits (K. PLEPELITS, Achilleus Tatius, Leukippe und Kleitophon, eingel., übers. u. erl., Stuttgart 1980, 90). Es verwundert nicht, dass die Suda, das mittelalterliche Lexikon, auch Achilleus Tatios als spät bekehrten Christen erscheinen lässt.

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messen erscheinen mag – dieser Mangel ist aber allenfalls dem Leser, nicht aber dem Hirten selbst erkennbar), und keinen Chorschluss, der das Wunder akklamiert. Der Gott schenkt – zum Dank für das gastfreundliche Verhalten des Hirten – sich selbst. Der für unseren Zusammenhang entscheidende Punkt der Übereinstimmung indes liegt in der Erzählperspektive: Wie in Joh 2 wird nicht die Wandlung des Wassers in Wein thematisiert, sondern die Reaktion auf den unerwarteten Geschmack und die göttlich-inspirierende Wirkung. Der Leser erlebt das Wunder also aus der Rezeptionsperspektive eines Protagonisten. In dem Geschmack des besonderen Getränks und in dessen Wirkung offenbart der Gott seine bis dahin verhüllte Identität. Der Hirte erfährt das wunderbare Getränk mit allen Sinnen: Es ist „purpurrotes Wasser“, das sich deutlich unterscheidet von dem „Wasser, das auf der Erde fließt“, ein „süßes Blut“. Seine Farbe sticht ins Auge, sein Geruch und Geschmack entzücken zuerst die Nase und dann den Gaumen. Bei Berührung fühlt es sich zunächst kalt an, verströmt aber im Magen sofort ein „Feuer des Glücks“. All dies zeugt im Sinne einer Epiphanie von der göttlichen Qualität des Getränks. Zudem zeigt sich die Anwesenheit des Gottes in der berauschenden Wirkung auf den Trinkenden – ein weiterer Aspekt der Epiphanie: Nicht nur im Wein, sondern auch in seiner Wirkung auf die Trinkenden offenbart sich der Gott, denn die Anhänger werden gleichsam zu einem Teil der Gottheit, wenn diese im bacchantischen Taumel von ihnen Besitz ergreift. Während die berauschende Wirkung des Weins für den dionysischen Kontext als Teil der Epiphanie des Gottes konstitutiv ist, wird eine solche Wirkung in Joh 2 nicht expliziert. Voraussetzen wird man sie indes auch dort dürfen – und kann sie implizit in der Aussage des Architriklinos (ὅταν µεθυσθῶσιν; 2,10) angedeutet sehen. Interessant für einen Vergleich ist jedenfalls bei Achilleus Tatios die Betonung der Freude, die aus dem „purpurroten Wasser“ kommt, sowie die Beschreibung des Geruchs und Geschmacks, der Anlass zur Verwunderung gibt. Selbst die Frage nach dem Woher des besonderen Wassers taucht hier wieder auf: „Woher hast du dieses purpurrote Wasser, mein Freund? Wo(her) hast du ein so süßes Blut gefunden? Denn es ist nicht das Wasser, das auf der Erde (χαµαί) fließt.“ Die Aussage des Hirten legt eine Antwort auf die Frage nach dem Woher nahe, indem sie eine Opposition zwischen Erde und Himmel andeutet: Dieses Getränk ist nicht aus dieser Welt, sondern aus der Ebene des Göttlichen. Auch die Frage nach dem Woher, auf die wir sogleich zurückkommen werden, wird hier auf diese Weise in den Zusammenhang einer Epiphanie gestellt. 2.2.2.4 (Wein-)Fülle als Zeichen messianischen Heils (und apokalyptischen Gerichts) Hatten wir zunächst den griechisch-dionysischen Bereich ausgeleuchtet, so findet sich das Motiv des Weins und seiner Fülle ebenso in der alttestament-

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lich-prophetischen Tradition und in jüdischer Weisheitsliteratur, wo es bisweilen mit Aspekten der Hochzeit verbunden ist.229 Die allgemeine Hochschätzung des Weins wird aus Sir 31,27f. (bzw. 34,3336 in der Göttinger Septuaginta) ersichtlich: „Was gibt es für ein Leben, wenn der Wein zur Neige geht?“ (τίς ζωὴ ἐλασσουµένῳ οἴνῳ)?230 Er wurde, so heißt es weiter, am Anfang geschaffen zur Freude für die Menschen.231 Anlass zum Frohlocken für das Herz und Freude für die Seele ist Wein, der zur rechten Zeit in Zufriedenheit getrunken wird. Der Genitiv absolutus ὑστερήσοντος οἴνου in Joh 2,3 erinnert durchaus an die Formulierung ἐλασσουµένῳ οἴνῳ. Entsprechend dieser Hochschätzung erscheint (süßer) Wein in Fülle in der prophetischen Tradition als Zeichen sich verwirklichender Heilserwartung und Attribut des Messias.232 In der frühjüdischen Literatur greift insbesondere das syrische Baruchbuch diese Motivik auf (syrBar 29,5f.; 36,3; 37,1; 39,7f.).233 Hilfreich ist die Präzisierung H. Noetzels im Blick auf die Übertragung messianischer Motivik auf die Kana-Erzählung: Tatsächlich mache das Hochzeitsmotiv die mit dem Eintritt des göttlichen Logos in die Welt bereits gegenwärtig spürbar gewordene endzeitliche Fülle deutlich. Hierdurch werde aber nicht, wie es in der Literatur vielfach heißt, Jesus als der Messias ausgewiesen. Die Fülle herbeizuführen sei in der Tradition nicht Aufgabe des Messias: „Zwar bringt die messianische Zeit eine phantastische Fülle von Wein, aber niemals wird gesagt, dass es der Messias ist, der diese Weinfülle schafft; vielmehr ist es Gott, der sie in jener Endzeit heraufführt.“234 Noetzels fundamentale Beobachtung unterstreicht, dass die 229

Bei NOETZEL, Christus und Dionysos, 41-58, werden die Aspekte der Fülle, der Güte und der Verwandlung eigens gewürdigt. Belege für die Bedeutung von Wein und Weinbau im Alten Testament sind ebd., 41, zusammengestellt. Schon Origenes interpretierte den Wein in seinem Johanneskommentar als Symbol überbordender messianischer Freude. Das Weinwunder bilde den Anfang der semeia, „denn das besondere Zeichen des Sohnes Gottes ist Freude“ (εὐφροσύνη, Comm. in Io. X 12; vgl. SMITMANS, Weinwunder, 145.281; HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 588 mit Anm. 73). Allgemein erscheint der Wein als Heilszeichen in Vieldeutigkeit bei den Kirchenvätern. 230 Vgl. Ps 104,15; Ri 9,13. Freilich wird zugleich vor übermäßigem Genuss des Weines gewarnt (Sir 31,25-31; vgl. Spr 20,1; 23,30-32 u.ö.). 231 So liest die Göttinger Septuaginta (Sapientia Iesu filii Sirach, hg. von J. Ziegler, Göttingen 1965/32016). 232 Vgl. etwa Joel 4,18; Am 9,13-15; Jes 25,6; 62,8f.; Jer 31,5.12; weiter Hos 2,10.17.2124; 14,8; Sach 9,17. In diesem Sinne JEREMIAS, Weltvollender, 28; BRAUN, Jean le théologien II, 198f.; KOESTER, Symbolism, 83f.; W. NICOL, The Semeia in the Fourth Gospel. Tradition and Redaction, NT.S 32, Leiden 1972, 54. BROWN, Komm. I, 105 deutet deshalb die Aussage des Architriklinos als „proclamation of the coming of the messianic days“. 233 Vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 206. Besonders interessant ist syrBar 29,6: „Und die gehungert haben, sollen fröhlich sein und weiter sollen sie an diesem Tag Wunder schauen.“ Wird in 29,5 allgemein die Fülle der Frucht beschrieben, die insbesondere Weinstöcke hervorbringen werden, so wird in 39,7 die Herrschaft des Messias unmittelbar mit der Quelle und dem Weinstock verglichen. Vgl. weiter äthHen 10,19 und SibOrac 3,744f. 234 NOETZEL, Christus und Dionysos, 44.

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

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Referenz des Weinmotivs letztlich nicht messianologisch oder christologisch ist. Vielmehr wird im machtvollen, zeichenhaften Wirken Jesu Gott selbst gegenwärtig erfahren.235

Messianisch wird auch Jakobs Segen über Juda interpretiert236: Er bindet sein Füllen an einen Weinstock und das Füllen seiner Eselin an die Weinranke. Im Wein wird er sein Kleid waschen und in Traubenblut (ἐν αἵµατι σταφυλῆς) seinen Umhang. Glückstrahlend sind seine Augen infolge des Weins und seine Zähne weißer als Milch (Gen 49,11f.).237

Während die prophetische Endzeitverheißung der Weinfülle, die auf die Identifikation Israels als Weinberg Gottes rekurriert, durchaus in der Weinfülle von Kana anklingen mag, bleibt eine Verknüpfung mit dieser vielzitierten Stelle vage: Zwar wird das Kommen des Messias mit Wein assoziiert, der Messias ist aber nicht der Bringer des Weins. Auch von einem Genuss des Weins ist in Gen 49 keine Rede. Indes führt die Formulierung ἐν αἵµατι σταφυλῆς (Gen 49,11) auf die der Weinmetaphorik inhärente Ambivalenz, die auch für die Verwendung im Johannesevangelium zentral ist: Die Assoziation von Wein mit Blut und die daraus folgende Deutung des Weins als Lebenssaft, die in der alttestamentlichprophetischen Verwendung des Weinmotivs wie im dionysischen Traditionsstrang eine Schlüsselrolle spielt, kann, wie wir gesehen haben, in positivem Sinne auf die belebende Wirkung des Weins bezogen sein. Sie kann aber auch im Gerichtskontext aktualisiert werden, insbesondere im Zusammenhang der prophetischen Metapher von Israel als dem Weinberg Gottes (vgl. Jes 5,1-7; Ps 80,9-17; Jer 2,21; 12,10f.).238 Von Gott kann gesagt werden, dass er (in seinem

235 Wenn Linnemann aus Noetzels Beobachtung schließt, dass sich die Kana-Perikope nicht aus der „jüdischen Erwartung der endzeitlichen Weinfülle“ herleiten lasse, weil das Weinwunder Jesus nicht als den Messias ausweisen konnte (LINNEMANN, Hochzeit, 411), so trägt diese Argumentation eben deshalb nicht, weil die Voraussetzung, Jesus solle durch die Geschichte als der erwartete Messias ausgewiesen werden, nicht zutreffend ist. Vielmehr zeigt sich erneut, dass in Jesus Gott selbst in der Fülle seines Heilswirkens erfahrbar wird. Es ist tatsächlich Gott, der (in seinem fleischgewordenen Logos) die in der Weinfülle sich konkretisierende Heilszeit heraufführt. 236 Z.B. HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 586f.; J. MCWHIRTER, Bridegroom Messiah, 47. Vgl. die Stellen bei STRBILL IV, 951f.: die rabbinische Ausdeutung der Stelle in bKet 111b, 30 sowie GenR 51 (32d) zu Gen 19,33. 237 Übersetzung LXX deutsch, etwas angepasst. 238 Die Verbindung zwischen einer symbolischen Deutung des Weinmotivs (in Gen 40-41) als Logos und Jes 5,7 stellt Philon De somn. II 169-173 her. Dort wird Israel als der Gott und Welt schauende Geist, der Weinberg als die Tugend gedeutet. Die tugendhaft Lebenden werden gleichsam zum (vom Logos dargereichten) Wein, der Gott Freude bereitet, wie Philon Dtn 30,9f. interpretiert.

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Zorn) die Kelter tritt – ein grausiges Bild des Gerichts.239 Bei Deuterojesaja erscheint Jerusalem als eine Frau, die trunken ist, weil sie den aus der Hand Gottes empfangenen Zorneskelch geleert hat (Jes 51,17-21). Umrisshaft nur ist die Szene zu erkennen: Jerusalems Kinder, die in korporativer Sprache mit der Frau identifiziert werden, liegen auf der Straße – voll des Zorns, den sie mit ihrer Mutter getrunken haben. Der Wein, den sie trinken, symbolisiert ihr Blut, das sie vergießen. Das Ergebnis ist auf der Bild- und Sachebene jeweils dasselbe: Sie liegen zerschlagen und hilflos auf der Straße. Im Neuen Testament wird die Metaphorik vom Weinberg in christologischem Kontext im Gleichnis von den bösen Weingärtnern (Mk 12,1-12par.) aufgegriffen, wo wiederum das Blutvergießen eine große Rolle spielt. Diejenige vom Weinkelch erscheint wieder in der Gethsemane-Szene mit dem Leeren des Kelchs (hier allerdings trinkt nur einer den Kelch – und bewahrt gerade dadurch die anderen vor den Auswirkungen des Zorns, der sie treffen müsste). Ähnlich wie das Motiv der Hochzeit kann auch jenes des Weins im Heils- wie im Gerichtskontext aktualisiert werden. Als motivgeschichtlicher Hintergrund sind diese Zusammenhänge für Joh 15 von Bedeutung: Christus ist der wahre Weinstock (15,1.5), der Vater der Gärtner (15,1), die Christen sind die Reben (15,5), die aus der Wurzel heraus viel Frucht hervorbringen. Der Gerichtsaspekt ist dort ebenso deutlich wie die korporative Metaphorik: Vom Herausschneiden und Reinigen (15,2), vom Hinauswerfen und Verdorren und schließlich vom Brennen im Feuer ist die Rede (15,6). Die Verknüpfung von Wein und Blut mit ihrem Gerichts- und Heilsaspekt, Todes- und Lebensaspekt tritt an verschiedenen Stellen im Evangelium hervor, besonders deutlich in Joh 6,53-56. Im Licht dieser Stellen kann man die Ambivalenz der Metaphorik bereits in Joh 2 erkennen.

2.2.2.5 Weinfülle als Heilsverheißung im Ps 22 LXX Traditionsgeschichtlich interessant ist im Blick auf unsere Überlegungen zudem das Weinmotiv in Psalm 22,5. Der Wein vergegenwärtigt hier die von Gott dem Menschen zur Verfügung gestellte Lebensfülle. Anders als in Ps 23,5 der hebräischen Bibel deutet dabei in der Septuaginta Partizip µεθύσκον in der Weinfülle den Rauschaspekt (und damit die Wirkung auf den Menschen) an, der ohne Vorbehalte als Ausdruck der Fülle des göttlichen Heils wahrgenommen wird. ἐλίπανας ἐν ἐλαίῳ τὴν κεφαλήν µου, καὶ τὸ ποτήριόν σου µεθύσκον ὡς κράτιστον.

239

19,15.

Du hast mit Öl mein Haupt gesalbt, und dein Kelch machte trunken wie der stärkste (Trank).240

Jes 63,1-6; Jer 25,30f.; Thr 1,15; vgl. Joel 4,13. Dies wird aufgegriffen in Offb 14,19f.;

240 Übersetzung LXX deutsch. T. MURAOKA, A Greek-English Lexicon of the Septuagint, Louvain u.a. 2009, s.v. µεθύσκω: „to cause to become intoxicated“; dagegen sehr unpräzise J. LUST/E. EYNIKEL/K. HAUSPIE, Greek-English Lexicon of the Septuagint, Revised Edition, Stuttgart 2003, s.v. µεθύσκω: „to give to drink“.

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

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Wird der Psalm regelmäßig über das Hirtenmotiv mit der Hirtenrede in Joh 10 in Verbindung gebracht241, so könnte das Weinmotiv – und gerade das Motiv des Weins in Fülle – einen weiteren Aspekt der Rezeption dieses Psalms innerhalb des Evangeliums darstellen. Das Hirtenmotiv in Joh 10 wäre damit durch die Bezugnahme auf den Psalm in Joh 2 bereits vorbereitet.242 Wenn man für Ps 23 tatsächlich ein Dankopferfestmahl im Tempel anlässlich erfahrener Errettung vor den Feinden als Kontext vorauszusetzen kann, wie Kraus dies im Anschluss an S. Mowinckel und E. Vogt erwogen hat243, dann könnte man durchaus bei einer entsprechenden Rezeption des Psalms im Johannesevangelium auch den „Feind“ bereits angedeutet sehen: Der Bedränger, dessen Überwindung wir im Johannesevangelium von Anfang an feiern, wäre der Tod. Ein solches Verständnis legt sich vom griechischen Text von des vorausgehenden Verses Ps 22,4 LXX nahe, wo die Bedrängnis als Wandern „mitten in des Todes Schatten“ (ἐν µέσῳ σκιᾶς θανάτου) verstanden wird. Das Fest mit der Weinfülle als erstes der Zeichen Jesu im Johannesevangelium könnte dann als erzählerische Ausgestaltung des Gebets des griechischen Psalmisten erscheinen. Die Überwindung des Todes ist freilich auch ein Kernmotiv der Hirtenrede (vgl. 10,12.28; vgl. 10, 9.11.15.17f.), wo der Bezug zu Ps 22 LXX wesentlich deutlicher ist. Dass diese Überwindung mit dem Tod Jesu bezahlt wird, ist in der Hirtenrede mit besonders klaren Worten ausgesagt und wird in Joh 11, bei der Auferweckung des Lazarus, erneut aufgegriffen. Wenn dann in Joh 12,1-8 ein weiteres Festmahl die Erzählung der σηµεῖα abschließt, so könnte man dies durchaus als erneutes Dankesmahl „im Angesicht des Feindes“ begreifen, dessen Niederlage in der Person des am Tisch sitzenden Lazarus personifiziert ist.244 Freilich befinden wir uns hier im Bereich der Anspielungen über Motivzusammenhänge, für die sich aufgrund ihrer poetischen Natur nie eine Eindeutigkeit der Interpretation erzielen lässt. Bei Johannes jedenfalls erfüllt Jesus als der gute Hirte und zugleich der Gesalbte die Zuversicht des Beters des 23. Psalms. Dies tut er aber durch die Gabe seines eigenen Lebens. Was sich bei der Lektüre Philons noch erhärten 241

Vgl. M. DALY-DENTON, David in the Fourth Gospel. The Johannine Reception of the Psalms, AGJU 47, Leiden u.a. 2000, 258-263. Zur Metaphorik vom guten Hirten wie auch der Salbung im Johannesevangelium vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 290-344. 242 Das Hirtenbild findet sich auch in frühjüdischen Texten, in Qumran (1Q 34 Frgm. 3 II,8) und im Apokryphon Ezechiel (Frgm. e 14 1,1); vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 324. 243 KRAUS, Psalmen, 339 denkt die beschriebene Mahlsituation von V. 6 her: „Die Stätte, an der Jahwe Schutz und Gastrecht gewährt, ist ‫ בית־יהוה‬der Tempel.“ 244 Das Salbungsmotiv mag man auch in diesen Motivzusammenhang einordnen, wenngleich eben nicht der Kopf gesalbt wird und diese Salbung hier christologisch und nicht anthropologisch fokussiert ist.

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wird, ist dies245: Der Logos schenkt sich in diesem Geschehen selbst. Als wahrer Weinstock offenbart er in dem Geschmack des Weins die Fülle und Güte seines Wesens als Schöpfer, Erneuerer und Vollender des Lebens. Mit der Gabe von Wein im Überfluss erfüllt Jesus die Hoffnung des Psalmbeters und fügt der Liebesgeschichte Gottes mit seinem Volk ein neues, abschließendes Kapitel hinzu: „Wohlan alle, die ihr durstig seid, kommt her zum Wasser! … Kommt her und kauft ohne Geld und umsonst Wein und Milch! … Hört auf mich, so werdet ihr Gutes essen und euch am Köstlichen laben“ (Jes 55,1f.). Von Joh 6 her legt sich vor diesem motivgeschichtlichen Hintergrund nahe, dass es die Gabe seines eigenen Lebens, seines eigenes Blutes ist, durch die Jesus die in der Fülle des Weins spürbare Fülle des Lebens darbietet. Weitere Motive des Psalms (nicht nur das Motiv des guten Hirten, der die Schafe weidet [22,1]), werden im Johannesevangelium aufgegriffen. Bei dem „Wasser der Erquickung“ (22,2 LXX) kann man durchaus an Joh 4 denken, bei der Rede vom Wandeln im Schatten des Todes (22,4) an Joh 11,10, aber auch insgesamt an die für das Evangelium zentrale Opposition zwischen Licht und Finsternis, Leben und Tod. Joh 11 kann als narrative Ausgestaltung der Aussage erscheinen: „Er hat mein Leben umgewendet (zurückgebracht)“ (22,3). Das παρακαλέω in 22,4 ist vielleicht nicht spezifisch genug, um einen Anklang daran im johanneischen Parakleten zu entdecken. Jedenfalls bereitet der Auferstandene in 21,9-13 den Jüngern einen Tisch (vgl. Ps 22,5) und das Salben mit Öl und das Tränken mit Wein wird im JohEv an verschiedenen Stellen erzählerisch umgesetzt. Schließlich erinnert die Aussage Jesu, er gehe zum Haus des Vaters, um dort die Bleibe für die Jünger vorzubereiten, durchaus an die in Ps 22,6 LXX formulierte Hoffnung, der Beter werde im Hause des Herrn wohnen (κατοικεῖν µε ἐν οἴκῳ κυρίου) bis in Ewigkeit.

2.2.2.6 Logos und Weisheit als Mundschenk: Sir 24,17-22, Spr 9 und Philon Aufbauend auf der Erfahrung der körperlichen Sättigung und des Genusses von überbordendem Heil und Leben bringender Fülle, wie sie in der Exoduserzählung Ausdruck findet und in Ps 23 [Ps 22 LXX] als existentielle Hoffnung erscheint, wird das Weinmotiv in der Weisheitsliteratur spiritualisiert und auf den Logos bzw. die Weisheit übertragen, die sich im Wein selbst schenken.246 Bei Jesus Sirach bietet sich die Weisheit als Weinstock dar (Sir 24,17.1922247). Der Genuss allerdings erzeugt gerade neues Verlangen, was sich von dem pädagogischen Impetus der Schrift her versteht: Wer von diesem Wein-

245

Vgl. u. 161f. Vgl. R.J. DILLON, Wisdom Tradition and Sacramental Retrospect in the Cana Account (Jn 2,1-11), CBQ 24 (1962), 268-296, bes. 291.295f. 247 Nach Sir 15,3 speist die Weisheit den Gottesfürchtigen mit Brot der Einsicht (ἄρτος συνἐσεως) und tränkt ihn mit Wasser der Weisheit (ὕδωρ σοφίας); vgl. auch Jes 55,1-3. 246

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

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stock, der sich durch besondere Süße auszeichnet, isst und trinkt, den hungert und dürstet noch mehr nach seinen Früchten.248 ἐγὼ ὡς ἄµπελος ἐβλάστησα χάριν, καὶ τὰ ἄνθη µου καρπὸς δόξης καὶ πλούτου. ... προσέλθετε πρός µε, οἱ ἐπιθυµοῦντές µου, καὶ ἀπὸ τῶν γενηµάτων µου ἐµπλήσθητε· τὸ γὰρ µνηµόσυνόν µου ὑπὲρ τὸ µέλι γλυκύ, καὶ ἡ κληρονοµία µου ὑπὲρ µέλιτος κηρίον. οἱ ἐσθίοντές µε ἔτι πεινάσουσιν, καὶ οἱ πίνοντές µε ἔτι διψήσουσιν. ὁ ὑπακούων µου οὐκ αἰσχυνθήσεται, καὶ οἱ ἐργαζόµενοι ἐν ἐµοὶ οὐχ ἁµαρτήσουσιν.

Ich lasse wie ein Weinstock Anmut hervorsprossen, und meine Blüten bringen Herrlichkeit und Reichtum als Frucht. ... Kommt her zu mir, die ihr nach mir verlangt, und sättigt euch an meinen Früchten! Denn der Gedanke an mich ist süßer als Honig, und Anteilhabe an mir ist süßer als eine Honigwabe. Wer von mir isst, den wird noch weiter (nach mir) hungern; und wer von mir trinkt, den wird noch weiter (nach mir) dürsten.249 Wer mir gehorcht, der wird nicht beschämt werden; und wer sich um mich bemüht, der wird nicht fehlgehen.250

Auch die übrigen Sinne werden durch die Weisheit angesprochen. Unmittelbar zuvor war in 24,15 vom Duft der Weisheit die Rede gewesen: „Wie Zimt und Gewürzrohr verbreitete ich den Duft wohlriechender Kräuter (ἀρωµάτων δέδωκα ὀσµήν251), wie erlesene Myrrhe verströmte ich meinen Duft (διέδωκα εὐωδίαν).“ Sir 24 stellt damit einen beachtlichen Teil des motivischen Materials zur Verfügung, das in der johanneischen Jesusgeschichte ausformuliert wird. In Sir 24,30f. tritt die Wassermetaphorik hinzu: Die Weisheit spricht von sich als von einem Wassergraben, der zum Strom (εἰς ποταµόν) und schließlich zum Meer anschwillt. Von der Einwohnung der zuvor aus dem Mund des Höchsten hervorgegangenen Weisheit im Volk Israel spricht Sir 24,8. In Spr9,1-6 erscheint die Weisheit als Gastgeberin eines Weisheitsmahles. Sie bereitet für ihre Gäste Opfertiere und den Tisch mit Brot und Wein. Der Wein, den sie spendet, dient als Bild von Vernunft und Erkenntnis, die Leben schaffen.252 Die Weisheit hat selbst ihr Haus gebaut und den Tisch mit Brot und Wein bereitet. Nun lädt sie ein, das von ihr Bereitete zu verzehren – deutlich schenkt sie sich in dem Mahl selbst. 248 Vgl. ausführlich J. MARBÖCK, Gottes Weisheit unter uns. Zur Theologie des Buches Sirach, HBS 6, hg. von I. Fischer, Freiburg i.Br. u.a. 1995, 73-87; weiter ZIMMERMANN, Geschlechtermetaphorik, 169f. 249 Hier nimmt sich Joh 4,14 wie eine Antithese aus: „Wer auch immer von dem Wasser trinkt, dass ich ihm geben werde, der wird auf ewig keinen Durst mehr leiden“ (vgl. 6,35). Dies zeigt, wie das weisheitliche Thema hier verwandelt ist: Im Gegensatz zur Weisheit, die Verlangen nach mehr erzeugt, bringt Jesus als das Lebenswasser endgültige Erfüllung. 250 Übersetzung R. Hirsch-Luipold. 251 Diese Formulierung wird allerdings in der Göttinger Septuaginta nicht aufgenommen. 252 Vgl. die Wassermetaphorik in Sir 15,3: Die Weisheit speist den Gottesfürchtigen mit Verständnis und tränkt ihn mit dem Wasser der Weisheit (ψωµιεῖ αὐτὸν ἄρτον συνέσεως καὶ ὕδωρ σοφίας ποτίσει αὐτόν).

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

Ἡ σοφία ᾠκοδόµησεν ἑαυτῇ οἶκον καὶ ὑπήρεισεν στύλους ἑπτά· ἔσφαξεν τὰ ἑαυτῆς θύµατα, ἐκέρασεν εἰς κρατῆρα τὸν ἑαυτῆς οἶνον καὶ ἡτοιµάσατο τὴν ἑαυτῆς τράπεζαν· ἀπέστειλεν τοὺς ἑαυτῆς δούλους συγκαλοῦσα µετὰ ὑψηλοῦ κηρύγµατος ἐπὶ κρατῆρα λέγουσα· Ὅς ἐστιν ἄφρων, ἐκκλινάτω πρός µε· καὶ τοῖς ἐνδεέσι φρενῶν εἶπεν· Ἔλθατε φάγετε τῶν ἐµῶν ἄρτων καὶ πίετε οἶνον, ὃν ἐκέρασα ὑµῖν· ἀπολείπετε ἀφροσύνην, καὶ ζήσεσθε, καὶ ζητήσατε φρόνησιν, ἵνα βιώσητε, καὶ κατορθώσατε ἐν γνώσει σύνεσιν.

Die Weisheit hat sich ihr Haus gebaut und auf sieben Säulen gestützt. Sie hat ihre Opfertiere geschlachtet, sie hat ihren Wein im Mischkrug gemischt und ihren Tisch bereitet; sie sandte ihre Knechte aus, rief mit erhabener Botschaft zum Mischkrug und sprach: „Wer unverständig ist, der wende sich mir zu!“, und zu denen, denen es an Verstand mangelt, sprach sie: „Kommt, esst von meinen Broten und trinkt Wein, den ich euch gemischt habe! Verlasst die Torheit, so werdet ihr leben, und sucht nach der Vernunft, damit ihr das Leben ergreift, und richtet durch die Erkenntnis eure Klugheit auf!“

Mit ihrem Mahl beschert die Weisheit demjenigen, der daran teilnimmt, ein langes Leben, wie es in der Folge heißt (9,10f.). Wer sich dagegen am Tisch der Frau Torheit niederlässt (9,13-18), der sitzt schon in den Fängen des Hades (ἐπὶ πέτευρον ᾅδου συναντᾷ; 9,18).253 Schnell soll er sich entfernen. Von jedem anderen Wasser und jeder anderen Quelle als der Weisheit soll er sich fernhalten, um noch ein langes Leben zu genießen (9,18a-d). Das Motiv eines Weisheitsmahles bzw. Symposiums entwickelt der Alexandriner Philon in der Auslegung von Gen 14,18f. (Melchisedek trägt Abraham Brot und Wein entgegen) einerseits und Gen 40 (der Traum des Mundschenks des Pharao) andererseits fort.254 Anstelle des gedeckten Tisches steht bei ihm die berauschende Wirkung des Trankes im Vordergrund, den die Weisheit bzw. der Logos darreicht. Philon weiß von einer Verständigkeit, deren Wirkung er paradox als eine Art „göttliche“ Trunkenheit (θεία µέθη) beschreibt – eine Trunkenheit, die nüchterner ist als die Nüchternheit selbst (νηφαλεωτέρᾳ νήψεως αὐτῆς).255 Es ist der Hohepriester und König Melchisedek (von Philon als das priesterliche Wort, ἱερεὺς λόγος, gedeutet), der diese nüchterne Trun253

Die Septuaginta führt am Ende des Kapitels das Thema Tod/Leben weiter aus als der hebräische Text und rekurriert dabei auf das Motiv der Quelle. 254 Vgl. o. 146f. 255 Leg. All. III 82: ἀλλ’ ὁ µὲν Μελχισεδὲκ ἀντὶ ὕδατος οἶνον προσφερέτω καὶ ποτιζέτω καὶ ἀκρατιζέτω ψυχάς, ἵνα κατάσχετοι ένωνται θείᾳ µέθῃ νηφαλεωτέρᾳ νήψεως αὐτῆς· ἱερεὺς γάρ ἐστι λόγος κλῆρον ἔχων τὸν ὄντα καὶ ὑψηλῶς περὶ αὐτοῦ καὶ ὑπερόγκως καὶ µεγαλοπρεπῶς λογιζόµενος· τοῦ γὰρ ὑψίστου ἐστὶν ἱερεύς, οὐχ ὅτι ἐστί τις ἄλλος οὐχ ὕψιστος—ὁ γὰρ θεὸς εἷς ὢν ἐν τῷ οὐρανῷ ἄνω ἐστὶ καὶ ἐπὶ τῆς γῆς κάτω, καὶ οὐκ ἔστιν ἔτι πλὴν αὐτοῦ (vgl. Dtn 4, 39; De ebr. 145-153; Leg. All. I 84; Quod deus 158; De fug. 166; De op. 70f.; De vit. Mos. I 187; II 110; De vit. cont. 89). Vgl. H. LEWY, Sobria ebrietas. Untersuchungen zur Geschichte der antiken Mystik, BZNW 9, Gießen 1929, der auch die paganen Vergleichsstellen aus dem Bereich der Mysterien und im Kontext der Pneumalehre thematisiert (42-54).

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

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kenheit bewirkt, indem er Wein anstelle von Wasser (ἀντὶ ὕδατος οἶνον256) darbietet. Die Metapher bezieht ihren Reiz gerade aus der ihr inhärenten Spannung zwischen trunkener Freude, die von der Gabe des Logos (bzw. der Weisheit) ausgeht, und der Nüchternheit, die dieser Gabe innewohnt. Die Logik des Bildes ist offenbar die folgende: Wie der Wein den Menschen in der Trunkenheit den Sinn raubt, so ersetzt die göttliche Trunkenheit jede menschliche Rationalität – wodurch der Mensch erst eigentlich zu nüchternem Denken und einer Erkenntnis Gottes voranschreiten kann. Die literarische wie motivische Anknüpfung an die biblischen Überlieferungen ist bei Philon unverkennbar. Daneben lassen sich indes durchaus auch Anklänge an dionysische Traditionen wahrnehmen: Manches erinnert an die Darstellung bei Achilleus Tatios und darüber hinaus an die Bacchen des Euripides, jene Tragödie über den Siegeszug des Weingottes Dionysos, in der überraschenderweise die Terminologie von Vernunft, Weisheit und Verstand eine große Rolle spielt und die Verehrer des Gottes konsequent als vernünftig257, seine Gegner als menschlich-klügelnd oder unvernünftig258 bezeichnet werden. Zugleich steht mit dem Gedanken der Gottergriffenheit deutlich das platonische µανία-Konzept aus dem Phaidros Pate (244a-245a; vgl. 265a-b). In De somniis spielt Philon in seiner Kommentierung von Gen 40 auf Spr9 an. Der Logos reicht als der Weinschenk und Symposiarch Gottes (οἰνοχόος τοῦ θεοῦ καὶ συµποσίαρχος λόγος) der glücklichen Seele, die ihre Denkkraft (als Trinkgefäß) hinhält, sich selbst als ungemischten Wein und ambrosischen Heiltrank göttlicher Freunde und Wohlgestimmtheit dar.259 Er selbst ist der 256 Diese Formulierung fasst nach DODD, Interpretation, 298, alles zusammen, wovon unsere Geschichte handelt. 257 τὸ φρονεῖν (390); τὸ σωφρονεῖν δὲ καὶ σέβειν τὰ τῶν θεῶν κάλλιστον· οἶµαι δ’ αὐτὸ καὶ σοφώτατον θνητοῖσιν εἶναι κτῆµα τοῖσι χρωµένοις (1150-1152). 258 φρονεῖν δόκει (312); 358f.; 369; 387; τὸ σοφὸν δ’ οὐ σοφία (395); 399-402; 490; σωφρονῶν οὐ σώφροσιν (504); 885-887. Ganz allgemein gilt menschliches Klügeln nichts angesichts der göttlichen Weisheit (οὐδὲν σοφιζόµεσθα; 200; λόγος, τὸ σοφόν; 202f.; ἀνὴρ σοφός (266). Freilich gilt den Gegnern des Dionysos umgekehrt als unvernünftig, wer diesem Gott folgt: νοῦν οὐκ ἔχον (252); ἀνὴρ σοφὸς …, ὡς φρονῶν … οὐκ ἔνεισί σοι φρένες. … νοῦν οὐκ ἔχων (266-271); φρονῶν οὐδὲν φρονεῖς (332); µωρία (344); ἄνοια (345). 259 De somn. II 249: καὶ ψυχῇ δ’ εὐδαίµονι τὸ ἱερώτατον ἔκπωµα προτεινούσῃ τὸν ἑαυτῆς λογισµὸν τίς ἐπιχεῖ τοὺς ἱεροὺς κυάθους τῆς πρὸς ἀλήθειαν εὐφροσύνης, ὅτι µὴ ὁ οἰνοχόος τοῦ θεοῦ καὶ συµποσίαρχος λόγος, οὐ διαφέρων τοῦ πόµατος, ἀλλ’ αὐτὸς ἄκρατος ὤν, τὸ γάνωµα, τὸ ἥδυσµα, ἡ ἀνάχυσις, ἡ εὐθυµία, τὸ χαρᾶς, τὸ εὐφροσύνης ἀµβρόσιον, ἵνα καὶ αὐτοὶ ποιητικοῖς ὀνόµασι χρησώµεθα, φάρµακον. Zuvor hatte Philon beachtenswerte Gedanken über die Formulierung „Stadt Gottes“ (πόλις τοῦ θεοῦ) in Ps 45,5 LXX formuliert: Dies sei einerseits ein Ausdruck für den Kosmos, der den ganzen Mischkrug des göttlichen Tranks in sich aufgenommen habe (vgl. Tim. 41d) und so mit Freude erfüllt an ewiger und unauslöschlicher Fröhlichkeit Anteil erhalten habe. Andererseits sei es ein Ausdruck für die Seele des Weisen, in der Gott – gemäß Lev 26,12 – wie in einer Stadt umherwandle (καὶ

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

Trank, den er schenkt: ungemischt, ein Freudenglanz und Würzmittel, eine ambrosische Medizin der Freude und Fröhlichkeit.260 Der „Mundschenk Gottes“, so hatte Philon bereits zuvor ausgeführt261, ist der wahre Hohepriester, der die ewigen Gnadengaben annimmt und im Gegenzug sich selbst darbringt. Die Vorstellung eines (durch die Engel oder Gott selbst gespendeten) himmlischen (Wein-)Trunks, den man dem Trinken aus einem Brunnen vorziehen wird, erscheint in Quod deus immutabilis sit 158.262 Dodd fasst zusammen: „Thus the wine which the Priest-logos brings forth ἀντὶ ὕδατος stands for God’s gifts of grace, joy, virtue, wisdom, and the like; in fact all those things which for Philo characterize the higher or spiritual life. We may therefore recognize in it an apt symbol for all that the Fourth Evangelist conceives Christ to have brought into the world.”263

In der Tat scheint damit ein brauchbarer Deutungshorizont für die johanneische Verwendung des Weinmotivs gewonnen, wenn zugleich der entscheidende Unterschied markiert wird: Bei Johannes empfängt nicht allein die Denkkraft die Gnadengaben, sondern der Mensch mit Leib und Seele.264 Der von Dodd vorgeschlagene Deutungshorizont macht eine das Evangelium durchziehende motivische Linie sichtbar265: In Joh 15 wird der „gute Wein“, den Jesus gibt, γανωθεὶς ἀναφαιρέτου καὶ ἀσβέστου τῆς εἰς ἅπαντα τὸν ἐπὶ τὸν αἰῶνα εὐφροσύνης ἐπέλαχε, καθ’ ἕτερον δὲ τὴν ψυχὴν τοῦ σοφοῦ, ᾗ λέγεται καὶ ἐµπεριπατεῖν ὁ θεὸς ὡς ἐν πόλει· περιπατήσω γάρ φησιν ἐν ὑµῖν, καὶ ἔσοµαι ἐν ὑµῶν θεός.) 260 De somn. II 190: καὶ γανωθεὶς ἀναφαιρέτου καὶ ἀσβέστου τῆς εἰς ἅπαντα τὸν ἐπὶ τὸν αἰῶνα εὐφροσύνης ἐπέλαχε, καθ’ ἕτερον δὲ τὴν ψυχὴν τοῦ σοφοῦ, ᾗ λέγεται καὶ ἐµπεριπατεῖν ὁ θεὸς ὡς ἐν πόλει· περιπατήσω γάρ φησιν ἐν ὑµῖν, καὶ ἔσοµαι ἐν ὑµῶν θεός. 261 De somn. II 183; vgl. o. 146. 262 οὐκ ἂν οὖν ἐκ λάκκου πίοι, ᾧ δίδωσιν ὁ θεὸς τὰς ἀκράτους µεθύσµατος πόσεις, τοτὲ µὲν διά τινος ὑπηρετοῦντος τῶν ἀγγέλων, ὃν οἰνοχοεῖν ἠξίωσε, τοτὲ δὲ καὶ δι’ ἑαυτοῦ, µηδένα τοῦ διδόντος καὶ τοῦ λαµβάνοντος µεταξὺ τιθείς. 263 Interpretation, 299. In dem Wasser, das in Wein verwandelt wird, erblickt Dodd dagegen „the entire system of Jewish ceremonial observance“; vgl. U. WILCKENS, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 182000, 58. 264 Eine allegorische Deutung im Anschluss an Philon wird zu Recht von F. BÜCHSEL, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 1934, 45, aufgrund der damit einhergehenden Spiritualisierung grundsätzlich kritisiert: „Aber man kann von philonischen Voraussetzungen das Erzählte überhaupt nicht würdigen. Denn der mystische Spiritualismus, die dualistische Metaphysik, die asketische Nichtachtung des Sinnlichen fehlen bei Johannes.“ Für Büchsel löst sich die Geschichte durch die ontologische Differenz zwischen Christus und seiner Umwelt: Christus kommt voll ins Fleisch und „neigt sich freundlich herunter zu den Bedürfnissen der fleischlichen Menschen, in deren Gesellschaft er nun einmal gestellt ist (4,6)“. Dies ist im Begriff σηµεῖον angedeutet, für den das Reale, Körperliche zum Zeichen für eine höhere Realität wird! 265 Vgl. HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 586f.; ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 213.

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

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mit Christus identifiziert (15,1), bzw. mit den Gaben, die der Logos den Glaubenden bringt.266 Christus erscheint als der vom Vater gepflanzte „wahre Weinstock“.267 Auch den Gedanken der Selbstdarbringung kann man im Evangelium wieder finden (vgl. Joh 6,54–58). 2.2.3 Die Hochzeit als Motivrahmen der Weinfülle268 Das Weinmotiv erscheint in Joh 2 eingebettet in den Kontext der Hochzeit. Die Hochzeit bringt als Rahmen der ersten Kana-Erzählung in ihrem motivgeschichtlichen Horizont ein eigenes semantisches Potential in die Geschichte ein, das bei der Interpretation mit zu bedenken ist.269 Die Fülle des Weins in Joh 2, ja selbst die Trunkenheit mit Wein, wie ihn Jesus zu diesem eschatologischen Hochzeitsfest spendet, versteht sich nach Ausweis der rabbinischen Zeugnisse selbstverständlich im Bildhorizont des Hochzeitsfestes. Insgesamt wird die Hochzeitsfeier als ‫( ִמשְׁתֶּ ה‬etym. „das Trinken“) gekennzeichnet.270 Das Fest zeigt die besondere Rolle des Weins allgemein, wie tShab 7 [8],9 zu entnehmen ist: „Beispielerzählung über R. Aqiba, der ein Hochzeitsgelage für seinen Sohn ausrichtete. Bei jeder Amphore, die er öffnete, sagte er: Der Wein für das Leben der Rabbanan und für das Leben ihrer Schüler.“271

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Die Menge an gutem Wein erinnere aber auch an den Geist, den Gott nach Joh 3,34 nicht ἐκ µέτρου gibt (HENGEL, ebd., 588f.). 267 Über die Weinmetaphorik in der jüdischen Erwartung des Messias, wie sie insbesondere im Jakobsegen über Juda in Gen 49,10-12 zum Ausdruck kommt, hatten wir bereits gesprochen. Zimmermann verweist für messianische Deutungen dieser Stelle, die insbesondere einen Zusammenhang von Weinsymbolik und Reinigung herstellt, auf die Targumim (vgl. M. PÉREZ FERNÁNDEZ, Tradiciones mesiánicas en el Targum Palestinense. Estudios exegéticos [Diss. Madrid 1975], 123-135) und auf 4QpGena. Vgl. dazu KOESTER, Symbolism, 83f. 268 Zur Verschränkung von Wein- und Hochzeitsmetaphorik vgl. Joel 1,5-8; 2,16.19 und Hos 2,14-17 sowie ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 203-215; bes. 206f. 269 Vgl. LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen, 200-207. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, diskutiert die Perikope als Beispiel eines „narrativen Christusbildes“ (203-215) und untersucht dabei die traditionsgeschichtlichen Zusammenhänge von Wein und Hochzeit. Zum folgenden vgl. auch ZIMMERMANN, Geschlechtermetaphorik, 230-258 („Hochzeitsrituale in hellenistisch-römischer Zeit“), sowie ders., Jungfrauengleichnis. 270 Vgl. STRBILL II 372. Eine weitere Bezeichnung ist ‫שׂ ְמחָה‬ ִ („Freudenfest“). 271 Vgl. HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 573 Anm. 21; weiter mBer 1,1; bBer 9a. L. Döring übersetzt nach dem Erfurter Codex, den er als Leithandschrift verwendet: „Ein Geschehnis mit R. ‘Aḳiḇa, der ein Fest für seinen Sohn veranstaltete; und bei jedem Fass, das er öffnete, sagte er: Wein auf das Leben unserer Lehrer und auf das Leben ihrer Schüler“ (die Übersetzung, die demnächst im Kohlhammer-Verlag erscheinen wird, hat er mir freundlicherweise vorab zur Kenntnis gegeben).

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Die Fülle des Weins soll die Freude über die Hochzeit allen Anwesenden vermitteln und dient zugleich als Vergegenwärtigung und Vorgeschmack eschatologischer Freude.272 Bereits zuvor nehmen Wein und Öl nach rabbinischer Tradition einen wichtigen Platz bei der Hochzeit ein.273 Der Vater des Bräutigams spricht über dem Weinbecher einen Segen und dankt für den Wein als Geschenk der Freude, Wonne und Lust, des Jubels und der Fröhlichkeit. Beim Brautzug wird nach dem Babylonischen Talmud ein verschlossener Becher mit Teruma-Wein vor dem Brautpaar hergetragen. Zu Musik, Trommeln und Tanz wird Öl auf den Weg gegossen. Jede Hochzeit zwischen zwei Menschen erinnert mit ihrer Freude über die Vereinigung des Paares an die Hochzeit zwischen Gott und seinem Volk, als die in der rabbinischen Literatur die Gabe der Tora am Sinai interpretiert und gefeiert werden kann.274 So ruft sie symbolisch die Freude der messianischen Heilszeit auf. Die Intimität einer Liebesbeziehung und die gegenseitige vertragliche Bildung eines Eheverhältnisses dienen so als Vergegenwärtigung der Beziehung zwischen Gott und seinem Volk. Das eigentliche Hochzeitsfest aber wird als Erneuerung dieses Ehebundes in messianischer Zeit erwartet.275 Auch die Zeit des Auftretens des Messias, der die Erfüllung endzeitlicher Erwartungen herbeiführt, kann man sich deshalb wie ein rauschendes Hochzeitsfest276 – oder ein Festmahl überhaupt – vorstellen. Diese Erwartung kommt auch in den jesuanischen Gleichnissen vom eschatologischen Hochzeitsfest zum Ausdruck277 (Mt 22,1-14278; 25,1-13). Während im Gleichnis von den klugen und den törichten Jungfrauen Jesus als der Bräutigam erscheint, ist dieser Horizont in Mt 22,1-14 allenfalls noch als Erinnerung gegenwärtig.279 Hier ist alles auf den Gedanken des Festes konzentriert. Im Gleichnis erscheint Gott 272 Ganz allgemein kennzeichnet bPes 109a den Wein als Festelement: „There is no rejoicing save with wine“ (vgl. MALINA/ROHRBAUGH, Komm., 66). 273 ZIMMERMANN, Geschlechtermetaphorik, 238: „Innerhalb des üppigen Festmahls mit allerlei kulinarischen Genüssen (vgl. OdSal 42,11; bKet 4a) spielt der Wein eine herausragende Rolle (vgl. mSot 9,11; bKet 4a; bMQ 28b; bBer 50b).“ 274 Vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 211 mit Anm. 65. 275 Vgl. DtR 3 (200d); Pirke REliez 41. 276 Vgl. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 212. 277 Vgl. auch Joh 3,29. Dass Jesus ein eschatologisches Fest erwartete, wird auch aus Mt 26,29 par. deutlich. 278 Anders als in Lk 14,16-24, wo allgemein von einem Festmahl die Rede ist. Dieses eschatologische Freudenmahl knüpft an Jes 25,6 an: „Und der HERR Zebaoth wird auf diesem Berge allen Völkern ein fettes Mahl machen, ein Mahl von reinem Wein, von Fett, von Mark, von Wein, darin keine Hefe ist.“ 279 Diese Komponente wird wieder aufgenommen in Offb 19,7-9 in der Hochzeit des Lammes. Als Spätheimkommer von der Hochzeit erscheint der Herr in Lk 12,35f. Hier ist also die Hochzeit bereits vorbei.

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

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nicht mehr – wie in der prophetischen Tradition – als Bräutigam, sondern als königlicher Vater, und nicht das Volk kollektiv als Braut, sondern die Glaubenden als Festversammlung. Die Hochzeit bzw. allgemein das Festmahl (Jes 25,6-8) wird in der prophetischen Literatur (Jes 62,5; vgl. Jes 54,4-8280; 64,4) und von hier aus im Neuen Testament und in der rabbinischen Literatur zur Metapher der eschatologischen Erlösung des Volkes und der Völker. Nach Jes 62,5 freit Gott Israel wie ein Bräutigam seine Braut. In Hos 2 wird die wechselvolle Geschichte JHWHs mit seiner Frau Israel nacherzählt, die zu einem guten Ende geführt wird, wenn Israel wieder „mein Mann“ zu JHWH sagen wird (2,18) und er sich ihr verlobt; dann lässt er die Erde wieder Korn, Wein und Öl hervorbringen (2,21-24).281 Die Ehe zwischen Gott und dem als Braut und Ehefrau personifizierten Jerusalem erweist sich in diesen Texten als ein spannungsvolles Verhältnis – geprägt von Untreue, die den Zorn des Gemahls nach sich zieht. Im Gerichtskontext kann deshalb vom Verstummen der Stimmen der Brautleute und der Verstoßung der Braut die Rede sein.282 In Jesu Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25,1-13) ist die Eheschließung zwischen Gott und der Gemeinde bzw. den Gläubigen mit ihrer Heils- und ihrer Gerichtskomponente präsent. Dass die eschatologische Erwartung der Festfreude sich bereits im konkreten Lebensvollzug der jesuanischen Gemeinschaft abbildete, spiegelt sich in dem Vorwurf, Jesus sei ein Fresser und Weinsäufer (Mt 11,19 par. Lk 7,34). Auch die Frage nach dem Fasten mit der anschließenden Auseinandersetzung über das Ährenraufen am Sabbat (Mk 2,18-28 par.) lässt den Anspruch Jesu hervortreten, dass mit seinem Auftritt das Fest endzeitlicher Freude, das sich auch in Essen und Trinken ausdrückt, bereits begonnen hat. Damit setzt Jesus sich von den asketischen Strömungen seiner Zeit ab. In diesem Zusammenhang greift er auf die Hochzeitsmetapher zurück: Solange der Bräutigam da ist, dürfen die Gäste nicht fasten (Mk 2,19f. par. Mt 9,15; Lk 5,34f.). Bemerkenswerterweise sind dabei wiederum Hochzeits- und Weinmetaphorik zusammengeführt.283 Jesus erscheint hier in einem Bildwort mit einem Bräutigam identifiziert (ähnlich wie in Joh 3,29).284 280

Hier erscheinen im Kontext weitere Metaphern der Witwenschaft und Unfruchtbarkeit, die die lange Geschichte dieser Beziehung zwischen Gott und seinem Volk in Erinnerung rufen. 281 Vgl. Ez 16 (und Ez 23); Jer 31,31-34. 282 Vgl. Jes 54 und Ez 16. 283 Anders als in Mk 2,22 (neuer Wein in alten Schläuchen) ist nach Lk 5,36-39 der alte Wein der Gute (ὁ παλαιὸς χρηστός ἐστιν; 5,39). 284 JEREMIAS, Jesus als Weltvollender, 28f. Wie dagegen BULTMANN, Komm., 84 Anm. 1, herausgestellt hat, wird dieses Prädikat im Neuen Testament auf Jesus übertragen, während der Bräutigam im Alten Testament verschiedentlich als Bild für Gott, nicht aber für den

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2.2.4 Verschmelzung jüdisch-christlicher mit paganen Traditionen? Der jüdisch-biblische und der dionysisch-griechische Traditionsstrang standen in der Forschung als zwei mögliche Hintergründe für die Kana-Erzählung weitgehend nebeneinander, die sich in je eigener Weise plausibilisieren lassen. Dabei ging die religions- und traditionsgeschichtliche Frage nach der Herkunft der Weinmetaphorik meist von allzu linearen Überlieferungswegen aus. Inzwischen wird im Zuge einer stärker integrativen Sicht der Religions- und Geistesgeschichte der Zeit deutlicher gesehen, dass die gegenseitige Beeinflussung des Weinmotivs zur Zeit der Entstehung des Neuen Testaments bereits eine Geschichte hat285: Nach M. Smith, M. Hengel u.a. war die Dionysosverehrung und die Verbindung semitischer Gottheiten mit dem griechischen Weingott in dieser Zeit weit im semitischen Raum verbreitet, wofür sich literarische, numismatische und archäologische Befunde namhaft machen lassen. M. Smith sieht eine Übernahme von Elementen eines populären Weinkults in die JHWH-Verehrung bereits im 2.Jh.v.Chr. auch archäologisch belegt. Dies mag auch eine Folge der Religionspolitik Antiochus’ IV. Epiphanes gewesen sein, der nach 2Makk 6,7 ein Dionysosfest in Jerusalem eingeführt hatte. Überraschenderweise seien es die Juden selbst gewesen, die zuerst JHWH mit Dionysos identifiziert hätten, wie dies bei späteren paganen Autoren als interpretatio Graeca JHWHs aufgenommen wird.286 Für einen Einfluss des Dionysoskults auf das Judentum seit dem 2.Jh.v.Chr. sprechen laut Smith die Popularität des Kults in Palästina, die Bedeutung, die den entsprechenden Symbolen im Rahmen der jüdischen Tradition von paganen Interpreten zugewiesen wurde, und die vielfache Verwendung dieser Symbolik in religiöser und sepulchraler Architektur. Tatsächlich sei einer der ursprünglichen Bestandteile von Sukkot ein Weinfest gewesen – „but who was this wine god, and where did he first become associated with Yahweh?“287 In den uns zugänglichen, insbesondere numismatischen Belegen sind die verschiedenen Ausprägungen des Weingottes bereits in weitem Maße verschmolzen.

Messias verwendet (vgl. Mk 2,19f. par.; Mt 25,1-13; vgl. 2Kor 11,2; Eph 5,22f.; Offb 19,7.9; 21,2.9; 22,17). Problematisch sind zudem – wie wir oben gesehen haben – Versuche, von Joh 3,29 her den Bräutigam der Kana-Perikope mit Christus zu identifizieren. 285 Vgl. HENGEL, Der „dionysische“ Messias, 599f. Hengel vermutet im Blick auf die Hochzeit zu Kana die Beeinflussung einer Dionysoslegende durch phönizisch-palästinische Tradition. Zur Diskussion um dionysische Hintergründe der Hochzeit zu Kana vgl. jetzt E. KOBEL, Dining with John. Communal Meals and Identity Formation in the Fourth Gospel and its Historical and Cultural Context, Leiden/Boston 2011, 220-249. 286 SMITH, Wine God, 821. 287 Ebd., 825.

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Die These wurde von M. Hengel sowie jüngst wieder von P. Wick, W. Eisele und M. Theobald aufgenommen.288 Wick versucht auf dieser Grundlage nachzuweisen, dass nicht nur hinter der Kanaperikope (und Joh 15), sondern hinter dem Evangelium insgesamt eine Auseinandersetzung mit dem Dionysoskult als „hintergründige Argumentationsebene“ (179) wahrzunehmen ist, die er insgesamt als „Dionysierung des Gottesbildes“ kennzeichnet (198). Im Anschluss an den jüdischen Versuch, den Kyrios als den einzigen Gott zu profilieren, „der auch in dionysischer Hinsicht den Dionysos in den Schatten stellte“, habe das Johannesevangelium eine entsprechende Strategie im Blick auf den „inkarnierten Logos Gottes“ verfolgt. Zum Beleg einer eigenen, das Evangelium mit dionysischer Motivik durchziehenden Argumentationsebene versammelt und bespricht Wicks Aufsatz eine Vielzahl von motivischen Parallelen und entfernten Anklängen. Eisele289 knüpft an Wick an und versucht ihn weiterzuführen, indem er weiteres archäologisches Material beibringt, das „eine bemerkenswerte geographische Nähe des Dionysoskults im Allgemeinen zum wahrscheinlichen Entstehungsort der Kanaperikope in Palästina selbst“ belege.290 Insbesondere diskutiert er ein unweit von Kana in Untergaliläa, nämlich in Sepphoris im Triklinium eines Wohnhauses gefundenes Dionysos-Mosaik. Eisele geht die einzelnen Motive der Geschichte durch (Wein, Hochzeit, die Mutter, die Jünger), aber nicht synchron im Sinne einer literarischen Motivanalyse, sondern im Sinne einer Motivgeschichte bzw. Motivkomparatistik. Dieser methodische Zugriff ergibt sich aus der These einer Polemik der Erzählung gegen Anhänger des Dionysoskultes. Abgesehen davon, dass solche Überlegungen die weitergehende These erfordern, dass die Geschichte tatsächlich eine Lokaltradition aus Kana in Galiläa enthält, mag man die Motivbezüge mehr oder weniger überzeugend finden (zumal das Dionysosmosaik um 200 n.Chr. datiert wird).291 Zwei Beispiele: Aus dem Dionysosmosaik übernimmt Eisele ein bereits sehr formalisiertes „Motiv“, nämlich die „Konkurrenzsituation“ bzw. den „Wettkampf“ (zwischen Dionysos und Herakles anhand der Frage, wer den Becher schneller leert). Dies sei in Joh 2 als Wettkampf zwischen Dionysos und Jesus aufgenommen. Da Dionysos aber gar nicht erscheint, muss er im Wein erkannt werden. Dieser freilich wird anschließend in Eiseles Deutung wiederum mit Jesus identifiziert. Dem entspringt wieder eine doppelte Deutungsmöglichkeit: es zeige die Macht Jesu, „aus einfachem Wasser den Gott entstehen zu lassen“.292 Der Gedanke ist interessant: In einer Demythisierung würde hier, was in der Umwelt Gott genannt wird, dem schöpferischen Wirken Jesu untergeordnet. Zugleich wird der Wein bei Eisele in eucharistischem Sinn mit Jesus identifiziert, der sich selbst gibt.293 Eignet dieser Abfolge der Ersetzung des Gebers und der Umdeutung der Gabe (von Dionysos auf Christus) einige Attraktivität, so erscheint der Gedanke des Wettkampfs nur noch schwer damit vereinbar. Denn Konkurrenz und Wettkampf setzen zwei Gegner voraus. Die Pointe der Deutung Eiseles besteht aber gerade darin, dass Dionysos gar nicht mehr auftaucht, sondern nur noch der Wein als Gabe Jesu. Ein Wettkampf kommt damit gar nicht mehr zustande. Der Gedanke von Konkurrenz und Wettkampf impliziert ein polytheistisches Nebeneinander, das gemäß Eiseles Deutung ja gerade überwunden werden soll. Das zweite Beispiel ist schnell dargelegt: Eisele sieht in der aufzählenden Reihung von Personen, die 288

P. WICK, Jesus gegen Dionysos? Ein Beitrag zur Kontextualisierung des Johannesevangeliums, Bib 85 (2004), 179-198; THEOBALD, Komm. I, 203-209. 289 EISELE, Jesus und Dionysos. 290 Ebd., 2. 291 Vgl. ebd., 14. 292 Ebd., 6. 293 Ebd., 7.

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nach Kapernaum ziehen, einen Thiasos, eine Anspielung auf den Siegeszug des Dionysos. Ein solcher Thiasos – mit vierrädrigem Wagen, Thyrsosstab, Kentauren und Satyrn usw. – ist ebenfalls in Sepphoris dargestellt. „Wie ein solcher Triumphzug mutet auch der Abzug Jesu mit seinem ganzen Tross nach der Hochzeit zu Kana an.“294 Die johanneische Formulierung lautet: „Danach ging er hinab nach Kapernaum, er und seine Mutter und seine Brüder und seine Jünger, und dort blieben sie einige Tage“ (Joh 2,12). Trotz der Reihung vermag ich diesen Thiasos hier nicht wiederzuerkennen. Eine m.E. zwingende Konsequenz aus seinem Vergleich der Motivik indes zieht Eisele nicht, wenn er resümiert, durch das Weinwunder erweise der „jüdische Messias“ seine Überlegenheit: Würde der Vergleich mit Dionysos nicht vielmehr darauf verweisen, dass hier der Gott des Weins depotenziert wird und sich stattdessen Jesus als der Gott offenbart, der sich selbst als neues Leben schenkt? Die Hauptschwierigkeit des Ansatzes von Eisele liegt aber in der einseitigen Beschränkung der Herleitung der Motivik auf den hellenistischen Bereich.

Die Verbindung der jüdischen Religion mit dem Dionysoskult findet sich auch in literarischen Quellen.295 Plutarch verknüpft als Vertreter des religiösen Platonismus der frühen Kaiserzeit in einer interpretatio Graeca einige Aspekte des Judentums mit der Dionysosverehrung.296 Das Laubhüttenfest, das er als das wichtigste Fest der Juden versteht, identifiziert er mit der Feier des griechischen Weingottes. Hinweise hierauf findet er sowohl im Zeitpunkt des Festes (Weinlese) als auch in dessen Bezeichnung als σκηνοπαγία.297 Bei Dionysosfesten wurde die Grotte des Gottes als Laubhütte nachgebaut.298 In etymologischen Deutungen identifiziert Plutarch Adonis, der seinerseits wiederum mit Dionysos in eins gesetzt wird, implizit mit „Adonai“. Den jüdischen Sabbat verbindet er mit den Sabboi, den Dionysosmysten, und den Namen der Leviten mit den Beinamen des Dionysos, nämlich Lysios und Euios. Sind Plutarchs Kenntnisse auch ungenau und seine etymologischen Herleitungen, wie oft bemerkt wird, nach den Prämissen moderner sprachwissenschaftlicher Betrachtung unzutreffend299, so machen sie doch deutlich, wie nahe Judentum und 294

Ebd., 13. Vgl. die Belege mit Kommentar bei M. STERN (HG.), Greek and Latin Authors on Jews and Judaism, mit Einführung, Übersetzung und Kommentar, Bd. 1, Jerusalem 1974, 545-576. 296 Breit ausgeführt wird die Verbindung von orientalischer und griechischer Mythologie bei Plutarch in der Identifikation von Osiris mit Dionysos in De Iside et Osiride. Plutarch diskutiert im Rahmen seiner Tischgespräche nacheinander die Frage, ob der Verzicht der Juden auf Schweinefleisch auf Verehrung oder Verachtung basiert, und die Frage, „wer der Gott der Juden sei“ (Quaest. conv. IV 4-6, 669C-672B); vgl. STERN, On Jews I, 550-562; ebenso Plutarch, Moralphilosophische Schriften, ausgewählt, übersetzt und hg. von H.J. KLAUCK, Stuttgart 1997, 171-178, mit einer Fülle wertvoller Einzelanmerkungen. 297 Zum Folgenden Quaest. conv. 671C-672C. 298 Zudem mag man in dem Begriff σκηνή, der auch „Theaterbühne“ bedeutet, Anklänge an den griechischen Theatergott wahrgenommen haben. 299 Vgl. A. STROBACH, Plutarch und die Sprachen. Ein Beitrag zur Fremdsprachenproblematik in der Antike, Palingenesia 64, Stuttgart 1997, 57. Diesem Urteil wohnt allerdings der Anachronismus moderner Betrachtung inne: Für Plutarch ging es bei seinen Etymologien, 295

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Dionysoskult in manchen Aspekten von den Zeitgenossen gesehen wurden. Dies entsprach offenbar einer gängigen Außen- (und vielleicht sogar Selbst-) Wahrnehmung des Judentums. Die aufgeführten Belege zeigen, dass eine Abgrenzung des Judentums von hellenistischer Kultur, wie sie sich dem rabbinischen Schrifttum entnehmen lässt, nicht für alle Bereiche und Gruppierungen jüdischen Lebens verallgemeinert werden darf. Auch bei der Interpretation der Kana-Erzählung ist deshalb angezeigt, Israelitisch-Jüdisches und GriechischDionysisches nicht als Gegensatz zu betrachten, sondern in ihrem Zusammenspiel zu betrachten, um das Verständnis der Motivik innerhalb des Johannesevangeliums zu schärfen. Ein herausragendes und zugleich irritierendes spätantikes literarisches Rezeptionszeugnis der Verbindung von Christentum und Dionysosreligion spielt bei der Diskussion um den Dionysosbezug eine merkwürdig untergeordnete Rolle300, darf hier aber nicht unerwähnt bleiben: das Werk des Epikers Nonnos von Panopolis, der im 5.Jh.n.Chr. sowohl eine Paraphrase des Johannesevangeliums in epischen Hexametern als auch die Dionysiaka, ein umfassendes Dionysos-Epos in 48 Büchern über das Leben und den Siegeszug des Weingottes, verfasst hat. Lange Zeit war umstritten, ob die beiden Werke ein und demselben Verfasser zugewiesen werden können. Grund für die Zweifel waren nicht stilistische oder metrische Beobachtungen. Vielmehr erschien es aus dogmatischen und religionsgeschichtlichen Erwägungen undenkbar, einem christlichen Autor (der eventuell mit dem Bischof von Edessa, einem Teilnehmer des Konzils von Chalcedon, gleichzusetzen ist) ein Epos über einen griechischen Gott zuzuschreiben. Nachdem sich ein Konsens abzeichnet, für beide Werke denselben Verfasser anzunehmen301, ist es an der Zeit, die Frage nach einem möglichen religionsgeschichtlichen Zusammenhang der beiden Werke zu stellen. Nimmt man den der Geschichte inhärenten Anstoß in der körperlich-sinnlichen Erfahrung ernst, um von hier aus die symbolischen Konnotationen der Weinmotivik im Rahmen der Kanageschichte wie im Rahmen des Evangeliums insgesamt herauszuarbeiten, so wird deutlich, dass entscheidende Aspekte des Staunens über Qualität, Fülle und Wirkung des Weins sowie die Vermittlung göttlicher Freude über den Genuss des Weins sich in beiden Traditionen

ebenso wie bereits bei den Etymologien des platonischen Kratylos, weniger um historischsprachgeschichtliche Exaktheit als vielmehr darum, gemeinsame Strukturen in den Phänomenen der Welt, und damit auch der Sprache, aufzuspüren und aufzuzeigen. 300 Dies überrascht trotz oder gerade wegen des späten Abfassungsdatums im 5.Jh.n.Chr. 301 Für die Identität beispielsweise S. FORNARO, Art. Nonnos, DNP 8, 995-998, hier 997, im Anschluss an G. AGOSTI/F. GONNELLI, Materiali per la storia dell’esametro nei poeti cristiani greci, in: M. Fantuzzi/R. Pretagostini (Hgg.), Struttura e storia dell’esametro greco I, Roma 1995, 289-434.

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verorten lassen. Auch die Assoziation des Blutes als Lebenssaft wird in unterschiedlicher Intensität in beiden Traditionen aufgerufen. Wie aber steht es mit der Übertragbarkeit des für die Dionysostradition entscheidenden Konzepts der Theophanie?302 Wie erwähnt wurde die Hochzeit zu Kana verschiedentlich als „Epiphaniewunder“ eingestuft.303 K.L. Schmidt bringt die Implikationen des Konzepts auf den Punkt: „Wir befinden uns hier im Bereich religiöser Identifikation – Christus ist das, was er spendet.“304 Für Dionysos lässt sich die Beziehung zum Wein zweifellos zutreffend in dieser Weise beschreiben: Im Wein ist der Wesenskern des Gottes repräsentiert und erfahrbar. Was aber würde eine Übertragung der Vorstellung einer „religiösen Identifikation“ auf Jesus bedeuten? Was genau würde diese Epiphanie enthüllen? Doch wohl kaum, dass Jesus der Gott des Weins ist bzw., wie Eisele über den Gedanken der Konkurrenz insinuiert, ein besserer Dionysos. Etwa, dass Jesus ein Gott ist? Oder dass er Gott ist? Aber würde durch diesen Gedanken nicht wiederum der Vater mit Dionysos/Wein identifiziert? Der Versuch einer Konkretion zeigt die mangelnde Passgenauigkeit des gedanklichen Konzepts. Eine unmittelbare Identifikation, so zeigt sich, findet hier nicht statt, sondern es geht um die spürbare Präsenz des Verborgenen unter der Voraussetzung der grundsätzlichen Verborgenheit und Unzugänglichkeit, wie sie in Joh 1,18 formuliert wird. Eine partielle Identifikation Jesu mit dem Wein ist später in Joh 6,52-58 und Joh 15,1-8 angedeutet, dann aber nicht als Epiphanie, sondern in sakramentalem Sinne unter Bezug auf die traditionelle symbolische Identifikation von Wein und Blut. Bereits das erste semeion bringt durchaus eine Identifikation, und dieser Identifikation eignet Offenbarungscharakter, aber sie liegt auf einer anderen Ebene als bei der Epiphanie des Dionysos. Während Dionysos mit dem Wein identifiziert wird, in dem er sich selbst schenkt, und so sich als in dem Wein gegenwärtige göttliche Kraft offenbart, schenkt sich bei Johannes der göttliche Vater im fleischgewordenen Sohn. Und mit ihm schenkt er Freude und Leben (Joh 3,16), die in dem Überfluss an Wein spürbar werden, und offenbart sich in der Liebe, die in dieser Gabe sichtbar und spürbar wird. Ein entscheidender religionsgeschichtlicher Unterschied liegt also in der Aspekthaftigkeit des griechischen Gottes, die sich in seinem Bezug zum Wein ausdrückt. Demgegenüber umgreift der christliche Gott, der seine Herrlichkeit im Christusgeschehen offenbart, die Welt in ihrer Ganzheit. Der biblische Gott ist kein Wein, er ist der Schöpfer! Und der Wein umgekehrt ist nicht Gott, sondern ein körperlich wahrnehmbares „Zeichen“ seiner Macht und Güte. Seine Wirkung 302 ZIMMERMANN, Christologie der Bilder, 211, spricht, allerdings vor dem Hintergrund der Theophanie am Sinai, von einer „Jesuphanie“ in Kana. 303 Vgl. o. 115. 304 SCHMIDT, Hochzeitswunder, 41.

2.2 Wundervoller Wein bei der Hochzeit

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ist nicht ekstatische Besessenheit305, sondern Feierfreude. Dies wird über das Motiv des Geschmacks besonders anschaulich. Von einem Epiphaniewunder können wir deshalb nicht ohne Näherbestimmung sprechen. Während der Wein der Dionysos-Sagen unmittelbar das göttliche Wesen innerhalb der Welt offenbart, bietet der Wein in Kana ein Zeichen der in der Christusbegegnung sich ereignenden Neuwerdung. Insofern kann man durchaus die johanneische Jesusgeschichte insgesamt als eine Theophanieerzählung begreifen: Zeitlich umgrenzt zeigt sich hier die Realität der göttlichen Lebenskraft in einer den Menschen zugänglichen und wahrnehmbaren Gestalt. Die motivgeschichtliche Betrachtung hat ein vielfältiges Ineinander unterschiedlicher Motive sichtbar gemacht, die sich im Zusammenhang des Weinmotivs verstehen lassen. 2.2.5 Fazit: Die Bildhorizonte von Wein und Hochzeit Hatte die Motivanalyse den Wein als zentrales Motiv der Erzählung und die Hochzeit (eine Sonderform des Festmahls) als Rahmenmotiv erwiesen, so haben sich im Überblick über die motivgeschichtlichen Bezüge eine Reihe von Berührungen und Bezügen zwischen den Bildhorizonten des Weins und der Hochzeit offenbart, die im jüdisch-biblischen und hellenistisch-dionysischen Traditionszusammenhang in unterschiedlicher Weise aktualisiert werden: Fest, Freude, Fülle, Rausch, Geschenk. Der Wein, seine Menge und sein Geschmack stehen dabei in doppelter Weise im Zentrum der johanneischen Erzählung. Zunächst einmal geht es wie beim Wasser und beim Brot unmittelbar um die körperliche Versorgung. Hinzu tritt der soziale Aspekt: Bei einer Hochzeit ist es von entscheidender Bedeutung für den Gastgeber, dass die Gäste angemessen bewirtet werden können, bis hin zum Überfluss (vgl. Joh 10,10b: „Ich bin gekommen, damit sie Leben haben sollen und Überfluss [περισσόν] haben sollen“). Im Kontext der Hochzeit vermittelt der Wein (in üppiger Fülle) die überschäumende Freude des im erneuerten Gottesverhältnis gewonnenen neuen Lebens. Dieses Motiv rauschhafter Freude bildet die Brücke zur hellenistischen Dionysosverehrung. Beim Fest werden dort – auch mittels des Weins – die Regeln des alltäglichen Lebens außer Kraft gesetzt. Die „Doppelkodierung“306, die innerhalb der Geschichte wahrzunehmen ist, erklärt sich im Rahmen eines Vordringens der Dionysosverehrung in den palästinischen Raum, das sich in 305

Allenfalls im Sinne der „nüchternen Trunkenheit“, von der Philon (vgl. o. Kap. 1 Anm. 171) ebenso redet wie Origenes (Comm. in Io. X 12,66). 306 R. FELDMEIER, Endzeitprophet und Volkserzieher. Lk 3,1-20 als Beispiel für prophetisch-weisheitliche Doppelkodierung, in: F. Prostmeier (Hg.), Jesus als Bote des Heils, Stuttgart 2008, 72-84.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

archäologischen und numismatischen Belegen niederschlägt und vom Evangelisten vorausgesetzt wird. In Joh 2 verweist der Wein mit seiner paradiesischen Güte auf die bereits beginnende Neuschöpfung der Welt. Damit weist diese Güte zugleich den, der solches ins Werk setzen kann, als den Schöpfer selbst bzw. als seinen in Einheit mit ihm agierenden Sohn aus.

2.3 „Woher?“ – Zur Bedeutung der Frage nach der Herkunft im Johannesevangelium Die Verwunderung des Tafelmeisters angesichts des außerordentlichen Geschmacks des Weins wird in Joh 2,9 darauf zurückgeführt, dass er nicht wusste, „woher der Wein war“. Die Antwort auf die Frage nach der Herkunft enthält, so wird damit insinuiert, den Schlüssel zum Verständnis seiner außerordentlichen Qualität. Versucht man indes zu formulieren, welche Antwort vom Evangelisten intendiert sein könnte, so tut man sich schwer: Woher war denn der Wein, bzw. welche Antwort würde den wunderbaren Geschmack hinreichend erklären? Dass er aus den Wasserkrügen kam und damit aus der Verwandlung? Oder dass er vom Messias kam? Von Gott her? Von oben her? K.L. Schmidt hat in einem kurzen, wegweisenden Aufsatz307 die tiefere Bedeutung von πόθεν im weiteren Kontext des Evangeliums hervorgehoben308 und dahinter eine „christologische Formel“ erblickt309: „Das nicht ganz durchsichtige πόθεν in V. 9 bezieht sich zunächst auf den Wein. Zugleich liegt aber hier eine christologische Formel vor. Das ergibt sich aus der wiederkehrenden Anwendung dieses πόθεν bei Johannes (7,27f.; 8,14; 9,29f.; 19,9; vgl. auch 4,11). Der gläubige Leser weiß, woher solches Heilsgut, solcher Heilsbringer 307

SCHMIDT, Hochzeitswunder, 32-43. Fraglich ist nach Schmidt schon, worauf das πόθεν logisch zu beziehen ist: „Anschaulich erscheint zunächst auch das folgende [sc. Joh 2,9f.]. Im Einzelnen jedoch ist der Vorgang zwischen dem Tafelmeister und den Dienern nicht durchsichtig. Was ist das Subjekt von πόθεν ἐστίν? Das Wasser? Das ist ja nicht mehr da. Der Wein? Das liegt näher, zumal wenn der Tafelmeister die Rolle des Vorkosters hatte“ (ebd., 35). Die Analyse Schmidts wurde verschiedentlich aufgegriffen; vgl. SMITMANS, Weinwunder, 171: „Der Kernpunkt liegt im Motiv des ,woher‘ (2,9)“; in ähnlicher Weise auch SCHNACKENBURG, Das erste Wunder, 28f.; BULTMANN, Komm., 82f.85; HOSKYNS/DAVEY, Komm., 189; LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen 188; D. MOLLAT, St. Jean l’évangéliste, Paris 1974, 17; BREUSS, Kanawunder, 25; H. LEROY, Rätsel und Missverständnis. Ein Beitrag zur Formgeschichte des Johannesevangeliums, BBB 30, Bonn 1968, 170f. 309 Vgl. THEOBALD, Komm. I, 215: „Die Frage nach dem ‚Woher‘ (wie die nach dem ‚Wohin‘) bezeichnet eines der zentralen Strukturelemente der johanneischen Christologie.“ Anders BARRETT, Komm., 216. 308

2.3 „Woher?“

173

(religiöse Identifikation!) kommt, … nämlich ἐκ τοῦ οὐρανοῦ, παρὰ τοῦ πατρός, ἐκ τῶν ἄνω, ἐκ τῆς ἀληθείας.“310 Schmidt bringt die Frage nach dem Woher des Weins zu Recht in Zusammenhang mit verschiedentlich im Evangelium artikulierten Fragen nach der Herkunft Jesu. Die Frage nach dem Woher steht im Johannesevangelium im Kontext anderer Fragen des Wo, Wie, Wer und Wann. Im Blick auf die Kana-Erzählung verändert sich das Thema und der Fokus der Geschichte sowie ihre theologische Bedeutung, je nachdem, welche Antwort man auf diese entscheidende Frage nach dem Woher gibt. Der von Schmidt vorgezeichnete Weg einer übergreifenden Interpretation des Motivs wurde indes kaum weiterverfolgt.311 Aus diesem Grund erscheint es angezeigt, die einzelnen von Schmidt angeführten Stellen etwas ausführlicher im Zusammenhang zu betrachten. Die Frage wird im Johannesevangelium, wie gesagt, auf verschiedenen Ebenen behandelt: 1. Woher stammt Jesus? Thematisiert wird die Frage sowohl im Blick auf die Eltern bzw. den Vater Jesu (7,27f.; 8,14; vgl. 1,45; 6,42) als auch lokal im Blick auf seinen Abstammungsort (aus Nazareth/Galiläa; 1,46; 7,41). Dazu gehört die Frage: Wo ist sein Vater (8,19)? Unklar ist die genaue Zielrichtung der Frage nach dem Woher in Joh 8,14312; 9,29f.313 und 19,9.314 2. Woher bringt Jesus seine Gaben hervor (4,11; vgl. 2,9)? 3. Woher bezieht er seine Wirkkraft (Joh 9)? 4. Woher bezieht er sein Wissen (1,48)?

310

SCHMIDT, Hochzeitswunder, 41. Eine Ausnahme ist P.S. MINEAR, ,We Don’t Know Where …‘. John 20,2, Interp. 30 (1976), 125-139. Minear spricht von einer „Geography of Incarnation“ im Johannesevangelium. Jeweils sei zunächst nicht klar, welche Antwort auf dieses „Woher“ und „Wohin“ erwartet würde. Die Frage der Maria Magdalena und ihr Unverständnis, so Minear im Anschluss an W.A. MEEKS, The Prophet-King. Moses Traditions and the Johannine Christology, NT.S 14, Leiden 1967, 38, würden durch die das gesamte Evangelium durchziehende Frage nach dem „Wohin?“ und „Woher?“ vorbereitet. 312 Die Frage wird allerdings im unmittelbaren Anschluss in 8,19 verknüpft mit der Frage nach dem Vater. 313 Offensichtlich geht es hier um eine Frage der Legitimation und der Loyalität, was aus dem Gegensatz zu Moses klar wird, der bereits im vorausgehenden Satz 9,28 eingeführt wird. Johanneisch ist die ungleiche Formulierung der beiden Versteile von 9,29: zu Mose hat Gott geredet, bei Jesus aber ist die Frage, woher er sein Sein hat (vgl. zu der Gegenüberstellung von Moses und Jesus in Joh 1,17 o. 134). Die Antwort des Geheilten (9,30-34) entscheidet die Frage von der Erfahrung der machtvollen Heilstat Jesu her. Sie offenbart, woher Jesus ist. 314 Hier steht die Machtfrage im Vordergrund. 311

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5. Wo hat Jesus seine Bleibe (ποῦ µένεις; 1,38f.) bzw. seinen Aufenthaltsort?315 6. Eng verknüpft mit der Frage nach dem Woher steht die Frage nach dem Wohin (nach seinem Weggang) bzw. nach der Bleibe Jesu, in die er die Glaubenden nach seinem Weggang führen will; dies wird in den Abschiedsreden zum Thema.316 7. Woher stammt der Geist (3,8)? 8. Woher sollen die Jünger Brot zur Speisung der Menge bekommen (6,5)? Wir konzentrieren uns im Folgenden auf die christologischen Aussagen und werden abschließend in einem Exkurs den anthropologischen Blickwinkel auf die Frage nach dem Woher ansprechen. 2.3.1 Woher stammt Jesus? – Zur Dialektik der johanneischen Christologie Auf die Frage nach dem Woher Jesu gibt das Evangelium eine ganze Reihe von Antworten: Jesus stammt von Gott317, vom Vater318, dessen zunächst exklusiver Sohn er ist319, von dem er ausgesandt wurde.320 Er kommt aus dem Himmel321, von oben herab.322 Damit kommt er aber auch aus der Lebendigkeit als dem Kern des Wesens Gottes und vermittelt diese Lebendigkeit in die von Tod und Verfall geprägte Welt hinein.323 Vom Vater her kommt zudem sein Reden und Handeln.324 Dieser Zusammenhang erlaubt steile christologische Aussagen bis hin zur Einheit von Vater und Sohn (10,30). Zugleich aber betont das Johannesevangelium die irdische Herkunft Jesu als Sohn eines Zimmermanns aus Nazareth (schon in Joh 1,45 sagt Philippus zu Nathanael: „Wir haben den gefunden, von dem Mose im Gesetz und die 315

Joh 7,11.35; 9,12; 11,57. Die Frage stellt sich in Bezug auf den Leichnam Jesu (20,2.13.15), wie sie Jesus selbst vorher bezüglich des Lazarus gestellt hatte: „Wo habt ihr ihn hingelegt?“ (11,34). 316 Joh 13,36; 14,4f.12.28; 16,5.27f.30; 17,8.14.16; 20,13.15.17; vgl. 7,34-36. 317 Joh 8,42 (ἐκ τοῦ θεοῦ; vgl. 8,47); 9,33; 16,27 (παρὰ θεοῦ; auch 6,46 – oder verweist die Formulierung παρὰ τοῦ θεοῦ hier darauf, dass nicht von Christus, sondern allgemein von den Glaubenden die Rede ist?); 3,2; 13,3 (ἀπὸ θεοῦ). Am Anfang war der Logos bei Gott: Joh 1,1f.18 (πρὸς τὸν θεόν; εἰς τὸν κόλπον τοῦ πατρός). 318 Joh 1,18; 5,18 (als Anklage der Gegner); 8,54; 10,15.17f.29f.32; 16,28 (παρὰ τοῦ πατρός). 319 Joh 1,18; 3,16f. Wie F. BACK, Gott als Vater der Jünger im Johannesevangelium, WUNT II/336, Tübingen 2012, aufzeigt, wird dieses Prädikat erst von seinem Tod und seiner Auferstehung her auch auf die Glaubenden übertragen. Erstmals ist in 20,17 von „meinem Vater und eurem Vater“ die Rede (ebd., 5-7.156.195). 320 Joh 3,17.34; 5,37; 6,44.57; 8,16.18.26.29.42; 10,36; 14,24; 17,21.23.25; 20,21. 321 Joh 3,13; 6,41.51.58. 322 Joh 6,33. Dorthin geht er auch wieder zurück: 13,1.3; 14,3-5.12.28; 16,10.17; 20,17. 323 Joh 1,3b-4; 3,16f.; 5,26; 8,12. 324 Joh 3,11.32-34; 6,46; 8,38.40 u.ö.

2.3 „Woher?“

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Propheten geschrieben haben, Jesus, Josephs Sohn, aus Nazareth“325). Jesus ist gemäß dem Johannesevangelium der Sohn von Joseph und Maria326 und zugleich der göttliche Logos, der vom Himmel gekommen ist, der einziggeborene Sohn Gottes.327 Wie aber soll das zusammengehen, fragen sich wiederholt die Personen innerhalb der Geschichte. Bereits in 6,41f. stellen „die Juden“ die Frage, wie Jesus sich selbst als das vom Himmel herabgekommene Brot bezeichnen könne, da man doch seinen Vater und seine Mutter kenne. Dies wird wieder aufgenommen328, wenn mit der Frage nach dem Woher unmittelbar die Herkunft Jesu zum Thema wird, die freilich in der Brotrede in Joh 6 bereits vorbereitet worden war: „Von dem wissen wir doch, woher er kommt. Wenn aber der Christus kommt, wird es niemand wissen“ (7,27; vgl. 7,41f.52 und 1,45f.).329 Wie die samaritanische Frau am Brunnen zunächst nur einfaches Wasser sehen konnte, wie die Jünger nicht über das „täglich Brot“ hinausschauen, so sehen die Leute in Jerusalem nur einen einfachen Menschen aus einer unbedeutenden Stadt. Sie meinen eine Antwort zu haben und etwas zu wissen, stellen aber die Frage falsch, indem sie eine Alternative aufmachen zwischen einer irdisch-körperlichen und einer himmlischen Abstammung. Die Frage nach dem Wo und Woher stellt sich den Akteuren des Evangeliums immer wieder in der Begegnung mit Christus.330 Joh 1,39-51 bietet so etwas wie eine dramatische Umsetzung der Frage. Die erste Begegnung mit zwei Jüngern des Täufers, die Jesus nachfolgen (Joh 1,35-39), wirkt merkwürdig skizzenhaft. Die Szene findet geradezu im luftleeren Raum statt und gibt so dem Leser unmittelbar die Frage nach dem Referenzpunkt des Wo auf. Auf den Hinweis des Täufers: „Siehe, das ist das Lamm Gottes“ (1,36), folgen die beiden Jünger Jesus nach. Dieser wendet sich um und fragt: „Was sucht ihr?“ (1,38a). Schon die Frage überrascht. Welche Antwort auf dieses τί mag Jesus

325

Dies wird von Nathanael sofort problematisiert: „Und Nathanael sprach zu ihm: ,Was kann aus Nazareth Gutes kommen!‘ Philippus spricht zu ihm: ,Komm und sieh!‘“ (1,46). 326 Allerdings bleibt die Mutter Jesu im Johannesevangelium überraschenderweise anonym. Vgl. dazu LIEU, Mother, 61-77. 327 Zu dieser doppelten Bestimmung der Herkunft vgl. THOMPSON, Incarnate Word, 113131. 328 In 7,11 fragen sie: „Wo ist er?“, in 7,15: „Woher hat er – als Mann ohne Bildung – sein Wissen?“, in 7,35: „Wohin will dieser gehen, sodass wir ihn nicht finden könnten?“ 329 Man kann auch hier ein Element der Ironie entdecken. Nicht nur entgeht ihnen die wahre Herkunft Jesu, weil sie meinen, mit seiner leiblichen Abkunft sein Geheimnis gelöst zu haben. Zudem und damit zusammenhängend übersteigt die Behauptung des Johannesevangeliums bei weitem die traditionelle messianische Erwartung: In diesem wird Gott selbst gegenwärtig, er führt nicht nur die Herrschaft Gottes herauf. 330 Vgl. 4,11. Die Rätselstruktur des Evangeliums (vgl. THATCHER, Riddles) kommt in diesem Vers besonders klar zum Ausdruck.

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wohl erwarten? Er fragt nicht: „Wen sucht ihr?“331 Entsprechend rätselhaft ist die Gegenfrage: „Wo ist deine Bleibe (ποῦ µένεις; 1,38b)?“, sowie die Aufforderung: „Kommt und seht“, und das auktoriale Fazit: „Da kamen sie und sahen, wo er blieb, und blieben bei ihm an jenem Tag. Es war ungefähr die zehnte Stunde“ (1,39). Was sie gesehen haben, erfahren wir nicht. Nicht ein Objekt oder ein bestimmter Ort, den man bezeichnen oder beschreiben könnte, ist hier offenbar das Thema. Vielmehr geht es, wie der Nachsatz in 1,40 und die anschließende Berufungsgeschichte des Petrus deutlich machen, um die Handlungsstruktur: dass man die Botschaft hört, sich zu Jesus rufen lässt, zu ihm kommt und sieht, um aus diesem Sehen Nachfolge und Glauben folgen zu lassen und andere durch das Zeugnis in diesen Glauben mit hineinzuziehen, und dass man zuletzt in der Bleibe Jesu bleibt.332 Das „Wo“ fragt nicht primär nach einem Ort, sondern nach einem Weg und nach einer personalen Bindung, die diesen Weg zu gehen lehrt (14,6). Nathanael bleibt auf seine Weise an der Frage nach dem Woher hängen: „Woher kennst du mich?“ (πόθεν µε γιγνώσκεις; 1,48333). In seiner Antwort verweist Jesus auf sein prophetisches Schauen334 – Anlass für Nathanael (ebenso wie später für die samaritanische Frau335) zu einem Bekenntnis. Jesus allerdings verdeutlicht daraufhin, dass die volle Antwort auf die Frage nach dem Woher sich erst aus dem ergibt, was im Folgenden zur Darstellung kommt: „Weil ich dir gesagt habe, dass ich dich unter dem Feigenbaum gesehen habe, glaubst du? Du wirst Größeres als das sehen. … Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offenstehen sehen und die Engel Gottes hinaufund herabsteigen auf den Menschensohn“ (1,50f.). In 6,38 spricht Jesus es ganz unmissverständlich aus: „Ich bin vom Himmel herabgestiegen.“ Dieser Aussage Jesu halten die Menschen in Jerusalem ihr eigenes vermeintliches Wissen über seine Herkunft entgegen: „Ist dies nicht Jesus, der Sohn Josephs, dessen Vater und Mutter wir kennen? Wie kann er jetzt behaupten, dass er aus dem Himmel herabgestiegen ist“ (6,42). Dies wird in 7,27-29 aufgegriffen, wo die Frage nun mit messianologischen Traditionen 331

So in 18,4.7: τίνα ζητεῖτε; Es ist sicherlich kein Zufall, dass µένειν mit dem Stichwort µονή in Joh 14,2 wieder aufgegriffen wird. Auch dort steht es im Zusammenhang des Sehens Jesu in 14,6f. (vgl. o. 50f.) und der Frage, wie man zu ihm kommt. Zur prägnanten theologischen Bedeutung vgl. J. HEISE, Bleiben. Menein in den johanneischen Schriften, Tübingen 1967. 333 Hier handelt es sich also um die Frage nach der Herkunft des Wissens Jesu. Die beiden Fragen nach dem Woher gehören – wie wir sehen werden – durchaus zusammen und erläutern sich gegenseitig: Nur wer von oben, vom Himmel kommt, kann das Wissen haben, über das Jesus verfügt. Insofern hat er sein Wissen eben von dort, woher er auch selbst kommt. 334 Vgl. 4,18f.; 13,11.21-26. 335 Vgl. 4,19.28f.39. 332

2.3 „Woher?“

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ins Gespräch gebracht wird. Im Stile johanneischer Ironie führen die Gegner erneut ihr (vermeintliches) Wissen über Jesus ins Feld: „Von dem wissen wir doch, woher er kommt. Wenn aber der Messias kommt, dann wird keiner wissen, woher er kommt“ (7,27). In seiner Antwort im Tempel verknüpft Jesus in überraschender Weise den Abstammungs- mit dem Sendungsgedanken: „Ihr kennt mich und wisst auch, woher ich komme: Und doch bin ich nicht von mir selbst gekommen, sondern wahrhaftig ist, der mich gesandt hat, den aber kennt ihr nicht. Ich kenne ihn, denn ich stamme von ihm her und er hat mich gesandt“ (7,28f.). Den Hinweis auf den Vater kann man im Sinne der Legitimation (eines Boten) interpretieren. Und doch beantwortet die Frage nach dem himmlischen Vater die Frage nach dem Woher Jesu und seiner Macht. Der Schlüssel auf die Frage nach seiner ‚doppelten Abstammung‘, so macht Jesus in seiner Antwort (6,43-47) deutlich, liegt darin, das Eine im Anderen zu erkennen. Wiewohl er der Sohn Marias und Josephs aus Nazareth ist, kommt er vom Himmel herab: „Ich bin das (lebendige) Brot, das aus dem Himmel herabgekommen ist“ (6,41.51; vgl. 6,58).336 Der Menschensohn ist das Brot, das vom Himmel kommt (6,41.51.58), das Brot des Lebens (6,48.51), das dem, der glaubt (6,47) und es isst (6,54), ewiges Leben schafft (6,51.58). Sein Fleisch ist die „wahre Speise“, es ist – sakramental gesprochen – irdisches Brot als Lebensbrot.337 Wenn man es zu sich nimmt, wird man des Brotes teilhaftig, das aus der himmlischen Fülle des göttlichen Lebens hervorgegangen ist und zu unserem Heil gegeben wurde, und erhält damit Anteil am göttlichen Leben. Der Geschmack des Lebens – in der elementarkörperlichen Erfahrung bringt er zugleich Leben mit sich. Die Frage nach dem Woher Jesu weist also auf den Himmel, aus dem Jesus herabgestiegen ist, als Herkunftsebene, als Horizont, vor dem die irdische Existenz Jesu verständlich wird. Um den Zugang zu Jesus zu finden, bedarf es freilich der Hilfe des Vaters: „Keiner kann zu mir kommen, wenn ihn nicht der Vater, der mich gesandt hat, zieht“ (6,44). Was zunächst rätselhaft als „Ziehen“ (ἑλκύσῃ) ausgesagt ist, wird sogleich in pädagogische Terminologie umgesetzt. Das Ziehen erfolgt durch das Hören und Lernen, durch das man zu einem δίδακτος θεοῦ und zugleich zu einem an Gott Glaubenden wird. Wer sich vom Vater belehren lässt und so zum Glauben an Jesus als Lebensbrot findet, der hält darin das ewige Leben bereits in den Händen (6,47). 336

Vgl. M. STARE, Durch ihn leben. Zur Lebensthematik in Joh 6, NTA 49, Münster 2004; P. BORGEN, Bread from Heaven. An Exegetical Study in the Concept of Manna in the Gospel of John and the Writing of Philo, NT.S 10, Leiden 1965. 337 Zu den traditionsgeschichtlichen Hintergründen der sakramentalen Züge von Joh 6,5158 vgl. E. KOBEL, The Various Tastes of Johannine Bread and Blood. A Multi-Perspective Reading of John 6, in: K. Ehrensperger u.a. (Hgg), Decisive Meals. Table Politics in Biblical Literature, London 2012, 83-98, bes. 85-88.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

Zu vielen literarkritischen Diskussionen und Operationen hat die sakramentale Passage in 6,51-58 Anlass gegeben, die das metaphorische Verständnis der Speisungsgeschichte in ein sakramentales überführt. Jesu Aussage, das Brot, das er geben werde, sei sein Fleisch, das zugunsten des Lebens der Welt dahingegeben werde, führt zu dem von „den Juden“ (6,52; vgl. 6,41) artikulierten Missverständnis, man könne doch wohl nicht Jesu Fleisch essen. Dieses Missverständnis entsteht notwendigerweise, solange die Frage nach der Herkunft Jesu nicht geklärt ist. In Jesu Existenz wird etwas gegenwärtig, das in einer solchen Weise über die bloß körperliche Ebene hinausreicht, dass sich in ihr eine Entschränkung der Ebenen ereignet. Die Identifikation der Ebenen kann in beide Richtungen erfolgen. Der Satz, dass nur derjenige ewiges Leben habe, der das Fleisch Jesu kaue und sein Blut trinke (6,54), wird nur dann verständlich, wenn man ihn auf dem Hintergrund eines sakramentalen Mahles versteht. Umgekehrt macht das Johannesevangelium in nahezu unerträglicher Weise338 deutlich, dass es sich nicht um ein bloßes Symbol handelt, sondern dass Jesus tatsächlich mit seinem Fleisch und Blut und also mit seinem Tod und dem durch diesen Tod eröffneten Leben beim Essen des Brotes und dem Trinken des Weins gegenwärtig ist. Mit dem Begriff ἀληθῆς βρῶσις in 6,55 deutet Johannes an, dass diese Speise (im Gegensatz zu der einmaligen Speisung der Israeliten in der Wüste [6,58]) ihr Wesen aus einer anderen Realität hat, der Realität Gottes, der selbst das Leben ist.339 Wie die Frage „Wo ist dein Vater?“ andeutet, enthält das Zeugnis über Jesus zugleich ein Zeugnis über den Vater.340 Der Sohn tut nichts aus sich selbst heraus, sondern verweist mit allem Reden und Handeln auf den göttlichen Vater: Sein Sein, Handeln und Reden sind Zeugnis und Ausdruck der göttlichen Herrlichkeit und Wahrheit (3,32-34; 8,38; 12,49f.; 14,24). Die Einsicht in das Woher ist also die Voraussetzung für das Verständnis der Identität Jesu sowie seiner Fähigkeit, vollmächtig zu handeln und mit seinem Handeln, seiner Rede und seiner Person Zeugnis für den Vater abzulegen.341 Umgekehrt kann Jesus damit Gott zum Zeugen für sich selbst anrufen (8,13-18). Auf den Einwand, er zeuge von sich selbst, weshalb sein Zeugnis nicht gültig (ἀληθής) 338

Vgl. 6,60: „Viele von seinen Jüngern freilich, die dies hörten, sprachen: Hart ist dieses Wort – wer kann es sich anhören?“ 339 THOMPSON, Incarnate Word, weist in einem eigenen Kapitel „The Origins of Jesus“ (13-31) auf, wie sehr die Frage nach der Herkunft Jesu mit der Körperlichkeit der Erfahrung von ihm und dadurch mit der Frage der Sakramentalität verbunden ist. Zur Bedeutung von ἀληθής κτλ. bei Johannes vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, passim. 340 Vgl. die Stellen über die reziproke Einheit (10,30; 14,1-11; 17,11.21), die zugleich eine Erkennbarkeit des Vaters im Sohn voraussetzen. 341 Sie sind damit auch die Legitimation der Ich-bin-Worte. Der Begriff der Wahrheit ist hierfür zentral, weil er die Korrespondenz des Sichtbaren mit dem der Wahrnehmung Entzogenen bezeichnet.

2.3 „Woher?“

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sei, spielt der johanneische Jesus mit unterschiedlichen Bedeutungen von ἀληθής und knüpft dies wiederum an die Frage nach der Herkunft: „Auch wenn ich von mir selbst zeuge, ist mein Zeugnis gültig/wahr (ἀληθής), denn ich weiß, woher ich komme und wohin ich gehe – ihr aber wisst nicht, woher ich komme und wohin ich gehe“ (8,14).342 Zur juristischen Ebene bringt Jesus die Ebene von Hermeneutik und Sein ins Spiel: Entscheidend für die Gültigkeit des Zeugnisses ist nicht nur die Anzahl der Zeugen, sondern die Frage nach der Wahrheit des Ausgesagten und nach den Erkenntnisgründen: Ein Zeugnis ist ἀληθής, weil es dem Vater angemessen ist, ja mehr noch, aus dem Vater kommt (vgl. 8,40). Dies besagt letztlich der Satz Jesu, er sei die Wahrheit.343 Dass Gott seinerseits Wahrheit ist, wird e contrario aus der Verneinung in 8,44 deutlich: Der Teufel als die Negation Gottes steht weder in der Wahrheit, noch ist Wahrheit in ihm. Wenn die Gesprächspartner in 8,17f. erwidern: „Wo ist denn dein Vater?“, so verweisen sie damit – ohne es wahrzunehmen – wiederum auf jene andere Ebene, auf die Jesus sie die ganze Zeit hinzuführen versucht. Wieder haben wir ein Stück johanneischer Ironie vor uns. Sie meinen zwar: „Warum ist denn dein Vater, den wir ja kennen, nicht hier?“, stellen aber dennoch genau die richtige Frage, auf die die Antwort nur „im Himmel“ lauten kann. Dies wird aus Jesu Antwort in 8,19b deutlich: „Weder mich kennt ihr noch meinen Vater. Würdet ihr mich kennen, so würdet ihr auch meinen Vater kennen.“ Die Einsicht in die Herkunft Jesu führt unmittelbar auf die Einsicht in sein Wesen, und damit zugleich zu der Erkenntnis des Wesens des Vaters, insofern man in Jesus des Vaters ansichtig werden kann.344 Wenn aber Jesus von Gott stammt, dann stammt auch alles, was er gelehrt und getan hat, von Gott (vgl. 17,6-8 und öfter). Noch einmal wird die Frage nach dem Woher in einem Verhör aufgenommen. Diesmal fragt Pilatus Jesus selbst: „Woher stammst du (πόθεν εἶ σύ)?“ (19,9).345 Wiederum ist nicht klar, welche Antwort auf diese Frage Pilatus wohl erwarten könnte. Sicherlich fragt er nicht nach der Vaterstadt. Die Frage steht im unmittelbaren Zusammenhang der vorausgehenden Anklage der Hohenpriester und ihrer Diener, Jesus habe sich selbst zum Sohn Gottes gemacht (19,7). Die Frage des Pilatus ist im Zusammenhang nur sinnvoll, wenn sie auf eine Antwort zielt, wie sie der Leser schon aus den im Evangelium üblicherweise gegebenen Antworten kennt: aus dem Vater, aus dem Himmel, von oben usw. Auf diese Frage des Pilatus gibt Jesus keine Antwort mehr. Sie ist in 342

Vgl. 7,28f. Auch das Folgende: „Ihr urteilt κατὰ σάρκα“ (8,15) kann man unbeschadet der Fortsetzung, die wieder eher juristisch konnotiert ist, hinzunehmen. Die Pharisäer urteilen nur nach dem äußerlich Körperlichen und sind nicht in der Lage, darüber hinauszublicken. 343 14,6; vgl. 1,17; 5,33; 18,37f. 344 Vgl. die Ausführungen zu Joh 14, o. 50-56. 345 Zu einer erzählkritischen Interpretation von Joh 18 und 19 vgl. M.W.G. STIBBE, John as Storyteller. Narrative Criticism and the Fourth Gospel, Cambridge 1992, 95-199.

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

seiner Geschichte, in den darin berichteten Worten und Taten ausführlich dargelegt. In einem Wort ließe sich eine Antwort, die für einen Außenstehenden verständlich wäre, sowieso nicht formulieren: Jeder Leser wird sie für sich selbst geben müssen. Implizit indes hat Jesus die Antwort bereits gegeben und führt im Anschluss die Implikationen dieser Antwort aus. Er kommt nicht nur aus der Wahrheit (18,37), sondern auch von dorther, woher alle Macht auf Erden stammt: „Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht von oben gegeben worden wäre“ (19,11). 2.3.2 Das Woher der Gaben Jesu Die Frage nach dem Woher der Gaben Jesu wird speziell im Blick auf Essen und Trinken gestellt. Obwohl auf das Wasser bezogen, das Jesus gibt, ist die Frage der samaritanischen Frau am Jakobsbrunnen (4,11b) zugleich mit der Frage nach dem Woher Jesu verknüpft. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang in Joh 6 hergestellt, wo die Herkunft Jesu als des wahren Lebensbrotes „aus dem Himmel“ die Deutung des Speisungswunders bringt. Gehen wir zunächst auf die Begegnung mit der samaritanischen Frau ein. Diese Begegnung ist geprägt durch eine Reihe von Missverständnissen, die mit dem Verständnis von Wasser und Durst auf verschiedenen Ebenen zu tun haben. Zunächst hatte Jesus die Frau gebeten, ihm Wasser zu schöpfen; überrascht fragt sie ihn daraufhin, wie er als Jude sich – entgegen seiner religiösen Tradition – von einer Samariterin Wasser schöpfen lassen könne.346 Auf ihre Frage erhält die Frau eine rätselhafte Antwort: „Wenn du wüsstest, was die Gabe Gottes ist und wer (τίς) der ist, der zu dir sagt: Gib mir zu trinken!, dann würdest du ihn bitten, und er würde dir lebendiges Wasser (ὕδωρ ζῶν) geben“ (4,10). Die Frau ist ebenso irritiert wie der Leser: Jesus geht nicht nur nicht auf die gestellte Frage ein, er scheint auch sein Bedürfnis, zu trinken, aus dem Blick zu verlieren. Stattdessen nimmt er die Bedürftigkeit der Frau in den Blick und wirft eine zweigliedrige Frage auf, wobei die Frage nach der Gabe Gottes lediglich hinführt auf die zweite Frage nach der Identität dessen, der mit der Frau redet. Verwirrt verweist die Frau, die in ihr vertrauten Kategorien gefangen bleibt, darauf, dass Jesus kein Gefäß habe, um Wasser aus dem tiefen Brunnen zu schöpfen, und knüpft daran – was ihr selbst nicht bewusst ist – die entscheidende Frage: „Woher also hast du τὸ ὕδωρ τὸ ζῶν?“ ὕδωρ ζῶν ist für die Frau zunächst einmal „fließendes, frisches Wasser“.347 Im Sinne johanneischer Ironie weist ihre Formulierung und die Frage nach dem Woher aber bereits in die richtige Richtung eines übertragenen Verständnisses: Das Wasser, das Jesus gibt, ist lebendiges und lebenstiftendes Wasser. Er bringt es, wie jeder aufmerksame Leser des Evangeliums weiß, „von oben“, von Gott her, woher er 346 347

Vgl. 4,27. Vgl. BAUER/ALAND s.v. [ζάω] ζῶ 4a und s.v. ὕδωρ.

2.3 „Woher?“

181

auch selbst stammt. Das Wasser, das Jesus verspricht, ist also mehr: Es ist ὕδωρ ζῶν im vollen Sinne – wahres Lebenswasser. Mit der Antwort auf die Frage, woher Jesus das Wasser nimmt, ist zugleich die Frage beantwortet, wer Jesus ist und woher er selbst stammt: In ihm ist die samaritanische Frau dem Lebenswasser selbst begegnet. Wie bei dem Wein weist die Frage nach dem Woher den Weg in Richtung eines richtigen Verständnisses dessen, was den Menschen in Jesus begegnet. Zeichenhaft führt der Gegenstand aus der Welt über die Welt und ihre Zeit hinaus: „Wer von diesem Wasser trinkt, den wird wieder dürsten; wer aber von jenem Wasser trinkt, das ich ihm geben werde, den wird in Ewigkeit nicht dürsten, sondern das Wasser, das ich ihm geben werde, wird in ihm zu einer Quelle jenes Wassers, das sprudelt zum ewigen Leben“ (4,13f.). Noch einmal versteht die Frau Jesus falsch, wenn sie ihn in der Folge tatsächlich bittet, wie er es in 4,10 von ihr gefordert hatte. Allerdings bezieht sie das Gesagte – diesmal in einer magischen Weise – wiederum auf irdisches Wasser und auf irdische Durststillung: „Herr, gib mir solches Wasser, damit mich nicht dürstet und ich nicht herkommen muss, um zu schöpfen!“ Jesus dagegen spricht nicht von einer magischen, sondern von einer gleichsam sakramentalen Wirkung des Wassers: Wer von diesem Wasser trinkt, der erhält Anteil an dem Wasser, so dass er selbst für sich und für andere eine Quelle solchen Wassers wird (4,14348). Die Wendung hin zum Glauben wird bei der Frau durch eine weitere Frage nach dem Woher bewirkt: Jesus sagt der Frau ihre Vergangenheit auf den Kopf zu und provoziert damit bei ihr die Frage: Woher stammt seine prophetische Kenntnis meiner Vergangenheit?349 Endlich hat die Frau verstanden, wie sich später an ihrer Reaktion zeigen wird. Die prophetische Fähigkeit Jesu, der „alles, was ich getan habe“, wusste, hat in ihrem Erkenntnisprozess eine entscheidende Rolle gespielt; dies wies ihn als den Messias aus. In 4,28 legt sie ihren Schöpfkrug nieder, um den Menschen in der Stadt Sychar die Botschaft von dem Messias, der sich als das Wasser des Lebens offenbart hat, zu verkündigen und sie auf diese Weise zu Jesus hinzuführen (4,29f.). Und tatsächlich bringt ihr Zeugnis Glauben hervor (4,39).

Das häufig diskutierte Problem von Glauben oder Unglauben dieser Frau (wie überhaupt der Figuren der Erzählung) führt am Thema vorbei.350 Wie sollte diese Frau von ihren Voraussetzungen her, wie sollte irgendein Mensch unter den Bedingungen der gegenwärtigen Welt das verstehen können, was Jesus hier sagt? Nicht einmal die Jünger verstehen Jesus, wie sich im sogleich folgenden 348

Vgl. Joh 7,38. Vgl. Joh 1,48.50. KOESTER, Hearing, 335, betont, dass sie ohne Kenntnis seiner Zeichen auf Jesus trifft. 350 Contra F.J. MOLONEY, From Cana to Cana (Jn 2,1-4,54) and the Fourth Evangelist's Concept of Correct (and Incorrect) Faith, Sal. 40 (1978), 817-843, der den Weg von einem defizitären zu einem „korrekten“ Glauben als entscheidendes Motiv der Erzählungen von Joh 2-4 bestimmt, das er insbesondere in Joh 2,23-25 eingeführt sieht. 349

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Jüngermissverständnis bezüglich der Speise zeigen wird (4,31-33). Es geht in diesen Geschichten also gerade darum, den Leser darauf hinzuführen, dass mit Jesus etwas Neues in die Welt eingebrochen ist, das alle überkommenen Denkkategorien auf den Kopf stellt. Jesu Leben, seine Handlungen und Worte sind als Zeichen für diese neue Welt verstehen. Eben darauf weist die Frage nach dem Woher. Die Frau hat die richtige Frage gestellt, wenn auch nicht weiterverfolgt: Woher hast du lebendiges Wasser? Das ist die Frage, die weiterführt. Und darauf gibt Jesus immer wieder dieselbe Antwort: Alles, was ich Euch sage und gebe, habe ich vom Vater, von Gott, von dem ich herkomme und der mich gesandt hat. Aus der Einheit mit ihm kommt mein gesamtes Reden und Handeln. Also ist nicht das Unverständnis der samaritanischen Frau erstaunlich. Erstaunlich ist vielmehr, dass sie zum Glauben findet. In der folgenden Sequenz (4,31-38) wiederholt sich das Missverständnis – anstelle des Trinkens nun mit dem Essen und anstelle der samaritanischen Frau mit den Jüngern als Protagonisten.351 Und es wiederholt sich die Frage nach dem Woher. Eine gewisse Steigerung liegt darin, dass nun nach der Frau vom Rande des religiösen Spektrums die Jünger als die Exponenten des Glaubens an Jesus diese Frage nach dem Woher stellen. Später werden auch noch „die Juden“ an dieser Frage scheitern (9,29), obwohl sie aufgrund der vollmächtigen Taten Jesu seine Herkunft erkennen müssten (9,30), wie dies Nikodemus in 3,2 bereits getan hatte. Auf die Aufforderung der Jünger: „Rabbi, iss!“, die eine Brücke zu 4,8 herstellt, wo die Jünger in die Stadt gegangen waren, um Essen zu besorgen, antwortet Jesus in einiger Ähnlichkeit zu 4,10: „Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr nichts wisst!“ (4,32). Wie die Frau verstehen auch die Jünger Jesus falsch, weil auch sie Geber und Empfänger verwechseln. Die Aussage Jesu knüpft an 4,10 an: „Jesu zuvor an die Samaritanerin gerichtetes εἰ ἤδεις (V. 10) hat in dem jetzt über die Jünger gesagten οὐκ οἴδατε seine präzise Entsprechung.“352 Man kann es also in dem Sinne lesen: ,Wenn ihr von dieser Speise wüsstet, die ich euch zu essen geben kann, dann würdet ihr mich darum bitten.‘ Die Jünger indes denken wie die Frau an ganz unmittelbare Speise und fragen sich: „Hat ihm denn schon jemand zu essen gebracht?“ Wiederum ist dahinter 351

Vgl. THYEN, Komm., 271. DODD, Interpretation, 315, fasst von 7,4 („ich habe dich auf Erden verherrlicht, indem ich das Werk vollendet habe, das du mir auszuführen übergeben hast“) her zusammen: „His mission is, not only to teach or to ,announce‘, but to complete the work of man’s salvation; that is, in terms of the various parts of the episode, to effect the transformation of water into wine, to raise the new temple, to bring (through His descent and ascent) the possibility of birth ἐκ πνεύµατος, to give living water which springs up to eternal life – in a word, to open to mankind a truly spiritual or divine life.“ Weil er an dem Abschnitt Joh 2-4 orientiert ist, bezieht er die Gabe des Lebensbrotes an dieser Stelle überraschenderweise nicht mit ein. 352 THYEN, Komm., 271.

2.3 „Woher?“

183

die Frage nach dem Woher deutlich vernehmbar: ,Woher soll er denn etwas zu essen bekommen haben?‘ Die Angebote für eine metaphorische Deutung dieses Satzes Jesu sind ebenso vielfältig wie verfehlt. H. Boers meint, die Frau habe durch ihr Gespräch Jesus mit Nahrung versorgt.353 Nach U. Schnelle354 hat „der Vater Jesus unvergängliche Speise gegeben“, nach G.R. O’Day „the food that sustains him is his vocation … food is the metaphor for Jesus’ divine commission and the enactment of the relationship between Jesus and God“.355 Olsson zeigt eine vermeintliche Opposition zwischen realer und symbolischer Deutung, die aber so für Johannes gerade nicht greift: „Apparently Jesus has his own bread and does not need that of the disciples.“356 Natürlich braucht auch Jesus als voller Mensch das Brot, das die Jünger bringen, ebenso wie er das Wasser braucht, das er die Frau am Brunnen zu schöpfen bittet. Aber es geht ihm (und dem Evangelisten) hier darum, klar zu machen, dass Speise und Trank im christologischen Kontext über sich hinausweisen.

Gerade der Vergleich mit der Perikope vom Lebenswasser scheint mir gegenüber solchen Versuchen deutlich zu machen, dass Jesus in Umkehrung der „Bedürfnisperspektive“ darauf verweist, dass er selbst es ist, der Speise und Trank bringt, wie dies dann in Joh 6 ausgeführt wird. Auf das Verständnis der Jünger, die den alltäglichen Horizont des Essens nicht zu transzendieren in der Lage sind, reagiert Jesus mit der folgenden Erläuterung: „Meine Speise [oder: die Speise, die ich gebe357] ist, dass ich den Willen dessen tun werde, der mich gesandt hat, und sein Werk vollenden werde (4,34).“ Die Anspielung auf seinen Tod, die seinen Leib zum Lebensbrot macht, wird in Joh 6 ausgeführt werden.358 Das gesamte Kapitel Joh 6 stellt eine motivische Aufnahme der Geschichte von der samaritanischen Frau am Brunnen dar.359 In 6,34 wird Jesus von der Menge (ὄχλος), die ihn gesucht hatte, gebeten: „Gib (δός360) uns dieses Brot immer.“ Das Missverständnis ist ganz analog, und in seiner Antwort in 6,35 fasst Jesus dann auch Essen und Trinken zusammen. Ebenfalls analog ist die Rede vom ὕδωρ ζῶν in 4,10f. und vom ἄρτος ζῶν in 6,27.51, wobei freilich die Rede vom Lebensbrot die Doppeldeutigkeit von 4,10f. („fließendes Wasser“) nicht aufnehmen kann. 353

H. BOERS, Neither on this Mountain nor in Jerusalem. A Study of John 4, SBL.MS 35, Atlanta 1988, 187f. 354 SCHNELLE, Komm., 105. 355 O’DAY, Komm., 569. 356 OLSSON, Structure, 221. 357 Vgl. Joh 4,10; 6,27.51. 358 So schon A. SCHWEITZER, Die Mystik des Apostels Paulus, Tübingen 1930, 352f., was BULTMANN, Komm., 143f. Anm. 6, zu Unrecht als „völlig unmöglich“ zurückweist. 359 Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, 75-79. 360 Wichtig ist der vorausgehende Fortschritt von δέδωκεν (Perfekt; 6,32b) zu δίδωσιν bzw. διδούς (Präsens; 6,32c-33).

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Die Frage nach der Herkunft von Wasser und Brot wird in 6,5 – anders als in 4,11 – von Jesus in geradezu sokratischer Manier an seine Jünger gestellt: „Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben?“ Woher kann Abhilfe für eine so große Menge von Menschen kommen? Die Frage, woher man das Brot kaufen solle, lenkt etwas vom Thema ab, denn es wird sogleich deutlich werden, dass man es überhaupt nicht kaufen kann. Es handelt sich, wie der folgende Autorkommentar unterstreicht, um eine Prüfung, die an die Belehrung in Joh 4,10-14 anschließt: Jesus wusste längst, was er im Begriff war zu tun (6,6). Aber haben seine Jünger auch schon verstanden, dass er das Brot des Lebens ist, und man deshalb nur von ihm Brot in solcher Fülle erwarten kann? Essen, trinken, sehen und hören sind hier wiederum unmittelbar mit dem Glauben – und dem daraus entstehenden ewigen Leben – verbunden. Dieses kann als ewige Stillung von Hunger und Durst begriffen werden.361 Die Erfahrung wunderbarer und lebensbewahrender körperlicher Speisung – damals beim Exodus und jetzt in der Begegnung mit Jesus – führt hin zu einem tieferen Verständnis dieser Erfahrung, das über die Ebene einer nur vorläufigen Sättigung hinausgreift und das körperlich erfahrene Heil als sichtbaren Ausdruck der sich mitteilenden Lebenskraft Gottes versteht.362 In diesem Sinne kann auch die geschichtliche Heilserfahrung des Volkes Israel in Joh 6 als Kontrast verwendet werden, ohne dabei die Bedeutung des Exodusgeschehens herunterzuspielen: So entscheidend die körperliche Erfahrung der Rettung vor dem Tod im Exodusgeschehen – oder auch bei der wunderbaren Speisung durch Jesus – ist, sie wird zum Geschenk ewigen Lebens, wenn sie als körperlicher Hinweis auf jene Speise begriffen wird, die eschatologisch endgültiges Leben schaffen kann. Wenn man es zu sich nimmt, wird man des Brotes teilhaftig, das aus der himmlischen Fülle des göttlichen Lebens hervorgegangen ist und zu unserem Heil gegeben wurde, und erhält damit Anteil am göttlichen Leben. Wer so am Brot teilhat, der hat den göttlichen Vater als Herkunfts- und Zielpunkt begriffen und geglaubt, und dem schenkt Jesus das ewige Leben und die Auferstehung am Jüngsten Tag (6,54). 2.3.3 Das Woher der Wirkkraft Jesu: die Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) Die Geschichte von der Heilung des Blindgeborenen thematisiert in einer Reihe von Einzelepisoden immer wieder die Frage nach dem Wie seiner Heilung (9,10.15.19.21.26; vgl. 9,16) sowie danach, wo derjenige, der ihn geheilt hat, sich gerade aufhält (9,12) und woher er stammt (9,29b-33). In dem wiederholten πῶς drückt sich die Frage nach dem Interpretationszusammenhang aus, 361 Die eschatologische Hoffnung der Seligpreisung Lk 6,21a-b par. Mt 5,6 ist darin bereits erfüllt. 362 Ein Gegensatz zwischen den beiden Geschichten (so z.B. C. KOESTER, John Six and the Lord’s Supper, LQ 4 [1990], 419-437, hier 428) ist m.E. nicht intendiert.

2.3 „Woher?“

185

nach dem Verständnishorizont des vollmächtigen Redens und Handelns Jesu bzw. seines prophetischen Wissens.363 Die Frage nach dem Wie der Heilung führt unmittelbar auf jene nach dem Woher (9,29f.). Einem pharisäischen Verständnis zufolge präjudiziert Jesu Stellung zum Gesetz – er hatte die Heilung am Sabbat vollzogen – bereits die Antwort auf diese Frage: In 9,16 bestreiten manche der Pharisäer, Jesus könne παρὰ θεοῦ sein, weil er den Sabbat nicht halte (vgl. 9,24). In dem Verhör des Blindgeborenen durch „die Juden“ wird die vermeintlich unklare Herkunft in 9,29 zum Argument: „Von diesem wissen wir nicht, woher er stammt“, so sagen sie und meinen, dass er keine Legitimation vorweisen könne im Gegensatz zu Mose, zu dem Gott gesprochen habe (9,29a). Dem entgegnet der Blindgeborene ganz im Sinne der Logik prophetischer Legitimationswunder mit seiner Erfahrung: „Das ist gerade das Erstaunliche, dass ihr nicht wisst, woher er stammt, und doch hat er mir die Augen geöffnet. Wir wissen doch, dass Gott die Sünder nicht erhört, wenn aber einer gottesfürchtig ist und seinen Willen tut, den erhört er. Seit Anbeginn der Welt hat man nicht gehört, dass jemand die Augen von einem Blindgeborenen geöffnet hat. Wenn dieser nicht von Gott wäre, dann könnte er nichts tun“ (9,30-33).364 Dass Jesus ihm die Augen geöffnet hat, beantwortet für den Blindgeborenen die Frage, woher Jesus kommt und woher er seine Macht hat. Mit diesem Fazit des Blindgeborenen zur Frage nach dem Woher Jesu schließt die Serie der Befragungen.365 Lediglich über die Stellungnahme „der Juden“ wird noch berichtet: Sie verschließen ihre Augen und Ohren vor dem von dem Blindgeborenen bezeugten Geschehen und beharren dagegen darauf, dass es sich bei dem Geheilten um einen ehemals blind und deshalb als Sünder366 Geborenen handele. Dies ist nicht ein Rückgriff auf verletzende Polemik aus Hilflosigkeit gegenüber der überlegenen Argumentation des Blindgeborenen367, sondern dient vielmehr dazu, den Wert des Zeugen in Zweifel ziehen368 – ein gemäß der Darstellung des Evangelisten geradezu groteskes Beharren auf dem, was seit jeher gegolten hat, gegenüber dem offensichtlichen Einbruch einer neuen Realität.

363

Vgl. Joh 1,48. Damit rekurriert das Johannesevangelium auf die prophetische Verheißung wie sie von Jes 61,1 her in Lk 4,18.21 christologisch ausgedeutet wird. 365 Ganz pointiert wird dies wieder aufgenommen in Joh 13,3: „Weil er wusste, dass ihm der Vater alles in die Hände gegeben hatte, und dass er von Gott ausgegangen ist und wieder zum Vater hingehen würde …“ 366 Vgl. 9,2f. sowie 9,24f. (im Blick auf Jesus) sowie Ps 51,7. 367 So THEOBALD, Komm. I, 652. 368 Hier wird also auch der Wert des Zeugen – wie bereits bei Jesus in 8,14 – in Zusammenhang mit der Herkunft gebracht. 364

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Kapitel 2: Schmecken, Sättigung und Leben

2.3.4 Das Woher im Erkenntniszusammenhang: Die Herkunft der Erkenntnis Jesu Als Jesus beim Laubhüttenfest im Tempel lehrt, fragt sich die erstaunte Menge „der Juden“: „Wie kann dieser die Schrift verstehen, wenn er sie nicht gelernt hat?“ (7,15). Die Frage: „Woher weiß er das?“ soll darin mitgehört werden, wie aus der Antwort Jesu deutlich wird: „Meine Lehre kommt nicht von mir, sondern von dem, der mich gesandt hat“ (7,16). Die Frage nimmt strukturell jene Frage des Nathanael auf: „Woher kennst du mich?“ (1,48). Für Nathanael beantwortet das auf diese Frage formulierte prophetische Wissen Jesu auch die Frage nach dessen Herkunft: sie weist ihn als Sohn Gottes und damit König Israels aus (1,49). Die samaritanische Frau am Brunnen erkennt zunächst nur einen Propheten (4,19), nach der Selbstidentifikation Jesu verkündet sie ihn aufgrund seiner prophetischen Aussagen als den kommenden Messias (4,29.39). 2.3.5 Woher? Ein Fazit Dieser ausführliche Exkurs war notwendig, um die von K.L. Schmidt vorausgesetzte christologische und theologische Bedeutung der Frage nach dem Woher im Johannesevangelium auf festeren Grund zu stellen. Hinter der Frage nach dem Woher (und Wohin) wurde das Thema der sachgemäßen Verknüpfung der Ebene dieser Welt mit der Ebene der Wirklichkeit Gottes sichtbar. Die Antwort auf die Frage nach dem Woher Jesu beantwortet zugleich die Frage nach der Herkunft seiner Gaben und seiner Erkenntnis. Oder besser umgekehrt: Alles, was Jesus an körperlichem Heil, an Sättigung, Genesung und Genuss spendet, verweist unmittelbar auf seine Herkunft aus der Einheit mit dem Vater und kann auf diese Weise Glauben und Leben stiften. So wird Jesus Christus, wie es andere neutestamentliche Schriften ausdrücken, zum „Bild des unsichtbaren Gottes“ (Kol 1,15), zum „Widerschein der Herrlichkeit Gottes und zur Umrisszeichnung seines Wesens“ (Hebr 1,3). Solche Formulierungen nehmen zeitgenössische Bildhermeneutik auf und markieren doch – ganz im Sinne des Johannesevangeliums – den Unterschied zu einer solchen die körperliche Welt insgesamt als Bild betrachtenden Hermeneutik: Es ist exklusiv Christus, der aufgrund seiner Herkunft aus Gott (mitsamt allem, was von ihm ausgeht) den Weg zu Gott hinführen kann. Kein anderer Punkt innerhalb von Welt und Geschichte steht in einem so unmittelbaren Kontakt zu Gott, dass seine Betrachtung einen Rückschluss vom einen zum anderen erlauben würde.369 Gegenüber den genannten Stellen aber geht das Johannes369

In der Zeit nach Jesu Weggang werden, so ist in den Abschiedsreden angedeutet, die Glaubenden in diese Einheit von Vater und Sohn mit eintreten (Joh 17,20-23; vgl. Joh 20,17, wo erstmals Gott als der Vater auch der Christen bezeichnet wird). Im 1. Johannesbrief wird

2.3 „Woher?“

187

evangelium über die Rede von Christus als dem „Bild des unsichtbaren Gottes“ in Kol 1,15 hinaus, um – wie dies im Prolog, aber auch in den Ich-bin-Worten besonders deutlich wird – den Logos in größtmögliche Unmittelbarkeit zu Gott zu bringen.370 Die Frage nach dem Woher (und dem Wohin) erweist sich als in verschiedener Weise mit der Frage nach dem Vater verbunden. Das Evangelium will, so zeigt sich an dieser Frage, stets auf unterschiedlichen, sich überlagernden Ebenen gelesen werden.371 Das Suchen, das sich an dem Offenbarungsereignis als Eintritt des dem Menschen Unzugänglichen in die wahrnehmbare Welt entzündet, ist als Antwort des Menschen auf die Anrede durch Gott Teil des Heilsgeschehens, das den Menschen zu Gott zurückführt. In diesem Suchen wird über die Frage nach dem Woher die Ebene des Sichtbaren und allgemein des körperlich Erfahrbaren transzendiert. Dies gilt von Jesu Herkunft und ebenso von der Herkunft dessen, was von ihm ausgeht: seine Lehre, seine vollmächtigen Taten, aber auch der Geschmack des Weins oder der Geruch der Salbe, die in unmittelbarem Zusammenhang mit seinem Handeln und Wesen gesehen werden. Wer sich dieser Suche und der durch sie eröffneten Erkenntnis verschließt, verbleibt in Unkenntnis und Schuld. Auf der Ebene des Irdischen betrachtet, stammt Jesus von Maria und Joseph aus Nazareth ab. Diese irdische Abkunft wird vom Johannesevangelium im Rahmen seiner Inkarnationschristologie nicht nur nicht verschwiegen, sondern durchweg herausgestellt. Damit ist allerdings die Frage nach dem Woher noch nicht hinreichend beantwortet – und genau hierin liegt die Beschränktheit (der Wahrnehmungsfähigkeit) der Gegner Jesu. Was allgemein christologisch gesagt werden kann, gilt in besonderer Weise für den von Jesus geschaffenen Wein. Dem Tafelmeister wird der außergewöhnliche Geschmack zum Anstoß seiner Frage. Wie die „Juden“ im Blick auf Jesus, so weiß er im Blick auf den Wein nicht, woher er stammt. Wüsste er es, so könnte er den wunderbaren Geschmack des Weins einordnen und er würde ihm zu einem Zeichen. Was er nicht identifizieren kann, identifizieren indes die Jünger in 2,11 und mit ihnen – gemäß der textpragmatischen Intention der Darlegung – die Leserinnen und Leser. Wie also könnte gemäß unserer Untersuchung die Antwort auf das Woher formuliert werden? Verwiese man entsprechend eine fortgesetzte Präsenz und Sichtbarkeit Gottes in der Gemeinde nach dem Fortgang Jesu festgehalten. Der Brief teilt die Prämisse, dass niemand je Gottes ansichtig wurde (1Joh 4,12; vgl. 4,20). Da Gott aber wesenhaft Liebe ist, wie sich im Christusereignis erwiesen hat (1Joh 4,9) kann die Liebe zum Bruder, den man sehen kann, als Maßstab der Gotteserkenntnis und -liebe gelten (1Joh 4,7f.20f.). 370 Wenn der Evangelist damit an die Grenzen des logisch Nachvollziehbaren gerät, so liegt dies nach seiner Überzeugung nicht an einer Kapitulation des Denkens, sondern im Wesen des Offenbarungsereignisses. 371 Vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext, passim.

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darauf, dass der Wein aus einer wundersamen, von Jesus bewerkstelligten Wandlung stammt, so würde dies zu kurz greifen; der Aspekt des außerordentlichen Geschmacks wäre nicht hinreichend erfasst. Treffender wäre es zu sagen: Wie das Brot in Joh 6 stammt auch der Wein in seiner Fülle und Qualität vom Himmel her – aus der Güte Gottes. Wie Jesus „aus dem Himmel“, d.h. aus der Realität Gottes ist, so auch der Wein, in dessen Geschmack sich deshalb der Horizont des anbrechenden Gottesreiches öffnet. So ist er Zeichen für die in Jesus gegenwärtig gewordene Liebe Gottes. So betrachtet erweist sich die Frage nach dem Woher als grundlegend für das Verständnis der Hochzeit zu Kana, aber darüber hinaus für das Verständnis der johanneischen Jesusgeschichte insgesamt. Die Frage entzündet sich notwendig an der Wahrnehmung der in Jesus vom Himmel, von oben her angebrochenen neuen Realität Gottes.372 Die Anrede Gottes durch seinen Logos provoziert die menschlichen Sinne, die Erfahrung und das Verstehen. So ist sie auf eine Suchbewegung hin angelegt, die zuletzt den Weg in die Wohnung beim Vater finden hilft (14,1-7).373

2.4 Zusammenfassung Im Zentrum der ersten Kana-Erzählung steht das Wunder des neuen Weins, den Jesus bringt. Der Mangel an Wein als Ausgangsproblem und dann seine wunderbare Fülle sowie sein wundervoller Geschmack sind für den Spannungsbogen essentiell. Die Hochzeit bietet hierfür den erzählerischen Rahmen. Die Aussage des Tafelmeisters als Beleg der außergewöhnlichen Qualität des Weins bildet den literarischen Zielpunkt der Erzählung. Die Weinwandlung steht demgegenüber nicht im Zentrum der Erzählung: sie wird nicht als Wunderhandlung erzählt, sondern nur en passant erwähnt. Auch der Wundertäter steht nicht im Zentrum. Das erste Zeichen will nicht als Machtzeichen und Legitimationswunder Jesus als den gekommenen Messias ausweisen, sondern die Sendung und Bedeutung des Messias angesichts des Christusgeschehens reinterpretieren. Das erste semeion ist mehr als eine Wundertat, es ist ein Zeichen der in der Fleischwerdung Jesu erfahrbaren Realität eines Lebens in der Gottespräsenz. In der körperlich-sinnlichen Begegnung mit Jesus steht der Himmel offen (vgl. 1,51; 2,11). Entscheidend ist die Rezeptionsperspektive: Die Offenbarung der Herrlichkeit (2,11) geschieht über den Geschmack, belegt durch die erstaunte Reaktion des Tafelmeisters bei der Verkostung über die alle Kategorien übersteigende Qualität des neu hereingebrachten Weins. Die Geschmackswahrnehmung, in 372 373

THOMPSON, God’s Voice, 190f. Vgl. Joh 14,5-7.

2.4 Zusammenfassung

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der sich die δόξα offenbart (2,11), ist dem Sehen der Herrlichkeit des Vaters im Sohn (vgl. 1,51 und 1,14.18) zuzuordnen. In Fülle und wunderbarem Geschmack des Weins zeigt sich der Himmel geöffnet (1,51); zwischen der Welt Gottes und dieser Welt ist, durch Anspielung auf die Jakobsleiter angekündigt (1,51) und in der Fleischwerdung des göttlichen Logos (1,14) vollzogen, eine Brücke entstanden. Gott, den keiner je gesehen hat, hat in seinem Sohn, mit dem er eins ist (10,30), die Grenze zur körperlichen Welt überschritten. Dieser Zugriff über die Rezeptionsperspektive dient einem pragmatischen Ziel: Über das Zeugnis des Tafelmeisters wird der wunderbare Geschmack gegenwärtig für spätere Leser. In der Betonung der Rezeptionsperspektive spiegelt sich die Kommunikationsstrategie des Evangelisten: Seine Jesusgeschichte erweist die irdische Wirksamkeit Jesu als Möglichkeit innerweltlicher Begegnung mit dem ewigen Gott und ist auf eine Reaktion des Menschen hin angelegt; sie will ihn zum Glauben, Bekennen und Leben führen (20,30f.). Im offenstehenden Himmel entschränken sich dabei die lokalen und temporalen Kategorien: die Teilnehmer des Fests bekommen einen Vorgeschmack des endzeitlichen Festes im Reich Gottes bereits hier und jetzt. Was eschatologische Erwartung war, ist zur geschichtlichen Erfahrung geworden (vgl. καὶ νῦν 4,23; 5,25). Die überfließende Freude des Hochzeitsfests wird hierzu hyperbolisch übersteigert im Blick sowohl auf die Menge als auch die Qualität des Weins. Damit verändert sich aus der Perspektive der Lesenden auch der Anlass des Fests: Gefeiert wird der Anbruch des neuen Lebens in Fülle, das Christus bringt, und damit – im Vorgriff auf Joh 4; 6; 7,37-39 – die Gegenwart des θεὸς ζωοποιῶν, der in seiner Liebe seinen Sohn gegeben hat (3,16). Die Erfahrung wunderbarer Speisung, damals beim Exodus und jetzt in der Begegnung mit Jesus, führt den Leser auf ein tieferes Verständnis des erfahrenen Heils als sichtbaren Ausdruck der sich mitteilenden Lebenskraft Gottes. Durch die Teilhabe an solcher Speisung erhält der Glaubende Anteil am göttlichen Leben (Joh 6,51-58). Somit ist die Geschichte der Hochzeit zu Kana kein „erratischer Block“ innerhalb des Evangeliums, sondern ein leiser und zugleich triumphaler Auftakt der Darstellungsweise der zeichenhaften Taten Jesu und des darin gegenwärtig gewordenen Heils als einer mit allen Sinnen zu erfassenden Realität.

Kapitel 3

„Herr, er riecht schon“: Menschliche Todesverfallenheit und der Geruch des Lebens in Joh 11,1–12,11 3.1 Einführung Das Motiv des Geruchs1 als Signum der Todesverfallenheit des Menschen bereitet mit der Aussage der Martha: „Herr, er riecht schon“ (ἤδη ὄζει; Joh 11,39) antitypisch einen der Höhepunkte des Johannesevangeliums vor: das Einbrechen der Lebensmacht Gottes in der Auferweckung des schon seit vier Tagen verstorbenen Lazarus. Innerhalb der beiden Geschichten über „die bethanischen Geschwister Maria, Martha und Lazarus“2 wird das Motiv indes noch ein zweites Mal angesprochen, im Autorkommentar bei der anschließenden Salbungsgeschichte: „Das Haus wurde vom Duft des Nardenöls erfüllt“ (ἡ δὲ οἰκία ἐπληρώθη ἐκ τῆς ὀσµῆς τοῦ µύρου; 12,3). Die berühmte Hervorhebung des Verwesungsgeruchs in der Lazarusgeschichte steht damit nicht für sich, sondern ihr korrespondiert in scharfem Kontrast die Notiz von dem sich in Anwesenheit des auferweckten Lazarus ausbreitenden und das ganze Haus erfüllenden Wohlgeruch der Narde in 12,3.3 Die beiden Stellen sind, wie sich zeigen wird, im Zusammenhang zu sehen und zu interpretieren. 1

Zur religiösen Bedeutung des Geruchs vgl. J. KÜGLER (HG.), Die Macht der Nase. Zur religiösen Bedeutung des Duftes. Religionsgeschichte – Bibel – Liturgie, SBS 187, Stuttgart 2000; R. FELDMEIER, Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne, in: ders., Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Glauben, WUNT 330, Tübingen 2014, 317-320 [= in: Beitragsserie für die Nachrichten der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern in sechs Teilen, München 1997, 231f.]; E. LOHMEYER, Vom göttlichen Wohlgeruch, SHAW.PH 1919.9, Heidelberg 1919; D.A. LEE, The Gospel of John and the Five Senses, JBL 129 (2010), 115-127; J.J. PILCH, The Cultural Dictionary of the Bible, Collegeville 1999, 153-158 („Smells and Tastes“), trägt zur vorliegenden Fragestellung wenig aus. Den weiteren motivgeschichtlichen Kontext im Blick auf die frühchristliche Rezeption zeichnet die ausgezeichnete Arbeit von S.A. HARVEY, Scenting Salvation. Ancient Christianity and the Olfactory Imagination, Berkeley 2006. 2 So überschreibt H. Thyen den Abschnitt 11,1-12,11 in seinem Kommentar. 3 Vgl. SCHNELLE, Komm., 222: Der „Wohlgeruch des wertvollen Öls steht in krassem Gegensatz zum ,Geruch des Todes‘; weiter N. CALDUCH BENAGES, La fragancia del perfume en Jn 12,3, EstB 48 (1990), 243-265, hier 264; dies., The Perfume of the Gospel. Jesus’ En-

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Die antithetische Motivik von Verwesungs- und Wohlgeruch unterstreicht das Kernthema der Erzählungen von den bethanischen Geschwistern, nämlich die Frage nach dem Verhältnis von Tod und Leben. Sie macht die theologische Behauptung des Einbruchs des Lebens in die vom Tod geprägte Welt sinnfällig, der sich durch Sendung, Tod und Auferstehung des göttlichen Wortes und Sohnes vollzieht, der Licht und Leben für die Welt bringt (vgl. 1,4). Dieser Umschlag vom Tod zum Leben, so die im Folgenden auszuführende These, wird motivisch wesentlich durch die Ablösung des die Welt prägenden Todesgeruchs durch den sich ausbreitenden Wohlgeruch in 12,3 markiert.4 Wie schon in der Kana-Erzählung knüpft die Offenbarung der δόξα θεοῦ (11,4) an menschliche Weltwahrnehmung an, hier an die ungeschönte Alltagserfahrung menschlicher Existenz. Macht der Geruch die Realität der Todesverfallenheit und Vergänglichkeit des Menschen besonders schmerzlich erfahrbar, so schlägt sich der göttliche Einspruch gegen die Kraft des Faktischen wiederum auf der Ebene körperlich-sinnlicher Wahrnehmung der (in Christus schon verwandelten) Welt über den sich ausbreitenden Geruch der Salbe nieder. Werfen wir einen Seitenblick auf die Rezeption der Auferweckung des Lazarus in der christlichen Kunst, so wird dort der Geruch regelmäßig über die counters with Women, Rom 2012, 83-108, bes. 106f. KÜGLER, Nase, 158-171; J. KREMER, Lazarus: die Geschichte einer Auferstehung. Text, Wirkungsgeschichte und Botschaft von Joh 11, 1-46, Stuttgart 1985, 22; F. MANNS, Lecture symbolique de Jean 12,1-11, SBFA 36 (1986), 85-110, hier 94f.; BULTMANN, Komm., 317; SCHNACKENBURG, Komm. II, 459-461; WENGST, Komm. II, 57f.; J. ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, AThANT 84, Zürich 22004, 227; ders., Komm., 443; BRANT, Komm., 170-185 („The Sweet Scent of Death“); D.A. KUREK-CHOMYCZ, The Fragrance of her Perfume. The Significance of Sense Imagery in John’s Account of the Anointing in Bethany, NT 52 (2010), 334-354, nennt verschiedene Elemente der Verknüpfung zwischen den beiden Geschichten (337f.), konzentriert sich aber auf die Bedeutung der Geruchsmotivik in Joh 12,3. Die Motivik des Geruchs sei, so ihre These, „well integrated in his narrative and consistent with his interest in sense imagery“ (336). Für die Geruchsmetaphorik lehnt sie einen Einfluss von 2Kor 2,14-16 ab, und sieht demgegenüber, wie Calduch Benages, intertextuelle Beziehungen zum Hohenlied. Ausführlich zu 2Kor 2,14-16 vgl. dies., Making Scents of Revelation. The Significance of Cultic Scents in Ancient Judaism as the Backdrop of Saint Paul’s Olfactory metaphor in 2Cor 2,14-17 (Diss. Leuven 2008), sowie zur Rezeption dies., The Sweet Scent of the Gospel in the Didache and in Second Corinthians. Some Comments on Two Recent Interpretations of the Stinoufi Prayer in the Coptic Did. 10,8, VigChr 63 (2009), 323-344; dies., Scenting the Aroma of Christ. 2Cor. 2:15-6 in Origen’s Interpretation, in: J. Baun/A. Cameron/M. Edwards/M. Vinzent (Hgg.), Studia Patristica (Papers Presented at the Fifteenth International Conference on Patristic Studies Held Oxford 2007), Leuven u.a. 2010, 275-279. 4 Insofern gilt insbesondere für die Motivik des Geruchs, was SCHNELLE, Komm., 221, allgemein formuliert: „Den Hörern und Lesern des Evangeliums soll durch die szenische Abfolge deutlich werden, dass der Weg Jesu nicht in die Leere des Todes führt, sondern gerade in seinem Schicksal das Leben triumphiert.“

3.2 Die kompositorische Zusammengehörigkeit

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Erwartung des Unvermeidlichen seitens der Zuschauer der Wundertat hervorgehoben: Als Lazarus aus dem Grab tritt, verhüllen die Menschen ihre Nasen in Erwartung des widerlichen Geruchs. Über den Ekel der Anwesenden wird so die der Geschichte inhärente ästhetische Spannung visualisiert und zugleich fungiert der Geruch im Grabkontext als Signum des Todes. Verschiedentlich ist die Lazaruserzählung zudem mit der Salbungsgeschichte verbunden.5 Da für die bildliche Darstellung der Lazarusgeschichte das Geruchsmotiv konstitutiv ist, mag man hier auch eine Beziehung zur Salbungserzählung gesehen haben. Jedenfalls begegnen wir der Prominenz des Geruchsmotivs in symbolischallegorischen Interpretationen der Geschichte bei den Kirchenvätern wieder.6 All dies spricht dafür, dass das Motiv des Geruchs schon früh als Ästhetisierung eines theologischen bzw. anthropologischen Sachverhalts verstanden wurde.

3.2 Die kompositorische Zusammengehörigkeit der beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1−12,11) Die beiden Geruchsgeschichten des Johannesevangeliums, die Erzählung vom Todesgeruch des Lazarus und diejenige von dem bei der Salbung Jesu das Haus erfüllenden Wohlgeruch der Salbe, sind von beiden Seiten her durch eine Reihe von literarischen Mitteln verzahnt und kompositorisch ineinander verwoben, die wir im Folgenden durchgehen wollen.7 Der so entstandenen literarischen 5

Vgl. C. NAUERTH, Vom Tod zum Leben. Die christlichen Totenerweckungen in der spätantiken Kunst, GOF.K 1, Wiesbaden 1980 (Tafel XXX Abb. 56-58); W. WISCHMEYER, Die Tafeldeckel der christlichen Sarkophage konstantinischer Zeit in Rom. Studien zur Struktur, Ikonographie und Epigraphik, RQ.S 40, Rom u.a. 1982, Tafel 1-3 (Sarkophage aus Rom); T. ZELLER, Die Salbung bei Simon dem Pharisäer und in Bethanien. Studien zur Bildtradition der beiden Themen in der italienischen Kunst von den Anfängen im 9. Jahrhundert bis zum Ende des Cinquecento, Dissertationen zur Kunstgeschichte 37, Frankfurt a.M. 1997, 152-154; R.M. JENSEN, The Raising of Lazarus, BiRe 1995, 21-28.45, hier 26 (Elfenbeindiptychon aus Norditalien aus dem 5. Jh.). 6 Vgl. u. 272-276. Die Rezeption in der Kirchenväterliteratur wird bei KREMER, Lazarus, breit dargestellt, der auch eine Reihe von Bildzeugnissen aufführt und diskutiert. 7 Als Erzähleinheit interpretieren Joh 11,1-12,11 THYEN, Komm., 508-551 (ähnlich ders., Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern [Joh 11,1-12,19] als „Palimpsest“ über synoptischen Texten, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, WUNT 214, Tübingen 2007, 182-212 [= in: Van Segbroeck u.a. (Hgg.), The Four Gospels 1992 (FS F. Neirynck), BEThL 100, Leuven 1992, 2021-2050], passim); KÜGLER, Nase, 162-164; CALDUCH BENAGES, Fragancia, 246; SCHNELLE, Komm., 221f.; F.J. MOLONEY, Can Everyone Be Wrong? A Reading of John 11,1-12,8, in: ders., The Gospel of John. Text and Context, Biblical Interpretation Series 72, Boston 2005, 214-240; M. GRUBER, Die Zumutung der Gegenseitigkeit.

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Einheit lässt sich, wie wir sehen werden, ein übergreifender theologischer Sinn im Kontext der Frage nach dem Verhältnis von Tod und Leben entnehmen.

Zur johanneischen Deutung des Todes Jesu anhand einer pragmatisch-intratextuellen Lektüre der Salbungsgeschichte Joh 12,1-8, in: G. van Belle (Hg.), The Death of Jesus in the Fourth Gospel, BEThL 200, Leuven 2007, 647-660, hier 650f.; M.-É. KIESSEL, Intertextualité et hypertextualité en Jn 11,1-12,11, EThL 81 (2005), 29-56; A. MARCHADOUR, Lazare. Histoire d’un récit. Récits d’une histoire, LeDiv 132, Paris 1988, 73-79; J.N. SUGGIT, The Raising of Lazarus, ExT 95 (1984), 106-108, hier 106; MANNS, Lecture symbolique, 94f.; ähnlich E. HAENCHEN, Das Johannesevangelium. Ein Kommentar, aus den nachgelassenen Manuskripten hg. von U. Busse, Tübingen 1980, 95f.; D.A. LEE, Flesh and Glory. Symbolism, Gender and Theology in the Gospel of John, New York 2002, 198-200; dies., The Symbolic Narratives of the Fourth Gospel, JSNT.S 95, Sheffield 1994, 191-226, geht bei ihrer Analyse des Zusammenhangs nicht auf das Motiv des Geruchs ein. An diesem Detail hebt sie lediglich den Wert des Öls hervor. Auch bei der Analyse der Parallelen zur Auffindung des leeren Grabes in Joh 20 macht sie den unmittelbar vorausgehenden Salbungsbericht in 19,40 nicht zum Thema. Sie gliedert die Einheit Joh 11,1-12,11 in sieben Erzählszenen: 11,1-16; 11,1727; 11,28-37; 11,38-44; 11,45-57; 12,1-8; 12,9-11. Die Auferweckung des Lazarus erscheint ihr als Zentrum eines chiastischen Beziehungsgeflechts. Die zusammenhängende Symbolik des Erzählabschnitts als interpretativer Rahmen für das letzte Zeichen hebt C. KOESTER, Symbolism in the Fourth Gospel. Meaning, Mystery, Community, Minneapolis 22003, 116, hervor. J. FREY, Die johanneische Eschatologie, Bd. 3: Die eschatologische Verkündigung in den johanneischen Texten, WUNT 117, Tübingen 2000, 403-462, spricht in seiner sorgfältigen Analyse von Joh 11, die eine Fülle von Detailbeobachtungen enthält, auch den Zusammenhang mit der Salbungsgeschichte an (408.411), allerdings ohne auf das Motiv des Geruchs einzugehen. Frey sieht zwar eine auffällige „Verklammerung mit der Salbungserzählung“ (411), kommt aber dennoch zu dem Ergebnis, die beiden Erzählungen seien „trotz der Verklammerung“ getrennt zu betrachten (408). Wie Frey durch eine Zusammenstellung einschlägiger Forschungsmeinungen deutlich macht, ist der Einsatz in 11,1 wenig umstritten, das Ende des Abschnitts kann aber sehr unterschiedlich bestimmt werden: mit 11,44 (SCHNELLE, BARRETT, BECKER, BROWN, BLANK; jew. ad loc.), 11,46 (ZAHN, SCHNEIDER, jeweils ad loc., KREMER, Lazarus, 12f.); 11,53 bzw. 11,54 (DODD, BULTMANN, LÉONDUFOUR, SCHENKE jeweils ad loc.) oder eben 12,11 bzw. 12,19 (THYEN, Palimpsest; SUGGIT, Raising; J. WAGNER, Auferstehung und Leben. Joh 11,1-12,19 als Spiegel johanneischer Redaktions- und Theologiegeschichte, BU 19, Regensburg 1988). P. MOURLON BEERNAERT, Parallélisme entre Jean 11 et 12. Etude de Structure littéraire et théologique, in: A. Descamps u.a. (Hgg.), Genèse et structure d’un texte du Nouveau Testament, Étude interdisciplinaire du chapitre 11 de l’évangile de Jean, Paris 1981, 123-149, versucht, strukturelle Parallelen zwischen Joh 11 und dem Großteil von Joh 12 nachzuweisen (11,1-16/12,1-11; 11,17-32/12,12-19; 11,34-44/12,20-36; 11,45-53/12,37-43; vgl. die Tabelle ebd., 133f.) und nennt die beiden Geschichten „un grand diptyque“ (ebd., 135).

3.2 Die kompositorische Zusammengehörigkeit

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3.2.1 Verknüpfung über die beteiligten Personen8 und durch explizite Vor- und Rückverweise Die Hauptfiguren der Lazaruserzählung – Maria, Martha und vor allem Lazarus – tauchen sämtlich in der Salbungsgeschichte wieder auf: Lazarus wird explizit als Teilnehmer des Mahls erwähnt. Da es sich um ein Festmahl zu Ehren Jesu handelt (ἐποίησαν οὖν αὐτῷ δεῖπνον ἐκεῖ; Joh 12,2) und da Martha, die Schwester des Auferweckten, bei Tisch aufwartet (διηκόνει), mag an ein Fest zum Dank für die Auferweckung des Lazarus gedacht sein, das nach einer Zeit der Rekonvaleszenz im Hause der Geschwister stattfindet.9 Dies würde den abrupten Auftritt der anderen Schwester, Maria, und ihre Salbungshandlung verständlicher erscheinen lassen. Mit ihrer Geste drückt sie als Gastgeberin Dank und Hochachtung gegenüber dem aus, der ihrem schon im Tod gefangenen Bruder das Leben gebracht hat. Die drei Hauptfiguren werden in einer Reihe von Vor- und Rückverweisen genannt, welche die beiden Geschichten aufeinander beziehen. Bereits in Joh 11,1f. wird – zu diesem Zeitpunkt noch unverständlich – auf die Geschichte der Salbung vorausverwiesen10: „Maria aber war es, die den Herrn mit Salböl gesalbt und seine Füße mit ihrem Haar getrocknet hatte.“ Umkehrt knüpft die Salbungsgeschichte in Joh 12,1-11 explizit an Joh 11 an, wobei diese Rückverweise einen Rahmen um die Salbungserzählung in Joh 12 bilden. Am Anfang heißt es in 12,1f.: „… wo Lazarus war, den Jesus auferweckt hatte von den Toten. Dort machten sie ihm ein Mahl, und Martha diente ihm; Lazarus aber war einer von denen, die mit ihm zu Tisch lagen.“ Dies wird abschließend in 12,9-11 wieder aufgegriffen, wo von der glaubenstiftenden Wirkung der 8

S.M. SCHNEIDERS, Written that you may believe. Encountering Jesus in the Fourth Gospel, New York 22003, sieht insbesondere in den Frauenfiguren den Zusammenhang der Geschichte, den sie einem „cycle of traditional women-disciple material“ zuordnen will, der allen Evangelisten vorgelegen habe (104f.). Vgl. auch THYEN, Palimpsest, 2034, der den Vergleich mit Lukas durchführt. 9 Vgl. GRUBER, Zumutung, 651, sowie u. 248-249. 10 Vgl. FREY, Eschatologie III, 422; O. HOFIUS, Die Auferweckung des Lazarus. Joh 11,144 als Zeugnis narrativer Christologie, ZThK 102 (2005), 17-34, hier 20. Es lassen sich gute Gründe dafür angeben, 11,2 als relativ späte Ergänzung einer bereits verfestigten Erzählfassung zu betrachten: Die Bemerkung verweist im Gange der Erzählung anachronistisch auf eine Handlung, die noch gar nicht erzählt worden war. Auch die unterschiedliche Behandlung des Geschwisterverhältnisses ist auffällig. Dem Versuch, den Vers als Glosse auszuscheiden (vgl. WELLHAUSEN, Komm., 52; BULTMANN, Komm., 302 Anm. 1; BROWN, Komm. I, 423, BECKER, Komm. II, 405f.; C. DIETZFELBINGER, Das Evangelium nach Johannes, Zürich 2 2004, 363; W. WILKENS, Die Erweckung des Lazarus, ThZ 15 [1959], 22-39, hier 23; THEOBALD, Komm. I, 726), hat FREY, Eschatologie III, 422, aus kompositorischen Gründen widersprochen. Auf der Endstufe des Textes, die uns vorliegt, erfüllt der Vers eine literarische Funktion, indem er die Zusammengehörigkeit der beiden Erzählungen von Anfang an signalisiert.

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Begegnung mit dem auferweckten Lazarus die Rede ist: „Lazarus, den Jesus von den Toten auferweckt hatte“ (12,9).11 Explizite Vor- und Rückverweise zwischen den beiden Geschichten bilden also nicht allein die Person des Lazarus und seine Auferweckung, sondern auch die Salbung durch Maria. 3.2.2 Verknüpfung über den Ort: Bethanien Mit den entscheidenden Handlungsfiguren wird auch der Ort wieder aufgegriffen. Nachdem sich die Auferweckung des Lazarus in Bethanien abgespielt hatte, hatte sich Jesus im Anschluss an den Tötungsbeschluss nach Ephraim zurückgezogen (11,54). Mit Beginn von Joh 12 kehrt er wieder nach Bethanien zurück. 3.2.3 Verknüpfung durch das Thema: Tod und Todesüberwindung Mit der Nennung des Lazarus wird zugleich das Kernthema von Joh 11, nämlich Tod und Todesüberwindung, zu Beginn der Salbungsperikope wieder aufgegriffen. Die Apposition „den Jesus von den Toten auferweckte“ wird dabei mehrfach betont mit dem Namen des Lazarus verknüpft (12,1.9; vgl. 12,17).12 Die Präsenz des Lazarus als eines Garanten der Überwindung des Todes durch Jesus13 unterstreicht die Bedeutung des Auferstehungsthemas für die Salbungsperikope. Ist die oben unter 3.2.1 genannte Deutung des Anlasses des Festmahles richtig, dann liegt auch in dem Mahl selbst als einem „Fest des Lebens“ eine Aufnahme der Opposition Tod–Leben. Gleiches gilt für die Salbung. Indem sie – anders als bei Markus und Matthäus – der Schwester des auferweckten Lazarus zugewiesen wird, wird sie motivisch-thematisch unmittelbar mit der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus verknüpft. Die Deutung im Sinne der Totensalbung, die Joh 12,7 mit dem Stichwort ἐνταφισµός terminologisch aufgenommen wird, wird damit durch die Thematik von Auferweckung und neugeschenktem Leben in ein 11 Die erste Notiz über die glaubenstiftende Wirkung des Wunders in 11,45 bildet noch nicht den Abschluss der Lazaruserzählung, sondern leitet zum Tötungsbeschluss des Synhedriums über; dazu vgl. u. 245-247. 12 Vgl. MANNS, Lecture symbolique, 91. Dabei dürfte es sich um die Aufnahme einer schon traditionellen Wendung handeln. 13 Diese Funktion der von Jesus Auferweckten findet sich am deutlichsten im QuadratusFragment ausgedrückt: „Die Werke unseres Erlösers waren ständig gegenwärtig, es war wahrhaftig so: Die Geheilten, die von den Toten Auferstandenen, welche nicht nur gesehen wurden im Moment ihrer Heilung und ihrer Auferstehung, sondern die auch ständig anwesend waren, auch nicht nur, solange der Erlöser (auf Erden) wandelte, sondern auch nach seinem Weggang noch geraume Zeit, so dass auch bis in unsere Zeiten einige von ihnen gelebt haben“ (bei Euseb. H. E. IV, 3).

3.2 Die kompositorische Zusammengehörigkeit

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neues Licht gerückt. Nicht mehr allein der Tod Jesu, sondern das in der Auferweckung des Lazarus sich offenbarende und durch den Tod Jesu zur Durchsetzung kommende Leben (11,25) ist hier Thema.14 3.2.4 Verknüpfung durch die Tötungspläne gegen Jesus und Lazarus15 Der Tötungsbeschluss gegen Jesus (11,53), der auf der glaubenstiftenden Wirkung seiner „Zeichen“ beruht, wird in 12,10 auf Lazarus ausgedehnt, der als äußerstes Zeichen16 durch sein bloßes Dasein viele Juden zum Glauben an Jesus führt (12,9.11).17 3.2.5 Verknüpfung durch das Geruchsmotiv: ὄζειν – ὀσµή Der Zusammenhang der beiden Geschichten von den bethanischen Geschwistern, der über die genannten Aspekte kompositorisch deutlich hergestellt ist, wird schließlich durch das Geruchsmotiv noch unterstrichen. Interessanterweise findet sich dieses weder in den synoptischen Auferweckungs- noch in den synoptischen Salbungsgeschichten, auf die sich eine ganze Reihe von Bezugnahmen aufführen lassen.18 Während Totenauferweckungen für die synop14

In der Sekundärliteratur konzentriert man sich – von der Deutung der Synoptiker her – vielfach zu einseitig auf den Aspekt der Salbung zum Tode. Vgl. etwa S.M. SCHNEIDERS, Death in the Community of Eternal Life. History, Theology and Spirituality in John 11, Interp. 41 (1987), 44-56, hier 45. Anders SCHNELLE, Komm., 221 („verhüllter Hinweis auf Ostern“). BARRETT, Komm., 405, erblickt darin eine Königssalbung, die den triumphalen Einzug in Jerusalem vorbereitet. 15 Vgl. R. KYSAR, John’s Story of Jesus, Philadelphia 1984, 58. 16 Die Zeichenhaftigkeit des Vorgangs zeigt sich darin, dass auch die Auferweckung des Lazarus noch keinen vollständigen Sieg über den Tod bedeutet, sondern noch ihrer endgültigen Bestätigung durch die Auferstehung Jesu harrt. 17 Die Rolle der „Juden“ innerhalb von Joh 11–12 wird sehr unterschiedlich eingeschätzt. Auf die positive oder jedenfalls neutrale Rolle weisen etwa BROWN, Komm. I, 427f. (statt feindliche jüdische Autoritäten „ordinary people“, die zuletzt sogar an Jesus glauben; vgl. 8,31), und MARCHADOUR, Lazare, 116f., hin. Anders etwa MOLONEY, Everyone, 216f.228230.233. 18 FREY, Eschatologie III, 423f., trägt die vielfältigen Aspekte der „Auf- oder gar Übernahme wesentlicher Elemente aus der synoptischen Tradition“ (423) zusammen: die Geschwister Martha-Maria (vgl. Lk 10,38-42), Bethanien (vgl. Mk 11,1 par.; 14,3-9 par. Mt 26,6-13); Lazarus (als ein Toter, der nun – gleichsam als Fortsetzung des lukanischen Gleichnisses – tatsächlich wiederkehrt); Thyen spricht besonders prägnant von einem „Palimpsest über synoptischen Texten“ (THYEN, Palimpsest; gemeint sind Lk 10,38-42; 16,19-31; Mk 4,3-9; Lk 7,36-50). Zum äußerst kontrovers diskutierten Problem des Verhältnisses des Johannesevangeliums zu den synoptischen Evangelien vgl. den Überblick über die neueste Forschungsliteratur bei M. LABAHN/M. LANG, Johannes und die Synoptiker. Positionen und Impulse seit 1990, in: J. Frey/U. Schnelle (Hgg.), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, WUNT 175,

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

tischen Evangelien und für die Apostelgeschichte nichts Ungewöhnliches sind19, thematisiert nur Johannes mit der Nennung des Geruchs die Perspektive der sinnlichen Wahrnehmung. Auch in die Salbungsgeschichte fügt Johannes das Geruchsmotiv ein. Der sprachliche Befund unterstreicht die Bedeutung des Geruchsmotivs zur Verknüpfung der beiden Geschichten: In 11,39 (ὄζειν) und 12,3 (ὀσµή) liegt derselbe Wortstamm zugrunde, der ansonsten im Neuen Testament überaus selten vorkommt: Das Verbum ὄζειν erscheint in Neuen Testament nur an dieser Stelle, und auch das Substantiv ὀσµή findet sich in den Evangelien kein zweites Mal. Im Neuen Testament erscheint das Substantiv ὀσµή ansonsten noch bei Paulus (2Kor 2,14-16 [dreimal] und in Phil 4,18) und in der paulinischen Tradition in Eph 5,2.20 Das Verb ὄζειν findet sich in der Septuaginta nur in Ex 8,10.21 Das Substantiv ὀσµή erscheint im positiven Sinne des Wohlgeruchs vor allem im Opferzusammenhang, besonders im Buch Leviticus (z.T. in der Junktur ὀσµὴ εὐωδίας) und im Zusammenhang der Narde im Hohenlied (Hld 1,3f.12; 4,10f.; 7,9). In negativer Bedeutung wird es in prophetischen Gerichtsaussagen bei Jesaja (34,3) und Amos (4,10) verwendet. Auf den Gestank (der toten Frösche) bezieht sich auch das Verb in Ex 8,10 im Zusammenhang der Plagen, die Gott den Ägyptern schickt (καὶ συνήγαγον αὐτοὺς θιµωνιὰς θιµωνιάς, καὶ ὤζεσεν ἡ γῆ).

Luthers prägnante und prägende Übersetzung: „Herr, er stinkt schon!“ (11,39) indes verdeckt die kompositionelle Verknüpfung der beiden Geruchsstellen, da sie den semantischen Kontrast profiliert. Durch die Verwendung desselben Wortstammes betont Johannes jedoch mit dem Kontrast zugleich den Zusam-

Tübingen 2004, 443-515. Den Vergleich mit den Synoptikern führt M. SABBE, The Anointing of Jesus in Jn 12,1-8 and Its Synoptic Parallels, in: Van Segbroeck u.a., Four Gospels, 20512082, sorgfältig durch. Ich setze eine Auseinandersetzung und ein intertextuelles Spiel voraus, wie dies von H. Thyen mit besonderer Emphase vorgetragen und in seinem Johanneskommentar nachzuzeichnen versucht worden ist, mit der synoptischen Tradition, insbesondere aber mit dem Lukasevangelium. 19 Jesus erweckt den Sohn der Witwe zu Nain (Lk 7,11-17; die Erzählung schließt mit dem Fazit: „Gott hat sein Volk besucht“) und die Tochter des Synagogenvorstehers Jairus (Mk 5,21-24.35-43 par. Mt 9,18f.23-26; Lk 8,40-56). Dort findet sich bereits das Spiel mit der metaphorischen und eigentlichen Verwendung des Wortes „Schlaf“ (Mk 5,39 par. Mt 9,24; Lk 8,52). Petrus erweckt die Tabitha (Apg 9,36-43). Die Erzählung greift auf prophetische Traditionen zurück, vgl. 1Kön 17,17-24; 2Kön 4,32-37. 20 Die genannten Stellen sowie traditionsgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch in der Septuaginta und in frühjüdischen Schriften werden bei KÜGLER, Nase, 123-134.142-149; ders., Paulus, 155-173, und CALDUCH BENAGES, Fragancia, 257-264, ausführlich diskutiert. Vgl. auch G. DELLING, Art. ὀσµή, ThWNT V, 492-495, hier 492. 21 Geläufiger ist das Verb ὀσφραίνεσθαι.

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menhang, da das Verbum ebenso wie das Substantiv zunächst vox media ist22: Beide bezeichnen den Geruch allgemein, der dann durch einen qualifizierenden Zusatz (wie in der in der Septuaginta geläufigen Wendung ὀσµὴ εὐωδίας) oder durch die Semantik des Kontextes negativ oder auch dezidiert positiv qualifiziert werden muss. Inwiefern diese inhaltliche Beziehung nicht nur literarische Bedeutung hat, sondern auch theologisch umgesetzt wird, wird im Folgenden zu zeigen sein. Dabei lässt sich die angedeutete These erhärten, dass durch die von Johannes hergestellte Verknüpfung von Auferweckungs- mit der Salbungsgeschichte (Joh 11 und 12) und durch den im Beisein des Lazarus sich ausbreitenden Lebensgeruch der Narde die Todesgeschichte des Lazarus (und damit mittelbar auch die Todesgeschichte Jesu) von vornherein als Lebensgeschichte in den Blick genommen wird. Gerade jene Elemente, auf denen die Verknüpfung dieser beiden Geschichten beruht, hat das Johannesevangelium in Joh 12 gegenüber der synoptischen Salbungstradition eingefügt23: Die Figur des Lazarus (mit Maria – bei Markus und Matthäus handelt es sich um eine namenlose Frau, bei Lukas um eine stadtbekannte Sünderin) sowie den Kommentar über die Ausbreitung des Geruchs. Damit darf die Verknüpfung als bewusste Leistung des Johannes gelten.24 Aus der markinischen Konzeption übernimmt Johannes indes die Verknüpfung der Salbung mit der Passion durch den Hinweis auf Jesu Beerdigung.25 3.2.6 Folgerungen: Zur Bedeutung des Erzählzusammenhangs von Joh 11,1– 12,11 Der vierte Evangelist hat Joh 11,1–12,11 als Einheit komponiert und motivisch zusammengebunden. Diese Verbindung der beiden Geschichten folgt, wie noch zu zeigen sein wird, einer theologischen Aussageabsicht. In ihnen offenbart sich das komplexe Ineinander von Tod und Leben in der Geschichte Jesu: Krankheit und Tod des Lazarus/Weg Jesu und der Jünger in Richtung Tod; Auferweckung des Lazarus/Auferstehung Jesu/Auferstehung aller Menschen am jüngsten Tag; (ausbleibender) Todesgeruch des Lazarus/Salbung Jesu zum 22

Entsprechend zu Recht BAUER/ALAND s.v. ὄζω: „einen Geruch verbreiten, riechen, gut oder übel“, die allerdings dann fortfahren, indem sie für die Stelle Luthers Übersetzung wiedergeben; vgl. DELLING, ὀσµή, 492. 23 Nach THYEN, Komm., 546f., ist die Salbungserzählung als „eine genuin johanneische Bildung und als intertextuelles Spiel mit den nicht nur postulierten, sondern ja tatsächlich vorhandenen Erzählungen von Mk 14,3-11/Mt 26,6-13 sowie von Lk 7,36-50“ zu begreifen (Hervorhebung H.T.). 24 Anders B. LINDARS, Rebuking the Spirit. A New Analysis of the Lazarus Story of John 11, NTS 38 (1992), 89-104, hier 97. 25 Vgl. u. 254f.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Begräbnis/sich ausbreitender Wohlgeruch des Lebens. Alle diese Aspekte wollen wir in der folgenden motivgeschichtlichen Spurensuche und der anschließenden Auslegung in ihrem Verhältnis zueinander ausleuchten. In der erzählten Zeit sind sie – sowohl in der Lazarusgeschichte als auch in der Salbungserzählung – noch verwirrend ineinander verwoben. Die vielfach gegenwärtige Spannung zwischen Tod und Leben legt es allerdings schon hier nahe, dass dem Todesgeruch in 11,39 der Wohlgeruch in 12,3 dezidiert als Geruch des Lebens gegenübergestellt ist. Der Blick in die religionsgeschichtlichen Parallelen macht deutlich, wie sehr die Opposition der Gerüche in der Umwelt in eben diesem Sinne verstanden wurde.

3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch Die im Folgenden zusammengestellten religions- und motivgeschichtlichen Beobachtungen aus dem Bereich Ägyptens26, des Alten Testaments und des hellenistischen Judentums sowie der paganen griechisch-römischen Welt bereiten einer synchron-literarischen Analyse des Motivzusammenhangs von Todes- und Lebensgeruch den Boden; sie liefern gewissermaßen ein ‚Lexikon‘ der Verwendung des Geruchsmotivs im Kontext von Leben und Tod. Für den vorliegenden Zusammenhang konzentrieren wir uns insbesondere auf solche Stellen, die den Duft in der Opposition von Übel- und Wohlgeruch als Lebensbzw. Todeshauch deuten. Innerhalb des Neuen Testaments ist 2Kor 2,14-16 herauszuheben, wo das Geruchsmotiv nicht nur besonders prominent auftritt, sondern eine funktionale Rolle im Zusammenhang des Erlangens des Lebens durch die Begegnung mit Christus bzw. des Verbleibens im Tod spielt. 3.3.1 Geruch der Salbe als Lebensgeruch: Die ägyptische „Dufttheologie“ (Kügler27) und ihre Relevanz für das Verständnis des Duftmotivs als Lebensmotiv bei Johannes Wohlgeruch findet sich insbesondere in der griechischen und ägyptischen Tradition als Signum des Göttlichen28, das im ägyptischen Bereich wesentlich

26 Verschiedentlich wird Ägypten als Abfassungsort des Evangeliums genannt; vgl. z.B. M. FRENSCHKOWSKI, τὰ βαΐα τῶν φοινίκων (Joh 12,13) und andere Indizien für einen ägyptischen Ursprung des Johannesevangeliums, ZNW 91 (2000), 212-229. Es ist aber methodisch problematisch, über den Ursprung einzelner Traditionszusammenhänge auf den Abfassungsort des Evangeliums schließen zu wollen. 27 KÜGLER, Nase, 25.

3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch

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über seine Lebensmacht definiert ist.29 Im Geruch, der zugleich Lebenshauch ist, wird diese göttliche Lebensmacht dem Menschen erfahrbar und auch vermittelt, so dass man mit J. Kügler von einer regelrechten „Dufttheologie“ sprechen kann. Im Geruch verbindet sich der Epiphanieaspekt mit dem Aspekt des Lebens als dem Kern des Göttlichen. Im Geruch, so führt Kügler aus, verschmelzen göttliche und menschliche Sphäre, kommt es zu einer „symbolischen Überlagerung von Göttlichem und Menschlichem“.30 Der Duft, der vom Weihrauchland Punt herkommt, spielt auch bei der Zeugung des ägyptischen Königskindes eine zentrale Rolle, die auf zwei Reliefzyklen im Totentempel der Hatschepsut und im Amuntempel von Amenophis III. dargestellt ist.31 In der zentralen Szene hält Amun der Königin das Lebenszeichen (Anch) an die Nase. Diese an sich häufige Darstellung, die allgemein als die Vermittlung von Lebenskraft zu deuten ist, interpretiert Kügler im vorliegenden Zusammenhang im Sinne des Übergangs des göttlichen Lebens auf das königlich-göttliche Kind. Im Anschluss an die Zeugung heißt es: „Der Palast war überflutet von Gottesduft. Und alle seine Gerüche waren solche aus Punt.“32 Im Horizont einer solchen Dufttheologie wird die Grenze zwischen Göttlichem und Menschlichem besonders schmerzlich spürbar im Geruch des Todes. Deshalb diente das Balsamierungsritual, in dem sich die Aspekte des Geruchs und der Salbung verbinden, dazu, den Todesgeruch zu bannen. Dies wird aus den bei Kügler nach K. Sethe zitierten Pyramidentexten besonders deutlich. NN wird nicht verfaulen, er wird nicht verwesen, NN wird nicht befeindet werden von eurem Zorn, ihr Götter. 28 Ausführlich dargestellt bei LOHMEYER, Wohlgeruch, passim. Vgl. etwa Plutarchs Schilderung zum Wohlgeruch Alexanders des Großen (Plut. Alex. 4; zum Duft der Salbe Alex. 20,13). 29 Vgl. LOHMEYER, Wohlgeruch, 15-22; KÜGLER, Nase, 25-47; B. CASEAU, ΕΥΩΔΙΑ. The Use and Meaning of Fragrances in the Ancient World and their Christianization (100– 900 A.D.), Ann Arbor 1994, 221-226; E. PASZTHORY, Salben, Schminken und Parfüme im Altertum, Mainz 1992, 12-18; vgl. E. HORNUNG, Der Eine und die Vielen. Ägyptische Gottesvorstellungen, Darmstadt 51993, 122-124. Weiter allgemein zum Geruch: E. COTHENET, Parfums dans la bible, SDB 6, Paris 1960, 1302-1331; R. SIGISMUND, Die Aromata in ihrer Bedeutung für Religion, Sitten, Gebräuche, Handel und Geographie des Altertums, Leipzig 1884. 30 KÜGLER, Die religiöse Bedeutung des Duftes im Alten Ägypten. Medium der Gottesnähe, in: ders., Nase, 25-47, hier 34. 31 KÜGLER zeigt die Bedeutung des Geruchs für die Zeugung des Königs auf (Nase, 3142). Vgl. H. BRUNNER, Die Geburt des Gottkönigs. Studien zur Überlieferung eines altägyptischen Mythos, ÄA 10, Wiesbaden 21986, 35-58. 32 Vgl. KÜGLER Nase, 33. Ähnlich kommt dem Geruch bei der Übertragung göttlicher Kräfte auf die Königin Hatschepsut eine zentrale Rolle zu, vgl. ebd., 41, mit Zitat aus I. SHIRUN-GRUMACH, Offenbarung, Orakel und Königsnovelle, ÄAT 24, Wiesbaden 1993, 90.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

NN ist zu dir gekommen, Mutter des NN, er ist zu dir gekommen, Nut, Sein Geruch ist der Geruch deines Sohnes, der Geruch des NN ist [der des] Osiris, deines Sohnes, der aus dir gekommen ist.33

Durch die Einbalsamierung verströmt der königlich-göttliche Pharao auch nach seinem Tod den Duft des göttlichen Lebens. Dabei bekräftigt der im Balsamierungsritual zugeeignete Geruch nur die göttliche Würde des Königs, wie umgekehrt sich in seinem Lebensgeruch die Lebenskraft der Götter bestätigt. Der Einfluss dieser aus der Zeit des Alten Reichs stammenden Vorstellungen wirkt auch zur Zeit der Entstehung des Neuen Testaments noch nach. Kügler verweist auf einen Balsamierungstext aus dem 1.Jh.n.Chr. (Papyrus Boulaq 334): O du Osiris [blank35]: Myrrhenöl, das aus Punt kommt, wird an dich gegeben, um deinen Geruch durch den Gottesduft angenehm zu machen. Ausfluss, der aus Re stammt, wird an dich gegeben, um [dich] wohlriechend zu machen /…/ Der Duft des großen Gottes beräuchert dich, der angenehme Geruch, der unvermischt ist und durch den deine Gestalt unverändert bleibt.36

Der Geruch dient der Vereinigung mit der großen Sonnenscheibe und mit Osiris und hat zur Folge, dass der König mit allen seinen körperlichen Funktionen weiterlebt: Mögen sie in dich eindringen und deine Glieder gesunden lassen. Die Kraft der Götter wird an deinem Kopf sein, und jeglicher Lebensschutz in dich eindringen. Du wirst sicher mit deinem Mund essen, mit deinem Auge sehen und mit deinen Ohren hören!37

Kügler fasst zusammen: „Die Vergöttlichung, die der Duft bewirkt, ist als Belebung zu verstehen. Sie eröffnet neues Leben […] Die verwendeten Balsamierungsstoffe werden als Produkte der Götter selbst gedeutet. Ihr Duft ist also der Eigengeruch der Götter, in dem deren göttliche Kraft präsent ist. Wird dieser 33 Spruch 576 der Pyramidentexte (§§ 1515f.); vgl. KÜGLER, Nase, 44 (dort zitiert nach K. SETHE, Übersetzung und Kommentar zu den Altägyptischen Pyramidentexten 5, Hamburg 1962, 460). 34 Vgl. H. STERNBERG, Das Balsamierungsritual des pBoulaq 3, TUAT 2.3 (1988), 405431. 35 Leerstelle im (fabrikmäßig angefertigten) Papyrus, in die der Eigenname des Verstorbenen eingesetzt wurde. 36 STERNBERG, Balsamierungsritual, 407. 37 Ebd., 420.

3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch

203

Duft auf den Toten übertragen, so wird auch die göttliche Lebenskraft auf ihn übertragen.“38 Diese motivgeschichtlichen Hintergründe in der ägyptischen Theologie sind von großer Bedeutung für die theologische Deutung des Geruchsmotivs im Johannesevangelium. Sie führen Kügler dazu, das Thema der Bannung des Todesgeruchs und der Überwindung des Todes, wie sie in Ägypten mittels des Einbalsamierens erreicht werden, als Zusammenhang in Joh 11–12 wiederzuerkennen. Nicht nur erweist sich Joh 11–12 auf diese Weise als motivischer Zusammenhang, sondern zugleich wird der Aspekt des Lebens in der Motivik der Salbung erkennbar. Dies passt zur gängigen christologischen Deutung des Geruchsmotivs auf die Auferstehung Jesu. Das Proprium der johanneischen Rezeption des Geruchsmotivs indes bleibt aufgrund dieses Ausgangspunktes unbeachtet: Die Einbalsamierung des Pharao markiert die Überwindung des Todesgeruchs bei einem herausgehobenen, in die Nähe des Göttlichen gerückten oder gar mit ihm identifizierten menschlichen Individuum, demgegenüber ergibt sich bei Johannes eine entscheidende „Demokratisierung“ der Verwendung des Geruchsmotivs bei Johannes: Jesus wird bei Johannes als der gekennzeichnet, der göttliches Leben nicht nur repräsentiert, sondern auch zueignet. Bei der Einbalsamierung geht es im Rahmen der ägyptischen Königstheologie um die Lebensmacht des Pharao nach seinem Tod – im Johannesevangelium dagegen wird das Motiv des Geruchs zu einem anthropologisch-soteriologischen Element.39 Über Tod und Auferstehung des Gottessohnes hinaus geht es um die lebenstiftende Wirkung dieses Todes auf die Menschen, die im Tod Jesu des – über den Geruch wahrnehmbaren – neuen Lebens teilhaftig werden. 3.3.2 Alttestamentliche Stellen zum Duft und zur Salbung40 Mit dem Motiv des Geruchs, der sich in Joh 12,3 aufgrund der Salbung entfaltet, knüpft Joh 12 zudem an alttestamentliche Tradition an. Ein zweiter Bereich, in dem das Duftmotiv alttestamentlich von Bedeutung ist, ist das Opfer.41 Insbesondere unter hellenistischem Einfluss zur Zeit des Zweiten Tempels bekommt das Duftkonzept größere Bedeutung und drückt sich in der Septuaginta in der Übersetzung ὀσµή εὐωδίας für ‫„( ֵריח־נִיחוֹח‬besänftigender Duft“) aus. Anstelle der Brandopfer treten nun die Räucheropfer stärker in den Vordergrund. Der Aspekt des lieblichen Geruchs beim Opfer, der für pagan38

KÜGLER, Nase, 47. Dies versteht Kügler im Rahmen der kosmo-theologischen Konzeption der ägyptischen Götter: Der Geruch stammt aus den Göttern selbst, insofern der Weihrauch materialiter aus dem Gott Horus, die Myrrhe aus Re stammt und die Materialien mit den Göttern identifiziert werden. 39 Dieses ist der Königstheologie/-christologie des Evangeliums in ganz eigener Weise zugeordnet. 40 Vgl. LOHMEYER, Wohlgeruch, 26-31. 41 Vgl. U. BECHMANN, Der Duft im Alten Testament, in: Kügler, Nase, 49-88.

204

Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

griechische Opferriten wesentlich ist42, kann für unser Thema beiseitegelassen werden, wo er sich nicht, wie bei Paulus in 2Kor 2,14-16, mit dem Aspekt des Todes- und Lebensgeruchs verbindet.43 Die Salbung dient im Alten Testament neben der alltäglichen Verwendung zur Kosmetik oder beim Empfang eines Gastes insbesondere zur Markierung eines Statuswechsels bei der Einsetzung zum Propheten oder König.44 Thyen sieht in Joh 12 ein „intertextuelles Spiel“ mit Hld 1,12 LXX. Im Hohenlied werden nicht nur Salbung und Geruch nebeneinander thematisiert. Zudem ist es die einzige Stelle innerhalb des Alten Testaments, in der – wie in Joh 12,3 – von der Narde die Rede ist und dieses Motiv zudem mit der Rede vom König verbunden wird: Ἕως οὗ ὁ βασιλεὺς ἐν ἀνακλίσει αὐτοῦ, νάρδος µου ἔδωκεν ὀσµὴν αὐτοῦ. Die Nennung des Dufts in 12,3, so Thyen, unterstreiche das Luxuriöse, Königliche der Salbe und weise damit auf die besondere Bedeutung Jesu hin, die im Fortgang von Joh 12 in Königsmetaphorik gefasst werde45: Mit dem königlichen Aspekt der Salbung wäre der königliche Einzug Jesu in Jerusalem als βασιλεὺς τοῦ Ἰσραήλ in 12,13 vorbereitet.46 Freilich werden bei einer Königssalbung nicht die Füße gesalbt, sondern der Kopf. Es würde sich also zumindest um eine transformierte Aufnahme handeln.47 Diese königliche Dimension tritt bei der Salbung des Leichnams Jesu in Joh 19,39 mit 100 Litern Salböl in den Vordergrund. Diese Fülle erinnert an ein Staatsbegräbnis.48 Einen Statuswechsel zeigt die Salbung auch im Zusammenhang der Salbung von Toten an, wo die Verbindung mit dem Aspekt des Geruchs evident ist. Anders als bei der Einbalsamierung zielt die Salbung im jüdischen Raum jedoch nicht auf eine dauerhafte Bekämpfung des Todesgeruchs mit theologischen Untertönen. Es sollte lediglich das Entstehen von Leichengeruch vor dem

42

Man denke nur an Aristophanes Vögel. Freilich kann der Opfergeruch in verschiedener Weise metaphorisch verwendet werden, etwa für das Gebet: Ps 141,2 (140,2 LXX); Offb 5,8; 8,3f.; oder für die Unterstützung des Apostels: Phil 4,18. 44 Vgl. 1Kön 1,38-40; 2Kön 9,1-13; 1Sam 10,1. 45 THYEN, Komm., 548; vgl. J. MCWHIRTER, The Bridegroom Messiah and the People of God. Marriage in the Fourth Gospel, MSSNTS 138, Cambridge 2006, 85f. Im sinnenfreudigen Hohenlied spielt der Geruch insgesamt eine wichtige Rolle (1,3.12; 2,13; 4,10f.; 7,9.14). Dies wird – verschiedentlich im Sinne der Überbietung – verknüpft mit dem Motiv des Weins (1,3f.; 4,10; 7,9f.). Von der Narde ist im Hohenlied weiter in 4,14 die Rede, von ἀρώµατα in 1,3; 4,10.16; 5,13; 6,2; 8,14, dazu von Myrrhe in 1,13; 3,6; 4,14; 5,1.5.13; vgl. 4,6. 46 Vgl. 12,15. BARRETT, Komm., 405; BECKER, Komm. II, 439; KÜGLER, Nase, 165f.; THEOBALD, Komm. I, 775, heben diesen Aspekt heraus. 47 Vgl. DIETZFELBINGER, Komm., 378: „Man fragt sich, wie Maria dazu kommt, die Füsse Jesu zu salben und nicht, wie es üblich ist, das Haupt (vgl. Mk. 14,3; Mt. 6,17).“ 48 Herodes sieht für sein Begräbnis eine unendliche Menge Salböl vor (Jos. Ant. Iud. XVIII 199). 43

3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch

205

Begräbnis gebannt werden: „Von einer entfalteten Dufttheologie im Kontext von Tod und Begräbnis fehlt jede Spur.“49 3.3.3 Die frühjüdische und rabbinische Tradition vom Lebensgeruch Erst in hellenistisch-jüdischen Quellen, wenn zunehmend griechischer Einfluss spürbar wird – und insbesondere in weisheitlichen Texten – gewinnt das Motiv des Geruchs im Judentum eigenständige Bedeutung als Signum Gottes und des göttlichen Lebens. 3.3.3.1 Das Salböl der Unvergänglichkeit und des Verderbens (JosAs 8,5) Eine Verbindung des Geruchs- und Salbungsmotivs mit dem Thema Leben– Tod bietet der hellenistisch-jüdische Roman Joseph und Aseneth50 mit der Rede von Salben der Unverweslichkeit einerseits und des Verderbens andererseits. Das Motiv der Salbung ist hier mit dem Übergang vom Götzenglauben zum wahren Glauben verbunden51, der zugleich als Übergang vom Tod zum Leben verstanden wird. Joseph und Aseneth steht dem Neuen Testament gerade darin nahe, dass Gott nicht nur im Gegensatz zur menschlich-irdischen Realität als unvergänglich gedacht wird, sondern Gott als θεὸς ζωοποιῶν den Menschen seine Lebenskraft mitteilt.52 Die Verwendung der Salbe der Unverweslichkeit markiert parallel zur Verwendung des gesegneten Brotes des Lebens und des gesegneten Tranks der Unsterblichkeit den Stand des gläubigen Juden. Als Aseneth, die Tochter des ägyptischen Priesters Pentephres, Joseph mit einem geschwisterlichen Kuss küssen will, weist dieser sie zunächst aufgrund ihres Götzenglaubens zurück:

49

BECHMANN, Duft, 60. Zu Einleitungsfragen und zur weiteren Einordnung des Textes vgl. E. REIMUTH U.A. (HGG.), Joseph und Aseneth, eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 15, Tübingen 2009. Vgl. weiter R.D. CHESNUTT, From Death to Life. Conversion in Joseph and Aseneth, JSPE.S 16, Sheffield 1995; C. BURCHARD, The Importance of Joseph and Aseneth for the Study of the New Testament. A General Survey and a Fresh Look at the Lord’s Supper, in: ders., Gesammelte Studien zu Joseph und Aseneth, berichtigt und ergänzt hg. mit Unterstützung von C. Burfeind, SVTP 13, Leiden u.a. 1996, 263-295 [= NTS 33 (1987), 102134]; eine literarische und literaturhistorische Interpretation bietet R. BLOCH, Jüdische Drehbühnen. Biblische Variationen im antiken Judentum, Tübingen 2013,1-28. 51 JosAs 15,5; 16,16. 52 Vgl. R. FELDMEIER, „Unvergänglichkeit“. Die soteriologische Transformation eines metaphysischen Gottesprädikats bei Paulus, in: ders., Der Höchste, 228-242, hier 233f. [= Θεὸς ζῳοποιῶν. Die paulinische Rede von der Unvergänglichkeit in ihrem religionsgeschichtlichen Kontext, in: U. Dalferth u.a. (Hgg.), Denkwürdiges Geheimnis. Beiträge zur Gotteslehre (FS E. Jüngel), Tübingen 2004, 77-91]. 50

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οὐκ ἔστι προσῆκον ἀνδρὶ θεοσεβεῖ, ὃς εὐλογεῖ τῷ στόµατι αὐτοῦ τὸν θεὸν τὸν ζῶντα καὶ ἐσθίει ἄρτον εὐλογηµένον ζωῆς καὶ πίνει ποτήριον εὐλογηµένον ἀθανασίας καὶ χρίεται χρίσµατι εὐλογηµένῳ ἀφθαρσίας, φιλῆσαι γυναῖκα ἀλλοτρίαν, ἥτις εὐλογεῖ τῷ στόµατι αὐτῆς εἴδωλα νεκρὰ καὶ κωφὰ καὶ ἐσθίει ἐκ τῆς τραπέζης αὐτῶν ἄρτον ἀγχόνης καὶ πίνει ἐκ τῆς σπονδῆς αὐτῶν ποτήριον ἐνέδρας καὶ χρίεται χρίσµατι ἀπωλείας;

Es gehört sich nicht für einen gottesfürchtigen Mann, der den lebendigen Gott preist mit seinem Mund und das gesegnete Brot des Lebens isst und den gesegneten Trank der Unsterblichkeit trinkt und sich mit dem gesegneten Salböl der Unsterblichkeit salbt, eine fremdstämmige Frau zu küssen, die mit ihrem Mund tote und taube Götzen preist und von deren Tisch Brot des Erstickens ißt und von deren Trankopfer den Trank der Hinterlist trinkt und sich mit dem Salböl des Verderbens salbt. 53

Der unmittelbare Zusammenhang des Salböls bzw. des Geruchs mit dem Thema der Unverweslichkeit und damit indirekt der menschlichen Todesverfallenheit ist hier besonders deutlich. Insbesondere der „Salbe des Verderbens“ eignet – ebenso wie dem „Brot des Erstickens“ – eine metaphorische Qualität: gemeint ist die in dem Abschnitt vorher beschriebene, gleichsam wie ein Salböl den Geruch des Verderbens ausströmende frevlerische religiöse Haltung der „fremdstämmigen Frau“. Schlechter Geruch ist bereits hier mit Tod und Freveltat unmittelbar parallelisiert. Gerade wegen der Verbindung mit Brot und Kelch haben die vorliegende und andere Stellen in Joseph und Aseneth54 zu Überlegungen Anlass gegeben bezüglich des sakramentalen Charakters dieser Aussagen und eines möglichen traditionsgeschichtlichen Zusammenhangs mit entsprechenden frühchristlichen Formulierungen55 oder gar zur Vermutung christlicher Überarbeitungen.

53

Die dichte Metaphorik dieser Stelle kann hier nicht im Einzelnen aufgerollt werden. Zum Verhältnis der Metaphorik in JosAs im Vergleich zum Johannesevangelium vgl. C. GERBER, Blickwechsel. Joseph und Aseneth und das Neue Testament, in: Reinmuth, Joseph und Aseneth, 203-217, hier 206-208. 54 JosAs 8,5; 15,4f.; 16,14-16. 55 Diese Frage stellte sich gerade im Zusammenhang von Überlegungen über die mögliche Sakramentalität im Hintergrund von Joh 6. Vgl. BURCHARD, Joseph and Aseneth, 270-289; GERBER, Blickwechsel, 207; J. SCHRÖTER, Das Abendmahl. Frühchristliche Deutungen und Impulse für die Gegenwart, SBS 210, Stuttgart 2006, 152-155; CHESNUTT, From Death to Life. Eher als durch eine unmittelbare literarische Beziehung dürften die sprachlich-motivischen Gemeinsamkeiten durch den Rückgriff auf das gemeinsame alttestamentliche Erbe, insbesondere die wunderbare Speisung mit Manna in der Wüste (Ex 16) bedingt sein (vgl. KÜGLER, Nase, 116). In diesem Sinne weist GERBER, Blickwechsel, 208, zu Recht auf Parallelen zum Johannesevangelium nicht nur in der qualitativen Verwendung des Genitivattributs τῆς ζωῆς, sondern vor allem im Sündenverständnis hin: nicht moralische Verfehlungen, sondern Unglaube und mangelndes Verstehen führen jeweils dazu, dass man sich im Bereich der Sünde und des Todes befindet (vgl. dazu weiter T. KNÖPPLER, Die theologia crucis des Johannesevangeliums. Das Verständnis des Todes Jesu im Rahmen der johannei-

3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch

207

Der Duft der Weisheit wird im Fortgang des Textes explizit zum Thema56, wenn Aseneth von einem Engel eine Honigwabe zu essen bekommt, die den Hauch des Lebens verströmt: „Und der Honig war wie Tau vom dritten Himmel und sein Duft wie ein Hauch von Lebensgeist“ (16,8).57 Die Wabe selbst kann als „Geisthauch des Lebens“ und „Wabe des Lebens“ bezeichnet werden, der denjenigen, die (in ihrer Bekehrung) davon essen, ewiges Leben verheißt (16,14: „Jeder der von ihr [sc. der Wabe des Lebens] isst, wird in ewige Zeit nicht sterben“). Aseneth erkennt in dem Geruch der Wabe den Geruch wieder, den der Mund des Engels verströmt hatte, und schließt: „Also ist diese Wabe aus dem Mund dieses Menschen hervorgegangen.“ Da der Engel aber zum Bereich Gottes gehört, ist damit festgehalten, dass die Wabe letztlich aus Gott selbst hervorgegangen ist. Die Honigwabe verbindet nicht nur den ästhetischen Bereich des Geruchs mit demjenigen des Geschmacks/Essens, wodurch eine Beziehung zum Manna der Exoduserzählung hergestellt wird. Mit dem Motiv des Honigs greift sie zudem weisheitliche Traditionen auf, welche die Weisheit bzw. ihren Besitz als „süßer als Honig“ preisen (Sir 24,20[27]) und dies wiederum mit dem Wohlgeruch der Weisheit verbinden (Sir 24,15[20]).58 3.3.3.2 Der Geruch des Lebensbaums In frühjüdischer Zeit ist die Vorstellung vom Geruch des Paradieses, insbesondere vom Geruch eines bestimmten Baumes innerhalb des Paradieses, breit bezeugt.59 Dieser Baum verschafft durch seinen Geruch, den die Gerechten „in ihren Gebeinen“ aufnehmen, wenn auch kein ewiges, so doch ein langes, unbeschwertes Leben.60 Im äthiopischen Henochbuch wird in 29-32 zudem der Geruch auf eine Vielzahl von Gewürzen zurückgeführt, die sich in diesem Garten finden. Bei der eschatologischen Restituierung des Paradieszustandes, von der die syrische Baruchapokalypse erzählt, die an verschiedenen Stellen mit dem Geruchsmotiv arbeitet61, wird der Geruch paradiesischer Früchte

schen Inkarnations- und Erhöhungschristologie, WMANT 69, Neukirchen-Vluyn 1994, 7081). 56 Vgl. zum Folgenden J. KÜGLER, Der andere König. Religionsgeschichtliche Perspektiven auf die Christologie des Johannesevangeliums, SBS 178, Stuttgart 1999, 103-106. 57 JosAs 16–17,4 (die Honigwabe und die Bienen); 17,4 (Honigwabe wird verbrannt und verströmt süßen Wohlgeruch). 58 Vgl. den Wohlgeruch der „heiligen Söhne“ des Weisen in Sir 39,14[18]. 59 Vgl. nur äthHen 24-25.32; 4Esra 6,42-44. 60 Vgl. äthHen 25,6. 61 Wiederum im Zusammenhang des Opferdufts stehen syrBar 35,4; 67,6. Die letztgenannte Stelle ist vor allem durch die Opposition zum „Rauch der Freveltat“ wichtig (Übersetzung nach A.F. KLIJN, Die syrische Baruch-Apokalypse, JSHRZ V/2, Gütersloh 1976), die

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

wahrzunehmen sein.62 Im Zusammenhang des paradiesischen Geruchs steht auch die überschäumende Fruchtfülle, die der kommende Messias offenbar hervorbringt – ein Motiv, das uns bereits im Zusammenhang der Auslegung der Erzählung von der Überfülle des Weins bei der Hochzeit zu Kana begegnet war. Im Geruch des paradiesischen Lebensbaums erblickt F. Manns63 den hermeneutischen Schlüssel für das Geruchsmotiv in Joh 12, das er von dorther als Geruch der Unsterblichkeit interpretiert, der vom Messias ausgeht. Die ganze Existenz Jesu im Johannesevangelium versteht er als symbolischen Ausdruck der Herrlichkeit Gottes.64 Die johanneische Symbolsprache sei alttestamentlichjüdischen verwurzelt65 und lasse Elemente einer „théologie des sens spirituels“ erkennen.66 Das zeigt sich auch am Geruchsmotiv. „L’onction de Jésus faite par Marie aurait comme fonction d’évoquer la précréation du parfum au Paradis et de la mettre en rapport avec le Messie. Elle serait plus une désignation de Messie dont le corps répand le parfum de l’immortalité qu’une préparation de l’ensevelissement. Contrairement aux juifs qui identifiaient la Loi à l’arbre de vie au parfum exquis, Jean désignerait le corps de Christ qui émane le parfum de l’arbre de la vie comme Paradis.“67

Dieses Motiv vom Geruch des Paradiesbaumes sieht Manns hier auf den Messias übertragen, während es in rabbinischer Literatur auf das Gesetz gedeutet werde.68 Eine Interpretation als vorweggenommene Totensalbung weist Manns daher zurück.69 Vielmehr eröffne der Messias einen erneuten Zugang zum Baum des Lebens, indem sein Körper, der wie ein Korn in die Erde geworfen werden wird (12,24), den Duft der göttlichen Welt und ihres Lebens

an 2Kor 2,14-16 erinnert. Die Opposition zwischen Tod und Leben indes ist hier nicht im Blick. 62 Vgl. syrBar 29. 63 MANNS, Lecture symbolique, bes. 97-101. 64 Ebd., 85. 65 Seine zusätzliche These einer Hauptbedeutung (signification principale; ebd., 89) von Symbolen entspricht kaum mehr dem heutigen Stand der Symbol- und Metaphernforschung. Weitere Aspekte der Interpretation johanneischer Symbolik sind nach Manns das Hinzuziehen intertestamentarischer Literatur und die Entwicklung von Symbolen. 66 Ebd., 88. Schon Origenes (In Cant. II, 65f.; Comm. in Io. I 11) habe im Johannesevangelium eine solche Theorie der fünf Sinne erkannt. 67 Ebd., 97. 68 Vgl. Tjon I Gen 3,24. In diesem Zusammenhang interpretiert MANNS das Bewahren (Joh 12,7) in dem Sinne, dass die Handlung Marias deutlich mache, dass die Narde des Paradieses, die für den Messias geschaffen wurde, bis zur heutigen Salbung für ihn aufbewahrt worden sei; vgl. ebd., 97.99. 69 „L’onction n’est pas comme chez les Synoptiques un acte symbolique remplaçant un embaumement manqué, mais un acte de foi qui entrevoit la résurrection“ (ebd., 92).

3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch

209

verströmt.70 N. Calduch Benages weist darauf hin, dass gerade der Lebensgeruch des Paradiesbaums in der jüdischen Tradition eine wichtige Rolle im Zusammenhang des Todes der Gerechten spielt (vgl. ApokMos 40,2; TestAbr 20,11).71 3.3.4 Wohlgeruch und Epiphanie Im griechischen Bereich steht der Wohlgeruch neben dem Opfer insbesondere bei der Epiphanie im Vordergrund.72 Über den außergewöhnlichen Geruch nimmt der Mensch die Gegenwart des Göttlichen wahr. Im Geruch kann sich zudem eine besondere Verwandtschaft mit dem Göttlichen ausdrücken. Alexander, dessen Abstammung von Zeus Plutarch in seiner Alexandervita andeutet, zeichnet sich durch einen besonderen Wohlgeruch aus, den sein Mund, sein ganzer Körper und sogar seine Kleider verströmen.73

70

Ebd., 99. CALDUCH BENAGES, Fragancia, 261. Allerdings sind es dort Engel, die die Salbung im Auftrag Gottes vollziehen, wie Calduch Benages auch selbst unterstreicht, hier aber Maria. Calduch Benages fasst die angebotenen Deutungsversuche zusammen (ebd., 264f.), wobei sie sich kritisch gegenüber der Relevanz einer alttestamentlich-jüdischen Tradition vom Lebensgeruch des Paradiesbaums bzw. der Tora abgrenzt. Nicht der Paradiesbaum noch das Gesetz könnten Leben vermitteln, sondern allein vom gekreuzigten und auferstandenen Christus gehe der Lebensgeruch aus. Seinen Sieg über den Tod verkünde das Zeichen des Wohlgeruchs. Man könnte den von ihr eingeschlagenen Weg folgendermaßen weitergehen und damit zugleich die von Manns genannten Traditionen stärker zur Geltung bringen: Die genannten Traditionen bieten Orte der Weisheit und Offenbarung, die zu kennen Leben bedeutet. Diese aufnehmend und überbietend stellt das Evangelium Kreuz und Auferstehung als die göttliche Wahrheit vor Augen, die – wenn sie sich über das Kerygma ausbreitet und Glauben findet – Leben stiftet. Deshalb breitet sich von Passion und Auferstehung Jesu, wie dies die Geschichte von der Salbung über das Motiv des Geruchs symbolisch vor Augen führt, das Leben selbst aus. 72 BULTMANN verweist auf die „antike Vorstellung, dass Wohlgeruch Zeichen göttlicher Gegenwart und Zeichen göttlichen Lebens ist“ (R. BULTMANN, Der zweite Brief an die Korinther, KEK.S, Göttingen 1976, 68, mit Verweis auf den NEUEN WETTSTEIN und LOHMEYER, Wohlgeruch, 32-34). Als besonders klares Beispiel führt er die Erscheinung der Artemis vor dem sterbenden Hippolytos bei Euripides an: ὦ θεῖον ὀσµῆς πνεῦµα (Eur. Hipp. 1392). Bultmann unterscheidet im Anschluss an Lohmeyer: 1. Wohlgeruch der Götter (Epiphanie); 2. Wohlgeruch der Erkenntnis/des Lebens (Soteriologie); 3. Wohlgeruch der Opfer (hierzu rechnen sie auch eine ethische Deutung im Sinne des Lebens als eines Gott wohlgefälligen Opfers). Vgl. S. LILJA, The Treatment of Odours in the Poetry of Antiquity, Helsinki 1972, 19-57; KÜGLER, Nase, 162f. 73 Vgl. Plut. Alex. 4 (sowie Phokion 22, mit der Erwartung, beim Tod Alexanders müsse sich die ganze Welt mit Leichengeruch erfüllen: πρώτου δὲ Ἀθηναίοις Ἀσκληπιάδου τοῦ Ἱππάρχου τεθνάναι προσαγγείλαντος Ἀλέξανδρον, ὁ µὲν Δηµάδης ἐκέλευε µὴ προσέχειν· πάλαι γὰρ ἂν ὅλην ὄζειν νεκροῦ τὴν οἰκουµένην). 71

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

3.3.5 Der Gestank von Sünde und Tod In der Weisheitsliteratur, der Testamentenliteratur und der apokalyptischen Literatur wird nun umgekehrt auch der Gestank zum Thema, an dem sich die Sünden- und Todesverfallenheit des Menschen im Gegensatz zum wohlriechenden Urzustand der Gottunmittelbarkeit im Paradies manifestiert. Gestank und Würmer werden zur ästhetischen Chiffre hierfür. Im Äthiopischen Henoch steht dem Wohlgeruch der Paradiesbäume und insbesondere des Baumes der Weisheit (24-25.29-32) der Schwefelgeruch des Straforts (6774) gegenüber. In 2. Makkabäer 9,9-12 wird der Gestank (im Zusammenhang mit den Würmern, die das Fleisch zerfressen) zur Geißel für den Gott widerstreitenden Antiochos, die ihn zur Einsicht in seine Sündigkeit bringt. „Es kam soweit, dass auch unzählige Würmer aus den Augen des Gottlosen hervorkrochen und dass ihm noch bei lebendigem Leibe unter großen Schmerzen und Qualen ganze Stücke seines Fleisches abfielen und dass er so scheußlich stank, dass das ganze Heer darunter litt. Und ihn, der kurz zuvor noch gemeint hatte, er könnte nach den Sternen am Himmel greifen, den konnte niemand mehr tragen wegen des Gestanks, der nicht auszuhalten war. Da begann er, schwer getroffen, von seiner Überheblichkeit abzulassen und zur Erkenntnis zu kommen, weil er von Gott so gegeißelt wurde und die Schmerzen jeden Augenblick größer wurden. Und als er zuletzt den Gestank selbst nicht mehr ertragen konnte, da sagte er: Es ist recht, dass man sich Gott unterwirft und dass ein sterblicher Mensch nicht so vermessen ist, zu meinen, er sei Gott gleich“ (2Makk 9,9-12).75

Die Sünde des Antiochos besteht also neben seiner Ankündigung, aus Jerusalem „einen Totenacker für die Juden“ zu machen, insbesondere in der Selbstüberhebung, sich als sterblichen Menschen für gottgleich zu halten: τὸν µικρῷ πρότερον τῶν οὐρανίων ἄστρων ἅπτεσθαι δοκοῦντα […] δίκαιον ὑποτάσσεσθαι τῷ θεῷ καὶ µὴ θνητὸν ὄντα ἰσόθεα φρονεῖν (2Makk 9,10.12b). Durch den Gestank, der seinen Mitmenschen und zuletzt sogar ihm selbst unerträglich wird, wird er schmerzlich an seine Sterblichkeit erinnert. Die Erzählung von der Strafe Gottes, die Antiochos erleiden muss, ist für unseren Zusammenhang besonders instruktiv, weil sie die Motive des Gestanks, der Sünde, der Krankheit (Würmer) und der Sterblichkeit zusammenbringt und damit Motivik sowohl aus der Exodus-Erzählung als auch aus der Hiob-Tradition aufnimmt. Verbunden mit dem Motiv der Würmer kann der Geruch zum Signum menschlicher Todesverfallenheit insgesamt werden. Im Testament Hiobs

74 Zur komplexen Frage der Datierung der Bilderreden Henochs, denen dieser Teil entstammt, vgl. S. UHLIG, Das Äthiopische Henochbuch, JSHRZ V/6, Gütersloh 1984, 574f. 75 Übersetzung Luther. In 9,9 druckt die Göttinger Septuaginta ἐκ τῶν ὀφθαλµῶν (diesen Text bieten Minuskel 347, versch. lateinische und die armenische Übersetzung und Hippolyt); Rahlfs druckt ἐκ τοῦ σώµατος. Für unsere Überlegungen ist diese für Textgeschichte wichtige Variante nicht wesentlich.

3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch

211

werden die Würmer – unmittelbar mit dem Gestank verbunden76 – nahezu zu einem Synonym der Krankheit, mit der Gott den Hiob geschlagen hat: αὐτὸς ἐν ταλαιπωρίᾳ σκωλήκων κάθηται καὶ δυσωδίαις. Von hier aus wird der Gestank später zur Metapher für die todbringende Sündigkeit des Menschen, wobei sich die Motivik der Hiobsfigur mit jener des Lazarus überlagert. Die suggestive Kraft der körperlichen Wahrnehmung innerhalb der Lazarusgeschichte wird bereits bei den ersten Interpreten wahrgenommen. Bevor wir den Blick dorthin richten, gilt es indes noch die Verknüpfung des Motivs des Geruchs mit dem Thema Leben/Tod bei Paulus zu würdigen. 3.3.6 Geruch des Todes – Geruch des Lebens: 2Kor 2,14-16 Die Hypothese einer engen theologischen Verknüpfung der beiden Geschichten von den bethanischen Geschwistern über das Geruchsmotiv kann untermauert werden, wenn man 2Kor 2,14-16, die wohl prominenteste Stelle zum Geruch im Neuen Testament, zum Vergleich heranzieht.77 Bereits die Kirchenväter verbanden die beiden johanneischen Stellen nicht nur untereinander, sondern stellten sie auch in einen theologischen Zusammenhang mit 2Kor 2,14-16. Paulus führt das Geruchsmotiv in dezidiert theologischem Zusammenhang ein, wobei er in einer Antithese dem „Geruch des Todes“ den „Geruch des Lebens“ gegenüberstellt. Dabei verwendet er (wie Joh 11–12) das zunächst bedeutungsoffene Wort ὀσµή. So erhält der Relativsatz 2Kor 2,16 eine Parallelstruktur, die die Antithese umso deutlicher spürbar macht. 2,14 Τῷ δὲ θεῷ χάρις τῷ πάντοτε θριαµβεύοντι ἡµᾶς ἐν τῷ Χριστῷ καὶ τὴν ὀσµὴν τῆς γνώσεως αὐτοῦ φανεροῦντι δι᾿ ἡµῶν ἐν παντὶ τόπῳ· 15 ὅτι Χριστοῦ εὐωδία ἐσµὲν τῷ θεῷ ἐν τοῖς σῳζοµένοις καὶ ἐν τοῖς ἀπολλυµένοις, 16 οἷς µὲν ὀσµὴ ἐκ θανάτου εἰς θάνατον, οἷς δὲ ὀσµὴ ἐκ ζωῆς εἰς ζωήν.

Gott aber sei Dank, der uns im Triumphzug herumführt in Christus und den Geruch seiner Erkenntnis durch uns an jedem Ort offenbar macht! Denn wir sind für Gott ein Wohlgeruch Christi unter denen, die gerettet werden, und unter denen, die verloren werden: für die einen ein Geruch des Todes zum Tode, für die anderen aber ein Geruch des Lebens zum Leben.

In seiner Darstellung der theologischen Bedeutung des Geruchs im Neuen Testament greift R. Feldmeier diese Stelle auf und interpretiert die Metaphorik

76

Vgl. TestHi 34,4. Vgl. J. KÜGLER, Paulus und der Duft des triumphierenden Christus. Zum kulturellen Basisbild von 2Kor 2,14-16, in: R. Hoppe/U. Busse (Hgg.), Von Jesus zum Christus. Christologische Studien (FS P. Hoffmann), BZNW 93, Berlin u.a. 1998, 155-173. Allgemein zur Stelle vgl. neben den Kommentaren insb. J. SCHRÖTER, Der versöhnte Versöhner. Paulus als unentbehrlicher Mittler im Heilsvorgang zwischen Gott und Gemeinde nach 2Kor 2,14-7,4, TANZ 10, Tübingen 1993, 9-33, insb. 23-31. 77

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

des Geruchs 2Kor 2,14-16 im Rahmen der Kreuzestheologie der Korintherbriefe als gegensätzliche Wahrnehmung der Kreuzesbotschaft: „Während die einen in der Existenz der Gemeinde dem Gott begegnen, der seine Kraft in Schwachheit offenbart, so dass ihnen hier der Frühlingsgeruch des den Tod überwindenden, neu knospenden Lebens entgegenweht, erscheint anderen die Verehrung Gottes im Gekreuzigten als Negation des Lebens und seiner Würde (mit dementsprechend pervertierter Ethik und Religiosität). Ihnen sticht folglich in der auf das Kreuz ausgerichteten Gemeinschaft nur modriger Verwesungsgeruch (wenn nicht gar ekliger Leichengestank) in die Nase.“78

Feldmeiers unabhängig vom Johannesevangelium entstandenen und nur auf die Korintherbriefe bezogenen Ausführungen machen den Verständnishintergrund der Lazarusgeschichte deutlich, die gleichsam eine erzählerische Umsetzung der paulinischen Duftmetaphorik bietet. Verschiedene Aspekte der Verwendung des Geruchsmotivs bei Paulus sind für unseren Zusammenhang aufschlussreich: 1. Das Geruchsmotiv wird in der Opposition von Übel- und Wohlgeruch verwendet. 2. Das Geruchsmotiv ist mit dem Thema Leben und Tod verbunden. 3. Die Junktur „Geruch der Erkenntnis“ (ὀσµὴ τῆς γνώσεως) könnte geradezu als Zusammenfassung dessen erscheinen, was in Joh 12,3 ausgedrückt wird: Was von Christus ausgeht bzw. auf den Apostel übergeht, zielt darauf wahrgenommen zu werden. Das Ergebnis dieser Wahrnehmung aber ist Erkenntnis (Gottes).79 78

FELDMEIER, Sinne, 319. Ähnlich KÜGLER, Nase, 143f.: „Denen, die die paulinische Verkündigung ablehnen, bleibt das Wort vom Kreuz nur die Nachricht von einem menschlichen Tod, Geruch aus Tod, und wird ihnen so auch Geruch zum Tod, weil die Verweigerung des Glaubens zugleich die Verweigerung von Auferstehung und Leben ist. Wer umgekehrt im Glauben die Botschaft vom erlösenden Sterben Jesu annimmt, erkennt im Kreuz das Heil, Duft aus Leben, und erhält in diesem Glauben zugleich die Verheißung ewigen Lebens, Duft zum Leben“ (Hervorhebung J.K.). Wenn Feldmeier die Geruchsmetapher „etwas strapaziert“ erscheint (319), so könnte dies gerade vor dem lebensgeschichtlichen Hintergrund der Bestattung verständlich werden, der in Joh 11,39 unmittelbar angesprochen ist: Tod oder Leben ist die existentielle Alternative, um die es geht. 79 So ist das αὐτοῦ in 2Kor 2,14 wohl zunächst einmal zu verstehen (vgl. C. WOLFF, Der zweite Brief des Paulus an die Korinther, ThHK 8, Berlin 1989, 55). Dagegen hält A. PLUMMER, A Critical and Exegetical Commentary on the Second Epistle of St Paul to the Corinthians, Edinburgh 1978, 70, nach einer Diskussion des Bezugs von αὐτοῦ die Deutung auf Christus für wahrscheinlicher, da in 2,15 von Paulus als Wohlgeruch Christi für Gott die Rede ist. Wolff sieht hier keinen Bezug auf das Anzünden von Weihrauch bei Triumphzügen (vgl. Hor. carm. IV 2,50-52); vielmehr nehme Paulus die „verbreitete Vorstellung vom göttlichen Wohlgeruch auf, der aus der himmlischen Welt ausgeht und lebenspendende Wirkung hat. […] Die Aufnahme des Bildes bedeutet dann: Der Apostel vermittelt die von Gott kommende, lebenschenkende Erkenntnis Gottes, die Anerkenntnis seines Heilswerks“ (WOLFF, Korinther, 55f.).

3.3 Die religions- und motivgeschichtlichen Hintergründe zum Geruch

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4. Die Ausbreitung des Geruchs wird im Sinne der Ausbreitung des Evangeliums durch das Zeugnis der Apostel gedeutet. Diese geschieht ἐν παντὶ τόπῳ (2Kor 2,14). Die Folge dieses Geruchs, der vom Leben ausgeht, ist wiederum Leben (ἐκ ζωῆς εἰς ζωήν; 2Kor 2,16). 5. Interessant wäre zudem die Verbindung des Geruchsmotivs mit der Salbung (wenn es zutreffend wäre, dass 2Kor 1,21 noch auf die Metapher vom Wohlgeruch in 2,14-16 ausstrahlt).80 Anders als im Johannesevangelium breitet sich der Geruch, der gleichermaßen als „Wohlgeruch Christi“ verstanden wird, bei Paulus von dem Apostel her aus. Die paulinischen Bemerkungen legen aber eine Verknüpfung des Geruchsmotivs mit dem Thema der Ausbreitung des Evangeliums (und damit des Glaubens und Lebens) nahe, die auch für die Deutung des Johannesevangeliums interessant ist. Die Junktur ὀσµὴ τῆς γνώσεως, die den Geruch mit lebenstiftender Erkenntnis Gottes in Jesus Christus verbindet, lässt sich zudem ausgezeichnet mit der vorliegenden Interpretation der erkenntnis- und heilstiftenden Funktion der körperlich-sinnlichen Wahrnehmungen im Johannesevangelium verbinden. 3.3.7 Auswertung im Blick auf die Opposition Tod-Leben im Zusammenhang des Geruchs Der Vergleich mit 2Kor 2,14-16 zeigt, wie die Opposition von Übel- und Wohlgeruch theologisch ausgedeutet werden konnte. Ausgehend von der Alltagserfahrung stand diese Opposition symbolisch für den Gegensatz von Tod und Leben bzw. Todesüberwindung. Dies unterstreicht die Verwendung in anderen religionsgeschichtlichen Zusammenhängen, insbesondere in Ägypten.81 Es legt sich von daher nahe, die Opposition zwischen Übel- und Wohlgeruch in Joh 11–12 mit dem dort so prominenten Thema Tod/Leben zu verbinden. Auch bei Johannes wäre dann die Opposition zwischen Übel- und Wohl80

Ausgehend von der Geruchs-Metapher als Berührungspunkt kommt man auf einige weitere motivische Aspekte, die das Johannesevangelium und den 2. Korintherbrief insgesamt verbinden, was hier allerdings nur angedeutet werden kann: 1. In beiden Schriften ist der Geruch zum Licht(glanz) in Beziehung gesetzt, der von Christus bzw. von den Zeugen ausgeht (Joh 1,4.9; 8,12; 2Kor 3,18; 4,4-6). 2. In beiden Fällen wird zudem eine typologische Beziehung zur Sinaiperikope hergestellt, in der Moses mit dem Wort Gottes den Lichtglanz vom Berg in die Sphäre der Menschen transportiert (in Joh 1,16f.; 2Kor 3,7-4,6). Die Erscheinung der δόξα in Christus wird der Erscheinung der δόξα auf dem Angesicht des Mose gegenübergestellt, um auf diese Weise den alten Bund dem neuen, die alte Gnade der neuen gegenüberzustellen. Dies ist besonders deutlich in 2Kor 4,4-6 im Zusammenhang des Sehens der δόξα Gottes im Angesicht Jesu Christi als dem Bild Gottes (εἰκὼν θεοῦ). 81 Vgl. o. 200-203.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

geruch als Ausdruck der Opposition zwischen Tod und Leben zu interpretieren. Als ein erster Hinweis in diese Richtung kann gelten, dass das Thema des in die von Tod und Zerfall geprägte Welt einbrechenden Lebens nicht nur ein Kernthema des Evangeliums insgesamt ist, sondern am Anfang des Abschnittes 8,12–12,5082 noch einmal eigens eingeführt wird (in 8,12b: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis umhergehen, sondern das Licht des Lebens haben“). Nachdem in Joh 9 zunächst der Einbruch des Lichts und sodann in Joh 11–12 der Einbruch des Lebens erzählerisch umgesetzt worden waren, schließt sich in 12,37-50 die Reflexion über die (von Unverständnis geprägte) Reaktion auf Jesu Verkündigung und seine zeichenhaften Taten an, mit denen er den Vater sichtbar gemacht hatte (12,45), bevor das Thema des ewigen Lebens in 12,50 abschließend wieder aufgenommen wird: Das neue Gebot, das Jesus im Auftrag des Vaters verkündigt, bedeutet ewiges Leben. Kann der Zusammenhang zwischen den beiden Geruchsstellen aufgrund der kompositorischen Verknüpfung von Joh 11,1–12,11 und aufgrund der Verwendung eines ansonsten in den Evangelien und im Neuen Testament insgesamt überaus seltenen Wortstammes als erwiesen angesehen werden, so legt sich angesichts der Einbettung in den Gesamtaufbau des Evangeliums und im Blick auf dessen vielfach aus Gegensatzpaaren aufgebaute Motivik in der Tat eine Deutung im Horizont von Leben und Tod nahe. Mit dieser Thematik ist das Motiv des Geruchs ebenso wie das Motiv von Licht und Finsternis83 in eigentümlicher Weise verknüpft.84 82

THYEN, Komm., 417-419, diskutiert diese Kapitel in Aufnahme der Analyse von E.A. WYLLER, In Solomon’s Porch. A Henological Analysis of the Architectonic of the Fourth Gospel, StTh 42 (1988), 151-167; G. ØSTENSTAD, The Structure of the Fourth Gospel. Can it be Defined Objectively?, StTh 25 (1991), 33-55, zu Recht als literarischen und theologischen Zusammenhang, der durch viele inhaltliche und strukturelle Fäden zusammengeknüpft ist, als den vierten Akt des johanneischen Jesusdramas. ØSTENSTAD sieht diesen Zusammenhang sorgfältig durch eine konzentrische Heptade strukturiert: 8,12-20/12,44-50; 8,21-59 (mit der dramatischen Demonstration in Joh 9)/11,1-10 (mit der dramatischen Demonstration in 11,11-44); 9,39-10,21/11,45-12,43 sowie als Zentrum 10,22-39. Innerhalb dieses Aktes liege mit 10,40-42 die zentrale Zäsur (‚Wasserscheide‘) und die Peripetie des Evangeliums, die aber nicht gegen die Szeneneinteilung ausgespielt werden dürfe: sie trenne das Buch des Zeugnisses (1,19-10,42) und das Buch der Herrlichkeit (11,1-21,25) voneinander. 83 Vgl. O. SCHWANKL, Licht und Finsternis. Ein metaphorisches Paradigma in den johanneischen Schriften, HBS 5, Freiburg i.Br. u.a. 1995. 84 Noch einmal wird im Kontext des Todes auf den Geruch angespielt, nämlich im Zusammenhang der Kreuzabnahme. In 19,40 heißt es: ἔλαβον οὖν τὸ σῶµα τοῦ Ἰησοῦ καὶ ἔδησαν αὐτὸ ὀθονίοις µετὰ τῶν ἀρωµάτων, καθὼς ἔθος ἐστὶν τοῖς Ἰουδαίοις ἐνταφιάζειν („Da nahmen sie den Leichnam Jesu und banden ihn in Leinentücher mit wohlriechenden Ölen, wie es die Bestattungsgebräuche der Juden vorschreiben“). Eine Stichwortaufnahme besteht hier in dem ἐνταφίζειν („einen Leichnam für die Bestattung bereiten“; so THYEN, Komm., 752; vgl. ἐνταφισµός Joh 12,7). Vgl. dazu J. ZANGENBERG, „Buried According to the

3.4 Zur Stellung der Erzählungen von den bethanischen Geschwistern

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3.4 Zur Stellung der Erzählungen von den bethanischen Geschwistern im Aufbau des Evangeliums Bei der Auferweckung des Lazarus handelt sich um das letzte und größte der „Zeichen“85 im Rahmen des öffentlichen Wirkens Jesu, die darauf angelegt waren, Glauben hervorzurufen.86 Erst nach der Salbungserzählung, die – wie wir gesehen haben – in vielfacher Weise literarisch mit der Lazaruserzählung verzahnt ist, wird dieses Zeichen mit 12,9-11 abgeschlossen.87 Die Erzählungen bilden damit als Erzählkomplex Zentrum und Scharnierstelle88 des gesamten Evangeliums. Auch H. Ridderbos interpretiert die Kapitel als Zusammenhang, wertet sie aber als „Prelude to the Passion Narrative“ ab. Die meisten Interpreten sehen den wesentlichen Einschnitt des Evangeliums zwischen Joh 12 und 13. Sie gehen wie R. Bultmann von einer Zweiteilung des Evangeliums aus (1–12 [„Die Offenbarung der Doxa (Jesu) vor der Welt“]; 13–20 [„Die Offenbarung der Doxa (Jesu) vor der Gemeinde“]) oder wie C.H. Dodd von einer Dreiteilung

Customs of the Jews“: John 19,40 in its Material and Literary Context, in: van Belle, Death of Jesus, 873-900, hier 874f. 85 Gegenüber dieser gängigen Sichtweise wird verschiedentlich die Auferstehung Jesu als das größte Semeion betrachtet (z.B. H. THYEN, Noch einmal: Johannes 21 und „der Jünger, den Jesus liebte“, in: ders., Studien, 252-293 [= in: T. Fornberg/D. Hellholm (Hgg.), Texts and Contexts (FS L. Hartmann), Oslo 1995, 147-189, hier 256]). Dies ist freilich nicht unproblematisch, denn die Auferstehung Jesu geschieht eben nicht mehr zeichenhaft. Vielmehr setzt sie die alle Zeichen zuletzt legitimierende neue Realität. 86 Dies wird in dem Diskurs über den Glauben in 12,37-50 noch einmal reflektiert. 87 Zugleich bietet die Salbungsgeschichte einen Übergang zum Neuansatz, der dann mit der die Salbungsgeschichte aufnehmenden Fußwaschung in Joh 13 vollzogen wird. Zu Joh 11,1–12,11 als Erzähleinheit vgl. o. Kap. 3 Anm. 7. 88 So pointiert auch MOLONEY, Everyone, 214. A.J. BURKE, The Raising of Lazarus and the Passion of Jesus in John 11 and 12. A Study of John’s Literary Structure and his Narrative Theology, SBEC 59, Lewiston u.a. 2003, 1, spricht von einem „major turning point“ in Joh 11–12. „The anointing is arguably not a separate pericope standing by itself, as is generally assumed, but is one scene in a larger unit, the raising of Lazarus, artificially divided by the chapter break between John 11 and 12. […] Seen as a whole sequence […] the raising of Lazarus is the centrepiece of the Fourth Gospel, bringing to a climax the theme and symbols of the first half of the Gospel. It contains the greatest of the ‚I am‘ sayings (11,25-26), has its center in the major Johannine theme of life (zōē aiōnios), e.g., 1:4; 3,15-18; 5,21-29; 10,10b), and completes the ,signs‘ ministry of Jesus, where the divine glory is made manifest in the flesh through his symbolic words and works“ (LEE, Flesh and Glory, 198.200). O’DAY, Komm., 681, weist Joh 11–12 wie zuvor Bultmann und Dodd eine Sonderstelle als Brücke zwischen den öffentlichen Taten und dem Beginn der Stunde zu. Die entscheidende Zäsur ist damit nicht vor 13,1 zu machen, sondern die Kap. 11–12 stellen insgesamt ein Scharnier zwischen den Zeichen vor der Welt und dem Weg Richtung Kreuz dar. Damit kann die theologische Umwertung des Todes, die in diesen Kapiteln geschieht, voll in den Blick kommen.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

(1 [The Proem: Prologue and Testimony]; 2–12 [The Book of Signs]; 13–20 [The Book of the Passion]). H. Thyen erkennt dagegen mit Østenstad und Wyller den entscheidenden Einschnitt nach Joh 10 und sieht den Höhepunkt des Evangeliums in 10,30.89 Gemäß seiner Analyse bildet 8,12-12,50 den „zentralen vierten Akt, dessen Mitte (10,24-39) wiederum die besagte ,Zäsur‘ und Peripetie bildet“. Innerhalb des Zusammenhangs 8,12-12,50 erkennt Thyen wie Wyller und Østenstad 8,12-10,29 als aufsteigende, dann 10,31-12,50 als absteigende Linie. 10,30 erscheint als Gipfelpunkt, dessen Wahrheit sich in der Auferweckung des Lazarus (mit Vorverweis auf das Bekenntnis des Thomas in 20,28: „Mein Herr und mein Gott“) erweist.90

Ist der Zusammenhang von Joh 11–12 und die Scharnierfunktion des Abschnitts richtig gesehen, so wirft das Fragen im Blick auf den Gesamtaufbau des Evangeliums und auf das Verhältnis von Leben und Tod auf. Wird einseitig die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus in Joh 11 als Höhe- und Wendepunkt innerhalb der Jesusgeschichte des Johannes und – aufgrund der vielfachen Bezüge auf den vorscheinenden Tod Jesu – zugleich als Peripetie in Richtung des Kreuzes bestimmt91, so schließen der Tötungsbeschluss und die Kaiaphasprophetie die Geschichte ab, und die Salbungsgeschichte in Joh 12 als eine vorweggenommene Totensalbung manifestiert den Umschlag Richtung Tod.92 Zwischen Joh 11 und 12 hätten wir eine deutliche Änderung der Stimmung, der Farbe, einen Umschlag von einer theologia gloriae im letzten und äußersten Zeichen hin zu einer mit der Salbung beginnenden theologia crucis. Bei der Neubewertung kann insbesondere der Zusammenhang des Geruchsmo89 H. RIDDERBOS, The Gospel of John. A Theological Commentary, Grand Rapids 1997, 381-450. Die wichtigsten Gliederungsversuche des Evangeliums listet G. MLAKUZHYIL, The Christocentric Literary Structure of the Fourth Gospel, AnBib 117, Rom 1987, auf (17-85). 90 THYEN, Palimpsest, 2032. 91 So schon WELLHAUSEN, Komm., 50f.; vgl. unter den neueren THYEN, Palimpsest, 2027f.; WENGST, Komm. II, 44; SCHNEIDERS, Written, 172; dies., Death, 44-56; M.W.G. STIBBE, A Tomb with a View. John 11,1-44 in Narrative-Critical Perspective, NTS 40 (1994), 38-54, hier 38. Freilich wird nicht selten unmittelbar die Sterbeszene 19,28-30 als „Ziel und Höhepunkt des gesamten Buches“ betrachtet (U. WILCKENS, Christus traditus, se ipsum tradens. Zum johanneischen Verständnis des Kreuzestodes Jesu, in: E. Brandt [Hg.], Gemeinschaft am Evangelium [FS W. Popkes], Leipzig 1996, 363-383, hier 363); vgl. J. FREY, Edler Tod – wirksamer Tod – stellvertretender Tod – heilschaffender Tod. Zur narrativen und theologischen Deutung des Todes Jesu im Johannesevangelium, in: ders., Die Herrlichkeit des Gekreuzigten, WUNT 307, Tübingen 2013, 555-584 [= in: van Belle, Death of Jesus, 65-94], hier 556. 92 Vgl. etwa C.H. DODD, The Prophecy of Caiphas. John 6,47-53, Neotestamentica et Patristica (FS O. Cullmann), NT.S 6, Leiden 1962, 134-143, hier 134. SCHNEIDERS, Death, 45, interpretiert die Symbolik der Salbung in einem dreistufigen Aufbau ganz von Begräbnis und Tod her: „In these two hinge chapters Jesus is symbolically executed by the decision of the authorities (11,47-53), symbolically buried in the anointing scene (12,1-8), and symbolically glorified by the triumphal entry into Jerusalem which is explicitly attributed to his victory over death in the raising of Lazarus (12,17f.).“

3.4 Zur Stellung der Erzählungen von den bethanischen Geschwistern

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tivs eine wichtige Rolle spielen, insofern wir in diesem Motiv eine gegenläufige Bewegung, vom Todesgeruch in Joh 11 zum Lebensgeruch in 12,3 vorfinden. Dies führt uns darauf, die Salbungsgeschichte neu zu verorten im Zusammenhang des Festes des neugewonnenen Lebens des Lazarus. Damit ändern sich die Vorzeichen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Mit dem Umschlag von Joh 11 zu Joh 12 kommt zugleich das neue Leben in den Blick, das im Tod Jesu den Glaubenden zugeeignet wird. Das gängige Verständnis eines Umschlags innerhalb der Geschichte Jesu von der theologia gloriae zur theologia crucis überträgt die theologische Logik der markinischen Komposition auf das Johannesevangelium. Das Petrusbekenntnis bringt dort mit der anschließenden ersten Leidensweissagung den entscheidenden Umschlag und stellt die in Mk 1-8 erzählten Erweise der Macht des gekommenen Messias unter die Perspektive des unausweichlichen Kreuzestodes Jesu.93 Im Folgenden wird sich zeigen, dass auch im Johannesevangelium die Töne des nahenden Todes, die bereits die erste Hälfte des Evangeliums, die von der von der Durchsetzung der δόξα bestimmt war94, begleitet hatten, sich unüberhörbar in der Darstellung des letzten machtvollen „Zeichens“ Jesu verdichten.95 Die theologische Intention jedoch ist eine völlig andere, wie an einer anders gelagerten Einbettung sichtbar wird: Bei Johannes ist die Perspektive des Todes Jesu, wie im Folgenden gezeigt werden soll, von Anfang an in das Drama der Durchsetzung des göttlichen Lebens in der Welt integriert (vgl. Joh 1,4). Entsprechend wird am Anfang des Weges Jesu in den Tod unmissverständlich festgehalten und dramatisch im äußersten Zeichen umgesetzt, dass Jesus nicht nur Leben bringen kann, sondern selbst das Leben ist (Joh 11,25). Unter dieser Voraussetzung erscheint Jesu eigener Tod nicht mehr als eigentliches Problem, mit dem er und seine Jünger ringen müssten, sondern lediglich als Stunde der Bestätigung der im Evangelium proleptisch vorweggenommenen Verheißung. Anstelle des markinischen „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ (Mk 15,34) ruft hier Jesus: „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30).96 93

Vgl. u. 258-263. Joh 1,14; [1,50f.]; 2,11; 11,4.40; 17,4.22.24. Freilich liegt bekanntlich bereits in der Rede von der Verherrlichung (11,4) bei Johannes ein Hinweis auf Tod und Auferstehung Jesu, bei dem die Verherrlichung zur Vollendung kommt: 7,39; 12,16.23.28; 13,31f.; 17,1.4f. Die verschiedenen Aspekte, die bei Johannes schon im ersten Teil auf die Passion vorausweisen, sind bei KNÖPPLER, Theologia crucis, zusammengestellt. 95 Vgl. Joh 11,8.16. Vgl. MOLONEY, Komm., 322. 96 Zur Sterbeszene als „innerem Zielpunkt“ der johanneischen Erzählung vgl. FREY, Edler Tod, 556. Mit Jesu Tod ist indes das (wiederum aus der Perspektive der Jünger formulierte) Problem der Abwesenheit des Herrn gegeben, das wesentlich Gegenstand der Abschiedsreden ist. Diesem Problem begegnet das Evangelium einerseits durch die Verheißung des Parakleten (Joh 14,16.26; 15,26; 16,7-11.13), andererseits durch die Verheißung eines baldigen Wie94

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Dieser theologische Zusammenhang tritt dann deutlich hervor, wenn man die beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern (11,1–12,11) als literarisch-motivischen Zusammenhang betrachtet und diesen in den größeren Abschnitt über die Durchsetzung von Licht und Leben (8,12–12,50) einordnet. Der Erzählzusammenhang von der Auferweckung des Lazarus und der anschließenden Feier des Lebens lässt sich als Höhepunkt dieses literarischen Bogens und damit als erzählerisch-sinnenhafte Ausgestaltung des Ich-binWortes in 8,12 (sowie der eschatologischen Verheißung in 5,24 und des Hirtenwortes in 10,28) erweisen.97 Dies findet seinen besonderen Ausdruck in den Motiven des Geruchs und des Lichts.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext: Interpretierender Durchgang durch die beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1–12,11) Die theologische Bedeutung der Aussagen über den Geruch als wahrnehmbares Zeichen der den Tod überwindenden Lebensmacht Gottes tritt hervor, wenn sie im Gesamtrahmen der beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern betrachtet werden. Um deutlich zu machen, dass die Aussagen über den Geruch in Joh 11 und 12 bewusst gewählt, theologisch gefüllt und in die Motivik des Evangeliums insgesamt eingebunden sind, gilt es deshalb im Folgenden, den Aufbau und den inhaltlichen und motivischen Bogen der beiden Erzählungen von den bethanischen Geschwistern nachzuzeichnen und sie im motivischen Gesamtaufbau des Evangeliums zu verorten.

dersehens (14,18-20.23; 16,16-22) und des Nachfolgens der Jünger in das Haus des Vaters, wo Jesus bereits die Wohnungen vorbereitet (14,2-4); vgl. C. HOEGEN-ROHLS, Der nachösterliche Johannes. Die Abschiedsreden als hermeneutischer Schlüssel zum vierten Evangelium, WUNT II/84, Tübingen 1996. Zum Problem der Abwesenheit des Auferstandenen bei Markus vgl. D.S. DU TOIT, Der abwesende Herr. Strategien im Markusevangelium zur Bewältigung der Abwesenheit des Auferstandenen, WMANT 111, Neukirchen-Vluyn 2006. 97 Vgl. BARRETT, Komm., 387: „Die Erzählung ist eine dramatische Ausgestaltung der Wahrheit, die bereits in 5,21 (vgl. 5,25.28) anklingt; diese Stelle ist selbst der beste Kommentar zu der Erzählung.“

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

219

3.5.1 ,Er riecht schon‘? – Der Geruch des Todes bleibt aus (Joh 11,1-44) 3.5.1.1 Vorstellung der Protagonisten (11,1-5) Zunächst werden die Protagonisten der Geschichte eingeführt (11,1)98: ein Kranker, Lazarus aus Bethanien, sowie Maria und ihre Schwester Martha, die – wie es heißt – aus demselben Dorf stammen. 11,2 präzisiert noch, dass es sich um diejenige Maria handelt, die Jesus mit Öl gesalbt und seine Füße mit ihren Haaren getrocknet hat – ein Vorverweis auf Joh 12,1-8 und ein Element der Verklammerung der beiden Erzählungen.99 Erst von 11,2 her wird klar, dass auch Lazarus zu den Geschwistern gehört, wenn zu Maria noch hinzugefügt wird: „deren Bruder Lazarus krank darniederlag.“ Allerdings stellen beide

98

Zur Charakterisierung der einzelnen Erzählfiguren vgl. die Aufsätze in S.A. HUNT u.a. (Hgg.), Character Studies in the Fourth Gospel. Narrative Approaches to Seventy Figures in John, WUNT 314, Tübingen 2013, 460-503 (M.M. THOMPSON, Lazarus. „Behold a Man Raised Up by Christ!“, 460-472; S. MILLER, Mary (of Bethany). The Anointer of the Suffering Messiah, 473-486; G.R. O’Day, Martha. Seeing the Glory of God, 487-503); D.A. LEE, Martha and Mary. Levels of Characterization in Luke and John, in: C.W. Skinner (Hg.), Characters and Characterization in the Gospel of John, London/New York 2013, 197220; C. BENNEMA, Encountering Jesus. Character Studies in the Gospel of John, Milton Keynes/Colorado Springs 2009; STIBBE, Tomb, 44-49; P.F. ESLER/R.A. PIPER, Lazarus, Mary and Martha. A Social-Scientific and Theological Reading of John, London 2006, 75-91; R. HAKOLA, A Character Resurrected. Lazarus in the Fourth Gospel and Afterwards, in: D. Rhoads/K. Syrenni (Hgg.), Characterization in the Gospels. Reconceiving Narrative Criticism, JSNT.S 184, London/New York 1999, 223-263; P. DSCHULNIGG, Jesus begegnen. Personen und ihre Bedeutung im Johannesevangelium, Theologie 30, Münster 22002, 195219; E. KRAFFT, Die Personen des Johannesevangeliums, EvTh 16 (1956), 18-32, hier 26.30f. Rätselhaft behauptet Krafft, außer von dem geliebten Jünger werde nur von Martha gesagt, dass Jesus sie liebe (Joh 11,5), um dies dann mit dem besonderen Glauben Marthas zu begründen. Allgemein zur Charakterisierung im Johannesevangelium vgl. R.A. CULPEPPER, Anatomy of the Fourth Gospel. A Study in Literary Design, Philadelphia 1983, 99-148. 99 Vgl. die umgekehrte Verklammerung in 12,1-2. THYEN zählt 11,2 zu den „unübersehbaren Intertextualitätsindizien“ (Palimpsest, 2035) bzw. versteht es noch pointierter „als ein Intertextualitätssignal […], das die Lazarusschwester Maria mit der Frau von Mk 14,3ff. identifiziert und diese wiederum mit den Farben aus der Erzählung von der γυνὴ ἁµαρτωλός von Lk 7,37 übermalt“ (Komm., 513). Dementsprechend wäre der Satz so zu verstehen: „Maria war nämlich jene Frau, die (nach Markus bzw. gemäß der Überlieferung) den Herren mit Myrrhe gesalbt hat.“ Zum Problem des literarischen Verhältnisses vgl. J.N. SANDERS, ,Those Whom Jesus Loved‘, NTS 1 (1954), 37-41. Der Aorist in 11,2 im Zusammenhang einer Handlung, die noch nicht erzählt worden war, ist nur verständlich, wenn der Autor voraussetzt, dass die Handlung dem Leser aus der Tradition bereits bekannt ist. Die Hypothese, dass dieser Zusammenhang derjenige der synoptischen Überlieferung ist (ebenso wie das Johannesevangelium etwa die Lehre Jesu als bekannt voraussetzt, ohne sie noch einmal ausführlich vorzutragen), scheint mir am plausibelsten.

220

Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Verse die Geschwisterbeziehung lediglich über Maria her.100 Wie zweimal in 11,1-5 betont wird, besteht zwischen Jesus und den drei Geschwistern eine enge emotionale Bindung (11,3: ὃν φιλεῖς …; 11,5: ἠγάπα δὲ ὁ Ἰησοῦς τὴν Μάρθαν καὶ τὴν ἀδελφὴν αὐτῆς καὶ τὸν Λάζαρον).101 Damit werden die Geschwister in eine Reihe mit dem „Jünger, den Jesus liebte“ gestellt.102 Dass die Geschwister als von Jesus Geliebte charakterisiert werden, wird bereits früh allegorisch auf die Christen allgemein gedeutet. So kann der kranke Lazarus bei Origenes zum Bild für den Christen werden, der – wie Lazarus – ein Freund Jesu ist, insofern er zum Glauben an ihn gekommen ist. Die Krankheit wird nun auf die Sünde gedeutet, von der jeder Christ geheilt und mittels dieser Heilung von Jesus auferweckt werden muss.103 Es ist eine Interpretation, die von Lk 15,32 her Nahrung erhält, wo der Vater zum Bruder des verloren geglaubten Sohnes sagt: „Du musst doch froh und glücklich sein: Dieser dein Bruder war tot

100 Nach 11,1 (Lazarus „… aus dem Dorf Marias und Marthas“) und 11,5 („Jesus aber liebte Martha und ihre Schwester und den Lazarus“) würde man eher davon ausgehen, dass Lazarus nicht der Bruder Marias ist, da jeweils der Name des Lazarus getrennt von den beiden Schwestern genannt wird. Zu literarkritischen Überlegungen gibt zudem die Tatsache Anlass, dass die Geschwisterbeziehung in 11,1f. über Maria, in 11,5 dagegen über Martha etabliert wird (literarkritische sowie traditions- und redaktionsgeschichtliche Überlegungen sind zusammengestellt bei A. STIMPFLE, Blinde sehen. Die Eschatologie im traditionsgeschichtlichen Prozess des Johannesevangeliums, Berlin u.a. 1990, 120-127; E.D. STOCKTON, The Fourth Gospel and the Women, Essays in Faith and Culture 3 [1979], 132144, hier 135f.). Es liegen unterschiedliche Modelle einer entstehungsgeschichtlichen Erklärung für diese Abweichungen vor, die von einer Priorität der Mariaerzählung ausgehen. Stockton geht davon aus, dass ursprünglich zwei Stränge der Überlieferung existierten, von denen der Mariastrang zunächst Teil des Evangeliums war, in den dann die Marthageschichte eingefügt wurde (136-140). Die umgekehrte Annahme der Priorität der Marthaerzählung erhält aus V. 5 Nahrung, wo die Geschwisterbeziehung über Martha etabliert wird. 101 Dieses Motiv wird in 11,35f. wieder aufgegriffen: Das Weinen Jesu wird von den Juden als Hinweis auf die enge emotionale Bindung interpretiert: „Siehe, wie sehr er ihn geliebt hat!“ (11,36). 102 Vgl. THYEN, Palimpsest, 2036; FREY, Eschatologie III, 419. Diese Verbindung wird in der Auslegungsgeschichte früh hergestellt (etwa bei Hippolyt und Ps.-Cyprian; vgl. KREMER, Lazarus, 118f.). Zum Problem des geliebten Jüngers allgemein vgl. J. KÜGLER, Der Jünger, den Jesus liebte. Literarische, theologische und historische Untersuchungen zu einer Schlüsselgestalt johanneischer Theologie und Geschichte. Mit einem Exkurs über die Brotrede in Joh 6, SBB 16, Stuttgart 1988; J.L. RESSEGUIE, The Beloved Disciple. The Ideal Point of View, in: Hunt, Character Studies, 537-549; A. KRAGERUD, Der Lieblingsjünger im Johannesevangelium, Oslo 1959; M. THEOBALD, Der Jünger, den Jesus liebte, in: H. Lichtenberger u.a. (Hgg.), Geschichte – Tradition – Reflexion (FS M. Hengel), Bd. 3, Tübingen 1996, 219255; J. CHARLESWORTH, The Beloved Disciple. Whose Witness Validates the Gospel of John, Valley Forge 1995. 103 Vgl. Orig. Comm. in Io. XXVIII 6-7, bes. 6,50: καὶ περιεστώς γε οὕτως ὁ ὄχλος ἐθαύµασεν ὅτι δυσώδης ἀπὸ τῶν πρὸς θάνατον ἁµαρτηµάτων τις γεγενηµένος καὶ ἀποθανὼν τῇ ἀρετῇ ἐπαλινδρόµησεν ἐπ’ αὐτήν· καὶ θαυµάσας πιστεύσαι ἄν ποτε τῷ ζωοποιήσαντι αὐτὸν λόγῳ, ὡς θεόθεν ἀνθρώποις ἐπιδηµήσαντι.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

221

und ist wieder zum Leben gekommen, er war verloren und wurde wiedergefunden.“104 Dass mit Lazarus jemand erkrankt, der bereits ein Freund Jesu, also ein Christ ist, erscheint Origenes als Symbol dafür, dass Umkehr und Vergebung auch bei Sünden möglich ist, die bereits im Status des Glaubens begangen werden.105 Das stellvertretende Bitten der Schwestern für den in den Bändern der Sünde und des Todes Gefangenen wird zum Bild für die Möglichkeit stellvertretender Fürbitte der Kirche.

Der Horizont der – offensichtlich lebensbedrohlichen – Krankheit beherrscht von Anfang an die Szene. In mehreren Wiederholungen wird über das Verb ἀσθενεῖν bzw. das Substantiv ἀσθένεια die Krankheit und der durch sie drohende Tod des Lazarus zum Thema gemacht (11,1.2.3.4.6).106 Jesu Aussage, diese Krankheit führe nicht zum Tode, sondern zum Ruhm Gottes (11,4), lässt sich in letzter Konsequenz – wie so oft bei Johannes – nur vom Ausgang der johanneischen Jesus-Geschichte her verstehen. Zunächst nämlich führt diese Krankheit auf unterschiedlichen Ebenen zum Tode107: Wenig später stirbt Lazarus, und am Ende der Erzählung wird auch noch Jesus selbst mittelbar in diesen Tod mit einbezogen, insofern sein Weg nach Bethanien und zur Auferweckung des Lazarus letztlich seine eigene Tötung in Gang setzen wird.108 Gleichwohl wird sich die Aussage Jesu im Rückblick bewahrheiten, wenn deutlich wird, dass der Tod weder bei Lazarus noch bei Jesus selbst das letzte Wort behält, dass Lazarus nicht in der Dunkelheit des Grabes und im Zersetzungsgeruch bleibt, sondern der Tod durch das Licht und den Geruch des Lebens überwunden wird und so dem Glanz der Herrlichkeit Gottes weichen muss. Und genau von diesem Ausgang her gewinnt die Aussage Jesu tröstende Kraft – nicht für die Erzählfiguren im Rahmen der Geschichte, wohl aber für die Leserinnen und Leser, die den Ausgang der Geschichte bereits voraussetzen. Der Tod des Lazarus und damit die Todesverfallenheit insgesamt werden so von Anfang an unter die Perspektive des in Jesus gegenwärtigen Lebens gestellt (ähnlich wie der Tod Jesu in 11,9 und 12,24). Der Satz Joh 11,4 macht also bereits zu Anfang die Perspektive deutlich, aus der die Geschichte betrachtet werden soll. Es geht darin um den Weg vom Tod zur δόξα θεοῦ, die – in der Erzählung von Lazarus wie im Evangelium insgesamt – in der Überwindung des Todes durch 104 Die Metapher findet sich ganz ähnlich in Eph 2,1f.: „Und ihr, die ihr tot wart aufgrund eurer Verfehlungen und Sünden, [2] in denen ihr einst euer Leben entsprechend dieser Weltzeit geführt habt …“ (vgl. 2,5). 105 Orig. Comm. in Io. XXVIII 7,54. 106 Vgl. die enge Verbindung von ἀσθενεῖν und ἀποθνῄσκειν in Apg 9,37. 107 Es wird sich im Fortgang der Erzählung zeigen, dass es erst diese Überwindung des Todes in der Auferstehung Jesu selbst ist, die sein Sein als „die Auferstehung und das Leben“ (11,25) bekräftigt und damit letztlich die Auferweckung des Lazarus möglich und für die Nachfolgenden glaubhaft macht. 108 Vgl. M.M. THOMPSON, The Raising of Lazarus in John 11. A Theological Reading, in: R. Bauckham/C. Mosser (Hgg.), The Gospel of John and Christian Theology, Grand Rapids/ Cambridge (UK) 2008, 233-244, hier 236f.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

die Lebenskraft Gottes kulminiert (vgl. 5,21). Dies gilt in herausgehobener Weise von der Lebenshingabe Jesu. In diesem Sinne ist es zu verstehen, wenn das Johannesevangelium die Erhöhung Jesu ans Kreuz als δοξασθῆναι bezeichnen kann.109 Die Aussage αὕτη ἡ ἀσθένεια οὐκ ἔστιν πρὸς θάνατον ἀλλ’ ὑπὲρ τῆς δόξης τοῦ θεοῦ ἵνα δοξασθῇ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ δι’ αὐτῆς („Dieses Krankheit ist nicht zum Tode, sondern dient dem Erweis der Herrlichkeit Gottes, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht wird“) ist also überaus vielschichtig: Der Sohn Gottes wird – so das unmittelbare Verständnis – durch die Auferweckung des Lazarus verherrlicht, insofern in ihm die lebenschaffende Macht Gottes mitten in der Welt des Todes aufscheint. Die Bedeutung aber reicht tiefer: In letzter Konsequenz zeigt sich diese Macht erst, wenn Jesus über die Erhöhung ans Kreuz und durch den Tod hindurch selbst ohne fremde Hilfe aus dem Grab heraustreten wird. Noch einmal wird in 11,5 die besondere Beziehung Jesu zu allen drei Geschwistern hervorgehoben, wobei diesmal die Geschwister über Martha definiert werden („Martha und ihre Schwester und Lazarus“). 3.5.1.2 Jesus und die Jünger I – Das Licht dieser Welt angesichts der Bedrohung durch den Tod (11,6-10) Wie bereits bei der Hochzeit zu Kana gegenüber seiner Mutter (Joh 2,4) kommt Jesus der implizierten Bitte nicht direkt nach.110 Nach Erhalt der Botschaft von der Krankheit des Lazarus bleibt er zunächst noch zwei Tage am selben Ort (11,6). Die in der Dramaturgie der Geschichte schwer verständliche Verzögerung wird aus der Handlung heraus nicht motiviert111: Der Leser allerdings weiß, dass das Geschehen insgesamt der Manifestation der gloria dei dient (11,4; vgl. 1,14.50f.; 9,3) und somit auf den Glauben und dadurch das Leben der Rezipienten des Evangeliums zielt, und zwar vor allem bei denen, die – zunächst im Rahmen der Geschichte (11,45; 12,9-11.17f.) und dann später bei der Lektüre des Zeugnisses nach Maßgabe des Evangelisten in 20,30f. – seine Auferweckung wahr-nehmen und dadurch den Anstoß zum Glauben erhalten, wie aus 11,15 rückblickend deutlich werden wird: Gerade der Tod des Lazarus wird dem Glauben der Rezipienten dienen. Gemeint ist doch offenbar: weil nur 109

Joh [3,14]; 12,16.23f.; 13,31f. Zu δόξα κτλ. in der Lazarusgeschichte vgl. W.H. CADThe Raising of Lazarus, StEv I (1959), 422-426. 110 SCHNEIDERS, Death, 47, sieht hier ein Muster, das sie auch in Joh 4 gegenüber dem kaiserlichen Beamten und in Joh 7 gegenüber den Brüdern Jesu wiederfindet. 111 STIBBE, Tomb, 44, sieht hierin einen literarischen Hinweis darauf, dass sich der Christus menschlichen Kategorisierungen entzieht: „… from a literary point of view, Jesus’ hesitation is quite evidently emblematic of his evasiveness, of his reluctance to operate with predictability and according to discernible, man-made time-tables.“ Vgl. auch ders., The Elusive Christ. A New Reading of the Fourth Gospel, JSNT 44 (1991), 20-39. MAN,

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

223

an einem bereits Gestorbenen die lebenschaffende Macht Jesu als Lebenskraft Gottes selbst offenbar werden kann (vgl. 5,21). In diesem Horizont ist auch die Betonung der Faktizität des Todes im Fortgang der Erzählung zu sehen. Die Verzögerung bewirkt den Tod des Lazarus und ermöglicht so letztlich die Überwindung des Todes durch Jesus. Aber mehr noch: Frey weist darauf hin, dass Lazarus auch ohne die zusätzlichen zwei Tage „bei Jesu Eintreffen bereits seit zwei Tagen tot“ gewesen wäre.112 Er ordnet dieses Element deshalb in die theologische Chronologie dieser Perikope ein, die das Ereignis seiner Auferweckung als ein „alle menschlichen Hoffnungen übersteigendes, schöpferisches, ja göttliches Handeln darstellt.“113 Und Frey fährt fort: „Theologisch dienen die zwei Tage in V. 6 dazu, die folgende Totenerweckung im Unterschied zu den synoptischen Totenerweckungen und denen der Elia-/Elisatradition über das Maß des für zeitgenössische Rezipienten Denkbaren hinaus zu steigern und als göttliches Werk zu charakterisieren.“114 Der Geruch bringt diesen Aspekt in besonderer Weise zur Geltung; er lässt das Element der Vergänglichkeit und des Verfalls plastisch werden. Was auf der Erzählebene zynisch klingen könnte, wenn es im Horizont einer psychologisierenden, ethisierenden oder historisierenden Logik betrachtet wird, ist als rückblickende Reflexion und Erklärung des Evangelisten für die Leser durchaus verständlich. Wie immer man die Chronologie des Todes des Lazarus gemäß der Darstellung des Johannesevangeliums genau rekonstruieren mag115, die entscheidende Pointe ergibt sich daraus, dass er bereits seit vier Tagen tot ist. Zudem kann man in diesem menschlicher Ratio widersprechenden Aspekt ausgedrückt finden, dass sich Jesu Handeln einem höheren Willen und einer höheren Logik verdankt, nämlich der des Vaters.116

Der Verzögerung kommt zudem eine literarische Funktion zu. Sie schafft den Raum, um das Todesthema noch von einer anderen Seite zu beleuchten: Die Bedrohung des Todes betrifft nicht Lazarus allein, sondern auch Jesus und seine Jünger. Beides ist im Zusammenhang zu sehen. Wenn Jesus „wieder nach Judäa“ geht, um Lazarus beizustehen, dann gehen alle Jünger davon aus, dass der Weg für ihn den sicheren Tod bedeutet – und vielleicht auch für die, die ihm nachfolgen (11,7f.; vgl. 11,16). Der Todesbeschluss 11,53 bestätigt diese Befürchtung. Diese thematische Verknüpfung lässt sich theologisch deuten: derjenige, der selbst das Leben ist (11,25; 14,6; vgl. 5,26), eignet durch die Hingabe seines eigenen Lebens Leben zu (vgl. 1,29.36; 3,16; 10,11.15; 12,24; 15,13). Die Überwindung des Todes des Lazarus steht als Prolepse im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tod Jesu und seiner Überwindung. Insofern ist sie ein echter Vorschein, der erst in der Erhöhung und Auferstehung Jesu seine Bestätigung erfährt. Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern bereitet so inhaltlichsymbolisch mit dem Thema des Todes und seiner Überwindung und dem Motiv

112

FREY, Eschatologie III, 426 mit Anm. 76. Ebd. 114 Ebd., 427 (Hervorhebung J.F.). 115 Vgl. ebd., 426f., mit der Diskussion der Forschungsmeinungen in Anm. 77. 116 Vgl. etwa SCHNACKENBURG, Komm. II, 406. 113

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

der Salbung den Weg Jesu zum Sterben vor, leitet ihn aber zugleich dramatisch auf der Handlungsebene ein.117 Auf die Frage der Jünger, wieso er sich dieser Gefahr aussetze, antwortet Jesus mit einem Weisheitssatz (11,9f.)118: οὐχὶ δώδεκα ὧραί εἰσιν τῆς ἡµέρας; ἐάν τις περιπατῇ ἐν τῇ ἡµέρᾳ, οὐ προσκόπτει, ὅτι τὸ φῶς τοῦ κόσµου τούτου βλέπει. ἐὰν δέ τις περιπατῇ ἐν τῇ νυκτί, προσκόπτει, ὅτι τὸ φῶς οὐκ ἔστιν ἐν αὐτῷ.

Hat nicht der Tag zwölf Stunden? Wenn einer am Tag umhergeht, stößt er nicht an, denn er sieht das Licht dieser Welt; wenn aber einer in der Nacht umhergeht, stößt er an, denn das Licht ist nicht in ihm.

Im Rahmen der Handlung muss der Satz wiederum rätselhaft bleiben. Den Jüngern bietet er wohl kaum eine befriedigende Antwort auf ihre Frage.119 Wenngleich sich der Ton des Zuspruchs sowohl auf der Ebene der Erzählung als auch von der Situation aufkommender Bedrängnis in der johanneischen Gemeinde her verstehen lässt, so wirkt der Satz bei einer Erzählanalyse deplatziert. Motivisch dagegen ist er mit dem Thema des Lichts in den Gesamtabschnitt 8,12-12,50 eingefügt.120 Er nimmt die Eröffnung des Abschnitts in 8,12 auf121, der bereits die Themen Licht und Leben miteinander verbindet, und ordnet auf diese Weise das Geschehen in den übergreifenden Zusammenhang und die übergreifende Thematik des Abschnitts und des Evangeliums insgesamt ein: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird niemals in der Dunkelheit wandeln, sondern das Licht des Lebens haben.“ 3.5.1.3 Jesus und die Jünger II – Schlaf und Tod (11,11–16) Es schließt sich ein zweiter Gesprächsdurchgang mit den Jüngern an, der klar und zugleich sprachlich etwas plump abgegrenzt ist: ταῦτα εἶπεν, καὶ µετὰ τοῦτο λέγει αὐτοῖς … (11a). Dieser zweite Teil des Gesprächs Jesu mit seinen Jüngern ist geprägt von einem (produktiven122) Missverständnis, das über meh117

Vgl. BULTMANN, Komm., 300f. STIBBE, Tomb, 51, nennt ihn einen mashal. Eine Auslegung der Verse im Zusammenhang der johanneischen Verwendung der Metaphorik von Licht und Finsternis bietet SCHWANKL, Licht, 235-250. 119 Verschiedene Deutungen wurden in der Literatur angeboten: Trost für die Jünger in der Situation der Angst um Jesus (z.B. LINDARS, Komm., 390f.); Bezug zur Passion: Jesus muss noch wirken, bevor seine Stunde kommt und das Licht aus der Welt genommen wird (z.B. BULTMANN, Komm., 304; SCHNELLE, Komm., 210); Paränese, im Licht Jesu zu wandeln (wirkt allerdings etwas deplaziert an dieser Stelle gegenüber 8,12). 120 Vgl. dazu SCHWANKL, Licht, 235-350. 121 Vgl. auch 9,4f. 122 Zur produktiven, didaktischen Funktion der johanneischen Missverständnisse vgl. J. RAHNER, Missverstehen um zu verstehen. Zur Funktion der Missverständnisse im Johannesevangelium, BZ 43 (1999), 212-219. BULTMANN dagegen will hier kein johanneisches Missverständnis finden, da es sich „nicht um die Verwechslung des Himmlischen und 118

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

225

rere Stufen entfaltet wird. Es entzündet sich an der Verwendung der Metapher bzw. des Euphemismus’ des Schlafes für den Tod.123 Bei der Erweckung der Tochter des Jairus in Mk 5,39 dient dieser Euphemismus deutlich der Relativierung des Todes bzw. der Betonung von dessen Vorläufigkeit, die durch die in Jesus wirksame lebenstiftende Kraft Gottes aufgehoben werden kann: „Was lärmt ihr und weint? Das Kind ist nicht gestorben, sondern es schläft.“ Für die Vielschichtigkeit der Verwendung der Motivik von Schlaf und Tod im Fortgang des Gesprächs ist wichtig, dass der Tod umgekehrt als Metapher eines von der Lebensmacht Gottes abgeschnittenen Lebens des Menschen mitten im physischen Leben fungieren kann, so etwa in Lk 15,32 im Zusammenhang der Rückkehr des verlorenen Sohnes (vgl. Eph 5,14). Die Pointe dieser Verwendung liegt in der Umdeutung des Lebensbegriffs: Obwohl physisch am Leben, ist die betreffende Person aufgrund ihrer Gottesferne faktisch bereits im Bereich des Todes. Diese Gottesferne ist beim Verlorenen Sohn die Folge schuldhaften Sich-Entfernens, kann aber auch im vergänglichen Wesen des Menschen an sich begründet sein, insbesondere im platonisch beeinflussten Denken der Zeit, dem das Leben in der körperlichsinnlichen Welt aufgrund der kategorialen Trennung vom Sein Gottes insgesamt als „Hades“ oder auch als Traum erscheint, aus dem es den Menschen durch religiöse oder philosophische Bildung aufzuwecken gilt.124 Wie Josephus im ersten Teil der Rede Eleazars „Über die

Irdischen“ handle (Komm., 304 Anm. 6). In 11,23f. (ἀναστήσεται) ist ihm „die johanneische Technik des Missverständnisses“ deutlich (306). 123 Die Metapher findet sich verbreitet in der griechischen Literatur (vgl. schon Hom. Il. XI 241; Hes. Op. 116; Soph. El. 508f.), und insbesondere in den hellenistischen Epigrammen, gelegentlich auch in der Septuaginta (Jer 28,39; Ez 32,27; Hi 14,12; Sap 17,13; Sir 22,9); Sir 46,19; 48,13 wird der Tod als κοίµησις beschrieben. Im Neuen Testament vgl. Mt 27,52; 1Kor 7,39; 11,30; 15,6.18.20.51; 1Thess 4,13-15 u.ö. In der rabbinischen Literatur wird ‫ דְּ ַמְך‬sowie ‫שׁכַב‬ ָ (vgl. GenR 96) für das Sterben verwendet (STRBILL I 523). Vgl. FREY, Eschatologie III, 429 Anm. 86 mit weiteren Belegen v.a. aus dem Jubiläenbuch (10,15; 23,1 u.ö.) und der Testamentenliteratur (TestIs 7,9; TestAs 8,2; TestJud 26,4 u.ö.); H. BALZ, Art. ὕπνος κτλ., ThWNT VIII, 545-556 [Lit!]; O. MICHEL, Zur Lehre vom Todesschlaf, ZNW 35 (1936), 285-290; G. ROCHAIS, Les récits de résurrection des morts dans le Nouveau Testament, MSSNTS 40, Cambridge u.a. 1981, 192-199; M.B. OGLE, The Sleep of Death, MAAR 11 (1933), 81-117; P. HOFFMANN, Die Toten in Christus. Eine religionsgeschichtliche und exegetische Untersuchung zur paulinischen Eschatologie, NTA NF 2, Münster 1966, 186190; SCHNEIDERS, Death, 48-50. KREMER, Lazarus, 170f., verweist auf die Auflistung mehrerer Deutungen des Schlafes bei Thomas von Aquin aufgrund des biblischen Zeugnisses (Lect. in Io. Nr. 1471-1562). 124 Vgl. Philon De congr. 57. Freilich erfreut sich die Seele nach Plutarch in der körperlich-wahrnehmbaren Sphäre an dem „schönsten und göttlichsten aller Träume“ (πάντων [mit Konjektur von H. GÖRGEMANNS U.A. (HGG.), Plutarch. Dialog über die Liebe (Amatorius), eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 10, Tübingen 2006, 104] ἐνυπνίων … τὸ κάλλιστον καὶ θειότατον; Amat. 764F), aus dem die Träumenden nichtsdestoweniger aufzuwecken und zur Wahrheit hinzuführen sind. Antiochos IV. Epiphanes fordert in seinem Rededuell mit Eleazar im 4. Makkabäerbuch diesen auf, aus der „absurden Philosophie“ der Juden aufzuwachen (οὐκ ἐξυπνώσεις ἀπὸ τῆς φλυάρου φιλοσοφίας ὑµῶν; 5,11) – und sich auf diese Weise vor dem drohenden Martyriumstod zu retten. Gerade im

226

Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Unsterblichkeit der Seele“ (Bell. Iud. VII 341-359) deutlich macht, bedeutet das Leben im Leib in Wahrheit Tod (344), weil die Seele in diesem Zustand von Gott getrennt existiert.125 Demgegenüber können die Seelen, wie dies am Schlaf in besonderer Weise deutlich werde, nachdem sie sich vom Leib getrennt haben, ihre Ruhe im Zusammensein mit Gott finden (349f.). Mit solchen Überlegungen ist der Weg geebnet für ein Verständnis des physischen Todes als Folge eines in Körperlichkeit und Sinnlichkeit verhafteten Lebens. Die Gottlosen sind nach Philon „aufgrund ihrer Ungerechtigkeit bereits in diesem Leben Tote.“126 In diesem Sinne impliziert der Ruf zum Erwachen in Eph 5,14 auch eine ethische Erweckung und einen von der Liebe geleiteten Lebenswandel nach dem Vorbild Jesu (5,2). Von hier ausgehend erblickt Origenes die wesentliche Bedeutung der Auferweckung des Lazarus darin, dass Jesus auch die „heutigen Lazarusse“ aus dem Tod ihrer Sünden heraus auferwecken kann: χρὴ δὲ εἰδέναι ὅτι εἰσίν τινες καὶ νῦν Λάζαροι, µετὰ τὴν φιλίαν Ἰησοῦ ἀσθενήσαντες καὶ ἀποθανόντες καὶ ἐν µνηµείῳ καὶ νεκρῶν χώρᾳ µείναντες µετὰ νεκρῶν νεκροί, καὶ µετὰ τοῦτο τῇ εὐχῇ τοῦ Ἰησοῦ ζωοποιηθέντες καὶ ἀπὸ τοῦ µνηµείου ἐπὶ τὰ ἔξω αὐτοῦ ὑπὸ Ἰησοῦ τῇ εγάλῃ αὐτοῦ φωνῇ καλούµενοι (Comm. in Io. XXVIII 7,54). Sind sie aus ihrem Todesschlaf in diesem Leben erweckt, so werden sie auch über den physischen Tod hinaus Leben haben. Ähnlich macht Plutarch im Amatorius in Anknüpfung an die Anamnesis-Lehre Platons (Men. 79e-82e; Phaed. 72e-77a; Phaedr. 249b-c; Tim. 41e) deutlich, dass die Verfangenheit des Menschen in der körperlichen Welt der Erscheinungen wie ein Schlaf sei. Aus diesem Schlaf führt die göttliche Liebe (Eros) als Arzt und Retter wie ein Mystenführer bei der Einweihung heraus – und zwar indem Erôs sich unter Verwendung der Körper nähert und die Seelen „aus dem Hades zum ,Gefilde der Wahrheit‘ führt“ (… ἐπὶ τὴν ἀλήθειαν, ἐξ Ἅιδου δ’ εἰς τὸ ἀληθείας πεδίον, 764F-765A).127 Vom mysterienhaften Herausführen des Menschen aus der Gefangenschaft des Schlafes im Körper als einem Aufwecken redet auch Philon, dem zufolge das Leben in der Welt der körperlichen Wahrnehmungen nach De somn. I 121; II 162; De Jos. 126-147 allgemein als Schlafzustand zu betrachten ist. Diese bei Platon zunächst erkenntnistheoretische Metapher bekommt dabei freilich eine ethische Wendung. Die Wende

Martyriumstod aber liegt eigentliches Leben (vgl. 4Makk 5,37; FELDMEIER, Θεὸς ζῳοποιῶν, 88). 125 Durch Halten der Gesetze der Weisheit kann auch der Mensch an der göttlichen Unvergänglichkeit Anteil erhalten (vgl. Sap 6,18f.; vgl. 8,17; 15,3). Für den Zusammenhang zwischen einer Orientierung am Gesetz und Leben vgl. Dtn 4,1; 16,20 u.a.; Ps 36,10; Spr 3,16.18.22; 4,13.22f. u.a. Nach Philon biete die Philosophie den Weg in die Einheit mit Gott und damit in die Überwindung der Vergänglichkeit (vgl. De gig. 14; De opif. 77). 126 Vgl. H.C. CAVALLIN, Leben nach dem Tode im Spätjudentum und im frühen Christentum. I. Spätjudentum, ANRW II/19.1 (1979), 240-345, hier 290. 127 Vgl. GÖRGEMANNS, Amatorius, 169 Anm. 312, mit dem Hinweis auf C. SCHOPPE, Plutarchs Interpretation der Ideenlehre Platons, Münsteraner Beiträge zur klassischen Philologie 2, Münster u.a. 1994, 253 Anm. 77; F. FRAZIER, Platonisme et patrios pistis dans le discours central (chs. 13-20) de l’Eroticos, in: A. Pérez Jiménez u.a. (Hgg.), Plutarco, Platón y Aristóteles. Actas del V congresso internacional de la I.P.S. (Madrid-Cuenca 1999), Madrid 1999, 343-356, hier 347. Vgl. zu Plutarch weiter R. FELDMEIER, Der Gott der Toten als Gott des Lebens. Plutarchs interpretatio plationica des Osirismythos (De Iside 76-78), in: ders., Der Höchste, 79-90, hier 87f. [= Osiris. Der Gott der Toten als Gott des Lebens. De Iside Kap. 76-78, in: R. Hirsch-Luipold, Gott und die Götter bei Plutarch. Götterbilder – Gottesbilder – Weltbilder, RGVV 54, Berlin u.a. 2005, 215-227].

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

227

des Abraham zum Glauben wird in De Abr. 70 als Öffnen der Augen für das reine Licht aus dem tiefen Schlaf heraus bezeichnet.

Durch den Autorkommentar in 11,14: „Da sagte ihnen Jesus unverhüllt“ (παρρησίᾳ)128, macht Johannes klar, dass sich hier zwei Sprach- und Verständnisebenen überlagern. Als Jesus zuvor gesagt hatte: „Lazarus liegt schlafend (κεκοίµηται). Aber ich will hingehen, um ihn aufzuwecken“ (11b)129, dachten die Jünger, er spreche vom normalen Schlaf.130 Die Antwort der Jünger im Blick auf die mögliche Rettung des Lazarus zeigt das Missverständnis und ist zugleich ein Fall johanneischer Ironie131: Ihre Wahrheit ist größer, als von den Jüngern selbst gedacht – und liegt auf einer anderen Ebene. „Herr, wenn er schlafend liegt, dann wird er gerettet werden“ (12).132 Auf einer oberflächlichen Ebene heißt das: „Dann ist er ja auf dem Weg der Genesung.“133 Der Schlaf – so wollen die Jünger sagen – macht eine Rettung und ein Aufstehen möglich, wogegen der Tod endgültig wäre. Tatsächlich aber – und hier liegt die feine Ironie – ist es genau umgekehrt: Gerade, wenn vom Tod in letzter Konsequenz die Rede ist, gerade unter der Voraussetzung der Realität, Brutalität und Endgültigkeit des Todes erhält der Gedanke seine umfassende Füllung, dann umgreift der Einbruch des Lebens durch die Gegenwart Jesu134, der mit σωθῆναι trefflich umschrieben ist, den Tod in allen seinen Dimensionen. Damit die Botschaft zweifelsfrei feststeht, dass Jesus, der selbst die ἀνάστασις ist (11,25), den Tod endgültig überwinden kann, muss der Tod des Lazarus unbezweifelbar sein. Gerade mit der Betonung der Tatsächlichkeit des Todes kann es zu einer Umwertung des Todes kommen. Es wird nicht einfach uneigentliche (Schlaf) durch eigentliche Rede (Tod) ersetzt, sondern die Jünger 128 Dieser Begriff ist im Rahmen johanneischer Bildterminologie zu verstehen; vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext in Bildern. ἀληθινός κτλ., παροιµία – παρρησία, σηµεῖον als Signalwörter für eine bildhafte Darstellungsform im Johannesevangelium, in: Frey u.a., Imagery, 61-102, hier 79-88. Eine dezidiert andere Interpretation bietet M. LABAHN, Die παρρησία des Gottessohnes im Johannesevangelium. Theologische Hermeneutik und philosophisches Selbstverständnis, in: Frey/Schnelle, Kontexte, 321-363; vgl. weiter S.B. MARROW, Parrhēsia in the New Testament, CBQ 44 (1982), 431-446. 129 ἐξυπνίσω anstelle des für das Auferwecken geläufigen ἀναστήσω (so 11,23f.). 130 Zu dem Wortspiel vgl. O’DAY, Komm., 686f. 131 Vgl. o. 94-95. 132 Zur Doppeldeutigkeit dieses Begriffs vgl O. CULLMANN, Der johanneische Gebrauch doppeldeutiger Ausdrücke als Schlüssel zum Verständnis des vierten Evangeliums (1948), in: ders., Vorträge und Aufsätze 1925-1962, hg. von K. Fröhlich, Tübingen/Zürich 1966, 176186 [= ThZ 4 (1948), 360-372], hier 185 Anm. 13: „So ist seine Auferweckung ein Beispiel dafür, dass überall da, wo Christus am Werk ist, alles ,Sterben‘ nur ein ,Schlafen‘ ist.“ WENGST, Komm. II, 25, versteht den Satz im Anschluss an bBer 57b, wo der Schlaf unter den Indikatoren für einen positiven Krankheitsverlauf genannt wird, gewissermaßen als Zeichen der Heilung. 133 Vgl. THYEN, Komm., 515. 134 Vgl. SCHNEIDERS, Death, 49f.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

sollen begreifen, dass nach dem Kommen Jesu der reale Tod nur noch ein Schlaf ist, aus dem Jesus die Menschen erwecken kann.135 Erst die völlige Realität des Todes gibt folglich dem σωθήσεται seine eigentliche Füllung.136 Dieser Aspekt wird eindringlich aufgegriffen in der unter dem Namen Ephraems überlieferten Rede „Über die Auferweckung des Lazarus“. In dieser Rede wird der Weg des Lazarus in Unterwelt und Verwesung ausgemalt und dies eben soteriologisch begründet: „Am toten, verwesenden Lazarus wollte er seine Macht zeigen, damit er die Totenerweckung durch die Tat bestätige und nicht bloß mit Worten predige“ (§4); „Jesus ließ dem Lazarus Zeit, damit er bis zum Grunde des Totenreichs hinabsteigen konnte, um ihn dann aus der Tiefe der Grube heraufzuholen und dadurch die Verwesung des Todes zu besiegen. Der Tod ergriff den Begrabenen und übergab ihn der Verwesung. Der Wurm nagte an ihm, und die Fäulnis zersetzte seinen Leichnam“ (§7).

In dieser Logik lässt sich wohl die Aussage Jesu in 11,14b-15 nur verstehen, er freue sich um des Glaubens der Jünger willen, dass er nicht anwesend war, um das Sterben des Lazarus zu verhindern: Λάζαρος ἀπέθανεν, καὶ χαίρω δι’ ὑµᾶς ἵνα πιστεύσητε, ὅτι οὐκ ἤµην ἐκεῖ· ἀλλ’ ἄγωµεν πρὸς αὐτόν. Die Eindeutigkeit und Realität des den Menschen als ganzen umgreifenden Todes wird deshalb im Fortgang der Erzählung bis zur Grenze des Erträglichen unterstrichen, wenn es heißt, dass Lazarus seit vier Tagen im Grab liegt und dass sein Leichnam bereits Verwesungsgeruch ausströmt. Während in zeitgenössischen Konzepten der Todesbewältigung (im Platonismus137 und in der Stoa138) der körperlichen Realität aus unterschiedlichen Gründen eine untergeordnete Rolle zugewiesen wird, hebt das Johannesevangelium aufgrund der der jüdischen Tradition entstammenden ganzheitlichen Anthropologie die Überwindung auch der Todesverfallenheit des Körpers heraus. Besonders aufgeladen in diesem zweiten Gespräch Jesu mit seinen Jüngern ist das Futur (11: ἐξυπνίσω; 12: σωθήσεται), das den Horizont über den unmittelbaren Erzählrahmen hinaus öffnet und damit über die unterschiedlichen Zeitebenen wiederum zwei Seins- und Verstehensebenen deutlich macht.139 Man kann dieses Futur rein auf der Erzählebene verstehen: Jesus wird Lazarus tatsächlich im Fortgang der Erzählung aufwecken. Indes erweist die allgemeine Selbstbezeichnung Jesu als „die Auferstehung und das Leben“ (11,25) dieses 135

Vgl. THYEN, Komm., 515f. Übersetzung O. BARDENHEWER, Des heiligen Ephräm des Syrers ausgewählte Schriften, aus dem Syr. u. Griech., BKV 37, München 1919. Vgl. KREMER, Lazarus, 145. 137 Vgl. den pseudo-platonischen Axiochos „Über den Tod“, der freilich eine Melange aus unterschiedlichen philosophischen Konzeptionen bietet. 138 Nach Epiktet gehört der Körper zu den Dingen, über die wir keine Verfügungsgewalt haben. Er gehört nicht wirklich uns, so lässt Epiktet den Göttervater Zeus sagen, sondern ist nur „geschickt geformter Ton“ (Diss. I 1,12), einem Esel vergleichbar, den wir zwar pflegen, der aber nicht Teil unser selbst ist (Diss. I 16,3). 139 Zur theologischen Bedeutung der Tempusverwendung in der Botschaft des Johannes vgl. FREY, Eschatologie II, bes. 11-129.247-283. 136

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

229

partikulare Geschehen als Zeichen der in die Welt eingebrochenen Lebensmacht Gottes, das auf die Auferstehung am letzten Tag vorausweist (vgl. 11,2326; im Dialog zwischen Martha und Jesus nimmt der Evangelist die Spannung zwischen den beiden Zeitebenen auf). In der geschichtlichen Erfahrung leuchtet die zukünftige Hoffnung des Osterlichts auf: Jesus, der sich am Ende der Erzählung durch seine Auferstehung als das Leben selbst erweist, kann und wird den Lazarus, der wieder sterben wird, am Ende der Zeit noch einmal aufwecken – und mit ihm alle, die an Jesus glauben. Damit ist genau jenes Ineinander der Zeiten aufgegriffen, das Jesus bereits in 5,25 expliziert hatte: „Es kommt die Stunde und sie ist schon jetzt, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und alle, die es hören, werden das Leben haben.“ Die Aufforderung des Thomas an die Jünger in 11,16: „Wir wollen uns auch aufmachen, damit wir mit ihm140 sterben!“, knüpft an 11,7f. und baut die Aussagen über den Tod wieder in den Handlungskontext ein: Die Realität des Todes wird auch am Sohn Gottes, der als wahrhaftiger Mensch auf die Erde gekommen ist, nicht vorbeigehen. Wie das Johannesevangelium die menschliche Herkunft Jesu betont (1,45; 6,42; 7,27.41), so auch die volle Realität seines menschlichen Sterbens (bis hin zu 19,38-42, wo die rituelle Behandlung und Grablegung des Leichnams Jesu geschildert wird). Der Tod verschont auch denjenigen nicht, der selbst das Leben ist – und wird gerade dadurch selbst überwunden. Das Leben, das Jesus bringt, ist nicht ohne sein Kreuz und seinen Tod zu haben – so zeigt sich schon hier, und so wird es in 12,24 auf den Punkt gebracht. Umgekehrt aber sind Kreuz und Tod bei Johannes immer unter der Perspektive des daraus aufkeimenden Lebens gesehen.141 In beiden Gesprächsdurchgängen mit den Jüngern sind also die Themen von Tod und Auferweckung des Lazarus untrennbar mit der Frage nach dem Ster-

140

Die Unklarheit des Bezugs von µετ’ αὐτοῦ in 11,16 lässt wieder einmal die Interpretation in der Schwebe. Man könnte µετ’ αὐτοῦ auf Lazarus beziehen, was grammatikalisch sogar näherliegend ist; vgl. z.B. T. ZAHN, Das Evangelium nach Johannes, KNT 4, Leipzig/Erlangen 5/61921, 474; vgl. LINDARS, Komm., 392; KREMER, Lazarus, 62f. Auf die – ihres Erachtens intendierte – Ambivalenz der Aussage weist SCHNEIDERS, Death, 50, hin. 141 Es ist auffällig, dass das Kreuz bei Johannes nicht als theologischer Terminus zur Sprache kommt wie bei Paulus (Röm 6,6; 1Kor 1,17f.; 2,2; Gal 5,11; 6,12.14; Phil 3,18) und in den Deuteropaulinen (Eph 2,16; Kol 1,20; 2,14), aber auch bei den Synoptikern (Mk 8,34; Mt 10,38; 16,24; Lk 9,23; 14,27), sondern immer als Erzählrequisit (Joh 19,17.19.25.31). Ebenso fehlt das für die Synoptiker wichtige πάσχειν (Mk 8,31 par; 9,31; Mt 17,12; Lk 22,15; 24,26); die Kreuzigung kommt in spezifischer Weise als „Erhöhung“ in den Blick; die Wundmale indes sind in der Auferstehungsgeschichte wichtig zur Identifikation des Auferstandenen (vgl. zum Problem einer Theologia crucis im Johannesevangelium J. FREY, Die „theologia crucifixi“ des Johannesevangeliums, in: ders., Herrlichkeit, 485-554 [= in: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hgg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 169-237], hier 485-492, mit umfangreicher Literatur).

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

ben und der Auferweckung Jesu sowie der Todesverfallenheit aller Menschen und der Hoffnung auf eine allgemeine Auferweckung verknüpft. 3.5.1.4 Dialog mit Martha: Die Historisierung der eschatologischen Hoffnung (11,17-27) Die angedeutete Historisierung der eschatologischen Hoffnung wird im Fortgang der Handlung umgesetzt. Nach den die Handlung retardierenden Gesprächsgängen mit den Jüngern macht sich Jesus auf den Weg nach Bethanien und damit schon ganz in die Nähe von Jerusalem (Bethanien liegt nur 15 Stadien entfernt, wie in 11,18 betont wird). Nachdem der Kontakt zwischen Jesus und den Schwestern bis dahin nur über Boten stattfand, kommt es nun zu einem Zusammentreffen mit Martha. Zuvor allerdings erhält der Leser drei Angaben zur Situation, die die Spannung auf die Begegnung weiter steigern (11,17-20): 1. Lazarus liegt bereits seit vier Tagen im Grab. Sein Tod steht damit unzweideutig fest. Nach einer solch langen Zeit kann es keinen Zweifel mehr geben.142 Bei den Rabbinen ist die Vorstellung belegt, dass sich die Seele des Verstorbenen noch drei Tage in der Nähe des Grabes aufhält, bevor sie den Körper endgültig verlässt.143 Die Betonung der Zeitdauer bestätigt also auf der Handlungsebene die Aussage Jesu aus 11,14 und erhöht zugleich die Spannung im Blick auf die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus. In 11,39, unmittelbar vor der Auferweckung, wird diese Betonung von Martha wieder aufgenommen und dient aufgrund des vermuteten Leichengeruchs des Lazarus als Argument, das Grab nicht zu öffnen. 2. Das Haus der Schwestern Maria und Martha ist voller Gäste. Es sind „Juden“, wie spezifiziert wird, die gekommen sind, um den Schwestern in der Trauer um den Bruder Beistand zu leisten (11,19; vgl. 11,31). 3. Während Martha trotz der Gäste Jesus entgegenläuft, bleibt Maria im Haus sitzen (11,20). Dieses für den Aufbau der Geschichte wichtige Detail hat eine Trennung von Maria und Martha zur Folge und ermöglicht so die Doppelung der Begegnungserzählung (11,17-27.32-37). Nach dieser Einleitung kann das Gespräch zwischen Martha und Jesus unmittelbar auf den Punkt kommen. So tritt Martha Jesus mit Worten entgegen, die später fast wörtlich in 11,32 in einer Doppelung der Szene von ihrer 142

Etwas problematisch ist die Aussage: Jesus „fand (εὗρεν) ihn schon vier Tage im Grab liegend“. Es kann – mindestens in der vorliegenden Form des Textes – nicht gemeint sein, dass Jesus tatsächlich am Grab war. Dem widerspricht 11,34, wo er fragt: „Wohin habt ihr ihn gelegt?“ (vgl. BULTMANN, Komm., 305 Anm. 7). Auch die Formulierung in 11,30 ist sehr vage. 143 Vgl. die bei STRBILL II, 544f., bzw. FREY, Eschatologie II, 199f.; WENGST, Komm. II, 28 genannten rabbinischen Belege (KohR 12,6; LevR 18,1; Sem 8,1; BerR 100,7) sowie BULTMANN, Komm., 305; BARRETT, Komm., 398; THYEN, Komm., 519.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

231

Schwester wiederholt werden: „Herr, wärest du da gewesen, so wäre mein Bruder nicht gestorben!“ (11,21). Die Aussage führt keineswegs den mangelnden Glauben Marthas144 vor Augen – im Gegenteil! Was Martha sagt, ist im Rahmen der Erzählung sehr vernünftig, bedeutet eine realistische Einschätzung des Geschehenen und drückt darüber hinaus gerade Glauben aus.145 Jesu Aussage in V. 15 bestätigt indirekt sogar die Analyse Marthas: Wäre Jesus da gewesen, dann wäre Lazarus nicht gestorben. So aber ist Lazarus gestorben, und dies war notwendig, wie Jesus in 11,15 deutlich gemacht hatte, damit der Glaube an die den Tod überwindende Macht Jesu entstehen konnte. Das Dass des Glaubens der Martha steht von Anfang an außer Zweifel. Sie formuliert auch im Angesicht des Todes ihres Bruders gegenüber Jesus das Bekenntnis: „Aber ich weiß auch jetzt noch, dass Gott dir alles geben wird, worum du Gott bittest!“ (11,22). Thema ist also nicht Glaube und Unglaube, sondern die Frage nach dem genauen Inhalt des Glaubens. Es geht um den Weg, der von der Wahrnehmung der in Christus veränderten Welt zur WahrNehmung der Realität Gottes im Glauben führt. Martha befindet sich – wie viele Figuren innerhalb der Geschichte, und mit ihnen die Leser – als Glaubende auf einem Weg zu Wahrheit und Glauben hin.146 Sie versteht Jesus zunächst noch falsch, weil sie zu stark an den Realitäten der Welt, wie sie immer war, bzw. den Lösungen der religiösen Tradition orientiert ist. Dies wird sich insbesondere in ihrer selbstverständlichen Erwartung des Todesgeruchs ihres Bruders trotz der Anwesenheit Jesu (11,39) zeigen. Trotz ihres Glaubens, der in 11,22 und dann noch einmal in besonderer Weise in 11,27 Ausdruck findet, muss Martha schrittweise zur Wahrheit finden. Als Jesus ihr zusagt: „Dein Bruder wird auferstehen“ (11,23), da interpretiert sie dies im Rahmen der biblischen Prophezeiungen fast als einen Allgemeinplatz: „Ich weiß, dass er auferstehen wird bei der Auferstehung am jüngsten Tag“ (11,24).147 Es geht ihr 144

Vom mangelnden Glauben Marthas sprechen schon CALVIN, Komm., 293; BULTMANN, Komm., 310f.; STIMPFLE, Blinde, 119 (mit Anm. 52).140. Für Stimpfle bedeutet 11,39b „die völlige Zurücknahme von Marthas eigenem Bekenntnis in V. 27. Martha bestätigt sich als Nicht-Glaubende!“ (ebd., 140). Nach Ammonius von Alexandrien (Frgm. 384 REUSS) dient der „Unglaube“ der Martha hier der Übersteigerung des Wunders. Nach D. BURKETT, Two Accounts of Lazarus’ Resurrection in John 11, NT 36 (1994), 209-232, hier 219f., werden in den seines Erachtens widersprüchlichen Angaben über den Glauben der Martha zwei unterschiedliche verarbeitete Quellen sichtbar. 145 Für SCHNELLE, Komm., 212, wird die positive Erwartung der Martha auch daraus ersichtlich, dass sie Jesus im Gegensatz zu Maria entgegengeht. 146 Was bei Markus als den eigenen Status reflektierende Aussage dem Vater des epileptischen Jungen in den Mund gelegt ist („Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben“; Mk 9,24), wird hier erzählerisch ausgestaltet. 147 Die Hoffnung auf eine endzeitliche Auferstehung kann als pharisäisches, später rabbinisches und frühchristliches Gemeingut angesehen werden (vgl. R. BULTMANN, Art. ζάω κτλ., ThWNT II, 833-877; STIMPFLE, Blinde, 110).

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wie dem geheilten Blindgeborenen aus Joh 9. Sie glaubt, aber sie versteht den entscheidenden Punkt noch nicht: das Wesen dessen nämlich, der direkt vor ihr steht. Sie scheint „die Kraft zum ζῳοποιεῖν nicht Jesus, sondern – wie im Kontext des antiken Judentums nicht anders denkbar – allein Gott zuzutrauen.“148 Hierauf hatte ihr betontes doppeltes ὁ θεός hingedeutet, durch das sie „Gott“ als den in der Auferweckung Handelnden von Jesus unterschied. Deshalb antwortet Jesus mit der für die Erzählung wie für das Evangelium insgesamt zentralen Wortoffenbarung in einem Ich-bin-Wort, das den Status der göttlichen Lebenskraft für Jesus selbst reklamiert und durch die geschichtliche Erzählung wenig später seine Wahrheit und seine ganze Tragweite erweist: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“ (11,25). Die Doppelung ist keineswegs redundant, sondern ganz zwingend149: Während ἀνάστασις vom unmittelbaren Erzählkontext her den Weg (zurück) ins Leben bezeichnet, ist ζωή das Ergebnis des Prozesses und der das Evangelium durchziehende Grundbegriff der neuen Existenz.150 Die Lebensgabe aber wird sogleich an den Glaubensbegriff gekoppelt: „Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt, und jeder, der lebt und an mich glaubt, der wird nicht sterben bis in alle Ewigkeit. Glaubst du das?“ (11,25f.). Es ist der Glaube an diese zentrale Heilswirksamkeit Jesu, der zuletzt dem Glaubenden das Leben zueignet. Wiederum wie 148

FREY, Eschatologie III, 432. Vgl. BULTMANN, Komm., 307; BECKER, Komm. II, 360; STIMPFLE, Blinde, 110f. Vgl. zum johanneischen Begriff des Lebens auch F. MUSSNER, ΖΩΗ. Die Anschauung vom „Leben“ im vierten Evangelium unter Berücksichtigung der Johannesbriefe, MThS 1/5, München 1952. 150 Man könnte also das καί geradezu explikativ verstehen. Stimpfle versteht die Auferstehung als den „Übergang von der kosmischen in die himmlische Sphäre“, dem das Leben als Sein in dieser neuen Sphäre entspricht (so STIMPFLE, Blinde, 111; vgl. J. BLANK, Das Evangelium nach Johannes, GSL.NT 4/1b, Düsseldorf 1990, 269). Dem ist zuzustimmen, wenn deutlich ist, dass dies die Abstraktions- und Deutungsebene beschreibt, die auf der Erzählebene von der Rückkehr des Lazarus zum Leben basiert. Freilich ist bei dem Gedanken des Übergangs zugleich Vorsicht geboten, denn es handelt sich nicht um zwei lokal und ontologisch getrennte Ebenen: Wie gerade das Beispiel des Lazarus besonders eindrücklich zeigt, bleibt der Mensch auch nach dem Eintritt in das „Leben“, also in die Gemeinschaft mit Christus, Teil der körperlichen Welt – Lazarus wird selbstverständlich (wie alle Glaubenden) den körperlichen Tod noch erleiden, darauf verweist schon der Konditionalsatz κἂν ἀποθάνῃ (11,25b; STIMPFLE, Blinde, 112f., weist darauf auch hin, sieht hier aber gerade eine Widersprüchlichkeit). Weder ist also die künftige Auferstehung gleichgültig geworden gegenüber der gegenwärtig im Glauben erfassten (so BULTMANN, Komm., 307; S. SCHULZ, Das Evangelium nach Johannes, NTD 4, Göttingen 1987, 158) – denn das gegenwärtige Ergreifen garantiert erst die künftige Auferstehung. Noch ist dem zuzustimmen, dass für die Aussage Jesu, er sei das Leben, seine Auferstehung und Erhöhung an Bedeutung verliert (L. SCHOTTROFF, Art. ζῶ, EWNT II, 261-271, hier 269) – denn erst von dort aus erhält die Verheißung ihre Bestätigung; erst von dort her kann erfasst werden, dass in Jesu Worten und Taten tatsächlich die Wirklichkeit Gottes in der „kosmischen Sphäre“ sichtbar und spürbar geworden ist. 149

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

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bei dem geheilten Blinden schließt sich ein Bekenntnis an, nämlich das Bekenntnis der Martha, das von 20,31 sicherlich als ein vollgültiges Bekenntnis interpretiert werden muss: „Ja, Herr, ich glaube fest, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt kommt“ (11,27).151 Anders als bei dem geheilten Blindgeborenen muss hier allerdings diese Zusage Jesu erst geschichtlich eingeholt werden. 3.5.1.5 Maria und einige Juden (11,28-37) Im Dialog Marias mit Jesus ist die Doppelung der Marthaepisode mit fast wörtlicher Wiederholung von 11,21 in 11,32 besonders auffällig. Die Verse 11,28-31 bereiten zunächst den Dialog vor. Maria – und mit ihr „die Juden“, die zu ihrem Trost gekommen waren – werden durch einen Impuls Jesu mit in diesen Dialog hineingezogen: „Der Lehrer ist da und ruft dich!“152, so hatte Martha ihre Schwester wissen lassen (11,28). Obwohl dieser Ruf Jesu Maria „im Verborgenen“ (λάθρᾳ) übermittelt worden war, folgen „die Juden“ der Maria, in der Überzeugung, sie habe sich auf den Weg zum Grab gemacht. Neben der Betonung des emotionalen Berührtseins Jesu (33-34), seiner Tränen und der auf den Anfang des Kapitels zurückweisenden Interpretation im Sinne der besonderen emotionalen Bindung Jesu an Lazarus (35-36)153 ist für die vorliegende Fragestellung insbesondere die Reaktion einiger der Juden von Bedeutung, durch die der intertextuelle Rückbezug zur Blindenheilung explizit wird: „Konnte denn dieser Mann, der die Augen des Blinden geöffnet hat, nicht 151

So etwa GNILKA, Komm., 92; THYEN, Komm., 516; WENGST, Komm. II, 35; J. LIEU, Scripture and the Feminine in John, in: A. Brenner (Hg.), A Feminist Companion to the Hebrew Bible in the New Testament, The Feminist Companion to the Bible 10, Sheffield 1996, 225-240, hier 225; SCHNEIDERS, Written, 180 („Martha’s response is the most fully developed confession of Johannine faith in the Fourth Gospel“). BULTMANN, Komm., 309, sieht hier drei „eschatologische Titel“, wobei der letzte am bedeutsamsten ist, „weil das ὁ εἰς τὸν κόσµον ἐρχόµενος den Einbruch des Jenseits in das Diesseits am deutlichsten ausspricht“, der für Bultmann zugleich der in Jesus sich ereignende „eschatologische Einbruch Gottes in die Welt“ ist. Nach STIMPFLE, Blinde, 140, dagegen drücken die von Martha verwendeten Titel in jüdischer Tradition die Erwartung einer künftigen Wiederkehr des Messias aus, nicht aber, dass diese Erwartung in Jesus schon erfüllt ist. 152 Lässt sich dieser Ruf (φωνεῖ σε) auf einer tieferen Ebene auch als Ruf zum Leben verstehen? Wo Jesus mit lauter Stimme (φωνή) ruft, so zeigt die Perikope, da kommen die Menschen aus dem Tod zum Leben. Genau dies belegt die zeichenhafte Handlung der Maria in der folgenden Salbungserzählung. Maria hat sich zum (Glauben und) Leben rufen lassen! Von diesem Leben legt sie mit der Salbung Zeugnis ab. Diese Methode, Substantiv und Verb eines Stammes unmittelbar semantisch aufeinander zu beziehen, ist ja auch bei ὀσµή – ὄζειν, und bei µονή – µένειν zu beobachten; vgl. HEISE, Bleiben, 93. 153 Wenig überzeugend im Blick auf die folgende Aussage der „Juden“ versteht T.E. POLLARD, The Raising of Lazarus (Jn 11), StEv 6 (1973), 434–443, hier 440f., die Tränen Jesu als Ausdruck seines Ärgers über den mangelnden Glauben der Maria.

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machen, dass dieser hier nicht stirbt?“ (37). Diese Logik, die „den Juden“ in der Auseinandersetzung mit dem geheilten Blinden noch gefehlt hatte und deren Wahrheit auch hier im Sinne johanneischer Ironie den Sprechern selbst verborgen bleibt, ist vollkommen zutreffend, wie der Fortgang der Handlung zeigen wird: Er hätte, wie auch 11,15 andeutet, den Tod des Lazarus durchaus verhindern können. Dies wird sich in 11,43f. erweisen. 3.5.1.6 Martha, das alte Denkschema und die neue Realität (11,38-44) Mit der zweiten Martha-Szene verlagert sich die Handlung zum Grab, und die Spannung der Geschichte geht ihrem Höhepunkt und ihrer Lösung entgegen. Als Jesus das Grab mit einem Stein verschlossen findet und darum bittet, den Stein wegzunehmen, versucht Martha, ihn abzuhalten. „Herr, er riecht schon! Es ist nämlich der vierte Tag“ (Κύριε, ἤδη ὄζει, τεταρταῖος154 γάρ ἐστιν; 11,39). Die Aussage der Schwester des Verstorbenen ist in ihrer Drastik und Konkretheit kaum zu überbieten und durchaus anstößig, ja sie bringt beinahe ekelhaft plastisch die „Unwiderruflichkeit des Todes […] zur Sprache“155 (vgl. 11,17): Martha formuliert eine geläufige Erfahrung, eine einfache Realität: Der Mensch zerfällt, wenn er tot ist, daran führt kein Weg vorbei, und das wird über den Geruch besonders sinnenfällig.156 „Human death is brutally real.“157 Der 154

Zu τεταρταῖος vgl. Hdt. II 89; Plat. Rep. X 616b; Xen. Anab. 6,4,9; Theokr. 30,2. Das seltene Wort erscheint meist in medizinischen Zusammenhängen (vom Fieber). 155 THYEN, Komm., 534; vgl. SCHENKE, Komm., 195. SCHNELLE, Komm., 215 Anm. 216, verweist wie der NEUE WETTSTEIN auf Luk. Philops. 13. Dort wird als besondere Wundertat eines Hyperboreers neben anderen Taten (Wandel auf dem Wasser) berichtet, er habe „längst Verstorbene wieder emporgerufen“ (νεκροὺς ἑώλους ἀνακαλῶν); vgl. Luk. Catapl. 18. Auch M. EBNER U.A. (HGG.), Lukian. Die Lügenfreunde, oder: Der Ungläubige, eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 3, Darmstadt 22002, 121 Anm. 77, geht von einer „Erweckung“ aus und bringt die Stelle mit Joh 11 in Verbindung. Es geht aber hier um eine Nekromantie, wie bereits die folgende Hervorrufung des Glaukias in Philops. 14 zeigt. Einschlägig ist dagegen die Stelle in Philops. 26, auf die wir in Kürze zurückkommen. 156 Marthas Befürchtung ist, wie wir schon gesehen haben (s.o. 210-211), trotz der vorauszusetzenden Totensalbung berechtigt: LINDARS weist darauf hin, dass die Toten nicht wie in Ägypten einbalsamiert wurden, sondern lediglich mit wohlriechenden Salben gesalbt, die aber die Zersetzung nicht verhindern (Komm., 400). 157 Vgl. SCHNEIDERS, Death, 49. Die Realität des Todes und der Vergänglichkeit wird mit ähnlich eindringlichen (zum Teil auch der Mythologie entlehnten) Bildern in gleichermaßen dunklen Tönen am Ende von Plutarchs De E apud Delphos vor Augen geführt (393F-394C; vgl. o. Kap. 1 Anm. 146): Die Welt des Werdens und Vergehens wird als Realität des Todes und der Klage dargestellt. Das Ziel ist paränetisch: Die Analyse der Welt soll den Menschen zur Einsicht in die eigene dem Verfall anheimgestellte Existenz bringen, um ihn damit auf Gott hinzuführen, bei dem allein dauerhaftes Leben zu finden ist. Dabei wird allerdings auch der grundsätzliche Unterschied zur christlichen Konzeption des Johannesevangeliums deutlich: Muss dort der Mensch seinen Weg aus der Welt zur Unsterblichkeit Gottes hin

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

235

Verwesungsgeruch wird zur Metapher der umfassenden Todesverfallenheit des Menschen.158 An dieser Realität wird, so darf man mithören, auch Jesus nichts ändern können. Man kann in dem Hinweis auf die vier Tage und die einsetzende Verwesung vor allem eine Steigerung des Wunders erblicken, wie dies oft gesagt worden ist. Zu einem Verständnis der Stelle in diesem Sinne der Steigerung des Wunders durch die Betonung der einsetzenden Verwesung vgl. Theodor von Mopsuestia (Cat. 316,8 zu Joh 11,15)159: Χαίρω, φησὶν, ὑµῶν ἕνεκεν· τὸ γὰρ µὴ εἶναί µε ἐκεῖ συντελέσει πρὸς τὴν πίστιν τὴν ὑµετέραν, ἐπείπερ εἰ µὲν παρήµην, ἀρρωστοῦντα ἐθεράπευον· µικρὸν δὲ ἦν τοῦτο τὸ θαῦµα εἰς δυνάµεως ἐπίδειξιν. Ἐπειδὴ δὲ ἐγὼ µὲν ἀπολελείµµην, ὁ δὲ θάνατος ἐπεγένετο, µέλλω δὲ αὐτὸν ἀπιὼν ἀνιστᾷν, µειζόνως εἰς τὴν πίστιν βεβαιωθήσεσθε τὴν ἐµὴν, ὅταν ἴδητέ µε καὶ τοῦτο δυνάµενον, τοὺς νεκροὺς ἤδη διεφθορότας ἀνιστᾷν.

Der Aspekt des Geruchs enthält zudem eine nicht zu überhörende soziale Komponente.160 Der sich ausbreitende Geruch wurde als beschämend für den Verstorbenen und für seine Familie empfunden. Dies lässt sich als Unterton in der Aussage der Martha vernehmen.161 Um eine solche Tabuverletzung zu verhindern, nimmt Martha ihrerseits den Tabubruch in Kauf, über den Geruch eines verstorbenen Verwandten zu reden. Solches Reden über den körperlichen Zustand von Toten findet sich in der antiken Literatur überaus selten. Bei Lukian, dem notorischen Spötter, finden wir die groteske Überzeichnung einer als besonders wunderbar (θαυµαστόν) gekennzeichneten Wiederbelebung eines bereits seit über 20 Tagen tot Gewesenen (Philops. 26). Mit seinem Bericht, der bezeichnenderweise einem Arzt in den Mund gelegt wird, will Lukian die Behauptung einer Auferweckung längst suchen und finden, so bricht hier das Leben Gottes in seinem Sohn in die Welt hinein und kommt auf den Menschen zu. Anstelle einer Unsterblichkeit, die von dem wahren Sein Gottes her menschlich-irdische Existenz negiert und eschatologisch aufhebt, steht hier wahres Leben als Verwandlung der Existenz des Menschen, die ihn zu einem Kind Gottes macht, bereits in dieser irdischen Welt. 158 Entsprechend wird der Wohlgeruch in der Salbungsgeschichte die am Beispiel des Lazarus vor Augen geführte Überwindung dieser Todesverfallenheit symbolisieren. 159 Vgl. BAUER, Komm., 153. 160 Vgl. FELDMEIER, Sinne, 317f. 161 In diesem Sinne kommentiert Kyrill von Alexandrien im frühen 5.Jh.n.Chr. die vorliegende Stelle (In Joh II 284). Er berichtet, die Angehörigen bemühten sich, den Leichnam möglichst zu beerdigen, bevor er unangenehm zu riechen beginnt (πρὸ τοῦ γενέσθαι δυσῶδες). Dies sei beschämend für die Nachkommen und für den Verstorbenen selbst. In den Brüdern Karamasov, die sich in verschiedener Weise mit dem Johannesevangelium auseinandersetzen, hat Dostojewski dem „Verwesungsgeruch“ des Staretz Sossima, des heiligen Lehrers des Aljoscha, ein eigenes Kapitel gewidmet. Nachdem die Legende davon erzählt, dass von den großen Staretzen nach deren Tod anstatt des Leichengestanks ein Wohlgeruch ausging, bedeutet für den jungen Schüler der einsetzende Leichengeruch des verehrten Lehrers eine tiefe Anfechtung.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Verstorbener ad absurdum führen. Jener Arzt vergisst auch nicht zu unterstreichen, er habe den Menschen vor und nach seiner Auferstehung untersucht. An den Bericht über die wunderbare Auferstehung des seit über 20 Tagen Toten schließt sich die Frage eines Gesprächspartners an, ob denn nicht die Verwesung des Körpers schon eingesetzt habe. Dabei wählt er nicht das zu erwartende Verb σήπειν, das den Verfallsprozess insgesamt bezeichnet, sondern das seltene µυδᾶν, das so etwas bedeutet wie „aufgrund der Fäulnis flüssig werden, aufquellend verfaulen“ und den Verwesungsprozess über die konkreten Phänomene beschreibt – sichtlich um des Effekts eines durch die Anschaulichkeit erzeugten Schauders willen. Der Tabubruch ist hier um des komischen Effekts willen wohl kalkuliert.162 Der römische Epiker Lucan setzt den Geruch von Toten als Tabubruch im Dienste politischer Kritik ein163: Er schildert den Gestank verwesender Leichen auf dem Schlachtfeld, um so den Feldherrn Caesar über die Wahrnehmung als Einzelperson gewissermaßen in das Geschick der Soldaten als Menschen mit hineinzuziehen: „Wenn du so hart bist, dass du Völkerscharen büßen lässt, indem du ihre Leichen nicht bestattest, warum entfliehst du diesem Elend, warum desertierst du von dem übelriechenden Gelände“ (quid olentes deseris agros).164 Schon Sophokles hatte in der Antigone in drastischer Schilderung die Unmenschlichkeit von Kreons Gebot gebrandmarkt, niemand dürfe Polyneikes, Ödipus’ Sohn und Antigones Bruder, begraben (198-206). Nachdem die Wächter den verfaulenden Körper (µυδῶν σῶµα) des von der Schwester beerdigten Polyneikes wieder ausgegraben haben, halten sie weitab sitzend Wache, um den Geruch (ὀσµή) des Leichnams nicht ertragen zu müssen. In ihrer schonungslosen Konkretheit erinnert die Aussage Marthas durchaus an die Art und Weise, wie Lukian die Realität des Todesschicksals konkretisiert. Wie bei Lukian wird nicht einfach der Prozess der Zersetzung benannt, was schon Tabubruch genug gewesen wäre, sondern das Ergebnis des Zerfalls wahrnehmbar (dort als aufquellendes Verfaulen, hier als Leichengeruch) beschrieben.

162

In den Totengesprächen V führt Lukian Helena, die berühmte griechische Schönheit, derentwillen der Krieg um Troja entbrannte, als Gerippe und Totenschädel vor, um mit dieser sinnlichen Konkretisierung des Todesschicksals die Vergänglichkeit des Menschen vor Augen zu führen und damit die Faszination irdischer Macht und Schönheit als wenig tragfähige Illusion zu desavouieren; zu diesem Zweck wird die Unterschiedslosigkeit der Skelette hervorgehoben. Die Konkretheit soll hier auch eine gruselig-abstoßende und dadurch komische Wirkung haben. 163 Die Stelle wird zitiert im NEUEN WETTSTEIN I/2, 584f. 164 VII 821. Übersetzung W. EHLERS, Lucanus, Bellum civile. Der Bürgerkrieg, München 2 1978, 342.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

237

An den Belegstellen im jüdischen und christlichen Bereich dient die Konkretheit anthropologisch der Beschreibung der auf der Sünde beruhenden Todesverfallenheit des Menschen, die im Geruch ihren besonders sinnenfälligen Ausdruck findet.165

Mit dem körperlichen Realismus, der im Kontext des Begräbnisses einen Tabubruch bedeutet, hier aber durch die Furcht der nächsten Angehörigen vor einer den Verstorbenen entehrenden und die Familie beschämenden Grenzverletzung motiviert ist, treibt der Evangelist im Erzählverlauf zugleich die Spannung auf die Spitze. Denn mit der Alltagserfahrung des Leichengestanks führt Martha die Hoffnungslosigkeit eines Unterfangens vor Augen, das sich gegen jede geläufige Realität stemmt. Dem unter den Bedingungen der vorfindlichen Welt nur allzu verständlichen Einwand der Martha stellt das Johannesevangelium das Zeugnis von dem entgegen, der sich selbst als das Leben inmitten des Todes erwiesen hat. Indem die leibliche Zersetzung des Lazarus betont wird, wird zugleich die Erfahrung der unglaublichen Überwindung durch Jesus als Gewissheit herausgestellt. „In dem massiven Realismus der Darstellung behauptet die Lazarusperikope die unaufgebbare Leiblichkeit der Totenauferweckung, die sowohl in der eschatologischen Verheißung Joh 5,28f. als auch den johanneischen Ostererzählungen zur Sprache kommt …“166 Dies lässt sich weiter christologisch explizieren: Glaubt Martha durchaus an eine Auferstehung auch des Leibes am Ende der Zeit, wie sie auch in Hiob 19,25-27 LXX formuliert wird, so macht die Auferweckung des Lazarus in aller Eindringlichkeit deutlich, dass bereits jetzt in Christus, der die Auferstehung und das Leben ist, diese auch leibliche Überwindung der Todesverfallenheit gegenwärtig ist.167 Der Geruch untermauert in diesem Zusammenhang neben der Tatsächlichkeit des Todes des Lazarus auch die konkrete Körperlichkeit des Heils, das in Christus gegenwärtig geworden ist. Durch den Geruch wird unterstrichen, was J.P. Martin zu Recht im Blick auf die übrigen Aspekte des Auftritts des Lazarus bemerkt und ins Verhältnis zur Darstellungsweise des Evangeliums insgesamt setzt: „[…] the mourners, the procession to the tomb and the stone which symbolises the finality of death, all support a single impression of deadness. Lazarus’ coming forth in grave-clothes is an anticlimactic proof. This emphasis is one of the striking features of the narrative, indeed of the whole gospel, and it must not be forgotten when we are trying to understand the promise of life contained in this story. Furthermore, this emphasis should induce us to be careful about 165

Vgl. neben 2Kor 2,14-16 v.a. 2Makk 9,9-12; TestHi 34,4; Ephr Syr „Über die Auferweckung des Lazarus“ 4-7, sowie die Diskussion dieser Stellen o. 210-214. 166 FREY, Eschatologie III, 444; vgl. ebd., 460f., sowie C.F.D. MOULE, The Meaning of ,Life‘ in the Gospel and the Epistles of St. John. A Study in the Story of Lazarus, Theology 78 (1975), 114-125, hier 121-125; SCHNEIDERS, Written, 182. 167 Man kann die darin enthaltene Spannung geradezu als Stufe auf dem Weg zwischen dem MT von Hi 19,26b ‫ח ֶז ֥ה ֱאלֽוֹ ַהּ‬ ֱ ֽ ֶ‫שׂ ִ֗רי א‬ ָ ‫( וּ ִמ ְבּ‬wohl: „ohne mein Fleisch werde ich Gott sehen“) zu dem in carne meum videbo Deum der Vulgata bezeichnen; vgl. o. 72 Anm. 191.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

what we mean when in popular fashion we denote the Fourth Gospel as the ,spiritual‘ Gospel.“168

Das Glaubensmotiv aus 11,26f. wird nun wieder aufgegriffen: Martha glaubt, wie sie dort bekannt hat, an Jesus als den Christus, den Sohn Gottes, den in die Welt gekommenen Gesandten. Sie glaubt an seine Repräsentationsfunktion. Aber sie kann immer noch nicht glauben, dass er selbst die Auferstehung und das Leben ist, wie er im Ich-bin-Wort 11,25 gesagt hatte, dass er alle irdischen Schranken obsolet macht. Martha kann – ebenso wie später Thomas – diesen radikalen Einbruch des Lebens nicht glauben. Dem eschatologischen Verständnisdefizit entspricht so ein christologisches: Die eschatologische Erfüllung der Erwartung ereignet sich schon jetzt (proleptisch), weil Jesus als der Christus, der in die Welt gekommene Sohn Gottes (11,27), mehr ist als ein herausragender Gesandter, Gerechter, Lehrer, Prophet und Heiler. Er trägt einen Aspekt des Wesens Gottes selbst in diese Realität des Fleisches hinein und ist in persona das Leben selbst. Um diese unglaubliche Botschaft zu glauben, bedarf sie der geschichtlichen Erfahrung, der Anschauung.169 Die Pointe der Geschichte liegt gerade darin, dass sie das selbstverständliche Unverständnis gegenüber diesem völlig unvorstellbaren Ereignis, der Überwindung des Todes, aufnimmt:170 Was wir nicht glauben können, bekommen wir handgreiflich vor Augen geführt. Die Art und Weise, wie Jesus mit dem Zweifel Marthas trotz ihres Bekenntnisses umgeht, weist Parallelen zu seiner Behandlung des Thomas in Kap. 20 auf.171 Zunächst erinnert er Martha an ihr Bekenntnis: „Habe ich dir nicht gesagt, dass du – wenn du glaubst – die Herrlichkeit Gottes schauen wirst (οὐκ εἶπον σοι ὅτι ἐὰν πιστεύσῃς ὄψῃ τὴν δόξαν τοῦ θεοῦ)?“ (11,40). Das hatte

168

J.P. MARTIN, History and Eschatology in the Lazarus Narrative. John 11,1-44, SJTh 17 (1964), 332-343, hier 337. 169 Anders SCHNEIDERS, Written, 181f.: Martha repräsentiere mit ihrem Bekenntnis den Glauben der christlichen Gemeinschaft, durch den sie nach 11,40 in die Lage versetzt werde, das Zeichen zu sehen. Das Bekenntnis der Martha sei nicht eine Reaktion auf das Zeichen der Auferweckung, sondern auf das Wort Jesu: „Her faith, like ours, responds not to the signs of the public ministry but to the revealing word of the present Jesus. It is those who believe who will see the glory of God (see 11,40), not vice versa. After the glorification it is not the seeing of signs that leads to faith (cf. the Thomas incident in 20,24-29) but faith that enables one to see the glory of Jesus in signs“ (106f.). Damit dividiert Schneiders auseinander, was im Evangelium zusammengehört, und deshalb ordnet sie m.E. Bekenntnis und Zeichen einander nicht richtig zu: In der Tat bietet das Zeichen keine „Garantie des Glaubens“, wie Schneiders sagt, zugleich aber wird die Geschichte einer geschichtlich greifbaren Bestätigung der Botschaft erzählt, um einen Haftpunkt und eine Vergewisserung des immer angefochtenen Glaubens zu schaffen. 170 Überzeugend legt Moloney dar, dass alle Charaktere in der Geschichte (und mit ihnen die meisten Ausleger) in ihrer Interpretation des Geschehens falsch liegen; vgl. MOLONEY, Everyone, 214. 171 Thomas selbst war ja als Handlungsfigur in 11,16 aufgetreten.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

239

Jesus zwar explizit nicht zu Martha gesagt172 – man kann aber durchaus an 11,26 denken, wo Jesus demjenigen, der an ihn glaubt, ewiges Leben verheißen hatte, um dann Martha zu fragen: „Glaubst du das?“ Der Leser jedenfalls hatte bereits miterlebt, wie Jesus in 1,50f. dem Nathanael ankündigte: „Du wirst noch Größeres als das sehen […] Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Ihr werdet den Himmel offen sehen und die Engel Gottes hinauf- und herabsteigen auf den Menschensohn“ (vgl. das Stichwort δόξα in 11,4 und schon in 1,14). Was sich vor den Augen der Martha inmitten der Realität der irdisch-körperlichen Welt ereignen wird, ist nichts weniger als der wahrnehmbare Einbruch der Herrlichkeit Gottes, der sich hier über den (ausbleibenden) Geruch vermitteln wird. Die Lazarusperikope führt die Realisation dieser Ankündigung auf den Gipfel: Indem die Jünger, und mit ihnen die Leser, die Wiederkehr eines Verstorbenen erleben dürfen, werden sie Zeugen einer proleptischen Erfüllung der eschatologischen Erwartung der Auferweckung aller Toten. Darin erfüllt sich zugleich die Offenbarung der Herrlichkeit. Wegen des Nicht-Glauben-Könnens173 und trotz der von Jesus genannten conditio „wenn Du glaubst“174, bekommt Martha etwas völlig Unglaubliches zu sehen175, nämlich die zeichenhafte Vorwegnahme des machtvollen Sieges über den Tod in der Person Jesu: „Lazarus wird zum Zeichen des ewigen Lebens ins sterbliche, vom Tod weiterhin bedrohte Leben zurückgerufen.“176 Schneiders spricht von „coincidence of present and future eschatology“, die sich in der Auferweckung des Lazarus durch Jesus symbolisiert finde.177 So, durch diese Hineinnahme der Eschatologie in die Geschichte, kann auch Martha – und mit ihr ihre Schwester Maria – zum Glauben daran kommen, dass Jesus wirklich die Auferstehung und das Leben ist. Maria wird diesen Glauben durch ihre 172

Vgl. Theobald, Komm. I, 741; ders., Herrenworte im Johannesevangelium, Freiburg i.Br. u.a. 2002, 32; B. BYRNE, Lazarus. A Contemporary Reading of John 11,1–46, Collegeville 1991, 62; CADMAN, Raising, 433. Für Cadman ist die Aussage Jesu in 11,23 („Dein Bruder wird auferstehen“) der Referenzpunkt dieser Bemerkung Jesu. 173 Dieser Aspekt, dass Jesus eben wegen des Nicht-Glauben-Könnens agiert, um doch zum Glauben zu gewinnen, wird später bei Thomas noch deutlicher hervortreten, indem dort das Nicht-Glauben-Können explizit zum Thema wird (s.u. Kap. 4). 174 Bei Thomas wird die Glaubensthematik in 20,27-29 nachgeschoben; vgl. u. 299-303. 175 Anders THEOBALD, Komm. I, 741: Aus der Reihenfolge von „Glauben“ und „Sehen“ schließt er, es sei mit dem Schauen hier „kein leibhaftiges Sehen gemeint, die Konstatierung des Wunders, sondern ein Sehen höherer Art, eben ein Sehen des Glauben.“ Wenngleich diese Dimension des inneren Sehens und Erkennens mitschwingt, darf dies aber nicht verdecken, dass die Aussage im Erzählverlauf unmittelbar den Auftritt des Auferweckten vorbereitet. Die Reihenfolge verdankt sich dem im Johannesevangelium nie aufgelösten (und auch nicht auflösbaren) Ineinander von körperlichem Anstoss, der Erkenntnis, die die tiefere Einsicht in das Wahrgenommene erschließt, und dem Glauben, der aber seinerseits wieder Voraussetzung des rechten Verständnisses ist. 176 FREY, Eschatologie III, 443. 177 SCHNEIDERS, Death, 55f. Vgl. Joh 5,25.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Salbungshandlung zum Ausdruck bringen, die schon in 11,2 vorweggenommen worden war. Diese Hinführung der Martha zur Einsicht in das Wesen Jesu steht im Einklang mit dem in 20,30f. formulierten Programm des Evangeliums, dass alle Menschen durch die Zeichen zum Glauben und durch den Glauben zum Leben geführt werden sollen.178 Marthas Reaktion wird nicht mehr geschildert. Diese Leerstelle kann und soll der Leser durch seine eigene Reaktion besetzen. Nun konzentriert sich alles auf das Geschehen. Der Stein wird weggenommen und Jesus ruft den Verstorbenen – nach dem Dank an den Vater dafür, dass dieser ihn jederzeit hört (11,41-42)179 – mit lauter Stimme und gebieterischem Ruf aus dem Grab: „Lazarus, komm heraus“ (11,43). Mit diesem Weckruf zum Leben werden Grundlinien innerhalb des Evangeliums aufgezeigt. Joh 11 bringt die dramatische Umsetzung der Aussagen über den guten Hirten, der seine Schafe beim Namen ruft (10,3), um sie durch diesen Ruf zum ewigen Leben zu führen (10,27f.). Die Bezüge binden die Geschichte aber noch darüber hinaus an die eschatologische Rede in 5,25 zurück: „Die Stunde kommt und ist schon jetzt, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die es hören, werden leben.“ Weiter hat man eine traditionsgeschichtliche Anspielung auf die messianische Erwartung in Jes 49,8-10 LXX gehört. Dort ist die Hoffnung auf das Herausführen aus Gefängnis und Dunkelheit mit dem Hirtenmotiv verbunden: „So spricht der Herr: Im rechten Augenblick habe ich dich erhört, und am Tage der Rettung habe ich dir geholfen und habe dich eingesetzt zum Bund für die Völkerschaften, um das Land aufzurichten und als Erbteil zu erhalten das Erbe des verwüsteten (Landes), indem du zu denen in Fesseln sagst: Kommt heraus!, und zu denen in der Dunkelheit, sie sollten zum Vorschein kommen. Und auf all ihren Wegen werden sie weiden, und auf allen Pfaden wird ihre Weide sein. Sie werden nicht hungern und nicht dürsten, noch wird ein Glutwind sie zerschlagen oder die Sonne, sondern der sich über sie Erbarmende wird (sie) trösten, und durch Wasserquellen wird er sie führen.“180

Dann kommt der Auftritt des – wie noch einmal eigens betont wird – bereits Gestorbenen.181 Gespannten Sinnes warten die Leser – als durch den Prolog, 178

Vgl. THYEN, Komm., 534. Der Dank Jesu nimmt die Aussage der Martha in 11,22 auf. Zugleich lässt er Ps 118,21 anklingen, und damit zugleich die Gewissheit aus den vorausgehenden Versen Ps 118,17: „Ich werde nicht sterben, sondern leben und des Herrn Werke verkündigen“ (vgl. A. LINCOLN, The Lazarus Story. A Literary Perspective, in: R. Bauckham/C. Mosser [Hgg.], The Gospel of John and Christian Theology, Grand Rapids/Cambridge [UK] 2008, 211-232, hier 221f.). 180 Übersetzung LXX deutsch. In Jes 42,6f. LXX steht die Rede vom Gottesknecht, der den Blinden die Augen öffnet und die Gebundenen herausführt, ohne das Hirtenmotiv. Auf diese traditionsgeschichtlichen Bezüge weist ROCHAIS, Récits, 132 hin. 181 Die Übersetzung „der Totgewesene“ (THYEN) verfehlt den Aspekt des Perfekts und raubt der Geschichte die Pointe (Klem. Alex. Paed. I 2,6,3 schreibt νεκρός). 179

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

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aber auch die Tradition vorgeprägte Betrachter der Szenerie – darauf, die Herrlichkeit und Macht Gottes zu sehen. Martha indes – und mit ihr sicherlich die unmittelbaren Zeugen des Wunders insgesamt, die alle nicht über unsere Vorkenntnisse verfügen – rechnet mit Verwesungsgeruch, der ihnen entgegenschlagen wird.182 ἐξῆλθεν ὁ τεθνηκὼς δεδεµένος τοὺς πόδας καὶ τὰς χεῖρας κειρίαις καὶ ἡ ὄψις αὐτοῦ σουδαρίῳ περιεδέδετο. λέγει αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς· λύσατε αὐτὸν καὶ ἄφετε αὐτὸν ὑπάγειν. (11,44)

Der Verstorbene schritt heraus, umwickelt an Füßen und Händen mit Grabbinden, und sein Angesicht war umhüllt mit einem Schweißtuch. Und Jesus sprach zu ihnen: Befreit ihn (von den Binden) und lasst ihn gehen!183

Mit Martha sehen wir einen Menschen in Totenbinden aus dem Grab treten. Ein unglaublicher Auftritt, den schon Basilius von Kaisareia ein θαῦµα ἐν θαύµατι nannte.184 Der Auftritt hat etwas Surrealistisches: Wie soll der Mann laufen, wenn er doch eingewickelt ist? Und doch ist die Szene von einem außerordentlichen körperlichen Realismus gekennzeichnet, der wiederum metaphorische Qualität hat. Wie Frey zu Recht feststellt, muss Lazarus erst buchstäblich „von den Binden des Todes“ befreit werden (ganz anders wird es später in 20,5 bei Jesus sein, von dem lediglich noch die Grabbinden aufzufinden sind). Beim Anblick dieses Leichnams in Totenbinden wird man sich vor dem damaligen Erfahrungshintergrund automatisch abwenden. Aber da ist kein Verwesungsgeruch. Der common sense der Martha greift bei dieser Geschichte offenbar nicht: Lazarus kommt aus dem Grab heraus, aber er stinkt nicht!185 Dies ist umso erstaunlicher, da Lazarus nicht einfach als wiederhergestellter Mensch wie früher aus dem Grab tritt, sondern eben so, wie er ins 182

Diese Erwartungshaltung ist in der Malerei zu einem charakteristischen Zug der Darstellung geworden: Die Umstehenden schlagen sich die Gewänder vor das Gesicht, so in einem Gemälde von Joest van Kalkar, in dem Gemälde Giottos vom Beginn des 14. Jh.s in der Arenakapelle zu Padua (KREMER, Lazarus, Abb. 8.10) oder in der unteren FranziskusBasilika von Assisi (ähnlich auch das in den Staatlichen Museen Berlin befindliche Gemälde des niederländischen Malers Albert van Ouwater von ca. 1455). In einer Illustration aus dem Evangeliar Ottos III. aus dem ausgehenden 10. Jahrhundert hält sich ein zentral zwischen Jesus und Lazarus postierter Beobachter der Szene gar in ostentativer Weise die Nase zu (bei KREMER, Lazarus, Abb. 7, und ähnlich, wie es scheint, in der aus der Mitte des 14. Jh.s stammenden Wiener Biblia Pauperum [ebd., Abb. 9]). Zur Ikonographie und zur Rezeption in der Kunst vgl. weiter ZELLER, Salbung; JENSEN, Raising; WISCHMEYER, Tafeldeckel, 112f. 183 Vgl. 5,28f. 184 Hom. grat. act. 228,31. 185 Wenngleich dies nicht explizit gesagt wird, wird man es doch in der Logik der Geschichte voraussetzen dürfen. Wieder einmal lässt der Evangelist eine charakteristische Lücke, die Platz zum Nach-Denken der Geschichte lässt. Vom Todesgeruch war jedenfalls nicht auf der Darstellungsebene, sondern lediglich in der Erwartungshaltung der Martha die Rede gewesen.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Grab gelegt wurde, noch am ganzen Körper umwickelt von Binden. Der erwartete Verwesungsgeruch aber ist von Lazarus abgefallen wie die Binden, die ihm sogleich gelöst werden. Der Tod hat ihn nicht mehr in der Gewalt, denn er wurde vom Tod ins Leben gerufen. Das in Jesus gegenwärtige Neue wird in dieser Wahrnehmung gegen alle Erwartung und Wahrscheinlichkeit Realität. Es bleibt freilich eine Vorläufigkeit: Lazarus wird ebenso wieder sterben, wie die Väter in der Wüste trotz der Speisung mit Manna wieder Hunger bekommen haben und trotz der Rettung schließlich gestorben sind (vgl. Joh 6,49). Die Vorläufigkeit bleibt auch im Blick auf die irdische Realität des Todes: Jesus kann nicht verhindern, dass Menschen den irdischen Tod erleiden, aber er kann als das Leben die Auferstehung vom Tod bringen. Genau dies wird an Lazarus erzählerisch umgesetzt. Wie von Jesus angekündigt sieht Martha die Herrlichkeit des Vaters durch den alle Erwartungen durchbrechenden Auftritt des Gestorbenen; der Geruch der Welt des Todes dagegen bleibt aus – und wenig später wird sich in Joh 12,3 der Geruch des neuen Lebens ausbreiten. Die volle Bedeutung des Geschehens erschöpft sich nicht auch hier nicht in einem Mirakel. Sie erschließt sich erst, wenn das Wunder als σηµεῖον, als „Zeichen“ verstanden wird. Sinnlich wahrnehmbar untermauert es die Selbstaussage Jesu: „Ich bin die Auferstehung und das Leben“, und wird damit zuletzt auf das Wesen Gottes selbst als der Quelle des Lebens hin durchsichtig.186 Jesus wird hier erfahrbar als derjenige, der selbst Licht und Leben ist und deshalb Leben zueignen kann. Dies aber setzt die Einheit des Sohnes mit dem lebendigen Gott voraus (vgl. 10,30). Am „Zeichen“ der Auferweckung des Lazarus wird erfahrbar (und kann deshalb weitererzählt werden), dass die Macht des Todes insgesamt gebrochen ist und Gott sich als der Lebendige und Leben Zueignende sichtbar gemacht hat. Die zukünftige Erwartung, dass Jesus seine Schafe ruft und ihnen ewiges Leben gibt (Joh 10,27f.), ist an Lazarus (in Joh 11) proleptisch Wirklichkeit geworden187, ebenso wie sich die von Jesaja verkündete Frohbotschaft, dass den 186 Zu dieser Bedeutung von σηµεῖον vgl. HIRSCH-LUIPOLD, Klartext 89-99 mit weiterer Literatur. 187 In diesem Sinne versteht selbst Hades, der in der apokryphen sog. „Höllenfahrt Christi“ personifiziert auftritt, die Rolle des Lazarus. Die Höllenfahrt Christi ist als Teil des Nikodemusevangeliums überliefert und lehnt sich in vielem deutlich an das Johannesevangelium an. Dort erzählt Hades im Gespräch mit Satan davon, ein Sterblicher habe ihm durch das bloße Wort den toten Lazarus aus den Eingeweiden gerissen (§ 4). Nun befürchtet er – sehr zu recht –, dies sei ein schlechtes Vorzeichen gewesen und nur der Anfang davon, dass er alle Toten verlieren werde: „Wenn er [sc. Jesus, von dem Satan zuvor berichtet hatte] also andere vom Grabe befreite, wie und mit welcher Macht wird er da von uns überwältigt werden können? Ich verschlang vor kurzem einen Toten mit Namen Lazarus, und bald danach riss mir diesen einer der Lebenden durch bloßes Wort, mich vergewaltigend, aus meinen

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

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Blinden dereinst die Augen geöffnet werden, in der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) proleptisch erfüllt hat. Die bezeugte Erfüllung der Botschaft ruft Gewissheit und Glauben hervor, der zum Leben führt. Indem die Leserinnen und Leser durch diese „geschichtlichen“ Heilsereignisse – wie der Blindgeborene – die Augen geöffnet bekommen, wird das Zukünftige, das in der Vergangenheit bereits als Realität erfahrbar geworden ist, gegenwärtig. Diese sinnlich fassbare Vergegenwärtigung des geschichtlichen Heils, die Vergewisserung und Glauben schafft, ist eine der zentralen Perspektiven des Evangeliums. 3.5.1.7 Lebenstiftender Glaube und Todesbeschluss des Synhedriums (11,45-57) Die anschließende Notiz, viele (πολλοὶ οὖν) von den Juden, die zum Trost Marias gekommen waren und die Tat Jesu mit angesehen hatten, seien zum Glauben gekommen (11,45), wird vielfach als Abschluss der Erzählung betrachtet. Sie schließt jedoch die Erzählung noch nicht ab, sondern dient als Überleitung zu der Bemerkung, einige (τινὲς δέ) seien weggegangen und hätten eben diese Taten den Pharisäern berichtet (11,46) – und somit als Hinführung zur Beratung der jüdischen Autoritäten über die Taten Jesu mit dem Plan, ihn zu töten (11,47-53). Sie wird also in paralleler Konstruktion im folgenden Vers weitergeführt (πολλοὶ οὖν – τινὲς δέ). Weitere Aspekte deuten darauf hin, dass die Notiz in Joh 11,45f. noch nicht als Abschluss des Erzählzusammenhangs zu sehen ist. Das Wort über die glaubenstiftende Wirkung der Auferweckung in 11,45 bezieht sich zunächst lediglich auf diejenigen, die gekommen waren, um Maria zu trösten (11,19). Es wird in 11,47b-48 aufgenommen und ausgedehnt, so dass es den Todesbeschluss motiviert: „Was sollen wir tun, da doch dieser Mensch viele Zeichen tut? Wenn wir ihn so weitermachen lassen, werden sie alle zum Glauben an ihn kommen, und dann werden die Römer kommen und uns das Land und das Volk wegnehmen.“ Diese politische Überlegung, dass die Wirkung Jesu ein Eingeweiden. Ich nehme an, es ist der gleiche, von dem du sprichst. Wenn wir nun jenen hier aufnehmen, dann setzen wir, fürchte ich, auch die übrigen aufs Spiel. Denn, schau, ich sehe, wie alle, die ich von Weltbeginn an verschlang, in Unruhe geraten. Ich habe Bauchgrimmen. Der mir vorweg entrissene Lazarus dünkt mich kein gutes Vorzeichen“ (Übersetzung M. SCHÄRTL, Das Nikodemusevangelium, die Pilatusakten und die „Höllenfahrt Christi“, in: C. Markschies/J. Schröter (Hgg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung. 7. Aufl. der von E. Hennecke begründeten und von W. Schneemelcher fortgeführten Sammlung, Bd. 1, Evangelien und Verwandtes, Tübingen 2012, 231-261, hier 259; vgl. H.-J. KLAUCK, Apokryphe Evangelien. Eine Einführung, Stuttgart 2002, 126-128). Jesus kommt dann tatsächlich in die Unterwelt, um die Bande der Toten zu lösen. Vgl. auch die bereits o. in Kap. 3 Anm. 165 zitierte unter dem Namen Ephraems überlieferte Rede „Über die Auferweckung des Lazarus“.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Eingreifen der Römer zur Folge haben könnte, präsentiert den Hohen Rat auch als Sachwalter eines politischen Gleichgewichts in Palästina, das den Juden – solange sie die Besatzungsmacht akzeptieren – Spielraum zur Religionsausübung lässt. Auf diese Weise motiviert er die in johanneische Ironie gefasste Prophezeiung des Hohenpriesters Kaiaphas über den stellvertretenden Tod Jesu: „Ihr bedenkt auch nicht, dass es zu euren Gunsten ist, dass ein Mensch stirbt für das Volk und nicht die ganze Nation zugrunde geht“ (11,50). Der Tod Jesu tritt nun wieder prominent in den Vordergrund (11,51-52) mit der Deutung der prophetischen Aussage des Hohepriesters, die nun die Heilsbedeutung über Israel hinaus weitet, indem sie die prophetische Hoffnung auf die Sammlung Israels aus der Zerstreuung aufnimmt (z.B. Jes 11,12; 49,22; 56,8; Jer 23,3f. u.ö.188), und dem Todesbeschluss (11,53), bevor in 11,54-56 vom Rückzug mit den Jüngern nach Ephraim erzählt und eine Überleitung zum Passafest hergestellt wird. Das Erlassen eines Haftbefehls gegen Jesus (11,57) gibt der Erzählung im Blick auf die folgenden Ereignisse, aber auch auf den bald sich anschließenden Einzug Jesu in Jerusalem. eine besondere Dramatik. Gleichwohl ist der Bogen hier noch nicht abgeschlossen, denn den Abschluss wird das Thema der glaubenstiftenden Wirkung, das ja den Tötungsbeschluss motiviert, durch den Bericht über die Wirkung der Begegnung mit dem auferweckten Lazarus in 12,9-11 finden, wo der Tötungsbeschluss zugleich auf Lazarus ausgedehnt werden wird (12,10). Erst nach der Erzählung von der Salbung in Bethanien erfolgt damit der formale Abschluss auch der Lazarusgeschichte. Die Geschichten von den bethanischen Geschwistern mit dem Ort Bethanien und dem Motiv des Geruchs bilden so eine Klammer um die Erzählung vom Todesbeschluss. Dadurch ist das Todesthema in dieser zentralen Erzählung in ähnlicher Weise vom Thema der Durchsetzung des Lebens gerahmt, wie das Evangelium insgesamt mit dem Einbruch des Lebens in die von Dunkelheit und Tod geprägte Welt beginnt (1,4) und dorthin am Ende (in Joh 20-21 allgemein, insbesondere aber im ersten Buchschluss 20,31) zurückkehrt. So erscheint der Todesbeschluss vom Erzählgefälle her als der paradoxe Versuch, die begonnene Ausbreitung des Lebens einzudämmen.189 Die zweite Bethanienepisode aber macht – wie wir sehen werden – sogleich die Hoffnungslosigkeit dieses Unterfangens deutlich. Der Duft des Glaubens und damit das Leben, das aus dem Glauben kommt, breitet sich von dem Auferweckten – wie später von dem

188

Vgl. O. HOFIUS, Die Sammlung der Heiden zur Herde Israels (Joh 10,16; 11,51f.), ZNW 58 (1967), 289-291. 189 SCHNEIDERS, Written, 183, nennt diesen Versuch „the supreme irony of the Fourth Gospel“, bringt er doch mit der Hinrichtung die Erhöhung und damit die Durchsetzung des Lebens.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

245

Auferstandenen – her unweigerlich aus, wie aus dem Abschluss der Bethanienerzählung in 12,9-11 deutlich wird.190 3.5.2 ,Es riecht schon!‘ – Der Geruch des Lebens breitet sich aus (Joh 12,1-11) Die Geschichte von der Salbung Jesu in Bethanien durch Maria knüpft, wie bereits dargelegt wurde, eng an die Auferweckungserzählung an.191 Die Hauptfiguren werden ebenso wieder aufgegriffen wie das Thema des Todes und der Auferweckung (des Lazarus ebenso wie Jesu) sowie das Thema des lebenstiftenden Glaubens, den die Auferweckung des Lazarus bringt.192 Aufgenommen und kontrastierend weitergeführt wird zudem, was für die vorliegende Arbeit von besonderer Bedeutung ist, das Motiv des Geruchs. Der Erzählkontext und damit auch die Tonlage indes ist völlig verändert: An die Stelle von Grab und Trauer sind Festmahl und freudiger Dank über das wiedergeschenkte Leben getreten – ausgedrückt in der überschwänglichen Salbung Jesu durch die Schwester des ins Leben Zurückgekehrten.193 Die Salbe und der von ihr ausgehende, das Haus erfüllende Duft künden von dieser Freude über das neugeschenkte Leben. Damit knüpft das Evangelium an eine verbreitete Symbolik an: Wohlgeruch, Signum der göttlichen Sphäre und Kennzeichen der Götter, wenn sie sich in einer Epiphanie zeigen194, tritt dort anstelle des Verwesungsgeruchs, wo Menschen aus dem irdischen Sein in die Sphäre des unver190

Die Imperfekta sind iterativisch zu verstehen und formulieren so ein Fazit aus der Auferweckungsgeschichte: Wann immer jemand zu Lazarus kam, um das Wunder zu sehen, gingen die meisten als Gläubige wieder weg. 191 Dagegen betrachtet C.H. DODD, Historical Tradition in the Fourth Gospel, Cambridge 1963, 162-173, die Salbung als völlig eigenständiges Stück („the pericope of the Anointing forms a completely self-contained unit“ (162). S.E. beruht die Gestaltung der Perikope auf mündlicher Tradition, nicht aber auf der schriftlichen Vorlage von Markus oder Lukas. In Auseinandersetzung mit dieser These versucht W.E.S. NORTH die literarische Abhängigkeit der Perikope von den Synoptikern aufzuweisen (The Anointing in John 12,1-8. A Tale of Two Hypotheses, in: dies., A Journey Round John. Tradition, Interpretation and Context in the Fourth Gospel, LNTS 534, London u.a. 2015, 179-192 [= in: T. Thatcher/C.H. Williams (Hgg.), Engaging with C.H. Dodd on the Gospel of John, Cambridge 2013, 2016-230]). 192 Dazu genügt es, wie BARRETT darlegt, dass Johannes „ganz einfach die Gestalten der in Bethanien spielenden mk Geschichte mit der Familie identifizierte, von der er bereits berichtet hatte, dass sie hier wohnte“ (Komm., 407). Aus der Tatsache, dass Lazarus im Rahmen, nicht aber in der eigentlichen Salbungserzählung eine Rolle spielt, schließt Barrett mit Recht, dass Joh hier keine unabhängige Tradition vorlag. 193 Dieser veränderte Ton fällt umso mehr auf, da in 11,47-54 der Tötungsbeschluss und der anschließende Rückzug nach Ephraim zwischengeschaltet worden war. 194 Vgl. LOHMEYER, Wohlgeruch, passim; F. GRAF, Art. Epiphanie, DNP 3, 1150-1152, hier 1151. Das Motiv findet sich im griechischen Bereich schon bei Hom. Il. XIV 170-174; Ps.-Aischylos Prom. 115f.; Eur. Hipp. 1391-1394; Theogn. 1,8-10; Plut. De def. orac. 421B; De ser. num. 565F; Luk. Syr. dea 30 (vom Tempel der Gottheit), Ver. hist. II 5. Vgl. o. 209.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

gänglich Göttlichen hinübergegangen sind. Der Schwerpunkt gegenüber den synoptischen Salbungserzählungen ist vom Tod zum Leben hin verlagert.195 3.5.2.1 Die Salbung Jesu durch Maria (12,1-3) Sechs Tage vor dem Passa kommt Jesus, der sich nach Ephraim zurückgezogen hatte, wieder nach Bethanien, den Ort, „wo Lazarus wohnte, den er von den Toten auferweckt hatte“ (12,1).196 Dort wird zu Jesu Ehren ein Festmahl197 gegeben, an dem auch Lazarus teilnimmt (12,2). Mit einem zweimaligen Verweis knüpft die Salbungsgeschichte damit an Joh 11 an, und dieser Rückbezug wird abschließend in Form einer Inklusion nochmals wiederholt (12,9).198 Sowohl in 12,1 als auch in 12,9-11 wird der Rückverweis explizit mit dem Hinweis auf die Auferweckung des Lazarus verbunden. Martha wartet bei Tisch auf (12,2). Aus dieser Bemerkung wird man schließen können, dass das Festmahl zu Ehren des Auferweckten und vermutlich auch in seinem Hause (bzw. zu Ehren des Erweckers) abgehalten wird. Martha und Maria, eventuell auch Lazarus, sind wohl die Gastgeber.199 Ganz 195 Vgl. J.K. ELLIOTT, The Anointing of Jesus, ExT 85 (1974), 105-107. Demgegenüber ordnet man zumeist auch das Motiv des Geruchs ganz dem Aspekt der Totensalbung und gegebenenfalls des Opfers zu. „Marie a célébré d’avance la sépulture de Jésus et manifesté l’excellence du sacrifice d’agréable odeur qu’il va offrir au Père“ (MOLLAT, Komm., 224). Vgl. z.B. BROWN, Komm. I, 454; KYSAR, Komm., 58f.: „Preparing Jesus for his Death and Another Death Plot“; SCHNEIDERS, Death, 45; FREY, Theologia crucifixi, 515. 196 KNÖPPLER, Theologia crucis, 135, sieht nur den Aspekt des Todes und nennt dies eine „kreuzestheologisch ausgestaltete Einleitung“. Gegenüber der Sicht der Salbung als „Todesweihe“ (137) haben die ersten Rezipienten in Lazarus eher den Aspekt der lebenspendenden Kraft Jesu wahrgenommen, sonst hätten sie sich wohl kaum, wie das Evangelium mehrfach betont (11,45; 12,9-11), durch das Sehen des Lazarus zum Glauben an Jesus führen lassen. 197 δεῖπνον kann in der Profangräzität für jedes Mahl verwendet werden. Die Parallelstellen für die Wendung δεῖπνον ποιεῖν (Mk 6,21; Lk 14,12.16f.) legen nahe, dass es sich um ein Festmahl handelt. Speziell wird δεῖπνον im Neuen Testament für das letzte Abendmahl verwendet (Joh 21,20 [mit Artikel]; vgl. 13,2.4) oder für das Herrenmahl (1Kor 11,20). THYEN, Komm., 546, verweist zudem zu Recht darauf, dass ἀνακεῖσθαι in 12,2 ein Festmahl impliziert, bei dem man eben zu Tische lag. 198 Vgl. MANNS, Lecture symbolique, 91. Auffällig ist die redundante Wiederholung des Namens Ἰησοῦς mit betonter Schlussstellung des Jesusnamens am Ende von V. 1. Dies klingt so, als handle es sich um ein festes Epitheton des Lazarus: „den Jesus von den Toten auferweckt hat“. Im Rahmen der Erzählung wäre dieser Hinweis nicht notwendig, da der Leser sich doch wohl an die unmittelbar vorausgehende Geschichte erinnern wird. Die Parallele in 12,9 belegt und konterkariert diese Überlegung gleichermaßen. Sie lässt sich als Beleg anführen, insofern der Relativsatz ὃν ἤγειρεν ἐκ νεκρῶν ganz parallel an die Nennung des Lazarus angeschlossen wird; andererseits unterbleibt hier die Nennung Jesu, die wir in 12,1 gerade auf ein festes Formular zurückführen wollten. 199 Vgl. BARRETT, Komm., 407; O’DAY, Komm., 701; ELLIOTT, Anointing, 105; R.A. CULPEPPER, The Gospel and Letters of John, Interpreting Biblical Texts, Nashville 1998,

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

247

im Sinne orientalischer Festgebräuche versorgt Martha als eine nahe Verwandte des Gastgebers beim Gastmahl die Gäste. Dies entspricht der Beschreibung des Handelns der Martha in Lk 10,40 durch das Substantiv διακονία.200 Neben der Wahl der Namen und den wörtlichen Parallelen namentlich bei der Beschreibung der Salbung finden sich Übereinstimmungen mit der Lukasstelle also auch im gezeichneten Verhalten der Martha.201 In 12,3 kommt Maria hinzu, so dass die drei Hauptfiguren der Auferstehungserzählung (neben Jesus) wieder versammelt sind. Maria nimmt ein Pfund kostbarer Nardensalbe (λαβοῦσα λίτραν µύρου νάρδου πιστικῆς πολυτίµου), salbt damit die Füße Jesu und trocknet sie daraufhin mit ihren Haaren ab.202 193; SABBE, Anointing, 2076: „Although it is not formally mentioned in Jn 12,1-3 who the hosts were, Martha and Mary like Lazarus were those who ate with him and were most likely the hosts and the unexpressed subject of verse 2, ἐποίησαν αὐτῷ δεῖπνον.“ Die distanzierten Angaben über Lazarus identifizieren ihn allerdings nicht unbedingt als Gastgeber: „wo Lazarus war“ (12,1), „Lazarus war einer derjenigen, die mit ihm (Jesus) zu Tisch lagen“ (12,2). Wenn man sich das Fest allerdings als im Haus des Lazarus stattfindend denken soll, dann erstaunt die Betonung der Tatsache, dass auch Lazarus Teil der Festgemeinde war (12,2). Soll damit betont werden, dass er schon wieder soweit wiederhergestellt war, dass er an dem Fest teilnehmen konnte? Bei Matthäus und Markus ist Simon der Aussätzige als Gastgeber bei der Salbungserzählung genannt. BARRETT, Komm., 342f., setzt eine Vertrautheit des Johannes vor allem mit der markinischen, aber auch mit der lukanischen Salbungsgeschichte voraus. Nach THYEN, Komm., 510f., weist hierauf auch die Tatsache hin, dass die Schwestern nicht eingeführt, sondern unmittelbar genannt werden. Da sie aber zuvor im Evangelium noch nicht erwähnt wurden, können sie, so Thyen weiter, dem Leser nur von anderswo her, nämlich aus Lk 10, vertraut sein. 200 Man hat versucht, das auf Martha bezogene Verbum διηκόνει aufgrund der Tatsache, dass die Martha nicht nur bei Tisch aufwartet, sondern im öffentlichen Raum mit Jesus verkehrt, in den Zusammenhang der Gemeindeleitung zu rücken (A. HENTSCHEL, Diakonia im Neuen Testament. Studien zur Semantik unter besonderer Berücksichtigung der Rolle von Frauen, WUNT II/226, Tübingen 2007, 248; SCHNEIDERS, Written, 107f., deutet noch weitergehend eine offizielle Rolle der Martha in einem Zusammenhang mit „eucharistic overtones“ an). Das erscheint selbst als Ergänzung der naheliegenden sozialgeschichtlichen Deutung künstlich. 201 SABBE, Anointing, 2077f., stellt Aspekte des Zusammenhangs der beiden Geschichten zusammen. A. DAUER, Johannes und Lukas. Untersuchungen zu den johanneisch-lukanischen Parallelperikopen Joh 4,46-54/Lk 7,1-10 – Joh 12,1-8/Lk 7,36-50; 10,38-42 – Joh 20,1929/Lk 24,36-49, FzB 50, Würzburg 1984, 127, kommt dagegen zu dem Ergebnis, Johannes sei von Lukas gänzlich verschieden. Lediglich die Namen und der Dienst der Martha stimmten überein. Auf den gegenüber Lukas völlig anderen sozialen Rahmen bei Johannes mit einem „Hauch von Luxus“ weist M. HENGEL, Die johanneische Frage. Ein Lösungsversuch, mit einem Beitrag zur Apokalypse von J. Frey, WUNT 67, Tübingen 1993, 307f., hin. Hengels Bemerkung bezieht sich auf Joh 2, lässt sich aber auf die vorliegende Stelle übertragen. 202 BULTMANN, Komm., 317 Anm. 3, betrachtete den zweiten Halbvers unter Hinweis auf die doppelte Verwendung von τοὺς πόδας als sekundäre Zufügung. WEISS, Komm., 428,

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Sinnliche Plastizität verleiht der Salbungserzählung die für unsere Überlegungen zentrale Erwähnung des Dufts, die nur bei Johannes Erwähnung findet: „Das Haus aber wurde vom Duft des Salböls erfüllt“ (ἡ δὲ οἰκία ἐπληρώθη ἐκ τῆς ὀσµῆς τοῦ µύρου; 12,3b). Während sich Mk und Mt darauf beschränken, allgemein den Wert des Salböls zu beschreiben (ἔχουσα ἀλάβαστρον µύρου βαρυτίµου; Mt 26,7; ἔχουσα ἀλάβαστρον µύρου νάρδου πιστικῆς πολυτελοῦς; Mk 14,3), gibt das Johannesevangelium eine Mengenangabe (λίτραν µύρου νάρδου πιστικῆς πολυτίµου).203 Man könnte im Geruch einen Hinweis auf den besonderen Luxus erkennen. Aber der Wert des Öls war – in Aufnahme der markinischen Formulierung Mk 14,3 – bereits formuliert und zudem – über Mt und Mk hinaus – durch die Nennung des Gewichts zum Ausdruck gebracht worden.204 Um diese Aussage zu erzielen, hätte es deshalb der Zufügung des Geruchsmotivs nicht bedurft. Allenfalls könnte man die Einfügung als einen weiteren Beleg für die Hochschätzung der sinnlichen Umsetzung abstrakter Details im Evangelium erblicken: Der Wert würde eigens noch einmal sinnlich erfahrbar gemacht. Der Evangelist greift das Geruchsmotiv aus der Lazaruserzählung auf, wo er es ebenfalls gegenüber anderen Auferweckungsberichten bei den Synoptikern und in der Apostelgeschichte hinzugefügt hatte: Das Faktum der Auferweckung des Lazarus wurde nicht lediglich berichtet, sondern über den (ausbleibenden) Geruch plastisch umgesetzt. Wie oben bereits ausgeführt205, nimmt das Evangelium den dem Substantiv ὀσµή (11,39) zugrundeliegenden Wortstamm in 12,3 auf, der sich in der johanneischen Literatur ausschließlich an diesen beiden Stellen findet. Diese sprachlich-motivische Verknüpfung gilt es wahrzunehmen, um den damit gegebenen thematischen und symbolischen Horizont – und das heißt insbesondere: die schon der Lazarusgeschichte inhärente, am Geruch schreibt zur Stelle: „Der Gedanke liegt nahe, dass die Salbe ursprünglich zur Bestattung des Lazarus bestimmt gewesen war.“ Die Überlegung erscheint zunächst ansprechend, näher besehen aber nicht plausibel. Denn bei dieser Form der Rationalisierung müsste man auch erklären, warum denn Maria den toten Bruder nicht tatsächlich mit dem Salböl gesalbt hatte. Aus der Erzählung geht ja deutlich genug hervor, dass an ein Öffnen des Grabes nun nicht mehr gedacht war. 203 Im Gegenüber zu den Synoptikern ist zudem interessant, dass es sich nicht um eine Fremde handelt, die die zeichenhafte Handlung der Salbung vollzieht – obwohl auch Johannes die Bekenntnisaussagen gerne Fremden in den Mund legt: beim „Bekenntnis“ des Nikodemus, bei der samaritanischen Frau, beim Blindgeborenen. Jetzt ist es eine Frau aus dem Kreis der Glaubenden, die die Handlung vollzieht. Dies mag darauf hindeuten, dass nun die engere Gemeinschaft um Christus stärker in den Blick kommt, der engere Kreis der schon gläubig Gewordenen. 204 Vgl. z.B. KÜGLER, Nase, 160; CALDUCH BENAGES, Fragancia, hier 249f. Dies wird in 19,39 ins Unwahrscheinliche gesteigert, wenn es von Nikodemus heißt, er habe hundert Pfund Salbe mitgebracht. 205 Vgl. o. 198.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

249

unmittelbar wahrnehmbare Spannung zwischen Leben und Tod – in die Interpretation der Salbungsgeschichte einbeziehen zu können: „Der Nardenduft, den der Körper Jesu in Bethanien ausströmt (Lebensgeruch), steht im Kontrast zum Gestank (ὄζειν) des Körpers des Lazarus im Grab (Geruch des Todes).“206 Wenn man sich dem Neuen Testament über den Aspekt des Geruchs nähert, wie dies J. Kügler in dem von ihm herausgegebenen Band „Die Macht der Nase“ tut, tritt der motivische Zusammenhang dieser beiden Stellen unweigerlich zutage. Kügler betont denn auch die enge Verbindung zwischen diesen beiden Geruchsstellen und nennt den Duft in 12,3 ein „Gegen-zeichen“.207 Bevor wir auf diesen für unsere Überlegungen zentralen Zusammenhang näher eingehen, gilt es zunächst auf einige Aspekte dieser in der Kürze eines Satzes geschilderten Szene aufmerksam zu machen, die gerade aufgrund ihrer Körperlichkeit und Sinnlichkeit bemerkenswert sind 208: 1. Das Verhalten der Maria: War sie in der Lazaruserzählung noch ganz im Rahmen traditioneller Handlungsmuster verblieben, indem sie zunächst im Hause verweilt, um den verstorbenen Bruder zu beweinen, so tritt sie nun mit ihrer überraschenden Handlung aus diesen kulturellen Vorgaben heraus.209 Das Unziemliche ihres Verhaltens wird bei Lukas, dessen Erzählung eine der Vorlagen des Evangelisten gebildet hat210, dadurch kontextualisierbar, dass die so Handelnde als „Sünderin“ (γυνὴ ἁµαρτωλός; Lk 7,37.39) qualifiziert wird, womit eine Prostituierte gemeint sein dürfte. Johannes Chrysostomos wird aus ihr explizit eine πόρνη machen.211 2. In jedem Fall signalisiert die körperliche Berührung mit den Haaren eine ungewöhnliche Nähe, die in einer relativen Öffentlichkeit besonders überrascht. Sie mag 11,5 ins Gedächtnis rufen, wo es hieß, dass Jesus der Martha und ihrer Schwester in Liebe verbunden war. Ein erotisierender Zusammenhang indes, wie er vielfach postuliert wird212, ist trotz des intertextuellen Bezugs zum

206 „El perfume de nardo que exhala el cuerpo de Jesús en Betania (olor de vida) contrasta con el hedor (ὄζειν) del cuerpo de Lázaro en el sepulcro (olor de muerte)“ (CALDUCH BENAGES, Fragancia, 264). Vgl. SCHNELLE, Komm., 222; WENGST, Komm. II, 56f.; ESLER/PIPER, Lazarus, 67. 207 KÜGLER, Nase, 163. 208 Vgl. ZUMSTEIN, Komm., 442f.; SCHNACKENBURG, Komm. II, 459-461. 209 Vgl. CALDUCH-BENAGES, Perfume, 91f. Das Lösen der Haare empfand man als ungehörig (vgl. LevR 188,2). Man traut deshalb eine solche Handlung nur einer „Sünderin“ wie in Lk 7 zu. KOESTER, Symbolism, 129 Anm. 84, hebt jene Stellen hervor, an denen eine nicht ordnungsgemäße Haartracht als Schande für die Frau erscheint: 1Kor 11,15; Achill. Tat. VIII 6; t.Sotah 5,9. 210 Vgl. o. 247 mit Anm. 201. 211 In Matth. hom. 58,676. 212 Vgl. THEOBALD, Komm. I, 776.

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Hohenlied nicht wirklich erkennbar und würde sich mir auch in seiner Bedeutung für die Aussage der Passage erschließen.213 3. Maria salbt nicht den Kopf, sondern die Füße Jesu.214 Auch dieses Motiv entstammt Lk 7, wo es – verbunden mit der Fußwaschung – vollkommen plausibel ist.215 Es oblag üblicherweise Dienern, den Gästen die Füße zu waschen und diese anschließend mit Öl zu salben. Dass Gästen die Füße gewaschen wurden216, und man ihnen anschließend die Füße salbte oder ihnen Öl zur Verfügung stellte, um sich die Füße zu salben, war üblich. Außergewöhnlich ist hier jedoch, dass von einer Fußwaschung nicht die Rede ist, dass die Gäste sich nicht selbst die Füße salben, und dass die Frau das Salböl mit den Haaren abtrocknet.

4. Das anschließende Abtrocknen der gesalbten Füße mit den Haaren gibt über die soziologischen Aspekte hinaus Rätsel auf.217 Diese Handlung fällt „aus

213

Ob Maria mit der Braut des Hohenliedes identifiziert werden soll und sie dadurch zur Repräsentantin des Gottesvolkes wird (vgl. MCWHIRTER, Bridegroom Messiah, 133), scheint mir fraglich, die damit zugleich implizierte Identifikation der Maria als Braut Christi mindestens problematisch. Wie McWhirter zu Recht sagt, ist die symbolische Bedeutung ganz auf den Nardengeruch Jesu (den sie freilich „den Bräutigam“ nennt) zugespitzt. 214 Während BROWN, Komm. I, 451 im Anschluss an A. LEGAULT, An Application of the Form-Critique Method to the Anointings in Galilee (Lk 7,36-50) and Bethany (Mt 26,6-13; Mk 14,3-9; Jn 12,1-8), CBQ 16 (1954), 131-145, hier 138, dies für „really unparalleled“ hält, führt J.F. COAKLEY, The Anointing at Bethany and the Priority of John, JBL 107/2 (1988), 241-256, eine ganze Reihe von Belegstellen aus der pagan-griechischen wie rabbinischen Literatur an, die die Möglichkeit einer solchen Salbung voraussetzen (247f.) – wenngleich unter jeweils besonderen Umständen (Hom. Od. XIX 503-507; Aristoph. Vesp. 606-609; Ath. 12.533; Plin. Nat. Hist. XIII 4,22; Petron. Sat. 70; Curt.Ruf. Hist.Al. VIII 9,27 sowie tShab 3,16; Sifre Dt 33,24.214). 215 Johannes berichtet die Fußwaschung erst im folgenden Kapitel 13. Die beiden Geschichten sind indes durch das Wort ἐκµάσσειν bewusst verbunden (12,3 und 13,5; vgl. auch 11,2). 216 Der locus classicus innerhalb der biblischen Überlieferung ist Gen 18,4; 19,2; 24,32; Ri 19,21; 2Sam 11,8; innerhalb der griechischen Welt die berühmte Anagnorysisszene in der homerischen Odyssee XIX 504f. Ob es freilich ausschließlich Aufgabe der Sklaven war, Gästen die Füße zu waschen und zu ölen, wie Plutarchs Vita des Pompeius 73,7 nahezulegen scheint, lässt sich anhand der Quellen wohl nur schwer mit Sicherheit sagen. Gerade die gerne in diesem Zusammenhang angeführten Texte 1Sam 25,41 und JosAs scheinen mir nahezulegen, dass in der Handlung auch eine symbolische Qualität lag, die natürlich in einer respektvollen Selbstzurücknahme ihren Kern hatte, was ja in der johanneischen Fußwaschungsszene in Joh 13 deutlich hervortritt. 217 Vgl. B.P. ROBINSON, The Anointing of Mary of Bethany (John 12), DRev 115 (1997), 99-111, hier 99 (mit der These der historischen Priorität der johanneischen Salbungserzählung); KÜGLER, Nase, 159f.; COAKLEY, Anointing, 249.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

251

dem Rahmen des kulturell Plausiblen“ heraus.218 Die Entstehung dieser Ungereimtheiten lässt sich am besten mit der Übernahme des Motivs aus der lukanischen Tradition erklären.219 Wie das Lösen der Haare bei Lukas (7,36-50) plausibel dadurch erklärt war, dass dort im pharisäischen Kontext eine stadtbekannte „Sünderin“ auftrat, so hatte auch das Abtrocknen mit den Haaren einen guten Sinn, da diese Sünderin Jesu Füße mit ihren Tränen benetzt – ein Bezug zur Fußwaschung, die der Hausherr Simon Jesus verweigert hatte (Lk 7,44). Diese Tränen trocknet sie wie bei einer Fußwaschung ab und salbt erst danach die Füße mit Öl. Da Johannes aber im Kontext seiner christozentrierten Aussageintention mit dem Weinen und den Tränen, von denen in Lk 7,38 berichtet wurde, nichts anzufangen wusste und zudem die Fußwaschung im Anschluss in anderem Zusammenhang erzählen wollte, nimmt er zwar das Verbum ἐκµάσσειν (abwischen) auf, bezieht es nun aber nicht mehr auf die Tränen, sondern auf das Salböl. Durch diese theologisch motivierte Veränderung handelt sich der Evangelist sachliche Schwierigkeiten ein: es ist überaus ungewöhnlich, Öl abtrocknen zu wollen, und dies auch noch mit den Haaren zu tun. Zudem sind die für das Abtrocknen notwendigen offenen Haare bei Lukas gut verständlich, wo es sich um eine „Sünderin“ handelt, nicht aber bei Johannes, wo Maria die Gastgeberin ist. Johannes wollte auf die – Intimität und Liebe andeutende – Geste des Abtrocknens mit den eigenen Haaren nicht verzichten, obwohl dies bei Öl völlig unsinnig ist.220 Verschiedentlich hat man das Abwischen als weiteren Hinweis auf die große Menge des Salböls betrachtet: es ist so viel, dass es abgewischt werden muss.221 Dies erscheint allerdings gegenüber der genannten Rekonstruktion der Entstehung eher als eine sekundäre Rationalisierung.

218

KÜGLER, Nase, 167; MALINA/ROHRBAUGH, Komm., 205. C.H. GIBLIN, Mary’s Anointing for Jesus’ Burial-Resurrection (John 12,1-8), Bib 73 (1992), 560-564, hebt heraus, dass das Abwischen des Salböls auch im Zusammenhang des Begräbnisrituals unüblich wäre. 219 Diese These (vgl. BARRETT, Komm., 405; THYEN, Komm, 548f.) ist erheblich ökonomischer als das komplexe Stemma, das THEOBALD, Komm. I, 773, entwirft, um die Übereinstimmungen trotz der vorausgesetzten Unabhängigkeit erklären zu können. Zum Verhältnis von Joh 12 zu den synoptischen Salbungserzählungen und zu den Grabeserzählungen vgl. D. DAUBE, The New Testament and Rabbinic Judaism, London 1965, 312-324. 220 Bei Johannes folgt dann die Fußwaschungsszene tatsächlich kurz danach in 13,1-17 (auch dort ist ein Simon der Gesprächspartner, allerdings Simon Petrus). Johannes verwendet dort dasselbe Verbum ἐκµάσσειν. Den Bezug sehen auch J. PAINTER, The Quest for the Messiah. History, Literature and Theology of the Johannine Community, Nashville 21993, 375; KYSAR, Komm., 187; THYEN, Komm., 548f.; O’DAY, Komm., 701; SABBE, Anointing, 2081 u.a. 221 CALDUCH BENAGES, Fragancia, 251; vgl. B. PRETE, Un’aporia giovannea. Il testo di Giov 12,3, RivB 25 (1977), 357-373.

252

Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Verschiedene symbolische Deutungen wurden für das Salböl222, für den sich ausbreitenden Geruch223, für das Haus224, das mit Geruch erfüllt wird, und für das Verbum πληροῦν vorgeschlagen.225 Die Salbe wird auf die königliche Salbung gedeutet und in den Zusammenhang des unmittelbar folgenden Einzugs in Jerusalem gestellt.226 Hinter dem Ausbreiten des Dufts im ganzen Haus vermutet Calduch Benages einen „tiefen theologischen Sinn“, da es ansonsten lediglich etwas Offensichtliches feststellen würde.227 So wurde es ethisch als Ausdruck der Liebe und Hingabe228 verstanden, missionstheologisch im Sinne

222 THYEN, Komm., 548, sieht ein „intertextuelles Spiel mit Cant 1,12“. Am weitesten geht die Deutung von MANNS: „… la valence principale du symbole du nard est celle de l’immortalité attachée à l’arbre de vie du Paradis …“ (Lecture symbolique, 99). Und noch eine weitere Interpretation schließt sich daran an: Manns stellt auch noch eine motivische Verbindung zum Tempel und damit zu Joh 2 her: Nach der Zerstörung des Tempels sei es nun nicht mehr der salomonische Tempel, an dem die Narde als Rauchopfer ihren Duft verströmte, sondern der Körper Jesu als der neue Tempel, der als neues Haus Gottes und seines Lebensgeistes die Lebenskraft Gottes nun an die Gemeinschaft der Glaubenden vermittelte (109). Damit weise Johannes zugleich die rabbinische Tradition zurück, das Gesetz verbreite den Lebensgeruch: dessen Stelle nimmt nun Jesus als Erfüllung des Gesetzes ein; an seiner Stelle rekreiere er die Sinne der Menschen und führe sie zurück in den Garten des Paradieses. 223 In der rabbinischen Tradition werden „gutes Öl“ und „guter Ruf“ miteinander verbunden (mit etymologischem Spiel zwischen ‫שׁ ֶמן‬ ֶ [Öl] und ‫שׁם‬ ֵ [Name]): „Gutes Öl geht vom Schlafraum bis zum Speisesaal; guter Ruf geht von einem Ende der Welt zum anderen“ (KohR 7,1); vgl. WENGST, Komm. II, 57 Anm. 16. 224 Vgl. ELLIOTT, Anointing, 105 („house [= world, or church]“; A.F. LOISY, Le quatrième Évangile. Les Épitres dites de Jean, Paris 21921, 362f.; MANNS, Lecture symbolique, 101103; ders., ,La maison où réside l’Esprit.‘ 1 P 2,5 et son arrière-plan juif, LA 34 (1984), 207224. 225 SABBE, Anointing, 2061f. mit Anm. 22, weist darauf hin, dass πληροῦν in 3,29; 15,11; 16,24; 17,13 die vollkommene Freude bezeichne. CALDUCH BENAGES, Fragancia, 264f., bietet eine gute Zusammenfassung der wichtigsten symbolischen Deutungen. 226 D. SVÄRD, John 12:1-8 as a Royal Anointing Scene, in: K.B. Larsen (Hg.), The Gospel of John as Genre Mosaic, SANt 3, Göttingen 2015, 249-268; BARRETT, Komm., 405; CALDUCH BENAGES, Fragancia, 245; KOESTER, Symbolism, 130; THYEN, Komm., 548; J.E. BRUNS, A Note on Jn 12,3, CBQ 28 (1966), 219-222. Dagegen BROWN, Komm. I, 454. ELLIOTT, Anointing, 107, vertritt eine Mittelposition: Indem die Füße anstelle des Kopfes gesalbt werden, trete der königliche Aspekt zurück. Gleichwohl bereite die Salbung Jesu triumphalen Einzug in Jerusalem als gesalbter König vor (12,13); als gesalbter König wird er dann auch sterben (vgl. 18,33-40; 19,1-6.12-16.19). Der Einzug in Jerusalem erinnere damit an die Prozession nach Jehus Salbung zum König in 2Kön 9,13. Diese Salbung zum MessiasKönig betrachtet Elliott als den historischen Kern in allen Salbungsberichten. 227 CALDUCH BENAGES, Fragancia, 254-264. „Sería absurdo pensar que su objetivo era simplemente constatar una evidencia“ (ebd., 256). 228 O’DAY, Komm., 701 („fragrance of love and devotion“); CULPEPPER, Anatomy, 142 („fragrance of devotion”).

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

253

einer Ausbreitung des Evangeliums229 oder (als Lebensgeruch), soteriologisch im Sinne der Überwindung des Todes230, theologisch im Sinne der Wahrnehmbarkeit der Herrlichkeit Gottes in Christus über den den Tod überwindenden Geruch231 oder gar ekklesiologisch im Sinne der Unvergänglichkeit der Kirche232 bzw. als Symbol der Liebe der Gemeinde für Jesus.233 Bereits die Kirchenväter schlossen an das Abwischen mit den Haaren eine weitere, spekulativ-allegorisierende Überlegung an, die auch die allegorische Deutung des Hauses mit einbezieht234: Durch die Liebestat des Abtrocknens der duftenden Salbe erhält Maria Anteil an dem sich von Jesus her ausbreitenden Duft: „Die Haare der Maria nehmen den Duft von den Füßen Jesu her auf, und sie findet sich eingehüllt in seinen Wohlgeruch. Von diesem Moment an ist der Duft Jesu auch der Duft Marias. Jener neue Duft erfüllt das Haus als das Evangelium, das die Welt erfüllt (Mk und Mt).“235 Calduch Benages meint damit insbesondere das Evangelium von der Auferstehung Jesu. Problematisch erscheinen Deutungsversuche, in denen die Salbung im Horizont des markinischen Verständnisses einseitig im Zusammenhang des Todes Jesu gedeutet wird. Selbst bei der Totensalbung kommt dem Geruch in 229

BAUER, Komm., 159; BULTMANN, Komm., 317 (εὐωδία τῆς γνώσεως, der die Welt erfüllt); HOSKYNS/DAVEY, Komm., 445; LOISY, Komm., 669-672; R.H. STRACHNAN, The Fourth Gospel, its Significance and Environment, London 1941, 245. 230 CALDUCH BENAGES, Fragancia, 265: „Símbolo de la victoria de Cristo sobre la muerte.“ 231 So etwa MOLLAT, Komm., 224. Zugleich stellt Mollat an dieser Stelle eine Verbindung zur alttestamentlichen Tradition des Opfergeruchs her und versteht den Geruch als Ausdruck des herausragenden, Gott wohlgefälligen Opfers. 232 BOISMARD, Komm., 61.304: Unvergänglichkeit (l’incorruptibilité) der Kirche. 233 J. MATEOS/J. BARRETO, El Evangelio de Juan, Madrid 1982, 540: „El perfume que derrama María es símbolo del amor de la comunidad por Jesús.“ Gegen eine symbolische Deutung wenden sich u.a. CALVIN, Komm., 304, ZAHN, Komm., 490-498. SABBE, Anointing, 2061f. mit Anm. 22, polemisiert gegen „fanciful considerations“ vor allem im Blick auf eine symbolische Bedeutung des Hauses. KOESTER, Symbolism, geht auf 12,3 und das Motiv des Geruchs nicht ein. 234 So schon Orig. Comm. in Io. I 11 (vgl. ausführlich ESLER/PIPER, Lazarus, 66f.). Zum Thema der Symbolik der Perikope allgemein MANNS, Lecture symbolique. 235 CALDUCH BENAGES, Fragancia, 251: „Los cabellos de María recogen el perfume de los pies des Jesús, y ella se siente envuelta en su fragancia. A partir de este momento, el perfume de Jesús es también el perfume de María. Este nuevo perfume llena la casa como evangelio que llena el mundo (Mt y Mc).“ (Hervorhebungen C.B.). Sie nennt die einschlägigen Belegstellen für diese Deutung bei den Kirchenvätern (251 Anm. 23). Gegen diese Deutung SCHNACKENBURG, Komm. II, 460. Der Präzisierung bedarf KÜGLERS weitergehende Deutung, die Partizipation Marias am Duft Jesu, durch die eine „Duftgemeinschaft“ zwischen beiden entstehe, deute auf „ihre Teilhabe an dieser Erhöhung“ (Nase, 169). Sie hat nicht an der Erhöhung teil, sondern an der Ausbreitung des Geruchs und damit der Botschaft von der Erhöhung Jesu.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

traditionsgeschichtlicher Sicht als Gegenakzent zum Zersetzungsgeruch auch das Element der Zusage des Lebens zu. Der Akzent der Symbolik verschiebt sich vom johanneischen Aufbau der Jesuserzählung her von der Passionserzählung hin zu der (von der Auferweckung des Lazarus herkommenden) Erfahrung, dass Jesus auch den Geruch unseres Todes überwindet und überwunden hat, weil er selbst die Auferstehung und das Leben ist.236 Ein zweites Problem entsteht deshalb dort, wo der Lebensaspekt im Salbungs- und Geruchsmotiv zwar wahrgenommen, aber rein christologisch interpretiert wird. Demgegenüber ist der Geruch Symbol der in Tod und Auferstehung Jesu in die vergängliche Welt einbrechenden Lebensmacht Gottes. Dass damit die Macht des Todes ein für allemal gebrochen wird, ist in der Auferweckung des Lazarus proleptisch Realität geworden. Auf eine solche weitergehende Bedeutung weist auch die Beobachtung, dass nicht etwa Jesu Leib den Geruch verströmt, sondern das Öl, mit dem er gesalbt wurde.237 Deshalb kann Maria durch ihr Abwischen der Salbe mit ihren Haaren auch Anteil am Geruch des Lebens erhalten. Ähnlich wie beim lebendigen Wasser in Joh 4 geht es hier nicht darum, was mit Jesus passiert, sondern, was von ihm ausgeht. Es wird nicht, jedenfalls nicht nur, auf das neue Leben vorverwiesen, sondern es lässt sich schon jetzt die lebenspendende Kraft wahrnehmen, die von ihm ausgeht. Der Geruch ist sinnlicher Ausdruck des Ich-bin-Wortes Jesu in 11,25: „Ich bin die Auferstehung und das Leben.“ Mit der Salbung macht Maria deutlich, so könnte man ihre Handlung auch interpretieren, dass sie – in der Folge der Erfahrung mit Lazarus – diesen Satz verstanden hat. „Indem dieser Lebensduft (vgl. 2Kor 2,14) aus dem erzählten Haus in Bethanien noch in das Zimmer des entferntesten und letzten Lesers dieses Evan236

Orig. Comm. in Io. I 11; Gregor der Große In Ez. I 6,3. MANNS, Lecture symbolique, 96-101, diskutiert die Frage, ob nicht erst Origenes, wie K. RAHNER dargelegt hat (Le début d’une doctrine des cinq sens spirituels chez Origène, RAM 13 [1932], 113-145), als Erster eine Theorie der fünf geistlichen Sinne entwickelt hat, sondern schon das Johannesevangelium Elemente einer solchen Theorie aufweise, in die auch das Symbol des Geruchs eingeordnet werden könne. Manns geht die einzelnen Symbole durch. Seine Untersuchung der Narde führt ihn – über eine eigenwillige Interpretation von τηρεῖν – auf die These, der Geruch sei der Geruch der Unsterblichkeit des Messias. Der Körper Jesu verströme den Geruch wie der Baum des Lebens und der Erkenntnis im Paradies (Gen 3,24). Diese Interpretation ist von der Auslegung von Hld 1,12 (und 4,13f.) inspiriert, den einzigen Stellen, an denen die Narde im Alten Testament erwähnt wird. Im Targum zum Hohenlied wird diese Stelle wiederum mit dem Paradies in Verbindung gebracht. Die Verbindung der Narde mit dem Paradiesbaum findet Manns bereits in äthHen 32; ApokMos 36,1; 40,1; TestAbr 20 (Langversion). Dies verbindet Manns mit dem Aspekt des Messias: Jesus eröffnet als Messias von Neuem den Zugang zum paradiesischen Baum des Lebens (99). 237 Bei den späteren Berichten vom Wohlgeruch verstorbener Heiliger ist dagegen selbstverständlich nur deren individuelle Überwindung des Todesgeruchs Thema. In Plutarchs Alexandervita erweist der Makedonenkönig durch den Geruch seine göttliche Natur (§ 4).

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

255

geliums dringt, bleibt das Werk dieser Frau an ihrem Herrn unauslöschlich im Gedächtnis (vgl. Mk 14,9)“238 Dem ist zuzustimmen, wenn man die skizzierte tiefere soteriologische Bedeutung im Blick behält: Bei den Leserinnen und Lesern bewirkt der sich ausbreitende Lebensduft selbst Glauben und Leben. Mit solchen Überlegungen, die die Schilderung bei Johannes zur Bemerkung des Markus in Beziehung setzen, dass überall, „wo auf der gesamten Welt das Evangelium verkündigt werden wird, diese Handlung auch zu ihrem Gedächtnis“ erzählt werde (Mk 14,9), würde die an sich vor dem sozialgeschichtlichen Hintergrund schwer verständliche Handlung der Maria, Öl mit den Haaren abtrocknen zu wollen, einen guten symbolischen Sinn bekommen, wobei der Aspekt der lebensstiftenden Botschaft unterstrichen wäre. Die Deutung wird durch die Notiz über die Salbung in Joh 19,40 unterstrichen, die sich gerade hier signifikant von den synoptischen Parallelen Mk 16,1.6 und Lk 23,56–24,1.3.6 unterscheidet. Dort nämlich wird Jesus eben nicht gesalbt, obwohl die ἀρώµατα bereits besorgt bzw. vorbereitet sind. Die Jünger kommen mit der Salbung zu spät. Dies ergibt sich schlüssig aus dem synoptischen Gesamtaufriss, demzufolge die Salbung in Bethanien als echte vorgezogene Totensalbung zu begreifen ist. Anders bei Johannes: Hier wird der Leichnam Jesu tatsächlich von Joseph von Arimathia und Nikodemus mit ἀρώµατα gesalbt.239 Schnackenburg ordnet auch die Betonung des Geruchs des wertvollen Salböls in das Ziel der Gesamtschilderung ein, die Hoheit Jesu herauszustellen.240 3.5.2.2 Der Einspruch des Judas und die Verteidigung Jesu (12,4-8) Der anschließende Einspruch gegen den Salbungsakt stand aufgrund der Parallelen zu den Synoptikern meist im Zentrum des Interesses und kann deshalb kurz behandelt werden, zumal er für die vorliegende Fragestellung nicht zentral ist. Die Erzählung von der Salbung Jesu durch Maria verströmt, dies war 238 THYEN, Palimpsest, 2037. Zugleich sieht er den Aspekt der königlichen Salbung im Anschluss an Hld 1,12 LXX angespielt. Gemeinsam bilden diese einen Vorschein des Einzugs in Jerusalem (Joh 12,12-18). Zum Verweis auf Mk 14,9 vgl. Orig. Comm. in Io. I 11. 239 M. THEOBALD, Der johanneische Osterglaube und die Grenzen seiner narrativen Vermittlung (Joh 20), in: Hoppe/Busse, Von Jesus zum Christus, 93-123, hier 115, erkennt in dieser Szene (im Anschluß an M. DE JONGE, Jesus, Stranger from Heaven and Son of God. Jesus Christ and the Christians in Johannine Perspective, SBLSBS 11, Missoula 1977, 34, und L. SCHENKE, Das Johannesevangelium. Einführung – Text – dramatische Gestalt, Stuttgart 1992, 58) eine „abgründige Ironie“: Die beiden halten an dem Irdischen fest. „Das σῶµα dessen, der das Leben ist, der ja ,die Auferstehung und das Leben‘ in Person ist, wird ,gebunden‘ in Leinentücher.“ Sehr instruktiv ist sein Hinweis auf die „Abschiedsrede“ des Sokrates in Platons Phaidon 115c-116a sowie auf die – ebenfalls platonisch beeinflusste – Begräbnisszene im Testament Hiobs 52f. 240 Vgl. SCHNACKENBURG, Komm. II, 460.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

bereits angedeutet, deutlich lukanisches Flair.241 Die Salbung der Füße erscheint nur bei Lukas. Die Namen der Protagonisten Maria und Martha sowie Lazarus finden sich ebenfalls bereits bei Lukas. Während das Lukasevangelium sich im Fortgang aber auf die Person der „Sünderin“ konzentriert, folgt Johannes dem Erzählfaden der Salbungserzählung bei Markus (Mk 14,3-9242) mit Verschwendungsdiskussion, der Deutung der Salbung als vorweggenommene Totensalbung und der Aussage, dass die Armen allezeit da sein werden. Wie Johannes die lukanische Tradition für seine theologischen Zwecke bearbeitet, so kommentiert er die markinische. Die Frage der Verschwendung versieht er – anders als Matthäus und Markus – mit einem Gesicht (12,4): dem des Judas, passend zu seinem schlechten, geldgierigen Charakter und seiner Verratsabsicht (Joh 12,4.6) und damit zu seinem Charakter als Werkzeug der dem Heilsplan Gottes entgegenstehenden teuflischen Gegenmacht.243 Aus der synoptischen Tradition ist auch die Begründung in der Antwort Jesu übernommen (ἵνα … τηρήσῃ αὐτό). Dem sprachlich schwierigen Nebensatz ist – für sich genommen – kaum eine sinnvolle Bedeutung zu entnehmen244: wie kann die Frau „aufbewahren“, was sie eben – zum Ärger des Judas – über Jesu Füße ausgegossen hat?245 So wird er meist von den Synoptikern her als Deutung der Salbung im Sinne einer vorweggenommenen Totensalbung interpretiert. Es wird kontrovers diskutiert, ob dies im Unterschied zu den Synoptikern als Hinweis Jesu zu verstehen ist, dass etwas von dem Öl für das Begräbnis aufbewahrt werden soll bzw. in der Flasche ein Rest verblieben ist246, oder ob die Handlung der Maria als vorgezogene Bereitung zum Begräbnis247 zu verstehen ist. Dagegen allerdings spricht, dass Jesus im JohEv dann 241

Vgl. FREY, Eschatologie III, 423f. Ein Vergleich der Passage mit der synoptischen Überlieferung wurde verschiedentlich vorgelegt; vgl. DODD, Historical Tradition, 162-173; BROWN, Komm. I, 449; ELLIOTT, Anointing, 107; LEGAULT, Form-Critique; THYEN, Palimpsest. 242 Par. Mt 26,6-13. 243 Dies entspricht der fortschreitenden Dämonisierung des Judas in der frühchristlichen Tradition. Judas wird geradezu zu einer Projektionswand menschlicher Sündigkeit. 244 Zur Problematik der Stelle vgl. schon BULTMANN, Komm., 318 Anm. 4. 245 ἐνταφισµός bedeutet zunächst einmal nicht „Begräbnis“, sondern „Vorbereitung für das Begräbnis“ (vgl. MONOLEY, Komm., 357f. mit Verweis auf LSJ; THYEN, Komm., 550f.; F. SCHLERITT, Der vorjohanneische Passionsbericht. Eine historisch-kritische und theologische Untersuchung zu Joh 2,13-22; 11,47-14,31 und 18,1-20,29, BZNW 154, Berlin u.a. 2007, 192f.). Schleritt will vor ἵνα folgendermaßen ergänzen: „Laß sie! (Es wurde nicht verkauft,) damit sie es für den Tag meiner Zurüstung zum Begräbnis aufbewahre.“ Diesen Tag sieht Schleritt als mit der Salbung gekommen und die Pointe erblickt er gerade darin, dass hier entgegen der Regel ein noch Lebender zum Begräbnis vorbereitet werde. Die Ergänzung geht freilich über eine Interpretation des Textes, wie wir ihn haben, deutlich hinaus. 246 Z.B. SCHNELLE, Komm., 222; DAUBE, Rabbinic Judaism, 317. 247 Z.B. THYEN, Komm., 550f.; ZUMSTEIN, Komm., 444.

3.5 Das Motiv des Geruchs im Kontext

257

zweimal für das Begräbnis gesalbt würde, was durch die Aufnahme im Verb ἐνταφίζειν in 19,40 noch unterstrichen wird. Wengst248 versteht „bewahren“ im Anschluss an Calvin249 in dem Sinne, Maria behalte das Öl, indem sie es jetzt für Jesu Salbung zu seinem Begräbnis verwende, an dem sie ja nicht dabei sein werde. Dabei lasse Maria dadurch, dass sie nur die Füße salbt, „gleichsam Platz für das Tun der beiden […], die das Begräbnis Jesu besorgen“.

Aufgrund der genannten Schwierigkeiten versteht Barrett250 τηρεῖν im Sinne von „erinnern“: „lass sie sich daran (an die Salbe oder den Akt der Salbung) am Tag meines Begräbnisses erinnern.“251 Calduch Benages legt einen weiteren interessanten Deutungsversuch vor: Maria hat das wohlriechende Öl bewahrt, obwohl sie nichts übriggelassen hat, denn nun wird sich der Geruch – bis zum Tod Jesu – von ihren Haaren her ausbreiten.252 3.5.2.3 Abschluss: Mit dem durch die Auferweckung angestoßenen Glauben breitet sich das Leben aus (12,9-11) Noch einmal wird Am Ende der Erzählung von den bethanischen Geschwistern auf die Auferweckungserzählung zurückverwiesen. Eine Volksmenge „aus den Reihen der Juden“ sei nun gekommen – nicht nur Jesu wegen, so wird unterstrichen, sondern, um Lazarus zu sehen, „den er von den Toten auferweckt hat“ (12,9). Es schließt sich eine Art Doppelung des Todesbeschlusses an: Dessen Wirkung ist so groß, dass „um seinetwillen (d.h. Lazarus wegen) viele Juden weggingen und fortan an Jesus glaubten.“ Deshalb fassen die Hohenpriester den Entschluss, den auferweckten Lazarus zu töten – ein Unterfangen, das geradezu komisch anmutet vor dem Hintergrund dessen, dass Jesus eben erst seine Macht, Leben zu stiften, an Lazarus erwiesen hat (12,10f.).253 War in 11,45 nur von jenen Juden die Rede gewesen, die gekommen waren, um Maria zu trösten (11,19), so wird nun abschließend die ausstrahlende Wirkung dieses größten Zeichens unterstrichen – ähnlich wie in 12,37 beim Abschluss der „Zeichen“ und in 20,30f. beim Rückblick auf das Evangelium insgesamt. Erst wenn die glauben- und damit lebenstiftende Wirkung, die vom neuen Leben des Lazarus ausgeht, auch die Rezipienten innerhalb der Geschichte und die Leserinnen und Leser des Evangeliums ergreift, ist das σηµεῖον zu seinem Abschluss gekommen. Eben mit diesem Ziel, Glauben an Jesus als den Christus und Sohn Gottes zu schaffen, werden nach 20,30f. die σηµεία in der Erzählung 248

WENGST, Komm. II, 58f. CALVIN, Komm., 303-305. 250 BARRETT, Komm., 409f. 251 Ebd., 409. 252 CALDUCH BENAGES, Fragancia, 252. 253 BULTMANN, Komm., 299, sieht die Ironie der Stelle vor allem in der korrespondierenden Absicht, Jesus zu töten: „Über den, der den Toten zum Leben erweckt, verhängt die weltliche Behörde den Tod. Die Nichtigkeit des Kampfes der Welt gegen den Offenbarer und ihres Sieges über ihn ist dadurch gekennzeichnet.“ 249

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

des Johannesevangeliums in Erinnerung gerufen, und genau durch diesen Glauben wird nach 20,31 das Leben zugeeignet, das Lazarus im Vorgriff schon geschenkt worden war. Auf diese Weise also breitet sich von der Aufer– weckung des Lazarus her das Leben aus. Anknüpfend an 12,9-11 wird die Auferweckung des Lazarus beim Einzug in Jerusalem in 12,17f. noch einmal erwähnt – nun allerdings als zeugnishafte Verkündigung der Volksmenge, die bei der Auferweckung des Lazarus um Jesus war: ἐµαρτύρει οὖν ὁ ὄχλος ὁ ὢν µετ’ αὐτοῦ ὅτε τὸν Λάζαρον ἐφώνησεν ἐκ τοῦ µνηµείου καὶ ἤγειρεν αὐτὸν ἐκ νεκρῶν. Der Bericht von diesem Zeichen veranlasste die Volksmenge, Jesus entgegenzugehen und ihn zu begrüßen als „König Israels, der da kommt im Namen des Herrn“ (12,13.18 mit Aufnahme von ὑπαντᾶν). Freilich enthält 12,9-11 zugleich wiederum den Verweis auf die Passion: das καί in V. 9: καὶ τὸν Λάζαρον setzt den Todesbeschluss gegen Jesus voraus, der hier allerdings bereits unter das Vorzeichen des Durchbruchs des Lebens gestellt ist.

3.6 Der Tod als Umschlag zum Leben: Fazit zum Gesamtaufbau und theologischen Gefälle des Evangeliums Der Zusammenhang von Verwesungs- und Wohlgeruch in den beiden Geschichten im Horizont der Opposition von Leben und Tod führt auf weitergehende Überlegungen zum Gesamtaufbau und zum Argumentationsgefälle des Evangeliums, die oben bereits angedeutet wurden. Erschien die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus in der Forschung verschiedentlich als Höhepunkt des vollmächtigen Wirkens Jesu im „Book of Signs“ und Umschlagpunkt hin zum Tod Jesu, der im „Book of the Passion“ erzählt wird, so war diese Analyse wesentlich vom Aufbau der Geschichte Jesu bei den Synoptikern, insbesondere bei Markus, inspiriert. Bei Markus tritt am Scheitelpunkt des Evangeliums das Thema des Todes in den Vordergrund254: Der erste Höhepunkt christologischer Erkenntnis mit dem Christusbekenntnis des Petrus markiert zugleich den Beginn des Weges ans Kreuz, wie Jesus dies mit der ersten Leidensweissagung in Mk 8,31 formuliert. Wenn man von der Durchsetzung des Reiches Gottes in Jesus als dem Christus redet, so die theologische Logik dieses Aufbaus, dann muss zugleich deutlich gemacht werden, dass diese

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Freilich wird schon in Mk 3,6 vom Todesbeschluss gegen Jesus berichtet.

3.6 Der Tod als Umschlag zum Leben

259

Macht sich richtig nur im Horizont des Leidens und Sterbens erschließt und im Kreuz zur Durchsetzung kommt.255 Im Johannesevangelium scheint prima facie ein entsprechender Aufbau vorzuliegen, wenn auf die Auferweckung des Lazarus die johanneische Salbungsgeschichte folgt (einschließlich der synoptischen Deutung als vorweggenommene Totensalbung). Indes hat die übergreifende Analyse des Geruchsmotivs innerhalb der beiden Geschichten sowie seiner Interpretation im Rahmen der Thematik von Leben und Tod eine andere Schwerpunktsetzung und einen veränderten dramatischen wie theologischen Bogen bei Johannes sichtbar gemacht. Hier wird nicht – wie bei Markus – im ersten Teil des Evangeliums die machtvolle Durchsetzung des Gottesreiches exponiert und diese dann im zweiten Teil des Evangeliums unter der Perspektive des Kreuzes interpretiert. Johannes verlagert den Akzent, zeichnet seine theologische Konzeption in den markinischen Aufbau ein und verändert und korrigiert ihn dadurch. In der Tat kulminiert das machtvolle Handeln Jesu in der proleptischen Überwindung des Todes als dem größten „Zeichen“ in Joh 11. Dabei ist das Thema des Vorscheins der Passion in der Erzählung unübersehbar. Jesu kommendes Sterben wird auf der Ebene der Handlung in verschiedener Weise konkret: Die Auferweckung des Lazarus setzt zugleich den Weg Jesu in den Tod in Gang. Die Rede von den Stunden in 11,9 greift das eng mit dem Tod Jesu verknüpfte Motiv der Stunde Jesu auf.256 Der Todesbeschluss gegen Jesus schließt sich unmittelbar an die Auferweckungserzählung an.257 Schon der Kulminationspunkt der Macht steht damit unter dem Vorzeichen des Todes. Aber wie anders ist diese Thematik eingeführt! Sie wird mit gänzlich anderer Stoßrichtung erzählt und unter veränderter pragmatischer Perspektive betrachtet. Sie dient nicht mehr als notwendiges Korrektiv jeder Herrlichkeitschristologie, sondern – wie wir gleich sehen werden – als Trostwort an die Jünger (und Leser) angesichts des sich ankündigenden Todes Jesu, ein Trostwort, das bereits den Abschiedsreden vorgreift. Der geänderte Ausgangspunkt verändert zugleich die Zuordnung der Themen Macht und Tod zueinander. Es ist überaus instruktiv, zu vergleichen, wie das Thema des Todes in dem Dialog mit den Jüngern jeweils eingeführt wird. Bei Markus löst das Bekenntnis des Petrus zu Jesus als dem Messias (Mk 8,29) als Antwort die erste Leidensweissagung aus (8,31-33): Mit dem Thema 255

Einen Kontrapunkt bildet die anschließende Verklärungsgeschichte Mk 9,2-9, die man in ähnlicher Weise als proleptische Partizipation Jesu an der himmlischen Herrlichkeit verstehen kann. 256 Vgl. E.K. LEE, The Drama of the Fourth Gospel, ExT 65 (1953-1954), 173-176, hier 174f. 257 In der Salbungsgeschichte ist das Thema des Todes präsent durch die Person des Lazarus, durch das Salbungsmotiv selbst, durch die Person des Judas und durch die Doppelung des Todesbeschlusses.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

seines Leidens und Sterbens stellt Jesus das Jüngerbekenntnis zu dem vollmächtigen Gesalbten unter das Vorzeichen seines Leidens und Sterbens und erteilt damit politischen Hoffnungen auf einen königlichen Messias im Sinne eines machtvollen Eingreifens Gottes eine Absage. Petrus als der Sprecher der Jünger reagiert erschrocken oder empört, jedenfalls aber mit Unverständnis auf diese Ankündigung. Er nimmt Jesus zur Seite, wohl um ihn von seinem Vorhaben, dem sicheren Tod entgegenzugehen, abzubringen. Den Einspruch des Petrus weist der markinische Jesus in aller Schärfe zurück unter dem Hinweis, es sei der Ratschluss Gottes, in den die Geschichte Jesu – nicht allein durch die machtvolle Wirksamkeit, sondern gerade auch durch den Tod am Kreuz – eingebunden sei: Ὕπαγε ὀπίσω µου, Σατανᾶ, ὅτι οὐ φρονεῖς τὰ τοῦ θεοῦ ἀλλὰ τὰ τῶν ἀνθρώπων (8,33). Bei Johannes dagegen wird das Thema des Todes nicht von Jesus, sondern von den Jüngern eingebracht – als Reaktion auf die Ankündigung Jesu, durch den Weg nach Bethanien (dem Lazarus) das Leben zu bringen. Die Jünger sind – völlig zu Recht – in Sorge, dass der Weg zu dem todkranken Lazarus, der Weg Richtung Jerusalem, zugleich für Jesus aufgrund der Nachstellungen der jüdischen Autoritäten den Weg in den sicheren Tod bedeuten wird (Joh 11,8.16). Auch bei Johannes versuchen die Jünger deshalb, den Meister von diesem Weg zum Tod hin abzubringen. Was sie nicht verstehen: Einen anderen Weg zur Rettung des Lazarus, zur Rettung auch aller anderen Menschen aus der Todesverfallenheit gibt es nicht als den, dass sich derjenige, der selbst das Leben ist, in den Tod gibt und damit dessen Macht zerbricht (vgl. 12,24 und 11,50). Dies ist der Grund dafür, dass der Sohn in die Welt gekommen ist (3,16).258 Auf die angstvolle Bemerkung der Jünger zum Thema des Todes erfolgt bei Johannes an Stelle einer Zurückweisung der Jünger dementsprechend Trost und Versicherung (aus pragmatischer Perspektive betrachtet, mit seelsorgerlichem Blick für die Leser): Jesus erinnert daran, dass es der Weg des Lichts ist, der nun zu gehen ist, der Weg durch den Tod zum Leben (11,9f.). Dadurch werden, wie die Reaktion des Thomas in 11,16 zeigt, die Jünger zum Mitgehen dieses Weges ermuntert. Diese tröstende Botschaft wird durch den Fortgang der Lazarusgeschichte unterstrichen. An ihr wird sich zeigen, dass der Weg Jesu in Richtung des Todes zugleich der Weg zu dessen Überwindung sein wird. Die Auferweckung des Lazarus macht als letztes Zeichen offenbar, dass die Auferstehung – in Lazarus innerhalb der Geschichte zeichenhaft vorweggenommen und im leeren Grab Jesu bestätigt – als geschichtliche Realität Gewissheit für jeden Glaubenden bringt. Der Umschlag besteht hier nicht in der Peripetie vom machtvollen Handeln zum Leiden, sondern in der Wendung vom Tod zum Leben, die sich bei 258

Dies entspricht wieder ganz der Konzeption des Markus, vgl. Mk 10,45.

3.6 Der Tod als Umschlag zum Leben

261

Lazarus in der vollmächtigen Tat Jesu schon ereignet hat. Auch in christologischer Perspektive zeigt sich die veränderte Problemstellung: Die Frage nach dem Tod Jesu gilt – anders als bei den Synoptikern – dem vierten Evangelisten längst als entschieden: nicht mehr die Frage nach dem Verhältnis der Macht Jesu zu seinem Leiden und Tod steht in seinem Evangelium im Zentrum. Dass Jesus die Auferstehung und das Leben ist, wird explizit vorausgesetzt (11,25). Der Tod, auch der Tod Jesu, wird auf diese Weise im Johannesevangelium von Anfang an von der Überwindung her in den Blick genommen.259 Bei Johannes ist der Weg Jesu ins Leiden und in den Tod gerade ein Weg über das Kreuz hin zur endgültigen Durchsetzung des Lebens und zur Erhöhung des Messias, der in 12,12-19 triumphal als der messianische König in Jerusalem einziehen wird. Jesu vollmächtige zeichenhafte Taten kulminieren in der Überwindung des Todes und der Durchsetzung des Lebens. Aus dieser Perspektive wird der Weg Richtung Kreuz und das Thema des Todes in den Blick gefasst.260 Der den Todesgeruch ersetzende Geruch des Lebens, der sich von 12,3 her ausbreitet, macht diese neue Perspektive sinnlich wahrnehmbar. In das Gesagte fügt sich auch die Neudeutung und Korrektur der Gethsemaneperikope bei Johannes. Die synoptische Gethsemaneperikope wird entsprechend dem bisher Ausgeführten explizit korrigiert.261 Bei Johannes weist Jesus die Möglichkeit, Gott um eine Rettung aus der Todesgefahr zu bitten, mit Verweis auf seine Sendung zurück (12,27): „Nun ist meine Seele aufgewühlt, und was soll ich sagen? ,Vater, rette mich aus dieser Stunde‘? Aber dazu bin ich doch in diese Stunde gekommen!“ Jesus bittet vielmehr Gott darum, sein Offenbarungswerk an ihm zu vollenden und seinen Namen zu verherrlichen (12,28a), wohl wissend, dass diese Verherrlichung des Namens Gottes untrennbar mit der Erhöhung ans Kreuz verbunden, dass die Offenbarung der Stärke des Lebens unmittelbar an die Erfahrung des Todes geknüpft ist, die erst die Überwindung in der Auferstehung möglich macht (vgl. 12,24). Im Johannesevangelium findet die Bitte Jesu – im Gegensatz zu den Synoptikern – eine Antwort. Es spricht eine Stimme vom Himmel (12,28b) – in einem Satz, der in typisch johanneischem 259

Vgl. 16,33: „In der Welt habt ihr Betrübnis, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.“ 260 Dieses Ineinander des Weges zum Tod und des Weges zur Überwindung des Todes sowie dessen tröstende Intention hat wiederum in einzigartiger Weise J.S. Bach in seiner Johannespassion in einer einzigartigen Arie verdichtet: „Es ist vollbracht“. Begleitet nur von Laute und Gambe denkt der Altus in der Stimmung des Karfreitags, aber mit „Trost vor die gekränkten Seelen“ Jesu letztem Wort nach, um sich dann, im raschen Tempo und begleitet vom hellen Klang des Streichorchesters, selbst ins Wort zu fallen: „Der Held aus Juda siegt mit Macht und schließt den Kampf!“ Wenn danach das „Es ist vollbracht“ als Reprise wieder aufgenommen wird, so liegt nun über dem Karfreitagswort bereits der Glanz von Ostern, ohne das Bach materialiter etwas Wesentliches an der Musik ändern muss. 261 Vgl. R. FELDMEIER, Die Krisis des Gottessohnes. Die Gethsemaneerzählung als Schlüssel der Markuspassion, WUNT II/21, Tübingen 1987, 39-49, bes. 40f. Auch die rhetorische Frage an Petrus in Joh 18,11: „Soll ich etwa den Kelch, den mir der Vater gegeben hat, nicht trinken?“, interpretiert Feldmeier als implizite Korrektur der synoptischen Kelchworte (Mk 14,36; Mt 26,39.42; Lk 22,42).

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Stil ohne Objekt bleibt und damit eine Fülle von Interpretationsmöglichkeiten offenlässt: „Ich habe (ihn) schon verherrlicht und werde (ihn) wieder verherrlichen.“262 Logisch war diese Antwort eigentlich schon in Bethanien gegeben worden, ja, sie wird selbst dort bereits vorausgesetzt, wenn Jesus in 11,41f. sagt: „Vater, ich danke dir, dass du mich gehört hast. Ich wusste freilich, dass du mich immer hörst. Ich habe es nur um der Umstehenden willen gesagt, damit sie glauben, dass du mich gesandt hast.“

Werden die beiden Geruchsgeschichten in ihrer motivischen, thematischen und theologischen Verklammerung interpretiert, wie dies hier durchgeführt wurde, so offenbart sich in ihnen ein Gefälle vom Tod zum Leben. Durch die Verknüpfung mit der Erzählung von der Auferweckung des Lazarus, und damit zugleich mit dem Ich-bin-Wort 11,25, stellt das Evangelium die Ankündigung des Todes Jesu von Anfang an unter das Vorzeichen der Überwindung. Mit dem neugeschenkten Leben des Lazarus, dem zeichenhaften Bekenntnis der Maria (12,3), das den Geruch des Lebens sich ausbreiten lässt, und der Notiz, dass viele zum Glauben an Jesus kamen (12,9), beginnt diese Zusage bereits ihre Wirkung zu entfalten. Dieses Gefälle vom Tod zum Leben wohnt der Jesuserzählung des Johannes insgesamt inne und prägt das Evangelium von Anfang an. Mit der Prämisse, dass Jesus das Leben in sich birgt und zueignet, hatte Johannes sein Evangelium schon eröffnet: „Was in ihm geworden ist, war Leben“ (1,3f.263), und sie wurde zu Beginn des Abschnitts 8,12-12,50 wieder aufgegriffen: „Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, wird nicht in der Finsternis wandeln, sondern das Licht des Lebens haben“ (8,12). Diese Prämisse wird im Ausbleiben des Todesgeruchs und im Wohlgeruch der Salbe ästhetisch umgesetzt. Der Geruch zeigt den Einbruch des Lebens in die vom Tod gezeichnete Welt. Insofern die proleptische Lebensgabe in der Auferweckung des Lazarus in die Welt hinausgetragen wird und so Glauben stiftet, breitet sich das Leben weiter aus. Denn wer durch Christus an Gott als 262

Umgekehrt hat der Sohn nach 17,4 durch seine Taten den Vater verherrlicht. Dieses Verständnis, das das Objekt aus der Aufforderung Jesu ergänzt, liegt nahe, erklärt aber nicht, warum das Objekt in 12,28b ausgelassen wurde. Da es dort sprachlich zwingend notwendig gewesen wäre, scheint mir die plausibelste Erklärung, dass es sich wieder einmal um eine bewusste Mehrdeutigkeit des Textes handelt. Denn die Verherrlichung des (Namens des) Vaters geht eben über die Verherrlichung des Sohnes durch den Vater (7,39; 8,54; 11,4; 12,16.23; 13,31f.; 14,13; 16,14; 17,1.4f.); dabei ist teilweise auf den Tod Jesu bzw. seine Auferstehung, teilweise auf seine vollmächtigen Taten Bezug genommen. Besonders unmittelbar ist der Zusammenhang in 11,4; 13,31f.; 17,1.4f. ausgedrückt. 263 Diese in NA27 abgedruckte Interpunktion entspricht einer Reihe wichtiger Handschriften und einem großen Teil der Überlieferung der ältesten Kirchenväter. Gleichwohl ist auch die Interpunktion nach V. 3 gut bezeugt. Die wichtigsten alten Papyri und Kodices (P66.75 ‫ א‬A B Δ) allerdings fallen in ihrer ursprünglichen Gestalt als Zeugen aus, weil sie noch keine Interpunktion bieten. Die Frage ist also nach äußeren Kriterien kaum entscheidbar. Die Interpunktion nach V. 3 stellt aber eine deutliche lectio facilior dar.

3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven

263

den Schöpfer neuen Lebens glaubt, der erhält in ihm (neues) Leben (Joh 1,12; 3,3.5). Interpretiert man Joh 1,3f. in dieser Weise, so wird durch das ἐν αὐτῷ die protologische bereits mit der eschatologischen Perspektive verknüpft: Leben im vollen, eschatologischen Sinn erhält der Mensch erst über die Begegnung mit Christus als dem Leben.264 Dieses Gesamtgefälle des Evangeliums stützt wiederum die Deutung des Geruchs in 12,3 als Duft des von Jesus ausgehenden den Tod überwindenden Lebens: Nicht Tod und Auferstehung Jesu allein sind von der Logik der an die Lazaruserzählung anschließenden Salbungsgeschichte her das Thema, sondern die von Jesu Tod und Auferstehung ausgehende Überwindung von Vergänglichkeit und Tod.

3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven 3.7.1 Die literarische und motivische Einbindung in den weiteren Kontext des Johannesevangeliums265 Bei dem Durchgang durch die Erzählung von den bethanischen Geschwistern sind bereits einige motivische Linien sichtbar geworden, die über den Rahmen der Erzählungen von den bethanischen Geschwistern hinausreichen und die insbesondere das anthropologische Thema der Todesverfallenheit des Menschen im Rahmen des Johannesevangeliums hervortreten lassen.266 Diese Linien gilt es im Folgenden im Blick auf unser Thema nachzuverfolgen. 3.7.1.1 Licht und Leben: Motivische und strukturelle Bezüge zur Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) Die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus weist deutliche Bezüge zur Geschichte von der Heilung des Blindgeborenen in Joh 9 (sowie zu 10,19-21)

264

Ähnlich schon Orig. Comm. in Io. II 16,115f.: „Wiederum: wenn wir verstehen, was für ein Leben durch den Logos entsteht, und damit den (erkennen), der spricht: ,Ich bin das Leben‘, dann werden wir sagen, dass außerhalb des Glaubens an Christus keiner lebt, vielemehr alle tot sind, die nicht für Gott leben, und dass ihr Leben Sündenleben sei und deshalb, wenn man es so ausdrücken kann, ein Todesleben“ (Πάλιν ἐὰν συνῶµεν τὴν γενοµένην ἐν τῷ λόγῳ ζωήν, τὸν εἰπόντα «Ἐγώ εἰµι ἡ ζωή», ἐροῦµεν µηδένα τῶν ἔξω τῆς πίστεως Χριστοῦ ζῆν, πάντας δὲ εἶναι νεκροὺς τοὺς µὴ ζῶντας θεῷ, τό τε ζῆν αὐτῶν ζῆν εἶναι τῆς ἁµαρτίας καὶ διὰ τοῦτο, ἵν’ οὕτως εἴπω, ζῆν θανάτου τυγχάνειν). 265 GRUBER, Zumutung, zieht Linien zu 2,13-22; 6,60-71; 11,1-44; 13,1-11; 13,21-30; 19,38-42. 266 Vgl. dazu auch FREY, Eschatologie III, 375f., zu Joh 5, Joh 9 usw.

264

Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

auf267, sowohl was die Metaphorik von Licht und Finsternis (bzw. Sehen und Nichtsehen)268 als auch was den Aufbau des Textes und die fortschreitende Klärung des Wesens Jesu über verschiedene Einzelszenen hinweg betrifft. Explizit wird der Bezug zu dieser Erzählung in 11,37 hergestellt, wenn einige der Juden, die mit Maria klagen, sich fragen, ob nicht derjenige, der einem Blinden die Augen zu öffnen vermochte, auch in der Lage hätte sein müssen, den Tod des Lazarus abzuwenden – man könnte johanneisch auch sagen: ob nicht derjenige, der sich als das Licht der Augen erwiesen hat, auch das Licht des Lebens schenken kann. Damit greift Johannes auf die Anfrage der Jünger in Joh 9 und darüber hinaus auf den Beginn des von 8,12 bis 12,50 reichenden Abschnitts über das Licht in 8,12 und schließlich zum Anfang des Evangeliums zurück. Denn die Metaphorik von Licht und Finsternis, oder auch die unmittelbar daran anknüpfende Metaphorik des Sehens, wird – verbunden mit der Gabe des Lebens – bereits im Prolog in 1,4f.9-13 eingeführt und dann wieder aufgenommen in 3,19-21. Im Ich-bin-Wort 8,12 wird sie dann mit der Selbstbezeichnung Jesu als „Licht der Welt“, das jedem, der ihm nachfolgt, das Licht des Lebens schenkt, auf die theologische Summe gebracht. In der Erzählung von der Heilung des Blindgeborenen in Joh 9 wird das Sehen – auf die Erzählebene transponiert – zum beherrschenden Motiv, um in der Lazaruserzählung (Joh 11) wie in 12,35f.46 im Zusammenhang der Frage nach Leben und Tod wieder aufgegriffen zu werden.269 Zunächst also zur Motivik. Die motivische Verbindung von Licht/Tag–Dunkelheit/Nacht auf der einen Seite und Leben/Tod270 auf der anderen Seite ist für die Dramaturgie des Evangeliums insgesamt, aber insbesondere für den Erzählbogen des zentralen Abschnitts 8,12-12,50, von herausgehobener Bedeutung. Das Thema des (ewigen) Lebens erscheint zum Auftakt in 8,12 und wird am Schluss in 12,46.50 wieder aufgegriffen. Von der Genitivverbindung τὸ φῶς 267

Vgl. THYEN, Komm., 511 (sowie FREY, Eschatologie III, 411.427f.); zu Lazarus als dem „paradigmatisch Glaubenden“ vgl. FREY, Eschatologie III, 425 sowie schon Klem. Alex. Paed. I 2,6,3. 268 Vgl. SCHWANKL, Licht, 223-234 zu Joh 9,4f.; KOESTER, Symbolism, 104-109; CUL2 PEPPER, Anatomy, 190-192; J. ASHTON, Understanding the Fourth Gospel, Oxford 2007, 208-214; J. VAN DER WATT, Family of the King. Dynamics of Metaphor in the Gospel according to John, BIS 47, Leiden 2000, 235-239.245-260. Besonders deutlich erinnert 11,9f. an 9,4f. 269 Stellen wie 3,2; 13,30 und 20,1, in denen das Motiv der Dunkelheit/Nacht isoliert erscheint, würden eine gesonderte Diskussion erfordern. 270 Vgl. LEE, Flesh and Glory, 167. Diese Beziehung von Licht und Leben spielt erstaunlicherweise bei SCHWANKL, Licht, kaum eine Rolle. Sie fehlt im Kapitel „Das metaphorische Konzept von Licht und Finsternis“. In der Auslegung von Joh 8,12 wird sie lediglich gestreift (218f.), erscheint dafür aber im Kommentar zu Joh 1,4f. (88-90). Schwankl macht dabei jedoch nicht diese für das Evangelium grundlegende Beziehung und damit die entsprechenden Beziehungslinien durch das Evangelium sichtbar.

3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven

265

τῆς ζωῆς in 8,12271 her ist deutlich, dass die Opposition Licht/Dunkelheit bzw. Tag/Nacht in Verbindung mit Leben/Tod zu sehen ist. Das Licht, das in die Welt gekommen ist, um die Menschen zu erleuchten (1,9), eröffnet den Weg in die Gotteskindschaft (1,12) – es öffnet die Augen, verhilft zur Orientierung, die ethisches Handeln möglich macht (9,4; 11,9f.; vgl. 3,19-21), und führt so schließlich zu neuem, eigentlichem Leben. Diese Zusage, dass bei Jesus an die Stelle der Finsternis das Licht des Lebens tritt (8,12), hatte sich an dem Blindgeborenen in Joh 9 ganz körperlich und in einer doppelten Weise erfüllt. Diese Zusage wird nun erzählerisch im Horizont von Tod und Todesüberwindung aufgenommen: Solange272 das Licht in der Welt ist, kann es wirken – über den individuellen Tod hinaus. Damit wird auf der Ebene der Erzählung eingeholt, was theoretisch bereits in 5,19-30 in der eschatologischen Rede Jesu expliziert worden war. Wir kommen darauf sogleich zurück. Vor diesem Horizont stellt sich die Frage nach dem individuellen irdischen Tod neu. Angesichts des Lichts, das in die Welt gekommen ist, hat die Dunkelheit des Todes den Schrecken der Endgültigkeit verloren: Auch das letzte Dunkel wird durch das Licht erhellt. Diese Botschaft wird im Johannesevangelium der Erzählung vom Tod Jesu vorangestellt, so dass der Tod von vornherein von diesem Licht beleuchtet ist.273 Wie die Geschichte der doppelten Heilung des Blindgeborenen in sieben Einzelszenen mit wechselnden Protagonisten erzählt wird, so wird in Joh 11– 12 das Thema Tod und Auferstehung in mehreren Stufen (Gespräch mit den Jüngern, Gespräch mit den Schwestern, geschichtliche Umsetzung in der Auferweckung des Lazarus; Schilderung der Auswirkungen der Auferweckung/ Todesdrohung; Fest des Lebens; 12,1-11) entfaltet. Bereits in der Exposition der Handlung zeigen sich strukturelle Parallelen: Hier wie dort tritt – motiviert durch einen Kranken – eine Gruppe an Jesus heran; dort mit einer theologischen Frage, hier mit einer existentiellen Bitte. Die beiden Verse 9,3 und 11,4 zeigen deutliche strukturelle und inhaltliche Übereinstimmungen:274

271

Vgl. 11,9: τὸ φῶς τοῦ κόσµου τούτου, und ähnlich 9,5. Gegen ein solches Verständnis des ὅταν in Joh 9,5 THYEN, Komm., 455. 273 Bekanntermaßen erscheint der Kreuzestodes Jesu im Johannesevangelium von Anfang an als Erhöhung (vgl. Joh 3,14f.). 274 Vgl. SCHWANKL, Licht, 227. 272

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Οὔτε οὗτος ἥµαρτεν οὔτε οἱ γονεῖς αὐτοῦ, ἀλλ’ ἵνα φανερωθῇ τὰ ἔργα τοῦ θεοῦ ἐν αὐτῷ.

Αὕτη ἡ ἀσθένεια οὐκ ἔστιν πρὸς θάνατον ἀλλ’ ὑπὲρ τῆς δόξης τοῦ θεοῦ, ἵνα δοξασθῇ ὁ υἱὸς τοῦ θεοῦ δι’ αὐτῆς.

Nicht dieser hat gesündigt noch seine Eltern, sondern (die Krankheit dient dazu), dass die Werke Gottes an ihm offenbar werden. (Joh 9,3)

Diese Krankheit ist nicht zum Tode, sondern zum Erweis der Herrlichkeit Gottes, damit der Sohn Gottes durch sie verherrlicht wird. (Joh 11,4)

Die Parallelität lässt verschiedene Punkte hervortreten: a. Die Reaktion Jesu liegt in beiden Fällen auf derselben Ebene: Jesus lenkt den Blick von der Krankheit weg auf den, der sie überwinden kann – von der Deutung der Krankheit hin zu ihrer Funktion im Rahmen der Offenbarung und Verherrlichung Gottes.275 Dies findet formal Ausdruck in der Verneinung im Hauptsatz, der jeweils ein ἀλλά-Satz gegenübersteht. b. Der durch die Negation formulierte Einspruch Jesu bringt jeweils eine Umwertung der an Jesus herangetragenen Deutung. Bei der Heilung des Blindgeborenen wendet Jesus sich im einen Fall gegen eine aus seiner Sicht problematische theologische Deutung der Krankheit im Sinne einer Bestrafung von Sünde – wodurch, wie sich am Ende der Perikope in 9,39-41 zeigt, zugleich eine Umwertung im Blick auf den Sündenbegriff erfolgt. Im anderen Fall tröstet der Einspruch angesichts des drohenden Todes, der sich auch der Durchsetzung der Herrlichkeit Gottes wird unterordnen, ja ihr sogar zum Durchbruch verhelfen müssen. c. In den ἀλλά-Sätzen bringt jeweils ein durch ἵνα eingeleiteter Finalsatz die theologische Bedeutung im Rahmen des Offenbarungsgeschehens zum Ausdruck. δοξασθῆναι und φανερωθῆναι, Verherrlichung und Offenbarung, werden parallel verwendet und sind offenbar in großer inhaltlicher Nähe zu verstehen. Dies unterstreicht einmal mehr, dass das δοξάζεσθαι nicht einseitig kreuzestheologisch verengt werden darf.276 275

„Jesus was asked about the cause of the man’s blindness, but he answers in terms of its purpose“ (BROWN, Komm. I, 371). Der positive Grund der Blindheit des Blindgeborenen ist „kein kausaler, sondern ein finaler“ (SCHWANKL, Licht, 227). 276 Wie dies bei KNÖPPLER, Theologia crucis, 165-173, in im Übrigen durchaus berechtigter Abgrenzung von Käsemann geschieht. Im Zusammenhang von Joh 11,9f. erzeugt die Lichtmetaphorik allerdings – anders als im Zusammenhang der Blindenheilung, wo sie sich schlüssiger einfügt – einen merkwürdig ethischen Klang, wie er der Lichtmetaphorik an vielen Stellen inhärent ist: „Hat nicht der Tag zwölf Stunden? Wenn einer am Tag umhergeht, stößt er nicht an, denn er sieht das Licht dieser Welt; wenn aber einer in der Nacht herumgeht, stößt er an, denn das Licht ist nicht in ihm.“ Vgl. dazu SCHWANKL, Licht, 235–250; R. BULTMANN, Zur Geschichte der Lichtsymbolik im Altertum, in: ders., Exegetica. Aufsätze zur Erforschung des Neuen Testaments, Tübingen 1967, 323-355. G. STEMBERGER, La symbolique du bien et du mal selon saint Jean, Paris 1970, 25, zitiert die Stelle allerdings

3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven

267

3.7.1.2 Motivische und strukturelle Bezüge zu Joh 5: Die Lazarusperikope als geschichtlich-proleptische Erfahrung Die Lazaruserzählung erweist sich, wie bereits gesagt, als Erfüllung und erzählerische Illustration der eschatologischen Rede Jesu in 5,19-30. Der Bezug lässt sich in vielen Punkten herstellen277: a. Die Rede klärt den Bezug zum Vater als dem Lebendigen in negativer wie in positiver Hinsicht: Vater und Sohn sind nicht identisch, aber die Taten des Sohnes kommen direkt aus dem Vater und zeigen dessen Wesen bzw. beruhen auf dem Sehen des Vaters durch den Sohn (5,19). Dies setzt Joh 11 erzählerisch um: In Jesus wird eine zentrale Eigenschaft Gottes sichtbar, nämlich, dass er Leben ist und Leben zueignet. Die Lebensmacht gegenüber der Vergänglichkeit der Welt wird unmittelbar wahrnehmbar. b. Insbesondere im Auferwecken der Toten zeigt sich das Handeln des Sohnes als Tat des Vaters: „Wie nämlich der Vater die Toten erweckt und ins Leben ruft, so ruft auch der Sohn, wen immer er will, ins Leben“ (5,21).278 Die Lebenskraft des Vaters ist im Sohn in die Welt hineingetreten. c. Diese Zueignung von (ewigem) Leben ereignet sich bei den Hörenden, die durch das Hören zum Glauben an den Gesandten kommen und dadurch schon vom Tod zum Leben fortgeschritten sind (… ὁ τὸν λόγον µου ἀκούων καὶ πιστεύων τῷ πέµψαντί µε ἔχει ζωὴν αἰώνιον καὶ … µεταβέβηκεν ἐκ τοῦ θανάτου εἰς τὴν ζωήν; 5,24). Durch das Perfekt µεταβέβηκεν wird der Übergang vom Tod zum Leben als etwas in diesem Leben bereits Abgeschlossenes gekennzeichnet. Implizit werden damit die physisch Lebenden gleichsam als Tote betrachtet. Darin wird eine Umwertung von Tod und Leben deutlich, wie

gerade als einen nichtmetaphorischen Gebrauch des Lichts. Ein solcher ethischer Gebrauch der Metaphorik von Licht und Dunkelheit ist im Alten Testament und der frühjüdischen Literatur, zumal in weisheitlichem Kontext, weit verbreitet; vgl. z.B. 1Sam 2,9; Hi 24,14-17; Spr 2,13.18f.; 4,18f.; Jes 59,9f.; 2Bar 18,2; 56,5-10; 1QS 3,13-26 (zur Umwertung der Finsternis angesichts der Gegenwart Gottes vgl. Ps 139,11f.); vgl. im Neuen Testament auch Mt 5,14-16; 6,22f. par Lk 11,33-36; Röm 13,12; Eph 5,8f. Einen solchen ethischen Ton trägt die Lichtmetaphorik in Plutarchs De latenter vivendo. Gerade diese Schrift allerdings bietet eine Parallele für eine die Ethik und den Zusammenhang von Leben und Tod verbindende Verwendung der Metaphorik von Licht und Dunkelheit (vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Gedeihen im Licht – Verderben im Dunkel. Bilder für die existentielle Bedeutung einer Ethik des Politischen, in: U. Berner u.a. [Hgg.], Plutarch, Ist ,Lebe im Verborgenen‘ eine gute Lebensregel?, eingel., übers. u. mit interpr. Essays vers., SAPERE 1, Darmstadt 22001, 99116). In der Schrift wird beides verknüpft durch den (keineswegs zufällig gewählten) Vergleich von „Dunkelmännern“ mit Grabräubern (1128C). 277 Vgl. FREY, Eschatologie III, 414-416. 278 Vgl. die Rede vom θεὸς ζῳοποιῶν in Röm 4,17 sowie das Fazit Jesu bei der Sadduzäerfrage, Gott sei „kein Gott der Toten, sondern der Lebendigen“ (Mk 12,27 par).

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sie in der Literatur der Zeit an vielen Stellen zu beobachten ist.279 Dies wird durch den folgenden Vers (5,25) bestätigt: „Wahrlich, wahrlich, ich sage euch, dass eine Stunde kommt, und sie ist schon jetzt, in der die Toten die Stimme des Sohnes Gottes hören werden, und die es hören, werden leben.“ d. Diese Vermittlung des Lebens erfolgt über den Sohn, dem Gott als seinem Gesandten seine Lebenskraft übereignet hat: „Wie der Vater das Leben in sich hat, so gab er das Leben dem Sohn, um es in sich zu haben“ (5,26). Die Aussage lässt sich auf verschiedenen Ebenen verstehen. Das Futur in 5,25.28f. weist auf die eschatologische Hoffnung auf die Auferweckung der Toten durch das lebenstiftende Machtwort Gottes. Über das Präsens hingegen kündigt sich an, dass sich diese eschatologische Hoffnung bereits in der Geschichte, an der Auferweckung des Lazarus, bewahrheiten wird bzw. – aus der Rezeptionsperspektive der Leser – schon bewahrheitet hat. Indem aber betont wird, dass die Stunde bereits gegenwärtig ist, in der die νεκροί die Stimme des Sohnes Gottes hören und leben, werden zugleich diejenigen, die als Leser und Hörer die Botschaft des Evangeliums wahrnehmen, deutlich mit solchen identifiziert, die als lebende Tote vom Tod zum Leben fortschreiten bzw. schon fortgeschritten sind. Auf dieser Ebene heißt es also: Die Wirklichkeit der Auferweckung der Toten greift in der Begegnung mit Jesus schon jetzt in unsere Wirklichkeit ein. In der Auferweckung des Lazarus durch das fleischgewordene Wort Gottes zeigt sich also etwas, das für alle Menschen gilt: Wer auf das lebenstiftende Wort Jesu hört bzw. an Jesus als das Wort glaubt, der erhält schon in der Verfassung der menschlichen Vergänglichkeit das Leben zugeeignet, weil er aus Gott bereits wiedergeboren ist.280 Der Ruf, der die Menschen zuletzt aus den Gräbern ruft, ergeht bereits jetzt – auf der Ebene der Erzählfiguren der Geschichte, die zum Glauben kommen, und ebenso auf der Ebene der Leserinnen und Leser des Johannes, damals wie heute. Wie sehr die Aussage in der Schwebe bleibt, ergibt sich aus V. 28, wo Johannes eine deutliche Präzisierung einführt, wenn er von πάντες οἱ ἐν τοῖς µνηµείοις spricht: Alle, die schon im Grab sind, werden in der kommenden Stunde auf die Stimme hören und herauskommen. Gerichtet ist dieser Ruf aus den Gräbern, der in 11,43 bei Lazarus erzählerisch umgesetzt, ist, an alle Menschen.281 Er gilt ebenso Martha, die durch diesen Ruf zum vollen Glauben geführt wird und entsprechend das Leben 279 Vgl. o. 224-227. Besonders deutlich kommt diese Umwertung bereits in Eur. Frgm. 638 KANNICHT, zum Ausdruck: τίς δ’ οἶδεν εἰ τὸ ζῆν µέν ἐστι κατθανεῖν/τὸ κατθανεῖν δὲ ζῆν κάτω νοµίζεται; vgl. Plut. Amat. 764F-765A; 771A-D; De Is. 382A-C; Orig. Comm. in Io. XXVIII 7 (ähnlich Sir 22,10-13) sowie FELDMEIER, Osiris, 224-226. 280 Joh 1,12f. 281 Origenes versteht dies als Ruf zur Umkehr jener Menschen, die aus dem Status des Glaubens heraus abfallen und damit gleichsam vom Leben in den Tod überschreiten. Sie sind gleichsam in ihrem eigenen Grab, bis Jesus sie wieder heraus und zurück in die Gemeinschaft ruft (Orig. Comm. in Io. XXVIII 6-8).

3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven

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erhält, und Maria, die durch ihn zu ihrer bekenntnishaften, prophetischen Handlung in 12,3 geführt wird. Weiter gilt er den „Juden“, die bei der Szene anwesend waren. Und sogar den vielen, die danach zu Maria kamen und sahen, was Jesus getan hat und so zum Glauben kamen (11,45; 12,11) – auch sie erhalten Gelegenheit, die Botschaft seines Rufes zu hören. Vor allem aber hat der Ruf eine textpragmatische Komponente: Er richtet sich über den Horizont des Erzählrahmens hinaus an die Leserinnen und Leser des Evangeliums, die die zeichenhaften Taten Jesu in dem Evangelium aufgeschrieben finden, „damit ihr glaubt, dass Jesus der Christus, der Sohn Gottes ist, und damit ihr durch diesen Glauben das Leben habt in seinem Namen“ (20,31). 3.7.1.3 Motivische Bezüge zu Joh 10 Die Lebensrettung (der Schafe) durch Lebenshingabe (des Hirten) ist das Thema der Hirtenrede in Joh 10.282 Sie bereitet damit diskursiv vor, was in Joh 11–12 narrativ entfaltet wird. Wenn Jesus den Lazarus mit lauter Stimme aus dem Grab herausruft (Joh 11,43), so setzt dies neben 5,28 auch die Zusage aus der Hirtenrede 10,3.27-30 dramatisch um, wo Jesus sagt: „Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir nach. Und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden in Ewigkeit nicht vergehen, und keiner wird sie aus meiner Hand reißen“ (10,27f.). Die Lebensgabe durch Jesus steht zu seiner Lebenshingabe (10,11.15.17f.; vgl. 3,16; 11,50-52; 12,24) in einem unmittelbaren Verhältnis, wie umgekehrt die Lebenshingabe nur deshalb zur Lebensgabe werden konnte, weil es der Lebendige selbst ist, der sein Leben hingibt.283 Dies wird besonders deutlich, wenn Jesus fortfährt: „Was mir mein Vater gegeben hat, ist größer als alles andere, und niemand kann es der Hand des Vaters entreißen. Ich und der Vater sind eins“ (10,29f.). 3.7.1.4 Motivische Bezüge zu Joh 2 Begreift man die Erzählung von der Salbung als Teil des letzten Semeion mit der Auferweckung des Lazarus, so lassen sich eine Reihe von Parallelen zum ersten „Zeichen“ bei der Hochzeit zu Kana namhaft machen.284 a. jeweils handelt es sich um ein Fest. b. jeweils vermittelt sich das Wunder ästhetisch aus der Rezeptionsperspektive: am (ausbleibenden) Geruch bzw. am Geschmack wird die in Jesus gegen282 Vgl. zu Joh 10 insgesamt und speziell zum Bild des Hirten R. ZIMMERMANN, Christologie der Bilder im Johannesevangelium. Die Christopoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10, WUNT 171, Tübingen 2004, 241-404. 283 Zugleich ist Joh 10 aufs Engste mit Joh 9 verbunden, wenn das Thema der Blindenheilung in 10,19-21 wieder aufgenommen wird. 284 Einen symbolischen Bezug sieht auch BULTMANN, Komm., 299.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

wärtig gewordene Realität Gottes wahrgenommen. Wenn Bultmann die Auferweckungsgeschichte analog der Kana-Perikope als Theophanieerzählung gestaltet sieht, so rundet der Wohlgeruch der Salbungserzählung als ein typischer Aspekt einer Epiphanie285 das Bild ab. c. Das Verzögerungsmotiv, demzufolge Jesus der Bitte, die an ihn herangetragen wird, nicht sofort nachgibt, bildet einen weiteren Kontaktpunkt.286 3.7.2 Die Rezeption bei den Kirchenvätern Den Kirchenväterkommentaren ist ein symbolisches – oder auch allegorisches – Verständnis der sinnlichen Wahrnehmungen im Johannesevangelium ganz geläufig und wird auch entsprechend bei ihnen reflektiert. Sie stellen die Geruchsgeschichten in Joh 11 und 12 in vielfältiger Weise in einen interpretatorischen Zusammenhang und können so als frühe Zeugen eines entsprechenden Verständnisses fungieren. Das Haus, das von Nardenduft erfüllt ist, wird als Allegorie der Welt, der Kirche oder auch des Körpers verstanden. Der Geruch wird speziell zum Bild des sich ausbreitenden Evangeliums. Die körperliche Hinfälligkeit und die Todesverfallenheit des Menschen, die im Geruch schmerzlich gegenwärtig ist, werden mit der Sündhaftigkeit in Verbindung gebracht, die körperlichen Tod wie eschatologische Verdammnis nach sich zieht.287 Bei einer Reihe von Kirchenvätern findet sich eine bildhafte Auslegung des Geruchs im Zusammenhang des Lazarus, die letztlich im Einklang mit dem paulinischen Diktum vom Tod als der Sünde Sold steht (Röm 6,23). Der Zersetzungs-Geruch erscheint dabei als Zeichen todbringender Sünde.288 Er macht das grundsätzlich sündige Wesen des Menschen offenbar, das zuletzt den Tod herbeiführt. Die den Geruch des Verfalls und des Verfaulens hervorbringende irdische Natur des Menschen zeigt zugleich seine Todesverfallenheit. Allein der Lebensruf Christi und der Glaube an ihn kann diese Todesverfallenheit überwinden. Der Todesgeruch des Lazarus wird als Geruch der Sünde gedeutet, der von Jesus ausgehende Lebenshauch im Sinne der Rückkehr in den Glauben, insofern die Hinwendung zum Glauben den Grund zur Überwindung des Todes legt und damit den Weg zum Leben darstellt. Das Motiv des „geliebten Lazarus“ wird in dem Sinne verstanden, dass es sich um einen bereits gläubigen Christen handle, der aber wieder in Sünde gefallen ist. Bei Origenes wird der kranke La-

285

Vgl. LOHMEYER, Wohlgeruch, passim. BULTMANN, Komm., 299. 287 Vgl. o. 210-214. 288 Vgl. den Gestank des Daimon in Vita Antonii des Athanasius 26,933, des Teufels bei Ign. Eph. 17,1, und der Hölle in ActThom 55,7. 286

3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven

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zarus, wie wir gesehen haben289, zum Bild für den Christen, der (wie Lazarus) ein Freund Jesu ist. Wie Lazarus ist der Christ durch seine Sünde erkrankt und muss von Jesus geheilt und auferweckt werden. Als gleichsam wandelnde Tote müssen die νῦν Λάζαροι von Jesus aus dem Grab ihres Lebens herausgerufen werden (Comm. in Io. XXVIII 7,54). In XX 44,414-416 verbindet Origenes dies unmittelbar mit Ps 37,6 LXX und mit 2Kor 2,14-16.290 Auch Hesych von Jerusalem deutet den Geruch in seiner 18. Homilie über Lazarus entsprechend. Bei Johannes Chrysostomos wird der Verwesungsgeruch des Lazarus zu einer Allegorie der Sünde, zum Bild der moralischen Zersetzung, die eschatologisch den Tod als notwendige Konsequenz nach sich zieht – ein Assoziationshorizont, der wesentlich von 2Kor 2,14-16 mitbestimmt ist. Entsprechend gilt die Freisprechung von der Sünde als das größte Wunder Jesu, das zugleich eine Überwindung von Verfall und Tod und damit den Weg ins Leben bedeutet. Insofern steckt in dieser bildhaften Deutung durchaus ein tiefer theologischer Kern.291 Verwiesen sei besonders auf eine für unseren Zusammenhang interessante Interpretation der Erfüllung des Hauses mit dem Duft bei Theodor von Heraklea in der ersten Hälfte des 4.Jh.n.Chr. Theodor zufolge zeigt das sinnlich Wahrnehmbare hier bildhaft (συµβολικῶς) etwas Geistiges an292: Τοῦ δὲ οἴκου πληρωθέντος τῆς ἐκ τοῦ µύρου εὐωδίας συµβολικῶς ἐπεδείκνυτο ἐκεῖνο, ὅπερ πνευµατικῶς οὐκ εἰς µακρὰν ἀποτελεσθῆναι ἤµελλεν· εὐθὺς γὰρ µετὰ τὸ πάθος τῆς Χριστοῦ εὐωδίας ἡ σύµπασα οἰκουµένη ὥσπερ µέγας οἶκος ἐπληρώθη µύρου. τῷ τοίνυν αἰσθητῷ τὸ νοητὸν ἐκεῖνο προεµήνυε· τοῦ γὰρ σώµατος αὐτοῦ ἀλαβάστρου δίκην ἐκκεντηθέντος ἡ τῆς γνώσεως εὐωδία τὸν ὅλον ἐπλήρωσε κόσµον. (Frgm. 174 REUSS 293)

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Dadurch, dass das Haus vom Wohlgeruch des Salböls erfüllt wurde, wurde bildhaft angezeigt, was sich geistlich in Bälde erfüllen sollte. Unmittelbar nach der Passion nämlich wurde der gesamte Weltkreis wie ein großes Haus vom Wohlgeruch des Salböls Christi erfüllt. Durch etwas sinnlich Wahrnehmbares zeigte er jenen gedanklichen Inhalt im vorhinein auf: Als nämlich sein Körper wie ein Salbölgefäß durchbohrt wurde, erfüllte der Wohlgeruch seiner Erkenntnis die ganze Welt.

Vgl. o. 220. Vgl. L. LIES, Origenes’ implizite Deutung der Lazarusperikope (Joh 11,1-44) als kirchliches Bußgeschehen, in: K. Huber/B. Repschinski (Hgg.), Studien zum Johannesevangelium und zur Offenbarung des Johannes sowie andere Beiträge (FS M. Hasitschka), NTA 52, Münster 2008, 273-287. 291 Auch wenn die Frage offenbleiben muss, inwiefern man diesen in der Intention des Evangelisten bei der Formulierung der Geschichte verorten darf. 292 Vgl. BRUNS, Note. 293 Vgl. J. REUSS (HG.), Johannes-Kommentare aus der griechischen Kirche, TU 89, Berlin 1966, 110; vgl. THYEN, Komm., 548. 290

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

In dieser Deutung erhält auch das Zerbrechen der Alabasterflasche aus Mk 14,3 (συντρίψασα), das freilich bei Johannes im Zusammenhang der Salbung nicht aufgenommen ist294, einen bildhaften Sinn. Es ist nun allerdings interessanterweise nicht mit der Totensalbung, sondern mit der Kreuzigung in Verbindung gebracht, wobei Theodor mit dem Verbum ἐκκεντεῖν (durchbohren) die johanneische Formulierung aus Joh 19,37 aufnimmt, die dort wiederum Zitat aus Sach 12,19 ist. Das Ausbreiten des Wohlgeruchs ereignet sich hier gewissermaßen proleptisch im Vorgriff auf den Kreuzestod. Charmant und ausgesprochen johanneisch ist an dieser Deutung, dass damit ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen dem Tod Jesu (Zerbrechen) und dem daraus hervorbrechenden Lebensgeruch (Wohlgeruch des Salböls) hergestellt wird: Aus dem Tod Jesu und seiner Erkenntnis295 strömt das Leben. Die Salbung in Joh 12 wird damit nicht mehr (primär) als Totensalbung begriffen. Insofern weist also Theodor mit einer durch Markus inspirierten Formulierung in johanneischem Sinne über die Markuserzählung hinaus. Ganz im Sinne des Johannesevangeliums ist an diesen Ausführungen insbesondere die Verbindung von körperlicher Wahrnehmung und symbolischer Bedeutung, die sich in der Deutung des Hauses auf die Welt ebenso äußert wie in der Ausbreitung des „Wohlgeruchs der Erkenntnis“. Der Bezug auf die Lazarusgeschichte, der uns für das Verständnis des Lebensaspekts des Geruchsmotivs entscheidend ist, fehlt indes. Der Aspekt der Überwindung des Todes ist allenfalls implizit gegenwärtig in der Formulierung „nach dem Leiden“ (µετὰ τὸ πάθος). Ignatius liefert in seinem (vermutlich zu Beginn des 2.Jh.n.Chr. entstandenen296) Brief an die Epheser eine pneumatische Exegese von Mk 14,3-9, die Einfluss des Johannesevangeliums und von 2 Kor 2,14-16 verrät. Dabei wird der Geruch explizit mit dem Aspekt der Unsterblichkeit verbunden: Διὰ τοῦτο µύρον ἔλαβεν ἐπὶ τῆς κεφαλῆς αὐτοῦ ὁ κύριος, ἵνα πνέῃ τῇ ἐκκλησίᾳ ἀφθαρσίαν.297 (Ign. Eph. 17,1)

Darum hat der Herr das Salböl auf seinen Kopf genommen, damit er der Kirche Unsterblichkeit zuwehe.

War der Verwesungsgeruch des Lazarus, von dem Joh 11 erzählt, zur Allegorie des Gestanks der Sünde geworden, zum Bild der moralischen Zersetzung, die eschatologisch den Tod als notwendige Konsequenz nach sich zieht298, so verbindet Johannes Chrysostomos dies mit einer allegorischen Deutung der Motive 294

Wohl erscheint das Verbum in 19,36 (Zitat aus Ps 33,21 LXX) im Zusammenhang der Kreuzigung. 295 ὄψονται (Joh 19,37): Sie werden sehen und damit verstehen. 296 Die Datierung ist freilich umstritten, vgl. nur F.R. PROSTMEIER, Art. Ignatius von Antiochien, LACL 346-348. 297 In der recensio longior ist explizit von der ὀσµὴ µύρων die Rede. 298 Vgl. o. 228f.

3.7 Literarische und motivische Deutungsperspektiven

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des Hauses (= Tempel/Kirche) und des Geruchs (= Sünde/Tod bzw. Gott wohlgefälliges Leben). In einer diatribenartigen Darlegung kontrastiert er den Übelgeruch (δυσωδία) des fiktiven Gesprächspartners als des exemplarischen Sünders mit dem Wohlgeruch des Lebens, mit dem Maria, hier durch Identifikation mit der Frau aus Lk 7 als die exemplarische, aber reuige Sünderin gesehen, durch ihre Hinwendung zu Jesus in der Salbung das Haus erfüllt.299 Von 11,32 her versteht Johannes Chrysostomos die Salbung als Ausdruck des Glaubens, zeichenhaftes Bekenntnis zum Messias und prophetische Handlung. So stellt er Maria als Vorbild für alle Glaubenden hin, dem nachzueifern er fordert. Πῶς δὲ καὶ τολµᾷς ἐκκλησίαις ἐπιβαίνειν Θεοῦ, καὶ ναοῖς ἁγίοις, ἔνδον τοσαύτης βδελυγµίας ὄζων; Εἰ γὰρ εἰς τὰ βασίλεια φέρων τις νεκρὸν καὶ κατορύξας, τὴν ἐσχάτην ἂν ἔδωκε δίκην· σὺ τῶν ἱερῶν ἐπιβαίνων περιβόλων, καὶ τοσαύτης δυσωδίας πληρῶν τὸν οἶκον, ἐννόησον ὅσην ὑποστήσῃ τιµωρίαν. Μίµησαι τὴν πόρνην ἐκείνην, ἣ µύρῳ ἔχρισε τοῦ Χριστοῦ τοὺς πόδας, καὶ τὴν οἰκίαν ἅπασαν ἐπλήρωσεν εὐωδίας. (In Matth. hom. 58,676)

Wie aber kannst Du es wagen, Gottes Kirchen zu betreten und heilige Tempel, solange du drinnen aufgrund solcher Greuel stinkst? Wenn einer nämlich einen Toten in einen Palast tragen und dort vergraben würde, würde er wohl mit der Höchststrafe belegt. Du aber, der du die heiligen Bezirke betrittst und das Haus mit einem solchen Gestank erfüllst, bedenke, welche Strafe auf dich wartet. Mach es wie jene Prostituierte, die mit Salböl die Füße Christi gesalbt hat und so das gesamte Haus mit Wohlgeruch erfüllt hat.

Die von Lukas her gedeutete Maria erscheint hier als Muster menschlicher Hinwendung zu Christus aus der menschlichen Sündenverfallenheit heraus. Wer dagegen seine eigene Sünde und seinen Gestank überhaupt nicht wahrnehme, so fährt Johannes Chrysostomos fort, der sei schlimmer als diejenigen, die körperlich verfaulen und zu stinken beginnen.300 3.7.3 Die Aufnahme in der mandäischen Ginzâ Wenig überraschend findet die Metaphorik des Geruchs im Rahmen einer dualistischen Anthropologie und Kosmologie Aufnahme in gnostische Schriften. Dies sei diesen Abschnitt abschließend wenigstens angedeutet. In der mandäischen Ginzâ drückt sich das Gegenüber von Körper und Seele verschiedentlich über die Vorstellung aus, die Seele sei der Wohlgeruch des stinkenden Körpers: „Heil dir, Heil dir, Seele, dass du die Welt verlassen hast. 299

Es ist gewissermaßen auch ihr Lebenshaus, insofern die bekennende Tat auch den Übelgeruch ihrer Sünden in den Wohlgeruch des Lebens verwandelt. 300 Martha ihrerseits wird verschiedentlich mit ihrer Liebes- und Glaubenstat, die auch stellvertretenden Glauben für den toten (d.h. allegorisch gedeutet: für den in der Sünde verlorenen) Bruder symbolisiert, zum Vorbild des Glaubens und der Liebe. O’DAY, Komm., 701, findet den Liebesaspekt auch durch den Wandel des Geruchs symbolisiert: „Through Mary’s act, the stench of death that once lingered over this household has been replaced by the fragrance of love and devotion.“

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Du hast die Verwesung verlassen und den stinkenden Körper, in dem du weiltest, den Ort, der lauter Sünder ist, die Welt der Finsternis, des Hasses, der Eifersucht und der Zwietracht.“301: „Komm in Frieden, du Duftspendende, die du den stinkenden Körper duftend machtest“, so wird die Seele am Tor zum Haus des Lebens empfangen.302

3.8 Zusammenfassung Das Motiv des Geruchs, das in der synoptischen Tradition weder im Zusammenhang von Auferweckungserzählungen, noch im Zusammenhang der Salbung erscheint und durch den ansonsten im Neuen Testament überaus seltenen Wortstamm ὄζειν – ὀσµή (11,39; 12,3) markiert ist, unterstreicht den Zusammenhang der Erzählung von den bethanischen Geschwistern (Joh 11,1– 12,11). Im Rahmen einer traditionellen Duftmetaphorik macht es die den beiden Geschichten inhärente Opposition zwischen der die Welt beherrschenden Realität des Zerfalls und des Todes einerseits und dem Einbruch des Lebens andererseits sinnfällig. Indem der vierte Evangelist die Salbungsgeschichte unmittelbar an die Erzählung von der Auferweckung des Lazarus anknüpft und mit Maria anstelle einer namenlosen Frau die Schwester des Auferweckten zur Akteurin macht, erhält die Salbungserzählung gegenüber den Synoptikern nicht nur eine neue kompositionelle Stellung, sondern zugleich eine neue Färbung. Die Salbung durch die Schwester erscheint als Kommentar zum Handeln Jesu an ihrem Bruder. Der sich ausbreitende Wohlgeruch in 12,3 anstelle des erwarteten Todesgeruchs markiert motivisch den Umschlag vom Tod zum Leben. Der Vorverweis auf den Tod Jesu – wiewohl mit dem der synoptischen Salbungsgeschichte entnommenen Stichwort ἐνταφισµός (12,7) präsent – ist nicht mehr die symbolische Pointe der Erzählung. Die Symbolik der Salbung erscheint vielmehr im Licht des Festes der Auferweckung und der Durchsetzung des Lebens verwandelt, was gerade durch den Geruch sinnfällig wird.303 Durch den das Haus erfüllenden Lebensgeruch des Nardenöls erhält 301

M. LIDZBARSKI, Ginzâ, Der Schatz oder Das Große Buch der Mandäer, übers. u. erklärt, Göttingen 1925, 511 (Linke Ginzâ, 3. Stück, 78,18-21). 302 Ebd., 514 (Linke Ginzâ, 5. Stück, 80,23). 303 Damit interpretiert der Aspekt der Durchsetzung des Lebens zugleich die umittelbar vorausgehende Erzählung vom Tötungsbeschluss (11,47-53): Das Geschenk des neuen Lebens ist, wie schon in 3,16 ausgesagt worden war, nur über den Preis des Lebens Jesu zu erhalten. Zugleich aber zeigt die Auferweckung des Lazarus bereits jetzt, dass die Macht dessen, der eins mit dem Vater und selbst das Leben ist, zuletzt auch den Tod überwinden wird. Die Sprache von Körperlichkeit und körperlicher Wahrnehmung in der Erzählung hebt MANNS, Lecture symbolique, 106, hervor. Neben dem Geruch rechnet er dazu auch das Salben und Abtrocknen (12,3) und Hören und Sehen (12,9). Diese Sprache sieht er im

3.8 Zusammenfassung

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der Vorverweis auf Jesu Tod in Joh 12,7 erst seine johanneische Pointe. Der Geruch des Todes behält hier nicht das letzte Wort. Er kommt letztlich nur als Reminiszenz an die Welt, wie sie immer war, zur Sprache. Marthas Erwartung: „Herr, er riecht schon!“, bringt eine Gewissheit zum Ausdruck, die unter den veränderten Bedingungen infolge des Kommens Jesu nicht mehr gilt. Der Tod kann Lazarus nicht halten, ebenso wie er Jesus nicht wird halten können. Aus dem Grab heraus wird Lazarus durch den Ruf Jesu als ganzer Mensch restituiert. Die johanneische Salbungsgeschichte erweist sich so als Feier des Lebens angesichts des Todes. Damit wird zugleich die das Evangelium insgesamt durchziehende Spannung zwischen der Todesverfallenheit des Menschen und der Lebensmacht Gottes mittels der Opposition von Übel- und Wohlgeruch auf die Ebene des sinnlich Wahrnehmbaren transponiert. Eine Zusammenschau der Geschichten von den bethanischen Geschwistern lässt hervortreten, wie das Thema des Todes bei Johannes eingewoben ist in die Erzählung von seiner Überwindung. Tod und Leben, Trauer und Festfreude, Salbung eines dem Tod Geweihten und eines zum König bestimmten Siegers über den Tod sind im Motiv des Geruchs innerhalb dieser beiden Geschichten verdichtet. Tod und Todesüberwindung sind in der johanneischen Salbung aufs Engste ineinander verwoben. Erst der Tod Jesu, seine Überwindung des Todes und seine Erhöhung bringen die endgültige Bestätigung des in 11,25 von Jesus Behaupteten und in der Auferweckung des Lazarus proleptisch Vorgeführten: Jesus ist tatsächlich selbst die Auferstehung und das Leben. Wie sehr trotz des Ineinanders von Todes- und Lebensthematik die Verheißung des Lebens dominiert, zeigt sich gerade am Geruch. Gegenüber dem Geruch, der die sterbliche Natur des Menschen in der Alltagserfahrung unausweichlich sinnlich erfahrbar macht (und auch bei Lazarus entsprechend erwartet wird), offenbart Jesus, der Lazarus Leben bringen kann, weil er selbst das Leben ist (11,25), die Präsenz der göttlichen Lebensmacht angesichts des Todes durch den sich ausbreitenden Wohlgeruch. Entsprechend spricht Nonnos in seiner Paraphrase des Johannesevangeliums in epischen Hexametern in seiner Umschreibung von Vers 12,3 vom „gotterfüllten Duft“ (ἔνθεος ὀδµή; XII 16). Durch die Wahrnehmung des Lebensaspekts im Motiv des Geruchs wird mit dem Gefälle vom Tod zum Leben ein Grundzug des Evangeliums präziser fassbar: Will man in diesem Evangelium von einer theologia crucis (Knöppler) bzw. treffender von einer theologia crucifixi (Frey) sprechen, so ist diese in eine theologia vitae eingeordnet. Der deutliche Vorverweis auf das Kreuz als der geschichtlichen Erfahrung des Todes Jesu bleibt der in der Ostererfahrung gewonnenen Gewissheit der Durchsetzung des Lebens untergeordnet. Zusammenhang der johanneischen Inkarnationstheologie, durch die Gottes Herrlichkeit wahrnehmbar geworden ist.

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Kapitel 3: „Herr, er riecht schon“

Wo der (Todes-)Geruch zum Thema wird, ist er bereits proleptisch überwunden. An die Stelle der christologischen Frage, wieso der Gesandte Gottes einen so schmählichen Tod erleiden muss, ist damit die tröstende Versicherung getreten, dass in Jesu Tod und seiner Auferstehung auch der Tod aller, die an ihn glauben, bereits überwunden ist. Der Tod Jesu erscheint damit als Durchgang zum Leben, wie in 12,24 im Wort vom Samenkorn noch einmal expliziert wird. Mit der Betonung des Geruchs verbindet sich auch eine anthropologische Aussage: Gegenüber einer in platonischer Tradition stehenden dualistischen Anthropologie, die den Tod als Trennung der Seele vom Leib begreift und also die Auferstehung als eine Rückkehr der Seele in den toten Leib deuten kann (wie etwa in der Johannesdeutung des Origenes), besteht eine Pointe der Betonung des Geruchs darin, dass der Tod wie die Restituierung den Menschen als Ganzen umgreift. Vor allem aber transportiert das Geruchsmotiv eine zentrale soteriologische Botschaft, die im Zusammenhang der Betonung der Zeugenschaft durch den Evangelisten steht: Mit dem Geruch breitet sich die Botschaft des Lebens aus hinaus in die Welt. So symbolisiert der Geruch die glaubens- und lebenstiftende Wirkung der Auferweckungstat Jesu. Sie bringt den Leserinnen und Hörern Leben, indem sie Glauben an Christus als das Leben weckt (Joh 20,30f.). Im Blick auf das literarisch-theologische Vorgehen des Evangelisten wurde am Motiv des Geruchs erneut deutlich, wie sehr Johannes auf vorgegebene Traditionen, Motive und Prätexte mit den durch sie bereitgestellten Deutungshorizonten zurückgreift. Diese Traditionsbezüge werden vom Evangelisten literarisch in die Motivlinien der Wahrnehmung des in Christus gegenwärtig gewordenen Heils eingeordnet, um so den Leserinnen und Lesern zu signalisieren, welche Bedeutungsmöglichkeiten jeweils aktualisiert werden sollen.

Kapitel 4

Berühren, Begreifen, Bekennen: Thomas und andere Zu-spät-Gekommene Am Ende der Erzählung von der irdischen Wirksamkeit Jesu1, die von der Wirklichkeit des Auferstandenen her immer schon retrospektiv in den Blick kam, erzählt das gesamte Auferstehungskapitel vom Ringen um den Glauben an diese schlechterdings unglaubliche, weil unter den Bedingungen dieser Welt unmögliche Heilsgeschichte. Mit der Thomasgeschichte erfährt die Körperlichkeit der Heilserfahrung (nach der Hochzeit zu Kana am Anfang und der Auferweckung des Lazarus in der Mitte) mit dem Tastsinn eine letzte, irritierende Steigerung: Mit seinen Händen wünscht Thomas die Realität der Auferstehung Jesu zu begreifen. Anders will er und anders kann er es nicht glauben! Fühlen, Berühren, Betasten mit den Händen gilt als die unmittelbarste, körperlichste Form der Vergewisserung. Dies führt auf den christologischen und theologischen Höhepunkt2 des Evangeliums in dem Bekenntnis: „mein Herr und mein Gott“ (20,28), das die hohe Christologie des Prologs aufnimmt. Mit dem als Heilszuspruch dem Auferstandenen in den Mund gelegten Verweis auf das Verhältnis von körperlicher 1

Vgl. J. FREY, Der „zweifelnde“ Thomas im Spiegel seiner Rezeptionsgeschichte, HBl 2011 (Zweifel), 5-32; F. RAMOS PÉREZ, Ver a Jesús y sus signos, y creer en Él. Estudio exegético-teológico de la relación „ver y creer“ en el evangelio según san Juan, SFT 106, Rom 2004, 476-534; L.D. GEORGE, Reading the Tapestry. A Literary-Rhetorical Analysis of the Johannine Resurrection Narrative (John 20-21), SBLit 14, New York u.a. 2000; J. ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung. Relecture und Auslegung im Johannesevangelium, AThANT 84, Zürich 22004, 277-290; A. LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen im Johannesevangelium. Ein Zugang über die narrativen Rahmenteile (Joh 1,19-2,12 – 20,1-21,25), NTA NF 45, Münster 2003, 227-291; H. KOHLER, Kreuz und Menschwerdung im Johannesevangelium. Ein exegetisch-hermeneutischer Versuch zur johanneischen Kreuzestheologie, AThANT 72, Zürich 1987, 159-191; E. VON DOBSCHÜTZ, Die fünf Sinne im Neuen Testament, JBL 48 (1929), 378-411, hier 387-390; STIBBE, Komm., 202f. Stibbe untersucht das Verhältnis von „Sehen und Glauben“ und bestimmt dies als das verbindende Thema von Joh 20. 2 W. BONNEY, Caused to Believe. The Doubting Thomas Story at the Climax of John’s Christological Narrative, BiInS 62, Leiden/Boston 2002. Vgl. O. CULLMANN, Εἶδεν καὶ ἐπίστευσεν. La vie de Jésus object de la „vue“ et de la „foi“, d’après le quatrième Évangile, in: J.-J. von Allmen (Hg.), Aux sources de la tradition chrétienne (FS M. Goguel), BT(N), Neuenburg 1950, 50-61, hier 54 (couronnement); DODD, Interpretation, 443 (true climax; „the rest, however true and however moving, is mere postscript“); MOLONEY, Komm., 537.

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

Wahrnehmung und Glauben („selig sind die Nicht-Sehenden, die doch zum Glauben kommen“; 20,29) und damit auf die Wahrnehmung des in Christus gegenwärtigen Heils schließen die Berichte über die Erscheinungen Jesu.3 Mit ihnen schließt zugleich der Bericht über Jesu irdische Wirksamkeit insgesamt.4 Prominenter könnte das Thema sinnlicher Wahrnehmung kaum platziert sein! Dass die Interpretationen dieser Verse wie auch die Deutung der Thomasfigur in der Forschung kaum weiter auseinander liegen könnten, tut dieser Tatsache keinen Abbruch. C.H. DODD hebt das überraschende Hervortreten des „quasi-physischen“ Aspekts in der johanneischen Auferstehungserzählung heraus5; mit dem Ausdruck benennt er den Realismus der Darstellung des Auferstandenen bei Johannes, der aber gleichwohl durch Türen geht und selbst von engsten Vertrauten nicht ohne weiteres wiedererkannt werden kann. Dieselbe Spannung kann man indes auch im Auftreten des Irdischen erkennen, der ganz körperlich und doch als vollkommen über der Sphäre des Körperlichen stehend erscheint.6 Aufgrund seiner der Welt fremden Natur wird auch der Irdische nicht als der erkannt, der er ist. Für das Johannesevangelium, so könnte man von diesen Beobachtungen her thetisch formulieren, gibt es im Blick auf Körperlichkeit und körperliche Wahrnehmung keinen prinzipiellen Unterschied zwischen dem Irdischen und dem Auferstandenen. Diese These gilt es im Folgenden zu untermauern. Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

Die körperliche Drastik der Auferstehungsgeschichte bedeutete für die Auslegung seit jeher eine Provokation. Die Vorstellung einer Berührung des Auferstandenen, ja schon das bloße Ansinnen hierzu, empfand man als anstößig.7 Die Problematik erschien in Jesu noli me tangere in Joh 20,17 explizit angesprochen. Im Kontext der Glaubensthematik drängte sich die Frage nach der Legitimität und auch der bloßen Möglichkeit einer körperlich-weltlichen Vergewisserung des Glaubens an die schlechthin transzendente Realität Gottes auf. Ist es überhaupt möglich, den Auferstandenen körperlich wahrzunehmen, und wenn ja, kann eine solche Wahrnehmung Glauben begründen? Wie also lässt sich die Körperlichkeit der Passage ins Verhältnis setzen zum Thema des Glaubens einerseits und zur Existenzweise des Auferstandenen andererseits? Interpreten sahen in V. 29a/b die Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlich legitimen Glaubenswegen. Der „ungläubige“ Thomas galt als Urbild eines verfehlten oder defizienten, weil im Körperlich-Sinnlich-Weltlichen verhafteten, Zugangs zum Glauben. Entsprechend erschien die Seligpreisung als 3

Nach ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung, 279, ist Joh 20 die „narrativ entfaltete, theologische Frage […] nach dem Verhältnis zwischen Sehen und Glauben“. 4 Joh 21 ist nach weitgehend einhelligem Urteil als Nachtrag anzusehen. 5 C.H. DODD, The Interpretation of the Fourth Gospel, Cambridge 1953, 441f. 6 Man denke nur an Käsemanns berühmte Formulierung vom „über die Erde schreitenden Gott“; vgl. o. 10 Anm. 49. 7 G.J. RILEY, Resurrection Reconsidered. Thomas and John in Controversy, Minneapolis 1995, 115: „Distasteful, even repulsive method of proof“.

Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

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Zurückweisung und Bloßstellung des Thomas und als Lobpreis eines eigentlichen, richtigen Zugangs zum Glauben, der eines körperlichen Anstoßes nicht bedarf.8 Eine literarische Betrachtung des Motivs der Sinneswahrnehmung und insbesondere der beiden ganz parallel konstruierten Erscheinungsberichte vor den Jüngern werfen auf die Thomasfigur ein ganz anderes Licht. Entscheidend ist zur Geltung zu bringen, dass der Evangelist dem viel Gescholtenen mit dem Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott“ (20,28) unmittelbar vor dem Makarismus Jesu einen einsamen christologischen und theologischen Höhepunkt innerhalb des Johannesevangeliums, ja innerhalb des Neuen Testaments insgesamt in den Mund legt: nur hier wird Jesus explizit als Gott angesprochen.9 Dass dies im Munde einer Erzählfigur als Reaktion auf die körperliche Begegnung mit dem Auferstandenen und nicht in einem theologischen Autorkommentar geschieht, bedarf der sorgfältigen Interpretation im Blick auf die theologische Bedeutung der Sinneswahrnehmung und die rezeptionsorientierte Erzählstrategie des Evangelisten, aber auch im Blick auf das Verständnis der Figur des Thomas und damit auch der unmittelbar anschließenden Aussage Jesu in 20,29. Es unterstreicht erneut, dies sei hier bereits thetisch vorangestellt und wird unten sorgfältig zu begründen sein, wie das Johannesevangelium die Heilsgeschichte als glaubende Antwort des in Jesus Gott begegnenden Menschen inszeniert und akzentuiert. Die unerhörte und provozierende Konkretheit und Körperlichkeit dieser Aufforderung Jesu im Zusammenhang der Auferstehungserzählung (Thomas soll den Auferstandenen nicht nur anrühren, sondern seine Hand, wie er es selbst gefordert hatte, in die Wundmale legen) hat die christliche Kunst immer wieder inspiriert.10 Michelangelo da Caravaggio hat die Erzählung in einem berühmten Gemälde in eine überaus intensive und „in ihrem krassen Realismus geradezu schockierende Darstellung“11 umgesetzt. Bei Caravaggios Gemälde handelt es 8

Vgl. dazu ausführlich u. 305f. mit Anm. 105. Vgl. D.R. SADANANDA, The Johannine Exegesis of God. An Exploration into the Johannine Understanding of God, BZNW 121, Berlin u.a. 2004, 12; BULTMANN, Komm., 538f.; DODD, Interpretation, 443; BARRETT, Komm., 549; THYEN, Komm., 767; R. CAMERON, Seeing Is Not Believing. The History of a Beatitude in the Jesus Tradition, Forum 4 (1988), 47-57, hier 47. 10 Vgl. K. LASKE, Art. Thomaszweifel, LCI IV, 301-303; U. PFLUGK, Die Geschichte vom ungläubigen Thomas (Joh 20, 24-29) in der Auslegung der Kirche von den Anfängen bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts (Diss. Hamburg 1965); A. MURRAY, Doubting Thomas in Medieval Exegesis and Art, Rom 2006; FREY, Der „zweifelnde“ Thomas, 6-11. 11 M. GRUBER, Berührendes Sehen. Zur Legitimation der Zeichenforderung des Thomas (Joh 20,24-31), BZ 51 (2007), 61-83, hier 61. Das Gemälde arbeitet auch einen Aspekt heraus, den bereits Petrus Chrysologus unterstreicht: Mit seinem Drang nach einem sicheren Beleg reiße Thomas die Wunden Jesu wieder auf, die ihm die Peiniger geschlagen haben (Serm. 84,8). Thomas sei dafür allerdings nicht zu tadeln. Nur dazu habe der Auferstandene 9

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sich um ein herausragendes Rezeptionszeugnis für die Faszination des Körperlichen, die von dieser Geschichte ausgeht. Der Schmerz der Verwundung, die konkrete Körperlichkeit der Auferstehung, die Grenzen überschreitende Neugier der Zeugen, die eine geradezu wissenschaftliche Untersuchung vollziehen: dies springt den Betrachter aus Caravaggios Gemälde förmlich an.12 Das Gemälde hat vor einigen Jahren fast gleichzeitig, aber offenbar unabhängig voneinander zwei profilierte Deutungen der Thomasgeschichte angeregt. Der Gräzist G. Most stellte die Frage nach dem Sinn dieser sinnenhaften Geschichte in dem geistlichen Evangelium von der Rezeption der Thomas-Geschichte in der bildenden Kunst her13, wobei Caravaggios Darstellung eine besondere Rolle spielte. Offenbar unabhängig von Most war auch die Deutung der Szene von M. Gruber14 im Sinne eines „In-Jesus-Sein“ von Caravaggio inspiriert. Grubers Deutung geht sehr weit: „Das gegenseitige In-Sein realisiert sich einerseits in der Aufforderung Jesu, sich Fleisch und Blut des Menschensohnes ,einzuverleiben‘ (Joh 6,56), wie auch in der Einladung Jesu an Thomas, Finger und Hand in seinen auferstandenen Leib zu legen und gewissermaßen ,in‘ Jesus zu sein“ (68). Wenngleich eine gleichsam sakramentale Deutung im Anschluss an Joh 6 schwer nachzuvollziehen ist (wie sollte man sich ein entsprechendes Ritual vorstellen?), führt Grubers Lektüre der Thomasperikope auf ein rezeptionsästhetisches Fazit, dem in wesentlichen Teilen zuzustimmen ist: „Thomas soll vor den Augen der Leser und Leserinnen seine Hand in die Seitenwunde Jesu legen. Dies ist die Intention des Textes.“ Auf diese Weise können „die Leser und Leserinnen der Thomasperikope diese überwältigende Begegnung wieder neu betrachten und, auf ihre Weise, die Hand in die geöffnete Seite des Auferstandenen legen […], mit Caravaggio oder auch anders“ (83).

seine Wundmale behalten, um dadurch über Thomas einen unwiderlegbaren Beleg seiner Auferstehung zu bieten. 12 Die Darstellung steht in der Kunstgeschichte allerdings keineswegs alleine. MURRAY, Doubting Thomas, führt auf zwölf Tafeln ähnlich drastische Darstellungen über ein ganzes Jahrtausend hinweg vor. 13 G.W. MOST (Hg.), Doubting Thomas, Cambridge 2005 [dt.: Der Finger in der Wunde. Die Geschichte des ungläubigen Thomas, München 2007]. Interessanterweise geht Most von einer Analyse des Textes im Rahmen der synoptischen Auferstehungsberichte aus, in denen Thomas ja gar nicht vorkommt. Nach Most dient die Betonung des Sehens im Zusammenhang des Glaubens dem argumentativen Ziel, Glauben an die Tatsächlichkeit der Auferstehung herzustellen, denn: „Seeing is believing“. Die besondere Dringlichkeit des Gelingens bestehe aber in der Heilsbedeutung des Ereignisses, das geglaubt werden solle. Hinter dieser Betonung des Sehens und Hörens zeige sich deshalb „an obsessive need to instill belief in its readers“ (28). Darauf deute die Vielzahl der Verben des Sehens und Glaubens schon in Joh 20 (28f.). 14 GRUBER, Berührendes Sehen.

4.1 Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20

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4.1 Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20 4.1.1 Die szenische Entwicklung hin zur Thomasepisode im Durchgang durch Joh 20,1-24 In Joh 20 wird die Konkretheit der Begegnung mit dem auferstandenen Christus erzählerisch umgesetzt. Wie bereits im Speisungskapitel (Joh 6), bei der Heilung des Blindgeborenen (Joh 9) und bei der Auferstehung des Lazarus mit der anschließenden Salbung (Joh 11–12) wird das Thema über mehrere Einzelepisoden entfaltet.15 Vor der Thomasepisode stehen innerhalb von Joh 20 bereits drei Szenen, die um die körperliche Wahrnehmung der Auferstehung und des Auferstandenen kreisen. Dabei meinte man eine „steigernde Intensität der Berührung in Joh 20“16 erkennen zu können.17 Man könnte präziser von einer zunehmenden Konkretheit der Gegenwart des Auferstandenen und damit zusammenhängend von einer zunehmenden Klarheit der körperlichen Wahrnehmung dieser Gegenwart innerhalb von Joh 20 sprechen.18

15

F.J. MOLONEY, John 20. A Journey Completed, ACR 59 (1982), 417-432, interpretiert die Episoden vom geliebten Jünger, von Maria Magdalena und von Thomas als drei Stadien auf dem Weg vom Unglauben über die Suche nach handgreiflichen Belegen hin zum Glauben (vgl. ders., Komm., 536-538). D.A. LEE, Partnership in Easter Faith. The Role of Mary Magdalene and Thomas in John 20, JSNT 58 (1995), 37-49, hier 39f., erkennt einen etwas anderen Aufbau: Sie unterteilt das Kapitel in drei Szenen mit einem Abschluss, wobei die Gabe des Geistes das Zentrum bildet, gerahmt von zwei Szenen, die individuelle Begegnungen mit dem Auferstandenen schildern (1-18: Maria Magdalena; 24-29: Thomas). Sie sieht die Erzählungen von Maria Magdalena und Thomas in drei Aspekten aufeinander bezogen: „1. Both characters show a similar determination to meet the Lord. 2. Each receives a revelation and makes a paradigmatic response of faith. 3. Each is portrayed as playing a major role for future believers“ (40). Zum gesamten Kapitel als einer Folge von „recognition scenes“ vgl. K.B. LARSEN, Recognizing the Stranger. Recognition Scenes in the Gospel of John, BIS 93, Leiden 2008, 185-211. 16 So die Überschrift des entsprechenden Abschnitts bei GRUBER, Berührendes Sehen, 7476; vgl. A. LEINHÄUPL-WILKE, Rettet ein Buch? Spurensuche in den Rahmenteilen des Johannesevangeliums, in: K. Löning/M. Faßnacht (Hgg.), Rettendes Wissen. Studien zum Fortgang weisheitlichen Denkens im Frühjudentum und im frühen Christentum, AOAT 300, Münster 2002, 269-315, hier 310. 17 Anders S.M. SCHNEIDERS, Touching the Risen Jesus. Mary Magdalene and Thomas the Twin in John 20, in: C.R. Koester/R. Bieringer (Hgg.), The Resurrection of Jesus in the Gospel of John, WUNT 222, Tübingen 2008,153-176 [=PCTSA 60 (2005), 13-35], die in der ersten Begegnung mit den Jüngern das Zentrum des Kapitels erblickt, gerahmt von den beiden ,Berührungsgeschichten‘ von Maria Magdalena und Thomas. 18 Bis hin zu Joh 21,1-14, wo der Auferstandene den Jüngern gleichsam als Grillmeister die Fischmahlzeit zubereitet.

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Wenngleich es zu weit führen würde, die zahlreichen Einzelprobleme im Zusammenhang des Jüngerwettlaufs und der (Nicht?-)Berührungsszene mit Maria Magdalena im vorliegenden Zusammenhang eingehend zu diskutieren19, so ist es doch unverzichtbar, die Maria-Szene ebenso wie die die Thomasperikope vorbereitende Parallelerzählung von der Erscheinung vor den Jüngern zumindest als Voraussetzung in den Blick nehmen. 4.1.1.1 Sehen und Glauben: Die beiden Jünger am leeren Grab (Joh 20,1-10) Am Anfang steht das leere Grab. Früh am Morgen, als die Dunkelheit die Welt und die Seelen der trauernden Jünger noch gefangen hält (σκοτίας ἔτι οὔσης; 20,1), kommt Maria von Magdala dorthin und sieht den Grabstein weggewälzt. Offenbar ohne in das Grab zu schauen, schließt sie, dass der Leichnam weggenommen wurde. Es ist wie bei der Warnung der Martha vor dem Todesgeruch des Lazarus: Maria Magdalena urteilt aufgrund der Erfahrung der Welt, wie sie immer war: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen, und wir wissen nicht, wohin sie ihn gelegt haben“, so berichtet sie Petrus und „dem anderen Jünger, den Jesus lieb hatte“ (20,2), und provoziert dadurch den „Jüngerwettlauf“ zum Grab. Der geliebte Jünger erreicht das Grab zuerst20, beugt sich hinab und schaut von außen hinein. Im Grab sieht er die Grabbinden liegen (κείµενα τὰ ὀθόνια; 20,5); hinein geht er nicht. Petrus dagegen, der ihm auf dem Fuß gefolgt war, betritt das Grab. Er schaut die Grabbinden und dazu das Schweißtuch (σουδάριον), das separat von den Grabbinden an einem eigenen Ort zusammengewickelt liegt (20,6-7). Seine Reaktion erfahren wir nicht, wohl aber die des geliebten Jüngers: „Da ging auch der andere Jünger in das Grab hinein, der zuerst gekommen war, und sah und glaubte“ (20,8). Sehen und Glauben stehen – wie mehrfach die Verben im vierten Evangelium – absolut, ohne Objekt.21 Was sieht eigentlich der geliebte Jünger? Was glaubt er? Wieder einmal lässt der Autor die Formulierung in der größtmöglichen Offenheit, einerseits, was die implizierten Objekte, damit aber auch, was das logische Verhältnis der beiden Verben zueinander betrifft. Wir sind auf Mutmaßungen angewiesen22, und die Interpretationen gehen entsprechend weit auseinander. Zunächst also: 19

Zu den vielfältigen literarkritischen Versuchen und der Frage nach dem Verhältnis zur synoptischen Überlieferung vgl. F. NEIRYNCK, John and the Synoptics. The Empty Tomb Story, in: F. Van Segbroeck (Hg.), Evangelica II, BEThL 99, Leuven 1991, 571-600 [= NTS 30 (1984), 161-187]; R. MAHONEY, Two Disciples at the Tomb. The Background and Message of John 20.1-19, TW 6, Frankfurt a.M. 1974, bes. 141-227. 20 Wörtlich: „Er läuft voraus“ (προέδραµεν; 20,4). 21 Vgl. 1,39 (ὁρᾶν); ähnlich Joh 1,18 (ἐξηγεῖσθαι). 22 P.S. MINEAR, ,We Don’t Know Where …‘. John 20,2, Interp. 30 (1976), 125-139, hier 127f.; LEE, Partnership, 39; C. DIETZFELBINGER, Johanneischer Osterglaube, ThSt 138, Zürich 1992, 18.

4.1 Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20

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1. Was sieht der geliebte Jünger? Der geliebte Jünger sieht nicht den Auferstandenen. Er sieht nur die Abwesenheit des Leichnams, dazu zunächst die Grabbinden und später, als er nach Petrus das Grab betritt, auch das zusammengelegte Schweißtuch. Aufgrund dieses Nichtsehens (des Leichnams Jesu) erscheint der geliebte Jünger der Forschung von 20,29 her verschiedentlich als idealer Osterzeuge, als der Einzige, der allein durch das Sehen des leeren Grabes zum Osterglauben gekommen sei.23 „Er empfängt nicht den schwächsten Hinweis auf die vollzogene Auferstehung Jesu, nichts von dem, wessen die anderen für ihren Glauben bedürfen. Er sieht nur das leere Grab, jenes Signum der Zweideutigkeit, auf das die frühe Kirche den Osterglauben gerade nicht gründen wollte, demgegenüber Maria von Magdala in Verwirrung und Trauer (20,2.11) gerät, das für Petrus Anlass ist, im Nicht-Glauben zu verharren (20,9). Der geliebte Jünger aber glaubt anhand dieses Nicht-Beweises, d.h. er verzichtet – 20,29 sagt es dann ausdrücklich – auf jedes Mittel, das den Glauben an den Auferstandenen stützen könnte. Für ihn gehört der Verzicht auf Beweis zur Struktur des Glaubens.“24

Gegenüber dieser hier pointiert zusammengefassten, aber breit vertretenen Auffassung unterstreicht der Evangelist ausdrücklich, dass es das Sehen ist, das für den geliebten Jünger zum Ausgangspunkt des Glaubens wird.25 Das καί in 20,8 wird als καί consecutivum aufzufassen sein: er sah, und aufgrund dessen glaubte er.26 Dem Versuch, Joh 20,8 unmittelbar mit 20,29 in Verbindung zu bringen und so den Geliebten Jünger als Modell der Späteren zu verstehen, hat deshalb bereits Brown widersprochen.27 Ein Kontrast zum Glaubensweg des

23

DIETZFELBINGER, Osterglaube, 13: „Er bedarf keiner Engelsbotschaft (Mk 16,5-7), keiner Erscheinung des Auferstandenen (Joh 20,19-23), keines sonstigen Beweises (Lk 24,3743; Joh 20,24-29)“; vgl. ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung, 279; SCHNELLE, Komm., 322; J. FREY, „Ich habe den Herrn gesehen“ (Joh 20,18). Entstehung, Inhalt und Vermittlung des Osterglaubens nach Johannes 20, in: A. Dettwiler/U. Poplutz (Hgg.), Studien zu Matthäus und Johannes (FS J. Zumstein), AThANT 97, Zürich 2009, 267-284, hier 276.282f.; MOLONEY, Komm., 538; HAENCHEN, Komm. ad loc.; TALBERT, Komm., 250. 24 DIETZFELBINGER, Osterglaube, 18. 25 Vgl. FREY, „Ich habe den Herrn gesehen“, 275. Das Kapitel ist voller Verben des Sehens: βλέπειν (20,1.5.8.18.20.25bis.27.29bis); θεωρεῖν (20,6.12.14). 26 Über den Glauben des Petrus indes erfahren wir nichts. Ob auch er bereits hier zum Auferstehungsglauben kam, obwohl dies nicht explizit gesagt wird, darüber ließ sich deshalb in der Vergangenheit trefflich streiten. Über Vermutungen kommt man freilich notwendigerweise nicht hinaus. THYEN, Komm., 758, betont, dass der geliebte Jünger hier, anders als in 21,7, seinen Glauben noch nicht an Petrus weitergibt, sondern für sich behält. 27 BROWN, Komm. II, 1005f., betont, dass auch der Glaube in 20,8 auf einem Sehen beruht. Vgl. O. CULLMANN, Heil als Geschichte. Heilsgeschichtliche Existenz im Neuen Testament, Tübingen 1965, 250: „darum werden im Johannesevangelium immer die beiden Seiten – Augenzeugnis und Glaubensdeutung – in ihrem notwenigen Zusammenhang und in

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Thomas lässt sich allenfalls über die unterschiedlichen Objekte des Sehens und über die unterschiedliche Konkretheit der körperlichen Wahrnehmung aufbauen. Der geliebte Jünger sieht aber auch nicht nur das leere Grab. Er sieht darüber hinaus, wie explizit notiert wird, die Grabbinden, die Bande des Todes, die Jesus – anders als bei Lazarus (11,44) – nun nicht mehr halten, sondern von denen er sich offenbar befreit hat28, sowie das Schweißtuch. Sorgfältig zusammengefaltet belegen sie, dass es sich offenbar nicht um einen Leichendiebstahl handelt (wer hätte eine Leiche zuvor ausgewickelt und die Tücher zusammengelegt?), sondern der Auferstandene die Grabbinden selbst abgelegt hat.29 Nachdem zunächst der geliebte Jünger in 20,5 die Grabbinden gesehen hatte, und Petrus durch das Eintreten in die Grabkammer auch das an anderer Stelle liegende Schweißtuch, sieht dieses nun, nachdem er ebenfalls eingetreten ist, auch der geliebte Jünger.30 Mit der Frage, wovon genau in Joh 20,8 ausgesagt wird, dass der geliebte Jünger es sah, hängt unmittelbar die zweite Frage zusammen: 2. Was glaubte der Jünger? a. Glaubte er einfach nur Marias Bericht vom leeren Grab? Ist der Gegenstand dessen, wovon er sich nun durch Autopsie überzeugt hat, der resignierte Befund Marias aus 20,2b: „Sie haben den Herrn aus dem Grab weggenommen und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben“? Pointiert vertritt P.S. Minear diese Auffassung: „They now ,believed‘ in Mary’s report and thus joined in her confession of ignorance, ,we don’t know where‘.“31 b. Oder ist der Glaubensbegriff hier prägnant zu fassen? Emphatisch schreibt C. Dietzfelbinger: „Daran ist nicht zu zweifeln, dass πιστεύειν auf den Glauben im umfassenden Sinn der johanneischen πίστις zielt.“32 Ist nun also der Moment eingetreten, von dem in Joh 2,22 die Rede war: Glaubte der geliebte Jünger „der Schrift und dem Wort, das Jesus zu ihnen gesprochen hatte“, wie die Jünger es dort noch nicht konnten? Glaubte er – angestoßen durch das Sehen der sorgfältig zusammengelegten Grabbinden und des Schweißtuchs – an die Auferstehung Jesu, daran, dass Jesus selbst sich aus dem Tod befreit hatte? ihrer Unterscheidung betont: εἶδεν καὶ ἐπίστευσεν (20,8). Daher die Verwendung doppeldeutiger Ausdrücke, die zugleich das sichtbar Konkrete und die Deutung ausdrücken.“ 28 Vgl. ZUMSTEIN, Komm., 946 Anm. 31; B. BYRNE, The Faith of the Beloved Disciple and the Community in John 20, JSNT 23 (1985), 83-97, hier 87-89. 29 Hierauf bezieht B. BYRNE, Faith, 90, konkret das Sehen: „he sees […] the ‚sign‘ constituted by the special arrangement of the burial clothes.“ 30 Ebd., 86f.; vgl. NEIRYNCK, Empty Tomb, 593. 31 MINEAR, ‚We don’t know where‘, 127f.; vgl. G.C. NICHOLSON, Death as Departure. The Johannine Decent-Ascent Schema, SBLDS 63, Chico 1983, 69-71; LEE, Partnership, 39f. 32 DIETZFELBINGER, Osterglaube, 12; vgl. BARRETT, Komm., 538. Nach SCHNEIDERS, Touching the Risen, 164, weiß der geliebte Jünger das Zeichen im Unterschied zu Petrus richtig zu deuten: „The beloved disciple believes; Peter does not.“

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Oder bezieht sich sein Glauben auf die christologische Erkenntnis, die aus diesem Ereignis zu ziehen ist: Glaubte er, „dass Jesus der Christus ist, der Sohn Gottes“ (20,31)? Oder aber glaubte er an die aus diesem Ereignis zu gewinnende theologische Quintessenz: an den lebendigen Gott, der in Christus leibhaftig seine Lebensmacht erwiesen hatte?33 Gerade aufgrund seiner Offenheit im Blick auf den Inhalt der Wahrnehmung wie des Glaubens und auch des Verhältnisses der beiden Aspekte zueinander hat dieser Vers die Imagination der Exegeten immer wieder in besonderer Weise beflügelt. Für beide Positionen ließen sich in der Forschung Argumente beibringen, die wir uns kurz vor Augen führen wollen. Ad a: Die erste Position versucht insbesondere den notorisch problematischen Vers 20,9 zu deuten. Schon Augustin hatte sich mit dieser Interpretation unter Hinweis auf Joh 20,9 explizit gegen Ausleger gewendet, die meinten, der Glaube beziehe sich auf das Auferstehungszeugnis.34 Der mit einem begründenden γάρ eingeführte Autorkommentar in 20,9 war seit jeher im Duktus der Erzählung schwer zu verstehen. Bezieht sich γραφή – wie üblicherweise im Neuen Testament und ansonsten im Johannesevangelium – auf das Alte Testament? Eine bestimmte Schriftstelle, auf die mit dieser Formulierung in der Regel verwiesen wird35, wird hier jedenfalls nicht zitiert. Versteht man allerdings das folgende ὅτι rezitativ, dann ließe sich der Satz auf die Jesusüberlieferung36 oder konkreter auf die synoptische Evangelienüberlieferung beziehen, die diesen Satz in Lk 24,46 nahezu wörtlich enthält (vgl. Lk 24,7): ὅτι οὕτως γέγραπται παθεῖν τὸν Χριστὸν καὶ ἀναστῆναι ἐκ νεκρῶν τῇ τρίτῃ ἡµέρᾳ. Aber die Schwierigkeiten setzen sich in Joh 20,10 fort. Ersetzt das Personalpronomen πρὸς αὐτούς an der textkritisch umstrittenen Stelle einfach das Reflexivpronomen? Merkwürdig bleiben auch das πάλιν (einfach verschliffen im Sinne von „sie gingen wieder weg“?) und die Formulierung οἱ µαθηταί, nachdem bisher immer von Petrus und dem „anderen Jünger“ die Rede war.

Hinzu kommt, dass der Glaube des geliebten Jüngers keinerlei Wirkung auf der Erzählebene zeitigt und der Glaube sich nicht auszubreiten beginnt.37 Der Lieblingsjünger spricht zu niemandem über seinen Glauben und lässt Maria Magdalena in ihrer Ungewissheit und Trauer.38

33

BYRNE, Beloved Disciple, 88. In ev. Ioan. CXX 9. 35 Vgl. Joh 19,24.28.36.37. 36 So GNILKA, Komm., 150. 37 LEE, Partnership, 39f. Dies hat man als Indiz dafür gesehen, dass vom Glauben ursprünglich nicht die Rede war und dieser Aspekt, wie auch immer die ihm vorliegende Tradition genau ausgesehen haben mag, erst vom Evangelisten eingefügt worden ist (vgl. SCHNACKENBURG, Komm. III, 369f.). 38 Nach LEE, Partnership, 40, ist 20,9 so zu verstehen, dass die Glaubensgeschichte der beiden Jünger noch nicht abgeschlossen ist. Beide Jünger werden noch eine weitere Erscheinung des Auferstandenen über 20,19-23 hinaus erleben, nämlich in Joh 21, wo Petrus beauftragt (21,15-19) und der geliebte Jünger als wichtigster hinter dem Evangelium 34

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Ad b: Für einen gefüllten Glaubensbegriff spricht eine Analyse der sonstigen Verwendung von πιστεύειν bei Johannes. πιστεύειν im Sinne eines Für-WahrHaltens einer Aussage gibt es allenfalls in Joh 9,18, an allen übrigen Stellen ist das Verb deutlich auf den Glauben an Christus und seine Sendung vom Vater bezogen.39 Eben dieser Glaubensbegriff wird innerhalb des Evangeliums immer wieder mit Verben der Sinneswahrnehmung verbunden. Glauben bricht, so hat sich über das Evangelium hinweg gezeigt und so wird es in 20,8 durch den unmittelbaren Kurzschluss prägnant auf den Punkt gebracht, am Sehen (bzw. allgemein an der Sinneswahrnehmung) auf.40 Verschiedentlich wurde dem Schweißtuch als „sign“ eine besondere Bedeutung zugewiesen.41 Der geliebte Jünger sieht zwar gemäß dieser Position Jesus nicht – hierin unterscheidet er sich von allen anderen Jüngern – wohl aber sieht er das soudarion als Zeichen und findet dadurch zum Glauben an Jesu Auferstehung. Aus diesem Sehen entwickele sich, so Byrne, ein legitimer ,sign-faith‘, der in 20,30f. auf den Punkt gebracht werde: „This culminating statement reverts the language of ,signs‘. It speaks of the ,many other signs‘ which Jesus did in the presence of his disciples, ,which are not written in this book‘ and goes on to assert that ,these are written that you may believe that Jesus is the Christ, the Son of God and that believing you may have life in his name‘. That is, the testimony about Jesus provided for subsequent generations by this gospel is precisely a testimony about his signs and it is testimony designed to promote faith though the recounting of these signs – a true and genuine ,sign‘ faith. The gospel is written precisely so that the later generations who cannot have the unique privilege of seeing either the earthly or the risen Jesus can nonetheless join the pilgrimage of the first disciples – so that they can hear the opening invitation, ,Come and see‘ (1.39), so that they can ,see‘ the ,greater things‘ promised in 1.50 and, all in all, come to see in the total career of Jesus the glory of God whom no one has ever seen made visible in Jesus

stehender Zeuge bestätigt wird (21,20-24). Lee versteht Joh 20,8-10 als Prolepse des in Joh 21 Ausgeführten. 39 Vgl. RAMOS PÉREZ, Ver, 52-60. Der Aorist von πιστεύειν ist bei Johannes immer ingressiv zu verstehen (1,7; 2,11.23; 4,39.41.53; 5,44; 7,31.39.48; 8,30; 10,42; 11,45; 20,8.29). Mit Dativ Objekt (2,22; 4,50; 12,38), mit εἰς (12,42) oder mit anschließendem ὅτι (17,8) tritt dieser Aspekt zurück; ganz unterminologisch im Sinne von „sich überzeugen lassen“ ist das Verb mit περί τινος verwendet in 9,18. 40 In diesem Sinne nehmen verschiedene Studien zu Sehen und Glauben Joh 20,8 zum Ausgangspunkt (vgl. bes. CULLMANN, Εἶδεν; F. HAHN, Sehen und Glauben im Johannesevangelium, in: H. Baltensweiler/B. Reicke (Hgg.), Neues Testament und Geschichte. Historisches Geschehen und Deutung im Neuen Testament (FS O. Cullmann), Tübingen/Zürich 1972, 125-141). 41 S.M. SCHNEIDERS, The Face Veil. A Johannine Sign (John 20,1-10), BTB 13 (1983), 94-97; dies., Written that you may believe. Encountering Jesus in the Fourth Gospel, New York 22003, 207-210; dies., Touching the Risen, 164f.; BYRNE, Beloved Disciple, 90. Das Schweißtuch unterscheidet sich nach Schneiders insofern von den Zeichen des vorösterlichen Jesus, als das Wirken des Zeichens nicht gezeigt wird (Touching the Risen, 164). Schneiders sieht einen intertextuellen Bezug auf die Wegnahme des Tuches vom Angesicht des Mose, als dieser „von Angesicht zu Angesicht“ mit Gott redete (vgl. Ex 34,29-35).

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Christ (1.18).“42 Die besondere Bedeutung des soudarion ergibt sich für Byrne aus einem Vergleich mit der Auferweckung des Lazarus (sowie mit Joh 10,18).43 Kam Lazarus noch gebunden, völlig passiv, aus dem Grab, so hat Jesus die Fesseln des Todes selbst gelöst; das sauber gefaltete Schweißtuch zeigt Jesu Auferstehung als einen „totally self-possessed, majestic act“.44 Denn hätte man tatsächlich den Leichnam weggebracht, hätte man ihn wohl kaum zuvor ausgewickelt. Der Erkenntnis-Fortschritt gegenüber Marias Schluss in 20,2 („man hat den Leichnam Jesu aus dem Grab geholt“; vgl. 20,13) stellt sich gemäß dieser Position eben dadurch ein, dass die beiden Jünger, anders als Maria, ins Grab hineingehen und dort die zusammengefalteten Grabtücher sehen, während sie sich ihre Meinung nur aufgrund des Anblicks des geöffneten Grabes gebildet hatte (βλέπει τὸν λίθον ἠρµένον ἐκ τοῦ µνηµείου).

Jedenfalls wird man sagen können: Der geliebte Jünger sieht Belege für die Auferstehung Jesu, für die Wiedererrichtung des „Tempels seines Leibes“ in drei Tagen, die Jesus in 2,18-22 verrätselt angekündigt hatte, Belege damit auch für die endgültige Durchsetzung der Lebensmacht Gottes in der Welt. Er sieht damit, wie es von den Jüngern in 2,11 insgesamt heißt, die Offenbarung der Herrlichkeit Gottes und kommt so zum Glauben. Die Zeit nach der Auferstehung, von der in 2,22 die Rede war, sie ist nun eingetreten. 4.1.1.2 Sehen, Hören – und Berühren?: Die Wendung zum Bekenntnis bei Maria Magdalena (Joh 20,11-18) In der Folge schaut auch Maria Magdalena in das Grab hinein.45 Was sie sieht und hört, geht in zwei Stufen über das hinaus, was die beiden Jünger gesehen hatten.46 Als sie sich – noch in ihrer Trauer gefangen – wie der geliebte Jünger

42

BYRNE, Beloved Disciple, 90. Ebd., 87f. 44 Ebd., 88. 45 Zu Maria Magdalena und ihrem Weg über das Schauen zum Glauben vgl. C. HERGENRÖDER, Wir schauten seine Herrlichkeit. Das johanneische Sprechen vom Sehen im Horizont der Selbsterschließung Jesu und der Antwort des Menschen, FzB 80, Würzburg 1996, 458488; RAMOS PÉREZ, Ver, 500-508; S. RUSCHMANN, Maria von Magdala. Jüngerin – Zeugin – Lebensbotin, NTA NF 40, Münster 2002, sowie dies., Maria von Magdala. Jüngerin, Apostolin, Glaubensvorbild, Stuttgart 2003. Auch Maria wird verschiedentlich in einen negativen Kontrast zum geliebten Jünger gestellt. MINEAR, ‚We don’t know where‘, 129 sieht sie psychologisierend in obsessiver Trauer („obsessiveness of her grief“) gefangen. BULTMANN, Komm., 532f., spricht zwar von der „Torheit“, aber auch vom „Bann“ der Maria. 46 Vor 20,11 ist ein deutlicher Einschnitt wahrnehmbar, für den unterschiedliche literarkritische oder narratologische (LEE, Partnership, 39f.) Lösungsmodelle angeboten wurden. In 20,2 war Maria vom Grab weg zu den beiden Jüngern gelaufen. Nun steht sie unvermittelt wieder weinend neben dem Grab. Ähnliche Schwierigkeiten hatten bereits die VV. 9-10 bereitet. Unübersehbar hat hier der Prozess der Vereinigung unterschiedlicher Traditionen seine Spuren hinterlassen. 43

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ins Grab beugt47, sieht sie zunächst zwei Engel in weißen Gewändern im Grab sitzen, einen am Kopf- und einen am Fußende der Stelle, an der Jesus gelegen hatte (20,12). Durch ihre Augen sieht der Leser die Engel.48 Ob Maria selbst sie als Boten Gottes wahrzunehmen in der Lage ist, erfahren wir nicht; es legt sich aber durch ihre Antwort und die folgenden Reaktionen nicht nahe.49 Auf die Frage nämlich, warum sie weine, antwortet sie, man habe den Leichnam Jesu weggenommen und sie wisse nicht, wohin man ihn gelegt habe (20,13).50 Eine Antwort der Engel unterbleibt. Anstatt dessen wendet sich Maria Magdalena um: ταῦτα εἰποῦσα ἐστράφη εἰς ὀπίσω (20,14). Offenbar führt ihr visionäres Schauen und Hören51 zu einer Reorientierung, die in diesem Sich-Umwenden, das in der Erzählung zweimal erscheint (20,14.16), körperlich umgesetzt ist.52 D. Lee bietet eine faszinierende Interpretation des – für die narrative und theologische Struktur des Evangeliums zentralen – Motivs des Umwendens.53 Sie arbeitet fünf Dimensionen des

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παρέκυψεν; vgl. παρακύψας, 20,5. BARRETT, Komm., 540, nennt einige Belegstellen für die Bedeutung „von oben herabblicken“ (Ri 5,28; äthHen 9,1; POxy 475,23; CH I 14), was auf ein in die Erde gehauenes oder gegrabenes Grab deuten könnte. Die Verwendung des Verbs εἰσέρχοµαι legt indes, wie er selbst sagt, eher eine andere Deutung nahe. 48 SCHNEIDERS, Touching the Risen, 165, findet hier Anklänge an die Schilderung der Bundeslade in Ex 37,6-9 (38,5-8 LXX), an der an beiden Enden Engel aus getriebenem Gold angebracht sind. 49 Ob der Leser tatsächlich ihre Tränen als Grund für das Nicht-Sehen der Maria nehmen soll, wie von Lee vermutet wird (Partnership, 41), erscheint fraglich. Durch diesen naturalistischen Zug würde die vielfach formulierte anthropologische Einsicht konterkariert, dass wirkliches Sehen nur dem Glaubenden möglich ist, der seine Erfahrung mit der Lebenskraft des Auferstandenen gemacht hat. 50 Die Aussage nimmt 20,2 fast wörtlich, aber mit kleinen Änderungen, auf. Insbesondere formuliert sie nun im Singular οἶδα („Ich weiß nicht …“) anstatt des Plurals. Dies scheint mir ein Indiz dafür zu sein, dass der Plural in 20,2 Petrus und den geliebten Jünger – oder die anderen Jünger – mit einbezieht. 51 Eine vergleichbare Vision hatte bereits dem Täufer (1,32-34) Jesus als den Sohn Gottes enthüllt. MALINA/ROHRBAUGH, Komm., 282-285, deuten die Visionen des Auferstandenen im Rahmen eines „alternate state of conciousness“, wie er in den meisten Gesellschaften jenseits der nachaufklärerischen westlichen Welt selbstverständlich als Realität vorausgesetzt werde. Man wird zu dieser modernen Erklärung für Johannes allerdings gar nicht greifen müssen: Die Wahrnehmung eines Geschehnisses, das die Kategorien der Welt überschreitet, setzt notwendigerweise auch bei den Rezipienten die Fähigkeit zur Transzendierung voraus; dies ist der Ausgangspunkt der johanneischen Erzählweise. 52 D.A. LEE, Turning from Death to Life. A Biblical Reflection on Mary Magdalene (John 20:1-18), ER 50 (1998), 112-120; SCHNEIDERS, Written, 214.218; ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung, 279; A. MEYER, Kommt und seht. Mystagogie im Johannesevangelium ausgehend von Joh 1,35-51, FzB 103, Würzburg 2005, 159-162; HERGENRÖDER, Wir schauten, 476. 53 Zu dem Weg Richtung Glauben, den das vierte Evangelium schildere, gehören nach Lee auch „mistaken turnings“ (ebd., 114), wie die Erzählung von Maria Magdalena zeige. Es bedürfe immer neuer Bewegungen, um schließlich zum Glauben an die Auferstehung und das

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Motivs heraus: 1. Hinwendung zu Leiden und Tod (Maria Magdalena wendet sich der Realität des Grabes zu); 2. Hinwendung zu dem Lebendigen (zugleich Ausdruck einer innerlichen Wendung/Metamorphose); 3. Gottes Hinwendung zur Welt (in der Inkarnation54); 4. die Hinwendung innerhalb Gottes (sichtbar in der Präposition πρός in Joh 1,1f.); 5. die Hinwendung zur Gemeinschaft (durch das Zeugnis „Ich habe den Herrn gesehen“).

Nun sieht Maria Magdalena – als zweite Stufe – Jesus selbst da stehen. Auch ihn erkennt sie zunächst nicht. Jesus wiederholt die Frage der Engel („Warum weinst du?“) und fügt hinzu: „Wen suchst du?“ (20,15). Man würde die Frage „Warum weinst du?“ im Bereich von Gräbern wohl kaum stellen. Im Erzählkontext eignet ihr deshalb ein ironischer Touch: Ihren Sinn erhält sie nur vor dem Hintergrund, dass sich Jesus bereits als die Auferstehung und das Leben erwiesen hatte. Insofern wird – noch deutlicher durch den Zusatz „Wen suchst du?“ – die Frage der Engel aus Lk 24,5 reformuliert: „Warum sucht ihr den Lebenden bei den Toten?“

Maria Magdalena erkennt Jesus nicht und hört nicht den Unterton seiner Frage. Vielmehr hält sie Jesus für den Gärtner, vermutet, er könnte den Leichnam genommen haben, und kündigt an, sie wolle diesen holen. Die Vision der Engel hat Maria also offenbar noch nicht dazu geführt, mit der Möglichkeit von Ostern zu rechnen. Vielmehr setzt sich die johanneische Ironie fort. Ohne sich der tieferen Bedeutung bewusst zu sein, redet Maria Jesus als κύριος an: „Herr, wenn du ihn genommen hast, sag mir, wo du ihn hingelegt hast, und ich will ihn holen!“ (20,15).55 Mit der Frage „Wo ist er?“ ist sie nun zwar auf der richtigen Spur, aber ihre Augen sind ebenso gehalten wie die des Philippus, der den vor ihm stehenden Jesus bei seiner Suche nach Gott, dem Vater, gebeten hatte: „Zeige uns den Vater!“ (14,8). Erst als Jesus sie bei ihrem Namen nennt, wendet sie sich erneut um; nun erkennt sie den Gesuchten (20,16). Jesu Ruf erinnert an denjenigen des Hirten, der seine Schafe beim Namen ruft (φωνεῖ κατ’ ὄνοµα; 10,3), worauf sie ihm

Leben zu finden. Gegen eine „symbolische“ Bedeutung MOLONEY, Komm., 528, unter Verweis auf BERNARD, Komm. II, 665. 54 Diese der Glaubensbewegung der Menschen vorausgehende Aktivität Gottes ist im vorliegenden Zusammenhang von besonderer Bedeutung: Durch die Inkarnation tritt Gott den Menschen körperlich entgegen, entsprechend ihrer eigenen Existenz: „The incarnation in John’s gospel is the place to which the needle-point of the compass always turns, the centre and living heart of faith“ (ebd., 115; Lee verweist an dieser Stelle sogar auf Gen 2,23). Mit der Inkarnation zieht Gott, so könnte man den Gedanken fortführen, die Aufmerksamkeit der Menschen gewissermaßen auf sich selbst hin (vgl. 6,44: „Keiner kann zu mir kommen, wenn ihn nicht der Vater, der mich gesandt hat, zieht“). 55 Vgl. 20,13: „Sie haben meinen Herrn (τὸν κύριόν µου) weggetragen“, sowie das Bekenntnis des Thomas: ὁ κύριός µου καὶ ὁ θεός µου (20,28). Vgl. SCHNEIDERS, Written, 217; THYEN, Komm., 760. Thyen spricht von einem „produktiven Mißverständnis“, da Jesus als der Herr des κῆπος zugleich tatsächlich derjenige sei, der den Toten weggeschafft habe.

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Folge leisten.56 Als Echo des Gottesrufes in Jes 43,1 handelt es sich um einen Ruf vom Tod ins Leben. Wie zuvor den Lazarus, so ruft Jesus nun Maria aus dem Grab. War Lazarus in seinem eigenen Tod gefangen, so Maria im Grab Jesu, das den Blick auf die Auferstehungsbotschaft verstellte. Damit ist die Suche endlich beendet; Maria hat Jesus erkannt und dies durch die Anrede „Rabbuni“ dokumentiert. Das Rätsel um das leere Grab, das die erste Hälfte des Kapitels bestimmt hat, scheint gelöst. Umso überraschender und erstaunlicher nimmt sich die anschließende Reaktion Jesu aus: µή µου ἅπτου (20,17).57 Maria wird explizit verwehrt, den Auferstandenen zu berühren. Und dies, obwohl sie – anders als später Thomas – gar nicht darum gebeten hatte. Man kann allenfalls dem erneuten στραφεῖσα in V. 16 eine Bewegung auf Jesus zu entnehmen.58 Die Bedeutung dieser Abwehr Jesu wird unten im semantischen Teil noch genauer zu beleuchten sein.59 Offenbar ist noch nicht der gesamte Weg zum vollkommenen Osterglauben zurückgelegt. Indem Maria nämlich Jesus mit „Rabbuni“ anredet, ist sie deutlich von dem Bekenntnis entfernt, das Thomas in 20,28 formulieren wird60: Maria geht noch davon aus, dass Jesus aus dem Tod ins irdische Leben zurückgekehrt ist61 bzw. versucht, die Beziehung zurück zu gewinnen, wie sie damals war.62 In diesem Sinne ist die folgende Begründung Jesu für das 56 Vgl. HERGENRÖDER, Wir schauten, 476f.; J. KREMER, Die Osterevangelien. Geschichten um Geschichte, Stuttgart 21981, 182; BULTMANN, Komm., 532. Enthält auch bei der Begegnung Johannes’ des Täufers mit Jesus ein zum Sehen hinzutretendes Hören den hermeneutischen Schlüssel, so liegt doch ein gravierender Unterschied in der Art der Wahrheitserschließung: Während die Audition dem Täufer einen Inhalt, ein vorgängiges Interpretationswissen vermittelt, ruft die Stimme Jesu Maria Magdalena mit ihrem Namen zurück in die Beziehung. 57 Vgl. LEE, Partnership, 42; H.W. ATTRIDGE, Don’t Be Touching Me. Recent Feminist Scholarship on Mary Magdalene, in: A.-J. Levine (Hg.), A Feminist Companion to John, Bd. 2, Feminist Companion to the New Testament and Early Christian Writings Series 5, London 2003, 140-166, hier 140. 58 Wie in V. 14 drückt sich in dem Verb aber eher die stufenweise Umwendung und Hinwendung zur Einsicht in die Auferstehungsrealität aus. 59 Vgl. u. 317-329. 60 Vgl. BULTMANN, Komm., 532. 61 Maria Magdalena hat noch nicht verstanden, dass sie ihre Beziehung zu dem Auferstandenen neu herstellen muss; vgl. SCHNEIDERS, Written, 219: „The time for that kind of relationship is over.“ 62 Die dreimalige Frage nach dem Verbleib des Leichnams Jesu und auch die Begründung hierfür in 20,15: „Ich will ihn nehmen“, zeigt, wie sehr die Magdalenerin noch an der leiblich-irdischen Existenz Jesu hängt und noch nicht bereit ist, den Überschritt zum Osterglauben zu machen. Sie will Jesus tatsächlich „in die Arme nehmen“, nachdem sie ihn endlich wiedergefunden hat. Entsprechend könnte auch ihre Anrede „Rabbuni“ zu erkennen geben, dass Maria Magdalena „sowohl durch die Anrede Jesu als Lehrer als auch den physischen Kontakt versucht […], die Vergangenheit wiederzugewinnen“. Instruktiv ist zum

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Berührungsverbot zumeist verstanden worden: „Ich bin noch nicht zum Vater aufgestiegen.“ Jesus befindet sich in einer Zwischenzeit zwischen irdischunmittelbarer körperlicher Wahrnehmbarkeit und vermittelter Wahrnehmbarkeit im Zeugnis des Evangeliums und im Geist der Wahrheit. Man kann dies aber auch stärker auf die Ebene der Rezeption wenden: Hier wird eine Etappe auf dem Weg zum wahren Osterglauben in die geschichtliche Begegnung mit dem Auferstandenen eingezeichnet. Die Zwischenzeit wäre dann weniger auf die Existenzform Jesu als vielmehr auf den Glaubens- und Erkenntnisstatus der Jünger zu beziehen.63 Maria bekommt mehr zu sehen und zu hören als die beiden Jünger: Sie sieht Jesus, ihren Herrn, wird von ihm mit ihrem Namen angesprochen und erhält zudem den Auftrag zur Verkündigung gegenüber „den Brüdern“ mit der an die Abschiedsreden anknüpfenden zentralen Botschaft: „Ich gehe hinauf zu meinem Vater und eurem Vater und meinem Gott und eurem Gott“ (20,17).64 Mit diesem Auftrag macht sich Maria auf den Weg und bekennt (obwohl von einem Sehen ebenso wenig die Rede ist wie von einer Berührung): „Ich habe den Herrn gesehen!“ (20,18). So wird sie zur ersten Osterzeugin. Diese Aussage nämlich bildet den Kern des Osterzeugnisses.65 Versteht man dieses Vergleich die Erzählung von der überraschenden Rückkehr des schon totgeglaubten Alexander (Arr. Anab. VI 13,3). Dort versuchen die Soldaten, die Hände, Beine und Kleider des überraschend Wiedergekehrten zu berühren. Die Geschichte zeigt, dass es sich um eine ganz natürliche Reaktion der Maria handelt (vgl. BARRETT, Komm., 542). 63 Vgl. SCHNEIDERS, Written, 220.: „It is virtually impossible, theologically, to understand Jesus in this scene as being somewhere in between (whether ontologically, spatially, or temporally) his resurrection and his ascension.“ Schneiders zufolge wird Maria hier umorientiert hin zur neuen Gegenwart Jesu in der Gemeinde. So führt die Aussage unmittelbar auf das Verkündigungsgebot. 64 Für eine ausführliche Diskussion dieses Verses, in dem die Einsetzung der Jünger zu Brüdern Jesu Christi und damit zu Kindern des lebendigen Gottes stattfindet, der nun auch ihr Gott und Vater ist, vgl. F. BACK, Gott als Vater der Jünger im Johannesevangelium, WUNT II/336, Tübingen 2012. BARRETT, Komm., 542, will das mit πορεύου δέ beginnende Sätzchen im Anschluss an Lagrange (M.-J. LAGRANGE, Évangile selon Saint Jean, Paris 1948, 512) als eine Art Parenthese verstehen und das ἀναβαίνω unmittelbar an das ἀναβέβηκα angeschlossen sehen: „es trifft zu, dass ich noch nicht zum Vater hinaufgestiegen bin, aber ich bin gerade dabei […]; das ist es, was du meinen Brüdern sagen sollst.“ Diese Lösung aber geht gegen den Sprachduktus des Textes – und ist deshalb bei der Wiedergabe zu einer Umstellung gezwungen, die gerade nicht im Text steht. Wichtig hingegen erscheint der Hinweis, dass ἀναβαίνω nicht futurisch, sondern präsentisch zu fassen ist (vgl. SCHNACKENBURG, Komm. III, 377). 65 Neben dem fast wörtlich übereinstimmenden Osterzeugnis in 1Kor 9,1 (τὸν κύριον ἡµῶν ἑόρακα) vgl. bes. 1Kor 15,5-8 und 1Joh 1,1-3. Johannes macht damit, anders als Paulus, der in 1Kor 15,5-8 zunächst Petrus benennt, eine Frau zur ersten Osterzeugin, während Petrus in Joh 20,8, so er in den Glauben des geliebten Jüngers mit einzubeziehen ist, schweigt (vgl. THYEN, Komm., 761f.; LEE, Partnership, 46f.).

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Zeugnis in letzter theologischer Konsequenz, die später bei Thomas ausformuliert werden wird, dann wird mit diesem Bekenntnis eingelöst, was in 1,18 (vgl. 1,51; 14,7b) versprochen worden war: die Schau jenes Gottes, den niemand je gesehen hat. Dies übersteigt die Erfahrung der beiden Jünger zuvor. Sie hatten lediglich das leere Grab mit den Grabbinden gesehen – genug offenbar für ihren individuellen Glauben, aber nicht genug für das Osterzeugnis. Allerdings scheint auch das Osterzeugnis der Maria Magdalena auf der Erzählebene zunächst folgenlos zu bleiben. Immer wieder wird darauf hingewiesen, dass die verschiedenen Bekenntnisse in Joh 20 ins Leere gehen oder als Ausdruck nur individuellen Glaubens nicht zum glaubenstiftenden Zeugnis vordringen. Der Glaube des geliebten Jüngers (20,8) bleibt ebenso ohne Effekt wie das Bekenntnis der Maria Magdalena. Die Jünger schließen sich voller Furcht weiterhin ein. Auch ihr Bekenntnis gegenüber Thomas schafft keinen Glauben.

4.1.1.3 Den Auferstandenen Sehen: Die Jünger (Joh 20,19-23) In der nächsten Szene finden wir die Jünger hinter verriegelten Türen versammelt – aus Angst vor „den Juden“, wie es heißt. Nun zeigt sich Jesus den Jüngern insgesamt (20,19-23). Genauer, er tritt durch die verschlossenen Türen, grüßt die Jünger mit dem Friedensgruß, zeigt seine Wundmale und identifiziert sich auf diese Weise (20,20). Sie erkennen ihn sofort, als sie ihn sehen, wie an ihrer Freude abzulesen ist. Sie erkennen ihn also, dies ist wichtig, noch bevor Jesus sie mit dem Heiligen Geist anbläst. Dies setzt wiederum das Zeugnis gegenüber ihrem Mitjünger Thomas aus sich heraus, der an jenem Abend nicht anwesend war: „Wir haben den Herrn gesehen“ (20,25). Bezeugt wird hier nicht primär das Dass der Auferstehung oder antidoketisch die physische Realität des Auferstandenen, sondern vielmehr die Identität des Auferstandenen mit dem Irdischen als dem am Kreuz Gestorbenen.66 Mit den Wundmalen, einem Zug, den der vierte Evangelist in dieser Deutlichkeit in die Erscheinungsberichte einbringt, erweist sich diese Identität und damit die bleibende Bedeutung jenes Ereignisses, in das bereits Paulus das Leben Jesu verdichtet hatte.67 Auch mit den Jüngern spricht Jesus wie mit Maria, auch sie beauftragt er. Das Anblasen mit dem Heiligen Geist (ἐνεφύσησεν) in 20,22 bedeutet eine weitere Stufe, wenn auch nicht der körperlichen Wahrnehmung, so doch des

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Literatur bei GRUBER, Berührendes Sehen, 64 Anm. 13; J. FREY, Die „theologia crucifixi“ des Johannesevangeliums, in: ders., Die Herrlichkeit des Gekreuzigten, WUNT 307, Tübingen 2013, 485-554 [= in: A. Dettwiler/J. Zumstein (Hgg.), Kreuzestheologie im Neuen Testament, WUNT 151, Tübingen 2002, 169-237], hier 485-487, Anm. 2. 67 1Kor 2,2.

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körperlichen Kontakts.68 Zugleich mit der Sendung und dem Auftrag (insbesondere zur Sündenvergebung), mit denen sie den Platz Jesu einnehmen, erhalten die Jünger die Befähigung körperlich vermittelt. Der Geist, den sie erhalten, ist also weniger ein Geist des Lebens, als vielmehr ein Geist der Ermächtigung, der sich in erst noch zu klärender Weise mit Erkenntnis und Leben verbindet. Der Akt erinnert durchaus an Gen 2,7 – besonders deutlich über das Verbum ἐνεφύσησεν – das in der christlichen Literatur fast durchgängig auf diese Stelle

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J.R. LEVISON, Filled with the Spirit, Grand Rapids/Cambridge 2009, 369, denkt sogar an einen Kuss, der den ersten „kiss of life“ nachahmt, den Gott dem Adam zuteilwerden ließ (ebd., 151), und dabei zugleich den Geist von einem zum anderen übergehen lässt. Mit anderen (Buch-Hansen, Engberg-Pedersen) sieht er hier eine „Inspiration“ mit einem geradezu physischen πνεῦµα, die dazu führt, nach stoischen Elementen in der Pneumatologie des Johannesevangeliums zu fragen. G. BUCH-HANSEN, „It is the Spirit that Gives Life“. A Stoic Understanding of Pneuma in John’s Gospel, Berlin u.a. 2010, eine Schülerin von T. EngbergPedersen, die dessen Idee einer intensiven stoischen Beeinflussung des Neuen Testaments auf das Johannesevangelium angewendet hat, findet dort eine „meta-story of pneumatic transformation“ (viii.1.2.6.7 u.ö), derzufolge das göttliche πνεῦµα als „the intentional agent and protagonist of the story“ (1) anzusehen ist, der Jesus und die Jünger (physisch) verwandelt und zum Leben bringt. Mir bleibt bei solchen Überlegungen allerdings fraglich, wie sich die Vorstellung eines prinzipiellen Gegenübers von Gott und Welt, Sein und Werden, Transzendenz und Immanenz, wie es die zeitgenössische religiöse Philosophie (meist platonischer Prägung) voraussetzte und mir auch für die ontologischen, theologischen und kosmologischen Anschauungen des vierten Evangeliums grundlegend zu sein scheint, mit stoischen Immanentismus und Monismus vereinbaren lässt. Immerhin zeigt das Zeugnis des zeitgleich schreibenden platonischen Philosophen Plutarch, dass man als Platoniker gerade in der mangelnden Unterscheidung von Gott und Welt das theologische und damit auch philosophische Grundproblem der Stoa erkennen konnte (vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, The Dividing Line. Theological/Religious Arguments in Plutarch’s Anti-Stoic Polemics, in: J. Opsomer u.a. [Hgg.], A Versatile Gentleman. Consistency in Plutarch’s Writings [FS L. Van der Stockt], Plutarchea Hypomnemata, Leuven 2016, 17-36). DODD hielt die Geistkonzeption hier für so unterschiedlich von derjenigen der Abschiedsreden, dass er eine eigene Tradition hinter der Geschichte vom Einblasen des Geistes vermutet (Interpretation, 429f.; Historical Tradition, 144). Zudem will es mir nicht einleuchten, die Funktion des Geistes in dieser Weise gegen die Zentralstellung Jesu in der Erzählung des vierten Evangeliums auszuspielen, und die „meta-story“, so sie richtig gesehen wäre, zum Kern der Erzählung machen wollen. Zieht man nur die Rolle des Geistes im lukanischen Doppelwerk zum Vergleich heran, so wird dessen ungleich zentralere literarische Rolle bei Lukas unmittelbar augenfällig. Sowohl im Blick auf die Taufszene als auch im Blick auf die Übergabe des Geistes an die Jünger in Joh 20,22f. legen m.E. die Kontextsignale ein anderes Verständnis der Rolle des πνεῦµα nahe (zum Kurzschluss, vom Stichwort πνεῦµα auf eine stoische Position schließen zu wollen, vgl. H. GUNKEL/R. HIRSCH-LUIPOLD/J.R. LEVISON, Plutarch and Pentecost. An Exploration in Interdisciplinary Collaboration, in: J. Frey/J.R. Levison (eds.), The Holy Spirit, Inspiration, and the Cultures of Antiquity. Multidisciplinary Perspectives, Ekstasis 5. Religious Experience from Antiquity to the Middle Ages, Berlin 2014, 63-94, bes. 81f.).

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bezogen verwendet ist.69 Von dorther her betrachtet erweist sich das Anblasen als Akt der Neuschöpfung. Wie Gott dem Adam am Anfang den Lebensodem eingeblasen hatte, so erhalten die Jünger nun das πνεῦµα ἅγιον als neuen Lebensodem, der ewiges Leben schafft (wie das lebendige Wasser und das Brot des Lebens) – in den Jüngern selbst, insbesondere aber in allen, die durch ihr Zeugnis neu geschaffen werden. Der Vater Jesu erweist sich nun als der Vater aller Christen (vgl. 20,17).70 Gleichzeitig ist damit erneut die Wirkeinheit von Vater und Sohn aufgegriffen: Der uranfängliche Logos, das Schöpferwort des Vaters, mit dem Gott die Welt geschaffen und dem Menschen Leben eingeblasen hat, dieser Logos, in dem das Leben von Anfang an war (1,4) und bis heute ist, ist Jesus Christus, das lebenspendende Wasser und das Brot des Lebens. Durch die Offenbarung in der Welt und durch die Gabe des Geistes, des Parakleten, die mit dem Verstehen auch das Bezeugen möglich macht, kann dieses Leben auf die Glaubenden übergehen, die durch die Begegnung und den daraus resultierenden Glauben als Kinder Gottes neu geboren und damit zu Erben der Verheißung werden (1,12f.). Jesus hat damit einen weiteren Schritt in die Richtung der Existenz des Vaters als des Schöpfers und Erhalters vollzogen.71 4.1.2 Sehen und Berühren: Thomas (Joh 20,24-29) Thomas – einer der Zwölf mit dem Beinamen „der Zwilling“, wie erklärend hinzugefügt ist72 – will nicht nur das Zeugnis der Jünger hören: Er will – wie sie – selbst sehen, um zu glauben. Aber Thomas fordert noch mehr: „Wenn ich 69 ἐµφυσάω ist hapax legomenon innerhalb des Neuen Testaments. Im Alten Testament erscheint es Sap 15,11; Ez 37,9; 1Kön 17,21, jeweils mit deutlichem Bezug auf Gen 2,7, ebenso Philon De opif. 135. Bei Ezechiel wird die Neuschöpfung in der Verheißung mit dem Gedanken der Einwohnung verbunden: „Und ich will mit ihnen einen Friedensbund schließen; es wird ein ewiger Bund mit ihnen sein. Und mein Heiligtum werde ich für immer in ihre Mitte stellen. Und meine Wohnstätte (κατασκήνωσις) wird bei ihnen sein. Und ich werde ihr Gott sein, und sie werden mein Volk sein“ (Ez 37,26f.). Joh 20,22 lässt sich als Kommentar zu Ez 37 lesen: wie der Prophet das Volk Israel von den Toten erweckt und neu konstituiert, so schafft Jesus ein neues Israel, indem er seinen Jüngern den Geist des Neuen Bundes einbläst. Wie in Joh 2 versprochen, ist der Tempel nun wieder aufgebaut, der Bund erneuert, die Gemeinschaft auferweckt und Gott innerhalb der Gemeinschaft gegenwärtig und sichtbar (vgl. SCHNEIDERS, Touching the Risen, 167). 70 Vgl. BACK, Gott als Vater, 221f. 71 Das Anblasen, so wird sich zeigen, und die darin sich körperlich vermittelnde Einsicht, dass Christus in Einheit mit dem väterlichen Schöpfer handelt, muss bei Thomas nicht eigens wiederholt werden. Der Erkenntnisfortschritt wird nicht historisierend auf der Ebene der ersten Zeugen erzielt, sondern auf der Ebene des Lesers. 72 Die Erklärung kommt hier für den Leser überraschend, da ihm Thomas aus 11,6; 14,5 bereits bekannt ist. Mit den sich daran knüpfenden literarkritischen Lösungsmodellen müssen wir uns im Rahmen dieser literarischen Untersuchung nicht auseinandersetzen.

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nicht das Nägelmal in seinen Händen sehe und meinen Finger in das Nägelmal lege und meine Hand in seine Seite, dann kann ich es nicht glauben“ (20,25). Dabei geht er auch in der Formulierung noch über 20,20 hinaus: waren die Wundmale dort in der auktorialen Beschreibung impliziert73, so werden sie von Thomas durch das Folterwerkzeug konkretisiert: Er spricht zweimal explizit von den Nägelmalen, die er nicht nur sehen, sondern auch betasten möchte. Bei der Begegnung mit dem Auferstandenen wird also die Körperlichkeit – als unmittelbarer Grund des Glaubens – noch einmal in den Vordergrund gerückt. Thomas steht betont am Anfang des Satzes und der Perikope und wird so gleichsam ins Rampenlicht gestellt (20,24).74 Zugleich wird das Problem geschildert, mit dem sich diese letzte Perikope vor dem ersten Buchschluss auseinandersetzt: das Problem des Zu-spät-Kommens, das eine unmittelbare Begegnung mit dem Auferstandenen nicht mehr zulässt. Thomas war bei der Erscheinung Jesu vor den Zwölfen nicht anwesend gewesen.75 So ist er der Erste, der die Botschaft der Jünger zu hören bekommt, die Maria schon zuvor in 20,18 den Jüngern verkündigt hatte: „Wir haben den Herrn gesehen“ (20,25a). Gegenstand dieser Botschaft, die Glauben wecken soll, ist die körperliche Wahrnehmung des Auferstandenen. Aber lässt sich, wenn der Glaube auf der körperlichen Begegnung mit einer historischen Figur beruht, solcher Glaube über das Zeugnis vermitteln? Dies ist das im Folgenden verhandelte Problem, und es dürfte auch das Problem sein, mit dem sich der Evangelist in seiner Gemeinde konfrontiert sah. Thomas jedenfalls will diese Erfahrung selbst machen können, um zum Glauben an die Auferstehung Jesu und damit an dessen die Welt transzendierende Lebensmacht zu finden. Dies ist von der Logik der Erzählung her überaus verständlich: Alle anderen, einschließlich Maria, wurden ebenfalls durch Sinneswahrnehmungen zur Einsicht in die Auf73 In Joh 20,20 werden weder Male an den Füßen noch Nägel als Grund der Male explizit erwähnt. In der Formulierung dieses Verses könnte sich durchaus noch eine ältere Tradition spiegeln, die von einem Anbinden des Delinquenten an den Kreuzesbalken ausgeht (vgl. BARRETT, Komm., 545). 74 Ähnlich nur bei Jesus (11,38; 12,44; [8,1]) und Maria Magdalena (20,11). Zur Rolle des Thomas vgl. z.B. P. DSCHULNIGG, Jesus begegnen. Personen und ihre Bedeutung im Jo-hannesevangelium, Theologie 30, Münster 22002, 220-236; G. BUCH-HANSEN, „It is the Spirit that Gives Life“. A Stoic Understanding of Pneuma in John’s Gospel, Berlin/New York 2010, 408-415. J. HARTENSTEIN, Charakterisierung im Dialog. Die Darstellung von Maria Magdalena, Petrus, Thomas und der Mutter Jesu im Kontext anderer frühchristlicher Traditionen, NTOA/StUNT 64, Fribourg/Göttingen 2007, widmet der Figur des Thomas ein ausführliches Kapitel (212-268), in dem sie die Thomastradition außerhalb des Neuen Testaments, insbesondere im Thomasevangelium, heranzieht. 75 Wiederum überrascht diese Information etwas, denn es fehlt bei der ersten Jüngerszene jegliche Andeutung, dass die Jüngerrunde nicht vollständig anwesend war. Jedenfalls betont der Evangelist, Thomas sei εἷς ἐκ τῶν δώδεκα. Wie ist das zu verstehen? Soll Thomas hier als Antitypos zu Judas konstruiert werden?

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erstehungsbotschaft und zum Glauben an den Auferstandenen geführt76, wobei interessanterweise weder die Worte Jesu im Sinne seiner Selbstverkündigung, wie sie insbesondere in den Abschiedsreden in den Vordergrund tritt, eine Rolle spielen, noch seine vollmächtigen Taten, über die er im Rahmen der Erzählung immer wieder Glauben an sich selbst – und zwar an sich als die Auferstehung und das Leben (11,25) – eingefordert hatte. Dies kann als Hinweis darauf gewertet werden, dass bereits die Zeichen und Worte des Irdischen primär nicht innerhalb einer konsekutiven Erzähllogik der Geschichte, sondern in ihrer Funktion für den Leser verstanden werden wollen. Die Forderung des Thomas wird also keineswegs als Ausdruck notorischen Zweifels präsentiert. Sein Ansinnen wird insbesondere dann in seiner rhetorischen Funktion im Rahmen der Erzählstrategie des Vierten Evangelisten verständlich, wenn man es als das Ansinnen aller Zu-spät-Gekommenen begreift. Indes geht Thomas noch über das hinaus, was den übrigen Jüngern widerfahren war: „Wenn ich nicht das Nägelmal in seinen Händen sehe und meinen Finger in das Nägelmal lege und meine Hand in seine Seite, dann kann ich nicht glauben“ (20,25b).77 Dabei ist im Duktus der Erzählung auffällig, dass Thomas sich nicht auf die Zusammenfassung des Erlebnisses durch die Jünger bezieht („wir haben den Herrn gesehen“ – ohne Hinweis auf die Wundmale), sondern darauf, wie sich Jesus den Jüngern in 20,20 gezeigt hatte: Jesus nämlich hatte den Jüngern seine Hände und seine Seite gezeigt, was die Erzählfigur Thomas freilich gar nicht wissen konnte.78 Von den Wundmalen erzählt nur das Johannesevangelium explizit und schafft damit ein weiteres Element „schockierender“ Konkretheit, einen weiteren Tabubruch.

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Vgl. BARRETT, Komm., 549. Eine gewisse Ausnahme von der Regel, dass innerhalb der Auferstehungsgeschichte niemand ohne Schau des Auferstandenen zum Glauben kommt, stellt lediglich der geliebte Jünger dar, der zunächst ohne eine Erscheinung des Auferstandenen allein durch das Sehen des leeren Grabes und der Grabbinden zum Osterglauben zu finden scheint (20,8). Zur Diskussion um diese Stelle vgl. o. 285-289. 77 Einmal mehr steht ein Verb absolut ohne Objekt: Es geht nicht nur um einen historischen Gegenstand (wie etwa die körperliche Existenz des auferstandenen Jesus), sondern viel breiter um den Weg zum lebenstiftenden Glauben an den Auferstandenen und an den in ihm gegenwärtigen Gott als Stifter allen Lebens. 78 GRUBER, Berührendes Sehen, 63, meint: „Thomas scheint sich […] nicht für den Auferstandenen zu interessieren, den die übrigen ,gesehen‘ haben (Joh 20,25), was er berührend sehen will, sind die Male der Nägel und die Seite des Gekreuzigten.“ Der Rückblick auf 20,20 macht aber deutlich, dass es Thomas nicht um einen anderen Gegenstand zu tun ist. Es geht deutlich um eine Wiederholung, um ein Sehen mit eigenen Augen, und zugleich um eine Steigerung in der Konkretheit. Freilich lässt sich die Beziehung zwischen den Jüngeroffenbarungen auch umgekehrt bestimmen: Da das Vorzeigen der Male in 20,20 unmotiviert auftaucht, muss es von 20,24-29 her eingetragen worden sein, wo es die conditio sine qua non des Glaubens bei Thomas ist (so WELLHAUSEN, Komm., 94).

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Was nun folgt, ist für den „pädagogischen“, glaubenstiftenden Umgang des Evangeliums mit körperlich-sinnlichen Wahrnehmungen von fundamentaler Bedeutung: Jesus kehrt eigens wegen Thomas zurück. Wie auch immer die Genese der Doppelung der Jüngererscheinung textgeschichtlich beurteilt wird – literarisch gesehen ergibt sich diese Wirkung durch die vorliegende Doppelung.79 Nach acht Tagen also, am Herrentag80, kehrt Jesus zurück. Diesmal ist auch Thomas bei den versammelten Jüngern. Jesus tritt wie beim ersten Mal durch die verschlossene Tür, stellt sich in die Mitte und spricht zunächst – ganz parallel zu 20,21 – die Jünger insgesamt an: „Friede sei mit euch“ (20,26). Nach dem Friedensgruß wendet Jesus sich speziell dem Thomas zu: „Strecke deinen Finger hierher und sieh meine Hände und strecke deine Hand aus und lege sie in meine Seite, und erweise dich nicht als ungläubig, sondern gläubig“ (20,27). Jesus entspricht dem Wunsch des Thomas.81 Er soll die Wundmale nicht nur sehen, sondern auch berühren. Und Jesus gewährt dies nicht nur, sondern fordert Thomas im Imperativ dazu auf: φέρε, ἴδε, βάλε!82 Jesu 79 Die Jesuserscheinungen innerhalb der beiden Jüngererzählungen sind parallel erzählt (20,19f.26-28). Der Rückbezug wird durch πάλιν (26) festgeschrieben. Mit µετά („nach“) knüpft der Vers unmittelbar 20,19 an: „Nach acht Tagen“ bedeutet, dass es sich um denselben Wochentag handelt. Die äußeren Umstände werden durch den wörtlich aufgenommenen Genitivus absolutus bezeichnet (τῶν θυρῶν κεκλεισµένων; 20,19.26). Handlungsfiguren sind die Jünger und Jesus. Freilich hatte – so erfahren wir in 20,24f. in einer Art Interludium – einer der Jünger, Thomas, bei der ersten Erscheinung gefehlt. Seine Anwesenheit wird deshalb in V. 26 unterstrichen. Jesu Auftritt durch die geschlossene Tür und Friedensgruß sind wiederum ganz parallel erzählt (V. 19: ἦλθεν ὁ Ἰησοῦς καὶ ἔστη εἰς τὸ µέσον καὶ λέγει αὐτοῖς, Εἰρήνη ὑµῖν; V. 26: ἔρχεται ὁ Ἰησοῦς …, καὶ ἔστη εἰς τὸ µέσον καὶ εἶπεν, Εἰρήνη ὑµῖν; auffälligerweise ist aber in V.26 das Präsens ἔρχεται verwendet anstelle des Aorists ἦλθεν in V.19, aber umgekehrt der Aorist εἶπεν anstelle des Präsens λέγει in V.19; zudem ist der Genitivus absolutus τῶν θυρῶν κεκλεισµένων aus V.19a eingefügt). Dann aber redet Jesus weiter (εἶτα λέγει; 27), während er zuvor lediglich seine Wundmale gezeigt hatte (20). Aus der Parallelität heraus fallen die Sendung und Bevollmächtigung der Jünger (21-23). 80 Vgl. Offb 1,10. Nach Ign. Ad Magn. 9,1; Barn. 15,9 empfing der Tag seinen Namen von der Auferstehung des Herrn her. Indem der Evangelist die Episode und das Bekenntnis des Thomas jenseits des Ostergeschehens, aber in klarem Bezug zu ihm, spielen lässt, markiert er den Übergang zum liturgischen Leben der Gemeinde: „Thomas’s confession of faith is a narrative bridge between Easter Sunday and the life of the believing community“ (LEE, Partnership, 48; vgl. SCHNACKENBURG, Komm. III, 394; LINDARS, Komm., 608f.). 81 Vgl. FREY, „Ich habe den Herrn gesehen“, 281: „Sein Begehren zu sehen und zu betasten hatte Thomas ja nur gegenüber den Mitjüngern geäußert. Doch Jesus kommt ihm entgegen, er weiß auf wundersame Weise um seine Zweifel, akzeptiert sein Verlangen nach Autopsie und geht präzise darauf ein …“ 82 Vgl. dazu D.F. GNIESMER, „Kommt und Seht!“ Hermeneutische Erwägungen zur johanneischen Sehweise, in: U. Schoenborn/S. Pfürtner, Der bezwingende Vorsprung des Guten. Exegetische und theologische Werkstattberichte (FS W. Harnisch), Münster/Hamburg 1994,

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

Intention dabei ist deutlich: Er will auch den letzten Jünger noch zum Glauben führen, wie der Hirte, der auch das letzte Schaf noch einzusammeln versucht: µὴ γίνου ἄπιστος ἀλλὰ πιστός.83 Es handelt sich um eine bemerkenswerte Formulierung. Nachdem es vorher mehrfach geheißen hatte: „Niemand legte Hand an ihn“ (οὐδεὶς ἐπέβαλεν ἐπ’ αὐτὸν τὴν χεῖρα; 7,30; vgl. 7,44) und dies damit begründet worden war, dass „seine Stunde (d.h., die Stunde seiner Verherrlichung) noch nicht gekommen“ war (7,30), und nachdem in 20,17 der Maria Magdalena eine Berührung noch explizit verwehrt worden war, folgt diese Aufforderung an Thomas, Hand an ihn zu legen. Eine der viel verhandelten Fragen des Textes entzündet sich am Skandalon einer Berührung des Auferstandenen: Hat Thomas tatsächlich seinen Finger in die Wundmale gelegt84, oder genügte ihm Jesu Erlaubnis und die Anrede dazu, um zum Glauben vorzudringen?85 Da die Geschichte hier eine Leerstelle lässt – 126-155, hier 127. Damit geht Jesus auch über die Aufforderung „Kommt und seht!“ (1,39) an die ersten Jünger hinaus; vgl. J. KREMER, „Nimm deine Hand und lege sie in meine Seite!“ Exegetische, hermeneutische und bibeltheologische Überlegungen zu Joh 20,24-29, in: F. Van Segbroeck u.a. (Hgg.), The Four Gospels 1992 (FS F. Neirynck), BEThL 100, Leuven 1992, 2153-2181, hier 2156. Die Imperative stehen (mit Ausnahme von φέρε) im Aorist. 83 Der punktuelle Aspekt bereitet bei µὴ γίνου einige Schwierigkeiten, insbesondere, wenn man ihn auf das erste Adverb ἄπιστος bezieht. Der unter Verweis auf Joh 15,8 und weitere Stellen innerhalb des Neuen Testaments vorgeschlagenen Übersetzung „erweise dich als“ für γίνου gelingt es aber, die Alternativen als zwei gleichbereichtigte Möglichkeiten der Reaktion auf die Auferstehungsbotschaft nebeneinander stehen zu lassen (SCHNACKENBURG, Komm. III, 395, verweist auf einen Beleg auf einem Leipziger Papyrus [Lips. I,104,27]: ἄλοιποι [= ἄλυποι] γίνεσθε περὶ ἐµοῦ). Zugleich könnte man der Formulierung des Johannes mit γίνεσθαι noch einen prägnanteren Akzent entnehmen: Beim Glauben mehr als bei irgendetwas anderem handelt es sich um einen fortlaufenden Prozess. Wir sollen immer zu dem werden, was wir eigentlich schon sind. Diese Dynamik im Glaubensprozess ist am klarsten in Joh 8,31f. nachzuvollziehen, wenn Jesus zu Juden, die schon zum Glauben an ihn gekommen sind (Perfekt), sagt: „Wenn ihr an meinem Wort bleibt, dann seid ihr in Wahrheit meine Jünger.“ Das Perfekt formuliert einen Akt, der eine neue Existenz zur Folge hat – den Anschluss an die Gruppe der Jesusjünger. Diese neue Identität, so zeigt sich insbesondere an Thomas, der sich ja bereits im innersten Kreis der Zwölf befindet, muss indes je neu mit Leben gefüllt werden. Zur glaubenstiftenden Funktion der körperlichen Erfahrung des Betastens des Körpers und speziell der Wunden vgl. Hilarius von Poitiers, De trinit. 3,20, der seinen Leser auffordert, am Sehen der Jünger teilzuhaben. 84 So eher in den älteren Kommentaren, aber vgl. auch U. SCHNELLE, Antidoketische Christologie im Johannesevangelium. Eine Untersuchung zur Stellung des vierten Evangeliums in der johanneischen Schule, FRLANT 144, Göttingen 1987, 157; ders., Komm. 332 Anm. 48; in seinem Kommentar spricht er lediglich von der Wirkung des Sehens [307]; SADANANDA, Johannine Exegesis, 15. 85 So LINDARS, Komm., 614; HAENCHEN, Komm., 573; ZAHN, Komm., 674; ZUMSTEIN, Kreative Erinnerung, 283; LEINHÄUPL-WILKE, Rettendes Wissen, 287f.; GEORGE, Tapestry,

4.1 Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20

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anstatt von einer Handlung des Thomas wird unmittelbar von seinem Bekenntnis berichtet – ist die Frage mit philologischen Argumenten nicht zu beantworten86; sie bleibt im Text in der Schwebe. Auf diese Frage, deren Dringlichkeit sich aus dem Problem der Legitimität sinnlich-körperlicher Vergewisserung des Ostergeschehens im Horizont eines geradezu moralisch konnotierten Glaubensbegriffes speist, kommt es dem Evangelisten bei der Darstellung offenbar nicht an. Für die literarische und theologische Bedeutung dieses Motivs ist sie deshalb unerheblich, wie sich noch zeigen wird.87 Entscheidend ist für den vorliegenden Zusammenhang, dass und in welcher Weise das Thema der körperlichen Begegnung mit dem Auferstandenen im Zusammenhang des Glaubensthemas aufgegriffen wird (und nicht, wie bei Lukas, im Zusammenhang der Frage, ob es sich bei dem Auferstandenen um einen Geist oder eine Person aus Fleisch und Blut handle). Zentral ist weiterhin, dass die körperliche Wahrnehmung, die dem Thomas von Jesus gewährt wird, den Glauben tatsächlich hervorruft, wie Thomas dies angekündigt und Jesus es noch einmal unterstrichen hatte. In der Tat folgt ein unmittelbares Bekenntnis: „Mein Herr und mein Gott“ (20,28). Die Identifikation des Herrn Jesus mit Gott, die Einheit des Sohnes mit dem Vater, die auszusagen innerhalb der Erzählung ansonsten allein Jesus selbst vorbehalten bleibt, bildet – in Rückbezug auf die Prologaussagen in 1,1 und 1,18 – einen einsamen Höhepunkt der theologischen Erkenntnis und des theologischen Bekenntnisses innerhalb des Evangeliums, und dies gerade im Munde des sogenannten „ungläubigen“ Thomas. Dies ist für den literarischen Aufbau des Kapitels, für die Deutung der Thomasfigur und damit zugleich die Deutung der Relevanz körperlicher Wahrnehmung für die Entstehung des Glaubens von äußerster Bedeutung. Durch diese theologische Klimax erhält die Erscheinungserzählung und mit ihr das Evangelium insgesamt ein Achtergewicht, das für seine Architektonik sorgfältig wahrzunehmen ist. In Aufnahme der Prologaussagen über die Herkunft und Natur des fleischwerdenden Logos kommt die Erzählung am Ende wieder auf derselben christologischen Höhe an. Zwischen diesen theologischen Gipfeln war die Erzählung ausgespannt, und es vermittelt sich dem Leser, der unmittelbar anschließend in 20,30f. direkt 105: „The reader fills in the gaps in the narration, which suggests that visual sight alone was sufficient and convincing enough to dispel Thomas’ doubt and cause him to believe.“ Auch SCHNACKENBURG, Komm. III, 395f., tendiert zu dieser Position, hält es aber für entscheidender, dass es dem Evangelisten auf diese Unterscheidung gar nicht ankommt. 86 Vgl. KREMER, Nimm deine Hand, 2153f., und nahezu einstimmig die Kommentare. Anders MOST, Finger in der Wunde, 86, der meint, über eine philologische Analyse ausschließen zu können, dass der Text die Deutung im Sinne des tatsächlichen Berührens zulässt. Zentrales Argument ist für ihn die unmittelbare Antwort (ἀπεκρίθη) des Thomas mit seinem Bekenntnis (hierin sieht auch FREY, „Ich habe den Herrn gesehen“, 281, eine Tendenz in Richtung dessen, dass Thomas auch ohne die Berührung zum Glauben kam). 87 Ähnlich SCHNACKENBURG, Komm. III, 395f.

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

angesprochen ist, im Rückblick das Gefühl, dass diese Höhe im Durchgang der Erzählung im Eigentlichen nie verlassen worden ist. Jetzt klärt sich die Frage, die die Lektüre angesichts der „Ich-bin-Worte“ und der Einheitsaussagen, aber auch der σηµεῖα mit ihren alle Kategorien der Welt übersteigenden Dimensionen den Protagonisten und mit ihm dem Leser gestellt hatte, nämlich, wer hier am Werk ist und woher Jesus stammt (mit allem, was er bringt).88 Die Identifikation des Auferstandenen, die in der Jüngerszene 20,20 nur im Erzählerkommentar berichtet worden war („Da freuten sich die Jünger, weil sie den Herrn sahen“) und die Thomas in 20,25a als Verkündigung entgegengebracht wurde („Wir haben den Herrn gesehen“), wird nun als persönliches Bekenntnis von Thomas gegenüber Jesus ausgesprochen: „Mein Herr und mein Gott!“89 Für die Formulierung lassen sich alttestamentliche Bezugspunkte namhaft machen: In der Septuaginta gibt ὁ θεός µου καὶ κύριός µου (Ps 34,23 LXX) bzw. κύριος ὁ θεός µου (Jes 25,1; Jer 38,18; Sach 13,9; 14,5) das hebräische ‫ יהוה ֱאֹלהָי‬wieder. Ähnliche Formulierungen finden sich vielfach in den Septuaginta-Psalmen; vgl. bes. Ps 29,3 LXX; 34,24 LXX (κύριε ὁ θεός µου); Ps 87,2 LXX (κύριε ὁ θεός τῆς σωτηρίας µου). Freilich stehen diese Formulierungen im Zusammenhang der Anrufung Gottes um Hilfe und Zeugenschaft, nicht im Zusammenhang des Bekenntnisses (so auch im hellenistisch-jüdischen Roman JosAs 12,1). Im hellenistisch-jüdischen Bereich wäre besonders auf Philon zu verweisen, der die Doppelung des Gottesnamens interpretierend aufnimmt (vgl. etwa De sobr. 55). Im paganen Bereich ließ sich Domitian bekanntermaßen als dominus et deus noster bezeichnen (Sueton Domit. 13,2; kritisiert bei Martial ep. X 72,3: dicturus dominum deumque non sum; vgl. V 8,1; VII 34,79)90; Epiktet ruft seinen Gott mit κύριε ὁ θεός an (Diss. II 16,13). A. Deissmann nennt unter anderem die Inschrift aus dem Fayyum aus dem Jahr 24 n.Chr. für den „Gott und Herrn Soknopaios“.91 Innerhalb des Neuen Testaments ist zuvorderst auf Offb 4,11 (ὁ κύριος καὶ ὁ θεὸς ἡµῶν) sowie 1Kor 8,6 zu verweisen: ἡµῖν εἷς θεὸς ὁ πατήρ, ἐξ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡµεῖς εἰς αὐτόν, καὶ εἷς κύριος Ἰησοῦς Χριστός, δι’ οὗ τὰ πάντα καὶ ἡµεῖς δι’ αὐτου. Deutlich werden die beiden alttestamentlichen Gottesbezeichnungen im paulinischen Bekenntnis auf Vater und Sohn verteilt (im traditionsgeschichtlichen Zusammenhang der Übertragung des κύριοςNamens auf Christus; vgl. weiter Röm 10,9.13; 12,3; Phil 2,11; u.ö.). Da für Johannes die

88

Vgl. o. Exkurs „Woher“, Kap. 2.3. Einen sehr nützlichen Überblick zur Bezeichnung Jesu als Gott findet man bei R. Brucker, Jesus als Gott. ΘΕΟΣ als christologischer Hoheitstitel und seine Implikationen für den neutestamentlichen Monotheismus, in: W. Popkes/R. Brucker (Hgg.), Ein Gott und ein Herr. Zum Kontext des Monotheismus im Neuen Testament, BThS 68, Neukirchen-Vluyn 2004, 101-138, bes. 123f. 90 Vgl. H.-J. KLAUCK, Die religiöse Umwelt des Urchristentums II. Herrscher- und Kaiserkult, Philosophie, Gnosis, KStTh 9/2, Stuttgart 1996, 60; T. WITULSKI, Kaiserkult in Kleinasien. Die Entwicklung der kultisch-religiösen Kaiserverehrung, NTOA 63, Fribourg/ Göttingen 2007, 69-72. 91 A. DEISSMANN, Licht vom Osten. Das Neue Testament und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt, Tübingen 41923, 309f. Zum paganen Gebrauch des κύριοςTitels vgl. W. FOERSTER, Art. κύριος, ThWNT III, 1052-1056; zum Neuen Testament ebd., 1085-1094. 89

4.1 Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20

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Erhöhung zugleich Einsetzung in die Einheit mit dem Vater bedeutet, führt er dies nachösterlich wieder zusammen. Signifikant ist die Aufnahme in den Thomasakten (10.26.47f.144).

Durch das doppelte µου setzt Thomas sich selbst unmittelbar zu diesem Gott in Beziehung. Die Aussage enthält eine weitere Steigerung, insofern nicht nur die Person des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten, sondern beide mit Gott identifiziert werden. Nun ist die Offenbarung zum Abschluss gekommen: „Es ist das dem Auferstandenen gegenüber voll angemessene Verständnis, das, über jenen ,Meister‘ (V. 16) weit hinausgehend, in Jesus Gott selber sieht.“92 Damit bedeutet das Bekenntnis des Thomas eine Steigerung gegenüber dem Bekenntnis des Nathanael: „Rabbi, du bist der Sohn Gottes, du bist der König Israels“ (1,49), und gegenüber dem der Martha: „Ja, Herr, ich glaube, dass du der Christus bist, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist“ (11,27). Worin besteht der Fortschritt gegenüber dem Bekenntnis Marthas zum Christus und Sohn Gottes? Immerhin findet dieses Bekenntnis ja seine besondere Bestätigung, wenn im unmittelbar an die vorliegende Stelle anschließenden ersten Johannesschluss der Glaube an den Christus und Gottessohn als Ziel des literarisch-theologischen Programms des Evangeliums formuliert wird? Der Fortschritt besteht darin, dass das Bekenntnis des Thomas theologisch expliziert, was die Rede von Jesus als dem Christus und Sohn Gottes im Kern

92

BULTMANN, Komm., 538. Vgl. THYEN, Komm., 767; CULLMANN, εἶδεν, 56 u.v.a. Anders SADANANDA, Johannine Exegesis, 14-19. Es handele sich, so Sadananda, nicht um ein allgemeingültiges Bekenntnis, sondern um einen sehr persönlichen Ausdruck des Glaubens (µου). Das Bekenntnis werde in 20,30 korrigiert, indem das Evangelium empfehle zu glauben, „Jesus is (only) the Christ, the Son of God“ (18). Gegen ein solches Verständnis, das darauf zielt, das Thomasbekenntnis (und gleichzeitig die hohe Christologie des Evangeliums) zu relativieren, schon SCHNACKENBURG, Komm. III, 397: „Im Sinne des Evangelisten verdeutlicht das Thomas-Bekenntnis, dass der von der Gemeinde geforderte Glaube an Jesus den Sohn Gottes [vgl. 20,31] das Gott-Sein Jesu impliziert. Er ist der einzig wahre Gottessohn, nicht nur im Wirken, sondern auch im Wesen mit dem Vater eins. […] Aber der Evangelist denkt noch nicht von der Zwei-Naturen-Lehre her, sondern bindet das Gott-Sein Jesu an die offenbarende und erlösende Funktion des Sohnes.“ Zwei Bemerkungen sind – die Ausführungen Schnackenburgs aufnehmend – angebracht: 1. Zu Recht macht Sadananda auf das µου aufmerksam. Es ist indes nicht als Relativierung zu lesen. Zum einen knüpft es, wie wir gesehen haben, an biblische Tradition an. Zudem mag es die Ausnahmesituation des ersten Zeugen unterstreichen, der zu diesem Bekenntnis zunächst ganz für sich allein finden muss (und so auch eine unmittelbare Identifikationsfläche für die Leser bietet, die auch allein zu ihrem Glauben finden müssen). Vor allem aber unterstreicht es erneut die Rezeptionsperspektive: es ist diese besondere Erfahrung, von der die Geschichte berichtet, die ihn zu seinem Bekenntnis bewegt und befähigt. 2. In 20,30 ein „only“ impliziert zu sehen, ist ohne Anhalt im Text und geht an der Intention des Evangelisten vorbei; der vorausgesetzte unmittelbare Bezug auf das Thomasbekenntnis ignoriert zudem alle Bezüge von 20,30f. auf den Gesamtaufbau des Evangeliums und bedeutet damit eine Verengung, die den Satz unverständlich werden lässt.

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bedeutet93: Er ist derjenige, der von Anfang an in der Einheit mit Gott dem Vater lebt (10,30; 17,11.21; vgl. 1,1f.), diesen deshalb als µέγα σηµεῖον94 („Erzzeichen“) vor die Augen zu führen in der Lage ist und so mit dem Glauben Leben bringt (20,31). Völlig zu Recht sieht Bultmann in dieser Aussage einen Bezug zu 14,9. „Jetzt hat Thomas Jesus so gesehen, wie er gesehen werden will und soll.“95 Ein persönlicher Zuspruch der Botschaft, wie ihn Maria Magdalena erhalten hatte, scheint hierfür ebenso wenig notwendig zu sein wie eine erneutes Anblasen mit dem heiligen Geist zur Aussendung, wie es den übrigen Jüngern zuteilgeworden war. Der Aspekt, der betont wiederholt wird, ist derjenige der glaubenstiftenden Wahrnehmung. Ist in dieser Weise das Thomasbekenntnis im Zusammenhang des ersten Briefschlusses richtig interpretiert, so ergibt sich die oben bereits angeschnittene Frage nach dem Verhältnis der österlichen Erfahrung des Thomas zu den vorösterlichen Wahrnehmungen Jesu in seinen Zeichen und Worten. Handelt es sich um eine Korrektur, einen Fortschritt? Der johanneische Jesus selbst führt uns in 12,45 („Wer mich sieht, der sieht den, der mich gesandt hat“; vgl. 14,7) auf die richtige Spur: Schon innerhalb seines Lebens verweist er auf die theologische Pointe der Begegnung mit ihm. Nicht erst vom Auferstandenen, sondern bereits vom Irdischen gilt, dass man in ihm dem Vater begegnen kann. Wenn die Aussage Jesu in 12,45 sowie die damit sich verbindende Leseanleitung des Evangelisten in ihrem Erzählzusammenhang ernstgenommen wird, erfährt die Leserin oder der Leser die sinnlichen Erfahrungen der Protagonisten als Elemente der Gottesbegegnung. Freilich bleibt ein notwendiger hermeneutischer Vorbehalt: Erst von der Auferstehung her kann sich diese Begegnung im Letzten erschließen. Die folgende, die Thomasepisode und zugleich die Erscheinungsberichte abschließende Reaktion Jesu zieht ein Fazit zum Verhältnis von Sinneswahrnehmung und Glauben, das den Blick über die erzählte Geschichte hinaus auf die Glaubenden hin weitet: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du?96 Selig 93 Vgl. F. HAHN, Christologische Hoheitstitel. Ihre Geschichte im frühen Christentum, Göttingen 51995. 94 Klem. Alex., Quis dives 37,2. 95 BULTMANN, Komm., 539. 96 Mit dem Perfekt πεπίστευκας beschreibt Jesus den Heilszustand des Thomas als Folge der durch körperliche Wahrnehmung erzielten Hinwendung zum Glauben (vgl. 3,18; 6,69; [8,31]; 11,27; 16,27 [im Kontext der gegenseitigen Beziehung der φιλία]; 16,30) bzw. allgemeiner die geschichtliche Erfahrung in ihrer gegenwärtig fortdauernden Bedeutung. An manchen Stellen scheint dieses Perfekt geradezu im Sinne von „ich bin getauft“ einen vollzogenen Übergang zu bezeichnen: es kennzeichnet diejenigen, die sich durch ihre Glaubensüberzeugung in einen neuen Stand versetzt wissen. Demgegenüber beschreibt das Präsens verschiedentlich den lebenstiftenden Zustand des Heils (1,12; 3,15f.18.36; 5,24; 6,35f.40.47.64; 7,38; 9,35f.38; 10,26; 11,25f.; 12,36.44.46; 14,1.10-12; 16,9; 20,31, der freilich jeweils angefochten und vorläufig sein kann bzw. einem subjektiven Urteil entspringt), kann aber auch ein

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sind die Nicht-Sehenden, die doch zum Glauben kommen“ (20,29).97 Diese Erfahrung wird nach Thomas in dieser Unmittelbarkeit nicht mehr möglich sein, und deshalb schließt sich die Seligpreisung sinnvoll an: Alle anderen, die dies in derselben Unmittelbarkeit nicht mehr sehen, sondern nur über das Zeugnis der Geschichte wahrnehmen können, sind selig zu preisen, wenn sie sich durch dieses Zeugnis zum Glauben führen lassen. Kohler beschreibt den Zusammenhang zwischen dem Sehen des Thomas und der Seligpreisung derer, die nicht (unmittelbar) sehen, treffend wie folgt: Der vierte Evangelist „holt den Glauben der Gemeinde in den Horizont des Osterglaubens und damit in den Horizont des Sehens. Das Sehen des Osterglaubens wird so zur Grundlage für die Seligpreisung der Nachgeborenen. In der Sprachform des Makarismus trägt der Evangelist dem Sachverhalt Rechnung, dass die Zeit des Sehens begrenzt und dass dennoch der Glaube der Nichtsehenden nicht einfach blind ist. Worin besteht dann deren Seligkeit? Darin, dass ihnen das Sehen des Thomas zugute kommt. Selig sind sie, weil sie glauben können aufgrund dessen, was gesehen worden ist. Sie glauben, weil andere gesehen haben. Indem sie auf das Sehen der anderen bezogen sind, öffnen sich auch ihre Augen für die Anschaulichkeit Gottes, die im Weg Jesu ans Kreuz offenbar geworden ist. Der Gedanke der Angewiesenheit erregte freilich immer wieder Befremden. Er musste einem Denken ins Gesicht schlagen, das den Glauben gerade durch seine Unabhängigkeit von der sinnlich vermittelten Wahrnehmung konstituiert dachte, jenem Denken also, das die sinnliche Wahrnehmung als Verunreinigung des Glaubens qualifizierte und demgemäß alles darauf verwendete, die Autarkie des Glaubens herzustellen.“ 98

Die Deutung des Makarismus Jesu wie auch die Bewertung der Figur des Thomas hat in der jüngeren Forschung eine deutliche Umwertung erfahren. Klassisch wurde V. 29a im Zusammenhang des folgenden Makarismus als Zurückweisung eines unangemessenen Glaubenszugangs verstanden, den man in der als illegitim angesehenen „Zeichenforderung“ des „ungläubigen Tho-

Sich-Überzeugen-Lassen bezeichnen (3,12; 5,38.47; 8,45f.; 10,25.37f.; 16,31; 17,20). Dabei sind die Übergänge manches Mal fließend; πιστεύειν gehört notwendigerweise zum Bereich doppeldeutiger Ausdrücke bei Johannes, weil vieles, was innerhalb der Erzählung zunächst ein existentielles Vertrauen auf die Botschaft meint, sich retrospektiv als Heil und Leben bringender Glaube erweist. Zum johanneischen Perfekt-Gebrauch vgl. J. FREY, Die johanneische Eschatologie, Bd. 2: Das johanneische Zeitverständnis, WUNT 110, Tübingen 1998, 98-115. Die interessante These eines „skripturalen“ Perfekts, das bei Zitaten aus den Synoptikern oder aus der Schrift verwendet werde, vertritt R. BERGMEIER, Die Bedeutung der Synoptiker für das johanneische Zeugnisthema. Mit einem Anhang zum Perfekt-Gebrauch im vierten Evangelium, NTS 52, 458-483, hier 477-483; dies könnte im Blick auf unser Problem immerhin bei Joh 6,69; 8,31; 11,27 einen Lösungsansatz bieten. 97 Eine ausführliche Diskussion dieser Stelle bietet HERGENRÖDER, Wir schauten, 508533. 98 KOHLER, Kreuz und Menschwerdung, 186f. (Hervorhebungen H.K.); vgl. RILEY, Resurrection Reconsidered, 105, der von „homiletical extension“ spricht.

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mas“ in 20,25 zusammengefasst sah.99 Dabei erschien bisweilen die Forderung nach Vergewisserung als solche100, bisweilen speziell der Wunsch nach einer tastenden Vergewisserung als unangemessen. Die Deutung baute einen 99

So bereits Joh. Chrys.: Jesus verwende genau dieselben Worte wie Thomas, aber „voller Tadel und um ihn für die Zukunft zu belehren“ (σφόδρα ἐπιτιµητικῶς, καὶ εἰς τὸ ἑξῆς παιδευτικῶς; In Io. hom. 87,1). Vgl. SCHNACKENBURG, Komm. III, 393; B. WITHERINGTON, Women in the Earliest Churches, Cambridge 1988, 179; R. GEBAUER, Sehen und Glauben. Zur literarisch-theologischen Zielsetzung des Johannesevangeliums, ThFPr 23 (1997), 39-57, hier 45. Klassisch charakterisiert BROWN, Komm. II, 1023-1033.1046, vgl. 1004f., Thomas als skeptisch und pessimistisch, „the spokesman of apostolic doubt“ (1032); vgl. ders., The Resurrection in John 20. A Series of Diverse Reactions, in: ders., A Risen Christ in Easter Time, Collegeville 1991, 65-80 [= Worship 64 (1990), 194-206]. BULTMANN redet von einer „beschämende(n) Überführung“ (Komm., 538; bei ihm trifft der Vorwurf mit Thomas freilich jeden durchschnittlich Glaubenden). Nach CAMERON, der bei seiner Interpretation von den Parallelen in Lk 24 und bei Ignatius sowie später in der Epistula Apostolorum und im Apokryphon des Jakobus ausgeht, handelt es sich bei der Forderung des Thomas um „not simply doubt, but a refusal to believe, tantamount to faith based merely on ,signs‘“ (Seeing, 55). Attestiert werden dem Thomas weiter „depressed unbelief“ (BEASLEY-MURRAY, Komm., 369), Borniertheit (MORRIS, Komm., 852: „hard-headed“) und ein „earth-bound point of view“ (BONNEY, Caused to Believe, 137); ähnlich R.A. CULPEPPER, Anatomy of the Fourth Gospel. A Study in Literary Design, Philadelphia 1983, 123f.: „He is the model of the disciple who understands Jesus’ flesh but not his glory“ (vgl. E. KRAFFT, Die Personen des Johannesevangeliums, EvTh 16 [1956], 18-32, hier 27). J.H. NEYREY nennt ihn „unenlightened and ambiguous“ (The Resurrection Stories, Eugene 1988, 78), ZAHN, Komm., 685, spricht gar von der „heillosen Verworrenheit seiner eigenen Gedanken“, von hinter dem Rücken Jesu getanen „Äußerungen trotzigen Unglaubens“. Milder fällt das Urteil von HAENCHEN aus (Komm., 574): Thomas werde kritisiert, weil er sich „Gottes wie eines vorhandenen Weltdings zu vergewissern“ suche, deshalb werde nicht er, sondern die nachfolgenden Christen selig gepriesen, die diese Möglichkeit nicht hätten. Kritisiert werde damit die traditionelle Glaubensvorstellung, wie sie sich auch in Lk 24,36-43 niederschlägt. Diese klassische Position lebt freilich fort. RILEY, Resurrection Reconsidered, 100-126, versteht in einer historischen Rekonstruktion die Aussage Jesu als bewusste Zurücksetzung des Thomas im Dienste des Kampfes um die Tradition. Thomas werde in Joh 11 als der „Fatalist“ gekennzeichnet, in Joh 14 als derjenige, der „Ort“ und „Weg“ nicht kennt. Nach GEORGE, Tapestry, 104f., spricht sich in der Zurückweisung des Thomas eine Frustration Jesu darüber aus, dass Thomas der Osterverkündigung Marias und der Jünger keinen Glauben schenkt. Vgl. den detaillierten Überblick bei P.J. JUDGE, A Note on Jn 20,29, in: Van Segbroeck u.a., Four Gospels, 2183-2192, hier 2185-2187. Judge setzt sich insbesondere mit der Interpretation von M.-É. BOISMARD auseinander, die die Thomasperikope im engen Zusammenhang mit Joh 4,48 sieht (BOISMARD, Komm., 473). K.S. O’BRIEN, Written That You May Believe. John 20 and Narrative Rhetoric, CBQ 67 (2005), 284-302, hier 286, bietet einen nützlichen Überblick der Bewertung der Thomasfigur im Vergleich zu Maria Magdalena und dem geliebten Jünger in einigen Kommentaren (Johannes Chrysostomos, BULTMANN, BARRETT, BROWN, SCHNACKENBURG, CULPEPPER). 100 ZAHN, Komm., 675, sieht die Kritik nur bezogen auf „die Forderung von mehr sinnenfälligen Beweisen der in Jesus erschienenen Macht und Herrlichkeit Gottes.“

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Gegensatz zwischen V. 29a und V. 29b auf, der die verfehlte Glaubenshaltung des Thomas mit dem erwünschten, seligmachenden Glaubenszugang der Späteren kontrastiere. Eine solche vorbildliche Glaubenshaltung sah man verschiedentlich innerhalb der Geschichte in der Person des geliebten Jüngers repräsentiert (20,8).101 Durch den Kontrast gegenüber demjenigen, der ohne zu sehen glaubte, werde Thomas – so die These – stellvertretend für jeden Glauben kritisiert, der Beweise fordert.102 Sprachlich wird der postulierte Gegensatz nicht expliziert. In typisch johanneischer Manier bleibt das Verhältnis der beiden Partizipien innerhalb des Makarismus undeterminiert (µακάριοι οἱ µὴ ἰδόντες καὶ πιστεύσαντες). Er lässt sich lediglich aus der parallelen und zugleich durch die Verneinung µή kontrastierte Struktur vermuten: Der Fragesatz103 wird mit dem anschließenden, als Seligpreisung feierlich herausgehobenen Aussagesatz durch die parallele Wiederaufnahme von ὁρᾱν und πιστεύειν stilistisch zusammengebunden, aber gleichzeitig durch die Verneinung voneinander abgehoben. Wie genau indes dieses Kontrastverhältnis zu fassen ist, lässt sich aus der sprachlichen Gestaltung der Verse nicht erheben und muss sich infolgedessen aus einer Interpretation der in Frage stehenden Themen innerhalb des Gesamtevangeliums ergeben. Zudem macht der dramatische Aufbau der gedoppelten Szene eine solche Antiklimax unwahrscheinlich. Nach der ersten Erscheinung vor den Jüngern, bei der Thomas nicht anwesend war, kommt Jesus eigens zurück, um sich ihm körperlich zu präsentieren und so auch ihn noch für den vollkommenen Glauben zu gewinnen. Thomas darf – zusätzlich zum Hören des Zeugnisses seiner Mitjünger – den Auferstandenen nun auch noch mit eigenen Augen sehen und sogar fühlen. Dabei nimmt Jesus das Ansinnen des Thomas nahezu wörtlich auf und setzt die von Thomas verwendeten Verben in den Imperativ (ἴδω – ἴδε; βάλω – βάλε; dazu φέρε)! Thomas darf nicht nur, er soll seinen Finger in Jesu Wundmale legen, wie wir gesehen haben. Das Ansinnen des 101

S.o. 283 Anm. 26. W.J. MOULTON, Note on John 20,29, ExpT 12 (1900-1901), 382, vermutete gar, Jesus habe den Lieblingsjünger beim Aussprechen des Wortes angeblickt. 103 Bereits die Interpunktion als Fragesatz freilich ist umstritten: Ist mit den meisten Minuskelhandschriften ein Fragezeichen zu setzen, oder entspricht dem Charakter der feierlichen abschließenden Verkündigung eher ein feststellender Aussagesatz? Für Letzteres vgl. BARRETT, Komm., 549; SCHNACKENBURG, Komm. III, 398 („Feststellung [in vorwurfsvollem Ton]“); HAENCHEN, Komm., 573; BYRNE, Beloved Disciple, 89; unentschieden BEASLEYMURRAY, Komm., 386. BULTMANN, Komm., 539, kann für die Interpretation keinen wesentlichen Unterschied erkennen, da jedenfalls ein adversatives Verhältnis zwischen den beiden Versteilen vorauszusetzen sei. Neben der handschriftlichen Überlieferung kann die Parallele in 1,50 für die Interpunktion mit Fragezeichen in Anschlag gebracht werden (LINDARS, Komm., 646, führt zusätzlich Joh 16,31 an). 102

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

Thomas wird also von Jesus „ohne Kritik beantwortet und ohne Abstriche erfüllt“.104 Die Frage nach dem Zusammenhang von Sehen und Glauben verweist auf den Auftakt der johanneischen Erzählung vom Handeln Jesu in 1,49-51, der eine weitgehend parallele Struktur aufweist und ebenfalls aus drei Elementen aufgebaut ist: 1. Bekenntnis (Nathanael). 2. Frage nach dem Verhältnis von Wahrnehmen und Glauben (Ὅτι εἶπόν σοι ὅτι εἶδόν σε ὑποκάτω τῆς συκῆς τιστεύεις; 1,49105; Ὅτι ἑώρακάς µε πεπίστευκας; 20,29). 3. Öffnung in den Plural (ὄψεσθε, 1,51; µακάριοι οἱ µὴ ἰδόντες καὶ πιστεύσαντες; 20,29), durch den die Rezeptionsperspektive und damit zugleich die Perspektive der Leserinnen und Leser zum Teil der Heilserzählung von dem in Jesus offenstehenden Himmel wird. Diese strukturellen Bezüge unterstreichen, dass 1,50f. und 20,29-31 gewissermaßen als Klammer um die Erzählung von der Offenbarung Gottes im Wesen und Wirken Jesu zusammengedacht werden sollen. Die beiden Sprüche Jesu in V. 29a und V. 29b sind einander deshalb anders zuzuordnen, indem die Kommunikationsebene zu den Lesern einbezogen wird.106 V. 29b ist nicht als Tadel auf den vorausgehenden Satz zu beziehen, sondern als Aussage zu deuten, die von der Thomasgeschichte her den Bogen zur Gemeinde und zum Leser spannt. In 20,29 soll anhand der Figur des „Zuspät-Gekommenen“ gerade das Verhältnis dessen, der nicht mehr mit eigenen Augen sehen und mit eigenen Händen fühlen kann, zu dieser Geschichte vom fleischgewordenen Logos Gottes, der einmalig Gott selbst in der Geschichte sichtbar macht, geklärt werden.107 So rückt über eine Neubestimmung der Rolle sinnlich-körperlichen Wahrnehmung des Heils innerhalb des Evangeliums auch die Thomasfigur in ein neues Licht. Der Gemeinde ist diese Unmittelbarkeit der Erfahrung nicht mehr möglich, die bis zum letzten Augenblick der Erzählung immer wieder den Charakteren zuteilwird, um sie zum Glauben zu führen. Indem der Evangelist dem Leser an 104

GRUBER, Berührendes Sehen, 72; vgl. E. KÄSEMANN, Jesu letzter Wille nach Johannes 17, Tübingen 41980, 53f.; M. THEOBALD, Der johanneische Osterglaube und die Grenzen seiner narrativen Vermittlung (Joh 20), in: R. Hoppe/U. Busse (Hgg.), Von Jesus zum Christus. Christologische Studien (FS P. Hoffmann), BZNW 93, Berlin u.a. 1998, 93-123, hier 120. 105 Und dann die zunächst individuelle Verheißung: µείζω τούτων ὄψῃ (Joh 1,50). 106 Vgl. das sehr differenzierte Urteil von WILCKENS, Komm., 316f.; weiter THYEN, Komm., 768; BARRETT, Komm., 549; M. BARTH, Der Augenzeuge. Eine Untersuchung über die Wahrnehmung des Menschensohnes durch die Apostel, Zollikon-Zürich 1946, 196; CULLMANN, εἶδεν, 56; LEE, Partnership. 107 Vgl. u. ausführlich 342-344.

4.1 Der zweifelnde Thomas und das Motiv der Berührung in Joh 20

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der Wahrnehmung des kritischen Apostels teilgibt, zielt er textpragmatisch darauf, auch die Zweifel der Leser zu überwinden. Der prinzipielle hermeneutische Graben zwischen denen, die Augenzeugen des Lebens, des Todes und der Auferstehung Jesu wurden, und den Nachgeborenen, die diese unmittelbare Erfahrung nicht machen können, soll auf diese Weise durch die Figur des Thomas gerade überbrückt werden. So wird Thomas als „Brückencharakter“ etabliert, der die Erfahrung des „Zu-spät-Kommens“ in die Geschichte integriert. Dies gilt gegenüber der Aporie, mit der M. Theobald seine Überlegungen bezüglich der Seligpreisung Jesu schließt: „Seliggepriesen werden hier die Leser(innen) des Buches, die im Unterschied nicht nur zu Thomas (vgl. 20,28) eines ,Sehens‘ Jesu im Sinn seiner österlichen Erscheinungen nicht gewürdigt wurden, aber dennoch glauben. Wesensmerkmal ihres Glaubens ist es demnach, nicht aufgrund österlicher Erscheinungen Jesu zu glauben, vielmehr ihren Glaubensgrund woanders zu besitzen. Wo, sagt der Makarismus nicht.“108 In dieser zentralen Frage wäre der Leser alleingelassen. Man fühlt sich an Bultmanns „Dass des Gekommenseins“ erinnert, dem kein wirklicher geschichtlicher Inhalt entspricht. Der Grund des Glaubens kann aber bei einer geschichtlichen Religion immer nur im Verweis auf Geschichtliches bestehen. Wir sind deshalb auf die Erzählung des Evangeliums insgesamt verwiesen: Die Begegnungen mit dem Irdischen wie mit dem Auferstandenen werden darin im Licht des Ostergeschehens so erzählt, dass sie den lebenstiftenden Glauben an die in Jesus auf die Erde gekommene Wirklichkeit hervorbringen.109

Interessant ist ein Detail des Textes im Blick auf die Verwendung von Objekten, das sich im Horizont des Gesagten interpretieren lässt: Während Jesus zunächst in dem unmittelbar an Thomas adressierten Satz sich selbst als Objekt hinzufügt (ὅτι ἑώρακάς µε πεπίστευκας), bleibt die Seligpreisung gänzlich ohne Objekt. Das hat einen guten Sinn: Die Wahrnehmung des Thomas hat ein unmittelbares Subjekt, den Auferstandenen, während die Wahrnehmung im zweiten Teil des Verses ausgedehnt ist auf alles, was im Leben Jesu, wie es im Evangelium zu Anschauung kam, wahrgenommen werden konnte.110 Außerdem, so mag man dieser Ausweitung entnehmen, findet die Wahrnehmung, von der im Evangelium die Rede ist, nicht im Sehen Jesu zu ihrem letzten Ziel, sondern im Sehen (der Herrlichkeit) Gottes. Weil diese in Jesus gegenwärtig geworden ist (vgl. 1,14), kann der unsichtbare Gott nun unter den Bedingungen der körperlichen Welt wahrgenommen werden.

108

THEOBALD, Osterglaube, 121. Vgl. Joh 1,50f.; 2,11.22f.; 3,12.16; 4,39.42.50.53; 5,24; 6,36.40; 7,31; 9,35-38; 10,25.37f.; 11,15.42.45.48; 12,9-11.(37-39).44f.; 13,19; 14,7-12.29; 17,8; 20,8. 110 In manchen Handschriften wird auch in V. 29b µε eingefügt, wodurch die Aussage auch im zweiten Teil ebenfalls auf die unmittelbar vorausgehende Szene eingeengt wird. Sie will aber als Kommentar über das in Jesus gegenwärtig gewordene Heilsgeschehen insgesamt gelesen werden. 109

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

Diesen Horizont fasst 20,30f. zusammen. Die Verse bieten einen Abschluss und eine Deutung nicht nur dieser Perikope111, sondern des Evangeliums insgesamt, bevor mit Joh 21 nach einer deutlichen Zäsur eine Art „Epilog“ folgt.112

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben? 4.2.1 Die unterminologische Ausdrucksweise vor dem Hintergrund der Terminologie des Berührens und Betastens Deutlich stellt die Thomasgeschichte einen Zusammenhang zwischen Sehen und Fühlen als zwei Wahrnehmungsformen auf dem Weg zum Glauben her. Hatte Thomas noch klar zwischen Sehen und Berühren unterschieden, so wird dies in der Aufforderung Jesu in 20,27 („Strecke deinen Finger hierher und sieh meine Hände“) zu einem „berührenden Sehen“ (Gruber) verschränkt. Im abschließenden Makarismus Jesu (20,29) erscheint das Sehen erneut als Oberbegriff der unterschiedlichen Formen sinnlicher Wahrnehmung.113 Auffallend und zugleich angesichts der Brisanz des Berührungsmotivs für die Forderung des Thomas und das darauf rekurrierende Angebot Jesu an dieser vieldiskutierten Stelle erstaunlich wenig untersucht ist die unterminologische Ausdrucksweise (βάλλειν τὸν δάκτυλον εἰς – φέρειν τὴν χεῖρα).114 Zu selbstverständlich meinte man die Semantik aus den Parallelstellen am Anfang des Kapitels und bei den Synoptikern erheben zu können. Entsprechend schreibt schon Wellhausen: „Das ψηλαφᾶν (Lc 24,39, 1Joa 1,1), welches er [Jesus] der Magdalena verboten hat, geschieht hier auf sein ausdrückliches Geheiß.“115 Das genannte Verbum freilich wird weder bei Maria Magdalena noch bei Thomas verwendet. Bis heute hat sich wenig an diesem harmonisierenden Zugriff geändert. Deshalb gilt es zunächst einmal, das Verhältnis der unterminologischen Wahrnehmungsterminologie der Thomaserzählung zu den anderswo verwendeten Verben ἅπτεσθαι und ψηλαφᾶν zu klären. ἅπτεσθαι kann wie ψηλαφᾶν 111

ἄλλα σηµεῖα kann schwerlich nur als von den Wundmalen der Erscheinungsberichte abgesetzt verstanden werden. Es verweist vielmehr auf die Taten Jesu innerhalb der gesamten Erzählung. Dafür spricht auch die Formulierung ἐν τῷ βιβλίῳ τοὐτῳ. 112 Vgl. dazu T. SÖDING, Die Schrift als Medium des Glaubens. Zur hermeneutischen Bedeutung von Joh 20,30f., in: K. Backhaus/F.G. Untergaßmair (Hgg.), Schrift und Tradition (FS J. Ernst), Paderborn 1996, 343-371, hier 349-351. 113 DOBSCHÜTZ, Sinne, 401, formuliert mit Bezug auf Joh 20: „Wir finden bei Johannes manchmal Sehen, wo wir Fühlen erwarten sollten.“ 114 Den Versuch einer – wenn auch sehr weitgehenden – theologischen Interpretation unternimmt immerhin GRUBER, Berührendes Sehen, passim. 115 WELLHAUSEN, Komm., 95.

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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durchaus sowohl körperliches als auch geistiges Erfassen meinen.116 Das gängige Verb für eine Berührung, mit der man sich einer Realität versichert, nämlich ψηλαφᾶν, erscheint in 1Joh 1,1 und im Erscheinungsbericht des Lukas Lk 24,39.117 Weiter ist θιγγάνειν dem Wortfeld zuzurechnen.118 Keines dieser Verben erscheint in der Thomaserzählung. Anstatt dessen werden βάλλειν εἰς und φέρειν (Joh 20,25.27) verwendet, zwei Verben, die nicht typischerweise in den Bereich der Wahrnehmung gehören, also keine technischen Begriffe für das Berühren und Betasten sind. 4.2.1.1 βάλλειν τὸν δάκτυλον εἰς – φέρειν τὴν χεῖρα βάλλειν εἰς bedeutet neben der Hauptbedeutung „werfen“ zunächst einmal „an einen Ort bringen, legen, eingießen“.119 Jesus legt seine Finger in die Ohren des Taubstummen (Mk 7,33120); Petrus steckt sein Schwert in die Scheide (Joh 18,11); Geld wird in den Opferstock (Mk 12,41-44; Lk 21,1-4), der Zaum ins Maul gelegt (Jak 3,3). Bereits klassisch ist die Bedeutung „ins Herz legen = eingeben“ (Joh 13,2 [vom diabolos]; vgl. Hom. Od. I 201; XIV 269; Plut. Tim. 3,2; CH VI 4 [jew. von Gott bzw. Göttern]). In der Konstruktion βάλλειν εἴς τι scheint das Verb in der Koine geradezu das Bedeutungsspektrum von τιθέναι übernommen zu haben.121

Zu Verben der Wahrnehmung werden βάλλειν und φέρειν erst in Verbindung mit den entsprechenden Wahrnehmungsorganen: Finger und Hand.122 In dieser Verbindung finden sich beide Verben außerhalb des Johannesevan116

„To touch by feeling and handling, implying movement over a surface — ,to touch, to feel, to handle, to feel around for‘ (καὶ αἱ χεῖρες ἡµῶν ἐψηλάφησαν ,and our hands have handled it‘ 1Jn 1:1)“ (LOUW/NIDA 24.76 s.v. ψηλαφάω); vgl. G. LÖHR, Verherrlichung Gottes durch Philosophie. Der hermetische Traktat II im Rahmen der antiken Philosophie- und Religionsgeschichte, WUNT 97, Tübingen 1997, 151. LOUW/NIDA gehen in der Folge auf die Schwierigkeiten bei der Übersetzung von ψηλαφάω in 1Joh 1,1 ein. 117 Vgl. Apg 17,27; Hebr 12,18. 118 Weitere Begriffe, die für ein Ergreifen (λαµβάνειν, vgl. Phil 3,12) oder Erlangen (ἐπτυγχάνειν; Ign. Ad Magn. 14; Trall. 12,2; 13; Röm 1,2; 2,1; 4,1; 9,23 u.ö.; vgl. DOBSCHÜTZ, Sinne, 390) Gottes oder des Heils verwendet werden können, aber im Umfeld der Thomasperikope keine Rolle spielen, lasse ich hier beiseite. 119 F. HAUCK, Art. βάλλω κτλ., ThWNT I, 524-526, hier 524; vgl. LSJ s.v. βάλλω A.6; BAUER/ALAND s.v. βάλλω 2.b, 264. 120 Zu paganen Belegen aus medizinischen Texten vgl. L. RYDBECK, Fachprosa, vermeintliche Volkssprache und Neues Testament. Zur Beurteilung der sprachlichen Niveauunterschiede im nachklassischen Griechisch, AUU.SGU 5, Uppsala 1967, 158f. 121 Vom Einschütten von Wasser Joh 13,5. 122 Für φέρειν mit einem Körperteil als Objekt geben BAUER/ALAND (s.v. 4.g., 1706) eine anderswo nicht belegte Sonderbedeutung des Verbs an, das klassisch „tragen, bringen“ bedeutet. In ähnlicher Weise sind Finger und Hände in 1Joh 1,1 als Wahrnehmungsorgane in betonter Weise zu den Wahrnehmungsvorgängen hinzugesetzt. Erinnert sei auch an CH V 1f.: λαβέσθαι αὐταῖς ταῖς χερσίν (im Zusammenhang mit der Aussage, dass der unsichtbare Gott im Kosmos sichtbar geworden ist).

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

geliums allerdings nicht. LSJ führen diese Bedeutung nicht auf. Es wird an unserer Stelle also weniger der Tastsinn terminologisch gefasst als vielmehr die tastende Erfahrung erzählerisch umgesetzt. Anders als bei τιθέναι schwingt insbesondere bei βάλλειν der Aspekt einer heftigen Bewegung mit, der auch etwas Gewaltsames haben kann, wie dies Caravaggio in seinem berühmten Gemälde eindrucksvoll umsetzt. Ob damit die Intensität unterstrichen oder doch die Handlung als etwas Unangemessenes charakterisiert werden soll, lässt sich kaum entscheiden. Dass Thomas zunächst von einem Finger und dann von der ganzen Hand redet, ließe sich in beiden Richtungen interpretieren. Beide Ausdrücke unterstreichen die Konkretheit des Vorgangs und die Aktivität des Wahrnehmenden. Hier geht es nicht um ein vorsichtiges Ertasten und Erspüren, sondern um ein körperliches Begreifen. 4.2.1.2 ψηλαφᾶν – „betasten“ ψηλαφᾶν ist hier zu diskutieren, obwohl es in Joh 20 gar nicht vorkommt, sondern in der Parallele bei Lukas (Lk 24,39; dazu Apg 17,27) und im Proömium des 1. Johannesbriefs (1Joh 1,1). Die Thomasgeschichte wurde aber, wie schon gesagt, wie selbstverständlich von der Verwendung dieses Verbums an den Parallelstellen her interpretiert. In Lk 24,39 dient ψηλαφᾶν neben dem Schauen antidoketisch dem Nachweis der Tatsächlichkeit und Körperlichkeit des Auferstandenen. Wie im Johannesevangelium werden die Jünger aufgefordert, die Hände und Füße Jesu anzuschauen und ihn zu berühren: „Seht meine Hände und meine Füße: Ich bin es selbst. Betastet mich und seht (ψηλαφήσατέ µε καὶ ἴδετε), dass ein Geist (πνεῦµα) kein Fleisch und keine Knochen hat, so wie ihr es bei mir seht.“123 Das Berühren belegt die Identität des Auferstandenen und zeigt, dass es sich nicht um einen Geist (πνεῦµα) handelt: Geister bestehen nicht aus Fleisch und Knochen. Die Formulierung πνεῦµα σάρκα καὶ ὀστέα οὐκ ἔχει macht das Problem klar: Als Jesus unversehens in ihre Mitte getreten war, schlossen die Jünger, dass sie offenbar einen Geist sehen, und wurden von Furcht ergriffen (24,37). Einen weiteren Beweis der vollkommenen körperlichen Realität Jesu

123

Vgl. Ign. Ad Smyrn. 3,2: „Betastet mich und seht, dass ich kein leibloser Dämon bin.“ Im spätantiken Griechisch wird daraus „genau untersuchen“ (examine closely); vgl. J.H. MOULTON/G. MILLIGAN, Vocabulary of the Greek Testament Illustrated from the Papyri and Other Non-Literary Sources, London 1929, 697f. Diese antidoketische Verwendung überträgt schon DOBSCHÜTZ, Sinne, 389, auf die Thomasgeschichte. Zum Beleg allerdings, dass hier mit der Feststellung der Identität des Auferstandenen mit dem Gekreuzigten ein Beweis der Auferstehung geliefert werden solle, verweist Dobschütz signifikanterweise wiederum auf Lk 24,34!

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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liefert nach dem Berühren das Essen: Jesus begehrt zu essen und verzehrt vor den Augen der Jünger einen gebratenen Fisch (24,41-43).124 Auf die weitergehende theologische Bedeutung des Verbs weist H.J. Klauck in seinem Kommentar zum Proömium des 1. Johannesbriefs hin.125 Man diskutiert sie zumeist im Zusammenhang der anderen Stelle innerhalb des lukanischen Doppelwerks, an der sich das Verb findet: In der Areopagrede (Apg 17,27) nämlich geht es im Kontext hellenistisch-philosophischer Religiosität um die Erkenntnis Gottes und das Suchen nach ihm.126 Der lukanische Paulus versucht den athenischen Philosophen die Erkenntnis des „unbekannten Gottes“ (Apg 17,23), des über der Welt stehenden Schöpfers nahezubringen, der sich nicht in von Händen geformte Bilder fassen lässt, sondern von Paulus als Herr der Geschichte und Schöpfer der Welt verkündigt wird: Dieser Gott hat es den Menschen zur Aufgabe gestellt, ζητεῖν τὸν θεὸν εἰ ἄρα γε ψηλαφήσειαν αὐτὸν καὶ εὕροιεν (17,27). Sie sollen ihn also gleichsam im Erkenntnisdunkel der Welt zu ertasten und damit zu finden versuchen.127 Das Berühren erscheint hier 124 Vgl. Ri 13,15f.; Tob 12,19; ApkAbr 13,3. Zum Problem der Nahrungsaufnahme von Engeln und herausgehobenen Menschen bzw. Engeln auf Erden vgl. D. GOODMAN, Do Angels Eat?, JJS 37 (1986), 160-175. 125 Vgl. H.-J. KLAUCK, Der erste Johannesbrief, EKK 23/1, Neukirchen-Vluyn u.a. 1991, 61-64; darin der Hinweis auf Mose als den, „der stets das Göttliche betrachtet (ψηλαφῶντος) und in den Händen hält“ bei Philon De mut. nom. 126 (ebd., 62). 126 Vgl. E. NORDEN, Agnostos Theos. Untersuchungen zur Formengeschichte religiöser Rede, Darmstadt 41956, 14-18; LÖHR, Verherrlichung, 150-158. Nach Norden meint das Wort in der Septuaginta wie im Neuen Testament eindeutig ein sinnlich-körperliches Berühren, ein Betasten (vgl. Gen 27,11; Dtn 28,29), das er als stoisches Element deutet (14f.). Jes 59,10 verbindet dies mit einer übertragenen Bedeutung: Sie tasten sich (ψηλαφήσουσιν) durch die Dunkelheit wie Blinde, weil sie nicht auf dem Weg des Friedens wandeln. Gerade die Quellen aus dem platonischen Bereich (s. die folgende Anm. 127) machen indes deutlich, dass die körperliche Berührung als Weg zum Göttlichen auch im Rahmen mittelplatonischer Bildhermeneutik gedacht werden kann. 127 KLAUCK weist darauf hin, dass ψηλαφᾶν insbesondere dort verwendet wird, „wo der Tastsinn den Ausfall anderer Sinnesorgane ersetzen muss“ (1. Johannesbrief, 62, mit Verweis auf Gen 27,12,21f.; Ri 16,26). Instruktiv zum Vergleich ist die Kommunikationstheorie in Plut. De gen. Socr. 589B-C. Die Kommunikationsform unter den Menschen wird hier im Vergleich zu derjenigen der geistigen daimones beschrieben. Da die Menschen als körperliche Wesen ihre Gedanken im Gegensatz zu den daimones nicht unmittelbar vermitteln können, tasten sie sich gleichsam mit ihren Wörtern durch die Dunkelheit (ἀλλ’ ἐν ὅσῳ µάλα δίχα φωνῆς ἐννοηθεὶς κινεῖ λόγος ἀπραγµόνως, οὕτως οὐκ ἂν οἶµαι δυσπείστως ἔχοιµεν ὑπὸ νοῦ κρείσσονος νοῦν καὶ ψυχὴν ψυχῆς θειοτέρας ἄγεσθαι θύραθεν ἐφαπτοµένης ἣν πέφυκεν ἐπαφὴν λόγος ἴσχειν πρὸς λόγον ὥσπερ φῶς ἀνταύγειαν. τῷ γὰρ ὄντι τὰς µὲν ἀλλήλων νοήσεις οἷον ὑπὸ σκότῳ διὰ φωνῆς ψηλαφῶντες γνωρίζοµεν· αἱ δὲ τῶν δαιµόνων φέγγος ἔχουσαι τοῖς δυναµένοις ἰδεῖν ἐλλάµπουσιν, οὐ δεόµεναι ῥηµάτων οὐδ’ ὀνοµάτων, οἷς χρώµενοι πρὸς ἀλλήλους οἱ ἄνθρωποι συµβόλοις εἴδωλα τῶν νοουµένων καὶ εἰκόνας ὁρῶσιν, αὐτὰ δ’ οὐ γιγνώσκουσι πλὴν οἷς ἔπεστιν ἴδιόν τι καὶ δαιµόνιον ὥσπερ εἴρηται φέγγος; vgl. zu dieser Stelle R. HIRSCH-LUIPOLD, Plutarchs Denken in Bildern. Studien zur literarischen,

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

als Weg zum Finden Gottes und zur Erkenntnis. Die Semantik des Verbums128 wie auch die Wahl des Optativs zeigt dabei gerade die Distanz zum Erkenntnisgegenstand an, einen Vorbehalt, der sich auf den noch nicht vorhandenen Glauben der Hörer des Paulus beziehen mag129, aber auch für ein Verständnis im Sinne eines skeptischen Vorbehaltes im Blick auf die Möglichkeit von Gotteserkenntnis offen ist. Das Betasten, von dem hier die Rede ist, beinhaltet also weniger den Aspekt der körperlichen Vergewisserung als jenen eines unsicheren Ertastens. Instruktiv ist die Verwendung des Verbs in dem – klar auf den JohannesProlog bezogenen130 – Proömium des 1. Johannesbriefs: Neben Sehen und Hören umfasst das als Grundlage des Glaubens und der Verkündigung dienende Zeugnis in 1Joh 1,1 das „Betasten“ (ψηλαφᾶν): Ὃ ἦν ἀπ’ ἀρχῆς, ὃ ἀκηκόαµεν, ὃ ἑωράκαµεν τοῖς ὀφθαλµοῖς ἡµῶν, ὃ ἐθεασάµεθα καὶ αἱ χεῖρες ἡµῶν ἐψηλάφησαν περὶ τοῦ λόγου τῆς ζωῆς …

Diese überraschende Erwähnung des Betastens neben „Sehen“ und „Hören“ wird bei der Kommentierung vielfach schlicht überlesen. Auffällig sind hier, wie in der Thomaserzählung, die sinnlichen Wahrnehmungsvorgänge durch die Hinzufügung der jeweiligen Wahrnehmungsorgane unterstrichen.131 Mit der Verwendung der 1. Person Plural (ἀκηκόαµεν, ἑωράκαµεν, ἐθεασάµεθα; vgl. Joh 1,14) wird die individuelle Rezeption des Heilsereignisses hervorgehoben. philosophischen und religiösen Funktion des Bildhaften, STAC 14, Tübingen 2002, 31). R. BULTMANN, Die drei Johannesbriefe, KEK 14, Göttingen 71967, 15 Anm. 3, verweist neben dieser Stelle auf Dion Chrys. or. 12,60 (Olymp. Rede); dort allerdings ist von der Berührung (ἅπτεσθαι) des Göttlichen in einer Götterstatue die Rede. Freilich beschäftigt sich die gesamte Rede mit dem Thema der bildhaften Repräsentation des Göttlichen und damit auch mit dem Problem der Wahrnehmung. Besonders instruktiv § 29: „In jeder Hinsicht waren sie [sc. die Menschen] erfüllt von der göttlichen Natur, durch Gesichtssinn und Hörvermögen, überhaupt durch die ganze Sinneswahrnehmung (συµπάσης αἰσθήσεως)“ (Übersetzung H.-J. Klauck). Gegenüber dieser stoisch inspirierten Sicht des Göttlichen erscheint in Ign. Polyc. 3,2 ἀψηλάφητος geradezu als Gottesprädikat (neben ἄχρονος, ἀόρατος, ἀπαθῆς). Ein Berühren Gottes kommt nach allgemeiner jüdisch-christlicher Überzeugung nicht in Betracht. In der späteren dogmengeschichtlichen Entfaltung konnte dementsprechend die göttliche Natur Jesu im Gegensatz zur menschlichen mit dem Adjektiv „unberührbar“ (ἀναφής) bezeichnet werden (Greg. Nyss. Contra Eun. II 1; Tat. Ad Graec. 4; vgl. PGL, 127 s.v. ἀναφής), während die Menschlichkeit Jesu im Gegenüber zu seiner Göttlichkeit als ψηλαφητός bezeichnet wird (vgl. Athan. Apol. I 3 [PG 26, 1097B]; Greg. Nyss. Contra Eun. III 10,3f.; Joh. Dam. De fid. Nest. 28 [246 Kotter]; Theodoret. Eran. 169, 25f.). 128 Vgl. R. PESCH, Die Apostelgeschichte (Apg 13-28), EKK V/2, Neukirchen-Vluyn 2 2003, 138. 129 Vgl. E. HAENCHEN, Die Apostelgeschichte, KEK 3, Göttingen 161977, 461f. 130 Vgl. BULTMANN, Johannesbriefe, 13. Die Frage der Chronologie der johanneischen Schriften muss hier nicht erörtert werden. 131 Vgl. ebd., 15.

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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In dem „Wir“ ist zudem eine Verschränkung der Zeitebenen im Rezeptionshorizont angedeutet, die das von den Augenzeugen unmittelbar Erlebte mit der eigenen Glaubenserfahrung der Leser gleichzeitig werden lässt und so geschichtliches und eschatologisches Geschehen überblendet. Dies gilt, obwohl durch die 2. Pers. Plural in 1Joh 1,3.5 die Rezipienten der Botschaft klar von den Verkündigern unterschieden werden. Denn in der Folge wird in 1Joh 1,610 aufgezeigt, wie durch die gemeinschaftliche Teilhabe (κοινωνία) am λόγος τῆς ζωῆς und damit an dem Licht durch die gemeinsame Praxis der Liebe in der Gemeinde die Dunkelheit dem Licht bereits gewichen ist und sich auf diese Weise das geschichtlich Erfahrene als schon innerhalb der Gemeinde wirksam erweist. Wie in der Passaliturgie der Auszug des Volkes Israel aus Ägypten erinnert und neuinszeniert wird, so werden die Glaubenden hier zu Teilen der erinnerten Geschichte Jesu.132 Wiederum überrascht die Konkretheit sinnlich-körperlicher Vergewisserung im Vorgang des Berührens, die im Zusammenhang der Botschaft vom λόγος τῆς ζωῆς steht. Im Anschluss an die vorgetragene Interpretation der johanneischen Jesusgeschichte als Geschichte des mit allen Sinnen wahrnehmbaren fleischgewordenen Logos erschließt sich indes diese Verwendung. Gemeint ist die umfassende geschichtliche, den Menschen mit allen Sinnen ansprechende Erfahrung des in Christus gegenwärtig gewordenen Heils.133 Ob freilich in 1Joh 1,1 ein Reflex der Thomasgeschichte zu erblicken ist und nicht vielmehr ein Hinweis auf den irdischen Jesus, ist durchaus umstritten.134 Außer in 1Joh 1,1 und im lukanischen Doppelwerk erscheint ψηλαφᾶν im Neuen Testament nur noch in Hebr 12,18.135 Auch hier geht es unmittelbar um die Frage körperlich-sinnlicher Gotteserfahrung im theologischen Zusammenhang der Epiphanie, nun allerdings in Abgren132

Vgl. ebd., 16. Bultmann zitiert Pesachim X: „In jedem Zeitalter ist man verpflichtet, sich selbst so anzusehen, wie wenn man selbst aus Ägypten ausgezogen wäre … er hat uns herausgeführt aus der Knechtschaft in die Freiheit.“ Hier spielt auch die korporative Sicht gesellschaftlicher Systeme eine Rolle, die Familien und Völker als Lebewesen mit einer zusammenhängenden Geschichte begreifen kann. 133 H.-J. KLAUCK formuliert als Fazit seines Überblicks über die Verwendung von ψηλαφᾶν mit gewissen Rückwirkungen auch auf unsere Stelle, an der das Verb gar nicht erscheint: „Zwar gibt es für eine metaphorische Verwendung von ψηλαφᾶν genügend Belege, aber der Stichentscheid muss immer vom Kontext her fallen, und der spricht in unserem Fall gegen eine Vergeistigung. Mit den Händen betasten und mit eigenen Augen sehen ist so wörtlich gemeint, wie es klingt“ (1. Johannesbrief, 63). 134 Nach BROWN hat das Motiv der Berührung in 1Joh 1,1 „nothing to do with touching the risen Christ“ (Komm. II, 1046); Bultmann zufolge kann es „in dieser Gestalt nur auf die historische Gestalt Jesu (den ‚Inkarnierten‘) gehen“ (Johannesbriefe, 15 Anm. 2; vgl. R. SCHNACKENBURG, Die Johannesbriefe, HThK 13/3, Freiburg i.Br. u.a. 21963, 53). Problematisch ist, wie oben dargelegt, die dabei vorausgesetzte Unterscheidung zwischen der Wahrnehmung des Irdischen und derjenigen des Auferstandenen. 135 Vgl. E.C. SELWYN, On ψηλαφάω in Hebr 12,18, JThSt 12 (1911), 133f.

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

zung von dem äußerlichen, „greifbaren“ (ψηλαφωµένῳ) Feuer, das – in polemischem Duktus – mit der Sinaierfahrung in Zusammenhang gebracht wird. Im Rahmen von Hebr 12,18-21 folgt wenig später mit θιγγάνειν ein weiteres Verb des Berührens (V. 20 im Kontext der vernichtenden Kraft der unmittelbaren Gottesbegegnung; der Bezug auf den Klang einer Trompete und das Hören von Verkündigungsworten rundet in V. 19 das sinnliche Offenbarungserlebnis [τὸ φανταζόµενον] ab, das Moses voller Schrecken zurücklässt; V. 21).

Das Thema des Beweises der Körperlichkeit des Auferstandenen durch Betasten wird bei Ignatius Ad Smyrn. 3,2 und in der Epistula Apostolorum aufgenommen.136 Ignatius berichtet davon, wie die Jünger dazu aufgefordert wurden, Jesus zu berühren (λαµβάνειν, ψηλαφᾶν, ἅπτεσθαι), um festzustellen, dass es sich nicht um ein Phantom, einen „körperlosen Geist“ (δαιµόνιον ἀσώµατον) handelte – was sie dann auch taten.137 In Ep. Ap. 11-12 wird erzählt, wie Petrus, Thomas und Andreas Jesu Wundmale berühren. Die antidoketische Ausrichtung einer solchen Ausformung der Erzählung ist offenkundig. Interessant ist die Tendenz, Lukas und Johannes harmonisierend auszuformulieren138: In Ep. Ap. sind alle Jünger, nicht nur Thomas, ungläubig.139 Mit diesem Detail aber wird eben die Funktion des Thomas gegenüber den Nachfolgenden expliziert und durch die Hinzufügung von Petrus weiter autorisiert (11,6f.): „Wieso zweifelt ihr noch und seid ungläubig? … Damit ihr erkennt, dass ich es bin. Petrus, lege deine Finger in die Nägelmale meiner Hände. Und auch du, Thomas, lege deine Finger in die Lanzenstiche meiner Seite.“ Das anschließende „Wir aber berührten ihn“ (12,1) füllt die schmerzlich empfundene Erzähllücke des Johannes. In der späteren Auseinandersetzung in gnostischen Parallelen wird gerade betont, dass man durch Jesus hindurchlangt, und auch, dass er keine menschlichen Verdauungsvorgänge mehr kennt.140

136

Vgl. CAMERON, Seeing, 49-54. Vgl. weiter die interessanten Verweisstellen des NEUWETTSTEIN zur Stelle aus Philostrats Vita Apollonii VIII 12, sowie MidrRuthR zu 3,9 (vgl. KREMER, Nimm deine Hand, 2161). Der Beleg bei Philostrat bezieht sich allerdings auf den Aspekt, der gerade nicht bei Johannes, sondern bei Lukas im Zentrum steht, nämlich auf die Frage, ob es sich bei Apollonios um ein εἴδωλον, eine Erscheinung, handelt. 137 Ign. Ad Smyrn. 3,1-3: Ἐγὼ γὰρ καὶ µετὰ τὴν ἀνάστασιν ἐν σαρκὶ αὐτὸν οἶδα καὶ πιστεύω ὄντα. Καὶ ὅτε πρὸς τοὺς περὶ Πέτρον ἦλθεν, ἔφη αὐτοῖς· „Λάβετε, ψηλαφήσατέ µε καὶ ἴδετε, ὅτι οὐκ εἰµὶ δαιµόνιον ἀσώµατον.“ Καὶ εὐθὺς αὐτοῦ ἥψαντο καὶ ἐπίστευσαν, κραθέντες τῇ σαρκὶ αὐτοῦ καὶ τῷ πνεύµατι. Διὰ τοῦτο καὶ θανάτου κατεφρόνησαν, ηὑρέθησαν δὲ ὑπὲρ θάνατον. Μετὰ δὲ τὴν ἀνάστασιν συνέφαγεν αὐτοῖς καὶ συνέπιεν ὡς σαρκικός, καίπερ πνευµατικῶς ἡνωµένος τῷ πατρί. Vgl. Ign. Trall. 9,1. 138 Zur Kombination von Aspekten aus Lukas und Johannes vgl. J. HARTENSTEIN, Die zweite Lehre. Erscheinungen des Auferstandenen als Rahmenerzählungen frühchristlicher Dialoge, TU 146, Berlin u.a. 2000, 121-123. Auch der Lanzenstich (Joh 19,34) wird in Ep. Ap. 11,7 aufgenommen. 139 Vgl. ebd., 122. 140 Vgl. o. 38. EN

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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Diese Parallelen lassen kontrastierend hervortreten, wie anders das Problem des johanneischen Thomas liegt. Ihm geht es, wie in den verschiedenen Szenen des Kapitels vorher, um die über die Sinne wahrzunehmende Bestätigung der Wirklichkeit der Auferstehung Jesu. Für die Jünger wie für die Leser ist sie die endgültige Bestätigung aller in Jesu Geschichte vorläufig erfahrenen Realität, die erst von der Auferstehung her verstanden werden kann (2,22; 12,16141). Die tastende Vergewisserung einer Realität, die eigentlich menschliche Wahrnehmung und menschliches Verständnis übersteigt, ist durchaus enthalten. Thomas geht es damit zugleich um die Möglichkeit, zu dem Auferstandenen eine neue Beziehung herzustellen, die er über das betonte µου in 20,28 formuliert. Was er nicht glauben kann, wenn er es nicht über die Sinne bestätigt bekommt, ist die Realität der Auferstehung. Die Frage dagegen, ob der Erscheinende körperlichreal ist oder bloßes Gespenst, spielt in der johanneischen Darstellung keine Rolle.142 Entsprechend spielt auch das Essen Jesu keine Rolle; erst in der Mahlszene Joh 21,9-13 wird es zum Thema, wobei auch dort signifikanterweise nicht explizit vom Essen Jesu die Rede ist. Vielmehr bereitet Jesus den Jüngern das Mahl und teilt es ihnen aus. Herausgestrichen wird also der Gemeinschaftsaspekt des Essens, der von Jesus erneut gestiftet wird, indem er Essen sowohl zur Verfügung stellt als auch austeilt. Die Bedeutung der körperlichen Erfahrung liegt nicht in der Christologie, sondern in der Ekklesiologie: Christus wird erfahrbar in der Gemeinschaft, die er stiftet. Die Darstellung kann also als durchaus stimmige Fortschreibung der johanneischen Schilderung in Joh 20 betrachtet werden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Besonders deutlich hat sich beim Verb ψηλαφᾶν der Aspekt einer körperlichen Vergewisserung durch Betasten herauskristallisiert. Dies kann verwendet werden 1. in antidoketischem Sinne für einen handfesten Beweis der Körperlichkeit Jesu (Lk 24,39); 2. für eine körperliche Vergewisserung der die Welt übersteigenden Heilsgegenwart Gottes (Apg 17,27); 3. im übertragenen Sinn für ein tastendes Suchen nach der Wahrheit Gottes, gleichsam einen πραγµάτων ἔλεγχος οὐ βλεποµένων (Hebr. 11,1), eine „prüfende Vergewisserung von Dingen, die man nicht sehen kann“, die der Hebräerbrief der sinnenhaften Sinai-Erfahrung (Hebr 12,18-21) polemisch gegenüberstellt.

141

Dieses Verstehen entspringt, wie 14,26 deutlich macht, aus der Erinnerung durch die Wirkung des Geistes. 142 Vgl. FREY, „Ich habe den Herrn gesehen“, 278f.282.

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4.2.1.3 ἅπτεσθαι – berühren Der Aspekt der Berührung kann man innerhalb der johanneischen Erscheinungsberichte noch an einer zweiten Stelle finden, nämlich bei Maria Magdalena. Jesu Verbot, ihn zu berühren (µή µου ἅπτου; Joh 20,17)143, wurde zumeist im Kontrast zu der anschließenden expliziten Aufforderung Jesu an Thomas gelesen, die Finger in seine Wundmale zu legen. Wo man den vermeintlichen Widerspruch144 nicht literarkritisch zu lösen versuchte, fand man darin vielfach eine Entwicklung ausgedrückt: Jesus verändere nach der Begegnung mit Maria Magdalena seinen Status.145 Dies erkläre, weshalb Maria Magdalena eine Berührung des Auferstandenen noch verweigert, diese dem Thomas aber gewährt, ja geradezu von ihm gefordert wird.146 Neuerdings werden verschiedentlich Versuche einer integrativen Sicht der beiden Erzählungen unternommen147: Man sieht in der Beziehung der beiden Geschichten aufeinander Stadien der Suche nach dem Osterglauben.148 Schauen wir uns die Semantik des verwendeten Verbums genauer an, um Klarheit darüber zu erhalten, ob die Szene überhaupt zum Gegenstand unserer Untersuchung zählt. Mit ἅπτεσθαι wird hier jenes Verbum körperlicher Wahrnehmung verwendet, das seit Aristoteles durchaus terminologisch den Tastsinn (ἁφή) bezeich143 Theobald erblickt in diesem Vers „den hermeneutischen Schlüssel zum Verständnis von Kap. 20“ (Osterglaube, 99). 144 In aller Schärfe WELLHAUSEN, Komm., 93. Zum Problem vgl. DOBSCHÜTZ, Sinne, 389f. 145 BULTMANN spricht von einem „eigentümlichen Zwitterzustande“ (Komm., 532; vgl. SCHNELLE, Komm., 328: „Zwischenzustand“), bezieht das οὔπω dann allerdings sogleich auf Maria Magdalena und verlagert das Problem damit – zu Recht – auf die Ebene der Rezeption: „Sie kann noch nicht in Gemeinschaft mit ihm treten, ehe sie ihn als den erkannt hat, der den weltlichen Bedingungen enthoben, beim Vater ist“ (ebd., 533). P. BENOIT, Exégèse et Théologie, 4 Bde., Paris 1961-1982, I 373, vermutet, zwischen Joh 20,17 und 22 habe die Himmelfahrt stattgefunden. 146 Einen ironischen Ton in der Aussage des Auferstandenen zur Erklärung dieses Phänomens hatten wir oben bereits für unwahrscheinlich erklärt. 147 Vgl. THYEN, Komm., 762; LEE, Partnership, 42f. Einen Vergleich der beiden (Nicht-) Berührungsszenen in Joh 20 (Maria Magdalena und Thomas) führt SCHNEIDERS, Touching the Risen, 171-176, durch. 148 Vgl. LEE, Partnership passim; SCHNEIDERS, Touching the Risen, 169-176. Schneiders sieht ein Fortschreiten zunächst von einem vorösterlichen Glauben zum Osterglauben und sodann vom Osterglauben zu einem nachösterlichen Glauben. Durch die Verschriftlichung können die vorösterlichen Semeia Jesu ihre glaubenstiftende Funktion in der nachösterlichen Zeit weiter ausüben: „The Evangelist then concludes the Gospel by directly addressing the disciples of the post-Easter dispensation. The pre-Easter Jesus, says the evangelist, did many visible signs, only some of which are written in the gospel. But the written gospel has exactly the same function in the faith of later disciples that the signs Jesus performed in Palestine had for the apostolic generation” (169).

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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net.149 Entscheidend für die semantische Struktur dieses Verbs ist der Aspekt des Kontakts („berühren“).150 Über das Berühren entsteht eine unmittelbare Verbindung, die metaphorisch mit der Vermittlung von Wissen und Überzeugung in Zusammenhang gebracht werden kann151, aber auch mit der Vermittlung von Kraft, Gesundheit und Segen.152 Dem Berühren, wie es sich in diesem Verb ausdrückt, eignet im Neuen Testament eine soziale und eine medizinische Komponente mit magischen Obertönen.153 Sozial stellt ein solcher körperlicher Kontakt eine Beziehung her, die Ausgegrenzte wieder zu einem Teil der Gesellschaft werden lassen kann.154 Freilich kann das Verb auch kultisch für die Berührung unreiner Dinge verwendet werden.155 Vielfach besteht die theologische Pointe der Verwendung des Verbs gerade in der Spannung

So regelmäßig in Auflistungen der fünf Sinne, wie sie sich seit Aristoteles (EN 1118b1) bei den Aristoteleskommentatoren und bei Philon verschiedentlich finden. Allg. zum Verb vgl. O.V. HEICK, The Use of the Verb ,Hapto‘ in the New Testament, LCQ 12 (1939), 90-95; MEYER, Kommt und seht, 228-231. Heick widmet den größten Teil seiner Darlegung Joh 20,17 (92-94) und diskutiert das Verb ἅπτεσθαι im Kontext der übrigen Verben der Berührung. Ein Artikel ἅπτω bzw. ἅπτοµαι fehlt signifikanterweise im ThWNT. Nach den eigenen, im Vorwort dargelegten Zielen des Wörterbuchs, nämlich alle Wörter innerhalb des Neuen Testaments zu behandeln, denen „irgendeine religiöse und theologische Bestimmung anhaftet“ (V), kann dies nur bedeuten, dass für ἅπτειν bzw. das Medium ἅπτεσθαι eine solche religiöse Bedeutung nicht vorauszusetzen ist. Eine solche Bedeutung (vor allem anhand von Joh 20,17) wahrscheinlich zu machen, ist das Ziel der Ausführungen von Heick. Heick notiert die Spannung zwischen 20,17 und 20,27 als Kernproblem. Die Vorstellung, zwischen diesen Versen habe der Aufstieg zum Vater stattgefunden, kann s.E. nicht überzeugen: Der Gedanke eines Aufstiegs zum Vater an dieser Stelle missachte die futurische Bedeutung von ἀναβαίνω (vgl. 7,33; 8,21; 13,33 u.a.) und schaffe damit zugleich Probleme für die Verortung der Thomasperikope, bei der Jesu körperliche Präsenz erneut vorausgesetzt ist; der Gedanke, Jesus verweise Maria auf eine neu zu etablierende spirituelle Gemeinschaft, scheitere daran, dass eine solche Gemeinschaft nirgendwo im Neuen Testament mit einem Verbum der Berührung verbunden sei. 150 In diesem Sinne auch geometrisch; vgl. z.B. Arist. Phys. 231a22. 151 Plat. Phaed. 99e wird das Verb in einem komplexen Vergleich für den Versuch verwendet, einen Kontakt mit der Ideenwelt über die Sinneswahrnehmung insgesamt (über die Augen und ἑκάστη τῶν αἰσθήσεων) herzustellen (während ἁφή Rep. VII 523e; ἐπαφή Theaet. 186b gerade den Gegensatz von körperlicher Wahrnehmung und Erkenntnis unterstreichen). 152 Auch die Kinder werden zu Jesus gebracht, damit er sie anrührt (Mk 10,13 par Lk 18,15). 153 MOULTON/MILLIGAN, Vocabulary, verweisen beispielhaft auf eine Inschrift am Asklepieion in Epidauros aus dem 3.Jh.v.Chr. (Syll. 80362). 154 Vgl. Mk 10,13 von den Kindern. 155 2Kor 6,17 und verschiedentlich in der Septuaginta (Num 16,26; Jes 52,11). Es gerät dann in besondere Nähe zu θιγγάνειν. 149

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zwischen Verunreinigung und Reinmachung/Heilung.156 In der Verbindung mit Speise kann das Verb „essen“ bedeuten („Speise anrühren“157), in der Verbindung mit Vorhaben „etwas in Angriff nehmen“. Klassisch ist zudem die Bedeutung „ergreifen, umfangen“158, davon abgeleitet metaphorisch „sich an etwas klammern“.159 In 1Joh 5,18 bedeutet ἅπτεσθαι „jemandes habhaft werden“. Die Aspekte des Medizinischen und des Sozialen können auch verbunden sein. In den Heilungsgeschichten der synoptischen Evangelien stellt insbesondere Jesus mit seiner Berührung einen heilsamen Kontakt her, indem er Menschen zu sich selbst, zur Gesellschaft und zu Gott in eine neue, heilsame Beziehung setzt160: Jesus berührt die Menschen in ihrer Krankheit und Ausgegrenztheit; in seinem Sohn lässt sich Gott mit der Unreinheit und Unvollkommenheit der Welt und des menschlichen Lebens affizieren (vgl. bes. die Heilung des Aussätzigen Mt 8,3 parr). Im Fortgang berührt Jesus die Hand der Schwiegermutter des Petrus, um sie vom Fieber zu heilen (Mt 8,15); bei der Heilung der Blinden berührt er ihre Augen (Mt 9,29; 20,34161), beim Taubstummen die Zunge (Mk 7,33; dazu legt er die Finger in seine Ohren162); in Lk 22,51 heilt Jesus durch Berührung sogar das abgeschlagene Ohr des Knechts des Hohenpriesters.163 Umgekehrt berühren Menschen Jesus und werden dadurch geheilt (Lk 8,44-48 parr; Mt 14,36 par Mk 6,56; Mk 3,10; 5,27-29; Lk 6,19). Dabei schwingen magische Obertöne mit. Eine Form der Heilung bedeutet auch die an sich eher sozial konnotierte Berührung durch die „Sünderin“ in Lk 7,39. In Lk 7,14 durchbricht Jesus sogar die Grenze zum Tod, indem er den Sarg des Sohnes der Witwe zu Nain berührt. Interessant ist das Berührungsmotiv im Zusammenhang der Verklärungsgeschichte Mt 17,7. Es scheint geradezu dazu zu dienen, die Himmelsszene zu schließen und die Jünger in die irdische Gemeinschaft mit Jesus zurückzuführen.

156

Besonders deutlich in Mt 8,3 parr, wo Jesus durch Berührung einen Leprakranken rein macht; im sozialen Kontext vgl. nur Lk 7,39. 157 Z.B. Hom. Od. IV 60; X 379; Arr. Anab. IV 9,5. 158 Z.B. Hom. Il. I 512 (Knie). Die Verwendung vom ehelichen wie außerehelichen sexuellen Verkehr (1Kor 7,1; aber auch bereits Plat. Leg. VIII 840a; Arist. Polit. 1335b40) ist wohl ebenfalls hier einzuordnen. 159 Z.B. Plat. Leg. XII 967c. 160 Vgl. zur heilenden Berührung Jesu R. FELDMEIER, Der unsichtbare Gott und die menschlichen Sinne, in: ders., Der Höchste. Studien zur hellenistischen Religionsgeschichte und zum biblischen Glauben, WUNT 330, Tübingen 2014, 324-326 [= in: Beitragsserie für die Nachrichten der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern in sechs Teilen, München 1997, 300f.]. 161 Bei der Heilung des blinden Bartimäus (Mk 10,46-52; vgl. Lk 18,35-43) ist nicht von einer Berührung die Rede. 162 ἔβαλεν τοὺς δακτύλους αὐτοῦ εἰς τὰ ὦτα αὐτοῦ. Vgl. Mk 8,22f.25: ἐπιθεὶς τὰς χεῖρας. 163 Vergleichbar ist die Formulierung τὴν χεῖρα ἐπιτιθέναι; Mt 9,18; Mk 7,32; 8,23; allerdings zielt sie in der Regel mehr auf einen Kontakt mit dem Menschen insgesamt, während ἅπτεσθαι meist auf einen bestimmten erkrankten Teil bezogen ist. Zu ἁφή im Kontext der Heilung vgl. Orig. Cels. I 48.

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Die semantische Deutung des µή µου ἅπτου in Joh 20,17 ist für die Frage nach der motivischen Einbindung der Thomasperikope von entscheidender Bedeutung. Wie umstritten diese Deutung ist, schlägt sich bereits in sehr divergierenden Übersetzungsvorschlägen nieder.164 Die traditionelle Übersetzung „berühre mich nicht/fasse mich nicht an“165, die sich bereits in der berühmten Formulierung noli me tangere in der Vulgata niedergeschlagen hat, führt in eine Reihe sachlicher Probleme.166 Sprachlich wurde aufgrund der Negation des Imperativs Präsens als einer durativen Befehlsform, die dazu auffordere, mit einer „(bereits) begonnenen Handlung […] aufzuhören“167, die Übersetzung: „Halte mich nicht (länger) fest!“168 oder: „Halte mich nicht auf!“169 vorgeschlagen. Die durative Bedeutung des Imperativ Präsens scheint allerdings zunächst bei jenen Verben zuzutreffen, denen sowieso eine durative Struktur (wie etwa „weinen“; „sein Leben führen“) 164 Vgl. zur Wirkungsgeschichte dieses Verses J. MAIWORM, „Noli me tangere!“ Beitrag zur Exegese von Joh 20,17, ThGl 30 (1938), 540-546. 165 Vgl. D.C. FOWLER, The meaning of „Touch Me Not“ in John 20:17, EvQ 47 (1975), 16-25. Neuerdings wieder SCHNELLE, Komm., 327. 166 Die Schwierigkeiten werden ausführlich dargelegt bei BROWN, Komm. II, 992f. 167 E.G. HOFFMANN/H. SIEBENTHAL, Griechische Grammatik zum Neuen Testament, Riehen 1985, § 212 e: „Nur der Imp. Aor. hieße: Fasse mich (gar) nicht an“; vgl. BLDR § 336 2c (mit Anm. 4): Ein verneinter Imperativ Präsens stehe an Stellen, wo etwas „schon Bestehendes […] aufhören soll“; vgl. weiter J.H. MOULTON, A Grammar of New Testament Greek, Vol. 1 (Prolegomena), Edinburgh 1906, 122-126. 168 Man kann von einer sich ausbildenden communis opinio reden; vgl. SCHNACKENBURG, Komm. III, 375f.; BULTMANN, Komm., 552 Anm. 6; BROWN, Komm. II, 1011; BARRETT, Komm., 542; BEASLEY-MURRAY, Komm., 376; TALBERT, Komm., 250f.; HOSKYNS/DAVEY, Komm., 646; MOLONEY, Komm., 524; DODD, Interpretation, 443; ZUMSTEIN, Komm., 753; X. LÉON-DUFOUR, Lecture de l’Évangile selon Jean. L’heure de la glorification, ParDi 34/IV, Paris 1996, 223: „Cesse de me toucher!“; ders., Resurrection and the Message of Easter, London 1974, 179f. Schneiders will das „mich“ betont wissen. Anstatt sich an Jesus festzuhalten, soll Maria Magdalena über die Gemeinschaft, zu der sie gesandt wird, eine neue Beziehung zu Jesus herstellen: „… ,Not me (emphatic) continue to touch‘, but ,Go to my brothers and sisters‘.“ Nicht so sehr die Berührung an sich werde kritisiert, sondern das Festhalten an Jesus in seiner vorösterlichen Gestalt. „The time for this kind of relationship is over“ (SCHNEIDERS, Written, 219). Nun sei die Gemeinschaft der Brüder und Schwestern der Ort, an dem man Jesus begegnen könne (220). Die Notwendigkeit zu einer sachlichen Erläuterung hat man bereits früh empfunden; dies zeigt der Zusatz von καὶ προέδραµεν ἅψασθαι αὐτοῦ in einigen Handschriften und Übersetzungen. Eine Reihe von (insgesamt wenig überzeugenden) Konjekturvorschlägen sind bei BULTMANN, Komm., 532 Anm. 6, zusammengestellt. Zur Diskussion vgl. THEOBALD, Osterglaube, 110-116. 169 THYEN, Komm., 761; STRATHMANN, Komm., 255; E. FASCHER, Deus invisibilis. Eine Studie zur biblischen Gottesvorstellung, MThSt 1 (1931), 41-77, hier 68. Thyen wendet sich gegen einen „Zwischenzustand“ Jesu (wie ihn BULTMANN, Komm., 532; SCHNELLE, Komm., 328; WILCKENS, Komm., 309f. u.a. voraussetzen). Zu Recht weist Thyen darauf hin, dass der Text nicht sagt, Maria könne Jesus nicht berühren (weil er etwa ein Geistwesen geworden wäre), sondern sie solle ihn nicht anfassen.

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zu eigen ist. Bei anderen der bei BLDR angegebenen Verben wie etwa „sich fürchten“ (Lk 2,10 u.ö.), „Dieb sein; zum Dieb werden“ (Eph 4,28) oder eben „anfassen; umfasst halten“, ist jeweils zu klären, ob sie in durativer oder ingressiver Bedeutung verwendet sind. Bei ἅπτεσθαι hängt der Aspekt von der jeweiligen Verwendung ab: In der Bedeutung „in Angriff nehmen“170 ist natürlich der ingressive Aspekt konstitutiv. Für die Imperative innerhalb des Johannesevangeliums scheint in der Mehrzahl eher zuzutreffen, dass der Imperativ Präsens „für bestimmte einmalige Handlungen“ (bzw., so könnte man hinzufügen, für Handlungen mit ingressivem Aspekt) verwendet werden kann.171 Hierfür verweisen BLDR neben synoptischen Stellen auf eine Reihe von Belegen aus dem Johannesevangelium: ἔρχου καὶ ἴδε (Joh 1,46; 11,34; vgl. 1,39: ἔρχεσθε καὶ ὄψεσθε); πορεύου (20,17); φέρε (20,27a.b172); weiter ἀκολούθει (1,43; 21,19.22); πίστευε (4,20). Bereits in den Phoenissen des Euripides führt Antigone dem erblindeten Vater Ödipus die Hand: „Schau hin, berühr’ die toten Kinder mit der Hand“ (ἰδού, θανόντων σῶν τέκνων ἅπτου χερί; 1700). Auch in medizinischen Texten findet sich der Imperativ ἅπτου (zum Teil mit der Verneinung), wobei verschiedentlich deutlich die initiale Berührung gemeint ist.173 Vorsichtig schließt deshalb Bultmann mit Hinweis auf BLDR § 336.3: „Der Imp. Präs. besagt nicht notwendig, dass sie ihn schon berührt hat, sondern braucht nur vorauszusetzen, dass sie es versucht und im Begriff ist, es zu tun.“174 Im Rahmen der textpragmatischen Bedeutung der imperativischen Grundstruktur des Evangeliums könnte man der durativen Konnotation des Präsens gleichwohl einen guten Sinn zuweisen175: Das Präsens unterstreicht, dass sich in den Imperativen zeitlos über den unmittelbaren Kontext hinaus eine Aufforderung an die zum Glauben gerufenen Hörerinnen und Leser ausspricht.

Das aus dem Hinweis auf die Verwendung des Imperativ Präsens gewonnene sprachliche Argument ist also nicht zwingend.176 Entscheidend ist jedenfalls im vorliegenden Zusammenhang, sich klarzumachen, dass mit der durativen Deutung des Aspekts eine veränderte Semantik des Verbums verbunden ist, mit der 170

Vgl. etwa Epikt. Diss. III 15,3; Ench. XXIX 2,3. BLDR § 336 3 (mit Anm. 5); vgl. BULTMANN, Komm., 532. 172 Die übrigen Imperative dieses Verses stehen im Aorist: βάλε, ἴδε, µὴ γίνου. Gerade die Aufforderung, nicht in seiner Haltung zu verharren, steht hier nicht im Präsens, sondern im verneinten Infinitiv Aorist. Weitere Imperative des Aorist: φώνησον, ἐλθέ (4,16); βάλε, ἴδε (20,27). 173 Z.B. Paulus Aeg. Epit. med. III 22,4: Μελαντηρία κυτοτοµικῆ, µέλιτο Ἀττικοῦ, χυλοῦ τήλεω ἴον· ἕψε, ἄχρι µέλιτο χῇ πάχο, εἶτα τῷ πυρῆνι τῆ µήλη ἅπτου τῶν δύο κανθῶν; Hippiatr. Berol. 74,2: ὅσα δὲ ἐπάνω τοῦ γόνατος κατάσσεται, µὴ ἅπτου· οὐ γίνεται γὰρ ὑγιῆ. καὶ ἐὰν ὁ µηρὸς κατεαγῇ, ἀπογίνωσκε. ὤµου δὲ θραυσθέντος, οὐκ ἔστι θεραπεία· ἐπιγίνεται γὰρ ὀπισθότονος. ἐὰν δέ ποτε συµβῇ θραῦσιν γενέσθαι µετὰ τραύµατος, καὶ διακοπῇ ἡ βύρσα, µὴ ἅπτου µηδὲ τὰ ὑποκάτω δέσµευε· σηπεδὼν γὰρ ὑποτρέχει. 174 BULTMANN, Komm., 532 Anm. 6. 175 Zur imperativischen Grundstruktur des Evangeliums vgl. R. HIRSCH-LUIPOLD, Prinzipiell-theologische Ethik in der johanneischen Literatur, in: F.-W. Horn/R. Zimmermann (Hgg.), Jenseits von Indikativ und Imperativ. Kontexte und Normen neutestamentlicher Ethik Bd. 1, WUNT 238, Tübingen 2009, 289-307, hier 293-297. 176 Ebenso M. EBNER, Wer liebt mehr? Die liebende Jüngerin und der geliebte Jünger nach Joh 20,1-18, BZ 42 (1998), 39-55, hier 41 Anm. 11. 171

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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auch eine grundlegende Verschiebung im Blick auf die Intentionalität der Handlung der Maria Magdalena einhergeht: nicht körperliche Wahrnehmung und Vergewisserung oder eine Bestätigung der Realität der Auferstehung und des Auferstandenen, sondern ein Umfassen und Festhalten. Dieser Aspekt prägt die Parallelstelle Mt 28,9, wo freilich ein anderes Verb verwendet wird (ἐκράτησαν)177: κρατεῖν signalisiert ein Festhalten, das ein „Aufhalten“ sowohl als ein „Sich-Bemächtigen“ implizieren kann. In Mt 28,9 nämlich begegnen Maria Magdalena und „die andere Maria“ auf dem Weg vom Grab zu den Jüngern Jesus und umfangen ihn – als Zeichen der Anbetung178 – an den Füßen. Auf diese Weise liefern sie freilich zugleich dem Leser einen Beleg der körperlichen Realität des Auferstandenen. Von den mit der Deutung des Aspekts verbundenen Konnotationen des Verbs hängt also ab, ob Joh 20,17 überhaupt im Sinne körperlich-sinnlicher Wahrnehmung und Vergewisserung zu verstehen und also in den Zusammenhang der Thomasgeschichte zu stellen ist.179 Drei mögliche Deutungen der Intentionalität der Handlung lassen sich angeben: 1. „Anrühren“: In dieser klassischen ingressiven Bedeutung des Verbums lässt sich der Aspekt der körperlichen Vergewisserung mindestens mitdenken, der den Bezug sowohl zu 20,8 als auch zur Thomasepisode herstellen würde. 2. „Festhalten“: Diese durative Bedeutung lässt sich auch in dem Sinne interpretieren, Maria wolle Jesus in der Form festhalten, wie sie ihn als Irdischen gekannt hatte.180 In dieser Bedeutung stünde Marias Handlung, die versuchte, die Beziehung mit dem Irdischen zu perpetuieren, nicht im Zusammenhang mit der Thomasperikope, und wäre für unser Thema nicht weiter von Belang. Die Verbindung könnte allenfalls über verschiedene Stadien auf dem Weg des Glaubens hergestellt werden. Jesu Ablehnung, so sagt man dann, wolle sie vor dem Missverständnis bewahren, es handle sich bei seiner Auferstehung um eine Restituierung der Beziehung, wie sie früher war.181 177

Zwar wird in Joh 20,23 ebenfalls κρατεῖν verwendet, aber in vollkommen anderem Sinn (behalten von Sünden). 178 κρατεῖν gehört in den Zusammenhang der Proskynese. Vgl. W.D. DAVIES/D.J. ALLISON JR., A Critical and Exegetical Commentary on the Gospel According to Saint Matthew, 3 Bde., ICC, Edinburgh 1988-1997, III 669. 179 BROWN, Komm. II, 1011, weist nicht nur auf die unterschiedlichen Verben hin, die jeweils verwendet werden. 180 DODD, Interpretation, 443; BROWN, Komm. II, 992f.1011-1014. Oder: „Halte mich nicht fest in meinem gegenwärtigen Status“ (DIETZFELBINGER, Osterglaube, 24). In diesem Sinne schon Joh. Chrys. In Io. hom. 86,1-2; dagegen SCHNEIDERS, Touching the Risen, 171. 181 Nach WENGST, Komm. II, 304, ist der Abschied wichtig, um eine neue Gegenwart erfahren zu können. Dagegen sieht D. Zeller eine Kritik Jesu: Der Aspekt des Berührens könnte zwar aus der Tradition (Mt 28,9b) vorgegeben sein, „macht aber jetzt auch das allzu menschliche Wollen MMs (sc. Maria Magdalenas) offenkundig“ (D. ZELLER, Der Ostermorgen im 4. Evangelium [Joh 20,1-18], in: L. Oberlinner [Hg.], Auferstehung Jesu – Auferstehung der

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

3. „Aufhalten“: Diese Bedeutung betrachtet den Weg Jesu gewissermaßen in der anderen Richtung: zum Vater hin. Jesus befindet sich bereits auf dem Weg zum Vater.182 Wie er selbst im Folgenden deutlich macht, führt sein Weg zum Vater hin, während Maria sich auf den Weg zu den Jüngern machen soll. Diese für die Ausbreitung des Evangeliums essentiellen Wege sollen nicht durch das Festhalten der Maria unterbrochen worden. Nur die erste Möglichkeit lässt den Aspekt der individuellen Aneignung des Glaubens durch körperliche Wahrnehmung und damit das Verhältnis von Wahrnehmung, Erkenntnis und Glauben mitdenken. Die beiden übrigen Deutungen dagegen gehören in den Bereich der Beziehung und des körperlichen Kontakts. Aus sich heraus erfordert der Imperativ Präsens, wie wir gesehen haben, keineswegs eine der genannten Übersetzungsvarianten. Da das Verb nicht „sich an jemanden hängen“ bedeutet183, wäre diese Bedeutung nur als intertextueller Kommentar zur Matthäusdarstellung verständlich. Im Unterschied zum ἅπτεσθαι des Johannes bedeutet das dort verwendete κρατεῖν wesentlich eindeutiger ein Festhalten.184 Setzt man, wie F. Neirynck und andere, einen solchen Einfluss von Mt 28,9 auf Joh 20,17 voraus oder will den Vers von dort her verstehen185, so ist zu erklären, weshalb Johannes anstelle des klar verständlichen κρατεῖν ein ausgesprochen vielschichtiges Verbum verwendet.186

Christen. Deutungen des Osterglaubens, QD 105, Freiburg i.Br. u.a. 1986, 145-161, hier 149f. [Nachdr. in: ders., Jesus – Logienquelle – Evangelien, SBAB 53, Stuttgart 2012]). 182 Vgl. THYEN, Komm., 761; SCHNACKENBURG, Komm. III, 376. 183 Vgl. SCHNEIDERS, Written, 219. 184 Für seine Überzeugung, ἅπτεσθαι und κρατεῖν seien austauschbar, führt NEIRYNCK die Heilung der Schwiegermutter des Petrus Mt 8,15 (ἥψατο) par Mk 1,31 (κρατήσας) als Beleg an (Empty Tomb, 583; vgl. BULTMANN, Komm., 532 Anm. 6). 185 NEIRYNCK, Empty Tomb, bietet eine ausführliche Diskussion zum Verhältnis der beiden Stellen (579-600), bei der er eine Abhängigkeit von Mt 28,9f. voraussetzt; vgl. H. THYEN, Johannes und die Synoptiker. Auf der Suche nach einem neuen Paradigma zur Beschreibung ihrer Beziehungen anhand von Beobachtungen an ihren Passions- und Ostererzählungen, in: ders., Studien zum Corpus Iohanneum, WUNT 214, Tübingen 2007, 155-181 [=A. Denaux (Hg.), John and the Synoptics, BETL 101, Leuven 1992, 81-107]; SCHNACKENBURG, Komm. III, 375; BECKER, Komm. II, 725f. Kritisch dagegen M. LANG, Johannes und die Synoptiker. Eine redaktionsgeschichtliche Analyse von Joh 18-20 vor dem markinischen und lukanischen Hintergrund, FRLANT 182, Göttingen 1999, 275; M.É. BOISMARD, L’Évangile de Jean. Études et problèmes, RechBib 3, Brügge 1958, 41-57; ZELLER, Ostermorgen, 149f. FREY, „Ich habe den Herrn gesehen“, 270, spricht für weite Teile der Forschung, wenn er zusammenfassend eine literarische Abhängigkeit des Johannesevangeliums von Markus- und Lukasevangelium voraussetzt, eine Abhängigkeit von Matthäus dagegen für „kaum erweisbar“ hält. 186 κρατεῖν findet sich bei Johannes nur zweimal (in Joh 20,23) mit einer gänzlich anderen Semantik. Woher aber stammt das ἅπτου des Johannes?

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Diskussion über die Deutung des noli me tangere durchaus offen ist. Deutet man die Stelle von Mt 28,9 her und folgt damit der sich (mindestens im angelsächsischen Raum) ausbildenden communis opinio, der zufolge Jesus Maria anweist, ihn nicht länger festzuhalten, so hätten wir es nicht mit einem Verb der Sinneswahrnehmung zu tun. Der Akzent läge folglich deutlich anders als in der Thomaserzählung und diese erste Erscheinung würde im engeren Sinne nicht zum Gegenstand unserer Untersuchung gehören. Für die vieldiskutierte Frage, wieso die Berührung auf engstem Raum der Maria Magdalena versagt bleibt und wenig später von Thomas ausdrücklich gefordert wird, wäre die unterschiedliche Intention bei der Berührung (Wiedergewinnung der alten Beziehung bei Maria/körperliche Vergewisserung zur Erschließung des Glaubens an das Neue bei Thomas) entscheidend. Die klassische, ingressive Übersetzung „Rühre mich nicht an“ rückt den Vorgang näher an die Thomaserzählung heran, es blieben aber die bekannten Schwierigkeiten der Deutung im Kontrast: Warum darf Maria Jesus nicht anfassen, während Thomas sogar explizit dazu aufgefordert wird?187 Hat sich der Status Jesu inzwischen verändert? Aus dem Blickwinkel der Rezeption jedenfalls lässt sich eine Entwicklung deutlich machen: Bei Maria Magdalena (und mit ihr dem Leser) zielt die Berührung eher auf eine Wiedergewinnung als auf eine Neukonstitution der Beziehung zu Jesus. Bei Thomas ist die Erkenntnis der Jünger (und der Leser) durch die durch Maria Magdalena im Auftrag Jesu übermittelte Botschaft von der Auferstehung (20,17b-18), die Erscheinung des Auferstandenen mit dem Zeigen der Wundmale (20,20) und die Gabe des Geistes (20,22) einen entscheidenden Schritt weiter. Durch die genannten Elemente sind sie zu einer neuen Beziehung zu dem auferstandenen Jesus Christus getreten. Die Wirklichkeit der Auferstehung und ihr die Existenz des Einzelnen neuschaffender Charakter188 ist über die unterschiedlichen Wahrnehmungen189 fortschreitend zur Gewissheit geworden. Nun geht es mit der Thomasgeschichte um die Zueignung dieser Gewissheit, um das individuelle Für-Wahr-Nehmen des geschichtlich Hereingebrochenen und im Zeugnis Gegenwärtigen. Aus der Leserperspektive hängt damit ein zweiter Effekt zusammen: Im Gang durch die verschiedenen Begegnungen mit dem Auferstandenen in Joh 20 kommt es zu einer zunehmenden Konkretheit der Wahrnehmung: Vom ganz äußerlichen Sehen auf das Grab mit dem weggerollten Stein (20,1) über das Sehen der 187

Der Gegensatz wird jetzt wieder besonders deutlich als logischer Widerspruch hervorgehoben bei M. DE KESEL, Mary’s Touch. Reflections on Jean-Luc Nancy’s, Deconstruction of Christianity, in: R. Bieringer u.a. (Hgg.), To Touch or not to Touch? Interdisciplinary Perspectives on the Noli me tangere, ANL 67, Leuven u.a. 2013, 1-37, hier 2f. 188 Dies ist der in Joh 20,22 liegenden Anspielung auf Gen 2,7 zu entnehmen. 189 ἑώρακα V. 18; ἰδόντες V. 20; ἑωράκαµεν V. 25; deutlich ist jeweils das Hören (des Namens; des Friedensgrußes) und das Fühlen (des Geisthauches) mit unter das Sehen gefasst.

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

Grabbinden (20,5); von Grabbinden und Schweißtuch (20,6-8), von Engeln (20,12), eines vermeintlichen Gärtners (20,14f.), der sich Maria Magdalena über die Anrede mit ihrem Namen als Jesus offenbart (20,16), schließlich über das Hören der Auferstehungsbotschaft (20,18) und das Sehen des Auferstandenen und seiner Wundmale (20,20), die Ansprache und das Anblasen mit dem Heiligen Geist (20,22) und wiederum die Verkündigung von der Begegnung mit dem Auferstandenen (20,25) kommen wir schließlich zu Thomas. Weil dem aber all dies noch nicht ausreicht, kommt Jesus noch einmal zurück, um nun auch – anders als bei Maria Magdalena, die handgreiflichste Form körperlicher Versicherung einzusetzen, um auch ihn noch zum Glauben zu führen: die Versicherung über das Greifen mit den Händen (20,27).190 4.2.1.4 Exkurs: θιγγάνειν Es mag überraschen, wenn wir abschließend noch das wesentlich seltenere und speziellere Verb θιγγάνειν („anrühren“) ansprechen, obwohl es nicht in den Evangelien verwendet wird; es findet sich im Neuen Testament lediglich in Kol 2,21 und Hebr 11,28; 12,20. Da wir aber in der Thomasperikope gerade keine terminologische Fassung des Berührungsmotivs haben, könnte auch dieses Verb einen möglichen Verständnishorizont bereithalten. Insbesondere Kol 2,21 erscheint in diesem Zusammenhang relevant, weil das Verb an dieser Stelle im Verbund mit zwei Verben der Sinneswahrnehmung verwendet wird, nämlich ἅπτεσθαι und γεύεσθαι191: „Du sollst nicht anfassen, nicht kosten, nicht berühren“ (µὴ ἅψῃ µεδὲ γεύσῃ µηδὲ θίγῃς; Kol 2,21). Ähnlich wie bei ἅπτεσθαι ist von einer Grundbedeutung „anrühren, in Kontakt kommen“ auszugehen, nun allerdings verknüpft mit dem Aspekt kultischer Reinheit.192 In eine ähnliche Richtung geht die Verwendung im pythagoreischen Verbot des Genusses von Bohnen („keine Bohnen anrühren!“).193 Der

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Nicht entnehmen können wir dem Bericht demgegenüber eine „gegenläufige Bewegung“ abnehmender Glaubensgewissheit bei den Jüngern (vom Lieblingsjünger als einem ohne Sehen Glaubenden bis hin zu Thomas), wie sie SCHNELLE, Komm., 322, zu erkennen glaubt. Was wir wahrnehmen können, ist eine zunehmende Überwindung von Widerständen (Missverstehen, Angst, Zweifel). Das Darstellungsinteresse des Evangelisten liegt dabei entsprechend dem literarischen Gefälle der Erzählung darin, durch die zunehmende Konkretheit der Wahrnehmung, die auch die letzten Widerstände überwindet, den Leser zum Glauben zu führen, wie dies in 20,30f. abschließend formuliert ist. 191 Vgl. Speise und Trank (βρῶσις, πόσις) in Kol 2,16. 192 Im Übrigen wird das Verbum in der profanen Gräzität in weiten Teilen synonym zu ἅπτεσθαι verwendet (für den Beginn einer Unternehmung, das Berühren eines Gegenstands mit der Rede oder dem Denken, den sexuellen Verkehr usw.); vgl. LSJ s.v. θιγγάνω. 193 Jamblich, Vita Pyth. 31,191: κυάµων µὴ θιγγάνειν. In POxy 1185,10f. werden verschiedene Verben für essen (ἐσθίειν, ἐπιτρώγειν, θιγγάνειν) nebeneinandergestellt, wobei θιγγάνειν wiederum für jene Speisen steht, die (von Kindern) gerade nicht angerührt werden

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verneinte Imperativ µὴ θίγγανε findet sich auch inschriftlich mehrfach belegt.194 Kol 2,21 zitiert als Teil einer Auseinandersetzung des Briefautors195 mit pneumatischen Gegnern deren Position. Die Warnung vor dem Kontakt steht offenbar im Zusammenhang von Reinheitsgeboten, die der Gemeinde auferlegt werden sollen, wogegen sich der Verfasser des Briefes wendet; möglicherweise bezogen sie sich ursprünglich speziell auf Speisevorschriften.196 Da diese Forderungen allerdings absolut ohne Objekt angeführt werden, inkriminieren sie körperliche Wahrnehmungen insgesamt197: Lohmeyer wertet dies zu Recht als Indiz dafür, dass hier nicht wörtlich zitiert wird, „denn wie könnte Berühren und Schmecken überhaupt verboten werden?“198 Vielmehr würden die Forderungen der Gegner ironisch überspitzt. In der allgemeinen Formulierung mag aber ein Indiz dafür stecken, dass die Körperlichkeit insgesamt von den Gegnern im Zusammenhang einer Abwertung der körperlichen Sphäre als problematisch dargestellt wurde.199 Gegenüber einer Abwertung von Welt und Sinnen geht die Argumentation des Kolosserbriefs – ähnlich wie diejenige im Johannesevangelium – von einer kosmologisch grundgelegten Christologie aus.200 Christus wird im Kolosserbrief als Bild (εἰκών) des unsichtbaren Gottes und Erstgeborenen der gesamten Schöpfung verstanden (Kol 1,15). Als solcher ist er allein legitimer Ausgangspunkt menschlichen Erkenntnisstrebens, das in der Suche nach der Erkenntnis Gottes gipfelt und im gottgemäßen Handeln seinen äußeren Ausdruck findet (Kol 1,9-11). Damit ist bereits ein positiver Zugang zur Ästhetik impliziert, wie er unseres Erachtens für das Johannesevangelium ebenfalls kennzeichnend ist. Der christologische Vordersatz im Blick auf das Verhältnis zur Sinnenwelt findet sich in Kol 2,8f.: sollen. Alle drei Verben können indes auch in der Bedeutung „einer Sache teilhaftig werden“ gebraucht werden. 194 Vgl. z.B. IG 12 (3), 451 aus Thera. 195 Zur nach wie vor umstrittenen Verfasserfrage vgl. U. LUZ, Der Brief an die Kolosser, in: J. Becker/ders., Die Briefe an die Galater, Epheser und Kolosser, NTD 8/1, Göttingen 1998, 183-245, hier 187-190. 196 Im Kontext der Reinheitsthematik erscheint das Verb auch Ep. Arist. 106. 197 BAUER/ALAND, s.v. ἅπτω (!), 204, sieht alle drei Verben hier auf das Essen bezogen: „essen, genießen, verzehren“. 198 E. LOHMEYER, Die Briefe an die Philipper, an die Kolosser und an Philemon, KEK 9, bearb. v. W. Schmauch, Göttingen 131964, 128; vgl. E. LOHSE, Die Briefe an die Kolosser und an Philemon, KEK 9/2, Göttingen 151977, ad loc. 199 Freilich ist bei der Rekonstruktion der Position der Gegner aufgrund der mit jedem mirror-reading verbundenen methodischen Problematik Zurückhaltung geboten. Die umfangreiche Forschungsliteratur kommt hier zu ausgesprochen divergenten Ergebnissen. 200 Vgl. G.H. VAN KOOTEN, Cosmic Christology in Paul and the Pauline School. Colossians and Ephesians in the Context of Graeco-Roman Cosmology, with a New Synopsis of the Greek Texts, WUNT II/171, Tübingen 2003.

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Βλέπετε µή τις ὑµᾶς ἔσται ὁ συλαγωγῶν διὰ τῆς φιλοσοφίας καὶ κενῆς ἀπάτης κατὰ τὴν παράδοσιν τῶν ἀνθρώπων, κατὰ τὰ στοιχεῖα τοῦ κόσµου καὶ οὐ κατὰ Χριστόν· ὅτι ἐν αὐτῷ κατοικεῖ πᾶν τὸ πλήρωµα τῆς θεότητος σωµατικῶς, καὶ ἐστὲ ἐν αὐτῷ πεπληρωµένοι, ὅς ἐστιν ἡ κεφαλὴ πάσης ἀρχῆς καὶ ἐξουσίας. Ἐν ᾧ καὶ περιετµήθητε περιτοµῇ ἀχειροποιήτῳ ἐν τῇ ἀπεκδύσει τοῦ σώµατος τῆς σαρκός, ἐν τῇ περιτοµῇ τοῦ Χριστοῦ, συνταφέντες αὐτῷ ἐν τῷ βαπτισµῷ, ἐν ᾧ καὶ συνηγέρθητε διὰ τῆς πίστεως τῆς ἐνεργείας τοῦ θεοῦ τοῦ ἐγείραντος αὐτὸν ἐκ νεκρῶν.

Schaut darauf, dass nicht einer euch einfängt durch Philosophie und leere Täuschung, die sich auf menschliche Überlieferung stützt, auf die Elemente der Welt und nicht auf Christus. In Christus nämlich wohnt die gesamte Fülle der Göttlichkeit körperlich ein, und ihr seid in ihm (damit) erfüllt; er ist der Kopf jeder Herrschaft und jeder Gewalt. In ihm seid ihr auch beschnitten worden mit einer Beschneidung, die nicht von Menschenhand vorgenommen wurde beim Ausziehen des Fleisches des Körpers, in der Beschneidung Christi. Mit ihm seid ihr begraben in der Taufe, in ihm auch auferweckt durch die Kraft des Glaubens an den Gott, der ihn von den Toten auferweckt hat.

Der Text, der im Zentrum der Debatte um das Wesen der „kolossischen Philosophie“ steht, wurde ausführlich zitiert wegen der hier im Gegensatz zu einer auf Tradition und Weltbeobachtung gründenden Philosophie postulierten, um die körperlich-geschichtliche Erscheinung Jesu zentrierten Erkenntnislehre. In Christus wohnt die gesamte Fülle des göttlichen Wesens körperlich (σωµατικῶς) ein201 – der Bezug zu Joh 1,14-18 ist unüberhörbar. κατοικεῖ entspricht dem ἐσκήνωσεν aus Joh 1,14.202 Indes ist eine Akzentverschiebung im Verhältnis von Christologie und Gotteslehre wahrzunehmen: nach dem Johannesevangelium nimmt der göttliche Logos durch die Fleischwerdung Wohnung „unter uns“, nach Kol 2,9 die Göttlichkeit in Christus. Christus ist hier der Zielpunkt der Einwohnung, bei Johannes ist der Logos Subjekt.203 Mit dem Wechsel des Subjekts und der Hinzufügung „in ihm“ (Kol 2,9) geht ein Wechsel der Perspektive einher: Während Johannes die Einheit des Logos mit Gott betont, wodurch Gott selbst ins Werden eintritt, nimmt nach Kol 2,9 die Fülle der Göttlichkeit in dem Menschen Jesus Christus Wohnung, so dass dann auch alle anderen Menschen diese Fülle erhalten können (wenn sie ihm gleich gestaltet werden, wie Paulus es in Phil 3,10 ausdrückt204). Der Gegensatz besteht also im Kolosserbrief nicht zwischen Philosophie und Religion, der Streit geht vielmehr um die legitimen Grundlagen jeglicher Weisheitssuche. Für diese Frage spielt das Verhältnis zur körperlich-sinnlichen Welt, ähnlich wie im Johannesevangelium, eine zentrale Rolle. Entscheidend 201

Vgl. Kol 1,19. Vgl. weiter die Rede vom πλήρωµα in Kol 1,19; 2,9 und in Joh 1,16. 203 Entsprechendes ist bei den Auferstehungsaussagen zu beobachten: Bei Johannes ist Christus Subjekt der Auferstehung, während er hier von Gott auferweckt wird. 204 Vgl. σύµµορφος Phil 3,21; Röm 8,29. 202

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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ist für unsere Fragen die Betonung der körperlichen Einwohnung der Fülle der Göttlichkeit im Kontext des Erkenntnisthemas, das die ersten beiden Kapitel des Kolosserbriefs bestimmt. Die Beziehung zu Gott als Weg menschlicher Erkenntnis wird körperlich hergestellt. Der unsichtbare Gott kann folglich – in Christus als seinem Bild (Kol 1,15) – sinnlich wahrgenommen werden. Der Gedanke der körperlichen Beziehung zu Gott wird – stärker als im Johannesevangelium – im Sinne der Erlöstheit des Körpers entfaltet: Reinheit stellt kein fundamentales Problem mehr dar. Die Logik in 2,20f. im Blick auf den Umgang mit Körperlich-Sinnlichem ist zunächst überraschend: „Wenn ihr mit Christus den Elementen der Welt gestorben seid, warum lasst ihr euch noch Vorschriften unterwerfen, als lebtet ihr noch in der Welt? ,Fass nicht an‘205, koste nicht, berühre nicht!‘ – alles Dinge, die durch ihren Genuss auch ihr Ende finden. All so etwas sind Anordnungen und Lehren von Menschen.“ Dies versteht sich als Gegenseite des paulinischen ὡς µή206 von dem paulinischen Gedanken des Sterbens und Auferstehens mit Christus her (Kol 2,12f.20; Röm 6,1-11, ergänzt durch den Gedanken einer Beschneidung in Christus; Kol 2,11): Gerade weil wir mit Christus der Welt gestorben sind, ist eine Scheu vor der Berührung mit irdischen Gütern, wie sie sich in Reinheitsgeboten ausdrückt, nicht mehr relevant; alles Äußerliche, die στοιχεῖα τοῦ κόσµου, gehört einer Sphäre zu, der sich der Christ bereits enthoben weiß.207 Nach dem Tod in Christus haben alle Gesetze, die sich auf Körperliches beziehen, ihre bindende Kraft verloren (Kol 2,16-23). Allein die eigene Eitelkeit weist dem Körper (über die Entsagung) noch eine besondere Heilsrelevanz zu (Kol 2,23). An dieser Stelle stehen die Aussagen über Schmecken, Fühlen und Berühren. Eine mögliche Kontamination durch körperlichen Kontakt, die uns von der Heilssphäre Gottes scheiden könnte, wird also zurückgewiesen. Im Gegenteil erscheint der Kontakt zwischen Gott und Welt wie in der Inkarnationsaussage des Johannesevangeliums als Ermöglichung heilbringender Erkenntnis, weshalb die positive Rolle des Körpers ihre Pointe in einer soteriologisch eingebundenen Ästhetik hat. Wenn Christus als εἰκὼν τοῦ θεοῦ τοῦ ἀοράτου bezeichnet wird (Kol 1,15), so greift dies die für die zeitgenössische religiöse Philosophie kennzeichnende Kontaktmetaphorik mit dezidiert epistemologischer Zielrichtung auf. Über die Reinheitsproblematik hinaus wird mit der Abwehr des Berührungsverbots (θιγγάνειν, ἅπτεστθαι) im Rahmen der kosmischen Christologie des Kolosserbriefs der Körperlichkeit insgesamt eine neue Position zugewiesen.208 Während es dem Johannesevangelium darum zu tun ist, 205

Es könnte auch an sexuellen Verkehr gedacht sein; vgl. 1Kor 7,1. 1Kor 7,30f. 207 Vgl. Gal 4,8-10. 208 Jedenfalls ist die Erkenntnisthematik von Anfang an zentral (Kol 1,6.9f.; 2,2f.; 3,10), und sie wird der körperlich-geschichtlichen Erfahrung in Christus zugeordnet. Weisheit be206

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in prinzipieller Weise den Schritt in diese neue, befreiende Realität des Christen in der Christusbindung erzählerisch nachzuzeichnen, formuliert der Kolosserbrief (wie vor ihm Paulus im Röm, 1Kor und Gal) die ethischen Konsequenzen aus. Die Betrachtung der Verwendung des Verbs θιγγάνειν im Kolosserbrief hat damit zwar keine Parallele zum Berührungsmotiv der Thomasepisode erbracht, wohl aber eine Parallele zu einer entproblematisierten Sicht des Berührens im Rahmen einer religiösen Ästhetik, die im Kolosserbrief im Zusammenhang einer kosmischen Christologie steht. 4.2.1.5 Zusammenfassung Zu unterstreichen ist im Blick auf die Thomasepisode die Banalität, die bereits am Anfang unserer Überlegungen stand: Die Thomasgeschichte benutzt gerade keine der vorgegebenen terminologischen Bezüge! Aufgrund des Fehlens technischer Begrifflichkeit werden bei der Interpretation des Berührungsmotivs in der Thomaserzählung und in den Erscheinungsberichten insgesamt synoptische Deutungskategorien vielfach einfach übernommen. Deshalb war es notwendig, die Semantik der einzelnen Begriffe des Berührens und Betastens zu durchleuchten und so die möglichen Deutungslinien aufzuzeigen. Vergröbernd lässt sich festhalten, dass ἅπτεσθαι die unmittelbare Berührung meint („berühren, anrühren“) und bis hin zu einer Bemächtigung reichen kann. Es gehört also stärker in den Bereich des emotionalen und sozialen Kontakts, der – eingeordnet in den Bereich einer heilstiftenden Gottesbeziehung – zugleich körperliche Integrität und umfassendes Heil-Sein bedeutet. ψηλαφᾶν („betasten“) bezeichnet eher die tastende Suche nach Orientierung (und damit einen kognitiven Aspekt); im Blick auf die Gottesbeziehung ist an eine körperlich vermittelte Erkenntnisbewegung zu denken (1Joh 1,1), die in der inkarnatorischen Offenbarung des λόγος τῆς ζωῆς ihren einzig legitimen Ausgangspunkt findet. Gegenüber dem häufigeren und umfassenderen ἅπτεστθαι bleibt θιγγάνειν vor allem auf den Aspekt eines verunreinigenden „In-Kontakt-Kommens“ bezogen. Dementsprechend handelt es sich – auch wo der Bereich des Essens thematisiert wird – nicht um ein Verb der Wahrnehmung. Ebenso reicht auch ἅπτεστθαι in ein Bedeutungsspektrum hinein, das nicht dem Bereich der Sinneswahrnehmung zuzurechnen ist, wenn es beispielsweise einen vereinnahmenden Kontakt bezeichnet und damit in die Nähe zu κρατεῖν oder λαµβάνειν gerät.209 steht nicht in demonstrativer Abkehr von allem Körperlichen (Kol 2,23), das doch längst mit Christus gestorben ist und auferweckt wurde (Kol 2,12f.; 3,1.3). 209 Den sozialen Aspekt der (heilsamen) Beziehung, den wir bei ἅπτεσθαι ebenso wie bei κρατεῖν wahrnehmen konnten, will Gruber, wie wir gesehen haben, auch im βάλλειν εἰς in Joh 20 wiedererkennen, indem sie es als „In-Jesus-Sein“ interpretiert (vgl. o. 282). Das

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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Es passt durchaus zum Stile des Evangeliums, dass es mit seiner unterminologischen Ausdrucksweise in der Thomaserzählung den semantischen Horizont gerade nicht festlegt, sondern dem Leser einen weiten Deutungsraum eröffnet. Durch die unterminologische Ausdrucksweise rückt bei Thomas jedenfalls die Aktivität selbst in den Mittelpunkt. In unmissverständlicher Deutlichkeit und bis an die Grenze des Erträglichen wird die Körperlichkeit des Geschehens festgehalten und, im unmittelbaren Zusammenhang mit anderen Wahrnehmungsformen, in den Zusammenhang der glauben- und lebenstiftenden Gotteserkenntnis und des Bekenntnisses eingeordnet (20,25-31). 4.2.2 Thomas und die Legitimität körperlicher Wahrnehmung als Weg und Mittel zum Glauben 4.2.2.1 Wer glaubt, ohne zu sehen? Für die Frage nach der Rolle körperlicher Wahrnehmung im Glaubens- und Erkenntnisprozess ist die Deutung der Thomaserzählung entscheidend. Diese abschließende, die Erscheinung vor den übrigen Jüngern doppelnde Erzählung, inszeniert erzählerisch den Übergang von der Zeit der geschichtlich-unmittelbaren Begegnung mit Jesus Christus zur Zeit einer durch das Zeugnis vermittelten Begegnung. Damit nimmt sie zugleich die Frage auf, wie aus geschichtlicher Erfahrung Glauben in einer Zeit erwachsen kann, in der diese Erfahrung nicht mehr gemacht werden kann. An der Beurteilung der Haltung Jesu zu Thomas entscheidet sich letztlich die Frage nach der Legitimität eines durch körperliche Wahrnehmung angestoßenen Glaubens. Auch die Rolle der semeia in ihrem Verhältnis zur Entstehung des Glaubens ist damit angesprochen und wird noch einmal aufgegriffen (20,30f.). Thomas, so schien es lange Zeit selbstverständlich, werde als Exponent einer auf körperlichem Nachweis fixierten Glaubenshaltung kritisiert. Zu kritisieren sei einerseits allgemein der Akt der „Zeichenforderung“210, andererseits speziell die unangemessene Forderung, den Auferstandenen zu berühren. Dieser mangelnde Glaube des Thomas werde vor dem Hintergrund des überlegenen Glaubens der übrigen Handlungsfiguren, insbesondere des geliebten Jüngers, profiliert. Vorausgesetzt hierbei ist eine literarische Strategie des Evangelisten, einzelne Charaktere als Exempla zu

erscheint allenfalls in einem sehr weiten, übertragenen Sinne – eben über den Aspekt der Erkenntnis und des Glaubens – möglich zu sein, nicht aber in einem vordergründig körperlichen Sinne: Gerade durch seine Neugier und sein Wissenwollen versucht Thomas seine Beziehung zu Jesus neu herzustellen. 210 Vgl. z.B. BROWN, Resurrection, 79; THEOBALD, Osterglaube, 119f. Dies wurde zur Aussage gegenüber dem Basilikos (Joh 4,48) in Beziehung gesetzt, die man ebenfalls als Kritik eines unangemessenen Zeichenglaubens verstand.

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

zeichnen, an denen bestimmte Handlungsorientierungen und Glaubenshaltungen vorgeführt und kritisiert werden sollen. Bieten die verschiedenen Protagonisten unterschiedliche Glaubensmodelle? Stellt Jesu Antwort auf das Bekenntnis des Thomas eine Rangfolge verschiedener Glaubenszugänge her? Wird also der Glaube des Thomas demjenigen der übrigen Handlungsfiguren des Kapitels gegenübergestellt? So etwa sieht Brown „four slightly different examples of faith in the risen Christ“: den geliebten Jünger, Maria Magdalena, die Jünger und Thomas.211 Sie alle zielen, so Browns Fazit212, als Pointe auf eine fünfte Glaubensreaktion, von der im Makarismus Jesu die Rede ist: den nicht durch ein unmittelbares Sehen angestoßen Glauben der Späteren (20,29). Bultmann stellt die damit implizierte Kritik religionsgeschichtlich in den Kontext der Auseinandersetzung mit einem primitiven Wunderglauben, wie er von der von ihm postulierten gnostischen Semeiaquelle vertreten werde. Vor dem Hintergrund der außerkanonischen Thomastradition wurde die johanneische Darstellung der Thomasfigur jüngst als polemische Zuspitzung im Kontext der Auseinandersetzung rivalisierender urchristlicher Gruppierungen um apostolische Autorität interpretiert.213 Bisweilen erschien der Gedanke eines Sinneswandels des Thomas bereits während der vorausgehenden acht Tage oder jedenfalls auf das Angebot Jesu hin, die Wundmale tatsächlich berühren zu dürfen, als „Ehrenrettung“ des Thomas. So votiert M. Theobald dafür, Thomas habe „sein ursprüngliches Anliegen handgreiflicher Verifikation“ angesichts der Unmittelbarkeit der Begegnung mit Jesus fallengelassen.214 Ähnlich betrachtet C. Dietzfelbinger Thomas als den „Prototyp des Menschen, der den Schritt tut von einem kontrollieren wollenden Glauben zu einem Glauben, der aus der Unmittelbarkeit der Christusbegegnung erwächst und der darum keiner weiteren Bestätigung bedarf.“215 Diese „Unmittelbarkeit der Glaubenserfahrung“216 könne immer nur als die je eigene wirksam werden. Mit diesem Schritt „tritt Thomas neben den geliebten Jünger von 20,8“. Dietzfelbingers Deutung vollzieht durch die Gleichsetzung von „Unmittelbarkeit der Christusbegegnung“ mit „Unmittelbarkeit der Glaubenserfahrung“ eine Metaphorisierung und Spiritualisierung, die eine Anwendung auf die Leser erleichtern mag, aber von der körperlichen Konkretheit der Geschichte nicht mehr gedeckt ist. Denn die Christusbegegnung des Thomas war physisch unmittelbar in einer Weise, wie sie in späteren Zeiten nicht mehr bzw. nur noch über sein Zeugnis möglich ist. S.M. Schneiders sieht die Geschichten von Maria Magdalena und Thomas als Übergangsgeschichten des Glaubens aufeinander bezogen, die insgesamt einem Fortschritt unterliegen: Maria schreitet vom vorösterlichen Glauben zum Osterglauben, Thomas vom Osterglauben 211

BROWN, Komm. II, 1045f. BROWN, Resurrection, 79f. 213 Vgl. RILEY, Resurrection Reconsidered. 214 THEOBALD, Osterglaube, 120; vgl. DIETZFELBINGER, Osterglaube, 44, aber auch schon WEISS, Komm., 617. „… for the evangelist would not have considered Thomas’ faith adequate if the disciple had taken up Jesus’ invitation and would have never put on Thomas’ lips the tremendous confession of vs. 28“ (BROWN, Komm. II, 1046). 215 DIETZFELBINGER, Osterglaube, 48. 216 Ebd. 212

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zum nachösterlichen Glauben voran. Ausgehend von einer Entgegensetzung von physischem und spirituellem Begreifen, von vorösterlicher und nachösterlicher Realität Jesu Christi, versteht sie die Antwort Jesu als Umdeutung der Forderung des Thomas, indem sie das Sehen dem Fühlen gegenüberstellt: „He invites Thomas not to do what Thomas had demanded, to physically probe the wounds in his hands and side in order to verify his physical resuscitation, but to a different but just as real experience of his true identity. He says, ,Bring here your finger and see my hands.‘ One does not ,see‘ with one’s finger. […] The invitation is not to see physically but to grasp what cannot be seen with the eyes of flesh. […] The wounds of Jesus are not a proof of physical reality but the source of a true understanding of the meaning of Jesus’ revelatory death.“217

Diese gängige Beurteilung des Thomas wird in der neueren Forschung, wie oben ausgeführt, zunehmend korrigiert: „The traditional picture of Thomas as the doubter is a caricature of the role he plays in the scene.“218 Gerade bei einer erzählanalytischen Untersuchung werden die Probleme der gängigen Interpretation deutlich. Denn ein Tadel des Thomas lässt sich nur schwer mit dem Erzählduktus und dem dramatischen Aufbau von Joh 20 wie auch des Evangeliums insgesamt übereinbringen: Sollte der Evangelist das vorausgegangene großartige Bekenntnis des Thomas durch die folgende Aussage Jesu relativieren und damit unmittelbar vor dem zusammenfassenden Abschluss von Joh 1-20 eine abrupte Antiklimax schaffen wollen?219 Wie wäre dann der doppelte Aufbau der Jüngererscheinungen zu deuten? Wieso kommt Jesus allein wegen Thomas noch einmal zurück, nimmt dessen Aufforderung auf und setzt sie gar in den Imperativ? Man müsste hier einen sarkastisch-tadelnden 217

SCHNEIDERS, Touching the Risen, 168. Gegenüber dieser ingeniösen Deutung ist erneut festzuhalten, dass im Johannesevangelium das Sehen als Oberbegriff sinnlicher Wahrnehmung fungiert. 218 LEE, Partnership, 43. In seinem Ringen um ein Verständnis der Auferstehungsrealität stellt Lee den Thomas in eine Linie mit Maria Magdalena. Wie die anderen Charaktere innerhalb der Geschichte befindet sich auch Thomas auf dem Weg, muss sich erst zum Osterglauben vortasten: „In desiring to touch the Lord’s wounds, he misunderstands the nature of Jesus’ presence. Like Magdalene, he assumes that it is a tangible reality.“ 219 Wenig überzeugend deshalb die literarisch-rhetorische Analyse von GEORGE, Tapestry, 104f.: Sei der Leser, so George, zunächst beeindruckt von dem „high Christological statement“ des Thomas, so werde dessen Bekenntnis sofort durch die anschließende Zurückweisung Jesu minimiert, da seine Forderungen nicht den höchsten Glaubensbeispielen entsprächen. So werde die entscheidende Aussage des gesamten Evangeliums untermauert: „Jesus affirms and approves the kind of faith that happens without visual or physical proof. In other words, ideally the reader acknowledges that Jesus desires the kind of faith that requires as little evidence as possible“ (ebd., 105). Gleichzeitig zeige 20,27b die Intention Jesu, trotz der „ridiculous requirements and demands“ die Zweifel des Thomas zu beseitigen. Weshalb allerdings der Autor des Johannesevangeliums seinen Jesus auf diese „lächerlichen“ Forderungen eingehen lässt, diese Frage stellt George nicht. RILEY, Resurrection Reconsidered, 100-126, sieht die so auffällige Antiklimax durch die Auseinandersetzung mit der Thomastradition motiviert.

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Unterton annehmen220, diese Kommunikationsstruktur dann aber bereits in den vorausgehenden Versen voraussetzen. Kommt Jesus also allein um der Zurückweisung des Thomas zurück? Warum aber ist er dann den übrigen Jüngern erschienen?221 Eine sarkastische Zurückweisung lässt sich der Szene bei einer Erzählanalyse nicht entnehmen. Ein weiteres Argument ergibt sich aus der Charakterisierung der Handlungsfiguren222: Thomas war bereits in Joh 11,16; 14,5-7 hervorgetreten und hatte keineswegs eine unrühmliche Rolle gespielt.223 Aus 11,16 kann man das Profil des ungestümen, aber konsequenten Jüngers herauslesen, und die Unkenntnis bezüglich „Ort“ und „Weg“ (14,5) teilt er mit Petrus (vgl. 13,36). Verschiedentlich wurde bemerkt, dass Thomas sich jeweils mit Jesu Weg in den Tod auseinandersetzt.224 In Joh 11,16 spricht Thomas nicht nur aus, dass Jesu Weg nach Jerusalem ein Weg in den Tod sein wird225, sondern fordert zugleich die Mitjünger dazu auf, diesen Weg mitzugehen.226 In 14,5 ringt er mit der Frage, wohin Jesus der Weg über den Tod hinausführen könnte.

Lassen sich diejenigen, die von Jesus in 20,29 seliggepriesen werden, mit irgendwelchen Handlungsträgern in Joh 20 identifizieren? Wohl kaum. Schon Bultmann hatte darauf hingewiesen, dass der implizite Vorwurf gegen Thomas auch die übrigen Protagonisten der Geschichte getroffen hätte (Maria Magdalena, „jene Zwei von V. 3-8, die zwar nicht durch die Erscheinung des Auferstandenen, aber doch durch den Anblick des leeren Grabes überführt wurden. Thomas hat keinen anderen Beweis verlangt, als Jesus ihn den anderen freiwillig dargeboten hatte [V. 20]“227); sämtlich glauben sie erst nach dem Sehen. 220 Jesus formuliere seine Aufforderung „somewhat sarcastically“ (BROWN, Komm. II, 1046). 221 SCHNACKENBURG, Komm. III, 394, legt den Akzent etwas anders: Beschämt werde Thomas gerade „von der Güte Jesu, der seinen herausfordernden Wunsch erfüllt“. Ähnlich BULTMANN, Komm., 538f. 222 In Rahmen narratologischer Auslegungen wurde die Profilierung der einzelnen Charaktere der Erzählung zu einem eigenen Thema: vgl. S.A. HUNT u.a. (Hgg.), Character Studies in the Fourth Gospel. Narrative Approaches to Seventy Figures in John, WUNT 314, Tübingen 2013; C.W. SKINNER (HG.), Characters and Characterization in the Gospel of John, London/New York 2013; C. BENNEMA, Encountering Jesus. Character Studies in the Gospel of John, Milton Keynes/Colorado Springs 2009; CULPEPPER, Anatomy, 99-148 (Thomas erscheint als „clear eyed realist“ [124]; vgl. L. KOFFEMANN, Thomas, de realist, KeTh 55 [2004], 90-92); DSCHULLNIGG, Jesus begegnen; vgl. schon KRAFFT, Personen. Speziell zu Thomas vgl. BONNEY, Caused to Believe, 137-142; HARTENSTEIN, Charakterisierung im Dialog. 223 So neuerdings wieder RILEY, Resurrection Reconsidered, 109f. 224 Vgl. GRUBER, Berührendes Sehen, 63f. 225 Vgl. BONNEY, Caused to Believe, 137f. 226 Ähnlich Petrus in Joh 13,36-38. 227 BULTMANN, Komm., 359.

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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Deshalb sieht Bultmann den Zweifel des Thomas als „repräsentativ für die durchschnittliche Haltung der Menschen, die nicht glauben können, ohne Wunder zu sehen (4,48)“.228 Freilich spricht auch er von einer „beschämende(n) Überführung“229 des Thomas, und weist ihr eine glaubensethische Botschaft zu: „Im Grunde sollte es dessen nicht bedürfen.“230 Damit hätten wir also gleichsam einen usus elenchticus narrationis.231 Wenn Bultmann schreibt: „Wie der Schwachheit des Menschen das Wunder konzediert wird, so wird der Schwachheit der Jünger die Erscheinung des Auferstandenen konzediert“232, so ist dem nach den bisherigen Ausführungen in der Struktur durchaus zuzustimmen, nicht jedoch in der negativen Wertung („Schwachheit“). Denn es handelt sich hier nicht um eine moralisch zu bewertende Schwachheit, die sich auch verändern liesse, sondern um einen Teil der conditio humana, die Verwiesenheit des Menschen auf geschichtlich-phänomenal vermittelte Erkenntnis, selbst im Bereich der Gotteserkenntnis. Die kategoriale Unterschiedenheit zwischen Gott und Mensch erfordert eine Heilsinitiative Gottes, die eine körperlich-geschichtliche Möglichkeit der Wahrnehmungen Gottes als Konzession an das Wesen und die Erkenntnisfähigkeit der Menschen macht. Bultmanns Sicht löst demgegenüber im Rahmen seiner existentialen Interpretation die geschichtliche Dimension des Christusgeschehens auf und verfehlt an dieser Stelle signifikant die inkarnatorische Pointe der johanneischen Jesusdarstellung.

228

BULTMANN, Komm., 539. Der Schwachheit, so Bultmann, werde die Erscheinung des Auferstandenen konzediert, obwohl es dieser im Grunde nicht bedürfen sollte. Woher aber, so kann man sich fragen, sollten die Jünger (und mit ihnen alle späteren Generationen von Glaubenden) ohne Erscheinung und ohne Zeugnis von der geschichtlichen Tatsache der Auferstehung Kenntnis erhalten? HAENCHEN wendet zudem gegen Bultmann ein, Thomas habe eben zusätzlich zum Sehen auch noch das Betasten als konkreteste Form der Vergewisserung gefordert (Komm., 574). 229 BULTMANN, Komm., 538. 230 Ebd., 539. Vgl. STRATHMANN, Komm., 260. 231 Die Kritik des Evangelisten trifft nach Bultmanns Urteil auch die Ostererzählung selbst. Er bemerkt eine „eigentümliche Kritik an der Wertung der Ostergeschichten: sie können nur relativen Wert beanspruchen. Und wenn Jesu kritisches Wort den Schluss der Ostergeschichten bildet, so ist der Hörer und Leser gewarnt, sie als mehr zu nehmen, als sie sein können: weder als Erzählungen von Ereignissen, wie er sie selbst zu erleben wünschen oder hoffen könnte, noch auch als einen Ersatz für solche eigenen Erlebnisse, sodass die Erlebnisse Anderer ihm gleichsam die Realität der Auferstehung Jesu garantieren könnten“ (ebd., 539f.). Mit dieser hermeneutischen Mahnung finde die Ostergeschichte einen sachgemäßen und eindrucksvollen Abschluss. 232 Ebd., 539.

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4.2.2.2 Die Wahrnehmungen der ersten Zeugen als Vorbedingung geschichtlichen Glaubens „Die Worte enthalten keinen Tadel an Thomas: Auch der Lieblingsjünger und Maria Magdalena glaubten, als sie sahen (s. bes. V. 8); ohne jene Tatsache, dass Thomas und die anderen Apostel den fleischgewordenen Christus sahen, hätte es in der Tat überhaupt keinen christlichen Glauben gegeben; vgl. 1,18.50f.; 2,11; 4,45; 6,2; 9,37; 14,7.9; 19,35.“233 Präzise fasst Barrett so die Logik des Glaubens zusammen, die uns der vierte Evangelist mit dem Gedanken der Inkarnation von Anfang an vorführt: Gott stellt sich auf die Erkenntnisvoraussetzungen des Menschen ein, als er in Jesus Mensch wird und den Menschen auf ihrer Erkenntnisebene entgegenkommt. Eine Zurücksetzung des Thomas und mit ihm der ersten Zeugen kommt letztlich einer Diffamierung der geschichtlichen Offenbarung gleich. Eine solche Diskreditierung der geschichtlichen, körperlich-sinnlichen Erfahrung liegt dem Evangelisten fern. Sehen und Fühlen sind ihm nicht Signum eines verfehlten oder defizitären, sondern notwendige Voraussetzung jedes historischen Glaubens. Die Erzählung fixiert die göttliche Konzession geschichtlicher Offenbarung (Joh 1,14), durch die eine Erkenntnis des an sich jenseits körperlicher Wahrnehmbarkeit stehenden Gottes möglich wird. Über das Zeugnis des Evangeliums werden die Gotteswahrnehmungen des Thomas und der übrigen Jünger allen Menschen zuteil. Davon indes, dass es eine andere, wünschenswertere Art des Glaubens (an den Auferstandenen) gebe, wird nichts gesagt: Wie sollten denn die Jünger und über sie die später Geborenen von der Auferstehung Kunde erhalten, wenn nicht über eine Wahrnehmung des Auferstandenen? Vielmehr folgt der Makarismus der Logik des „umso mehr“, das den Leserinnen und Leser gutgeschrieben wird, ohne zugleich die Figuren der Erzählung und ihre Art, über Erfahrung zum Glauben zu kommen, zu diskreditieren.234 Eine solche rhetorische Vorordnung der Nachgeborenen, die ohne geschichtliche Erfahrung nur auf das Zeugnis hin glauben, lässt sich erhellen aus einer rabbinischen Parallele, auch wenn diese freilich wesentlich später ist. Dort sagt Rabbi Simeon ben Laquisch (Tanhuma, ‫לך‬ ‫לך‬, §6 [32a]): „Teurer ist ein Proselyt vor Gott als jene Scharen, die am Berge Sinai 233

BARRETT, Komm., 549. Barrett beschreibt die zum Ausdruck kommende Ambivalenz der Osterberichte weiter folgendermaßen: „Die ersten Apostel haben durchaus eine besondere und einzigartige Bedeutung; denn spätere Generationen glauben eben durch ihr Wort (17,20), d.h. in eben ihrem Wort begegnen die späteren Generationen dem auferstandenen Christus und werden zu Glaubenden. […] Die Geschichten waren wahr und wesentlich; aber sie konnten, und dies war zur Zeit des Joh vielleicht sogar schon geschehen, in einen Mythos oder eine Zaubermittel oder eine Zufluchtsstätte verkehrt werden, zu welcher die Christen liefen, um der Notwendigkeit eines Lebens im Glauben zu entkommen“ (Komm., 550). Damit sind zugleich die Unverzichtbarkeit des Glaubenszeugnisses der ersten Jünger und das Wagnis eines Glaubens allein auf dieses Zeugnis hin zueinander in Beziehung gesetzt. 234 Vgl. SÖDING, Die Schrift als Medium, 368.

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gestanden haben. Denn wenn alle jene Scharen nicht den Donner und die Flammen und die Blitze und die bebenden Berge und den Posaunenschall wahrgenommen (wörtlich: gesehen) hätten, so würden sie nicht das Gesetz angenommen und die Herrschaft Gottes nicht auf sich genommen haben. Und dieser (der Proselyt) hat keins von alledem gesehen und kommt und übergibt sich Gott und nimmt das Joch der Herrschaft Gottes auf sich. Gibt es einen, der teurer ist als dieser?“ Eindeutig geht aus dieser Parallele jedenfalls hervor, dass das Lob der Späteren keine Zurücksetzung der unmittelbaren Zeugen oder gar eine Diffamierung der Wahrnehmung der Heilsgeschichte intendiert: Gewiss wird hier nicht die Sinaioffenbarung abgewertet, die der Grund und die Bedingung der Möglichkeit ist, dass irgendjemand zum Glauben an den Gott Israels kommen kann, obwohl die Heilsereignisse, von denen seine Bibel erzählt, sich nicht vor seinen Augen wiederholen.235

Eine geschichtliche Religion bleibt notwendig auf das Zeugnis von der geschichtlichen Begegnung angewiesen, wenngleich die sinnlichen Wahrnehmungen, in denen sich diese Begegnung vollzieht, als Voraussetzung des Glaubens notwendig uneindeutig und deshalb unzureichend bleiben. 4.2.2.3 Die johanneische „Strategie des Glaubens“ (Zumstein) Der Umgang Jesu mit seinen Jüngern ist im Johannesevangelium durchgängig geprägt von Offenheit gegenüber dem menschlichen Bedürfnis, ja der menschlichen Notwendigkeit nach einem „Begreifen“ der Realität Gottes als Anstoß des Glaubens. Die Strategie des Evangelisten, seine „Strategie des Glaubens“ (Zumstein), ist also, körperliche Wahrnehmungen als Anstoß des Glaubens gerade zuzulassen.236 Diese Strategie ließ sich am Umgang Jesu mit Maria in 11,40f., aber auch mit Thomas und Philippus in 14,11 zeigen.237 Es handelt sich 235 Vgl. BARRETT, Komm., 550. Freilich finden sich durchaus auch Seligpreisungen der Sehenden in der Tradition, wenn auch im Sinne eschatologischer Hoffnung. Vgl. Sir 48,11, wo das Sehen Gottes zur Metapher einer den Tod überdauernden Beziehung geworden ist (µακάριοι οἱ ἰδόντες σε καὶ οἱ ἐν ἀγαπήσει κεκοιµηµένοι· καὶ γὰρ ἡµεῖς ζωῇ ζησόµεθα); Mt 5,8. 236 Es mehren sich Stimmen, die von einer Legitimität eines auf der Erfahrung von σηµεῖα basierenden Glaubens im Rahmen dieser Strategie ausgehen. Vgl. HAHN, Sehen und Glauben, 137f.; M.M. THOMPSON, Signs and Faith in the Fourth Gospel, BBR 1 (1991), 89-108. Nach SCHNELLE, Antidoketische Christologie, 157f., akzeptiert der johanneische Jesus „ausdrücklich den Zusammenhang zwischen dem wunderhaften Sehen und daraus entstehendem Glauben.“ 237 Vgl. 14,10f. (gegenüber Philippus und Thomas): „Glaubst du nicht, dass ich im Vater bin und der Vater in mir? Die Worte, die ich zu euch rede, rede ich nicht aus mir selbst, aber der Vater, der in mir ist, tut seine Werke. Glaubt mir, dass ich im Vater bin und er in mir. Wenn aber nicht, dann glaubt aufgrund der Werke selbst!“ Ähnlich in der Struktur ist auch der Satz über das Verhältnis von Zeichen und Glauben in 4,48 mit der unmittelbar anschließenden Heilung des Sohns des Basilikos, der meistens selbstverständlich im Sinne der Kritik an einer unangemessenen Zeichenforderung verstanden wird. Es ist eben nicht wie bei Orpheus, der sich (aus Furcht, seine geliebte Eurydike könnte doch nicht hinter ihm gehen) umwendend zu vergewissern sucht – und sie daraufhin auf immer verliert.

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um die Strategie des Gottes, der in der Inkarnation sich der Welt zugewendet hat und damit die Menschen zu sich selbst hingewendet hat: „God has become human, entering into the human condition, into the vivid and material life of creation; immortal turned to mortal, Creator to creation, spirit to matter, eternal to ephemeral.“238 Die Unmittelbarkeit der Gottesbegegnung, die dadurch einmal in der Geschichte möglich wurde, versucht der Erzähler des Evangeliums durch sein Zeugnis wiederherzustellen – und macht zugleich deutlich, dass der notwendige Überschritt von der Begegnung zur Annahme im Glauben auch für die unmittelbaren Zeugen bis zum Schluss ein schwieriger Erkenntnisschritt blieb. Die Pointe des abrupten Wechsels des Thomas in das Bekenntnis in 20,28 mag insofern nicht in der Frage zu sehen sein, wie seine Erkenntnis zustande kam (durch das Sehen des Auferstandenen, das Hören der Zusage, ihn Berühren zu dürfen, oder das Berühren selbst), sondern darin, dass auch der letzte Zweifel durch die Begegnung mit dem Auferstandenen noch ausgeräumt werden konnte, bevor die Erzählung zu ihrem Ende kommt. Und so wird sie zuletzt vielleicht auch die Zweifel derer ausräumen können, die Christus nicht mehr unmittelbar begegnen können. Zu diesem Bekenntnis die Leser zu führen bzw. sie in diesem Bekenntnis zu vergewissern, das ist die Aufgabe, die sich der Autor des 4. Evangeliums gestellt hat. 4.2.2.4 Thomas, der Zu-spät-Gekommene – literarischer Kunstgriff und Modell des Glaubens der Leser Unter narratologischem und rezeptionshermeneutischem Blickwinkel tritt Thomas als der letzte, die Brücke zur Gemeinde schlagende Exponent der glaubenstiftenden Erzählstrategie des Evangelisten hervor.239 Durch den literarischen Kunstgriff, einen Jünger nicht an den österlichen Erscheinungen teilhaben zu lassen, gelingt es, die „Zuspätgekommenen“ in die Erzählung und damit in die körperlich-sinnliche Erfahrung der Auferstehung Jesu Christi mit hineinzunehmen.240

238

LEE, Turning, 115. Vgl. dies., Flesh and Glory; M.M. THOMPSON, The Incarnate Word. Perspectives on Jesus in the Fourth Gospel, Peabody 1988 (= The Humanity of Jesus in the Fourth Gospel, Philadelphia 1988), die von hier aus das Ereignis der Inkarnation konsequent zum Ausgangspunkt ihrer Interpretationen machen. 239 Vgl. BONNEY, Caused to Believe, 131; LEE, Partnership, 46-48; GNIESMER, Kommt und seht, 129. Zum Verhältnis der „Unwiederholbarkeit“ des geschichtlich Gesehenen zur Möglichkeit eines gegenwärtigen, durch das Zeugnis vermittelten Sehens vgl. HAHN, Sehen und Glauben, 130f. 240 Vgl. KREMER, Osterevangelien, 195: „[…] über Thomas hinaus wendet sich Jesus […] an die Leser des Evangeliums, für die nach Joh 20,31 die ‚Zeichen‘ aufgeschrieben sind, damit sie glauben.“

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Gregor der Große hat die Logik der Perikope und die Erzählfunktion des Thomas in einer seiner 40 Evangelienhomilien trefflich so umschrieben: „Glaubt ihr, es sei etwa durch Zufall geschehen, dass jener erwählte Jünger damals fern war, dann aber kam und hörte, hörend zweifelte, zweifelnd betastete und betastend glaubte? Nicht durch Zufall, sondern durch göttliche Anordnung ist dies geschehen. Auf wunderbare Weise hat es nämlich Gottes Nachsicht gewirkt, dass jener zweifelnde Jünger, indem er an seinem Meister die Wunden des Fleisches betastete, in uns die Wunden des Unglaubens heilte. Die Ungläubigkeit des Thomas hat uns nämlich für den Glauben mehr Nutzen gebracht als der Glaube der gläubigen Jünger, denn indem jener durch Betasten zum Glauben zurückgeführt wird, wird unser Herz allen Zweifels enthoben und im Glauben gefestigt“ (XXVI,7).241

Thomas ist, so bringt es Gregor auf den Punkt, um unsret-, also um der Leser willen beim ersten Besuch Jesu abwesend, ähnlich wie die Krankheit des Blindgeborenen dazu gedient hatte, an ihm die Werke Gottes offenbar werden zu lassen (9,3) und die Krankheit und der Tod des Lazarus der Offenbarung der Herrlichkeit Gottes in Christus und damit mittelbar dem Glauben der Jünger (11,4.15) gedient hatten. Wenn Jesus ganz am Ende der Erscheinungsberichte eigens noch einmal zurückkommt, so tut er das nicht nur um des Thomas willen, sondern von der Pragmatik der Erzählung her für alle diejenigen, die aufgrund der historischen Distanz nicht (mehr) mit eigenen Augen sehen können. Jesu Seligpreisung zielt nicht auf eine Kritik des Thomas, dessen körperlicher Zugang zur Erfahrung der Durchsetzung des Lebens sich völlig im Rahmen der Erzähllogik des Gesamtevangeliums bewegt. Vielmehr zielt sie auf die Leserinnen und Leser. Sie markiert den Übergang von der Erzählebene zur Anrede an den Leser im 1. Johannesschluss und damit den Übergang von der Zeit der unmittelbaren Zeugen zur Zeit derjenigen, denen die Wahrnehmung nur über das im Evangelium niedergelegte Zeugnis zur Verfügung stehen. Die Leser sind µὴ ἰδόντες, insofern sie das Privileg der unmittelbaren Begegnung mit Jesus aufgrund des historischen Abstands nicht mehr haben. Was Grundlage des Glaubens ist, die vollmächtigen Handlungen und Worte Jesu nämlich, ist ihrer unmittelbaren Wahrnehmung entzogen. Obwohl in 20,29 zunächst einmal der Kontrast im Vordergrund zu stehen scheint242, wird Thomas als der zu-spät-gekommene „Zweifler“ zum Modell für die Leser des Johannesevangeliums.243 Mit seiner Forderung nach handgreiflicher Vergewisserung jener Geschichte, die den Menschen das Heil gebracht 241

M. FIEDROWICZ, Gregor der Große, Evangelienhomilien, FC 28/2, Freiburg i.Br. u.a. 1998, 484-487. 242 Z.B. DIETZFELBINGER, Osterglaube, 46. 243 Gregor von Nazianz bringt diese Funktion in or. 45,25 auf den Punkt: Κἂν ὡς Θωµᾶς ἀπολειφθῇς, τῶν µαθητῶν συνηγµένων, οἷς Χριστὸς ἐµφανίζεται, ὅταν ἴδῃς, µὴ ἀπιστήσῃς· κἂν ἀπιστήσῃς, τοῖς λέγουσι πίστευσον· εἰ δὲ µηδὲ τούτοις, τοῖς τύποις τῶν ἥλων πιστώθητι. In Gregors Imperativen mag man Joh 14,11 mithören.

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hat, spricht er lediglich aus, „was die Nachgeborenen durchweg zu denken geneigt sind, denen jene anscheinend überwältigenden Beweise für Jesu österliche Wirklichkeit eben nicht mehr gewährt werden; Thomas (der wie sie am Osterabend nicht dabei war) ist ihr Sprachrohr.“244 Durch Thomas werden die Leser dazu ermuntert, zum Glauben zu kommen bzw. am Glauben festzuhalten, obwohl sie Christus nicht mit ihren eigenen Sinnen gesehen, gehört und gefühlt haben. Thomas kann deshalb als ein „borderline case“ bezeichnet werden.245 Einerseits wird er zum Modell der Späteren, die wie er die unmittelbare Erfahrung nicht haben – andererseits erhält er doch als letzter noch einmal eine Vision.246 Damit ist er aber nicht nur das Sprachrohr der Späteren, sondern auch ihre Brille, oder besser noch: ihr Auge. Durch sein glaubendes und bekennendes Sehen wird auch ihnen noch ein Blick auf den Auferstandenen gewährt.247 Anders als bei Paulus, wo die Botschaft der Auferstehung – auch bedingt durch das Genre – allein durch das Zeugnis des Apostels und der frühen Bekenntnisse als Faktum vermittelt wird, begegnen hier die Leserinnen und Leser dem Auferstandenen gleichsam mit 244 THEOBALD, Osterglaube, 120 (Hervorhebung M.T.). Auch der Zweifel findet so seinen Platz. Zugespitzt formuliert L. Steiger: „So darf der Zweifler dennoch in die Erfahrung des Auferstandenen gelangen. Sein Zweifel wird nicht ausgeschlossen, sondern behoben und über sich aufgeklärt. Behoben wird er, weil er sehend und fühlend wird! Über sich aufgeklärt wird er, weil Thomas glaubend seinem früheren Sehenwollen gegenüberstehen darf. In diesem gegenüber ist er nicht mehr unglücklich, sondern selig“ (L. STEIGER, Die Erinnerung nach vorne. Erzählter Glaube. Die Evangelien, Stuttgart 1993). 245 M. DE JONGE, Signs and Works in the Fourth Gospel, in: T. Baarda u.a. (Hgg.), Miscellanea Neotestamentica 2, Leiden 1978, 107-125, hier 119; ähnlich L. DEVILLERS, Thomas, appelé Didyme (Jn 11,16 ; 20,24 ; 21,2). Pour une nouvelle approche du prétendu jumeau, RB 113/1 (2006), 65-77. 246 Vgl. I. DE LA POTTERIE, Genèse de la Foi Pascale d’après Jn 20, NTS 30 (1984), 26-49, hier 41; CULLMANN, εἶδεν, 54: „Ceux-ci, en effet, se trouvent dans cette situation qu’ils n’ont pas vu eux-mêmes et que, pourtant, ils doivent croire.“ Die Nachgeborenen gründen ihren Glauben auf dem, was die ersten Zeugen tatsächlich mit eigenen Augen gesehen haben. Insofern aber zum Sehen ein höheres Wissen und Verstehen des Lebens Jesu hinzutreten muss, um Glauben zu erzeugen, entspricht die Situation des Lesers durchaus der des Evangelisten (ebd.). 247 Dazu gehört nach THEOBALD, ebd., freilich auch, dass Thomas sein „Ansinnen handgreiflicher Verifikation, das angesichts der gewährten Unmittelbarkeit aufrecht zu erhalten absurd wäre, stillschweigend fallen lässt, um mit seinem Ausruf ‚Mein Herr und mein Gott‘ direkt seinen Glauben zu bekennen.“ Das Argument überzeugt indes nicht: Selbst für diesen Fall bliebe, dass der Abstand des Thomas zu allen nach ihm Kommenden unendlich groß ist. Die Betonung liegt, so denke ich, jenseits vom Grad der Unmittelbarkeit auf dem Gefälle hin zum eigenen Bekenntnis. Zu diesem eigenen Bekenntnis müssen alle Charaktere innerhalb der Geschichte und die Leser mit ihnen finden, unabhängig davon, wie unmittelbar ihre Begegnung ist. Um zu diesem eigenen Glauben zu finden, muss es aber in jedem Fall gelingen, den Anstoß der äußeren Begegnung zu transzendieren.

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den Augen, Ohren, Nasen und Händen der Protagonisten. Anders als die übrigen Jünger aber ist Thomas ihnen ganz nahe, da sein Blick der Blick des angefochtenen Zuspätgekommenen ist. Auch die unmittelbare Wahrnehmung hat die ersten Zeugen nicht davon entbunden, den beschwerlichen Weg des Glaubens und schrittweisen Verstehens, einen Weg der Transzendierung des Körperlich-Faktischen hin auf die heilstiftende Realität Gottes, auf sich zu nehmen. Auf diesen Weg nimmt das Evangelium den Leser über mehrere Stationen im Durchgang durch Joh 20 mit. Den Leserinnen und Lesern dient das Evangelium so als Brücke, insofern sie an dem dort erzählten Geschehen durch die Brille der ersten Zeugen teilhaben und so zum Glauben finden können. Ihre Wahrnehmung des geschichtlichen Heilsereignisses erfolgt freilich vermittelt über die aus dem Wort sich speisende Imagination.248 Über die Wahrnehmung der Rezipienten entfaltet das tatsächlich Geschehene seine Wirkung. Verlangen sie mit Thomas, auch als Zu-spät-Gekommene, selbst zu sehen, so können sie paradoxerweise – als Nicht-Sehende und gleichsam von Geburt an Blinde – zum Sehen durchdringen wie der Blindgeborene in Joh 9.249 Dies setzt, wie wir in Kap. 1 schon gesehen haben, eine Brechung im Begriff der Sinneswahrnehmung voraus, die das Evangelium insgesamt begleitet und in Joh 9 ihre literarische Umsetzung findet.250 Der Schritt, im eigenen Leben nach Zeichen des Auferstandenen zu suchen, ist nun nicht mehr weit, zumal der scheidende Jesus versprochen hatte, den Parakleten als Beistand zu schicken, der das Geschehene gegenwärtig aufschlüsseln werde.251 Von hier aus erhält auch die Frage nach dem individuellen Glauben der Protagonisten innerhalb des Johannesevangeliums, die forschungsgeschichtlich eine wichtige Rolle gespielt hat, ihren angemessenen Ort. Dem Evangelisten ist es, wie sich verschiedentlich gezeigt hat, nicht darum zu tun, die Bekenntnissätze der einzelnen Protagonisten zu bewerten im Blick auf ihre Richtigkeit und den in ihnen sich ausdrückenden Glauben.252 Vielmehr betont das Evangelium 248

Die Zeugnis-Funktion, von der das Evangelium immer wieder redet, entspricht also derjenigen der Zeugen in einem Gerichtsprozess: Sie eröffnen denen, die nicht dabei waren, einen Blick auf die Geschehnisse, der zu einem Urteil führt. Dabei verbinden sich die zwei klassischen Bedeutungshälften des Begriffs („im Sinne des Zeugen von feststellbaren Tatsachen wie im Sinne des Zeugen von Wahrheiten“; H. STRATHMANN, Art. µάρτυς κτλ., ThWNT IV, 477-520, hier 492). Die steile These des Evangeliums lautet: indem sie von der Geschichte des fleischgewordenen Logos erzählt, erzählt sie von der Wahrheit (vgl. Joh 14,6). Nur daher erhält dieses Zeugnis seine legitimerweise glaubenstiftende Wirkung. 249 Man mag deshalb das Verhalten des Thomas durchaus mit demjenigen der aufdringlich bittenden Witwe aus Lk 18,2-7 vergleichen, die Jesus als Vorbild der Hartnäckigkeit darstellt (vgl. auch Mt 7,7-11). 250 Vgl. o. Kap. 1. 251 Joh 14,26; 15,26; vgl. Joh 14,16; 16,7. 252 Wenn im Stilmittel der johanneischen Ironie selbst die äußersten Gegner ungewollt und unbewusst richtige Sätze aussprechen können, so zeigt dies einmal mehr, dass es nicht um

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

durch das Unverständnis auch und gerade der Jünger die Realität von Unverständnis, Zweifel und Anfechtung innerhalb der Gemeinde, die nach zwei Generationen immer deutlicher hervortrat. Diese Gefühle laut werden zu lassen, ohne die Zweifelnden zu diffamieren, hat aus textpragmatischer Sicht einen guten Sinn. Die Suche, das Festhalten im äußersten Zweifel und das Versprechen der Erfüllung der Gewissheit des Glaubens aus der unmittelbaren, sinnlichen Begegnung mit Jesus ist (nach Nathanael253 und Martha) in besonderer Weise in der Figur des Thomas verkörpert.254 4.2.2.5 „Selig sind, die nicht sehen“ – Das Evangelium der Zuspätgekommenen255 und ihre Seligpreisung am Ende Mit diesen Überlegungen haben wir den Blick schon über die Thomasgeschichte hinaus auf das Evangelium insgesamt geweitet – und dies entspricht augenscheinlich der Intention des Evangelisten. Eben dazu ist das Kapitel über die Begegnungen mit dem Auferstandenen gedacht, rückblickend noch einmal die Begegnungen mit dem Irdischen zu reflektieren und einzuordnen. Der Leser soll von 20,29 auch eine Brücke zurück zum Anfang der Erzählung von Jesus schlagen. Dort hatte Jesus in durchaus paralleler Weise zu Nathanael gesagt: „Weil ich dir gesagt habe … glaubst du? Du wirst Größeres als das sehen!“ (1,50). Dieses Größere ist Nathanael, und mit ihm dem Leser, in der Tat in der Erzählung des Lebens, der zeichenhaften Taten und Worte Jesu vor Augen getreten. Nun, nachdem im Evangelium die Erzählfiguren über die angekündigten großen Dinge den Himmel offenstehen sehen konnten, sagt Jesus stellvertretend für sie alle zu Thomas: „Weil du mich gesehen hast, glaubst du? Selig sind die Nicht-Sehenden, die doch zum Glauben kommen“ (20,29). Wie die beiden Außenflügel eines Triptychons rahmen diese beiden Aussagen die zwischen ihnen sich entfaltende Erzählung vom Wirken und Lehren Jesu Christi. Sie werden nach beiden Richtungen eingeordnet: Gegenüber einer Haltung, die von Jesus die prophetischen Taten eines Mose oder Elia erwartet, wird betont, dass in dieser Geschichte etwas ungleich Größeres zur Darstellung kommt und den Glauben einfordert. Nachdem dieses Größere in aller Plastizität durch die Brille der Zeugen vor Augen geführt worden ist, wird die Geschichte nun eine Bewertung der Glaubensfestigkeit der einzelnen dramatis personae geht, sondern darum, den Weg aufzuzeigen (14,6), auf dem der Gott, den keiner jemals gesehen hat, und seine Realität innerhalb dieser körperlichen Welt wahrgenommen und von dort aus der Weg zu Glauben und Leben gefunden werden kann. 253 A. DAUER, Johannes und Lukas. Untersuchungen zu den johanneisch-lukanischen Parallelperikopen Joh 4,46-54/Lk 7,1-10 – Joh 12,1-8/Lk 7,36-50; 10,38-42 – Joh 20,1929/Lk 24,36-49, FzB 50, Würzburg 1984, 252, ist der Meinung, „dass der Evangelist die Thomasgeschichte bewusst der Nathanaelerzählung nachgebildet hat.“ 254 Vgl. o. 338f. die Auslegung Gregors des Großen. 255 Vgl. FREY, „Ich habe den Herrn gesehen“, 282-284.

4.2 Betasten als Weg zu Gotteserkenntnis und Glauben?

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wieder ins existentielle Verhältnis zur Wahr-Nehmung durch den Einzelnen gesetzt: So groß die Geschichte auch ist, wirksam wird sie durch die Annahme im Glauben, der die äußere zur inneren Evidenz werden lässt. Damit wird, wie wir gesagt haben, weder der Glaube des Thomas noch die Erzählweise der letzten 19 Kapitel und die darin laut gewordene glauben- und lebenstiftende Erfahrung mit dem fleischgewordenen Wort kritisiert.256 Sondern damit ist der Überschritt gemacht von denen, die mit den eigenen fünf Sinnen Zeugen der wundersamen Heilsgeschichte geworden sind, zu denen, die zu spät kommen, um diese Erfahrung unmittelbar machen zu können. Es geht im gesamten Evangelium um „die Leser, die lesend Zeugen der Ostererfahrung des Thomas geworden sind“.257 Sie sind verwiesen an die Geschichte, von der das Evangelium zeugt, und sie sind an sie verwiesen in der Weise, in der das Evangelium davon zeugt. In dieser Geschichte können sie durch die Sinne der Zeugen teilhaben an der Offenbarung, die in dem fleischgewordenen Wort Gestalt gewonnen hat. Etwas Größeres gibt es nun nicht mehr zu sehen als den Einbruch des Lebens gegenüber der Realität des Todes. Nun gilt es, das, was in dieser Geschichte greifbar geworden ist, im Glauben wahr-zunehmen.258 Die Bedeutung der Schlusspassage des Evangeliums hat Dodd in einer Klarheit zusammengefasst, die es geboten erscheinen lässt, den Abschluss seines Kommentars ausführlich zu Wort kommen zu lassen: „In the story of Thomas, in fact (xx. 26-9), we are already on the confines of the empirical and the spiritual worlds. At the beginning, we are still at the point where Christ reveals 256

Vgl. schon K. BARTH, Die Kirchliche Dogmatik III/2. Die Lehre von der Schöpfung, Zollikon-Zürich 1948, 538: „Das ist keine Kritik an Thomas, sondern (vgl. 1Petr 1,8) die Seligpreisung all derer, die, ohne selbst an dem Sehen dieser besonderen Zeit teilzunehmen durch ihr Wort (aufgrund des Zeugnisses derer, die mich damals sahen) an mich glauben werden (Joh 17,20)“ (zitiert bei KOHLER, Kreuz und Menschwerdung, 187 Anm. 98); vgl. ebd., 184; FREY, „Ich habe den Herrn gesehen“, 280. 257 GRUBER, Berührendes Sehen, 78. Zur Verbindung von Joh 20 mit Joh 14 vgl. THEOBALD, Osterglaube, 94-99. 258 Vgl. CULLMANN, εἶδεν, 54. Nach M.D. TRAKATELLIS, Seeing and Believing. The Thomas Incident (John 20.24-29), in: P.A. Chambers (Hg.), Agape and Diakonia (FS G.von Abydos), Brookline 1998, 37-52, hier 45, weist die Aussage noch unmittelbarer darüber hinaus. Er bezieht sie (im Zusammenhang der Seligpreisung in 20,29) auf die „post-resurrectiontime“, also auf die Existenz der Gemeinde. Die Gemeinde lebt in paradoxer Weise, so seine These, in „the state of seeing after having believed“: sie erfährt Jesus lebendig in ihrer Mitte und im Vollzug der Eucharistie (ähnlich BARRETT, Komm., 549, der für den ganzen Abschnitt von 20,19 an einen liturgischen Ursprung für möglich hält). Interessant und bedenkenswert auch seine pastorale Schlusswendung: „The evangelist did not add anything beyond that. Maybe he did not have to. He knew extremely well that the people who have believed without having seen the Lord, were already experiencing the blessedness about which John 20,29 speaks. In a paradoxical reversal of terms, these people probably were now enjoying a most unexpected state of faith and existence: the state of seeing after having believed“ (48).

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Kapitel 4: Berühren, Begreifen, Bekennen

Himself at a particular moment of time, at a particular place, and to certain historical individuals, who are to attest to succeeding generations the fact that He rose from the dead, in this world. But when Thomas confesses Him as God, He is already in the eternal world; and for the disciples the stage when He was known through the sight of mortal eyes has yielded to the stage at which faith is the medium of the saving vision of Him […]. From this moment the company no longer consists solely of the eleven disciples gathered at a particular time and place; every reader of the gospel who has faith, to the end of time, is included in Christ’s final beatitude: µακάριοι οἱ µὴ ἰδόντες καὶ πιστεύσαντες. This is the true climax of the gospel; the rest, however true and however moving, is mere postscript.“

Wunderbar beschreibt Dodd die Öffnung, die sich hier wie an keiner Stelle sonst im Evangelium vollzieht. Unübertrefflich klar zeigt er die Schnittstelle auf und löst damit zugleich das Problem der in diesen Versen spürbaren Spannung als Spannung zwischen dem Bereich des Geschichtlichen und demjenigen des Ewig-Göttlichen. Der Übergang, der die Schilderung der Geschichte Jesu durchzogen hatte, tritt hier besonders deutlich und endgültig hervor. Und dennoch: Der Leser war schon den ganzen Weg durch Galiläa nach Jerusalem mitgegangen, hatte sich unter die Jünger eingereiht und die Semeia mit bestaunt, hatte vom Wein gekostet und vom Lebensbrot gegessen, hatte den Geruch der Salbe gerochen und zuletzt den Auferstandenen gesehen. An ihn waren die Worte Jesu gerichtet, die von dessen Einheit mit Gott berichteten und ihn als den Weg, die Wahrheit und das Leben vorstellten. Am Ende des Weges kann er jetzt das Bekenntnis des Thomas mitsprechen: „Mein Herr und mein Gott.“ Dass die Geschichte so rezipiert werden will, wird hier abschließend expliziert und in dem Schlusswort 20,30f. mit der unmittelbaren Wendung an den Leser bestätigt.

4.3 Zusammenfassung War bereits das gesamte Kapitel geprägt von körperlichen Wahrnehmungen auf dem Weg zur Ostergewissheit, so führt die Thomasgeschichte mit dem Aspekt der Berührung dieses Thema dem abschließenden Höhepunkt innerhalb des Evangeliums zu. Wie mit einem Leuchtstift wird die Bedeutung sinnlicher Körperlichkeit für den Glauben im Diktum und im Bekenntnis des Thomas sowie im anschließenden Makarismus Jesu herausgestrichen. Das Spannungsfeld von Erfahren und Glauben, Vertrauen und Prüfen, Geist und Körper wird auf diese Weise voll ausgelotet. Explizit als Weg zur Gewissheit des Glaubens an die Auferstehung Jesu eingeführt, bindet das für die Thomasgeschichte zentrale Motiv des Betastens diese abschließende Geschichte in die Motivik der Sinneswahrnehmungen innerhalb des Gesamtevangeliums ein. Gleichzeitig erreicht die Erkenntnis vermittelnde und glaubenstiftende körperliche Wahrnehmung Gottes in Jesus Christus nun ihr Ziel. Indem Jesus nach Lazarus auch sich selbst aus den Todesbanden befreit hat, erweist er endgültig seine Einheit

4.3 Zusammenfassung

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mit dem lebenstiftenden Gott. Aus der unmittelbaren körperlichen Begegnung mit dem Auferstandenen gewinnen die Erfahrungen mit dem Irdischen, von denen das Johannesevangelium erzählt, als Erfahrungen des Auferstandenen und Lebendigen ihre Evidenz, Bestätigung und Strahlkraft. Eine Reihe literarischer Elemente verdichten und steigern das Motiv: der Aspekt der Berührung als der körperlichsten Form der Vergewisserung, die Doppelung der Erscheinung Jesu vor den Jüngern, die explizite Forderung des Sehens und Betastens als Voraussetzung des Glaubens, die imperativische Aufforderung Jesu zur tastenden Glaubenserfahrung an Thomas, dessen herausragendes Bekenntnis und der anschließende Makarismus Jesu sowie der erste Johannesschluss. Mit dem Bekenntnis des Thomas ist die Frage nach Jesu Herkunft und Identität gelöst; es formuliert zugleich die theologische Summe des Evangeliums. Mit der Charakterisierung der Thomas-Figur als dem prototypischen ZuSpät-Gekommenen am Ende seines Evangeliums fängt der Evangelist zudem die Perspektive späterer Generationen von Christinnen und Christen narrativ auf, denen nicht mehr die unmittelbare geschichtliche Offenbarung Gottes in Christus zuteilwurde, die also lediglich durch die Augen der Zeugen sehen und mit ihren Händen die geschichtliche Wirklichkeit erspüren können, auf die sie ihr gesamtes Leben gründen sollen. Das Bekenntnis des Thomas „mein Herr und mein Gott“ (20,28) ist ihr Bekenntnis. Es ist die Situation der wachsenden historischen Distanz als Problem eines geschichtlich grundgelegten Glaubens, die hier zur Sprache kommt. Damit schlägt die Thomaserzählung wie keine andere Geschichte innerhalb des Evangeliums den Bogen zur Glaubenserfahrung der Leser. Sie führt so eine Erzählstrategie auf die Spitze, von der das Evangelium insgesamt getragen ist. Der abschließende Makarismus in Joh 20,29 weist deshalb in pragmatischer Zielrichtung über die Erzählung hinaus und formuliert die Perspektive der intendierten Leser aus: Indem die Späteren mit den Augen des Zu-spät-Gekommenen sehen und sein staunendes Bekenntnis im Glauben nachsprechen, erhalten sie an der Seligkeit der ersten Zeugen Anteil. Diese pragmatische Perspektive der Darstellung wird anschließend in 20,30f. noch einmal unter Verwendung der 2. Person Plural zusammengefasst. Die Seligpreisung kann als eine im Munde Jesu erscheinende abschließende theologische Interpretation des vorausgegangenen Jesusgeschehens insgesamt im Anschluss an Joh 1,18 und 1,50f. betrachtet werden. In der Geschichte vom irdischen Jesus fand – bereits vom Glanz des Ostermorgens durchleuchtet – eine Begegnung mit Gott statt. Das Ergebnis dieser Begegnung fasst Joh 20,30f. auktorial zusammen: Wer aus den erzählten „Zeichen“ der Geschichte in Jesus den Christus und Gottessohn erkennt, durch den Gott ausgelegt wird (Joh 1,18), und zum Glauben an Jesus und durch ihn an den wahren Gott findet, der wird in seinem Namen Leben haben. Jesu Umgang mit Thomas wird aus pragmatischem Blickwinkel und von der Leserorientierung her verständlich: Nicht Tadel liegt darin; warum sonst wäre

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Jesus eigens wegen Thomas zurückgekehrt? Vielmehr: Der johanneische Jesus geht mit Thomas nicht anders um als zuvor mit Martha oder Nathanael (und mit Philippus und Thomas in Joh 14,5-11). Er kommt eigens noch einmal zurück, um den Zu-spät-Gekommenen – wie zuvor alle anderen Jüngerinnen und Jünger – für den Glauben zu gewinnen. Der Evangelist ist nicht an Aufdeckung und Kritik eines mangelnden Glaubens seiner Protagonisten interessiert, sondern an der Stärkung des immer angefochtenen Glaubens seiner Leserinnen und Leser. Ein Gegeneinanderstellen der „Glaubensleistung“ der einzelnen Akteure geht deshalb an der Intention des Textes vorbei. Versteht man die Seligpreisung im Zusammenhang der mit der positiven Wertung der Sinneswahrnehmungen verbundenen Erzählstrategie, so hat dies Rückwirkungen auch auf die Sicht des Thomas: Nicht der Ungläubige, sondern der Zweifelnde und Suchende tritt uns in Joh 20 entgegen. Ob Thomas Jesus tatsächlich berührt hat oder nicht, wissen wir nicht.259 Es ist dem Zugriff philologisch-historischer Methoden entzogen und es ist auch unerheblich. Entscheidend ist, dass Jesus im Rahmen der Erzähllogik des Evangeliums eigens dazu zurückkehrt, damit Thomas ihn als Auferstandenen sehen und berühren kann. Aus dieser Perspektive entscheidet sich die vieldiskutierte Frage nach der Legitimität körperlicher Wahrnehmung als Weg zum Glauben, die sich bereits bei den Taten des vorösterlichen Jesus als Frage nach der Legitimität eines durch semeia entstehenden Glaubens verdichtet. Die massive Körperlichkeit in den Erscheinungsberichten stösst uns auf ein weiteres Thema: Während historische Interpretationen dazu tendieren, die Erscheinungen des Auferstandenen einem gesonderten Erfahrungsbereich zuzuordnen, erweist sich in einer literarischen Motivinterpretation der Sinneswahrnehmung der Zusammenhang und die Kontinuität in der Wahrnehmung Jesu als dem Irdischen und Auferstandenen. Die Ostererfahrung in Joh 20 ist in der literarischen Darstellung des vierten Evangeliums nicht grundsätzlich von der Erfahrung des Irdischen im Rest des Evangeliums unterschieden.260 Wenn auch der Auferstandene durch geschlossene Türen tritt, lässt sich eine kategorial neue und veränderte Wahrnehmung Jesu nach seiner Auferstehung am Text nicht konstatieren. Die Rezeptionsorgane sind nach wie vor dieselben, ja gerade beim Auferstandenen tritt mit dem Tastsinn der konkreteste Sinn hervor. Nicht 259 Dagegen votiert unter Hinweis auf die Auslegungsgeschichte, in der eine Berührung in der frühen Kirche kaum je erwogen wurde (nämlich nur bei Augustinus, Euthymios Zigabenos, Albertus Magnus und Thomas von Aquin), FREY, Der „zweifelnde“ Thomas, 20f. (im Anschluss an MOST, Finger, 182-185) und ihm folgend SCHLIESSER, Touch. 260 „Bemerkenswert ist die Kontinuität zwischen den Manifestationen des Irdischen in den Wundern und dem wunderhaften Erscheinen des Auferstandenen in Joh 20,24-29a: Hier wie dort findet sich das Junktim vom Sehen und daraus entstehendem Glauben, wird die in Raum und Zeit nachprüfbare Realität des Wirkens bzw. der Auferstehung unterstrichen“ (SCHNELLE, Antidoketische Christologie, 159).

4.3 Zusammenfassung

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mit dem Herzen erspürt Thomas die Gegenwart des Auferstandenen (wie die beiden auf dem Weg nach Emmaus; Lk 24,32), nicht das Symbol des Brotbrechens öffnet ihm die Augen und bringt die Erkenntnis (Lk 24,31): Über Augen, Ohren und Hände wird der Auferstandene greifbar, anhand seiner Wundmale, die gesehen und sogar ertastet werden können, erweist er sich zuletzt neu als der Irdisch-Geschichtliche. Im Rückblick wird so das Geheimnis seines irdischen Wirkens und Redens offenbar: das Geheimnis des sich in seiner körperlichen Existenz brechenden Machtglanzes Gottes, das Geheimnis des geöffneten Himmels. Dieses Geheimnis begegnet im Irdischen wie im Auferstandenen in einer Mischung aus körperlich-sinnlicher Unmittelbarkeit und bildhaft-visionärer Gebrochenheit. In diesem Zustand bleibt Jesus dauerhaft gegenwärtig. Auch als Thomas ihn erkannt hat, entzieht er sich der Wahrnehmung nicht, so dass er – wie der lukanische Jesus – ἄφαντος würde (Lk 24,31). Die Erzählung schließt – jedenfalls, wenn man in 20,30f. den wesentlichen Abschluss erblickt – vielmehr mit seiner in der Erzählung fortdauernden Gegenwart.261 Die Kontinuität in der Wahrnehmung des Irdischen und des Auferstandenen erklärt sich unter der Voraussetzung, dass die Erzählintention des Evangeliums wesentlich darin besteht, die geschichtliche Offenbarung vor den Augen der Späteren neu Gestalt werden zu lassen. Aus der Perspektive der später Geborenen hat der Auferstandene nicht weniger Konkretheit als der Irdische. Wie Jesus in der Erzählung seines irdischen Wirkens immer als der Auferstandene in den Blick kommt, so wird der Auferstandene konsequent als der Irdische erfahren. Aus dieser retrospektiven Betrachtung stellt sich das Problem der Entzogenheit Jesu Christi im Blick auf den Irdischen wie den Auferstandenen in der gleichen Weise. Zu allen Zeiten sind die Glaubenden darin vereint, dass ihr Glaube seinen Grund in der Begegnung mit einer unglaublichen, weil auf geschichtlicher Erfahrung beruhenden und doch die Kategorien dieser Welt überschreitenden Geschichte findet. Dem Privileg der ersten Zeugen, die Geschichte mit eigenen Augen und Händen begreifen zu können, steht das Privileg der Zu-spät-Gekommenen gegenüber, die mit der Auferstehung den letzten Schlüssel in der Hand halten, der das Verständnis der Geschichte erst aufschließt.

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An die Emmausgeschichte erinnert dagegen die Erzählung vom Fischzug in Joh 21,4-7. Hier liegt der Fokus nicht mehr auf der Person, sondern auf dem Erkennungszeichen des Fischernetzes, das die Jünger nach einer erfolglosen Nacht auf Geheiß des Fremden erneut ausgeworfen und prall gefüllt wieder herausgezogen hatten. Wie beim Jüngerwettlauf ist der geliebte Jünger dem Petrus einen Schritt voraus: Er erkennt den Herrn zuerst und verkündet dem Petrus: „Es ist der Herr!“ (21,7). Hier ist deutlich eine andere, stärker an Lukas orientierte Handschrift erkennbar.

Kapitel 5

Resümee: Die Wahrnehmung Gottes und seines Heils in Christus Das Motiv der Sinneswahrnehmungen im Johannesevangelium, das neben Sehen und Hören in signifikanter Weise auch Schmecken, Riechen und Fühlen umfasst, erscheint nicht nur in großer Dichte über das gesamte Evangelium hinweg, sondern prominent gerade an entscheidenden Knotenpunkten (Joh 1-2; 11–12; 20). Das Motiv schafft einen übergreifenden Spannungsbogen und strukturiert so die Erzählung literarisch. Zugleich aber versieht es sie mit einer eigenen theologischen Pointe. Gerade die auffallend körperlichen Erzählungen vom Geschmack des Weins, dem erwarteten Todesgeruch des Lazarus und dem das Haus erfüllenden Lebensgeruch der Salbe sowie dem prüfenden Betasten der Wundmale des Auferstandenen erschließen sich im Kontext der Inkarnationstheologie in ihrer tieferen theologischen Dimension. Dem Wahrnehmungsmotiv kommt damit in der mit dem Gedanken der Inkarnation gegebenen Spannung von immanenter Erkennbarkeit und Entzogenheit eine hermeneutische, pädagogische, theologische und zuletzt soteriologische Funktion innerhalb des Evangeliums zu. „Sehen“ erweist sich dabei als Oberbegriff für die körperliche Erfahrung insgesamt (vgl. 1,50f.; 20,29-31): Die johanneischen Zeichen werden nicht nur mit den Augen, sondern mit allen Sinnen wahrgenommen. Im Rahmen der „geistlichen“ Sehweise des vierten Evangeliums überrascht die Betonung sinnlicher Wahrnehmung und verlangt deshalb nach einer Erklärung. Der Aspekt der Unwahrscheinlichkeit (unlikelihood) im Sinne Freedmans kam bei den entsprechenden Geschichten von der Rezeptionsgeschichte her als Irritation der Leser und Auslegerinnen in den Blick (Hochzeit zu Kana/Genuss von Wein in Fülle; Gestank des Verstorbenen; Berührung des Auferstandenen als den Glauben provozierendes In-Kontakt-Kommen). Den in dieser Weise irritierenden Aspekten konnte im Rahmen der theologischen Interpretation des Wahrnehmungs-Motivs eine kohärente theologische Aussage entnommen werden. Hier erwies sich die Stimmigkeit (appropriateness) des Motivs im Rahmen der Inkarnations-Theologie des vierten Evangeliums als besondere Pointe, die sich zudem in den philosophie- und religionsgeschichtlichen Kontext einordnen ließ: Die Sinneswahrnehmungen innerhalb des Johannesevangeliums haben eine christologische Ausrichtung und ein theologisches Ziel: Sie konzentrieren sich nahezu ausnahmslos auf Jesus und auf das, was von

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Kapitel 5: Resümee: Die Wahrnehmung Gottes und seines Heils in Christus

ihm ausgeht. Aber diese christologisch zentrierten Wahrnehmungen erlangen ihre Legitimität als Wahrnehmung des Gottes, den (unmittelbar) niemand jemals gesehen hat (1,18a), und seiner in Christus in die Welt eingebrochenen Licht- und Lebensmacht. Christus wahrnehmen heißt im Johannesevangelium: Gott wahrnehmen. Gottes-Wahrnehmung und Gotteserkenntnis kommt im Rahmen der geschichtlichen Theologie des vierten Evangeliums eine pädagogische (oder psychagogische) Funktion zu, die auf ein soteriologisches Ziel ausgerichtet ist: sie sucht die Lesenden über den Glauben in eine Einheit mit Gott zu führen, die zugleich dauerhaftes Leben bedeutet. Auf die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit eines Heil stiftenden Gottesverhältnisses, das zuletzt sogar den Tod überwindet und Zugang zum Leben schafft, antwortet das Evangelium mit der radikal zu Ende gedachten, auch jegliche Bildtheologie zuletzt überholenden Vorstellung der einmaligen geschichtlichen Gegenwart und Erfahrbarkeit Gottes innerhalb der körperlichen Welt: Gott wird in Christus wahrer und vollständiger Mensch – nur so kann er wahrgenommen werden. Nur so auch kann das Heilsereignis der Auferstehung und des neuen Gottesverhältnisses die menschliche Natur als ganze erlösen. Indem er aber Mensch wird, bleibt er zugleich wahrer Gott, denn nur so handelt es sich um eine Wahrnehmung Gottes und nicht um eine Selbstwahrnehmung des Menschen. Der Sohn ist also mehr als ein Bild Gottes. Er ist die in der Welt gegenwärtige und erfahrbare Seite Gottes. Die Betonung der Sinneswahrnehmung unterstreicht, dass die Darstellung des Evangeliums nicht nur eine bloß metaphorische oder allegorische Deutungsebene des Christusgeschehens anbietet. Die Pointe gerade der Betonung sinnlicher Erfahrung zielt darauf, dass sich das an sich unerkennbare Sein Gottes in der körperlichen Welt erkennbar abzeichnet. Gleichwohl kann Gott innerhalb der Welt notwendig immer nur bildhaft und vorläufig wahrgenommen werden. Dies wird im Evangelium nicht abstrakt vom Wesen Gottes, sondern von der Rezeptions- und Erkenntnisfähigkeit der Menschen her begründet. Mit der Betonung der Wahrnehmung rückt das vierte Evangelium das Problem der Rezeption des Heils, der Wahrnehmungs- und Erkenntnisfähigkeit der Menschen ins Zentrum. Wahrnehmen und Für-wahrNehmen, Glauben und Verstehen, Begegnen und Annehmen ist ein Prozess, den das Evangelium über die Erzählung von den Begegnungen mit dem Irdischen und dem Auferstandenen inszeniert. Die johanneische Betonung der sinnlich-körperlichen Wahrnehmung als Weg zum Glauben kann letztlich als konsequentes Ernstnehmen der Geschichtlichkeit des Glaubens verstanden werden. Gegenüber einer existentialen Interpretation, die in gewissem Sinne einen Kurzschluss zwischen dem Glaubenden und dem ihm in der Geschichte begegnenden Gott herstellt, hält das Johannesevangelium ebenso wie gegenüber allegorischer Sublimierung konsequent daran fest, dass Gott sich den Menschen allein in der geschichtlichen Figur Jesu von Nazareth ein für allemal offenbart hat. Das Problem eines auf geschicht-

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liche Offenbarung Gottes sich stützenden Glaubens, der aus der unmittelbaren Begegnung mit Jesus Christus erwächst, ist die Vermittlung an spätere Generationen. Dafür, dass sie in diesen Glauben mit hineingenommen werden können, schafft der Evangelist mit seinem Evangelium die literarische Voraussetzung. In dem Sehen, Hören, Fühlen, Schmecken und Riechen der Erzählfiguren vermittelt sich die körperliche Erfahrung des in Jesus gegenwärtig gewordenen Heils Gottes auch den Leserinnen und Lesern. Weil aber zu der geschichtlichen Heilserfahrung zentral die Erfahrung der Überwindung des Todes in Kreuz und Auferstehung Jesu gehört, weist der Evangelist seinen Lesern in gewissem Sinn sogar eine über die Position der Jünger hinaus privilegierte Position zu: Anders als die Figuren innerhalb der Geschichte kennen die Leserinnen und Leser den Ausgang, von dem her sich die Heilsvorgänge innerhalb der Geschichte überhaupt erst erschließen. Innerhalb der Geschichte erscheint dagegen der Weg der Protagonisten zu Verstehen und Glauben immer unter Vorbehalt und vielfach gebrochen. Freilich steht auch das Verstehen der Leser unter einem eschatologischen Vorbehalt. Eine unmittelbare Klarheit kann Jesus in den Abschiedsreden erst für das Wiedersehen am Ende versprechen, wenn er alles über den Vater in unmittelbarer Klarheit vermitteln wird (Joh 16,25). Verschiedene Deutungen für die Kategorie der Vermittlung werden angeboten. Neben dem Zeugnis und den Zeugen, zu denen auch die Figur des Lieblingsjüngers zu zählen ist (wenn es richtig ist, dass er in Joh 19,35 spricht und sich damit als der erste Zeuge des Evangeliums zu erkennen gibt), ist das vor allem die vieldiskutierte Rolle des Heiligen Geistes bzw. des Parakleten, dessen Funktion es insbesondere ist, die Gemeinde an die Reden Jesu zu erinnern. Im Rahmen der vorliegenden Deutung würde dies bedeuten, dass der Heilige Geist als jene hermeneutische Größe zu betrachten ist, die aus dem bloßen Wahrnehmen des Geschichtlichen einen Glauben wachsen lässt, der das Geschehene für wahr nimmt. Gemäss der vorliegenden Deutung folgt daraus zugleich, dass der Geist mit Erkenntnis und Glauben Leben schafft. Genau in diesem Sinne wäre ein weiterer rätselhafter körperlicher Zug des Evangeliums zu interpretieren, der mit Körperlichkeit zu tun hat, für den aber nicht der Wahrnehmungsaspekt zentral ist, zumal hier Jesus selbst Subjekt ist: „Und indem er dies sprach, blies er in sie und sagte zu ihnen: nehmt den Heiligen Geist“ (Joh 20,22). Wie oben erläutert, ereignet sich hier nicht die Gabe von Erkenntnis und Leben an die Apostel (wieso sonst bekommt Thomas den Geist nicht auch noch einmal eingeblasen?). Es handelt sich aber gleichwohl im Sinne der Aufnahme von Gen 2,7 um einen Akt der Neuschöpfung: Durch den Geist werden die Apostel in Stand versetzt, die lebenstiftende Botschaft von dem Auferstandenen weiterzugeben. Die theologische Deutung des Wahrnehmungsmotivs stellt die johanneische Sicht von Welt und Körper vom Kopf wieder auf die Füße. Nimmt man das Motiv des Geschmacks des Weins als literarischen Fluchtpunkt der apophtheg-

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Kapitel 5: Resümee: Die Wahrnehmung Gottes und seines Heils in Christus

matischen Erzählung von der Hochzeit zu Kana ernst, so lässt sich eine ästhetische anstelle einer ethischen Thematik erkennen, die motivgeschichtlich verankert werden kann: der Geschmack des Wein führt auf die christologisch zentrierte Frage nach dem Woher und weist so auf den in Christus gegenwärtigen Anbruch einer neuen Realität, einer neuen, lebenstiftenden Beziehung Gottes zu seinem Volk. Die Erzählung von den bethanischen Geschwistern verdichtet die existentielle Erfahrung menschlicher Todesverfallenheit und die Hoffnung auf die bereits vollzogene Überwindung des Todes im Motiv des Geruchs. Indem der Geruch des Todes ausbleibt und sich anstatt dessen in der anschließenden Salbungsgeschichte der Geruch des Lebens auszubreiten beginnt, wird die göttliche Lebensmacht als zentraler Wesenszug in dem in die Welt getretenen göttlichen Logos offenbar. Damit wird zugleich die Salbungsgeschichte über den Geruch unter ein neues Vorzeichen gestellt: zwar ist das Thema der Zurüstung zum Begräbnis durchaus in 12,7 noch präsent; indem aber die Geschichte in den Rahmen eines Festes des Leben des Lazarus gestellt und diese Thematik durch den das Haus erfüllenden Wohlgeruch anstelle des Todesgeruchs unterstrichen wird, ist die Todesgeschichte Jesu – wie zuvor bei Lazarus – als eine Geschichte der Durchsetzung des Lebens markiert. Die Thomasgeschichte zeigt abschließend in besonderer Eindringlichkeit die Erzählstrategie des Evangelisten: durch die Erscheinungskapitel hindurch nimmt er den Leser an die Hand und führt ihn durch verschiedene Begegnungen in sich steigender Klarheit der Wahrnehmung, bis zuletzt der Leser selbst als der Zu-spät-Gekommene in der Person des Thomas noch seine separate Ostererfahrung und seinen eigenen Zuspruch bekommt. Die Antwort auf die Frage nach der Erkennbarkeit Gottes unter den Bedingungen der körperlichen Welt lautet nach dem Johannesevangelium: Gott kann gesehen, gehört und betastet, ja seine lebenstiftende Macht kann sogar gerochen und geschmeckt werden – in dem fleischgewordenen Logos, dem einziggeborenen Sohn, der selbst Gott ist, in seinen Worten und Taten, denen die Leserinnen und Leser im Zeugnis des Evangeliums begegnen. Insofern der göttliche Logos Fleisch geworden ist, ist das „geistliche Evangelium“ zugleich ein Evangelium, das mit allen Sinnen ergriffen werden will und kann.

Literaturverzeichnis 1. Abkürzungen Die Abkürzungen richten sich in der Regel nach: S.M. SCHWERTNER, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin u.a. 2 1992. Abweichend davon werden die folgenden Abkürzungen verwendet: BAUER/ALAND

BLDR IG LACL LCI LSJ NEUER WETTSTEIN

PGL SIG STRBILL

ThWNT

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Stellenregister 1. Altes Testament Genesis 1-3 1,26f. 2,1 2,7 3,24 14,2 18 18,4 18,8 19,2 24,20 24,32 27,11f. 28 28,12 32,31 39–41 40f. 49,10-12

26 11, 26, 86f. 26 65, 87, 293f., 323, 349 254 69 71 250 39 250 134 250 311 68 106 59 146 155, 160f. 163, 155

Exodus 2,19 3,6 3,14 7,19-22 8,10 12,6 15,23-25 19,12 19,16 19,21 20,4 20,23 24,9-11 24,16f.

134 59 72 114 198 125 114 59 131 59 60 66 58, 60 68

32–34 33,11 33,18 33,20-23 34,29 34,29-35 37,6-9

31, 60-62 60 31, 53, 58 59 31 286 288

Leviticus 24,10-16 26,12

52 161

Numeri 4,20 12,8 15,30f. 16,26

59 60 52 317

Deuteronomium 4,1 4,12 4,16-23 4,39 5,4.8 16,20 21,22f. 28,29 32,39

226 86 60 160 60 226 52 311 68

Richter 5,28 6,22f. 9,13 11,12 13,15 13,22 16,26 19,21

288 59 154 132 311 59 311 250

386

Stellenregister

1. Samuel 2,9 10,1 15,32 25,4

267 204 148 250

2. Samuel 11,8 19,36

250 147

1. Könige 1,38-40 19,11-13 17,7-24

204 59 132, 198, 294

2. Könige 3,13 4,32-37 9,1-13 25

132 198 204, 252 146

Jesaja 5,1-9 6,1-10 6,2.5 6,9f. 11,12 12,3 25,1 25,6-8 34,3 38,11 40,12-25 42,6f. 43,1 46,5-9 49,8-10 49,18 49,22 51,17-22 52,8 52,11 54,4-8 55,1-3 56,8 59,9f. 60,1 60,2 61,1 61,10

144, 155 31, 34 59f. 65 244 134 300 154, 164f. 198 80 60 240 290 60 240 141 244 149, 156 81 317 165 158 244 267, 311 32 81 185 141

62,5 62,8f. 63,1-6 64,4

141, 165 154 156 165

Jeremia 2,21 2,32 7,34 12,10f. 15,16 16,9 23,3f. 25,15.27f. 25,19 25,30f. 28,39 31,5.12 31,31f. 33,11 38,18 47–48.52

155 141 141 155 130 141 244 149 141 156 225 154 165 141 300 146

Ezechiel 2,8–3,3 16.23 23,31-34 32,27 37,9.26f.

130 165 149 225 294

Hosea 2,10-24 14,8

154, 163, 165 132, 154

Joel 1,5-8 2,16.19 4,13 4,18

163 141, 163 156 154

Amos 4,10 9,13-15

198 154

Habakuk 2,16

149

Sacharja 9,14 9,17 12,19 13,9-14,5

81 154 272 300

387

Stellenregister Psalmen 11,7 17,15 19,11 23 (22 LXX) 23,5 27,13 29,3 LXX 34,9 (33,9 LXX) 33,21 LXX 34,23f. LXX 36,10 37,6 LXX 42,3f. 45,5 LXX 51,7 51,13 63,3 75,9 80,9-17 84,8 87,2 LXX 102,17 104,15 118,17.21 119,103 139,11f. 141,2 (140,2 LXX)

80 80 130 156-158 156 80 300 147 271 300 226 271 80 161 185 80 80 149 155 80 300 81 154 240 130 267 204

Hiob 14,12 19,25-27 20,18 24,14-17

225 81, 237 147 267

Proverbien 2,13.18f. 3,16.18.22 4,13.22f. 4,18f. 9,1-6 20,1 23,30-32 31,4-7.18

267 226 226 267 159f. 154 154 147

Hoheslied 1,3f. 1,12f. 2,13; 3,6 4,6-16

198, 204 204, 254f. 204 198, 204, 254

5,1.13; 6,2 7,9f. 8,14

204 198, 204 204

Threni 1,15

156

Daniel 2,14

146

Sapientia Salomonis 1–3 73 6,18-20 74, 224, 226 7,1-6.25f. 74f., 78 8,13.17 74, 226 9,14f. 74 13,3-5 83 15,3 226 15,11 294 17,13 225 Tobit 1,22 12,19

146 311

Jesus Sirach 15,3 22,9 22,10-13 24,8 24,15[20] 24,17-22 24,20[27] 31,25-31 32,1f. 34,33-36 39,14[18] 41,1 43,31 46,19 48,11 48,13

158f. 225 268 159 207 158f. 207 154 144f. 154 207 148 33 225 335 225

2. Makkabäer 6,7 9,9-12

166 210, 237

4. Makkabäer 5,11.37

225

388

Stellenregister

2. Neues Testament Matthäus 5,6 5,8 5,14-16 6,9-13 6,22f. 7,7-11 8,3 8,15 8,29 8,31 9,15 9,18-26 9,29 9,31 10,38 11,19 13,13-15 14,36 16,24 16,28 17,7 17,12 17,37 18,10 20,34 22,1-14 25,1-13 25,31-46 26,6-13 26,7 26,29 26,39.42 27,34 27,52 28,9 Markus 1,24 1,31 2,18-22 3,6 3,10 4,3-9 4,12

184 50, 59, 81f., 335 267 34 267 339 318 318, 322 132 322 165 198, 318 318 229 229 165 65 318 229 148 318 229 117 81 318 113, 116, 133, 141, 164 116, 141, 164f. 96 197, 256 248 164 261 6, 148 225 321-323 132 322 109, 116f., 128, 141, 165f. 258 318 197 65

5,7 5,21-43 5,23 5,27-29 5,39 6,21 6,56 7,31-37 7,32f. 8,22-26 8,29 8,31-34 9,1 9,2-9 9,24 10,13 10,45 10,46-52 11,1 11,12–14.20-25 12,1-12 12,27 12,41-44 14,3 14,3-9 14,36 15,34 16,1.6

132 116, 198 6 318 198, 225 246 318 116 309, 318 97, 116, 318 259 229, 258, 260 148 259 56, 231 317 260 97, 318 197 117 156 267 309 248, 271 197, 255f., 272 261 217 255

Lukas 1,68 2,10 2,26 2,32 4,18.21 5,34-39 5,39 6,19 6,21 7 7,11-17 7,14 7,34 7,36-50 7,37 7,39 8,40-56

97 320 148 32 185 165 117 318 184 250 198 318 165 197, 251 249 249, 318 198

Stellenregister 8,44-48 8,52 9,23 10 10,38-42 10,40 11,33-36 12,35f. 13,6-9 14,8 14,12.16f. 14,15-24 14,24 14,27 15,32 16,19-31 18,2-7 18,15 18,35-43 21,1-4 22,15 22,42 22,51 23,56-24,6 24,5 24,7 24,26 24,31f. 24,34 24,36-49 24,46 Johannes 1,1 1,1-3 1,4 1,5 1,6 1,7-8 1,9 1,9-13 1,10 1,12f. 1,14

318 198 229 157 197 247 267 164 117 116, 141 246 116, 121, 141, 148, 164 102, 147f. 229 220, 225 197 339 317 318 309 229 261 318 255 289 285 229 345 310 310, 315 285 47, 93, 288, 299, 302 30, 263 57, 72, 192, 213, 217, 244, 294 28, 30, 57 35 97, 286 25, 92, 213 28, 30, 57, 263f. 93 74, 149, 294 7, 10f., 25-99, 107, 121, 189, 217, 312, 326, 334

1,14-18 1,15 1,16 1,17 1,18

1,18a 1,18b 1,19 1,29 1,29-34 1,35-51 1,36 1,38f. 1,45 1,46 1,47-50 1,48f. 1,50f.

2 2,1 2,1-11 2,3 2,4 2,6-8 2,9 2,10 2,11 2,12 2,18-22 2,23-25 3 3,2 3,3-5 3,11 3,14 3,16

389 26, 31, 326 97 213, 326 27, 32, 106, 134, 173, 179 12, 25-99, 107, 121, 170, 174, 189, 282, 292, 299, 344, 348 27, 29f., 58 27, 32-40, 58 97 103, 106, 223 34, 39, 57, 97, 106, 108, 288 93, 157, 173-176, 288 103, 108, 223 51, 93, 106, 298 229 320 49 93, 185f., 301, 306 2, 49, 54f., 82, 105f., 121, 188f., 217, 239, 292, 306f., 340f, 344, 347 1, 6, 19, 101f., 157 121, 131f., 140 6, 102, 103-149, 269f. 112, 154 222 104, 135, 151 144, 147f., 172f. 112, 117, 148, 153 121, 140, 188f., 286f. 132, 168 98, 105, 133, 284, 286f., 315 49, 97, 181 174 182, 264 60, 74, 82, 135, 148f., 263 33, 97 222 35, 57, 72, 170, 174, 189, 223, 260

390 3,18 3,19-21 3,22 3,26-28 3,29 3,31-35 3,34 3,35 4 4–6 4,4.7 4,10-15 4,16-19 4,21 4,23 4,24 4,28f. 4,39 4,41 4,44 4,46-54 4,46 4,48 5 5,1 5,7 5,10 5,13 5,14 5,17 5,18 5,19f. 5,20-29 5,21 5,23 5,24 5,25 5,26 5,28 5,29f. 5,31-39 5,36f. 5,37-39 5,44

Stellenregister 302 30, 89f., 264 107 97 129, 141, 164-166 33-36, 48, 92, 97, 176 135, 163 36 35, 101f., 134, 180184, 189 6, 35 134f. 57, 101, 134f., 159, 172f., 175, 49, 176, 186 132 189 35 49, 176, 186 49, 94, 97, 176, 186, 286 286 97 108, 286 136 91, 131, 329, 333, 335 267-269 107 135 86 116 107 35 52, 174 33, 36, 54 52, 55, 57, 264 35, 51, 57, 72 35 57, 218 86, 189, 229, 239f. 35, 51, 174 269 36, 96 97, 179 32, 35, 55, 86 57, 83, 86, 174 286

6

6,1 6,2.14.30 6,5-13 6,32 6,35 6,36 6,37.40 6,38.42 6,41f. 6,44-47 6,49 6,51-58 6,55 6,56 6,57 6,58 6,63 6,69 7 7,1-13 7,1 7,4 7,6.8 7,7 7,15f. 7,27-29 7,30 7,31 7,34-36 7,37-39 7,38 7,39 7,41 7,48 8 8,12

8,13-19 8,20 8,23

35, 92, 102, 127f., 143, 158, 174, 180, 183f., 188, 280 107 49 112f. 35, 92 101f., 159 88 35 176 40, 102, 133, 173, 175, 229 27, 33-35, 48, 83 102 242 102f., 136, 156, 163, 170, 177, 189 92 280 35 177 91 302f. 101f., 174f. 93 107 182 132 97 54, 186 35, 40, 92,133, 172f., 176-179, 229 132, 298 286 48 102, 181, 286 135, 303 37, 87, 217 173, 229 286 101, 174, 179 51, 57, 101, 213f., 218, 224, 246, 262, 264f. 97, 101, 172f., 176, 185 132 27

Stellenregister 8,24-29 8,28f. 8,30 8,38 8,40 8,41f. 8,51f. 8,54-58 8,54 8,59 9

9,3 9,5 9,6f. 9,12 9,18 9,24 9,29f. 9,33 9,35-38 9,39-41 10 10,3 10,9 10,10b 10,11 10,15 10,17 10,18 10,21 10,25 10,27f. 10,29f.

10,32 10,33-38 10,38 10,42 11 11,1-12,11 11,1-5 11,1 11,4 11,6-10 11,6

34, 52, 92 36, 48 286 33f., 36, 178 36, 92 35 148f. 52 35 101 50, 95, 173, 184f., 214, 243, 263-266, 281, 339 55, 123, 265f., 337 265 53 174 286 123 35, 89, 172f., 182 35, 174 53 27, 88f., 96 174, 269 240, 289 51 171 223 35, 223 35f. 287 89 97 218, 240, 242, 269 35f., 52, 54, 83, 86, 174, 178, 189, 216, 242, 302 55 52 35, 54f. 286 157f., 282, 304 1f., 12, 19, 46, 149, 191-276, 281 219-222 214f. 265f., 337 222-224 131

11,7 11,8 11,9 11,10 11,11-16 11,11 11,12 11,15 11,16 11,17-27 11,22 11,23f. 11,25

11,27 11,28-37 11,32 11,34 11,35f. 11,37 11,38-44 11,39 11,40f. 11,43 11,44 11,45-57 11,45 11,50 11,53 11,57 12,1-11 12,1 12,2 12,3

12,7 12,9-11

12,12-19 12,13 12,16 12,17f.

391 107 260 27, 259f., 265 158 224-229 107 149 123, 222, 235, 337 217, 260, 332 230-233 35 227 51, 57f., 72, 98, 217, 221, 223, 227-229, 254, 260, 275 88, 301f. 233f. 273 174, 230, 320 220 264 234-243 6, 19, 88, 191, 198, 212, 248 335 268f. 284 243-45 116, 222, 286 95, 125, 260 223 174 157,194f., 216, 219, 245-258, 265 157, 219, 265, 314 133 6, 19, 123, 203f., 212, 217, 242, 261263, 269, 274f. 120, 125, 196, 208, 214, 274f., 350 2, 49, 116, 194-196, 215, 222, 244, 262, 274, 307 255, 261 204, 252, 258 98, 217, 222, 315 97, 116, 196, 222, 258

392 12,20f. 12,20-36 12,23 12,24 12,27-30 12,35-50 12,37 12,38 12,40 12,42 12,44 12,44-46 12,47-50 12,49 13 13,1 13,2 13,3 13,4 13,5 13,30 13,31f. 13,36 14,1-11 14,2-4 14,2 14,3-5 14,3 14,5-12 14,5-7 14,6 14,7 14,8 14,9 14,10f. 14,16 14,21-23 14,24 14,26 14,28 14,29 14,31

Stellenregister 48 194 132, 217, 222 208, 221, 223, 260, 276 48, 59, 217, 261f. 101, 214, 264 92, 257 286 65 286 295 30, 39, 52, 54, 302 96, 178 34, 48 12, 174, 176, 215, 250f. 132 246, 309 35, 174, 185 246 250, 309 264 35, 217, 222 174, 332 50-56, 84, 178, 188 218 84, 176 174 82 31, 39, 50f., 56, 82, 174, 302, 307, 344 176, 188, 294, 332 57, 72, 179, 223, 339f. 292, 302 289 34, 54, 88, 302 35f., 49, 55, 89, 91, 335, 338 35, 87, 217, 339 35f. 178 37, 87, 98, 217, 315, 339 54, 84, 174 307 35f.

15 15,1-8 15,1 15,8 15,9f. 15,13 15,15 15,26 16,4 16,5 16,7 16,8 16,10 16,12 16,13 16,14 16,17 16,18 16,23 16,25 16,27 16,30f. 16,33 17,1 17,3 17,4f. 17,6-8 17,8 17,11 17,20-23 17,20 17,21 17,26 18–20 18,4.7 18,11 18,36 18,37f. 19,7 19,9f. 19,11 19,17 19,19-22 19,24 19,25 19,26 19,28-37

19, 115, 156, 162f., 167 170 92, 156, 163 298 36 223 34, 48 37, 87, 97f., 217, 339 98 174 87, 339 207 174 48, 98 37, 87, 98, 217 207 174 98 35 53, 349 35f., 174, 302 302f., 305 261 132, 217 57, 72 217, 262 179 48, 174, 286, 307 36, 86, 178, 302 36, 54, 86, 186 303, 341 178, 302 36 179, 322 176 261, 309 82 51, 97, 179f. 179 172f., 179 180 229 125 285 229 132 102, 107, 216

Stellenregister 19,30 19,31 19,34 19,35 19,36f. 19,38 19,39 19,40 20

20,1-10 20,1 20,2 20,5 20,8 20,9 20,11-18 20,13.15.17 20,15 20,17 20,18 20,19-23 20,20 20,21 20,22 20,23 20,24-29 20,24 20,25 20,27 20,28

20,29

20,30f.

217 229 135, 314 97, 349 271f. 107 135, 204, 248 194, 214f., 255, 257 1, 6, 15, 46, 53, 149, 174, 194, 238, 255, 278, 281-308, 310, 315f., 328, 331f., 339, 344f. 282-287 264, 323 287f. 241 2, 291f., 296, 305, 307, 321, 330 98 287-292 174 132 186, 278, 294, 298, 316f., 319-324 283, 295, 323f. 283, 285, 292-294 283, 295-297, 300, 323f., 341 174 87, 323f., 349 321f. 69, 238, 283, 294308, 329 283, 338 44, 292, 309, 323f., 329 6, 44, 239, 317, 320, 324, 337 53, 83, 216, 277, 279, 289f., 315, 336, 343 278f., 283, 286, 330, 332, 337, 340-342, 343f., 347 15, 49, 56f. 82, 92, 98, 121, 189, 222, 242-244, 257f., 269,

393

21,1 21,1-14 21,1-25 21,4-7 21,9-13 21,9 21,11 21,15-19.20-24 21,20 21,24

276, 285, 301f., 328, 337, 344f., 347 15, 39, 102f., 278, 285f., 308 107 281 102 113, 345 15, 158, 315 143 113 285f. 246 97

Apostelgeschichte 9,36-43 9,37 10 17 17,23 17,27 28,26f.

198 221 39 32, 62 311 309f., 311f., 315 65

Römerbrief 1 1,2 1,20 1,25 2,1 4,1 4,17 6,1-11 6,6 6,23 8,29 9–11 9,23 10,9.13 12,3 13,12

62, 82 301 82 79 309 309 51, 267 327 229 270 326 88 309 301 301 267

1. Korintherbrief 1,17f. 2,2 7,1.30f. 7,39 8,6 9,1 10,1-4

229 229, 292 318, 327 225 300 291 102

21

394 11,15 11,20 11,30 12,17 13,12 15,5-8 15,6.18.20.51 2. Korintherbrief 1,21 2,14 2,14-16

Stellenregister 249 246 225 6 78, 81 291 225

2,14–4,6 4,4-6 6,17 11,2

213 46, 254 192, 198, 200, 204, 208, 211-213, 237, 271, 272 31, 213, 237 26, 31, 78, 82 317 166

Galaterbrief 4,8-10 5,11 6,12.14

327 229 229

Epheserbrief 2,1f. 2,16 4,28 5,2 5,8f. 5,14 5,22-23

221 229 320 198, 226 267 225f. 166

Philipperbrief 1,9 2,6-8 2,11 3,10.26 3,12 3,18 4,18

7 53 301 326 309 229 198, 204

Kolosserbrief 1,6-11 1,15 1,19 1,20 2,2f. 2,8f. 2,11-23

325, 327 26, 44, 78, 186f., 325, 327 326 229 327 325f. 327f.

2,14 2,16 2,21 2,23 3,1.3.10

229 324 149, 324f. 327f. 327f.

1. Thessalonicherbrief 4,13-15 225 1. Timotheusbrief 1,17 6,13-16 6,16

27, 57 57 27, 60

Hebräer 1,3 2,9 5,14 6,4-6 8,5 10,1 11,1 11,5 11,28 12,14 12,18-21 12,20

26, 78, 186 148 7 46, 147f. 77 77 315 148 324 81 309, 313-315 324

Jakobus 3,3

309

1. Petrusbrief 2,3

46, 147f.

1. Johannesbrief 1,1-3 1,1 1,3-10 3,2 4 4,2 4,7-13 4,12 4,16.19f. 4,20f. 5,20 62

43-45, 291 7, 38, 44, 311-313, 328 313 81 90 26, 84 36, 187 27, 187 36 187 44 311

2. Johannes 7

26, 84

Stellenregister Johannesoffenbarung 1,10 297 4,11 300 5,8 204 8,3f. 204 10,8-10 130 14,10 149 14,19f. 156 16,19 149

18,23 19,7 19,7-9 19,15 21,2.9 22,4 22,9 22,17

395 141 141 164, 166 156 141, 166 81 141 166

3. Frühjüdische Literatur Aristeasbrief 106

325

Syrischer Baruch 18,2 29 29,5f. 35,4 36,3 37,1 39,7 56,5-10 67,6

267 208 154 207 154 154 154 267 207

4. Buch Esra 6,26 6,42-44

149 207

Flavius Josephus Antiquitates Judaicae XVIII 199 204 De bello Judaico II 158 VII 341-359 VII 346

147 226 27, 68

Äthiopisches Henochbuch 9,1 288 10,19 154 24f. 207, 210 29-32 207, 210 32 254 67 210

Joseph und Aseneth 8,5 12,1 15,4f. 16,8.14-16 17,4

205f. 300 206 206f. 207

Jubiläenbuch 10,15 23,1

225 225

Philon De Aeternitate Mundi 66 De Abrahamo 29 55 57 58 70 149 147.162. 236–238

69 66 69 67 67, 227 1, 69 69

De cherubim 73

69

De confusione linguarum 52.56.90 69 138-140 67 De congressu eruditionis gratia 51 69, 106 57 225 61 66 92f. 69 135 67

396

Stellenregister

De decalogo 41 68

66 68

167f.

De ebrietate 145–153 208–218

160 146

De fuga et inventione 23.91f. 87 166 160 182 69 208 69, 106 De gigantibus 14 De Josepho 27.61.88.90.93.99. 104 106 126-147 265

226

146 68 226 66

De migratione Abrahami 39 67 50f. 107 191 67 203f. 70 De mutatione nominum 3 66, 67 15 67 81 69 126 311 203 67 De opificio mundi 15–21 16.19.29. 34–36.53 62 67–76 69 69–71 70f. 71 77f. 135

83, 294 78 66 69 86 67, 106 68 160 68 78, 226 294

De posteritate Caini 92 106

68

De praemiis et poenis 36–46 69 37 67 40 68 De sacrificiis Abeli et Caini 36.67.78 67 101 66 120 69 De sobrietate 3 55

67 300

De somniis I 34 I 67 I 121 I 164 I 171 I 199 II 5.16.155-158 II 162 II 169-173 II 173 II 164-169.181-183 II 183 II 190 II 249

161 87 67 226 67 106 68 146 226 155 69 146 145, 162 162 161

De specialibus legibus I 29 1 I 37 68 III 4 68 IV 140 68 De virtutibus 188

147

De vita contemplativa 89 160 De vita Mosis I 185 I 187 II 69-71 II 110

68 160 32 160

In Flaccum 137

144

Stellenregister Legum allegoriarum I1 66 I3 67 I 36.51.78 66 I 84 160 III 15 69 III 31.36 66 III 58 69 III 82 160 III 95-103 32, 62 III 96 26 III 161 87

397

Quod deus sit immutabilis 26 66 158 160, 162 181 67 [Liber antiquitatum Biblicarum] 48,1 149 Testamente der zwölf Patriarchen Testament Abrahams 4,36-38 71 20 254 20,11 209

Quaestiones in Exodum II 27–46 32 II 37. 45–47 67f. Quis rerum divinarum heres sit 15 66 69-74 87 78 69, 106 118.205 66 Quod deterius potiori insidiari soleat 22. 86–89 67f.

Testament Hiobs 34,4 52f.

211, 237 255

Testament Judas 26,4

225

Testament Isaaks 7,9

225

Testament Ashers 8,2

225

4. Rabinische Literatur Babylonischer Talmud bBB 15b.16b 148 bBer 9a 163 bBer 50b 164 bBer 57b 227 bKet 4a 164 bKet 111b, 30 155 bMQ 28b 164 bPes 109a 164 Genesis Rabba 51 (32d) 96 100,7

155 225 230

Kohelet Rabba 7,1 12,6

252 230

Leviticus Rabba 18,1

230

Ruth Rabba 3,9

314

mBer 1,1

163

mSot 9,11

164

Sifre Dt 33,24.981

250

Sifre Num 86

147

t.Sotah 5,9

249

tBer 4,10

145

398 tShab 3,16 7 [8],9

Stellenregister TJon Gen 3,24

250 163

208

5. Qumran 4QpGena

1Q34 Frgm. 3, II,8 157 1QS 3,13-26

163

267

6. Pseudepigrapha Apocalypsis Abrahamis 13,3 311

Apokryphon Ezechiel (Frgm. e 14 1,1) 157

Apocalypsis Mosis 36,1 254 40,1 254 40,2 209

Epistula Apostolorum 2, 11f. 38, 314 11,7 314

7. Papyri und Inschriften Oxyrhynchus Papyri 475,23 288 1185,10f. 324 PapyrusBoulaq 3

Inscriptiones Graecae IG 12 (3), 451 325 Pyramidentexte 576, §§ 1515f.

202

201f.

Sylloge Inscriptionum Graecarum 80362 317

8. (Früh-)christliche Literatur Acta Johannis 93

38

Ammonius von Alexandrien

Acta Thomae 10.26.47f.144 55,7 120 144

301 270 135 301

Frgm. 384 Reuss

231

Athanasius Apologia contra Arianos I3 312 Vita Antonii 26,933

270

Stellenregister

399

Augustin

14

309

In Iohannis evangelium tractatus CXX 9 285

Ad Ephesiois 17,1

270, 272

Basilius

Ad Polycarpum 3,2

67, 312

Ad Smyrnaeos 3,1-3

310, 314

Ad Trallianos 9,1 12,2 13

314 309 309

De gratiarum actione 228,31 241 Barnabasbrief 15,9

297

Evangelium Veritatis NHC I/3 30-34 45 NHC XII,2 46 Ephraem der Syrer Über Lazarus

237

Irenäus Adversus Haereses V 13,2 88 Johannes von Damaskus

Gregor von Nyssa Contra Eunomium II 1 312 III 10,3f. 312

De fide contra Nestorianos 28 312 Johannes Chrysostomos

Homiliae in evangelia XXVI,7 337

In Ioannem homiliae 74,1 54 86,1f. 321 87,1 304

Homiliae in Ezechielem I 6,3 254

In Matthaeum homiliae 58,676 249, 273

Gregor von Nazianz

Klemens von Alexandrien

Gregor der Große

Orationes 45,25

338

Hesych Homilien 18

271

298

Ignatius Ad Magnesiois 9,1

240, 264

Quis dives salvetur 37,2 302

Hilarius von Poitiers De trinitate 3,20

Paedagogus I 2,6,3

297

Stromata vel Stromateis I 51,1 67 III 59,3 39 VI 7,58 77 Hypotyposen n. Euseb h.e. VI 14 41f. Adumbrationes zu 1Joh 1,1 (III 210 Stählin)

38

400

Stellenregister

Kyrill von Alexandrien

Petrus Chrysologus

In Johannis evangelium II 284 235

Collectio sermonum a Felice episcopo parata 84,8 279

Nikodemus-Evangelium 242f. Oden Salomons 42,11

Tatian Oratio ad Graecos 4 312

164

Theodor von Heraklea

Origenes Contra Celsum I 48 VII 43,14-36

Frgm. 174 Reuss 318 50, 82

Theodor von Mopsuestia Cat.316,8 zu Joh 11,15

Commentarii in evangelium Joannis I 8,44f. 42 I 11 208, 253-255 II 16,115f. 263 X 12 154, 171 XX 44,414-416 271 XXVIII 6,50 220 XXVIII 6-8 268 XXVIII 7,54 221, 226, 271 Fragmenta in evangelium Ioannis Frgm. 13,12-29 82 Frgm. 14 37 In canticum canticorum II, 65f. 208

271

235 Thomas von Aquin Super Evangelium S. Ioannis lectura 335 114 1471-1562 225 Thomasevangelium 1; 18f.; 85 148f. 64 141 Valentinus Fragment 3

39

9. Antike Autoren Achilleus Tatius

Apuleius

Leucippe et Clitophon II 2,6 152 VIII 6 249

De deo Socratis

Aischylos [Prometheus vinctus] 115f 245 Alkinoos Epitome doctrinae Platonicae 10,7 70

75

Aristoteles Ethica Nicomachea 1118b1 317 Ethica Eudemia 1249b16-23

81

Physica 231a22

317

401

Stellenregister Politica 1335b40

Epiktet 318 76

Dissertationes I 1,12 I 16,3 II 16,13 III 15,3

228 228 300 320

Aves

204

Vespae 606-609

Enchiridion XXIX 2,3

320

250

[De mundo] 6f. Aristophanes

Arrian Alexandri anabasis IV 9,5 318 VI 13,3 291 Cassius Iatrosophistes 48 138 Cicero De natura deorum 63 Corpus Hermeticum I 14 288 II 4.12.14f. 70 IV 9f. 70f. V 29, 82, 309 VI 4 309 VII 57, 73 IX 10 76 X8 147 XI 22 71 Curtius Rufus Historia Magni Alexandri Macedonis VIII 9,27 250 Diodorus Siculus III 66

150

Dion Chrysostomos Orationes 12,60

312

Euripides Bacchae

59, 151, 161, 245

Hippolytus 1391-1394

209, 245

Phoenissae 1700

320

Fragment (Kannicht) 638 267 Herodot Historiae II 89

234

Heliodor Aethiopica VII 27

144

Hesiod Opera et dies 116

225

Hippiatrica Berolinensia 74,2 320 Homer Ilias I 512 XI 241 XIV 170-174

318 225 245

402 Odyssee I 201 IV 60 X 379 XIV 269 XIX 503-507

Stellenregister Maximus von Tyros 309 318 318 309 250

Horaz Carmina II 7, 25f. II 19,9-12 IV 2,50-52

144 150 212

Jamblich De Vita Pythagorica 31 324 Lucan Bellum Civile VII 821

236

Cataplus 18

234

Dialogi Deorum XII 2

59

Dialogi mortuorum V 236 246

151 245

Martial Epigrammata I 25,9f. V 8,1 VII 34,7-9 X 72,3

Nonnos Dionysiaca I 1-3 XIV 411-420

59 151

Paraphrasis sancti evangelii Joannei 136 XII 16 275 Oracula Sibyllina 3,744f.

154

Ovid Metamorphosis III 280-295 III 287-309

58 59

Epitomae medicae III 22,4 320 Pausanias Graeciae descriptio VI 26,1f. 150 Petronius

Philopseudes sive incredulus 13f.26 234-236 Verae Historiae I7 II 5

29

Paulus von Aigina

Lukian

De dea Syria 30

Orationes 11,9

138 300 300 300

Satyricon 70

250

Philostrat Vita Apollonii VIII 12

314

Plato Leges VIII 840a XII 967c

318 318

Menon 79e-82e

226

403

Stellenregister Phaidon 99e 72e-77a 115c-116a

317 226 255

Phaidros 244a-245a 246a-247e 249b-c 265a-b

161 69 226 161

Republica VI 509b VII 514a-517a VII 523e VII 527d-e VII 533d X 616b

61 76 317 81 81 234

Symposium 211d-e 202d 203a

81 75 76

Theaetetos 176b 186b 191c

76 317 77

Timaios 28c 41d 41e 46e-47e 92c

62, 82 161 226 70, 76 76

Plinius Naturalis Historia XIII 4,22 250 XIV 14,91 138

Numa 8,7

7

Phokion 22

209

Pompeius 73,7

250

Pyrrhus 5,9

146

Timoleon 3,2

309

Moralia Amatorius 764F-765A 771A-D

78, 226, 268 268

De animae procreatione in Timaeo 1013C 85 De defectu oraculorum 421B 245 De E apud Delphos 392A 393E–394A 393F-394C

62, 79, 80 72, 79 79 72, 234

De genio Socratis 589B-C 589C-D

311 77

De Iside et Osiride 1f. 351E 371A-B 372F-373B 382A-C

69, 78 72 85 85 268

De latenter vivendo 1128B-C 30, 267

Plutarch Vitae Alexander 4 20,13 74

200, 209, 254 200 146

Lysander 13,5

138

De Pythiae oraculis 404C-D

79 77

De sera numinis vindicta 550C-D 78, 85 565F 246

404

Stellenregister

De tranquillitate animi 477C-D 78, 85 Quaestiones convivales 620E-F 145 669C-672C 168 [Apophthegmata Laconica] 208B-C 145f. Pollux Onamastikon VI 11 VIII 124

145 33

Porphyrios De Abstinentia II 26

Oedipus Rex

89

Strabon Geographica XVI 2,35

7

Sueton Domitian 13,2

300

Theognis Elegiae 1,8-10

245

Theokrit 30,2

234

7 Theopomp

Seneca Epistulae 41

FGrH II, 115 67

Punica VII 186-194

Xenophon Anabasis 6,4,9

Silius Italicus 151

138

234

Xenophanes Fragment [Diels Kanz] 21 B 23 62

Sophokles Antigone 198-206

236

Electra 508f.

225

Namen- und Sachregister Abbild, abbilden 37, 62, 64, 76f. Abraham 70f., 76, 149, 160, 227 Abschiedsrede/n 50-56, 86, 94, 186, 217f., 255, 259, 293, 349 Achilleus Tatius 135, 151-153, 161, 249 Adam 293f. Adiaphora 149 Adonai siehe Gott Adressat/en 47, 125 Ägypten 20, 70, 85, 114, 200f., 203, 213, 234, 313 – Ägypter 7, 198 – ägyptisch 78f., 85, 200f., 203, 205 – ägyptische Dufttheolgie 20, 200f., 205 Akademie 29 Alexander der Große 200, 209, 291 Alexander von Abonuteichos 75 Alkestis 22 Allegorie 41, 80, 89, 124, 129, 270-272 – siehe auch Bild – allegorisch 17, 26, 41, 61, 69, 80, 124, 128, 162, 193, 220, 253, 270, 272f., 348 – allegorische Bildbeschreibung 95 Allegorisierung 19, 23, 97, 103, 111, 129f., 142f., 253 Allmachtswunder 114, 124 Amatorius 225f. Amenophis III. 201 Ammonios 62, 72, 79 Ammonius von Alexandrien 231 Anagnorysis 250 anagogische Funktion siehe Funktion Anamnesis 226 Anblasen 46, 292, 294, 302, 324 – siehe auch Einblasen Anch siehe Lebenszeichen Andreas 314

Angesicht 31, 39, 53, 59f., 80-82, 86, 157, 213, 241, 286 – siehe auch Antlitz – des Mose 31, 213, 286 – Gottes 53, 59f., 80f., 86 – Christi 82 Angst 224, 292, 324 Anrede 298, 324, 337 – Gottes 79, 187f. – Jesu 132f., 290f., Anthropologie 6f., 10, 12, 26-28, 30, 60, 70, 74-76, 87f., 157, 174, 193, 203, 228, 237, 263, 273, 276, 288 Antidoketismus 84, 292, 310, 314f. – siehe auch Doketismus Antigone 236, 320 Antiklimax 108, 305, 331 Antiochus IV. 166, 210, 225 Antlitz 31f., 59 – siehe auch Angesicht Apokalyptik/apokalyptisch 80, 82, 105107, 154, 210 Apollon/Apollontempel 79, 89 Apollonius von Tyana 75, 314 appropriateness (Stimmigkeit) 15f., 347 – siehe auch Motiv Archäologie 104, 166f., 172 Architekt 78 Architriklinos 108-110, 112, 117f., 120f., 129, 135, 137, 139f., 143-146, 153f. – siehe auch Speisemeister, Tafelmeister – triklinarchia 144 – Triklinium 167 Arenakapelle (von Padua) 241 Arme (Körper) 290 Arme (Person) 256 Artemis 209 Arzt 78, 226, 235 Aseneth 205-207

406

Namen- und Sachregister

Askese/asketisch 16, 81, 162, 165 Asklepieion (in Epidauros) 317 Assisi, Franziskus-Basilika 241 Ästhetik/ästhetisch 4, 45, 47, 50, 55, 58, 65, 70, 77, 82, 84, 127, 148f., 193, 207, 210, 262, 269, 325, 327f., 350 Atheismus 37 Ätiologie 73, 152 Audition 39, 106, 290 Auferstandene/r 1, 6, 38f., 45, 47, 53, 83, 158, 196, 209, 229, 245, 277-345, 347-349 Auferstehung – Auferstehungsbotschaft 290, 296, 298, 324 – Auferstehungsglauben 283 – Auferstehungshoffnung 81 – Auferstehungsleib 38 – Auferstehungsrealität 290, 331 – Auferstehungszeugnis 285 Auferweckung – der Tochter des Jairus 116, 198, 225 – des Lazarus 2, 12, 56, 58, 95, 116, 126, 157, 191-276, 277, 287 – des Sohnes der Witwe von Nain 198, 318 Aufwecken 226, 228f. Augenzeuge/n 4f., 47, 307, 313 Augenzeugnis 283 Augustin 69, 122, 127, 285, 344 Ausfluss 78, 202 Auswanderung (Abrahams) 76 Autopsie 5, 284, 297 Autor – siehe auch Verfasser – Autorintention 4, 13-14, 94 – Autorkommentar 184, 191, 227, 279, 285 avoidability (Unwahrscheinlichkeit) 14, 102 – siehe auch Motiv Axiochos 72, 228 bacchantisch siehe Dionysos Bacchen siehe Dionysos Bach, Johann Sebastian 261 Balsamierung 202-204, 234 Bartimäus 318

Begräbnis/begraben 135, 149, 199, 204f., 216, 228, 236f., 256f., 284, 326, 350 Begreifen 46, 277-345 Beinamen des Dionysos siehe Dionysos Bekenntnis/bekennen 19, 47, 53, 56, 88, 133, 176, 189, 216, 231f., 238, 248, 258-260, 262, 273, 277, 279, 287308, 329-331, 336, 338f., 342-344 Berg 31f., 58f., 128, 131, 164, 213, 335 Berufung 89, 107 – Berufungsvision 59 Berührung/Berühren 1, 6, 29, 33, 38, 44, 46, 58f., 69, 82, 136, 148f., 249, 277345, 347 – siehe auch Betasten/Begreifen – Berührungsmotiv 38, 308, 318, 324, 328 – Berührungsverbot 291, 327 Beschneidung 326f. Besessenheit/besessen 149, 171 Bestattung/bestatten 212, 214, 236, 248 – Bestattungsliturgie 81 Betasten 5, 38, 44, 277, 295, 297f., 308342, 343, 347, 350 – siehe auch Berühren Beten/Beter 34, 80, 158 – siehe auch Gebet Bethanien 193, 196f., 219, 221, 230, 244246, 249, 255, 260, 262 – bethanische Geschwister 1, 108, 191193, 197, 211, 215, 218, 223, 244, 257, 263, 274f., 350 Betrunkenheit (betrunken) 136, 140 – siehe auch Trunkenheit Bild/er 8, 11, 14, 26, 30, 43, 51, 64, 77f., 81-83, 85-87, 93, 156, 159, 161, 165, 186f., 212f., 220f., 234, 269-272, 311, 325, 327, 348 – Bildbegriff 4, 86 – Bildbereiche 33 – Bilddenken 64, 126 – Bilddidaktik 8 – Bilderlosigkeit 120 – Bilderverbot 8, 65f. – Bildhaftigkeit/bildhaft 9, 17, 20f., 23, 25, 41, 53f., 64f., 70, 76, 79f., 83f., 94f., 97, 102, 112, 125-128, 227, 270f., 312, 345, 348 – Bildhermeneutik 78, 83f., 186, 311

Namen- und Sachregister – Bildhorizont 163, 171 – Bildlichkeit 17f., 104, 193 – bildlose Gottesverehrung 7 – Bildsprache 14, 17f., 48 – Bildsprachlichkeit 20 – Bildstruktur 80 – Bildterminologie 26, 227 – Bildtheologie/n 26, 53, 76f., 130, 348 – Bildtradition 193 – Bildvokabular 85 – Bildwort 116, 129, 165 – Bildzeugnis 193 – Prägebild 77 – Sinnbild 125f. Bildtafel des Kebes siehe Tabula Cebetis Blind/Blindheit 54, 88-90, 96, 116, 130, 137, 185, 220, 231-233, 240, 243, 264, 266, 303, 311, 318, 339 – Blindenheilung/en 97, 233, 266, 269 – Blindgeborene/r 53, 56, 88f., 95, 123, 126, 184f., 231, 233, 243, 248, 263266, 281, 337, 339 Braut 141, 165, 250 Bräutigam 108, 110f., 120, 125, 129f., 133f., 136, 141, 145f., 164-166, 250 Brautjungfern 141 Brautpaar 164f. Brautzug 164 Brechung/en 87-99, 91, 339 Brot 1, 15, 21, 92, 97, 101-103, 112, 115, 121, 126, 128, 142f., 158-160, 171, 174-188, 205f., 294 – Brotrede 175 – Lebensbrot 126, 177, 180, 182f., 342 Bultmann, Rudolf 10f., 26, 34f., 52, 54, 56, 150, 209, 233, 307, 313, 320 Caesar 236 Calvin, Johannes 113, 257 Caravaggio, Michelangelo da 279f., 310 Chalcedon, Konzil von 169 Charakter/e, Charakterisierung/en 111, 219, 238, 306, 329, 295, 331f., 338, 343 – Nicht-Charakter 111 Chrie siehe Sentenzweisheit Christologie/christologisch 1, 4f., 9-12, 19, 24, 26, 27-40, 43, 45, 49, 50-56, 71, 78, 83f., 102, 106, 121, 125, 129f., 141, 155-157, 172, 174-180,

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183, 185-187, 203, 237f., 254, 258f., 261, 275, 277, 279, 285, 300f., 315, 325-328, 335, 345, 347-350 – kosmische Christologie 327f. – Wortchristologie 5 Christus – Christusbegegnung 171, 330 – Christusbild/er 4, 55, 83, 163 – Christuszentriertheit 18, 251 – extra Christum 39 Chronologie 131, 223, 312 – chronologisch 40, 44 Chrysostomos, Johannes 54, 122, 249, 271-273, 304 Cicero 63 Conzelmann, Hans 56 Corpus Hermeticum 29, 63, 65, 70 Cosmotheologie siehe Kosmos Cullmann, Oscar 3, 43, 89, 119, 216, 286 Culpepper, R. Alan 18, 21, 29, 94 Daimon/daimones/Daimonion 75, 270, 311 – Daimonologie 76 Dämon/en 132, 310 – Dämonisierung 256 Dankesmahl 157 Dankopferfestmahl 157 Deissmann, Adolf 300 Delphi 79 – Epsilon 62, 72, 79, 234 Demiurg 76 Demythisierung 167 Deuterojesaja siehe Jesaja Deuteropaulinen siehe Paulus diakonoi siehe Diener Dialog/e 50, 53, 109, 229f., 233, 259, 295 – dialogisch 95 Dibelius, Martin 112, 115f., 122 didaktische Funktion siehe Funktion Didymus (der Blinde) 36 Diener 104, 109, 110, 133f., 136, 144, 172, 179, 250 – Tischdiener 143 – Aufwartende/r 109f., 130, 133-135, 138f., 143 Diodorus Siculus 151 Dion von Prusa 78, 85, 312

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Namen- und Sachregister

Dionysos 115, 117, 135, 150-152, 161, 166-171 – Bacchen 161 – Beinamen des Dionysos 168 – Dionysiaka 59, 151, 169 – dionysisch 127, 150, 153-155, 161, 166f., 169, 171 – Dionysosfest 151, 166, 168 – Dionysoskult/Dionysosverehrung 144, 149f., 166-169, 171 – Dionysoslegende 141, 166 – Dionysosmosaik 167 – Dionysosmotivik 117, 143 – Dionysosmyste/n 115, 168 – Dionysosreligion 169 Divinisierung 60 Dodd, Charles Harold 27, 31, 36, 63-65, 109, 116-118, 126f., 162, 215, 245, 341f. Doketismus/doketisch 10, 115 – siehe auch Antidoketismus Domitian 300 Donner 59, 335 Doppeldeutigkeit 2, 27, 89, 97, 183, 227, 284, 303 Doppelkodierung 171 Doppelung 230, 232f., 257, 259, 297, 300, 343 Doppelwerk, lukanisch 293, 311, 313 Dostojewski, Fjodor Michailowitsch 235 Drama/dramatisch 17, 22, 47f., 50, 94f., 107-109, 135, 139, 175, 214, 217f., 224, 240, 255, 259, 305, 331 – siehe auch Erzählung – dramatis personae 340 – Dramatik 244 – Dramaturgie 222, 264 Dualismus/dualistisch 8, 41, 72, 94, 127, 162, 273, 276 Duft 2, 136, 159, 191, 200-205, 207f., 211f., 244f., 248f., 252f., 263, 271, 274f. – siehe auch Geruch – Duftkonzept 203 – Duftmotiv 200, 203 – duftspendend 273 – Dufttheologie 20, 200f., 205

Dunkel/Dunkelheit 28, 30, 51, 57, 94, 221, 224, 240, 244, 264f., 267, 282, 311, 313 Durst/Durstige 80, 101, 113, 158f., 180f., 184, 240 – Durststillung 181 Ego-eimi-Worte siehe Ich-bin-Worte Ehe 164f. – Ehemetapher 104 – Ehebrecherin 101 Eigenname 202 Einbalsamierung siehe Balsamierung Einblasen 46, 65, 68, 293f., 349 – siehe auch Anblasen einhauchen siehe Hauch Einheit 36, 51f., 54, 83, 85-87, 172, 174, 178, 182, 186, 226, 242, 294, 299, 300-302, 326, 342f., 348 Einheit, literarische 17, 23, 193f., 199 Einweihung 226 Eitelkeit 327 Ekel 193, 212, 234 Ekklesiologie/ekklesiologisch 27, 86, 132, 253, 315 Eleazar 225 Elia 59, 114, 223, 340 Emanationsmodelle 75 Emmaus 345 Empedokles 84 Endzeit siehe Zeit Engel 39, 71, 75, 105f., 162, 176, 207, 209, 239, 288f., 311, 324 – Engellehre 53 – Engelsbotschaft 283 – Erzengel 71 Entzogenheit (Jesu) 345, 347 Epheser 272 Ephraim 196, 244-246 Epidauros 317 Epigramm 225 Epiktet 228, 300 Epilog siehe Johannesevangelium Epiphanie 52f., 59, 115f., 125, 150-152, 153, 170, 201, 209, 245, 313 – Epiphaniewunder 115, 170f. epistemologische Funktion siehe Funktion Epoptie 54

Namen- und Sachregister Epos 60, 169 Epsilon siehe Delphi Erde 26, 32, 47, 74, 105f., 152f., 182, 278, 288, 311 – erdenhaft 37 Erfahrbarkeit/Erfahren 36, 60, 98, 121, 126, 155, 170, 187f., 192, 201, 242f., 248, 275, 313, 315, 343, 348 Erfahrung/en 44, 342-350 – Alltagserfahrung 20, 192, 213 – Gotteserfahrung 33, 85, 313 – Heilserfahrung 91, 101, 127, 147, 184, 277, 349 – Ostererfahrung 275, 341, 345, 350 – Sinneserfahrung siehe Sinne Erhöhung 105, 222f., 229, 232, 244, 253, 261, 265, 275, 301 Erinnern/Erinnerung 39, 43, 53, 98, 163165, 246, 252, 257f., 309, 313, 315, 349 Erkennbarkeit/Erkennen 27, 29, 37, 58, 60, 62, 65, 67, 75, 83, 85, 87, 90, 178, 239, 347, 350 Erkenntnis/se 3, 25-99, 125f., 159-161, 179, 186f., 209-213, 239, 254, 258, 271f., 285, 293, 299, 308-342, 345, 349 – siehe auch Gott – Erkenntnisbewegung 328 – Erkenntnisfähigkeit 27, 29, 33, 36f., 72, 86, 333, 348 – Erkenntnisfortschritt 294 – Erkenntnisgründe 45, 179 – Erkenntnislehre 326 – Erkenntnisproblematik 28, 84 – Erkenntnisprozess 181, 329 – erkenntnisstiftende Wahrnehmung siehe Wahrnehmung – Erkenntnisweg 57, 95 Erkenntnistheorie 23, 27, 32, 40, 57, 61f., 64-70, 75-77, 80, 82, 226 Erlöser 45, 196 – Erlösermythos 34 Erlösung/erlösen 44, 165, 212, 301, 348 Erntedankfest 102 Erοs 76, 78, 226 Erscheinen 30, 68, 81, 345 – Erscheinungskapitel 350 Erscheinen (frequency) siehe Häufigkeit

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Erzählanalyse 224, 332 Erzähler 127, 336 – Erzählerkommentar 300 Erzählung – siehe auch Drama – Erzählfigur/en 129, 219, 221, 268, 279, 296, 340, 349 – Erzählperspektive 11, 48, 110, 153 – Erzähltechnik 93-99 – Erzählweise 48, 123, 288, 341 Erzengel siehe Engel Erzvater 69, 148 Erzzeichen 302 Eschatologie 39, 52, 59, 80f., 96, 105, 121, 129, 134, 148, 150, 163-165, 184, 189, 194, 207, 218, 230, 233, 235, 237-240, 263, 265, 267f., 270272, 313, 335, 349 Esel/in 155, 228 Ethik 122f., 212, 267 Etymologie/etymologisch 106, 168f., 252 Etymologisierung 69, 106 Eucharistie/eucharistisch 167, 247, 341 Eudoros von Alexandrien 63, 68 Euios 168 – siehe auch Dionysos Euripides 22, 151, 161, 209, 320 Eurydike 335 Euthymios Zigabenos 344 existentiale Interpretation 333, 348 Existenz 18, 43f., 50, 66, 69, 74, 76, 83, 149f., 177f., 192, 208, 212, 232, 234f., 283, 289f., 294, 296, 298, 323, 341, 345 – Existenz des Menschen 235 – Existenz Gottes 83 – Existenz Jesu 177, 208, 290 – Existenzweise 278, 291 Exodus 70, 73, 158, 184, 189, 207, 210 extra Christum siehe Christus Ezechiel 130, 294 Familie/n 113, 131, 134, 235, 237, 245, 313 Feier 73, 104, 130, 168, 218, 275 – siehe auch Fest Feigenbaum 105, 113, 117, 124

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Namen- und Sachregister

Fest/e 101f., 125, 130f., 133, 137, 141, 150f., 157, 163-165, 168, 171, 189, 195f., 217, 247, 265, 269, 274, 350 – Festfreude siehe Freude Festgesellschaft 109, 130, 134, 136, 145, 165, 247 – Festmahl 121, 145, 157, 164f., 171, 195f., 245f. – Festsaal 110 – Festzeiten 151 – Freudenfest 163 Feuer 59, 68, 152f., 156, 314 Finsternis 73, 90, 158, 214, 224, 262, 264f., 267, 273 – siehe auch Dunkelheit Fisch/e 15, 112, 142, 311 Fischernetz 345 Fischmahlzeit 281 Fischzug 345 Fleisch 29, 40f., 43-46, 47, 57, 77, 82, 84f., 91, 94, 162, 210, 215, 237f., 299, 304, 310, 326, 331, 337 – Fleisch Jesu 38, 103, 177f., 337 Fleischwerdung 10f., 26, 30f., 33, 35, 37f., 41, 47, 55, 57, 84, 87, 95, 106, 188f., 326 – siehe auch Logos Formgeschichte 112, 115, 151f. fragrance 252, 273 – siehe auch Duft Frau/en 49, 94, 95, 101, 132, 156, 160, 165, 175, 180-183, 186, 199, 206, 219, 247-250, 255f., 272, 274, 291 – Frauenfiguren 195 Freedman, William 13-16, 23, 25, 102, 106, 347 Freiheit 313 frequency siehe Häufigkeit Fresser 165 Freude/n 104, 114, 121, 127, 134, 136, 146, 150, 152-154, 156, 161f., 164f., 169-171, 189, 245, 252, 292 – Festfreude 104, 109, 143, 147, 165, 275 – Freudenfest siehe Fest – Freudenglanz 162 – Freudenmahl 164 Freund/e 42, 123, 133, 141, 145, 152f., 161, 220f., 270 Frevel 52, 58, 206f.

Friedensgruß 292, 297, 323 Fröhlichkeit 161f., 164 Fünfzahl 69 Fuß/Füsse 59, 195, 204, 219, 241, 248, 250-253, 256f., 273, 295, 310, 321, 349 Fußwaschung 215, 250, 251 Galiläa 107f., 140, 167, 173, 342 Garten 207, 252 Gärtner 156, 289, 324 Gast/Gäste 110, 113, 131, 134, 138, 140f., 153, 159, 165, 171, 204, 230, 247, 250 – Gastgeber/in 104, 113, 145, 159, 171, 195, 246f., 251 – Gastmahl 139, 146, 247 – Gastrecht 157 Gattung/en 22, 55, 111, 115, 118, 152 Gaumen 6, 140, 153 Gebet/e 67, 157, 204 – siehe auch Beten Gebot 34, 214, 236 Gebrochenheit 345 Geburt 30, 65, 74, 88, 339 Gedächtnis 249, 255 Gefangenschaft/Gefängnis 226, 240 Gefäß/e 114, 180 Gegenmacht 256 Gegner 32, 149, 161, 167, 174, 177, 187, 325, 339 Geheimnis 50, 138, 175, 345 Gehör 29, 42, 69 Geist 16, 29, 35, 40-43, 52, 82, 87, 94, 98, 120, 135, 148f., 155, 163, 174, 281, 291, 292-294, 299, 302, 310, 314f., 323f., 343, 349 – Geisthauch 323 – siehe auch Hauch – geistliches/spiritulles Evangelium siehe Johannesevangelium – Geistparaklet siehe Paraklet Geister 71, 75, 96, 310 geliebter Jünger siehe Lieblingsjünger Gemeinde 44, 48, 55, 88, 165, 187, 212, 215, 224, 253, 291, 295, 297, 301, 303, 306, 313, 325, 336, 340f., 349 Genitiv 109, 147f., 154, 206, 264, 297 Genre 117, 338

Namen- und Sachregister Genuss 120f., 130, 141f., 154f., 158, 164, 169, 186, 324, 327, 347 Gericht 57, 96, 154-156 Geruch, riechen 1, 6, 16, 19f., 35, 46, 69, 149, 151-153, 187, 191-258, 261-263, 269, 270-276, 342, 347, 349f. – siehe auch Duft – Geruchsmetaphorik 192, 212 – Geruchsmotiv 20, 46, 192f., 197f., 200, 203, 207f., 211-213, 217, 248, 254, 259, 272, 276 Gesalbte/r 158, 260 – siehe auch Salbung Gesangbuch 82 Geschenkwunder 112, 114 – siehe auch Wunder Geschichtlichkeit 86, 97, 124f., 128, 348 geschichtliche Dimension siehe Dimension Geschmack 1, 6, 69, 101-189, 207, 269, 347, 349f. – Geschmacksmotiv 20, 103 – Geschmackswahrnehmung siehe Wahrnehmung Geschöpf/e 45, 79 Geschwister – bethanische Geschwister siehe Bethanien Gesetz 52, 86, 89, 132, 143, 174, 185, 208f., 226, 252, 327, 335 Gesichtssinn siehe Sehen Gestank/stinken 6, 198, 210f., 236, 241, 249, 270, 272-274 – siehe auch Geruch Gestorbene/r siehe Sterben Gesundheit 317 – siehe auch Heilung Gethsemane 156, 261 Getränk 122, 144, 151-153 – siehe auch Trinken Gewand 124, 241, 288 Gewürz 207 – Gewürzrohr 159 Ginzâ 273f. Giotto (di Bondone) 241 Glaube/glauben/Glaubender 1-3, 5-7, 11., 16, 19, 35, 37, 39, 43-45, 47-50, 5257, 65, 73, 82, 87-94, 96-98, 101, 103, 105, 107f., 140, 143, 149, 163,

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165, 174, 176f., 181f., 184, 186, 189, 197, 205, 209, 212f., 215, 217, 219222, 227-229, 231-233, 237-240, 243246, 248, 252, 255, 257f., 260, 262f., 267-270, 273, 275-292, 294-296, 298f., 301-308, 312f., 315f., 320-324, 326, 329-345, 347-349 – Glaubenserfahrung siehe Erfahrung – Glaubenslied 82 – Glaubensprozess 298 – glaubenstiftende Funktion siehe Funktion – Glaubensweg 278, 283 – Glaubenszugang 303, 305, 330 Gleichnis/se 97, 109, 112, 114, 116-118, 126, 148, 156, 164f., 197 – Gleichniserzählung 111, 117 – Gleichnissprache 80, 97, 116f., 121 – Gleichnistradition 113 Gliederung 215-218 gloria dei siehe Herrlichkeit Gnade 143, 213 Gnadengaben 162 Gnome 118 Gnosis 37, 39 – gnostisch 8, 34, 41, 46, 71, 273, 314, 330 Gogh, Vincent van 11 Gott 1f., 10, 20, 25-37, 39-41, 44-62, 6490, 92f., 96-98, 104-106, 113-115, 121, 123, 130-133, 135, 140f., 146, 148f., 151-156, 158, 161-165, 167170, 172f., 275-180, 182, 184-189, 191, 198, 202, 205-213, 216-218, 221-223, 225f., 229, 231-235, 237242, 252-254, 256-258, 260-263, 266270, 273-275, 277-279, 285-289, 291294, 296, 299-304, 306f., 309, 311f., 315, 318, 325-327, 333-340, 342f., 345, 347-350 – Gottebenbildlichkeit 11 – Gottergriffenheit 161 – Gottesbegegnung 35, 43, 59, 80, 98, 302, 314, 336 – Gottesbild/er 78, 81, 126, 167 – Gottesduft 201f. – Gotteserfahrung siehe Erfahrung

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Namen- und Sachregister

– Gotteserkenntnis 1, 8, 16, 30, 33, 39, 41, 46, 49, 53, 56f., 65, 75, 78, 86f., 187, 308, 333, 348 – siehe auch Erkenntnis – Gottesferne 225 – Gotteskindschaft 265 – Gotteslehre 28, 34, 56, 326 – Gottesname 72, 300 – Adonai 168 – JHWH 165f. – Gottesoffenbarung 97, 131 – Gottesprädikat 66, 70, 312 – Gottespräsenz 74, 188 – Gottesreich 39, 188, 259 – Gottesschau 31, 52, 54, 59, 81, 86, 116 – Gottesverhältnis 61, 67, 171, 348 – Gotteswahrnehmung siehe Wahrnehmung – Gottunmittelbarkeit 210 Götter 52, 60, 62, 69, 76, 78, 201-203, 209, 245, 309 – Götterbilder 7, 79 – Götterstatue 312 – Göttervater 228 Gottheit/en 29, 37, 39, 78, 81, 125, 151, 153, 166, 245 Göttliche/Göttlichkeit 30, 37f., 54, 58-60, 62, 64, 67-70, 72, 76-79, 82, 84, 115, 124f., 150, 153, 201, 203, 209, 246, 311f., 326f., 342 Götzen 205f. Grab/Gräber 268, 271 – Jesu 2, 194, 222, 260, 282-284, 287290, 292, 296, 321, 323, 333 – des Lazarus 53, 193, 221, 228, 230, 233f., 240-242, 245, 248f., 269, 275, 287 – Grabbinden 241, 282-284, 292, 296, 324 – Grabkammer 284 – Grablegung 149, 229 – Grabtücher 287 Gregor der Große 254, 337, 340 Gregor von Nazianz 337 Greuel 273 Güte 1, 32, 69, 71, 121, 140, 154, 158, 170, 172, 188, 332 Haar/e 195, 219, 248-251, 253-255, 257

Hades 73, 78, 160, 225f., 242 Halacha 104 Hand/Hände 35, 38, 44, 59, 98, 114, 138, 156, 177, 185, 241, 269, 277, 279f., 291, 295-298, 306, 308-311, 313f., 318, 320, 324, 339, 343, 345f., 350 Hatschepsut 201 Hauch 207 – einhauchen 87 – Geisthauch 323 – Lebenshauch 87, 201, 270 – Todeshauch 200 Häufigkeit des Erscheinens (frequency) 14f., 102 – siehe auch Motiv Hebräerbrief 80, 315 Heer 210 Hefe 164 Heiden/heidnisch 117, 134, 150 – siehe auch pagan Heil 12, 29, 43-45, 48, 51, 57, 62, 71-73, 75, 81, 88-90, 96, 125, 133, 139, 143, 149, 154, 156, 158, 165, 177, 184, 186, 189, 212, 237, 243, 273, 276, 278, 302f., 306, 309, 313, 328, 337, 347-350 – Heilsereignis/se 243, 312, 335, 339, 348 – Heilserfahrung siehe Erfahrung – Heilsgegenwart 90, 315 – Heilsgeschehen 73, 187, 307 – Heilsinitiative 333 – Heilsplan 48, 256 – Heilsrelevanz 327 – heilstiftend 30, 39, 57, 213, 216, 327f., 339 – heilstiftende Funktion siehe Funktion – Heilsverheißung 156 – Heilsweg 57, 73 – Heilswerk 47, 65, 78f., 212 – Heilswillen 50 – Heilswirksamkeit 155, 232 – Heilszeichen 154 – Heilszeit 155, 164 – Heilszuspruch 277 Heilsgeschichte 40, 73, 80, 89, 277, 279, 335, 341 Heiligkeit/heilig 33, 58f., 207, 235, 254, 273, 292

Namen- und Sachregister Heiligtum 294 Heiltrank 161 Heilung/en 30, 39, 56, 73, 88f., 95, 97, 108, 116, 126, 173, 184f., 196, 220, 227, 231-233, 243, 263-266, 281, 318, 322, 335, 337 Heliodor von Emesa 144 Hellenismus/hellenistisch 22f., 29, 31, 40, 48, 57, 60-65, 72, 75f., 83, 143f., 150, 163, 168f., 171, 200, 203, 205, 225, 300, 311 Heptade 214 hermeneutische Funktion siehe Funktion Hermes 75 Herodes 204 Herrenmahl 246 Herrlichkeit 1, 10f., 19, 32, 38f., 49f., 58, 68, 80-82, 105f., 108, 122f., 131, 133, 140, 149, 170, 178, 186, 188f., 208, 214, 221f., 238f., 241f., 253, 259, 266, 274, 287, 304, 307, 337 – Herrlichkeitschristologie siehe Christologie Herz 59, 81, 154, 309, 337, 345 Hesych von Jerusalem 271 Hiob 148, 210f., 237, 255 Hirte 151-153, 157f., 240, 269, 289, 298 – Hirtenmotiv 157, 240 – Hirtenrede 157, 269 – Hirtenwort 218 Hochzeit 1, 12, 56, 101, 103-105, 107111, 113, 115-117, 119, 123, 125, 127-131, 133, 135, 138f., 140-172, 188f., 208, 222, 269, 277, 347, 349 – Hochzeitsgesellschaft 111, 122, 124, 129 – Hochzeitsmahl 150 – Hochzeitsmetaphorik 119, 163, 165 – Hochzeitsmotiv 129, 154 Hohepriester 95, 125, 146, 160, 162, 179, 244, 257, 318 Höhle 59 – Höhlengleichnis 62, 76 Hölle 270 – Höllenfahrt 242 Homer (homerisch) 250 Hören 1-7, 15, 25, 29, 31-33, 44, 46-48, 52f., 57, 59f., 69, 80, 83, 86, 93, 101, 106, 109, 132, 158, 176-178, 184,

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202, 229, 240, 262, 267-269, 274, 280, 287, 289-291, 294f., 305, 312, 314, 323f., 336f., 347, 349 – Hörende/r 35, 90, 98, 267 Horus 78, 85, 203 Hörvermögen siehe Hören Hosea 104 Hunger/Hungrige/hungern 69, 101, 113, 128, 154, 159, 184, 240, 242 Hyperboreer 234 Ich-bin-Worte 35, 51, 57-59, 98, 101f., 112, 171, 176-178, 187, 214, 224, 232, 238, 242, 254, 262-264, 291, 300, 302, 310 Ideen/Ideenlehre 30, 61, 63, 66, 76f., 125f., 293, 317 Identität Jesu 7, 98, 101, 105f., 178, 180, 292, 310, 343 Ignatius (von Antiochien) 272, 304, 314 Ikonographie 241 Illusion 236 Imagination 285, 339 Imperativ 106, 297f., 305, 319f., 322, 325, 331, 337 – imperativisch 320, 343 Imperfekt 245 Individuum 203 Infinitiv 320 Inkarnation 10f., 20, 25-27, 30, 33, 36, 44, 83, 125, 289, 327, 334, 336, 347 – Inkarnationschristologie siehe Christologie – Inkarnationstheologie 274, 347 – inkarnationstheologisch 11f., 26 – inkarnatorisch 9f., 58, 71, 328, 333 – inkarniert 38f., 167 Inkarnierte/r 10, 313 Inschrift 300, 317, 325 interpretatio Graeca 166, 168 Intertextualität (intertextuell) 17, 23, 125, 139, 192, 198f., 204, 233, 250, 252, 286, 322 – Intertextualitätssignal 219 Irenäus (von Lyon) 36, 89, 126 Ironie 49, 89, 94f., 175, 177, 179f., 227, 234, 244, 255, 257, 289, 316, 325, 339 Isis 79

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Namen- und Sachregister

Israel 31, 41, 59f., 69f., 81, 104, 106, 144, 155, 159, 165, 184, 186, 244, 258, 294, 301, 313, 335 Israelit 93, 102, 114, 169, 178 Jahwe siehe Gott Jakob 59, 106, 155 – Jakobsbrunnen 143, 180 – Jakobsegen 163 – Jakobsleiter 68, 106, 189 Jamblich 324 Jesaja 31, 34, 59f., 198, 242 – Deuterojesaja 156 Jesus 1f., 4, 7, 10-12, 15f., 19, 25, 32-43, 45-57, 75, 82-98, 101-113, 115-117, 120-138, 140-143, 145, 148-150, 154f., 157-159, 162-165, 167f., 170, 173-189, 192-199, 203f., 206, 208f., 212-235, 237-280, 282-319, 321-324, 326, 328-335, 337-350 – Jesuswort 117f. JHWH siehe Gott Johannes von Damaskus 89 Johannes-Jünger 51 – siehe auch Jünger Johannesevangelium – Abfassungsort 200 – Epilog 308 – geistliches/spiritulles Evangelium 14, 40-43, 83f., 280, 347, 350 – Johannesprolog siehe Prolog – Johannesschluss 49, 301, 337, 343 – vorjohanneisch 46, 116 – Zweiteilung 215 Johannesbrief/e 3, 27, 43f., 186, 310-313 Johannespassion (J.S. Bach) 261 Joseph 69, 146 Joseph (und Aseneth) 205f. Joseph (Vater Jesu) 175-177, 187 Joseph (von Arimatia) 255 Josephus, Flavius 225 Jubiläenbuch 225 Juda 155, 163, 261 Judäa 223 Judas 255f., 259, 295 Jude/n 2, 7, 48, 52, 86, 88f., 143, 148, 166, 168, 175, 178, 180, 182, 185187, 197, 205, 210, 214, 220, 225,

230, 233, 243f., 257, 264, 268, 292, 298 Judentum 21, 23, 31, 61, 63, 88, 166, 168f., 200, 205, 232 Jüngel, Eberhard 37 Jünger/innen – Johannes 51 – Jüngerbekenntnis 260 – Jüngerberufung/en 107 – Jüngererscheinung/en 297, 331 – Jüngermissverständnis 182 – Jüngeroffenbarung/en 296 – Jüngerwettlauf 282, 345 – Mitjünger 292, 297, 305, 332 Jungfrau/en 116, 164f. Justin 38 Kaiaphas 95, 244 – Kaiaphasprophetie 216 Kaiserkult/Kaiserverehrung 300 Kalb 31, 60 Kana in Galiläa 1, 12, 56, 101-103, 105, 107f., 110f., 113-117, 119f., 122-125, 127, 129, 132-138, 140-142, 144, 146, 149-151, 154f., 158, 163, 166171, 173, 181, 188f., 192, 208, 222, 269, 277, 347, 349 Kapernaum 132, 168 Karamasov, Brüder 235 Katakombenbilder 136 Kebes 95f. – siehe auch Tabula Cebetis Kelch 152, 156, 206, 261 – Kelchworte 261 Kelsos 38 Kerygma 209 Kind/er 37, 44, 156, 201, 225, 235, 291, 294, 317, 320, 324 Kindschaft 78 Kirche/n 2, 7, 47, 191, 221, 253, 270273, 279, 283, 318, 344 Kirchenväter 43, 129, 136, 154, 193, 211, 253, 262, 270 Kleid/er 155, 209, 291 Klemens von Alexandrien 36, 38, 40-43, 67, 77 Klimax 118, 299 – klimaktisch 14, 102 Knochen 310

Namen- und Sachregister Kolosserbrief 86, 325-328 – kolossische Philosophie 326 König/in 59, 69, 74, 89, 160, 186, 201f., 204, 207, 252, 258, 261, 275, 301 – königlich 82, 108, 116, 133, 144, 165, 201f., 204, 252, 255, 260 – Königskind 201 – Königsmetaphorik 204 – Königssalbung siehe Salbung – Königstheologie 85, 203 Kontakt 72, 75, 78f., 84f., 117, 186, 230, 291, 293, 317f., 322, 324f., 327f., 347 – Kontaktmetaphern 77f., 327 Kopf 202, 204, 250, 252, 272, 326 Körper 8, 38, 55, 62, 66, 70, 76, 78, 81, 87, 107, 143, 208f., 226, 228, 230, 236, 242, 249, 252, 254, 270f., 273f., 298, 327, 343, 349 – körperlich-sinnlich 10f., 16, 25f., 31, 44, 47, 57, 70, 77, 80, 84, 91f., 127, 188, 192, 213, 225, 278, 297, 313, 321, 326f., 334, 337, 345 – Körperlichkeit 2, 11f., 20, 26, 30f., 41, 71f., 82-84, 178, 226, 237, 249, 274, 277-280, 295, 310, 314f., 325, 327, 329, 343, 345, 349 – körperlos 314 Kosmos 85, 161, 309 – siehe auch Welt – Kosmotheologie 71, 77 – kosmisch 232, 327f. – kosmische Christologie siehe Christologie Kosmologie 26, 273 – kosmologisch 75, 293, 325 Kratylos 169 Kreuz 85, 98, 122, 132, 209, 212, 215f., 222, 229, 258-261, 275, 277, 292, 303, 341, 349 – Kreuzestod 217, 265, 272 Kreuzestheologie 212, 229, 277, 292 – kreuzestheologisch 131, 246, 266 Kreuzigung 105, 229, 271f. Kult 7, 134, 166 – kultisch 58, 60, 62, 80f., 143, 300, 317, 324 – Kultort/Kultstätte 81, 152 Kuss/küssen 205f., 293 Kyrill von Alexandrien 235

415

Lamm 125, 164, 175 Lanzenstich 314 Laubhüttenfest/Laubhütte 101f., 168, 186 Lazarus 1f., 12, 46, 52f., 56, 58, 95, 123, 126, 157, 174, 191-197, 199, 211, 215-223, 225-235, 237-249, 253f., 256-265, 268-272, 274f., 277, 281f., 284, 287, 290, 337, 343, 347, 350 – Lazarusse 226 Leben 1, 19, 25, 28, 38, 44f., 49-53, 5658, 62, 72-75, 83, 98, 101-104, 115, 126-276, 286, 289f., 292-294, 296298, 307, 334, 337-344, 348-350 – ewiges Leben 30, 35, 57, 101, 177f., 181, 184, 207, 212, 214, 239f., 242, 269, 294 – Lebensbaum 207f. – Lebensbotin 287 – Lebensbrot 126, 177, 180, 182f., 342 – siehe auch Brot – Lebensduft 46, 254f. – Lebensfest 119 – Lebensgabe 57, 232, 262, 269 – Lebensgeruch 199-200, 202, 204f., 209, 217, 249, 252f., 272, 274, 347 – siehe auch Geruch – Lebenshauch 87, 201, 270 – siehe auch Hauch – Lebenshingabe 222, 269 – Lebenskraft 19, 46, 57, 171, 184, 189, 201-203, 205, 222f., 232, 252, 267f., 288 – Lebensmacht 20, 43, 49, 74, 115, 191, 201, 203, 218, 225, 254, 267, 275, 285, 287, 295, 348, 350 – Lebensodem 294 – lebenspendend 1, 97, 115, 212, 246, 254, 294 – Lebensrettung 73, 269 – Lebensruf 270 – Lebensspender 104f., 111-115, 118, 121, 135, 137, 140, 145, 150f. – Lebenswasser 159, 181, 183 – siehe auch Wasser Lebende Tote 268 Lebenszeichen (Anch) 201 Leib 29, 42, 67, 146, 162, 183, 210, 226, 237, 254, 276, 280, 287 – leibkritisch 8

416

Namen- und Sachregister

– Leiblichkeit 10, 38f., 41f., 44, 75, 175, 237, 290 – leiblos 310 Leichnam/Leiche/n 123, 149, 174, 204, 214, 228f., 235f., 241, 255, 282-284, 287-290 – Leichendiebstahl 284 – Leichengeruch 204, 209, 212, 230, 235-237 – siehe auch Geruch Leid/en 75, 80, 259-261, 281, 289 – leiden 101, 159 – Leidensweissagung 217, 258f. Leinentücher 214, 255 Leiter 106 Leitsinn/e siehe Sinne Licht 5, 21, 25, 28, 30, 32, 35, 40, 46, 51, 56f., 73, 83f., 90, 92, 96, 101, 106, 115, 123f., 126f., 130, 156, 158, 192, 197, 213f., 218, 221f., 224, 227, 242, 260, 262-267, 274, 279, 300, 306f., 313, 348 – Lichtglanz 31f., 213 Liebe 34, 36, 49, 90, 170, 187-189, 225f., 250-253, 273, 313 Lieblingsjünger 2, 285, 305, 324, 334, 349 – geliebter Jünger 219f., 281-288, 292, 296, 304f., 329f., 345 Lieder/Liedverse 82 linguistic turn 17 literarische Einheit siehe Einheit Logos, bes. fleischgewordener 1, 10f., 20, 25-28, 30, 33, 35-41, 44, 47, 49, 57, 64, 72f., 75f., 78-80, 82-85, 87, 89f., 92, 95, 98, 106, 111, 129-131, 146, 154-156, 158, 160-163, 167, 170, 174f., 187-189, 263, 268, 294, 299, 306, 313, 326, 334, 339, 341, 350 Lucan 236 Lukasevangelium 15, 97, 117, 133, 141, 195, 197-199, 245, 247, 249, 251, 256, 273, 293, 299, 309-311, 313f., 322, 345 Lukian 75, 235f. Luther 198f., 210 – lutherische Tradition 5 Luxus 123, 204, 247f.

– Luxuswunder 113f., 122-124 – siehe auch Wunder Lysios 168 – siehe auch Dionysos Macht 29, 32, 58f., 80f., 107, 115, 124, 149, 151, 167, 170, 177, 180, 185, 191f., 217, 222f., 228, 231, 236, 241f., 249, 254, 257, 259-261, 274, 304, 350 – Machtglanz 345 – Machttaten 132 – Machtwort 268 Mahlszene/n 15, 102, 315 Makarismus 279, 303, 305, 307f., 330, 334, 343 Makkabäer/-buch 210, 225 Manna 102, 143, 206f., 242 Maria, Mutter Jesu 131, 133, 135, 141, 175, 177, 187 Maria, Schwester des Lazarus 191-276, 335 Maria von Magdala 132, 173, 281-324, 330-332, 334 Mariaerzählung/Mariastrang 220 Markion 39 Markus/markinisch 16, 93, 97, 116, 196, 199, 217-219, 231, 245, 247f., 253, 255f., 258-260, 272, 322 Martha 55f., 88, 191, 195, 197, 219f., 222, 229-242, 246f., 249, 256, 268, 273, 275, 282, 301, 340, 344 Materialismus 67 Materialität 10, 77 Matthäus/matthäisch 116, 133, 196, 199, 247, 256, 322 Medizin/medizinisch 162, 234, 309, 317f., 320 Melchisedek 160 Menschensohn 5, 88, 96, 105f., 176f., 239, 280 Menschlichkeit/Menschsein 10f., 84, 133, 312 Menschwerdung siehe Fleischwerdung Messias 49, 89, 127, 154f., 163f., 166, 168, 172, 177, 181, 186, 188, 208, 217, 233, 252, 254, 259-261, 273 – messianisch 64, 104, 134, 137, 144, 154f., 163f., 175, 240, 261

Namen- und Sachregister Metamorphose 53, 289 Metapher/Metaphorik 11, 14, 17f., 20f., 48, 77f., 84f., 97, 146-148, 152, 155157, 161, 165, 178, 183, 198, 204, 206, 211, 213, 221, 224-226, 235, 241, 264, 267, 273, 313, 317f., 335, 348 – Metaphernfamilien 14 – Metaphorisierung 330 Metochita, Theodoros 138 Missverständnis/se 27, 52, 93f., 140, 147, 178, 180, 182f., 224f., 227, 289, 321, 324 Mitjünger siehe Jünger Mittelplatonismus/mittelplatonisch 63f., 70, 83-86, 311 Monotheismus/monotheistisch 68, 300 Mopsuestia, Theodor von 235 Mose 31f., 41, 49, 53, 55, 58-60, 75, 106, 114, 134, 173f., 185, 213, 286, 311, 314, 340 Motiv/Motivinterpretation 1, 6, 8f., 1224, 27, 31, 45, 65, 70, 88, 102-104, 109, 111, 116f., 119f., 123f., 128-131, 135, 140-144, 150f., 154, 156-159, 160-162, 167-169, 171-173, 181, 183, 191-194, 196, 199, 203-225, 244-246, 249-253, 259, 262-264, 267, 269f., 272, 274-276, 279, 281, 289, 299, 313, 319, 343, 345, 347, 349f. – appropriateness 15f., 347 – avoidability 14, 102 – frequency 14f., 102 – unlikelihood 14, 25, 347 – Motivanalyse 13-24, 167, 171 – Motivcluster 13, 20, 142 – Motivfeld 14, 53 – motivische Funktion siehe Funktion – Motivketten 13 – Motivkomparatistik 167 – Motivlexikon 20f., 142 – Motivlinien 13, 23, 104, 142, 276 – Motivrahmen 163 – Motivstudie/n 16, 22, 102 – Motivtradition/en 22 – Motivuntersuchung/en 14, 23 – symbolic motif 18 – Motivgeschichte 12, 19-23, 128-130, 140-172, 200-214, 350

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Mund 152, 159, 202, 206f., 209 Mundschenk 133, 144, 146, 158, 160, 162 Mutter 74, 156, 201 – Mutter Jesu 104, 108-110, 112, 128, 130-133, 138f., 141, 145, 167f., 175f., 222, 295 – siehe auch Maria Myrrhe/Myrrhenöl 159, 202-204, 219 Mystagogos/Mystenführer 78, 226 Mysterien 40, 54, 160 Mythos/Mythologie 58, 60, 75f., 78f., 85, 122, 151, 168, 234, 334 Nachgeborene/r 303, 307, 334, 338 nachösterlich siehe Ostern Nägelmal/e 295f., 314 Narde 191, 198f., 204, 208, 249, 252, 254 – Nardenduft 249f., 270 – Nardenöl 191, 274 – Nardensalbe 247 Nase/n 107, 152f., 193, 201, 212, 241, 249, 339 Nathanael 2, 49, 55, 93, 105, 174-176, 186, 239, 301, 306, 340, 344 Naturwunder 114 – siehe auch Wunder Nazareth 173-175, 177, 187 Negation 32, 66, 179, 212, 266, 319 Nekromantie 234 Nichtsehen 4, 90, 264, 283, 278, 303, 339f. Nikodemus 135, 182, 248, 255 Nikodemusevangelium 242 Nonnos von Panopolis 59, 136, 151, 169, 275 Nüchternheit 160f. – siehe auch Trunkenheit Oberkellner 144 Obertafelmeister 144 Oberweinschenk 144 – siehe auch Architriklinos, Speisemeister Ödipus 88f., 236, 320 Offenbarer 7, 10, 34, 83, 88, 137, 257 Ohr/Ohrenzeugen 29, 44, 47, 90, 185, 202, 309, 318, 339, 345

418

Namen- und Sachregister

Ontologie/ontologisch 7, 18, 36, 61-63, 68, 75f., 78, 80, 86, 92, 94, 126, 162, 232, 291, 293 Opfer 198, 203, 209, 246, 253, 309 – Opferduft/Opfergeruch 204, 207, 253 – siehe auch Geruch – Opferriten 204 – Opfertiere 159f. Optativ 312 Orakelgott 89 Organ/e 76, 87 Origenes 36-38, 42, 50, 82, 154, 171, 208, 220f., 226, 254, 268, 270f., 276 Orpheus 75, 335 Osiris 78f., 85, 168, 202 Ostern 98, 197, 237, 261, 289, 322, 333f., 338 – nachösterlich 50, 83, 218, 301, 316, 331 – Ostererfahrung siehe Erfahrung – Osterglaube 283, 290f., 296, 303, 316, 330f. – Ostertradition 131 – Osterzeuge/-zeugin 283, 291f. – Osterzeugnis 291f. – vorösterlich 286, 302, 316, 319, 330f., 345 Pädagogik/pädagogisch 55, 158, 177, 297, 347f. – Glaubenspädagogik 11 pagan(-religiös) 7, 22f., 35, 57f., 61, 63, 75f., 78, 130, 150, 160, 166, 200, 203, 250, 300, 309 Palimpsest 197 Pantheismus/pantheistisch 71, 82, 86 Parabel 117, 124, 133 – siehe auch Gleichnis Paradies 26, 207f., 210, 252, 254 – Paradiesbaum 208-210, 254 – paradiesisch 121, 143, 172, 207f., 254 Paraklet 158, 217, 294, 339, 349 – Geistparaklet 37, 82, 97f. Parfüm 208 – siehe auch Duft, Geruch Passaliturgie 313 Passion 199, 209, 215-217, 224, 258f., 271 – Passionserzählung 254

Paulus 22, 32, 51, 66, 80, 82, 86, 88, 143, 198, 204, 211-213, 229, 292, 311f., 326, 328, 338 – Deuteropaulinen 229 – paulinisch 198, 212f., 270, 301, 327 Pausanias 150 Peregrinus Proteus 75 Perfekt 27, 33, 52, 183, 240, 267, 298, 302f. Pescharim 41 Petrus 2, 176, 198, 251, 258-261, 279, 282-285, 288, 291, 309, 314, 318, 322, 332, 345 – Petrusbekenntnis 217 Pharao 146, 160, 202f. Pharisäer 86, 179, 185, 193, 243 – pharisäisch 185, 231, 251 Phidias 85 Philippus 50, 53-56, 174f., 289, 335, 344 Philon von Alexandrien 7f., 21, 26, 31, 40, 55, 59, 61-63, 65-70, 75f., 78, 80, 82f., 86f., 106f., 126, 144-147, 155f., 158, 160-162, 171, 225f., 294, 300, 311, 317 – philonisch 65, 146, 162 Philosoph/philosophisch 6f., 14, 17, 2022, 30f., 37, 54, 57, 60-66, 72, 75, 85f., 225, 228, 293, 311 Philosophie 6, 25, 40, 61, 64, 72, 75, 81, 225f., 293, 326f. Philostrat, Flavius 314 Pilatus 48, 51, 125, 179 Platon 8, 29, 61f., 64f., 70, 75-77, 82, 126, 226, 255 Platonismus (kaiserzeitlicher)/Platoniker 7, 20, 26, 29-31, 37, 40, 60f., 70, 72, 75-78, 83-86, 125f., 130, 161, 168f., 225, 228, 255, 276, 293, 311 Plinius (der Ältere) 139 Plutarch 7, 20, 29, 61-63, 65, 69f., 72, 77-80, 85, 126, 145f., 168f., 200, 209, 225f., 234, 250, 254, 267, 293 Pneuma 49 – Pneumalehre 160 Pneumatologie 56, 293 – pneumatologisch 50, 52, 135 Pnuël 59 Pollux 33, 145 praesentia dei 55

Namen- und Sachregister Prägebild siehe Bild Präsens 302 Prolepse 223, 286 – proleptisch 53, 98, 217, 238f., 242f., 254, 259, 262, 267, 272, 275 Prolog 7, 12, 20, 25, 27, 30, 31-33, 36, 40, 43, 47, 83, 90, 107, 131, 187, 240, 264, 277, 312 – Prologaussage/n 106f., 299 Propädeutik/propädeutisch 30, 70 Prophet/en 39, 59f., 117, 130, 149, 175, 186, 204, 238, 294 – prophetisch 31, 41, 49, 59, 65, 95, 104, 124, 144, 149, 154f., 165, 171, 176, 181, 185f., 198, 244, 268, 273, 340 Prophetie 125 Prophezeiung/en 231, 244 psychagogische Funktion siehe Funktion Pyramidentexte 201f. Pythagoras/pythagoreisch 75, 324 Qumran 41, 157 Rabbi/nen/rabbinisch 39, 81, 106, 144, 148, 155, 163-165, 169, 205, 208, 225, 230f., 250, 252, 334 Rabbi (Anrede Jesu) 182, 290f., 301 Rätsel 34, 78, 80, 89, 250, 290 – rätselhaft 79, 113, 133, 180, 349 – Rätselhaftigkeit 27 – Rätselrede 93 – Rätselstruktur 175 Rauch 207 Rauchopfer 203, 252 Rausch 171 – Rauschaspekt 156 reader response 13 Redaktionsgeschichte 220 Reichtum 159 Reinheit 59, 80, 128, 324, 327 – Reinheitshalacha 104, 325, 327 Reinigung 104, 134, 163 – Reinigungsgesetze 143 – Reinigungskrüge 105, 143 – Reinigungswasser 143 Religionsgeschichtliche Schule 10 Rettungswunder 116 – siehe auch Wunder

419

Rezeption 18, 29, 48, 59, 87f., 90, 97, 312, 316, 323, 348 – Rezeptionsfähigkeit 348 – Rezeptionsorgan/e 3, 140, 152, 345 Rezeption (literarische) 38, 45f., 157, 191-193, 203, 241, 270, 280 Rezeptionsästhetik 22, 280 Rezeptionsgeschichte 12, 16, 347 Rhetorik (rhetorisch) 33, 118, 139, 261, 296, 331, 334 Rom 7 – Römer 144, 243f. – römisch 48, 61, 200, 236 Sabbat 165, 168, 185 Sabboi 168 Sadduzäerfrage 267 Sakramentalität 101, 170, 178, 181, 206, 280 Salbe 1, 46, 123, 135, 187, 192f., 200, 204-206, 245, 248, 252-254, 257, 262, 342, 347 – salben 156-158, 195, 201, 204-206, 219, 234, 248, 250-252, 254f., 257, 273f. Salböl 6, 123, 195, 204-206, 248, 250f., 255, 271-273 Salbung 12, 123, 157, 193, 195-197, 199, 201, 203-205, 208f., 213, 215f., 224, 233, 244-248, 250, 252-257, 269, 271-275, 281 – Königssalbung 197, 204 – Totensalbung 149, 196, 208, 216, 234, 246, 253, 255f., 259, 272 Salomo/salomonisch 74, 252 Samaria 102 – Samaritaner 48 – samaritanische Frau 49, 94, 101, 132, 175f., 180-183, 186, 248 Sapientia Salomonis 73f., 78 Sarg 318 Sarkophag 136, 193 Satan 242 – siehe auch Teufel Sättigung 101-189, 103, 121, 130, 141, 158f., 184, 186 Schatten 73, 76f., 122, 157f., 167 – Schattenriss 62, 76

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Namen- und Sachregister

Schau/Schauen 7, 10, 31, 33, 36, 47, 54, 59f., 66-70, 76, 80-82, 89, 149, 151, 154f., 238f., 243, 282, 287f., 292, 296, 310, 316, 320 – Gott-Schauer 106 Schauder 236 Schlachtfeld 236 Schlaf/Schlafen 74, 198, 224-228 Schlatter, Adolf 44 Schleiermacher, Friedrich D. E. 122 Schmecken 1, 6, 16, 69, 101-189, 102, 121, 128, 144, 146-149, 325, 327, 347, 349 Schmerz/en 210, 280 Schnackenburg, Rudolf 50, 64, 126 Schönheit 78, 85 Schöpfer 12, 29, 60, 62, 69, 71, 79, 115, 121, 158, 170, 172, 263, 294, 311 – Schöpferwort 87, 294 Schöpfkrug 181 Schöpfung 30, 41, 47, 69, 78, 82, 85, 114, 325 – Schöpfungsbericht 87 – Schöpfungserzählung 26 – Schöpfungslogos 87 – Schöpfungswunder 114 Schrift, die 186, 284, 303 Schultradition (rhetorische) siehe Rhetorik Schwefelgeruch 210 – siehe auch Geruch Schwester/n 195f., 219-222, 230, 233f., 236, 239, 245, 247, 250, 265, 274, 319 – siehe auch Bethanien Seele 29, 66-68, 70, 75, 78, 80, 87, 146, 154, 161f., 225f., 230, 261, 273f., 276 – Seelenlehre 85 Seelsorge 260 Segen 155, 163f., 317 Sehen 1-7, 10, 15, 25-99, 101, 106f., 176, 189, 213, 239, 246, 264, 267, 274, 277f., 282-286, 287-308, 312, 323f., 330f., 333-339, 340-342, 343, 345, 347, 349 – Gesichtssinn 69, 312 Sehende/r 35, 89f., 335 – siehe auch Nichtsehen, Nichtsehende/r Seher/seherisch 49, 89

Sehfähigkeit 76 Sehkraft 69 Seligpreisung/en 184, 278, 302-307, 335, 337, 340f., 344 Semantik 4, 17, 199, 308, 312, 316, 320, 322, 328 Semeion/Semeia 41, 49, 116, 123, 125, 137, 154, 170, 188, 215, 269, 316, 329, 342, 344 – Semeiaquelle 330 Semele 58f. Sendung 56, 188, 192, 261, 286, 293, 297 Sepphoris 167f. Septuaginta 72, 81, 86, 101, 132, 145147, 154, 156, 159f., 198f., 203, 210, 225, 300, 311, 317 Seraphim 59f. Sichtbarkeit (Gottes) 27, 37, 68, 71, 131, 187 – Sichtbarwerden 80 Siegelabdruck 77 – siehe auch Bild Simon (von Bethanien) 193, 247, 251 Simon Petrus siehe Petrus Sinai 31f., 53, 55, 58f., 106, 131, 164, 170, 213, 315, 334f. – Sinaierfahrung siehe Erfahrung – Sinaioffenbarung 131, 335 Sinne – siehe auch Betasten, Duft, Geruch, Hören, Sehen, Schmecken, Tastsinn – Leitsinne 1 – Sinneserfahrung 12, 143, 149 – Sinnesorgane 311 Sinnlichkeit 2, 8, 12, 25-99, 226, 249 Sirach 158 Skepsis/skeptisch 62, 65f., 71, 75f., 312 Sklave/n 1, 133, 144, 250 Sohn/Söhne 32-40, 44-46, 49, 50-57, 8288, 92, 96, 98, 108f., 113, 130f., 133, 154, 163, 170, 172, 174-179, 186, 189, 192, 198, 201f., 207, 220, 222, 225, 229, 233f., 236, 238, 240, 242, 257, 260, 262, 266-269, 285, 288, 294, 299, 301f., 318, 335, 348, 350 – einziggeboren 33, 36, 82, 85, 130, 175, 350

Namen- und Sachregister – Sohn Gottes 25, 33, 49, 88, 130, 154, 175, 179, 186, 203, 222, 229, 233, 238, 240, 257, 266, 268f., 285, 288, 301f., 344 – Sohnschaft 85 Sokrates 75, 94, 255 – Sokratesrenaissance 75 – sokratisch 184 Sonne 29, 37, 73, 202, 240 – sonnenhaft 37 Sophokles 89, 236 Sossima 235 Soteriologie/soteriologisch 20, 32, 47, 50, 56f., 62, 72, 74f., 79, 96, 123, 203, 228, 253, 255, 276, 327, 347f. – soteriologische Dimension siehe Dimension – soteriologische Funktion siehe Funktion Speise/n 39, 92, 103, 144, 158f., 177f., 182-184, 318, 324 Speisemeister 134 – siehe auch Architriklinos, Tafelmeister Speisesaal 252 Speisevorschriften 325 Speisung 97, 102, 112, 126f., 174, 178, 184, 189, 206, 242 – Speisungswunder 180 – siehe auch Wunder Spiegel 77f. Steinigung/steinigen 52, 101 Stempel 77 – siehe auch Bild Sterben 212, 224f., 227-229, 259f., 327 – Gestorbene/r 223, 240, 242, 292 – Sterbeszene 216f. stinken siehe Gestank Stoa/Stoiker 65, 67, 77, 79, 228, 293 – stoisch 31, 49, 64f., 78, 85f., 130, 293, 311f. Strauss, David Friedrich 122f. Stunde/n 108, 116, 125, 131-133, 176, 215, 217, 224, 229, 240, 259, 261, 266, 268, 298 Sturmstillung 112 Suda 152 Sukkot 166 Sünde/n 30, 39, 206, 210f., 220f., 226, 237, 256, 266, 270-273, 321

421

– Sündenleben 263 – Sündenverfallenheit 57, 273 – Sündenvergebung 125, 148, 293 – Sündenverständnis 206 Sünder 59, 185, 272f. Sünderin 199, 249, 251, 256, 272, 318 Sychar 47, 181 Symbol/e 18-21, 79, 85, 124, 127f., 135, 146, 154, 162, 166, 178, 208, 215, 221, 252-254, 345 – Symbolbegriff 18f., 21 – Symbolforschung 17 – symbolic motif siehe Motiv – symbolisch 9, 11, 13f., 17-19, 21, 23, 30, 41, 43, 63f., 80, 109f., 117, 122130, 133-135, 138, 143, 155, 164, 169f., 183, 201, 208f., 213, 215f., 249-255, 269f., 272, 274, 289 – symbolisieren 134, 143, 146, 156, 235, 237, 239, 273, 276 Symbolik 11, 127, 142f., 166, 194, 208, 216, 245, 253f., 274 Symbolismus 18, 21, 117 Symbolsprache 18, 208 Symposiarch 144f., 147, 161 Symposium 75, 145, 160 Synagogenvorsteher 198 Synhedrium 196, 243 Synoptiker/synoptisch 6, 25, 34, 39f., 41f., 43, 83, 91, 97, 109, 113f., 116f., 121, 127f., 141, 149, 197-199, 219, 223, 229, 245f., 248, 251, 255f., 258f., 261, 274, 280, 282, 285, 303, 308, 318, 320, 328 Tabitha 198 Tabubruch 235-237, 296 Tabula Cebetis 76, 95 Tafelmeister 104, 110, 112, 117-120, 125, 128-130, 134-140, 144f., 148, 172, 187-189 – siehe auch Architriklinos, Speisemeister Talmud 148, 164 Targum 131, 163, 254 Tastsinn 1, 6, 44, 277, 310f., 316, 345 – tasten 304, 310f., 315, 328, 343 Taufe 39, 148, 293, 326

422

Namen- und Sachregister

Täufer 34, 39, 97, 106, 129, 175, 288, 290 – Täuferwort/e 57, 108 – Täuferzeugnis 107 Teiresias 89 Tempel 78f., 81, 105, 143, 157, 177, 186, 203, 245, 252, 272f., 287, 294 – Tempelkult 80 – Tempelreinigung 105, 107, 110 Teos 151 Tertullian 39 Teruma-Wein 164 Teufel 179, 270 – siehe auch Satan thaumaturgischer Stab 136 Theater 78 – Theaterbühne 168 – Theatergott 168 Theben 89 Theodor von Heraklea 271f. Theologie – negative Theologie 55, 62, 65f., 70f. – theologia crucifixi 229, 275 – theologia crucis 216f., 229, 275 – theologia gloriae 216f. – theologia vitae 275 – theologische Dimension siehe Dimension Theophanie 54f., 170f., 269 Theophrast (von Eresos) 7 Theopomp (von Chios) 138f. Thera 325 Thiasos 168 Thomas 47, 50f., 53, 55, 83, 114, 124, 216, 225, 229, 238f., 260, 277-281, 283-285, 287, 289f., 292, 294-308, 310, 314-316, 323f., 329-345, 349f. – Thomasevangelium 295 – Thomasfigur 278f., 299, 304, 306, 330 – Thomastradition 295, 330f. Thomas von Aquin 114, 225, 344 Thyrsosstab 168 Tiberias (See) 128 Tier/e 1, 59 – Tierkult 79 Timaios 70, 76, 82, 85 Tod 10, 19, 28, 30, 37f., 52, 57, 59, 72f., 98, 102f., 108, 113f., 119, 130, 132, 148f., 156-158, 160, 174, 178, 183f.,

258-263, 284f., 287, 289f., 307, 318, 327, 331f., 335, 337, 341, 347-350 – todbringend 73, 211, 270 – Todesbeschluss 223, 243f., 257-259 – Todesdrohung 265 – Todesgeruch 1, 46, 88, 192f., 199-201, 203f., 217, 231, 241, 254, 261f., 270, 274, 282, 347, 350 – siehe auch Geruch – Todeshauch 200 – siehe auch Hauch – Todesleben 263 – Todesüberwindung 196, 213, 265, 275 – Todesurteil 95 – Todesverfallenheit 56, 73, 191f., 206, 210, 221, 228, 230, 235, 237, 263, 270, 275, 350 – todkrank 260 – todüberwindend 19, 71 Tora 40f., 69, 86, 106, 131, 164, 209 Tote/r 6, 35, 195-197, 203f., 226, 229, 234-236, 239f., 242f., 246, 257, 267f., 271, 273, 289, 294, 326 – Totenauferweckung/en 197, 223, 228, 237 – Totenbinden 241 – Totenreich 228 – Totensalbung 149, 196, 208, 216, 234, 246, 253-259, 272 – siehe auch Salbung – Totentempel 201 Totenacker 210 Tötung 52, 221 – Tötungsbeschluss 196f., 216, 244f., 274 – Tötungspläne 197 Traditionsgeschichte 17, 21, 23, 31, 128, 141, 156, 163, 166, 177, 198, 206, 220, 240, 254, 301 Tragik/tragisch 88, 94f., 119 Tragödie 161 Tränen 233, 251, 288 Trankopfer 206 Transzendenz 29, 61f., 65f., 72, 77, 83, 86, 293 Trauben 152 – Traubenblut 155 Trauer/trauern 230, 245, 275, 282f., 285, 287

Namen- und Sachregister Traum/Träume 160, 225 triklinarchia siehe Architriklinos Triklinium siehe Architriklinos Trinken 6, 71, 101-103, 147, 149, 156, 159f., 162f., 165, 178, 180-184, 206, 261 Trunkenheit 68, 141, 160, 161, 163, 171 Typologie (typologisch) 102, 213 Übelgeruch 19, 199f., 212f., 236, 272f., 275 – siehe auch Geruch Unerkennbarkeit 37, 65 Unerreichbarkeit 29 Unfassbarkeit 27 Unfruchtbarkeit 165 Unglaube/Ungläubigkeit 56, 88, 181, 206, 231, 281, 304, 337 Unkenntnis 57, 76, 104, 110, 187, 332 Unkörperlichkeit/unkörperlich 29f., 37f., 62, 66, 70f. unlikelihood (Unwahrscheinlichkeit) 14, 25, 347 – siehe auch Motiv Unreinheit/unrein 59, 317f. Unsichtbarkeit/unsichtbar 30, 32, 48, 50, 57, 67f., 70f., 82f., 186f., 307, 309, 325, 327 Unsterblichkeit 73, 78, 205f., 208, 226, 234, 254, 272 Unvergänglichkeit/unvergänglich 30, 62, 66, 74, 86, 127, 205, 183, 226, 253 Unverständnis 27f., 30, 48, 50, 65, 173, 182, 214, 238, 260, 340 Unverweslichkeit 205 Urbild 83, 278 – siehe auch Bild Valentin/valentinianisch 39 Valenz 84, 106, 124 Varianz 15 – variatio 149 Varro 7 Vater 7, 29, 31, 33-36, 45f., 48, 50-56, 69, 82-88, 98, 114, 133, 141, 146, 156, 158, 163-165, 170, 173-179, 182-189, 214, 218, 220, 223, 231, 240, 242, 261f., 267-269, 274, 286,

423

289, 291, 294, 299, 301f., 316f., 320, 322, 335, 349 – Vatername 34 Verbot 58, 60, 65, 316, 324 Verfall 174, 223, 234, 270f. – Verfallsprozess 236 – siehe auch Tod, Verwesung Verfasser 114, 121, 123, 169, 325 – Verfasserfrage 325 – siehe auch Autor Verfaulen 201, 236, 270, 273 Vergewisserung/vergewissern 44, 58, 238, 243, 277f., 299, 304, 312f., 315, 321, 323, 333, 335-337, 343 Vergöttlichung 202 Verkostung/verkosten 109, 120, 137, 139, 141, 146, 188 Verkünder/in 94, 313 Verkündigung 45, 48, 113, 212, 214, 258, 291, 300, 305, 312, 324 Vermittlung 31, 33, 62, 79, 97, 169, 201, 255, 268, 317, 349 – Vermittlungsfunktion 89 – Vermittlungsinstanz 75 Vernunft/vernünftig 84, 146, 159-161 – vernunftzentriert 8 Verstand 67, 160f. Verstockung 65 Verstorbene/r 202, 230, 234f., 237, 239241, 347 – siehe auch Sterben Verunreinigung/verunreinigen 303, 318, 328 Verwandlung 80, 104, 119, 121, 135137, 141, 150, 152, 154, 172, 235 – verwandeln 18, 37, 111, 114, 117, 121, 151f., 159, 162, 192, 273f., 293 – Verwandlungswunder 136 – siehe auch Wunder Verwandte/r 131, 133, 145, 235, 247 Verweischarakter 49, 77, 84, 92, 128, 130 Verwesung/verwesen 201, 228, 235f., 273 – Verwesungsgeruch 191f., 212, 228, 235, 241f., 245, 258, 271f. – siehe auch Geruch – Verwesungsprozess 236 Verzögerung 222f.

424

Namen- und Sachregister

– Verzögerungsmotiv 270 Vision/en 106, 288f., 338, 342 – visionär 39, 59, 81, 288, 345 Visualität/visuell 4, 55, 193, 299, 331 Volk 31, 59, 69, 95, 97, 104, 158f., 164f., 184, 198, 243f., 294, 313, 350 – Gottesvolk 250 – Völker 164f., 313 – Volksmenge 95, 257f. Vollender 158 Vollendung/vollenden 82, 143, 182f., 217, 261 Vollmacht 39 Vorbild/er 114, 122, 226, 273, 339 – siehe auch Bild Vorgeschmack 164, 189 Vorkoster 143, 172 vorösterlich siehe Ostern Wachsabdruck 77 – siehe auch Bild Wahrheit 1, 20, 27f., 30, 32f., 37, 40, 50f., 61f., 65, 72f., 77-80, 83f., 88-90, 92f., 95-98, 106, 125f., 130, 134, 143, 178-180, 209, 216, 218, 225-227, 231f., 234, 291, 298, 315, 339, 342 – Wahrheitsbegriff 92 Wahrnehmbarkeit 30f., 45, 58, 60, 62, 65f., 70, 84, 253, 291, 334 Wahrnehmungshermeneutik 46 – Wahrnehmungsorgane 44, 62, 309, 312 – Wahrnehmungsperspektive 48 Wandlung 108, 111, 128, 136f., 140, 153, 188 – Wandlungswunder 114, 120, 137 – siehe auch Wunder Wasser 21, 101-104, 108, 111, 114f., 121, 124, 134-138, 143, 145, 149153, 158-162, 167, 171f., 175, 180184, 234, 254, 294, 309 – Wasserquellen 240 Weg 50-53, 55f., 60, 77-79, 84, 164, 181, 186, 188, 199, 221, 223f., 226, 228, 230-234, 258-261, 265, 270f., 281, 287f., 291, 296, 303f., 308f., 311f., 322, 339f., 342-345, 348f. – siehe auch Tabula Cebetis Weihrauch 203, 212 – Weihrauchland 201

Wein 1, 6, 16, 19, 101-104, 108-111, 113, 115-123, 125, 128-131, 134-165, 167-173, 178, 181, 187-189, 204, 208, 342, 347, 349f. – Weinberg 144, 155f. – Weinfest 166 – Weinfülle 155-157 – Weingärtner 156 – Weingott 152, 161, 166, 168f. – siehe auch Dionysos – Weinkelch 156 – Weinkeller 139 – Weinkult 166 – Weinlese 168 – Weinmotiv/Weinmotivik 119, 141f., 155-158, 162-166, 169, 171 – Weinregel 110, 119f., 129, 138-140, 145 – Weinstock 92, 146, 152, 154-156, 158f., 163 – Weinwandlung 108, 111f., 117, 149f., 188 – Weinwunder 111, 127, 136, 142, 150, 155, 168 Weinen 74, 220, 225, 251, 287-289, 319 Weisheit 38, 73f., 76, 158-162, 207, 209f., 226, 327 – weisheitlich 65, 159, 171, 205, 207, 267 – Weisheitsliteratur 40, 75, 154, 158, 210 – Weisheitsmahl 159f. – Weisheitssuche 326 – Weisheitstheologie 38 Weizenkorn 102 Wellhausen, Julius 308 Welt/en – siehe auch Kosmos – Weltbeginn 243 – Weltbeobachtung 326 – Weltverfangenheit 149 – Weltwahrnehmung 31, 192 – siehe auch Wahrnehmung – Weltwerdung 85 – Weltzeit siehe Zeit Weltlichkeit/weltlich 60, 115, 257, 278, 316 Wesen – Wesen Gottes 32, 34, 36, 51, 57, 69, 82, 92, 242, 348

Namen- und Sachregister – Wesen Jesu 94, 240 – Wesenslehre 29 Wiedergeburt 87, 268 Wiederkunft 82 Wirklichkeit 6, 18f., 27, 41, 44, 52, 66, 68, 92, 94, 134, 186, 232, 242, 268, 277, 307, 315, 323, 338, 343 Wohlgeruch 1, 19, 46, 115, 123, 150f., 191-193, 198-200, 207, 209-213, 235, 245, 253f., 258, 262, 270-275, 350 – wohlriechend 159, 202, 210, 214, 234, 257 – siehe auch Geruch Wohlklang 29 Wohlordnung 85 Wohnung/en 10, 50, 106, 188, 218, 294 326 Wunde/n 279f., 298, 337 Wunder 91, 104, 108, 110-114, 117-119, 121-125, 127f., 135-137, 139f., 153f., 188, 196, 231, 235, 239, 241f., 245, 269, 271, 332f., 345 – Wunderglaube 330 – Wundertäter 112, 116, 119, 121, 123f., 136, 188 – Wunderzeichen 91 Wundmale 1, 44, 229, 279f., 292, 295298, 305, 308, 314, 316, 323f., 330, 345, 347 Wurm/Würmer 210f., 228 Würzmittel 162 Xenophanes 62 Zahl 26 Zähne 155 Zaubermittel 334 Zaum 309 Zebaoth 59, 164 Zechmeister 145 Zeichen 2, 10, 18, 33, 35, 49f., 79f., 9092, 101, 103-108, 114, 116f., 120f., 123-125, 128, 129-131, 140, 150, 152, 154, 157, 162, 170f., 181f., 187f., 194, 197, 209, 215-218, 227f., 238-240, 242f., 257-260, 269f., 284, 286, 296, 302, 304, 316, 321, 335f., 339, 344, 347 – Zeichenforderung 303, 329, 335

425

– Zeichenglaube 329 – Zeichenzählung 108 Zeit/en 40, 43, 67, 73f., 105, 109, 134, 154f., 181, 186, 196, 200, 207, 228230, 237, 287, 303, 316, 329, 337, 341, 345f. – Endzeit/endzeitlich 134, 137, 154, 155, 164f., 231 – Weltzeit 221 – Zeitangabe/n 131 – Zeitebenen 96, 228f., 313 – Zeitstufen 4 – Zeitverständnis 26, 303 Zerfall 214, 236, 274 Zersetzung 234, 236f., 270-272 – Zersetzungsgeruch 221, 254 – siehe auch Geruch Zeuge/n 47, 98, 136, 140, 178f., 185, 213, 239, 241, 262, 270, 280, 286, 294, 301, 334-341, 343f., 345, 349 Zeugenschaft 276, 300 Zeugnis/se 4f., 35, 37, 39, 45, 47, 53, 57, 82, 97-99, 106, 139, 163, 176, 178f., 181, 189, 213f., 222, 225, 233, 237, 289, 291-295, 303, 305, 312, 323, 329f., 332, 334-339, 341, 349f. – zeugnishaft 258 Zeugung 78, 201 Zeus 58f., 209, 228 – Zeusstatue 85 Zimt 159 Zion 81 Zorn 80, 156, 165, 201 – Zorneskelch 149, 156 Zu-spät-Gekommene/r 98, 277, 296, 306f., 336f., 339f., 343-345, 350 Zufluchtsstätte 334 Zunge 29, 318 Zusage 108, 233, 254, 262, 265, 269, 336 Zweideutigkeit 283 Zweifel 27, 119, 169, 185, 230f., 238, 277, 296f., 307, 324, 331, 333, 336338, 340 – zweifeln 48, 281-308, 284, 314, 337, 344 Zweifelnde/r 340, 344 Zwölf – Jünger 294f., 298 – Stunden 224, 266

426

Namen- und Sachregister

ἀγάπη/ἀγαπάω 27, 333 ἀγνωσία 73 – ἄγνωστος θεός 29, 32 ἀθανασία 145 αἴσθησις 1, 7, 67, 107, 312, 317 – αἰσθητήριον 7 – αἰσθητός 42, 67, 77, 271 ἀλήθεια 51f., 67, 78, 89, 92f., 161, 173, 226 – ἀληθής 47, 69, 92f., 178f. – ἀληθινός 41, 92, 126 ἁµαρτωλός 219, 249 ἄµπελος 146, 159 ἀνάστασις 227, 232, 314 – ἀναστήσω 82, 225, 227, 285 ἀόρατος 26, 29, 67f., 71, 312, 327 ἀπεικόνισµα 26 ἄπιστος 298, 337 ἅπτειν 210, 290, 308, 312, 314, 316-324, 325, 327f. ἄρτος – ἄρτος συνἐσεως 158 – ἄρτος ζῶν 183 ἀρχέτυπος 26 ἀρχιµάγειρος 145f. ἀρχιοινοχόος θεοῦ 144-146 ἀρχισιτοποιός 145f. ἀρχιτρίκλινος 134, 141, 144, 146f. ἀρώµα/τα 159, 204, 255 ἀσώµατος 30, 66, 70f., 76, 314 βάλλειν 44, 297, 305, 308-310, 320, 328 βασιλεία 82, 148, 273 – βασιλεία τοῦ θεοῦ 60 βασιλεὺς 66, 74, 204 βλέπειν 3f., 66, 71, 224, 283, 287, 315 γάµος 130, 140 γεύοµαι 101, 137, 147-149, 324 γιγνώσκειν 87, 176, 311 γνώσις 211-213, 253, 271 δαιµόνιον 75, 311, 314 δίδακτος θεοῦ 35, 177 δόξα 10f., 31, 68, 82, 105-107, 112, 116, 121, 131, 159, 189, 192, 213, 217, 221f., 238f., 266

– δόξα θεοῦ 31, 106, 121, 192, 221f., 238, 266 – δοξάζεσθαι 222, 266 ἐγώ εἰµι 39, 51, 68, 72, 263 εἰκών 26, 77f., 86f., 213, 311, 325, 327 – εἰκὼν θεοῦ 26, 213, 327 ἐν κρυπτῷ/ἐν παρρησίᾳ 93 ἐξηγητής/ἐξηγηταί 33 – ἐξηγέοµαι 25, 28, 32f., 36f., 282 ἐσθίειν 71, 147, 159, 206, 324 εὐωδία 151, 159, 198f., 203, 211, 253, 271, 273 ζωή 44, 51f., 180f., 183, 206, 211, 213, 232, 263, 265, 267, 312f., 328, 335 – ζῳοποιεῖν 51, 66, 189, 205, 220, 226, 232, 267 θεᾶσθαι 44, 107, 312 θεῖος/ον 29, 39, 67f., 70, 79, 209 θεός 26f., 29, 31f., 35f., 39, 51, 60, 62, 66f., 70f., 73, 76, 86, 106, 115, 121, 123, 145f., 148, 151, 160-162, 174, 177, 185, 189, 192, 205, 210f., 213, 221f., 232, 238, 260, 263, 266f., 273, 289, 300, 326f. – θεὸς ζῳοποιῶν 51, 66, 205, 226, 267 θεωρεῖν 3f., 148, 283 θιγγάνειν 309, 314, 317, 324-328 ἰδεῖν 27, 60, 67f., 82, 148, 235, 297, 305f., 310f., 314, 320, 323, 335, 337, 342 κόλπος 33, 36, 174 κόσµος 27, 47, 66, 79, 224, 233, 265, 271, 326f. κρατεῖν 79, 321f., 328 κρίµα/κρίνειν 96 κύριος 67, 81, 158, 272, 289, 291, 300f. λόγος 44, 67, 160f., 220, 263, 267, 311313, 328 – λόγος τῆς ζωῆς 44, 263, 312f., 328 µακάριοι 305f., 335, 342 µαρτυρία/µαρτυρεῖν 97f. µνηµονεύειν/µιµνῄσκεσθαι 98

Namen- und Sachregister µονογενὴς υἱός siehe υἱός µύρον 191, 247f., 271-273 µυσταγωγός 78 νάρδος 204, 247f. ὄζειν 191, 197-199, 209, 233f., 249, 273f. οἰνοχόος θεοῦ 145, 161 ὁµοίωσις θέῷ 62, 72, 76, 86 ὁράω 3f., 27, 29, 32f., 35, 44, 51f., 54, 59, 66-71, 106f., 282, 305-307, 311f., 323 ὀσµή 159, 191, 197-199, 203f., 209, 211213, 233, 236, 248, 272, 274 – ὀσµή εὐωδίας 203 ὀφθαλµός/ὀφθαλµοί 29, 44, 54, 66f., 70, 81, 210, 312 παράδειγµα 26, 66 παροιµία 93 παρρησία 53, 93 πατήρ 51-55, 69f., 82, 107, 173f., 300 πίστις 235, 284, 326 – πιστεύειν 47, 49, 54f., 87, 220, 238, 267, 284, 286, 302f., 305f., 314, 320, 337, 342 – πιστός 298 πνεῦµα 42, 64f., 71, 148, 182, 209, 293f., 310, 314 – πνευµατικὸν εὐαγγέλιον 41f.

427

– πνευµατικός 41f., 271, 314 σάρξ 10f., 29, 74, 77, 84, 179, 310, 314 – σαρκικός 314 σηµεῖον/σηµεῖα 10, 41, 49, 56, 91f., 111, 113, 116, 123, 126, 130, 140, 157, 162, 227, 242, 257, 300, 302, 308, 335 σκιά 26, 73, 77, 157 σχίσµα 96 σῶµα 54, 66f., 71, 76, 78f., 144, 210, 214, 236, 255, 271, 326 – σωµατικός 37, 42f., 79, 326 τρώγω 102, 147 ὕδωρ 134, 136, 152, 158-162, 180f., 183 – ὕδωρ ζῶν 180f., 183 υἱός – µονογενὴς υἱός 36, 107 – υἱὸς τοῦ θεοῦ 116, 148, 222, 266 φέρειν 297f., 305, 308f., 320 φωνή/φωνεῖν 29, 74, 145, 226, 233, 290, 311, 320 φῶς 32, 66, 88, 224, 264f., 311 χεῖρα/ς 44, 241, 298, 308f., 312, 318 ψηλαφάω 38, 44, 308-315, 328