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German Pages 132 [140] Year 1912
GOETHES HERO UND LEANDER UND SCHILLERS ROMANTISCHES GEDICHT VON
GEORG SCHAAFFS
STRASSBURG 1912 :: IM VERLAG VON KARL J. TRÜBNER
GUSTAV KETTNER GEWIDMET
VORBEMERKUNG. Gegenwärtige Untersuchung eröffnet eine Reihe von Studien, deren Hauptaufgabe sein soll, das Verhältnis gewisser Dichtungen Goethes zu ihren „Quellen" schärfer zu erkennen als es bisher geschehen ist, oder neue Beziehungen aufzudecken. Demnächst sollen die Weissagungen des Bakis, die Müllerinballaden und eine Reihe von Szenen des Faust behandelt werden. Dank für vielfache Förderung bei diesen Arbeiten schulde ich dem Manne, dessen Name auf dem vorhergehenden Blatt eingetragen ist obwohl er mit manchem, was die folgenden bringen, nicht einverstanden sein wird — und Dank für finanzielle Beihülfe dem Carnegie Trust for the Universities of Scotland. S T . ANDREWS, M a n
1912.
Am 27. November 1831 unterhielt sich Goethe mit Soret über Trilogien. J'observe, erzählt der letztere in seinen „Conversations avec Goethe" (Biedermann2 4, 396 f.), qu'il y a peu d'exemples à moi connus de trilogies hors les siennes. Goethe répond qu'en effet cette forme est très-rare chez les modernes', il y en a dans ses œuvres qu'il n'a pas indiquées comme telles, en particulier, dit-il, mes poésies du jeune homme et de la meunière sont une véritable trilogie ; elles sont placées dans ce but les unes à côté des autres, c'est une suite complète présentée sous trois faces diverses ; l'amour naissant, la perfidie, le repentir. Je demande ensuite si ma trilogie ne pèche pas par le manque de tems suffisant entre les trois parties ; là-dessus Goethe pense qu'il est absolument nécessaire de faire les coupures sans liaisons trop senties, d'abord parce qu'une partie de l'effet produit dépend justement du travail d'imagination que le lecteur est appelé à faire pour rejoindre les trois membres épars, ensuite parceque si la liaison était plus prononcée, ce ne serait plus une trilogie, mais un seul poëme un peu long en une partie au lieu d'être en trois parties distinctes. Rentré chez moi, j'ai repris les deux trilogies de Goethe, la Meunière et celle des Passions ce qui m'a suggéré quelques réflexions qui je compte soumettre demain à Goethe dans une lettre. Ein paar Tage später, am 1. Dezember, erzählte Goethe im Gespräch mit Eckermann, wie sehr er sich an einer Trilogie Sorets erfreut habe, und leitete damit zum zweiten Male eine längere Diskussion über diese poetische Form ein. Ich freute mich dieses Lobes, berichte t Eckermann, und nahm mir vor, die gedachte Trilogie von Soret baldmöglichst zu lesen. Wir besitzen in unserer Literatur sehr wenige Trilogien, bemerkte ich. Diese Form, erwiderte Goethe, ist bei den Modernen Überall selten. Es kommt darauf an, daß man einen Stoff finde, der sich naturgemäß in drei Partien behandeln lasse, so daß in der ersten eine Art Exposition, in der zweiten eine Art Katastrophe, und in der dritten eine versöhnende Ausgleichung stattfinde. In meinen Gedichten vom Junggesellen und der Mittlerin finden sich diese Erfordernisse beisammen, wiewohl ich damals, als ich sie schrieb, keineswegs daran dachte, eine Trilogie zu machen. Auch mein Paria ist eine
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vollkommene Trilogie, und zwar habe ich diesen Zyklus sogleich mit Intention als Trilogie gedacht und behandelt. Meine sogenannte Trilogie der Leidenschaft dagegen ist ursprünglich nicht als Trilogie konzipiert, vielmehr erst nach und nach und gewissermaßen zufällig zur Trilogie geworden. Zuerst hatte ich, wie Sie wissen, bloß die Elegie als selbständiges Gedicht für sich. Dann besuchte mich die Szymanowska, die densdbigen Sommer mit mir in Marienbad gewesen war und durch ihre reizenden Melodien einen Nachklang jener jugendlich-seligen Tage in mir erweckte. Die Strophen, die ich dieser Freundin widmete, sind daher auch ganz im Versmaß und Ton jener Elegie gedichtet und fügen sich dieser wie von selbst als versöhnender A usgang. Dann wollte Weygand eine neue Ausgabe meines Werther veranstalten und bat mich um eine Vorrede, welches mir denn ein höchst willkommener Anlaß war, mein Gedicht An Werther zu schreiben. Da ich aber immer noch einen Rest jener Leidenschaft im Herzen hatte, so gestaltete sich das Gedicht wie von selbst als Introduktion zu jener Elegie. So kam es denn, daß alle drei jetzt zusammenstehenden Gedichte von demselbigen liebesschmerzlichen Gefühl durchdrungen worden und jene Trüogie der Leidenschaft sich bildete, ich wußte nicht wie. Ich habe Soret geraten, mehr Trüogien zu schreiben, und zwar soll er es auch machen, wie ich eben erzählt. Er soll sich nicht die Mühe nehmen, zu irgendeiner Trilogie einen eigenen Stoff zu suchen, vielmehr soll er aus dem reichen Vorrat seiner ungedruckten Poesien irgendein prägnantes Stück auswählen und gelegentlich eine Art Introduktion und versöhnenden Abschluß hinzudichten, doch so, daß zwischen jeder der drei Produktionen eine fühlbare Lücke bleibe. Auf diese Weise kommt man weit leichter zum Ziele und erspart sich viel Denken, welches bekanntlich, wie Meyer sagt, eine gar schwierige Sache ist. Eine dritte Besprechung des Thema fand am 7. Dezember statt. Soret berichtet darüber: Goethe me parle avec intérêt ä bonté de ma trüogie, voici les principaux résultats de la conversation. Il me conseille pour réussir dans ce genre de ne pas chercher tout-exprès un sujet à traiter sous cette forme-, mais si j'ai dans mon recueil de poésies mêlées des mareaux distincts quoique unis secrètement parle même lien de
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conception première, de sentiment ayant une relation latente entr' elles, alors.rien de plus facile de compléter la trilogie par un troisième morceau fait exprès .. Nous avons repris le sujet des trilogies, il a été question des trois de Goethe, surtout delà Meunière. Goethe faisait commencer par le jeune homme et le ruisseau, j'ai proposé de joindre cette poésie à celle qui précède et à laquelle Goethe ne pensait pas ; Le Gentilhomme etlaMeunière, parce que l'ensemble est à la fois plus complet et plus vrai; et aussi pour éviter de mettre en première ligne une action avec un objet inanimé, chose à laquelle Goethe répugne en général. Il m'a semblé que cette manière de concevoir sa trilogie lui a souri. Dieser Beobachtung, daß der Müllerinzyklus streng genommen gar keine Trilogie ist, bedürfte man nicht einmal, um zu finden, daß die Haupteigenschaften, die Goethe der Trilogie zuweist und von ihr fordert, im Grunde auch jeder andere Gedichtzyklus trägt, wenn anders er ein solcher ist, wenn er nicht ein einziges, nur etwas langes, in der Handlung ununterbrochenes, sondern ein in unterschiedliche Teile zerfallendes dichterisches Werk sein soll. Es wird immer auf die Handlung selbst ankommen, die in dem Zyklus sich wiederzuspiegeln bestimmt ist, in wie viel einzelnen Stücken das geschieht. Denn willkürlich kann diese Zahl nicht sein, da naturgemäß nur die wichtigsten Phasen der Entwicklung, diese aber wohl alle, zur Darstellung kommen müssen. Anderseits läßt sich auch ein solcher Zyklus ersinnen, der, in bestimmter Absicht, gerade diese Punkte vermiede und dafür andere hervorhübe. Man denkt kaum an solche, wo die Tiefpunkte aus der Handlung herausgehoben würden : Wohl dagegen an solche voll Reflexion, wo Wendepunkte immer nur in der Nähe liegen, sei es bevorstehen oder eben passiert sind. Aber ein Grundsatz gilt sicher für alle Fälle: Eine gewisse Ordnung, die sich nach dem inneren Verhältnis der einzelnen Teile einer Entwicklung richtet, niemals eine zufällige oder willkürliche Auswahl zugibt, muß vorhanden sein. Trifft man also auf eine Reihe von Gedichten, die zweifellos zu einander gehören, ohne daß ein logisch einleuchtendes Prinzip der Auswahl und Anordnung zu erkennen wäre, so hat man lediglich Bruchstücke eines entweder ehemals vorhan-
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denen oder eines nicht fertiggewordenen Ganzen anzunehmen, und es verschlüge demgegenüber nicht das geringste, wenn die Kombinationskraft des Lesers dennoch die verbindenden Linien zu ziehen wüßte. Ist anderseits der Zusammenhang nicht sofort, ja vielleicht nur sehr schwer zu erkennen, so ist damit ebensowenig gesagt, daß die Durchführung der künstlerischen Absicht mangelhaft gelungen wäre — ganz abgesehen von solchen Fällen, wo die Unsicherheit durch die Art des Gegenstandes selbst erfordert wird. Beim Paria z. B. hat Goethe selbst (Biedermann2 3, 39) hervorgehoben, wie wenig für ein leichtes Verständnis getan, daß die Behandlung sehr knapp sei und man gut eindringen müsse, wenn man es recht besitzen wolle.. Es kommt mir selber vor, fügt er hinzu, wie eine aus Stahldrähten geschmiedete Damaszenerklinge. Ich habe auch den Gegenstand vierzig Jahre mit mir herumgetragen, so daß er denn freilich Zeit hatte, sich von allem Ungehörigen zu läutern. Hier bedarf es also geschärfter Aufmerksamkeit nach völliger Besitznahme der drei Positionen, um ihren inneren Zusammenhang zu ermessen: Wo geringere Anforderungen an das Nachdenken gestellt waren, ist er meist schon von außen zu erkennen. Aber Widersprüche sind hier wie dort schlechterdings ausgeschlossen: Es muß eine Deutung geben, die jeden einzelnen Zug, ohne Gewalt anzuwenden, unterbringt. Erst wenn dies gelungen ist, kann man des völligen Verständnisses des Zyklus sicher sein. Dem Müllerinzyklus gegenüber ist es bisher, soviel ich sehe, nicht geschehen : schwächer oder stärker haben alle Erklärer betont, daß Widersprüche zwischen den einzelnen Gedichten vorhanden seien. Ein anderer Zyklus, Hero und Leander, ist als solcher überhaupt noch nicht erkannt worden. Wenn Goethe zu Soret sagt, daß es in seinen Werken Trilogien gebe, die als solche nicht erkennbar gemacht seien, und dann hinzufügt: en particulier mes poésies du jeune homme et de la meunière sont une véritable trilogie, so hat mich diese Bemerkung veranlaßt, nach weiteren Zyklen zu suchen. Denn Paria und Trilogie der Leidenschaft waren in den Werken auch äußerlich ab zusammengehörig kenntlich gemacht. Ich hielt mich dabei einfach an Goethes weitere
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Worte: elles sont placées dans ce but les unes à côté des autres, eine Liste von Titeln angeblich oder anscheinend nicht zur Ausführung gelangter Projekte neben mir liegen habend. Darin stand Hero und Leander. Im Mai 1796 hatten Körner und Dora Stock Schillers in Jena besucht und waren auch mit Goethe mehrfach zusammengewesen. Während dieses Aufenthalts erfuhren sie, daß Goethe an eine Dichtung Hero und Leander denke — womit natürlich nicht gesagt war, daß sie auch den Namen geführt haben würde. Nach der Rückkehr, am 18. Mai, schrieb Körner an Schiller: Wird Hero und Leander jetzt fertig, so bitte doch Goethe um eine Abschrift für uns. Auf die größte Diskretion kann er rechnen. Schiller antwortete am 23. Mai: Hero und Leander hat er noch nicht angefangen; aber etwas anderes, von lustigem Inhalt, — die Kommata habe ich nachgetragen — las er neulich vor. Anfang Juli aber (Briefe 11, 324) bemerkt Goethe selbst zu Schiller: Ich werde ... mich künftig nur an kleinere Arbeiten halten nur den reinsten Stoff wählen um in der Form wenigstens alles tun zu können was meine Kräfte vermögen. Außer Hero und Leander habe ich eine bürgerliche Idylle im Sinn, weil ich doch so etwas auch muß gemacht haben. Aus allen diesen Stellen ergibt sich doch wohl das Eine mit Sicherheit, daß es sich bei Hero und Leander nicht etwa um ein einzelnes kleineres Gedicht gehandelt hat, sondern um eine Dichtung beträchtlicheren Umfangs, die allerdings, an dem unmittelbar vor der letzten Äußerung erwähnten Wilhelm Meister gemessen, den Namen einer kleinen Arbeit verdiente. Welcher Art diese aber geworden wäre oder ist, dafür gab es bisher keinen Anhaltspunkt. Denn génauere Nachrichten über das Werk besitzen wir nicht, und die Worte, die Goethe am 12. Juli 1801, auf die Nachricht hin, daß Schiller eine Ballade Hero und Leander gemacht habe, an diesen richtete : Auf Hero und Leander bin ich recht neugierig, ich wünschte Sie hätten mir es mitgeschickt: diese Worte zeigen nur, daß es ihn lebhaft interessierte, zu sehen, wie Schiller die Sache angefaßt habe. Aber zwei Jahre später, als Goethe im Taschenbuch auf 1804 die bekannte Nachlese zu seiner Sammlung von 1800 brachte, nahm er darin mehrere Gedichte auf, die nicht
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nur unmittelbar aufeinander folgen, sondern auch durch ihre gemeinsamen Quellen sich als zueinander gehörig erweisen, und durch die Art dieser Quellen als Reste eines Gedichtzyklus, der den Hero und Leander-Stoii, in gewisser Umformung, verarbeitete. Es sind zunächst Trost in Thränen (Seite 115), Sehnsucht (117), Nachtgesang (120), und als Quellen bieten sich vor allen diejenigen Dichtungen dar, auf die man zuerst raten muß, die pseudo-ovidischen Briefe Leanders an Hero und Heros an Leander, und das epische Gedicht desMusaios. Wenn dazu noch Musäus' Volksmärchen treten, so mag man einstweilen die Namensvetternschaft dafür verantwortlich machen. II. T R O S T IN THRÄNEN. Wie kommt's, dafi du so traurig bist, Da alles froh erscheint? Man sieht dir's an den Augen an, Gewifi du hast geweint. „Und hab' ich einsam auch geweint, So ist's mein eigner Schmerz, Und Thränen fliefien gar so süfl, Erleichtern mir das Herz." Die frohen Freunde laden dich, O komm an unsre Brüstt Und was du auch verloren hast, Vertraue den Verlust. „Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht, Was mich den Armen quält. Ach nein, verloren hab' ich's nicht, So sehr es mir auch fehlt." So raffe denn dich eilig auf, Du bist ein junges Blut. In deinen Jahren hat man Kraft Und zum Erwerben Muth.
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„Ach nein, erwerben kann ich's nicht, Es steht mir gar zu fern. Es weilt so hoch, es blinkt so schön, Wie droben jener Stern." Die Sterne, die begehrt man nicht, Man freut sich ihrer Pracht, Und mit Entzücken blickt man auf In jeder heitern Nacht. „Und mit Entzücken blick' ich auf, So manchen lieben Tag; Verweinen lallt die Nächte mich, So lang' ich weinen mag."
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as Gedicht ist am leichtesten von den dreien zu verstehen. Der Jüngling hatte die Geliebte erblickt, hat erkannt oder gehört, daß sie ihm ewig unerreichbar bleiben muß, und in schmerzlicher Sehnsucht nach ihr, die wie ein goldener Stern, in reiner Klarheit, wilden Wünschen entrückt, vor ihm dahinwandelt, flieht er die Gefährten seiner jugendfrohen Spiele, ergibt sich einer süßen Trauer. Denn er liebt seinen Schmerz, der ihm allein gehört und in dem er nicht gestört sein will: beschäftigt er ihn doch fortwährend mit dem Gegenstande seiner Sehnsucht. Jene aber staunen ob der Wandlung, die mit ihm vorgegangen ist: ein schmerzlicher Verlust, denken sie, muß ihn getroffen haben, und umso herzlicher rufen sie ihn an ihre Freundesbrust, ihn Ruhe finden zu lassen. Vertraue den Verlust steht in allen zu Goethes Lebzeiten erschienenen Drucken, nach Loepers Angabe (Werke 1, 56 Anm.) auch in einer Handschrift — von der er aber in der Weimarer Ausgabe 1, 390 keine Nachricht gibt —, und muß darum bleiben: ein' uns' ist nicht zu ergänzen, vertraue synonym m i t ' gib ihn f o r t ' teile ihn mit anderen', das einfachste Mittel, den Schmerz loszuwerden. Aber Loepers Widerstand—kann ein Verlust, der zu Thränen rührt, so leicht verschmerzt werden ? und wäre es eine Zartheit der Empfindung von Seiten der Freunde, dies zu verlangen ? — gegen die Lesart posthumer Drucke, Vertraure, ist damit doch nicht gestärkt, es heißt
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ja doch in der folgenden Strophe von denselben Freunden: Ihr lärmt und rauscht und ahnet nicht, / Was mich den Armen quält, und wo steht, daß sie zartfühlend sein sollten ? Bieder und treu sind sie gewiß, aber Verständnis für sein Leiden erwartet der Einsame bei ihnen nicht: sie tun ihm weh, mit der banalen Weisheit vom geteilten Schmerz und dem rauh-lärmenden Herzudrängen ihrer Freundschaft. Doch zieht ein Lächeln über das verhärmte Gesicht des Jünglings: sein Fall ist ja auch so ganz anders als sie sonst zu sein pflegen, als diese einfach-derben Naturen zu erraten vermögen. Und er findet, leise überlegen, den kleinen Scherz, der etwas gibt und doch so wenig, daß, was ihn quält, sein bleibt: Ach nein, was man nie besessen, hat man auch nicht verloren, und kann trotzdem sehnlich danach langen! Er dürfte ja auch gar nicht mehr sagen, selbst wenn er möchte. Die Antwort mußte so kommen, wie sie kommt: Ein junger Kerl wie du, kräftig und mutig, rafft sich auf und erringt was er ersehnt! Denkt so ein Naturmensch daran, daß man sich nach unerreichbaren Fernen sehnen kann ? Nur wer die Sehnsucht kennt! Und wieder ein solches Ach nein, und wieder vorsichtiges Zurückhalten im Tatsächlichen — und dann entzücktes In eine weite Ferne Schauen, des Freundes Beisein fast vergessend: Es weilt so hoch, es blinkt so schön, / Wie drohen jener Stern 1 Nacht kann es noch nicht sein; ich denke, die Dämmerung bricht herein, irgend ein Stern — das aatqov eQ6Qt[to, noämv de ol eoxXaeev cQfii} . . . xai dij Xv%vov amaiov anioßeoe mx^ot aijrijr, xttl tpvxh" *a' cgajza noXvrXijtoto Aedviqov.
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Mit dem letzten Satz jedoch, Treffe dein leuchtender Blitz diesen unglücklichen Mast I Streue die Planken umher, und gib der tobenden Welle Diese Waaren, und mich gib den Delphinen zum Raub!
scheint mir wieder ein kleiner Zug aus Heros Brief (199 ff.), verwendet : Hic ego ventosas nantem delphina per undas Cernere non dubia sum mihi visa fide. Quem, postquam bibulis illisit fluctus arenis, Unda simul miserum vitaque deseruit. —
wozu aus Phädras Brief (113ff.), die Verse treten: In magnis laesi rebus uterque sumus. Ossa mei fratris clava perfracta trinodi Sparsit humi : soror est praeda relicta feris.
Ich habe oben bemerkt, daß Goethe Schillern gegenüber nicht die plötzliche Eifersucht, sondern nur den schnellen Wandel von Freude über Gewinn zu Furcht vor Verlust erklärt habe. Wir kennen solch schnellen Umschwung in der Stimmung vor allem aus gewissen Gedichten Klopstocks und seiner Nachahmer. Sie bemühen sich ja redlich, ihn zu begründen; aber es gelingt nur selten: gewöhnlich tritt ein plötzliches äußeres Ereignis vor den inneren Wechsel, und nun fragt man, wo dies so plötzlich herkommen konnte. Da ruhen die Liebenden einander im Arm unter dem blühenden Jasmin : plötzlich kommt ein Windstoß, schüttelt die Blüten herab, und damit sind denn auch gleich die schwarzen Gedanken von der Vergänglichkeit alles Schönen, insbesondere der körperlichen Reize, aufgestanden. Ich denke hier an die Petrarchische Ode des wilden Cramer, die im Göttinger Musenalmanach für 1773 unter dem Titel Petrarca's Wiedererinnerung in Vaucluse und mit dem Motto Dolce nella memoria — vgl. Leander 55 : est metninisse voluptas — gedruckt stand. Cramer war der fanatischste Hainbündner und Klopstockanbeter, und so ist denn auch diese Ode durch und durch
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Klopstockisch. Sie muß uns hier länger beschäftigen als es dem Werte nach ihr zukommt: dafür zerpflück ich sie nach Bedarf, sie ist ja auch nur ein Strauß aus anderer Leute Blumen: Ueber unserem Haupt wölbte zur Laube sich Von dem schlanksten Jasmin, blüthebeschneyt ein Busch, Und mit Rosen< verwebet, Ihren glühenden Wangen gleich. Plötzlich brauste der Nord I — doch er verstummte bald, Fernte bald sich zurück zu dem empörten Meer, W o der mutige Schiffer Auf der thUrmenden Woge tanzt . . . Zärtlich lächelte da meiner Empfindung Blick, Doch er trübte sich schnell: ist Sie nicht auch, dacht' ich, Eine Blume des Tages, Von dem Reize der Jugend schön i — Wenn Ach I Diese ReiSt
ein Nachtsturm nur braust, welket die Blume hin. — Soll denn ein Orkan unter den Rosen wehn ? Lilien tödten? dich, Freundin, das Schicksal fort?
Sagt's und senkte das Haupt traurig in ihren Arm. Doch ermannt' ich mich gleich . . .
Der Einfluß der Ode an den Herren Ebert ist nicht zu verkennen, und auch Goethe hatte ihn beobachtet: So erbebt' ich, als mich von allen Gedanken der bängste Donnernd das erstemal traf! Wie du einen Wandrer, der, zueilend der Gattin . . . . . . nach ihrer Umarmung schon hinweint. Du den, Donner, ereilst, Tödtend ihn fassest, und seine Gebeine zu fallendem Staube Machst, triumphierend alsdann Wieder die hohe Wolke durchwandelst . . .
Er kombinierte den Anfang seines Schlußbildes aus den einzelnen Zügen dieser beiden Stellen. Und ebenso wird die Phantasmagorie nur seine eigene Ausführung einer Idee Klopstocks sein. Denn was
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in dem Dichter der Ode an Ebert auf einmal die trüben Gedanken erweckt hatte, war auch eine Vision gewesen: Ach, in schweigender Nacht'erblickt ich die offenen Gräber Und der Unsterblichen Schaar I
Dieselbe Vision hat Lucine in Musäus' Schatzgräber (5,95): es fiel ihr ein, daß ihr die vergangene Nacht geträumt habe, sie sähe ein neues Grab. Hier also die offenen Gräber, dort die offene Gartentür! Selbst der Schluß der Ode ist dem der Elegie ähnlich: Finstrer Gedanke, lafi a b ! lafi ab in die Seele zu donnern I . . . die verstummende Seele Faflt dich, Gedanke, nicht mehr I
Hier wie dort ist der Rest Schweigen, die Fahrt wird einfach fortgesetzt. — Das Wort ewig war den Göttingern wohl vertraut, ewig war bei ihnen alles. So durfte es auch in einer Cramerschen Ode nicht fehlen: Laura, kennst du ihn noch, kennst du den Wonnetag, Wo mir leise dein Mund, (Engel umschwebeten Uns in festlicher Stille,) Ewig zärtliche Liebe schwor ? Schöner sah ich ihn nie I Heitrer und heiliger, Im umdufteten Hain, athmet' ich nie die L u f t ; Niemals fächelte sanfter Zephyrs lispelndes Wehen mich!
Vor allem hatte es geheißen: Der Bund ist ewig\, man sehe hin wie dies Losungswort und die anderen eben zitierten bei Goethe, bis in Hermann und Dorothea hinein, abgefärbt haben. Bei Cramer braust ein einzelner Stoß des Nords von der Nordsee her über Flandern und ganz Frankreich bis unter den Busch in Vaucluse und kehrt den langenWeg wieder zurück, hat es also wesentlich schwerer als der bekannte Hauch, der sich im Strauch verliert — in einem Gedicht, wo ebenfalls die Musen herbeizitiert werden —; bei Klopstock züngelt ein einzelner Blitz herab; in der Elegie donnert es
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drei Mal aus heiterem Himmel und das verzückte Auge sieht den Himmel offen, neben dem donnernden Zeus am Thron seine Tochter, die Göttin der Liebe, und die Grazien ihr zur Seite: Er ist götterbekräftigt, der Bundl Auch über dem anderen Paar hatte ein Gott gewacht: Und von Osten auf stieg, stiller, im weiblichen, Im bescheidneren Schmuck, gleich der verschämten Braut, Die, mit sinkenden Blicken, Zu des JUnglinges Armen eilt, Luna, zärtliches Herz, achl was empfandest du Da, von Laura geliebt 1
Diese Cramersche Ode war Erinnerung an das holdeste Erlebnis. Der Dichter ruft es sich in allen Einzelheiten ins Gedächtnis zurück, heitere und trübe Gedanken im Wechsel: Goethes Gedicht entspricht dem anderen also auch im großen Gange. Zuerst Schilderung der äußeren Situation, dann der inneren Stimmung, eng an jene geknüpft. Noch in anderen wichtigen Zügen stimmen beide zu einander. Petrarka und Laura unter dem Baum, in der Laube von Jasmin und Rosen, Alexis und Dora unter Orangen und Feigen, und auch in der stillen Laube sich findend! Goethe kannte Cramers Ode seit langem. Sie war ja nicht nur von der an Ebert, sondern auch vom Zürchersee stark beeinflußt, und Goethes Gedicht Auf dem See, das am Züricher See entstanden war, zeigt deutlich, daß der jugendfrohen kleinen Schar Klopstocks und Cramers Oden gegenwärtig waren: Plötzlich brauste der Nord I — doch er verstummte bald, Femte bald sich zurück zu dem empörten Meer, Wo der muthige Schiffer Auf der thtlrmenden Woge tanzt. Und kein Nebel umzog . . . Auf der Welle blinken Tausend schwebende Sterne, Weiche Nebel trinken Rings die thtlrmende Ferne; Morgenwind umfl&gelt . . .
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Solcher Art waren wohl auch die Erinnerungen aus der Jugendzeit die dem hinausfahrenden Alexis aufsteigen: Leere Zeiten der Jugend I und leere Träume der Zukunft I Ihr verschwindet, es bleibt einzig die Stunde mir nur. Aug', mein Aug', was sinkst du nieder? Goldne Träume, kommt ihr wieder ? Weg, du TraumI so Gold du bist; Hier auch Lieb' und Leben ist.
Aber sie hatten sich nur zu anderen aus demselben Jahre 1775 gesellt: die unmittelbar vorhergehenden Verse Lange schon harrte befrachtet das Schiff auf günstige Lüfte ; Endlich strebte der Wind glücklich vom Ufer in's Meer —
sind ja doch aus einem anderen, von Klopstocks Sprache sehr stark beeinflußten Gedicht, Seefahrt, in Boies Deutschem Museum 1777 zum ersten Mal gedruckt, fast wörtlich übernommen: Tagelang, Nächtelang stand mein Schiff befrachtet; Günstiger Winde harrend . . .
Hier haben wir denn nun endlich auch Goethesche Motive, die für die Elegie wichtig geworden sind. Man hat längst auf Beziehungen zu dem Erlebnis mit der Mailänderin aufmerksam gemacht, dessen Schilderung ich übrigens in Einzelheiten stark zweifelnd gegenüberstehe: Der Reisende, der auf den Treppen des lebenbewegten römischen Hafens von der Italienerin Abschied nahm, tiefbewegt von der Offenbarung zarter Wechselliebe im letzten Moment, der alle Phasen des zarten Verhältnisses vom ersten Augenblick an bis zum letzten sich wieder vorrollte, ging allerdings auf Nimmerwiedersehen, aber der junge Kapitän, der unter der Devise ' Si fractus . . . ' die Taue des warengefüllten Schiffs löst, und mit männlichem Mute das Steuer faßt, er wollte doch zurückkehren in die offenen Arme der Freunde und Lieben. Daraus hatte Goethe die Grundlinien
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seines Gedichts gebildet: Eben dem Mädchen verlobt, zieht ein junger Kaufmann mit gedoppeltem Ziel in die Ferne, in aller Weite jetzt doch nur für sie zu wirken! Auslöschen möchte man das letzte Dutzend Distichen. Während der junge Steuermann, am Lande die Gefährten in überschäumender Jugendlust vielleicht noch überbietend, in Not und Gefahr auf dem vertrauten Elemente an sittlichen Kräften wächst, und, ein Bild beherrschter und beherrschender Männlichkeit, mit fester Hand des Fahrzeugs und der Mannschaft Geschicke durch die Wogen führt, darf den Krämer, den eben ein unerwarteter und unverdienter Gewinst trunken gemacht hat, ein Hirngespinst, der Gedanke an den Verlust und daß der einem anderen zum Gewinn werden könnte, in Angst und Wut stürzen: eine Jammergestalt. Hehn (vgl. Goethe-Jahrbuch 15, 121 ff.) hat seine Hörer auf das für jene Periode in Goethes Entwicklung bezeichnende Nebeneinander zweier Stile in der Seefahrt hingewiesen. Es ist ein Selbstzeugnis ersten Ranges, nicht mitten in den Herbststürmen des Jahres 1775 geschrieben, sondern ein Jahr später, da das Schiff die gefährlichsten Untiefen überwunden hatte und schon in weit ruhigerem Lauf der Höhe des Meeres zustrebte. Von der Elegie dürfte nicht gesagt werden, daß die Hafenszene ebensogut in Liverpool oder Marseille als in Syrakus oder Korinth gedacht werden könne: schon der äußeren bestimmt antiken Züge sind zu viele. Am deutlichsten sprechen hier die Verse Öfter sah ich zum Tempel dich gehn, geschmückt und gesittet, Und das Mütterchen ging feierlich neben dir her.
Sie stammen aus demjenigen Brief, wo auch von der Verzögerung einer Seereise durch widrige Winde berichtet wird, aus Cydippe (67 ff.): Tunc mea difficili deducla est aequore navis, Et fuit ad coeptas hora sinistra vias . . . Bis tarnen adverso redierunt carbasa vento Mentior ah demens! ille secundus erat. Ille secundus erat, qui me referebat euntem;
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Quique parum felix irapediebat iter. Atque utiham constans contra mea vela fuissetl
Die Fahrt geht nach Delos. Arn Morgen nach der Landung werden die heiligen örter besucht: Comuntur nostrae, matre iubente, comae. Ipsa dedit gemmas digitis, et crinibus aurum: Et vestes humeris induit ipsa meis. Protinus egressae Superis, quibus insula sacra est, Flava salutatis tura merumque damus. Dumque parens aras votivo sanguine tingit, Festaque fumosis iogerit ezta focis; Sedula me nutrix alias quoque ducit in aedes, Erramusque vago per loca sacra pede.
Bei dieser Gelegenheit rollt ihr Acontius den Apfel vor die Füße, sie hebt ihn auf, liest die Inschrift und bindet sich damit auf ewig: denn die Göttin wacht über dem Schwur! Es war auf der Treppe zum Tempel Dianas I Doch die Schilderung des Augenblicks, da sich die beiden in die Augen sehen, ist einer der hervorstechendsten Züge des Hero und Leander-Stoüs, obwohl es meist nicht, wie hier, an einsamem Orte, sondern — vgl. die 3. Römische Elegie — in der Menschenmenge, an belebter Stelle, bei einem Feste, in einem Zuge, einer Prozession usw. geschieht, wo sich dann das magische Band knüpft, ohne daß die Umgebung etwas sieht oder ahnt. Bei Goethe heißts einfach: Wir sahen einander In die Augen, und mir ward vor dem Auge so trüb,
wie bei den Klopstockianern, während die geriebeneren Helden bei Ovid mehr in der Art wie Gröningseck in der Kindermörderin ihr Mädchen anzublicken pflegen. Aber ein anderer Zug ist Ovid und den vielen £ea«^erdichtungen nachgeahmt. Paris, als er Helena zum ersten Mal erblickt, ist starr vor Staunen und Entzücken (133 f.): Ut vidi, obstupui; praecordiaque intima sensi Attonitus curis intumuisse novis.
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Kurz vorher hatte er gesagt, Menelaos habe ihm tausend Dinge zeigen wollen: Sed mihi laudatam cupienti ceraere formam, Lumina, nil aliud, quo caperentur, erat.
Dora hat für Alexis das Körbchen voll Früchte gepflückt und es kunstvoll geordnet, um es ihm zu geben. Aber er hat nur für sie selbst Augen: Aber ich hob es nicht auf; ich stand. Wir sahen einander in die Augen . . .
Die hübsche Schilderung, wie Dora die Früchte in dem Körbchen ordnet, ist wohl durch eine Stelle in Musäus Drei Schwestern (1,16) veranlaßt worden: endlich besann sie sich, daß im Schloßgarten eben eine saftige Wassermelone reifte. Augenblicklich . . . brach sie die Melone ab, legte sie auf einen irdenen Teller, viel Weinlaub drunter, und die schönsten wohlriechenden Blumen ringsumher, um sie dem Gaste aufzutragen. Sollen auch für die nun folgende Szene Parallelen gesucht werden ? Es würden sich bieten Hero (190): Paris (165): Sappho (127):
Iniicias humeris brachia lassa meis . . . Dumque tuo possem circumdare brachia collo . . . Saepe tuos nostra cervice oneiare lacertos, Saepe tuae videor supposuisse meos.
Die zärtliche Szene muß abgekürzt werden: Draußen wartet das Schiff, der günstige Wind, der sich aufgemacht hat, muß genutzt werden. Hierzu bieten sich bei Ovid zwei ähnliche Stellen, von denen die erste auch für die Verse Ja, sie bleibt, es bleibt mir das Glück I ich halte dich, Dorajl (.Und die Hoffnung zeigt, Dora, dein Bild mir allein.
das Vorbild einschließt, in Phyllis (91 ff.) und Oenone (45 ff.): IUa meis oculis species abeuntis inhaeret, Cum premeret portus classis itura meos.
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Ausus es amplecti, colloque infusus amantis Oscula per longas iungere pressa moras : Cumque tuis lacrimis lacrimas confundere nostras; Quodque foret velis aura secunda, queri: Et mihi discedens suprema dicere voce : Phylli, face ezpectes Demophoonta tuum. Exspectem, qui me nunquam visurus abisti î Exspectem pelago vêla negata meo ? Et tamen ezspecto. Redeas modo serus amanti . . . Et flesti, et nostros vidisti flentis ocellos : Miscuimus lacrimas moestus uterque suas. Non sic appositis vincitur vitibus ulmus, Ut tua sunt collo bracbia nexa meo. Ah I quoties, cum te vento quererere teneri, Riserunt comités! ille secundus erat Oscula dimissae quoties repetita dedisti 1 Quam vix sustinuit dicere lingua, Valel Aura levis rigido pendentia lintea malo Suscitât; et remis eruta canet aqua. Prosequor infelix oculis abeuntia vela, Qua licet ; et lacrimis humet arena meis.
Die nächsten zehn Distichen der Elegie, bis zu dem harten Umschwung in Alexis' Stimmung reichend, knüpfen an den Auftrag an, den Dora ihm mitgegeben und der so schön das Tête-à-tête eingeleitet hatte. Paris schreibt offen (31 ff.) : Nec me crede fretum merces portante carina Findere. Quas habeo, Di tueantur, opes.
Aber Alexis geht als Kaufmann auf die Fahrt, wird Gelegenheit haben, in den fremden Ländern, die er besucht, weiblichen Schmuck zu sehen, und soll deshalb für Dora das Kettchen mitbringen, das sie sich schon so lange gewünscht. Dieser Auftrag gibt ihm Anlaß zu einem langen Erguß über den reicheren Schmuck, den er der Braut mitzubringen sich vorsetzt. Mit goldenen Ketten, edlen Steinen, Ringen und Spangen will er sein Mädchen schmücken, das nichts als ein bescheidenes Halskettchen hat haben wollen, da kost-
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barer Schmuck ihr nicht anstehen würde. Und zu dem Glanz und Schimmer will er dann auch das Gute fügen, alles was ein häusliches Weib erfreut, wollene Decken, Leinwand, die von ihren geschickten Händen würde bearbeitet werden. — Nach den bisherigen Beispielen stehe ich nicht an, für dies Bild auf eine Stelle in Deianiras Brief an Herkules hinzuzeigen. Der Gewaltige, in schmählicher Liebschaft weibisch geworden, hat sich Halsketten um den Stiernacken geschlungen, mit goldnen Spangen und Edelsteinen die mächtigen Arme, mit einem Gürtel die Hüften umspannt, die borstigen Haare in eine Weiberhaube gedrückt und das Arbeitskörbchen in die Hand genommen (55 ff.): Maeandros.toties qu i terris errat in isdem, Qui lassas in se saepe retorquet aquas, Vidit in Herculeo suspensa monilia collo; Illo, cui coelum sarcina parva fuit. Non puduit fortes auro cohibere lacertos, Et solidis gemmas adposuisse toris . . . Detrahat Antaeus duro redimicula collo; Ne pigeat molli succubuisse viro. Inter Ioniacas calathum tenuisse puellas Diceris, et dominae pertimuisse minas. Non fugis, Alcide, victricem mille laborum Rasiiibus calathis imposuisse manumi Crassaque robusto deducis pollice fila, Aequaque famosac pensa rependis herae?
Aber ebenso nahe lag wieder eine Stelle aus den Drei Schwestern (1,5): ein junger Prinz steigt aus der Karosse, die Braut einzuholen, angethan mit Sammet und Süberstück. Um seinen Hals hatte er eine goldene Kette dreimal geschlungen ... um seinen Hut lief eine Schnur von Perlen und Diamanten, welche die Augen verblendete, und, um die Agraffe, welche die Straußfeder befestigte, wäre ein Herzogtum feil gewesen. In Stumme Liebe (3,84) hat die Braut neun Reihen Zahlperlen um den Hals. Der Goldschmiedsgesell ist erst später entstanden, aber an die Gedichte Mit einem goldenen Halskettchen und An ein goldnes Herz, das
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er am Halse trug darf erinnert werden: beidemal erscheint das Bild, das Alexis in die Worte faßt: zur Kette soll das Kettchen werden. Mit viel hundert kleinen Schlingen legt es sich in dem ersten Gedicht dem Mädchen um den Hals; neunfach geschlungen wird es sich um Doras Nacken winden und sie ewig festhalten, wie der Styx Ceres' Tochter: zu dieser Änderung könnte auch der Mäander in der eben aus Deianiras Brief ausgehobenen Stelle Anlaß gegeben haben. Übrigens wurde Goethe bei der Stelle, wo Cydippe erzählt, wie sie die Standbilder der Götter und den Altar aus Hörnern bewundert habe, wohl auch an eine vor kurzem im Cellini (WA 44, 363) übersetzte erinnert. Bei den Ringen gedenkt Alexis Doras feiner, länglichgeformter Hand, die eben würdig sei, mit dem Kostbarsten geziert zu werden. Das wäre dem Mädchen selbst nie in den Sinn gekommen, sie hätte vielleicht auch abgewehrt: Sie ist so garstig, ist so rauh . . ., und sich geschämt, zu tragen, was nur den reichen Matronen der Stadt gebühre. Oenone war in diesem Punkte anderer Meinung gewesen (84 ff.): Dignaque sum, et cupio fieri matrona potentis. Sunt mihi, quas possint sceptro decere, manus. Nec me, faginea quod tecum fronde iacebam, Despice: purpureo sum magis apta toro . . .
Auch das Lager von Decken mit Purpursäumen soll Dora haben, und als häusliches und geschicktes Weib wird sie alles mit eigner Hand herstellen, gleicher Kunstfertigkeit wie Briseis (70ff.): Est mihi, quae lanas molliat, apta manus. Inter Achaidas longe pulcberrima matres In thalamos coniux ibit, eatque tuos: . . . ein Lager Zu bereiten, das uns traulich und weichlich empfängt, Mich und dich und auch wohl noch ein Drittes dabein.
Die schalkhaftenWorte sind wohl durch solche in Heros Brief (153 ff.) veranlaßt worden:
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Ecce menim nutrix faustos instillât in ignés : Crasque erimus plures, inquit; et ipsa bibit. Effice nos plures, evicta per aequora lapsus, O penitus toto corde recepte mihi. In tua castra redi, socii desertor Amoris. Ponuntur medio cur mea membra toro ?
Die Amme ist abergläubisch wie es alle Ammen sind. Hero hatte kaum die Worte geschrieben : Da veniam, servaque duos. Natat ille : sed isdem Corpus Leandri, spes mea, pendet aquis,
da sprühte das Licht, bei dem sie schreibt : Sternuit et lumen: (posito nam scribimus illo) Sternuit ; et nobis prospéra signa d é d i t . . .
und die Alte bringt schleunigst dem Amor ein Trankopfer, auf daß sich das Zeichen erfülle. Solche kleinen Züge, an der passenden Stelle angebracht, gefielen unserem Dichter, und wenn er diesen hier mit einem anderen in Cydippe (69) : Quo pede processi I quo me pede limine movil Picta citae tetigi quo pede texta ratisl
zu den Worten Alles deutet auf glückliche Fahrt addiert: bei Bedarf, wie in Hermann und Dorothea (8,99 ff.) löst er wieder auf, aus eignem Bestand nötigenfalls nachhelfend. Daß Vater und Mutter um den ausreisenden Sohn sind, wird auf Paris (117ff.) zurückgehen; eine einzelne Wendung bietet Anlaß, daß derVater seinen Alexis segnet; Cassandras fliegendes Haar muß sich Alexis als Locken selbst zuschreiben; Cassandra prophezeit Unglück, die Eltern wünschen Glück. Beide Abschnitte sind ähnlich gebaut: Et pater et genitrix inhibent mea vota rogando, Propositumque pia voce morantur iter. Et soror effusis, ut erat, Cassandra capillis, Cum vellent nostrae iam dare rela rates;
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Quo ruis? ezclamat; rcferes incendia tecum: Quanta per has, nescis, flamma petatur aquas. Schon erbebt sich das Segel, es flattert im Winde: so sprach er; Und gelichtet, mit Kraft, trennt sich der Anker vom Sand. Komm, Alexis, o komm 1 Da drückte der wackere Vater, Würdig, die segnende Hand mir auf das lockige H a u p t ; Sorglich reichte die Mutter ein nachbereitetes Bündel: Glücklich kehre zurück 1 riefen sie, glücklich und reich I Portubus egredior
Und so sprang ich hinweg.
Zum Anfang des Gedichts sind Stellen aus Cydippe, Oenone, Laodamia und Musäus zu vergleichen. Cydippe (77 ff.) drängt vorwärts wie die Besatzung von Alexis' Schiffe: Mota loci fama properabam •isere Delon; Et facere ignava puppe videbar iter. Quam saepe, ut tardis, feci convicia remis; Questaque sum vento lintea parca dari . . .
Flaggen und Wimpel flattern lustig im Winde, Oenone (53): Aura levis rigido prudentia lintea malo Suscitat . . .
Aber traurig blickt das Mädchen dem Schiffe nach, Laodamia{ilIi.) Iamque meus longe Protesilaus erat. Dum potui spectare virum, spectare iuvabat: Sumque tuos oculos usque secuta meis. Ut te non poteram, poteram tua vela videre: Vela diu vultus detinuere meos . . .
Und noch näher stehen unsern Versen die Worte, mit denen in Dämon Amor von Musäus (2,146) der Abschied des Fürsten von der Heimat geschildert wird: Der Hauch des sanftwehenden Zefhyrs ließ den Flüchtlingen die Gebirge ihres verlassenen Vaterlandes nur noch in blauer Ferne sehen; aber die bethränten Blicke des unglücklichen Fürsten hingen noch unbeweglich an dem Gestade.. Er betrauerte nicht
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so sehr den Verlust seiner Herrschaft, als die Trennung von seiner geliebten Gemahlin. .. Daß Rekapitulation des ganzen Liebesverhältnisses mit Ausblicken nach rückwärts und vorwärts ein stehender Zug in der Heroiden ist, wurde oben schon bemerkt. Am deutlichsten tritt die Ähnlichkeit zwischen Alexis (19ff.) und Leander (53ff.) heraus, wo auch die Situation ähnlich ist: Interea, dum cuncta negant ventique fretumque, Mente agito furti tempora prima mei. Nox erat incipiens, (namque est meminisse voluptas) Cum foribus patriis egrediebar amans. Nec mora . . . Auch du blickest vergebens nach mir . . . Nur umsonst verklärst du mit deinem Lichte den Äther; Dein alleuchtender Tag, Phöbus, mir ist er verhaSt. In mich selber kehr' ich zurück; da will ich im Stillen Wiederholen die Zeit, als sie mir täglich erschien . . . Da drückte der wackere Vater, Würdig, die segnende Hand mir auf das lockige Haupt . . .
Hier folgt im Leander Ablage des Kleiderbündels, im Alexis Aufnötigung des nachbereitetenBündels durch die Mutter. In der dritten Rübezahllegende (Musäus 2, 60) gesellt sich Rübezahl als dienstbeflissener Reisender zu dem Arzt, so gefällig, das schwere Kräuterbündel ihm ein gut Stück Weges nachzutragen: ein Motiv, das Goethe in seiner unmutigen Antwort auf die Einwände einiger Damen gegen das Bündel (Briefe 11,120) zu verwenden wußte. Ganz weithergeholt erscheinen in der Umrahmimg der Verse War es möglich, die Schönheit zu sehn und uicht zu empfinden ? Wirkte der himmlische Reiz nicht auf dein stumpfes Gemüt?
und Ach, warum so spät, o Amor, nahmst du die Binde, Die du um's Aug mir geknüpft, nahmst sie zu spät mir hinweg!
die folgenden:
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Klage dich, armer, nicht anl — So legt der Dichter ein Räthsel, Künstlich mit Worten verschränkt, oft der Versammlung in's Ohr. Jeden freuet die seltene, der zierlichen Bilder Verknüpfung, Aber noch fehlet das Wort, das die Bedeutung verwahrt. Ist es endlich entdeckt, dann heitert sich jedes GemUth auf, Und erblickt im Gedicht doppelt erfreulichen Sinn.
Man kann hier mit Sicherheit auf ein fremdes Vorbild schließen. Es findet sich in Musäus' Libussa (4, 9. 75 ff.). Crokus bittet die Elfe: Gewähre mir den Wunsch, im Schatten deines Eichbaums zu rasten, und aus deinem süßen Munde Lehren der Weisheit zu hören, um die Geheimnisse der Zukunft dadurch zu enträthseln. Sie antwortet: Die Binde vor deinen körperlichen Augen soll schwinden, die Geheimnisse verborgener Weisheit zu schauen. Er hat drei Töchter, auf die die Gaben der Eltern übergehen. Die dritte nimmt nachher den Primislaw zum Gatten, nachdem Amor der Schalk (21) sein Werk an ihr verrichtet hatte. Aber zwei Ritter ihres Hofes sind auf ihn eifersüchtig, und so beschließt sie, ihnen zu zeigen, daß (75) Junker Primisias für den Mangel einer glanzreichen Geburt durch ein billiges Aequivalent an barem Menschenverstände und Scharfsinn sey entschädigt worden. Sie hatte ein herrliches Mahl zubereiten lassen, auf dem sich sehr bald Heiterkeit und frohe Laune entfachten. Nachdem schon ein Theil der Nacht unter Scherz und Kurzweil verschwunden war, brachte sie ein Räthselspiel in Vorschlag, und weil das Erraten verborgener Dinge ohnehin ihre Sache war, lösete sie zum Vergnügen aller Anwesenden die Räthsel, die auf die Bahn gebracht wurden. Da nun die Reihe an sie kam, eins aufzugeben, rief sie die drei Helden zu sich und sprach: IhrwackernGesellen, jetzt schickt euch an, ein Rätsel, das ich euch vorlegen will, zu lösen .. . Keiner kriegt es heraus, alle raten herum, schließlich ist Primislaw der Glückliche, er löst es: Der ganze Hof verwunderte sich höchlich über die Weisheit Libussas und ihres Bräutigams. Niemand konnte begreifen, wie der menschliche Witz auf der einen Seite eine gemeineZahl so räthselhaft in Worte verschränken, und auf der anderen mit solcher Zuverlässigkeit solche aus dieser kunstreichen Verborgenheit herauszuklauben vermöge . . .
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Auch dafür, daß ein Dichter der Mittelpunkt einer solchen Szene, und diese in Form eines Vergleichs mitten in dem Gedicht eingelegt wird, habe ich das Vorbild zur Hand. In Tassos Befreitem Jerusalem XVI. klagt Armida den ungetreuen Rinaldo an, aber (Heinse, Wke. 3i 350) wie ein vortrefflicher Sänger, ehe er die Zunge heU und stark zum Gesang auflöst, die Herzen der Zuhörer mit süßen Läufen leis vorher zur Harmonie bereitet; so vergißt auch diese in ihrem bittern Schmerz ihrer Kunst nicht, und macht einen kurzen Wohlklang von Seufzern zuerst, um die Seele des Helden zu bewegen. Darauf fing sie an . . . Rinaldo hatte die umgekehrte Entwicklung durchgemacht: Zuerst mit allen Sinnen für Schönheit und Liebe empfänglich, zieht er sich jetzt selbst die Binde über die Augen: Liebe geht nicht hinein, die alte Flamme in dem Busen wieder zu erneuern, die die Vernunft erkältet (352). Endlich liefert auch ein Blick auf das Ende von Goethes Erster Epistel (WA 1, 301) ein paar Wendungen: So erzählte der Mann, und heiter waren die Stirnen Aller Hörer geworden . . .
Hier war allerdings das Wort, das die Bedeutung verwahrt, schon im Anfang gesagt: Utopien. Die Wendung „Amor knüpft einem die Binde ums Auge" zur Bezeichnung der Unzulänglichkeit eines Herzens für die Liebe ist sehr gewagt, aber hat den Vorzug der Kürze: zwei Bilder sind in eins zusammengezogen. Für den Gedanken, der damit ausgedrückt ist, finden wir bei Musäus die Unterlagen, die uns schließlich auch die Vorbilder für die beiden Charaktere Alexis und Dora erblicken lassen. Bei Ovid werden wir diese nicht suchen. Es ist oben schon gesagt, daß Rübezahl beim Anblick eines holden Mädchens dieselbe innere Wandlung erfährt wie unser Alexis (2,5 ff). In der löblichen Absicht, Menschenkunde zu treiben, hatte er sich zu ihnen begeben und erblickte eines schönen Tages eine reizende Erdentochter, eine Prinzessin, ohne alle Draperie im Bade. Dieser Anblick wirkte so wundersam auf den lauschenden Berggeist, daß er schier seiner geistigen Natur und Eigenschaft vergaß, sich das Los der
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Sterblichkeit wünschte und mit eben der Lüsternheit, wie ehedem seine Konsorten in der ersten Welt, nach den Töchtern der Menschen sah. Aber die Organe der Geister sind so fein, daß sie keinen festen und bleibenden Eindruck annehmen', der Gnome fand, daß es ihm an Körper gebrach, das Bild der badenden Schönen durch die verfinsterte Kammer des Auges aufzufassen und in seiner Imagination zu fixieren. Deshalb verwandelte er sich in einen schwarzen Kolkraben und schwang sich auf einen hohen Eschenbaum, der das Bad überschattete, des anmutvollen Schauspiels zu genießen. Doch dieser Fund war nicht zum besten ausgedacht; er sah alles mit Rabenaugen und empfand als Rabe. Darum gestaltete er sich in einen blühenden Jüngling um. Das war der rechte Weg, ein Mädchenideal in seiner ganzen Vollkommenheit zu umfassen. Es erwachten Gefühle in seiner Brust, davon er seit seiner Existenz noch nichts geahnt hatte . . . Rübezahl sah die Schöne nackend: Es wird nicht gesagt, daß ihre Nacktheit die ungekannten Gefühle in ihm entzündete, aber es ist anzunehmen. Denn als Knecht Rips und Exekutivbeamter (4 f.) wird er ja auch wohl mal ein schönes Mädchen gesehen haben. Was unseren Alexis plötzlich sehend macht, ist gewiß das nahe Selbander, in dem er die anmutigen Bewegungen Doras erblickt — obwohl er sie schon früher (Vers 40ff.) bewundert hat —, aber bedenklich nahe stehen die Worte: Deinen Busen ftthlt' ich an meinem I Den herrlichen Nacken, Ihn umschlang nun mein Arm ; tausendmal kttüt' ich den Hals —
was hier gefühlt wird, war doch vorher gesehen! Aber Alexis ist kein Berggeist, Dora keine Prinzessin, die Lokalität der Legende, obwohl Rübezahls künstlicher Garten starke Ähnlichkeit mit dem hinter Doras Vaterhaus hat, keine Seestadt, und wir wünschten, wenn möglich, bürgerliche Verhältnisse zu sehen, eine langjährige Mitbürgerschaft der beiden Liebenden in einer Seestadt, die niedrigere gesellschaftliche Stellung auf der Seite des Mädchens, den Jüngling als wohlhabenden Kaufmannssohn, der seine Vaterstadt verläßt, um in der Ferne Hab und Gut noch zu mehren, in aller dieser Weite aber doch nur für sein Mädchen zu wirken. Allen
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diesen und noch mehr Wünschen entspricht in vollkommener Weise die Erzählung Stumme Liebe. Franz ist der Sohn eines reichen Bremer Kaufherrn, Meta die Tochter einer Witwe, die ihr Hab und Gut verloren hat und sich mit Spinnen ernährt. Der junge Mann verschwendet das väterliche Vermögen, ein Ereignis, das die wohltätigsten Folgen für seine Charakterbildung nach sich zieht. Er verlegt seine Wohnung in ein enges Gäßchen und wird dadurch Nachbar der ehrbaren Matrone und ihrer wunderschönen Tochter, der schönen Meta (3, 57), deren Vater einst ein eigenes Schiff auf der See gehabt hatte, das er selbst befrachtete und damit jährlich nach Antwerpen fuhr: aber ein schwerer Sturm begrub das Schiff mit Mann und Maus und einer reichen Ladung in den Abgrund des Meeres . . . (58) Diese Tochter Uühete wie eine Frühlingsblume auf, dabei war sie tugendlich und sittsam, und mit so schönen Anlagen des Geistes und Herzens begabt, daß die Mutter Freude und Trost an ihr empfand, und sich den Bissen aus dem Munde absparte, um nichts an einer anständigen Erziehung mangeln zu lassen. Denn sie glaubte, wenn ein Mädchen der Skizze gleichkäme, welche Solomon von dem Ideal einer vollkommenen Gattin entworfen hat", so könne es nicht fehlen, daß eine so köstliche Perle zum Hausschmuck eines rechtlichen Mannes werde aufgesucht werden; denn Schönheit und Tugend mit einander vereinbart, galten . . viel (59). Die schöne Meta blühete zwar nur wie eine köstliche seltene Blume im Gewächshaus . . . sie lebte unter mütterlicher Aufsicht und Gewahrsam höchst eingezogen und still, ließ sich auf keiner Promenade und in keiner Gesellschaft blicken, kam im ganzen Jähre kaum einmal vors Tor ihrer Vaterstadt (60). Diese letzten Worte brachten in Goethe Frankfurter und Wetzlarer Erinnerungen herauf und damit den Anlaß zu den Versen 41 ff. der Elegie. — Eines Tages als Franz zum Fenster hinausschaute ... erblickte er die reizende Meta, welche mit der Mutter aus der Kirche zurückkam, wo sie täglich Messe zu hören nicht verfehlte. In seinem Glücke hatte er für das schöne Geschlecht keine Augen gehabt, die feineren Gefühle schliefen noch in seiner Brust (61). Jetzt wird er auf einmal ein ganz anderer Mensch, er liebt das Mädchen und be-
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dauert zum ersten Mal den Verlust seines Vermögens, das er nur um deswillen zurückwünscht, die liebenswürdige Meta damit auszusteuern(62). 'Ä7io %ov ¿(>qv trexat 10 eqqv setzt Musäus in einer Note hinzu! Auch der unschuldige Kniff, mit dem Dora den vorübereilenden Alexis festhält, hat sein Vorbild: Meta kauft sich Blumen, stellt sie ans Fenster, begießt sie täglich und erhält auf diese Art Gelegenheit, den Geliebten zu sehen. Zugleich aber bot sich ein Wink für die Art, wie Dora es begründen konnte, daß sie Alexis anspricht: Unter der Hand hatte Franz vernommen, daß der schönen Meta schon lange nach einem neuen Leibrock gelüste, welchen zu kaufen die Mutter ihr abschlug, unter dem Vorwand schwerer Zeiten... Unversehens führte der Zufall eine Gelegenheit herbei, Meta ihren Wunsch zu erfüllen. Die Mutter kann den Flachs nicht mehr bezahlen, so teuer ist er geworden. Franz läßt sich das nicht zweimal sagen, er lief alsbald zum Goldschmidt und vermäkelte die Ohrenspangen seiner Mutter, kauft damit Flachs, läßt ihn der Alten billig anbieten, verschafft ihr dadurch Verdienst und der Tochter Erfüllung ihres Herzenswunsches (69). Um nun wieder zu Vermögen zu kommen und sich dem Mädchen erklären zu können, beschließt er, auf einer Reise sein Glück zu versuchen. Bei der letzten Begegnung hatte er sich reisefertig gekleidet und strich ganz nahe an seinem Liebchen vorbei, grüßte sie bedeutsam und mit minderer Vorsicht als sonst.. . (90). Aber auf dieser Reise hat er kein Glück, darum entschließt er sich einmal sogar, einen niederländischen Hafen aufzusuchen, Matros&idienste zu nehmen, nach der neuen Welt zu segeln, und nicht eher nach seinem Vaterlande zurückzukehren, bis er in dem goldreichen Peru die Reichtümer wieder erwerben würde, die er so unachtsam verschleudert... (110). Von den weiteren Schicksalen auf der Reise braucht hier nicht die Rede zu sein. In der Heimat wieder angelangt, trifft Franz auf der Weserbrücke einen Mann, der ihm seinen Traum erzählt und damit die Möglichkeit gibt, den vom Vater im Garten vergrabenen Schatz zu gewinnen. Man vergleiche die Verse Und so sprang ich hinweg, das Blindelchen unter dem Arme,
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An der Mauer hinab, fand an der Thtire dich stehn Deines Gartens . .
die Frage nach Form und Gewicht der gewünschten Goldsachen, den Eintritt in den früchtereichen Obstgarten — mit der Anweisung, wie der Schatz gefunden werden solle: Morgen Abend . . . nimm Schuppe und Spaten auf deine Schulter... nimm deinen Weg... daß du gelangst außer der Stadt an einen Garten, der das Merkzeichen hat, daß eine Stiege... von der Straße zu dessen Eingang führt. Harre hier . . . Tritt getrost ein in den Garten, und wende dich nach dem Traubengeländer, das den Bogengang beschattet... (140). Es gelingt ihm den reichen Schatz zu heben, der genau beschrieben wird, er wird reich und erwirbt damit ein noch größeres Vermögen, läßt aber Meta ruhig warten. Die wird von Eifersucht gequält. Die traurige Karpye Eifersucht umflatterte zur Nachtzeit ihr Kämmerlein, und girrete, wenn der goldene Schlaf ihr kaum die blauen Augen zugedrückt hatte,manchebange Ahndung der Erwachenden insOhr: „Laß die süße Hoffnung schwinden, einen Unbeständigen zu fesseln, der als ein leichter Ball von jedem Wind umgetrieben wird . . . Vielleicht hat ihn des Schmeichlers Stimme von dir abgewendet, der zu ihm mit verführerischen Worten sprach', dir blüht der Garten Gottes in deiner Vaterstadt, Freund, du hast jetzt die Wahl von allen Mädchen . . . ." Diese Eingebungen der Eifersucht beunruhigten und quälten ihr Herz unablässig, sie musterte ihre schönen Zeitgenossinnen in Bremen durch... In einer Note heißt es dazu: Auch die Eifersucht (imGrund ein sehr leidiges Gespenst, aber hier wenigstens nichts als ein Gespenst) flüstert hier in Jamben, wie oben der spükende Barbier (148f.)! — Um das ganze Mosaik hat Goethe einen schmalen mit gierigen Delphinen verzierten Rahmen gelegt: Langhin furcht sich die Geleise des Kiels, worin die Delphine Springend folgen, als flöh' ihnen die Beute davon . . .
und . . . gib der tobenden Welle Diese Waaren, und mich gib den Delphinen zum Raub 1
Für die letztere Stelle ist schon oben der Nachweis gegeben; von
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ihr nahm man das Motiv als flöh' ihnen die Beute davon auch an den Anfang, während die anderen hier begegnenden Züge deutlich Leander (131 ff.) entlehnt sind: Iam nostros curvi norunt delphines amores: Ignotum nec me piscibus esse reor. Iam patet attritus solitarum limes aquarum; Non aliter, multa quam via pressa rota . . .
Ich kann es mir gefallen lassen, wenn auf solcher Rechnung eine Anzahl kleiner Posten gestrichen werden: den Totaleindruck, den man empfangen haben muß, ändert das nicht um ein Haar. Sehen wir von dem meiner Meinung nach verfehlten zweiten Teil und Schluß des Gedichts ab, so bleibt die Kunst, mit der der Dichter aus so vielen, größeren uud kleineren, Bausteinen ein einheitliches Werk zusammengesetzt hat, noch genug zu bewundern. Natürlich war er sich vollkommen bewußt, auf wie gefährlichem Boden er sich hier bewegt hatte. An Schiller schrieb er am 1. Juli anläßlich eines von Humboldt empfangenen Belobigungsschreibens: Sowohl das viele Gute was er sagt als auch die kleinen Erinnerungen nöthigen mich auf dem schmalen Wege auf dem ich wandle desto vorsichtiger zu seyn. Denkt er da nicht auch an Humboldts Bemerkung über die leichte Zierlichkeit, die so lebhaft an die römischen Dichter erinnert, an die weitere, daß eine gewisse Stelle ein wenig zu sehr in dieser ovidischen Gattung ist ? Gewiß wird sich Goethes Wort von dem schmalen Wege nicht ausschließlich auf die starke Verwendung fremder Züge beziehen. Aber Schiller wußte ganz genau Bescheid: Dafür gibt es einen ziemlich deutlichen Anhalt. Im selben Musenalmanach, den Alexis und Dora eröffnete, stehen hintereinander die Epigramme Erwartung und Erfüllung, Das gemeinsame Schicksal, Menschliches Wirken und Der Vater. Das erste davon In den Ozean schifft mit tausend Masten der Jüngling; Still auf gerettetem Boot treibt in den Hafen der Greis.
ist deutliche Nachbildung von Leander 119 ff.:
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Si qua fides vero est, veniens hue este natator ; Cum redeo, videor naufragus esse mihi. Hoc quoque si credas, at te via prona videtur : A te cum redeo, clivus inertis aquae.
Wenn Schiller ein ganzes Menschenleben zwischen Ausfahrt und Heimkehr legt, so geschieht das nach Vorbild des letzten Distichon in Penelopes Briefe, deren Gatte ja auch mit tausend Masten hinausgezogen war und auf den armseligen Trümmern des letzten Schiffes sich rettete (115f.): Certe ego, quae fueram te discedente puella, Protinus ut redeas, facta videbor anus.
Die zartesten Saiten innigen Familienlebens werden in diesemBriefe angeschlagen. Den lärmenden Scharen der Freier gegenüber sind sie nur drei an Zahl, die Bewohner des Hauses: Der gebrechliche Alte, mit dessen baldigem Tode zu rechnen ist, die Mutter die sich nach dem Gatten sehnt, und der Knabe, dessen Leben die argen Freier nachstellen (113f.) : Respice Laerten : ut iam sua lumina condas, Extremum fati sustinet ille diem.
Auch Schiller, fern dem Vaterhause, so daß er nur in Gedanken an all dem Leid teilnehmen, nur im Briefe die Seinen trösten konnte, hatte einen Vater, der seiner Auflösung entgegenging, nachdem jüngst schon eine Schwester gestorben war: Von Ereignissen, die Fäden abschnitten, richtete er umso dankbarer und freudiger den Blick auf eins, das welche knüpfen wollte. Lotte erwartete die Geburt eines Kindes. Penelope hatte geschrieben (101 f.) : Di precor hoc iubeant, ut, euntibus ordine fatis, Ille meos oculos comprimât, ille tuos 1
Das ist doch im wesentlichen auch der Gedanke des zweitenVerses in Schillers viertem Epigramm: Wirke, soviel du willst, du stehest doch ewig allein da: Bis an das All die Natur dich, die gewaltige, knüpft.
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Dens Penelopes innigste Sorge, das Leben ihres Kindes zu bewahren, war im Sinne dieser Anknüpfung an das All mit Schillers Hoffnung, ein lebenskräftiges Kind zu bekommen, gleichbedeutend. Nur daß er damit das Band schon doppelt schlingen würde: das Kind, das am 11. Juni geboren wurde, war das zweite. Auch darum denke ich bei dem Epigramm an einen von außen kommenden Anstoß. Es liegt im Wesen dieser Epigramme begründet, daß sie den ihnen ursprünglich zugrunde liegenden Gedanken erweitern und verallgemeinern: sie sind dem beschränkenden Zusammenhang entrückt. So verhält sich auch das dritte Epigramm zu seiner Vorlage, dem Grundgedanken von Goethes Elegie: An dem Eingang der Bahn liegt die Unendlichkeit offen, Doch mit dem engesten Kreis höret der Weiseste auf.
Auch der Weiseste, nicht nur einfache Naturen wie Alexis, der in aller dieser Weite nur für sein Mädchen wirken will. Aus der Weite fremder Länder und Meere werden seine Gedanken immer zu jenem engen Kreise hinflüchten, in dem er, mit Hab und Gut zurückkehrend, hinfort des Errungenen sich erfreuen will. Und er denkt auch daran, daß der Kreis so klein wie zuerst nicht gar lange bleiben soll: damit schließt sich dem dritten eng das vierte Epigramm an. Äußerlicher das zweite dem ersten. Es ist überschrieben Das gemeinsame Schicksal. In j ener Cramerschen Ode kommt der Vers vor: Deckt auch silberner Reif unsere Scheitel einst —
und was Penelope von sich sagt, trifft natürlich auf den Gatten, der ebensolange von ihr getrennt ist wie sie von ihm, gleichfalls zu. Wenn dann in Leanders unmittelbar auf die zuletzt zitierten folgenden Worten (121 ff.): InTitus repeto patriam: quis credere possit ? InTitus certe nunc moror urbe mea. Hei mihi 1 cur animo iuncti secernimus undis > Unaque mens, tellus non habet una duosi Vel tua me Sestos, vel te mea sumat Abydos . . .
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der vierte Vers einfach umgedreht wurde, dann ergab sich Schillers Epigramm: Siehe, wir hassen, wir streiten, es trennet uns Neigung und Meinung; Aber es bleichet indes dir sich die Locke wie mir.
wobei sogar animus und mens wiedergegeben waren. Aber ebenso sicher läßt es sich aus der anderen Quelle, Musäus, ableiten. Am Ende des Geraubten Schleiers (4, 160) heißt es: Die Tradition sagt nichts davon, ob das Eheglück des zärtlichen Paares unverrückt fortgedauert habe ... oder ob nachdem gewöhnlichen Laufe der Natur, bei dem Kampfe zweier entgegengesetzter Jahreszeiten, lieblicher Sonnenschein mit Sturm und Schneegestöber abwechselten, und vorher: da sie nach fünfundzwanzig Jahren mit ihm die Silberhochzeit feierte, bleichten schon seine braunen Locken... Aber ihr Schicksal war nicht gemeinsam, denn die schöne Kailiste, die im Jungbrunnen immer wieder frisch werden durfte, glich noch immer einer aufblühenden Rose in den Tagen des schönsten Lenzes. JedenfaUs sieht man aus alledem, daß Schiller den Prozeß von Goethes Schaffen an seiner Elegie vollkommen erfaßt hatte. Er ahmte ihn bald nach. Wie Goethe auf den Namen Alexis gekommen war, ist leicht zu sehen: er ist aus Leander über Aleander und Alexander dazu transformiert. Ihnen gegenüber steht die Reihe Hero Laura Bora, noch schneller gebildet, da Dora Stock in jenen Maitagen, wo das Gedicht entstand, in Jena war. Man darf ruhig auf solche Kleinigkeiten aufmerksam machen: hat es doch Goethe selbst getan, als er später einmal an Körner schrieb, durch irgend welchen Zauber heiße seine neue Heldin schon wieder Dorothea. Ebenso wird der Name Hermann nach den beiden anderen männlichen gebildet sein. Dreht man den Namen von Goethes Elegie um, dann erinnert er noch deutlicher an Hero und Leander. Es darf nicht außer Acht bleiben, daß einige der oben nachgewiesenen Quellen schon in den Unterhaltungen deutscher Ausgewanderten benutzt waren. Das nachzuweisen, muß einer anderen Arbeit vor-
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behalten bleiben, ich nenne aber gleich hier die hauptsächlich in Betracht kommenden Stellen: WA 18,160f., 163f., 166f.( 168ff.
VI.
GOETHES ZYKLUS.
E
nde Mai schrieb Goethe an Schiller (WA 11,84) mit einer für die zu benutzenden Quellen bezeichnenden Wendung: Auf Hero und Leander habe ich große Hoffnung, wenn mir nur der Schatz nicht wieder versinckt. Also schon bald hatte sich die Befürchtung eingestellt, daß der Idee, wie sie dem Dichter vor dem geistigen Auge stand, die Ausführung nicht werde beschieden sein! Wie wird diese Idee ausgesehen haben ? Daß ein Zyklus von Liedern geplant war, ist wohl sicher: Welche andere Form konnte in Betracht kommen, wenn die Zuweisung der oben besprochenen Gedichte zu demselben Werke richtig ist? Verwendung in einem Singspiel schloß der tragische Charakter des Stoffes von vornherein aus. — Uber die Stelle, die das erste und dritte Gedicht innerhalb des Ganzen erhalten sollten, kann kein Zweifel bestehen. Kein anderes Gedicht würde dem ersten vorangegangen sein. Denn zur Exposition, die Goethe dem ersten Gedicht einer Trilogie zuwies, genügte es vollkommen: der Jüngling hat das Mädchen wie gesehen so geliebt, hat Gegenliebe in ihrenAugen lesen können, und weiß doch, daß sie ihm nie wird angehören dürfen. Er entsagt in bitterem Schmerze. Das dritte Gedicht zeigt einen totalen Umschwung im Verhältnisse der beiden: Die Liebe ist stärker gewesen als die sie hemmenden Schranken, der Jüngling hat dem Mädchen von seiner Liebe gesprochen und von ihr das gleiche Geständnis hören dürfen. Nun sehnt er sich nach Rückkehr der seligen Stunde. Sollen in dem Gedicht Reminiszenzen enthalten sein, wie er damals durch die schweigende Nacht, der Geliebten entgegengeeilt war ? Ich glaube daran, denn die Bedeutung, daß er dem Mädchen in tausend Gestalten erscheine, wie vor zwanzig Jahren Frau von Stein ihrem Anbeter,
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wird hier kaum zutreffen: so etwas zu sagen, müßte dem Mädchen überlassen bleiben. Wie ist die Lokalität ? Und was für Schranken trennen die Liebenden ? Sind sie im dritten Gedichte wirklich und endgültig überwunden ? Das sind Fragen, auf die man einstweilen nur zaghaft antworten wird. Wenn Goethe mehrfach kurzweg von seinem Projekt Hero und Leander spricht, so ist damit natürlich weder gesagt, daß es, vollendet, auch so geheißen wäre, noch daß die äußeren Züge der Sage beibehalten sein würden. Lediglich das Allgemeinmenschliche darin —'Liebe überwindet alle Schranken, aber verblutet zuletzt an dem Wagnis', wobei dies Verbluten nicht notwendigerweise mit dem körperlichen Untergang gleichbedeutend zu sein brauchte — lediglich diese Quintessenz sollte wohl auch von Goethes Dichtung der Inhalt werden. — Daß das Mädchen Priesterin oder Nonne, schließen die vorliegenden Daten aus; daß sie lediglich durch sozialen Abstand von dem Jüngling geschieden sei, ist oben als unwahrscheinlich hingestellt worden, obwohl ich nicht vergessen habe, daß auch dieser Zug in Hero und Leander-Dichtungen vorkommt: Es bleibt noch die Möglichkeit, die im Effekt von der ersteren nicht sehr verschieden wäre, daß das Mädchen schon einem anderen versprochen ist. Solch Verhältnis spielt ja in den Heroiden wie in den anderen Quellen eine bedeutende Rolle. Im Briefwechsel Heros mit Leander findet sich kein Wort darüber, weshalb die Liebenden nur heimlich einander sehen konnten: so nahe aber wie die Briefe von Acontius undCydippe lag jetzt die Auskunft, daß das Mädchen nicht mehr frei sei. — Bei der räumlichen Entfernung braucht es sich nicht notwendig um das Meer zu handeln, nicht mal um einen Fluß. Denn der Jüngling muß alles vermeiden, was die Geliebte irgendwelchem Verdacht aussetzen könnte, und so braucht das letzte Zusammensein nicht einmal sieben Tage, es kann ebensoviel Stunden erst her sein. Des Nachts ist er vielleicht bei ihr: am Tage blickt er von weitem nach ihren Fenstern hin. Offenbar ist die Entwicklung des Verhältnisses nur erst bruchstückweise dargestellt. Denn das Gedicht Nachtgesang bringt absolut
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nichts Neues: es ist überflüssig und unter dem Gesichtspunkt seiner Zugehörigkeit zum Zyklus sogar schädlich. Weist Goethe Soret gegenüber mit Schärfe darauf hin, daß fühlbare Einschnitte zwischen den einzelnen Gliedern einer Trilogie vorhanden sein müßten, damit die Phantasie ihre Aufgabe, die verbindenden Linien zu ziehen, erfüllen könne; gibt er als die einfachste Art und am schnellsten zum Ziel führende an: ein passendes Gedicht aus dem Vorrat zu holen und Vor- und Nachstufen daranzusetzen, statt es von vornherein mit Bedacht auf eine Trilogie anzulegen und sich damit viel Nachdenken aufzubürden, so fühlt man hier vornehmlich die an seinem ersten Gedichtzyklus gemachten Erfahrungen ihre Stimme erheben. Viel fehlt also in der Mitte: Viel aber auch am Ende der Gruppe. Wie sollte sich der Ausgang gestalten: als Katastrophe oder als Trennung und Abschied ? Denn daß nun mit der Entwicklung des Liebesverhältnisses wie sie das dritte Gedicht voraussetzt, auch die äußeren Schranken, die ihm entgegtengestanden hatten, gefallen seien, wird man nicht für möglich halten. Ich glaube an schließliche Trennung. Nicht im Hinblick auf Goethes „Erlebnis", sondern weil ein stiller Abschied diesem Zyklus, und ein Verlauf des Ganzen ohne mächtige Katastrophen dem Zyklus überhaupt am angemessensten erscheint. Das letztere liegt einfach in seinem Wesen und in seiner Technik begründet. Von einiger Wichtigkeit ist auch die chronologische Frage. Aus den oben angeführten Briefstellen ergibt sich lediglich der Terminus post quem, und wenn in dem Brief vom Juli 1796 Hero und Leander und die bürgerliche Idylle zusammen als Werke genannt werden, die Goethe im Sinne habe, so liegt die Annahme nahe, daß, wie es von dem zuzweit genannten, Hermann und Dorothea, feststeht, so auch von dem ersten noch keine Zeile entstanden war. Denn erst unterm 11. September steht im Tagebuch (2, 47) die Bemerkung: Anfang die Idylle zu versificieren. Der Terminus ante ist zunächst nur durch den ersten Druck in Ehlers' Gesängen gegeben. Wenn aber unsere Gedichte wirklich dem projektierten Zyklus zugehörten — und ich glaube, daß man nicht mehr daran zweifeln wird — dann ist es
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wahrscheinlich, daß sie nicht gar lange nach der ersten eingehenden Beschäftigung des Dichters mit den ovidischen Briefen entstanden sind. Und von einer späteren finde ich nirgends eine wirklich sichere Spur. Den Nachtgesang setzt Friedländer (Sehr. d. Goethe-Gesellschaft 10, 121) in das Jahr 1801 und bemerkt (ebenda 148), daß Reichardts Komposition für die Geschichte des Gedichts nicht unwichtig sei; ich zweifle einstweilen daran. VII. AN MIGNON.
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ir werden uns weiter fragen: Ist mit den dreien die Zahl der Gedichte. die der Gruppe Hero undLeander zugehört haben, erschöpft ? Sollte Goethe wirklich nicht den Versuch gemacht haben, nun auch die andere Seite einmal zu Worte kommen zu lassen ? Der suchende Blick fällt sofort auf das in den Gedichtsausgaben der Sehnsucht unmittelbar folgende Lied: Es sieht aus wie ein Pendant dazu. Über Thal und Flui) getragen Ziehet rein der Sonne Wagen. Ach, sie regt in ihrem Lauf, So wie deine, meine Schmerzen, Tief im Herzen, Immer Morgens wieder auf. Kaum will mir die Nacht noch frommen, Denn die Träume selber kommen Nun in trauriger Gestalt, Und ich fühle dieser Schmerzen, Still im Herzen, Heimlich bildende Gewalt. Schon seit manchen schönen Jahren Seh' ich unten Schiffe fahren; Jedes kommt an seinen Ort; Aber ach, die steten Schmerzen, Fest im Herzen, Schwimmen nicht im Strome fort.
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Schön in Kleidern mufi ich kommen, Aus dem Schrank sind sie genommen, Weil es heute Festtag ist; Niemand ahnet, dafi von Schmerzen Heri. im Herzen Grimmig mir zerrissen ist. Heimlich mufi ich immer weinen, Aber freundlich kann ich scheinen Und sogar gesund und roth; Wären tödtlich diese Schmerzen Meinem Herzen, Ach, schon lange war 1 ich todt.
Und nicht nur im äußerlichen Sinne Pendant: Daß jetzt, da der Jüngling seelisch stark geworden, an dem Mädchen die Reihe ist, den Schmerz, durch äußere Schranken von dem Geliebten geschieden zu sein, in seiner ganzen Qual zu empfinden, wäre ein lebenstiefer Zug. Nun hat auch Schiller eine Sehnsucht gedichtet: sie soll Mitte 1801 entstanden sein, zur selben Zeit, da er an seiner Ballade Hero und Leander arbeitete, und ist voll von Wendungen aus Goethes Lyrik, vorab Mignons sehnsuchtsvollem Kennst du das Land. Da stehen weiter Verse wie diese: Doch mir wehrt des Sturmes Toben, Der ergrimmt dazwischen braust, Seine Wellen sind gehoben, Dafi die Seele mir ergraust,
die deutlich an die Lage des sehnsüchtigen Leander bei Musaios erinnern. In der Ballade aber, wo sich umgekehrt das Mädchen nach dem Jüngling sehnt: Dort auf Sestos' Felsenthurme, Den mit ew'gem Wogensturme Schäumend schlägt der Hellespont, Safi die Jungfrau, einsam grauend, Nach Abydos Küste schauend, W o der Heifigeliebte wohnt. Ach, zu dem entfernten Strande
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Baut sieh keiner Brücke Steg, Und kein Fahrzeug stößt vom Ufer, Doch die Liebe fand den Weg.
begegnen manche Wendungen aus Goethes Gedicht An Mignon, und es ist merkwürdig, daß es gerade solche sind, deren Häufung in diesem kurzen Gedicht auffällt: Zeit- und Ortsangaben. Man vergleiche die Verse: Und so flohen dreyflig Sonnen . . . Hesper und Aurora zogen Wechselnd auf am Himmelsbogen . . . Und es gleichte schon die Waage An dem Himmel Nacht' und Tage, Und die holde Jungfrau stand Harrend auf dem Felsenschlosse, Sah hinab die Sonnenrosse Fliehen an des Himmels Rand . . . In den öden Felsenmauern Müßt' ich freudlos einsam trauern Und verbluhn in ew'gem Harm . . .
usw. Noch stärker fällt ein anderer Umstand auf. Bei Musaios (309 ff.) wird einfach erzählt, daß Leander trotz des ungeheuren Sturmes sich auf den gewohnten Weg gemacht habe, Ni>( f)v, tvte {¿dXiaitt ßa^vtirtiones atjzat, Xeipefflais nvovrpiv äxot>ti$ovtcs arjtai,