GmbH-Gesetz, Band 1: Kommentar mit Anhang Konzernrecht [13 ed.] 9783504388027

GmbH-Recht ohne Scholz? Das ist für jeden erfahrenen GmbH-Berater nicht vorstellbar, denn der Scholz ist eine Institutio

203 117 11MB

German Pages 1935 [1936] Year 2022

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Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Allgemeines Schrifttumsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Einleitung (13. Auflage 2022)
Kommentierung des GmbH-Gesetzes
Erster Abschnitt Errichtung der Gesellschaft
1 Zweck; Gründerzahl (13. Auflage 2022)
2 Form des Gesellschaftsvertrages (13. Auflage 2022)
3 Inhalt des Gesellschaftsvertrages (13. Auflage 2022)
4 Firma (13. Auflage 2022)
4a Sitz der Gesellschaft (13. Auflage 2022)
5 Stammkapital; Geschäftsanteil (13. Auflage 2022)
5a Unternehmergesellschaft (13. Auflage 2022)
6 Geschäftsführer (13. Auflage 2022)
7 Anmeldung der Gesellschaft (13. Auflage 2022)
8 Inhalt der Anmeldung (13. Auflage 2022)
9 Überbewertung der Sacheinlagen (13. Auflage 2022)
9a Ersatzansprüche der Gesellschaft (13. Auflage 2022)
9b Verzicht auf Ersatzansprüche (13. Auflage 2022)
9c Ablehnung der Eintragung (13. Auflage 2022)
10 Inhalt der Eintragung (13. Auflage 2022)
11 Rechtszustand vor der Eintragung (13. Auflage 2022)
12 Bekanntmachungen der Gesellschaft (13. Auflage 2022)
Zweiter Abschnitt Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter
13 Juristische Person; Handelsgesellschaft (13. Auflage 2022)
Anhang § 13 GmbH-Konzernrecht (13. Auflage 2022)
14 Einlagepflicht (13. Auflage 2022)
15 Übertragung von Geschäftsanteilen (13. Auflage 2022)
16 Rechtsstellung bei Wechsel der Gesellschafter oder Veränderung des Umfangs ihrer Beteiligung; Erwerb vom Nichtberechtigten (13. Auflage 2022)
17 a.F. Veräußerung von Teilen des Geschäftsanteils (13. Auflage 2022)
18 Mitberechtigung am Geschäftsanteil (13. Auflage 2022)
19 Leistung der Einlagen (13. Auflage 2022)
20 Verzugszinsen (13. Auflage 2022)
21 Kaduzierung (13. Auflage 2022)
22 Haftung der Rechtsvorgänger (13. Auflage 2022)
23 Versteigerung des Geschäftsanteils (13. Auflage 2022)
24 Aufbringung von Fehlbeträgen (13. Auflage 2022)
25 Zwingendes Recht (13. Auflage 2022)
26 Nachschusspflicht (13. Auflage 2022)
27 Unbeschränkte Nachschusspflicht (13. Auflage 2022)
28 Beschränkte Nachschusspflicht (13. Auflage 2022)
29 Ergebnisverwendung (13. Auflage 2022)
30 Kapitalerhaltung (13. Auflage 2022)
31 Erstattung verbotener Rückzahlungen (13. Auflage 2022)
32 Rückzahlung von Gewinn (13. Auflage 2022)
32a a.F. Eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen (13. Auflage 2022)
32b a.F. Haftung für Befreiung von Gesellschafter-Sicherheit (13. Auflage 2022)
33 Erwerb eigener Geschäftsanteile (13. Auflage 2022)
34 Einziehung von Geschäftsanteilen (13. Auflage 2022)
Anhang § 34 Austritt und Ausschließung eines Gesellschafters (13. Auflage 2022)
Sachregister
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GmbH-Gesetz, Band 1: Kommentar mit Anhang Konzernrecht [13 ed.]
 9783504388027

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Scholz · GmbH-Gesetz · Kommentar

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Scholz Kommentar zum GmbH-Gesetz mit Anhang Konzernrecht Bearbeitet von

Prof. Dr. Georg Bitter Dr. Christian Bochmann Dr. Carsten Cramer Prof. Dr. Volker Emmerich Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt Prof. Dr. André Meyer Prof. Dr. Hans-Joachim Priester Prof. Dr. Thomas Rönnau Dr. Johannes Scheller Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt Dr. Sven H. Schneider Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider Prof. Dr. Christoph H. Seibt Dr. Georg Seyfarth Dr. Joachim Tebben Prof. Dr. Rüdiger Veil Prof. Dr. Dirk A. Verse Prof. Dr. Dres. h.c. Harm Peter Westermann Prof. Dr. Hartmut Wicke I. Band §§ 1 - 34 Anh. § 13 Konzernrecht Anh. § 34 Austritt und Ausschließung eines Gesellschafters 13. neu bearbeitete Auflage

2022

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Bearbeiter Prof. Dr. Georg Bitter

Dr. Sven H. Schneider, LL.M. (Berkeley)

o. Professor, Universität Mannheim

Rechtsanwalt in Frankfurt am Main, Attorney-at-Law (New York)

Dr. Christian Bochmann, LL.M. (Cambridge) Rechtsanwalt in Hamburg

Dr. Carsten Cramer, LL.M. (Columbia) Notar in Hamburg

Prof. Dr. Volker Emmerich o. Professor em., Universität Bayreuth, Richter am OLG Nürnberg a.D.

Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt Rechtsanwalt in Hamburg, Honorarprofessor, Bucerius Law School, Hamburg

Prof. Dr. André Meyer, LL.M. Taxation o. Professor, Universität Bayreuth

Prof. Dr. Hans-Joachim Priester Notar a.D. in Hamburg, Honorarprofessor, Universität Hamburg

Prof. Dr. Thomas Rönnau o. Professor, Bucerius Law School, Hamburg

Dr. Johannes Scheller

Prof. Dr. Dr. h.c. Uwe H. Schneider o. Professor em., Technische Universität Darmstadt, Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens, Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Prof. Dr. Christoph H. Seibt, LL.M. (Yale) Rechtsanwalt in Hamburg, Attorney-at-Law (New York), Honorarprofessor, Bucerius Law School, Hamburg

Dr. Georg Seyfarth, LL.M. (Duke) Rechtsanwalt in Düsseldorf

Dr. Joachim Tebben, LL.M. (Michigan) Notar in Düsseldorf

Prof. Dr. Rüdiger Veil o. Professor, Ludwig-Maximilians-Universität München

Prof. Dr. Dirk A. Verse, M.Jur. (Oxford) o. Professor, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg

Notar in Hamburg

Prof. Dr. Dres. h.c. Harm Peter Westermann

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Karsten Schmidt

o. Professor em., Eberhard Karls Universität Tübingen, Mitglied der Akademie Athen

o. Professor em., Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Professor, Bucerius Law School, Hamburg

Prof. Dr. Hartmut Wicke, LL.M. (Stellenbosch) Notar in München, Honorarprofessor, Ludwig-Maximilians-Universität München

Zitierempfehlung: Bearbeiter in Scholz, GmbHG, 13. Aufl., § … Rz. …

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ­http:// dnb.d-nb.de abrufbar. Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-32568-8 (I. Band) ISBN 978-3-504-32571-8 (I.–III. Band) ©2022 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: C.H.Beck, Nördlingen Printed in Germany

Vorwort Der Scholz geht mit Band I in seine dreizehnte Auflage, die wiederum in drei Bänden erscheinen wird. Band I enthält mit den §§ 1 bis 34 GmbHG das Gründungsrecht, das Recht der Geschäftsanteile und der Gesellschaftsfinanzierung sowie den Anhang zum Konzernrecht. Die Rechtsfragen des Austritts und der Ausschließung von Gesellschaftern sind außerhalb des § 15 GmbHG im Anhang zu § 34 GmbHG behandelt. Im Mittelpunkt der Aktualisierung von Band I steht das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) inkl. Ergänzungsgesetz (DiREG). Mit dem DiRUG wurde – im Band I des Scholz einschlägig – die Möglichkeit geschaffen, die notarielle Beurkundung der GmbH-Gründung online durchzuführen (§ 2 Abs. 3 GmbHG) sowie Handelsregisteranmeldungen digital vorzunehmen (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 GmbHG). Noch vor dessen Inkrafttreten hat das DiREG die Videobeurkundung für die Gründungsvollmacht (§ 2 Abs. 2 Satz 2 GmbHG) und ab dem 1.8.2023 zudem für die Sachgründung eröffnet. Zeitnah zum Inkrafttreten am 1.8.2022 hat Notar Professor Dr. Hartmut Wicke alle Änderungen in die zentrale Vorschrift des § 2 GmbHG kenntnisreich, zügig und ausführlich eingearbeitet. Die Änderungen in den §§ 8 und 6 GmbHG wurden von Professor Dr. Rüdiger Veil und dem Team Professor Dr. Uwe H. Schneider/Rechtsanwalt Dr. Sven H. Schneider vorgenommen. Eine redaktionelle Anpassung zum 1.1.2023 durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts musste in § 6 GmbHG vorgenommen werden und auch die geplanten Änderungen durch das UmRUG (Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie) werfen ihre Schatten bereits voraus – so z.B. in der Kommentierung des § 33 GmbHG mit einer Änderung des Absatzes 3. Das UmRUG sieht darüber hinaus weitreichende Vorschriften zur Beteiligung der GmbH an grenzüberschreitenden Umwandlungen vor – ein Thema, das im Scholz traditionell im Anhang zu § 4a GmbHG „Die GmbH im Internationalen Privatrecht“ behandelt wird. Um die noch nicht verabschiedeten Änderungen, die bis spätestens zum Januar 2023 in Kraft treten werden, vollumfänglich berücksichtigen zu können, haben Verfasser und Verlag beschlossen, den Standort zu verlegen und das Internationale Privatrecht zukünftig in einem Anhang im Band III zu behandeln. An verschiedenen Stellen im Scholz – auch im Band I – sind Querverbindungen zum Personengesellschaftsrecht erforderlich. An diesen Stellen gibt es schon jetzt Ausblicke auf die Reform des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), die am 1.1.2024 in Kraft treten wird. Band I der dreizehnten Auflage enthält über die Aktualisierung hinaus mehrere grundlegende Neubearbeitungen. Notar Dr. Johannes Scheller hat es sich nicht nehmen lassen, seinen Kommentierungen der §§ 3, 4 und 4a GmbHG nochmals einen intensiven Vertiefungsschliff zu geben. Dabei wurden u.a. die Ausführungen zum Unternehmensgegenstand, zu den praxisbedeutsamen Nebenleistungspflichten, zu den häufigen „unechten“ Satzungsbestandteilen sowie zur dogmatisch immer noch nicht befriedigend erschlossenen Figur der wirtschaftlichen Neugründung ausgebaut (§ 3), überdies zur neuerlich wieder in den Fokus geratenen Rechtsscheinhaftung bei fehlerhaftem Rechtsformzusatz, zu besonderen Firmenzusätzen (§ 4) und zur grenzüberschreitenden Verwaltungssitzverlegung (§ 4a). Professor Dr. Dirk A. Verse hat im Zuge des weiter voranschreitenden Generationenwechsels im Autorenkreis den Erwerb eigener Geschäftsanteile (§ 33 GmbHG) grundlegend und umfangreich neukommentiert. Nicht minder praxisrelevant hat Rechtsanwalt Professor Dr. Christoph H. Seibt – ebenfalls in Nachfolge von Professor Harm Peter Westermann – die Einziehung von Geschäftsanteilen (§ 34 GmbHG) umfassend überarbeitet. Für die Einleitung zeichnet jetzt Notar Professor Dr. Hartmut Wicke verantwortlich.

VII

2022-08-10, 12:01, GroKO groß

Vorwort

Alle, auch die hier nicht ausdrücklich herausgestellten, Kommentierungen zeichnen sich durch eine gründliche Aktualisierung unter Einbeziehung und Auswertung aller wichtiger neuer Gerichtsentscheidungen und der Diskussion in der Literatur aus. Wie in den Vorauflagen versteht sich der Scholz als eins auf die Zukunftsaufgaben der Praxis ausgerichtetes wissenschaftliches Werk. Nach wie vor wendet sich der Kommentar in erster Linie an Praktiker, die sich auf wissenschaftlicher Grundlage mit Rechtsfragen rund um die GmbH auseinandersetzen. Neben der systematischen Darstellung gesicherter Positionen und einer differenzierten Folgenanalyse werden zu diesem Zweck – auch in kritischer Prüfung der Vorauflagen – Neuentwicklungen konzipiert und diskutiert. In diesem Sinne trägt der Kommentar zur wissenschaftlichen Fortbildung des Gesellschaftsrechts bei. Anregungen für Lösungen der Gestaltungspraxis kommen hinzu. Diesen selbstgesteckten Zielen bleibt der Kommentar in der dreizehnten Auflage treu. Am 23.10.2021 verstarb unser geschätzter und verehrter Mitautor Professor Dr. Georg Crezelius. Er hat bis zur 11. Auflage das Bilanzrecht betreut und mit steuerrechtlichen Ausführungen in einschlägigen Vorschriften für eine praxistaugliche Verzahnung der Materien gesorgt. Dafür sind wir Georg Crezelius sehr dankbar und werden ihn in ehrendem Gedenken bewahren. Gedankt sei Jonas Cornelsen für die Betreuung des Sachregisters. Der erste Band befindet sich im Wesentlichen auf dem Stand von August 2022. Die Bände zwei und drei werden voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2023 erscheinen. Wir bitten unsere Leser, uns auch zukünftig mit Anregungen und Hinweisen zu unterstützen. Diese können gerne per E-Mail ([email protected]) an den Verlag geschickt werden. August 2022

Verfasser und Verlag

Es bearbeiten in Band I: Georg Bitter

§ 13

Carsten Cramer

§§ 1, 2 (ohne § 2 Abs. 1a und 3)

Volker Emmerich

Anhang § 13 Konzernrecht, §§ 21–28

Johannes Scheller

§§ 3–4a

Karsten Schmidt

§ 11, §§ 32a, 32b a.F.

Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

§6

Christoph H. Seibt

§§ 14–18, § 34, Anhang § 34 Austritt und Ausschließung eines Gesellschafters

Rüdiger Veil

§ 5, §§ 7–10, § 12, § 19, § 20

Dirk A. Verse

§§ 29–33

Harm Peter Westermann

§ 5a

Hartmut Wicke

Einl., § 2 Abs. 1a und 3

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Inhaltsverzeichnis I. Band Seite

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeines Schrifttumsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

VII XI XV

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

I. Die dogmatische und praktische Bedeutung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Quellen des GmbH-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts . . . . . . . . . . . . . . . .

2 28 39

Kommentierung des GmbH-Gesetzes Erster Abschnitt: Errichtung der Gesellschaft §1 §2 §3 §4 § 4a §5 § 5a §6 §7 §8 §9 § 9a § 9b § 9c § 10 § 11 § 12

Zweck; Gründerzahl . . . . . . . . . . . Form des Gesellschaftsvertrages . . . . Inhalt des Gesellschaftsvertrages . . . Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sitz der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . Stammkapital; Geschäftsanteil . . . . . Unternehmergesellschaft . . . . . . . . Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . Anmeldung der Gesellschaft . . . . . . Inhalt der Anmeldung . . . . . . . . . . Überbewertung der Sacheinlagen . . . Ersatzansprüche der Gesellschaft . . . Verzicht auf Ersatzansprüche . . . . . Ablehnung der Eintragung . . . . . . . Inhalt der Eintragung . . . . . . . . . . Rechtszustand vor der Eintragung . . Bekanntmachungen der Gesellschaft

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47 81 203 331 409 443 494 528 570 590 610 621 639 646 664 676 774

§ 13 Juristische Person; Handelsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang § 13: GmbH-Konzernrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 14 Einlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 15 Übertragung von Geschäftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 16 Rechtsstellung bei Wechsel der Gesellschafter oder Veränderung des Umfangs ihrer Beteiligung; Erwerb vom Nichtberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 17 a.F. Veräußerung von Teilen des Geschäftsanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 18 Mitberechtigung am Geschäftsanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 19 Leistung der Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 20 Verzugszinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 21 Kaduzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 22 Haftung der Rechtsvorgänger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

778 874 965 1039

Zweiter Abschnitt: Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter

1209 1274 1276 1294 1359 1370 1395 IX

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Inhaltsverzeichnis Seite

§ 23 Versteigerung des Geschäftsanteils . . . . . . . . . . . . . . . § 24 Aufbringung von Fehlbeträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . § 25 Zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 26 Nachschusspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 27 Unbeschränkte Nachschusspflicht . . . . . . . . . . . . . . . § 28 Beschränkte Nachschusspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . § 29 Ergebnisverwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 30 Kapitalerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 31 Erstattung verbotener Rückzahlungen . . . . . . . . . . . . . § 32 Rückzahlung von Gewinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 32a a.F. Eigenkapitalersetzende Gesellschafterdarlehen . . . . . § 32b a.F. Haftung für Befreiung von Gesellschafter-Sicherheit . § 33 Erwerb eigener Geschäftsanteile . . . . . . . . . . . . . . . . § 34 Einziehung von Geschäftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . Anhang § 34: Austritt und Ausschließung eines Gesellschafters

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1409 1420 1433 1435 1445 1456 1460 1538 1621 1665 1672 1673 1682 1760 1825

Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1871

X

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Allgemeines Schrifttumsverzeichnis Adler/Düring/Schmaltz Altmeppen Bamberger/Roth (Hrsg.)

Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen. Kommentar, 6. Aufl. 1997 ff. GmbHG, 10. Aufl. 2021

Brodmann

Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 4. Aufl. 2019/20 Heidelberger Kommentar zum GmbH-Recht, 8. Aufl. 2019 HGB, 40. Aufl. 2021, siehe auch Hopt GmbHG, 23. Aufl. 2022 Handelsbilanz und Steuerbilanz. §§ 238 bis 339, 342 bis 342e HGB. Herausgegeben von Grottel/ Schmidt/Schubert/Störk, 12. Aufl. 2020; herausgegeben von Grottel/Justenhoven/Schubert/ Störk, 13. Aufl. 2022 Herausgegeben von Prinz/Winkeljohann, 6. Aufl. 2021 Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2022 Handelsrecht, 4. Aufl. 2022 Kommentar zum GmbHG, 4. Aufl. 2019 GmbH-Recht. Höchstrichterliche Rechtsprechung, 2. Aufl. 2020 Der GmbH-Geschäftsführer im Gesellschafts-, Steuer- und Sozialversicherungsrecht, 18. Aufl. 2006 Kommentar zum GmbH-Gesetz, 2. Aufl. 1930

Centrale für GmbH (Hrsg.) Centrale für GmbH (Hrsg.)

GmbH-Handbuch (Loseblatt) Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, 1981

Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn

Handelsgesetzbuch (HGB), Kommentar, 4. Aufl. 2020 Handkommentar zum BGB, 16. Aufl. 2020

Bartl/Bartl/Beine/Koch/Schlarb/Schmitt Baumbach/Hopt Noack/Servatius/Haas Beck’scher Bilanz-Kommentar

Beck’sches Handbuch der GmbH Bitter/Heim Bitter/Linardatos Bork/Schäfer (Hrsg.) Born Brandmüller

Erman Fabricius (Hrsg.) Feine Fitting/Engels/Schmidt/Trebinger/ Linsenmaier Fleischer (Hrsg.) Flume Gehrlein/Born/Simon Gehrlein/Witt/Vollmer Gersch/Herget/Marsch/Stützle Godin/Wilhelmi

Gemeinschaftskommentar zum Mitbestimmungsgesetz (Loseblatt) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in Ehrenberg, Handbuch des gesamten Handelsrechts, Bd. III, 3, Leipzig 1929 Betriebsverfassungsgesetz, 30. Aufl. 2020 Handbuch des Vorstandsrechts, 2006 Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1 2. Teil, Die juristische Person, 1983 GmbHG, 5. Aufl. 2020 GmbH-Recht in der Praxis, 4. Aufl. 2019 GmbH-Reform 1980, 1980 Aktiengesetz, Kommentar, 4. Aufl. 1971 XI

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Allgemeines Schrifttumsverzeichnis

Goette/Goette Gottwald/Haas (Hrsg.) Großkommentar zum AktG Großkommentar zum GmbHG Großkommentar zum HGB Grüneberg Habersack/Casper/Löbbe

Habersack/Henssler Hachenburg Happ Heckschen/Heidinger Henssler/Strohn (Hrsg.) Henssler/Willemsen/Kalb (Hrsg.) Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns Heymann Hoffmann/Liebs Hopt Hucke Hüffer/Koch Kallmeyer Kayser/Thole (Hrsg.) Koch Kölner Kommentar zum AktG

Koller/Kindler/Roth/Drüen Koppensteiner/Rüffler Kübler/Assmann Kübler/Prütting/Bork Liebmann/Saenger Lutter

Die GmbH, 3. Aufl. 2019 Insolvenzrechts-Handbuch, 6. Aufl. 2020 Herausgegeben von Hopt/Wiedemann, 4. Aufl. 1992 ff. Herausgegeben von Hirte/Mülbert/ Roth, 5. Aufl. 2016 ff. siehe Habersack/Casper/Löbbe siehe Staub Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), 81. Aufl. 2022 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), Großkommentar, Bd. I 3. Aufl. 2019; Bd. II 3. Aufl. 2020; Bd. III 3. Aufl. 2021 Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018 Großkommentar zum GmbHG. Begründet von Hachenburg, herausgegeben von Ulmer, 8. Aufl. 1990 ff. Die GmbH im Prozess, 1997 Die GmbH in der Gestaltungs- und Beratungspraxis, 4. Aufl. 2018 Gesellschaftsrecht, Kommentar, 5. Aufl. 2021 Arbeitsrecht Kommentar, 10. Aufl. 2022 Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020 HGB, 2. Aufl. 1995 ff. Der GmbH-Geschäftsführer, 3. Aufl. 2009 HGB, 41. Aufl. 2022 Gesellschafter und Geschäftsführer der GmbH, 1996 AktG, 15. Aufl. 2021, siehe auch Koch UmwG, 7. Aufl. 2020 InsO, 10. Aufl. 2020 AktG, 16. Aufl. 2022 Herausgegeben von Zöllner, 2. Aufl. 1988 ff. Herausgegeben von Zöllner/Noack, 3. Aufl. 2004 ff. Herausgegeben von Noack/Zetzsche, 4. Aufl. 2020 ff. Handelsgesetzbuch (HGB), 9. Aufl. 2019 GmbH-Gesetz (Österreich), 3. Aufl. Wien 2007 Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006 InsO (Loseblatt)

Lutter/Hommelhoff Lutter/Scheffler/U. H. Schneider (Hrsg.)

Kommentar zum GmbHG, 7. Aufl. 1927 UmwG. Herausgegeben von Bayer/J. Vetter, 6. Aufl. 2019 GmbH-Gesetz, Kommentar, 20. Aufl. 2020 Handbuch der Konzernfinanzierung, 1998

Meyer-Landrut/Miller/Niehus Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt (zit. Michalski u.a.)

GmbHG, 1987 GmbHG. Herausgegeben von Heidinger/Leible/ J. Schmidt, 3. Aufl. 2017

XII

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Allgemeines Schrifttumsverzeichnis

Münchener Anwaltshandbuch GmbH-Recht Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts

Münchener Kommentar zum AktG Münchener Kommentar zum BGB

Münchener Kommentar zum GmbHG Münchener Kommentar zum HGB

Herausgegeben von Römermann, 4. Aufl. 2018 Bd. 2 Kommanditgesellschaft, GmbH & Co. KG, Publikums-KG, Stille Gesellschaft. Herausgegeben von Gummert/Weipert, 5. Aufl. 2019; Bd. 3 Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Herausgegeben von Priester/Mayer/Wicke, 5. Aufl. 2018; Bd. 4 Aktiengesellschaft. Herausgegeben von Hoffmann-Becking, 5. Aufl. 2020 Herausgegeben von Goette/Habersack, 3. Aufl. 2008 ff., 4. Aufl. 2014 ff., 5. Aufl. 2019 ff. Herausgegeben von Säcker/Rixecker, 6. Aufl. 2012 ff. Herausgegeben von Säcker/Rixecker/ Oetker/Limperg, 7. Aufl. 2015 ff., 8. Aufl. 2019 ff., 9. Aufl. 2021 ff. Herausgegeben von Fleischer/Goette, 3. Aufl. Bd. II 2019, Bd. III 2018; 4. Aufl. Bd. I 2022 Herausgegeben von Karsten Schmidt, 3. Aufl. 2010 ff., 4. Aufl. 2016 ff. Herausgegeben von Drescher/Fleischer/Karsten Schmidt, 5. Aufl. 2021 ff.

Nerlich/Römermann (Hrsg.) Noack/Servatius/Haas

Insolvenzordnung (Loseblatt) GmbHG, 23. Aufl. 2022

Prütting/Gehrlein (Hrsg.)

ZPO, 13. Aufl. 2021

Raiser/Veil Raiser/Veil/Jacobs

Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015 Kommentar zum Mitbestimmungsgesetz und Drittelbeteiligungsgesetz, 7. Aufl. 2020 Das österreichische GmbH-Recht in systematischer Darstellung, 1983, 2. Aufl., Bd. I, 1997 HGB, 5. Aufl. 2019

Reich-Rohrwig Röhricht/Graf von Westphalen/Haas (Hrsg.) Rowedder/Pentz Rowedder/Schmidt-Leithoff Saenger/Inhester (Hrsg.) Schlegelberger Karsten Schmidt Karsten Schmidt Karsten Schmidt (Hrsg.) Karsten Schmidt/Lutter (Hrsg.) Karsten Schmidt/Uhlenbruck (Hrsg.) Soergel Spindler/Stilz (Hrsg.) Staub

GmbHG. Herausgegeben von Pentz, 7. Aufl. 2022 GmbHG. Herausgegeben von Schmidt-Leithoff, 6. Aufl. 2017 GmbHG, 4. Aufl. 2020 Kommentar zum HGB, 5. Aufl. 1973 ff. Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002 Handelsrecht, 6. Aufl. 2014 InsO, 19. Aufl. 2016 AktG, 4. Aufl. 2020 Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016 BGB, Kommentar, 13. Aufl. 1999 ff. AktG, 5. Aufl. 2022 Großkommentar zum Handelsgesetzbuch. Herausgegeben von Canaris/Schilling/Ulmer, 4. Aufl. 1983 ff. Herausgegeben von Canaris/ Habersack/Schäfer, 5. Aufl. 2008 ff. XIII

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Allgemeines Schrifttumsverzeichnis

Staudinger

Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 2003 ff.

Tillmann/Mohr Tillmann/Schiffers/Wälzholz/Rupp

GmbH-Geschäftsführer, 11. Aufl. 2020 Die GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht, 6. Aufl. 2015

Uhlenbruck

InsO. Herausgegeben von Uhlenbruck/Hirte/ Vallender, 15. Aufl. 2019/20

Vogel

Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1956

Wicke

Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG), 4. Aufl. 2020 Umwandlungsrecht, Kommentar (Loseblatt) Gesellschaftsrecht, Bd. 1: Allgemeine Grundlagen, 1980, Bd. 2: Recht der Personengesellschaften, 2004 Unternehmensnachfolge, 2020 Gesellschaftsrecht, 24. Aufl. 2017 Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017 Kommentar zum GmbHG (Österreich), 1988 Aktienrecht und das Recht der verbundenen Unternehmen, 4. Aufl. 1981

Widmann/Mayer Wiedemann Wiese (Hrsg.) Windbichler Wißmann/Kleinsorge/Schubert Wünsch Würdinger Zöller

XIV

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ZPO, 34. Aufl. 2022

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. abl. ABl. EG/EU Abs. Abschn. Abt. AbzG AC AcP ADHGB a.E. AEUV a.F. AFG AG AGB AGG AktG allg. M. Alt. a.M. AnfG AngKSchG Anh. Anl. Anm. AnwBl. AO AöR AP APAReG APAS ApoG ApSL ArbG ArbGG ArbN ArbNErfG ArbRB ArbZG AreG arg. Art. art. ARUG AT

anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften/Union Absatz Abschnitt Abteilung Abzahlungsgesetz Adler-Clemens, Sammlung handelsrechtlicher Entscheidungen (Österreich) Archiv für die civilistische Praxis Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch von 1861 am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Die Aktiengesellschaft (Zeitschrift); Aktiengesellschaft; Amtsgericht Allgemeine Geschäftsbedingungen Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Aktiengesetz allgemeine Meinung Alternative anderer Meinung Anfechtungsgesetz Angestellten-Kündigungsschutzgesetz Anhang Anlage Anmerkung Anwaltsblatt Abgabenordnung Archiv des öffentlichen Rechts Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) Abschlussprüferaufsichtsreformgesetz Abschlussprüferaufsichtsstelle Gesetz über das Apothekenwesen Lov Nr. 371a 13.6.1973 om anpartsseleskaber Arbeitsgericht Arbeitsgerichtsgesetz Arbeitnehmer Gesetz über Arbeitnehmererfindungen Arbeits-Rechtsberater (Zeitschrift) Arbeitszeitgesetz Abschlussprüfungsreformgesetz argumentum Artikel article Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie Allgemeiner Teil XV

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Abkürzungsverzeichnis

AtomG AÜG AufenthG Aufl. AuR AuslG AVG AWD AWG AWV Az. AZO BABl. BadNotZ BadWürttVGH BÄO BAFA BaFin BAG BAGE BankArch BAnz. BAnzDiG

BauersZ BauR BausparkG BAV BayObLG BayObLGSt. BayObLGZ BayVerfGH BB BBankG BBergG BBG BBodSchG Bd. BDSG BeckOK BEEG Begr. Begr. RegE Beil. BerDGesVölkR XVI

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Atomgesetz Arbeitnehmerüberlassungsgesetz Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet Auflage Arbeit und Recht Ausländergesetz Angestelltenversicherungsgesetz Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Außenwirtschaftsgesetz Außenwirtschaftsverordnung Aktenzeichen Arbeitszeitordnung Bundesarbeitsblatt Badische Notariatszeitschrift Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg Bundesärzteordnung Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bundesarbeitsgericht Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts Bank-Archiv Bundesanzeiger Gesetz zur Änderung von Vorschriften über Verkündung und Bekanntmachungen sowie der Zivilprozessordnung, des Gesetzes betreffend die Einführung der Zivilprozessordnung und der Abgabeordnung Der Handelsgesellschafter, hrsg. von Bauer Baurecht Bausparkassengesetz Die Betriebliche Altersversorgung, Mitteilungsblatt der Arbeitsgemeinschaft für betriebliche Altersversorgung e.V. Bayerisches Oberstes Landesgericht Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Zivilsachen Bayerischer Verfassungsgerichtshof Der Betriebs-Berater Gesetz über die Deutsche Bundesbank Bundesberggesetz Bundesbeamtengesetz Bundes-Bodenschutzgesetz Band Bundesdatenschutzgesetz Beck’scher Online-Kommentar Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz Begründung Begründung zum Regierungsentwurf Beilage Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht

Abkürzungsverzeichnis

BetrAV BetrAVG BetrVG BeurkG BewG BfA BFH BFHE BFH/NV BFuP BGB BGBl. BGH BGHSt. BGHZ BGleiNRG BilKoG Bil-Komm. BilMoG BilReG BilRUG BImSchG BiRiLiG BKK BKR BlfG BlStSozArbR BMF BMJV BNotO BörsZulVO BR BRAK-Mitt. BRAO BR-Drucks. BRRG BSG BSGE BStBl. BT-Drucks. BürgA BUrlG BUV BuW BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE BW

Betriebliche Altersversorgung Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Beurkundungsgesetz Bewertungsgesetz Bundesversicherungsanstalt für Angestellte Bundesfinanzhof Sammlung der Entscheidungen und Gutachten des Bundesfinanzhofs Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH Betriebswirtschaftliche Forschung und Praxis Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Bilanzkontrollgesetz Bilanz-Kommentar Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz Bilanzrechtsreformgesetz Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz Bundesimmissionsschutzgesetz Bilanzrichtliniengesetz Die Betriebskrankenkasse Zeitschrift für Bank- und Kapitalmarktrecht Blätter für Genossenschaftswesen Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht Bundesministerium der Finanzen Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz Bundesnotarordnung Börsenzulassungs-Verordnung Bundesrat Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer Bundesrechtsanwaltsordnung Bundesrats-Drucksache Beamtenrechtsrahmengesetz Bundessozialgericht Entscheidungen des Bundessozialgerichts Bundessteuerblatt Bundestags-Drucksache Archiv für Bürgerliches Recht Bundesurlaubsgesetz Betriebs- und Unternehmensverfassung Betrieb und Wirtschaft Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Burgerlijk wetboek XVII

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Abkürzungsverzeichnis

BWNotZ BZRG

Zeitschrift für das Notariat in Baden-Württemberg Bundeszentralregistergesetz

Cc CCZ CFL c.i.c. Cod. civ. Cod. com. COMI Cornell L.Rev. COVInsAG

Code civil Corporate Compliance Zeitschrift Corporate Finance law (Zeitschrift) culpa in contrahendo Codice civile Code de Commerce center of main interest Cornell Law Review Gesetz zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und zur Begrenzung der Organhaftung bei einer durch die COVID-19-Pandemie bedingten Insolvenz Computer und Recht Corporate Social Responsibility CSR-Richtlinienumsetzungsgesetz

CR CSR CSR-RUG DAV DB DBW DCGK Décr. DepotG DGVZ DGWR DIHT DiREG DiRUG Diss. DJ DJT DJZ DNotI DNotI-Report DNotV DNotZ D&O DR DrittelbG DRiZ DRpfl. DRZ DStR DStZ DurchfVO DVBl. DZWIR/DZWiR

XVIII

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Deutscher Anwaltverein Der Betrieb Die Betriebswirtschaft Deutscher Corporate Governance Codex Décret Depot-Gesetz Deutsche Gerichtsvollzieher-Zeitung Deutsches Gemein- und Wirtschaftsrecht Deutscher Industrie- und Handelstag Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie Dissertation Deutsche Justiz Deutscher Juristentag Deutsche Juristenzeitung Deutsches Notarinstitut Informationsdienst des Deutschen Notarinstituts Zeitschrift des Deutschen Notarvereins Deutsche Notarzeitschrift Directors and Officers Deutsches Recht (1939–1945) Drittelbeteiligungsgesetz Deutsche Richterzeitung Der deutsche Rechtspfleger Deutsche Rechtszeitschrift (1946–1950) Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuer-Zeitung Durchführungsverordnung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht; ab 1999: Deutsche Zeitschrift für Wirtschafts- und Insolvenzrecht

Abkürzungsverzeichnis

E EBLR EBOR ecolex EFG EFTA EFZG EG EGAktG EGBGB EGGmbHG EGHGB EGInsO E-GmbHG EGR EG-VO EHUG eIDAS-VO

eIDKG EinfG Einl. EinzelhG EKV EO EPG ErbbauRG ErbR ErbStG ErbStR ErbStRG ErfK Erg. Erg.-Band Erl. EStB EStG EStR ESUG EU EU-APrRiLi

Entwurf European Business Law Review (Zeitschrift) European Business Organization Law Review Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entscheidungen der Finanzgerichte European Free Trade Association Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft; Einführungsgesetz; Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Aktiengesetz Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch Einführungsgesetz zum Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung Einführungsgesetz zum Handelsgesetzbuch Einführungsgesetz zur Insolvenzordnung Entwurf zum GmbHG Entscheidungssammlung Gewerblicher Rechtsschutz Verordnung der Europäischen Gemeinschaft Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister Verordnung (EU) Nr. 910/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 2014 über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste für elektronische Transaktionen im Binnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 1999/93/EG Gesetz über eine Karte für Unionsbürger und Angehörige des Europäischen Wirtschaftsraums mit Funktion zum elektronischen Identitätsnachweis Einführungsgesetz Einleitung Einzelhandelsgesetz Europäische Kooperationsvereinigung Exekutionsordnung (Österreich) Europäische Privatgesellschaft Gesetz über das Erbbaurecht Zeitschrift für die gesamte erbrechtliche Praxis Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz Erbschaftsteuer-Richtlinien Gesetz zur Reform des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht Ergebnis/Ergänzung Ergänzungsband Erläuterung(en) Ertrag-Steuerberater Einkommensteuergesetz Einkommensteuer-Richtlinien Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen Europäische Union Richtlinie 2014/56/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 zur Änderung der Richtlinie 2006/43/EG über Abschlussprüfungen von Jahresabschlüssen und konsolidierten Abschlüssen

XIX

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Abkürzungsverzeichnis

EU-APrVO

EuGH EuGHE EuGRZ EuGVVO EuInsVO EuR EuroEG EuZW e.V. EvBl. EWG EWGV EWiR EWIV EWIVG EWR EWRA EWS f., ff. FamFG FamRZ FAZ FG FGG FGO FGPrax FiMaNoG (2.) FKVO FMStBG

Fn. FR FRUG FS FüPoG I

XX

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Verordnung (EU) Nr. 537/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über spezifische Anforderungen an die Abschlussprüfung bei Unternehmen von öffentlichem Interesse und zur Aufhebung des Beschlusses 2005/909/EG der Kommission Europäischer Gerichtshof Sammlung der Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäische Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Europäische Insolvenzverordnung Europarecht Euro-Einführungsgesetz Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht eingetragener Verein Evidenzblatt der Rechtsmittelentscheidungen (Beilage zur ÖJZ) Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Gesetz über die Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung Europäischer Wirtschaftsraum Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Frankfurter Allgemeine Zeitung Finanzgericht; Freiwillige Gerichtsbarkeit; Festgabe Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Finanzgerichtsordnung Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit Zweites Gesetz zur Novellierung von Finanzmarktvorschriften auf Grund europäischer Rechtsakte (Zweites Finanzmarktnovellierungsgesetz) vom 23.6.2017 Fusionskontrollverordnung Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ (Finanzmarktstabilisierungsbeschleunigungsgesetz) vom 17.10.2008 Fußnote Finanz-Rundschau Finanzmarktrichtlinie-Umsetzungsgesetz Festschrift Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Erstes Führungspositionen-Gesetz)

Abkürzungsverzeichnis

FüPoG II

Gesetz zur Ergänzung und Änderung der Regelungen für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (Zweites Führungspositionen-Gesetz)

G GA GBl. GBO GbR, GdbR GBVfg.

Gesetz Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Gesetzblatt Grundbuchordnung Gesellschaft des bürgerlichen Rechts Allgemeine Verfügung über die Einrichtung und Führung des Grundbuchs Gebrauchsmustergesetz Genossenschaftsgesetz Geschäftsordnung Gesetz zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen Geschmacksmustergesetz Gesellschafterlistenverordnung Gesamtvollstreckungsordnung Gesellschaftsrecht Verordnung zur Verlängerung von Maßnahmen im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht zur Bekämpfung der Auswirkungen der COVID-19-Pandemie Richtlinie (EU) 2017/1132 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über bestimmte Aspekte des Gesellschaftsrechts Der Gesellschafter, Zeitschrift für Gesellschaftsrecht (Österreich) Gewerbearchiv Gewerbeordnung Gewerbesteuergesetz Gewerbesteuer-Richtlinien Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Gerichtskostengesetz gleicher Meinung Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst Gesellschaft mit beschränkter Haftung Gesetz zur Änderung des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung und anderer handelsrechtlicher Vorschriften vom 4. Juli 1980 Gesetz betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung GmbH-Rundschau Die GmbH in der Rechtsprechung der deutschen Gerichte GmbH-Steuerberater Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes Gesetz über Kosten der freiwilligen Gerichtsbarkeit für Gerichte und Notare Grundsätze ordnungsgemäßer Buchführung Goltdammer’s Archiv für Strafrecht

GebrMG GenG GeschäftsO GeschGehG GeschmMG GesLV GesO GesR GesRGenRCOVMVV GesRRL GesRZ GewA GewO GewStG GewStR GG ggf. GK GKG gl. M. GlTeilhG GmbH GmbHÄndG, ÄndG GmbHG GmbHR GmbHRspr. GmbH-StB GmS-OGB GNotKG GoB GoltdArch

XXI

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Abkürzungsverzeichnis

GPR grdl./grdlg. grds. GrErwStG, GrEStG Großkomm. Gruch. GrundbuchR GrünhutsZ GRUR GS GStB GüKG GuV GVBl. GVG GVGA GWB GwG GWR h.A. HandelsR HandReg. HandwO HansGRZ HansOLG Hdb. HdU HGB h.L. h.M. Holdh., HoldheimsMS

Zeitschrift für das Privatrecht der Europäischen Union grundlegend grundsätzlich Grunderwerbsteuergesetz Großkommentar Beiträge zur Erläuterung des Deutschen Rechts, begründet von Gruchot Grundbuchrecht Zeitschrift für das Privat- und öffentliche Recht der Gegenwart, begründet von Grünhut Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Der Gerichtssaal (Zeitschrift) Gestaltende Steuerberatung Güterkraftverkehrsgesetz Gewinn- und Verlustrechnung Gesetz- und Verordnungsblatt Gerichtsverfassungsgesetz Geschäftsanweisung für Gerichtsvollzieher Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen Geldwäschegesetz Gesellschafts- und Wirtschaftsrecht

HRefG HReg HRegGebNeuOG HRegV HRegVfg. HRR Hrsg. HRV HWB

herrschende Ansicht Handelsrecht Handelsregister Handwerksordnung Hanseatische Gerichtszeitung Hanseatisches Oberlandesgericht Handbuch Handbuch der Unternehmensbesteuerungen Handelsgesetzbuch herrschende Lehre herrschende Meinung Monatszeitschrift für Handelsrecht und Bergwesen, begr. von Holdheim Handelsrechtsreformgesetz Handelsregister Handelsregistergebühren-Neuordnungsgesetz Verordnung über das Handelsregister Handelsregisterverfügung Höchstrichterliche Rechtsprechung Herausgeber Handelsregisterverordnung Handwörterbuch

IAS i.d.F. i.d.R. IdW i.E. i.e.S. IFRS

International Accounting Standard in der Fassung in der Regel Institut der Wirtschaftsprüfer im Ergebnis im engeren Sinne International Financial Reporting Standards

XXII

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Abkürzungsverzeichnis

IHK InsO IntGesR InvG InVo IPG IPR IPRax IPRspr. i.V.m. IWRZ JA JB JbFfSt. Jb.Int.R. JBl. J. B. L. JFG

Industrie- und Handelskammer Insolvenzordnung Internationales Gesellschaftsrecht Investmentgesetz Insolvenz und Vollstreckung Gutachten zum internationalen und ausländischen Privatrecht Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat- und Verfahrensrechts Die deutsche Rechtsprechung auf dem Gebiete des internationalen Privatrechts in Verbindung mit Zeitschrift für Internationales Wirtschaftsrecht

JherJB JKomG jM JMBlNRW JöR JR JStG Jura JurA JurBl. JurBüro jurisPR-InsR JurP JuS JVEG JW JZ

Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Jahrbuch für internationales Recht Justizblatt; Juristische Blätter (Österreich) Journal of Business Law Jahrbuch für Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts Jherings Jahrbücher der Dogmatik des Bürgerlichen Rechts Justizkommunikationsgesetz juris – Die Monatszeitschrift Justizministerialblatt Nordrhein-Westfalen Jahrbuch des öffentlichen Rechts Juristische Rundschau Jahressteuergesetz Juristische Ausbildung Juristische Analysen Juristische Blätter Das Juristische Büro Juris PraxisReport Insolvenzrecht Juristische Person Juristische Schulung Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

KAGB Kap. KapAEG KapCoRiLiG KapErhG KapGes. KapGesR KartG(er) KartRdsch. KfW KG KGaA KGBl.

Kapitalanlagegesetzbuch Kapitel Kapitalaufnahmeerleichterungsgesetz Kapitalgesellschaften- und Co-Richtlinie-Gesetz Kapitalerhöhungsgesetz Kapitalgesellschaft Kapitalgesellschaftsrecht Kartellgericht Kartell-Rundschau Kreditanstalt für Wiederaufbau Kammergericht; Kommanditgesellschaft Kommanditgesellschaft auf Aktien Blätter für Rechtspflege im Bezirk des Kammergerichts XXIII

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Abkürzungsverzeichnis

KGJ KlimaRZ KO KölnKomm. KonsG KonTraG KoordG KostO KostRMoG KSchG KStDV KStG KStR KSzW KTS KVStDV KVStG KWG LAG LBO L.Coord. Lfg. LFGB LG lit. Lit. LK LLC LM/LMK LöschG LSC LSC lux. LSG l.Sp. Ltd. LuftverkehrsG, LuftVG LZ MarkenG m.a.W. MDR MgVG MitbestErgG MitbestG MittBayNot

XXIV

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Jahrbuch für Entscheidungen des Kammergerichts in Sachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für materielles und prozessuales Klimarecht Konkursordnung Kölner Kommentar Konsulargesetz Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich Koordinierungsgesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien Kostenordnung Kostenrechtsmodernisierungsgesetz Kündigungsschutzgesetz Körperschaftsteuer-Durchführungsverordnung Körperschaftsteuergesetz Körperschaftsteuer-Richtlinien Kölner Schrift zum Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Konkurs-, Treuhand- und Schiedsgerichtswesen Kapitalverkehrsteuer-Durchführungsverordnung Kapitalverkehrsteuergesetz Kreditwesengesetz Landesarbeitsgericht Leveraged Buy-Out Lois coordonnées par arrêté royal d. 30.12.1935 (Belgien) Lieferung Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuch Landgericht Buchstabe(n) Literatur Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch Limited Liability Company Lindenmaier-Möhring (Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs) Löschungsgesetz Loi no. 66–537 d. 24.7.1966 sur les sociétés commerciales (Frankreich) Loi d. 10.8.1915 concernant les sociétés commerciales (Luxemburg) Landessozialgericht linke Spalte Limited Luftverkehrsgesetz Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht Gesetz über den Schutz von Marken und sonstigen Kennzeichen mit anderen Worten Monatsschrift für Deutsches Recht Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei einer grenzüberschreitenden Verschmelzung Mitbestimmungsergänzungsgesetz Gesetz über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer (Mitbestimmungsgesetz) Mitteilungen des Bayerischen Notarvereins, der Notarkasse und der Landesnotarkammer Bayern

Abkürzungsverzeichnis

MittRhNotK MMR m.N. MoMiG MontanMitbestErgG MontanMitbestG MoPeG MünchHdb. MünchKomm. MuW m.w.N.

Mitteilungen der Rheinischen Notarkammer Multimedia und Recht mit Nachweisen Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen Montanmitbestimmungsergänzungsgesetz Montanmitbestimmungsgesetz Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts Münchener Handbuch Münchener Kommentar Markenschutz und Wettbewerb mit weiteren Nachweisen

Nachw. NB N. B. W. NdsRpfl. n.F. NJOZ NJW NJWE-WettbR NJW-RR NotAktVV NotBZ NotVORPräs. Nr. NStZ NWB NZ NZA NZA-RR NZG NZI NZKart NZM NZS NZWist

Nachweis(e) Neue Betriebswirtschaft Nieuw Burgerlijk Wetboek Niedersächsische Rechtspflege Neue Fassung Neue Juristische Online-Zeitschrift Neue juristische Wochenschrift NJW-Entscheidungsdienst Wettbewerbsrecht Rechtsprechungsreport der Neuen Juristischen Wochenschrift Verordnung über die Führung notarieller Akten und Verzeichnisse Zeitschrift für die notarielle Beratungs- und Beurkundungspraxis Notverordnung des Reichspräsidenten Nummer Neue Zeitschrift für Strafrecht Neue Wirtschafts-Briefe für Steuer- und Wirtschaftsrecht Notariatszeitung (Österreich) Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Rechtsprechungsreport Arbeitsrecht Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht Neue Zeitschrift für Insolvenz und Sanierung Neue Zeitschrift für Kartellrecht Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht Neue Zeitschrift für Sozialrecht Neue Zeitschrift für Wirtschafts-, Steuer- und Unternehmensstrafrecht

öABGB öAktG öBankArch ÖBl.

österreichisches Allgemeines Bürgerliches Gesetzbuch österreichisches Aktiengesetz österreichisches bank-Archiv Österreichische Blätter für gewerblichen Rechtsschutz und Urheberrecht Gesetz über die Gesellschaften mit beschränkter Haftung v. 6.3.1906 (Österreich) Österreichische Juristen-Zeitung Österreichischer Oberster Gerichtshof Österreichische Steuerzeitung österreichischer Verwaltungsgerichtshof Österreichische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Oberfinanzdirektion

öGmbHG ÖJZ ÖstOHG ÖstZ öVwGH ÖZW OFD

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Abkürzungsverzeichnis

OGH

OR OstEuR OVG OWiG

(Österreichischer) Oberster Gerichtshof; auch Oberster Gerichtshof für die britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die britische Zone in Zivilsachen Offene Handelsgesellschaft Oberlandesgericht Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auf dem Gebiet des Zivilrechts OLG-Rechtsprechung Neue Länder Entscheidungen des Oberlandesgerichts in Zivilsachen einschließlich der freiwilligen Gerichtsbarkeit Schweizerisches Obligationenrecht Osteuropa-Recht (Zeitschrift) Oberverwaltungsgericht Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PartGG PatAnwO PatG PAuswG PharmaZ PrOVG PSV PublG PVV

Gesetz über Partnerschaftsgesellschaften Angehöriger Freier Berufe Patentanwaltsordnung Patentgesetz Personalausweisgesetz Pharma-Zeitschrift Preußisches Oberverwaltungsgericht Pensionssicherungsverein Publizitätsgesetz Positive Vertragsverletzung

RabelsZ

Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht, begr. v. Rabel Reichsarbeitsgericht; Entscheidungen des Reichsarbeitsgerichts Rechtsberatungsgesetz Recht der Arbeit Recht Digital RdW Das Recht, Rundschau für den deutschen Juristenbund Referentenentwurf Regierungsentwurf revidiert Revue Internationale de Droit Comparé Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs Reichsgericht Reichsgesetzblatt Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Recht der internationalen Wirtschaft Reichsjustizministerium Entscheidungen in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit und des Grundbuchrechts rechtskräftig Richtlinie Rheinische Notar-Zeitschrift

OGHZ OHG OLG OLGE/OLGR OLG-NL OLGZ

RAG RBerG RdA RDi Recht der Wirtschaft Recht RefE RegE rev. Rev. Int. Dr. Comp. RFH RFHE RG RGBl. RGSt. RGZ RIW RJ RJA rkr. RL RNotZ

XXVI

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Abkürzungsverzeichnis

ROM I-VO ROM II-VO Rpfleger RPflG r+s r.Sp. Rspr. RStBl. RWP RZ S. s. SächsA SAE SAG SanInsFoG SARL ScheckG, SchG sched. SchiedsVZ SchlHA SchwerbehG Schw. Jb. Int. R. SchwZStrafR SE SeuffArch., SeuffA SGb. SGB SGG SJZ SK Slg. Sp. SPE SpruchG SRL s. stat. StAnpG StaRUG StBerG StbJb. StBp. StEntlG StG StGB

Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht Der Deutsche Rechtspfleger (Zeitschrift) Rechtspflegergesetz recht und schaden rechte Spalte Rechtsprechung Reichssteuerblatt Kartei der Rechts- und Wirtschaftspraxis (österreichische) Richterzeitung Seite siehe Sächsisches Archiv für Bürgerliches Recht und Prozeß Sammlung arbeitsrechtlicher Entscheidungen Die Schweizerische Aktiengesellschaft Sanierungsrechtsfortentwicklungsgesetz Société à responsabilité limitée Scheckgesetz schedule Zeitschrift für Schiedsverfahren Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schwerbehindertengesetz Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Societas Europaea; Europäische Gesellschaft Seufferts Archiv für Entscheidungen der obersten Gerichte in den deutschen Staaten Die Sozialgerichtsbarkeit Sozialgesetzbuch Sozialgerichtsgesetz Süddeutsche Juristenzeitung; Schweizerische Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum Strafgesetzbuch Sammlung Spalte Societas Privata Europaea (Europäische Privatgesellschaft) Gesetz über das gesellschaftsrechtliche Spruchverfahren Sociedad de Responsabilidad Limitada salve statuto = vorbehaltlich anderer Regelung im Gesellschaftsvertrag Steueranpassungsgesetz Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz Steuerberatungsgesetz Steuerberater-Jahrbuch Die steuerliche Betriebsprüfung Steuerentlastungsgesetz Stille Gesellschaft Strafgesetzbuch XXVII

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Abkürzungsverzeichnis

StPO str. StrEG StRK st. Rspr. StrVert StudZR StuW StVG SUP SZ

Strafprozessordnung strittig Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen Steuerrechtsprechung in Karteiform Ständige Rechtsprechung Strafverteidiger Studentische Zeitschrift für Rechtswissenschaft Heidelberg Steuer und Wirtschaft Straßenverkehrsgesetz Societas Unius Personae Entscheidungen des OHG in Zivilsachen

TEHG TransPuG TreuhG, TreuhandG TVG tw. TzBfG

Treibhausgas-Emissionshandelsgesetz Transparenz- und Publizitätsgesetz Treuhandgesetz Tarifvertragsgesetz teilweise Teilzeit- und Befristungsgesetz

UAbs. Ubg U.C.C. U.Chi.L.Rev. UG UGB UMAG

Unterabsatz Die Unternehmensbesteuerung Uniform Commercial Code University of Chicago Law Review Unternehmergesellschaft Unternehmensgesetzbuch (Österreich) Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts Umwandlungsgesetz Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie Umwandlungssteuergesetz Umsatzsteuer-Rundschau Urheberrechts-Diensteanbieter-Gesetz Urheberrechtsgesetz Umsatzsteuergesetz Unternehmensteuerreformgesetz University of Toronto Law Journal unter Umständen Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb

UmwG UmwGÄndG UmRUG UmwStG UR UrhDaG UrhG UStG UStRG U Tor L.J. u.U. UWG VAG Var. VerBAV VereinsG Verf. VermBG VerschmG VerschmRiLiG VersR VerwGG VerwR XXVIII

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Versicherungsaufsichtsgesetz Variante Veröffentlichungen des Bundesaufsichtsamtes für das Versicherungswesen Vereinsgesetz Verfasser Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung der Arbeitnehmer Verschmelzungsgesetz Verschmelzungsrichtlinie-Gesetz Versicherungsrecht Verwaltungsgerichtsgesetz Verwaltungsrecht

Abkürzungsverzeichnis

vGA VGH vgl. VglO VGR v.H. VkBkmG VO vs. VVaG VVG VwGO VwVfG VZS

verdeckte Gewinnausschüttung Verwaltungsgerichtshof vergleiche Vergleichsordnung Gesellschaftsrechtliche Vereinigung von Hundert Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetz Verordnung versus Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit Versicherungsvertragsgesetz Verwaltungsgerichtsordnung Verwaltungsverfahrensgesetz Vereinigte Zivilsenate

WährG WarnR, WarnRspr.

WvK WZG

Währungsgesetz Rechtsprechung des Reichsgerichts auf dem Gebiete des Zivilrechts, hrsg. von Warneyer Wirtschaftsrechtliche Blätter (Österreich) Wet Formeel Buitenlandse Vennootschappen (Niederlande) Wechselgesetz Gesetz über die Gemeinnützigkeit im Wohnungswesen Wasserhaushaltsgesetz Wirtschaftsrechtliche Beratung Wirtschaft und Recht in Osteuropa Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht Wertpapier-Mitteilungen Die Wirtschaftsprüfung Gesetz über den Wertpapierhandel Wirtschaftsprüferordnung Wettbewerb in Recht und Praxis Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht Wohnungswirtschaft und Mietrecht Wirtschaft und Wettbewerb Wirtschaft und Wettbewerb. Entscheidungssammlung zum Kartellrecht Wetboek van Koophandel (Niederlande) Warenzeichengesetz

Yale L.J.

Yale Law Journal

ZAkDR z.B. ZBB ZBH ZdiW ZErb ZEuP ZEV ZfA ZfB ZfgG, ZgesGenW

Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht zum Beispiel Zeitschrift für Bankrecht und Bankwirtschaft Zentralblatt für Handelsrecht Zeitschrift für das Recht der digitalen Wirtschaft Zeitschrift für die Steuer- und Erbrechtspraxis Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Erbrecht und Vermögensnachfolge Zeitschrift für Arbeitsrecht Zeitschrift für Betriebswirtschaft Zeitschrift für das gesamte Genossenschaftswesen

WBl. WFBV WG WGG WHG WiB WiRO wistra WM WPg WpHG WPO WRP WuB WuM WuW WuW/E

XXIX

2022-08-10, 12:02, GroKO groß

Abkürzungsverzeichnis

ZfPW ZfRV ZGB ZGR ZGS ZgS ZHR Ziff. ZInsO ZIP ZLR ZMR ZNotP ZPO ZRP ZRvgl ZSR ZStW ZVglRWiss ZWeR ZWH ZZP

XXX

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Zeitschrift für die gesamte Privatrechtswissenschaft Zeitschrift für Rechtsvergleichung, internationales Privatrecht und Europarecht Schweizerisches Zivilgesetzbuch Zeitschrift für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht Zeitschrift für das gesamte Schuldrecht Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für das gesamte Handelsrecht und Wirtschaftsrecht Ziffer Zeitschrift für das gesamte Insolvenzrecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Lebensmittelrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zeitschrift für die Notar-Praxis Zivilprozessordnung Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Rechtsvergleichung Zeitschrift für schweizerisches Recht Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft Zeitschrift für vergleichende Rechtswissenschaft Zeitschrift für Wettbewerbsrecht Zeitschrift für Wirtschaftsstrafrecht und Haftung im Unternehmen Zeitschrift für Zivilprozess

Einleitung (13. Auflage 2022) I. Die dogmatische und praktische Bedeutung der GmbH 1. Die Funktion des „Leitbildes“ der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die körperschaftliche Struktur . . . . . . b) Die juristische Persönlichkeit . . . . . . . aa) Die Mitgliedschaft als Rechtsverhältnis unter den Gesellschaftern und als subjektives Recht . . . . . . . . bb) Die Treupflicht . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Die Einmann-Gesellschaft . . . . . . . dd) „Durchgriff“ durch die juristische Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Drittorganschaft . . . . . . . . . . . . . . d) Das Mehrheitsprinzip . . . . . . . . . . . . . e) Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter g) Die GmbH als Kaufmann . . . . . . . . . . 2. Rechtstatsächliche Funktionen der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zahlenverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das wirtschaftliche Gewicht der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die wirtschaftlichen Funktionen und ihre Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Die GmbH als Trägerin mittelständischer Unternehmen . . . . . . .

1 4 6 7 8 9

II. 1. 2. 3. 4.

10 13 14

5.

16 20 22

III.

24 24

1. 2. 3.

25 4. 28

bb) Die GmbH als Großunternehmen cc) Die GmbH ohne erwerbswirtschaftliche Zielsetzung . . . . . . . . . dd) Die GmbH in einer Unternehmensgruppe und in einer Grundtypenvermischung . . . . . . . . . . . . . Die Quellen des GmbH-Rechts Das GmbHG und seine Nebengesetze . Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes Die Reformen der Jahre nach 1980 . . . . Die GmbH im Prozess der europäischen Rechtsangleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der große Wurf: Das MoMiG . . . . . . . . a) Die wichtigsten Ziele der Reform . . . . b) Anwendung von Einzelregelungen des MoMiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts Vom MoMiG nicht behandelte Fragen . Weitere Verstärkung des Gläubigerschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weitere Reformgesetze aus jüngerer Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Corporate Governance Kodex für die GmbH? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31 35 37 41 43 45 49 53 54 56

57 60 61 63

29

Schrifttum: Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949; Ballerstedt, 75 Jahre GmbH, GmbHR 1967, 66; Bayer, „MoMiG II“-Plädoyer für eine Fortführung der GmbH-Reform, GmbHR 2010, 1289; Bayer/Hoffmann, 10 Jahre MoMiG – 10 Jahre „Mini-GmbH“, GmbHR 2018, 1156; Claussen, Überlegungen zur Rechtsform der GmbH – Ist die KGaA eine Alternative?, GmbHR 1996, 73; Feine, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in Ehrenbergs Handbuch des gesamten Handelsrechts, Band III, Abt. 3, 3. Aufl. 1929; Fleischer, Die geschlossene Kapitalgesellschaft im Rechtsvergleich – Vorüberlegungen zu einer internationalen Entwicklungs- und Ideengeschichte, ZGR 2016, 36; Fleischer/Wansleben, Die GmbH & Co. KG als kautelarjuristische Erfolgsgeschichte, GmbHR 2017, 169; Fränkel, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1905; Geßler, Probleme der GmbH-Reform, GmbHR 1966, 102; Goette/Habersack (Hrsg.), Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, 2009; Hadding, Die Initiativen des Reichsjustizamts und des Reichsjustizministeriums zur Gestaltung des Gesellschaftsrechts, in FS zum 100jährigen Geburtstag des Reichsjustizamts, 1977, S. 263; Happ, Deregulierung der GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, ZHR 169 (2005), 6; Harbarth, Zum Reformbedarf im GmbH-Recht: Generalrevision oder punktuelle Fortentwicklung?, ZGR 2016, 84; Hippeli, Treupflichten in der GmbH, GmbHR 2016, 1257; Heidenhain, Katastrophale Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen, GmbHR 2006, 455; Höfer, „Flex-GmbH“ statt UG, 2015; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Koberg, Die Entstehung der GmbH in Deutschland und Frankreich, 1992; Lehmann, Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht auf die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1970; Lieder/ Ringloge, Kein Sonderrecht der zweigliedrigen GmbH, GmbHR 2017, 1065; Limbach, Theorie und Wirklichkeit der GmbH, 1966; Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964; Lutter, Das System der Kapitalgesellschaften, GmbHR 1990, 377; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980), 86; Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Ka-

H. P. Westermann/Wicke | 1

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Einleitung Rz. 1 | Bedeutung der GmbH pitalgesellschaften, 1994; Priester, Die deutsche GmbH und Inspire Art – brauchen wir eine neue?, DB 2005, 1315; Priester, „GmbH-light“ – ein Holzweg, ZIP 2005, 921; Reher, Die Zweipersonen-GmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts?, 2003; Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 1973; Roth (Hrsg.), Die Zukunft der GmbH vor dem Hintergrund deutscher und internationaler Novellen vom 1.1.1981, 1983; Schäfer, Interessenkonflikte und Unabhängigkeit im Recht der GmbH und der Personengesellschaften, ZGR 2014, 731; Karsten Schmidt, Brüderchen und Schwesterchen für die GmbH?, DB 2006, 1095; Karsten Schmidt, Grundzüge der GmbH-Novelle, NJW 1980, 1769; Karsten Schmidt, Insolvenzordnung und Gesellschaftsrecht, ZGR 1998, 633; Karsten Schmidt, Zur Einheits-GmbH & Co. KG. Kautelarjurisprudenz an ihren Grenzen oder Triumph der Typizität des Atypischen, in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1425; Karsten Schmidt, Das Recht der Mitgliedschaft – Ist „korporatives“ Denken passé?, ZGR 2011, 108; Schröder (Hrsg.), Die GmbH im europäischen Vergleich, 2005; Stimpel, „Durchgriffshaftung“ bei der GmbH: Tatbestände, Verlustausgleich, Ausfallhaftung, in FS Goerdeler, 1987, S. 601; Ulmer, Richterrechtliche Entwicklungen im Gesellschaftsrecht 1971 bis 1985, 1986, S. 9 ff.; Ulmer, Sacheinlageverbote im MoMiG – umgehungsfest?, GmbHR 2010, 1298; H. P. Westermann, Auf dem Weg zum Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsordnungen: Die Kapitalbindung im Recht der GmbH, ZIP 2005, 1849; H. P. Westermann, Erfahrungen mit der Runderneuerung von Rechtsformen des Gesellschaftsrechts, GmbHR 2017, 683; H. P. Westermann, Die GmbH in der nationalen und internationalen Konkurrenz der Rechtsformen, GmbHR 2005, 4; H. P. Westermann, Die GmbH & Co. KG im Lichte der Wirtschaftsverfassung, 1973; H. P. Westermann, Die GmbH – ein Allzweckinstrument?, in Pro GmbH 1980, 23; H. P. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970; H. P. Westermann, Wohin steuert die GmbH? – Benutzerkreis und Verwendungszwecke der Rechtsform im künftigen deutschen Gesellschaftsrecht, in FS Priester, 2007, S. 835; H. P. Westermann, Zur Theorie der Grundtypenvermischung – am Beispiel der GmbH & Co. KG, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1709; Wicke, Gründungserleichterungen als zentrales Reformanliegen, GmbHR 2018, 1105; Wiedemann, Aufstieg und Krise des GmbH-Konzernrechts, GmbHR 2011, 1009; Wiedemann, Verbandssouveränität und Außeneinfluss, in FS Schilling, 1973, S. 105; Wiedemann, Unternehmensrecht und GmbH-Reform, JZ 1970, 593; Wiedemann, Haftungsbeschränkung und Kapitaleinsatz in der GmbH, in Wiedemann/Bär/Dabin, Die Haftung der Gesellschafter in der GmbH, 1978; Wiedemann, Zu den Treupflichten im Gesellschaftsrecht, in FS Heinsius, 1991, S. 949; Wiethölter, Die GmbH in einem modernen Gesellschaftsrecht und der Referentenentwurf eines GmbH-Gesetzes, in Probleme der GmbH-Reform, 1969, 11; Wilhelmi, Der Grundsatz der Kapitalerhaltung im System des GmbHRechts, 2001; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967; Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988; Zöllner, Gläubigerschutz durch Gesellschafterhaftung bei der GmbH, in FS Konzen, 2006, S. 999; Zöllner, 100 Jahre GmbH, JZ 1992, 381; Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963. Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, 1981 (Centrale-Arbeitstagung vom 8.9.1980, mit Beiträgen von Deutler, Raiser, Ulmer, Karsten Schmidt, Hesselmann, Tillmann); Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, mit Beiträgen von Schubert, Lutter, Zöllner, Hueck, Priester, Immenga, Reichert u. Winter, Roth u. Thöni, Joost, Crezelius, Stimpel, Ulmer, Fleck, Hommelhoff u. Kleindiek, H. P. Westermann, Uwe H. Schneider, Schulze-Osterloh, Hüffer, Behrens, Karsten Schmidt, Raiser, Martens, Reuter, Assmann, Knobbe-Keuk; Roth (Hrsg.), Das System der Kapitalgesellschaft im Umbruch – ein internationaler Vergleich, 1990, mit Beiträgen von Hommelhoff, Mosthaf, Stedile-Foradori, Druey, Vidal, Borgioli, Karjala, Birds, Cheffins.

I. Die dogmatische und praktische Bedeutung der GmbH 1. Die Funktion des „Leitbildes“ der GmbH 1 Gesellschaftsrechtliche Organisationsgesetze werden zumeist auf einen bestimmten dem Ge-

setzgeber vorschwebenden Lebenstyp eines wirtschaftlichen Personenverbandes zugeschnitten. Das betrifft die Finanzierung, die Art der Zusammenarbeit im Gesellschafterkreis, das Ausmaß der Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens (einschließlich der Verbindlichkeiten) von den Vermögen der Gesellschafter, die Stabilität oder Flexibilität der Beteiligung, die Art der Zwecksetzung und vor allem das Ausmaß der Gestaltungsfreiheit. Diese Vorstellungen lassen sich als Strukturtypus bezeichnen und sind von den häufig als „Begriff“ zu2 | H. P. Westermann/Wicke

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Bedeutung der GmbH | Rz. 3 Einleitung

sammengefassten zwingenden Elementen der Rechtsform zu unterscheiden1, wobei klar ist, dass es einen gesetzlichen Begriff der GmbH nicht gibt2. Rechtsdogmatisch bedeutet die Bezeichnung eines Strukturtyps, dass einzelne Elemente eines Rechtsverhältnisses („Strukturmerkmale“) zu einem Sinnganzen zusammengefasst werden, von dem aus sich die einzelnen Normen des gesetzlichen Status „typgerecht“ interpretieren und Lücken ausfüllen lassen3. In neuerer Zeit ist der Strukturtyp „geschlossene Kapitalgesellschaft“ vor allem ein Ansatzpunkt für rechtsvergleichende, aber auch auf Rechtsangleichung blickende Grundsatzüberlegungen4. Umgekehrt kann ein Wandel der überwiegenden tatsächlichen Verwendungsformen der in einer Rechtsform auftretenden Personenverbände zu Schwierigkeiten in der Anwendung des gesetzlichen Statuts führen. Das Leitbild der GmbH ist nach früher oft vertretener und im Grundsatz auch zutreffender 2 Ansicht die „kleine Kapitalgesellschaft“, die man als eine „entschlackte“ Variante der Aktiengesellschaft begreifen kann5. Diese begegnet aber in zunehmendem Maße nicht nur als kapitalmarktorientiertes Großunternehmen, sondern auch als „Familien-AG“, wenn auch mit abnehmender Tendenz. Vor diesem Hintergrund kommt es bei der GmbH nicht zu einer Dominanz personengesellschaftsrechtlichen Denkens; zu groß ist die Auswirkung der kapitalgesellschaftsrechtlichen Notwendigkeit, das Mitgliedschaftsverhältnis, vor allem seinen Bestand und die aus ihm fließenden Mitverwaltungsrechte, an den Geschäftsanteil, d.h. die Beteiligung an einem festen Stammkapital, und nicht an die Gliedstellung des Gesellschafters in einem Personenverband anzuknüpfen. Schon bei der Schaffung des GmbHG wurde an die Verwendung hauptsächlich in der mittelständischen Wirtschaft gedacht, der die Möglichkeit einer Personengesellschaft mit beschränkter Haftung gegeben werden sollte (näher dazu und zum „Durchgriff“ Rz. 10), wobei ein entsprechendes Bedürfnis der Wirtschaft angenommen wurde6. Derartige Wünsche sind bei der konkreten Gestaltung der einzelnen GmbH auf Grund der weitgehenden Vertragsfreiheit bei der Regelung des Innenverhältnisses auch realisierbar, was freilich für die Fragen der Finanzierung durch ein festes Stammkapital nicht zutrifft, dessen theoretische Beibehaltung in der rechtspolitisch umstrittenen UG (haftungsbeschränkt)7 oder in diese ersetzenden neuen Rechtsformen8 noch als rechtspolitisches Problem angesehen wird. Die GmbH und ihre Finanzierung sind schon immer Gegenstand kritischer rechtspolitischer 3 Einschätzung und – damit zusammenhängend – einer lebhaften Entwicklung im Zuge rechts1 Zur Bedeutung des „Strukturtyps“ eines Personenverbandes s. Koller, Grundfragen einer Typuslehre im Gesellschaftsrecht, 1967, S. 44 ff.; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971, S. 46 ff., 177 ff.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 98 ff., 110 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 3 II 1; zum Unterschied von „Begriff“ und „Wesen“ der GmbH ganz ähnlich bereits Feine, S. 35 ff.; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Syst. Darst. 1 Rz. 2; zur Bezeichnung der rechtlichen Ordnung durch die Realstruktur des Verbandes mit Blick auf die „Zweipersonen-GmbH“ die Schrift dieses Titels von Reher, 2003. 2 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Einl. Rz. I; zu früheren gesetzlichen Definitionsversuchen Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 1; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 1. 3 H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 11. 4 Etwa von Fleischer, ZGR 2016, 36 ff.; ähnlich die Vorschläge von Höfer (GmbHR 2016, 398) zur „Flex-GmbH“; zu den ersten damit gemachten Erfahrungen H.P. Westermann, GmbHR 2017, 683. 5 Zahlreiche Nachw. aus der Entstehungsgeschichte des Gesetzes zu dem angestrebten Ziel, eine kollektivistische Gesellschaftsform ohne die Fesseln des Aktienrechts zu schaffen, bei Schubert in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 4 ff. 6 Hallstein, RabelsZ 13 (1938/39), 335 f.; Hadding in FS zum 100jährigen Geburtstag des Reichsjustizamtes, 1977, S. 263 ff.; Schubert, S. 7 ff., 22 ff. Zur Originalität der Neuschöpfung Zöllner, JZ 1992, 381. 7 S. dazu mit einem insgesamt positiven Fazit Wicke, GmbHR 2018, 1105; ferner Bayer/Hoffmann, GmbHR 2018, 1168 mit umfangreichen Rechtstatsachen. 8 Dazu H.P. Westermann, GmbHR 2005, 4, 5 f., zuletzt eingehend Harbarth, ZGR 2016, 84 ff.

H. P. Westermann/Wicke | 3

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Einleitung Rz. 3 | Bedeutung der GmbH fortbildender Richtersprüche gewesen, die den Gläubiger- und Minderheitenschutz verstärken wollen. Immer wieder – etwa im Hinblick auf das Hin- und Herzahlen von Geldeinlagen oder die verdeckten Sacheinlagen – wird offen beklagt, dass die Praxis namentlich bei der Gründung der GmbH die gläubigerschützenden Vorkehrungen des Gesetzes zu umgehen suche9. Andererseits ist das Bedürfnis marktwirtschaftlich geprägter Rechtsordnungen nach einer als juristische Person voll ausgebildeten Vertragsgesellschaft mit grundsätzlicher Haftungsfreistellung der Gesellschafter, die trotzdem die Geschäftsführung durch Weisungen lenken können, bei rechtsvergleichender Umschau10 weit verbreitet, ohne dass die Formen kapitalgesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes für alle Typen von Kapitalgesellschaften identisch sein müssen. Dass die GmbH nicht börsengängig ist und zumindest in der Tendenz auch kein breites Anlegerpublikum ansprechen soll11, passt zum Leitbild, aber auch zu dem in ihm angelegten Spannungsverhältnis von beschränkter Haftung und Entscheidungsfreiheit der Gesellschafter, jedenfalls bei der nicht konzernverbundenen GmbH, wobei man sich darüber klar sein muss, dass für den sehr verbreiteten Typus der reinen KomplementärGmbH, auch in einer Publikums-Personengesellschaft, sowie für eine GmbH in einem Unternehmensverband einschließlich eines Gemeinschaftsunternehmens12 speziellere Betrachtungen angebracht sind. a) Die körperschaftliche Struktur 4 Die Vorstellung von einer körperschaftlichen (auch: kapitalistischen) Struktur der GmbH ist

praktisch schon allein dadurch wichtig, dass sie eine ausschließlich objektive, also nicht auf die Vorstellungen der Gesellschaftsgründer oder die Verfasser der Satzung blickende Auslegung von Satzungsvorschriften ermöglichen soll13. „Körperschaftlich“ ist nämlich die Ablösung der rechtlichen Regelung des inneren Verbandslebens von der Person der Mitglieder und der Zusammensetzung des Gesellschafterkreises14. Ereignisse in der Person oder im Vermögen der Mitglieder haben somit keinen Einfluss auf den Bestand der Gesellschaft. Was die Verwaltung anbelangt, so handeln nicht wie bei der Personengesellschaft die Gesellschafter kraft einer vertraglichen Befugnis für sich und ihre Partner, sondern institutionalisierte Organe der Gesellschaft werden kraft abstrakter Kompetenzzuweisung durch Gesetz oder Satzung tätig. Die Organwalter, die hier nicht Gesellschafter zu sein brauchen (Fremd- oder Drittorganschaft, s. Rz. 13), werden von der Gesamtheit der Mitglieder bestellt oder abberufen und müssen sich bei ihrer Tätigkeit an Gesetz, Satzung und Gesellschafterbeschlüsse halten, wobei ihnen im Hinblick auf Fragen der Kapitalerhaltung und des Verhaltens in Insolvenzsituationen Aufgaben zwingend zugewiesen sind. Die laufende Unternehmensleitung und der Unternehmensbesitz sind also institutionell getrennt15. Anders als in der Publikums-Kapitalgesellschaft haben die Gesellschafter die oberste Organisationsgewalt und eine Zuständigkeit für Sachentscheidungen, die nicht nur die Grundsätze der Unternehmenspolitik und außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahmen, sondern auch die laufenden Ge-

9 Zur Umgehungsfestigkeit „liberaler“ Neuregelungen etwa Ulmer, GmbHR 2011, 1289. 10 Zur Rechtsvergleichung den alle GmbH-Gesetze der Welt umfassenden Sammelband von Süß/ Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 4. Aufl. 2021; Schröder, Die GmbH im europäischen Vergleich, 2005; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 229 ff. 11 So Lutter, GmbHR 1990, 378. 12 Dazu in diesem Zusammenhang Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 11, 13. 13 So BGH v. 27.9.2011 – II ZR 279/09, GmbHR 2012, 92 zum Verständnis von Satzungsregeln über die Abfindung eines ausgeschiedenen Gesellschafters; kritisch Schockenhoff, ZGR 2013, 76; einschränkend etwa auch hier Cramer 13. Aufl., § 2 Rz. 44. 14 Wiedemann, GesR I, § 2 I 1. 15 Feine, S. 38, 41 ff.; Wiedemann, JZ 1970, 593 f.; differenzierend Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Syst. Darst. 1 Rz. 31.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 6 Einleitung

schäfte umfasst (näher 12. Aufl., § 37 Rz. 4 ff.)16. Mit der Vorstellung von der körperschaftlichen Struktur hängt ferner die Annahme zusammen, dass bei der GmbH wie bei der AG ein Rechtsverhältnis unter den Mitgliedern vom Gesetz nicht voll entwickelt ist, wohl aber dasjenige zwischen dem Mitglied und dem Verband, ferner, dass Konflikte über die Willensbildung im Verband und die sonstigen Mitgliederinteressen zwischen Mitglied und Verband ausgetragen werden17. Die vom Gesetz vorgesehene Veräußerlichkeit der Geschäftsanteile dient der Stabilisierung des Verbandes für den Fall, dass Mitglieder den wirtschaftlichen Wert des im Unternehmen investierten Vermögens realisieren wollen; in der personalistischen Gesellschaft begegnen allerdings sehr häufig abweichende Satzungsvorschriften. Kapitalgesellschaftsrechtlich gedacht ist ferner die Sicherung des Einlageanspruchs der Gesellschaft gegen den Gesellschafter (§§ 19–25), ähnlich die Vorkehrungen zum Kapitalschutz (§§ 30 ff., s. hierzu näher Rz. 16). Die körperschaftliche Struktur kann in der Satzung deutlich verstärkt werden, z.B. durch An- 5 lehnung an das Aktienrecht. So kann auch außerhalb der Anordnungen des MitbestG ein Kontrollorgan eingerichtet werden, dessen Befugnisse so weit gehen können, dass die grundsätzlich unbegrenzten Weisungsrechte der Gesellschafterversammlung gegenüber der Geschäftsführung eingeschränkt sind. Bei der Einrichtung eines fakultativen Aufsichtsrats besteht Satzungsautonomie. Soweit die Satzung schweigt, sind nach § 52 bestimmte Vorschriften des AktG anzuwenden18. Die Praxis richtet besonders bei größerer Gesellschafterzahl gelegentlich Organe wie einen Gesellschafterausschuss oder einen auch aus Nicht-Gesellschaftern zusammengesetzten Beirat mit überwiegend beratenden, überwachenden und streitschlichtenden Funktionen, manchmal aber auch mit Einfluss auf die Besetzung der Geschäftsführung, u.U. auch auf die Zusammensetzung des Gesellschafterkreises ein, ohne freilich der Gesellschafterversammlung die Verantwortung für die Unternehmensführung ganz abzunehmen. Gewissermaßen gegenläufig kann eine Gesellschaft stärker, als das gesetzliche Organisationsstatut es vorsieht, von der Person und der Tätigkeit der Mitglieder abhängig gemacht werden. Hierzu gehören etwa Sonderrechte eines Gesellschafters auf Zugehörigkeit zu Gesellschaftsorganen, Sicherungen eines Gesellschafter-Geschäftsführers gegen Abberufung aus seinem Amt, Regelungen über Einziehung von Geschäftsanteilen oder über Auflösung der Gesellschaft bei nachhaltiger Störung des Vertrauensverhältnisses unter den Gesellschaftern. Häufig finden sich solche Regelungen auch in schuldrechtlichen Gesellschaftervereinbarungen. Insgesamt ist die körperschaftliche Struktur der GmbH zwar stets zu beachten, bedeutet aber bei materieller Betrachtung keine einschneidende Grenze der Gestaltungsfreiheit. b) Die juristische Persönlichkeit Die GmbH ist juristische Person, s. 13. Aufl., § 13 Rz. 3, 10, was grundsätzlich die Gesell- 6 schafter von der Haftung für Gesellschaftsschulden entbindet und Organe mit voller Vertretungsmacht im Außenverhältnis erforderlich macht19. Die juristische Persönlichkeit eines Verbandes ist Organisationselement zur Bewältigung der rechtstechnischen Probleme, die

16 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 17 ff. Einen Kernbereich unentziehbarer Entscheidungsmacht des Geschäftsführers betonen aber Hommelhoff, ZGR 1978, 119, 127 f.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 93; Winkler, Lückenausfüllung, S. 31; Gieseke, GmbHR 1996, 486 ff. 17 Dazu Karsten Schmidt, GesR, § 22 II 2. 18 Zu den Schwierigkeiten der Rechtsanwendung bezüglich der Kompetenzen des Kontrollorgans in AG und GmbH Thiessen, ZGR 2011, 275 ff.; zu den Möglichkeiten der Anpassung der GmbH-Organisation an das im US-amerikanischen Aktienrecht geltende board-System Loges, ZIP 1997, 437. 19 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 17; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 5.

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Einleitung Rz. 6 | Bedeutung der GmbH durch das Auftreten des Verbandes, auch einer Einmann-Gesellschaft (näher Rz. 9), im Rechtsverkehr im Hinblick auf die Zurechnung von Vermögensgegenständen, Willenserklärungen und Haftungsfolgen entstehen20. Die Rechtsfähigkeit einer juristischen Person ist nicht auf vermögensmäßige Geschäfte begrenzt, sondern erstreckt sich auf alle Rechte, die nicht die menschliche Natur ihres Trägers voraussetzen21. Eine weitere Neuentwicklung betrifft das Persönlichkeitsrecht, das als Unternehmenspersönlichkeitsrecht ausgestaltet sein kann22, aber bis zur Anerkennung der „Reputation“ als Schutzgut i.S.d. Deliktsrechts und des § 1004 BGB gehen kann23. Nachdem die Entwicklung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts deutliche Differenzierungen zwischen Rechtsfähigkeit und eigener juristischer Persönlichkeit hat zutage treten lassen24, besagt es nicht mehr viel, wenn es heißt, dass die juristische Person ein von der positiven Rechtsordnung eingerichtetes rechtstechnisches Zweckgebilde ist, das bestimmte Ordnungszusammenhänge gedanklich zusammenfasst und in einer abstrakten Kurzformel sprachlich ausdrückt. Wichtiger ist, dass die eigene juristische Persönlichkeit eines Verbandes und damit das Maß der rechtstechnischen Verselbständigung eines Vermögens und eines Wirkungskreises vom Vorliegen bestimmter zwingender Voraussetzungen abhängt, die in der gesetzlichen Regelung der einzelnen Rechtsformen enthalten sind. Das beeinflusst aber nicht entscheidend die Art der Rechtsbeziehungen unter den Mitgliedern der juristischen Person25. Zur juristischen Persönlichkeit eines Verbandes gehört auch noch die tendenziell stärkere Verselbständigung der Gesellschaft gegenüber ihren Mitgliedern, obwohl die Grenzen auch insoweit fließend geworden sind26. Die eigene Rechtsfähigkeit der GmbH dauert an, bis die Gesellschaft im Handelsregister gelöscht ist, was zu ihrer ebenfalls konstitutiven Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister passt (§ 11 Abs. 1)27. aa) Die Mitgliedschaft als Rechtsverhältnis unter den Gesellschaftern und als subjektives Recht 7 Die vermögensrechtlichen und die auf Mitwirkung an der gesellschaftlichen Willensbildung

gerichteten Rechte jedes Gesellschafters sind gedanklich zusammengefasst in der Mitgliedschaft28, die durch den Erwerb eines Geschäftsanteils begründet und durch seine Veräußerung oder Einziehung (§ 34) verloren wird. Aus der Mitgliedschaft folgen auch Pflichten, etwa auf Leistung der Einlage, des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft. Trotz der dem 20 Zum Folgenden hier nur John, Die organisierte Rechtsperson, 1977, S. 72 ff., 115 ff.; Flume, Allg. Teil I 2, § 1 V; Überlegungen zu einer Kodifikation des Begriffs der juristischen Person bei Raiser, ZGR 2016, 781. 21 BVerfG v. 26.2.1997 – 1 BvR 2172/96, BVerfGE 95, 220, 242; Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2022, Vor § 21 BGB Rz. 43; H.P. Westermann in Erman, 16. Aufl. 2020, Vor § 21 BGB Rz. 9. 22 BGH v. 22.11.2005 – VI ZR 204/04, NJW 2006, 601; dazu Klippel, JZ 1988, 625; Rixecker in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, Allg. PersönlRecht Rz. 46. 23 Dazu Klöhn/Schmolke, NZG 2015, 691 ff.; H.P. Westermann in FS Karakostas, 2017, S. 1531 ff. 24 Zu den Folgen der Urteile BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341; BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315, 319 = GmbHR 1999, 1134, s. etwa Beuthien, NJW 2005, 855 ff.; H.P. Westermann in FS Konzen, 2006, S. 957 ff.; Buchner in FS Georgiadis, 2006, S. 609 ff.; Beuthien, NZG 2011, 481; Altmeppen, NJW 2011, 1905 ff. 25 Aus dem früheren Schrifttum zur GmbH bereits A. Hueck, ZHR 83 (1920), 32 ff.; Feine, S. 51; s. weiter Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, S. 61 ff.; H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 7 f. 26 Flume, Personengesellschaft, § 7 I (S. 89 f.); zum Verhältnis zur Rechtsfähigkeit grundlegend Mülbert, AcP 199 (1999), 38, 48 f. 27 S. aber zur Vor-GmbH 13. Aufl., § 11 Rz. 31. 28 Grundlegend zur Mitgliedschaft als subjektives Recht Lutter, AcP 180 (1980), 86 ff.; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 62 ff.; zur Gegenansicht Hadding in FS Steindorff, 1990, S. 31 ff.; kritisch besonders zum Deliktsschutz der Mitgliedschaft Hadding in FS Kellermann, 1991, S. 91 ff.; Diskussion bei Beuthien, AG 2002, 68.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 8 Einleitung

Verband verliehenen eigenen Rechtspersönlichkeit besteht auch ein internes Rechtsverhältnis unter den Gesellschaftern, aus dem auch konkrete Pflichten im Hinblick auf die Erreichung des Verbandszwecks und Sanktionen bei Pflichtverletzung folgen können29. Internes Gesellschaftsverhältnis und externe Rechtsfähigkeit schließen sich nicht aus, die Verbandsorganisation hat allenfalls Einfluss auf die Intensität, nicht auf das Bestehen eines Rechtsverhältnisses und einer Treupflicht unter den Mitgliedern sowie zwischen Mitglied und Gesellschaft30. Freilich kann die Gesamtheit der Teilhaberechte an der Verbandsorganisation zwar durch einen Individualvertrag (im Rahmen von Gründung und Beitritt) begründet31, aus ihm allein aber nicht mehr vollständig erklärt werden, da die Rechte und Pflichten des Verbandsmitglieds bis zu einem gewissen Grade von seinem Willen unabhängig durch Gesetz, Satzung oder auch tatsächliche Handhabung im Gesellschaftsleben konkretisiert und modifiziert werden können. bb) Die Treupflicht Wegen der verhältnismäßig engen Interessenverknüpfung zwischen der Gesellschaft und ih- 8 ren Gesellschaftern, aber auch der Gesellschafter untereinander, ist dem Grunde – nicht der Ausdehnung im Einzelfall – nach die Anerkennung einer Treupflicht des Gesellschafters in beiden Richtungen unproblematisch. Die mitgliedschaftliche Treupflicht gehört zu den wichtigsten Quellen der Beschränkung willkürlicher Ausübung von Mitgliedschaftsrechten, aber auch des Entstehens konkreter Einzelpflichten, auch außerhalb positiver gesetzlicher Regelung. Sodann ist sie eines der flexibelsten Instrumente der Reaktion der Rechtsprechung auf drohende oder bereits geschehene Interessenverletzungen der Gesellschafter und der Gesellschaft im GmbH-Recht32. Gegenüber der allgemeinen privatrechtlichen Bindung an die Anforderungen von Treu und Glauben (§ 242 BGB) weist die gesellschaftsrechtliche Treupflicht eine gesteigerte Intensität auf, namentlich durch die bisweilen anerkannte Zumutung, die Verfolgung eigener Interessen und die Durchsetzung individueller Sachentscheidungen hinter das Unternehmenswohl, aber auch hinter gewichtige Interessen der Mitgesellschafter zurückzustellen33. Das kann zur Ausbildung von Verhaltenspflichten und Loyalitätsanforderungen an Gesellschafter führen, ferner zu Begrenzungen der Mehrheitsmacht und zur Entwicklung von Mitwirkungspflichten (auch der Minderheit) im Zusammenhang mit der Anpassung der Satzung und anderer Ordnungen an veränderte tatsächliche und rechtliche Umstände34. Das gilt auch für Formulierungen wie die fortwährende Verpflichtung auf den gemeinsamen Vertragszweck und die Unterlassung aller Handlungen, die dessen Verwirkli-

29 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 35; J. Schmidt in Michalski u.a., Syst. Darst. 1 Rz. 27; zur Mitgliedschaft als Grundelement des korporativen Denkens Karsten Schmidt, ZGR 2011, 108, 113 f. 30 Vgl. Wiedemann, GesR I, § 2 I 1; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 36. 31 Etwas weitergehend Habersack, Die Mitgliedschaft, 1996, S. 78. 32 Grundlegend hierzu Lutter, AcP 180 (1980), 86, 102 ff.; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 43 ff.; Immenga in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 189 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 35 I 2; s. auch Weller in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 755 ff.; zur Klagbarkeit der Treupflichten Weller, Die Vertragstreue, 2009, S. 268 ff. Wiedemann in FS Heinsius, 1991, S. 949 ff., will den Gedanken der Treupflicht aufteilen und zwischen mitgliedschaftlichen, organschaftlichen und mehrheitsbezogenen Treupflichten unterscheiden. 33 Zur Wahrnehmung eigennütziger Gesellschafterrechte, positiven und negativen Stimmrechten, Verschwiegenheitspflichten, Unterlassung von Wettbewerb anhand neuester Judikatur eingehend Hippeli, GmbHR 2016, 1257 ff. 34 Zu den Grundlagen Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 175 ff.; Armbrüster, ZIP 1997, 261, 266. Treue- und – fast eine sprachliche Neuschöpfung – Aufopferungspflichten können sich vor allem im Hinblick auf Sanierungsmaßnahmen ergeben, dazu näher Bitter, ZGR 2000, 147 ff.; H.P. Westermann, NZG 2016, 9 ff.

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Einleitung Rz. 8 | Bedeutung der GmbH chung hindern oder gefährden können35, die man als Leistungstreuepflichten und Unterlassungspflichten zusammenfassen kann. Solche bestehen nicht nur bei unternehmensbezogenen und alltäglichen Entscheidungen, sondern auch in Bezug auf Struktur- und Vertragsänderungen sowie im Rahmen der Gewinnverwendung, wo Ausschüttungs- und Thesaurierungsinteressen abgewogen werden müssen36. Eine große Rolle spielt die Treupflicht auch bei der Begründung eines Wettbewerbsverbots für Gesellschafter und Geschäftsführer, das ja – im Gegensatz zur Personengesellschaft – nicht kodifiziert ist (s. hierzu 13. Aufl., § 14 Rz. 64 ff.), wobei sich freilich für die Rechtsgrundlage wie für die Intensität der Pflichtenbindung Unterschiede zwischen dem „organschaftlichen“ Wettbewerbsverbot für Geschäftsführer und Vorstände und der mitgliedschaftlichen Verhaltenspflicht ergeben37. Einen besonderen Tatbestand stellt schon wegen der Schwierigkeiten der Rechtsfolgenbestimmung die treupflichtwidrige Stimmrechtsausübung dar38, obwohl das Gesetz Stimmverbote nur in der tatbestandlich eng umrissenen Norm des § 47 Abs. 4 kennt und nicht etwa – worüber allerdings manchmal nachgedacht wird – solche Verbote allgemein bei Vorliegen von Interessenkollisionen erlässt39; anerkannt ist aber die ganz einzelfallbezogene Kategorie des pflichtwidrigen Stimmverhaltens (s. hierzu 12. Aufl., § 47 Rz. 29 ff.)40. Im Einzelnen ist dies immer auch im Zusammenhang mit den gesellschaftsrechtlichen Instrumenten des Minderheitenschutzes zu sehen (Rz. 14, 15). Wegen der grundsätzlichen Treupflichtbindung von Mehrheit wie Minderheit kann auch ein generell von der Organisationsverfassung gedeckter Beschluss im Einzelfall, etwa wegen des Erstrebens gesellschaftsfremder Sondervorteile41, angreifbar sein. Eine Treupflichtverletzung kann auch Ansprüche begründen oder den Anlass für eine Gestaltungsklage bilden. Die Treupflicht hat schließlich eine erhebliche Rolle gespielt, als es darum ging, Verhaltensanforderungen an eine konzernverbundene Gesellschaftermehrheit und Klagerechte für die dadurch geschädigte oder bedrohte Minderheit zu entwickeln; hierfür steht besonders das ITT-Urteil des BGH, das als Ausgangspunkt eines nicht kodifizierten Konzernrechts der GmbH gesehen wurde, allerdings als fortbildungsbedürftig empfunden werden kann42. Die Treupflicht im Konzern kann auch gegenüber einer ehemals konzernverbundenen Gesellschaft bestehen43. Ein derartiges Lösungsmodell stößt freilich an gewisse Grenzen, wenn man sich nicht entschließen kann, eine Treupflicht auch des einzigen Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft anzunehmen, der dann ein gewisses Eigenleben zugestanden ist44, im Einzelnen s. 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 157 ff. Der Realisierung von gesell35 BGH v. 26.1.1961 – II ZR 240/59, NJW 1961, 724; zu Zustimmungspflichten BGH v. 28.4.1975 – II ZR 16/73, BGHZ 64, 253. 36 Im Einzelnen dazu Einhaus/Selter, GmbHR 2016, 1177 ff. 37 Näher Weller, ZHR 175 (2011), 110, 127 f. 38 Dazu als allgemeiner Erscheinung Henze und Windbichler in Henze/Timm/H.P. Westermann, Tagungsband Gesellschaftsrecht 1995, 1996, S. 1 ff., 23 ff. 39 Grundlegend hierzu Schäfer, ZGR 2014, 731, 741; Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, S. 155 f.; z.T. anders Lutter in FS Canaris, 2007, Bd. II, S. 245 ff. 40 Im Einzelnen zu verschiedenen Typen Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 204. 41 Dazu näher Flume, ZIP 1996, 161 f. Hier ist auch der Fall der Befreiung eines Gesellschafters von einem statutarischen Wettbewerbsverbot durch Mehrheitsbeschluss einzuordnen, BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 73 f. = GmbHR 1981, 189; dazu eingehend Pietzcker, Wettbewerbsverhalten in Unternehmensgruppen, 1996, S. 38 ff., 179 ff. Zur Treupflichtbindung von Minderheitsgesellschaftern, die in der Literatur oft vernachlässigt wird, s. Bungert, DB 1995, 1749 ff.; Göbel, Mehrheitsentscheidungen in Personengesellschaften, 1992, S. 201 ff. 42 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 22/74, BGHZ 65, 18 ff.; s. dazu Schilling, BB 1975, 1491; Ulmer, NJW 1976, 192 f.; Wiedemann, JZ 1976, 384; E. Rehbinder, ZGR 1976, 386, 391; H.P. Westermann, GmbHR 1976, 77. Zu den Treupflichten als Grenzen einer Verbundintegration und Verbundleitung in der Unternehmensgruppe Tröger, Treupflicht im Konzernrecht, 1999, S. 65 ff. 43 Dazu näher H.P. Westermann in Festheft Knauth, Beil. ZIP 22/2016, 85 ff. 44 Dazu Wiedemann, GmbHR 2011, 1009-1011 zum Urteil BGH v. 29.3.1999 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 – TBB; ablehnend Lutter, ZIP 1985, 1425, 1428; Semler in FS Goerdeler, 1987, S. 551, 558 f.;

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Bedeutung der GmbH | Rz. 10 Einleitung

schaftsrechtlichen Treupflichten im Prozess können sich Bedenken gegen die uneingeschränkte Klagbarkeit einzelner derartiger Pflichten entgegenstellen45. cc) Die Einmann-Gesellschaft Eine formal-rechtstechnische Betrachtung der juristischen Persönlichkeit erlaubt die An- 9 erkennung einer Einmann-Gesellschaft, obgleich eine organisierte Verbandsperson hier fehlt. Die Einmann-Gesellschaft, die praktisch sehr verbreitet ist, bedeutet eine Inkorporation der Haftungsbeschränkung und einen Verzicht auf eine überindividuelle Zwecksetzung46. Die Unterschiede in Bezug auf die fehlende effektiv gehandhabte Verbandsorganisation begründen nicht mehr als eine Relativierung der der juristischen Persönlichkeit an sich gemäßen Trennung von GmbH und Gesellschafter mit Rücksicht auf den Zweck der jeweils zur Anwendung stehenden Gesetzesnorm. Positiv-rechtlich ist das Problem auch unter dem Einfluss der Ein-Personen-Gesellschafts-Richtlinie, die in Deutschland nur ganz geringfügige Modifikationen nötig machte47, weitgehend bewältigt. Die früher gesehene Schwierigkeit, dass der Gesellschafter bei einer Einmann-Gründung vor Eintragung eine Sicherheit für ausstehende Bareinlagen stellen sollte, ist durch die Aufhebung des § 7 Abs. 2 Satz 2 im Zuge des MoMiG erledigt; zur Behandlung der Einmann-Gründung s. im Übrigen 13. Aufl., § 11 Rz. 164 ff. Eine besonders zugespitzte Anforderung an die rechtskonstruktive Leistungsfähigkeit der Rechtsfigur der juristischen Persönlichkeit bedeutet die Sonderform der „KeinpersonenGmbH“, s. dazu 13. Aufl., § 33 Rz. 173. dd) „Durchgriff“ durch die juristische Person Die vermögensrechtliche Selbständigkeit der juristischen Person und die Trennung ihrer 10 Rechtssphäre von derjenigen ihrer Gesellschafter ist als normative Erscheinung von bestimmten Voraussetzungen abhängig und wird als Prinzip nicht aufgegeben, auch wenn die Vorstellung von der Selbständigkeit der juristischen Person nicht in jeder Rechtsfrage gleichermaßen strikt durchgehalten wird. Vielmehr gibt es Konstellationen, in denen Rechtsprechung und Wissenschaft Rechte und Pflichten, die sich zunächst allein auf die Gesellschaftssphäre beziehen, mit einem Bezug zum Privatvermögen der Gesellschafter versehen. Beispiele können etwa sein die Prüfung eines möglichen gutgläubigen Erwerbs eines Grundstücks von der nur buchberechtigten Gesellschaft durch einen Gesellschafter, der Geschäftsführer der Gesellschaft ist, oder die Frage der Vernehmung eines Gesellschafters als Zeuge im Prozess der Gesellschaft, ferner – so genannter Haftungsdurchgriff – die persönliche Haftung eines Gesellschafters für Verbindlichkeiten der GmbH, diese wiederum zu unterscheiden von der vielleicht als „Ausgleichshaftung“ zu bezeichnenden Haftung der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft wegen Verantwortlichkeit für die mangelnde Solvenz48. Konstruktiv anders einzuordnen sind – ebenfalls recht heterogene – Fälle eines „Zurechnungsdurchgriffs“, bei dem Kenntnisse oder subjektive Verhältnisse einem Gesellschafter oder – bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe – seine Vermögensverhältnisse der Gesellschaft zugerechnet

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Röhricht, WPg 1992, 766, 784; a.M. Wilhelm, Rechtsform und Haftung, S. 330 ff.; Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 418; zum Problem auch Priester, ZGR 1993, 512 ff.; Winter, ZGR 1994, 570. Näher dazu Weller in Liber amicorum Martin Winter, 2011, S. 755 ff. Sie hatte allerdings schon vor ihrer gesetzlichen Zulassung der Praxis keine unüberwindlichen Probleme verursacht, Zöllner, JZ 1992, 382. Richtlinie 89/667/EWG v. 21.12.1989, dazu Gesetz vom 18.12.1991 (BGBl. I 1991, 2206); dazu Schimmelpfennig/Hauschka, NJW 1992, 942 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 86; rechtsvergleichend Lutter in FS Brandner, 1996, S. 81 ff. Zu dieser Unterscheidung Zöllner in FS Konzen, 2006, S. 999, 1004.

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Einleitung Rz. 10 | Bedeutung der GmbH werden49, näher 13. Aufl., § 13 Rz. 75 ff. Bei einer Personengesellschaft, die Vermieterin einer Wohnung war, wurde der Eigenbedarf eines der Gesellschafter als relevant angesehen50. Voraussetzungen und Rechtsfolgen solcher „Durchgriffs“-Lösungen unterscheiden sich so grundlegend, dass die Bezugnahme auf das Vorstellungsbild des „Durchgriffs“ über den genauen rechtlichen Inhalt nichts aussagt51. Die Rechtsprechung hat es von jeher abgelehnt, sich auf ein bestimmtes theoretisches Konzept festzulegen, auch nicht für den gerade im GmbHRecht wichtigen Haftungsdurchgriff auf Gesellschafter, was sich vor allem auch im Konzernrecht auswirkt52. „Durchgriff“ als Anspruchsgrundlage gibt es somit nicht, sondern nur Urteile über Umstände, unter denen die Trennung der Vermögenssphären von juristischer Person und Gesellschaftern eine Falllösung nicht mehr entscheidend zu bestimmen vermag. 11 Hinter Durchgriffsversuchen kann die Annahme einer im Einzelfall gegebenen objektiven

Normwidrigkeit der Trennung von juristischer Person und Gesellschafter oder eines subjektiven Missbrauchs von Gestaltungsformen stehen, die sich allerdings nicht ausschließen53. Rein praktisch hat sich die Ansicht weitgehend durchgesetzt, dass die Kombination von weitgehender Freiheit in der Bestimmung des haftenden Kapitals und des Ausschlusses der Gesellschafter von der Schuldenhaftung trotz der bei der GmbH stark betonten Rigidität der Kapitalaufbringung und des Kapitalschutzes gegenüber Auskehrungen an Gesellschafter aus der Sicht des Gläubigerschutzes Lücken aufweist; zur Gesellschafterhaftung und zum Haftungsdurchgriff unter diesem Gesichtspunkt s. 13. Aufl., § 13 Rz. 55 ff., 91 ff., zur heute stärker betonten Haftung wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs in das Gesellschaftsvermögen, durch die ein mittelbarer Gläubigerschutz aus der Binnenhaftung der Gesellschafter abgeleitet wird, s. 13. Aufl., § 13 Rz. 153 ff. Allerdings sind die Maßstäbe und Rechtsfolgen eines existenzvernichtenden Eingriffs und der Vermischung von Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen54 noch immer in einer auch rechtspolitisch bedingten Bewegung. 12 Die Trennung zwischen der GmbH und ihrem Gesellschafter kann sich auch zum Nachteil

des letzteren auswirken, wenn nach einer Schädigung des Gesellschaftsvermögens die Interessen des Gesellschafters durch den Schadensersatzanspruch der GmbH nicht befriedigend 49 Zum zweiten BGH v. 5.11.1985 – X ZR 23/85, GmbHR 1986, 315 = NJW 1986, 2058; zur Wissenszurechnung Reuter, ZIP 2017, 310 ff. 50 BGH v. 14.12.2016 – VIII ZR 232/15, ZIP 2017, 122. 51 Gegen ein einheitliches Rechtsinstitut des Durchgriffs auch Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 285 ff.; Flume, Juristische Person, Bd. I 2, S. 63 ff. Zwischen „echten“ Durchgriffslehren und Zurechnungs-, Auslegungs- und Normzweckmethoden unterscheidet Karsten Schmidt, GesR, § 9 II 1, 2, der (§ 9 IV 5) Lösungen über eine auch den Gläubigern zugute kommende Binnenhaftung der Gesellschafter bevorzugt. Ähnliche Unterscheidungen schon zum Haftungsdurchgriff bei Th. Raiser in FS Lutter, 2000, S. 637, 639 f. 52 RGZ 99, 232, 234; RGZ 104, 128; BGH v. 30.1.1956 – II ZR 168/54, BGHZ 20, 4, 14; BGH v. 8.7.1970 – VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222, 224; BGH v. 13.1.1973 – VI ZR 53/72, BGHZ 61, 383; BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 314; BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318, 333; Stimpel in FS Goerdeler, 1997, S. 604 ff.; zu den Methodenfragen beim Haftungsdurchgriff Ehricke, AcP 199 (1999), 257 ff.; Boujong in FS Odersky, 1996, S. 739 ff.; Zöllner in FS Konzen, 2006, S. 999, 1006 ff. Zur Entwicklung der Existenzvernichtungshaftung im Konzern Tröger/Dangelmayer, ZGR 2011, 558 ff. 53 Kuhn, Strohmann-Gründung bei Kapitalgesellschaften, 1964; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, S. 405 ff.; Erlinghagen, GmbHR 1962, 561. Diese sprachen sich für eine objektiv-institutionelle Sichtweise aus; s. dazu auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 10, während bei Serick, Rechtsform und Realität, S. 2 ff.; Stauder, GmbHR 1968, 70, eher ein subjektiver Ansatz verfolgt wurde; zu einer die strikte Trennung von juristischer Person und Gesellschaften relativierenden Betrachtung näher Wiedemann, GesR I, § 4 III. 54 BGH v. 15.1.1986 – VIII ZR 6/85, NJW-RR 1986, 456; dazu Lutter, ZGR 1982, 251 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 2; s. auch die Fallstudie bei H.P. Westermann, AG 1985, 201. Im Einzelnen 13. Aufl., § 13 Rz. 131 ff.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 13 Einleitung

ausgeglichen werden können. Da der Gesellschafter den Einsatz einer selbständigen Rechtsperson zum Betrieb seiner Geschäfte selbst gewollt hat, wird er i.d.R. nicht persönlich als Anspruchsteller oder Bezugsperson für die Schadensberechnung auftreten können55. Es kann aber Konstellationen eines sog. „gesellschafterfreundlichen Durchgriffs“ geben, indem dem Alleingesellschafter gestattet wird, wegen der Schädigung des Gesellschaftervermögens einen eigenen Schadensersatzanspruch zu erheben. So konnte aufgrund schadensrechtlicher Erwägungen ein durch Unfall arbeitsunfähig gewordener Alleingesellschafter einen Schadensersatzanspruch in Höhe des weitergezahlten Geschäftsführergehalts geltend machen und dadurch verhindern, dass den Schädiger das Auseinanderklaffen von natürlicher und juristischer Person entlastet56. Hier kommen freilich auch gesicherte zivilrechtliche Institute wie die Drittschadensliquidation als Lösungskonzept in Betracht (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 182), die allerdings auch an Grenzen stoßen, etwa dann, wenn einem klagenden Gesellschafter das Risiko eines Scheiterns der fälschlich im eigenen Namen erhobenen Schadensersatzklage abgenommen werden soll oder wenn der Schaden im Gesellschaftsvermögen als einem in besonderer Form verwalteten Teil des Gesellschaftervermögens aufgetreten ist57. c) Die Drittorganschaft Die Verfassung der GmbH ist durch das Erfordernis mindestens zweier Organe gekennzeich- 13 net, wobei der Geschäftsführer das stets notwendige Handlungsorgan darstellt (13. Aufl., § 6 Rz. 3), während die Gesellschafterversammlung trotz der Möglichkeit gewisser satzungsmäßiger Beschränkungen ihres Zuständigkeitsbereichs oberstes Willensbildungsorgan bleibt, dessen Weisungen oder sonstige die Geschäftsführung betreffenden Beschlüsse den Geschäftsführer – von Ausnahmen wie Verstößen gegen die Kapitalerhaltung abgesehen58 – binden. Eine zwingende Verbindung zwischen Mitgliedschaft und Geschäftsführerstellung kennt das GmbHG nicht59, die Zulässigkeit einer Drittorganschaft unter der Oberleitung durch die Gesellschafterversammlung wird als Schritt zur kollektivistischen Ausgestaltung der GmbH gedeutet60. Zwar sind auf diesem Wege die Mitglieder von der grundsätzlichen Mitarbeitspflicht entbunden, sie bleiben aber wegen ihrer Zugehörigkeit zum obersten Organ61 der Gesellschaft, an dessen Entscheidungen sie schon kraft ihrer Treupflicht teilzunehmen haben (Rz. 8), tragende Kräfte der Gesellschaft, die somit wie die Personengesellschaften letztlich doch in Selbstverantwortung geleitet wird. Auch kann die Satzung den Gesellschaftern eine Pflicht zur Geschäftsführung auferlegen62. Trotz Zulässigkeit der Drittorganschaft im Geschäftsführungsbereich hat sich im Hinblick auf die Willensbildung der Gesellschaft das allgemeine gesellschaftsrechtliche Problem der Wahrung der „Verbandssouveränität“63 gegenüber dem Einfluss von Aufsichts-, Kontroll- und Schlichtungsgremien aus nicht-gesellschafts-

55 Karsten Schmidt, GmbHR 1974, 179; Kowalski, Der Ersatz von Gesellschafts- und Gesellschafterschaden, 1990, S. 32 ff. 56 BGH v. 3.4.1962 – VI ZR 162/61, GmbHR 1962, 134; BGH v. 9.3.1971 – VI ZR 158/69, GmbHR 1971, 137 = JR 1971, 329 m. Anm. Schwerdtner. 57 BGH v. 13.11.1973 – VI ZR 53/72, BGHZ 61, 380 und Bauschke, BB 1974, 429; noch weitergehend BGH v. 8.2.1977 – VI ZR 249/74, NJW 1977, 1283, wo wegen Verletzung des Gesellschafters der Gesellschaft ein Anspruch zugebilligt wurde. 58 Überblick bei Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43 Rz. 64; hier 12. Aufl., § 43 Rz. 386 ff. 59 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 20. 60 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 26. 61 Zum Organbegriff im Gesellschaftsrecht H.P. Westermann, Vertragsfreiheit, S. 159 ff.; Schürnbrand, Die Organschaft im Recht der privaten Verbände, 2007, S. 30 ff. 62 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 20; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 27. 63 Ausdruck von Wiedemann in FS Schilling, 1973, S. 105 ff.; s. auch Priester in FS Werner, 1984, S. 105, 111 ff.; differenzierend Reuter in FS Steindorff, 1990, S. 229, 236 f.

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Einleitung Rz. 13 | Bedeutung der GmbH angehörigen Personen ergeben, so dass in der Praxis der Auslegung und Ausgestaltung der Gesellschaftsverträge manchmal zweifelhaft ist, inwieweit die Gesellschafterversammlung zu Gunsten eines Aufsichtsrats oder Beirats auf Kompetenzen verzichten kann und will, und ob sie nicht mindestens im Stande sein muss, diese Rechte wieder an sich zu ziehen64. Vorbehalte aus diesem Gesichtspunkt treffen auch Stimmbindungen gegenüber Dritten, Stimmrechtsvollmachten und -beschränkungen. Unabhängig hiervon wird rechtstatsächlich ein großer Teil der mittelständischen Unternehmen, die sich der Rechtsform der GmbH bedienen, von einem oder mehreren Gesellschaftern/Geschäftsführern geleitet. Schließlich bedarf es in der GmbH kraft des Prinzips der Drittorganschaft stets eines besonderen Bestellungsakts für das Organ, der nach ganz h.M. von seinem Anstellungsvertrag zu trennen ist65. Von der Bestellung, die eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung bedarf, zu unterscheiden ist eine Regelung, kraft derer ein einzelner Gesellschafter ein Sonderrecht auf Tätigkeit in der Geschäftsführung oder ein Gesellschafterstamm ein Präsentationsrecht66 hat. 13a Schon aufgrund seines Anstellungsvertrages unterliegt das Fremdorgan einer eigenständigen

Treupflicht (Rz. 8), die sich nicht in einem Wettbewerbsverbot erschöpft, sondern so weit gehen kann, „außerdienstliches“ Verhalten des Organs bis zu einem gewissen Grade auf die Belange der Gesellschaft auszurichten, und die ihm verbieten kann, im Geschäftsbereich der Gesellschaft eigene wirtschaftliche Interessen zu verfolgen. Auf dieser Linie liegt es auch, dass der Geschäftsführer eine langjährig gehandhabte Geschäftspolitik nicht ohne die Zustimmung der Gesellschafterversammlung ändern und sich dabei insbesondere nicht mit der Zustimmung des Mehrheitsgesellschafters begnügen darf67, so wenig wie er andererseits den Gesellschaftern oder auch nur dem Alleingesellschafter Informationen vorenthalten darf68. d) Das Mehrheitsprinzip 14 Ein zentrales Strukturelement, insbesondere bei der Auslegung von Gesellschaftsverträgen,

ist das für die Willensbildung innerhalb der Gesellschaft grundsätzlich geltende Mehrheitsprinzip, wobei nach § 47 Abs. 2 die Mehrheit der abgegebenen Stimmen auf Kapitalgrundlage ermittelt wird. Hierin liegt auf den ersten Blick ein bedeutender Unterschied zum Personengesellschaftsrecht, doch kann angesichts der rechtstatsächlichen Entwicklung dieses Gebiets der Mehrheitsgrundsatz nicht mehr als ausgesprochen kapitalgesellschaftsrechtlich bezeichnet werden69, sondern erweist sich als passend und notwendig für alle Gruppen, die langfristig und möglicherweise über die Lebensdauer bestimmter Personen hinaus zusammenbleiben sollen. Tatsächlich begegnet auch die Aufteilung der Geschäftsanteile von einzelnen 64 Näher Beuthien/Gätsch, ZHR 155 (1993), 483 ff.; Fleck, ZHR 149 (1985), 387 ff.; Reuter in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 631 ff.; Voormann, Der Beirat im Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 1990; Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 48 ff., 302 ff. Eine bedeutende Aufwertung kann ein fakultativer Aufsichtsrat erfahren, wenn er nach den Grundsätzen des Corporate Governance Kodex zu arbeiten, insbesondere die Geschäftsführung zu überwachen hat, dazu im Einzelnen E. Vetter, GmbHR 2011, 449 ff. 65 Beurskens in Noack/Servatius/Haas, § 6 Rz. 53; etwas weitergehend im Sinn eines einheitlichen Rechtsverhältnisses Baums, Der Geschäftsleitervertrag, 1987, S. 33 ff.; Diskussion bei Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 35 Rz. 33 ff. 66 Zur satzungsmäßigen Begründung eines Bestellungsrechts BGH v. 4.10.1973 – II ZR 31/71, WM 1973, 1295; OLG Hamm v. 8.7.1985 – 8 U 295/83, ZIP 1986, 1188 m. Anm. Lutter; BGH v. 10.10.1988 – II ZR 3/88, WM 1989, 250 m. Anm. H.P. Westermann, WuB II C, § 46 GmbHG 1/89. 67 BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, GmbHR 1991, 197; das Urteil hält allerdings ein solches Verhalten des Geschäftsführers nicht ohne weiteres für einen Kündigungsgrund, hierzu kritisch Kort, ZIP 1991, 1274 ff. 68 OLG Frankfurt v. 24.11.1992 – 5 U 67/90, GmbHR 1994, 114 = DB 1993, 2324; OLG München v. 23.2.1994 – 7 U 5904/93, GmbHR 1994, 551 = DB 1994, 828. 69 S. auch Hirte, KapitalGesR, Rz. 1.15.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 16 Einleitung

Gesellschaftern und Gesellschafterstämmen im prozentualen Verhältnis 51: 49 so häufig, dass daraus Rückschlüsse auf das Bewusstsein vom Wert der Entscheidungsbefugnis gezogen werden können, die mit einer auch noch so knappen Mehrheit verbunden ist. Das GmbHGesetz schreibt nämlich qualifizierte Mehrheiten nur in §§ 53, 60 Abs. 1 Nr. 2 vor; zur Frage, inwieweit mit Rücksicht auf die Bedeutung eines Beschlussgegenstandes auch ohne Satzungsvorschrift eine Dreiviertelmehrheit erforderlich ist, s. § 47. Die Möglichkeit mehrheitlicher Entscheidung betrifft grundsätzlich auch Beschlüsse mit weit tragenden Folgen wie die Auflösung der Gesellschaft. Doch bildet die gesellschaftliche Treupflicht eine allgemeine Grenze der Freiheit der Stimmrechtsausübung, die auch im Kapitalgesellschaftsrecht wirksam ist (s. näher schon Rz. 8). Die aus § 53 Abs. 2 ersichtliche Möglichkeit satzungsändernder Beschlüsse mit Stimmen- 15 mehrheit hebt die normal-typische GmbH vom Vorstellungsbild der engen Arbeitsgemeinschaft einer kleinen Gesellschaftergruppe ab70. Abgesehen von den allgemeinen Grenzen der Mehrheitsherrschaft unter dem Aspekt der Treupflicht (Rz. 8), die in Ermangelung eines expliziten gesetzlichen Minderheitenschutzes hierfür herhalten muss, wird von manchen Autoren an eine mehrheitliche Satzungsänderung in grundlegenden Fragen, also etwa eine Umstrukturierung der Gesellschaft durch Mehrheitsentscheidung, ein Austrittsrecht der überstimmten Gesellschafter geknüpft, dies jedenfalls dann, wenn die Geschäftsanteile nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter veräußerlich sind71. Dies wird bei beständiger Majorisierung eines Gesellschafters in Betracht kommen, wenn diese den Rang eines „wichtigen Grundes“ annimmt, wofür die bloße Vinkulierung aber nicht ausreicht72; im Übrigen darf auch kein anderes Mittel zur Verfügung stehen, um die Lage des Minderheitsgesellschafters zu verbessern73. Nicht durchgesetzt hat sich, auch weil Mehrheitsherrschaft im Grundsatz legitim ist, die Forderung nach einem nicht von einem wichtigen Grund abhängigen Austrittsrecht74. Zu beachten ist in diesem Kontext ferner, dass in bestimmten Konstellationen, etwa im Fall einer Leistungsvermehrung gemäß § 53 Abs. 3, über das Drei-Viertel-Mehrheitserfordernis des § 53 Abs. 2 Satz 2 hinaus die individuelle Zustimmung einzelner betroffener Gesellschafter erforderlich sein kann75. e) Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals Die Mitgliedschaft in der GmbH ist vom Gesetz zunächst auf der Kapitalbeteiligung, die Grün- 16 dung der Gesellschaft demnach auf der Aufbringung des Stammkapitals aufgebaut worden. Das entspricht kapitalgesellschaftsrechtlichem Denken76, das zwar nicht zu einer Pflicht zur Bildung eines für die unternehmerischen Zwecke der Gesellschaft ausreichenden Stamm70 Rechtspolitische Kritik bei Martens in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 607, 614 f. 71 Zum Austrittsrecht s. Röhricht in FS Kellermann, 1991, S. 361, 378 ff.; Kersting in Noack/Servatius/ Haas, Anh. § 34 Rz. 22; zum Austritt wegen Verhaltens der Mitgesellschafter Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 34 Rz. 54. 72 OLG Hamm v. 28.9.1992 – 8 U 9/92, GmbHR 1993, 656 f.; Altmeppen, § 60 Rz. 108. 73 OLG Karlsruhe v. 25.4.1984 – 6 U 20/84, BB 1984, 2015, 2016; Sosnitza in Michalski u.a., Anh. § 34 Rz. 50; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 34 Rz. 55; zum Ganzen Goette, DStR 2001, 533, 540 f. 74 Reuter, Perpetuierung, S. 125 ff.; Immenga, S. 77 ff.; s. auch Wiedemann, NJW 1964, 282 in Bezug auf die nachträgliche Vinkulierung von Anteilen; noch weiter gehend Reuter, GmbHR 1977, 77 ff.; bei Nebenleistungsgesellschaften ebenso Wiedemann, Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965, S. 91; Vollmer, DB 1983, 95 f. Gegen eine Subsidiarität des Austrittsrechts gegenüber der Anteilsveräußerung Röhricht in FS Kellermann, 1991, S. 361, 374 ff. 75 Zum Erfordernis individueller Gesellschafterzustimmungen s. Wicke, § 53 Rz. 14 ff. 76 Grundlegend dazu Ballerstedt, GmbHR 1967, 66 f.; Raiser/Veil, KapGesR, § 1 Rz. 2; Wiedemann, GesR I, § 2 I 3a.

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Einleitung Rz. 16 | Bedeutung der GmbH kapitals geführt hat, wohl aber im Zuge der Solidarhaftung jedes Gesellschafters für die Einlagepflichten der anderen (§ 24), die sich auch in der Haftung für unzulässige Ausschüttungen von Gesellschaftsvermögen an Gesellschafter im Rahmen der §§ 30, 31 Abs. 3 niederschlägt, das unternehmerische Risiko jedes Gesellschafters charakteristisch erhöht. Dem Bemühen des Gesetzes um effektive Aufbringung des Kapitals bei Gründung und Kapitalerhöhung dienen zum einen das Aufrechnungsverbot für den Gesellschafter (§ 19 Abs. 2 Satz 2) und die der Gesellschaft auferlegte Beschränkung der Aufrechnungsmöglichkeit auf liquide und vollwertige Forderungen des Gesellschafters77. Am Grundsatz der realen Kapitalaufbringung scheitert dann auch die Einlagefähigkeit der Verpflichtung zu eigenen Dienstleistungen78 – charakteristisch anders als in der OHG –, das Aufrechnungsverbot verhindert auch eine bei der Gründung von Personengesellschaften zulässige und keineswegs seltene Vereinbarung wie die „Einbringung“ von Arbeitsleistungen an Stelle eines Kapitalbeitrages79. 17 In diesem Bereich hat die Rechtsprechung den Gläubigerschutz gegen bedenkliche Finanzie-

rungspraktiken bedeutend verstärkt. Dabei wurde die an sich durch das Haftungsprivileg im Gesetz weniger betonte Verantwortung der Gesellschafter als Mitunternehmer80 deutlich akzentuiert. Ausdruck dieses Bestrebens sind die im Zusammenhang mit der Bindung kapitalersetzender Gesellschafterdarlehen entwickelte Finanzierungsverantwortung bzw. auch Finanzierungsfolgenverantwortung (dazu 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 16 f.) sowie die Haftung eines beherrschenden Gesellschafters für die Auswahl ungeeigneter Führungskräfte, die zwar nichts mit Finanzierung zu tun haben muss, aber doch einigen Tendenzen entgegenwirken könnte, die unternehmerische Verantwortung in Krisensituationen weitgehend bei der Geschäftsführung abzuladen. Die Tendenzen der Judikatur werden überwiegend geteilt81, um ein Gegengewicht gegen die bekannte Kapitalschwäche der GmbH und das Haftungsprivileg der Gesellschafter schaffen zu können. Bisweilen tauchte aber doch die Frage auf, ob nicht die Perfektion des Gläubigerschutzes mit zahlreichen als durchaus drakonisch empfundenen Ergebnissen zu weit geht82. So bei Doppelzahlung von Einlagen, bei mehrfacher Erstattung eines ausgekehrten Betrages bei verbundenen Gesellschaften83, bei Kumulation von Gründungsprüfung und Differenzhaftung – obwohl diese richterrechtliche Lösung in die Gesetzesnovelle von 1980 eingegangen ist84 –, bei der „Mantelverwendung“, der Einzahlung einer Einlage auf ein debitorisches Konto der Gesellschaft85, schließlich bei dem wahren Kosmos sich selbst fortzeugender Regelwerke der kapitalersetzenden Finanzierungsmittel86. Die insbesondere im letzteren Bereich, aber auch im Hinblick auf die Kapitalaufbringung durch

77 BGH v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52. 78 Im Einzelnen 13. Aufl., § 5 Rz. 51. 79 BGH v. 21.9.1978 – II ZR 214/77, GmbHR 1978, 268; zur steuerrechtlichen Behandlung BFH v. 9.6.1997 – GrS 1/94, GmbHR 1997, 851 = ZIP 1998, 471. 80 Hierzu und zum Folgenden Wiedemann, ZGR 2011, 183, 210 ff. 81 S. hier nur Ulmer, Richterrechtliche Entwicklungen im Gesellschaftsrecht 1973–1985, 1986, S. 9 ff. 82 S. etwa Meilicke, GmbHR 2003, 1271, 1273; Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189 f.; H.P. Westermann, ZIP 2005, 1849 ff. 83 BGH v. 24.9.1990 – II ZR 174/98, GmbHR 1990, 552 m. Anm. H.P. Westermann, WuB II C § 30 GmbHG 1/91; s. auch KurzKomm. Müller, EWiR § 31 GmbHG 2/90. 84 Zu den Bedenken gegen die Kumulation von Gründungsprüfung und Haftung H.P. Westermann, Gläubigerschutz bei der Neuordnung der GmbH, 1971, S. 23 ff. 85 Dazu BGH v. 15.3.2004 – II ZR 210/01, GmbHR 2004, 736 m. Anm. Heidinger = JZ 2004, 684 m. Anm. Ulmer. 86 Übersicht bei v. Gerkan/Hommelhoff (Hrsg.), Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2. Aufl. 2002; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 38; später von Grunewald, GmbHR 1997, 7 ff.; Claussen in FS Forster, 1992, S. 141 ff.; Koppensteiner, AG 1998, 308; T. Bezzenberger in FS G. Bezzenberger, 2000, S. 23 ff.; Fastrich in FS Zöllner, 1998, S. 143 ff., was sich teilweise in einer gesetzlichen „Rechtsrückbildung“ niedergeschlagen hat, dazu H.P. Westermann in FS Zöllner, 1998, S. 607 ff.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 19 Einleitung

Sacheinlagen87 und auf die Finanzierungsinstrumente im Cash-Pool auch unter konzernrechtlichen Gesichtspunkten88 aufgekommene Kritik hat wesentlich zu den grundlegenden Neuerungen des MoMiG beigetragen (dazu Rz. 53), wobei nicht verwundert, dass dessen Ergebnisse deutlicher Kritik aus dem Gesichtspunkt der Abschwächung des Gläubigerschutzes unterliegen89. Eine weitere Akzentuierung des Problemkreises etwa um die verdeckten Sacheinlagen ist durch die Einführung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) mit dem extrem niedrigen Stammkapital durch § 5a geschehen. Im gesamten Bereich ist zwar weniger an eine Durchgriffshaftung wegen Unterkapitalisierung gedacht, problematisch ist aber die Anwendung der die Folgen einer verdeckten Sacheinlage bestimmenden Anrechnungslösung gemäß § 19 Abs. 4, auch in ihrer Abgrenzung zum Hin- und Herzahlen90 (13. Aufl., § 5a Rz. 29). Das alles ist als Charakteristikum der GmbH zu bezeichnen, wobei aber einige Bedenken im 18 Hinblick auf die Ausstattung der Gesellschaften mit Stammkapital nicht behoben worden sind und vermutlich bestehen bleiben werden. Die regelmäßig sofortige Investition der Mittel und die bekannt niedrigen Liquidationserlöse, ganz zu schweigen vom Verhältnis zwischen Höhe des Stammkapitals und regelmäßigem Ausfall in Insolvenzen, haben Zweifel hervorgerufen, ob die noch weitgehend anerkannte Funktion des Kapitals als Garantieziffer91 praktisch aufrechterhalten werden sollte92; hier wie auch bei den Regeln zur Kapitalaufbringung wird ernstlich erwogen, ob man in einem normgemäßen Verhalten unter diesen Umständen noch mehr als ein Seriositätsindiz sehen kann93. Wie die Entwicklung bei der UG (haftungsbeschränkt), aber auch bei der sehr verbreiteten Anwendung dieser Variante der GmbH als KG-Komplementärin (13. Aufl., § 5a Rz. 40) zeigt, verspricht man sich vom Stammkapital als Instrument des Gläubigerschutzes nicht mehr allzu viel94. Das in den §§ 30–32, § 33 Abs. 1, § 34 Abs. 3 niedergelegte System der Erhaltung des Stamm- 19 kapitals wurde rühmend als „einfach aber wirksam“ bezeichnet95. Dabei ist „Erhaltung“ des Kapitals nicht als Reservierung für die Gläubiger zu verstehen, sondern als Zwang zur ausschließlichen Verwendung für Gesellschaftszwecke, so dass sich nur ein mittelbarer Gläubigerschutzeffekt durch Stärkung des haftenden Gesellschaftsvermögens ergibt. Zur Regelung

87 Zum Problem der Kapitalaufbringung durch Sacheinlagen der Modernisierung durch das MoMiG zustimmend Maier-Reimer/Wenzel, ZIP 2008, 1449 ff.; ähnlich vorher Hentzen/Schwandtner, ZGR 2009, 1007 ff. 88 Zum Cash-Pooling im Hinblick auf die vor der Reform bestehenden Praxisprobleme Habersack/ Schürnbrand, NZG 2004, 689; J. Vetter/Stadler, Haftungsrisiken beim konzernweiten Cash-Pooling, 2003; zu den gestiegenen Ansprüchen an die Geschäftsführer ausführlich Klein, ZIP 2017, 258 ff. zur Vergabe eines Upstream-Darlehens als möglicher nachteiliger Weisung BGH v. 1.12.2008 – II ZR 102/07, GmbHR 2009, 199 = ZIP 2009, 70 m. Aufsatz Altmeppen S. 49; zum Cash-Pooling nach dem MoMiG Hömme, Die Kapitalerhaltung nach dem MoMiG unter besonderer Berücksichtigung des Cash-Poolings, 2015. 89 Ebenso Bayer, GmbHR 2010, 1289; scharf antikritisch Kerber, ZGR 2005, 437. 90 Dazu, ebenfalls mit Blick auf das MoMiG, Schall, ZGR 2009, 126 ff. 91 Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung, S. 91; Lutter, Sicherung der Kapitalaufbringung, S. 50. 92 Kritisch Eidenmüller/Engert, GmbHR 2004, 433 ff.; Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189 f.; schon früher H.P. Westermann, Gläubigerschutz, S. 18 f. Zurückhaltend auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A 45; zur internationalen Vergleichbarkeit einer Regelung Roth in Roth/ Altmeppen, 8. Aufl., Einl. Rz. 27, 28. 93 Überlegungen in diese Richtung bei H.P. Westermann, ZIP 2005, 1849 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 18 II 4a; eher kritisch Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl., Einl. Rz. 30. 94 S. aber auch Wicke, ZNotP 2006, 322. 95 Ballerstedt, GmbHR 1967, 66, 67; s. auch die auf die Einrichtung des Stammkapitals bezogenen Bemerkungen von Wiedemann, GesR I, § 10 IV 1b; skeptisch Mülbert, Der Konzern 2004, 151; Schön, Der Konzern 2004, 62, 164.

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Einleitung Rz. 19 | Bedeutung der GmbH der §§ 30, 31 passt die Sperrwirkung des Einsatzes des Stammkapitals als Passiv-Posten in der Bilanz, die zeigt, dass die GmbH-rechtliche Vermögensbindung nicht bei den Gegenständen des Gesellschaftsvermögens ansetzt, sondern zu laufenden Prüfungen zwingt, ob durch Auskehrung von Vermögensgegenständen an Gesellschafter das Gesellschaftsvermögen unter einen zur Unterbilanz führenden Wert sinkt (näher 13. Aufl., § 30 Rz. 52 ff.), dort dann auch zu der zeitweise propagierten, schon vor Erlass des MoMiG aber widerrufenen „Abkehr vom bilanziellen Denken“. Wenn das GmbH-Recht nur das zur Deckung der festen Stammkapitalziffer notwendige Vermögen bindet, so kommt hierin wiederum zum Ausdruck, dass abgesehen von einer möglichst effektiven Einlageverpflichtung, die bei verbotenen Auszahlungen praktisch wieder auflebt96, die Gesellschafter in der Bestimmung, im Einsatz und im Abziehen wirtschaftenden Kapitals grundsätzlich frei sein sollen. Eine andere Frage ist, ob der Gesellschafter in jeder Situation, auch in der Krise der Gesellschaft, frei bleiben kann, zu bestimmen, ob er der Gesellschaft zur Verfügung gestellte Mittel außer als Eigenkapital auch als formelle Fremdmittel gewährt. Dies war einer der Leitgedanken des Rechts der kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen, während die Problematik seit dem MoMiG als Fall der insolvenzrechtlichen Anfechtung (§ 135 InsO) oder der Anfechtung nach dem Anfechtungsgesetz (§ 6 AnfG) behandelt wird; s. Rz. 53. Die kapitalmäßige Flexibilität der GmbH ist unter diesen Umständen als eingeschränkt anzusehen. f) Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter 20 Die Aufbringung des Kapitals durch einen Kreis untereinander bekannter Gesellschafter, die

ihre Anteile auch nicht am Kapitalmarkt handeln sollen, gibt die Möglichkeit, die Voraussetzungen und Formen des Mitgliederwechsels, die Organisation der Geschäftsführung, bis zu einem gewissen Grade auch die Finanzierung des Unternehmens weitgehend der privatautonomen Entscheidung der Gesellschafter zu überlassen97. Dies ist trotz weiter Verbreitung auch in anderen Rechtsordnungen zwar nicht zwingendes Prinzip für die Regelung personalistischer Verbände98 und gilt auch nicht für das Außenverhältnis und die Gestaltung der Kapitalverhältnisse, ist aber doch regelmäßig sachgerecht. Bekanntlich hat die Vertragspraxis in Ausnutzung dieser Freiheit die GmbH, anders als es die Gesetzesverfasser vorsahen, in einer großen Zahl der Fälle als personalistischen Verband ausgestaltet, und die Freiheit hierzu wird als einer der das Leitbild der GmbH prägenden Vorzüge gewertet99. Das bedeutet aber auch eine Bindung an Vertragsregelungen, die ohne besondere Vorkehrungen in der Satzung nur mit qualifizierter Mehrheit überwunden werden können, § 53, auch bei Erhöhung des Stammkapitals, die also trotz eventueller wirtschaftlicher Notwendigkeit von einer Minderheit der Gesellschafter verhindert werden kann. Da ferner die Gesellschaft, wenn entsprechende Vertragsbestimmungen fehlen, nicht ordentlich kündbar ist, entsteht so eine langfristige Bindung der Gesellschafter, die nur bei Bestehen eines Vertrauensverhältnisses tragbar ist, weil bezüglich der Willensbildung in Geschäftsführungs- und sogar in Satzungsfragen das Mehrheitsprinzip herrscht. Bei streng personalistisch strukturierten Gesellschaften werden daher grundlegende Entschlüsse öfter von qualifizierten Mehrheiten, wenn nicht vom einstimmigen Beschluss aller Partner abhängig gemacht. Aufsichts- oder Kontrollgremien, die das Gesellschaftsrecht nicht vorschreibt, sind nicht sehr verbreitet und dienen, wenn sie eingesetzt werden, eher der Beratung und Überwachung sowie der Streitschlichtung 96 Lutter, Kapital, S. 381. 97 Zur Satzungsautonomie und ihren Grenzen s. auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 150 ff. 98 Wiedemann, JZ 1970, 593, 594; rechtsvergleichend Fleischer, ZGR 2016, 36, 75 ff. 99 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 21; Roth in Roth (Hrsg.), Das System der Kapitalgesellschaften im Umbruch, S. 1, 11 f.; Schippel, GmbHR 1992, 414, 415 ff.; J. Schmidt in Michalski u.a., Syst. Darst. 1 Rz. 11; differenzierend aber Zöllner in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, S. 85 ff.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 22 Einleitung

in Gesellschaften mit etwa gleich starken Gesellschafterstämmen als der Unterstützung der Geschäftsführung100. Wesentliche Bedeutung haben in der Praxis nicht zuletzt die im GmbHG vorgesehenen zwingenden Minderheitenschutzrechte, wie insbesondere nach § 50 oder § 51a. Trotz der grundsätzlichen Satzungsautonomie kann in einem allerdings begrenzten Rahmen 21 auch eine gewisse Inhaltskontrolle stattfinden. So werden z.B. trotz der grundsätzlichen Unanwendbarkeit der AGB-Inhaltskontrolle auf das Gesellschaftsrecht (§ 310 Abs. 4 BGB) die Gesellschaftsverträge so genannter Publikumspersonengesellschaften, die für eine Vielzahl von Anlegern „vorformuliert“ und nicht durchweg von der Vorstellung getragen waren, Chancen und Risiken der Kapitalgeber angemessen zu verteilen101, nicht uneingeschränkt akzeptiert. Diese Vorstellungen sind aber auf die normaltypische GmbH, die in solchen Verbänden hauptsächlich nur als Komplementärin fungiert (auch als Einmann-Gesellschaft), nicht übertragbar. Einiges Gewicht haben aber – z.T. einfach in Anwendung der zivilrechtlichen Generalklauseln wie § 138 BGB – Schutzgedanken etwa zugunsten einer Minderheit oder der Vermögensinteressen eines Gesellschafters, z.B. im Zusammenhang mit der Einziehung von Geschäftsanteilen und der Abfindung des hierdurch ausscheidenden Gesellschafters, näher 13. Aufl., § 34 Rz. 67 ff. Auch kann aus dem Umstand, dass die rechtliche Regelung die Interessensphären jetzt noch nicht bekannter Partner in einer weiten und ungewissen Zukunft betreffen kann, ein besonderes Bedürfnis nach einer ergänzenden und reduzierenden Auslegung entstehen, das auch eine Kontrolle der Ausübung der aus Vertragsklauseln u.U. folgenden Gestaltungsmacht einzelner Gesellschafter oder der Mehrheit erfordern kann. Dies kann praktisch werden etwa im Hinblick auf vertraglich festgelegte Thesaurierungspflichten oder die Anordnung, dass mehrere in die Gesellschaft – etwa im Erbfall – nachgerückte Gesellschafter, wenn sie durch Erbteilung das Hindernis aus § 18 beseitigt haben, einen gemeinsamen Repräsentanten bei der gesellschaftlichen Willensbildung für sich auftreten lassen müssen, ohne diese Bindung jeweils abschütteln zu können. Gegenstand von Überlegungen zur Inhaltskontrolle sind bisweilen auch rigorose Anteilsvinkulierungen102. Insgesamt besteht nach dem aktuellen Stand von Rechtsprechung und Lehre kein Anlass für die Befürchtung, die Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen könne für Willkür missbraucht werden. Auch kann der Gesichtspunkt des Minderheitenschutzes, der für die unverbundene wie für die konzernangehörige Gesellschaft immer noch zunehmend betont wird, neben seiner Bedeutung für eine Inhaltskontrolle zu einer Ausübungskontrolle im Hinblick auf die Treupflichtbindung der Gesellschaftermehrheit gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern führen. Daraus folgen Einschränkungen der privaten Entscheidungsmacht103, die sich in erster Linie bei einer Beschlusskontrolle auswirken (näher Rz. 58). g) Die GmbH als Kaufmann Neben der Flexibilität des Innenverhältnisses, die zur praktischen Verbreitung der GmbH 22 maßgeblich beigetragen hat, steht die Zweckneutralität der Gesellschaftsform, die lediglich

100 Näher Sigle, NZG 1989, 619 ff.; Vollmer, WiB 1995, 578 ff. 101 Zur Angemessenheitskontrolle im Gesellschaftsrecht grundlegend Wiedemann in FS H. Westermann, 1974, S. 585 ff.; Wiedemann in Festgabe Kummer, 1980, S. 172 ff.; Martens, DB 1973, 413, 419; kritisch Zöllner in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 85, 102 ff.; Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht, 1992, S. 137 ff. An der grundsätzlichen Unanwendbarkeit der AGBInhaltskontrolle auf Gesellschaftsverträge hat auch die EG-Richtlinie über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen nichts geändert – die GmbH-Satzung ist eben kein Verbrauchervertrag (zum Ganzen eingehend Drygala, ZIP 1997, 968 ff.). 102 Dazu etwa H.P. Westermann in FS U. Huber, 2006, S. 997, 999 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 2011, 1289 ff. 103 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 37.

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Einleitung Rz. 22 | Bedeutung der GmbH durch die selbstverständlichen Anforderungen an die gesetzliche Erlaubtheit eines Gesellschaftszwecks eingeschränkt ist (13. Aufl., § 1 Rz. 37 ff.). Obwohl hiermit das Betreiben eines Handelsgewerbes nicht der einzige zulässige Zweck ist, sondern unbedenklich auch nichtwirtschaftliche (etwa politische, soziale oder kulturelle), jedenfalls Non-Profit- oder Stiftungszwecke verfolgt werden können104, fingiert § 13 Abs. 3 die Kaufmannseigenschaft der GmbH als Handelsgesellschaft (13. Aufl., § 13 Rz. 33). Daher kann die Gesellschaft außer dem oder den Geschäftsführern kaufmännische Hilfspersonen im Sinne des Handelsrechts einsetzen. Hiervon abgesehen, sind durch die verhältnismäßig einfache Gründung105, die schlanke Organstruktur und die wenigen zwingenden Rechtsvorschriften die Rechtsformkosten bei der GmbH im Vergleich zur AG verhältnismäßig niedrig. Die GmbH-Gesellschafter sind als solche nicht Kaufleute, da die Gesellschaft, nicht die Gesellschafter ein Handelsgewerbe betreiben. Die Vor-GmbH ist nicht Kaufmann, es sei denn, ihre Tätigkeit fällt bereits unter § 1 HGB, was nur in Betracht kommt, wenn sie einen kaufmännisch eingerichteten Betrieb benötigt; es entstünde dann eine OHG. 23 Die Kaufmannseigenschaft der GmbH führt zur Anwendung der Vorschriften des HGB über

die Rechnungslegung (s. §§ 264 ff. HGB), was auch die Prüfung und Offenlegung betrifft, allerdings mit Erleichterungen für „kleine“ Gesellschaften. Die GmbH ist Unternehmer i.S.d. § 14 BGB. Was die Publizität anbelangt, so hat die durch §§ 40, 16 i.d.F. des MoMiG in ihren Funktionen deutlich aufgewertete Gesellschafterliste Auseinandersetzungen insbesondere um die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs von Geschäftsanteilen ausgelöst (s. im Einzelnen 13. Aufl., § 16 Rz. 57 ff.). Für die GmbH gibt es auch spezielle Vorschriften im Umwandlungsrecht (§§ 46 ff.; 138 ff., 226 ff. UmwG). Schließlich sind die Registrierungspflichten der §§ 13 ff. HGB für Zweigniederlassungen (ausländischer) GmbH anwendbar, näher 12. Aufl., Anh. § 4a Rz. 4.

2. Rechtstatsächliche Funktionen der GmbH a) Zahlenverhältnisse 24 Die sorgfältig recherchierten, laufend erneuerten, nach den Bundesländern und sogar Ge-

richtsbezirken aufgegliederten Angaben über die absolute Zahl von GmbH sowie von denen anderer Unternehmensformen lassen Schlüsse zu106 auf den aktuellen Bestand mit Zuwachs oder Abgängen der einzelnen Rechtsformen und auf dieser Grundlage zur Konkurrenz mit ausländischen, in Deutschland benutzten Rechtsformen107. Die Angaben des statistischen Bundesamts über die Aufteilung der Rechtsformen auf die Wirtschaftszweige und zu den Größenordnungen der eingesetzten Kapitalien, obwohl nicht so aktuell108 und nicht in allen Punkten auf die GmbH ausgerichtet, ermöglichen immerhin Einsichten zu den Nominalkapitalien und zu ihrer Steigerung. Nicht feststellbar sind auf diesem Wege aber die durchschnittlichen Gesellschafterzahlen, gewisse Hinweise gibt es immerhin auf den Einsatz von Drittorganen

104 Auch dazu Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 98; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 15; zur GmbH ohne erwerbswirtschaftliche Zielsetzung Rz. 35. 105 Zu den Gründungserleichterungen s. Heckschen, GmbHR 2018, 1093; zur Online-Gründung s. 13. Aufl., § 2 Rz. 160 ff. 106 Im Einzelnen dazu Kornblum, GmbHR 2010, 739 ff.; Kornblum, GmbHR 2011, 692 f.; Kornblum, GmbHR 2015, 687 ff.; Kornblum, GmbHR 2016, 691; Kornblum, GmbHR 2017, 739; Kornblum, GmbHR 2021, 681; s. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 501. 107 Etwa bei Harbarth, ZGR 2016, 84 ff. 108 S. immerhin Hansen, GmbHR 1995, 507; Hansen, GmbHR 1997, 204; Stat. Bundesamt für 1955– 1990, Fachserie 2, Reihe 2.2, ferner wiederum Kornblum, GmbHR 2005, 39 ff.; Hansen, GmbHR 1995, 507; J. Schmidt in Michalski u.a., Syst. Darst. 1 Rz. 113.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 26 Einleitung

in der Geschäftsführung109. Nur Gegenstand von Vermutungen ist die Zahl registrierter GmbH, die als Komplementärin einer KG fungieren110. Laut statistischen Erhebungen waren zum Stichtag 1.1.2021 im Handelsregister 1.376.420 GmbHs eingetragen111. Der Anteil der jüngeren, in § 5a geregelten Rechtsformvariante der UG (haftungsbeschränkt) hieran betrug 163.507 Gesellschaften. Im Vergleich dazu wurden 284.405 KG, mit weiter rückläufiger Tendenz 13.883 AG und (ebenso rückläufig) 150.482 Einzelkaufleute ermittelt112, wobei auch klar hervortritt, dass die KG von der wachsenden Zahl von GmbH und besonders UG (haftungsbeschränkt) profitiert113. Schwer zu erkennen sind nach wie vor die Abgänge durch Insolvenz, Liquidation und Umwandlung114 sowie die Größenklassen des Stammkapitals; insofern dürfte es aber – auch angesichts der Popularität der UG (haftungsbeschränkt) – weiterhin so sein, dass ein sehr großer Teil der Gesellschaften mit dem gesetzlichen Mindeststammkapital arbeitet. Immerhin spielt die GmbH eine nicht zu übersehende Rolle bei den Großunternehmen mit Stammkapitalien über 50 Mio. Euro115. Auf der anderen Seite gibt es einen unübersehbaren Trend zur Einmann-Gesellschaft, der von der Einzelunternehmung zur GmbH und zur GmbH & Co. KG führt116; deutlich höher noch sind die Schätzungen für Gesellschaften mit zwei bis fünf Gesellschaftern, was auf eine personalistische Struktur hindeutet117. Unter den Einmann-Gesellschaften befinden sich auch eine beachtliche Zahl von Konzernunternehmen, während sonst Gesellschaften mit zwei bis fünf Gesellschaftern überwiegen, näher Rz. 37. b) Das wirtschaftliche Gewicht der GmbH Die Erkenntnisse über die Aufteilung der registrierten GmbH auf Wirtschaftsbereiche118 25 sollten noch durch Erhebungen zu den Beschäftigtenzahlen ergänzt werden, deren Kenntnis Verzerrungen zwischen eher arbeits- und mehr kapitalintensiven Branchen entgegenwirken könnte. Eines der hauptsächlichen Gewichte der GmbH liegt in den Bereichen Dienstleistung und 26 Handel, die an Bedeutung dem verarbeitenden Gewerbe gleichkommen119. Einen zusätzlichen Zug zum Bereich „Dienstleistungen“ begründen die zahlreichen Beteiligungs- und Verwal-

109 Zu diesen Angaben J. Schmidt in Michalski u.a., Syst. Darst. 1 Rz. 112; Kornblum/Hand/Neß, GmbHR 2008, 1240, 1250. 110 Meyer, GmbHR 2002, 177, 183; folgend Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Syst. Darst. 1 Rz. 181. 111 Kornblum, GmbHR 2021, 681, 688. 112 Kornblum, GmbHR 2021, 681, 682; Kornblum, GmbHR 2017, 746; Kornblum, GmbHR 2016, 691; Kornblum, GmbHR 2015, 688; Kornblum, GmbHR 2011, 692 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 102. 113 Die Rede ist von über 4.000 UG (haftungsbeschränkt) als KG-Komplementärinnen (Kornblum, GmbHR 2012, 729; Kornblum, GmbHR 2016, 691); die absolute Zahl der UG wird auf über 163.507 beziffert, Kornblum, GmbHR 2021, 681, 682; s. auch J. Schmidt in Michalski u.a., Syst. Darst. 1 Rz. 101. 114 Hierzu immerhin Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 69. 115 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 110; Meyer, GmbHR 2002, 179 unter Bezugnahme auf Hansen, GmbHR 1988, 15 ff., Hansen, GmbHR 1997, 183; Hansen, GmbHR 1997, 204, 205. Zu den Gesellschaften mit einem Stammkapital von über 100 Mio. DM die Angaben von Hansen, GmbHR 1998, 15 ff. 116 Auch dazu Kornblum, GmbHR 1997, 632 ff.; J. Schmidt in Michalski u.a., Syst. Darst. 1 Rz. 108. 117 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 110; Meyer, GmbHR 2002, 179. 118 Dazu Hansen, GmbHR 1993, 149; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Syst. Darst. 1 Rz. 182. 119 Zu den Tendenzen die Angaben bei Hansen, GmbHR 1988, 17; Hansen, GmbHR 1987, 832; Hansen, GmbHR 1997, 204 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 113; s. auch bereits Kornblum/Kleinle/Baumann/Steffan, GmbHR 1985, 42, 47.

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Einleitung Rz. 26 | Bedeutung der GmbH tungsgesellschaften120. Nach der Erfahrung der Praxis ist die GmbH die mit Abstand beliebteste Gesellschaftsform für Start-Up-Unternehmen und Venture-Capital-Gesellschaften. Entsprechendes gilt für Akquisitionsvehikel im Private-Equity-Umfeld, an deren Konzernspitze aus steuerlichen Gründen in der Regel allerdings ausländische Gesellschaften, häufig mit Sitz in Luxemburg oder den Kanalinseln stehen. Noch verhältnismäßig neu ist die inzwischen zugelassene Nutzung der GmbH als Rechtsform von Freiberufler-Gesellschaften121. Angehörigen freier Berufe nicht gewerblicher Natur steht neben der GmbH als Organisationsform insbesondere die Partnerschaftsgesellschaft nach dem PartGG offen, die nicht den Bestimmungen des HGB unterliegt. Auf dem Vormarsch befindet sich insbesondere die seit dem 19.7.2013 zugelassene Rechtsformvariante einer Partnerschaftsgesellschaft mit beschränkter Berufshaftung (PartG mbB), bei welcher für Schäden wegen fehlerhafter Berufsausübung nach § 8 Abs. 4 PartGG nur noch das Gesellschaftsvermögen haftet, sofern die Sozietät eine besondere Berufshaftpflichtversicherung unterhält122. Bekannt, wenn auch nicht durch genaue Zahlen belegbar, ist die große Bedeutung der GmbH als Komplementärin einer KG123. Seitdem die Publizitätspflichten bei der GmbH & Co. KG an diejenigen der GmbH angepasst sind, gehen hiervon keine Impulse mehr aus, und auch die notwendige Firmierung bei einer UG (haftungsbeschränkt) als Komplementärin hat die Praxis offenbar nicht abgeschreckt. Auch bei diesem Typ ist der Gesellschafterkreis in der Regel nur klein, und die Führung der Unternehmen liegt wie bei der personalistischen GmbH meist in Händen von Gesellschaf-

120 Hansen, GmbHR 1981, 103; Kornblum/Kleinle/Baumann/Steffan, GmbHR 1985, 42, 47. 121 Vgl. zur Steuerberatungsgesellschaft: § 49 Abs. 1 StBerG; Berufausübungsgesellschaften: §§ 59b ff. BRAO; zur jüngsten Reform der anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften vgl. Kilian, NJW 2021, 2385; Patentanwalts-GmbH: §§ 52c ff. PatAnwO; Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, die allerdings ohne zusätzliche Rücklagen nicht als UG (haftungsbeschränkt) gegründet werden darf, da ein Mindestvermögen von 25.000 Euro vorausgesetzt wird: § 27 Abs. 1 WPO, § 28 Abs. 6 Satz 2 WPO. Ebenso ist die GmbH für Architekten und Ingenieure anerkannt: OLG Düsseldorf v. 28.11.1995 – 20 U 25/95, GRUR 1996, 370; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 9; Zahnärzte: BGH v. 25.11.1993 – I ZR 281/91, NJW 1994, 786 = GmbHR 1994, 325; Heilpraktiker: BGH v. 5.12.1991 – I ZR 11/90, GRUR 1992, 176 bei ausreichender Unabhängigkeit der Berufsträger. Demgegenüber wird die GmbH als Berufsausübungsform für Ärzte vereinzelt durch Landesgesetze untersagt, s. für Bayern Art. 18 Abs. 1 Satz 2 BayHKaG; dazu BayVerfGH v. 13.12.1999 – 5-VII-95, 6-VII-95, NJW 2000, 3418; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 9; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 1 Rz. 13 zu verfassungsrechtlichen Bedenken; zu Tierärzten s. OLG München v. 3.2.2015 – 31 Wx 12/14, GmbHR 2015, 318 und Art. 51 Abs. 1 BayHKaG n.F.; auf die maßgebliche Berufsordnung abstellend insoweit OLG Düsseldorf v. 4.10.2006 – 3 Wx 165/06, FGPrax 2007, 9. Der Zusammenschluss zu einem „medizinischen Versorgungszentrum“ in der Rechtsform der GmbH wird aber durch § 95 Abs. 1a SGB V gestattet. Zulässig ist nunmehr die interprofessionelle Zusammenarbeit von Anwälten mit Ärzten und Apothekern (BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700) und eine mehrheitlich von Patenanwälten beherrschte Anwalts-GmbH (BVerfG v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, NJW 2014, 613); eine PartG kann aber nicht Gesellschafterin einer Anwalts-GmbH sein (BGH v. 20.3.2017 – AnwZ (Brfg) 33/16, NJW 2017, 1681). Zum Insolvenzverwalter kann nur eine natürliche Person bestellt werden (BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, NJW 2016, 930); zur „Nur-Notar-GmbH“ Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 1 Rz. 28, 29. S. zum Ganzen Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 9; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 1 Rz. 8; Wicke, § 1 Rz. 4. 122 Lieder/Hoffmann, NZG 2019, 249; Wicke, § 1 Rz. 4. 123 Die Schwankungsbreite ist außerordentlich hoch: Die Rede war z.T. von 26,7 % aller GmbH (Umfrage des BMJ vom Jahre 1980, s. LG Köln v. 21.3.1980 – 29249, GmbHR 1981, 81), von 16,2 % (Umfrage des DIHT für das Jahr 2004, s. dazu Meyer, GmbHR 2004, 1417, 1419); aber auch – in einigen Registerbezirken – von nur 8,7 % (Untersuchungen von Kornblum, GmbHR 2016, 691), aber doch wiederum durchschnittlich 18,5 %, Kornblum, GmbHR 2002, 1157, 1272; s. auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 112.

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tern124. Das lenkt den Blick auf die auch bei der GmbH verbreiteten Familiengesellschaften, bei denen durch Zusammentreffen von unternehmerischen und familiären Zielsetzungen spezifische Probleme auch des GmbH-Rechts auftreten können, ohne dass die GmbH ein typisches Instrument gerade für solche Unternehmen wäre125. Aus diesen Tatsachen lassen sich einige Folgerungen für die Festigkeit einiger Strukturele- 27 mente der GmbH gegenüber Abdingungs- oder Umgehungsmöglichkeiten ziehen. Die Kapitalverhältnisse machen nicht selten den persönlichen Kredit der Unternehmensleiter und manchmal auch der nicht an der Geschäftsführung beteiligten Gesellschafter notwendig. Wegen der großen Bedeutung der Einmann-Gesellschaften und der Häufung von Gesellschaften mit niedrigem Stammkapital sind Erwägungen zur Gefahr der Unterkapitalisierung weiterhin keineswegs von der Hand zu weisen. Hingegen besteht der Eindruck, dass die Bedeutung der Sachgründungen überbetont wird. Große Aufmerksamkeit gebührt wiederum dem Minderheitenschutz, dessen Notwendigkeit sich aus der starken Bindung der Gesellschafter an die Gesellschaft bei gleichzeitiger Geltung des Mehrheitsprinzips bei der Willensbildung ergibt (s. Rz. 14 ff.). Für die rechtliche Behandlung wichtig ist aber auch, dass das Haftungsproblem, namentlich bei Fehlentwicklungen in der Finanzierung, immer wieder auf die Gesellschafter – und keineswegs nur auf beherrschende oder Mehrheitsgesellschafter – zuläuft, so dass das Verhältnis zwischen Geschäftsführung und Gesellschafterversammlung, namentlich auch einzelner Mehrheitsgesellschafter, sehr sensibel ist, wobei gerade auch für KrisenSituationen klar ist, dass benötigtes neues Kapital praktisch nur aus dem Gesellschafterkreis zu haben ist, soweit sich nicht im Einzelfall ein externer Investor finden lässt. Deshalb muss wie bei der Personengesellschaft auf den Generationenwechsel im Gesellschafterkreis Bedacht genommen werden, wobei allerdings der Verkauf der Unternehmen in diesem Fall eher zu- als abnimmt. c) Die wirtschaftlichen Funktionen und ihre Probleme In Ansehung der im vorherigen festgestellten hauptsächlichen rechtstatsächlichen Einsatz- 28 felder der GmbH darf die Charakterisierung als „Allzweck-Instrument“ nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Eignung der Rechtsform für personalistische Zusammenschlüsse und für kapitalistische Großunternehmen die rechtliche Ordnung gewissen Spannungen unterwirft126, und zwar in zweierlei Richtungen. Zum einen geht es um die gemeinsame Finanzierung und Verfolgung bestimmter erwerbswirtschaftlicher oder auch nichtwirtschaftlicher Ziele als Gesellschaftszweck der GmbH. Zum anderen wird die GmbH aber auch im Rahmen weiter gespannter unternehmerischer Ziele als Instrument zur Erreichung begrenzter wirtschaftlicher oder auch rechtlicher Absichten eingesetzt; sie ist dann nur Einzelteil einer rechtlich mehrschichtigen und häufig aus mehreren Gesellschaften bestehenden unternehmerischen Konzeption. Das GmbHG hat nur die erste Fallgruppe gesehen und sie – wie geschildert – durch Einrichtung einer nicht allzu schwer zu handhabenden kapitalistischen Organi124 Nach den Feststellungen von Limbach, Theorie und Wirklichkeit, S. 58, übten 44 % aller Gesellschafter das Amt des Geschäftsführers aus; der Prozentsatz sinkt bei Gesellschaften mit mehr als 5 Gesellschaftern; nach Kornblum/Kleinle/Baumann/Steffan, GmbHR 1985, 46 war der Prozentsatz von Gesellschafter-Geschäftsführern höher; die Angaben über die folgenden Jahre haben eine „erhebliche Streubreite“, Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 112; zu der Frage, ob die Entscheidungsmacht hauptsächlich bei den Kommanditisten oder den GmbH-Gesellschaftern liegt, s. Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511 ff. zu OLG München v. 19.11.2003 – 7 U 4505/03, GmbHR 2004, 587. Zu den Folgerungen auch H.P. Westermann in FS Priester, 2007, S. 835 ff. 125 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 40; zu den Besonderheiten von Patchwork-Familien im Gesellschaftsrecht H.P. Westermann, NZG 2015, 649 ff. 126 Näher hierzu H.P. Westermann in Pro GmbH, 1980, S. 23, 33 ff., 45 ff.; Hommelhoff in Roth (Hrsg.), Das System der Kapitalgesellschaften im Umbruch, S. 26, 32.

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Einleitung Rz. 28 | Bedeutung der GmbH sation zu regeln versucht. Besondere Vorkehrungen für die Gesellschaft ohne wirtschaftliche Zielsetzung schienen entbehrlich. Zu beachten ist aber, dass die GmbH für eine Reihe von Zwecken nicht zugelassen ist (§ 8 ApoG, § 8 Abs. 2 VAG, § 2 Abs. 2 BausparkG), anders jetzt für Unternehmensbeteiligungsgesellschaften verschiedener Art (§ 2 UBGG, § 18 KAGB)127. aa) Die GmbH als Trägerin mittelständischer Unternehmen 29 Neben der Funktion der GmbH als Trägerin eines werbenden Unternehmens kann eine be-

stehende Gesellschaft auch als so genannte Mantel- oder Vorratsgesellschaft fungieren, und die Mantelgründung ist erlaubt. Bedenken bestehen freilich im Hinblick auf eine mögliche Umgehung der Gründungsvorschriften.128 Bei der „Grundtypenvermischung“, die mittlerweile einen stark verselbständigten Strukturtypus darstellt, sind eigenständige Betrachtungen zur grundsätzlichen rechtsdogmatischen Einordnung erforderlich129, so dass manche traditionelle Einsichten zur Struktur der Personengesellschaft mit beschränkt haftenden Gesellschaftern, also der Kommanditisten, im Gegensatz zum Komplementär, modifiziert werden müssen. Das zeigt sich hauptsächlich bei abweichenden Beteiligungen der Gesellschafter an der Komplementär-GmbH und an der KG, mit einigem Gewicht aber auch beim sog. NurKommanditisten (s. auch Rz. 39), weiter bei den keineswegs seltenen am Kapital der KG (und folglich am Stimmrecht) nicht beteiligten Komplementär-GmbH130. Die beschränkte Haftung, kombiniert mit der Drittorganschaft, erlaubt es den Gesellschaftern, die Rolle als Kapitalgeber einzunehmen und lediglich über die Gesellschafterversammlung an der Unternehmensleitung mitzuwirken. Ebensogut können aber alle oder einzelne Gesellschafter in der GmbH das rechtliche Gewand für ihre eigene unternehmerische Tätigkeit finden131, was dann auch für die GmbH die aus dem Personengesellschaftsrecht bekannten Probleme des Generationenwechsels und der Kooperation von Gesellschafterstämmen relevant werden lässt, wobei die Gruppen untereinander nicht selten durch Schutzgemeinschafts- oder Poolverträge in der Rechtsform der BGB-Gesellschaft zusammengehalten werden sollen. Dies kann auch einen – oft für notwendig gehaltenen – Überfremdungs- und Bestandsschutz der Gesellschaft bezwecken, muss dann aber mit dem wirtschaftlichen Bedürfnis eines Gesellschafters in Einklang gebracht werden, über den Anteil nach seinen Wünschen und den Versorgungsnotwendigkeiten seiner Familie zu verfügen. 30 Die bekannten Gefahren der Entwicklung zur „Zweiklassengesellschaft“ aus geschäftsfüh-

renden und durch Tätigkeitsvergütung abgesicherten Gesellschaftern auf der einen und lediglich kapitalistisch beteiligten, auf Gewinne angewiesenen Teilhabern auf der anderen Seite132 treten bei der GmbH ebenso auf wie in der KG; sie folgen im Grunde bereits aus der beschränkten Haftung. Die Probleme entzünden sich im Einzelnen an Fragen wie Gewinnverwendungspolitik, Entnahmerechten, Geschäftsführergehälter, Kreditaufnahme u.a., weil gelegentlich die Gesellschafter-Geschäftsführer dazu neigen, ihre persönlichen Interessen mit denen des Gesellschaftsganzen zu identifizieren. Die häufige Befreiung des Gesellschafter-Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB133 tut ein Übriges. Verbreitet sind Auseinandersetzungen über die Bestellung eines Gesellschafters oder des Repräsentanten einer Gesellschaftergruppe zum Geschäftsführer, ebenso – nicht selten kurz danach mit umgekehr-

127 S. Wicke, § 1 Rz. 6. 128 Heinze, GmbHR 2011, 162 ff.; Peetz, GmbHR 2011, 178 ff.; Podewils, GmbHR 2010, 684 ff. 129 Dazu die Überlegungen von Karsten Schmidt in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1425 ff. (besonders zur sog. Einheitsgesellschaft) sowie H.P. Westermann in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1709 ff. 130 Zu ihren Eigenheiten H.P. Westermann in FS Schütze, 2014, S. 717 ff. 131 Zu diesem Unterschied von Privat- und Kollektivunternehmung s. schon Wieland, Handelsrecht II, S. 283 f.; gegen eine Überbetonung dieses Gegensatzes aber Ballerstedt, GmbHR 1967, 66, 70. 132 Dazu Wiedemann, GesR I, § 2 I 3b. 133 Dazu rechtstatsächlich Kornblum/Kleinle/Baumann/Steffan, GmbHR 1985, 42, 47 f.

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ten Vorzeichen – um die Abberufung, wobei dann auch die Grenzen der Stimmrechtsausübung und die Möglichkeiten einstweiligen Rechtsschutzes zur Sprache kommen. Die Verteidigung von Mitgliedschaftsrechten gegen Angriffe seitens der Gesellschaft oder von Mitgesellschaftern wirft auch in der GmbH & Co. KG rechtliche Fragen auf134. Ein wichtiger Streitpunkt ist auch die von einem Gesellschafter begehrte Zustimmung zur Anteilsveräußerung. bb) Die GmbH als Großunternehmen Die Eignung der GmbH für einen großen, möglicherweise flukturierenden Mitgliederkreis 31 mit einer Kapitalausstattung, die einzelne an selbständiger kaufmännischer Tätigkeit Interessierte nur selten aufbringen können, kann nach dem gesetzgeberischen Ansatz nicht zweifelhaft sein. Es bedarf dann allerdings einer genauen Fixierung der Rechte der nicht geschäftsführenden Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft (Auskunfts- und Informationsrechte, Nichtigkeit und Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen), sodann der Einflüsse der Gesellschafter auf die Rechnungslegung und auf Entscheidungen über die Begründung oder Auflösung von Unternehmensverbindungen. Auch kann es zweckmäßig sein, auch außerhalb der Mitbestimmung in solchen Gesellschaften gemäß § 52 ein Aufsichtsgremium einzuführen, dem auch wichtige unternehmensstrukturelle Entscheidungen zur Zustimmung oder Entscheidung übertragen werden können135. Auch ein Einfluss solcher Gremien auf Gestaltungselemente wie Anteilsvinkulierungen, Vorkaufsrechte136 oder Sonderrechte von Gesellschaftern, gerade auch im Hinblick auf Sitz und Stimme in diesem Organ, kann nützlich sein. Das Problem des Minderheitenschutzes (Rz. 14, 15) stellt sich hier etwas akzentuiert insofern, als die Information der Gesellschafter in Geschäftsangelegenheiten bei großer Mitgliederzahl meist von vornherein geringer ist. Hier haben freilich §§ 51a, b veränderte Verhältnisse geschaffen. Die GmbH begegnet auch als Rechtsform von Gemeinschaftsunternehmen. Ihre Problema- 32 tik liegt z.T. im Konzern- und Kartellrecht137, daneben in der Erreichung des Gleichgewichts zwischen den unternehmerischen Zielen der Gesellschafter. Da der Zweck der Gesellschaft häufig darin besteht, die unternehmerischen Aktivitäten der Gesellschafter – häufig ihrerseits Kapitalgesellschaften – zu koordinieren, möglicherweise auch durch Auslagerung aus den Unternehmen der Gesellschafter, sind Regelungen über die Finanzierung des Gemeinschaftsunternehmens, hauptsächlich aber über die Nutzung der Gesellschaftseinrichtungen durch die Gesellschafter und dadurch bedingt die Verrechnung von Leistungen zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft und dergl. erforderlich. Sie finden sich selten in der Satzung, sondern regelmäßig in schuldrechtlichen Abreden der Gesellschafter, die dann auch Bindungen bezüglich der Abstimmung in der Gesellschafterversammlung oder anderen Organen der Gesellschaft (etwa den so genannten policy-committees) begründen.

134 Dazu H.P. Westermann, NZG 2012, 1121. 135 Bezüglich der Kompetenzen ist freilich die Regelung in § 52 unbefriedigend, zu ihrer Entstehung Thiessen, ZGR 2011, 275 ff. 136 Zur Verwendung von Vorkaufsrechten im Gesellschaftsrecht näher H.P. Westermann/Klingberg in FS Quack, 1991, S. 545, 547, 552 f.; G. Hueck in FS Larenz, 1973, S. 749 ff.; vertiefend H.P. Westermann in FS Wiedemann, 2002, S. 1349 ff.; Topf, Das Vorkaufsrecht an GmbH-Anteilen, 2005. 137 Eingehend dazu Gansweid, Gemeinsame Tochtergesellschaften im deutschen Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1976; zur Gesetzwidrigkeit der Verfolgung von Kartellzwecken BGH v. 27.1.2015 – KZR 90/13, GmbHR 2015, 532 = ZIP 2015, 678; Paschke, ZHR 155 (1991), 1, 16 ff.

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Einleitung Rz. 33 | Bedeutung der GmbH 33 Sonderprobleme der „Zwei-Personen-Gesellschaft“138 ergeben sich bei Streit der Gesell-

schafter, besonders, wenn dies auf die Geschäftsführung durchschlägt, daraus, dass häufig keine Mehrheitsentscheidung möglich ist. Daher kann ein Zerwürfnis der beiden Partner aus der Sicht der Gesellschaft eine unüberwindbare Stagnation in der Unternehmensführung und damit letztlich die Auflösung der Gesellschaft über § 61 oder ein einverständliches Ausscheiden des einen Gesellschafters erzwingen. Eine Lösung über eine Abberufung oder Ausschließung scheitert unter diesen Umständen daran, dass Gesellschafter über die Veränderung ihrer eigenen Organstellung mitstimmen dürfen, solange hierfür nicht wichtige Gründe geltend gemacht werden, in welchem Fall aber meistens wechselseitige Angriffe stattfinden, und nach den „Beschlüssen“ einer Gesellschafterversammlung die Betroffenen regelmäßig bis zur Entscheidung des angerufenen Gerichts im Amt bleiben139. Die Handlungsfähigkeit im Außenverhältnis ist regelmäßig paralysiert, auch die Vertretung ist gestört140. Typische Gestaltungsinstrumente zur Wahrung der beiderseitigen Interessen und zur Vermeidung von Pattsituationen sind die Einräumung beiderseitiger Rechte zur Benennung jeweils eines Geschäftsführers, Zustimmungskataloge für die Geschäftsführung, Mediationsklauseln und die Vereinbarung von Exit-Mechanismen, namentlich in Gestalt von Texan-Shoot-Out-Klauseln141. 34 Einen weiteren Sonderfall bilden die gelegentlich vorkommenden GmbH, die materiell ge-

nossenschaftliche Zwecke wie den Betrieb von Förderungsgemeinschaften und Einkaufsvereinigungen verfolgen142. Durch Satzungsgestaltung können Gesellschaftszweck und Geschäftsführung auf die Förderung des wirtschaftlichen Geschäftsbetriebs der Mitglieder zugeschnitten werden. Wiederum können hier bisweilen kartellrechtliche Bedenken erhoben werden. Dasselbe gilt für die sog. Nebenleistungs-GmbH, bei der die Pflicht der Gesellschafter bestehen kann, bestimmte Lieferungen und Leistungen ausschließlich der GmbH zu erbringen (zum Ganzen 13. Aufl., § 3 Rz. 65 ff.). cc) Die GmbH ohne erwerbswirtschaftliche Zielsetzung 35 In vielfältigen Erscheinungsformen begegnen die GmbH ohne erwerbswirtschaftliche, d.h.

mit wissenschaftlicher, kultureller, sozialer oder politischer (einschließlich berufs- und standespolitischer) Zielsetzung143. Das muss nicht unbedingt alleiniger Zweck einer Gesellschaft sein, es kann durchaus vorkommen, dass eine GmbH bestimmte ideelle, soziale oder politische Zwecke aus dem Tätigkeitskreis größerer Unternehmen ausgliedert144 oder als Treuhänderin für einen solche Zwecke verfolgenden Verband gewisse Vermögensteile hält. Die Finanzierung von Gesellschafterseite oder durch Nichtmitglieder nimmt hier meist die Gestalt von Zuschüssen an, die Geschäftsführung unterliegt oft der Kontrolle durch Aufsichtsgremien, soweit nicht eine staatliche Aufsicht eingreift145. Wenn in der Rechtsform einer GmbH Stiftungszwecke verfolgt werden, sind die steuerrechtlichen Regeln über Gemeinnützigkeit zu beachten. Auch in diesem Typ bleibt die GmbH übrigens meist auf verhältnismäßig wenige 138 Zum Folgenden näher Uwe H. Schneider in FS Kellermann, 1991, S. 403 ff.; Oppenländer, DStR 1996, 922 ff.; Reher, Die Zweipersonen-GmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts?, 2003; Winkler, GmbHR 2017, 334. 139 Dazu im Einzelnen Reher, Die Zweipersonen-GmbH – Notwendigkeit eines Sonderrechts?, 2003, S. 105 ff. Gegen die Notwendigkeit eines Sonderrechts aber Lieder/Ringlage, GmbHR 2017, 1065 ff. 140 Dazu Klose, GmbHR 2010, 1139. 141 Vgl. dazu etwa Busch, RNotZ 2020, 249, 272. 142 Schon früher Feine, S. 61; Limbach, Theorie und Wirklichkeit, S. 84 f.; auch Beuthien/Götz, ZfgG 1978, 375 ff.; eingehend Turner, GmbHR 1993, 390 ff. 143 Feine, S. 61; Loidl, Die GmbH ohne erwerbswirtschaftliche Zielsetzung, S. 20 ff.; Schlüter, GmbHR 2002, 535 ff., 578 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 1 Rz. 34 ff. 144 Limbach, Theorie und Wirklichkeit, S. 84 f. 145 S. Loidl, Die GmbH ohne erwerbswirtschaftliche Zielsetzung, S. 85 ff.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 37 Einleitung

Gesellschafter beschränkt, größere Gruppen bedienen sich vorzugsweise der Rechtsform des Idealvereins, in der der Mitgliederwechsel leichter ist. In der GmbH werden bisweilen auch öffentliche Zwecke verfolgt, wobei ein Anreiz in der – 36 freilich nur begrenzt möglichen – Lockerung der für die öffentliche Verwaltung bestehenden Bindungen liegt, s. auch 13. Aufl., § 1 Rz. 19. Verfolgt werden können nichtwirtschaftliche Zwecke, etwa der Daseinsvorsorge, nicht selten ist aber auch Gewinnerzielung beabsichtigt. In der GmbH ist eine flexible unternehmerische Geschäftsführung, die zugleich Kontinuität auch bei kommunalpolitischen Veränderungen ermöglicht, erreichbar, ohne dass die auf dem Wege über die Gesellschafterversammlung oder sonstige Beschlussgremien beteiligte öffentliche Hand ihren entscheidenden Einfluss preisgeben müsste146. Ist ein Aufsichts- oder Beirat unter Beteiligung von durch die öffentlich-rechtliche Körperschaft entsandten Personen vorhanden, so kann sich ein Konflikt zwischen den kapitalgesellschaftsrechtlichen Grundsätzen der Eigenständigkeit der Aufsichtsratstätigkeit und den Einwirkungswünschen kommunaler Träger ergeben, den das BVerwG in einer im Privatrecht überwiegend abgelehnten Weise zugunsten der Letzteren entschieden hat147. Dabei können konzernrechtliche Probleme entstehen, da nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, namentlich auch der Bund oder auch ein Bundesland, als herrschendes Unternehmen i.S.d. §§ 15 ff. AktG in Betracht kommt148. dd) Die GmbH in einer Unternehmensgruppe und in einer Grundtypenvermischung Die GmbH kann nach ihrem gesetzlichen Statut über die Gesellschafterversammlung geleitet 37 werden, es gibt eine legale Leitungsmacht der Gesellschafter. Daher kann die GmbH dazu dienen, bestimmte Zwecke im Rahmen einer Unternehmensgruppe derart zu verselbständigen, dass von einem die Gesellschafterversammlung dominierenden, wenn nicht allein beteiligten Unternehmen die Zweckverfolgung in seinem Interesse oder dem einer Gruppe einheitlich gelenkt werden kann. Es entsteht dann eine abhängige Gesellschaft, wobei eine GmbH auch als Konzernspitze oder Zwischenholding fungieren kann; einen Sonderfall stellt die Ausgliederung bestimmter Tätigkeitsbereiche durch mehrere Unternehmen und ihre Zusammenfassung in einer GmbH (Gemeinschaftsunternehmen, Rz. 32) dar. Das GmbHG hat den hierdurch entstehenden Konzerntatbestand nicht geregelt. Die praktische Bedeutung dieser Gestaltungen ist außergewöhnlich groß, die Grundfragen und die Einzelheiten sind im Anhang zu § 13 erörtert. Auch im Rahmen eines sog. Gleichordnungskonzerns kann eine GmbH die Zusammenarbeit mehrerer verbundener, aber nicht voneinander abhängiger Unternehmen organisieren, ohne dadurch herrschendes Unternehmen zu werden. Allerdings kann der Vertrag über die Gründung eines Gleichordnungskonzerns kartellrechtlichen Vorschriften unterfallen149.

146 Dazu Keßler, GmbHR 2000, 71 ff.; zu den landesrechtlichen Regelungen J. Schmidt in Michalski u.a., Syst. Darst. 1 Rz. 109; zu gemischt-wirtschaftlichen Unternehmen unter Beteiligung privater Dritter Kiethe, NZG 2006, 45 ff.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 48 f. 147 BVerwG v. 31.8.2011 – 8 C 16/10, NJW 2011, 3735; nur im Ergebnis zustimmend Altmeppen in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1, 10; Weckerling/Wilhelm/Mirtsching, NZG 2011, 327 ff.; Lutter, ZIP 2007, 1991. Zum Einfluss des Haushaltsrechts auf die Rechnungslegung Lutter/Grunewald, WM 1984, 385 ff., bei der gemeinnützigen GmbH Hüttche, GmbHR 1997, 1095; zum Verhältnis beamtenrechtlicher und gesellschaftsrechtlicher Bindung der Organmitglieder Schwintowski, NJW 1995, 1316 ff. 148 Hier nur: BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76, BGHZ 69, 334 (VEBA-Gelsenberg); BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, NJW 1997, 1855 (VW-Land Niedersachsen); zum Haftungsproblem Paschke, ZHR 152 (1988), 263 ff. 149 BGH v. 19.1.1993 – KVR 32/91, BGHZ 121, 137, 146; BGH v. 8.12.1998 – KVR 31/97, AG 1999, 181; näher dazu I. Schmidt/Fritz in FS Kantzenbach, 1996, S. 119 ff.; Karsten Schmidt in FS Rittner,

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Einleitung Rz. 38 | Bedeutung der GmbH 38 Eine wichtige Rolle spielt die GmbH auch im Rahmen der sog. Betriebsaufspaltung. Diese

teilt in ihrer wirtschaftlichen Grundform ein wirtschaftlich einheitliches Unternehmen in eine das Anlagevermögen verwaltende Personen- und eine das Umlaufvermögen im Geschäft einsetzende Betriebs-Kapitalgesellschaft auf; dies geschieht aus haftungsrechtlichen, früher auch aus steuerrechtlichen Erwägungen150. Die Anlagegüter werden durch Pacht oder Leasing der Kapitalgesellschaft zur Verfügung gestellt, haften dann aber nicht für im Geschäft der GmbH bestehende Verbindlichkeiten. Allerdings kann eine Betriebsaufspaltung durch Ausgliederung des Vertriebs aus einer meist als Personengesellschaft betriebenen Unternehmung – vorbehaltlich der Anwendung des § 105 Abs. 2 HGB (bzw. § 107 Abs. 2 Satz 1 HGB in der Fassung des MoPeG) – die Kaufmannseigenschaft in Frage stellen. Auch hier statten die Gesellschafter der Personengesellschaft, die meist in derselben Zusammensetzung auch die Geschäftsanteile der GmbH halten, die GmbH oftmals nur mit knappem Kapital aus, so dass sowohl Durchgriffs- als auch Konzerntatbestände verwirklicht werden können. 39 Bei der Verwendung der GmbH als Komplementärin einer KG (Grundtypenvermischung)

handelt es sich wirtschaftlich gewöhnlich um ein- und dasselbe Unternehmen, dessen Träger die KG ist. Doch ist bei entsprechender Formulierung des satzungsmäßigen Zwecks der GmbH eine von der KG losgelöste Geschäftstätigkeit der Komplementär-GmbH nicht ausgeschlossen, wenn auch die Kommanditisten einverstanden sind. Schon hieran zeigt sich, dass die Grundtypenvermischung weniger ein Problem des GmbH- als des Personengesellschaftsrechts ist, indem die Komplementärin meist als haftungsbeschränkendes Instrument einer personengesellschaftsrechtlichen Organisation eingesetzt wird151. Allerdings haben sich vielfältige Strukturtypen entwickelt, wobei im Einzelfall, etwa bei Konzerntatbeständen, auch von einer Dominanz der Komplementär-GmbH gesprochen werden kann152. Praktisch ist die Grundtypenvermischung seit ihrer als „funktionsblind“153 kritisierten höchstrichterlichen Anerkennung zunächst durch die berühmte Entscheidung des BayObLG154, sodann durch RGZ 105, 101 und die Regelung einzelner Folgen durch Vorschriften des Steuerrechts und später auch des Gesellschaftsrechts (§§ 130a, 177a HGB a.F. bzw. § 15b Abs. 6 InsO, sowie den durch das MoMiG aufgehobenen § 172a HGB)155 in Rechtsprechung und Lehre voll anerkannt. Entscheidend kommt es heute darauf an, in einem spezifischen Verständnis der Binnenverfassung Klarheit darüber zu gewinnen, welche der hier eingesetzten Rechtsformelemente im Hinblick auf die Finanzverfassung, die Willensbildung sowie die Beendigung oder Veränderung der Mitgliedschaft durchgehalten werden können oder an die spezielle Situation angepasst werden müssen156. In manchen Punkten, so bei Vorgängen, die als Rückzahlung von GmbH- oder KG-Vermögen an Gesellschafter betrachtet werden können157, oder auch bei Überlegungen zum Haftungsdurchgriff kann pauschal gesagt werden, dass die zur

150 151 152 153 154 155 156 157

1991, S. 561 ff.; J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, § 18 AktG Rz. 26; Fett in Bürgers/Körber/Lieder, § 18 AktG Rz. 16 ff. Vgl. dazu etwa Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. A16; zur steuerlichen Behandlung s. Zwirner/Heyd/Krauß in Beck’sches Steuerberater-Handbuch 2021/2022, 18. Aufl. 2021, Rz. 33 ff. H.P. Westermann in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1709 ff. Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 512, 516, der aber (s. auch JZ 2008, 425 ff.) die GmbH & Co. KG als „Lehrmeister des Personengesellschaftsrechts“ bezeichnet. So noch Wiedemann, JZ 1970, 593, 597; Kritiken aus früherer Zeit bei Brockmann JZ 1923, 683; dagegen Flechtheim, JZ 1923, 227 ff. BayObLGZ 1913, 69; umfassende Nachweise und Würdigung bei Fleischer/Wansleben, GmbHR 2017, 169 ff. Zusammenstellung bei Fleischer/Wansleben, GmbHR 2017, 169, Fn. 171 S. 175 ff. Zu diesem Ansatz einer Theorie der Grundtypenvermischung H.P. Westermann in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1709, 1711; zur Interpretation der Haftungsverfassungen ebenda S. 1724 ff. S. etwa die Urteile BGH v. 13.2.1967 – II ZR 158/65, BGHZ 47, 149 und BGH v. 29.3.1973 – II ZR 25/70, BGHZ 60, 324.

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Bedeutung der GmbH | Rz. 40 Einleitung

Kapitalerhaltung bei der GmbH aufgestellten Regeln durch das Ausweichen auf die Grundtypenvermischung nicht umgangen werden können. Ein weiteres Problemfeld bei der GmbH & Co. KG eröffnet sich bei Meinungsverschiedenheiten in einem Kreis an der GmbH und an der KG unterschiedlich beteiligter Gesellschafter158. Auf solche Entwicklungen hat die Gestaltungspraxis mit der – allerdings unter Gesichtspunkten des Gläubigerschutzes problematischen – sog. Einheitsgesellschaft reagiert, bei der die GmbH-Geschäftsanteile ins Vermögen der KG eingelegt werden, was den Gesetzgeber zur Schaffung des § 172 Abs. 6 HGB und zur Einführung einer vertretungsbezogenen Regelung mit dem MoPeG in § 170 Abs. 2 HGB bewogen hat, aber nicht ganz ausschließen kann, dass die beabsichtigte Alleinherrschaft der Kommanditisten im Rahmen einiger gesellschaftsrechtlicher Sonderfragen an Grenzen stößt159. Schließlich muss sich die Grundtypenvermischung mit dem zunehmenden öffentlichen Argwohn gegenüber Publikumspersonengesellschaften in der Rechtsform der GmbH & Co. KG160 auseinandersetzen. Eine weitere, ebenfalls hierher gehörige Verwendungsform ist die „GmbH & Still“, die zwar nicht so verbreitet ist wie die GmbH & Co. KG, aber trotzdem in ihrer typischen Form grundsätzlichen Bedenken begegnet ist161. Das alles hat aber an der hohen Flexibilität und daher Praktikabilität dieses Typus nichts geändert, auf die vor allem die für die Entwicklung fast allein verantwortliche Kautelarjurisprudenz162 großes Gewicht legt. Eine bis zu einem gewissen Grade noch zukunftsträchtige Neuerung ist die durch einen Be- 40 schluss des BGH163 zugelassene, jetzt in § 279 Abs. 2 AktG kodifizierte KGaA mit einer GmbH oder einer GmbH & Co. KG als Komplementärin, die als „GmbH & Co. KGaA“ firmiert. Auch eine Außengesellschaft des bürgerlichen Rechts kommt in einer solchen Konstruktion als Komplementärin in Betracht164. Dabei ist die typologische Einordnung eines solchen Gebildes als „kapitalistische KGaA“165 missverständlich, da das kapitalistische Element in Gestalt der Kommanditaktionäre schon vorhanden ist, während es umgekehrt durch die gegenüber der AG stärkere Stellung der Komplementäre einer KGaA (und damit auch der Gesellschafter-Geschäftsführer einer Komplementär-GmbH), die insbesondere nicht der Personalhoheit des Aufsichtsrats unterliegen, zu einem Einfließen mittelständischer Elemente in die KGaA kommen kann166. Auch ist die etwas größere Gestaltungsfreiheit, wie sie 158 H.P. Westermann in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1712 ff. 159 Zu dieser Konstellation näher Fleck in FS Semler, 1993, S. 114, 115; Karsten Schmidt in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1425, 1428 ff.; zum Vorwurf der „Überkonstruktion“ kritisch Karsten Schmidt, ZGR 2011, 108, 127. So haben das OLG Celle v. 14.3.2017 – 9 W 18/17, GmbHR 2017, 979, und das OLG München v. 31.1.2018 – 7 U 2600/17, GmbHR 2018, 472, den Kommanditisten die GmbH-rechtlichen Informationsrechte versagt. 160 Überblick über das einschlägige Sonderrecht bei Krieger in FS Stimpel, 1985, S. 307 ff.; zum „Zentralverwaltungsmodell“ Karsten Schmidt in FS Röhricht, 2005, S. 511 ff. Zur doppelstöckigen GmbH & Co. KG aber BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691 = GmbHR 1991, 281. 161 Schulze zur Wiesche, GmbHR 1991, 533. Zu späteren Entwicklungen aber Bitz, GmbHR 1997, 769 und (aus steuerrechtlicher Sicht) Horn/Martins, GmbHR 1995, 816. 162 Wertende Betrachtungen dazu bei Fleischer/Wansleben, GmbHR 2017, 169, 177. 163 BGH v. 24.2.1997 – II ZB 11/96, BGHZ 134, 392; dazu Haase, GmbHR 1997, 917 ff.; Hommelhoff in Die GmbH & Co. KGaA nach dem Beschluss BGHZ 134, 392, ZHR-Beiheft Nr. 67, 1998, S. 9 ff.; Ihrig, ZHR-Beiheft Nr. 67, 1998, S. 33 ff.; Kornblum, GmbHR 2011, 699; im wissenschaftlichen Schrifttum war dies schon früher von Priester, ZHR 160 (1996), 250 ff., Claussen, GmbHR 1996, 73, 77 vertreten worden. In der Rspr. dazu OLG Hamburg, GmbHR 1969, 135; ablehnend aber Karsten Schmidt, ZHR 160 (1996), 265, 269 ff. Zur heutigen Bedeutung eingehend Fett/Stütz, NZG 2017, 1121 ff. Zur SE & Co. KG a.M. Mayer-Uellner/Otte, NZG 2015, 737, 741. 164 Perlitt in MünchKomm. AktG, § 278 AktG Rz. 37; Förl/Fett in Bürgers/Körber/Lieder, § 278 AktG Rz. 14; zur wachsenden Bedeutung der SE als Komplementärin einer KGaA s. Wicke, RNotZ 2020, 25, 37 f. 165 Hesselmann, BB 1989, 2344. 166 Haase, GmbHR 1997, 919 f.

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Einleitung Rz. 41 | Quellen des GmbH-Rechts § 278 Abs. 2 AktG durch die Anlehnung an das Modell der Personenhandelsgesellschaft einrichtet, für eine „große“ mittelständische Unternehmung vorteilhaft. Wichtig ist schließlich, dass ohne allzu bedeutende Abstriche im Hinblick auf die unternehmerische Leitungsmacht, die bei der Komplementär-GmbH verbleiben kann, eine Finanzierung über die Börse erreicht werden kann167.

II. Die Quellen des GmbH-Rechts 1. Das GmbHG und seine Nebengesetze 41 Schon in der Entstehungsgeschichte des Gesetzes ist ein Bruch angelegt zwischen den kapi-

talgesellschaftlichen Zügen des gesetzlichen Typus und dem praktischen Bedürfnis an einer personalistischen Innenstruktur bei beschränkter Haftung aller Mitunternehmer (Rz. 1, 2). Der zunächst für die neue Gesellschaftsform vorgeschlagenen weitgehenden Verweisung auf das Recht der OHG stand von Anfang an der Gedanke gegenüber, dass das durch die Reform des Jahres 1884 stärker formalisierte Aktienrecht durch die Einführung einer kollektivistischen Gesellschaftsform mit eigener juristischer Persönlichkeit, Mehrheitsherrschaft, beschränkter Haftbarkeit der Mitglieder und Verzicht auf Bilanzpublizität ergänzt werden solle168. Dies wurde durch zahlreiche Gutachten der Handelskammern und kaufmännischen Korporationen belegt. Gemeinsamer Tenor aller Überlegungen zur Schaffung der GmbH war das Offenhalten praktischer Entwicklungsmöglichkeiten in einem möglichst knapp gehaltenen, auch zum Gebrauch nicht juristisch gebildeter Geschäftsführer taugenden Gesetz. Dabei war aber auch klar, dass die Haftungsbeschränkung gesetzgeberische Vorkehrungen zur finanziellen Ausstattung der Gesellschaft notwendig machte. Eine Vorbildfunktion des Aktienrechts hat es im Wesentlichen nur in diesem Bereich gegeben, die Anlehnung an das Personengesellschaftsrecht ist im Lauf der Diskussion in den Hintergrund getreten. 42 Neben dem GmbHG selbst sind Quellen des GmbH-Rechts einige Gesetze, deren die GmbH

betreffende Anordnungen nicht in den Text des GmbHG eingearbeitet worden sind: Die Umwandlung und die sonstigen unternehmensstrukturellen Maßnahmen unter Beteiligung von GmbH sind im UmwG geregelt, siehe dort §§ 46–59 (Verschmelzung), §§ 138–140 (Spaltung), §§ 226–257 (Formwechsel)169. Die Vorschriften des BilanzrichtlinienG sind in die auch die GmbH erfassenden Regelungen der §§ 264 ff. HGB eingegangen. Im HGB finden sich die die GmbH betreffenden Vorschriften über die registerrechtliche Behandlung ihrer inländischen Zweigniederlassungen (§ 13 HGB). Die InsO enthält Bestimmungen über Antragspflichten und Eröffnungsvoraussetzungen, im Wesentlichen insolvenzrechtlich konzipiert ist durch das MoMiG (Rz. 53 ff.) das Recht der kapitalersetzenden Gesellschafterfinanzierungen. Die Regeln über die Löschung oder Auflösung nichtiger Gesellschaften und die gerichtlichen Reaktionen auf Firmierungs- und Satzungsmängel enthält das FamFG. Für die GmbH von Bedeutung sind ferner Vorschriften, die sich vorsichtig als unternehmensrechtlich kennzeichnen lassen, weil sie sich auf die unternehmerische Mitbestimmung beziehen; näher dazu die Erläuterungen zu § 52. Zum Unternehmensrecht der GmbH gehört

167 Näher Haase, GmbHR 1997, 919. 168 Zu den diesbezüglichen Wünschen der Handelspraxis vor Erarbeitung des Gesetzesentwurfs und zur Diskussion über den Entwurf eingehend Schubert in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 10 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 3. 169 Bis zum 31.1.2023 ist der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie in deutsches Recht umzusetzen, der insbesondere weitreichende Vorschriften zur Beteiligung der GmbH an grenzüberschreitenden Umwandlungen vorsieht. S. dazu den UmRUG-RegE vom 6.7.2022.

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Quellen des GmbH-Rechts | Rz. 43 Einleitung

auch, dass die konzernrechtlichen Definitionsnormen der §§ 15–19 AktG auch für GmbH herangezogen werden170. Zu den Änderungen des § 33 und des Bilanzrechts Rz. 48.

2. Die Entstehungsgeschichte des Gesetzes Die Entwicklung ist vielfach dargestellt worden171. Am Anfang stand der Gedanke, die zwi- 43 schen AG und OHG bzw. KG klaffende Lücke durch eine neue Gesellschaftsform zu schließen. Dies hing auch mit der Aufgabe des Konzessionsprinzips in den wichtigen Industrieländern zusammen. Die seinerzeit wichtige Frage der Kolonialgesellschaften, aber auch die Bedürfnisse des heimischen Handels und der Industrie überzeugten neben den Wissenschaftlern172 namentlich die Reichtagsabgeordneten Oechelhäuser und Hammacher von der Notwendigkeit einer neuen Gesellschaftsform, insbesondere mit dem Ziel, die Organisation und Finanzierung eines größeren, nicht zwingend persönlich für das Unternehmen tätigen Gesellschafterkreises von den starren Regeln des Aktienrechts frei zu machen. Schon zu damaliger Zeit waren daneben der Wettbewerb mit anderen Rechtsordnungen und das rechtspolitische Ziel der Förderung von Unternehmen wesentliche gesetzgeberische Motive173. Ursprünglich sollte die Finanzierung des Kapitalbedarfs durch ein System von Zubußen und Preisgabe des Anteils gelöst werden. Eine Befragung der Handelskammern ergab freilich hierfür wenig Interesse, da man das Zubußensystem für mittlere und kleinere Unternehmen nicht als geeignet ansah, zumal ihm eine gewisse Gefahr für den Minderheitenschutz anhaften sollte174. Sodann trat der von Oechelhäuser geförderte Gedanke einer Gewährung des Haftungsprivilegs auch an einen kleineren Kreis zusammenarbeitender Gesellschafter in den Vordergrund, der als passend für das ganze „moderne Erwerbsleben“ empfunden wurde175. Er führte zu einem ausgearbeiteten Gesetzentwurf von prägnanter Kürze176, der Oechelhäusers Zustimmung besonders deshalb fand, weil es gelungen sei, den Raum zwischen der OHG und der AG „mit einmal“ zu überbrücken177. Die Handelskammern neigten einer Form zwischen „individualistischen und kollektivistischen Gesellschaften“ zu, ohne so weit gehen zu wollen wie Hammacher, der im Wesentlichen nur eine Lockerung der starren Gründungs- und Organisationsvorschriften der AG anstrebte178. In dieser Situation wollte der Entwurf eines Ge-

170 Ebenso Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 100. 171 Zu den Vorüberlegungen bis zum Jahre 1889 Rießer, Beilage ZHR 35 (1888), 290 ff.; im Übrigen s. Fränkel, S. 5 ff.; Hadding in FS Reichsjustizamt, S. 307 ff.; Feine, S. 1 ff.; Wieland, Handelsrecht II, S. 264 ff.; Schubert in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 1 ff.; Koberg, Die Entstehung der GmbH in Deutschland und Frankreich, 1992, S. 35 ff.; Wicke, Kontinuität und Wandel im Recht der GmbH, MittBayNot 2011, 23. 172 Nachweise bei Feine, S. 2; über kritische Stimmen bald nach Vorliegen des Entwurfs bzw. Inkrafttreten des Gesetzes Schubert in FS 100 Jahre GmbHG, S. 27 f., 40 f. 173 S. Entwurf eines Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung, Anlage A, S. 121, 123; Oechelhäuser, Denkschrift an die preußischen Handelskammern und kaufmännischen Korporationen vom 28.4.1888, in Schriften des Vereins zur Wahrung der wirtschaftlichen Interessen von Handel und Gewerbe, Die Erweiterung des Handelsrechts durch Einfügung neuer Gesellschaftsformen, Heft Nr. 25, 1891, S. 50, 58; dazu auch Wicke, MittBayNot 2011, 23 f. 174 S. hierzu die bei Schubert in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 1 ff., ausgewerteten Kammergutachten. Erschöpfend insoweit Koberg, Die Entstehung der GmbH in Deutschland und Frankreich, 1992, S. 78 ff. 175 Stenographische Berichte des Reichstags, IV. Session 1884, Bd. I, S. 220 f. 176 Abgedruckt bei Wieland, Handelsrecht II, S. 399; Schilling in FS Kunze, 1970, S. 205. 177 Nachw. dazu bei Lutter, GmbHR 1992, 419. 178 Stenographische Berichte des Reichstages, II. Session 1887/88 Bd. II, S. 77 f. Über die Diskussion im Reichstag eingehend Koberg, Die Entstehung der GmbH in Deutschland und Frankreich, 1992, S. 164 ff.

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Einleitung Rz. 43 | Quellen des GmbH-Rechts setzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung179 eine Mittelstellung zwischen der personalistischen und der kapitalistischen Konzeption schaffen (S. 35), die sich in großen Teilen an den vermuteten Vorstellungen der Wirtschaft ausrichtete. Dieser Vorschlag wurde nach nur kurzer Beratung, in der der Entwurf besonders von Oechelhäuser trotz seiner ursprünglich andersartigen Vorstellungen lebhaft unterstützt und vom Reichstag nur geringfügig geändert wurde180, am 21.3.1892 verabschiedet, um am 10.5. desselben Jahres in Kraft zu treten. 44 Die Absicht, zwischen personalistischer und kapitalistischer Grundordnung zu vermitteln,

bestimmte zeitweise die weitere Entwicklung. Dabei bestand lange Zeit kein prinzipieller Zweifel an der Richtigkeit der vom Gesetzgeber gewährten Gestaltungsfreiheit bezüglich des Innenverhältnisses. Bedenken stellten sich erst ein, als klar wurde, dass im Gegensatz zur Vorstellung des Entwurfs (S. 34) die Zahl der Gesellschafter meistens doch eine „ganz geringe“ war, die sich die beschränkte Haftung zunutze machten. Schon im Jahre 1929 hieß es daher kritisch181, das Gesetz und mehr noch die daran anschließende Entwicklung bezüglich der Einmann-Gesellschaft habe „dem Grundsatz der beschränkten Unternehmerhaftung ein Feld von einer Weite eröffnet“, „an das man noch vor einem Jahrzehnt gar nicht zu denken wagte“. Die Zahl der GmbH stieg in allen Branchen schnell an, wobei die Verteilung auf die verschiedenen Wirtschaftszweige von Anfang an Ähnlichkeit mit der heutigen Lage (Rz. 34 ff.) aufweist182. Die Konkursstatistik war zunächst nicht besonders auffällig, zumal man sich offenbar schon zu dieser Zeit über die begrenzte Bedeutung der persönlichen Haftung für das Verhalten der Vertragspartner der Gesellschaften klar war183. Allerdings tauchten schon früh Probleme der Umgehung der Vorschriften über die Kapitalaufbringung im Zusammenhang mit Sacheinlagen auf184. Dennoch ist die Kritik an der GmbH im Zeichen der Vorbehalte gegen die Haftungsbeschränkung zum großen Teil aus theoretischen und ideologischen Erwägungen begründet, die z.T. auch der später aufkommenden GmbH & Co. KG galten, dann allerdings durch ein zunehmend schlechtes Bild der GmbH bei den Insolvenzen bestätigt wurden.

3. Die Reformen der Jahre nach 1980 45 In der langen Zeit seit Inkrafttreten des Gesetzes ist das hierdurch geschaffene eigenständige

Organisationsrecht trotz zahlreicher Gesetzesänderungen185 nur in Randbereichen geändert worden, bis ab dem Jahre 1980 im Anschluss an frühere Überlegungen größere Reformvorhaben diskutiert wurden. Zu erwähnen sind Bestimmungen über Registeranmeldungen, über Insolvenzen sowie einige Tatbestände des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts, die Handelsrechtsreform vom Jahre 1998 erfasste auch einige Vorschriften des GmbHG, die hierbei an das allgemeine Recht der kaufmännischen Unternehmen angepasst wurden. Zu erwähnen sind hier auch die Neuordnung des Firmenrechts (§ 4) und die Reduzierung der Prüfungspflicht des Registerrichters (§ 9c). Zunehmende Bedeutung haben die europäischen

179 Herausgegeben vom Deutschen Handelstag 1892; Nachw. zu den näheren Umständen der Überlegungen im Reichsjustizamt Schubert in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 1, 22 ff. 180 Nachw. dazu bei Lutter, GmbHR 1992, 419. 181 Feine, S. 12. 182 Zusammenstellung bei Schubert in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 30 ff. 183 S. Bauer, Holdheims Wochenschrift, 1895, S. 3 ff. 184 RGZ 36, 108; RGZ 41, 120. 185 Vgl. Habersack, Deutsche Gesetze, Textsammlung, Stand 1.2.2022, 188. Ergänzungslieferung, Nr. 52, S. 1 bis 4: 58 Änderungen; ferner Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 55; s. noch den Überblick von Geßler, GmbHR 1966, 102 ff.; ausführliche Darstellung bei Mosthaf, Die Reformen des Rechts der Gesellschaften mit beschränkter Haftung, 1994.

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Richtlinien, die zumeist schlechthin die Kapitalgesellschaften betrafen, eine Entwicklung, die andauert (Rz. 49). Erstmals wurde dann in den Jahren nach 1970 ein größeres, nicht auf Randkorrekturen beschränktes gesetzgeberisches Reformvorhaben unternommen. Dies mündete in eine gesetzliche Regelung vom Jahre 1980, in der das Mindeststammkapital auf 50000 DM angehoben, die Regeln über Gründung und Kapitalerhöhung geändert und erstmalig die kapitalersetzenden Darlehen behandelt wurden. Mit dem Jahr 2006 begannen die Überlegungen zu einer größer angelegten Reform, dem sog. MoMiG, das heute das Bild bestimmt (Rz. 53 ff.). Insgesamt lässt sich die lange Zeit vorherrschende Einschätzung, dass das Gesetz von 1892 ein „genialer Wurf des Gesetzgebers“ gewesen sei186, der „weit mehr Lob als Tadel verdiene“187, ungeachtet des laufenden Veränderungsdrucks angesichts sich stetig wandelnder Verhältnisse auch aus heutiger Perspektive uneingeschränkt aufrechterhalten188. Ein am 5.11.1971 dem Bundesrat zugeleiteter, ausführlich begründeter RegE eines neuen 46 GmbHG (BT-Drucks. 595/71), der auf einem RefE vom Jahre 1969 beruhte, legte ein in allen Teilen neu formuliertes Gesetz vor. Die Diskussion um diese Reform begann auf der Grundlage des RefE im Jahre 1969 mit einem Aufschrei, indem Wiethölter189 meinte, der Entwurf werde die GmbH nicht reformieren, sondern ermorden. Das Gespenst einer verfehlten GmbH-Reform190 sowie auch die Befürchtung, ein stark an das AktG angelehntes Gesetz könne für Laien nicht mehr zu handhaben sein, mögen den Rechtsausschuss des Bundestages und insbesondere die von ihm eingesetzte interfraktionelle Arbeitsgruppe mit dazu veranlasst haben, das Programm eines zweiten RegE vom Jahre 1977 (BT-Drucks. 8/1347) so radikal zusammenzustreichen, dass dem Ausschuss die ehrenvolle Bezeichnung als „Streichtrio“ zuerkannt wurde191. In dieser Form ist das Gesetz, das immerhin einige wichtige Neuerungen schuf (Rz. 45), am 11.7.1980 verkündet worden (BGBl. I 1980, 836) und am 1.1.1981 in Kraft getreten. In der Grundtendenz sollte die vielseitige Verwendungsmöglichkeit für die GmbH, damit also die Gestaltungsfreiheit für das Innenverhältnis, namentlich aber auch die Verwendbarkeit der Rechtsform für mittelständische und Kleinunternehmen bis hin zum handwerklichen Betrieb, aufrecht erhalten bleiben192, ohne ihre Eignung für große „kapitalistische Unternehmungen“ einzubüßen. Das mag dazu beigetragen haben, dass die Novelle einige zum Teil für dringlich gehaltene Probleme nicht in Angriff nahm, etwa ein umfassendes Konzept für die GmbH & Co. KG unter Einschluss der Publikumsgesellschaften oder die Funktionsbestimmung der unternehmerischen Mitbestimmung in einer Rechtsform, in der es für ein Kontrollorgan keine genuine Aufgabe gibt. Offen blieben auch eine Lösung der Ausschließung von GmbH-Gesellschaftern193 sowie die Handhabung der praktisch zunehmend wichtigen Beschlussmängelklagen194. Immerhin wurde bereits hier in nicht wenigen Punkten die rechtsfortbildende Judikatur 47 nachgezeichnet, etwa bei der Differenzhaftung der Sacheinleger, die vorher stark umstritten

186 187 188 189 190 191 192 193 194

Vogel, GmbHR 1953, 137. Ballerstedt, GmbHR 1967, 66, 71. Vgl. auch Wicke, MittBayNot 2011, 23. Probleme der GmbH, S. 11; dazu Mosthaf, S. 31 ff. Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft, S. 171; s. auch „Gefahr für die GmbH“, hrsg. vom DIHT 1969; auch Kreplin, BB 1970, 93; später auch Zöllner, JZ 1992, 381, 382. Ulmer in Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, S. 55, 67; Bericht des Rechtsausschusses – BT-Drucks. 8/3908 – auch abgedruckt in ZIP 1980, 392 ff.; zur Geschichte der Reform im Übrigen Mosthaf, S. 56 ff. Näher Claussen, GmbHR 1996, 73 ff.; s. im Einzelnen den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 8/3908. S. etwa Eser, DB 1985, 29 ff.; H.P. Westermann in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 447, 468. S. dazu den rechtsvergleichenden Überblick bei Lutter, ZGR 1998, 191 ff.; ferner Schröder, GmbHR 1994, 532.

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Einleitung Rz. 47 | Quellen des GmbH-Rechts war195. Wenig erfolgreich war der Versuch der Kodifizierung der Rechtsprechungsgrundsätze zum kapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen, da nach einiger Zeit der Unsicherheit noch vor dem Inkrafttreten der in der Novelle niedergelegten §§ 32a, b196 in einer vielbeachteten Grundsatzentscheidung des BGH neben dem „Novellenrecht“ die Grundsätze der bisherigen Rechtsprechung beibehalten197 und in der Folgezeit ständig weiter ausgebaut wurden, bis der Gesetzgeber gewisse, verbreitet als „Kleinbeteiligten“- und als „Bankenprivileg“ abqualifizierte, praktisch allerdings kaum sehr wichtige Beschränkungen vornahm198. Der Rechtsprechung überlassen blieb im Wesentlichen auch die bilanzielle Behandlung derartiger Finanzierungsinstrumente. Die Differenzhaftung nach § 9 wird nach überwiegender Ansicht trotz der fast drakonischen Härte des Konzepts für die Partner eines Sacheinlegers als sachgemäß betrachtet, wohl weil vielfach bei der GmbH-Gründung Versuche der Gründer und ihrer Berater gesehen werden, die Regeln einer effektiven Kapitalaufbringung zu umgehen. Inzwischen behoben ist ein Fehler, der für die Einmann-Gründung eine Sicherheitsleistung des Gründers vorsah (§ 7 Abs. 2 Satz 3 a.F.), was vor der Entstehung der juristischen Person rechtstechnisch unmöglich erschien199. Neben der Erhöhung des Mindest-Stammkapitals von 20.000 auf 50.000 DM kam es zu einer Erhöhung der Mindesteinzahlung auf 25 000 DM (heute ausdifferenziert in § 7 Abs. 2). Der Kritik an der als sehr weitgehend empfundenen zwingenden Neuregelung der Informationsrechte der Gesellschafter200 wird in der Beratungspraxis durch gesellschaftsvertragliche Verfahrensregelungen201 und in der Rechtsprechung mit dem Kriterium der zweckentsprechenden Wahrnehmung begegnet202. Den Entschluss des Gesetzgebers, auf die ursprünglich vorgesehene umfassende Kodifizierung des Konzernrechts zu verzichten, nahm die Rechtsprechung zum Anlass für richterrechtliche Lösungen, die systematisch ausgebaut worden sind, so dass es einer Kodifikation kaum mehr bedarf (näher Rz. 59). 48 Den nächsten Schritt bildeten wichtige gesetzliche Neuansätze des Jahres 1998, die aber nicht

zu einem geschlossenen Reformvorhaben zusammengeführt worden waren. Die Währungsumstellung von der DM auf den Euro zum 1.1.1999, die erst nach einer Übergangszeit voll wirksam wurde und zu lästigen Rundungsdifferenzen führte203, ist seit dem 1.1.2002 voll durchgesetzt. Die gesetzgeberischen Bestrebungen, die Kontrolle der Unternehmensführung durch die Gesellschafter zu verbessern und die Unabhängigkeit der Rechnungsprüfung zu stärken, daneben aber auch Elemente der „Corporate Governance“ einzubringen, haben auch

195 Rechtsvergleichend dazu Battes, Die Überbewertung von Sacheinlagen im in- und ausländischen GmbH-Recht und bei der englischen Private Company, 1967. 196 Dazu Karsten Schmidt, ZGR 1980, 567; zur Entstehungsgeschichte Mosthaf, S. 54 ff. 197 Grundlegend BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370, 376 = GmbHR 1984, 313 = ZIP 1984, 698, 699. 198 Übersicht bei Dauner-Lieb, DStR 1998, 609; Seibert, GmbHR 1998, 309; H.P. Westermann in FS Zöllner, 1999, S. 607, 611 ff.; zur Verteidigung H.P. Westermann, DZWiR 2000, 1 ff.; scharf kritisch v. Gerkan, GmbHR 1997, 677 ff.; anders Dörrie, ZIP 1999, 12 ff. 199 Lutter, DB 1980, 1320; die Lösung der damaligen Reform wurde daher als Danaergeschenk bezeichnet von Ulmer, BB 1980, 1001; nicht ganz so kritisch Fezer, JZ 1981, 608; s. aber auch Flume, DB 1980, 1781; Brinkmann, GmbHR 1982, 269 ff.; Hüffer, ZHR 142 (1978), 486; Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 540. 200 Dazu näher Lutter, ZGR 1981, 1 ff.; Grunewald, ZHR 146 (1982), 211 ff.; Mertens in FS Werner, 1984, S. 557. 201 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 51a Rz. 42; Hillmann in MünchKomm. GmbHG, § 51a Rz. 4. 202 S. etwa BGH v. 6.3.1997 – II ZB 4/96, NJW 1997, 1985, 1986; OLG Köln v. 26.4.1985 – 24 W 54/ 84, GmbHR 1985, 358 = WM 1986, 36; BayObLG v. 27.10.1988 – BReg. 32, 100/88, WM 1988, 1791; zur Vollstreckung BayObLG v. 22.12.1988 – BReg. 32, 57/88, WM 1989, 372; zur missbräuchlichen Ausübung Marsch-Barner, WM 1984, 41; v. Bitter, ZIP 1981, 825; Übersicht über die Praxis bei Gustavus, GmbHR 1989, 181; s. aber auch Zöllner in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 93. 203 Kurze Übersicht bei Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Einl. Rz. 11; näher H.P. Westermann, Bankrechtliche Vereinigung, Bd. 11 (1998), S. 3–39.

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Quellen des GmbH-Rechts | Rz. 49 Einleitung

für die GmbH Auswirkungen gehabt. Das gilt besonders für das Gesetz zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich vom 1.5.1998204, daneben auch für das KapitalaufnahmeerleichterungsG vom 20.4.1998205, das besonders im Kapitalersatzrecht stark umstrittene Änderungen gebracht hat. In diesen Zusammenhang gehören das Justizkommunikationsgesetz aus dem Jahre 2005 und das EHUG (Gesetz über das Elektronische Handelsregister sowie das Unternehmensregister) aus dem Jahre 2006, das den elektronischen Bundesanzeiger zum Gesellschaftsblatt i.S.d. § 12 bestimmte, der dann bis vor kurzem206 das Medium für Pflichtveröffentlichungen i.S.d. §§ 325 ff. HGB geworden ist, ohne dass die Formerfordernisse für die Pflichtveröffentlichung entfallen wären207. Gewisse Neuregelungen hat allerdings die Rechnungslegung erfahren208. So ist der Umfang der Anforderungen an den Lagebericht (§ 289 Abs. 1, § 315 Abs. 1 HGB) erweitert worden, in dem nicht nur auf die voraussichtliche Entwicklung, sondern in diesem Rahmen auch auf künftige Risiken einzugehen ist, wobei über das Verständnis des „Risikos“ Meinungsverschiedenheiten möglich sind. Gemäß § 317 Abs. 2 HGB erstreckt sich auf diesen Punkt nunmehr auch die Abschlussprüfung. Nach wie vor können allerdings „kleine“ GmbH i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB auf einen Lagebericht verzichten. Betroffen ist die GmbH u.U. auch von den Bestimmungen über das Verhältnis des Konzernabschlusses nach dem HGB zu einem nach internationalen Regeln aufgestellten Konzernabschluss; für vertraglich konzernierte GmbH ändert sich aber nichts daran, dass sie ihr Rechenwerk an den für die Muttergesellschaft geltenden Vorschriften ausrichten müssen und durch den Konzernrechnungsprüfer geprüft werden. Inzwischen ist das auch für die GmbH maßgebliche Bilanzrecht des HGB durch zahlreiche, die eigentliche Bilanzierung und ihre Kontrolle intensiv verstärkende, auch durch einzelne Befreiungsmöglichkeiten kaum praktikabler gewordene Bestimmungen – nicht zuletzt aus dem europäischen Bereich erneuert worden, näher 12. Aufl., § 41 Rz. 1 ff., zu den wichtigen Änderungen des § 33 durch das BilMoG vom 25.5.2009 (BGBl. I 2009, 1102) s. 13. Aufl., § 33 Rz. 14 ff. Die besonders durch das KonTraG verstärkten Pflichten zur Einrichtung eines internen Überwachungs- und Frühwarnsystems haben zu einer ausdrücklichen Erweiterung oder Konkretisierung der Pflichten des GmbH-Geschäftsführers bisher keinen Anlass gegeben, doch sind entsprechende Anforderungen an die Geschäftsführer großer Unternehmen realitätsnah. Die weitreichenden Änderungen des auf die GmbH bezogenen Verfahrensrechts durch das FamFG ändern die Anforderungen des Handelsregisterrechts nicht grundlegend209.

4. Die GmbH im Prozess der europäischen Rechtsangleichung Naturgemäß nimmt die GmbH an der Gesamtentwicklung des europäischen Unternehmens- 49 rechts in vollem Umfang teil, wozu auch der Einfluss der EU auf das Steuerrecht gehört. Die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien der EG und später der EU nimmt stetig

204 BGBl. I 1998, 786 ff.; zur Auswirkung des Gesetzes auf die GmbH im Einzelnen Altmeppen, ZGR 1999, 291. 205 BGBl. I 1998, 707 ff.; dazu Zimmer, NJW 1998, 3521. 206 Die Unterlagen sind nach § 325 Abs. 1 Satz 2 HGB nunmehr ausschließlich auf elektronischem Weg der das Unternehmensregister führenden Stelle, derzeit also dem Bundesanzeiger (s. § 9a Abs. 1 HGB, VO vom 15.12.2006, BGBl. I 2006, 3202, verlängert durch VO vom 14.1.2015, BGBl. I 2015, 16) zur Einstellung in das Unternehmensregister zu übermitteln, wo sie für jedermann einsehbar sind (s. unter www.unternehmensregister.de). 207 Zu diesen Gesetzen Noack, DB 2005, 599; Schlotter, BB 2007, 1; Paefgen, ZIP 2008, 1653; Mödel/ Schicht, ZIP 2008, 2332. 208 Zum Folgenden Küting/Hütten, AG 1997, 250 ff.; Remme/Theile, GmbHR 1998, 909 ff. 209 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Einl. Rz. 17 ff.

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Einleitung Rz. 49 | Quellen des GmbH-Rechts zu210. Sie erschöpft sich nicht darin, dass sie durch ihre Umsetzung zu Rechtsquellen des Gesellschaftsrechts geworden sind, sondern sie erfordern weiterhin eine richtlinienkonforme Auslegung des nationalen Handels- und Gesellschaftsrechts211. Sechs dieser Richtlinien auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts wurden „aus Gründen der Klarheit und der Übersichtlichkeit“ in der neuen Richtlinie RL (EU) 2017/1132 (GesR-RL) ohne inhaltliche Änderung zusammengefasst und konsolidiert, nämlich die Publizitäts-RL, die Kapital-RL, die Aktiengesellschaften-Verschmelzungs-RL, die Spaltungs-RL, die Kapitalgesellschaften-Verschmelzungs-RL und die Zweigniederlassungs-RL212. Auch zum europäischen Bilanzrecht gab es weitgehende Reformvorschläge213, nachdem schon aufgrund des BilRUG vom 17.7.2015 (BGBl. I 2015, 1245) in Umsetzung einer Richtlinie § 29 Abs. 4 modifiziert worden war. Nach den Erfahrungen im Bereich des Verbraucherschutzes ist auch nicht mehr auszuschließen, dass hierzu auch richtlinienkonforme Rechtsfortbildung gehören wird214. Die Regelungen betrafen zunächst nur die Kapitalgesellschaften, sind aber durch eine eigens auf die GmbH & Co. KG gemünzte ergänzende Richtlinie215 auch auf diese Unternehmensform ausgedehnt worden. Das Bild wird heute im Wesentlichen bestimmt durch die Jahresabschluss-, Konzernabschluss-, Prüferbefähigungs-, EU-Angleichungs-Richtlinie216, die zusammengefasst sind im BiRiLiG vom 19.2.1985 (umgesetzt in BGBl. I 1985, 2355). Von Anfang an waren in Bezug auf Art und Intensität der Publizität der Rechnungslegung im Rahmen der Bildung von Größenklassen kleineren Gesellschaften, damit einem nicht unerheblichen Teil der GmbH, Erleichterungen eingeräumt worden, wobei die hierfür maßgeblichen Schwellenwerte Änderungen unterworfen wurden, die der deutsche Gesetzgeber nachvollzogen hat217. Das GmbH-Recht weist daher eigenständige Vorschriften für die Jahresabschlüsse auf, z.T. in Verbindung mit den §§ 242, 264 ff. HGB, in deren Zusammenhang dann auch auf die Bedeutung der internationalen Rechnungslegungsstandards einzugehen ist218. 50 Die Publizitätsrichtlinie (68/151/EWG), ursprünglich aus dem Jahre 1968 und mehrfach ge-

ändert219, bezweckte, die das Außenverhältnis der Gesellschaften, hauptsächlich die Vertretung durch Organe und Organpersonen sowie die Offenlegung des haftenden Kapitals betreffenden Regeln zu vereinheitlichen220. Sie ist zuerst im Jahre 2003 geändert, nach der Umstellung des Handelsregisters auf elektronischen Betrieb durch das EHUG vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553) im Zuge der Kodifizierung des acquis communautaire neu gefasst wor-

210 Vgl. eingehend Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019; Lutter/Bayer/ J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017. 211 EuGH v. 13.11.1990 – Rs. C-106/89, Slg. 1990, 4135 ff. – Marleasing; dazu Lutter, JZ 1992, 593, 604; eine wesentliche Bedeutung der europäischen Rechtsangleichung für die GmbH ist aber noch nicht zu sehen, Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 140. 212 Vgl. Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 5. Aufl. 2019, § 4.1. 213 S. schon van Hulle, ZGR 2000, 537; Grünwald in FS Koppensteiner, 2001, S. 15 ff.; später Bayer/ J. Schmidt, BB 2012, 3, 5 f.; Hennrichs, GmbHR 2011, 1065. 214 Zur Methodik Canaris in FS Bydlinski, 2000, S. 8 ff.; Riesenhuber/Domröse, RIW 2005, 922; zu den Grenzen Schürnbrand, JZ 2007, 916. 215 RL 90/605, ABl. EG Nr. L 317 v. 16.11.1990, S. 60; zur Umsetzung durch das Richtlinien-G im Einzelnen Zimmer/Eckhold, NJW 2000, 1361 ff. 216 Vierte RL 78/660 vom 25.7.1978 (ABl. EG Nr. L 222 v. 14.8.1978, S. 11), Siebte RL 83/349 vom 13.6.1983 (ABl. EG Nr. L 193 v. 18.7.1983, S. 1); Achte RL 87/253 vom 10.4.1984 (ABl. EG Nr. L 126 v. 12.5.1984, S. 20), ersetzt RL 2006/43 vom 17.5.2006 (ABl. EG Nr. L 157 v. 9.6.2006, S. 87); zur Abschlussprüfer-RL Eisenhardt/Wachter, DStR 2010, 2532 ff.; Bayer/J. Schmidt, BB 2012, 3, 6. 217 Dazu etwa das „Bilanzrechtsreformgesetz“ vom 4.12.2004, BGBl. I 2004, 3166. 218 S. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 42a Rz. 50 ff. 219 ABl. EG Nr. L 65 v. 14.3.1968, umgesetzt durch Gesetz vom 15.8.1969, BGBl. I 1969, 1146; zu den Reaktionen des deutschen Gesetzgebers auf die Änderungsrichtlinie 2003/58/EG (ABl. EG Nr. L 221 v. 15.7.2003, S. 13) näher Noack, AG 2003, 537; Scholz, EuZW 2004, 172. 220 Dazu Lutter, EuR 1969, 1 ff.; Leible, ZHR 162 (1998), 594.

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Quellen des GmbH-Rechts | Rz. 51 Einleitung

den221. Von der Offenlegungspflicht erfasst sind seitdem insbesondere Angaben über Einzelund Gesamtvertretung der Gesellschaft durch Organpersonen. Für die Publizität der Rechnungslegung gibt es nach wie vor Erleichterungen für kleinere Gesellschaften, §§ 326, 327 HGB, bei Kleinstkapitalgesellschaften kann die Offenlegung ganz unterbleiben, wenn die Bilanz zur Hinterlegung eingereicht wird (§ 326 Abs. 2 HGB). Das Richtlinienrecht schreibt Eintragungen bei einem zentralen Handels- oder Gesellschaftsregister, öffentliche Bekanntmachungen der dort erfolgten Eintragungen sowie auch bestimmte Angaben auf den Geschäftsbriefen der Gesellschaft vor, was besonders beim Auftreten im europäischen Ausland gegründeter Gesellschaften in einem der EU-Mitgliedstaaten praktische Bedeutung gewonnen hat; ohnehin gehört die europäische Harmonisierung der Rechnungslegung und der sonstigen Publizität zu den Zielen der Gemeinschaft in diesem Bereich222. Umfangmäßige Beschränkungen der Vertretungsmacht sowie die Geltendmachung von Gründen, aus denen eine – auch im Außenverhältnis wirkende – Nichtigkeit der Gesellschaft folgen könnte, werden ebenfalls durch Richtlinienrecht in ihrer Wirkung eingegrenzt. Da die Kapitalrichtlinie, die die Finanzierung von Aktiengesellschaften bei ihrer Gründung 51 sowie bei Änderung und Erhaltung des Kapitals betrifft223, nur für Aktiengesellschaften gilt, gibt es keine unmittelbaren Auswirkungen für das GmbH-Recht. Allerdings sind solche Regeln, wenn sie etwa eine Flexibilisierung namentlich der Regeln über Kapitalaufbringung und -erhaltung betreffen, auch für das GmbH-Recht nicht uninteressant, weil derartige Entwicklungen in einem nationalen Recht auch auf die „kleine“ Kapitalgesellschaft durchschlagen können und dann im Zuge der gemeinschaftsrechtlichen Niederlassungsfreiheit (dazu auch 12. Aufl., Anh. § 4a Rz. 16 ff.) von den im Ausland gegründeten Gesellschaften ins Inland „mitgenommen“ werden könnten. In diesen Rahmen gehört auch die Zweigniederlassungsrichtlinie vom 21.12.1989224, durch deren Neufassung in der Richtlinie vom 14.6.2017225 die in der Publizitätsrichtlinie geschaffenen Offenlegungspflichten auf Zweigniederlassungen in der Weise ausgedehnt wurden, dass die Niederlassungen ausländischer Gesellschaften durch eine Tochtergesellschaft derselben Publizität unterliegen; nach internationalem Gesellschaftsrecht richtet sich dann, ob dies auch für Gesellschaften gilt, die – ohne Tochtergesellschaften einer ausländischen Gesellschaft zu sein – im europäischen Ausland gegründet sind, einen Verwaltungssitz aber nur in einem anderen Mitgliedstaat haben. Die Richtlinie war durch Gesetz vom 22.7.1993 umgesetzt226 und (unter Aufhebung des § 12 a.F.) in die §§ 13 ff. HGB eingegangen. Bei der Anwendung ist – im Sinne von Richtlinienkonformität – vor allem von dem Gedanken auszugehen, dass die Publizität von Zweigniederlassungen und dann auch von EU-Auslandsgesellschaften in den Mitgliedstaaten gleich oder gleichwertig zu sein hat, was es (auch) verbietet, die Offenlegungspflichten über den Standard der Richtlinie hinaus zu verschärfen. Auf der Zweigniederlassungsrichtlinie beruhen auch die Vorschriften über Offenlegung der Rechnungslegung in § 325a HGB und über die Angaben auf Geschäftsbriefen (§ 35a Abs. 4).

221 Richtlinie 2009/101/EG vom 16.10.2009, ABl. EU Nr. L 258 v. 1.10.2009, S. 11; dazu Lutter/Bayer/ J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017, § 18. 222 Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, Einl. Rz. 41. 223 Richtlinie 77/91/EWG vom 13.12.1976, ABl. EG Nr. L 26 v. 31.1.1977, S. 1; dazu Lutter/Bayer/ J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017, § 19. 224 ABl. EG Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 33, 36; dazu Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 6. Aufl. 2017, § 26. 225 ABl. EU Nr. L 169 v. 30.6.2017, S. 46. 226 BGBl. I 1993, 1282.

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Einleitung Rz. 52 | Quellen des GmbH-Rechts 52 Ebenfalls aus dem Jahre 1989 stammt die Einpersonengesellschaftsrichtlinie227, die die in

Deutschland schon früher anerkannte Einpersonen-Gesellschaftsgründung in allen Mitgliedstaaten ermöglichen sollte, grundsätzlich, ohne dass daran die persönliche Haftung des „Einmanns“ geknüpft werden darf, ebensowenig grundsätzlich bei Veränderungen des Gesellschafterbestandes auf eine Person, was aus der Sicht der Länder, die als Grundlage auch einer Kapitalgesellschaft einen Vertrag forderten, eigentlich nicht sein konnte228. In Deutschland konnte sich die Umsetzung auf eine Pflicht zur Offenlegung der nachträglichen Entstehung eines solchen Gebildes beschränken, die mit dem heutigen § 40 Abs. 1 erfasst wird, ebenso auf Änderungen des § 35, die im jetzigen Abs. 3 Satz 2 enthalten sind. Mit dem geplanten UmRUG229 soll die Umwandlungsrichtlinie230 umgesetzt werden. Das UmRUG sieht zahlreiche neue Vorschriften für grenzüberschreitende Umwandlungen mit Beteiligung der GmbH als Rechtsträger vor231. Zu den Richtlinien über grenzüberschreitende Umwandlungen nach Rechtslage vor dem 31.1.2023 s. 12. Aufl., Anh. § 4a Rz. 75, 77. Ob darüber hinaus die rechtsangleichenden Aktivitäten der Europäischen Gemeinschaft in absehbarer Zeit zu einer wesentlichen Vereinheitlichung der materiellen nationalen Regeln der „kleinen“ Kapitalgesellschaften führen werden, ist als Frage noch spekulativ; eine sehr intensive Vereinheitlichung ist aus der Sicht des praktischen Bedürfnisses nach einem ins nationale Recht stimmig eingefügten Gleichgewicht von Gläubigerschutz und Gestaltungsfreiheit sowie Minderheitenschutz und Anreizen für Investitionen nicht unbedingt wünschenswert. Nicht durchgesetzt haben sich bislang die Planungen, speziell für die Bedürfnisse von kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU) als „kleine Schwester“ der Europäischen Aktiengesellschaft eine neue EU-Rechtsform zu schaffen. Das zunächst verfolgte Vorhaben einer Europäischen Privatgesellschaft, Societas Privata Europaea, wurde auf Eis gelegt232, die Europäische Kommission hat ihren diesbezüglichen Verordnungsentwurf im Mai 2014 offiziell zurückgezogen233. Entsprechendes gilt für den Versuch, durch Neufassung der 12. (Einpersonengesellschafts-)RL eine Societas Unius Personae (SUP) einzuführen234. Wesentliches Element des betreffenden Vorschlags war die Ermöglichung einer Online-Gründung. Mit der RL (EU) 2019/1151, die ein im Vergleich zur SUP (gemäß dem seinerzeitigen Vorschlag) deutlich ausgereifteres Verfahren der Online-Gründung vorsieht235, dürfte sich dieses Projekt vollständig erledigt haben.

5. Der große Wurf: Das MoMiG 53 Da Rechtsfortbildungen stets nur eine punktuelle Änderung ergeben können, und da die No-

vellen von 1980 und 1986 keine umfassenden Neuansätze verfolgten bzw. damit gescheitert waren, fühlte sich der Gesetzgeber angesichts der vom Gesetz in vielerlei Hinsicht abwei-

227 Elfte gesellschaftsrechtliche Richtlinie vom 21.12.1989, ABl. EG Nr. L 395 v. 30.12.1989, S. 33, 40; umgesetzt durch Gesetz vom 18.12.1991, BGBl. I 1991, 2206; dazu Hirte, ZIP 1992, 1122; Schimmelpfennig/Hauschka, NJW 1992, 942. 228 Dazu die Erörterungen bei Lutter in FS Brandner, 1996, S. 81, 83, u.a. mit Blick auf das italienische Recht. 229 S. hierzu den UmRUG-RegE vom 6.7.2022. 230 Richtlinie (EU) 2019/2121 vom 27.11.2019. 231 Eingehend hierzu Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 501; Heckschen/Knaier, GmbHR 2022, 613. 232 SPE; vgl. dazu Wedemann, EuZW 2010, 534; Bormann/König, RIW 2010, 111; Wicke, MittBayNot 2011, 31; Teichmann, GmbHR 2018, 713. 233 Bayer/Schmidt, BB 2015, 1731. 234 Dazu Kindler, ZHR 179 (2015), 339; Kindler, The single-member limited liability company (SUP), 2015; Lutter/Koch, Societas Unius Personae (SUP), 2015; Bayer/Schmidt, BB 2015, 1733 f.; Müller, GmbHR 2015, R186; Wicke, ZIP 2014, 1414. 235 S. dazu hier Wicke, 13. Aufl., § 2 Rz. 160 ff.

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Quellen des GmbH-Rechts | Rz. 54 Einleitung

chenden tatsächlichen Gestaltungswünsche und Reaktionen der juristischen Praxis – auch Rechtsfortbildungen praeter und contra legem – darauf angesprochen, eine „große“ Reform zu unternehmen, der es hauptsächlich um Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken und Deregulierung mancher als überzogen empfundener Institute sowie der Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit im Verhältnis zu Auslandsgesellschaften ging. Dies geschah in Gestalt des am 1.11.2008 in Kraft getretenen „Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen“ (MoMiG)236, das sich durch einige Neuerungen auszeichnete wie die Zulassung einer Variante der GmbH praktisch ohne Stammkapital, die Möglichkeit der Übernahme mehrerer Geschäftsanteile sowie die Teilbarkeit von Geschäftsanteilen, die vereinfachte Gründung mit einem vom Gesetz vorgelegten Musterprotokoll, die nur durch Gesetz und eben nicht durch rechtsfortbildenden Richterspruch geschaffen werden konnten. Auch die Aufwertung einer Gesellschafterliste beim Handelsregister, die sogar einen Erwerb vom Nichtberechtigten ermöglichen soll, ist hierher zu zählen. Dem Gesetz sind jahrelange Überlegungen und Diskussionen unter Praktikern und Wissenschaftlern237 vorausgegangen, in deren Mittelpunkt vor allem nach dem Erscheinen des Referentenentwurfs und des Regierungsentwurfs Fragen zur Kapitalaufbringung und -erhaltung, das künftige Schicksal des Regelwerks über kapitalersetzende Darlehen, die Neuregelungen zur Gründung und die künftige Stellung der GmbH im internationalen Wettbewerb der Gesellschaftstypen sowie die Insolvenzverschleppungshaftung standen, mit einem gewissen Gewicht auch unabhängig vom MoMiG die Europäische Privatgesellschaft (zu ihr Rz. 52 a.E.). Die literarische Auseinandersetzung mit dem neuen Recht ist unübersehbar238, die Akzeptanz von Neuschöpfungen wie der UG (haftungsbeschränkt) und des Musterprotokolls überraschend groß. Die praktischen Schwierigkeiten mit der Gesellschafterliste, insbesondere der mit ihr verbundenen Legitimationswirkung und der auf sie zu stützenden Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs bestimmen in einem großen Teil das von der Reform betretene Neuland, während die international-rechtlichen Impulse sich in einem deutlichen Rückgang der Bedeutung der Ltd. zu Gunsten der UG (haftungsbeschränkt) niedergeschlagen haben, der sich durch den Brexit nochmals erheblich verstärkt hat. Insgesamt scheint die Wertschätzung des MoMiG in der gestaltenden Praxis höher als diejenige bei den Gerichten und in der Wissenschaft zu sein. a) Die wichtigsten Ziele der Reform Die wichtigsten Ziele der Reform lassen sich aus dem praktischen Umfeld der GmbH über 54 100 Jahre nach ihrer Entstehung erklären: Bekämpfung von missbräuchlichen Praktiken – einschließlich der „Bestattung“ einer Gesellschaft – bei insolventen oder in einer Krise befindlichen Gesellschaften, sodann Herstellung von Wettbewerbsfähigkeit der GmbH gegenüber aufgrund der Niederlassungsfreiheit in Europa für einen Betrieb in Deutschland zuge-

236 BGBl. I 2008, 2026. 237 Zum RegE etwa Drygala, NZG 2007, 561; Eidenmüller/Grunewald/Noack, Das Mindestkapital im System festen Nennkapitals in Lutter, Das Kapital der AG in Europa, ZGR 2006, 17; Freitag, WM 2007, 1681; Gesmann/Nuissl, WM 2006, 1756; Grunewald, WM 2006, 2333; Haas, ZIP 2006, 1373; Habersack, ZHR 170 (2006), 667; Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2007, 2011; Heckschen, DStR 2007, 1442; Hirte, Reform des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes, in 66. DJT Band II, 2007; U. Huber in FS Röhricht, 2005, S. 259 ff.; Huber/Habersack, BB 2006, 1; Joost, Der Eigenkapitalschutz vor neuen Herausforderungen, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 31; Kleindiek, ZGR 2006, 335; Noack, DB 2007, 1395; Seibert, GmbHR 2007, 679; Triebel/Otte, ZIP 2006, 1321; Ulmer in Liber amicorum W. Happ, 2006, S. 325; Goette, WPg 2008, 231; Wachter, GmbHR 2006, 793; Übersicht bei Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 61. 238 Beste Zusammenstellung bei Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Syst. Darst. 1 vor Rz. 102 (S. 37–40).

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Einleitung Rz. 54 | Quellen des GmbH-Rechts lassenen anderen in Europa gegründeten Gesellschaftsformen239, Auseinandersetzung mit – teils Bestätigung, teils Rücknahme – rechtsfortbildenden Entwicklungen bei der Kapitalaufbringung und -erhaltung, besonders mit der Finanzierung durch Gesellschafterdarlehen. Durch Bestrebungen zur Deregulierung hervorgerufen240 waren etwa die Regeln zur Beschleunigung und Vereinfachung des Gründungsvorgangs, Erhöhung der Flexibilität der Beteiligungen am Kapital der GmbH, Verhinderung von Missbräuchen bei der Organbestellung und bei der Transparenz von Verantwortlichkeiten besonders in der Krise und bei der Beendigung der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft, letzteres auch durch Schaffung neuer Straftatbestände. Manche dieser Ansätze hatten ihre Ursachen in den Besorgnissen der juristischen, hauptsächlich der anwaltlichen Praxis gegenüber als überzogen empfundenen richterlichen Rechtsfortbildungen, die unter dem Stichwort, dass der Gläubigerschutz nicht in allen Belangen vor dem Gesellschafterschutz rangieren müsse, auch im politischen Raum offen angesprochen worden waren241. Die in diesem Zusammenhang besonders deutliche Haftungsverschärfung vor allem der Geschäftsführer trifft aber nicht nur Personen zweifelhafter Herkunft und umstrittenen Ansehens, sondern auch alle Unternehmensleiter, denen Erfahrungen und spezielle Sachkenntnis für die z.T. intrikaten Probleme der Kapitalaufbringung und -erhaltung fehlen242. 55 Vorstellungen bezüglich der personellen Zielgruppe der Reformansätze leiteten das Gesetz-

gebungsverfahren nicht, da es wesentlich darum ging, die mehr als 115 Jahre alte Erfolgsgeschichte der GmbH als beliebtester Rechtsform des deutschen Mittelstandes zu erhalten243. Die Schärfe und Vielgestaltigkeit der Diskussionen um die richtige Bewältigung des Phänomens des Cash-Pooling durch die vorhandene Rechtsprechung, die zu den von der Rechtspolitik besonders ernst genommenen Reformansätzen zählt, zeigt aber auch, dass die Rolle der GmbH in Unternehmensgruppen und damit zumeist im Rahmen groß-kapitalistischer Strukturen durchaus nicht aus dem Blickfeld herausfiel. Besonderes Augenmerk, so bei der „Modernisierung“ des Gründungsvorgangs und bei den Anforderungen an die anfängliche Kapitalausstattung, wurde aber auch den erstmalig in die Selbständigkeit gehenden, oft auch jungen, Existenzgründern gewidmet. Dies zählt zu den Ursachen einer der Neuschöpfungen des MoMiG, nämlich der Zulassung der mit (nur) einem Euro, höchstens 25.000 Euro ausgestatteten UG (haftungsbeschränkt). Von einiger Bedeutung sind – ungeachtet eines nicht voll geklärten kollisionsrechtlichen Hintergrundes – die mit den Regeln über die Verlegung des Satzungs- oder Verwaltungssitzes ins Auge gefassten Möglichkeiten deutscher Konzernobergesellschaften, ihre Auslandstöchter bei Verlagerung der Geschäftstätigkeit ins Ausland als Kapitalgesellschaften deutschen Rechts zu führen, also deutschen Gesellschaften weitere ausländische Tätigkeitsfelder zu eröffnen244. Auf diese Weise wurden grenzüberschreitend tätige Unternehmer und Unternehmensgruppen angesprochen. Das Gesetz wurde nach lebhafter Diskussion eines Referentenentwurfs vom Jahre 2006 und des RegE vom Jahre 2007 im Jahre 2008245 verabschiedet und ist seit dem 1.11.2008 in Kraft. Schon bald wurde aber auch über Reformen des MoMiG gesprochen246.

239 240 241 242 243 244 245 246

Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 62, 63, 66, 67. Näher Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 198; Bayer, ZGR 2007, 233 ff. Von Gehb/Heckelmann, GmbHR 2006, R 349. Zur GmbH-Reform auf Kosten der Geschäftsführer etwa Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449; zu den Anforderungen aus der Sicht durchschnittlicher Gesellschafter und Geschäftsführer auch H.P. Westermann in FS Priester, 2007, S. 835 ff. Wachter in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, S. 54 f. Dazu RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 29 und den Überblick von Kindler in Goette/Habersack, Das MoMiG in Wissenschaft und Praxis, S. 246 ff. Darstellung bei Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 66–70; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 116–119. Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1295.

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Heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts | Rz. 57 Einleitung

b) Anwendung von Einzelregelungen des MoMiG Die Beschleunigung und zugleich Verbilligung des Gründungsvorgangs im Zusammenhang 56 mit der Benutzung des Musterprotokolls gemäß § 2 Abs. 1a hat – auch wegen der mit manchen schwierigen Fragen verbundenen Beratungskosten – offenbar keine Umwälzungen ergeben (näher 13. Aufl., § 2 Rz. 123, 13. Aufl., § 5a Rz. 26 ff.). Der begrüßenswerten Neuregelung zur Teilung, Zusammenlegung und Stückelung von Geschäftsanteilen standen Probleme bei der Anwendung des in § 5 Abs. 2 Satz 3 enthaltenen Gebots der Konvergenz der Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile mit dem Stammkapital bei der Einziehung gegenüber (näher 13. Aufl., § 34 Rz. 51 ff.). Das MoMiG hat ferner zu Korrekturen der Rechtsprechung im Bereich des Gläubigerschutzes geführt, die im Ergebnis Vereinfachungen für die Gestaltungspraxis zur Folge haben. So wurden insbesondere die Folgen der verdeckten Sacheinlage entschärft und gemäß § 19 Abs. 4 eine Wertanrechnung auf die Bareinlagepflicht vorgesehen. Für Leistungen der Gesellschaft an Gesellschafter ist § 30 zu einer bilanziellen Betrachtungsweise zurückgekehrt, indem eine verbotene Auszahlung dann nicht angenommen wird, wenn ein reiner Aktivtausch vorliegt, also der Gegenleistungs- oder Rückerstattungsanspruch der Gesellschaft gegen den Gesellschafter die Auszahlung deckt und zudem vollwertig ist (im Einzelnen 13. Aufl., § 30 Rz. 76 ff.). Damit sollte insbesondere das international gebräuchliche Cash Pooling als konzerninterner Liquiditätsausgleich auf eine verlässliche Rechtsgrundlage gestellt werden. Die erhöhte Rechtssicherheit für Gesellschafter im Bereich der Kapitalaufbringung und -erhaltung wurde allerdings durch eine Verschärfung der Geschäftsführerhaftung „erkauft“, die sich wie ein roter Faden durch das Gesetz zieht247. Der als besonders schwerwiegend, aber auch als begrüßenswerte Klärung der Rechtslage, empfundene grundlegende Neuansatz im Problemkreis des Kapitalersatzes (nicht nur durch Gelddarlehen) hat über das materiell-rechtliche Stichwort von der „Finanzierungsfolgenverantwortung“ hinaus eine schwerpunktmäßig insolvenzrechtliche Konzeption gebracht (13. Aufl., §§ 32a, 32b a.F. Rz. 8 ff.). Das ist angesichts des jahrelangen heftigen Streits um den gesamten Fragenkreis sicher ein Fortschritt, auch an den Schnittstellen zum Konzernrecht. Natürlich ist nicht zu verkennen, dass die Pflichtenlage des Geschäftsführers im Zusammenhang mit Zahlungen, die gegen § 64 a.F. (nunmehr § 15b InsO) verstoßen könnten, zugespitzt im möglichen Vorwurf der Insolvenzverschleppung, rechtspolitisch bedenklich erscheinen kann, deutlich weniger die jetzt geltende Regelung von Praktiken der „Firmenbestattung“, die ja zu den ersten Forderungen nach einer Gesetzesreform gehört hatte. Das ganz neue Rechtsinstitut „Gesellschafterliste“ (§§ 16, 40) gehört zu den gegenwärtig meist diskutierten, aber auch in der Praxis stark beachteten Rechtsformelementen248, mit dem die Praxis gewisse Schwierigkeiten hat, welche einzelnen hiermit befassten Gerichten bereits den Vorwurf eingetragen haben, „Totengräber der Gesellschafterliste“ zu sein249. Demgegenüber steht die in § 5a kodifizierte neue Rechtsform der UG (haftungsbeschränkt), deren zahlenmäßig eindrucksvolle Verbreitung Überraschung ausgelöst hat, auch unter einem gewissen Missbrauchsverdacht, näher 13. Aufl., § 5a Rz. 11 ff., 23 ff., 29 ff., 40.

III. Die heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts 1. Vom MoMiG nicht behandelte Fragen Das Gesetz konnte nicht gut die Grundlagen des Kapitalgesellschaftsrechts in Frage stellen 57 und war deshalb daran gebunden, dass das Kräfteverhältnis unter den Gesellschaftern sich nach der kapitalmäßigen Höhe ihrer Beteiligungen richtet. Das bedeutet, dass der Gedanke 247 So zum RegE Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449. 248 Im Einzelnen Löbbe, GmbHR 2016, 141 ff. 249 Heidinger, GmbHR 2017, 273.

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Einleitung Rz. 57 | Heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts eines notwendigen Minderheitenschutzes keine umfassende eigenständige Institution rechtfertigt, aber Niederschlag findet in einzelnen Anforderungen an das Verfahren und die Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen sowie den Stimmverboten. Da die Grenzen der Entscheidungsfreiheit im Wesentlichen durch die gesellschaftliche Treupflicht und den Gleichbehandlungsgrundsatz (dazu 13. Aufl., § 14 Rz. 51 ff., 64 ff.) bestimmt sind, was die Rechtsprechung auch stets ernst genommen hat, kann es um der Flexibilität des Innenverhältnisses willen dabei bleiben, dass im Grundsatz jede Zweckmäßigkeitsentscheidung mehrheitsfähig ist. Neben den Minderheitsrechten i.S. von Teilhabe und Kontrolle steht also die Verteidigung wichtiger, z.T. mehrheitsfester, wenn auch unter bestimmten Umständen antastbarer, mitgliedschaftlicher Rechtspositionen gegen Eingriffe der Mehrheit. Zum Problem wird diese Lage, wenn fest etablierte Gesellschaftergruppen ihr Abstimmungsverhalten in Gesellschaftsangelegenheiten mehr nach Gruppenzugehörigkeit als nach sachlichen Kriterien ausrichten, so dass ein der Minderheit angehöriger Gesellschafter außerhalb der vorbehaltenen Geschäfte nicht mehr die reale Chance hat, mit seiner Ansicht durchzudringen oder seine mitgliedschaftlichen Rechte zu verteidigen. Noch deutlicher wird dies, wenn Entscheidungen in einer Gesellschaft Teil des übergeordneten Plans werden, einer Gesellschaftergruppe die Beteiligung zu verleiden (sie „auszuhungern“). Dies alles kann auch dann gelten, wenn ein einzelner Gesellschafter allein die Mehrheit besitzt. Im Hinblick auf die bekannt hohe Komplexität von Gesellschafterstreitigkeiten, besonders auch in der GmbH & Co. KG250, wird im Schrifttum für ein System der dem Minderheiten- und Individualschutz dienenden innergesellschaftlichen Klagen plädiert251, das die Anfechtung oder Nichtigerklärung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung, die sog. positive Beschlussfeststellungsklage, und zumindest ein Grundkonzept des einstweiligen Rechtsschutzes voraussetzt; das betrifft dann auch die Durchsetzung von aus der Treupflicht folgenden Zustimmungspflichten252. Das aktienrechtliche Modell der Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen gegen einen Gesellschafterbeschluss (§§ 246 ff. AktG) gibt insoweit manche Hinweise253, reicht aber nicht aus, um die in der GmbH nicht seltenen Streitigkeiten um Leistungen an die Gesellschaft, aus dem Gesellschaftsvermögen an Gesellschafter, vor allem aber Abwehr- und Unterlassungsklagen gegen Gesellschafter und Geschäftsführer zu bewältigen. Noch zu diskutieren ist die Frage, inwieweit künftig Elemente des neuen, durch das MoPeG einzuführenden Beschlussmängelrechts für Personenhandelsgesellschaften (§§ 110 ff. HGB in der Fassung des MoPeG) im Recht der GmbH herangezogen werden können254. 58 Angesichts der formal gesicherten Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung für Len-

kungs- und Entscheidungsbefugnisse255 findet sowohl der Minderheitenschutz als auch der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung (obwohl man die einzige explizite gesetzliche Erwähnung in § 53a AktG entsprechend anwenden kann) im Kern über eine allgemeine Lehre von den Ausübungsschranken statt256. Das Prinzip besteht in der Annahme, dass der Min250 Dazu etwa BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44; BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 328; Timm, ZGR 1987, 403 ff.; Wiedemann, ZGR 1990, 147, 155 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 135; Martens in FS Fischer, 1979, S. 437 ff.; zum Inhalt des Unternehmensinteresses im GmbH-Recht Fleischer, GmbHR 2011, 1307. 251 Umfassend dazu auch Binnewies/Wollweber, Der Gesellschafterstreit, 2017; Lutz, Der Gesellschafterstreit, 4. Aufl. 2015; s. auch H.P. Westermann, NZG 2012, 1121 ff. 252 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. A Rz. 135. 253 Zur Entwicklung Raiser in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 585 ff.; s. auch Zöllner, ZGR 1988, 392, 407 ff.; Grunewald, Die Gesellschafterklage in der Personengesellschaft und der GmbH, 1990, S. 66 ff. 254 Vgl. dazu Bayer, DB 2021, 2609, 2617. 255 Hierzu Immenga, GmbHR 1973, 5, 7. 256 Grundlegend dazu Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963, S. 287 ff.; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbHRecht, 1988, S. 43 ff.

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Heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts | Rz. 59 Einleitung

derheitsgesellschafter Anspruch darauf hat, dass jeder Partner bei Ausübung des Stimmrechts nur auf das Wohl der Gesellschaft sieht und gesellschaftsfremde Sonder-Interessen nicht verfolgt, obwohl er natürlich seiner individuellen Sicht der zu entscheidenden Fragen Spielraum geben darf. Ihm steht dann die Pflicht der Minderheit gegenüber, Mehrheitsentscheidungen, die im Gesellschaftsinteresse getroffen sind, auch dann hinzunehmen, wenn ihre Beteiligung dadurch an Wert verliert. In engen Grenzen gibt es auch Mitwirkungspflichten der Minderheit bei den Entscheidungen, in denen es auf ihre Zustimmung ankommt (s. schon Rz. 8). Etwas auch qualitativ anderes steht in Rede, wenn unter Berufung auf Richtigkeitsüberzeugungen unterhalb der Schwelle des § 138 BGB Erfordernisse der inhaltlichen Angemessenheit einer Regelung aufgestellt und ihnen widersprechende Vertrags- oder Satzungsbestimmungen verworfen werden257. Da die GmbH-Satzungen aber bisher nicht wie bisweilen die Verträge einer Personengesellschaft eine einseitig vorformulierte Ordnung der Verhältnisse einer großen Zahl von reinen Anlegern darstellen, ist eine allgemeine Inhaltskontrolle nicht gerechtfertigt, eine (im Einzelfall greifende) Ausübungskontrolle reicht im Allgemeinen aus. Zwar kann durch die ursprüngliche Satzung oder nachträglich mit Einverständnis der betreffenden Gesellschafter eine ungleiche Rechts- und Machtstellung der Gesellschafter begründet worden sein, der Gesellschafter kann sich aber in der Gesellschaft niemals ganz entrechten, so dass ihm auch stets die Befugnis bleibt, rechtswidrige oder in seine Rechte eingreifende Gesellschafterbeschlüsse im Rahmen des für die GmbH Entwickelten anzufechten258. Ein kodifiziertes GmbH-Konzernrecht gibt es nach wie vor nicht, was aber nicht bedeutet, 59 dass Rechtsprechung und Wissenschaft an dem Phänomen einer in eine Unternehmensgruppe eingefügten und nach Maßgabe der Interessen dieser Gruppe geleiteten GmbH vorbeigegangen wären. Allerdings besteht hier die Besonderheit, dass die Gesellschafter in legitimer Weise auf die Geschäftsführung Einfluss nehmen können, so dass auch die Ausgestaltung einer von den Weisungen der Gesellschafter weitgehend abhängigen Geschäftsführung dem Gesetz entspricht. Da die Mitwirkung an der Unternehmensleitung die Haftungsbeschränkung nicht beseitigt, haben sich die Bemühungen um „Konzernhaftung“ weitgehend auf die Ausarbeitung von Regeln zur Gesellschafterverantwortung für interne Einflussnahmen konzentriert, allerdings mit einem starken Akzent gegen die Verfolgung anderweitiger, nicht in der betreffenden GmbH verkörperten unternehmerischen Interessen259, wobei in der Rspr. für eine nicht vertraglich begründete, also „faktische“ Unternehmensverbindung dem herrschenden Unternehmen kein aus §§ 311–318 AktG abgeleitetes Recht zur Verfolgung von Gruppen-Interessen zugebilligt wurde260. In diesem Zusammenhang wurde einem herrschenden Unternehmen – auch einem Gesellschafter – zunächst eine Art Organisations- und Zustandshaftung namentlich für die Schaffung und Ausübung qualifizierter faktischer Konzernherrschaft auferlegt, bis in einer Wende im Jahre 1993 eine verschuldensunabhängige Handlungshaftung in den Vordergrund trat261. Die Entwicklung (von „Autokran“ über „Video“ bis zu „TBB“ und „Bremer Vulkan“) ist vielfach dargestellt worden262, näher 13. Aufl., Anh. § 13

257 Dazu eingehend Zöllner in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 85, 99 f.; gegen eine solche Inhaltskontrolle aber Karsten Schmidt, GesR, § 5 III 4. 258 So bezüglich des Stimmrechts BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 269; allgemeiner Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, S. 208 f. 259 Winter, ZGR 1994, 570 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449 ff.; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006; Habersack, ZGR 2008, 533 ff. 260 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 – ITT; dazu schon H.P. Westermann, GmbHR 1976, 77. 261 Zu dem dies entscheidenden TBB-Urteil v. 29.3.1992 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = GmbHR 1993, 283; Lutter, JZ 1993, 580; H.P. Westermann, ZIP 1993, 554 ff. 262 Grundlegend Röhricht in Festgabe der Wissenschaft, 50 Jahre BGH, Bd. II, 2000, S. 83 ff.; kürzlich wieder Wiedemann, GmbHR 2011, 1909 ff.

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Einleitung Rz. 59 | Heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts Rz. 135. Die Wandlung zu einer deliktischen Handlungshaftung des herrschenden Unternehmens war auch damit begründet, dass die Aneinanderreihung mehrerer Vermutungen mit den Folgen entsprechend § 17 Abs. 2, § 18 AktG und die dem verwandte Möglichkeit, faktische Einflussnahme als konkludenten Abschluss eines Beherrschungsvertrages zu verstehen, nicht nur den Schutz der GmbH vor rechtswidrigen Handlungen ihrer Gesellschafter verstärken sollte, sondern das Wirtschaften mit beschränkter Haftung bei u.U. unzureichendem Eigenkapital der Gesellschaft und damit einen der Grundzüge des GmbH-Rechts in Frage stellte. Diese Entwicklung zur Existenzvernichtungshaftung hat aber keineswegs die notwendigen Reaktionen auf die Beherrschung einer abhängigen GmbH im Konzernverbund und auf die Führung einer Unternehmensgruppe durch eine GmbH als herrschendes Unternehmen behindert; dass mangels spezieller gesetzlicher Regeln manche Einzelheiten ungeklärt sind263, schwächt die Brauchbarkeit des gegenwärtigen, z.T. auf Analogien und Rechtsfortbildung beruhenden GmbH-Konzernrechts gegenüber dem eingehend kodifizierten Aktienkonzernrecht nicht. Es ist daher verständlich, dass der Gesetzgeber des MoMiG die wenig ermutigenden Erfahrungen mit dem ausführlichen Entwurf eines Konzernrechts im GmbH-Gesetz264, der in der Reform von 1980 ad acta gelegt wurde, nicht wiederholen wollte. Erwägenswert wäre aber eine – derzeit nur über die Figur einer nachvertraglichen Treupflicht zu bewältigende – Lösung der Probleme, die sich aus der Beendigung einer Vertragsabhängigkeit und der daraus u.U. folgenden Entlassung der bis dahin abhängigen Tochtergesellschaft in eine problematische unternehmerische Freiheit ergeben265.

2. Weitere Verstärkung des Gläubigerschutzes 60 Nach der Reform durch das MoMiG müssen Überlegungen zur Verstärkung des Gläubiger-

schutzes beim derzeitigen Zustand besonders des Rechts der Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung, beide mit Blick auf die Folgen eines Cash-Pooling, sodann auf die Gewährung von Upstream-Darlehen ansetzen, deren positiv-rechtliche Bewältigung nach den bisherigen Erfahrungen bisweilen Schwierigkeiten bereitet und daher auch die erhoffte Stärkung der Rechtssicherheit nicht durchweg erreicht hat. Diesen Vorstellungen ein wenig entgegenzukommen, könnten einzelne Schritte zur Verstärkung des Gläubigerschutzes dienen. Frühere Reizthemen wie die Differenz- und die Vorbelastungshaftung bei der Gründung, die Haftung bei wirtschaftlicher Neugründung oder auch der Zwang zu einer umfassenden Sachgründungsprüfung ohne Entlastung von der Differenzhaftung bei unrichtigem Prüfungsergebnis, wurden zuletzt nicht wieder aufgegriffen; man könnte auch meinen, dass hier der Gläubigerschutz schon de lege lata, natürlich auf der Grundlage der höchstrichterlichen Judikatur, einstweilen ausreicht266. Hingegen wird den Neuregelungen der verdeckten Sacheinlage, die auch die UG (haftungsbeschränkt) betrifft, und derjenigen der Erfüllungswirkung eines Hin- und Herzahlens dogmatische Schlüssigkeit und Ausgewogenheit des Interessen-

263 Wiedemann, GmbHR 2011, 1913 ff.; das Fehlen eines gesetzlich verfassten Konzernverbunds vermisst (auch für das Aktienrecht) Karsten Schmidt, ZGR 2011, 108, 128; zum „unvollendeten“ Konzernrecht auch Lutter in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1065 ff. 264 Zu den Grundsatzfragen in der damaligen konzernrechtlichen Diskussion s. den Sammelband „Der GmbH-Konzern“, 1976, mit Referaten von Emmerich (S. 4 ff.), H.P. Westermann (S. 25 ff., 169 f.), Gäbelein (S. 50 ff.) nebst ausführlichen Diskussionsberichten; schon früher Würdinger in Probleme der GmbH-Reform, 1969, S. 122 ff.; Schilling, ZHR 140 (1976), 528 ff. 265 Dazu H.P. Westermann in FS Hüffer, 2009, S. 1071 ff.; H.P. Westermann in Festheft Knauth, Beil. ZIP 22/2016, S. 85 ff. 266 Eine Ausnahme, allerdings nicht mit der Tendenz der Ausweitung des Gläubigerschutzes, zeichnet sich neuerdings bezüglich der Folgen einer „wirtschaftlichen Neugründung“ ab, dazu Adolff in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 49.

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ausgleichs vielfach abgesprochen267. Es ist davon die Rede, der Gesetzgeber habe seine Ziele, besonders die Gewährleistung von Rechtssicherheit, „in eklatanter Weise“ verfehlt268. Andererseits ist nicht zu bestreiten, dass in den betreffenden Punkten eine einfache Rückkehr zum früheren Rechtszustand mit der an sich billigenswerten Tendenz, den Gesellschaftern die weithin als überzogen empfundenen Folgen der Rechtsprechung ersparen zu können, nicht in Betracht kommt, zumal Geschäftsführern und Gesellschaftern im Hinblick auf Insolvenzrisiken nicht immer leicht zu erfüllende Pflichten und Haftungsrisiken auferlegt worden sind. Ein „Weiterdenken“ der Reform mit dem Ziel in sich schlüssiger Ergebnisse erscheint unter diesen Umständen in der Tat schwierig269. Verbreitet wird auch eine Lösung des Problems der Durchgriffshaftung mit deliktsrechtlichen Ansprüchen der Gläubiger, also nicht als bloße Innenhaftung, angestrebt. Freilich ist nicht zu vergessen, dass – so im Bereich der Durchsetzung von Steuer- und Sozialversicherungsforderungen – der Gläubigerschutz häufig auf die Privilegierung einzelner Gesellschafter hinausläuft270. Vor diesem Hintergrund wird vorgeschlagen, Schlüssigkeit des gesetzlichen Gläubigerschutzes durch einen Verzicht auf das Prinzip der realen Kapitalaufbringung herzustellen und stattdessen die Gesellschafterhaftung am Modell der Kommanditistenhaftung auszurichten271. Mit einem solchen Schritt ginge der nationale Gesetzgeber ein Stück auf die in Europa und in den USA vorherrschende skeptische Einstellung zu einem institutionellen Gläubigerschutz zu, man darf aber auf der anderen Seite nicht das Beharrungsvermögen traditioneller und durch vielfältiges Fehlverhalten der Gesellschafter hervorgerufener Schutzbedürfnisse unterschätzen. Die in der Entwicklung stark schwankende Höhe des Mindeststammkapitals ist in Deutschland für die „normale“ GmbH angesichts der Einführung und wirtschaftlichen Bedeutung der UG rechtspolitisch nicht aktuell272; auch gehen die Ansichten über die Funktion dieses Rechtsinstituts (als Verhinderung unseriöser Gründungen oder masseloser Insolvenzen) ziemlich weit auseinander, was auch durch Einblicke in andere Rechtsordnungen verstärkt wird273.

3. Weitere Reformgesetze aus jüngerer Zeit Das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz), das 61 am 29.5.2009 in Kraft getreten ist, hat neben weitreichenden Änderungen des Bilanzrechts Anpassungen in § 33 herbeigeführt und Verweisungen in § 52 und § 57 Abs. 3 Satz 2 f. ergänzt, wodurch für den fakultativen Aufsichtsrat einer kapitalmarktorientierten GmbH das Erfordernis eines Mitglieds mit Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung und der Abschlussprüfung begründet (§ 100 Abs. 5 AktG, § 264d HGB; s. ferner § 324 HGB) und für den Prüfer der Bilanz bei Kapitalerhöhungen aus Gesellschaftsmitteln ein neuer Aus-

267 Zur verdeckten Sacheinlage 13. Aufl., § 19 Rz. 116 ff. sowie Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 Rz. 51; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 19 Rz. 47; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, § 19 Rz. 175 Veil, ZIP 2007, 1241; Ulmer, ZIP 2008, 45, 50; zum Hin- und Herzahlen Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 782 f.; Goette, WPg 2008, 231, 235; Heckschen, DStR 2007, 1442, 1447; Priester, ZIP 2008, 55; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 19 Rz. 70; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 Rz. 89. 268 Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1293. 269 Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1294. 270 Kritisch dazu H.P. Westermann in FS Fikentscher, 1998, S. 456 ff. 271 Bayer, GmbHR 2010, 1289, 1295 ff. unter Bezug auf sein Gutachten für den 67. DJT, 2008, F 118 ff.; sympathisierend etwa Dauner-Lieb, AG 2009, 212, 226; Grunewald, WM 2006, 2333, 2335; Eidenmüller, ZGR 2007, 1442, 1448. 272 Eingehend dazu Harbarth, ZGR 2016, 84, 104 ff.; Fliegner, DB 2008, 1668; Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433. 273 S. etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einl. Rz. 233 (Schweiz), 241 (Frankreich), 249 (UK), 257 (USA).

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Einleitung Rz. 61 | Heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts schlussgrund geschaffen wurde (§ 319b HGB)274. Das am 1.9.2009 in Kraft getretene Gesetz zur Umsetzung der Aktionärsrechterichtlinie (ARUG) hat neben redaktionellen Korrekturen gegenüber dem MoMiG in § 10 Abs. 2 und § 67 Abs. 3 sämtliche Bezugnahmen auf die für Kapitalmaßnahmen etwa erforderlichen Genehmigungen ersatzlos gestrichen (§ 57n Abs. 2 Satz 4, § 58a Abs. 4 Satz 3, § 58e Abs. 3 Satz 2, § 58f Abs. 2 Satz 2) und das Erfordernis der dreimaligen Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern beseitigt (§ 58 Abs. 1 Nr. 1 und 3, § 65 Abs. 2 Satz 1, § 73 Abs. 1), das angesichts der ständigen Verfügbarkeit der elektronischen Medien nicht mehr erforderlich ist. Das VorstAG vom 31.7.2009 hat lediglich zu redaktionellen Änderungen in § 52 Abs. 1 geführt275. Durch Gesetz vom 22.12.2011 wurde die vormals erschienene gedruckte Ausgabe des Bundesanzeigers mit Wirkung zum 1.4.2012 abgeschafft mit der Folge, dass der Bundesanzeiger seither ausschließlich elektronisch im Internet herausgegeben wird, und § 12 entsprechend angepasst276. Aufgrund Art. 7 Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts vom 21.3.2013 wurde in § 4 Satz 2 klargestellt, dass der Rechtsformzusatz einer gemeinnützigen Gesellschaft „gGmbH“ lauten kann277. Das Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst (GlTeilhG) vom 24.4.2015278 begründete für mitbestimmte Gesellschaften die Pflicht, Zielgrößen für den Frauenanteil in der Geschäftsführung, im Aufsichtsrat und in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführung sowie Fristen zu deren Erreichung festzulegen279. Eine weitere Änderung wurde in § 29 Abs. 4 durch das Bilanzrichtlinie-Umsetzungsgesetz (BilRUG) vom 17.7.2015280 herbeigeführt. Das seit dem 17.6.2016 geltende Abschlussprüfungsreformgesetz (AReG) vom 10.5.2016281 hat die Vorschriften der §§ 86–88 neu eingeführt, die Pflichtverletzungen des Aufsichtsrats oder eines Prüfungsausschusses bestimmter Unternehmen von öffentlichem Interesse in der Rechtsform der GmbH bei der Überwachung der Unabhängigkeit sowie beim Vorschlag der Bestellung von Abschlussprüfern betreffen, einen Verweis in § 52 Abs. 1 auf den aktienrechtlichen Prüfungsausschuss gemäß § 107 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG ergänzt und zugleich die in Verweisung genommenen Vorschriften der §§ 107, 100 Abs. 5 AktG erweitert. Eine Änderung der §§ 86, 87 erfolgte durch das Gesetz zur Umsetzung der Zweiten Zahlungsdiensterichtlinie vom 17.7.2017282. Durch das Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie vom 23.6.2017283 wurde das Transparenzregister geschaffen, das Gesellschaften zur Mitteilung ihrer wirtschaftlich Berechtigten verpflichtet, zudem wurden die Anforderungen an die Gesellschafterliste gemäß § 40 erweitert284. 62 Seit Erscheinen der 12. Auflage sind einige weitere wichtige Änderungen des GmbH-Geset-

zes erfolgt. Durch das SanInsFoG285 wurde § 64 aufgehoben (mit einer Folgeänderung in § 71 Abs. 4), die entsprechenden Regelungen zu den Zahlungsverboten im Falle der Insolvenzreife wurden rechtsformübergreifend in der Vorschrift des § 15b InsO zusammengefasst und durch Integration in die InsO rechtssystematisch mit den Regelungen zur Insolvenz-

274 S. zum Folgenden auch Wicke, Einl. Rz. 26 ff. 275 Zur Frage einer möglichen Ausstrahlungswirkung auf die GmbH s. Leitzen, Der Konzern 2010, 87; Gaul/Janz, GmbHR 2009, 959; Wübbelsmann, GmbHR 2009, 988. 276 BGBl. I 2011, 3044. 277 BGBl. I 2013, 556. 278 BGBl. I 2015, 642. 279 S. dazu § 36 und § 52 Abs. 2. 280 BGBl. I 2015, 1245. 281 BGBl. I 2016, 1142. 282 BGBl. I 2017, 2446. 283 BGBl. I 2017, 1822. 284 Zum (vorübergehend anwendbaren) Gesetz zur Abmilderung der Folgen der COVID-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht s. Wicke, Einl. Rz. 27a ff. 285 BGBl. I 2020, 3256 mit Wirkung vom 1.1.2021.

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antragspflicht zusammengeführt. Das FüPoG II286 entwickelt die im Jahr 2015 eingeführten Regelungen zur Erhöhung des Frauenanteils in Führungspositionen fort (§§ 36, 52 Abs. 2), führt eine besondere Regelung für Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes ein (§ 77a) und schafft einen Anspruch auf Auszeit für den Fall von Mutterschutz, Elternzeit, der Pflege von Angehörigen oder eigener Krankheit (§ 38 Abs. 3). Mit dem DiRUG287 wurde die Möglichkeit geschaffen, die notarielle Beurkundung der GmbH-Gründung online durchzuführen (§ 2 Abs. 3) sowie Handelsregisteranmeldungen digital vorzunehmen und Gesellschafterlisten elektronisch einzureichen (§ 8 Abs. 1 Nr. 3, § 40 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1)288. Noch vor dessen Inkrafttreten hat das DiREG die Videobeurkundung für die Gründungsvollmacht (§ 2 Abs. 2 Satz 2) und ab dem 1.8.2023 zudem für die Sachgründung, die Änderung des Gesellschaftsvertrags einer GmbH (§ 53 Abs. 3 Satz 2) und die Übernahmeerklärung (§ 55 Abs. 1 Satz 2289) eröffnet sowie eine dispositive Rechtsgrundlage für einfache virtuelle Beschlussfassungen geschaffen (§ 48 Abs. 1 Satz 2). Zu erwähnen sind ferner Änderungen in den §§ 57f, 86 und 87 durch das Finanzmarktintegrationsstärkungsgesetz290, überwiegend zur Anpassung an geänderte handelsrechtliche Vorschriften, eine redaktionelle Anpassung in § 6 durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts291, die (erneute) Änderung der Vorschrift über die Gesellschafterliste in § 40 Abs. 1 durch das MoPeG, die eine Obliegenheit der GbR zur Voreintragung im Gesellschaftsregister begründet292 sowie die geplanten Änderungen durch das UmRUG, welche – im Rahmen des UmwG – insbesondere weitreichende Vorschriften zur Beteiligung der GmbH an grenzüberschreitenden Umwandlungen vorsieht293.

4. Corporate Governance Kodex für die GmbH? Entsprechend der Situation im Aktienrecht auch für die GmbH einen Corporate Governance 63 Kodex zu entwickeln, würde sich lohnen, wenn hierdurch eine Verbesserung des durch die Insolvenzstatistik begründeten unbefriedigenden Ansehens der GmbH und eine die Gesellschafter und Gesellschaftergruppen befriedigende Unternehmensverfassung erreicht werden könnte294. Obwohl dies ein optionales Regelwerk wäre, würde, insbesondere wenn wie in § 161 AktG die Pflicht zu einer Entsprechenserklärung eingeführt würde, in den im Kodex enthaltenen Empfehlungen die Tendenz zur Bildung von Normen im faktischen Sinne295 entstehen, was dem Umstand zuwiderläuft, dass im Aktienrecht der Kapitalmarkt angesprochen werden soll, wofür im GmbH-Recht angesichts der Beschränkung des principal-agentKonflikts auf das Verhältnis von Mehrheit und Minderheit im Gesellschafterkreis kein Bedürfnis besteht. Geschäftsführungsmacht, Kontrolle, Risikovorsorge sind schon im derzeitigen GmbH-Recht stark entwickelt. Es könnte allerdings erwogen werden, dass durch Gesetz für die Gestaltung der GmbH-Satzungen Regelungsaufträge kodifiziert würden296, die etwa das im derzeitigen Recht nicht geregelte Austrittsrecht, Kriterien der Gewinnverteilung, Re-

286 BGBl. I 2021, 3311 mit Wirkung vom 12.8.2021. 287 Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) vom 5.7.2021, BGBl. I 2021, 3338. 288 Weitere, überwiegend europarechtlich veranlasste (Folge-)Änderungen durch das DiRUG finden sich in den § 6 Abs. 2 Satz 3, § 8 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3, § 39 Abs. 3, § 58d Abs. 2 Satz 4, § 66 Abs. 4, § 67 Abs. 3 und in Anlage 1 bzw. 2 zum GmbHG. 289 S. ferner zur Online-Einreichung der Übernehmerliste nach dem DiREG § 57 Abs. 3 Nr. 2. 290 BGBl. I 2021, 1534 mit Wirkung vom 1.7.2021. 291 BGBl. I 2021, 882 mit Wirkung vom 1.1.2023. 292 BGBl. I 2021, 3436 mit Wirkung vom 1.1.2024. 293 S. UmRUG-RegE vom 6.7.2022. 294 Konnertz-Häußler, GmbHR 2012, 68 ff. mit ausführlichem Entwurf eines Kodex. 295 OLG München v. 6.8.2008 – 7 U 5628/07, ZIP 2009, 133, 134. 296 In diesem Sinne etwa Weller, ZGR 2012, 386 ff.

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Einleitung Rz. 63 | Heutige rechtspolitische Situation des GmbH-Rechts geln zur Organbestellung oder auch die Einführung eines Beirats betreffen könnten297. Diese Regelungsbedürfnisse können allerdings schon jetzt im Zuge kautelarjuristischer Beratung bei der Gründung der GmbH befriedigt werden298. Im Hinblick etwa auf Austritt, Ausschließung, Einziehung und Finanzierung wäre eine Vertiefung und Präzisierung der derzeitigen Gesetzeslage durch dispositive Neuregelungen vielleicht vorstellbar; wenn man aber sieht, in welchem Ausmaß die neueren Überlegungen zur Ausweitung des DCGK dazu tendieren, die unternehmerische Gestaltungsfreiheit einzuengen299, scheint hier deutliche Zurückhaltung geboten. So ist auch ein mittelbarer Zwang wie durch die aktienrechtliche Entsprechenserklärung und die Folgen ihrer Fehlerhaftigkeit300 abzulehnen.

297 Dabei ist (Weller, ZGR 2012, 386, 395) sogar an einen Beirat mit die Gesellschafterversammlung verdrängenden Kompetenzen gedacht, was aber dem System der GmbH widerspräche; zur Corporate Governance in der GmbH in Bezug auf den Aufsichtsrat E. Vetter, GmbHR 2011, 449. 298 Vgl. Wicke, ZGR 2012, 454. 299 Baur/Holle, NZG 2017, 170, 172; zum Stand der Überarbeitung auch Nikoleyczik/Graßl, NZG 2017, 161 ff. 300 Folge ist zunächst Anfechtbarkeit wegen eines Gesetzes- oder Satzungsverstoßes (BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47, 50 ff.), mit der weiteren Konsequenz, dass auch ein Entlastungsbeschluss zugunsten der für den Fehler verantwortlichen Verwaltung angefochten werden kann (BGH v. 25.11.2002 – II ZR 133/01, BGHZ 153, 47; OLG München v. 19.11.2008 – 7 U 2405/08, AG 2009, 450, 451; Ulmer, ZHR 166 [2002], 150, 165; kritisch Krieger, ZGR 2012, 202 ff.).

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Erster Abschnitt Errichtung der Gesellschaft

§1 Zweck; Gründerzahl (13. Auflage 2022) Gesellschaften mit beschränkter Haftung können nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Gesetzes zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck durch eine oder mehrere Personen errichtet werden. Text i.d.F. der GmbH-Novelle von 1980 (BGBl. I 1980, 836). Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zweck und Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . Zulässige Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erwerbswirtschaftliche Zwecke . . . . . . . Sonstige wirtschaftliche Zwecke . . . . . . a) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Freie Berufe aa) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Architekten, Ingenieure . . . . . . . . . cc) Ärzte, Heilpraktiker . . . . . . . . . . . . dd) Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Notare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Interprofessionelle Zusammenarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ideelle Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Unzulässige Zwecke . . . . . . . . . . . . . . . . .

I. II. III. 1. 2.

1 3 8 9 15 16 21 25 26 28 30 32 35 37

1. 2. 3. 4. 5. 6. V. 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8.

Rechtsformverbote . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzesverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sittenverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsfolgen vor Eintragung . . . . . . . . . Rechtsfolgen nach Eintragung . . . . . . . . Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einpersonen-GmbH Überblick, Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . Gründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Juristische Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Umwandlung in eine MehrpersonenGmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

38 40 41 42 44 48 49 54 60 64 66 67 69 70

Schrifttum: Ahlers, Die GmbH als Zusammenschluss Angehöriger freier Berufe zur gemeinsamen Berufsausübung, in FS Rowedder, 1994, S. 1; Brandner, Geschäftsführungsbefugnis, Unternehmensgegenstand und Unternehmenszweck, in FS Rowedder, 1994, S. 41; Rud. Fischer, Die Bedeutung des Zwecks für die Aktiengesellschaft, JherJb 63 (1913), 327; Fränkel, Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Eine volkswirtschaftliche Studie, 1915; Geißler, Die Bedeutung und Funktion des Gesellschaftszwecks und des Unternehmensgegenstandes in der GmbH, GmbHR 2021, 1023; Gilberg, Die gemeinnützige GmbH in der notariellen Praxis, RNotZ 2020, 193; Großmann, Unternehmensziele im Aktienrecht, 1980; W. Horn, Gründung einer vermögensverwaltenden GmbH, GmbHR 2001, 386; Ivens, Das Fördergebot des GmbH-Gesellschafters, GmbHR 1988, 249; Kiethe, Gesellschaftsrechtliche Spannungslagen bei Public Private Partnerships, NZG 2006, 45; Kilian, Das reformierte Berufsrecht der Anwaltschaft, NJW 2021, 2385; Koller, Grundfragen einer Typuslehre im Gesellschaftsrecht, 1967; Loidl, Die GmbH ohne erwerbswirtschaftliche Zielsetzung, 1970; Mengiardi, Strukturprobleme des Gesellschaftsrechts, ZSR 109 (1968), 1; Müller-Erzbach, Das private Recht der Mitgliedschaft als Prüfstein eines kausalen Rechtsdenkens, 1948; Oppenländer, Von der Rechtsprechung entwickelte Sonderregeln für die Zweipersonen-GmbH, DStR 1996, 922; Ott, Die Problematik einer Typologie im Gesellschaftsrecht, 1972; Priester, Nonprofit-GmbH – Satzungsgestaltung und Satzungsvollzug, GmbHR 1999, 149; Prühs, Non-Profit-GmbH, Wesen, Besteuerung, gesellschaftsrechtliche Besonderheiten, GmbH-Steuerpraxis 2010, 69; Scholz, Zu welchem Zweck kann eine GmbH gegründet werden?, GmbHR 1942, 281; Schröder, Die steuerpflichtige und steuerbegünstigte GmbH im Gemeinnützigkeitsrecht, DStR 2008, 1069; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998; Ullrich, Die gemeinnützige GmbH nach dem MoMiG, GmbHR 2009, 750; Ullrich, Gesellschaftsrecht und steuerliche Gemeinnützigkeit, 2011; Wertenbruch, Der BMJV-Referentenentwurf eines MoPeG, GmbHR 2021, 1; Wessel/Zwernemann/Kögel, Die

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§ 1 Rz. 1 | Zweck; Gründerzahl Firmengründung, 7. Aufl. 2001, Rz. 366 ff. (S. 267 ff.); H. Westermann, Die Anpassung der GmbH an den Zweck des Unternehmens, 1959; Wicke, Nachhaltigkeit als Unternehmenszweck, DNotZ 2020, 448; K. Winkler, Nichtgewerbliche, ideale, insbesondere politische Zielsetzungen als Inhalt von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, NJW 1970, 449; H. Wünsch, Die Bedeutung des FGG für die GmbH und deren Eintragung im Handelsregister, GesRZ 1982, 155; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963; Zöllner, Inhaltsfreiheit bei Gesellschaftsverträgen, in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 85.

I. Überblick 1 Gemäß § 1 kann eine GmbH1 nach Maßgabe des GmbHG durch eine oder mehrere Per-

sonen zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden (zu den Besonderheiten der Einpersonengründung Rz. 49 ff.). Die GmbH ist damit als eine in jeder Hinsicht zweckoffene Gesellschaft konzipiert. Die Zweckverfolgung findet ihre Grenze lediglich in den allgemeinen Gesetzen. Neben den §§ 134, 138 BGB (Rz. 40 f.) kommen insbesondere spezielle Rechtsformverbote (Rz. 38 f.) oder Regelungen des Berufsrechts (Rz. 21 ff.) in Betracht, welche eine Betätigung in der GmbH beschränken. Dieser weite Anwendungsbereich unterscheidet die GmbH von den Personenhandelsgesellschaften, die nach dem Gesetz den Betrieb eines Handelsgewerbes oder – unter der weiteren Voraussetzung der Eintragung im Handelsregister – eine kleingewerbliche oder eigenes Vermögen verwaltende Tätigkeit voraussetzen (§ 105 Abs. 2, § 161 HGB) sowie von der Genossenschaft (§ 1 Abs. 1 GenG). Die GmbH zeichnet sich damit als eine vielfältig einsetzbare Gesellschaftsform aus2. Die Gesellschafter können dabei die ihnen zustehende Gestaltungsfreiheit nutzen und ihr Binnenrecht in der Weise ausgestalten, wie es zur Verfolgung des Gesellschaftszwecks zweckmäßig ist (s. demgegenüber § 23 Abs. 5 AktG)3. Die GmbH ist stets, d.h. unabhängig von dem tatsächlich verfolgten Zweck, Handelsgesellschaft (§ 13 Abs. 3) und damit Formkaufmann. 2 Das GmbHG fasst die Vorschriften zur Entstehung der GmbH im Ersten Abschnitt unter der

Überschrift „Errichtung der Gesellschaft“ zusammen. Damit unterscheidet sich das GmbHG terminologisch vom AktG. Im Aktienrecht wird der gesamte Entstehungsprozess der AG im Zweiten Teil des Ersten Buches als „Gründung“ bezeichnet. Die Errichtung der AG ist nach dem AktG mit der Übernahme aller Aktien durch die Gründer vollzogen (§ 29 AktG) und stellt lediglich einen Zwischenschritt innerhalb des Gründungsvorgangs dar, der erst mit der Eintragung der AG im Handelsregister endet. Der GmbH-Gesetzgeber arbeitet terminologisch weniger präzise. Er verwendet den Begriff der Errichtung (§ 1, § 5 Abs. 2 Satz 2, § 9a Abs. 1, § 9c Abs. 1 Satz 1, § 14 Satz 2) sowie der Gründung (§ 2 Abs. 1a Satz 1 und 2, § 5a Abs. 1, § 46 Nr. 8) ohne erkennbare Systematik. Gleichwohl herrscht heute in Anlehnung an das Aktienrecht das Verständnis vor, dass auch die GmbH mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages als errichtet und mit ihrer Eintragung im Handelsregister als (vollständig) gegründet gilt4.

1 S. zur Kritik an dem Terminus „beschränkter Haftung“ Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 3; zum Versuch einer Definition Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3. 2 S. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1 („Universalinstrument“); Wicke, Rz. 3 („Allzweckinstrument im Rechtsverkehr“); Flume, Juristische Person, § 9 II (S. 323); Priester, GmbHR 1999, 149, 150; s. den rechtstatsächlichen Überblick bei Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Einl. Rz. 74 ff. 3 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6. 4 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4; Altmeppen, Rz. 2.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 4 § 1

II. Zweck und Gegenstand Das Gesetz spricht in den § 1 und § 61 Abs. 1 vom Zweck der Gesellschaft und unterscheidet 3 davon in den § 3 Abs. 1 Nr. 2, § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, § 10 Abs. 1 Satz 1, § 75 Abs. 1 und § 76 sowie in den Anlagen zu § 2 Abs. 1a und Abs. 3 (Nr. 2 der Musterprotokolle) den Gegenstand des Unternehmens. In dieser Hinsicht unterscheidet sich das GmbHG vom AktG, das lediglich den Begriff des Gegenstandes des Unternehmens verwendet (§ 3 Abs. 1, § 23 Abs. 3 Nr. 2, § 39 Abs. 1 Satz 1, § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, § 179 Abs. 2 Satz 2, § 179a Abs. 1 Satz 1, § 275 Abs. 1 Satz 1, § 276 AktG). Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass beide Begriffe nicht gleichbedeutend sind5. Im Einzelnen ist ihr Verhältnis zueinander jedoch umstritten6. Die Unterscheidung ist bedeutsam7, weil für den Gesellschaftszweck und den Unternehmensgegenstand teils unterschiedliche Regeln gelten. So erfolgt die Änderung des Unternehmensgegenstandes als Satzungsbestandteil mit Dreiviertelmehrheit gemäß § 53 Abs. 2 Satz 18, während eine Änderung des Gesellschaftszwecks grundsätzlich aufgrund des in § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB zum Ausdruck kommenden verbandsrechtlichen Grundsatzes die Zustimmung aller Gesellschafter erfordert9. Das GmbHG bestimmt in § 3 Abs. 1 Nr. 2, dass der Gegenstand des Unternehmens zwingend im Gesellschaftsvertrag anzugeben und in das Handelsregister einzutragen ist (§ 10 Abs. 1), nicht jedoch der Gesellschaftszweck10. Die Auflösungsklage setzt gemäß § 61 Abs. 1 voraus, dass die Erreichung des Gesellschaftszwecks unmöglich wird, während das Fehlen oder die Nichtigkeit des Unternehmensgegenstandes die Erhebung der Nichtigkeitsklage gemäß § 75 ermöglicht. Dem Gesetz lassen sich keine Anhaltspunkte für das Verhältnis der beiden Begriffe zueinan- 4 der entnehmen11. Auch in der Rechtsprechung werden beide Begriffe nicht immer auseinandergehalten12. Die wohl überwiegend vertretene Ansicht geht im Ausgangspunkt davon aus, dass der Unternehmensgegenstand die Tätigkeit der Gesellschaft festlegt, mittels derer diese ihre (wirtschaftlichen oder nichtwirtschaftlichen) Zwecke verfolgt13. Im Detail werden dabei 5 LG Köln v. 10.4.2007 – 87 O 26/07, BeckRS 2009, 11118; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 4; Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 15 f., 23; s. aber noch Flume, Juristische Person, § 9 II (S. 324). 6 S. Brandner in FS Rowedder, S. 41, 42 ff.; Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 15 ff. 7 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 7; Brandner in FS Rowedder, S. 41, 43; Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 19; Geißler, GmbHR 2021, 1023, 1028; s. aber Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2: „dogmatischer (weniger praktischer) Streit“. 8 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9, 15; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; s. zur AG § 179 Abs. 2 Satz 2 AktG; a.A. Großmann, Unternehmensziele, S. 27 f. aufgrund des unterschiedlichen Verständnisses von Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck. 9 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Karsten Schmidt, GesR, § 4 II 3 a (S. 65); eine Zweckänderung mit der Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen gestattet § 60 Abs. 1 Nr. 2. 10 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4; s. demgegenüber § 57 Abs. 1 BGB zum Verein. 11 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Großmann, Unternehmensziele, S. 14; s. den Überblick zum Meinungsstand bei Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5 f.; kritisch Brandner in FS Rowedder, S. 41, 42 f., nach dem sich die Abgrenzungsversuche durch eine „gewisse Undeutlichkeit und Unanschaulichkeit“ auszeichnen; s. auch Karsten Schmidt, GesR, § 4 II 3 (S. 64 ff.). 12 S. etwa BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, NZG 2013, 293, 294. 13 BGH v. 10.10.1994 – II ZR 32/94, BGHZ 127, 176, 179 f. = GmbHR 1995, 224 = NJW 1995, 192, wobei der Unternehmensgegenstand dort auch als „sachliches Unternehmensziel“ und der Gesellschaftszweck als „formales Unternehmensziel“ bezeichnet wird; BayObLG v. 15.12.1975 – BReg. 2 Z 53/75, BayObLGZ 1975, 447; LG Köln v. 10.4.2007 – 87 O 26/07, BeckRS 2009, 11118; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 4; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Karsten Schmidt, GesR, § 4 II 3 b (S. 65 f.); Wochner, DStR 1998, 1835; vgl. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG,

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§ 1 Rz. 4 | Zweck; Gründerzahl unterschiedliche Akzente gesetzt14. Das Verhältnis beider Begriffe zueinander wird meist als Mittel-Zweck-Beziehung interpretiert. Der Unternehmensgegenstand stelle das Mittel zur Verfolgung des Gesellschaftszwecks dar15. Während der Gesellschaftszweck typischerweise die Tätigkeit der Gesellschaft als eine auf Gewinnerzielung angelegte Tätigkeit festlege, beschreibe der Unternehmensgegenstand, mit welchen Mitteln das Ziel der Gewinnerzielung erreicht werde (z.B. durch den Betrieb eines Restaurants oder eines Versandhandels). Andere kommen zu dem Ergebnis, dass sich der Gesellschaftszweck, jedenfalls im Regelfall, auf den Unternehmensgegenstand erstrecke und mit diesem teilidentisch sei. In diesem Sinne stelle der Gesellschaftszweck den Oberbegriff dar16. Nach einem weiteren, als funktional bezeichneten Ansatz, soll die Bedeutung des Gesellschaftszwecks im Innenverhältnis und diejenige des Unternehmensgegenstandes im Außenverhältnis liegen. Der maßgebliche Unterschied zwischen beiden Begriffen liege darin, dass der Gesellschaftszweck das Verhältnis der Gesellschafter untereinander betreffe und ihre gemeinsame Zielsetzung zum Ausdruck bringe, während der Gegenstand des Unternehmens die Tätigkeit der Gesellschaft im Verhältnis zu außenstehenden Dritten festlege17. Schließlich wird vertreten, dass der konkrete Bedeutungsgehalt von Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck angesichts der unklaren gesetzlichen Regelung, die ein stimmiges Gesamtkonzept beider Begriffe vermissen lasse, nur anhand der jeweiligen Norm festgemacht werden könne („Relativität der Rechtsbegriffe“)18. 5 Eine Stellungnahme zu der vorgenannten Frage muss berücksichtigen, dass die Gesellschaf-

ter die Möglichkeit haben, den Unternehmensgegenstand sowie den Gesellschaftszweck innerhalb der gesetzlichen Grenzen frei zu vereinbaren19. Als Ausfluss der Privatautonomie entscheiden die Gesellschafter selbst darüber, welchen Zweck die von ihnen gegründete GmbH verfolgt. Inhaltlich können die Gesellschafter den Gesellschaftszweck in einem sehr allgemeinen Sinn vereinbaren und diesen etwa auf die Gewinnerzielung oder allgemein auf den wirtschaftlichen Erwerb festlegen. In diesem Fall entspricht das Verhältnis von Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck am ehesten einem Verhältnis von Mittel und Zweck. Während der Gesellschaftszweck das übergeordnete Verbandsziel der Gewinnerzielung bzw. des wirtschaftlichen Erwerbs festlegt, bestimmt der Unternehmensgegenstand, in welcher Art und Weise dieses Ziel erreicht wird. Dabei beschränkt sich die Funktion des Unternehmensgegenstandes jedoch nicht auf die Information des Rechtsverkehrs im Außenverhältnis20. Er begrenzt zugleich die Geschäftsführungsbefugnis und legt die Geschäftsführer auf die Verfolgung des Unternehmensgegenstandes fest21. Die Gesellschafter können den Gesellschaftszweck aber auch wesentlich konkreter fassen und sogar den Unternehmensgegenstand oder einzelne seiner Teile zum Bestandteil des Gesellschaftszwecks machen und auf diese Weise miteinander verbinden22. So kann der Gesellschaftszweck nach der Vereinbarung

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Rz. 6 mit dem Hinweis, dass auch das Steuerrecht in § 60 AO die Satzungszwecke und die Art ihrer Verwirklichung unterscheidet. S. auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. OLG Hamburg v. 18.9.1967 – 2 W 125/67, GmbHR 1968, 118 = BB 1968, 267; Wicke, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Reuter, ZHR 151 (1987), 237, 240; Kort, NZG 2011, 929, 931; Wicke, DNotZ 2020, 448, 449; Geißler, GmbHR 2021, 1023, 1028; ausdrücklich dagegen Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Altmeppen, Rz. 6. S. auch OLG Hamburg v. 18.9.1967 – 2 W 125/67, GmbHR 1968, 118 = BB 1968, 267; Brandner in FS Rowedder, S. 41, 45; ausdrücklich a.A. aber Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8, die jedenfalls die primäre Bedeutung des Unternehmensgegenstandes im Verhältnis der GmbH zu außenstehenden Dritten sehen. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Karsten Schmidt, GesR, § 4 II 3 b (S. 66). Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Altmeppen, Rz. 6.

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der Gesellschafter nicht allein in der Gewinnerzielung, sondern in dem Betrieb eines ganz bestimmten Unternehmens liegen23, etwa darin, durch die Entwicklung eines neuen Medikaments zur Heilung einer bestimmten Krankheit Gewinne zu erzielen. In diesem Fall entspricht das Verhältnis von Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck nicht in jeder Hinsicht einem Verhältnis von Mittel und Zweck, weil jedenfalls einzelne Elemente des Unternehmensgegenstandes Zweckbestandteil sind. Angesichts dieser Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter kann eine allgemeingültige Abgren- 6 zung zwischen dem Unternehmensgegenstand und dem Gesellschaftszweck nicht gelingen24. Im Ausgangspunkt lässt sich zwar festhalten, dass der Gesellschaftszweck das übergeordnete Verbandsziel zum Ausdruck bringt, während der Unternehmensgegenstand das Tätigkeitsgebiet der Gesellschaft festlegt (s. bereits Rz. 5). Inwieweit sich beide Begriffe im Einzelfall voneinander unterscheiden und im Verhältnis einer Mittel-Zweck-Beziehung zueinander stehen oder jedenfalls eine Teilidentität zwischen beiden Kategorien besteht, obliegt der Vereinbarung der Gesellschafter. Das Verhältnis von Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck können die Gesellschafter ausdrücklich in der Satzung festlegen, indem sie dort nicht nur den Unternehmensgegenstand (§ 3 Abs. 1 Nr. 2), sondern auch den Gesellschaftszweck bestimmen. Eine ausdrückliche Satzungsregelung hinsichtlich des Gesellschaftszwecks – und damit eine Abgrenzung zum Unternehmensgegenstand – ist sogar erforderlich, wenn er nicht in der Gewinnerzielung zugunsten der Gesellschafter liegt25. Im praktischen Normalfall findet sich eine entsprechende Satzungsklausel jedoch nicht. Der Gesellschaftszweck ist zwar auch in diesem Fall Bestandteil der Satzung26. Sein genauer Inhalt und sein Verhältnis zum Unternehmensgegenstand muss dann jedoch mit den Mitteln der Satzungsauslegung (s. dazu 13. Aufl., § 2 Rz. 39 ff.) ermittelt werden. Das Ergebnis dieser Auslegung muss nicht zwangsläufig sein, dass der Unternehmensgegenstand den Gesellschaftszweck bezeichnet27. Man wird den Unternehmensgegenstand zwar als wichtigste Erkenntnisquelle im Rahmen der Auslegung berücksichtigen müssen28. Daneben sind aber auch der Gesamtinhalt des Gesellschaftsvertrags, die Anlage des Unternehmens sowie sonstige Umstände, die nach den Regelungen der Satzungsauslegung herangezogen werden dürfen (s. dazu 13. Aufl., § 2 Rz. 39 ff.), zu berücksichtigen29. Die Auslegung kann zu dem Ergebnis führen, dass der Ge23 Altmeppen, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; s. auch LG Köln v. 10.4.2007 – 87 O 26/07, BeckRS 2009, 11118. 24 So auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6. 25 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 5; Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 9 und Rz. 20 für den Fall der GmbH, deren Anteile allein oder mehrheitlich von der öffentlichen Hand gehalten werden; Altmeppen, Rz. 7. Folgerichtig setzt daher auch die steuerliche Anerkennung gemeinnütziger Gesellschaften voraus, dass der gemeinnützige Zweck der Gesellschaft möglichst präzise in der Satzung genannt wird (§§ 59, 60 Abs. 1 AO), s. dazu Priester, GmbHR 1999, 149, 151; Schlüter, GmbHR 2002, 535, 538; Gilberg, RNotZ 2020, 193, 199. 26 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 198; Brandner in FS Rowedder, S. 41, 42 f.; möglicherweise anders Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5. 27 In diese Richtung Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 61 Rz. 7 („i.d.R.“); Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 198; Sina, GmbHR 2001, 661; nach Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3 soll sich der Gesellschaftszweck „regelmäßig (aber nicht zwingend)“ auf den Unternehmensgegenstand erstrecken. 28 RG v. 4.6.1940 – II 171/39, RGZ 164, 129, 140; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 6; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 5; Kort, NZG 2011, 929, 931; kritisch zur Bedeutung des Unternehmensgegenstandes als „Haupterkenntnisquelle“ für den Gesellschaftszweck Karsten Schmidt, GesR, § 4 I 1 (S. 65). 29 Insoweit kann auch das Geschäftsgebaren der Gesellschaft berücksichtigt werden, wenn dies nach den für den Gesellschaftsvertrag geltenden Auslegungsgrundsätzen zulässig ist; weiter noch Emmerich, 11. Aufl., Rz. 3a.

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§ 1 Rz. 6 | Zweck; Gründerzahl sellschaftszweck in der Gewinnerzielung durch das Betreiben des konkreten Unternehmensgegenstandes liegt, aber auch darin, dass der Gesellschaftszweck einen wesentlich allgemeineren Aussagegehalt als der Unternehmensgegenstand hat und sich etwa auf das Ziel der Gewinnerzielung durch einen beliebigen Unternehmensgegenstand beschränkt. 7 Auf der Grundlage dieses Verständnisses von Unternehmensgegenstand und Gesellschafts-

zweck lassen sich in denjenigen Fällen, in denen die Unterscheidung der beiden Begriffe bedeutsam ist, sachgerechte Ergebnisse erzielen. So ist im Fall der Änderung des Unternehmensgegenstandes durch Auslegung zu ermitteln, ob dieser (teil-)identisch mit dem Gesellschaftszweck ist. Liegt der Gesellschaftszweck nur allgemein in einer auf Gewinnerzielung ausgerichteten Tätigkeit, können die Gesellschafter den bestehenden Unternehmensgegenstand (z.B. Betrieb eines Versandhandels) unter Beibehaltung des Gesellschaftszwecks mit der Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen ändern oder völlig neu festlegen (z.B. in den Betrieb eines Restaurants30 oder einer Holdinggesellschaft31). Die Zustimmung aller Gesellschafter ist erst dann erforderlich, wenn z.B. die Gewinnerzielung aufgegeben und rein karitative Zwecke verfolgt werden sollen32. Soweit der Unternehmensgegenstand jedoch mit dem Gesellschaftszweck identisch ist, kann eine Änderung nicht ohne Zustimmung aller Gesellschafter erfolgen (vgl. § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB)33. Die Gesellschafter könnten etwa in dem in Rz. 5 aufgeführten Beispiel nicht mit qualifizierter Mehrheit beschließen, dass die Gesellschaft künftig ein Medikament zur Heilung einer anderen, nicht von dem Gesellschaftszweck gedeckten Krankheit entwickelt. Von einer solchen Teilidentität von Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck dürfte insbesondere in den Fällen der Freiberufler-GmbH auszugehen sein, so dass eine Rechtsanwalts-GmbH nicht ohne Zustimmung aller Gesellschafter ihre Tätigkeit in eine nicht freiberufliche, gewerbliche Tätigkeit ändern kann. Nach denselben Regeln ist zu entscheiden, ob die Auflösungsklage nach § 61 erhoben werden kann (s. Rz. 45).

III. Zulässige Zwecke 8 Gemäß § 1 kann eine GmbH zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden. Damit

ist vor allem gesagt, dass die GmbH nicht auf erwerbswirtschaftliche Zwecke oder gar auf den Betrieb eines Handelsgewerbes beschränkt ist, sondern auch jeden anderen zulässigen Zweck verfolgen kann. In der Literatur werden die in Betracht kommenden Zwecke üblicherweise in erwerbswirtschaftliche, sonstige wirtschaftliche und ideelle Zwecke eingeteilt (Rz. 9 ff., 15 ff., 35 f.)34, ohne dass damit eine Einschränkung des Kreises zulässiger Zwecke

30 A.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20, nach dem wesentliche Änderungen des Gegenstandes zu einer Änderung des Zwecks führen. 31 Karsten Schmidt, GesR, § 4 II 3 (S. 66); a.A. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 8, die jeweils in dem Übergang zur bloßen Vermögensverwaltung zugleich eine Änderung des auf eigene Wirtschaftstätigkeit am Markt ausgerichteten Gesellschaftszwecks erblicken. Sofern der Gesellschaftszweck lediglich in der Gewinnerzielung liegt, kann jedoch auch in dem Übergang auf die auf Gewinnerzielung angelegte Vermögensverwaltung noch keine Änderung des Gesellschaftszwecks gesehen werden; ebenso Geißler, GmbHR 2021, 1023, 1029. 32 C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 8; Karsten Schmidt, GesR, § 4 II 3 c (S. 66); Kort, NZG 2011, 929, 931 (zur AG); s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20. 33 S. auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 7; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15 spricht von einem „Durchschlagen“ des Unternehmensgegenstandes auf den Gesellschaftszweck. 34 S. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Altmeppen, Rz. 9 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7 ff.

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verbunden ist35. Für bestimmte Tätigkeitsbereiche steht die GmbH kraft gesetzlicher Anordnung als Rechtsform nicht zur Verfügung (Rz. 38 f.). Unzulässig ist die Verfolgung gesetzwidriger oder sittenwidrige Zwecke (§§ 134, 138 BGB, Rz. 40 f.).

1. Erwerbswirtschaftliche Zwecke Eine GmbH kann zu jedem erwerbswirtschaftlichen Zweck36 errichtet werden, wobei es kei- 9 ne Rolle spielt, ob es sich um ein Handelsgewerbe handelt oder nicht (s. demgegenüber § 105 Abs. 1 und § 161 Abs. 1 HGB). Ebenso bedeutungslos ist der Umfang des von der Gesellschaft angestrebten Gewerbes (s. § 13 Abs. 3). Jeder gewerbliche Zweck stellt – im Rahmen der Gesetze – einen zulässigen Gesellschaftszweck der GmbH dar. Danach sind auch kleingewerbliche Unternehmen und Unternehmen der Land- und Forstwirtschaft ohne weiteres einbezogen37. Die Genehmigungsbedürftigkeit des Gewerbes steht der Eintragung der GmbH im Han- 10 delsregister seit dem Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008 nicht mehr entgegen38. Mit der Streichung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 a.F. sollte das Eintragungsverfahren beschleunigt werden39. Dementsprechend stellt das Fehlen der Genehmigung ebenso wie der etwaige spätere Widerruf der Genehmigung nur noch einen Auflösungsgrund nach den §§ 61 und 6240 dar. Auch eine Amtslöschung scheidet aus41. In einigen wenigen Fällen darf aber auch heute noch die Eintragung kraft spezialgesetzlicher Anordnung nur bei Vorliegen und Nachweis einer Erlaubnis erfolgen (s. Rz. 13). Hinsichtlich der GmbH & Co. KG als Grundtypenvermischung zwischen der GmbH und 11 der KG ist zu unterscheiden. Die GmbH dient auch bei Beteiligung an einer KG erwerbswirtschaftlichen Zwecken. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die GmbH am Gewinn der KG beteiligt ist und sich ihre Funktion nicht auf die bloße Übernahme der Geschäftsführung gegen Aufwendungsersatz beschränkt42. Die GmbH kann aber auch als nicht am Gewinn der KG beteiligte persönlich haftende Gesellschafterin eingesetzt werden und verfolgt dann sonstige wirtschaftliche Zwecke (vgl. Rz. 15 ff.)43. Hinsichtlich der KG gelten die allgemeinen handelsrechtlichen Regelungen (§ 161 HGB), d.h. sie muss entweder ein Handelsgewerbe betreiben oder als kleingewerbliche oder rein vermögensverwaltende KG im Handelsregister eingetragen sein. Dieselben Grundsätze gelten hinsichtlich der GmbH als persönlich haftende Gesellschafterin einer KGaA44. 35 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6. 36 Zum Begriff Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. 37 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Altmeppen, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Geißler, GmbHR 2021, 1023, 1024; s. zur Gewerbeeigenschaft der Landund Forstwirtschaft BGH v. 7.7.1960 – VIII ZR 215/59, BGHZ 33, 321 = NJW 1961, 725 (zu § 196 BGB a.F.); Merkt in Baumbach/Hopt, § 3 HGB Rz. 3. 38 S. zur alten Rechtslage Gottwald, DStR 2001, 944 f. 39 BT-Drucks. 16/6140, S. 34. 40 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Altmeppen, Rz. 19; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 54; vgl. auch BGH v. 25.7.2017 – II ZB 8/16, NZG 2017, 1226, 1227 = ZIP 2017, 2000. 41 OLG Frankfurt a.M. v. 9.11.2018 – 20 W 80/16, NZG 2019, 346, 347 = GmbHR 2019, 415. 42 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; s. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20. 43 Vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8 („Grenzfall zur Gruppe sonstiger wirtschaftlicher Zwecke“). 44 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; zur Zulässigkeit der GmbH & Co. KGaA Karsten Schmidt in K. Schmidt/Lutter, § 278 AktG Rz. 19; zum Ausschluss des persönlich haftenden Gesellschafters der KGaA von der Gewinnteilhabe Bachmann in Spindler/Stilz, § 288 AktG Rz. 3.

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§ 1 Rz. 12 | Zweck; Gründerzahl 12 Auch im Rahmen von Unternehmensverbindungen kann die GmbH erwerbswirtschaftli-

chen Zwecken dienen. Sie lässt sich auf allen Ebenen der Unternehmensverbindung einsetzen, insbesondere als unter einheitliche Leitung zusammengefasste Konzerngesellschaft (§ 18 AktG) oder als herrschende Gesellschaft innerhalb des Konzerns und kann dabei jeweils erwerbswirtschaftliche Zwecke verfolgen45. 13 Bankgeschäfte bzw. Finanzdienstleistungen dürfen auch von einer GmbH betrieben bzw.

erbracht werden (s. zu Versicherungsunternehmen und zu Bausparkassen Rz. 38). Voraussetzung hierfür ist die Erlaubnis der BaFin gemäß § 32 KWG. Ebenso steht das Investmentgeschäft der GmbH als externe Kapitalverwaltungsgesellschaft46 offen (§ 18 Abs. 1 KAGB), wenn sie über die gemäß § 20 KAGB erforderliche Erlaubnis verfügt. Als interne Kapitalverwaltungsgesellschaften kommen demgegenüber nur Investmentaktiengesellschaften und Investmentkommanditgesellschaften in Betracht47. Für Unternehmensbeteiligungsgesellschaften bestimmt § 2 Abs. 1 UBGG, dass diese in der Rechtsform der GmbH betrieben werden können. Der Geschäftsbetrieb bedarf der Anerkennung durch die oberste Landesbehörde (§ 15 Abs. 1, § 14 UBGG). Registerrechtlich besteht die Besonderheit, dass die für den Betrieb von Bankgeschäften bzw. Finanzdienstleistungen erforderliche Erlaubnis gemäß § 43 Abs. 1 KWG dem Handelsregister nachgewiesen werden muss. Dasselbe gilt für die Betätigung externer Kapitalverwaltungsgesellschaften (§ 3 Abs. 5 KAGB i.V.m. § 43 Abs. 1 KWG)48 sowie hinsichtlich der Anerkennung der Unternehmensbeteiligungsgesellschaften (§ 15 Abs. 1 und 2 Satz 2 Nr. 3, § 20 Abs. 2 UBGG). 14 Die gesetzliche Beschränkung auf die Rechtsform der AG oder KGaA für Hypothekenban-

ken und Schiffspfandbriefbanken wurde durch das PfandbriefG vom 22.5.200549 aufgehoben. Das Pfandbriefgeschäft kann damit ebenfalls in der Rechtsform der GmbH betrieben werden50. Die GmbH kann außerdem als Handelsvertreter (§ 84 HGB) eingesetzt werden51.

2. Sonstige wirtschaftliche Zwecke 15 Die GmbH eignet sich als Rechtsform zur Verfolgung sonstiger wirtschaftlicher Zwecke. In

Betracht kommen nicht auf die Gewinnerzielung ausgerichtete wirtschaftliche Zwecke und auf Gewinnerzielung ausgerichtete Zwecke, die nicht in dem Betrieb eines Gewerbes liegen52. Letzteres betrifft insbesondere die Ausübung freier Berufe in der GmbH (Rz. 21 ff.)53. 45 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; s. Karsten Schmidt, GesR, § 17 IV 2 (S. 508): „natürliche Konzernoffenheit der GmbH“. 46 Habersack in MünchKomm. AktG, Einl. Rz. 166; Eckhold/Balzer in Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Hdb. Kapitalanlagerecht, § 22 Rz. 84; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 10; Poelzig/Volmer, DNotZ 2014, 483, 487. 47 Winterhalder in Weitnauer/Boxberger/Anders, KAGB, 3. Aufl. 2021, § 17 Rz. 49; Eckhold/Balzer in Assmann/Schütze/Buck-Heeb, Hdb. Kapitalanlagerecht, § 22 Rz. 82; Poelzig/Volmer, DNotZ 2014, 483, 487 f. 48 Speziell dazu Poelzig/Volmer, DNotZ 2014, 483, 491. 49 BGBl. I 2005, 1373. 50 Habersack in MünchKomm. AktG, Einl. Rz. 164; Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 1 KWG Rz. 20. 51 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; R. Emde, GmbHR 1999, 1005; Westphal, BB 1999, 2517. 52 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Altmeppen, Rz. 10. Anders C. Schäfer in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 11, der unter dieser Kategorie nur die Betätigungen ohne Gewinnerzielungsabsicht fasst. 53 S. aber Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9, der die Ausübung der freiberuflichen Tätigkeit den erwerbswirtschaftlichen Zwecken zuordnet, dies jedoch als „Grenzfall“ bezeichnet.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 18 § 1

a) Beispiele Als Beispiele für sonstige wirtschaftliche Zwecke, die in der GmbH verfolgt werden können, 16 sind die Vermögens- und Kapitalverwaltung einschließlich der Grundstücksverwaltung zu nennen54. Weitere Fälle sind die Tätigkeit der Wirtschafts- und Berufsverbände55, Kartelle (soweit heute noch zulässig)56 und Treuhandgesellschaften57. Gemeinnützige Unternehmen (sog. Nonprofit-GmbH) können sich der Rechtsform der 17 GmbH bedienen58. Sie werden teilweise den Gesellschaften mit ideeller Zwecksetzung zugeordnet59. Häufig sind auch sie jedoch wirtschaftlich ausgerichtet mit der einzigen Ausnahme, dass die GmbH die Gewinne nicht zur Verteilung unter den Gesellschaftern erwirtschaftet60. Die Voraussetzungen für die steuerrechtliche Anerkennung der Gemeinnützigkeit ergeben sich im Einzelnen aus den §§ 51 ff. AO. Die Satzung muss gemäß § 60 Abs. 1 Satz 2 AO die aus der Anlage 1 der AO ersichtlichen Feststellungen enthalten61. Die gemeinnützige GmbH, die ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 51 ff. AO verfolgt, darf gemäß § 4 Satz 2 den Rechtsformzusatz „gGmbH“ tragen62. Auch zu Stiftungszwecken kann die GmbH ohne weiteres dienstbar gemacht werden (sog. 18 Stiftungs-GmbH)63. Der Vorteil der GmbH gegenüber der bürgerlich-rechtlichen Stiftung kann in einem geringeren finanziellen Aufwand, in der Bewahrung der Dispositionsfreiheit der Gründer bzw. ihrer Rechtsnachfolger sowie darin liegen, dass die Errichtung der Stiftungs-GmbH keiner staatlichen Genehmigung bedarf und sie nicht der laufenden Aufsicht unterliegt64. Allerdings erweist sich die Zweckbindung des Vermögens als Problem, weil die Stiftungs-GmbH dem GmbH-Recht unterliegt und die Gesellschafter den Gesellschaftszweck zumindest einvernehmlich jederzeit ändern können (s. Rz. 3)65. Im Gesellschaftsvertrag muss

54 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; W. Horn, GmbHR 2001, 386. 55 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Altmeppen, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13. 56 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Altmeppen, Rz. 16; Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 13. 57 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Altmeppen, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Milatz/Wegmann, GmbHR 2013, 1024. 58 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Schlüter, GmbHR 2002, 535 ff., 578 ff.; Gilberg, RNotZ 2020, 193; zur gemeinnützigen UG (haftungsbeschränkt) Ullrich, GmbHR 2009, 750. 59 S. etwa Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Altmeppen, Rz. 14; wie hier Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Priester, GmbHR 1999, 149. 60 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Gilberg, RNotZ 2020, 193, 194. 61 S. ausführlich zur Satzungsgestaltung Gilberg, RNotZ 2020, 193, 199 ff.; s. zu der Frage, ob eine wörtliche Übernahme erforderlich ist, Ullrich, DStR 2009, 2471. 62 Eingefügt mit Gesetz vom 21.3.2013 (BGBl. I 2013, 556); s. zuvor noch OLG München v. 14.12.2006 – 31 Wx 89/06, GmbHR 2007, 267. 63 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31 ff. (mit Abgrenzung zur GmbH als Stiftungsträger); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Altmeppen, Rz. 15; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 51; Wochner, DStR 1998, 1835; Priester, GmbHR 1999, 149, 155 f.; Schlüter, GmbHR 2002, 578; s. auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36, die die Stiftungs-GmbH als solche mit ideeller Zwecksetzung qualifizieren. 64 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Altmeppen, Rz. 15; Gilberg, RNotZ 2020, 193, 197. 65 S. dazu Schlüter, GmbHR 2002, 578, 579 f.; Gilberg, RNotZ 2020, 193, 197.

Cramer | 55

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§ 1 Rz. 18 | Zweck; Gründerzahl zur Erreichung der stiftungsartigen Struktur der Gesellschaft bestimmt werden, dass die Gesellschafter keinen Anspruch auf die Erträge oder auf den Liquidationserlös der Gesellschaft haben66. Die GmbH darf den Firmenzusatz „Stiftung“ verwenden67. Vor dem Hintergrund der nicht gesicherten Zweckbindung des Vermögens erklärt sich die gegenwärtige Diskussion zur Schaffung einer GmbH im Verantwortungseigentum bzw. einer Gesellschaft mbH mit gebundenem Vermögen, bei der jede Gewinnausschüttung und Teilhabe an den Wertsteigerungen ausgeschlossen wäre (asset-lock)68. 19 Die GmbH ist als Rechtsform auch für öffentliche Unternehmen verbreitet69. Der Gesell-

schaftszweck kann dabei in der Gewinnerzielung liegen oder der Verfolgung anderer Ziele ohne Gewinnerzielung dienen70. Die öffentliche Hand kann in der Rechtsform der GmbH u.a. Zwecke der Daseinsfürsorge verfolgen (z.B. Verkehrsbetrieb, Energieversorgung), soziale oder kulturelle Einrichtungen betreiben (z.B. Stadtbibliothek) oder Aktivitäten des Umweltschutzes oder der Struktur- und Arbeitsmarktförderung entfalten71. Der Vorteil der GmbH liegt in diesem Zusammenhang nicht nur in der Haftungsbeschränkung, sondern auch darin, dass das Binnenrecht der GmbH aufgrund ihrer Gestaltungsoffenheit den Vorstellungen der öffentlichen Hand entsprechend angepasst werden kann und der Geschäftsführung gegenüber Weisungen erteilt werden können72. Auf diese Weise wird der Einwirkungs- und Kontrollpflicht der öffentlichen Hand (sog. Ingerenzpflicht) mit den Mitteln des Gesellschaftsrechts Rechnung getragen73. Auch für gemischtwirtschaftliche Unternehmen, an denen die öffentliche Hand und Private beteiligt sind, eignet sich die GmbH als Rechtsform74, insbesondere im Zusammenhang mit einer Private-Public-Partnership (PPP)75. Aufgrund der Gestaltungsfreiheit und der Einwirkungsmöglichkeiten, die das GmbH-Recht bietet, besteht nach h.M. kein Bedürfnis für eine Überlagerung des GmbH-Rechts durch öffentlichrechtliche Vorgaben i.S. eines Verwaltungsgesellschaftsrechts76. Im Fall von öffentlichen und gemischtwirtschaftlichen Unternehmen muss der Gemeinwohlcharakter des Gesellschaftszwecks jedoch Ausdruck im Gesellschaftsvertrag finden77. Auf diese Weise kann die Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen, die sich am Gemeinwohl orientieren, ausge-

66 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32. 67 OLG Stuttgart v. 12.2.1964 – 8 W 229/63, GmbHR 1964, 116 = NJW 1964, 1231; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33. 68 S. dazu https://www.gesellschaft-mit-gebundenem-vermoegen.de/der-gesetzesentwurf sowie Sanders/ Dauner-Lieb/Kempny/Möslein/Veil, GmbHR 2020, R228; Sanders/Dauner-Lieb/Kempny/Möslein/Veil, GmbHR 2021, 285; Sanders, NZG 2021, 1573; kritisch dazu Arnold/Burgard/Weitemeyer, NZG 2020, 1321; Habersack, GmbHR 2020, 992; Grunewald/Hennrichs, NZG 2020, 1201; Weitemeyer/Weißenberger/Wiese, GmbHR 2021, 1069. 69 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Altmeppen, Rz. 10; Gilberg, RNotZ 2020, 193, 195. 70 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10. 71 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; Towfigh, DVBl. 2015, 1016; Gilberg, RNotZ 2020, 193, 195. 72 Kiethe, NZG 2006, 45, 48 f. 73 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 2; Keßler, GmbHR 2000, 71. 74 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25. 75 Zum Begriff Kiethe, NZG 2006, 45, 46. 76 S. dazu Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 18; Kiethe, NZG 2006, 45, 47 f.; s. auch Emmerich, Das Wirtschaftsrecht der öffentlichen Unternehmen, 1969, S. 162 f. 77 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 21 § 1

schlossen werden, wenn die Anfechtung mit einem diesbezüglichen Treuepflichtverstoß oder mit der Verfolgung gesellschaftsfremder Sondervorteile begründet wird78. Unterstützungskassen der betrieblichen Altersversorgung können in der Rechtsform einer 20 GmbH betrieben werden (s. zu Pensionskassen Rz. 38)79. b) Freie Berufe aa) Überblick Die GmbH eignet sich als Organisationsform für die Angehörigen der freien Berufe80. Auf- 21 grund der in § 1 zum Ausdruck kommenden Zweckoffenheit der GmbH setzt das GmbHRecht der Ausübung freier Berufe in der GmbH keine Schranke81. Allerdings wurde lange Zeit aus berufs- und standesrechtlichen Erwägungen gefolgert, dass der Ausübung eines freien Berufs in der GmbH Grenzen gesetzt sind82. Nach traditionellem Verständnis sollte ein Zusammenschluss in einer Kapitalgesellschaft nicht mit dem Wesen der freien Berufe vereinbar sein, da sie die persönliche, eigenverantwortliche und unabhängige Erbringung von Dienstleistungen höherer Art zum Gegenstand haben83. Derartige Beschränkungen konnten jedoch in weiten Teilen einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung (Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) nicht standhalten84, so dass in den vergangenen Jahrzehnten eine Öffnung der GmbH zugunsten der freien Berufe zu beobachten war85. In jüngerer Zeit hat sich diese Entwicklung zunächst mit der durch das BVerfG angestoßenen weiteren Liberalisierung der interprofessionellen Zusammenarbeit fortgesetzt (Rz. 32 ff.). Weitere Schritte hin zu einer Deregulierung erfolgen nunmehr mit dem Inkrafttreten der BRAO-Reform 202186 zum 1.8.2022 (Rz. 29) sowie mit dem Inkrafttreten des MoPeG87 zum 1.1.2024. Die BRAOReform 2021 betrifft unmittelbar nur das Berufsrecht der Rechtsanwälte, Patentanwälte und Steuerberater. Es erscheint jedoch absehbar, dass die BRAO-Reform 2021 Anstoß für Ver-

78 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25; Schön, ZGR 1996, 429, 452. 79 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11, 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10, 13; s. auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35, die diese Betätigung als eine solche mit ideeller Zwecksetzung einordnen; s. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22, nach dem die Grenzen fließend sind. 80 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Ost, DStR 2015, 442; kritisch hingegen Geißler, GmbHR 2021, 1023, 1025. 81 Ost, DStR 2015, 442, 443. 82 Vgl. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Schäfer in MünchKomm. BGB, Vorb § 1 PartGG Rz. 16; Kremer, GmbHR 1983, 261, 265. 83 Schäfer in MünchKomm. BGB, Vorb § 1 PartGG Rz. 16; s. zu diesem Gedanken auch noch OLG München v. 3.2.2015 – 31 Wx 12/14, GmbHR 2015, 318, 319. 84 S. BGH v. 25.11.1993 – I ZR 281/91, BGHZ 124, 224 = GmbHR 1994, 325 = NJW 1994, 786 (zur Zahnarzt-GmbH); BayObLG v. 24.11.1994 – 3Z BR 115/94, BayObLGZ 1994, 353, 361 f. = NJW 1995, 199 = GmbHR 1995, 42, 43 = ZIP 1994, 1868 (zur Rechtsanwalts-GmbH); s. auch BVerfG v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, GmbHR 2014, 301 = NZG 2014, 258 (zur interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen Rechts- und Patentanwälten); BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700 (zur interprofessionellen Zusammenarbeit von Rechtsanwälten, Ärzten und Apothekern in einer PartG). 85 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23 („radikaler Wandel“); C. Schäfer in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 12 f. 86 Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, BGBl. I 2021, 2363. 87 Gesetz zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (Personengesellschaftsrechtsmodernisierungsgesetz – MoPeG) vom 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436.

Cramer | 57

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§ 1 Rz. 21 | Zweck; Gründerzahl änderungen des Berufsrechts auch der Heilberufe (Rz. 26), Architekten und Ingenieure (Rz. 25) sein wird. Entsprechende Veränderungen fallen allerdings in die Zuständigkeit der Länder88. Es ist zur Vermeidung eines „Flickenteppichs“ zu hoffen, dass einheitliche Regelungen geschaffen werden89. 22 Bereits seit dem Jahr 1961 zulässig ist die GmbH als Rechtsform für die Berufsausübung der

Wirtschaftsprüfer (§ 1 Abs. 3, § 27 Abs. 1 WPO) und der Steuerberater (s. heute § 3 Nr. 2, § 49, § 50 StBerG). Die Wirtschafsprüfungs-GmbH wird nur unter den Voraussetzungen des § 28 WPO anerkannt, insbesondere muss sie über ein eingetragenes Stammkapital von 25.000 Euro verfügen (§ 28 Abs. 6 Satz 1 WPO). Die UG (haftungsbeschränkt) scheidet damit als Rechtsform aus90. Die Voraussetzungen für die Anerkennung der Steuerberater-GmbH finden sich in den §§ 53, 54 StBerG. Eine gesetzliche Grundlage der Berufsausübung der Rechtsanwälte in der GmbH existiert seit dem 1.3.1999 (Rz. 29)91. Diese Möglichkeit steht auch den Patentanwälten (Rz. 29) sowie Architekten und Ingenieuren (Rz. 25) offen. Für Notare bleibt die GmbH aufgrund ihrer Stellung als Träger eines öffentlichen Amtes verschlossen (Rz. 30 f.). Nicht zur Verfügung steht die GmbH de lege lata für den Betrieb einer Apotheke92 oder des Versteigerungsgewerbes (Rz. 39). 23 Der Praxis vieler Registergerichte entspricht es, im Eintragungsverfahren die zuständige Be-

rufskammer zu einer Stellungnahme hinsichtlich der Vereinbarkeit der Satzung mit den berufsrechtlichen Anforderungen aufzufordern und die Eintragung der GmbH bis zur „Freigabe“ der Satzung durch die Kammer auszusetzen. Die Praxis muss sich darauf einstellen. Empfehlenswert ist es in der Regel, den Inhalt der Satzung bereits vor Stellung des Eintragungsantrags mit der zuständigen Kammer abzustimmen. 24 Der Zugang zur GmbH & Co. KG war für den Kernbereich93 der freien Berufe traditionell

versperrt, weil die KG den Betrieb eines Gewerbes94 voraussetzt (vgl. etwa § 2 Abs. 2 BRAO, § 2 Abs. 2 PAO, § 32 Abs. 2 Satz 4 StBerG, § 1 Abs. 2 BÄO)95. Die GmbH konkurriert im Bereich der freien Berufe bislang daher im Wesentlichen mit der PartG, die seit dem Jahr 201396 auch in der Rechtsformvariante der PartG mbB existiert. Ein wesentlicher Vorteil der 88 89 90 91 92

93 94

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BT-Drucks. 19/27635, S. 224. Vgl. Lieder, ZRP 2021, 34, 36; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 6. Servatius in Noack/Servatius/Haas,Rz. 9. BGBl. I 1998, 2600. Für diese wird allerdings auch die Gewerbeeigenschaft bejaht, so dass es sich nicht um einen freien Beruf im Sinne der hier behandelten Berufe handelt, vgl. dazu BVerwG v. 14.11.2001 – 6 B 60/01, NVwZ-RR 2002, 187; Holzner in BeckOK GewR, Stand: 1.12.2017, § 6 GewO Rz. 15; Altmeppen, Rz. 18; Merkt in Baumbach/Hopt, § 1 HGB Rz. 19; s. jedoch BGH v. 12.4.2016 – II ZB 7/11, NJW 2016, 2263, 2264: Ausübung eines freien Berufs bei nur gutachterlicher oder fachlich beratender Tätigkeit. S. dazu Merkt in Baumbach/Hopt, § 1 HGB Rz. 19. Henssler/Markworth, NZG 2015, 1, 3; kritisch in rechtspolitischer Hinsicht neben den Vorgenannten auch bereits Merkt in Baumbach/Hopt, § 1 HGB Rz. 19. Karsten Schmidt in FS Kreutz, 2010, S. 837 ff. und Karsten Schmidt, DB 2011, 2477, 2478 f. hielt die freiberufliche GmbH & Co. KG schon vor dem Inkrafttreten des MoPeG handelsrechtlich für zulässig. Zur Unzulässigkeit der Rechtsanwalts-GmbH & Co. KG vor Inkrafttreten des MoPeG bzw. der BRAO-Reform 2021 BGH v. 18.7.2011 – AnwZ (Brfg) 18/10, GmbHR 2011, 1036 und BVerfG v. 6.12.2011 – 1 BvR 2280/11, GmbHR 2012, 341, das die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen hat; s. zur Zulässigkeit der Steuerberatungs-KG, wenn deren Gesellschaftszweck neben der Hilfestellung in Steuersachen die Treuhandtätigkeit umfasst BGH v. 15.7.2014 – II ZB 2/ 13, BGHZ 202, 92, 95 = GmbHR 2014, 1194 = ZIP 2014, 2030; dazu Karsten Schmidt, ZIP 2014, 2226; zum Formwechsel in die GmbH & Co. KG durch eine Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungs-GmbH KG v. 27.9.2013 – 12 W 94/12, GmbHR 2014, 38 = NZG 2013, 1313; zur gesamten Problematik auch Henssler, NZG 2011, 1121; Henssler/Markworth, NZG 2015, 1. BGBl. I 2013, 2386.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 26 § 1

GmbH im Wettbewerb der Gesellschaftsformen liegt darin, dass die GmbH anders als die PartG mit nur einem Gesellschafter gegründet werden kann (Rz. 49 ff.) und dem Freiberufler auch in diesem Fall die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung bietet97. Das zum 1.1.2024 in Kraft tretende MoPeG öffnet nunmehr die Personenhandelsgesellschaften, und damit auch die GmbH & Co. KG, für alle freien Berufe (§ 107 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F. i.V.m. § 161 Abs. 2 HGB)98, allerdings unter dem Vorbehalt des einschlägigen Berufsrechts. Für Rechtsanwälte (§ 59b Abs. 2 Nr. 1 BRAO), Patentanwälte (§ 52b Abs. 2 Nr. 1 PAO) und Steuerberater (§ 49 Abs. 2 Nr. 1 StBerG) hat der Bundesgesetzgeber von dieser Möglichkeit bereits Gebrauch gemacht. Die GmbH & Co. KG steht diesen Berufsgruppen aufgrund der gegenüber § 107 Abs. 1 Satz 2 HGB n.F. vorrangigen berufsrechtlichen Vorschriften99 mit Wirkung ab dem 1.8.2022 zur Verfügung. bb) Architekten, Ingenieure Architekten und Ingenieure können sich in der GmbH organisieren100. Hinsichtlich der Ar- 25 chitekten sehen die jeweils einschlägigen Landesgesetze101 teils unterschiedliche Anforderungen an die Satzungsgestaltung, insbesondere hinsichtlich des Unternehmensgegenstandes, der Kapitalbeteiligung und der Organisationsstruktur vor, ohne deren Einhaltung die Firma der GmbH keinen Hinweis auf die Berufsbezeichnung Architekt enthalten darf102. Mitunter wird auch die Eintragung der GmbH in ein bei der Kammer geführtes Gesellschaftsverzeichnis103 oder zumindest die Eintragung der Geschäftsführer in die Architektenliste104 zur Voraussetzung für die Führung der Berufsbezeichnung in der Firma gemacht105. Die Vereinbarkeit dieser Beschränkungen mit Art. 12 Abs. 1 GG ist noch nicht abschließend geklärt106. cc) Ärzte, Heilpraktiker Hinsichtlich der Tätigkeit der Ärzte, Tierärzte und Zahnärzte wurde früher überwiegend da- 26 von ausgegangen, dass als Rechtsform für eine Sozietät allein die GbR sowie seit 1995 die PartG in Betracht komme, während ihnen die Kapitalgesellschaften einschließlich der GmbH versperrt seien107. Daran hat die Rechtsprechung in einigen Entscheidungen unter Berücksichtigung verfassungsrechtlicher Erwägungen nicht festgehalten108. Der BGH hat insbeson97 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. 98 Kritisch dazu Stöber, DStR 2021, 2137, 2138. 99 BT-Drucks. 19/27670, S. 177; s. auch Kilian, NJW 2021, 2385, 2386; Grunewald, NJW 2021, 3696; kritisch dazu Saenger/Kunzmann, NZG 2021, 1477 f. 100 BayObLG v. 21.3.2002 – 3Z BR 57/02, ZIP 2002, 1032, 1033 f. (für die Entwicklung und den Vertrieb von Software); s. jedoch noch BadWürttVGH v. 6.10.1998 – 9 S 2652/96, DVBl. 1999, 50 f. 101 In Baden-Württemberg § 2b ArchG, in Bayern Art. 8 BauKaG, in Berlin § 7 ABKG, in Brandenburg § 7 ArchG, in Bremen § 4 ArchG, in Hamburg § 10 ArchG, in Hessen § 6 HASG, in MecklenburgVorpommern § 13 ArchIngG, in Niedersachen § 16 NArchtG, in Nordrhein-Westfalen § 8 BauKaG, in Rheinland-Pfalz § 8 ArchG, im Saarland § 7 SAIG, in Sachsen § 9 SächsArchG, in Sachsen-Anhalt § 7 ArchtG-LSA, in Schleswig-Holstein § 11 ArchIngKG-SH und in Thüringen § 9 ThürAIKG. 102 BadWürttVGH v. 6.10.1998 – 9 S 2652/96, DVBl. 1999, 50 f.; OLG Nürnberg v. 12.10.1982 – 3 U 1398/82, GRUR 1983, 453; OLG Frankfurt a.M. v. 24.1.2000 – 20 W 411/98, OLGR 2000, 95 = GmbHR 2000, 623 (nur Leitsatz); Schäfer in MünchKomm. BGB, Vorb § 1 PartGG Rz. 22. 103 So etwa § 10 HmbArchG. 104 S. etwa OLG Düsseldorf v. 28.11.1995 – 20 U 25/95, NJW-RR 1996, 1322. A.A. OLG Nürnberg v. 12.10.1982 – 3 U 1398/82, GRUR 1983, 453. 105 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17. 106 Zweifelnd Schäfer in MünchKomm. BGB, Vorb § 1 PartGG Rz. 22. 107 AG Saarbrücken v. 19.2.1988 – 17 AR I 199/87, GmbHR 1989, 297; AG Hannover v. 5.3.1992 – 81 AR 528/91, GmbHR 1994, 120; Stehle, DStR 1983, 100, 101. 108 Kritisch auch J. Meyer/V. Kreft, GmbHR 1997, 193; Taupitz, NJW 1996, 3033.

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§ 1 Rz. 26 | Zweck; Gründerzahl dere die Ausübung des Berufs des Zahnarztes109 und des Heilpraktikers110 in der GmbH für zulässig erklärt. Dasselbe muss hinsichtlich der Tierärzte gelten111. 27 Viele Kammer- und Heilberufsgesetze der Länder sehen inzwischen vor, dass eine ärztliche

Praxis in der Rechtsform der GmbH geführt werden kann, jedenfalls dann, wenn bestimmte Anforderungen an die Organisation und Beteiligungsstruktur eingehalten werden112. Lediglich das Bundesland Bayern verbietet in Art. 18 Abs. 1 Satz 2 BayHKaG weiterhin die Führung einer ärztlichen Praxis in der Rechtsform einer juristischen Person113. Auch das Gebot, die ärztliche Praxis in eigener Niederlassung zu betreiben, das in einzelnen Landesgesetzen zum Ausdruck kommt bzw. kam114, wurde teilweise als faktisches GmbH-Verbot verstanden115. Ob diese Beschränkungen einer verfassungsrechtlichen Kontrolle standhalten, wird verschiedentlich bezweifelt116. An einer sachlichen Rechtfertigung dürfte es fehlen117. Den fachübergreifenden Zusammenschluss zu einem medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) in der Rechtsform der GmbH gestattet § 95 Abs. 1a SGB V118. dd) Rechtsanwälte, Patentanwälte, Steuerberater 28 Auch Rechtsanwälte sollten sich nach traditionellem Verständnis nicht innerhalb einer An-

walts-GmbH organisieren dürfen119. In den neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts setzte sich die gegenteilige Auffassung durch. Den Auftakt in der Rechtsprechung machte das BayObLG mit einem Beschluss aus dem Jahr 1994120. Voraussetzung der Zulässigkeit einer 109 BGH v. 25.11.1993 – I ZR 281/91, BGHZ 124, 224 = NJW 1994, 786; dazu Henssler, ZIP 1994, 844; Meyer/Kreft, GmbHR 1997, 193; Taupitz, NJW 1996, 3033. 110 BGH v. 5.12.1991 – I ZR 11/90, GRUR 1992, 175. 111 So im Grds. OLG Düsseldorf v. 6.10.2006 – 3 Wx 107/06, NZG 2007, 190, allerdings nur dann, wenn die Berufsordnung die Anforderungen im Einzelnen festlegt; kritisch dazu C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 12; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24. A.A. OLG München v. 3.2.2015 – 31 Wx 12/14, GmbHR 2015, 318 aufgrund Art. 18 Abs. 1 Satz 2 BayHKaG. 112 In Berlin (§ 26 Abs. 3 Berliner Kammergesetz), Brandenburg (§ 31 Abs. 4 Satz 1 HeilBerG), Bremen (§ 27 Abs. 2 Satz 3 HeilBerG), Hamburg (§ 27 Abs. 3 Satz 2 HmbKGH), Hessen (§ 25 Nr. 18 HeilBerG), Mecklenburg-Vorpommern (§ 32 Abs. 2 HeilBerG), Niedersachen (§ 32 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 HKG), Nordrhein-Westfalen (§ 29 Abs. 2 Satz 3 HeilBerG), Sachsen (§ 16 Abs. 4 SächsHKaG), Sachsen-Anhalt (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 KGHB), Schleswig-Holstein (§ 29 Abs. 2 Satz 3 HBKG) und Thüringen (§ 20 Abs. 2 Satz 3 ThürHeilBG). 113 S. dazu Meyer/Kreft, GmbHR 1997, 193, 194; kritisch J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 16. 114 In Rheinland-Pfalz (§ 21 Abs. 2 Satz 1 HeilBG). Ebenso noch § 4a Abs. 5 Satz 1 Berliner Kammergesetz a.F., das seit dem 30.11.2018 jedoch Zusammenschlüsse in der GmbH erlaubt, vgl. § 26 Abs. 3 Satz 1 Berliner Kammergesetz. 115 Meyer/Kreft, GmbHR 1997, 193, 194; s. jedoch zu § 21 Abs. 2 Satz 2 HeilBG Rheinland-Pfalz a.A. VerfGH RhPf v. 31.3.2017 – VGH N 4/16, VGH N 5/16, BeckRS 2017, 106527 aufgrund von § 21 Abs. 2 Satz 5 HeilBG. 116 S. jedoch BayVerfGH v. 13.12.1999 – Vf. 5-VII-95, NJW 2000, 3418, der die Vereinbarkeit mit der Bayerischen Verfassung bejaht; s. auch OLG München v. 3.2.2015 – 31 Wx 12/14, GmbHR 2015, 318. 117 Ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 16; J. Meyer/V. Kreft, GmbHR 1997, 193, 194; Taupitz, NJW 1996, 3033, 3038 ff.; Bedenken äußert auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. 118 Dazu Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 24. 119 S. dazu Michalski, Gesellschafts- und Kartellrecht der berufsrechtlich gebundenen freien Berufe, 1989, S. 1 ff.; Stehle, DStR 1983, 100, 101; Donath, ZHR 156 (1992), 134, 136 ff.; Taupitz, JZ 1994, 1100; Taupitz, NJW 1995, 369. 120 BayObLG v. 24.11.1994 – 3Z BR 115/94, BayObLGZ 1994, 353 = NJW 1995, 199 = GmbHR 1995, 42 = ZIP 1994, 1868 – Seufert GmbH; s. auch BayObLG v. 28.8.1996 – 3Z BR 75/96, BayObLGZ

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 29 § 1

Anwalts-GmbH war danach nur noch, dass die Satzung der Gesellschaft bestimmten Mindestanforderungen genügte, um sie mit der BRAO in Einklang zu bringen121. Angesichts der geschilderten Entwicklung sah sich der Gesetzgeber zum Handeln gezwun- 29 gen. Mit Wirkung zum 1.3.1999122 hat er die Anwalts-GmbH in § 59c Abs. 1 BRAO a.F. ausdrücklich zugelassen und zugleich in den §§ 59c bis 59m BRAO a.F. die Anforderungen für die Zulassung der Rechtsanwalts-GmbH festgelegt123. Für die Patentanwälte fanden sich Regelungen in der Patentanwaltsordnung (§§ 52c bis 52m PAO a.F.)124, die denjenigen der BRAO weitgehend entsprachen125. In jüngerer Zeit gerieten diese berufsrechtlichen Vorgaben jedoch zunehmend in die Kritik. Bemängelt wurden u.a. die mangelnden rechtsformübergreifenden gesellschaftsrechtlichen Strukturvorgaben sowie der Umstand, dass das Recht der anwaltlichen Berufsausübungsgemeinschaften nur unvollständig und inkohärent geregelt sei126. Nachdem das BVerfG die entsprechenden Vorgaben für verfassungswidrig erklärt hatte, soweit sie die interprofessionelle Zusammenarbeit beschränken (Rz. 32 ff.), sah sich der Gesetzgeber zu der umfassenden BRAO-Reform 2021127 veranlasst und hat die berufsrechtlichen Vorgaben für Rechtsanwälte mit dem Ziel der Schaffung eines kohärenten Gesellschaftsrechts in den §§ 59b bis 59q BRAO umfassend neu geregelt128. In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Regelungen zur interprofessionellen Zusammenarbeit grundlegend überarbeitet worden (Rz. 34) und die bislang noch geltenden gesellschaftsrechtlichen Mehrheitserfordernisse (§ 59e Abs. 2 Satz 1 BRAO a.F.) sowie das Mehrheitserfordernis für die Geschäftsführung (§ 59f Abs. 1 Satz 1 und 2 BRAO a.F.) entfallen. Ausreichend ist jetzt, dass ein Rechtsanwalt Gesellschafter129 und ein Rechtsanwalt vertretungsberechtigtes Organ (§ 59j Abs. 3 BRAO) ist. Berufsausübungsgesellschaften dürfen sich aber nur dann Rechtsanwalts-GmbH nennen, wenn die Mehrheit der Anteile und der Mitglieder des Geschäftsführungsorgans durch Rechtsanwälte gestellt wird (§ 59p BRAO). Die Geschäftsanteile müssen zwingend vinkuliert und die Übertragung an die Zustimmung der Gesellschafterversammlung gebunden sein (§ 59i Abs. 2 Satz 1 BRAO). Mehrstöckige Berufsausübungsgesellschaften sind nunmehr zulässig (vgl. § 59i Abs. 1 Satz 1 BRAO), etwa als GmbH & Co. KG (Rz. 24)130. Entsprechende Regelungen finden sich in der PAO sowie im StBerG131.

121 122 123 124 125 126 127 128 129 130 131

1996, 188 = GmbHR 1996, 922 = ZIP 1996, 1706; BayObLG v. 24.9.1998 – 3Z BR 58/98, GmbHR 1999, 483 = ZIP 1998, 1959; OLG Bamberg v. 1.2.1996 – 3 W 11/96, MDR 1996, 423; OLG Köln v. 12.5.1997 – 2 Wx 57/96, GmbHR 1997, 945 = NZG 1998, 230; LG Baden-Baden v. 13.5.1996 – 4 T 1/96, GmbHR 1996, 924; s. zuvor schon Henssler, JZ 1992, 697, 700 ff.; Ahlers in FS Rowedder, 1994, S. 1, 2, 7 ff. BayObLG v. 24.11.1994 – 3Z BR 115/94, BayObLGZ 1994, 353, 361 f. = NJW 1995, 199 = GmbHR 1995, 42 = ZIP 1994, 1868; OLG Köln v. 12.5.1997 – 2 Wx 57/96, NZG 1998, 230, 231 = GmbHR 1997, 945. BGBl. I 1998, 2600 und dazu Henssler, NJW 1999, 241. S. zu den Regelungen im Einzelnen Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20 ff.; Offermann-Burckart, AnwBl. 2015, 18. Dazu BGH v. 9.7.2001 – PatAnwZ 1/00, BGHZ 148, 270 = NJW 2002, 68. Römermann, NZG 2014, 481. BT-Drucks. 19/27670, S. 126. Gesetz zur Neuregelung des Berufsrechts der anwaltlichen und steuerberatenden Berufsausübungsgesellschaften sowie zur Änderung weiterer Vorschriften im Bereich der rechtsberatenden Berufe, BGBl. I 2021, 2363. S. weitergehend Henssler, NJW 2021, 2385; Kilian, NJW 2021, 2385; Stöber, DStR 2021, 2137; Markworth, ZRP 2021, 6; Dahns, NJW-Spezial 2021, 446; Günther/Günther, GRUR-Prax 2021, 191. BT-Drucks. 19/27670, S. 190. Schauer, NZG 2021, 473, 474. Vgl. § 52j Abs. 3, § 52o, § 52i Abs. 2 Satz 1, § 52i Abs. 1 Satz 1 PAO sowie § 55b Abs. 3, § 55g, § 55a Abs. 2 Satz 1, § 55a Abs. 1 Satz 1 StBerG.

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§ 1 Rz. 30 | Zweck; Gründerzahl ee) Notare 30 Im Hinblick auf Nur-Notare ist zu berücksichtigen, dass diese als unabhängige Träger eines

öffentlichen Amtes (§ 1 BNotO) die ihnen übertragenen notariellen Aufgaben kraft Gesetzes persönlich und eigenverantwortlich erbringen müssen (vgl. § 9 Abs. 3 BNotO). Das notarielle Auftragsverhältnis besteht unmittelbar zwischen dem Notar und seinem Auftraggeber. Für etwaige Berufsfehler haftet der Notar gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 BNotO ohne die Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung persönlich. Vor diesem Hintergrund ist die Ausübung der beruflichen notariellen Tätigkeit in einer GmbH mit den Regelungen der BNotO unvereinbar132. Möglich erscheint die Gründung einer GmbH durch Nur-Notare zur Zusammenfassung der persönlichen und sachlichen Hilfsmittel (Mietverträge, Personal etc.) unter der Voraussetzung, dass jeder Notar die Möglichkeit der Inanspruchnahme der Hilfsmittel zur persönlichen und eigenverantwortlichen Ausübung seiner notariellen Tätigkeit hat133. 31 Für Anwaltsnotare hat der Gesetzgeber die Regelungen, die bislang in den § 59e Abs. 1

Satz 3, § 59a Abs. 1 Satz 3 BRAO zu finden waren, aufgehoben und die Vorgaben im Hinblick auf die beruflichen Zusammenschlüsse einheitlich in § 9 Abs. 2 BNotO n.F. geregelt134. Danach können sich Anwaltsnotare nunmehr ebenso wie Nur-Notare (Rz. 30) im Hinblick auf ihre notarielle Tätigkeit zusammenschließen135. Hiervon zu unterscheiden ist die Verbindung der Anwaltsnotare im Hinblick auf ihre rechtsanwaltliche Tätigkeit. Diesbezüglich können sie sich in einer GmbH verbinden136. Allerdings sind die Möglichkeiten des Zusammenschlusses auch insoweit zum Schutz der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Notaramtes auf die in § 9 Abs. 2 Satz 1 BNotO n.F. genannten Berufsgruppen und damit gegenüber § 59c BRAO n.F. stark beschränkt137. Die Verbindung darf sich nicht zugleich auf die notarielle Tätigkeit erstrecken und ist von dieser zu trennen (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BNotO n.F.). Anwalts- und Notarverbindungen sind daher nicht als „Mischgesellschaften“ zulässig138. Ob die aus der Notartätigkeit stammenden Gebühren in der Rechtsanwalts-GmbH vergemeinschaftet werden dürfen, war bislang umstritten139. Die Frage dürfte nunmehr angesichts § 9 Abs. 2 Satz 3 BNotO n.F. und dem in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers140 zu verneinen sein. Zulässig ist es jedoch, fiskalische notarielle Hilfsgeschäfte in die Rechtsanwalts-GmbH einzubeziehen141. ff) Interprofessionelle Zusammenarbeit 32 Das Berufsrecht der freien Berufe beschränkt bisweilen die interprofessionelle Zusammen-

arbeit zwischen den Angehörigen verschiedener (freier) Berufe. Die Ausübung des Berufs

132 Ebenso Görk in BeckOK BNotO, Stand: 1.8.2020, § 9 BNotO Rz. 4 f., 11; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29; Geißler, GmbHR 2021, 1023, 1025. 133 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 134 S. dazu und zum Folgenden auch BT-Drucks. 19/27670, S. 310 ff. 135 S. dazu BT-Drucks. 19/27670, S. 310, mit dem Hinweis, dass sich der Zusammenschluss dann als „Notargesellschaft“ bezeichnen darf; s. jedoch BGH v. 23.4.2018 – NotZ (Brfg) 6/17, NJW 2018, 567 zur unzulässigen Bezeichnung „Notariat“. 136 Görk in BeckOK BNotO, Stand: 1.8.2020, § 9 BNotO Rz. 31; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9. 137 S. BT-Drucks. 19/27670, S. 311. 138 BT-Drucks. 19/27670, S. 311. 139 Dafür OLG Celle v. 9.12.2009 – Not 12/09, BRAK-Mitt. 2010, 97 (bei entsprechender Beteiligung des Anwaltsnotars am Gewinn der GbR); Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28. A.A. OLG Celle v. 30.5.2007 – Not 5/07, NJW 2007, 2929; Görk in BeckOK BNotO, Stand: 1.8.2020, § 9 BNotO Rz. 63 ff. 140 BT-Drucks. 19/27670, S. 312. 141 BT-Drucks. 19/27670, S. 312.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 34 § 1

des Rechtsanwalts war bislang etwa gemäß § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO a.F. zusammen mit Patentanwälten, Steuerberatern, Steuerbevollmächtigten, Wirtschaftsprüfern und vereidigten Buchprüfern möglich. Andere freie Berufe, wie z.B. Ärzte, zählten bislang nicht zu dem Kreis derjenigen, mit denen Rechtsanwälte ihre berufliche Tätigkeit gemeinsam ausüben durften. Die vorgenannten Regelungen konnten einer verfassungsrechtlichen Prüfung nicht standhal- 33 ten. Das BVerfG hat in den § 59e Abs. 2 Satz 1, § 59f Abs. 1 Satz 1 und 2 BRAO a.F. und korrespondierenden Regelungen der PAO (§ 52e Abs. 2 Satz 1, § 52f Abs. 1 Satz 1 PAO a.F.) eine verfassungswidrige Einschränkung der interprofessionellen Zusammenarbeit zwischen Rechtsanwälten und Patentanwälten gesehen, soweit danach zugunsten einer der Berufsgruppen deren Anteils- und Stimmrechtsmehrheit sowie deren Leitungsmacht und Geschäftsführermehrheit vorgeschrieben und bei Missachtung die Zulassung als Rechtsanwaltsoder Patentanwaltsgesellschaft ausgeschlossen war142. Das BVerfG sah in den Zielen, die mit den entsprechenden Regelungen verfolgt werden (Schutz der beruflichen Unabhängigkeit, Sicherstellung der beruflichen Qualifikationsanforderungen, Verhinderung von Berufsrechtsverstößen) zwar legitime Zwecke. Die berufsrechtlichen Vorgaben seien zur Erreichung dieser Zwecke jedoch nicht erforderlich, weil dies bereits durch die allgemeinen berufsrechtlichen Pflichten der beteiligten Rechts- und Patentanwälte sichergestellt sei. In einem weiteren Beschluss hat das BVerfG in § 59a Abs. 1 Satz 1 BRAO einen Verstoß gegen Art. 12 Abs. 1 GG erblickt, soweit danach Rechtsanwälten eine gemeinsame Berufsausübung mit Ärzten oder Apothekern in einer PartG untersagt war143. Der Gesetzgeber hat nunmehr mit der BRAO-Reform 2021 die interprofessionelle Zusam- 34 menarbeit der Rechtsanwälte (§ 59c BRAO), Patentanwälte (§ 52c PAO) und Steuerberater (§ 50 StBerG) liberalisiert und sie auf alle freien Berufsgruppen ausgeweitet. Gewerbliche Berufe sind weiter nicht sozietätsfähig144. Für Anwaltsnotare hat der Gesetzgeber den Kreis der sozietätsfähigen Berufe angesichts der Besonderheiten dieser Berufsgruppe zu Recht nicht erweitert (§ 9 Abs. 2 BNotO n.F.)145. Für die Gestaltung des Gesellschaftsvertrages der Rechtsanwalts-GmbH ist zu beachten, dass der Ausschluss von Gesellschaftern vorzusehen ist, die in schwerwiegender Weise oder wiederholt gegen Pflichten, die in der BRAO oder in der Berufsordnung gemäß § 59a BRAO bestimmt sind, verstoßen (§ 59d Abs. 5 BRAO n.F.). Offen bleibt die Frage nach der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Verboten hinsichtlich auswärtiger Kapitalbeteiligungen an einer Freiberufler-GmbH zu Investitionszwecken (sog. Fremdbesitzverbot)146. Derartige Beteiligungen an Rechtsanwaltsgesellschaften bleiben jedenfalls auch nach der BRAO-Reform 2021 unzulässig147.

142 BVerfG v. 14.1.2014 – 1 BvR 2998/11, 1 BvR 236/12, NZG 2014, 258; s. dazu Römermann, NZG 2014, 481; Ost, DStR 2015, 442; Kment/Fechter, JA 2016, 881; s. zuvor BGH v. 10.10.2011 – AnwZ (BrfG) 1/10, GmbHR 2012, 94 = NZG 2012, 141; im Anschluss BGH v. 12.4.2016 – II ZB 7/11, NJW 2016, 2263. 143 BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvL 6/13, NJW 2016, 700; dazu Henssler/Trottmann, NZG 2017, 241, 242 f.; s. zuvor BGH v. 16.5.2013 – II ZB 7/11, NJW 2013, 2674; aus der Literatur früher etwa schon Römermann, AnwBl. 2009, 681, 684 ff. 144 Kilian, NJW 2021, 2385, 2387. 145 BT-Drucks. 19/27670, S. 132 f.; dazu auch Stöber, DStR 2021, 2137, 2141. 146 S. zu diesem Verbot für die Rechtsanwalts-GmbH Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34; Singer, AnwBl. 2010, 79, 82 ff.; nach Singer, DStR 2016, 991, 992 soll das Festhalten am Fremdbesitzverbot in Zukunft „schwer fallen“; kritisch auch Glindemann, AnwBl. 2014, 214, 220; s. auch Ost, DStR 2015, 442, 447. 147 BT-Drucks. 19/27670, S. 139; Kilian, NJW 2021, 2385; Dahns, NJW-Spezial 2021, 446; Grunewald, NJW 2021, 3696.

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§ 1 Rz. 35 | Zweck; Gründerzahl

3. Ideelle Zwecke 35 Eine GmbH kann nach § 1 auch zur Verfolgung ideeller, d.h. nichtwirtschaftlicher Zwecke

errichtet werden. Hervorzuheben sind gesellige, künstlerische, sportliche, politische, karitative oder wissenschaftliche Zwecke148. Weil der Gesellschafterwechsel bei der GmbH an die Form des § 15 gebunden ist149, erweist sich der eingetragene oder der nicht eingetragene Verein i.d.R. jedoch als die passendere Rechtsform für solche Betätigungen, die typischerweise auf einen großen Mitgliederkreis und häufigen Mitgliederwechsel bzw. Mitgliederbeitritt und -austritt angelegt sind150. 36 Verfolgt die Gesellschaft politische Zwecke, findet ergänzend das Vereinsgesetz vom

5.8.1964151 Anwendung (s. § 2 Abs. 1 und § 17 VereinsG)152. Dagegen bestehen seit Art. 137 Abs. 4 der Weimarer Reichsverfassung (i.V.m. Art. 140 GG) keine Beschränkungen mehr für die Verfolgung religiöser Zwecke in der Rechtsform einer GmbH. Jede „Kirche“ kann sich als GmbH organisieren.

IV. Unzulässige Zwecke 37 Eine GmbH kann gemäß § 1 nur zu einem gesetzlich zulässigen Zweck gegründet werden.

Für bestimmte Betätigungsfelder scheidet die GmbH aufgrund spezieller gesetzlicher Verbote als Rechtsform aus (Rz. 38 f.). Unzulässig sind entsprechend den allgemeinen Regeln verbotene oder sittenwidrige Zwecke (§§ 134, 138 BGB, Rz. 40 f.). Von der Gesetz- oder Sittenwidrigkeit des (ganzen) Zwecks ist der Fall zu unterscheiden, dass lediglich einzelne Bestimmungen der Satzung gesetz- oder sittenwidrig sind, weil sich dann die Nichtigkeit auf die fraglichen Bestimmungen beschränkt, während die Gültigkeit der Satzung im Übrigen nicht berührt wird153. Dies ist etwa der Fall, wenn der Gesellschaftsvertrag eine unzulässige Hinauskündigungsklausel enthält154 oder die Abfindungsregelung im Gesellschaftsvertrag für den Fall der Einziehung unangemessen niedrig vereinbart ist155. Ergänzende Vorschriften finden sich in den §§ 61, 62, 75 sowie in den §§ 395 ff. FamFG (s. im Einzelnen Rz. 45 ff.).

1. Rechtsformverbote 38 Private Bausparkassen dürfen nicht in der Rechtsform der GmbH betrieben werden und

müssen die Rechtsform der AG haben (§ 2 Abs. 2 Satz 1 BausparkG)156. Auch für Versicherungsgeschäfte steht die GmbH nicht zur Verfügung, da nach § 8 Abs. 2 VAG die Erlaubnis zum Betrieb des Versicherungsgeschäfts gegen Prämie nur Unternehmen in der Rechtsform 148 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26 und 28 mit rechtsvergleichenden Hinweisen. 149 Zur Rechtfertigung des Formerfordernisses für die Anteilsübertragung bei der GmbH OLG München v. 20.3.1996 – 7 U 5523/95, MittBayNot 1996, 385, 386 = GmbHR 1996, 607; Walz/Fembacher, NZG 2003, 1134, 1135. 150 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11. 151 BGBl. I 1964, 593. 152 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26. 153 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42. 154 S. zu diesen BGH v. 19.9.2005 – II ZR 173/04, GmbHR 2005, 1558; Miesen, RNotZ 2006, 522. 155 Dazu etwa BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, GmbHR 1992, 257; OLG München v. 5.10.2016 – 7 U 3036/15, DStR 2017, 113, 114 = GmbHR 2017, 40; Kersting in Noack/Servatius/Haas, § 34 Rz. 27 f. 156 Schäfer in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 5. Aufl. 2016, § 1 KWG Rz. 20; Ulmer/ Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 40 § 1

der AG, einschließlich der SE, und des VVaG erteilt werden darf157. Dasselbe gilt hinsichtlich Pensionskassen, auf die einzelne Vorschriften des VAG über Lebensversicherungsunternehmen Anwendung finden158. Auch das Rückversicherungsgeschäft darf seit der VAG-Novelle 2004159 nicht mehr in der Rechtsform der GmbH betrieben werden160. Rückversicherungsunternehmen sind gemäß § 7 Nr. 33 VAG Versicherungsunternehmen, so dass § 8 Abs. 2 VAG auf sie Anwendung findet. Für eine GmbH, die das Rückversicherungsgeschäft bereits vor dem 21.12.2004 betrieben hat, gilt Bestandsschutz nach Maßgabe von § 340 Abs. 1 VAG. Zu den Betätigungsbereichen, in denen die GmbH als juristische Person ausgeschlossen ist, 39 zählen auch der Betrieb einer Apotheke (§ 8 ApoG)161 und der Betrieb des Versteigerungsgewerbes (§ 34b Abs. 5 Satz 1 GewO)162. Sachliche Gründe für diese Diskriminierungen von Kapitalgesellschaften sind nicht erkennbar, so dass erhebliche Bedenken gegen die Wirksamkeit der fraglichen Bestimmungen bestehen (Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG). Verfassungsrechtlich gebilligt wurde, dass die Übernahme einer Insolvenzverwaltung gemäß § 56 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht durch eine GmbH erfolgen darf163.

2. Gesetzesverstoß Die Gesellschafter dürfen den Gesellschaftszweck nicht in einer Weise vereinbaren, die gegen 40 ein gesetzliches Verbot verstößt (§ 134 BGB)164. Gesetz in diesem Sinne ist jede Rechtsnorm gleich welchen Ranges, von den Satzungen der Gemeinden bis zur Verfassung und den Bestimmungen des Unionsrechts und zwar unabhängig davon, ob das Verbot allgemeinen Interessen oder dem Schutz einzelner Personen dient165. Beispiele sind der Eingriff in staatliche Monopolrechte166 oder die Organisation des verbotenen Glücksspiels oder des Schmuggels167. Wird die GmbH zum Zwecke der Steuerumgehung gegründet, ist zu differenzieren: Unzulässigkeit gemäß § 134 BGB liegt vor, wenn eine Steuerhinterziehung der eigentliche Zweck der Gesellschaft ist168. Anders verhält es sich, wenn lediglich eine steuerliche Gestaltung, die mit

157 S. zum verbleibenden Tätigkeitsbereich der GmbH im Versicherungswesen Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 158 Vgl. Leisbrock in Münchener Anwaltshandbuch ArbR, 5. Aufl. 2021, § 36 Rz. 151; Eichenhofer in MünchKomm. BGB, § 45 VersAusglG Rz. 23. 159 BGBl. I 2004, 3416. 160 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 161 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Altmeppen, Rz. 18; Schiedermair, PharmaZ 1983, 286. 162 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; SchmidtLeithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11. 163 BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, NJW 2016, 930; zustimmend Mitlehner, NZI 2016, 248; s. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Altmeppen, Rz. 12; kritisch Piekenbrock/Bluhm, NJW 2016, 930, 935; Römermann, GmbHR 2013, 1249; s. auch AG Mannheim v. 14.12.2015 – 804 AR 163/15, ZIP 2016, 132 zur Aufnahme einer spanischen Sociedad Limitada Profesional (SLP) in die Vorauswahlliste aufgrund der Vorgaben der europäischen Dienstleistungsrichtlinie, RL 2006/123/EG v. 12.12.2006, ABl. EU Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 36. 164 S. etwa BayObLG v. 27.3.1972 – BReg 2 Z 60/70, BayObLGZ 1972, 126, 128 f. (für den Fall der Satzungsänderung). 165 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15. 166 Vgl. für das (inzwischen aufgehobene) Zündwarenmonopol BayObLG v. 27.3.1972 – BReg 2 Z 60/70, BayObLGZ 1972, 126, 129 ff.; für das (frühere) Arbeitsvermittlungsmonopol des Bundes BayObLG v. 22.12.1970 – 9 Ws (B) 19/70, BayObLGSt. 1970, 261 = NJW 1971, 528. 167 Vgl. RG v. 30.9.1919 – III 106/19, RGZ 96, 282 f. 168 Altmeppen, Rz. 17.

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§ 1 Rz. 40 | Zweck; Gründerzahl der Rechtsform der GmbH verfolgt wird, gemäß § 42 Satz 1 AO nicht anerkannt wird169. Ein in der Praxis nicht selten zu beobachtender Fall ist die Gründung einer GmbH durch einen Ausländer ohne Aufenthaltserlaubnis. In diesem Fall ist umstritten, ob der Zweck unzulässig ist (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 47). Ein unzulässiger Zweck liegt jedenfalls nicht vor, wenn die Gesellschaft der staatlichen Genehmigung bedarf und diese nicht vorliegt (Rz. 10)170.

3. Sittenverstoß 41 Ein Verstoß gegen § 138 BGB liegt vor, wenn der von der Gesellschaft nach dem Willen der

Gesellschafter verfolgte Zweck gegen die guten Sitten verstößt. Beispiele sind Gesellschaften, die zum Betrieb wucherischer Geschäfte oder zur Organisation eines systematischen Austauschs von Finanzwechseln gegründet worden sind171. Der Betrieb eines Bordells stellt als solcher nach den geänderten Moralanschauungen sowie der in § 1 ProstG zum Ausdruck kommenden Wertentscheidung des Gesetzgebers keinen sittenwidrigen Zweck (mehr) dar172.

4. Rechtsfolgen vor Eintragung 42 Bei Verfolgung eines unzulässigen Zwecks ist der Gesellschaftsvertrag insgesamt nichtig

(§§ 134, 138 BGB)173. Das kann bis zur Entstehung der GmbH durch Eintragung im Handelsregister von jedermann geltend gemacht werden174. Eine Ausnahme kommt nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft zwar grundsätzlich in Betracht, wenn die Vorgesellschaft bereits in Vollzug gesetzt ist. Handelt es sich um einen Gesetzes- oder groben Sittenverstoß, verhelfen allerdings auch die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft nicht zur Überwindung der Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages175. 43 Das Registergericht muss die Zulässigkeit des Zwecks prüfen. Gegenstand der Prüfung ist der

wirkliche, nicht ein etwaiger nur vorgeschobener Gesellschaftszweck176. Bei Zweifeln kann 169 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14. 170 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40; Altmeppen, Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 19; im Grundsatz auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15, der aber Unzulässigkeit annimmt, wenn die Erlaubnis oder Genehmigung endgültig versagt oder nicht bzw. nicht mehr angestrebt wird. 171 BGH v. 28.4.1958 – II ZR 197/57, BGHZ 27, 172, 176 ff. = NJW 1958, 989. 172 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16 („i.d.R“); ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; s. jedoch noch BGH v. 20.5.1964 – VIII ZR 56/63, BGHZ 41, 341 = NJW 1964, 1791. 173 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 45; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Altmeppen, Rz. 20; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 26; einschränkend Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39 (nur im Regelfall Gesamtnichtigkeit). 174 S. BayObLG v. 27.3.1972 – BReg 2 Z 60/70, BayObLGZ 1972, 126, 129 zur Satzungsänderung; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 45; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17. 175 BGH v. 12.5.1954 – II ZR 167/53, BGHZ 13, 320, 322 f. = NJW 1954, 1562; Servatius in Noack/ Servatius/Haas,Rz. 17, § 2 Rz. 39; Karsten Schmidt, GesR, § 6 III 3 a (S. 149 f.); s. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 45; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58; Bartels/Wagner, ZGR 2013, 482, 484; a.A. C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 26; C. Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 BGB Rz. 345. 176 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Freitag in MünchHdb. III, § 4 Rz. 2; s. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38. Die Marleasing-Entscheidung des EuGH v. 13.11.1990 – Rs. C 106/89, Slg. 1990, I-4135 = DB 1991, 157 steht der vorbeugenden Registerkontrolle anhand des wirklichen Zwecks nicht entgegen, vgl. zum Aktienrecht auch Hüffer/Koch, § 275 AktG Rz. 17 zur vorbeugenden Kontrolle des Unternehmens-

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das Gericht Ermittlungen nach dem wahren Zweck anstellen, dies jedoch nur, wenn sich Anhaltspunkte für dessen Verschleierung ergeben (§ 26 FamFG). Stellt es die Unzulässigkeit des Gesellschaftszwecks fest, hat das Gericht die Eintragung der GmbH abzulehnen177. Dies folgt aus § 9c Abs. 1 Satz 1. Da im Falle der Unzulässigkeit des Gesellschaftszwecks wegen Verstoßes gegen die §§ 134, 138 BGB der gesamte Gesellschaftsvertrag nichtig ist, steht die nur eingeschränkte Prüfungskompetenz des Gerichts der Ablehnung gemäß § 9c Abs. 2 Nr. 3 nicht entgegen178. Die Abgrenzung zwischen dem Gesellschaftszweck und dem Unternehmensgegenstand (Rz. 3 ff.) spielt hinsichtlich der gerichtlichen Prüfungskompetenz keine Rolle, weil das Gericht auch bei Unzulässigkeit (nur) des Unternehmensgegenstandes die Eintragung ablehnen muss (vgl. § 9c Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 2)179.

5. Rechtsfolgen nach Eintragung Wird die Gesellschaft trotz Unzulässigkeit ihres Gesellschaftszwecks im Handelsregister ein- 44 getragen, ist die Gesellschaft entstanden180. Allerdings kann der Mangel auch nach Eintragung der GmbH geltend gemacht werden. Eine automatische Heilung (Rz. 48) tritt nicht ein181. In welcher Weise die Geltendmachung der Unzulässigkeit zu erfolgen hat, hängt nach der 45 Eintragung der Gesellschaft davon ab, ob die Unzulässigkeit den Gesellschaftszweck, den Unternehmensgegenstand oder beides betrifft. Betrifft der Mangel nur den Gesellschaftszweck, kann jeder Gesellschafter Auflösungsklage gemäß § 61 erheben182 oder auf der Grundlage des gewohnheitsrechtlich anerkannten Austrittsrechts aus wichtigem Grund aus der Gesellschaft ausscheiden183. Das Austrittsrecht soll allerdings nur dann zur Verfügung stehen, wenn der Gesellschafter das Quorum des § 61 Abs. 2 Satz 2 für die Auflösungsklage nicht erreicht184. Richtigerweise besteht es neben der Auflösungsklage, weil das Austrittsrecht für den Gesellschafter das einfachere und schnellere Mittel sein kann, um sich von der Gesellschaft und ihren gesetz- oder sittenwidrigen Zwecken loszusagen185. Im Fall der Gefährdung des Gemein-

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180 181 182 183 184 185

gegenstandes; s. allgemein zur Interpretation der Marleasing-Entscheidung Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 22. BayObLG v. 27.3.1972 – BReg 2 Z 60/70, BayObLGZ 1972, 126, 128 f.; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 46; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 45; Altmeppen, Rz. 20; Wünsch, GesRZ 1982, 155, 156. S. auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17. OLG Düsseldorf v. 6.10.2006 – 3 Wx 107/06, NZG 2007, 190, 191; OLG München v. 3.2.2015 – 31 Wx 12/14, GmbHR 2015, 318 = NZG 2015, 401; das Ergebnis lässt sich auch über § 9c Abs. 2 Nr. 3 gewinnen, wenn man den Gesellschaftsvertrag bei Nichtigkeit des Unternehmensgegenstandes für insgesamt nichtig hält, s. dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; C. Schäfer in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 26. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 28; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 27. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 27. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 29; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47. So wohl auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19. S. allgemein zum Verhältnis von Austrittsrecht und Auflösungsklage Limpert in MünchKomm. GmbHG, § 61 Rz. 12 ff.; Gesell in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 61 Rz. 3. Allgemein zum Austrittsrecht des GmbH-Gesellschafters Kersting in Noack/Servatius/Haas, Anh. § 34 Rz. 18 ff.

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§ 1 Rz. 45 | Zweck; Gründerzahl wohls kann eine Auflösung nach § 62 in Betracht kommen186. Betrifft der Mangel nur den Unternehmensgegenstand, kann die Nichtigkeitsklage gemäß § 75 erhoben werden, die zur Auflösung der Gesellschaft führt187. Außerdem kommt eine Amtslöschung gemäß § 397 Satz 2 FamFG in Betracht188. An dieser Stelle zeigt sich, dass die Frage nach der Abgrenzung von Gesellschaftszweck und Unternehmensgegenstand bedeutsam ist (Rz. 3 ff.)189. Nach der hier vertretenen Auffassung obliegt es der Autonomie der Gesellschafter, ob sie den Gesellschaftszweck als bloß übergeordnetes Verbandsziel zum Ausdruck bringen oder den Unternehmensgegenstand bzw. einzelne seiner Teile zum Bestandteil des Gesellschaftszwecks machen. Soweit sich nach der Vereinbarung der Gesellschafter der Gesellschaftszweck und der Unternehmensgegenstand überschneiden, gelten die vorstehenden Regelungen nebeneinander. 46 Besonderheiten gelten, wenn ein Gesetzes- oder Sittenverstoß erst nachträglich im Wege

der Änderung des Gesellschaftsvertrages begründet wird. Ein derartiger satzungsändernder Beschluss ist nichtig. Dies folgt aus einer Analogie zu § 241 Nr. 3 AktG190. Der nichtige Beschluss darf vom Registergericht nicht eingetragen werden (§ 54)191. Geschieht dies dennoch, ist zu unterscheiden, ob der Beschluss einen nichtigen Gesellschaftszweck oder einen nichtigen Unternehmensgegenstand zum Inhalt hat. Handelt es sich um einen nichtigen Unternehmensgegenstand, ist Raum für die Anwendung des § 75; zugleich kommt eine Amtslöschung nach § 397 Satz 2 FamFG oder in Ausnahmefällen die Löschung des Beschlusses nach § 398 FamFG in Betracht192. Bei Nichtigkeit allein des Gesellschaftszwecks ist dagegen nur Raum für die Anwendung der § 61 und gegebenenfalls § 62193 sowie für das Austrittsrecht aus wichtigem Grund. 47 Von der nachträglichen Beschlussfassung zur Einführung eines neuen Gesellschaftszwecks

zu unterscheiden ist der Fall, dass die Gesellschaft auf Veranlassung der Gesellschafter lediglich tatsächlich (im Wege der faktischen Satzungsänderung) einen unzulässigen Zweck verfolgt. Dies ist der Fall, wenn die Gesellschafter die GmbH ursprünglich zu einem zulässigen Zweck gründen, die Gesellschaft später jedoch ohne ausdrückliche Satzungsänderung zur Verfolgung eines unzulässigen Zwecks übergeht194. Dies führt mangels rechtsgeschäftlichen Charakters nicht zur Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages gemäß § 134 BGB195, noch begründet dieser Vorgang einen Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75196. In Betracht kommt die Erhebung der Auflösungsklage (§ 61) oder das Austrittsrecht aus wichtigem Grund und, bei Schädigung des

186 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17. 187 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17. 188 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17. 189 Kritisch hinsichtlich der gesetzlichen Differenzierung Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19. 190 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18. A.A. noch Emmerich, 11. Aufl., Rz. 23 sowie Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61: §§ 134, 138 BGB. 191 BayObLG v. 27.3.1972 – BReg 2 Z 60/70, BayObLGZ 1972, 126, 129. 192 C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 28; zur Anwendbarkeit von § 398 FamFG neben § 397 FamFG Heinemann in Keidel, § 398 FamFG Rz. 6. 193 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 60 f. 194 S. das Beispiel bei Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21: Übergang von der Au Pair Vermittlung zum Mädchenhandel. 195 Vgl. Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 240. 196 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 48 § 1

Gemeinwohls, die Auflösung nach § 62197. Ob § 75 im Fall der faktischen Änderung (nur) des Unternehmensgegenstandes gilt, ist umstritten198.

6. Heilung Die Gesellschafter können an die Stelle des unzulässigen Zwecks einen zulässigen Zweck set- 48 zen und den Mangel des Gesellschaftsvertrags heilen199. Hierzu erforderlich ist ein einstimmiger (§ 33 Abs. 1 Satz 2 BGB) Gesellschafterbeschluss, der entsprechend § 53 Abs. 2 Satz 1 notariell zu beurkunden ist. Eine formelle Satzungsänderung samt Anmeldung und Eintragung in das Handelsregister (§ 54) ist nur dann erforderlich, wenn der Gesellschaftszweck ausdrücklich in der Satzung festgelegt ist (s. dazu Rz. 6)200. Betrifft der Nichtigkeitsgrund dagegen den Unternehmensgegenstand, ist § 76 zu beachten. Danach kann ein Mangel, der die Bestimmung über den Gegenstand des Unternehmens betrifft, (nur) mit Zustimmung aller Gesellschafter201 geheilt werden. Das Gesetz weicht damit von § 53 Abs. 2 Satz 1, der für bloße Änderungen des Unternehmensgegenstandes eine satzungsändernde Mehrheit ausreichen lässt, sowie von der Rechtslage im Aktienrecht (§ 276 AktG) ab. Verfolgt die Gesellschaft dagegen im Wege einer faktischen Satzungsänderung einen unzulässigen Zweck, stellt sich die Frage nach der Heilung durch Rechtsgeschäft nicht. Stellt die Gesellschaft in diesem Fall die Verfolgung des unzulässigen Gesellschaftszwecks ein und kehrt sie zu dem ursprünglich vereinbarten zulässigen Zweck zurück, entfallen grundsätzlich die Möglichkeiten zur Auflösung der Gesellschaft oder zum Austritt aus wichtigem Grund (Rz. 47).

V. Einpersonen-GmbH Schrifttum: Albach, Die Einmanngründung der GmbH, 1986; Dürr, Die nach- bzw. nicht-bevollmächtigte Einpersonen-Gründung einer GmbH. Zur Frage der Anwendbarkeit des § 180 S. 1 BGB auf Vertreter-Gründungen, GmbHR 2008, 408; Grooterhorst, Gründungsmängel und ihre Folgen bei der Einmann-GmbH, NZG 2007, 605; Hasselmann, Die vollmachtlose Gründung einer Einpersonen-GmbH, ZIP 2012, 1947; Heil, Die Rechtsnatur der Einpersonen-Vor-GmbH, 2007; John, Die Gründung der Einmann-GmbH, 1986; Merkt, Die Einpersonen-Vor-GmbH im Spiegel der rechtswissenschaftlichen Diskussion, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1161; Petersen, Die Fehlgeschlagene Einmanngründung – liquidationsloses Erlöschen oder Fiktion des Fortbestandes, NZG 2004, 400; Karsten Schmidt, Einmanngründung und Einmannvorgesellschaft, ZHR 145 (1981), 540; Steding, Die gesellschafterlose GmbH – eine rechtlich zulässige Unternehmensvariante?, NZG 2003, 57; Stenzel, Vollmachtsmängel bei der GmbHGründung, GmbHR 2015, 567.

197 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 29; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 60; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Winkler, NJW 1970, 449. A.A. Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 240 f.: Anwendung von § 75 und § 144 FGG (heute: §§ 397, 398 FamFG). 198 S. 12. Aufl., § 75 Rz. 21 und Haas in Noack/Servatius/Haas, § 75 Rz. 16 m.w.N. 199 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 31; s. auch Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49, allerdings in Analogie zu § 76; kritisch dazu Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 50 Fn. 121. 200 Grundsätzlich für das Erfordernis einer formellen Satzungsänderung Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 50; anders Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23 und Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49, die jeweils davon ausgehen, dass im Zusammenhang mit der Heilung eine Satzungsänderung herbeigeführt werden „kann“. 201 So die h.M., s. etwa Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 76 Rz. 2. A.A. Karsten Schmidt in FS Kollhosser II, 2004, S. 679, 694 f.: Beschluss mit satzungsändernder Mehrheit ausreichend.

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§ 1 Rz. 49 | Zweck; Gründerzahl

1. Überblick, Geschichte 49 Die Zulässigkeit der Einpersonen-GmbH ist seit langer Zeit anerkannt202. Es besteht ein gro-

ßes praktisches Bedürfnis, Gesellschaften entweder von Beginn an mit nur einem Gesellschafter zu errichten (z.B. als Tochtergesellschaft innerhalb eines Konzerns) oder nachträglich sämtliche Geschäftsanteile in der Hand eines Gesellschafters zu bündeln (z.B. im Fall des Erwerbs der Minderheitsbeteiligung durch den Mehrheitsgesellschafter). Nicht zuletzt wegen dieser praktischen Notwendigkeiten werden früher noch feststellbare Bedenken gegen die Einpersonen-GmbH203 heute nicht mehr geäußert204. Auch der Gesetzgeber hat die Zulässigkeit der Einpersonen-GmbH in § 1 ausdrücklich anerkannt, indem er formuliert, dass eine GmbH durch „eine oder mehrere Personen“ errichtet werden kann. Diese Regelung ist allerdings erst durch die GmbH-Novelle von 1980 in das GmbHG aufgenommen worden. Zuvor verlangte das Gesetz für die Errichtung der GmbH das Vorhandensein von mindestens zwei Personen, weil nach früherem Verständnis der Abschluss eines Gesellschaftsvertrages in Ermangelung einer anderslautenden Regelung innerhalb des GmbHG durch nur eine Person nicht möglich war. Dies führte dazu, dass eine Einpersonen-GmbH nur über den Umweg einer sog. Strohmanngründung errichtet werden konnte205. Der Gründer musste sich mit einer weiteren Person, die die Geschäftsanteile treuhänderisch für den Gründer übernahm, zur Errichtung einer Zweipersonen-GmbH zusammenschließen. Nach der Errichtung der GmbH trat der Treuhänder die von ihm übernommenen Geschäftsanteile an den Gründer ab, wobei die Abtretung i.d.R. bereits direkt im Anschluss an die Beurkundung des Gesellschaftsvertrages aufschiebend bedingt auf die Eintragung der GmbH in das Handelsregister erfolgte. Die Notwendigkeit einer solch umständlichen und zusätzliche Kosten (§ 15 Abs. 3) auslösenden Strohmanngründung ist seit der GmbH-Novelle von 1980 entfallen mit der Folge, dass sie als Mittel zur Errichtung einer Einpersonen-GmbH praktisch nicht mehr zu beobachten ist. Bedeutung hat hingegen die Errichtung der EinpersonenGmbH im Wege der Umwandlung nach Maßgabe des UmwG, d.h. durch Formwechsel (§§ 190 ff. UmwG), durch Verschmelzung im Wege der Neugründung (§§ 2, 56 ff. UmwG) und durch (Auf-)Spaltung oder Ausgliederung zur Neugründung (§ 152, §§ 158 ff., § 123 Abs. 1 bis 3 jeweils Nr. 2, § 135, §§ 138 ff. UmwG). Der Vorteil dieser Errichtungsform liegt in dem Prinzip der Gesamtrechtsnachfolge, das zur Übertragung des Vermögens auf die GmbH nutzbar gemacht werden kann. Auch das Unionsrecht verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Einpersonen-GmbH anzuerkennen206. 50 Die Einpersonen-GmbH lässt sich verstehen als eine GmbH, bei der sämtliche Geschäfts-

anteile in der Person eines Gesellschafters vereinigt sind und daneben allenfalls der GmbH selbst eigene Geschäftsanteile zustehen207. Obwohl bei Vorliegen eigener Geschäftsanteile der GmbH formal betrachtet zwei Gesellschafter vorhanden sind, handelt es sich auch dann nicht um eine Mehrpersonen-GmbH (vgl. § 35 Abs. 3 Satz 1, § 48 Abs. 3)208. Die Einper202 BGH v. 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378 = NJW 1957, 19; BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/ 57, BGHZ 31, 258, 271 = NJW 1960, 285; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 51. 203 S. etwa Berg, NJW 1974, 933, 935: „Krebsübel unseres Wirtschaftslebens“; Meyer-Cording, JZ 1978, 10. 204 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 65. 205 S. BGH v. 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 384 = NJW 1957, 19, 20; BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 271 = NJW 1960, 285; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Flume, DB 1980, 1781. 206 S. Art. 2 Abs. 1 der Zwölften gesellschaftsrechtlichen Richtlinie 89/667/EWG vom 21.12.1989: „Die Gesellschaft kann bei ihrer Errichtung sowie infolge der Vereinigung aller Gesellschaftsanteile in einer einzigen Hand einen einzigen Gesellschafter haben (Einpersonengesellschaft).“ 207 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 49; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 30. 208 Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 47.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 53 § 1

sonen-GmbH ist abzugrenzen von der sog. Keinpersonen-GmbH209. Bei dieser werden sämtliche Geschäftsanteile von der Gesellschaft selbst gehalten oder es bestehen überhaupt keine Geschäftsanteile. Eine Keinpersonen-GmbH kann nicht im Wege der Gründung210, sondern allenfalls nachträglich entstehen, etwa durch den Erwerb sämtlicher Geschäftsanteile durch die GmbH im Wege der Abtretung. Nach h.M. kann sie jedenfalls nicht dauerhaft existieren211. Das bereits angesprochene praktische Bedürfnis für die Verwendung einer Einpersonen- 51 GmbH zeigt sich in einer großen Zahl eingetragener Einpersonengesellschaften. Rechtstatsächliche Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass derzeit ca. 60 % aller eingetragenen GmbH nur einen Gesellschafter haben212. Dabei zeigt sich ein überaus vielfältiger Einsatzbereich213. Die Einpersonen-GmbH ist als Konzernbaustein verbreitet, stellt für den Einzelunternehmer, insbesondere im mittelständischen Bereich, eine Gesellschaftsform zur Erzielung der Haftungsbeschränkung dar und fungiert als Komplementärin bei der GmbH & Co. KG. Die Einpersonengesellschaft kann sich als ein Instrument zur erleichterten Veräußerung von Unternehmen oder sonstigem Vermögen anbieten, weil die Übertragung der Geschäftsanteile (share deal) einfacher, günstiger und steuerlich attraktiver als die Veräußerung der Vermögensgegenstände (asset deal) sein kann. Wird eine GmbH & Co. KG in der Variante der sog. Einheitsgesellschaft214 gegründet, hat die GmbH ebenfalls nur einen Gesellschafter (die KG). Auch als Vehikel zur Beteiligung an anderen Gesellschaften findet sie häufigen Einsatz, z.B. im Startup-Bereich (dort mitunter in der Rechtsformvariante der UG (haftungsbeschränkt)). In der Zulässigkeit der Einpersonengesellschaft zeigt sich im Wettbewerb der Gesellschaftsformen ein wesentlicher Vorteil der GmbH gegenüber den Personengesellschaften, die nach ganz h.M. mit nur einem Gesellschafter nicht existieren können215. Dem GmbHG ist ein gewisses Misstrauen gegenüber der Einpersonen-GmbH zu entneh- 52 men. Der Gesetzgeber hat mit der GmbH-Novelle von 1980 Sonderregelungen für die Einpersonen-GmbH in das GmbHG aufgenommen, insbesondere zur Sicherung der Kapitalaufbringung, die mit dem MoMiG zum Teil wieder entfallen sind (s. 11. Aufl., Rz. 27 ff.). Übrig gebliebenes Sonderrecht der Einpersonen-GmbH ist die Dokumentationspflicht für Beschlüsse (§ 48 Abs. 3) sowie für Geschäfte zwischen der Gesellschaft und ihrem Gesellschafter (§ 35 Abs. 3 Satz 2). Außerdem besteht auch bei der Einpersonen-GmbH kraft gesetzlicher Anordnung die Notwendigkeit, den Alleingesellschafter-Geschäftsführer für Rechtsgeschäfte mit „seiner“ Gesellschaft von den Beschränkungen des § 181 BGB zu befreien (§ 35 Abs. 3 Satz 1). Auf europäischer Ebene stand zwischenzeitlich eine weitere Deregulierung des Rechts der 53 Einpersonengesellschaft zur Debatte. Der Entwurf einer Richtlinie „über Gesellschaften mit

209 Teilweise auch Keinmann-GmbH genannt, s. etwa 13. Aufl., § 13 Rz. 13 oder auch C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 32. 210 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 40; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 32; Steding, NZG 2003, 57, 59. 211 S. zum Meinungsstand Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 84 f.; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 41. 212 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2014, 12, 13; s. auch Wedemann, Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften, 2013, S. 13; s. allgemein zur Zahl der vorhandenen GmbH Kornblum, GmbHR 2017, 739; Kornblum, GmbHR 2020, 677, 678, 686. 213 S. dazu Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 66; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 52. 214 S. zur GmbH & Co. KG in der Variante der Einheitsgesellschaft Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86, 93. 215 Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, § 105 HGB Rz. 25 (zu möglichen Ausnahmen); Bartels/ Wagner, ZGR 2013, 482, 484; Fett/Brand, NZG 1999, 45; dies gilt weiterhin auch nach Inkrafttreten des MoPeG, s. Fleischer, DStR 2021, 430, 433.

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§ 1 Rz. 53 | Zweck; Gründerzahl beschränkter Haftung mit einem einzigen Gesellschafter“216 sah die Einführung einer sog. Societas Unius Personae (SUP) vor. Die Europäische Kommission hat sodann jedoch nach vielfältiger Kritik217 in Abkehr von diesem Entwurf die Digitalisierung im Gesellschaftsrecht durch die Verabschiedung der Digitalisierungsrichtline vorangetrieben218.

2. Gründung 54 Die Einpersonengründung ist nach dem Wortlaut des § 1 durch jede „Person“ möglich. Da

das Gesetz in § 1 hinsichtlich der Gründer nicht zwischen der Einpersonen-GmbH und der GmbH mit mehr als einem Gesellschafter unterscheidet, kann die Einpersonen-GmbH nach heutigem Verständnis von jeder Person gegründet werden, die auch Mitgründer einer Mehrpersonengesellschaft sein kann. In Betracht kommen nicht nur natürliche und juristische Personen, sondern auch die rechtsfähigen Personengesellschaften, einschließlich der BGBAußengesellschaft (künftig: eGbR, s. 13. Aufl., § 2 Rz. 63a)219, sowie der nichtrechtsfähige Verein (künftig: Verein ohne Rechtspersönlichkeit, s. 13. Aufl., § 2 Rz. 64)220. Aber auch die Erbengemeinschaft und die eheliche Gütergemeinschaft können entgegen einer früher häufig vertretenen Auffassung221 eine Einpersonen-GmbH gründen222. Sie können als solche in Ermangelung ihrer Rechtsfähigkeit zwar nicht selbst Träger von Rechten und Pflichten sein. Erfolgt die Gründung durch eine Erbengemeinschaft oder durch eine eheliche Gütergemeinschaft, werden die Geschäftsanteile jedoch nicht jeweils von verschiedenen Gesellschaftern, sondern alle Geschäftsanteile werden von den Gesamthändern in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit gehalten, so dass es sich begrifflich um einen Fall der Einpersonengründung handelt. Auch die Vor-GmbH, die Einpersonen-GmbH und die Einpersonen-Vor-GmbH223 sind taugliche Gründer der Einpersonengesellschaften. Im Übrigen kann auf die Ausführungen 13. Aufl., § 2 Rz. 46 ff. verwiesen werden. 55 Auf die Erklärung des Einpersonengründers sind die §§ 2 ff. anzuwenden. Eine Besonder-

heit liegt darin, dass die Erklärung als einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung (s. Rz. 60) nach h.M. gemäß § 180 Satz 1 BGB nicht von einem Vertreter ohne Vertretungsmacht abgegeben werden kann224. Hierfür wird angeführt, dass die Errichtung einer juristi216 Vgl. Europäische Kommission COM (2014) 212 final vom 9.4.2014. 217 Kritisch u.a. Ries, NZG 2014, 569; Kindler, ZHR 179 (2015), 330, 339 ff.; Eickelberg, NZG 2015, 81; zustimmend hingegen Teichmann, NJW 2014, 3561, 3563. 218 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (ABl. EU Nr. L 186 v. 11.7.2019, S. 80). 219 Karsten Schmidt, BB 1983, 1697, 1699 f. 220 S. zur Rechtsfähigkeit des nichtrechtsfähigen Vereins, wenn dieser am Rechtsverkehr teilnimmt Ellenberger in Grüneberg, § 54 BGB Rz. 2, 7; Arnold in MünchKomm. BGB, § 54 BGB Rz. 18 ff.; offen gelassen von BGH v. 21.1.2016 – V ZB 19/15, MittBayNot 2016, 405. 221 Auch heute noch a.A. für den Fall der Erbengemeinschaft Bayer in Erman, 16. Aufl. 2020, § 2032 BGB Rz. 5; Werner in Staudinger, 2002, § 2032 BGB Rz. 23; anders jetzt Löhnig in Staudinger, 2016, § 2032 BGB Rz. 31; zweifelnd auch Karsten Schmidt, GesR, § 34 II 1 (S. 1000). 222 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 96; Altmeppen, Rz. 35; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 49; Roth, FamRZ 1984, 328, 329. 223 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 97; U. John, BB 1985, 626, 627; anders LG Mosbach v. 28.6.1984 – KfH T 1/84, BB 1984, 1963; s. zum Problem der Kaskaden-Gründung Priester, DStR 2016, 1555. 224 LG Berlin v. 15.8.1995 – 98 T 34/95, GmbHR 1996, 123; KG v. 14.12.2011 – 25 W 48/11, GmbHR 2012, 569; OLG Stuttgart v. 3.2.2015 – 8 W 49/15, MittBayNot 2016, 168 = GmbHR 2015, 487, dazu Cramer, EWiR 2015, 603; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 104; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 34; s. zur gesamten Thematik auch Grooterhorst, NZG 2007, 605, 610; Dürr, GmbHR 2008, 408; Hasselmann, ZIP 2012, 1947; Tonikidis, MittBayNot 2014, 514,

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 56 § 1

schen Person aus Sicht des Rechtsverkehrs ein wichtiger Vorgang sei, über dessen Wirksamkeit sogleich Klarheit herrschen müsse. Der Gründungsvorgang und damit die Handlungsfähigkeit der Vor-GmbH, die Handelndenhaftung nach § 11 Abs. 2 und die Vorbelastungshaftung des Alleingesellschafters dürften zur Gewährleistung der Sicherheit des Rechtsverkehrs nicht in der Schwebe gehalten werden225. Die von einem falsus procurator abgegebene Erklärung ist damit auf der Grundlage der h.M. unheilbar nichtig. Stellt sich der Fehler erst nach der Beurkundung der nichtigen Gründungserklärung heraus, muss das Errichtungsgeschäft neu vorgenommen werden (vgl. § 141 Abs. 1 BGB). Dies gilt auch dann, wenn der Vertreter aufgrund einer nur mündlich erteilten Vollmacht gehandelt hat. Das Formerfordernis in § 2 Abs. 2 ist – anders als etwa § 29 GBO – ein materiell-rechtliches (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 31)226. Der nur mündlich Bevollmächtigte ist Vertreter ohne Vertretungsmacht. Eine Genehmigung (§ 177 Abs. 1 BGB) kommt nicht in Betracht. Gemäß § 180 Satz 2 BGB sind einseitige Rechtsgeschäfte zwar genehmigungsfähig, wenn sie einem anderen gegenüber abzugeben sind und dieser die mangelnde Vertretungsmacht nicht beanstandet bzw. mit ihr einverstanden ist. Ein Erklärungsempfänger existiert bei der Errichtung der EinpersonenGmbH jedoch nicht. Er kann insbesondere nicht in dem beurkundenden Notar, dem Handelsregister, der Gesellschaft oder dem Geschäftsführer gesehen werden227. An diesem Ergebnis wird in jüngerer Zeit zu Recht kritisiert, dass damit im Fall der Einpersonengründung strengere Maßstäbe gelten als im Fall der Mehrpersonengründung. Da bei der Errichtung der Mehrpersonen-GmbH unstreitig Vertretung ohne Vertretungsmacht zulässig ist228 und der Gesetzgeber die Einpersonengesellschaft der Mehrpersonengesellschaft gleichgestellt hat, ist die in vollmachtloser Stellvertretung abgegebene Erklärung zur Gründung einer Einpersonen-GmbH in teleologischer Reduktion des § 180 Satz 1 BGB als genehmigungsfähig anzusehen229. Die Interessen des Rechtsverkehrs können eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen, da auch im Fall der Gründung einer Mehrpersonen-GmbH Ungewissheit für den Rechtsverkehr entsteht, wenn Gründer bei der Errichtung der GmbH vollmachtlos vertreten werden. Ein sachlicher Grund dafür, diese Ungewissheit nur bei der Mehrpersonen-GmbH hinzunehmen, ist nicht ersichtlich. Mit der Abgabe der (rechtswirksamen) Erklärung ist das Gründungsgeschäft vollendet. 56 Auf seine Wirksamkeit ist es ohne Einfluss, wenn der Einpersonengründer danach geschäftsunfähig wird oder stirbt. In dem zuletzt genannten Fall werden sein Erbe oder, wenn mehrere Erben vorhanden sind, sämtliche Erben in Erbengemeinschaft zum Gründungsgesellschafter. Soll stattdessen jeder Erbe für sich Gesellschafter werden, bedarf es vor Eintragung der GmbH einer Änderung der Errichtungserklärung in der Form des § 2 Abs. 1 Satz 1230. Dann

225 226 227

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516 f.; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 576; s. zum vergleichbaren Problem der Errichtung einer Teilungserklärung durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht DNotI-Report 2016, 189. LG Berlin v. 15.8.1995 – 98 T 34/95, GmbHR 1996, 123; KG v. 14.12.2011 – 25 W 48/11, GmbHR 2012, 569, 570; OLG Stuttgart v. 3.2.2015 – 8 W 49/15, MittBayNot 2016, 168 = GmbHR 2015, 487; Grooterhorst, NZG 2007, 605, 610. LG Berlin v. 15.8.1995 – 98 T 34/95, GmbHR 1996, 123, 124; Grooterhorst, NZG 2007, 605, 610; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 568. Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 104; Hasselmann, ZIP 2012, 1947, 1949; s. demgegenüber OLG Frankfurt a.M. v. 24.2.2003 – 20 W 447/02, GmbHR 2003, 415 = DNotZ 2003, 459: Genehmigung der Stimmabgabe durch vollmachtlosen Vertreter in Einpersonen-GmbH ist möglich, weil in diesem Fall die Gesellschaft Erklärungsempfängerin i.S.d. § 180 Satz 2 BGB ist. Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 102. Hasselmann, ZIP 2012, 1947, 1951; Tonikidis, MittBayNot 2014, 514, 516 f.; s. auch Dürr, GmbHR 2008, 408, 411 f. S. allgemein zum Gesellschafterwechsel vor Eintragung der GmbH BGH v. 13.12.2004 – II ZR 409/02, GmbHR 2005, 354; OLG Jena v. 5.12.2012 – 2 U 557/12, GmbHR 2013, 145 = RNotZ 2013, 446.

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§ 1 Rz. 56 | Zweck; Gründerzahl handelt es sich nicht (mehr) um eine Einpersonen-GmbH, so dass die besonderen Vorschriften über die Einpersonengründung nicht mehr anwendbar sind. 57 Die Errichtungserklärung ist bis zur Eintragung der GmbH im Handelsregister frei wider-

ruflich231. Der Widerruf erfolgt durch Rücknahme des Eintragungsantrags gegenüber dem Handelsregister, wenn die Gesellschaft bereits zur Eintragung beantragt wurde. Im Übrigen bedarf der Widerruf keiner besonderen Form. Der Sache nach stellt der Widerruf die Aufgabe der Eintragungsabsicht dar, so dass auf Rz. 66 verwiesen werden kann. 58 Die Einpersonen-GmbH verfügt ebenso wie die Mehrpersonen-GmbH über einen Gesell-

schaftszweck. Dieser wird naturgemäß nicht von mehreren Gründern gemeinsam vereinbart, sondern einseitig von dem Alleingesellschafter gesetzt. Gleichwohl ist auch der Gesellschaftszweck der Einpersonen-GmbH überindividueller Verbandszweck232. Dies zeigt sich etwa in der Fortgeltung als Verbandszweck im Fall der Rechtsnachfolge. Solange nur der Gründer an der Gesellschaft beteiligt ist, setzt der Gesellschaftszweck dem Gesellschafter allerdings keine Grenzen, bindet aber einen etwaigen Fremdgeschäftsführer. Für die Zulässigkeitsschranken gilt im Übrigen dasselbe wie bei den Mehrpersonengesellschaften (Rz. 37 ff.). 59 Kostenrechtlich wird die Einpersonengründung privilegiert. Für die Beurkundung des Mehr-

personen-Gesellschaftsvertrags fällt gemäß KV Nr. 21100 GNotKG eine 2,0 Gebühr an, während für die Beurkundung der Einpersonengründung gemäß KV Nr. 21200 GNotKG eine 1,0 Gebühr anzusetzen ist233.

3. Gesellschaftsvertrag 60 Auch für die Einpersonen-GmbH gilt § 2 Abs. 1 Satz 1, so dass es zu ihrer Gründung eines

„Gesellschaftsvertrages“ bedarf234. Der Begriff des Vertrages ist streng genommen nicht richtig, weil es in Ermangelung eines Mitgesellschafters an einem Vertragspartner fehlt. Auch die (Vor-)GmbH kann nicht Vertragspartner des Gründers sein235, weil sie erst durch die Beurkundung der Errichtungsurkunde entsteht236. Gleichwohl steht es dem Gesetzgeber frei, die Satzung auch der Einpersonen-GmbH als Gesellschaftsvertrag zu bezeichnen237. Die Einpersonen-GmbH wird allerdings durch einseitige, nicht empfangsbedürftige Willenserklärung des Gründers errichtet, die fortan als Gesellschaftsvertrag bzw. Organisationsakt (s. dazu auch 13. Aufl., § 2 Rz. 5) die Grundlage der neuen Gesellschaft bildet238.

231 Altmeppen, § 2 Rz. 6; a.A. Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 7: formloser Widerruf allenfalls, solange kein Sondervermögen gebildet bzw. Einpersonen-Vor-GmbH noch nicht in Vollzug gesetzt wurde. 232 Karsten Schmidt, GesR, § 4 II 1 b (S. 61 f.). 233 Zu den Gebühren bei der Einpersonengründung Böhringer, BWNotZ 2014, 165, 167 f. 234 S. jedoch noch den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur GmbH-Novelle von 1980, BT-Drucks. 8/1347, mit dem in § 2 ein neuer Abs. 2 mit folgendem Wortlaut eingefügt werden sollte: „Wird die Gesellschaft nur durch eine Person errichtet, steht dem Gesellschaftsvertrag die Erklärung über die Errichtung der Gesellschaft gleich.“ 235 A.A. aber nicht überzeugend Mümmler, JurBüro, 1981, 837 aus der Sicht des Notarkostenrechts. 236 Hasselmann, ZIP 2012, 1947, 1949; Tonikidis, MittBayNot 2014, 514, 516 f. 237 Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 12. 238 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 149 = NJW 1984, 2164 = GmbHR 1984, 316; LG Berlin v. 15.8.1995 – 98 T 34/95, GmbHR 1996, 123; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; Altmeppen, § 2 Rz. 6; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 2 Rz. 4; Karsten Schmidt, GesR, § 40 II 2 a (S. 1247 f.); Grooterhorst, NZG 2007, 605, 606; s. jeweils aus kostenrechtlicher Sicht BayObLG v. 30.12.1982 – BReg 3 Z 93/82, BayObLGZ 1982, 467, 470 = GmbHR 1984, 45; KG v. 28.2.1984 – 1 W 4274/83, JurBüro 1984, 910 f.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 63 § 1

Der Gesellschaftsvertrag der Einpersonen-GmbH erfordert typischerweise nicht denselben 61 Regelungsumfang wie der Gesellschaftsvertrag der Mehrpersonen-GmbH. Beispielsweise sind Regelungen zu Gesellschafterversammlungen, Einziehungsrechten, Wettbewerbsverboten oder sonstigen Mehrheits-/Minderheitskonflikten typischerweise entbehrlich. Aus diesem Grund greift die Praxis häufig auf stark verkürzte Gesellschaftsverträge zurück, welche die für die Einpersonengesellschaft wesentlichen Regelungen enthalten. Hierzu zählen jedenfalls die zwingenden Mindestangaben des § 3 Abs. 1 sowie etwaige fakultative Regelungen gemäß § 3 Abs. 2 (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 58 ff.). Für die Einpersonengesellschaft kann sich prinzipiell auch die Verwendung des Musterprotokolls im vereinfachten Verfahren gemäß § 2 Abs. 1a bzw. § 2 Abs. 3 Satz 3 anbieten. Ob der Einsatz eines verkürzten Satzungstextes oder die Gründung im vereinfachten Verfahren eine sachgerechte Entscheidung ist, muss im Einzelfall festgestellt werden. Einpersonengesellschaften, die darauf ausgerichtet sind, weitere Gesellschafter aufzunehmen, sollten von vornherein einen ausführlichen Gesellschaftsvertrag erhalten, der den bei Eintritt eines weiteren Gesellschafters entstehenden Regelungsbedarf vorwegnimmt. Für die Bestimmung des Sitzes, des Unternehmensgegenstandes und des Stammkapitalbetra- 62 ges gelten keine Besonderheiten. Der Einpersonengründer kann auch mehrere Geschäftsanteile übernehmen, die gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 in dem Gesellschaftsvertrag anzugeben sind. Die Firmenbildung richtet sich nach den allgemeinen Regeln. Die Firma ist nicht bereits dann irreführend i.S.d. § 18 Abs. 2 Satz 1 HGB, wenn sie auf das Vorhandensein mehrerer Gesellschafter hinweist239. Nach heutigem Verständnis lässt sich aus der Aufnahme eines Personennamens in die Firma kein Rückschluss auf die Identität und die Zahl der Gesellschafter ziehen240. Weitgehend anerkannt ist daher, dass die Firma auch einen (fiktiven) Namen enthalten darf, ohne dass ein Gesellschafter der Gesellschaft diesen Namen führt241. Soll der Alleingesellschafter-Geschäftsführer dauerhaft von dem Verbot des Selbstkontrahierens befreit werden (§ 35 Abs. 3), bedarf es dazu einer entsprechenden Satzungsbestimmung. Das ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich ausgesprochen, entspricht jedoch dem Willen des Gesetzgebers242, weil die Gläubiger durch den publizierten Gesellschaftsvertrag auf die Möglichkeit solcher Geschäfte hingewiesen werden sollen. Die Schranken der Satzungsautonomie stimmen bei der Einpersonen-GmbH nicht in allen 63 Beziehungen mit denen bei einer Mehrpersonengesellschaft überein; vielmehr entfallen diejenigen Einschränkungen, die sich nach ihrem Sinn und Zweck ausschließlich auf die Ordnung einer „echten“ Personenvereinigung beziehen. Die Satzung kann dagegen nicht von solchen zwingenden Vorschriften abweichen, die den Schutz außenstehender Dritter bezwecken oder die die notwendigen Gesellschaftsorgane und deren Mindestzuständigkeit festlegen (Rz. 69).

239 Für den umgekehrten Fall einer Zweipersonengesellschaft, die den Namen nur eines Gesellschafters enthält BayObLG v. 29.6.1984 – BReg 3 Z 136/84, GmbHR 1985, 117 = BayObLGZ 1984, 167; a.A. noch BGH v. 18.9.1975 – II ZB 5/74, BGHZ 65, 89 = BGH NJW 1975, 2293. 240 BayObLG v. 29.6.1984 – BReg 3 Z 136/84, GmbHR 1985, 117 = BayObLGZ 1984, 167, 170; OLG Jena v. 22.6.2010 – 6 W 30/10, DNotZ 2010, 935, 936 f. = GmbHR 2010, 1094. 241 LG München I v. 26.10.2006 – 17 HK T 16920/06, MittBayNot 2007, 71; OLG Jena v. 22.6.2010 – 6 W 30/10, DNotZ 2010, 935, 936 f.; OLG Rostock v. 17.11.2014 – 1 W 53/14, NJW-RR 2015, 491; OLG Düsseldorf v. 11.1.2017 – 3 Wx 81/16, GmbHR 2017, 373, 374; offen ist, ob zumindest ein sonstiger Bezug des Unternehmens zu dem Personennamen bestehen muss, so etwa Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Teil 1 F Rz. 235 (anders jedoch bei Verwendung eines fiktiven Namens); s. auch OLG Karlsruhe v. 24.2.2010 – 11 Wx 15/09, RNotZ 2010, 482, 484; grundsätzlich a.A. LG Frankfurt/O. v. 16.5.2002 – 32 T 3/02, GmbHR 2002, 966; Clausnitzer, DNotZ 2010, 345, 352 f. 242 BT-Drucks. 8/3908, S. 74.

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§ 1 Rz. 64 | Zweck; Gründerzahl

4. Mängel 64 Für Mängel des einseitigen Errichtungsgeschäfts gilt im Wesentlichen dasselbe wie beim Ge-

sellschaftsvertrag der Mehrpersonen-GmbH. Nach der Eintragung der Einpersonen-GmbH in das Handelsregister kann die Gesellschaft folglich grundsätzlich nur noch bei Vorliegen der in § 75 Abs. 1 genannten Voraussetzungen durch ein gerichtliches Urteil für nichtig erklärt oder durch das Registergericht von Amts wegen als nichtig gelöscht werden (§ 397 Satz 2 FamFG). Andere Mängel sind lediglich in den Grenzen des § 399 Abs. 4 FamFG beachtlich und führen zu dem dort geregelten registergerichtlichen Beanstandungsverfahren mit der möglichen Folge der Auflösung nach § 60 Abs. 1 Nr. 6. Der Alleingesellschafter kann jedoch jeden Mangel zum Anlass nehmen, die Auflösung gemäß § 60 Abs. 1 Nr. 2 herbeizuführen. 65 Ist die Errichtungserklärung des Gründers unheilbar nichtig, sollte nach früherem Ver-

ständnis die Einpersonen-GmbH nicht entstehen und als nicht existente „Scheingesellschaft“ von Amts wegen gelöscht werden243. Diese Auffassung überzeugt nicht, weil auch die Mehrpersonengesellschaft trotz der Nichtigkeit einzelner Beitrittserklärungen wirksam entsteht244 und es nicht zu rechtfertigen ist, das Bestandsschutzinteresse nur dann als vorrangig anzusehen, wenn wenigstens eine Beitrittserklärung wirksam ist245. Zudem verbieten es die Vorgaben der Publizitätsrichtlinie 2009 (PublRL)246, dass die Einpersonen-GmbH bei Nichtigkeit der Errichtungserklärung trotz ihrer Eintragung in das Handelsregister als Scheingesellschaft qualifiziert wird, weil die Geschäftsunfähigkeit des Alleingründers allenfalls einen Nichtigkeits-, d.h. Auflösungsgrund, darstellen darf (Art. 12 Abs. 1 Satz 1 lit. b v PublRL)247. Ob im Fall der Nichtigkeit der Errichtung aufgrund Geschäftsunfähigkeit des Gründers analog § 75 Nichtigkeitsklage erhoben werden kann und die Amtslöschung gemäß § 397 Satz 2 FamFG in Betracht kommt, wird unterschiedlich beurteilt248. Die Befürworter der Analogie sehen eine planwidrige Regelungslücke darin, dass der Gesetzgeber den in der PublRL angesprochenen Fall der Geschäftsunfähigkeit aller Gründer nicht ausdrücklich in § 75 geregelt

243 S. etwa Emmerich, 11. Aufl., Rz. 41, § 2 Rz. 77; J. Mayer in MünchKomm. GmbHG, 1. Aufl., § 2 Rz. 195, die jeweils eine Löschung gemäß § 397 FamFG befürworten; s. auch Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, 19. Aufl., § 2 Rz. 46: Löschung analog §§ 395, 397 FamFG; für die Anwendung von § 395 FamFG Wicke, § 75 Rz. 4; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 2 Rz. 74; Büteröwe in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 75 Rz. 1; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 75 Rz. 4; ebenso zumindest für den Fall der Fälschung aller Beitrittserklärungen C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 167 f. 244 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 147; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 45. 245 Für das Entstehen der Gesellschaft daher heute die überwiegende Auffassung, s. etwa KG v. 14.11.2000 – 1 W 6828/99, GmbHR 2001, 33, 34 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 46; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 233 ff.; Altmeppen, § 2 Rz. 46; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 46; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 149; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, § 75 Rz. 8; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 73; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 285 f.; Grooterhorst, NZG 2007, 605, 606. 246 RL 2009/101/EG vom 16.9.2009, ABl. EU Nr. L 258 v. 1.9.2009, S. 11. 247 Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 233 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 46; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 572 f. 248 Für die Analogie zu § 75 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 46; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 285 f.; ebenso Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 2335, der aber wohl auch bei anderen schwerwiegenden Beitrittsmängeln eine Analogie befürwortet. Dagegen spricht, dass jedenfalls insoweit nicht von einer planwidrigen Regelungslücke ausgegangen werden kann, da Art. 12 Abs. 1 Satz 1 lit. b v PublRL nur den Nichtigkeitsgrund der Geschäftsunfähigkeit regelt. Unklar C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 73: „§ 75 bzw. § 399 FamFG“.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 65 § 1

habe249. Nach anderer Auffassung soll eine Analogie aufgrund des abschließenden Charakters des § 75 nicht in Betracht kommen250. Stattdessen wird eine Analogie zu § 399 Abs. 4 FamFG251 oder die Anwendung von § 395 FamFG252 befürwortet. Kein Lösungsvorschlag bietet dabei ein in jeder Hinsicht stimmiges Konzept zur Bewältigung des Problems. Gegen die Anwendung von § 399 Abs. 4 FamFG spricht, dass es sich bei den dort genannten Mängeln um durch Satzungsänderung behebbare Mängel handelt, während das in § 399 FamFG vorgesehene Heilungsverfahren im Fall der (dauernden) Geschäftsunfähigkeit bereits in Ermangelung eines tauglichen Adressaten praktisch keinen Sinn ergibt253. Auch eine Löschung gemäß § 395 FamFG kann nicht überzeugen, weil § 395 FamFG durch die insoweit spezielleren § 397 Satz 2, § 399 Abs. 4 FamFG grundsätzlich verdrängt wird254 und nach der PublRL im Fall der Geschäftsunfähigkeit zwingend ein Liquidationsverfahren stattzufinden hat (Art. 13 Abs. 2 PublRL)255. Daher ist die Nichtigkeitsklage analog § 75 zuzulassen sowie korrespondierend die Löschung gemäß § 397 Satz 2 FamFG. Die dazu erforderliche Annahme einer planwidrigen Regelungslücke ist zwar ebenfalls nicht zwingend, weil es dem Gesetzgeber freisteht, nicht alle Nichtigkeitsgründe in Art. 12 Abs. 1 Satz 1 lit. b PublRL im nationalen Recht umzusetzen. Allerdings besteht ein Interesse daran, dass eine trotz Geschäftsunfähigkeit des Gründers entstandene Gesellschaft nicht dauerhaft im Rechtsverkehr in Erscheinung tritt, zumal den Gründer keine Haftungsfolgen oder sonstigen Rechtsnachteile treffen, er insbesondere nicht zur Leistung der (Rest-)Einlage verpflichtet ist256. Die Nichtigkeitsklage analog § 75 und die Amtslöschung gemäß § 397 Satz 2 FamFG stellen im Unterschied zu den § 395, § 399 Abs. 4 FamFG ein hinsichtlich ihrer Rechtsfolgen passendes Regelungsmodell zur Verfügung. Ungeklärt ist, ob und unter welchen Voraussetzungen im Einzelfall ein Rückgriff auf die Nichtigkeitsklage bzw. eine Löschung gemäß § 397 Satz 2 FamFG ausgeschlossen sein kann. Hiervon ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der geschäftsunfähige Gründer nicht mehr an der Gesellschaft beteiligt ist257, weil ein Interesse an der Auflösung der Gesellschaft dann nicht mehr besteht.

249 Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 235. Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 46. 250 Haas in Noack/Servatius/Haas, § 75 Rz. 12; Hillmann in MünchKomm. GmbHG, § 75 Rz. 5, 7; Grooterhorst, NZG 2007, 605, 607. 251 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 46; Altmeppen, § 75 Rz. 17; Grooterhorst, NZG 2007, 605, 608 (§ 144a Abs. 4 FGG a.F.); Stenzel, GmbHR 2015, 567, 574 f. 252 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 75 Rz. 4, insoweit allerdings unklar, ob auf der Grundlage der Annahme einer Scheingesellschaft oder auf der Grundlage der Existenz der Gesellschaft die Anwendung von § 395 FamFG befürwortet wird. 253 Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 236 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 46. Dies einräumend etwa auch Grooterhorst, NZG 2007, 605, 608 als Vertreter der entsprechenden Analogie. 254 Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 236; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 395 FamFG Rz. 7 f.; Holzer in Prütting/Helms, 5. Aufl. 2020, § 397 FamFG Rz. 2, § 399 FamFG Rz. 3; Harders in Bumiller/Harders/Schwamb, 12. Aufl. 2019, § 395 FamFG Rz. 4, 6; anders für den Fall wesentlicher Verfahrensmängel, z.B. fehlender Eintragungsantrag, Haas in Noack/Servatius/Haas, Anh. § 77 Rz. 19; Altmeppen, § 75 Rz. 42. 255 Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 236; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 46. 256 KG v. 14.11.2000 – 1 W 6828/99, GmbHR 2001, 33, 35; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 235; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 46. A.A., aber unvereinbar mit den Wertungen des BGB zur Geschäftsunfähigkeit C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 73. 257 So lag der Sachverhalt, über den das KG zu entscheiden hatte, KG v. 14.11.2000 – 1 W 6828/99, GmbHR 2001, 33.

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§ 1 Rz. 66 | Zweck; Gründerzahl

5. Vor-GmbH 66 Ein Kernproblem der Einpersonengesellschaft stellt die Frage nach der Rechtsnatur der Ein-

personen-Vor-GmbH dar258. Nach zutreffender Auffassung stellt die Vor-GmbH kein (nicht rechtsfähiges) Sondervermögen ihres Gründers dar259, sondern es entsteht mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages, nicht anders als bei der Mehrpersonengründung, eine rechtsfähige260 Vor-GmbH, die überwiegend als Rechtsträger sui generis261, teilweise aber auch als vorläufige juristische Person262 bezeichnet wird263 (s. ausführlich 13. Aufl., § 11 Rz. 30 ff.). Wenn die Eintragung scheitert, weil etwa der Eintragungsantrag rechtskräftig zurückgewiesen oder zurückgenommen wird oder weil der Gründer die Eintragung endgültig nicht mehr betreibt (zum Widerruf der Erklärung s. schon Rz. 57), erlischt die Vor-GmbH automatisch und ein etwaiges Vermögen fällt ohne Liquidation an den Gründer zurück (s. 13. Aufl., § 11 Rz. 168 ff.)264. Hinsichtlich der Haftungsverhältnisse265 der Einpersonen-Vor-GmbH besteht Einigkeit insoweit, als die Handelndenhaftung aus § 11 Abs. 2 zur Anwendung gelangt. Sie beginnt mit der Errichtung der Gesellschaft266 und setzt voraus, dass der Gründer zugleich zum Geschäftsführer bestellt ist oder als faktischer Geschäftsführer agiert267. Daneben trifft den Gründer in seiner Funktion als Gesellschafter die Verlustdeckungshaftung. Die bei der Mehrpersonen-Vor-GmbH intensiv geführte Debatte darüber, ob die Verlustdeckungshaftung eine Innenhaftung268 darstellt oder die Gesellschafter den Gläubigern gegenüber im Außenverhältnis haften269, entschärft sich an dieser Stelle insoweit, als auch nach dem Haftungskonzept des BGH im Fall der Einpersonen-Vor-GmbH aus Gründen der Prozessöko-

258 S. zur Rechtsnatur der Einpersonen-Vor-GmbH ausführlich 13. Aufl., § 11 Rz. 165 ff. sowie Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 229 ff. 259 So aber Flume, Juristische Person, § 5 IV (S. 172 ff.); Flume, DB 1980, 1781, 1783; Flume, ZHR 146 (1982), 205, 208; Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 373, 376 f.; gegen die Entstehung einer Einpersonen-Organisation daher auch Ulmer, BB 1980, 1001 ff.; Hüffer, ZHR 145 (1981), 521, 522, 532; für die Anerkennung der Rechtsfähigkeit jetzt auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 11 Rz. 25 f. 260 S. dazu und zu dem ebenfalls verwendeten Begriff der „Teilrechtsfähigkeit“ 13. Aufl., § 11 Rz. 34 ff. 261 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 11 Rz. 5; Blath in Michalski u.a., § 11 Rz. 74; s. auch Fleck, GmbHR 1983, 5, 7. 262 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 11 Rz. 7, 42; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 120; s. auch 13. Aufl., § 11 Rz. 30 („Körperschaft“). 263 S. aber auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 235, nach dem weder die Sondervermögenslehre, noch die Teilrechtsfähigkeitslehre eine dogmatisch und rechtstechnisch einwandfreie Lösung der Problematik der Einpersonen-Gründerorganisation liefern könne. 264 BGH v. 25.1.1999 – II ZR 383/96, GmbHR 1999, 612 = ZIP 1999, 489, 490 f. = NZG 1999, 960, 961 f.; LG Berlin v. 18.5.1987 – 81 T 330/87, GmbHR 1988, 71; s. auch BayObLG v. 18.3.1987 – BReg 2 Z 8/87, NJW-RR 1987, 812 = GmbHR 1987, 393; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 11 Rz. 40; Altmeppen, § 11 Rz. 110; Blath in Michalski u.a., § 11 Rz. 76; John, Einmann-GmbH, S. 62 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1988, 89 f.; Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 373, 383 f. 265 Wegen der Einzelheiten s. 13. Aufl., § 11 Rz. 174 ff. 266 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 149 f. = NJW 1984, 2164, 2165 = GmbHR 1984, 316, 317. 267 Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 249; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 11 Rz. 44, 47; Blath in Michalski u.a., § 11 Rz. 77. 268 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 338 ff. = GmbHR 1997, 405, 408; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 11 Rz. 80 ff.; Wicke, § 11 Rz. 7; Stimpel in FS Fleck, 1988, S. 358, 361 ff. 269 S. 13. Aufl., § 11 Rz. 85 ff. sowie Blath in Michalski u.a., § 11 Rz. 67 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 11 Rz. 96 ff.; Altmeppen, ZIP 1997, 273.

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Zweck; Gründerzahl | Rz. 68 § 1

nomie ausnahmsweise eine Außenhaftung gelten soll270. Es bleibt die Frage, ob die Verlustdeckungshaftung erst mit dem Scheitern der Eintragung Platz greift271 oder ob der Gründer beginnend mit der Errichtung der GmbH analog § 128 HGB für sämtliche Verbindlichkeiten haftet272. Würde die Verlustdeckungshaftung erst mit dem Scheitern der Eintragung entstehen, hätte sie allerdings im Fall der Einpersonengründung keine eigenständige Bedeutung. Da die Vor-GmbH mit dem Scheitern der Eintragung automatisch erlischt und sämtliche Verbindlichkeiten auf den Alleingesellschafter übergehen, führt bereits die Gesamtrechtsnachfolge zur unbeschränkten Haftung des Gründers und es bedürfte keines darüber hinausgehenden Haftungsgrundes in Form der Verlustdeckungshaftung. Dies und Interessen des Gläubigerschutzes sprechen für die unbeschränkte persönliche Haftung des Gründers für die Verbindlichkeiten der Einpersonen-Vor-GmbH ab ihrer Errichtung und bis zu ihrer Eintragung. Mit der Eintragung der Einpersonen-GmbH setzt sich die Verlustdeckungshaftung als Vorbelastungs- bzw. Unterbilanzhaftung fort273, die auch bei der Einpersonengesellschaft stets eine Innenhaftung ist274.

6. Juristische Person Mit ihrer Eintragung in das Handelsregister wird die Einpersonen-GmbH zur juristischen 67 Person (§ 13 Abs. 1). Sie hat daher ihr eigenes Vermögen, das rechtlich von dem ihres Alleingesellschafters zu trennen ist. Jeder Rechtsträger haftet nur für die eigenen Verbindlichkeiten, die GmbH nur für Gesellschaftsverbindlichkeiten und der Gesellschafter für seine privaten Verbindlichkeiten (§ 13 Abs. 2)275. Eine Mithaftung des einzigen Gesellschafters neben der Gesellschaft kommt nur in Betracht, wenn ein selbständiger Verpflichtungsgrund dafür besteht. Aufgrund der wirtschaftlichen Identität zwischen der Gesellschaft und ihrem Alleingesell- 68 schafter spielen Durchgriffserwägungen bei der Einpersonen-GmbH traditionell eine große Rolle. Dies betrifft namentlich die Durchgriffshaftung (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 110 ff.), aber auch Fragen des Zurechnungsdurchgriffs (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 75 ff.)276. Die rechtliche Trennung kann etwa nicht dazu führen, dass im Zusammenhang mit Rechtsgeschäften zwi-

270 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 341 = GmbHR 1997, 405, 408; ebenso Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 88. Unterschiede zwischen dem Innenhaftungs- und dem Außenhaftungskonzept bestehen aber auch in dem Umfang der Haftung, s. dazu Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 11 Rz. 29. 271 So überwiegend die Vertreter des Binnenhaftungskonzepts, s. BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 341 = GmbHR 1997, 405, 408; ebenso Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 96; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 11 Rz. 152; Für die Haftung bereits im Zeitpunkt des Entstehens von Verlusten Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 11 Rz. 121; Blath in Michalski u.a., § 11 Rz. 69; Altmeppen, § 11 Rz. 110. Differenzierend Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 11 Rz. 26, nach dem der Anspruch auf Verlustdeckungshaftung mit dem Eintritt von Verlusten entsteht, aber erst mit dem Scheitern der Vor-GmbH fällig wird. 272 S. zu diesem Unterschied zwischen den Haftungsmodellen auch Servatius in Noack/Servatius/ Haas, § 11 Rz. 29. 273 Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 248; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 11 Rz. 44. 274 BGH v. 24.10.2005 – II ZR 129/04, GmbHR 2006, 88. 275 RG v. 27.10.1914 – Rep. III 127/14, RGZ 85, 380, 382 f.; RG v. 4.6.1915 – Rep. III 582/14, RGZ 87, 18, 25; RG v. 21.1.1918 – Rep. VI 339/17, RGZ 92, 77, 84 f.; BGH v. 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 229 f. = NJW 1957, 181 = GmbHR 1957, 28; BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 314 = NJW 1977, 1449; BGH v. 26.11.1957 – VIII ZR 301/56, GmbHR 1958, 111; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 56. 276 S. zu den Begrifflichkeiten des Haftungs- und des Zurechnungsdurchgriffs Wiedemann, GesR I, § 4 III (S. 217 ff.).

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§ 1 Rz. 68 | Zweck; Gründerzahl schen der Gesellschaft und ihrem Alleingesellschafter, die nach den allgemeinen Regeln zulässig sind, ein gutgläubiger Eigentumserwerb stattfindet. In diesem Fall fehlt es an dem für den Gutglaubenserwerb erforderlichen Verkehrsgeschäft277. Ein vertragliches Wettbewerbsverbot zwischen der Gesellschaft und einem Dritten ist in der Regel in der Weise auszulegen, dass auch der Alleingesellschafter die verbotene Wettbewerbstätigkeit zu unterlassen hat278. Hinsichtlich der Einzelheiten der Durchgriffsfragen wird auf 13. Aufl., § 13 Rz. 69 ff. verwiesen.

7. Organe 69 Auch die Einpersonen-GmbH muss die gesetzlich vorgeschriebenen Gesellschaftsorgane ha-

ben. Es sind also Geschäftsführer in der zur Vertretung erforderlichen Zahl zu bestellen. Ebenso ist ein gesetzlich angeordneter Aufsichtsrat zu bilden279. Die Funktion des Organs „Gesellschafterversammlung“ übt der Alleingesellschafter aus (§ 48 Abs. 3). Seine Entscheidungen erfolgen nach der Vorstellung des Gesetzgebers wie bei der Mehrpersonen-GmbH im Wege der Beschlussfassung (§ 48 Abs. 3), auch wenn es sich nicht um ein mehrseitiges Rechtsgeschäft handeln kann280. Der Alleingesellschafter kann Geschäftsführer oder Aufsichtsratsmitglied sein; beide Ämter zugleich kann er jedoch nicht übernehmen, selbst wenn es sich lediglich um einen fakultativen Aufsichtsrat handelt281.

8. Umwandlung in eine Mehrpersonen-GmbH 70 Die Einpersonen-GmbH wird zur Mehrpersonengesellschaft, wenn ein Dritter, der nicht die

Gesellschaft selbst ist, einen oder mehrere Geschäftsanteile an der Gesellschaft erwirbt, sei es von dem Alleingesellschafter oder von der GmbH. Dasselbe gilt, wenn ein Dritter einen neuen Geschäftsanteil im Rahmen einer Kapitalerhöhung (§§ 55 ff.) übernimmt. Der derivative Erwerb des Geschäftsanteils erfordert keine Satzungsänderung (§ 53), im Fall des Entstehens der Mehrpersonen-GmbH durch Kapitalerhöhung ist zumindest die Stammkapitalziffer der Satzung anzupassen. Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, die mit zwingendem Recht der Mehrpersonen-GmbH unvereinbar sind, gelten jedenfalls für die Dauer der Beteiligung von mehr als einem Gesellschafter nicht mehr, können jedoch im Fall der Vereinigung aller Geschäftsanteile in der Person eines Gesellschafters wieder Bedeutung erlangen282. Statutarische Regelungen, die zwar nach ihrem Wortlaut auf die Einpersonen-GmbH abstellen, aber auch für eine GmbH mit mehreren Gesellschaftern sinnvoll sind, gelten weiter, sofern nicht ausdrücklich das Gegenteil bestimmt ist (was im Regelfall nicht der Fall sein wird). Sofern der Gesellschaftsvertrag den Besonderheiten einer Mehrpersonen-GmbH noch nicht Rechnung trägt (s. dazu Rz. 61), empfiehlt sich mit dem Entstehen der Mehrpersonengesellschaft die Verabschiedung eines ausführlichen Gesellschaftsvertrages. Dies gilt namentlich, wenn die Einpersonen-GmbH unter Verwendung eines der gesetzlichen Musterprotokolle gegründet wurde. 277 BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318, 335 = NJW 1981, 522, 524; BGH v. 29.6.2007 – V ZR 5/07, BGHZ 173, 71, 77 = NJW 2007, 3204, 3205; BGH v. 23.5.1989 – XI ZR 82/88, NJWRR 1989, 1207; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 369; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 15; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 13 Rz. 99; Geißler, GmbHR 1993, 71, 73 f. 278 Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 3677; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 14; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 169. 279 § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 6 Abs. 1 MitbestG; § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbeteiligungsG. 280 S. daher auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 55a: Entschluss. 281 OLG Frankfurt a.M. v. 7.7.1981 – 20 W 267/81, WM 1981, 1095 = GmbHR 1982, 159; OLG Frankfurt a.M. v. 21.11.1986 – 20 W 247/86, WM 1987, 211 = GmbHR 1987, 232. 282 A.A. Emmerich, 11. Aufl., Rz. 50: Unwirksamkeit der entsprechenden Regelungen.

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§2 Form des Gesellschaftsvertrages (13. Auflage 2022) (1) Der Gesellschaftsvertrag bedarf notarieller Form. Er ist von sämtlichen Gesellschaftern zu unterzeichnen. (1a) Die Gesellschaft kann in einem vereinfachten Verfahren gegründet werden, wenn sie höchstens drei Gesellschafter und einen Geschäftsführer hat. Für die Gründung im vereinfachten Verfahren ist das in Anlage 1 bestimmte Musterprotokoll zu verwenden. Darüber hinaus dürfen keine vom Gesetz abweichenden Bestimmungen getroffen werden. Das Musterprotokoll gilt zugleich als Gesellschafterliste. Im Übrigen finden auf das Musterprotokoll die Vorschriften dieses Gesetzes über den Gesellschaftsvertrag entsprechende Anwendung. (2) Die Unterzeichnung durch Bevollmächtigte ist nur auf Grund einer notariell errichteten oder beglaubigten Vollmacht zulässig. Die notarielle Errichtung der Vollmacht kann auch mittels Videokommunikation gemäß den §§ 16a bis 16e des Beurkundungsgesetzes erfolgen. (3) Die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrags kann im Fall einer Gründung ohne Sacheinlagen auch mittels Videokommunikation gemäß den §§ 16a bis 16e des Beurkundungsgesetzes erfolgen. [ab 1.8.2023: Die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrags kann auch mittels Videokommunikation gemäß den §§ 16a bis 16e des Beurkundungsgesetzes erfolgen, sofern andere Formvorschriften nicht entgegenstehen; dabei dürfen in den Gesellschaftsvertrag auch Verpflichtungen zur Abtretung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft aufgenommen werden.] In diesem Fall [ab 1.8.2023: Im Fall der Beurkundung mittels Videokommunikation] genügen abweichend von Absatz 1 Satz 2 für die Unterzeichnung die qualifizierten elektronischen Signaturen der mittels Videokommunikation an der Beurkundung teilnehmenden Gesellschafter. Sonstige Willenserklärungen, welche nicht der notariellen Form bedürfen, können mittels Videokommunikation gemäß den §§ 16a bis 16e des Beurkundungsgesetzes beurkundet werden; sie müssen in die nach Satz 1 errichtete elektronische Niederschrift aufgenommen werden. Satz 3 ist auf einstimmig gefasste Beschlüsse entsprechend anzuwenden. Die Gründung mittels Videokommunikation kann auch im Wege des vereinfachten Verfahrens nach Absatz 1a oder unter Verwendung der in Anlage 2 bestimmten Musterprotokolle erfolgen. Bei Verwendung der in Anlage 2 bestimmten Musterprotokolle gilt Absatz 1a Satz 3 bis 5 entsprechend. Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 geändert durch Gesetz vom 28.8.1969 (BGBl. I 1969, 1513); Abs. 1 Satz 1 erneut geändert durch die GmbH-Novelle von 1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 1a eingefügt durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026); Abs. 1a Satz 2 geändert, Abs. 3 eingefügt m.W.v. 1.8.2022 durch DiRUG vom 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338); Abs. 2 Satz 2 geändert, Abs. 3 Satz 1 geändert, Sätze 3 und 4 eingefügt m.W.v. 1.8.2022/1.8.2023 durch DiREG vom 15.7.2022 (BGBl. I 2022, 1146); s. dazu Rz. 160 ff. I. II. 1. 2. 3.

Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesellschaftsvertrag Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notarielle Form a) Zweck des Formerfordernisses . . . . . b) Umfang des Formerfordernisses . . . c) Zuständigkeit des in Deutschland zugelassenen Notars . . . . . . . . . . . . . d) Im Ausland zugelassene Notare . . . .

1 3 7

4.

10 12

III. 1. 2.

14 15

3. IV.

e) Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Formmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertragsänderungen im Gründungsstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vertretung beim Vertragsabschluss Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gesetzliche und organschaftliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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§ 2 | Form des Gesellschaftsvertrages V. Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsunfähige, Minderjährige, Betreuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ehegatten, eingetragene Lebenspartner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kaufleute . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Testamentsvollstrecker a) Schon bestehende GmbH . . . . . . . . . b) Gründung einer GmbH . . . . . . . . . . 6. Juristische Personen . . . . . . . . . . . . . . . 7. OHG, KG, Partnerschaftsgesellschaft 8. GbR, nichtrechtsfähiger Verein, Erbengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Treuhänder a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässigkeit, Begründung . . . . . . . . . c) Rechtsstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Anknüpfung der Gesellschaftereigenschaft an besondere Eigenschaften . . . VI. Mängel des Gesellschaftsvertrages und des Beitritts 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mängel des Gesellschaftsvertrages a) Gründungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vollzug der Vorgesellschaft . . . . . . . . c) Nach Eintragung . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die fehlerhafte Beitrittserklärung . . . a) Trotz Eintragung unwirksame Beitrittserklärungen . . . . . . . . . . . . . b) Durch Eintragung geheilte Beitrittsmängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Vorvertrag 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begriff, Voraussetzungen . . . . . . . . . . . 3. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Vorgründungsgesellschaft . . . . . . . . . . IX. Vereinfachtes Gründungsverfahren (§ 2 Abs. 1a) (Wicke) 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Positionen im Gesetzgebungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Voraussetzungen (§ 2 Abs. 1a Satz 1) a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Geschäftsführer und Vertretung . . . 4. Weitere Einzelheiten des „vereinfachten Verfahrens“ a) Urkundeneingang . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Errichtung der Gesellschaft, Firma und Sitz (Nr. 1 des Musterprotokolls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 c) Unternehmensgegenstand (Nr. 2 des Musterprotokolls) . . . . . . . . . . . . . . . 130 d) Stammkapital, Geschäftsanteil, Einlage (Nr. 3 des Musterprotokolls) aa) Stammkapital . . . . . . . . . . . . . . . 131 bb) Ein Geschäftsanteil . . . . . . . . . . . 132 cc) Keine Angabe der prozentualen Beteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 dd) Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 e) Geschäftsführer und Vertretung (Nr. 4 des Musterprotokolls) . . . . . . 136 f) Gründungskosten (Nr. 5 des Musterprotokolls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 g) Erteilung von Ausfertigungen und Abschriften (Nr. 6 des Musterprotokolls) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 h) Notarielle Hinweise (Nr. 7 des Musterprotokolls) . . . . . . . . . . . . . . . 139 5. Abweichungen vom Musterprotokoll (§ 2 Abs. 1a Satz 3) a) Keine „vom Gesetz abweichenden Bestimmungen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 6. Satzungsänderungen a) Anwendung der allgemeinen Vorschriften (§§ 53 f.) und Kostenprivileg (§ 105 Abs. 6, § 108 Satz 1 GNotKG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 b) Anpassung des Texts des Musterprotokolls? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 c) Beifügung von Satzungstext und Satzungsbescheinigung . . . . . . . . . . . 145 d) Satzungsänderungen vor Eintragung 146 7. Gesellschafterliste und Registeranmeldung (§ 2 Abs. 1a Satz 4) . . . . . 147 8. Kostenprivilegierung . . . . . . . . . . . . . . 148 9. Rechtspraktische und -politische Bewertung a) Rechtspolitischer Kompromiss . . . . 149 b) Musterprotokoll als Fremdkörper im System . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 c) Keine Beschleunigung des Eintragungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 151 d) Reformvorschlag . . . . . . . . . . . . . . . . 152 10. Musterprotokoll . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 X. Online-Gründung (§ 2 Abs. 3) (Wicke) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 1. Überblick und Rechtsgrundlagen . . . 161 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . 162 a) Bargründungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 b) Sachgründungen . . . . . . . . . . . . . . . . 164

Form des Gesellschaftsvertrages | § 2 c) Nebenleistungspflichten aa) Vorrang anderer Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) Verpflichtungen zur Abtretung von Anteilen an der Gesellschaft selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 cc) Zulässigkeit des Sachagios . . . . . 169 d) Sonstige Willenserklärungen . . . . . . 170 e) Gesellschafterbeschlüsse . . . . . . . . . . 172 f) Änderungen des Gesellschaftsvertrags in der Vor-GmbH . . . . . . . . 173 g) Satzungsänderungen der eingetragenen GmbH aa) Anwendung der Vorschriften über die elektronische Gründungsniederschrift . . . . . . . . . . . 174 bb) Beurkundung von Willenserklärungen mittels Videokommunikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 cc) Kein Beurkundungserfordernis aufgrund anderer Formvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 dd) Aufnahme sonstiger Willenerklärungen und einfacher Gesellschafterbeschlüsse . . . . . . . . . . . . 179 ee) Satzungsänderungen aufschiebend bedingt auf Eintragung der GmbH im Handelsregister . 180 h) Rechtsfolgen bei einer Überschreitung des Anwendungsbereichs . . . . . 181 3. Online-Gründung mittels Musterprotokolls (§ 2 Abs. 3 Satz 3 und 4) a) Erweiterung der Anzahl von Gesellschaftern und Geschäftsführern gemäß Anlage 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . 183

b) Kostenmäßige Privilegierung nur von Anlage 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 c) Verweis auf die Vorschriften des vereinfachten Verfahrens (§ 2 Abs. 3 Satz 6) . . . . . . . . . . . . . . . 187 d) Verkürzte Eintragungsdauer; Kritik 188 4. Ausgestaltung des Online-Verfahrens a) Funktionsäquivalentes Abbild . . . . . 191 b) Besonderheiten bei Verlesung, Signatur und Identifikation . . . . . . . 192 c) Einstieg und Abwicklung über das Gründer-Portal der Bundesnotarkammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 d) Notarauswahl und Amtsbereich . . . 196 e) Ausdrückliche Zulassung der OnlineBeurkundung durch Gesetz . . . . . . . 197 f) Ablehnung der Beurkundung mittels Videobeurkundung . . . . . . . . . . . . . . 199 g) Gemischte Beurkundung . . . . . . . . . 201 h) Vollmachten und Vertretungsnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 i) Elektronische Anmeldung und Gesellschafterliste aa) Online-Beglaubigung der qualifizierten elektronischen Signatur . 205 bb) Weitere Handelsregisteranmeldungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 cc) Gesellschafterliste . . . . . . . . . . . . 207 dd) Elektronische Einreichung der Unterlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 5. Kosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 6. Bewertung und Ausblick . . . . . . . . . . . 211 7. Musterprotokoll für das OnlineVerfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216

Schrifttum: Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949; Bormann, Die digitalisierte GmbH, ZGR 2017, 621; Bayer/Hoffmann/J. Schmidt, Satzungskomplexität und Mustersatzung, GmbHR 2007, 953; Geier, Anpassung von Gesellschaftsverträgen an sich verändernde Realstrukturen, ZGS 2008, 8; Heckschen, Die GmbH-Gründung 10 Jahre nach dem MoMiG – Eine Bestandsaufnahme, GmbHR 2018, 1093; Heckschen/Knaier, Das DiRUG in der Praxis, NZG 2021, 1093; Hommelhoff, Gestaltungsfreiheit im GmbH-Recht in Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, 1998, S. 36; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995; Keller/Schümmer, Der RegE zum DiREG: Mehr Digitalisierung für das Gesellschaftsrecht, DB 2022, 1179; Kindler/Jobst, Die Online-Gründung nach dem Company Law Package – Chancen und Risiken bei der Umsetzung ins Deutsche Recht, DB 2019, 1550; Körber/Effer-Uhe, Anforderungen an den Nachweis der Vertretungsmacht von Prokuristen und GbR-Gesellschaftern bei der Gründung von Kapitalgesellschaften, DNotZ 2009, 92; M. Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994; Noack, Satzungsergänzende Verträge der Gesellschaft mt ihren Gesellschaftern, NZG 2013, 281; Paal, Die digitalisierte GmbH, ZGR 2017, 590; Schröder/Diller, Antidiskriminierung bei der Aufnahme als Gesellschafter, NZG 2006, 728; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970; Teichmann, Die elektronische Gründung von Kapitalgesellschaften, GmbHR 2018, 1; Teichmann, Die GmbH im europäischen Wettebewerb der Rechtsformen, ZGR 2017, 543; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998; Wachter, Vertretungsfragen bei der Gründung einer Einpersonen-GmbH, GmbHR 2003, 660; H. P. Westermann, Das Verhältnis von Satzung und Nebenordnungen in der Kapitalgesellschaft, 1994; Wicke,

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§ 2 Rz. 1 | Form des Gesellschaftsvertrages Echte und unechte Bestandteile im Gesellschaftsvertrag der GmbH, DNotZ 2006, 419; Wicke, Die Bedeutung der öffentlichen Beurkundung im GmbH-Recht, ZIP 2006, 977; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965. Schrifttum zum vereinfachten Gründungsverfahren s. vor Rz. 121.

I. Überblick 1 § 2 regelt die Form des Gesellschaftsvertrages, die Gründung der GmbH in einem verein-

fachten (Präsenz-)Verfahren, die Vertretung bei der Errichtung der GmbH auf der Grundlage einer Vollmacht sowie die Online-Gründung der GmbH in Form eines speziell hierfür geschaffenen Videoverfahrens. Der Gesellschaftsvertrag bedarf der notariellen Form und muss von sämtlichen Gesellschaftern unterzeichnet werden (§ 2 Abs. 1; Rz. 10 ff.). Dies gilt auch für die Errichtung einer Einpersonengesellschaft (13. Aufl., § 1 Rz. 60) sowie im Fall der Online-Gründung. § 2 Abs. 1a, der das vereinfachte Gründungsverfahren regelt, ist durch das MoMiG mit Wirkung zum 1.11.2008 in das Gesetz eingefügt worden und stellt eine kostengünstige Variante der GmbH-Gründung dar (Rz. 121 ff.). § 2 Abs. 3 wurde durch das DiRUG1 in Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie2 aufgenommen und bereits vor Inkrafttreten des DiRUG durch das DiREG3 wieder geändert. Die Gesellschafter können sich bei dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages vertreten lassen, jedoch ist die Vollmacht zum Abschluss des Vertrages abweichend von § 167 Abs. 2 BGB gemäß § 2 Abs. 2 formbedürftig, um die ordnungsmäßige Legitimation des für einen Gesellschafter tätig gewordenen Vertreters sicherzustellen (Rz. 30 ff.). Eine im Wesentlichen übereinstimmende Regelung findet sich in § 4 Abs. 3 Satz 2 öGmbHG. Der Inhalt des Gesellschaftsvertrages ergibt sich im Einzelnen aus § 1 und aus den §§ 3 bis 5. 2 Der Abschluss des Gesellschaftsvertrages in der durch § 2 vorgeschriebenen Form ist nach

dem Gesetz die erste Stufe, die zur Entstehung einer GmbH führt. Damit ist die Gesellschaft errichtet (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 2) und die Vor-GmbH entsteht (s. im Einzelnen 13. Aufl., § 11 Rz. 27 ff.). Die nächste Stufe umfasst die Bestellung der Geschäftsführer (§ 6), die i.d.R. bereits in der Gründungsurkunde erfolgt, sowie die Leistung der Einlagen in dem durch § 7 umschriebenen Mindestumfang. Erst danach ist die Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister gemäß den §§ 7 und 8 zulässig. Darauf folgt die Prüfung der Anmeldung durch das Registergericht (§ 9c). Fällt die Prüfung positiv aus, wird die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen (§ 10), womit der Gründungsvorgang abgeschlossen ist (§§ 11, 13). Eine GmbH kann außerdem nach dem UmwG durch Verschmelzung und Spaltung (Aufspaltung, Abspaltung, Ausgliederung) jeweils zur Neugründung oder durch Formwechsel gegründet werden. § 2 gilt dafür nicht; jedoch ergeben sich für diese Fälle aus dem UmwG entsprechende Formvorschriften (s. insbesondere die §§ 6, 36, 37, 135 Abs. 2, §§ 158, 193, 197, 217 ff. UmwG)4.

1 Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtline (DiRUG), BGBl. I 2021, 3338. 2 Richtlinie (EU) 2019/1151 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2019 zur Änderung der Richtlinie (EU) 2017/1132 im Hinblick auf den Einsatz digitaler Werkzeuge und Verfahren im Gesellschaftsrecht (Text von Bedeutung für den EWR), ABl. EU Nr. L 186 v. 11.7.2019, S. 80. 3 Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften (DiREG), BGBl. I 2022, 1146. 4 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 2.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 5 § 2

II. Gesellschaftsvertrag 1. Rechtsnatur Der Gesellschaftsvertrag hat eine doppelte Funktion5: Er ist erstens die Grundlage der ange- 3 strebten Gesellschaft, d.h. ihre Verfassung im Sinne des § 25 BGB, und schafft damit letztlich (zusammen mit weiteren Tatbestandsmerkmalen wie der Eintragung der Gesellschaft) einen organisatorischen Rahmen, der grundsätzlich für alle gegenwärtigen und zukünftigen Mitglieder der Gesellschaft sowie für Dritte, insbesondere für die Gläubiger der Gesellschaft, gleichermaßen verbindlich ist. Der Vertrag begründet zweitens ein Rechtsverhältnis zwischen den Gründern, aus dem sich für alle Gründer gegenseitige Rechte und Pflichten ergeben und das deshalb – jedenfalls auch – ein Schuldverhältnis unter den Gründern darstellt. Hervorzuheben sind die Pflicht zur Leistung der Einlagen und zur Mitwirkung bei der Herbeiführung der Eintragung der Gesellschaft6. In den § 3 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 2, § 5 Abs. 4, § 7 Abs. 2 Satz 1 und § 7 Abs. 3 geht das Gesetz ausdrücklich von dem Bestand solcher Pflichten aus, deren Erfüllung daher im Gründungsstadium nicht nur die Vorgesellschaft (durch die möglicherweise bereits bestellten Geschäftsführer), sondern auch jeder Gründer von den anderen Gründern verlangen kann, so dass auch jeder bei einer Verletzung dieser Pflichten gemäß § 280 Abs. 1 BGB Schadensersatz verlangen kann. Die angedeutete Doppelfunktion des Gesellschaftsvertrages (s. Rz. 3) kommt auch in der 4 schwankenden Terminologie zum Ausdruck7. Soweit man vom „Gesellschaftsvertrag“ spricht, hat man in der Regel die Funktion des Vertrages im Auge, ein auf die endgültige Gründung der Gesellschaft gerichtetes Rechtsverhältnis zwischen den Gründern zu schaffen, aus dem sich (unter anderem) wechselseitige Rechte und Pflichten der Gründer ergeben können. Soweit man dagegen mehr die in die Zukunft weisende Funktion des Vertrages betonen möchte, nach Eintragung der Gesellschaft deren „Verfassung“ im Sinne des § 25 BGB zu regeln, wird im Schrifttum vielfach im Anschluss an das BGB (s. die §§ 25, 26 Abs. 1 Satz 3, § 33 BGB usw.) und an das AktG (s. etwa die §§ 5, 23 AktG) der Begriff „Satzung“ oder gelegentlich auch „Statut“ bevorzugt. Das GmbHG spricht in den jeweiligen Paragraphen durchgängig von dem „Gesellschaftsvertrag“, allerdings wird der Begriff „Satzung“ in den Überschriften zur Satzungsänderung verwendet (s. §§ 53, 54). Auch im Folgenden werden entsprechend den Gepflogenheiten in der Praxis8 beide Begriffe als gleichbedeutend verwandt9. Mit der Doppelfunktion des GmbH-Gesellschaftsvertrages (s. Rz. 3) hängt die Diskussion 5 über seine Rechtsnatur zusammen10. In dieser Frage stehen sich im Wesentlichen drei Meinungen gegenüber11. Während nach der Vertragstheorie der Gesellschaftsvertrag eine beson-

5 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 4; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16. 6 S. 13. Aufl., § 11 Rz. 52; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16; s. zur Pflicht zur Durchführung einer Kapitalerhöhung BGH v. 3.11.2015 – II ZR 13/14, GmbHR 2015, 1315 = NJW 2015, 3786. 7 S. auch Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 2 (S. 80 ff.). 8 Vgl. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 2 a (S. 81). 9 S. auch Wicke, Rz. 2. 10 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; s. zu dieser Diskussion eingehend Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5 ff.; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 33 f.; Leuschner in MünchKomm. BGB, § 25 BGB Rz. 13 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 1 (S. 75 ff.); Weick in Staudinger, 2005, Vorbem. 35 ff. vor § 21 BGB. 11 S. etwa den Überblick bei Wiedemann, GesR I, § 3 II 1 b (S. 160 ff.).

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§ 2 Rz. 5 | Form des Gesellschaftsvertrages dere Erscheinungsform des Vertrages ist (s. § 705 BGB)12, schaffen nach der Normentheorie die Gründer (kraft staatlicher Delegation) im Wege eines Verbandsschöpfungsaktes objektives Recht13. Eine vermittelnde Position nimmt die heute überwiegend vertretene modifizierte Normentheorie ein, nach der zwar der Abschluss des Gesellschaftsvertrages rechtsgeschäftlichen Regeln untersteht, die durch den Gesellschaftsvertrag geschaffene Verbandsverfassung jedoch ab der Eintragung der Gesellschaft wie objektives Recht behandelt wird14. Die praktische Bedeutung der Kontroverse ist gering15. In den meisten früheren Streitfragen zeichnet sich unabhängig von dem dogmatischen Verständnis von der Rechtsnatur des Gesellschaftsvertrages eine weitgehende Übereinstimmung in Literatur und Rechtsprechung ab. Diese Entwicklung ist zu begrüßen, weil die sachgerechte Bewältigung von Einzelproblemen vorrangige Bedeutung gegenüber der Lösung der dogmatischen Vorfrage hat16. Im Hinblick auf die vertretenen Meinungen ist aber zumindest anzumerken, dass die Vertragstheorie und die Normentheorie in ihrer allgemeinen Form nicht überzeugen können17. Die Vertragstheorie kann im Ausgangspunkt zwar zutreffend erklären, dass der Abschluss des Gesellschaftsvertrages durch Rechtsgeschäft der Gründer erfolgt. Sie vermag jedoch nicht überzeugend zu erklären, warum der Erwerber eines Geschäftsanteils, der diesen durch Vertrag mit dem Veräußerer erwirbt, ohne Vereinbarung mit den restlichen Gesellschaftern oder der GmbH den Regelungen des Gesellschaftsvertrages untersteht18. Die Unterwerfung unter den Gesellschaftsvertrag folgt nicht etwa aus einer Vertragsübernahme, sondern aus der Rechtsstellung des Gesellschafters als Mitglied der juristischen Person19. Auch können auf der Grundlage der Vertragstheorie die Existenz des Gesellschaftsvertrages bei der Einpersonengesellschaft (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 60) oder bei der Keinpersonengesellschaft (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 50) nur schwer erklärt werden. Für die Vertreter der Normentheorie bereiten diese Fälle weniger Erklärungsschwierigkeiten. Allerdings bringt die Normentheorie den rechtsgeschäftlichen Charakter der Verabschiedung des Gesellschaftsvertrages nicht hinreichend zum Ausdruck. So beruht etwa die Verpflichtung der Gesellschafter zur Mitwirkung bei der Eintragung der Gesellschaft (s. Rz. 3) auf der (gesellschafts-)vertraglichen Vereinbarung der Gesellschafter und ist nicht Ausfluss einer im Wege der staatlichen Delegation ausgenutzten Rechtssetzungsmacht, für deren Vorhandensein dem Gesetz keine Anhaltspunkte zu entnehmen sind20. Zu folgen ist daher der modifizierten Normentheorie. Sie betont zutreffend die rechtsgeschäftliche Natur des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages und die durch die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister eintretende Verselbständigung der Organisation gegenüber ihren Mitgliedern. Der Gesellschaftsvertrag ist danach Rechtsgeschäft besonderer Art, das die Rechte und Pflichten der Gründer untereinander regelt, aber auch die Verbandsverfas12 Emmerich, 11. Aufl., Rz. 7; Flume, Juristische Person, § 9 I (S. 316 ff.); s. zum Vereinsrecht Leuschner in MünchKomm. BGB, § 25 BGB Rz. 13 ff. 13 Grdl. O. v. Gierke, Genossenschaftstheorie, 1887, S. 132 ff.; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. I, S. 150 f., 486; Meyer-Cording, Die Vereinsstrafe, 1957, S. 43, 46 ff. in. 14 S. zum Vereinsrecht RG v. 29.10.1940 – VII 44/40, RGZ 165, 140, 143 f.; BGH v. 4.10.1956 – II ZR 121/55, BGHZ 21, 370, 373 ff. = NJW 1956, 1793; BGH v. 6.3.1967 – II ZR 231/64, BGHZ 47, 172, 179 f. = NJW 1967, 1268; OLG Frankfurt a.M. v. 19.12.1984 – 9 U 107/83, WM 1985, 1466, 1468; zustimmend Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 34; Ellenberger in Grüneberg, § 25 BGB Rz. 3; R. Veil, Unternehmensverträge, 2003, S. 194 ff.; s. auch Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 1 c (S. 77 f.). 15 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 33; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9. 16 S. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9 Fn. 17; Fleischer, DB 2013, 1466, 1471 f. 17 S. auch J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 34. 18 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6. 19 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; s. insofern auch Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 1 c (S. 78) zur Geltung satzungsmäßiger Schiedsklauseln gegenüber dem Rechtsnachfolger. 20 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 6 § 2

sung bestimmt, die ab dem Zeitpunkt der Handelsregistereintragung gleichsam wie objektives Recht behandelt wird. Zutreffend wird der Gesellschaftsvertrag insoweit als Organisationsvertrag21, der „Gesellschaftsvertrag“ der Einpersonengesellschaft als Organisationsakt22 qualifiziert (s. zum Gesellschaftsvertrag der Einpersonengesellschaft 13. Aufl., § 1 Rz. 60 ff.). Für den Abschluss des Gesellschaftsvertrages gelten folglich grundsätzlich die Vorschriften 6 des BGB über die Abgabe von Willenserklärungen und den Abschluss von Verträgen (§§ 105 ff., §§ 116 ff., §§ 125, 134, 138, 145 ff. BGB)23. Modifikationen der genannten Vorschriften sind jedoch in der Zeit nach Vollzug der Vorgesellschaft erforderlich (s. Rz. 86 ff.). Der Gesellschaftsvertrag ist hingegen nicht gegenseitiger Vertrag i.S.d. §§ 320 bis 326 BGB24. Er ist nicht auf den gegenseitigen Austausch von Leistungen gerichtet, sondern auf die Verfolgung des vereinbarten Gesellschaftszwecks25. Auch die gesellschaftsvertraglichen Verpflichtungen zur Leistung der Einlagen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 4) stehen nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis, weil die Einlagen nicht unter den Gesellschaftern ausgetauscht, sondern der Gesellschaft zur Verfolgung des Gesellschaftszwecks zur Verfügung gestellt werden. Zudem wird die Qualifikation des Gesellschaftsvertrages als gegenseitiger Vertrag dem organisationsrechtlichen Charakter nicht gerecht. Dies steht einer Anwendung von § 273 BGB allerdings nicht entgegen, so dass jeder Gesellschafter die Erfüllung der von ihm übernommenen Einlageverpflichtung gegenüber den Mitgesellschaftern von der Erfüllung der jeweiligen Verpflichtung der Mitgesellschafter abhängig machen kann26. Auch ein Zurückbehaltungsrecht des Gesellschafters im Verhältnis zur GmbH ist anzuerkennen27. Vorstehendes gilt jedenfalls in der zweigliedrigen Gesellschaft28, richtigerweise aber auch in Gesellschaften mit mehr als zwei Gesellschaftern. Das Zurückbehaltungsrecht kann sich dann zwar zulasten solcher Gesellschafter auswirken, die ihre Einlage bereits erbracht haben29. Jeder Gesellschafter hat es jedoch in der Hand, seine Leistung von der Leistung aller anderen Gesellschafter abhängig zu machen, so dass er nicht schutzbedürftig ist, wenn er vorgeleistet hat. Das Zurückbehaltungsrecht erlischt mit der Eintragung der GmbH im Handelsregister30. Ab diesem Zeitpunkt treten die Gründerinteressen zurück und die körperschaftliche Verfassung entsteht31. Hinsichtlich der Leistung der Geldeinlagen gilt nur noch § 19 Abs. 1.

21 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Altmeppen, Rz. 4; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 14. 22 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12; Altmeppen, Rz. 6; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 14. 23 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Altmeppen, Rz. 4; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 35; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2. 24 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 35; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Wicke, Rz. 3; Altmeppen, Rz. 4. Für eine zumindest ergänzende Heranziehung der §§ 320 bis 326 BGB Emmerich, 11. Aufl., Rz. 9. 25 Wiedemann, GesR I, § 3 II 1 b bb (S. 164). 26 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10. A.A., allerdings nur vor dem Hintergrund des § 320 BGB, Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 35. 27 Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl., Rz. 14. 28 Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl., Rz. 14, sieht nur in diesem Fall Raum für ein Zurückbehaltungsrecht des Mitgesellschafters und für ein Zurückbehaltungsrecht im Verhältnis des Gesellschafters zur GmbH. 29 So die Kritik von Wiedemann, GesR I, § 3 II 1 b bb (S. 164). 30 Für die Annahme eines Zurückbehaltungsrechts nur in der Zeit zwischen dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages und dem Vollzug der Vorgesellschaft Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; s. auch Emmerich, 11. Aufl., Rz. 9: Zurückbehaltungsrecht „auf jeden Fall“ in der Zeit zwischen dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages und dem Vollzug der Vorgesellschaft. 31 Vgl. BGH v. 6.3.1967 – II ZR 231/64, BGHZ 47, 172, 179 f. = NJW 1967, 1268.

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§ 2 Rz. 7 | Form des Gesellschaftsvertrages

2. Inhalt 7 Für den Abschluss des Gesellschaftsvertrages der GmbH besteht grundsätzlich Vertragsfrei-

heit (§ 311 Abs. 1 BGB), so dass die Gesellschafter – anders als bei der AG (§ 23 Abs. 5 AktG) – beliebige Regelungen in den Vertrag aufnehmen können32. Die Folge ist eine große Typenvielfalt, zumal die Gesellschafter eine GmbH gemäß § 1 für jeden beliebigen gesetzlich zulässigen Zweck gründen können (13. Aufl., § 1 Rz. 8 ff.)33. Zu dem zwingenden Mindestinhalt des Gesellschaftsvertrages zählen lediglich die in § 3 Abs. 1 vorgesehenen Satzungsbestandteile. Danach bildet – auch insoweit im Unterschied zur AG (vgl. § 23 und § 29 AktG) – die Beteiligungserklärung der Gründer durch Übernahme eines Geschäftsanteils einen notwendigen Bestandteil des Gesellschaftsvertrages (§ 3 Abs. 1 Nr. 4)34.

8 Die Regelungen des Gesellschaftsvertrages lassen sich weiter in echte35, materielle36, korpo-

rative37, körperschaftliche38 Satzungsbestandteile und in unechte39, formelle40, nichtkorporative41, individualrechtliche42 Satzungsbestandteile unterteilen43. Während erstere die Organisation der Gesellschaft und die Grundlagen der Gesellschafterstellung regeln44, handelt es sich bei den unechten Satzungsbestandteilen um solche, die lediglich bei Gelegenheit in den Satzungstext aufgenommen worden sind, ohne dass ihnen Satzungsqualität zukommt45. Derartige unechte Satzungsbestandteile können die rechtliche Natur eines Beschlusses (Bestellung des ersten Geschäftsführers in der Satzung46) oder einer schuldrechtlichen Vereinbarung haben oder ggf. sogar nur von tatsächlicher, informatorischer Bedeutung sein47. Die Abgrenzung ist mitunter schwierig (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 127 ff.), aber unter anderem für die Aus-

32 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 3 Rz. 2; Karsten Schmidt, GesR, § 34 II 2 g (S. 1004); s. auch empirisch Bayer/Hoffmann/J. Schmidt, GmbHR 2007, 953, 954 ff. 33 S. den Versuch einer Typisierung aus Sicht der Kautelarpraxis bei Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14. 34 Vgl. BGH v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300, 303 = NJW 1959, 934; M. Lutter, Kapital, S. 90; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 8; anders Feine in Ehrenbergs Hdb. III/3, S. 166. 35 BGH v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 161; BGH v. 8.2.1988 – II ZR 228/87, BGHZ 103, 219, 222 = NJW 1988, 1729; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 6; Winkler, DNotZ 1980, 578, 584. 36 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 3 Rz. 3. 37 BGH v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, GmbHR 2003, 1062 = DNotZ 2004, 62, 64; Priester, DB 1979, 681. 38 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = GmbHR 1992, 257 258 = NJW 1992, 892; OLG Nürnberg v. 20.12.2013 – 12 U 49/13, NZG 2014, 222, 225 f. = GmbHR 2014, 310. 39 BGH v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 161; BGH v. 8.2.1988 – II ZR 228/87, BGHZ 103, 219, 222 = NJW 1988, 1729; Wicke, Rz. 2; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 6. 40 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 3 Rz. 3. 41 Priester, DB 1979, 681. 42 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = GmbHR 1992, 257 = NJW 1992, 892; OLG Nürnberg v. 20.12.2013 – 12 U 49/13, NZG 2014, 222, 225 f. = GmbHR 2014, 310. 43 S. zur Terminologie Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 9 Fn. 14; Karsten Schmidt, GesR, § 34 II 2 g bb (S. 1005); Wicke, DNotZ 2006, 419 f. Kritisch zur Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Satzungsbestandteilen Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 6. 44 Karsten Schmidt, GesR, § 34 II 2 g bb (S. 1005). 45 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 40. 46 Soll hingegen ein Sonderrecht auf Geschäftsführung begründet werden, handelt es sich um einen echten Satzungsbestandteil, s. dazu BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10. 47 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Wicke, DNotZ 2006, 419, 420.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 9 § 2

legung und die Änderung der betreffenden Regelungen bedeutsam48. Werden Abreden in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen, spricht dies im Zweifel dafür, dass es sich um einen echten Satzungsbestandteil handelt49, weshalb der Praxis zu empfehlen ist, ausschließlich echte Satzungsbestandteile in diesen aufzunehmen50 oder zumindest klarstellende Vereinbarungen zu treffen51. Durch den Gesellschaftsvertrag können ferner Rechte Dritter gegen einzelne Gesellschafter (§ 328 BGB) und – auch ohne Beteiligung der Geschäftsführung – gegen die Gesellschaft begründet werden52. Denkbar ist auch die Begründung von Verpflichtungen Dritter im Satzungstext53. Da Dritte jedoch typischerweise nicht an dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages beteiligt sind und deren Zustimmung zur Begründung von Verpflichtungen erforderlich ist, sind derartige Regelungen in der Praxis nicht zu beobachten. Vereinbarungen mit Dritten sind stets unechte Satzungsbestandteile (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 138)54. Dies gilt auch für in der Satzung enthaltene Vollmachten und dingliche Verfügungsgeschäfte55. Die §§ 305 bis 310 BGB über AGB finden gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keine Anwen- 9 dung auf Gesellschaftsverträge. Vereinbarungen, die unmittelbar auf der Satzung beruhen, mitgliedschaftlicher Natur sind und der Verwirklichung des Unternehmensgegenstandes dienen, betreffen nicht den Austausch von Leistungen und unterliegen daher nicht der AGBKontrolle56. Soweit der Kern der Regelung jedoch nicht das korporationsrechtliche Rechtsverhältnis, sondern den schuldrechtlichen Leistungsaustausch betrifft, findet § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB keine Anwendung57. Damit werden insbesondere nicht auf der Mitgliedschaft beruhende Austauschverträge bzw. Beziehungen zwischen der Gesellschaft und den Gesellschaftern einer AGB-Kontrolle unterstellt, wie dies in der Rechtsprechung z.B. bei Genussscheinbedingungen angenommen wurde58. Zudem steht § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB einer Inhaltskontrolle (§ 242 BGB) von Gesellschaftsverträgen nicht entgegen, wenn die Richtigkeitsgewähr des

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S. dazu Wicke, DNotZ 2006, 419, 420 ff. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 46. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17. Vgl. näher Wicke, DNotZ 2006, 419, 433. A.A. wohl Wicke, DNotZ 2006, 419, 431. Insoweit ist zwar richtig, dass der Gesellschaftsvertrag typischerweise nur von den Gesellschaftern geschlossen wird. Dies schließt jedoch die (theoretische) Möglichkeit nicht aus, dass die Gesellschafter anlässlich der Verabschiedung des Gesellschaftsvertrages unter Beteiligung eines Dritten eine Verpflichtung zu dessen Lasten begründen und diese in dem Text des Gesellschaftsvertrages verlautbaren. So die ganz h.M., s. Wicke, DNotZ 2006, 419, 430 f. A.A. etwa Beuthien/Gätsch, ZHR 156 (1992), 459, 477 zu Zustimmungsvorbehalten zugunsten Dritter. Wicke, DNotZ 2006, 419, 433; Maier-Reimer, GmbHR 2017, 1325, 1327. A.A. BGH v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, GmbHR 2003, 1062 = DNotZ 2004, 62, 64 zur antizipierten Geschäftsanteilsübertragung für den Fall der Kündigung; kritisch dazu Barth, GmbHR 2004, 383; Heckschen, NZG 2010, 521, 524 f. BGH v. 8.2.1988 – II ZR 228/87, BGHZ 103, 219 = NJW 1988, 1729; Becker in Bamberger/Roth, § 310 BGB Rz. 29; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 155; Wicke, DNotZ 2006, 419, 421 f. Anders für das Angebot von Leistungen außerhalb des eigentlichen Unternehmensgegenstandes auf mitgliedschaftlicher Grundlage BGH v. 11.11.1992 – II ZR 44/91, NJW-RR 1992, 379. Basedow in MünchKomm. BGB, § 310 BGB Rz. 124; Becker in Bamberger/Roth, § 310 BGB Rz. 32. Streitig ist, ob § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB auch dann zurücktritt, wenn Gesellschaftsverträge zur privaten Kapitalanlage geschlossen werden, dafür OLG Oldenburg v. 20.5.1999 – 1 U 24/99, NZG 1999, 896; Basedow in MünchKomm. BGB, § 310 BGB Rz. 128; dagegen zu Recht Becker in Bamberger/ Roth, § 310 BGB Rz. 32; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 45 Rz. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 3 Rz. 67; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 155. Offen gelassen von BGH v. 23.4.2012 – II ZR 75/10, NJW-RR 2012, 1312, 1315. BGH v. 5.10.1992 – II ZR 172/91, BGHZ 119, 305 = NJW 1993, 57.

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§ 2 Rz. 9 | Form des Gesellschaftsvertrages Vertrages im Einzelfall gestört ist. Daher unterliegen nach der Rechtsprechung die Gesellschaftsverträge von Publikumsgesellschaften59 und von Vereinen, die im wirtschaftlichen und sozialen Bereich eine überragende Machtstellung innehaben60, einer Inhaltskontrolle. Einer solchen Inhaltskontrolle müssen auch GmbH-Gesellschaftsverträge unterliegen61, zumindest dann, wenn es sich um Publikumsgesellschaften oder um vergleichbare Gesellschaften mit einem großen, nicht mehr persönlich verbundenen Gesellschafterkreis handelt62. Solche Gesellschaften kommen in der Praxis aber nur selten in der Rechtsform der GmbH vor63. Auch eine Inhaltskontrolle des Gesellschaftsvertrages nach Maßgabe des AGG kommt praktisch nur selten in Betracht, weil der Anwendungsbereich des AGG regelmäßig nicht eröffnet ist64. Bei dem Abschluss eines Gesellschaftsvertrages handelt es sich typischerweise nicht um ein Massengeschäft i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 AGG oder um einen Fall des § 19 Abs. 2 AGG65. Zudem liegt regelmäßig keine Regelung des Zugangs zur selbständigen Erwerbstätigkeit oder des beruflichen Aufstiegs i.S.d. § 2 Nr. 1, § 6 Abs. 3 AGG vor66.

3. Notarielle Form a) Zweck des Formerfordernisses 10 Der Gesellschaftsvertrag bedarf nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der notariellen Beurkundung (§ 128

BGB)67. An dem Erfordernis der notariellen Mitwirkung hat der Gesetzgeber zu Recht auch im Fall der Online-Gründung festgehalten und hierfür in § 2 Abs. 3 ein eigenständiges Verfahren der Videobeurkundung vorgesehen (Rz. 160 ff.). Den Notar trifft die allgemeine Amtspflicht, den Willen der Parteien zu erforschen, den Sachverhalt zu klären und die Beteiligten hinsichtlich der rechtlichen Tragweite des Geschäfts zu belehren (§ 17 BeurkG). Als qualifizierter und unabhängiger Berater klärt der Notar die Beteiligten über Haftungsrisiken auf, wirkt auf den Schutz der Minderheitsgesellschafter gegenüber der Mehrheit hin und bewahrt die Gläubiger vor einer Verwässerung des Haftungsfonds sowie die Öffentlichkeit vor GmbH-

59 BGH v. 14.4.1975 – II ZR 147/73, BGHZ 64, 238 = GmbHR 1975, 155 = NJW 1975, 1318; BGH v. 3.5.1982 – II ZR 78/81, BGHZ 84, 11 = NJW 1982, 2303; BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, BGHZ 102, 172 = NJW 1988, 969; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 135/87, BGHZ 104, 50 = NJW 1988, 1903. 60 BGH v. 2.12.1974 – II ZR 78/72, BGHZ 63, 282, 285 = NJW 1975, 771; BGH v. 24.10.1988 – II ZR 311/87, BGHZ 105, 306 = NJW 1989, 1724. 61 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Basedow in MünchKomm. BGB, § 310 BGB Rz. 122; Flume, Juristische Person, § 9 I (S. 320 f.); Wiedemann, GesR I, § 3 II 3 (S. 172 ff.). 62 LG Münster v. 29.8.1995 – 9 S 82/95, NJW-RR 1996, 676 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19. 63 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 12. 64 Möglicherweise a.A. Ring in Ring/Grziwotz, Systematischer Praxiskommentar GmbH-Recht, 3. Aufl. 2019, Rz. 10; im Grundsatz wie hier Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 30; s. zur Anwendung des AGG auf GmbH-Geschäftsführer BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, BGHZ 193, 110 = GmbHR 2012, 845; dazu Bauer/Arnold, NZG 2012, 921; zur Behandlung des Gesellschafter-Geschäftsführers s. Thüsing in MünchKomm. BGB, § 6 AGG Rz. 11 einerseits und Schröder/Diller, NZG 2006, 728, 730 andererseits. 65 Ebenso Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 38, § 3 Rz. 4; Schröder/Diller, NZG 2006, 728, 729. 66 Schröder/Diller, NZG 2006, 728, 729 ff.; grds. auch Bauer/Krieger, 5. Aufl. 2018, § 2 AGG Rz. 16 mit Ausnahme für den Fall, dass die Aufnahme eines Gesellschafters im konkreten Fall die einzig mögliche Form der Erwerbstätigkeit ist; a.A. Thüsing in MünchKomm. BGB, § 2 AGG Rz. 5 für den Aufstieg vom Associate zum Partner. 67 S. ebenso § 4 Abs. 3 Satz 1 öGmbHG; anders jedoch § 9a Abs. 4 Satz 1 öGmbHG in der Fassung des Deregulierungsgesetzes 2017 mit Wirkung zum 1.1.2018 für die vereinfachte Gründung einer GmbH, deren alleiniger Gesellschafter auch Geschäftsführer ist.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 11 § 2

Gründungen, durch die unerlaubte oder unredliche Zwecke verfolgt werden (§ 4 BeurkG)68. Das Formerfordernis verwirklicht damit eine Vielzahl von Zwecken69. Im Vordergrund steht der Schutz des Rechtsverkehrs durch die Gewährleistung erhöhter Rechtssicherheit70. Daneben kommt dem Formgebot Individualschutz in Form einer Warnfunktion zugunsten der Gesellschafter zu71 und es dient der Gewährleistung der materiellen Richtigkeit der Satzungsbestimmungen72. Die (auch) der Richtigkeitsgewähr dienende Prüfungs- und Belehrungspflicht des Notars ist entgegen einer teilweise vertretenen Auffassung73 als öffentlichrechtliche Verpflichtung nicht verzichtbar (s. noch Rz. 20)74. Besondere Relevanz hat auch die mit der Einschaltung des Notars einhergehende Filter- und Kontrollfunktion75. Die Filterfunktion kommt in der zweistufigen Prüfung durch Notar und Gericht zum Ausdruck76. Sie bewirkt eine erhebliche Entlastung der Justiz, und zwar sowohl auf Seiten der Registergerichte77 als auch auf Seiten der streitigen Gerichtsbarkeit durch Vermeidung oder zumindest Reduzierung streitiger Gerichtsprozesse78. Die Bedeutung der notariellen (Vor-)Prüfung ist insbesondere durch die Einschränkung der gerichtlichen Prüfungskompetenz (vgl. § 9c) weiter gestiegen79. Ihren Ausdruck hat sie inzwischen auch in § 378 Abs. 3 Satz 1 FamFG gefunden80. Die Kontrollfunktion zeigt sich darin, dass die Mitwirkung des Notars die Rückdatierung von Gründungsurkunden oder deren nachträgliche Änderungen verhindert und die Einhaltung gesetzlicher Anzeigepflichten gewährleistet (§ 54 EStDV)81. Angesichts dieser Vielzahl von unterschiedlichen Zielen, die mit dem Beurkundungserfor- 11 dernis verfolgt werden und die auch dem öffentlichen Interesse dienen, hat der Gesetzgeber auch für die GmbH-Gründung im vereinfachten Verfahren gemäß § 2 Abs. 1a an dem Beurkundungserfordernis festgehalten und nicht die bloße Unterschriftsbeglaubigung genügen lassen82. Zudem hat der Gesetzgeber die bewährte notarielle Mitwirkung auch bei der Online-Gründung gemäß § 2 Abs. 3 vorgesehen. Hierfür spricht, dass wesentliche Zwecke, ins-

68 Altmeppen, Rz. 16; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Lieder, ZIP 2018, 805, 807. 69 S. die ausführliche Darstellung bei Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21 ff.; Kießling, Vorgründungs- und Vorgesellschaften, 1999, S. 18 ff. 70 AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, 226; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Altmeppen, Rz. 16; Wicke, Rz. 5. 71 Vgl. BGH v. 21.9.1987 – II ZR 16/87, NJW-RR 1988, 288, 289 = GmbHR 1988, 98; s. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 1; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23. 72 In diesem Sinne BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 338 = GmbHR 1989, 25, 29 = NJW 1989, 295, 298 – Supermarkt-Beschluss; AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, 226; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Wicke, ZIP 2006, 977. 73 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = GmbHR 1981, 238 = NJW 1981, 1160; BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270, 276 = GmbHR 2014, 248 = NJW 2014, 2026; Emmerich, 11. Aufl., Rz. 13; Thorn in Grüneberg, Art. 11 EGBGB Rz. 10. 74 Zutreffend AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, 225; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; Beckmann/ Fabricius, GWR 2016, 375, 377. 75 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Altmeppen, Rz. 16; Wicke, ZIP 2006, 977 f. 76 S. allgemein hierzu Preuß, RNotZ 2009, 529. 77 C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 12. 78 Lieder, NZG 2020, 1081, 1088. 79 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21. 80 S. dazu das Gesetz zur Neuordnung der Aufbewahrung von Notariatsunterlagen und zur Einrichtung des Elektronischen Urkundenarchivs bei der Bundesnotarkammer sowie zur Änderung weiterer Gesetze vom 1.6.2017, BGBl. I 2017, 1396. 81 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; s. zu § 54 EStDV im Zusammenhang mit der Diskussion über die Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung auch Heinze, NZG 2017, 371. 82 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23.

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§ 2 Rz. 11 | Form des Gesellschaftsvertrages besondere die Warnfunktion, die Gewährleistung materieller Richtigkeit sowie die Filterfunktion ohne Einschaltung eines Notars nicht oder nicht mehr vollständig erreicht werden könnten. Die mit der notariellen Mitwirkung verbundenen Kosten sind in Anbetracht der mit ihr verwirklichten Ziele auch volkswirtschaftlich gerechtfertigt83. b) Umfang des Formerfordernisses 12 Das Formerfordernis des § 2 erstreckt sich auf den gesamten Inhalt des Gesellschaftsvertra-

ges. Es betrifft nicht nur den obligatorischen, sondern auch den fakultativen Inhalt des Gesellschaftsvertrages, d.h. alle Abreden der Parteien, die nach ihrem Willen einen Bestandteil des Gesellschaftsvertrages bilden sollen, der auch Dritten gegenüber, insbesondere künftigen Erwerbern, verbindlich sein soll84. Hierzu zählt etwa die Begründung von Sonderrechten für einzelne Gesellschafter85. 13 Nicht unter das Formgebot des § 2 fallen schuldrechtliche Nebenabreden der Gründer86.

Übernehmen die Gründer untereinander oder gegenüber der Gesellschaft (§ 328 BGB) weitere schuldrechtliche Verpflichtungen, verpflichten sie sich etwa bestimmte zusätzliche Leistungen an die Gesellschaft zu erbringen, sind solche Nebenabreden formlos möglich. Nebenabreden können aber aus anderen Gründen formbedürftig sein, etwa wegen § 15 Abs. 4 Satz 1, wenn durch sie eine Verpflichtung zur Anteilsübertragung begründet wird. Spätere Erwerber sind nicht an schuldrechtliche Nebenabreden gebunden, es sei denn, sie treten den Vereinbarungen (ausdrücklich oder konkludent) bei87. c) Zuständigkeit des in Deutschland zugelassenen Notars 14 Die Zuständigkeit des Notars für Beurkundungen im Inland folgt unmittelbar aus § 2 Abs. 1

Satz 1 („notarieller Form“) bzw. § 2 Abs. 3 Satz 1 („notarielle Beurkundung“), ohne dass es eines Rückgriffs auf § 20 BNotO bedarf88. Der Sitz der GmbH ist für die Zuständigkeit des Notars irrelevant, so dass jeder in der Bundesrepublik Deutschland zugelassene Notar an der Errichtung von Gesellschaften mit beliebigem Satzungssitz innerhalb Deutschlands mitwirken darf (s. jedoch zu den Einschränkungen im Fall der Online-Gründung Rz. 196)89. Der Notar darf allerdings nur innerhalb seines Amtsbezirks tätig werden (§ 11 Abs. 1, 2 BNotO). Eine Überschreitung der Grenzen seines Amtsbezirks macht die Beurkundung nicht unwirksam (§ 11 Abs. 4 BNotO; § 2 BeurkG). Anders verhält es sich im Fall der Beurkundung eines in Deutschland zugelassenen Notars im Ausland, weil sich die Beurkundungsbefugnis als öf-

83 Zutreffend Wicke, ZIP 2006, 977 f. 84 Altmeppen, Rz. 7; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 46; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12. 85 RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 367 f.; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 51. 86 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 24/92, GmbHR 1993, 214 = NJW-RR 1993, 607; BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980, 981 = NJW 2010, 3718, 3719; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; Altmeppen, Rz. 9; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 47; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47; a.A. hinsichtlich Nebenleistungen i.S.d. § 3 Abs. 2 Ullrich, ZGR 1985, 235; für die Formbedürftigkeit aller Abreden der Gesellschafter Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44 ff. 87 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47. 88 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28; anders Emmerich, 11. Aufl., Rz. 17; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 21. 89 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 14 § 2

fentliche Tätigkeit auf das Staatsgebiet beschränkt (s. zur Beurkundung durch im Ausland zugelassene Notare Rz. 15 ff.)90. Zuständig für die Beurkundung im Ausland sind die deutschen Konsularbeamten (§ 10 KonsularG)91. Eine Online-Gründung durch Konsularbeamte ist jedoch nicht möglich, hier bleibt nur die Durchführung des Präsenzverfahrens92. Eine Zuständigkeit zugunsten der Gerichte und der Schiedsgerichte besteht im Rahmen des § 127a BGB93 sowie des § 1053 Abs. 3 ZPO94, es sei denn, die notarielle Form soll durch die Wahl des Schiedsverfahrens bewusst umgangen werden95. d) Im Ausland zugelassene Notare Schrifttum: Becker, GmbH-Gründungstourismus in die Schweiz, NotBZ 2016, 321; Beckmann/Fabricius, „Beurkundungstourismus“ – Gleichwertigkeit der Beurkundung gesellschaftsrechtlicher Dokumente im Ausland, GWR 2016, 375; Becht/Stephan-Wimmer, Die rechtliche Anerkennung Österreichischer notarieller Beurkundungen über die Gründung einer GmbH, GmbHR 2019, 45; Bredthauer, Zur Wirksamkeit gesellschaftsrechtlicher Beurkundungen im Kanton Zürich, BB 1986, 1864; Cramer, Die Beurkundung der GmbH-Gründung durch einen in der Schweiz zugelassenen Notar mit Amtssitz im Kanton Bern – Zugleich Besprechung von KG, Beschl. v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, DStR 2018, 746; A. Dignas, Die Auslandsbeurkundung von gesellschaftsrechtlichen Vorgängen einer deutschen GmbH, 2004; Geimer, Auslandsbeurkundungen im Gesellschaftsrecht – Bemerkungen zum Urteil des BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, DNotZ 1981, 406; Goette, Auslandsbeurkundungen im Kapitalgesellschaftsrecht, in FS Boujong, 1996, S. 131 = DStR 1996, 709 = MittRhNotK 1997, 2; Heckschen, Auslandsbeurkundung und Richtigkeitsgewähr, DB 1990, 161; Heckschen, Die Gründung der GmbH im Ausland – Zugleich Besprechung der Entscheidung des Kammergerichts vom 24.01.2018 – 22 W 25/16, DB 2018, 685; Heinze, Die Bedeutung der steuerlichen Anzeige- und Übersendungspflichten der Notare (insbesondere nach § 54 I EStDV) für die Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung im Gesellschaftsrecht, NZG 2017, 371; Heinze, Der Schutz öffentlicher Interessen durch das notarielle Beurkundungsverfahren: Die Pflicht zur Amtsverweigerung (§ 4 BeurkG) und ihre Bedeutung für die Gleichwertigkeit der Auslandbeurkundung, DNotZ 2017, 804; H.-J. Hellwig in Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997, 1998, S. 285; Herrler, Beurkundung von statusrelevanten Rechtsgeschäften im Ausland, NJW 2018, 787; St. Kröll, Beurkundung gesellschaftsrechtlicher Vorgänge durch einen ausländischen Notar, ZGR 2000, 111; Lerch, Der Verzicht der Urkundsbeteiligten auf ihren Anspruch auf Belehrung nach § 17 Abs. 1 BeurkG?, NotBZ 2016, 452; Lieder, Beurkundung der Gesellschaftsgründung durch einen schweizerischen Notar, ZIP 2018, 805; Lieder, Zur Auslandsbeurkundung im Grundstücks- und Gesellschaftsrecht, NZG 2020, 1081; Lieder, Das DiREG – Mehr Digitalisierung wagen?!, ZRP 2022, 102; Löber, Beurkundung von Gesellschafterbeschlüssen einer deutschen GmbH vor spanischen Notaren, RIW 1989, 94; Meier/Szalai, Das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) – Die neuen Regelungen zur Onlinegründung von Kapitalgesellschaften –, ZNotP 2021, 306; Mohr, Auslandsbeurkundung bei der deutschen GmbH, GmbH-StB 2011, 310; van Randenborgh/Kallmeyer, Pro und Contra – Beurkundung gesellschaftsrechtlicher Rechtsgeschäfte durch ausländische Notare?, GmbHR 1996, 908 und 910; A. Reuter in Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997, 1998, S. 277; Schervier, Beurkundung GmbH-rechtlicher Vorgänge im Ausland, NJW 1992, 593; Sick/A. Schwarz, Auslandsbeurkundungen im Gesellschaftsrecht, NZG 1998, 540; Stelmaszczyk, Beurkundung einer GmbH-Gründung im Ausland – Zugleich Besprechung von KG, Beschluss vom 24.1.2018, 22 W 25/16, GWR 2018, 103; Stelmaszczyk, Beurkundung einer inländischen Verschmelzung im Ausland – Zugleich Besprechung von KG, Beschluss vom 26.7.2018 – 22 W 2/18, RNotZ 2019, 77; Stenzel, Formfragen des internationalen Gesellschaftsrechts, GmbHR 2014,

90 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39. 91 Gesetz über die Konsularbeamten, ihre Aufgaben und Befugnisse (Konsulargesetz) vom 11.9.1974, BGBl. I 1974, 2317; näher dazu Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. 92 BT-Drucks. 19/8177, S. 113. 93 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24. 94 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24. 95 OLG München v. 26.7.2005 – 31 Wx 50/05, GmbHR 2005, 1568, 1569 f.

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§ 2 Rz. 15 | Form des Gesellschaftsvertrages 1024; Stenzel, Vollmachtsmängel bei der GmbH-Gründung, GmbHR 2015, 567; Tebben, Zur Substitution der notariellen Beurkundung bei Umwandlungsvorgängen – Zugl. Besprechung von KG, Beschl. v. 26.7.2018 – 22 W 2/18, GmbHR 2018, 1190.

15 Ob die Gründung einer GmbH nur durch einen in Deutschland zugelassenen Notar96 be-

urkundet werden kann oder ob generell oder im Einzelfall eine Beurkundung durch einen im Ausland zugelassenen Notar oder eine gleichstehende Urkundsperson dem Formerfordernis genügt, ist seit langer Zeit umstritten97. In der Praxis beruht der Wille zur Einschaltung eines Notars im Ausland nahezu ausschließlich auf der Motivation, die in Deutschland anfallenden Notargebühren zu umgehen98. Hinsichtlich der GmbH-Gründung erfolgt dies teilweise in Verkennung der tatsächlich in Deutschland anfallenden moderaten Gebührensätze und der allenfalls geringen Kostenvorteile einer Auslandsbeurkundung99. Die Frage nach der Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung betrifft bislang nur die Präsenzbeurkundung gemäß § 2 Abs. 1. Mit der Einführung der Online-Gründung gemäß § 2 Abs. 3 wird sie sich künftig auch insoweit stellen, als Notare im Ausland vergleichbare Onlineverfahren durchführen100. Das Verfahren gemäß § 2 Abs. 3 als solches kann von einem Notar im Ausland allerdings nicht gewählt werden, da die Videoplattform der BNotK nur inländischen Notaren zur Verfügung steht101. 16 Im Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass sich die Gründung einer GmbH allein nach deut-

schem Recht bemisst. Auch bei Beurkundung im Ausland ist damit zwingend die notarielle Form des § 2 Abs. 1 Satz 1 einzuhalten. Dies folgt aus § 11 Abs. 1 EGBGB. Danach ist ein Rechtsgeschäft zwar nicht nur dann formgültig, wenn es den Formerfordernissen des Rechts genügt, das auf das seinen Gegenstand bildende Rechtsverhältnis anzuwenden ist (sog. Geschäfts- oder Wirkungsstatut), sondern auch dann, wenn es die Formerfordernisse des Rechts desjenigen Staates erfüllt, in dem es vorgenommen wird (sog. Ortsstatut). Für die Gründung einer GmbH gilt jedoch nach zutreffender h.M. allein das Wirkungsstatut102. Ge-

96 Die Verwendung des Begriffs „deutscher Notar“ oder „ausländischer Notar“, s. etwa Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9, ist spätestens seit der Entscheidung des EuGH v. 24.5.2011 – C-54/ 08, NJW 2011, 2941 missverständlich, weil danach Staatsbürgern aller EU-Mitgliedstaaten der Zugang zum Notarberuf eröffnet werden muss, mithin ein in Deutschland zugelassener Notar nicht die deutsche Staatsangehörigkeit haben muss. 97 S. den Überblick zum Streitstand bei Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50 ff. 98 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 45. 99 S. dazu Becker, NotBZ 2016, 321 f.; s. zu den eigentlichen Motiven Heckschen, DB 2018, 685, 686. 100 Eine Substitution eines in Deutschland zwingenden Präsenzverfahrens durch ein Online-Verfahren im Ausland ist jedoch keinesfalls möglich, s. auch den RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 13. 101 Meier/Szalai, ZNotP 2021, 306, 308. 102 OLG Hamm v. 1.2.1974 – 15 Wx 6/74, NJW 1974, 1057 f.; KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, DNotZ 2019, 134, 136; LG Augsburg v. 4.6.1996 – 2 HK T 2093/96, GmbHR 1996, 941 = NJW-RR 1997, 420; LG Kiel v. 25.4.1997 – 3 T 143/97, GmbHR 1997, 952 = BB 1998, 120; LG Mannheim v. 27.7.1998 – 24 T 2/98, BWNotZ 2000, 150; AG Köln v. 14.8.1989 – 42 HRB 8123, GmbHR 1990, 172 = MittRhNotK 1990, 22; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Altmeppen, Rz. 19; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 41; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 16; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 33; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Goette, MittRhNotK 1997, 1, 2 ff.; Haerendel, DStR 2001, 1802 f.; Stenzel, GmbHR 2014, 1024, 1031; Stelmaszczyk, GWR 2018, 103, 104; Cramer, DStR 2018, 746, 748; Tebben, GmbHR 2018, 1190, 1191; ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27 und J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 57 jeweils im Wege der analogen Anwendung des Art. 11 Abs. 4 EGBGB.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 17 § 2

gen die Geltung (auch) des Ortstatuts103 spricht neben dem Willen des Gesetzgebers104, dass das Beurkundungserfordernis (auch) öffentlichen Interessen dient, insbesondere der Rechtssicherheit und der Richtigkeitsgewähr (s. Rz. 10), und diesen Interessen bei Geltung des Ortsstatuts nicht genügt würde. Zudem würde die Anerkennung der Ortsform die Verlässlichkeit des deutschen Handelsregisters erheblich beeinträchtigen, wenn aufgrund privatschriftlich errichteter Urkunden Strukturmaßnahmen wie die Errichtung einer GmbH zur Eintragung in das deutsche Handelsregister gelangen könnten. Etwas anderes folgt auch nicht aus Art. 11 Rom I-VO, weil die Rom I-VO gemäß ihrem Art. 1 Abs. 2 lit. f auf Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht nicht anwendbar ist105. Geht man von der Maßgeblichkeit (nur) des Wirkungsstatuts aus, stellt sich die Frage, ob 17 den Anforderungen der nach deutschem Recht vorgeschriebenen notariellen Beurkundung im Wege der Substitution durch die Beurkundung im Ausland genügt werden kann. Nach der bislang wohl herrschenden Auffassung soll dies möglich sein, wenn die Beurkundung durch den im Ausland zugelassenen Notar der Beurkundung durch einen in Deutschland zugelassenen Notar gleichwertig ist. Voraussetzung hierfür soll die Gleichwertigkeit der Beurkundungsperson und die Gleichwertigkeit des Beurkundungsverfahrens sein106. Die Beurkundungsperson muss nach ihrer Vorbildung und Stellung im Rechtsleben dem Notar in Deutschland gleichwertig sein, nicht jedoch über besondere Kenntnisse im deutschen Gesellschaftsrecht verfügen107. Zudem muss der Notar ein Verfahrensrecht beachten, das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht. In diesem Sinne wurde in der Rechtsprechung teilweise die Beurkundung durch einen Notar in den Niederlanden108, in Österreich109 und in einzelnen Kantonen der Schweiz anerkannt110, die Gleichwertigkeit

103 Dafür, jedoch unter teilweiser Missachtung des Willens des Gesetzgebers OLG Düsseldorf v. 25.1.1989 – 3 Wx 21/89, GmbHR 1990, 169 = NJW 1989, 2200; BayObLG v. 18.10.1977 – BReg 3 Z 68/76, NJW 1978, 500; OLG Frankfurt a.M. v. 10.4.1981 – 20 W 460/80, DB 1981, 1456; Spellenberg in MünchKomm. BGB, Art. 11 EGBGB Rz. 173 ff.; Thorn in Grüneberg, Art. 11 EGBGB Rz. 12 f.; offen gelassen von BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76, 78 = GmbHR 1981, 238 = NJW 1981, 1160; BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, GmbHR 1990, 25, 28 = NJW-RR 1989, 1259, 1261. 104 Dazu Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; Stenzel, GmbHR 2014, 1024, 1031. 105 EuGH v. 7.4.2016 – C-483/14, EuZW 2016, 339, 341 = NZG 2016, 513, 515; BGH v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68, 73 = DNotZ 2015, 207; AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 57; Wicke, Rz. 5. 106 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76, 78 = GmbHR 1981, 238 = NJW 1981, 1160; OLG Frankfurt a.M. v. 25.1.2005 – 11 U 8/04, GmbHR 2005, 764, 766 f.; KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, DNotZ 2019, 134, 137 f. = GmbHR 2018, 376; KG v. 26.7.2018 – 22 W 2/18, NZG 2018, 1195, 1196 = GmbHR 2018, 1202; LG Nürnberg-Fürth v. 20.8.1991 – 4 HK T 489/91, GmbHR 1991, 582. 107 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76, 78 f. = GmbHR 1981, 238 = NJW 1981, 1160. 108 So OLG Düsseldorf v. 25.1.1989 – 3 Wx 21/89, GmbHR 1990, 169 = NJW 1989, 2200, allerdings auf der Grundlage der Anerkennung der Ortsform. 109 BayObLG v. 18.10.1977 – BReg 3 Z 68/76, DB 1977, 2320; LG Kiel v. 25.4.1997 – 3 T 143/97, GmbHR 1997, 952 = BB 1998, 120 (Verschmelzung); offen gelassen von BayObLG v. 18.10.1977 – BReg 3 Z 68/76, GmbHR 1978, 39 (Anteilsübertragung); befürwortend auch Becht/Stephan-Wimmer, GmbHR 2019, 45. 110 BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = GmbHR 1981, 238 = NJW 1981, 1160 (Zürich); kritisch dazu Bredthauer, BB 1986, 1864; Goette, DStR 1996, 711; KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, DNotZ 2019, 134 = GmbHR 2018, 376 (Bern). Für den Fall der Anteilsübertragung OLG München v. 19.11.1997 – 7 U 2511/97, GmbHR 1998, 46 (Basel); OLG Düsseldorf v. 2.3.2011 – 3 Wx 236/10, GmbHR 2011, 417 (Basel). Für den Fall des Treuhandvertrages OLG Frankfurt a.M. v. 25.1.2005 – 11 U 8/04, GmbHR 2005, 764, 766 f. (Basel). Für den Fall der Verschmelzung LG Nürnberg-Fürth v. 20.8.1991 – 4 HK T 489/91, GmbHR 1991, 582 (Basel); KG v. 26.7.2018 – 22 W 2/18, NZG 2018, 1195 = GmbHR 2018, 1202 (Basel). Gegen die Gleichwertigkeit des Beurkundungsverfahrens in

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§ 2 Rz. 17 | Form des Gesellschaftsvertrages eines notary public im US-Bundesstaat Kalifornien jedoch verneint111. In der Literatur werden teilweise auch Beurkundungen in allen Ländern des lateinischen Notariats als grundsätzlich gleichwertig erachtet112. Bisweilen wird dabei jedoch die Gleichwertigkeit vorschnell ohne eine vertiefte Prüfung der Besonderheiten des ausländischen Rechts angenommen113. Insbesondere die Annahme, eine durch den Notar im Ausland erfolgte überobligatorische Verlesung mache das Verfahren zu einem gleichwertigen114, ist fehlerhaft115. Ein praktisches Problem stellt im Fall der Auslandsbeurkundung die erforderliche elektronische Handelsregisteranmeldung (§ 12 HGB) dar, das aber zumindest durch die Einschaltung eines in Deutschland zugelassenen Notars als Bote überwunden werden kann116. 18 Bei näherer Betrachtung zeigt sich, dass die Frage der Zulässigkeit der Auslandsbeurkundung

zur Errichtung einer GmbH jedenfalls höchstrichterlich nicht entschieden ist. Der BGH hatte in seiner Entscheidung aus dem Jahr 1981 nicht über die Gründung einer GmbH, sondern über eine Satzungsänderung zu entscheiden und sich in diesem Zusammenhang auf ein äußerst umstrittenes Gutachten117 berufen118. In weiteren Entscheidungen hat sich der BGH mit der Abtretung von Geschäftsanteilen119, mit der Einreichung der Gesellschafterliste120 und mit dem Beurkundungsort der Hauptversammlung der AG121 befasst. Diese lassen sich jedoch allesamt nicht auf den Fall der GmbH-Gründung übertragen122. 19 Inzwischen mehren sich die Stimmen, nach denen jedenfalls die Gründung der GmbH unter

Einschaltung eines Notars im Ausland entweder überhaupt nicht123 oder nur bei strikter

111 112 113 114

115 116 117 118 119 120 121 122 123

Bern AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, 224 f.; Becker, NotBZ 2016, 321, 322 f. Gegen die Gleichwertigkeit des Beurkundungsverfahrens in Zürich AG Köln v. 14.8.1989 – 42 HRB 8123, MittRhNotK 1990, 22. Angesichts der teils erheblichen Unterschiede in den jeweiligen Kantonen verbietet sich eine pauschale Aussage zur Gleichwertigkeit der Beurkundung durch einen in der Schweiz zugelassenen Notar, s. etwa Herrler, GmbHR 2014, 225, 231 und auch KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, DNotZ 2019, 134, 138 = GmbHR 2018, 376; s. allgemein auch zum unterschiedlichen Verfahrensrecht in der Schweiz Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 2 Rz. 14. OLG Stuttgart v. 17.5.2000 – 20 U 68/99, NZG 2001, 40, 43 = GmbHR 2000, 721. So Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Thorn in Grüneberg, Art. 11 EGBGB Rz. 9. Zutreffend Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 70; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 2 Rz. 15 ff. So KG v. 26.7.2018 – 22 W 2/18, NZG 2018, 1195, 1196 = GmbHR 2018, 1202; KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, DNotZ 2019, 134, 141 = GmbHR 2018, 376; anders und zutreffend noch die Vorinstanz AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, 224 f.; aus diesem und diversen anderen Gründen werden die Entscheidungen des KG in der Literatur überwiegend abglehnt, statt vieler etwa Altmeppen, Rz. 22 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Wicke, GmbHR 2018, 376, 380 f. Zutreffend Stelmaszczyk, GWR 2018, 103, 105; Diehn, DNotZ 2019, 141, 147; weitergehend auch Cramer, DStR 2018, 746, 750 f. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44. S. speziell dazu Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 58; Goette, MittRhNotK 1997, 1, 4; Bayer, GmbHR 2013, 897, 909. BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76 = GmbHR 1981, 238 = NJW 1981, 1160. BGH v. 22.5.1989 – II ZR 211/88, GmbHR 1990, 25, 28 = NJW-RR 1989, 1259, 1261 (obiter dictum). BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, BGHZ 199, 270 = GmbHR 2014, 248. BGH v. 21.10.2014 – II ZR 330/13, BGHZ 203, 68 = DNotZ 2015, 207. S. auch C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 35. LG Augsburg v. 4.6.1996 – 2 HK T 2093/96, GmbHR 1996, 941 = NJW-RR 1997, 420; Altmeppen, Rz. 25; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77 („nach heutigem Diskussionsstand“); C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 17; C. Schäfer in

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 20 § 2

Gleichwertigkeit124 erfolgen kann. Diesen Stimmen ist beizupflichten. Richtigerweise ist die Beurkundung einer GmbH-Gründung, die nach den Vorschriften über die Beurkundung von Willenserklärungen erfolgt125, durch einen im Ausland zugelassenen Notar nicht anzuerkennen. Das Formerfordernis gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 erschöpft sich nach heutigem, auch vom II. Zivilsenat geteilten Verständnis126, nicht im Individualschutz zugunsten der Gründer, sondern dient maßgeblich dem Interesse der Rechtssicherheit sowie der Richtigkeitsgewähr des Gründungsvorgangs (s. Rz. 10)127. Diese Zwecke können im Fall einer Beurkundung der GmbH-Gründung durch einen im Ausland zugelassenen Notar, der nicht über die erforderlichen Rechtskenntnisse verfügt, regelmäßig nicht erreicht werden128. Dies mag im Einzelfall anders zu beurteilen sein, wenn der Notar angesichts seiner Ausbildung und Stellung ausnahmsweise auch im deutschen (Gesellschafts-)Recht qualifiziert beraten kann und auch entsprechend den in Deutschland zugelassenen Notaren unbeschränkt und unbeschränkbar persönlich haftet (§ 19 BNotO). Die Anerkennung der Auslandsbeurkundung kann im Interesse der Rechtssicherheit jedoch nicht von einer derartigen Einzelfallprüfung abhängig sein129. Die Urkundsbeteiligten können auch nicht auf die mit dem Beurkundungserfordernis ein- 20 hergehenden Zwecke verzichten, indem sie einen im Ausland zugelassenen Notar mit der Beurkundung beauftragen130. § 17 BeurkG steht als öffentlich-rechtliche Amtspflicht nicht zur Disposition der Beteiligten131. Dies gilt selbst dann, wenn das Beurkundungserfordernis (nur) Individualinteressen dient, worauf der III. Zivilsenat im Zusammenhang mit der Verpflichtung des Notars zur Gestaltung des Beurkundungsverfahrens in § 17 Abs. 2a Satz 2

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Bork/Schäfer, Rz. 34; Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 2 Rz. 16; Goette in FS Boujong, S. 131, 136 ff.; Goette, DStR 1996, 709, 713; Goette, MittRhNotK 1997, 1, 4 f.; Beckmann/Fabricius, GWR 2016, 375, 377. A.A. auch heute noch etwa Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Spellenberg in MünchKomm. BGB, Art. 11 EGBGB Rz. 97. LG Mannheim v. 27.7.1998 – 24 T 2/98, BWNotZ 2000, 150; AG Köln v. 14.8.1989 – 42 HRB 8123, GmbHR 1990, 172 = MittRhNotK 1990, 22; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; Haerendel, DStR 2001, 1802, 1804 f.; wohl auch AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, allerdings mit zugleich erheblicher Kritik an der Theorie der Gleichwertigkeit des II. Zivilsenats. S. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64 ff. zu möglichen Differenzierungen der Beurkundung von Willenserklärungen und reinen Tatsachenbeurkundungen; ebenso im Ansatz Reithmann, NJW 2003, 385, 387; dieser Unterschied wurde verkannt von KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, DNotZ 2019, 134 = GmbHR 2018, 376; näher dazu Cramer, DStR 2018, 746, 749; zutreffend hingegen Altmeppen, Rz. 24; allgemein zu Satzungsänderungen auch Nordholtz/Hupka, DNotZ 2018, 404. Vgl. BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 338 = GmbHR 1989, 25, 29 = NJW 1989, 295, 298 – Supermarkt-Beschluss. LG Augsburg v. 4.6.1996 – 2 HK T 2093/96, GmbHR 1996, 941 = NJW-RR 1997, 420; LG Mannheim v. 27.7.1998 – 24 T 2/98, BWNotZ 2000, 150. AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, 226; Beckmann/ Fabricius, GWR 2016, 375, 377; Herrler, NJW 2018, 1787, 1788; Stelmaszczyk, GWR 2018, 103, 105 f.; Lieder, ZIP 2018, 805, 811. LG Augsburg v. 4.6.1996 – 2 HK T 2093/96, GmbHR 1996, 941 = NJW-RR 1997, 420; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 67; Altmeppen, Rz. 25; Haerendel, DStR 2001, 1802, 1804 f.; Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177, 185; nicht maßgeblich daher die Hinweise von Sick/Schwarz, NZG 1998, 540, 543. So jedoch BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, BGHZ 80, 76, 79 = GmbHR 1981, 238 = NJW 1981, 1160; OLG Düsseldorf v. 25.1.1989 – 3 Wx 21/89, GmbHR 1990, 169, 170 = NJW 1989, 2200. Zutreffend Winkler, 19. Aufl. 2019, § 17 BeurkG Rz. 1; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 59; Reithmann, DNotZ 2003, 603, 604; Armbrüster/Krause, NotBZ 2004, 325; Herrler, GmbHR 2014, 225, 229 f.; Herrler, NJW 2018, 1787, 1789; Stelmaszczyk, GWR 2018, 103, 106; Lieder, ZIP 2018, 805, 812 f.; Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177, 188 f.; Lieder, NZG 2020, 1081, 1088.

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§ 2 Rz. 20 | Form des Gesellschaftsvertrages Nr. 2 BeurkG zutreffend hingewiesen hat132. Erst recht muss dies gelten, wenn das Beurkundungserfordernis, wie in § 2 Abs. 1 Satz 1, (auch) dem überindividuellen Interesse der Rechtssicherheit und der Richtigkeitsgewähr dient. Ein Verzicht der Urkundsbeteiligten würde auf einen unzulässigen Verzicht zu Lasten Dritter hinauslaufen und die öffentlichen Zwecke leerlaufen lassen133. 21 Schließlich ist zu berücksichtigen, dass auch die mit der Beurkundung einhergehende Filter-

und Kontrollfunktion (s. Rz. 10) im Fall der Auslandsbeurkundung maßgeblich nicht mehr erfüllt werden kann134. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der ohnehin eingeschränkten Prüfungskompetenz des Registergerichts gemäß § 9c Abs. 2, weil die präventive Prüfung und Kontrolle durch den Notar, die durch die eingeschränkte gerichtliche Prüfungskompetenz an Bedeutung gewonnen hat, durch einen Notar mit Zulassung im Ausland nicht in gleicher Weise verwirklicht werden kann135. Dieses „Vieraugenprinzip“ im deutschen Registerrecht und die damit verbundene Gatekeeper-Funktion der Notare136 wird teilweise nicht hinreichend im Rahmen der Diskussion gewürdigt137. Die Beurkundung im Ausland dürfte zudem die Einhaltung der gesetzlichen Anzeigepflichten erschweren, so dass auch fiskalische Interessen für die hier vertretene Auffassung sprechen138. Zudem unterliegen Notare im Ausland nicht den deutschen geldwäscherechtlichen Vorgaben, so dass die Ziele der Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung vereitelt werden können139. Ein Verstoß gegen die europäischen Grundfreiheiten liegt in dieser Beschränkung der Beurkundungszuständigkeit auf in Deutschland zugelassene Notare nicht vor140.

132 BGH v. 7.2.2013 – III ZR 121/12, NJW 2013, 1451; vor diesem Hintergrund nicht überzeugend und ohne nähere Begründung KG v. 26.7.2018 – 22 W 2/18, NZG 2018, 1195, 1197 = GmbHR 2018, 1202. 133 Zutreffend AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, 226; s. ebenso Winkler, 19. Aufl. 2019, § 17 BeurkG Rz. 1; Altmeppen, Rz. 26; Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 21; Goette, DStR 1996, 709, 713; Goette, MittRhNotK 1997, 1, 5; Haerendel, DStR 2001, 1802, 1805. A.A.: Spellenberg in MünchKomm. BGB, Art. 11 EGBGB Rz. 102; Kröll, ZGR 2000, 111, 135 ff.; Benecke, RIW 2002, 280, 284 f.; Stenzel, GmbHR 2014, 1024, 1031. 134 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68, 71 ff.; Heckschen, DB 2018, 685, 688; Tebben, GmbHR 2018, 1190, 1194; Stelmaszczyk, GWR 2018, 103, 105; Lieder, ZIP 2018, 805, 812; Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177, 182 f., 187; Lieder, NZG 2020, 1081, 1087 f. 135 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 63; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21. 136 Lieder, ZIP 2018, 805, 812. 137 S. etwa KG v. 24.1.2018 – 22 W 25/16, DNotZ 2019, 134 = GmbHR 2018, 376 und dazu Cramer, DStR 2018, 746, 749 ff.; Spellenberg in MünchKomm. BGB, Art. 11 EGBGB Rz. 99 ff.; Stenzel, GmbHR 2014, 1024, 1031; zutreffend demgegenüber Goette, MittRhNotK 1997, 1, 5. 138 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Stelmaszczyk, RNotZ 2019, 177, 188; Lieder, NZG 2020, 1081, 1087; ausführlich Heinze, NZG 2017, 371; a.A. KG v. 26.7.2018 – 22 W 2/18, NZG 2018, 1195, 1196 = GmbHR 2018, 1202; dagegen zu Recht Diehn, DNotZ 2019, 141, 149; kritisch insoweit auch Altmeppen, Rz. 27. 139 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 74 ff.; Lieder, NZG 2020, 1081, 1087. 140 AG Berlin-Charlottenburg v. 22.1.2016 – 99 AR 9466/15, GmbHR 2016, 223, 226; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 70; Lieder, ZIP 2018, 805, 814; Lieder, NZG 2020, 1081, 1089. Bedenken äußert Stenzel, GmbHR 2014, 1024, 1031; s. auch Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 75 nach dem die Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit bei Gleichwertigkeit nicht gerechtfertigt wäre. In keinem Fall zwingen die Grundfreiheiten zur Anerkennung der Beurkundung durch einen in der Schweiz zugelassenen Notar. Auch das Abkommen zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits über die Freizügigkeit vom 21.6.1999 dürfte dies nicht gebieten.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 23 § 2

e) Verfahren Der Gesellschaftsvertrag bedarf nach § 2 Abs. 1 Satz 1 der notariellen Form. Das Gesetz 22 meint damit die notarielle Beurkundung i.S.d. § 128 BGB, auch wenn es dies sprachlich weniger deutlich als etwa in § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB zum Ausdruck bringt141. Für das Beurkundungsverfahren gelten die §§ 6 bis 35 BeurkG142, ausgenommen diejenigen Regelungen, die sich speziell mit der Online-Gründung beschäftigen (§§ 16a bis 16d BeurkG). Im Fall einer gemischten Beurkundung, die teils online, teils in Präsenz stattfindet, ist § 16e BeurkG zu beachten143. Das Protokollverfahren gemäß §§ 36 f. BeurkG kommt zwar für die Beurkundung von Satzungsänderungen144, nicht jedoch für die Beurkundung der Errichtung der GmbH in Betracht145. Erforderlich ist demnach die Errichtung einer Niederschrift (§ 8 BeurkG) hinsichtlich des gesamten Gesellschaftsvertrages sowie der Übernahme- und Beitrittserklärungen der Gründer, die in Gegenwart des Notars vorzulesen, zu genehmigen und zu unterzeichnen ist (§ 13 BeurkG). In der Praxis üblich ist die äußerliche Trennung der Urkunde in zwei Teile146. In dem sog. Urkundenmantel werden die Errichtungserklärung der Gründer, die Bestellung der ersten Geschäftsführer, die Durchführungsvollmachten zugunsten der Mitarbeiter des Notars und die Notarhinweise aufgenommen. Diesem Mantel wird der Gesellschaftsvertrag als gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG verlesungsbedürftige Anlage beigefügt147. Diese Beurkundungstechnik erleichtert die Erteilung von Satzungsbescheinigungen gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 bei späteren Änderungen148. Zu unterzeichnen ist in diesem Fall lediglich der Urkundenmantel, nicht die Anlage149. Möglich ist die Abfassung des Gesellschaftsvertrages bzw. der gesamten Errichtungsurkunde in einer fremden Sprache, sofern der Notar dieser Sprache mächtig ist (§ 5 Abs. 2 BeurkG). Da die Gerichtssprache deutsch ist (§ 184 Satz 1 GVG), ist der Handelsregisteranmeldung eine deutsche Übersetzung beizufügen150. Verbreitet ist auch die Errichtung von zweispaltigen Gesellschaftsverträgen in deutscher und (zumeist) englischer Sprache. Bei diesen ist klarzustellen, dass die deutsche Fassung die maßgebliche Fassung darstellt. Das Formerfordernis in § 2 Abs. 1 Satz 1 und die Notwendigkeit der Unterzeichnung des 23 Gesellschaftsvertrages in § 2 Abs. 1 Satz 2 erfordern nicht die gleichzeitige Anwesenheit der Gründer zum Zwecke der Errichtung der GmbH151. Dies entspricht § 128 BGB. § 2 Abs. 1 sieht – anders als §§ 925, 1410 BGB – die gleichzeitige Anwesenheit nicht vor. Die Errichtung der Mehrpersonen-GmbH kann daher in der Weise erfolgen, dass die Gründer in getrennten Beurkundungsverhandlungen bei (verschiedenen) Notaren übereinstimmende Willenserklä141 S. zum terminologischen Hintergrund Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28. 142 S. im Einzelnen Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31 ff.; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 48 ff. 143 Dazu Kienzle, DNotZ 2021, 590, 601 f. 144 Zur Zulässigkeit auch bei der Einpersonen-GmbH OLG Celle v. 13.2.2017 – 9 W 13/17, NZG 2017, 422 = GmbHR 2017, 419. 145 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64. 146 S. dazu Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Röll, GmbHR 1982, 251, 254 f. 147 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Winkler, DNotZ 1980, 578, 581 f.; Röll, DNotZ 1981, 16, 17. 148 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36. 149 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46. 150 LG Düsseldorf v. 16.3.1999 – 36 T 3/99, GmbHR 1999, 609, 610; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 8; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31. 151 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 37; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22.

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§ 2 Rz. 23 | Form des Gesellschaftsvertrages rungen zur Errichtung einer GmbH mit einem gleichlautenden Gesellschaftsvertrag abgeben und die jeweiligen Niederschriften unterzeichnen152. Unter den Voraussetzungen des § 13a BeurkG muss der Gesellschaftsvertrag nicht in jeder Verhandlung verlesen und der jeweiligen Niederschrift beigefügt werden153. Der Vertrag kommt in diesem Fall mit der Unterzeichnung durch den letzten im Gesellschaftsvertrag genannten Gründer zustande, und zwar unabhängig von dem Zugang bei den anderen Gründern154. Eine solche sukzessive Beurkundung ist rechtlich zulässig. Sie genügt dem Erfordernis der Simultan- oder Einheitsgründung155, weil sämtliche Gesellschafter in dem Gesellschaftsvertrag festgelegt sind und diese Gesellschafter auch sämtliche Geschäftsanteile übernehmen. In der Praxis ist sie nicht verbreitet. Stattdessen wird auf Bevollmächtigte oder Vertreter ohne Vertretungsmacht zurückgegriffen156, was auch gebührenrechtlich i.d.R. günstiger ist. Unzulässig ist eine Stufengründung, wie sie bis 1965 bei der AG zulässig war. Eine GmbH kann demnach nicht in der Weise gegründet werden, dass zunächst mehrere Gründer eine Gesellschaft gründen und sodann andere Interessenten in notarieller Form ihren Beitritt zu der bereits existierenden Gesellschaft erklären157. Nichtig ist eine Gründung, an der zwar alle beteiligten Gesellschafter sämtliche Geschäftsanteile übernehmen, aber unter bestimmten Voraussetzungen der Beitritt weiterer Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag vorbehalten bleibt158. f) Formmängel 24 Ein Verstoß gegen die Formvorschrift des § 2 Abs. 1 Satz 1 sowie schwerwiegende Beurkun-

dungsmängel (z.B. Nichtverlesung der Urkunde) führen vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zur Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages (§ 125 BGB)159. Das Registergericht muss die Eintragung der Gesellschaft in diesem Fall ablehnen (§ 9c Abs. 1 Satz 1)160. Schon erbrachte Leistungen können bis zur Invollzugsetzung der Gesellschaft kondiziert werden (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Auf die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages kann sich jeder berufen oder diese unter den Voraussetzungen des § 256 ZPO zum Gegenstand einer Feststellungsklage machen161. Die Registereintragung muss auch dann unterbleiben, wenn die Vorgesellschaft bereits in Vollzug gesetzt wurde. Eine „Heilung“ des nichtigen Gesellschaftsvertrages vor Eintragung der Gesellschaft ist nur durch Bestätigung (§ 141 BGB) unter Beachtung der Form des § 2 Abs. 1 Satz 1 möglich162. Für die Auseinandersetzung unter den Gesellschaftern gelten nach Invollzugsetzung der Gesellschaft die Regeln über die fehlerhafte 152 S. zu der Frage, ob es sich insoweit um Angebot und Annahme handelt, Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14 einerseits und Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 34 andererseits. 153 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 52; kritisch aus beurkundungsverfahrensrechtlichen Gründen (§ 17 Abs. 2a Satz 1 BeurkG) zu dieser Vorgehensweise Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33. 154 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 51; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 155 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 53; zum Ein- und Austritt von Gründern noch vor Eintragung s. Rz. 29. 156 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Wicke, Rz. 5; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 37; s. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33 mit in Fn. 149 nicht berechtigter Kritik gegenüber der Einschaltung von Vertretern ohne Vertretungsmacht. 157 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34. 158 RG v. 7.11.1913 – Rep. II 316/13, RGZ 83, 256, 259; Feine in Ehrenbergs Hdb. III/3, S. 166; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. 159 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37. 160 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Altmeppen, Rz. 38; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 28 f. 161 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 84; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 65. 162 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 27 § 2

Gesellschaft, so dass die Nichtigkeit nur als Auflösungsgrund mit Wirkung für die Zukunft geltend gemacht werden kann163. Die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister heilt den Formmangel und lässt die 25 Gesellschaft wirksam entstehen164. Die Erhebung einer Nichtigkeitsklage gemäß § 75 Abs. 1 scheidet aus, weil Verstöße gegen § 2 nicht unter den Nichtigkeitsgründen erwähnt sind165. Der Formmangel führt auch nicht zur Nichtigkeit des Unternehmensgegenstandes i.S.d. § 75 Abs. 1. Allein inhaltliche Mängel des Unternehmensgegenstandes ermöglichen die Erhebung der Nichtigkeitsklage166.

4. Vertragsänderungen im Gründungsstadium Änderungen und Ergänzungen des Gesellschaftsvertrages sind bisweilen schon in der Zeit 26 zwischen dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages und der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister erforderlich. Anlass hierfür können insbesondere Beanstandungen des Registergerichts sein, etwa hinsichtlich der Firma oder des Unternehmensgegenstandes. Aufgrund ihrer Treuepflicht können die Gesellschafter verpflichtet sein, solchen Änderungen zuzustimmen167. Den Gesellschaftern steht es aber frei, den Gesellschaftsvertrag auch aus anderen Gründen bereits vor der Eintragung im Handelsregister zu ändern oder zu ergänzen. Sogar die Änderung eines GmbH-Gesellschaftsvertrages dahingehend, dass nunmehr eine UG (haftungsbeschränkt) gegründet wird, soll zulässig sein168. Änderungen und Ergänzungen bedürfen vor Eintragung der Gesellschaft zwingend einer 27 Vertragsänderung (vgl. § 311 Abs. 1 BGB) unter Mitwirkung aller Gesellschafter in der Form des § 2 Abs. 1 Satz 1169. Der Gesellschaftsvertrag kann abweichend hiervon bestimmen, dass Änderungen und Ergänzungen bereits vor Eintragung der Gesellschaft durch Mehrheitsbeschluss erfolgen können170, jedoch kommt dies praktisch selten vor. Die Änderung des Gesellschaftsvertrages vor Eintragung der Gesellschaft ist zu unterscheiden von der zulässigen Beschlussfassung über eine Satzungsänderung mit der Mehrheit des § 53 Abs. 2 Satz 1, wenn die Satzungsänderung erst nach Eintragung der Gesellschaft angemeldet und vollzogen werden soll171. Die einfache Mehrheit genügt auch im Gründungsstadium entsprechend den 163 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 50; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 164 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Altmeppen, Rz. 42; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30. 165 Altmeppen, Rz. 42; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30; anders noch RG v. 13.5.1903 – Rep. I 55/03, RGZ 54, 418, 420 ff.; RG v. 7.11.1913 – Rep. II 316/13, RGZ 83, 256, 259; wie hier jedoch bereits RG v. 11.6.1926 – II 471/25, RGZ 114, 77, 80 (zur AG). 166 Altmeppen, Rz. 42; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30. 167 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, GmbHR 1987, 426 (zur Kapitalerhöhung); BGH v. 23.3.1987 – II ZR 244/86, GmbHR 1987, 349 (zur Kapitalerhöhung); Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78. 168 OLG Frankfurt a.M. v. 20.12.2010 – 20 W 388/10, GmbHR 2011, 984, 985 mit zu Recht ablehnender Anm. Wachter; zustimmend jedoch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 169 OLG Köln v. 28.3.1995 – 2 Wx 13/95, GmbHR 1995, 725 = MDR 1995, 888, 889 = WM 1996, 207 f. = DB 1995, 2413, 2414; Winkler, DNotZ 1980, 578, 590 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 48. A.A. Priester, ZIP 1987, 280, 283; Karsten Schmidt in FS Zöllner I, S. 521, 526; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 77, 82 f. 170 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 48; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 38. 171 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 48; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24.

Cramer | 101

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§ 2 Rz. 27 | Form des Gesellschaftsvertrages § 46 Nr. 5 und § 47 Abs. 1 für die Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern172. Mit der qualifizierten Mehrheit kann analog § 60 Abs. 1 Nr. 2 die Auflösung der Vorgesellschaft beschlossen werden173. 28 Die registerrechtliche Behandlung von Vertragsänderungen im Gründungsstadium, d.h. vor

Eintragung der Gesellschaft, richtet sich nach dem entsprechend anwendbaren § 54 Abs. 1 Satz 2, so dass nach jeder Änderung ein neuer vollständiger Gesellschaftsvertrag samt notarieller Satzungsbescheinigung zum Handelsregister einzureichen ist, weil bei dem Registergericht stets der aktuelle Satzungstext in einer Urkunde vorhanden sein muss174. Keine Anwendung vor Eintragung der Gesellschaft findet nach h.M. § 54 Abs. 1 Satz 1, so dass eine formelle Anmeldung der Vertragsänderung in der Praxis entbehrlich ist175. Dem ist zuzustimmen. Eine Ausnahme muss jedoch gelten, wenn die Änderung des Gesellschaftsvertrages die abstrakte Vertretungsbefugnis betrifft176. Da die abstrakte Vertretungsbefugnis wegen § 8 Abs. 4 Nr. 2 in der Anmeldung anzugeben ist, muss im Fall ihrer Änderung konsequenterweise auch eine neue Anmeldung zum Registergericht eingereicht werden. Andernfalls würde entgegen dem Gesetz eine abstrakte Vertretungsbefugnis angemeldet, die in dieser Form keine Geltung beansprucht. 29 Eine Vertragsänderung in der Form des § 2 ist nach zutreffender h.M. auch bei Änderun-

gen im Mitgliederbestand vor Eintragung der Gesellschaft durch den Ein- und Austritt von Gesellschaftern, auch im Wege der Anteilsübertragung, erforderlich177. Das gilt auch für die „Übertragung“ eines Anteils von einem Strohmann oder einem sonstigen Treuhänder auf den hinter ihm stehenden Treugeber178. Von der Übertragung der Mitgliedschaft in der Vorgesellschaft ist die aufschiebend bedingte Übertragung des zukünftigen Geschäftsanteils nach Entstehung der Gesellschaft durch Eintragung im Handelsregister zu unterscheiden,

172 BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 214 f. = GmbHR 1982, 67 = NJW 1981, 2125; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 82. 173 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 82. 174 BayObLG v. 14.9.1988 – BReg 3 Z 85/88, BayObLGZ 1988, 281, 285 f. = BB 1988, 21, 98 = GmbHR 1989, 40 = DB 1988, 2354; ebenso OLG Köln v. 11.8.1972 – 2 Wx 75/72, GmbHR 1973, 11; OLG Kiel v. 21.10.1974 – 2 W 99/74, GmbHR 1975, 183 f.; OLG Hamm v. 14.1.1986 – 15 W 310/84, GmbHR 1986, 311 f.; KG v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, GmbHR 1997, 412, 413; OLG Zweibrücken v. 12.9.2000 – 3 W 178/00, NJW-RR 2001, 31 f.; H.-J. Hellwig in Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997, 1998, S. 285; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 81; A. Reuter in Hommelhoff/Röhricht, Gesellschaftsrecht 1997, 1998, S. 277; Karsten Schmidt, GmbHR 1997, 869, 873; Winkler, DNotZ 1980, 578, 582; Röll, DNotZ 1981, 16. 175 BayObLG v. 28.9.1966 – BReg 2 Z 46 66, MittBayNot 1974, 228; BayObLG v. 31.1.1978 – BReg 1 Z 5/78, MittBayNot 1978, 22; OLG Zweibrücken v. 12.9.2000 – 3 W 178/00, GmbHR 2000, 1204 = NJW-RR 2001, 31 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 81; a.A. hier Priester, 11. Aufl., § 54 Rz. 4 sowie Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 54 Rz. 8. 176 So auch Herrler in MünchKomm. GmbHG, § 8 Rz. 86. 177 BGH v. 20.11.1954 – II ZR 53/53, BGHZ 15, 204, 206 = NJW 1955, 219; BGH v. 12.7.1956 – II ZR 218/54, BGHZ 21, 242, 246 = NJW 1956, 1435; BGH v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300, 303 = NJW 1959, 934, 935; BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, NJW 1997, 1507 = GmbHR 1997, 405, 406 (insoweit nicht in BGHZ 134, 333 abgedruckt); OLG Frankfurt a.M. v. 14.8.1996 – 10 W 33/96, GmbHR 1997, 896, 897. Der h.M. ist auch seit der Neufassung des § 3 Abs. 1 Nr. 4 durch das MoMiG zu folgen, s. auch OLG Jena v. 9.10.2013 – 2 U 678/12, GmbHR 2013, 1258, 1261; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13. A.A. Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 44; s. zuvor bereits a.A. Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 77, 82; Karsten Schmidt, GmbHR 1997, 869 ff.; a.A. für den Fall der Anteilsübertragung auch C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 19; s. zum Ganzen auch 13. Aufl., § 11 Rz. 48, 49. 178 BGH v. 14.12.1970 – II ZR 161/69, WM 1971, 306, 307.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 30a § 2

für die unmittelbar § 15 gilt179. § 41 Abs. 4 Satz 1 AktG findet keine entsprechende Anwendung180. Die Rechtsstellung der Gründer vor Eintragung der Gesellschaft ist ferner vererblich (§ 1922 BGB); der oder die Erben treten daher ohne weiteres anstelle des Erblassers in die Vorgesellschaft ein181.

III. Vertretung beim Vertragsabschluss 1. Form Die Gründungsgesellschafter können sich gemäß § 2 Abs. 2 bei der Unterzeichnung des Ge- 30 sellschaftsvertrages durch Bevollmächtigte (§§ 164, 167 BGB) vertreten lassen. Abweichend von § 167 Abs. 2 BGB muss eine in Papierform erstellte Vollmacht nach Maßgabe von Abs. 2 Satz 1 entweder notariell beurkundet oder notariell beglaubigt sein (§§ 128, 129 BGB i.V.m. §§ 8 ff., §§ 39, 40 BeurkG). In der Praxis überwiegt die Beglaubigung. Eine solchermaßen errichtete Vollmacht muss nach den Regelungen des DiRUG (vgl. § 16d BeurkG) auch dann in der Form des § 2 Abs. 2 Satz 1 vorgelegt werden, wenn die GmbH im Online-Verfahren mittels Videobeurkundung gemäß § 2 Abs. 3 errichtet wird182. § 2 Abs. 2 gilt auch für die Erteilung einer Untervollmacht183 und entsprechend für die Vollmacht zur Abgabe einer Übernahmeerklärung184. Auch Vertragsänderungen im Gründungsstadium können wirksam nur dann durch Bevollmächtigte erklärt werden, wenn sie auf der Grundlage einer der Form des § 2 Abs. 2 entsprechenden Vollmacht handeln. Eine vergleichbare, allerdings noch engere Regelung findet sich in § 4 Abs. 3 Satz 2 öGmbHG. Mit dem DiREG185 wurde § 2 Abs. 2 um einen Satz 2 ergänzt, auf dessen Grundlage die Voll- 30a macht nunmehr auch mittels Videokommunikation beurkundet186 werden kann. Nach der Begründung des Regierungsentwurfs erfolgt diese Änderung insbesondere zur Ermöglichung notarieller Vollzugsvollmachten zugunsten von Notariatsmitarbeitern in Gründungsprotokollen. Auch Vollmachten, die von Gründern im Vorfeld der Gründung, z.B. zugunsten von Mitgesellschaftern, ausgestellt werden, sind aber erfasst. Auch das DiREG ermöglicht allerdings nicht die Erstellung einer elektronischen Ausfertigung der Vollmachtsurkunde, deren Einführung einem größeren gesetzgeberischen Vorhaben vorbehalten bleiben dürfte. Soll also eine online errichtete Vollmacht vor einem anderen Notar als dem, der die Vollmacht beurkundet hat, zur Errichtung der GmbH verwendet werden, kann und muss eine (physische) Ausfertigung der digital errichteten Vollmacht erstellt (vgl. § 49 Abs. 1 BeurkG) und dem die 179 BGH v. 12.7.1956 – II ZR 218/54, BGHZ 21, 242, 245 = NJW 1956, 1435; BGH v. 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 383 = NJW 1957, 19, 20; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57b; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13. 180 BGH v. 26.9.1994 – II ZR 166/93, GmbHR 1995, 119, 120; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80. 181 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 182 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1098; Meier/Szalai, ZNotP 2021, 306, 312; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 773; Kienzle, DNotZ 2021, 590, 599 f.; s. vor diesem Hintergrund zur Idee einer elektronischen Ausfertigung Danninger/Stepien, DNotZ 2021, 812. 183 Stenzel, GmbHR 2015, 567, 570. 184 S. dazu Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 55 Rz. 32; Bergjan/Klotz, ZIP 2016, 2300, 2303. 185 Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften (DiREG), BGBl. I 2022, 1146. 186 Der RefE DiREG (abrufbar unter www.bmj.de) sah noch vor, dass die Vollmacht auch im Wege des Videoverfahrens hätte beglaubigt werden können. Eine in dieser Weise erstellte Vollmacht hätte jedoch einem anderen Notar nicht vorgelegt werden können, weil Ausfertigungen von bloß beglaubigten Vollmachten nicht erteilt werden können, so dass der RegE folgerichtig allein eine digitale Beurkundung ermöglicht hat.

Cramer | 103

2022-08-10, 11:06, GroKO groß

§ 2 Rz. 30a | Form des Gesellschaftsvertrages Gründung beurkundenden Notar vorgelegt werden. Große praktische Bedeutung dürfte dieser Fall aber nicht erlangen, denn häufig wird ohnehin eine Online-Teilnahme aller Beteiligten an dem Gründungsakt möglich sein oder jedenfalls derselbe Notar zwecks Errichtung der Vollmacht konsultiert werden können. Inhaltlich darf eine gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 beurkundete Vollmacht so ausgestaltet werden, dass sie zur Abgabe aller Erklärungen berechtigt, die im Zusammenhang mit der Gründung abgegeben werden sollen, insbesondere auch zur Fassung von Beschlüssen und zum Abschluss von Gesellschaftervereinbarungen. Vollmachten, die nicht im Zusammenhang mit der Gründung stehen, insbesondere General- und Vorsorgevollmachten, können allerdings nicht nach Maßgabe von § 2 Abs. 2 Satz 2 beurkundet werden187. Die Regelung findet aber auf die Untervollmacht, auf die Genehmigung sowie auf die Vollmacht zur Abgabe einer Übernahmeerklärung Anwendung188. 31 Die Ratio der Vorschrift liegt darin, im Interesse des Rechtsverkehrs sowie der Mitgründer

spätere Zweifel und Streitigkeiten über die Legitimation des Vertreters zu vermeiden189. Deshalb ist § 2 Abs. 2 keine bloße Ordnungsvorschrift, sondern echtes Wirksamkeitserfordernis für die Vollmachterteilung190. Eine wirksame Stellvertretung ohne Vorliegen einer notariellen Vollmacht ist nicht möglich, insbesondere ein bloß mündlich bevollmächtigter Vertreter ist Vertreter ohne Vertretungsmacht. Nicht erforderlich ist es, dass die Vollmacht in notarieller Form im Beurkundungstermin vorliegt. Sie kann dem Notar nachgereicht werden, vorausgesetzt, sie hat zum Beurkundungszeitpunkt bereits existiert191. Dies ermöglicht eine Beurkundung bei Beteiligung eines Gründers aus dem Ausland etwa auch dann, wenn sich die Vollmacht auf dem Postweg befindet oder wenn die Vollmacht im Videoverfahren vor einem anderen Notar beurkundet wurde, aber noch keine physische Ausfertigung erstellt wurde (Rz. 30a). 32 Zuständig sind die Notare im Inland192. Auch eine öffentliche Urkunde einer öffentlichen

Behörde ist ausreichend, wenn sich aus ihr die Vollmacht ergibt193. Im Ausland kann eine öffentliche Beglaubigung oder Beurkundung im Präsenzverfahren durch deutsche Konsularbeamte194 oder durch im Ausland zugelassene Notare erfolgen195. Dies stellt keinen Widerspruch zu der hier vertretenen Auffassung hinsichtlich der Beurkundung des Gesellschaftsvertrages durch im Ausland zugelassene Notare dar (s. Rz. 19), weil sich der Zweck des Formerfordernisses in § 2 Abs. 2 von demjenigen in § 2 Abs. 1 Satz 1 unterscheidet und allein in der Feststellung der Identität des Vollmachtgebers liegt196. Allerdings muss auch der Notar im Ausland die Identität des Unterschreibenden bestätigen, so dass die bloße Bestätigung der

187 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 22. 188 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 22. 189 BGH v. 5.5.1969 – II ZR 115/68, NJW 1969, 1856 = GmbHR 1969, 177; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 88; Wachter, GmbHR 2003, 660; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 568. 190 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 88; Reinicke, NJW 1969, 1830 f.; Wachter, GmbHR 2003, 660, 661; Heinze, NJW 2020, 1421; Heckschen/ Knaier, NZG 2021, 1093, 1098; s. zum Aktienrecht auch Hüffer/Koch, § 23 AktG Rz. 12. 191 Wachter, GmbHR 2003, 660, 662; a.A. Heinze, NJW 2020, 1421. 192 Zu weiteren Zuständigkeiten innerhalb Deutschlands Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92. 193 OLG Düsseldorf v. 20.8.1997 – 3 Wx 162/96, MittRhNotK 1997, 436 = GmbHR 1998, 238 (nur Leitsatz); Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92; s. auch Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 2 Rz. 27. 194 OLG Bremen v. 14.12.2021 – 2 W 31/21, GmbHR 2022, 309, 310. 195 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Wachter, GmbHR 2003, 660, 662. 196 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 2 Rz. 29.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 33 § 2

Übereinstimmung der Unterschrift mit einer Unterschriftenprobe nicht ausreichend ist197. Der Beglaubigungsvermerk muss ferner eine so eindeutige Bezeichnung des Unterzeichners enthalten, dass Zweifel und Verwechslungen ausgeschlossen sind198. Die von einem Notar mit Zulassung im Ausland beglaubigte oder beurkundete Vollmacht bedarf zum Nachweis der Vollmacht gegenüber dem Handelsregister grundsätzlich einer Legalisation (§ 13 KonsulG) oder Apostille199 sowie im Regelfall einer Übersetzung, wenn die Vollmacht nicht in deutscher Sprache verfasst ist. Nicht erforderlich ist, dass die Legalisation oder Apostille zur Vollmacht schon zum Zeitpunkt der Beurkundung der GmbH-Gründung vorliegt200. Hierfür spricht, dass dem Schutzweck des § 2 Abs. 2 (Vermeidung von Streitigkeiten hinsichtlich der Legitimation des Vertreters) bereits infolge der Beglaubigung durch die ausländische Urkundsperson Genüge getan ist und dass die Legalisation bzw. Apostille lediglich den Zweck haben, die Legitimation der ausländischen Urkundsperson zu gewährleisten. Für eine im Wege eines Videoverfahrens im Ausland errichtete Vollmacht besteht kein großes praktisches Bedürfnis, weil sich nunmehr bei Ansässigkeit des Unterzeichners im Ausland das Verfahren gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 vor einem in Deutschland zugelassenen Notar anbietet. Erfolgt gleichwohl ein Videoverfahren zur Errichtung einer Vollmacht im Ausland, setzt die Anerkennung voraus, dass das durchzuführende Online-Verfahren den tragenden Grundsätzen des deutschen Onlineverfahrens entspricht. Voraussetzung dafür ist, dass der im Ausland zugelassene Notar eine vergleichbar sichere persönliche Identifizierung anhand von elektronischen Identifizierungsmitteln und elektronisch übermittelten Lichtbildern durchzuführen hat und dem hoheitlichen Charakter des Beurkundungsverfahrens in vergleichbarer Weise Rechnung getragen wird201. Inhaltlich muss die Vollmacht den Abschluss des Gesellschaftsvertrages einer GmbH erfas- 33 sen. Ob dies der Fall ist, kann nur im Einzelfall entschieden werden. Anders als in Österreich202 muss die Vollmacht jedoch nicht speziell auf die konkrete Gesellschaftsgründung zugeschnitten sein. Es genügt, wenn sie allgemein die Befugnis zur Beteiligung an einem Errichtungsgeschäft beinhaltet, ohne dass sie die Einzelheiten, etwa die Höhe der Beteiligung des Vollmachtgebers oder die weiteren zwingenden Bestandteile des § 3 Abs. 1, bestimmen muss. Da zugleich mit der Errichtung der GmbH zumeist der oder die ersten Geschäftsführer bestellt werden, sollte die Vollmacht auch die Bestellung der Geschäftsführer und die Festlegung ihrer Vertretungsbefugnis umfassen203. Eine Generalvollmacht ermöglicht daher den Abschluss eines GmbH-Gesellschaftsvertrages204. Die Prokura für ein Handelsgeschäft umfasst gleichfalls grundsätzlich die Befugnis zur Beteiligung an der Gründung einer GmbH (§ 49 Abs. 1 HGB), wobei zum Nachweis einer im Handelsregister eingetragenen Prokura

197 KG v. 3.3.2022 – 22 W 92/21, GmbHR 2022, 636; Heinze, NJW 2020, 1421, 1422. 198 Dies ist nicht der Fall, wenn lediglich der Name des Unterzeichners ohne weitere individualisierende Zusätze in dem Beglaubigungsvermerk enthalten ist, s. OLG Bremen v. 14.12.2021 – 2 W 31/ 21, GmbHR 2022, 309. 199 Heinze, NJW 2020, 1421, 1422. Hinsichtlich derjenigen Staaten, die dem Haager Übereinkommen vom 5.10.1961 zur Befreiung ausländischer öffentlicher Urkunden von der Legalisation beigetreten sind, vgl. BGBl. II 1965, 875. 200 Wachter, GmbHR 2003, 660, 662, dort auch zu Ausnahmen von dem Erfordernis der Legalisation oder Apostille; a.A. Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1098, die davon ausgehen, dass die Apostille/Legalisation Wirksamkeitsvoraussetzung sei. 201 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 12 f.; aus diesem Grund ist etwa das österreichische virtuelle Beurkundungsverfahren nicht gleichwertigt, s. Lieder, ZRP 2022, 102, 104. 202 S. § 4 Abs. 3 Satz 2 öGmbHG. 203 Heinze, NJW 2020, 1421, 1422. 204 OLG Frankfurt a.M. v. 1.12.2016 – 20 W 198/15, GmbHR 2017, 371, 372; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 21; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 97; Wicke, Rz. 7.

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§ 2 Rz. 33 | Form des Gesellschaftsvertrages ein Handelsregisterauszug genügt205. Nicht ausreichend ist eine bloße Handlungsvollmacht nach § 54 HGB, es sei denn, die Gründung der GmbH gehört zum gewöhnlichen Geschäftsbetrieb des Handelsgeschäfts (branchenübliches Geschäft)206. Letzteres kann etwa bei der Erteilung einer Handlungsvollmacht durch einen Vollmachtgeber angenommen werden, dessen Tätigeit die Errichtung und der Verkauf von Vorratsgesellschaften ist. 34 Dem Bevollmächtigten kann es gestattet werden, bei Abschluss des Gründungsgeschäfts zu-

gleich im eigenen Namen oder als Vertreter mehrerer Gründer zu handeln (§ 181 BGB). In diesem Fall bedarf nach dem Zweck der Regelung (zuvor Rz. 31) die Gestattung gleichfalls der Form des § 2 Abs. 2207. Die Befreiung kann konkludent erfolgen, was i.d.R. der Fall ist, wenn die Vollmacht zum Abschluss des Gesellschaftsvertrages einem anderen Gründer in der Form des § 2 Abs. 2 erteilt wird208. Der Widerruf der Vollmacht kann materiell-rechtlich in jeder Form erfolgen, allerdings sind die § 172 Abs. 2 und § 173 BGB zu beachten, so dass die Vertretungsmacht trotz Widerrufs der Vollmacht im Wege der Rechtsscheinhaftung fortgilt, bis die Vollmachtsurkunde (s. § 2 Abs. 2) dem Vollmachtgeber zurückgegeben oder für kraftlos erklärt wird (§ 172 Abs. 2 BGB)209. Etwas anderes gilt nur dann, wenn sämtliche Mitgründer Kenntnis von dem Widerruf hatten oder diesen kennen mussten (§ 173 BGB)210.

2. Gesetzliche und organschaftliche Vertretung 35 Das besondere Formerfordernis des § 2 Abs. 2 gilt nur für die Vollmacht, d.h. für die rechts-

geschäftlich erteilte Vertretungsmacht (§ 167 BGB), nicht für die Fälle gesetzlicher und organschaftlicher Vertretungsmacht211. Allerdings müssen auch gesetzliche und organschaftliche Vertreter ihre Vertretungsmacht gegenüber Notar und Gericht nachweisen. Eltern weisen sich durch die Geburtsurkunde des vertretenen Kindes aus. Besteht das alleinige Sorgerecht eines Elternteils, bedarf es weiterer Nachweise, etwa der Sterbeurkunde des anderen Elternteils oder der Ausfertigung des Beschlusses gemäß § 1671 BGB212. Vormünder, Betreuer, Pfleger, Nachlassverwalter und Insolvenzverwalter weisen sich durch ihre gerichtliche Bestallungsurkunde, organschaftliche Vertreter von juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften durch einen Registerauszug aus213. Letzteres gilt auch für Prokuristen, obwohl es sich bei ihnen um Bevollmächtigte i.S.d. § 2 Abs. 2 handelt (§ 48 HGB; s. Rz. 33)214. Wenn das Register bei demselben Gericht geführt wird, das über die Eintragung der Gesellschaft zu

205 OLG Dresden v. 12.2.1915, KGJ 49, 272, 273; Wicke, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 21; Heinze, NJW 2020, 1421; s. auch Körber/Effer-Uhe, DNotZ 2009, 92, 93 ff., 98 f. mit Ausnahme des Falls der Sachgründung als Grundlagengeschäft. 206 Stenzel, GmbHR 2015, 567, 576; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 99; ebenso wohl diejenigen Autoren, nach denen die Handlungsvollmacht „regelmäßig“ nicht ausreicht, so Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 21; strenger (niemals ausreichend) Emmerich, 11. Aufl., Rz. 27; ebenso Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 33; zurückhaltenderjetzt („regelmäßig“ nicht ausreichend) J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 70. 207 Altmeppen, Rz. 35; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 100; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 569 f. 208 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 21; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 100. 209 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 57; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 571. 210 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 57; auch Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 36 mit allerdings wohl irrtümlicher Beschränkung auf den Fall der positiven Kenntnis; anders jetzt J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 76. 211 Ausgenommen ist die Gesamtvertreterermächtigung, so zutreffend Heinze, NJW 2020, 1421 f. 212 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101. 213 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 71; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 55. 214 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 35 § 2

entscheiden hat, genügt ein Verweis auf das Handelsregister215. Die Vertretungsmacht der Vertreter der Körperschaften des öffentlichen Rechts ist häufig offenkundig (§ 291 ZPO), andernfalls ist sie durch eine Legitimationsurkunde nach den für die Verfassung der Körperschaft geltenden Vorschriften nachzuweisen, die nicht der Form des § 2 Abs. 2 bedarf216. Noch ungeklärt ist, ob § 2 Abs. 2 hinsichtlich des Nachweises der Vertretungsmacht des für eine GbR handelnden Gesellschafters gilt. Da für die GbR (noch) kein Register existiert, spricht der Formzweck für die entsprechende Anwendung des § 2 Abs. 2, weil andernfalls Ungewissheit über die ordnungsgemäße Vertretung der GbR bestehen kann217. Da der Gesellschafter jedoch als organschaftlicher Vertreter und nicht aufgrund Vollmacht auftritt und es sich letztlich nur um ein Problem des Nachweises der Vertretungsmacht handelt, gilt § 2 Abs. 2 in diesem Fall richtigerweise nicht218. Bis zu einer Klärung dieser Frage sollte die Praxis aber vorsorglich die Form des § 2 Abs. 2 einhalten219. Dies kann durch die Vorlage des (zumindest) unterschriftsbeglaubigten Gesellschaftsvertrages oder Gesellschafterbeschlusses erfolgen220. Das Problem erledigt sich mit dem Inkrafttreten des MoPeG zum 1.1.2024 aufgrund der dann erforderlichen Registrierung der GbR, die Anteile an einer GmbH übernimmt (Rz. 63a). Bei ausländischen Gesellschaften, die sich an einer deutschen GmbH beteiligen, kann der Vertretungsnachweis durch einen Registerauszug geführt werden, wenn ein Register existiert und eine verlässliche Aussage über die Vertretung enthält221. In geeigneten Fällen kommt ersatzweise die Bescheinigung eines in Deutschland222 oder im Ausland223 zugelassenen Notars in Betracht, oder es müssen weitere Unterlagen, etwa Satzungen oder z.B. hinsichtlich einer US-amerikanischen corporation eine Bescheinigung des corporate secretary beigebracht werden224. Die Vertretungsnachweise sind dem Registergericht grund-

215 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101. 216 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; nach a.A. muss die Vertretungsmacht nur nachgewiesen werden, wenn sie beschränkt ist, so Emmerich, 11. Aufl., Rz. 29; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 30; anders jetzt J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 71. 217 So Pentz in MünchKomm. AktG, § 23 AktG Rz. 24 zu § 23 Abs. 1 Satz 2 AktG. 218 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37; im Ergebnis wohl auch Körber/Effer-Uhe, DNotZ 2009, 92, 100 f., die eine Analogie zwar im Einzelfall erwägen, darin im Ergebnis jedoch keinen Gewinn an Rechtssicherheit sehen. 219 So auch die Empfehlung von Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37. 220 Pentz in MünchKomm. AktG, § 23 AktG Rz. 24 empfiehlt die Verwendung einer beglaubigten Vollmacht. 221 S. allgemein zu den Nachweiserfordernissen hinsichtlich ausländischer Gesellschaften Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 2 Rz. 70 ff. 222 So etwa OLG Schleswig v. 13.12.2007 – 2 W 198/07, DNotZ 2008, 709 bei Einsichtnahme in das schwedische Handelsregister. Ablehnend hinsichtlich einer englischen limited für den Fall, dass der Notar in Deutschland seine Erkenntnisse nur durch Einsichtnahme des beim Companies House geführten Registers erlangt hat OLG Nürnberg v. 26.1.2015 – 12 W 46/15, GmbHR 2015, 196; KG v. 20.4.2010 – 1 W 164-165/10, DNotZ 2012, 604. Anders KG v. 28.3.2013 – 1 W 434/12, RNotZ 2013, 426 bei Vorhandensein einer eingetragenen Zweigniederlassung einer englischen private company limited by shares in Deutschland. 223 S. etwa OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, DNotZ 2014, 626 zur Bescheinigung eines englischen Notars hinsichtlich einer limited, wenn dieser neben dem Register auch das memorandum, die articles of association und das Protokollbuch einsieht und dies in der Bescheinigung angibt; s. auch OLG Schleswig v. 1.2.2012 – 2 W 10/12, GmbHR 2012, 799, 800; auch OLG München v. 9.11.2020 – 34 Wx 235/20, MittBayNot 2021, 362 zur unzureichenden Bescheinigung eines notary public der British Virgin Islands („BVI“), die nur auf Einsichtnahme in das nicht dem deutschen Handelsregister entsprechende Register der BVI beruht; zur Vertretungsbescheinigung eines US civil law notary s. Heggen in Würzburger Notarhandbuch, 5. Aufl. 2018, Teil 7 Kap. 6 Rz. 133. 224 Dazu Heggen in Würzburger Notarhandbuch, 5. Aufl. 2018, Teil 7 Kap. 6 Rz. 126.

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§ 2 Rz. 35 | Form des Gesellschaftsvertrages sätzlich in öffentlicher Form einzureichen225. Die Beschaffung der für Auslandsgesellschaften erforderlichen Nachweisdokumente kann im Einzelfall zeitaufwändig sein, begründet für die Praxis jedoch keine unüberwindbaren Hindernisse, so dass die Einschaltung deutscher Treuhänder für ausländische Gründer heute kaum noch zu beobachten ist226.

3. Mängel 36 Fehlt eine Vollmacht völlig oder genügt sie nicht der Form des § 2 Abs. 2, handelt der Ver-

treter als Vertreter ohne Vertretungsmacht (§ 177 BGB). Die von dem Vertreter abgegebene Erklärung und damit auch der Gesellschaftsvertrag sind schwebend unwirksam. Das Registergericht muss die Eintragung der Gesellschaft ablehnen (§ 9c Abs. 1 Satz 1) oder den Gründern eine Frist zur Beibringung einer ordnungsgemäßen Vollmacht setzen (§ 382 Abs. 4 Satz 1 FamFG)227. Ist die Vollmacht mit anderen Erklärungen in einer Urkunde zusammengefasst, hat die Unwirksamkeit der weiteren Erklärungen grundsätzlich keine Auswirkungen auf die Wirksamkeit der Vollmacht als selbständige Willenserklärung228. 37 Der Vertretene kann die Erklärungen des Vertreters ohne Vertretungsmacht gemäß § 177

Abs. 1 BGB bis zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister genehmigen229. Für die Genehmigung gilt § 2 Abs. 2230, weil angesichts dessen Formzwecks § 182 Abs. 2 BGB ebenso zurücktritt wie § 167 Abs. 2 BGB231. Ausreichend ist ferner die nachträgliche formgerechte Beglaubigung der Vollmacht, weil darin die Genehmigung des bisherigen Auftretens des Vertreters zu sehen ist232. Nach der hier vertretenen Auffassung kann auch im Fall der Errichtung einer Einpersonengesellschaft die Erklärung des falsus procurator genehmigt werden (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 55). Ein Anspruch der anderen Gesellschafter auf Genehmigung der von dem Vertreter ohne Vertretungsmacht vorgenommenen Erklärungen besteht grundsätzlich nicht und zwar auch dann nicht, wenn der Vertretene eine formunwirksame privatschriftliche Vollmacht erteilt hatte233. Ein solcher Anspruch kann sich aber im Einzelfall aus einem formwirksamen Vorvertrag (dazu Rz. 103 ff.) ergeben234. § 2 Abs. 2 gilt entsprechend für die Genehmigung des von einem Minderjährigen abgeschlossenen Gesellschaftsvertrages durch den gesetzlichen Vertreter235. Anders wird dies hinsichtlich der Genehmigung des

225 S. OLG Schleswig v. 1.2.2012 – 2 W 10/12, GmbHR 2012, 799, 800 zur Beibringung einer Apostille zum Registerauszug; Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 2 Rz. 71; s. aber auch LG Hamburg v. 15.5.2009 – 415 T 5/09, RNotZ 2010, 69, 70 zur Einreichung unbeglaubigter Registerauszüge im Zusammenhang mit der Bestellung und Abberufung von Geschäftsführern. 226 Anders noch Emmerich, 11. Aufl., Rz. 25. 227 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 105. 228 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 68. 229 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42. 230 OLG Köln v. 28.3.1995 – 2 Wx 13/95, GmbHR 1995, 725 = MDR 1995, 888 = WM 1996, 207 = DB 1995, 2413; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 73; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Altmeppen, Rz. 33; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 56; Wachter, GmbHR 2003, 660; Heinze, NJW 2020, 1421. 231 A.A. Bayreuther in MünchKomm. BGB, § 182 BGB Rz. 25; H. Schmidt, MDR 1995, 888, 889. 232 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 102; Wicke, Rz. 8; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 23; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 575. 233 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43. 234 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 23. 235 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 102; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38, 151.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 38 § 2

Vertrages durch den Minderjährigen selbst nach Eintritt der Volljährigkeit gemäß § 108 Abs. 3 BGB beurteilt236. Nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister (§ 11) ist nach ganz überwiegen- 38 der Meinung zu unterscheiden, ob der angebliche Vertreter überhaupt keine Vollmacht hatte oder ob die Vollmacht „lediglich“ wegen eines Verstoßes gegen § 2 Abs. 2 formnichtig war (§ 125 BGB). In dem zuletzt genannten Fall wird der Mangel der Vollmacht ebenso wie die Formunwirksamkeit des Gesellschaftsvertrages selbst durch die Eintragung geheilt. Ein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75 Abs. 1 liegt nicht vor237. Bei gänzlichem Fehlen einer Vollmacht hat dagegen der Gesellschaftsvertrag auch nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister keine Wirkung gegenüber dem angeblich Vertretenen (§ 177 BGB). Davon wird die Wirksamkeit der Gesellschaft im Übrigen jedoch nicht berührt. Da aber der Geschäftsanteil des angeblich Vertretenen nicht entstanden ist, kann die GmbH gemäß § 399 Abs. 4 FamFG von Amts wegen aufgelöst werden238. Die Gesellschafter können die Auflösung vermeiden, indem sie den Mangel durch eine Kapitalherabsetzung oder durch die Bildung eines neuen239 Geschäftsanteils beseitigen (s. dazu näher Rz. 98). Durch die Schaffung eines neuen Geschäftsanteils kann auch der vollmachtlos Vertretene noch an der Gesellschaft beteiligt werden. Die bloße Genehmigung des Vertreterhandelns durch den Vertretenen genügt nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister nicht mehr, weil ab diesem Zeitpunkt feststeht, dass der Geschäftsanteil des Vertretenen endgültig nicht zur Entstehung gelangt ist (s. zum Fall der Beteiligung eines beschränkt Geschäftsfähigen unter Rz. 52, 94)240.

IV. Auslegung Schrifttum: Brandes, Die Rechtsprechung des BGH zur GmbH, WM 1983, 286; Coing, Zur Auslegung der Verträge von Personengesellschaften, ZGR 1978, 659; Fleischer, Zur Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, DB 2013, 1466; Grunewald, Die Auslegung von Gesellschaftsverträgen und Satzungen, ZGR 1995, 68; Hoffmann-Becking, Der Einfluss schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen auf die Rechtsbeziehungen in der Kapitalgesellschaft, ZGR 1994, 442; Lüderitz, Die Auslegung von Rechtsgeschäften, 1966, S. 194 ff.; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970, S. 166 ff.; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 80 ff.; Ostheim, Zur

236 S. Rz. 51; BGH v. 21.1.1980 – II ZR 153/79, GmbHR 1980, 299 = WM 1980, 866; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; dagegen mit guten Gründen Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 102; ablehnend auch Bürger, RNotZ 2006, 156, 161; zweifelnd auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 151, unter Berufung auf den Formzweck des Übereilungsschutzes. Dieser wird jedoch nicht durch § 2 Abs. 2, sondern nur durch § 2 Abs. 1 Satz 1 verfolgt (s. Rz. 10). Entscheidend dürfte jedoch allein der Zweck des § 2 Abs. 2 sein, weil es sich auch im Fall der Genehmigung durch den Minderjährigen nach Erlangung der Volljährigkeit um einen Vertretungssachverhalt handelt. 237 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 23; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 108; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 37; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 60. 238 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 78; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 24; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 47; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 60. 239 Anders Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 37, der davon ausgeht, dass die anderen Gesellschafter den Geschäftsanteil des vollmachtlos Vertretenen übernehmen können; s. auch Emmerich, 11. Aufl., Rz. 32, der einerseits davon ausgeht, dass der Geschäftsanteil des angeblich Vertretenen nicht entstanden ist, andererseits aber den anderen Gesellschaftern die Möglichkeit eröffnet, den Geschäftsanteil des Vertretenen zu übernehmen; wie hier Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 162 ff. 240 A.A. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 576; wie hier Ulmer/ Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 163 f.; wohl widersprüchlich Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 108 einerseits und Rz. 241 andererseits.

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§ 2 Rz. 39 | Form des Gesellschaftsvertrages Auslegung des Gesellschaftsvertrages bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, in FS Demelius, 1973, S. 381; Schockenhoff, Die Auslegung von GmbH- und AG-Satzungen, ZGR 2013, 76; Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970, S. 127 ff.; H. P. Westermann, Das Verhältnis von Satzung und Nebenordnungen in der Kapitalgesellschaft, 1994, S. 43 ff.; Wiedemann, Die Auslegung von Satzungen und Gesellschaftsverträgen, DNotZ 1977, Sonderheft S. 99.

39 Die Auslegung des Gesellschaftsvertrages ist seit langer Zeit Gegenstand der juristischen Dis-

kussion241. Kern des Problems ist die Frage, ob Gesellschaftsverträge entsprechend den für Verträge geltenden Regeln (§§ 133, 157 BGB) auszulegen sind oder ob angesichts der besonderen Funktion des Gesellschaftsvertrages (s. Rz. 3) eigenständige Auslegungsregeln gelten. Die Auslegung nach den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre hätte zur Folge, dass die Auslegung primär anhand des übereinstimmenden Willens der Gesellschafter zu erfolgen hätte und in Abwesenheit eines übereinstimmenden Willens hinterfragt werden müsste, wie der jeweilige Empfänger die jeweilige Regelung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen durfte. Bei der Beantwortung dieser Frage müssten bzw. dürften sämtliche Umstände berücksichtigt werden, d.h. nicht nur der Gesellschaftsvertrag und sämtliche beim Handelsregister abrufbaren Unterlagen, sondern etwa auch die Entstehungsgeschichte des Gesellschaftsvertrages samt seiner früheren Entwürfe, Äußerungen und etwaige Nebenabreden der Gründer. Als gesichert kann gelten, dass individualrechtliche Satzungsregelungen in diesem Sinne auszulegen sind (§§ 133, 157 BGB). Ob dies auch für körperschaftliche Satzungsregelungen gilt, die Bedeutung nicht nur für die Vertragsschließenden, sondern auch für künftige Gesellschafter und Gläubiger haben (zuvor Rz. 8), ist umstritten. Die Rechtsprechung zu dieser Frage hat geschwankt. Das RG242 ist grundsätzlich von der Geltung der §§ 133, 157 BGB ausgegangen, allerdings mit der Einschränkung, dass der Auslegung hier engere Grenzen als sonst gezogen seien, weil der Gesellschaftsvertrag für die Allgemeinheit bestimmt sei. Das RG hat daraus den Schluss gezogen, dass die wesentlichen Erfordernisse der formbedürftigen Erklärungen in der Urkunde selbst niedergelegt sein müssten, da sie sonst durch den Inhalt der Urkunde nicht mehr gedeckt seien243. Deshalb hat es solche Nebenabreden als unwirksam behandelt, die sich nicht aus der Urkunde ergaben (§ 2 GmbHG i.V.m. § 125 BGB), sowie Deutungen des Vertrags abgelehnt, die für Außenstehende nicht erkennbar sind. Soweit aber die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages unklar oder mehrdeutig sind244 oder soweit die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages keine Bedeutung für die Allgemeinheit, die Gläubiger oder künftige Gesellschafter haben245, wurde eine Auslegung unter Heranziehung der auch sonst üblichen Erkenntnismittel gebilligt. 40 Der BGH hat die Rechtsprechung des RG weiterentwickelt und die heute weithin gebilligte

Unterscheidung zwischen individualrechtlichen und körperschaftlichen Bestimmungen geprägt. Unterscheidungskriterium ist danach, ob die fragliche Bestimmung nur für das Verhältnis der Gründer untereinander sowie zur Gesellschaft oder auch für spätere Gesellschafter oder die Gläubiger Bedeutung hat. Während für die individualrechtlichen Bestimmungen die §§ 133, 157 BGB uneingeschränkt ihre Gültigkeit behalten, wird bei den körperschaftlichen Bestimmungen mit Rücksicht auf ihre erforderliche einheitliche und gleichmäßige Geltung für gegenwärtige und zukünftige Gesellschafter sowie für die Gläubiger eine objektivierte Auslegung bevorzugt246. Diese Grundsätze hat der BGH – von seinem Stand241 242 243 244

S. auch Fleischer, DB 2013, 1466 („Faszinosum“). S. auch den Überblick bei Schockenhoff, ZGR 2013, 76, 78 ff. RG v. 21.6.1912 – Rep. II 223/12, RGZ 79, 418, 422. RG v. 20.6.1933 – II 41/33, RGZ 141, 204, 206; RG v. 23.12.1938 – II 102/38, RGZ 159, 272, 278; RG v. 25.1.1939 – II 94/38, RGZ 159, 321, 326; RG v. 12.10.1940 – II 33/40, RGZ 165, 68, 73. 245 RG v. 4.6.1940 – II 171/39, RGZ 164, 129, 140. 246 Grdl. BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 36 f. = NJW 1954, 1401; s. auch BGH v. 13.7.1967 – II ZR 238/64, BGHZ 48, 141, 143 f. = NJW 1967, 2159, 2160; BGH v. 11.11.1985 – II

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 41 § 2

punkt aus zu Recht – auch für personalistische Gesellschaften oder Familiengesellschaften angewandt, schon weil der spätere Beitritt anderer Gesellschafter niemals ausgeschlossen werden kann247. Ausgangspunkt der Auslegung ist auf der Grundlage der objektivierten Auslegung – ebenso 41 wie sonst (§§ 133, 157 BGB) – der Wortlaut der fraglichen körperschaftlichen Vertragsbestimmung. Dieser ist indes nicht allein maßgebend; vielmehr müssen Sinn und Zweck und der systematische Bezug der Klausel zu anderen Satzungsregelungen berücksichtigt werden. Dabei kann auch auf Umstände außerhalb der Vertragsurkunde zurückgegriffen werden, vorausgesetzt, dass sie, wie insbesondere die sonstigen Handelsregisterakten, für außenstehende Dritte gleichfalls ohne weiteres erkennbar sind248. Eine einzelne Bestimmung des Gesellschaftsvertrages kann infolgedessen durchaus auch gegen bzw. über ihren Wortlaut hinaus ausgelegt werden249. Kollidieren zwei Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, weil es bei einer späteren Vertragsänderung versäumt wurde, den geänderten Text mit dem früheren Text abzustimmen, sind die Regeln über sich widersprechende Gesetze aus verschiedenen Zeiten anzuwenden, so dass z.B. eine als generell gedachte Erhöhung der Mehrheitserfordernisse für Vertragsänderungen eine abweichende, speziellere frühere Regelung verdrängt250. Selbst eine ergänzende Vertragsauslegung zur Schließung von Lücken im Gesellschaftsvertrag ist im Rahmen der objektiven Kriterien möglich, sofern damit nur der Zweck verfolgt wird, die schon in der Vertragsurkunde selbst angelegte Regelung zu einem sinnvollen Ganzen fortzuschreiben251. Ausgeschlossen ist dagegen ein Rückgriff auf solche Umstände, die, wie die Entstehungsgeschichte, Vorentwürfe und nicht nach außen hervorgetretene Motive der Gründer, außenstehenden Dritten notwendigerweise verborgen sind252. Auf keinen Fall darf schließlich die Auslegung zu unterschiedlichen Ergebnissen im Innen- und Außenverhältnis führen; sie muss vielmehr für alle Beteiligten einheitlich und gleichmäßig erfolgen253.

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ZB 5/85, BGHZ 96, 245, 250 = NJW 1986, 1033, 1034 (Verein); BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364, 366 = NJW 1992, 892, 893 = GmbHR 1992, 257, 259; BGH v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, BGHZ 123, 347, 350, 352 = NJW 1994, 51 = AG 1994, 78 = ZIP 1993, 1709 – IBH/ Powell Duffryn (zur AG); BGH v. 29.3.1973 – II ZR 139/70, LM Nr. 20 zu § 47 GmbHG = NJW 1973, 1039, 1040; BGH v. 24.1.1974 – II ZR 65/72, LM Nr. 21 zu § 47 GmbHG = GmbHR 1974, 107, 108; BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196 = LM Nr. 32 zu § 47 GmbH = NJW 1983, 1910 f.; BGH v. 29.9.1954 – II ZR 331/53, LM Nr. 25 zu § 549 ZPO = MDR 1954, 734, 735; ebenso für Österreich OGH v. 25.11.1997 – 1 Ob 61/97, SZ Bd. 70 II (1997) Nr. 24, S. 704, 719 ff. = HS 28.080 = AG 1998, 199 f. BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 36 f. = NJW 1954, 1401; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, BB 1981, 926 f. = GmbHR 1982, 129, 130; BGH v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, NJW-RR 1990, 99 f. = GmbHR 1990, 75, 76; zustimmend u.a. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30. Vgl. für bei den Handelsregisterakten befindliche frühere Fassungen der Satzung BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196 = NJW 1983, 1910 f.; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 366 = NJW 1992, 892, 894 = GmbHR 1992, 257, 259; zur Berücksichtigung einer beim Handelsregister eingereichten Einbringungsbilanz BayObLG v. 12.4.1979 – BReg 1 Z 13/79, BayObLGZ 1979, 97, 101 f. = GmbHR 1979, 139, 140 f. Vgl. den Fall BayObLG v. 12.4.1979 – BReg 1 Z 13/79, BayObLGZ 1979, 97 = GmbHR 1979, 139. OGH v. 25.11.1997 – 1 Ob 61/97, SZ. Bd. 70 II (1997) Nr. 242, S. 704, 721 ff. = AG 1998, 199, 200. BGH v. 16.10.1989 – II ZR 2/89, NJW-RR 1990, 226, 227 = GmbHR 1990, 77 (Ausdehnung eines Wettbewerbsverbotes auf weitere Fälle); OLG Düsseldorf v. 8.1.1982 – 6 W 61/81, BB 1982, 1574 f.; OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222, 1223 f. = GmbHR 1999, 712; OLG Schleswig v. 29.4.2015 – 9 U 132/13, NZG 2015, 1076, 1077 = GmbHR 2015, 990. BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196 = NJW 1983, 1910 f.; BGH v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, NJW-RR 1990, 99 f. = GmbHR 1990, 75, 76; OLG Köln v. 26.3.1999 – 19 U 108/96, NZG 1999, 1222, 1223 f. = GmbHR 1999, 712. RG v. 25.1.1921 – II 313/20, RGZ 101, 246 f.; RG v. 28.1.1930 – II 159/29, RGZ 127, 186, 192; RG v. 20.6.1930 – II 310/29, JW 1930, 3735, 3736; RG v. 19.11.1938 – II 68/38, JW 1939, 354 (zur AG); BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 36 f. = NJW 1954, 1401; BGH v. 29.9.1954 – II

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§ 2 Rz. 42 | Form des Gesellschaftsvertrages 42 Aus der Unterscheidung zwischen körperschaftlichen und individualrechtlichen Satzungs-

bestandteilen wird schließlich der Schluss gezogen, dass allein die ersteren der freien Nachprüfung durch das Revisionsgericht unterliegen. Dagegen ist die Auslegung von Satzungsbestimmungen mit individualrechtlichem Charakter ebenso wie diejenige sonstiger Verträge in der Revisionsinstanz nur beschränkt nachprüfbar254. 43 Im Schrifttum findet die Rechtsprechung des BGH auch heute noch überwiegend Zustim-

mung. Die Mehrheit der Autoren folgt im Wesentlichen dem Gebot objektiver Auslegung körperschaftlicher Satzungsregelungen und legt individualrechtliche Bestimmungen ganz überwiegend nach den allgemeinen Regeln der Rechtsgeschäftslehre aus255. Allerdings finden sich auch Stellungnahmen, die stärker differenzieren. So wird vertreten, dass zwischen personalistischen und kapitalistischen Gesellschaften unterschieden werden müsse und im Innenverhältnis der personalistischen Gesellschaften eine stärker vertragsähnliche Auslegung stattzufinden habe256. Auch eine Unterscheidung zwischen notwendigen und fakultativen körperschaftlichen Bestimmungen wird bisweilen befürwortet257. Nach einer vordringenden Ansicht soll im Wege einer einzelfallorientierten Betrachtungsweise danach gefragt werden, ob im konkreten Fall tatsächlich Interessen Dritter tangiert sind, die für eine von den allgemeinen Auslegungsregelungen abweichende Auslegung sprechen258. Das Gebot objektiver Satzungsauslegung soll nur in diesem Fall greifen, während im Übrigen auch körperschaftliche Satzungsbestandteile entsprechend den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) ausgelegt werden sollen. 44 Der wesentliche Vorteil des Konzepts der objektiven Auslegung liegt darin, dass es einheitli-

che Auslegungsregelungen unabhängig von der Realstruktur der Gesellschaft und unabhängig von einer etwaigen Änderung der Zusammensetzung des Gesellschafterkreises bietet259. Dies dient der Rechtssicherheit, stellt aber zugleich die wesentliche Schwäche des Konzepts dar. Es ist nämlich schwer einzusehen, warum die Interessen Dritter generell Abweichungen von den sonst maßgeblichen Auslegungsregeln gebieten sollen, wenn sie im Einzelfall nicht betroffen sind. Die h.M. schießt über das Ziel hinaus, wenn letztlich unter Berufung auf die theoretischen Interessen Dritter Modifikationen der §§ 133, 157 BGB vorgenommen werden. Derartige Abweichungen können nur dort angebracht sein, wo die Interessen Dritter tatsächlich hereinspielen260. Solange sich der Gesellschafterkreis auf die Gründer und deren

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ZR 331/53, LM Nr. 25 zu § 549 ZPO = MDR 1954, 734; BGH v. 29.3.1973 – II ZR 139/70, LM Nr. 20 zu § 47 GmbHG = NJW 1973, 1039. Vgl. etwa BGH v. 11.10.1993 – II ZR 155/92, NJW 1994, 51, 52; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 202; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 206; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 32; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 54. So mit Unterschieden im Einzelnen Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 194 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 81; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 90; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 27; Wicke, Rz. 4; s. aber auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19: gesetzesgleiche Auslegung, allerdings wiederum mit Modifikationen; s. auch Leuschner in MünchKomm. BGB, § 25 BGB Rz. 41; gegen die Unterscheidung von körperschaftlichen und individualrechtlichen Regelungen Ostheim in FS Demelius, 1973, S. 381, 392. Wiedemann, GesR I, § 3 II 2 (S. 169 f.); Wiedemann, DNotZ 1977, Sonderheft, S. 99 ff.; kritisch zu Recht Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 197; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30. Kraft in KölnKomm. AktG, 2. Aufl., § 23 Rz. 99 ff.; dagegen zu Recht Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 197; Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl., § 23 Rz. 21 f. So mit Unterschieden in den Einzelheiten Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 198 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 29; Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 4 (S. 87 ff.); Grunewald, ZGR 1995, 86, 86 f.; Schockenhoff, ZGR 2013, 76, 101 ff. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 195. Nicht aufrechterhalten wird die Kritik an der h.M., dass die Abgrenzung zwischen körperschaftlichen und individualrechtlichen Satzungsbestandteilen praktisch schwierig ist, s. Emmerich, 11. Aufl., Rz. 38. Dieser Einwand ist in der Sache zwar richtig. Das Abgrenzungsproblem stellt

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 45 § 2

Erben beschränkt, ist eine Abweichung von den §§ 133, 157 BGB daher nicht gerechtfertigt261. Maßgebend ist dann in erster Linie ihr Verständnis der betreffenden Bestimmungen, wozu auch eine entsprechende Praxis der Gesellschafter herangezogen werden kann. Dasselbe gilt für schuldrechtliche Nebenabreden der Gesellschafter262. Einschränkungen der vorstehend entwickelten Regeln (Rz. 44) werden erst, aber immer dann 45 erforderlich, sobald Interessen Dritter tatsächlich tangiert werden. Interessen der Gläubiger263 (die jede Satzungsregelung hinnehmen müssen)264 oder der Allgemeinheit265 rechtfertigen eine Einschränkung allerdings nicht, wohl aber die Interessen neuer Gesellschafter. Haben sie keine positive Kenntnis von dem Verständnis der Gründer, ihrer Handhabung der Satzung und über die Existenz ergänzender schuldrechtlicher Abreden266 und mussten sich diese Umstände ihnen auch nicht aufdrängen267, muss der Gesellschaftsvertrag unter Außerachtlassung dieser Umstände ausgelegt werden. Die fragliche Bestimmung des Gesellschaftsvertrages gilt dann – allerdings wiederum einheitlich268 – in dem Sinne, den sie nach objektiver Auslegung hat, und nicht nach einem möglicherweise abweichenden Verständnis der Gründer und der anderen informierten Gesellschafter (§§ 133, 157 BGB). Eine gewisse Schwäche dieser Lösung liegt freilich darin, dass sich die „richtige“ Auslegung im Zeitverlauf ändern kann. Dies kann für einen Gesellschafter, der sich auf das gemeinsame subjektive Verständnis einer Satzungsregelung beruft, misslich sein, wenn (möglicherweise erst im Prozess) ein Gesellschafterwechsel stattfindet und die Satzung sodann objektiv auszulegen ist. In der Praxis könnte sogar der Versuch unternommen werden, einen solchen Gesellschafterwechsel gezielt

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sich aber auch auf der Grundlage der hier vertretenen Auffassung, weil die körperschaftlichen Regelungen der Satzung jedenfalls nach einem Gesellschafterwechsel grundsätzlich objektiv auszulegen sind, nicht jedoch die individualrechtlichen Bestimmungen. So im Ergebnis auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 4 c (S. 90 f.); Grunewald, ZGR 1995, 68, 86 f.; Oppenländer, DStR 1996, 922; Schockenhoff, ZGR 2013, 76, 102; Fleischer, DB 2013, 1466, 1471, 1474. A.A. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 195, 201; s. zu dieser Frage auch Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442, 455 f. A.A. J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 90. Entgegen Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 48 wird hier nicht bestritten, dass der Gesellschaftsvertrag ein Kriterium für die Kreditvergabe sein kann. Es wird lediglich bestritten, dass die Gläubiger angesichts der Satzungshoheit der Gesellschafter ein schutzwürdiges Interesse an der objektiven Auslegung haben. Wie hier Grunewald, ZGR 1995, 68, 88; Schockenhoff, ZGR 2013, 76, 91 f.; Fleischer, DB 2013, 1466, 1475 f. Schockenhoff, ZGR 2013, 76, 92 f. Hiervon zu unterscheiden ist die rechtsgeschäftliche Bindung des neuen Gesellschafters an die schuldrechtliche Nebenabrede, die ohne Vertragsübernahme oder Vertragsbeitritt nicht erfolgt, s. Schockenhoff, ZGR 2013, 76, 103. Weitergehend („wissen musste“) Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 199; Oppenländer, DStR 1996, 922; Grunewald, ZGR 1995, 68, 87. Gegen eine solche weitergehende Einschränkung zulasten des Erwerbers spricht jedoch mit Fleischer, DB 2013, 1466, 1474 f., dass die vorhandenen Gesellschafter es in der Hand haben, dem Erwerber ihr abweichendes subjektives Verständnis zu offenbaren und nicht schutzbedürftig sind, wenn sie davon absehen. Dem Fall der positiven Kenntnis sollte aber zumindest derjenige Fall gleichgestellt werden, in dem der neue Gesellschafter gleichsam die Augen vor dem sich ihm aufdrängenden subjektiven Verständnis der Gesellschafter verschließt; in diese Richtung auch Schockenhoff, ZGR 2013, 76, 104: grobe Fahrlässigkeit. Es ist daher nicht überzeugend, wenn für die objektive Auslegung angeführt wird, dass andernfalls keine einheitliche Auslegung allen Gesellschaftern gegenüber möglich wäre, so Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 48 f. Die Auslegung erfolgt auch nach der hier vertretenen Auffassung stets einheitlich nach denselben Regeln, die sich jedoch durch einen Gesellschafterwechsel ändern können. Der Vorteil des Konzepts der objektiven Auslegung kann daher nur darin gesehen werden, dass unabhängig von Änderungen auf Gesellschafterebene dieselben Auslegungsgrundsätze gelten, so zutreffend auf der Grundlage der dort vertretenen Ansicht Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 195.

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§ 2 Rz. 45 | Form des Gesellschaftsvertrages herbeizuführen, um dem klagenden Gesellschafter den Vortrag des übereinstimmenden subjektiven Verständnisses aus der Hand zu schlagen. In der Abwägung der widerstreitenden Interessen wiegen diese Bedenken aber nicht derart schwer, dass sie in sämtlichen Fällen, in denen Drittinteressen tatsächlich nicht betroffen sind, zu einer objektiven Auslegung zwingen. Zu berücksichtigen ist auch, dass sich die Gesellschafter durch die Vereinbarung gesellschaftsvertraglicher Vinkulierungsklauseln vor derartigen Gefahren schützen können und dass im Einzelfall die Berufung auf die objektive Auslegung aufgrund der Treuepflicht versagt sein kann, insbesondere wenn eine Abtretung zum Zwecke der „Manipulation“ der Auslegung erfolgt269.

V. Gesellschafter Schrifttum: Apfelbaum, Gütergemeinschaft und Gesellschaftsrecht, MittBayNot 2006, 185; Bachmann, Zum Entwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG), NZG 2020, 612; Bartl, Bestellung eines Ausländers zum Geschäftsführer, BB 1977, 571; Biddermann, Die Rechtsstellung des minderjährigen GmbH-Gesellschafters bei Fehlen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung zum Gründungsvertrag und zum Erwerb von Geschäftsanteilen, GmbHR 1966, 4; Bohlscheid, Ausländer als Gesellschafter und Geschäftsführer einer deutschen GmbH, RNotZ 2005, 505; Brüggemann, Der sperrige Katalog, FamRZ 1990, 5, 124; Bürger, Die Beteiligung Minderjähriger an Gesellschaften mit beschränkter Haftung, RNotZ 2006, 156; H. C. Dölle, Die Beteiligung der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) an einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), 1984; Eble, Familienund betreuungsgerichtliche Genehmigung im Gesellschaftsrecht, RNotZ 2021, 117; Fleischer, Ein Rundgang durch den Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Mondernisierung des Personengesellschaftsrechts, DStR 2021, 430; Flume, Gesamthand und juristische Person, in FS L. Raiser, 1974, S. 27; B. Grunewald, Die Rechtsfähigkeit der Erbengemeinschaft, AcP 197 (1997), 305; Haegele, GmbH und Verfügungsbeschränkungen der Zugewinngemeinschaft, GmbHR 1965, 187; Haegele, Vertragliche Güterrechte und GmbH, GmbHR 1968, 69, 95, 138; Haegele, Geschäftsunfähige und beschränkt Geschäftsfähige im GmbH-Recht, GmbHR 1971, 198; U. Koch, Die Beteiligung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts an der GmbH-Gründung, ZHR 146 (1982), 118; Kobei, Die Übernahme einer Stammeinlage oder Aktie bei Gründung einer GmbH oder AG durch eine Personenmehrheit, GmbHR 1960, 84; G. Kurz, Die Problematik des § 1822 BGB, NJW 1992, 1798; Kußmaul, Zivilrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten bei der Einbeziehung von Kindern, GmbHR 1983, 118; K. W. Lange, Erbengemeinschaft an einem GmbH-Geschäftsanteil, GmbHR 2013, 113; Lutz, Die Ernennung mehrerer Testamentsvollstrecker als Gestaltungsmittel der Unternehmensnachfolge, NotBZ 2016, 16; Maiberg, Übernahme einer Stammeinlage durch eine Erbengemeinschaft bei Erhöhung des Stammkapitals einer GmbH, DB 1975, 53; G. Miller, Eintragung ausländischer GmbH-Geschäftsführer und Gründung einer GmbH durch Ausländer, DB 1983, 977; W. Müller, Zur vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bei GmbH-Beteiligungen von Minderjährigen, JR 1961, 326; Petzoldt, Gesellschaftsvertrag und Erbrecht, GmbHR 1977, 25; Philippi, Testamentsvollstreckung an GmbH-Anteilen, 2000; Priester, Nachfolgeklauseln im GmbHVertrag, GmbHR 1981, 206; Priester, Kernbereich der Mitgliedschaft als Schranke der Testamentsvollstreckung?, in FS Streck, 2011, S. 891; Raue, Die ordnungsgemäße Verwaltung eines GmbH-Anteils durch eine Erbengemeinschaft, GmbHR 2015, 121; Reimann, Unternehmensnachfolge und Testamentsvollstreckung, GmbHR 2011, 1297; Roth, Die Ehegatten-GmbH in Recht und Praxis, FamRZ 1984, 328; Rust, Die Beteiligung von Minderjährigen im Gesellschaftsrecht, DStR 2005, 1942, 1992; J. Schmidt, Die gemeinschaftliche Ausübung von Rechten an einem GmbH-Anteil, NZG 2015, 1049; Karsten Schmidt, Die GmbH-Beteiligung von Gesellschaften bürgerlichen Rechts als Publizitätsproblem, BB 1983, 1697; Karsten Schmidt, Die BGB-Außengesellschaft: rechts- und parteifähig, NJW 2001, 993; Schürnbrand, Die Ausübung von Gesellschafterrechten in der GmbH durch Erbengemeinschaften, NZG 2016, 241; Tountopoulos, Ausländerrecht und Handelsregister, Rpfleger 1997, 457; Ulmer, Die höchstrichterlich „enträtselte“ Gesellschaft bürgerlichen Rechts, ZIP 2001, 585; Wachter, GmbH-Geschäftsanteile im Erbfall, 2012; Wachter, Ausländer als GmbH-Gesellschafter und Geschäftsführer ZIP 1999, 1577; Werner, Beteiligung Minderjähriger an gesellschaftsrechtlichen Transaktionen im Recht der GmbH und GmbH &

269 S. allgemein zum Gedanken der Treuepflicht im Zusammenhang mit der Auslegung Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 204; Karsten Schmidt, GesR, § 5 I 4 c (S. 90 f.).

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 47 § 2 Co. KG, GmbHR 2006, 737; Werner, Folgen der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts für die Beteiligung von Minderjährigen an Familienunternehmen, ZEV 2021, 618; Wilde, Der unter Betreuung stehende Gesellschafter, GmbHR 2010, 123; Wilhelm, Fehlerhafte Gesellschaftsverträge mit minderjährigen Kindern, BB 1966, 395; Winkler, Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts zu gesellschaftsrechtlichen Akten bei Beteiligung Minderjähriger, ZGR 1973, 177; M. Wolf, GmbH-Gründung mit einer Erbengemeinschaft, in FS Schippel, 1996, S. 533; Zelz, Der Minderjährige in der GmbH, GmbHR 1959, 91; – zur Treuhand s. bei Rz. 66 und 13. Aufl., § 15 Rz. 227.

Gesellschafter einer deutschen GmbH kann jede natürliche oder juristische Person oder 46 Personengesellschaft sein. Auch hinsichtlich der Zahl der Gesellschafter gibt es weder eine Unter- noch eine Obergrenze (§ 1). Lediglich bei Verwendung des gesetzlichen Musterprotokolls gemäß § 2 Abs. 1a dürfen maximal drei Gründungsgesellschafter vorhanden sein (Rz. 123). Das Spektrum möglicher Gestaltungsformen reicht von der Einpersonengesellschaft bis zu Publikumsgesellschaften mit einer Vielzahl persönlich nicht verbundener Gesellschafter.

1. Ausländer Angehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union stehen deutschen Staatsangehöri- 47 gen in jeder Hinsicht gleich, so dass sie sich ebenso wie deutsche Staatsangehörige an der Gründung einer GmbH beteiligen können270. Auch Angehörige von Drittstaaten können nach einhelliger Ansicht unabhängig von ihrem Wohnsitz oder ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort an der Gründung einer GmbH teilnehmen271. Das Aufenthaltsgesetz (AufenthG)272 verbietet dies nicht. Allerdings bedürfen Ausländer zur Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit in Deutschland einer Erlaubnis in Form einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis (vgl. § 21 AufenthG). Dies hat die Frage aufgeworfen, ob die Errichtung einer GmbH durch einen oder mehrere Ausländer, die nicht über die erforderliche Erlaubnis zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit verfügen, aufgrund der Umgehung der aufenthaltsrechtlichen Verbote nichtig ist. Einigkeit besteht, dass die Nichtigkeit zumindest im Fall einer nur geringfügigen Gesellschaftsbeteiligung des ausländischen Gesellschafters, die keinen Einfluss auf die Geschäftsführung vermittelt, nicht die Folge ist273. Auch bei einer maßgeblichen Beteiligung des Ausländers verfolgt die Gesellschaft im Regelfall keine gesetzwidrigen Zwecke (§ 134 BGB). Die gegenteilige Auffassung274 ist abzulehnen, weil sie nicht hinreichend zwischen der Tätigkeit der GmbH und derjenigen ihrer Gesellschafter unterscheidet275. Ist die Zweckverfolgung der GmbH als solche nicht zu beanstanden, kann die fehlen-

270 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 1 Rz. 44; Wachter, ZIP 1999, 1577, 1582. 271 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 29; Wachter, ZIP 1999, 1577, 1582. 272 S. das Gesetz in der Bekanntmachung vom 25.2.2008 BGBl. I 2008, 162. 273 S. etwa OLG Stuttgart v. 20.1.1984 – 8 W 243/83, OLGZ 1984, 143, 146 = GmbHR 1984, 156. 274 So noch unter Geltung des AuslG für den Fall der Versagung einer selbständigen Erwerbstätigkeit OLG Stuttgart v. 20.1.1984 – 8 W 243/83, OLGZ 1984, 143, 145 f. = GmbHR 1984, 156; OLG Celle v. 1.10.1976 – 9 Wx 5/76, DB 1977, 993 = MDR 1977, 758; KG v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, GmbHR 1997, 412, 413 f. = DZWiR 1997, 120 = DB 1997, 270; LG Hannover v. 7.1.1976 – 24 T 5/ 75, GmbHR 1976, 111; LG Köln v. 16.3.1981 – 87 T 14/81, GmbHR 1983, 48; LG Krefeld v. 30.6.1982 – 7 T 1/82, GmbHR 1983, 48 f. = DNotZ 1983, 676; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 8 und § 1 Rz. 53; Tountopoulos, Rpfleger 1997, 457, 458 ff. 275 So im Ergebnis auch LG Ulm v. 14.1.1982 – T 6/81-01, Rpfleger 1982, 228; Bartl, BB 1977, 571, 573 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 16, 29; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 1 Rz. 43 f.; J. Schmidt in Michalski u.a., § 1 Rz. 24; G. Miller, DB 1983, 977, 978 f.; Wachter, ZIP 1999, 1577, 1582 f.; Waldner, Rpfleger 1997, 389, 390.

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§ 2 Rz. 47 | Form des Gesellschaftsvertrages de Erlaubnis des Gesellschafters nicht ohne weiteres die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages zur Folge haben. Vielmehr ist zwischen beiden Ebenen zu unterscheiden und der Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften ist allein mit den Mitteln des Aufenthaltsrechts zu sanktionieren276. Die Errichtung einer GmbH ist daher auch dann wirksam, wenn die Gesellschafter in diesem Zusammenhang gegen aufenthaltsrechtliche Verbote verstoßen. Dass die Errichtung der GmbH im Einzelfall gemäß § 134 BGB277 oder gemäß § 138 Abs. 1 BGB278 nichtig sein kann, wenn mit ihr vorrangig der Zweck verfolgt wird, etwaige aufenthaltsrechtliche Beschränkungen für die Betätigung der an der Gründung beteiligten Ausländer im Inland zu umgehen, lässt sich zwar nicht generell ausschließen. Solch eine Annahme würde jedoch voraussetzen, dass der Zweck der Gesetzesumgehung bei der Gründung der Gesellschaft so eindeutig im Vordergrund steht, dass das ganze Gründungsvorhaben davon geprägt wird, der eigentliche Zweck der GmbH völlig in den Hintergrund rückt und die Errichtung der GmbH deshalb als Umgehung der ausländerrechtlichen Verbote eingestuft werden muss279. Ein solcher Fall dürfte in der Praxis eher selten vorkommen.

2. Geschäftsunfähige, Minderjährige, Betreuung 48 Geschäftsunfähige und beschränkt geschäftsfähige Minderjährige können sich an der Grün-

dung einer GmbH beteiligen. Sie werden durch ihre gesetzlichen Vertreter vertreten. Beschränkt geschäftsfähige Minderjährige (§ 106 BGB) können die zur Gründung erforderliche Willenserklärung auch selbst abgeben280. Sie bedarf jedoch gemäß § 107 BGB der Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, weil der Abschluss des Gesellschaftsvertrages mit Rücksicht auf die damit verbundenen Haftungsrisiken (§§ 24, 31) in keinem Fall „rechtlich lediglich vorteilhaft“ ist, auch nicht im Falle der Schenkung der Einlagemittel seitens der übrigen Gründer oder sonstiger Dritter281. Ist der gesetzliche Vertreter selbst neben dem Minderjährigen an dem Vertragsabschluss beteiligt oder vertritt er zugleich andere Gründer, etwa ein weiteres Kind, oder liegt ein sonstiger Fall des § 1795 BGB (§ 1824 BGB n.F. i.V.m. § 1629 Abs. 2 Satz 1 BGB/§ 1789 Abs. 2 Satz 2 BGB n.F.282) vor283, muss für den Minderjährigen ein Pfleger bestellt werden (vgl. für die Eltern § 181, § 1629 Abs. 2 Satz 1, § 1795 Abs. 1 und 2, § 1909

276 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 16. 277 So jetzt Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 1 Rz. 44 aufgrund des in § 4 Abs. 2 und 3 AufenthG vorgesehenen Verbots mit Erlaubnisvorbehalt, das als Verbotsgesetz i.S.d. § 134 BGB qualifiziert wird. 278 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4 und § 1 Rz. 16; Bartl, BB 1977, 571, 573 f.; Bohlscheid, RNotZ 2005, 505, 512 f.; s. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112: Nichtigkeit gemäß §§ 134, 138 BGB. 279 Zutreffend Wachter, ZIP 1999, 1577, 1583 f. 280 Die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen ist demgegenüber unheilbar nichtig und nicht genehmigungsfähig, so dass der gesetzliche Vertreter selbst an dem Gründungsgeschäft teilnehmen muss, s. dazu Spickhoff in MünchKomm. BGB, § 105 BGB Rz. 23; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 150 m.w.N.; nicht ganz genau daher, wenn formuliert wird, dass nicht geschäftsfähige Personen i.S.d. § 104 Nr. 2 BGB der „Zustimmung“ des gesetzlichen Vertreters bedürfen, so aber Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 117. 281 Ganz h.M., s. etwa Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 117; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 12; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 11; Werner, ZEV 2021, 618, 620; a.A. jedoch Knothe in Staudinger, 2012, § 107 BGB Rz. 29 aufgrund der nur mittelbaren Folge der Haftung aus §§ 24, 31; anders nun Klumpp in Staudinger, 2017, § 107 BGB Rz. 60. 282 In der Fassung des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.2021, BGBl. I 2021, 882, das zum 1.1.2023 in Kraft tritt. 283 S. dazu etwa Bürger, RNotZ 2006, 156, 158.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 50 § 2

BGB; ab dem 1.1.2023: § 1809 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. für die Eltern und den Vormund). Falls der gesetzliche Vertreter mehrere Kinder vertritt, ist für jede vertretene Person ein besonderer Pfleger zu bestellen; das Familiengericht kann nicht eine mehrfache Vertretung gestatten (§ 1813 Abs. 1, § 1789 Abs. 2 Satz 2, § 1824 Abs. 2 BGB n.F.)284. Zu beachten ist, dass dies alles nur für den Abschluss des Gesellschaftsvertrages gilt. Nach wirksamem Vertragsabschluss werden Minderjährige in der Gesellschaft durch ihren gesetzlichen Vertreter vertreten, wobei § 181 BGB allerdings bei sog. Grundlagenbeschlüssen nach h.M. anwendbar bleibt (s. im Einzelnen 12. Aufl., § 47 Rz. 178 ff.)285. Eine andere Frage ist es, ob der gesetzliche Vertreter zu dem Abschluss des Gesellschaftsver- 49 trages bzw. zur Erteilung der Einwilligung gemäß § 107 BGB286 der Genehmigung des Familiengerichts gemäß § 1822 BGB (u.a. §§ 1852, 1854 BGB n.F.)287 bedarf288. In Betracht kommt insbesondere die Anwendung von § 1822 Nr. 3 (§ 1852 Nr. 2 BGB n.F.) und Nr. 10 BGB (§ 1854 Nr. 4 BGB n.F.). § 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB (§ 1852 Nr. 2 BGB n.F.) ist einschlägig, wenn die Gesellschaft zu dem Betrieb eines Erwerbsgeschäfts289 gegründet wird und zwar unabhängig von der Höhe der Beteiligung des Minderjährigen290. Dass das Erwerbsgeschäft von der GmbH und nicht von dem Minderjährigen betrieben wird, spielt keine Rolle291. Gemäß § 1822 Nr. 10 BGB galt bislang, dass die Genehmigung des Familiengerichts „zur 50 Übernahme einer fremden Verbindlichkeit“ erforderlich ist. Nach der Rechstprechung292 und h.Lit.293 musste eine solche Übernahme nicht erklärtes Ziel des Rechtsgeschäfts sein. Ausreichend war, dass eine fremde Schuld als gesetzliche Folge eines Rechtsgeschäfts als eigene übernommen wurde, während im Innenverhältnis der Erstschuldner ersatzpflichtig blieb. Damit war auch die Gründung einer (Mehrpersonen-)GmbH gemäß § 1822 Nr. 10 BGB

284 RG v. 13.5.1909 – Rep. IV 248/08, RGZ 71, 162, 166 f.; BGH v. 9.7.1956 – V BLw 11/56, BGHZ 21, 229 = NJW 1956, 1433 (zur Umwandlung von Gesamthandseigentum in Bruchteilseigentum); Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 118; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14; Bürger, RNotZ 2006, 156, 158; Werner, ZEV 2021, 618, 619. 285 S. dazu Noack in Noack/Servatius/Haas, § 47 Rz. 60; Cramer in Wiese, Unternehmensnachfolge, Rz. 2.133 ff.; Cramer, NZG 2012, 765, 767. 286 S. Rz. 48; statt aller Ellenberger in Grüneberg, § 107 BGB Rz. 10. 287 Die Norm gilt unmittelbar für den Vormund und kraft Verweis für die Eltern (im Umfang des § 1643 Abs. 1 BGB) und für den Pfleger (§ 1915 Abs. 1 Satz 1 BGB). Der Begriff der Genehmigung beinhaltet auch die Einwilligung, s. dazu Kroll-Ludwigs in MünchKomm. BGB, § 1828 BGB Rz. 5. § 1852 Nr. 2, § 1854 Nr. 4 BGB n.F. gelten unmittelbar für den Betreuer und kraft Verweis für die Eltern (§ 1643 Abs. 1 BGB n.F.), den Vormund (§ 1799 Abs. 1 BGB n.F.) und damit auch für den Pfleger (§ 1813 Abs. 1 BGB n.F.). 288 S. auch Cramer in Wiese, Unternehmensnachfolge, Rz. 2.120. 289 Zum Begriff Götz in Grüneberg, § 1822 BGB Rz. 5. Für die Anwendung des § 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB auf alle Formkaufleute unabhängig vom Gesellschaftszweck Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 13; ablehnend Eble, RNotZ 2021, 117, 129. 290 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 85; anders für den Fall der Anteilsveräußerung BGH v. 28.1.2003 – X ZR 199/99, DNotZ 2004, 152, 153 f.; KG v. 20.1.1976 – 1 W 1341/75, NJW 1976, 1946, was jedoch nicht auf die Gründung der GmbH übertragbar ist, so auch Kroll-Ludwigs in MünchKomm. BGB, § 1822 BGB Rz. 26. Die zuvor zitierte Rechtsprechung ist nunmehr infolge von § 1852 Nr. 1b BGB n.F. hinfällig, dazu Eble, RNotZ 2021, 117, 123. 291 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 85; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 119; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 13; Rust, DStR 2005, 1942, 1944. A.A. Winkler, ZGR 1973, 177, 182. 292 BGH v. 8.5.1973 – IV ZR 8/72, NJW 1973, 1276, 1277; BGH v. 27.10.1982 – V ZR 177/81, NJW 1983, 1780, 1781; BGH v. 20.2.1989 – II ZR 148/88, BGHZ 107, 24 = GmbHR 1989, 327. 293 S. zum Meinungsstand Eble, RNotZ 2021, 17, 124.

Cramer | 117

2022-08-10, 11:06, GroKO groß

§ 2 Rz. 50 | Form des Gesellschaftsvertrages genehmigungsbedürftig, weil mit ihr immer die Gefahr einer persönlichen Haftung für die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft sowie einer persönlichen Inanspruchnahme jedenfalls auf Grund von § 24 verbunden ist294. Umstritten war, ob dies auch bei Volleinzahlung der Einlagen galt. Hierfür sprach entgegen einer verbreiteten Auffassung295, dass die Einlagen zum Zeitpunkt des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages mangels Vorhandenseins eines Zahlungsempfängers noch gar nicht geleistet sein konnten und die Frage der Genehmigungsbedürftigkeit allein mit Blick auf diesen Zeitpunkt beantwortet werden musste. Zum Zeitpunkt der Gründung lässt sich eine Haftung des Minderjährigen aber niemals ausschließen, da die Mitgesellschafter ihre Einlagen ggf. nicht vollständig leisten könnten und die Ausfallhaftung dann doch noch greift. Aus diesem Grund und aufgrund der besonderen Haftungsrisiken in der Vorgesellschaft wurde die Genehmigungsbedürftigkeit auch bei Volleinzahlung zu Recht bejaht296. Damit schloss § 1822 Nr. 10 BGB eine Lücke, die § 1822 Nr. 3 Var. 3 BGB in den Fällen hinterließ, in denen die GmbH nicht auf den Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ausgerichtet war297. Handelt es sich um eine Einpersonengründung, war dagegen nur Raum für die Anwendung des § 1822 Nr. 3 BGB unter den dort genannten Voraussetzungen298. Dies hatte zur Folge, dass die Errichtung einer nicht auf ein Erwerbsgeschäft gerichteten Einpersonen-GmbH durch einen Minderjährigen keiner Genehmigung des Familiengerichts bedurfte299. Infolge des Inkrafttretens des Gesetzes zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts300 zum 1.1.2023 bedarf es einer Neubewertung. § 1854 Nr. 4 BGB n.F. bestimmt, dass die Genehmigung nur bei einem Rechtsgeschäft erforderlich ist, das auf die Übernahme einer fremden Verbindlichkeit „gerichtet ist“. Der Gesetzgeber hat damit bewusst Sachverhalte aus dem Tatbestand ausgegrenzt, in denen sich die Übernahme der fremden Verbindlichkeit als bloße Nebenfolge eines Rechtsgeschäfts ergibt301. Da die Beteiligung des Minderjährigen an der GmbH-Gründung nicht darauf gerichtet ist, dass er fremde Verbindlichkeiten als eigene übernimmt, ist die Mehrpersonengründung unter Beteiligung eines Minderjährigen nicht mehr gemäß § 1854 Nr. 4 BGB n.F. genehmigungsbedürftig302. Einer Genehmi-

294 OLG Stuttgart v. 20.9.1978 – 8 W 128/78, OLGZ 1978 426, 427 f. = Justiz 1979, 19 = GmbHR 1980, 102; ebenso schon KG v. 7.10.1926 – I X 598/26, JW 1927, 2578; Brüggemann, FamRZ 1990, 124, 125; s. auch Pleyer, GmbHR 1962, 49, 50 f.; offen gelassen von BGH v. 3.2.1964 – II ZB 6/63, BGHZ 41, 71, 78 f. = NJW 1964, 766, 768. Entgegen der noch in der Vorauflage vertretenen Auffassung konnte die Genehmigungsbedürftigkeit aber nicht mit der drohenden Haftung aus §§ 24, 31 Abs. 3 wegen erst in der Zukunft liegender Geschehnisse, etwa einer Rückzahlung an einen Mitgesellschafter entgegen § 30, begründet werden, weil dies als bloß theoretisch und nicht hinreichend konkret angesehen werden muss, s. jetzt auch Cramer in Wiese, Unternehmensnachfolge, Rz. 2.120 Fn. 1; so auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27. 295 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 34; Götz in Grüneberg, § 1822 BGB Rz. 21; für den Fall des Anteilserwerbs auch BGH v. 20.2.1989 – II ZR 148/88, BGHZ 107, 24 = GmbHR 1989, 327. 296 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 120; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 14; Brüggemann, FamRZ 1990, 124, 125; Werner, GmbHR 2006, 736, 738. Ebenso Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27. S. auch für den Fall der Umwandlung OLG Stuttgart v. 20.9.1978 – 8 W 128/78, OLGZ 1978, 426, 427 f. = GmbHR 1980, 102. 297 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86; vgl. auch C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 66. 298 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 28; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 14; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 35; Bürger, RNotZ 2006, 156, 160; dagegen auch hier für die entsprechende Anwendung des § 1822 Nr. 10 BGB Altmeppen, § 1 Rz. 28. 299 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 28. 300 BGBl. I 2021, 882. 301 BT-Drucks. 19/24445, S. 289. 302 Eble, RNotZ 2021, 117, 130; Werner, ZEV 2021, 618, 622.

118 | Cramer

2022-08-10, 11:06, GroKO groß

Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 53 § 2

gung bedarf es künftig nur noch bei der Errichtung einer GmbH, die ein Erwerbsgeschäft betreibt (§ 1852 Nr. 2 BGB n.F.)303. Beteiligt sich ein beschränkt geschäftsfähiger Minderjähriger ohne Einwilligung des gesetzli- 51 chen Vertreters (§ 107 BGB) an der Gründung einer Mehrpersonen-GmbH oder fehlt die erforderliche Einwilligung des Familiengerichts (§ 1643 Abs. 3, § 1829 BGB; ab dem 1.1.2023: § 1644 Abs. 3 Satz 1, § 1855 BGB n.F.), ist der Gesellschaftsvertrag schwebend unwirksam304. Der Beitritt kann aber nachträglich genehmigt werden und zwar sowohl von dem Familiengericht als auch von dem gesetzlichen Vertreter bzw. nach Erlangung der Volljährigkeit von dem Minderjährigen selbst (§ 108 Abs. 3, § 1644 Abs. 3 Satz 2 BGB n.F.). Die Genehmigung durch den Minderjährigen nach Erlangung der Volljährigkeit kann auch durch schlüssiges Verhalten erfolgen. Die Form des § 2 Abs. 2 braucht nach h.M. nicht beachtet zu werden (s. Rz. 37). Anders ist die Rechtslage nach h.M. bei der Einpersonengründung, die ohne Einwilligung des gesetzlichen Vertreters und/oder ohne die erforderliche Einwilligung des Familiengerichts unheilbar nichtig sein soll (§ 111 Satz 1, § 1643 Abs. 3, § 1831 Satz 1 BGB; ab dem 1.1.2023: § 1644 Abs. 3 Satz 1, § 1858 Abs. 1 BGB n.F.)305. § 1858 Abs. 3 BGB n.F. ändert hieran nichts, weil der beurkundende Notar nicht der Erklärungsempfänger der Errichtungserklärung ist306. Entsprechend der hier vertretenen Auffassung zur Errichtung einer Einpersonen-GmbH durch einen Vertreter ohne Vertretungsmacht (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 55), sprechen die besseren Argumente aber auch an dieser Stelle für eine teleologische Reduktion der § 111 Satz 1, § 1831 Satz 1 BGB/§ 1858 Abs. 1 BGB n.F. und für die Anerkennung der Genehmigungsfähigkeit des (schwebend unwirksamen) Rechtsgeschäfts zur Errichtung einer Einpersonen-GmbH. Wird die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen, entsteht sie als juristische Person, 52 allerdings unter Ausschluss des Minderjährigen, weil dessen Schutz Vorrang vor dem Verkehrsschutz hat (s. unter Rz. 94). Ab diesem Zeitpunkt kommt eine Genehmigung der Erklärung des Minderjährigen nicht mehr in Betracht (s. Rz. 94) und der Minderjährige kann nur noch unter Beachtung des unter Rz. 98 vorgesehenen Verfahrens an der Gesellschaft beteiligt werden. Entsprechendes gilt im Falle der Betreuung, sofern ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet 53 ist (§§ 1903 Abs. 1, 1908i BGB; ab dem 1.1.2023: § 1825 BGB n.F.)307. Unterschiede zu den Fällen der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger (zuvor Rz. 48 ff.) bestehen in der Zuständigkeit des Betreuungsgerichts sowie darin, dass bei der Verhinderung des Betreuers gemäß § 181 BGB (vgl. § 1824 Abs. 2 BGB n.F.) keine Ergänzungspflegschaft in Betracht kommt; an ihre Stelle tritt die Bestellung eines weiteren Betreuers (Ergänzungsbetreuer) nach § 1899 Abs. 4 BGB (§ 1817 Abs. 5 BGB n.F.)308. Ist der Betreute geschäftsfähig und besteht kein Einwilligungsvorbehalt, konkurrieren die Zuständigkeit des Betreuten und des Betreuers (§ 1902 BGB; § 1823 BGB n.F.), so dass es zu widersprüchlichen Willenserklärungen kommen kann.

303 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rn 27 (allerdings mit irrtümlichem Verweis auf § 1852 Nr. 2 BGB n.F. anstelle § 1854 Nr. 4 BGB n.F. in diesem Zusammenhang); s. zu weiter in Betracht kommenden Genehmigungstatbeständen Eble, RNotZ 2021, 117, 130. 304 Wird der Vertrag für den Minderjährigen durch einen Pfleger ohne Einwilligung des Familiengerichts geschlossen, folgt dies aus § 1915 Abs. 1 Satz 1, § 1829 BGB (ab 1.1.2023: § 1813 Abs. 1, § 1800 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F.). 305 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 122; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 151. 306 S. zum Anwendungsbereich der Norm BT-Drucks. 19/24445, S. 292. 307 S. allgemein Wilde, GmbHR 2010, 123. 308 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 121; a.A. für die ab dem 1.1.2023 geltende Rechtslage offenbar Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 26, was jedoch § 1817 Abs. 5 BGB n.F. widerspricht.

Cramer | 119

2022-08-10, 11:06, GroKO groß

§ 2 Rz. 53 | Form des Gesellschaftsvertrages In diesem Fall hat diejenige Willenserklärung den Vorrang, die als erste den Mitgesellschaftern bei der Gründung zugeht (§ 130 BGB)309.

3. Ehegatten, eingetragene Lebenspartner 54 Ehegatten können sich an der Gründung einer GmbH beteiligen. Aus dem Ehegüterrecht

können sich lediglich Beschränkungen hinsichtlich ihrer Einlageverpflichtung ergeben. Leben die Ehegatten im Güterstand der Zugewinngemeinschaft, ist § 1365 BGB zu beachten, wenn ein Ehegatte eine Sacheinlage erbringt, die praktisch sein ganzes Vermögen ausmacht310. Bei der Gütergemeinschaft sind die §§ 1423 f. und §§ 1437 f. BGB zu beachten311. Ehegatten, die in Gütergemeinschaft leben, können sowohl im Wege der Einpersonengründung (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 54) als auch im Wege der Mehrpersonengründung zwischen ihnen und/ oder mit Dritten eine GmbH gründen312. Der Geschäftsanteil der eingetragenen GmbH gehört zum Gesamtgut (§ 1416 BGB), es sei denn, es liegt eine Vorbehaltsgutsvereinbarung vor313. Diese Regeln gelten unterschiedslos für verschieden- und für gleichgeschlechtliche Ehegatten (§ 1353 Abs. 1 Satz 1 BGB)314 sowie aufgrund der §§ 6 ff. LPartG für in der Vergangenheit geschlossene eingetragene Lebenspartnerschaften, die zwar nicht mehr begründet werden können, aber fortbestehen, wenn sie nicht in eine Ehe umgewandelt werden.

4. Kaufleute 55 Ein Einzelkaufmann kann einer GmbH unter seinem bürgerlichen Namen oder unter seiner

Firma beitreten (§ 17 HGB)315. Aufgrund § 5 Abs. 2 Satz 2 in der seit dem MoMiG geltenden Fassung kann der Gründer einzelne Geschäftsanteile auch unter bürgerlichen Namen und andere im Namen seiner Firma übernehmen316. In der Gesellschafterliste ist allerdings stets der bürgerliche Name und die Firma als Zusatz aufzunehmen317. Verwendet der Gründer für den Beitritt seine Firma, folgt daraus, dass es sich bei dem Beitritt um ein Handelsgeschäft handelt (§§ 343 ff. HGB).

309 S. dazu näher Schneider in MünchKomm. BGB, § 1902 BGB Rz. 21 ff. 310 S. dazu näher Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 27; für die Heranziehung des § 1365 BGB auch bei Vereinbarung einer Geldeinlage Altmeppen, § 1 Rz. 24; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 71. 311 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 27; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 114 f. 312 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 27, 37; Münch in MünchKomm. BGB, § 1416 BGB Rz. 15; Apfelbaum, MittBayNot 2006, 185, 191. 313 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 66, 95; Apfelbaum, MittBayNot 2006, 185, 190 f. (dort auch zu dem Problem der Anwendung des § 18 sowie zur vorübergehenden Eigenschaft des Geschäftsanteils als Sondergut bei Übernahme des Geschäftsanteils durch einen Ehegatten). 314 Gesetz zur Einführung des Rechts auf Eheschließung für Personen gleichen Geschlechts vom 20.7.2017, BGBl. I 2017, 2787. 315 OLG Dresden v. 12.2.1915, KGJ 49, 272, 273 f. 316 Altmeppen, § 1 Rz. 30; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 19; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 123; anders noch OLG Frankfurt a.M. v. 22.2.1962 – U 190/60, GmbHR 1962, 157 (nur Leitsatz). 317 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 8 Rz. 7. A.A. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18 und § 8 Rz. 10.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 57 § 2

5. Testamentsvollstrecker a) Schon bestehende GmbH Bei der Testamentsvollstreckung müssen verschiedene Fallgestaltungen unterschieden wer- 56 den318. Tritt der Erbfall erst nach Eintragung der GmbH in das Handelsregister ein, geht der Geschäftsanteil des Erblassers als Bestandteil des Nachlasses zwingend auf den oder die Erben über und unterliegt infolgedessen der Verwaltung des Testamentsvollstreckers, der mit ihm entsprechend den Anordnungen des Erblassers zu verfahren hat (§ 2203 BGB). Hinsichtlich der Aufgaben und Befugnisse des Testamentsvollstreckers ist zu unterscheiden, ob es sich um eine Auseinandersetzungsvollstreckung (§ 2204 BGB)319 oder um eine Verwaltungsvollstreckung (§ 2209 Satz 1, Var. 1 BGB, ggf. auch als Fall der Dauervollstreckung i.S.d. § 2209 Satz 1, Var. 2 BGB) handelt. Im ersten Fall stehen dem Testamentsvollstrecker die Verwaltungsrechte aus den Geschäftsanteilen zu, allerdings beschränkt auf die Aufgabe der Auseinandersetzung320. Im zweiten Fall kann der Testamentsvollstrecker sämtliche Rechtshandlungen in der Gesellschaft vornehmen, die die Gesellschaftereigenschaft des oder der Erben mit sich bringt, einschließlich der Ausübung des Stimmrechts321. Allerdings ergeben sich auch in diesem Fall verschiedene Einschränkungen322. Insbesondere kann der Testamentsvollstrecker persönliche Verpflichtungen der Erben nicht begründen (§§ 2206, 2207 BGB)323. Bedeutung hat diese Beschränkung vor allem für die Beteiligung des oder der Erben an einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen324. Zudem kann der Gesellschaftsvertrag vorsehen, dass einzelne oder alle Verwaltungsrechte nicht von einem Testamentsvollstrecker wahrgenommen werden können325. Verwehrt ist dem Testamentsvollstrecker die Ausnutzung höchstpersönlicher Gesellschafterrechte326, während auf der Grundlage der gesellschaftsrechtlichen Kernbereichslehre den Befugnissen des Testamentsvollstreckers richtigerweise keine Grenzen gesetzt sind327. War die GmbH bei dem Tod des Erblassers noch nicht in das Handelsregister eingetragen, 57 tritt der Testamentsvollstrecker in die Gründerposition ein und hat im Rahmen seiner Aufgaben und Befugnisse alle Handlungen vorzunehmen, die erforderlich sind, um die Eintragung der Gesellschaft herbeizuführen, wozu auch die Leistung der Einlage gehört, soweit aus den Mitteln des Nachlasses möglich328. Im Übrigen trifft die Erben die Haftung für diese Nachlassverbindlichkeit, allerdings mit der Möglichkeit der erbrechtlichen Haftungsbeschränkung (§§ 1967, 1975 BGB). 318 Vgl. zum Folgenden insbes. Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 45 ff.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134 ff. 319 S. dazu Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 137. 320 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 137; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 15 Rz. 144. 321 S. 13. Aufl., § 15 Rz. 251; BGH v. 10.6.1959 – V ZR 25/58, NJW 1959, 1820, 1821; BayObLG v. 29.3.1976 – BReg 1 Z 9/76, BayObLGZ 1976, 67, 86 ff. = NJW 1976, 1693; BayObLG v. 18.3.1991 – BReg 3 Z 69/90, BayObLGZ 1991, 127, 134 f. = NJW-RR 1991, 1252 = GmbHR 1991, 572; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138 ff.; Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 15 Rz. 145 ff.; Priester in FS Stimpel, 1985, S. 463, 472 ff.; Raue, GmbHR 2015, 121, 127; Wicke, ZGR 2015, 161, 164. 322 S. ausführlich Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 140 ff. 323 S. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 143; Wachter, GmbH-Geschäftsanteile, S. 89; Priester in FS Stimpel, 1985, S. 463, 477. 324 S. dazu Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 34; Wachter, GmbH-Geschäftsanteile, S. 89 f. 325 OLG Frankfurt a.M. v. 16.9.2008 – 5 U 187/07, GmbHR 2009, 152; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138, 145; Wicke, ZGR 2015, 161, 167. 326 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 45; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 140; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 33; Raue, GmbHR 2015, 121, 127. 327 Wie hier Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 34; Wachter, GmbH-Geschäftsanteile, S. 92 ff.; Priester in FS Streck, 2011, S. 891, 894 ff.; Reimann, GmbHR 2011, 1297, 1299 f.; a.A. Heinemann, GmbHR 1985, 349; Priester in FS Stimpel, 1985, S. 463, 481 ff. 328 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 47.

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§ 2 Rz. 58 | Form des Gesellschaftsvertrages b) Gründung einer GmbH 58 Davon zu trennen ist die Frage, ob sich der Testamentsvollstrecker, der mit der Verwaltung

des Nachlasses betraut ist (§§ 2205, 2209 BGB), mit Wirkung für den Nachlass und damit für die Erben an der Gründung einer GmbH durch Abschluss eines neuen Gesellschaftsvertrages beteiligen kann. Probleme ergeben sich in diesem Fall wegen der nur beschränkten Verpflichtungsmacht des Testamentsvollstreckers (§§ 2206, 2207, 2209 BGB). Unproblematisch ist die Rechtslage, wenn die Erben dem Beitritt zustimmen oder der Testamentsvollstrecker einvernehmlich mit den Erben als deren Treuhänder an der Gründung mitwirkt329. Abgesehen von diesen Fällen ist die Rechtslage umstritten. Nach wohl h.M. besitzt der Testamentsvollstrecker nicht die Befugnis zur Beteiligung als Gründer an dem Vertragsabschluss, in erster Linie mit Rücksicht auf die mögliche persönliche Haftung der Gesellschafter, insbesondere aus § 24330. Andere stellen darauf ab, ob noch eine persönliche Haftung der Gesellschafter und Erben, insbesondere nach den § 3 Abs. 2, § 24, in Betracht kommt, so dass im Fall der Volleinzahlung der Geschäftsanteile der Testamentsvollstrecker (vorbehaltlich des § 3 Abs. 2) für die Erben an der Gründung einer GmbH mitwirken könne331. Zu folgen ist der h.M. Für sie spricht, dass die Erben nur so gegen unabsehbare Verpflichtungen aus der Beteiligung an einer GmbH geschützt werden, zumal auch die Möglichkeiten einer erbrechtlichen Haftungsbeschränkung keineswegs in jedem in Betracht kommenden Fall bestehen.

6. Juristische Personen 59 In- und ausländische juristische Personen des Privatrechts und des öffentlichen Rechts kön-

nen sich an einer GmbH beteiligen. Schranken können sich nur im Einzelfall aus einer Beschränkung der Vertretungsmacht der Organe der juristischen Person ergeben (vgl. § 26 Abs. 1 Satz 3, § 86 Satz 2 BGB)332. Juristische Personen können durch die Gründung von Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH unter Umständen Restriktionen „umgehen“, denen die Gesellschaft selbst nach dem Gesetz oder ihrem Gesellschaftsvertrag unterliegt. Dies betrifft etwa GmbH-Konzerne mit einem Idealverein als Konzernspitze, da nach h.M. die wirtschaftliche Tätigkeit solcher Tochtergesellschaften in der Rechtsform z.B. einer GmbH dem Idealverein als Konzern-Holding nicht zugerechnet wird, so dass ein Verstoß gegen § 22 BGB nicht vorliegt333. Juristischen Personen stehen die Vor-GmbH und die Vor-AG gleich (s. 13. Aufl., § 11 Rz. 39). Nur an ihrer eigenen Gründung kann sich die Vor-GmbH nicht beteiligen (sog. Verbot der Selbstzeichnung)334. Nach Eintragung der Gesellschaft gilt § 33.

329 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 135; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 27. 330 KG v. 21.12.1906 – 1 Y 1385/06, KGJ 33, 135, 137 f.; KG v. 11.7.1919, RJA 16, 102, 104; Fischer, JZ 1954, 426, 427; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 46 f.; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 94; Altmeppen, § 1 Rz. 31. 331 BayObLG v. 29.3.1976 – BReg 1 Z 9/76, BayObLGZ 1976, 67, 86 = NJW 1976, 1693; BayObLG v. 18.3.1991 – BReg 3 Z 69/90, BayObLGZ 1991, 127, 134 f. = NJW-RR 1991, 1252 = GmbHR 1991, 572 (zur Rückübertragung bei Treuhand); Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 27; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 135; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 59. 332 S. für juristische Personen des öffentlichen Rechts BGH v. 28.2.1956 – I ZR 84/5, BGHZ 20, 119, 124 ff. = NJW 1956, 746; für ausländische juristische Personen LG Saarbrücken v. 24.7.1990 – 7 T 10/90 IV, GmbHR 1991, 581; KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, GmbHR 1997, 708 = NJW-RR 1997, 1127; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20. 333 BGH v. 29.9.1982 – I ZR 88/80, BGHZ 85, 84 = NJW 1983, 569; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125; wegen der Einzelheiten s. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 11. Aufl. 2020, § 37 Rz. 20 f. (allerdings für die Annahme einer Zurechnung); a.A. auch Beuthien, NZG 2015, 449, 456 ff. 334 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 31; Altmeppen, § 1 Rz. 25; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 5 Rz. 10.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 61 § 2

7. OHG, KG, Partnerschaftsgesellschaft Für die OHG und die KG gilt dasselbe wie für juristische Personen (zuvor Rz. 59), da sie im 60 Außenverhältnis ebenso wie diese behandelt werden (§§ 105, 124, 161 HGB). Eine OHG oder KG kann außerdem zusammen mit einem ihrer Gesellschafter eine GmbH gründen. Personenhandelsgesellschaften haben ferner die Möglichkeit der Einpersonengründung335. § 18 ist nicht anwendbar, weil nur ein Berechtigter (die Gesellschaft) an den jeweiligen Geschäftsanteilen vorhanden ist (s. 13. Aufl., § 18 Rz. 3a)336. Die Haftung der Gesellschafter der an der GmbH beteiligten Gesellschaft für die Kapitalaufbringung richtet sich damit nach den allgemeinen Vorschriften (insbesondere § 128 (§ 126 HGB n.F.) und § 171 HGB). Ob diese Haftung für den Einlageanspruch durch Vereinbarung mit der Vor-GmbH ausgeschlossen werden kann, ist umstritten. Einer solchen Vereinbarung kann nicht § 18 Abs. 2, sondern § 19 Abs. 2 Satz 1 entgegenstehen. Ein Haftungsausschluss würde den Einlageanspruch gegen den Gesellschafter als solchen zwar unberührt lassen337. Indes ist aus Gründen des Gläubigerschutzes davon auszugehen, dass § 19 Abs. 2 Satz 1 auch einen Haftungsausschluss mit demjenigen, der kraft Gesetzes für die Einlageverbindlichkeit des GmbH-Gesellschafters einzustehen hat, verbietet338. Die vorstehenden Ausführungen gelten für die Partnerschaftsgesellschaft entsprechend339. Einschränkungen sollen sich jedoch aus berufsrechtlichen Regelungen ergeben können340.

8. GbR, nichtrechtsfähiger Verein, Erbengemeinschaft Die BGB-Außengesellschaft kann an der Gründung einer GmbH teilnehmen und Ge- 61 schäftsanteile übernehmen und zwar sowohl im Rahmen einer Einpersonengründung (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 54) als auch im Rahmen einer Mehrpersonengründung neben weiteren Gesellschaftern. Dies ist infolge der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR341 heute unstreitig342 (s. zum früheren Meinungsstand 11. Aufl., Rz. 51 f.). Die Geschäftsanteile werden Bestandteil des Gesellschaftsvermögens. Entsprechend § 128 HGB (§ 721 BGB n.F.) haften die Gesellschafter der BGB-Gesellschaft unbeschränkt persönlich für die Aufbringung der Einlagen; abweichende Vereinbarungen sind wegen § 19 Abs. 2 Satz 1 nicht mög-

335 S. 13. Aufl., § 1 Rz. 54; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 32; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23. 336 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 91; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129. 337 Daher für die Zulässigkeit eines Haftungsausschlusses oder einer Haftungsbeschränkung Ulmer/ Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 91. 338 Fleck, ZIP 1985, 1421, 1422; zur GbR Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 34; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 131; ebenso allgemein für Gesamthandsgesellschaften Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 104. 339 Altmeppen, § 1 Rz. 33. 340 S. BGH v. 20.3.2017 – AnwZ (Brfg) 33/16, GmbHR 2017, 576 = ZIP 2017, 811; dazu ablehnend EWiR 2017, 262 (Römermann): Partnerschaftsgesellschaft kann wegen § 59e Abs. 1 Satz 1 BRAO nicht Gesellschafterin einer Rechtsanwalts-GmbH sein; s. ab dem 1.8.2022 jedoch § 59i Abs. 1 Satz 1 BRAO. 341 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. 342 S. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; s. auch bereits BGH v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311, 313 ff. = GmbHR 1981, 188 = NJW 1981, 682; BGH v. 4.11.1991 – II ZB 10/91, BGHZ 116, 86, 88 = NJW 1992, 499 = LM Nr. 56 zu § 705 BGB (zur Genossenschaft); BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 99 f. = NJW 1992, 2222 = AG 1992, 312 = LM Nr. 87 zu § 328 BGB (zur AG); s. demgegenüber noch KG v. 21.12.1906 – 1 Y1385/06, KGJ 33 A 135, 138 = OLGE 14, 322.

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§ 2 Rz. 61 | Form des Gesellschaftsvertrages lich343. § 18 gilt für die Außen-GbR nicht344. Die Rechtslage ist damit heute nicht anders als bei den Personenhandelsgesellschaften zu beurteilen (Rz. 60). 62 Die Anerkennung der Rechtsfähigkeit der BGB-Außengesellschaft (Rz. 61) hat die Frage auf-

geworfen, wie die (rechtsfähige) BGB-Außengesellschaft von der BGB-Innengesellschaft (der die Rechtsfähigkeit nach wie vor fehlt) abzugrenzen ist, insbesondere dann, wenn sich der Zweck der Gesellschaft auf das Halten der Beteiligung an einer GmbH beschränkt. Der BGH hat jedenfalls anfänglich gezögert, in solchem Fall von einer „echten“ Außengesellschaft zu sprechen345. Es sprechen dennoch gute Gründe dafür, dass die Übernahme von Geschäftsanteilen schon nach geltendem Recht ausreicht, um eine Außen-GbR und damit die Rechtsfähigkeit zu begründen (s. zur Rechtslage nach Inkrafttreten des MoPeG Rz. 63a)346. Geht man davon aus, dass die Geschäftsanteile auch in Form einer BGB-Innengesellschaft gehalten werden können, wäre § 18 anwendbar347. 63 Probleme ergeben sich im Zusammenhang mit der GbR bislang vor allem aus ihrer mangeln-

den Registerpublizität (s. zur Vertretung der GbR Rz. 35). Deshalb müssen ungeachtet der Rechtsfähigkeit der BGB-Außengesellschaft nicht nur sie, sondern auch ihre sämtlichen Gesellschafter bei Gründung der GmbH in die Satzung aufgenommen werden. Dasselbe gilt hinsichtlich der Gesellschafterliste und zwar auch bei späteren Veränderungen in dem Gesellschafterkreis der BGB-Außengesellschaft. Das war in der Zeit nach dem Inkrafttreten des MoMiG umstritten348, folgt jedoch seit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie349 unmittelbar aus § 40 Abs. 1 Satz 2350. 63a Infolge des Inkrafttretens des MoPeG ergeben sich mit Wirkung ab dem 1.1.2024 für die

GbR, die Gesellschafterin einer GmbH werden soll, Änderungen und Erleichterungen für die

343 S. Rz. 60 sowie BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = GmbHR 1999, 1134 = NJW 1999, 3483 = ZIP 1999, 1755; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; ebenso schon BGH v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311, 316 f. = NJW 1981, 682 = GmbHR 1981, 188; OLG Hamm v. 18.12.1995 – 15 W 413/95, NJW-RR 1996, 482, 483 = GmbHR 1996, 363. A.A. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93; U. Koch, ZHR 146 (1982), 118, 127 ff. 344 A.A. hinsichtlich § 18 Abs. 2 Emmerich, 11. Aufl., Rz. 52; zu Recht gegen die Anwendung des § 18 auf die Außen-GbR Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 18 Rz. 24 ff.; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 42; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 75; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 92. 345 BGH v. 9.7.2001 – PatAnwZ 1/00, BGHZ 148, 270, 277 = NJW 2002, 68; s. Karsten Schmidt, NJW 2001, 992, 1001 f.; Ulmer, ZIP 2001, 585, 592 ff. 346 S. auch C. Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 BGB Rz. 288, der dies letztlich jedoch offen lässt; ebenso der BGH zur grundbesitzhaltenden GbR, s. etwa BGH v. 20.5.2016 – V ZB 142/15, NZG 2016, 223 = ZIP 2016, 1965. 347 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 18 Rz. 3; J. Schmidt, NZG 2015, 1049, 1050. 348 S. zur Rechtslage seit dem MoMiG befürwortend OLG Hamm v. 24.5.2016 – 27 W 27/16, NZG 2016, 1147; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 42; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 75; Damm, BWNotZ 2017, 2, 7; Scheuch, GmbHR 2014, 568 ff.; auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 33; s. vor dem MoMiG bereits befürwortend BGH v. 9.7.2001 – PatAnwZ 1/00, BGHZ 148, 270, 276 f., 279 f. = NJW 2002, 68; BGH v. 16.7.2001 – II ZB 23/00, BGHZ 148, 291, 295 ff. = NJW 2001, 3121 (zur KG); OLG Hamm v. 18.12.1995 – 15 W 413/95, NJW-RR 1996, 482, 483 f. = GmbHR 1996, 363; Karsten Schmidt, GesR, § 34 II 1 (S. 1000 f.); Karsten Schmidt, NJW 2001, 993, 1002. 349 S. das Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen vom 23.6.2017, BGBl. I 2017, 1822. 350 S. zu den Änderungen im Hinblick auf die Gesellschafterliste im Zusammenhang mit der GbR als Gesellschafterin Schaub, GmbHR 2017, 727, 728 f.; Böhringer, BWNotZ 2017, 61 f.; Melchior, NotBZ 2017, 281, 282.

124 | Cramer

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 64 § 2

Praxis351. Der Gesetzgeber schafft das Gesamthandsprinzip für die GbR ab und bestimmt künftig in Übereinstimmung mit der bereits hier vetretenen Auffassung (Rz. 62), dass eine GbR, die Vermögen hält, nicht Innen-GbR sein kann (§ 740 Abs. 1 BGB n.F.), sondern rechtsfähige Gesellschaft ist. Die GbR kann registrierte Rechte aber nur erwerben oder über sie verfügen, wenn sie in dem für sie neu geschaffenen Gesellschaftsregister (§§ 707 ff. BGB n.F.) eingetragen ist. Beteiligt sich also eine GbR an der Gründung einer GmbH, muss sie im Gesellschaftsregister eingetragen werden, die Bezeichnung „eingetragene Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ oder „eGbR“ führen (§ 707a Abs. 2 Satz 1 BGB n.F.) und mit dieser Bezeichnung in die Gesellschafterliste eingetragen werden (§ 40 Abs. 1 Satz 3 n.F.). Nicht zwingend ist jedoch, dass die GbR schon zum Zeitpunkt der notariellen Errichtung der GmbH im Gesellschaftsregister eingetragen ist352. Insbesondere bei einer GbR, die erst im Zusammenhang mit der Errichtung der GmbH gegründet wird, ist es möglich, dass die Anmeldung zum Gesellschaftsregister (erst) zusammen mit der Errichtung der GmbH unterzeichnet wird353. Im Gesellschaftsvertrag der GmbH ist die GbR dann, vergleichbar mit einer Vor-GmbH, ohne Registernummer aufzunehmen. Die spätere Einreichung der Gesellschafterliste setzt aber voraus, dass die GbR zwischenzeitlich registriert wurde (§ 40 Abs. 1 Satz 3). Die Angaben zu den Gesellschaftern sind künftig nicht mehr in der Gesellschafterliste erforderlich. Für den nichtrechtsfähigen Verein gilt mit Rücksicht auf § 54 BGB354 bislang grundsätzlich 64 dasselbe wie für die BGB-Außengesellschaft (Rz. 61 ff.), da § 54 Satz 1 BGB in seiner derzeitigen Fassung auf das Recht der Gesellschaft verweist. Auch der nichtrechtsfähige Verein kann sich an der Gründung einer GmbH beteiligen355. Die Folge soll nach verbreiteter Auffassung auch hier die unbeschränkte persönliche Haftung der Vereinsmitglieder für die aus der Beteiligung resultierenden Verpflichtungen sein356. Dies überzeugt in dieser Allgemeinheit jedoch schon bislang nicht. Eine Haftung lässt sich nicht mit § 18 Abs. 2357, sondern nur mit § 128 HGB358 begründen. Eine solche Haftung greift aber nur dann, wenn der Verein wirtschaftliche Zwecke i.S.d. § 22 BGB verfolgt, nicht im Fall des Idealvereins359. Dieses Ergebnis folgt mit dem Inkrafttreten des MoPeG zum 1.1.2024, das den nichtrechtsfähigen Verein begrifflich zum „Verein ohne Rechtspersönlichkeit“ macht360, unmittelbar aus dem Gesetz: § 54 Abs. 1 Satz 1 BGB n.F. ordnet für den Idealverein die entsprechende Anwendung der Vorschriften des eingetragenen Vereins an. (Nur) hinsichtlich des Vereins, der einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb verfolgt, bleibt es bei der Anwendbarkeit der Regelungen zur Gesellschaft (§ 54 Abs. 1 Satz 2 BGB n.F.) und damit bei der Geltung des § 721 Satz 1 BGB n.F. bzw. des § 126 Satz 1 HGB n.F. (§ 128 Satz 1 HGB a.F.).

351 Dazu im Überblick Noack, NZG 2020, 581; Bachmann, NZG 2020, 612; Fleischer, DStR 2021, 430. 352 Empfohlen wir dies jedoch von Wertenbruch, GmbHR 2021, R226 f. für den Fall der Anteilsabtretung. 353 Vgl. differenzierend Bolkart, MittBayNot 2021, 319, 329 für den Fall der Auflassung zugunsten einer bestehenden GbR (Voreintragung sei erforderlich) und einer in der Erwerbsurkunde gegründeten GbR (Voreintragung sei nicht erforderlich). 354 S. zur Rechtsfähigkeit des nichtrechtsfähigen Vereins, wenn dieser am Rechtsverkehr teilnimmt Ellenberger in Grüneberg, § 54 BGB Rz. 2, 7; Leuschner in MünchKomm. BGB, § 54 BGB Rz. 18 ff.; offen gelassen von BGH v. 21.1.2016 – V ZB 19/15, MittBayNot 2016, 405. 355 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 35; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 43; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133. 356 Emmerich, 11. Aufl., Rz. 53b; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93 Fn. 269; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 35; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11. 357 Zutreffend Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 18 Rz. 2; s. auch J. Schmidt, NZG 2015, 1049, 1050. 358 S. zur Begründung im Einzelnen Leuschner in MünchKomm. BGB, § 54 BGB Rz. 45 ff. 359 Vgl. BGH v. 30.6.2003 – II ZR 153/02, NZG 2003, 878; Ellenberger in Grüneberg, § 54 BGB Rz. 12; Leuschner in MünchKomm. BGB, § 54 BGB Rz. 42 f. 360 Dazu Bachmann, NZG 2020, 612, 618 f.

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§ 2 Rz. 65 | Form des Gesellschaftsvertrages 65 Auch die Erbengemeinschaft (§§ 2032 ff. BGB), d.h. die Erben in ihrer gesamthänderischen

Verbundenheit, kann sich an der Gründung einer GmbH beteiligen361. Während seit jeher anerkannt ist, dass sich die Erbengemeinschaft an einer bestehenden Gesellschaft beteiligen kann, sei es durch rechtsgeschäftlichen Erwerb eines Anteils unter Lebenden, sei es durch Erwerb von Todes wegen362, wurde ihr früher verbreitet die Möglichkeit zur Beteiligung an der Gründung der GmbH abgesprochen. Heute kann als weitgehend gesichert gelten, dass die Erbengemeinschaft auch an der Errichtung der GmbH teilnehmen kann363. § 18 findet Anwendung mit der Folge einer zwingenden gesamtschuldnerischen Haftung nach § 18 Abs. 2364. Allerdings gilt der Vorbehalt der beschränkten Erbenhaftung (§ 2059 BGB), wenn es sich um einen Anteil an einer Vor-GmbH handelt, den die Erben von dem Erblasser geerbt haben365. Wurde die GmbH hingegen von der Erbengemeinschaft selbst (mit-)gegründet, haften die Miterben im Interesse der Kapitalaufbringung unbeschränkt und unbeschränkbar persönlich (s. 13. Aufl., § 18 Rz. 29).

9. Treuhänder Schrifttum: S. 13. Aufl., § 15 Rz. 227 sowie Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung an Gesellschaften, 2001; Armbrüster, Zur Beurkundungsbedürftigkeit von Treuhandabreden über GmbH-Anteile, DNotZ 1997, 762; Armbrüster, Treuhänderische GmbH-Beteiligungen, Teile I und II, GmbHR 2001, 941, 1021; U. Bälz, Treuhandkommanditist, Treuhänder der Kommanditisten und Anlegerschutz, ZGR 1980, 1; Beuthien, Treuhand an Gesellschaftsanteilen, ZGR 1974, 26; Bitter, Rechtssträgerschaft für fremde Rechnung, 2006; Blaurock, Unterbeteiligung und Treuhand an Gesellschaftsanteilen: Formen mittelbarer Teilhabe an Gesellschaftsverhältnissen, 1981; Eden, Treuhandschaft an Unternehmen und Unternehmensanteilen, 1981; Ehlke, Zur Rechtsstellung von Treugeber und Treuhänder, DB 1985, 795; Gebke, Die Treuhand im Gesellschaftsrecht – ein Überblick vertieft an Einzelfällen, GmbHR 2014, 1128; Geibel, Treuhandrecht als Gesellschaftsrecht, 2008; Geyrhalter, Grenzüberschreitende Treuhandvereinbarungen bei GmbH-Beteiligungen, ZIP 1999, 647; Gernhuber, Die fiduziarische Treuhand, JuS 1988, 355; Gruber, Treuhandbeteiligung an Gesellschaften, 2001; Grundmann, Der Treuhandvertrag, 1997; Hassemer, Treuhandverhältnis zwischen Auftraggeber und Strohmann bei der GmbH, GmbHR 1962, 10; D. Köhl, Die Ausfallhaftung von Hintermännern bzw. Treugebern, GmbHR 1998, 119; Roth/Thöni, Treuhand und Unterbeteiligung, in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 245; Schiemann, Haftungsprobleme bei der Treuhand an Gesellschaftsanteilen, in FS Zöllner I, 1998, S. 503; J. Tebben, Unterbeteiligung und Treuhand an Gesellschaftsanteilen, 2000; J. Tebben, Die qualifizierte Treuhand im Personengesellschaftsrecht, ZGR 2001, 586; Ulmer, Zur Treuhand an GmbH-Anteilen, ZHR 156 (1992), 377; Ulmer, Zur Treuhand an GmbH-Anteilen – Notwendige Differenzierung zwischen einfacher (verdeckter) und qualifizierter (offener) Treuhand, in FS Odersky, 1996, S. 873; Walch, Treuhandbeteiligung und die Transparenz der Anteilseignerstrukturen im GmbH-Recht, NZG 2015, 1259; Weigel, Anwendungs- und Problemfelder der

361 S. zur Ausübung von Gesellschafterrechten durch die Erbengemeinschaft Schürnbrand, NZG 2016, 241. 362 KG v. 26.9.1961 – 2 U 266/61, NJW 1962, 54; BayObLG v. 18.3.1991 – BReg 3 Z 69/90, BayObLGZ 1991, 127, 134 f. = NJW-RR 1991, 1252, 1254 = GmbHR 1991, 572; OLG Hamm v. 18.11.1974 – 15 Wx 111/74, OLGZ 1975, 164 = GmbHR 1975, 83; Grunewald, AcP 197 (1997), 305, 310 f.; M. Wolf in FS Schippel, 1996, S. 533, 534 f.; s. allgemein auch Lange, GmbHR 2013, 113. 363 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 44; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Altmeppen, § 1 Rz. 35; Gergen in MünchKomm. BGB, § 2032 BGB Rz. 23; Grunewald, AcP 197 (1997), 305, 310 f.; M. Wolf in FS Schippel, 1996, S. 533, 534 ff. 364 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94. 365 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 44; anders (unbeschränkte Haftung, wenn Erbengemeinschaft am weiteren Gründungsvorgang aktiv teilnimmt bzw. dieser unwidersprochen fortgeht) Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 36.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 66 § 2 stillen Gesellschaft, DStR 1999, 1568; Weimar, Zur Ausbildungsförderung – Rechtsfragen zur EinmannGmbH, MDR 1981, 816; Werner, Treuhandverhältnisse an GmbH-Anteilen, GmbHR 2006, 1248.

a) Überblick Als Treuhänder bezeichnet man Gesellschafter, die sich im eigenen Namen, aber für fremde 66 Rechnung und im fremden Interesse, an einer Gesellschaft beteiligen. Derartige Treuhandverhältnisse sind in der GmbH-Praxis weit verbreitet366. Für die Einschaltung von Treuhändern gibt es eine Reihe von Motiven367, wobei der Wunsch, anonym zu bleiben, im Vordergrund steht368. Dies kann seinen Grund z.B. darin haben, dass einer offenen Beteiligung an der Gesellschaft arbeitsrechtliche, wettbewerbsrechtliche oder aufenthaltsrechtliche Gründe entgegenstehen369 oder dass die Geschäftsanteile vinkuliert sind und eine Abtretung mangels Zustimmung der Mitgesellschafter nicht möglich ist370. Diese Zielverfolgung wird in jüngerer Zeit jedoch erheblich durch die geldwäscherechtlichen Meldepflichten erschwert, weshalb in der Praxis bereits ein gewisser Rückgang von Treuhandkonstruktionen beobachtet werden kann371. Da der Treugeber u.a. dann als wirtschaftlich Berechtigter i.S.d. § 3 Abs. 1 und 2 GWG gilt, wenn ihm infolge des bestehenden Treuhandvertrages mehr als 25 % der Kapitalanteile oder der Stimmrechte zuzurechnen sind372, ist die wirtschaftliche Berechtigung des Treugebers dem Transparenzregister mitzuteilen (§ 20 Abs. 1 Satz 1 GWG). Damit unterliegt der Umstand, dass der Treugeber wirtschaftlich an der GmbH beteiligt ist, den weitgehenden Einsichtsrechten der Öffentlichkeit (s. insbesondere § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, Satz 2 GWG)373. Die Anonymität des Treugebers lässt sich damit nicht mehr in der Weise aufrechterhalten, wie dies noch früher möglich war. Eine besondere Erscheinungsform der Treuhand an GmbH-Anteilen ist die heute nicht mehr verbreitete Strohmanngründung374 zur Errichtung einer Einpersonen-GmbH (s. dazu schon 13. Aufl., § 1 Rz. 49). Von der Treuhand ist vor allem die Unterbeteiligung zu unterscheiden, auf die im vorliegenden Zusammenhang nicht näher eingegangen wird375.

366 S. zum Folgenden insbesondere Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung; Armbrüster, GmbHR 2001, 941; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150 ff.; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 194 ff.; Schiemann in FS Zöllner I, S. 503, 505 f.; E. Schmitz in Freundesgabe Weichler, 1997, S. 129 ff.; Tebben, Unterbeteiligung und Treuhand, S. 33 ff.; Ulmer in FS Odersky, S. 873, 875 ff. 367 S. ausführlich Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 206 ff.; Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung, S. 49 ff.; Tebben, Unterbeteiligung und Treuhand, S. 33 ff.; Ulmer in FS Odersky, S. 873, 875 ff. 368 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 68; s. zur Beteiligung des Testamentsvollstreckers als Treuhänder an der GmbH bereits unter Rz. 58. 369 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 69 Fn. 180; Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 3 Rz. 106. 370 S. jedoch zur Geltung gesellschaftsvertraglicher Vinkulierungsklauseln für den Abschluss des Treuhandvertrages 13. Aufl., § 15 Rz. 232 ff. sowie Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 219 ff.; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 262 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 15 Rz. 92; s. außerdem OLG Hamburg v. 30.4.1993 – 11 W 13/93, GmbHR 1993, 507 = NJW-RR 1993, 868 zum Auskunftsanspruch der Mitgesellschafter hinsichtlich der Person des Treugebers im Fall der Vinkulierung der Geschäftsanteile. 371 Vgl. auch Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 3 Rz. 112a. 372 S. dazu die FAQ des Bundesverwaltungsamts Stand 1.8.2021, S. 10, abrufbar unter www.bva.bund. de; allgemein zur geldwäscherechtlichen Behandlung von Treuhandverträgen Bochmann, GmbHR 2020, 362, 363 f.; Tebben, ZGR 2020, 430; Xu, GmbHR 2020, 579; John, NZG 2021, 323, 325. 373 S. zu einem möglichen Antrag gemäß § 23 Abs. 2 GWG Lorenz, DStR 2020, 2258, 2259 f. 374 S. zum Begriff Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151. 375 S. 13. Aufl., § 15 Rz. 224 ff.; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 244 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 63 (S. 1865 ff.).

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§ 2 Rz. 67 | Form des Gesellschaftsvertrages 67 In der Literatur finden sich unterschiedliche Einteilungen für die in der Praxis vorkommen-

den Treuhandverhältnisse376. Je nach der Art der Rechtsstellung des Treuhänders unterscheidet man die fiduziarische Treuhand, bei der der Treuhänder Inhaber des Geschäftsanteils wird, sowie die Ermächtigungs- und die Vollmachtstreuhand. Im vorliegenden Zusammenhang interessiert allein die fiduziarische oder Vollrechtstreuhand. Bei dieser wird weiter je nach den von den Parteien verfolgten Zwecken zwischen der Nutzungs-, der Sicherungs-377 und der Verwaltungstreuhand unterschieden. Auch die hier allein betrachtete Verwaltungstreuhand kommt in verschiedenen Erscheinungsformen vor. Wichtig ist die Unterscheidung zwischen der verdeckten und der offenen Treuhand, je nachdem, ob das Treuhandverhältnis den Mitgesellschaftern offen gelegt wird oder nicht. Die Terminologie schwankt378. Innerhalb der offenen Treuhand wird gelegentlich noch weiter zwischen einer einfachen und einer qualifizierten Treuhand unterschieden, wobei Unterscheidungskriterium ist, ob dem Treugeber eigene Rechte in der Gesellschaft eingeräumt werden oder nicht (s. Rz. 78)379. b) Zulässigkeit, Begründung 68 An der grundsätzlichen Zulässigkeit der Verwaltungstreuhand in ihren verschiedenen

Spielarten (Rz. 67) besteht kein Zweifel380. Insbesondere handelt es sich ohne Hinzutreten besonderer Umstände nicht um ein Scheingeschäft im Sinne des § 117 BGB, weil die Beteiligten im Normalfall des Treuhandverhältnisses die Beteiligung des Treuhänders an der Gesellschaft ernsthaft wollen381. Etwaigen Missbräuchen kann im Einzelfall über die Anwendung der §§ 134, 138, 826 BGB begegnet werden382. Zu beachten bleibt, dass etwaige Verstöße im Zusammenhang mit der Gründung spätestens durch die Eintragung der Gesellschaft geheilt werden. Ein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75 liegt nicht vor383. 69 Treuhandverhältnisse können auf unterschiedliche Weise begründet werden. Unter diesem

Gesichtspunkt sind vor allem die Übertragungstreuhand, die Vereinbarungstreuhand und die Erwerbstreuhand zu unterscheiden: Während bei der Übertragungstreuhand der Geschäftsanteil vom Treugeber auf den Treuhänder übertragen wird, ist das Kennzeichen der Erwerbstreuhand, dass der Treuhänder im Auftrag und für Rechnung des Treugebers einen Geschäftsanteil bei der Gründung oder später von einem Dritten oder im Zusammenhang mit einer Kapitalerhöhung erwirbt. Von einer Vereinbarungstreuhand spricht man, wenn sich ein Gesellschafter vertraglich gegenüber dem Treugeber verpflichtet, den von ihm gehaltenen Geschäftsanteil fortan für Rechnung und im Auftrag des Treugebers zu halten. Es spielt keine Rolle, ob an der Gesellschaft noch Dritte oder lediglich neben dem Treuhänder der Treugeber oder ein anderer Treuhänder desselben Treugebers beteiligt sind.

376 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 152 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 1 b/c (S. 1827 f.). 377 Die Sicherungstreuhand kommt praktisch kaum vor und ist durch die Anteilsverpfändung verdrängt, s. etwa Altmeppen, § 15 Rz. 44; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 152. 378 S. etwa Ulmer in FS Odersky, S. 873, 878. 379 S. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 153; Ulmer in FS Odersky, S. 873. 380 BGH v. 19.4.1999 – II ZR 365/97, BGHZ 141, 207 = NJW 1999, 2594, 2595 = GmbHR 1999, 707; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 210. 381 BGH v. 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 382 f. = NJW 1957, 19; BGH v. 22.9.2016 – III ZR 427/15, NJW 2016, 3525, 3526 = EWiR 2017, 135 (m. Bespr. Cramer) = GmbHR 2016, 1198; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 155. 382 S. zu einem Fall der Knebelung etwa OLG Brandenburg v. 12.6.1996 – 7 U 156/95, GmbHR 1997, 168, 169. 383 BGH v. 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 382 f. = NJW 1957, 19; KG v. 6.5.1968 – 1 W 2370/67, OLGZ 1968, 477, 481 = GmbHR 1968, 182; OLG Brandenburg v. 12.6.1996 – 7 U 156/ 95, GmbHR 1997, 168, 170 f in.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 72 § 2

Hinsichtlich der Form des Treuhandverhältnisses ist § 15 zu beachten und zwar sowohl hin- 70 sichtlich des Verfügungsgeschäfts (Abs. 3) als auch hinsichtlich des der Abtretung zugrundeliegende Rechtsgeschäfts (Abs. 4)384. Das notarielle Mitwirkungserfordernis hat zur Konsequenz, dass das Finanzamt in denjenigen Fällen, in denen eine gesetzliche Mitteilungspflicht des Notars (§ 54 EStDV) besteht, Kenntnis von dem Treuhandvertrag erlangt385. Im Einzelnen ist hinsichtlich der Geltung der Formerfordernisse wie folgt zu unterscheiden386: Bei der Übertragungstreuhand, die durch die Übertragung des fraglichen Geschäftsanteils 71 von dem Treugeber auf den Treuhänder begründet wird (zuvor Rz. 69), muss die Treuhandvereinbarung gemäß § 15 Abs. 4 beurkundet werden, weil der Treugeber zur Übertragung und der Treuhänder zum Erwerb verpflichtet werden387. Zudem gilt § 15 Abs. 3 für die Abtretung des Geschäftsanteils, die zur Begründung des Treuhandverhältnisses erfolgt, ebenso wie für eine im Treuhandvertrag ggf. bereits enthaltene bedingte Rückabtretung des Geschäftsanteils an den Treugeber388. Auch die Vereinbarungstreuhand unterliegt der Form des § 15 Abs. 4389. Hier findet an- 72 ders als bei der Erwerbs- und Übertragungstreuhand zwar kein Gesellschafterwechsel statt. Allerdings folgt die Beurkundungsbedürftigkeit der Treuhandabrede gemäß § 15 Abs. 4 aus der durch die Vereinbarungstreuhand begründeten Verpflichtung des Treuhänders zur Abtretung nach Beendigung der Treuhandbeziehung. Es kann keinen Unterschied machen, ob sich ein Gesellschafter zur sofortigen Übertragung (dann unzweifelhaft § 15 Abs. 4) oder zur Übertragung erst nach Beendigung eines Treuhandverhältnisses in Form der Vereinbarungs-

384 S. zur Formbedürftigkeit der Aufhebung der Treuhandvereinbarung Heckschen/Kreußlein in Heckschen/Heidinger, Kap. 3 Rz. 147 f. 385 S. zu den Mitteilungspflichten des Notars im Zusammenhang mit der Beurkundung von Treuhandverträgen BMF v. 14.3.1997 – IV B 2 - S 2244 - 3/97, NJW 1997, 2302; Heidinger, DStR 1996, 1353; Küperkoch, RNotZ 2002, 298, 309 f. 386 S. 13. Aufl., § 15 Rz. 230 f. sowie noch Armbrüster, DNotZ 1997, 762; Armbrüster, DNotZ 1999, 758; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 945 f.; zur Rechtsform bei grenzüberschreitenden Verträgen gemäß Art. 11 EGBGB s. außerdem Tebben, Unterbeteiligung und Treuhand, S. 228 ff.; Geyrhalter, ZIP 1999, 647. 387 Im Ergebnis ganz h.M., s. etwa BayObLG v. 18.3.1991 – BReg 3 Z 69/90, BayObLGZ 1991, 127, 132 f. = NJW-RR 1991, 1252, 1254 = GmbHR 1991, 572; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 157; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29; Heckschen in Heckschen/Heidinger, Kap. 3 Rz. 123; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 213; anders Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 206 (Beurkundungsbedürftigkeit nur dann, wenn der Treugeber bei Beendigung des Treuhandverhältnisses nicht die Rückübertragung verlangen kann); Tebben, Unterbeteiligung und Treuhand, S. 231; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 946. Ob die Formbedürftigkeit auch aus der Rückübertragungsverpflichtung des Treuhänders bei Beendigung des Treuhandvertrages erfolgt ist streitig, wird aber häufig wegen der gesetzlichen Herausgabepflicht aus § 667 BGB vereint, so etwa Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 214. Dagegen spricht jedoch, dass die gesetzliche Folge erst durch die vertragliche Begründung des Treuhandverhältnisses ausgelöst wird. Relevanz hat diese Frage insbesondere hinsichtlich einer möglichen Heilung gemäß § 15 Abs. 4 Satz 2, vgl. Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 203. Von der Beurkundungsbedürftigkeit ist auch dann auszugehen, wenn die Übertragung zum Zwecke des Treuhänderwechsels erfolgt, s. BGH v. 22.9.2016 – III ZR 427/15, NJW 2016, 3525 = GmbHR 2016, 1198. 388 I.d.R. wird die Abtretung von dem Treugeber an den Treuhänder jedoch sogleich auflösend bedingt auf die Beendigung des Treuhandvertrages vereinbart, s. Rz. 75. 389 Ebenfalls ganz h.M., s. etwa BGH v. 19.4.1999 – II ZR 365/97, BGHZ 141, 207, 211 f. = NJW 1999, 2594, 2595 = GmbHR 1999, 707; BGH v. 12.12.2005 – II ZR 330/04, GmbHR 2006, 875, 876; BGH v. 14.12.2016 – IV ZR 7/15, DStR 2017, 163, 164; Heckschen/Kreußlein in Heckschen/Heidinger, Kap. 3 Rz. 122; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 946. A.A. Beuthien, ZGR 1974, 26, 77.

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§ 2 Rz. 72 | Form des Gesellschaftsvertrages treuhand verpflichtet390. Zudem folgt die Beurkundungsbedürftigkeit aus dem Formzweck, weil andernfalls durch die Begründung immer neuer Treuhandverhältnisse im Ergebnis ein spekulativer Anteilshandel erzielt werden könnte391. Die Formbedürftigkeit gilt auch schon in der Gründungsphase, d.h. in der Zeit nach Abschluss des Gesellschaftsvertrages392. Die (aufschiebend bedingte) Abtretung an den Treugeber unterliegt wiederum § 15 Abs. 3. 73 § 15 Abs. 4 gilt auch hinsichtlich der Vereinbarung einer Erwerbstreuhand, wenn diese nach

Gründung der Gesellschaft erfolgt393. Die Verpflichtung des Treuhänders, den Geschäftsanteil nach Vertragsende gemäß § 667 BGB herauszugeben, beruht zwar nicht auf Vertrag (§ 15), sondern auf Gesetz394. Für die Beurkundungsbedürftigkeit spricht jedoch auch hier der Zweck des § 15, einen formlosen Handel mit GmbH-Anteilen zu verhindern395, sowie die sich aus der Treuhandabrede regelmäßig ergebende Erwerbspflicht des Treuhänders396 und diejenige des Treugebers bei Beendigung des Treuhandverhältnisses397. Für den Erwerb der Geschäfts-

390 Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 217; Armbrüster, DNotZ 1997, 762, 782; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 946. 391 BGH v. 19.4.1999 – II ZR 365/97, BGHZ 141, 207, 211 f. = NJW 1999, 2594, 2595 = GmbHR 1999, 707; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 946. 392 BGH v. 19.4.1999 – II ZR 365/97, BGHZ 141, 207, 211 = NJW 1999, 2594, 2595 = GmbHR 1999, 707; die Frage nach der Formbedürftigkeit der vor Errichtung der GmbH geschlossenen Vereinbarungstreuhand stellt sich richtigerweise nicht, weil eine Vereinbarungstreuhand begrifflich voraussetzt, dass der Treuhänder bereits Inhaber des Geschäftsanteils bzw. Gesellschafter der VorGmbH ist, s. dazu zutreffend Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 218; anders noch Emmerich, 11. Aufl., Rz. 55b. 393 BGH v. 12.12.2005 – II ZR 330/04, GmbHR 2006, 875, 876; Heckschen/Kreußlein in Heckschen/ Heidinger, Kap. 3 Rz. 118. 394 Aus diesem Grund wurde die Beurkundungsbedürftigkeit der Erwerbstreuhand früher überwiegend verneint, s. dazu Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 203 m.w.N. Weiter hieran festhaltend für den Fall des treuhändischen Grundstückserwerbs BGH v. 15.1.2021 – V ZR 210/19, BWNotZ 2021, 144, 145 f.; BGH v. 25.6.2021 – V ZR 218/19, BeckRS 2021, 23639. Gegen diese Argumentation jedoch Armbrüster, DNotZ 1999, 756, 758; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 945 f. Auch nach der inzwischen vom II. Zivilsenat des BGH vertretenen Auffassung steht die gesetzliche Herausgabepflicht aus § 667 BGB der Beurkundungsbedürftigkeit nicht entgegen, da der BGH formuliert, dass die Beurkundungsbedürftigkeit auch bei solchen Rechtsgeschäften angenommen werden kann, die „zwangsläufig“ die Verpflichtung zur Geschäftsanteilsübertragung begründen, s. BGH v. 19.4.1999 – II ZR 365/97, BGHZ 141, 207, 211 = NJW 1999, 2594, 2595 = GmbHR 1999, 707; BGH v. 12.12.2005 – II ZR 330/04, GmbHR 2006, 875, 876; auch BGH v. 22.9.2016 – III ZR 427/15, NJW 2016, 3525, 3526 = GmbHR 2016, 1198, wobei in diesem Fall eher ein Fall der Übertragungstreuhand vorgelegen haben dürfte, s. Bayer/Selentin, WuB 2017, 138, 140 f.; s. zur Frage, ob dem Treugeber bei Nichtigkeit des Treuhandvertrages hinsichtlich der Geschäftsanteile an einer polnischen GmbH ein Anspruch aus Geschäftsführung ohne Auftrag auf Herausgabe der Geschäftsanteile (§ 681 Satz 2, § 667 BGB) zustehen kann BGH v. 4.11.2004 – III ZR 172/03, NZG 2005, 41, 43 = GmbHR 2005, 53, 59. 395 BGH v. 12.12.2005 – II ZR 330/04, GmbHR 2006, 875, 876; insoweit kritisch und für eine teleologische Reduktion Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 204; Armbrüster, DNotZ 1997, 762, 766 ff.; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 946. 396 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 160; Armbrüster, DNotZ 1997, 762, 779; Armbrüster, DNotZ 1999, 756, 760 f.; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 945 f.; ebenso vor diesem Hintergrund für die Beurkundungsbedürftigkeit Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 205; zum Grundstückserwerb BGH v. 15.1.2021 – V ZR 210/19, BWNotZ 2021, 144, 145. 397 Ebbing in Michalski u.a., § 15 Rz. 208 allerdings mit unzutreffendem Verweis auf Armbrüster, DNotZ 1997, 762, 764 der die Beurkundungsbedürftigkeit insoweit gerade ablehnt und nur die Erwerbspflicht des Treuhänders für maßgeblich hält. Bedeutung hat die Unterscheidung für die Heilungswirkung nach § 15 Abs. 4 Satz 2, die bei Annahme einer beurkundungsbedürftigen Erwerbspflicht des Treugebers erst mit der Abtretung des Geschäftsanteils an den Treugeber eintreten würde, während bei Beurkundungsbedürftigkeit (nur) der Erwerbspflicht des Treuhänders Heilung

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 75 § 2

anteile und für eine etwaige (aufschiebend bedingte) Abtretung an den Treugeber gilt wiederum § 15 Abs. 3. Die Vereinbarung der Erwerbstreuhand ist nach der Rechtsprechung ausnahmsweise nur dann nicht beurkundungsbedürftig, wenn die Treuhandvereinbarung bereits vor Beurkundung des Gesellschaftsvertrages getroffen wird, weil in diesem Fall noch keine Geschäftsanteile existieren398. Diese Ausnahme gilt jedoch nur für die Treuhandabrede als solche (§ 15 Abs. 4), nicht für eine etwaige (aufschiebend bedingte) Abtretung des Geschäftsanteils an den Treugeber (§ 15 Abs. 3). c) Rechtsstellung Hinsichtlich der Rechtsstellung des Treuhänders ist zwischen dem Außenverhältnis gegen- 74 über der Gesellschaft und deren Gläubigern und dem Innenverhältnis des Treuhänders zum Treugeber zu unterscheiden. Im Außenverhältnis gegenüber der Gesellschaft ist Gesellschafter mit allen Rechten und Pflichten allein der Treuhänder399. Ob im Rahmen der Rechtsanwendung an dieser Trennung der Rechtsverhältnisse festzuhalten ist oder ob angesichts der wirtschaftlichen Gesellschafterstellung des Treugebers Modifikationen vorzunehmen sind, kann nur im Einzelfall unter Berücksichtigung der jeweiligen Norm sowie der Interessenlage entschieden werden400. Die rechtliche Verfügungsbefugnis über den Geschäftsanteil steht allein dem Treuhänder als 75 Inhaber des Geschäftsanteils zu. Eine Verfügung ist grundsätzlich auch dann wirksam, wenn der Treuhänder dadurch seine Pflichten aus dem Innenverhältnis zum Treugeber verletzt. Nach Ansicht des BGH lässt sich in diesem Fall auch nicht über die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht die (schwebende) Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts herleiten401, weil der Treuhänder anders als der Stellvertreter, im eigenen Namen über ein eigenes Recht verfügt und das Verfügungsverbot im Treuhandvertrag wegen § 137 BGB keine dingliche Wirkung hat. Eine Ausnahme gilt damit nur unter den Voraussetzungen der § 138, § 823 Abs. 2, § 826 BGB402, im Übrigen ist der Treugeber auf Schadensersatzansprüche gegen den Treuhänder verwiesen. In der Praxis spielt diese Frage jedenfalls dann keine Rolle, wenn – wie üblich – bereits eine bedingte Abtretung des Geschäftsanteils an den Treugeber im Treuhandvertrag vorgesehen wird (§ 161 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 BGB)403. Dabei handelt es sich in den Fällen der Erwerbs- und Vereinbarungstreuhand um eine aufschiebend bedingte Abtretung

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400 401 402 403

bereits mit Abtretung an ihn die Folge wäre, s. Armbrüster, DNotZ 1997, 762, 779; für den Grundstückserwerb wie hier auch BGH v. 15.1.2021 – V ZR 210/19, BWNotZ 2021, 144, 145. BGH v. 19.4.1999 – II ZR 365/97, BGHZ 141, 207, 211 ff. = NJW 1999, 2954 = GmbHR 1999, 707; BGH v. 12.12.2005 – II ZR 330/04, GmbHR 2006, 875, 876; OLG Bamberg v. 30.11.2000 – 1 U 72/00, NZG 2001, 509, 510; s. dazu Armbrüster, DNotZ 1999, 756, 758; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 946; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 159; Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 2 (S. 1828 f.); Fr. Wagner, NZG 1999, 656, 657. BGH v. 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 382 = NJW 1957, 19; BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 263 f. = NJW 1960, 285; BGH v. 14.12.1970 – II ZR 161/69, WM 1971, 306, 307; BGH v. 19.1.1976 – II ZR 119/74, WM 1976, 736, 738; BGH v. 3.11.1976 – I ZR 156/74, WM 1977, 73, 75; BayObLG v. 18.3.1991 – BReg 3 Z 69/90, BayObLGZ 1991, 127, 133 f. = NJWRR 1991, 1252 = GmbHR 1991, 572; Armbrüster, Treuhänderische Beteiligung, passim, bes. S. 198 ff.; Armbrüster, GmbHR 2001, 1021 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 3 (S. 1829 ff.); Tebben, Unterbeteiligung und Treuhand, passim. Zutreffend daher im Grundsatz der Ansatz von Armbrüster, GmbHR 2001, 1021. So aber Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 80; Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 3a (S. 1829). BGH v. 4.4.1968 – II ZR 26/67, LM Nr. 30 zu § 164 BGB = NJW 1968, 1471 (m. ablehnender Anm. Kötz) = MDR 1968, 564 = JZ 1968, 428, 429 m. Anm. U. Huber, S. 791; BGH v. 4.11.1976 – II ZR 50/75, WM 1977, 525, 527; s. auch Schaub, DStR 1996, 65. S. im Einzelnen Schaub, DStR 1996, 65; E. Schmitz in Freundesgabe Weichler, 1997, S. 129, 135 ff.

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§ 2 Rz. 75 | Form des Gesellschaftsvertrages des Treuhänders an den Treugeber, während im Fall der Übertragungstreuhand die Abtretung des Treugebers an den Treuhänder sogleich auflösend bedingt vereinbart werden kann404. In Ermangelung einer solchen Abtretung führt die Beendigung des Treuhandverhältnisses durch Kündigung oder in sonstiger Weise nicht automatisch zur (Wieder-)Erlangung der Gesellschafterstellung des Treugebers405. 76 Im Verhältnis zur Gesellschaft stehen dem Treuhänder außerdem die Vermögensrechte zu406.

Der Treugeber kann sich die entsprechenden Ansprüche im Voraus abtreten lassen, insbesondere um den Zugriff der Gläubiger des Treuhänders zu verhindern (s. Rz. 80)407. Der Treuhänder übt ferner das Stimmrecht in der Gesellschaft aus, muss dabei jedoch im Innenverhältnis die Weisungen des Treugebers beachten (§ 665 BGB). Eine gespaltene Stimmrechtsausübung des Treuhänders aus mehreren Geschäftsanteilen ist zulässig und zwar unabhängig von einem berechtigten Interesse408. Dasselbe gilt entgegen der (noch) herrschenden Ansicht409 hinsichtlich der uneinheitlichen Stimmabgabe aus einem Geschäftsanteil410. Für beide Fälle kann die Satzung allerdings etwas anderes vorsehen411. Möglich ist auch eine (auch unwiderrufliche412) Stimmrechtsvollmacht zugunsten des Treugebers (§ 47 Abs. 3), es sei denn, die Satzung sieht eine Einschränkung des Kreises der Bevollmächtigten vor. Übt der Treuhänder das Stimmrecht weisungswidrig aus, ist die Stimmabgabe gleichwohl wirksam. Dies ist die notwendige Folge der gewählten Gestaltung und im Sinne der Rechtssicherheit geboten413. Etwas anderes gilt nur dann, wenn alle Mitgesellschafter von dem weisungswidrigen Stimmverhalten Kenntnis hatten, insbesondere also in den Fällen der Kollusion (§§ 138, 826 BGB)414, oder wenn sich das weisungswidrige Stimmverhalten allen Mitgesellschaftern aufdrängen musste415. Unter bestimmten Voraussetzungen können Umstände aus der Person des Treugebers zum Stimmrechtsausschluss nach § 47 Abs. 4 zu Lasten des Treuhänders führen (s. 12. Aufl., § 47 Rz. 157 f.).

404 Anders Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164, der allerdings wohl nur versehentlich von einer „auflösend bedingten“ Abtretung in den Fällen der Erwerbs- und Vereinbarungstreuhand spricht. 405 BGH v. 14.12.1970 – II ZR 161/69, WM 1971, 306, 307; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 173; Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 4 a (S. 1833). 406 Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 227. 407 Armbrüster, GmbHR 2001, 1021, 1022. 408 H.M., s. etwa Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 62; Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 3 c (S. 1832); Armbrüster, GmbHR 2001, 1021, 1024; Schauf, GmbHR 2015, 799, 801 f.; Blasche, GmbHR 2016, 99, 102 f. A.A. Noack in Noack/Servatius/Haas, § 47 Rz. 20, der ein berechtigtes Interesse verlangt, dies jedoch im Fall der Treuhand anerkennt; ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 10. 409 BGH v. 17.9.1964 – II ZR 136/62, WM 1964, 1188 = GmbHR 1965, 32; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 10; Schauf, GmbHR 2015, 799, 800 f.; s. auch Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 3 c (S. 1832), der nur bei der mehrgliedrigen Treuhand von einer stillschweigenden Gestattung der Stimmrechtsspaltung ausgeht, nicht jedoch bei der typischen Treuhand. 410 Wie hier Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 64; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 463; Armbrüster, GmbHR 2001, 1021, 1024; Blasche, GmbHR 2016, 99, 101 f. 411 Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 65; Blasche, GmbHR 2016, 99, 103 f. Ausgeschlossen ist allerdings die uneinheitliche Stimmabgabe aus einem Geschäftsanteil, der nur eine Stimme vermittelt (z.B. Ein-Euro-Anteil mit einer Stimme), s. Schauf, GmbHR 2015, 799, 800. 412 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 28; zum Widerruf aus wichtigem Grund Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 236; Beuthien, ZGR 1974, 26, 82. 413 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169. 414 Insoweit zustimmend auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71. 415 Wie hier Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169; Armbrüster, GmbHR 2001, 1021, 1023; für die generelle Unbeachtlichkeit der weisungswidrigen Stimmabgabe Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 229; Heining, GmbHR 1954, 98, 102; Henssler, AcP 196 (1996), 37, 79 f.; für die Beachtlichkeit der Weisungswidrigkeit nur bei Gesetz- oder Sittenverstößen Beuthien, ZGR 1974, 24, 64.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 79 § 2

Die Informationsrechte des Gesellschafters (§ 51a) stehen nur dem Treuhänder zu, so dass 77 der Treugeber Informationen grundsätzlich nur über den Treuhänder erhält. Es kann allerdings auch ein eigenes Informationsrecht des Treugebers gegenüber der Gesellschaft vereinbart werden416. Anerkannt ist, dass für die Ausschluss-, Einziehungs-, Austritts- und Auflösungsgründe nicht nur Umstände in der Person des Treuhänders, sondern auch solche in der Person des Treugebers bedeutsam sein können, wenn und solange der Treugeber die Möglichkeit hat, aus dem Hintergrund auf die gesellschaftlichen Verhältnisse einzuwirken oder an Stelle des Treuhänders (wieder) in die Gesellschaft einzutreten417. Aufgrund seiner Treuepflicht ist der Treuhänder in der Regel, jedenfalls aber bei vinkulierten Geschäftsanteilen, verpflichtet, seine treuhänderische Rechtsstellung den Mitgesellschaftern offenzulegen418. Im Gesellschaftsvertrag kann die Rechtsstellung des Treugebers verstärkt werden. In die- 78 sem Zusammenhang wird von einer sog. qualifizierten Treuhand gesprochen419. Im Schrifttum wächst die Tendenz, den Treugeber in unterschiedlichem Umfang in das Gesellschaftsverhältnis mit seinen Rechten und Pflichten einzubeziehen420. Welche Rechte dem Treugeber im Einzelnen kraft Satzung zugewiesen werden können, ist jedoch nicht abschließend geklärt421. Unproblematisch dürfte es sein, dem Treugeber Informationsrechte (Rz. 77) und Teilnahmerechte an Gesellschafterversammlungen zuzusprechen. Problematisch ist dagegen, ob dem Treugeber auch das Stimmrecht aus den treuhänderisch gehaltenen Geschäftsanteilen eingeräumt werden kann. Entgegen einer vordringenden Auffassung422 dürfte dies auch mit Zustimmung aller Gesellschafter nicht mit dem Abspaltungsverbot vereinbar sein423. Eine gleichwohl in die Satzung aufgenommene Regelung kann aber zumindest als Stimmrechtsvollmacht (s. Rz. 76) aufrechterhalten werden. Von dem Verhältnis des Treuhänders zu den Mitgesellschaftern muss das Innenverhältnis 79 des Treuhänders zum Treugeber unterschieden werden. In diesem Rechtsverhältnis findet im Regelfall Auftragsrecht Anwendung (§ 675 Abs. 1, §§ 662 ff. BGB)424, so dass der Treuhänder verpflichtet ist, den Weisungen des Treugebers Folge zu leisten (§ 665 BGB), ihm

416 Siehe dazu und zu der Frage, ob jedenfalls auch dann ein eigener Informationsanspruch besteht, wenn dem Treugeber eine persönliche Haftung droht Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 170; Armbrüster, GmbHR 2001, 1021, 1026; s. auch Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 3 c (S. 1832): außerordentliches Informationsrecht auch bei offengelegten Treuhandverhältnissen, insbesondere bei Publikums-Treuhandgesellschaften. In der Rechtsform der GmbH kommen jedenfalls PublikumsTreuhandgesellschaften aber kaum vor. 417 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 171; ohne diese Einschränkung auch Servatius in Noack/ Servatius/Haas, § 1 Rz. 43. 418 OLG Hamburg v. 30.4.1993 – 11 W 13/93, GmbHR 1993, 507 = NJW-RR 1993, 868; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 46. 419 S. Fleck in FS R. Fischer, 1979, S. 107, 118 ff., 127; Ulmer, ZHR 156 (1992), 377, 386; Ulmer in FS Odersky, S. 873, 877 f., 893 ff.; für die Begründung einer qualifizierten Treuhand auch außerhalb der Satzung Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 70; ablehnend gegenüber der qualifizierten Treuhand wegen § 16 Abs. 1 Walch, NZG 2015, 1259, 1260 ff. 420 So insbes. Ulmer in FS Odersky, S. 873, 889 f., 893 ff.; M. Gruber, Treuhandbeteiligung, S. 180 ff.; Tebben, Unterbeteiligung und Treuhand, S. 103, 175, 216 ff.; dagegen differenzierend Armbrüster, Die treuhänderische Beteiligung, S. 190 ff.; Armbrüster, GmbHR 2001, 1021 ff. 421 Sehr weitgehend die Rechtsprechung zum Recht der KG, s. etwa BGH v. 13.5.1953 – II ZR 157/52, BGHZ 10, 44, 49 f. = NJW 1953, 1548; BGH v. 11.10.2011 – II ZR 242/09, NZG 2011, 1432, 1433 f.; BGH v. 20.1.2015 – II ZR 444/13, NZG 2015, 387. 422 Fleck in FS R. Fischer, 1979, S. 107, 118 ff., 127; Ulmer, ZHR 156 (1992), 377, 389 f. (für die einvernehmliche Treuhand); Armbrüster, GmbHR 2001, 1021, 1025. 423 Noack in Noack/Servatius/Haas, § 47 Rz. 40; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 4; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 236; ablehnend wegen § 16 Abs. 1 auch Walch, NZG 2015, 1259, 1260 ff. 424 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162.

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§ 2 Rz. 79 | Form des Gesellschaftsvertrages jederzeit Auskunft zu erteilen und Rechenschaft abzulegen (§ 666 BGB) und ihm auf dessen Verlangen bei Vertragsende den Geschäftsanteil zu übertragen (§ 667 BGB), wobei wieder § 15 Abs. 3 zu beachten ist425. Der Treuhänder kann Freistellung und Aufwendungsersatz verlangen (§§ 670, 257 BGB), insbesondere die Überlassung der für die Einlageleistung erforderlichen Mittel. 80 In der Insolvenz des Treuhänders426 stellt sich die Frage, ob dem Treugeber ein Aussonde-

rungsrecht gemäß § 47 InsO zusteht. Nach der Rechtsprechung besteht ein solches Recht aufgrund des sog. Unmittelbarkeitsprinzips nur dann, wenn der Treuhänder den Geschäftsanteil unmittelbar vom Treugeber übertragen erhalten hat, also grundsätzlich nur in den Fällen der Übertragungstreuhand, nicht dagegen in den Fällen der Erwerbs- und der Vereinbarungstreuhand427. Eine solche Differenzierung nach der Entstehung des Treuhandverhältnisses kann jedoch schwer überzeugen428. Hinter ihr steht zwar der berechtigte Gedanke, dass Beweisschwierigkeiten und Manipulationen zulasten der Gläubiger vermieden werden sollen429. Dieser Gedanke spielt angesichts der hier vertretenen Auffassung zur Beurkundungsbedürftigkeit des Treuhandvertrages (s. Rz. 70 ff.) im GmbH-Recht aber keine Rolle. In der Gestaltungspraxis empfiehlt sich in jedem Fall die Aufnahme einer bedingten Abtretung des Geschäftsanteils bereits im Treuhandvertrag für den Fall der Insolvenz des Treuhänders oder für den Fall von Vollstreckungsmaßnahmen durch Gläubiger des Treuhänders in den Geschäftsanteil (§ 767 ZPO; Rz. 75)430. d) Haftung 81 Da im Außenverhältnis gegenüber der Gesellschaft und den Gläubigern allein der Treuhän-

der Gesellschafter ist (Rz. 74), trifft an sich grundsätzlich auch ihn allein die Haftung für die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals431. Dies gilt in der Praxis allerdings nur noch mit wesentlichen Einschränkungen. Bereits nach dem Gesetz (§ 9a Abs. 4) trifft die Gründerhaftung für falsche Angaben auch den Treugeber. Die Rechtsprechung wendet außerdem die Vorschriften, die die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals sichern sollen (§ 19 Abs. 2, § 24, § 30 und § 31), entsprechend auf den Treugeber an, so dass er (neben dem Treuhänder) für die Aufbringung des Stammkapitals nach den §§ 19, 24432 sowie für dessen

425 Wegen der Einzelheiten s. Armbrüster, GmbHR 2001, 1021 ff.; Beuthien, ZGR 1974, 26. 426 S. zur Insolvenz des Treugebers Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 165. 427 S. bereits RG v. 19.12.1914 – VII 448/13, RGZ 84, 214, 216 f.; RG v. 10.10.1917 – V 159/17, RGZ 91, 12, 14; s. weiter BGH v. 7.4.1959 – VIII ZR 219/57, NJW 1959, 1223, 1224 f.; BGH v. 2.2.1995 – IX ZR 147/93, NJW-RR 1995, 766, 767; BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, BGHZ 155, 227, 231 ff. = NJW 2003, 3414; s. zu Ausnahmen im Zahlungsverkehr BGH v. 1.7.1993 – IX ZR 251/92, NJW 1993, 2622; ausführlich E. Schmitz in Freundesgabe Weichler, 1997, S. 129, 130 ff.; kritisch zum Unmittelbarkeitsgrundsatz u.a. Henssler, AcP 196 (1996), 37, 54 f. 428 S. auch die Kritik von Henssler, AcP 196 (1996), 37, 54 f.; Schaub, DStR 1996, 65, 68 f.; Armbrüster, GmbHR 2001, 941, 949; s. auch Görner in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 15 Rz. 79, der ein Aussonderungsrecht auch im Fall der Erwerbstreuhand annimmt. 429 Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 238; Armbrüster, GmbHR 2001, 941. 430 Hierauf ausdrücklich hinweisend BGH v. 24.6.2003 – IX ZR 75/01, BGHZ 155, 227, 231 ff. = NJW 2003, 3414, 3417; s. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29; Schaub, DStR 1996, 65, 69; zu dieser Gestaltung ausführlich Uhlenbruck in FS Rheinisches Notariat, 1999, S. 125 ff. 431 Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 3 b (S. 1830 f.). 432 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 263 f. = NJW 1960, 285 mit sehr weitgehendem Leitsatz; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 225/91, BGHZ 118, 107, 110 ff. = GmbHR 1992, 525; zustimmend Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 14 Rz. 27, § 24 Rz. 13; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 24 Rz. 18.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 83 § 2

Erhaltung im Rahmen der §§ 30, 31433 zu sorgen hat. Im Schrifttum wird diese Form des „Durchgriffs“ auf den Treugeber zur Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung vielfach kritisiert434 und es werden differenzierende Lösungsansätze vorgeschlagen435. Hinsichtlich der Einzelheiten kann auf die Ausführungen zu der jeweiligen Norm verwiesen werden (s. insbes. 13. Aufl., § 30 Rz. 49 ff.).

10. Anknüpfung der Gesellschaftereigenschaft an besondere Eigenschaften Der Gesellschaftsvertrag kann die Gesellschaftereigenschaft an den Besitz besonderer Eigen- 82 schaften wie Alter, Geschlecht, Staatsangehörigkeit, Beruf oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten Familie knüpfen. Insoweit besteht – vorbehaltlich der §§ 134, 138 BGB436 – Vertragsfreiheit (§§ 45, 311 Abs. 1 BGB)437. Das AGG setzt der Gestaltungsfreiheit grundsätzlich keine Grenze (s. Rz. 9). Beteiligt sich ein Gesellschafter, dem die erforderliche Qualifikation fehlt, an dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages, hat ein solcher Verstoß gegen die Satzung keine Außenwirkung. Das Registergericht darf die Eintragung nicht gemäß § 9c ablehnen438. In der Regel zielt eine entsprechende Satzungsklausel aber nicht auf die Gründungsgesellschafter, sondern auf potentielle Erwerber von Geschäftsanteilen, die durch Anteilsabtretung oder im Wege der Rechtsnachfolge von Todes wegen in den Gesellschafterkreis eintreten. Um eine wirksame Anteilsübertragung zu vermeiden, muss eine Vinkulierungsklausel (§ 15 Abs. 5) in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden439. Der Übergang von Geschäftsanteilen im Wege der Rechtsnachfolge von Todes wegen kann hingegen nicht mit dinglicher Wirkung ausgeschlossen werden. Die Gestaltungspraxis sieht für diesen Fall Einziehungsregelungen vor. Das Fehlen der gesellschaftsvertraglich vorgeschriebenen Eigenschaften bei einem Gesell- 83 schafter kann einem Mitgesellschafter vor Eintragung der Gesellschaft ein Recht zur Anfechtung seiner Beitrittserklärung geben (§§ 119, 123 BGB). Mit Invollzugsetzung der Vorgesellschaft tritt die Auflösungserklärung entsprechend § 723 Abs. 1 Satz 2 BGB (ab dem 1.1.2024: § 725 Abs. 1 BGB n.F.) an die Stelle des Anfechtungsrechts440. Nach Eintragung der Gesellschaft kann das Fehlen der fraglichen Eigenschaft bei einem Gesellschafter allenfalls zu dessen Ausschließung, zur Einziehung seiner Geschäftsanteile auf der Grundlage einer vertraglichen Einziehungsregelung oder zur Auflösung der Gesellschaft führen (§ 61),

433 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 263 f. = NJW 1960, 285; BGH v. 26.11.1979 – II ZR 104/77, BGHZ 75, 334, 335 f. = GmbHR 1980, 28; BGH v. 20.2.1989 – II ZR 167/88, BGHZ 107, 7, 11 f. = GmbHR 1989, 196; BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72, 74 f. = GmbHR 2004, 302. 434 S. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 31; Ulmer in FS Odersky, S. 873, 891 ff.; Roth/Thöni in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 245, 267 ff.; Armbrüster, GmbHR 2001, 1021, 1026 ff.; Ehlke, DB 1985, 795; Geyrhalter, ZIP 1999, 647, 648 f.; Ulmer, ZHR 156 (1992), 377, 381 ff.; s. auch Karsten Schmidt, GesR, § 61 III 3 b (S. 1830 ff.). 435 S. etwa Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 178 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72 ff. 436 Zur Vorsicht mahnt insoweit Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 148 Fn. 598. 437 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 30. 438 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 38; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 148; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 31. 439 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 38; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 31. 440 C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 29, offenbar allerdings für die direkte Anwendung der Norm.

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§ 2 Rz. 83 | Form des Gesellschaftsvertrages während § 75 nicht anwendbar ist441. Dies gilt jedoch nicht, wenn den Gründern bei Abschluss des Gesellschaftsvertrages bekannt war, dass bei einem oder mehreren Gründern die vom Vertrag geforderten Voraussetzungen fehlten442. Gültigkeit behält die Klausel dann aber immerhin für später beitretende Gesellschafter443. Verliert ein Gesellschafter nachträglich die erforderliche Qualifikation, kommt ebenfalls nur seine Ausschließung aus wichtigem Grund, die Einziehung seiner Geschäftsanteile oder eine Auflösung gemäß § 61 in Betracht.

VI. Mängel des Gesellschaftsvertrages und des Beitritts Schrifttum: S. die Erläuterungen zu § 75 sowie Anton, Nichtige GmbH-Satzung, GmbHR 1973, 75; E. Dörr, Die fehlerhafte GmbH, 1989; Gonella, Neubildung eines Anteils an Stelle eines nicht entstandenen Geschäftsanteils, GmbHR 1965, 30; Habersack/Verse, Europäisches Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2011; Hahn, Der Einfluss von Willensmängeln auf Gründungs- und Beitrittserklärungen zu juristischen Personen, 1911; Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen, DStR 2004, 185; Lobedanz, Der Einfluß von Willensmängeln auf Gründungs- und Beitrittsgeschäfte, 1938; Moses, Über unwirksamen Beitritt zu einer GmbH, JherJb 53 (1908), 395; Palzer, Kartellbefangene Gesellschaftsverträge: Anwendungsfall der Lehre von der fehlerhaften Gesellschaft?, ZGR 2012, 631; Paschke, Die fehlerhafte Korporation, ZHR 155 (1991), 1; Ruth, Eintritt und Austritt von Mitgliedern, ZHR 88 (1926), 454; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002; O. Schultz, Das Kontinuitätsprinzip im Gesellschaftsrecht, NZG 1999, 89; O. Schultz, Die Behebung einzelner Mängel von Organisationsakten in Kapitalgesellschaften: Eine Darstellung für die Aktiengesellschaft und die Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1997; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaften, 1998; Ullrich, Registergerichtliche Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen und Satzungsänderungsbeschlüssen, 2006; Wünsch, Die Bedeutung des FGG für die GmbH und deren Eintragungen im Handelsregister, GesRZ 1982, 155.

1. Überblick 84 Der Gesellschaftsvertrag ist im Ausgangspunkt ein Vertrag (s. Rz. 3), für dessen Abschluss

grundsätzlich alle Vorschriften des BGB über die Abgabe von Willenserklärungen und über den Abschluss von Verträgen gelten (Rz. 6). Ebenso anwendbar sind im Prinzip die Vorschriften über die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit von Willenserklärungen und Verträgen (§§ 119, 120, 123, 125, 134, 138 BGB). Die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften sind jedoch primär auf reine Schuldverhältnisse zugeschnitten und können nicht ohne Modifikationen auf den GmbH-Gesellschaftsvertrag angewandt werden. Es wäre mit den Verkehrsinteressen Dritter und dem Bestandschutzinteresse der Gesellschafter regelmäßig nicht vereinbar, wenn der durch den Gesellschaftsvertrag geschaffenen Organisation rückwirkend die Anerkennung versagt werden würde, nachdem die Gesellschaft ins Leben getreten ist. Ob und in welcher Weise die allgemeinen Vorschriften einer Modifikation bedürfen, hängt von der Art des Mangels und der Phase ab, innerhalb derer der Mangel zu Tage tritt. Zudem ist zwischen Mängeln des Gesellschaftsvertrages und Mängeln des Beitritts zur Gesellschaft zu unterscheiden444.

441 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149. 442 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 26; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 31. 443 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 149; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98. 444 Kritisch insofern jedoch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 219.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 86 § 2

2. Mängel des Gesellschaftsvertrages a) Gründungsphase Die erste Phase ist die möglicherweise kurze Zeitspanne zwischen der Errichtung der Gesell- 85 schaft durch Abschluss des Gesellschaftsvertrages und dem Vollzug der Vorgesellschaft durch Aufnahme ihrer Tätigkeit oder Leistung der Einlagen (s. Rz. 86). (Nur) in dieser Zeitspanne besitzen die Vorschriften des BGB über die Nichtigkeit oder Vernichtbarkeit von Willenserklärungen oder Verträgen uneingeschränkte Gültigkeit445. Für Verstöße gegen die Formvorschriften des § 2 Abs. 1 und 2 (§ 125 BGB) ist das schon im Einzelnen ausgeführt worden (s. Rz. 24, 36). In diesem Zeitabschnitt wird auch noch nicht zwischen den Mängeln des Gesellschaftsvertrages und „bloßen“ Mängeln der Beitrittserklärungen einzelner Gründer unterschieden. Stattdessen zieht jeder Mangel, der nach dem BGB die Nichtigkeit eines Vertrages zur Folge hat, auch die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages nach sich. In der Gründungsphase ist ferner noch eine Anfechtung der Beitrittserklärungen durch einen oder mehrere Gründer nach den §§ 119, 123 BGB mit der Folge möglich, dass der Vertrag ex tunc nichtig ist, da bereits die Nichtigkeit der Willenserklärung eines einzigen Gründers zur Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrages führt (§ 142 Abs. 1 BGB)446. Anders verhält es sich, wenn nur einzelne Klauseln des Gesellschaftsvertrages gegen die §§ 134 und 138 BGB verstoßen. Entgegen § 139 BGB ist in diesem Fall anzunehmen, dass der Gesellschaftsvertrag im Übrigen grundsätzlich wirksam ist447. Nur im Einzelfall, wenn eine Klausel derart wichtig ist, dass der Gesellschaftsvertrag mit dieser „steht und fällt“, kann sich das gegenteilige Ergebnis ergeben (s. jedoch zur Rechtslage nach Eintragung Rz. 91)448. Betrifft die Nichtigkeit jedoch eine notwendige Satzungsbestimmung gemäß § 3 Abs. 1, ist der Gesellschaftsvertrag stets nichtig449. b) Vollzug der Vorgesellschaft Von der Gründungsphase (Rz. 85) ist die Zeitspanne zwischen dem Vollzug der Vorgesell- 86 schaft und der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister zu unterscheiden450. Zwar sind in dieser Zeit noch nicht die Vorschriften des Gesetzes über den Bestandsschutz eingetragener Gesellschaften entsprechend anwendbar (§§ 75 ff.), wohl aber die Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft in der Zeit nach Vollzug des Gesellschaftsvertrages451. Der Vollzug der Vorgesellschaft tritt spätestens ein, wenn sie im Außenverhältnis ihre Tätigkeit auf-

445 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 65; Altmeppen, Rz. 39. 446 Busche in MünchKomm. BGB, § 142 BGB Rz. 15. 447 Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 9c Rz. 26; Wicke, Rz. 10; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 139; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 131; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 208. A.A. Emmerich, 11. Aufl., Rz. 67; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38. 448 Auch diejenigen, die § 139 BGB für nicht einschlägig halten, kommen dann i.d.R. zur Gesamtnichtigkeit, s. etwa Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 9c Rz. 56; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 143; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 9c Rz. 26. 449 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 139; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38. 450 Gegen einen Bestandsschutz vor Eintragung aber OLG Dresden v. 17.6.1996 – 2 U 546/96, GmbHR 1997, 746, 748. 451 S. 13. Aufl., § 11 Rz. 28 sowie für Formmängel schon Rz. 24; BGH v. 27.1.2015 – KZR 90/13, GmbHR 2015, 532 = NZG 2015, 478; OLG Dresden v. 17.12.1997 – 12 U 2364/97, GmbHR 1998, 186, 188 f. (zum fehlerhaften Gesellschafterwechsel in der Vor-GmbH); Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 39; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Kort, Bestandsschutz, S. 31, 43, 46 f.; Altmeppen, Rz. 40; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 65; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 149 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 6 II 1d (S. 143).

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§ 2 Rz. 86 | Form des Gesellschaftsvertrages genommen hat, wozu bereits der Abschluss von Vorbereitungsgeschäften genügt452. Ausreichend ist aber auch bereits die Leistung der Mindesteinlagen gemäß § 7 Abs. 2, 3453. Darüber hinaus genügt es ganz allgemein, wenn „das Organisationsgefüge in Gang gesetzt worden ist“, d.h. wenn die Gesellschaft zu leben begonnen hat, insbesondere durch die Fassung von Beschlüssen in Gesellschafterversammlungen454. 87 Ab dem Zeitpunkt des Vollzugs der Vorgesellschaft führen Willensmängel und sonstige

Nichtigkeitsgründe grundsätzlich nur noch zur Auflösung der Vorgesellschaft ex-nunc mit der Folge ihrer Abwicklung, sofern nicht zwischenzeitlich Heilung eingetreten ist455. Umstritten ist, welchen Weg die Gesellschafter einschlagen müssen, wenn sie den Mangel des Gesellschaftsvertrages geltend machen wollen. Hierfür genügt nach zutreffender h.M. eine Auflösungserklärung entsprechend § 723 Abs. 1 Satz 2 BGB (ab dem 1.1.2024: § 725 Abs. 1 BGB n.F.)456, wobei diese gegenüber den Mitgesellschaftern zu erklären ist457. Die sich daran anschließende Abwicklung der Gesellschaft richtet sich nach heute h.M. entsprechend den §§ 66 ff., soweit diese nicht die Eintragung voraussetzen458. 88 Hinsichtlich des Prüfungsumfangs des Registergerichts ist § 9c Abs. 2 zu beachten. Soweit

einer der in § 9c Abs. 2 Nr. 1 oder 2 genannten Satzungsmängel vorliegt, zieht dies die Ablehnung des Eintragungsantrags nach sich. Umstritten ist, in welchen Fällen das Registergericht auf der Grundlage von § 9c Abs. 2 Nr. 3 die Eintragung wegen der Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages ablehnen darf. Da die Gesellschaft spätestens mit ihrer Anmeldung zum Handelsregister, die die Leistung der Mindesteinlagen voraussetzt (§ 7 Abs. 2, 3), in Vollzug gesetzt wird (Rz. 86), stellt sich die Frage, wie sich die Prüfungskompetenz des Registergerichts zu den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft verhält. Hierzu wird vertreten, dass das Registergericht dann, wenn die (Vor-)Gesellschaft nach den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft als wirksam anzusehen ist, die Eintragung nur ablehnen darf, wenn sich ein Ge-

452 Vgl. BGH v. 12.5.1954 – II ZR 167/53, BGHZ 13, 320, 321 f. = NJW 1954, 1562, wobei im konkreten Fall auch die Einlagen geleistet waren. 453 BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 40 = GmbHR 1992, 34 = NJW 1992, 505; vgl. auch RG v. 13.1.1941 – II 88/40, RGZ 166, 51, 58 f.; BGH v. 12.5.1954 – II ZR 167/53, BGHZ 13, 320, 321 f. = NJW 1954, 1562; wobei die Gesellschaft in diesen Fällen auch schon nach außen hin aufgetreten war; s. weiter Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 208; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 132; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; a.A. C. Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 BGB Rz. 342. 454 BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 40 = GmbHR 1992, 34 = NJW 1992, 505; Karsten Schmidt, GesR, § 6 III 1 b (S. 148). 455 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 209. 456 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 145; teils wird die Auflösungserklärung auch als Kündigung bezeichnet, so BGH v. 27.1.2015 – KZR 90/13, GmbHR 2015, 532 = NZG 2015, 478 (allerdings ohne Hinweis auf § 723 Abs. 1 Satz 2 BGB); C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 113; s. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 210: Auflösungserklärung durch außergerichtliche Kündigung; für die Auflösungsklage analog § 61 hingegen Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 70; dagegen – allerdings zur AG und nicht zu einem Fall der fehlerhaften Gesellschaft – BGH v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270, 281 = NJW 2007, 589; missverständlich J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 133 einerseits und Rz. 139 andererseits. 457 Anders (Kündigung gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern) Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 210; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 56. 458 BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, LM Nr. 49 zu § 50 ZPO = NJW 1998, 1079, 1080 = GmbHR 1998, 185; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 39; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 113; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 210; Altmeppen, Rz. 40; s. zur AG auch BGH v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270, 281 = NJW 2007, 589 = ZIP 2006, 2267; für die Anwendung der §§ 730 ff. BGB noch BGH v. 24.10.1968 – II ZR 216/66, BGHZ 51, 30, 34 = NJW 1969, 509; ebenso Kort, Bestandsschutz, S. 46.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 89 § 2

sellschafter auf den Mangel des Gesellschaftsvertrages beruft459. Dafür spricht, dass die Rechtsordnung eine (Vor-)Gesellschaft nicht einerseits als wirksam und andererseits als unwirksam (§ 9c Abs. 2 Nr. 3) behandeln kann. Dennoch ist die Prüfungs- und Ablehnungskompetenz des Registergerichts zu bejahen460. Ein Gericht darf nicht sehenden Auges einer Gesellschaft, die an einem derart schwerwiegenden Mangel leidet, dass der Gesellschaftsvertrag insgesamt nichtig ist (s. zur Unwirksamkeit einzelner Klauseln Rz. 85), zur Eintragung verhelfen. Das Interesse des Rechtsverkehrs und das Bestandsschutzinteresse der Gesellschafter rechtfertigen es nicht zwingend, einer Gesellschaft, die auf der Grundlage eines nichtigen Gesellschaftsvertrages errichtet wurde, kraft Staatsaktes461 einen erhöhten Bestandsschutz zukommen zu lassen. Die Gesellschafter haben es in vielen Fällen in der Hand, den Gesellschaftsvertrag zu heilen. Sehen sie davon ab, müssen sie mit der Ablehnung der Eintragung rechnen. Hierfür spricht zuletzt, dass das Registergericht andernfalls aufklären müsste, ob sich ein Gesellschafter tatsächlich auf den Mangel berufen hat. Da der Mangel jedoch aus der Sphäre der Gesellschafter stammt, erscheint es interessengerechter, dass das Gericht von der Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages ausgehen darf, es sei denn, die Heilung wird ihm gegenüber nachgewiesen. Nicht gesagt ist allerdings, dass das Gericht in jedem Fall die erforderliche Kenntnis von der Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages hat. Gesellschafter, die die Eintragung verhindern und den Gesellschaftsvertrag z.B. anfechten wollen, müssen deshalb zur Vermeidung von Rechtsverlusten rechtzeitig der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister entgegentreten. Möglich ist insbesondere die Erwirkung einer entsprechenden einstweiligen Verfügung nach den §§ 935 ff. ZPO462. c) Nach Eintragung Mit der Eintragung in das Handelsregister entsteht die Gesellschaft, die ab diesem Zeitpunkt 89 einen weitgehenden Bestandsschutz genießt. Diese Rechtsfolge ist im Interesse des Gläubigerschutzes geboten, weil andernfalls die Einlagen entgegen der Regelung in § 30 Abs. 1 an die Gesellschafter ausgezahlt werden dürften463. Daher führen selbst schwerwiegende Mängel des Gesellschaftsvertrages nur unter den Voraussetzungen des § 75 dazu, dass ein Gesellschafter Nichtigkeitsklage erheben kann. Die Folge der Nichtigkeitsklage ist nicht die Nichtigkeit im bürgerlich-rechtlichen Sinne, sondern die Abwicklung der Gesellschaft gemäß den Regeln über die Auflösung (§ 77 Abs. 1). Liegt ein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75 nicht vor, scheidet auch ein Amtslöschungsverfahren nach § 397 Satz 2 FamFG aus464. Dasselbe gilt für eine Amtslöschung nach § 395 FamFG465. Möglich bleibt aber in bestimmten Fällen das Beanstandungsverfahren nach § 399 Abs. 4 FamFG, das zur Auflösung der Gesellschaft nach Maßgabe von § 60 Abs. 1 Nr. 6 führt (s. 12. Aufl., § 60 Rz. 41 ff.)466.

459 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 9c Rz. 56; Ullrich, Registergerichtliche Inhaltskontrolle, S. 101 ff., 108 ff. 460 S. 13. Aufl., § 9c Rz. 17 sowie Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 38 und 39. 461 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 205. 462 RG v. 10.6.1913 – Rep. II 95/13, RGZ 82, 375, 379 f.; LG Heilbronn v. 8.9.1971 – 1 KfH O 125/71, AG 1971, 372; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 140; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 573; s. im Einzelnen Littbarski, Einstweiliger Rechtsschutz im Gesellschaftsrecht, 1996. 463 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 142; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 211. 464 BGH v. 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 381 f. = NJW 1957, 19, 20; KG v. 6.5.1968 – 1 W 2370/67, OLGZ 1968, 477, 482 ff. = GmbHR 1968, 182. 465 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 213; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 41; anders jedoch bei Vorliegen wesentlicher Verfahrensmängel, z.B. fehlender Eintragungsantrag, Haas in Noack/Servatius/Haas, Anh. § 77 Rz. 19; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 141; offen gelassen von Altmeppen, § 75 Rz. 42. 466 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 42; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 214.

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§ 2 Rz. 90 | Form des Gesellschaftsvertrages 90 Alle anderen Mängel sind nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister grund-

sätzlich unbeachtlich (s. zum unwirksamen Beitritt noch Rz. 93 ff.). Man spricht daher davon, dass die Mängel durch die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister „geheilt“ werden467. Gegen diese Formulierung ist nichts einzuwenden (s. zur Heilung wegen eines Formmangels oder Mangels der Gründungsvollmacht bereits Rz. 25 sowie 38). Die Heilung darf aber nicht in dem Sinne verstanden werden, dass sämtliche Klauseln des Gesellschaftsvertrages mit der Eintragung wirksam werden. Einzelne Klauseln können trotz Eintragung sehr wohl nichtig sein, insbesondere wenn sie gegen die §§ 134, 138 BGB verstoßen (z.B. unwirksame Einziehungsregelungen)468. Sie lassen nach Eintragung jedoch den Bestand der Gesellschaft und auch den Gesellschaftsvertrag im Übrigen unberührt (s. zu § 139 BGB vor Eintragung Rz. 85). Nach Ablauf von drei Jahren seit der Eintragung der Gesellschaft kann sogar die nichtige Klausel analog § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG geheilt werden469. 91 Umstritten ist, ob sich der Bestandsschutz der Gesellschaft auch bei schwerwiegenden Ver-

stößen gegen die §§ 134, 138 BGB, insbesondere bei Verfolgung gesetz- oder sittenwidriger Zwecke durch die Gesellschaft, durchsetzt. Als Beispiel dienen Gesellschaften, die auf die Steuerhinterziehung ausgelegt sind oder deren Tätigkeit gegen das Kartellverbot (§ 1 GWB, Art. 101 AEUV) verstößt470. Fehlerhaften Personengesellschaften wird in diesen Fällen auch nach Vollzug des Gesellschaftsvertrages nach h.M. die Anerkennung versagt471. Es besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass eine GmbH auch in den vorgenannten Fällen durch die Eintragung in das Handelsregister wirksam entsteht472. Hierfür sprechen Gesichtspunkte des Gläubigerschutzes473, insbesondere der Umstand, dass die Gründer bei Nichtanerkennung der Gesellschaft und der damit einhergehenden Befreiung von ihrer Einlageverpflichtung besser stünden als im Fall ihrer Anerkennung474. Allerdings soll im Fall von schwerwiegenden Verstößen gegen die §§ 134, 138 BGB nach teilweise vertretener Auffassung die Erhebung der Nichtigkeitsklage gemäß § 75 bzw. eine Amtslöschung gemäß § 397 Satz 2 FamFG möglich sein475. Dies wird damit begründet, dass in den besprochenen Fällen aufgrund der Gesamtnichtigkeit des Gesellschaftsvertrages auch die Nichtigkeit des Unternehmensgegen467 Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 60. 468 Altmeppen, Rz. 43; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 43. 469 BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 368 = NJW 2000, 2819 = GmbHR 2000, 822 = AG 2000, 515; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 216; ablehnend im Zusammenhang mit nichtigen Abfindungsregelungen Winkler, GmbHR 2016, 519. 470 S. zu diesen Beispielen C. Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 BGB Rz. 345; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 217. 471 BGH v. 25.3.1974 – II ZR 63/72, BGHZ 62, 234, 241 = NJW 1974, 1201; BGH v. 21.3.2005 – II ZR 310/03, NJW 2005, 1784, 1785; Sprau in Grüneberg, § 705 BGB Rz. 18a; a.A. jedoch C. Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 BGB Rz. 345; speziell zur Behandlung kartellrechtswidriger Personengesellschaften Theurer, BB 2013, 137; Wessels, ZIP 2014, 101; Wessels, ZIP 2014, 857; Karsten Schmidt, BB 2014, 515; Karsten Schmidt, ZIP 2014, 863. 472 RG v. 14.12.1928 – II 143/28, RGZ 123, 102, 106 ff.; RG v. 13.5.1929 – II 313/28, RGZ 124, 279, 287 ff.; RG v. 28.1.1930 – II 159/29, RGZ 127, 186, 191; KG v. 6.5.1968 – 1 W 2370/67, OLGZ 1968, 477, 481 = GmbHR 1968, 182; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75 (zu sittenwidrigen Beitrittserklärungen); C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 282 ff.; Karsten Schmidt, BB 2014, 515, 516; Spiering/Hacker, RNotZ 2014, 349, 351. 473 S. zu diesem Argument auch im Zusammenhang mit der fehlerhaften Personengesellschaft C. Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 BGB Rz. 345. 474 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 216. 475 S. etwa Emmerich, 11. Aufl., Rz. 84; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 143; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 62 (jedoch ohne die Einschränkung auf schwerwiegende Verstöße und zugleich für die Anwendung von § 399 Abs. 4 FamFG); Wessels, ZIP 2014, 101, 102; ebenso Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 216 f., der entgegen der hier vertretenen Auffassung (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 44 ff.) offenbar im Fall eines gesetz- oder sittenwidrigen Gesellschaftszweck zugleich die Nichtigkeit des Unternehmensgegenstandes annimmt.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 92 § 2

standes die Folge sei und damit der Rückgriff auf § 75 GmbHG und § 397 Satz 2 FamFG in Betracht komme476. Diese Auffassung überzeugt in dieser Allgemeinheit nicht. Es ist vielmehr zu differenzieren: Betrifft die Gesetz- oder Sittenwidrigkeit den Unternehmensgegenstand, weil (auch) dieser für sich betrachtet gegen die §§ 134, 138 BGB verstößt, kommen die Nichtigkeitsklage gemäß § 75 sowie die Amtslöschung gemäß § 397 Satz 2 FamFG unzweifelhaft in Betracht. Sofern der Unternehmensgegenstand für sich betrachtet aber nicht zu beanstanden ist, scheidet der Rückgriff auf § 75 und § 397 Satz 2 FamFG aus. Dies gilt insbesondere dann, wenn (nur) der Gesellschaftszweck unzulässig ist (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 45). Dasselbe gilt, wenn einzelne Klauseln in schwerwiegender Weise gegen die §§ 134, 138 BGB verstoßen und die Gesellschafter den Gesellschaftsvertrag ohne diese Bestimmungen nicht geschlossen hätten477. In diesem Fall kann zwar vor Eintragung der Gesellschaft in seltenen Fällen die Gesamtnichtigkeit des Gesellschaftsvertrages die Folge sein, auch wenn § 139 BGB keine Anwendung findet (s. Rz. 85). Spätestens die Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister bewirkt aus Gründen des Bestandsschutzes jedoch die Heilung der „infizierten“ Teile des Gesellschaftsvertrages478. Eine Gesamtnichtigkeit unter Einschluss des Unternehmensgegenstandes liegt damit nicht vor479. Ein anderes Ergebnis wäre auch mit der Publizitätsrichtlinie 2009 (PublRL)480 nicht vereinbar. Art. 12 PublRL benennt die Nichtigkeitsgründe abschließend und lässt die Nichtigkeit nur bei solchen Gesellschaften zu, deren „tatsächliche(r)“ Gegenstand gesetzwidrig ist oder gegen die öffentliche Ordnung verstößt. Damit kommt in Ermangelung eines nichtigen Unternehmensgegenstandes lediglich die Auflösung gemäß § 61 und ein Verfahren gemäß § 62 in Betracht481.

3. Die fehlerhafte Beitrittserklärung Die fehlerhafte Beitrittserklärung eines Gründers ist bis zur Eintragung der Gesellschaft in 92 das Handelsregister entsprechend den vorstehenden Grundsätzen zu behandeln, d.h. bis zur Invollzugsetzung der Gesellschaft gelten die allgemeinen Regeln des BGB (Rz. 85), während ab dem Vollzug die Grundsätze über die fehlerhafte Gesellschaft Anwendung finden (Rz. 86)482. Ist die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen, kann sich der fehlerhaft beigetretene Gesellschafter grundsätzlich nicht mehr auf den Mangel berufen. Er ist Gesellschafter der GmbH geworden (Rz. 99). Eine Ausnahme gilt bei Vorliegen schwerwiegender Beitrittsmängel (Rz. 93 ff.). Entsprechende Grundsätze gelten bei Mängeln einer Kapitalerhöhung (s. 12. Aufl., § 57 Rz. 51 ff.). Anders verhält es sich bei Mängeln der Anteilsabtretung (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 103). Kein Fall des fehlerhaften Beitritts ist schließlich die Beitrittserklärung des Gründers, die dem Risiko der Gläubiger- oder Insolvenzanfechtung nach dem AnfG oder der InsO (§§ 129 ff. InsO) ausgesetzt ist483. In diesem Fall ist die Beitrittserklärung des Gesellschafters wirksam, aber es stellt sich die Frage, ob die Einlageleistung den Anfechtungsregelungen unterliegt. Nach zutreffender h.M. steht § 30 einer Anfechtung nicht 476 So Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 143 für den Fall des Verstoßes einer Klausel gegen die §§ 134, 138 BGB, wenn diese von so zentraler Bedeutung ist, dass der Gesellschaftsvertrag ohne sie keinen Bestand haben kann. 477 S. zu diesem Fall Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 143. 478 S. dazu im Zusammenhang mit der GbR C. Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 BGB Rz. 344. 479 So auch mehrheitlich die Kommentierungen zu § 75 und § 397 FamFG, s. etwa Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 75 Rz. 14; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, § 75 Rz. 14; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 75 Rz. 4; Altmeppen, § 75 Rz. 18; Hillmann in MünchKomm. GmbHG, § 75 Rz. 7; Heinemann in Keidel, § 397 FamFG Rz. 8. 480 RL 2009/101/EG vom 16.9.2009, ABl. Nr. L 258 v. 1.10.2009, S. 11. 481 S. 12. Aufl., § 75 Rz. 12 sowie Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 75 Rz. 14 mit dem Hinweis auf die Möglichkeit einer Auflösungsanordnung durch das Bundeskartellamt. 482 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 218 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 146. 483 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 248 f.

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§ 2 Rz. 92 | Form des Gesellschaftsvertrages entgegen484. Der Gesellschafter bleibt nach Rückgewähr der in anfechtbarer Weise erbrachten Einlage zur (erneuten) Einlageleistung verpflichtet. a) Trotz Eintragung unwirksame Beitrittserklärungen 93 In einer Reihe besonders schwerwiegender Mängel von Beitrittserklärungen einzelner Grün-

der ist nach weiterhin h.M. selbst nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister die Nichtigkeit der Willenserklärung anzunehmen. Hierbei handelt es sich um Fälle, in denen die Beitrittserklärung dem vermeintlichen Gesellschafter nicht zugerechnet werden kann485. Die Nichtigkeit beschränkt sich dann aber grundsätzlich auf die fragliche Willenserklärung. Der Gesellschaftsvertrag ist nicht insgesamt nichtig und die Gesellschaft entsteht als juristische Person durch Eintragung in das Handelsregister, allerdings nur mit den übrigen Gründern als Gesellschafter unter Ausschluss des fehlerhaft Beigetretenen, für den sich keine Bindungen ergeben486. Für eine Nichtigkeitsklage gemäß § 75 oder für eine Amtslöschung nach § 397 Satz 2 FamFG ist hier kein Raum (s. zu § 399 Abs. 4 FamFG unter Rz. 98)487, jedenfalls, solange wenigstens eine wirksame Beitrittserklärung übrig bleibt (s. Rz. 96). 94 Ein Anwendungsfall der hier besprochenen Fälle ist die Beitrittserklärung eines Geschäfts-

unfähigen, die unheilbar nichtig ist (§ 105 BGB). Schwebend unwirksam und ohne Wirkung ist entgegen einer neueren Auffassung488 auch die Beitrittserklärung einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person infolge mangelnder Einwilligung des gesetzlichen Vertreters (§ 107 BGB), Ergänzungspflegers (§ 1909 BGB; § 1809 BGB n.F.) oder des Familiengerichts (§ 1822 Nrn. 3 und 10 BGB; ab dem 1.1.2023 nur noch § 1852 Nr. 2 BGB n.F. s. Rz. 50 f.)489. Der Vorrang des Minderjährigenschutzes vor den Erwägungen der Rechtssicherheit ist ein feststehender Grundsatz des deutschen Privatrechts, der auch im vorliegenden Zusammenhang keine Einschränkungen duldet. Die Beteiligung einer in der Geschäftsfähigkeit beschränkten Person bleibt unter den genannten Voraussetzungen ohne Folgen. Ist der Minderjährige der einzige Gesellschafter, muss allerdings aufgrund der zwingenden Vorgaben der Publizitätsrichtlinie 2009 die Gesellschaft als wirksam behandelt werden (s. Rz. 96). Die schwebend unwirksame Erklärung des beschränkt Geschäftsfähigen kann jedoch infolge der Genehmigung des gesetzlichen Vertreters, des bestellten Ergänzungspflegers in den Fällen des § 1909 BGB (§ 1809 BGB n.F.) oder der Genehmigung des Familiengerichtes noch wirksam werden (s. bereits Rz. 51). Im Interesse der Rechtssicherheit kann eine Genehmigung aber nur bis zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister erfolgen490. Danach steht

484 So etwa Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 248 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 186 ff. 485 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 220; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 153; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 573 f. 486 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 147; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 67; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44. 487 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 155; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45. 488 C. Schäfer in MünchKomm. BGB, § 705 BGB Rz. 346 ff.; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, S. 269 ff.; jeweils für die bloße Beschränkung der Minderjährigenhaftung entsprechend § 1629a BGB; anders auch Karsten Schmidt, GesR, § 6 III 3 c, cc (S. 152 ff.). 489 In diesem Sinne RG v. 8.5.1908 – Rep. II 628/07, RGZ 68, 344, 352; RG v. 6.4.1935 – II B 5/34, RGZ 147, 257, 271 f.; BGH v. 30.4.1955 – II ZR 202/53, BGHZ 17, 160, 166 f. = NJW 1955, 1067; BGH v. 21.1.1980 – II ZR 153/79, LM Nr. 4 zu § 108 BGB = GmbHR 1980, 299 = BB 1980, 857 = WM 1980, 866; BGH v. 17.2.1992 – II ZR 100/91, LM Nr. 59 zu § 705 BGB = NJW 1992, 1503, 1504; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 44; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 221; Altmeppen, Rz. 41, 45; Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 73. 490 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 152; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 221, 241, anders jedoch in Rz. 108. A.A. (Genehmigung auch nach Eintragung der Gesellschaft noch

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 97 § 2

endgültig fest, dass der Geschäftsanteil nicht zur Entstehung gelangt ist. Der beschränkt Geschäftsfähige kann weiter an der GmbH beteiligt werden, allerdings nur noch nach Maßgabe des in Rz. 98 beschriebenen Verfahrens. Dieselben Grundsätze gelten im Fall der Beteiligung eines Betreuten bei Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts ohne Mitwirkung des Betreuers oder des Betreuungsgerichts (s. Rz. 53). Ebenso zu behandeln sind Fälle, in denen die Unterschrift des Beitretenden gefälscht wird491 95 sowie Fälle, in denen der Beitritt durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt (§ 123 BGB) erzwungen wird492. Auch der vollmachtlos Vertretene wird nicht wirksam an der GmbH beteiligt. Im Fall des Widerrufs der durch den Vollmachtgeber ursprünglich erteilten Vollmacht gelten die §§ 169 ff. BGB493. Gleich steht ferner das Fehlen der Zustimmung des anderen Ehegatten in den Fällen der §§ 1365, 1423, 1487 BGB, jedenfalls, wenn die Verpflichtung eines Gesellschafters zur Erbringung einer Sacheinlage, für die anderen Gesellschafter erkennbar, sein gesamtes Vermögen oder das Gesamtgut umfasst (sog. subjektive Theorie), während in den Fällen der §§ 1424, 1487 BGB an die Stelle der unwirksamen Verpflichtung zur Einbringung eines Grundstücks die Pflicht zu einer entsprechenden Geldeinlage tritt494. Problematisch ist die Behandlung des Falles, in dem sämtliche Beitrittserklärungen un- 96 wirksam sind. In diesem Fall sollte nach bisherigem Verständnis weder eine Vorgesellschaft noch durch Eintragung im Handelsregister eine GmbH entstehen. Stattdessen sollte eine Scheingesellschaft vorliegen, die als gegenstandslos von Amts wegen zu löschen ist (s. die Nachweise 13. Aufl., § 1 Rz. 65). Richtigerweise entsteht die Mehrpersonen-GmbH aber auch in diesem Fall. Analog § 75 kann Nichtigkeitsklage erhoben werden und es kommt eine Amtslöschung gemäß § 397 Satz 2 FamFG in Betracht (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 65). Rechtsfolge (s. bereits Rz. 93) des unwirksamen Beitritts ist, dass der Beitretende nicht zur 97 Leistung der von ihm versprochenen Einlage verpflichtet ist und bereits erbrachte Einlageleistungen nach § 812 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 BGB kondiziert werden können495; dasselbe gilt umgekehrt für Leistungen der Gesellschaft an den vermeintlichen Gesellschafter. Die Einschränkungen der §§ 30 ff. gelten hier nicht, da der Betreffende rechtlich in keiner Hinsicht als Gesellschafter zu behandeln ist. Die übrigen Gesellschafter haften in diesem Fall auch nicht für den Ausfall gemäß § 24, weil der betreffende Geschäftsanteil nie entstanden ist496. Allerdings findet § 30 insoweit Anwendung, als Zahlungen an die übrigen Gesellschafter erst nach Deckung der Stammkapitalziffer in Betracht kommen497.

491 492 493 494 495 496 497

möglich) Emmerich, 11. Aufl., Rz. 76; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 36; C. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 68; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 576 (zur vollmachtlosen Vertretung). Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 44; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 153; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 573. RG v. 8.5.1908 – Rep. II 628/07, RGZ 68, 344, 352; RG v. 6.4.1935 – II B 5/34, RGZ 147, 257, 271 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 153; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 573. KG v. 6.5.1968 – 1 W 2370/67, OLGZ 1968, 477, 481 ff. = GmbHR 1968, 182; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 153; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 226 mit Hinweis auch zum Fall der Anfechtung der Vollmacht. Diese Rechtsfolge soll sich nach Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 225 auch im Fall eines Verstoßes gegen § 1365 BGB ergeben können. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 45; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 574. Altmeppen, Rz. 48; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 78; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 45; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 239; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 574. A.A. Temme, RNotZ 2004, 2, 14. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 160.

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§ 2 Rz. 98 | Form des Gesellschaftsvertrages 98 Da der Geschäftsanteil des unwirksam Beigetretenen nicht entstanden ist498, fallen die

Stammkapitalziffer und die Summe der Nennbeträge der wirksam übernommenen Geschäftsanteile auseinander. Dies ist nach der Rechtsprechung des BGH zur Einziehung von Geschäftsanteilen499 trotz § 5 Abs. 3 Satz 2 nicht generell als unzulässig anzusehen500. Allerdings kann dieser Zustand nicht dauerhaft bestehen, weil das Stammkapital andernfalls nicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise aufgebracht werden würde. Daher ist hier Raum für das Beanstandungsverfahren gemäß § 399 Abs. 4 FamFG, d.h. die Gesellschaft kann aufgelöst werden, wenn die Gesellschafter den Mangel trotz Aufforderung nicht rechtzeitig beheben501. Die Beseitigung der Divergenz kann in der Weise erfolgen, dass die Gesellschafter eine Kapitalherabsetzung beschließen502. Dies kommt freilich bei der nur mit dem Mindeststammkapital ausgestatteten GmbH nicht in Betracht. In diesem Fall kann die Gesellschafterversammlung die Bildung eines neuen Geschäftsanteils beschließen503. Der Beschluss muss nicht notariell beurkundet werden, weil die im Handelsregister eingetragene Stammkapitalziffer unberührt bleibt und es sich damit nicht um eine Satzungsänderung handelt504. Auch eine vorherige Kapitalherabsetzung ist nicht erforderlich505. Eines einstimmigen Beschlusses bedarf es nicht506, aufgrund der wirtschaftlichen Vergleichbarkeit mit einer Kapitalerhöhung aber zumindest entsprechend § 53 Abs. 2 Satz 1 einer Beschlussfassung mit Dreiviertelmehrheit, wenn über die Neubildung des Geschäftsanteils beschlossen wird507. Unproblematisch ist unter den vorgenannten Voraussetzungen die Übernahme des neu gebildeten Geschäftsanteils durch den ursprünglich fehlerhaft Beigetretenen (nach Wegfall oder Beseitigung des Unwirksamkeitsgrundes)508 oder durch ausschließlich übernahmewillige Gesellschafter. Die Mehrheit kann den Geschäftsanteil einem Gesellschafter aber nicht gegen dessen Willen zuweisen, auch nicht als gemeinschaftlichen Geschäftsanteil mit allen anderen Gesellschaftern, weil dies eine unzulässige Nachschusspflicht bzw. eine Haftung für den nicht entstandenen Geschäftsanteil zur Folge hätte509. Ein eigener Geschäftsanteil kann wegen § 33 Abs. 1 nicht gebildet werden. Problematisch ist es darüber hinaus, wenn ein übernahmewilliger Gesellschafter vom Bezug ausgeschlossen wird. Hier finden daher die Grundsätze über das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhungen Anwendung510. Die Übernahme erfolgt schließlich in der Form des § 55 Abs. 1511.

498 499 500 501 502 503 504 505 506 507 508 509 510

511

Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158. BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, GmbHR 2015, 416 = NJW 2015, 1385. S. auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 159. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 155. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 165. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 163; Altmeppen, Rz. 50; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 78. Vgl. BGH v. 6.6.1988 – II ZR 318/87, NJW 1989, 168, 169 = GmbHR 1988, 337; Altmeppen, Rz. 50; a.A. Clevinghaus, RNotZ 2011, 449, 464; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 576. Ebenso schon für die Einziehung KG v. 29.7.1943 – I Wx 258/43, DR 1943, 1230 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 45; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 78. A.A. Sieger/Mertens, ZIP 1996, 1493, 1499. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 163. S. zur Frage, ob ein entsprechender Anspruch des fehlerhaft Beigetretenen bestehen kann, Ulmer/ Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 152, 156 f. S. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 242, der aus diesem Grund eine „Zwangsbeteiligung“ als Reparaturansatz verwirft. S. auch Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 53 Rz. 122, allerdings auf der Grundlage des Gleichbehandlungsgrundsatzes; s. zum Bezugsrecht des GmbH-Gesellschafters Servatius in Noack/ Servatius/Haas, § 55 Rz. 20 ff.; s. zur vergleichbaren Diskussion im Zusammenhang mit der Veräußerung eigener Geschäftsanteile der Gesellschaft Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, § 33 Rz. 34 m.w.N. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 163; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; unrichtig Stenzel, GmbHR 2015, 567, 576: notariell „beurkundete“ Übernahmeerklärung.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 101 § 2

b) Durch Eintragung geheilte Beitrittsmängel Der Kreis der Mängel einer Beitrittserklärung, die nach Eintragung der Gesellschaft noch be- 99 achtlich sind, ist nach dem Gesagten klein (s. Rz. 93 ff.). Sämtliche anderen Mängel der Beitrittserklärung haben nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister grundsätzlich keine Auswirkungen auf den Beitritt des Gesellschafters512. Der Beitretende erlangt damit die Stellung eines Gesellschafters und ist entsprechend zur Leistung der Einlage verpflichtet513. Die „Heilung“ solcher Mängel bedeutet indessen nicht, dass sie als nicht geschehen anzusehen sind; vielmehr können die Mängel in anderen Beziehungen nach wie vor Rechtsfolgen nach sich ziehen, wobei in erster Linie an Schadensersatzansprüche des betroffenen Gesellschafters aus c.i.c. (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB) oder unerlaubter Handlung zu denken ist (s. Rz. 102). Je nach Fallgestaltung kommen außerdem ein Austritt des betroffenen Gesellschafters aus wichtigem Grund oder die Ausschließung anderer Gesellschafter in Betracht. Das Gesagte (zuvor Rz. 99) gilt insbesondere für die Anfechtbarkeit von Beitrittserklärungen 100 nach den §§ 119, 120, 123 BGB (anders bei Drohung mit Gewalt, Rz. 95)514. Die Eintragung der Gesellschaft führt selbst dann zur „Heilung“ des fraglichen Willensmangels, wenn ein Gründer nicht erkannt haben sollte, dass es sich bei seiner Erklärung um eine Beitrittserklärung handelt515 oder wenn ihm sogar das Erklärungsbewusstsein fehlte516. Beide Fälle dürften angesichts der erforderlichen Mitwirkung des Notars (§ 2 Abs. 1 und 2) jedoch keine praktische Bedeutung haben. Es spielt außerdem keine Rolle, ob die Anfechtung bereits vor Eintragung der Gesellschaft erklärt worden ist. Kommt es trotz der Erklärung der Anfechtung gegenüber den anderen Gründern (§ 143 Abs. 1 BGB) zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister, entsteht die Gesellschaft und die bereits erklärte Anfechtung verliert ihre Wirkung517. Der anfechtende Gesellschafter muss deshalb das Handelsregister von der Anfechtung in Kenntnis setzen oder durch die Erwirkung einer einstweiligen Verfügung das Registergericht an der Eintragung der Gesellschaft hindern, will er die „Heilung“ des Willensmangels durch Eintragung vermeiden (s. Rz. 88). Ebenso zu behandeln sind Beitrittserklärungen, die unzulässigerweise518 unter einer Bedin- 101 gung oder Befristung abgegeben werden. Die Beitrittserklärung ist in diesem Fall zwar unheilbar519 nichtig mit der Folge, dass eine Eintragung in das Handelsregister nicht erfolgen darf. Wird jedoch die Gesellschaft unter Verkennung der Rechtslage eingetragen, wird der

512 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 44; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 245 f.; SchmidtLeithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 71; C. Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, passim, bes. S. 282 ff. 513 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43. 514 Grdl. RG v. 16.5.1904 – Rep. I 153/03, RGZ (VZS) 57, 292, 297 ff.; RG v. 4.4.1916 – Rep. II 427/15, RGZ 88, 187, 188; BGH v. 11.3.1976 – II ZR 127/74, LM Nr. 1 zu § 15 GenG = MDR 1976, 737 = AG 1976, 241; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 573. 515 Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 69. 516 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 244. 517 RG v. 10.6.1913 – Rep. II 95/13, RGZ 82, 375, 378 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 215; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 176; Stenzel, GmbHR 2015, 567, 573. 518 RG v. 7.11.1913 – Rep. II 316/13, RGZ 83, 256, 258; s. zur Zulässigkeit bloßer Rechtsbedingungen Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 51; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 166. 519 Heilung kann nur durch Eintragung oder durch Neuvornahme in der Form des § 2 eintreten, s. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 167; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 228; anders die wohl noch h.M., die im Fall des Bedingungseintritts vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister Heilung annimmt, s. etwa Emmerich, 11. Aufl., Rz. 75; C. Schäfer in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 3 Rz. 20 m.w.N.

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§ 2 Rz. 101 | Form des Gesellschaftsvertrages Mangel geheilt520. Heilung tritt auch bei solchen Willenserklärungen ein, die unter einem geheimen Vorbehalt oder zum Schein abgegeben oder nicht ernstlich gemeint sind (§§ 116 bis 118 BGB)521. Dabei wird auch nicht danach unterschieden, ob nur eine, mehrere oder sogar alle Willenserklärungen der Gründer von den genannten Mängeln betroffen sind. Folglich können sich die Gesellschafter, selbst wenn sie ihre Erklärungen ohne Ausnahme nur zum Schein abgegeben haben sollten, nach Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister darauf nicht mehr berufen; die „Scheingesellschaft“ ist vielmehr von diesem Zeitpunkt an eine vollgültige Gesellschaft. Die Folge ist, dass die Gesellschafter zur Leistung der Einlagen verpflichtet sind. 102 Aus der Heilung der meisten Mängel durch Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregis-

ter (s. Rz. 100 f.) folgt, dass die betroffenen Gesellschafter auch keine Schadensersatzansprüche, etwa aus c.i.c. (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB) oder Delikt, gegen die Gesellschaft geltend machen können522. Unberührt bleiben jedoch Ansprüche gegen Dritte, insbesondere gegen Mitgründer, die z.B. für die arglistige Täuschung eines Gründers verantwortlich sind523. Außerdem kommt ein Austritt des geschädigten Gründers in Betracht, wenn ihm die weitere Mitgliedschaft in der Gesellschaft nicht mehr zuzumuten ist (s. im Einzelnen 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 6 ff.). Schließlich ist von Fall zu Fall an eine Auflösung der Gesellschaft nach § 61 zu denken. Diese Grundsätze gelten entsprechend bei Mängeln der Beteiligung an einer Kapitalerhöhung (s. Rz. 92).

VII. Vorvertrag Schrifttum: Cebulla, Haftungsmodelle bei der GmbH-Gründung, NZG 2001, 972; R. Fischer, Ist der Vorvertrag bei der Errichtung einer GmbH formbedürftig?, GmbHR 1954, 129; Flume, Die werdende juristische Person, in FS Geßler, 1971, S. 3; Gehrlein, Die Haftung in den verschiedenen Gründungsphasen einer GmbH, DB 1996, 561; Gehrlein, Keine schlüssige Zustimmung des Gläubigers in Schuldübernahme, NJW 1998, 2651; S. Grottke, Die Vorgründungsgesellschaft der GmbH – Rechtliche Struktur und Haftungsfragen, 1992; Henrich, Vorvertrag, Optionsvertrag, Vorrechtsvertrag, 1965; E. Kießling, Vorgründungs- und Vorgesellschaft, 1999; Kort, Die Haftung der Beteiligten im Vorgründungsstadium einer GmbH, DStR 1991, 1317; Michalski/Sixt, Die Haftung in der Vorgründungs-GmbH, in FS Boujong, 1996, S. 349; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 299 ff.; Priester, Das Gesellschaftsverhältnis im Vorgründungsstadium – Einheit oder Dualismus?, GmbHR 1995, 481; Reinicke, Die Formbedürftigkeit einer Vollmacht zum Abschluss eines GmbH-Vorvertrages, NJW 1969, 1830; Karsten Schmidt, Rechtsgrundlagen der Mitunternehmerschaft im Vorgründungsstadium der GmbH, GmbHR 1982, 6 = GesRZ 1983, 1; Karsten Schmidt, Haftung aus Rechtsgeschäften vor Errichtung der GmbH, GmbHR 1998, 613.

520 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 44 und § 3 Rz. 21; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 229; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 141; Altmeppen, Rz. 42; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 75. 521 RG v. 16.5.1904 – Rep. I 153/03, RGZ (VZS) 57, 292, 297; RG v. 17.9.1904 – I 176/04, JW 1904, 563, 564; RG v. 13.5.1929 – II 313/28, RGZ 124, 279, 287 f.; RG v. 27.8.1935 – II 387/34, JW 1935, 3613; BGH v. 9.10.1956 – II ZB 11/56, BGHZ 21, 378, 381 = NJW 1957, 19; KG v. 6.5.1968 – 1 W 2370/67, OLGZ 1968, 477, 481 = GmbHR 1968, 182 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 232; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 178 f. 522 RG v. 10.6.1913 – Rep. II 95/13, RGZ 82, 375, 381; RG v. 4.4.1916 – Rep. II 427/15, RGZ 88, 187 f.; BGH v. 11.3.1976 – II ZR 127/74, LM Nr. 1 zu § 15 GenG = MDR 1976, 737 f. = AG 1976, 241 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 246; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 181. 523 RG v. 10.6.1913 – Rep. II 95/13, RGZ 82, 375, 381; RG v. 4.4.1916 – Rep. II 427/15, RGZ 88, 187 f.; RG v. 14.12.1928 – II 143/28, RGZ 123, 102, 104.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 105 § 2

1. Überblick Die Gesellschafter können als Ausfluss der Vertragsfreiheit (§ 311 Abs. 1 BGB) bereits vor 103 Abschluss des Gesellschaftsvertrages (§ 2) rechtsgeschäftliche Vereinbarungen mit Bezug auf die von ihnen geplante Errichtung einer GmbH treffen. In Betracht kommt insbesondere der Abschluss eines Vorvertrages, mit dem sich die Gesellschafter zur Errichtung der GmbH verpflichten (sog. Vorgründungsgesellschaft im engeren Sinne524). Die Gesellschafter können aber auch bereits vor Abschluss des Gesellschaftsvertrages die Geschäfte aufnehmen oder zumindest Vorbereitungshandlungen treffen, ohne eine formwirksame (Rz. 108 ff.) Verpflichtung zur Errichtung einer GmbH zu begründen (Vorgründungsgesellschaft im weiteren Sinne525). Im Folgenden werden nur die mit dem Abschluss von Vorverträgen zusammenhängenden Fragen behandelt, während hinsichtlich derjenigen Fragen, die sich im Fall der Aufnahme der Geschäftstätigkeit und der Vornahme von Vorbereitungshandlungen ergeben, auf die Ausführungen in 13. Aufl., § 11 Rz. 6 ff. verwiesen wird. Dies betrifft auch die umstrittene Frage, ob im Fall der Aufnahme der Geschäftstätigkeit eine Außengesellschaft entsteht, die neben die Vorgründungsgesellschaft im engeren Sinne tritt, oder ob es sich auch in diesem Fall um eine einzige Gesellschaft handelt, d.h. die Vorgründungsgesellschaft als Innengesellschaft durch das Auftreten nach außen zur Außengesellschaft (GbR oder OHG) wird526. Vorverträge sind ausgesprochen selten527. Von einem solchen kann nur dann die Rede sein, 104 wenn alle Beteiligten sich schon vor Abschluss des Gesellschaftsvertrages rechtlich binden wollen, eine GmbH zu errichten. Zwar treffen die Gründer im Vorfeld häufig die Abrede, eine GmbH errichten zu wollen. Ohne Einhaltung der auch für den Abschluss eines Vorvertrages geltenden Form des § 2 Abs. 1 Satz 1 (Rz. 108 ff.) liegt ein wirksamer Vorvertrag aber nicht vor. Gelegentlich enthalten Gesellschaftsverträge anderer Rechtsformen, insbesondere von Personengesellschaften, eine Regelung, dass die Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen in eine GmbH „umgewandelt“ wird528. Auch insofern lässt sich von einem Vorvertrag sprechen. Allerdings scheitert auch in diesen Fällen ein (einklagbarer) Anspruch auf Errichtung der GmbH häufig an der erforderlichen notariellen Beurkundung des (Personen-)Gesellschaftsvertrages.

2. Begriff, Voraussetzungen Unter einem Vorvertrag versteht man eine „schuldrechtliche Vereinbarung, durch die für 105 beide Teile oder auch nur für einen von ihnen die Verpflichtung begründet wird, einen anderen schuldrechtlichen Vertrag, den Hauptvertrag zu schließen“529. Die Besonderheit des Vorvertrages besteht darin, dass er eine Bindung zum Abschluss des Hauptvertrages herbei524 BGH v. 7.10.1991 – II ZR 252/90, NJW 1992, 362, 363; OLG Schleswig v. 4.7.2014 – 17 U 24/14, GmbHR 2014, 1317, 1321; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; abweichend die Terminologie bei Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2 a (S. 1011): Vorvertragsgesellschaft. 525 BGH v. 7.10.1991 – II ZR 252/90, NJW 1992, 362, 363; OLG Schleswig v. 4.7.2014 – 17 U 24/14, GmbHR 2014, 1317, 1321; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260. 526 S. zu dieser Frage 13. Aufl., § 11 Rz. 15 sowie Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 261 einerseits und Blath in Michalski u.a., § 11 Rz. 20 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2 b (S. 1012 ff.) andererseits jeweils m.w.N. 527 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 253; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; Karsten Schmidt, GesR, § 11 II 2 b (S. 292); Priester, GmbHR 1995, 481, 483. 528 S. dazu BGH v. 5.5.1969 – II ZR 115/68, LM Nr. 6 zu § 2 GmbHG = NJW 1969, 1856 = GmbHR 1969, 177; BGH v. 15.11.1982 – II ZR 62/82, BGHZ 85, 350, 360 = NJW 1983, 1056 = GmbHR 1983, 297. 529 So BGH v. 17.12.1987 – VII ZR 307/86, BGHZ 102, 384, 388 = NJW 1988, 1261; BGH v. 8.6.1962 – I ZR 6/61, LM Nr. 9 zu Vorbem. zu § 145 BGB = NJW 1962, 1812; BGH v. 18.4.1986 – V ZR

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§ 2 Rz. 105 | Form des Gesellschaftsvertrages führt. Aus ihm kann daher auf Abschluss des Hauptvertrages geklagt werden, wobei sich die Vollstreckung eines der Klage stattgebenden Urteils nach § 894 ZPO richtet530. Praktisch dürfte ein solches Vorgehen gegen einen nicht (mehr) mitwirkungsbereiten Gesellschafter aber nur selten zweckmäßig sein531 und zumeist nur ein Anspruch auf Schadensersatz wegen der unterlassenen Mitwirkung erhoben werden. Nach h.M. entsteht durch den Abschluss eines derartigen Vorvertrages zwischen den Gründern eine BGB-Innengesellschaft, deren Zweck in der Errichtung der zukünftigen GmbH gesehen wird (§ 705 BGB)532. Mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages wird im Regelfall der Zweck der Gesellschaft erreicht und die Innengesellschaft gemäß § 726 BGB aufgelöst und sogleich beendet533. Um die Vollstreckung des auf den Abschluss des Hauptvertrages gerichteten Urteils zu ermöglichen (§ 894 ZPO), muss der Vorvertrag so bestimmt sein, dass ihm (jedenfalls im Wege der Auslegung [Rz. 106] ermittelbar) der notwendige Mindestinhalt des geplanten Hauptvertrages, hier des von den Parteien des Vorvertrages in Aussicht genommenen Gesellschaftsvertrages, entnommen werden kann534. Deshalb muss schon im Vorvertrag die geplante Gesellschaftsform (GmbH) festgelegt werden535. Erforderlich sind außerdem als Mindestinhalt gemäß § 3 Abs. 1 die Regelung der Firma und des Sitzes der Gesellschaft sowie die Bestimmung des Gegenstandes des Unternehmens, des Betrags des Stammkapitals sowie die Zahl und die Nennbeträge der Geschäftsanteile, die jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital übernimmt536. Fehlt es hieran und lässt sich dieser Mangel auch nicht beheben (s. Rz. 106), scheidet die Annahme eines Vorvertrages aus; von den Parteien bereits getroffene Vereinbarungen haben in diesem Fall höchstens die Bedeutung einer sog. Punktation. 106 Für die Bestimmtheit und die Vollständigkeit des Vorvertrages gelten nicht dieselben stren-

gen Maßstäbe wie für den endgültigen Gesellschaftsvertrag, so dass etwaige Lücken in diesem Stadium auch im Wege ergänzender Vertragsauslegung geschlossen werden können (§§ 133, 157 BGB)537. So kann z.B. ein Vorvertrag von Erben über die Fortführung eines geerbten Einzelunternehmens in der Rechtsform einer GmbH dahin auszulegen sein, dass die bisherige Firma, der Sitz und der Unternehmensgegenstand beibehalten werden sollen. Entsprechendes kann gelten, wenn sich die Gesellschafter einer Personengesellschaft verpflichten, diese

530 531 532 533

534 535 536 537

32/85, LM Nr. 20/21 zu Vorbem. zu § 145 = NJW 1986, 2820; BGH v. 18.1.1989 – VIII ZR 311/87, NJW 1990, 1233 in. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 250. Zutreffend Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 73. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; Altmeppen, Rz. 52; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 36; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 76; a.A. (schlichtes Schuldverhältnis) Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 72. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2 b (S. 1012) m.w.N. Wurden die Geschäfte bereits vor der Errichtung der GmbH aufgenommen, tritt nach denjenigen Vertretern, die eine neben der Vorgründungsgesellschaft im engeren Sinne bestehende Gesellschaft nicht anerkennen, sondern von einer einzigen (dann Außen-)Gesellschaft ausgehen (vgl. Rz. 103), nur die Auflösung ein und das Gesellschaftsvermögen muss verteilt werden, s. etwa Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56 sowie in Rz. 58 gegen die zwingende Trennung der auf Gründung gerichteten Vorgründungsgesellschaft und einer Mitunternehmerschaft. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 34; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256; Altmeppen, Rz. 51; Kießling, Vorgründungs- und Vorgesellschaften, 1999, S. 16 f. RG v. 9.1.1923 – II 851/21, RGZ 106, 174, 177; OLG München v. 16.5.1958 – 6 U 655/58, GmbHR 1958, 195. RG v. 28.1.1893 – Rep. I 377/92, RGZ 30, 94, 95 f.; RG v. 6.4.1898 – Rep. I 461/97, RGZ 41, 281, 283 f.; RG v. 8.5.1907 – Rep. I 237/06, RGZ 66, 116, 120 f.; RG v. 22.10.1937 – II 58/37, RGZ 156, 129, 138 (zur AG). RG v. 8.5.1907 – Rep. I 237/06, RGZ 66, 116, 121; RG v. 22.10.1937 – II 58/37, RGZ 156, 129, 138 (zur AG); Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256; vgl. auch BGH v. 5.5.1969 – II ZR 115/68, LM Nr. 6 zu § 2 GmbHG = NJW 1969, 1856 = GmbHR 1969, 177.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 108 § 2

in Zukunft in eine GmbH umzuwandeln (s. bereits Rz. 104)538. In beiden Fällen kann jedoch nicht ohne weiteres angenommen werden, dass das Stammkapital dem buchmäßigen Gesellschaftsvermögen und die Nennbeträge der Geschäftsanteile den Kapitalkonten entsprechen sollen539. Vielmehr ist angesichts des „Normalfalls“ der GmbH, die mit dem Mindeststammkapital ausgestattet ist, im Zweifel davon auszugehen, dass ein Stammkapital von 25000 Euro vereinbart ist und dass die Gesellschafter im Verhältnis ihrer Kapitalkonten zu beteiligen sind540. Maßgebend sind jedoch immer die Umstände des Einzelfalls. Ändern sich nach Abschluss des Vorvertrages die tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse, ist nur in Ausnahmefällen eine Verpflichtung der Gründer zu einer entsprechenden Änderung des Vorvertrages anzunehmen541. In der Regel ist von der Kündbarkeit des Vorvertrages (analog § 723 Abs. 1 Satz 2 BGB; ab dem 1.1.2024: § 725 Abs. 1 BGB n.F.) auszugehen542. Der Vorvertrag kann die Bestimmung der Einzelheiten späteren Mehrheitsbeschlüssen der 107 Gründer oder der Entscheidung eines einzelnen Gründers oder auch eines Dritten überlassen (§§ 315, 317 BGB)543. Nach dem Zweck der §§ 2 und 3 ist dann jedoch zu fordern, dass der mögliche Umfang der Pflichten der zukünftigen Gesellschafter von vornherein durch den Vorvertrag begrenzt wird und dass auch die Art ihrer Beitragsleistung bereits festgelegt ist544. Bei der Bestimmung der Einzelheiten ist außerdem der schon in diesem Stadium geltende Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten.

3. Form Die Frage der Formbedürftigkeit von Vorverträgen (s. hier § 2) lässt sich nicht einheitlich 108 beantworten. Maßgebend ist, ob nach dem Zweck der für den Hauptvertrag geltenden Formvorschrift die Erstreckung des Formerfordernisses auf einen Vorvertrag geboten erscheint545. Zweck des § 2 Abs. 1 Satz 1 ist neben der Beweissicherung und der Gewährleistung der Richtigkeitsgewähr auch der Schutz der Gesellschafter vor einem übereilten Vertragsabschluss (s. Rz. 10). Aus diesem Grund bedarf entsprechend § 2 Abs. 1 Satz 1 auch der Vorvertrag zum Abschluss eines Gesellschaftsvertrages der notariellen Beurkundung546. Ebenso wird die 538 539 540 541

542

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Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256. So jedoch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 74. Eine solche Verpflichtung kann aus § 313 Abs. 1 BGB oder, weil der Vorvertrag eine BGB-Innengesellschaft begründet, aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht hergeleitet werden, s. zur Abgrenzung Finkenauer in MünchKomm. BGB, § 313 BGB Rz. 176; Karsten Schmidt, GesR, § 5 IV 2 (S. 126 ff.); Baier, NZG 2004, 356, 359; a.A. Emmerich, 11. Aufl., Rz. 89: § 242 BGB; s. allgemein auch Geier, ZGS 2008, 8. Im Ergebnis ebenso Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 258, der aber von einem Kündigungsrecht gemäß § 242 BGB ausgeht; anders auch Emmerich, 11. Aufl., Rz. 89: Analogie zu § 314 BGB. Da der Abschluss des Vorvertrages eine BGB-Innengesellschaft begründet (Rz. 105), liegt jedoch die Heranziehung von § 723 Abs. 1 Satz 2 BGB (§ 725 Abs. 1 BGB n.F.) näher als § 314 BGB oder § 242 BGB. RG v. 22.10.1937 – II 58/37, RGZ 156, 129, 138 (zur AG); Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 257; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 257. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51. S. 13. Aufl., § 11 Rz. 13; RG v. 8.5.1907 – Rep. I 237/06, RGZ 66, 116, 120 f. (dort jedoch nicht entscheidungserheblich); RG v. 9.1.1923 – II 851/21, RGZ 106, 174, 176; RG v. 7.10.1930 – II 535/ 29, RGZ 130, 73, 75; RG v. 13.12.1935 – II 161/35, RGZ 149, 385, 395; RG v. 22.10.1937 – II 58/ 37, RGZ 156, 129, 138; RG v. 11.12.1928 – II 437/28, JW 1929, 645, 647; BGH v. 21.9.1987 – II ZR 16/87, LM Nr. 12 zu § 2 GmbHG = NJW-RR 1988, 288 = GmbHR 1988, 98 = WM 1988, 163; BGH v. 7.10.1991 – II ZR 252/90, LM Nr. 11 zu § 434 BGB = NJW 1992, 362, 363; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 33; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Heinze in MünchKomm.

Cramer | 149

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§ 2 Rz. 108 | Form des Gesellschaftsvertrages Rechtslage überwiegend in Österreich beurteilt547. Die Formbedürftigkeit des Vorvertrages kann jedoch nicht weiter reichen als die Formbedürftigkeit des Gesellschaftsvertrages, so dass schuldrechtliche Nebenabreden der Gründer auch in diesem Stadium formfrei vereinbart werden können548. Formbedürftig ist demgegenüber nach ganz h.M. eine Vollmacht zum Abschluss eines Vorvertrages (analog § 2 Abs. 2)549. Dies wird zwar teilweise bestritten mit dem Hinweis, dass der Schutzzweck des § 2 Abs. 2 nicht einschlägig sei550. Dabei wird jedoch übersehen, dass der Vorvertrag einen einklagbaren Anspruch auf Mitwirkung an der Errichtung der GmbH begründet und dass das Formgebot des § 2 Abs. 2 auch im Interesse der Gründer Streit über die Legitimation des Vertreters vermeiden soll551. 109 Ein entgegen § 2 Abs. 2 Satz 1 geschlossener Vorvertrag, der eine Verpflichtung zum Ab-

schluss des Gesellschaftsvertrages enthält, ist nichtig (§ 125 BGB). In diesem Fall bestehen keine Erfüllungsansprüche und auch keine Schadensersatzansprüche wegen Nichterfüllung des Vorvertrages552. Auch ein auf das negative Interesse gerichteter Schadensersatzanspruch darf selbst aus langwierigen und umfangreichen Verhandlungen der Parteien nicht vorschnell unter dem Gesichtspunkt der c.i.c. (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2, § 241 Abs. 2 BGB) hergeleitet werden, etwa über die Annahme von Schadensersatzansprüchen bei „grundlosem“ Abbruch der Vertragsverhandlungen, weil dies mittelbar eine Bindung der Parteien zur Folge haben könnte553. Eine andere Beurteilung kommt in der Regel nur bei vorsätzlichen Treuepflichtverletzungen in Betracht554. 110 Das Formerfordernis für Vorverträge entsprechend § 2 Abs. 2 Satz 1 (Rz. 108) besteht nur

im Hinblick auf die sich aus einem wirksamen Vorvertrag ergebende Verpflichtung zum Abschluss des Hauptvertrages, hier des Gesellschaftsvertrages (Rz. 105). Verzichten die Parteien auf eine derartige Verpflichtung, können sie ihre Beziehungen auch schon in der Gründungsphase im Übrigen formlos vertraglich regeln555. Aber selbst dann, wenn die Gründer eine formnichtige Verpflichtung zur Errichtung der GmbH treffen, lässt dies die Wirksamkeit der weiteren Vereinbarungen der Gründer grundsätzlich unberührt. Dies betrifft sowohl die innerhalb eines Vorvertrages getroffenen weiteren Vereinbarungen als auch die Wirksamkeit einer im Vorgründungsstadium durch die sofortige Geschäftsaufnahme entstandene Au-

547 548 549 550 551 552 553 554 555

GmbHG, Rz. 251; Altmeppen, Rz. 51; Karsten Schmidt, GesR, § 11 II 2 b (S. 292), § 34 III 2 a (S. 1011); anders Flume in FS Geßler, 1971, S. 3, 18 f.; Kießling, Vorgründungs- und Vorgesellschaften, 1999, S. 18 ff. OGH v. 11.6.1931 – 1 Ob 226/31, SZ Bd. 13 (1931) Nr. 146, S. 531, 533 ff.; OGH v. 5.5.1981 – 5 Ob 570/81, SZ Bd. 54 (1981) Nr. 69, S. 318, 320 ff. = GesRZ 1981, 178 m. Anm. Ostheim; Koppensteiner, öGmbHG, § 3 Rz. 18. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 35; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 251; Blath in Michalski u.a., § 11 Rz. 8. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Reinicke, NJW 1969, 1830 f. Stenzel, GmbHR 2015, 567, 576; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 76; anders jetzt aber J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 155; s. auch den Sonderfall BGH v. 5.5.1969 – II ZR 115/68, LM Nr. 6 zu § 2 GmbHG = NJW 1969, 1856 = GmbHR 1969, 177. So zutreffend Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 252. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 253. So noch BGH v. 21.9.1987 – II ZR 16/87, LM Nr. 12 zu § 2 GmbHG = NJW-RR 1988, 288 = GmbHR 1988, 98; kritisch zu Recht Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 33 Fn. 89. BGH v. 29.3.1996 – V ZR 332/94, LM Nr. 144 zu § 276 (Fa) BGB (Bl. 2) = NJW 1996, 1884, 1885; BGH v. 23.5.2001 – IV ZR 62/00, LM Nr. 11 zu § 225 BGB (Bl. 3) = NJW 2001, 2713, 2714; Emmerich in MünchKomm. BGB, § 311 BGB Rz. 176 ff. Michalski/Sixt in FS Boujong, S. 349, 358 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2 a (S. 1012); s. für den Fall der Kapitalerhöhung OLG Schleswig v. 4.7.2014 – 17 U 24/14, GmbHR 2014, 1317, 1321; s. auch 13. Aufl., § 11 Rz. 13.

150 | Cramer

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 121 § 2

ßen-Personengesellschaft, und zwar unabhängig davon, ob es sich bei der auf den Vorvertrag und bei der auf die Geschäftsaufnahme gerichteten Gesellschaft um eine einheitliche Gesellschaft oder um zwei nebeneinander stehende Gesellschaften handelt (s. Rz. 103)556.

VIII. Vorgründungsgesellschaft S. dazu ausführlich die Erl. zu 13. Aufl., § 11 Rz. 6 ff.

111

Einstweilen frei.

112–120

IX. Vereinfachtes Gründungsverfahren (§ 2 Abs. 1a) (Wicke) Schrifttum: Bayer/Hoffmann, Die Musterprotokoll-Unternehmer-Gesellschaft (haftungsbeschränkt), GmbHR 2009, R 225; Bayer/Hoffmann/Schmidt, Satzungskomplexität und Mustersatzung. Eine Untersuchung vor dem Hintergrund des Regierungsentwurfs zum MoMiG, GmbHR 2007, 953; Heckschen, Gründungserleichterung nach dem MoMiG – Zweifelsfragen in der Praxis, DStR 2009, 166; Blasche, Musterprotokoll und Vertretungsmacht des bei der Gründung bestellten Geschäftsführers sowie etwaiger weiterer Geschäftsführer, GmbHR 2015, 40; Heidinger/Blath, Das Musterprotokoll – Mehr Fluch als Segen? Teil 1: Die Gründung, ZNotP 2010, 376; Heidinger/Blath, Das Musterprotokoll – Mehr Fluch als Segen? Teil 2: Folgeprobleme der Musterprotokollgründung, ZNotP 2010, 402; Herrler/König, Aktuelle Praxisfragen zur GmbH-Gründung im vereinfachten Verfahren (Musterprotokoll), DStR 2010, 2138; Katschinski/Rawert, Stangenware versus Maßanzug: Vertragsgestaltung im GmbH-Recht nach Inkrafttreten des MoMiG, ZIP 2008, 1993; Melchior, Das Musterprotokoll nach Eintragung der GmbH, notar 2010, 305; Knaier, Bleibende Unsicherheiten bei der vereinfachten GmbH-Gründung, ZNotP 2021, 9; Knaier, Die Geschäftsführerbestellung im Musterprotokoll, ZNotP 2021, 241; Preuss, Kampf der Kulturen – Die Bedeutung der vorsorgenden Rechtspflege im reformierten GmbH-Recht, RNotZ 2009, 529; Ries, Brauchen wir die „Unternehmergesellschaft“ und den Verzicht auf die notarielle Beurkundung des GmbH-Gesellschaftsvertrages?, NotBZ 2007, 244; Ries, Muster ohne Wert?, NZG 2009, 739; Römermann, Die vereinfachte Gründung mittels Musterprotokoll, in Römermann/Wachter (Hrsg.), GmbHBeratung nach dem MoMiG, GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16; Sikora/Regler/Tiedtke, Die Auswirkungen des MoMiG auf die Notarkosten, MittBayNot 2008, 437; Tebben, Die Reform der GmbH – das MoMiG in der notariellen Praxis, RNotZ 2008, 441; Wachter, Aktuelle Rechtsprechung zum MoMiG, GmbHR 2009, 785; Wälzholz, Das MoMiG kommt: Ein Überblick über die neuen Regelungen, GmbHR 2008, 841; Wicke, Abweichungen und Änderungen beim Musterprotokoll, DNotZ 2012, 15; Wicke, Gründung, Satzungsgestaltung und Anteilsabtretung nach der GmbH-Reform, NotBZ 2009, 1.

1. Überblick Nach § 2 Abs. 1a kann die GmbH, auch in ihrer Variante der Unternehmergesellschaft (haf- 121 tungsbeschränkt), im sog. vereinfachten Verfahren gegründet werden, sofern sie maximal drei Gesellschafter und einen Geschäftsführer hat (§ 2 Abs. 1a Satz 1). Die durch das MoMiG557 eingeführte Vorschrift hat zum Ziel, die Gründung in unkomplizierten Standardfällen zu erleichtern und auf diese Weise die Wettbewerbsfähigkeit der GmbH im Vergleich zu Auslandsgesellschaften zu erhöhen558. Die Vereinfachung soll dadurch erreicht werden, dass ein sog. Musterprotokoll verwendet wird (§ 2 Abs. 1a Satz 2), das dem GmbHG als Anlage 1 556 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 11 Rz. 4; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 261. 557 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026. 558 Vgl. Begr. RegE, zitiert nach Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008, S. 149 sowie Begr. RA, zitiert nach Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, S. 156.

Cramer und Wicke | 151

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§ 2 Rz. 121 | Form des Gesellschaftsvertrages in zwei Fassungen, für die Einpersonengesellschaft und für die Mehrpersonengesellschaft mit zwei oder drei Gesellschaftern, beigefügt ist (hier abgedruckt in Rz. 153). Es handelt sich um den „Blankoentwurf“559 eines Gründungsdokuments, das nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 8 ff. BeurkG der notariellen Beurkundung bedarf (§ 2 Abs. 1a Satz 5) und neben dem Gesellschaftsvertrag und der Geschäftsführerbestellung auch gleichzeitig die Gesellschafterliste enthält, die abweichend von § 8 Abs. 1 Nr. 3 nicht gesondert zu erstellen ist (§ 2 Abs. 1a Satz 4). Neben dem Musterprotokoll ist lediglich eine Anmeldung zum Handelsregister erforderlich, deren Inhalt nicht vorformuliert ist. Der Gesetzgeber hat zudem in § 105 Abs. 6, § 107 Abs. 1 Satz 2 GNotKG (früher § 41d KostO) bewusst eine kostenrechtliche Privilegierung vorgesehen, die insbesondere bei der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) zu einer messbaren, wenn auch geringfügigen Reduzierung der Gründungskosten führen kann. Inhaltlich beschränkt sich das Musterprotokoll (abgesehen von zwingenden beurkundungsrechtlichen Vorgaben) auf Bestimmungen zum Mindestinhalt des § 3 Abs. 1, zum Gründungsaufwand (13. Aufl., § 5 Rz. 111) und die Bestellung des Geschäftsführers. Weitere, vom Gesetz abweichende Bestimmungen dürfen bei der Gründung nicht getroffen werden (§ 2 Abs. 1a Satz 4), für spätere Satzungsänderungen gelten hingegen die allgemeinen Vorschriften der §§ 53 f.560. Das Musterprotokoll kann auch im Rahmen der Online-Gründung nach § 2 Abs. 3 verwendet werden. Daneben kann insoweit gemäß § 2 Abs. 3 Satz 3 auch auf das speziell hierfür in einer neuen Anlage 2 zum GmbHG (ebenfalls in zwei Fassungen) enthaltene weitere Musterprotokoll (hier abgedruckt in Rz. 216) zurückgegriffen werden, das keine Beschränkung auf höchstens drei Gesellschafter und einen Geschäftsführer enthält, aber nicht kostenrechtlich privilegiert ist.

2. Positionen im Gesetzgebungsverfahren 122 Während der Referentenentwurf zum MoMiG noch keinen Vorschlag zur Änderung des

§ 2 enthielt, sah der Regierungsentwurf, einer Forderung von Teilen der Wirtschaft folgend, in einer Anlage zum GmbHG eine Mustersatzung vor, bei deren Verwendung als Ausnahme zum Beurkundungserfordernis des § 2 Abs. 1 die Schriftform und Unterschriftsbeglaubigung der Gesellschafter genügen sollten und die durch ein Muster für die Handelsregisteranmeldung flankiert wurde561. Der Verzicht auf die Beurkundung sollte Signalwirkung haben, dass die GmbH sich ebenso „einfach und unbürokratisch“ gründen lasse wie die englische Limited oder andere vergleichbare Auslandsgesellschaften562. Die notarielle Beglaubigung der Unterschriften wurde zur rechtssicheren Identifizierung der Gesellschafter für erforderlich erachtet, um sicherzustellen, dass Transparenz über die Anteilseignerstrukturen der GmbH geschaffen und Geldwäsche verhindert wird563. Der Ansatz des Regierungsentwurfs wurde vielfach und vehement kritisiert, u.a. durch den Bundesrat in einer umfangreichen Stellungnahme. Nach Auffassung des Bundesrats würde die Verwendung von Mustersatzungen die GmbH-Gründung nicht merkbar beschleunigen, die damit einhergehende Verringerung der Gründungsberatung durch den Notar und die fehlende Flexibilität der Mustersatzung im jeweiligen Einzelfall würden jedoch zu erheblichen Nachteilen führen. Eine Mustersatzung würde zu unreflektierter Übernahme unpassender Regelungen ohne Berücksichtigung der 559 Tebben, RNotZ 2008, 441, 442. 560 S. auch Wicke, Rz. 13 ff. 561 S. dazu Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, S. 149 ff.; vgl. auch Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16. 562 In jüngerer Zeit wurde in Italien ein (beurkundungspflichtiges) Musterprotokoll eingeführt, während dies in Luxemburg verworfen wurde. S. Fleischer, DB 2017, 291, 294, 296. 563 Eine noch weiter gehende Auffassung im Gesetzgebungsverfahren sprach sich für eine Online-Lösung nach englischem Vorbild aus, vgl. Protokoll der 85. Sitzung des Rechtsausschusses zur öffentlichen Anhörung von Sachverständigen vom 23.1.2008, 8, 20.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 123 § 2

individuellen Verhältnisse verleiten. Die notwendigen Zusatzregelungen würden in beratungs- und kostenintensiven schuldrechtlichen Nebenvereinbarungen oder nachfolgenden Satzungsänderungen getroffen. Darüber hinaus seien die Essentialia der Gründung wie Firma, Gegenstand, Höhe und Verteilung der Geschäftsanteile auch bei der Gründung mit Mustersatzung klärungsbedürftig und häufig auch beratungsintensiv. Würde dieser Bereich ohne notarielle Vorprüfung den Gründern überlassen, käme es zu einer Mehrbelastung der Gerichte und zu einer Verzögerung des Gründungsverfahrens. Die damit einhergehende Verlagerung von Aufgaben auf die öffentliche Hand widerspreche allgemeinen Politikzielen. Die individuelle Ausarbeitung des Gesellschaftsvertrags durch den Notar diene der Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten und beuge späteren Streitigkeiten über Inhalt, Wirksamkeit und Auslegung vor. Damit erhielten insbesondere Kleinunternehmer und Mittelstand anlässlich der Beurkundung eine häufig notwendige, vergleichsweise kostengünstige und kompetente Beratung. Die mit der Verwendung von Mustersatzungen einhergehende Abkehr vom Prinzip der Satzungsautonomie stelle im Ergebnis einen maßgeblichen Systembruch im Recht der GmbH dar. Das nunmehr in § 2 Abs. 1a vorgesehene beurkundungspflichtige Musterprotokoll stellt sich vor diesem Hintergrund als eine Kompromisslösung unterschiedlicher Strömungen im Gesetzgebungsverfahren dar. Zu einer rechtspolitischen und rechtspraktischen Würdigung s. Rz. 149 ff.

3. Voraussetzungen (§ 2 Abs. 1a Satz 1) a) Allgemeines Das vereinfachte Verfahren ist eröffnet, wenn die GmbH maximal drei Gesellschafter und 123 einen Geschäftsführer hat564. Dieser Beschränkung liegt die Überlegung zugrunde, dass bei Gesellschaften mit einer geringen Zahl von Organvertretern regelmäßig weniger komplexe Gestaltungen erforderlich sind und eine standardisierte Gründung daher eher erfolgen kann. Sind die Voraussetzungen erfüllt, besteht ein Wahlrecht, das vereinfachte Verfahren ggf. mit entsprechenden Kostenvorteilen einzuschlagen, oder eine normale GmbH-Gründung unter Ausnutzung der weitergehenden inhaltlichen Gestaltungsmöglichkeiten vorzunehmen565. Bei der Gründung im vereinfachten Verfahren ist zwingend eines der beiden gemäß § 2 Abs. 1a Satz 2 in der Anlage 1 zum GmbHG (hier Rz. 153) für die Einpersonengesellschaft bzw. die Mehrpersonengesellschaft aufgeführten Musterprotokolle zu verwenden, die sich nur redaktionell voneinander unterscheiden. Darüber hinaus dürfen keine vom Gesetz abweichenden Bestimmungen getroffen werden (§ 2 Abs. 1a Satz 3). Das Musterprotokoll gliedert sich in einleitende allgemeine Angaben betreffend den Eingang der Urkunde und sieben Unterpunkte, welche die Errichtungserklärung, Angaben zum Mindestinhalt im Sinne des § 3 Abs. 1, die Bestellung des Geschäftsführers und die Vertretungsregelung, die Gründungskosten, Urkundsabschriften und Notarhinweise regeln. Materiellrechtlich handelt es sich um einen vollwertigen Gesellschaftsvertrag, wie neben dem der Anforderung des Mindestinhalts die Vorschrift des § 2 Abs, 1a Satz 5 zeigt, wonach ergänzend die Bestimmungen des GmbHG über den Gesellschaftsvertrag Anwendung finden566. Zu Erläuterungszwecken wurden in vier Fußnoten Hinweise aufgenommen, die allerdings angesichts der zwingenden Einschaltung eines Notars überflüssig erscheinen. Die vervollständigten Texte bedürfen der Beurkundung nach Maßgabe der §§ 8 ff. BeurkG. Die praxisübliche Aufspaltung der Gründungsurkunde in ein Mantelprotokoll mit den rechtsgeschäftlichen Erklärungen über die Errich564 Das speziell für das Online-Verfahren vorgesehene Musterprotokoll gemäß Anlage 2 zum GmbHG (hier Rz. 216) sieht eine entsprechende Beschränkung nicht vor. 565 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 273; Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 18. 566 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 266.

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§ 2 Rz. 123 | Form des Gesellschaftsvertrages tung der Gesellschaft und den eigentlichen Satzungswortlaut, der gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG als Anlage beigefügt wird567, ist nicht vorgesehen568. Da das Musterprotokoll die Gründungserklärungen, den Gesellschaftsvertrag, die Geschäftsführerbestellung und die Gesellschafterliste in einem einheitlichen Dokument zusammenfasst, bedarf es daneben nur noch der Anmeldung zum Handelsregister, die in der geltenden Gesetzesfassung (im Unterschied zum Regierungsentwurf) nicht vorformuliert ist. b) Gesellschafter 124 Als Gründer kommen im Rahmen des vereinfachten Verfahrens sowohl natürliche als auch

juristische Personen in Betracht569. Entsprechendes ist für im Handels- oder Partnerschaftsregister eingetragene Personengesellschaften anzunehmen, wenn auch die im Formular und den Anmerkungen hierzu vorgegebenen Alternativen („Herr/Frau“, „Juristische Person“) in dieser Beziehung nicht eindeutig sind570. Für die Ermittlung der zulässigen Gründerzahl ist nur die juristische Person oder Personengesellschaft selbst zu zählen und nicht die an ihr beteiligten Gesellschafter571. Nicht abschließend geklärt ist, inwieweit das vereinfachte Verfahren Gesellschaften oder Personenmehrheiten eröffnet ist, die nicht in einem öffentlichen Register eingetragen sind. Dies betrifft bis zum Inkrafttreten der Reform des Personengesellschaftsrechts durch das MoPeG am 1.1.2024 insbesondere die Gesellschaft bürgerlichen Rechts, deren (Teil-)Rechtsfähigkeit von der Rechtsprechung anerkannt ist572. Die Führung eines hinreichenden Existenz- und Vertretungsnachweises in öffentlich beglaubigter Form ist bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts in der Praxis, bis zur Schaffung des Gesellschaftsregisters gemäß §§ 707 ff. BGB n.F., regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, die dem mit dem Musterprotokoll verfolgten Vereinfachungszweck zuwider laufen würden573. Hält man hingegen die Gründung im vereinfachten Verfahren durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nach bisherigem Recht für zulässig, wären entsprechend den Materialien zum „Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen“574 nicht nur deren Name und Sitz (soweit vorhanden), sondern in Anlehnung an § 40 Abs. 1 Satz 2 auch deren jeweilige Gesellschafter unter einer zusammenfassenden Bezeichnung mit Name, Vorname, Geburtstag und Wohnort anzugeben; im Interesse der Übersichtlichkeit sollten die Gesellschafter im Rubrum der Urkunde und nicht im variablen Feld zum Gesellschafter aufgeführt werden575. Nach der durch das MoPeG neugefassten (und zum 1.1.2024 in Kraft tretenden) Vorschrift des § 40 Abs. 1 Satz 3 n.F. kann eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts nur dann in die Gesellschafterliste eingetragen und Veränderun-

567 568 569 570 571 572 573

574 575

S. dazu Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 6. Vgl. Wälzholz, MittBayNot 2008, 425, 428; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 284. Vgl. auch Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 90: auch Minderjährige und Betreute. H.M., vgl. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 271; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 54; a.A. Noack, DB 2007, 1395, 1398 zur Mustersatzung nach dem Regierungsentwurf. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 50. BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, NJW 2001, 1056. Wie hier etwa Wicke, Rz. 16; in diese Richtung auch Wälzholz, GmbHR 2008, 841, 842; zu Vorschlägen einer Reform der GbR durch Herstellung der Registerpublizität s. in diesem Zusammenhang Wicke, DNotZ 2017, 261, 262; a.A. aber die h.M., vgl. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 54; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 101; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 97; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 46. Nach einer Praxisauffassung werden im Fall der Beteiligung einer GbR für die Ermittlung der zulässigen Höchstzahl auch deren Gesellschafter mitgerechnet. Vom 23.6.2017, BGBl. I 2017, 1822; s. BT-Drucks. 18/11555, S. 173. Vgl. dazu auch Rz. 133 f. Beim Wechsel eines Gesellschafters einer solchen Gesellschaft bürgerlichen Rechts wäre eine Veränderung im Sinne des § 40 Abs. 1 anzunehmen, die eine Pflicht zur Einreichung einer (neuen) Gesellschafterliste begründet; s. BT-Drucks. 18/11555, S. 173. Vgl. dazu auch Rz. 133 f.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 125 § 2

gen an ihrer Eintragung können nur vorgenommen werden, wenn sie in das Gesellschaftsregister eingetragen ist. Da das Musterprotokoll zugleich als Gesellschafterliste gilt (§ 2 Abs. 1a Satz 4), ist das vereinfachte Verfahren folglich nur der im Gesellschaftsregister eingetragenen Gesellschaft bürgerlichen Rechts eröffnet. Eine rückwirkende Pflicht zur Voreintragung im Gesellschaftsregister wird durch Neufassung des § 40 Abs. 1 Satz 3 nicht begründet576, so dass ohne eine Veränderung in der Beteiligung keine Pflicht zur Einreichung einer (neuen) Gesellschafterliste besteht. Hingegen ist die Erbengemeinschaft als nicht rechtsfähige Gesamthandsgemeinschaft vom vereinfachten Verfahren ausgeschlossen577. Im Übrigen ist für die Bestimmung der Höchstgrenze formal auf die Zahl von Gesellschaftern als die Personen abzustellen, die Geschäftsanteile übernehmen und in der Gesellschafterliste aufgeführt werden. Daher sind Treuhandverhältnisse oder Unterbeteiligungen, auch wenn sie gegenüber einer Vielzahl von Berechtigten bestehen, nicht zu berücksichtigen578. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Ermittlung der zulässigen Gründerzahl ist derjenige der Eintragung der GmbH im Handelsregister. Es wäre daher auch möglich, dass einer vierten Person aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Eintragung der mit Musterprotokoll gegründeten Gesellschaft ein Teilgeschäftsanteil abgetreten würde579. Ein Rechtsmissbrauch liegt darin nicht, zumal es praktisch kaum vorstellbar ist, dass dieser seinerseits mit Kosten verbundene Weg gezielt eingeschlagen würde, um in den Genuss der sehr begrenzten Vorteile des vereinfachten Verfahrens zu gelangen. Die Gründung kann auch durch bevollmächtigte Vertreter erfolgen. c) Geschäftsführer und Vertretung Die GmbH darf bei der Gründung im Rahmen des vereinfachten Verfahrens maximal einen 125 Geschäftsführer haben. Dies gilt auch im Fall einer Mehrpersonengesellschaft. Möglich wäre es aber, unmittelbar nach Errichtung der Vor-GmbH und aufschiebend bedingt durch Eintragung der GmbH im Handelsregister weitere Geschäftsführer zu bestellen580. Eine Satzungsänderung wäre hierzu nicht erforderlich581. Die Begrenzung auf einen Geschäftsführer ist wiederum formal zu verstehen582. Etwaige faktische Geschäftsführer sind daher nicht zu berücksichtigen, auch ist es möglich, einen oder mehrere Prokuristen bei Gründung anzumelden und deren Vertretung nach allgemeinen Grundsätzen (Einzelvertretung, Gesamtvertretung, Erlaubnis von Grundstücksgeschäften gemäß § 48 Abs. 2 HGB) zu regeln583. Für die persönlichen Anforderungen an den Geschäftsführer gelten die allgemeinen Grundsätze (§ 6), insbesondere können auch Fremdgeschäftsführer berufen werden. Die Bestellung des Geschäftsführers erfolgt „im Gesellschaftsvertrag“ im Sinne von § 6 Abs. 3 Satz 2 und darf 576 BT-Drucks. 19/27635, S. 271. 577 Vgl. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 102, der auch Ehegatten in Gütergemeinschaft (wohl nicht zutreffend) und Bruchteilsgemeinschaften (wohl zutreffend) vom vereinfachten Verfahren ausschließt. Nach Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 89, 92 sollen sich Gesamthandsgemeinschaften generell am vereinfachten als Gründer beteiligen können und nur als ein Gründer zu zählen sein. 578 Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 50. 579 Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 379; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 272; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103. 580 So auch Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 402, allerdings nur in den Grenzen des Rechtsmissbrauchs; weiter gehend Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298; Tebben, RNotZ 2008, 441, 444: Bestellung durch Gesellschafterbeschluss der Vor-GmbH (und wohl unabhängig von deren Eintragung); enger wohl Altmeppen, Rz. 59; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 52: Bestellung erst nach Eintragung. 581 Vgl. OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, GmbHR 2009, 1334 = NZG 2009, 1431; OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, GmbHR 2010, 872; a.A. Armbruster, Rpfleger 2009, 389. 582 Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 110. 583 Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 335.

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§ 2 Rz. 125 | Form des Gesellschaftsvertrages daher bei Anwendung des vereinfachten Verfahrens nicht außerhalb der Satzung erfolgen584. Nach allgemeinen Grundsätzen bedeutet die Bestellung des Geschäftsführers im Rahmen des Gründungsprotokolls nicht, dass es sich um einen sog. echten Satzungsbestandteil mit der Folge handelt, dass eine spätere Abberufung oder die Bestellung weiterer Geschäftsführer nur im Wege der Satzungsänderung durchgeführt werden könnten585. Wenn der im Rahmen des Musterprotokolls bestellte Geschäftsführer gleichzeitig Gesellschafter ist, liegt darüber hinaus kein Sonderrecht im Sinne des § 35 BGB vor mit der Konsequenz, dass die Abberufung des Betreffenden nur aus wichtigem Grund zulässig wäre586. 126 Ebenso wie die Abberufung des ersten Geschäftsführers ist daher auch die nachträgliche

Bestellung von weiteren Geschäftsführern nach der Eintragung der Gesellschaft ohne Änderung des Gesellschaftsvertrags zulässig. Zu beachten ist aber, dass das Musterprotokoll keine allgemeine Vertretungsregelung enthält587. Sofern die Gesellschaft daher über mehrere Geschäftsführer verfügt, sind diese nach der gesetzlichen Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 1 alle nur gemeinschaftlich zur Vertretung befugt588. Demgemäß gilt die Alleingeschäftsführungsbefugnis des ersten Geschäftsführers nur solange, wie kein weiterer Geschäftsführer ernannt ist589. Die gesetzliche Gesamtvertretungsbefugnis ist daher nach allgemeinen Grundsätzen (13. Aufl., § 8 Rz. 35 ff.) auch als abstrakte Vertretungsregelung – neben der konkreten Vertretungsbefugnis des bestellten Geschäftsführers – in die Anmeldung aufzunehmen und im Handelsregister einzutragen590. Da die Vertretungsbefugnis allein aus dem Handelsregister ablesbar sein muss, genügt für die Anmeldung der abstrakten Vertretungsregelung die Bezugnahme auf die gesetzliche Vertretungsregelung allein nicht591. Die Anmeldung der konkreten Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers kann im Hinblick auf § 35 Abs. 2 nicht mit dem Zusatz verbunden werden, dieser sei einzelvertretungsberechtigt, da bei Bestellung weiterer Geschäftsführer zwingend gemäß § 35 Abs. 2 Gesamtvertretungsbefugnis besteht592.

584 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 299. 585 H.M., vgl. DNotI-Report 2010, 16; OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, NZG 2016, 153, 154 = GmbHR 2015, 1279; OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827 = NZG 2009, 754; OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, GmbHR 2009, 1210 = NZG 2009, 1193; OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, GmbHR 2009, 1334 = NZG 2009, 1431; OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, GmbHR 2010, 872, 873; Blasche, GmbHR 2015, 405; Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 382; Melchior, notar 2010, 305, 306; LG Ulm v. 24.2.2009 – 10 T 3/09 KfH, Rpfleger 2009, 388, 389; Tebben, RNotZ 2008, 444; Wicke, NotBZ 2009, 1, 9; Klutzny, NotBZ 2009, 255, 258; Knaier, ZNotP 2021, 241, 242; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 50; a.A. Weigl, notar 2008, 378. Zur Unterscheidung zwischen echten und unechten Bestandteilen vgl. auch Wicke, DNotZ 2006, 419. 586 OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, GmbHR 2010, 872, 873; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 116; Böhringer, BWNotZ 2008, 104; Wicke, NotBZ 2009, 1, 9; Knaier, ZNotP 2021, 241; s. auch 13. Aufl., § 6 Rz. 82. 587 Anders das speziell für das Online-Verfahren vorgesehene Musterprotokoll gemäß Anlage 2 zum GmbHG (hier Rz. 216). 588 OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, NZG 2016, 153, 154 = GmbHR 2015, 1279; OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, NZG 2009, 754, 755 = GmbHR 2009, 827; OLG Celle v. 26.1.2011 – 9 W 12/11, GmbHR 2011, 305, 306; OLG Hamm v. 14.4.2011 – 15 Wx 499/10, NZG 2011, 705 = GmbHR 2011, 708; OLG Düsseldorf v. 12.7.2011 – 3 Wx 75/11, DStR 2011, 2106, 2107 = GmbHR 2011, 1319; Ries, NZG 2009, 1293, 1294; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 114; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 63; Wicke, Rz. 17; Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1993, 1999. 589 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117. 590 OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827 = NZG 2009, 754; OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, GmbHR 2009, 1334 = NZG 2009, 1431; OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, GmbHR 2009, 1210 = NJW 2010, 542; OLG Celle v. 26.1.2011 – 9 W 12/11, GmbHR 2011, 305; Formulierung bei Wicke, NotBZ 2009, 1, 9. 591 LG Stralsund v. 27.1.2009 – 3 T 7/08, NZG 2009, 915, 916 = GmbHR 2009, 829; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120. 592 Wälzholz, GmbHR 2008, 841, 842.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 127 § 2

Möglich ist es aber, dass sich mehrere gesamtvertretungsberechtigte Geschäftsführer entsprechend § 78 Abs. 4 AktG gegenseitig zur alleinigen Vornahme bestimmter Geschäfte oder bestimmter Arten von Geschäften ermächtigen593. Die Anmeldung des Geschäftsführers und der Vertretung kann wie folgt formuliert werden: „Die Vertretung der Gesellschaft ist allgemein wie folgt geregelt: Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt er die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, sind alle nur gemeinsam zur Vertretung der Gesellschaft berechtigt. Zum Geschäftsführer ist bestellt: … Der bestellte Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft gemäß der allgemeinen Vertretungsregelung und ist von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.“594 Der Gründungsgeschäftsführer ist nach dem Wortlaut des Musterprotokolls von den Be- 127 schränkungen des § 181 BGB befreit. Dies bedeutet, dass er die Gesellschaft sowohl bei Rechtsgeschäften mit sich selbst (Selbstkontrahieren), als auch mit einem von ihm vertretenen Dritten vertreten kann (Doppel- oder Mehrvertretung). In zahlreichen Konstellationen, wie insbesondere in Konzernsachverhalten, bei Mehrpersonengesellschaften oder auch bei Fremdgeschäftsführern wird dies regelmäßig nicht den Vorstellungen der Gesellschafter entsprechen, da § 181 BGB gerade möglichen Interessenkonflikten beim Vertreterhandeln für mehrere Personen begegnen soll595. Es bleibt insoweit nur die Möglichkeit, die damit verbunden Risiken (zumindest vorübergehend) hinzunehmen oder den Weg des normalen Gründungsverfahrens einzuschlagen596. Nicht abschließend geklärt ist, ob entsprechend der Regelung des Gründungsformulars auch für weitere Geschäftsführer die Befreiung von § 181 BGB gilt oder ob eine Befreiung von § 181 BGB entsprechend den allgemeinen Grundsätzen erfolgt (12. Aufl., § 35 Rz. 133 ff.), also nach h.M. zumindest einer Satzungsgrundlage bedürfte. Die gesetzliche Regelung erscheint in dieser Hinsicht nicht hinreichend klar. Es empfiehlt sich daher, die Frage anlässlich der Bestellung weiterer Geschäftsführer ausdrücklich in der Satzung zu regeln597. Der Wortlaut des Musterprotokolls spricht aber dafür, dass die Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB konkret und personenbezogen nur auf den ersten Geschäftsführer gemünzt ist. Da das Verbot des § 181 BGB dem gesetzlichen Regelfall der Verhinderung von Interessenkonflikten entspricht, kann ohne eindeutige abweichende Regelung nicht von einer Befreiung auch für einen anderen Geschäftsführer ausgegangen werden, gleich ob dieser ergänzend zu dem ursprünglichen Geschäftsführer oder als Nachfolger an dessen Stelle tritt598. Ebenso kann der Liquidator einer GmbH mit Musterprotokoll nicht ohne Schaffung einer entsprechenden Satzungsgrundlage von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden, das Musterprotokoll enthält zur Liquidation keine von den allgemeinen Grundsätzen abweichenden Regelungen599. Die Befreiung des ersten Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB ist demgemäß als eine einmalige durch das Musterprotokoll angeordnete Suspendierung des Verbots des In-Sich-Geschäfts zu be-

593 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298; Wälzholz, GmbHR 2008, 841, 842 m.w.N. 594 Vgl. Wicke, NotBZ 2009, 1, 9; s. dazu auch OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, NZG 2009, 754, 755 = GmbHR 2009, 827; s. aber Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 67, wonach die Anmeldung einer konkreten Vertretungsregelung irreführend und damit unzulässig sein soll. 595 Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 383. 596 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 301. 597 S. auch Plückelmann, GWR 2009, 385. 598 So im Ergebnis auch die inzwischen ganz h.M., vgl. OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, NZG 2016, 153, 154 = GmbHR 2015, 1279; OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, NZG 2009, 754, 755 = GmbHR 2009, 827; OLG Hamm v. 4.11.2010 – 15 W 436/10, GmbHR 2011, 87; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 118; Altmeppen, Rz. 76; abweichend Sandhaus, NJW Spezial 2009, 607, 608. 599 OLG Frankfurt v. 13.10.2011 – 20 W 95/11, GmbHR 2012, 394 für den mit Musterprotokoll berufenen ersten Geschäftsführer als geborenen Liquidator; zur Anwendung von § 181 BGB auf den Liquidator s. auch Wicke, § 68 Rz. 3.

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§ 2 Rz. 127 | Form des Gesellschaftsvertrages greifen, der insoweit eine begrenzte materielle Satzungsqualität zukommt600. Die ursprünglich bestehende Befreiung des ersten Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB kann daher auch nachträglich durch einfachen Gesellschafterbeschluss aufgehoben werden601. Nach einer vor allem in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung soll bei späterer Bestellung weiterer Geschäftsführer die dem ersten Geschäftsführer erteilte Befreiung sogar automatisch entfallen602. Demgegenüber ist mit der h.M. in der Literatur davon auszugehen, dass die Befreiung des ersten Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB in Ermangelung einer abweichenden Beschlussfassung auch nach Bestellung weiterer Geschäftsführer fort gilt, da sich für eine auflösend bedingte Befreiung weder im Wortlaut des Musterprotokolls, noch in den Gesetzesmaterialien eine Stütze findet und eine entsprechende Regelung nicht praxiskonform wäre603.

4. Weitere Einzelheiten des „vereinfachten Verfahrens“ a) Urkundeneingang 128 Da die Gründung auch im vereinfachten Verfahren der notariellen Beurkundung bedarf, be-

ginnt der Text des Musterprotokolls mit den üblichen Angaben zum Urkundseingang, der Nummer der Urkundenrolle (bzw. nunmehr im Einklang mit § 3 Abs. 3 NotAktVV korrekterweise: der Urkundenverzeichnisnummer604), dem Datum der Errichtung der Niederschrift, den Personen der Erschienenen sowie dem Namen und dem Amtssitz des Notars. Neben der Bezeichnung des oder der Gesellschafter und den Angaben zur notariellen Identitätsfeststellung sind nach den gesetzlichen Anmerkungen zu dem Musterprotokoll ggf. der Güterstand und die Zustimmung des Ehegatten sowie die Angaben zu einer etwaigen Vertretung zu vermerken. Aus beurkundungsrechtlichen Gründen sind weitere Ergänzungen vorzunehmen, die je nach Fallgestaltung variieren können und mit dem vereinfachten Verfahren gemäß § 2 Abs. 1a vereinbar sind (s. Rz. 140)605. Nach § 9 Abs. 2 BeurkG soll die Niederschrift den Ort der Verhandlung enthalten, der nicht mit dem Amtssitz übereinstimmen muss. Wenngleich es sich um eine „Sollvorschrift“ handelt, deren Verletzung nicht zur Unwirksamkeit der Beurkundung führt, folgt hieraus doch eine Amtspflicht des Notars, die von diesem strikt zu beachten ist606. Aus der Niederschrift „soll“ gemäß § 10 Abs. 2 BeurkG zudem hervorgehen, ob der Notar die Beteiligten kennt oder wie er sich Gewissheit über ihre Person verschafft hat607. Bei der Feststellung der Beteiligten ist nicht nur § 26 DONot zu beachten, sondern ebenso

600 Vgl. auch Melchior, notar 2010, 305, 306; Herrler, GmbHR 2010, 960, 964. 601 Tebben, RNotZ 2008, 441, 444; a.A. Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 402, 404 sowie Sandhaus, NJW Spezial 2009, 607. Nach Aufhebung der Befreiung kann angesichts des einmaligen Charakters der Anordnung im Musterprotokoll ohne Satzungsänderung nachträglich nicht erneut Befreiung erteilt werden. 602 OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827 = NZG 2009, 754; OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, NZG 2016, 153, 155 = GmbHR 2015, 1279; AG Amberg v. 12.5.2015 – HRB 4588, BeckRS 2016, 21341; in diese Richtung auch Westermann in Scholz, 10. Aufl. 2010, Nachtrag MoMiG § 2 Abs. 1a Rz. 9. 603 S. Ries, NZG 2009, 739, 740; Miras, DB 2010, 2488; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 301; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 119; Wachter, GmbHR 2009, 785, 791; Plückelmann, GWR 2009, 385. 604 Vgl. Eble in BeckOK BeurkG, § 28 DONot Rz. 9. 605 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 289 f.; Jaeger in BeckOK, Rz. 74; Heckschen, DStR 2009, 166, 168; Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 19; Tebben, RNotZ 2008, 441, 444. 606 Vgl. Limmer in Frenz/Miermeister, 5. Aufl. 2020, § 9 BeurkG Rz. 26. 607 Winkler, § 10 BeurkG Rz. 17.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 130 § 2

die erweiterte Identifizierungspflicht nach dem Geldwäschebekämpfungsgesetz (GWG)608. Aufzunehmen ist gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2 BeurkG ferner die Schlussformel. Als weitere beurkundungsrechtlich geforderte Angaben können Vermerke zu Zweifeln hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit, über die Zuziehung von Zeugen oder eines Dolmetschers und bei Anwaltsnotaren über das Fehlen einer Vorbefassung nach § 3 Abs. 1 Nr. 7 BeurkG zu ergänzen sein. b) Errichtung der Gesellschaft, Firma und Sitz (Nr. 1 des Musterprotokolls) Dem Urkundeneingang folgen die Erklärungen des bzw. der Erschienenen zur Errichtung 129 der Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter Angabe von deren Firma und Sitz und unter ausdrücklicher Bezugnahme auf § 2 Abs. 1a als Regelungsstandort des vereinfachten Verfahrens. Mit der Benennung als „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ wird sowohl die „klassische“ GmbH, als auch die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) zutreffend bezeichnet, die nach Maßgabe des § 5a als Rechtsformvariante der GmbH zu begreifen ist609. Hinsichtlich der Firmierung gelten die allgemeinen Grundsätze (vgl. § 4), der Rechtsformzusatz GmbH oder Gesellschaft mit beschränkter Haftung bzw. Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) oder UG (haftungsbeschränkt) ist beizufügen. Dem Notar fällt bei der Beratung der Beteiligten über die Zulässigkeit der Firmenwahl und die insoweit bestehenden, nicht unkomplizierten rechtlichen Fragestellungen, die er ggf. mit dem Handelsregister und der Industrie- und Handelskammer abstimmen kann, eine wesentliche Funktion zu, die auch im Gesetzgebungsverfahren als wichtiges Argument für die Beibehaltung der Beurkundungspflicht im vereinfachten Gründungsverfahren angesehen wurde610. Als Sitz der Gesellschaft ist entsprechend den Vorgaben des § 4a der Satzungssitz anzugeben und nicht ein etwa davon abweichender Verwaltungssitz, der auch im Ausland liegen kann611. c) Unternehmensgegenstand (Nr. 2 des Musterprotokolls) Der Unternehmensgegenstand kann bei der Gründung im vereinfachten Verfahren frei ge- 130 wählt werden und ist entsprechend den üblichen Vorgaben hinreichend zu individualisieren612. Die Mustersatzung nach dem Regierungsentwurf hatte hingegen lediglich drei Varianten für den Unternehmensgegenstand vorgesehen, von denen (nur) eine durch Ankreuzen auszuwählen war. Jede der vorgegebenen Alternativen („Erbringung von Dienstleistungen“, „Handel mit Waren“ und „Produktion von Waren“) war so allgemein gefasst, dass sie nach geltendem Recht nicht eintragungsfähig gewesen wären613. Damit wären auch die Anforderungen an die Individualisierung des Unternehmensgegenstands generell in Frage gestellt worden, wie sie von der Rechtsprechung im Laufe der Jahrzehnte heraus gebildet wurden, und angesichts der geringen Aussagekraft der zur Auswahl stehenden Varianten der Sinn einer entsprechenden Angabe überhaupt. Der Gesetzgeber hat daher zu Recht von seinem ursprünglichen Vorhaben wieder Abstand genommen614. 608 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 289; s. dazu Winkler, § 10 BeurkG Rz. 46 ff.; s. auch Rz. 133 f. 609 Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 20; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 292; s. auch unten Rz. 140. 610 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109; Wälzholz, MittBayNot 2008, 425, 427; Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 20. 611 Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 286; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109. 612 S. i.E. dazu Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 14 ff. 613 Vgl. Schröder/Cannivé, NZG 2008, 1; Heckschen, DStR 2007, 1442, 1444. 614 Vgl. auch Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 290; Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 110; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 12.

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§ 2 Rz. 131 | Form des Gesellschaftsvertrages d) Stammkapital, Geschäftsanteil, Einlage (Nr. 3 des Musterprotokolls) aa) Stammkapital 131 Das Stammkapital muss auf volle Euro lauten und kann im Fall der UG (haftungsbe-

schränkt) zwischen 1 und 24.999 Euro liegen, bei der klassischen GmbH muss es 25.000 Euro oder mehr betragen. Eine Obergrenze ist für das Stammkapital auch im vereinfachten Verfahren nicht vorgesehen615. bb) Ein Geschäftsanteil 132 Abweichend von § 5 Abs. 2 Satz 2 kann jeder Gesellschafter bei Verwendung des Musterpro-

tokolls nur einen Geschäftsanteil übernehmen616. Eine nachträgliche Teilung der Geschäftsanteile nach Maßgabe von § 46 Nr. 4 ist dadurch aber nicht ausgeschlossen617. Nach allgemeinen Grundsätzen müssen die Geschäftsanteile auf volle Euro lauten (§ 5 Abs. 2 Satz 1) und die Summe der Nennbeträge sämtlicher Geschäftsanteile dem Betrag des Stammkapitals entsprechen (§ 5 Abs. 3 Satz 2). Die Bezeichnung als „Geschäftsanteil Nr. 1“ (bzw. als Nr. 2 und 3 bei der Mehrpersonengründung) ist darauf zurück zu führen, dass dem Musterprotokoll gleichzeitig die Funktion der Gesellschafterliste zukommt, bei welcher die Anteile gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 in Verbindung mit § 40 Abs. 1 Satz 1 im Interesse ihrer eindeutigen Identifizierung und zur Vermeidung von Übertragungsmängeln zu nummerieren sind618. cc) Keine Angabe der prozentualen Beteiligung 133 Als Folge der Neufassung des § 40 durch das „Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geld-

wäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen“619 ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 in der Gesellschafterliste die durch den jeweiligen Nennbetrag eines Geschäftsanteils vermittelte jeweilige prozentuale Beteiligung am Stammkapital anzugeben. Diese Änderung steht im Zusammenhang mit der Einführung des Transparenzregisters nach den §§ 18 ff. GwG, wonach juristische Personen ihre wirtschaftlich Berechtigten dem Transparenzregister mitteilen müssen620. Die im Handelsregister veröffentlichte Gesellschafterliste und auch das Musterprotokoll sind gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 4 GwG über die Internetseite des Transparenzregisters zugänglich. Nach § 20 Abs. 2 GWG a.F. galt damit gleichzeitig die in § 20 Abs. 1 GwG statuierte Pflicht, die Informationen zu den wirtschaftlich Berechtigten im Sinne des § 19 Abs. 1 GwG zur Eintragung in das Transparenzregister mitzuteilen, als erfüllt und eine weitere Anmeldung war nicht erforderlich. Durch die Angabe der prozentualen Beteiligung sollte es dem Nutzer des Transparenzregisters erleichtert werden, sich über den wirtschaftlich Berechtigten zu informieren621. Die Mitteilungsfiktion des § 20 Abs. 2 GWG a.F. wurde durch das Trans-

615 Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 21; anders insoweit etwa die spanische Sociedad Limitada Nueva Empresa (SLNE), vgl. Müller/Müller, GmbHR 2006, 583, 586. 616 Soweit eine Mehrpersonengründung nicht durch drei, sondern nur durch zwei Gesellschafter erfolgt, ist das dritte für einen weiteren Gesellschafter vorgesehene Feld zu streichen, auch wenn dies nicht ausdrücklich aus dem Musterprotokoll und den amtlichen Hinweisen hervorgeht. Vgl. Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 24; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305. 617 Wicke, Rz. 16; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 295. 618 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 111; Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 21; ferner Wicke, MittBayNot 2010, 283. 619 Vom 23.6.2017, BGBl. I 2017, 1822. 620 S. BT-Drucks. 18/11555, S. 173; Schaub, GmbHR 2017, 727. 621 BT-Drucks. 18/11555, S. 173.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 135 § 2

parenzregister- und Finanzinformationsgesetz622 aufgehoben. Seit 1.8.2021 müssen Mitteilungen zum Transparenzregister unabhängig davon erfolgen, ob sich die maßgeblichen Beteiligungsverhältnisse und Informationen bereits aus dem Handels- oder anderen öffentlichen Registern ergeben623. Das Musterprotokoll hatte durch das Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäsche- 134 richtlinie keine Änderung erfahren, nach dem Wortlaut der Nr. 3 ist nach wie vor lediglich die Nummer des Geschäftsanteils anzugeben und nicht die prozentuale Beteiligung. Im Hinblick auf die vormalige Funktion von Gesellschafterliste und Musterprotokoll als Ergänzung des Transparenzregisters zur Information über die wirtschaftlich Berechtigten, konnte man sich die Frage stellen, ob aufgrund dieser Zweckbestimmung über den Wortlaut hinaus die Angabe der prozentualen Angabe geboten war. Nach richtiger Ansicht war dies schon nach altem Recht zu verneinen624. Da das Musterprotokoll eine Anlage zum GmbHG darstellt, kommt diesem Gesetzeskraft zu, so dass aufgrund der Neufassung des § 40 Abs. 1 Satz 1 nicht etwa von einer Änderung der Textfassung „kraft höheren Rechts“ ausgegangen werden kann. Ob die fehlende Anpassung auf einem Redaktionsversehen des Gesetzgebers beruhte, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen625. Eine Pflicht zur Angabe der prozentualen Beteiligung über den Wortlaut der Nr. 3 hinaus ließ sich aber, auch unter Berücksichtigung des Zwecks der vereinfachten Informationsvermittlung über den wirtschaftlichen Berechtigten nicht begründen. Da eine Gründung mit Musterprotokoll auf maximal drei Gründer beschränkt ist, die jeweils nur einen Geschäftsanteil übernehmen dürfen, sind die erforderlichen Daten auch ohne zusätzliche Berechnung des Prozentsatzes ohne weiteres transparent626. Demgemäß kommt auch die in § 40 Abs. 1 Satz 3 vorgesehene Pflicht, bei Gesellschaftern, die mehr als einen Geschäftsanteil halten, den Gesamtumfang der Beteiligung am Stammkapital als Prozentsatz anzugeben, bei Verwendung des Musterprotokolls von vornherein nicht zum Tragen. In der Registerpraxis wird das Musterprotokoll daher allgemein ohne Prozentangabe akzeptiert. Da die Pflicht zur Mitteilung der wirtschaftlich Berechtigten an das Transparenzregister nunmehr unabhängig von der Gesellschafterliste besteht, sollte sich die Frage einer Angabe der prozentualen Beteiligung im Musterprotokoll erledigt haben. dd) Einlagen Die Einlagen sind nach dem Wortlaut des Musterprotokolls in Geld zu erbringen, eine Sach- 135 gründung im Sinne des § 5 Abs. 4 ist damit ausgeschlossen. Werden dennoch anstelle der Bareinlagen verdeckte Sacheinlagen erbracht, ist zu differenzieren. Bei der klassischen GmbH beurteilen sich die Rechtsfolgen nach zutreffender Auffassung gemäß der Vorschrift des § 19 Abs. 4, da es sich bei dem Musterprotokoll und den darin enthaltenen Regelungen lediglich um eine aus Kostengründen angeordnete Verfahrensvereinfachung handelt; demgegenüber ist das für die UG (haftungsbeschränkt) maßgebliche Sacheinlageverbot des § 5a Abs. 2 Satz 2 auch im Gläubigerinteresse begründet627. Ein Hin- und Herzahlen der Bareinlage ist im ver-

622 Transparenzregister- und Finanzinformationsgesetz vom 25.6.2021, BGBl. I 2021, 2083. 623 Zu Recht kritisch Goette, DStR 2021, 1556: doppelte Registerführung mit entsprechendem administrativem Aufwand; ferner John, NZG 2021, 957; s. auch die Übergangsregelung des § 59 Abs. 8 GWG. 624 So auch DNotI-Report 2017, 129; Seibert/Bochmann/Cziupka, GmbHR 2017, R 241; Knaier, ZNotP 2021, 9, 17. 625 S. aber Seibert/Bochmann/Cziupka, GmbHR 2017, R 241. 626 Diese Auffassung ist mit den Vorgaben der Vierten Geldwäscherichtlinie (EU) 2015/849 vereinbar, s. DNotI-Report 2017, 129; Melchior, NotBZ 2017, 281, 284. 627 Vgl. auch; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 61; Wicke, Rz. 16; Witt, ZIP 2009, 1102; Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 21; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 98; Schall, ZGR 2009, 126, 152; Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2141; a.A. Bormann/Urlichs in GmbHR-Son-

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§ 2 Rz. 135 | Form des Gesellschaftsvertrages einfachten Verfahren bei der klassischen GmbH unter den Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 zulässig628, nach zutreffender Auffassung aber nicht bei der UG (haftungsbeschränkt)629. Die Einlagen sind alternativ in voller Höhe oder zur Hälfte sofort, im Übrigen nach Einforderung durch die Gesellschafterversammlung zu zahlen; abweichend von § 7 Abs. 2 Satz 1 genügt daher die Einzahlung von einem Viertel des Nennbetrags des übernommenen Geschäftsanteils nicht. Im Fall der UG (haftungsbeschränkt) sind die Einlagen gemäß § 5a Abs. 2 Satz 1 zwingend vollständig zu leisten. e) Geschäftsführer und Vertretung (Nr. 4 des Musterprotokolls) 136 S. dazu Rz. 125 ff.

f) Gründungskosten (Nr. 5 des Musterprotokolls) 137 Die Kosten der Gründung einer GmbH müssen entsprechend § 26 AktG in ihrem zu erwar-

tenden Gesamtumfang in der Satzung beziffert sein, sofern den Gesellschaftern ein Erstattungsanspruch gegen die GmbH zustehen soll630. Demgemäß ist unter Nr. 5 des Musterprotokolls vorgesehen, dass die Gesellschaft die mit der Gründung verbundenen Kosten trägt, allerdings nur bis zu einem Gesamtbetrag von 300 Euro bzw. höchstens bis zum Betrag des Stammkapitals631. Darüber hinausgehende Kosten tragen der oder die Gesellschafter. Sinn dieser Begrenzung ist es zu verhindern, dass die Gesellschaft von vornherein überschuldet in den Rechtsverkehr tritt und den Geschäftsführer unmittelbar eine Insolvenzantragspflicht trifft632. Mithilfe des Gesamtbetrags von 300 Euro bzw. einem darunter liegenden Stammkapital können aber im Wesentlichen nur die Kosten von Notar und Registergericht633, nicht aber sonstige Aufwendungen, wie insbesondere Honorare für Rechtsanwälte oder Steuerberater beglichen werden, die im Übrigen zwingend von den Gründern aufzubringen sind634. Anzugeben ist lediglich der Gesamtbetrag der Gründungskosten, eine Einzelaufstellung ist nicht vorgesehen und damit auch nicht zulässig635. Nach Auffassung des OLG Stuttgart darf der Zusatz „bzw. höchstens bis zum Betrag des Stammkapitals“ auch dann nicht gestrichen werden, wenn die Gesellschaft ein höheres Stammkapital hat636. Die Bestimmung in der Satzung über den Gründungsaufwand muss auch bei einer mit Muster-

628 629 630 631 632 633 634 635 636

derheft MoMiG, 2008, S. 37, 42; Altmeppen, Rz. 72; zur Problematik im Rahmen des § 5a Abs. 2 Satz 2 s. Wicke, § 5a Rz. 8; ferner 13. Aufl., § 5a Rz. 18 ff. Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 380; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 296. Vgl. auch Westermann, hier 13. Aufl., § 5a Rz. 17; Wicke, § 5a Rz. 7; Weber, BB 2009, 845; Rieder in MünchKomm. GmbHG, § 5a Rz. 27. Vgl. OLG Hamburg v. 18.3.2011 – 11 W 19/11, GmbHR 2011, 766; OLG Frankfurt v. 7.4.2010 – 20 W 94/10, GmbHR 2010, 589 = NZG 2010, 593; BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, GmbHR 1989, 250 = NJW 1989, 1610; Wicke, § 5 Rz. 19. Das speziell für das Online-Verfahren vorgesehene Musterprotokoll gemäß Anlage 2 zum GmbHG (hier Rz. 216) sieht einen Höchstbetrag von 600 Euro vor. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 64; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121; Tebben, RNotZ 2008, 441, 444. Bei der Mehrpersonengründung einer klassischen GmbH wird dieser Betrag bereits durch Beurkundungskosten (168 Euro zzgl. MwSt. und Auslagen) und Eintragungskosten (150 Euro) überschritten. Vgl. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 302; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121. Vgl. auch Weiler, DNotZ 2011, 462; Wachter, NZG 2010, 734, 736. OLG Stuttgart v. 7.7.2020 – 8 W 188/20, GmbHR 2021, 98; zustimmend Widmann, MittBayNot 2021, 403; im Ergebnis auch Stefanink, EWiR 2021, 263; Otte-Gräbener, GWR 2020, 472; kritisch Leuering, NJW-Spezial 2021, 17.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 139 § 2

protokoll gegründeten Gesellschaft für die Dauer von fünf Jahren beibehalten werden637. Das Änderungsverbot innerhalb der Sperrfrist steht aber redaktionellen Änderungen und sprachlichen Neufassungen der ursprünglichen Festsetzung nicht entgegen, sofern nur deren substanzieller Inhalt, nämlich der Höchstbetrag des von der Gesellschaft zu tragenden Aufwands, unverändert bleibt638. g) Erteilung von Ausfertigungen und Abschriften (Nr. 6 des Musterprotokolls) Das Musterprotokoll legt unter Nr. 6 fest, wer Ausfertigungen und (beglaubigte) Abschrif- 138 ten erhalten soll (§ 51 Abs. 1, 3 BeurkG) und trägt damit gleichzeitig notariellen Mitteilungspflichten Rechnung (§ 51 Abs. 4 BeurkG). Entgegen den Vorgaben der Vorschrift des § 54 EStDV ist (wohl als Folge eines Redaktionsversehens des Gesetzgebers) vorgesehen, dass das Finanzamt für Körperschaften nur eine einfache und nicht eine beglaubigte Abschrift erhalten soll639. Die Beteiligten können weitere Ausfertigungen und Abschriften verlangen, eine Aufnahme in das Musterprotokoll erfolgt insoweit aber nicht640. h) Notarielle Hinweise (Nr. 7 des Musterprotokolls) Unter Nr. 7 des Musterprotokolls wird schließlich die Möglichkeit eröffnet, dass die vom 139 Notar anlässlich der Beurkundung gegebenen Hinweise dokumentiert werden. Die Belehrungspflicht des Notars nach Maßgabe des § 17 BeurkG besteht aufgrund der Beurkundung des Musterprotokolls ebenso wie die Vollzugspflicht gemäß § 53 BeurkG im Rahmen des vereinfachten Verfahrens ohne Einschränkungen641. Da der Notar hinsichtlich der Ausgestaltung des Beurkundungsverfahrens grundsätzlich frei ist und sich die erforderlichen Belehrungen auch bei einem standardisierten Gründungsprozess nicht abstrakt für alle Fälle antizipieren lassen, sieht das Musterprotokoll von einer Vorformulierung entsprechender Hinweise ab642. Die Bedeutung von Belehrungsvermerken liegt vornehmlich darin, im Fall der Geltendmachung von Amtshaftungsansprüchen gegen den Notar aufgrund § 19 BNotO Beweis darüber zu erbringen, dass eine gebotene Belehrung tatsächlich erfolgt ist643. Es empfiehlt sich vor diesem Hintergrund, die für die „klassische“ GmbH üblichen Hinweise auch bei der Gründung im vereinfachten Verfahren aufzunehmen644. In der Literatur werden darüber hinaus überwiegend Belehrungen über die Risiken einer Verwendung des Musterprotokolls, etwa im Hinblick auf die Befreiung des Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB oder die Unzulänglichkeiten des Musterprotokolls als solche, für erforderlich gehalten645. Tatsächlich wird in der Praxis, vom Fall der Gründung einer UG (haftungs-

637 Vgl. OLG München v. 6.10.2010 – 31 Wx 143/10, ZIP 2010, 2096 = GmbHR 2010, 1263; a.A. Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5 Rz. 57c; OLG Oldenburg v. 22.8.2016 – 12 W 121/16 (HR), GmbHR 2016, 1305 = NZG 2016, 1265: zehn Jahre; ebenso OLG Celle v. 2.2.2018 – 9 W 15/18, GmbHR 2018, 372. 638 Vgl. OLG München v. 6.10.2010 – 31 Wx 143/10, ZIP 2010, 2096, 2097 = GmbHR 2010, 1263: Neufassung der ursprünglichen Nr. 5 des Musterprotokolls nach einer Kapitalerhöhung von 2 Euro auf 10 Euro, wie folgt, zulässig: „Die mit der Errichtung der Gesellschaft verbundenen Kosten und Gebühren hat die Gesellschaft bis zu einem Höchstbetrag von 2 Euro zu tragen.“ 639 Heckschen, DStR 2009, 166, 167; Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 380. 640 Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 300; anders wohl Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 303. 641 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 53. 642 Vgl. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304. 643 Vgl. dazu Hertel in Staudinger, Beurkundungsgesetz, Neubearbeitung 2017, Rz. 499 f. 644 S. dazu aus jüngerer Zeit etwa Schmelter/Greger, MittbayNot 2021, 201. 645 Altmeppen, Rz. 85; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 66; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304; Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 24.

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§ 2 Rz. 139 | Form des Gesellschaftsvertrages beschränkt) mit nur einem Gesellschafter-Geschäftsführer abgesehen, von der Verwendung des Musterprotokolls regelmäßig abzuraten sein und der Notar die Beteiligten hierüber entsprechend aufklären müssen (s. Rz. 150). Da der Gesetzgeber aber ausdrücklich ein eigenständiges Musterprotokoll für mehrere Personen mit einer Befreiung des Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB vorgesehen hat, dürften aus dem Unterbleiben eines entsprechenden Hinweises im Normalfall keine Haftungskonsequenzen resultieren646. Bei Gründung einer UG (haftungsbeschränkt) mit nur sehr geringem Stammkapital wird grundsätzlich (und unabhängig vom vereinfachten Verfahren) eine Belehrung über die Insolvenzantragspflicht im Fall der Überschuldung bzw. Zahlungsunfähigkeit geboten sein.

5. Abweichungen vom Musterprotokoll (§ 2 Abs. 1a Satz 3) a) Keine „vom Gesetz abweichenden Bestimmungen“ 140 Bei Verwendung des Musterprotokolls dürfen nach § 2 Abs. 1a Satz 3 darüber hinaus „keine

vom Gesetz abweichenden Bestimmungen“ getroffen werden. Diese Formulierung ist mehrdeutig und bedarf der Auslegung. Gemeint sind damit nicht etwa Änderungen gegenüber dem GmbH-Gesetz im Allgemeinen, vielmehr sind Abweichungen und auch Ergänzungen grundsätzlich nur zulässig, wenn dies im Musterprotokoll ausdrücklich vorgesehen ist und keine zwingenden gesetzlichen Vorschriften entgegenstehen647. So würde die Zulassung weiterer Regelungen, wie eine Einziehungsklausel oder eine umfassendere Vertretungsregelung in der Satzung oder die Aufnahme von Abwicklungsvollmachten den Unterschied zwischen vereinfachtem Verfahren und normaler GmbH-Gründung verwischen und die Zielsetzung des Gesetzgebers, eine schnelle Gründung ohne größere Prüfung durch das Registergericht zu ermöglichen, konterkarieren648. Keine abweichenden Bestimmungen im Sinne des § 2 Abs. 1a Satz 3 liegen aber vor, soweit es sich um beurkundungsrechtlich gebotene Zusätze handelt649. Entsprechendes gilt, wenn der Urkundeneingang aus Zweckmäßigkeitsgründen anders formuliert oder die Notarurkunde mit einer Überschrift versehen wird650. Keine unzulässigen Änderungen des Musterprotokolls stellen nach der Rechtsprechung des OLG München und des OLG Düsseldorf ferner völlig unbedeutende Abwandlungen bei Zeichensetzung, Satzstellung und Wortwahl dar, die keinerlei Auswirkungen auf den Inhalt haben651. Dies wäre etwa beim Einsatz der weiblichen Form („Die Erschienene“) oder Abkürzungen („geb.“) und u.U. auch bei Schreibfehlern anzunehmen652. Unschädlich sind auch das Weg-

646 Zustimmend Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304. 647 Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 24; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 275. 648 Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 24; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 275. 649 OLG Düsseldorf v. 12.7.2011 – 3 Wx 75/11, DStR 2011, 2106 = GmbHR 2011, 1319; Wicke, NotBZ 2009, 1, 8; Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 378; Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 304; Knaier ZNotP 2021, 9, 13. 650 So LG Chemnitz v. 11.8.2009 – 2 HKT 546/09, ZIP 2010, 34; OLG München v. 28.9.2010 – 31 Wx 173/10, GmbHR 2010, 1262; im Ergebnis zustimmend Wachter, EWiR, § 2 GmbHR 1/10, Rz. 19; noch weitergehend wohl Tebben, RNotZ 2008, 441, 444: Feststellungen und Erklärungen in der Urkunde, die den Inhalt des Gesellschaftsvertrags sowie die Bestimmungen über die Geschäftsführung nicht betreffen, sind keine „abweichenden Bestimmungen“. 651 S. OLG München v. 28.9.2010 – 31 Wx 173/10, GmbHR 2010, 1262; vorgesehen waren u.a. Spiegelstriche statt Klammern bei der Angabe der Nennbeträge, „in Worten“ war nicht abgekürzt, sondern ausgeschrieben, die Adresse des Geschäftsführers wurde nicht wiederholt, der gleichzeitig Gesellschafter war; zustimmend OLG Düsseldorf v. 12.7.2011 – 3 Wx 75/11, DStR 2011, 2106 = GmbHR 2011, 1319; s. auch Wicke, Rz. 18. 652 Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 302.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 142 § 2

lassen der vom Gesetzgeber in den Fußnoten gegebenen Erläuterungen, die Änderung der äußeren Gestaltung der Urkunde oder die Verwendung einer anderen Schriftart oder Schriftgröße, da der in der Verfahrensbeschleunigung liegende Zweck von vornherein nicht berührt wird653. Generell nicht vereinbar mit dem vereinfachten Verfahren ist es hingegen, den Text des Musterprotokolls umzuformulieren oder andere als die im Musterprotokoll vorgesehenen oder das Beurkundungsverfahren betreffende Ergänzungen vorzunehmen654. Problematisch ist daher insbesondere jede Änderung der die Gründung der GmbH betreffenden Erklärungen in den Nrn. 1 bis 5, soweit sie nicht rein äußerlich-formaler Art sind, sondern Auswirkungen auf den Inhalt haben. Bei Gründung einer UG (haftungsbeschränkt), die keine eigenständige Rechtsform ist, sondern nur eine Rechtsformvariante der GmbH, wird vertreten, dass in Nr. 1 des Musterprotokolls die Worte „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ nicht durch „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ ersetzt werden dürften655. b) Rechtsfolgen In Fällen einer unzulässigen Abweichung vom Musterprotokoll, wie etwa bei einer Grün- 141 dung durch mehr als drei Gesellschafter, bei Vorhandensein von zwei oder mehreren Geschäftsführern oder bei einem höher festgesetzten Gründungsaufwand, liegt eine „normale“ GmbH-Gründung vor, für welche die Erleichterungen des § 2 Abs. 1a nicht gelten, sondern die allgemeinen Regelungen für die Gründung einer GmbH Anwendung finden656. Da § 2 Abs. 1a Satz 4 keine Anwendung findet, ist als Folge zusätzlich eine Gesellschafterliste einzureichen, zudem entfällt die kostenrechtliche Privilegierung der § 105 Abs. 6, § 107 Abs. 1 Satz 2 GNotKG (früher § 41d KostO). Weitergehende Sanktionen, wie die Annahme von Nichtigkeit der abweichenden Bestimmung gemäß § 134 BGB oder gar nach § 139 BGB des gesamten Gründungsakts erscheinen nicht gerechtfertigt, zumal dies dem generellen Anliegen des Reformgesetzgebers, GmbH-Gründungen zu beschleunigen, zuwider laufen würde657. Demgegenüber soll nach Auffassung des OLG München auch ein neuer Gesellschaftsver- 142 trag vorzulegen sein. Das Musterprotokoll könne im „normalen“ Verfahren“ zur Gründung einer GmbH nicht Grundlage für den Nachweis der darin zusammen gefassten Dokument sein, für die Befreiung des Geschäftsführers vom Verbot des Selbstkontrahierens gemäß § 181 BGB bedürfe es nach h.M. zudem einer satzungsmäßigen Grundlage658. Dem ist entgegen zu halten, dass das Musterprotokoll sämtliche Anforderungen an den Mindestinhalt des Gesellschaftsvertrags gemäß § 3 Abs. 1 erfüllt. Eine zwingende gesetzliche Vorschrift, die eine Zusammenfassung von Gründungsakt, Satzung und Geschäftsführerbestellung zu einem einheitlichen Dokument verbieten würde, besteht nicht659, in den Text des Statuts einer GmbH können wohl unstreitig auch sog. unechte Satzungsbestandteile aufgenommen werden, die 653 Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 379; Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2140. 654 Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2140; Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 302; OLG Stuttgart v. 7.7.2020 – 8 W 188/20, GmbHR 2021, 98. 655 Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2140; OLG Düsseldorf v. 12.7.2011 – 3 Wx 75/11, DStR 2011, 2106, 2107 = GmbHR 2011, 1319: „Einpersonen-Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“. 656 Insoweit wohl allgemeine Auffassung, vgl. nur Wicke, Rz. 18; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 104; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 70; OLG Stutgart v. 7.7.2020 – 8 W 188/20, GmbHR 2021, 98. 657 H.M. in der Literatur, vgl. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282; Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 127; Tebben, RNotZ 2008, 441, 444; Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, 16, 19; Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 385; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 109; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 104; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 59; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 54. 658 OLG München v. 12.5.2010 – 31 Wx 19/10, GmbHR 2010, 755 m. kritischer Anm. Wachter. 659 Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16, 19.

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§ 2 Rz. 142 | Form des Gesellschaftsvertrages materiell nicht die Qualität einer gesellschaftsvertraglichen Regelung haben660. Der Befreiung des ersten Geschäftsführers von den Beschränkungen des § 181 BGB im Rahmen des Musterprotokolls kommt als eine einmalig angeordnete Suspendierung des Verbots des InSich-Geschäfts entgegen der Auffassung des OLG München durchaus eine begrenzte materielle Satzungsqualität zu661. Dem Verweis im Musterprotokoll auf § 2 Abs. 1a kann darüber hinaus nicht der objektive Erklärungswert beigelegt werden, die Gesellschafter wünschten die Errichtung im Wege des vereinfachten Verfahrens auch um den Preis der fehlenden Eintragungsfähigkeit662; die Beseitigung etwaiger daraus resultierender Unklarheiten, die lediglich interne Bedeutung für die Gesellschafter haben, kann durch das Registergericht auf der Grundlage des § 9c auch nicht verlangt werden, selbst wenn die Auslegung nicht zu einem eindeutigen Verständnis führt663.

6. Satzungsänderungen a) Anwendung der allgemeinen Vorschriften (§§ 53 f.) und Kostenprivileg (§ 105 Abs. 6, § 108 Satz 1 GNotKG) 143 Im Fall einer Änderung der im Musterprotokoll enthaltenen gesellschaftsvertraglichen Re-

gelungen sind die allgemeinen Vorgaben der §§ 53 f. einzuhalten664. Die Kostenprivilegierung kommt aufgrund des Verweises in § 108 Abs. 1 Satz 1 GNotKG auf § 105 Abs. 6 GNotKG bei Satzungsänderungen unter der Voraussetzung zur Anwendung, dass „die Gesellschaft auch mit dem geänderten Gesellschaftsvertrag hätte gemäß § 2 Abs. 1a GmbHG gegründet werden können“665. Es besteht daher auch insoweit Wahlfreiheit der Gesellschafter, ob sie sich bei einer Satzungsänderung weiter im engen Rahmen des Musterprotokolls mit Kostenprivileg bewegen möchten oder ob sie ein maßgeschneidertes Rechtsgewand unter Aufgabe des Kostenprivilegs bevorzugen666. Der Geschäftswert für einen derartigen Beschluss beträgt nach § 108 Abs. 1 Satz 1, § 105 Abs. 4, 6 Satz 1 Nr. 2 GNotKG 1 % des eingetragenen Stammkapitals, wobei der Mindestwert des § 105 Abs. 1 GNotKG nicht gilt667; Entsprechendes gilt gemäß § 105 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2, § 105 Abs. 4 GNotKG für die Anmeldung zum Handelsregister668. b) Anpassung des Texts des Musterprotokolls? 144 In der Rechtsprechung der vergangenen Jahren ist immer wieder die Frage aufgetreten, wie

die Formulierung nachträglicher Änderungen zu gestalten ist, ohne die durch das Musterprotokoll vorgegebenen Grenzen überschreiten zu müssen669. Nach einer zutreffenden Entscheidung des OLG Düsseldorf kann eine vollständige Neufassung des Gesellschaftsvertrags nicht verlangt werden670. Die Verwendung des Musterprotokolls bei der Gründung der Ge660 Vgl. Wicke, DNotZ 2006, 419; Herrler, GmbHR 2010, 960, 964. 661 S. Rz. 127. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 283, 300. 662 Herrler, GmbHR 2010, 960, 964; Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 385; Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 306. 663 Vgl. Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 9c Rz. 9 m.w.N. 664 OLG München v. 29.10.2009 – 31 Wx 124/09, GmbHR 2010, 40; Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 402, 407; Wicke, Rz. 19; Jaeger in BeckOK, Rz. 74a. 665 Notarkasse AdÖR (Hrsg.), Streifzug durch das GNotKG, 13. Aufl. 2021, Rz. 1525. 666 Omlor/Spies, GmbHR 2010, 759, 760. 667 Notarkasse AdÖR (Hrsg.), Streifzug durch das GNotKG, 13. Aufl. 2021, Rz. 1526. 668 Notarkasse AdÖR (Hrsg.), Streifzug durch das GNotKG, 13. Aufl. 2021, Rz. 1528. 669 Kallweit, GmbHR 2010, 312, 313; Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2143; Wicke, Rz. 19. 670 OLG Düsseldorf v. 10.5.2010 – 3 Wx 106/10, GmbHR 2010, 757 m. zustimmender Anm. Omlor/ Spies. Zustimmend auch Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2143. Das Registergericht hatte hingegen

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sellschaft zwingt hingegen nach Auffassung des OLG München nicht dazu, bei späteren Änderungen der Satzung die nur auf die Gründung bezogenen Formulierungen beizubehalten, obwohl diese später inhaltlich falsch und irreführend sind. Vielmehr könne insoweit vom Registergericht zur Vermeidung von Widersprüchen sogar eine redaktionelle Anpassung der sprachlichen Fassung verlangt werden671. Dies wurde insbesondere für Firma und Sitz bejaht, da diese Angaben im Musterprotokoll im selben Satz enthalten sind mit dem – einmalig – die Errichtung der Gesellschaft erfolgt672. Entsprechendes wird auch für eine spätere Änderung des Unternehmensgegenstands oder des Stammkapitals673 angenommen, da sich der Einleitungssatz auf den gesamten nachfolgenden Text beziehe674. Für nicht ausreichend zur Beseitigung von Unklarheiten hielt das OLG München bei einer Kapitalerhöhung neben dem bloßen Austausch der Kapitalziffer eine Formulierung zu den neuen Gesellschaftern, wonach diese die Geschäftsanteile „halten“ und nicht „übernehmen“, solange die neue Satzung noch die Überschrift „Errichtung einer Unternehmergesellschaft“ und die Fassung des Eingangssatzes „wird errichtet“ beibehält675. Eine Änderung der im Urkundsmantel enthaltenen Erklärungen wird hingegen nicht für erforderlich gehalten676. Der Ansatz des OLG München ist so zu begreifen, dass regelmäßig lediglich die punktuelle Abänderung einzelner Formulierungen des Musterprotokolls und nicht die Neufassung des gesamten Gesellschaftsvertrags verlangt werden kann und steht damit nicht im Widerspruch zur Rechtsprechung des OLG Düsseldorf677. Die Auffassung des OLG München verdient Zustimmung, soweit das Gericht die Änderung der nur auf die Gründung bezogenen Formulierungen zulässt, sie erscheint aber nicht zwingend, soweit eine entsprechende Anpassung für erforderlich gehalten wird, da auch bei einer normalen GmbH Gründung mit separater Satzung häufig Angaben beibehalten werden, obwohl sie im Laufe der Zeit unrichtig geworden sind678. In der Praxis ist als Folge dieser Rechtsprechung genau auf eine widerspruchsfreie Formulierung des gesamten Musterprotokolls auch bei der Änderung nur einzelner Satzungsbestimmungen zu achten. Als Reaktion auf die geschilderte Rechtsprechung ordnet § 105 Abs. 6 Satz 2 GNotKG nunmehr an, dass reine sprachliche Abweichungen vom Musterprotokoll oder die spätere Streichung der auf die Gründung verweisenden Formulierungen der kostenrecht-

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bei einer Änderung des Unternehmensgegenstands verlangt, „durch Erstellung einer geänderten Satzung mit Notarbescheinigung gemäß § 54 Abs. 1 mit den Mindestbestandteilen nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 bzw. durch Wiedergabe lediglich der Nr. 1 bis 5 des Musterprotokolls – unter Streichung aller auf die Gründung verweisenden Formulierungen“ möglichen Missverständnissen zu begegnen; a.A. auch Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 324. OLG München v. 3.11.2009 – 31 Wx 131/09, GmbHR 2010, 312; OLG München v. 6.7.2010 – 31 Wx 112/10, GmbHR 2010, 922; OLG München v. 6.10.2010 – 31 Wx 143/08, GmbHR 2010, 1263. Die Nummer 1 des Musterprotokolls könnte demgemäß etwa wie folgt umformuliert werden: „Die Gesellschaft führt die Firma X GmbH und hat ihren Sitz in M“ (s. auch Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2143). Zur Regelung der Gründungskosten s. auch OLG München v. 6.10.2010 – 31 Wx 143/08, GmbHR 2010, 1263 und Nachweise in Rz. 137. OLG München v. 6.7.2010 – 31 Wx 112/10, GmbHR 2010, 922. § 105 Abs. 6 GNotKG gilt für den Kapitalerhöhungsbeschluss allerdings nicht, da die Vorschrift lediglich Beschlüsse mit unbestimmtem Geldwert betrifft, vgl. Tiedke in Korintenberg, § 108 GNotKG Rz. 63. Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2143. OLG München v. 6.7.2010 – 31 Wx 112/10, GmbHR 2010, 922, 924. Das OLG München weist aber in der Entscheidung zutreffend darauf hin, dass die Angaben zu den ursprünglichen Geschäftsanteilen und ihren Übernehmern gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 4 in späteren Satzungen entfallen können; s. dazu Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 56 mit Nachw. zum Streitstand; einschränkend etwa Melchior, notar 2010, 305, 306: Aufhebung nur bei Volleinzahlung oder fünf Jahre nach Eintragung. OLG München v. 23.10.2014 – 31 Wx 415/14, MittBayNot 2015, 250. Vgl. auch OLG Düsseldorf v. 10.5.2010 – 3 Wx 106/10, GmbHR 2010, 757, 758. Vgl. Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 402, 406; dies gilt für die Angaben zu den Gründungsgesellschaftern und generell für unechte Satzungsbestandteile, s. Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 56, 109.

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§ 2 Rz. 144 | Form des Gesellschaftsvertrages lichen Privilegierung nicht entgegenstehen. Mit dieser Regelung dürfte es vereinbar sein und im Interesse erhöhter Rechtsklarheit und Praktikabilität damit auch empfehlenswert sein, eine Neufassung des Gesellschaftsvertrags mit den weiterhin gültigen gesellschaftsvertraglichen Regelungen des ursprünglichen Musterprotokolls unter Streichung aller auf die Gründung verweisenden Formulierungen, einschließlich der bereits durch voraus gegangene Maßnahmen unrichtig gewordenen Textbestandteile wie die Geschäftsführerbestellung, zu beschließen679. Aufrechterhalten werden müsste demgemäß der Mindestinhalt des § 3 Abs. 1, wahlweise ohne Übernahmeerklärung(en), die Regelung über die Gründungskosten und ggf. die Bestimmung über den ersten Geschäftsführer und dessen Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB, soweit diese noch Gültigkeit hat, im Wesentlichen also die Nrn. 1 bis 5 des Musterprotokolls680. Enthält die neu gefasste Satzung keine Regelung zu § 181 BGB, entfällt die entsprechende Befreiung681 und die Änderung der Vertretungsregelung ist zum Handelsregister anzumelden (§ 39 Abs. 1)682. c) Beifügung von Satzungstext und Satzungsbescheinigung 145 Bei Anmeldung der Satzungsänderung ist gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 der vollständige Wort-

laut des Gesellschaftsvertrags mit Notarbescheinigung beizufügen. Es genügt folglich nicht, lediglich die Niederschrift der Gesellschafterversammlung vorzulegen, die im Rahmen der Beschlussfassung über die Änderung auch die neue Fassung der entsprechenden Bestimmungen des Musterprotokolls enthält683. Nicht abschließend geklärt ist die Frage, wie in einem solchen Fall die Satzungsbescheinigung des § 54 Abs. 1 Satz 2 auszugestalten ist. Nach zutreffender Auffassung ist es zulässig, die Satzungsbescheinigung über das vollständige Musterprotokoll in der nunmehr geänderten Form zu erstellen684. Einer Gegenansicht zufolge darf der bescheinigte Satzungstext nur die statutarischen Bestimmungen, verstanden als die Nrn. 1 bis 5, enthalten685. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass nach h.M. hinsichtlich überholter bzw. unechter Satzungsbestandteile eine Anpassung im Rahmen der Zusammenstellung des Satzungstextes nur erfolgen darf, wenn über die Anpassung ein Gesellschafterbeschluss gefasst worden ist686. Ein solcher Gesellschafterbeschluss wäre nach hier vertretener Auffassung möglich, ohne dass darin eine „Abweichung“ vom Musterprotokoll zu sehen wäre (s. Rz. 144).

679 Einschränkend Notarkasse AdÖR (Hrsg.), Streifzug durch das GNotKG, 13. Aufl. 2021, Rz. 1549. 680 A.A. Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2143 und 2144 Fn. 62 (vollständige Satzungsneufassung nicht privilegiert); ebenso DNotI-Report 2010, 217, 219; noch weiter einschränkend Krafka, NotBZ 2010, 110, 111, wonach auch redaktionelle Änderungen in den Variablen des Musterprotokolls nicht privilegiert sind. 681 So die h.M., vgl. Wicke, § 35 Rz. 10. 682 OLG Düsseldorf v. 30.4.2021 – 3 Wx 46/21, GmbHR 2021, 921. 683 H.M., vgl. OLG München v. 29.10.2009 – 31 Wx 124/09, GmbHR 2010, 40; OLG Zweibrücken v. 9.5.2011 – 3 W 1/11, BeckRS 2013, 15490; DNotI-Report 2010, 217, 218; Wicke, Rz. 19; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 54 Rz. 10a; Trölitzsch in BeckOK, § 54 Rz. 5; a.A. Wälzholz, GmbHR 2008, 841, 843. 684 Wicke, NotBZ 2009, 1, 10; Jaeger in BeckOK, Rz. 74a; Krafka, NotBZ 2010, 110, 111; Melchior, notar 2010, 305, 307. 685 Vgl. DNotI-Report 2010, 217, 218; s. auch Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2143; ferner Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 324: Satzungsbescheinigung nur bei Neufassung der Satzung möglich; s. auch Hasselmann, AnwBl. 2008, 659, 661. 686 Inhester in Saenger/Inhester, § 54 Rz. 14; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 54 Rz. 11; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 54 Rz. 4; Priester/Tebben hier, 12. Aufl., § 54 Rz. 18; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 10.5.2010 – 3 Wx 106/10, GmbHR 2010, 757, 758; OLG München v. 3.11.2009 – 31 Wx 131/09, GmbHR 2010, 312; a.A. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 54 Rz. 19; im vorliegenden Zusammenhang auch Herrler/König, DStR 2010, 2138, 2143.

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d) Satzungsänderungen vor Eintragung Änderungen des Musterprotokolls vor Eintragung der GmbH ins Handelsregister erfolgen 146 nach allgemeinen Grundsätzen durch entsprechende Vereinbarung sämtlicher Gesellschafter687. Soweit Abweichungen gegenüber dem Musterprotokoll erfolgen sollen, führt dies zum Übergang ins normale Gründungsverfahren. Halten sich die Änderungen hingegen im Rahmen des Musterprotokolls, ist eine Nachtragsurkunde mit Satzungsbescheinigung gemäß § 54 Abs. 1 Satz 2 zum Handelsregister einzureichen; es wird aber auch eine Neuausfertigung des Musterprotokolls für zulässig erachtet688.

7. Gesellschafterliste und Registeranmeldung (§ 2 Abs. 1a Satz 4) Das Musterprotokoll gilt nach § 2 Abs. 1a Satz 4 zugleich als Gesellschafterliste im Sinne 147 des § 8 Abs. 1 Nr. 3. Eine separate Gesellschafterliste ist daher bei der Gründung im vereinfachten Verfahren nicht zum Handelsregister einzureichen. Dies gilt ebenso im Fall der Bestellung eines Fremdgeschäftsführers, der auch nicht etwa das Musterprotokoll unterzeichnen muss689. Die Gesellschafter sind im Musterprotokoll entsprechend den Anforderungen des § 40 Abs. 1 mit Namen, Geburtsdatum und Wohnort bzw. im Fall von eingetragenen Gesellschaften mit Firma, Satzungssitz, zuständigem Register und Registernummer zu bezeichnen690, wobei die Daten zweckmäßigerweise im Rubrum der Urkunde und nicht im variablen Feld zum Gesellschafter aufgeführt werden sollten. In der Eigenschaft als Gesellschafterliste bildet das Musterprotokoll im Sinne des § 16 Legitimationsbasis für das Rechtsverhältnis der GmbH zu ihren Gesellschaftern und auch den Rechtsscheinträger für einen gutgläubigen Erwerb von Geschäftsanteilen691. Kommt es nachträglich zu einer Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung, z.B. durch Beschluss einer Kapitalmaßnahme oder aufgrund Abtretung eines Geschäftsanteils, ist nach den allgemeinen Grundsätzen des § 40 eine neue separate Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen692, nicht hingegen bei einer Satzungsänderung ohne Einfluss auf das Kapital oder die Beteiligungen693. Die Anmeldung der Gründung im vereinfachten Verfahren hat nach allgemeinen Vorgaben zu erfolgen694. Sie ist als separates Schriftstück zusammen mit dem Musterprotokoll elektronisch in öffentlich beglaubigter Form zum Handelsregister einzureichen (§ 12 HGB) und wurde vom Gesetzgeber nicht eigens vorformuliert. Weitere Dokumente neben der Anmeldung und dem Musterprotokoll sind, abgesehen von etwaigen Vollmachten (§ 8 Abs. 1 Nr. 1) und Vertretungsnachweisen, nicht vorzulegen695.

8. Kostenprivilegierung Der maßgebliche Vorteil des vereinfachten Verfahrens liegt in einer möglichen Kostenpri- 148 vilegierung bei Gründung und Satzungsänderungen gemäß § 105 Abs. 6, § 107 Abs. 1 Satz 2, 687 S. Rz. 26; Wicke, Rz. 6. 688 Altmeppen, Rz. 88; Jaeger in BeckOK, Rz. 74a; s. zur Problematik ferner Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 386. 689 DNotI-Report 2011, 149; a.A. Heidinger/Blath, ZNotP 2010, 376, 384. 690 Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 99; zur Gesellschaft bürgerlichen Rechts s. Rz. 124. 691 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 129; Wicke, § 16 Rz. 2. 692 Vgl. OLG München v. 29.10.2009 – 31 Wx 124/09, GmbHR 2010, 40; DNotI-Report 2010, 217, 218; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 129. 693 Jaeger in BeckOK, Rz. 74a. 694 OLG Düsseldorf v. 12.7.2011 – 3 Wx 75/11, DStR 2011, 2106, 2107 = GmbHR 2011, 1319. 695 Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 62. Zur ausnahmsweisen Vorlage von staatlichen Genehmigungen s. Wicke, § 9c Rz. 8.

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§ 2 Rz. 148 | Form des Gesellschaftsvertrages § 108 Abs. 1 Satz 1 GNotKG696. Demzufolge kommt nicht der Mindestwert des § 107 Abs. 1 Satz 2 GNotKG von 30.000 Euro zur Anwendung, vielmehr ist bei der Gründung als Geschäftswert der Nominalbetrag des Stammkapitals anzusetzen, der im Fall einer klassischen GmbH mit Mindeststammkapital bei 25000 Euro und im Fall der UG (haftungsbeschränkt) zwischen 1 und 24.999 Euro liegt. Bei Gründung einer Ein-Personengesellschaft beträgt die 1,0-Gebühr nach KV 21200 GNotKG mindestens 60 Euro, bei Gründung einer Mehrpersonengesellschaft beträgt die 2,0-Gebühr nach KV 21100 GNotKG mindestens 120 Euro; wobei die genannten Mindestgebühren bis zu einem Stammkapital von 7.000 Euro nicht überschritten werden, während sich bei einer normalen Gründung Gebühren von mindestens 125 bzw. 250 Euro ergeben würden. Für Entwurf und Beglaubigung der Handelsregisteranmeldung wären bei einem Stammkapital bis zu 7.000 Euro im vereinfachten Verfahren Gebühren von 30 Euro zu zahlen, bei der normalen Gründung von 62,50 Euro697. Ein weiterer nicht unerheblicher Kostenvorteil des vereinfachten Verfahrens liegt (insoweit unabhängig vom Stammkapital) darin, dass die Geschäftsführerbestellung als Teil des Musterprotokolls, obgleich sie vom Notar mitbeurkundet wurde, nicht gesondert bewertet wird698, und auch mögliche Kosten für die Erstellung der Gesellschafterliste durch den Notar entfallen699. Bei einer Satzungsänderung im Rahmen des Musterprotokolls, die nicht mit einer Änderung des Stammkapitals verbunden ist, führt die Nichtanwendung der Mindestwertbestimmung dazu, dass als Geschäftswert für den Beschluss und die Anmeldung ein Prozent des Stammkapitals zugrunde zu legen ist und der Mindestwert von 30.000 Euro wiederum nicht gilt (§ 108 Abs. 1, § 105 Abs. 6, 4 GNotKG)700.

9. Rechtspraktische und -politische Bewertung a) Rechtspolitischer Kompromiss 149 Das in § 2 Abs. 1a vorgesehene beurkundungspflichtige Musterprotokoll stellt einen Kom-

promiss zwischen unterschiedlichen Strömungen im Gesetzgebungsverfahren zum MoMiG dar, die von einer Beibehaltung des status quo ante ohne Einführung von Gründungsmustern bis hin zur Schaffung ausführlicherer gesetzlicher Formulartexte nach angelsächsischem Vorbild reichten. Die Befürworter einer beurkundungsfreien Mustersatzung entsprechend der Position des Regierungsentwurfs waren von der Sorge geleitet, dass in der gesetzlichen Vorgabe schriftlicher Gründungsformulare ein Systemvorteil der englischen Limited liegen könnte, der zu einem weiteren Zuwachs dieser Rechtsform gegenüber der GmbH führen könnte701. Wie jüngere Zahlen belegen, hat sich diese Sorge aber als unbegründet erwiesen702. Die Bedeutung der Limited auf dem inländischen Markt war spätestens mit Einführung der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) vollständig in den Hintergrund getreten. Mit dem Brexit wird eine englische Limited, die ihren Verwaltungssitz in Deutschland hat, nicht mehr als solche anerkannt und scheidet daher als Alternative bei Sachverhalten 696 Eingehend dazu Sikora/Regler/Tiedtke, MittBayNot 2008, 437, 438 ff.; ferner Wachter in GmbHRSonderheft MoMiG, 2008, S. 25, 27 ff.; Römermann in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 16 f., 25; Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, Rz. 308 ff.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 269. 697 KV-Nr. 24102; für den elektronischen Vollzug und die XML-Strukturdaten kommen 15 Euro bzw. 37,50 Euro hinzu (KV-Nr. 22114). 698 S. OLG Celle v. 18.12.2009 – 2 W 350/09, DNotZ 2011, 70. 699 Sikora/Regler/Tiedtke, MittBayNot 2008, 437, 440, 441; Notarkasse AdÖR (Hrsg.), Streifzug durch das GNotKG, 13. Aufl. 2021, Rz. 1501. 700 Notarkasse AdÖR (Hrsg.), Streifzug durch das GNotKG, 13. Aufl. 2021, Rz. 1526, 1528. 701 Zu möglichen Folgen des Brexit s. etwa Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378; Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361. 702 Vgl. Kornblum, GmbHR 2021, 681, 688; Niemeier in FS Roth, 2011, S. 533.

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ohne entsprechenden örtlichen Bezug zum Vereinigten Königreich aus703. Im Ergebnis hat sich zudem die Erkenntnis durchgesetzt, dass Beratungsbedarf und die Notwendigkeit einer präventiven Rechtskontrolle selbst bei der Verwendung einer Mustersatzung, insbesondere im Hinblick auf die individuell festzulegenden Angaben besteht. Ein wesentlicher Gesichtspunkt, der in der Debatte für eine Beibehaltung der Beurkundungspflicht geltend gemacht wurde, war neben der vorfilternden Funktion die Vollzugspflicht des Notars im Falle der Beurkundung (§ 53 BeurkG) und damit die komplette Abwicklung durch den Notar als „Schnittstelle“ zur registergerichtlichen Kontrolle („One-Stop-Shop“)704. Unter diesem Gesichtspunkt wäre zu befürchten gewesen, dass der im Regierungsentwurf befürwortete Ansatz einer ungeprüften Satzung zu einer nicht unerheblichen Verzögerung des Eintragungsverfahrens und volkswirtschaftlich betrachtet zu einer Kostenerhöhung geführt hätte. Die Vorzüge der vorsorgenden Rechtspflegre durch Einschaltung des Notars haben im Kontext der Online-Gründung nunmehr auch auf europäischer Ebene Anerkennung erfahren (s. insbesondere Art. 13g Abs. 4 lit. c GesRRL). b) Musterprotokoll als Fremdkörper im System Aber auch in der geltenden Fassung wird das Musterprotokoll mit guten Gründen als „Fremd- 150 körper im System“ kritisiert705. Für Mehrpersonengesellschaften ist das Formular ungeeignet, da in der Praxis regelmäßig eine Reihe zusätzlicher Regelungen, wie insbesondere Vinkulierungsklauseln (im Sinne des § 15 Abs. 5), Bestimmungen zur Erbfolge, Güterstandsklauseln, Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafterversammlung, Kündigungs- und Einziehungsklauseln oder auch Vereinbarungen zur Vermeidung von Pattsituationen, erforderlich werden, die den Rahmen des Musterprotokolls überschreiten706. Eine erwägenswerte Alternative kann das Musterprotokoll bei der Einpersonengesellschaft in Form der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) angesichts der bei geringem Stammkapital bestehenden Kostenvorteile darstellen. Eine genaue Einzelfallbetrachtung ist aber auch in dieser Konstellation keinesfalls entbehrlich. So kann die Befreiung von § 181 BGB bei Bestellung eines Fremdgeschäftsführers unerwünscht sein, die Beschränkung der von der Gesellschaft zu tragenden Gründungskosten auf 300 Euro nachteilig sein oder bei absehbaren Änderungen der Gesellschaftsstruktur eine individuelle Satzung von vornherein einen passenderen und flexibleren Rahmen bieten. c) Keine Beschleunigung des Eintragungsverfahrens Zu einer Beschleunigung des Gründungsverfahrens hat das Musterprotokoll neben der Kos- 151 tenprivilegierung nicht geführt. Unmittelbar nach Inkrafttreten des MoMiG wurden sogar längere Eintragungszeiten für Gründungen im vereinfachten Verfahren ermittelt707, was indessen eher auf vorüber gehende Kinderkrankheiten des neuen Modells, insbesondere aufgrund gewisser handwerklicher Mängel im Bereich der Vertretungsregelung zurück zu führen sein dürfte. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass durch die mit dem EHUG eingeführte elektronische Registerführung Eintragungszeiten zwischen von drei bis zehn Tagen – noch ohne Hinweis auf eine bestehende Eilbedürftigkeit – nunmehr die Regel sind. Eine bevorzugte und aufgrund gesetzlicher Anordnung beschleunigte Bearbeitung von GmbH-Gründun-

703 Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 125 f. m. Nachw. zum Streitstand; ferner BGH v. 16.2.2021 – II ZB 25/17, GmbHR 2021, 486 m. Anm. Knaier; DNotI-Report 2021, 9, 11. 704 Preuß, RNotZ 2009, 529, 531. 705 Preuß, RNotZ 2009, 529, 531; s. auch Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 55: eher unausgegorenes Konstrukt; ferner Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 309; Seebach, RNotZ 2013, 261, 263. 706 Heckschen, DStR 2007, 1445; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1487; Wicke, Rz. 15. 707 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, R 225, 226; ferner Knaier, ZNotP 2021, 9, 10.

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§ 2 Rz. 151 | Form des Gesellschaftsvertrages gen im vereinfachten Verfahren durch das Registergericht hat der Gesetzgeber für das vereinfachte Verfahren nach § 2 Abs. 1a zu Recht nicht vorgesehen (s. aber zur Online-Gründung nunmehr § 25 Abs. 3 HRV). Für einen routinierten Registerrichter dürfte die Überprüfung einer einmal vorliegenden durchschnittlichen GmbH-Satzung ohnehin in überschaubarem Zeitrahmen möglich sein. Wenn rechtspolitisch in der Frage der Gründungsdauer im europäischen Vergleich Spitzenzeiten gewünscht werden, sollte über einen anderen Ansatz nachgedacht werden: Würde man, wie dies etwa in Luxemburg der Fall ist, bereits dem notariellen Gründungsprotokoll konstitutive Wirkung zukommen lassen, könnte eine Gründung künftig binnen weniger Stunden erfolgen708. d) Reformvorschlag 152 Als Fazit ist daher festzuhalten, dass sich das Musterprotokoll letztlich als nicht notwendige,

aber auch nicht als eine in jeder Hinsicht unpraktikable Reformmaßnahme darstellt. Da die Bereitstellung von Mustern nunmehr im Rahmen des Online-Verfahrens europarechtlich durch Art. 13h Abs. 2 Satz. 1 und 13g Abs. 7 GesRRL vorgeschrieben ist, stellt sich für den Gesetzgeber nicht mehr die (sinnvolle) Alternative, über eine Streichung der Formulare insgesamt nachzudenken709. Dennoch könnte es sich nach wie vor empfehlen, die aufgetretenen Mängel, insbesondere im Bereich der Vertretungsregelung und bei späteren Satzungsänderungen zu beseitigen. Eine geänderte Fassung des Musterprotokolls in der für die Einpersonengesellschaft anwendbaren Variante, welche die Defizite des geltenden Rechts vermeiden würde, könnte (ohne die beurkundungsrechtlichen Vorgaben) wie folgt formuliert werden: Der/die Beteiligte errichtet hiermit eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung nach Maßgabe dieser Niederschrift und der ihr als Anlage beigefügten Satzung. Zum Geschäftsführer der Gesellschaft wird Herr/ Frau …, geboren am …, wohnhaft in … bestellt. Der Geschäftsführer vertritt die Gesellschaft stets einzeln und ist von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit. Von dieser Urkunde erhält eine Ausfertigung der Gesellschafter, beglaubigte Ablichtungen das Finanzamt – Körperschaftsteuerstelle – und das Registergericht (in elektronischer Form). Der/die Beteiligte wurde vom Notar/von der Notarin insbesondere auf Folgendes hingewiesen: Anlage Satzung 1. Die Gesellschaft führt die Firma … 2. Sie hat ihren Sitz in … 3. Gegenstand des Unternehmens ist … 4. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt … Euro (i.W. … Euro) und wird vollständig von … (Geschäftsanteil Nr. 1, 100 %) übernommen. Die Einlage ist in Geld zu erbringen, und zwar sofort in voller Höhe/zu 50 Prozent sofort, im Übrigen sobald die Gesellschafterversammlung ihre Einforderung beschließt. 5. Die Vertretung ist wie folgt geregelt: Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, wird die Gesellschaft entweder durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen vertreten. Einzelvertretungsbefugnis und Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB können erteilt werden. 6. Die Gesellschaft trägt die mit der Gründung verbundenen Kosten bis zu einem Gesamtbetrag von 300 Euro, höchstens jedoch bis zum Betrag ihres Stammkapitals.

708 S. auch Wicke, Rz. 20. 709 Für eine Streichung von § 2 Abs. 1a unter Beibehaltung der beiden Muster gemäß § 2 Abs. 3 aber Knaier, ZNotP 2021, 241, 250.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 153 § 2

10. Musterprotokoll Anlage 1 (zu Artikel 1 Nr. 50 des MoMiG vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026)710 a) Musterprotokoll für die Gründung einer Einpersonengesellschaft UR. Nr. … Heute, den …, erschien [mittels Videokommunikation]5 vor mir, …, Notar/in mit dem Amtssitz in …, Herr/Frau1 … … …2 1. Der Erschienene errichtet hiermit nach § 2 Abs. 1a GmbHG eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung [mittels Videokommunikation]5 unter der Firma … mit dem Sitz in … 2. Gegenstand des Unternehmens ist … 3. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt … € (i.W. … Euro) und wird vollständig von Herrn/ Frau1 … (Geschäftsanteil Nr. 1) übernommen. Die Einlage ist in Geld zu erbringen, und zwar sofort in voller Höhe/zu 50 % sofort, im Übrigen sobald die Gesellschafterversammlung ihre Einforderung beschließt3. 4. Zum Geschäftsführer der Gesellschaft wird Herr/Frau4 …, geboren am …, wohnhaft in …, bestellt. Der Geschäftsführer ist von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit. 5. Die Gesellschaft trägt die mit der Gründung verbundenen Kosten bis zu einem Gesamtbetrag von 300 Euro, höchstens jedoch bis zum Betrag ihres Stammkapitals. Darüber hinausgehende Kosten trägt der Gesellschafter. 6. Von dieser Urkunde erhält eine Ausfertigung der Gesellschafter, beglaubigte Ablichtungen die Gesellschaft und das Registergericht (in elektronischer Form) sowie eine einfache Abschrift das Finanzamt – Körperschaftsteuerstelle –. 7. Der Erschienene wurde vom Notar/von der Notarin insbesondere auf Folgendes hingewiesen: … Hinweise: 1 Nicht Zutreffendes streichen. Bei juristischen Personen ist die Anrede Herr/Frau wegzulassen. 2 Hier sind neben der Bezeichnung des Gesellschafters und den Angaben zur notariellen Identitätsfeststellung ggf. der Güterstand und die Zustimmung des Ehegatten sowie die Angaben zu einer etwaigen Vertretung zu vermerken. 3 Nicht Zutreffendes streichen. Bei der Unternehmergesellschaft muss die zweite Alternative gestrichen werden. 4 Nicht Zutreffendes streichen. 5 Hinweis auf die Videokommunikation im Falle einer Präsenzbeurkundung zu streichen.

b) Musterprotokoll für die Gründung einer Mehrpersonengesellschaft mit bis zu drei Gesellschaftern UR. Nr. … Heute, den …, erschienen [mittels Videokommunikation]5 vor mir, …, Notar/in mit dem Amtssitz in …,

710 Anlage 2 s. Rz. 216.

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§ 2 Rz. 153 | Form des Gesellschaftsvertrages Herr/Frau1 … … …2. Herr/Frau1 … … …2. Herr/Frau1 … … …2. 1. Die Erschienenen errichten hiermit nach § 2 Abs. 1a GmbHG eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung [mittels Videokommunikation]5 unter der Firma … mit dem Sitz in … 2. Gegenstand des Unternehmens ist … 3. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt … Euro (i.W. … Euro) und wird wie folgt übernommen: Herr/Frau1… übernimmt einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag in Höhe von … Euro (i.W. … Euro) (Geschäftsanteil Nr. 1, Herr/Frau1 … übernimmt einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag in Höhe von … Euro (i.W. … Euro) (Geschäftsanteil Nr. 2), Herr/Frau1 … übernimmt einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag in Höhe von … Euro (i.W. … Euro) (Geschäftsanteil Nr. 3). Die Einlagen sind in Geld zu erbringen, und zwar sofort in voller Höhe/zu 50 % sofort, im Übrigen sobald die Gesellschafterversammlung ihre Einforderungen beschließt3. 4. Zum Geschäftsführer der Gesellschaft wird Herr/Frau4 …, geboren am …, wohnhaft in …, bestellt. Der Geschäftsführer ist von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit. 5. Die Gesellschaft trägt die mit der Gründung verbundenen Kosten bis zu einem Gesamtbetrag von 300 Euro, höchstens jedoch bis zum Betrag ihres Stammkapitals. Darüber hinausgehende Kosten tragen die Gesellschafter im Verhältnis der Nennbeträge ihrer Geschäftsanteile. 6. Von dieser Urkunde erhält eine Ausfertigung jeder Gesellschafter, beglaubigte Ablichtungen die Gesellschaft und das Registergericht (in elektronischer Form) sowie eine einfache Abschrift das Finanzamt – Körperschaftsteuerstelle –. 7. Die Erschienenen wurden vom Notar/von der Notarin insbesondere auf Folgendes hingewiesen: … Hinweise: 1 Nicht Zutreffendes streichen. Bei juristischen Personen ist die Anrede Herr/Frau wegzulassen. 2 Hier sind neben der Bezeichnung des Gesellschafters und den Angaben zur notariellen Identitätsfeststellung ggf. der Güterstand und die Zustimmung des Ehegatten sowie die Angaben zu einer etwaigen Vertretung zu vermerken. 3 Nicht Zutreffendes streichen. Bei der Unternehmergesellschaft muss die zweite Alternative gestrichen werden. 4 Nicht Zutreffendes streichen. 5 Hinweis auf die Videokommunikation im Falle einer Präsenzbeurkundung zu streichen.

154–159 Einstweilen frei.

X. Online-Gründung (§ 2 Abs. 3) (Wicke) Schrifttum: Blunk/Monden, Online-Berkundung im Gesellschaftsrecht, ZdiW 2021, 74; Bock, OnlineGründungen von GmbHs und veränderte Registerpublizität – der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie, RNotZ 2021, 326; Böhringer/Melchior, Auswirkungen der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts und des DiRUG auf die notarielle Praxis bei Anmeldungen in Regis-

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 161 § 2 tersachen, GmbHR 2022, 177; Drygala/Grobe, Die geplante Regelung der Onlinegründung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung – die Hälfte einer halben Lösung, GmbHR 2020, 985; Freier, Der Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) – Überblick über die Änderungen für die notarielle Praxis, NotBZ 2021, 161; Heckschen/Knaier, Das DiRUG in der Praxis, NZG 2021, 1093; Hoch, Das DiRUG: großer Wurf oder verpasste Digitalisierungschance?, NWB 2021, 3810; Keller/Schümmer, Digitale GmbH-Gründung, NZG 2021, 573; Kienzle, Die Videobeurkundung nach dem DiRUG, DNotZ 2021, 590; Kienzle, Die Online-Gründung – ein Ausblick auf die Videobeurkundung in der notariellen Praxis, notar 2022, 67; Knaier, Die Digitalisierung des deutschen Gesellschaftsrechts durch den Referentenentwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisierungs-RL im Gesellschaftsrecht und Handelsregisterrecht (RefE-DiRUG), GmbHR 2021, 169; Lieder, Das DiREG – Mehr Digitalisierung wagen?!, ZRP 2022, 102; Linke, Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlnie (DiRUG), Analyse des Regierungsentwurfs, NZG 2021, 309; Meier/Szalai, Das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) – Die neuen Regelungen zur Onlinegründung von Kapitalgesellschaften, ZNotP 2021, 306; Omlor/Blöcher, DiRUG-Neuerungen im Beurkundungs- und Registerrecht, DStR 2021, 2352; J. Schmidt, DiRUG-RefE: Ein Digitalisierungs-Ruck für das deutsche Gesellschafts- und Registerrecht, ZIP 2021, 112; J. Schmidt, DiRUG, Auf dem Weg in ein digitale(re)s Gesellschafts- und Registerrecht, NZG 2021, 849; Stelmaszczyk/Kienzle, Die Onlinegründung der GmbH nach dem DiRUG, GmbHR 2021, 849; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbH digital – Online-Gründung und OnlineVerfahren für Registeranmeldungen nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum DiRUG, ZIP 2021, 765; Stelmaszczyk/Strauß, Die Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie nach dem Gesetzentwurf der Bundesregierung zum DiREG – eine erste Einordnung, ZIP 2022, 1077; Teichmann, Die digitale GmbH-Gründung: Ein Entwicklungssprung für die vorsorgende Rechtspflege, GmbHR 2021, 1237; Wicke, Gründungen mit Bar- oder Sacheinlagen und Gesellschafterbeschlüsse im Onlineverfahren: Neuerungen durch das DiREG, GmbHR 2022, 516.

1. Überblick und Rechtsgrundlagen Die GmbH kann seit dem 1.8.2022, auch in der Rechtsformvariante der UG (haftungs- 160 beschränkt), wahlweise online errichtet werden711. Zu diesem Zweck sieht § 2 Abs. 3 vor, dass die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrags als erster Schritt des Gründungsverfahrens mittels Videokommunikation gemäß §§ 16a ff. BeurkG erfolgen kann. Parallel kann die Beglaubigung der Handelsregisteranmeldung aufgrund Ergänzung der handelsund beurkundungsrechtlichen Verfahrens- und Formvorschriften in den § 12 Abs. 1 HGB, § 129 Abs. BGB und 40a BeurkG elektronisch vorgenommen werden. Sowohl die Online-Beurkundung nach § 2 Abs. 3 als auch die Online-Beglaubigung (jeweils samt der Unterzeichnung mittels qualifizierter elektronischer Signatur) sind ausschließlich über das von der Bundesnotarkammer betriebene Videokommunikationssystem gemäß § 78p BNotO zulässig. Für die Online-Gründung ist optional das vereinfachte Verfahren nach § 2 Abs. 1a eröffnet und zudem die Verwendung der in Anlage 2 zum GmbHG aufgenommenen erweiterten Musterprotokolle (hier Rz. 216) vorgesehen. Die gesetzlichen Vorschriften über die Online-Gründung wurden durch das DiRUG712 ein- 161 geführt und, einer Vorgabe des Koalitionsvertrags folgend, bereits vor ihrem Inkrafttreten durch das DiREG713 inhaltlich erweitert714. Die Einführung erfolgte in Umsetzung der Digi-

711 S. Art. 31 Abs. 1 DiRUG; von der Option in Art. 13g Abs. 1 Unterabs. 2 GesRRL, die Online-Gründung auch für andere Rechtsformen zu eröffnen, hat der Gesetzgeber bislang keinen Gebrauch gemacht. S. Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 161. 712 Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) vom 5.7.2021, BGBl. I 2021, 3338. 713 Gesetz zur Ergänzung der Regelungen zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie und zur Änderung weiterer Vorschriften (DiREG) vom 15.7.2022, BGBl. I 2022, 1146. 714 S. zum DiREG Wicke, GmbHR 2022, 516; Stelmaszczyk/Strauß, ZIP 2022, 1077; Keller/Schümmer, DB 2022, 1179.

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§ 2 Rz. 161 | Form des Gesellschaftsvertrages talisierungsRL und der dadurch geänderten GesRRL715: Nach deren Art. 13g Abs. 1 ist zu gewährleisten, dass die Gründung vollständig online durchgeführt werden kann, ohne dass Gründer oder Antragsteller persönlich vor der zuständigen Stelle erscheinen müssen, gleichzeitig ist den Mitgliedstaaten aber gemäß Art. 13g Abs. 4 lit. c GesRRL gestattet, Notare und andere Personen oder Stellen mit der Bearbeitung von Online-Gründungen zu betrauen. Ziel der Regelungen ist es, die Gründung auf der Zeit- und Kostenschiene effizienter zu gestalten und gleichzeitig die Vorzüge der vorsorgenden Rechtspflege zu wahren, insbesondere die Zuverlässigkeit des Registerwesens716. Die Online-Gründung muss gemäß Art. 13g Abs. 7 GesRRL grundsätzlich innerhalb von zehn Tagen ab Erfüllung aller Formalitäten und Einzahlung des Stammkapitals abgeschlossen, also im Handelsregister eingetragen sein, bei Gründung durch natürliche Personen unter Verwendung eines Musterprotokolls innerhalb von fünf Tagen; andernfalls ist über die Gründe der Verzögerung zu unterrichten (§ 25 Abs. 3 HRV).

2. Anwendungsbereich 162 Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 kann die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrags im Fall

einer Gründung ohne Sacheinlagen auch mittels Videokommunikation erfolgen. Die Vorschrift wird zum 1.8.2023 erweitert und das Online-Verfahren auf Sachgründungen erstreckt unter der Voraussetzung, dass andere Formvorschriften, namentlich § 15 nicht entgegenstehen, wobei in den Gesellschaftsvertrag Verpflichtungen zur Abtretung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft selbst aufgenommen werden dürfen. Das spätere Inkrafttreten dieser und einiger weiterer durch das DiREG eingeführten Regelungen wird damit erklärt, dass diese einen erheblicheren organisatorischen und technischen Aufwand erfordern717. Es ist in der Praxis üblich, dass in die Gründungsurkunde weitere Abreden der Gesellschafter aufgenommen werden oder die notwendigen Gesellschafterbeschlüsse gefasst werden, wie insbesondere die Bestellung des ersten Geschäftsführers. Zu diesem Zweck bestimmt das Gesetz in § 2 Abs. 3 Satz 2, dass auch sonstige Willenserklärungen und in § 2 Abs. 3 Satz 3, dass einstimmig gefasste Beschlüsse (§ 2 Abs. 3 Satz 3), jeweils soweit sie nicht der notariellen Form bedürfen, mittels Videokommunikation beurkundet werden können, sofern sie in die elektronische Gründungsniederschrift aufgenommen werden. Darüber hinaus ist es zulässig, dass nachträgliche einvernehmliche Änderungen des Gesellschaftsvertrags im OnlineVerfahren vereinbart werden. Zu diesem Zweck können entsprechende Vollzugsvollmachten mittels Videokommunikation erteilt werden (§ 2 Abs. 2 Satz 2). Die Online-Gründung steht neben natürlichen Personen auch Personengesellschaften und (inländischen wie ausländischen) juristischen Personen offen, ohne dass die Zahl der Gründer limitiert wäre718. a) Bargründungen 163 Das Onlineverfahren ist gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 richtlinienkonform bis zum 31.7.2022 auf

Bargründungen beschränkt. Sacheinlagen sind auf Grundlage der Vorschrift angesichts der

715 S. zur Gesetzesentwicklung Bock, RNotZ 2021, 326; Teichmann, GmbHR 2021, 1237, 1242; J. Schmidt, ZIP 2021, 113; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849; Omlor/Blöcher, DStR 2021, 2352; Kindler/Jobst, DB 2019, 1550. 716 Vgl. eingehend Teichmann, GmbHR 2021, 1237, 1242 ff. 717 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 27. 718 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 74.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 165 § 2

erhöhten Komplexität zunächst ausgeschlossen719. Dies gilt auch für die gemischte Bar- und Sachgründung oder eine Mischeinlage720. b) Sachgründungen Das DiREG ändert die Regelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 mit Wirkung ab dem 1.8.2023 und 164 lässt auch Sachgründungen mittels Videobeurkundung unter der Voraussetzung zu, dass andere Formvorschriften nicht entgegenstehen721, wobei in den Gesellschaftsvertrag Verpflichtungen zur Abtretung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft selbst aufgenommen werden dürfen (dazu Rn. 167). Demgemäß wird eine Sachgründung im Online-Verfahren nur zulässig sein, sofern die Vereinbarung der Verpflichtung zur Einbringung des Gegenstands nicht nach allgemeinen Vorschriften der notariellen Beurkundung bedarf. Der Geltungsanspruch anderer Formvorschriften, die eine Beurkundung im Präsenzverfahren voraussetzen, wie insbesondere § 311b Abs. 1 BGB oder § 15 Abs. 4 Satz 1 GmbHG, aber auch etwa § 2033 Abs. 1 Satz 2 BGB bleibt daher unberührt722. Dieser Vorbehalt verdient Zustimmung, da bei den genannten Vorschriften andere Formzwecke im Vordergrund stehen, insbesondere der Schutz unerfahrener Beteiligter stärkere Beachtung verdient723, sie regelmäßig eine höhere Komplexität aufweisen und das Online-Verfahren angesichts der eingeschränkten Kommunikationsmöglichkeiten typischerweise hierfür nicht geeignet ist. Gleichzeitig wird dem Umstand Rechnung getragen, dass die DigitalisierungsRL über die Gründungsvorschriften hinausgehende Formvorschriften, die eine Beurkundung im Präsenzverfahren voraussetzen, unberührt lässt724. Daher sind auch Gründungsverfahren nach dem UmwG, wie die Verschmelzung oder Spaltung zur Neugründung oder der Formwechsel, ausgeschlossen725. c) Nebenleistungspflichten aa) Vorrang anderer Formvorschriften Soweit bei der Online-Gründung nicht eines der Musterprotokolle verwendet wird (§ 2 165 Abs. 1a, 3 Satz 5 und 6726), können in die Satzung grundsätzlich in gleicher Weise wie bei einer Präsenzversammlung gesellschaftsvertragliche Regelungen jeglicher Art aufgenommen werden. Besondere Fragen stellen sich aber, wenn den Gesellschaftern im Verfahren der Videobeurkundung außer der Leistung von Kapitaleinlagen noch andere statutarische Verpflichtungen im Sinne des § 3 Abs. 2 gegenüber der Gesellschaft, sog. Nebenleistungspflichten, auferlegt werden sollen727. Im Schrifttum wird die Problematik bislang primär bezogen auf Bargründungen mit Sachagio diskutiert, bei der die Gesellschafter zusätzlich zu der Bareinlage die Verpflichtung übernehmen, als Aufgeld einen Sachgegenstand, z.B. in Form eines Betriebs oder einer Beteiligung, in die GmbH einzubringen728. Nach § 2 Abs. 3 Satz 1 in der ab dem 1.8.2023 geltenden (weiter reichenden) Fassung kann die Beurkundung des Gesell719 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 71. 720 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1094; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 852; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 76. 721 Mit guten Gründen kritisch Lieder, ZRP 2022, 102. 722 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 24. 723 Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 113. 724 Lieder, NZG 2018, 1081, 1085; Bormann/Stelmaszczyk, NZG 2019, 601, 606; kritisch Keller/Schümmer, NZG 2021, 573, 577. 725 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1094; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 852. 726 S. Rz. 183 ff. 727 Dazu aktuell Scheller, GmbHR 2022, R101. 728 Dazu Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 76; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 340; Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1095; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 853.

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§ 2 Rz. 165 | Form des Gesellschaftsvertrages schaftsvertrags nur dann mittels Videokommunikation erfolgen, sofern andere Formvorschriften nicht entgegenstehen. Wie bereits dargelegt, hat der Gesetzgeber damit unzweifelhaft zum Ausdruck gebracht, dass der Geltungsanspruch anderer Formvorschriften, die eine Beurkundung im Präsenzverfahren voraussetzen, unberührt bleibt. Im praktisch wohl häufigsten Fall des Sachagios in Gestalt von GmbH-Anteilen wäre daher zu berücksichtigen, dass die Einbringung ebenso wie die zugrundeliegende Verpflichtung der Formpflicht der Vorschrift des § 15 Abs. 3 bzw. 4 unterliegen würde, für die das Online-Verfahren nicht eröffnet ist729. 166 Wieweit der Formvorbehalt gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 zugunsten anderer Formvorschriften

im Einzelfall reicht, ist noch nicht abschließend geklärt. Die Problematik ist dadurch erschwert, dass das Verhältnis der Vorschriften der §§ 2 und 53 über die Beurkundung der Gründung und Änderung des Gesellschaftsvertrags zu anderen Formvorschriften wie § 15 und § 311b BGB im Schrifttum allgemein bislang nur wenig Aufmerksamkeit erlangt hat730. Nach heute h.M. unterliegt eine gesellschaftsvertragliche Verpflichtung zur Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen, etwa in Gestalt einer Pflicht zur Einbringung eines Geschäftsanteils oder auch eines Vorerwerbsrechts an Anteilen der betreffenden Gesellschaft, der Vorschrift des § 15 Abs. 4731. Gleichzeitig wird davon ausgegangen, dass bei einer Abtretung im Rahmen einer GmbH-Satzung § 2 formwahrend wirkt732. Während für die Gründung nach § 2 Abs. 1 die weitreichenden Regelungen über die Beurkundung von Willenserklärungen §§ 6 ff. BeurkG gelten, die gleichzeitig die Vorgaben des § 15 und § 311b BGB erfüllen733, genügt allerdings für Satzungsänderungen eine Tatsachenniederschrift im Sinne der §§ 36 f. BeurkG, die bei Anwendung des § 15 Abs. 4 nicht ausreicht. Dennoch wird im Schrifttum davon ausgegangen, dass eine Satzungsänderung auch nach §§ 36 f. BeurkG beurkundet werden kann, wenn zugleich besondere Formvorschriften gelten, die in ihrem eigentlichen Anwendungsbereich (außerhalb von satzungsändernden Beschlüssen) zu einer Beurkundung gemäß §§ 6 ff. BeurkG führen734. Für das Online-Verfahren ist angesichts der klaren Regelung in § 2 Abs. 3 Satz 1 aber davon auszugehen, dass eine Verpflichtung zur Einbringung von Geschäftsanteilen an einer anderen GmbH nicht in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden kann. Dies gilt für eine Sacheinlage gemäß § 5 Abs. 4 in gleicher Weise wie für Nebenleistungspflichten im Sinne von § 3 Abs. 2735. bb) Verpflichtungen zur Abtretung von Anteilen an der Gesellschaft selbst 167 Wie die auf Vorschlag des Rechtsausschusses eingeführte Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1

Halbs. 2 bestimmt, dürfen allerdings in den Gesellschaftsvertrag auch Verpflichtungen zur Abtretung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft selbst aufgenommen werden (im Unterschied zur Abtretungsverpflichtung bezogen auf andere Gesellschaften) (s. dazu auch 729 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1095; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 340; Entsprechendes gilt für § 311b Abs. 1 bzw. § 925 BGB im Hinblick auf Immobilien. 730 S. dazu Grotheer, RNotZ 2015, 4; aktuell Scheller, GmbHR 2022, R101. 731 Vgl. BGH v. 14.4.1986 – II ZR 155/85, NJW 1986, 2642; ferner BGH v. 30.6.1969 – II ZR 71/68, NJW 1969, 2049; BGH v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, GmbHR 2003, 1062 = NJW-RR 2003, 1265 (dazu kritisch Maier-Reimer, GmbHR 2017, 1325); Weller/Reichert in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 103; Ebbing in Michalski u.a., § 15 Rz. 65; Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 53; a.A. und für ein Exklusivverhältnis von § 2 Abs. 1 und § 15 Abs. 4 Scheller, GmbHR 2022, R101, 102 unter Berufung auf RGZ 113, 147, 149. 732 Weller/Reichert in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 103; Ebbing in Michalski u.a., § 15 Rz. 65. 733 Vgl. BGH v. 14.4.1986 – II ZR 155/85, NJW 1986, 2642; Weller/Reichert in MünchKomm. GmbHG, § 15 Rz. 103; Ebbing in Michalski u.a., § 15 Rz. 65. 734 Grotheer, RNotZ 2015, 4, 7; zustimmend Priester/Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 70a. 735 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1095; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 340; Entsprechendes gilt für § 311b Abs. 1 BGB bzw. § 925 BGB im Hinblick auf Immobilien.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 169 § 2

13. Aufl., § 3 Rz. 72). Damit sind insbesondere in der Praxis häufig vereinbarte Vorkaufsoder Vorwerbsrechte für Mitgesellschafter im Kontext von Vinkulierungsklauseln736 oder auch Abtretungsverpflichtungen an Mitgesellschafter oder die Gesellschaft selbst als Alternative zur Einziehung von Geschäftsanteilen angesprochen737. Nach Wortlaut und Sinn und Zweck des § 2 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 sind davon nicht erfasst Angebote, die eine Verpflichtung zur Abtretung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft zugunsten von außenstehenden Dritten begründen und auch nicht dingliche Übertragungsakte gemäß § 15 Abs. 3. Wie die Gesetzesbegründung hervorhebt, fallen Abtretungsverpflichtungen aber unabhängig davon unter die Norm, ob es sich um eine korporoative Bestimmung, also um einen materiellen, echten Satzungsbestandteil oder ob es sich um einen unechten Satzungsbestandteil handelt738. Die Regelung hat allerdings zur Voraussetzung, dass die entsprechenden Vereinbarungen im Rahmen des Gesellschaftsvertrags getroffen werden, so dass eine Anwendung auf schuldrechtliche Nebenabreden ausscheidet. Da die gesamte Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 mit beiden Halbsätzen erst am 1.8.2023 in 168 Kraft tritt, stellt sich die Frage, ob schon vor diesem Stichtag Verpflichtungen zur Abtretung von Gesellschäftsanteilen an der Gesellschaft bei einer Online-Gründung in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden können. Dies ist nach hier vertretener Auffassung zu bejahen. Entsprechende Klauseln können ohne weiteres im Rahmen einer „Bargründung ohne Sacheinlagen“ getroffen werden und sind daher vom Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 1 in der Fassung des DiRUG erfasst. Zu berücksichtigen ist weiter, dass Verpflichtungen zur Abtretung von Anteilen an der Gesellschaft in Satzungen von Mehrpersonensatzungen zum üblichen Standard gehören, und es daher unpraktikabel wäre, sie im Zeitraum vom 1.8.2022 bis zum 31.7.2023 nicht zuzulassen. Folge wäre, dass die betreffenden Regelungen aus sämtlichen einschlägigen Vertragsmustern zweckwidrig entfernt werden müssten und, wo dies übersehen würde, zahlreiche Beanstandungen durch Registergerichte drohen würden. Daher ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber entsprechende übliche gesellschaftsvertragliche Abtretungsverpflichtungen generell zulassen wollte und insoweit kein auf ein Jahr befristetes Sonderrecht schaffen wollte. Für eine gegenteilige Sichtweise gibt es weder einen Anhaltspunkt in der Gesetzesbegründung zu § 2 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2, noch einen vernünftigen Grund. cc) Zulässigkeit des Sachagios Soweit andere Formvorschriften nicht entgegenstehen, wäre eine Bargründung mit einer 169 Nebenverpflichtung gemäß § 3 Abs. 2 zur Leistung eines Sachagios, z.B. in Form eines Betriebs oder von Aktienbesitz vom Wortlaut des § 2 Abs. 3 Satz 1 sowohl in der bis zum 31.7.2023739 als auch in der danach geltenden Fassung erfasst und könnte im Rahmen des Online-Verfahrens erfolgen740. Der Regierungsentwurf zum DiREG stellt die Zulässigkeit der Bargründung mit Sachgründung ausdrücklich klar741. Der Gründungsvorgang ist zwar gegenüber der reinen Bareinlage komplexer, die Sacheinlagevorschriften sind bei einem Sachagio richtiger Weise aber nur sehr eingeschränkt anwendbar und die Werthaltigkeitsprüfung des Registergerichts beschränkt sich darauf, dass der Wert der erbrachten Einlage nicht aufgrund eines Negativsaldos gemindert ist742. Wenn das Sachagio nicht korporativ als Nebenleistungspflicht, sondern rein schuldrechtlich vereinbart wird, ist zusätzlich zu bedenken, 736 737 738 739 740 741 742

S. dazu etwa Wicke, § 3 Rz. 22. Wicke, Anh. § 34 Rz. 9. BT-Drucks. 20/2391, S. 14. A.A. Stelmaszczyk/Strauß, ZIP 2022, 1077, 1083. Vgl. zum Sachagio Scheller hier 13. Aufl., § 3 Rz. 82; Wicke, § 5 Rz. 19. RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 24. Scheller hier 13. Aufl., § 3 Rz. 83; Wicke, § 5 Rz. 19.

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§ 2 Rz. 169 | Form des Gesellschaftsvertrages dass die steuerliche Buchwertführung zweifelhaft wäre. Davon abgesehen wäre es durchaus denkbar, die schuldrechtliche Abrede als „sonstige Willenserklärung“ gemäß § 2 Abs. 2 Satz 3 i.d.F. des DiREG in die elektronische Niederschrift aufzunehmen743. d) Sonstige Willenserklärungen 170 Nach der durch das DiREG eingeführten Vorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 2 können auch sons-

tige Willenserklärungen, welche nicht der notariellen Form bedürfen, als Teil der elektronischen Gründungsniederschrift mittels Videokommunikation beurkundet werden. Der Begriff der „sonstigen Willenserklärung“ ist in Abgrenzung zum Gesellschaftsvertrag gemäß § 2 Abs. 3 Satz 1 i.d.F. des DiREG zu verstehen und im Übrigen weit gefasst. In Betracht kommen Verträge, dingliche Rechtsgeschäfte, z.B. zur Einbringung des Einzelunternehmens des Gründers in Erfüllung einer Sacheinlageverpflichtung und einseitige Erklärungen wie z.B. Vollzugsanweisungen an den Notar. Da nach dem Wortlaut der Norm die sonstigen Willenserklärungen nicht einem notariellen Formerfordernis unterliegen dürfen, sind Vereinbarungen zur Einbringung von GmbH-Anteilen und Grundstücksgeschäfte erneut ausgeschlossen. Dies gilt auch für Verpflichtungen zur Abtretung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft selbst, deren Online-Beurkundung im Rahmen des Gesellschaftsvertrags nach der durch den Rechtsausschuss eingeführten Sonderregelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 zulässig ist744. Eine Ausnahme ist für Vollmachten zur Änderung oder Ergänzung des Gesellschaftsvertrags zu machen, für die § 2 Abs. 2 Satz 2 i.d.F. des DiREG ausdrücklich eine Beurkundung mittels Videokommunikation vorsieht und die zweckmäßigerweise in die Gründungsniederschrift integriert werden. 171 Die sonstigen Willenserklärungen werden regelmäßig als sog. unechte Satzungsbestandtei-

le zu qualifizieren sein, die Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag gefunden haben, deren Geltungsgrund aber davon unabhängig ist, und die nicht dem verbandsrechtlichen Organisationsstatut zuzurechnen sind745. Sie können formal aber ebenso in deutlicher Abgrenzung zum Gesellschaftsvertrag in einem eigenständigen Abschnitt der Urkunde enthalten sein. Somit können schuldrechtliche Nebenvereinbarungen auch im Online-Verfahren mitbeurkundet werden. Voraussetzung ist allerdings stets, dass eine nach § 2 Abs. 3 Satz 1 i.d.F. des DiREG zulässige Videobeurkundung und eine Aufnahme in die hierzu nach § 16b BeurkG errichtete elektronische Niederschrift erfolgt. Unklar sind die Folgen, wenn gegen diese Vorgabe einmal verstoßen werden sollte. Der beurkundende Notar würde in einem solchen Fall zunächst pflichtwidrig handeln. Solange die Vereinbarungen nicht einer besonderen Formpflicht unterliegen, wäre nach allgemeinen Grundsätzen aber von ihrer Wirksamkeit auszugehen. Nicht ausgeschlossen wäre ferner, dass sie im Registerverfahren, z.B. als Nachweis des Erfüllungsgeschäfts im Fall einer Sachgründung verwendet werden. Eine besondere Beweiskraft als öffentliches elektronisches Dokument (§ 371a Abs. 3 ZPO) käme den Erklärungen aber nicht zu. e) Gesellschafterbeschlüsse 172 In die elektronische Gründungsniederschrift können nach § 2 Abs. 3 Satz 4 zudem Beschlüs-

se der Gesellschafter aufgenommen werden. Dies gilt insbesondere für solche Beschlüsse, die üblicherweise im Rahmen der Gründung erfolgen, wie die Bestellung von Geschäftsführern, die Festlegung von deren Vertretungsbefugnis und eine etwaige Befreiung von den Be743 S. Rz. 170. 744 S. Rz. 167; BT-Drucks. 20/2391, S. 14. 745 Vgl. bereits Bayer in Lutter/Hommelhoff, 20. Aufl. 2020, § 2 Rz. 78 – Online-Aktualisierung November 2021; ferner BT-Drucks. 20/2391, S. 14; s. dazu auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 3 Rz. 104; Scheller hier, 13. Aufl., § 3 Rz. 128.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 173 § 2

schränkungen des § 181 BGB, eine Ermächtigung zur vorzeitigen Aufnahme der Geschäftstätigkeit mit der Folge, dass die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer im Außenverhältnis wie bei der eingetragenen GmbH unbeschränkt ist und sich die Gesellschaft daher z.B. sogleich an weiteren Gründungsvorgängen beteiligen oder ein Grundstück erwerben kann746. In Betracht kommen weiter Beschlüsse über eine Geschäftsordnung, über die Befreiung eines Gesellschafters vom Wettbewerbsverbot oder über die Erteilung von Prokura bzw. Handlungsvollmachten. Es bestehen nach § 2 Abs. 3 Satz 4 nur zwei Voraussetzungen für die Aufnahme von Beschlüssen in die elektronische Gründungsniederschrift: Zum einen müssen die Beschlüsse einstimmig gefasst werden747, was im Kontext der Gründung praktisch stets der Fall ist. Zum anderen dürfen die Beschlüsse nicht einem Beurkundungserfordernis unterliegen, da § 2 Abs. 3 Satz 4 als Rechtsgrundverweisung auf die Norm des § 2 Abs. 3 Satz 3 zu begreifen ist, die nur Erklärungen erfasst, „welche nicht der notariellen Form“ unterliegen. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass damit namentlich Umwandlungsvorgänge nach dem UmwG vom Online-Verfahren ausgenommen sind748. Nicht vom Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 Satz 4 erfasst sind ferner Beschlüsse zur Änderung der Satzung, für die ab dem 1.8.2023 eine eigenständige Regelung in § 53 Abs. 3 Satz 2 in Kraft tritt, und Änderungen des Gesellschaftsvertrags in der Vor-GmbH. f) Änderungen des Gesellschaftsvertrags in der Vor-GmbH Änderungen des Gesellschaftsvertrags der Vor-GmbH, die bereits mit ihrer Eintragung 173 Wirksamkeit erlangen sollen, fallen in den Anwendungsbereich des § 2 Abs. 3 Satz 1749. Diese werden nach allgemeinen Grundsätzen in gleicher Weise wie der erstmalige Errichtungsakt nach § 2 einstimmig vereinbart und nicht gemäß § 53 durch die Mehrheit beschlossen750. Daher gelten dieselben Grundsätze wie für die erstmalige elektronische Gründungsniederschrift. Es würde dem Vereinfachungsgedanken der Online-Gründung widersprechen, wenn die Gründer bei Korrekturen des Gesellschaftsvertrags, die z.B. wegen einer abweichenden Beurteilung der firmenrechtlichen Zulässigkeit durch die IHK notwendig werden, doch persönlich beim Notar erscheinen müssten. Zu diesem Zweck können auch Vollmachten für einzelne Gesellschafter oder Notarangestellte in die Gründungsurkunde aufgenommen werden (§ 2 Abs. 2 Satz 2)751. Der Gesellschaftsvertrag kann im Stadium der Vor-GmbH im Wege der Videobeurkundung ferner insoweit abgeändert werden, dass ein anderes Stammkapital, z.B. von unter 25.000 Euro, vereinbart wird und somit eine UG (haftungsbeschränkt) gegründet wird752; Entsprechendes gilt im umgekehrten Fall. Ebenso kann ein Gesellschafterwechsel vor Eintragung der GmbH im Rahmen des Online-Verfahrens gemäß § 2 vereinbart werden753, im Unterschied zu einer aufschiebend durch Eintragung bedingten Abtretung, die nach § 15 erfolgt754.

746 Vgl. dazu BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, NJW 1981, 1373, 1375 = GmbHR 1981, 114; Wicke, § 11 Rz. 5. 747 S. dazu auch Rz. 174. 748 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 23. 749 Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 851 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 338; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 76; Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1094. 750 Rz. 27; Wicke, Rz. 6. 751 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1094; a.A. noch zur Fassung nach dem DiRUG Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 339. 752 Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 852; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 77; s. dazu auch OLG Frankfurt v. 20.12.2010 – 20 W 388/10, GmbHR 2011, 984. 753 S. Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 852; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 77; vgl. dazu auch Rz. 29; Wicke, Rz. 6. 754 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1094; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 852.

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§ 2 Rz. 174 | Form des Gesellschaftsvertrages g) Satzungsänderungen der eingetragenen GmbH aa) Anwendung der Vorschriften über die elektronische Gründungsniederschrift 174 Für Satzungsänderungen der eingetragenen GmbH wird durch das DiREG mit Wirkung ab

dem 1.8.2023 eine neue Vorschrift in § 53 Abs. 3 Satz 2 eingeführt, welche die Regelungen über die elektronische Gründungsniederschrift in § 2 Abs. 3 Satz 1, 3 und 4 für entsprechend anwendbar erklärt. Das DiRUG sieht noch eine Beschränkung der Beurkundung mittels Videokommunikation auf die Gründung der GmbH vor, da das Online-Verfahren hierfür besonders geeignet sei, im Unterschied zu anderen Beurkundungsgegenständen, bei denen andere Formzwecke im Vordergrund stehen, wie insbesondere im Familien-, Erb- und Immobilienrecht755. Dieser Ansatz wird durch das DiREG nunmehr behutsam erweitert auf Beschlüsse zur Satzungsänderung, die sich mithin auf Regelungen beziehen, welche auch Gegenstand des Gesellschaftsvertrags bei Gründung der GmbH sind. Die Beurkundung mittels Videobeurkundung wird jedoch nur für einstimmige Beschlüsse zugelassen, da diese ihrer Struktur nach der konsensualen Gesellschaftsgründung entsprechen. Damit wird für beurkundungsbedürftige Beschlüsse ein engerer Ansatz gewählt als für einfache Gesellschafterbeschlüsse, bei denen auf der Grundlage einer entsprechenden Satzungsregelung oder nach der durch das DiREG neu eingeführten dispositiven Bestimmung des § 48 Abs. 1 Satz 2756 auch Mehrheitsentscheidungen im Rahmen virtueller Versammlungen gefasst werden können. Einstimmigkeit ist allerdings nicht gleichbedeutend mit einem Zustimmungserfordernis sämtlicher Gesellschafter757. So wäre es in Ermangelung eines gesellschaftsvertraglichen Mindestquorums beispielsweise denkbar, dass in einer Mehrpersonengesellschaft ein einzelner teilnehmender Gesellschafter einstimmige Beschlüsse fasst758. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift liegt Einstimmigkeit nicht vor, wenn eine Nein-Stimme wegen eines Stimmverbots nicht gewertet wird, wohl aber im Fall einer Stimmenthaltung. Fehlt in der Satzung eine Regelung zur Online-Versammlung, ist § 48 Abs. 1 Satz 2 n.F. zusätzlich anwendbar und daher die Zustimmung sämtlicher Gesellschafter zu dem Verfahren erforderlich. bb) Beurkundung von Willenserklärungen mittels Videokommunikation 175 Während satzungsändernde Beschlüsse in der Präsenzversammlung in Form eines Tatsa-

chenprotokolls gemäß §§ 36 f. BeurkG oder durch Beurkundung von Willenserklärungen nach Maßgabe der §§ 8 ff. BeurkG aufgenommen werden können, finden im Fall des Online-Verfahrens über die in Bezug genommene Gründungsvorschrift des § 2 Abs. 3 Satz 1 n.F. allein die §§ 16a bis 16e BeurkG betreffend die Beurkundung von Willenserklärungen mittels Videokommunikation Anwendung. Die Gesetzesbegründung stellt klar, dass es sich um eine abschließende Regelung handelt, so dass eine (vollständige oder teilweise) OnlineBeurkundung satzungsändernder wie sonstiger Beschlüsse als Tatsachenprotokoll, auch unter Berücksichtigung des Beschlusses des BGH vom 5.10.2021759, nicht möglich sein soll. Nach dieser zur pandemiebedingten Sonderregelung des § 3 COVMG über Beschlüsse von Genossenschaften ergangenen Entscheidung kann das Beurkundungserfordernis bei einer rein virtuellen Versammlung dadurch gewahrt werden, dass der Notar für die Beurkundung am Aufenthaltsort des Versammlungsleiters zugegen ist, sich dort von dem ordnungsgemäßen Ablauf des Beschlussverfahrens überzeugt und sodann die Feststellung des Beschluss-

755 Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 115; Winkler, § 16a BeurkG Rz. 4. 756 Dazu Wicke, GmbHR 2022, 516, 520; kritisch Bochmann, NZG 2022, 531; ihm folgend Keller/ Schümmer, DB 2022, 1179, 1182 f. 757 Enger insoweit Lieder, ZRP 2022, 102, 103. 758 Vgl. dazu allgemein Wicke, § 47 Rz. 3. 759 BGH v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, GmbHR 2021, 1331.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 178 § 2

ergebnisses durch das zuständige Gesellschaftsorgan beurkundet760. Dieses Modell wurde in den Corona-Jahren auch bei der Aktiengesellschaft praktiziert und soll nach dem geplanten Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlungen von Aktiengesellschaften des BMJ dauerhaft in § 130a Abs. 1 AktG verankert werden761. Im Schrifttum wurde vor diesem Hintergrund diskutiert, inwieweit ein solches Verfahren auch für die GmbH fruchtbar gemacht werden kann762. Wenn der Gesetzgeber nun für die GmbH einen engeren Ansatz wählt und die Online-Beur- 176 kundung auf einstimmige Beschlüsse im Verfahren der §§ 16a ff. BeurkG beschränkt, erscheint das im derzeitigen Stadium der Rechtsentwicklung sehr gut nachvollziehbar. Die GmbH ist eine personalistische Gesellschaftsform, deren Mitgliederkreis in aller Regel sehr überschaubar ist. In guten Zeiten werden Gesellschafterbeschlüsse zumeist einstimmig gefasst. Damit wird die große Mehrzahl der satzungsändernden Beschlüsse von der Neuregelung erfasst. Zu berücksichtigen ist darüber hinaus, dass das Online-Verfahren im Fall einer Kontroverse zwischen Mehrheit und Minderheit schnell an seine Grenzen stößt. In direktem persönlichen Kontakt bestehen gerade in sensiblen Angelegenheiten ganz andere Kommunikationsmöglichkeiten unter Einschluss von Körpersprache, Mimik und Gestik, ein begleitender (häufig informeller) Austausch der Mitglieder untereinander am selben Ort kann viel unmittelbarer und effizienter erfolgen. Zudem lässt sich die gebotene Vertraulichkeit bei einer Online-Übertragung nicht in gleicher Weise gewährleisten763. Daher ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber für die GmbH einen Weg geht, der höchste Anforderungen an den Schutz der Privatspähre und die Datensicherheit stellt. Bei einer großen Publikumshauptversammlung lässt sich dies selbstverständlich nicht in gleicher Weise gewährleisten, der Kompetenzradius der AG-Hauptversammlung ist gegenüber der GmbH-Gesellschafterversammlung mit ihrer umfassenden Weisungskompetenz aber zudem deutlich reduziert. Der Gesetzentwurf zur Online-Hauptversammlung hat im Übrigen auch Kritik erfahren, da die vorgeschlagenen Regelungen zum großen Teil für personalistische Gesellschaften nicht geeignet sind, Gesichtspunkte des Datenschutzes sowie der Manipulationsprävention keine Berücksichtigung gefunden haben und die Beschränkung der Anfechtung bei technischen Störungen auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit der Gesellschaft Bedenken hervorruft764. Da § 53 Abs. 3 Satz 2 über § 2 Abs. 3 Satz 1 auf § 16e BeurkG verweist, kann die Satzungs- 177 änderung aber auch im Wege der gemischten Beurkundung protokolliert werden, indem einer oder mehrere der Gründer beim Notar erscheinen und andere im Wege der Videokommunikation ihre Stimme abgeben765. Es bleibt in diesem Fall bei dem in § 53 Abs. 3 Satz 2 statuierten Einstimmigkeitserfordernis, nach dem Wortlaut wie nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift ist dies eine Voraussetzung dafür, dass der Verweis auf § 2 Abs. 3 Satz 1 und damit das Verfahren der Videobeurkundung überhaupt eröffnet ist. cc) Kein Beurkundungserfordernis aufgrund anderer Formvorschriften Die Neuregelung des § 53 Abs. 3 Satz 2 i.d.F. des DiREG enthält eine Rechtsgrundverweisung 178 auf § 2 Abs. 3 GmbHG mit der Folge, dass die Beurkundung mittels Videokommunikation auch bei Satzungsänderungen nur zulässig ist, sofern andere Formvorschriften nicht ent760 Vgl. BGH v. 5.10.2021 – II ZB 7/21, GmbHR 2021, 1331; s. dazu Wicke, DStR 2022, 498; Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 461, 467. 761 Zu dem RefE s. etwa Teichmann/Wicke, DB 2022, 720. 762 Vgl. dazu Wicke, DStR 2022, 498, 503 f. m.w.N. 763 S. auch Wicke, DStR 2022, 498, 499; zur Vertraulichkeit und zum nicht-öffentlichen Charakter der GmbH-Gesellschafterversammlung s. Noack in Noack/Servatius/Haas, § 48 Rz. 12; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 48 Rz. 55; Heckschen/Hilser, ZIP 2022, 461, 464. 764 S. Heckschen/Wicke, NZG 2022, 433. 765 S. Rz. 201.

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§ 2 Rz. 178 | Form des Gesellschaftsvertrages gegenstehen, die Notwendigkeit der notariellen Beurkundung also nicht aus anderen Bestimmungen als § 53 folgt. Wie bei einer Sachgründung ist daher auch bei Sachkapitalerhöhungen eine Online-Beurkundung nur zulässig, sofern sich eine Beurkundungspflicht nicht z.B. aus § 15 Abs. 4 ergibt. Entsprechendes gilt für Barkapitalerhöhungen mit Sachagio. Bei der GmbH können daher auch Umwandlungsbeschlüsse gemäß den §§ 13, 193 UmwG nicht im Online-Verfahren beurkundet werden. Nach der Gesetzesbegründung soll dies auch für beurkundungspflichtige Zustimmungsbeschlüsse zu Unternehmensverträgen gelten. Daran kann man zweifeln unter dem Gesichtspunkt, dass der BGH die Beurkundungsbedürftigkeit in diesem Fall auf eine analoge Anwendung der §§ 53, 54 stützt766. dd) Aufnahme sonstiger Willenserklärungen und einfacher Gesellschafterbeschlüsse 179 In die elektronische Niederschrift über die Satzungsänderung können ferner „sonstige Wil-

lenserklärungen“ und einfache Gesellschafterbeschlüsse aufgenommen werden, welche nicht der notariellen Form bedürfen, wie der Verweis in § 53 Abs. 3 Satz 2 i.d.F. des DiREG auf § 2 Abs. 3 Satz 3 und 4 i.d.F. des DiREG zeigt. Die dortigen Ausführungen gelten insoweit entsprechend. Sofern daher für eine Satzungsänderung, etwa im Fall einer Leistungsvermehrung gemäß § 53 Abs. 3 über das Drei-Viertel-Mehrheitserfordernis des § 53 Abs. 2 Satz 2 hinaus die individuelle Zustimmung einzelner betroffener Gesellschafter erforderlich sein sollte, kann diese mitbeurkundet werden767. Es können im Rahmen des Online-Protokolls ferner z.B. (nicht beurkundungspflichtige) Gesellschaftervereinbarungen und dingliche Übertragungsgeschäfte vereinbart oder einstimmige Einziehungsbeschlüsse im Zusammenhang von Kapitalherabsetzungen wie auch Zulassungsbeschlüsse bei Kapitalerhöhungen gefasst werden. Das DiREG schafft in einem neuen § 55 Abs. 1 Satz 2 zudem die Möglichkeit, dass auch die notarielle Beurkundung oder Beglaubigung der Übernahmeerklärung bei der Kapitalerhöhung mittels Videokommunikation gemäß den §§ 16a bis 16e und 40a BeurkG erfolgt. Diese ergänzende Regelung erscheint alternativlos, zumal die Übernahmeerklärung in der Praxis sehr häufig im selben Beurkundungstermin wie der Kapitalerhöhungsbeschluss abgegeben wird. Wenngleich die gesetzliche Regelung in dieser Hinsicht nicht eindeutig ist, sollte es angesichts des engen inhaltlichen Zusammenhangs möglich sein, die Übernahmeerklärung gleich dem Präsenzverfahren in dieselbe elektronische Niederschrift wie den Kapitalerhöhungsbeschluss aufzunehmen. ee) Satzungsänderungen aufschiebend bedingt auf Eintragung der GmbH im Handelsregister 180 Die Online-Beurkundung zur Satzungsänderung der eingetragenen GmbH kann bereits im

Gründungsstadium relevant werden. So ist immer noch gelegentlich als Alternative zur Sachgründung ein Verfahren anzutreffen, bei dem im Interesse der Verfahrensbeschleunigung und der Erleichterung der Werthaltigkeitsprüfung eine Bargründung erfolgt und zusammen mit dieser aufschiebend bedingt auf Eintragung der GmbH im Handelsregister eine Sachkapitalerhöhung zur Einbringung von Wirtschaftsgütern des Gründers beschlossen wird768. Zweckmäßig wäre es im Fall der Online-Beurkundung, beide Vorgänge in eine elektronische Niederschrift aufzunehmen, wenngleich das Gesetz von mehreren Urkunden auszugehen

766 Vgl. BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, GmbHR 2019, 1176 = NZG 2019, 1149 Rz. 17, 22; BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, NJW 1989, 295 = ZIP 1989, 29; BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, NJW 1992, 1452. 767 Zum Erfordernis individueller Gesellschafterzustimmungen s. Wicke, § 53 Rz. 14 ff. 768 Vgl. dazu Spiegelberger/Walz, GmbHR 1998, 761, 773 f.; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 55.

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scheint. Zu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang, dass Formmängel bei Gründung und Satzungsänderung grundsätzlich mit Eintragung im Handelsregister geheilt werden769. h) Rechtsfolgen bei einer Überschreitung des Anwendungsbereichs Eine Videobeurkundung außerhalb des Anwendungsbereichs von § 2 Abs. 3, z.B. eine Sach- 181 gründung/Bargründung mit Sachagio durch Einbringung von GmbH-Geschäftsanteilen, ist unzulässig und vom Notar abzulehnen. Sollte sie dennoch einmal durchgeführt werden, liegt ein Verstoß gegen die zwingenden beurkundungswrechtlichen Verfahrensvorschriften der §§ 8 ff. BeurkG vor, die für den Normalfall verlangen, dass die Niederschrift in Gegenwart des Notars den physisch anwesenden Beteiligten vorgelesen, von ihnen genehmigt und von ihnen sowie dem Notar eigenhändig unterschrieben werden muss. Der Gesellschaftsvertrag leidet an einem Formmangel und ist zumindest insoweit nichtig (§ 125 BGB)770. Die weiteren Folgen richten sich nach den allgemeinen Grundsätzen für die Behandlung von Mängeln des Gesellschaftsvertrags im Gründungsstadium771. Wird die Gesellschaft in Vollzug gesetzt, sind die Grundsätze über die fehlerhafte Gesell- 182 schaft anzuwenden mit der Folge, dass die Gesellschaft zunächst als bestehend behandelt wird und lediglich für die Zukunft aufgelöst werden kann772. Das Registergericht darf die GmbH nicht eintragen, solange der Mangel nicht beseitigt wurde773. Erfolgt gleichwohl eine Eintragung, entsteht die GmbH wirksam als solche774. Der in der Videobeurkundung liegende Formmangel wird bezogen auf den Gesellschaftsvertrag geheilt, nicht aber im Hinblick auf eine etwaige in der Gründungsurkunde vorgenommene Abtretung von GmbH-Geschäftsanteilen im Zusammenhang mit einer Sachgründung oder einem Sachagio; der dadurch begründete Verstoß gegen § 15 kann allerdings nicht mehr den gesamten Gesellschaftsvertrag nach § 139 BGB zu Fall bringen, unter Umständen aber eine Auflösungsklage wegen Unzumutbarkeit nach § 61 begründen775. Ist eine Sachgründung in Überschreitung des Anwendungsbereichs des § 2 Abs. 3 online vorgenommen worden, liegt keine verdeckte Sacheinlage im Sinne von § 19 Abs. 4 vor, da der Tatbestand gegenüber dem Registergericht offen gelegt, also gerade nicht verschleiert wurde, sondern lediglich das Videoverfahren nicht eröffnet war776.

3. Online-Gründung mittels Musterprotokolls (§ 2 Abs. 3 Satz 3 und 4) a) Erweiterung der Anzahl von Gesellschaftern und Geschäftsführern gemäß Anlage 2 Bei der Online-Gründung kann ein individueller Gesellschaftsvertrag verwendet werden. Es 183 kann wahlweise aber auch auf das vereinfachte Verfahren nach § 2 Abs. 1a zurückgegriffen werden oder alternativ gemäß § 2 Abs. 3 Satz 5 auf das speziell für die Videobeurkundung 769 Dazu sogleich und BGH v. 6.11.1995 – II ZR 181/94, NJW 1996, 257 = GmbHR 1996, 49; Wicke, § 53 Rz. 12. 770 Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 853; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 81; ferner Keller/ Schümmer, DB 2022, 1179, 1181. 771 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 81. 772 Wicke, Rz. 10. 773 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1095; Hoch, NWB 2021, 3810, 3813. 774 S. Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1096; Hoch, NWB 2021, 3810, 3813; ferner Rz. 25; Wicke, Rz. 5. 775 Vgl. auch Wicke, Rz. 10. 776 Vgl. auch Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1096 f.; Böhringer/Melchior, GmbHR, 2022, 177, 180.

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§ 2 Rz. 183 | Form des Gesellschaftsvertrages vorgesehene weitere Musterprotokoll, das dem GmbHG in einer neuen Anlage 2 ebenfalls in zwei Fassungen (hier Rz. 216), für die Einpersonengesellschaft und für die Mehrpersonengesellschaft, beigefügt ist (s. auch Rz. 123). Die Bereitstellung entsprechender Muster wird europarechtlich durch Art. 13h Abs. 2 Satz 1 und 13g Abs. 7 GesRRL im Rahmen der OnlineGründung vorgeschrieben777. Es muss gewährleistet sein, dass die Vorlagen im Internet abrufbar sind (Art. 13h Abs. 1 GesRRL). Nach zutreffender Auffassung ist es europarechtskonform, wenn nicht zumindest informatorisch zugleich eine englische Fassung vorgesehen ist778. 184 Das Musterprotoll gemäß Anlage 2 (hier Rz. 216) entspricht weitgehend dem bisherigen For-

mular, das gemäß § 2 Abs. 1a Satz 2 nunmehr unter der Bezeichnung Anlage 1 (hier Rz. 153) dem GmbHG beigefügt ist. Wesentlicher Unterschied ist, dass abweichend von § 2 Abs. 1a Satz 1 keine Beschränkung auf höchstens drei Gesellschafter und einen Geschäftsführer vorgesehen ist779. Auf diese Weise soll die Richtlinie vollständig umgesetzt werden, die keine solchen Grenzen enthält780. Es können demgemäß beliebig viele weitere Gesellschafter und Geschäftsführer bestellt werden, auch wenn nur für letztere ein dahin gehender Hinweis in einer eigenständigen Fußnote 5 enthalten ist. 185 In der Konsequenz sieht das neue Musterprotokoll (unter Nr. 4) auch eine Regelung zur Ver-

tretungsmacht vor und bestimmt bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer abweichend von § 35 Abs. 2 die in der Praxis weit überwiegend verwendete abstrakte Vertretungsregelung durch zwei Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer zusammen mit einem Prokuristen, die als solche zur Eintragung im Handelsregister anzumelden ist. Für die Geschäftsführer ist zudem eine Befreiung von § 181 BGB vorgesehen. Bei der nachträglichen Bestellung weiterer Geschäftsführer kann man auch hier die Frage stellen, ob für diese im Hinblick auf § 181 BGB die Bestimmung des Gründungsformulars gilt oder ob eine Befreiung entsprechend den allgemeinen Grundsätzen erfolgt, also nach h.M. zumindest einer Satzungsgrundlage bedürfte781. b) Kostenmäßige Privilegierung nur von Anlage 1 186 Mit der erhöhten Personenzahl ist eine gesteigerte Komplexität des Gründungsvorgangs ver-

bunden, die es gegenüber dem vereinfachten Verfahren nach § 2 Abs. 1a Satz 1 folgerichtig erscheinen lässt, dass die Kostenprivilegierung nach § 105 Abs. 6 GNotKG für das neue Musterprotokoll nicht gilt782. Der Höchstbetrag der von der Gesellschaft zu tragenden Gründungskosten wurde dementsprechend (unter Nr. 5) verdoppelt auf einen Gesamtbetrag von maximal 600 Euro. Um die Kostenprivilegierung aber auch im Online-Verfahren zu erlangen, können die Gründer wahlweise auf das vereinfachte Verfahren und das Musterprotokoll gemäß Anlage 1 (hier Rz. 153) zurückgreifen. Zu diesem Zweck wurden darin an zwei Stellen die Wörter „[mittels Videokommunikation]“ eingefügt, die bei einer Präsenzbeurkundung zu streichen sind. Die Anlage 2 (hier Rz. 216) sieht hingegen eine solche Streichoption nicht vor. Um eine Beanstandung des Registergerichts zu vermeiden, ist daher davon abzuraten, den Text bei einer Präsenzbeurkundung zu verwenden, da das Protokoll entgegen üblichen Praxisgepflogenheiten sowie Vorgaben in Rechtsprechung und Literatur keine Aufspaltung

777 Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 162. 778 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 75; a.A. unter Hinweis auf Art. 13 Abs. 3 Satz 3 GesRRL Bock, GmbHR 2021, 326, 334; Knaier, GmbHR 2021, 169, 177; J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 117. 779 Knaier, GmbHR 2021, 169, 177; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 75. 780 Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 162, 164; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 858; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 84. 781 S. Rz. 127; ferner Blunk/Monden, ZdiW 2021, 74, 77. 782 Knaier, GmbHR 2021, 169, 177; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 84.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 188 § 2

in Gründungsniederschrift und Anlage783 und auch keine Satzungsgrundlage für eine Befreiung der Geschäftsführer von den Beschränkungen des § 181 BGB784 enthält (s. dau auch Rz. 142). c) Verweis auf die Vorschriften des vereinfachten Verfahrens (§ 2 Abs. 3 Satz 6) Es gelten für die Formulare der Anlage 2 (hier Rz. 216) gemäß § 2 Abs. 3 Satz 6 im Übrigen 187 die Vorschriften der § 2 Abs. 1a Satz 3 bis 5 über das vereinfachte Verfahren entsprechend. In ihrem Aufbau und der Struktur einschließlich der Fußnotenhinweise sind sie den bisherigen Musterprotokollen der Anlage 1 (hier Rz. 153) nachgebildet. Inhaltliche Unterschiede bestehen, abgesehen von den bereits erwähnten Besonderheiten in Nr. 4 bezüglich der Anzahl der Gesellschafter und der Geschäftsführer sowie deren Vertretungsbefugnis und in Nr. 5 hinsichtlich der Regelung zum Gründungsaufwand, nicht. Eine Besonderheit in der rechtlichen Behandlung liegt noch darin, dass das Musterprotokoll in Anlage 2 seinem Wortlaut nach auf die Beurkundung im Wege der Videokommunikation beschränkt ist. Durch den Verweis auf § 2 Abs. 1a Satz 4 ist klargestellt, dass es zugleich als Gesellschafterliste dient. Für die Dokumentation gegenüber dem Registergericht ist daneben daher nur noch die Anmeldung durch die Geschäftsführer erforderlich (s. Rz. 123). Es dürfen bei Verwendung des Formulars „keine vom Gesetz abweichenden Bestimmungen“ getroffen werden (1a Abs. 2 Satz 3) (s. Rz. 140). Im Fall eines Verstoßes gegen diese Vorgabe liegt eine „normale“ GmbHGründung vor, die nach hier vertretener Auffassung (s. aber Rz. 141 f.) allein die Konsequenz hat, dass zusätzlich eine Gesellschafterliste einzureichen ist, da eine Kostenprivilegierung für das Musterprotokoll gemäß Anlage 2 nicht vorgesehen ist785. Schließlich erklärt § 2 Abs. 1a Satz 5 auch hier ergänzend die Bestimmungen des GmbHG über den Gesellschaftsvertrag für anwendbar (s. Rz. 123). d) Verkürzte Eintragungsdauer; Kritik Für die Musterprotokolle der Anlage 2 (hier Rz. 216) ist die oben geäußerte Kritik zu wieder- 188 holen, dass sich diese als „Fremdkörper im System“ darstellen und insbesondere für Mehrpersonengesellschaften ungeeignet sind (s. Rz. 150). Da zudem die Kostenprivilegierung nach § 105 Abs. 6 GNotKG nicht gilt, verbleibt als potentiell einziger Vorzug der Beschleunigungseffekt einer Eintragung innerhalb von fünf anstelle von zehn Werktagen nach dem Eingang der vollständigen Anmeldung gemäß § 25 Abs. 3 HRV (oder im Fall eines durch den Antragsteller behebbaren Eintragungshindernisses nach dessen Behebung)786. Der Vorteil wird aber überschaubar sein, da Verzögerungen derzeit primär aus der Konteneröffnung resultieren, die bei ausländischen Beteiligten vor allem angesichts erforderlicher Geldwäscheprüfungen erschwert ist, und Eintragungszeiten von drei bis zehn Tagen787 ab Vorliegen aller Unterlagen bei der Mehrzahl der Registergerichte ohnehin die Regel sind. Nicht abschließend geklärt ist die Frage, ob die Eintragung von der Zahlung des Kostenvorschusses abhängig gemacht werden kann und es sich insoweit um ein Eintragungshindernis im Sinne von § 382 Abs. 4 FamFG handelt788.

783 S. dazu Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 6; OLG Hamm v. 14.1.1986 – 15 W 310/84, NJW 1987, 263 = GmbHR 1986, 311. 784 Zu diesem Erfordernis s. Wicke, § 35 Rz. 10 m.w.N. 785 S. zudem zur Eintragungsdauer Rz. 161, 188. 786 Dazu kritisch Rz. 151; Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1097. 787 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1097. 788 Böhringer/Melchior, GmbHR 2022, 177, 182; für die Gründung im Präsenzverfahren bejahend KG v. 2.9.2021 – 22 W 66/21, ZIP 2021, 2447.

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§ 2 Rz. 189 | Form des Gesellschaftsvertrages 189 Da die Bereitstellung von Mustern europarechtlich durch Art. 13h Abs. 2 Satz 1 und 13g Abs. 7

GesRRL im Rahmen des Online-Verfahrens vorgeschrieben ist, stellte sich für den Gesetzgeber nicht die (sinnvolle) Alternative, anlässlich der Reform über eine Streichung der Formulare insgesamt nachzudenken. Es hätte aber nahegelegen, bei dieser Gelegenheit die bestehende Defizite zu beseitigen statt diese in weiteren Vorlagen zu perpetuieren789. Die Entscheidung für eine Beibehaltung kann jedoch als pragmatisch bewertet werden, da der legislatorische Aufwand sich so reduzieren ließ und die Praxis im Übrigen gelernt hat, mit den Unzulänglichkeiten der bisherigen Muster umzugehen790. 190 Zu Recht hat der Gesetzgeber nicht den Versuch unternommen, in die Formulare für mehre-

re Gründer zusätzliche Regelungen mit dem Ziel aufzunehmen, zumindest für typische Gesellschafterkonflikte eine Lösung anzubieten791. Auch in einem digitalen Umfeld bleibt es dabei, dass Mehrpersonenverhältnisse einen erheblichen individuellen Beratungsbedarf hervorrufen, und dass die Verwendung einheitlicher Templates, selbst unter Einbeziehung von Smart Contracts bzw. Blockchain-Technologie, zu einer erheblichen Simplifizierung des Gesellschaftsrechts führen würde, die zwangsläufig mit einem Verlust an Gestaltungvielfalt, Transparenz und Rechtssicherheit verbunden wäre792. Von offizieller Seite zur Verfügung gestellte Tools wären wohl auch kaum in der Lage, schnell und rechtssicher auf veränderte rechtliche und wirtschaftliche Rahmenbedingungen zu reagieren, wie es die Beratungspraxis hingegen tagtäglich vorführt793.

4. Ausgestaltung des Online-Verfahrens a) Funktionsäquivalentes Abbild 191 Für die verfahrensrechtliche Ausgestaltung der Beurkundung mittels Videokommunikation

verweist § 2 Abs. 3 Satz 1 auf die neuen Vorschriften der §§ 16a bis 16e BeurkG, die erstmals eine Form der notariellen (Distanz-)Beurkundung in einem Online-Verfahren einführen. Die Verhandlung ist als audiovisuelle Echtzeitkommunikation mit dem Notar konzipiert, die im Interesse der Zuverlässigkeit und des Vertrauensschutzes ausschließlich über das Videokommunikationssystem der Bundesnotarkammer gemäß § 78p BNotO erfolgt und als Aufgabe der vorsorgenden Rechtspflege damit hoheitlich organisiert ist (§ 16a Abs. 1 BeurkG)794. Wie die Regierungsbegründung zutreffend ausführt, ist die Bundesnotarkammer als unter der Aufsicht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz stehende Körperschaft des öffentlichen Rechts als in besonderer Weise geeignet anzusehen, Sicherheit, Manipulationsresistenz und Zuverlässigkeit des geplanten Videokommunikationssystems zu gewährleisten795. Es ist eine originär elektronische Niederschrift aufzunehmen (§ 16b Abs. 2 BeurkG)796, für die subsidiär die Normen über die (papiergebundene) Nieder-

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Kritisch auch Knaier, GmbHR 2021, 169, 177. Bock, RNotZ 2021, 326, 334. So auch Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2018, 849, 858; Bock, RNotZ 2021, 326, 334. S. eingehend Bormann, ZGR 2017, 621, 635 ff.; vgl. zur Blockchain-Technologie Spindler, ZGR 2018, 17, 55. Vgl. zum Ganzen bereits Wicke, GmbHR 2018, 1105, 1115. Eine Beurkundung im Online-Verfahren über andere Videokommunikationssysteme wie z.B. Zoom oder Microsoft-Teams ist daher beurkundungsrechtlich nicht zulässig, s. Begr. RegE BTDrucks. 19/28177, S. 115; Bock, RNotZ 2021, 326, 329; Keller/Schümmer, NZG 2021, 573, 576. Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 110; Kienzle in Herrler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2021, § 18a Rz. 7; kritisch Schuster, RDi 2021, 496, 500. Das qualifiziert elektronisch signierte Dokument wird in der Urkundensammlung des Notars verwahrt und gilt gemäß § 45 Abs. 3 BeurkG als Urschrift; vgl. dazu Kienzle in Herrler, Gesellschafts-

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 193 § 2

schrift gelten (§ 16b Abs. 1 Satz 2 BeurkG), insbesondere also die Vorschriften der §§ 8 ff. BeurkG797. Auf diese Weise sollen die Formzwecke der Beurkundungspflicht auch in einem digitalen Beurkundungsverfahren ohne körperliche Anwesenheit der Beteiligten weitgehend funktionsäquivalent abgebildet werden, namentlich die Feststellung der Geschäftsfähigkeit und der freien Willensbildung der Beteiligten (§ 11 BeurkG), die Verlesung der Niederschrift und die damit untrennbar verbundene Beratung und Belehrung durch den Notar (§ 13 BeurkG) sowie als Voraussetzung dafür die umfassende Ermittlung des zugrunde liegenden Sachverhalts (§ 17 BeurkG)798. b) Besonderheiten bei Verlesung, Signatur und Identifikation In den § 16b Abs. 2 bis 5, §§ 16c bis 16e BeurkG finden sich Modifikationen der beurkun- 192 dungsrechtlichen Normen, die aufgrund der Beurkundung mittels Videokommunikation erforderlich sind799. Die entsprechenden Vorgaben sind daher auch in der elektronischen Niederschrift abzubilden. So soll vermerkt werden, dass die Verhandlung mittels Videokommunikation durchgeführt worden ist (§ 16b Abs. 3 Satz 2 BeurkG)800. Ort der Verhandlung ist der Ort, an dem die elektronische Niederschrift aufgenommen wird (§ 16b Abs. 3 Satz 1 BeurkG). Die Verlesung der Niederschrift als elektronisches Dokument erfolgt vom Bildschirm801. Die Zulässigkeit einer Verwendung von Texterkennungs- und Sprachausgabesoftware ist mit der ganz überwiegenden Meinung auch im Online-Verfahren abzulehnen802. Selbstverständlich möglich ist die Aufnahme notarieller Hinweise und die Aufspaltung in eine „Mantelurkunde“ und den Gesellschaftsvertrag als Anlage gemäß § 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG803. Da ein eigenhändiges Unterzeichnen im Rahmen des Online-Verfahrens nicht in Betracht kommt, ist die elektronische Niederschrift statt dessen mit qualifizierten Signaturen durch die Beteiligten, den Notar und sämtliche anderen an der Beurkundung mitwirkenden Personen zu versehen (§ 16b Abs. 4 BeurkG)804. Um eine verlässliche Identifizierung der Beteiligten zu gewährleisten (§ 10 BeurkG), sind 193 ausschließlich bestimmte, für das Internet geeignete Identifizierungsmittel zugelassen und ein zweigleisiges Verfahren vorgesehen805. Auf der ersten Stufe erfolgt eine Identifizierung mittels eines elektronischen Identifizierungsnachweises – eID – (§ 16c Abs. 1 Satz 1 BeurkG). In Betracht kommen die Online-Ausweisfunktion des deutschen Personalausweises nach

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recht, 2. Aufl. 2021, § 18a Rz. 36. Zur Verwahrung und Aushändigung der elektronischen Urkunde s. auch § 45b BeurkG, § 78h BNotO. Zur Beweiskraft vgl. § 371a Abs. 3 Satz 1 ZPO. Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 855; s. nunmehr eingehend Winkler, § 16b BeurkG Rz. 3 ff. Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 115. Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 855. Zu einem Formulierungsbeispiel s. Kienzle in Herrler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2021, § 18a Rz. 28. Bock, RNotZ 2021, 326, 330 f.; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 855; für das Präsenzverfahren anders die h.M., vgl. OLG Brandenburg v. 9.5.2012 – 4 U 92/10, RNotZ 2012, 525; OLG Frankfurt v. 30.8.1999 – 1 Not 1/98, DNotZ 2000, 513; Litzenburger in BeckOK BGB, § 13 BeurkG Rz. 1; dagegen zutreffend aber Limmer, DNotZ 2020, 419, 422 f.; Limmer in Frenz/Miermeister, BNotO BeurkG, 5. Aufl. 2020, § 13 BeurkG Rz. 7. Kienzle in Herrler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2021, § 18a Rz. 26 m.w.N. Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 161 f.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 334. Die Beteiligten sollen, der Notar muss die qualifizierte elektronische Signatur selbst erzeugen (§ 16b Abs. 4 Satz 3 und 4 BeurkG). Auf Verlangen soll die elektronische Niederschrift den Beteiligten vor der Genehmigung auch zur Durchsicht elektronisch übermittelt werden (§ 16b Abs. 5 BeurkG). Dazu Bock, RNotZ 2021, 326, 329; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 857; ausführlich nunmehr Winkler, § 16c BeurkG Rz. 4 ff.

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§ 2 Rz. 193 | Form des Gesellschaftsvertrages § 18 PAuswG, die neue EID-Karte für EU/EWR-Staatsangehörige nach § 12 eIDKG oder der elektronische Aufenthaltstitel für Drittstaatsangehörige nach § 78 Abs. 5 Satz 2 AufenthG i.V.m. § 18 PAuswG806. Daneben kann auch ein eID eines anderen EU/EWR-Staats verwendet werden, sofern es nach Art. 9 eIDAS-VO notifiziert ist und dem Sicherheitsniveau des Art. 8 Abs. 2 lit. c eIDAS-VO entspricht807. 194 Die zweite Stufe erfordert das Auslesen eines amtlichen Lichtbilds aus dem elektronischen

Speicher- und Verarbeitungsmedium eines amtlichen Ausweises oder Passes und den Abgleich mit dem Erscheinungsbild (§ 16c Abs. 1 Satz 2 BeurkG), soweit nicht ein Beteiligter dem Notar bekannt ist (§ 16c Abs. 1 Satz 3 BeurkG). Diese Form des Auslesens des Lichtbildes verhindert z.B. eine verdeckte Stellvertretung und ist sicherer als jedes Verfahren einer Wiedergabe des Lichtbildes durch bloßes „Abfilmen“, zumal der Notar die Identifizierung nach § 16c BeurkG stets höchstpersönlich vornehmen muss. Die technische Durchführung des elektronischen Identitätsnachweises, das Auslesen des elektronischen Speicher- und Verarbeitungsmediums sowie das Erstellen einer qualifizierten elektronischen Signatur und das Versehen der elektronischen Urkunde mit dieser sind ebenfalls vom Videokommunikationssystem der Bundesnotarkammer umfasst (§ 78p Abs. 2 BNotO). c) Einstieg und Abwicklung über das Gründer-Portal der Bundesnotarkammer 195 Ungeachtet des hohen Standards der notariellen Online-Beurkundung soll das Verfahren für

die Gründer möglichst unkompliziert ausgestaltet sein. Ein schneller Einstieg erfolgt über die Startseite des Gründerportals der Bundesnotarkammer, das einen zentralen Baustein des Videokommunikationssystems bildet, und auch die Möglichkeit bietet, sich zunächst durch entsprechende Drop-Down-Menüs und Erklärvideos über Fragen der Online-Gründung zu unterrichten808. Das System ist so ausgelegt, dass für die Gründung vonseiten des Bürgers neben einem Ausweisdokument mit Online-Ausweisfunktion in technischer Hinsicht lediglich ein PC/Tablet mit Kamera und Microphon sowie ein handelsübliches Smartphonen erforderlich sind, ausreichende Internetverbindung vorausgesetzt809. Zur Registrierung meldet sich der jeweilige Gründer anhand eines der genannten elektronischen Identitätsnachweise an. Der Vorgang kann bequem per Smartphone über einen QR-Code gestartet werden, worauf sich automatisch die App der BNotK öffnet, welche den Bürger durch den Anmeldevorgang leitet810. Wie die durch das DiREG eingeführte Vorschrift des § 78p Abs. 2 Satz 2 BNotO klarstellt, kann das Videokommunikationssystem weitere Funktionen umfassen, die der Anbahnung, der Vorbereitung, der Durchführung oder dem Vollzug der Urkundstätigkeit dienen. Auf diese Weise wird eine weitere Vereinfachung des Online-Verfahrens und eine vollständige digitale Abwicklung ermöglicht. Dazu gehört etwa die Auswahl der geeigneten Amtsperson, die Erteilung des Beurkundungsauftrags oder die Abstimmung des Urkundsentwurfs sowie der Vollzug im Handelsregister oder der Informationsaustausch zum Verfahrensstand811.

806 S. für die geldwäscherechtliche Identitätsprüfung auch § 12 Abs. 1 Nr. 2 GwG. 807 Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 767; s. dazu auch Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 120; ferner § 12 Abs. 1 Nr. 4 GwG. § 16c Satz 1 Nr. 2 BeurkG in der Fassung des DiRUG hatte nur ein eID anderer EU-Mitgliedstaaten zugelassen, die Erweiterung auf EWR-Staaten ist durch das DiREG erfolgt. 808 S. hierzu Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 767; Kienzle, notar 2022, 67. 809 Bock, RNotZ 2021, 326, 328; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 767. 810 Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 856. 811 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 20.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 196 § 2

d) Notarauswahl und Amtsbereich Über das Online-Portal können die Beteiligten von überall auf der Welt an der Beurkundung 196 per Videokommunikation teilnehmen und den zuständigen Notar auswählen812. Das berufsrechtliche Amtsbereichsprinzip wird allerdings durch § 10a Abs. 3 BNotO auch im virtuellen Raum spezifisch dadurch umgesetzt, dass alternativ in Form des Wohnsitzes oder Sitzes eines organschaftlichen Vertreters (Geschäftsführers oder Liquidators)813 oder des Sitzes der betroffenen Gesellschaft oder des Wohnsitzes oder Sitzes eines Gesellschafters grundsätzlich ein örtlicher Bezug zum Amtsbereich bestehen muss814. Durch diesen lokalen Bezug soll eine überregionale Konzentration von Urkundstätigkeiten mittels Videokommunikation vermieden werden, um auch im Online-Zeitalter eine flächendeckende Versorgung der Rechtsuchenden mit notariellen Leistungen im Interesse der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse sowie der wirtschaftlichen Stabilität und Leistungsfähigkeit strukturschwacher Regionen zu gewährleisten815. Die freie Wahl des Notars wird angesichts der unterschiedlichen Anknüpfungspunkte nur geringfügig eingeschränkt, zumal der von § 10 Abs. 3 Nr. 1 Alt. 1 BNotO in Bezug genommene Satzungssitz der Gesellschaft im Inland frei wählbar ist und nach § 4a ohne weiteres vom Verwaltungssitz abweichen kann816. Bei der Ermittlung des (nach §§ 7 ff. BGB zu bestimmenden) Wohnsitzes kann sich der Notar regelmäßig auf die Angaben der Beteiligten verlassen und muss mangels abweichender Anhaltspunkte nicht in eine besondere Prüfung eintreten817. Es genügt, wenn irgendein organschaftlicher Vertreter der Gesellschaft, also nicht notwendig der Handelnde, ggf. auch der in der beabsichtigten Beurkundung erst noch zu bestellende Geschäftsführer seinen (Wohn-)Sitz im Amtsbereich des betreffenden Notars hat, ohne dass eine Befugnis zur Einzelvertretung erforderlich ist818. Im Hinblick auf die Anknüpfung an den Sitz eines Gesellschafters muss die Eigenschaft aus dem Handelsregister oder einem vergleichbaren Register ersichtlich sein. Ist Gesellschafter eine GmbH, kann die Gesellschaftereigenschaft der Gesellschafterliste entnommen werden819. Der Begriff der vergleichbaren Register umfasst insbesondere das Partnerschaftsregister und das künftige Gesellschaftsregister, nicht jedoch etwa Aktienregister oder sonstige privat geführte Register. Bei Aktiengesellschaften oder Genossenschaften würde eine Anknüpfung an den Wohnsitz oder Sitz eines Gesellschafters oder Genossen dazu führen, dass Anknüpfungspunkte für die notarielle Tätigkeit an einer unüberschaubaren Vielzahl von Orten entstehen würden, so dass das Ziel des § 10 Abs. 3 Satz 1 BNotO verfehlt würde820. Im Fall eines ausländischen Registers muss die Verlässlichkeit der Registerinhalte mit dem deutschen Handelsregister vergleichbar sein821.

812 Bock, RNotZ 2021, 326, 329; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 768. Ort der Verhandlung ist nach § 16b Abs. 3 Satz 1 BeurkG der Ort, an dem der Notar die elektronische Niederschrift aufnimmt; wo die Beteiligten sich während der Beurkundung aufhalten, ist hingegen nicht maßgeblich, vgl. BT-Drucks. 19/28177, S. 118. 813 Das DiRUG hatte insoweit auf den Wohnsitz oder Sitz eines Gesellschafters abgestellt. Nach dem RegE des DiREG war der Wohnsitz oder Sitz eines organschaftlichen Vertreters maßgeblich. In der verabschiedeten Fassung des DiREG wurde doch wieder an den Wohnsitz der Gesellschafter angeknüpft. 814 Kienzle, DNotZ 2021, 590, 591; zum Amtsbezirk s. entsprechend § 11 Abs. 3 BNotO. 815 BT-Drucks. 19/28177, S. 107. 816 S. dazu eingehend BT-Drucks. 19/28177, S. 108; ferner Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 856; kritisch Linke, NZG 2021, 309, 310. 817 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 19. 818 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 20. 819 BT-Drucks. 20/2391, S. 14. 820 BT-Drucks. 20/2391, S. 14. 821 BT-Drucks. 20/2391, S. 14.

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§ 2 Rz. 197 | Form des Gesellschaftsvertrages e) Ausdrückliche Zulassung der Online-Beurkundung durch Gesetz 197 Nach § 16a Abs. 1 BeurkG kann die Beurkundung von Willenserklärungen mittels des von

der Bundesnotarkammer betriebenen Videokommunikationssystems nur erfolgen, soweit dies gesetzlich zugelassen ist. Die Vorschrift bringt zum Ausdruck, dass das Online-Verfahren nur für bestimmte, durch Gesetz im formellen Sinne ausdrücklich vorgesehene Fälle geeignet ist und für andere Fälle nicht zur Anwendung kommt. Demnach ist die Videobeurkundung ab dem 1.8.2022 für die Bargründung einer GmbH (§ 2 Abs. 3) und die Gründungsvollmacht (§ 2 Abs. 2 Satz 2) und ab dem 1.8.2023 zudem für die Sachgründung, die Änderung des Gesellschaftsvertrags einer GmbH (§ 53) und die Übernahmeerklärung (§ 55) eröffnet822. Da eine Beurkundung im Online-Verfahren aufgrund des hoheitlichen Charakters ausschließlich über das von der Bundesnotarkammer betriebene Videokommunikationssystem und nicht über private Dienste Dritter zugelassen ist, wird zugleich sichergestellt, dass die gesetzlichen Vorgaben der §§ 16a ff. BeurkG eingehalten werden, die in ihrem Anwendungsbereich (weitestgehend) die Gleichwertigkeit mit einem Präsenzverfahren versprechen823. 198 Wie die Regierungsbegründung zum DiREG zutreffend darlegt, sind diese Überlegungen re-

levant für die Frage, ob eine Gründung im Ausland wirksam online beurkundet werden kann824. Die Beurkundung durch einen ausländischen Notar ist nach h.M. zulässig, wenn dieser nach Vorbildung und Stellung im Rechtsleben eine der Tätigkeit des deutschen Notars entsprechende Funktion ausübt und ein Verfahrensrecht zu beachten hat, das den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entspricht, also Gleichwertigkeit gegeben ist825. Daher scheidet eine Substitution der Beurkundung durch ein Online-Verfahren von vornherein und unabhängig von dessen konkreter Ausgestaltung aus, soweit das deutsche Recht am Präsenzerfordernis festhält und damit eine Online-Beurkundung gleich welcher Art ausschließt. Soweit das deutsche Recht die Videobeurkundung gestattet, können nur solche ausländische Online-Verfahren als gleichwertig anerkannt werden, die den tragenden Grundsätzen des deutschen Beurkundungsrechts entsprechen. Dafür ist Voraussetzung, dass eine entsprechend sichere persönliche Identifizierung der Beteiligten durch den Notar anhand von elektronischen Identifizierungsmitteln und elektronisch übermittelten Lichtbildern ermöglicht (§ 16c BeurkG) und dem hoheitlichen Charakter des Beurkundungsverfahrens in vergleichbarer Weise Rechnung getragen wird826. f) Ablehnung der Beurkundung mittels Videobeurkundung 199 Der Notar ist seinerseits als Ausfluss der Urkundsgewährungspflicht (§ 15 Abs. 1 Satz 1

BNotO) verpflichtet, den Beteiligten die Beurkundung zur Gründung einer GmbH sowohl im Präsenz- als auch im Online-Verfahren anzubieten827. Eine Ablehnung der Beurkundung mittels Videokommunikation kommt nach § 16a Abs. 2 BeurkG nur ausnahmsweise in Betracht, wenn er die Erfüllung seiner Amtspflichten auf diese Weise nicht gewährleisten kann, insbesondere wenn er sich so keine Gewissheit über die Person eines Beteiligten verschaffen kann oder Zweifel an der erforderlichen Rechtsfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit bestehen. Die konkret aufgeführten Regelbeispiele entsprechen den in Art. 13b Abs. 4 und

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RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 21. RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 12. RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 13. S. dazu BGH v. 16.2.1981 – II ZB 8/80, NJW 1981, 1160 = ZIP 1981, 402; ferner BGH v. 17.12.2013 – II ZB 6/13, NJW 2014, 2026 = GmbHR 2014, 248 zur Einreichung einer Gesellschafterliste durch einen ausländischen Notar; vgl. zum Meinungsstand auch oben Cramer Rz. 15 ff.; Wicke, Rz. 5. 826 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 13; s. zum Ganzen auch Lieder, ZRP 2022, 102, 103 f. 827 BT-Drucks. 19/28177, S. 115.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 202 § 2

Art. 13g Abs. 8 GesRRL genannten Fällen, in denen die Mitgliedstaaten eine Präsenzpflicht der Gründer anordnen können. Wie der nicht abschließende Charakter des § 16a Abs. 2 BeurkG erkennen lässt, bleibt der 200 Notar als Herr des Verfahrens darüber hinaus generell verpflichtet, die Erfüllung seiner Amtspflichten nach allgemeinen Grundsätzen zu gewährleisten828. Daher kann es auch in anderen als den in der Vorschrift ausdrücklich genannten Situationen geboten sein, die Verhandlung im Online-Verfahren abzulehnen, wenn entsprechende Hindernisse bestehen. Als Beispiel ist an eine besonders kontroverse Verhandlungsituation zu denken, die ein Gespräch in persönlicher Anwesenheit erforderlich macht, oder auch an ein besonderes Gefälle zwischen den Beteiligten in ihrer Schutzbedürftigkeit und Erfahrung. Dies steht mit den europarechtlichen Anforderungen im Einklang829, da es sich nur um eine Folge der in Art. 13g Abs. 4 GesRRL vorgesehenen Einbettung der Online-Gründung in das System der vorsorgenden Rechtspflege handelt830, und zudem Art. 13c Abs. 2 GesRRL einen Vorbehalt zugunsten nationaler „materiell- und verfahrensrechtlicher Anforderungen“ enthält831. Das Gebot richtlinienkonformer Auslegung verlangt aber, dass die Online-Beurkundung nicht schon bei kleineren technischen Schwierigkeiten endgültig abgebrochen wird, sondern z.B. zunächst den Beteiligten Gelegenheit gegeben wird, ihre Einstellungen und Anschlüsse zu überprüfen oder zuvor ein Neustart der Videokonferenz versucht wird832. g) Gemischte Beurkundung Denkbar ist ferner, dass einer oder mehrere der Gründer beim Notar erscheinen möchten 201 und andere eine Videobeurkundung wünschen. Für diesen Fall bestimmt § 16e BeurkG, dass eine elektronische Niederschrift mit den online zugeschalteten Beteiligten und eine inhaltsgleiche papiergebundene Niederschrift nach § 8 BeurkG mit den bei dem Notar körperlich anwesenden Beteiligten aufzunehmen ist833. Dies soll in beiden Niederschriften vermerkt werden, die auch zusammen (unter derselben Urkundenverzeichnisnummer) zu verwahren sind834. Die gemeinsame Verwahrung im Elektronischen Urkundenarchiv erfolgt im Wege der technischen Verknüpfung nach Maßgabe von § 78h Abs. 3 Satz 1 BNotO835. Selbstverständlich genügt das einmalige Verlesen der (elektronischen oder papiergebundenen) Niederschrift836. h) Vollmachten und Vertretungsnachweise Die Online-Gründung kann durch Bevollmächtigte und neben natürlichen Personen auch 202 durch juristische Personen oder Personengesellschaften erfolgen837, wobei einige praktische Besonderheiten zu berücksichtigen sind. Es bleibt zunächst bei der Vorschrift des § 2 Abs. 2, wonach die Vollmacht der notariellen Beurkundung oder Beglaubigung bedarf. Im Beurkundungs- und Registerverfahren ist in aller Regel zu verlangen, dass die Vollmacht in Ur-

828 829 830 831 832 833 834 835 836

BT-Drucks. 19/28177, S. 116. A.A. J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 114 f.; zweifelnd auch Knaier, GmbHR 2021, 169, 175. Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 855. BT-Drucks. 19/28177, S. 117; Bock, RNotZ 2021, 326, 329. Bock, RNotZ 2021, 326, 329; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 858. S. dazu auch Bock, RNotZ 2021, 326, 331; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 859. BT-Drucks. 19/28177, S. 125. BT-Drucks. 19/28177, S. 125. Kienzle in Herrler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2021, § 18a Rz. 63; dort Rz. 62 auch zu einem Formulierungsvorschlag. 837 Kritisch dazu im Gesetzgebungsverfahren Bundesrat BR-Drucks. 163/18, S. 5 f.; s. ferner Lieder, NZG 2018, 1081, 1083 f.; Knaier, GmbHR 2018, 560, 563 f.; Teichmann, GmbHR 2018, 1, 11 f.

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§ 2 Rz. 202 | Form des Gesellschaftsvertrages schrift oder Ausfertigung vorgelegt wird838. Nur in diesem Fall besteht nach der Gutglaubensregelung des § 172 BGB Schutz davor, dass die Vollmacht nicht wirksam war, nicht in dem angegebenen Umfang erteilt wurde oder erloschen ist839. Ein entsprechendes Rechtsscheinsystem lässt sich derzeit noch nicht elektronisch abbilden. So kann eine qualifizierte elektronische Signatur zwar die Integrität und Authentizität der Urkunde sicherstellen, nicht aber die Einmaligkeit (Unikatsfunktion), da elektronische Dokumente beliebig oft reproduzierbar sind840. Daher war es nach der Gesetzesfassung gemäß dem DiRUG in allen Fällen erforderlich, dass dem Notar die Vollmacht als Papierdokument im Original oder in Ausfertigung (ggf. mit Apostille oder Legalisation versehen) vorgelegt wird841. Nach der durch das DiREG eingeführten Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 kann die Vollmacht auch mittels Videokommunikation beurkundet werden. Ein praktisches Bedürfnis besteht hierfür insbesondere im Hinblick auf sog. Vollzugsvollmachten, welche die Gründer Mitgesellschaftern oder Mitarbeitern des beurkundenden Notars für den Fall der Beanstandung von Regelungen des Gesellschaftsvertrags durch das Registergericht einräumen. Um gleichwohl die Unikatsfunktion sicherzustellen, ist zu wünschen, dass das von der BNotK initiierte (sinnvolle) Projekt eines blockchainbasierten Gültigkeitsregisters zeitnah umgesetzt wird842. Schon im derzeitigen Stadium ist es möglich, eine Ausfertigung der im Online-Verfahren erstellten Vollmacht zu fertigen, die auch bei einer Gründung im Präsenzverfahren verwendet werden kann843. 203 Die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Satz 2 findet ausweislich der Regierungsbegründung zum

DiREG auf die Genehmigung eines durch einen vollmachtlosen Vertreter abgeschlossenen Gesellschaftsvertrags einer Mehrpersonen-GmbH844 sowie auf die Bevollmächtigung zur Abgabe einer Übernahmeerklärung im Sinne des § 55 Abs. 1 entsprechende Anwendung845. Da der Gesetzgeber bei der Öffnung des Onlineverfahrens für Gründungsvollmachten bewusst auf eine dem § 2 Abs. 3 Satz 3 entsprechende Regelung verzichtet hat, können sonstige Willenserklärungen hingegen nicht in die entsprechende elektronische Niederschrift mit aufgenommen werden, so dass insbesondere General- oder Vorsorgevollmachten nicht auf dieser Grundlage im Online-Verfahren beurkundet werden können846. In Fortentwicklung der Rechtsprechung des BGH847 bestimmt § 12 Abs. 2 BeurkG ferner, dass die Vorlage der Vollmachtsurkunde gegenüber dem Notar auch als Vorlage gegenüber demjenigen gilt, gegenüber dem die beurkundete Willenserklärung abgegeben wird. 204 Bei einer Gründung durch eine juristische Personen oder Personengesellschaft muss sich

der Notar stets Gewissheit darüber verschaffen, ob diese existiert und die für sie auftretenden Personen vertretungsberechtigt sind (§ 17 Abs. 1 Satz 1, § 12 BeurkG)848. Handelt es sich um eine inländische Gesellschaft kann er sich in der Regel unschwer durch Einsicht in das Handelsregister Gewissheit verschaffen und auf dieser Grundlage eine Notarbescheinigung er-

838 BT-Drucks. 19/28177, S. 123 f. 839 Schubert in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 172 BGB Rz. 1; Ellenberger in Grüneberg, 81. Aufl. 2022, § 172 BGB Rz. 1. 840 S. Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 773 mit dem sinnvollen Vorschlag eines zentralen elektronischen Vollmachtsregisters; BT-Drucks. 19/28177, S. 125. 841 Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 858. 842 S. dazu unter https://www.bnotk.de/fileadmin/user_upload_bnotk/Pressemitteilungen/2020/Mach barkeitsstudie_Das_Blockchain-basierte_Gueltigkeitsregister.pdf. 843 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 22. 844 Vgl. dazu und zum Streitstand bei der Ein-Personen-Gründung Wicke, Rz. 8. 845 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 22. 846 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 22. 847 BGH v. 15.10.1987 – III ZR 235/86, NJW 1988, 697. 848 BGH v. 13.11.2017 – NotSt (Brfg) 4/17, NJW-RR-2018, 443; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 772.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 204 § 2

stellen (§ 21 BNotO)849. Im Fall einer ausländischen Gesellschaft kommt eine entsprechende Bescheinigung nur in Betracht, wenn ein Register existiert, das seiner rechtlichen Bedeutung und Funktion nach dem deutschen Handelsregister entspricht850. Von der überwiegenden Auffassung wird dies insbesondere abgelehnt für das englische Handelsregister beim Companies House in Cardiff851 und erscheint etwa auch für Zypern, Malta und Irland zweifelhaft852. Selbst wenn man davon ausgeht, dass mit der Eintragung einer Kapitalgesellschaft im Register eines EU-Mitgliedstaats die Existenz der Gesellschaft und die Bestellung ihrer vertretungsberechtigten Organmitglieder gewährleistet ist853 oder unter Hinweis auf den effet utile die Anerkennung der in anderen Mitgliedstaaten offen gelegten Informationen fordert854, kann ein vollständiger Vertretungsnachweis in einigen Ländern nicht durch Einsichtnahme geführt werden, da es beim Vorhandensein mehrerer Geschäftsleiter schlicht an einer Angabe zu deren Vertretungsbefugnis fehlt oder insoweit zum Teil auf die Satzung verwiesen wird. Das europäische Business Registers Interconnection System (BRIS) schafft in seiner derzeitigen Konzeption noch keine Abhilfe, da dieses ohne weitere Harmonisierung der Publizitätsstandards nur eine mittelbare Einsichtnahme in die nationalen Register über eine zentrale Plattform ermöglicht, auf der europäischen Registerplattform selbst aber keine Eintragungen erfolgen855. Es ist daher in entsprechenden Konstellationen dafür Sorge zu tragen, dass ein äquivalenter Vertretungsnachweis, z.B. in Form der Bescheinigung eines ausländischen Notars beigebracht wird856, der ggf. zum Nachweis der Echtheit857 einer Legalisation oder Apostille bedarf. Da die von einigen EU-Mitgliedstaaten ausgestellten elektronischen Apostillen im Registerverfahren noch nicht anerkannt werden858, sind die erforderlichen Vertretungsnachweise ebenso wie Vollmachten im Einklang mit den Vorgaben der Richtlinie859 einstweilen in Papierform zu übermitteln860. Die vorgelegten Vollmachten und Vertretungsnachweise sollen der elektronischen Niederschrift in elektronisch beglaubigter Abschrift beigefügt werden (§ 16d BeurkG).

849 BT-Drucks. 19/28177, S. 124. 850 S. Limmer in Frenz/Miermeister, BNotO, 5. Aufl. 2020, § 21 BNotO Rz. 9a m.w.N., dort auch zur Möglichkeit einer gutachterlichen Stellungnahme des Notars. 851 KG v. 20.4.2010 – 1 W 164-165/10, DNotZ 2012, 604, 605; OLG Düsseldorf v. 21.8.2014 – 3 Wx 190/13, NZG 2015, 199; OLG Nürnberg v. 25.3.2014 – 15 W 381/14, DNotZ 2014, 626; Limmer in Frenz/Miermeister, BNotO, 5. Aufl. 2020, § 21 BNotO Rz. 9a. 852 Bock, RNotZ 2021, 326, 332; Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1098. 853 Dazu Teichmann, GmbHR 2021, 1239, 1247. 854 J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 115. 855 S. Bock, GmbHR 2018, 281; Sander in BeckOK BNotO, § 21 BNotO Rz. 16; Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1098; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 772; insoweit auch Drygala/Grobe, GmbHR 2020, 985, 986; a.A. J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 115. 856 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1098. 857 Nach Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1098 soll es sich um eine Voraussetzung für die Wirksamkeit der Vollmacht handeln. 858 Dazu Forschner/Kienzle, DNotZ 2020, 724; kritisch J. Schmidt, NZG 2021, 849, 850. 859 S. Art. 13g Abs. 3 lit. a, Abs. 8, Art. 13c Abs. 3 GesRRL; ErwG 15 DigitalisierungsRL; BT-Drucks. 19/28177, S. 124; Bock, RNotZ 2021, 326, 332; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 772; zu Unrecht sehr kritisch J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 116. 860 BT-Drucks. 19/28177, S. 124; Stelmaszczyk/Kienzle, ZIP 2021, 765, 772; ferner Kienzle in Herrler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2021, § 18a Rz. 47 mit dem Hinweis, dass die Echtheitsvermutung des § 371a Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit § 437 ZPO auf ausländische elektronische Urkunden keine Anwendung findet; kritisch J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 116.

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§ 2 Rz. 205 | Form des Gesellschaftsvertrages i) Elektronische Anmeldung und Gesellschafterliste aa) Online-Beglaubigung der qualifizierten elektronischen Signatur 205 Nach Art. 13g Abs. 1 GesRRL ist zu gewährleisten, dass die Gründung vollständig online

durchgeführt werden kann, ohne die Notwendigkeit eines persönlichen Erscheinens. Das DiRUG hat daher die (zusätzliche) Möglichkeit geschaffen, elektronische Erklärungen (§ 126a BGB) in den gesetzlich vorgesehenen Fällen auch elektronisch zu beglaubigen (§ 129 Abs. 1 Nr. 2 BGB, §§ 39a, 40a BeurkG) bzw. Handelsregisteranmeldungen mittels Videokommunikation zu beglaubigen (§ 12 HGB). Die elektronische Anmeldung der GmbH zum Handelsregister (§ 7) ist von den Geschäftsführern mit einer qualifizierten elektronischen Signatur zu versehen (§ 126a BGB). Diese qualifizierte elektronische Signatur bedarf der Anerkennung mittels des von der Bundesnotarkammer betriebenen Videokommunikationssystems samt der darin vorgesehenen zweistufigen Identifizierung (§ 40a Abs. 1, 4 Satz 2, § 16c BeurkG, § 12 HGB). Technisch erfolgen das Erstellen der qualifizierten elektronischen Signatur und das Anbringen an die Anmeldung durch die Geschäftsführer ebenfalls über das Videokommunikationssystem der Bundesnotarkammer (§ 78p Abs. 2 Nr. 4 BNotO)861. Das zum Zwecke der Beglaubigung einer qualifizierten elektronischen Signatur erstellte Dokument muss seinerseits mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Notars versehen werden (§ 39a Abs. 1 Satz 2 und 3, § 16b Abs. 4 Satz 1 und 4 BeurkG)862. bb) Weitere Handelsregisteranmeldungen 206 Dieses Verfahren der Online-Anmeldung gilt nicht nur für die Gründung, sondern als alter-

native Variante für sämtliche Anmeldungen von Gesellschaften mit beschränkter Haftung und deren Zweigniederlassungen. Nach Art. 13j GesRRL haben die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass während des gesamten Lebenszyklus einer Kapitalgesellschaft Urkunden und Informationen sowie Änderungen an denselben online eingereicht werden können. Daher wurden Online-Anmeldungen in § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB durch das DiRUG auch für Aktiengesellschaften, KGaAs, deren Zweigniederlassungen und Einzelkaufleute863 zugelassen, zunächst aber nicht bei Personenhandelsgesellschaften864. Daran wurde zu Recht Kritik geübt, da es insbesondere bei Gründung einer GmbH & Co. KG merkwürdig anmuten würde, wenn insoweit weiterhin eine Beglaubigung in Präsenz erforderlich wäre, während die Errichtung der Komplementärin vollständig auf elektronischem Wege erfolgen kann865. Das DiREG hat dieses Manko beseitigt und lässt die Beglaubigung qualifizierter elektronischer Signaturen im Online-Verfahren ab dem 1.8.2022 für alle Anmeldungen zum Handelsregister (§ 12 Abs. 1 Satz 2 HGB), zum Partnerschaftsregister (§ 5 Abs. 2 PartGG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB) und zum Genossenschaftsregister (§ 157 GenG), sowie ab dem 1.8.2023 für Anmeldungen zum Vereinsregister (§ 77 Abs. 2 BGB) und schließlich ab dem 1.1.2024 für An-

861 Kienzle in Herrler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2021, § 18a Rz. 71 sowie dort Rz. 72 zu einem Formulierungsbeispiel. 862 BT-Drucks. 19/28177, S. 125. Nach dem Wortlaut des § 12 Abs. 1 Satz 3 HGB könnte der Anwendungsbereich der Online-Beglaubigung auch für mit qualifizierten elektronischen Signaturen versehene Handelsregisteranmeldungen eröffnet sein; s. dazu Kienzle in Herrler, Gesellschaftsrecht, 2. Aufl. 2021, § 18a Rz. 69. 863 Vgl. Verordnung (EU) 2018/1724 über die Einrichtung eines einheitlichen digitalen Zugangstors zu Informationen, Verfahren, Hilfs- und Problemlösungsdiensten und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1024/2012 ABl. EU L 295/1; dazu BT-Drucks. 19/28177, S. 178. 864 S. zum europarechtlichen Hintergrund neben Art. 13j auch Art. 28a, 28b GesRRL, Art. 6 Abs. 1 in Verbindung mit Anhang II der Single Digital Gateway-Verordnung; dazu BT-Drucks. 19/28177, S. 95 f.; Linke, NZG 2021, 309, 311. 865 Vgl. BR-Drucks. 144/21 (B), S. 8; Omlor/Blöcher, DStR 2021, 2352, 2357 f.; J. Schmidt, NZG 2021, 849, 850; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 861.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 209 § 2

meldungen zum neuen GbR-Register (§ 707b Nr. 2 BGB i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB) zu. Da der Notar sämtliche Anmeldungen vor ihrer Einreichung auf ihre Eintragungsfähigkeit zu prüfen hat (§ 378 Abs. 3 Satz 1 FamFG), ist seine Filter- und Entlastungsfunktion allgemein auch im Online-Verfahren gewährleistet866. cc) Gesellschafterliste Der Gesetzgeber hat ferner klargestellt, dass zur Vermeidung eines (im Rahmen von Art. 13g 207 Abs. 1 GesRRL nicht erlaubten) Medienbruchs die Gesellschafterliste anstelle der Unterzeichnung eines Papierdokuments online erstellt und gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 n.F. mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden kann867. Im Einklang mit europarechtlichen Vorgaben868 wird dies nicht nur für die erstmalige Einreichung, sondern auch für spätere Änderungen der Gesellschafterliste bestimmt, die daher je nach Zuständigkeit vom Geschäftsführer (§ 40 Abs. 1 Satz 1) oder Notar (§ 40 Abs. 2 Satz 2) anstelle der Unterschrift mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen werden kann. Schon nach bisherigem Recht war anerkannt, dass für die Geschäftsführerliste die elektronische Form nach § 126a BGB genügt869, dass der Notar die bescheinigte Gesellschafterliste gleich elektronisch erstellen und elektronisch signieren kann (§§ 39a, 39 BeurkG) und dass dieses elektronisch erstellte Dokument selbst an das Handelsregister übermittelt werden kann870. Durch das DiREG wird die in § 8 Abs. 1 Nr. 3 und § 40 Abs. 1 Satz 1 in der Fassung des 208 DiRUG enthaltene Regelung für die Gesellschafterliste auf die Übernehmerliste gemäß § 57 Abs. 3 Nr. 2 erstreckt, für die daher ebenfalls eine qualifizierte elektronische Signatur genügt. Die Gesetzesbegründung weist darauf hin, dass es damit nicht länger erforderlich ist, die Übernehmerliste auszudrucken, zu unterzeichnen und sie wieder zu digitalisieren, um sie dann als elektronische Aufzeichnung einzureichen871. Im Sinne der „One in, one out“ Regelung der Bundesregierung und im Interesse des Bürokratieabbaus wäre es deutlich sinnvoller gewesen, die Regelung zur Übernehmerliste in § 57 Abs. 3 Nr. 2 ersatzlos zu streichen, da sie spätestens seit dem MoMiG neben der Gesellschafterliste keinen sinnvollen Zweck mehr erfüllt und daher schon seit längerer Zeit ihre Abschaffung gefordert wird872. Sie verursacht lediglich zusätzlichen Kosten- und Zeitaufwand, was insbesondere deutlich wird, wenn (wie nicht selten) die erforderliche Unterzeichnung durch sämtliche Geschäftsführer neben der Anmeldung vergessen wird oder bei im Ausland ansässigen Geschäftsführern in Unkenntnis der Rechtslage nicht nur die Anmeldung, sondern unnötigerweise auch die Übernehmerliste beglaubigt und apostilliert wird. dd) Elektronische Einreichung der Unterlagen Der Notar ist nach § 53 BeurkG schließlich zur Einreichung sämtlicher für die Gründung 209 erforderlichen Dokumente zum Handelsregister verpflichtet873. Anmeldungen zum Handelsregister sind ebenso wie notariell beurkundete Dokumente oder öffentlich beglaubigte Ab-

866 J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 118; BT-Drucks. 18/10670, S. 106. 867 Es handelt sich bei der mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehenen Urkunde, die nicht nach § 39a BeurkG erstellt wurde, nicht um eine elektronische Urkunde gemäß § 45 Abs. 3 BeurkG; s. BT-Drucks. 19/28177, S. 130. 868 Vgl. Art. 13j GesRRL. 869 Wicke, § 40 Rz. 6. 870 Heidinger in MünchKomm. GmbHG, § 40 Rz. 287; Seibt hier 12. Aufl., § 40 Rz. 99; Wicke, § 40 Rz. 17; KG v. 20.6.2011 – 25 W 25/11, GmbHR 2011, 982; Echternach, DNotZ 2021, 928. 871 RegE DiREG BT-Drucks. 20/1672, S. 25. 872 Vgl. dazu Wicke, GmbHG, 1. Aufl. 2008 sowie 4. Aufl. 2020, jeweils § 57 Rz. 5. 873 S. auch BT-Drucks. 19/28177, S. 163.

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§ 2 Rz. 209 | Form des Gesellschaftsvertrages schriften elektronisch in öffentlich beglaubigter Form vorzulegen (§ 12 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Halbs. 2 HGB; 39a BeurkG). Von der elektronischen Niederschrift des Gesellschaftsvertrags gemäß § 2 Abs. 3 kann zu diesem Zweck eine beglaubigte Abschrift in elektronischer Form erstellt werden874. Die elektronische Anmeldung kann als solche (§ 45b Abs. 2 Satz 1 BeurkG), daneben auch eine Vervielfältigung (§ 45b Abs. 2 Satz 3 BeurkG) oder eine beglaubigte Abschrift hiervon in elektronischer Form875 übermittelt werden. Sonstige Dokumente sind als elektronische Aufzeichnungen oder bei einer elektronischen Erstellung auch unmittelbar in dieser Form einzureichen (§ 12 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 HGB)876.

5. Kosten 210 Die Kosten der Online-Gründung einer GmbH entsprechen im Grundsatz denen im Prä-

senzverfahren. Es kommt lediglich eine Pauschale für die Inanspruchnahme des Videokommunikationssystems der Bundesnotarkammer hinzu in Höhe von 25 Euro für das Beurkundungsverfahren und von 8 Euro für die Beglaubigung einer qualifizierten elektronischen Signatur (Nr. 32016 KV GNotKG)877. Der Kosten- und Zeitaufwand einer Anreise dürfte in aller Regel höher sein.

6. Bewertung und Ausblick 211 Dem Gesetzgeber ist mit dem DiRUG ein äußerst vielsprechendes Konzept der Online-

Gründung und Handelsregisteranmeldung gelungen. Die Errichtung der GmbH kann bequem und effizient von jedem Ort aus erfolgen, ohne dass ein persönliches Erscheinen beim Notar gefordert wird. Neben einem Ausweisdokument mit Online-Ausweisfunktion ist in technischer Hinsicht hierfür lediglich ein PC/Tablet mit Kamera und Microphon sowie ein handelsübliches Smartphone erforderlich. Gleichzeitig werden die multiplen Vorzüge der vorsorgenden Rechtspflege weitgehend gewahrt und auf schlüssige Weise in das virtuelle System integriert878. Das Videobeurkundungssystem der Bundesnotarkammer ermöglicht ein rechtssicheres Verfahren, bei dem im Interesse des Rechtsverkehrs die Grundlagen der GmbH klar erfasst werden, die bewährte Einschaltung des Notars als „Gatekeeper“ und „Filter“ für die Registergerichte erhalten bleibt und damit gleichzeitig eine verhältnismäßig kostengünstige juristische Beratung durch einen neutralen Sachkenner gewährleistet wird. 212 Die vorsorgende Rechtspflege führt im handels- und gesellschaftsrechtlichen Kontext volks-

wirtschaftlich zu einer Senkung von Transaktionskosten, da die Registrierung zwar im ersten Schritt mit gewissem Aufwand für den einzelnen Rechtsträger verbunden ist, der Rechtsverkehr sich alsdann aber im Handelsregister – inzwischen vollständig gebührenfrei – zuverlässig über die Existenz und die Vertretungsverhältnisse der Gesellschaften informieren kann und damit aufwendige Rechtsgutachten in zahlreichen Einzelfällen vermieden werden kön-

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Vgl. dazu Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses BT-Drucks. 19/30523, S. 103. BT-Drucks. 19/30523, S. 103. Wicke, § 9c Rz. 2. S. im Einzelnen Böhringer/Melchior, GmbHR, 2022, 177, 180; ferner Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 859; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 82. S. auch § 78q Abs. 1 Satz 1 BNotO. 878 In der Grundbewertung positiv daher die ganz überwiegende Auffassung im Schrifttum, s. J. Schmidt, NZG 2021, 849; J. Schmidt, ZIP 2021, 112; Omlor/Blöcher, DStR 2021, 2352, 2358; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 345; Knaier, GmbHR 2021, 169, 182; Blunk/Monden, ZdiW 2021, 74; Meier/Szalai, ZNotP 2021, 306, 317; Linke, NZG 2021, 309, 315; Freier, NotBZ 2021, 161, 166; ferner Lieder, NZG 2020, 81, 84; Kalls/Nicolossi, EuZW 2020, 41, 42; kritisch Drygala/ Grobe, GmbHR 2020, 985; Berger/Brem, GWR 2021, 413.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 214 § 2

nen879. Im Schrifttum werden allerdings zum Teil die hohen Anforderungen an die Identitätsfeststellung im Online-Verfahren kritisiert880, insbesondere weil bislang bei weitem nicht in allen EU-/EWR-Mitgliedstaaten und auch nicht in Drittstaaten ein eID-fähiges Ausweispapier mit der Sicherheitsstufe „hoch“ erhältlich ist, wie dies von § 16c Satz 1 Nr. 2 BeurkG gefordert ist881. Angesichts der Bedeutung der sicheren Identitätsfeststellung für die internationale Geldwäsche- und Missbrauchsbekämpfung und die Verlässlichkeit der Register im Allgemeinen ist es aber vorzugswürdig, mittelfristig auf eine europaweite Einführung höchster Standards hinzuwirken, anstatt in dieser sensiblen Frage für den virtuellen Bereich auf entsprechende Qualitätsanforderungen zu verzichten. Die Praxis zeigt, dass bei einer grenzüberschreitenden Gründung regelmäßig besonderer Be- 213 ratungsbedarf besteht, da es bei ausländischen Beteiligten häufig an Grundkenntnissen über die Funktionsweise und das Kapitalaufbringungssystem der GmbH fehlt, die Ausarbeitung einer individuellen Satzung für Gründer aus unterschiedlichen Jurisdiktionen sich als besonders komplex erweisen kann und zudem der Nachweis der Existenz ausländischer Rechtsträger und ihrer Vertretung gründlicher Vorbereitung bedarf, soweit es an entsprechend aussagekräftigen Registern fehlt. Es wurde im Schrifttum zutreffend darauf hingewiesen, dass gerade in diesen Fällen die Einschaltung des Notars, der zu den einschlägigen komplexen Rechtsfragen eine qualifizierte und zuverlässige sowie (bei festen Gebührensätzen) gleichzeitig kostengünstige Beratung gewährleistet, sich zu einem spezifischen Standortvorteil entwickeln kann882. Zu berücksichtigen ist insofern, dass die als besonders effizient geltenden Online-Verfahren anderer Mitgliedstaaten wie Estland oder Dänemark bislang technisch und rechtlich ganz auf das nationale Umfeld zugeschnitten sind883. Ein Kritikpunkt gegen die Neuregelung, der von zahlreichen Autoren vorgebracht wurde, 214 war der nach dem DiRUG vorgesehene Zuschnitt des Online-Verfahrens auf die Bargründung von GmbHs. So wurde verschiedentlich eine Ausdehnung auf die Errichtung anderer Gesellschaftsformen wie Aktiengesellschaften, die Einbeziehung der Sachgründung oder die Erweiterung um Satzungsänderungen und andere Strukturmaßnahmen gefordert884. In diesem Sinne ist durch das DiREG mittlerweile eine Erstreckung der Videobeurkundung auf die Sachgründung und auf weitere Beschlüsse einschließlich Satzungsänderungen erfolgt885. So begrüßenswert die Bestrebungen zu einer Digitalisierung des Gesellschaftsrechts sind, erscheint es gleichwohl sinnvoll, mit Augenmaß vorzugehen und das System zunächst in einem zentralen Anwendungsbereich zu erproben und erforderlichenfalls zu optimieren, bevor eine Erweiterung umgesetzt wird886. Aus Sicht der Praxis erscheint der Hinweis angebracht, dass 879 Teichmann, GmbHR 2021, 1237, 1248; Wicke, ZIP 2014, 1414, 1416. 880 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1097 f.; Drygala/Grobe, GmbHR 2020, 985, 988; Schuster, RDi 2021, 496, 499. 881 S. dazu auch J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 113 f. 882 Teichmann, GmbHR 2021, 1237, 1248. 883 Teichmann, GmbHR 2021, 1237, 1246. 884 Vgl. etwa J. Schmidt, NZG 2021, 849; Keller/Schümmer, NZG 2021, 573, 577; Hoch, NWB 2021, 3810, 3821; a.A. Bock, RNotZ 2021, 326, 328; Stelmaszczyk, EuZW 2021, 513, 514; Blunk/Monden, ZdiW 2021, 74, 77, 78; Linke, NZG 2021, 309, 310. Zur Konsultation der Kommission zum „Upgrading digital company law“ s. J. Schmidt, NZG 2022, 98. 885 Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP), S. 111 f. Zum österreichischen Recht s. Lieder, ZRP 2022, 102, 104. 886 Nach dem RegE DiREG, BT-Drucks. 20/1672, S. 17, soll das DiREG zusammen mit dem DiRUG grundsätzlich evaluiert werden und bereits bis zum 31.8.2024 im Lichte der praktischen Erfahrungen mit dem neuen Videokommunikationssystem eine Erweiterung auf Mehrheitsbeschlüsse, Anteilsübertragungen, auf jeweils im Zusammenhang stehende Willenserklärungen und Beschlüsse, auf die Gründung von Aktiengesellschaften und bestimmte Umwandlungsmaßnahmen überprüft werden.

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§ 2 Rz. 214 | Form des Gesellschaftsvertrages die Bargründung einer GmbH gerade im grenzüberschreitenden Kontext mit Abstand die wichtigste Variante zur Errichtung eines Unternehmens ist, die in den weitaus meisten relevanten Fällen den Einstieg in den inländischen Rechts- und Wirtschaftsverkehr auf virtuellem Weg ermöglicht. Zutreffend ist ferner die Einschätzung im Regierungsentwurf zum DiRUG, dass das Präsenzverfahren weiterhin als Normalfall beibehalten werden sollte, wo der Schutz unerfahrener Beteiligter und nicht der Beschleunigungsaspekt im Vordergrund steht887. 215 Gleichzeitig sollte das erhebliche Potential zur Digitalisierung und Vernetzung dort stärker

ausgeschöpft werden, wo dies unzweifelhaft dem Nutzen aller Beteiligten dient. Daher sollte dem Vorschlag gefolgt werden, den Gründungsprozess zu einem „One-Stop-Ansatz“ auszubauen, bei dem über den Notar sämtliche mit der Gründung und der Aufnahme des Geschäftsbetriebs unmittelbar zusammenhängenden Behördengänge miterledigt werden888. So könnten mittels der erhobenen Daten auf elektronischem Weg die Anträge auf Erteilung der Umsatzsteuer-Identifikationsnummer bei den zuständigen Finanzbehörden (§ 27a Abs. 1 UStG), der Betriebsnummer bei der Bundesagentur für Arbeit (§ 18i I SGB IV) und einer etwaigen für den Geschäftsbetrieb erforderlichen Genehmigung gestellt werden, es könnten die Mitteilung an die zuständige Berufsgenossenschaft (§ 192 SGB VII) und die Gewerbeanzeige (§ 14 Abs. 1 bzw. § 55c GewO) vorgenommen werden, die Daten über die wirtschaftlich Berechtigten an das Transparenzregister übermittelt und mit der Bank die Informationen über die Eröffnung des Kontos und Einzahlung des Stammkapitals ausgetauscht werden889. Ein Höchstmaß an Beschleunigung des Gründungsprozesses könnte schließlich dadurch erzielt werden, dass man, wie bereits oben erwähnt, dem notariellen Gründungsprotokoll konstitutive Wirkung beimessen würde, und daran auch die Haftungsbeschränkung nach § 13 Abs. 2 knüpfen würde, letzteres unter der Voraussetzung, dass die Eintragung im Handelsregister alsbald nachgeholt wird.

7. Musterprotokoll für das Online-Verfahren 216 Anlage 2 (zu Artikel 20 Nr. 11 des DiRUG vom 5.7.2021, BGBl. I 2021, 3338)

a) Musterprotokoll für die Gründung einer Einpersonengesellschaft mittels Videokommunikation UR. Nr. … Heute, den …, erschien mittels Videokommunikation vor mir, …, Notar/in mit dem Amtssitz in …, Herr/Frau1 … … …2. 1. Der/Die1 Erschienene errichtet hiermit nach § 2 Absatz 3 GmbHG mittels einer Beurkundung im Wege der Videokommunikation nach den §§ 16a ff. BeurkG eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter der Firma … mit dem Sitz in … 2. Gegenstand des Unternehmens ist …

887 BT-Drucks. 19/28177, S. 113. 888 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1100; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 860. 889 Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1100; Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 860.

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Form des Gesellschaftsvertrages | Rz. 216 § 2 3. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt … € (i.W. … Euro) und wird vollständig von Herrn/ Frau1 … (Geschäftsanteil Nr. 1) übernommen. Die Einlage ist in Geld zu erbringen, und zwar sofort in voller Höhe/zu 50 % sofort, im Übrigen sobald die Gesellschafterversammlung ihre Einforderung beschließt3. 4. Zum Geschäftsführer der Gesellschaft wird/Zu den Geschäftsführern der Gesellschaft werden4 Herr/ Frau4 …, geboren am …, wohnhaft in …, Herr/Frau4 …, geboren am …, wohnhaft in …, bestellt5. Der Geschäftsführer ist/Die Geschäftsführer sind4 von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinsam oder durch einen Geschäftsführer gemeinschaftlich mit einem Prokuristen vertreten. 5. Die Gesellschaft trägt die mit der Gründung verbundenen Kosten bis zu einem Gesamtbetrag von 600 Euro, höchstens jedoch bis zum Betrag ihres Stammkapitals. Darüber hinausgehende Kosten trägt der Gesellschafter. 6. Von dieser Urkunde erhält eine Ausfertigung der Gesellschafter, beglaubigte Ablichtungen die Gesellschaft und das Registergericht (in elektronischer Form) sowie eine einfache Abschrift das Finanzamt – Körperschaftsteuerstelle –. 7. Der Erschienene wurde vom Notar/von der Notarin insbesondere auf Folgendes hingewiesen: … Hinweise: 1 Nicht Zutreffendes streichen. Bei juristischen Personen ist die Anrede Herr/Frau wegzulassen. 2 Hier sind neben der Bezeichnung des Gesellschafters und den Angaben zur notariellen Identitätsfeststellung ggf. der Güterstand und die Zustimmung des Ehegatten sowie die Angaben zu einer etwaigen Vertretung zu vermerken. 3 Nicht Zutreffendes streichen. Bei der Unternehmergesellschaft muss die zweite Alternative gestrichen werden. 4 Nicht Zutreffendes streichen. 5 Weitere Geschäftsführer können ergänzt werden.

b) Musterprotokoll für die Gründung einer Mehrpersonengesellschaft mittels Videokommunikation UR. Nr. … Heute, den …, erschien mittels Videokommunikation vor mir, …, Notar/in mit dem Amtssitz in …, Herr/Frau1 … … …2. Herr/Frau1 … … …2. Herr/Frau1 … … …2. 1. Die Erschienene errichten hiermit nach § 2 Absatz 3 GmbHG durch Beurkundung des Gesellschaftsvertrages mittels Videokommunikation nach den §§ 16a ff. BeurkG eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung unter der Firma … mit dem Sitz in … 2. Gegenstand des Unternehmens ist …

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§ 2 Rz. 216 | Form des Gesellschaftsvertrages 3. Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt … € (i.W. … Euro) und wird wie folgt übernommen: Herr/Frau3 … übernimmt einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag in Höhe von … € (i.W. … Euro), Herr/Frau3 … übernimmt einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag in Höhe von … € (i.W. … Euro), Herr/Frau3 … übernimmt einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag in Höhe von … € (i.W. … Euro). Die Einlagen sind in Geld zu erbringen, und zwar sofort in voller Höhe/zu 50 % sofort, im Übrigen sobald die Gesellschafterversammlung ihre Einforderung beschließt4. 4. Zum Geschäftsführer der Gesellschaft wird/Zu den Geschäftsführern der Gesellschaft werden3 Herr/ Frau3 …, geboren am …, wohnhaft in …, Herr/Frau3 …, geboren am …, wohnhaft in …, bestellt5. Der Geschäftsführer ist/Die Geschäftsführer sind3 von den Beschränkungen des § 181 des Bürgerlichen Gesetzbuchs befreit. Ist nur ein Geschäftsführer bestellt, so vertritt dieser die Gesellschaft allein. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so wird die Gesellschaft durch zwei Geschäftsführer gemeinsam oder durch einen Geschäftsführer gemeinschaftlich mit einem Prokuristen vertreten. 5. Die Gesellschaft trägt die mit der Gründung verbundenen Kosten bis zu einem Gesamtbetrag von 600 Euro, höchstens jedoch bis zum Betrag ihres Stammkapitals. Darüber hinausgehende Kosten trägt der Gesellschafter. 6. Von dieser Urkunde erhält eine Ausfertigung der Gesellschafter, beglaubigte Ablichtungen die Gesellschaft und das Registergericht (in elektronischer Form) sowie eine einfache Abschrift das Finanzamt – Körperschaftsteuerstelle –. 7. Der Erschienene wurde vom Notar/von der Notarin3 insbesondere auf Folgendes hingewiesen: … Hinweise: 1 Nicht Zutreffendes streichen. Bei juristischen Personen ist die Anrede Herr/Frau wegzulassen. 2 Hier sind neben der Bezeichnung des Gesellschafters und den Angaben zur notariellen Identitätsfeststellung ggf. der Güterstand und die Zustimmung des Ehegatten sowie die Angaben zu einer etwaigen Vertretung zu vermerken. 3 Nicht Zutreffendes streichen. Bei der Unternehmergesellschaft muss die zweite Alternative gestrichen werden. 4 Nicht Zutreffendes streichen. 5 Weitere Geschäftsführer können ergänzt werden.

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§3 Inhalt des Gesellschaftsvertrages (13. Auflage 2022) (1) Der Gesellschaftsvertrag muss enthalten: 1. die Firma und den Sitz der Gesellschaft, 2. den Gegenstand des Unternehmens, 3. den Betrag des Stammkapitals, 4. die Zahl und die Nennbeträge der Geschäftsanteile, die jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital (Stammeinlage) übernimmt. (2) Soll das Unternehmen auf eine gewisse Zeit beschränkt sein oder sollen den Gesellschaftern außer der Leistung von Kapitaleinlagen noch andere Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft auferlegt werden, so bedürfen auch diese Bestimmungen der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag. Abs. 1 Nr. 4 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026), Text im Übrigen seit 1892 unverändert. I. 1. 2. 3. II. 1. 2.

3.

4. 5.

Norminhalt und Normzweck § 3 Abs. 1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 3 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Überblick: Inhalt des Gesellschaftsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mindestinhalt (§ 3 Abs. 1) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . a) Einheitliches Schriftstück . . . . . . . . . b) Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Unbedingtheit; Unbefristetheit . . . . aa) Beitrittserklärungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Sonstige Mindestbestandteile . . . cc) Bedingtes bzw. befristetes Entstehen der GmbH . . . . . . . . . Mängel des Mindestinhalts a) Rechtsfolgen vor Eintragung der GmbH aa) Unvollständigkeit als Eintragungshindernis . . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlerhafte Gesellschaft; Fehlerbeseitigung . . . . . . . . . . . . cc) Rechtslage im Fall eines Vorvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen nach Eintragung der GmbH aa) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . bb) Nichtigkeitsklage, Amtslöschungsverfahren . . . . . . . . . . . cc) Amtsauflösungsverfahren . . . . . . Firma und Sitz (§ 3 Abs. 1 Nr. 1) . . . . Gegenstand des Unternehmens (§ 3 Abs. 1 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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b) Bedeutung aa) Gesellschafterschutz: Verbot der Über- und Unterschreitung; Vorlagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . bb) Informationszweck . . . . . . . . . . . cc) Registergerichtliche Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Konkretisierung der Treuepflicht c) Wahrheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Bestimmtheitsgebot aa) Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . bb) Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zweckmäßiger Konkretisierungsgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zusätze (erweiternde bzw. einengende) . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Beteiligungs- bzw. Konzernbildungsklauseln (1) Annex-Beteiligungsklauseln (2) „Konstitutive“ Beteiligungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . ff) Negative Zusätze . . . . . . . . . . . . . gg) Komplementär-GmbH . . . . . . . . e) Angabe des Gesellschaftszwecks . . . f) Sonderfall: Rechtliche Neugründung von Gesellschaftsmänteln („Vorratsgründung“) aa) Offene Vorratsgründung . . . . . . bb) Verdeckte Vorratsgründung . . . (1) Tatbestand . . . . . . . . . . . . . . . (2) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . e) Mängel aa) Unbestimmtheit . . . . . . . . . . . . . bb) Fehlen, Nichtigkeit . . . . . . . . . . . cc) Mängel infolge (tatsächlicher oder statutarischer) Änderungen

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§ 3 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages 6. Betrag des Stammkapitals (§ 3 Abs. 1 Nr. 3) a) Bezifferter und fester Betrag . . . . . . . b) Konvergenzgebot . . . . . . . . . . . . . . . . c) Änderung der Stammkapitalziffer . . 7. Zahl und Nennbeträge der gegen Einlage zu übernehmenden Geschäftsanteile (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) a) Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einlage und Geschäftsanteil aa) Übernahme eines Geschäftsanteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Nennbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zahl der Geschäftsanteile . . . . . . . . . d) Angabe der Gesellschafter aa) Gründungsgesellschafter . . . . . . bb) Veränderungen im Gesellschafterkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Streichung der Angaben . . . . . . . . . . III. Freiwilliger Inhalt des Gesellschaftsvertrages i.S.d. § 3 Abs. 2 Var. 1: Zeitbestimmung 1. Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . . 2. Anforderungen a) Satzungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . b) Bestimmtheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen des Zeitablaufs . . . . . . . . 4. Veränderung der Zeitbestimmung . . . IV. Freiwilliger Inhalt des Gesellschaftsvertrages i.S.d. § 3 Abs. 2 Var. 2: Nebenleistungspflichten . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bedeutung und Verbreitung . . . . . . . . 3. Abgrenzung a) Abgrenzung gegen Einlagepflicht . . b) Abgrenzung gegen Nachschusspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Abgrenzung gegen schuldrechtliche Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgrenzung gegen Sonderpflichten e) Abgrenzung gegen Sonderrechte . . . 4. Begründung und Änderung; Begründung im Videokommunikationsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Gestaltungsgrenzen a) Bestimmtheitsgebot . . . . . . . . . . . . . . b) Sittenwidrigkeit unbegrenzter Leistungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . 6. Anwendbarkeit schuldrechtlicher Bestimmungen; Ausführungsverträge . . 7. Inhalt der Verpflichtungen a) Einseitige und gegenseitige Pflichten

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b) Geldleistungen, insbesondere Aufgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 c) Sachleistungen aa) Grundsätzliches; Beispiele . . . . . 81 bb) Sachaufgeld (Sachagio) (1) Bedeutung und Erscheinungsformen . . . . . . . . . . . . . 82 (2) Kapitalaufbringungskontrolle; Prüfungsrecht des Registergerichts . . . . . . . . . . . . . . . 83 cc) Abtretungspflichten; Erwerbsvorrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 d) Unterlassungspflichten (Wettbewerbsverbot) aa) Kein gesetzliches Wettbewerbsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 bb) Statutarisches Wettbewerbsverbot (1) Begründung . . . . . . . . . . . . . 88 (2) Erlöschen . . . . . . . . . . . . . . . . 89 (3) Befreiung . . . . . . . . . . . . . . . . 91 (4) Kartellrechtliche Schranken 92 (5) Zivilrechtliche Schranken . . 93 e) Handlungspflichten aa) Erbringung von (Geschäftsführungs-)Dienstleistungen . . . . 94 bb) Stimmrechtsbindungen . . . . . . . 95 8. Leistungsstörungen a) Gesellschaftsrechtliche Reaktionsinstrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 b) Ergänzende Anwendung schuldrechtlicher Bestimmungen . . . . . . . . 97 9. Rechtsnachfolge in die Nebenleistungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 10. Behandlung der Nebenleistungspflicht in der Insolvenz a) Insolvenz der Gesellschaft . . . . . . . . 104 b) Insolvenz des Gesellschafters . . . . . . 106 11. Erlöschen der Nebenleistungspflicht a) Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 b) Anfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 c) Kündigung, Leistungsstörungen . . . 110 d) Statutarische Erlöschensgründe . . . . 111 e) Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 V. Freiwilliger, aber formbedürftiger Inhalt des Gesellschaftsvertrages außerhalb des § 3 Abs. 2 1. Satzungsfreiheit und Satzungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 2. Erscheinungsformen und rechtliche Behandlung a) Geschriebener Satzungsvorbehalt (notwendig „echte“ Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags)

Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 1 § 3

3. 4. VI. 1. 2.

VII. 1. 2. 3.

4.

5. 6. 7. 8.

aa) Zwingend korporative Bestandteile des Gesellschaftsvertrags kraft gesetzlicher Zuweisung . . . bb) Satzungsdispositive (ansonsten zwingende) Bestimmungen . . . . b) Ungeschriebener Satzungsvorbehalt („Natur der Sache“) . . . . . . . . . . . . . . Gestaltungsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . Mängel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unechter Satzungsinhalt . . . . . . . . . . . Begriff und Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . Erscheinungsformen und rechtliche Behandlung a) Gesellschaftliche Sachverhalte aa) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zweifelsregelung bei Wahlfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtliche Konsequenzen . . . . . . b) Nicht-gesellschaftliche (individualvertragliche) Sachverhalte aa) Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Indifferente Bestandteile; Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwingend individualrechtliche Bestandteile . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Rechtliche Konsequenzen . . . . . . Gesellschaftervereinbarungen . . . . . . . Bedeutung und Erscheinungsformen Beteiligte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur a) Schuldrechtliche Vereinbarung . . . . b) Innengesellschaft bürgerlichen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bedeutung der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . Zulässigkeitsschranken a) AGB-Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Satzungsvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . c) Widerspruch zu zwingendem Recht Grundsatz der Formfreiheit und Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindung von Rechtsnachfolgern . . . . . Typische Gegenstände . . . . . . . . . . . . . Trennungsgrundsatz

114 116 118 122 126 127 128

130 131 132 133 135 138 139 140 141 143 145 148 149 151 152 153 154 155 157

a) Grundsätzliches . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Abredewidrige Stimmabgabe . . . . . . c) Leistungsverweigerungsrechte . . . . . d) Rückerwerbsrechte . . . . . . . . . . . . . . VIII. Exkurs: Wirtschaftliche Neugründung von Mantelgesellschaften . . . . . . 1. Erscheinungsformen und Motive . . . . 2. Tatbestand der wirtschaftlichen Neugründung a) Grundsatz: Aktivierung eines unternehmenslosen Gesellschaftsmantels b) Einzel- und Zweifelsfälle aa) Vorübergehende, zwischenzeitliche Einstellung der Geschäftstätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Umstrukturierung . . . . . . . . . . . cc) Liquidationsstadium . . . . . . . . . . c) Praktischer Umgang mit Zweifelsfällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen a) Grundlage der entsprechenden Anwendung gründungsrechtlicher Vorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kapitalaufbringung aa) Grundsatz: Wiederauffüllungspflicht hinsichtlich des statutarischen Stammkapitals . . . . . . . . . bb) Einzelheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gründungsaufwand . . . . . . . . . . . . . d) Offenlegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Anmeldeversicherung entsprechend § 8 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 und 3 . . f) Registergerichtliche Prüfung; registerrechtliche Konsequenzen aa) Prüfungsumfang . . . . . . . . . . . . . bb) Registersperre . . . . . . . . . . . . . . . g) Unterbilanzhaftung aa) Umfang; Stichtag . . . . . . . . . . . . . bb) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Nachholung der Offenlegungsund Versicherungserklärung . . . dd) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Haftung von Geschäftsanteilserwerbern . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Norminhalt und Normzweck 1. § 3 Abs. 1 § 3 handelt vom Inhalt des Gesellschaftsvertrages, Abs. 1 von seinen rechtlich wesentli- 1 chen (notwendigen) Erfordernissen, ohne welche dieser Vertrag unvollständig und damit die GmbH nicht eintragungsfähig ist, Abs. 2 von rechtlich unwesentlichen (freiwilligen), Scheller | 205

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§ 3 Rz. 1 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages gleichwohl praktisch bedeutsamen Bestimmungen. Den in Abs. 1 abschließend genannten Mindestinhalt1 zwingend gesellschaftsvertraglich festlegen zu müssen, hat den Zweck, jede GmbH jedenfalls mit einer groben korporativen (nur durch Satzungsänderung abänderbaren) Grundverfassung auszustatten, die – mit Ausnahme der Angaben nach § 3 Abs. 1 Nr. 42 – im Handelsregister ausdrücklich3 einzutragen (§ 10 Abs. 1 Satz 1) und entsprechend bekanntzumachen (§ 10 HGB) ist. Der Mindestinhalt bildet damit einen Teilbereich des zur Identifizierbarkeit der Gesellschaft dienenden notwendigen Eintragungsinhalts i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 14 (vgl. 13. Aufl., § 10 Rz. 6 ff.). Daraus folgt zwanglos, dass statutarische Öffnungsklauseln in Bezug auf den Mindestinhalt unzulässig sind, bedarf es doch seiner unmittelbaren Festlegung im Gesellschaftsvertrag5. Neben dem Publizitätszweck verfolgt § 3 Abs. 1 den weiteren Zweck, die Entscheidungshoheit über die Fragen des Mindestinhalts zwingend der (satzungsändernden) Gesellschafterversammlung zuzuweisen. – Abs. 1 ist abschließend6. Erforderlich sind insbesondere auch keine Bestimmungen über die Form gesellschaftsrechtlicher Bekanntmachungen (es greift insoweit § 12 Satz 1) oder über das Geschäftsjahr (das dann – als ungeschriebenes materielles Satzungsrecht – mit dem Kalenderjahr übereinstimmt7, unter Bildung eines Rumpfgeschäftsjahres bei unterjähriger Gründung (vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 139). Konkretisiert wird § 3 Abs. 1 durch die §§ 4, 4a, 5, 5a.

2. § 3 Abs. 2 2 § 3 Abs. 2 hebt – exemplarisch – zwei Bestimmungen hervor (Zeitbeschränkung der Gesell-

schaft, korporative Nebenleistungspflichten der Gesellschafter), deren Schaffung den Gesellschaftern freigestellt ist, die aber – sollen sie gegenüber der Gesellschaft und künftigen Gesellschaftern und damit korporativ wirken – der zwingenden Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag bedürfen (sog. fakultativer korporativer Inhalt des Gesellschaftsvertrages; dazu Rz. 113 ff.). Die Gesellschafter können auch jenseits des § 3 Abs. 2 in den Grenzen des zwingenden Rechts nahezu beliebige andere Fragen mit Bezug auf ihr Verhältnis untereinander oder zur Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag regeln (sog. Satzungsfreiheit; hierüber bei Rz. 113 sowie 13. Aufl., Einl. Rz. 20 ff.). Sofern kein Satzungsvorbehalt besteht (vgl. Rz. 114 ff.), haben sie Wahlfreiheit, ob Vereinbarungen körperschaftliche oder nur individualrechtliche (d.h. schuldrechtliche) Bedeutung haben sollen und ob die Vereinbarungen im letzteren Fall

1 Gleichbedeutend: „Obligatorischer“ (Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 1), „notwendiger“ (Altmeppen, Rz. 1; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 6) oder „wesentlicher“ (Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8) Satzungsinhalt. 2 Vgl. bereits RG v. 20.6.1911 – Rep. II 622/10, RGZ 78, 359, 362 und weiterhin etwa Herrler in MünchKomm. GmbHG, § 10 Rz. 7. 3 D.h. auch im Fall einer Satzungsänderung nicht nur Bezug nehmend, vgl. 12. Aufl., § 54 Rz. 50 ff. 4 Demgegenüber ist die Eintragung des fakultativen Inhalts (mit Ausnahme einer Zeitbestimmung, vgl. Rz. 60) nicht ausdrücklich (bzw. bei einschlägiger Satzungsänderung: nur Bezug nehmend) eintragungsfähig, eine abgeschwächte Publizität wird aber durch die Möglichkeit unbeschränkter Einsicht (vgl. § 9 Abs. 1 HRV) in den im Handelsregisterordner (§ 9 Abs. 1 HRV) befindlichen (elektronisch einzureichenden, vgl. § 12 Abs. 2 Satz 1 HGB) Gesellschaftsvertrag gewährleistet. 5 Vgl. etwa Harbarth in FS Krieger, 2020, S. 309, 317; ferner Pöschke, Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in GmbH und AG, 2020, S. 302 f. unter Verweis auf die Publizitäts- und Kontrollfunktion, die anderenfalls unterlaufen würde. 6 Vgl. statt vieler Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; zur Erweiterung des Mindestinhalts de lege ferenda Hommelhoff, GmbHR 1979, 102, 109 ff.; Weller, ZGR 2012, 386, 401, 408 ff.; Verse, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, in Schriften des Notarrechtlichen Zentrums Familienunternehmen, 2014, S. 33, 35 ff.; Cziupka in GS Hannes Unberath, 2015, S. 51 ff.; ausführlich hierzu Wedemann, Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften, 2013, S. 546 f. 7 Näher Priester, GmbHR 1992, 584, 586; Kleinhart/von Xylander, GmbHR 2003, 506, 508.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 4 § 3

in den Gesellschaftsvertrag als „unechte“ Bestandteile aufgenommen werden. Aus Gründen der Vertraulichkeit werden solche Gesellschaftervereinbarungen aber in der Regel außerhalb des Gesellschaftsvertrages als sog. Nebenvereinbarungen8 getroffen (zu Gesellschaftervereinbarungen bei Rz. 141 ff.).

3. Überblick: Inhalt des Gesellschaftsvertrages Aus dem Gesagten (Rz. 1 f.) folgt, dass (zumindest) drei Bestandteile des Gesellschaftsver- 3 trages zu unterscheiden sind, nämlich (1.) der zwingende Mindestinhalt (§ 3 Abs. 1), (2.) der weitere echte, aber fakultative Inhalt sowie (3.) der unechte, aber formelle, zum Text des Gesellschaftsvertrages gehörige Inhalt, der seine Regelung genauso gut außerhalb desselben finden könnte. Normenhierarchisch oberhalb des Gesellschaftsvertrages angesiedelt, funktional aber seiner Ergänzung dienend, tritt (4.) als „satzungsanreichernde“ Auffanglösung dispositives GmbH-Recht9 zur weit verstandenen Verbandsordnung hinzu. Dieses ist allerdings angesichts allzu heterogener Realtypen und damit häufig fehlender Typisierbarkeit der Interessenlage nur in vergleichsweise geringem Umfang vorhanden10. Um die geringe Dichte dispositiver Normen auszugleichen, kann für die Außenbeziehung auf einzelne Normen des Aktien- oder Vereinsrechts zurückgegriffen werden, für das Innenverhältnis auf allgemeine Grundsätze bzw. Prinzipien (Treuepflicht, Gleichbehandlung), zuweilen können gar Anleihen beim Personengesellschaftsrecht genommen werden. Die Problematik der Heterogenität der Interessenlage impliziert, dass bei festgestellten Regelungslücken im Gesellschaftsvertrag ein Vorrang der ergänzenden Auslegung zweckgerecht ist11, sodass im Fall „unpassenden“ dispositiven Rechts der Gesellschaftsvertrag vorrangig nach Maßgabe des hypothetischen (wenngleich nach objektiven Kriterien zu ermittelnden bzw. fortzuentwickelnden) Gesellschafterwillens zu Ende zu denken sein wird (näher 13. Aufl., § 2 Rz. 41).

II. Mindestinhalt (§ 3 Abs. 1) 1. Anwendungsbereich § 3 Abs. 1 gilt trotz systematischer Stellung im ersten Abschnitt nicht nur für das Gründungs- 4 statut; den Erfordernissen der Vorschrift muss im Grundsatz vielmehr andauernd, insbesondere auch nach einer Satzungsänderung (§§ 53 f.), genügt werden12. Eine Sonderstellung kommt allerdings den Angaben nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 zu, die zwar (für die Errichtung der

8 S. zur Abgrenzung dieser Nebenvereinbarungen von den sog. Nebenordnungen, die durch einfachen Gesellschafterbeschluss geschaffen werden und vor allem Geschäftsordnungen für Organe oder etwa auch Zustimmungskataloge der Gesellschafterversammlung betreffen, Priester in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 21 Rz. 5 sowie Seibt in MünchAnwHdb. GmbH-Recht, 4. Aufl. 2018, § 2 Rz. 16. 9 Vgl. Cziupka in GS Hannes Unberath, 2015, S. 51 ff.; Verse, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, in Schriften des Notarrechtlichen Zentrums Familienunternehmen, S. 48. 10 Verse, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, in Schriften des Notarrechtlichen Zentrums Familienunternehmen, S. 48. 11 Schäfer in Bork/Schäfer, Einleitung Rz. 34; Grziwotz in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 18 Rz. 24. 12 Vgl. auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 6; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; einzige Ausnahme bildet § 3 Abs. 1 Nr. 4 (dazu Rz. 57).

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§ 3 Rz. 4 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages GmbH)13 rechtsnotwendiger (materieller)14 Bestandteil des Gesellschaftsvertrages sind, allerdings nach heute allgemeiner Meinung entfallen dürfen, wenn ihre Festsetzung durch vollständige Einlagenerfüllung gegenstandslos geworden ist15. – Für den Fall der vereinfachten Gründung mittels eines der in Anlage 1 bestimmten Musterprotokolle wird § 3 Abs. 1 durch § 2 Abs. 1a als lex specialis verdrängt16; die beiden Musterprotokolle fordern aber inhaltsgleiche Mindestbestandteile (s. dazu 13. Aufl., § 2 Rz. 129 ff.). Die in § 3 Abs. 2 genannten sind ebenso wie sonstige fakultative Bestandteile demgegenüber im Rahmen der vereinfachten Gründung ausgeschlossen17, was diese Gründungsvariante jedenfalls für Mehrpersonengesellschaften unzweckmäßig macht (vgl. auch die Kritik bei 13. Aufl., § 2 Rz. 150). Soll der Gesellschaftsvertrag (ab dem 1.8.2022) mittels Videokommunikation im Wege der §§ 16a ff. BeurkG in der dann geltenden Fassung (vgl. § 2 Abs. 3) unter Verwendung eines der in Anlage 2 bestimmten gesetzlichen Musterprotokolle beurkundet werden, gilt das zur vereinfachten Gründung Gesagte entsprechend.

2. Allgemeine Anforderungen 5 Schrifttum (Auswahl): Anton, Nichtige GmbH-Satzung, GmbHR 1973, 75; Heinze, Die Eintragung von Satzungsänderungen (und sonstige konstitutive Eintragungen) unter einer Zeitbestimmung (befristete Satzungsänderungen), NZG 2019, 847; Röll, Stellungnahme zu OLG Stuttgart vom 29.11.1978 (DNotZ 1979, 359), DNotZ 1981, 16; Winkler, Der Wortlaut des GmbH-Vertrags bei Anmeldungen zum Handelsregister, DNotZ 1980, 578.

a) Einheitliches Schriftstück 6 Der Mindestinhalt muss vollständig in einem einheitlichen, in sich geschlossenen Schrift-

stück enthalten sein18. Dies wird gelegentlich in der Praxis, vor allem in Bezug auf die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 enthaltene Beteiligungserklärung der Gründungsgesellschafter, nicht beachtet

13 Nach Errichtung der GmbH können sich die nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 verlautbarten Verhältnisse auch ohne Änderung des Gesellschaftsvertrags ändern, etwa im Fall eines Beschlusses zur Anpassung der jeweiligen Nennbeträge der Gesellschafter nach erfolgter Einziehung, der (wie bei 13. Aufl., § 34 Rz. 64 näher ausgeführt) keiner Satzungsänderung bedarf; vgl. BGH v. 6.6.1988 – II ZR 318/ 87, ZIP 1988, 1046, 1047. Die dort vertretene Ablehnung der Angabe des Nennwerts der Geschäftsanteile als materieller Satzungsbestandteil ist dafür indes nicht zwingend; richtigerweise handelt es sich um einen materiellen Satzungsbestandteil mit im aufgezeigten Sinne auf die Errichtung der GmbH beschränkter Regelungswirkung. 14 Für Qualifikation als bloße (individualrechtliche) Übernahmeerklärung aber bei 12. Aufl., § 53 Rz. 23; ebenfalls in diesem Sinne BGH v. 6.6.1988 – II ZR 318/87, ZIP 1988, 1046, 1047; BayObLG v. 25.10.1991 – BReg. 3Z 125/91, BayObLGZ 1991 Nr. 68 = GmbHR 1992, 42, 43; BayObLG v. 24.10.1996 – BReg. 3Z BR 262/96, GmbHR 1997, 176; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; wie hier aber etwa Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; für das Aktienrecht etwa Koch, 16. Aufl. 2022, § 23 AktG Rz. 3, 16; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 12. 15 Streitig ist allein, ob dies selbst dann gilt, wenn die Einlagen noch nicht vollständig erbracht wurden; darüber m.N. bei Rz. 57. 16 Unstreitig; vgl. etwa Altmeppen, Rz. 2; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 1. 17 Und zwar wegen des in § 2 Abs. 1a Satz 3 enthaltenen Abweichungsverbots, soll es bei einer „vereinfachten“ Gründung verbleiben; vgl. etwa Altmeppen, Rz. 2. 18 OLG Stuttgart v. 29.11.1978 – 8 W 225/78, DNotZ 1979, 359, 359 f. (Gesellschaftsvertrag muss vollständig und in sich geschlossen in einem Schriftstück zusammengefasst sein); OLG Frankfurt v. 4.3.1981 – 20 W 370/80, GmbHR 1981, 243; OLG Hamm v. 14.1.1986 – 15 W 310/84, GmbHR 1986, 311, 312; aus der Literatur Altmeppen, Rz. 12; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 6; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Wicke, Rz. 2; zum Ganzen ausführlich Winkler, DNotZ 1980, 578,

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 6 § 3

und führt dann zum Eintragungshindernis (nach h.M. gar zur Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrages, dazu kritisch bei Rz. 11). Wird dem Gründungsprotokoll, wie praxisüblich, der Gesellschaftsvertrag als Anlage (nach § 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG) beigefügt, genügt es vor diesem Hintergrund nicht, den Mindestinhalt teils in das notarielle Gründungsprotokoll, teils in den separat verfassten Gesellschaftsvertrag aufzunehmen, auch wenn die Anlage kraft Verweisung (beurkundungsrechtlich) Bestandteil einer einzigen (und zwar einheitlich dem Handelsregister zu übermittelnden) notariellen Urkunde wird19. Begründet wird das Einheitlichkeitsgebot (gegenwärtig)20 wenig überzeugend mit einer auf das Gründungsstadium ausstrahlenden Vorwirkung des in § 54 Abs. 1 Satz 2 verankerten Erfordernisses, der Anmeldung von Satzungsänderungen einen vollständigen Satzungswortlaut mitsamt notarieller Satzungsbescheinigung beizufügen21. Richtigerweise ist das Einheitlichkeitsgebot bereits – ohne Unterschiede im Ergebnis – aus Wortlaut und Systematik des § 3 Abs. 1 abzuleiten. Wenn dort der Mindestinhalt zum zwingend erforderlichen Bestandteil des „Gesellschaftsvertrages“ gemacht wird, wird damit nicht nur zum Ausdruck gebracht, dass eine schuldrechtliche Vereinbarung der Gründer unzureichend ist. Vielmehr wird darüber hinausgehend eine Auslagerung jedweder Mindestbestandteile in ein Gründungsprotokoll für unzulässig erklärt, und sei es, dass beurkundungsrechtlich eine Einheit vorliegt. Das gilt entgegen dem in der 12. Aufl. bei Rz. 52 Gesagten ebenso für die Angaben nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 (näher bei Rz. 50)22, ungeachtet dessen, dass diese mit der h.M. nach Eintragung der GmbH durch Satzungsänderung entfernt werden können (dazu Rz. 57), mithin nur im Gründungsstadium von öffentlichem Interesse sind23. Die übliche Praxis der Aufgliederung in Gründungsprotokoll und ihm beigefügter Gesellschaftsvertragsanlage hatte der Gesetzgeber durchaus vor Augen, sich aber gegen eine Differenzierung nach aktienrechtlichem Vorbild (vgl. § 23 Abs. 2 AktG einerseits und § 23 Abs. 3 AktG andererseits24) und damit gegen die Möglichkeit der Ausgliederung der Beitrittserklärungen i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 in das Gründungs-

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580 (gegen Aufspaltbarkeit) sowie Röll, DNotZ 1981, 16, 17 ff. (allerdings entgegen der heute h.M. für eine Aufspaltbarkeit eintretend). Insofern ist letztlich die Forderung nach „urkundlicher Einheit“ (s. etwa J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 6) missverständlich; vgl. weiterhin Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 2, wonach der Mindestinhalt „aus einer Urkunde“ ersichtlich sein müsse (dies ist ebenfalls missverständlich, weil im beurkundungsrechtlichen Sinne eine Urkunde vorliegt); richtig aber jeweils der dortige Verweis auf § 54 Abs. 1 Satz 2. S. auch 13. Aufl., § 2 Rz. 22; zutreffend differenzierend Röll, DNotZ 1981, 16, 17, allerdings ausgehend von der abweichenden Prämisse, dass sich die Satzungsbescheinigung nur auf die echten, materiellen Satzungsbestandteile erstreckt (dagegen mit Recht im Einklang mit der h.L. bei 12. Aufl., § 54 Rz. 19). Seit Einfügung des § 54 Abs. 1 Satz 2 durch das Koordinierungsgesetz vom 15.8.1969; vgl. BTDrucks. V/3862, S. 13. Der Notar könnte in Wahrheit jedoch trotz Aufspaltung des Mindestinhalts die Vollständigkeit bescheinigen, sofern die Geschäftsführer, denen die Aufgabe der Erstellung des vollständigen aktuellen Wortlauts des Gesellschaftsvertrages zukommt, entweder das gesamte Gründungsprotokoll samt Anlage fortschrieben oder redaktionell die im Gründungsprotokoll enthaltenen Bestimmungen in den Gesellschaftsvertrag überführten. Hierfür bedürfte es freilich nach h.L. bereits im Fall dadurch bedingter Änderung der Nummerierung eines dahingehenden satzungsändernden Anpassungsbeschlusses; für diese strenge Sichtweise bei 12. Aufl., § 53 Rz. 19. A.A. insoweit noch 12. Aufl., Rz. 52 (diese Ansicht wird aufgegeben). So die seit Abschaffung der (aktienrechtlichen) Stufengründung lautende Begründung für die formale Trennung zwischen Satzung im engeren Sinne und Aktienübernahme in § 23 Abs. 2 und 3 AktG, vgl. Hüffer, NJW 1979, 1065, 1066: Satzung soll nicht mit Angaben belastet werden, die nur im Gründungsstadium von öffentlichem Interesse sind; ebenso Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 12 m.w.N. Historische Vorläufer dieser etablierten Differenzierung waren Art. 209, 209d ADHGB; §§ 182, 188 HGB; §§ 16, 22 AktG 1937.

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§ 3 Rz. 6 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages protokoll entschieden25. Die in diesem Sinne differenzierende Bestimmung des § 9 Abs. 2 RegE GmbHG 1971 ist wiederum nicht Gesetz geworden. Der Praxis ist daher jedenfalls zu raten, den Mindestinhalt geschlossen in der Anlage „Gesellschaftsvertrag“ aufzuführen26. b) Bestimmtheit 7 Der Mindestinhalt muss hinreichend bestimmt im Gesellschaftsvertrag vereinbart sein27.

Das Problem unzureichender Bestimmtheit wird vor allem bei der Festsetzung des Unternehmensgegenstandes praktisch; die unzureichende Umgrenzung des Unternehmensgegenstandes ist hier zwar Eintragungshindernis, führt aber (anders als die fehlende Angabe) nicht zur Nichtigkeit der einschlägigen Bestimmung; darüber ausführlich bei Rz. 41. Hinsichtlich des übrigen Mindestinhalts ist die fehlende Bestimmtheit eher ein theoretisches Problem, das allenfalls noch bei fehlender Bezifferung des Stammkapitals in bestimmter Höhe (dazu bei Rz. 47) zum Tragen kommt oder im Fall allzu unklarer Angabe der hierdurch nicht identifizierbaren Personen der Übernehmer. Insoweit wird dort allerdings nicht zwischen bloßem Ordnungsmangel und Nichtigkeitsgrund differenziert (zur hier dennoch gebotenen restriktiven Annahme eines Nichtigkeitsgrundes jedoch Rz. 48). c) Unbedingtheit; Unbefristetheit aa) Beitrittserklärungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) 8 Wenn gesagt wird, statutarische Bestimmungen über den Mindestinhalt vertrügen weder Be-

dingungen noch Befristungen28, so ist dies zu weitreichend. Zutreffend ist dies im Grundsatz nur für die Beitrittserklärungen, die sich in der Übernahme eines Geschäftsanteils i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 kundtun und auch dort letztlich nur für Bedingungen oder Befristungen, die nach Eintragung der GmbH fortwirken sollen29. Sie machen die Beteiligungserklärung und damit die Festsetzung nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 nichtig, wenngleich es nach h.M. mit Eintragung insoweit zur Heilung kommt; vgl. m.N. bei 13. Aufl., § 2 Rz. 101. Wirksam sind hingegen Rechtsbedingungen, aber auch tatsächliche Bedingungen oder Befristungen, sofern sie sich spätestens (nachweislich) mit der Eintragung der GmbH erledigen, sodass ab diesem Entstehungszeitpunkt keine Ungewissheit mehr besteht30 (insoweit a.A. jedoch bei 13. Aufl., § 2

25 Dem dürfte zugrunde liegen, dass im Recht der GmbH, anders als anfänglich im Aktienrecht, eine Stufengründung von vornherein nicht zulässig war. Die aktienrechtliche Differenzierung zwischen in das Gründungsprotokoll ausgelagerter Übernahmeerklärung und Satzung hängt aber mit der dort bis zum Jahre 1965 zugelassenen Stufengründung zusammen; vgl. näher Koch, 16. Aufl. 2022, § 23 AktG Rz. 16; Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 23 AktG Rz. 57; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 12. 26 Im Lichte der bestehenden obergerichtlichen Rechtsprechung ist der vereinzelte Rat aus Sicht der Praxis verfehlt, die Namen der Gesellschafter nur in die Gründungsvereinbarung aufzunehmen, um künftige Streichungen entbehrlich zu machen; diesen Rat geben aber Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25. 27 Vgl. für diesen, gegenwärtig seltener ausdrücklich in der Kommentarliteratur formulierten, Grundsatz Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 14; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 6: bestimmt und unbedingt; zumeist wird das Bestimmtheitsgebot nur für den Unternehmensgegenstand expliziert; vgl. etwa Altmeppen, Rz. 15. 28 Vgl. etwa Anton, GmbHR 1973, 75, 76 f.; Meyer-Landrut in Meyer-Landrut/Miller/Niehus, Rz. 5: Unbedingtheit des Gesellschaftsvertrages; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19: notwendige Angaben müssen bestimmt und unbedingt sein; zu pauschal auch noch 12. Aufl., Rz. 4. 29 RG v. 7.11.1913 – II 316/13, RGZ 83, 256, 258 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 166; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 227. 30 Anton, GmbHR 1973, 75, 77; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Limmer in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 23 AktG Rz. 43; Vedder in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 18; Röh-

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 9 § 3

Rz. 101 m.w.N.). Gleichzustellen ist nach überwiegender Ansicht ein für formlos möglich gehaltener Verzicht des Begünstigten auf die Bedingung oder Befristung31. Dieser wertungsmäßig überzeugenden Zulassung einer einseitigen Heilungsmöglichkeit (vgl. auch den Rechtsgedanken des § 185 Abs. 3 AktG32) ist zuzustimmen, auch wenn es sich nicht um einen Verzicht im technischen Sinne, sondern um eine bestätigende Willenserklärung des Inhalts handelt, dass die früher abgegebene Beteiligungserklärung ohne die einschränkende Bedingung oder Befristung gelten soll. Eine Neuvornahme i.S.d. § 141 BGB, welche die Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter in der Form des § 2 Abs. 1 verlangen würde33, muss darin nicht erblickt werden, da Nichtigkeit im Gesellschaftsrecht nicht generell zwingend (und im Speziellen hier nicht) Unheilbarkeit einschließt; doch wird der Praxis in einem solchen Fall aus Gründen der Vorsicht zur Neuvornahme i.S.d. § 141 BGB zu raten sein. – Unzulässig (Eintragungshindernis und Amtsauflösungsgrund nach § 399 Abs. 4 FamFG i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4) wäre hingegen eine auflösend bedingte Beitrittserklärung, weil eine solche auf eine mit der Rechtssicherheit unverträgliche vorläufige Beteiligung hinausliefe34. bb) Sonstige Mindestbestandteile Was die übrigen Mindestbestandteile anbetrifft, so sind zwar Bedingungen unzulässig, weil 9 nicht mit der Rechtssicherheit vereinbar35. Es bestehen aber nicht von vornherein prinzipielle Einwände gegen Befristungen, sofern die konkrete Befristung hinreichend im Satzungstext zum Ausdruck gekommen ist36. So kann etwa ein konkret festgesetzter Unternehmensgegenstand mit einer Zeitbestimmung versehen werden, solange ab Eintritt derselben ein anderer, ebenfalls bereits im Gesellschaftsvertrag verlautbarter, an seine Stelle tritt. Die bei 12. Aufl., § 53 Rz. 185 dargestellten Grundsätze gelten richtigerweise für die Gründungssatzung sinngemäß. Dessen ungeachtet ergeben sich aus den Spezifika einiger Mindestbestandteile Befristungsverbote bzw. -grenzen: So müssen befristete Verlegungen des Satzungssitzes bei dadurch bedingtem Wechsel der Zuständigkeit des Registergerichts scheitern, weil hierdurch das Ineinandergreifen der Kompetenzen von altem und neuem Registergericht nach Maßgabe des § 13h HGB scheiterte37. Demgegenüber sind befristete Firmenänderungen nicht von vornherein durchschlagenden Zulässigkeitseinwänden ausgesetzt, können aber den

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richt/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 97; für Zulässigkeit der Bedingung, dass Gesellschaft bis zu einem bestimmten Termin eingetragen sein muss, auch J. Schmidt in Michalski u.a., § 2 Rz. 138; a.A. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 167, 173; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 227; Solveen in Hölters/Weber, 4. Aufl. 2022, § 23 AktG Rz. 15; Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 23 AktG Rz. 59; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 56; von unheilbarer Nichtigkeit bedingter oder befristeter Beitrittserklärungen wird auch bei 13. Aufl., § 2 Rz. 101 ausgegangen. Näher Lutter, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbHRechten der EWG, 1964, S. 95; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 2 Rz. 41 (anders aber nun wohl Altmeppen, § 2 Rz. 39). Gegen die Vergleichbarkeit der Interessenlage aber Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 167. Dafür (§ 141 BGB) aber bei 13. Aufl., § 2 Rz. 101 sowie Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 167 i.V.m. 173; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 228. RG v. 18.4./5.5.1894 – I 13/94, RGZ 33, 91, 93; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 166; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 227. Ausnahmen können, wie etwa bei Rechtsbedingungen, erwogen werden; vgl. zum wohl gleich gelagerten Problem im Kontext von Satzungsänderungen Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 168. A.A. wohl Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19. Ausführlich hierzu mit überzeugender Argumentation Heinze, NZG 2019, 847, 850.

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§ 3 Rz. 9 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages über § 30 HGB vermittelten „Schutz des besserberechtigten Eingetragenen“ nicht auf den Zeitpunkt der Eintragung der befristeten Firmenänderung vorverlagern38. cc) Bedingtes bzw. befristetes Entstehen der GmbH 10 Von alledem zu unterscheiden ist das Abhängigmachen des Entstehens der GmbH (§ 11)

von einer aufschiebenden Bedingung (etwa dem Erwerb eines bestimmten Patents) oder einer aufschiebenden Befristung. Derartiges kann wirksam vereinbart werden, führt aber zum Eintragungshindernis, solange die Bedingung oder Befristung nicht (nachweislich) eingetreten ist. Auch eine auflösende Befristung ist zulässig, und zwar als Zeitbestimmung i.S.d. § 3 Abs. 2 (dazu Rz. 58), eine auflösende Bedingung hingegen nur, sofern sie als Auflösungskündigungsrecht i.S.d. § 60 Abs. 2 verstanden wird (12. Aufl., § 60 Rz. 87 ff.)39.

3. Mängel des Mindestinhalts a) Rechtsfolgen vor Eintragung der GmbH aa) Unvollständigkeit als Eintragungshindernis 11 Nach ganz überwiegender Meinung führt jeder Verstoß gegen § 3 Abs. 1 (Fehlen, Nichtigkeit

oder Unbestimmtheit eines Mindestbestandteils) unabhängig von § 139 BGB40 zur Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrages. Daran ist richtig, dass bei einem entsprechenden Mangel die Eintragung abzulehnen ist (§ 9c Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1)41. Verfehlt ist jedoch die Annahme einer zwingenden Gesamtnichtigkeit des Gesellschaftsvertrages42, sodass ein festgestellter Mangel unweigerlich zur Notwendigkeit der Bestätigung durch erneute Vornahme (§ 141 BGB) führen würde. Schon von einer „Nichtigkeit“ einzelner Mindestbestimmungen kann überhaupt nur bei formfehlerhafter (§ 125 BGB i.V.m. § 2 Abs. 1), verbotener (§ 134 BGB) oder sittenwidriger (§ 138 BGB) Festsetzung gesprochen werden. Dessen ungeachtet führte selbst die Nichtigkeit einzelner Bestimmungen allein zur Unvollständigkeit des Gesellschaftsvertrages und damit zur Unwirksamkeit (nicht zur Nichtigkeit) desselben, wie schon die Differenzierung zwischen § 9c Abs. 2 Nr. 1 und 3 zeigt. Ein fehlerhaft festgesetzter Mindestinhalt kann damit behoben werden, indem durch Nachtragsbeurkundung (nur) die fehlerhafte Bestimmung korrigiert und dem Handelsregister (in entsprechender Anwendung des § 54 Abs. 1 Satz 2) eine vollständige Fassung des geänderten Gesellschaftsvertrages übermittelt wird (zu Vertragsänderungen im Gründungsstadium 13. Aufl., § 2 Rz. 26 ff.). bb) Fehlerhafte Gesellschaft; Fehlerbeseitigung 12 Auf die zumindest durch Leistung der Mindesteinlagen in Vollzug gesetzte Vorgesellschaft

sind die allgemeinen Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft zur Anwendung zu bringen, womit insbesondere Mängel des Gesellschaftsvertrages (selbst die rechtskräftige Ablehnung

38 Auch dazu näher Heinze, NZG 2019, 847, 851, insoweit allerdings in der Tendenz zurückhaltender, der Missbräuchen mit § 37 HGB entgegensteuern will. 39 Zum Ganzen auch Anton, GmbHR 1973, 75, 77. 40 Vgl. Anton, GmbHR 1973, 75, 76; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 6; der Sache nach (ohne auf die Unbeachtlichkeit von § 139 BGB zu verweisen) ganz h.M.; s. etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22. 41 Unstreitig; s. etwa Altmeppen, Rz. 15; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 2; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 7; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22. 42 In diese Richtung aber noch 12. Aufl., Rz. 4 (diese Ansicht wird insoweit nicht mehr fortgeführt).

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 14 § 3

des Eintragungsantrags) nur zur Auflösungsfolge führen43. Zur Mitwirkung einer erforderlichen Änderung des Gesellschaftsvertrages zwecks Mängelbeseitigung der fehlerhaften Vorgesellschaft können die Gründer (die sämtlich an der Änderung mitzuwirken haben) ggf. im Lichte der in diesem Stadium trotz Satzungsmangels bereits zum Tragen kommenden Treuepflicht verpflichtet sein (13. Aufl., § 11 Rz. 52 m.N.), insbesondere, sofern – wie regelmäßig – im Gesellschaftsvertrag eine Pflicht eines jeden Gesellschafters zur Mitwirkung an Vertragsänderungen im Fall unwirksamer Bestimmungen enthalten ist. Umgekehrt kann ein jeder Gesellschafter aber auch von Fall zu Fall berechtigt sein, eine einstweilige Verfügung, gerichtet auf Untersagung der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung im Handelsregister, zu erwirken (vgl. 12. Aufl., § 75 Rz. 4). cc) Rechtslage im Fall eines Vorvertrages An einen Vorvertrag werden nicht dieselben strengen Bestimmtheitsanforderungen gestellt 13 (13. Aufl., § 2 Rz. 106). Von Fall zu Fall kann deshalb ein gegen § 3 Abs. 1 verstoßender und daher vom Registergericht zurückgewiesener Gesellschaftsvertrag als Vorvertrag aufrechterhalten werden, woraus sich wiederum die Verpflichtung der Gesellschafter ergeben kann, an einer die Eintragungsfähigkeit herstellenden Änderung des Gesellschaftsvertrages mitzuwirken. Generell kann dies aber nicht angenommen werden44. Davon zu unterscheiden ist der seltene Fall eines tatsächlich abgeschlossenen Vorvertrags. Aus diesem kann sich eine Pflicht sämtlicher Gesellschafter ergeben, an einer formbedürftigen (§ 2 Abs. 1) Beseitigung eines zum Eintragungshindernis führenden Mangels des Gesellschaftsvertrages mitzuwirken45; die erforderliche Erklärung kann dann eingeklagt werden. Auch hier wird es aber auf den Einzelfall ankommen, insbesondere darauf, ob die Gesellschafter eine Gesellschaft in der geänderten Gestalt (etwa: mit dem geänderten und nunmehr eintragungsfähigen Unternehmensgegenstand) überhaupt gründen wollten46. Ggf. kann auch die Treuepflicht (vgl. 13. Aufl., § 14 Rz. 64 ff.) eine Mitwirkung fordern, wird dies aber (noch) seltener gebieten, als sie es im Fall des § 76 zwecks Heilung von satzungsmangelbedingten Auflösungsgründen einer bereits zur Entstehung gelangten GmbH tut (darüber bei 12. Aufl., § 76 Rz. 11). b) Rechtsfolgen nach Eintragung der GmbH aa) Grundsätzliches Wird die Gesellschaft trotz Verstoßes gegen § 3 Abs. 1 eingetragen, können Mängel des Min- 14 destinhalts nur noch mit Einschränkungen geltend gemacht werden. Längst überholt ist das Verständnis des historischen Gesetzgebers von im eigentlichen Sinne „nichtigen“, d.h. nicht zur Existenz gelangenden Gesellschaften bei schweren Gründungsmängeln (dazu 12. Aufl., § 75 Rz. 2). Vielmehr gilt: Die GmbH besteht als solche wirksam, soll aber äußerstenfalls in 43 Und zwar regelmäßig nach Erklärung der hierfür zureichenden Auflösungskündigung entsprechend § 723 Abs. 1 Satz 2 BGB; vgl. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 145; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 2 Rz. 70; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 38; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 39. Näher bei 13. Aufl., § 2 Rz. 87. Der nach Sinn und Zweck die Eintragung voraussetzende § 75 mit seiner Beschränkung des Kreises derartiger „Nichtigkeitsgründe“ bleibt allerdings unanwendbar (hierüber bei 12. Aufl., § 75 Rz. 4 m.N.). 44 Weitergehend wohl Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 4: Gesellschafter sind zur Beseitigung der Mängel verpflichtet; wie hier Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22, allerdings jeweils für den Fall, dass tatsächlich ein Vorvertrag abgeschlossen wurde. 45 Vgl. auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22: Klage auf Abschluss eines gültigen Gesellschaftsvertrages aus Vorvertrag möglich. 46 Weiter, ohne diese Einschränkung, Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22; wie hier aber Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9.

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§ 3 Rz. 14 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages Liquidation treten. Die Mangelfolgen unterscheiden sich je nach betroffenem Mindestinhalt und der Fehlerart. Seit der Umsetzung der Publizitätsrichtlinie im Jahre 1969 besteht kein Gleichlauf mehr zwischen Mängeln wesentlicher Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages und „Nichtigkeitsgründen“ (näher 12. Aufl., § 75 Rz. 6 ff.). Nur noch einige wenige, wohl als besonders gewichtig eingestufte Mängel des Mindestinhalts sind seither als „Nichtigkeitsgründe“ verblieben, die in hierfür bestimmten Verfahren (Nichtigkeitsklage nach § 75 bzw. registergerichtliches Löschungsverfahren nach § 397 Satz 2 FamFG) geltend gemacht werden können. Die übrigen wurden in das zur Vermeidung von Sanktionslücken geschaffene Amtsauflösungsverfahren nach § 399 FamFG ausgegliedert. Dieses ist freilich ähnlich ausgestaltet, insbesondere führt es auch zur Auflösungsfolge, wenn der Satzungsmangel nicht vorher behoben wird. Zum Verhältnis dieser Verfahren zueinander bei 12. Aufl., § 60 Rz. 42; über die europarechtlich geforderte Einschränkung der „Nichtigkeitsgründe“ bei 12. Aufl., § 75 Rz. 7 f. – Keine „Nichtigkeits-“ bzw. Auflösungsgründe sind Mängel unwesentlicher Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages, und zwar auch nicht mittelbar über den insoweit ausgeschalteten § 139 BGB (dazu bei 12. Aufl., § 75 Rz. 13). Sie rechtfertigen folglich auch kein Amtslöschungsverfahren nach § 397 Satz 2 FamFG, unterfallen nicht einmal dem Amtsauflösungsverfahren nach § 399 Abs. 4 FamFG, bleiben aber fehlerhaft bzw. je nach Fall nichtig. Die Fehlerhaftigkeit bzw. Nichtigkeit der Bestimmungen wird in zweifach sinngemäßer Anwendung des § 242 Abs. 2 Satz 1 AktG47 (12. Aufl., § 45 Rz. 89; 12. Aufl., § 75 Rz. 12) geheilt, wenn seit der Eintragung der Gesellschaft drei Jahre vergangen sind. Eine amtswegige Korrektur ist (auch über diesen Zeitraum hinausgehend) möglich, und zwar über einen modifiziert herangezogenen § 398 FamFG i.V.m. § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG48 (im Einzelnen umstritten; 12. Aufl., § 75 Rz. 12 m.N.). Zu nichtigen Beitrittserklärungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) vgl. Rz. 8. bb) Nichtigkeitsklage, Amtslöschungsverfahren 15 Eine Nichtigkeitsklage i.S.d. § 75 kommt ebenso wie die tatbestandlich parallel ausgestaltete

Amtslöschung der Gesellschaft nach § 397 Satz 2 FamFG nur in Betracht, wenn entweder die Angaben nach § 3 Abs. 1 Nr. 2 (Gegenstand des Unternehmens) oder Nr. 3 (Stammkapital) fehlen, was – gerade auch im Lichte der notariellen Beurkundung – kaum in der Praxis vorkommen dürfte49, oder aber die Angaben nach Nr. 2 nichtig sind50 (s. zu praktischen Fällen Rz. 42 sowie insbesondere bei 12. Aufl., § 75 Rz. 18 ff.)51. Liegt ein derartiger „Nichtigkeitsgrund“ vor, ist deshalb allerdings nach Eintragung mitnichten die GmbH „nichtig“, sondern nur „vernichtbar“, d.h. auflösbar. Die Auflösung erfolgt entweder durch Nichtigkeits- bzw. präziser: Auflösungsklage oder durch das von Amts wegen betriebene, missverständlich so bezeichnete „Löschungsverfahren“. Bei Letzterem geht es in Wahrheit ebenfalls nur um eine Auflösung der Gesellschaft (12. Aufl., § 75 Rz. 35), und zwar durch eine von Amts wegen

47 Und zwar in zweifach sinngemäßer Anwendung, weil zum einen auf die GmbH bezogen (BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 216 f. = GmbHR 1982, 67) und noch dazu auf die Gründungssatzung (dazu BGH v. 19.6.2000 – II ZR 73/99, BGHZ 144, 365, 367 f. = GmbHR 2000, 822; BGH v. 19.9.2005 – II ZR 342/03, BGHZ 164, 107 = GmbHR 2005, 1561, 1562 = NZG 2005, 971, 972; Leuering/Billerbeck, NJW-Spezial 2019, 143, 144; kritisch Goette in FS Röhricht, 2005, S. 115 ff.). 48 Dezidiert gegen diese Möglichkeit der Heranziehung des § 398 FamFG aber, für die AG, Peres in Schüppen/Schaub, MünchAnwHdb. Aktienrecht, 3. Aufl. 2018, § 14 Rz. 87; ebenso Bachmann in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 275 AktG Rz. 13; wie hier aber Müther in Beck’sches Notarhandbuch, 7. Aufl. 2019, § 26 Rz. 129. 49 Zur gleichen Einschätzung gelangt Altmeppen, Rz. 15: praktisch ausgeschlossen. 50 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7 f.; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 2, 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7. 51 Zur mangelnden Nichtigkeit bei zu unbestimmten Angaben über den Unternehmensgegenstand bei Rz. 41; zur nachträglichen Unrichtigkeit der Angabe des Unternehmensgegenstandes bei Rz. 44.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 18 § 3

durchgeführte Eintragung, aus der sich die Auflösung ergibt. In beiden Fällen tritt die Gesellschaft mithin lediglich ins Liquidationsstadium ein. Fortsetzungsbeschlüsse, die diese Auflösung unter Beseitigung (Heilung) des Satzungsmangels rückgängig machen, sind unter den bei 12. Aufl., § 60 Rz. 122 sowie 12. Aufl., § 76 Rz. 5 ff. (jeweils m.N.) ausführlich dargestellten, im Einzelnen jedoch umstrittenen Voraussetzungen in allen Fällen möglich, auch nach bereits erfolgter Amtslöschung (12. Aufl., § 75 Rz. 38 m.N.), jeweils freilich nur, sofern noch nicht mit der Vermögensverteilung begonnen wurde (zu Letzterem, teils kritisch, 12. Aufl., § 60 Rz. 98 f.). cc) Amtsauflösungsverfahren Fehlen Angaben nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 oder Nr. 4 (Firma, Sitz, Nennbeträge der Geschäfts- 16 anteile) – praktisch kaum relevant, es sei denn, die Angaben nach Abs. 1 Nr. 4 wurden nur im Gründungsprotokoll aufgeführt, dazu bei Rz. 6 – oder sind diese nichtig (weil etwa die Firma „rechtswidrig“ ist, vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 45 ff., der Satzungssitz im Ausland gewählt wurde, vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 48 oder aber eine Beitrittserklärung eines Gesellschafters diesem nicht zurechenbar ist, vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 50), bleibt nach Eintragung kein Raum für die Anwendung des § 75 oder des § 397 Satz 2 FamFG. Möglich ist hier aber das weitgehend komplementär ausgestaltete Amtsauflösungsverfahren nach § 399 Abs. 4 FamFG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG52. Mängel können durch Satzungsänderung während dieses Amtsauflösungsverfahrens geheilt werden, § 399 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 FamFG (darüber m.N. bei 12. Aufl., § 60 Rz. 41 ff.); das Amtsauflösungsverfahren ist mithin ein Verbesserungsverfahren mit Korrekturmöglichkeit der Gesellschafter. Unterbleibt die Beseitigung des Satzungsmangels innerhalb der Behebungsfrist und muss daher das Registergericht seiner Aufsichtsfunktion durch Auflösungsverfügung nachkommen, steht die Korrekturmöglichkeit den Gesellschaftern selbst nach rechtskräftigem (zur Auflösung führendem) Feststellungsbeschluss (§ 399 Abs. 2 FamFG) offen (näher bei 12. Aufl., § 60 Rz. 118). Auch eine nichtige Angabe über das Stammkapital unterfällt § 399 Abs. 4 FamFG (zur fehlenden Angabe dagegen Rz. 15).

4. Firma und Sitz (§ 3 Abs. 1 Nr. 1) Die Gesellschaft wird wesentlich durch ihre Firma und ihren Sitz individualisiert. Insoweit 17 finden sich in den § 4 und § 4a konkretisierende Vorgaben für diese Regelungsgegenstände. Wegen der Einzelheiten wird auf die Erläuterungen zu diesen Vorschriften verwiesen.

5. Gegenstand des Unternehmens (§ 3 Abs. 1 Nr. 2) Schrifttum (Auswahl): Berkefeld, Praktische Auswirkungen der Entscheidung des BGH v. 8.1.2019 – II 18 ZR 364/18 zu § 179a AktG (analog), DNotZ 2020, 85; Blasche, Individualisierung sowie Über- und Unterschreitung des Unternehmensgegenstandes, DB 2011, 517; Brandner, Geschäftsführungsbefugnis, Unternehmensgegenstand und Unternehmenszweck, in FS Rowedder, 1994, S. 41; Decker, Beurkundungspflicht des Zustimmungsbeschlusses bei der Übertragung des gesamten Vermögens einer GmbH?, NZG 2018, 447; Heckschen, Keine analoge Anwendung des § 179a AktG auf die GmbH, AG 2019, 420; Götze, Karriereknick eines Fremdkörpers – Zur Nichtanwendbarkeit des § 179a AktG in der GmbH, NZG 2019, 695; Hirte, Der Unternehmensgegenstand und die Abschaffung seiner registergerichtlichen Kontrolle durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräu-

52 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 2, 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 7; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7.

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§ 3 Rz. 18 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages chen (MoMiG), in FS Hüffer, 2010, S. 329; Mack, Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH, MittBayNot 2019, 491; Meyer, Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens in GmbH und Personengesellschaften, GmbHR 2019, 973; Klaus J. Müller, Reichweite der Vertretungsmacht des GmbH-Geschäftsführers bei der Veräußerung des gesamten Gesellschaftsvermögens, NZG 2019, 807; Natterer, Vom Musiklehrer und dem Retuscheur zu den Herren „Ba.“ und „Bä.“ – Neues zur analogen Anwendung von § 179a AktG außerhalb des Aktienrechts, ZIP 2019, 1796; Pfeiffer, BB-Kommentar zu BGH, Urteil vom 08.01.2019, II ZR 364/18, BB 2019, 1107; Schröder/Cannivé, Der Unternehmensgegenstand der GmbH vor und nach dem MoMiG, NZG 2008, 1; Sina, Geschäftstätigkeit und Unternehmensgegenstand der GmbH, GmbHR 2001, 661; Streuer, Die Gestaltung des Unternehmensgegenstands in der GmbH-Satzung – Flexibilität versus Fokussierung, GmbHR 2002, 407; Thoma, Der Handel mit Waren aller Art als Unternehmensgegenstand einer GmbH, RNotZ 2011, 413; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998; Wachter, Keine analoge Anwendung von § 179a AktG auf die GmbH, DB 2019, 1078.

a) Begriff 19 Der Unternehmensgegenstand bezeichnet den Tätigkeitsbereich der Gesellschaft, d.h. die

Aktivitäten, mittels derer die Gesellschaft ihren erwerbswirtschaftlichen oder sonstigen Zweck verfolgt. Ungeachtet des fortwährenden Meinungsstreits über das Verhältnis von Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck entspricht es heute allgemeiner Ansicht, dass in § 3 Abs. 1 Nr. 2 nicht der materielle oder ideale Endzweck der Gesellschaft gemeint ist, sondern allein das Mittel zur Erreichung des Zwecks, demzufolge auch nur der Unternehmensgegenstand zwingend im Gesellschaftsvertrag zu bestimmen ist, der Gesellschaftszweck hingegen nur im bei Rz. 36 geschilderten Ausnahmefall. Um den Anforderungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 gerecht zu werden, genügt es mithin, sich an der Groborientierung zwischen Tätigkeitsfeld (Unternehmensgegenstand) und übergeordnetem Ziel (Gesellschaftszweck) auszurichten53. b) Bedeutung aa) Gesellschafterschutz: Verbot der Über- und Unterschreitung; Vorlagepflicht 20 Den Unternehmensgegenstand im Gesellschaftsvertrag festlegen zu müssen, hat mehrere

Zielsetzungen54. Zuvörderst wird erreicht, dass die Entscheidung über den Tätigkeitsbereich der Gesellschaft – als grundlegende Strukturentscheidung – in der Hand der Gesellschafter bleibt, weil (dauerhafte) Abweichungen55 notwendig der Satzungsänderung bedürfen. Einfache Mehrheitsbeschlüsse in Form von Weisungsbeschlüssen sind mithin als satzungswidrige nichtig bzw. bei punktueller Abweichung vom statutarischen Unternehmensgegenstand als satzungsdurchbrechende immerhin anfechtbar (12. Aufl., § 53 Rz. 26 ff. sowie 12. Aufl., § 37 Rz. 102)56.

53 Dass nach Maßgabe des im Gesellschaftsvertrag zum Ausdruck gekommenen Gesellschafterwillens Unternehmensgegenstand und Gesellschaftszweck im Einzelfall identisch sein können (wenn und weil etwa ein erwerbswirtschaftlicher Zweck nur durch eine bestimmte Tätigkeitsart erzielt werden soll, vgl. 12. Aufl., § 61 Rz. 28 sowie ausführlich bei 13. Aufl., § 1 Rz. 3 ff.), ist im Rahmen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 mithin ohne Bedeutung. Entscheidend ist allein, dass die Angabe des bloßen Zwecks ungenügend ist. 54 Vgl., weitgehend übereinstimmend, Altmeppen, Rz. 4; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 12; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 7; ausführlich Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 68 ff. 55 Erweiterungen, Einschränkungen oder der gänzliche Austausch. 56 S. zum Ganzen auch Altmeppen, Rz. 4 i.V.m. § 37 Rz. 27; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 37 Rz. 13 f.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 23 § 3

Angesichts der Möglichkeit, vermittels Weisungsbeschlüssen in die Geschäftsführung ein- 21 zugreifen (12. Aufl., § 37 Rz. 75 ff.), ist die statutarische Umgrenzung des Unternehmensgegenstandes zum Schutze der Gesellschafter indes weniger dringlich als im Aktienrecht, wo es an dieser Möglichkeit fehlt (vgl. auch 12. Aufl., § 53 Rz. 133). Sie dient hier daher vornehmlich dem Minderheitenschutz gegen eine unkontrollierbare Vergrößerung ihrer Risiken mit einer Beschränkung der Geschäftsführungsbefugnis auf den von den Gesellschaftern durch den Gegenstand definierten Tätigkeitsbereich der Gesellschaft (§ 37 Abs. 1) – dem sog. Verbot der Über- oder aber auch der Unterschreitung des Unternehmensgegenstandes. Letzteres kommt etwa im Fall der Veräußerung der für die operative Tätigkeit erforderlichen Unternehmensteile (12. Aufl., § 37 Rz. 36) oder einem schlichten Brachliegenlassen eines statutarisch mit Ausübungsverpflichtung festgesetzten, nicht nur beispielhaft genannten (Auslegungsfrage!) Tätigkeitsfeldes zum Tragen. Ungewöhnliche Einzelmaßnahmen, deren Vollzug fortan dauerhaft zur Unter- oder Über- 22 schreitung des Unternehmensgegenstandes führt, lösen eine Vorlagepflicht aus (12. Aufl., § 46 Rz. 116 sowie 12. Aufl., § 37 Rz. 34 ff.), deren Missachtung nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht (d.h. richtigerweise: bei evidenter Überschreitung der Befugnisse im Innenverhältnis) auch auf das Außenverhältnis durchschlagen kann (dazu sinngemäß 12. Aufl., § 70 Rz. 4). Diese auf dem außergewöhnlichen Geschäftscharakter basierende Vorlagepflicht ist hier der (alleinige) normative Anknüpfungspunkt für die Einbindung der Gesellschafterversammlung, da § 179a AktG nach BGH vom 8.1.201957 eine jedenfalls für das Recht der GmbH nicht analogiefähige aktienrechtliche Sonderbestimmung ist (näher m.N. 12. Aufl., § 53 Rz. 176). Ob ein entsprechender Zustimmungs- bzw. Weisungsbeschluss der Gesellschafterversamm- 23 lung beurkundungsbedürftig ist, ist (weiterhin) umstritten58. Richtig scheint: Kein Beurkundungserfordernis besteht dort, wo der Unternehmensgegenstand von vornherein die planmäßige Veräußerung des gesamten Gesellschaftsvermögens jedenfalls implizit abdeckt (wie es bei einer Projektgesellschaft liegt, die nach Veräußerung ihres wesentlichen Vermögensgegenstands liquidiert werden soll; dazu 12. Aufl., § 70 Rz. 17), weil dann keine Unternehmensgegenstandsänderung in Rede steht. Hier wird es letztlich im Regelfall allein um den nicht beurkundungsbedürftigen (vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 23) Übergang ins Liquidationsstadium ge-

57 BGH v. 8.1.2019 – II ZR 364/18, BGHZ 220, 354 Rz. 14 ff. = GmbHR 2019, 527. 58 Dafür (abseits der Liquidationsfälle) Heckschen, AG 2019, 420, 422, der dies mit der „faktischen Satzungsänderung“ begründet; Pfeiffer, BB 2019, 1107 (bei engem Unternehmensgegenstand unter dem Gesichtspunkt der dauerhaften Satzungsdurchbrechung); v. Prittwitz, DStR 2019, 1265, 1268 f.; Breschendorf, GWR 2019, 145; Giedinghagen, NJW-Spezial 2019, 271, 272; in diese Richtung bereits Decker, NZG 2018, 447, 452; i.Erg. auch Hoffmann/Bartlitz, DB 2019, 1833, 1835 (aber, wenig überzeugend, hierfür die Holzmüller-Grundsätze bemühend); dahin tendierend auch Heinze, NJW 2019, 1995, 1996 f. sowie Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 3: „zweifelhaft“, ob der Beschluss „in Abweichung zur Regel“ keiner Beurkundung bedürfe (allerdings mit dem satzungsüberlagernden Charakter begründend); vorsorglich zur Beurkundung ratend Meyer, GmbHR 2019, 973, 976; vermittelnd, aber unklar, Altmeppen, § 53 Rz. 18: keine Beurkundungsbedürftigkeit, solange nicht faktisch zur Änderung des Unternehmensgegenstandes führend (ob dies der Fall ist, ist gerade die Frage); im selbigen Sinne differenzierend Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 26; für qualifizierten Mehrheitsbeschluss, aber ohne die Formfrage aufzuwerfen, Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 53 Rz. 34; gegen Beurkundungsbedürftigkeit Gutachten DNotI-Report 2019, 193, 195 f.; Klaus J. Müller, NZG 2019, 807, 812 f. (Veräußerung des gesamten Vermögens als Minus zur Auflösung); Vossius, notar 2019, 161, 162; Wachter, DB 2019, 1078, 1079; Götze, NZG 2019, 695, 697; Mack, MittBayNot 2019, 491, 494 (allerdings nur dann, wenn mit der Veräußerung des Einzelgegenstandes keine satzungsdurchbrechende Wirkung einhergeht); Natterer, ZIP 2019, 1796, 1797; offen lassend Berkefeld, DNotZ 2020, 85, 92 f.; Wicke, § 53 Rz. 3.

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§ 3 Rz. 23 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages hen, der keine Anpassung des Unternehmensgegenstandes verlangt59 (vgl. 12. Aufl., § 69 Rz. 41). Gleichzustellen sind alle Fälle, in denen die Versilberung des gesamten Gesellschaftsvermögens zwar nicht von vornherein geplant war, aber nach vorherigem Auflösungsbeschluss und damit im Liquidationsstadium erfolgen soll (darüber bei 12. Aufl., § 70 Rz. 17). Verhält es sich jedoch anders, weil der Erlös durch die Gesellschaft anderweitig verwendet werden soll oder die Gesamtveräußerung nicht Bestandteil der operativen Strategie war und sie auch nicht allein dazu dient, nunmehr in das Auflösungsstadium einzutreten, ist jedenfalls ein beurkundungsbedürftiger Satzungsänderungsbeschluss hinsichtlich des Unternehmensgegenstandes vonnöten. Hiervon ist zwar der daneben tretende interne Zustimmungsbzw. Weisungsbeschluss zum konkreten Veräußerungsakt zu unterscheiden. Dieser wäre aber ohne vorherigen60 oder jedenfalls gleichzeitigen (beurkundeten) Satzungsänderungsbeschluss seinerseits auf die Schaffung eines dauerhaft satzungswidrigen Zustands gerichtet und als fehlerhafter (vgl. 12. Aufl., § 37 Rz. 102) damit ohne Folgepflicht, aber auch ohne Entlastungswirkung für die Geschäftsführer, die daher in diesen Fällen schon aus Gründen der Vorsicht auf einen Satzungsänderungsbeschluss hinwirken61. Ein unwirksamer Zustimmungsbeschluss nimmt dem Geschäftsführer allerdings nicht die Vertretungsmacht (vorbehaltlich der Grundsätze deren Missbrauchs), führt mithin allein zur Pflichtwidrigkeit dessen Handelns62. bb) Informationszweck 24 Weiterhin sollen durch die statutarische Festlegung des Unternehmensgegenstandes die be-

teiligten Verkehrskreise zumindest in den Grundzügen über den Tätigkeitsbereich der Gesellschaft informiert werden63. Insoweit kommt der Angabe des Unternehmensgegenstandes im Gesellschaftsvertrag, vor allem angesichts seiner Eintragung im Handelsregister (§ 10 Abs. 1 Satz 1), eine gewisse Publizitätsfunktion zu, doch hat diese für den Rechtsverkehr keine allzu große Bedeutung64, allenfalls, um die adäquate Kapitalausstattung der Gesellschaft in Relation zum konkreten Unternehmensgegenstand beurteilen zu können65. Für den Rechtsverkehr nach außen ist die Angabe deshalb wenig bedeutend, weil die Vertretungsmacht nicht auf den Unternehmensgegenstand, ja nicht einmal auf den Gesellschaftszweck, beschränkt ist, § 37 Abs. 2 Satz 1. Eine ultra-vires-Lehre ist dem deutschen Gesellschaftsrecht fremd. Selbst ein erkennbares Handeln außerhalb des Unternehmensgegenstandes ist daher im Außenverhältnis im Grundsatz wirksam und nur im Innenverhältnis eine Pflicht59 Ähnlich Weitnauer, GWR 2018, 1, 3; Decker, NZ 2018, 447, 452; Heckschen, AG 2019, 420, 422; v. Prittwitz, DStR 2019, 1265, 1268; Meyer, GmbHR 2019, 973, 975. 60 Pfeiffer, BB 2019, 1107, empfiehlt aus Kostengründen folgende Reihenfolge: (1) Beurkundung des Satzungsänderungsbeschlusses; (2) formfreie Fassung des Zustimmungsbeschlusses. 61 Die Geschäftsführer sollten hierbei angewiesen werden, den Satzungsänderungsbeschluss erst nach erfolgter Veräußerung des gesamten Vermögens zum Handelsregister einzureichen; eine Eintragung des Satzungsänderungsbeschlusses und damit ein vorheriges Wirksamwerden der Satzungsänderung wird man jedenfalls für die Entlastungswirkung ohnehin nicht verlangen müssen, da die Geschäftsführer schon vor Eintragung an den Änderungsbeschluss gebunden sind; vgl. Meyer, GmbHR 2019, 973, 977, der aus Gründen der Vorsicht aber empfiehlt, die Eintragung abzuwarten; wohl für Erfordernis der vorherigen Eintragung des Satzungsänderungsbeschlusses Pfeiffer, BB 2019, 1107; erwägenswert ist auch der Vorschlag von Heinze, NJW 2019, 1995, 1997, das auf die Veräußerung des gesamten Vermögens gerichtete Verpflichtungsgeschäft unter die aufschiebende Bedingung der Eintragung der Satzungsänderung im Handelsregister zu stellen. 62 Vgl. Gutachten DNotI-Report 2019, 193, 196; Berkefeld, DNotZ 2020, 85, 93. 63 Unstreitig; s. etwa Altmeppen, Rz. 2. 64 Vgl. die ähnliche Einschätzung bei Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 7 (ohne diese Relativierung aber nun Altmeppen, Rz. 4). 65 Darauf weist zutreffend Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 74 f. hin.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 27 § 3

widrigkeit66 (mit der Konsequenz etwaiger Regressansprüche gegen den Geschäftsführer, § 43 Abs. 2, und ggf. der Möglichkeit der Abberufung, § 38 Abs. 267). Zum Ausnahmefall des Missbrauchs der Vertretungsmacht soeben bei Rz. 22. cc) Registergerichtliche Überprüfbarkeit Die Angabe des Gegenstandes soll ferner dem Registergericht die Prüfung ermöglichen (vgl. 25 § 9c Abs. 2 Nr. 1 und 2), ob die Gesellschaft einen erlaubten Unternehmensgegenstand bzw. erlaubten Gesellschaftszweck verfolgt68 (darüber bei 13. Aufl., § 1 Rz. 8 ff.), der aus dem Unternehmensgegenstand als dessen Haupterkenntnisquelle69 zu erschließen ist. Dagegen ist der vormalige weitere Zweck der Überprüfung des Vorliegens einer für den Unternehmensgegenstand etwaig erforderlichen Genehmigung nach Streichung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 a.F. im Zuge des MoMiG und der damit beabsichtigten Beschleunigung des Eintragungsverfahrens entfallen70 (vgl. auch 13. Aufl., § 8 Rz. 21). dd) Konkretisierung der Treuepflicht Schließlich kommt der Angabe des Unternehmensgegenstandes auch noch eine nicht zu un- 26 terschätzende Bedeutung für die Konkretisierung der Treuepflicht der Gesellschafter zu (vgl. 13. Aufl., § 13 Rz. 36 ff.). Der statutarische Unternehmensgegenstand umschreibt insbesondere auch die Reichweite des Wettbewerbsverbots der Geschäftsführer, ebenso ggf. der Gesellschafter71, da sich dieses nach dem entsprechend anwendbaren § 112 HGB auf den (gesellschaftsvertraglichen) Handelszweig der Gesellschaft beschränkt; dieser richtet sich aber grundsätzlich nach dem festgeschriebenen Unternehmensgegenstand72, nicht – jedenfalls nicht allein – hingegen nach dem tatsächlich ausgeübten (vgl. 12. Aufl., § 43 Rz. 163). c) Wahrheitsgebot Die Angabe des Unternehmensgegenstandes muss der Wahrheit entsprechen (sog. Grund- 27 satz der Gegenstandswahrheit)73. Das wird zuweilen mit der Nichtigkeit des im Vorschie66 Vgl. etwa (zur AG) BGH v. 15.1.2013 – II ZR 90/11, ZIP 2013, 455 Rz. 16. 67 Vgl. für die AG: Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 114; hierzu näher Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 334 ff.; zum Schadensersatz auch Altmeppen, Rz. 4. 68 BGH v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, ZIP 1981, 183 (insoweit nicht in BGHZ 78, 311 abgedruckt); BayObLG v. 1.8.1994 – 3Z BR 157/94, BayObLGZ 1994, 224, 225 f. = GmbHR 1994, 705; BayObLG v. 16.9.1993 – 3Z BR 121/93, BayObLGZ 1993, 319, 320 f. = GmbHR 1994, 60; BayObLG v. 15.12.1975 – BReg. 2 Z 53/75, BayObLGZ 1975, 447 f. = GmbHR 1976, 38; BayObLG v. 7.6.2000 – 3Z BR 26/00, GmbHR 2000, 872, 873; BayObLG v. 22.6.1995 – 3Z BR 71/95, GmbHR 1995, 722; OLG Düsseldorf v. 6.10.2010 – 3 Wx 231/10, GmbHR 2010, 1261; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 45, 68 ff. 69 Vgl. RG v. 4.6.1940 – II 171/39, RGZ 164, 129, 140; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 1 Rz. 9; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 14; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 5. 70 S. dazu und zu verbleibenden Zweifelsfragen über die etwaige Erforderlichkeit der Vorlage von Genehmigungsurkunden im Gründungsverfahren aus jüngerer Zeit Rothbächer, GmbHR 2019, 18. 71 Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 290 ff., 591 ff.; Streuer, Der statutarische Unternehmensgegenstand, 2001, S. 111 ff.; im Einzelnen ist hier aber vieles streitig; vgl. dazu Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 244 f. 72 Im Einzelnen streitig; Wassermeyer, GmbHR 1993, 329, 330; Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1274; Sina, GmbHR 2001, 661, 662 f.; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 252 ff. 73 Wallner, JZ 1986, 721, 727; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 118 f.; Altmeppen, Rz. 4.

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§ 3 Rz. 27 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages ben eines in Wahrheit nicht gewollten Unternehmensgegenstandes liegenden Scheingeschäfts i.S.d. § 117 BGB begründet74. Überzeugender ist dagegen der (auch den Fall der EinmannGründung erfassende)75 Rückgriff auf § 134 BGB76, weil § 3 Abs. 1 Nr. 2 implizit ein jedenfalls teleologisch begründbares Täuschungsverbot beinhaltet (zu den Zwecken Rz. 20 ff.). Gleichzustellen sind die Fälle der Angabe zwar tatsächlich vereinbarter, planmäßig aber in absehbarer Zeit nicht zur Ausübung bestimmter und daher nur auf Vorrat angegebener Unternehmensgegenstände77, wenngleich eine offene Vorratsgründung zulässig ist (hierzu bei Rz. 37)78. d) Bestimmtheitsgebot aa) Anforderungen 28 Immer noch im Detail streitig ist, inwieweit der Unternehmensgegenstand näher umgrenzt

werden muss, wobei in Rechnung zu stellen ist, dass zwischen Nichtigkeit (oder Fehlen) der Angabe und bloßer Ordnungswidrigkeit zu unterscheiden ist. Letztere, mit der Konsequenz eines bloßen Eintragungshindernisses, nicht aber eines „Nichtigkeitsgrundes“ i.S.d. § 75, steht allein in Rede, sofern es an hinreichend individualisierten Angaben fehlt; eine allzu aussagelose Angabe des Unternehmensgegenstandes wird vor einem „Nichtigkeitsgrund“ schützen, aber vom Registergericht beanstandet werden (vgl. Rz. 41 sowie 12. Aufl., § 75 Rz. 18). Während die ältere Praxis geringe Anforderungen an die Konkretisierung des Unternehmensgegenstandes gestellt hatte79, wird heute in Rechtsprechung80 und Literatur81 – zumeist in Anlehnung an § 23 Abs. 3 Nr. 2 Halbs. 2 AktG82 und unter Berufung auf den Zweck der Regelung (s. Rz. 20 ff.) – verlangt, dass zumindest der Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft erkennbar werden muss83; im Fall mehrerer vereinbarter Tätigkeitsfelder

74 Vgl. ausführlich Streuer, Der statutarische Unternehmensgegenstand, S. 135 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 75 Hierauf könnte § 117 Abs. 1 BGB wohl allenfalls dem Rechtsgedanken nach angewandt werden; vgl. J. Meyer, ZIP 1994, 1661, 1664; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 234. 76 Dafür etwa Hell, GmbH-Mantelverwendung, 2010, S. 50 ff.; Kantak, Mantelgründung und Mantelverwendung bei der GmbH, 1989, S. 60 ff.; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 236 ff.; auf beide Begründungswege abstellend Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29. 77 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 333 ff. = GmbHR 1992, 451; BayObLG v. 7.6.2000 – 3Z BR 26/00, GmbHR 2000, 872, 873 f.; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 120 ff.; vgl. auch Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 79. 78 Obgleich all diese Mängel zur Nichtigkeit der Bestimmung über den Unternehmensgegenstand und damit zum Eintragungshindernis führen, können sie unter Berücksichtigung der MarleasingEntscheidung des EuGH jeweils nicht als Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75 qualifiziert werden; hierüber bei Rz. 42 sowie 12. Aufl., § 75 Rz. 20. Über die nachträglich eintretende Unwahrheit im Fall faktischer Änderung des Unternehmensgegenstandes bei Rz. 44. 79 RG v. 25.11.1905 – I 228/05, RGZ 62, 96, 98 (zulässig, dass im Gesellschaftsvertrag außer einzelnen besonders genannten Zweigen kaufmännischer Tätigkeit auch der Betrieb von anderen kaufmännischen Geschäften allgemein als Gegenstand des Unternehmens angegeben wird). 80 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 334 = GmbHR 1992, 451; BayObLG v. 8.1.2003 – 3Z BR 234/02, GmbHR 2003, 414, 415; OLG Düsseldorf v. 6.10.2010 – 3 Wx 231/10, GmbHR 2010, 1261, 1262. 81 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 82 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 13; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 8. 83 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Altmeppen, Rz. 6: Tätigkeitsbereich ist zumindest in groben Zügen zu beschreiben.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 29 § 3

sind sämtliche anzugeben, auch jene, deren Ausübung durch die Geschäftsführung zwar absehbar ist, aber noch nicht sofort erfolgen soll (zu Sonderheiten bei Vorratsgesellschaften Rz. 37 ff.). Es verbieten sich nichtssagende Beschreibungen84 (dazu Rz. 29), da die interessierten Verkehrskreise aus der Angabe mindestens ablesen können müssen, in welchem Sachbereich des Wirtschaftslebens, mithin in welcher Branche85 sich die Gesellschaft betätigen will86. Auf welche Weise87 dies erfolgen soll, muss nicht in jedem Fall zwingend konkretisierend angegeben werden88, insbesondere dann nicht, wenn ohne Verstoß gegen das Wahrheitsgebot keinerlei Einschränkung gewollt ist. Entsprechendes gilt, sofern ein nichtwirtschaftlicher Bereich betroffen ist. Allzu ausdifferenzierte Angaben sind aber nicht erforderlich89, zumal stets zu bedenken ist, dass es allein um eine aussagekräftige Angabe des tatsächlich vereinbarten Tätigkeitsfeldes geht, nicht um Einengungen eines denkbar weit gewollten und entsprechend gefassten Unternehmensgegenstandes; korrigierend wirkt insoweit vielmehr das bei Rz. 27 geschilderte Wahrheitsgebot. bb) Einzelfälle Nicht ausreichend zur Erfüllung der Bestimmtheitsanforderungen sind unklare90, vor allem 29 aber allzu pauschale Angaben, wie „Handel mit Waren aller Art“91, „Produktion von Waren aller Art“92, „Betrieb von Handelsgeschäften“93 (ausreichend jedoch: „Betrieb von Gaststätten“94) oder „Handel und Vertrieb von Verbrauchs- und Konsumgütern“95. Denn weder erfolgt hier eine Zuordnung zu einem Geschäftszweig, noch wird über die wesentliche Art des 84 Soweit wohl unstreitig; vgl. auch Altmeppen, Rz. 6 mit dem Beispiel für unzulässige farblose Bezeichnung: „Betrieb kaufmännischer Geschäfte“; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8. Zur Parallele bei der AG Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 32. 85 Z.B.: Auto-, Lebensmittel- oder Immobilienbranche. 86 BGH v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311 = ZIP 1981, 183, 184 (insoweit nicht in BGHZ 78, 311 abgedruckt); OLG Düsseldorf v. 6.10.2010 – 3 Wx 231/10, GmbHR 2010, 1261, 1262; OLG Rostock v. 15.11.2010 – 1 W 47/10, GmbHR 2011, 829, 831; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 127; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8. 87 Z.B. durch: Vertrieb, Produktion oder Vermittlung; vgl. Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9. 88 Wie hier Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 127 f.; a.A. Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14. 89 OLG Düsseldorf v. 6.10.2010 – 3 Wx 231/10, GmbHR 2010, 1261, 1262: Konkretisierung darf im Ergebnis nicht auf eine von den Gesellschaftern nicht gewollte Beschränkung der tatsächlich geplanten Unternehmungen hinauslaufen; näher Thoma, RNotZ 2011, 413, 415; vgl. auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; wohl auch Altmeppen, Rz. 6. 90 Trotz geminderter Verständlichkeit für Dritte sind nach der Rechtsprechung allerdings die folgenden Angaben ausreichend: „Erfüllung eines mit einem Dritten abgeschlossenen Ingenieurvertrages zur Fertigstellung eines bestimmten Klinikums“ (BGH v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311 = ZIP 1981, 183, 184 [insoweit nicht in BGHZ 78, 311 abgedruckt]), „Betrieb einer Klinik nach § 30 GewO mit dem Schwerpunkt auf ambulanten Eingriffen“ (BayObLG v. 7.6.2000 – 3Z BR 26/00, GmbHR 2000, 872, 873). 91 OLG Düsseldorf v. 6.10.2010 – 3 Wx 231/10, GmbHR 2010, 1261, 1262; BayObLG v. 8.1.2003 – 3Z BR 234/02, GmbHR 2003, 414, 415; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 16. 92 BayObLG v. 1.8.1994 – 3Z BR 157/94, BayObLGZ 1994, 224, 226 f. = GmbHR 1994, 705. 93 BayObLG v. 22.6.1995 – 3Z BR 71/95, GmbHR 1995, 722, 722 f.; BayObLG v. 19.1.1996 – 3Z BR 345/95, GmbHR 1996, 360. 94 OLG Frankfurt v. 30.8.1979 – 20 W 49/79, OLGZ 1979, 493, 495 = GmbHR 1979, 280; zustimmend etwa Altmeppen, Rz. 6. 95 OLG Düsseldorf v. 6.10.2010 – 3 Wx 231/10, GmbHR 2010, 1261, 1262: Vielfalt beabsichtigter Geschäfte schließt Individualisierung nicht aus, wenn Schwerpunkt der Geschäftstätigkeit ohne besondere Schwierigkeiten hinreichend erkennbar gemacht werden kann.

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§ 3 Rz. 29 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages Handels Auskunft erteilt96. Ist allerdings tatsächlich einmal ein „Handel mit Waren aller Art“ ohne jede Einschränkung beabsichtigt, ist diese dann dem Wahrheitsgebot entsprechende Angabe indes zulässig, weil ansonsten die unternehmerische Freiheit zur Bestimmung des Gegenstandes beschnitten würde97, was nicht der Regelungsintention des § 3 Abs. 1 Nr. 2 entspräche (s. Rz. 20 ff.)98. Regelmäßig wird aber eine Eingrenzung bzw. Spezifizierung oder auch nur die Angabe eines Tätigkeitsschwerpunkts möglich und dann auch erforderlich sein (zum Beispiel: „Handel mit Waren aller Art aus China“ oder „Handel mit Waren verschiedener Art, insbesondere …“99). Ermangelt eine Angabe der nötigen Bestimmtheit, kann dieses Defizit nicht durch eine Negativabgrenzung kompensiert werden („Handel mit Waren aller Art, mit Ausnahme …“), denn hier bleibt ungeachtet dessen weiterhin unklar, in welchem Geschäftszweig sich die Gesellschaft im Schwerpunkt betätigt. Da dasjenige, was unklar ist, zuweilen nicht hinreichend bestimmt ist, sind auch unklare Formulierungen im Eintragungsverfahren im Einzelfall zu beanstanden. Die Rechtsprechung überstrapaziert hier indes zuweilen das Bestimmtheitsgebot und gelangt nicht immer zu konsistenten Ergebnissen. So soll zwar der „Handel mit Baubedarf“ hinreichend verständlich und damit bestimmt genug sein, nicht aber die Angabe „Dienstleistungen für Campingplatzunternehmen sowie deren Betreiber und Dienstleistungen für die Campingbranche“100; den „Handel mit Architektur“ als zu unklar zu betrachten, ist wegen der hiermit verbundenen Mehrdeutigkeit, die auch auf den Geschäftszweig ausstrahlt (Handel mit Bauwerken oder Erbringung von Dienstleistungen?), dagegen zutreffend, allerdings nicht unter dem Aspekt der Bestimmtheit, sondern der Gegenstandswahrheit101. Unschädlich ist es dagegen wiederum, wenn zwar der Geschäftszweig hinreichend präzise bezeichnet wird, zur weiteren Konkretisierung aber auf interne (nicht aus dem Gesellschaftsvertrag ersichtliche) Vereinbarungen verwiesen wird102. cc) Zweckmäßiger Konkretisierungsgrad 30 Wieweit der Unternehmensgegenstand konkretisiert wird, ist eine Frage der Zweckmäßig-

keit. Eine enge Formulierung wird in der Tendenz den mit der Eingrenzung verbundenen Minderheitenschutz verstärken, allerdings Freiräume und Flexibilität der Geschäftsführer beschneiden. Demgegenüber birgt eine weite Fassung des Unternehmensgegenstandes die Gefahr einer zu weitreichenden Entkopplung der Geschäftsführung vom Gesellschafterwillen (vor allem auch jenem der Minderheitsgesellschafter); je weiter der Gegenstand gefasst ist, 96 S. auch BayObLG v. 1.8.1994 – 3Z BR 157/94, BayObLGZ 1994, 224, 225 f. = GmbHR 1994, 705. 97 Wenn nähere Eingrenzung nicht möglich ist, Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 15. Offenlassend nur Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 932 (Tätigkeitsschwerpunkt zu nennen sei jedenfalls empfehlenswert). 98 Eine Pflicht zur Wahl eines einengenden Unternehmensgegenstandes lässt sich nicht begründen; so aber noch BayObLG v. 15.12.1975 – BReg. 2 Z 53/75, BayOblGZ 75, 447, 449 = GmbHR 1976, 38; dagegen Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 123 ff. 99 OLG Düsseldorf v. 6.10.2010 – 3 Wx 231/10, GmbHR 2010, 1261, 1262; vgl. zu alledem auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; ferner J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 18; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 932. Ist tatsächlich ein überaus weit gefasster Tätigkeitsbereich vereinbart („Handel mit Waren aller Art“), hat sich die Praxis also mit der zusätzlichen Angabe eines Tätigkeitsschwerpunkts zu behelfen („insbesondere“). 100 In diesem Sinne LG Rostock v. 15.11.2010 – 1 W 47/10, GmbHR 2011, 829, 831; da in all diesen Fällen der Geschäftszweig bezeichnet wird, sind mit Unschärfen im Detail verbundene Angaben richtigerweise nicht zu beanstanden; vgl. auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 101 Auf fehlende Bestimmtheit abstellend allerdings KG v. 28.2.2012 – 25 W 88/11, GmbHR 2012, 856, da nicht deutlich werde, ob etwa Architektenentwürfe, schon errichtete Häuser oder etwas anderes darunter zu verstehen sei; dem zustimmend aber Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7. 102 BGH v. 3.11.1980 – II ZB 1/79, BGHZ 78, 311 = ZIP 1981, 183, 184 (insoweit nicht in BGHZ 78, 311 abgedruckt).

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2022-08-10, 11:07, GroKO groß

Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 31 § 3

desto weniger bedarf es indes der Änderung. Sofern erlaubnispflichtige Tätigkeiten verfolgt werden (was freilich nicht im Registerverfahren zu überprüfen ist, vgl. Rz. 25), bietet sich eine Fassung des Unternehmensgegenstandes an, die möglichst eng am Wortlaut der jeweiligen Genehmigungsvorschrift ausgerichtet ist, vor allem, wenn mehrere Genehmigungs- bzw. Erlaubnistatbestände in Betracht kommen (vgl. etwa § 34c GewO); soll der erlaubnispflichtige Tätigkeitsbereich ausgeklammert sein, helfen Negativzusätze (darüber bei Rz. 34). dd) Zusätze (erweiternde bzw. einengende) Flexibilität ermöglichende Zusätze zu den Angaben über den Schwerpunkt der Tätigkeit 31 müssen so konkret sein, dass sie den zusätzlich eröffneten Geschäftszweig deutlich erkennen lassen103. Inhaltslose Zusätze, wie etwa die Erlaubnis zur Tätigung „aller sonstigen Geschäfte“ oder „jeder anderen erwerbswirtschaftlichen Tätigkeit“, dürfen demgegenüber als Leerformeln nicht in das Handelsregister eingetragen werden104 und führen jedenfalls dann zum Eintragungshindernis, wenn sie mit dem Wahrheitsgebot nicht vereinbar sind oder nicht klar erkennbar bleibt, worin der Hauptgegenstand liegen soll105, führten sie sonst doch hinterrücks wiederum zur allzu diffusen Ausuferung des Geschäftsbereichs. Nach diesen Grundsätzen wird es überwiegend als noch zulässig erachtet, wenn eine pauschale Ausdehnung des Tätigkeitsbereichs auf jedwede Geschäfte erfolgt, die dem „Zweck“106 der Gesellschaft dienen (oder ähnliche Formulierungen genutzt werden wie: „… und damit verwandte Geschäfte“)107, da hier die Konkretisierung der Haupttätigkeit zugleich jenen Bereich vorgeben soll, in dem die Hilfsgeschäfte liegen dürfen108. Bei alledem ist in Rechnung zu stellen, dass die Geschäftsführer auch ohne einen derartigen Zusatz Geschäfte ausüben dürfen, die dem Hauptgegenstand dienlich sind bzw. mit ihm im Zusammenhang stehen, sodass der Zusatz oftmals obsolet ist und dann allein der Klarstellung dient, deren Eintragung im Handelsregister als überflüssige Angabe richtigerweise ausscheidet (eine wortlautgetreue Übernahme ist bei derartigen Leerformeln nicht geboten) und daher auch im Gesellschaftsvertrag unterbleiben sollte. Zulässig sind der Vermeidung einer pflichtwidrigen Unterschreitung des Unternehmensgegenstandes dienende Zusätze, die es dem Geschäftsführer gestatten, vom Unternehmensgegenstand erfasste Tätigkeitsfelder aufzugeben, solange keine Totalaufgabe erlaubt wird; stets muss mithin ein Restbereich hinreichend bestimmt deklarierter Tätigkeitsfelder verbleiben. Eine volle Ausschöpfung des Tätigkeitsfeldes muss aber zunächst geplant

103 Altmeppen, Rz. 6; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6, 19; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8. 104 OLG Köln v. 12.5.1981 – 2 Wx 9/81, OLGZ 1981, 428, 430 f. = GmbHR 1981, 195; BayObLG v. 8.1.2003 – 3Z BR 234/02, GmbHR 2003, 414, 415; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 132 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 20. 105 LG Bielefeld v. 19.10.2001 – 24 T 19/01, GmbHR 2002, 328; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 20; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 10; in diese Richtung wohl auch Altmeppen, Rz. 6: inhaltsleere Zusätze unzulässig. 106 D.h. in Wahrheit: dem hauptsächlichen Unternehmensgegenstand. 107 Vgl. etwa Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; für die AG Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 35; s. aber auch, zutreffend, Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 930: wenn von Haupttätigkeit schon mitumfasst, muss Eintragung im Handelsregister unterbleiben. 108 Vgl. auch BayObLG v. 16.9.1993 – 3Z BR 121/93, BayObLGZ 1993, 319, 320 f. = GmbHR 1994, 60 (dort auch zur Differenzierung zwischen Eintragungs- und Satzungsinhalt); Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 930: wenn von Haupttätigkeit schon mitumfasst, dann muss Eintragung im Handelsregister unterbleiben; Hauschild/Kallrath in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 16 Rz. 159.

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§ 3 Rz. 31 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages sein, mithin darf mit dem Zusatz nicht der Vorbehalt verbunden sein, einen Teilbereich der angegebenen Tätigkeiten nicht auszuüben109. ee) Beteiligungs- bzw. Konzernbildungsklauseln (1) Annex-Beteiligungsklauseln 32 Gebräuchlich, und zwar zur Erweiterung des Handlungsspielraums der Geschäftsführung,

sind sog. Beteiligungs- bzw. Konzernöffnungsklauseln110. Sie sind zu diesem Zweck (d.h. insbesondere: zur Vermeidung einer Satzungsänderung) allerdings entgegen verbreiteter Ansicht nicht erforderlich111, wenn sie – wie häufig der Fall – allein auszudrücken suchen, dass das eigentliche Tätigkeitsfeld der Gesellschaft auch vermittelt über andere Gesellschaften (oder gar nur über Zweigniederlassungen) verfolgt werden kann („Die Gesellschaft ist auch berechtigt, sich an anderen Unternehmen zu beteiligen“). Der Gesellschaftsvertrag muss nicht angeben, ob der Unternehmensgegenstand auch mittelbar, d.h. durch Erwerb von unternehmerischen Beteiligungen, ausgeübt werden darf, weil insoweit inkludierte Annexkompetenzen in Rede stehen112. Derartige, dann letztlich überflüssige und daher nicht eintragungsfähige113 Annex-Beteiligungsklauseln werfen allerdings unter dem Blickwinkel der Bestimmtheit keine Probleme auf, wenn einengend formuliert wird, dass die Beteiligung im geschilderten Sinne der mittelbaren Verfolgung des statutarisch festgelegten Tätigkeitsfeldes zu dienen bestimmt sein soll. Fehlt diese Einengung, dürfte eine typische Beteiligungsklausel („einschließlich des Erwerbs von Beteiligungen“) allerdings auch in diesem Sinne auszulegen und angesichts dessen zulässig sein114. – Eine Angabe der konkreten Gesellschaf-

109 Zu dieser Einschränkung, für die AG, Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 83; vgl. zudem Herrler in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2021, § 7 Rz. 91; zum Ganzen auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19. 110 S. etwa OLG Frankfurt a.M. v. 12.11.1986 – 20 W 391/86, OLGZ 1987, 40 = GmbHR 1987, 231, 232: § 3 Abs. 1 Nr. 2 verlange keine weitere Konkretisierung der neben dem eigentlichen „Unternehmenszweck“ geplanten „Beteiligung an anderen Unternehmen“. 111 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 12.11.1986 – 20 W 391/86, OLGZ 1987, 40 = GmbHR 1987, 231 f.; OLG Hamburg v. 5.9.1980 – 11 U1/80, ZIP 1980, 1000, 1006; Götz, AG 1984, 85, 89; Sina, GmbHR 2001, 661, 662; Westermann, ZGR 184, 352, 360 ff.; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982, S. 267 ff.; Paefgen, Unternehmerische Entscheidungen und Rechtsbindung der Organe in der AG, 2002, S. 485; Kropff in FS Geßler, 1971, S. 111, 131; Henze in FS Ulmer, 2003, S. 211, 216 f.; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 52 Rz. 43; a.A. jedoch die h.L., vgl. etwa Blasche, DB 2011, 517, 520 f.; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 495 ff.; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 7; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 1103; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; in diese Richtung auch die h.L. im Aktienrecht, vgl. stellvertretend für diese Stein in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 179 AktG Rz. 113, die aber selbst darauf hinweist, dass die Abgrenzung zur Ausübung von „ermächtigungsfreien“ und damit nicht in der Satzung zu deklarierenden Annex- bzw. Hilfsgeschäften nicht trennscharf möglich ist; offen lassend Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8 hält diese Klauseln für zweckmäßig und nicht zu beanstanden; für praktisch wichtig hält sie Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 112 Deren Wahrnehmung führt nicht zu einem „faktischen“ Satzungsverstoß, vgl. auch 12. Aufl., § 53 Rz. 120. 113 A.A. Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20 Fn. 94. 114 Ebenso etwa Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20. Eine dergestalt bestimmt gefasste oder zumindest in diesem Sinne auszulegende Beteiligungsklausel erübrigt dann zugleich eine Satzungsänderung, will man, anders als hier, in dem Erwerb derartiger unternehmerischer Beteiligungen nicht bereits Tätigkeiten erblicken, die vom (operativen) Tätigkeitsbereich abgedeckt sind. Auch hiernach wird man indes in Geschäftsführungsmaßnahmen, die zur Konzernbildung führen, regelmäßig der Gesellschafterversammlung vorlagepflichtige Maßnahmen i.S.d. § 49 Abs. 2 erblicken (vgl. 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 89; 12. Aufl., § 47 Rz. 36; 12. Aufl., § 53 Rz. 120).

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 33 § 3

ten, die als Beteiligungsgesellschaften in Betracht kommen, ist nicht erforderlich115. Sie könnte ohnehin nur gefordert werden, stünden diese bereits im Vorhinein fest; auch wird man Beteiligungsklauseln ohne weitere Präzisierung hinsichtlich der Obergrenze der Beteiligung für zulässig halten müssen116. (2) „Konstitutive“ Beteiligungsklauseln Soll der Erwerb von Beteiligungen an Gesellschaften in anderen Geschäftsfeldern zum Tä- 33 tigkeitsbereich der Gesellschaft gehören, ist (zur Vermeidung einer anderenfalls drohenden „faktischen“ Satzungsänderung) eine Beteiligungsermächtigung im Gesellschaftsvertrag vonnöten117. Ausnahmen wird man allenfalls dort anerkennen können, wo es sich nur um eine Beteiligung geringen Umfangs und damit einen „Nebengegenstand“ handelt118. Erst recht gilt das Erfordernis der statutarischen Festsetzung dort, wo es um die Gestattung des Erwerbs reiner Finanzbeteiligungen geht, schon, weil mit der Verwaltung kapitalistischer Beteiligungen andere Anforderungen an die Geschäftsführung verbunden sind119. Soll die Gesellschaft reine Holdingfunktionen ausüben, mithin auf das Halten einer auf Dauer angelegten Beteiligung an anderen Gesellschaften ausgerichtet sein120, ist diese bloße Tätigkeit der Gruppenleitung ebenfalls anzugeben, ggf. – aber nicht notwendig – nebst zusammenfassender Beschreibung der Tätigkeitsfelder der operativen Gesellschaften in einer sog. qualifizierten Konzernbildungsklausel121. Eine verbreitet anzutreffende allgemein gehaltene Konzernklausel, wonach sich die (operativ tätige) Gesellschaft an anderen Unternehmen beteiligen darf, wird eine gänzliche Einstellung des operativen Betriebs unter Beschränkung auf eine reine Holdingtätigkeit dagegen allenfalls dann gestatten, wenn das vormalige operative Tätigkeitsfeld der nunmehrigen Holdinggesellschaft immerhin noch mittelbar über die Beteiligungsgesellschaften ausgeübt wird122. Ebenfalls einer ausdrücklichen Festlegung bedarf es, wenn – wie bei Venture-Capital-Gesellschaften – der Erwerb und die Veräußerung von wechselnden, im Einzelnen noch unbekannten Beteiligungen im Vordergrund stehen soll, wobei hier und in ähnlich gelagerten Fällen die blasse, aber insoweit zutreffende Angabe „Verwal-

115 Vgl. etwa J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 21. 116 A.A. noch 11. Aufl. (Emmerich), Rz. 15 (mangelnde Konkretisierung „nicht unbedenklich“); ohne Einschränkung für Zulässigkeit etwa OLG Frankfurt v. 12.11.1986 – 20 W 391/86, OLGZ 1987, 40 = GmbHR 1987, 231, 232; mit Differenzierungen auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20. 117 Blasche, DB 2011, 517, 520 f.; Altmeppen, Rz. 6; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20. 118 Und zwar unter dem Gesichtspunkt bloßer Hilfsgeschäfte, vgl. etwa Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 434; dem folgend Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; für die AG etwa Ehmann in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, § 179 AktG Rz. 19; Stein in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 179 AktG Rz. 112. 119 Zutreffend Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 432 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; a.A. aber Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Anh. § 52 Rz. 43: allgemeine Konzernöffnungsklausel deckt auch Erwerb reiner Finanzbeteiligungen ab. 120 Vgl. näher zum Begriff der Holding Lutter/Bayer in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 1 Rz. 1.11. 121 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; Seibt in MünchAnwHdb. GmbH-Recht, 4. Aufl. 2018, § 2 Rz. 62; für die AG etwa Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 36 (Spiegelstrichlösung); a.A. J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 21. Die Beteiligungen selbst sind nicht zu konkretisieren, was regelmäßig auch nicht möglich wäre. 122 Stephan in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 3 Rz. 3.188; ausdrückliche Regelung verlangend aber Groß, AG 1994, 266, 269 f.; Habersack in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, Vorb. § 311 AktG Rz. 3; für die GmbH wie hier Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, § 13 Anh. Rz. 1105.

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§ 3 Rz. 33 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages tung von Vermögen und Beteiligung an Unternehmen“ genügt123. Über Ermächtigungsklauseln zum Abschluss von Unternehmensverträgen auf Seiten der abhängigen sowie herrschenden Gesellschaft bei 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 206 ff. ff) Negative Zusätze 34 Der Unternehmensgegenstand muss erkennen lassen, ob für die Tätigkeit der Gesellschaft

eine staatliche Genehmigung oder Erlaubnis erforderlich ist124. Zulässig sind in diesem Kontext sog. negative Zusätze, die bestimmte Tätigkeitsbereiche ausschließen125; häufig ist der Zusatz, dass Tätigkeiten, die einer staatlichen Genehmigung bedürfen, nicht ausgeübt werden sollen126. Allerdings hat dieser Zusatz durch die Aufhebung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG a.F. und die damit grundsätzlich entfallene Vorlagepflicht von Genehmigungsurkunden (bei Fehlen anderslautender spezieller gesetzlicher Vorgaben) im Rahmen der Anmeldung der Gründung der Gesellschaft an Bedeutung verloren (vgl. auch 13. Aufl., § 9c Rz. 35). Zweckmäßig ist der Zusatz jedoch, wenn sich der Unternehmensgegenstand „in der Nähe“ einer erlaubnispflichtigen Tätigkeit bewegt127; erforderlich ist er, wenn der Unternehmensgegenstand (Bsp.: „Anlage- und Vermögensberatung“ oder „Finanz-Service“) eng an Tätigkeiten heranrückt, die ohne Erlaubnisnachweis gegenüber dem Registergericht eine Registersperre auslösen (vgl. § 43 Abs. 1 KWG, ggf. verbunden mit § 3 Abs. 5 KAGB). An ein behördliches Negativattest (etwa der BaFin), das die Genehmigungsfreiheit bescheinigt, ist das Registergericht gebunden, ebenso wie an eine erteilte behördliche Genehmigung128. Bei Negativzusatz im Gesellschaftsvertrag kann das Registergericht aber nicht in jedem Fall ein Negativattest verlangen129. Hierin liegt der eigentliche Bedeutungsgehalt des Negativzusatzes, der freilich (sollte er unwahr sein) nichts an der Erlaubnispflichtigkeit ändert; auch dieser Bedeutungsgehalt ist aber dadurch gemindert, dass bei Anhaltspunkten des Registergerichts für einen Verstoß gegen das Wahrheitsgebot bzw. den hier bestehenden Bezeichnungsschutz (dazu näher Rz. 43) ein Negativattest doch wieder verlangt werden kann. gg) Komplementär-GmbH 35 Während in der früheren Rechtsprechung angenommen wurde, dass zur Bestimmung des

Unternehmensgegenstandes bei der Komplementär-GmbH auch der von der KG beabsichtigte Tätigkeitsbereich genannt werden müsse130, ist dies nach heute h.M. nicht mehr

123 OLG Düsseldorf v. 13.1.1970 – 3 W 331/69, GmbHR 1970, 123; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 21; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8. 124 Etwa nach § 2 GastG; § 3 GüKG; § 2 PBefG; § 34c Abs. 1GewO; s. hierzu auch Elsing, notar 2012, 68, 69 ff. 125 BayObLG v. 16.9.1993 – 3Z BR 121/93, BayObLGZ 1993, 319, 322 = GmbHR 1994, 60, das zu Recht darauf hinweist, dass dies nur gilt, wenn der Unternehmensgegenstand hinreichend konkret angegeben wird; OLG München v. 21.5.2012 – 31 Wx 164/12, ZIP 2012, 2107 (bezüglich Anlageund Vermögensberatung als Unternehmensgegenstand ohne Tätigkeiten, die erlaubnispflichtig sind); Altmeppen, Rz. 6; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6, 20; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 10. 126 BayObLG v. 16.9.1993 – 3Z BR 121/93, BayObLGZ 1993, 319, 322 = GmbHR 1994, 60. 127 Beispiel: „Bebauung von Grundstücken, jedoch keine nach § 34c GewO erlaubnispflichtigen Tätigkeiten“. 128 Vgl. BGH v. 9.11.1987 – II ZB 49/87, BGHZ 102, 209, 217 = GmbHR 1988, 135. 129 OLG München v. 21.5.2012 – 31 Wx 164/12, ZIP 2012, 2107; hierzu auch, für die AG, Herrler in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2021, § 7 Rz. 97. 130 BayObLG v. 15.12.1975 – BReg. 2 Z 53/75, BayObLGZ 1975, 447, 448 ff. („unter Angabe des Geschäftszweigs der KG“); OLG Hamburg v. 18.9.1967 – 2 W 125/67, GmbHR 1968, 118; Jeck, DB

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 36 § 3

erforderlich131. Anderenfalls würde das Konkretisierungsgebot in Bezug auf den Unternehmensgegenstand von der allein angesprochenen GmbH mittelbar auf die von ihr zu unterscheidende KG erstreckt, und dies, obwohl die KG nach § 106 HGB zur Anmeldung ihres Unternehmensgegenstandes gerade nicht verpflichtet ist. Damit würden letztlich zugleich Missverständnisse über den eigentlichen Unternehmensgegenstand der GmbH herbeigeführt bzw. es würde gar gegen das Wahrheitsgebot verstoßen, sofern nicht zugleich klargestellt würde, dass es nur um den Tätigkeitsbereich der KG geht, wohingegen die Komplementärin allein die Aufgabe der Geschäftsführertätigkeit wahrnimmt. Allerdings muss die KG nach immer noch herrschender, wenngleich umstrittener Meinung zumindest namentlich genannt werden132. Unzureichend soll danach die ganz blasse, allerdings Flexibilität ermöglichende Angabe sein, Unternehmensgegenstand der GmbH sei ihre Beteiligung als Komplementärin (irgendeiner) KG133. In der Registerpraxis wird von der h.M. mit Recht zumindest dort abgewichen, wo die GmbH Komplementärin einer Vielzahl noch unbestimmter Kommanditgesellschaften werden soll oder die betreffende Kommanditgesellschaft namentlich noch nicht bekannt ist. Sicherheitshalber kann hier, falls möglich, in Anlehnung an die ältere Rechtsprechung zugleich der Tätigkeitsbereich der Kommanditgesellschaften hinzugefügt werden134 (was nicht erforderlich, aber doch rechtlich zulässig ist). e) Angabe des Gesellschaftszwecks Der Zweck der Gesellschaft muss – wie es sich aus einem Umkehrschluss zu dem abschlie- 36 ßend zu verstehenden § 3 Abs. 1 ergibt – grundsätzlich nicht im Gesellschaftsvertrag genannt werden (zur Abgrenzung von Gegenstand und Gesellschaftszweck s. 13. Aufl., § 1 Rz. 3 ff. sowie Rz. 19). Das heißt aber nicht, dass er nicht Bestandteil des Gesellschaftsvertrages wäre. Das Gegenteil ist der Fall: Er ist stets und notwendig dessen Bestandteil135, allerdings bedarf er nicht der Verlautbarung, sofern er sich (wie im Regelfall der erwerbswirtschaftlichen Zwecksetzung) aus dem Unternehmensgegenstand ohne Weiteres ableiten lässt. Mit Rücksicht auf das legitime Informationsinteresse der Allgemeinheit und der später hinzutretenden Gesellschafter (insbesondere der Minderheitsgesellschafter) gilt jedoch anderes, wenn die

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1978, 832; Sachs, DNotZ 1976, 355, 355 ff.; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 523 ff. Vgl. BayObLG v. 22.6.1995 – 3Z BR 71/95, GmbHR 1995, 722, 723; OLG Karlsruhe v. 22.11.2013 – 11 WX 86/13, GmbHR 2014, 142; Sudhoff, GmbHR 1977, 218, 219; Petzoldt, DB 1977, 1783, 1783 f.; Altmeppen, Rz. 7; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 22; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11. BayObLG v. 22.6.1995 – 3Z BR 71/95, GmbHR 1995, 722, 723; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; a.A. aber, mit Unterschieden im Detail, OLG Karlsruhe v. 22.11.2013 – 11 Wx 86/13, GmbHR 2014, 142, 144; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 11; vgl. auch, wie hier, Altmeppen, Rz. 7: namentliche Benennung unnötig, es sei denn, GmbH soll ausschließlich Komplementärin einer bestimmten KG sein. Jeck, DB 1978, 832, 832 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 22. Vgl. auch Hauschild/Kallrath in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 16 Rz. 155. Vgl. Schäfer in Bork/Schäfer, § 1 Rz. 7; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 1 Rz. 9; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 1 Rz. 4; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 12; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 1 Rz. 5.

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§ 3 Rz. 36 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages Gesellschaft einen unüblichen, etwa einen nicht-erwerbswirtschaftlichen Zweck verfolgt136 (zu diesen Zwecken 13. Aufl., § 1 Rz. 15 ff.). Aus Spezialgesetzen kann sich zudem die Notwendigkeit der Angabe des Zwecks im Gesellschaftsvertrag ergeben: So ist steuerlich die Anerkennung einer Gesellschaft als gemeinnützig und damit steuerbegünstigt („gGmbH“; zu diesem Rechtsformzusatz 13. Aufl., § 4 Rz. 16 ff.) davon abhängig, dass die gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen der §§ 52 ff. AO gewahrt werden, was nach § 60a AO festzustellen ist. Hierfür sind unter (möglichst) wortlautgetreuer Verwendung137 der Mustersatzung in Anlage 1 zu § 60 AO nicht nur die Mittel der Zweckverwirklichung anzugeben (also der Unternehmensgegenstand), sondern nach Maßgabe des § 59 AO auch der Gesellschaftszweck, der wiederum einem der in § 52 Abs. 1 AO genannten Förderzwecke entsprechen muss. Allein anhand des Satzungstexts muss seitens der Finanzverwaltung überprüft werden können, ob die für die Steuervergünstigung erforderlichen Voraussetzungen (§ 60 Abs. 1 AO) gegeben sind138, wofür eine überaus genaue Bezeichnung von Zweck und Unternehmensgegenstand vonnöten ist. f) Sonderfall: Rechtliche Neugründung von Gesellschaftsmänteln („Vorratsgründung“) aa) Offene Vorratsgründung 37 Unter einer Vorratsgründung versteht man die Gründung einer anfänglich unternehmens-

losen Gesellschaft ohne konkrete Absicht der Gründer, in absehbarer Zeit mit der GmbH am Geschäftsverkehr teilzunehmen, sodass sich die Tätigkeit der Gesellschaft zunächst auf die „Verwaltung“ ihres in der Regel geringfügigen Vermögens beschränkt, bis sich ein „echter“ (unternehmerischer) Verwendungszweck („Gegenstand“) für sie findet139. Außer Frage steht nach heutigem Stand der Dogmatik, dass eine GmbH zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck und daher auch zu dem Zweck der Verwaltung des eigenen Vermögens gegründet werden kann (§ 1)140 und der zwingend anzugebende Unternehmensgegenstand nicht das Betreiben eines Unternehmens im eigentlichen Sinne verlangt. Auch werden mittels derartiger Vorratsgründungen die Gründungsvorschriften nicht etwa umgangen, sondern im üblichen Sinne (unter registergerichtlicher Kontrolle) gewahrt. Die Besonderheit eines (wirtschaftlich) gestreckten Gründungsvorgangs rechtfertigt die abermalige (modifizierte) Heranziehung spezifischer Gründungsvorschriften auf die spätere unternehmerische Aktivierung dieser Vorratsgesellschaft (hierüber bei Rz. 189 ff.), wohingegen der Mantelgründung selbst kein gläubigergefährdendes Moment innewohnt. Die Zulässigkeit der offenen Vorratsgründung

136 Ganz h.L.; vgl. Altmeppen, Rz. 5; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 9; noch weitergehend Flume, Juristische Person, § 9 II, S. 323 f. 137 Im Einzelnen ist dies umstritten, darüber bei 13. Aufl., § 1 Rz. 17. 138 Ausführlich Gilberg, RNotZ 2020, 193, 199 f.; Weitemeyer, GmbHR 2021, 57, 58 f.; Gersch in Klein, 15. Aufl. 2020, § 60 AO Rz. 1; Richter/Godron, Stiftungsrecht, 2019, § 18 Rz. 28 ff.; vgl. auch Wachter in Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 3. Aufl. 2020, § 19 Rz. 12. 139 Im Einzelnen hat man die offene und die verdeckte Vorratsgründung zu unterscheiden, je nachdem, ob der Gesellschaftsvertrag bereits selbst den „Vorratscharakter“ der Gründung erkennen lässt oder nicht. 140 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 331, 333 = GmbHR 1992, 451 (zur AG). Für die GmbH BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 ff. = GmbHR 2003, 227 ff. m. Anm. Peetz; Winnen, RNotZ 2013, 389, 392; s. weiterhin Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 184 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345, 1346 f.; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 4 III 2b, bb, S. 70; s. zur Entwicklung Bayer in FS Goette, 2011, S. 15, 16 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 130; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 79; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 37 § 3

ist daher im Jahr 1992 mit Recht vom BGH geklärt141 worden142. Die Gründung einer Gesellschaft, bei der als Gegenstand des Unternehmens die Verwaltung der Einlagen oder ihres Vermögens genannt wird, wird seither als unbedenklich betrachtet, zumal es auch keine „Betriebspflicht“ einer GmbH gibt143, wie es sich schon aus einem Umkehrschluss aus dem Rechtsgedanken des § 394 FamFG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 7 ergibt, der den Rechtsverkehr allein vor vermögenslosen (nicht aber „betriebslosen“) Gesellschaften zu schützen sucht. Auch im Hinblick auf die Anforderungen des § 3 Abs. 1 Nr. 2 an die Festsetzung des Unternehmensgegenstandes bestehen bei der Angabe „Verwaltung eigenen Vermögens“ keine durchschlagenden Bedenken, weil die Angabe zutreffend ist und damit dem Wahrheitsgebot entspricht144. Freilich werden damit die bei Rz. 28 geschilderten Anforderungen an die Konkretisierung des Unternehmensgegenstandes im Fall einer offenen Vorratsgründung deutlich herabgemindert. Diese Aufweichung der sonst geltenden Anforderungen wird aber heute nahezu einhellig für zulässig eingestuft. Mit dem unbestreitbaren praktischen Bedürfnis nach der Existenz derartiger Gesellschaften lässt sich diese Aufweichung allerdings kaum für sich genommen rechtfertigen145, zumal sich ohne Weiteres der Charakter gerade als Vorratsgesellschaft angeben ließe, was daher vereinzelt auch verlangt wird146. Trotzdem ist an der h.M. 141 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 330 ff. = GmbHR 1992, 451; BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, 160 f. = GmbHR 2003, 227 m. Anm. Peetz; BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474; vgl. dazu auch Auernhammer, RNotZ 2003, 193 ff.; Gronstedt, BB 2003, 860 ff.; Kessler, DZWiR 2003, 202 ff.; Krafka, ZGR 2003, 577 ff.; Meilicke, BB 2003, 857 ff.; Sailer, NotBZ 2003, 156 ff.; Schaub, DNotZ 2003, 443 ff.; Thaeter/Meyer, DB 2003, 539 ff.; Röhricht in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2003, 2004, S. 1, 13 ff.; Altmeppen, Rz. 56. 142 Die früher mitunter beobachtete „Darlehensmodell“-Praxis (dazu Emde, GmbHR 2003, 1034, 1037; Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 625 ff.; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 162 f.; vgl. auch Goette, DStR 2003, 887, 890; Goette, DStR 2004, 461, 463; Meilicke, BB 2003, 857, 858), in der Zwischenzeit, d.h. bis zur Veräußerung der Geschäftsanteile an der Vorratsgründung, das bereits eingezahlte Stammkapital wieder an die Gründungsgesellschafter als Darlehen zum Zwecke gewinnbringender Anlage oder zwecks Verwendung zur Gründung weiterer Vorratsgesellschaften zurückzugewähren und das Darlehen unmittelbar vor Veräußerung der Geschäftsanteile an der Vorrats-GmbH zu tilgen, damit die Gesellschaft mit dem nötigen Stammkapital ausgestattet ist, scheint gegenwärtig in den Hintergrund getreten zu sein. Die Zulässigkeit dieser Praxis ist jedenfalls seit jeher umstritten (gegen die Zulässigkeit BGH v. 15.10.2007 – II ZR 236/ 06, GmbHR 2008, 818 = ZIP 2008, 1281 f.; OLG Schleswig v. 20.7.2000 – 5 U 2/00, GmbHR 2000, 1045 f.), insbesondere unter dem Gesichtspunkt des verbotenen Hin- und Herzahlens, wobei seit dem MoMiG allerdings § 19 Abs. 5 Satz 1 zu beachten ist, womit zwar unter den bei 13. Aufl., § 19 Rz. 171 geschilderten Voraussetzungen Erfüllungswirkung eintreten kann, dies aber (neben der Werthaltigkeit des Rückzahlungsanspruchs) insbesondere auch die Offenlegung des Hin- und Herzahlens gegenüber dem Registergericht voraussetzt (vgl. § 19 Abs. 5 Satz 2). Ist die Erfüllungswirkung ausgeblieben, sieht BGHZ 182, 103 Rz. 22 in der späteren Rückzahlung des „Darlehens“ trotz einer derartigen anderslautenden Tilgungsbestimmung indes bei objektiver Zuordnungsmöglichkeit eine Tilgung der Einlageschuld (bestätigt durch BGH v. 13.12.2016 – II ZR 317/15, BeckRS 2016, 114504; BGH v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352 = GmbHR 2006, 306 = ZIP 2006, 331, 332 f.; zur AG BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113 = GmbHR 2006, 43 = ZIP 2005, 2203, 2204). 143 Kraft, DStR 1993, 101, 103; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 185; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 42. 144 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 330 ff. = GmbHR 1992, 451; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345, 1346 f.; Priester, DB 1983, 2291, 2298; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 184 ff.; Kantak, Mantelgründung und Mantelverwertung bei der GmbH, 1989, S. 68; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; ferner Altmeppen, Rz. 56; kritisch Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 189 f. 145 So aber Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11a; in diese Richtung auch noch 12. Aufl., Rz. 17. 146 So etwa Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 190; sich dem anschließend Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 42; dagegen

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§ 3 Rz. 37 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages festzuhalten und ein Hinweis auf die Vorratsfunktion (zur Abgrenzung von den üblichen vermögensverwaltenden Gesellschaften) nicht zwingend vonnöten (wenngleich freilich zulässig!), weil hiermit eher der (nicht zwingend zu deklarierende) Zweck als der Unternehmensgegenstand adressiert würde, überdies die entscheidende unternehmerische Inaktivität der Vorratsgesellschaft auch bei der blasseren Angabe „Verwaltung eigenen Vermögens“ hinreichend hervortritt. bb) Verdeckte Vorratsgründung (1) Tatbestand 38 Ein praktisch bedeutsamer Fall der Nichtigkeit des Unternehmensgegenstandes ist die ver-

deckte Vorratsgründung, d.h. die Gründung einer Gesellschaft mit einem Unternehmensgegenstand, den die Gründer gar nicht ernsthaft verfolgen und der deshalb fiktiv und damit (bei der Mehrpersonengesellschaft)147 nichtig ist (§ 117 BGB)148 bzw. jedenfalls gegen das in § 3 Abs. 1 Nr. 2 implizit enthaltene Wahrheitsverbot verstößt149 (Rz. 27). Gleichzustellen ist der Fall, dass die Gründer auf absehbare Zeit nicht ernstlich die Absicht haben, den von ihnen angegebenen Unternehmensgegenstand zu verfolgen. Zwar besteht keine Pflicht zur alsbaldigen Betriebsaufnahme (Rz. 37), gleichwohl ist auch in diesem Fall der vorerst nicht geplanten Aufnahme der Geschäftstätigkeit der vorerst wirkliche Unternehmensgegenstand (nämlich die Verwaltung des eigenen Vermögens) bzw. schlichtweg: die einstweilige Untätigkeit nicht genannt150, der Vorratscharakter mithin nicht ersichtlich, was zur Gegenstandsunwahrheit führt. Vereinzelt gebliebene Literaturstimmen151, die sich gegen die Gleichstellung verwahren, weil es an einer Pflicht zur (sofortigen) Aufnahme des statutarischen Tätigkeits-

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aber Kantak, Mantelgründung und Mantelverwendung bei der GmbH, 1989, S. 66 ff.; Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 579 f.; Oldemanns, Vorratsgründung und Mantelverwendung, 2005, S. 58 f. Bei der Einpersonengesellschaft kommt § 117 BGB mangels Einverständnis eines Erklärungsempfängers nicht zur Anwendung; Meyer, ZIP 1994, 1661, 1663 f.; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 91. Dafür J. Meyer, ZIP 1994, 1661, 1663 f.; Meyding, Die Mantel-GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht, 1989, S. 37 f.; Altmeppen, Rz. 57; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 131; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 80; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 15. Für einen damit verbundenen Verstoß gegen § 134 BGB etwa Kantak, Mantelgründung und Mantelverwendung bei der GmbH, 1989, S. 48 ff. m.w.N.; die zivilrechtliche Nichtigkeit der Festsetzung des Unternehmensgegenstandes im Fall der verdeckten Vorratsgründung ist heute im Prinzip unstreitig; a.A. noch Kraft, DStR 1993, 101, 103 ff., der auch die verdeckte Vorratsgründung für zulässig hält; großzügig auch Ebenroth/Müller, DNotZ 1994, 75, 81 ff. BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 334 = GmbHR 1992, 451 (zur AG); Kantak, Mantelgründung und Mantelverwendung bei der GmbH, 1989, S. 65; Lehder, Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2005, S. 53; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 183 f.; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 44 ff.; Arnold/ Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 54 AktG Rz. 43 m. Fn. 86; dagegen A. Kraft, DStR 1993, 101, 103 ff.; Ebenroth/Müller, DNotZ 1994, 75, 82; Oldemanns, Vorratsgründung und Mantelverwendung, 2005, S. 63; Meyer-Landrut in Meyer-Landrut/Miller/Niehus, Rz. 15. Aus der Rechtsprechung OLG Stuttgart v. 5.12.1991 – 8 W 73 91, ZIP 1992, 250, 252; Ebenroth/Müller, DNotZ 1994, 75, 81 ff.; wohl auch Priester, EWiR 1992, 113 f.; neuerdings wieder Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 351 f., der im Ergebnis doch der h.M. folgt; dagegen ausführlich etwa J. Meyer, ZIP 1994, 1661, 1667; Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 591 f.; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 183.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 39 § 3

bereichs fehle (was zutrifft, hier aber an der Sache vorbeigeht), haben sich zu Recht nicht durchsetzen können. Nach gesicherter Auffassung entsteht allerdings keine unzulässige verdeckte Mantelgesell- 39 schaft, wenn die Gründungsgesellschafter im Rahmen üblicher Anlauf- und Vorlaufzeiten152 durchweg Vorbereitungshandlungen zur Verwirklichung ihres geplanten und wahrheitsgemäß angegebenen Unternehmensgegenstandes entfalten, z.B. durch die Entwicklung von Geschäftsplänen153, und erst im Anschluss, mit dadurch bedingter Verzögerung, die eigentliche Geschäftstätigkeit beginnen154. Obgleich hier noch keine operativen Tätigkeiten nach Maßgabe des Unternehmensgegenstandes nach außen entfaltet werden, liegt keine leere Hülse, sondern eine unternehmerische Tätigkeit vor, die in der Gründungs- ebenso wie in der Liquidationsphase (zu Letzterer bei Rz. 187) nicht mehr der operativen Verfolgung des Unternehmensgegenstandes gleichgesetzt werden darf155. Selbst längere, durchschnittliche Anlaufzeiten überdauernde Vorbereitungsphasen führen nicht zwingend zum Entstehen eines Gesellschaftsmantels, sofern ein fortbestehender Wille der Gesellschafter feststellbar ist, die Vorbereitungshandlungen in die Geschäftsaufnahme zu überführen. In diesen Fällen steht ohnehin kein Problem der wahrheitsgemäßen Angabe des Unternehmensgegenstandes in Rede, sondern die Frage, ob bei verzögerter Aufnahme der Geschäftstätigkeit eine abermalige Gründungsprüfung aufgrund wirtschaftlicher Neugründung geboten ist – aber auch diese Frage ist zu verneinen, solange die Vorbereitungshandlungen kontinuierlich durchgeführt wurden. Anders liegt es nur, wenn die Gesellschafter zwischenzeitlich diesen Willen – aus unvorhersehbaren Gründen (etwa aufgrund einer versagten öffentlich-rechtlichen Genehmigung) – (nicht nur vorübergehend) aufgegeben oder die Vorbereitungshandlungen selbst eingestellt haben. Hier entsteht zumindest für diese Zeitspanne eine unternehmenslose Gesellschaft156, die als sog. „mutierte“ (nachträglich entstandene verdeckte) Vorratsgesellschaft bewertet wird157. Wird diese aktiviert (gleichviel, ob durch Aufnahme des ursprünglich geplanten oder eines neuen Tätigkeitsfelds), liegt darin, wie in allen Fällen einer Ausstattung des leeren Gesellschaftsmantels mit einem Unternehmen, eine wirtschaftliche Neugründung, deren Rechtsfolgen bei Rz. 189 ff. behandelt werden. Gleich zu bewerten sind die Fälle der zwischenzeitlichen Aufgabe der Absicht der Verfolgung des statutarischen Unternehmens-

152 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 333 ff. = GmbHR 1992, 451: ca. fünf Monate unschädlich; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317, 318; dazu Goette, DStR 2010, 764, 765; Winnen, RNotZ 2013, 389, 396; zu den üblichen Vorlaufzeiten etwa Lieder, NZG 2010, 410, 411; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857, 861; Bayer in FS Goette, 2011, S.15, 25. 153 BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474; Lieder, NZG 2010, 410, 411; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13e: verzögerte erstmalige Aufnahme der Geschäftstätigkeit. 154 BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474; dazu auch Lieder, NZG 2010, 410, 411; Bayer in FS Goette, 2011, S. 14, 23 ff.; Altmeppen, Rz. 58; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13e: verzögerte erstmalige Aufnahme der Geschäftstätigkeit. 155 Zutreffend BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317 Rz. 15, wonach die verlangte aktive unternehmerische Tätigkeit in der Anlauf- und in der Abwicklungsphase einer Gesellschaft einen der besonderen Unternehmenstätigkeit in diesem Zeitraum entsprechenden anderen Inhalt habe. 156 Dazu auch Goette, DStR 2010, 764 f.; vgl. weiter DNotI-Report 2011, 1, 3 f.; Bayer in FS Goette, 2011, S. 15, 17 f., 24 ff.; Altmeppen, Rz. 58; dagegen aber etwa Limmer in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 23 AktG Rz. 68, falls nicht besonders gravierende Einzelfallumstände vorliegen, wie eine jahrzehntelange Untätigkeit. 157 Goette, DStR 2010, 764, 765; Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197, 198; Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2009, S. 102 ff.; Bayer in FS Goette, 2011, S. 15, 17 f., 25 f.; Altmeppen, Rz. 58 a.E.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 81: nachträglich verdeckte Vorratsgründung; für nicht ergiebig hält diese Fallgruppe aber Merkt in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, § 11 Rz. 179 m. Fn. 719.

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§ 3 Rz. 39 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages gegenstandes, gleichviel, für welchen Zeitraum158, solange nur die Gesellschaft währenddessen unternehmenslos bleibt (anders läge es daher, wenn zwischenzeitlich Vorbereitungsmaßnahmen für die Wiederaufnahme eines umgestalteten Geschäftsbetriebs ergriffen würden)159; zur hier vorliegenden wirtschaftlichen Neugründung bei Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs bei Rz. 185. Der Umstand, dass in diesem Fall nicht wie geboten zwischenzeitlich der Unternehmensgegenstand durch Satzungsänderung in die Verwaltung eigenen Vermögens umgestellt wurde160, mündet in das bei Rz. 44 geschilderte Problem des nachträglichen Mangels des Unternehmensgegenstandes. (2) Rechtsfolge 40 Die verdeckte Vorratsgründung führt zur Nichtigkeit der statutarischen Angabe des Unter-

nehmensgegenstandes (dazu Rz. 38) und damit vor Eintragung der GmbH im Handelsregister nach ganz herrschender Lehre zur Nichtigkeit des gesamten Gesellschaftsvertrages, richtigerweise indes nur zu dessen Unwirksamkeit (darüber bei Rz. 11). Nach der im GmbH-Recht ganz überwiegend vertretenen und auch tradierten Meinung führt die verdeckte Vorratsgründung nach Eintragung der GmbH zu einem „Nichtigkeitsgrund“ i.S.d. § 75 bzw. § 397 Satz 2 FamFG161. Aber auch hier gilt richtigerweise das bei Rz. 42 Gesagte: Die verbotswidrige Angabe eines unwahren Unternehmensgegenstandes ist zwar i.S.d. § 134 BGB nichtig, begründet aber bei der erforderlichen richtlinienkonformen Auslegung des § 75 sowie des tatbestandlich parallel strukturierten § 397 Satz 2 FamFG keinen „Nichtigkeitsgrund“. Sofern in der Literatur diese Sanktionslücke dadurch zu korrigieren versucht wird, dass die nichtige, weil unwahre Angabe des Unternehmensgegenstandes der (als „Nichtigkeitsgrund“ i.S.d. Art. 11 lit. b sub. lit. ii GesR-RL taugenden) fehlenden Angabe normativ gleichgestellt wird, scheitert auch dieser Versuch an der Marleasing-Entscheidung, die relevante „Nichtigkeitsgründe“ noch enger, nämlich allzu formal nur als eine sich bereits aus dem Satzungswortlaut erkennbare Nichtigkeit versteht (dazu 12. Aufl., § 75 Rz. 19 f.), was bei der verdeckten Vorratsgründung aber schon ex praemissione nicht der Fall ist162. Der verdeckten Vorratsgründung ist damit (nur) im Rahmen der registergerichtlichen Präventivkontrolle zu entgegnen163. Näheres bei 12. Aufl., § 75 Rz. 20.

158 Hierzu Rohler-Puderbach, RNotZ 2006, 274, 275; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 97 f.; Bayer in FS Goette, 2011, S. 15, 24 f. 159 Zutreffend Winnen, RNotZ 2013, 389, 398 f., der eine hinreichende interne Dokumentation der Fortsetzungsvorbereitung empfiehlt. 160 J. Meyer, ZIP 1994, 1661, 1668; Goette, DStR 2010, 764, 765; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 188 f.; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 77 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 81; Heckschen/Kreußlein in Heckschen/ Heidinger, Kap. 3 Rz. 211; a.A. offenbar Heckschen in Heckschen/Reul/Wienberg, § 4 Rz. 817: keine Pflicht zur Änderung des Unternehmensgegenstandes. 161 Vgl. für viele etwa Altmeppen, Rz. 57; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11a; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 15. 162 A.A. aber Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 15; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 92 (für die AG); 12. Aufl., Rz. 19 (diese Ansicht wird aufgegeben). in diese Richtung auch (allerdings zur nachträglichen Änderung des Unternehmensgegenstandes) Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 75 Rz. 3; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 75 Rz. 16; Hillmann in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 75 Rz. 11; ebenso auch (für die verdeckte Vorratsgründung, wenig konsequent aber dann ihre restriktivere, richtlinienkonforme Bewertung faktischer Änderung des Unternehmensgegenstandes) J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 114 f. einerseits, Rz. 26 andererseits; wie hier aber (für die AG) Winnen in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2018, § 275 AktG Rz. 34 m.w.N. 163 Zutreffend J. Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 275 AktG Rz. 30.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 43 § 3

e) Mängel aa) Unbestimmtheit Sind die Angaben über den Unternehmensgegenstand nur zu unbestimmt, aber vorhanden 41 und nicht nichtig, liegt nach heute gefestigter Meinung nur ein Ordnungsmangel vor164, der nach Eintragung der Gesellschaft geheilt wird. Die Unbestimmtheit kann dem Fehlen einer Angabe selbst dann nicht im Wege der teleologischen Betrachtung gleichgestellt werden165, wenn die Branche nicht hinreichend erkennbar wird (vgl. bei 12. Aufl., § 75 Rz. 18). Allerdings muss eine unbestimmte, weil allzu weite Fassung des Unternehmensgegenstandes stets auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft werden – ist sie überschießend, ist die Angabe nichtig, wenngleich hieraus dennoch kein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75 resultiert (Rz. 42). Die Unbestimmtheit ist aber jedenfalls Eintragungshindernis; hierüber bei Rz. 11. bb) Fehlen, Nichtigkeit Nichtig ist die Angabe des Unternehmensgegenstandes im Fall der Unwahrheit (dazu Rz. 27), 42 zudem bei Angabe eines (aus sonstigen Gründen) verbotenen (§ 134 BGB)166 oder sittenwidrigen (§ 138 BGB)167 Tätigkeitsfeldes. Ein „Nichtigkeitsgrund“ i.S.d. § 75 bzw. § 397 Satz 2 FamFG wird darin kaum einmal liegen, weil sich – entgegen der wohl überwiegend vertretenen Meinung – durch die gebotene richtlinienkonforme Auslegung nach Maßgabe der kritikwürdigen Marleasing-Entscheidung des EuGH168 ein Rückgriff auf den tatsächlich ausgeübten Unternehmensgegenstand verbietet169, die Nichtigkeit vielmehr bereits aus dem Satzungstext ersichtlich sein muss; vgl. den Nichtigkeitsgrund des Art. 11 Nr. 2 lit. b der Publizitätsrichtlinie (= Art. 12 lit. b sub. lit. iii n.F. 2009, heute enthalten in Art. 11 lit. b sub. lit. ii GesR-RL) und hierüber ausführlich m.w.N. bei 12. Aufl., § 75 Rz. 19 f. Ungeachtet dessen liegt (und zwar unabhängig von der Rechtswidrigkeit des tatsächlich ausgeübten Unternehmensgegenstandes) in der schieren Abweichung von tatsächlichem und statutarischem Unternehmensgegenstand ein zur Nichtigkeit i.S.d. § 134 BGB führender Verstoß gegen das Gebot der Gegenstandswahrheit, der selbstverständlich im Stadium bis zur Eintragung und damit außerhalb des Anwendungsbereichs des Art. 11 lit. b sub. lit. ii GesR-RL sanktioniert werden darf. Denkbare Nichtigkeitsgründe können sich allerdings bei den in 13. Aufl., § 1 Rz. 40 f. 43 genannten Fällen ergeben, die freilich regelmäßig zugleich mit einer Verfolgung eines rechtswidrigen Gesellschaftszwecks verbunden sind. Praktische Relevanz kommt insoweit überdies den Fällen zu, bei denen geschützte Bezeichnungen isoliert oder in Wortverbindung („Bank“ oder „Kapitalverwaltung“) im Unternehmensgegenstand genannt werden, obgleich eine Erlaubnis „zur Bezeichnung des Geschäftszwecks“ (vgl. §§ 39 f. KWG, § 3 KAGB) erforderlich wäre; auch dies wird zur Nichtigkeit der Angabe nach § 134 BGB und damit zum Eintragungshindernis führen. Wegen der als abschließend zu verstehenden, aber nur auf den un164 Vgl. etwa Altmeppen, § 75 Rz. 11; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 75 Rz. 14; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 75 Rz. 18. 165 A.A. jedoch Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 238 ff. 166 Vgl. etwa Bachmann in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 275 AktG Rz. 10 mit dem Beispiel eines Gegenstandes, der auf Geldwäsche, Hehlerei oder verbotenes Glücksspiel gerichtet ist. 167 S. J. Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 275 AktG Rz. 28 mit dem Beispiel eines Gegenstandes, der auf die Organisation von Steuerhinterziehungen zielt. 168 EuGH v. 13.11.1990 – Rs. C-106/89, Slg. 1990 I 4135 – Marleasing = DB 1991, 157. 169 Ebenso die h.L. im Aktienrecht, vgl. etwa Bachmann in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 275 AktG Rz. 11; Winnen in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2018, § 275 AktG Rz. 36 f.; J. Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 275 AktG Rz. 23; a.A. (Nichtigkeitsgrund) aber Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, § 75 Rz. 3; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 75 Rz. 16; ferner Pfisterer in Saenger/ Inhester, Rz. 12.

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§ 3 Rz. 43 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages zulässigen Firmengebrauch bezogenen registerrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten (vgl. § 43 Abs. 2 KWG) hat allerdings eine Amtslöschung nach § 397 FamFG und damit konsequent wohl auch ein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75 auszuscheiden; alternativ, aber weniger überzeugend, könnte die Sperrwirkung auch allein auf die registerrechtlichen Eingriffsmittel beschränkt und damit der Nichtigkeitsklage Raum gegeben werden (vgl. auch 12. Aufl., § 75 Rz. 18). cc) Mängel infolge (tatsächlicher oder statutarischer) Änderungen 44 Fallen tatsächlich ausgeübter und im Gesellschaftsvertrag deklarierter Unternehmensgegen-

stand nachträglich dauerhaft auseinander, womit dem Wahrheitsgebot insoweit nicht mehr entsprochen wird, führt dies zwar nicht zur Nichtigkeit i.S.d. § 134, weil sich der Verstoß gegen das Verbotsgesetz bei Vornahme des Rechtsgeschäfts (hier also: bei Beurkundung des Gesellschaftsvertrages) zu ereignen hat170. Allemal liegt aber eine entsprechende Anwendung des § 75 bzw. § 397 Satz 2 FamFG nahe171, denn weil den Vorgaben des § 3 Abs. 1 Nr. 2 dauerhaft zu entsprechen ist, dürfte jedenfalls das darin enthaltene und insoweit auch im Verlauf verletzbare Wahrheitsgebot eine derartige erweiternde Anwendung gebieten172. Nach dem bei 12. Aufl., § 75 Rz. 21 Gesagten steht aber auch hier (vgl. Rz. 42) die richtlinienkonform enge Auslegung dieser Bestimmungen entgegen, würde doch auf den tatsächlich ausgeübten Unternehmensgegenstand zurückzugreifen sein, um den Nichtigkeitsgrund zu begründen, was die Marleasing-Entscheidung aber gerade untersagt173. Bei alledem ist freilich stets die Differenzierung zwischen echter Nichtigkeit des Satzungsbestandteils und „Nichtigkeitsgrund“ i.S.d. § 75 bzw. § 397 Satz 2 FamFG zu unterscheiden; nur auf Letzteres aber bezieht sich die Marleasing-Entscheidung. Die tatsächliche (und damit korporativ nicht wirksam gewordene) Änderung des Unternehmensgegenstandes bleibt damit nicht gänzlich sanktionslos. Denn die Geschäftsführer überschreiten ihre Geschäftsführungsbefugnis, wenn sie nachträglich ohne vorhergehende Satzungsänderung den statutarischen Tätigkeitsbereich der Ge-

170 BayObLG v. 20.2.2002 – 3Z BR 380/01, GmbHR 2002, 490, 491 (zur Sitzverlegung): Nichtigkeit gemäß § 134 BGB trete nicht durch eine nachträgliche Veränderung der Umstände ein, vielmehr müsse der Gesetzesverstoß im Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts gegeben sein; BayObLG v. 29.6.1979 – BReg. 3 Z 83/76, BayObLGZ 1979, 207, 208 f. = GmbHR 1980, 11 zur Firma, die nachträglich durch Änderung des Geschäftsbetriebs unzulässig geworden ist; hierdurch könne eine ursprünglich zulässige Bestimmung des Gesellschaftsvertrags über die Firma nicht nichtig werden; BayObLG v. 8.3.1982 – BReg. 1 Z 71/81, BayObLGZ 1982, 140, 141 ff. = GmbHR 1983, 152; BayObLG v. 26.3.1981 – BReg. 1 Z 126/80, GmbHR 1981, 195 (LS) zum nachträglichen Auseinanderfallen von satzungsmäßigem und tatsächlichem Geschäftssitz einer GmbH im Kontext des damaligen § 4 a.F.; s. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12. 171 Dafür Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 15, der trotz dogmatischer Bedenken für eine analoge Anwendung der Vorschriften stimmt; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 75 Rz. 3; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 75 Rz. 16, insoweit aber ohne auf die Marleasing-Entscheidung einzugehen; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23 unter Verweis auf die Nachbesserungsmöglichkeiten der Gesellschafter im Amtslöschungsverfahren (dagegen aber bei § 75 Rz. 9); für § 399 FamFG jedoch (nicht überzeugend und ohne Begründung) Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 13. 172 Für die Zwecke des § 3 Abs. 1 Nr. 2 kommt es dabei stets darauf an, ob die Abweichung zwischen tatsächlichem und statutarischem Unternehmensgegenstand eine dauerhafte ist; anderenfalls (bei punktuellen Abweichungen) liegt lediglich ein sog. faktischer (pflichtwidriger) Satzungsverstoß vor bzw. kommen – sollte die Abweichung durch die Gesellschafter mittels einfachen Mehrheitsbeschlusses angewiesen worden sein – die bei 12. Aufl., § 53 Rz. 26 ff. geschilderten Grundsätze satzungsdurchbrechender Beschlüsse zum Tragen. 173 Zustimmend J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 36; ebenso Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; m.w.N. bei 12. Aufl., § 75 Rz. 21.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 46 § 3

sellschaft dauerhaft verlassen (§ 37 Abs. 1), d.h. diesen über- oder unterschreiten174, sodass die Gesellschaft ggf. von ihnen Schadensersatz verlangen kann (§ 43 Abs. 2). Außerdem kann die nachträgliche faktische Änderung zur Folge haben, dass eine etwaig gewählte Sachfirma nunmehr unzulässig wird, weil sie jetzt täuschend, nämlich einen in Wahrheit nicht ausgeübten Unternehmensgegenstand suggerierend, wirkt (§ 5 UWG; § 18 Abs. 2 HGB). Wird ein neuer oder modifizierter Unternehmensgegenstand durch Satzungsänderung ein- 45 geführt und erweist sich dieser neu eingeführte Unternehmensgegenstand dann als nichtig im Sinne der bei Rz. 42 geschilderten Kriterien, sieht die h.L. darin einen Satzungsmangel, der als Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75 bzw. § 397 Satz 2 FamFG taugen soll175. Diese Gleichsetzung anfänglicher mit nachträglichen Mängeln überzeugt indes nicht, sofern der Satzungsänderungsbeschluss seinerseits nichtig nach Maßgabe des entsprechend heranzuziehenden § 241 Nr. 3 oder Nr. 4 AktG sein sollte. In diesem Fall gilt die ursprüngliche (wirksame) Bestimmung über den Unternehmensgegenstand nämlich mangels wirksam gewordener Satzungsänderung weiter176, nach dem bei 12. Aufl., § 74 Rz. 22 Gesagten allerdings höchstens bis zum Ablauf von drei Jahren seit der Eintragung der nichtigen Satzungsbestimmung im Handelsregister und damit eintretender Heilung177. Nach Heilung bleibt die Amtslöschung des Satzungsänderungsbeschlusses möglich (vgl. § 398 FamFG i.V.m. dem entsprechend anwendbaren § 242 Abs. 2 Satz 3 AktG)178.

6. Betrag des Stammkapitals (§ 3 Abs. 1 Nr. 3) a) Bezifferter und fester Betrag Die GmbH muss nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 ein im Gesellschaftsvertrag betragsmäßig festgesetz- 46 tes Stammkapital als gesollte Reinvermögensgröße haben, das nach § 5 Abs. 1 im Sinne einer Mindestgrenze jedenfalls 25.000 Euro betragen muss (zu höheren spezialgesetzlichen Mindestgrenzen für Kapitalverwaltungsgesellschaften sowie Kreditinstitute bei 13. Aufl., § 5 Rz. 17), im Übrigen aber (ohne Obergrenze!) im Grundsatz nach freiem Ermessen der Gesellschafter bestimmt werden kann. Eine Rechtspflicht zur Festsetzung eines „angemessenen“, jedenfalls nicht eindeutig unzureichenden Stammkapitalbetrages besteht nach heute gefestigter Meinung nicht; darüber bei 13. Aufl., § 5 Rz. 15 f. (zur von der Festsetzung des Stammkapitals zu unterscheidenden Frage nach den Haftungsfolgen unzureichender Eigenkapitalausstattung bei 13. Aufl., § 13 Rz. 139 ff.). Eine Unterschreitung des Mindestbetrages des § 5 Abs. 1 führt ausweislich § 5a Abs. 1 in die Rechtsformvariante der UG (haftungsbeschränkt), wobei sich aus dem Zusammenspiel mit den geschäftsanteilsbezogenen Nennbetragsvorgaben des § 5 Abs. 2 ergibt, dass das dortige Stammkapital mindestens einen vollen Euro betragen muss (darüber bei 13. Aufl., § 5a Rz. 11). Über Begriff und Funktion des Stammkapitals im Einzelnen bei 13. Aufl., § 5 Rz. 7 ff. Unzureichend ist es, und zwar mangels

174 Zu einer Unterschreitung kann es auch kommen, wenn sich die Tätigkeit einer bislang operativ tätigen Gesellschaft infolge eines Gesamtvermögensgeschäfts nunmehr auf die reine Beteiligungsverwaltung beschränkt; vgl. etwa DNotI-Report 2019, 193, 196; Schnorbus in Rowedder/SchmidtLeithoff, § 53 Rz. 22. 175 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 75 Rz. 3; Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 75 Rz. 20. 176 So auch die h.L. im Aktienrecht Winnen in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2018, § 275 AktG Rz. 26; J. Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 275 AktG Rz. 24; im Ergebnis auch Bachmann in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 275 AktG Rz. 12, der allerdings trotz nichtigen Änderungsbeschlusses meint, die Änderung sei Bestandteil der Satzung geworden. 177 Dafür Schäfer in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 242 AktG Rz. 18. 178 Abweichend Lieder in Michalski u.a., Rz. 22: § 398 FamFG angemessener, aber § 75 dadurch nicht ausgeschlossen.

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§ 3 Rz. 46 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages verlangter Festsetzung gerade im Gesellschaftsvertrag, wenn die Stammkapitalhöhe nicht aus diesem selbst, sondern nur aus dem Rahmenprotokoll (darüber bei Rz. 6) oder gar erst in Verbindung mit anderen Urkunden ersichtlich ist, und seien diese auch zum Handelsregister eingereicht179. 47 Die Festsetzung des Stammkapitals hat unbedingt und in bezifferter Höhe zu erfolgen180.

Das Stammkapital seinerseits muss auf einen glatten Euro-Betrag lauten (vgl. aber zum Bestandsschutz für Alt-Gesellschaften mit auf Deutsche Mark lautendem Stammkapital 12. Aufl., § 1 EGGmbHG Rz. 9 ff.), was sich mittelbar aus den Nennbetragsvorgaben des § 5 Abs. 2 ableiten lässt (unzureichend daher die Festsetzung in ausländischer oder gar in Kryptowährung). Ungefähre Angaben („etwa 30.000 Euro“) genügen nicht, ebenso wenig Mindest- („mindestens 50.000 Euro“) oder Höchstgrenzen („bis zu 30.000 Euro“), jeweils auch dann nicht, wenn die Mindestkapitalvorgabe des § 5 Abs. 1 nicht formal verletzt wird (unzulässig daher auch die Angabe „höchstens 50.000 Euro, mindestens aber 25.000 Euro“). Mit dem Gebot bestimmter Festsetzung unvereinbar ist es ferner, die Höhe des Stammkapitals als Variable zu definieren, die sich anhand des Finanzbedarfs des Unternehmens im Sinne eines schwankenden Stammkapitals jeweils konkretisiert181. Einem geänderten Stammkapitalbedürfnis ist vielmehr über die förmlichen Instrumente der Kapitalerhöhung bzw. -herabsetzung Rechnung zu tragen, wobei die Figur des genehmigten Kapitals, das nach § 55a Abs. 1 Satz 1 bereits in der Gründungssatzung geschaffen werden kann, als optionales zukünftiges Zusatzkapital Flexibilisierung ermöglicht, aufgrund seiner optionalen Natur aber freilich nur jenseits des gesetzlichen Mindestbetrages des Stammkapitals eingesetzt werden kann (vgl. 12. Aufl., § 55a Rz. 7). b) Konvergenzgebot 48 Die Stammkapitalziffer muss nach dem Konvergenzgebot des § 5 Abs. 3 Satz 2 mit dem

Gesamtbetrag der Nennbeträge der Geschäftsanteile der Gesellschafter übereinstimmen (und zwar fortlaufend, vgl. auch § 55 Abs. 4, § 58a Abs. 3 Satz 1, ausgenommenen den Fall der Einziehung, bei welchem eine zumindest einstweilige Divergenz toleriert wird, dazu 13. Aufl., § 14 Rz. 7 f.). Trotzdem genügt es nicht, wenn aus dem Gesellschaftsvertrag lediglich die Nennbeträge der von den Gesellschaftern übernommenen Geschäftsanteile (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) ersichtlich sind, ohne deren aufaddierte Summe zu bezeichnen, sodass sich die Höhe des Stammkapitals allein mittelbar aus deren Zusammenrechnung ergibt182. Denn das Gesetz verlangt in § 3 Abs. 1 Nr. 3 unzweideutig die gesonderte Angabe, die als anderenfalls überflüssig gerade nicht mit jener des § 3 Abs. 1 Nr. 4 zusammenfällt. Das Registergericht muss daher eine fehlende Angabe der konkreten Höhe des Stammkapitals beanstanden, ohne dass hierin allerdings für sich genommen ein Nichtigkeitsgrund i.S.d. § 75 liegt183, obgleich formal betrachtet die Angabe i.S.d. § 75 Abs. 1 Var. 1 fehlt (vgl. 12. Aufl., § 75 Rz. 16). 179 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 46; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15. 180 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 10; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14, 46; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. 181 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 46; gewisse Flexibilisierungen lassen sich aber über das genehmigte Kapital erzielen; vgl. darüber die Kommentierung bei § 55a. 182 Vgl. etwa Altmeppen, Rz. 8; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 12; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 28; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 21. 183 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; a.A. (Nichtigkeitsgrund) Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 29.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 49 § 3

– Für die Wahrung des Konvergenzgebots genügt die ziffernmäßige, d.h. formelle, Übereinstimmung zwischen Gesamtbetrag der Nennbeträge und Betrag des Stammkapitals. Der Fall unwirksamer Beitrittserklärungen ist daher nicht für § 3 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 5 Abs. 3 Satz 2 von Relevanz, sondern unterfällt § 3 Abs. 1 Nr. 4184 (hierüber bei Rz. 50). Ein wegen Verletzung des § 3 Abs. 1 Nr. 3 zu beanstandender formeller Verstoß gegen das Konvergenzgebot liegt demgegenüber in einem (z.B. infolge eines Rechenfehlers) fälschlich nicht mit der Summe der Nennbeträge übereinstimmend deklarierten Stammkapitalbetrag; im Fall nicht durch Auslegung zu beseitigender Unklarheit über die Stammkapitalhöhe erwächst hieraus ein Nichtigkeitsgrund (12. Aufl., § 75 Rz. 16 und 13. Aufl., § 5 Rz. 18). c) Änderung der Stammkapitalziffer Eine Änderung der Ziffer des Stammkapitals (Erhöhung oder Herabsetzung) kann vor Ein- 49 tragung der Gesellschaft in das Handelsregister nur durch Änderung des Gesellschaftsvertrags unter Mitwirkung aller Gesellschafter in der Form des § 2 erfolgen185. Es gelten die allgemeinen, bei 13. Aufl., § 2 Rz. 26 ff. dargestellten Grundsätze über Vertragsänderungen im Gründungsstadium (für Anwendung der §§ 55 ff. aber bei 12. Aufl., § 55 Rz. 30). Nach Eintragung der Gesellschaft handelt es sich dagegen um eine mit Dreiviertelmehrheit zu beschließende Satzungsänderung nach Maßgabe der §§ 53 f. i.V.m. den §§ 55 ff. In allen Fällen muss die geänderte Stammkapitalziffer in der nunmehrigen Höhe klar ersichtlich sein, und zwar aus dem Gesellschaftsvertrag, entweder unter (zulässigem und praxisüblichem) Fortfall der bisherigen Stammkapitalziffer186 oder (bei Beibehaltung) unter Schilderung des „Werdegangs“ der Stammkapitalziffer. Es genügt nicht, wenn sich die aktuelle Ziffer des Stammkapitals nur aus der Eintragung im Handelsregister im Verbund mit einer Neubezifferung des Stammkapitalbetrages in der Registeranmeldung i.S.d. § 57 ergibt187. Dem Handelsregister zu übermitteln ist vielmehr stets ein angepasster vollständiger Wortlaut der Satzung unter Berücksichtigung der beschlossenen Kapitalerhöhung (vgl. 12. Aufl., § 57 Rz. 15), wofür bereits der Normzweck des § 3 Abs. 1 Nr. 3 spricht, der dem Rechtsverkehr die rasche und zuverlässige Ermittlung der aktuellen Ziffer des Stammkapitals durch Einsichtnahme in den Gesellschaftsvertrag ermöglichen will188. Das bedeutet allerdings nicht, dass die redaktionelle Neubezifferung der Stammkapitalziffer förmlich zu beschließen wäre, was in der Praxis allerdings regelmäßig geschieht und dieser auch zu empfehlen ist189. Nach heute gefestigter Meinung beinhaltet der satzungsändernde Erhöhungs- oder Herabsetzungsbeschluss nicht nur materiell, sondern – implizit – auch eine formale Änderung der statutarisch festgesetzten Stammkapitalziffer190 (was freilich nur überzeugend begründbar ist, wenn der Kapital-

184 Altmeppen, § 75 Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 30; J. Schmidt in Michalski u.a., § 2 Rz. 150; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 45. 185 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15. 186 Das ist zulässig; vgl. etwa KG v. 12.8.1937 – 1 Wx 353/37, JW 1937, 2655; Altmeppen, Rz. 66; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 21. 187 So aber wohl Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 55 Rz. 3 i.V.m. § 57 Rz. 5, der § 57 als lex specialis gegenüber § 54 Abs. 1 Satz 2 sieht. 188 Zutreffend in diesem Sinne etwa Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 21; a.A. jedoch Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 19. 189 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 55 Rz. 8; Herrmanns in Michalski u.a., § 55 Rz. 18; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 64. 190 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 147, 148; Herrmanns in Michalski u.a., § 55 Rz. 19; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 64; a.A., soweit ersichtlich, nur Ziemons in BeckOK GmbHG, 49. Edition, Stand: 1.8.2021, § 55 Rz. 56; die dem Beschlussinhalt nicht diese implizite Aussage entnehmen will und daher eine Satzungsanpassung fordert; dem zuneigend Blath in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2021, § 6 Rz. 455 m. Fn. 604.

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§ 3 Rz. 49 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages erhöhungsbeschluss die neue Stammkapitalziffer – und nicht nur den Änderungsbetrag – ausdrücklich benennt)191. Das soll nach dem bei 12. Aufl., § 55 Rz. 37 im Einklang mit der h.L. Gesagten selbst dann gelten, wenn der Kapitalerhöhungsbeschluss den Betrag, um den das Kapital erhöht werden soll, nur als Höchstbetrag ersichtlich macht („Um-bis-zu-Kapitalerhöhungen“), was allerdings den Beschlussinhalt überdehnt192. Näher zum Ganzen, auch zu im Einzelfall erforderlichen förmlichen Anpassungsbeschlüssen zur Vermeidung irreführender Fassungen des Gesellschaftsvertrages bei 12. Aufl., § 55 Rz. 37.

7. Zahl und Nennbeträge der gegen Einlage zu übernehmenden Geschäftsanteile (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) a) Bedeutung 50 Zum Mindestinhalt gehören nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 schließlich die Zahl und der jeweilige

Nennbetrag der Geschäftsanteile (als fester Betrag in beliebigen, allerdings vollen Euro-Beträgen, gleichermaßen bei Bar- wie bei Sacheinlagen), die jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital übernimmt. Hiermit wird zum einen die Notwendigkeit ausgedrückt, entsprechende (formelle) Festsetzungen im Gesellschaftsvertrag zu treffen. Zum anderen kommt der Bestimmung materieller Gehalt zu, verpflichten die entsprechenden Festsetzungen doch den jeweiligen Gesellschafter zur Einlageleistung (vgl. auch 13. Aufl., § 14 Rz. 5). Die Beteiligungserklärungen der Gründungsgesellschafter behandelt das GmbHG seit jeher im Gegensatz zum Aktienrecht (vgl. dort Art. 209, 209d ADHGB; §§ 182, 188 HGB; §§ 16, 22 AktG 1937; §§ 23, 29 AktG 1965) als einen im Rechtscharakter mit den übrigen notwendigen statutarischen Bestimmungen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1–3) übereinstimmenden Bestandteil des Gesellschaftsvertrages, vgl. § 2 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4193. Sie sind daher nicht als individualrechtliche Beziehungen zwischen den Gründern untereinander bzw. zwischen diesen und der Gesellschaft zu verstehen, sondern gesellschaftlicher Natur. Vor diesem Hintergrund genügt es mit dem bei Rz. 6 m.N. Gesagten nicht – was zuweilen in der Praxis übersehen wird –, die Angaben des § 3 Abs. 1 Nr. 4 allein in das Gründungsprotokoll, nicht aber in den Gesellschaftsvertrag aufzunehmen (die gegenteilige Ansicht bei Rz. 52 in der 12. Aufl. wird aufgegeben).

191 Zu Recht in diese Richtung Herrmanns in Michalski u.a., § 55 Rz. 16, wonach entweder der Kapitalerhöhungsbeschluss oder der Satzungsanpassungsbeschluss die neue Stammkapitalziffer benennen muss; dem folgend Blath in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2021, § 6 Rz. 455 mit praktischen Gestaltungshinweisen. 192 Im Fall von „Um-bis-zu-Kapitalerhöhungen“ ist die Frage streitig, wer für die Satzungsanpassung im Hinblick auf die neue Stammkapitalziffer zuständig ist, die erst nach Fristablauf feststeht; darüber bei 12. Aufl., § 53 Rz. 19, 37. 193 Vgl. BGH v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300, 303 = GmbHR 1959, 149: Angabe der Gründer ist wesentlicher Bestandteil des Gesellschaftsvertrages (dort allerdings mit Verweis auf § 2, was freilich der damals weniger klaren Formulierung des § 3 geschuldet sein dürfte); M. Lutter, Kapitalaufbringung, 1964, S. 90; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 14; C. Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 8; anders noch Feine in Ehrenbergs Hdb. III/3, S. 166; demgegenüber geht die h.L. im Aktienrecht davon aus, dass die Feststellung der Satzung von der Aktienübernahmeerklärung zu unterscheiden ist; vgl. hierfür Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 2 AktG Rz. 18; für einheitliche Betrachtung aber auch dort Koch, 16. Aufl. 2022, § 23 AktG Rz. 16; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 2 AktG Rz. 27.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 54 § 3

b) Einlage und Geschäftsanteil aa) Übernahme eines Geschäftsanteils Jeder Gesellschafter hat „gegen Einlage“, d.h. unter gleichzeitiger Begründung der Verpflich- 51 tung zur Geld- und/oder Sacheinlageleistung auf das Stammkapital, mindestens (vgl. § 5 Abs. 2 Satz 2) einen Geschäftsanteil zu übernehmen (vgl. auch § 14 Satz 1 und 2); wer keinen Geschäftsanteil übernimmt, wird nicht Gesellschafter. Der Geschäftsanteil bringt das rechtsnotwendig von der Einlageleistungsverpflichtung abhängende Mitgliedschaftsrecht auf den Begriff, das sich im Recht auf Mitverwaltung und Gewinnbeteiligung ausdrückt. Geschäftsanteil und Einlage sind in diesem Sinne und zudem dadurch aufeinander bezogen, dass nach § 14 Satz 1 bei Errichtung der Gesellschaft die geschuldete Einlagenhöhe dem im Statut festgesetzten Nennbetrag des jeweiligen Geschäftsanteils folgt (zur Einlagenhöhe im Fall der Kapitalerhöhung 13. Aufl., § 14 Rz. 6); Unterschreitungen sind unzulässig (Verbot der „Unterpari-Emission“), korporativ vereinbarte Überschreitungen (durch Zuzahlungen oder Einbringung eines höherwertigen Sacheinlagegegenstandes) sind als Aufgeld (Agio) zu verbuchen, nicht aber Teil der gläubigerschützenden Einlagepflicht (hierzu bei Rz. 78 f.). bb) Nennbetrag Jeder Geschäftsanteil muss auf einen bestimmten (in Euro bezifferten) Nennbetrag lauten 52 (zu der hiermit verbundenen Identifizierungsfunktion der Nennbeträge bei 13. Aufl., § 14 Rz. 9). Das Verhältnis der Nennbeträge der jeweils übernommenen Geschäftsanteile zueinander (nicht jenes des Geschäftsanteils zum Stammkapital (!), vgl. 12. Aufl., § 72 Rz. 13) spiegelt das Maß der Beteiligung der einzelnen Gesellschafter wider, und zwar in dem Sinne, dass überall dort, wo es für Gesellschafterrechte auf die relative Größe des Geschäftsanteils ankommt, der Nennbetrag maßgebend ist, ohne dass nach der Höhe der konkret geleisteten Einlage oder auf mit ihm verbundene Vorrechte abgestellt würde (vgl. § 24, § 26 Abs. 3, § 29 Abs. 3, § 31 Abs. 4, § 47 Abs. 2, § 72). Doch folgt aus dem Nennbetrag nur im Ausgangspunkt, nicht aber zwingend der Umfang des jeweiligen Gesellschaftsrechts: So kann jeder Gesellschafter noch zu Nebenleistungen verpflichtet sein (§ 3 Abs. 2, dazu Rz. 64 ff.); überdies können das Stimmverhältnis (vgl. § 47 Abs. 2) sowie der Verteilungsmaßstab für Ergebnisverwendung (§ 29 Abs. 3 Satz 1) und Liquidationserlös (§ 72 Satz 1; dazu 12. Aufl., § 72 Rz. 13 f.) durch den Gesellschaftsvertrag in anderer Weise als nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile bestimmt werden. cc) Fälligkeit Angaben zur Fälligkeit der Einlagen sind kein notwendiger Bestandteil des Gesellschaftsver- 53 trags. Soweit die Einlagen Sacheinlagen sind, müssen diese schon vor Anmeldung vollständig bewirkt sein (§ 7 Abs. 3); soweit sie Geldeinlagen sind, muss der gesetzliche Mindestbetrag vor Anmeldung eingezahlt sein, und zwar im Zweifel jeweils sofort (§ 271 Abs. 1 BGB). Über die Einforderung weiterer Geldeinlagen bis zur Volleinzahlung des Nominalbetrages beschließen bei Schweigen des Gesellschaftsvertrags ausweislich § 46 Abs. 2 die Gesellschafter, woraufhin die Einlagen mit Anforderung durch den Geschäftsführer fällig werden (vgl. zu dieser im Einzelnen umstrittenen Frage bei 12. Aufl., § 46 Rz. 49) – der Gesellschaftsvertrag kann aber bestimmte Fälligkeitstermine vorgeben, womit zugleich ein Einforderungsbeschluss entbehrlich wird, vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 52. c) Zahl der Geschäftsanteile Anzugeben ist zum einen die Gesamtzahl der ausgegebenen Geschäftsanteile, zum anderen 54 die Anzahl der Geschäftsanteile in der Hand eines Gesellschafters. Die Notwendigkeit letzScheller | 239

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§ 3 Rz. 54 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages terer Angabe trägt dem Umstand Rechnung, dass jeder Gesellschafter ausweislich § 5 Abs. 2 Satz 2 bereits bei Errichtung der Gesellschaft mehrere und beliebig viele Geschäftsanteile – gleichviel, ob mit identischem oder unterschiedlichem Nennbetrag (vgl. § 5 Abs. 3 Satz 1) – übernehmen kann194 (dazu näher bei 13. Aufl., § 5 Rz. 22 f.). Diese seit dem MoMiG bestehende Möglichkeit der Mehrfachbeteiligung reduziert jedenfalls potentiell den personalistischen Charakter der GmbH, lässt sie doch zu, dass die Gründungsgesellschafter durch den Erwerb mehrerer Geschäftsanteile von vornherein auf den Handel mit ihnen abzielen. Dieser Effekt kann durch die Zergliederung des Stammkapitals in Geschäftsanteile mit dem geringstmöglichen Nennbetrag von jeweils einem Euro noch verstärkt werden. Welches Zergliederungsmaß gewählt wird, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit, die unter Rückgriff auf die geplante Realstruktur der Gesellschaft zu beantworten ist. Eine Pflicht zur Nummerierung der gebildeten Geschäftsanteile im Gesellschaftsvertrag enthält § 3 Abs. 1 Nr. 4 nicht195, und zwar weder für die Gesamtheit der Geschäftsanteile noch für jene in der Hand eines Gesellschafters; doch entspricht die dortige Nummerierung gängiger Praxis. Da die Vergabe fortlaufender Nummern für die Geschäftsanteile zwecks deren Kennzeichnung in der Gesellschafterliste (§ 40 Abs. 1 Satz 1) ohnehin erfolgen muss, empfiehlt sich dieses Vorgehen auch, allerdings nur, sofern das von § 40 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 GesLV geforderte Ordnungssystem (ganze arabische Zahlen) verwandt wird. Eine von diesen Vorgaben abweichende Nummerierung im Gesellschaftsvertrag wäre vom Registergericht im Eintragungsverfahren zu beanstanden, bildete allerdings keinen Nichtigkeitsgrund. Enthält der Gesellschaftsvertrag eine fortlaufende Nummerierung der Geschäftsanteile unter Zuordnung derselben zu den jeweiligen Gesellschaftern, erübrigt sich damit die (gleichwohl zu empfehlende) gesonderte Bezifferung der Anzahl der Geschäftsanteile in der Hand eines jeden Gesellschafters. Weder gesetzlich gefordert noch zweckmäßig (allerdings rechtlich nicht zu beanstanden) ist demgegenüber die Angabe der jeweiligen geschäftsanteils- bzw. gesellschafterbezogenen prozentualen Beteiligung am Stammkapital196, wie sie § 40 Abs. 1 Satz 1 und 3 für die Gesellschafterliste fordert. d) Angabe der Gesellschafter aa) Gründungsgesellschafter 55 § 3 Abs. 1 Nr. 4 verlangt nach heute h.L.197 schließlich die Angabe der Personen der Grün-

dungsgesellschafter im Gesellschaftsvertrag, obgleich dem Wortlaut diese Pflichtangabe nicht mit letzter Klarheit entnommen werden kann (die zuweilen angeführte Wendung: „Geschäftsanteile, die jeder Gesellschafter … übernimmt“198, ist für die Begründung unergiebig). Vormals, allerdings zu § 3 Abs. 1 Nr. 4 a.F., wurde denn auch weniger auf diese Bestimmung als vielmehr auf die Notwendigkeit der Beurkundung des Gründungsstatuts und damit auf § 2 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 1 BeurkG verwiesen199. Die Pflicht zur Nennung der Gründungs194 Begr. RegE BT-Drucks. 354/07, S. 63. 195 Tebben, RNotZ 2008, 441, 456; Melchior, NotBZ 2010, 213, 214; Wicke, MittBayNot 2010, 283, 285 aber möglich; Altmeppen, Rz. 9; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16; Heidinger in MünchKomm. GmbHG, § 40 Rz. 63. 196 Selbige Einschätzung bei Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; für untunlich hält dies Melchior, NotBZ 2017, 281, 284; für fehlende Notwendigkeit der Aufnahme der Prozentangaben ferner Altmeppen, Rz. 9. 197 Heute weitgehend unstreitig; vgl. etwa Altmeppen, Rz. 12; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 24. 198 Daraus leiten Altmeppen, Rz. 12; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34 ab, dass sich aus § 3 Nr. 1 Abs. 4 ergebe, dass die Gründer im Gesellschaftsvertrag anzugeben sind. 199 Vgl. auch bereits BGH v. 12.7.1956 – II ZR 218/54, BGHZ 21, 242, 246 = GmbHR 1956, 139 sowie BGH v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300 = GmbHR 1959, 149, 150: Angabe der Gründer wesentlicher Bestandteil des Gesellschaftsvertrages (vgl. § 2).

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 56 § 3

gesellschafter ergibt sich aber jedenfalls vor dem Hintergrund, dass aus dem Gesellschaftsvertrag die Übernehmer der Geschäftsanteile eindeutig erkennbar sein müssen. Bei der praxisüblichen Aufspaltung des Errichtungsaktes in ein Gründungsprotokoll mit dem als Anlage (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG) beigefügten Gesellschaftsvertrag wird man im Lichte der für das Gründungsprotokoll einschlägigen Bezeichnungsvorgaben der § 9 Abs. 1 Nr. 1, § 10 Abs. 2 BeurkG i.V.m. § 26 Abs. 2 DONot allerdings keine allzu strengen Anforderungen an die individualisierenden Angaben im als Anlage beigefügten Gesellschaftsvertrag zu stellen haben. Dies gilt umso mehr, als die Gesellschafterliste die (jeweiligen) Gesellschafter dauernd ersichtlich macht, und zwar unter im Wesentlichen identischen Identifizierungsmerkmalen, wie sie auch im Rahmen des § 10 Abs. 2 BeurkG verlangt werden. Indes müssen die Gründungsgesellschafter im Satzungstext trotz alledem wenigstens namentlich (wenngleich nicht notwendig unter Hinzufügung von Geburtsdatum oder Wohnort200) genannt werden; die mitunter anzutreffende Bezeichnung als „Erschienener zu 1“ o.Ä. ist jedenfalls unzureichend. Die Art und Weise der Bezeichnung der Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag sollte sich als Zweckmäßigkeitsregel an den Vorgaben für die Bezeichnung in der Gesellschafterliste orientieren, sodass insoweit auf die Ausführungen bei § 40 verwiesen werden kann, ohne dass diese Ausrichtung allerdings gesetzlich gefordert wäre201. bb) Veränderungen im Gesellschafterkreis Das Gesetz schreibt nicht vor, dass im Gesellschaftsvertrag die jeweiligen Gesellschafter (jen- 56 seits der Gründungsgesellschafter) genannt werden; für die Ersichtlichmachung der jeweiligen aktuellen Gesellschafter sorgt insoweit allein die Gesellschafterliste, welche diese Funktion auch effektiver ausüben kann, entfaltet doch nur sie (nicht aber die Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag) die Legitimationswirkung i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1. Die früher mitunter vertretene Ansicht, die es darüber hinausgehend sogar für unzulässig halten wollte, im Wege der Satzungsänderung die jeweils aktuellen Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag zu benennen, hat sich zu Recht nicht durchgesetzt. Denn rechtlich spricht im Grundsatz nichts dagegen, in den Gesellschaftsvertrag eine deklaratorische Feststellung über die gegenwärtigen Beteiligungsverhältnisse aufzunehmen202, wenngleich diese Aufnahme nur im Ausnahmefall (etwa bei unterschiedlichen Gattungen von Geschäftsanteilen)203 zweckmäßig ist. Wird hierdurch indes der irreführende Eindruck erweckt, es handele sich bei diesen um die Gründungsgesellschafter (etwa, weil anstelle eines ursprünglichen Gesellschafters dessen Rechtsnachfolger als „Übernehmer der Stammeinlage“ angeführt wird), ist diese irreführende Satzungsangabe unzulässig204. Weil das Gründungsstatut allerdings bei den Registerakten ver-

200 A.A. (Anschrift erforderlich) Altmeppen, Rz. 12; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; für Wohnortangabe Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24; tendenziell zu streng auch noch 12. Aufl., Rz. 51. 201 Tendenziell strenger allerdings Altmeppen, Rz. 12; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 55; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 922; missverständlich noch in diese Richtung auch die 12. Aufl., Rz. 51. 202 OLG Frankfurt v. 27.3.1973 – 20 W 543/72, GmbHR 1973, 172, 173; LG Stuttgart v. 9.5.1972 – 4 KfH T 7/72, NJW 1972, 1997; LG Dortmund v. 18.4.1978 – 19 T 20/77, GmbHR 1978, 235: Feststellung, wer welche Gesellschaftsanteile hält, gehört nicht zum materiellen Teil einer Gesellschaftssatzung, sondern ist deklaratorischer Natur; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21; einschränkend OLG Hamm v. 18.12.1995 – 15 W 413/95, GmbHR 1996, 363, 365: nicht zulässig, wenn durch die Anmeldung der Eindruck erweckt wird, bei den neuen Gesellschaftern handele es sich um die Gründungsgesellschafter. 203 Priester, GmbHR 1973, 169, 170 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57. 204 OLG Hamm v. 18.12.1995 – 15 W 413/95, GmbHR 1996, 363, 365.

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§ 3 Rz. 56 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages bleibt, sollte nur zurückhaltend von einer solchen Irreführung ausgegangen werden, obgleich freilich der Gesellschaftsvertrag aus sich heraus verständlich bleiben muss. Eine andere Frage ist diejenige, ob spätere Veränderungen im Gesellschafterkreis, vor allem im Zuge einer Kapitalerhöhung, eine Streichung oder Anpassung der Angaben über die Gründungsgesellschafter vonnöten macht. Dies kann erforderlich sein, sofern anderenfalls der Eindruck eines Verstoßes gegen das Kongruenzgebot entsteht, weil die durch Kapitalerhöhung erhöhte Stammkapitalziffer (scheinbar) nicht mehr der Summe der im Gesellschaftsvertrag deklarierten Nennbeträge der Geschäftsanteile entspricht205. Abhilfe schafft hier die Streichung der Angaben des § 3 Abs. 1 Nr. 4 oder die Herstellung eines ausdrücklichen Bezugs zu den Gründungsgesellschaftern (etwa: „bei der Gründung wurden folgende Geschäftsanteile übernommen …“). e) Streichung der Angaben 57 Obwohl den Anforderungen des § 3 Abs. 1 im Grundsatz dauernd zu genügen ist (darüber

bei Rz. 4), gilt Abweichendes für die Angaben nach § 3 Abs. 1 Nr. 4. So dürfen sie jedenfalls dann als überholt gestrichen werden (und zwar durch Satzungsänderung, vgl. dazu 12. Aufl., § 53 Rz. 21 ff.), wenn die Einlagenverpflichtungen vollständig erfüllt sind206. Streitig ist allein, ob dies selbst dann gilt, wenn die Einlagen noch nicht vollständig erbracht wurden. Eine ähnliche, indes nicht völlig gleich gelagerte Frage stellt sich, sofern nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. § 5 Abs. 4 Satz 1 Sacheinlagen festgesetzt wurden (vgl. dazu bei 12. Aufl., § 53 Rz. 24). Wenn die im Vordringen befindliche Meinung, jedenfalls bei Bareinlagepflicht, für eine Möglichkeit der Streichung bei späteren Änderungen des Gesellschaftsvertrages ohne zeitliche Einschränkung plädiert207, steht dahinter der Gedanke, die Evidenzhaltung der Gründungs205 BayObLG Beschl. v. 5.7.1971 – BReg. 2 Z 93/70, BayObLGZ 1971, 242, 244 ff.; Herrmanns in Michalski u.a., § 55 Rz. 19; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 29, § 55 Rz. 22. 206 Ganz h.M.; vgl. nur KG v. 10.8.1939 – 1 Wx 469/39, DR 1939, 2162, 2163 m. zustimmender Anm. Groschuff; KG v. 1.6.1943 – 1 Wx 157/43, DR 1943, 983, 984; BayObLG v. 27.11.1970 – BReg. 2 Z 59/70, GmbHR 1971, 139 f.; OLG Karlsruhe v. 14.12.1971 – 11 W 68/71, Rpfleger 1972, 309, 310 m. zustimmender Anm. E. Groß; OLG Köln v. 30.12.1971 – 2 Wx 102/71, DNotZ 1972, 623; OLG Frankfurt a.M. v. 4.3.1981 – 20 W 370/80, GmbHR 1981, 243 (LS) = BB 1981, 694, 695; LG Köln v. 9.9.1983 – 87 T 7/83, GmbHR 1985, 24, 25; OLG Hamm v. 27.1.1984 – 15 U 416/83, OLGZ 1984, 266 f. = Rpfleger 1984, 274. 207 BGH v. 6.6.1988 – II ZR 318/87, ZIP 1988, 1046, 1047; BayObLG v. 13.11.1996 – 3Z BR 168/96, GmbHR 1997, 73, 74; offenlassend OLG Rostock v. 8.2.2011 – 1 W 81/10, GmbHR 2011, 710; anders OLG Hamm v. 27.1.1984 – 15 W 416/83, OLGE 84, 266; LG Köln v. 9.9.1983 – 87 T 7/83, GmbHR 1985, 24; Priester, GmbHR 1973, 169, 170; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 29; auch bei Sacheinlagepflicht Altmeppen, Rz. 13; Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 25; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 24. Bei der Streichung der Festsetzungen über Sacheinlagen wird überwiegend die fünfjährige Sperrfrist des § 27 Abs. 5 AktG i.V.m. § 26 Abs. 4 AktG (die eigentlich nur „Veränderungen“, nicht aber „Streichungen“ behandelt) entsprechend herangezogen (vgl. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Schnorbus in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 29), nicht aber auf den an sich Streichungen erst 30 Jahre nach Eintragung gestattenden § 26 Abs. 5 AktG entsprechend zurückgegriffen (s. dazu auch bei 13. Aufl., § 5 Rz. 86, wo eine entsprechende Anwendung des § 9 Abs. 2 und damit eine zehnjährige Frist vertreten wird). Diese Analogien überzeugen allerdings nicht. Da auch die Festsetzungen über Sacheinlagen in der ursprünglichen Satzung einsehbar bleiben, besteht kein Bedürfnis für eine Sperrfrist für Streichungen. Diese kann schon im Aktienrecht in ihrer Länge kaum überzeugen, erst recht ist aber bei der regelmäßig personalistisch strukturierten GmbH den Interessierten (vor allem dem Insolvenzverwalter) zuzumuten, in die Gründungssatzung Einblick zu nehmen; ebenso Altmeppen, Rz. 13; Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 25; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 58 § 3

gesellschafter als mögliche Einlage- bzw. Ausfallhaftungsschuldner sei zum Gläubigerschutz nicht erforderlich, da auch die Gründungssatzung im Handelsregisterordner (§ 9 Abs. 1 Satz 1 HRV) jederzeit einsehbar sei (§ 9 Abs. 1 HGB). Dies gilt seit dem EHUG und der damit verbundenen Umstellung auf ein elektronisch geführtes Handelsregister umso mehr: Das Gründungsstatut ist jederzeit (vorbehaltlich § 9 Abs. 2 HRV) elektronisch im Handelsregisterordner abrufbar. Zudem wird die Ersichtlichmachung der jeweils aktuellen (!) Angaben über die Gesellschafter und die Nennbeträge der von ihnen übernommenen Geschäftsanteile über die seit dem MoMiG208 und nochmals seit dem Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie209 aufgewertete Gesellschafterliste (vgl. § 40 Abs. 1) sichergestellt. Vor diesem Hintergrund spricht viel für eine Änderung der Normsituation, sodass die Angaben nach § 3 Abs. 1 Nr. 4, obgleich rechtsnotwendiger Bestandteil des Gesellschaftsvertrages, bereits entfallen dürfen, bevor sie durch Erfüllung gegenstandlos geworden sind (vgl. auch 12. Aufl., § 53 Rz. 23, dort allerdings unter Verweis auf den hier abgelehnten Charakter der Pflichtangaben des § 3 Abs. 1 Nr. 4 als lediglich formelle Satzungsbestandteile). Im Übrigen ist es möglich, dass sich Zahl- und Nennbeträge der Geschäftsanteile auch außerhalb des Gesellschaftsvertrages (und damit ohne entsprechende Satzungsanpassung) durch Teilung, Zusammenlegung oder Einziehung verändern210, sodass die Gründungssatzung ohnehin nicht dauerhaft ein zutreffendes Bild der Beteiligungsverhältnisse an der eingetragenen Gesellschaft vermittelt. Die Streichung muss insoweit also der Klarheit nicht abträglich sein.

III. Freiwilliger Inhalt des Gesellschaftsvertrages i.S.d. § 3 Abs. 2 Var. 1: Zeitbestimmung 1. Begriff und Bedeutung Wenn § 3 Abs. 2 Var. 1 davon spricht, dass „das Unternehmen“ (besser: die Gesellschaft) auf 58 eine „gewisse Zeit“ beschränkt werden kann, wofür es der Aufnahme der Zeitbestimmung in den Gesellschaftsvertrag bedarf, ist diese Vorgabe zusammen mit § 60 Abs. 1 Nr. 1 zu lesen, wonach die Gesellschaft mit Ablauf der Zeitdauer automatisch in das Liquidationsstadium überführt wird. Der Gesellschaftsvertrag braucht indes keine derartige Zeitbestimmung (also eine auflösende Befristung) zu enthalten (sie ist ein fakultativer Bestandteil desselben) und tut dies, weil unzweckmäßig, in der Praxis regelmäßig auch nicht. Dann besteht die Gesellschaft im Grundsatz auf unbestimmte Zeit; als Auflösungsgründe kommen in diesem Fall nur die in § 60 Abs. 1 Nr. 2–7 genannten in Betracht. Ein Auflösungsbeschluss (§ 60 Abs. 1 Nr. 2) mit Wirkung vor einem statutarisch bestimmten Zeitablauf – sofern als Festlaufzeit, nicht als Höchstdauer bestimmt (darüber bei 12. Aufl., § 60 Rz. 17) – ist hingegen satzungswidrig. Die Zulässigkeit der Vereinbarung einer derartigen Festlaufzeit folgt daraus, dass das Gesetz in § 60 Abs. 1 Nr. 2 ausdrücklich abweichende Abreden erlaubt, sodass auch die Bestimmung möglich ist, dass ein vorzeitiger Auflösungsbeschluss nur mit Zustimmung aller Gesellschafter erfolgen kann (darüber insgesamt bei 12. Aufl., § 60 Rz. 20 ff. m.N.).

208 Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008, BGBl. I 2008, 2026, 2029. 209 Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen vom 23.6.2017 m.W.v. 26.6.2017, BGBl. I 2017, 1822, 1864. 210 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18.

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§ 3 Rz. 59 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages

2. Anforderungen a) Satzungsvorbehalt 59 Eine Beschränkung der Zeitdauer mit automatischer Auflösungswirkung bei Zeitablauf muss

zwingend im Gesellschaftsvertrag bestimmt werden, insoweit besteht ein Satzungsvorbehalt. Das heißt allgemeinen Grundsätzen entsprechend (darüber bei Rz. 152) aber nicht, dass schuldrechtliche Vereinbarungen gänzlich versperrt wären. So sind Stimmbindungsvereinbarungen zulässig, wonach zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Auflösung zu beschließen ist211 – eine gesellschaftlich unmittelbar wirkende Zeitbestimmung i.S.d. § 3 Abs. 1 Var. 1 kann damit aber nicht begründet werden212 (vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 14), auch nicht im Fall allseitiger Gesellschaftervereinbarungen213 (zu diesen bei Rz. 143). Keine Zeitbestimmung in diesem Sinne beinhaltet ein Auflösungsbeschluss (§ 60 Abs. 1 Nr. 1), dessen Wirkung unter einer (zeitnahen) aufschiebenden Befristung steht214, wenn er also nicht seinem Inhalt nach auf die Einführung einer festen (Rest-)Dauer der Gesellschaft gerichtet ist, in welchem Fall eine Satzungsänderung erforderlich wäre; zu dieser Abgrenzung m.w.N. bei 12. Aufl., § 60 Rz. 26. 60 Die statutarisch festgelegte Zeitdauer ist im Handelsregister einzutragen, und zwar aus-

drücklich (§ 10 Abs. 2 Satz 1, § 54 Abs. 2 GmbHG; § 10 Satz 1 HGB, § 43 Nr. 6 lit. b aa HRV). Wird nur Bezug nehmend eingetragen, differenziert die h.M.215 hinsichtlich der Rechtsfolgen: So soll diese fehlerhafte Eintragungsweise die Wirksamkeit der Zeitbestimmung in der Gründungssatzung unberührt lassen, anders als bei späterer Einführung durch Satzungsänderung (§ 54 Abs. 3 i.V.m. Abs. 2). Diese Unterscheidung ist aufgrund des bei 12. Aufl., § 60 Rz. 14 Gesagten abzulehnen – in beiden Fällen ist die korrekte Eintragungsweise Wirksamkeitsvoraussetzung der Zeitbestimmung im Außenverhältnis, bis zur Nachholung (von Amts wegen, vgl. § 17 Abs. 1 HRV) bindet sie nur im Innenverhältnis und kann womöglich als Auflösungskündigungsgrund i.S.d. § 60 Abs. 2 verstanden werden, der keiner ausdrücklichen Eintragung bedarf. Ausführlich hierzu bei 12. Aufl., § 60 Rz. 14. b) Bestimmtheit 61 Das befristende Ereignis muss hinreichend bestimmt im Gesellschaftsvertrag festgesetzt und

mit Sicherheit feststellbar sein216. Rechtsunsicherheit darüber, ob die Gesellschaft automatisch aufgelöst wurde, darf nicht entstehen. Am klarsten ist eine kalendarische Bestimmt211 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 41; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60. 212 Vgl. etwa Altmeppen, Rz. 20; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 60 Rz. 2. 213 Dann aber evtl. auszulegen als Verpflichtung zur Fassung eines Auflösungsbeschlusses; vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 14; weiterhin Altmeppen, Rz. 20; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46. 214 RG v. 3.7.1934 – II 116/34, RGZ 145, 109, 101; KG v. 27.4.1939 – 1 Wx 291/39, DR 1939, 1166; a.A. RG v. 6.3.1907 – Rep. I 329/06, RGZ 65, 264, 267. 215 Vgl. Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 61: Eintragung als solche (gemeint ist: ausdrückliche Eintragung) keine Wirksamkeitsvoraussetzung; ähnlich Altmeppen, § 60 Rz. 9; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 60 Rz. 2; missverständlich erscheint es, insoweit von einer „deklaratorischen“ Eintragung zu sprechen – so etwa J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 42; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 29 –, obwohl es nur um die mangelnde Wirksamkeitsvoraussetzung der ausdrücklichen Eintragung gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 geht; die Berufung der h.M. auf RG v. 21.7.1912 – II 223/12, RGZ 79, 418, 422 (zu einem statutarischen Kündigungsrecht, das nicht im Gesellschaftsvertrag enthalten war) und OLG Hamm v. 13.11.1970 – 15 W 280/70, GmbHR 1971, 57, 58 (ebenfalls nur zu einem Kündigungsrecht mit Auflösungsfolge auf Basis der unzutreffenden Prämisse, dass dieses nach § 10 Abs. 2 einzutragen wäre) ist zweifelhaft; missverständlich auch noch 12. Aufl., Rz. 64. 216 Altmeppen, Rz. 21; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 29.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 63 § 3

heit im Sinne der Angabe eines konkreten Enddatums bzw. kalendarische Bestimmbarkeit im Sinne einer Frist (zehn Jahre nach Eintragung)217, doch ist die in solchen Fällen vorliegende Sicherheit über den konkreten Eintrittszeitpunkt des befristenden Ereignisses nicht zwingend. Es genügt, dass die Zeitdauer jedenfalls objektiv bestimmbar ist; Endtermin kann daher auch ein Ereignis sein, dessen Eintritt sicher, dessen Eintrittszeitpunkt aber ungewiss ist, wie z.B. der Tod eines Gesellschafters. Eine auflösende Bedingung, weil an ein ungewisses Ereignis anknüpfend, reicht dagegen nicht, womit auch die Voluntativbedingung der Kündigungserklärung eines Gesellschafters als Zeitbestimmung ausscheidet218.

3. Rechtsfolgen des Zeitablaufs Durch den Ablauf der für die Gesellschaft bestimmten Zeit wird die Gesellschaft ohne Weite- 62 res aufgelöst (§ 60 Abs. 1 Nr. 1), d.h. in das Liquidationsstadium überführt; die erforderliche (§ 65 Abs. 1) Handelsregistereintragung wirkt nur deklaratorisch219. Soll die aufgelöste Gesellschaft ins werbende Stadium zurückgeführt, also trotz Zeitablauf fortgesetzt werden, so bedarf es der Fassung eines Fortsetzungsbeschlusses; eine stillschweigende Fortsetzung durch schlichte Fortführung der Geschäftstätigkeit genügt nicht, § 134 HGB ist nicht220, auch nicht entsprechend, heranzuziehen. Der Fortsetzungsbeschluss muss unter Beseitigung des Auflösungsgrundes erfolgen; vonnöten ist daher in allen Fällen eine Satzungsänderung zwecks Aufhebung oder Verlängerung der Zeitbestimmung, vor deren Eintragung im Handelsregister (§ 54 Abs. 3) die Fortsetzung nicht wirksam werden kann. Der Fortsetzungs- wie auch der hier zusätzlich erforderliche Satzungsänderungsbeschluss (die häufig verbunden werden, aber nicht identisch sind) bedarf einer Mehrheit von drei Vierteln der abgegebenen Stimmen. Eine Zustimmung sämtlicher Gesellschafter ist trotz statutarisch verankerter Zeitbestimmung und daher womöglich gebildeten Vertrauens auf den Zeitablauf nicht erforderlich, falls hiermit keine Verlängerung von Nebenleistungspflichten einhergeht (vgl. § 53 Abs. 3; näher bei 12. Aufl., § 60 Rz. 109 i.V.m. 105).

4. Veränderung der Zeitbestimmung Jede Veränderung einer statutarischen Zeitbestimmung, sei es deren Aufhebung, Verkürzung 63 oder aber Verlängerung, bedarf im Grundsatz einer Satzungsänderung, denn der vormals festgelegte Endtermin muss jedenfalls aus dem Satzungstext beseitigt, ein neuer (bei Verkürzung oder Verlängerung) aufgenommen werden. Ist die Zeitbestimmung dagegen als bloße Höchstdauer zu verstehen, ist freilich eine Satzungsänderung entbehrlich, sofern eine hierdurch gerade nicht ausgeschlossene Auflösung vor Zeitablauf i.S.d. § 60 Abs. 1 Nr. 2 beschlossen wird (näher m.N. bei 12. Aufl., § 60 Rz. 17). Anders liegt es allerdings im Fall einer Mindest- oder Festlaufzeit (dazu schon Rz. 58); hier ist eine Satzungsänderung zwingend erforderlich, aber auch ausreichend. Hierzu näher sowie zum Minderheitenschutz und damit verbundenen Zustimmungs- und Austrittsrechten bei 12. Aufl., § 60 Rz. 17 ff.

217 Vgl. auch J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 43; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27. 218 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 50. 219 Goette, § 10 Rz. 7; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 60 Rz. 3; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 65; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 28; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 30. 220 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 47; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 65; Gesell in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 60 Rz. 14.

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§ 3 Rz. 64 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages

IV. Freiwilliger Inhalt des Gesellschaftsvertrages i.S.d. § 3 Abs. 2 Var. 2: Nebenleistungspflichten 64 Schrifttum: M. Dürr, Nebenabreden im Gesellschaftsrecht, 1994; Finke, Die Sonderleistungspflichten bei der GmbH, 1931; Geißler, Rechtsfragen um die vereinbarten Nebenleistungspflichten der GmbHGesellschafter, DZWiR 2018, 151; Heidinger/Knaier, Die verborgenen Risiken des Sachagios bei der Bargründung und der Barkapitalerhöhung, in FS 25 Jahre DNotI, 2018, S. 467; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996; Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995; Karl, Sacheinlagen bei der UG (haftungsbeschränkt) und GmbH, GmbHR 2020, 9; Lubberich, Sachagio bei GmbH-Gründungen und Kapitalerhöhungen – Gestaltungsmöglichkeiten und Risiken im Überblick, DNotZ 2016, 164; Lüssow, Das Agio im GmbH- und Aktienrecht, 2005; Maier-Reimer, Zwangsabtretung von GmbH-Anteilen durch die Satzung?, GmbHR 2017, 1325; U. Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994; Patt, Bargründung oder Barkapitalerhöhung mit Sachagio bei Kapitalgesellschaften, GmbH-StB 2017, 148; Reichert, Vinkulierung von GmbH-Geschäftsanteilen – Möglichkeiten der Vertragsgestaltung, GmbHR 2012, 713; R. Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991; Rudersdorf, Wettbewerbsverbote in Gesellschafts- und Unternehmenskaufverträgen, RNotZ 2011, 509; Karsten Schmidt, Nebenleistungspflichten (§ 55 AktG, § 3 Abs. 2 GmbHG) zwischen Gesellschaftsrecht, Schuldrecht und Kartellrecht, in FS Immenga, 2004, S. 705; Szalai/Kreußlein, Das Agio im GmbH-Recht – Gestaltungsinstrumente und Fußfallen in der notariellen Praxis, notar 2019, 223 (Teil I) und 2019, 283 (Teil II); H.P. Westermann, Das Verhältnis von Satzung und Nebenordnungen in der Kapitalgesellschaft, 1994; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967.

1. Begriff 65 Neben der Einlageverpflichtung, welche nach § 3 Abs. 1 Nr. 4 die rechtsnotwendige Mindest-

leistung eines jeden Gesellschafters darstellt, können einzelnen oder allen Gesellschaftern ausweislich § 3 Abs. 2 Var. 2 im Gesellschaftsvertrag noch andere mitgliedschaftliche Verpflichtungen auferlegt werden221. Damit ist gesagt, dass der Gesellschafter als solcher (notwendig im Gesellschaftsvertrag!) in dieser erweiterten Weise verpflichtet werden kann, und zwar dergestalt, dass für ihn gesellschaftliche (nicht bloß schuldrechtliche) Pflichten entstehen, die daher mit seinem Geschäftsanteil als dem Inbegriff seiner Rechte und Pflichten verbunden sind. „Neben“-Leistungspflichten sind damit korporative Leistungspflichten, die neben (nicht anstelle!) die primäre Einlagepflicht treten. Mit ihnen, sind alle Gesellschafter zu Nebenleistungen verpflichtet, nähert sich die GmbH stark einer Personengesellschaft222, worin seit jeher ein besonderer Vorteil dieser Rechtsform erblickt wird. Schon damit erklärt sich, weshalb sie im stärker kapitalistisch ausgeprägten Aktienrecht als Fremdkörper empfunden werden. Während § 55 Abs. 1 AktG bei der AG Nebenleistungen daher auch nur im Fall vinkulierter Namensaktien (§ 68 Abs. 2 AktG) für zulässig erklärt (womit zugleich die Kontrolle über den Personenkreis der jeweiligen Schuldner gesichert wird) und überdies den erlaubten Leistungsinhalt auf wiederkehrende, nicht in Geld bestehende Leistungen beschränkt, kennt das GmbH-Recht keine derartigen Beschränkungen. Denkbarer Inhalt der

221 Zur Entwicklung und Bedeutung dieser Bestimmung ausführlich Karsten Schmidt in FS Immenga, 2004, S. 705, 709 ff. 222 BGH v. 12.6.1958 – II ZR 207/56, WM 1958, 1132 = DB 1958, 1038: durch Übernahme von Sonderverpflichtungen werde das Haftungsrisiko erweitert; haben alle Gesellschafter Sonderleistungen zu erbringen, sei eine Annäherung an eine Personengesellschaft festzustellen. S. zudem Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 101 ff.; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 48; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 66 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 33; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 26.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 67 § 3

Nebenleistungspflicht kann daher all jenes sein, was als Gegenstand einer schuldrechtlichen Verpflichtung taugt223.

2. Bedeutung und Verbreitung Zuweilen sind die Nebenleistungen ihrem Inhalt nach derart gewichtig, dass jenes, was § 3 66 Abs. 2 nur als Nebenverpflichtung konzipiert hat, für die Verwirklichung des Gesellschaftszwecks wirtschaftlich zur Hauptpflicht wird224. Die Grenzen zulässiger Gestaltung werden mit einer derartigen Umkehrung der Gewichtung freilich nicht überschritten. Überhaupt bleibt rechtlich die Einlage, gleichviel, wie sehr sie wirtschaftlich hinter die Nebenleistungspflicht zurücktreten mag, als rechtsnotwendige Pflicht die Hauptpflicht; nur sie (nicht aber die Nebenleistungspflicht) wird durch das GmbH-Gesetz überdies besonders zu sichern gesucht. – In der Praxis haben Nebenleistungspflichten weite Verbreitung gefunden. Sie kommen gegenwärtig vor allem in personalistisch geprägten, besonders in sog. Familiengesellschaften vor, wobei neben Geschäftsführungspflichten und Konkurrenzverboten vor allem dem Überfremdungsschutz dienende Vorerwerbsrechte im Vordergrund stehen; herausgehobene Bedeutung haben zudem Aufgelder und Finanzierungsverpflichtungen in all ihren Spielarten, vor allem, sofern Finanzinvestoren an der Gesellschaft beteiligt sind. Auch Mitarbeitsverpflichtungen sind seit jeher verbreitet, traditionell wesentlich bei zu persönlichen Arbeitsgemeinschaften ausgestalteten Kapitalgesellschaften, gegenwärtig aber auch zur Sicherung des vollen persönlichen Arbeits- und ggf. Wissenseinsatzes tragender Gründungsgesellschafter, die (häufig vermittels sog. Vesting-Klauseln) auch nach der Beteiligung eines Wagniskapitalgebers weiterhin der Gesellschaft verbunden bleiben sollen.

3. Abgrenzung a) Abgrenzung gegen Einlagepflicht Die Abgrenzung der Nebenleistungspflicht gegen die Einlagepflicht, welche ebenso wie diese 67 sowohl auf Leistung von Geld als auch von Sachwerten (als Sacheinlage i.S.d. § 5 Abs. 4) gerichtet sein kann, ist wegen der abweichenden Rechtsfolgen bedeutsam. So unterfallen nur die Einlage-, nicht aber die Nebenleistungspflichten den Bestimmungen über die Kapitalaufbringung oder -erhaltung, und die Nebenleistungspflichten unterstehen im Gegensatz zu den Einlagepflichten im Grundsatz in der Behandlung von Willensmängeln dem bürgerlichen Recht. Da sich eine Einlage dadurch auszeichnet, dass sie nach Maßgabe des § 3 Abs. 1 Nr. 4 „auf das Stammkapital“, d.h. zu dessen realer Aufbringung, zu leisten ist, wohingegen der Nebenleistungspflicht diese Zwecksetzung fehlt, kann hiernach theoretisch scharf unterschieden werden (vgl. auch den Wortlaut des § 3 Abs. 2, wonach diese Leistungspflichten jenseits der „Leistung von Kapitaleinlagen“ – gemeint sind die Einlagepflichten – auferlegt werden). Selbst ohne ausdrückliche dahingehende Kennzeichnung im Gesellschaftsvertrag lässt sich eine Leistungspflicht auch praktisch unschwer als Einlagepflicht qualifizieren, sofern sie sich als einmalige erweist, deren Höhe – bzw. bei der Sacheinlage: deren Anrechnungsbetrag (vgl. § 5 Abs. 4 Satz 1) – mit der jeweiligen Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile in der Hand eines Gesellschafters übereinstimmt (§ 5 Abs. 3 Satz 2)225. Im Aus223 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75. 224 Unstreitiger Befund, vgl. etwa Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 48. 225 Vgl. auch Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 45; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 51; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 35.

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§ 3 Rz. 67 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages nahmefall kann sich indes (zumindest bei fehlender Entgeltlichkeit der Leistung) die Abgrenzung als schwierig erweisen, weil Nebenverpflichtungen zur Einlagepflicht begründet werden können, die nicht als (selbstständige) Nebenleistungspflichten i.S.d. § 3 Abs. 2 zu verstehen sind. So liegt es, wenn ein Gesellschafter zur Erfüllung seiner Sacheinlagepflicht eine Handelsgesellschaft einbringt und zugleich die Garantie für den Eingang der Außenstände übernimmt226. Obgleich ein Garantieversprechen grundsätzlich tauglicher Gegenstand einer Nebenleistungsverpflichtung sein kann, ist diese weitere Leistungspflicht hier derartig eng mit der Sacheinlagepflicht verwoben, dass eine einheitliche rechtliche Behandlung, insbesondere auch eine vollständige Leistungserbringung vor Eintragung der Gesellschaft (vgl. § 7 Abs. 3), geboten ist227. Faktische Untrennbarkeit liegt vor, sofern ein und derselbe Sachgegenstand als Einlageleistung und der den Nennbetrag übersteigende Mehrwert als Aufgeld geschuldet ist; dennoch gehen Einlage- und Aufgeldverpflichtung rechtlich verschiedene Wege; darüber bei Rz. 78 ff. b) Abgrenzung gegen Nachschusspflicht 68 Hinsichtlich der Abgrenzung zu (zwingend auf Geldleistung lautenden) Nachschusspflichten

ist entscheidend, dass deren Einforderung im Gegensatz zu jener von Nebenleistungen ausweislich § 26 stets eines Gesellschafterbeschlusses bedarf (§ 46 Nr. 2), die gezahlten Nachschüsse gemäß § 42 Abs. 2 Satz 3 in die Kapitalrücklage einzustellen sind und nur in den Grenzen des § 30 Abs. 2 an die Gesellschafter zurückgezahlt werden dürfen (darüber bei 13. Aufl., § 26 Rz. 7). Soll demgegenüber die Fälligkeit nicht von einem Einforderungsbeschluss, sondern nur einer vorherigen Anforderung durch die Geschäftsführer abhängen, kommt allein eine Nebenleistungspflicht in Betracht228. Zur Abgrenzung näher bei 13. Aufl., § 26 Rz. 7. c) Abgrenzung gegen schuldrechtliche Pflichten 69 Neben die Einlagepflicht tretende weitere Leistungspflichten müssen nicht zwingend i.S.d.

§ 3 Abs. 2 als mitgliedschaftliche, sondern können vielmehr auch als schuldrechtliche vereinbart werden, die nur die beteiligten Personen unter sich binden und den allgemeinen schuldrechtlichen Regeln des bürgerlichen Rechts folgen. Abgrenzungs- bzw. Auslegungsschwierigkeiten ergeben sich, falls derartige als schuldrechtlich vereinbarte Verpflichtungen in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden, was zulässig ist; über derartige dann „unechte“ Bestandteile des Gesellschaftsvertrages bei Rz. 127 ff. Welche Regelungsebene gewählt wird, obliegt im Grundsatz der freien Wahl der Gesellschafter; näher zur Wahlfreiheit bei Rz. 2. d) Abgrenzung gegen Sonderpflichten 70 Nebenleistungspflichten sind nicht zu verwechseln mit Sonderpflichten. Letztere drücken

eine Sonderbelastung einzelner Gesellschafter im Verhältnis zu anderen aus, wohingegen Nebenleistungspflichten entweder alle Gesellschafter gleichmäßig treffen oder aber mit einer Sonderbelastung einhergehen können, wie im Fall eines nur bestimmte Gesellschafter treffenden Wettbewerbsverbots (falls insoweit überhaupt eine mitgliedschaftliche Pflicht in Rede steht). Darüber bei 13. Aufl., § 14 Rz. 38.

226 Vgl. den Fall RG v. 23.4.1912 – II 19/12, RGZ 79, 271, 273. 227 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72. 228 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 53; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 35; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 34.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 72 § 3

e) Abgrenzung gegen Sonderrechte Sonderrechte sind statutarisch (nicht nur schuldrechtlich) begründete Vorrechte einzelner 71 Gesellschafter; sind diese, wie regelmäßig, mit dem Geschäftsanteil verknüpft, handelt es sich um Vorzugsgeschäftsanteile (zu Sonderrechten bei 13. Aufl., § 14 Rz. 27, zu Vorzugsgeschäftsanteilen bei 13. Aufl., § 14 Rz. 127, dort auch jeweils m.N. zum in der Literatur teilweise abweichenden Begriffsverständnis). Sonderrecht auf und Nebenleistungspflicht zur nämlichen Leistungserbringung können als „Pflichtrecht“ zusammentreffen, sind rechtlich allerdings nur dann als Einheit zu behandeln, falls Recht und Pflicht nicht unabhängig voneinander eingeräumt worden wären, wofür keine Vermutung spricht229; so kann es beim Geschäftsführeramt (hierüber bei 13. Aufl., § 6 Rz. 79 ff.) oder bei Sachleistungspflichten liegen, wenn hiermit eine Abnahmepflicht der Gesellschaft korrespondiert230.

4. Begründung und Änderung; Begründung im Videokommunikationsverfahren Nebenleistungspflichten sind im Gesellschaftsvertrag formgerecht festzusetzen, entweder 72 unter Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter im Gründungsstatut oder später durch Satzungsänderung. Ihre Einführung durch Satzungsänderung bedarf als Leistungsmehrung der Zustimmung sämtlicher hiervon betroffener Gesellschafter nach Maßgabe § 53 Abs. 3231, gleichviel, ob die Nebenleistungspflichten einigen (dann als Sonderpflichten) oder allen Gesellschaftern auferlegt werden (dazu bei 12. Aufl., § 53 Rz. 50 sowie Rz. 150). Selbiges gilt für die Erhöhung oder zeitliche Verlängerung einer bestehenden Nebenleistungspflicht, falls es sich nicht um eine nach Inhalt und Umfang bereits im Gesellschaftsvertrag vorgesehene Verschärfung handelt. Über die Aufhebung von Nebenleistungspflichten bei Rz. 107 ff. – Wird ein Gesellschaftsvertrag zwecks Errichtung einer GmbH nach Maßgabe des § 2 Abs. 3 i.d.F. des DiRUG (ab dem 1.8.2022) im Videokommunikationsverfahren beurkundet, können darin im Ausgangspunkt unstreitig formwirksam statutarische Nebenleistungspflichten (wie z.B. Wettbewerbsverbote etc.) festgesetzt werden. Im Streit stand auf der Grundlage des RefE sowie insbesondere des RegE des „DiREG“ (Ergänzungsgesetz zum DiRUG), ob derartige Nebenleistungspflichten auszunehmen sind, die geschäftsanteilsbezogene Abtretungspflichten und damit ggf. korrespondierende Erwerbsrechte (vgl. Rz. 84) begründen. Das konnte schon auf der Grundlage dieser Entwurfsfassungen nur in Bezug auf Sachaufgeldverpflichtungen überzeugen, die auf Abtretung („Einbringung“) von Geschäftsanteilen an „Dritt-Gesellschaften mbH“ gerichtet sind. Eine solche Sachaufgeldverpflichtung unterfällt der Bestimmung des § 15 Abs. 4 Satz 1, ihre Erfüllung durch Abtretung jener des § 15 Abs. 3. Ihre Ausklammerung aus dem Videokommunikationsverfahren (mit der Folge einer formnichtigen Sachaufgeldbestimmung im Falle dennoch erfolgender Festsetzung im Rahmen dieses Verfahrens) ergibt sich ab dem 1.8.2023 direkt aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 i.d.F. des „DiREG“ („sofern andere Formvorschriften nicht entgegenstehen“). Der Regierungsentwurf hatte diese

229 So aber wohl Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73. 230 Vgl. etwa Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 99; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 33; nach Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 52 soll darunter auch die Statuierung von Vorkaufsrechten zugunsten bestimmter Gesellschafter fallen, deren Rechtsposition die Verpflichtung des vorkaufsrechtsverpflichteten Gesellschafters zur Mitteilung des Vorkaufsfalls gegenübersteht, was allerdings nicht die Leistungspflicht betrifft. 231 Altmeppen, Rz. 24; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 53; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 37; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30; Wicke, Rz. 16.

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§ 3 Rz. 72 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages explizite Reichweitenverkürzung des Videokommunikationsverfahrens vor dem Hintergrund der aufkommenden Diskussion um die Zulässigkeit einer Festsetzung von geschäftsanteilsbezogenen Sachaufgeldern232 in diesem Verfahren angeordnet. Zirkulär und auch im Ergebnis nicht überzeugend war es indessen, sofern Literaturstimmen aus dem Vorbehalt des Entgegenstehens anderer Formvorschriften in § 2 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 i.d.F. des DiREG die Unmöglichkeit der formgerechten Begründung von geschäftsanteilsbezogenen Abtretungspflichten und damit korrespondierenden Erwerbsrechten auch dort ableiten wollten, wo diese auf gerade jene abzutretenden Geschäftsanteile bezogen sind, um deren dingliche Ausgestaltung es bei der Statuierung der Nebenleistungspflicht geht233. Denn die Frage ist bereits, ob derartige Nebenleistungspflichten der insoweit womöglich spezielleren Formvorschrift des § 2 Abs. 1, nicht aber jener des § 15 Abs. 4 Satz 1 unterfallen. In diesem Kommentar wird seit der 6. Aufl. (H. Winter) im Anschluss an RGZ 113, 147, 149234 in diesem Sinne eine Differenzierung zwischen korporativen, die Mitgliedschaft ausgestaltenden Abtretungspflichten, für deren Begründung allein die §§ 2, 3 Abs. 2 gelten, und schuldrechtlichen Abtretungspflichten befürwortet, auf welche das Formgebot § 15 Abs. 4 zwar anwendbar, aber im Falle einer Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag als dessen unechter Bestandteil durch § 2 ebenfalls gewahrt ist235, jedenfalls – dies ist der Kern des nunmehrigen Meinungsstreits –, sofern die Beurkundungsverhandlung im Präsenzverfahren erfolgt. Auch Seibt folgt gegenwärtig in 13. Aufl., § 15 Rz. 51 m.w.N. insoweit im Wesentlichen unverändert dieser Einteilung, die zudem in der Literatur mit Unterschieden im Detail von weiteren gewichtigen Stimmen vertreten wird236. Aber auch ungeachtet dieser Grundsatzfrage nach dem Konkurrenzverhältnis beider Formvorschriften zueinander hätte man bei teleologischer Auslegung solche korporativen Abtretungspflichten nicht aus dem Anwendungsbereich des Videokommunikationsverfahrens herausnehmen können. So sind insbesondere statutarische Abtretungspflichten, etwa bei Verwirklichung eines Einziehungsgrundes, regelmäßig integraler 232 Gegen die Zulässigkeit deren Festsetzung im Videokommunikationsverfahren aber bereits exemplarisch Stelmaszczyk/Kienzle, GmbHR 2021, 849, 853 m.w.N.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 340; wohl auch Heckschen/Knaier, NZG 2021, 1093, 1095, die sich aber primär auf den dinglichen Erfüllungsakt beziehen, der unstreitig nicht dem Videokommunikationsverfahren zugänglich ist; nunmehr Stelmaszczyk/Strauß, ZIP 2022, 1077, 1084; großzügiger jedoch Böhringer/ Melchior, GmbHR 2022, 177, 180, welche die Zulässigkeit dieser Form des Sachaufgelds offenbar befürworten, deren Ansicht insoweit mittlerweile aber überholt sein dürfte. 233 Wicke, GmbHR 2022, 516, 518 mit ausführlicher Begründung, allerdings mit starker Fokussierung auf das Sachagio; ebenso, evtl. (insoweit unklar) aber nur bezogen auf das Sachagio Stelmaszczyk/ Strauß, ZIP 2022, 1077, 1084; Keller/Schümmer, DB 2022, 1179, 1181, aber zweifelnd; dagegen für die Möglichkeit der formwahrenden Festsetzung von „internen“ Abtretungspflichten und Vorerwerbsrechten Scheller, GmbHR 2022, R101 f.; dem wohl zuneigend bzw. jedenfalls neutral Trölitzsch in BeckOK GmbHG, Stand: 1.3.2022, § 53 Rz. 14a. 234 RG v. 19.3.1926 – II 236/25, RGZ 113, 147, 149; dort wird von einem Exklusivitätsverhältnis statt von einer kumulativen Anwendbarkeit beider Formvorschriften ausgegangen. 235 Virulent wurde die Frage, welche der beiden Formvorschriften einschlägig ist, bislang nur, sofern eine Satzungsänderung mittels Tatsachenprotokoll nach Maßgabe der §§ 36 f. BeurkG beurkundet werden sollte; vgl. dazu ausführlich Grotheer, RNotZ 2015, 4, 6 ff. m.N. 236 Vgl. nur Maier-Reimer, GmbHR 2017, 1325, 1333, mit unmissverständlichem Ergebnis: „Das Formerfordernis des § 15 Abs. 4 kann nur anwendbar sein, wenn die Abtretungspflicht nicht korporativ als echter Satzungsbestandteil gelten, sondern (nur) schuldrechtlich zwischen den Gesellschaftern vereinbart sein soll.“ Ebenso klar Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 15 Rz. 55: „Grundsätzlich unterfallen alle Abtretungspflichten in Gesellschaftsverträgen ebenso wie Auseinandersetzungsvereinbarungen der Form des § 15 Abs. 4. Ist eine solche Regelung materieller Satzungsbestandteil, dann gelten allein §§ 2, 3 Abs. 2.“ Wohl gleichsinnig Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 15 Rz. 53: „Soweit es sich dabei um materielle Satzungsbestimmungen handelt, stellt sich die Frage des § 15 Abs. 4 nicht, da ohnehin nach den Abs. 4 grundsätzlich vorgehenden §§ 2, 53 Abs. 2 notarielle Beurkundung erforderlich ist.“ Wohl nur missverständlich anders BGH v. 30.6.1969 – II ZR 71/68, NJW 1969, 2049 = GmbHR 1969, 228.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 73 § 3

(die Rechtsfolgenseite betreffender) Bestandteil korporativer Gesellschafterausschlussmechanismen; bei funktionaler Betrachtung sind sie als bloßer Annex zu diesen Ausschlusstatbeständen zu betrachten, die ihrerseits im Übrigen unstreitig im Videokommunikationsverfahren beurkundet werden können; sie als für das Videokommunikationsverfahren unzugänglich zu betrachten, wäre nicht wertungsgerecht. Der Gesetzgeber hat nunmehr diesen Streit durch eine kurzfristige Änderung der sodann in dieser geänderten Gestalt verabschiedeten Normfassung beseitigt, indes pauschaler und damit weitreichender als zuvor diskutiert: Nach Maßgabe des neu eingefügten Halbs. 2 des § 2 Abs. 3 Satz 1 können auch Verpflichtungen zur Abtretung von Geschäftsanteilen an der Gesellschaft (also nicht: an einer dritten Gesellschaft mbH) im Videokommunikationsverfahren formgerecht beurkundet werden, sofern sie nur in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wurden, gleichviel, ob diese Aufnahme rein äußerlich oder mit korporativer Wirkung erfolgt. Dem Videokommunikationsverfahren sind mithin nicht allein als korporative Nebenleistungspflichten ausgestaltete Abtretungspflichten zugänglich, sondern jedwede, und das heißt: auch rein schuldrechtliche (und damit allein § 15 Abs. 4 Satz 1 unterfallende) Abtretungspflichten, vorausgesetzt, sie haben Eingang in den Satzungstext gefunden. Da Nebenleistungspflichten i.S.d. § 3 Abs. 2 stets der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag bedürfen, ergibt sich insoweit bei diesen keinerlei Einschränkung, sofern sie nicht eine Sachaufgeldpflicht begründen sollen, die auf eine „Einbringung“ gerichtet ist, welche nach anderen Vorschriften als jener des § 2 Abs. 1 beurkundungsbedürftig ist; darunter ist insbesondere die Einbringung von Geschäftsanteilen an einer „dritten“ GmbH oder von Immobilareigentum zu verstehen, und zwar jeweils das Kausal- als auch das Erfüllungsgeschäft. Der im geschilderten Sinne erweiterte § 2 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 wird indes (vgl. Art. 10 Abs. 3 DiREG) erst am 1.8.2023 in Kraft treten. Unklar bleibt damit, was im Zeitraum zwischen dem 1.8.2022 und dem 31.7.2023 gilt. Hätte sich der Gesetzgeber (sinnvollerweise) allein auf die Zulassung korporativer Abtretungspflichten beschränkt, hätte die Ergänzung als Klarstellung gewertet werden können, weil es um die aufgezeigte Streitfrage zur Reichweite des § 2 Abs. 1 gegangen wäre. Da schuldrechtliche, als unechte Bestandteile in die Satzung aufgenommene Abtretungspflichten aber unzweifelhaft und seit jeher dem Beurkundungserfordernis aus § 15 Abs. 4 Satz 1 und nicht jenem für Satzungen aus § 2 Abs. 1 unterfallen, fällt die Annahme einer Klarstellung schwer, zumal es bis dato ausdrücklicher gesetzgeberischer Wille (vor allem des DiRUG) war, das Formgebot des § 15 Abs. 4 Satz 1 als im Videokommunikationsverfahren unerfüllbar zu qualifizieren. Trotzdem sollte man eine allein sinnvolle Vorwirkung anerkennen.

5. Gestaltungsgrenzen a) Bestimmtheitsgebot Nebenleistungspflichten müssen derart präzise im Gesellschaftsvertrag nach Inhalt und Um- 73 fang festgelegt werden, dass es nicht nur den aktuellen, sondern gleichermaßen künftigen Gesellschaftern möglich ist, anhand des Satzungstextes das Ausmaß ihrer Verpflichtungen als Bestandteil ihres Mitgliedschaftsrechts zu ermitteln237; anderenfalls sind sie unwirksam. Seinen Grund findet dieses Bestimmtheitsgebot damit in der gewollten mitgliedschaftlichen Ausgestaltung dieser Leistungspflicht, die ihrerseits wiederum von der Aufnahme derselben in den – gerade insoweit auch Verlautbarungszwecke verfolgenden – Gesellschaftsvertrag ab-

237 BGH v. 17.10.1988 – II ZR 372/87, GmbHR 1989, 151, 152; BGH v. 22.10.2007 – II ZR 101/06, GmbHR 2008, 258, 259; Noack, Gesellschaftervereinbarungen, 1994, S. 78 ff.; Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 25 ff.; Altmeppen, Rz. 21; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 55; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 69; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 37.

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§ 3 Rz. 73 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages hängt. Nur eine hinreichend bestimmte Leistungsfestsetzung ermöglicht es auch, im Fall einer etwaigen späteren Änderung der Nebenleistungspflicht die Zustimmungsnotwendigkeit nach § 53 Abs. 3 zu ermitteln (zu derartigen Änderungen bei Rz. 72). Dazu ist im Regelfall erforderlich, dass der fraglichen Klausel eine betragsmäßige und zeitliche Eingrenzung der Pflichten entnommen werden kann238. Unwirksam sind vor diesem Hintergrund dagegen vor allem inhaltslose, allgemein gehaltene Verpflichtungen, wie z.B. die Pflicht, die Gesellschaft „mit Rat und Tat“ oder „mit Bürgschaften oder Sicherheiten“ zu unterstützen239. Ein gewisses Maß vorläufiger Unbestimmtheit ist allerdings häufig nicht zu entbehren; insoweit können jedoch die §§ 315 ff. BGB fruchtbar gemacht und die nähere Konkretisierung der im Gesellschaftsvertrag umrissenen Nebenleistungspflicht etwa der Bestimmung durch den Geschäftsführer oder einen Mehrheitsbeschluss überlassen werden240. Alternativen bieten spezifische Formen der Öffnungsklausel, mittels derer die weitere Konkretisierung der geschuldeten Nebenleistungen – in dem genannten statutarischen Rahmen – einem Gesellschafterbeschluss vorbehalten bleiben soll241, oder aber die Konkretisierung vermittels eines ergänzenden Ausführungsvertrages242 (zu diesem bei Rz. 76), freilich stets vorausgesetzt, im Gesellschaftsvertrag selbst wird ein fester Rahmen für die Art der übernommenen Verpflichtungen aufgestellt, sodass deren wesentlicher Kern erkennbar enthalten ist. 74 Keine Friktionen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz bringen bedingte oder befristete Neben-

leistungsverpflichtungen mit sich243. Die Leistungspflicht kann vielmehr an jeden Vorbehalt geknüpft werden, so etwa im Umfeld von Wagniskapitalgebern eine finanzielle Unterstützung der Gesellschaft an das Erreichen bestimmter geschäftlicher Ziele (sog. Meilensteinregelungen); nur die Gesellschafterstellung und die rechtsnotwendig damit verbundene Übernahme eines Geschäftsanteils gegen Einlage muss im Sinne des bei Rz. 8 Gesagten unbefristet und unbedingt sein. b) Sittenwidrigkeit unbegrenzter Leistungspflichten 75 Keine Frage der Bestimmtheit, wohl aber des Überschreitens des zumutbaren Belastungs-

maßes ist im Fall der Begründung grenzenloser Verpflichtung aufgeworfen. Die Vereinbarung unbeschränkter Leistungspflichten wird überwiegend als sittenwidrig und daher nichtig eingestuft (§ 138 BGB)244, wobei es stets auf den Einzelfall ankommt. Hintergrund dieses Sittenwidrigkeitsverdikts ist vor allem der Umstand, dass die h.M. ein Abandonrecht (§ 27), das im Fall unbeschränkter Nachschusspflicht vor unzumutbaren Leistungspflichten korrigierend wirkt, aus Anlass der Nebenleistungspflicht ablehnt (dazu bei Rz. 111), woraus ein besonderes Schutzbedürfnis der Gesellschafter vor uferlosen Verpflichtungen erwachsen soll. Zu sehen ist freilich, dass auch ohne Abandonrecht jedenfalls ein außerordentliches Kündigungsrecht der Nebenleistungspflicht als Notbehelf verbleibt (darüber bei Rz. 110) und auch dieses als Korrektiv einer anderenfalls drohenden Uferlosigkeit wirkt. Eine Sittenwidrigkeit wird daher nur schwerlich begründbar sein. Der mitunter geäußerte Rat, der etwaigen Sitten238 BGH v. 17.10.1988 – II ZR 372/87, GmbHR 1989, 151, 152; BGH v. 22.10.2007 – II ZR 101/06, GmbHR 2008, 258, 259; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 80; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 55; ferner Altmeppen, Rz. 21; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 35. 239 KartG v. 4.2.1924 – K 14/23, JW 1924, 724. 240 RG v. 29.10.1915 – II 137/15, RGZ 87, 261, 265 ff.; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 67 f.; Schilling/Winter in FS Stiefel, 1987, S. 665, 666 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 69; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38. 241 Dazu U. Stein, ZGR 1990, 357, 363 f. 242 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 47. 243 Allg. M., vgl. etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 56; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75. 244 Vgl. bereits RG v. 29.10.1915 – II 137/15, RGZ 87, 261, 265 f.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 76 § 3

widrigkeit einer unbegrenzten Verlustübernahmepflicht durch Ausweichen auf eine gleichlautende schuldrechtliche Vereinbarung zu entgehen245, erscheint daher allenfalls plausibel, wenn entgegen der h.M. ein außerordentliches Kündigungsrecht der Nebenleistungspflicht (nicht aber der schuldrechtlichen Leitungspflicht) abgelehnt würde246. Anderenfalls wird man im Lichte des § 138 BGB ähnlich zu bewerten haben.

6. Anwendbarkeit schuldrechtlicher Bestimmungen; Ausführungsverträge Nebenleistungspflichten sind zuvörderst gesellschaftsrechtlicher Natur, weisen aber auch 76 die Merkmale eines Schuldverhältnisses i.S.d. § 241 BGB auf. Die grundsätzliche Anwendbarkeit der allgemeinen rechtsgeschäftlichen und schuldrechtlichen Bestimmungen des bürgerlichen Rechts auf Nebenleistungspflichten ist daher nach gegenwärtigem Stand der Dogmatik gesichert, ebenso jene der besonderen schuldrechtlichen Vertragstypen, jeweils soweit einschlägig. Im Streit steht jedoch, ob es sich um eine unmittelbare oder mittelbare Anwendung handelt. Richtig ist das Letztere247, sodass nur eine sinngemäße Anwendung in Betracht kommt. Das gilt auch – insoweit entgegen der heute überwiegend vertretenen Ansicht –, sofern zur näheren Ausgestaltung der Nebenleistungspflicht hinsichtlich Gegenleistung, Fälligkeit und Umfang der Leistungen ergänzende schuldrechtliche Verträge zwischen Gesellschaft und verpflichtetem Gesellschafter in Gestalt sog. Ausführungsverträge geschlossen werden248. Die Auslagerung der Konkretisierung vom Statut auf einen Ausführungsvertrag führt nicht zur Änderung des gesellschaftsrechtlichen Rechtscharakters der Leistungsbeziehungen, die in all diesen Fällen von der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht geprägt wird, was sich insbesondere im Fall von Leistungsstörungen äußert (darüber bei Rz. 110), aber auch darin, dass die Gesellschaft gegenüber den nebenleistungsverpflichteten Gesellschaftern den Gleichbehandlungsgrundsatz zu wahren hat (vgl. 13. Aufl., § 14 Rz. 51 ff.). Folglich sind allfällige Gegenleistungsansprüche eines verpflichteten Gesellschafters auch keine Drittgläubigerrechte, sondern aus dem Gesellschaftsvertrag (und nicht einem etwa zur Konkretisierung geschlossenen Kaufvertrag) herrührende Gläubigerrechte i.S.d. bei 13. Aufl., § 14 Rz. 25 Ausgeführten. Die herrschende Gegenansicht überstrapaziert die Bedeutung der Ausführungsverträge. Anderes gilt nur, sofern sich die Nebenleistungspflicht in Wahrheit in 245 Dies schlägt Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 61 vor. 246 Wobei sogar zu berücksichtigen ist, dass – anders als bei der Begründung der Nebenleistungspflicht – der Schutz der notariellen Beurkundung entfällt; darauf weist Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 57 hin. 247 So auch, jeweils für satzungskonkretisierendes und satzungsergänzendes Recht, Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 70; ebenso Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 154 ff. (fehl geht aber die dortige Einschätzung fehlender praktischer Relevanz dieser Frage); für nur mittelbare Anwendung weiterhin Feine, S. 346: Anwendung schuldrechtlicher Bestimmungen, soweit mit dem GmbH-Recht vereinbar, Erfüllung mit Rücksicht auf Treu und Glauben; ferner, jeweils ohne nähere Begründung, Altmeppen, Rz. 37; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 47 (allerdings mit nicht überzeugender Behauptung weitgehend gleicher Ergebnisse); wohl auch Geißler, DZWiR 2018, 151, 158: sowohl statutarische als auch schuldrechtliche Vereinbarungen haben Grundlage im Gesellschaftsverhältnis; für die AG etwa Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 55 AktG Rz. 43: keine unmittelbare Anwendung der schuldrechtlichen Bestimmungen, Erfüllungsansprüche nicht aus bürgerlich-rechtlichen Vorschriften, sondern aus der Mitgliedschaft; a.A., mit Unterschieden im Detail und teils differenzierend, etwa Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 83 ff.; wohl auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37 sowie Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 28. 248 A.A. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84, wonach die schuldrechtlichen Bestimmungen im Fall eines Ausführungsvertrages unmittelbar zur Anwendung kommen sollen; ebenso Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46.

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§ 3 Rz. 76 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages der Pflicht zum Abschluss eines entsprechenden Schuldvertrages erschöpft. So wird es häufiger als bislang angenommen bei verständiger Auslegung liegen. Nur in diesem Fall ergeben sich auch keinerlei Friktionen mit dem Beurkundungserfordernis aus § 3 Abs. 2, das sich anderenfalls – will man es nicht bei zulässigen Leistungsbestimmungsrechten i.S.d. §§ 315 ff. BGB belassen – auf die satzungskonkretisierenden Ausführungsverträge erstrecken müsste, was in der Praxis jedoch kaum beachtet wird. Reduziert sich die Nebenleistungspflicht tatsächlich auf die Abschlussverpflichtung, wird der in Erfüllung abgeschlossene Schuldvertrag allerdings seinerseits keine korporative Wirkung und damit keine Bindung gegenüber Sondernachfolgern entfalten. Diese Geltungserstreckung entfiele aber auch bei konkretisierenden Ausführungsverträgen (also in Fällen ohne bloße Abschlussverpflichtung), sofern diese mit der herrschenden Ansicht als rein schuldrechtliche qualifiziert würden, was bislang zu wenig herausgestrichen wird. Erreicht werden kann die Bindung gegenüber Sondernachfolgern jedoch, sofern die Ausführungsverträge richtigerweise als satzungsergänzende Bestimmungen angesehen werden. Daraus folgt auch zwangslos, dass für die Anwendung der §§ 305 ff. BGB und damit für eine Inhaltskontrolle gegenüber AGB kein Raum verbleibt (§ 310 Abs. 4 Satz 1 BGB)249.

7. Inhalt der Verpflichtungen a) Einseitige und gegenseitige Pflichten 77 Die Nebenleistungspflicht kann einseitig ausgestaltet sein, wie im Fall des Wettbewerbsver-

bots (zu diesem bei Rz. 87 ff.), aber auch als entgeltliche von einer Gegenleistung der Gesellschaft abhängig sein. So wird es im Zweifel bei der Geschäftsführerpflicht (über diese bei Rz. 94) mit Vermutung für die Entgeltlichkeit derartiger Dienste (§ 612 BGB) liegen. Bei Fehlen solcher Zweifelsregeln besteht zwar keine gegenteilige Vermutung für die Unentgeltlichkeit, doch muss aus dem Gesellschaftsvertrag ersichtlich sein, ob eine Gegenleistung geschuldet ist, was schon der Schutz künftiger Gesellschafter verlangt; auch der Umfang des Entgelts muss, jedenfalls stillschweigend als „üblicher“ oder über die Einräumung eines Leistungsbestimmungsrechts nach § 315 BGB, entnommen werden können, anderenfalls ist die Nebenleistungspflicht zu unbestimmt. Bei vereinbarter Entgeltlichkeit ist die Gegenleistung der Gesellschaft im Zweifel (d.h. bei Fehlen einer dahin bedingenden Regelung im Gesellschaftsvertrag) selbst dann zu erbringen, wenn die Jahresbilanz keinen Reingewinn ausweist. Doch darf das vereinbarte Entgelt nicht überhöht ausfallen, sonst kann darin gesellschaftsrechtlich eine bei Unterbilanz untersagte Auszahlung i.S.d. § 30 Abs. 1250 (vgl. auch 13. Aufl., § 30 Rz. 31) und steuerrechtlich eine verdeckte Gewinnausschüttung liegen251. Fällt das Entgelt dagegen zu niedrig aus, kann steuerrechtlich in der Nebenleistung eine verdeckte Einlage (§ 8 Abs. 3 Satz 3 KStG) gefunden werden, nicht aber eine freigiebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG252. Auch zivilrechtlich sind unentgeltliche Nebenleistungen nicht als Schenkung i.S.d. §§ 516 ff. BGB einzustufen, weil sie causa societatis erbracht wer-

249 BGH v. 8.2.1988 – II ZR 228/87, BGHZ 103, 219, 224 ff. = ZIP 1988, 910; BGH v. 11.11.1991 – II ZR 44/91, ZIP 1992, 326; Geißler, DZWiR 2018, 151, 158; Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89. 250 BGH v. 13.11.1995 – II ZR 113/94, GmbHR 1996, 111, 112; Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 43; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 77; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 57; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 76; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32. 251 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 77; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 57; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 76; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32. 252 Vgl. zu diesem Verhältnis von verdeckter Einlage zur Schenkungssteuer BFH v. 20.1.2016 – II ZR 40/14, GmbHR 2016, 498 m. Anm. Rodewald/Mentzel.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 79 § 3

den, was selbst im Fall der freiwilligen Übernahme von Verlusten gilt253. – Keine Gegenleistungspflicht steht in Rede, sofern einem zur Nebenleistung Verpflichteten durch die Gesellschaft ein komplementäres Sonderrecht eingeräumt wird; über diese Pflichtrechte bei Rz. 71. b) Geldleistungen, insbesondere Aufgeld Mitgliedschaftliche Geldleistungspflichten können im Grundsatz beliebig neben die notwen- 78 digen Einlagepflichten i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 4 treten, die § 3 Abs. 2 als „Leistung von Kapitaleinlagen“ bezeichnet (zur Abgrenzung bei Rz. 67). Neben der Verpflichtung zur Übernahme gewisser Gesellschaftsschulden, zur „Einstellung“ ausgeschütteter Gewinne in freie Rücklagen254, zur Deckung von Verlusten – soweit inhaltlich begrenzt (zu diesem Wirksamkeitserfordernis bei Rz. 73)255 – sowie zur jährlichen Zahlung von Deckungsbeiträgen, entweder in fester Höhe oder abhängig von dem erwirtschafteten Gewinn256, gehören hierher insbesondere die Verpflichtung zur Gewährung von Darlehen an die Gesellschaft257 (darüber 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 1 ff.) sowie jene zur Zahlung eines Aufgeldes (Agios) zur Ermöglichung einer Überpariausgabe der Geschäftsanteile258. Längst überholt ist die Ansicht, der zufolge Geldleistungspflichten zwingend entweder als Einlage- oder als Nachschusspflicht auszugestalten sind259. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob Nebenleistungspflichten unter besonderen Umständen in einzelnen Beziehungen, und zwar im Gläubigerinteresse, wie Einlageleistungspflichten zu behandeln sind. Für Gesellschafterdarlehen ist diese Frage grosso modo zu verneinen (zu den spezifischen Rechtsfolgen ausführlich bei 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 133), was bereits aus der fehlenden Zuführungspflicht in der Insolvenz der Gesellschaft folgt (12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 40 ff.), sofern nichts anderes und damit eine Annäherung an echtes Eigenkapital vereinbart ist (über die hiermit vor allem angesprochenen Finanzplankredite bei 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 495). Für Aufgeldverpflichtungen wird die Frage von der h.M. im Grundsatz zwar ebenfalls ver- 79 neint260, allerdings nur außerhalb der Insolvenz der Gesellschaft – jedenfalls in diesem spezi253 BGH v. 8.5.2006 – II ZR 94/05, ZIP 2006, 1199, 1200 (zur AG); BGH v. 14.1.2008 – II ZR 245/06, ZIP 2008, 453, 454 f. (zum Verein); ausführlich Koch in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 516 BGB Rz. 99. 254 Esch, NJW 1978, 2529, 2531; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 33. 255 BGH v. 22.10.2007 – II ZR 101/06, GmbHR 2008, 258, 259; Gasteyer, BB 1983, 934 ff.; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 103; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 39; a.A. OLG Nürnberg v. 4.6.1981 – 8 U 3216/80, GmbHR 1981, 242. 256 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 24/92, GmbHR 1993, 214, 214 ff. 257 BGH v. 17.10.1988 – II ZR 372/87, GmbHR 1989, 151, 152. 258 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 147, 149; Herchen, GmbHR 2008, 149 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78. 259 So noch Brodmann, Kommentar zum GmbHG, 2. Aufl. 1930, Rz. 7d; revitalisiert wird diese Sichtweise jedoch in Teilen durch jene auch gegenwärtig noch in der Literatur vertretene Ansicht, welche das Aufgeld zwar als Nebenleistungspflicht, indes als eine besondere in Gestalt einer Einlagepflicht qualifizieren will; so Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004, S. 139 ff., 308 ff.; Herchen, GmbHR 2008, 147, 150; diese Qualifikation dieser Nebenleistungs- als Einlagepflicht verträgt sich jedoch schon mit dem Wortlaut des § 3 Abs. 2 nicht, der Nebenleistungspflichten in Kontrast zu Einlagepflichten („außer der Leistung von Kapitaleinlagen“) stellt; wie hier auch Lüssow, Das Agio im GmbH- und Aktienrecht, 2005, S. 32 ff., mit ausführlicher Begründung. 260 Altmeppen, Rz. 31; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 68; a.A. Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004, S. 139 ff., 308 ff.; Herchen, GmbHR 2008, 147, 150; in diese Richtung partiell auch Ziemons in BeckOK GmbHG, 49. Edition, Stand: 1.8.2021, § 5 Rz. 111, wenn diese auf das korporative Aufgeld § 30 Abs. 2 entsprechend anwenden will und insoweit von einem „Eigenkapital auf satzungsmäßiger Grundlage“ spricht.

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§ 3 Rz. 79 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages fischen Abwicklungsstadium (d.h. im Fall der Insolvenz der Gesellschaft) soll ein Funktionswandel der Aufgeldverpflichtung erfolgen, die fortan nicht mehr allein dem Gesellschafts-, sondern jedenfalls auch dem Gläubigerinteresse zu dienen bestimmt sein soll261. Über die Einforderung von Aufgeldverpflichtungen in der Insolvenz der Gesellschaft näher bei Rz. 105; zur bürgerlich-rechtlichen Anfechtbarkeit der Aufgeldverpflichtung bei Rz. 109. Weitgehend konsentiert wird im Übrigen heute jedoch mit Recht, dass die Aufgeldverpflichtung nicht in den Schutzbereich der im Gläubigerinteresse liegenden Kapitalaufbringungs- und -erhaltungsvorschriften (insbesondere auch nicht in jenen der §§ 19, 24) einbezogen ist262, ungeachtet ihrer zwingenden Verbuchung auf der Passivseite der Bilanz als eigenkapitalerhöhende Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB. Anders als im Aktienrecht (vgl. dort § 150 Abs. 2 Satz 2 AktG) ist die Verwendung des Aufgelds keinen Beschränkungen unterworfen, falls der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt. 80 Eine Aufgeldverpflichtung kann – wie überhaupt für neben die Einlageleistung tretende

Leistungspflichten ein Wahlrecht in Bezug auf die Regelungsebene besteht (vgl. Rz. 2) – auch als schuldrechtliche (dann häufig „unechte“ genannt) vereinbart sein263, wogegen bei Aufnahme der Aufgeldvereinbarung in den Gesellschaftsvertrag jedoch eine Vermutung spricht264 (zur naheliegenden Ausgestaltung als mitgliedschaftliche Nebenleistungs- und damit „echte“ Aufgeldpflicht in diesem Fall bei Rz. 135 m.w.N.). Ist das Aufgeld als korporative Nebenleistungspflicht ausgestaltet, so ist es in seiner im Gesellschaftsvertrag oder im Kapitalerhöhungsbeschluss265 (dazu 12. Aufl., § 55 Rz. 27) festgesetzten Höhe bilanziell zwingend in die Kapitalrücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB einzustellen, was den Ausweis von Scheingewinnen verhindert. Dagegen ist die bilanzielle Einordnung (§ 272 Abs. 2 Nr. 1 oder § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB) im Fall einer schuldrechtlichen Zuzahlungsverpflichtung umstritten266 – nur bei engem sachlich-zeitlichen Zusammenhang zur Geschäftsanteilsübernahme

261 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 147, 148: Teil des in der Insolvenz der Gläubigerbefriedigung dienenden Eigenkapitals; BGH v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, GmbHR 2010, 700 Rz. 47 (für schuldrechtliches Agio); BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 148 Rz. 13 (für statutarisches Agio); insoweit ausdrücklich zustimmend OLG Schleswig v. 29.4.2015 – 9 U 132/ 13, GmbHR 2015, 990, 992 aus der Lit. zustimmend Rezori, RNotZ 2011, 125, 126; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; offenlassend OLG Hamburg v. 15.3.2013 – 11 U 221/11, BeckRS 2014, 7011; kritisch auch Inhester/Tönies, FD-MA 2008, 249472, die mit Recht darauf hinweisen, dass diese Rechtsprechung nicht für sonstige Zuzahlungen nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB gilt. 262 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416 f. nicht Teil der gläubigerschützenden Einlagenaufbringungspflicht; W. Müller, WPg 1980, 369, 373; Lüssow, Das Agio im GmbH- und Aktienrecht, 2005, S. 231 ff., 254; Priester in FS Lutter, 2000, S. 634; Altmeppen, Rz. 31; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 68; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 39; a.A. Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004, S. 148 ff.; Gienow in FS Semler, 1993, S. 165, 174. 263 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 148 Rz. 13.; BayObLG v. 27.2.2002 – 3Z BR 35/ 02, ZIP 2002, 1484, 1496 (zur AG); Szalai/Kreußlein, notar 2019, 223, 223 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 29; kritisch Herchen, GmbHR 2008, 149, 150. 264 Herchen, GmbHR 2008, 149, 150 m.w.N.; vgl. auch Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 Rz. 7. 265 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 148 Rz. 15; richtigerweise genügt die bloße Festsetzung im Kapitalerhöhungsbeschluss indes nicht; für eine Nebenleistungspflicht i.S.d. § 3 Abs. 2 bedarf es der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag, der freilich seinerseits durch den satzungsändernden Kapitalerhöhungsbeschluss (zumindest implizit) angepasst wird; der daraufhin notariell einzureichende vollständige Wortlaut des geänderten Gesellschaftsvertrags muss das korporative Aufgeld ausdrücklich ausweisen; a.A. Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 47; tendenziell wie hier aber Szalai/Kreußlein, notar 2019, 223, 227; die Aufnahme in den Satzungstext wird der Praxis jedenfalls zu empfehlen sein. 266 Für § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB C. Becker, NZG 2003, 510, 515 ff.; Baums in FS Hommelhoff, 2012, S. 61, 83 ff.; Ekkenga in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2017, Vor § 182 AktG Rz. 22; Kropff in Münch-

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 81 § 3

wird man überhaupt von einem Aufgeld (anstelle einer „sonstigen Zuzahlungspflicht“) sprechen können, das dann aber konsequent in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB einzubuchen ist. Ebenfalls umstritten ist, ob trotz dieses (dann gezielt auseinandergerissenen) Zusammenhangs Wahlfreiheit zugunsten einer Zuzahlung in die Kapitalrücklage nach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB besteht. Diese Frage, die bei schuldrechtlichen Vereinbarungen nur relevant wird, sofern der Gesellschaft – und nicht allein den Mitgesellschaftern267 – ein korrespondierender Anspruch eingeräumt wird, ist jedenfalls im GmbH-Recht (infolge Fehlens einer § 150 AktG i.V.m. § 272 Abs. 2 Nr. 1–3 HGB entsprechenden Reservefondsvorgabe) zu bejahen, und zwar selbst dann, wenn eine korporative Leistungspflicht begründet wird268. Auch eine Nebenleistungspflicht i.S.d. § 3 Abs. 2 kann nach richtiger, freilich bestrittener Ansicht als Verpflichtung zur „anderen Zuzahlung in das Eigenkapital“ i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB ausgestaltet sein, was allerdings das Fehlen einer Gegenleistung auf Seiten der Gesellschaft voraussetzt269. Zur Auswirkung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft auf die Verpflichtung zur Leistung eines Aufgeldes bei Rz. 105. c) Sachleistungen aa) Grundsätzliches; Beispiele Gegenstand von Nebenleistungspflichten können auch Sachleistungen beliebiger Art sein, 81 die von Sacheinlageverpflichtungen zu unterscheiden sind, gleichwohl aber mit diesen verbunden werden können (darüber bei Rz. 67). Hierher gehört neben den Sachaufgeld- und Anteilsübertragungspflichten (dazu bei Rz. 82 ff.) etwa: die im Gesellschaftsvertrag einem Gesellschafter auferlegte Pflicht, seine Erfindungen, Patente usw. der Gesellschaft zu übertragen270, Geschäftsräume zur Benutzung zu überlassen (falls nicht, was wohl näherliegt, eine mietvertragliche Abrede gewollt ist) oder aber auf einmalige oder dauerhafte Leistungen bezogene Lieferungs- und Abnahmepflichten. Letztere können freilich nur in den Grenzen des § 1 GWB271 vereinbart werden. Unzulässig ist heute etwa die früher häufig anzutreffende Benutzung der GmbH als Organisationsform für die Zwecke eines gemeinsamen Einkaufs oder Verkaufs: Die einer GmbH als Gesellschafter angehörenden Unternehmen dürfen nicht verpflichtet werden, ihre Erzeugnisse ausschließlich an die Gesellschaft zu liefern oder durch

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Komm. Bilanzrecht, 2013, § 272 HGB Rz. 102; Hoffmann-Becking in MünchHdb. GesR IV, 5. Aufl. 2020, § 4 Rz. 19; für § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB OLG München v. 27.9.2006 – 7 U 1857/06, ZIP 2007, 126, 129; Priester in FS Röhricht, 2005, S. 467, 476 f.; Cahn in FS Baums, 2017, S. 169, 177 ff.; Mock in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 9 Rz. 141; Schürnbrand/Verse in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 182 AktG Rz. 64 m.w.N.; Hennrichs/Pöschke in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 150 AktG Rz. 19. Sog. Gesellschafterzuzahlungen unterfallen § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB; vgl. nur Reiner in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 272 HGB Rz. 68. A.A. aber offenbar Kropff in MünchKomm. Bilanzrecht, 2013, § 272 HGB Rz. 101, wonach korporative Verpflichtungen stets durch § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB erfasst werden sollen; dagegen spricht aber schon der Wortlaut dieser Bestimmung, der einen trotz korporativer Verpflichtung nicht in jedem Fall vorhandenen Konnex zur Geschäftsanteilsübernahme nahelegt. S. z.B. BFH v. 24.4.2007 – I R 35/05, GmbHR 2007, 943 unter II. 2. a.; Röper/Leffers, WPg 2007, 1024, 1028; Reiner in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 272 HGB Rz. 103: „andere Zuzahlungen“ sind auch Leistungen aufgrund gesellschaftsrechtlicher Nebenleistungspflichten (§§ 55, 61 AktG; § 3 Abs. 2 GmbHG), denen keine Gegenleistungspflicht der Gesellschaft gegenübersteht; a.A. Szalai/Kreußlein, notar 2019, 223, 231, wonach § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB nur solche Zuzahlungen erfasse, die freiwillig, also nicht mit der Gesellschaft vereinbart seien. Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 34 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 69; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 40. BGH v. 19.6.1975 – KVR 2/74, BGHZ 65, 30, 34 = NJW 1975, 1837; vgl. Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 40.

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§ 3 Rz. 81 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages diese verkaufen zu lassen oder die von ihnen benötigten Waren nur von der Gesellschaft zu beziehen. bb) Sachaufgeld (Sachagio) (1) Bedeutung und Erscheinungsformen 82 Ist im Zuge der Gründung oder, praktischer bedeutsamer, im Rahmen einer Kapitalerhö-

hung durch den Inferenten eine Sachleistung zu erbringen, die entweder (bei vereinbarter Bareinlage) neben die Geldeinlagepflicht tritt oder (bei vereinbarter Sacheinlage) mit dem Sacheinlagegegenstand identisch ist272, diesen aber wertmäßig übersteigt, liegt in diesen Fällen der Überpariausgabe von Geschäftsanteilen ein sog. Sachaufgeld (Sachagio) vor273. Eine Nebenleistungspflicht i.S.d. § 3 Abs. 2 wird hiermit allein begründet, sofern die Sachleistungspflicht als korporative ausgestaltet und entsprechend im Gesellschaftsvertrag festgesetzt wird. Hieran wird es im Fall der Verpflichtung zur Übertragung eines den Wert des Nennbetrages des ausgegebenen Geschäftsanteils übersteigenden Sachgegenstandes nicht mangeln können. Im Fall der Bareinlage- nebst hinzutretender Sachleistungspflicht besteht hingegen eine alternative Gestaltungsmöglichkeit in der allein schuldrechtlichen Fundierung der Sachleistungspflicht. Ein Aufgeld i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB kann hierin indes nur erblickt werden, wenn die überschießende Verpflichtung zur Sachleistung dennoch (auch) gegenüber der Gesellschaft begründet wird274, und sei es nur im Wege eines schuldrechtlichen Vertrages zugunsten der Gesellschaft als Dritte (§ 328 BGB) im Rahmen einer omnilateralen Gesellschaftervereinbarung (zur Abgrenzung schuldrechtlicher von korporativen Leistungspflichten bei Rz. 133 ff.). Nur unter dieser Voraussetzung wird man entgegen teils großzügigerer275, teils strengerer276 Stimmen in der Literatur eine schuldrechtliche Aufgeldverpflichtung in Form der Pflicht zur Leistung eines Betriebs, Teilbetriebs oder eines Mitunternehmeranteils auch als Sacheinlage i.S.d. § 20 UmwStG bzw. in Form der Pflicht zur Abtretung von Kapitalgesellschaftsanteilen als (qualifizierten) Anteilstausch i.S.d. § 21 UmwStG einstufen können, liegt doch allein bei Leistungsverpflichtung gegenüber der Gesellschaft (dann aber ungeachtet ihrer schuldrechtlichen oder korporativen Rechtsnatur) das von § 20 Abs. 1 UmwStG verlangte Gegenseitigkeitsverhältnis vor. Dagegen ist diese steuerliche Qualifikation im Fall des korporativen Sachagios im zutreffenden Sinne für die Praxis

272 Der ersteren Fallgruppe fallen letztlich jene insoweit keiner gesonderten Behandlung bedürftigen Fälle zu, in welchen neben eine Sacheinlage eine Sachagioverpflichtung tritt, die sich nicht auf den nämlichen Sachgegenstand bezieht. 273 Häufig erfolgen die Sachleistungen in Gestalt der Pflicht zur Übertragung eines Einzelunternehmens, mitunter aber auch zur Abtretung von (etwa GmbH- oder Kommandit-) Gesellschaftsanteilen des Inferenten; vgl. etwa den Sachverhalt in BFH v. 7.4.2010 – I R 55/09, GmbHR 2010, 1104; weiterhin Reiner in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2020, § 272 HGB Rz. 68. 274 Ausdrücklich, mit Blick auf §§ 20 f. UmwStG a.A., mithin selbst diesen Fall einer schuldrechtlichen Verpflichtung gegenüber der Gesellschaft nicht für genügend haltend, um das steuerlich verlangte Gegenseitigkeitsverhältnis zu begründen, Patt, GmbH-StB 2017, 148, 152. 275 Vgl. etwa, allerdings zweifelnd, Karl, GmbHR 2020, 9, 20: schuldrechtliche Vereinbarung deutlich „anfälliger für Zweifel an dem Austauschverhältnis“; in diese Richtung auch Lubberich, DNotZ 2016, 164, 176, wonach für umwandlungssteuerliche Zwecke sowohl die schuldrechtliche als auch die mitgliedschaftliche Variante des Sachagios geeignet sein soll, um eine Buchwertfortführung zu ermöglichen; sofern beide Literaturstimmen die steuerliche Anerkennung der Einbringung indes wiederum von einer Verbuchung des Aufgelds als Rücklage i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 1 HGB abhängig machen, verblassen die Differenzierungen zur im Text vertretenen Ansicht. 276 Die strengeren Stimmen verlangen zwingend ein korporatives Agio; vgl. etwa Patt, GmbH-StB 2017, 148, 152 f., allerdings mit engen Ausnahmen; Mentel, SteuK 2010, 519; dem zuneigend Wicke, § 5 Rz. 19.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 83 § 3

geklärt277 und dieser daher einstweilen aus Gründen der Vorsicht zur Ausgestaltung der Sachagioverpflichtung als Nebenleistungspflicht zu raten, soll eine Buchwertfortführung ermöglicht werden. (2) Kapitalaufbringungskontrolle; Prüfungsrecht des Registergerichts Im gemeinhin akzeptierten278, bei 13. Aufl., § 9 Rz. 9 m.w.N. dargestellten Ausgangspunkt 83 unterliegt ein Aufgeld (sei es ein Bar- oder Sachaufgeld) im GmbH-Recht nicht der registergerichtlichen Kapitalaufbringungskontrolle (dazu bereits für das Baraufgeld bei Rz. 79), und zwar richtigerweise auch dann nicht, wenn die Leistung eines Sachgegenstandes im Gesellschaftsvertrag teils als Sacheinlage- und teils als Aufgeldleistung betragsmäßig ausgewiesen wird279. Es besteht jedoch ein registergerichtliches Recht zur Prüfung, ob die geleistete Bareinlage wertmäßig durch die Übertragung des als Aufgeld geschuldeten Sachgegenstandes zumindest teilweise aufgezehrt wird, sind doch anderenfalls die baren Einlagen nicht (vollständig) zur freien Verfügung der Geschäftsführer i.S.d. § 8 Abs. 2 bzw. § 57 Abs. 2 Satz 1 gelangt (woraus bei Gründung eine Unterbilanzhaftung erwächst). Mit einer Wertkontrolle des Aufgeldes selbst hat dies nichts gemein; Kontrollgegenstand ist einzig die Kapitalaufbringung der Bareinlage, zu deren Überprüfung lediglich mittelbar das Sachaufgeld in den Blick zu nehmen ist. Hieraus ergibt sich zwanglos, dass eine wirtschaftliche Gesamtbewertung des als Sachaufgeld übertragenen Sachgegenstandes (bzw. im Fall eines eingebrachten Betriebes: der Sachgesamtheit) zu erfolgen hat; hat bei saldierender Betrachtung die Sachleistung einen positiven Vermögenswert, tangiert es die ordnungsgemäße Leistung der Bareinlage nicht, wenn die Gesellschaft (wie bei Einbringung eines Betriebes nahezu zwangsläufig) jedenfalls auch Verbindlichkeiten übernimmt. Konsequenterweise hat sich die Kapitalaufbringungsversicherung auch nur um die Erklärung der Abwesenheit eines Negativsaldos zu erweitern280 und ein ggf. vom Registergericht verlangter (vgl. § 26 FamFG) Wertnachweis nur hierauf zu beziehen. Näherliegend wird ein in der Praxis insoweit mittlerweile weitgehend übliches registergerichtliches Nachweisverlangen bei Einbringung von Betrieben als Sachgesamtheiten sein; zulässig und zuweilen schon zu beobachten ist es jedoch auch etwa bei der Übertragung von Geschäftsanteilen, und zwar im Lichte der möglichen Haftung der Gesellschaft als Erwerberin für ausstehende Einlagen i.S.d. § 16 Abs. 2281. Nur bei allzu feinsinniger 277 BFH v. 7.4.2010 – I R 55/09, GmbHR 2010, 1104, 1105 f.; BMF 11.11.2011 – IV C 2 - S 1978-b/ 08/10001, BStBl. I 2011, 1314 Rz. E 20.09 i.V.m. Rz. 01.46, 01.44; BFH v. 22.7.2010 – V R 19/09, BStBl. II 2010, 1093; BFH v. 1.12.2011 – I B 127/11, GmbHR 2012, 654; FG Münster v. 2.4.2009 – 8 K 2403/05 F, BB 2009, 1690, 1691; Heidinger/Knaier in FS 25 Jahre DNotI, 2018, S. 467; Nitzschke in Brandis/Heuermann, Stand: Oktober 2021, § 20 UmwStG Rz. 73; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 3. Aufl. 2019, § 20 UmwStG Rz. 215. 278 BGH v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364 = ZIP 2012, 73 Tz. 17; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 9 Rz. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 9 Rz. 4; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, § 9 Rz. 15; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 9 Rz. 14; a.A. LG Bonn v. 5.5.1999 – 16 O 55/98, GmbHR 1999, 1291 (LS). 279 Zuweilen wird freilich daran gezweifelt, und zwar unter Verweis auf eine anderenfalls angeblich drohende Irreführung des Rechtsverkehrs über die Rücklagedotierung; in diese Richtung etwa bei 13. Aufl., § 9c Rz. 30 und Rz. 32; zudem Haslinger, MittBayNot 1996, 278, 279; Spiegelberger/Walz, GmbHR 1998, 761, 765; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 9c Rz. 36 m.w.N. in Fn. 184; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 9c Rz. 36; wie hier jedoch aber LG Augsburg v. 8.1.1996 – 3 HKT 3651/95, GmbHR 1996, 216, 217; Heidinger/Berkefeld in Heckschen/Heidinger, Kap. 11 Rz. 71; Hermanns in Michalski u.a., § 57a Rz. 12; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 56 Rz. 48; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 9c Rz. 7. 280 Im Ergebnis ebenso Lubberich, DNotZ 2016, 164, 177 m.w.N. in Fn. 52; Wicke, GmbHR 2018, 1105, 1108; Karl, GmbHR 2020, 9, 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 5 Rz. 44; Herrler in MünchKomm. GmbHG, § 7 Rz. 65 m.w.N. 281 Vgl. Wicke, GmbHR 2018, 1105, 1108 f.

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§ 3 Rz. 83 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages Betrachtungsweise wird man in Fällen eines allein per Saldo mit positivem Wert ausgestatteten Sachaufgeldes eine verdeckte Sacheinlage vermuten können282. Dieser den Anwendungsbereich des Sachaufgeldes erheblich zurückdrängenden Ansicht ist jedoch entgegenzuhalten, dass sie letztlich auf eine Wertaufbringungskontrolle des Aufgeldes selbst hinausläuft; jedenfalls wird man von einem wirtschaftlichen Einlagenrückfluss und damit potentiell einhergehender Gläubigergefährdung nur bei negativem Vermögenssaldo sprechen können. Davon zu unterscheiden sind die Fälle des sog. entgeltlichen Sachaufgeldes, in welchen die Gesellschaft dem eine Bareinlage schuldenden Inferenten die Leistung des Sachgegenstandes vergütet: Ungeachtet dessen, dass in solchen Fällen letztlich die Rede von einem Aufgeld bereits zweifelhaft erscheint, muss hier der Weg einer Mischeinlage beschritten werden (falls nicht buchungstechnisch separierte weitere Aufgeldleistungen für die Vergütung verwandt werden können)283, wohingegen eine bloße Offenlegung dieses Vorgangs gegenüber dem Registergericht ohne entsprechende Festsetzungen im Gesellschaftsvertrag die verdeckte Sacheinlage nicht zu verhindern vermag284. Ähnliches gilt (dann ist eine Festsetzung als gemischte Sacheinlage vonnöten), wenn ein wertmäßig die vereinbarte Sacheinlage überschreitender Sachgegenstand zu leisten ist und der überschießende Wert vergütet werden soll285. cc) Abtretungspflichten; Erwerbsvorrechte 84 Besondere Praxisbedeutung zur Steuerung des Gesellschafterkreises haben (aufschiebend

bedingte) Verpflichtungen der Gesellschafter, ihre Geschäftsanteile unter bestimmten Voraussetzungen an Mitgesellschafter, die GmbH oder an (von dieser zu benennende) Dritte abzutreten286, etwa im Fall des Vorliegens eines Einziehungsgrundes, häufig nach Wahl der Gesellschaft als Alternative zur dann ebenfalls möglichen Vernichtung des Geschäftsanteils. Zuweilen wird der Durchsetzungsmechanismus hinsichtlich dieser Abtretungsverpflichtungen über Verfügungsermächtigungen i.S.d. § 185 BGB zugunsten der Gesellschaft effektuiert, die nach dem bei Rz. 137 Gesagten richtigerweise auch korporativ ausgestaltet werden können. Mit der Abtretungspflicht des einen Gesellschafters kann – ebenfalls als Nebenleistungspflicht – die Übernahmepflicht eines oder mehrerer anderer Gesellschafter korrespondieren, womit die Geschlossenheit des Gesellschafterkreises im besonderem Maße gesichert werden kann287. Zu den häufigen Abtretungspflichten im Todesfall eines Gesellschafters als sich dann erst in den Händen der Gesellschaftererben aktualisierende Nebenleistungspflicht bei 13. Aufl.,

282 Dafür, mit ausführlicher Begründung, Heidinger/Knaier in FS DNotI, 2018, S. 467, 474 ff.; Heckschen in Reul/Heckschen/Wienberg, § 4 Rz. 777; Szalai/Kreußlein, notar 2019, 283, 292; dagegen aber mit Recht Wicke, GmbHR 2018, 1105, 1108; Karl, GmbHR 2020, 9, 17 f.; vgl. auch, allerdings zu großzügig, weil die im konkreten Fall denkbare Wertaufzehrung der Bareinlage nicht hinreichend in Rechnung stellend, OLG Karlsruhe v. 7.5.2014 – 11 Wx 24/14, GmbHR 2014, 752 m. kritischer Anm. Wachter. 283 Zu dieser Durchbrechung des Grundsatzes der Unbeachtlichkeit der Frage nach der Nämlichkeit der zurückfließenden Geldmittel BGH v. 15.10.2007 – II ZR 249/06, ZIP 2008, 26; dazu Haberstock, NZG 2008, 220; Kreußlein/Szalai, notar 2019, 283, 290. 284 A.A. offenbar Heinze, NJW 2020, 3768, 3769, da dem Inferenten nicht der „Vorwurf der Heimlichkeit“ gemacht werden könne, wenn das Sachagio als Nebenleistungspflicht Satzungsbestandteil sei. Auf eine derartige Verheimlichung kommt es aber nicht an, sondern auf die fehlende Festsetzung i.S.d. § 5 Abs. 4 Satz 1. 285 So wohl auch Heidinger/Berkefeld in Heckschen/Heidinger, Kap. 11 Rz. 71; Kurz, MittBayNot 1996, 172, 173; Heidinger/Knaier in FS DNotI, 2018, S. 467, 475; Leitzen in Michalski u.a., § 5 Rz. 58; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 9c Rz. 36. 286 Zu einem Beispiel für eine derartige Abtretungspflicht, die noch der Erfüllung durch einen notariell zu beurkundenden Abtretungsvertrag unter Mitwirkung des Ausgeschlossenen bedarf, OLG München v. 21.6.2021 – 23 W 784/21, BeckRS 2021, 27479. 287 Vgl. etwa Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 26 f.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 87 § 3

§ 15 Rz. 32, zu den Abtretungspflichten im Fall einer zur Austrittskündigung berechtigenden Satzungsklausel bei 12. Aufl., § 60 Rz. 90. Häufig werden als denkbarer Nebenleistungsinhalt überdies Vorkaufs- oder (auch bei ande- 85 ren als kaufrechtlichen Kausalgeschäften eingreifenden) Vorerwerbsrechte der Mitgesellschafter oder der Gesellschaft selbst genannt, weiterhin Ankaufsrechte derselben. In all diesen Fällen statuierter Vorkaufs-, Vorerwerbs- bzw. Ankaufsrechte kommt der Nebenleistungscharakter erst zum Vorschein, wenn die Betonung auf die korrespondierende Pflicht des betreffenden Mitgesellschafters gelegt wird, seinen Geschäftsanteil der Gesellschaft oder anderen Gesellschaftern unter bestimmten Voraussetzungen anzubieten bzw. (im Vorkaufs- bzw. Vorerwerbsfall) einen inhaltsgleichen Kauf- bzw. nach festgelegten Bedingungen auszugestaltenden sonstigen Erwerbsvertrag zu schließen. Nur vor diesem Hintergrund kann sinnhaft von einer zur Vornahme von Handlungen gerichteten Nebenleistungspflicht gesprochen werden. Abtretungs- und Andienungspflichten können trotz des Wortlauts des § 3 Abs. 2, der nur von Verpflichtungen gegenüber „der Gesellschaft“ spricht, auch unmittelbar zugunsten der Mitgesellschafter (nur mittelbar aber zugunsten Dritter) mit korporativer Wirkung begründet werden. Wird im Widerspruch zu einer bereits aktualisierten Abtretungspflicht zugunsten der Gesell- 86 schaft stattdessen durch den betroffenen Gesellschafter an einen Dritten abgetreten, ist die Übertragung gleichwohl wirksam – die korporative Abtretungspflicht trifft dann aber den Erwerber und ist von diesem zu erfüllen. Selbiges gilt für korporative Andienungspflichten eines Gesellschafters zugunsten der Gesellschafter oder (aller bzw. bestimmter) Mitgesellschafter bei bestimmten Ereignissen, im Fall der Veräußerungsabsicht in Form der Vorhand288; auch ihre Beachtung ist nicht dinglich wirkende Voraussetzung der Abtretung. Sie kann aber zu einer solchen über § 15 Abs. 5 (als „weitere Voraussetzung“ der Abtretung) erhoben werden, wenngleich dies nur im Ausnahmefall interessengerecht erscheint, da eine ebenfalls zulässige Verbindung mit einem bloßen Genehmigungsvorbehalt im Rahmen einer Vinkulierungsklausel stärkere Flexibilität ermöglicht. Auch ein Vorkaufsrecht oder Erwerbsvorrecht vermag nicht aus sich heraus, wohl aber im Zusammenspiel mit statutarischen Festsetzungen nach § 15 Abs. 5 „verdinglichte Wirkung“ zu entfalten. All diese Steuerungsinstrumente, jedenfalls sofern sie allein unter den Gesellschaftern (und nicht zugunsten der Gesellschaft) wirken sollen, werden in der Praxis allerdings regelmäßig nicht statutarisch, sondern schuldrechtlich in Gesellschaftervereinbarungen verankert; zu diesen bei Rz. 140 ff. d) Unterlassungspflichten (Wettbewerbsverbot) aa) Kein gesetzliches Wettbewerbsverbot Anders als bei den Personengesellschaften (§§ 112, 113, 161 Abs. 2 und § 165 HGB – inso- 87 fern werden sich durch das MoPeG bis auf Verschiebungen in der Nummerierung und unwesentliche sprachliche Modernisierungen keine inhaltlichen Änderungen ergeben) fehlt bei der GmbH eine gesetzliche Statuierung eines Wettbewerbsverbots, also jenes Verbots, der Gesellschaft in einem bestimmten Geschäftskreis Konkurrenz zu machen. Aus diesem Befund ergibt sich indes nur, dass für die Gesellschafter einer GmbH – anders als für die Gesellschafter einer OHG (§§ 112, 113 HGB) –, aber insoweit gleichermaßen wie für Kommanditisten (§ 165 HGB) jedenfalls kein generelles Wettbewerbsverbot besteht. Unberührt bleibt die Möglichkeit, dass sich aus ihrer Treuepflicht im Einzelfall etwas anderes ergeben kann289, 288 Larenz, DB 1955, 209, 210; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 28. 289 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 165 f. = GmbHR 1984, 203; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 14 Rz. 104; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 224; Schiessl/Böhm in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 34 Rz. 2; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 90.

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§ 3 Rz. 87 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages wie es jedenfalls dann entsprechend den § 112 und § 113 HGB der Fall ist, wenn Gesellschafter, insbesondere aufgrund ihrer Mehrheitsbeteiligung oder entsprechender statutarischer Sonderrechte, in der Lage sind, auf die Gesellschaft einen beherrschenden Einfluss auszuüben290. In anderen Fällen wird – auch bei personalistisch ausgestalteten Gesellschaften und daher trotz ihrer Nähe zu den Personengesellschaften291 – ein gesetzliches Wettbewerbsverbot zulasten von GmbH-Gesellschaftern allein aufgrund ihrer Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft jedoch meistens (mit Recht) verneint (a.A. jedoch, d.h. für Wettbewerbsverbot bei personalistisch strukturiertem Gesellschaftsverhältnis, bei 13. Aufl., § 14 Rz. 113 m.w.N.). Dies gilt insbesondere bei Minderheitsgesellschaftern, die nicht über ein vertragliches Sonderrecht auf Mitwirkung an der Geschäftsführung verfügen, was sogar für Gesellschafter gelten soll, die gerade mit 50 % an der Gesellschaft beteiligt sind. Über das treuepflichtbasierte Wettbewerbsverbot insgesamt bei 13. Aufl., § 14 Rz. 113; zum hiervon zu unterscheidenden Wettbewerbsverbot eines Geschäftsführers292, auch eines geschäftsführenden Gesellschafters, welches schon aus der organschaftlichen Treuepflicht abgeleitet werden kann, bei 12. Aufl., § 43 Rz. 186 ff. bb) Statutarisches Wettbewerbsverbot (1) Begründung 88 Vor diesem Hintergrund sehen Gesellschaftsverträge häufig, freilich je nach Realstruktur der

jeweiligen Gesellschaft, als Nebenleistungspflicht aller oder einzelner (etwa nur der mitarbeitenden, nicht der allein kapitalgebenden) Gesellschafter Wettbewerbsverbote vor. Strukturell sind Wettbewerbsverbote nichts anderes als Unterlassungspflichten, weshalb ihre prinzipielle Begründbarkeit als korporative Nebenleistungspflichten, deren Erfüllung mittels (ebenfalls im Gesellschaftsvertrag festzulegender) Vertragsstrafe sanktioniert werden kann, nicht in

290 Mit der Folge, dass sie dann nicht der Gesellschaft in ihrem Handelszweig unmittelbar oder mittelbar Konkurrenz machen dürfen; vgl. BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 166 f. = GmbHR 1984, 203; OLG Frankfurt a.M. v. 17.3.2009 – 11 U 61/08, GmbHR 2009, 884, 885 f. In anderen Fällen wird ein gesetzliches Wettbewerbsverbot zulasten von GmbH-Gesellschaftern allein aufgrund ihrer Treuepflicht gegenüber der Gesellschaft jedoch meistens verneint, insbesondere bei Minderheitsgesellschaftern, die nicht über ein vertragliches Sonderrecht auf Mitwirkung an der Geschäftsführung verfügen; das soll sogar für Gesellschafter gelten, die gerade mit 50 % an der Gesellschaft beteiligt sind. Erst recht besteht für Gesellschafter aufgrund ihrer Treuepflicht kein nachvertragliches Wettbewerbsverbot, sodass sie nach ihrem Ausscheiden in ihrer wirtschaftlichen Betätigungsfreiheit nicht mehr beschränkt sind. Kein Wettbewerbsverbot trifft außerdem nach überwiegender Meinung den einzigen Gesellschafter einer Einpersonengesellschaft, und zwar deshalb, weil er sich ohnehin jederzeit Befreiung von einem etwaigen Wettbewerbsverbot erteilen könnte BGH v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, GmbHR 2008, 757 Rz. 15; Schulze-Osterloh, FR 1993, 73, 80; Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1277; dagegen Burgard, ZIP 2002, 827, 836; anders früher BFH v. 14.3.1989 – I R 8/85, BFHE 156, 452, 455 f. = GmbHR 1989, 431; BFH v. 12.4.1989 – I R 142-143/85, BFHE 156, 484, 487 f. = GmbHR 1989, 433; BFH v. 26.4.1989 – I R 172/87, BFHE 157, 138, 140 f. = GmbHR 1989, 529; BFH v. 28.2.1990 – I R 144/87, BFHE 160, 237, 240; aufgegeben durch BFH v. 30.8.1995 – I R 155/94, BFHE 178, 371, 373 f. = GmbHR 1996, 58. 291 Gegen diese Auffassung spricht jedoch die Unschärfe des Begriffs der personalistischen GmbH, die die Gefahr einer unkontrollierten Ausdehnung des Wettbewerbsverbotes für die GmbH-Gesellschafter begründet Armbrüster, ZIP 1997, 1269, 1273; M. Winter, Treuebindungen, 1988, S. 251 f. Etwas anderes mag nach Treu und Glauben für die Gesellschaften gelten, in denen alle Gesellschafter persönlich unternehmerisch tätig sind; hier liegt in der Tat die Parallele zu den § 112 und § 113 HGB nahe, wenn man nicht in solchen Fällen schon dem Gesellschaftsvertrag konkludent ein Wettbewerbsverbot entnehmen will, M. Winter, Treuebindungen, 1988, S. 251 f. 292 S. zuletzt BGH v. 16.3.2017 – IX ZR 253/15, BGHZ 214, 220 = GmbHR 2017, 583, 585 Rz. 18 ff., dazu EWiR 2017, 339 m. Anm. Lüke/Wenske.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 90 § 3

Zweifel steht293. Zulässigkeitsschranken ergeben sich aber – auf zivilrechtlicher Ebene – aus § 138 BGB, insbesondere im Fall nachvertraglicher bzw. nachvertraglich fortwirkender Wettbewerbsverbote, sowie – auf kartellrechtlicher Ebene – insbesondere aus dem Kartellverbot des Art. 101 AEUV und § 1 GWB, von Fall zu Fall daneben über die ggf. anzuwendenden Vorgaben der Fusionskontrolle (FKVO; §§ 35 ff. GWB). Darüber sogleich bei Rz. 92. Das statutarische Wettbewerbsverbot braucht nicht ausdrücklich festgelegt zu werden, doch wird man an seine konkludente Vereinbarung im Lichte der Formbedürftigkeit von Nebenleistungspflichten strenge Anforderungen zu stellen haben. Daher ist etwa aus der Sacheinlage eines Handelsgeschäfts noch nicht notwendig auf die Vereinbarung eines Konkurrenzverbots zu schließen. (2) Erlöschen Ist ein korporatives Wettbewerbsverbot vereinbart, so erlischt diese Nebenleistungspflicht 89 mit der Übertragung des Geschäftsanteils für den Übertragenden, geht aber als korporatives in der Regel (sofern der Gesellschaftsvertrag nichts Abweichendes bestimmt) auf den Erwerber über. Stets ist insoweit jedoch zu prüfen, ob ein satzungsmäßiges Wettbewerbsverbot oder ein persönliches, nur unter den damaligen Gesellschaftern wirkendes gewollt war. Soll das Wettbewerbsverbot nach dem Ausscheiden eines Gesellschafters fortwirken, ist dieses gleichwohl nicht allzu künstlich in ein statutarisches (zu Zeiten bestehender Mitgliedschaft) und ein sich anschließendes schuldrechtliches Wettbewerbsverbot aufzuteilen; vielmehr liegt ein einheitliches statutarisches vor, ungeachtet dessen, dass gesellschaftsrechtliche Sanktionsmechanismen, die auf die Mitgliedschaft zielen, nach dem Ausscheiden nicht mehr einzugreifen vermögen (eine Sanktion mittels Vertragsstrafe, falls im Gesellschaftsvertrag vereinbart, bleibt allerdings möglich). Ist das Wettbewerbsverbot dagegen zeitlich an die Mitgliedschaft gebunden, kommt es bei der im Lichte des Art. 12 GG gebotenen grundrechtskonformen (geltungserhaltenden) Auslegung tatbestandlich bereits nicht mehr zum Tragen, sobald über das Ausscheiden des Gesellschafters Einigkeit besteht, gleichviel, ob dieses bereits dinglich vollzogen wurde (dazu 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 15) oder noch nicht, z.B. infolge fehlender Einigung über die Abfindung im Austrittsfall294. Das einstweilige Fortbestehen der Mitgliedschaft (vorbehaltlich abweichender Satzungsbestimmungen, vgl. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 24) ändert hieran nichts, weil diese eine insoweit rein formale bzw. vermögensmäßige ist, die angesichts des mit ihr verbundenen gestutzten Mitwirkungsrechts (vgl. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 17) jedenfalls nicht die Gefahr einer Aushöhlung der Gesellschaft von innen mit sich bringt. Selbiges gilt, falls noch nicht einmal der Austritt selbst (weil etwa statutarisch zwingend datumsmäßig aufschiebend befristet) wirksam geworden ist, der Gesellschaftsvertrag dem Austrittswilligen aber bereits substanzielle Mitwirkungsrechte ab erklärtem Austritt entzieht295. Zu den Wirksamkeitsschranken eines nachvertraglichen Wettbewerbsverbots bei Rz. 93. Wird die GmbH in das Liquidationsstadium überführt, wird man regelmäßig von einem 90 Fortfall des (insoweit nicht mehr erforderlichen und daher auch nicht mehr zumutbaren) Wettbewerbsverbots auszugehen haben, sofern sich nicht aus dem Gesellschaftsvertrag oder den Umständen, wie etwa einer (einstweiligen) Fortsetzung des Betriebes im Rahmen der Liquidation (vgl. darüber bei 12. Aufl., § 70 Rz. 10), Abweichendes ergibt (über Nebenleistungspflichten im Liquidationsstadium generell bei 12. Aufl., § 69 Rz. 12).

293 Vgl. Von der Osten, GmbHR 1989, 450 f.; Rudersdorf, RNotZ 2011, 509, 516; Raiser in Habersack/ Casper/Löbbe, § 14 Rz. 104; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 236; Pentz in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 87. 294 BGH v. 30.11.2009 – II ZR 208/08, GmbHR 2010, 256, 257 f. Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 14 Rz. 39. 295 OLG Nürnberg v. 14.10.2020 – 12 U 1440/20, GmbHR 2021, 93, 95 m. Anm. Haase.

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§ 3 Rz. 91 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages (3) Befreiung 91 Die Gesellschafter können einem Gesellschafter Befreiung von einem (hier allein interes-

sierenden statutarischen, aber ebenso einem treuepflichtbasierten) Wettbewerbsverbot für einen Einzelfall (dann auch vermittels punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlusses; vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 29) oder generell erteilen, im letzteren Fall allerdings wirksam nur vermittels Satzungsänderung i.S.d. §§ 53 f., vorbehaltlich einer einschlägigen Öffnungsklausel im Gesellschaftsvertrag (zu Öffnungsklauseln bei 12. Aufl., § 53 Rz. 27a), nach deren Maßgabe einem Gesellschafter kraft Mehrheitsbeschlusses (dann ohne Erfordernis notarieller Beurkundung und Registereintragung) Befreiung vom statutarischen Wettbewerbsverbot erteilt werden kann. Im Einzelfall kann auch § 112 Abs. 2 HGB entsprechend angewandt werden296. Umstritten ist, ob bei erforderlichem Satzungsänderungs- oder öffnungsklauselgestütztem Befreiungsbeschluss Raum für die Anwendung des § 47 Abs. 4 Satz 1 ist, wie es die überwiegende Ansicht annimmt297, sodass der betroffene Gesellschafter kein Stimmrecht hat (darüber, allerdings das Stimmverbot ablehnend, bei 12. Aufl., § 47 Rz. 113 ff.), sowie, ob der vom Wettbewerbsverbot zu befreiende Gesellschafter der Gesellschaft dafür ein Entgelt zu zahlen hat, wie es aus steuerrechtlichen Gründen (zur Vermeidung einer verdeckten Gewinnausschüttung) gelegentlich angenommen wird. Richtigerweise ist dies aber vonnöten, falls die Gesellschaft ein derartiges Entgelt gegen den betreffenden Gesellschafter als marktüblich hätte durchsetzen können298, was verlangt, dass sie dem Gesellschafter eigene Geschäftschancen zur Ausübung überlassen hat. Eine Befreiung verlangt dagegen steuerlich keinerlei Gegenleistung, sofern die Befreiung bereits bei Gründung zugunsten eines Gesellschafters erfolgt – doch liegt jedenfalls bei statutarischem Wettbewerbsverbot darin keine eigentliche Befreiung, sondern vielmehr eine tatbestandliche Einschränkung desselben. (4) Kartellrechtliche Schranken 92 Im Prinzip ist anerkannt, dass ein Wettbewerbsverbot für die Gesellschafter einer GmbH in

beschränktem Umfang erforderlich sein kann, um das Unternehmen der Gesellschaft in seinem Bestand und seiner Funktionsfähigkeit zu erhalten und davor zu schützen, dass ein Gesellschafter es von innen heraus aushöhlt oder gar zerstört. Ein Wettbewerbsverbot, welches über das für diese Zwecksetzung Erforderliche in seinem sachlichen oder zeitlichen Umfang hinausgeht, verstößt allerdings gegen das Kartellverbot299 und ist deshalb nichtig (§ 134 BGB), sodass es nicht befolgt werden darf – und zwar ungeachtet des Umstandes, dass kein Fall des § 75 vorliegt, weil § 139 BGB für den Bereich des § 75 als ausgeschaltet gilt (darüber bei 12. Aufl., § 75 Rz. 13), sodass die (isolierte) Nichtigkeit des Wettbewerbsverbotes nicht jene des Gesellschaftsvertrages nach sich zieht300. Bei der danach in jedem Einzelfall erforderlichen Prüfung der Zulässigkeit eines Wettbewerbsverbotes in einem Gesellschaftsvertrag kommt es, sollte eine spürbare Beeinträchtigung der Marktverhältnisse nicht schon von vornherein ausscheiden, insbesondere darauf an, ob der jeweils betroffene Gesellschafter ei-

296 Generell für eine entsprechende Anwendung und daher stets für eine Befreiung von dem (jedenfalls treuepflichtbasierten) Wettbewerbsverbot nur mit Zustimmung sämtlicher Gesellschafter Hoffmann in Michalski u.a., § 53 Rz. 137. 297 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69 = GmbHR 1981, 189; OLG Düsseldorf v. 24.2.2000 – 6 U 77/99, GmbHR 2000, 1050, 1052; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 281. 298 Zum Ganzen Söffing, Harzburger Steuerprotokoll 1997, S. 279, 287 f.; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 285. 299 Vgl. BGH v. 14.10.1976 – KZR 36/75, BGHZ 68, 6, 11 f. = NJW 1977, 804, 805 m. Anm. Ulmer; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 226; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 87. 300 S. BGH v. 3.5.1988 – KZR 17/87, BGHZ 104, 246, 251 f. = GmbHR 1988, 334; BGH v. 30.11.2009 – II ZR 208/08, GmbHR 2010, 256, 257; BGH v. 23.6.2009 – KZR 58/07, ZIP 2009, 2263 Rz. 17 f.; OLG Frankfurt a.M. v. 17.3.2009 – 11 U 61/08, GmbHR 2009, 884.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 93 § 3

nen wesentlichen Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft hat301. Jedenfalls Wettbewerbsverbote für Gesellschafter-Geschäftsführer, gleichviel, ob mit oder ohne gesellschaftliche Pflicht zur Geschäftsführung, erscheinen kartellrechtlich unbedenklich, sofern sie diese Rechtsstellung nicht nur formell innehaben. Ebenfalls zu rechtfertigen sind Wettbewerbsverbote aber auch für mehrheitlich beteiligte, ja sogar Minderheitsgesellschafter, die vermittels Sonderrecht auf die Geschäftsführung bestimmenden Einfluss nehmen können302 (in diesem Fall selbst dann, wenn sie im Übrigen rein „kapitalistisch“ beteiligt sind). Denn hier bedarf es des Wettbewerbsverbots, um die Funktionsfähigkeit der Gesellschaft zu sichern. Dies alles gilt freilich nur für sog. „kartellrechtsneutrale“ Gesellschaften. Verfolgen die Beteiligten dagegen mit der Gründung der Gesellschaft selbst wettbewerbsbeschränkende Zwecke, so führt dies in jedem Fall, und zwar auch, wenn zugleich ein Zusammenschluss vorliegt, ohne Weiteres zur Anwendbarkeit des Kartellverbotes; zum „Nichtigkeits“-Grund bei Verstoß des Unternehmensgegenstandes bzw. des Gesellschaftszwecks gegen ein Kartellverbot bei 12. Aufl., § 75 Rz. 23. (5) Zivilrechtliche Schranken Unabhängig von der kartellrechtlichen Prüfung des Wettbewerbsverbots ist die Prüfung des- 93 sen Vereinbarkeit mit § 138 BGB in Verbindung mit Art. 12 GG. Das Wettbewerbsverbot ist danach nichtig, wenn es sich nicht räumlich, zeitlich und gegenständlich auf das unbedingt notwendige Maß zum Schutze der Gesellschaft gegen ein treuwidriges Verhalten der Gesellschafter beschränkt, sondern darüber hinaus geht und damit die berufliche Bewegungsfreiheit des betroffenen Gesellschafters allzu sehr beschneidet303, insbesondere sofern ein tätigkeits-, nicht nur unternehmensbezogenes Verbot in Rede steht. Neuralgisch sind insoweit vornehmlich nachvertragliche (fortwirkende) Wettbewerbsverbote. Aus § 138 BGB folgt hier (wie sinngemäß auch im Übrigen), dass sich das Wettbewerbsverbot mit Rücksicht auf Art. 12 Abs. 1 GG zeitlich, räumlich und gegenständlich genau auf ein mit den legitimen Interessen des ausgeschiedenen Gesellschafters vereinbares Maß beschränken muss, sodass es grundsätzlich nicht über eine Dauer von ungefähr zwei bis drei Jahren und über den Gegenstand der Gesellschaft hinaus ausgedehnt werden darf304. Bei zeitlicher Überdehnung ist das Wettbewerbsverbot auf das zulässige Maß geltungserhaltend zu reduzieren305. Im Fall einer sachlichen Überdehnung ist das Wettbewerbsverbot nichtig, weil es nicht auf einen noch zulässigen Kern reduzierbar ist, sind doch mit der Bestimmung der (ggf. reduzierten) sachlichen Reichweite Wertentscheidungen verbunden, die zu treffen den Gesellschaftern vorbehalten bleiben muss306. Eine über diesen Rahmen hinausgehende Ausdehnung des (nachvertragli-

301 EuGH v. 15.12.1994 – C-250/92, Slg. 1994, I-5641 Rz. 28 ff., 45; BGH v. 23.6.2009 – KZR 58/07, ZIP 2009, 2263 Rz. 17, 20 m.w.N.: Schutz vor „Aushöhlung“ von innen. 302 Dazu BGH v. 3.5.1988 – KZR 17/87, BGHZ 104, 246, 252 f. = GmbHR 1988, 334 – Neuform; BGH v. 23.6.2009 – KZR 58/07, ZIP 2009, 2263 Rz. 18; Stöcker, GWR 2015, 181 ff.; zum Ganzen auch Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 14 Rz. 112. 303 BGH v. 19.10.1993 – KZR 3/92, GmbHR 1994, 44, 47; BGH. v. 29.1.1996 – II ZR 286/94, NJW-RR 1996, 741, 742 = DStR 1996, 1254; BGH v. 14.7.1997 – II ZR 238/96, NJW 1997, 3089 f. = WM 1997, 1707; BGH v. 30.11.2009 – II ZR 208/08, GmbHR 2010, 256, 257; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 241; Wicke, § 13 Rz. 22a. 304 BGH v. 18.7.2005 – II ZR 159/03, ZIP 2005, 1778, 1780 (zur GbR); Gresbrand, GmbHR 2013, 119, 120 f.; Stöcker, GWR 2015, 181, 183 f.; näher zu diesem Problemkreis Krämer in FS Röhricht, 2005, S. 335 ff. 305 BGH v. 29.10.1990 – II ZR 241/89, GmbHR 1991, 15 = NJW 1991, 699, 700; BGH v. 18.7.2005 – II ZR 159/03, ZIP 2005, 1778, 1780; Thüsing, NZG 2004, 9, 13; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 6 Rz. 25; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 242; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 93. 306 Vgl. Rudersdorf, RNotZ 2011, 509, 526; Weitnauer/Grob, GWR 2014, 185, 188.

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§ 3 Rz. 93 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages chen) Wettbewerbsverbotes für (ausgeschiedene) Gesellschafter kann, Spürbarkeit vorausgesetzt, zugleich in Konflikt mit dem Kartellverbot des § 1 GWB und des Art. 101 AEUV geraten; darüber bereits bei Rz. 92. Das Wettbewerbsverbot hindert deshalb den Gesellschafter (ebenso den Gesellschafter-Geschäftsführer) auch nicht daran, eine kapitalistische Minderheitsbeteiligung an einer Konkurrenzgesellschaft zu erwerben, sofern es ihm bei dieser an Einflussmöglichkeiten auf die Geschäftsführung fehlt307, oder bereits kurze Zeit vor Ablauf des Verbots mit der Vorbereitung eines späteren Konkurrenzunternehmens zu beginnen (§ 242 BGB). e) Handlungspflichten aa) Erbringung von (Geschäftsführungs-)Dienstleistungen 94 Hierher gehört der Fall, dass einem Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag die Pflicht zur Er-

bringung von Dienst- oder Arbeitsleistungen, vor allem (aber nicht nur) zwecks Ausübung der Geschäftsführerfunktion, auferlegt wird308. Eine korporative Geschäftsführungspflicht eines oder mehrerer (ggf. verschiedenen Familienstämmen zugehöriger) Gesellschafter ist häufig bei Familiengesellschaften (dann regelmäßig im Verbund mit einem dahingehenden Sonderrecht) anzutreffen, aber auch jenseits dieses Realtyps zu beobachten, insbesondere sofern es gilt, in Annäherung an Personengesellschaften eine „Selbstorganschaft“ nachzubilden oder die Ausnutzbarkeit bestimmter Kompetenzen einzelner Gesellschafter für die Geschäftsführung gesellschaftlich zu sichern, etwa über eine Nebenpflicht zur kaufmännischen Geschäftsführung durch den einen und zur technischen Geschäftsführung durch den anderen Gesellschafter309. Zum Zusammenfallen von Nebenleistungspflicht und Sonderrecht bei Rz. 71. Erfolgt eine Geschäftsführerbestellung unmittelbar „im Gesellschaftsvertrag“, was § 6 Abs. 3 Satz 2 zulässt, aber in der Praxis selten vorkommt, kann daraus, wie bei Rz. 130 ausgeführt, nicht auf einen materiellen Bestandteil des Gesellschaftsvertrages310 und erst recht nicht auf eine vom Bestellungsakt zu unterscheidende Nebenleistungspflicht zur Geschäftsführung geschlossen werden311. bb) Stimmrechtsbindungen 95 Auch Beschränkungen der Stimmrechtsmacht und damit Stimmrechtsbindungen sind als

denkbare Gegenstände korporativer Handlungspflichten zu nennen312. Hierunter fallen z.B. Stimmbindungen im Kontext von Geschäftsführerbestellungen, der Einsetzung und Besetzung fakultativer Gesellschaftsorgane oder von Vinkulierungsklauseln, als positive Stimmbindung hier etwa in Form der Verpflichtung, unter bestimmten Voraussetzungen einer Geschäftsanteilsübertragung zuzustimmen, als negative, anderenfalls die Zustimmung zu verweigern (darüber bei 12. Aufl., § 47 Rz. 36 ff.), und zwar jeweils nur als Stimmbindung unmittelbar gegenüber der Gesellschaft, nicht einem Dritten gegenüber, mag dieser auch reflexhaft (wie 307 OLG Stuttgart v. 15.3.2017 – 14 U 3/14, GmbHR 2017, 913, 916 m. Anm. Wagner. 308 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39; vgl. auch BAG v. 28.11.1990 – 4 AZR 198/90, GmbHR 1991, 460. 309 Vgl. etwa Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 23; Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 40; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 95. 310 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 207 f. = GmbHR 1955, 226; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129, 130; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 128. 311 Der Sache nach h.M., wenngleich zwischen beiden Fragen nicht immer scharf unterschieden wird; vgl. J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 61; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39; ferner Geißler, DZWiR 2018, 151, 157. 312 Altmeppen, Rz. 34; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 63; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 96 § 3

im Fall einer Zustimmungspflicht zur Entvinkulierung) hiervon begünstigt sein. Zum Ganzen, auch den Zulässigkeitsschranken bei 12. Aufl., § 47 Rz. 39 ff. Stimmbindungen unter den Gesellschaftern selbst werden dagegen überwiegend außerhalb des Status, auf Grundlage schuldrechtlicher Vereinbarungen getroffen; dazu bei Rz. 157. Denkbar, dann aber als Unterlassungs-, nicht als Handlungspflichten, sind auch Verpflichtungen zum Verzicht auf den Abschluss von Stimmbindungsverträgen313.

8. Leistungsstörungen a) Gesellschaftsrechtliche Reaktionsinstrumente Verletzungen der Nebenleistungspflichten durch einen Gesellschafter sind einer Sanktionie- 96 rung auf gesellschaftsrechtlicher Ebene zugänglich. In Betracht kommt z.B. die Verhängung einer Vertragsstrafe (§§ 339 ff. BGB)314; diese sollte in sinngemäßer Anwendung des § 55 Abs. 2 allerdings als Wirksamkeitsvoraussetzung der Festsetzung im Gesellschaftsvertrag (und nicht nur in einem Ausführungsvertrag) bedürfen (Warnfunktion auch für Sonderrechtsnachfolger!)315. Das Kaduzierungsverfahren (§§ 21 ff.) kann allerdings nicht betrieben werden (vgl. 13. Aufl., § 21 Rz. 9), doch bleibt es den Gesellschaftern unbenommen, im Gesellschaftsvertrag für den Fall nicht rechtzeitiger Nebenleistung ein (entschädigungsloses!) kaduzierungsähnliches Verfahren einzuführen316, freilich nur unter Beachtung des Grundsatzes der Kapitalerhaltung (§ 30); darüber bei 13. Aufl., § 21 Rz. 10. Alternativ kann jede Pflichtverletzung, sofern diese selbst, aber auch die Nebenleistungspflicht als solche hinreichend gewichtig ist, zum gesellschafterbezogenen Ausschließungsgrund, ferner zum anteilsbezogenen (mittelbar gesellschafterbezogenen) Einziehungsgrund im Gesellschaftsvertrag erhoben werden. In krass gelagerten Fällen vermag die Verletzung einer Nebenleistungspflicht auch ohne statutarische Grundlage kraft Gesetzes zur Ausschließung berechtigen, wie es etwa liegen kann, sofern die Nebenleistungspflicht wirtschaftlich als Hauptleistungspflicht des betreffenden Gesellschafters gegolten hat317. Umgekehrt können im Fall entgeltlicher Nebenleistungspflichten grobe Pflichtwidrigkeiten der Gesellschaft, im Ausnahmefall aber auch der bloße Wegfall der Nebenleistungspflicht für den betreffenden Gesellschafter einen wichtigen Austrittsgrund begründen; ein Auflösungsrecht des betreffenden Gesellschafters wird hieraus jedoch regelmäßig nicht erwachsen können318. Eine andere Frage ist, ob im Fall der Nebenleistungspflichtverletzung andere Gesellschafter Auflösungsklage i.S.d. § 61 erheben können; auch dies wird nur im Ausnahmefall einer dauernden Unmöglichkeit der Erreichung des Gesellschaftszwecks bei Unmöglichkeit einer hierfür konstitutiven Nebenleistungspflicht in Betracht kommen (vgl. generell zu den Anforderungen bei 12. Aufl., § 61 Rz. 28 ff.).

313 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 64; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 88. 314 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 67; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; vgl. auch KG v. 10.1.1908 – 1 X 1498/7, KGJ 1935, 178. 315 Wohl auch i.d.S. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 67; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48; aber jeweils, ohne auf die Unwirksamkeit in einem Ausführungsvertrag hinzuweisen. 316 KG v. 10.1.1908 – 1 X 1498/7, KGJ 1935, 178; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 67; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91. 317 Zutreffend Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94 mit weiteren Beispielen für diese seltenen Fälle; großzügiger aber noch Feine in Ehrenbergs Hdb III/3., S. 350, vermittels erweiternder Auslegung der Satzungsbestimmungen, die Nebenleistungspflichten auferlegen. 318 Womöglich weitergehend aber Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 96.

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§ 3 Rz. 97 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages b) Ergänzende Anwendung schuldrechtlicher Bestimmungen 97 Über die grundsätzliche Qualifikation der Nebenleistungen als gesellschaftsrechtliche Ver-

pflichtungen, auch im Fall von Ausführungsverträgen, sodass schuldrechtliche Bestimmungen entgegen der herrschenden Ansicht nur sinngemäß zur Anwendung gelangen, zunächst bei Rz. 76. Schweigt der Gesellschaftsvertrag insoweit, bestimmen sich die Rechtsfolgen von Leistungsstörungen – also nicht oder nicht wie geschuldet erbrachter Leistungen – mit dieser Maßgabe nach den bürgerlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 275 ff. BGB, im Fall entgeltlicher Nebenleistungspflichten i.V.m. §§ 320 ff. BGB, jeweils freilich überlagert durch die gesellschaftliche Treuepflicht (auch dazu bei Rz. 76)319. Diese Überlagerung wird bedeutsam vor allem im Fall von Teilleistungen, und zwar sowohl bei einmaligen als auch dauerhaften (etwa Wettbewerbsverbot bzw. sonstige Unterlassungspflichten) oder sukzessive (etwa Lieferpflichten) zu erfüllenden Nebenleistungen, gleichermaßen aber auch bei mangelhafter Leistungserbringung, die schuldrechtlich ebenfalls als Unterfall der (dann qualitativen) Teilleistung zu verstehen ist. Hier geht es um die Frage, ob derartige Teilleistungen zur Loslösung von der Nebenleistungsverpflichtung als solcher (sei es seitens der Gesellschaft oder des Gesellschafters) über die Ausübung des Totalrücktritts i.S.d. § 323 Abs. 5 BGB bzw. des Schadensersatzes statt der ganzen Leistung (mit dadurch bedingter Vertragsrückabwicklung) i.S.d. § 281 Abs. 5 BGB oder über eine Kündigung aus wichtigem Grund nach § 314 Abs. 2 BGB berechtigen320. Zu weit geht es, mit der h.L. die Leistungsstörungsrechte stets auf die konkrete Teilleistung bzw. den jeweiligen konkreten Ausführungsvertrag (d.h. die Einzelleistung im Gegensatz zur „Stammverpflichtung“) zu beschränken321, um eine anderenfalls drohende einseitige Satzungsänderung (infolge der Aufhebung der Nebenleistungspflicht) zu vermeiden. Eine solche Beschränkung erscheint nicht wertungsgerecht322, sofern die Gesellschaft oder der Gesellschafter (je nachdem, wessen Leistung gestört ist) zur Annahme einer Teilleistung gezwungen würde, obgleich die Pflichtverletzung erheblich ist bzw. an der Teilleistung kein Interesse besteht. 98 Die Unterschiede im Ergebnis zwischen diesen Positionen verblassen jedoch, wenn man die

Treuepflicht in Rechnung stellt: Diese wird es etwa im Fall des Zahlungsverzugs in der Regel (jedoch nicht stets!) gebieten, sich auf die Forderung nach Ersatz des erlittenen Verzugsschadens zu beschränken323 (§ 280 Abs. 2, § 286 BGB), während z.B. für einen Rücktritt oder eine Kündigung nur im Ausnahmefall Raum sein dürfte (§§ 242, 314, 323, 490, 543 Abs. 2 319 S. J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 66 ff.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 41 f. S. näher auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 83 f. 320 Bereits zivilrechtlich scheiden die beiden im Text erstgenannten, auf das gesamte Schuldverhältnis erstreckten Rückabwicklungsinstrumente aus, sofern die Nebenleistungspflicht (wie zuweilen im Fall einer Lieferverpflichtung) den Charakter eines Sukzessivlieferungsvertrages hat; Störungen bei einzelnen Leistungen können hier allenfalls zur Kündigung des Gesamtvertrages entsprechend § 314 BGB führen; zur Kündigung noch bei Rz. 110. 321 Geißler, DZWiR 2018, 151, 158; vgl. mit Unterschieden im Detail Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 93 (nur Teilrücktritt bzw. auf einen konkreten Ausführungsvertrag bezogener Rücktritt); J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 68; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48; für die AG Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 55 AktG Rz. 44 f. (keine Erstreckung auf Stammpflicht); Drygala in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 55 AktG Rz. 35; Götze in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 55 AktG Rz. 24; noch restriktiver Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 164 ff., wonach ein Rücktritts- oder Kündigungsrecht generell ausgeschlossen bleiben soll, weil damit die untrennbare Verbindung von Nebenleistungspflicht und Mitgliedschaft gelöst würde. 322 Wie hier bereits etwa Feine in Ehrenbergs Hdb III/3., S. 350 ff.; teilweise auch Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 73 ff. 323 Feine in Ehrenbergs Hdb III/3., S. 349 ff.; Wünsch in FS Demelius, 1973, S. 509; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 99 § 3

Nr. 3 BGB). Anderes gilt aber in Fällen, in welchen ein Rücktritt (etwa von einem konkretisierenden Ausführungsvertrag) nicht auf die „Stammverpflichtung“ durchschlägt, sodass trotz Rückabwicklung der konkreten Einzelverpflichtung die Nebenleistungspflicht im Übrigen bzw. für die Zukunft fortbesteht; hier besteht kein Bedürfnis nach einer treuepflichtbasierten Korrektur. Im Fall der Unmöglichkeit der Nebenleistung ist zu unterscheiden: Ist diese subjektiv, entfällt für den Gesellschafter, für den sie unmöglich ist, die konkrete Leistungspflicht, nicht aber entfällt sie für einen Rechtsnachfolger, sodass das „Stammrecht“ bestehen bleibt; ist die Unmöglichkeit dagegen eine objektive, entfällt die Nebenleistungspflicht (und damit auch das „Stammrecht“) für jedermann. Von alledem zu unterscheiden sind die Auswirkungen der Pflichtverletzung auf die Mitgliedschaft des Gesellschafters – diese wird auch dann nicht beendet, wenn es über das Leistungsstörungsrecht zum Entfallen der Nebenleistungspflicht kommt. Zu dann evtl. eingreifenden gesellschaftlichen Sanktionen aber bei Rz. 96; über die Möglichkeit der Kündigung der Nebenleistungspflicht bei Rz. 110. Nach überwiegender Meinung kann sich der Gesellschafter nicht einseitig durch ordentliche 99 Kündigung von den Nebenleistungspflichten lösen324, selbst wenn der Inhalt der Nebenleistungspflicht durch einen Ausführungsvertrag konkretisiert wird, für den nach schuldrechtlichen Grundsätzen ein ordentliches Kündigungsrecht bestünde (bei Darlehens-, Miet- und Dienstverträgen aufgrund der § 488 Abs. 3, § 580a, § 624 und § 627 BGB). Besonderheiten gelten jedoch, falls es sich um besonders schwerwiegende Leistungsstörungen handelt, die dem anderen Teil – der Gesellschaft oder dem Gesellschafter – die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses unzumutbar machen. Liegt die Leistungsstörung hierbei auf Seiten des Gesellschafters, so wird der Unzumutbarkeit über eine Ausschließung aus wichtigem Grunde Rechnung zu tragen sein325. Bei besonders schwerwiegenden Leistungsstörungen auf Seiten der Gesellschaft, bei denen dem Gesellschafter nach den ganzen Umständen die weitere Erbringung der Nebenleistungspflichten schlechthin unzumutbar ist, hat dieser aber richtigerweise326 angesichts der Wertungen, die in den § 314, § 543 Abs. 1 und § 626 BGB zum Ausdruck kommen, ein Kündigungsrecht aus wichtigem Grund, kann mithin die Nebenleistungspflicht als solche kündigen, ohne seine Gesellschafterstellung zu verlieren. Der Gesellschafter ist damit nicht auf gesellschaftsrechtliche Rechtsbehelfe wie die Auflösungsklage des § 61 oder den Austritt aus wichtigem Grund beschränkt327. Dabei wird es sich jedoch um besonders gelagerte Ausnahmefälle handeln, während im Regelfall die Parteien schon aufgrund der Treuepflicht verpflichtet sein dürften, nach einer für beide Seiten akzeptablen Lösung zu suchen328.

324 Altmeppen, Rz. 31; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 73; m.N.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94 (anders aber für § 624 BGB); Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 38; a.A. RG v. 7.2.1930 – II 24/29, RGZ 128, 1, 17; Noack, Gesellschaftervereinbarungen, 1994, S. 316 ff.; Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 69 ff.; Feine in Ehrenbergs Hdb. III/3, S. 345 f. 325 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 95. 326 RG v. 2.7.1926 – II 570/25, RGZ 114, 212, 215 ff.; RG v. 7.2.1930 – II 24/29, RGZ 128, 1, 15 ff.; Bergmann, ZHR 99, 1934, 373; Schwerdtner, GmbHR 1976, 101, 106 ff.; Altmeppen, Rz. 37; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 51 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 38. 327 S. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 6 ff.; so Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Michalski in Michalski u.a., 2. Aufl. 2010, Rz. 49, 53; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 35 I 2b, S. 1035. 328 Ebenso im Ergebnis RG v. 7.2.1930 – II 24/29, RGZ 128, 1, 17 f.; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 35 I 2b, S. 1035.

Scheller | 269

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§ 3 Rz. 100 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages

9. Rechtsnachfolge in die Nebenleistungspflicht 100 Eine (isolierte) Übertragung der Nebenleistungspflicht ohne Geschäftsanteil ist nicht mög-

lich, da diese an die Mitgliedschaft gebunden ist. Mit der Übertragung des Geschäftsanteils gehen dagegen in der Regel die Nebenleistungspflichten auf den Erwerber über (dessen etwaige Unkenntnis von der Nebenleistungspflicht ist, da statutarisch festgesetzt, unerheblich)329, während der Veräußerer von ihnen befreit wird, und zwar ohne nur auf Einlageoder Nachschusspflichten bezogene (vgl. §§ 22, 28 Abs. 1) Ausfallhaftung330. Vor allem in diesem Punkt unterscheiden sich die gesellschaftsrechtlichen Nebenleistungspflichten des § 3 Abs. 2 von den durch zusätzliche, schuldrechtliche Verträge übernommenen Nebenleistungspflichten der Gesellschafter, die an die Person des Gesellschafters gebunden sind und deren Übergehen auf einen Rechtsnachfolger daher nur im Wege der Vertragsübernahme möglich ist, an der alle drei Beteiligten – der alte und der neue Gesellschafter sowie die Gesellschaft als Gläubigerin – mitwirken müssen (§ 311 Abs. 1, §§ 398, 414, 415 BGB). Der Veräußerer haftet im Fall der (gesellschaftsrechtlichen) Nebenleistungspflicht neben dem Erwerber nur noch für bereits fällige, rückständige Einzelverpflichtungen aus der Stammrechtsverpflichtung331 (der zu eng ausgefallene, weil nur auf „Einlageverpflichtungen“ abstellende Wortlaut des § 16 Abs. 2 ist erweiternd auch auf Nebenleistungspflichten auszulegen, vgl. 13. Aufl., § 16 Rz. 52); überdies dann, wenn der Veräußerer nur eine Teilmenge mehrerer von ihm gehaltener Geschäftsanteile überträgt (sollte die Nebenleistungspflicht nicht nur an die übertragenen Geschäftsanteile gekoppelt sein). 101 In Ermangelung einer § 55 Abs. 1 AktG entsprechenden Bestimmung sind Geschäftsanteile

trotz an sie gebundener Nebenleistungspflicht frei übertragbar, was für die Gesellschaft eine Gefährdung bedeuten kann, sofern ein Geschäftsanteil an einen leistungsunfähigen Dritten übertragen wird. Der Gesellschaftsvertrag sollte hiergegen Vorsorge treffen, insbesondere vermittels Vinkulierungsbestimmungen, spezifischer aber etwa auch über Garantien des Nebenleistungsverpflichteten für die Leistung des Erwerbers332. 102 Veräußert ein Gesellschafter nur den kaufmännischen Betrieb, aus dem er bisher die Ne-

benleistungen zu erbringen hatte, nicht jedoch seinen Geschäftsanteil, so ändert dies nichts an seiner (mitgliedschaftsbezogenen!) Verpflichtung (falls diese nicht auflösend bedingt ausgestaltet ist). Wenn von der h.L. zur Begründung dieser Forthaftung auf § 26 HGB hingewiesen wird333, erscheint diese Begründung im Lichte des § 16 Abs. 2 sowie des § 16 Abs. 1 i.V.m. § 40 allerdings ebenso zweifelhaft, wie die gleichfalls überwiegend behauptete Möglichkeit der Erwerberhaftung nach Maßgabe der Voraussetzungen des § 25 HGB334. Richtigerweise sind die §§ 25 f. HGB nach Sinn und Zweck hier nicht einschlägig, was sich entweder mittels einer teleologischen Reduktion des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB oder einer teleologischen Extension des § 25 Abs. 2 HGB erreichen lässt. Veräußert der Gesellschafter dagegen seinen kaufmännischen Betrieb mitsamt seinem Geschäftsanteil, so gehen die aus dem Betrieb zu erbringenden Nebenleistungen auf den Erwerber in seiner Eigenschaft als anteils-

329 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 100; Bayer in Lutter/Hommelhoff Rz. 36; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 71. 330 Altmeppen, Rz. 26; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 100; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96. 331 Vgl. RG v. 22.6.1940 – II 10/40, DR 1940, 2013; Altmeppen, Rz. 26; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 37. 332 Vgl. etwa Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 50. 333 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96; so auch 11. Aufl. (Emmerich) Rz. 81. 334 Für diese h.L. nur Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96.

270 | Scheller

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 104 § 3

bezogener Sonderrechtsnachfolger über – da die Haftung mit dem Geschäftsanteil verbunden ist, wird die Haftung wiederum durch § 25 HGB weder begründet noch eingeschränkt. Ausnahmsweise personengebunden ausgestaltete Nebenleistungspflichten gehen infolge 103 ihrer Höchstpersönlichkeit nicht auf den Sonderrechtsnachfolger über335; vielmehr erlöschen sie, sofern sie nicht (dann als schuldrechtliche) in der Person des Veräußerers fortbestehen sollen. (Zum „nachvertraglichen“ Wettbewerbsverbot bei Rz. 93.) Auch im Übrigen kann der Gesellschaftsvertrag im Einzelfall ergeben, dass eine Nebenleistungspflicht nicht in jedem Fall, sondern nur bei bestimmten Qualifikationen des Erwerbers auf diesen übergehen soll (dann wird die Nebenleistungspflicht meist auflösend bedingt sein). Mit diesen Vorbehalten336 gehen Nebenleistungspflichten als dem zwingend vererblichen Geschäftsanteil anhaftende Pflichten im Todesfall auch auf Erben über337. Der Gesellschaftsvertrag kann freilich gezielt für den Todesfall das Erlöschen der Nebenleistungspflicht anordnen oder gerade im Hinblick auf die Nebenleistungspflicht eine Verpflichtung zur Abtretung des dem Erben zugefallenen Geschäftsanteils vorsehen. Im Zeitpunkt des Todes bereits rückständige Nebenleistungsverpflichtungen sind Nachlassverbindlichkeiten, später fällig werdende dagegen richtigerweise Eigenverbindlichkeiten des Erben, weil sie an seine nunmehrige Mitgliedschaft anknüpfen338.

10. Behandlung der Nebenleistungspflicht in der Insolvenz a) Insolvenz der Gesellschaft In der Insolvenz der Gesellschaft ist der Gesellschafter mit seiner Gegenleistungsforderung 104 für bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistungen einfacher Gläubiger. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft überführt diese in das Auflösungsstadium; vgl. § 60 Abs. 1 Nr. 4 und dazu 12. Aufl., § 60 Rz. 32. Das führt entgegen teilweise anderslautender Ansicht indessen weder zum Entfall der Nebenleistungsverpflichtung als „Stammrecht“ noch zum pauschalen Erlöschen künftig fällig werdender Einzelverbindlichkeiten339. Vielmehr wird man bei grundsätzlicher Aufrechterhaltung des „Stammrechts“ bzgl. der Einzelverbindlichkeiten danach differenzieren müssen, ob ihre Erfüllung einerseits dem Insolvenzzweck entspricht, andererseits dem Zweck der jeweiligen Ne335 Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 176; Altmeppen, Rz. 26; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96, 98; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 37; a.A. (kraft, allerdings überstrapazierender, Satzungsauslegung für ein Zustimmungserfordernis für Übertragungen in diesem Fall) Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 94. 336 A.A. Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 135 ff., dem zufolge (wenig überzeugend) bei der Vererbung eines Geschäftsanteils mit anhaftender höchstpersönlicher Nebenleistungspflicht (kraft satzungsergänzender Auslegung) verpflichtet sei, eine entsprechende Nebenleistungspflicht zu übernehmen (aber warum, sofern doch die Pflicht gerade höchstpersönlich ist?); dagegen mit Recht Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 181. 337 RG v. 8.10.1912 – II ZR 133/12, RGZ 80, 175, 179; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 181 f.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 49. 338 A.A. Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 140; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 182, wonach es sich auch dann um Nachlassverbindlichkeiten handeln soll, wenn sie erst nach dem Erbfall fällig werden; diese Aussage ist aber zu pauschal. 339 A.A. jedoch die h.L. im Aktienrecht; vgl. etwa Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 55 AktG Rz. 65; wie hier aber für nach Insolvenzverfahrenseröffnung fällig werdende Nebenleistungen auch Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 191; Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 121.

Scheller | 271

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§ 3 Rz. 104 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages benleistung; ist dies der Fall, kann die fortbestehende Leistungspflicht nicht als unzumutbar für den Gesellschafter angesehen werden340. Anderes gilt freilich, sofern der Gesellschaftsvertrag jedenfalls implizit einen Fortfall der Leistungspflicht im Insolvenzfall bestimmt. Ist der Gesellschafter nach Treu und Glauben danach ausnahmsweise verpflichtet, Nebenleistungen auch noch in der Insolvenz der Gesellschaft zu erbringen, so ist der Gesellschafter für nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erbrachte Leistungen hinsichtlich einer etwaigen Gegenleistungsforderung als Massegläubiger zu behandeln (§§ 103, 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO)341. 105 Nimmt man diese Grundsätze ernst, wird man entgegen BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06,

GmbHR 2008, 147 die Verpflichtung zur Leistung eines Aufgeldes nicht in jedem Fall als fortbestehend betrachten müssen, auch wenn die Aufgeldleistung dem Insolvenzzweck dienen wird. Es kommt insoweit darauf an, ob die Einforderung des Aufgeldes – durch den Insolvenzverwalter ohne Notwendigkeit eines vorherigen Gesellschafterbeschlusses i.S.d. § 46 Nr. 2 (vgl. 12. Aufl., § 46 Rz. 53) – im „Überlebensinteresse“ der Gesellschaft geboten erscheint; denn deren Interesse, nicht jenen der Gläubiger342, dienen Nebenleistungspflichten. Die gegenteilige h.M. verwischt die Konturen von Einlage- und Nebenleistungspflichten; insbesondere ist nicht erklärbar, weshalb die Aufgeldverpflichtung ihre Funktion mit der Insolvenzverfahrenseröffnung verändern soll343. Die Praxis weicht den Konsequenzen der h.M. aus, indem sie zunehmend auf „freiwillige Zuzahlungen“ i.S.d. § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB anstelle von Aufgeldverpflichtungen zurückgreift. Ähnlich differenzierend sind Verlustdeckungszusagen (vgl. Rz. 133) zu behandeln: Auch ihre Erfüllung wird dem Liquidationszweck dienen; es kommt aber darauf an, ob sie auch im Gesellschaftsinteresse liegen und ihrem Sinn und Zweck nach im Insolvenzfall fortbestehen sollten. So wird es im Regelfall nicht bei einer Verlustdeckungszusage liegen344; jeweils ist aber darauf abzustellen, zu welchem Zweck die Verlustdeckungszusage im Gesellschaftsvertrag vereinbart wurde und zu welchem konkreten Zweck sie eingefordert werden soll. Dient ihre Erfüllung etwa der Vorbereitung eines Fortsetzungsbeschlusses (zu Möglichkeiten der Fortsetzung nach eröffnetem Insolvenzverfahren bei 12. Aufl., § 60 Rz. 113 ff.), liegt sie im Gesellschaftsinteresse und besteht daher fort. b) Insolvenz des Gesellschafters 106 Nebenleistungspflichten sind auch in der Insolvenz des Gesellschafters im Ausgangspunkt

nicht suspendiert. Im Fall von Nebenleistungspflichten, mit denen ein Vermögensanspruch (vgl. § 38 InsO) der Gesellschaft korrespondiert, ist allerdings streitig, ob die Gesellschaft 340 Dafür aber Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 55 AktG Rz. 65, und zwar auch bei entgeltlichen Nebenleistungspflichten; wie hier aber wohl Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 98; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 99; Altmeppen, Rz. 29, die jeweils auf den Einzelfall abstellen wollen. 341 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 75; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 98. 342 Relativierend BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416, 2417 Rz. 19: Aufgeld dient „nicht in erster Linie dem alleinigen Gläubigerschutz“. 343 So aber BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, ZIP 2007, 2416, 2417 Rz. 19: Agio verliert seine primäre Funktion als in die freie Kapitalrücklage einstellbares, nicht gebundenes Eigenkapital jedenfalls dann, wenn die Gesellschaft – wie hier – in die Insolvenz geraten ist. 344 In diesem Sinne mit Unterschieden auch OLG Brandenburg v. 28.3.2006 – 6 U 107/05, ZIP 2006, 1675, 1676; OLG Celle v. 20.3.2000 – 13 U 181/99, OLGR 2001, 39, 40; OLG Schleswig v. 29.4.2015 – 9 U 132/13, GmbHR 2015, 990, 991; Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 123 f.; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 191 f.; a.A. OLG München v. 18.12.2003 – 12 O 1357/03, ZIP 2004, 2102, 2104; Bormann, GmbHR 2015, 990, 993 ff.; Podewils, GmbH-StB 2015, 289 f.; vgl. auch Weisser, GmbHR 2004, 1370, 1372, 1375; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 99; offenlassend BGH v. 8.5.2006 – II ZR 94/05, ZIP 2006, 1199, 1200.

272 | Scheller

2022-08-10, 11:07, GroKO groß

Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 106 § 3

insoweit als einfache Insolvenz- oder als Massegläubigerin zu betrachten ist. Im Vordringen befindet sich die Ansicht, der zufolge Ansprüche der Gesellschaft auf Erbringung statutarischer (geldwerter!) Nebenleistungen im Fall der Insolvenz des verpflichteten Gesellschafters als Masseschulden einzustufen sind345, und zwar in entsprechender Anwendung des § 55 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO346 (womit sie als Verbindlichkeiten verstanden werden, deren Erfüllung für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss). Verwiesen wird zur Begründung (insoweit allerdings in der Nähe einer petitio principii) auf die mitgliedschaftliche Natur der Nebenleistungspflicht347, die sich insbesondere in der Haftung eines Geschäftsanteilserwerbers für wiederkehrende, aber auch rückständige Leistungspflichten nach Maßgabe des § 16 Abs. 2 zeige (dazu bei Rz. 205). Weiterhin wird unter Wertungsgesichtspunkten angeführt, dass anderenfalls (d.h. bei Einstufung als Insolvenzforderung) der Insolvenzverwalter mittelbar über den Umfang der Ansprüche der Gesellschaft entscheiden könne (ermöglichte doch die Veräußerung des Geschäftsanteils durch den Insolvenzverwalter an einen Dritten die vollumfängliche Durchsetzung der Nebenleistungspflicht gegen diesen)348. Die überkommene Gegenansicht stuft Ansprüche der Gesellschaft aus Nebenleistungspflichten dagegen als einfache Insolvenzforderungen ein, wenn und sofern (wie meist) die betreffende Nebenleistungspflicht als Stammrecht bereits vor Insolvenzverfahrenseröffnung i.S.d. § 38 InsO „begründet“ worden sei (ohne dass es insoweit auf den Fälligkeitszeitpunkt der daraus resultierenden Einzelansprüche ankomme), zumal kein normativer Anknüpfungspunkt für eine Privilegierung dieser Forderungen erkennbar sei349. Richtig scheint dagegen eine differenzierte Betrachtungsweise: Verbindlichkeiten aus Nebenleistungspflichten, die bereits bei Insolvenzverfahrenseröffnung rückständig waren, sind als einfache Insolvenzforderungen einzustufen; demgegenüber wird bei Fälligkeit während des Insolvenzverfahrens eine Masseschuld vorliegen, und zwar unter Rückgriff auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 Fall 2 InsO, weil es sich um Verbindlichkeiten handelt, die als mitgliedschaftliche im weitesten Sinne durch die Verwaltung der Insolvenzmasse (zu welcher der Geschäftsanteil gehört) ausgelöst sind350.

345 Zunächst in diesem Sinne Ulmer, ZHR 149 (1985), 28, 35, 37 ff.; dem folgend Altmeppen, Rz. 30; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 76; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 35. 346 Vgl. zu dieser normativen Grundlage Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97 (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) bzw. Ulmer in Hachenburg, Rz. 130 (§ 59 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 InsO); Altmeppen, Rz. 30; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 76; hierzu auch Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 186; auf § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 2 stellt dagegen ab Thole in Karsten Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 55 InsO Rz. 17. 347 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97 (§ 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO) bzw. Ulmer in Hachenburg, Rz. 130; dagegen Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 186 f. 348 Zu diesem Argument: Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Altmeppen, Rz. 30, unter Bezugnahme auf § 16 Abs. 2. 349 Geißler, DZWiR 2018, 151, 160 f.; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 186 ff.; Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 128 f.; Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 54; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 98; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 52. Für diese Gegenansicht stellt sich im Fall entgeltlicher Nebenleistungspflichten die Folgefrage nach dem Bestehen des Insolvenzverwalterwahlrechts i.S.d. § 103 InsO, die überwiegend bejaht, mitunter aber unter Verweis auf die feste Verbindung von Nebenleistungspflicht und Mitgliedschaft auch verneint wird. 350 Wohl auch in diesem Sinne differenzierend Thole in Karsten Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 55 InsO Rz. 17; die Rechtslage ist insoweit vergleichbar der Behandlung von Wohngeldschulden; noch undifferenziert dagegen 12. Aufl., Rz. 87 (diese Ansicht wird insoweit aufgegeben).

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2022-08-10, 11:07, GroKO groß

§ 3 Rz. 107 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages

11. Erlöschen der Nebenleistungspflicht a) Auflösung 107 Die Auflösung der Gesellschaft, gleichviel, auf welchem Auflösungsgrund i.S.d. § 60 beru-

hend, beseitigt nicht für sich genommen in jedem Fall die Nebenleistungspflicht. Vielmehr muss die jeweilige Nebenleistungspflicht im Lichte des Liquidations- bzw. Insolvenzzwecks ausgelegt werden, was zu einer differenzierten Betrachtung und zur Frage nach der Unentbehrlichkeit und Zumutbarkeit der Leistungserbringung führt. Für den Insolvenzfall wird insoweit auf Rz. 104 ff., für den sonstigen Auflösungsfall auf 12. Aufl., § 69 Rz. 12 verwiesen. b) Anfechtung 108 Nebenleistungspflichten unterliegen in der Behandlung von Willensmängeln den bürger-

lich-rechtlichen Vorschriften, worin sich wiederum (vgl. Rz. 66) ausdrückt, dass Nebenleistungspflichten zwar wirtschaftlich, nicht aber rechtlich wesentlich für die Gesellschaft sind, insbesondere, da sie keinen Teil der Einlagepflichten bilden. Einschränkungen, wie bei den notwendigen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages (zu diesen bei Rz. 4 ff.), sind im Ausgangspunkt nicht geboten351, zumal hier für einen Vertrauensschutz Dritter (an sich) kein Raum ist. Eine Anfechtung der Nebenleistungspflicht, auch nach Eintragung der GmbH, ist damit für zulässig zu erachten352; Mitgliedschaft und Einlageverpflichtung werden durch die rückwirkende Nichtigkeit (§ 142 Abs. 1 BGB) nicht berührt; § 139 BGB ist insoweit ausgeschaltet353 (darüber sinngemäß bei 12. Aufl., § 75 Rz. 13). 109 Unzulässig ist die Anfechtung dagegen, sofern Nebenleistungs- und Einlagepflicht un-

trennbar miteinander verbunden sind, sodass die Anfechtung der Nebenleistungspflicht zumindest mittelbar auf die Einlagepflicht durchschlüge; so kann es liegen, wenn als Sacheinlage ein Handelsgeschäft wegen des Kundenstamms einzubringen ist und ein flankierendes Wettbewerbsverbot für den Inferenten begründet wird354. In diesem Sinne hat der BGH355 für eine im Zuge einer Kapitalerhöhung begründete – und zwar in den Kapitalerhöhungsbeschluss und die Übernahmeerklärung aufgenommene – Aufgeldverpflichtung entschieden, dass mit Eintragung der Kapitalerhöhung im Handelsregister die Unanfechtbarkeit der Übernahmeerklärung auch jene der Aufgeldverpflichtung erfasst, und zwar im Lichte des Gläubigerschutzes356. Entgegen der einhelligen Interpretation dieses Judikats im Schrifttum wird man den BGH jedoch nur dahingehend verstehen dürfen, dass er eine derartige Aufgeldverpflichtung „in Bezug auf etwaige Mängel der Übernahmeerklärung“ nicht für anfechtbar 351 H.L., Altmeppen, Rz. 28; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 54; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48; wohl auch Schäfer, Die Lehre vom fehlerhaften Verband, 2002, S. 201 f.; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 32; anders noch RG v. 4.4.1916 – II 427/15, RGZ 88, 187, 188 f.; Rob. Fischer, JZ 1954, 426, 428; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 172 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32. 352 A.A. Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 172 mit Verweis darauf, dass es im Wesen der Nebenleistungspflicht liege, dass sie das Schicksal des Geschäftsanteils teilt; so auch die h.L. im Aktienrecht, vgl. etwa Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 55 AktG Rz. 55; Koch, 16. Aufl. 2022, § 55 AktG Rz. 3 (nicht zweifelsfrei); einschränkend aber Drygala in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 55 AktG Rz. 27 ff. 353 Vgl. auch Altmeppen, Rz. 28; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90. 354 Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 172; Altmeppen, Rz. 28; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 54. 355 BGH v. 15.10.2007 – II ZR 216/06, GmbHR 2008, 148 f. 356 Zustimmend J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 54; ebenso wohl Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90.

274 | Scheller

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 110 § 3

erachtet; war die Übernahmeerklärung fehlerhaft, entfällt mit ihrer Heilung durch Eintragung auch die Möglichkeit, durch „Anfechtung der Übernahmeerklärung“357 zugleich die Aufgeldverpflichtung zu Fall zu bringen. Lagen dagegen Willensmängel (nur) in Bezug auf die Erklärung zur Übernahme der Aufgeldverpflichtung vor, wird man diese Erklärung richtigerweise anfechten können, insoweit aber nach den allgemeinen Grundsätzen die Einlageverpflichtung unberührt lassen. Das wird auch im Fall der „Fehleridentität“ zu gelten haben. Konsequent wird man – das Vorliegen eines Anfechtungsgrundes vorausgesetzt (!)358 – die Anfechtung auch noch im eröffneten Insolvenzverfahren ermöglichen müssen. Anhand der Trennbarkeit von Übernahme- und Aufgeldverpflichtung zu unterscheiden359 und nur bei Trennbarkeit die Anfechtbarkeit zuzulassen, überzeugt dagegen weniger, schon deshalb, weil nicht ersichtlich ist, wann diese rechtliche Trennbarkeit einmal nicht vorliegen sollte. Fehlinterpretiert wird dieses Judikat aber jedenfalls, wenn es gelegentlich als Beleg dafür gewertet wird, dass der BGH angeblich das Aufgeld dem Garantiefonds der Gesellschaft zuschreiben würde360; ebenso, wenn man hierin eine Aussage zur grundsätzlichen Unanfechtbarkeit einer Nebenleistungsverpflichtung erblicken wollte361. c) Kündigung, Leistungsstörungen Eine einseitige Kündigung der Nebenleistungspflicht bei Vorliegen eines „wichtigen Grun- 110 des“ ist unter Berücksichtigung der Wertungen, die in den § 314, § 543 Abs. 1 und § 626 BGB zum Ausdruck kommen, möglich362; doch ist zu beachten, dass im Lichte der Treuepflicht und der Verbundenheit von Nebenleistungspflicht und Mitgliedschaftsrecht die Kündigung nur als äußerster Notbehelf in Betracht kommen wird. Anzuerkennen sein wird sie damit nur, sofern es gilt, eine durch Abtretung des Geschäftsanteils nicht lösbare, unzumutbar gewordene Bindung des Gesellschafters zu beseitigen363. Insoweit wird es sich um besonders gelagerte Ausnahmefälle handeln, während im Regelfall die Treuepflicht gebieten wird, nach einer für beide Seiten akzeptablen Lösung (gerichtet auf Vertragsanpassung) zu suchen364. Liegt ein derartiger Ausnahmefall vor, ist es dann aber zulässig, die Nebenleistungspflicht als solche zu kündigen, ohne dass damit der Gesellschafter seine Gesellschafterstellung verlieren würde. Der Gesellschafter ist insoweit also nicht auf gesellschaftsrechtliche Rechtsbehelfe wie die Auflösungsklage des § 61 oder den Austritt aus wichtigem Grund be-

357 Nur um eine solche ging es; vgl. Rz. 21. 358 Ein Irrtum über die Finanzausstattung der Gesellschaft ist als Motivirrtum natürlich im Grundsatz unbeachtlich; anders liegt es, wenn der Inferent hierüber arglistig getäuscht wurde. 359 Altmeppen, Rz. 28; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63; so auch noch 12. Aufl., Rz. 75. Allerdings: Auch die einheitliche Erklärung, eine Einlageleistung nebst Aufgeldverpflichtung zu übernehmen, lässt sich rechtlich in zwei Elemente aufspalten. 360 So Herchen, GmbHR 2008, 149 ff.; dagegen mit Recht Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63 m. Fn. 140. 361 Ob diese Auffassung auch auf sonstige Nebenleistungspflichten der Gesellschafter übertragen werden kann, ist noch offen. 362 RG v. 2.7.1926 – II 570/25, RGZ 114, 212, 215 ff.; RG v. 7.2.1930 – II 24/29, RGZ 128, 1, 15 ff.; Schwerdtner, GmbHR 1976, 101, 106 ff.; Feine in Ehrenbergs Hdb III/3., S. 351 f.; weitergehend Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 51; a.A., die Kündigung nur der Nebenleistungspflicht schlechthin ablehnend, RG v. 7.6.1910 – II 507/09, RGZ 73, 429, 433; Wiedemann, Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten, 1965, S. 91; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35. 363 Vgl. auch Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 55 AktG Rz. 59 f.; ferner Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 107 f. 364 Ebenso im Ergebnis RG v. 7.2.1930 – II 24/29, RGZ 128, 1, 17 f.; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 35 I 2b, S. 1035.

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§ 3 Rz. 110 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages schränkt365. Der Einwand, das eine (die Mitgliedschaft) sei ohne das andere (die Nebenleistungspflicht) nicht gewollt, ist unbegründet, da es auf die Verhältnisse zum Kündigungszeitpunkt ankommt und der Gesellschaft als Reaktion auf eine „isolierte“, insoweit aber den Zweck der Gesellschaft gefährdende Mitgliedschaft des betreffenden Gesellschafters ein Ausschlussrecht aus wichtigem Grunde zukommt (darüber bei Rz. 96). Demgegenüber ist eine ordentliche Kündigung der Nebenleistungspflicht dem Gesellschafter verwehrt366, selbst wenn der Inhalt der Nebenleistungspflicht durch einen Ausführungsvertrag konkretisiert wird, für den nach schuldrechtlichen Grundsätzen ein ordentliches Kündigungsrecht bestünde (bei Darlehens-, Miet- und Dienstverträgen aufgrund der § 488 Abs. 3, § 580a, § 624 und § 627 BGB). Zur Befreiung von der Nebenleistungspflicht in Folge von Leistungsstörungen bei Rz. 96 ff. d) Statutarische Erlöschensgründe 111 Der Gesellschaftsvertrag kann im Sinne einer auflösend bedingten oder befristeten Neben-

leistungspflicht ein Erlöschen derselben vorsehen, etwa für den Todesfall oder den Fall der Veräußerung des Geschäftsanteils (dazu Rz. 103 bzw. Rz. 100). Ein Preisgaberecht (Abandonrecht) kann in Erweiterung des § 27 bestimmt werden, bedarf aber einer dahingehenden Festsetzung im Gesellschaftsvertrag, ohne die es, auch im Fall zeitlich nicht begrenzter Nebenleistungspflichten, nicht anzuerkennen ist (dazu m.N. bei 13. Aufl., § 27 Rz. 6). e) Erlass 112 Die Beseitigung der Nebenleistungspflicht als solcher, d.h. des „Stammrechts“, bedarf der

Satzungsänderung. Geht es dagegen nur um den Verzicht auf einzelne Leistungspflichten, die aus dem „Stammrecht“ entspringen, ist ein Erlassvertrag zwischen Gesellschaft (vertreten durch den Geschäftsführer) und verpflichtetem Gesellschafter zulässig; er kann aber das „Stammrecht“ nicht zum Wegfall bringen367.

V. Freiwilliger, aber formbedürftiger Inhalt des Gesellschaftsvertrages außerhalb des § 3 Abs. 2 1. Satzungsfreiheit und Satzungsvorbehalt 113 Nach § 3 Abs. 2 bedürfen eine etwaige Beschränkung des Unternehmens der Gesellschaft

„auf eine gewisse Zeit“ (vgl. Rz. 58 ff.) sowie die Verpflichtung der Gesellschafter zur Erbringung zusätzlicher Nebenleistungen (vgl. Rz. 64 ff.) der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag. Bei einer Zeitbestimmung handelt es sich mithin ebenso wie bei der Begründung von Nebenleistungspflichten um freiwillige („fakultative“) Bestandteile des Gesellschaftsvertrages. Hierunter sind all jene Regelungen zu verstehen, deren Aufnahme in den Gesellschafts365 S. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 6 ff.; so Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Michalski in Michalski u.a., 2. Aufl. 2010, Rz. 49, 53; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 35 I 2b, S. 1035. 366 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 73 m.N.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94 (anders aber für § 624 BGB). A.A. RG v. 7.2.1930 – II 24/29, RGZ 128, 1, 17; Noack, Gesellschaftervereinbarungen, 1994, S. 316 ff.; Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 69 ff.; Feine in Ehrenbergs Hdb. III/3, S. 345 f. 367 Vgl. Rohrer, Die Nebenleistungspflichten des GmbH-Gesellschafters, 1991, S. 115 ff.; für die AG Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 55 AktG Rz. 61. A.A. Schäfer in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 29; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 73; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 97; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 50; 12. Aufl., Rz. 92 (diese Ansicht wird aufgegeben).

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 114 § 3

vertrag den Gesellschaftern im Gegensatz zum Mindestinhalt des § 3 Abs. 1 freisteht, die jedoch, wenn die Gesellschafter entsprechende Abreden treffen wollen, in den Gesellschaftsvertrag (in der Form des § 2 bzw. jener des § 53 Abs. 2) aufgenommen werden müssen368. Mit § 3 Abs. 2 vergleichbare Bestimmungen finden sich noch an zahlreichen anderen Stellen des Gesetzes (dazu sogleich Rz. 114 ff.). Dieser Katalog hat zudem keinen abschließenden Charakter. Vielmehr besteht – im Rahmen der zwingenden Bestimmungen des Gesetzes – Satzungsfreiheit369, sodass die Gesellschafter, über die genannten Bestimmungen des Gesetzes hinaus, auch noch vielfältige sonstige Regelungen im Gesellschaftsvertrag mit bindender Wirkung für die Gesellschaft und zukünftige Gesellschafter, d.h. als körperschaftliche Regelungen treffen können. Einer gesonderten Ermächtigung bedarf es hierzu nicht370.

2. Erscheinungsformen und rechtliche Behandlung a) Geschriebener Satzungsvorbehalt (notwendig „echte“ Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags) aa) Zwingend korporative Bestandteile des Gesellschaftsvertrags kraft gesetzlicher Zuweisung Das Gesetz bestimmt an zahlreichen Stellen, dass bestimmte Regelungen (jedenfalls als kor- 114 porative) nur wirksam sind, sofern sie in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden. Die wichtigsten Beispiele für derartige zwar freiwillige, indes zwingend korporative Bestandteile des Gesellschaftsvertrages finden sich außer in § 3 Abs. 2 (vgl. Rz. 58 ff.) in den nachfolgenden Bestimmungen: – § 5 Abs. 4 Satz 1: Festsetzung einer Sacheinlage als Verpflichtung, die Einlage durch einen Sachwert zu decken, wobei heute weitgehend geklärt ist, dass es insoweit der Sache nach nicht um eine schuldrechtliche, sondern eine körperschaftliche Pflicht geht (13. Aufl., § 5 Rz. 35). – § 12 Satz 2: Bestimmung weiterer Medien neben dem Bundesanzeiger zum Zwecke einer Mehrfachveröffentlichung (13. Aufl., § 12 Rz. 8), was regelmäßig allerdings unzweckmäßig ist (ebenso wie der häufige, dann deklaratorische Verweis auf den Bundesanzeiger). – § 15 Abs. 5: Knüpfung der Abtretbarkeit der Geschäftsanteile an weitere, über das Beurkundungserfordernis hinausgehende Voraussetzungen, zumeist an eine Genehmigung der Gesellschafter, der Gesellschafterversammlung oder der Gesellschaft; hiervon wird rege, insbesondere in Familiengesellschaften, aber auch jenseits dieses Realtyps überall dort Gebrauch gemacht, wo der Gesellschafterkreis zusammengehalten bzw. eine Überfremdung vermieden werden soll, häufig verbunden mit wechselseitigen Vorerwerbsrechten (13. Aufl., § 15 Rz. 117 ff.).

368 Neben diesen freiwilligen, aber formbedürftigen, weil als korporative ausgestaltete Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages gibt es noch sog. „unechte“ Bestandteile des Gesellschaftsvertrages, die im Grundsatz nur tatsächlich, nicht aber rechtlich Bestandteil desselben bilden. Die Unterscheidung zwischen diesen beiden Typen freiwilligen Inhalts des Gesellschaftsvertrages ist von erheblicher Bedeutung. 369 Näher, auch zu Grenzen der Satzungsfreiheit, etwa Bayer in Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, 2007, S. 91; Hommelhoff in Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, ZGR-Sonderheft 13, 1998, 36, 37; Teichmann, RNotZ 2013, 346 ff.; Zöllner in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 85, 88; Cziupka in GS Hannes Unberath, 2015, S. 51 ff. 370 Deshalb kommt auch der Unterscheidung zwischen Satzungsbestimmungen, die das dispositive Recht ergänzen oder von diesem abweichen, anders als im Aktienrecht (§ 23 Abs. 5 AktG), keine entscheidende Bedeutung für die Bestimmung der Reichweite der Gestaltungsfreiheit zu; vgl. auch Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 21: Unterscheidung spielt geringe Rolle.

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§ 3 Rz. 114 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages – § 26 Abs. 1: Festsetzung von Nachschusspflichten als Gesellschafterbeiträge in Form von über die Einlagen hinausgehenden Einzahlungen371 (13. Aufl., § 26 Rz. 13 ff.), was in der Praxis jedoch selten vorkommt, zumal Nebenleistungspflichten flexibler für gesellschaftsinterne Finanzierungszwecke fruchtbar gemacht werden können (darüber bei Rz. 66). – § 34: Zulassung der Einziehung und damit der Vernichtung eines Geschäftsanteils, entweder nach Maßgabe des Abs. 1 mit Zustimmung des betroffenen Gesellschafters (13. Aufl., § 34 Rz. 18 f.) oder aber als Zwangseinziehung – unter genauer Bestimmung der Einziehungsgründe nach Maßgabe des Abs. 2 – ohne dieselbe (13. Aufl., § 34 Rz. 20 ff.), regelmäßig im Verbund mit näheren Vorgaben für die Abfindungsleistung (13. Aufl., § 34 Rz. 67 ff.) sowie den Wirksamkeitszeitpunkt; typischerweise wird im Gesellschaftsvertrag der Gesellschaft bei tatbestandlicher Verwirklichung des Einziehungsgrundes das Wahlrecht überlassen, anstelle der Einziehung die Zwangsabtretung der betreffenden Geschäftsanteile treten zu lassen (zu einer korporativen Verfügungsermächtigung bei Rz. 137). – § 52 Abs. 1: Bestellung eines organschaftlichen, nicht allein schuldrechtlichen, fakultativen Aufsichtsrats (12. Aufl., § 52 Rz. 10 ff.). – § 60 Abs. 2: Bestimmung satzungsmäßiger Gründe für die automatische Auflösung der Gesellschaft (Auflösungsklauseln, dazu 12. Aufl., § 60 Rz. 88 f.) sowie Einräumung eines Kündigungsrechts (Kündigungsklauseln, dazu 12. Aufl., § 60 Rz. 90 f.). – § 26 Abs. 1 AktG in entsprechender Anwendung: Sollen Gesellschaftern aus Anlass der Gründung einmalige oder laufende Gründervorteile gewährt werden, bedarf es deren Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag (13. Aufl., § 5 Rz. 115 ff.). § 26 Abs. 2 AktG in entsprechender Anwendung: Sollen den Gesellschaftern, wie in der Praxis regelmäßig der Fall, verauslagte Aufwendungen für die Vorbereitung und Errichtung der Gesellschaft erstattet werden, bedarf es in entsprechender Anwendung des § 26 Abs. 2 der Festsetzung dieser Überwälzung im Gesellschaftsvertrag, ebenso bei Entrichtung eines Gründerlohns (13. Aufl., § 5 Rz. 112). 115 Diese als besonders wichtig eingestuften Regelungen sind durch das Gesetz selbst dem Ge-

sellschaftsvertrag überwiesen. Daraus folgt jedenfalls im Ausgangspunkt zugleich, dass eine sog. „Öffnungsklausel“, die vermittels statutarischer Ermächtigung die Regelungsbefugnis von der satzungsändernden Gesellschaftermehrheit fortverlagert (und zwar regelmäßig zugunsten der einfachen Beschlussmehrheit), in diesen Bereichen versagen muss372. Eine Vinkulierungsbestimmung muss z.B. zwingend in allen Einzelheiten im Gesellschaftsvertrag geregelt werden; unzureichend wäre demgegenüber eine Satzungsbestimmung, welche die Entscheidung über Einführung oder Ausgestaltung dieser Abtretungserschwernisse der Beschlussmehrheit überantwortete. Die Einzelheiten, insbesondere die Grenzen des Einsatzes solcher Öffnungsklauseln, sind freilich umstritten; darüber, wenngleich mit tendenziell großzügiger Sichtweise, bei 12. Aufl., § 53 Rz. 27a (dort auch zur höchstrichterlich anerkannten Möglichkeit, vermittels Öffnungsklausel durch einfachen Mehrheitsbeschluss einen organschaftlichen Aufsichtsrat einzusetzen; vgl. hierzu zudem 12. Aufl., § 52 Rz. 11). bb) Satzungsdispositive (ansonsten zwingende) Bestimmungen 116 In einer Reihe weiterer Fälle steht eine Abänderung der gesetzlichen Regelung und damit

des gesetzlichen Normalstatuts unter Satzungsvorbehalt. Soll eine Abweichung von einer derartigen satzungsdispositiven Bestimmung erfolgen, muss diese im Gesellschaftsvertrag er371 Vgl. für ein Formulierungsbeispiel etwa Kanzleiter/Cziupka/M. Wachter in Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 26. Aufl. 2019, § 142 Rz. 167M. 372 Zu diesem Ergebnis kommt auch, wenngleich mit teilweise abweichender Begründung, Harbarth in FS Krieger, 2020, S. 309, 316 ff., freilich unter Anerkennung einer Öffnungsklausel für die Errichtung eines Aufsichtsrats als von ihm sog. „Gestaltungsklausel“.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 117 § 3

folgen; ein Beschluss genügt nicht, auch nicht, sofern mit allen Stimmen gefasst. Wichtige Beispiele: – § 28 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 i.V.m. § 27 Abs. 4: Ausschluss, Abschwächung oder Verschärfung der Kaduzierung bei beschränkter Nachschusspflicht bzw. fehlender Überschreitung des im Gesellschaftsvertrag festgesetzten Betrages (13. Aufl., § 28 Rz. 10). – § 29 Abs. 2: Abbedingung der nachträglichen Gewinnverwendung durch statutarischen Verzicht auf gesonderten Verwendungsbeschluss (13. Aufl., § 29 Rz. 38). § 29 Abs. 3 Satz 2: Bestimmung eines (auch disquotalen)373 Verteilungsmaßstabes, der vom dispositiven, nach dem Nennbetrag der Geschäftsanteile ausgerichteten abweicht (13. Aufl., § 29 Rz. 74 ff.; s. aber auch zu schuldrechtlichen Vereinbarungsmöglichkeiten bei Rz. 158 sowie 13. Aufl., § 29 Rz. 77a). – § 35 Abs. 2 Satz 1: Festlegung der gewünschten Vertretungsform (12. Aufl., § 35 Rz. 103), wohingegen § 68 Abs. 1 entnommen wird, dass für Liquidatoren von der gesetzlichen Regel der Gesamtvertretungsbefugnis ohne förmliche Satzungsbestimmung abgewichen werden kann, was allerdings richtigerweise nur für die konkrete (nicht die abstrakte) Vertretungsbefugnis zutrifft (12. Aufl., § 68 Rz. 5). – § 38 Abs. 2 Satz 1: Beschränkungen des wichtigen Abberufungsgrundes (12. Aufl., § 38 Rz. 38 ff.). – § 45 Abs. 2: Die Modalitäten der Willensbildung und die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung als oberstem Willensbildungsorgan können im Gesellschaftsvertrag weitreichend in Abweichung von der dispositiven Auffanglösung der §§ 45–51 geregelt werden (12. Aufl., § 45 Rz. 2 ff.). – § 53 Abs. 2 Satz 2: Verschärfende Anforderungen an Satzungsänderungen können im Gesellschaftsvertrag festgesetzt werden (12. Aufl., § 53 Rz. 86 ff.). – § 60 Abs. 1 Nr. 2: Erschwerung oder Erleichterung der Fassung eines Auflösungsbeschlusses (12. Aufl., § 60 Rz. 30). – § 72 Satz 2: Bestimmungen jeder Art über das unter die Gesellschafter im Rahmen der Schlussverteilung zu verteilende Vermögen, obgleich überwiegend (wenig überzeugend) entgegen dem Wortlaut, der einen Satzungsvorbehalt statuiert, einstimmige Beschlussfassung für ausreichend erachtet wird (dazu 12. Aufl., § 72 Rz. 2). Anders als bei den in Rz. 114 behandelten Fällen ist hier jeder Satzungsvorbehalt spezifisch 117 unter Heranziehung seines jeweiligen Zwecks daraufhin zu untersuchen, ob er sich (z.B. aus Gründen der registerrechtlichen Publizität) gegen eine statutarische Öffnungsklausel selbst dann versperrt, wenn diese hinreichend konkret gefasst ist374 (vgl. auch zu Öffnungsklauseln, allerdings ohne diese Einschränkung, bei 12. Aufl., § 53 Rz. 27a); das ist jedenfalls nicht der Fall (sodass eine Öffnungsklausel zulässig und im Übrigen auch praxisüblich ist), sofern es um Bestimmungen zur Gewinnverteilung375 (vgl. insoweit auch 12. Aufl., § 53 Rz. 143) oder zur Vertretungsbefugnis, sei es von Geschäftsführern (12. Aufl., § 35 Rz. 104 ff.) oder Liquidatoren (12. Aufl., § 68 Rz. 5 ff.), geht.

373 Vgl. etwa Peschke, Zulässigkeit disquotaler Gewinnverteilungen, 2006, passim; Grever, RNotZ 2019, 1, 7; Pöschke, DB 2017, 1165; weiterhin Kanzleiter/Cziupka/M. Wachter in Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 26. Aufl. 2019, § 142 Rz. 168 ff.; zur quotenabweichenden Rücklagenzuordnung Priester in GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 293 ff. 374 Vgl. generell und mit einigen Beispielen: Pöschke, Satzungsdurchbrechende Beschlüsse in GmbH und AG, 2020, S. 324 ff.; tendenziell großzügiger Harbarth in FS Krieger, 2020, S. 307, 316 ff. 375 Formulierungsbeispiel etwa bei Kanzleiter/Cziupka/M. Wachter in Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 26. Aufl. 2019, § 142 Rz. 170M.

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§ 3 Rz. 118 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages b) Ungeschriebener Satzungsvorbehalt („Natur der Sache“) 118 Nach Sinn und Zweck des Gesellschaftsvertrages bedürfen auch jenseits eines geschriebenen

Satzungsvorbehalts all jene Regelungen der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag, die das Verhältnis zwischen der GmbH und ihren Gesellschaftern „unmittelbar-dinglich“ und andauernd bestimmen und damit insbesondere auch zukünftig eintretende Gesellschafter (§§ 15, 55) binden sollen. Entscheidend kommt es auf die potentielle Wirkungserstreckung für und gegen künftige Gesellschafter an, sei es, weil abstrakt-generell in das Mitgliedschaftsrecht, sei es, weil in die Organisationsstruktur der Gesellschaft, insbesondere in die Kompetenzstruktur, gestaltend eingegriffen wird. Dass derartige Regelungen der Gesellschaft zugleich ihr besonderes Gepräge bzw. ihre Identität verleihen, ist ein typischerweise zutreffender Befund, aber kein wesentliches Klassifizierungsmerkmal376. Paradigma eines derartigen Satzungsvorbehalts im Lichte der angestrebten Ausgestaltung der Mitgliedschaft ist die Begründung von Vorzugsgeschäftsanteilen (vgl. 13. Aufl., § 14 Rz. 127), insbesondere, sofern mit Sonderpflichten der Gesellschaft einhergehend – denn die gegenseitigen Rechte und Pflichten müssen im Gesellschaftsvertrag verankert sein. Um einen Satzungsvorbehalt vermöge Eingriffs in die Organisationsstruktur geht es dagegen etwa bei der Festsetzung des Geschäftsjahres, die bei Gleichlauf mit dem Kalenderjahr377 (steuerliche Wahlfreiheit bei Gründung, vgl. § 4a Abs. 1 Nr. 2 EStG) freilich deklaratorisch wirkt, konstitutiv indes bei späterer Umstellung auf ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr (durch Satzungsänderung mit Zustimmung der Finanzverwaltung nach Maßgabe des § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG, vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 139)378. 119 Hierher gehören auch Bestimmungen über den Jahresabschluss, die freilich ebenfalls regel-

mäßig allein deklaratorischen Charakter haben379. Seitdem § 264 Abs. 1 Satz 3 HGB generell eine Dreimonatsfrist für die Aufstellung des Jahresabschlusses – nebst ggf. Lagebericht (§ 289 HGB) und Anhang (§§ 284 bis 288 HGB) – vorsieht, welcher selbst von kleinen Kapitalgesellschaften i.S.d. § 267 HGB (um höchstens drei Monate) überschritten werden darf, wenn dies „einem ordnungsmäßigen Geschäftsgang“ entspricht (vgl. § 264 Abs. 1 Satz 4 Halbs. 2 HGB), ist die vormals häufige statutarische Festsetzung einer Sechsmonatsfrist nunmehr unzulässig380, eine zulässige fristverkürzende Bestimmung dagegen unüblich. 120 Sofern sich die Notwendigkeit der Beschreitung der statutarischen Regelungsebene aus dem

Willen der Gesellschafter ergibt, korporative Verhaltens- oder Organisationsnormen zu begründen, wird von gewillkürten korporativen Bestandteilen des Gesellschaftsvertrages gesprochen, wobei insoweit die Willkürfreiheit nicht nur hinsichtlich des „Ob“ einer entsprechenden Bestimmung, sondern auch hinsichtlich des „Wie“ der zu beschreitenden Regelungsebene besteht – nur dann, wenn eine korporative, quasi „verdinglichte“ Wirkung erzielt werden soll, bedarf es der Bestimmung im Gesellschaftsvertrag. Sollen z.B. Forderungen für oder gegen die Gesellschafter begründet werden, besteht ein Wahlrecht, welche Regelungsebene (Gesellschaftsvertrag oder schuldrechtliche Vereinbarung) betreten werden soll. Als

376 A.A. offenbar Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 9; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 20. 377 Das erste Wirtschaftsjahr ist bei unterjähriger Gründung ein Rumpfgeschäftsjahr, das bei dem Geschäftsführer gestattetem vorherigen Tätigwerden nicht erst mit Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister, sondern mit Aufnahme der Geschäftstätigkeit der Vor-GmbH beginnt; vgl. BFH v. 3.9.2009 – IV R 38/07, GmbHR 2009, 1341, 1343. 378 Formulierungsbeispiele etwa bei Kanzleiter/Cziupka/M. Wachter in Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 26. Aufl. 2019, § 142 Rz. 156 M und 157. 379 Vgl. für ein Formulierungsbeispiel Wälzholz in Fuhrmann/Wälzholz, Formularbuch Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2018, M. 13.2 Anm. 39; Kanzleiter/Cziupka/M. Wachter in Kersten/Bühling, Formularbuch und Praxis der Freiwilligen Gerichtsbarkeit, 26. Aufl. 2019, § 142 Rz. 160M. 380 BayObLG v. 5.3.1987 – BReg. 3 Z 29/87, BayObLGZ 1987, 74 = DNotZ 1988, 50, 51 f.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 122 § 3

Ausdruck dieses allgemeinen Prinzips ist § 3 Abs. 2 Var. 2 zu verstehen: Sollen Nebenleistungspflichten als mitgliedschaftliche Pflichten begründet werden, muss hierfür eine Satzungsbestimmung getroffen werden. Es verbleibt aber die Möglichkeit, auf schuldrechtlicher Ebene inhaltlich (nicht aber der Wirkung nach!) vergleichbare Nebenleistungspflichten zu begründen381. Hierzu näher bei Rz. 69 sowie 12. Aufl., § 53 Rz. 12. Ähnliches gilt für Schiedsklauseln: Sollen diese auch gegen künftige Gesellschafter wirken, 121 mithin nicht allein Streitigkeiten unter den aktuellen erfassen, bedarf es der korporativen Ausgestaltung und damit der Aufnahme der Schiedsklausel in den Gesellschaftsvertrag als echter Bestandteil (darüber bei 13. Aufl., § 13 Rz. 43). Wahlmöglichkeiten gibt es aber mitunter (vgl. etwa § 6 Abs. 3 Satz 2 [dazu bei Rz. 130] oder § 29 Abs. 1) auch zwischen der Satzungs- und der einfachen Beschlussebene (beides wirkt korporativ, vgl. Rz. 130 ff.), wobei die Wahl der Regelungsebene vor allem Auswirkungen auf die Abänderbarkeit der jeweiligen Bestimmung hat (dort über die Regeln der Satzungsänderungen, hier durch einfachen Mehrheitsbeschluss).

3. Gestaltungsgrenzen Vor allem zur Vermeidung negativer externer Effekte, teilweise aber auch aus paternalisti- 122 schen Motiven und/oder zum Minderheitenschutz wird die Satzungsautonomie durch zwingendes Recht382 begrenzt. Im Zeichen des Gläubigerschutzes wird das Außenverhältnis der GmbH vom Prinzip der Satzungsautonomie sogar im Grundsatz nicht erfasst, was den zwingenden Charakter etwa der Regelungen über die Kapitalaufbringung und der Kapitalerhaltung erklärt (s. vor allem die §§ 5, 19, 30–32)383, aber auch die nach außen unbeschränkte Vertretungsmacht des Geschäftsführers (§ 37) sowie dessen Kapitalsicherungspflicht (§§ 30, 33, 43 Abs. 3)384. Auch das Außenverhältnis wird durch die Vorschriften zur Rechnungslegung und zur Publizität (§ 41 GmbHG, §§ 242, 264, 325 HGB) zwingend geregelt. Das Innenverhältnis ist demgegenüber grundsätzlich dispositiv ausgestaltet (hierzu näher 12. Aufl., § 45 Rz. 2 ff.), allerdings begrenzt durch zwingende Regelungen im Zeichen des Minderheitenschutzes. Diese Regelungen verfolgen paternalistische Zwecke, sofern sie nicht allein eine spätere Abbedingung durch Satzungsänderung mit qualifiziertem Mehrheitsbeschluss, sondern bereits eine Abbedingung (mit Zustimmung aller) im Gründungsstadium ausschließen. Hierzu zählen das jederzeitige Auskunfts- und Einsichtsrecht der Gesellschafter (§ 51a; dazu 12. Aufl., § 51a Rz. 50 f.) und das Recht der Minderheit, die Einberufung einer Gesellschafterversammlung zu verlangen (§ 50; dazu 12. Aufl., § 50 Rz. 6). Der paternalistische Einschlag dieser zwingenden Regelungen dürfte vor allem dem Befund eines anfänglichen Überoptimismus der Minderheitsgründungsgesellschafter geschuldet sein, die es vor opportunistischer Machtausnutzung eines Mehrheitsgesellschafters zu schützen gilt. Das paternalistische Element verliert zugunsten des Regelungstopos des „reinen“ Minderheitenschutzes mit Blick auf nach der Gründung beitretende Gesellschafter allerdings an Gewicht, da diesen Ge381 Insoweit gilt: Nur, wenn die Forderung als mitgliedschaftliche ausgestaltet werden soll, muss sie notwendig im Gesellschaftsvertrag getroffen werden. 382 Hierzu näher Bayer in Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, 2007, S. 91; Hommelhoff in Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, ZGR-Sonderheft 13, 1998, 36, 40; Grziwotz in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 18 Rz. 1; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151 ff. 383 Hommelhoff in Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, ZGR-Sonderheft 13, 1998, S. 36, 40; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151. 384 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 104; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151; vgl. auch Hommelhoff in Lutter/Wiedemann, Gestaltungsfreiheit im Gesellschaftsrecht, ZGR-Sonderheft 13, 1998, S. 36, 42 f.

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§ 3 Rz. 122 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages sellschaftern die Möglichkeit des Selbstschutzes durch Verweigerung der Zustimmung zu einer bestimmten Ausgestaltung der Gründungssatzung versagt war385. 123 Neben dem zwingenden Gesetzesrecht – und dem zwingenden Richterrecht386 wie den Re-

geln über den Ausschluss eines Gesellschafters und den Austritt aus wichtigem Grund – sind überdies jene Gestaltungsgrenzen zu beachten, die sich aus allgemeinen Prinzipien des Körperschaftsrechts oder aus ungeschriebenen Regeln und Prinzipien des GmbH-Rechts387 ergeben. Diese Prinzipien wirken als feinsteuerndes Korrekturinstrument der Gestaltungsfreiheit und dürften überwiegend als judikativ gebildete zwingende Regelungsschranken zu verstehen sein, ohne zumeist eine bestimmte Inhaltsgestaltung vorzugeben. Sie haben auch im Rahmen einer Inhaltskontrolle des Gesellschaftsvertrages Bedeutung, wohingegen eine AGB-Kontrolle der korporativen Satzungsregelungen nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB ausscheidet388, dazu näher 13. Aufl., § 2 Rz. 9. Die Inhaltskontrolle (s. hierzu auch 13. Aufl., Einl. Rz. 21 sowie näher 12. Aufl., § 45 Rz. 2) ist eine Wirksamkeitskontrolle, die vor allem anhand des Maßstabs des § 138 BGB als „Mindeststandard“389 überprüft, ob im Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine bestimmte Satzungsbestimmung wirksam vereinbart wurde. Mit dem Sittenwidrigkeitsverdikt ist äußerst zurückhaltend umzugehen; es bedarf hierfür einer gravierenden Verletzung der sittlichen Ordnung, die bereits bei Vertragsschluss vorgelegen haben muss. In Rechtsprechung und Literatur werden insoweit vor allem unangemessen ausgestaltete Abfindungs- und Hinauskündigungsklauseln diskutiert (hierzu 13. Aufl., § 34 Rz. 73 ff. sowie 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 59).

124 Eine geringfügig intensivierte Inhaltskontrolle durchzuführen wird für Satzungsbestim-

mungen in sog. Anlagegesellschaften erwogen390, bei denen (Minderheits-)Gesellschafter einer Gesellschaft mit existenter Satzung ohne reale Möglichkeit zu deren inhaltlicher Anpassung beitreten. Vereinzelt wird diese erhöhte Kontrolldichte auch für Familiengesellschaften als sachgerecht empfunden, wenn und weil hier der Beitritt aus „unfreier Motivations- und Machtlage“ erfolgt391, wohingegen andere Stimmen in der Literatur die Kontrolldichte bei auf Mitgliederwechsel angelegten Gesellschaften erhöhen, bei personalistischen Gesellschaften dagegen verringern wollen392. Unabhängig von der Struktur der jeweiligen Gesellschaft sollte die über § 138 BGB hinausgehende, an den Maßstäben von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ausgerichtete Inhaltskontrolle richtigerweise davon abhängig sein, dass ein prozeduraler bzw. struktureller Mangel beim Vertragsschluss festzustellen oder bei einem späteren Beitritt typischerweise zu erwarten ist393. Ein solcher Mangel kann in der Tat vor allem dann vorliegen, wenn es sich um Anlagegesellschaften als sog. „Satzungsgesellschaften“ handelt394, bei denen sich Gesellschafter nicht im Wege privatautonomer Verhandlungen mit erhöhter 385 Fleischer in MünchKomm. GmbHG, Einleitung Rz. 280 mit Verweis auf Forderungen nach Schutzvorkehrungen bei „midstream Änderungen“; Cziupka in GS Hannes Unberath, 2015, S. 51 ff. 386 J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 107; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 152. 387 Vgl. etwa J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 107 f.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 154; Grziwotz in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 18 Rz. 13. 388 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 67; Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 19; Roth in Roth/ Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 2 Rz. 15. 389 Grziwotz in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 18 Rz. 12. 390 BGH v. 14.4.1975 – II ZR 147/73, BGHZ 64, 238 = NJW 1975, 1318 (zur Publikums-KG); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 71; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 158. 391 So Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 71; dazu auch Grziwotz in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 18 Rz. 9; dies dürfte letztlich aber nur relevant sein, wenn der spätere Beitritt (bzw. der Erwerb einer Beteiligung aufgrund von Erbfolge) aufgrund von Nachfolgeplanungen vorgezeichnet ist, an welchen der Nachfolger selbst nicht beteiligt war. 392 Reuter, Privatrechtliche Schranken der Perpetuierung von Unternehmen, 1973, S. 228 f.; vgl. dazu auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 158. 393 Ähnlich Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 70. 394 Dies betont auch Grziwotz in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 18 Rz. 10.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 126 § 3

„Richtigkeitschance“ an der Satzungsgestaltung beteiligen, sondern einer im Wesentlichen vorformulierten Satzung ohne wesentliche Einflussmöglichkeit anschließen. Allerdings muss auch hier die Inhaltskontrolle sehr restriktiv gehandhabt werden, zumal der Beitritt (etwa im Zuge einer Anteilsabtretung, § 15 Abs. 3, oder einer Kapitalerhöhung, §§ 55 ff.) regelmäßig (mit Ausnahme insbesondere der erbrechtlichen Gesamtrechtsnachfolge) nicht ohne notarielle Begleitung des Beitretenden erfolgen wird395. Eine reale Chance auf Neuverhandlung der Satzung im Zuge des Beitritts besteht bei Anlagegesellschaften jedoch oftmals nicht. Dagegen ist es im Lichte der Heterogenität der Interessenlage bei den jeweiligen GmbH-Realtypen und der dadurch oftmals fehlenden „Passgenauigkeit“ des dispositiven Rechts (dazu Rz. 122) von vornherein verfehlt, eine Inhaltskontrolle am Maßstab des im dispositiven Recht verkörperten „Leitbilds“ durchzuführen396; die Überprüfung sollte vielmehr daraufhin erfolgen, ob eine im Grundsatz gerechte Machtverteilung im Innenrecht erfolgt ist (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 2). Im Verlaufe der Existenz der GmbH verwandelt sich die Inhaltskontrolle in eine Ausübungs- 125 kontrolle, die zu überprüfen hat, ob eine ursprünglich wirksame Satzungsbestimmung aufgrund veränderter Umstände unangemessen geworden ist. Sollte dies der Fall sein, bleiben die betroffenen Satzungsbestimmungen zwar ihrerseits wirksam, allerdings werden der Ausübung dadurch begründeter Rechte Grenzen gesetzt397. Zur deutlich über die Grundsätze des § 242 BGB hinausgehenden gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht s. 13. Aufl., Einl. Rz. 21; 13. Aufl., § 14 Rz. 65 ff. Zum ebenfalls als Gestaltungsschranke fungierenden Gleichbehandlungsgrundsatz 12. Aufl., § 45 Rz. 105.

4. Mängel Für die Nichtigkeit und die Rechtsfolgen von Willensmängeln gelten hinsichtlich der fakulta- 126 tiven Satzungsbestimmungen bis zur Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister die allgemeinen Regeln (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 85 ff.). Bis zu diesem Zeitpunkt beurteilen sich somit die Auswirkungen der etwaigen Nichtigkeit dieser Satzungsbestimmungen auf den Gesamtvertrag nach § 139 BGB (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 85). Folglich liegt (nur) dann ein Eintragungshindernis nach § 9c Abs. 2 Nr. 3 vor, wenn die Nichtigkeit der fraglichen Bestimmung gemäß § 139 BGB (ausnahmsweise398) die des gesamten Gesellschaftsvertrages nach sich zieht – sonst also nicht399. Sobald jedoch die Gesellschaft in das Handelsregister eingetragen ist, kommt es auf diese Frage nicht mehr an. § 75 und die §§ 397, 399 FamFG finden keine Anwendung, sodass die Wirksamkeit der Gesellschaft durch den etwaigen Mangel nicht mehr berührt wird (darüber bei 12. Aufl., § 75 Rz. 12 f.). In schwerwiegenden Fällen kommt nur die Auflösungsklage des § 61 in Betracht400.

395 BGH v. 14.4.1975 – II ZR 147/73, BGHZ 64, 238 = NJW 1975, 1318 (zur Publikums-KG). Vgl. weiter BGH v. 21.3.1988 – II ZR 135/87, BGHZ 104, 50 = ZIP 1988, 906 (zur KG); BGH v. 27.11.2000 – II ZR 218/00, ZIP 2001, 243, 244 (zur stillen Gesellschaft). 396 So zu Recht Grziwotz in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 18 Rz. 13; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150; vgl. auch Bayer, Vertragsfreiheit im Gesellschaftsrecht und ihre Schranken, in Bayer/Koch, Schranken der Vertragsfreiheit, 2007, S. 91, 95; Kübler, NJW 1984, 1857, 1863 f. 397 Grziwotz in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 18 Rz. 18; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 74; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 159. 398 Näher hierzu Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 59. 399 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 59; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 24; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 2 Rz. 44; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 2 Rz. 63. 400 Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 60; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 40; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 59; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 24.

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§ 3 Rz. 127 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages

VI. Unechter Satzungsinhalt 127 Schrifttum: P. Meier, „Echte“ und „unechte“ Satzungsbestandteile – eine überflüssige Unterscheidung, ZGR 2020, 124; Priester, Nichtkorporative Satzungsbestimmungen bei Kapitalgesellschaften, DB 1979, 681; Servatius, Die Bestellung des GmbH-Geschäftsführers als materieller Satzungsbestandteil, NZG 2002, 708; Wicke, Echte und unechte Bestandteile im Gesellschaftsvertrag der GmbH, DNotZ 2006, 419.

1. Begriff und Rechtsnatur 128 Die überkommene, wenngleich im Gesetz nicht ausdrücklich angelegte Differenzierung

zwischen echten und unechten Bestandteilen des Gesellschaftsvertrags basiert auf der Prämisse, dass die Vertragsurkunde (d.h. der Satzungstext im formellen, rein äußerlich verstandenen Sinne) nicht deckungsgleich mit dem Gesellschaftsvertrag im materiellen Sinne sein muss401, weil sie auch Gegenstände enthalten kann, die nur tatsächlich, nicht aber rechtlich einen Bestandteil des Gesellschaftsvertrags bilden402. Rechtlicher („echter“) Bestandteil desselben sind im Sinne dieses tradierten Sprachgebrauchs all jene Bestimmungen, deren Geltungsgrund im Gesellschaftsvertrag als einem solchen liegt403. Die automatische Geltungserstreckung auf künftige Anteilsinhaber ist dagegen keine notwendige Bedingung für einen echten Bestandteil des Gesellschaftsvertrags, wohl aber deren regelmäßige Folge404. Als „unecht“ sind nach herkömmlicher Sichtweise jene Bestandteile des Gesellschaftsvertrages einzustufen, denen entweder bereits jeder Regelungscharakter fehlt, weil sie sich auf die Verlautbarung tatsächlicher Angaben beschränken (wie im Fall der freiwilligen Angabe der Höhe des bereits tatsächlich eingezahlten Stammkapitals), oder deren Regelungswirkung (bei vorhandenem Regelungscharakter) nicht in der Satzungsförmigkeit wurzelt, sondern in einem einfachen Gesellschafterbeschluss oder einer schuldrechtlichen Vereinbarung405. Die Aufnahme einer derartigen Regelung in den Gesellschaftsvertrag kann im letzteren Fall

401 Priester, DB 1979, 681, 681 ff.; Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911 ff.; Hoffmann in Michalski u.a., § 53 Rz. 6 ff.; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 10 ff.; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 6 ff. 402 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 207 f. = GmbHR 1955, 226; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129, 130; dazu etwa Goette, Die GmbH, § 8 Rz. 13 sowie Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 104. 403 Und nicht in einem einfachen Gesellschafterbeschluss oder einer schuldrechtlichen Vereinbarung. Damit geht in der Regel einher, dass jeder (nicht nur gegenwärtige, sondern auch künftige) Anteilsinhaber als Mitglied der Gesellschaft ohne weiteres Zutun an sie gebunden ist, weshalb man insoweit von einer quasi-dinglichen Ausgestaltung des Mitgliedschaftsrechts sprechen kann; vgl. hierzu Heinze in MünchKomm. GmbHG, § 2 Rz. 44: absolute Wirkung gegenüber jedermann; auf das Kriterium der Wirkung über den aktuellen Gesellschafterkreis stellt auch die Rechtsprechung entscheidend ab; vgl. etwa BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 36 f.; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 364 = GmbHR 1992, 257; letztlich für eine petitio principii für diese Formel aber bewertet bei Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 17; vgl. auch P. Meier, ZGR 2020, 124, 127 m.w.N. 404 So gibt es gesellschaftliche, jedoch höchstpersönlich ausgestaltete Nebenleistungspflichten i.S.d. § 3 Abs. 2, die daher mit einer Geschäftsanteilsübertragung untergehen, wie es bei einem statutarischen Pflichtrecht zur Führung des Geschäftsführeramtes häufig der Fall ist. Umgekehrt gibt es selbstverständlich gesellschaftliche Regelungen, wie die durch einfache Gesellschafterbeschlüsse getroffenen, die als innergesellschaftliche Verbandsakte (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 24) auch ohne Verankerung im Gesellschaftsvertrag für künftige Anteilsinhaber gelten. 405 Vgl. zu alledem, mit Unterschieden im Detail, J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 88 ff.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 104; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 53 f.; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 28 ff.; umfassende Schilderung des Meinungsbildes bei P. Meier, ZGR 2020, 124, 126 ff.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 130 § 3

mit dem Zustandekommen des Gesellschafterbeschlusses (wie im seltenen Fall der Gesellschafterbestellung vermittels [im Gründungsstadium: allseitigen] Beschlusses im Rahmen des Gesellschaftsvertrags, vgl. § 6 Abs. 3 Satz 2) bzw. der schuldrechtlichen Vereinbarung (bei vorausgesetzter Mitwirkung der persönlich Verpflichteten, falls durch spätere Satzungsänderung mit qualifizierter Mehrheit eingeführt) zusammenfallen. Alternativ kann sich die Aufnahme in den formellen Satzungstext auch auf die bloße Kundbarmachung eines bereits zuvor wirksam begründeten Rechtsverhältnisses beschränken. Die rechtliche Behandlung „unechter“ Bestandteile folgt ihrer außerstatutarischen Rechtsnatur; darüber Rz. 132, 139. Die Unterscheidung zwischen echten und unechten Bestandteilen darf nicht gleichgesetzt 129 werden mit jener nach anderen Kriterien ausgerichteten Differenzierung zwischen notwendigen und freiwilligen Bestandteilen des Gesellschaftsvertrags406. Die notwendigen Bestandteile des § 3 Abs. 1 Nr. 1 sind als echte zu qualifizieren407, und zwar durchweg408. Demgegenüber lassen sich die freiwilligen Bestandteile des Gesellschaftsvertrages nicht pauschal als echte oder unechte Bestandteile qualifizieren. Dort, wo ein Satzungsvorbehalt besteht (dazu soeben Rz. 113 ff.), ist ein echter Bestandteil vonnöten, um der Bestimmung zur Wirksamkeit zu verhelfen; dort, wo Rechtsverhältnisse zwingend allein individualvertraglichen Charakter haben müssen (hierzu Rz. 133 ff.), kann eine Aufnahme desselben in den Gesellschaftsvertrag wirksam nur im Sinne eines unechten Bestandteils erfolgen.

2. Erscheinungsformen und rechtliche Behandlung a) Gesellschaftliche Sachverhalte aa) Beispiele Bei vorhandener Regelungswirkung „unechter“ Bestandteile (vgl. soeben Rz. 128) betrifft ein 130 typischer Gegenstand gesellschaftliche Sachverhalte, deren Regelung nicht in der Satzungsform erfolgen muss, um gültig zu sein. So gestattet es das Gesetz, für andere als die einem Satzungsvorbehalt unterstellten Angelegenheiten innergesellschaftliches Recht durch einfache Gesellschafterbeschlüsse zu schaffen409. Das Paradigma bildet die durch § 6 Abs. 3 Satz 2 Var. 1 gestattete Bestellung von Geschäftsführern im Gesellschaftsvertrag. Wird dieser Bestellungsmodus gewählt (was praktisch kaum vorkommt), bedeutet die Bestellung nach heute weitgehend akzeptierter Lesart im Zweifel nur Bestellung bei Gelegenheit des Abschlusses des Gesellschaftsvertrags410, sodass einerseits Abberufung und Neubestellung eines anderen Geschäftsführers keiner Satzungsänderung bedürfen, andererseits die spätere Aufhebung dieser statutarischen Ernennungsbestimmung nicht notwendig als Abberufung des Ernannten zu verstehen ist. Es besteht aber Wahlfreiheit; so kann der Gesellschaftsvertrag gerade gegenteilig ergeben, dass der in ihr ernannte Geschäftsführer bis zu einer Änderung der Satzung 406 Zutreffende Klarstellung bei P. Meier, ZGR 2020, 124, 125 f.: nur mittelbarer Bezug. 407 Bis auf die Qualifikation des § 3 Abs. 1 Nr. 4, d.h. im Übrigen, unstreitig; vgl. etwa Wicke, DNotZ 2006, 419, 426 f.; P. Meier, ZGR 2020, 124, 125 f., je m.w.N. 408 Dies gilt auch hinsichtlich der Übernahme von Geschäftsanteilen gegen Einlage durch die Gründungsgesellschafter (§ 2 Abs. 1 i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 4, ggf. i.V.m. § 5 Abs. 4), die das GmbHG seit jeher im Gegensatz zum Aktienrecht als einen im Rechtscharakter mit den übrigen notwendigen Bestimmungen übereinstimmenden Bestandteil des Gesellschaftsvertrages behandelt, weil es nicht zwischen Feststellung des Gesellschaftsvertrags und Beitritt der Gründungsgesellschafter unterscheidet; a.A. jedoch bei 12. Aufl., § 53 Rz. 9 und 151. 409 Missverständlich ist es daher vor dem Hintergrund dieser Fälle letztlich, zwischen korporativen und nicht-korporativen Bestandteilen des Gesellschaftsvertrags zu differenzieren, wie es im Anschluss an Priester, DB 1979, 681 f. geschieht. 410 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 207 f.= GmbHR 1955, 226; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129, 130, vgl. etwa auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 128.

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§ 3 Rz. 130 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages im Amt verbleiben soll411. § 6 Abs. 3 Satz 2 Var. 1 wird gemeinhin als spezieller Fall des allgemeinen (ungeschriebenen) Prinzips verstanden, gesellschaftliche, durch einfachen Gesellschafterbeschluss ordnungsfähige Sachverhalte angelegentlich des Abschlusses oder der Änderung des Gesellschaftsvertrags in diesen aufzunehmen. Hierzu gehören als weitere Beispiele die Beschränkung der internen Geschäftsführungsbefugnis (§ 37 Abs. 1; vgl. 12. Aufl., § 37 Rz. 75 ff.), die Einführung einer (auch organexternen) Geschäftsordnung412 (vgl. auch 12. Aufl., § 37 Rz. 112, dort allerdings entgegen der h.L. eine Dreiviertelmehrheit entsprechend § 53 Abs. 2 Satz 1 verlangend), die Errichtung eines Beirats ohne organschaftliche Befugnisse (12. Aufl., § 52 Rz. 103, nicht indes die notwendig statutarische Errichtung eines organschaftlich ausgestalteten Beirats, vgl. 12. Aufl., § 53 Rz. 119, jeweils m.N.), die personelle Zusammensetzung eines Beirats (vgl. 12. Aufl., § 52 Rz. 99), aber auch die Präzisierung der im Gesellschaftsvertrag umschriebenen Nebenleistungspflichten. bb) Zweifelsregelung bei Wahlfreiheit 131 Aus dem Umstand allein, dass die Wirksamkeit einer Regelung nicht von der Aufnahme in

den Gesellschaftsvertrag abhängt, folgt nicht für sich genommen, dass sie, falls im Gesellschaftsvertrag enthalten, als unechter Bestandteil einzustufen ist. Vielmehr wird man stets auf den Willen der Gesellschafter abzustellen haben413 und diesen daraufhin untersuchen müssen, ob die in den Gesellschaftsvertrag aufgenommene Bestimmung als eine die Gesellschafter mit erhöhter Bestandskraft bindende Regelung des Gesellschaftsverhältnisses gedacht war. So wird es bei gegebener Wahlfreiheit hinsichtlich der Ausgestaltung als echter oder unechter Bestandteil regelmäßig (nach h.L.: indiziell414) liegen (vgl. auch 12. Aufl., § 53 Rz. 16: im Zweifel echter Bestandteil). Angesichts der auch für die Beantwortung dieser Qualifikationsfrage gebotenen objektiven Satzungsauslegung415 (12. Aufl., § 53 Rz. 15) wird sogar ein feststellbarer anderweitiger, auf einen „unechten“ Bestandteil gerichteter Gesellschafterwille unbeachtlich bleiben müssen, sofern sich nicht aus allgemein zugänglichen Unterlagen (Gesellschaftsvertrag, Handelsregisteranmeldung) auf ihn schließen lässt oder aber das Gesetz, wie in § 6 Abs. 3 Satz 2 Var. 1, bzw. die Typik gleichförmig wiederkehrender Satzungsbestimmungen ein anderes Regel-Ausnahmeverhältnis nahelegen416, wie es bei der Festset-

411 Nicht zu verwechseln ist all dies mit der ebenfalls zulässigen, aber nur als echter Bestandteil des Gesellschaftsvertrags begründbaren Verpflichtung des Ernannten zur Übernahme des Geschäftsführeramtes (zu dieser Nebenleistungspflicht bei Rz. 94), ebenso wenig mit einem wiederum allein statutarisch begründbaren Sonderrecht auf das Geschäftsführeramt. 412 OLG Stuttgart v. 24.7.1990 – 12 U 234/89, GmbHR 1992, 48; Altmeppen, § 37 Rz. 33; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 37 Rz. 36; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 128. 413 BGH v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 160 f. = AG 1963, 132; BGH v. 1.12.1969 – II ZR 14/68, WM 1970, 246, 247; BGH v. 29.9.1969 – II ZR 167/68, GmbHR 1969, 288; Priester, DB 1979, 681, 683 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 63; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 55. 414 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 64; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 125; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 48; Koch, 16. Aufl. 2022, § 23 AktG Rz. 5; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 45; nicht einmal für Indizcharakter Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 53. 415 BGH v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, GmbHR 1990, 75, 76, ausdrücklich auch für die Abgrenzung zwischen echten und unechten Bestandteilen des Gesellschaftsvertrags; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 22; wohl auch Altmeppen, § 53 Rz. 6; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 35 f.; a.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 20. 416 Richtig Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 35 f.; vgl. auch, womöglich noch strenger, Altmeppen, § 53 Rz. 7 f. wonach grundsätzlich jede Regelung in der Satzung Satzungsqualität aufweisen soll, falls nicht eindeutig etwas anderes gewollt ist; zweifelhaft ist es aber, sofern dort eine Ausnahme für überholte Satzungsregelungen gemacht wird; in diese Richtung auch P. Meier, ZGR 2020, 125, 149, der jedoch prinzipiell einen unechten Charakter ablehnt.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 132 § 3

zung der Geschäftsführerbezüge (als regelmäßig unechter Bestandteil) der Fall ist417. Ratsam ist angesichts dessen stets, eine nicht gewollte Satzungsqualität ausdrücklich auszuschließen418, was in der Praxis noch zu selten erfolgt. cc) Rechtliche Konsequenzen Liegt im aufgezeigten Sinne ein „unechter“ Bestandteil in Gestalt eines einfachen Gesell- 132 schafterbeschlusses vor, folgt daraus, dass sich die rechtliche Behandlung desselben nach den allgemein für diesen Verbandsakt geltenden Grundsätzen richtet. Es gelten mithin die allgemeinen Auslegungsregeln (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 24 m.N.), nicht jene der Satzungsauslegung; selbiges gilt für die Fehlerfolgen (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 37 ff.) und ebenfalls für die (mittels einfachen Gesellschafterbeschlusses ohne Notwendigkeit eines Handelsregistervollzugs mögliche) Änderung oder Aufhebung dieses Beschlusses419. Kommt es in diesem Zuge nicht zur Anpassung des Gesellschaftsvertrages (durch Änderung oder Streichung des unechten Bestandteils), fallen wahre und im Gesellschaftsvertrag deklarierte Rechtslage auseinander. Wie dieser Missstand zu beseitigen ist, wird seit jeher diskutiert, ohne dass sich eine klare herrschende Linie herausgebildet hätte. Richtig scheint, strikt zwischen deklariertem Beschlussinhalt und deklarierendem Satzungsinhalt zu unterscheiden: Eine Satzungsänderung ist danach zur Änderung bzw. Aufhebung des dort deklarierten einfachen Gesellschafterbeschlusses nicht vonnöten, was gefestigter Meinung entspricht420; die Verlautbarung im Gesellschaftsvertrag als solche kann jedoch nur als Satzungsänderung nach Maßgabe der §§ 53 f. beseitigt werden421 – insoweit die Verlautbarung als solche betroffen ist, geht es in der Sache um die Aufhebung eines rechtlichen Satzungsbestandteils, der insoweit allerdings beschränkten, nämlich bloß verlautbarenden Gehalt aufweist. In diesem Sinne kann durchaus davon gesprochen werden, dass jedem „unechten“ Bestandteil des Gesellschaftsvertrags mit Blick auf das verlautbarende Element zugleich ein dergestalt beschränktes „echtes“ Ele-

417 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 208 = GmbHR 1955, 226; vgl. auch (zur Schiedsklausel) BGH v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 161 = AG 1963, 132, dort allerdings auf den Parteiwillen oder die Umstände des einzelnen Falles abstellend, was unklar belässt, ob hier die objektive Auslegung zum Ausgangspunkt der Abgrenzung gemacht wird. 418 P. Meier, ZGR 2020, 125, 149; zutreffend Seibt in MünchAnwHdb. GmbH-Recht, 4. Aufl. 2018, § 2 Rz. 4 ff. (mit Formulierungsbeispiel); in diese Richtung zudem Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 34. 419 Vgl. für die Abberufung eines Geschäftsführers OLG Naumburg v. 17.12.1996 – 7 U 196/95, GmbHR 1998, 90, 92; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 24; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 10. 420 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205, 208 = NJW 1955, 1716; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 53 Rz. 10, 31; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 35; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 31; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 10. 421 Zutreffend OLG Celle v. 24.7.1958 – 9437/58, GmbHR 1959, 113; BayObLG Beschl. v. 5.7.1971 – BReg. 2 Z 93/70, DB 1971, 1612; OLG Brandenburg v. 20.9.2000 – 7 U 71/00, GmbHR 2001, 624, 625; LG Dortmund v. 18.4.1978 – 19 T 20/77, GmbHR 1978, 235; Groß, Rpfleger 1972, 242 f.; Priester, ZHR 151 (1987), 40, 41 f.; Leitzen in Gehrlein/Born/Simon, § 53 Rz. 8; Hoffmann in Michalski u.a., Rz. 27; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 109 Rz. 560; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 53 Rz. 5; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; für die AG ebenso Holzborn in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 179 AktG Rz. 41; Stein in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 179 AktG Rz. 33; a.A. aber KG v. 21.7.1938 – 1 Wx 326/38, JW 1938, 2754; OLG Köln v. 30.12.1971 – 2 Wx 102/71, DnotZ 1972, 623; Röll, DnotZ 1970, 337, 339 ff.; Reichert, BB 1985, 1496, 1500; Altmeppen, § 53 Rz. 9; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 53 Rz. 31; Gummert in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 53 Rz. 5; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 35; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 31: einfacher Mehrheitsbeschluss ausreichend; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 23.

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§ 3 Rz. 132 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages ment innewohnt422. Diese Wiederherstellung der Kongruenz kann das Registergericht, weil (insoweit, d.h. mit Blick auf die Deklarierungswirkung konstitutive!) Satzungsänderung, nicht über § 14 HGB durchsetzen423. Vgl. zum Ganzen auch, im Ergebnis übereinstimmend, das Satzungsänderungsverfahren aber nur aus Gründen der Rechtssicherheit fordernd, 12. Aufl., § 53 Rz. 17 ff. b) Nicht-gesellschaftliche (individualvertragliche) Sachverhalte aa) Beispiele 133 Wird eine Regelung der nicht-gesellschaftlichen (persönlichen) Beziehungen zwischen den

Gesellschaftern untereinander bzw. zwischen der Gesellschaft und ihren Gesellschaftern, die individualvertraglichen (schuldrechtlichen) Charakter haben, in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen, dient diese Aufnahme gleichfalls allein der Kundbarmachung. Beispiele sind schuldrechtlich wirkende Andienungspflichten und Erwerbsvorrechte424, Verlustdeckungszusagen425 (dazu Rz. 105), die Gesellschafter persönlich treffende und deshalb möglicherweise auch noch nach ihrem Ausscheiden aus der Gesellschaft fortwirkende Wettbewerbsverbote (s. Rz. 87 ff.), aber auch die in der Praxis bedeutsamen Abreden über die Ausübung des Stimmrechtes in der Gesellschafterversammlung, sei es durch einfache Stimmbindungsverträge oder durch Konsortial- oder Poolverträge, meistens zu dem Zweck, den dauernden Einfluss eines oder mehrerer Gesellschafter sicherzustellen, häufig mit der Folge der Abhängigkeit der Gesellschaft von einem oder mehreren Gesellschaftern (§ 17 Abs. 1 AktG; s. 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 37). Viele dieser Abreden dürften jedoch regelmäßig außerhalb des Gesellschaftsvertrags getroffen werden (dazu ausführlich Rz. 141 ff.). Über die Abgrenzung schuldrechtlicher von korporativen Nebenleistungspflichten i.S.d. § 3 Abs. 2 ausführlich bei Rz. 127 ff. 134 Einen Sonderfall bilden Bestimmungen, die zwar schuldrechtlicher Natur sind, deren Auf-

nahme in den Gesellschaftsvertrag aber gleichwohl konstitutiv wirkt. So verhält es sich mit Gründervorteilen zulasten der Gesellschaft, die einem Gesellschafter als einmalige oder laufende, auch lebenslängliche, die Mitgliedschaft überdauernde gewährt werden können und damit – was die Regel, aber Auslegungsfrage ist – nicht an den Geschäftsanteil gebunden sind. Da sie gleichwohl nach heute gefestigter Meinung trotz Fehlens einer § 26 Abs. 1 AktG entsprechenden Bestimmung notwendig der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag bedürfen (vgl. 13. Aufl., § 5 Rz. 116 m.N.), ist diese daher konstitutive Festsetzung insoweit als echter Bestandteil desselben einzuordnen426, der allerdings gleichwohl bloß verlautbarenden Charakter hat (vgl. allgemein zu Sondervorteilen 12. Aufl., § 53 Rz. 155). Ähnlich verhält es sich mit der konstitutiven Festsetzung schuldrechtlicher Ansprüche auf Erstattung des Gründungsaufwands in entsprechender Anwendung des § 26 Abs. 2 AktG als deren Wirksamkeitsvoraussetzung427 (vgl. hierzu 13. Aufl., § 5 Rz. 112). 422 In diese Richtung, aber ohne diese ausdrückliche Differenzierung, vielmehr gegen unechte Satzungsbestandteile insgesamt, P. Meier, ZGR 2020, 125, 133 ff. 423 A.A. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 53 Rz. 31; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 31; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 35; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 24; gegen Eintragungsfähigkeit bzw. allenfalls für eine deklaratorische Altmeppen, § 53 Rz. 9; so auch noch Winter/Ulmer in Ulmer/Habersack, 2008, Rz. 31; zum Problemkreis auch P. Meier, ZGR 2020, 125, 142. 424 S. Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 15, 284 ff.; G. Hueck in FS Larenz, 1973, S. 749, 749 ff.; H. P. Westermann/Klingberg in FS Quack, 1991, S. 545, 545 ff. 425 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 24/92, GmbHR 1993, 214. 426 A.A. aber, für die AG, Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 26 AktG Rz. 8. 427 Priester, DB 1979, 681, 682; zutreffend Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 19, a.A. aber (kein materieller Bestandteil) Limmer in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 23 AktG Rz. 7; Röh-

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 136 § 3

bb) Indifferente Bestandteile; Wahlrecht Kann nach der Art des vereinbarten Rechtsverhältnisses sowohl eine gesellschaftliche („kor- 135 porative“) als auch eine nicht-gesellschaftliche („individualvertragliche“) Beziehung in Betracht kommen (handelt es sich mithin um „indifferente“ Bestandteile), entscheidet allein der Gesellschafterwille darüber, ob mit der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag eine bindende Gesellschaftsregel geschaffen werden soll oder nicht. Unterbleibt eine klare Kennzeichnung (die sich empfiehlt), ist der Parteiwille objektiv zu ermitteln (insoweit gelten die Ausführungen bei Rz. 131 entsprechend). Es kommt darauf an, ob erkennbar die Rechte und Pflichten unlösbar mit dem Geschäftsanteil verbunden wurden, mithin den jeweiligen Anteilsinhaber als einen solchen treffen sollen. Diese Annahme wird fernliegen, sofern ein Rechtsverhältnis in Rede steht, das seiner Art nach nur individualvertraglich begründet werden kann – es steht dann zu vermuten, dass die Aufnahme dieses Rechtsverhältnisses in den Gesellschaftsvertrag nur als „unechter“ Bestandteil gewollt war, die Gesellschafter mithin keine unzulässige (hier: die korporative) Regelungsebene betreten wollten428. So verhält es sich in all jenen Fällen, in denen die Gesellschaft ein die Mitgliedschaft überdauerndes Interesse an der persönlichen Erfüllung durch einen die Leistung versprechenden Gesellschafter hat; gleichermaßen liegt es, wenn ein Gesellschafter einem anderen eine persönliche Leistung dafür verspricht, dass dieser sich an der Gesellschaft beteiligt, oder wenn ein Gesellschafter einem anderen eine Mindestverzinsung seiner Einlage garantiert, weil hier jeweils einzelne Gesellschafter in persönliche Beziehungen zueinander treten, denen ein organisationsrechtlicher Gehalt fehlt429. Dies darf jedoch nicht dahingehend missverstanden werden, eine Vereinbarung sei zwingend 136 nicht-gesellschaftlicher Art und daher bei Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag „unechter“ Bestandteil, wenn sie allein Rechtsbeziehungen der Gesellschafter untereinander oder gar nur zwischen einigen von ihnen begründet. So können Stimmbindungsvereinbarungen – und zwar auch dann, wenn sie nur auf die Mitglieder eines bestimmten Gesellschafterstammes bezogen sind – nicht nur individualvertraglich, sondern auch gesellschaftlich (korporativ) ausgestaltet werden430. Selbiges gilt etwa für die Pflicht zur Abtretung des Geschäftsanteils bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen, gleichviel, ob diese einen jeden Gesellschafter gegenüber einem jeden anderen trifft oder nur einzelne von ihnen (vgl. auch 12. Aufl., § 53 Rz. 14). Die Gegenansicht431 kommt zu vergleichbaren Ergebnissen, indem sie in diesen Fällen eine gegenüber der Gesellschaft bestehende Sonderpflicht des jeweiligen Gesellschafters konstruiert, dem ein Sonderrecht des Begünstigten entspricht. Bei fehlender Bindung sämtlicher Gesellschafter wird die Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag bei verständiger Würdi-

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richt/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 30; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 42. Zutreffend Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 18. Ähnlich Hoffmann in Michalski u.a., § 53 Rz. 13; ferner Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 127: gewisser Bezug zum Gesellschaftsverhältnis oder zum Gegenstand des Unternehmens erforderlich, was freilich auch bei den im Text genannten Beispielen der Fall wäre; vgl. auch Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 2845; zu weitgehend allerdings BayObLG v. 12.4.1902, OLGZ 5, 281 f., wonach die Mindestverzinsungsabrede bzgl. der Einlage nur im Rahmen des Gesellschaftsvertrages möglich sein soll. Vgl. BGH v. 25.9.1989 – II ZR 304/88, GmbHR 1990, 75, 76; Priester, DB 1979, 681, 684; Hüffer/ Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 66 ff.; Hoffmann in Michalski u.a., § 53 Rz. 13; Harbarth in MünchKomm. GmbHG, § 53 Rz. 19; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 127; ablehnend Ganssmüller, GmbHR 1963, 85, 86. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42; in diese Richtung wohl auch Bayer in Lutter/ Hommelhoff Rz. 32; kritisch dazu Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 127.

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§ 3 Rz. 136 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages gung allerdings regelmäßig nicht als echter Bestandteil auszulegen sein; eine Indizwirkung kommt der Aufnahme hier nicht zu432. 137 Ebenfalls Wahlfreiheit und damit die Möglichkeit zur korporativen Ausgestaltung besteht

im Hinblick auf Verfügungsermächtigungen (§ 185 BGB) zugunsten der Gesellschaft, die praktisch bedeutsam sind, um statutarische Abtretungsverpflichtungen ohne Mitwirkung des Abtretungsverpflichteten dinglich vollziehen zu können433, meist als Alternative zur Einziehung betroffener Geschäftsanteile434. Die mittlerweile ganz h.L.435 ist jedoch anderer Meinung (so auch 13. Aufl., § 2 Rz. 8) und sieht hierin einen notwendig unechten Bestandteil, hält eine Bindungswirkung gegenüber künftigen Anteilsinhabern mithin für unmöglich. Zur Begründung werden Anleihen beim Wohnungseigentumsrecht genommen, um gleichermaßen wie dort436 jedwede „sachenrechtlichen“ Verfügungen (mitsamt vorgelagerter Verfügungsermächtigungen) über Geschäftsanteile aus dem zulässigen Regelungskreis des Gesellschaftsvertrags auszuklammern. Der Vergleich hinkt jedoch, weil die Rechtslage im Wohnungseigentumsrecht auf dem Nebeneinander von Bruchteilsgemeinschaft und Verband basiert. Überdies wird man die Vereinbarung einer Verfügungsermächtigung als Annex zur statutarischen Abtretungsverpflichtung begreifen können.

432 Priester, DB 1979, 681, 684; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 127. 433 In diese Richtung bereits BGH v. 20.6.1983 – II ZR 237/82, GmbHR 1984, 74: Satzung kann zu Abtretung ermächtigen (dazu relativierend aber R. Werner, GmbHR 2019, 753, 755); weitergehend sogar, indes insoweit abzulehnen, BGH v. 30.6.2003 – II ZR 326/01, ZIP 2003, 1544, 1546 für eine statutarisch vorweggenommene Verfügung; dem allerdings zustimmend Kleinert/Blöse/v. Xylander, GmbHR 2003, 1230, 1230 ff.; Kleinert/Blöse/v. Xylander, GmbHR 2004, 630, 630 ff.; dagegen aber mit Recht Ruhwinkel, DnotZ 2004, 65, 67 ff. 434 Vgl. für ein Formulierungsbeispiel Blath in Herrler, Gesellschaftsrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 2. Aufl. 2021, § 6 Rz. 1589 f., der auch i.Erg. die korporative Abtretungsermächtigung für zulässig erachtet; s. auch das Formulierungsbeispiel bei Hauschild/Kallrath in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 16 Rz. 340 sowie, für den Todesfall, bei Müller/Sass in Keim/Lehmann, Beck’sches Formularbuch Erbrecht, 4. Aufl. 2019, G. 8. M. Anm. 2; ebenfalls für Zulässigkeit Clevinghaus, RnotZ 2011, 449, 469; Baumann, MittRhNotK 1991, 271, 276: Ermächtigung bindet Rechtsnachfolger, aber noch nicht in der Kautelarpraxis etabliert (Letzteres dürfte gegenwärtig nicht mehr zutreffen); wohl auch für Zulässigkeit Heckschen, NZG 2010, 521, 524; Strohn in MünchKomm. GmbHG, § 34 Rz. 111, und zwar sowohl für Vollmacht als auch für Ermächtigung; die hier vertretene Position darf jedoch nicht mit einer unzulässigen antizipierten Geschäftsanteilsübertragung im Gesellschaftsvertrag verwechselt werden, die mit den Schutzzwecken der Formerfordernisse des § 15 Abs. 3 und 4 nicht vereinbar wäre. 435 Wicke, DnotZ 2006, 419, 433; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; dem folgend Schwab, DStR 2012, 707, 709, unter Verweis auf Parallelen zum Wohnungseigentumsrecht; Oppermann/ Berthold, ZIP 2017, 1929, 1932, ebenfalls unter Verweis auf das Wohnungseigentumsrecht; MaierReimer, GmbHR 2017, 1325, 1331; R. Werner, GmbHR 2019, 753, 755 f.; Maier-Reimer in FS Röhricht, 2005, S. 383, 399; wohl auch, allerdings auf eine Vollmacht beziehend, Mayer/Weiler, Beck’sches Notar-Handbuch, 7. Aufl. 2019, § 22 Rz. 140; vgl. auch Kesselmeier, Ausschließungsund Nachfolgeregelung in der GmbH, 1989, S. 47 ff.; offenlassend mangels Entscheidungsrelevanz OLG München v. 21.6.2021 – 23 W 784/21, BeckRS 2021, 27479. 436 Vgl. BGH v. 18.3.2016 – V ZR 75/15, BeckRS 2016, 7519 Rz. 17; BGH v. 4.4.2003 – V ZR 322/02, NJW 2003, 2165, 2166; BGH v. 12.4.2013 – V ZR 103/12, NJW 2013, 1962 Rz. 9; BayObLG v. 24.7.1997 – 2Z BR 49/97, BayObLG 1997, 233 = DnotZ 1998, 379, 383; BayObLG v. 27.10.2004 – 2Z BR 150/04, BayObLGZ 2004, 306 = DnotZ 2005, 390 m. Anm. Röll; KG v. 17.12.1997 – 24 W 3797/97, NZM 1998, 581; dazu Armbrüster, ZWE 2005, 244, 247; Basty, NotBZ 1999, 233, 235; Häublein, DnotZ 2000, 442, 450; Hügel, ZWE 2003, 263 f.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 139 § 3

cc) Zwingend individualrechtliche Bestandteile Keine gesellschaftliche Regel lässt sich jedoch mangels funktionalen Bezugs zum Gesell- 138 schafts- als Organisationsvertrag begründen, sofern es um Rechte außenstehender Dritter, erst recht nicht, sofern es um Pflichten Dritter geht437. Sollen Drittrechte begründet werden, ist ein schuldrechtlicher Vertrag zugunsten Dritter i.S.d. § 328 BGB notwendig, der nur angelegentlich des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages vereinbart und damit als unechter Bestandteil aufgenommen werden kann; gleichermaßen können schuldrechtliche Verpflichtungen eines Dritten, die nach allgemeinen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen begründet wurden können, im Gesellschaftsvertrag deklariert werden. Bei Mitwirkung des Dritten können Rechte und Pflichten in seiner Person, aber auch im Gesellschaftsvertrag (rechtsgeschäftlich) vereinbart werden (vgl. bereits 13. Aufl., § 2 Rz. 8 m. Fn. 54), freilich wiederum, ohne dass damit eine gesellschaftliche Regelung entstünde. An dieser Differenzierung und damit an der Sache vorbei geht der Hinweis auf den Vertragscharakter des Gesellschaftsvertrags, der den Weg in die §§ 328 ff. BGB auch zur Begründung korporativer Drittrechte ebne438, denn es bleibt dabei, dass sich die Begründung von Drittrechten funktional nicht mit dem Regelungsinstrument des Gesellschaftsvertrags verträgt – auch dann nicht, wenn es um Zustimmungsvorbehalte zugunsten Dritter439 oder um diesen eingeräumte Entsendungsrechte440 geht. dd) Rechtliche Konsequenzen Liegt eine individualrechtliche (schuldrechtliche) Bestimmung vor, die als unechter Bestand- 139 teil Eingang in den Gesellschaftsvertrag gefunden hat, hat diese statutarische Kundbarmachung auf das rechtliche Schicksal der individualrechtlichen Bestimmung keinen Einfluss. Auf sie finden die Vorschriften des bürgerlichen Rechts Anwendung, und zwar nach Maßgabe des bei Rz. 131 Ausgeführten. Allenfalls im Rahmen der Auslegung wird man vorsichtig den besonderen Zweck als Nebenvereinbarung zum Gesellschaftsvertrag zu berücksichtigen haben; so wird die Unwirksamkeit des Gesellschaftsvertrags vor Eintragung der Gesellschaft regelmäßig auch diejenige der schuldrechtlichen Vereinbarung nach sich ziehen, wohingegen es in umgekehrter Richtung stark auf die Umstände des Einzelfalls ankommt. Nach der Eintragung der Gesellschaft im Handelsregister wird man bei Unwirksamkeit der schuldrechtlichen Vereinbarung nur in gesondert gelagerten Ausnahmefällen über einen Auflösungsgrund i.S.d. § 61 Abs. 1 nachdenken können, freilich nur, sofern damit der Fortbestand der Gesellschaft unzumutbar wird (12. Aufl., § 61 Rz. 30). All dies ist aber kein Spezifikum solcher schuldrechtlichen Vereinbarungen, die als unechte Bestandteile in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wurden.

437 Semrau, Die Dritteinflussnahme auf die Geschäftsführung von GmbH und Personengesellschaften, 2001, S. 31, 34 ff., 349; Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911 ff.; Ulmer in FS Wiedemann, 2002, S. 1297 ff.; Altmeppen, Rz. 46; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 75; Hoffmann in Michalski u.a., § 53 Rz. 10 ff.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 121 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 26. 438 So neuerdings P. Meier, ZGR 2020, 124, 151 f. m.w.N. und mit eingehender Begründung; ebenfalls für die Möglichkeit, statutarisch Drittrechte zu begründen, Bürkle, Rechte Dritter in der Satzung der GmbH, 1991, S. 69 ff., großzügig auch Herfs, Einwirkung Dritter auf den Willensbildungsprozess der GmbH, 1994, S. 61 ff. 439 Dafür jedoch Beuthien/Gätsch, ZHR 156 (1992), 459, 473 ff.; Weber, Privatautonomie und Außeneinfluss im Gesellschaftsrecht, 2000, S. 331. 440 So aber Bürkle, Reche Dritter in der Satzung der GmbH, S. 129 ff.; dazu ablehnend auch Wicke, DNotZ 2006, 419, 431.

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§ 3 Rz. 140 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages

VII. Gesellschaftervereinbarungen 140 Schrifttum (Auswahl): Chr. Berger, Nebenverträge im GmbH-Recht, Diss. Münster 1995; Blasche, Die Ausgestaltung schuldrechtlicher Vorerwerbsrechte bei GmbH-Geschäftsanteilen, NZG 2016, 173; Bormann/Trautmann, Wandelschuldverschreibungen im Lichte des § 55a GmbHG, GmbHR 2016, 37; Busch, Joint Ventures in der notariellen Praxis, RNotZ 2020, 249; M. Dürr, Nebenabreden im Gesellschaftsrecht, 1994; Goette, Satzungsdurchbrechung und Beschlussanfechtung, in Gesellschaftsrecht 1995, RWS-Forum 8, 1996, S. 113; Gores, Gesellschaftervereinbarungen, in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 20; Hoene/Eickmann, Zur Formbedürftigkeit von Wandeldarlehen, GmbHR 2017, 854; Hoffmann-Becking, Der Einfluss schuldrechtlicher Gesellschaftervereinbarungen auf die Rechtsbeziehungen in der Kapitalgesellschaft, ZGR 1994, 442; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996; E. Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995; Kuntz, Gestaltung von Kapitalgesellschaften zwischen Freiheit und Zwang, 2016; Leitzen, Neues zu Satzungsdurchbrechung und schuldrechtlichen Nebenabreden, RNotZ 2010, 566; Lieder, Schuldrechtliche Nebenabreden im Gesellschaftsrecht, in Fleischer/Kalss/ Vogt (Hrsg.), Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994; Noack, Der allseitige Gesellschafterbeschluss als „schuldrechtliche Abrede“ und dessen korporationsrechtliche Folgen, NZG 2010, 1017; Noack, Satzungsergänzende Verträge der Gesellschaft mit ihren Gesellschaftern, NZG 2013, 281; Tholen/Weiß, Formfragen bei Finanzierungsrunden in der GmbH, GmbHR 2016, 915; Ulmer, Schuldrechtliche Gesellschafterabrede zugunsten der GmbH, in Liber amicorum M. Winter, 2011, S. 687; Wachter, Gesellschaftervereinbarungen als Gestaltungsinstrument bei der Rechtsnachfolge von Familienunternehmen – Teil 1: Gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit von Stimmbindungs- und Poolvereinbarungen, ErbR 2016, 114; Wälzholz, Alternative Regelungstypen zum Gesellschafterausschluss. Texan Shoot out, Tag along, Drag along, Russian Roulette, Bieterverfahren, GmbH-StB 2007, 84; Wälzholz, Gesellschaftervereinbarungen (side-letters) neben der GmbH-Satzung – Chancen – Risiken – Zweifelsfragen, GmbHR 2009, 1020; W. Weber, Der side-letter zum GmbHVertrag als Grundlage und Grenze von Gesellschafterbeschlüssen, 1996; H.P. Westermann, Das Verhältnis von Satzung und Nebenordnungen in der Kapitalgesellschaft, 1994; H.P. Westermann, Hauptprobleme des Pool-Vertrages in Familienunternehmen, Der Gesellschafter (GesRZ) 2015, 161; Wicke, Schuldrechtliche Nebenvereinbarungen bei der GmbH – Motive, rechtliche Behandlung, Verhältnis zum Gesellschaftsvertrag, DStR 2006, 1137; M. Winter, Satzung und schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, in Gesellschaftsrecht 1995, RWS-Forum 8, 1996, S. 131; Zöllner, Wechselwirkungen zwischen Satzung und schuldrechtlichen Gesellschaftervereinbarungen ohne Satzungscharakter, in Gesellschaftsrecht 1995, RWS-Forum 8, 1996, S. 89.

1. Bedeutung und Erscheinungsformen 141 Unter Gesellschaftervereinbarungen sind schuldrechtliche Vereinbarungen der Gesellschaf-

ter über Fragen zu verstehen, die ihr Verhältnis als Gesellschafter zueinander oder jenes zur Gesellschaft betreffen. Spezifische Unterformen bilden in der Praxis vor allem Stimmbindungs-, Pool-, Beteiligungs- oder Joint-Venture-Verträge. All diese Vereinbarungen können außerhalb des Gesellschaftsvertrages („extrastatutarisch“) verbleiben, aber auch in den Gesellschaftsvertrag („intrastatutarisch“) mit deklaratorischer Wirkung als dessen unechter Bestandteil aufgenommen werden (darüber ausführlich bei Rz. 133). Gesellschaftervereinbarungen „neben dem Gesellschaftsvertrag“ sind verbreitet, wofür in erster Linie ihre mangelnde Publizität sowie ihre grundsätzliche Formfreiheit maßgeblich sein dürften441 – beides freilich Gründe, die allein im Fall „extrastatutarischer“ Gesellschaftervereinbarungen zum Tragen kommen. Eine teilweise Publizität der Gesellschaftervereinbarung wird sich al441 Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 445 f.; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 19; Priester in FS Claussen, 1997, S. 319, 322; zu den Motiven insgesamt Joussen, Gesellschafterabsprachen, 1995, S. 26 ff.; A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 51 ff.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 142 § 3

lerdings nicht (mehr) vermeiden lassen, falls sie einem oder mehreren, dann als wirtschaftlich Berechtigte einzustufenden Gesellschaftern Kontrolle i.S.d. § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 oder Nr. 3 GwG vermittelt (vgl. hierzu im Fall von Stimmrechtsbindungen bei 12. Aufl., § 47 Rz. 36); sofern damit dem Transparenzregister Art und Umfang der Kontrolle mitzuteilen sind (vgl. § 19 Abs. 1 Nr. 4 GwG), wird jedenfalls in grober Skizzierung der Kerninhalt der Gesellschaftervereinbarung offenzulegen sein442. Selbstredend erhebliche Bedeutung haben Gesellschaftervereinbarungen im Bereich der zwin- 142 gend nicht-korporativen Bestandteile des Gesellschaftsvertrages, besteht hier doch von vornherein kein Wahlrecht zugunsten der Beschreitung der korporativen Ebene (hierzu bei Rz. 138), wohingegen schuldrechtliche Vereinbarungen im Ausgangspunkt zulässig verbleiben (zu Fällen der Umgehung zwingenden Rechts aber bei Rz. 153). Bei indifferenten Regelungsgegenständen (dazu Rz. 135 ff. sowie 12. Aufl., § 53 Rz. 13 ff.), etwa im Fall von Verlustbeteiligungsabreden oder Stimmbindungsvereinbarungen, hat das Beschreiten der korporativen Ebene in den Augen der Gesellschaftspraxis freilich verschiedene relative Nachteile443. Hervorzuheben sind die mit der Aufnahme der Abreden in den Gesellschaftsvertrag verbundene, bereits erwähnte Publizität (s. § 8 Abs. 1 Nr. 1 GmbHG i.V.m. § 9 Abs. 1 HGB), das Prüfungsrecht des Registergerichts (§ 9c) sowie die Abänderbarkeit der betreffenden Abreden allein im Wege der förmlichen Satzungsänderung nach Maßgabe der §§ 53 und 54. Deshalb ist es weithin üblich geworden, die fraglichen Abreden, soweit rechtlich zulässig, nicht als echte Bestandteile des Gesellschaftsvertrages aufzunehmen, sondern an deren Stelle ergänzende schuldrechtliche Abreden (mit Wirkung allein unter den beteiligten Gesellschaftern) zu treffen. Aus alledem wird ersichtlich, dass Gesellschaftervereinbarung zwar „neben“ dem Gesellschaftsvertrag stehen, wirtschaftlich aber – ja, zuweilen gar rechtlich – die Hauptsache bilden können, vor allem dort, wo sich der Gesellschaftsvertrag auf die Vorgabe eines groben organisatorischen Rahmens beschränkt. Sofern empirische Studien444 belegen, dass Gesellschafter das Gestaltungspotential des Gesellschaftsvertrages nur unzureichend ausschöpfen445, ist vor diesem Hintergrund relativierend darauf hinzuweisen, dass Gesellschaftsvertrag und Nebenabreden zusammen betrachtet werden müssen446. Welche Regelungsebene gewählt wird, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit.

442 Zutreffend in diesem Sinne Kinzl, Gesellschaftervereinbarungen, S. 18 ff.; vgl. hierzu auch Zilner, DB 2017, 1931, 1933; Schaub, DStR 2018, 871, 876; Kotzenberg/Lorenz, NJW 2017, 2433, 2435; ob dennoch weiterhin von Stimmbindungsverträgen als einem der bestgehüteten Geheimnisse im Leben der Gesellschaft gesprochen werden kann (so Barz, GmbHR 1968, 99, 100; zustimmend M. Winter, Satzung und schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, S. 131, 132), ist fraglich. 443 Vgl. etwa Priester in FS Claussen, 1997, S. 319, 319 ff. 444 Wedemann, Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Kapitalgesellschaften, 2013, S. 11 ff., sowie eine Studie an der Universität Aarhus den dänischen Mittelstand betreffend, der zufolge ungefähr die Hälfte der in der Studie erfassten Gesellschaften im Gesellschaftsvertrag keine Prävention für Gesellschafterkonflikte getroffen haben; auf diese Studie weist Teichmann, RNotZ 2013, 346, 350 hin im Anschluss an Neville in Hirte/Teichmann, The European Private Company, ECFR Special Volume 3, 2013, S. 193, 213 ff. Als „ernüchternd“ bezeichnet Verse, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, in Schriften des Notarrechtlichen Zentrums Familienunternehmen, S. 34, das Fazit der Studie von Wedemann, obwohl sich in der Rechtspraxis ein diesbezügliches umfassendes Erfahrungswissen gebildet hat, das sich in der kautelarjuristischen Warnung vor der Unzulänglichkeit der Mindestsatzungsregelungen widerspiegelt. 445 Wedemann, Gesellschafterkonflikte in geschlossenen Gesellschaften, 2013, S. 351 (Vertragspraxis zu grobteilig und lückenhaft). 446 Verse, Konfliktvermeidung in Familienunternehmen, in Schriften des Notarrechtlichen Zentrums Familienunternehmen, S. 34; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; vgl. auch Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 310, denen zufolge ohne Einbeziehung der Nebenabreden die Lebenswirklichkeit (der AG) nicht in adäquater Weise erfasst werde.

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§ 3 Rz. 143 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages

2. Beteiligte 143 An Gesellschaftervereinbarungen können alle oder nur einzelne Gesellschafter beteiligt

sein. Im Falle der Beteiligung aller Gesellschafter spricht man auch von „omnilateralen“ Gesellschaftervereinbarungen, im Übrigen von „Fraktionsabreden“447. Vor allem (richtigerweise: nur) bei den erstgenannten stellt sich die Frage, ob und gegebenenfalls in welchem Umfang von ihnen Rückwirkungen auf die korporative Ebene ausgehen können (vgl. Rz. 159 ff.). Die Gesellschaft ist im Regelfall hingegen nicht Partei der Gesellschaftervereinbarung, typischer- und zulässigerweise448 jedoch im Fall von Beteiligungsvereinbarungen449. Notwendig ist ihre Parteistellung, wenn ihr Verpflichtungen auferlegt werden sollen, da Verträge zulasten Dritter unzulässig sind450. Soweit die Gesellschaft aus Gesellschaftervereinbarungen unmittelbare Rechte erwerben soll, handelt es sich im Fall ihrer fehlenden Beteiligung um Verträge zu ihren Gunsten im Sinne von §§ 328 ff. BGB451 (darüber, dass § 3 Abs. 2 keine Sperrwirkung entfaltet, bei Rz. 2). Diese Stellung als Drittbegünstigte kann die Gesellschaft auch vermittels auf „zweiter Stufe“ angesiedelter Gesellschaftervereinbarungen erlangen, also in Fällen, in welchen die Vereinbarung nicht auf Ebene der Gesellschafter, sondern jener etwaiger Gesellschafter-Gesellschafter getroffen wird452. Denn wer am Deckungsverhältnis beteiligt ist – alle, einige oder gar keine Gesellschafter –, ist zivilrechtlich im Ausgangspunkt ohne Bedeutung. Häufig wird allerdings eine derartige Rechtsbegründung zugunsten der Gesellschaft (insbesondere im Kontext von Finanzierungszusagen) ausdrücklich ausgeschlossen, vornehmlich deshalb, um eine Einforderung daraus resultierender Ansprüche durch den Insolvenzverwalter im Fall der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft zu vermeiden.

144 Eine Beteiligung Dritter, d.h. von Personen (jenseits der Gesellschaft selbst), die keine Ge-

sellschafter sind, ist ebenfalls zulässig453, etwa durch Einbeziehung des Geschäftsführers oder eines Finanzinvestors in die Gesellschaftervereinbarung, im letztgenannten Fall vor al447 Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 33 f.; A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 91; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 115. 448 Vgl. nur den Fall BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, GmbHR 2013, 301, in welchem ein, genossenschaftliche Elemente begründender Partnerschaftsvertrag zwischen einer AG und ihren Aktionären geschlossen wurde; vgl. weiterhin BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, GmbHR 1987, 94 ff. sowie bereits RG v. 10.5.1912 – II 43/12, RGZ 79, 332; Zöllner, GesR 1995, RWS-Forum 8, 89, 91; Wicke, DStR 2006, 1137, 1141; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 34; Berger, Nebenverträge im GmbH-Recht, 1995, S. 10; Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 234; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129; a.A. jedoch, mit Unterschieden im Detail Ehricke, Nebenabreden, 2004, S. 18 und wohl auch Winneke, Schuldrechtliche Vereinbarungen, 2005, S. 30. 449 Vgl. Thelen, RnotZ 2020, 121, 136; Möllmann/Bank, S. 19 f. 450 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 122; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129; Priester in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 21 Rz. 9; vgl. auch Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 321, die hierfür überdies die zwingenden Kapitalaufbringungsvorschriften anführen. 451 BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980, 981; BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980, 982; RG v. 24.10.1913 – II 429/13, RGZ 83, 216, 219; OLG Hamm v. 2.2.1977 – 8 U 229/76, GmbHR 1978, 271 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120 m. weiteren Beispielen; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129. 452 BGH v. 3.7.2018 – II ZR 452/17, GmbHR 2019, 1009 m. Anm. Haase = EWiR 2018, 551 m. Anm. Bochmann/Cziupka. 453 In diesem Sinne auch Zöllner, RWS-Forum 8, 1996, 91; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129; eingehend dazu A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 92 ff., sowie Kinzl, Gesellschaftervereinbarungen, S. 27 f., auch m.w.N. zum Meinungsstand.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 147 § 3

lem zur Begründung freilich allein schuldrechtlich sanktionierbarer Zustimmungsrechte bei internen Entscheidungen oder eines Wandlungsrechts; ebenfalls hierher gehören Vereinbarungen über Wandlungsrechte454 zugunsten von Fremdkapitalgebern, häufig verbunden mit der Verpflichtung der Gesellschafter, unter Bezugsrechtsausschluss eine diesem Zwecke dienende Kapitalerhöhung zu beschließen (zur umstrittenen Frage nach der Formfreiheit auch derartiger Vereinbarungen bei Rz. 154). Umstritten ist allerdings die Frage, ob Stimmbindungsvereinbarungen zugunsten Dritter zulässig sind; darüber bei Rz. 95 und ausführlich bei 12. Aufl., § 47 Rz. 42).

3. Rechtsnatur a) Schuldrechtliche Vereinbarung Gesellschaftervereinbarungen, gleichviel, ob zwischen allen oder einigen Gesellschaftern und 145 unter Einbeziehung der Gesellschaft oder sonstiger Dritter, sind schuldrechtlicher Natur, woraus folgt, dass sich ihre rechtliche Behandlung grundsätzlich nach den bürgerlich-rechtlichen Regeln richtet; sie binden demzufolge nur die beteiligten Personen (d.h. relativ) unter sich (zur Rechtsnachfolge bei Rz. 156 f.). § 2 Abs. 1 findet auf Gesellschaftervereinbarungen keine Anwendung, sodass sie grundsätzlich formlos möglich sind, solange die Beteiligten darauf verzichten, die fragliche Abrede – als echten Bestandteil des Gesellschaftsvertrages – zum Inhalt der Mitgliedschaft zu erheben. Im Ausgangspunkt unterscheiden sie sich damit deutlich von gesellschaftlichen Rechten und Pflichten, doch wird die Klarheit dieser Trennung von der h.M. im Fall allseitiger Gesellschaftervereinbarungen mit Unterschieden im Detail zugunsten einer vereinheitlichten Betrachtungsweise („Verbandsordnung“) verwischt. Eine „reine“ individualvertragliche Rechtsnatur lässt sich Gesellschaftervereinbarungen zuschreiben, sofern diese nicht Ausdruck einer gemeinsamen Zweckverfolgung der an ihr Beteiligten sind, womit hierher vor allem auf die Regelung eines Einzelfalls abzielende Vereinbarungen gehören455. Auch für ihre Auslegung, welche freilich die Bezogenheit dieser Nebenvereinbarung auf das 146 Gesellschaftsverhältnis nach dem bei Rz. 139 Ausgeführten berücksichtigen muss456, ihre Änderung sowie Aufhebung (durch formfreien Abänderungs- oder Aufhebungsvertrag unter Zustimmung aller Beteiligten) gelten die allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Regeln, während die §§ 53 f. ebenso wenig Anwendung finden457 wie die Grundsätze objektiver Auslegung. Die objektive Auslegung ist jedoch maßgeblich, um im Fall einer in den Gesellschaftsvertrag aufgenommenen Bestimmung zu ermitteln, ob diese korporativen oder einen solchen schuldrechtlichen Charakter haben sollte (vgl. Rz. 131). Die Beurteilung von Willensmängeln richtet sich gleichfalls nach den allgemeinen Grundsätzen (§§ 117, 119, 123 BGB). Eine Verletzung von Pflichten aus Gesellschaftsvereinbarungen hat grundsätzlich nur die 147 Folgen jeder Pflichtverletzung, wobei in erster Linie an Schadensersatzansprüche der aus der Abrede berechtigten Mitgesellschafter sowie gegebenenfalls der Gesellschaft gegen den be-

454 Vgl. zu Wandelschuldverschreibungen bzw. Wandeldarlehen bei der GmbH Bormann/Trautmann, GmbHR 2016, 37 ff.; Hoene/Eickmann, GmbHR 2017, 854 ff. 455 Vgl. A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 78 f.; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 322. 456 BGH v. 20.3.1986 – II ZR 125/85, GmbHR 1986, 304, 305; Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 253; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 56. 457 Priester in FS Claussen, 1997, S. 319, 328 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 62, 77; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 135.

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§ 3 Rz. 147 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages treffenden Gesellschafter zu denken ist (§§ 280, 281, 328 BGB). Ob daneben auch gesellschaftsvertragliche Sanktionen, namentlich in Gestalt der Ausschließung des betreffenden Gesellschafters oder der Anfechtung abredewidriger Beschlüsse in Betracht kommen, ist umstritten (für die Anfechtung von Gesellschafterbeschlüssen unten Rz. 161). Auf Grundlage der Trennungslehre wird man das abzulehnen haben. b) Innengesellschaft bürgerlichen Rechts 148 Wird, wie im Regelfall, eine gemeinsame, andauernde (meist auf Sicherung der Einflussnah-

me auf die Gesellschaft gerichtete) Zweckverfolgung betrieben, wie es typischerweise im Fall der in Familiengesellschaften häufigen Fraktionsbildung durch Konsortial- oder Poolverträge (zur Koordinierung der – nicht nur einmaligen – Stimmabgabe oder sonstiger Mitverwaltungsrechte) liegen wird (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 35), ebenso im Fall von Gemeinschaftsunternehmen infolge konsortialer Grundvereinbarung, entsteht jedoch eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts458, die neben die GmbH tritt („Doppelgesellschaft“) und ihrerseits in Ermangelung abweichender vertraglicher Vereinbarungen den §§ 705 ff. BGB (bzw. als nicht rechtsfähige Gesellschaft mit fehlender Vermögensfähigkeit nach Maßgabe des MoPeG künftig: den §§ 740 ff. BGB n.F.) untersteht. Vermittels ausdrücklicher dahingehender Bestimmung kann aber das Entstehen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ausgeschlossen werden459. Als weiterer Anwendungsfall der Begründung einer derartigen Innengesellschaft gehören hierher Vereinbarungen zwischen Altgesellschaftern und Inferenten im Vorfeld einer Kapitalerhöhung, sofern sie durch Verfolgung eines über die Kapitalerhöhung hinausgehenden gemeinsamen Zwecks in eine Vorbeteiligungsgesellschaft münden, welche rechtlich weitgehend in Entsprechung zur Vorgründungsgesellschaft zu behandeln ist460. Ist eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts entstanden, folgt daraus im Fall von Wirksamkeitsmängeln die Anwendbarkeit der Grundsätze der fehlerhaften Gesellschaft. Das hier im Lichte der gewünschten Beständigkeit wenig zweckgerechte ordentliche Kündigungsrecht (§ 723 Abs. 1 BGB bzw. nach Inkrafttreten des MoPeG: gemäß § 740a Abs. 1 Nr. 4 BGB n.F.) wird regelmäßig ausdrücklich, jedenfalls aber konkludent aufschiebend (zuweilen auch auf den Verlust der Mitgliedschaft in der GmbH) befristet sein461, bei Familiengesellschaften wird eine Vertragsdauer in Kopplung an das Bestehen der GmbH häufig gewollt, aber im Lichte von Bindungshöchstgrenzen nur zeitlich (ggf. enger) befristet möglich sein462 (dieses mitunter als zweckwidrig angesehene ordentliche Kündigungsrecht wird mit dem MoPeG – anders als das außerordentliche, vgl. § 725 Abs. 6, § 731 Abs. 2 n.F. BGB – dispositiv ausgestaltet werden, Abbedingungen müssen nur noch einer Sittenwidrigkeitsprüfung anhand des § 138 BGB standhalten).

458 BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, GmbHR 2013, 301, 302 (in der Regel eine GbR annehmend); LG Berlin v. 16.6.2014 – 95 O 52/13, ZIP 2014, 1388, 1389; Baumann/Reiß, ZGR 1989, 157, 200 f.; Mayer, MittBayNot 2006, 281, 282; Wälzholz, GmbHR 2009, 1020, 1023; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 114; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 32; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 301; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 58. 459 Thelen, RnotZ 2020, 121, 125; zutreffend Wachter/Gores in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 20 Rz. 32 ff. 460 OLG Schleswig v. 4.7.2014 – 17 U 24/14, GmbHR 2014, 1317 ff., dazu Priester, GWR 2014, 405 ff.; Lieder, DStR 2014, 2464 ff.; Fallak/Huynh Cong, NZG 2016, 1291 ff. 461 Ausführlich Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 199; Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 23 AktG Rz. 178; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 66; s. auch Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136. 462 Dazu ausführlich A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 105 ff.; zudem Wälzholz, GmbHR 2009, 1020, 1025.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 151 § 3

c) Bedeutung der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag Die Rechtsnatur der Gesellschaftervereinbarung wird nicht dadurch modifiziert, dass sie – 149 was den Gesellschaftern freisteht – als formeller, d.h. „unechter“ Bestandteil (hierüber ausführlich bei Rz. 128 ff.) in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wird463 (zu den auch insoweit abzulehnenden Ausstrahlungswirkungen auf die korporative Ebene bei Rz. 159 ff.). Eine andere Frage ist, ob die Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag tatsächlich nur zu diesem deklarierenden oder vielmehr zum Zweck der „Verdinglichung“ (durch Begründung eines korporativen Bestandteils) erfolgt ist. Die Aufnahme der fraglichen Abrede in den Gesellschaftsvertrag ist jedoch regelmäßig ein Indiz für diese „Verdinglichung“464. Für die umstrittenen Modalitäten der Änderung entsprechender Vereinbarungen mitsamt 150 Beseitigung der Deklarationswirkung gilt das bei Rz. 132 Gesagte entsprechend. Auch hier spaltet sich der unechte Bestandteil mithin auf in einen – schuldrechtlichen Grundsätzen unterstehenden – regelnden Teil (d.h. Änderung bzw. Aufhebung nur durch Vertrag sämtlicher Beteiligter) und einen – den Grundsätzen der Satzungsänderung unterstehenden – deklarierenden Teil; beide Teile stehen in ihrer Wirkung losgelöst voneinander.

4. Zulässigkeitsschranken a) AGB-Kontrolle Grundsätzlich besteht Vertragsfreiheit nach Maßgabe des bürgerlichen Rechts, das die Ge- 151 sellschaftervereinbarungen beherrscht. Im Bereich „verdünnter Vertragsfreiheit“, d.h. bei Qualifikation als Allgemeine Geschäftsbedingungen i.S.d. § 305 BGB465, sind freilich die Gestaltungsgrenzen nach Maßgabe der §§ 307 ff. BGB zu wahren, sofern nicht die Bereichsausnahme des § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB zum Tragen kommt. Insoweit differenziert die überwiegende Ansicht wiederum zwischen „rein“ schuldrechtlichen (individualvertraglichen)466 und den als Gesellschaft bürgerlichen Rechts einzustufenden Gesellschaftervereinbarungen und hält die Bereichsausnahme nur bei Letzteren für einschlägig467. Auf Grundlage der (in Begründung und Ergebnis indes abzulehnenden) Einheitslehre dürfte allerdings auch im Fall 463 Priester in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 21 Rz. 2; a.A., aber insoweit im Unklaren belassend, in welcher Weise sich die Rechtsnatur angeblich ändern soll, A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 33 f.; letztlich würde damit außer Acht gelassen, dass sich das Schicksal aufspaltet in einen formellen Satzungsbestandteil, der deklarierend wirkt und die davon unberührt bleibende schuldrechtliche Vereinbarung; dazu bei Rz. 132. 464 Zwingend (bzw. naheliegend, unterstellt man den Gesellschaftern nicht die Wahl einer insoweit unzulässigen Regelungsebene; vgl. Rz. 142) ist dieser Schluss freilich nur bei den durch die § 3 Abs. 1 und § 5 Abs. 4 vorgeschriebenen Mindestangaben sowie bei solchen Abreden, die die Rechtsstellung der Gesellschaft, ihre Organisation sowie ihre Beziehungen zu den Gesellschaftern regeln. 465 An dem Stellen der Regelungen im Bereich von Beteiligungsvereinbarungen zweifelt etwa Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 6. Aufl. 2019, Teil F Rz. 109 ff.; pauschal kann die Qualifikationsfrage nicht beantwortet werden; bei einem Verbrauchervertrag, der auch in diesem Kontext zuweilen vorliegen wird, wird die Stellensfiktion des § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB einschlägig sein; zutreffend in diesem Sinne Thelen, RnotZ 2020, 121, 125. 466 Wicke, DnotZ 2006, 1137, 1140; Wälzholz, GmbHR 2009, 1020, 1023; Tebben, RnotZ 2020, 121, 125 f.; Ehricke, Nebenabreden, 2004, S. 22; Grunewald in FS Semler, 1993, S. 179, 185; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 67; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 96; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136. 467 Wälzholz, GmbHR 2009, 1020, 1023; Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 240 f.; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 98; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136; vgl. auch BGH v. 11.11.1991 – II ZR 44/91, ZIP 1992, 326, 327; einschränkend Trölitzsch in BeckOK

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§ 3 Rz. 151 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages individualvertraglicher Gesellschaftervereinbarungen – zumindest, sofern omnilateral und damit als Teil der „Verbandsordnung im weiteren Sinne“ gefasst – die gesellschaftsrechtliche Bereichsausnahme zur Anwendung gelangen, richtigerweise selbst auf der Grundlage der Trennungslehre468, da § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB alle Verträge auf dem „Gebiet des Gesellschaftsrechts“ erfasst und damit jedwede auf das Mitgliedschaftsrecht (nicht notwendig dieses „dinglich“ ausgestaltend) bezogene Vereinbarungen vom Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB ausnimmt469. b) Satzungsvorbehalt 152 Dort, wo das GmbH-Recht einen Satzungsvorbehalt anordnet (hierüber bei Rz. 114 ff.),

kann die Gesellschaftervereinbarung diesem Satzungsvorbehalt nicht genügen, sodass sie insoweit (d.h. auf Satzungsebene) keine Regelungswirkung zu entfalten vermag470. Das bedeutet aber nicht, dass sie deswegen in jedem Fall unwirksam wäre; ein Nichtigkeitsverdikt könnte nur ausgesprochen werden, wenn Satzungsvorbehalte Vereinbarungen auf anderer Regelungsebene über § 134 BGB sanktionierten. So liegt es aber nicht471. In diesem Sinne hindert etwa der Satzungsvorbehalt für Abtretungserschwerungen in § 15 Abs. 5 mitnichten schuldrechtliche Zustimmungserfordernisse oder Andienungspflichten im Veräußerungsfall472. Besonderheiten gelten auch nicht mit Blick auf § 3 Abs. 2, sodass auch Gesellschaftern schuldrechtlich zusätzliche Leistungspflichten zugunsten der Gesellschaft auferlegt werden können. Die damit bestehende Wahlfreiheit wird entgegen vereinzelter Stimmen in der Literatur nicht durch einen Wesentlichkeitsvorbehalt eingeschränkt473. Selbst solche Abreden, die für die Verfolgung des Unternehmensgegenstandes erforderlich oder zumindest förderlich sind, wie z.B. dauernde Pflichten zur Lieferung von Erzeugnissen oder zur Erbringung persönlichen Arbeitseinsatzes, können daher außerhalb des Gesellschaftsvertrages als schuldrechtliche getroffen werden474.

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GmbHG, 48. Edition, 1.5.2021, § 53 Anhang Gesellschaftervereinbarungen, Rz. 9.1: Bereichsausnahme nur einschlägig, sofern organisationsrechtliche Regelungen betroffen sind. Vgl. i.Erg. weitgehend übereinstimmend Wachter/Gores in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 20 Rz. 22, Weitnauer in Weitnauer, Handbuch Venture Capital, 6. Aufl. 2019, Teil F. Rz. 112 ff.; Hermanns in Kölner Handbuch, 4. Aufl. 2017, Kap. 3 Rz. 1135. Vgl., mit Unterschieden im Detail, Richters/Friesen in BeckOGK BGB, Stand: 1.1.2022, § 310 BGB Rz. 190; Becker in BeckOK BGB, 60. Edition, Stand: 1.11.2021, § 310 BGB Rz. 32; Basedow in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2019, § 310 BGB Rz. 124 ff.; Piekenbrock in Staudinger, 2019, § 310 BGB Rz. 154. A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 178: unzulässig bzw. rechtlich wirkungslos (Letzteres ist wohl zutreffender); Priester in FS Claussen, 1997, S. 319, 332; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133. Vgl. A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 181 ff.; näher zu alledem Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 122 ff.; ferner Priester, DB 1979, 681, 682; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 120. Dies ergibt sich in diesem Fall sog. indifferenter Bestandteile des Gesellschaftsvertrages insoweit auch aus einem Erst-recht-Schluss aus der Möglichkeit entsprechender statutarischer Bestimmungen. So aber noch 11. Aufl., Rz. 105; Berger, Nebenverträge im GmbH-Recht, 1995, S. 52 f.; ähnlich Ulrich, ZGR 1985, 235, 45 ff.; wohl auch Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 3 sowie § 2 Rz. 11, wobei hier nicht klar danach unterschieden wird, ob eine Regelung als echter Satzungsbestandteil zu fassen oder nur aufgrund des Vollständigkeitsgebots mit zu beurkunden ist; dagegen aber mit ausführlicher Begründung Lüssow, Das Agio im GmbH- und Aktienrecht, 2005, S. 35 ff.; Janke, Die Nebenleistungspflichten bei der GmbH, 1996, S. 57 ff. BGH v. 8.2.1993 – II ZR 24/92, GmbHR 1993, 214; BGH v. 29.9.1969 – II ZR 167/68, GmbHR 1969, 288 f.; BGH v. 14.6.1965 – VIII ZR 309/62, WM 1965, 1076, 1077; RG v. 20.11.1925 – II

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 153 § 3

c) Widerspruch zu zwingendem Recht Gestaltungsgrenzen bestehen dahingehend, dass sich die Gesellschafter durch schuldrecht- 153 liche Vereinbarungen nicht über zwingende gesetzliche Regelungen, wie die § 42a Abs. 2 Satz 2, § 51a Abs. 3 und § 53 Abs. 2 Satz 2, hinwegsetzen können475. Das versteht sich von selbst, sofern auf die gesellschaftliche Wirkung geblickt wird476. Es gilt aber im Grundsatz auch, sofern über die Gesellschaftervereinbarung jene gesetzgeberischen Wertungen, welche der zwingenden Ausgestaltung der betreffenden Vorschriften zugrunde liegen, unterlaufen würden477, was von Fall zu Fall festzustellen ist. Paradigma bildet eine Stimmbindungsvereinbarung, die es einem nach § 47 Abs. 4 vom Stimmrecht Ausgeschlossenen ermöglicht, Einfluss auf die Willensbildung zu erlangen (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 47 m.N.). Ein Unterlaufen der Wertungen des zwingenden Rechts wird man dagegen bei einer punktuell wirkenden Vereinbarung, etwa beim einmaligen, aber auch sachgebietsbezogen begrenzten Verzicht auf die Ausübung des Auskunfts- und Einsichtsrechts i.S.d. § 51a, nicht in jedem Fall annehmen können478, wohl aber typischerweise bei einer andauernd wirkenden Vereinbarung. Zu betonen ist, dass auch eine dauerhafte Einschränkung, im Beispiel etwa der Verzicht auf die Ausübung des Informationsrechts, das entsprechende Mitgliedschaftsrecht nicht („dinglich“) berührt; eine Missachtung der beschränkenden schuldrechtlichen Vereinbarung kann daher nur ebensolche Sanktionen auslösen; vgl. auch für die Zulässigkeit eines konkret-individuellen Anspruchsverzichts, freilich im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter, bei 12. Aufl., § 51a Rz. 50. Mangels Hierarchie-, sondern Aliudverhältnis der beiden Regelungsebenen zueinander können im Übrigen jedoch Gesellschaftervereinbarungen inhaltlich vom Gesellschaftsvertrag abweichen479, und dies selbst dann, wenn dieser ausdrücklich die schuldrechtliche Regelungsebene zu versperren versucht, wie im Fall statutarischer Stimmbindungsverbote, die bei Missachtung die schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarung nicht unwirksam machen, wohl aber auf die Satzungswidrigkeit der Vereinbarung gestützte Schadens-

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576/24, RGZ 112, 273, 277 f.; RG v. 24.10.1913 – II 429/13, RGZ 83, 216, 218 f.; RG v. 10.5.1912 – II 43/12, RGZ 79, 332, 336; Gasteyer, BB 1983, 934, 936; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 27; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 84 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 57 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 56; a.A. OLG Dresden v. 17.6.1996 – 2 U 546/96, GmbHR 1997, 746, 748. Vgl. Jäger, DStR 1996, 1935, 1935 f.; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 123 ff.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133; großzügiger A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, S. 180 ff.; Priester in FS Claussen, 1997, S. 319, 325. Denn was durch Satzungsbestimmungen nicht korporativ gestaltbar ist, kann erst recht nicht schuldrechtlich mit gesellschaftlicher Wirkung (!) vereinbart werden. Vgl. zu alledem ausführlich Baumann/Reiß, ZGR 1989, 157, 214, die insoweit wohl noch weitergehend über § 138 BGB und die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht „unternehmensverfassungsrechtlichen Grundwertungen“ eine Ausstrahlungswirkung auf schuldrechtliche Vereinbarungen zuschreiben wollen (diese Ausstrahlungswirkung ist freilich von der abzulehnenden Rückwirkung schuldrechtlicher Vereinbarungen auf gesellschaftliche Regeln zu unterscheiden); weiterhin Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 123 ff. A.A. (für generelle Unzulässigkeit) wohl Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 133; wie hier aber Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 126 f., im Einzelfall erklärter Verzicht wirksam, nicht aber Dauerregelung; ferner Milch, Schuldrechtliche Absprachen in der GmbH, 2004, S. 150, vgl. zum Ganzen auch A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, S. 180 ff., die selbst zwischen verzichtbaren „relativ zwingenden“ und „absolut zwingenden“ Normen differenzieren will. BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980 Rz. 7 m. Anm. Podewils; Lieder in Fleischer/ Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 259 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117; vgl. auch Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995, S. 97 ff.; a.A. aber etwa Ehricke, Nebenabreden, 2004, S. 23 ff.; Rossig, Gesellschafterabsprachen, 2020, S. 76.

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§ 3 Rz. 153 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages ersatz- und Unterlassungsansprüche der Mitgesellschafter begründen können480 (näher bei 12. Aufl., § 47 Rz. 48). Ausnahmen von diesem Grundsatz werden für den Fall der Umgehung einer Vinkulierungsbestimmung vermittels Stimmbindungsvereinbarungen erwogen (befürwortend und näher bei 12. Aufl., § 47 Rz. 48 m.N.). Freilich kann in keinem Fall über die abweichende schuldrechtliche Vereinbarung die jeweilige statutarische Bestimmung unmittelbar abgeändert werden. Für organisationsrechtliche Regelungen ist dieser beschränkte Wirkungsmechanismus selbst auf Grundlage der bei Rz. 159 geschilderten (abzulehnenden) Einheitslehre anerkannt481 (daher z.B. keine Möglichkeit der Bewirkung einer Verlängerung der statutarisch begrenzten Amtszeit von Organmitgliedern vermittels schuldrechtlicher Vereinbarung); richtigerweise handelt es sich aber um einen allgemeinen Grundsatz (darüber bei Rz. 159 f.).

5. Grundsatz der Formfreiheit und Ausnahmen 154 Gesellschaftervereinbarungen, gleichviel ob „rein“ schuldrechtlich oder als Gesellschaft bür-

gerlichen Rechts zu qualifizieren, bedürfen grundsätzlich keiner Form, werden aber in der Regel zu Beweiszwecken mindestens privatschriftlich geschlossen. Freilich besteht für sie dort ein Formzwang, wo sich dieser aus dem bürgerlichen Recht, dem sie unterstehen, ergibt482. In diesem Sinne bedürfen sie (und zwar nach dem Vollständigkeitsgrundsatz insgesamt!) der notariellen Beurkundung nach § 311b Abs. 1 Satz 1 BGB, sofern sich darin ein Gesellschafter zur Übertragung oder zum Erwerb von Grundstücken verpflichtet483. Selbiges gilt, sofern gesellschaftsrechtliche Formgebote tatbestandlich einschlägig sind, wie im Fall der häufigen Vorerwerbsrechte und damit korrespondierenden Abtretungsverpflichtungen in all ihren Spielarten in Hinsicht auf § 15 Abs. 4; der Formzwang folgt hier den allgemeinen, bei 13. Aufl., § 15 Rz. 47 dargestellten Grundsätzen, die auch ein Vollständigkeitsgebot beinhalten, wonach „die Vereinbarung“ insgesamt mitsamt ihren Nebenabreden zu beurkunden ist484 (vgl. bei 13. Aufl., § 15 Rz. 66). Im Lichte dieses Vollständigkeitsgebots sind auch Bestrebungen zum Scheitern verurteilt, insbesondere bei Beteiligung von Wagniskapitalgebern entsprechende Abtretungsverpflichtungen in den (nach § 2 Abs. 1 ebenfalls zu beurkundenden) Gesellschaftsvertrag zu verlagern, um auf diese Weise sämtliche die Beurkundungsbedürftigkeit nach Maßgabe des § 15 Abs. 4 Satz 1 auslösenden Veräußerungs- oder Erwerbspflichten aus dem Regelungskreis einer dann (vermeintlich) formfreien Beteiligungsund Gesellschaftervereinbarung herauszuhalten. Notarielle Beurkundung ist weiterhin im Fall „harter“ Stimmbindungspflichten erforderlich485, welche auf eine Satzungsänderung, 480 Casper in Bork/Schäfer, § 47 Rz. 26; Hüffer/Schäfer in Habersack/Casper/Löbbe, § 47 Rz. 93; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 19; Römermann in Michalski u.a., § 47 Rz. 552; anders wohl aber Drescher in MünchKomm. GmbHG, § 47 Rz. 256, der darin eine in der Satzung verankerte schuldrechtliche Nebenabrede sieht, keine Stimmbindung einzugehen. 481 BGH v. 7.6.1993 – II ZR 81/92, BGHZ 123, 20 = GmbHR 1993, 497; BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980 Rz. 9; OLG Hamm v. 9.3.2015 – 8 U 78/14, ZIP 2015, 969; OLG Düsseldorf v. 23.9.2016 – 3 Wx 130/15, GmbHR 2017, 36, 37 m. zustimmendem Anm. Priester, GmbHR 2017, 38. 482 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 135. 483 Hergeth/Mingau, DStR 2001, 1217, 1219 f.; Sieger/Schulte, GmbHR 2002, 1050, 1053; Wicke, DStR 2006, 1137, 1140; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 62. 484 Hermanns, ZIP 2006, 2296, 2298; Gores in Hauschild/Kallrath/Wachter, Notarhandbuch Gesellschafts- und Unternehmensrecht, 2. Aufl. 2017, § 20 Rz. 60. 485 A.A. aber die h.M.; vgl. RG v. 23.9.1927 – 495/26 II., JW 1927, 2992; Sieger/Schulte, GmbHR 2002, 1050 ff.; Wälzholz, GmbHR 2009, 1020, 1024; Tholen/Weiß, GmbHR 2016, 915, 917; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 39 a.E.; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 157; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61; wie hier Ziemons in BeckOK GmbHG, 34. Edition 1.8.2017, § 53 Rz. 26; Wicke, § 53 Rz. 23.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 155 § 3

erst recht in Form einer Kapitalerhöhung, gerichtet sind. Zwar kommt § 53 Abs. 2 zuvörderst Beweissicherungs-, ebenfalls aber eine Warn- und (trotz Möglichkeit der Beurkundung als Tatsachenprotokoll i.S.d. §§ 36 ff. BeurkG) eine Belehrungsfunktion zu486, die bei vorverlagernder formfreier Stimmbindung unterlaufen würde (ebenso für „harte“ Stimmbindungen bei 12. Aufl., § 47 Rz. 46, anders jedoch bei 12. Aufl., § 53 Rz. 36, je m.w.N.). Keiner Form bedarf dagegen eine vorvertragliche Verpflichtung zur Übernahme eines im Rahmen einer Kapitalerhöhung auszugebenden Geschäftsanteils487, gleichviel, ob der Inferent bereits Gesellschaft ist oder nicht488, denn § 55 Abs. 1 verlangt für die Übernahmeerklärung allein notarielle Beglaubigung i.S.d. § 129 BGB und dient damit dem Zweck, die Öffentlichkeit zuverlässig über die Identität des Inferenten zu informieren. Eine Erstreckung dieses Formzwecks auf die vorvertragliche Bindung ist nicht geboten (ausführlich hierzu m.w.N. bei 12. Aufl., § 53 Rz. 117).

6. Bindung von Rechtsnachfolgern Da Rechte und Pflichten aus einer Gesellschaftervereinbarung keinen („dinglichen“) Inhalt 155 der Mitgliedschaft bilden, sind der Gesellschaft neu Beitretende nicht automatisch vermöge Mitgliedschaft berechtigt bzw. verpflichtet. Auch im Fall eines Gesellschafterwechsels im Wege der Singularsukzession (durch Geschäftsanteilsübertragung) gehen weder die Parteistellung insgesamt noch einzelne Rechts- und Pflichtenpositionen aus der Gesellschaftervereinbarung auf den Rechtsnachfolger über489. Es bedarf für eine Überleitung vielmehr rechtsgeschäftlicher Instrumente, namentlich der Vertragsübernahme des Erwerbers unter Mitwirkung aller Beteiligten (§ 311 Abs. 1 BGB) oder der Abtretung, Schuldübernahme oder des Schuldbeitritts (§§ 398, 414, 415 BGB), und zwar auch dann, wenn die Gesellschaftervereinbarung insgesamt oder einzelne Elemente hieraus als „unechte“ Bestandteile in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wurden (über diese Bestandteile bei Rz. 127 ff.). Solche auf Überleitung zielenden Abreden können zwischen den Beteiligten auch konkludent aus Anlass der Veräußerung des Geschäftsanteils zustande kommen. Ob dies zutrifft, ist eine Frage der Auslegung ihrer Erklärungen im Einzelfall (nach Maßgabe der §§ 133, 157 BGB), wobei es indiziell vor allem darauf ankommen wird, ob der Erwerber des Geschäftsanteils die Gesellschaftervereinbarung kannte und (!) ob er sich mit ihr in irgendeiner Form einverstanden erklärt hat. Der Erwerb eines Geschäftsanteils in bloßer Kenntnis von der Gesellschaftervereinbarung genügt indessen für sich genommen nicht490 – auch dann nicht, wenn 486 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 338 = GmbHR 1989, 25; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 76, 79 = GmbHR 1981, 189; OLG Hamm v. 1.2.1974 – 15 Wx 6/74, OLGZ 1974, 149 = GmbHR 1974, 91 (L); Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 157. 487 OLG München v. 4.5.2005 – 23 U 5121/04, ZIP 2005, 1070, 1071; Hergeth/Mingau, DStR 2001, 1217, 1220; Lieder, DStR 2014, 2464, 2469; Tholen/Weiß, GmbHR 2016, 915, 916; Hoene/Eickmann, GmbHR 2017, 854, 856; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 55 Rz. 99. 488 A.A. jedoch Krampen-Lietzke, RnotZ 2016, 20, 23; vgl. zum Ganzen auch Tholen/Weiß, GmbHR 2016, 915, 916; Hoene/Eickmann, GmbHR 2017, 854, 857; Lieder in MünchKomm. GmbHG, § 55 Rz. 160. 489 Allg. Meinung; vgl. BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980, 981; aus der Lit. etwa Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 171; Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995, S. 233; Ehricke, Nebenabreden, 2004, S. 44 f.; Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 238; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 62; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 56; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 328 ff. 490 Ganz h.L.; vgl. etwa Priester, DB 1979, 681, 686; M. Winter, ZHR 154 (1990), 259, 264; Wicke, DStR 2006, 1137, 1140; Milch, Schuldrechtliche Absprachen in der GmbH, 2004, S. 72; A. Schön, Schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen, 2018, S. 268 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 118; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 137; Servatius in Noack/Servatius/Haas,

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§ 3 Rz. 155 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaftsvertrag auf die Gesellschaftervereinbarung verweist491. Dies zuweilen behauptende Literaturstimmen492 überstrapazieren den zunächst nur auf Erwerb der Mitgliedschaft gerichteten Erklärungsgehalt und verwischen den allgemein geteilten Grundsatz der fehlenden automatischen Geltungserstreckung der Gesellschaftervereinbarung auf Sonderrechtsnachfolger. Von dem Eintritt des Erwerbers in die Vereinbarung wird es regelmäßig abhängen, ob der Veräußerer des Geschäftsanteils von den übrigen Beteiligten aus der Vereinbarung entlassen wird. Bleibt er gebunden, z.B. an ein Wettbewerbsverbot, so ist zu beachten, dass eine solche Bindung nur in engen Grenzen zulässig ist (§ 138 BGB; § 1 GWB; Art. 101 AEUV; darüber bei Rz. 93). Wurde durch die Gesellschaftervereinbarung nach Maßgabe der bei Rz. 148 geschilderten Grundsätze zwischen den Beteiligten eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts begründet, bedarf es für die Bindung des Sonderrechtsnachfolgers einer Gesellschaftsanteilsübertragung, d.h. einer Übertragung der Mitgliedschaft in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts, wohingegen ein kombinierter Aus- und Eintritt keine Rechtsnachfolge im eigentlichen Sinne bedeutet. 156 Im Todesfall treten der oder die Erben des verstorbenen Gesellschafters aufgrund Gesamt-

rechtsnachfolge nicht nur in die mitgliedschaftliche Position des Erblassers, sondern umfassend in dessen Rechtsstellung und damit auch in schuldrechtliche Vereinbarungen ein. Freilich können Rechte und Verpflichtungen der Gesellschaftervereinbarungen auch als höchstpersönliche ausgestaltet sein und damit im Todesfall erlöschen. Wurde eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts begründet, führte der Tod eines ihrer Mitglieder nach dispositiver Ausgangslage (vgl. § 727 Abs. 1 BGB) zur Auflösung, im Fall einer die Auflösung verhindernden Fortsetzungsklausel zum Ausschluss der Erben (nach Maßgabe des MoPeG wird diese Fortsetzungsfolge ausweislich § 723 Abs. 1 Nr. 1 BGB n.F. künftig zum gesetzlichen [dispositiven] Ausgangspunkt); die Fortführung mit dem oder den Erben (im letzteren Fall im Wege der Sondererbfolge) verlangte eine erbrechtliche (einfache oder qualifizierte) Nachfolgeklausel, alternativ eine (regelmäßig wenig zweckgerechte) Eintrittsklausel.

7. Typische Gegenstände 157 Als Gegenstand von Gesellschaftervereinbarungen kommen grundsätzlich sämtliche Abre-

den in Betracht, die auch zum Gegenstand unechter Bestandteile des Gesellschaftsvertrages gemacht werden können (darüber bei Rz. 130, 133). Paradigmata sind außer den üblichen Grundvereinbarungen der Mütter aus Anlass der Gründung eines Gemeinschaftsunternehmens in der Rechtsform einer GmbH und Beteiligungsvereinbarungen, häufig unter Einbeziehung eines Wagniskapitalgebers, die verbreiteten Stimmrechtsbindungs-, Konsortialund Poolverträge, mit denen einzelne Gesellschafter oder Gesellschaftergruppen versuchen, ihren Einfluss auf die Gesellschaft auf Dauer schuldrechtlich abzusichern (ausführlich bei 12. Aufl., § 47 Rz. 35 ff.). Im Einzelfall können solche Abreden ein derartiges Gewicht haben, dass sie die Abhängigkeit der Gesellschaft von einzelnen Gesellschaftern oder einer Gesellschaftergruppe begründen (§ 17 Abs. 1 AktG), sofern diese Unternehmensqualität im Sinne des Konzernrechts besitzen493 – eine Frage, die gerade mit Rücksicht auf Pools, Familien und Rz. 57; a.A. Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136; Lutter in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 54 AktG Rz. 30. 491 So aber Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 176; dagegen etwa Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 137. 492 Rossig, Gesellschafterabsprachen, 2020, S. 284; Lutter in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 54 AktG Rz. 30; Drygala in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 54 AktG Rz. 43. 493 Baumann/Reiß, ZGR 1989, 201 ff.; Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 451 f.; Emmerich in Emmerich/ Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 17 AktG Rz. 30 f.; Koch, 16. Aufl. 2022, § 17 AktG Rz. 13 ff. jeweils m.w.N.; ferner Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 92 ff.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 158 § 3

Familiengesellschaften noch keineswegs endgültig geklärt ist494 (vgl. auch 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 31). Hat die Gesellschaftervereinbarung den Zweck, den Beteiligten – gegebenenfalls unter Einbeziehung der Geschäftsführer persönlich in die Vereinbarung – einen weitgehenden Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft zu sichern, so kann von Fall zu Fall ferner die Frage entstehen, ob sich nicht hinter oder besser: unter der (formlos möglichen) Gesellschaftervereinbarung ein formbedürftiger (und deshalb im gegebenen Fall nichtiger) Beherrschungsvertrag verbirgt (§§ 291, 294 AktG)495. Derartige verdeckte Beherrschungsverträge, hinsichtlich derer am sinnvollsten die Anwendung der Regeln über den (fehlerhaften) Vertragskonzern scheint (13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 225 f.), erfreuen sich insbesondere unter dem Einfluss ausländischer Investoren zunehmender Beliebtheit496. Weitere Beispiele für Gesellschaftervereinbarungen sind Vereinbarungen über die Verpflich- 158 tung der Gesellschafter zur Leistung von Zuschüssen oder zur Gewährung von Darlehen an die Gesellschaft497 sowie über die Verpflichtung zur Erbringung weiterer Sachleistungen ohne Anrechnung auf die Einlage498 oder zur Übernahme von Verlusten499, ferner die Gesellschafter persönlich treffende Wettbewerbsverbote (vgl. auch in Bezug auf Nebenleistungspflichten bei Rz. 87 ff.), die Verpflichtung zur Abtretung des Geschäftsanteils, Vor- oder Ankaufsrechte der Gesellschaft oder anderer Gesellschafter500 (vgl. auch Rz. 85), weiter eine vom Gesellschaftsvertrag abweichende Gewinnverteilung zwischen den Beteiligten501, eine Vereinbarung der Gesellschafter über die Begrenzung der ihnen nach dem Gesellschaftsvertrag zustehenden Abfindungsansprüche im Interesse der Gesellschaft502, außerdem Liefer- und Bezugspflichten der Gesellschafter oder ihre Verpflichtung zur Benutzung der Einrichtungen der Gesellschaft503, Mitarbeiterbeteiligungsvereinbarungen504 sowie schließlich der Zusammenschluss Einzelner oder aller Gesellschafter zu einer BGB-Gesellschaft zwecks Unterstützung der Gesellschaft durch die Erbringung bestimmter weiterer Beiträge (§ 705 BGB). Stimmbindungsvereinbarungen werden zuweilen auch dazu genutzt, die gesellschaftsrechtlichen „Rechtsmachtverhältnisse“ mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben. Ziel solcher Vereinbarungen ist es, mitarbeitende Minderheitsgesellschafter (Bsp.: leitender Angestellter mit Prokura) als selbstständig beschäftigt einzustufen, um maßgeblichen Einfluss auf die Willensbildung in der GmbH ausüben. Der BSG hat diesem Versuch aber enge Grenzen gesetzt, vor allem angesichts der Kündigungsmöglichkeiten dieser Vereinbarungen505.

494 Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 264 ff.; Emmerich in Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, 9. Aufl. 2019, § 15 AktG Rz. 20 ff.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138. 495 Noack, NZG 2013, 281, 282; Kinzl, Gesellschaftervereinbarungen, S. 139 ff.; vgl. Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 61; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138. 496 OLG Schleswig v. 8.12.2005 – 5 U 57/04, ZIP 2006, 421; Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge im Aktienrecht, 2010, passim; Emmerich in FS Hüffer, 2010, S. 179, 183 ff. 497 RG v. 24.10.1913 – II 429/13, RGZ 83, 216, 219; RG, JW 1914, 94. 498 BGH v. 29.11.1969 – II ZR 167/68, GmbHR 1969, 288. 499 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 24/92, GmbHR 1993, 214 ff.; OLG Nürnberg v. 4.6.1981 – 8 U 3216/80, GmbHR 1981, 242; OLG Hamm v. 2.2.1977 – 8 U 229/76, GmbHR 1978, 271 f.; Gasteyer, BB 1983, 934 ff.; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 311 ff. 500 BGH v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155 = AG 1963, 132; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 15, 284 ff.; G. Hueck in (1.) FS Larenz, 1973, S. 749; H. P. Westermann/Klingberg in FS Quack, 1991, S. 545 ff. 501 KG, OLGE 24, 153; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, S. 324 f. 502 BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980. 503 BGH v. 8.2.1988 – II ZR 228/87, BGHZ 103, 219, 221 ff. = ZIP 1988, 910; BGH v. 11.11.1991 – II ZR 44/91, ZIP 1992, 326. 504 Wälzholz, GmbHR 2009, 1020, 1021. 505 BSG v. 11.11.2015 – B 12 KR 13/14 R, GmbHR 2016, 528, 529 ff.; dazu auch DnotI-Report 2016, 65 f.; kritisch dagegen Bosse, NWB 2016, 352, 352 ff.; Plagemann, FD-SozVR 2016, 376989.

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§ 3 Rz. 159 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages

8. Trennungsgrundsatz a) Grundsätzliches 159 Die Notwendigkeit, schuldrechtliche und korporative Regelungsebenen nicht nur zu unter-

scheiden, sondern zu trennen, ist bereits durch § 13 und die darin zum Ausdruck gekommene gesetzgeberische Trennung der Sphären von Gesellschaft und Gesellschaftern vorgezeichnet (darüber bei 13. Aufl., § 13 Rz. 2). Diese Grenze zwischen korporativer und individueller Ebene506 wird gezielt verwischt, sofern mit der sog. Einheitslehre mit zahlreichen Unterschieden im Detail Gesellschaftervereinbarungen bei schuldrechtlicher (!) Bindung sämtlicher Gesellschafter gesellschaftliche Wirkungen beigemessen werden. Diese Verwischung erfolgt vornehmlich, insbesondere in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, aus Zweckmäßigkeits-, vor allem prozessökonomischen Gründen507, ohne damit, über einzelne pragmatisch bewältigbare Fallgruppen hinausgehend, einer prinzipiellen Einebnung der beiden Regelungsebenen das Wort zu reden. Zuweilen wird die strikte Trennung der Regelungsebenen indessen aus theoretisch-dogmatischen Erwägungen in prinzipieller Weise hinterfragt508. Zur Begründung der propagierten Einheitsbetrachtung wird zuweilen die Rechtsmacht zur Ausformung der Verbandsebene nicht nur Gesetz, Gesellschaftsvertrag, Beschluss sowie Treuepflicht zugeschrieben, sondern ebenso sehr omnilateralen Gesellschaftervereinbarungen, und insoweit von einer Verbandsordnung im weiteren Sinne gesprochen509. Zuweilen wird, weniger weitreichend, in einigen Fällen missbräuchlichen Verweises auf die fehlende korporative Bindung einer schuldrechtlichen Vereinbarung ein Rückgriff auf das Vorstellungsbild des „Durchgriffsgedankens“ bemüht510, der freilich bislang vornehmlich zur Ermöglichung eines Haftungs- oder Zurechnungsdurchgriffs herausgebildet wurde (vgl. 13. Aufl., § 13 Rz. 69 ff.), hier aber dazu dienen soll, die Berufung auf die Wahl einer bestimmten (nämlich schuldrechtlichen) Regelungsebene unter bestimmten Voraussetzungen als missbräuchlich zu kennzeichnen. 160 Dogmatisch stimmiger ist es immerhin, sofern man zweckmäßigen Ergebnissen zur Durch-

setzung verhelfen will, die Treuepflicht als „Einfallstor“ für das Hineinragen schuldrechtlicher in die gesellschaftliche Sphäre zu bemühen511. Dieses Zusammenspiel wird man nicht

506 Für eine Trennung, freilich mit Unterschieden im Detail, Fleck, ZGR 1988, 104, 107; Winter, ZHR 154 (1990), 259, 268 ff.; Ulmer in FS Röhricht, 2005, S. 633, 635 ff.; Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 248 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 68; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 146. Aus der Rechtsprechung OLG Stuttgart v. 7.2.2001 – 20 U 52/97, BB 2001, 796, 797 f. 507 BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, GmbHR 1987, 94, 96; BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196 – Kerbnägel; OLG Saarbrücken v. 24.11.2004 – 1 U 202/04 – 35, GmbHR 2005, 546, 548; OLG München v. 9.9.2012 – 23 U 4173/11, GmbHR 2012, 1075, 1078. 508 Baumann/Reiß, ZGR 1989, 157, 212 f.; Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442, 451 ff., 458 f.; Zöllner, RWS-Forum 8 (1996), S. 89, 98 ff., 110 ff.; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 65 ff., 107 ff. 509 Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 113 ff.; in diese Richtung auch Priester in FS Claussen, 1997, 319, 328 ff. 510 Winter, ZHR 154 (1990), 277 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127; Koch, 16. Aufl. 2022, § 243 AktG Rz. 10. 511 In diesem Sinne, trotz Festhaltens an der Trennungslehre, Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 253; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 313; ferner Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 148; a.A., und damit wie hier strikter an der Trennungslehre festhaltend, M. Winter, Treuebindungen, 1988, S. 51 f.; Ulmer, NJW 1987, 1849, 1852; Limmer in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 23 AktG Rz. 63; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 201; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 68

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als Überwindung der Trennung beider Sphären verstehen müssen, sondern kann darin durchaus einen Konkretisierungsakt der Treuepflicht sehen, die zwar ihren Geltungsgrund im Gesellschaftsvertrag hat, aber zur Konkretisierung dessen, was der Gesellschafter im Gesellschaftsinteresse als loyales Verhalten schuldet, auf außerstatutarische Elemente zurückgreifen dürfte (vgl. auch 13. Aufl., § 14 Rz. 76). Insoweit ginge es m.a.W. nicht um einen Treuepflichtverstoß, der etwa bereits (insoweit mit dem Trennungsgedanken unvereinbar) aus der Verletzung der omnilateralen Gesellschaftervereinbarung für sich genommen resultierte512, sondern um eine Konkretisierung des Gesellschaftsinteresses unter Berücksichtigung der Wertungen, welche in omnilateralen Vereinbarungen durch die Gesellschafter zum Ausdruck gebracht wurden. Begründbar ist diese Sichtweise letztlich allerdings nur, sofern zugleich davon ausgegangen wird, dass es kein Gesellschaftsinteresse geben kann, das abgehoben von jenem der Gesamtheit der Gesellschafter eigenständig existiert, was selten in diesem Kontext explizit herausgestrichen wird513. Diese Prämisse überzeugt aber nicht; die Gesellschaft ist mehr als die Summe der Gesellschaftergesamtheit, die sich für die Herstellung eines Interessengleichlaufs der korporativen Instrumente der Satzungsbestimmung sowie des einfachen Gesellschafterbeschlusses bedienen muss. Vor diesem Hintergrund ist festzuhalten, dass Gesellschaftervereinbarungen nicht taugen, um die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht zu konkretisieren514. Jede Aufweichung der Differenzierung von korporativer und schuldrechtlicher Ebene unterläuft überdies die gesetzlichen Form- und Publizitätsanforderungen für die Schaffung und Änderung von Satzungsrecht515, welche auch dem Schutz des Rechtsverkehrs dient. b) Abredewidrige Stimmabgabe Aus Gründen der Zweckmäßigkeit, namentlich der Prozessökonomie, betrachtet die höchst- 161 richterliche Rechtsprechung Beschlüsse für anfechtbar, welche inhaltlich im Widerspruch zu einer omnilateralen Gesellschaftervereinbarung stehen516 (zu den zugrunde liegenden Fallgestaltungen wird auf die Schilderung bei 12. Aufl., § 45 Rz. 116 sowie bei 12. Aufl., § 47 Rz. 53 verwiesen). Um die an sich fehlende Einschlägigkeit eines Anfechtungsgrundsatzes mangels Verletzung von Gesetz, Satzung oder Treuepflicht im Sinne des entsprechend heranzuziehenden § 243 Abs. 1 AktG zu überwinden, wird die omnilaterale Vereinbarung kurzerhand zu einer „solche[n] der Gesellschaft“ (und damit zu einem materiellen, ungeschriebenen Satzungsbestandteil) erklärt. Diese Begründung kann freilich prinzipiell vor dem Hintergrund des bei Rz. 159 Ausgeführten nicht überzeugen. Ergänzend zu dem dort Gesagten kommt spezifisch für diese Fallgestaltung hinzu, dass prozessökonomische Vorteile der Rechtsprechungslinie zwar nicht geleugnet werden können, die Zulassung der Beschlussanfechtung allerdings die Gesellschaft in einen Rechtsstreit einbände, der aus einer Sphäre kommt, der sie nicht

512 513 514 515 516

(anders aber hier für die GmbH bei 13. Aufl., § 14 Rz. 76); Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 23 AktG Rz. 179; in diesem Sinne tendenziell auch noch 12. Aufl., Rz. 116 f. In diese Richtung aber wohl Baumann/Reiss, ZGR 1989, 157, 214 f.; Hoffmann-Becking, ZGR 1994, 442, 458f.; Zöllner, Gesellschaftsrecht, 1995, S. 89, 105 ff. Konsequent denn auch in diesem Sinne Zöllner, Gesellschaftsrecht, 1995, S. 89, 105 ff. mit Bezug auf Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1963, S. 19 f. Ebenso M. Winter, Mitgliedschaftliche Treubindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 51 f. sowie M. Winter, ZHR 154 (1990), 269 ff.; Ulmer, NJW 1987, 1849, 1853; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126. Hierzu und zu den nachfolgenden Argumenten Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 146 m.w.N.; Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 258 ff. Anfechtbarkeit bejaht durch BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196; BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, GmbHR 1987, 94, 96; OLG Hamm v. 12.4.2000 – 8 U 165/99, GmbHR 2000, 673, 674; ablehnend OLG Stuttgart v. 7.2.2001 – 20 U 52/97, BB 2001, 796 = DB 2001, 854, 859.

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§ 3 Rz. 161 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages (jedenfalls nicht korporativ) zugehörig ist – dass die Gesellschafter einen inhaltlichen Bezug zur Gesellschaft hergestellt haben, kann darüber nicht hinweghelfen. Die Gesellschafter auf den umständlichen Weg der Klage gegen die einzelnen Mitgesellschafter zu verweisen, ist zudem nicht unbillig, sondern Ausdruck ihrer Wahlentscheidung zugunsten der schuldrechtlichen Regelungsebene, an der sie sich festhalten lassen müssen. c) Leistungsverweigerungsrechte 162 Anders als in der (daher abzulehnenden) Anerkennung der Anfechtbarkeit unter vereinba-

rungswidrigem Stimmverhalten zustande gekommener Beschlüsse liegt keine Aufweichung der Ebenentrennung darin, der Gesellschaft die Möglichkeit einzuräumen, anspruchsvernichtend einschlägigen Sozialansprüchen Rechte entgegenzuhalten, welche ihr über einen Vertrag zugunsten Dritter (§ 328 BGB) eingeräumt wurden517. Wird, wie in BGH, GmbHR 2010, 980518, in einer Gesellschaftervereinbarung für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters eine geringere Abfindungshöhe als im Gesellschaftsvertrag vorgesehen bestimmt, kann darin zugunsten der Gesellschaft als Drittbegünstigung i.S.d. § 328 BGB die Zuwendung eines Anspruchs liegen, das Unterbleiben der Durchsetzung einer bestehenden Forderung verlangen zu dürfen (pactum de non petendo). Nach allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen vermag die Gesellschaft einem auf die höhere statutarische Abfindungssumme gerichteten Zahlungsbegehren diese Einwendung entgegenzuhalten. Wird die niedrigere, im Einklang mit der Gesellschaftervereinbarung stehende Abfindungshöhe durch Beschluss festgesetzt, wäre es in diesem Falle rechtsmissbräuchlich, diesen unter Verweis auf den formalen (und bestehen bleibenden!) Satzungsverstoß anzufechten, denn der Ausscheidende wäre schuldrechtlich verpflichtet, den Differenzbetrag wieder an die Gesellschaft herauszugeben (dolo-agit-Einwand)519. Gleich liegt es, wenn, wie in BGH, GmbHR 2018, 1009520, ein Geschäftsführer gegenüber Gesellschafter-Gesellschaftern verspricht, keine Vergütungsansprüche aus einem Anstellungsverhältnis gegen die Gesellschaft geltend zu machen. Das Trennungsprinzip zwischen statutarischer und schuldrechtlicher Ebene ist in all diesen Fällen nicht berührt. Hierin zeigt sich in besonderer Klarheit, dass schuldrechtliche Nebenvereinbarungen zugunsten der Gesellschaft als Drittbegünstigte mitnichten omnilateral getroffen werden müssen. Es kommt letztlich entscheidend darauf an, dass jener Rechtsinhaber an der Vereinbarung beteiligt ist, der zugunsten der Gesellschaft auf die Geltendmachung einer Forderung verzichtet, und zwar ungeachtet dessen, ob dieser Rechtsinhaber selbst Gesellschafter ist oder nicht.

517 Ebenso, wie hier auf Grundlage der Trennungslehre, Ulmer in Liber amicorum Winter, 2011, S. 687, 693; Altmeppen, Rz. 51 ff.; ferner Lieder in Fleischer/Kalss/Vogt, Aktuelle Entwicklungen im deutschen, österreichischen und schweizerischen Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht 2012, 2013, S. 231, 256, und Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 148, die freilich Gesellschaftervereinbarungen auch für geeignet halten, die Treuepflicht zu konkretisieren. 518 BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980. Zustimmend, und zwar auf verschiedener dogmatischer Grundlage, einerseits Noack, NZG 2010, 1017 f., andererseits Ulmer in Liber amicorum Winter, 2011, S. 687, 693. 519 Der BGH v. 15.3.2010 – II ZR 4/09, GmbHR 2010, 980, 981, lässt offen, ob sich der Gesellschafter wegen „widersprüchlichen Verhaltens“ an dem Beschluss festhalten lassen muss. Denn er lehnt schon die Anfechtbarkeit ab, was aber nach der hier zugrunde gelegten Ansicht mit dem Trennungsgrundsatz nicht übereinstimmt. 520 BGH v. 3.7.2018 – II ZR 452/17, GmbHR 2018, 1009 m. Anm. Haase = EWiR 2018, 551 m. Anm. Bochmann/Cziupka.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 181 § 3

d) Rückerwerbsrechte Als wenig aufschlussreich in Bezug auf die Frage nach einer etwaigen Verwischung der Gren- 163 zen zwischen korporativen und schuldrechtlichen Vereinbarungen erweist sich die zum Aktienrecht ergangene Entscheidung des BGH vom 22.1.2013521. Ihr zufolge soll ein Vertrag zwischen einem Aktionär und der Aktiengesellschaft jedenfalls dann nichtig sein, wenn der Aktionär sich verpflichtet, seine zuvor entgeltlich erworbenen Aktien bei Beendigung des Partnerschaftsvertrages unentgeltlich auf die Gesellschaft zu übertragen. Hiermit sei eine Aushöhlung des verfassungsrechtlich geschützten Eigentumsrechts nach Art. 14 GG verbunden. In der hier interessierenden Hinsicht ist die Entscheidung auf das Recht der GmbH übertragbar522. Vertreter der Einheitslehre haben den Umstand, dass der BGH eine derartige Rückübertragungsverpflichtung als sittenwidrig i.S.d. § 138 BGB eingestuft hat, als Beleg für die korporative Wirkung von Gesellschaftervereinbarungen gesehen523, und zwar nicht nur solcher, die zwischen allen Gesellschaftern geschlossen sind, sondern ebenso solcher, die gleichförmig jeweils individuell zwischen Gesellschafter und Gesellschaft zustande kommen. Möchte man omnilateralen Gesellschaftervereinbarungen entgegen dem bei Rz. 159 f. Gesagten korporative Wirkungen attestieren, überzeugt diese letztgenannte Gleichstellung mit gleichförmigen individuellen Verträgen. Auch auf Grundlage der Trennungslehre lässt sich ungeachtet dessen das vom BGH gefundene Ergebnis begründen, und zwar über den bei Rz. 153 geschilderten Grundsatz, dass zwingende, satzungsfeste Vorschriften auch den schuldrechtlichen Gestaltungsspielraum beseitigen können. Damit steht hier eine Auslegung der Reichweite des zwingenden Rechts (§ 138 BGB) in Rede, die mit der Frage der korporativen Wirkung einer schuldrechtlichen Vereinbarung entscheidend zu tun hat. Ob alle oder einzelne Gesellschafter eine unentgeltliche Rückübertragungspflicht zugunsten der Gesellschaft einräumen, ist damit freilich unbeachtlich. Einstweilen frei.

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VIII. Exkurs: Wirtschaftliche Neugründung von Mantelgesellschaften Schrifttum (Auswahl): Adolff, Die Haftung des Gesellschafters der eingetragenen GmbH bei der wirt- 181 schaftlichen Neugründung, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 49; Altmeppen, Zur Verwendung eines alten GmbH-Mantels, DB 2003, 2050; Bachmann, Abschied von der „wirtschaftlichen Neugründung“?, NZG 2011, 441; Bachmann, Die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung und die Folgen ihrer Versäumung, NZG 2012, 579; Bärwaldt/Balda, Praktische Hinweise für den Umgang mit Vorrats- und Mantelgesellschaften – Teil 1: Vorratsgesellschaften, GmbHR 2004, 50; Bayer, Neue und gebrauchte Mäntel, „gestreckte“ und „mutierte“ Gründungen − Die Rechtsfigur der „wirtschaftlichen Neugründung“ in der Rechtsprechung des BGH, in FS Goette, 2011, S. 15; Berkefeld, Ungelöste Probleme der Rechtsfolgenseite bei der „wirtschaftlichen Neugründung“ von Vorrats- und Mantelgesellschaften, GmbHR 2018, 337; Böcker, Konkretisierung der Grundsätze der Haftung bei wirtschaftlicher Neugründung – Aus einem alten Mantel wird ein neues Wams – Schnittmuster des BGH, DZWiR 2014, 389; Geißler, Die Anspruchsverfolgung durch den Insolvenzverwalter bei rechtsverstößlicher Mantelverwendung der GmbH, ZInsO 2017, 1697; Göhmann, Sind bei der wirtschaftlichen Neugründung einer GmbH die Sacheinlagevorschriften und § 19 Abs. 5 GmbHG zu beachten?, RNotZ 2011, 290; Gottschalk, Die wirtschaftliche Neugründung einer GmbH und ihre Haftungsfolgen, DStR 2012, 1458; Habersack, Wider das Dogma von der unbeschränkten Gesellschafterhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer AG oder GmbH, AG 2010, 845; Hacker/Petsch, Leere Hülse, volle Haftung? Plädoyer für eine Insolvenzausnahme bei Unternehmensfortsetzung und wirtschaftlicher Neugründung, ZIP 2015, 761; Heerma, Mantelverwendung und Kapitalaufbringungspflichten, 1997; Heidenhain, Anwendung der

521 BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, GmbHR 2013, 301. 522 Zweifelnd Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 67. 523 So habe nach Noack, NZG 2013, 281, 284, der BGH (angeblich) zugunsten eines inhaltlichen Hinüberwirkens der korporativen Sphäre in die vorgeblich schuldrechtliche Beziehung entschieden.

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§ 3 Rz. 181 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages Gründungsvorschriften des GmbH-Gesetzes auf die wirtschaftliche Neugründung einer Gesellschaft, NZG 2003, 1051; Heidinger, Die wirtschaftliche Neugründung, ZGR 2005, 101; Heidinger/Meyding, Der Gläubigerschutz bei der „wirtschaftlichen Neugründung“ von Kapitalgesellschaften, NZG 2003, 1129; Heinze/Stefan, „Präventivkontrolle“ der Kapitalaufbringung bei der wirtschaftlichen Neugründung?, GmbHR 2011, 962; H. Herchen, Vorratsgründung, Mantelverwendung und geräuschlose Beseitigung der GmbH, DB 2003, 2211; Hüffer, Die Haftung bei wirtschaftlicher Neugründung unter Verstoß gegen die Offenlegungspflicht, NJW 2011, 1772; Hüffer, Wirtschaftliche Neugründung und Haftung des Geschäftsführers, NZG 2011, 1257; Jeep, Leere Hülse, beschränktes Risiko: Die Gesellschafterhaftung bei nicht offengelegter wirtschaftlicher Neugründung, NZG 2012, 1209; Kantak, Mantelgründung und Mantelverwendung bei der GmbH, 1988; Kober, Sonderformen des Beteiligungskaufes: Der Mantelkauf, 1995; Kresse, Die Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010; Krolop, Zur Begrenzung der Unterbilanzhaftung bei der Vorrats- und Mantelgründung, ZIP 2011, 305; Kuszlik, Die Haftung bei der „wirtschaftlichen Neugründung“ einer GmbH, GmbHR 2012, 882; Lieder, Zur Anwendbarkeit der Grundsätze der Mantelverwendung, NZG 2010, 410; Lieder, Wirtschaftliche Neugründung: Grundsatzfragen und aktuelle Entwicklungen, DStR 2012, 137; Th. Meyding, Die Mantel-GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht, 1989; Meyding/Heidinger, Der Gläubigerschutz bei der wirtschaftlichen Neugründung von Kapitalgesellschaften, in 10 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2003, S. 257; Peetz, Wirtschaftliche Neugründung einer GmbH und Haftung, GmbHR 2011, 178; Peetz, Noch einmal – Die Mantelverwendung, GmbHR 2004, 1429; B. Peters, Der GmbHMantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989; Pentz, Wirtschaftliche Neugründung im GmbH- und Aktienrecht, in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 871; Podewils, Offene Fragen zur wirtschaftlichen Neugründung, GmbHR 2010, 684; Priester, Kapitalaufbringung, in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 159; Rohles-Puderbach, Vorrats- und Mantelgesellschaften – Entwicklung, Haftungsrisiken und Umsetzung in der Praxis –, RNotZ 2006, 27; Schaub, Vorratsgesellschaften vor dem Aus?, NJW 2003, 2125; Schaub, Zur Anwendung der Gründungsvorschriften auf Vorratsgesellschaften, DNotZ 2003, 447; Karsten Schmidt, Vorratsgründung, Mantelkauf und Mantelverwendung, NJW 2004, 1345; Swoboda, Die Anwendung der Vorschriften zur „verschleierten Sachgründung“ im Zusammenhang mit der „wirtschaftlichen Neugründung“ von Vorratsgesellschaften, GmbHR 2005, 649; Thaeter/St. Meyer, Vorratsgesellschaften – Folgerungen für die Praxis aus der Entscheidung des BGH v. 9.12.2002, DB 2003, 539; Theusinger/Andrä, Die Aktivierung unternehmensloser Gesellschaften – Praktische Hinweise zur Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, ZIP 2014, 1916; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 173 ff.; St. Ulrich, Gesellschafter: Keine Vorratsgründung bei Aufnahme nach außen gerichteter Geschäftstätigkeit, GmbHR 2010, 474; R. Werner, Haftungsvermeidung bei Aktivierung einer Mantelgesellschaft, GmbHR 2010, 804; R. Wilhelmi, Zur Begründung und den Konsequenzen der analogen Anwendung der Gründungsvorschriften auf die Verwendung eines gebrauchten GmbH-Mantels, DZWiR 2004, 177; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011; Winnen, Die wirtschaftliche Neugründung von Kapitalgesellschaften, RNotZ 2013, 389.

1. Erscheinungsformen und Motive 182 Ein „Mantel“ einer Gesellschaft kann auf zwei Weisen entstehen. Im Falle der bei Rz. 37 ff.

geschilderten Vorratsgründung wird eine Gesellschaft (ein „Neu-Mantel“) errichtet, die in der Mehrzahl der Fälle lediglich mit dem Mindestkapital des § 5 Abs. 1 ausgestattet ist, (nahezu) keine Aktivitäten entfaltet und erst bei Bedarf aktiviert wird, entweder durch die Gründer selbst oder, indem sie Dritten auf dem Wege der Abtretung des oder der Geschäftsanteile überlassen wird, die daraufhin durch Änderung des Gesellschaftsvertrags einen neuen Unternehmensgegenstand (§ 3 Abs. 1 Nr. 2) und die dazu passende Firma (§ 3 Abs. 1 Nr. 1) bestimmen sowie neue Geschäftsführer bestellen. Wird damit die Vorratsgesellschaft erstmals mit einem Geschäftsbetrieb ausgestattet, liegt darin eine sog. „Aktivierung“ der Vorratsgesellschaft524. Im zweiten Fall wurde ein bisheriger Geschäftsbetrieb eingestellt und ein neu-

524 Derartige „Neu“-Mäntel werden häufig im Rahmen von M&A-Transaktionen verwandt; vgl. etwa Schaub, NJW 2003, 2125; weiterhin Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 14.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 183 § 3

er (noch) nicht wieder aufgenommen, sodass die juristische Person als „leere Hülse“525 (häufig, aber nicht notwendig, ohne nennenswertes Vermögen) zurückbleibt. Danach wird dieser „Alt-Mantel“ wieder mit einem (identischen oder, häufiger, abweichenden) Geschäftsbetrieb ausgestattet. Im Vordergrund steht in beiden Fällen oftmals das Bestreben, sofort den Geschäftsbetrieb der (wieder) aktivierten Gesellschaft aufzunehmen, ohne das als zu langwierig empfundene Eintragungsverfahren abwarten zu müssen bzw. bei vorzeitiger Geschäftsaufnahme Risiken der Unterbilanzhaftung und die dann den Geschäftsführern drohende Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2 in der Zwischenzeit bis zur Eintragung der Gesellschaft in Kauf nehmen zu müssen. Wird eine derartige „unternehmenslose“ Gesellschaft erstmals (im Fall der Vorratsgründung)526 oder wieder (im Fall der Verwendung eines Altmantels) mit einem Geschäftsbetrieb ausgestattet527, qualifiziert die mittlerweile ständige Rechtsprechung diesen Vorgang als wirtschaftliche Neugründung528, und zwar mit der Konsequenz der im Einzelnen in ihrer Reichweite immer noch unklaren entsprechenden Anwendung jener Gründungsvorschriften, welche die Kapitalausstattung gewährleisten, abgesichert durch eine (im Ergebnis freilich mangels formalisierten Abschlusses schwache) registergerichtliche Kontrolle und flankiert durch eine modifizierte Unterbilanzhaftung (kritisch insgesamt zur Figur der wirtschaftlichen Neugründung 13. Aufl., § 11 Rz. 29, 67, 84, 109). Oftmals geht einer solchen Reaktivierung ein Mantelkauf529 voran (d.h. ein Wechsel der An- 183 teilseigner durch Geschäftsanteilsübertragung). Häufig sind zudem konzerninterne Aktivierungen gebrauchter Gesellschaftsmäntel, die zunächst funktionslos geworden sind, aber nicht liquidiert werden, um sie zu gegebener Zeit mit anderer Zweckrichtung wiederzuverwenden, regelmäßig einhergehend mit Änderungen von Unternehmensgegenstand und Firma, zuweilen auch unter Abtretung der an ihr gehaltenen Geschäftsanteile an andere Gesellschaften im Konzernverbund530. Entgegen einer zuweilen vertretenen Ansicht, welche auf die angeblich fehlende Gläubigergefährdung in diesen Fällen verweist, sind derartige Reaktivierungen von Konzern-Mantelgesellschaften nicht aus dem Anwendungsbereich der wirt525 Aufgegriffen durch BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 = GmbHR 1992, 451 (zur AG); BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 155, 318, 324 = GmbHR 2012, 630; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317 f.; KG v. 3.7.1924 – 1 X 267/24, JW 1924, 1535. 526 Der BGH hatte sich bereits 1992 für eine Einstufung der späteren Verwendung einer Vorratsgesellschaft als „wirtschaftliche Neugründung“ ausgesprochen, BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 331 = GmbHR 1992, 451; die endgültige Bestätigung dieser Qualifizierung der Verwendung einer Vorratsgesellschaft brachten dann Beschlüsse aus den Jahren 2002 und 2003; s. BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, 160 = GmbHR 2003, 227; BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/ 02, BGHZ 155, 318, 321 = GmbHR 2003, 1125. 527 BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474, im Anschluss an BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/ 02, BGHZ 155, 318, 324 = GmbHR 2003, 1126; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 155, 318, 324 = GmbHR 2012, 630, 631. 528 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 324 = GmbHR 2003, 1125; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317 Rz. 12; BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474 Rz. 6; BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 Rz. 50 m. Anm. Wachter; anders früher noch BayObLG v. 24.3.1999 – 3Z BR 295/98, BayObLGZ 1999, 87, 89 ff. = GmbHR 1999, 607: Eintragungen in das Handelsregister anlässlich der Verwertung einer Mantel- oder Vorrats-GmbH rechtfertigen nicht die registergerichtliche Kontrolle der Unversehrtheit des Stammkapitals. 529 Der Mantelkauf ist nicht wegen Sittenwidrigkeit nichtig, was heute unbestritten ist; vgl. BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = GmbHR 2003, 1125; ebenso der Sache nach bereits BGH v. 25.11.1996 – II ZR 352/95, GmbHR 1997, 258, 259 f.; ebenso schon Kober, Sonderformen des Beteiligungskaufes: Der Mantelkauf, 1995, S. 52, 114 ff. 530 Bohrer, DNotZ 2003, 888, 889; Winnen, RNotZ 2013, 389, 390; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 141, die aber für eine Bereichsausnahme eintreten; nach Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 101 wird die praktische Bedeutung der Verwendung von Mantelgesellschaften im Konzern überschätzt.

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§ 3 Rz. 183 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages schaftlichen Neugründung herauszunehmen531, und zwar auch dann nicht, wenn es sich nur um die Reaktivierung einer Zwischenholding handelt; die Gläubigergefährdung mag hier typischerweise weniger ausgeprägt sein, der Einzelfall kann aber anders liegen; ein wirklicher sachlicher Differenzierungsgrund ist nicht erkennbar.

2. Tatbestand der wirtschaftlichen Neugründung a) Grundsatz: Aktivierung eines unternehmenslosen Gesellschaftsmantels 184 Die entsprechende Anwendung des Gründungsrechts ist nach der Rechtsprechung dort,

aber auch nur dort vonnöten, wo die allein formal existente, aber unternehmerisch nicht (mehr) tätige Gesellschaft erstmals oder wieder unternehmerisch tätig werden soll (darüber noch bei Rz. 189). Voraussetzung ist daher, wie immer wieder bildlich sprechend herausgestrichen wird, dass die Gesellschaft vor ihrer Aktivierung eine „leere Hülse“ bildete, die sich als Rahmen für eine beliebige zukünftige Geschäftstätigkeit eignet532. Die Gesellschaft darf mithin in keiner erkennbaren Form (mehr) einen Geschäftsbetrieb entfalten (d.h. ein Unternehmen aktiv betreiben)533, an den die (Wieder-)Aufnahme des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung des Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpfen kann534. Der richterrechtlich entwickelte Tatbestand der wirtschaftlichen Neugründung kann letztlich nur konkretisiert werden, indem die jeweiligen Konstellationen typisierend daraufhin überprüft werden, ob die Sachgründe, die für eine entsprechende Anwendung der Gründungsvorschriften sprechen (zu diesen bei Rz. 189), einschlägig sind. Tatbestandlich ausscheiden müssen vor diesem Hintergrund etwa all jene Fälle gesellschaftsvertraglicher Änderungen des Unternehmensgegenstandes einer als Vorratsgesellschaft errichteten, mangels Handelsregistereintragung aber noch nicht als solcher entstandenen GmbH535. Solche, zwecks unverzüglicher Aufnahme des operativen Geschäftsbetriebs erfolgenden Änderungen vor Eintragung der Gesellschaft bergen keine Umgehungsgefahren, da die Prüfung der Kapitalausstattung noch bevorsteht. Ebenfalls aus teleologischen Gründen ausgeklammert bleiben Fälle verzögerter Auf531 Winnen, RNotZ 2013, 389, 399; Linke/Fröhlich, GWR 2014, 277, 278; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 103; Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 23 AktG Rz. 101; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 101; a.A. Altmeppen, DB 2003, 2050, 2053; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345, 1351; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 141; nur bei Reaktivierung einer Zwischenholding und im Vertragskonzern die wirtschaftliche Neugründung ablehnend Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 99 f. 532 Ebenso Lieder, NZG 2010, 410, 412; Podewils, GmbHR 2010, 684, 686 f.; St. Ulrich, GmbHR 2010, 475 f.; R. Werner, GmbHR 2010, 804, 805 f.; Bayer in FS Goette, 2011, S. 19 f.; Altmeppen, Rz. 54. 533 Vgl. BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 Rz. 11 = GmbHR 2012, 630: leere Hülse, „also kein aktives Unternehmen“ betreibend; die leere Hülse wird damit allein mit dem fehlenden aktiven Betreiben eines Unternehmens gleichgesetzt. 534 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 324 = GmbHR 2003, 1125; BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474 Rz. 6; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317 Rz. 12; BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 Rz. 50 m. Anm. Wachter; ebenso OLG Jena v. 1.9.2004 – 4 U 37/04, GmbHR 2004, 1468, 1469 f.; Heidinger, ZGR 2005, 101, 105; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 88 ff.; Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 23 AktG Rz. 99; schon zuvor auf Unternehmenslosigkeit abstellend Kantak, Mantelgründung und Mantelverwendung bei der GmbH, 1989, S. 16 f.; Meyding, Die Mantel-GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht, 1989, S. 16 ff.; dieses Kriterium aber ablehnend Peters, Der GmbH-Mantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989, S. 40 ff.; Banerjea, GmbHR 1998, 814, 816, der es bei praktischer Betrachtung für sinnlos hält. 535 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1033; Bayer, GmbHR 2011, 1034, 1035; Hüffer, NZG 2011, 1257, 1258; Lieder, DStR 2012, 137, 138 f.; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 119; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 95.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 185 § 3

nahme sowie liquidationsbedingter Einstellung des operativen Geschäftsbetriebs (hierüber bei Rz. 39 sowie Rz. 187). b) Einzel- und Zweifelsfälle aa) Vorübergehende, zwischenzeitliche Einstellung der Geschäftstätigkeit Die Feststellung der Unternehmenslosigkeit wird bei einer Aktivierung einer Vorratsgesell- 185 schaft im Regelfall keine Probleme bereiten, abgesehen von den bei Rz. 39 geschilderten Grenz- und Zweifelsfällen übermäßig langer oder zwischenzeitlich eingestellter Anlauf- bzw. Vorbereitungshandlungen. Schwieriger zu konturieren ist die verlangte Unternehmenslosigkeit eines Altmantels. Eindeutig wird diese vorliegen, sofern die Gesellschaft jedenfalls nahezu vermögenslos ist, damit einhergehend ihre wirtschaftlichen Betriebsgrundlagen verloren und ihre bisherige Geschäftsaktivität eingestellt hat, nunmehr aber neuerlich unternehmerische Aktivitäten entfalten soll. Hier liegt überdies nahe, dass die Gesellschafter für die Entfaltung der nunmehrigen unternehmerischen Aktivitäten allein deshalb auf die zwar noch vorhandene, aber „rein formale“ juristische Person zurückgreifen, um den Kapitalaufbringungskautelen einer „regulären“ Erstgründung zu entgehen. Allerdings kommt es nicht entscheidend auf diese ohnehin nur schwer ermittelbare Umgehungsabsicht an536. Allein maßgebend ist der zwischenzeitliche Eintritt der Unternehmenslosigkeit, der mit einer vollständigen Einstellung des Geschäftsbetriebs gleichzusetzen ist, was regelmäßig, aber nicht notwendig mit dem Verlust sachlich-persönlicher Betriebsgrundlagen einherzugehen hat537. Der Dauer der Unternehmenslosigkeit kommt konsequent keine konstitutive (wenngleich eine indiziel-

536 A.A. Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 145 ff. mit eingehender Begründung, wofür immerhin auf BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 324 = GmbHR 2003, 1125; BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474 Rz. 5; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317 Rz. 12 sowie BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 Rz. 50 m. Anm. Wachter verwiesen werden kann, wo auf dieses subjektive Element (nicht entscheidungstragend) abgestellt wird, allerdings im Kontrast zu BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 330 = GmbHR 1992, 451, wo die Umgehungsabsicht nur als regelmäßig vorliegendes Merkmal verstanden wird; gegen das subjektive Element bereits Rohles-Puderbach, RNotZ 2006, 274, 276; wohl auch Heckschen/Kreußlein in Heckschen/Heidinger, Kap. 3 Rz. 184 f. Die Umgehungsabsicht fehlte zudem bereits, wenn eine vermögenslose Gesellschaft, die ihren Geschäftsbetrieb vollständig eingestellt hat, etwa aufgrund eines noch vorhandenen Goodwills oder einer nicht überleitbaren Genehmigung wiederverwandt werden soll; hier dient die Nutzung dieses konkreten Gesellschaftsmantels nicht allein dazu, unter Vermeidung einer rechtlichen Neugründung eine neue Geschäftstätigkeit aufzunehmen, und doch wird man hierin eine wirtschaftliche Neugründung erblicken müssen. Ob es den (neuen) Gesellschaftern im Wesentlichen nur um die Leerform der Gesellschaft geht, um damit die Kapitalaufbringungskautelen einer rechtlichen Neugründung zu umgehen, wurde früher vornehmlich bei der Frage erörtert, ob in einem darauf abzielenden Geschäftsanteilserwerb ein nach § 134 BGB verbotenes Umgehungsgeschäft liegt, was nach gegenwärtiger ganz h.M. in keinem Fall anzunehmen ist. 537 Die Gleichsetzung der „leeren Hülse“ in BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 Rz. 11 = GmbHR 2012, 630 mit dem Nichtbetrieb eines aktiven Unternehmens spricht dagegen, dass auf der Grundlage der Rechtsprechungslinie neben die vollständige Einstellung des Geschäftsbetriebs noch das Erfordernis des Fehlens sachlich-persönlicher Ressourcen zu stellen wäre; so aber mit ausführlicher Begründung Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 117 ff., allerdings die Formulierung dieser Entscheidung, die freilich in ähnlicher Form schon in früheren angelegt ist, nicht einbeziehend; ebenso Priester, DB 1983, 2291, 2298; Schumacher, DStR 2003, 1884, 1885; Kober, Sonderformen des Beteiligungskaufes: Der Mantelkauf, 1995, S. 40 ff.; Meyding, Die Mantel-GmbH im Gesellschafts- und Steuerrecht, 1989, S. 19; wie hier aber (das Fehlen der sachlichen und persönlichen Ressourcen nicht fordernd) Bohrer, DNotZ 2003, 888, 898 f.; Schaub, NJW 2003, 2125, 2126; Peetz, GmbHR 2003, 1128, 1129; Heerma, Mantelverwendung, 1997, S. 4 f.; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG,

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§ 3 Rz. 185 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages le) Rolle zu, ebenso wenig ist ein Branchenwechsel bei Reaktivierung notwendige oder hinreichende Bedingung für eine wirtschaftliche Neugründung538. An einer Anknüpfungsmöglichkeit an einen zumindest geringfügig ausgeübten Geschäftsbetrieb fehlt es somit auch, wenn eine Gesellschaft auf eben jenem Geschäftsfeld wiederbelebt wird, dessen Verfolgung zuvor eingestellt wurde539. Um die Fälle der kurzzeitigen, von Fall zu Fall unternehmerisch gebotenen Unterbrechung eines (etwa saisonal ausgerichteten) Geschäftsbetriebs aus dem Anwendungsbereich der wirtschaftlichen Neugründung auszuklammern, wird man Unternehmenslosigkeit abzulehnen haben, sofern diese nicht mit dem Willen der Gesellschafter einhergeht, das bisherige Unternehmen aufzugeben, der indiziell aus einem gänzlichen Brachliegen der Geschäftstätigkeit, aber auch aus der (objektiven) Unmöglichkeit einer Wiederaufnahme derselben aufgrund vollständigen Fortfalls der sachlichen und persönlichen Ressourcen (und damit der Betriebsgrundlagen) erschlossen werden kann540. bb) Umstrukturierung 186 An der Unternehmenslosigkeit mangelt es, sofern nahtlos und damit lediglich umstrukturie-

rend an die aufgegebene Tätigkeit eine neue anknüpft541, weil die zumindest vorübergehende Unternehmenslosigkeit ausbleibt. Ist bei endgültiger Einstellung des konkreten Geschäftsbetriebs (etwa im Fall der Veräußerung sämtlicher zugehöriger Einzelgegenstände oder nach Zielerreichung einer Projektgesellschaft) noch keine Desinvestition (des Erlöses) erfolgt, weil sich die Gesellschafter eine Wiederbelebung der Gesellschaft mit den vorhandenen finanziellen Mitteln vorbehalten wollen542, statt in das Liquidationsstadium überzugehen, wird man auf dieser Grundlage dagegen wiederum von einem unternehmens-, wenngleich nicht vermögenslosen Mantel auszugehen haben543. Anderes gilt allerdings, sofern sachlich-personelle Mittel zurückbehalten werden, um das erwirtschaftete Vermögen aktiv (etwa im Wege der Vermögensanlage) zu verwalten544 (zu diesem nur indiziell zu berücksichtigenden Kriterium

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539 540 541 542 543

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5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 129; offenlassend, aber wohl der Gegenansicht zuneigend Heckschen/ Kreußlein in Heckschen/Heidinger, Kap. 3 Rz. 181 ff. Der Branchenwechsel für sich genommen führt damit nicht zur wirtschaftlichen Neugründung; vgl. nur Goette, DStR 2004, 461, 465; unklar noch Priester, DB 1983, 2291, 2298; Peetz, GmbHR 2004, 1229, 1431; zum Ganzen näher Peters, Der GmbH-Mantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989, S. 54 ff.; Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 148; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 92 f. BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317 Rz. 12: Wiederaufnahme des Geschäftsbetriebs mit gleicher Art von Geschäften genügt; ebenso Goette, DStR 2004, 461, 465; Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 23 AktG Rz. 99. Insoweit kommt dem Fehlen sachlich-persönlicher Ressourcen immerhin in diesem Rahmen eine indizielle Wirkung zu. Goette, DStR 2004, 461, 465; Heidinger, ZGR 2005, 101, 105; Wimber, Die Behandlung von Vorratsund Mantelgesellschaften, 2011, S. 93 f. Zu diesem Problem, aber letztlich offenlassend Ulmer/Löbbe in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013, Rz. 167; als offen bezeichnet diese Frage Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13 f. Tendenziell strenger Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 101, wonach gute Gründe hierfür sprechen, weil nach dem gesetzlichen Modell außerhalb der Insolvenz nicht von einer unternehmens- oder geschäftsbetriebslosen Fortexistenz der Gesellschaft, sondern von der geordneten Durchführung der Auflösung der Gesellschaft auszugehen sei, was freilich in der Argumentation zweifelhaft erscheint, da es den Gesellschaftern unbenommen bleibt, nach erfolgter Geschäftsbetriebsveräußerung von einem Auflösungsbeschluss Abstand zu nehmen. Ähnlich Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 95, der allerdings zuvörderst die Frage untersucht, ob in der Einstellung des Geschäftsbetriebs zwecks aktiver Vermögensverwaltung des aus einem Verkauf des Geschäftsbetriebs erlangten Vermögens eine wirtschaftliche Neugründung zu sehen ist, was zu verneinen ist, und zwar entgegen LG Köln v.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 187 § 3

bei Rz. 185) – da die Überführung der operativen Tätigkeit in eine aktive Vermögensverwaltung unter diesen Voraussetzungen keinen leeren Gesellschaftsmantel zurücklässt, bedeutet weder diese Überführung noch eine spätere Rückkehr zu einem operativen Geschäftsfeld eine wirtschaftliche Neugründung (es genügt mithin jeweils eine Satzungsänderung hinsichtlich des Unternehmensgegenstandes). Zur mangelnden Bereichsausnahme für Konzern-Mantelgesellschaften bei Rz. 183. cc) Liquidationsstadium Die vorstehenden Grundsätze gelten im Grundsatz auch im Liquidationsstadium545, eine 187 prinzipielle oder auf bestimmte Auflösungsgründe bezogene Bereichsausnahme ist abzulehnen546. Die allerdings nötigen Modifikationen haben dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der satzungsmäßige Gesellschaftszweck mit Übergang ins Liquidationsstadium durch den Liquidationszweck jedenfalls überlagert wird (ausführlich bei 12. Aufl., § 60 Rz. 5), sodass für die Feststellung des leeren Mantels nicht auf die Unternehmenslosigkeit im Sinne einer Einstellung der werbenden Geschäftsaktivitäten im eigentliche Sinne abgestellt werden kann547. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob kontinuierlich nennenswerte Liquidationsaufgaben i.S.d. § 70 wahrgenommen werden (näher bei 12. Aufl., § 50 Rz. 100 f.). Im Insolvenzfall ist gleichsinnig auf die fortwährende Verfolgung des Insolvenzzwecks abzustellen548, wobei dies bis zum Berichtstermin (§ 156 InsO) mit der Unternehmensfortführung gleichbedeutend sein wird (vgl. 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 178). Wird der Liquidationszweck durch nennenswerte Abwicklungsaufgaben verfolgt, führt die Revitalisierung der Gesellschaft durch Wiederaufnahme einer werbenden Geschäftstätigkeit nicht zur wirtschaftlichen Neugründung. Lag die Abwicklung dagegen über längere Zeit brach, entsteht ein leerer Gesellschaftsmantel549; kommt es hier gleichwohl (Fortsetzungsfähigkeit vorausgesetzt!) zu einer Reaktivierung, ist die damit verbundene wirtschaftliche Neugründung nach den bei Rz. 195 dar-

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8.1.2004 – 89 T 2/04, RNotZ 2005, 239, 240 m. ablehnender Anm. v. Hoysenberg sowie zustimmender Anm. der Schriftleitung (zutreffend auch die Kritik bei Rohles-Puderbach, RNotZ 2006, 274, 276 sowie Winnen, RNotZ 2013, 389, 399 f.; vgl. hierzu auch, aber ohne Stellungnahme, Heckschen/Kreußlein, Kap. 3, Rz. 190) und entgegen OLG Schleswig v. 7.9.2006 – 5 U 25/06, ZIP 2007, 279 und 822 (dazu mit Recht kritisch Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 96 f.); die entscheidende Frage ist aber, ob die Aktivierung einer solchen Gesellschaft wiederum eine wirtschaftliche Neugründung darstellt, was etwa Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 118 f. ablehnt, aber ohne auf die aktive Vermögensverwaltung abzustellen, sondern allein das Vorhandensein sachlich-persönlicher Ressourcen für entscheidend haltend. BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317; BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832; KG v. 26.4.2012 – 23 U 197/11, GmbHR 2012, 1138; Priester, EWiR 2012, 623, 624; Altmeppen, Rz. 56; Arnold in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 60 Rz. 66; Berner in MünchKomm. GmbHG, § 60 Rz. 237, 246; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 60 Rz. 91c. Dies gilt auch für den Fall der Insolvenz; BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 m. Anm. Wachter. A.A. Hacker/Petsch, ZIP 2015, 761, 764 ff. So aber offenbar Peetz, GmbHR 2019, 326, 331, der damit der wirtschaftlichen Neugründung zu breiten Raum gibt; auf das fortwährende Bestehen eines Unternehmens kommt es entgegen den dortigen Ausführungen nämlich gerade nicht an; in diese Richtung allerdings auch BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 Rz. 50 f., wonach es entscheidend auf das Betreiben eines aktiven Unternehmens ankomme, was allerdings wohl nur auf eine verkürzte Wiedergabe der in BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317 Rz. 13 ff. dargestellten Grundsätze zurückzuführen ist. BGH v. 25.9.2018 – II ZR 190/17, ZIP 2018, 2214 zu § 274 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 1 AktG, § 258 InsO; BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 Rz. 47; Brünkmans/Brünkmans, NZI 2019, 431, 434; a.A. Hacker/Petsch, ZIP 2015, 761, 764 ff. BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317, 318.

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§ 3 Rz. 187 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages gestellten Grundsätzen unter Versicherung der hierfür erforderlichen Kapitalausstattung (d.h. insbesondere: unter Unterbilanzausgleich) offenzulegen, anderenfalls kann das Registergericht die Eintragung des Fortsetzungsbeschlusses verweigern; näher 12. Aufl., § 60 Rz. 101. Keinesfalls kann entgegen zuweilen vertretener Ansicht550 allerdings die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Neugründung über eine fehlende Fortsetzungsfähigkeit hinweghelfen, was vor allem im Lichte der als zu eng empfundenen, aber als abschließend zu verstehenden Fortsetzungsmöglichkeiten im Fall des § 60 Abs. 1 Nr. 4 (dazu 12. Aufl., § 60 Rz. 113 ff.) und des gänzlichen Fortsetzungsausschlusses im Fall des § 60 Abs. 1 Nr. 5 (dazu 12. Aufl., § 60 Rz. 116 f.) diskutiert wird. Das Gegenteil ist allerdings richtig: Liegt Fortsetzungsfähigkeit nach den bei 12. Aufl., § 60 Rz. 95 ff. dargestellten Kriterien vor, sind ggf. kumulativ zu den jeweiligen Anforderungen an die Fortsetzung bei Vermeidung der anderenfalls ausgelösten Unterbilanzhaftung (dazu Rz. 199 ff.) jene der wirtschaftlichen Neugründung zu erfüllen, was freilich nicht dahingehend missverstanden werden darf, dass bei Missachtung der letzteren Anforderungen der Fortsetzungsbeschluss unwirksam wäre (12. Aufl., § 60 Rz. 101). Eine andere Sichtweise würde die Fortsetzungsschranken unterlaufen. Raum für eine wirtschaftliche Neugründung bleibt damit allein dort, wo eine Fortsetzung möglich ist. So liegt es bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens in den Fällen des § 60 Abs. 1 Nr. 4, sofern es im Anschluss zu einer Phase unternehmensloser Inaktivität kommt, wofür indiziell (aber nicht zwingend) eine unüblich lange Zeitspanne zwischen Aufhebung und Fortsetzung der werbenden Tätigkeit spricht551, überdies (im Fall des § 258 Abs. 1 InsO) ein Insolvenzplan, der den vollständigen Verbrauch finanzieller Mittel der Gesellschaft vorsieht552, obgleich freilich Vermögenslosigkeit weder hinreichende noch notwendige Bedingung für das Entstehen eines leeren Gesellschaftsmantels ist. c) Praktischer Umgang mit Zweifelsfällen 188 In der Praxis bestehen im Lichte des bei Rz. 185 Gesagten mitunter Schwierigkeiten, den Tat-

bestand einer wirtschaftlichen Neugründung zu erkennen. Dies gilt nicht allein faktisch aus der Warte des Registergerichts, sofern die wirtschaftlichen Neugründer einen erkannten Tatbestand zu verdecken suchen; vielmehr bestehen rechtliche Abgrenzungsschwierigkeiten, weil es sich bei dem Begriff „Mantelgesellschaft“ einerseits und dem Begriff der davon vor allem abzugrenzenden „bloßen Umstrukturierung“ andererseits um „Typusbegriffe“ handelt553, die sich allenfalls idealtypisch umgrenzen, aber kaum genau definieren und infolgedessen auch nicht trennscharf voneinander abgrenzen lassen. Aufgrund dessen die Sinnhaftigkeit der registergerichtlichen Kontrolle der Kapitalausstattung insgesamt infrage zu stellen554, erscheint jedoch überschießend, solange diese Schwierigkeiten in typischen Fällen der wirtschaftlichen Neugründung nicht oder nur gemindert auftreten. So liegt es aber ganz regelmäßig bei der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft, meist jedoch auch, wenn ein brach550 KG v. 17.10.2016 – 22 W 70/16, GmbHR 2017, 196, 197 m. Besprechungsaufsatz Arens, GmbHR 2017, 449 ff.; in diese Richtung auch OLG Schleswig v. 1.4.2014 – 2 W 89/13, GmbHR 2014, 874, 876 (auch Krüger, AnwZert InsR 1/2015 Anm. 2; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 60 Rz. 140; Gesell in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 60 Rz. 76); a.A., wie hier, Arnold in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 60 Rz. 74; Berner in MünchKomm. GmbHG, § 60 Rz. 273. 551 BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 m. Anm. Wachter. 552 In diesem Sinne auch OLG Celle v. 8.3.2019 – 9 W 17/19, GmbHR 2019, 478, 480 Rz. 23: sechs Monate zwischen Aufhebung des Insolvenzplanverfahrens und Fortsetzungsbeschluss; wohl selbst den Indizcharakter ablehnend indes BGH v. 8.4.2020 – II ZB 3/19, GmbHR 2020, 832 Rz. 50 f. 553 Zutreffend Heidinger, ZGR 2005, 101, 103. 554 Bärwaldt/Schabacker, GmbHR 1998, 1005, 1011; dagegen zutreffend Henze in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2008, § 54 AktG Rz. 37 mit Verweis darauf, dass die entsprechende Geltung der Kapitalaufbringungsvorschriften nicht von praktischen Umsetzungsproblemen abhängig sein sollte; die Abgrenzungsschwierigkeiten relativierend zudem Goette, DStR 2004, 461, 465.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 189 § 3

liegender Gesellschaftsmantel einem neuen Unternehmen zugeführt wird, da die hiermit regelmäßig verbundenen Änderungen von Firma, Unternehmensgegenstand und Sitz unter Auswechslung der Organmitglieder555 hinreichend starke Indizien für eine wirtschaftliche Neugründung liefern werden, freilich weniger für sich genommen, aber in einer Gesamtbetrachtung. Auf derartige Indizien abzustellen, sind die Registergerichte in Zweifelsfällen durchweg angewiesen556. Ihren Erkenntnisschwierigkeiten soll überdies die bei Rz. 195 geschilderte Offenlegungspflicht entgegensteuern, wenngleich ihre Verletzung nach gegenwärtiger Rechtsprechung nur noch schwach sanktioniert ist (darüber bei Rz. 201). Die Praxis ist dennoch (weiterhin) gut beraten, in Zweifelsfällen vorsorglich eine (mögliche) wirtschaftliche Neugründung offenzulegen.

3. Rechtsfolgen a) Grundlage der entsprechenden Anwendung gründungsrechtlicher Vorschriften Bei der Verwendung eines Altmantels, anhand derer die Rechtsfigur der wirtschaftlichen 189 Neugründung vornehmlich entwickelt wurde557, geht es im Lichte regelmäßig vermögensschwacher Altmäntel um eine typisierend feststellbare Umgehungsgefahr558 bzw. die Effektuierung der Kapitalaufbringungsvorschriften, indem sichergestellt wird, dass die gesetzlich geforderte bzw. statutarisch in Ausfüllung gesetzlicher Regelungsspielräume festgesetzte Kapitalausstattung bei Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit gewährleistet ist559. Bei der Aktivierung von Vorratsgesellschaften besteht bei typisierender Betrachtung kein gleichermaßen ausgeprägtes Gläubigerschutzdefizit, dem mit einer entsprechenden Anwendung der Gründungsvorschriften zwingend zu begegnen wäre560. Vor diesem Hintergrund des regelmäßig unangetasteten Stammkapitals sind jene zahlreichen Literaturstimmen zu sehen, die sich zwar nicht generell gegen die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Neugründung wenden, diese aber auf Altmantelaktivierungen beschränken wollen561 oder sich jedenfalls gegen einen Gleichlauf in der Behandlung beider Typen der Mantelverwendung mit Unterschieden im Detail verwahren. Die grundsätzliche entsprechende Anwendung der Gründungsvorschriften ist indes spätestens seit BGHZ 153, 158, 160 für die Praxis geklärt, wenngleich Detailfragen 555 BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, 163 = GmbHR 2003, 227. 556 Das betonen z.B. auch OLG Schleswig v. 7.9.2006 – 5 U 25/06, ZIP 2007, 279, 280; R. Werner, GmbHR 2010, 804, 805 f.; vgl. auch Altmeppen, Rz. 61; ferner Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 103. 557 Ulmer, BB 1983, 1123 ff.; Priester, DB 1983, 2291 ff. (dort allerdings auch für Anwendung auf die Vorratsgesellschaft); klar differenzierend aber Peters, Der GmbH-Mantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989, S. 6; Priester in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 185, 196; zum Ganzen näher Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 662 ff.; die Rechtsprechung hat diese Rechtsfigur jedoch zunächst für die Vorratsgesellschaft herangezogen. 558 Zutreffend Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 318 ff. 559 In diese Richtung BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ, 155, 318, 322 = GmbHR 2003, 1125; BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317. 560 Und zwar deshalb, weil Vorratsgesellschaften im Aktivierungszeitpunkt regelmäßig über ein unversehrtes Stammkapital mit weiterhin gegenständlich vorhandenen, jedenfalls wertgleich gedeckten Mindesteinlagen verfügen; eine Umgehung der Kapitalaufbringungsvorschriften im eigentlichen Sinne droht hier nur in Ausnahmefällen. 561 Nachweise bei Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 659. Gerade umgekehrt für alleinige Anwendung dieser Grundsätze auf die Aktivierung einer Vorratsgesellschaft Altmeppen, NZG 2003, 145, 146 ff.; Altmeppen, DB 2003, 2050; 2051 ff.; so auch Peetz, GmbHR 2004, 1429, 1437.

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§ 3 Rz. 189 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages weiterhin ungeklärt sind. Hintergrund dieser Rechtsprechung dürfte die „DarlehensmodellPraxis“ gewesen sein562, die auch bei Vorratsgesellschaften an der Unversehrtheit des Stammkapitals zweifeln ließ. Losgelöst von der Frage nach der Vergleichbarkeit der Gefährdungslage besteht eine Parallelität jedenfalls insofern, als die Vorratsgesellschaft ihrem Wesen nach zunächst unternehmenslos ist (zu diesem maßgebenden Kriterium bei Rz. 184). Die Unternehmenslosigkeit markiert hier, anders als bei der Altmantelgesellschaft, zwar keine Zäsur im Sinne einer vollständigen Einstellung einer vormaligen Geschäftstätigkeit, sondern ist in diesem gestreckten Gründungsakt563 planmäßig anfänglich eingepreist; aber auch bei der Aktivierung der Vorratsgesellschaft kommt es zu einem hier erstmaligen (bei der Altmantelverwendung: abermaligen) Zusammentreffen von Unternehmen und Gesellschaft, mit der diese erstmals (dort: wieder) am Wirtschaftsleben teilnimmt. Dass es hierbei nicht, wie die Literatur immer noch kritisch gegen die Figur der wirtschaftlichen Neugründung insgesamt einwendet, um die Neuschaffung eines Rechtsträgers, sondern nur um jene eines Unternehmens geht564, ist ebenso evident richtig, wie es nicht als Einwand gegen die Rechtsprechungslinie taugt, weil diese darauf abzielt, den gesetzlichen Regelfall – die Sicherung des Mindesthaftungsfonds bei Aufnahme der Geschäftstätigkeit mit Entstehung der juristischen Person – in atypischen Fällen eines Auseinanderklaffens zum Gläubigerschutz nachzubilden. b) Kapitalaufbringung aa) Grundsatz: Wiederauffüllungspflicht hinsichtlich des statutarischen Stammkapitals 190 Nach gegenwärtigem Stand der Dogmatik ist im Grundsatz bei vielen Streitigkeiten im Detail

geklärt, dass auf die Aktivierung eines Gesellschaftsmantels die Grundsätze der Kapitalaufbringung einschließlich der registergerichtlichen Kontrolle anzuwenden sind. Damit muss im Zeitpunkt der Aktivierung des Gesellschaftsmantels das vorhandene Gesellschaftsvermögen nicht nur das gesetzliche Mindeststammkapital, sondern die satzungsmäßig bestimmte Stammkapitalziffer abdecken565, zumal der jeweilige Gesellschaftsmantel mit dieser konkreten Kapitalziffer abermals unternehmerisch in den Rechtsverkehr treten soll (anderenfalls ist eine vorherige Kapitalherabsetzung vonnöten). Das darf allerdings nicht zu dem Fehlschluss einer (vorbehaltlosen) abermaligen Begründung von Einlagepflichten der (wirtschaftlich neu gründenden) Gesellschafter verleiten, womit das praktisch kaum sinnvoll lösbare Problem der (quotalen) Anrechnung vorhandener Sachwerte auf die Einlagepflichten ausgelöst würde. Überdies könnte damit nicht stimmig erklärt werden, weshalb neben der Einlageleistung eine etwaige (über eine Unterbilanz hinausgehende) Überschuldung der Mantelgesellschaft 562 Näher Goette, DStR 2003, 887, 890; Goette, DStR 2003, 300, 301; Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 683. 563 Göz/Gehlich, ZIP 1999, 1653, 1657 f., diesen Begriff freilich zur Begründung des gegenteiligen Ergebnisses prägend; im hiesigen Sinne allerdings verwandt zunächst durch Goette, DStR 2003, 887, 890; näher Goette, DStR 2004, 461, 462 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 130; kritisch dagegen Schaub, NJW 2003, 2125, 2127; Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 691 f. 564 Vgl. 13. Aufl., § 11 Rz. 67; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345, 1350; ebenso Kleindiek in FS Priester, 2007, S. 369 ff.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 209; hiergegen aber, wie hier, kritisch Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 98. 565 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 326 = GmbHR 2003, 1125; Ihrig, DB 1988, 1197, 1202, Fn. 71; Ihrig, ZHR 154 (1990), 288, 291; Habersack, AG 2010, 845, 848; Peters, Der GmbHMantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989, S. 71 ff.; Altmeppen, Rz. 65; Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 54 AktG Rz. 47; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 369; Arnold in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 23 AktG Rz. 102; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 106; Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 43.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 191 § 3

vor Aktivierung zu beseitigen ist. Vielmehr steht eine Kapitalbeschaffungspflicht einerseits allein dort in Rede, wo die zu aktivierende Gesellschaft über keine hinreichende Kapitalausstattung verfügt; andererseits ist eine etwaige Überschuldung zu beseitigen und noch weitergehend das Stammkapital bis zur Beseitigung einer Unterbilanz aufzufüllen. Damit verträgt es sich entgegen der wohl immer noch h.L. schlecht, wollte man die Kapitalausstattungspflicht als gestutzte Einlagepflicht begreifen, die insoweit zur Entstehung gelangt, als es zur Wiederauffüllung des Stammkapitals vonnöten ist566. Stringenter ist es, die Wiederauffüllungspflicht unmittelbar auf eine modifizierte Unterbilanzhaftung (zu dieser bei Rz. 199 ff.) zu stützen567; in diese Richtung weist auch die jüngere Entwicklung der Rechtsprechung568. Daraus folgt: Der zu aktivierende Gesellschaftsmantel hat im Aktivierungszeitpunkt jene Ka- 191 pitalausstattung aufzuweisen, die derjenigen einer rechtlich neu gegründeten Gesellschaft im Anmeldungszeitpunkt (vgl. § 7 Abs. 2) entspricht569. Eine fehlende hinreichende Kapitalausstattung der Mantelgesellschaft ist nicht anders zu behandeln als eine Unterbilanz, die bei vorzeitiger Geschäftsaufnahme der Vor-GmbH entstanden ist: Diese ist jedenfalls vor Anmeldung der Gesellschaft (§ 7 Abs. 1) in vollem Umfang auszugleichen, damit das Reinvermögen der Gesellschaft (unter Hinzurechnung ausstehender Resteinlagen aus der historischen Gründung zum Aktivvermögen) die statutarische Stammkapitalziffer deckt, und zwar nach h.L. durch bare Zuzahlungen570, nach der bei 13. Aufl., § 11 Rz. 138 vertretenen (rein bilanziell denkenden) Gegenposition alternativ durch vollwertige Schuldanerkenntnisse der Gesellschafter. Dogmatische Grundlage dieser Zuzahlungspflicht ist die Unterbilanzhaftung, die bei rechtlicher Neugründung richtigerweise mit der eintragungsreifen Anmeldung entsteht571,

566 Peters, Der GmbH-Mantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989, S. 73 ff.: erneute Kapitalaufbringungspflichten, falls Stammkapital nicht gedeckt, welchen denjenigen bei der rechtlichen Neugründung entsprechen; Peetz, GmbHR 2004, 1429, 1432 ff.; Priester, ZHR 158 (2004), 248, 260 ff.; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 100 und 106. 567 Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 133 ff.; so bereits Lutter/Hommelhoff, 14. Aufl. 1995, Rz. 11: keine entsprechende Anwendung der Vorschriften zur Kapitalaufbringung, sondern nur Unterbilanzhaftung, der damit allerdings auch die registerrechtliche Präventivkontrolle für obsolet hält; in diesem Sinne wohl auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 90 f.: Gesellschafter schulden nicht die ausstehenden Einlagen, sondern den Unterbilanzausgleich; ausführlich zu den vertretenen Ansichten Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 359 ff. 568 Vgl. BGH v. 26.11.2007 – II ZA 14/06, ZIP 2008, 217, 218: Klage zu Recht auf Unterbilanzhaftung, nicht auf Einlageleistung gestützt (wobei allerdings nicht klar erkennbar ist, ob diese Unterbilanzhaftungsanspruch neben eine Einlagepflicht tritt); relativierend in diesem Sinne auch Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, S. 361 Fn. 272; OLG Schleswig v. 7.9.2006 – 5 U 25/06, ZIP 2007, 279 und 822 (als Vorinstanz, mit näherer Begründung); klar in diese Richtung aber Goette, DStR 2008, 933, 934: keine neuen Einlagepflichten. 569 In diese Richtung wohl auch Peetz, GmbHR 2004, 1429, 1433, wonach die Aufnahme einer Geschäftstätigkeit während der Gründungsphase mit der Aktivierung eines Gesellschaftsmantels vergleichbar sei; ebenso Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 188 ff.; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = GmbHR 2012, 630 Rz. 16 ff. betont zwar die Unterschiede zwischen der Unterbilanzhaftung im Gründungsstadium und jener modifizierten im Rahmen der wirtschaftlichen Neugründung, indes vornehmlich unter dem Gesichtspunkt eines hier fehlenden formalisierten Abschlusses der präventiven Kapitalaufbringungskontrolle, um daraus die Absage an eine Endloshaftung bei fehlender ordnungsgemäßer Offenlegung zu begründen, nicht aber, um auf diesem Hintergrund Differenzierungen hinsichtlich der geschuldeten Art und Weise des Unterbilanzausgleichs zu statuieren. 570 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 7 Rz. 62; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 11 Rz. 46 sowie § 8 Rz. 12. 571 So ausdrücklich Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 11 Rz. 46; stellt man mit der überkommenen Ansicht insoweit auf die fortgefallene freie Verfügbarkeit der Geschäftsführer über die Einlagen (§ 8

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§ 3 Rz. 191 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages bei wirtschaftlicher Neugründung bereits mit Beschlussfassung über die Aktivierung des Gesellschaftsmantels, alternativ mit der Aufnahme der Geschäftstätigkeit572. bb) Einzelheiten 192 Für die ordnungsgemäße Einlagenerbringung ist im Ausgangspunkt auf die historischen

Einlagen abzustellen – es genügt, dass diese einmal ordnungsgemäß erbracht wurden. Sind sie aber (wie beim Altmantel regelmäßig, bei der Vorratsgesellschaft seltener) im Aktivierungszeitpunkt nicht wertgleich gedeckt (hierüber bei 13. Aufl., § 8 Rz. 27), bedarf es des Unterbilanzausgleichs, wobei zur Unterbilanzermittlung eine Orientierung an den Grundsätzen zur Vorbelastungsbilanz unter Ansetzung vorhandener Sachwerte zum Verkehrswert573 sachgerecht erscheint574, sodass die Ausführungen bei 13. Aufl., § 11 Rz. 144 entsprechend gelten. Für den Unterbilanzausgleich genügt die vollständige Einbuchung (selbst werthaltiger) Forderungen gegen die Gesellschafter nicht575, sofern man die Analogie zum Gründungsstadium ernst nimmt, würde doch anderenfalls die (neuerliche) Kapitalausstattung (gänzlich) von der Leistungsfähigkeit der Gesellschafter abhängen, was der Grundsatz der effektiven Kapitalaufbringung gerade zu verhindern sucht. Eine Forderungseinbuchung ist in konsequenter Analogiebildung aber dort ausreichend, wo es nicht (wertmäßig) um die Mindesteinlagen576 i.S.d. § 7 Abs. 2 Satz 1 und 2 geht577. Praktisch wird dies vor allem bei

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Abs. 2 Satz 1) im Anmeldungszeitpunkt ab, ergibt sich für die Zuzahlungspflicht daraus, dass diese Verfügbarkeit nur durch Zuführung weiteren (wertgleichen) Vermögens wiederhergestellt werden kann, womit die Unterschiede aber verblassen und sogar im Ergebnis Übereinstimmung besteht; zu diesen Zusammenhängen im Gründungszeitpunkt ausführlich Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 36 AktG Rz. 67. Näher Peters, Der GmbH-Mantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989, S. 74 f., die im Fall des Erwerbs eines vermögenslosen Altmantels auf den Erwerbszeitpunkt abstellen will, was in diesen Fällen erwägenswert erscheint; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 124 f.; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 371; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 100; entscheidend ist, dass die Ausgleichspflicht vor der gebotenen Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung entsteht. Heidinger, ZGR 2005, 101, 120; in diese Richtung auch Priester, ZHR 168 (2004), 248, 262; a.A. etwa Peetz, GmbHR 2004, 1429, 1434. Vgl. Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 142 ff., der von einer Wiederauffüllungsbilanz spricht. OLG Jena v. 1.9.2004 – 4 U 37/04, GmbHR 2004, 1468, 1470; a.A. Peetz, GmbHR 2004, 1429, 1434; wohl auch Rusch, GWR 2011, 286. Bei der UG (haftungsbeschränkt) ist allerdings das Volleinzahlungsgebot zu beachten, § 5a Abs. 2 Satz 2 gilt insoweit entsprechend. Streitig; wie hier etwa Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 146; Peetz, GmbHR 2003, 1125, 1130, der darauf verweist, dass anderenfalls strengere Anforderungen an die Kapitalaufbringung bei der wirtschaftlichen als bei der rechtlichen Neugründung gestellt würden; Auernhammer, MittRhNotK 2000, 137, 146 f.; Rohles-Puderbach, RNotZ 2006, 274, 278 f.; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 14b: Wiederauffüllung durch Vermögenszuführung bzw. jenseits der Mindesteinzahlungen durch Einbuchung von Einlageforderungen; ferner Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 43: Auffüllung bis zur Grenze der Mindesteinlagepflicht; vgl. auch OLG Nürnberg v. 18.4.2011 – 12 W 631/11, GmbHR 2011, 582, 586: hinsichtlich der weitergehenden restlichen Stammeinlage muss diese nicht bereits eingezahlt sein, sondern lediglich im Vermögen der Gesellschaft stehen, wofür ein entsprechender Zahlungsanspruch der Gesellschaft gegen ihren Gesellschafter ausreichend ist; Lieder, DStR 2012, 137, 139; im Ergebnis zurückhaltend, wohl auch hinsichtlich des über die Mindesteinlagen hinausgehenden Betrags, DNotI-Report 2005, 75, 76.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 193 § 3

einem gänzlich vermögenslosen Gesellschaftsmantel, decken sich dort doch mangels vorhandenem Restvermögen in der Sache die Wiederauffüllungs- mit den historischen Einlagepflichten578. Auf dieser dogmatischen Grundlage lässt sich auch das viel diskutierte Problem zwangslos 193 lösen, ob bei Zuführung von Sachwerten ganz oder teilweise die Sachgründungsvorschriften heranzuziehen sind: Grundsätzlich schulden die Gesellschafter anteilig nach ihrem Beteiligungsverhältnis (entgegen der h.M.579 unabhängig von ihrer individuellen Zustimmung zur neuerlichen Geschäftsaufnahme, dazu noch Rz. 200) bare Zuzahlungen, was die reale Mittelzuführung wertmäßig bis zur Höhe der Mindesteinlagen bedeutet. Unbare Sachleistungen sind im Grundsatz unzureichend. Den rechtsfortbildend entwickelten Unterbilanzhaftungsanspruch hat die höchstrichterliche Rechtsprechung wie einen Anspruch auf Leistung offener Bareinlagen konzipiert580 (näher bei 13. Aufl., § 11 Rz. 150); diese Konzeption hat BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 Rz. 46, wenn auch beiläufig, auf die modifizierte Unterbilanzhaftung im Rahmen der wirtschaftlichen Neugründung übertragen581. Sollen hiervon abweichend Sachwerte zugeführt (d.h. in entsprechender Anwendung des § 7 Abs. 3: vollständig geleistet582) werden, genügt entgegen der h.L.583 ein Wertnachweis nicht, und zwar selbst dann nicht, wenn er sich an den Anforderungen des § 8 Abs. 1 Nr. 5 ausrichtet; vielmehr ist eine vorherige Satzungsänderung zwecks Sacheinlagenfestsetzung i.S.d. § 5 Abs. 4 Satz 1 vonnöten584. Vor dem Hintergrund sind auch die Grundsätze der verdeckten 578 Die Wiederauffüllung des Stammkapitals muss – bezogen auf die jeweilige einlageähnliche anteilige Wiederauffüllungspflicht eines jeden Gesellschafters – nur jeweils zu einem Viertel zur freien Verfügung der Geschäftsführung erfolgen (Mindestbetrag), wobei insgesamt mindestens 12 500 Euro geleistet werden müssen, § 7 Abs. 2 Satz 2 entsprechend; im Übrigen, d.h. hinsichtlich des Mehrbetrages, genügt, wie auch bei der Gründung, die Einbuchung einer werthaltigen Forderung gegen die Gesellschafter. 579 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 155, 318, 326 = GmbHR 2012, 630; BGH v. 12.07.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1033 m. Anm. Bayer; Bayer, GmbHR 2011, 1034, 1036; Pentz in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 871, 887 f.; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 124; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 166: § 53 Abs. 3; a.A. Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 105; wohl auch Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 54 AktG Rz. 47; die Zustimmung des in Anspruch Genommenen verlangend Berkefeld, GmbHR 2018, 337, 341. 580 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 136 f. = ZIP 1981, 394; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391, 399 ff. = GmbHR 2006, 482 m. Anm. Rüdiger; nachfolgend bestätigt in BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = GmbHR 2012, 630 m. Anm. Giedinghagen/Rulf; vgl. auch Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 11 Rz. 246; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 174. 581 Dem steht nicht entgegen BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = GmbHR 2012, 630 Rz. 17 m. Anm. Giedinghagen/Rulf, wonach sich die Gründungsprüfung jedenfalls auf die Erbringung der Mindeststammeinlagen und im Falle von Sacheinlagen auf deren Werthaltigkeit zu beziehen hat. 582 Peters, Der GmbH-Mantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989, S. 74; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35; zum Problemkreis auch Heidinger/Meyding, NZG 2003, 1129, 1132; Bohrer, DNotZ 2003, 887, 896. 583 Priester, DB 1983, 2291, 2296; Auernhammer, MittRhNotK 2000, 137, 147; Wicke, NZG 2005, 409, 413; Heine, GmbHR 2011, 962, 967 lehnt weitergehend auch die Anwendung des § 8 Abs. 1 Nr. 5 ab; für Anwendung der Sachgründungsbestimmungen aber, wie hier, Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 17. 584 Zum selben Ergebnis kommen, mit Unterschieden im Detail der jeweiligen Begründung, Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 403 f.; Jacobs, DZWIR 2004, 309, 314; Göhmann, RNotZ 2011, 290, 294; Winnen, RNotZ 2013, 389, 404 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 165; Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 54 AktG Rz. 47; Röhricht in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 2004, § 23 AktG Rz. 136 (für die AG); a.A. Priester, DB 1983, 2291, 2296; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 85; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35.

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§ 3 Rz. 193 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages Sacheinlage nach § 19 Abs. 4 auf diese dem Kapitalaufbringungsschutz unterstehende Unterbilanzausgleichspflicht heranzuziehen585, da sie die Barausgleichungspflicht absichern, sodass im Fall eines Umsatzgeschäfts mit einem wirtschaftlichen Neugründer bei entsprechender Vorabsprache die Kapitalaufbringungspflicht insoweit nicht erfüllt, der Wert des dadurch erlangten Vermögensgegenstandes hierauf aber angerechnet wird. Ebenso wird man ein in diesem Rahmen erfolgendes Hin- und Herzahlen nach § 19 Abs. 5 zu behandeln haben586 (zu differenzieren von einer Rückgewähr der historischen Einlagen). Dies alles gilt freilich nur, soweit neue Vermögenswerte der Gesellschaft zwecks Unterbilanzausgleich zugeführt werden. Im Zeitpunkt des Entschlusses zur wirtschaftlichen Neugründung bereits vorhandene Sachwerte unterliegen keinen (neuerlichen) Kapitalaufbringungsvorgaben; es ist mithin strikt zwischen der Wahrung der Kapitalaufbringungsvorschriften bei der historischen Erstund der wirtschaftlichen Neugründung zu unterscheiden. c) Gründungsaufwand 194 Die Gesellschafter können die Kosten der wirtschaftlichen Neugründung auf die Gesellschaft

durch entsprechende Festsetzung im Gesellschaftsvertrag (entsprechend § 26 Abs. 2 AktG)587 überwälzen588, sofern die Gesellschafter die Kosten der Gründung selbst getragen, mithin von einer entsprechenden Festsetzung in der Gründungssatzung abgesehen haben589. Anderes gilt aber, falls die Gründungssatzung bereits Festsetzungen zum Gründungsaufwand enthielt590. Hier stellte es eine zulasten der Gläubiger gehende und daher unzulässige Kumulation der „Sonderstellung“ von Gründungsaufwand dar, wenn eine Überwälzung sowohl bei Gründung als auch der wirtschaftlichen Neugründung möglich wäre591. Die Gegenansicht stellte die wirtschaftliche Neugründung insoweit nicht der rechtlichen Gründung gleich, sondern privilegierte die wirtschaftlich neu gründenden Gesellschafter zulasten der Gläubiger592. Zuzugestehen ist der Gegenposition freilich, dass ein gewisser Wertungswiderspruch

585 Vgl. etwa Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 164 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 85; Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 54 AktG Rz. 47; Röhricht/Schall in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 136; a.A. Priester, DB 1983, 2291, 2296; Heidinger, ZGR 2005, 101, 115 ff.; Swoboda, GmbHR 2005, 649, 655 f. 586 I.Erg. ebenso, wenngleich teils mit abweichender Begründung, Göhmann, RNotZ 2011, 290, 293; Ulmer, ZIP 2012, 1265, 1269 f.; Theusinger/Andrä, ZIP 2014, 1916, 1919; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 163 f.; Pentz in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 871, 885; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1109; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 165; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 85, 95; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 126; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35, 39; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18; a.A. Peetz, GmbHR 2004, 1429, 1432 f.; Heidinger, ZGR 2005, 101, 115; Swoboda, GmbHR 2005, 649, 655; Berkefeld, GmbHR 2018, 337, 341. 587 Dies hätte zur Konsequenz, dass die Gesellschaft im Verhältnis zu den Gesellschaftern zur Übernahme der Kosten verpflichtet ist und eine hieraus folgende Unterbilanz keine Unterbilanzhaftung auslöst; zu diesen Konsequenzen, für die AG, Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 26 AktG Rz. 17. 588 Apfelbaum, notar 2011, 279, 281; Winnen, RNotZ 2013, 389, 405; Wachter, GmbHR 2016, 791 ff. 589 OLG Stuttgart v. 23.10.2012 – 8 W 218/12, GmbHR 2012, 1301, 1302 m. Anm. Oppenländer, ebenso Theusinger/Andrä, ZIP 2014, 1916, 1919; Altmeppen, Rz. 74; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 85. 590 Vgl. etwa OLG Jena v. 1.9.2004 – 4 U 37/04, GmbHR 2004, 1468, 1472; Altmeppen, Rz. 74; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 85; a.A. Wachter, GmbHR 2016, 791, 796. 591 So auch etwa Gerber, GmbHR 2010, 590, 591; Apfelbaum, notar 2011, 279, 281 f.; Oppenländer, GmbHR 2012, 1302, 1303; Winnen, RNotZ 2013, 389, 405. 592 Allein dann, wenn im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Neugründung das Stammkapital bilanziell unversehrt, d.h. auch unter Abzug der ursprünglichen Gründungskosten voll gedeckt ist, kann erwogen werden, eine abermalige Überwälzung von Gründungsaufwand für zulässig zu erachten.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 195 § 3

dadurch entsteht, dass trotz festgesetzten Gründungsaufwands spätere Kosten einer Kapitalerhöhung auf die Gesellschaft abwälzbar sind593, wofür es nicht einmal einer Festsetzung in der Satzung bedarf, da § 26 Abs. 2 AktG hier nicht entsprechend zur Anwendung gelangt594. Dieser Wertungswiderspruch liegt aber in der Prämisse der „zweifachen Anwendung“ des Gründungsrechts begründet. d) Offenlegung Grundlage der registergerichtlichen Präventivkontrolle der Mantelaktivierung ist deren Of- 195 fenlegung595 gegenüber dem Registergericht. Sie ist jedenfalls bei der anderenfalls für das Registergericht häufig unerkannt bleibenden Aktivierung eines Alt-Mantels596, richtigerweise aber auch bei der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft vonnöten597, wenngleich dort der Mantelcharakter bereits dem Unternehmensgegenstand zu entnehmen ist (dazu Rz. 37). Offenlegung und Anmeldeversicherung (zu dieser bei Rz. 196) sind nicht identisch598, jedoch inhaltlich zu verbinden599, was freilich in verschiedenen, aufeinander Bezug nehmenden Schriftstücken erfolgen kann. Als Annex zur Anmeldeversicherung sind nach dem Rechtsgedanken des § 78 sämtliche Geschäftsführer zur Offenlegung verpflichtet600, und zwar entsprechend § 12 Abs. 1 Satz 1 HGB in öffentlich beglaubigter Form, was einer konsequenten Analogiebildung zum Gründungsrecht entspricht und einen Haftungsgleichlauf (im Hinblick auf § 9a) ermöglicht. Materiell-rechtliche Bedeutung hat die ordnungsgemäße Offenlegung nach dem gegenwärtigen höchstrichterlichen Haftungskonzept nur noch für die Beweislastverteilung bei der Feststellung einer Unterbilanz; darüber bei Rz. 201.

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Ein Nachteil zulasten der Gläubiger steht dann nicht zu befürchten. Entsprechend angepasst werden müsste in diesem Fall aber die Versicherung entsprechend § 8 Abs. 2, die sich darauf zu beziehen hätte, dass das Stammkapital (nur abzüglich des nunmehr im Zuge der wirtschaftlichen Neugründung festgesetzten Gründungsaufwands) wertmäßig gedeckt ist. Missverständlich aber OLG Celle v. 12.12.2017 – 9 W 134/17, GmbHR 2018, 582, 583; insoweit kritisch dazu Cziupka, EWiR 2018, 329. Vgl. BFH v. 19.1.2000 – I R 24/99, GmbHR 2000, 439. Inhaltlich muss die Offenlegung bei der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft beinhalten, dass die betreffende Gesellschaft als Vorratsgesellschaft gegründet worden ist und nunmehr erstmalig ihre Geschäftstätigkeit aufnimmt. Bei der Verwendung eines Alt-Mantels sollte demgegenüber mitgeteilt werden, dass eine zuletzt unternehmenslose Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit wieder aufgenommen hat; vgl. Apfelbaum, notar 2001, 279, 280. BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 323 = GmbHR 2003, 1125; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341, 345 = GmbHR 2012, 630; vgl. auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13b. Ebenso Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39. Dies ergibt sich letztlich aus BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 323 = GmbHR 2003, 1125, weil dort die Offenlegungspflicht aus der Rspr. zur Vorratsgesellschaft übertragen wird; a.A. Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 84: Offenlegung nur bei Wiederverwendung eines Alt-Mantels; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 152; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12. Vgl. ausführlich Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 408 m.N.; a.A. Bärwaldt/Balda, GmbHR 2004, 350, 351: ausdrückliche Offenlegung nicht erforderlich; Heidinger, ZGR 2005, 101, 109: Anmeldeversicherung genügt. Vgl. in diese Richtung BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 321 = GmbHR 2003, 1125: zu verbinden; a.A. wohl noch Göz/Gehlich, ZIP 1999, 1653, 1659. OLG Jena v. 27.9.2006 – 6 W 287/06, ZIP 2007, 124, 124 f.; Krafka, ZGR 2003, 577, 585; Heidinger, ZGR 2005, 101, 108; Wicke, NZG 2005, 409, 413; Winnen, RNotZ 2013, 389, 401; Wimber, Die Behandlung von Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2011, S. 113 f.; a.A. Lehder, Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2005, S. 125 f.

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§ 3 Rz. 196 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages e) Anmeldeversicherung entsprechend § 8 Abs. 2 i.V.m. § 7 Abs. 2 und 3 196 Der Gegenstand der Versicherung soll sich nach wohl überwiegend vertretener Ansicht in

Konkretisierung der insoweit vagen Rechtsprechungsgrundsätze601 in zwei Elemente aufspalten602: So hat sich danach die Versicherung zum einen rückwärtsgewandt auf die ordnungsgemäße Erbringung der historischen Einlageleistungen der Gründungsgesellschafter nach Maßgabe des § 7 Abs. 2 und 3 zu beziehen, zum anderen gegenwartsbezogen darauf, dass entweder der Gegenstand der (historischen) Einlageleistungen weiterhin oder (infolge Wiederauffüllung des Stammkapitals; dazu Rz. 190 f.) nunmehr abermals in der freien Verfügung der Geschäftsführer steht und damit (nach dem Grundsatz wertgleicher Deckung) das Stammkapital wertmäßig vollständig gedeckt ist603. Während eine derartige rückwärtssowie gegenwartsbezogene Versicherung im Fall der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft unschwer wird erklärt werden können, sofern der auf das Stammkapital historisch eingezahlte Geldbetrag weiterhin unversehrt (abzüglich abgewälzten Gründungsaufwands604, dazu Rz. 194) auf dem Geschäftskonto der Vorratsgesellschaft verbucht605 oder nachweislich (d.h. gegenüber dem Registergericht belegbar) wertgleich gedeckt ist, wird es bei Wiederbelebung eines Alt-Mantels, insbesondere nach typischerweise vorangegangenem Gesellschafter- und Geschäftsführerwechsel, den nunmehrigen Geschäftsführern kaum – und jedenfalls nicht aus eigener Anschauung heraus – gelingen, valide Versicherungen in Bezug auf die historische Leistungsbewirkung der damaligen Gründungsgesellschafter abzugeben606. Vor allem hinsichtlich der Reaktivierung eines Alt-Mantels wird denn auch vor diesem Hintergrund zuweilen in der Literatur – mit Unterschieden im Detail – vertreten, die rückwärtsbezogene Versicherung über die Erbringung der historischen Mindesteinlagen werde durch diejenige über die gegenwärtige Stammkapitaldeckung substituiert607. Eine Differenzierung des In-

601 Die Rspr. verlangt, und zwar sowohl bei der Aktivierung einer Vorratsgesellschaft als auch bei der Reaktivierung eines Alt-Mantels, eine Versicherung gemäß § 8 Abs. 2, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 bezeichneten Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt sind und dass der Gegenstand der Leistungen sich im Zeitpunkt der Offenlegung und der Abgabe der Anmeldeversicherung gegenüber dem Registergericht endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet, konkretisiert diese dem Gründungsrecht entlehnten Grundsätze aber nicht näher; s. BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, 162 = GmbHR 2003, 227; BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 321 f. = GmbHR 2003, 1125; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1033 Rz. 9; aus der OLG-Rechtsprechung: OLG Jena v. 1.9.2004 – 4 U 37/04, GmbHR 2004, 1468, 1470; OLG Hamburg v. 19.11.2004 – 11 U 45/04, GmbHR 2005, 164, 166; OLG Jena v. 27.9.2006 – 6 W 287/ 06, ZIP 2007, 124, 1124 f.; KG v. 7.12.2009 – 23 U 24/09, GmbHR 2010, 476; OLG München v. 11.3.2010 – 23 U 2814/09, GmbHR 2010, 425, 426 f.; OLG Nürnberg v. 18.4.2011 – 12 W 631/11, GmbHR 2011, 582, 585 f. 602 So im Ergebnis etwa die Formulierungsvorschläge bei Melchior/Böhringer in Gustavus, Handelsregisteranmeldungen, 10. Aufl. 2020, M 101.1; Lohr, GmbH-StB 2014, 153 (Registeranmeldung nach Aktivierung einer bereits aufgelösten GmbH); Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1109c. 603 Allein entscheidend ist das wertmäßige, nicht gegenständliche Vorhandensein des Stammkapitals; der ursprüngliche Gegenstand, d.h. die konkrete Bar- oder Sacheinlage, muss mithin nicht mehr als solcher vorhanden sein; klarstellend OLG Jena v. 27.9.2006 – 6 W 287/06, ZIP 2007, 124, 125; Wälzholz, NZG 2005, 203, 204 f.; vgl. auch Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 396. 604 Demgegenüber sind etwaige Kontoführungsgebühren hinsichtlich des Gesellschaftskontos wertmäßig auszugleichen; zutreffend Auernhammer, RNotZ 2003, 196, 197. 605 Lindemaier, RNotZ 2003, 503, 509. 606 Vgl. etwa Lindemaier, RNotZ 2003, 503, 510 f.; Heidinger/Meyding, NZG 2003, 1129, 1132; Schubert, NotBZ 2003, 383, 386 f.; s. vor diesem Hintergrund auch das Formulierungsbeispiel bei Wälzholz in Fuhrmann/Wälzholz, Formularbuch Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2018, M 14.13. 607 Lindemaier, RNotZ 2003, 503, 509 ff.; Peetz, GmbHR 2003, 229, 230; Heidenhain, NZG 2003, 1051, 1052 f.; Jacobs, DZWiR 2004, 309, bei Fn. 50; Bärwaldt/Balda, GmbHR 2004, 350, 252; Heidinger,

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 196 § 3

halts der Versicherung, je nachdem, ob ein Alt- oder Neu-Mantel in Rede steht, ist jedoch unbefriedigend, zumal die Rechtsprechungslinie im Übrigen auf eine einheitliche rechtliche Behandlung ausgerichtet ist608. Richtig scheint es, eine abermalige Versicherung in Bezug auf die historische Einlagenleistung für obsolet zu halten609 (sie bleibt freilich zulässig!). Es genügt, wenn die Versicherung darauf lautet, dass das Stammkapital gegenwärtig vollständig gedeckt ist610; dazu gehört allerdings nach Maßgabe des bei Rz. 190 f. zur etwaigen Wiederauffüllung des Stammkapitals Ausgeführten, dass eine im Anmeldezeitpunkt vorhandene Unterbilanz (im Grundsatz: durch bare Zuzahlung, darüber bei Rz. 193) ausgeglichen worden ist611, worauf sich die Versicherung zu erstrecken hat612. Ein strenges Festhalten an dem ohnehin bereits prinzipiell umstrittenen Grundsatz der wertgleichen Deckung (zu diesem kritisch bei 13. Aufl., § 8 Rz. 27) wäre demgegenüber jedenfalls bei der Alt-Mantelverwendung nicht praktikabel und sollte von der Rechtsprechung, mag sie auch im Übrigen im Gründungsstadium hieran weiter festhalten, im Rahmen der wirtschaftlichen Neugründung nicht, jedenfalls nicht unmodifiziert herangezogen werden. – Angesichts des strafrechtlichen Analogieverbots (Art. 103 Abs. 2 GG) ist nach allgemeiner Ansicht eine falsche Versicherung über die Stammkapitaldeckung nicht nach Maßgabe des § 82 Abs. 1 Nr. 1 straf-613, wohl aber nach Maßgabe des entsprechend heranzuziehenden § 9a haftungsbewehrt614.

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ZGR 2005, 101, 106; Rohles-Puderbach, RNotZ 2006, 274, 277; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 22; Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 79; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 155; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Habighorst in Meyer-Landrut, Formularbuch GmbH-Recht, A.III.14. Rz. 185; in diese Richtung auch (für die AG) Melchior, AG 2013, R223, R225. DNotI-Gutachten, Abrufnummer 119742; für Differenzierung aber Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 155. Sie ist zum Gläubigerschutz auch nicht geboten – sollten die historischen Einlagen nicht ordnungsgemäß erbracht worden sein, blieben die daraus erwachsenden Ansprüche gegen die Gründungsgesellschafter durch die wirtschaftliche Neugründung unberührt. OLG Jena v. 1.9.2004 – 4 U 37/04, GmbHR 2004, 1468, 1470; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 86; zur Feststellung kann auf eine Analogie zu § 220 UmwG zurückgegriffen werden; so zu Recht Heidinger, ZNotP 2003, 82, 86; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 100; für die AG auch Seibt in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 23 AktG Rz. 43; a.A. etwa Priester, ZGR 2004, 248, 261: Ausrichtung der Versicherung an jener im Rahmen einer Kapitalerhöhung. Zugleich muss der aktuelle Stand des Stammkapitals vor dessen etwaiger Wiederauffüllung angegeben werden, um dem Registergericht darzulegen, welche Beträge als einlageähnliche Leistungen zur Wiederauffüllung des Stammkapitals zu erbringen waren; vgl. Schubert, NotBZ 2003, 383, 387: Stammkapital vor der Wiederauffüllung ist zu beschreiben, um die Höhe der Neueinzahlung transparent zu machen. Damit verblassen im praktischen Ergebnis die Differenzen zur Position bei Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 155, wonach die Versicherung über die Leistung der Mindesteinlagen durch den Nachweis über den Umfang der Stammkapitaldeckung durch das vorhandene Gesellschaftsvermögen insoweit ersetzt wird, wie Restvermögen das Stammkapital setzt. BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 155, 318, 324 = GmbHR 2012, 630, 632 und 633; Krafka, ZGR 2003, 577, 584; Schaub, NJW 2003, 2125, 2127; Thaeter/Meyer, DB 2003, 539, 540; mit Recht verweisen Heidinger/Meyding, NZG 2003, 1129, 1132 darauf, dass vor diesem Hintergrund die Versicherung des Geschäftsführers seines Wertes weitgehend beraubt wird; ebenso Auernhammer, RNotZ 2003, 196, 197; Schaub, DNotZ 2003, 447, 449 f.; Melchior, AG 2013, R223, R225 hält demgegenüber eine Strafbarkeit falscher Angaben nach §§ 155, 161 StGB für möglich; doch wird regelmäßig keine Versicherung an Eides statt als Mittel der Glaubhaftmachung (§ 31 FamFG) in Rede stehen; a.A. Schall, NZG 2011, 656, 657: Unterlassungsstrafbarkeit. BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1033 Rz. 11 ff. m. zustimmender Anm. Bayer/Wachter, BB 2011, 2444 ff. sowie Anm. Nolting, EWiR 2011, 639 f.; vgl. obiter auch schon BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 327 = GmbHR 2003, 1125, 1127 m. Anm. Kesseler, ZIP 2003, 1790, 1792 f.; ebenso OLG Jena v. 1.9.2004 – 4 U 37/04, GmbHR 2004, 1468, 1470; Heinze, GmbHR 2011, 962, 967; Hüffer, NZG 2011, 1257, 1258 f.; Lieder, DStR 2012, 137, 141.

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§ 3 Rz. 197 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages f) Registergerichtliche Prüfung; registerrechtliche Konsequenzen aa) Prüfungsumfang 197 Die erforderliche Versicherung nach Maßgabe der Rz. 196 ist vom Registergericht in entspre-

chender Anwendung des § 9c Abs. 1 nicht nur einer formellen Vollständigkeits-, sondern auch materiellen Richtigkeitsprüfung daraufhin zu unterziehen615, ob (i) das satzungsmäßige Stammkapital wertmäßig gedeckt ist, (ii) das Vermögen im Fall der Wiederauffüllung in Höhe der Mindesteinlagen (§ 7 Abs. 2 und 3, § 8 Abs. 2) zur freien Verfügung der Geschäftsführer steht (d.h. dass eine etwaige Unterbilanz insoweit durch bare Zuzahlung, im Übrigen ggf. durch Einbuchung werthaltiger Forderungen beseitigt ist; dazu Rz. 192) und (iii) Sachwerte, die zur Wiederauffüllung des Stammkapitals geleistet wurden, werthaltig sind. Ergibt die Prüfung Anhaltspunkte für eine Unrichtigkeit der Versicherung (nach h.M. nur dann!), darf und muss das Registergericht diesen Bedenken nachgehen (vgl. § 26 FamFG)616, anderenfalls soll es auf die Richtigkeit der Versicherung vertrauen dürfen. Dem kann jedoch – schon aufgrund der fehlenden Strafbewehrung der Versicherung – nicht uneingeschränkt zugestimmt werden; nicht zu beanstanden ist es jedenfalls, wenn das Registergericht substantiierte Ausführungen, ja sogar Nachweise zur Werthaltigkeit vorhandenen Restvermögens, etwa (in entsprechender Anwendung des § 57i Abs. 1 und 2) eine zeitnahe, mit Bestätigungsvermerk jedenfalls eines steuerlichen Beraters versehene Bilanz oder deren Fortschreibung, verlangt617 (zu den davon zu unterscheidenden Anforderungen, falls die Unterbilanz durch die Zuführung neuer Sachwerte ausgeglichen wird, bei Rz. 193). Zeitlicher Bezugspunkt der Werthaltigkeitskontrolle ist angesichts der Haftungszäsur, die mit der Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung einhergeht (darüber bei Rz. 199), der Zeitpunkt der (rechtzeitigen!) Offenlegung, oder, falls dieser früher eintritt, jener der nach außen in Erscheinung getretenen Geschäftsaufnahme618. Einen formalisierten Abschluss findet die registergerichtliche Prüfung jedoch nicht; es entspricht mittlerweile weitgehend konsentierter Ansicht, der auch die Registerpraxis entspricht, dass die wirtschaftliche Neugründung weder eintragungspflichtig noch auch nur eintragungsfähig ist619. Offenlegungs- und Versicherungserklärungen werden damit ohne Eintragungsvermerk in den Registerordner eingestellt, rich615 S. etwa BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, 160 ff. = GmbHR 2003, 227; BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = GmbHR 2003, 1125; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341, 347 = GmbHR 2012, 630; Winnen, RNotZ 2013, 389, 402; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 156; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 88. Zur Anwendbarkeit des § 9c Abs. 2 s. Heidinger, ZGR 2005, 101, 106; Swoboda, GmbHR 2005, 649, 655 f. 616 BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158, 162 = GmbHR 2003, 227; BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 326 f. = GmbHR 2003, 1125; Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 422. 617 Vgl. etwa Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 22; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 155; Arnold/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2022, § 54 AktG Rz. 45 (für die AG); zweifelnd jedoch Simon in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 80, und zwar vor dem Hintergrund, dass die Wertdeckung auf den Tag der Registeranmeldung nachgewiesen werden müsse. 618 Leuering/Rubner, NJW-Spezial 2011, 15, 16; Vedder, MittBayNot 2012, 490, 491; Giedinghagen/Rulf, GmbHR 2012, 630, 638; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38; a.A. (für die AG) Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 104: Eintragungsfähigkeit angesichts der Nähe zur rechtlichen Gründung. 619 Vgl. Winnen, RNotZ 2013, 389, 403; Berkefeld, GmbHR 2018, 337, 343; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1109; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16; in diese Richtung auch BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = GmbHR 2012, 630, 634 m. Anm. Giedinghagen/Rulf; a.A. aber Krafka, ZGR 2003, 577, 587 f.; Peetz, GmbHR 2003, 229, 231, Peetz, GmbHR 2003, 1128, 1129 sowie Peetz, GmbHR 2004, 1429, 1435; Heidinger/Meyding, NZG 2003, 1129, 1131; Kresse, Die Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 415 ff.; Lehder, Vorrats- und Mantelgesellschaften, 2005, S. 172; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, 23 AktG Rz. 104.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 198 § 3

tigerweise indes nur, sofern diese Erklärungen ordnungsgemäß sind620. Allein in diesem Fall, d.h. bei Einstellung in den Registerordner, wird entgegen der h.L. auch die bei Rz. 201 geschilderte Beweislastumkehr vermieden621, wohingegen die Haftungszäsur spätestens bereits mit Zugang der Offenlegungs- und Versicherungserklärung beim Registergericht eintritt (also nicht erst nach Abschluss der registergerichtlichen Präventivkontrolle), ggf. sogar früher, falls die wirtschaftliche Neugründung schon zuvor nach außen in Erscheinung getreten ist. bb) Registersperre Wird die Offenlegung nebst Versicherung unterlassen bzw. nicht ordnungsgemäß erklärt, re- 198 sultiert aus der Verletzung dieser Erklärungspflichten nach traditioneller, insbesondere seitens der Rechtsprechung zugrunde gelegter Ansicht622 eine Registersperre in Bezug auf „begleitend“ zur Eintragung im Handelsregister angemeldeter Tatsachen623. Angesichts der verminderten Restfunktion der Offenlegungspflicht im gegenwärtigen höchstrichterlichen Haftungssystem (hierüber bei Rz. 199) ist die mit einer derartigen Registersperre verbundene Effektuierung der Anreizsetzung zur ordnungsgemäßen Aktivierung einer Mantelgesellschaft ein gewichtiges Argument für diese Sichtweise624, und zwar gleichviel, ob eine konstitutive oder deklaratorische Registereintragung in Rede steht. Wenn dagegen in der Literatur eingewandt wird, ein derartiges „Durchschlagen“ dieser Versäumnisse auf für sich genommen ordnungsgemäß angemeldete Tatsachen sei systemfremd625 und daher abzulehnen, greift dies vor diesem Hintergrund zu kurz. Man wird indes für die Anmeldung deklaratorisch einzutragender Tatsachen (und nur für diese626!) im sachlich-zeitlichen Kontext einer wirtschaftlichen Neugründung entgegen der h.M. dennoch eine Registersperre abzulehnen haben. Ande620 Womöglich für eine Pflicht zur Einstellung der Erklärungen in den Registerordner selbst im Fall ihrer offensichtlichen Unrichtigkeit, was die registergerichtliche Prüfung insoweit aber vollends entwerten würde, Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 1109a; wie hier wohl aber Melchior, AG 2013, R223, R224, wonach Ziel der Offenlegung die Aufnahme der Erklärung in den Registerordner sei. 621 A.A. Heinze, GmbHR 2011, 962, 965; Heckschen/Kreußlein in Heckschen/Heidinger, Kap. 3 Rz. 249, wonach die haftungsrechtliche Zäsurwirkung unabhängig von der Entscheidung des Registergerichts eintreten soll; der im Text vertretenen Sichtweise steht BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = GmbHR 2012, 630 Rz. 26 nicht entgegen. 622 S. BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 326 f. = GmbHR 2003, 1125; vgl. BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = GmbHR 2003, 227, 229 m. Anm. Peetz; außerhalb von Satzungsänderungen und Geschäftsführerwechseln offengelassen durch BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 155, 318, 324 = GmbHR 2012, 630, 633 m. Anm. Giedinghagen/Rulf; OLG Nürnberg v. 18.4.2011 – 12 W 631/11, GmbHR 2011, 582, 584, 586 (zur Aufnahme einer neuen Gesellschafterliste); KG v. 23.3.2012 – 25 W 38/10, GmbHR 2012, 857 (zur Eintragung einer geänderten Geschäftsanschrift); für Registersperre sowohl bei konstitutiven als auch bei deklaratorischen Eintragungen Gottschalk, DStR 2012, 1458, 1462; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 88. 623 Gegen eine solche Sperre Heinze, GmbHR 2011, 962, 965 f.; Ulmer, ZIP 2012, 1265, 1271; Winnen, RNotZ 2013, 389, 402; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36. 624 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 326 f. = GmbHR 2003, 1125. Dem BGH folgend Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 88; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 121. Auf die dadurch u.U. schwerwiegenden Folgen für die Gesellschaft verweisend Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36. 625 So, mit ausführlicher Begründung, Heinze, GmbHR 2011, 962, 965 f.; ferner Winnen, RNotZ 2013, 389, 403; Schaefer/Steiner/Link, DStR 2016, 1166 ff.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Limmer in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 23 AktG Rz. 47 (zur AG). 626 Bei fehlender Offenlegung ist damit insbesondere die Eintragung einer angemeldeten Satzungsänderung zu verweigern; OLG Nürnberg v. 18.4.2011 – 12 W 631/11, GmbHR 2011, 582, 586; Altmeppen, Rz. 66; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 13b; der Sache nach wohl auch BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = GmbHR 2003, 1125, 1126; zweifelnd Heinze, GmbHR 2011, 962, 965.

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§ 3 Rz. 198 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages renfalls trüge das Registergericht zu einer Aufrechterhaltung einer Falschdeklaration im Handelsregister bei627, und zwar allein deshalb, weil die (unterstellt) ordnungsgemäß angemeldete Tatsache im Sachzusammenhang mit einer nicht oder ordnungswidrig offengelegten wirtschaftlichen Neugründung stünde. Selbiges gilt für die (daher nicht von der Offenlegung abhängig zu machende) Aufnahme einer neuen Gesellschafterliste in den Registerordner, sofern es im Kontext der wirtschaftlichen Neugründung zu einem Gesellschafterwechsel gekommen ist628. Demgegenüber sollte die deklaratorisch wirkende Eintragung eines Fortsetzungsbeschlusses im Fall einer damit verbundenen wirtschaftlichen Neugründung einer aufgelösten Gesellschaft in Ausnahme von diesem Grundsatz von deren ordnungsgemäßer Offenlegung abhängig gemacht werden (dazu 12. Aufl., § 60 Rz. 101), weil insoweit ein enger, die einheitliche Prüfung gebietender Zusammenhang mit der registergerichtlichen Kontrolle des für die Fortsetzung taugenden Vermögensstands der Gesellschaft (zur erforderlichen Kapitalausstattung bei 12. Aufl., § 60 Rz. 100) besteht. g) Unterbilanzhaftung aa) Umfang; Stichtag 199 Die modifizierte Unterbilanzhaftung ist eine Innenhaftung, gerichtet auf Ausgleich jenes

Fehlbetrags, der die Stammkapitaldeckung verhindert. Der modifizierte Unterbilanzhaftungsanspruch ist einlagegleich zu behandeln, damit insbesondere auch den Kapitalaufbringungsregeln des § 19 unterstellt; diese Einordnung bedeutet zugleich, dass der einmal entstandene Haftungsanspruch zum Stichtag höhenmäßig fixiert wird, eine spätere Verringerung oder Beseitigung der Unterbilanz mithin unbeachtlich bleibt629 (vgl. dazu sinngemäß, aber mit Kritik bei 13. Aufl., § 11 Rz. 150). Zugleich maßgeblicher Haftungsstichtag ist im Ausgangspunkt der Zeitpunkt der Offenlegung der Neugründung gegenüber dem Registergericht (gleichviel, ob diese ordnungsgemäß erfolgt), nicht etwa jener der Eintragung begleitend angemeldeter Tatsachen im Handelsregister630 oder auch nur jener der Aufnahme der Offenlegungs- und Versicherungserklärung in den Registerordner. Auf mögliche Verluste im Zeitraum nach erfolgter Offenlegung kommt es damit jedenfalls nicht an, was heute weitgehend geklärt ist. Erfolgt die Offenlegung nicht oder aber nicht rechtzeitig (!), ist die Haftung indes (dann mit Beweislastumkehr zulasten der Gesellschafter, darüber bei Rz. 201) auf jenes Defizit beschränkt, das in dem Zeitpunkt bestand, zu dem die wirtschaftliche Neugründung erstmals nach außen getreten ist, was häufig durch die Anmeldung von Tatsachen (etwa einer Satzungsänderung oder eines Geschäftsführerwechsels) zum Handelsregister geschieht, anderenfalls durch die für den Rechtsverkehr erkennbar gewordene (Wieder-)Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit631. Ist im Zeitpunkt der nach außen getretenen wirt-

627 Heinze, GmbHR 2011, 962, 965; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35. 628 Heinze, GmbHR 2011, 962, 965 f.; Ulmer, ZIP 2012, 1265, 1271; Altmeppen, Rz. 66; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13b; a.A. OLG Nürnberg v. 18.4.2011 – 12 W 631/11, GmbHR 2011, 582, 586. 629 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341, 350 ff. = GmbHR 2012, 630; Plathner/Sajogo, DZWiR 2012, 89, 92 f.; Schwab, notar 2014, 223, 245; a.A. noch Heidenhain, NZG 2003, 1051 f.; Peters, Der GmbH-Mantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989, S. 80 ff.; zum Ganzen, im Ergebnis wie hier, näher Kresse, Die Verwendung von Mantel- und Vorratsgesellschaften in der Rechtsform der GmbH und der AG, 2010, S. 375 ff. 630 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1034 Rz. 13. 631 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341, 348 ff. = GmbHR 2012, 630; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317; Habersack, AG 2010, 845, 849 f.; Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197, 200 f., 202 f.; Kuszlik, GmbHR 2012, 882, 884 ff.; Ulmer, ZIP 2012, 1265, 1267 ff.; Pentz in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 871, 880 ff.; Altmeppen, Rz. 69; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; für die zeitlich unbegrenzte Haftung bis zur Offenlegung noch OLG Jena v. 27.9.2006 –

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 200 § 3

schaftlichen Neugründung das Stammkapital gedeckt, scheidet eine Unterbilanzhaftung trotz mangelnder Offenlegungs- und Versicherungserklärung aus, selbst dann, wenn es in der Folgezeit zu Einbußen am Stammkapital kommt, die womöglich gar zur Insolvenz der Gesellschaft führen. Einer derartigen Endloshaftung bei mangelnder Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung hat die Rechtsprechung eine klare Absage erteilt632, was im Ergebnis insofern zu begrüßen ist, als die Gläubiger keines Schutzes vor weiteren Verlusten über diesen Stichtag hinaus bedürfen. Die Begrenzung erfolgt nach diesem Haftungskonzept zugunsten der Gesellschafter zu dem früheren der beiden Zeitpunkte „Offenlegung“ oder „sonstiges Offenbarwerden“ der Neugründung nach außen633. Haftungsschuldner sind sämtliche Gesellschafter, selbst dann, wenn sie nicht allesamt der 200 (Wieder-)Aufnahme der Geschäftstätigkeit zugestimmt haben634. Die h.M., die eine derartige allseitige Zustimmung als Voraussetzung der Unterbilanzhaftung (selbst der zustimmenden Gesellschafter!) verlangt635, trägt nicht hinreichend dem Umstand Rechnung, dass die Mantelgesellschaft zwar unternehmerisch inaktiv, aber dennoch im Handelsregister eingetragen ist und damit als solche durch den Geschäftsführer losgelöst von internen Zustimmungserfordernissen vertreten werden kann. Darin aber liegt eine entscheidende Differenz zum Gründungsstadium der Vor-GmbH, für welches die Zustimmungsnotwendigkeit gerade vor dem Hintergrund der dort nach h.M. auf gründungsnotwendige Geschäfte beschränkten Vertretungsmacht des Geschäftsführers verstanden wird (vgl. dazu kritisch 13. Aufl., § 11 Rz. 72 f. m.N.). Wenig überzeugend ist es vor diesem Hintergrund auch, unter Berücksichtigung des Rechtsgedankens von § 53 Abs. 3 nur jene Gesellschafter haften zu lassen, die der wirtschaftlichen Neugründung zugestimmt haben636. – Legt man die zustimmungsunabhängige Unterbilanzhaftung eines jeden Gesellschafters zugrunde, bleibt kein Raum für eine Handelndenhaftung entsprechend § 11 Abs. 2, sofern diese als Lückenbüßer für eine fehlende Unterbilanzhaftung vor allem im Fall fehlender Zustimmungserteilung verstanden wird637; auf der Grundlage der h.M., die ein Zustimmungserfordernis statuiert, erscheint sie

632

633 634 635 636 637

6 W 287/06, ZIP 2007, 124, 125; Bachmann, NZG 2011, 441, 443 ff.; Bayer in FS Goette, 2011, S. 15, 20 ff.; Hüffer, NJW 2011, 1772, 1773 (mittlerweile überholt). Die neuere Rechtsprechung zur Begrenzung der Haftung ist in ihrem Ergebnis insofern zu begrüßen, als sie die ohnehin teilweise drastisch wirkenden und für die Gesellschafter je nach Konstellation auch überraschenden Haftungsrisiken stark verringert (s. zur Bewertung der Rechtsprechung auch bei 13. Aufl., § 11 Rz. 140). Überdies wäre aus Gläubigerschutzgesichtspunkten eine „Endloshaftung“ auch nicht geboten gewesen. Sobald die wirtschaftliche Neugründung erfolgt ist, verdienen die Gläubiger keinen Schutz vor weiteren Verlusten – die Haftung der Gesellschafter ist nach der Konzeption der Rechtsprechung der Ausgleich dafür, dass die Mantelgesellschaft womöglich aufgrund früherer Geschäftstätigkeit besonders finanziell belastet und das Stammkapital aufgezehrt ist. Allerdings wird die Verletzung der Pflicht zur Offenlegung nun kaum mehr sanktioniert. Vgl. etwa Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 161. Wie hier Ulmer, ZIP 2012, 1265, 1270; Schwab, notar 2014, 223, 245; Pentz in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 871, 889; zur AG Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 105. Vgl. BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318, 326 f. = GmbHR 2003, 1125 m. Anm. Peetz; BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 335 = GmbHR 1997, 405 m. Anm. Wilken; vgl. auch BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1033 m. Anm. Bayer; Altmeppen, Rz. 66. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 166; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 211; wohl auch in diese Richtung Berkefeld, GmbHR 2018, 337, 341, wonach es darauf ankommen soll, dass der in Anspruch genommene Gesellschafter zugestimmt hat. Vgl. dazu BGH v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, GmbHR 2004, 1151 m. Anm. Bergmann sowie Bayer, LMK 2004, 209.

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§ 3 Rz. 200 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages allerdings konsequent638, freilich nur, sofern die Zustimmung ausbleibt639 (gänzlich ablehnend aber bei 13. Aufl., § 11 Rz. 99). bb) Beweislast 201 Das Unterlassen einer (ordnungsgemäßen) Offenlegung wirkt sich auf die Beweislastver-

teilung aus: In diesem Fall müssen die Gesellschafter (und nicht die Gesellschaft bzw. der Insolvenzverwalter, falls über deren Vermögen das Insolvenzverfahren eröffnet worden sein sollte) darlegen und ggf. beweisen, dass in jenem Zeitpunkt, zu dem die wirtschaftliche Neugründung erstmals nach außen in Erscheinung getreten ist und damit hätte offengelegt werden müssen, das Stammkapital vollständig gedeckt war640. Diese Beweislastumkehr (die insoweit dem Gedanken des § 19 Abs. 4 Satz 5 entspricht) rechtfertigt sich über den Gedanken der ausgebliebenen registergerichtlichen Präventivkontrolle (zu dieser bei Rz. 197); die Gesellschaft bleibt insoweit allein noch hinsichtlich des Tatbestandes der wirtschaftlichen Neugründung beweispflichtig641. 202 Die Anreize, die mit der Absage an die (dogmatisch indes stimmig begründbare) potentielle

Endloshaftung verbunden sind, werden in der Literatur von gewichtigen Stimmen kritisiert642. So könnten wenig pflichtbewusste Gesellschafter geneigt sein, von der Offenlegung der erfolgten wirtschaftlichen Neugründung bei vorhandener Unterbilanz abzusehen, um darauf zu spekulieren, dass die Verletzung der Offenlegungs- und Versicherungsfrist durch Dritte unentdeckt bleibt; einpreisen müssten sie insoweit in ihr Handlungskalkül alleinig eine Unterbilanzhaftung zum Zeitpunkt der erstmals nach außen gedrungenen (Wieder-) Aufnahme der wirtschaftlichen Tätigkeit, sollte die wirtschaftliche Neugründung innerhalb laufender Verjährungsfrist (zu diesen bei Rz. 204) überhaupt aufgedeckt werden643. Ob die Umkehrung der Darlegungs- und Beweislast hinreicht, um das geschilderte Vorgehen effektiv zu unterbinden, wird zuweilen bezweifelt644. Immerhin ist jedoch in Rechnung zu stellen – was seitens der kritischen Stimmen nicht mit der nötigen Schärfe geschieht –, dass diese Beweislastverteilung im Fall mangelnder Beweisbarkeit der Unterbilanzhöhe zum damaligen Stichtag zu einer Unterbilanzhaftung auf den Zeitpunkt der Anspruchsgeltendmachung durch die Gesellschaft bzw. deren Insolvenzverwalter und damit in diesem Fall im prakti-

638 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1033 m. Anm. Bayer; Hüffer, NZG 2011, 1257, 1260; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 87; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19, 101; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 11 Rz. 46; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 110; a.A. Herresthal, ZIP 2012, 197, 203 f.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 226. 639 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1033. 640 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341, 350 ff. = GmbHR 2012, 630; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317, 319 Rz. 19; Altmeppen, Rz. 70; für die AG BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341, 350 ff. = GmbHR 2012, 630 Rz. 42 mit Hinweis auf Altmeppen, DB 2003, 2050, 2052; Wicke, NZG 2005, 409, 411 f.; Hermanns, ZNotP 2010, 242, 244 f.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857, 862 f.; Wahl/Schult, NZG 2010, 611, 613; Peetz, GmbHR 2011, 178, 184; Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197, 203; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 110; s. auch Habersack, AG 2010, 845, 850. 641 Bittner, BB 2012, 1756, 1760; Heckschen/Kreußlein, Kap. 3, Rz. 270. 642 Dezidiert ablehnend daher Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 91 sowie Bayer in FS Goette 2011, S. 15, 22; gegen eine Absage an die Endloshaftung auch bereits ausführlich Hüffer, NJW 2011, 1772, 1773; Krolop, ZIP 2011, 305, 306; Lieder, DStR 2012, 137, 138; Bachmann, NZG 2012, 579, 580 f. 643 Sie stünden mithin nicht anders da als bei rechtmäßigem Verhalten; vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 91; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 124. 644 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 91; vgl. dazu auch, mit Unterschieden in der Bewertung, Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197, 203; Winnen, RNotZ 2013, 389, 407 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 162.

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Inhalt des Gesellschaftsvertrages | Rz. 204 § 3

schen Ergebnis zu einer potentiellen Endloshaftung führt645. Ein weiterer Anreiz zur Offenlegung wird den Gesellschaftern schließlich gesetzt, sofern bei unterlassener ordnungsgemäßer Offenlegung eine „faktische Registersperre“ befürwortet wird (darüber bei Rz. 198). cc) Nachholung der Offenlegungs- und Versicherungserklärung Eine höchstrichterlich ungeklärte Folgefrage der Absage an eine potentielle Endloshaftung 203 liegt darin, ob die Beweislastumkehr infolge unterlassener Offenlegungs- und Versicherungserklärung durch Nachholung derselben vermieden werden kann, sodass die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Unterbilanzhaftungsanspruchs im Grundsatz wiederum die Gesellschaft als Gläubigerin bzw., im Insolvenzfall, den Insolvenzverwalter träfe646. Weitgehend geklärt ist jedenfalls in der Literatur insoweit die zu verneinende Vorfrage, ob eine nachgewiesene Stammkapitaldeckung im verspäteten Offenlegungszeitpunkt die Beweislastumkehr beseitigen kann, setzte eine derartige Stichtagsverschiebung doch allzu große Anreize für eine Spekulation auf eine günstige Geschäftsentwicklung647. Fraglich bleibt indes, ob im Fall nachweisbarer Stammkapitaldeckung zum Zeitpunkt der nach außen getretenen (Wieder-) Aufnahme der Geschäftstätigkeit die Beweislastumkehr entfallen kann. Diese Frage könnte nur bejaht werden, falls die Stammkapitaldeckung registergerichtlich bezogen auf diesen vergangenen Stichtag substantiell geprüft würde; gerade bei zeitlich weit zurückliegendem Stichtag wird man hiervon wohl nicht ausgehen können. Vor diesem Hintergrund spricht mehr für die Annahme der Unmöglichkeit der Beseitigung der Beweislastumkehr648, zumal anderenfalls die ordnungsgemäße (und das heißt auch rechtzeitige) Offenlegung abermals in ihrer Bedeutung für das Haftungssystem reduziert würde. dd) Verjährung Für die Verjährung hatte der BGH649 in Bezug auf einen Altfall (der sich vor Statuierung der 204 Offenlegungspflicht ereignete) § 9 Abs. 2 entsprechend herangezogen und die Verjährungsfrist mit dem Beginn der neuen Geschäftstätigkeit beginnen lassen. In der Folge ergaben sich allerdings Unklarheiten, wie der Verjährungsbeginn im Lichte der seither statuierten Pflicht zur Offenlegung zu bestimmen sein sollte. Auf Grundlage der mittlerweile höchstrichterlich verworfenen Prämisse einer potentiellen Endloshaftung bei fehlender Offenlegung, hätte konsequenterweise auf den Zeitpunkt der nachgeholten Offenlegung abgestellt werden müssen. Denn dieser Zeitpunkt der Offenlegung wäre jenem der „Eintragung“, welchen § 9 Abs. 2 für entscheidend hält, bei diesem Konzept als Haftungszäsur einzig vergleichbar gewesen. Nunmehr, nach Ablehnung der Endloshaftung im Fall unterlassener Offenlegung (dazu Rz. 199), wird man für den Fristlauf, sofern es bei der grundsätzlichen Anknüpfung an § 9

645 In diesem Sinne Vedder, MittBayNot 2012, 491; Altmeppen, Rz. 70; vgl. auch Wolfer/Tröger, GWE 2012, 215, 217, wonach die Inanspruchnahme der Gesellschafter im Lichte der Beweislastverteilung unschwer gelinge; ebenso Gottschalk, DStR 2012, 1458, 1461. 646 Erleichterungen insbesondere für den Insolvenzverwalter werden aber über eine im Einzelfall den Gesellschafter treffenden sekundären Darlegungslast erzielt; dazu BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341, 357 = GmbHR 2012, 630 m. Anm. Giedinghagen/Rulf, sowie Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 215. 647 Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197, 202; Kuszlik, GmbHR 2012, 882, 888; Pentz in FS HoffmannBecking, 2013, S. 871, 882 f.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 164; Koch, 16. Aufl. 2022, § 23 AktG Rz. 27. 648 Kuszlik, GmbHR 2012, 882, 888; Horn, DB 2012, 1255, 1258; Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197, 201; so wohl auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 164; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 215; a.A. Koch, 16. Aufl. 2022, § 23 AktG Rz. 27; Pentz in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 23 AktG Rz. 113. 649 BGH 26.11.2007 – II ZA 14/06, GmbHR 2008, 208.

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§ 3 Rz. 204 | Inhalt des Gesellschaftsvertrages Abs. 2 verbleiben soll, auf den Zeitpunkt der erstmaligen nach außen getretenen Wiederaufnahme der Geschäftstätigkeit abzustellen haben, alternativ auf die ordnungsgemäße Offenlegung, je nachdem, welches Ereignis früher eintritt und damit zur Haftungszäsur führt650. Vergleicht man richtigerweise die stammkapitalbezogene Wiederauffüllungspflicht hingegen mit jener Zuzahlungspflicht im Fall vor Gründungsanmeldung eingetretener Verluste, erscheint eine entsprechende Anwendung der (ebenfalls) zehnjährigen Verjährungsfrist des § 19 Abs. 6651 plausibler. Damit kommt es auf den Fälligkeitszeitpunkt652 der Pflicht zur Leistung von Fehlbeträgen an653, der sich hinsichtlich Mindest- und Resteinlagen zum Zwecke der Wiederauffüllung des Stammkapitals unterscheiden kann; hinsichtlich jenes zur Wertdeckung der Mindesteinlagen erforderlichen Zuzahlungsanspruchs wird demzufolge auf den Beschluss zur Aktivierung der Vorratsgesellschaft abzustellen sein. ee) Haftung von Geschäftsanteilserwerbern 205 Die Unterbilanzhaftung richtet sich auch (d.h. in Gesamtschuldnerschaft mit dem Veräuße-

rer) gegen Geschäftsanteilserwerber654, unabhängig davon, ob diese vom haftungsbegründenden Tatbestand oder auch nur der vorangegangenen wirtschaftlichen Neugründung Kenntnis hatten, und damit ungeachtet dessen, ob gegen sie persönlich ein Vorwurf der Umgehung der Gründungsvorschriften erhoben werden kann655. Diese gesamtschuldnerische Haftung findet ihre Grundlage in einem weit verstandenen § 16 Abs. 2, der sich zwar nur – insoweit im Wortlaut enger als der auf „rückständige Leistungen“ abstellende § 16 Abs. 3 a.F. – auf „rückständige Einlageverpflichtungen“ bezieht, damit aber nicht vom früheren Verständnis abweichen will (darüber bei 13. Aufl., § 16 Rz. 52). Selbst bei wortlautgetreuer, enger Anwendung des § 16 Abs. 2 sollte die modifizierte Unterbilanzhaftung hierunter fallen, was sich aus ihrem einlageähnlichen Charakter ergibt, und allemal dann konsequent erscheint, wenn mit dem bei Rz. 200 Gesagten für die Haftungsbegründung die Zustimmung der Gesellschafter für entbehrlich erklärt ist. Dem Geschäftsanteilserwerber bleibt nur, sich mittels Freistellungsvereinbarungen im Geschäftsanteilskaufvertrag schuldrechtlich gegenüber dem Veräußerer gegen eine Inanspruchnahme abzusichern656.

650 In diesem Sinne etwa Altmeppen, Rz. 72; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 18; vgl. zur Verjährungsproblematik auch OLG Köln v. 20.12.2007 – 18 U 172/06, ZIP 2008, 973, 974 f.; OLG Schleswig v. 7.9.2006 – 5 U 25/06, ZIP 2007, 279, 281. 651 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 167; dies ebenfalls erwägend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 94. 652 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 19 Rz. 16; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 19 Rz. 86. 653 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 167. Die Frage aufwerfend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 94. 654 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341, 354 ff. = GmbHR 2012, 630; BGH v. 10.12.2013 – II ZR 53/12, GmbHR 2014, 317, 318; Hermanns, ZNotP 2010, 242, 245; Winnen, RNotZ 2013, 389, 410; Kuszlik, GmbHR 2012, 882, 887; Altmeppen, Rz. 71; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 165; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 90; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13, 13b, 13c; Wicke, Rz. 12. Gegen die entsprechende Anwendung des § 16 Abs. 2 aber Wahl/Schult, NZG 2010, 611, 612; Krolop, ZIP 2011, 305, 312; Gottschalk, DStR 2012, 1458, 1461; Vedder in Grigoleit, 2. Aufl. 2020, Vor § 23 AktG Rz. 17: kein von der Mitgliedschaft abgekoppelter Sekundäranspruch. 655 Auf diese Kriterien abstellend indes Wahl/Schult, NZG 2010, 611, 612; ähnlich auch Krolop, ZIP 2011, 305, 311. 656 Winnen, RNotZ 2013, 389, 410; vgl. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 220.

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§4 Firma (13. Auflage 2022) Die Firma der Gesellschaft muss, auch wenn sie nach § 22 des Handelsgesetzbuchs oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften fortgeführt wird, die Bezeichnung „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung enthalten. Verfolgt die Gesellschaft ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke nach den §§ 51 bis 68 der Abgabenordnung, kann die Abkürzung „gGmbH“ lauten. Text i.d.F. des Handelsrechtsreformgesetzes vom 22.6.1998 (BGBl. I 1998, 1474, 1479). Satz 2 angef. durch Ehrenamtsstärkungsgesetz vom 21.3.2013 (BGBl. I 2013, 556, 559). § 18 HGB (1) Die Firma muss zur Kennzeichnung des Kaufmanns geeignet sein und Unterscheidungskraft besitzen. (2) Die Firma darf keine Angaben enthalten, die geeignet sind, über geschäftliche Verhältnisse, die für die angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind, irrezuführen. Im Verfahren vor dem Registergericht wird die Eignung zur Irreführung nur berücksichtigt, wenn sie ersichtlich ist. Text i.d.F. des Handelsrechtsreformgesetzes vom 22.6.1998 (BGBl. I 1998, 1474, 1475). I. 1. 2. 3. 4.

Grundlagen Begriff und Bedeutung der Firma . . . . Norminhalt, Normentwicklung . . . . . . Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Formelles und materielles Firmenrecht; Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsformzusatz (alleiniger Regelungsgehalt des § 4) . . . . . . . . . . . . 1. Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsformzusatz: „GmbH“ (§ 4 Satz 1) a) Gesellschaftszusatz . . . . . . . . . . . . . . . b) Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Fremdsprachliche Bezeichnungen . . . d) Stellung des Rechtsformzusatzes . . . . e) Abwandlungsverbot . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsformzusatz: „gGmbH“ (§ 4 Satz 2) a) Zulässigkeit, fehlende Notwendigkeit des Hinweises auf die Gemeinnützigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Überprüfung der Gemeinnützigkeit im Registerverfahren; Täuschungseignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) „gUG (haftungsbeschränkt)“ . . . . . . . 4. Rechtsscheinhaftung bei Fortlassung des Rechtsformzusatzes . . . . . . . . . . . . . a) Ausgangspunkt aa) Unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Firmenführungspflicht . . . . . . . . . . . .

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b) Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolge aa) Auftreten ohne GmbH-Zusatz . . . . . bb) Auftreten ohne erforderliche weitere Zusätze („i.G.“, „i.L.“) . . . . . . . . . . . . cc) Auftreten einer UG (haftungsbeschränkt) unter dem falschen Rechtsformzusatz der GmbH . . . . . . c) Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . 5. Sachlicher Anwendungsbereich; besondere Zusätze zum Rechtsformzusatz (modifizierte Rechtsformzusätze) a) Vor-GmbH (§ 4 i.V.m. § 19 Abs. 2 HGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Aufgelöste GmbH (§ 4 i.V.m. § 68 Abs. 2; Liquidation, Nachtragsliquidation, Insolvenz) . . . . . . . . . . . . c) Zweigniederlassung (§ 4 i.V.m. § 13 Abs. 2 HGB) . . . . . . . . . . . . . . . . d) Abgeleitete Firma (§ 4 Satz 1) . . . . . . e) UG (haftungsbeschränkt) (§ 5a Abs. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. International-privatrechtlicher Anwendungsbereich; inländische Zweigniederlassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bildung des Firmenkerns nebst freiwilliger Zusätze (§§ 18 ff. HGB) 1. Freie Firmenbildung und ihre Schranken a) Übersicht über die Anforderungen an die Firmenbildung . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutungsverlust der Firmentypen

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§ 4 Rz. 1 | Firma

2. 3.

IV. 1. 2. 3.

c) Spezialgesetzliche Schranken der freien Firmenbildung; Bezeichnungsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Firmeneinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Firmenbildung a) Kennzeichnungs- und Unterscheidungskraft (§ 18 Abs. 1 HGB) . . . . . . b) Einzelne Problemfelder aa) Kennzeichnungseignung (1) Buchstaben, Buchstabenkombinationen . . . . . . . . . . . . (2) Arabische Ziffern, Ziffernkombinationen . . . . . . . . . . . . (3) Bilder, Bildzeichen, Sonderzeichen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Phantasiebezeichnungen; fremdsprachliche Bezeichnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterscheidungskraft (1) Namensbezeichnungen . . . . . (2) Sach- und Ortsbezeichnungen (3) Phantasiebezeichnungen . . . . Firmenwahrheit: Irreführungsverbot (§ 18 Abs. 2 HGB) Materielle Voraussetzungen (§ 18 Abs. 2 Satz 1 HGB) . . . . . . . . . . . . Verfahrensbezogene Einschränkungen (§ 18 Abs. 2 Satz 2 HGB) . . . . . . . . . . . . Einzel- und Problemfälle

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a) Irreführende Angaben über die Rechtsform aa) Endung auf „AG“, „OHG“ oder sonstigen Rechtsformzusatzabkürzungen; Kumulation von Rechtsformzusätzen . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 bb) Partnerzusatz . . . . . . . . . . . . . . . . 76 cc) „Stiftungs-GmbH“ . . . . . . . . . . . . 80 dd) Zusatz „genossenschaftlich“ . . . . 81 b) Irreführende Angaben über den Unternehmensgegenstand . . . . . . . . . 82 c) Irreführende Größenangaben . . . . . . 86 d) Irreführende geografische Zusätze . . 87 e) Irreführende Personenangaben aa) Personennamen . . . . . . . . . . . . . . 90 bb) Akademische Grade und Titel . . 92 cc) Personenanzahl . . . . . . . . . . . . . . . 94 V. Unterscheidbarkeit (§ 30 HGB) . . . . . . 95 VI. Änderung und Erlöschen der Firma 1. Änderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 2. Erlöschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 VII. Rechtsfolgen unzulässiger Firma 1. Befugnisse des Registerrichters . . . . . . 100 2. Fehlerarten und Fehlerfolgen a) Fehlen oder Nichtigkeit der Firma . . 102 b) Mängel der geänderten Firma . . . . . . 103 c) Nachträgliche Unzulässigkeit der Firma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

1 Allgemeines Schrifttum zum Firmenrecht (Auswahl): Ammon, Gesellschaftsrechtliche und sonstige Neuerungen im Handelsrechtsreformgesetz, DStR 1998, 1474; Th. Beyerlein, Die Firma, WRP 2005, 582; Bokelmann, Die Neuregelungen im Firmenrecht nach dem RegE des Handelsrechtsreformgesetzes, GmbHR 1998, 57; Bokelmann, Das Recht der Firmen und Geschäftsbezeichnungen, 5. Aufl. 2000; L. Bülow/P. Baronikians, Marken- und firmenrechtliche Beratung bei der Unternehmensgründung, MittBayNot 2002, 137; Clausnitzer, Das Firmenrecht in der Rechtsprechung (2000 bis 2009), DNotZ 2010, 345; Heckschen, Firmenbildung und Firmenverwertung – aktuelle Tendenzen, NotBZ 2006, 346; Heidinger, Der Name des Nichtgesellschafters in der Personenfirma, DB 2005, 815; P. Jung, Firmen von Personenhandelsgesellschaften, ZIP 1998, 677; Kanzleiter, Zur Unterscheidungskraft und Kennzeichnungskraft einer Firma bei der Verwendung von Ortszusätzen bei Gattungsbezeichnungen, DNotZ 2008, 393; Kessen, Die Firma als selbständiges Rechtssubjekt, 2011; Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, Das Firmenrecht in der IHK-Praxis – Klassische Probleme bei der Suche nach dem Unternehmensnamen, DNotZ 2015, 740; St. Kögel, Neues Firmenrecht und alte Zöpfe: Auswirkungen der HGB-Reform, BB 1998, 1645; St. Kögel, Sind geographische Zusätze im Firmennamen entwertet?, GmbHR 2002, 642; St. Kögel, Zulässigkeit von Fremdnamen und unrichtigen Personenzusätzen in der Firma der GmbH, GmbHR 2011, 16; Kuhn, Zulässigkeit und Folgen der Verwendung von Drittnamen in der Personenfirma, 2015; Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011; Lutter/Welp, Das neue Firmenrecht der Kapitalgesellschaften, ZIP 1999, 1073; D. Möller, Neues Kaufmanns- und Firmenrecht, 1998; D. Möller, Das neue Firmenrecht in der Rechtsprechung, DNotZ 2000, 830; P.-H. Müther, Überlegungen zum neuen Firmenbildungsrecht bei der GmbH, GmbHR 1998, 1058; W.-H. Roth in Die Reform des Handelsstandes und der Personengesellschaften, 1999, S. 31; W.-H. Roth, Zum Firmenrecht der juristischen Personen im Sinne des § 33 HGB, in FS Lutter, 2000, S. 651; Schaefer, Handelsrechtsreformgesetz, 1999; Karsten Schmidt, Das Handelsrechtsreformgesetz, NJW 1998, 2161; Schulenburg, Die Abkürzung im Firmenrecht der Kapitalgesellschaften, NZG 2000, 1156; Chr. Schulte/R. Warnke, Das neue Firmenrecht der GmbH im Handelsregisterverfahren, GmbHR 2002, 626; Wachter, Änderungen im Firmenrecht der GmbH, GmbHR 2013, R 145; Wessel/Zwernemann/Kögel, Die Firmengründung, 7. Aufl. 2001, Rz. 100, 403 ff. (S. 93, 312 ff.).

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Firma | Rz. 3 § 4

I. Grundlagen 1. Begriff und Bedeutung der Firma Die Firma ist der Name der Gesellschaft, unter dem diese als Rechtsträgerin des Unter- 2 nehmens im Rechtsverkehr allein auftreten kann (vgl. § 4, § 13 Abs. 3 GmbHG i.V.m. den § 6 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 HGB). Sie ist sowohl vom Unternehmen als auch vom Unternehmensträger scharf zu unterscheiden; den Rechtsträger bezeichnet die Firma lediglich namentlich, dieser wiederum darf allein unter diesem Namen Unternehmen betreiben. Einen anderen Namen als ihre Firma hat die Gesellschaft nicht, weshalb der Doppelbegriff Firma und Name – anders als beim Einzelkaufmann – nicht infrage kommt1. Die Firma hat, ebenso wie der bürgerliche Name bei natürlichen Personen, die Aufgabe, die Gesellschaft im Rechtsverkehr zu individualisieren und dadurch von anderen zu unterscheiden2. Diese zentrale Funktion der Firma und die daraus resultierenden Anforderungen an die Firmenbildung werden von § 18 Abs. 1 HGB besonders herausgehoben, galten aber seit jeher, zumal sie sich im Wesentlichen bereits „sachlogisch“ aus der Identität von Firma und Name bei der Gesellschaft erschließen lassen. Überdies dient die Firma vermittels des stets notwendigen Rechtsformzusatzes der Offenlegung der Haftungsverhältnisse; § 4 ist insoweit ein Spezialfall dieses in § 19 HGB verallgemeinernd statuierten Grundsatzes. Da damit die GmbH einen auf sie hinweisenden, den Anforderungen des § 4 genügenden Rechtsformzusatz zu führen hat, setzt sich jede zulässige Firma insoweit aus Firmenkern und (zwingendem) Firmenzusatz (im Sinne des Rechtsformzusatzes) zusammen, wobei Firmenkern und -zusatz eine rechtliche Einheit bilden3. Hinzutreten können (nur begrenzt durch das allgemeine Irreführungsverbot des § 18 Abs. 2 HGB) freiwillige, etwa auf die geografische Lage der Gesellschaft hindeutende, Firmenzusätze. Über die Platzierung des Rechtsformzusatzes (bei im Übrigen freigestellter Anordnung zwischen Firmenkern und freiwilligen Firmenzusätzen) bei Rz. 14. Jenseits der unmittelbar aus § 4 zu gewinnenden Aussage, dass der Rechtsformzusatz zwingend, aber (selbstverständlich) für sich genommen als Firma unzureichend ist, hat die Differenzierung zwischen Firmenkern und Firmenzusatz heute (seit dem HRefG4) keine rechtliche Bedeutung (mehr)5.

2. Norminhalt, Normentwicklung § 4 konkretisiert den § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1, der die Firma der GmbH zum notwendigen 3 Bestandteil des Gesellschaftsvertrages erklärt. Ohne eine wirksame Firmenfestsetzung, d.h. bei ihrem Fehlen oder ihrer Nichtigkeit, kann die Gesellschaft nicht in das Handelsregister 1 Vgl. bereits BGH v. 21.9.1976 – II ZB 4/74, BGHZ 67, 166, 168 = WM 1976, 1052 (zur KG); zu diesen Zusammenhängen auch Kessen, Die Firma als selbständiges Verkehrsobjekt, 2011, S. 52 ff. 2 BGH v. 21.9.1976 – II ZB 4/74, BGHZ 67, 166, 168 = WM 1976, 1052 (zur KG); RG v. 30.10.1914 – II B 4/14 und 5/14, RGZ 85, 397, 399; BayObLG v. 4.4.2001 – 3Z BR 84/01, BayObLGZ 2001, 83, 84 = GmbHR 2001, 476 m. Anm. Wachter = NotBZ 2001, 227; zutreffend von einer „Personifikationsfunktion“ spricht Klippel, JZ 1988, 625, 630; diese Terminologie aufgreifend auch Kessen, Die Firma als selbständiges Verkehrsobjekt, 2011, S. 54. 3 RG v. 24.6.1919 – II B 1/19, RGZ 96, 195, 197; RG v. 10.1.1930 – II B 16/29, RGZ, 127, 77, 81; BGH v. 25.9.1959 – I ZR 41/59, NJW 1959, 2209, 2210; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 17 HGB Rz. 16; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 7; aus dieser rechtlichen Einheit folgt, dass die Bestandteile gemeinsam (d.h. vollständig) zu führen sind, vgl. BayObLG v. 6.2.1992 – BReg. 3 Z 201/91, BB 1992, 943. 4 Gesetz zur Neuregelung des Kaufmanns- und Firmenrechts und zur Änderung anderer handelsund gesellschaftsrechtlicher Vorschriften vom 22.6.1998, BGBl. I 1998, 1474. 5 Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 7; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, Vor § 17 HGB Rz. 22.

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§ 4 Rz. 3 | Firma eingetragen werden und damit zur Entstehung gelangen (vgl. 13. Aufl., § 3 Rz. 11); wurde sie dennoch (zu Unrecht) eingetragen, liegt in diesem Satzungsmangel ein Amtsauflösungsgrund, sofern er nicht zuvor im Verbesserungsverfahren des § 399 FamFG behoben wurde (§ 60 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. § 399 Abs. 2 FamFG; vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 41). Über die Rechtsfolgen unzulässiger bzw. fehlender Firmenbildung ausführlich bei Rz. 102 ff. Der Gesellschaftsvertrag muss bei Vermeidung dieser Rechtsfolgen die Firma so enthalten, wie es § 4 zwingend vorschreibt. Seit dem HRefG und der damit verbundenen Reduktion des materiellen Aussagegehalts des § 4 statuiert diese Bestimmung freilich nur noch Vorgaben hinsichtlich des Firmenzusatzes in Form des zwingenden Rechtsformzusatzes; keine Aussage beinhaltet sie indessen mehr über den Firmenkern oder sonstige (freiwillige) Firmenzusätze6. Ergänzend zu § 4 gelten über § 13 Abs. 3 GmbHG i.V.m. § 6 Abs. 1 HGB daher die firmenrechtlichen Vorschriften des HGB (§§ 17–37a), welche durch das HRefG demnach noch an Bedeutung für die GmbH gewonnen haben, da sich seither auch bei dieser die Firmenbildung grundsätzlich nach § 18 HGB richtet. Aus § 4 ergibt sich lediglich die zusätzliche Verpflichtung der Gesellschafter, in jedem Fall in die Firma einen Rechtsformzusatz aufzunehmen. 4 § 4 Satz 17 bestimmt im Einzelnen, dass die Firma der Gesellschaft einen GmbH-Rechts-

formzusatz enthalten muss, und zwar ausgeschrieben oder, einen diesbezüglichen überkommenen Meinungsstreit zu § 4 Abs. 2 aF damit beendend: als allgemein verständliche Abkürzung (ausführlich bei Rz. 11), und ordnet diesen Zwang zur Führung dieses Rechtsformzusatzes auch für zulässigerweise fortgeführte Firmen an (näher bei Rz. 38 ff.). Eine Sonderregelung für die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) findet sich in § 5a Abs. 1 (hierzu bei Rz. 41 und näher bei 13. Aufl., § 5a Rz. 14). Satz 2, der im Zuge des Ehrenamtsstärkungsgesetzes8 im Jahre 2013 eingeführt wurde, ergänzt, dass eine Gesellschaft, die steuerbegünstigte Zwecke i.S.d. §§ 51 ff. AO verfolgt, den abgekürzten Rechtsformzusatz „gGmbH“ führen darf9 (darüber bei Rz. 16); eine entsprechende Sonderregelung für die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) fehlt, ebenso ein gesetzgeberischer Verweis auf die sinngemäße Anwendbarkeit des § 4 Satz 2, die aber mittlerweile höchstrichterlich zutreffend im bejahenden Sinne geklärt ist (näher bei Rz. 19).

3. Normzweck 5 § 4 in seiner heutigen Gestalt ist Ausdruck der Liberalisierung des Firmenrechts durch das

HRefG. Nach der früheren Fassung des § 4 Abs. 1 aus dem Jahre1892 musste die Firma der Gesellschaft entweder von dem Gegenstand des Unternehmens entlehnt sein oder die Namen der Gesellschafter oder den Namen wenigstens eines derselben mit einem das Vorhandensein eines Gesellschaftsverhältnisses andeutenden Zusatz enthalten; die Namen anderer Personen als der Gesellschafter durften, vorbehaltlich des § 22 HGB, nicht in die Firma auf6 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 1; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 1: Vorschrift bemerkenswert knapp; vgl. auch OLG Rostock v. 17.11.2014 – 1 W 53/14, GmbHR 2015, 37, 38: „Die Firma des Beschwerdeführers enthält die Abkürzung ‚GmbH‘. Damit ist der Anforderung des § 4 GmbHG Genüge getan.“ Ein Verstoß gegen § 4 kann mithin allein bei einer mangelnden Beachtung der Anforderungen an den Rechtsformzusatz, nicht aber etwa bei einer Missachtung sonstiger Grundsätze der Firmenbildung gerügt werden. 7 § 4 (Satz 1) geht auf das Handelsrechtsreformgesetz von 1998 zurück, das am 1.7.1998 in Kraft getreten ist, BGBl. I 1998, 1474, 1479; Satz 2 wurde eingeführt durch das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes (Ehrenamtsstärkungsgesetz) vom 21.3.2013, BGBl. I 2013, 556, 559. 8 Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes (Ehrenamtsstärkungsgesetz) vom 21.3.2013, BGBl. I 2013, 556, 559. 9 Dagegen vor Einfügung des § 4 Satz 2 etwa OLG München v. 13.12.2006 – 31 Wx 84/06, GmbHR 2007, 267, 268 m. Anm. Rohde.

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Firma | Rz. 6 § 4

genommen werden. Die Aufhebung dieser inhaltlichen Vorgaben (Sach- bzw. Personenfirma) hat für die GmbH vor allem zweierlei bewirkt: den Fortfall des früheren strengen Entlehnungsgebots bei der Wahl einer Sachfirma und, damit eng verbunden, die prinzipielle Zulassung von Phantasiefirmen in den allgemeinen Grenzen der §§ 17 ff. HGB und damit ohne Rücksicht darauf, ob das Phantasiewort (sollte es als Firmenkern verwandt werden) schon verkehrsüblich geworden ist bzw. ob der Unternehmensgegenstand nach den Umständen für die angesprochenen Verkehrskreise noch hinreichend erkennbar blieb. Der Normzweck des § 4 liegt heute vor diesem Hintergrund nur noch in der Konkretisierung der Anforderungen des allgemeinen Rechtsformzusatzgebots des § 19 HGB für die Zwecke der GmbH. Das Zusammenspiel aus § 3 Abs. 1 Nr. 1 Var. 1 mit § 4 bezweckt überdies jederzeitige Transparenz über die Haftungsstruktur der Gesellschaft vermittels Aufnahme der Firma in den Gesellschaftsvertrag (und ausdrücklicher Eintragung der Firma nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Satz 1): Die (jeweils aktuelle) Firma muss sich fortwährend aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, und zwar in allen Stadien der GmbH (insbesondere ist dieses Prinzip nicht bei eröffnetem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft suspendiert; darüber noch bei Rz. 98). Hinzu tritt (mit ähnlicher Zwecksetzung, nämlich, damit im rechtsgeschäftlichen Verkehr keine Zweifel über die Rechts- und Haftungsverhältnisse der Gesellschaft aufkommen können) § 35a Abs. 1 Satz 1, dem zufolge auf allen Geschäftsbriefen der Gesellschaft an einen bestimmten Empfänger neben dem Sitz der Gesellschaft auch die Rechtsform als GmbH angegeben werden muss; nach Sinn und Zweck ist dies im Verbund mit § 37a HGB als Pflicht zur Angabe der gesamten, als Einheit zu betrachtenden Firma zu verstehen.

4. Formelles und materielles Firmenrecht; Rechte Dritter § 4 sowie die §§ 18 ff. HGB gehören zum formellen Firmenrecht und bilden damit jene Be- 6 stimmungen, welche bei der Firmenbildung zum Tragen kommen (zu den Anforderungen im Einzelnen bei Rz. 44 ff.), soweit die gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit und damit insbesondere die Eintragungsfähigkeit der Firma in das Handelsregister infrage stehen. Den begrifflichen Gegensatz bildet das materielle Firmenrecht, das in erster Linie in den § 5 und § 15 MarkenG sowie ergänzend in § 12 BGB und § 5 UWG geregelt ist. Die Firma gehört danach zu den Unternehmenskennzeichen, die zusammen mit den Werktiteln die geschäftlichen Bezeichnungen bilden (§ 5 Abs. 2 Satz 1 MarkenG) und an denen dem Inhaber ein ausschließliches Recht zusteht. Der Schutz dieses ausschließlichen Rechts gegen Dritte richtet sich vorrangig nach der „Kollisionsrechtsbestimmung“ des § 15 MarkenG (kennzeichenrechtlicher Schutz) und nur ergänzend (bei seltenen Fällen von Beeinträchtigungen des Funktionsbereichs der Gesellschaft außerhalb des kennzeichnungsrechtlichen Schutzes)10 nach den § 12, § 823 Abs. 1, § 1004 BGB (namensrechtlicher Schutz) sowie § 3 UWG, wobei der Dritte freilich seinerseits ein besseres Recht zur Namensführung haben kann, wofür es grundsätzlich auf den zeitlichen Vorrang des Rechtserwerbs ankommt. Eine allgemeine Schranke für die Zulässigkeit von Firmen ergibt sich außerdem aus dem Irreführungsverbot des § 5 UWG, das sich nicht voll mit § 18 Abs. 2 HGB deckt, sondern in einzelnen Beziehungen darüber hinausgeht. Schon hieraus ergibt sich, dass die Frage nach der Zulässigkeit bzw. Rechtmäßigkeit einer bestimmten Firmenbildung gegenläufige Antworten erhalten kann, je nachdem, ob sie unter dem Blickwinkel des formellen oder materiellen Firmenrechts gestellt wird11.

10 BGH v. 6.11.2013 – I ZR 153/12, GRUR 2014, 506 Rz. 8; vgl. auch Säcker in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 12 BGB Rz. 198 ff. 11 Von einem nur „lockeren Zusammenhang“ zwischen formellem und materiellem Firmenrecht spricht Fezer, Markenrecht, 4. Aufl. 2009, § 15 MarkG Rz. 172, mit zutr. Hinweis auf den insoweit allgemein konsentierten Befund, dass eine Firma registerrechtlich zulässig, jedoch namensrechtlich, kennzeichenrechtlich oder wettbewerbsrechtlich unzulässig sein kann.

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§ 4 Rz. 7 | Firma 7 Bei einer Personenfirma ist die Beachtung des Namensrechts von erheblicher praktischer

Bedeutung (§ 12 BGB), das ebenfalls zum materiellen Firmenrecht gehört. Die Aufnahme des Namens eines Gesellschafters in die Firma der Gesellschaft bedarf dessen Zustimmung. Bei einem Gründungsgesellschafter wird diese in aller Regel bereits in seiner Mitwirkung bei dem Abschluss des Gesellschaftsvertrages liegen12. Anders dagegen, wenn der Name eines Gesellschafters erst nachträglich durch Satzungsänderung in die Firma aufgenommen wird: In diesem Fall ist seine gesonderte Zustimmung nach § 12 BGB erforderlich, falls er dem Änderungsbeschluss nicht zugestimmt hat. Keine Anwendung findet jedoch § 24 Abs. 2 HGB. Daher ist – vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen – bei einem späteren Ausscheiden des namensgebenden Gesellschafters dessen Einwilligung in die Fortführung der mit seinem Namen gebildeten Personenfirma grundsätzlich nicht mehr erforderlich13. Der Gesellschaft ist es außerdem im Zweifel gestattet, ihr Unternehmen mit der Personenfirma zu veräußern oder ihre Firma zur Bildung von Firmen für Zweigniederlassungen zu verwenden, selbst wenn der namensgebende Gesellschafter inzwischen ausgeschieden ist14. Eine weitergehende Vervielfältigung der Firma wird dagegen durch die Zustimmung des früheren Gesellschafters im Zweifel nicht mehr gedeckt, sodass es der Gesellschaft verwehrt ist, verschiedene Zweigniederlassungen mit der Firma selbstständig zu veräußern15.

II. Rechtsformzusatz (alleiniger Regelungsgehalt des § 4) 8 Schrifttum: F. Gerber/Bornholdt, Es ist Zeit für Abrüstung im Namensrecht des PartGG – Der Begriff

„Partners“ im Lichte der Verbotsvorschrift des § 11 I 1 PartGG, NZG 2019, 655; Gilbert, Die gemeinnützige GmbH in der notariellen Praxis, RNotZ 2020, 193; Haas, Die Vertreterhaftung bei Weglassen des Rechtsformzusatzes nach § 4 Abs. 2 GmbHG, NJW 1997, 2854; Haas, Gesellschaftsrecht: Geschäftsführerhaftung wegen Weglassens des Rechtsformzusatzes, DStR 2000, 84; Lieder/Becker, Das Sonderrecht der Rechtsformvarianten am Beispiel der UG, NZG 2021, 357; Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017; Pietzarka, Die Firma der gemeinnützigen Kapitalgesellschaft – zur Zulässigkeit der Bezeichnung „gUG (haftungsbeschränkt)“, NZG 2020, 774; J. Schmidt, 10 Jahre UG – ein Geburtstagsgruß, in FS Seibert, 2019, S. 747; Seibert, Ist es an der Zeit, den Rechtsformzusatz der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) abzukürzen (§ 5a Abs. 1 GmbHG)?, in FS Krieger, 2020, S. 911; Sternberg, Der Gesellschaftszusatz in der Handelsfirma, 1975; Wachter, Änderungen im Firmenrecht der GmbH, GmbHR 2013, R 145; Wagner, Die „Stiftungs-GmbH“ und § 18 Abs. 2 HGB, GmbHR 2016, 858; Winkler, Ist die Eintragung einer GmbH unter der abgekürzten Bezeichnung „GmbH“ in das Handelsregister zulässig?, GmbHR 1969, 77. Zur Literatur hinsichtlich der Rechtsscheinhaftung bei fortgelassenem Rechtsformzusatz bei Rz. 20.

12 S. nur Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25. 13 BGH v. 20.4.1972 – II ZR 17/70, BGHZ 58, 322, 324 = NJW 1972, 1419; BGH v. 27.9.1982 – II ZR 51/82, BGHZ 85, 221, 224 = GmbHR 1983, 195 = NJW 1983, 755; BayObLG v. 1.6.1984 – BReg. 3 Z 126/84, BayObLGZ 1984, 129, 132 = GmbHR 1985, 116; OLG Düsseldorf v. 20.7.1978 – 2 U 154/ 77, NJW 1980, 1284, 1285; OLG Rostock v. 20.3.1997 – 4 W 3/97, GmbHR 1997, 1064, 1065. 14 BGH v. 27.9.1982 – II ZR 51/82, BGHZ 85, 221, 224 = GmbHR 1983, 195 = NJW 1983, 755; BayObLG v. 26.11.1997 – 3Z BR 279/97, BayObLGZ 1997, 328, 332 ff. = NJW 1998, 1158, 1159 f. 15 BGH v. 27.9.1982 – II ZR 51/82, BGHZ 85, 221, 225 = GmbHR 1983, 195; BGH v. 13.10.1980 – II ZR 116/79, MDR 1981, 207: Auch wenn ein ausgeschiedener Gesellschafter der Namensfortführung zugestimmt hat, schließe dies im Zweifel nicht das Recht ein, die Firma zu vervielfältigen; vgl. auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25; a.A. Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62.

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Firma | Rz. 10 § 4

1. Bedeutung Nach § 4 Satz 1 muss die Firma der GmbH in allen Fällen die Bezeichnung „Gesellschaft mit 9 beschränkter Haftung“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung dieser Bezeichnung enthalten, also auch, wenn die Firma nach § 22 HGB oder nach anderen gesetzlichen Vorschriften fortgeführt wird (darüber bei Rz. 38 ff.), und zudem in jedem Stadium ihres Entstehens, Lebens und Vergehens, im ersten und letzten Fall unter entsprechender Kenntlichmachung des jeweiligen Stadiums (z.B.: „GmbH i.G.“ [§ 68 Abs. 2 entsprechend] bzw. „GmbH i.L.“ [§ 68 Abs. 2 in direkter Anwendung]; zu diesen Fragen bei Rz. 31 und Rz. 32). Das dient der Information und Warnung der Gläubiger sowie sonstiger Teilnehmer des Rechtsverkehrs, womit § 4 Verkehrsschutzfunktion zukommt16. In diesem Sinne hat der im Zeichen der Firmenwahrheit stehende Rechtsformzusatz des § 4 Satz 1, der im Zusammenhang mit dem ebenfalls durch das HRefG neu gefassten § 19 HGB gesehen werden muss, gleichsam als Gegengewicht zu der Liberalisierung des Firmenrechts im Übrigen, zentrale Bedeutung17. Nur mit seiner Hilfe wird das Gesellschaftsverhältnis ersichtlich gemacht und das Haftungsverhältnis offengelegt. Zutreffend wird daraus abgeleitet, dass § 4 Satz 1 streng auszulegen ist18. Der Rechtsformzusatz darf daher nur in der vom Gesetz erlaubten Weise verwandt werden, d.h. in der Form „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ oder in Gestalt einer „allgemein verständlichen Abkürzung“. Er ist nach dem insoweit keine Einschränkungen enthaltenen Wortlaut inklusive des Bestandteils „Gesellschaft“ auch bei der Einpersonengesellschaft (selbst im Fall der Personenfirma) zwingend beizufügen, zumal im Rechtssinne (abweichend vom überkommenen19 Sprachgebrauch) der Begriff der „Gesellschaft“ nicht auf Mehrpersonengebilde limitiert ist20. Zu den registerrechtlichen Folgen eines unzulässigen Rechtsformzusatzes bei Rz. 100 ff. Über die Rechtsscheinhaftung bei Auftreten ohne oder mit einem falschen Rechtsformzusatz bei Rz. 20 ff. Aus dem Zusammenhang der gesetzlichen Regelung folgt zugleich, dass allen anderen Gesellschaften die Führung von Rechtsformzusätzen, die mit denen einer GmbH i.S.d. § 4 verwechselt werden können, untersagt ist (§ 18 Abs. 2 Satz 1 HGB)21.

2. Rechtsformzusatz: „GmbH“ (§ 4 Satz 1) a) Gesellschaftszusatz Der Begriff der „Gesellschaft“ ist – anders als nach § 4 Abs. 2 a.F. – in ausgeschriebener 10 oder abgekürzter Form zwingender Bestandteil des Rechtsformzusatzes; unzulässig ist daher heute eine „mbH“ ohne vorangestelltes „G“ oder ohne eine Einbindung des Wortes „Gesellschaft“ in den Firmenkern. Das Gesellschaftsverhältnis muss ausdrücklich in einer dieser Formen verlautbart werden, eine bloße Andeutung genügt nicht. Unzureichend ist es glei16 S. etwa Mock in Michalski u.a., Rz. 1; Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 8 f. 17 Wohl zustimmend Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36 m. Fn. 176; vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13. 18 H.M.; vgl. OLG München v. 13.12.2006 – 31 Wx 84/06, GmbHR 2007, 267, 268; Kögel, BB 1997, 793, 796; Karsten Schmidt, NJW 1998, 2161, 2167 f.; a.A. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 19 Mit Recht weist Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14 auf einen wohl mittlerweile gewandelten Sprachgebrauch hin; anders aber noch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14: nach dem allgemeinen Sprachverständnis gerade keine Gesellschaft; ebenso Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 58. 20 S. nur Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Mock in Michalski u.a., Rz. 42; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58. 21 Vgl. etwa Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 48.

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§ 4 Rz. 10 | Firma chermaßen, sofern sich das Gesellschaftsverhältnis aus sonstigen Firmenbestandteilen, gleichviel, ob dem Firmenkern oder einem Firmenzusatz entnommen, ergibt22; keine zulässige Firmierung wären daher Gesellschaften, die ihr Gesellschaftsverhältnis allein über die Angabe mehrerer (auch sämtlicher) Gesellschafter in einer Personenfirma („Müller und Möller mbH“) oder über Begriffe wie „& Companie“ („Müller & Companie mbH“), „& Co“ („Müller & Co. mbH“) bzw. „und Partner“ („Müller und Partner mbH“) aufzuzeigen versuchten (dazu, dass der Zusatz „und Partner“ überdies irreführend wäre, bei Rz. 78 f.). Weil der Rechtsformzusatz in deutscher Sprache verfasst sein muss, genügt auch eine „Company“ diesen Anforderungen nicht („Müller Company mbH“), und zwar unabhängig davon, ob die Firma im Übrigen in englischer oder deutscher Sprache gehalten ist. Zur Einpersonengesellschaft, hinsichtlich derer keine Besonderheiten bestehen, bei Rz. 9. Angesichts des in jedem Fall zwingenden Gesellschaftszusatzes, der schon im Wortlaut des § 4 Satz 1 keine Ausnahme findet, ist es umgekehrt keine Irreführung i.S.d. § 18 Abs. 2 HGB, sofern er einer Personenfirma hinzugefügt wird, die sämtliche Gesellschafter nennt; dass hierdurch der Anschein erweckt würde, es seien noch weitere Gesellschafter als die in der Firma genannten vorhanden, kann heute (anders als zu § 4 Abs. 1 a.F.) im Lichte dessen nicht mehr behauptet werden. Zum Irreführungsverbot noch bei Rz. 69 ff. b) Abkürzungen 11 Das Gesetz verlangt entweder den ausgeschriebenen Zusatz „Gesellschaft mit beschränkter

Haftung“ oder eine allgemein verständliche Abkürzung, ohne diese jedoch enumerativ vorzugeben23. Als allgemein verständliche Abkürzung, die sich auf sämtliche Elemente des Rechtsformzusatzes oder in einer Mischform nur auf einzelne bei Ausschreibung des Restes beziehen kann24, kommt in erster Linie, im Einklang mit der heute ganz überwiegenden Praxis, das Akronym25 „GmbH“ in Betracht, gleichviel, ob mit („G.m.b.H.“) oder ohne Abkürzungspunktierung („GmbH“)26, unter Beachtung der geltenden Abkürzungs- sowie Großund Kleinschreibungsregeln („GmbH“), oder unter Außerachtlassung derselben, sofern entweder die Abkürzung entweder durchgängig in Großbuchstaben („GMBH“) oder gerade gegenteilig durchgängig in Kleinbuchstaben („gmbh“)27 gehalten wird, weil jeweils die Allgemeinverständlichkeit nicht entscheidend gemindert wird28. Werden die üblichen Abkür22 Vgl. Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; Mock in Michalski u.a., Rz. 41; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14. 23 Anders noch der Referentenentwurf zu § 4 (abgedruckt bei ZIP 1996, 1445, 1451), der entweder „Gesellschaft m.b.H.“ oder „GmbH“ zulassen wollte; vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24. 24 Wie etwa in „Gesellschaft m.b.H.“; insoweit dürfte dies allg. Ansicht entsprechen, vgl. etwa Bokelmann, GmbHR 1998, 57, 59; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 17. 25 Unter einem Akronym ist eine „sprechende Abkürzung“, also ein aus den Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildetes Kurzwort zu verstehen. 26 Altmeppen, Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24; Mock in Michalski u.a., Rz. 40; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 55; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 17; Wicke, Rz. 11; die Abkürzung ohne Punktierung entspricht freilich den Usancen und der generellen Regelung, dass Abkürzungen, welche nicht abgekürzt ausgesprochen werden, in der Regel ohne Punktierung gefasst werden. 27 Insoweit wird auch zu berücksichtigen sein, dass im geschäftlichen Verkehr vor allem im Fall der Verwendung elektronischer Kommunikationsmittel die (durchgängige) Kleinschreibung zunimmt. 28 Bei alledem ist freilich zu berücksichtigen, dass es keinen Anspruch auf Eintragung einer Firma im Handelsregister mittels besonderer Schreibweise bzw. grafischer Gestaltung des Schriftbildes gibt, sodass eine „kreative“ Firmenschreibweise in eine konventionelle registergerichtlich „transferiert“ werden kann; das gilt allemal, sofern die „kreative“ Groß- und Kleinschreibung von den anerkannten Abkürzungs- bzw. Regeln der Groß- und Kleinschreibung abweicht.

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Firma | Rz. 13 § 4

zungsregeln nicht beachtet, darf das Resultat mithin nicht unverständlich wirken, was anders als in den beiden letztgenannten Fällen bei einer daher unzulässigen Umkehrung der geltenden Abkürzungsregeln („gMBh“)29 oder einer für Dritte nicht erkennbaren Abkürzungslogik („Gmbh“)30 der Fall wäre, zumal im letztgenannten Beispiel das kleingeschriebene „h“ den Bezug zum Substantiv „Haftung“ nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt31. Das Gesetz schließt andere Abkürzungen nicht aus, verlangt aber, dass die gewählte Abkür- 12 zung „allgemein verständlich“ ist, d.h. für jedermann ohne Weiteres auf das Vorliegen einer GmbH hinweist. Diese Allgemeinverständlichkeit ist im Lichte der Bedeutung des Rechtsformzusatzes (s. Rz. 9) nur zurückhaltend anzunehmen32. Im Regelfall wird sie nur bei den auch tatsächlich heute gebräuchlichen Abkürzungen „GmbH“ bzw. „Gesellschaft mbH“ (mit oder ohne Abkürzungspunkte) vorliegen; schon die weniger gebräuchlichen Mischformen aus Abkürzung und Akronym „Ges. mbH“ bzw. „Ges.m.b.H“ sind nicht mehr jeden Zweifels hinsichtlich der Allgemeinverständlichkeit enthoben, aber mit der überwiegenden Meinung noch als zulässig zu betrachten33, ebenso wie die gegenwärtig eher unübliche Abkürzung „G. m. beschr. Haftung“34. Auch wenn es auf Allgemeinverständlichkeit und nicht auf Üblichkeit der Abkürzung ankommt, wird Erstere doch durch Letztere befördert und umgekehrt35. Es steht daher nicht zu erwarten, dass sich künftig außerhalb der aufgezeigten Abkürzungsweisen neuartige zulässige herausbilden können36; ein Bedürfnis hierfür ist nicht ersichtlich und es wäre auch nicht anerkennungswürdig – der Rechtsformzusatz ist kein taugliches Instrument für kreative Firmenbildungen. Über Wortverbindungen bei Rz. 14. Keine Bedenken ruft es hervor, wenn (auf heute ungewöhnliche Weise) der Firmenkern vom Rechtsformzusatz mittels Komma abgetrennt ist; unter dem Blickwinkel der Allgemeinverständlichkeit des Rechtsformzusatzes begründet es keinen Unterschied, ob eine Gesellschaft z.B. als „Heinrich Bauunternehmung Hamburg GmbH“ oder „Heinrich Bauunternehmung Hamburg, GmbH“ firmiert. – Wurde der Rechtsformzusatz in zulässig abgekürzter Weise als Firmenbestandteil statutarisch festgesetzt und entsprechend im Handelsregister eingetragen, begründet es keine Verletzung der Firmenführungspflicht, sofern in Abweichung hierzu im Rechtsverkehr der ausgeschriebene Rechtsformzusatz verwendet wird; selbiges gilt für den umgekehrten Fall37. c) Fremdsprachliche Bezeichnungen Der Rechtsformzusatz muss ausnahmslos in deutscher Sprache gefasst sein38. Das gilt 13 auch, sofern sich der Firmenkern ganz oder teilweise fremdsprachlicher Bezeichnungen be-

29 Zutreffend Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37. 30 Ebenfalls für diese strenge Sichtweise Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 33; dagegen aber Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17, der dies für „überspitzt“ hält. 31 Überzeugend in diesem Sinne bereits Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 40, der mit Recht, wie im Text, darauf hinweist, dass anderes gilt, sofern die gesamte Abkürzung in Kleinschreibung gehalten ist. 32 So zu Recht auch Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 46; weitgehender allerdings Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 33 Vgl. etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 17; tendenziell strenger wohl Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 36. 34 Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 33, insoweit aber überschießend (weil dieses Beispiel nicht anführend) auf Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23 verweisend. 35 Insoweit ist die Aussage bei Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24 zu relativieren, wonach es nicht darauf ankommen solle, was bisher „üblich“ gewesen sei. 36 Richtige Einschätzung bei Altmeppen, Rz. 19: wegen Formstrenge des Rechtsformzusatzes stehe nicht zu erwarten, dass sich noch neue allgemein verständliche Abkürzungen herausbilden werden. 37 Zutreffend Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58. 38 Bokelmann, Das Recht der Firmen und Geschäftsbezeichnungen, 5. Aufl. 2000, Rz. 538; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37 m. Fn. 177; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Mock in Michals-

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§ 4 Rz. 13 | Firma dient. Die Verwendung des dem angloamerikanischen Sprachkreis entstammenden Wortes „Company“39 ist daher unzulässig, sofern hiermit der Gesellschaftszusatz ersetzt werden soll („Company mbH“). Gegen eine kumulative Verwendung (als weiteren Zusatz) sind keine prinzipiellen Einwände zu erheben („S. Company Bauwaren GmbH“), sofern das Täuschungsverbot (§ 18 Abs. 2 HGB) nicht entgegensteht, auch wenn bei allein in deutscher Sprache gehaltener Firma eine Dopplung von einzelnen Elementen der Rechtsformbezeichnung unzulässig ist40. d) Stellung des Rechtsformzusatzes 14 Rechtlich unerheblich ist im Ausgangspunkt, an welcher Stelle der Rechtsformzusatz inmit-

ten der Firma platziert wird41. Insbesondere hat der Rechtsformzusatz nicht zwingend dem Firmenkern nachzufolgen42 und damit die Firma abzuschließen; das Erfordernis eines Rechtsform-„Zusatzes“ verlangt also keine räumliche Kennzeichnung des Beigebungscharakters durch seine Platzierung am Ende, wenngleich diese Stellung der überwiegenden Praxis entspricht. So kann der Rechtsformzusatz insbesondere zwischen einem individualisierenden Zusatz und einer Branchenbezeichnung eingefügt werden („Dialog GmbH EDV- und Textsysteme“43). Der Wahlfreiheit bei der Stellung des Rechtsformzusatzes wird freilich eine Grenze durch § 18 Abs. 2 HGB gesetzt; der Rechtsformzusatz darf daher nicht auf eine Weise in die Firma integriert werden, durch welche diese unklar würde oder täuschend wirkte (§ 18 Abs. 2 HGB) oder die Allgemeinverständlichkeit des Rechtsformzusatzes darunter litte44. Angesichts der herausgehobenen Bedeutung des Rechtsformzusatzes innerhalb eines weitestgehend liberalisierten Firmenrechts (darüber bei Rz. 5) ist insoweit ein strenger Maßstab anzulegen – stets muss bei der gewählten Stellung unschwer die Rechtsform erkennbar bleiben. Die Bestandteile „Gesellschaft“ und „mit beschränkter Haftung“ dürfen vor diesem Hintergrund nach richtiger, wenngleich der h.L. und gängiger Registerpraxis widersprechender Ansicht nicht getrennt werden45. Dieses Trennungsverbot, das sich unter § 4 a.F. noch nicht ergab, weil hier allein der Zusatz „mit beschränkter Haftung“ verlangt wurde, folgt letztlich

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ki u.a., Rz. 37; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14. Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 72; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37 m. Fn. 177; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 55. Zu dieser unzulässigen Dopplung zutreffend Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37, allerdings ohne Ausnahme für fremdsprachliche Zusätze. Vgl. nur Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 47: Platzierung freigestellt. Allg. Meinung; vgl. etwa Bokelmann, Das Recht der Firmen und Geschäftsbezeichnungen, 5. Aufl. 2000, Rz. 540; Altmeppen, Rz. 18; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; Mock in Michalski u.a., Rz. 27; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 55; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 17; aus der Rechtsprechung etwa LG Köln v. 25.8.1978 – 29 T 20/78, GmbHR 1978, 256, 257: „Dialog GmbH EDV- und Textsysteme“; OGH v. 20.1.2000 – 6 Ob 98/99a, NZG 2000, 593, 594 (für AG). LG Köln v. 25.8.1978 – 29 T 20/78, GmbHR 1978, 256 f.; ebenso Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 47; Wälzholz in GmbH-Handbuch, Stand: Jan. 2020, Rz. I 156. LG Köln v. 25.8.1978 – 29 T 20/78, GmbHR 1978, 256 f.; Altmeppen, Rz. 18; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; Mock in Michalski u.a., Rz. 82; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 47; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 72. Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Mock in Michalski u.a., Rz. 82; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 47; a.A. (h.L.) Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 38; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 55; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 17 (sofern „umfassende Verständlichkeit“ gewahrt bleibt); Wälzholz in GmbH-Handbuch, Stand: Jan. 2020, Rz. I 156.

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Firma | Rz. 15 § 4

bereits aus dem Wortlaut des Gesetzes, den aufzuweichen kein Anlass besteht. Eine Ausnahme vom Trennungsverbot ist angesichts anderenfalls hervorgerufener, der Rechtssicherheit allzu abträglicher Abgrenzungsschwierigkeiten auch dort nicht zu akzeptieren, wo es für den Rechtsverkehr im Einzelfall (unter welchen Kriterien?) erkennbar bliebe, dass trotz auseinandergerissener Wortstellung eine Zusammengehörigkeit besteht46. Unbestritten zulässig ist es dagegen, das Wort „Gesellschaft“ mit anderen Wörtern zusammenzufassen, solange nur auf das Wort „Gesellschaft“ der Zusatz „mbH“ folgt, weil für den Rechtsverkehr unter dieser Voraussetzung die Haftungsbeschränkung eindeutig erkennbar bleibt. Zulässig ist daher die Firma „A-Autohandelsgesellschaft mbH“, unzulässig dagegen „A-Gesellschaft für Autohandel mbH“47; wenn die h.L. demgegenüber mit Blick auf diese beiden Beispiele darauf verweist, dass der Rechtsverkehr zwischen diesen beiden Fassungen nicht unterscheide48, ist dies zunächst nur eine nicht weiter belegte empirische Behauptung. Im Zeichen der bei Rz. 9 geschilderten gesteigerten Bedeutung des Rechtsformzusatzes darf dieser auch nicht in Klammern gesetzt und damit in seiner Bedeutung relativiert bzw. gar infrage gestellt werden49. e) Abwandlungsverbot Jedwede Umformulierung des Rechtsformzusatzes, sofern sie nicht auf eine allgemein ver- 15 ständliche Abkürzung hinausläuft, ist unzulässig50. In diesem Sinne darf z.B. das Wort „Haftung“ nicht etwa in „Haftpflicht“51 abgewandelt werden52, ganz ungeachtet dessen, dass diese Abwandlung ohnehin den Sinn verstellte (im Sinne womöglich eines Hinweises auf eine Haftpflichtversicherung), jedenfalls aber irreführend wirkte. Nicht statthaft wäre aber etwa eine Firmierung als „Gesellschaft mit Haftungsbeschränkung“53, obgleich sie immerhin den Aussagegehalt des an sich gebotenen Rechtsformzusatzes nicht verfälschte, ebenso die Wendung „und Partner“ bzw. „und Co.“ anstelle des Gesellschaftszusatzes, überhaupt jedwede alternative Formen der Anzeige eines Gesellschaftsverhältnisses, wie z.B. durch Angabe einer Namensverbindung („A & B mbH“)54; über den Gesellschaftszusatz ausführlich Rz. 10.

46 So aber Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 38; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18, jeweils mit Verweis auf die anderenfalls zu formalistische Sichtweise; vgl. auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14. 47 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37; a.A., die h.L., vgl. Altmeppen, Rz. 18; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 23; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 48b; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58. 48 In diesem Sinne Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18 (der dafür fälschlicherweise auf Mock in Michalski u.a., Rz. 38 verweist, der aber in Wahrheit unter Rz. 82 das Gegenteil vertritt; gemeint sein dürfte der Verweis auf Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 38, wo in der Tat die Position von Heinze vertreten wird). 49 A.A. aber noch zum alten Recht KG v. 20.2.1899 – I V 75/99, KGJ 19, 15; wie hier aber Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; wohl auch Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 37, der Bedenken gegen ein In-Klammer-Setzen anmeldet und mit Recht auf die ablenkende Wirkung der Klammern verweist. 50 S. nur Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 47. 51 In Anlehnung an § 2 Nr. 1 GenG, der zu einer Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht führte; ebenso Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37 m. Fn. 178; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 37; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58. 52 Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 37; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 47; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 55. 53 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37 m. Fn. 178; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 72. 54 Vgl. etwa Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 41; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 47.

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§ 4 Rz. 16 | Firma

3. Rechtsformzusatz: „gGmbH“ (§ 4 Satz 2) a) Zulässigkeit, fehlende Notwendigkeit des Hinweises auf die Gemeinnützigkeit 16 § 4 Satz 2 erklärt für zulässig, dass eine ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte

Zwecke i.S.d. §§ 51–68 AO verfolgende GmbH ihrem Rechtsformzusatz den kleingeschriebenen Buchstaben „g“ voranstellen darf („gGmbH“), um auf diese (abgekürzte) Weise dem Rechtsverkehr die Gemeinnützigkeit zu indizieren. Mit dieser Bestimmung, welche im Zuge des Ehrenamtsstärkungsgesetzes im Jahre 2013 eingeführt wurde55, ist der vormalige Streit gegenstandslos geworden, ob diese Anreicherung des Rechtsformzusatzes im Fall einer sich gemeinnützig betätigenden GmbH Täuschungsgefahr in sich trägt, weil hierdurch womöglich der falsche Anschein (jedenfalls) einer Rechtsformvariante, wenn nicht gar einer eigenständigen Rechtsform erweckt werden könnte. Richtigerweise bestand diese Täuschungsgefahr seit jeher nicht56, was sich festzustellen aber im Lichte der gesetzgeberischen Streitentscheidung nunmehr erübrigt. Selbstverständlich zulässig sind erst recht Zusätze, die in ausgeschriebener Form auf die Gemeinnützigkeit hinweisen („gemeinnützige GmbH“), was schon vor der Einfügung des § 4 Satz 2 außer Streit stand, und unabhängig davon gelten sollte, an welcher Stelle dieser Zusatz platziert wird, sodass auch eine „GmbH gemeinnützig“ akzeptiert werden sollte. Rechtstechnisch handelt es sich bei dem Hinweis auf die Gemeinnützigkeit, gleichviel, ob ausgeschrieben oder abgekürzt, nicht um einen Bestandteil des Rechtsformzusatzes, sondern um einen Zusatz zum Firmenkern; die attributive Bezugnahme des Adjektivs „gemeinnützig“ auf die Gesellschaft und damit ihre Integration in eine Wortverbindung mit dem Rechtsformzusatz ändert hieran nichts, bildete aber die Ursache für die (früher) befürchtete Irreführungsgefahr. Keinem Streit unterliegt die Frage, ob es der Führung dieses Zusatzes bedarf, sofern eine GmbH gemeinnützige Zwecke verfolgt – sie ist unter schlichtem Verweis darauf zu verneinen, dass dieser Zusatz nicht dem allein zwingend zu führenden Rechtsformzusatz zugehörig ist; ob der Gemeinnützigkeitshinweis in die Firma integriert wird, ist firmenrechtlich mithin freigestellt (darüber, dass jedoch im Gesellschaftsvertrag diese besondere Zwecksetzung festgeschrieben werden muss, bei 13. Aufl., § 3 Rz. 36). 17 Die „steuerbegünstigen Zwecke“, von denen § 4 Satz 2 spricht, werden mittels Klammerde-

finition in § 51 Abs. 1 Satz 1 AO als Sammelbegriff für gemeinnützige (§ 52 AO), mildtätige (§ 52 AO) und kirchliche (§ 54 AO) Zwecke bestimmt; die vom Gesetzgeber für zulässig erklärte „gGmbH“ als Abkürzung für eine gemeinnützig tätige GmbH kennzeichnet strenggenommen damit nur einen Teilbereich der „steuerbegünstigen“ Zwecke57. Nach Sinn und Zweck des § 4 Satz 2 liegt aber keine Täuschung darin, sofern eine mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgende GmbH als „gemeinnützig“ firmiert. – Über eine „Stiftungs-GmbH“ bei Rz. 80.

55 Gesetz zur Stärkung des Ehrenamtes (Ehrenamtsstärkungsgesetz) vom 21.3.2013, BGBl. I 2013, 556. 56 Vor diesem Hintergrund wird man § 4 Satz 2 allein klarstellenden Charakter beimessen können; in diesem Sinne auch Roth, SteuK 2013, 136, 140; Schütz/Runte, DStR 2013, 1261, 1267; Wicke, MittBayNot 2014, 13, 19; Pietzarka, NZG 2020, 774, 777; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 2, 78; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 30; vormals Täuschungsgefahr annehmend und daher den Zusatz „gGmbH“ für unzulässig haltend OLG München v. 13.12.2006 – 31 Wx 84/06, GmbHR 2007, 267, 268 m. Anm. Rohde. 57 Richtig Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 48a, wonach die Gemeinnützigkeit der Oberbegriff nicht in der AO, aber im Firmenrecht sei; von einer „untechnischen“ Verwendung spricht Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 72.

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Firma | Rz. 19 § 4

b) Überprüfung der Gemeinnützigkeit im Registerverfahren; Täuschungseignung § 4 Satz 2 stellt allein klar, dass der Gemeinnützigkeitszusatz auch in abgekürzter Form in 18 Wortverbindung mit dem Rechtsformzusatz nicht für sich genommen irreführend wirkt. Damit ist freilich das Täuschungsverbot des § 18 Abs. 2 HGB im Übrigen nicht suspendiert; deklariert sich eine Gesellschaft der Wahrheit zuwider als gemeinnützig in ihrer Firma, liegt darin eine verkehrswesentliche Irreführung. Nach allgemeinen firmenrechtlichen Grundsätzen und dem unmissverständlich durch § 4 Satz 2 i.V.m. § 59 AO Angeordneten muss es dafür auf die tatsächliche Sachlage, nicht die womöglich unzutreffend im Gesellschaftsvertrag deklarierte ankommen. Maßgebend ist damit zweierlei: Erstens muss sich aus dem Gesellschaftsvertrag nach dem bei 13. Aufl., § 3 Rz. 36 Ausgeführten die Wahrung der gemeinnützigkeitsrechtlichen Anforderungen der §§ 52 ff. AO ergeben; zweitens muss der Tätigkeitsbereich auch tatsächlich im Einklang mit diesen statutarischen Festsetzungen stehen58. Liegt eine dieser beiden Voraussetzungen nicht vor, ist die Firmierung als gemeinnützig unzutreffend und damit irreführend. Eine andere Frage ist diejenige nach dem registergerichtlichen Prüfungsumfang, vor allem im Zuge der Errichtung der GmbH. Hier wird man im Eintragungsverfahren einen Feststellungsbescheid i.S.d. § 60a AO nicht verlangen können59; nur bei Anhaltspunkten für die unwahre Firmierung wird auf Grundlage des § 26 FamFG eine Stellungnahme des Finanzamts eingefordert und bei entsprechendem Befund die Eintragung verweigert werden können60. Gleichermaßen rechtfertigt eine spätere Änderung des Tätigkeitsbereichs unter Aufgabe der ausschließlichen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke registergerichtliches Einschreiten61; zu den Befugnissen des Registergerichts bei Rz. 100 f. c) „gUG (haftungsbeschränkt)“ Seit Einfügung des in direkter Anwendung allein auf den Rechtsformzusatz der GmbH bezo- 19 genen § 4 Satz 2 durch das Ehrenamtsstärkungsgesetz war umstritten, ob damit zugleich gesetzgeberisch klargestellt oder jedenfalls in erweiternder Auslegung angeordnet wurde, dass (zumindest fortan) auch die gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt) in ihre Firma einen die Gemeinnützigkeit kenntlichmachenden Zusatz in abgekürzter Form – „gUG (haftungsbeschränkt) – sollte aufnehmen dürfen62. Mittlerweile ist diese Streitfrage für die Praxis

58 A.A. Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37, wonach maßgeblich für die Zulässigkeit allein der Satzungswortlaut sei; wohl auch, weil nur auf die Satzung abstellend (womöglich sich aber insoweit nur auf die eingeschränkte Prüfungsbefugnis des Registergerichts beziehend) Wachter, GmbHR 2013, R145, R146; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79; wie hier aber im Ergebnis Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 17. 59 Wachter, GmbHR 2013, R145, R146; DNotI-Report 2021, 65; Altmeppen, Rz. 20; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 21a; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 48a (infolge der Gesamtverweisung auf die einschlägigen Vorschriften der AO); Wicke, Rz. 11; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 72: Anerkennung der Steuerbegünstigung muss im Zeitpunkt der Eintragung erfolgt sein; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 64: Nachweis durch Bestätigung des Finanzamtes Voraussetzung für Eintragungsfähigkeit dieser Firmierung. 60 Zustimmend DNotI-Report 2021, 65, 66; wohl a.A., weil ohne diese Einschränkung im Fall von Anhaltspunkten für eine Irreführung dem Registergericht keine Befugnis zur Einholung einer Stellungnahme des Finanzamts zugestehend, Wachter, GmbHR 2013, R145, R146; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79. 61 Insoweit übereinstimmend Wachter, GmbHR 2013, R 145, R146; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80. 62 Befürwortend, mit Recht, Ullrich, GmbHR 2009, 750, 756; Schütz/Runte, DStR 2013, 1261, 1267; Wachter, GmbHR 2013, R145, R146; Bayer/Hoffmann, GmbHR 2018, 1156, 1162; Wachter, EWiR 2019, 425, 426; Cremers, npoR 2020, 33, 35; Altmeppen, § 5a Rz. 7; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 43; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 5a Rz. 56; Mock in Michalski u.a., Rz. 86;

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§ 4 Rz. 19 | Firma höchstrichterlich im bejahenden Sinne entschieden63. Dem ist zuzustimmen, denn: Der nach Maßgabe des § 5a Abs. 1 Abwandlungen unzulängliche Rechtsformzusatz „UG (haftungsbeschränkt)“ bleibt für sich genommen unangetastet; dieser wird im Rechtssinne nicht modifiziert (nur dies untersagt § 5a Abs. 1!), vielmehr wird die Firma um einen weiteren (neben den Rechtsformzusatz tretenden) Firmenzusatz angereichert, der lediglich sprachlich in den Rechtsformzusatz integriert bzw. diesem vorangestellt wird. Dass in dieser Anreicherung um den Kleinbuchstaben „g“ nicht für sich genommen eine Irreführung über die Rechtsform liegt, hat § 4 Satz 2 klargestellt (vgl. bei Rz. 16). In Ermangelung anderweitiger Bestimmung in der Spezialvorschrift § 5a bezieht sich diese gesetzgeberische Entscheidung dann aber sinngemäß auch auf die Rechtsformvariante der UG (haftungsbeschränkt); es bedarf also keiner teleologisch zu begründenden Erweiterung des § 5a Abs. 1 um die Bestimmung des § 4 Satz 2, vielmehr wäre deren Unanwendbarkeit auf die Rechtsformvariante die begründungsbedürftige (und hier nicht begründbare) Ausnahme von der grundsätzlichen Anwendung allgemeinen GmbH-Rechts. Auch ist mittlerweile diese Rechtsformvariante mitsamt ihres Akronyms „UG“ beim durchschnittlichen Teilnehmer des Rechtsverkehrs als hinreichend bekannt zu betrachten64, sodass nicht zu befürchten steht, dass der verkürzte Hinweis auf die Gemeinnützigkeit – anders als bei der GmbH – Täuschungsgefahr in sich trägt. Solange nur die Bezeichnung „UG (haftungsbeschränkt)“ in der Firma vollständig enthalten ist, schadet diese Voranstellung mithin nicht. Im Übrigen gilt das Gesagte über die fehlende Pflicht zur Firmierung als „gemeinnützig“ (bei Rz. 16) sowie die Täuschungsgefahr bei in Wahrheit nicht verfolgten steuerbegünstigten Zwecken sinngemäß (bei Rz. 18).

4. Rechtsscheinhaftung bei Fortlassung des Rechtsformzusatzes 20 Schrifttum: Altmeppen, Geschäftsleiterhaftung für Weglassen des Rechtsformzusatzes aus deutsch-europäischer Sicht, ZIP 2007, 889; Altmeppen, Irrungen und Wirrungen um den Rechtsformzusatz und seine Haftungsfolgen, NJW 2012, 2833; Beck, Die Haftung des Handelnden bei falscher Firmierung, ZIP 2017, 1448; Beck/Schaub, Haftung des Geschäftsführers einer UG bei falscher Firmierung, GmbHR 2012, 1331; Belk, Die Haftung für die Verletzung der Aufklärungspflicht über die Rechtsform, Düsseldorfer Rechtswissenschaftliche Schriften Band 147, 2017; Beuthien, Wer sind die Handelnden? Warum und wie lange müssen sie haften?, GmbHR 2013, 1; Beurskens, What’s in a name? – Rechtsformzusatz und Haftungsbeschränkung, NZG 2016, 681; Beurskens, Nomen est omen? – Falschfirmierung im elektronischen Geschäftsverkehr, NJW 2017, 1265; Klein, Ein Apfel unterm Birnbaum? – Rechtsfolgen des Handelns bei fehlendem oder fehlerhaftem Rechtsformzusatz, NJW 2015, 3607; Lieder, Rechtsformvariante und Rechtsscheinhaftung – Ein Beitrag zur Institutionenbildung im Gesellschaftsrecht, in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 503; Miras, Handelndenhaftung für fehlerhafte Firmierung im Rechtsverkehr, NZG 2012, 1095; Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017; Pietzarka, Haftung bei fehlerhaftem Rechtsformzusatz, Düsseldorfer Rechtswissenschaftliche Schriften Band 154, 2018; Pietzarka, Vertreterhaftung bei fehlerhaftem Rechtsformzusatz – Auswirkungen der „Rechtsscheinhaftung analog § 179 BGB“, GmbHR 2017, 73; C. Schirrmacher, Haftungsrechtliche Folgen der Nutzung eines falschen Rechtsformzusatzes, GmbHR 2018, 942.

Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21 f.; wohl auch Rieder in MünchKomm. GmbHG, § 5a Rz. 69; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9a; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5a Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 5a Rz. 12, § 4 Rz. 59; a.A. Miras in BeckOK GmbHG, Stand: 1.5.2021, § 5a Rz. 52; Schäfer in Bork/Schäfer, § 5a Rz. 15; Schäfer in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, § 5a Rz. 13; J. Schmidt in Michalski u.a., § 5a Rz. 55; Wicke, § 5a Rz. 6. 63 BGH v. 28.4.2020 – II ZB 13/19, GmbHR 2020, 829, 830 ff. = DNotZ 2020, 945 m. zustimmender Anm. Pietzarka. 64 Dagegen lehnt Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 200 gerade die These ab, die UG (haftungsbeschränkt) habe sich im Verkehr bereits durchgesetzt.

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Firma | Rz. 22 § 4

a) Ausgangspunkt aa) Unternehmensbezogenes Rechtsgeschäft Wird im Geschäftsverkehr eine Firma verwandt und damit ein Unternehmensbezug her- 21 gestellt, so soll Vertragspartner nach dem Willen der Beteiligten unter Berücksichtigung der Verkehrssitte grundsätzlich nur der Geschäftsinhaber werden (§ 17 HGB). Unbedeutend ist, ob der Vertragspartner den Geschäftsinhaber kennt und ob er ihn sich richtig vorstellt sowie, ob die Firma richtig oder falsch, erlaubt oder unzulässig verwandt wird. Diese allgemeinen Grundsätze über unternehmensbezogene Geschäfte gelten auch, wenn eine Person unter der Firma einer GmbH auftritt, und zwar selbst dann, wenn der andere Teil irrtümlich den Handelnden für seinen Vertragspartner gehalten hat65 (s. auch zum Handeln im Namen der Vor-GmbH unter Verwendung der künftigen Firma der GmbH bei 13. Aufl., § 11 Rz. 68 ff.). Unberührt bleibt jedoch § 164 Abs. 2 BGB und das darin verkörperte Offenkundigkeitsprinzip, sodass die Gesellschaft nur verpflichtet wird, wenn die Unternehmensbezogenheit des Geschäfts deutlich hervorgetreten ist. Anderenfalls – wie regelmäßig beim gänzlichen Weglassen der Firma (unter Verstoß gegen § 35a), falls nicht durch anderweitige gewichtige Indizien für einen Unternehmensbezug kompensiert – wird der Handelnde selbst verpflichtet66. Die Auslegungsregeln über unternehmensbezogene Geschäfte schließen eine Haftung des Vertreters neben der Gesellschaft nach den bei Rz. 23 ff. dargestellten Grundsätzen freilich nicht aus, wenn dieser die Firma unzulässigerweise ohne den zwingend vorgeschriebenen GmbH-Zusatz im Geschäftsverkehr verwendet. bb) Firmenführungspflicht Die Firma ist der Name der GmbH; einen anderen Namen hat sie nicht und darf sie auch 22 nicht führen (§§ 17, 18, 37 HGB; § 5 UWG). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass sich die GmbH, wenn sie am Rechtsverkehr teilnimmt, immer ihrer (ganzen) Firma einschließlich des Rechtsformzusatzes bedienen muss. Sie darf nicht unter einer anderen Bezeichnung auftreten (§ 37 Abs. 1 HGB; § 5 UWG). Wegen dieser so genannten Firmenführungspflicht müssen die Geschäftsführer insbesondere bei der Unterzeichnung von Erklärungen im Namen der GmbH stets die ganze Firma einschließlich des GmbH-Zusatzes verwenden (§ 4; s. § 35 Abs. 3 a.F.). Auf Geschäftsbriefen ist gleichfalls die vollständige Firma anzugeben, damit im rechtsgeschäftlichen Verkehr keine Zweifel über die Rechts- und Haftungsverhältnisse der Gesellschaft aufkommen können (§ 35a Abs. 1 Satz 1 GmbHG; vgl. § 37a HGB). Verstöße der Geschäftsführer und der sonstigen für die Gesellschaft tätigen Personen gegen die Fir-

65 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 219 = NJW 1974, 1191; BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 16 ff. = NJW 1975, 1166; BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152 = GmbHR 1984, 316; BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764; BGH v. 18.5.1998 – II ZR 355/95, GmbHR 1998, 883, 884; BGH v. 15.4.2021 – III ZR 139/20, NJW 2021, 2036 Rz. 24 (zur Verpflichtung der Vorgründungsgesellschaft als der wahren Rechtsträgerin bei Handeln für eine „GmbH“ oder „GmbH i.G.“ vor notarieller Beurkundung des Gesellschaftsvertrages, falls nicht die Auslegung des Rechtsgeschäfts dessen aufschiebende Bedingtheit auf die Entstehung der GmbH ergibt); OLG Hamm v. 26.4.1988 – 26 U 143/87, NJW-RR 1988, 1308 f. (mit Recht für Anfechtungsmöglichkeit nach § 119 Abs. 2 BGB in diesem Fall); OLG Hamm v. 24.3.1998 – 19 U 175/ 97, GmbHR 1998, 890, 891; vgl. auch Leuering/Nießen, NJW-Spezial 2007, 411, 411 f. sowie allgemeiner Paulus, JuS 2017, 399, 400 ff. und Schubert in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 164 BGB Rz. 120 ff. m.w.N.; Belk, Die Haftung für die Verletzung der Aufklärungspflicht über die Rechtsform, 2016, S. 83 ff.; vgl. auch Lieder in FS DNotI, 2018, S. 503, 517 f.; aus der Kommentarliteratur etwa Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 62; gegen ein Überstrapazieren dieser Grundsätze aber Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 24 ff. 66 Wohl unstreitig, s. nur BGH v. 4.4.2000 – XI ZR 152/99, BB 2000, 1209, 1210 f.

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§ 4 Rz. 22 | Firma menführungspflicht ändern zwar bei unternehmensbezogenen Geschäften nichts daran, dass Vertragspartner die Gesellschaft wird, sofern nur das Handeln der für die Gesellschaft auftretenden Personen als Vertreter in der nötigen Weise nach außen hervorgetreten ist (§ 164 Abs. 2 BGB)67; sie können jedoch in verschiedenen Fällen zugleich (d.h. kumulativ zur Erfüllungshaftung der Gesellschaft) zur persönlichen (auf Ersatz des positiven Interessen gerichteten) Haftung dieser Personen führen. Außerdem ist dann § 37 HGB anwendbar. b) Haftungsvoraussetzungen und Rechtsfolge aa) Auftreten ohne GmbH-Zusatz 23 Eine persönliche Haftung des jeweils für die Gesellschaft Handelnden (das kann ein Ge-

schäftsführer oder aber ein sonstiger [gewillkürter] Vertreter sein) kommt – neben der Haftung der Gesellschaft – im Falle der Verletzung der Firmenführungspflicht durch den dergestalt als Vertreter für die Gesellschaft Handelnden im Wesentlichen in den folgenden Fällen in Betracht68:

24 Eine persönliche Haftung des Handelnden kommt erstens zum Tragen, wenn dieser unter

der Firma der Gesellschaft, aber ohne den erforderlichen GmbH-Zusatz auftritt und den ihm zurechenbaren Rechtsschein seiner persönlichen Haftung dadurch hervorruft, dass sein Auftreten bei gutgläubigen Geschäftspartnern den Eindruck erwecken muss, er (der Vertreter) sei selbst (allein oder zusammen mit anderen) Geschäftsinhaber und hafte deshalb als solcher persönlich69. Primär werden Fälle der Verwendung einer Personenfirma ohne Rechtsformzusatz zu einer derartigen, an die Grundsätze der Rechtsscheinhaftung des Scheinkaufmanns angelehnten Haftung führen können70. Theoretisch begründbar ist diese Haftung indessen auch bei Verwendung einer (reinen) Sachfirma, zumal Einzelkaufleute und Personengesellschaften gleichfalls eine solche – seit dem HRefG auch originär – bilden können, sodass vermittels Verwendung der Sachfirma der Rechtsschein einer persönlichen Eigenhaftung des Handelnden nicht zerstört wird. Neben diese Rechtsscheinhaftung tritt kumulativ die Verpflichtung der GmbH als Vertragspartner hinzu, sofern ein Unternehmensbezug deutlich 67 S. insbesondere BGH v. 4.4.2000 – XI ZR 152/99, WM 2000, 1113, 1114 f.; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593, 594 m. Anm. Römermann. 68 Vgl. zu diesen beiden Fallgruppen ähnlich differenzierend Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 109 ff.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 160 ff.; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 15 HGB Rz. 49 f.; ferner Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 5 HGB Rz. 23 f.; zum Ganzen auch Klein, NJW 2015, 3607 ff.; Beck, ZIP 2017, 1748 ff.; sowie monografisch Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 21 ff. 69 BGH v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, NJW 1990, 2678, 2679 = GmbHR 1990, 212 = MDR 1990, 799: Hat der für das Unternehmen Auftretende den Eindruck erweckt, er selber sei der Inhaber des Unternehmens, so haftet er schon aus diesem Grunde persönlich; BGH v. 11.3.1955 – I ZR 82/53, BGHZ 17, 13, 15 = NJW 1955, 985; BGH v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, NJW 1991, 2627 m. zustimmender Anm. Canaris; BGH v. 18.5.1998 – II ZR 355/95, NJW 1998, 2897; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, 359 = NJW 2001, 1056; BGH v. 16.4.2008 – VIII ZR 230/07, NJW 2008, 2330 Rz. 10; BGH v. 31.7.2012 – X ZR 154/11, NJW 2012, 3368 Rz. 13; Miras, NZG 2012, 1095, 1096 f.; Reinelt, jurisPR-BGHZivilR 20/2012 Anm. 1; Wenner, BB 2012, 3040; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 5 HGB Rz. 23; kritisch Haas, NJW 1997, 2854, 2855 ff.; Derleder in FS Raisch, 1995, S. 25, 41 ff. 70 Den Zusammenhang („enge Verwandtschaft“) zur Lehre vom Scheinkaufmann als auf der Hand liegend herstellend Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 6 Rz. 51; für direkte Heranziehung dieser Grundsätze wohl Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 17 HGB Rz. 36 i.V.m. § 5 HGB Rz. 9 ff.; ohne nähere dogmatische Begründung dieser Variante der persönlichen Haftung bei fortgelassenem Rechtsformzusatz Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 109 ff.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 160.

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Firma | Rz. 25 § 4

wird, sodass die Grundsätze des unternehmensbezogenen Geschäfts Anwendung finden (dazu Rz. 21). Eine persönliche Haftung des jeweils für die Gesellschaft Handelnden, insbesondere der Ge- 25 schäftsführer, kommt nach ständiger, in der Literatur allerdings mitunter kritisierter Rechtsprechung zweitens in Betracht, wenn sich der Handelnde (zwar nicht wie im ersten Fall als Inhaber des Geschäfts, sondern durchaus) als Vertreter geriert, jedoch durch die Fortlassung des GmbH-Rechtsformzusatzes zurechenbar den Eindruck erweckt, die Verpflichtung des (von ihm als der handelnden Person) verschiedenen Unternehmensträgers führe mangels anderweitiger Deklarierung (vgl. den Rechtsgedanken des § 19 Abs. 2 HGB!) zu einer persönlichen Haftung einer (d.h. irgendeiner!) natürlichen Person71. Auch in diesem Fall gerät der Vertreter, welcher diesen Rechtsschein erzeugt hat, in eine persönliche, grundsätzlich72 auf Ersatz des positiven Interesses (!) gerichtete Mithaftung73, und zwar verschuldensunabhängig74 sowie losgelöst davon, ob die solidarisch mithaftende Gesellschaft ihrerseits solvent ist oder nicht75. Diese solidarische Außenhaftung, für welche im Innenverhältnis der Gesamtschuldner zueinander im Zweifel die Gesellschaft die volle Haftung trägt76, wird von der herrschenden, insoweit aber in ihrer dogmatischen Fundierung zweifelhaften Meinung auf eine (doppelt) analoge Anwendung bzw. den Rechtsgedanken des an sich in eine Erklärungshaftung mündenden § 179 Abs. 1 BGB gestützt77. 71 BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 17 f.; BGH v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, GmbHR 1982, 154 = MDR 1982, 34 = NJW 1981, 2569; BGH v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, MDR 1991, 848 = GmbHR 1991, 360 = NJW 1991, 2627, 2628 m. zustimmender Anm. Canaris; BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593, 594 m. Anm. Römermann = ZIP 2007, 908 m. Bespr. Altmeppen, ZIP 2007, 889; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 97/77, BGHZ 71, 354, 356; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953 m. Anm. Römermann = ZIP 2012, 1659. 72 Erwägenswert, aber eher von theoretischer Bedeutung, erscheint eine Reduktion der Haftung auf das negative Interesse in Heranziehung des Rechtsgedankens des § 179 Abs. 2 BGB für den Fall, dass der Vertreter ausnahmsweise darlegen und ggf. beweisen können sollte, nicht um die Hervorrufung des Rechtsscheins einer persönlichen Haftung durch Fortlassen des Rechtsformzusatzes gewusst zu haben; mit Recht in diesem Sinne Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 15 HGB Rz. 50; zustimmend auch Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 5 HGB Rz. 24. 73 BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 222 = NJW 1974, 1191; BGH v. 3.2.1975 – II ZR 128/73, BGHZ 64, 11, 17 = NJW 1975, 1166; BGH v. 8.5.1978 – II ZR 97/77, BGHZ 71, 354, 356 = NJW 1978, 2030; BGH v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, GmbHR 1982, 154 = NJW 1981, 2569; BGH v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, GmbHR 1990, 212; BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764, 765; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593, 594; OLG Düsseldorf v. 18.2.2011 – 17 U 50/10, MDR 2011, 995; Brandes, WM 1983, 286, 296; Bühler, GmbHR 1991, 356, 357 f.; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 111; kritisch bzw. a.A. Haas, NJW 1997, 2854, 2856; Haas, DStR 2000, 84; Meckbach, NZG 2011, 968, 970; Beurskens, NZG 2016, 681, 684 ff.; Pietzarka, GmbHR 2017, 73, 75 ff. 74 BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953, 955 m. Anm. Römermann; dagegen mit guten Gründen kritisch Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2836; Pietzarka, GmbHR 2017, 73, 76. 75 Zu Letzterem wiederum kritisch, weil von den Grundsätzen des § 179 BGB in direkter Anwendung abweichend, Altmeppen, ZIP 2007, 889, 895; Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2836; Pietzarka, GmbHR 2017, 73, 76. 76 BGH v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, GmbHR 1990, 212; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953, 955 m. Anm. Römermann; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 113; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 49. 77 Auf eine analoge Anwendung des § 179 BGB in diesem Kontext erstmals ausdrücklich abstellend BGH v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, GmbHR 1991, 360, 361; zuvor nur auf den darin liegenden „Rechtsgedanken“ zurückgreifend BGH v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, GmbHR 1982, 154, 155; vgl. demgegenüber noch die Entscheidung BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216 = GmbHR 1974, 151 m. Anm. Hesselmann, in der wohl auf die allgemeine Rechtsscheinhaftung (zutreffend) zurückgegriffen wurde: „unbeschränkte persönliche Haftung kraft Rechtsscheins“.

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§ 4 Rz. 26 | Firma 26 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen78; freilich ist dieser Fall auch mit jenem eines Handelns

im Namen eines nicht existierenden Rechtssubjekts, der nach gefestigter Meinung § 179 Abs. 1 BGB in erweiternder Anwendung unterstellt wird79, wertungsmäßig nicht vollends vergleichbar80, sodass – insoweit allerdings ohne Unterschiede im Ergebnis zur h.M. – die allgemeine Rechtsscheinhaftung (losgelöst von einer Analogie zu § 179 Abs. 1 BGB) die besser begründbare dogmatische Grundlage bietet81. Zwar wird in diesen Fällen (anders als im Fall des § 179 Abs. 1 BGB) über die Grundsätze des unternehmensbezogenen Rechtsgeschäfts der wahre Unternehmensträger (die GmbH) Vertragspartei82 – der Vertragspartner durfte aber bei wertender Betrachtungsweise unter Berücksichtigung des Schutzzwecks des § 4 Satz 1 infolge des fortgelassenen GmbH-Rechtsformzusatzes auf ein anderes Haftungssubjekt vertrauen, bei dessen Vertragsparteistellung es zu einer Einstandspflicht (mindestens) einer natürlichen Person mit seinem Privatvermögen gekommen wäre. Dieser Rechtsschein wird allemal dann erzeugt, wenn unter Verwendung eines auf die persönliche Haftung einer natürlichen Person hinzeigenden (falschen) Rechtsformzusatzes (als GbR, OHG, KG oder Einzelkaufmann) im Rechtsverkehr aufgetreten wird; er entsteht aber auch, sofern ein Rechtsformzusatz vollständig fortgelassen wurde. Zwar wird man insoweit angesichts der Bestimmung des § 19 Abs. 1 HGB und des hiermit durchgängig angeordneten Zwanges zur Führung eines Rechtsformzusatzes seit dem HRefG nicht (mehr) füglich behaupten können, ein nicht geführter Rechtsformzusatz lasse (anders als ein hierauf hindeutender einschlägiger falscher Rechtsformzusatz) die Haftung mindestens einer natürlichen Person allein schlüssig erscheinen. Doch würde bei deshalb abgelehnter Rechtsscheinhaftung in diesen Fällen die eminente Bedeutung des die Haftungsverhältnisse indizierenden rechtsformspezifischen Rechtsformzusatzes des § 4 Satz 1 entscheidend geschwächt; wie diese Bestimmung und ebenso § 5 AktG sowie § 19 Abs. 2 HGB belegen, kommt diesen auf die fehlende Haftung einer natürlichen Person hinweisenden Rechtsformzusätzen nämlich besonderes Gewicht zu, sodass es gilt, diese Warnfunktion eines solchen zutreffenden Rechtsformzusatzes durch die Rechtsscheinhaftung zu effektuieren83. § 15 Abs. 2 Satz 1 HGB vermag darüber nicht

78 In diesem Sinne auch zustimmend Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 6 Rz. 45 ff., angesichts der wertungsmäßig für überzeugend befundenen Ergebnisse der Rechtsprechung; für Heranziehung der allgemeinen Grundsätze der „Vertrauenshaftung“ in diesem Kontext, ohne Rekurs auf § 179 BGB, auch Lieder in FS DNotI, 2018, S. 503, 519. 79 BGH v. 8.7.1974 – II ZR 180/72, BGHZ 63, 45, 48 = GmbHR 1974, 286; BGH v. 20.10.1988 – VII ZR 219/87, BGHZ 105, 283, 285; Schubert in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 179 BGB Rz. 10. 80 A.A., und daher nur für eine Haftung auf das negative Interesse in Form einer vertragsähnlichen Haftung nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 3 Satz 2, § 241 Abs. 2 BGB: Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2837, bzw. einer deliktischen Haftung nach § 823 Abs. 2 BGB: Haas, NJW 1997, 2854, 2857; Meckbach, NZG 2011, 968, 970, bzw. für eine Haftung auf das positive Interesse über eine entsprechende Anwendung der Handelndenhaftung des § 11 Abs. 2, allerdings nur für Geschäftsführer: Beurskens, NZG 2016, 681, 684 ff.; Pietzarka, GmbHR 2017, 73, 77 f. 81 In diesem Sinne, wiederum mit Unterschieden im Detail, bereits Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 6 Rz. 45 ff., angesichts der wertungsmäßig für überzeugend befundenen Ergebnisse der Rechtsprechung; für Heranziehung der allgemeinen Grundsätze der „Vertrauenshaftung“ in diesem Kontext, ohne Rekurs auf § 179 BGB, auch Lieder in FS DNotI, 2018, S. 503, 519. 82 Diese Grundsätze relativiert Klein, NJW 2015, 3607, 3609, indem er darauf abstellt, ob es dem Vertragspartner im Einzelfall derart stark auf die Rechtsformidentität des Unternehmensträgers ankommt, dass hierdurch eine wirksame Stellvertretung verhindert wird; in diesem Fall (und nur in diesem) soll zur Kompensation die Handelndenhaftung entsprechend § 179 BGB eingreifen; dem folgend, für die AG, Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 43; ablehnend Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 26 ff.; in diese Richtung denkend (allerdings im Ergebnis weiterhin für die h.M. eintretend) letztlich bereits Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 6 Rz. 49 f. 83 Im Ergebnis ebenso Canaris, Handelsrecht, 24. Auf. 2006, § 6 Rz. 47 („übersubtile Unterscheidungen und kaum tragbare Wertungswidersprüche“); ferner Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl.

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2022-08-10, 11:07, GroKO groß

Firma | Rz. 27 § 4

hinwegzuhelfen84 und ist insoweit nach Sinn und Zweck außer Anwendung zu lassen85, da § 4 Satz 1 gerade intendiert, den Rechtsverkehr vermöge Führung des Rechtsformzusatzes und damit losgelöst von der publizierten Handelsregistereintragung über die Rechts- und Haftungsverhältnisse des Unternehmensträgers zu informieren. Das alles gilt, wie nochmaliger Hervorhebung bedarf, auch, wenn ein anderer Vertreter (als 27 ein Geschäftsführer) für die Gesellschaft unter deren Firma ohne Hinzufügung des GmbHZusatzes auftritt, sodass diesen Vertreter in dem Falle eine persönliche Haftung trifft86. Die persönliche Haftung der für die Gesellschaft tätig gewordenen Personen aus Rechtsschein beschränkt sich aber auf die jeweils handelnden Personen und erfasst nicht zugleich andere Vertreter der Gesellschaft, die selbst gar nicht tätig geworden sind und daher keinen Rechtsschein der persönlichen Haftung begründen konnten87. Das gilt auch für den Vollmachtgeber der jeweils als Vertreter tätig gewordenen Person und für sonstige „Hintermänner“: In keinem Fall, auch nicht im Fall etwaig verletzter Überwachungs- oder Instruktionspflichten, kann die Rechtsscheinhaftung auf diese zusätzlichen Personen vermöge einer irgendwie gearteten (mittelbaren) Tatherrschaft erstreckt werden88. Die Haftung ist nach dem Konzept der Rechtsprechung überhaupt vom Verschulden des Haftenden unabhängig (analog § 179 Abs. 2 BGB), setzt aber – als Rechtsscheinhaftung – Kausalität des Rechtsscheins für den Vertragsabschluss sowie Gutgläubigkeit des Vertragspartners voraus, wobei freilich die Beweislast für das Fehlen dieser Voraussetzungen den Geschäftsführer oder den sonstigen Vertreter trifft, der persönlich in Anspruch genommen wird. Gelingt dieser Beweis nicht, so tritt die Haftung der genannten Personen neben jene der GmbH. Die persönliche Haftung ist also nicht etwa subsidiär gegenüber derjenigen der Gesellschaft; beide haften vielmehr als Gesamtschuldner89. Jedoch wird im Innenverhältnis der Beteiligten im Zweifel, d.h. jenseits von Missbrauchsfällen, die Gesellschaft die volle Haftung übernehmen müssen90.

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2019, § 15 HGB Rz. 49; ähnlich auch Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 46 ff.; dagegen aber etwa Pietzarka, GmbHR 2017, 73, 76. Für Rechtsmissbrauchseinwand bzw. (zutreffend) Vorrang des § 4 vor § 15 Abs. 2 HGB in diesem Kontext BGH v. 1.6.1981 – II ZR 1/81, ZIP 1981, 983, 984 = GmbHR 1982, 154; BGH v. 18.3.1974 – II ZR 167/72, BGHZ 62, 216, 222 f. = GmbHR 1974, 151 m. Anm. Hesselmann; BGH v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600, 601 = GmbHR 1990, 212; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953; vgl. weiterhin etwa Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 15 HGB Rz. 15: § 4 spezieller Vertrauenstatbestand. Für teleologische Reduktion, die freilich strenggenommen erst aus Sinn und Zweck des § 4 Satz 1 begründbar wird, Lieder in FS DNotI, 2018, S. 503, 518; Krebs in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 15 HGB Rz. 81; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 15 HGB Rz. 92; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 5 Rz. 38. BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78 = GmbHR 1991, 360, 361; BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593, 594; LG Aachen v. 16.9.1987 – 4 O 628/85, NJW-RR 1988, 1174, 1175; Canaris, NJW 1991, 2627, 2628; Noack, Anm. LM Nr. 79 zu § 164 BGB; Roth, Anm. LM Nr. 13 zu § 4 GmbHG. BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764 f.; BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593, 594; OLG Oldenburg v. 12.4.2000 – 2 U 39/00, OLGR 2000, 204 = GmbHR 2000, 822 (nur LS). BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, GmbHR 2007, 593, 594: Haftung trifft ausschließlich den für die Gesellschaft auftretenden Vertreter; BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, NJW 1996, 2645; a.A. Canaris, NJW 1991, 2627, 2629: Einstandspflicht kraft Tatherrschaft als „Hintermann“. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, GmbHR 1990, 212, 213; BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78 = GmbHR 1991, 360. BGH v. 15.1.1990 – II ZR 311/88, WM 1990, 600, 602 = GmbHR 1990, 212; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953, 955 m. Anm. Römermann; vgl. etwa Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 164.

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§ 4 Rz. 28 | Firma bb) Auftreten ohne erforderliche weitere Zusätze („i.G.“, „i.L.“) 28 Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für das Handeln für eine Vor-GmbH, sofern der

Handelnde versäumt hat, deutlich zu machen, dass er für ein Unternehmen handelt, dessen Haftungsfonds (jedenfalls künftig!) beschränkt sein wird91. Als unzureichend für eine schadensunabhängige persönliche Rechtsscheins- oder allgemeine Vertrauenshaftung wird man es entgegen der h.M. indessen anzusehen haben, wenn zwar die beschränkte Haftung deutlich wird (nämlich durch den insoweit falschen, weil verfrühten Zusatz „GmbH“), dies aber ohne Zusätze geschieht, die auf die besonderen Haftungsverhältnisse bei der Vor-GmbH hindeuten, wie es bei Firmierung als „GmbH i.G.“ der Fall wäre92. Hier käme allenfalls eine Haftung nach den Grundsätzen der culpa in contrahendo in Betracht, wobei es an einem Schaden infolge der etwaigen persönlichen Unterbilanz- oder Verlustdeckungshaftung regelmäßig fehlen wird93 (Zweifel an der h.M. auch bei 13. Aufl., § 11 Rz. 38, wenngleich dort nicht gänzlich ablehnend). Auch die Nichtverwendung des Liquidationszusatzes kann nur zu einer Schadensersatzhaftung aus culpa in contrahendo führen, nicht zu einer Vertrauenshaftung nach Maßgabe der bei Rz. 23 ff. geschilderten Grundsätze des Fortlassens des GmbH-Zusatzes, weil hier nicht auf das Vorhandensein einer Haftungsmasse einer Privatperson vertraut wird94. In Betracht kommen daher allein Schadensersatzansprüche, wenn Gläubiger durch die in der Nichtverwendung des Liquidationszusatzes liegende Täuschung Schäden erlitten haben95. Näher zu alledem m.w.N. bei 12. Aufl., § 68 Rz. 12 ff. cc) Auftreten einer UG (haftungsbeschränkt) unter dem falschen Rechtsformzusatz der GmbH 29 Eine in Reichweite und Umfang noch wenig konturierte persönliche Haftung in entspre-

chender Anwendung des § 179 BGB soll nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ebenfalls in Betracht kommen, wenn die Rechtsformvariante der UG (haftungsbeschränkt) fälschlicherweise unter dem Rechtsformzusatz der GmbH aufgetreten ist96 und so ihren Charakter als mit geringerem Mindeststammkapital ausgestattete Rechtsformvariante offenzulegen unterlassen hat. Weil beide Rechtsformzusätze auf die fehlende Haftung einer natürlichen Per-

91 Vgl. BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764 f. = NJW 1996, 2645 m. Anm. Canaris. 92 Demgegenüber will die h.M. auch dann eine Rechtsscheinhaftung eingreifen lassen, wenn der Rechtsschein einer eingetragenen GmbH erzeugt wird; BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764 f. (wobei im konkreten Fall gänzlich ohne Rechtsformzusatz gehandelt wurde, sodass die Bezugnahme auf diese Entscheidung durch die Literatur nicht zweifelsfrei ist); OLG Celle v. 14.3.1990 – 9 U 3/89, NJW-RR 1990, 801, 803 = GmbHR 1990, 398; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 114; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 74; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 70; wie hier aber noch Heinrich in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013, Rz. 39 m. Fn. 203, allerdings in der Folgeauflage diese Position in der Fn. 203 nicht mehr erwähnend. 93 Gegen diese Argumentation jedoch Goette, DStR 1996, 1373, 1374 (allerdings zu einem Fall, in welchem gänzlich ohne Hinweis auf die Haftungsbeschränkung, und sei es eine nur künftige, gezeichnet wurde). 94 In diese Richtung aber Ehlke, GmbHR 1985, 284, 286; mit Recht distanziert Gesell in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 10. 95 Bei einem Verstoß gegen § 68 Abs. 2 spricht nach OLG Naumburg v. 19.10.1999 – 9 U 251/98, OLGR 2000, 482 der erste Anschein für die Richtigkeit der Behauptung, dass ein Vertragspartner bei Kenntnis der Auflösung nicht mit der Gesellschaft kontrahiert hätte. 96 BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953 ff. m. ablehnender Anm. Römermann; vgl. weiter Heckschen, NotBZ 2012, 418; Miras, NZG 2012, 1095, 1096; Wachter, BB 2012, 2784; Weiler, notar 2012, 291, 292; kritisch Beurskens, NZG 2016, 681, 684 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 5a Rz. 59; LG Düsseldorf v. 16.10.2013 – 9 O 434/12, GmbHR 2014, 33, 34 f. zur Firmierung als UG ohne den Zusatz „haftungsbeschränkt“; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39.

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Firma | Rz. 29 § 4

son für die Gesellschaftsverbindlichkeiten hinweisen, sind die bei Rz. 23 ff. im Einzelnen geschilderten Grundsätze der persönlichen Haftung des Handelnden infolge (gänzlichen) Weglassens eines die Haftungsbeschränkung kenntlich machenden Rechtsformzusatzes richtigerweise allerdings nicht, jedenfalls nicht ohne Modifikationen übertragbar. Denn: Der falsche Anschein einer persönlichen Haftung irgendeiner natürlichen Person für die Gesellschaftsverbindlichkeiten kann in diesem Fall des „Aufschwungexzesses“ nicht erweckt werden. Getäuscht werden kann der Rechtsverkehr jedoch über die „Seriosität“ und „Solidität“ der verwandten Rechtsform, weil die Höhe einer abstrakten gesetzlichen Mindeststammkapitalziffer (hier: 25.000 Euro, dort: 1 Euro) ungeachtet der konkreten tatsächlichen Kapitalausstattung typisierend hierauf und das heißt vor allem: auf die Kreditwürdigkeit der Rechtsform insgesamt ausstrahlt. Hiergegen kann angesichts der gesetzgeberischen Differenzierung zwischen regulärer GmbH und Rechtsformvariante nicht füglich die Möglichkeit eines aufgezehrten Stammkapitals einer jeden GmbH eingewandt werden. Dogmatisch lässt sich eine darauf fußende Haftung indes nicht mehr auf eine ohnehin zweifelhafte Analogie zu § 179 BGB oder eine allgemeine Vertrauenshaftung stützen97, sondern nur auf die Grundsätze der Haftung aus culpa in contrahendo98. Nicht in Betracht kommt daher entgegen der mittlerweile (mit vielen Unterschieden im Detail vertretenen) h.M., den für den fälschlich firmierenden Rechtsverkehr konkret Handelnden einer persönlichen (Rechtsscheins-)Haftung zu unterwerfen, sodass es auch nicht auf die Folgefragen ankommt, ob diese Haftung im Außen- oder Innenverhältnis bestehen soll99, gegenüber der Gläubigergesamtheit100 oder jedem einzelnen Gläubiger und ob sie auf die Differenz zwischen dem statutarischen Stammkapital der konkreten UG (haftungsbeschränkt) und dem gesetzlichen Mindeststammkapital einer GmbH zu beschränken ist101 oder auf das volle Erfüllungsinteresse lautet102. Richtig scheint vielmehr, eine Haftung auf den (im konkreten Fall aber nachzuweisenden!) Vertrauensschaden des Vertragspartners abzustellen, falls dieser bei zutreffend verwandtem Rechtsformzusatz vom Vertragsschluss Abstand genommen hätte („Vertrag als Schaden“): Eine Haftung wird damit insbesondere in jenen Fällen ausscheiden, in welchen der Vertragspartner von der konkreten Kapitalausstattung der sich als GmbH gerierenden UG (haftungsbeschränkt) Kenntnis hatte, aber trotzdem kontrahierte. Haftungsadressat ist der jeweils unter falschem Rechtsformzusatz für die Gesellschaft als „Dritter“ i.S.d. § 311 Abs. 3 Satz 2 BGB Handelnder, nicht die Gesellschaft selbst103. Erwogen wird, ob eine Haftung ausscheiden kann, sofern es an der anmaßenden Firmierung als „GmbH“ fehlt, der Rechtsträger vielmehr wahrheitsgemäß als „UG“ bezeichnet wird, allerdings unter Weglassung des zwingenden Zusatzes „(haftungsbeschränkt“); hierfür spricht immerhin, dass diese Rechtsformvariante mittlerweile im Rechtsverkehr einige Bekanntheit erlangt hat; entscheidend ist aber, ob sie hinrei97 Ablehnend insoweit auch Veil, GmbHR 2007, 1080, 1082; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39, offenbar gegen jede Sanktion in diesem Fall. 98 Altmeppen, NJW 2012, 2833, 2837 f.; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 10; Altmeppen, § 35 Rz. 38, 41; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 5a Rz. 59; vgl. auch LG Düsseldorf v. 16.10.2013 – 9 O 434/12, GmbHR 2014, 33, 34 f. 99 Hierzu, und für Innenhaftung, Schirrmacher, GmbHR 2018, 942, 947 ff.; Lieder in FS DNotI, 2018, S. 503, 524 f.; vgl. auch Meckbach, NZG 2011, 968, 971. 100 Meckbach, NZG 2011, 968 ff.; Miras, NZG 2012, 1095, 1097; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 5a Rz. 15; Rieder in MünchKomm. GmbHG, § 5a Rz. 16; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 5a Rz. 11; Wicke, § 5a Rz. 6. 101 Dafür Meckbach, NZG 2011, 968, 968 ff.; Beck/Schaub, GmbHR 2012, 1331, 1334; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 5a Rz. 15; Wicke, § 5a Rz. 6. 102 Hierfür etwa Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 71 ff. 103 So aber Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 5a Rz. 59; wohl auch Paura in Habersack/Casper/Löbbe, § 5a Rz. 31, der darauf hinweist, dass die Ansprüche, da gegen die Gesellschaft gerichtet, daher regelmäßig wenig interessant sein werden; wie hier jedoch Altmeppen, § 35 Rz. 41: „Haftung des procurators“.

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§ 4 Rz. 29 | Firma chend bekannt ist, um auch ohne diesen Klammerzusatz die Haftungsbeschränkung aus der Warte des Empfängerhorizonts zutreffend zu identifizieren104. Indes hat jüngst der III. Zivilsenat des BGH105 – ohne Auseinandersetzung mit der bis dahin anderslautenden h.M., allerdings im Ergebnis mit Recht – im gegenteiligen Sinne entschieden, und zwar unter Verweis auf die gesetzliche Vorgabe, den Rechtsformzusatz „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ exakt und buchstabengetreu einzuhalten. Firmenrechtlich ist diese Aussage unzweifelhaft zutreffend. Für die zivilrechtliche Vertrauenshaftung kann freilich nicht allein an das Weglassen des die Haftungsbeschränkung ausdrücklich kenntlich machenden Klammerzusatzes „haftungsbeschränkt“ angeknüpft werden. Entscheidend ist vielmehr, ob diese Haftungsbeschränkung nach dem Empfängerhorizont bereits aus der bloßen Bezeichnung des Unternehmensträgers als „Unternehmergesellschaft“ hinreichend erkennbar ist. Das wird man mit dem III. Zivilsenat weiterhin, vorbehaltlich gesondert gelagerter Einzelfälle, in denen auch ohne diesen Zusatz für den Vertragspartner die Haftungsbeschränkung deutlich zum Ausdruck kommt, verneinen müssen. In jedem Fall wird freilich die Gutgläubigkeit des Vertragspartners hinzukommen müssen; eine Haftung scheidet daher aus, sofern der Vertragspartner die Haftungsverhältnisse kannte oder kennen musste, was darzulegen und ggf. zu beweisen dem in Anspruch genommenen Geschäftsführer oder sonstigen Vertreter obliegt. c) Anwendungsbereich 30 Die Firmenführungspflicht, deren Verletzung zur Rechtsscheinhaftung führen kann (s.

Rz. 22), gilt grundsätzlich nur im schriftlichen rechtsgeschäftlichen Verkehr, wie aus § 35a Abs. 1 zu folgern ist106. Mündliche Erklärungen von Geschäftsführern und sonstigen Vertretern der Gesellschaft in deren Namen, aber unter Weglassung des GmbH-Zusatzes führen grundsätzlich nicht zur Rechtsscheinhaftung, weil im mündlichen Verkehr niemand mit der Verwendung der vollen Firma seines Verhandlungspartners rechnet107. Anders verhält es sich aber z.B., wenn auf konkrete Nachfrage die Haftungsbeschränkung bestritten wird (§ 823 Abs. 2, § 826 BGB). Je nach den Umständen des Falles kann eine persönliche Haftung des Handelnden ferner etwa bei der Verwendung von Visitenkarten im Rahmen von Verhandlungen in Betracht kommen, auf denen die Firma der GmbH ohne den zwingend vorgeschriebenen GmbH-Zusatz vermerkt ist108.

104 Bejahend LG Düsseldorf v. 16.10.2013 – 9 O 434/12 U, GmbHR 2014, 33, 34 ff., allerdings nur für einen Fall, bei welchem es im Rahmen der Vertragsverhandlungen zu einem nachträglichen Austausch des Namens der natürlichen Person durch die „UG“ kam; Beck, GmbHR 2014, 402; Beck, ZIP 2017, 1748, 1751; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 5a Rz. 11; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 353; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5a Rz. 9a; ebenfalls zustimmend, mit ausführlicher Begründung, Seibert in FS Krieger, 2020, S. 911, 916; zu Recht auf den besonders gelagerten Einzelfall der vorgenannten Entscheidung des LG Düsseldorf abstellend Miras in BeckOK GmbHG, § 5a Rz. 59a; a.A., wie hier, Baukelmann in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 5a Rz. 14; Seebach, RNotZ 2013, 261, 277; wohl auch Altmeppen, § 35 Rz. 34: „Das LG Düsseldorf führt die BGH-Rspr. damit ad absurdum.“ 105 BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, GmbHR 2022, 351, 353 f. 106 BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764; Mock in Michalski u.a., Rz. 83; Roth in Roth/ Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 49a. 107 BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764, 765; OLG Hamm v. 26.4.1988 – 26 U 143/87, NJW-RR 1988, 1308, 1309; OLG Naumburg v. 20.9.1996 – 6 U 82/96, GmbHR 1997, 445, 446. 108 OLG Naumburg v. 20.9.1996 – 6 U 82/96, GmbHR 1997, 445, 446; LG Aachen v. 16.9.1987 – 4 O 628/85, NJW-RR 1988, 1174, 1175.

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Firma | Rz. 32 § 4

5. Sachlicher Anwendungsbereich; besondere Zusätze zum Rechtsformzusatz (modifizierte Rechtsformzusätze) a) Vor-GmbH (§ 4 i.V.m. § 19 Abs. 2 HGB) Die Firmenbildung der Vor-GmbH richtet sich notwendig nach § 4 i.V.m. §§ 18 ff. HGB. 31 Denn wenn sie mit förmlichem Abschluss des Gesellschaftsvertrages nach Maßgabe der §§ 2 ff. entsteht, verlangt dies notwendig, dass sie als zwingenden Bestandteil des Gesellschaftsvertrages eine Firma festlegt, die den Anforderungen der vorgenannten Bestimmungen zu entsprechen hat. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Vor-GmbH bereits eine Firma zu führen hat; diese Frage des Firmengebrauchs ist zu bejahen, sofern sie vor Eintragung bereits mit der Ausübung ihrer kaufmännischen Geschäftstätigkeit beginnt109; anderenfalls führt sie nur einen (freilich mit der statutarischen Firma identischen) Namen110. Aus dem Rechtsgedanken des § 19 HGB i.V.m. § 4 bzw. jenem des § 68 Abs. 2 folgt die Pflicht, dass die Firma der Vor-GmbH mit einem auf ihren besonderen Status hindeutenden Zusatz zu führen ist111, der den Anschein einer mit Handelsregistereintragung entstandenen GmbH erweckt112. Verbreitet ist namentlich der Zusatz „in Gründung“ oder (abgekürzt) „i.G.“. Wird dieser Zusatz im Rechtsverkehr weggelassen, so kommt nach h.M. eine persönliche Haftung des jeweils für die Vor-GmbH auftretenden Vertreters in Betracht; darüber bei Rz. 28; zu alledem näher bei 13. Aufl., § 11 Rz. 38. b) Aufgelöste GmbH (§ 4 i.V.m. § 68 Abs. 2; Liquidation, Nachtragsliquidation, Insolvenz) § 4 gilt auch für die aufgelöste GmbH113, die sich in diesem Fall nach Maßgabe des insoweit 32 erweitert anzuwendenden (an sich nur auf die Zeichnung der Liquidatoren bezogenen) § 68 Abs. 2 als Liquidationsfirma kenntlich machen soll, was meist vermittels des Zusatzes „in Abwicklung“, „in Liquidation“, „i.L.“ oder (seltener) „in Liqu.“ erfolgen kann (wohingegen „i.A.“ irreführend wirkte)114. Darin liegt weder eine Firmen- und damit Satzungsänderung115 (näher 12. Aufl., § 68 Rz. 14) noch eine eintragungsbedürftige oder auch nur -fähige Tatsache (vgl. 12. Aufl., § 69 Rz. 13). Ordnungsstrafzwang zum Gebrauch dieses Zusatzes findet nicht statt; auch wird weder die Gültigkeit von Rechtshandlungen noch die Verpflichtung der Ge109 BGH v. 29.10.1992 – I ZR 264/90, BGHZ 120, 103, 106 ff. = GmbHR 1993, 103; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 81; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 80; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18. 110 BGH v. 29.10.1992 – I ZR 264/90, BGHZ 120, 103, 106 = NJW 1993, 459, 460 = GmbHR 1993, 103, 104; BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, NJW 1998, 1079, 1080; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 11 Rz. 61; Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 11 Rz. 51; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 11 Rz. 13; a.A. etwa Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 11 Rz. 42, der bereits von Firmenfähigkeit ausgeht. 111 I.Erg. ebenso BGH v. 12.11.1984 – II ZB 2/84, GmbHR 1985, 153 (obiter); Altmeppen, Rz. 29; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18. 112 BGH v. 8.7.1996 – II ZR 258/95, GmbHR 1996, 764 = NJW 1996, 2645 f. m. Anm. Canaris. 113 Allg. Ansicht; vgl. nur Servatius in Bork/Schäfer, § 69 Rz. 4; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 69 Rz. 2; Paura in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013, § 69 Rz. 12. 114 Die Abkürzung steht für „in Abwicklung“, könnte aber als „im Auftrag“, gerade im Kontext der Zeichnung der Liquidatoren nach § 68 Abs. 2 missverstanden werden; vgl. Altmeppen, § 68 Rz. 14; Nerlich in Michalski u.a., § 68 Rz. 14; H.-F. Müller in MünchKomm. GmbHG, § 68 Rz. 17; Gesell in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 68 Rz. 3; Paura in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013, § 68 Rz. 15; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 68 Rz. 6; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 68 Rz. 11. 115 Unstreitig; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 20.

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§ 4 Rz. 32 | Firma sellschaft aus Rechtsgeschäften „im Namen des Unternehmens“ durch das Fehlen des Liquidationszusatzes berührt. Zur Haftung aus culpa in contrahendo und zur abzulehnenden Rechtsscheinhaftung bei Fortlassung dieses Liquidationszusatzes bei Rz. 28. 33 Wird in der Liquidation das Handelsgeschäft mit der Firma veräußert, so muss die GmbH

sodann (vermittels auch in der Liquidation zulässiger Satzungsänderung) eine neue Firma annehmen: Ist die Gesellschaft im Wesentlichen abgewickelt und bis auf den Ablauf des Sperrjahres (§ 73) die Liquidation beendet, besteht allerdings ausnahmsweise keine dahingehende Pflicht; im Rahmen der Erledigung ggf. verbliebener geringfügiger Liquidationsaufgaben kann die Gesellschaft dann als „früher unter XY firmierende GmbH“ auftreten, was dem Gläubigerschutz in diesem Fall allemal genügt (ausführlich bei 12. Aufl., § 69 Rz. 13). 34 Im Fall der Nachtragsliquidation (vgl. 12. Aufl., § 74 Rz. 24 ff.) kann die Gesellschaft die

alte (noch nicht erloschene) Firma mit dem Zusatz „i.L.“ wieder annehmen; im Lichte des § 30 HGB kann es allerdings Friktionen geben, sofern eine gleichlautende Firma durch Dritte zwischenzeitlich angenommen wurde, insbesondere nach vorheriger Firmenveräußerung. Die h.L. lässt hier den für ausreichend befundenen Zusatz „i.L.“ genügen116; dies kann allerdings zur Täuschung führen, dass die Firmenerwerberin nunmehr in Liquidation sei, was es daher richtigerweise entweder durch Bildung einer Ersatzfirma oder durch Hinzufügung eines Nachtragsliquidationszusatzes zu vermeiden gilt; aus pragmatischen Gründen wird man im Nachtragsliquidationsstadium auch wiederum den Zusatz „früher unter XY firmierende GmbH“ für ausreichend halten müssen (hierüber bei 12. Aufl., § 69 Rz. 13).

35 Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Gesellschaft (Auflösungs-

grund nach § 60 Abs. 1 Nr. 4) führt zur Eintragung eines Insolvenzvermerks im Handelsregister, doch ohne registergerichtliche (wohl aber insolvenzgerichtliche) Bekanntmachung (§ 32 Abs. 2 HGB), die aber in Bezug auf die von Amts wegen einzutragende Auflösung erfolgt (§ 65 Abs. 1 Satz 3; vgl. 12. Aufl., § 65 Rz. 14). Das Insolvenzstadium (als spezifisches Auflösungsstadium) ist nicht durch einen besonderen Firmenzusatz kenntlich zu machen; wohl aber bedarf es des allgemeinen Liquidationszusatzes117. Über die Bildung einer Ersatzfirma durch Satzungsänderung, sofern die Firma aus der Insolvenzmasse heraus veräußert wurde, bei Rz. 98. c) Zweigniederlassung (§ 4 i.V.m. § 13 Abs. 2 HGB) 36 Die Firma der Zweigniederlassung, wie auch immer sie im Übrigen gebildet werden mag,

muss zwingend den Rechtsformzusatz „GmbH“ beinhalten118. Dies ergibt sich ohne Weiteres bereits aus der Eigenschaft der Zweigniederlassung als bloßer (wenngleich organisatorisch eine gewisse Selbstständigkeit besitzender) Bestandteil der einheitlichen Rechtsperson der GmbH. Die Firma der Zweigniederlassung ist daher immer (nach dem Grundsatz der Firmeneinheit die an sich notwendig einheitliche) Firma der GmbH, bezogen auf einen von

116 Paura in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2013, § 69 Rz. 13; kritisch Gesell in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 69 Rz. 3. 117 A.A. BGH v. 26.11.2019 – II ZB 21/17, GmbHR 2020, 425, 428 m. Anm. Heckschen (zur AG); Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94, die ausdrücklich auch keinen Liquidationszusatz verlangt; wohl ebenso Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19, wonach im Insolvenzverfahren keine Zusätze zur Firma vorgesehen sind; ebenso Mock in Michalski u.a., Rz. 58; es ist aber nicht einsichtig, warum die Auflösungswirkung in diesem Fall nicht in der Firma sollte ausgedrückt werden müssen; zwar schließt sich an die Insolvenzverfahrenseröffnung kein gesellschaftsrechtliches Liquidationsverfahren an; die Gesellschaft ist trotzdem aufgelöst, was es anzuzeigen gilt. 118 Mock in Michalski u.a., Rz. 89; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136; Pentz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 13 HGB Rz. 27. Gemeint ist hier die inländische Zweigniederlassung einer GmbH mit Sitz im Inland.

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Firma | Rz. 37 § 4

der Hauptniederlassung getrennten Geschäftszweig. Daraus wurde früher überwiegend abgeleitet, für die Zweigniederlassung könne es keine besondere Firma geben, sondern alleinig einen (freiwilligen) „einfachen“ Zweigniederlassungszusatz (vgl. heute, diese Möglichkeit voraussetzend, § 13 Abs. 2 HGB). Nur die durch § 30 Abs. 3 HGB geforderten (unterscheidungskräftigen) Zusätze zur Firma, die zur Unterscheidung von anderen an demselben Ort bereits eingetragenen Firmen erforderlich sind (insoweit indes auch heute noch unzureichend die bloße Bezeichnung als „Zweigniederlassung“119), sollten daher zulässig sein. Diese strenge Sichtweise entspricht allerdings nicht mehr dem gegenwärtigen Meinungsstand. Nahezu allgemein anerkannt ist heute, dass auch jenseits eines besonderen sachlichen Grundes – worunter schon nach tradierter Ansicht auch die Fortführung der Firma bei Erwerb eines Handelsgeschäfts nach § 22 HGB fallen sollte120 – besondere Zusätze zulässig sein sollen, nach großzügiger Sichtweise sogar eine völlig freie Firmenwahl (auch hinsichtlich des Firmenkerns) für die Zweigniederlassung, sofern nur klar hervortritt, dass und wovon sie eine Zweigniederlassung ist121 (sog. „erweiterter Filialzusatz“, der freilich – ebenso wenig wie ein Filialzusatz überhaupt122 – nicht vonnöten ist, sofern die Firma der Zweigniederlassung mit jener der GmbH identisch ist123). Materiell-rechtlich erforderlich ist ein solcher Zusatz ferner, falls nach Maßgabe des § 50 Abs. 3 HGB eine Filialprokura erteilt werden soll, auch wenn diese nicht firmenrechtliche Bestimmung entgegen der heute h.L.124 nichts als Beleg dafür hergibt, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Firma für die Zweigniederlassung abgeändert geführt werden darf. Im Zeichen der Firmenwahrheit kommt es stets darauf an, dass nicht der falsche Eindruck von der Zweigniederlassung als eines eigenständigen Rechtssubjekts erweckt wird. Eine von der Hauptfirma abweichende Firmenbildung in Bezug auf die Zweigniederlas- 37 sung bedarf der Regelung im Gesellschaftsvertrag125, was bereits aus § 3 Abs. 1 folgt. Denn auch die Firma „der“ Zweigniederlassung ist eine (wenngleich abgewandelte) Firma „der Gesellschaft“, deren Festlegung im Gesellschaftsvertrag § 3 Abs. 1 verlangt. Damit ist die Firmenbildungskompetenz unweigerlich dem Kompetenzbereich der Geschäftsführung entzogen, unbeschadet dessen, dass die Einrichtung der Zweigniederlassung eine organisatorische 119 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 87; Pentz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 13 HGB Rz. 30; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 7; Krafka in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 23. 120 In diesem Sinne wohl BayObLG v. 31.5.1990 – BReg. 3 Z 38/90, BayObLGZ 1990, 151, 158 = BB 1990, 1364; Altmeppen, Rz. 27; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 88; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 22.2.2017 – 3 Wx 145/16, GmbHR 2017, 586 m. Anm. Enders; a.A. Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 17 HGB Rz. 15. 121 BayObLG v. 31.5.1990 – BReg 3 Z 38/90, BB 1990, 1364; BayObLG v. 19.3.1992 – 3 Z BR 15/92, BB 1992, 944; Koch, 16. Aufl. 2022, § 4 AktG Rz. 20; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13 HGB Rz. 84; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 13 HGB Rz. 7; Krafka in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 23; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 12 II 3 Rz. 81; demgegenüber wohl strenger Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3, der eine „völlig andere Firma“ für unzulässig erklärt, was aber offenlässt, ob dies nur den Fall eines fehlenden erweiterten Filialzusatzes bei abweichendem Firmenkern meint; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 87. 122 Vgl. hierzu auch OLG Düsseldorf v. 22.2.2017 – 3 Wx 145/16, GmbHR 2017, 586, 587; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 87. 123 RG v. 30.3.1926 – II B 8/26, RGZ 113, 213, 218; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43. 124 Etwa Pentz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 13 HGB Rz. 27; Roth in Koller/ Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 13 HGB Rz. 7. 125 BayObLG v. 31.5.1990 – BReg. 3 Z 38/90, BayObLGZ 1990, 151, 158 = BB 1990, 1364; BayObLG v. 19.3.1992 – 3Z BR 15/92, BayObLGZ 1992, 59, 62 = GmbHR 1992, 619; Heinrich in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 89; Mock in Michalski u.a., Rz. 54; Wicke, Rz. 12; a.A. Dirksen/Völkers, BB 1993, 598 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 4a Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39 und 46.

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§ 4 Rz. 37 | Firma Entscheidung der Geschäftsführung ist126. Eine „Vorratsermächtigung“ zugunsten der Geschäftsführer, beliebige Zweigniederlassungsfirmen mit erweitertem Filialzusatz zu bilden, scheidet daher ebenfalls aus127. Lediglich der einfache Filialzusatz (etwa: „Zweigniederlassung Hamburg“) bedarf nicht der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag, wenn die Firma im Übrigen einheitlich geführt wird128. Bedarf die abweichende Firmierung der Zweigniederlassung der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag, so bedarf auch ihre Änderung der Satzungsänderung. Sind Firma der Haupt- und der Zweigniederlassung identisch, bedeutet eine Änderung der Haupt- zugleich die (nicht gesondert anmelde- und eintragungsbedürftige) Änderung der Zweigniederlassungsfirma129, falls nichts anderes satzungsändernd festgesetzt wird. Sind sie nicht identisch, löst eine Änderung der Firma der Hauptniederlassung ggf. Anpassungsbedarf hinsichtlich des erweiterten Filialzusatzes aus, der ebenfalls eine Satzungsänderung erforderlich werden lässt. – Die Zweigniederlassung als eine der Vermögensmassen der GmbH kann mit ihrer Firma veräußert werden; es bestehen dann auch keine firmenrechtlichen Bedenken, wenn dem Erwerber gestattet wird, die Firma (jedoch ohne Kennzeichnung als Zweigniederlassung) fortzuführen130. Vgl. auch bei Rz. 47. d) Abgeleitete Firma (§ 4 Satz 1) 38 Nach § 4 Satz 1 muss die Firma der Gesellschaft, auch wenn sie nach § 22 HGB oder nach

anderen gesetzlichen Vorschriften fortgeführt wird, den Rechtsformzusatz enthalten. Gemeint sind die Fälle einer abgeleiteten Firma. Nach Maßgabe des § 22 HGB kann die GmbH – vornehmlich zum Erhalt des Firmenwerts, insbesondere auch zur Prioritätswahrung (vgl. § 30 HGB), jeweils als Ausdruck des Grundsatzes der Firmenbeständigkeit – die zum Erwerbszeitpunkt geführte Firma eines erworbenen Handelsgeschäfts fortführen (sie braucht es aber nicht zu tun); tut sie es, so tritt Schuldenhaftung ein, doch nur bei im Kern unveränderter Fortführung (Grund für Letzteres: Sicherstellung, dass trotz mangelnder Erkennbarkeit des Inhaberwechsels aus der Firma heraus jedenfalls die Firmenidentität klar ersichtlich ist131). Die Andeutung eines Nachfolgeverhältnisses (§ 22 Abs. 1 HGB) und insbesondere die Hinzufügung des GmbH-Rechtsformzusatzes bedeuten keine wesentliche Änderung. In der Firmenfortführung liegt eine Durchbrechung des Grundsatzes der Firmenwahrheit; doch ist dieser Grundsatz (innerhalb der Grenzen des Irreführungsverbots des § 18 Abs. 2 HGB) seit dem HRefG ohnehin aufgeweicht, was sich vor allem an der nunmehr breit befürworteten großzügigen Firmierung unter Personenbezeichnungen gesellschaftsfremder Dritter zeigt (darüber bei Rz. 45). Überhaupt wird man § 22 i.V.m. § 4 einen Bedeutungsverlust im Lichte der Liberalisierung des Firmenrechts bescheinigen müssen, vor allem angesichts des Fortfalls der vormaligen materiellen Firmenbildungsvorgaben des § 4 a.F., deren Nichterfüllung durch die abgeleitete Firma § 4 Satz 3 a.F. ausdrücklich im Fall des § 22 HGB 126 Zutr. BayObLG v. 31.5.1990 – BReg. 3 Z 38/90, BayObLGZ 1990, 151, 158 = BB 1990, 1364; BayObLG v. 19.3.1992 – 3Z BR 15/92, BayObLGZ 1992, 59, 63 = GmbHR 1992, 619; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13 HGB Rz. 87; a.A. Dirksen/Völkers, BB 1993, 598 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46. 127 In diesem Sinne auch Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113, wonach eine „Öffnungsklausel“ unzureichend ist. 128 BayObLG v. 31.5.1990 – BReg. 3 Z 38/90, BayObLGZ 1990, 151, 158 = BB 1990, 1364; BayObLG v. 19.3.1992 – 3Z BR 15/92, BayObLGZ 1992, 59, 62 = GmbHR 1992, 619. 129 BayObLG v. 31.5.1990 – BReg. 3 Z 38/90, BayObLGZ 1990, 151, 158 = BB 1990, 1364; BayObLG v. 19.3.1992 – 3Z BR 15/92, BayObLGZ 1992, 59, 63 = GmbHR 1992, 619; LG Nürnberg-Fürth v. 4.1.1984 – 4 HK T 4764/83, BB 1984, 1066; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13 HGB Rz. 86. 130 RG v. 20.9.1911 – I 1/11, RGZ 77, 60, 64; Bokelmann, GmbHR 1979, 265; Krafka in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 25 f.; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13 HGB Rz. 87. 131 Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 22 HGB Rz. 1, 17b; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 22 HGB Rz. 84.

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Firma | Rz. 41 § 4

für unbeachtlich erklärte. Dem Gedanken der Firmenwahrheit wird allerdings durch die Anordnung in § 4 Satz 1 in Bezug auf den Rechtsformzusatz zur Durchsetzung verholfen. Hierauf beschränkt sich insoweit die verbleibende Normaussage des § 4 Satz 1 für die abgeleitete Firma: Dieser muss zwingend der GmbH-Rechtsformzusatz hinzugefügt werden (falls sie nicht ohnehin schon diesen Rechtsformzusatz beinhaltete). Um dem zu genügen, kann der bisherige, nunmehr unrichtige Rechtsformzusatz (mit oder ohne das Nachfolgeverhältnis andeutenden Zusatz) durch den zutreffenden ersetzt werden. Die h.M. lässt es überdies zu, dass die bisherige Firma nicht nur im Firmenkern, sondern insgesamt, d.h. mit nunmehr unrichtigem Rechtsformzusatz fortgeführt wird, solange nur ein Nachfolgezusatz mit zutreffendem Rechtsformzusatz hinzugefügt wird. Diese Sichtweise ist unter dem Gesichtspunkt der Irreführungsgefahr abzulehnen, jedenfalls sofern es hierdurch zu einer Aneinanderreihung von Rechtsformzusätzen kommt (zu deren Unzulässigkeit bei Rz. 73), richtigerweise auch, sofern die Firma damit zwei als solche erkennbare Rechtsformzusätze führt, zumal allzu oft nur schwer erkennbar ist, auf welchen Rechtsformzusatz sich der Nachfolgezusatz beziehen soll132. Eine frühere Firma der GmbH muss nach Erwerb der neuen aufgegeben werden, da nur eine 39 Firma zulässig ist; doch bleibt eine Verschmelzung beider zulässig; dann ist aber § 22 HGB nicht einschlägig; hierüber bei Rz. 47. Soweit § 4 auf entsprechende andere gesetzliche Vorschriften Bezug nimmt, sind damit in 40 erster Linie die vergleichbaren Bestimmungen des UmwG gemeint133. Hervorzuheben sind die § 18 Abs. 1, § 36 Abs. 1 Satz 1, § 125 Satz 1 UmwG, welche die Fälle der Verschmelzung durch Aufnahme oder Neugründung und der Ausgliederung regeln. Auch in diesen Spezialfällen zu § 22 HGB geht es um den Firmenerhalt, vermöge § 4 Satz 1 aber unter Sicherstellung eines wahren Rechtsformzusatzes. Die Beibehaltung der Firma im Fall des Formwechsels, deren Möglichkeit § 200 UmwG klarstellt, ist dagegen angesichts der Rechtsträgeridentität kein Fall der abgeleiteten Firma, wohl aber der Firmenfortführung; die Notwendigkeit, den nunmehr zutreffenden Rechtsformzusatz (unter Streichung des alten, vgl. § 220 Abs. 1 Satz 1 UmwG) in die Firma aufzunehmen, ordnet § 200 Abs. 2 UmwG unter Verweis auf § 4 gesondert an134. e) UG (haftungsbeschränkt) (§ 5a Abs. 1) Für die Rechtsformvariante der UG (haftungsbeschränkt) gibt § 5a Abs. 1 zwei mögliche 41 Ausgestaltungsweisen eines spezifischen, diese Rechtsformvariante kennzeichnenden Rechtsformzusatzes vor; ein Rückgriff auf den Rechtsformzusatz der GmbH und damit auf § 4 Satz 1 ist zum Zwecke des Gläubigerschutzes versperrt, solange die UG (haftungsbeschränkt) nicht vermöge Kapitalerhöhung und begleitender Satzungsänderung zur GmbH erstarkt und (!) eine im Rechtsformzusatz entsprechend modifizierte Firma bildet (ein Zwang zu dieser Rechtsformzusatzanpassung besteht nicht; vgl. m.N. bei 13. Aufl., § 5a Rz. 31). Hierüber und über die Firmierung dieser Rechtsformvariante insgesamt bei 13. Aufl., § 5a Rz. 14; zur Zulässigkeit der Firmierung als „gUG (haftungsbeschränkt)“ und damit der entsprechenden Heranziehung des § 4 Satz 2 aber bei Rz. 19.

132 Zutreffend Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 22 HGB Rz. 89; im Ergebnis auch, für die AG, Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 4 AktG Rz. 20 f., wie überhaupt dort die h.L. 133 S. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 76. 134 Hierzu näher bei Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 22 HGB Rz. 52.

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§ 4 Rz. 42 | Firma

6. International-privatrechtlicher Anwendungsbereich; inländische Zweigniederlassungen 42 Ob und in welcher Form eine der deutschen GmbH vergleichbare Gesellschaft ausländi-

schen Rechts einen Rechtsformzusatz in ihre Firma zu integrieren hat, ist eine die Firmenbildung betreffende Systemfrage des Gesellschaftsrechts135, die sich nach Maßgabe des nach gesellschaftsrechtlichen Kollisionsnormen zur Anwendung berufenen Rechts (Gesellschaftsstatut) beantworten lässt. Im Anwendungsbereich der (unionsrechtlich oder staatsvertraglich induzierten) Gründungsrechtsanknüpfung ist die Frage mithin nach dem Recht am Satzungssitz der betreffenden Gesellschaft (über diese Satzungssitzanknüpfung bei 13. Aufl., § 4a Rz. 26 ff.) zu beurteilen, im Übrigen nach dem Verwaltungssitzrecht. Unterliegt eine in einem Drittstaat inkorporierte Auslandsgesellschaft mit inländischem Verwaltungssitz im hier verbleibenden Anwendungsbereich der Sitztheorie (vgl. 13. Aufl., § 4a Rz. 37 f.) deutschem (Gesellschafts-)Recht, bedarf es nach Maßgabe des § 19 HGB zwingend der Führung des Rechtsformzusatzes. § 4 findet dagegen keine Anwendung, weil die Gesellschaft (mangels inländischen Satzungssitzes sowie inländischer, konstitutiver Registereintragung) nur als Personenhandelsgesellschaft bzw. als Einzelkaufmann fortbestehen kann (über diese Umqualifizierung bei 13. Aufl., § 4a Rz. 37); zu einer Substitution der von § 4 gemeinten „deutschen“ GmbH durch die vergleichbare ausländische Gesellschaft kann es daher in diesen Fällen nicht kommen136. Liegen Satzungs- und Verwaltungssitz im Ausland, hat die ausländische GmbH bei Geschäftstätigkeit im Inland ihre nach ausländischem Recht zulässig gebildete Firma (mitsamt dem dort maßgebenden Rechtsformzusatz) im Inland zu führen (Frage des Firmengebrauchs). Diskrete Schranken dieser Anerkennung einer nach ausländischem Recht rechtmäßig gebildeten Firma begründet über Art. 6 EGBGB allein der ordre-public-Vorbehalt, der im Kern indes nur dem inländischen Irreführungsverbot i.S.d. § 18 Abs. 2 HGB zur Durchsetzung des Rechts des Gebrauchsorts zu verhelfen vermag137, insoweit aber gleichviel, ob eine EU-Auslands- oder Drittstaatengesellschaft in Rede steht. Abzulehnen sind jenseits dessen auch Versuche, den (nur die Rechtsformzusatzbildung, nicht deren Führung betreffenden!) Vorgaben des § 4 Satz 1 über eine ordnungsrechtliche (anstelle einer gesellschaftsrechtlichen) Qualifikation bzw. im Wege der Sonderanknüpfung als Eingriffsnorm138

135 Vgl. etwa RG v. 3.7.1927 – II 346/26, RGZ 117, 215, 218; BGH v. 24.7.1957 – I ZR 21/57, LM BGB § 12 Nr. 18 Bl. 3 = JZ 1958, 241, 242; BGH v. 2.4.1971 – I ZR 41/70, NJW 1971, 1522, 1523; BayObLG v. 21.3.1986 – BReg. 3 Z 148/85, BayObLGZ 1986, 61, 64 = NJW 1986, 3029; Bayer, BB 2003, 2357, 2364; Leible/Hoffmann, EuZW 2003, 677, 680 m. Fn. 31; Hirsch/Britain, NZG 2003, 1100, 1102 f.; Geyerhalter/Gäßler, NZG 2003, 409, 412; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 183; Karsten Schmidt in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 2005, S. 15, 27; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. zu § 4a Rz. 23; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 17 HGB Rz. 26; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13d HGB Rz. 22; Großfeld in Staudinger, 1998, IntGesR, Rz. 319; a.A. Kindler in MünchKomm. BGB Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2021, Teil 10 Rz. 239. 136 Insoweit irreführend daher der Hinweis auf die Substitution bei Mock in Michalski u.a., Rz. 79 und Kindler in MünchKomm. BGB Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2021, Teil 10 Rz. Rz. 245, jeweils für Auslandsgesellschaften mit Verwaltungssitz im Inland (die Ausführungen bei Kindler lassen sich aber, insoweit zutreffend, auch auf die Substitution im Hinblick auf § 19 HGB deuten). 137 Weitergehend etwa Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 17 HGB Rz. 26, wonach die Grundsätze der Firmenunterscheidbarkeit, -wahrheit und -klarheit Schranken bilden sollen; wie hier etwa Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, Vor § 17 HGB Rz. 56 ff. 138 Rehberg in Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 5 Rz. 52; der § 4 zu weitreichend als Quelle der Pflicht zur Führung des Rechtsformzusatzes versteht, wohingegen die Bestimmung in Wahrheit die Bildung des Rechtsformzusatzes betrifft; ähnlich auch Ulmer, JZ 1999, 662, 663; ablehnend dazu auch Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 367 ff.

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Firma | Rz. 43 § 4

oder durch den ordre public (über Art. 6 EGBGB)139 einen breiteren Anwendungsbereich, und zwar auch auf inländische Zweigniederlassungen von EU-Auslandsgesellschaften, zu verschaffen. Der Inhalt des Rechtsformzusatzes folgt im Anwendungsbereich der Gründungstheorie im Ausgangspunkt dem ausländischen Gründungs-, nicht dem inländischen Firmenrecht140. Grenzen setzt das Irreführungsverbot; eine Herkunftslandkennung ist daher nicht stets, sondern nur vonnöten, sofern anderenfalls eine Verwechslung mit einer inländischen Gesellschaft drohte, von der sich die ausländische GmbH in Bezug auf ihre Haftungsverfassung nach außen wesentlich unterscheidet. Unter diesen kumulativen Voraussetzungen gilt die Pflicht zur Landeskennung dann aber ungeachtet dessen, ob eine EU-Auslands- oder eine Drittstaatengesellschaft betroffen ist, weil sich insoweit die Notwendigkeit zum Hinweis auf die konkrete Haftungsverfassung als dem Vier-Konditionen-Test standhaltende Beschränkung der Niederlassungsfreiheit erweist. Zu weit ginge es indessen, nach dem Heimatrecht zulässige und dort verständliche Abkürzungen im Inland für unzulässig zu halten und damit einen „ausgeschriebenen“ Rechtsformzusatz zu erzwingen, ebenso – im Fall der inländischen Zweigniederlassung – undifferenziert (zur angeblich nötigen Vermeidung einer „Verheimlichung“) die Kennzeichnung als Zweigniederlassung zu fordern, die richtigerweise mit der heute ganz überwiegenden Ansicht nur verlangt werden kann, falls für die Zweigniederlassung eine von jener der Gesellschaft abweichende Firma gewählt wird141. Im Fall der Zweigniederlassung wird von der wohl überwiegenden Meinung mit Recht allerdings in Durchbrechung des Grundsatzes des einheitlichen Gesellschaftsstatuts originär das Firmenrecht am Ort der Zweigniederlassung und damit dem Gebrauchsort für anwendbar erklärt142, sodass deutsches Firmenrecht im Ausgangspunkt auch auf die Firma der Zweigniederlassung einer EU-ausländischen Gesellschaft anwendbar ist, und dies selbst dann, wenn die Firma mit jener der Hauptniederlassung übereinstimmt143 (die auch in diesem Fall zweistufig zu prüfen ist, nämlich auf ihre Zulässigkeit nach ausländischem und ihre Zulässigkeit nach inländischem Firmenrecht). Von dieser gesellschaftsrechtlich zu qualifizierenden Firmenbildungsfrage ist diejenige zu un- 43 terscheiden, ob eine ausländische GmbH zum Schutze des Rechtsverkehrs im Inland zwin139 In diese Richtung, jedenfalls, soweit Verwechslungsgefahr mit einem inländischen Rechtsformzusatz bestünde, etwa OLG Stuttgart v. 25.1.1991 – 2 U 126/90, WRP 1991, 525, 526; OLG Hamm v. 5.2.1991 – 4 U 217/90, WRP 1992, 354, 355; Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2 Rz. 147; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 17 HGB Rz. 49; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, Vor § 17 HGB Rz. 42; kritisch Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 239, 243 ff. 140 Genau umgekehrt, für eine gebietsbezogene Anknüpfung an den Ort der Niederlassung, Kindler in MünchKomm. BGB Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2021, Teil 10 Rz. 246; ähnlich Spahlinger/Wegen, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 554; wie hier aber etwa Rehberg in Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 5 Rz. 52; Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2 Rz. 146; zu alledem ausführlich Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 226 ff.; Schünemann, Die Firma im internationalen Rechtsverkehr, 2016, S. 125 ff. 141 OLG Düsseldorf v. 22.2.2017 – 3 Wx 145/16, GmbHR 2017, 586, 587 = ZIP 2017, 879; zum Meinungsstand näher Krafka in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 20; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13d HGB Rz. 24 f. und insb. Rz. 30. 142 So etwa Ebenroth, JZ 1988, 18, 20; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 13d HGB Rz. 4; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, Anh. § 17 HGB Rz. 6; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, Vor § 17 HGB Rz. 62; Großfeld in Staudinger, 1998, IntGesR, Rz. 319; v. Bar, IPR II, Rz. 615; in diese Richtung auch Rehberg in Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, § 5 Rz. 31, 43; vgl. zum Ganzen auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, Vor § 17 HGB Rz. 59 ff. 143 A.A. LG Frankfurt v. 2.3.2005 – 3/16 T 42/04, BB 2005, 1297 m. Anm. Wachter; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9, die in diesem Fall allein das Firmenrecht des ausländischen Gesellschaftsstatuts zur Anwendung bringen möchte; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, Vor § 17 HGB Rz. 64; wie hier aber Kindler in MünchKomm. BGB Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2021, Teil 10 Rz. 255.

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§ 4 Rz. 43 | Firma gend einen Rechtsformzusatz – in nicht übersetzter Form – führen muss, und zwar denjenigen ihres Heimatstaates, keinesfalls den Rechtsformzusatz der „äquivalenten“ deutschen GmbH, der stets irreführend wirkte. Diese Frage nach der Firmenführungspflicht ist zu bejahen. Ein Fortlassen des Rechtsformzusatzes im Rechtsverkehr führt in sinngemäßer Anwendung der bei Rz. 23 ff. geschilderten Grundsätze zu einer Rechtsscheinhaftung in entsprechender Anwendung des § 179 BGB bzw. einer Vertrauenshaftung. Diese Haftung knüpfte vormals internationalprivatrechtlich an den inländischen Auswirkungsort (Rechtsscheinstatut) an144, nunmehr unter Geltung der Rom-II-VO an den (hiermit in diesem Fall regelmäßig identischen) Erfolgsort i.S.d. (Vermögens-)Schadenseintrittsorts (wohl infolge einer Qualifikation als Haftung eines Dritten aus einem vorvertraglichen Schuldverhältnis, sodass regelmäßig auf Art. 12 Abs. 2 lit. a Rom-II-VO abzustellen sein wird145, wobei eine Anknüpfung nach Art. 4 Rom II-VO oder über das – vom Anwendungsbereich der Rom I-VO nach Art. 1 Abs. 2 lit. g Rom I-VO – ausgeschlossene Vollmachtsstatut in der hier interessierenden Konstellation typischerweise zum selbigen Ergebnis führen würde146). Diese berührt auch in Fällen inländischen Verwaltungssitzes147 (und damit notwendigerweise zu bildender inländischer Zweigniederlassung) jedenfalls bei vergleichbarer Rechtsformführungspflicht im EU-ausländischen Heimatrecht die Niederlassungsfreiheit nicht148, richtigerweise selbst dann nicht, wenn eine vergleichbare Pflicht des Heimatrechts fehlen sollte149 (dann: Führung eines Zusatzes als „[Zweigniederlassung einer] Gesellschaft ausländischen Rechts“ unter Nennung des Sitzortes150). Bei der Pflicht zur Führung des Rechtsformzusatzes handelt es sich um eine selbstständig anzuknüpfende internationalprivatrechtliche Vorfrage, die richtigerweise einer kumulativen Anknüpfung nach dem Gesellschaftsstatut und dem Recht am Ort der (weit verstandenen) Niederlassung unterliegt151. Die Voraussetzungen der Entstehung des Rechtsscheins richten sich nach dem inländischen Auswirkungsort. 144 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05 GmbHR 2007, 593 (zur niederländischen „BV“); so immer noch, aber die Rom II-VO außer Acht lassend bzw. sie (ohne nähere Begründung im Ergebnis) nicht für einschlägig haltend, Kindler in MünchKomm. BGB Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2021, Teil 10 Rz. 245; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10. 145 Ausführlich Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 102 ff.; zustimmend Bachmann, ZHR 182 (2018), 603, 608; a.A. Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 400 Fn. 526, wonach diese Frage nicht der Rom II-VO unterfallen soll. 146 Zutreffende Einordnung bei Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 97 ff. 147 Im Ergebnis gilt dasselbe, wenn ohne Verwaltungssitz im Inland lediglich aus dem Ausland heraus eine Geschäftstätigkeit im Inland, etwa über eine Verkaufsstelle, entfaltet wird, die Niederlassungsfreiheit mithin aus diesem Grunde schon nicht einschlägig ist. 148 Vgl. BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05 GmbHR 2007, 593 (zur niederländischen „BV“); Kindler, NJW 2007, 1785, 1787 = IPRax 2008, 42; Altmeppen, ZIP 2007, 889, 891; teils kritisch Schanze, NZG 2007, 533, 535; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63; ausführlich Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 99 ff. Art. 5 lit. b der Publizitäts-RL verlangt entsprechende Kennzeichnungspflichten, sodass es bei gebührender Umsetzung der Richtlinie in den Mitgliedstaaten an entsprechenden Bestimmungen nicht fehlen wird. 149 Für einen gleichwohl bestehenden Zwang zur Führung eines Rechtsformzusatzes, wie hier, Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 17 HGB Rz. 49; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, Vor § 17 HGB Rz. 61; a.A. etwa Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, Anh. § 17 HGB Rz. 13 ff. und 29; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, Vor HGB § 17 Rz. 47; i.Erg. wie hier, aber dogmatisch (zu weitgehend) über eine Substitution des § 4 Satz 1 für die ausländische GmbH, Mock in Michalski, Rz. 79; Kindler in MünchKomm. BGB Internationales Wirtschaftsrecht, 8. Aufl. 2021, Teil 10 Rz. 245. 150 Vgl. in diesem Sinne, mit Unterschieden im Detail, Krafka in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 23; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13d HGB Rz. 37. 151 Überzeugend in diesem Sinne Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 252 ff.; für Anknüpfung an den Marktort des kaufmännischen Auftretens dagegen Schünemann, Die Firma im internationalen Rechtsverkehr, 2016, S. 205 ff.

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Firma | Rz. 45 § 4

III. Bildung des Firmenkerns nebst freiwilliger Zusätze (§§ 18 ff. HGB) 1. Freie Firmenbildung und ihre Schranken a) Übersicht über die Anforderungen an die Firmenbildung Die bei der Firmenbildung der GmbH zu beachtenden Grundsätze ergeben sich – jenseits 44 jener den Rechtsformzusatz betreffenden – seit dem HRefG ausschließlich aus den handelsrechtlichen Firmenbildungsbestimmungen der § 18 und § 30 HGB (jeweils i.V.m. § 13 Abs. 3 GmbHG, § 6 Abs. 1 HGB) sowie aus einigen allgemeinen, mit der Namensfunktion der Firma zusammenhängenden Grundsätzen (vgl. § 17 Abs. 1 HGB). Die Firma muss danach (1.) zur Kennzeichnung der Gesellschaft geeignet sein sowie (2.) Unterscheidungskraft besitzen (§ 18 Abs. 1 HGB; darüber bei Rz. 48 ff.). Sie darf außerdem (3.) keine Angaben enthalten, die geeignet sind über geschäftliche Verhältnisse irrezuführen, die für die angesprochenen Verkehrskreise wesentlich sind (sog. Täuschungs- oder Irreführungsverbot des § 18 Abs. 2 Satz 1 HGB; darüber bei Rz. 69 ff.). Sie muss (4.) nach Maßgabe des bei Rz. 9 ff. ausführlich Geschilderten einen eindeutigen Rechtsformzusatz enthalten. Nach § 30 Abs. 1 HGB muss sich eine neue Firma ferner (5.) von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister eingetragenen Firmen deutlich unterscheiden. Die Firma darf schließlich (6.) nicht gegen gesetzliche Verbote, die öffentliche Ordnung oder das Sittengesetz verstoßen (§§ 134, 138 BGB) und muss (7.) insgesamt Namensfunktion besitzen. Besonderheiten gelten (8.) für fortgeführte oder abgeleitete Firmen aufgrund der §§ 21, 22, 24 HGB i.V.m. §§ 4, 13 Abs. 3 GmbHG, hinsichtlich derer auf die Ausführungen bei Rz. 38 ff. verwiesen wird. Sind diese Voraussetzungen einer ordnungsgemäßen Firmenbildung erfüllt, besteht ein Anspruch auf Eintragung der konkreten, statutarisch festgesetzten Firma152. b) Bedeutungsverlust der Firmentypen Seit der Liberalisierung des Firmenrechts durch das HRefG im Jahre 1998 (vgl. Rz. 5) und 45 der damit einhergehenden Reduzierung der Normaussage des § 4 auf Rechtsformzusatzvorgaben hat die Unterscheidung zwischen Firmentypen (Sach-, Namens- und Phantasie- sowie Mischfirmen) ihre elementare rechtliche Bedeutung verloren, welche sie früher vermöge der materiellen, nach Firmentypen differenzierenden Firmenkernvorgaben des § 4 a.F. besaß. Praktisch bedeutsam ist vor allem der Fortfall vormals strenger Anforderungen an die Bildung von Sachfirmen, welche überwiegend aus dem Entlehnungsgebot des § 4 Abs. 1 Satz 1 a.F. hergeleitet wurden. Deshalb besteht im Ergebnis Übereinstimmung darüber, dass jedenfalls sämtliche bereits nach dem früheren strengeren Recht zulässigen Sachfirmen heute (erst recht) nach dem neuen großzügigeren Firmenrecht erlaubt sind. Selbiges gilt für Personenbezeichnungen in der Firma: Während vormals § 4 Abs. 1 Satz 1 a.F. bestimmte, dass eine Personenfirma die Namen der Gesellschafter oder die Namen wenigstens eines Gesellschafters mit einem das Vorhandensein eines Gesellschaftsverhältnisses andeutenden Zusatz enthalten musste und die Namen anderer Personen als der Gesellschafter nicht in die Firma aufgenommen werden durften, beurteilt sich heute, nach ersatzloser Streichung dieser Bestimmung, die Zulässigkeit einer Personenfirma allein nach § 18 Abs. 1 und 2 HGB i.V.m. § 4 GmbHG; entscheidend ist folglich nur, ob die Firma die nötige Kennzeichnungseignung und Unterscheidungskraft aufweist (§ 18 Abs. 1 HGB) und nicht täuschend wirkt (§ 18 Abs. 2 Satz 1 HGB; Rz. 69 ff.). Aus dieser Verortung der Firmenbildungsgrundsätze im allgemeinen handelsrechtlichen Firmenrecht der §§ 18 ff. HGB ergibt sich zwanglos die Zulässigkeit von Phantasiefirmen, also solchen Firmen, die sich schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach weder als Sach- noch als Personenfirmen darstellen. Nach früherem Recht waren sie dagegen nur 152 Vgl. etwa Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 9.

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§ 4 Rz. 45 | Firma unter der Voraussetzung erlaubt, dass der Unternehmensgegenstand nach den Umständen für die angesprochenen Verkehrskreise noch hinreichend erkennbar blieb. Aus dem Gesagten folgt, dass die reichhaltige Rechtsprechung zu spezifischen Anforderungen an bestimmte Firmentypen allenfalls noch eingeschränkt aussagekräftig ist. Den Firmentypen bleibt gegenwärtig nur noch eine Kategorierungsfunktion; aus der Zuordnung zu einer Kategorie, die angesichts der zulässigen Vermischung von Personen-, Sach- und Phantasiebezeichnungen ohnehin nicht trennscharf möglich ist, dürfen jedoch keine rechtlichen Schlussfolgerungen gezogen werden153. c) Spezialgesetzliche Schranken der freien Firmenbildung; Bezeichnungsschutz 46 Rechtsanwalts-, Steuerberatungs-, Wirtschaftsprüfungs- oder Buchprüfungsgesellschaf-

ten müssen bzw. nach neuer Rechtslage: dürfen unter bestimmten Voraussetzungen als Berufsausübungsgesellschaften diesen Gegenstand nach Maßgabe ihrer Berufsordnungen (vgl. § 59k Abs. 1 BRAO: zwingende Sachbezeichnung als „Rechtsanwaltsgesellschaft“; bzw. ab dem 1.8.2022 nach Maßgabe des § 59p BRAO n.F.: erlaubte Sachbezeichnung bei Erfüllung der dort genannten Voraussetzungen; § 53 Abs. 1 StBerG bzw. ab dem 1.8.2022 („dürfen“) nach Maßgabe des § 55g StBerG: „Steuerberatungsgesellschaft“, § 27 Abs. 1 WiPrO: „Wirtschaftsprüfungsgesellschaft“, § 130 Abs. 2 WiPrO: „Buchprüfungsgesellschaft“) in ihre Firma aufnehmen154; umgekehrt besteht Bezeichnungsschutz dieser Berufsbezeichnungen, sodass sie anderen als diesen Gesellschaften bzw. Gesellschaften ohne entsprechende berufliche Qualifikation der Stimmrechts- und der „Geschäftsführungsorgan“-Mehrheit verwehrt sind. Die Bezeichnung „Bank“, „Bankier“ oder „Sparkasse“ in der Firma ist aus ähnlichen Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes nach Maßgabe des § 41 Satz 1 KWG nur solchen Unternehmen gestattet, welche die Voraussetzungen der §§ 39 f. KWG erfüllen, es sei denn, diese Worte würden in einem Kontext gebraucht, welcher den Anschein des Betreibens von Bankgeschäften ausschließt. Letzteres wird vor allem dort anzunehmen sein, wo es sich um Wortverbindungen handelt, die (wie „Spielbank“) Verwechslungen mit den geschützten Bezeichnungen im Sinne der ihnen vom KWG beigelegten Bedeutungen vermeiden, weil aus dem Kontext für den durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer ersichtlich ist, dass das Wort „Bank“ nicht im Sinne des KWG gebraucht wird. Selbst wenn von einer Bank im technischen Sinne die Rede ist, aber aus der Sachfirma ein bankgeschäftsfremder Unternehmensgegenstand erkennbar wird (wie im Fall „Bankverlag“), liegt keine unzulässige Führung dieser Bezeichnung vor155. Werden die geschützten Bezeichnungen unzulässig verwandt, führt dies zum Eintragungshindernis, im Fall gleichwohl erfolgter Eintragung zur Löschung der Firma von Amts wegen nach Maßgabe des § 43 Abs. 2 Satz 3 KWG i.V.m. § 395 FamFG; darüber bei Rz. 102. Gleichermaßen sind die Bezeichnungen als „Kapitalverwaltungsgesellschaft“, „Investmentvermögen“, „Investmentfonds“ oder „Investmentgesellschaft“, aber auch Bezeichnungen, in denen diese Begriffe enthalten sind, also vor allem die Benutzung der Worte „Investment“, „Investor“, oder „Invest“, wohl auch (in Anlehnung an den mittlerweile durch § 3 KAGB ersetzten § 3 Abs. 1 Satz 1 InvG) des Wortes „Kapitalanlage“ und des Wortes „Wagniskapital“ (§ 3 WKGB a.F.)156 grundsätzlich den Unternehmen mit diesem Geschäftsbereich vorbehalten. Bei untechnischer Verwendung dieser Begriffe entscheidet die Frage der Täu153 Ähnlich, aber tendenziell den Firmentypen stärkeres Gewicht beimessend, Mock in Michalski u.a., Rz. 15; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 4; liberaler, wie hier, aber Altmeppen, Rz. 3 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5. 154 Näher zu alledem, allerdings vor der BRAO-Reform, Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43 m.w.N. 155 Vgl. Fischer/Müller in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, 5. Aufl. 2016, § 41 KWG Rz. 5; vgl. zum Ganzen auch Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 53 ff. 156 Übereinstimmend Fischer/Boegl in Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, 5. Aufl. 2017, § 131 Rz. 47, dort auch mit weiteren Beispielen für den Bezeichnungsschutz.

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Firma | Rz. 47 § 4

schungseignung über die Zulässigkeit, an welche angesichts des Bezeichnungsschutzes allerdings strenge Maßstäbe anzulegen sind; näher zur Täuschungseignung bei Rz. 69 ff.

2. Firmeneinheit Die Gesellschaft kann, wie im Grundsatz nur einen statutarischen Sitz (darüber bei 13. Aufl., 47 § 4a Rz. 19 f.), so auch nur einen Namen (d.h. eine Firma) haben; in diesem Grundsatz der Firmeneinheit157 spiegelt sich wiederum die Funktionsäquivalenz der Firma zum bürgerlichen Namen einer natürlichen Person wider. Selbst wenn die Gesellschaft mehrere (auch organisatorisch getrennte und in verschiedenen Geschäftsbereichen operierende) Unternehmen trägt, darf sie daher – anders als nach überwiegender Ansicht der Einzelkaufmann158 – für diese Unternehmen nicht verschiedene Firmen verwenden159 und damit den falschen Anschein mehrerer Rechtsträger und damit Haftungssubjekte erwecken. Der Ausschluss einer Firmenmehrheit gilt auch, wenn die Gesellschaft ein weiteres Handelsgeschäft erwirbt, dessen Firma sie neben ihrer Firma (nicht also an deren statt) fortzuführen beabsichtigt (§ 4 GmbHG i.V.m. § 22 HGB)160. Soll die erworbene Firma dennoch (weitestgehend) aufrechterhalten werden, bestehen drei Möglichkeiten: (1.) das hinzuerworbene Geschäft wird als Zweigniederlassung unter besonderer Firma betrieben (vgl. § 13 Abs. 1, § 30 Abs. 3, § 50 Abs. 3 HGB und darüber näher bei Rz. 36 f.); (2.) das hinzuerworbene Geschäft wird in eine rechtlich selbstständige Tochtergesellschaft (z.B. als Sacheinlage oder Sachaufgeld) „eingebracht“ bzw. von vornherein durch diese erworben; (3.) beide Firmen werden vereint161, wodurch es freilich (bis auf den Fall 2) zu gewissen Modifikationen der Firma kommen muss (bei Fall 1 durch einen Zusatz zur Verdeutlichung der Zugehörigkeit zur Hauptniederlassung, bei Fall 3 durch Bildung eines Kompositums; darüber bei Rz. 36). – Von alledem unberührt bleibt freilich die Möglichkeit, dass eine Gesellschaft zwar nur unter einer Firma, gleichwohl aber unter mehreren als solche erkennbaren Geschäfts- oder Etablissementbezeichnungen im Rechtsverkehr auftritt, die gerade nicht auf den Rechtsträger, sondern (objektbezogen) auf das Geschäft bzw. den Betrieb hinweisen162. 157 BGH v. 21.9.1976 – II ZB 4/74, BGHZ 67, 166, 167 f.; BGH v. 8.4.1991 – II ZR 259/90, MDR 1991, 951 = NJW 1991, 2023, 2024; Ammon, DStR 1994, 325; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 3; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Mock in Michalski u.a., Rz. 14; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 17 HGB Rz. 9; Emmerich in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 17 HGB Rz. 22; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, Vor § 17 HGB Rz. 39; kritisch W.-H. Roth, Fachtagung der Bayer-Stiftung 1998, S. 31, 54 ff. 158 BGH v. 7.1.1960 – II ZR 228/59, BGHZ 31, 397, 399; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 17 HGB Rz. 8, Emmerich in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 17 HGB Rz. 24; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas, 5. Aufl. 2019, § 17 HGB Rz. 21. 159 BGH v. 21.9.1976 – II ZB 4/74, BGHZ 67, 166, 167 ff. = GmbHR 1976, 280; BayObLG v. 19.3.1992 – 3Z BR 15/92, BayObLGZ 1992, 59, 61 = GmbHR 1992, 619 = AG 1992, 455; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, Vor § 17 HGB Rz. 39 ff. 160 RG v. 30.10.1914 – II B 4/14 und 5/14, RGZ 85, 397, 399; RG v. 30.3.1926 – II B 8/26, RGZ 113, 213, 216; BGH v. 21.9.1976 – II ZB 4/74, BGHZ 67, 166, 168 = GmbHR 1976, 280; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Mock in Michalski u.a., Rz. 2 m.w.N.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11. 161 Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 2; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2. 162 Wohl allg. Meinung, etwa Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 17 HGB Rz. 11 sowie Ries in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 17 HGB Rz. 9, ferner z.B. Altmeppen, Rz. 2; ausführlich Wessel/Zwernemann/Kögel, Die Firmengründung, 7. Aufl. 2001, S. 24; zur Unterscheidung von Firma und Geschäftsbezeichnung, jeweils im Kontext des § 25 Abs. 1 HGB, BGH v. 17.12.2013 – II ZR 140/03, ZIP 2014, 1329 Rz. 8 sowie aus jüngerer Zeit OLG Brandenburg v. 24.6.2020 – 7 U 44/ 19, NZG 2020, 1153, 1154.

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§ 4 Rz. 48 | Firma

3. Firmenbildung a) Kennzeichnungs- und Unterscheidungskraft (§ 18 Abs. 1 HGB) 48 § 18 Abs. 1 HGB stellt Kennzeichnungseignung und Unterscheidungskraft als zwei selbst-

ständige, kumulative Voraussetzungen zulässiger Firmenbildung nebeneinander, wohingegen vor dem HRefG beide bis dahin im Gesetz zwar angelegte, nicht aber explizierte Begriffe wohl überwiegend als Synonyme verstanden wurden. Einigkeit besteht nach dem gegenwärtigen Stand der Dogmatik lediglich über die enge Verwandtschaft beider Begriffe zueinander163, woraus zuweilen allerdings überschießend gefolgert wird, die Grenze zwischen ihnen verlaufe fließend164, mitunter gar, es handele sich bei diesen kumulativen Voraussetzungen in Wahrheit nur um unterschiedliche Akzentuierungen ein und desselben Gedankens der „namensmäßigen Unterscheidungskraft“165. Angesichts des klaren Wortlauts des § 18 Abs. 1 wird man demgegenüber zwischen beiden Begriffen im theoretischen Ansatz deutlich unterschieden müssen166, wenngleich diese Unterscheidung im praktischen Ergebnis (angesichts des Kumulationserfordernisses) nicht bedeutsam und die Frage daher mehr von akademischem Interesse ist167. Danach ist bei der Kennzeichnungseignung die Namensfunktion der Firma in den Vordergrund gerückt, bei der Unterscheidungskraft dagegen ihre Individualisierungsfunktion. 49 Mit der Kennzeichnungseignung wird also auf die grundsätzliche Fähigkeit einer Bezeich-

nung abgestellt, als Name im Rechtsverkehr, und damit als Mittel der Identifikation eines Rechtsträgers im geschäftlichen Verkehr, zu fungieren168. Daraus folgt zuvörderst, dass für 163 Vgl. etwa zum Verhältnis beider Begriffe zueinander Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1077; Altmeppen, Rz. 2; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7, 10; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8 f.; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4 f.; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 3. Zur Parallelvorschrift des § 4 AktG vgl. Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 4 AktG Rz. 11 f.; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 12, 20. 164 Vgl. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 43; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4 f.; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 4; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 3; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 9. S. weiter Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9, wonach beide Begriffe dasselbe Ziel aus verschiedenen Blickwinkeln umschreiben; vgl. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26, der darauf hinweist, dass das Verhältnis beider Begriffe für die praktische Problemlösung bedeutungslos ist. 165 Bülow, DB 1999, 269, 270; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 3. 166 Wessel/Zwernemann/Kögel, Die Firmengründung, 7. Aufl. 2001, S. 102; Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 268; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 8a m. Fn. 13; in diese Richtung auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9, wenn auch davon ausgehend, dass beide Begriffe sich überschneiden und kaum sinnvoll voneinander abgrenzbar seien. Von dem hier zugrunde gelegten Verständnis des § 18 Abs. 1 HGB geht allerdings wohl auch die Rechtsprechung aus, da der BGH im Jahr 2008 betont hat, dass mit der Kennzeichnungseignung in § 18 Abs. 1 HGB die Eignung einer Firma gemeint sei, überhaupt als Name eines Unternehmens im Rechtsverkehr zu fungieren, während eine Firma Unterscheidungskraft im Sinne des § 18 Abs. 1 HGB besitze, wenn sie ihrer Art nach geeignet sei, die Gesellschaft von anderen Unternehmen zu unterscheiden und damit zu individualisieren; vgl. BGH v. 8.12.2008 – II ZB 46/ 07, GmbHR 2009, 249, 250 m. Anm. Lamsa; KG v. 11.9.2007 – 1 W 81/07, GmbHR 2008, 146. 167 Ähnliche Einschätzung bei Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 7. 168 BGH v. 28.1.1981 – IVb ZR 581/80, BGHZ 79, 265, 270 = NJW 1981, 914 (zu § 4 ParteienG); BGH v. 26.6.1997 – I ZR 14/95, BB 1997, 2611 f.; Müther, GmbHR 1998, 1058, 1059; Altmeppen,

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Firma | Rz. 49 § 4

die Firmenbildung allein Zeichen taugen, denen im Verkehr Namensfunktion zukommt. Namensfunktion wiederum verlangt eine aus Zeichen des in Deutschland üblichen Schriftsystems – d.h. aus Buchstaben des lateinischen Alphabets sowie arabischen Ziffern – bestehende, schreib- und lesbare (nicht notwendigerweise verständliche bzw. sinnhafte169) Bezeichnung, die nicht zwingend im engeren Sinne (als den deutschen Sprachregeln folgende Buchstabenkombination) aussprechbar170, wohl aber (eindeutig!) artikulierbar sein muss171, und zwar (idealtypisch) als wörtliche Bezeichnung, um als „Kennwort“ für den Unternehmensträger dienen zu können172. Damit scheiden jedenfalls im Ausgangspunkt sonstige Zeichen, wie insbesondere bloße Bilder, nicht eindeutig artikulierbare Kürzel, Sonderzeichen und dergleichen mehr als Firmenbestandteile aus, falls ihnen nicht im Ausnahmefall gleichwohl namensmäßige Wirkung zukommt; darüber bei Rz. 56 ff. Die Namensfunktion einer bestimmten Bezeichnung ist allerdings nicht statisch bestimmt, sondern wesentlich abhängig von den jeweiligen, sich auch ändernden Anschauungen der angesprochenen Verkehrskreise. Dies verbietet eine Verfestigung einer Ansicht über die Namensfähigkeit einer Bezeichnung; Änderungen der Anschauungen der einschlägigen Verkehrskreise sind vielmehr auch in der rechtlichen Bewertung zu berücksichtigen173.

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Rz. 3; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 4; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Mock in Michalski u.a., Rz. 18; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27; Wicke, Rz. 3; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 5; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 3; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 10 f. Zu § 4 AktG s. Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 4 AktG Rz. 11. Vgl. auch zur Funktion des Namens einer Person Hefermehl in FS A. Hueck, 1959, S. 520: „Kennwort, das gesprochen, gehört und geschrieben werden kann“. OLG Hamm v. 11.12.2007 – 15 W 85/07, DB 2008, 981 f.; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 3. Auf die Aussprechbarkeit abstellend BGH v. 6.7.1954 – I ZR 167/52, BGHZ 14, 155, 159 f. (Abgrenzung zum Bildzeichen); OLG Celle v. 19.11.1998 – 9 W 150/98, GmbHR 1999, 412; KG v. 23.5.2000 – 1 W 247/99, GmbHR 2000, 1101, 1102; BayObLG v. 4.4.2001 – 3Z BR 84/01, BayObLGZ 2001, 83, 84 = GmbHR 2001, 476 m. Anm. Wachter; Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1077; Altmeppen, Rz. 3; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 44; Wamser in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 6; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Wicke, Rz. 3; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 7; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 11; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 17 Rz. 7. A.A. Mock in Michalski u.a., Rz. 22 (keine Aussprechbarkeit o.Ä. erforderlich). Zu dieser Erleichterung im Sinne der Artikulierbarkeit BGH v. 8.12.2008 – II ZB 46/07, GmbHR 2009, 249, 250 m. Anm. Lamsa; OLG Hamm v. 11.12.2007 – 15 W 85/07, GmbHR 2008, 707 = OLGR 2008, 351 = ZIP 2008, 791; Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 107; Schulenburg, NZG 2000, 1156, 1157; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 5; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 5; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 18 f.; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 20; anders noch vor der obigen Entscheidung des BGH: OLG Celle v. 6.7.2006 – 9 W 61/06, OLGR 2006, 868: „AKDV GmbH“; dass die Konsonanten dieser Firmenbezeichnung mit entsprechenden Vokalen ausgesprochen werden könnten, soll hiernach unbeachtlich sein; Buchstabenkombinationen seien überdies zwar im Rechtsverkehr üblich, aber nur als Abkürzung für den eigentlichen Firmenbegriff. Nach Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29 meint „artikulierbar“ dasselbe wie buchstabierbar. Vgl. auch zur Funktion des Namens einer Person Hefermehl in FS A. Hueck, 1959, S. 520: „Kennwort, das gesprochen, gehört und geschrieben werden kann“. Richtig Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 10; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 6; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 1; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27, mit dem Hinweis, dass dies erst recht im

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§ 4 Rz. 50 | Firma 50 Hinzukommen muss stets, und zwar als Merkmal der Unterscheidungskraft, dass die fragli-

che Bezeichnung ihrer Art nach (generell) zur Individualisierung des Rechtsträgers im Unterschied zu anderen geeignet ist. Bezeichnungen ohne jede Individualisierungsfunktion scheiden mithin als Firmen aus, wobei es freilich nicht auf eine isolierte Betrachtung einzelner Elemente des Firmenkerns oder einzelner Firmenzusätze ankommt, sondern auf die Firma in ihrer Gesamtheit. Zu beachten ist, dass von der abstrakt verstandenen Unterscheidungskraft die konkrete Unterscheidungskraft im Sinne des § 30 Abs. 1 HGB abzugrenzen ist, nach dem die Zulässigkeit jeder Firma zusätzlich davon abhängt, dass sie sich von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde bereits bestehenden und in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister eingetragenen Firmen deutlich unterscheidet. b) Einzelne Problemfelder aa) Kennzeichnungseignung (1) Buchstaben, Buchstabenkombinationen 51 Aus der Namensfunktion der Firma (§ 17 Abs. 1 HGB) und dem bereits hieraus abzuleiten-

den, überdies in § 18 Abs. 1 HGB festgeschriebenen Erfordernis der Kennzeichnungseignung der gewählten Zeichen folgt, dass die Firma allein aus den für die deutsche Sprache ausschließlich üblichen (und vom durchschnittlichen Verkehrsteilnehmer daher les- und aussprechbaren) Buchstaben des lateinischen Alphabets (nebst den Erweiterungen der deutschen Normalschrift174) bestehen darf175. Jede andere Schrift scheidet aus, weil sie in Deutschland nicht lesbar und aussprechbar ist176 (überdies ist die Gerichtssprache deutsch, sodass schon daher jedenfalls kein Anspruch auf Eintragung fremder Schriftzeichen besteht, ungeachtet dessen, ob diese Schriftzeichen als Sonderzeichen auf der PC-Tastatur verfügbar und im Handelsregister darstellbar sind177). Chinesische, japanische oder arabische Schriftzeichen können daher in Deutschland nicht zur Bildung einer Firma verwandt werden178.

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Hinblick auf den vom HRefG verfolgten Liberalisierungszweck gelte; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 9, Fn. 24. Etwa in Form des Buchstabens „ß“, der selbstverständlich zulässiger Firmenbestandteil sein kann; vgl. etwa Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 269; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 9a. BGH v. 6.7.1954 – I ZR 167/52, BGHZ 14, 155, 160 (Abgrenzung zum Bildzeichen); BGH v. 8.12.2008 – II ZB 46/07, GmbHR 2009, 249, 250 m. Anm. Lamsa; Altmeppen, Rz. 3; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 5; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 45; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Mock in Michalski u.a., Rz. 22; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Wicke, Rz. 3; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 6; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 11: nur bei alleiniger Nutzung von lateinischen Buchstaben kann sie von durchschnittlichen Verkehrskreisen ausgesprochen werden; mit dieser Begründung ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 16. Mock in Michalski u.a., Rz. 19; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 7; auf die fehlende Aussprechbarkeit abstellend Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 16; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 11; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 15. Hierauf kann es entgegen z.B. Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17 m. Fn. 53 nicht ankommen, weil sich die technische Darstellbarkeit letztlich nach dem geltenden Firmenrecht ausrichten muss, nicht aber umgekehrt. Die Darstellbarkeit mittels Computertastatur mag freilich zur Verkehrsüblichkeit eines Zeichens beitragen. Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1077; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Mock in Michalski u.a., Rz. 19; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14 Fn. 49.

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Firma | Rz. 52 § 4

Abzulehnen sind entgegen der wohl h.L.179 auch griechische Schriftzeichen in der Firma der GmbH, selbst jene eingängigeren Anfangsbuchstaben des dortigen Alphabets (zulässig ist aber selbstverständlich z.B. eine in lateinischen Buchstaben gehaltene „Alpha Beta GmbH“); die h.L. ist sich im Detail bereits uneins, welche griechischen Schriftzeichen in der Firma zulässig, weil hinreichend bekannt sind180. Bezeichnungen aus anderen Schriftsystemen als dem deutschen sind ausnahmslos zu transkribieren181. Aus dem Erfordernis der Namensfunktion und der damit verbundenen Kennzeichnungseig- 52 nung wurde früher überwiegend geschlussfolgert, dass eine Firma grundsätzlich nur aus als Wort aussprechbaren Buchstabenkombinationen bestehen dürfe. Eine Ausnahme war lediglich für Buchstabenfolgen anerkannt, die, wie die Zeichen „VW“, „BMW“ oder „BASF“, Verkehrsgeltung besitzen. Nach gegenwärtigem, höchstrichterlich abgesichertem Stand der Dogmatik ist diese Sichtweise überholt182. Heute gilt, dass beliebigen Buchstabenkombinationen jedenfalls nicht grundsätzlich die Kennzeichnungseignung abzusprechen ist, sie vielmehr regelmäßig zulässig und nur ausnahmsweise unzulässig sind. Aussprechbarkeit (als Wort bzw. im Ganzen, wie z.B. bei „TUI“) ist hierfür nicht vonnöten, solange Artikulierbarkeit gegeben ist (hierüber bereits bei Rz. 49). Abgrenzungen in diese Richtung wären ohnehin nicht trennscharf möglich. Unerheblich ist damit auch, ob die Buchstabenkombination „am Stück“ lesbar oder (angeblich) allein buchstabierbar ist; hiernach zu differenzieren, wäre überdies schon deshalb sachwidrig, weil durch die Beifügung eines Vokals zu einem Konsonanten beim Buchstabieren stets aussprechbare Kombinationen entstehen183. Gegen eine „ABC“-Firma bestehen danach heute im Grundsatz keine Bedenken mehr, Verkehrsgeltung ist dafür, anders als 179 Für Zulässigkeit allgemeiner bekannter und verbreiteter Buchstaben wie α oder β Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 45; Mock in Michalski u.a., Rz. 19; für Zulässigkeit unter der weiteren Bedingung der Nähe zum lateinischen Alphabet Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14 Fn. 49; für Zulässigkeit bei Darstellbarkeit Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17 Fn. 53; wie hier aber insgesamt ablehnend Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1077; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 11; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 9a; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 6; Ries in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 16. 180 Auf die Bekanntheit abstellend Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 45; Mock in Michalski u.a., Rz. 19; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14 Fn. 49. Dass die Befürworter der h.L. sich hierüber uneins sind, ist Folge der Unbestimmtheit des von ihnen herangezogenen Kriteriums der allgemeinen Bekanntheit. 181 Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 268 ff.; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 9a. 182 BGH v. 8.12.2008 – II ZB 46/07, GmbHR 2009, 249, 250 m. Anm. Lamsa; OLG Hamm v. 11.12.2007 – 15 W 85/07, GmbHR 2008, 707 = OLGR 2008, 351 = ZIP 2008, 791, 792; dahin tendierend, aber im konkreten Fall offenlassend OLG Frankfurt a.M. v. 28.2.2002 – 20 W 531/01, GmbHR 2002, 647, 648; Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1077 f.; Möller, DNotZ 2000, 830, 831; Schulenburg, NZG 2000, 1156, 1157; Altmeppen, Rz. 14; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7 f.; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Mock in Michalski u.a., Rz. 22; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 3; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 17; Reuschle in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 28; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 19; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 12; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 4 AktG Rz. 11; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 17. A.A. Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 50: Firmen wie „DEF-GmbH“ oder „GHI-GmbH“ sind grundsätzlich nicht zur Kennzeichnung geeignet. 183 Zutreffend Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 25; vgl. auch Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 12, demzufolge die Unterscheidbarkeit zwischen angeblich unaussprechbaren und als Wort aussprechbaren Buchstabenkombinationen auf eine beliebige Wertung hinauslaufe.

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§ 4 Rz. 52 | Firma früher, keine Voraussetzung184. Der Buchstabenkombination muss auch keine Bedeutung (etwa im Sinne einer Abkürzung) zukommen185, vor allem, da innovative Buchstabenkombinationen besonders einprägsam sind186 und damit im ausgezeichneten Sinne Kennzeichnungskraft besitzen. Eine anerkannte Ausnahme187 gilt lediglich für eine sinnlose Aneinanderreihung von Buchstabenblöcken, wie z.B. „AAAA …“188, womit allein der Zweck verfolgt wird, in Adressbüchern und Firmenverzeichnissen nach Möglichkeit die erste Position einzunehmen189, was jedenfalls rechtsmissbräuchlich ist190. Einer derartigen Aneinanderreihung ein und desselben Buchstabens fehlt es aber ebenfalls an der Kennzeichnungseignung191, weil es insoweit bereits an der Artikulierbarkeit192 mangelt; daher sind auch solche Aneinanderreihungen von Buchstaben unzulässig, die nicht am Anfang des Adressbuchs auftauchen können („OOOO…“) und daher nicht dem Missbrauchseinwand ausgesetzt sind193. Im Fall einer Aneinanderreihung verschiedenster Buchstaben in einer äußert langen Buchstabenfolge (z.B. „ABIMWMVK“) gilt Vergleichbares, zumal diese Form der Buchstabenkombination regelmäßig nicht mehr als Name wahrgenommen wird194. Wann allerdings die zulässige Zahl der 184 BGH v. 8.12.2008 – II ZB 46/07, GmbHR 2009, 249, 250 m. Anm. Lamsa; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; SchmidtLeithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 19; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 12 (mit Beispielen für ins Handelsregister eingetragene GmbH: „NIP GmbH“, „2KSD GmbH“, „IMD GmbH“, „WHM GmbH“): Rechtspraxis habe Theoriediskussion überholt. 185 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Mock in Michalski u.a., Rz. 22; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8. 186 Zutreffend daher Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15. 187 Vgl. Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1078; Altmeppen, Rz. 14; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 3; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 22; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 13. 188 Vgl. OLG Frankfurt a.M. v. 28.2.2002 – 20 W 531/01, GmbHR 2002, 647, 648. 189 S. OLG Celle v. 19.11.1998 – 9 W 150/98, GmbHR 1999, 412; OLG Frankfurt a.M. v. 28.2.2002 – 20 W 531/01, GmbHR 2002, 647, 648; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29, 54; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 17; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 22; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 13; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 17. 190 Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 13; Lamsa in Heidel/ Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 14; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 14. 191 A.A. KG v. 16.2.2010 – 1 W 60/10 (nicht veröffentlicht), zitiert nach Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/ Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 743. Ähnliches gilt mit Recht nach Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 13 für eine „AAA A Der Tip Top-Umzug GmbH“, die jedenfalls rechtsmissbräuchlich ist; ebenfalls auf die Grenze des Rechtsmissbrauchs hinweisend C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 54; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 22; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 25. 192 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15 („kaum aussprechbar“); Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 22. Weniger streng in dieser Hinsicht aber Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 13 mit der Begründung, „AAA AAA“ könne im Englischen auch als triple (oder three) A gesprochen werden. 193 A.A. wohl, jedenfalls nicht an der Kennzeichnungseignung zweifelnd, Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 14; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 14; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 Rz. 20. 194 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff Rz. 15; ähnlich auch Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 166.

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Firma | Rz. 53 § 4

Buchstaben überschritten ist, ist noch ungeklärt195; maßgebend ist, dass noch ein wortähnliches Klangbild zu entstehen vermag. – Anders gelagert ist die Problematik allzu kurzer Buchstabenkombinationen; unbestritten genügen für die Kennzeichnungseignung jedenfalls drei Buchstaben, zuweilen werden mit Recht zwei196, vereinzelt indes sogar ein Buchstabe für ausreichend gehalten197. Letzteres ist indes abzulehnen, ungeachtet dessen, ob in einigen Ländern Namen vergeben werden, welche nur aus einem Buchstaben bestehen198, da im geschäftlichen Rechtsverkehr ein einzelner Buchstabe (trotz des hinzugefügten Rechtsformzusatzes) nicht als Name eines Unternehmensträgers wahrgenommen wird199. Anderes gilt freilich, sofern einzelne Buchstaben mit Ziffern oder Sonderzeichen kombiniert werden (zulässig z.B.: „A 2000 GmbH“ oder auch „3M GmbH“200). (2) Arabische Ziffern, Ziffernkombinationen Für arabische Ziffern wird überwiegend eine ähnlich großzügige Behandlung wie für Buch- 53 stabenkombinationen empfohlen, doch ist im Detail vieles streitig. Unstreitig ist im Ausgangspunkt allerdings, dass Ziffern, obgleich als Zahlzeichen zu den Sonderzeichen gehörig (zu diesen noch bei Rz. 55 ff.), jedenfalls als Firmenzusatz im geschäftlichen Verkehr Kennzeichnungseignung zukommt. Weitgehend konsentiert ist zudem noch, dass Firmen, die Buchstaben und Ziffern kombinieren, im Grundsatz keinen Bedenken mehr begegnen201 (vgl. die Beispiele „SAT 1“, „3 Sat“, „tm 3“), ebenso wenig Firmen, deren Firmenkern aus 195 Im Grenzbereich dürfte die wohl als unzulässig zu bewertende, weil kein wortähnliches Klangbild entstehen lassende Buchstabenreihung „MGCMDR“ liegen; hierzu AG Koblenz v. 20.8.2014 – 50 AR 531/14, zitiert nach Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 742. 196 Vgl. Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 13; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 13; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 28; wohl auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 21; a.A., drei Buchstaben oder zwei mit einem Verbindungszeichen verlangend, Clausnitzer, DNotZ 2010, 345, 349; nur im Einzelfall bei zwei Buchstaben Kennzeichnungseignung anerkennend Kögel, Rpfleger 2000, 255, 257. 197 Möller, BB 1993, 808, 809; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 28. 198 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16 m. Fn. 47, die daher Kennzeichnungseignung auch bei Firmen bejaht, die nur aus einem Buchstaben bestehen („K GmbH“). 199 A.A. Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; vgl. auch, ebenfalls Kennzeichnungseignung, aber Unterscheidungskraft verneinend, Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 14 sowie Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 13; insoweit wie hier Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 21, wonach die Grenze bei zwei Buchstaben liege; zutreffend auch Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 13: bei einem Buchstaben keine Namensfunktion; ferner Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 17: bei einem Buchstaben keine hinreichende Ähnlichkeit mit einem Namen; bei zwei Buchstaben Kennzeichnungseignung, wenn ein Verbindungszeichen wie „&“ verwendet wird und die Bezeichnung klar aussprechbar ist. 200 So Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9. S. auch Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 28; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 17. 201 Altmeppen, Rz. 15; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 34; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 3; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4; Reuschle in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 28; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 24; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 9; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15 m. weiteren Beispielen für eingetragene Firmen: „2 K Verwaltungsgesellschaft mbH“; „N 24 Gesellschaft für Nachrichten und Zeitgeschehen mbH“. S. auch Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1078; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 4 AktG Rz. 11; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 18.

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§ 4 Rz. 53 | Firma einem Kompositum aus Ziffern und zulässigem Wortzeichen („1+1“) besteht. Gegenwärtig immer noch ungeklärt ist indes202, ob auch bloßen Zahlen oder Ziffern vermöge des zwingend hinzuzufügenden Rechtsformzusatzes (jedoch ohne Verbindung mit weiteren Zeichen oder Buchstaben) für sich genommen in Alleinstellung Kennzeichnungskraft zukommt, sofern sie als solche keine Verkehrsgeltung erlangt haben oder sie keinen allgemein bekannten Sinngehalt erlangt haben203. So hat das KG204 etwa die Firma „23 GmbH“ für unzulässig gehalten, wohingegen in der Literatur nicht nur zugunsten der Zulässigkeit eines allein aus ausgeschriebenen Zahlen („Siebzehn GmbH“; „elf GmbH“)205, sondern ebenso aus arabischen Zahlen („17-GmbH“) oder einer Ziffern-Reihung bestehenden Firmenkerns eingetreten wird206. Dieser weitergehenden Ansicht kann nur eingeschränkt zugestimmt werden. Eine bloße Ziffer wird ebenso wie ein einzelner Buchstabe (darüber bei Rz. 52) nicht hinreichen, um im Rechtsverkehr auf einen Namen einer Gesellschaft zu schließen. Anders kann es liegen, wenn die Zahlen ausgeschrieben sind, entgegen der h.L. indes nur, wenn der Firmenkern damit zugleich als zulässige Buchstabenkombination verstanden werden könnte, zumal es anderenfalls nicht plausibel wäre, weshalb zwischen als Wort ausgeschriebenen oder in Ziffern abgebildeten Zahlen zu unterscheiden sein sollte (zulässig daher „ELF GmbH“, unzulässig dagegen „Siebzehn GmbH“, der es überdies jedenfalls an der Unterscheidungskraft mangeln würde). Unzweifelhaft unzulässig ist es, und zwar in sinngemäßer Anwendung des bei Rz. 52 zu Buchstabenketten Gesagten, wenn Zahlen endlos aneinandergereiht werden207.

202 Sehr liberal etwa Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1078; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 10 Rz. 17; deutlich zurückhaltender dagegen etwa Kögel, BB 1998, 1645, 1646; Müther, GmbHR 1998, 1058, 1060; Kögel, Rpfleger 2000, 255, 256. 203 Ablehnend BGH v. 30.1.1953 – I ZR 88/52, BGHZ 8, 387, 389 (zum UWG); Kögel, BB 1998, 1645, 1646; wohl auch Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 18; für weitgehende Zulässigkeit allerdings Altmeppen, Rz. 15; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; wohl auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 23; Verkehrsgeltung der Ziffernkombination läge dagegen etwa bei einer „4711-GmbH“ vor, die damit auch auf Grundlage einer strengeren Sichtweise zulässig wäre. 204 KG v. 17.5.2013 – 12 W 51/13, NZG 2013, 1153 f.; m. Recht zustimmend Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 742. 205 Altmeppen, Rz. 15; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 55; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 23; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 14: „Zwölf-GmbH“, „Null Acht Fünfzehn GmbH“, „Fifty one GmbH“; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 15. 206 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Mock in Michalski u.a., Rz. 25; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 15 („111“ zulässig); nach Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 14 sei nicht ohne Weiteres ersichtlich, warum sich an der Kennzeichnungseignung etwas ändern solle, wenn die Buchstaben („Zwölf-GmbH“) in Zahlen geschrieben werden; gleichsinnig auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 23; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 18; auch im Lichte der Unterscheidungsfähigkeit bestünden hier keine Probleme, da mathematische Zahlen von sich aus stets unterscheidungsfähig seien; wie hier aber zurückhaltend Müther, GmbHR 1998, 1058, 1060; Kögel, BB 1998, 1645, 1646; Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 742; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 55. 207 Altmeppen, Rz. 15; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 49; Mock in Michalski u.a., Rz. 25; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 6a; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 3.

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Firma | Rz. 56 § 4

(3) Bilder, Bildzeichen, Sonderzeichen Bilder sind als Firmenbestandteil unzulässig, ungeachtet dessen, ob sie im Ausnahmefall auf 54 einen eindeutig aussprechbaren Begriff hinweisen. Das gilt auch für Bildzeichen (Piktogramme)208 und Begriffszeichen (Ideogramme). Sie sind allesamt in einem der Buchstabenschrift (nicht der Wortschrift) folgenden System nicht selbst zur Namensbildung geeignet, sondern nur das in Schriftzeichen verfasste Wort, für welches das Bildzeichen steht209 (unzulässig sind daher etwa das Zeichen „♦“ (Karo) oder „♣“(Kreuz)210). Satzzeichen in der Firma werden dagegen allgemein für zulässig erachtet211, allerdings 55 (infolge anderenfalls fehlender namensmäßiger Wirkung) nur, sofern sie nicht isoliert („? GmbH“), sondern als integraler Bestandteil, etwa in Kombination mit Buchstaben oder Zahlen, verwandt werden. Zur Begründung für die Zulässigkeit dieser Verwendungsweise wird gemeinhin darauf verwiesen, dass Satzzeichen nicht mitgesprochen würden212. Das greift zu kurz und trifft schon im Ansatz nur zu, sofern ein Satzzeichen der Strukturierung eines Satzes dient, was bei der Firmenbildung nur in jenen seltenen Fällen praktisch wird, in welchen ein Slogan als Firmenkern verwandt wird (vgl. Rz. 60) oder mehrere Personennamen bzw. Firmenkern und Rechtsformzusatz mittels Komma abgetrennt werden (zu Letzterem bei Rz. 12). Allgemein bekannte Satzzeichen können vielmehr auch dann zulässigerweise in die Firma integriert werden, wenn sie als Bestandteil der auszusprechenden Bezeichnung und damit wortersetzend verwandt werden („3? GmbH“). Wortzeichen sind ausnahmsweise zulässig, wenn sie eine feste Bedeutung haben und all- 56 gemeinverständlich sind. Als zulässig anerkannt sind insoweit das kaufmännische „&“ sowie das mathematische „+“. Sie haben zwar nicht für sich selbst betrachtet Kennzeichnungseignung213, wohl aber dürfen sie als Firmenzusatz oder als integrierter Bestandteil des Firmen208 BGH v. 6.7.1954 – I ZR 167/52, BGHZ 14, 155, 159 (Abgrenzung zum Bildzeichen); KG v. 23.5.2000 – 1 W 247/99, GmbHR 2000, 1101, 1102; BayObLG v. 4.4.2001 – 3Z BR 84/01, BayObLGZ 2001, 83, 84 = GmbHR 2001, 476 m. Anm. Wachter. S. auch Altmeppen, Rz. 16; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 5; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 19; Mock in Michalski u.a., Rz. 24; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 19; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 3; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 8; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 11. 209 Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 11; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; SchmidtLeithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 19; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 11. 210 Mock in Michalski u.a., Rz. 24, 28 für Skat-Zeichen; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; s. auch bündig Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 11: „EichelOber-GmbH“ oder „Pik-As-e.K.“ wären firmenrechtlich zulässig, nicht aber die Wiedergabe der entsprechenden Bildzeichen aus den Kartenspielen; a.A. aber Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17: Zulässigkeit von Bildzeichen wie „Karo As“, wenn sie durch ein Wort treffend ausgedrückt werden können, wobei die Namensfunktion wohl nur bei Verkehrsgeltung erfüllt sein soll. 211 Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 48; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 7; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 8. 212 Vgl. etwa Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12; m. Recht zweifelnd an der Begründung Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 9. 213 BayObLG v. 4.4.2001 – 3 Z BR 84/01, BayObLGR 2001, 45, 46 = NotBZ 2001, 227; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 48; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; weitgehend aber Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16: Firmierung als „+ . GmbH“ zulässig, was als „Pluspunkt GmbH“ im Rechtsverkehr verstanden würde; für „bemerkenswert“ hält mit Recht Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 9 die Begründung, dass Satzzeichen als Firmenbestandteil zulässig sein sollen, weil sie offensichtlich nicht ausgesprochen werden sollen.

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§ 4 Rz. 56 | Firma kerns aufgenommen werden214. Die reine Kombination von Wort- und Satzzeichen dürfte demgegenüber im Rechtsverkehr nicht als Name verstanden werden (unzulässig daher etwa eine „+ . GmbH“)215. 57 Mit Blick auf das praktisch bedeutsame Zeichen „@“, das jedenfalls nicht als Bild-, sondern

als Wortzeichen einzustufen ist, wird heute überwiegend die Auffassung vertreten, wegen seiner Verbreitung und Üblichkeit im elektronischen Verkehr sei dieses Zeichen mittlerweile allgemein verständlich und deshalb zur Firmenbildung geeignet216. Dagegen wird in Übereinstimmung mit der hergebrachten Sichtweise zuweilen weiterhin eingewandt, gerade die Mehrdeutigkeit des @-Zeichens spreche gegen seine Eignung zur Firmenbildung; es sei weder verständlich noch (angesichts zahlreicher differierender umgangssprachlicher Bezeichnungen) eindeutig aussprechbar217. Richtig scheint, das @-Zeichen als Bestandteil der Firma differenzierend zu bewerten. Unzulässig ist es jedenfalls, sofern es in Alleinstellung gebraucht wird (unzulässig daher eine „@-GmbH“218). Die rechtliche Bewertung im Übrigen muss jedoch danach unterscheiden, ob das @-Zeichen als Wortzeichen oder vielmehr nur als kreative („ornamentale“) Schreibweise für den Buchstaben „a“ verwandt wird. Im ersten Fall steht es zwischen zwei Wörtern oder Buchstaben, hat insoweit aber weniger Trennfunktion (wie im ursprünglichen Kontext als Bestandteil einer E-Mail-Adresse)219 als vielmehr (oftmals örtliche bzw. funktionale) Hinweisfunktion (wie bei „T…@Spree…GmbH“220 oder 214 BGH v. 8.12.2008 – II ZB 46/07, GmbHR 2009, 249, 250 m. Anm. Lamsa; BayObLG v. 4.4.2001 – 3Z BR 84/01, BayObLGZ 2001, 83, 84 = GmbHR 2001, 476 m. Anm. Wachter; Altmeppen, Rz. 16; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 5; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 9; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 48; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 3; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 7; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 8; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 16; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 18. 215 A.A. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16 mit der Begründung, dass dies als Pluspunkt ausgesprochen werden könne. 216 LG Cottbus v. 2.8.2000 – 11 T 1/00, CR 2002, 134 f.; LG Berlin v. 13.1.2004 – 102 T 122/03, GmbHR 2004, 428, 429 m. Anm. Thomas/Bergs; LG München v. 15.12.2008 – 17 HKT 920/09, MittBayNot 2009, 315; Odersky, MittBayNot 2000, 533; Mankowski, EWiR 2001, 275 f.; Beyerlein, WRP 2005, 582, 583; Clausnitzer, DNotZ 2010, 345, 358; Altmeppen, Rz. 16; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 5; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 46; Heinrich in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Mock in Michalski u.a., Rz. 24; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Wicke, Rz. 3; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 8; Langhein/Hupka in K. Schmidt/ Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 19. 217 OLG Braunschweig v. 27.11.2000 – 2 W 270/00, OLGR 2001, 31; LG Braunschweig v. 4.9.2000 – 22 T 900/0003, MittBayNot 2000, 569; BayObLG v. 4.4.2001 – 3 Z BR 84/01, BayObLGZ 2001, 83, 84; Lutter/Welp, ZIP 1998, 1073, 1077; Müther, GmbHR 1998, 1058, 1059; Möller, DNotZ 2000, 830, 842; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 26; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 9 f.; differenzierend Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 8 (keine Eintragungsfähigkeit, wenn das Zeichen den Buchstaben „a“ ersetzen soll); Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 16 (Unzulässigkeit als Bildzeichen, wenn das Zeichen nicht als „at“ ausgesprochen wird); vgl. auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 14 f.; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 17: als „ät“ aussprechbares Sonderzeichen zulässig, als modische Schreibweise des „a“ nicht eintragungsfähig. 218 Ebenso, allerdings mitunter ohne Divergenz im Ergebnis unter Verweis auf die fehlende Unterscheidungskraft, Altmeppen, Rz. 156; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 10; evtl. großzügiger, jedenfalls zweifelnd, Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 14. 219 Vgl. hierzu ausführlich Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 298. 220 LG Berlin v. 13.1.2004 – 102 T 122/03, GmbHR 2004, 428, 429 m. Anm. Thomas/Bergs.

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Firma | Rz. 58 § 4

Kombinationen mit „@home“). Dass es verschiedene, teils indes nur umgangssprachliche Möglichkeiten der Aussprache gibt (etwa als „at“, „Klammeraffe“, „Affen-A“), steht der Zulässigkeit nicht entgegen, weil sich eine entsprechende Verkehrsübung herausgebildet hat, aufgrund derer in all diesen Fällen das in Rede stehende @-Zeichen erkennbar bleibt (im Übrigen wird auch das Zeichen „+“ anerkannt, obwohl es teils als „plus“, teils als „und“ ausgesprochen wird221). Liegt dagegen eine kreative Schreibweise vor222, wie in den Beispielen „Met@box oder „Speedw@y“, kann an der Kennzeichnungseignung nicht gezweifelt werden, wohl aber an der Eintragungsfähigkeit, da es nach h.M. keinen Anspruch auf ein bestimmtes Schriftbild im Handelsregister gibt223. Auch wenn dieser ungeschriebene Grundsatz kein unumstößliches Dogma ist, sollte an ihm jedenfalls dort festgehalten werden, wo – wie hier – eine bestimmte Schreibweise auf die Erzielung eines werbewirksamen Effekts ausgerichtet ist. Ähnliches wie für das @-Zeichen hat auch für das €-Zeichen zu gelten224, weil es als Abkür- 58 zung hinreichende Verständlichkeit im Rechtsverkehr erlangt hat225; wird es dagegen als modische Schreibweise verwandt („Mon€y“), besteht kein dahingehender Eintragungsanspruch. Noch nicht geklärt ist die Zulässigkeit des Zeichens „®“ („registered trade mark“) als Bestandteil einer Firma. Im Handelsregister finden sich bereits zahlreiche entsprechende Eintragungen. Zumindest dann, wenn dieses Zeichen bereits Bestandteil einer Marke ist, sollte richtigerweise die Möglichkeit bestehen, den „Markennamen“ unverfälscht im Handelsregister wiederzugeben226 Das einer Firma vorangestellte Sonderzeichen „//“ wurde vom BGH227 jüngst als unzulässiger Bestandteil des Firmenkerns eingestuft, sofern es nicht als bloßes (einer für sich genommen artikulierbaren Buchstabenfolge hinzugefügtes) Satzzeichen verwendet wird, sondern nach dem Sinnganzen des Firmenkerns gerade auf Artikulation („slash slash“) angelegt ist: Insoweit hat es sich aber in der Sprachgemeinschaft (und zwar jener der von der Firma angesprochenen Verkehrskreise) noch nicht hinreichend als Wortersatz etabliert.

221 Vgl. zu diesem Argument auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 14. 222 Dürscheid, Einführung in die Schriftlinguistik, 2012, S. 66. 223 Fehl geht allerdings wohl der Einwand von Mankowski, MDR 2001, 1124, 1225 und F. Wagner, NZG 2001, 802, 803, wonach es nicht um das Schriftbild, sondern die Schreibweise gehe; denn in diesem Fall wird dieses Zeichen gerade nicht als Sonderzeichen verwandt; richtig in diesem Sinne Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 298. Sollte die Firma ohne diese kreative Schreibweise eingetragen werden, steht es der Gesellschaft trotzdem frei, im Rechtsverkehr die kreative Schreibweise zu verwenden, da die gewählte Schreibweise gerade nicht Firmenbestandteil wird; vgl. Wälzholz in GmbH-Handbuch, Stand: Jan. 2020, Rz. I 115; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4: Schriftart und Schriftbild frei wählbar; wohl anders Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17 mit Fn. 57 a.E. 224 Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 26; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 19. 225 Von einer solchen hinreichenden Verkehrsgeltung wird man noch nicht bei dem Sonderzeichen „#“ ausgehen können, auch wenn dieses Rautenzeichen in Fachkreisen (dort etwa auch als Korrekturzeichen „Spieße“; vgl. Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 30 m. Fn. 30) und überdies unter Nutzern sozialer Medien (dort als „Hashtag“) verbreitet ist; für Zulässigkeit als vorangestelltes Teil einer Wortfolge im Sinne von „Hashtag“ Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 8; die Zulässigkeit erwägend nunmehr Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 11. Aufgrund des Kontextes nicht zu großzügig ist es jedenfalls, wenn gegen das „°“ Zeichen als Bestandteil einer Firma „360°…“ keine Beanstandungen erhoben werden; vgl. LG München v. 18.10.2007 – 17 HK T 20 361/07 (nicht veröffentlicht), zitiert nach Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 19. 226 Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 16. Ohne Einschränkung für Zulässigkeit Mock in Michalski u.a., Rz. 24; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17. 227 BGH v. 25.1.2022 – II ZB 15/21, GmbHR 2022, 634; großzügiger aber Wachter, EWiR 2022, 359, 340.

Scheller | 373

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§ 4 Rz. 59 | Firma (4) Phantasiebezeichnungen; fremdsprachliche Bezeichnungen 59 Phantasiefirmen sind Firmen, die sich schon ihrem äußeren Erscheinungsbild nach weder

als Sach- noch als Personenfirmen darstellen. Zu denken ist hier in erster Linie an sinnbildliche Bezeichnungen, Abkürzungen, mythologische und Phantasienamen. Solche Phantasiebezeichnungen können und werden ganz regelmäßig Namensfunktion haben228, zumal gerade ihnen häufig eine besonders ausgeprägte Unterscheidungskraft innewohnt. Auf ihre Verständlichkeit für den Rechtsverkehr kommt es hierfür nicht an, sodass auch Wortneuschöpfungen verwandt werden dürfen, ist doch gerade diesen, jedenfalls im Fall ihrer Einprägsamkeit, oftmals ein hoher Wiedererkennungseffekt und damit eine klare Kennzeichnungskraft zu attestieren. 60 Wird ein sog. „Trendbegriff“ verwandt, der sich zwar noch nicht im allgemeinen Sprach-

gebrauch etabliert hat, aber langsam in die Umgangssprache Eingang findet, gelten keine Besonderheiten229. Insbesondere lässt sich die Eintragungsfähigkeit nicht über ein etwaiges Freihaltebedürfnis verweigern230 – unabhängig von der grundsätzlichen Berechtigung eines solchen Freihaltebedürfnisses ist dieses mit Blick auf Trendbegriffe schon deshalb nicht anzuerkennen, weil anderenfalls der Registerrichter vor der kaum lösbaren Aufgabe der Ermittlung stünde, ob sich der betreffende Begriff bereits im Sprachgebrauch derart zu etablieren scheint, dass von einem Trendbegriff gesprochen werden kann231. – Außer Streit dürfte stehen, dass Werbeslogans232 zumindest im Grundsatz zulässig sind, selbst dann, wenn sie (anders etwa als „Nimm 2“233, „nix wie hin“234, „ab in den Urlaub“235), keine Verkehrsgeltung erlangt haben. Sie müssen aber eine „geschlossene Einheit“ bilden, dürfen also nicht als Satz, sondern müssen als Name wahrgenommen werden236; dies wird eine gewisse Kürze des Slogans verlangen. – Keinen Einwänden unter dem Blickwinkel der Kennzeichnungskraft sind

228 Altmeppen, Rz. 12; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9 mit Beispielen: „Orbis“, „patho“, „Pratta“, „Tappox“ oder „bizzy“; Mock in Michalski u.a., Rz. 21; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 4; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 10; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 10; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 30; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 23 f. 229 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 27; ausführliche Begründung bei Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 22. 230 So aber Müther, GmbHR 1998, 1058, 1060; in diese Richtung Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1076. 231 Überzeugend Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50. S. auch Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 22; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 27. 232 Altmeppen, Rz. 17; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 52; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Mock in Michalski u.a., Rz. 34; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 34; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Wicke, Rz. 3; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 4 AktG Rz. 11; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 14. 233 Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 52; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Wicke, Rz. 3. 234 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Wicke, Rz. 3. 235 Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 7; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Mock in Michalski u.a., Rz. 34; weitere Beispiele etwa bei Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 31. 236 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 23; Altmeppen, Rz. 17 verlangt zutreffend eine „schlagwortartige Kürze“; in der Sache wohl ähnlich Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23: Verkehrsgeltung als Voraussetzung dafür, dass ein längerer Slogan als namensmäßiger Hinweis verstanden wird.

374 | Scheller

2022-08-10, 11:07, GroKO groß

Firma | Rz. 62 § 4

Firmen ausgesetzt, die sich im Firmenkern aus Domains237 bilden; die Probleme wurzeln hier indes in der Unterscheidungskraft (darüber bei Rz. 68). In der Rechtsprechung wächst die Bereitschaft, fremdsprachliche Bezeichnungen als Firmen 61 einzutragen238. Dem ist zu folgen, immer vorausgesetzt, sie sind für den deutschen Verkehrskreis als Name einer Firma abstrakt erkennbar und können auch als solche artikuliert werden239. Die Berechtigung der Annahme, der Verkehrskreis werde diese Begriffe überwiegend richtig auszusprechen imstande sein, ist nicht entscheidend240. Kennzeichnungseignung haben Fremdwörter gerade gegenteilig vielmehr dann, wenn die fremdsprachliche Bezeichnung im deutschen Verkehr wie ein Phantasiewort wirkt. Zur Unterscheidungskraft in diesen Fällen bei Rz. 67. bb) Unterscheidungskraft (1) Namensbezeichnungen Namensbezeichnungen (gleichviel, ob in Alleinstellung oder mit Firmenzusätzen) kommt 62 ganz regelmäßig Unterscheidungskraft zu. Seit dem HRefG und damit verbundener Streichung des § 4 Abs. 1 Satz 1 a.F. sind die Gesellschafter bei Verwendung des Namens einer Person zur Firmenbildung grundsätzlich frei darin, ob sie allein den Familiennamen oder zusätzlich auch einen oder mehrere Vornamen in ausgeschriebener oder abgekürzter Form in die Firma aufnehmen wollen. Unbedenklich ist zudem die Verwendung von Künstlernamen oder Pseudonymen zur Firmenbildung. Trägt ein Gesellschafter (zulässigerweise) einen ausländischen Namen, so darf auch dieser zur Bildung der Personenfirma verwandt werden. Es ist lediglich erforderlich, dass der Name in lateinischer Schrift und in lesbarer Form wiedergegeben wird. Bei Doppelnamen ist es schließlich statthaft, nur eine Hälfte des Namens zur Firmenbildung zu verwenden. Grenzen bei alledem setzt allein das Irreführungsverbot; hierüber bei Rz. 69 ff. Probleme unter dem Blickwinkel der Unterscheidungskraft ergeben sich allein bei der Verwendung sog. Allerweltsnamen wie „Müller, Meier oder Schulze“ zur Firmenbildung. Nach h.L.241 fehlt Allerweltsnamen jede Kennzeichnungseignung, sodass sie in Alleinstellung (Beispiel: „Müller GmbH“) nicht zur Firmenbildung verwandt werden dürfen sollen. Anderes soll nur bei Hinzufügung unterscheidungskräftiger Zusätze zu gelten haben, wofür von Fall zu Fall bereits ein (ggf. abgekürzter) Vorname genügen können soll (Beispiel: „Josef Müller GmbH“)242. Das Problem ist richtigerweise indes allein ein sol237 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25; Mock in Michalski u.a., Rz. 25; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6a; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 10. 238 LG Darmstadt v. 21.12.1998 – 22 T 10/98, GmbHR 1999, 482, 483. 239 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. Tendenziell strenger wohl Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30: Fremdworte müssen für deutsche Verkehrskreise verständlich sein; anders aber bei Rz. 49. 240 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. 241 Altmeppen, Rz. 5; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 11; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 54; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6b; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 9; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 6; wohl auch Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 19; W.-H. Roth, Das neue Firmenrecht, in Die Reform des Handelsstandes und der Personengesellschaft, 1999, S. 31, 36; a.A. Lutter/Welp, ZIP 199, 1073, 105; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 7; Heinrich in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 19; Mock in Michalski u.a., Rz. 32; wohl auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 21; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 7; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 39; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 11; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 21 f. 242 Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 11; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 54; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 15; wohl auch Heinze in MünchKomm.

Scheller | 375

2022-08-10, 11:07, GroKO groß

§ 4 Rz. 62 | Firma ches des § 30 HGB, weil es in jeder Stadt mehrere „Müller“ usw. gibt, sodass aus diesem Grunde unterscheidungskräftige Zusätze in aller Regel für Gesellschaften, die ebenfalls diesen Namen verwenden wollen, erforderlich sein werden243, womit freilich Differenzen zur h.L. im Ergebnis verblassen. Dasselbe gilt sinngemäß auch für Vornamen in Alleinstellung. Auch sie kommen für die Firmenbildung nur in Betracht, wenn unterscheidungskräftige Zusätze hinzugefügt werden oder der Vorname ausnahmsweise Verkehrsgeltung besitzt, weil er sich im Verkehr zur Bezeichnung einer Person durchgesetzt hat. Die h.L., die Allerweltsnamen die abstrakte Unterscheidungskraft abspricht, hat bereits Schwierigkeiten, eine klare Trennlinie zwischen ausreichend unterscheidungskräftigen und allzu verbreiteten Namen zu ziehen244. Auch das in diesem Kontext häufig bemühte Freihaltebedürfnis sollte nichts anderes gebieten245, weil nur schwer zu rechtfertigen ist, dass derjenige, der zuerst einen Allerweltsnamen für die Firma verwenden möchte, diesen zeitlichen Vorsprung nicht für sich reklamieren darf (zum Freihaltebedürfnis auch bei Rz. 64). Ungeachtet dessen wird man überdies aber auch ganz grundsätzlich nicht füglich behaupten können, Allerweltsnamen mangele es an der abstrakten Unterscheidungskraft, ist hierfür doch nicht eine Seltenheit der Bezeichnung, sondern ihre Funktion als individualisierender Hinweis auf einen Unternehmensträger vonnöten246. (2) Sach- und Ortsbezeichnungen 63 Soweit eine Sachfirma bereits nach dem früheren Recht vor dem HRefG zulässig war, ist sie

dies aufgrund Entfalls des Entlehnungsgebots (erst recht) auch heute (vgl. bereits Rz. 45). Daraus folgt z.B., dass es auf jeden Fall genügt, wenn eine Sachfirma den Geschäftszweig der Gesellschaft zutreffend erkennen lässt, während nicht erforderlich ist, dass aus der Firma außerdem die Betriebsart oder Betriebstätigkeit erkennbar wird (zur Irreführungseignung im Fall des Widerspruchs zum Unternehmensgegenstand bei Rz. 82). Streitig geworden ist seither aber die Zulässigkeit rein beschreibender Branchen-, Tätigkeits- oder Gattungsbezeichnungen als Firmenkern; gleichgelagert sind die Fälle konturenarmer Allgemeinbegriffe, mögen sie der Fach- oder Umgangssprache entnommen sein247. Unter dem früheren Recht wurde ihre Zulässigkeit überwiegend verneint, weil derartige Firmen keine Unterscheidungskraft aufweisen. Beispiele unter diesem Blickwinkel unzulässiger Firmierungen bildeten Firmen wie

243

244 245 246 247

GmbHG, Rz. 37 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 9; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 6; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 19. Ähnlich auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 39, der das Problem der Allerweltsnamen ebenfalls bei § 30 HGB sieht; vgl. auch Mock in Michalski u.a., Rz. 32 und Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 7, die darauf hinweisen, dass § 30 HGB die Verwechslungsgefahr ausschließt. Ebenso Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 7; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 21. Darauf weist Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 7 kritisch hin; vgl. zudem Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37. Vgl. im selbigen Sinne Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 39; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 21 f. Für diese Gleichstellung Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 38; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 23; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 4; die im Text folgenden Ausführungen gelten daher sinngemäß auch für derartige Allgemeinbegriffe als Firmenkern; jüngst an der Unterscheidungskraft einer Firma „Not und Elend GmbH“ zweifelnd, allerdings zu Unrecht, weil durch die Hendiadyoin-Konstruktion eine übliche, einprägsame Redewendung aufgreifend, OLG Düsseldorf v. 12.8.2019 – 3 Wx 26/19, GmbHR 2020, 321, 322 = DNotZ 2020, 778 m. ablehnender Anm. Pietzarka; zweifelnd („Grenzfall“) Forschner, MittBayNot 2020, 546, 549 f.; zu dieser Entscheidung unter dem Blickwinkel des Irreführungsverbots noch näher bei Rz. 84.

376 | Scheller

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Firma | Rz. 64 § 4

„Handelsgesellschaft mbH“248, „Kaufhof GmbH“ für ein Schuhwarengeschäft249, „Transportbeton GmbH“250, „Staplervermietungs GmbH“251, „Mineralölvertrieb GmbH“252 oder „Gebäudereinigungs GmbH“253, oder aber auch „Profi-Handwerker GmbH“254, „Hessen-Nassauische Grundbesitz AG“255, „Zahnarztpraxis GmbH“256 sowie „Camping-Akademie“257. Eine andere Beurteilung war nur möglich, wenn der Branchen- oder Gattungsbezeichnung individualisierende Zusätze hinzugefügt wurden, wofür in erster Linie Buchstabenkombinationen, Phantasiebezeichnungen oder gelegentlich auch Ortsnamen in Betracht kamen. Als zulässig wurden hiernach z.B. angesehen die Firmen „inter-handel-GmbH“258 und „das Bad … alles aus einer Hand GmbH“259 . Ob an diesen Grundsätzen heute noch in jeder Hinsicht festzuhalten ist, ist weiterhin um- 64 stritten. Zum Teil wird die Auffassung vertreten, seit dem HRefG müssten auch Gattungsbezeichnungen als Firmen zugelassen werden, weil dadurch andere Unternehmen nicht daran gehindert würden, ihrerseits dieselben Gattungsbegriffe, wenn auch in Verbindung mit einem unterscheidungskräftigen Zusatz, als Firmen zu verwenden260. Nach überwiegender Meinung261 dürfen dagegen reine Gattungs- und Branchenbezeichnungen nicht als Sachfirmen ins Handelsregister eingetragen werden, einmal mangels Unterscheidungskraft, zum anderen, weil sie dem Freihaltebedürfnis262 zuwiderlaufen, das sich angeblich daraus ableite, dass Begriffe, auf welche der Rechtsverkehr angewiesen ist, nicht für einzelne Unternehmen vermittels Eintragung ins Handelsregister als Firma monopolisiert werden dürften (vgl. auch § 15 Abs. 1 MarkenG). Davon scheint überwiegend die Rechtsprechung auszugehen, wenn sie Firmen wie „Profi-Handwerker GmbH“263, „Hessen-Nassauische Grundbesitz AG“264, „Zahnarztpraxis GmbH“265 „Camping-Akademie“266 oder „Outlets.de“267 als unzulässig erachtet. Richtigerweise wird man ein Freihaltebedürfnis nicht anerkennen können. Es ist nicht erkennbar, weshalb es einer Gesellschaft prinzipiell verwehrt sein sollte, Gattungs- bzw.

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KG, OLGE 43, 278 f. KG, GmbH Rspr. IV, § 3 R. 23. OLG Hamm v. 7.7.1961 – 15 W 42/61, GmbHR 1961, 163. OLG Düsseldorf, BB 1971, Beil. Nr. 9, 15. LG Hannover, BB 1969, Beil. 10, 14. LG Aachen, BB 1971, Beil. 9, 15. BayObLG v. 1.7.2003 – 3Z BR 122/03, GmbHR 2003, 1003. OLG Frankfurt a.M. v. 10.1.2005 – 20 W 106/04, AG 2005, 403, 404. OLG München v. 1.7.2010 – 31 Wx 88/10, GmbHR 2010, 1156, 1157. OLG Rostock v. 15.11.2010 – 1 W 47/10, GmbHR 2011, 829, 831. BayObLG v. 19.12.1972 – BReg. 2 Z 46/72, BayObLGZ 1972, 388. BayObLG v. 13.6.1997 – 3Z BR 61/97, BayObLGZ 1997, 187, 189 f. = GmbHR 1997, 1063. Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27; Mock in Michalski u.a., Rz. 28. Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1074; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 45; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6b; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 27; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 30; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 20; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 25, trotz zutreffender Ablehnung des Freihaltebedürfnisses dort bei Rz. 18. Vgl. zum Freihaltebedürfnis etwa allgemein Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 17 und speziell im hiesigen Kontext Müther, GmbHR 1998, 1058, 1059; Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1074; Meyding/Schnorbus/Hennig, ZNotP 2006, 122, 125; ablehnend hierzu, wie hier, Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 18. BayObLG v. 1.7.2003 – 3Z BR 122/03, GmbHR 2003, 1003. OLG Frankfurt a.M. v. 10.1.2005 – 20 W 106/04, AG 2005, 403, 404. OLG München v. 1.7.2010 – 31 Wx 88/10, GmbHR 2010, 1156, 1157. OLG Rostock v. 15.11.2010 – 1 W 47/10, GmbHR 2011, 829, 831. OLG Frankfurt a.M. v. 13.10.2010 – 20 W 196/10, GmbHR 2011, 202.

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§ 4 Rz. 64 | Firma Allgemeinbegriffe in Alleinstellung in der Firma zu verwenden, wenn sie i.S.d. § 30 Abs. 2 HGB die prioritätsälteste ist; denn hiermit werden diese Sachbezeichnungen dem Rechtsverkehr auch zwecks Firmenbildung mangels Begründung eines Ausschließlichkeitsrechts nicht entzogen – allein auferlegt wird prioritätsjüngeren Gesellschaftern, nach Maßgabe des § 30 Abs. 2 HGB, unterscheidungskräftige Zusätze hinzuzufügen, was unschwer möglich ist. Gleichwohl überstrapaziert die Mindermeinung diesen Gesichtspunkt, sofern sie in zutreffender Ablehnung des Freihaltebedürfnisses für die firmenrechtliche Zulässigkeit der bloßen Verwendung von Gattungsbezeichnungen und sonstigen allzu blassen Tätigkeitsbeschreibungen eintritt. Denn übersehen wird, dass auch unabhängig von einem Freihaltebedürfnis eine Firma imstande sein muss, sich gegenüber anderen Gesellschaften zu individualisieren, woran es in diesen Fällen fehlt, will man nicht schon an der Kennzeichnungseignung zweifeln268. Bloße Branchen- oder Gattungsbezeichnungen genügen damit im Grundsatz nicht. Sie können allerdings vor diesem Hintergrund als Firmen verwandt werden, wenn entweder die so gebildete Firma bereits Verkehrsgeltung erlangt hat, d.h. auch als bloße Branchenbezeichnung in dem betroffenen Wirtschaftsraum als Herkunftshinweis auf ein bestimmtes Unternehmen verstanden wird269, oder die gewählte Bezeichnung, obwohl dem Gegenstand des Unternehmens entlehnt, letztlich als (zulässige) Phantasiebezeichnung erscheint oder ausnahmsweise wegen ihres speziellen Zuschnitts oder eines ungewöhnlichen Kontextes zur Individualisierung geeignet ist270. In allen anderen Fällen bedarf es ergänzender Zusätze. 65 In der Rechtsprechung werden seit dem HRefG keine allzu strengen Anforderungen mehr

an die erforderlichen individualisierenden Zusätze gestellt, insbesondere sofern Ortszusätze hinzugefügt werden (zulässig danach die Firmen „Autodienst Berlin Limited“271, „Hausverwaltung Rhein-Main“272, „Wasserkraft Bad Ems“273 oder „Münchner Hausverwaltung GmbH“274). Die jeweiligen Ortszusätze ermöglichen eine hinreichende Individualisierung275, auch wenn sie ihrerseits naturgemäß allgemein gehalten sind276, wobei die individualisieren268 In diese Richtung bereits Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 10 Rz. 21; Lamsa in Heidel/ Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 20. 269 Vgl. in diese Richtung bereits BGH v. 12.6.1986 – I ZR 70/84, NJW 1987, 438; näher dazu Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 38; ferner Roth in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 4, der mit Recht darauf hinweist, dass diese Fallgruppe vor allem bereits etablierte Firmen betrifft, für künftige Fälle aber kaum mehr relevant werden kann. 270 BayObLG v. 17.5.1999 – 3Z BR 90/99, BayObLGZ 1999, 114, 116 f. = NJW-RR 2000, 111; Lutter/ Welp, ZIP 1999, 1073, 1075: „Muskelkater“ als Firmenkern im Fall eines Sportgeschäfts; ausführlich hierzu Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 18. 271 KG v. 11.9.2007 – 1 W 81/07, GmbHR 2008, 146 f.; für „falsch“ hält diese Entscheidung Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 22 m. Fn. 5 a.E.; ablehnend auch Schulte, GmbHR 2008, R33, R34. 272 OLG Frankfurt a.M. v. 19.2.2008 – 20 W 263/07, GmbHR 2009, 214, 216. 273 OLG Zweibrücken v. 1.2.2012 – 3 W 16/12, BeckRS 2012, 13796; kritisch Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12. 274 OLG München v. 28.4.2010 – 31 Wx 117/09, DNotZ 2010, 933, 934; für zu weit gehend hält diese Sichtweise etwa Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 22 m. Fn. 6, der geografische Zusätze bei Großstädten nicht für hinreichend erachtet; ähnlich Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12. 275 So die h.L., vgl. Altmeppen, Rz. 9; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 11; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 57; Bayer in Lutter/Hommelhoff Rz. 14; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 46; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6b; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 27; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 34; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 4 AktG Rz. 15; kritisch im Hinblick auf Großstädte Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 22 m. Fn. 6; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12. 276 A.A. etwa Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 12: bloße geografische Begriffe besitzen auch als Zusatz zu einer im Übrigen nicht unterscheidungskräftigen Firma keine genügende Unterscheidungskraft; wohl auch Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 746 so-

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de Kraft mit zunehmender Größe des gekennzeichneten Gebiets abnimmt (unzulässig daher jedenfalls etwa: „Autodienst Deutschland GmbH“), sodass stets eine Einzelfallentscheidung vonnöten ist. Zu weit gehend ist es aber, Allgemeinbegriffen allein deshalb Unterscheidungskraft beizumessen, wenn und weil ihnen ein Possessivpronomen vorangestellt wird (Beispiel: „Mein Strom GmbH“277). Unterscheidungskräftig sind dagegen kreative Abkürzungen von Branchen- oder Gattungsbezeichnungen. Auch wenn für den Rechtsverkehr erkennbar sein mag, dass hinter der Abkürzung eine reine Branchen- oder Gattungsbezeichnung steckt, tritt hier doch der Charakter als Phantasiewort nach dem Klang- und Schriftbild in den Vordergrund („Transpobet GmbH“ statt „Transportbeton GmbH“278). Über Domain-Zusätze zu Gattungsbezeichnungen bei Rz. 68. Im Fall reiner geografischer Bezeichnungen279 im Firmenkern mangelt es an der nötigen 66 Individualisierungsfunktion, es sei denn, es würde ein individualisierender Zusatz beigefügt, etwa ein Personenname, eine Sach- oder Phantasiebezeichnung oder aber auch eine Buchstaben- und/oder Zahlenkombination. Über die Kombination zweier für sich selbst unzulässiger Bezeichnungen (reine Branchen- und Ortsbezeichnung) bei Rz. 65; zur Frage der Irreführung durch geografische Zusätze bei Rz. 87 ff. (3) Phantasiebezeichnungen Mit einer Phantasiebezeichnung ist regelmäßig ein hohes Maß an Unterscheidungskraft ver- 67 bunden; auf die Ausführungen bei Rz. 59 wird insoweit verwiesen. Ausnahmsweise mangelt es ihr jedoch an der hinreichenden Unterscheidungskraft, sofern sie aus einem bloßen Allgemeinbegriff der Fach- oder Umgangssprache besteht. Selbiges gilt280, soweit ein fremdsprachlicher Allgemeinbegriff verwandt wird, der im Inland allgemein verständlich ist und sich mangels gebräuchlichen deutschen Worts im Sprachgebrauch durchgesetzt hat281, wie z.B. bei „Software“ oder „Internet“282; auch hier wird es – anders als bei weniger etablierten und daher für den durchschnittlichen Rechtsverkehrsteilnehmer noch als Phantasiebezeich-

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wie Kanzleiter, DNotZ 2008, 392, 395: berechtigtes Freihaltebedürfnis nicht nur für den Branchenbegriff allein, sondern auch für die Kombination von Branchenbezeichnung und Ortsnamen; in diese Richtung auch Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 10 Rz. 22; ohne Einschränkungen dagegen etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff Rz. 14: „Bonner Transportbeton“ zulässig. OLG Dresden v. 20.10.2010 – 13 W 0817/10 zitiert nach Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 745; richtigerweise mangelt es dieser Firma an der Unterscheidungskraft. Beispiel nach Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13 mit dem weiteren Beispiel „Computech GmbH“ statt „Computertechnik GmbH“; s. auch Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 57. OLG Frankfurt a.M. v. 10.1.2005 – 20 W 106/04, AG 2005, 403, 404; vgl. aber auch KG v. 11.9.2007 – 1 W 81/07, GmbHR 2008, 146, 147, (sehr weitgehend). S. hierzu Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1075; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 9; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 11; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10 („Bonn-GmbH“); Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 45; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6b; Wicke, Rz. 4; Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 24. A.A. Mock in Michalski u.a., Rz. 29. Vgl. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 24; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 13; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 18: keine Umgehung des Verbots bloßer Gattungsbezeichnungen durch „Flucht in die […] Fantasiefirma“. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12 mit Beispielen („Fast Food“; „Fashion“; „Video Rent“). Ähnlich Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 24, wonach eine fremdsprachige Bezeichnung als Phantasiefirma zulässig sein kann, wenn sie so ausgefallen ist, dass die durchschnittlich angesprochenen Verkehrskreise sie als Phantasiefirma einstufen. S. hierzu auch Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, Rz. 18. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 24.

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§ 4 Rz. 67 | Firma nung wirkenden fremdsprachlichen Begriffen – an der Unterscheidungskraft fehlen283, wenn und weil die Begriffe bloß beschreibende Funktion haben284. Zur ausnahmsweise fehlenden Unterscheidungskraft im Fall von Phantasiebezeichnungen gehören auch die Fälle einer aus einem einzelnen Buchstaben oder einer einzelnen Ziffer bestehenden Firma, sofern hier nicht richtigerweise bereits die Kennzeichnungskraft abgelehnt wird; darüber bei Rz. 52 f. 68 Im Fall von „Domain“-Firmen geht die ganz überwiegende Ansicht285 davon aus, dass eine

an sich zu unspezifische Gattungs- oder Branchenbezeichnung nicht dadurch hinreichende Unterscheidungskraft gewinnen kann, dass der Zusatz „.de“ im Sinne einer Top-Level-Domain beigefügt wird („brillenshop.de GmbH“). Ausreichend soll es dagegen sein, wenn der Firma eine Second-Level-Domain hinzugefügt wird286. Dieser engen Ansicht ist nicht zuzustimmen. Schon nach dem Klangbild unterscheidet sich eine Firma durch die Zufügung einer Top-Level-Domain von anderen (ohne diesen Zusatz oder mit einem anderen Zusatz, z.B. „.eu“) deutlich.

IV. Firmenwahrheit: Irreführungsverbot (§ 18 Abs. 2 HGB) 1. Materielle Voraussetzungen (§ 18 Abs. 2 Satz 1 HGB) 69 Als Ausdruck des Gebots der Firmenwahrheit, d.h. um den betroffenen Rechtsverkehr vor

Täuschung zu bewahren, darf nach Maßgabe des § 18 Abs. 2 Satz 1 HGB eine Firma (d.h. entweder der Firmenkern, der Firmenzusatz, vor allem aber der sich aus beiden ergebende Gesamteindruck287) keine Angaben enthalten, die geeignet wären, über geschäftliche Verhältnisse irrezuführen, die für die angesprochenen Verkehrskreise (nicht zwingend: die allgemeine Verkehrsauffassung) wesentlich sind. Nicht erforderlich ist, dass solche Irreführungen beabsichtigt worden sind288; sie müssen nicht einmal tatsächlich vorgekommen sein289. Entscheidend ist allein die objektive Eignung zur Irreführung. Täuschungsobjekt müssen 283 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6b; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 24; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 32. 284 Vgl. etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 32. 285 Vgl. LG Köln v. 8.2.2008 – 88 T 4/08, Rpfleger 2008, 425 = RNotZ 2008, 553 – „brillenshop.de“; OLG Frankfurt a.M. v. 13.10.2010 – 20 W 196/10, GmbHR 2011, 202 f.; Möller, DNotZ 2000, 830, 833; Clausnitzer, DNotZ 2010, 345, 350 f.; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 8; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 11; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 56; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 18. A.A. OLG Dresden v. 15.11.2010 – 13 W 890/10, Rpfleger 2011, 277: aus Zusammenhang der Second-Level-Domain mit der Top-Level-Domain könne sich die hinreichende Unterscheidungskraft einer Firmenbezeichnung ergeben; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 37. Zur Differenzierung zwischen Top-Level-Domain und Second-Level-Domain s. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47. 286 Seifert, Rpfleger 2001, 395 ff.; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 18. 287 BT-Drucks. 13/8444, 52; vgl. ferner etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Lamsa in Heidel/ Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 24; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 26. 288 RG v. 19.10.1937 – II B 9/37, RGZ 156, 16, 22; BayObLG v. 23.11.1971 – BReg. 2 Z 35/71, BayObLG NJW 1972, 165, 165; OLG Düsseldorf v. 12.8.2019 – 3 Wx 26/19, GmbHR 2020, 321, 322 = DNotZ 2020, 778 m. Anm. Pietzarka; OLG Düsseldorf v. 16.3.2020 – 3 Wx 133/19, FGPrax 2020 123, 124; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8a; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 54; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 41. 289 OLG Düsseldorf v. 12.8.2019 – 3 Wx 26/19, GmbHR 2020, 321, 322 = DNotZ 2020, 778 m. Anm. Pietzarka; OLG Düsseldorf v. 16.3.2020 – 3 Wx 133/19, FGPrax 2020 123, 124; Roth in Koller/

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„geschäftliche Verhältnisse“ sein; die unverkennbare Parallele zu den „geschäftlichen Handlungen“ i.S.d. § 5 UWG290 legt eine eben solch weite Auslegung dieses Begriffes nahe291, wie er dort durch die Beispiele in § 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1–7 UWG vorgegeben wird. Gemeint sind damit folglich im Grunde sämtliche Umstände, die irgendwie eine gewerbliche Tätigkeit im Wettbewerb zu fördern vermögen, wobei im vorliegenden Zusammenhang insbesondere an die Größe, den Sitz und den Gegenstand des Unternehmens der Gesellschaft zu denken ist. Im Einzelnen setzt eine Irreführung i.S.d. § 18 Abs. 2 HGB zuvörderst voraus, dass die Anga- 70 ben in der Firma überhaupt geeignet sind, im weitesten Sinne falsche Vorstellungen über die geschäftlichen Verhältnisse hervorzurufen, was verlangt, dass die Angaben entweder unwahre Behauptungen beinhalten oder im Kontext misszuverstehen, wenngleich objektiv richtig sind292. Insoweit kommt es nicht auf die subjektive Sichtweise Einzelner, sondern die (normativ zu ermittelnde, nicht empirisch zu erhebende) Wahrnehmung aus der verobjektivierten Warte eines Durchschnittsteilnehmers der jeweils angesprochenen Verkehrskreise293 an. Eine irreführende Firma muss bei verständiger Würdigung die beteiligten Verkehrskreise, an die sich das Unternehmen wendet294, über die erwähnten Umstände täuschen können. Das bedeutet zweierlei: Täuschungseignung verlangt auf der einen Seite nicht, dass ein jeweiliger Durchschnittsangehöriger eines jeden der angesprochenen Verkehrskreise einer Täuschung erliegen könnte, solange jedenfalls in einem ebenfalls adressierten engeren Kreis die Möglichkeit von Täuschungen besteht295 (wobei sich die Verengung auf die Art des Kundenkreises, aber auch auf regionale Besonderheiten beziehen kann). Auf der anderen Seite

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Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 7; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 41. Begr. RegE, BT-Drucks. 13/8444, S. 52; Schaefer, ZNotP 1998, 170, 176, Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 37 f.; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 57; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 16; Ries in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 27. Für eine weite Auslegung etwa auch BayObLG v. 17.5.1999 – 3Z BR 90/99, BayObLGZ 1999, 114, 116 = NJW-RR 2000, 111; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 13; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 57. Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 7: „Irreführend sind idR Angaben, die einen obj falschen Sachverhalt behaupten, im Einzelfall uU aber auch obj richtige Angaben.“; ausführlich Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 43 f. Vgl. etwa BayObLG v. 17.5.1999 – 3Z BR 90/99, BayObLG NJW-RR 2000, 111; OLG Frankfurt a.M. v. 28.10.2014 – 20 W 411/12, NZG 2015, 1239 f.; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 14; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 14; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 63; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 37; Wicke, Rz. 6; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 13; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 35; Reuschle in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 36, 42; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 58; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 27; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 223; der Wortlaut des § 18 Abs. 2 Satz 1 HGB, der die Maßgeblichkeit der angesprochenen Verkehrskreise nur auf die „geschäftlichen Verhältnisse“, nicht aber auf die Eignung zur Irreführung bezieht, ist nach allg. Meinung als missverständlicher bzw. Sinnwidriges implizierend insoweit erweitert zu verstehen; vgl. etwa Lamsa, Die Firma der Auslandsgesellschaft, 2011, S. 315; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 42. Entscheidend kommt es also auf die Adressaten der Firma an; vgl. C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 14; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 14; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 63; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 37; Wicke, Rz. 6; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 13; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 35; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 36, 42; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 58; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 27. BayObLG v. 23.11.1971 – BReg. 2 Z 35/71, NJW 1972, 165 f.

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§ 4 Rz. 70 | Firma kommt es nicht auf die allgemeine Verkehrsauffassung an, sofern sich die Firma nur an engere Verkehrskreise, wie z.B. Fachleute, wendet. Werden, wie in der Mehrzahl der Fälle, allgemein die Verbraucher angesprochen, so ist bei der Prüfung der Irreführungsgefahr auf das Verständnis eines durchschnittlich verständigen und informierten Verbrauchers abzustellen296, und zwar entsprechend dem Verbraucherleitbild, welches sich im Anschluss an die Rechtsprechung des EuGH im UWG und MarkenG mittlerweile durchgesetzt hat (Stichwort: „situationsadäquate Aufmerksamkeit des Durchschnittsverbrauchers“)297. Soweit § 5 UWG strengere Anforderungen an eine Firma stellen sollte, was gegenwärtig aufgrund mittlerweile weitgehend konvergierender Beurteilungsmaßstäbe nicht der Fall sein sollte298, bleibt es den Konkurrenten überlassen, gegen die Firma vorzugehen (§§ 5, 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG). 71 Schließlich müssen die Angaben, so ihre Unwahrheit oder missverständliche Darstellung ans

Licht käme, für die angesprochenen Verkehrskreise überhaupt wesentlich, d.h. von spürbarer wettbewerblicher Relevanz, also nicht nur nebensächlich sein299 (vgl. die insoweit als Vorbild für die Fassung des § 18 Abs. 2 HGB herangezogene Bestimmung des § 13a UWG a.F.300 sowie heute § 3 Abs. 2 UWG); nicht jede Unwahrheit genügt also, sondern nur eine solche, die in irgendeiner Weise auf die Wertschätzung des jeweiligen Unternehmens bzw. die von den Adressaten begehrte wirtschaftliche Entscheidung von Einfluss ist301.

296 BT-Drucks. 13/8444, S. 53; OLG Stuttgart v. 17.11.2000 – 8 W 153/99, NJW-RR 2001, 755, 756; OLG Düsseldorf v. 16.8.2001 – 2 U 138/00, NJW-RR 2002, 472 (zu § 1 UWG); OLG Jena v. 22.6.2010 – 6 W 30/10, GmbHR 2010, 1094, 1095; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 62; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Mock in Michalski u.a., Rz. 37; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 63; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, Rz. 35; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 36, 42; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 58; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 20; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 27. 297 BGH v. 20.10.1999 – I ZR 167/97, NJW-RR 2000, 1490, 1491; vgl. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 20. 298 Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 37 f.; Lamsa in Heidel/ Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 24; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 16; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 28. 299 BayObLG v. 17.5.1999 – 3Z BR 90/99, BayObLGZ 1999, 114, 116 = NJW-RR 2000, 111; ähnliche Formulierungen bei C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 14 („typischerweise ausschlaggebend“); Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 15 („typischerweise ausschlaggebend und nicht nur nebensächlich“); Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29 („typischerweise ausschlaggebend“); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29 („von gewisser Bedeutung für die wirtschaftliche Entscheidung […] oder von gewisser wettbewerblicher Relevanz“); Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 61 („ausschlaggebende Bedeutung“); Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 40 („ausschlaggebende Bedeutung“); Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 34 („geringer wettbewerblicher Relevanz oder […] von untergeordneter Bedeutung“); Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 58 („von einer gewissen Bedeutung“); Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 19 (keine Angaben „bloß nebensächlicher oder rein formaler Bedeutung“); Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 4 AktG Rz. 15 („geringer wettbewerblicher Relevanz oder […] von nebensächlicher Bedeutung“); Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 29 („für die Wertschätzung einer Sache oder Leistung von Gewicht“); vgl. ferner Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 26; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 9; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 27. 300 Zum Zusammenhang beider Bestimmungen seit dem HRefG Begr. RegE BR-Drucks. 340/97, S. 53; ferner etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Lamsa in Heidel/Schall, 3. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 26. 301 Vgl. sinngemäß übereinstimmend Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 27.

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Firma | Rz. 72 § 4

2. Verfahrensbezogene Einschränkungen (§ 18 Abs. 2 Satz 2 HGB) Die Eignung einer Firma zur Irreführung, sei es einer neugebildeten oder geänderten, wird 72 im Verfahren vor dem Registergericht – d.h. im Eintragungs-, im Firmenmissbrauchs- sowie im Amtslöschungsverfahren302 – nur berücksichtigt, wenn sie „ersichtlich“ ist (§ 18 Abs. 2 Satz 2 HGB im Anschluss an § 37 Abs. 3 MarkenG). Durch § 18 Abs. 2 Satz 2 HGB soll die Amtsermittlungspflicht des Registergerichts gegenüber § 26 FamFG eingeschränkt werden303, um die Registergerichte zu entlasten. Ersichtlich ist die Eignung zur Irreführung allein, wenn sie sich ohne Weiteres aus den Akten und den sonstigen Umständen, auch aus eigener Sachkunde und ggf. (bei eigenen Zweifeln, vgl. § 23 HRV) erst unter Zuhilfenahme von Gutachten und Stellungnahmen der Industrie- und Handelskammern304 ergibt, d.h. unmittelbar erkennbar ist305. Die Prüfungsintensität ist damit im Registerverfahren (nicht aber im Verfahren der streitigen Gerichtsbarkeit306!) auf ein „Grobraster“ beschränkt307. Intensivere Ermittlungen wären freilich nicht untersagt, da es sich nicht um eine materielle Einschränkung des Irreführungsverbots handelt308; insbesondere, sobald der Verdacht eines Verstoßes gegen das Irreführungsverbot besteht, kann und wird das Registergericht daher regel-

302 Näher hierzu Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 35; Roth in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 10; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 53. 303 Hierzu etwa Kögel, Rpfleger 2011, 17, 19; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 63 f.; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 50 ff. 304 Aus dem bei Rz. 69 geschilderten normativen Maßstab folgt allerdings die geminderte Bedeutung von Umfragen durch die IHK; dazu Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1079; Roth in Koller Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 9; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 27. 305 Einen „evidenten“ Verstoß verlangt Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 50, ohne dass damit jedoch deutlich würde, ob hiermit einer weiteren Entschärfung des Irreführungsverbots im Registerverfahren das Wort geredet werden soll; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; wohl auch Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 34; nach W.-H. Roth, Das neue Firmenrecht, in Die Reform des Handelsstandes und der Personengesellschaft, 1999, S. 31, S. 42 f. soll mit „ersichtlich“ in Wahrheit „offensichtlich“ gemeint sein; dafür zudem OLG Düsseldorf v. 12.8.2019 – 3 Wx 26/19, GmbHR 2020, 321, 322 = DNotZ 2020, 778 m. ablehnender Anm. Pietzarka; in diese Richtung („offensichtlich“) auch Wachter, GmbHR 2004, 88, 98; als einen Vorschlag de lege ferenda betrachtet dies Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 63 m. Fn. 234; auf eine „nicht allzu fern“ liegende Irreführungsgefahr will Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29 abstellen. 306 Unstreitig, vgl. etwa Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29 aE; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 53. 307 BT-Drucks. 13/8444, S. 54; OLG Stuttgart v. 8.3.2012 – 8 W 82/12, GmbHR 2012, 571, 572; OLG Frankfurt a.M. v. 16.4.2019 – 20 W 53/18, GmbHR 2020, 102, 103 m. zustimmender Anm. Wachter, EWiR 2020, 9, 10; vgl. weiterhin etwa Bokelmann, GmbHR 1998, 57, 62; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 34; zutr. allerdings der Hinweis von Roth in Koller/Kindler/Roth/ Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 Rz. 10, wonach dies nicht zu oberflächlicher Prüfung verleiten dürfe; die „Feinsteuerung“ erfolgt damit im streitigen Verfahren, vgl. Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 29; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 53. 308 Zutr. Karsten Schmidt, NJW 1998, 2161, 2167; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 53; wohl auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 63; dagegen will die wohl h.L. die Ermittlungsbefugnis einschränken und lediglich im Fall „zu weit gehender Ermittlungen“ in den Beschwerdeinstanzen die Frage der vom Registergericht festgestellten Ersichtlichkeit außer Streit stellen; vgl. dazu Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 29 m.w.N.; in diese Richtung einer eingeschränkten Prüfungsbefugnis auch Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29 a.E.

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§ 4 Rz. 72 | Firma mäßig (indes ohne dahingehende Amtspflicht)309 weitere Ermittlungen anstellen310. Für unzulässig betrachtet werden darf aber im Registerverfahren eine Firma in diesen Zweifelsfällen nur, sofern das Registergericht nach etwaigem Durchlaufen dieser Ermittlungen die eigenen Zweifel auszuräumen imstande ist – bestehen im Ergebnis weiterhin allein Zweifel an der Firmenwahrheit, sind diese mangels Ersichtlichkeit nicht berücksichtigungsfähig311.

3. Einzel- und Problemfälle a) Irreführende Angaben über die Rechtsform aa) Endung auf „AG“, „OHG“ oder sonstigen Rechtsformzusatzabkürzungen; Kumulation von Rechtsformzusätzen 73 Das Irreführungsverbot gilt für die gesamte Firma einschließlich des Rechtsformzusatzes

(§ 4 GmbHG; § 19 HGB). In die Firma der Gesellschaft dürfen deshalb keine Angaben aufgenommen werden, die zur Täuschung der angesprochenen Verkehrskreise über die Rechtsform der Gesellschaft geeignet sind312. Es entspricht – relevant vor allem mit Blick auf Phantasiefirmen – überwiegender Meinung, dass eine Aneinanderreihung verschiedener Rechtsformzusätze unzulässig ist. Praxisbedeutsam ist dies vor allem für – daher für unzulässig erklärte – „AG“-Zusätze geworden313 („Credit- und Finanzierungs-AG GmbH“314). Dem ist insoweit allerdings in dieser Pauschalität zu widersprechen. Bezeichnungen, die mit den Buchstaben „ag“ oder „AG“ enden, sind in der Firma einer GmbH nicht in jedem Fall unzulässig; nach tradierter strenger Ansicht galt dagegen, dass diese Abkürzungen für sich genommen stets auf eine Aktiengesellschaft (vgl. § 4 AktG und die gegenwärtig übliche Abkürzung „AG“ für Aktiengesellschaft) hindeuten, also insoweit Täuschungsgefahr in sich bergen. Richtigerweise kommt es bei den hier relevanten Phantasiebezeichnungen auf die im konkreten Fall

309 A.A. insoweit Ammon, DStR 1998, 1474, 1478; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 54; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 57; wohl auch OLG Düsseldorf v. 16.3.2020 – 3 Wx 133/19, FGPrax 2020 123, 124, wonach das Registergericht gehalten sei, Zweifeln nachzugehen; wie hier aber etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; wohl auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 67. 310 Vgl. Kögel, BB 1998, 1645, 1649; Ammon, DStR 1998, 1474, 1478; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 71. 311 Vgl. Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 63, wonach es im Fall bloßer Zweifel an der Ersichtlichkeit fehle, und daher das Registergericht die Firma als zulässig betrachte müsse; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 34; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 53. 312 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Michalski in Michalski, Rz. 47; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 47, 49, 51; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 188 ff.; vgl. auch, für die AG, Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 4 AktG Rz. 18 f. 313 Für unzulässig gehalten von BGH v. 25.10.1956 – II ZB 18/56, BGHZ 22, 88, 90 = NJW 1956, 1873 – INDROHAG; BayObLG v. 7.3.1978 – BReg. 3 Z 123/76, BB 1979, 1465, 1466 – Trebag; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Mock in Michalski u.a., Rz. 38; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46; relativierend Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9a: sofern die Endung als Hinweis auf Rechtsform angesehen wird; a.A. Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, Rz. 188, der prinzipiell die Täuschungseignung durch diese Endsilben verneint; in diesem Sinne auch OLG Köln v. 14.7.2006 – 6 U 226/05, DStR 2007, 267: „WISAG“ nicht täuschend; Wicke, Rz. 7; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 80, der auf die gewandelte Verkehrsauffassung abstellt; auf die jeweils angesprochenen Verkehrskreise abstellend: OLG Dresden v. 21.4.2010 – 13 W 295/10, NZG 2010, 1237, für die Firma „OBAG GmbH“; zustimmend Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 66. 314 Beispiel nach OLG Stuttgart v. 25.6.1962 – 2 U 63/62, BB 1962, 935; zustimmend Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32.

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Firma | Rz. 74 § 4

festzustellende Täuschungsgefahr an, die regelmäßig fehlen wird, sofern diese Buchstaben erkennbar in einen Wortzusammenhang eingebettet sind, der entweder klar auf ein reines Phantasiewort hindeutet oder aber für den Durchschnittsbetrachter der relevanten Verkehrskreise in einem Sinnzusammenhang steht, der den Fehlschluss auf eine Rechtsformbezeichnung bei typisierender Betrachtung ausschließt. So dürften heute Firmierungen unter schlagwortartiger Einbeziehung der „AG“-Endung wie bei „INDROHAG Industrie und Rohstoffe Handelsgesellschaft mit beschränkter Haftung“315, „WISAG Service Holding GmbH“316 oder „Delbag GmbH“317 als zulässig zu betrachten sein, wobei es für die Bewertung für sich genommen unbedeutend ist, ob der potentiell irreführenden „AG“-Endung unmittelbar (ohne Zwischenschub weiterer Zusätze) der Rechtsformzusatz „GmbH“ nachfolgt318 und ob dies unter Abtrennung vermittels Komma erfolgt („Delbag, GmbH“). Besonders großzügig wird man Firmierungen unter schlagwortartiger Einbeziehung der Endung „UG“ in ein Phantasiewort unter dem Blickwinkel der Täuschungseignung zu bewerten haben; denn insoweit wird ins Gewicht fallen müssen, dass der Gesetzgeber zur Kennzeichnung dieser Rechtsformvariante (entgegen dem „untechnischen“ überwiegenden Sprachgebrauch) diese Abkürzung nicht isoliert, sondern nur im Verbund mit dem Zusatz „haftungsbeschränkt“ gelten lässt, sodass bei wertender Betrachtung ohne diesen Zusatz die Verwendung der Abkürzung „UG“ als Firmenbestandteil regelmäßig nicht täuschen dürfte. Doch auch hier kommt es auf den Einzelfall an, insbesondere auf die Einbettung in einen anderen als auf einen Rechtsformzusatz hindeutenden Sinnkontext (unzulässig daher wohl trotz großzügiger Betrachtungsweise etwa „Müller Bauunternehmung Hamburg UG GmbH“, zulässig demgegenüber bei Einbettung in ein Phantasiewort: „DEUG GmbH“). Täuschungseignung liegt aber vor, sofern das Gesamtbild auf eine Kumulation von Rechts- 74 formzusätzen bzw. eine (für sich genommen unzulässige) Rechtsformmischung hinzeigt, wie etwa bei der daher unzulässigen Firmierung mit der Endung „OHGmbH“319. Für unzulässig wird man nach diesen Grundsätzen auch eine Firmierung zu betrachten haben, welche den täuschenden Rechtsformzusatz in eine aus einer Internetdomain gebildeten Firma einbindet, sofern der Zusatz abgetrennt an das Ende derselben (als „Second-Level-Domain“) gestellt wird, so etwa bei „www.tipp.ag GmbH“320. Hierher gehören auch die Fälle der Verbindung des GmbH-Zusatzes mit dem Zusatz „& Co.“ (anders als die unproblematische [vor allem voranstellende] Verbindung des Firmenkerns hiermit), was aber nur im Ausnahmefall täuschend wirkt, sofern (trotz § 19 Abs. 1 Nr. 2 und 3 HGB)321 nach dem Gesamtbild der Firma bei den angesprochenen Verkehrskreisen der Eindruck entstehen kann, es handele sich um eine Personenhandelsgesellschaft (so wird es liegen, wenn der Zusatz „& Co.“ der Rechtsformbezeichnung „GmbH“ nachfolgt, wie z.B. in der daher unzulässigen Firma „XGmbH & Co.“, wohingegen die Voranstellung, wie bei „X & Co. GmbH“, regelmäßig zulässig sein wird322); vgl. über den Zusatz „& Co.“ zudem bei Rz. 10. 315 316 317 318 319 320 321 322

A.A. noch BGH v. 25.10.1956 – II ZB 18/56, BGHZ 22, 88, 90 = NJW 1956, 1873. A.A. zu § 5 UWG, OLG Köln v. 30.11.2006 – 6 U 24/06, GRUR-RR 2007, 165, 163. A.A. KG v. 12.11.1964 – 1 W 1851/64, OLGZ 1965, 124, 130 = NJW 1965, 254. Womöglich abweichend, jedenfalls diesem Kriterium Gewicht beimessend, Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31. OLG Hamm v. 6.4.1987 – 15 W 194/85, NJW-RR 1987, 990; zustimmend insoweit auch Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15d. In diesem Sinne auch, zu § 3 UWG, OLG Hamburg v. 16.6.2004 – 5 U 162/03, GRUR-RR 2005, 199. Danach muss seit dem HRefG auch eine OHG bzw. eine KG zwingend einen Rechtsformzusatz führen. Vgl. LG Bremen v. 21.10.2003 – 13 T 12/03, GmbHR 2004, 186: „X & Co. GmbH“; zustimmend Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15d; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 190; auf dieser Linie (aber letztlich strenger, wenngleich für die Kommanditgesellschaft) BGH v. 13.10.1980 – II

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§ 4 Rz. 75 | Firma 75 Sofern eine Handelsgesellschaft oder eine juristische Person an einer GmbH beteiligt ist323

und deren Name in die Firma aufgenommen werden soll, dürfen die von ihnen verwandten Rechtsformzusätze – anders als der Firmenkern – nicht mit aufgenommen werden (zulässig daher nur „Klöckner Werke GmbH“, nicht aber „Klöckner Werke AG, GmbH“), weil das sonst unvermeidliche Zusammentreffen von Rechtsformzusätzen verwirrend wirkt324. Das gilt ferner, sofern eine andere GmbH Gesellschafterin der GmbH ist – eine Verdopplung des Zusatzes „GmbH“ ist unzulässig (Firmenklarheit!)325; erst recht hat dies zu gelten, sofern der Name einer beteiligten UG (haftungsbeschränkt) mitsamt Rechtsformzusatz für die Firma der GmbH verwandt werden soll – es wirkte irreführend, sofern in ein und derselben Firma der Rechtsformzusatz der Rechtsformvariante kumulativ neben jenem (korrekten) der GmbH hinzuträte, weil der Eindruck eines Mischgebildes entstünde. Auch sofern als Gesellschafter beteiligte ausländische Gesellschaften ihren Namen für die Firma der GmbH hergeben, sind die Gesellschafts- und Rechtsformzusätze bei Vermeidung einer Täuschungseignung fortzulassen326 (unzulässig daher etwa: „C.P & Company Limited, GmbH“327). bb) Partnerzusatz 76 § 11 Abs. 1 Satz 1 PartGG verwehrt es Nichtpartnerschaften – wie einer Unternehmung in

der Rechtsform der GmbH –, die dort genannten Rechtsformzusätze („und Partner“ oder „Partnerschaft“) „untechnisch“ zu verwenden (Sperrwirkung), und zwar auch als Bestandteil des Firmenkerns einer mit richtigem Rechtsformzusatz ausgestatteten Firma einer Kapitalgesellschaft. Für die Firmenbildung einer GmbH unter Verwendung eines derartigen Zusatzes ist vor diesem Hintergrund wie folgt zu unterscheiden:

77 Wird, erstens, ein zur Kennzeichnung einer Partnerschaft nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Satz 1

PartGG tauglicher Zusatz im Firmenkern einer Kapitalgesellschaft (und damit „untechnisch“) verwandt, ist dieser Zusatz für Nichtpartnerschaften prinzipiell gesperrt328, und zwar losgelöst von einer konkreten Verwechslungsgefahr329. Insoweit, als § 2 Abs. 1 Satz 1 PartGG Liberalisierungen zulässt, etwa in Form der Zusätze „& Partner“ bzw. „+ Partner“, gilt dies entsprechend. Das Irreführungsverbot des § 18 HGB ist hier nicht berührt, das bloße Führen eines solchen Zusatzes durch eine GmbH verletzt bereits § 11 Abs. 1 Satz 1 PartGG. Bei Verbindung mit einem anderen Rechtsformzusatz ist dieser Grundsatz allerdings teleologisch dahingehend einzuschränken, dass § 11 Abs. 1 Satz 1 PartGG nur verletzt ist, sofern eine Verwechslung mit dem Zusatz „Partner“ oder „Partnerschaft“ als Rechtsformzusatz zu-

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326 327 328 329

ZB 4/8, NJW 1981, 342, 343, wonach K & Co. GmbH den Eindruck einer Personengesellschaft hervorrufen kann (zu einer „K & Co. GmbH & Co. KG“); ebenso Altmeppen, Rz. 32. BayObLG v. 4.12.1970 – BReg. 2 Z 76/70, BayObLGZ 1970, 297, 298. Allg. Meinung; vgl. etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 76; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Wicke, Rz. 7; zur unzulässigen Kumulation von Rechtsformzusätzen ausführlich Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 188 ff.; ferner Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 51. Vgl. auch Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37, die mit Recht darauf hinweist, dass dies für einzelne Elemente des Rechtsformzusatzes ausnahmsweise nicht gilt, soweit durch eine Spezialgesetzgebung eine Dopplung etwa des Worts „Gesellschaft“ vonnöten ist, wie bei den Sachbezeichnungen für die Wirtschaftsprüfungs- oder Buchprüfungs-GmbH. S. Bokelmann, ZGR 1994, 325, 331; Bokelmann, GmbHR 1994, 356, 358. Vgl. bereits OLG Düsseldorf v. 11.7.1956 – 3 W 169/56, GmbHR 1956, 173; zum Ganzen auch Bokelmann, ZGR 1994, 325, 331; Bokelmann, GmbHR 1994, 356, 358. Das Verbot des § 11 Abs. 1 Satz 1 PartGG ist komplementär zu § 2 Abs. 1 Satz 1 PartGG zu verstehen, der Partnerschaften die Aufnahme dieser genannten Zusätze in ihren Namen gebietet. BGH v. 21.4.1997 – II ZB 14/96, BGHZ 135, 257, 259 = NJW 1997, 1854; BGH v. 24.10.2012 – AnwZ [Brfg] 14/12, BeckRS 2012, 24720 Rz. 7; BGH v. 13.4.2021 – II ZB 13/20, GmbHR 2021, 704 Rz. 9.

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Firma | Rz. 79 § 4

mindest nicht ausgeschlossen ist330. Denn nur in diesem Fall steht der mittlerweile weitgehend anerkannte Normzweck des § 11 Abs. 1 Satz 1 PartGG, die Zusätze des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartGG als Bezeichnung gerade einer Partnerschaft einzubürgern, sodass der Durchschnittsadressat der beteiligten Verkehrskreise bei ihrer Verwendung in einem Namen auf eine besondere Rechtsform schließen kann, ihrer Verwendung entgegen. Wird, zweitens, ein zur Kennzeichnung der Partnerschaft untauglicher (und damit „untech- 78 nischer“) Zusatz verwandt331, ergeben sich richtigerweise firmenrechtliche Grenzen allein aus dem Irreführungsverbot des § 18 Abs. 2 HGB, das im Lichte des Schutzzweckes des § 11 Abs. 1 Satz 1 PartGG allerdings streng gehandhabt werden muss. Daraus folgt etwa, dass auch Verwendungen des Begriffs „Partner“ ohne die Verknüpfung mit einem „und“ oder einem entsprechenden gleichbedeutenden Zeichen als Firmenzusatz einer GmbH unzulässig sein können. Entscheidend ist jeweils, ob der Firmenkern im Ganzen gesehen eine Verwechslung mit einer Partnerschaft – aus der Warte eines Durchschnittsadressaten – möglich erscheinen lässt332. Dies wird nicht schon prinzipiell ausgeschlossen sein, sofern der Zusatz als Bestandteil einer Wortverbindung genutzt wird („GV-Partner“)333, aber jedenfalls regelmäßig dann, wenn der Zusatz (für den Rechtsverkehr erkennbar) nicht das Binnenverhältnis der Gesellschafter zueinander (wie unzulässigerweise in „Dr. S & Partners GmbH“334 oder in „Meier & Partners Finanzberatung GmbH“), sondern ihre Beziehung nach außen, d. h. etwa zum Geschäftspartner, kennzeichnet, wie etwa in „IRP Ihr Reifenpartner GmbH“335 oder in „Maxximum IT-Partner-GmbH“336, oder erkennbar einen Eigennamen eines Gesellschafters benennt, wie etwa in „Anton Partner Baustoffhandel GmbH“337. Zulässig sind damit insgesamt in ihrem von einem Rechtsformzusatz abweichenden Sinn deutlich erkennbare Einbettungen des Begriffs „Partner“. Streit besteht, ob der englische Plural („partners“) des deutschen Begriffs „Partner“ ein 79 nach Maßgabe des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartGG tauglicher Zusatz wäre (und damit eine Verwendung dieses fremdsprachlichen Zusatzes in der Firma einer GmbH der ersten oder zweiten Fallgruppe zuzuordnen ist). Da § 2 Abs. 1 Satz 1 PartGG als gesondertes Rechtsformzusatzgebot streng zu handhaben ist, ist diese Frage, die mittlerweile durch BGH GmbHR 2021, 704 (weitgehend) für die Praxis geklärt ist, zu verneinen338. Zwar dürfte er auch beim Durch330 A.A. OLG Düsseldorf v. 9.10.2009 – 3 Wx 182/09, GmbHR 2010, 38. 331 Im Gegensatz zur ersten Fallgruppe ist hier der Zusatz „untechnisch“, nicht die Verwendung (eines „technischen“ Zusatzes), zutreffend in diesem Sinne differenzierend Wolff in Meilicke, 3. Aufl. 2015, § 11 PartGG Rz. 10. 332 Wolff, GmbHR 2007, 1032, 1033. 333 Für zulässig erachtet von OLG München v. 14.12.2006 – 31 Wx 89/06, NJW-RR 2007, 761; zustimmend etwa Wolff, GmbHR 2007, 1032 f.; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15d. 334 OLG Frankfurt a.M. v. 11.11.2004 – 20 W 321/04, GmbHR 2005, 96. 335 Kögel, Rpfleger 2000, 255, 259. 336 Abgelehnt allerdings von LG Stuttgart – KfH 1/99 (zitiert nach Kögel, Rpfleger 2000, 255, 259 Fn. 48), sowie Möller, DNotZ 2000, 830, 937. 337 Wolff, GmbHR 2007, 1032, 1033; Zimmermann in Michalski/Römermann, § 1 PartGG Rz. 23; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 193; kritisch Kögel, Rpfleger 1996, 314, 317; a.A. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 73. 338 BGH v. 13.4.2021 – II ZB 13/20, GmbHR 2021, 704 Rz. 11 ff.: fremdsprachige Begriffe für „Partner“ sind als Rechtsformzusatz einer Partnerschaftsgesellschaft untauglich (zu „n. partners mbH“); in diesem Sinne bereits OLG Hamburg v. 10.5.2019 – 11 W 35/19, GmbHR 2019, 834 Rz. 13 ff. m. zustimmender Anm. Wachter (zu „x. partners Steuerberatungsgesellschaft mbH“); kritische Anm. bei Brock, EWiR 2019, 393, 394 sowie OLG Hamburg v. 10.3.2020 – 11 W 11/20, BeckRS 2020, 47268 (Vorinstanz zur vorgenannten Entscheidung des BGH) entgegen KG v. 17.9.2018 – 22 W 57/18, GmbHR 2018, 1316 Rz. 6 ff. (zu „P. Capital Partners GmbH“) m. insoweit kritischer Anm. Cziupka, EWiR 2019, 9, 10; zustimmende Anm. auch bei Vossius, NotBZ 2021, 296, der aller-

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§ 4 Rz. 79 | Firma schnittsadressaten als englische Pluralform für „Partner“ erkennbar sein, indessen lässt er – je nach restlichem Firmenkern – nicht immer den Rückschluss auf das Vorliegen einer deutschen Rechtsform zu. Jedenfalls in Verbindung mit dem Weglassen der Verknüpfung „und“ oder eines entsprechenden Zeichens („x. partners Steuerberatungsgesellschaft mbH“ oder „n. partners mbH“339) genügt „partners“ nicht den Anforderungen des § 2 Abs. 1 Satz 1 PartGG, sodass keine direkte Sperrwirkung für andere Rechtsformen nach Maßgabe des § 11 Abs. 1 Satz 1 PartGG besteht. Nach BGH GmbHR 2021, 704 soll es auf diese Fortlassung des Bindewortes „und“ nicht einmal ankommen, sodass jedwede fremdsprachliche Bezeichnung für „Partner“ bereits für sich genommen als Rechtsformzusatz für Partnerschaftsgesellschaften untauglich und damit „untechnisch“ in der GmbH-Firma verwendbar sein soll. Mangels Sperrwirkung kommt es auf Basis der höchstrichterlichen Rechtsprechung bei der Verwendung des Begriffs „partners“ damit allein auf die Verwechslungsgefahr i.S.d. § 18 Abs. 2 HGB an340; selbiges gilt für sämtliche sonstigen Abwandlungen dieses Rechtsformzusatzes, die für eine Partnerschaftsgesellschaft untauglich wären. Täuschungsgefahr wird eine Firmierung unter Verwendung des Begriffs „partners“ oder einer sonstigen Abwandlung umso weniger in sich schließen, als aus dem Gesamtbild der Firma ersichtlich wird, dass sich der Begriff „partners“ o.Ä. nicht auf das Binnenverhältnis der Gesellschafter zueinander bezieht. Zulässig wäre daher etwa die Firmierung „Capital Partner für Vermögens- und Kapitalanlagen“, nicht aber die Verkürzung auf „P…Capital Partners…GmbH“. Zu kurz greift es indessen, wenn mit BGH GmbHR 2021, 704 Rz. 15341 die Irreführungsgefahr pauschal unter Verweis auf die Verwendung des GmbH-Rechtsformzusatzes abgelehnt wird; denn nach dem bei Rz. 73 Ausgeführten ist es weitgehend und mit Recht konsentiert, dass eine Firmierung, welche den Eindruck der Aneinanderreihung von Rechtsformzusätzen hervorruft, Täuschungsgefahr in sich schließen kann; dies gilt umso mehr, seit Partnerschaftsgesellschaften mit beschränkter Berufshaftung als „PartGmbB“ firmieren (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1, § 8 Abs. 3 Satz 3 PartGG) und damit (je nach Einbettung in den Firmenkern) Partner-Bezeichnungen in der Firma der GmbH Verwechslungen jedenfalls mit dieser Partnerschaftsform im Rechtsverkehr

dings zu Unrecht der gesetzgeberischen Wertung des § 11 Abs. 1 Satz 1 PartGG angesichts eines mittlerweile der gesetzgeberischen Intention entrückten Sprachgebrauchs die Daseinsberechtigung absprechen will; aus der Literatur schon zuvor Kögel, Rpfleger 2007, 590, 592; F. Gerber/Bornholdt, NZG 2019, 655, 657 f.; Wachter, GmbHR 2019, 836, 837 f.; Cziupka, EWiR 2019, 9, 10 (vom BGH fälschlich für die gegenteilige Ansicht zitiert); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Hirtz in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 11 PartGG Rz. 3; Wolff in Meilicke/Graf von Westphalen/Hoffmann/Lenz/Wolff, 3. Aufl., § 11 PartGG Rz. 9; a.A. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 52. 339 Diese Firmierung lag der Entscheidung BGH v. 13.4.2021 – II ZB 13/20, GmbHR 2021, 704 Rz. 11 zugrunde; sie wäre freilich bereits mangels zwingend erforderlichen Gesellschaftszusatzes für unzulässig zu erklären gewesen; über den Gesellschaftszusatz bei Rz. 10; überdies fehlt insoweit das Verbindungswort „und“; zu Letzterem relativierend (insoweit allerdings zu Unrecht, sofern es um die Einordnung unter die erste oder zweite der im Text genannten Fallgruppen geht) Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21 m. Fn. 84; konsequent, aber auf Grundlage des im Text Gesagten nicht überzeugend, OLG München v. 14.12.2006 – 31 Wx 89/06, NZG 2007, 457 f., wonach der Begriff „partners“ als partnerschaftlicher Zusatz auch ohne verbindende Verknüpfung „und“ zulässig sein soll. 340 Mitunter wird das Irreführungsverbot – methodisch nicht ganz sauber – in die § 11 Abs. 1 Satz 1 „hineinsubsumiert“ (etwa KG v. 17.9.2018 – 22 W 57/18, GmbHR 2018, 1316 Rz. 8 ff.; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; dagegen aber mit Recht Wolff in Meilicke, 3. Aufl. 2015, § 11 PartGG Rz. 10, was im Ergebnis weniger Spielraum für die Zulässigkeit untechnischer Abwandlungen der geschützten Zusätze lässt). 341 BGH v. 13.4.2021 – II ZB 13/20, GmbHR 2021, 704 Rz. 15.

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Firma | Rz. 80 § 4

hervorrufen können342. Die Übergangsvorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 3 PartGG für Bestandsgesellschaften erlaubt keinen gegenteiligen Schluss343. cc) „Stiftungs-GmbH“ Ob eine Firmierung als „Stiftungs-GmbH“ Täuschungsgefahr in sich schließt, ist gegenwär- 80 tig noch nicht endgültig geklärt. Überwiegend wird Täuschungsgefahr nur angenommen, sofern die konkrete GmbH sich dieses Stiftungscharakters zu Unrecht berühmt, obgleich stiftungstypische Merkmale, wie vor allem eine ausreichende Kapitalausstattung und ein „Stiftungszweck“, fehlen344. Verfolgt die GmbH dagegen in ihrem Statut verankerte Stiftungszwecke (über die Notwendigkeit der Verlautbarung eines derartigen Zwecks im Gesellschaftsvertrag bei 13. Aufl., § 3 Rz. 36), soll dieser Firmierung nicht entgegenstehen, dass es sich in Wahrheit nicht um eine von der zuständigen Landesbehörde anerkannte rechtsfähige Stiftung (§ 80 Abs. 1 BGB) handelt345, sondern allein um eine wohltätigen Zwecken346 dienende GmbH, die ihr Vermögen der dauerhaften Zweckverwirklichung gewidmet hat. Dieser Sichtweise ist zuzugestehen, dass die Rede von einer „Stiftung“ im gegenwärtigen Sprachgebrauch nicht auf die bürgerlich-rechtliche Stiftung verengt ist347. Dennoch wird man eine verkehrswesentliche Täuschung unter den genannten Voraussetzungen im Lichte normativer Gesichtspunkte prinzipiell bejahen müssen: Denn da eine Stiftung ungeachtet des großzügigeren allgemeinen Sprachgebrauchs im juristischen Sinne eine spezifische Rechtsform ist bzw. sein kann, ist es nach den bei Rz. 73 dargestellten allgemeinen Grundsätzen eine unzulässige, für sich genommen stets irreführende Verdopplung von Rechtsformzusätzen, sofern eine GmbH als weiteren Zusatz oder im Firmenkern den Begriff der „Stiftung“ nutzt; ein schutzwürdiges Interesse für eine solche Firmierung ist überdies nicht zu erkennen348. Daran ändert der Umstand nichts, dass für die Stiftung i.S.d. § 80 BGB eine § 19 HGB entsprechende 342 Zutreffend der Hinweis von Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21 Fn. 84 a.E., wonach bei „flüchtiger Betrachtung […] allzu leicht Assoziationen mit dieser Form der Partnerschaft bewirkt werden können“. 343 A.A. BGH v. 13.4.2021 – II ZB 13/20, GmbHR 2021, 704 Rz. 14; zustimmend wohl Leuering, NJW-Spezial 2021, 367, 368 sowie Dahns, NJW-Spezial 2021, 382, 383; in diese Richtung auch bereits F. Gerber/Bornholdt, NZG 2019, 655, 657 f.; wie hier aber Juretzek, DStR 2019, 1485. 344 OLG Stuttgart v. 12.2.1964 – 8 W 229/63, NJW 1964, 1231; BayObLG v. 25.10.1972 – BReg. 2 Z 56/72, BayObLGZ 1972, 340, 342 ff.; OLG Köln v. 2.10.1996 – 2 Wx 31/96, NZG 1998, 35 = MittRhNotK 1997, 233, 234 f.; Wochner, DStR 1998, 1835; Wachter, GmbH-StB 2000, 191; Gilberg, RNotZ 2020, 193, 200 f.; Lieder/Becker, NZG 2021, 357, 361; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 32; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 60; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 12; Wicke, Rz. 7; Ellenberger in Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Vorb. § 80 BGB Rz. 12; Hüttemann/Rawert in Staudinger, 2017, Vorb. §§ 80–88 BGB Rz. 397 ff.; Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 5. Aufl. 2021, Rz. 2.12; a.A. R. Wagner, GmbHR 2016, 858, 851; Mock in Michalski u.a., Rz. 38; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 73 f. mit ausführlicher Begründung; in diesem Sinne wohl auch Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 56 sowie Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71. 345 Oder um eine Stiftung des öffentlichen Rechts bzw. des Kirchenrechts; zu Recht darauf hinweisend Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 74. 346 Unterstellt wird von der h.M., dass eine „Stiftungs-GmbH“ auf die Verfolgung wohltätiger Zwecke gerichtet sei bzw. zur Vermeidung einer Täuschungseignung sein müsse, obgleich Stiftungen keineswegs zwingend gemeinnützig i.S.d. § 52 Abs. 1 AO ausgestaltet sein müssen. 347 Gerade gegenteilig Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 56: „spezifisch konnotiert“, weshalb eine Kombination mit einem „anderen Rechtsformzusatz“ irreführend sein soll; wie hier aber etwa Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32: Bezeichnung „Stiftung“ weise nicht eindeutig auf die durch die Landesbehörden anerkannten rechtsfähigen Stiftungen hin. 348 Unzulässig sind daher etwa die tatsächlich existierenden Firmen „Robert Bosch Stiftung GmbH“, „Dietmar Hopp Stiftung GmbH“; vgl. zu diesen Beispielen Gilbert, RNotZ 2020, 193, 200 f.

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§ 4 Rz. 80 | Firma Vorschrift über einen zu führenden Rechtsformzusatz fehlt. Erst recht verbietet sich als irreführend eine Firmierung einer UG (haftungsbeschränkt) unter einem hinzuaddierten Stiftungszusatz349; auf die (für sich genommen zu verneinende) Frage, ob einer „stiftungsähnlichen“ Struktur einer UG (haftungsbeschränkt) bereits prinzipiell das Fehlen eines gesetzlichen Mindestkapitals oder zumindest die im konkreten Fall geringe Kapitalausstattung entgegensteht, kommt es daher nicht an. dd) Zusatz „genossenschaftlich“ 81 Anderes als für den Zusatz „Stiftung“ (vgl. soeben Rz. 80) gilt hinsichtlich des adjektivisch

verwandten Begriffs „genossenschaftlich“ – die Vorstellung von einer bestimmten Rechtsform (im Sinne der eingetragenen Genossenschaft) wird im gegenwärtigen Sprachgebrauch hiermit nicht verbunden, sofern der Begriff neben einen GmbH-Rechtsformzusatz tritt. Auch im Rechtssinne liegt hierin keine Dopplung von Rechtsformzusätzen, solange nicht das „rechtsformzusatztaugliche“ Substantiv der „Genossenschaft“ verwendet wird (vgl. § 3 GenG). Eine Täuschung liegt damit nicht schon für sich genommen in der Verwendung des Zusatzes „genossenschaftlich“350, wohl aber dann, wenn dem Gesellschaftszweck bzw. der Gesellschaftsorganisation kein „Genossenschaftsgedanke“ innewohnt351.

b) Irreführende Angaben über den Unternehmensgegenstand 82 Soll eine Sachbezeichnung den Firmenkern bilden, kommt es allein darauf auf, dass hiermit

keine unwahren oder einen falschen Anschein erweckenden Tätigkeitsbeschreibungen verbunden sind, denen ein Durchschnittsteilnehmer der jeweils angesprochenen Verkehrskreise wesentliche Bedeutung beimisst352. Nicht entscheidend ist, ob der statutarische Unternehmensgegenstand – dann meist schlagwortartig – sinngemäß in seinem Kerngehalt zutreffend im Firmenkern wiedergegeben wird; auch ist nicht für sich genommen die korrekte Beschreibung der ggf. abweichenden tatsächlichen Verhältnisse entscheidend353 (zur Abweichung des tatsächlichen vom statutarischem Unternehmensgegenstand bei 13. Aufl., § 3 Rz. 44). Über-

349 A.A. (für Zulässigkeit dieser Firmierung) Wälzholz, GmbH-StB 2007, 319, 320; Lieder/Becker, NZG 2021, 357, 362; Miras in BeckOK GmbHG, Stand: 1.5.2021, § 5a Rz. 52; wohl eine bestimmte (in der konkreten Höhe aber offen gelassene) Kapitalausstattung verlangend Gilberg, RNotZ 2020, 193, 207; das Mindeststammkapital der GmbH verlangend Weidmann in Hoffmann-Becking/Gebele, BeckFormB Bürgerliches Handels- und Wirtschaftsrecht, 13. Aufl. 2019, Form. I. 36 Anm. 2; Schiffer, Die Stiftung in der Beraterpraxis, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 7 f.; prinzipiell ablehnend, aber nicht hinreichend zwischen zwingendem Mindeststammkapital und tatsächlicher Kapitalausstattung differenzierend, Weitemeyer in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 80 BGB Rz. 297; die bei Bayer/Hoffmann, GmbHR 2018, 1156, 1162 angeführten Beispiele sind nach der im Text begründeten Ansicht unzulässige Firmierungen. 350 OLG Frankfurt a.M. v. 12.6.1992 – 20 W 294/91, BB 1992, 2541 („Genossenschaftliche Beteiligungsgesellschaft Kurhessen AG“), und zwar unter Verweis darauf, dass der Begriff nicht nur im Rechtssinne gebraucht wird, gegen KG, OLGE 40, 93; wie hier auch Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 21; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 60; a.A. wohl Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71. 351 Ein Beispiel für eine Kapitalgesellschaft, die durchaus diesen Gedanken verfolgt haben dürfte, bildet etwa BGH v. 22.1.2013 – II ZR 80/10, GmbHR 2013, 301; auf den genossenschaftlichen Charakter hinweisend Seibt, EWiR 2013, 131, 132; Cziupka/Kliebisch, LMK 2013, 344597 unter 2. d). 352 Hinsichtlich dieses Ausgangspunktes besteht heute weitgehend Einigkeit; vgl. etwa Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Bayer in Lutter/Hommelhoff Rz. 36. 353 In diese Richtung aber Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 16; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 21; kritisch dazu Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 17 HGB Rz. 27 ff.; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 60.

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Firma | Rz. 83 § 4

haupt kommt es seit dem HRefG nicht mehr auf eine irgendwie geartete Entlehnung der Sachbezeichnung aus dem statutarischen oder, falls abweichend, dem tatsächlichen Tätigkeitsbereich an354. Daraus folgt zum einen, dass eine Sachbezeichnung in der Firma für sich genommen überhaupt keine Rückschlüsse auf den wahren Tätigkeitsbereich erlauben können muss, zumal die Übergänge zur Phantasiefirma fließend sind, weshalb etwa nichtssagende Wortschöpfungen unbedenklich sind, selbst wenn sie in einem entfernten Zusammenhang mit dem Unternehmensgegenstand stehen355 oder diesen abkürzen356. Zum anderen muss die Sachbezeichnung, falls sie diese Rückschlüsse erlaubt, nur insoweit der Wahrheit entsprechen, als hiermit für den Rechtsverkehr bedeutsame Tätigkeitsbeschreibungen offengelegt werden. Das darf nicht vorschnell unterstellt werden, sondern bedarf einer sorgfältigen Einzelfallprüfung. Zu weit geht es vor diesem Hintergrund etwa, eine Sachbezeichnung stets als unzulässig einzustufen, wenn sie den irrtümlichen Eindruck erweckt, die betreffende Gesellschaft stelle die Produkte selbst her, während sie sich tatsächlich auf den Handel damit beschränkt; jeweils ist ergänzend zu fragen, ob der Durchschnittsteilnehmer der adressierten Verkehrskreise diesen Produktionsstufen überhaupt Bedeutung beimisst357. Demgegenüber ist etwa eine Firmenbildung eines Finanzvermittlers unzulässig, mit welcher der Anschein erweckt wird, er gewähre selbst Kredite und betätige sich damit ebenso wie ein Kreditinstitut358, weil die Teilnehmer der angesprochenen Verkehrskreise der falschen Erwartung ausbleibender zusätzlicher Finanzierungsvermittlungskosten erliegen dürften359. Mangelt es an jedwedem Bezug zwischen einer ersichtlich als Tätigkeitsbeschreibung ge- 83 meinten Sachbezeichnung in der Firma und der wahren Geschäftstätigkeit, unterfällt eine solche offen zutage tretende Unwahrhaftigkeit allerdings dem Irreführungsverbot360. Hierunter fällt aber nicht bereits eine unter „TAX-Care“ firmierende, ihrem statutarischen Unternehmensgegenstand nach hingegen allgemeine Unternehmensberatungsleistungen anbietende, nicht als Steuerberatungsgesellschaft anerkannte GmbH. Die Sachbezeichnung ist hier derartig weit gefasst, dass auch das Erbringen anderer als steuerrechtlicher Beratungsdienstleistungen, sofern im weitesten Sinne mit dem Bereich der Steuern verbunden (etwa als Dienstleistungen für Steuerberater), abgedeckt ist. Gleichwohl ist diese Firmierung als irreführend unzulässig, weil bei der gebotenen normativen Betrachtung ihres Sinngehalts für den Durchschnittsadressaten diese Deutungsvariante wesentlich ferner liegt als eine Assoziation mit einer Steuerberatungsgesellschaft, deren Bezeichnungsschutz (§ 161 Abs. 1 StBerG,

354 A.A. noch Bokelmann, GmbHR 1998, 57, 59; Kögel, BB 1998, 1645, 1646; in diese Richtung auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36: Sachfirma müsse auch weiterhin dem Unternehmensgegenstand entnommen sein, allerdings sei nicht erforderlich, dass sie den Unternehmensgegenstand für die beteiligten Verkehrskreise im Wesentlichen erkennbar mache; auf den statutarischen, statt den tatsächlich ausgeübten Unternehmensgegenstand als „Prüfungsmaßstab“ prinzipiell abstellend Wachter, EWiR 2020, 9, 10. 355 So OLG Saarbrücken v. 31.3.1999 – 1 U 586/98 – 107, NJWE-WettbR 1999, 258 f. für die Firma „Floratec“; OLG Stuttgart v. 8.3.2012 – 8 W 82/12, GmbHR 2012, 571, 572 – „Solar“. 356 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36. S. weiter Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 70. 357 Zutreffend in diesem Sinne Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 59, wonach es im Alltagsgeschäftsverkehr dem Vertragspartner bei Fertiggütern gleichgültig sein dürfte, ob er seine Ware direkt vom Produzenten oder von einem Händler erwirbt; anders aber die h.L., vgl. etwa Bokelmann, GmbHR 1998, 57, 63; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 11 Rz. 3. 358 Bokelmann, GmbHR 1998, 57, 62. 359 Richtig insoweit der Hinweis von Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34 sowie Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 147; zu weitgehend daher Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 59. 360 So im Ansatz zutreffend OLG Düsseldorf v. 12.8.2019 – 3 Wx 26/19, GmbHR 2020, 321, 322 = DNotZ 2020, 778 m. Anm. Pietzarka; OLG Düsseldorf v. 16.3.2020 – 3 Wx 133/19, FGPrax 2020, 123, 124; vgl. weiterhin etwa Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 33.

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§ 4 Rz. 83 | Firma vgl. Rz. 46) durch eine „Flucht in die Fremdsprache“ bzw. unscharfe Formulierungen nicht unterlaufen werden darf361. 84 Überdehnt wird dieser Grundsatz in der Subsumtion aber z.B., sofern die Anmeldung der

Umfirmierung einer bislang u.a. Spielhallen betreibenden, nunmehr (durch parallel angemeldete Unternehmensgegenstandserweiterung) überdies gastronomisch tätig werdenden Gesellschaft in „Not und Elend GmbH“ zurückgewiesen wird, weil es an jedwedem Bezug zum Unternehmensgegenstand fehle und der falsche Anschein erweckt werde, die Gesellschaft verfolge einen sozialen Zweck362. Beide Begründungsstränge können nicht überzeugen. Denn zum einen muss der wahre Tätigkeitsbereich vermöge einer Sachbezeichnung gerade nicht kundgemacht werden, insbesondere nicht in Fällen, in denen der Phantasiecharakter einer Bezeichnung derartig naheliegt. Zum anderen wird der verständige Verbraucher aus der (schon im Ansatz gar nicht tätigkeitsbeschreibend zu verstehenden) Wendung „Not und Element“ für sich genommen keinerlei Rückschlüsse auf eine Hilfsorganisation oder Vergleichbares ziehen, erst recht nicht unter Berücksichtigung des statutarischen Tätigkeitsbereichs; insoweit liegt die Würdigung deutlich näher, der gewählte Firmenkern sei vom Stilmittel eines sarkastischen oder ironischen Sprachgebrauchs geprägt363. 85 Infolge des Wegfalls des Entlehnungsgebots wird man es mangels Täuschungseignung einer

Holdinggesellschaft gestatten müssen, in ihrer Firmierung den operativen Tätigkeitsbereich ihrer Tochtergesellschaften wiederzugeben, ohne dass der Zusatz „Holding“ hinzugefügt werden müsste364. Die Differenz zwischen vermögensverwaltender und operativer Tätigkeit ist zwar für die angesprochenen Verkehrskreise von Relevanz – eine Sachbezeichnung in der Firma lässt aber nicht den Rückschluss auf eine operative Verfolgung eines entsprechenden Unternehmensgegenstandes zu. Bezeichnet sich eine Gesellschaft dagegen als Holding, wird man ihr diesen Firmenzusatz nicht unter Verweis auf die im Eintragungszeitpunkt noch fehlende tatsächliche Holdingstruktur versagen können, und zwar ungeachtet dessen, ob es sich um eine GmbH oder die Rechtsformvariante der UG (haftungsbeschränkt) handelt, weil der (gesetzlich ohnehin nicht definierte, erst recht keinem Bezeichnungsschutz unterliegende) Holdingbegriff365 weder eine besondere Größe noch wirtschaftliche Solidität verspricht. Soll die Holding zweistufig errichtet werden366, muss allein maßgebend die Absicht sein, eine

361 OLG Düsseldorf v. 16.3.2020 – 3 Wx 133/19, FGPrax 2020 123, 124; zustimmend Bösch, DStR 2020, 2271, 2272; ablehnend Juretzek, GRUR-Prax 2020, 411. 362 OLG Düsseldorf v. 12.8.2019 – 3 Wx 26/19, GmbHR 2020, 321, 322 = DNotZ 2020, 778 m. ablehnender Anm. Pietzarka; der Entscheidung zustimmend allerdings Altmeppen, Rz. 10; Wamser in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 11; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 33; bloß referierend, aber wohl zustimmend, C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 16.1 sowie Wicke, Rz. 6; wie hier ablehnend aber Forschner, MittBayNot 2020, 546, 549 f.; Pietzarka, DNotZ 2020, 780, 781; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 58; ablehnend wohl auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 17 HGB Rz. 30 m. Fn. 87 („sehr streng“). 363 Ablehnend, mit ähnlicher Begründung, allerdings unter Einstufung als Phantasiefirma, Pietzarka, DNotZ 2020, 780, 781; Forschner, MittBayNot 2020, 546, 549 f. 364 OLG Stuttgart v. 8.3.2012 – 8 W 82/12, GmbHR 2012, 571, 572 – „Solar“; Heinrich in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 83 (unzulässig daher „Solar USA International GmbH“, zulässig aber „Solar USA International Holding GmbH“). 365 Zum Holdingbegriff nur Lutter/Bayer in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 1 Rz. 1.11 ff.; Lawall, Die virtuelle Holding nach deutschem Aktienrecht, 2006, S. 35 f., jeweils m.w.N. 366 Vgl. zur Differenzierung zwischen ein- und zweistufiger Errichtung Stephan in Lutter/Bayer, Holding-Handbuch, 6. Aufl. 2020, § 3 Rz. 374 f.

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derartige Struktur zeitnah zu errichten367, mithin künftig mindestens auf Dauer eine Gesellschaftsbeteiligung zu halten („to hold“), was im Eintragungsverfahren zur Zerstreuung etwaiger registergerichtlicher Zweifel ggf. darzulegen ist. Unterbleibt die zeitnahe Realisierung der Holdingstruktur, vermag registergerichtlich über § 399 FamFG in jedenfalls entsprechender Anwendung eingeschritten zu werden. Wollte man anders entscheiden, müsste bei konsequenter Handhabung jeder Sachfirma einer neu gegründeten GmbH zunächst, d.h. vor endgültiger Aufnahme des Geschäftsbetriebs, eine vorläufige, keine Tätigkeitsbeschreibung enthaltene Firma vorangeschaltet werden – ein evident sachwidriges Ergebnis. Ähnliches gilt für den Firmenbestandteil „Gruppe“ – gleichermaßen für die allgemein verständliche englische Übersetzung „Group“; auch hier wird es allein (ohne Erfordernis einer bestimmten Größe oder Bedeutung der Unternehmensgruppe insgesamt368) auf eine beabsichtigte zeitnahe (nicht notwendig bereits vollzogene) Konzernierung ankommen, sodass dieser Zusatz ohne Täuschungsgefahr durch eine konzernleitende (herrschende) Gesellschaft i.S.d. § 18 AktG (aber auch in Anlehnung an die Definition in § 3e InsO durch abhängige, zur „Unternehmensgruppe“ zugehörige Gesellschaften) verwendet werden kann369 (nicht erforderlich ist dagegen, dass sich an der als „Gruppe“ firmierenden Gesellschaft als Gesellschafter mehrere Unternehmen beteiligen370). Ist freilich eine solche Konzernierung nicht einmal geplant, wird über eine verkehrswesentliche Eigenschaft getäuscht, woran sich nichts ändert, wenn die Gesellschafter (nicht aber die GmbH selbst) ihrerseits an zahlreichen weiteren Gesellschaften beteiligt sind371; erst recht vermag die Irreführungseignung nicht unter Verweis auf den (der Wahrheit bei jeder Mehrpersonengesellschaft entsprechenden) bloßen Zusammenschluss mehrerer Gesellschafter zu einer gemeinsamen Unternehmung entkräftet zu werden, weil im Geschäftsverkehr unter einem Gruppenzusatz keine „Gesellschafter“-, sondern eine „Unternehmens“-Gruppe verstanden wird372, sofern der Gruppenbegriff nicht im Kontext eindeutig anderes impliziert, wie im Fall einer Firmierung als „Forschungsgruppe“373. – Über die unzulässige Verwendung gesetzlich geschützter Firmenbestandteile bei Rz. 46.

367 Zutr. OLG Frankfurt a.M. v. 16.4.2019 – 20 W 53/18, GmbHR 2020, 102, 103 f. m. zustimmender Anm. Wachter, EWiR 2020, 9, 10; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 173, mit dem Hinweis, dass die Gründer anderenfalls gezwungen wären, schon vor der Eintragung eine geschäftliche Tätigkeit aufzunehmen und damit das Risiko der Unterbilanzhaftung einzugehen; Altmeppen, Rz. 13; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 15; Wicke, Rz. 7; zurückhaltend Wamser in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 9 („sehr großzügig“); Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 35. 368 A.A. Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15: Erwartung einer (bedeutenderen) Vereinigung; dagegen aber mit Recht Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 31; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 173; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 35. 369 Vgl. Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 76 mit dem Beispiel „HB Verlagsgruppe GmbH“ und Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 18 HGB Rz. 31, allerdings jeweils ohne auf die Frage einzugehen, ob bereits die Konzernierungsabsicht genügt. 370 A.A. wohl OLG Jena v. 14.10.2013 – 6 W 375/12, GmbHR 2014, 428; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 63: Verwendung kann auch bei einer Mehrpersonengesellschaft irreführend sein, wenn tatsächlich nicht mehrere Unternehmen in der Gesellschaft gemeinsam agieren; wohl auch in diese Richtung Wicke, Rz. 7; diese Sichtweise verengt allerdings den Gruppenbegriff allzu sehr und lässt insbesondere die Charakteristika einer „Unternehmensgruppe“ außer Acht. 371 Insoweit zutreffend OLG Jena v. 14.10.2013 – 6 W 375/12, GmbHR 2014, 428; zustimmend Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 751. 372 Im Ergebnis ebenso OLG Schleswig v. 28.9.2011 – 2 W 231/10, NZG 2012, 34, 35; OLG Jena v. 14.10.2013 – 6 W 375/12, GmbHR 2014, 428. 373 OLG Jena v. 14.10.2013 – 6 W 375/12, GmbHR 2014, 428; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 76.

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§ 4 Rz. 86 | Firma c) Irreführende Größenangaben 86 Die Firma darf keinen falschen Eindruck über die Größe des Unternehmens der Gesellschaft

hervorrufen. In der früheren Praxis wurden daraus verhältnismäßig enge Grenzen für die Zulässigkeit von Firmenzusätzen wie „Zentrale“, „Fabrik“, „Werk“, „Industrie“ hergeleitet, wurde doch mit solchen Bezeichnungen regelmäßig die Erwartung eines besonders bedeutsamen Unternehmens und nicht nur eines „Durchschnittsgeschäfts“374 begründet375. Hier setzt sich jedoch zunehmend eine großzügigere Beurteilung als früher durch, nicht zuletzt wegen der Inflationierung solcher Zusätze376. Insofern dürfte der durchschnittliche Teilnehmer des Rechtsverkehrs aus solchen Zusätzen nicht auf eine besondere Größe des Unternehmens schließen. Auch wenn etwa die Verwendung eines Begriffs eine bestimmte Größe des Unternehmens („Supermarkt“ oder „Großmarkt“) oder aber auch ein vielseitiges Angebot („Markt“, „Center“, „Börse“377) versprechen könnte, liegt keine Täuschungseignung vor, weil die Verkehrsanschauung derartige Eigenschaften bei solchen Firmen nicht mehr erwartet378. Strenger wird allerdings der Zusatz „Zentrum“ beurteilt. Dieser soll – ebenso wie jener der „Zentrale“379 – nach der Rechtsprechung weiterhin nur zulässig sein, wenn das Unternehmen den Mittelpunkt des einschlägigen Marktes bildet380. Dies mag damit zu begründen sein, dass gerade im Unterschied zum Begriff „Center“ eine weniger inflationäre Ver374 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29. 375 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 45. Vgl. auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 206. 376 Zur Tendenz einer großzügigeren Beurteilung vgl. Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1079 f.; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Mock in Michalski u.a., Rz. 41; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 48; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 60; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 45; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 35. S. in diesem Zusammenhang auch Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter AktG, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 30, wonach die Rechtsprechung zu § 18 Abs. 2 HGB a.F. nur mit Bedacht übertragen werden kann und im Einzelfall geprüft werden muss, ob die Entscheidungen dem Liberalisierungszweck des HRefG widerstreben. Einzelne Bezeichnungen werden teilweise strenger beurteilt, vgl. zum Beispiel Schulte/Warnke, GmbHR 2002, 626, 630; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 18 („Großhandel“, „Gruppe“, „Zentrum“); Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 60 („Fachgeschäft“, „Spezialgeschäft“, „Fabrik“, „Fabrikation“, „Industrie“, „Werk“); Reuschle in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 47 („Fabrik“, „Fabrikation“, „Industrie“, „Werk“), 50 f. („Institut“, „Akademie“); Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 145 („Fachgeschäft“, „Spezialgeschäft“). Zum Begriff „Werk“ im Zusammenhang mit „Fahrzeug“ s. OLG Jena v. 29.8.2011 – 6 W 162/11, NZG 2011, 1191; Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 48; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 143. 377 Etwa im Sinne von „Schuh-Börse“, Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29. Hier wird der Rechtsverkehr keine amtlich eingerichtete Börse verlangen; strenger aber noch OLG Frankfurt v. 5.2.1981 – 20 W 524/80, OLGZ 1981, 283; OLG Zweibrücken v. 24.2.1967 – 3 W 26/67, BB 1968, 311. 378 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Mock in Michalski u.a., Rz. 41; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 48; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 60; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 140 f.; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 35; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 42. 379 BGH v. 3.12.1976 – I ZR 151/75, GRUR 1977, 503, 504 – „Datenzentrale“. 380 BGH v. 18.1.2012 – I ZR 104/10, NJW-RR 2012, 1066, 1067; OLG Frankfurt v. 28.10.2014 – 20 W 411/12, NZG 2015, 1239, 1240. Zustimmend Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 18; Hecht in Gehrlein/ Born/Simon, Rz. 62; s. auch Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 748. A.A. Mock in Michalski u.a., Rz. 41; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 60; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 46; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 35; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 86; differenzierend für den Bereich der Gesundheitsfür- und -vorsorge Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85. Vgl. weiter Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 207: Verkehr erwartet bei diesem Zusatz ein breitgefächertes Sortiment.

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Firma | Rz. 88 § 4

wendung des Begriffs (auch in den Medien) zu beobachten ist; dies dürfte in der Tat dazu führen, dass hier die Verkehrserwartung nach wie vor dahin geht, dass das betreffende Unternehmen, das diese Bezeichnung führt, eine besondere Stellung innehat, mithin zumindest die durchschnittlichen Konkurrenten in Bezug auf die Größe übertrifft381. d) Irreführende geografische Zusätze Die Zulässigkeit geografischer Zusätze ist noch nicht endgültig geklärt. Unter dem Rechts- 87 zustand vor der Handelsrechtsreform von 1998 war zuletzt überwiegend angenommen worden, dass geografische Zusätze382 (seien es Gebiets- oder Landesangaben oder Ortsangaben) in erster Linie auf den Sitz und den Tätigkeitsbereich der Gesellschaft hinweisen – insoweit unproblematisch, wenn zutreffend –, häufig aber auch eine weitergehende Bedeutung haben, indem sie für das fragliche Unternehmen eine herausragende oder doch zumindest führende Stellung in dem fraglichen Gebiet in Anspruch nehmen (vor allem bei attributiven Zusätzen). Für Zusätze wie „deutsch“ oder „österreichisch“ herrschte dementsprechend die Auffassung vor, das betreffende Unternehmen müsse nach Ausstattung und Umsatz auf den deutschen oder österreichischen Markt zugeschnitten sein. Ähnlich wurden meistens Zusätze wie „Europa“, „Euro“ oder „international“ behandelt383. Maßgebend waren jedoch letztlich die Umstände des Einzelfalls. In der Praxis sind jedoch Auflockerungstendenzen festzustellen384. Dem ist im Zuge der Li- 88 beralisierung und einer durchaus gewandelten Verkehrsanschauung zuzustimmen. Unstreitig ist, dass die Tätigkeit eines Unternehmens einen realen Bezug zu dem in der Firma angegebenen Gebiet aufweisen muss, dass die Tätigkeit (nicht notwendig die Waren385) m.a.W. auf das Gebiet zugeschnitten sein muss, das in der Firma in Bezug genommen wird386. Der Sitz der betreffenden Gesellschaft muss aber nicht zur Vermeidung einer Irreführung zwingend 381 Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 86. 382 S. im Einzelnen Kögel, GmbHR 2002, 642 ff.; Möller, DNotZ 2000, 830, 834 f.; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 18; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 17; Mock in Michalski u.a., Rz. 40; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 105 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; SchmidtLeithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 50 f.; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 13; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 53 ff.; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 153 ff.; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 65 ff.; Bokelmann, Firmen- und Geschäftsbezeichnungen, 5. Aufl. 2000, Rz. 124 ff. 383 BayObLG v. 19.12.1972 – BReg. 2 Z 46/72, BayObLGZ 1972, 388, 391; OLG Stuttgart v. 8.10.1985 – 8 W 198/85, NJW-RR 1987, 101. S. im Einzelnen zu Zusätzen wie „Euro“: Kögel, GmbHR 2002, 642, 643; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Wicke, Rz. 8; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 59; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 165; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 72. Zu Zusätzen wie „international“ vgl. Kögel, GmbHR 2002, 642, 644; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112; Wicke, Rz. 8; Reuschle in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 59; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 167 ff.; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 73. 384 OLG Stuttgart v. 17.11.2000 – 8 W 153/99, NJW-RR 2001, 755, 756 f.; LG Heilbronn v. 30.10.2001 – 2 KfH T 2/01, Rpfleger 2002, 158; zustimmend Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 105 ff.; kritisch dazu Kögel, GmbHR 2002, 642 ff.; offen gelassen in OLG Frankfurt a.M. v. 10.1.2005 – 20 W 106/04, AG 2005, 403, 404 – „Hessen-Nassauische Grundbesitz AG“. Zur Entwicklung s. auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 153 ff. 385 Mock in Michalski u.a., Rz. 40; s. aber noch BGH v. 1.3.1982 – II ZB 9/81, ZIP 1982, 567 – „Schwarzwälder Bauernspezialitäten“. 386 OLG München v. 28.4.2010 – 31 Wx 117/09, DNotZ 2010, 933, 934; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 18; Mock in Michalski u.a., Rz. 40; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 13; Wicke, Rz. 8; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 54; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 155.

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§ 4 Rz. 88 | Firma in der betreffenden Gemeinde oder jedenfalls in einer Nachbargemeinde liegen; es genügt, wenn nur die Gesellschaft überhaupt ihren Sitz in der fraglichen Region (etwa im Ballungsraum des genannten Ortes) hat387. Aber auch ohne Sitz in der Region ist ein Ortszusatz zulässig, sofern nur ein realer Bezug (etwa im Sinne eines Schwerpunkts der Geschäftstätigkeit) zu dem genannten Ort besteht388. Eine Frage des Einzelfalles ist es, ob mit dem geografischen Zusatz (wenn dieser eine Landschaftsbezeichnung beinhaltet, zum Beispiel „X Bauunternehmen Süddeutschland“) zugleich eine besondere Größe oder Bedeutung des Unternehmens in Anspruch genommen wird389, über die getäuscht werden könnte, wenn sie tatsächlich nicht gegeben ist (im Beispiel: das Bauunternehmen ist nicht im gesamten süddeutschen Gebiet tätig). Insofern ist aber zu berücksichtigen, dass der heutige durchschnittliche Teilnehmer des Rechtsverkehrs in der Regel mit solchen geografischen Zusätzen keine bestimmte Unternehmensgröße oder eine besondere Bedeutung im Sinne einer hervorgehobenen Stellung in dem betreffenden Ort verbinden dürfte390. Die Annahme einer Täuschung liegt tendenziell ferner, wenn der Ortszusatz substantivisch und nicht in attributiver Weise erfolgt391. Zu weit geht es aber, überdies noch danach zu differenzieren, ob die Ortsbezeichnung voran- oder hintangestellt ist392. 387 OLG Stuttgart v. 3.7.2003 – 8 W 425/02, FGPrax 2004, 40, 41; OLG Braunschweig v. 10.8.2011 – 2 W 77/11, Rpfleger 2012, 153; OLG Zweibrücken v. 1.2.2012 – 3 W 16/12, juris; OLG Zweibrücken v. 31.1.2012 – 3 W 129/11, Rpfleger 2012, 547, 548; OLG Hamm v. 19.7.2013 – 27 W 57/13, NZG 2013, 996, 997. S. auch Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 17; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 108; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34, Rz. 163; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 54; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 156. Anders Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 33: Durchschnittsadressat verbindet mit Angaben wie „Euro“, „deutsch“ oder „international“ noch eine gewisse Größe und ein nicht unbeträchtliches Sortiment. 388 So wohl OLG Hamm v. 19.7.2013 – 27 W 57/13, NZG 2013, 996: „Osnabrück M GmbH & Co. KG“ zulässig, obwohl das Unternehmen seinen Sitz in einer anderen Gemeinde hat, da das Unternehmen im Wirtschaftsraum Osnabrück ansässig ist und seine Tätigkeit überwiegend in Osnabrück ausübt. Zustimmend auch Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 747; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 108. Vgl. weiter Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34, Rz. 163; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 54; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 156. 389 Vgl. hierzu OLG Stuttgart v. 17.11.2000 – 8 W 153/99, NJW-RR 2001, 755, 757; OLG Hamm v. 26.7.1999 – 15 W 51/99, GmbHR 1999, 1254 = NZG 1999, 994. S. weiter Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 13; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 57; Ries in Röhricht/ Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 67. 390 OLG München v. 28.4.2010 – 31 Wx 117/09, DNotZ 2010, 933, 934; OLG Jena v. 29.8.2011 – 6 W 162/11, NZG 2011, 1191; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 18; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Mock in Michalski u.a., Rz. 40; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 62; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 57; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 157; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 39; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 67. 391 BGH v. 1.3.1982 – II ZB 9/81, ZIP 1982, 567 – „Schwarzwälder Bauernspezialitäten“; BGH v. 19.10.1989 – I ZR 193/87, BB 1989, 2349; BayObLG v. 14.8.1985 – BReg. 3 Z 181/84, GmbHR 1986, 51 = DB 1986, 105 – „Bayerwald Schuh-Center“; OLG Stuttgart v. 3.7.2003 – 8 W 425/02, FGPrax 2004, 40, 41 ff. – „Sparkasse Bodensee“. S. dazu auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 50 (keine Differenzierung zwischen adjektivistischer und subjektivistischer Verwendung bei „Allerweltsunternehmen“ wie einem Getränkehandel); Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/ Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 67. Anders Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 157: Behauptung einer Sonderstellung nicht allein aus attributiver Form ableitbar. 392 S. hierzu Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 13.

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Firma | Rz. 89 § 4

Weitergehende Anforderungen bestehen auch für Zusätze wie „Europa“, „Europäisch“ oder 89 „European“ in der Regel nicht393. Es genügt, dass Geschäfte auf dem europäischen Markt getätigt werden394 bzw. das Unternehmen geeignet wäre, dies zu tun. Demgegenüber wird für den Zusatz „deutsch“ in der insoweit kritisch zu bewertenden Rechtsprechung nach wie vor ein auf Deutschland als Ganzes zugeschnittenes Unternehmen mit entsprechender Größe und Aufgabenstellung395, zum Teil sogar mit einer Sonderstellung396, gefordert. Es kommt – wird nicht tatsächlich bereits in ganz Deutschland operiert – danach letztlich darauf an, ob das Unternehmen im konkreten Fall nach seiner Größe, Struktur, Ausstattung und seinem Unternehmensgegenstand im Grundsatz geeignet wäre, auch im gesamten deutschen Raum zu operieren397. Dagegen ist der Zusatz „Deutschland“ als solcher unstreitig zulässig, was insbesondere für Tochtergesellschaften ausländischer Konzernmütter bedeutsam ist398; selbiges sollte für den Zusatz „deutsch“ in diesen Fällen gelten399. Für den Zusatz „International“ wird es schließlich heute wegen der Inflationierung derartiger Zusätze als ausreichend angesehen, wenn sich das Unternehmen überhaupt „international“, d.h. grenzüberschreitend betätigt400. 393 OLG Hamm v. 26.7.1999 – 15 W 51/99, DNotZ 1999, 842, 843 = GmbHR 1999, 1254 (nur Leitsatz) (Euro, European); LG Darmstadt v. 21.12.1998 – 22 T 10/98, GmbHR 1999, 482 (International); C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 18; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Mock in Michalski u.a., Rz. 40; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 62; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 59. Anders aber noch BGH v. 29.10.1969 – I ZR 63/68, BGHZ 53, 339, 343 – „Euro-Spirituosen“; OLG Stuttgart v. 8.10.1985 – 8 W 198/85 NJW-RR 1987, 101 – „Intermedia“. A.A. Langhein/Hupka in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 4 AktG Rz. 33. 394 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 165; anders Kögel, GmbHR 2002, 642, 643 (Zusatz „Europa“ nur bei Präsenz im Ausland und Auslandsabsätzen); Müller, DNotZ 2000, 830, 834 f. (Zusatz „europäisch“ nur bei entsprechendem Zuschnitt des Unternehmens). Zum Meinungsbild vgl. Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 72. 395 BayObLG v. 9.9.1958 – BReg. 2 Z 116/58, BayObLGZ 1958, 253, 254 f.; OLG Karlsruhe v. 21.1.1964 – 3 W 72/63, BB 1964, 572 f.; BayObLG v. 20.7.1983 – BReg. 3 Z 72/83, GmbHR 1984, 45 = WM 1983, 1430 – „Westdeutsche Treuhand“; LG Oldenburg v. 24.9.2009 – 15 T 802/09, Rpfleger 2010, 145 f. – „Deutsche Biogas AG“. S. auch Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 111; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 160 ff. 396 So OLG Düsseldorf v. 20.11.1992 – 3 Wx 448/92, NJW-RR 1993, 297, 298 – „Dienst für das deutsche Handwerk“. 397 Kiesel/Neises/Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 747; danach ist die IHK ablehnend gegenüber einer „Deutsche Ärztefortbildung GmbH“ als Einpersonen-GmbH; ferner gegenüber der „Deutsches Edelmetall-Labor GmbH“, wenn nicht nachvollziehbar ist, dass das Unternehmen nach seiner Größe, Ausstattung und Organisation in der Lage ist, den gesamten deutschen Raum abzudecken. 398 BayObLG v. 9.9.1958 – BReg. 2 Z 116/58, BayObLGZ 1958, 253, 255; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 160 f.; Wälzholz in GmbH-Handbuch, Stand: Jan. 2020, Rz. I 147. 399 Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 111; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 71. S. auch Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 58: Zulässigkeit des Zusatzes „deutsch“, wenn die inländische Tochtergesellschaft nach Ausstattung und Zuschnitt zur Bedienung des deutschen Marktes imstande ist; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 161: Tochterunternehmen muss keine den Zusatz rechtfertigende Bedeutung zukommen, wenn die Firma des ausländischen Unternehmens Verkehrsgeltung genießt (etwa „Deutsche Fiat“). 400 LG Darmstadt v. 21.12.1998 – 22 T 10/98, GmbHR 1999, 482, 483; LG Stuttgart v. 11.4.2000 – 4 KfH T 4/00, BB 2000, 1213; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34 Rz. 164; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 169; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021,

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§ 4 Rz. 90 | Firma e) Irreführende Personenangaben aa) Personennamen 90 Daraus, dass die Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 2 a.F. über Personenfirmen durch das

HRefG ersatzlos gestrichen wurde, ergibt sich seither die insoweit mittlerweile wohl unstreitige Konsequenz, dass firmennamensrechtlich (!) nichts gegen Aufnahme solcher Namen in die Firma der GmbH spricht, die gesellschafts- bzw. unternehmensfremden Personen gehören401. Firmenordnungsrechtlich zieht allerdings das Irreführungsverbot Grenzen, dessen Reichweite im Einzelnen indes streitig ist. Weitgehend konsentiert ist noch, dass jedenfalls die Verwendung als solche erkennbarer Phantasie-402 sowie aus der Mythologie entstammender Namen real nicht existierender Personen403 ebenso wenig Täuschungsgefahr in sich trägt wie die Firmenbildung mithilfe der Namen historischer Persönlichkeiten, deren Name sich als Sinnbild für Qualität in einem bestimmten Tätigkeitsbereich verselbstständigt haben, sodass jedenfalls der vernünftige Durchschnittsadressat nicht annehmen darf, sie stünden in einer wie auch immer gearteten aktiven Beziehung zu der betreffenden Gesellschaft in der Gegenwart404; erst recht gilt dies für Namen längst verstorbener historischer Persönlichkeiten, in deren namentlicher Nennung ein verständiger Teilnehmer der angesprochenen Verkehrskreise nichts mehr als eine Geschäftsfeldindikation erblicken darf (Beispiel: „Mozart Klavierhaus GmbH“ bzw. „Goethe Buchhandlung GmbH“)405. Unbedenklich ist weiterhin die Verwendung von Künstlernamen406 oder Pseudonymen zur Firmenbildung407. 91 Jenseits dieser eindeutigen Fälle fehlender Täuschungseignung ist bis heute nicht geklärt, ob

und unter welchen Voraussetzungen in der Verwendung eines sonstigen „gesellschaftsexternen“ Drittnamens eine wesentliche Irreführungseignung liegt. Nach der sich zunehmend verfestigenden h.M. liegt keine Täuschungseignung vor, sofern in die Firma Namen lebender oder verstorbener Personen aufgenommen werden, welche für die angesprochenen Verkehrskreise, und das heißt im konkreten Geschäftsfeld der Gesellschaft, mit keinerlei besonderen

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§ 18 HGB Rz. 39; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 73. A.A. Kögel, GmbHR 2002, 642, 644: grenzüberschreitende Tätigkeit muss nachhaltige und unternehmensprägende Bedeutung haben. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 33; vgl. insgesamt hierzu auch Heidinger, DB 2005, 815 ff. Vgl. etwa Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 69; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 182; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15c. Z.B. „Zeus-GmbH“; vgl. etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Mock in Michalski u.a., Rz. 43; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 32; ferner auch LG Wiesbaden v. 7.4.2004 – 12 T 3/04, NZG 2004, 829: Zulässigkeit einer „PRINZ Verwertungsgesellschaft für Insolvenzwaren mbH“. Im Detail freilich zum Teil weitergehend, weil ohne die im Text genannte Einschränkung, für Verwendbarkeit der Namen längst verstorbener Persönlichkeiten, KG v. 20.2.1899 – I. V. 75/99, KGJ 19, 15; KG v. 30.5.1908 – Ia ZS, OLGE 19, 379; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Mock in Michalski u.a., Rz. 43; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 15; Wicke, Rz. 10; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 182; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 72; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15c. Jung, ZIP 1998, 677, 681; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 182; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 32. Altmeppen, Rz. 5; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 19; Heinrich in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 20; letztlich auch, aber unklar, Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28 (Irreführungsverbot „genau zu beachten“); Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 26. Heute unstreitig; vgl. etwa Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20.

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Firma | Rz. 91 § 4

Eigenschaftserwartungen verbunden sind408. Begründet wird dies zuweilen mit der geminderten Bedeutung der Gesellschafternamen für den Rechtsverkehr im Lichte der fehlenden persönlichen Gesellschafterhaftung409, wobei insoweit verstärkend noch auf die Ersichtlichkeit des aktuellen Gesellschafterbestandes in der Gesellschafterliste (§ 40 Abs. 1) verwiesen werden könnte410. Dieses Argument greift freilich zu kurz, weil durchschnittliche Adressaten aus einer Personenfirma nicht notwendig auf eine Gesellschafterstellung oder gar eine wesentliche Beteiligung des Namensgebers schließen, wohl aber unter Umständen hiermit eine relevante („unternehmerische“) Beziehung desselben zur Gesellschaft verbinden, die hierfür jedenfalls in einer aktiven (regelmäßig geschäftsführenden, ggf. auch, je nach Industriezweig, bloß beratenden) Mitwirkung im Unternehmen wird liegen müssen. Fehlt es in Wahrheit an dieser Beziehung ebenso wie an der Gesellschafterstellung, kann die Täuschungseignung richtigerweise nicht verneint werden. Eine allein verbotene wesentliche Irreführung mit Wettbewerbsrelevanz liegt darin aber nicht, sofern der Drittname ein beliebiger ist, mit dem im einschlägigen Geschäftsfeld kein „guter Ruf“ oder dergleichen, sei er bezogen auf geschäftliches Geschick oder eine besondere Solidität, einhergeht411. Ist also davon auszugehen, dass bei objektivierter Sicht einem durchschnittlichen Verkehrskreisteilnehmer der als solcher keine besonderen Assoziationen erweckende Name bedeutungslos ist, ist ein Verstoß gegen § 18 Abs. 2 HGB abzulehnen. Daraus folgt im Einzelnen: Wird die Personenfirma unter Verwendung des Namens einer in dem konkreten Geschäftsfeld bekannten (und damit „werbekräftigen“) Person gebildet, darf der Durchschnittsadressat vertrauen, dass die betreffende Person jedenfalls in der Vergangenheit einmal der Gesellschaft angehört hat412 oder 408 Mit Unterschieden im Detail OLG Köln v. 26.1.2021 – 18 Wx 16/20, NZG 2021, 978 (Zulässigkeit der Firma „C & B KFZ-Sachverständigenbüro“, in die eine GmbH nach Versterben des früheren Alleingesellschafts- und -geschäftsführers „B“ umfirmiert wurde; allerdings zu weitgehend annehmend, dass es darauf ankomme, ob der Rechtsverkehr aus dem Namen auf eine Gesellschafterstellung des Namensgebers oder die konkrete Einbindung desselben in das operative Geschäft schließt; ebenfalls zweifelhaft die dortige Annahme, dass es auf einen bestimmten Bekanntheitsgrad des Namensträgers in der Branche angesichts der Größe des betreffenden Marktes nicht ankomme, was aber Einzelfallfrage ist); OLG Düsseldorf v. 11.1.2017 – 3 Wx 81/16, GmbHR 2017, 373, 374 (Zulässigkeit einer „ALD-GmbH & Co KG“ unter Verwendung des den angesprochenen Verkehrskreisen nicht bekannten Namens des verstorbenen Urgroßvaters der Mehrheitsgesellschafter „LD“); OLG Rostock v. 17.11.2014 – 1 W 53/14, GmbHR 2015, 37, 38 (Zulässigkeit einer „B Versicherungsmakler GmbH“, wobei der Namensgeber B nach Gründung einer Minderheitsbeteiligung erwarb und zuvor seinen Versicherungsbestand an den Gründungsgesellschafter veräußert hatte); OLG Karlsruhe v. 22.11.2013 – 11 Wx 86/13, GmbHR 2014, 142, 143 (Zulässigkeit einer „B-Verwaltungsgesellschaft mbH“ ohne Gesellschafterstellung von „B“, wobei die Gesellschaft aber mittelbar an einer „FB (…) Bestattungsinstitut P-GmbH & Co. KG“ beteiligt war); OLG Hamburg v. 21.2.2011 – 11 W 13/11, BeckRS 2011, 07893 (Zulässigkeit der Firma „U. Projekte GmbH“ unter Einbeziehung von „U“ als eines fiktiven Namens“); OLG Jena v. 22.6.2010 – 6 W 30/10, GmbHR 2010, 1094 (Zulässigkeit der Firma „Obermüller…GmbH“, wobei der Name „Obermüller“ im Geschäftsfeld der Gesellschaft keinerlei Bekanntheit erlangt hat); vgl. zum Ganzen auch Bannasch, Der Gemeingebrauch des Namens, 2014, S. 318 ff.; Kuhn, Zulässigkeit und Folgen der Verwendung von Drittnamen in der Personenfirma, 2015, passim. 409 OLG Karlsruhe v. 22.11.2013 – 11 Wx 86/13, GmbHR 2014, 142, 143; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 181. 410 So denn auch, konsequent, Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20. 411 Im Einzelnen Kuhn, Zulässigkeit und Folgen der Verwendung von Drittnamen in der Personenfirma, 2015, S. 181 f.; vgl. ferner Roth in Koller Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15c; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 26; a.A. jedoch Reuschle in Ebenroth/ Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 11. 412 Großzügiger LG Wiesbaden v. 7.4.2004 – 12 T 3/04, NJW-RR 2004, 1106, wonach Irreführung nur vorliegen kann, sofern der Name einer Person verwendet wird, der (über-)regional bekannt ist und daher der Gesellschaft möglicherweise einen Wettbewerbsvorteil verschaffen soll.

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§ 4 Rz. 91 | Firma zumindest eine sachliche („leitende“, u.U. auch nur beratende) Verbindung zur Unternehmensführung (nicht nur zum Unternehmen, etwa als Lieferant o.Ä.) besteht. Wird ein dahingehender falscher Anschein erweckt, liegt eine wesentliche Täuschung vor413 (Paradigma: „Claudia Schiffer Kosmetik GmbH“, „Beckenbauer Fußballartikel GmbH“, jeweils für beliebige Gesellschaften in diesem Geschäftsfeld)414. Anderenfalls, bei fehlender Bekanntheit des Namensgebers in den einschlägigen Verkehrskreisen, insbesondere auch bei Verwendung von Allerweltsnamen, mangelt es in der Regel an der Wesentlichkeit der auch hier vorliegenden Täuschung415. An einer tatbestandlichen Täuschung (und nicht erst an der Wesentlichkeit derselben) fehlt es nur in den oben genannten Fällen der Verwendung von als solchen erkennbar fiktiven, mythologischen oder historischen Namen. bb) Akademische Grade und Titel 92 Soweit eine Person zur Führung eines akademischen Grades oder Titels, z.B. des Doktorgra-

des oder der Bezeichnung „Diplomingenieur“ berechtigt ist, darf sie sich dieser Titel oder Grade grundsätzlich auch zur Firmenbildung bedienen416. Keine Irreführung liegt daher jedenfalls vor, wenn der zur Titelführung Berechtigte als Gesellschafter maßgeblichen (anteils-, amts- oder jedenfalls anstellungsvertraglich vermittelten417) Einfluss auf die unternehmerische Ausrichtung der Gesellschaft hat418. Diese Voraussetzungen sind allerdings nicht zu wahren in Fällen als solche erkennbarer Phantasiefirmen oder bei Geschäftsfeldern, für welche ein akademischer Titel keinerlei Wettbewerbsvorteil mangels vom Geschäftsverkehr er-

413 Auf maßgeblichen Einfluss bezugnehmend OLG Karlsruhe v. 24.2.2010 – 11 Wx 15/09, GmbHR 2010, 1096, 1098. 414 OLG Jena v. 22.6.2010 – 6 W 30/10, GmbHR 2010, 1094, 1095; Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1081; Schulte/Warnke, GmbHR 2002, 626, 629 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 63 f.; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 12. 415 Im Ergebnis übereinstimmend OLG Düsseldorf v. 11.1.2017 – 3 Wx 81/16, GmbHR 2017, 373, 374; OLG Rostock v. 17.11.2014 – 1 W 53/14, GmbHR 2015, 37, 38: Angesprochenen Verkehrskreisen sei es grundsätzlich gleichgültig, wer als Gesellschafter an einer GmbH beteiligt ist; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; tendenziell enger aber Kögel, GmbHR 2011, 16, 18 ff.; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 12: Verwendung fremder Familiennamen sei missbräuchlich; Kiesel/Neises/ Plewa/Poneleit/Rolfes/Wurster, DNotZ 2015, 740, 755. 416 Im Ausgangspunkt insoweit unstreitig; vgl. etwa Altmeppen, Rz. 7; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 19; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Mock in Michalski u.a., Rz. 44; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 84; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 16; Wicke, Rz. 10; Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 50; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 41. 417 Zur Frage, ob die maßgebliche Stellung gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss oder die Stellung als leitender Angestellter hinreichend ist, vgl. Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 50; auf Geschäftsführerstellung oder Stellung als Geschäftsbetrieb maßgeblich beeinflussender Gesellschafter abstellend Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 120; die Position als leitender Angestellter für ausreichend erachtend Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 18 HGB Rz. 67. 418 BGH v. 24.10.1991 – I ZR 271/89, WM 1992, 504, 505; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 19; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 21; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 16; Wicke, Rz. 10; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 40; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 42; großzügiger Mock in Michalski u.a., Rz. 44: überragende Funktion des Trägers eines Doktortitels nicht erforderlich.

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Firma | Rz. 93 § 4

warteten Einflusses auf die Güte der angebotenen Waren oder Dienstleistungen verspricht419. Steht ein solcher Wettbewerbsvorteil aber zu erwarten, eignet sich auch die Aufnahme eines berechtigterweise geführten Doktortitels zur Irreführung, sofern dieser in einer Fakultät erworben wurde, deren Fachbereich in keinem sachlichen Kontext zum Unternehmensgegenstand der Gesellschaft steht. Die Täuschungseignung lässt sich hier allein über einen Fakultätszusatz vermeiden420. Scheidet der Träger des Titels aus der Gesellschaft aus, ist eine Umfirmierung nicht erforder- 93 lich, sofern ein verbleibender oder neu eintretender Gesellschafter oder eine die unternehmerischen Geschicke maßgeblich leitende Person denselben oder einen sachlich für den Unternehmensgegenstand ebenso einschlägigen Titel führt421; anderenfalls ist ein Nachfolgezusatz vonnöten422. Im Fall einer abgeleiteten Firma (§ 22 HGB) ist dieser Nachfolgezusatz ebenfalls erforderlich, wenn der jetzige Inhaber des Unternehmens den Doktortitel nicht führen darf423. Für eine Partnerschaftsgesellschaft von Rechtsanwälten424, ebenso wie für eine solche von Steuerberatern425 bzw. Wirtschaftsprüfern426, hat der BGH indes unlängst einen liberaleren Standpunkt eingenommen und im Fall des Ausscheidens des promovierten Namens419 BGH v. 10.11.1969 – II ZR 273/67, BGHZ, 53, 65, 68; bestätigt insoweit auch durch BGH v. 8.5.2018 – II ZB 7/17, GmbHR 2018, 846, 848, wonach u.a. maßgebend auf das jeweilige Geschäftsfeld abzustellen ist, dort allerdings unter weitergehender (wenig überzeugender) Nivellierung der Unterschiede von Hochschulabsolventen mit und ohne Promotion auch in Geschäftsfeldern, in welchen besondere fachliche, auch akademisch erworbene Eigenschaften über die Güte der angebotenen Leistungen entscheiden; vgl. auch Roth in Koller Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 15a; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 18 HGB Rz. 62. 420 Altmeppen, Rz. 8; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 19; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 21; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Mock in Michalski u.a., Rz. 44; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 16; Wicke, Rz. 10; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 120; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 40; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 43; a.A. aber Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 74 („übertrieben“); Wälzholz in GmbH-Handbuch, Stand: Jan. 2020, Rz. I 151; differenzierend Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24: nur erforderlich, wenn die besondere Art der Verwendung unzutreffenden Eindruck der besonderen fachlichen Leitung der Gesellschaft weckt, der für den Verkehr im konkreten Fall wesentlich ist. 421 BGH v. 10.11.1969 – II ZR 273/67, BGHZ 53, 65, 68 = NJW 1970, 704; BGH v. 5.4.1990 – I ZR 19/88, NJW 1991, 752 f.; OLG Köln v. 12.3.2008 – 2 Wx 5/08, RNotZ 2008, 551, 552; vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47. Anders Mock in Michalski u.a., Rz. 44, wonach Gesellschaft den Doktortitel fortführen kann, solange auch Personenname des ausgeschiedenen Gesellschafters behalten wird. S. hierzu auch Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 123. 422 BGH v. 2.10.1997 – I ZR 105/95, NJW 1998, 1150, 1151; OLG Köln v. 12.3.2008 – 2 Wx 5/08, RNotZ 2008, 551, 552; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 47; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 122. 423 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 40; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 18 HGB Rz. 45; a.A. Mock in Michalski u.a., Rz. 44. 424 BGH v. 8.5.2018 – II ZB 7/17, GmbHR 2018, 846, 848; zustimmend hinsichtlich der Relativierung der Bedeutung des Doktortitels auf diesem Geschäftsfeld jedoch Hirtz, EWiR 2018, 487, 488; ebenso Altmeppen, Rz. 8; ohne Bewertung Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 123, aber die Rechtsprechung als „großzügiger“ als die bisherige h.M. einstufend; relativierend mit Recht BGH v. 11.2.2021 – I ZR 126/19, GRUR 2021, 746, 749 ff. 425 BGH v. 8.5.2018 – II ZB 27/17, GmbHR 2018, 848, 849; ablehnend, wie hier, Römermann, EWiR 2018, 581, 582; kritisch auch Juretzek, DStR 2018, 1942. 426 BGH v. 8.5.2018 – II ZB 26/17, GmbHR 2018, 850, 850 f. m. zustimmender Anm. Kleefass, EWiR 2018, 709, 710.

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§ 4 Rz. 93 | Firma gebers auf Seiten der verbliebenen, über eine abgeschlossene Hochschulausbildung verfügenden Gesellschafter ohne Doktortitel keine Anmaßung besonderer, mit der Befugnis zur Titelführung verbundener Wertschätzung angenommen, die wesentliche Täuschungsgefahr in sich birgt. Dem ist bei der gebotenen typisierenden Betrachtungsweise aus der Warte des durchschnittlichen Adressaten der angebotenen Dienstleistungen allerdings nicht zuzustimmen. Zu folgen ist dem BGH jedoch in dem zutreffenden Obersatz, wonach das jeweilige Geschäftsfeld daraufhin untersucht werden muss, ob der Geschäftsverkehr dem akademischen Titel besondere Erwartungen an die Güte der erbrachten Leistungen entgegenbringt. cc) Personenanzahl 94 Weitere Personen in einer „Personenfirma“ zu benennen, als zahlenmäßig Gesellschafter vor-

handen sind, bedeutet keine Irreführung i.S.d. § 18 Abs. 2 Satz 1 HGB, weil aus derartigen Personenbezeichnungen seit Wegfall des § 4 a.F. nicht auf eine Gesellschafterstellung, sondern allenfalls auf eine herausgehobene Beziehung zum Unternehmen geschlossen werden kann. Jedenfalls sind aber Zahl und Namen der Gesellschafter für die angesprochenen Verkehrskreise regelmäßig nicht von Relevanz, zumal sie einen verständigen Verbraucher weder über die Größe des Unternehmens noch die Qualität der angebotenen Leistungen etc. zu täuschen vermögen. Daher führt auch eine aus zwei Eigennamen gebildete Einpersonengesellschaft im Rechtssinne ebenso wenig in die Irre427 wie umgekehrt eine aus zwei Eigennamen bestehende Personenfirma, wenn die Gesellschafterzahl drei oder mehr beträgt.

V. Unterscheidbarkeit (§ 30 HGB) 95 Eine Firma muss sich – zum Schutze des Rechtsverkehrs vor verwechslungsfähigen Firmen –

von allen an demselben Ort oder in derselben Gemeinde (räumliche Eingrenzung) bereits bestehenden (d.h. noch nicht erloschenen) und zudem in das Handelsregister oder in das Genossenschaftsregister428 eingetragenen Firmen (sachliche Eingrenzung) deutlich unterscheiden. Dieses firmenordnungsrechtliche (und nicht disponible) Unterscheidungsgebot i.S.d. § 30 Abs. 1 HGB richtet sich an die in den genannten Gebieten (und nur in diesen!) „neuen“ (d.h. noch nicht oder noch nicht so im Register eingetragenen) Firmen. Es erfasst daher nicht nur Neugründungen, sondern auch die Fälle der statutarischen Firmenänderung mit dadurch bedingtem Prioritätsverlust429, der Sitzverlegung430 sowie der Errichtung oder Verlegung einer Zweigniederlassung431 (vgl. § 30 Abs. 3 HGB). Ist die prioritätsältere Firma

427 Zutreffend OLG Köln v. 26.1.2021 – 18 Wx 16/20, NZG 2021, 978; zustimmend Bömeke in BeckOK HGB, Stand: 15.7.2021, § 18 HGB Rz. 52; a.A. Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 66, wonach eine nur aus A bestehende Gesellschaft nicht unter „A und B GmbH“ firmieren dürfe. 428 Derzeit aber nicht unter Einbeziehung des Vereinsregisters; streitig; ausführlich dazu Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 30 HGB Rz. 7; dagegen aber etwa Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 19, jeweils m.w.N. zum Streitstand. Ab dem 1.1.2024 wird aber der insoweit neu gefasste § 30 Abs. 1 ausdrücklich auf Eintragungen im Handels-, Genossenschafts-, Gesellschafts-, Partnerschafts- oder Vereinsregister abstellen. 429 Unstreitig; vgl. etwa Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 19; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 20, jeweils m.w.N. 430 RG v. 31.8.1941 – II 26/43, RGZ 171, 321, 323; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 30 HGB Rz. 9; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 30 HGB Rz. 7. 431 Vgl. etwa BayObLG v. 10.3.1978 – 1 ZBR 27/78, BayObLG 1978, 62, 65; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 30 HGB Rz. 9; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 4.

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Firma | Rz. 96 § 4

bereits erloschen (entweder infolge einer Firmenänderung, Erlöschens ihres Rechtsträgers oder, bei Einzelkaufleuten, infolge endgültiger Einstellung des Geschäftsbetriebs), ist eine Firmenkollision i.S.d. § 30 Abs. 1 HGB ausgeschlossen, und zwar ohne Notwendigkeit der Wahrung eines zeitlichen Abstandsgebotes (die unverzügliche Wiederverwendung der freigewordenen Firma kann aber von Fall zu Fall täuschend i.S.d. § 18 Abs. 2 HGB wirken432). Bei der Prüfung der Unterscheidbarkeit kommt es nicht auf einen abstrakten Maßstab an (d.h. nicht darauf, ob die Firma als solche geeignet ist, sich von anderen Firmen zu unterscheiden), sondern auf einen konkreten Vergleich mit anderen Firmen im räumlichen Anwendungsbereich433. Hierfür sind jedenfalls zunächst die Firmen in der vollständigen und ungekürzten Form zu vergleichen, wie sie in das Handelsregister eingetragen sind bzw. (ausweislich des Anmeldewortlauts) eingetragen werden sollen434. Eine deutliche Unterscheidbarkeit der Firmen ist nur gegeben, wenn nach dem Gesamteindruck unter Berücksichtigung des Wortsinns (d.h. vor allem bei Sachfirmen: ihres Sinngehalts435) sowie des Wort- und Klangbildes436 für die beteiligten Verkehrskreise jede ernsthafte Gefahr der Verwechslung ausgeschlossen ist437. Die durch § 30 Abs. 1 HGB zu unterbindende Verwechslungsgefahr kann gegenständlich darauf bezogen sein, dass der falsche Eindruck entweder der Identität in Wahrheit verschiedener Rechtsträger erweckt wird oder aber zumindest des Bestehens organisatorischer oder geschäftlicher Beziehungen derselben zueinander438 (sog. erweiterte Verwechslungsgefahr). Maßgebender Beurteilungshorizont ist dafür nach heute gefestigter Meinung nicht nur die 96 Auffassung kaufmännischer Kreise; es kommt vielmehr angesichts des Schutzzwecks des § 30 HGB auf die allgemeine Verkehrsauffassung an439, worin ein bewusster Kontrast zum Maßstab des Durchschnittsadressaten der angesprochenen Verkehrskreise i.S.d. § 18 Abs. 2

432 Eine Täuschung des Geschäftsverkehrs kann sich mithin auch daraus ergeben, dass jemand unter einer Firma am Geschäftsleben teilnimmt, die bis vor kurzem (am gleichen Ort) von einem anderen Unternehmen benutzt wurde; vgl. OLG Hamburg v. 12.12.1986 – 2 W 43/86, OLGZ 1987, 191, 193; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 12 III Rz. 133; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 18 Rz. 46; Schlingloff in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 18 HGB Rz. 16, 38; a.A. C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 10; ebenso Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 77, die § 30 HGB als lex specialis zu § 18 Abs. 2 HGB ansieht. 433 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Mock in Michalski u.a., Rz. 36; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 1. 434 So bereits RG Urt. v. 7.12.1887 – I 294/87, RGZ 20, 71, 73; RG Urt. v. 31.8.1943 – 2 26/43, RGZ 171, 321, 323; KG Beschl. v. 29.4.1926 – 1 X 243/26, JW 1926, 2001. 435 Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 26; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 29, jeweils m.w.N. 436 BGH v. 14.7.1966 – II ZB 4/66, BGHZ 46, 7, 12: Klangbild, wie es sich Auge und Ohr einprägt; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 30 HGB Rz. 18 f.; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 25. 437 OLG Hamm v. 19.6.2013 – 27 W 52/13, NJW-RR 2013, 1196 f.; Bayer, in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 13; ausführlich Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 26 ff.; großzügiger Mock in Michalski u.a., Rz. 36. 438 Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 30 HGB Rz. 16; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 5; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 13; a.A. (erweitere Verwechslungsgefahr ablehnend) Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 26. 439 BGH v. 14.7.1966 – II ZB 4/66, BGHZ 46, 7, 12 = WM 1966, 973; RG Urt. v. 31.8.1943 – II 26/43, RGZ 171, 321, 323; OLG Hamm Beschl. v. 22.7.1966 – 15 W 151/66, NJW 1966, 2172; KG Beschl. v. 8.2.1991 – 1 W 3211/90, OLGZ 1991, 396, 402; KG v. 17.5.2013 – 12 W 51/13, ZIP 2013, 1769; Kögel, Rpfleger 1998, 317, 319; Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 30 HGB Rz. 17 m.w.N in Fn. 51; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 30 HGB Rz. 20; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 29.

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§ 4 Rz. 96 | Firma HGB liegt. In Rechnung zu stellen ist vor diesem Hintergrund auch, dass Teilnehmer nichtkaufmännischer Kreise Firmenbezeichnungen oftmals weniger aufmerksam lesen und sie sich nur ungenau einprägen440. Schon hieraus folgt, dass in einem in seiner Notwendigkeit zuweilen zu Unrecht bestrittenen zweiten Schritt die ausweislich ihres eingetragenen Wortlauts hinreichend unterscheidungskräftigen Firmen noch auf einen u.U. abweichenden (abkürzenden) Gebrauch in einschlägigen Rechtsverkehrskreisen hin zu überprüfen sind, sodass auch eine Verwechslungsgefahr hinsichtlich einzelner, für den Rechtsverkehr besonders einprägsamer Schlagworte eintragungshindernd ist441. 97 Das Erfordernis der deutlichen Unterscheidbarkeit gilt zwar auch für Firmen, die in ver-

schiedenen Geschäftsbereichen tätig sind, aber dieser Umstand ist für die Beurteilung der Unterscheidbarkeit deswegen nicht ohne Bedeutung, weil die Gefahr einer Verwechslung in diesem Fall nicht so nahe liegt, wie in den übrigen Fällen und daher ein weniger strenger Maßstab anzulegen ist442; es können dann u.U. schon geringfügigere Abweichungen zur Erzielung deutlicher Unterscheidungskraft genügen. Kein unterscheidungsfähiger Zusatz ist aber nach allgemeiner Ansicht die in der Firma enthaltene Rechtsformbezeichnung443, was sich schon darüber begründen lässt, dass anderenfalls für das allgemeine Publikum kaum erkennbar wäre, ob hinter einer sich nur im Rechtsformzusatz unterscheidenden Firma ein anderer Rechtsträger oder allein ein formgewechselter steht. Auch die Zusätze „in Liquidation“ oder „in Abwicklung“ etc. genügen (erst recht) nicht; zur geminderten Bedeutung des § 30 HGB im Rahmen der Nachtragsliquidation bei Rz. 34. Ebenso wenig ausreichend ist der Zusatz „& Co. KG“ bei der GmbH & Co. KG zur Unterscheidung von einer ansonsten übereinstimmend firmierenden, am selben Ort ansässigen (Komplementär-)GmbH, was die Praxis seit der Liberalisierung des Firmenrechts und damit verbundener Streichung des § 19 HGB a.F. indes vor keine besonderen Herausforderungen mehr stellt, weil seither die Firma der Komplementär-GmbH nicht mehr als Firma der KG geführt werden muss444. Als unzureichend zur Herstellung deutlicher Unterscheidungskraft müssen im Grundsatz auch bloße Hinzufügungen von Ordinalzahlen zu ansonsten gleichlautenden Firmen angesehen werden445, wobei die überwiegende Registerpraxis jedenfalls für vermögensverwaltende, ins-

440 A.A. aber Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 29; wie hier aber etwa Kögel, Rpfleger 1998, 317, 319; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 15. 441 Mit Recht für dieses sog. zweistufige Prüfungsverfahren Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 4. Aufl. 2020, § 30 HGB Rz. 18 f.; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 29; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 15 (der zu Recht darauf hinweist, dass dies nur gilt, wenn für das Registergericht die schlagwortartige Verwendungsweise erkennbar ist); dagegen etwa Kögel, Rpfleger 1998, 317, 319 f.; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 26; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 30 HGB Rz. 21. 442 I.Erg. übereinstimmend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 31; Heidinger in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 30 HGB Rz. 22; Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 17; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 29. 443 BGH v. 14.7.1966 – II ZB 4/66, BGHZ 46, 7, 12 = WM 1966, 973; BayObLG Beschl. v. 14.10.1966 – BReg. 2 Z 39/66, BayObLGZ 1966, 337, 343 = BB 1966, 1235; BayObLG Beschl. v. 28.9.1979 – BReg. 1 Z 58/79, BayObLGZ 1979, 316, 318; Hecht in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 78; Heidinger in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 19 Rz. 13; a.A. Mock in Michalski u.a., Rz. 36, wonach auch schon Unterscheidungen allein mit Blick auf den Rechtsformzusatz ausreichen sollen, vgl. auch Ries in Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 5. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 16, der erwägt, diesen Grundsätzen im Lichte der gesteigerten Bedeutung der Rechtsformzusätze aufzuweichen. 444 Zutreffend Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 79; Förster in Heymann, 3. Aufl. 2019, § 30 HGB Rz. 29; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 30 HGB Rz. 32. 445 A.A. OLG Hamm, Beschluss vom 19.6.2013 – 27 W 52/13, MDR 2013, 919; wie hier aber Reuschle in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 30 HGB Rz. 16.

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Firma | Rz. 98 § 4

besondere Vorratsgesellschaften allerdings großzügiger verfährt. Für weitere Fallgruppen und insbesondere die Kasuistik ist auf die Kommentierungen zu § 30 HGB zu verweisen.

VI. Änderung und Erlöschen der Firma 1. Änderung Die Änderung der Firma einer GmbH ist jederzeit in den Formen der §§ 53 f. möglich. 98 Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Täuschungs- sowie der Verwechslungsgefahr ist der Zeitpunkt der Eintragung im Handelsregister. Danach kann ein Zusatz erforderlich sein, aber auch, wenn solche Gefahr nicht mehr besteht, ein bisheriger Zusatz gestrichen werden. Eine Änderung der Firma kann dadurch notwendig werden, dass eine in der Firma enthaltene Bezeichnung infolge der Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse zur Täuschung i.S.d. § 18 Abs. 2 HGB geeignet ist. Veräußert die GmbH ihr Handelsgeschäft mit der Firma, so verliert sie diese hiermit noch nicht (sodass es nicht zur Entstehung einer namenlosen GmbH kommt); sie ist aber dem Erwerber gegenüber verpflichtet, eine andere Firma anzunehmen. Mit Eintragung der neuen Firma verliert sie die alte Firma, die nun vom Erwerber nach § 22 HGB fortgeführt werden kann. – All dies gilt auch nach eröffnetem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft. Veräußert der Insolvenzverwalter das Unternehmen mit der Firma, bedarf es für die Bildung einer Ersatzfirma einer Satzungsänderung446. Unzureichend ist damit entgegen einer (vormals) stark vertretenen Literaturansicht447 eine eigenmächtige, lediglich zum Handelsregister anzumeldende Entscheidung des Insolvenzverwalters ohne vorgängige Satzungsänderung, da es hierdurch zu einem Auseinanderklaffen zwischen Gesellschaftsvertrag und im Handelsregister verlautbarter Rechtslage (§ 10 Abs. 1 Satz 1) käme und damit kaum zu rechtfertigende Friktionen mit § 3 Abs. 1 Nr. 1 hervorgerufen würden448. Eine andere Frage ist, ob prinzipiell oder jedenfalls unter bestimmten Voraussetzungen der Insolvenzverwalter eine unmittelbar aus § 80 Abs. 1 InsO, jedenfalls aber aus einer Annexkompetenz zu seinem Verwertungsrecht folgende Befugnis zugesprochen werden kann, eine Umfirmierung vermittels Satzungsänderung (ohne qualifizierten Gesellschafterbeschluss) vorzunehmen, wenn er zuvor das in die Insolvenzmasse fallende Firmenrecht an einen Erwerber des Unternehmens mitveräußert hat. Eine Subsidiärzuständigkeit449 zur Satzungsänderung im Wege der Ersatzvornahme wird man bei nachhaltiger Untätigkeit der Gesellschafter (in konkretisierender Anlehnung an die Grundsätze des § 50 Abs. 3) dem Insolvenzverwalter einräumen müssen, zumal Kehrseite der Firmenverwertung die Notwendigkeit der Bildung einer Ersatzfirma ist, Letzteres also mittelbaren Ver-

446 Für die Praxis geklärt durch BGH v. 26.11.2019 – II ZB 21/17, GmbHR 2020, 425, 429 f. (zur AG) m. Anm. Heckschen. 447 OLG Düsseldorf, Beschl. v. 26.10.1988 – 3 Wx 403/88, ZIP 1989, 457; Ulmer, NJW 1983, 1697, 1702; Burgard in Staub, 5. Aufl. 2009, § 22 HGB Rz. 70; dagegen schon Priester, DNotZ 2016, 892, 895. 448 Zumal die Vorgabe, wonach die Firma notwendiger Satzungsinhalt zu sein hat, in der Insolvenz nicht suspendiert ist, vielmehr sich die jeweils aktuelle Firma fortwährend aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben muss; a.A. LG Essen v. 4.5.2009 – 44 T 3/09, ZIP 2009, 1583, 1584: Auseinanderfallen zwischen eingetragener und in der Satzung vermerkter Firma sei für die Dauer des Insolvenzverfahrens hinzunehmen; wie hier aber bereits OLG München Beschl. v. 30.5.2016 – 31 Wx 38/16, GmbHR 2016, 928 m. Anm. Wachter. 449 Dafür Grüneberg, ZIP 1988, 1165, 1166; Cziupka/Kraack, AG 2018, 525, 529 m.w.N.; gegen Beibehaltung einer Gesellschafterkompetenz (und für alleinige Zuständigkeit des Insolvenzverwalters) aber OLG Karlsruhe v. 8.1.1993 – 4 W 28/92, GmbHR 1993, 101; KG v. 10.7.2017 – 22 W 47/17, GmbHR 2017, 982: nur mit Zustimmung des Insolvenzverwalters; Priester, DNotZ 2016, 892, 895 f.; Linardatos, ZIP 2017, 901, 908 f.; Hacker/Lilien-Waldau, NZI 2017, 787, 789; Illert/Hennen, EWiR 2017, 751, 752; Podewils, GmbH-StB 2017, 309, 310.

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§ 4 Rz. 98 | Firma mögensbezug aufweist450; doch hat der BGH sich gegen jede Zuständigkeit des Insolvenzverwalters zur statutarischen Firmenneubildung ausgesprochen451.

2. Erlöschen 99 Das Erlöschen der Firma tritt nicht bereits ein durch Aufdeckung ihrer etwaigen Nichtigkeit,

auch nicht mit Einstellung des Geschäftsbetriebs oder mit Auflösung der GmbH (alsdann Liquidationsfirma, vgl. Rz. 32), sondern erst mit deren Vollbeendigung, d.h. mit Löschung der vermögenslos gewordenen, vollständig liquidierten oder liquidationslos vollbeendeten GmbH im Handelsregister; darüber ausführlich bei 12. Aufl., § 60 Rz. 8 ff. Die Beendigung der Gesellschaft ist zur Eintragung im Handelsregister anzumelden, nicht aber das „Erlöschen der Firma“, zu der es als notwendige Folge der Vollbeendigung kommt (vgl. 12. Aufl., § 74 Rz. 9). Der Schutz der Firma nach § 12 BGB, §§ 1, 5 UWG, §§ 5, 15 MarkenG kann aber schon vor ihrem Erlöschen entfallen, wenn der Geschäftsbetrieb endgültig eingestellt worden ist452; er bleibt aber erhalten, wenn die Einstellung nur vorübergehend erfolgt ist oder wenn noch eine Möglichkeit besteht, das Unternehmen mit Firma zu verwerten. – Die Firma der Zweigniederlassung erlischt durch den tatsächlichen Vorgang der Aufhebung der Zweigniederlassung453, die wiederum zur (deklaratorischen) Eintragung im Handelsregister anzumelden ist (vgl. § 13f Abs. 5 HGB, § 13g Abs. 5 HGB). Ist die Zweigfirma als solche nicht eingetragen, etwa wegen unzulässiger oder fehlender (§ 39 Abs. 3 HGB) Zusätze, so kann sie als nichtig „gelöscht“ werden, vgl. § 395 FamFG i.V.m. 19 HRV. – Zum Erlöschen der Firma durch statutarische Firmenänderung soeben bei Rz. 98.

VII. Rechtsfolgen unzulässiger Firma 1. Befugnisse des Registerrichters 100 Das Registergericht hat bei der Eintragung der GmbH mit der Firma (§ 10) wie bei jeder

Firmenänderung (§ 54) über das öffentliche Firmenrecht zu wachen, also über die Beachtung des § 4 sowie der §§ 18 und 30 HGB. Für das Registerverfahren ist allein das formelle Firmenrecht maßgebend; eine Erstreckung auf das materielle Firmenrecht vertrüge sich nicht mit dem berechtigten gesetzgeberischen Anliegen eines effizienten Eintragungsverfahrens454. Auch für die Wirksamkeit einer Firmenbildung kommt es allein auf das formelle Firmenrecht an; nur Verstöße hiergegen können zur Nichtigkeit (§ 134 BGB) der entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Bestimmung und damit zu einem Eintragungshindernis nach § 9c Abs. 2 Nr. 1 führen. Daraus folgt: Das Registergericht ist nicht berechtigt, die Eintragung einer Firma deswegen abzulehnen, weil die Firma zwar nicht gegen das öffentliche (formelle)

450 Linardatos, ZIP 2017, 901, 908; Hacker/Lilien-Waldau, NZI 2017, 787, 788. 451 BGH v. 26.11.2019 – II ZB 21/17, GmbHR 2020, 425 m. insoweit ablehnender Anm. Heckschen; schon zuvor in diesem Sinne etwa Wachter, GmbHR 2016, 930, 931; Leuering, NJW 2016, 3265, 3268; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 135. 452 Zu diesen verschiedenen Voraussetzungen des Erlöschens des formellen und materiellen Firmenrechts etwa Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 98; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 146; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27. 453 Vgl. etwa Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 97. 454 BT-Drucks. 13/8444, S. 53; OLG Hamm Beschl. v. 28.11.2006 – 15 W 424/05, Rpfleger 2007, 266 = FGPrax 2007, 140; Lutter/Welp, ZIP 1999, 1073, 1082; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 120; vgl. zur Abgrenzung des formellen vom materiellen Firmenrecht auch Kessen, Die Firma als selbständiges Verkehrsobjekt, 2011, S. 43 f.

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Firma | Rz. 102 § 4

Firmenrecht verstößt, wohl aber Rechte Dritter oder Vorgaben des UWG verletzt455; ebenso wenig kann es aus diesen Gründen ein Verfahren nach § 37 HGB einleiten456. Der Dritte kann aber zivilrechtlich bei Namens-, Marken- oder Wettbewerbsverstößen auf Unterlassung (§ 12 BGB, § 8 UWG, § 15 MarkenG) und in diesem Rahmen auch auf Löschung der Firma klagen; die Vollstreckung erfolgt nach § 894 ZPO (Löschungsanmeldung gilt mit Rechtskraft der Entscheidung als abgegeben), und zwar ohne dass es einer vorgängigen Satzungsänderung bedürfte457; nach Löschung ist sodann nach § 399 FamFG zu verfahren; darüber noch bei 12. Aufl., § 60 Rz. 45. Nach Maßgabe der § 37 Abs. 1 HGB, § 392 FamFG kann überdies derjenige, der eine „ihm 101 nicht zustehende“ (d.h. eine dem § 4 oder insbesondere den § 18 Abs. 2, § 30 HGB widersprechende und daher unzulässige) Firma gebraucht, vom Registergericht zur Unterlassung durch Ordnungsgeld angehalten werden458. Dadurch wird mittelbarer Zwang zur Änderung einer unzulässigen Firma erzeugt. Unmittelbar wendet sich das Verbot des Registerrichters gegen unzulässigen Gebrauch im Rechtsverkehr, wozu aber auch das schiere Bestehenlassen der Eintragung zu rechnen ist. Ein Gebot des Gebrauchs einer bestimmten Firma ist dagegen unzulässig. Zu alledem näher und insbesondere auch zur Abgrenzung gegen die §§ 395, 399 FamFG bei 12. Aufl., § 60 Rz. 44.

2. Fehlerarten und Fehlerfolgen a) Fehlen oder Nichtigkeit der Firma Fehlt die Firma (kaum relevant) oder ist die statutarische Firmenbestimmung aufgrund Ver- 102 stoßes gegen die Vorgaben des § 4 oder jene des formellen Firmenordnungsrechts nichtig, hat das Registergericht die Eintragung der GmbH abzulehnen, sofern der Mangel trotz Beanstandung im Wege einer Zwischenverfügung nicht beseitigt wird (§ 382 Abs. 4 FamFG). Nach Eintragung führt dieser Satzungsmangel zu einem Auflösungsgrund nach § 399 Abs. 4 FamFG i.V.m. § 60 Abs. 1 Nr. 6, falls es trotz vorheriger Aufforderung nicht zur Satzungsänderung und daher nach Ablauf der Nachbesserungsfrist zu einem sodann in Rechtskraft erwachsenden Beschluss nach § 399 Abs. 2 HGB kommt. Näher bei 12. Aufl., § 60 Rz. 41 ff. Nichtig in diesem Sinne ist die Firma auch, wenn Täuschungsgefahr (§ 18 Abs. 2 HGB) oder Verwechslungsgefahr (§ 30 HGB) besteht. Das wird zunehmend mit Blick auf § 30 HGB bestritten459, und zwar mit dem Hinweis darauf, dass in diesem Fall die Annahme der Firma selbst nicht 455 OLG Hamm Beschl. v. 28.11.2006 – 15 W 424/05, Rpfleger 2007, 266 = FGPrax 2007, 140; OLG München Beschl. v. 10.6.2013 – 31 Wx 172/13, GmbHR 2013, 764 = FGPrax 2013, 182; Merkt in Hopt, 41. Aufl. 2022, § 17 HGB Rz. 27; ausführlich Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 50 f. 456 RG v. 10.1.1930 – II B 16/29, RGZ 127, 77, 81; BT-Drucks. 13/8444, 55; Karsten Schmidt, DB 1987, 1181 f.; Karsten Schmidt, DB 1987, 167 f.; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 17 HGB Rz. 8; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 11 Rz. 48; a.A. (für Zulässigkeit des Verfahrens nach § 37 Abs. 2 HGB) Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 50. 457 OLG München v. 10.6.2013 – 31 Wx 172/13, GmbHR 2013, 764 f.; vgl. zudem etwa Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 101. 458 BayObLG Beschl. v. 28.4.1988 – BReg. 3 Z 10/88, BayObLGZ 1988, 128, 130 = NJW-RR 1989, 100; Heinemann in Keidel, 20. Aufl. 2020, § 399 FamFG Rz. 9 f. 459 Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 100; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 28; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, § 60 Rz. 63; Nerlich in Michalski u.a., § 60 Rz. 263; Berner in MünchKomm. GmbHG, § 60 Rz. 138; Gesell in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 60 Rz. 29; wie hier aber (für Nichtigkeit) BayObLG v. 23.2.1989 – BReg. 3 Z 136/88, BayObLGZ 1989, 44, 48 = NJW-RR 1989, 867 = GmbHR 1989, 291 (obiter dictum); KG v. 8.2.1991 – 1 W 3211/90, GmbHR 1991, 319, 320; Altmeppen, Rz. 43 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Mock in Michalski u.a., Rz. 98; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 23.

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§ 4 Rz. 102 | Firma unstatthaft sei und der Gesellschaftsvertrag bis zur Eintragung unter der drohenden Gefahr der Nichtigkeit steht. Aber losgelöst davon, dass § 30 ebenso wie § 18 Abs. 2 HGB Irreführungen des Rechtsverkehrs verhindern will, wird damit übersehen, dass die gewählte Firma zumindest rechtlich unmöglich (weil nicht eintragungsfähig) wäre; dazu näher bei 12. Aufl., § 60 Rz. 46. – Die Anwendung des § 395 FamFG auf den Fall der Nichtigkeit der Firma ist grundsätzlich durch das speziellere Verfahren nach § 399 FamFG ausgeschlossen460, da es nicht zur Löschung der Firma vor Erlöschen der GmbH kommen soll. Eine Ausnahme besteht allerdings nach § 43 Abs. 2 KWG (ggf. in Verbindung mit § 3 Abs. 5 KAGB) im Fall der unzulässigen Verwendung der geschützten Bezeichnungen „Bank“ und „Sparkasse“ bzw. „Kapitalanlage“- oder „Investmentgesellschaft“, bei dem entsprechend § 395 FamFG zu verfahren ist; hierüber näher bei Rz. 46. In diesem Verfahren ist ausnahmsweise auch eine auf die Löschung dieser unzulässigen Firmenbestandteile beschränkte Teillöschung der Firma statthaft461. b) Mängel der geänderten Firma 103 Verstößt die im Verfahren der §§ 53 f. geänderte Firma gegen das öffentliche Firmenrecht, so

ist streitig, ob dieser Verstoß in das Amtsauflösungsverfahren nach § 399 FamFG führt oder nur der Gesellschafterbeschluss nach § 398 FamFG als nichtig zu löschen ist. Die überwiegende Ansicht hält Ersteres für zutreffend462, weil kein Unterschied begründen können soll, ob die Nichtigkeit der Firma auf dem Gründungsstatut oder späterer Firmenänderung beruht463. Das verkennt, dass der Änderungsbeschluss im letzteren Fall als solcher entsprechend § 241 Nr. 3 AktG nichtig ist464 und daher nie zur Änderung der alten Firma geführt hat, die daher als fortbestehende (zulässige) Firma einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alt. 1 vermeidet. c) Nachträgliche Unzulässigkeit der Firma 104 Trifft eine Firma nachträglich nicht mehr zu (was mit Wegfall vor allem des vormaligen Ent-

lehnungsverbots heute geringere praktische Bedeutung hat) und liegt daher unter Berücksichtigung der geänderten tatsächlichen Verhältnisse Täuschungsgefahr (§ 18 Abs. 2 HGB) vor, findet richtigerweise § 399 FamFG entsprechend Anwendung465. Mit einer (unmöglichen) nachträglichen zivilrechtlichen Nichtigkeit eines abgeschlossenen Rechtsgeschäfts hat dies nichts zu tun. Die entsprechende Heranziehung des § 399 FamFG rechtfertigt sich allein vor dem Hintergrund, dass den Anforderungen des § 3 Abs. 1 andauernd genügt werden muss, sodass der statutarischen Firmenbestimmung Dauerwirkung zukommt. 460 BayObLG v. 23.2.1989 – BReg. 3 Z 136/88, BayObLGZ 1989, 44, 50 = GmbHR 1989, 291; KG v. 8.2.1991 – 1 W 3211/90, GmbHR 1991, 319, 320; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 101; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 49; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 68. 461 Weitergehend eine Teillöschung nach § 395 FamFG dort befürwortend, wo eine noch zulässige Firma übrigbleibt, Michalski in Michalski, 2. Aufl. 2010, Rz. 104; dem folgend Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 157. 462 Vgl. etwa Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 104; Bayer in Lutter/Hommelhoff Rz. 49; Heinze in MünchKomm. GmbHG, Rz. 158. 463 Wie hier aber die h.L. im Aktienrecht, vgl. J. Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 262 AktG Rz. 63; Bachmann in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 262 AktG Rz. 51, jeweils m.w.N. 464 A.A., für bloße Anfechtbarkeit, Mock in Michalski u.a., Rz. 77; wie hier aber insoweit Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 34. 465 Für entsprechende Anwendung des § 399 FamFG BGH v. 2.6.2008 – II ZB 1/06, GmbHR 2008, 990 Rz. 11 ff. (zur Sitzverlegung); Ulmer in FS Raiser, 2005, S. 439, 446 ff.; für direkte Anwendung Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Mock in Michalski u.a., Rz. 76; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 25; Wicke, Rz. 17; a.A. noch (nur § 372 FamFG) 12. Aufl., § 4 Rz. 90; Altmeppen, Rz. 45; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 33. Vgl. hierüber zudem bei 12. Aufl., § 60 Rz. 47.

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§ 4a Sitz der Gesellschaft (13. Auflage 2022) Sitz der Gesellschaft ist der Ort im Inland, den der Gesellschaftsvertrag bestimmt. Eingefügt durch das Handelsrechtsreformgesetz vom 22.6.1998 (BGBl. I 1998, 1474, 1479); Abs. 1 geändert, Abs. 2 aufgehoben durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. 1. 2. II. 1. 2. 3. 4. III. 1. 2. 3. 4. IV. 1. 2. V. 1. 2.

Normzweck; Normgenese Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Normgenese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bedeutung des Sitzes Differenzierung zwischen Satzungsund Verwaltungssitz . . . . . . . . . . . . . . . . Individualisierungsfunktion . . . . . . . . . Anknüpfungsmerkmal . . . . . . . . . . . . . . Hauptniederlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmung des Satzungssitzes Ort im Inland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bestimmtheit der Ortswahl . . . . . . . . . . Wahlfreiheit und Einschränkungen . . . Doppelsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mängel Ursprüngliche Mängel . . . . . . . . . . . . . . . Nachträgliche Mängel . . . . . . . . . . . . . . . Sitzverlegung im Inland Verlegung des Satzungssitzes . . . . . . . . . Verlegung des Verwaltungssitzes . . . . . .

2 4

5 6 7 11 12 13 15 19 21 22 23 24

VI. Internationale Sitzverlegung . . . . . . . . . 1. Verlegung des Satzungssitzes a) Wegzugsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zuzugsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verlegung des Verwaltungssitzes a) Wegzugsfälle aa) Sachrechtliche Voraussetzungen . bb) Kollisionsrechtlicher Gehalt des § 4a . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zuzugsstaat folgt Gründungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Zuzugsstaat folgt Sitztheorie . . . . . b) Zuzugsfälle aa) Zuzug aus EU/EWR-Mitgliedstaaten und aus Staaten unter dem Schutz bilateraler Staatsverträge sowie aus Gründungstheoriestaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zuzug aus Drittstaaten . . . . . . . . . cc) Sonderfall: Zuzug aus dem Vereinigten Königreich (Folgen des „Brexit“) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

25 26 29

31 32 33 34

35 37 38

Allgemeines Schrifttum: Bandehzadeh/Thoß, Die nachträgliche Verlagerung des tatsächlichen Sitzes 1 einer GmbH, NZG 2002, 803; Balser, Der Doppelsitz von Kapitalgesellschaften, DB 1972, 2049; Barsch, Die Zulässigkeit des inländischen Doppelsitzes für Gesellschaften mit beschränkter Haftung, GmbHR 2003, 258; Bayer/Hoffmann, Aktiengesellschaft mit Doppelsitz, AG 2010, R 259; Blasche, Satzungssitz, tatsächlicher Verwaltungssitz und inländische Geschäftsanschrift: Neue Gestaltungsmöglichkeiten bei innerdeutschen Sachverhalten, GWR 2010, 25; Bork, Doppelsitz und Zuständigkeit im aktienrechtlichen Anfechtungsprozeß, ZIP 1995, 609; Borsch, Die Zulässigkeit des inländischen Doppelsitzes für Gesellschaften mbH, GmbHR 2003, 258; Katschinski, Die Begründung eines Doppelsitzes bei Verschmelzung, ZIP 1997, 620; Kögel, Der Sitz der GmbH und seine Bezugspunkte, GmbHR 1998, 1108; König, Doppelsitz einer Kapitalgesellschaft – Gesetzliches Verbot oder zulässiges Mittel der Gestaltung einer Fusion?, AG 2000, 18; Müther, Sind die Gesellschafter einer GmbH bei der Wahl des Sitzes wirklich frei?, BB 1996, 2210; Otte, Folgen der Trennung von Verwaltungs- und Satzungssitz für die gesellschaftsrechtliche Praxis, BB 2009, 344; Peterhof, Die tatsächliche Verlagerung des Gesellschaftssitzes während der Liquidation – auch ein Problem „post“ MoMiG?, DZWiR 2008, 359; Pluskat, Die Zulässigkeit des Mehrfachsitzes und die Lösung der damit verbundenen Probleme, WM 2004, 601; Preuß, Die Wahl des Satzungssitzes im geltenden Gesellschaftsrecht und nach dem MoMiG-Entwurf, GmbHR 2007, 57; Stiegler, Zustimmungspflichtige Verwaltungssitzverlegung?, NZG 2021, 705; Ulmer, Rechtsfolgen nachträglicher Diskrepanz zwischen Satzungssitz und tatsächlichem Sitz der GmbH, in FS Thomas Raiser, 2005, S. 439; Wessel, Der Sitz der GmbH, BB 1984, 1057.

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§ 4a Rz. 2 | Sitz der Gesellschaft

I. Normzweck; Normgenese 1. Normzweck 2 § 4a enthält eine Legaldefinition des „Sitzes der Gesellschaft“1. Sitz ist der Ort im Inland, der

im Gesellschaftsvertrag hierzu konstitutiv bestimmt wird2 (sog. Satzungssitz). Häufig ist es jener Ort, an dem die Verwaltung im Sinne der operativen Leitung geführt wird, an welchem also der „Lebensmittelpunkt“ der Gesellschaft und damit der Verwaltungssitz als das Korrelat des Wohnsitzes der physischen Person liegt (über den Verwaltungssitz bei Rz. 5). Aber der Gesellschaftsvertrag braucht nicht in diesem Sinne den Mittelpunkt der Verwaltung als Sitz zu bezeichnen; auch kommt es nicht auf die Lage der Geschäftsräume (vgl. § 24 Abs. 2 Satz 1 HRV), die hiermit ihrerseits nicht notwendig kongruierende inländische Geschäftsanschrift (vgl. § 8 Abs. 4 Nr. 1 i.V.m. § 24 Abs. 2 Satz 2 sowie § 34 Satz 2 HRV) oder den Wohnsitz der Geschäftsführer an. Das Statut kann vielmehr als Ausdruck des in § 4a verkörperten Grundsatzes der freien Sitzwahl jeden beliebigen Ort als Sitz bestimmen, vorbehaltlich des Rechtsmissbrauchs (darüber bei Rz. 15 ff.). Der Sitzbegriff des § 4a stellt damit auf einen Rechtssitz ab3, nicht auf die faktischen Umstände. Der Sitz muss allerdings innerhalb des Staatsterritoriums der Bundesrepublik Deutschlands (d.h. „im Inland“) liegen, anderenfalls wäre schon die Eintragung als eine dem GmbHG unterliegende Gesellschaft deutscher Rechtsform nicht möglich (hierüber näher bei Rz. 12).

3 Die Legaldefinition des § 4a bewirkt eine verweisungstechnische Vereinfachung, weil in

zahlreichen Vorschriften (inner- und außerhalb des GmbHG) auf den Begriff des „Sitzes“ Bezug genommen wird (vgl. im Einzelnen bei Rz. 7 ff.), ohne dass dieser deshalb dort jeweils näher als Satzungssitz definiert werden müsste4. Auch für die Satzungsgestaltung wird das „Sprachspiel“ festgelegt: Wird dort der „Sitz“ in Bezug genommen, ist nach der gebotenen objektiven Auslegung (vgl. 13. Aufl., § 2 Rz. 40 ff.) vom Satzungssitz auszugehen, sofern nicht deutliche Anhaltspunkte für eine Bezugnahme der Gesellschafter auf den Verwaltungssitz ersichtlich sind5.

2. Normgenese 4 § 4a ist erst durch Art. 9 Nr. 2 des Handelsrechtsreformgesetzes von 1998 mit Wirkung

vom 1.1.1999 ab in das Gesetz eingefügt worden6. Die geltende Fassung der Vorschrift beruht auf dem MoMiG von 2008, durch das der ursprüngliche Abs. 1 der Vorschrift durch die Einfügung der Worte „im Inland“ geändert und der frühere Abs. 2 der Vorschrift ersatzlos ge1 Altmeppen, Rz. 1; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 2; Kindler in Bork/Schäfer, Rz. 1; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 1; Wicke, Rz. 1. S. für die Parallelvorschrift des § 5 AktG Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 1; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 5. 2 Die Angabe nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 hat in der Satzung konstitutive Wirkung, eine Regelung außerhalb der Satzung wäre unwirksam: Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 4. Vgl. auch, für die AG, Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 2. 3 Zutreffend Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. 4 S. weiter zu § 5 AktG Koch, 16. Aufl. 2022, § 5 AktG Rz. 1 und Drescher in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 5 AktG Rz. 2: sprachliche Entlastung sowie Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 4: Ordnungsfunktion des Gesellschaftssitzes. 5 Näher hierzu Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. 6 BGBl. I 1998, 1474, 1479; s. dazu die Begr., BT-Drucks. 13/8444; den Ausschussbericht, BT-Drucks. 13/10332.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 5 § 4a

strichen wurden. § 4a Abs. 2 a.F. bestimmte, dass der Gesellschaftsvertrag als Sitz der Gesellschaft in der Regel den Ort zu bestimmen hat, an dem die Gesellschaft einen Betrieb hat, oder den Ort, an dem sich die Geschäftsleitung befindet oder die Verwaltung geführt wird. Vorbild der Vorschrift war § 5 AktG a.F. von 1965 gewesen, der auf § 5 AktG von 1937 zurückging7. Ursprünglich hatte das GmbHG lediglich bestimmt, dass im Gesellschaftsvertrag der Sitz der Gesellschaft geregelt werden muss (§ 3 Abs. 1 Nr. 1). Da das Gesetz für die Sitzwahl keine weiteren Vorgaben enthielt, wurde davon ausgegangen, dass sich der Sitz der Gesellschaft zwar immer im Inland befinden müsse, dass aber im Übrigen bis zur Grenze des Missbrauchs Wahlfreiheit in der Bestimmung des Gesellschaftssitzes bestehe. Diese Wahlfreiheit der Gesellschafter bei der Bestimmung des Gesellschaftssitzes wurde erst im Jahre 1998 durch das Handelsrechtsreformgesetz im Anschluss an das Aktienrecht (§ 5 AktG von 1965 a.F.) (vorübergehend) beseitigt, und zwar durch die Bestimmung des § 4a Abs. 2 a.F., dass der Gesellschaftsvertrag als Sitz der Gesellschaft „in der Regel“ den Ort zu bestimmen hat, an dem die Gesellschaft einen Betrieb hat oder an dem sich die Geschäftsleitung befindet oder die Verwaltung geführt wird. Damit wurde vornehmlich der Zweck verfolgt, im Interesse des Gläubigerschutzes und einer effektiven Registerführung die früher umstrittene Frage zu klären, in welchem Ausmaß die Gesellschafter bei der Bestimmung des Gesellschaftssitzes Wahlfreiheit besitzen8. Deshalb wurde eine Regelung gewählt, die sicherstellen sollte, dass der tatsächliche und der vertragliche Sitz der Gesellschaft grundsätzlich zusammenfallen. Diese Regelung des § 4a a.F. führte auf Grund der Rechtsprechung des EuGH zur Niederlassungsfreiheit in der Europäischen Union zu einer gewissen „Bevorzugung“ ausländischer Gesellschaften gegenüber deutschen Gesellschaften: Während ausländische Gesellschaften bei dem Zuzug aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Union in Deutschland anerkannt werden mussten, hinderte § 4a deutsche Gesellschaften daran, von dieser Freiheit gleichfalls Gebrauch zu machen, da sie nach § 4a a.F. grundsätzlich ihren deutschen Verwaltungssitz beibehalten mussten. Die Verfasser des MoMiG sahen darin eine sachlich nicht gerechtfertigte Benachteiligung deutscher Gesellschaften und strichen deshalb 2008 ersatzlos den bisherigen § 4a Abs. 2 (ebenso wie § 5 Abs. 2 AktG), hielten jedoch zugleich daran fest, dass sich der gesellschaftsvertragliche Sitz der Gesellschaft, der so genannte Satzungssitz, weiterhin stets im Inland befinden muss, wie in § 4a durch die Einfügung der Worte „im Inland“ ebenso wie in § 5 AktG klargestellt wurde. Über die daraus folgenden Konsequenzen für die Grundsätze des deutschen internationalen Gesellschaftsrechts (Stichworte: Sitz- vs. Gründungstheorie) sowie über die Zuzugs- und Wegzugsfreiheit von Gesellschaften in der EU (sowie im EWIR und im Verhältnis zu den USA) bei Rz. 25 ff.

II. Bedeutung des Sitzes 1. Differenzierung zwischen Satzungs- und Verwaltungssitz Bei der Anwendung des § 4a muss man den Satzungs- von dem Verwaltungssitz unterschei- 5 den. Der Satzungssitz wird durch den Gesellschaftsvertrag bestimmt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1) und muss sich an einem (beliebigen) Ort im Inland befinden (§ 4a; vgl. auch § 8 Abs. 4 Nr. 1). Als Verwaltungssitz ist dagegen jener sich aus den faktischen Gegebenheiten (ohne statutarische oder sonstige rechtsgeschäftliche Festlegung) ergebende Ort zu verstehen, von dem aus die Gesellschaft tatsächlich geleitet wird. Damit kommt es für seine Bestimmung nach einer immer wieder verwandten Formel auf den Tätigkeitsort der Geschäftsleitung und der dazu berufenen Gesellschaftsorgane an, mithin auf jenen Ort, an dem die grundlegenden Entscheidungen der Geschäftsführung effektiv in die laufende Geschäftsführung umgesetzt

7 Vgl. die Begr., BT-Drucks. 13/8444, S. 75. 8 S. die Begr., BT-Drucks. 13/8444, S. 75.

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§ 4a Rz. 5 | Sitz der Gesellschaft werden9. Dieser Verwaltungssitz kann im Ausgangspunkt beliebig gewählt werden (vgl. zur Entkopplung vom Satzungssitz bei Rz. 15 ff.), und zwar im Inland oder im Ausland10 (ausführlich bei Rz. 31 ff.), gleichviel, ob er anfänglich oder nachträglich dort begründet wird. Die Bedeutung des Verwaltungssitzes liegt in erster Linie im Internationalen Privatrecht, weil sich nach ihm gemäß der jedenfalls früher (und mit Einschränkungen auch heute noch) in Deutschland maßgebenden (Verwaltungs-)Sitztheorie die Nationalität einer Gesellschaft richtet, während es hiernach keine Rolle spielt, nach welchem Recht sie gegründet wurde; s. m.N. näher 12. Aufl., Anh. § 4a Rz. 10 sowie Rz. 37.

2. Individualisierungsfunktion 6 § 4a ist als Konkretisierung des § 3 Abs. 1 Nr. 1 zu lesen, der den Sitz zu einem Mindest-

bestandteil des Gesellschaftsvertrages erklärt (hierüber bei 13. Aufl., § 3 Rz. 1). Er ist für die Individualisierung der GmbH von Bedeutung. Diese Individualisierungsfunktion wird mittelbar daran ersichtlich, dass sich nur jene Firmen deutlich voneinander unterscheiden müssen, deren Rechtsträger ihren Sitz an demselben Ort oder – je nachdem, welcher Bereich weiter gefasst ist – in derselben politischen Gemeinde haben (§ 30 HGB)11; der Satzungssitz, sofern auseinanderfallend, ist damit ein selbst bei gleichlautenden Firmen hinreichendes Unterscheidungskriterium; darüber bei 13. Aufl., § 4 Rz. 95.

3. Anknüpfungsmerkmal 7 Der Satzungssitz hat in vielfältigen rechtlichen Beziehungen Bedeutung, die sich vornehm-

lich aus Verweisungen anderer Bestimmungen auf den Sitzbegriff als Anknüpfungsmerkmal ergeben (vgl. zur verweisungstechnischen Erleichterungsfunktion der Sitzdefinition bereits bei Rz. 3). Insbesondere bestimmt sich nach ihm vielfach der Gerichtsstand in Verfahren freiwilliger wie auch streitiger Gerichtsbarkeit. Im Bereich der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist der Satzungssitz ausweislich § 377 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 7 Abs. 1 GmbHG maßgebend für die örtliche Zuständigkeit des Registergerichts in Handelsregistersachen12 (§ 374 Abs. 1 Nr. 1 FamFG) sowie in unternehmensrechtlichen Verfahren (§ 375 Abs. 1 Nr. 6 FamFG). Im Rahmen der streitigen Gerichtsbarkeit bestimmt nach Maßgabe des § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO der Satzungssitz (und nur subsidiär der Verwaltungssitz, vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO) den allgemeinen Gerichtsstand der GmbH13, bei dem diese aus jedwedem Grund verklagt werden kann, falls dieser Gerichtsstand nicht durch einen ausschließlichen Gerichtsstand derogiert wird (ausführlich bei 13. Aufl., § 13 Rz. 38 ff.); im Fall der Auflösung der Gesellschaft sichert

9 BGH v. 21.3.1986 – V ZR 10/85, BGHZ 97, 269, 272 = GmbHR 1986, 351; sog. Sandrock’sche Formel, s. Sandrock, BerDGesVR 18 (1978), 168, 238; Sandrock in FS Günther Beitzke, 1979, S. 669, 683; dazu etwa v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 3 und 79; Großfeld in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, 1998, Rz. 228. 10 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 29; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 4; Ulmer/ Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 7; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; Wachter, GmbHR-Sonderheft 2008, 80, 82; vgl. für die AG etwa Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 17. 11 C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 3; Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 3; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; ebenso für die AG Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 9 sowie Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 3. 12 Insbesondere richtet sich daher hiernach die Zuständigkeit des Registergerichts für die Anmeldung der Gesellschaft (§ 7 Abs. 1), einer Zweigniederlassung (§ 13 Abs. 1 HGB) oder der Sitzverlegung im Inland (§ 13h Abs. 1 HGB). 13 § 4 verdrängt insoweit die Auffangregel des § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 10 § 4a

§ 69 Abs. 2 der Gegenpartei diesen Gerichtsstand selbst im Fall einer anschließenden Sitzverlegung (darüber näher bei 12. Aufl., § 69 Rz. 45). Jedoch führt diese Anknüpfung bei Gesellschaften mit Sitz in Großgemeinden, die in mehrere Amtsgerichtsbezirke aufgeteilt sind, im Fall der Registerkonzentration mitunter zu Problemen (über diese bei Rz. 14). Ferner ist der Satzungssitz maßgebend für die Bestimmung der ausschließlichen Zuständigkeit des Landgerichts im Fall von Beschlussmängeln und darauf gestützter Anfechtungs- und Nichtigkeitsklagen in entsprechender Anwendung der § 249 Abs. 1, § 246 Abs. 3 AktG (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 150). Weiterhin ist er einer der alternativen Anknüpfungspunkte, nach welchem sich im Fall der Gründung mittels Videokommunikationsverfahren (vgl. § 2 Abs. 3 i.d.F. ab 1.8.2022) die örtliche Zuständigkeit des Notars richtet (§ 10a Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BNotO i.d.F. ab 1.8.2022). Hat die Gesellschaft ihre werbende Tätigkeit eingestellt oder niemals aufgenommen14, so 8 richtet sich außerdem ausweislich der §§ 3, 4 InsO die Zuständigkeit des Insolvenzgerichts nach dem statutarischen Sitz – anderenfalls, bei (fort-)bestehender wirtschaftlicher Tätigkeit nach ihrem räumlichen Mittelpunkt (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO und dazu 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 3) –, weiterhin die internationale Zuständigkeit in Insolvenzverfahren, sofern die Vermutung des Art. 3 Abs. 1 Satz 3 EuInsVO für den dort belegenen Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen eingreift bzw. zutrifft. – Am Satzungssitz der Gesellschaft findet ferner im Zweifel die Gesellschafterversammlung statt15, sofern der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Regelung enthält (ebenso ausdrücklich § 121 Abs. 5 Satz 1 AktG). – Auch die örtliche Zuständigkeit des Finanzamts kann sich im Einzelfall nach Maßgabe der §§ 11, 20 Abs. 2 AO16 an dem Bezirk des Satzungssitzes ausrichten, sofern nicht, wie im Regelfall, nach § 20 Abs. 1 AO i.V.m. § 10 AO an den Sitz der „Geschäftsleitung“ (zumeist also an den Verwaltungssitz) angeknüpft werden kann. Schließlich bildet der Satzungssitz den Erfüllungs- und Zahlungsort für vertragliche Leis- 9 tungspflichten der Gesellschaft (§ 269 Abs. 1 und § 270 Abs. 1 BGB), sofern sich nicht die gewerbliche Niederlassung an einem anderen Ort befinden sollte (§ 269 Abs. 2, § 270 Abs. 2 BGB)17; auch Pflichten der Gesellschaft gegenüber ihren Organmitgliedern sind regelmäßig örtlich am Satzungssitz zu erfüllen18; dies gilt umgekehrt ebenfalls für Binnenansprüche (vor allem Schadensersatz- bzw. Regressansprüche) der Gesellschaft gegenüber ihren Organmitgliedern19, auch für auf (den mittlerweile aufgehobenen) § 64 Satz 1 gestützte Zahlungsansprüche20. Ob der Satzungssitz schließlich kollisionsrechtliche Bedeutung hat, vor allem, sofern auf 10 Wegzugsfälle (einseitig) die Gründungstheorie zur Anwendung gelangt, hängt davon ab, wel14 BayObLG v. 11.8.1999 – 4Z AR 23/99, ZIP 1999, 1714 = GmbHR 2000, 39; OLG Köln v. 22.3.2000 – 2 W 49/00, ZIP 2000, 672, 673 = GmbHR 2000, 570; Altmeppen, Rz. 5; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Wicke, Rz. 2. 15 Und dort in den Geschäftsräumlichkeiten der Gesellschaft im Falle ihrer Eignung als Versammlungslokal; vgl. insgesamt hierzu BGH v. 24.3.2016 – IX ZB 32/15, GmbHR 2016, 587, 589; Ulmer/ Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 4; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 5; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 5; Wicke, Rz. 2. 16 Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 5; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 4; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5 sowie, für die AG, Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 19. 17 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5. 18 BGH v. 26.11.1984 – II ZR 20/84, GmbHR 1985, 190; Kindler in Bork/Schäfer, Rz. 1; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 4; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 5; Wicke, Rz. 2. 19 BGH v. 10.2.1992 – II ZR 23/91, GmbHR 1992, 303. 20 Vgl. OLG München v. 18.5.2017 – 34 AR 80/17, GmbHR 2017, 877.

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§ 4a Rz. 10 | Sitz der Gesellschaft che Untervariante der Gründungstheorie für einschlägig gehalten wird21, ob also vermittels der (deutschen bzw. unionsrechtlich induzierten) Gründungstheorie zutreffenderweise an den (wandelbaren) Satzungssitz angeknüpft wird22 (ausführlich hierüber bei Rz. 25 ff.). Wird demgegenüber an den (ebenfalls wandelbaren) Registersitz oder an das (unwandelbare) Gründungsrecht angeknüpft, fehlt dem Satzungssitz insoweit jede kollisionsrechtliche Dimension. Sofern indes der Registrierungssitz für maßgebend erklärt wird, fällt dieser – aufgrund des Erfordernisses eines inländischen Satzungssitzes – im deutschen Recht im Ergebnis mit der Anknüpfung an den Satzungssitz in eins23.

4. Hauptniederlassung 11 Die „Hauptniederlassung“ einer GmbH – will man diesen dem für Einzelkaufleute geltenden

Recht entnommenen Begriff (§ 29 HGB) überhaupt sinngemäß übertragen24 – ist rechtlich stets der Ort ihres statutarischen Sitzes. Es ist für die rechtliche Qualifikation unerheblich, ob die GmbH an ihrem Gesellschaftssitz überhaupt eine Niederlassung tatsächlich betreibt oder, wenn das zutrifft, welche wirtschaftliche Bedeutung sie im Vergleich zu den anderen Niederlassungen hat. Das allgemeine Erfordernis einer Nachordnung der Zweigniederlassung gegenüber der Hauptniederlassung hat hier mithin regelmäßig keine eigenständige Relevanz. Wenn die Gesellschaft an einem bestimmten Ort ihren Satzungssitz hat, haben Geschäftsstellen an anderen Orten, selbst wenn sie noch so bedeutsam für die Gesellschaft sein mögen, rechtlich also ohne Ausnahme lediglich die Bedeutung von Zweigniederlassungen25. Für den Fall, dass Satzungs- und Verwaltungssitz auseinanderfallen, ist daraus der Schluss zu ziehen, dass der Satzungssitz immer die Hauptniederlassung darstellt, so dass es sich bei dem davon verschiedenen Verwaltungssitz allenfalls um eine Zweigniederlassung handeln wird, die dann nach Maßgabe des § 13 HGB zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden ist26. Ein Nachordnungsverhältnis kann daher nur bedeutsam werden, wenn die Gesellschaft

21 Zutreffend zwischen den einzelnen Varianten der Gründungstheorie differenzierend J. Hoffmann, ZvglRWiss 101 (2002), 283, 284 ff.; Meeusen in Liber amicorum Christian Kohler, 2018, S. 313, 315; Kaulen, IPRax 2008, 389, 391 ff.; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 3 und 79; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015, S. 14 ff.; irreführend Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8, der im Rahmen der Schilderung der Bedeutung des Gesellschaftssitzes auf die (insoweit freilich nicht gegebene) Relevanz im Rahmen der Sitztheorie verweist; zu pauschal letztlich auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2. i.V.m. Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Einl. Rz. 61. 22 In diesem Sinne etwa auch Behrens, RIW 1986, 590, 591; Mülbert/Schmolke, ZVglRWIss 100 (2001), 233, 263; Mankowski, ZIP 2010, 802, 803. 23 Hierzu näher Behrens/J. Hoffmann in Habersack/Casper/Löbbe, Einl. B. Rz. 48; zum „Satzungssitz“ als internationalprivatrechtlichem Anknüpfungsmerkmal Behrens, IPRax 1999, 323, 325; Behrens, JBl. 2001, 341, 344; Großfeld, RabelsZ 31 (1967), 1, 15. 24 Zu diesen Zusammenhängen ausführlich Pentz in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, § 13 HGB Rz. 20 ff.; Krafka in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 7 ff.; Preuß in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 18 ff. 25 J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13 HGB Rz. 32 ff.; ferner Altmeppen, Rz. 29; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 13; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; Wicke, Rz. 7; vgl. weiterhin Ulmer in FS Th. Raiser, 2005, S. 439, 444. 26 Heckschen, DStR 2009, 166, 168; Altmeppen, Rz. 29; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 13; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; Wicke, Rz. 7; s. auch Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 33 für die AG; a.A. allerdings Krafka in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 13 HGB Rz. 31; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 927: der tatsächliche Hauptverwaltungssitz der Gesellschaft ist auch dann nicht gesondert anzumelden oder im Register einzutragen, wenn er vom Satzungssitz und von der inländischen Geschäftsanschrift abweicht; ebenso Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 15.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 13 § 4a

am Ort ihres Sitzes mehrere Niederlassungen hat; eine solche Konstellation ist anzuerkennen, es ist also nicht zu fordern, dass die Zweigniederlassung an einem anderen Ort als jenem des Sitzes der Gesellschaft errichtet sein muss27, weil der Publizitätszweck der §§ 13, 13c HGB auch für Zweigniederlassungen im Gerichtsbezirk und in der politischen Gemeinde des Sitzes der Hautniederlassung zutrifft.

III. Bestimmung des Satzungssitzes 1. Ort im Inland Der Satzungssitz muss „im Inland“, also im deutschen Staatsterritorium liegen, da es sich 12 bei der GmbH um ein „Geschöpf“ der nationalen Rechtsordnung handelt und insoweit, wenn schon kein tatsächlicher, doch ein juristischer Bezug zu dieser hergestellt sein muss28. Dieses Inlandserfordernis statuiert § 4a heute ausdrücklich, es war aber schon zuvor anerkannt (vgl. zur historischen Entwicklung bei Rz. 4), und zwar unter Verweis darauf, dass eine Gesellschaft, die dem deutschen GmbH-Gesetz unterstehen soll, mit Notwendigkeit einen Sitz im Inland haben und in das deutsche Handelsregister eingetragen sein müsse (§ 4a, § 11 Abs. 1 und § 13). Zwingend ist diese Begründung indes nicht. Hinter der Notwendigkeit eines inländischen Satzungssitzes steht vielmehr letztlich die Bestrebung, das deutsche Gesellschaftsrecht in seiner Durchsetzbarkeit (durch deutsche Gerichte und Behörden) zu effektuieren, die deutlich erschwert würde, hätte die Gesellschaft im Ausland ihren Satzungssitz29. Rechtstechnisch kommt hinzu, dass bei ausländischem Satzungssitz mangels örtlicher Zuständigkeit bereits kein inländisches Registerverfahren stattfinden könnte, eine Eintragung mithin schon aus diesem Grunde scheiterte30; vgl. Rz. 26 ff. Unionsrechtlich ist das Erfordernis eines inländischen Satzungssitzes für die Qualifikation einer Gesellschaft als „deutsche GmbH“ nicht an der Niederlassungsfreiheit zu messen31; doch darf an der Notwendigkeit eines inländischen Satzungssitzes jedenfalls im Fall eines grenzüberschreitenden Rechtsformwechsels nicht festgehalten werden; hierüber bei Rz. 27.

2. Bestimmtheit der Ortswahl Als Satzungssitz kann ausschließlich ein genau bestimmter Ort gewählt werden32, denn es 13 muss möglich sein, das am Satzungssitz zuständige Gericht eindeutig zu bestimmen und die Gesellschaft zu individualisieren (vgl. bei Rz. 6). Der „Ort“ ist vor diesem Hintergrund, aber 27 Vgl. etwa Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32. 28 BGH v. 14.11.2017 – VI ZR 73/17, ZIP 2018, 654, 656; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 4; Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 11; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 7; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Koch, 16. Aufl. 2022, § 5 AktG Rz. 7. 29 BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, GmbHR 2004, 490, 491; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 5. 30 Vgl. etwa Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Ringe in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 5 AktG Rz. 8. 31 Leible, ZGR 2004, 531, 553 f.; Behme/Nohlen, BB 2009, 13, 14; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545, 549; Koppensteiner in FS Lutter, 2000, S. 141, 171. 32 S. RG v. 27.10.1904 – 42/04, RGZ 59, 106, 109; BayObLG v. 23.7.1987 – BReg. 3 Z 72/87, BayObLGZ 1987, 267, 274 = GmbHR 1988, 23; Altmeppen, Rz. 6; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 2; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 6; Wicke, Rz. 3.

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§ 4a Rz. 13 | Sitz der Gesellschaft auch den weiteren Funktionen des Satzungssitzes (vgl. Rz. 7 ff.) und dem daraus resultierenden Normzweck (vgl. Rz. 2 f.) als politische Gemeinde im Sinne des Kommunalrechts zu verstehen33. Unzureichend, weil den Funktionen des Satzungssitzes nicht gerecht werdend, ist daher insbesondere eine überörtliche Bezeichnung, etwa durch die (bloße) Angabe eines Landkreises, einer Region oder eines Gebiets, aber auch eine mehrere politische Gemeinden umspannende Sammelbezeichnung34, ungeachtet ihrer Gebräuchlichkeit. Die Nennung eines Gemeinde- oder Stadtteils reicht für sich genommen (d.h. ohne zusätzliche Angabe der politischen Gemeinde bzw. Stadt, deren Teil er ist) ebensowenig aus (ungenügend daher etwa die Sitzangabe „Altona“), seine zusätzliche Angabe ist aber unschädlich, sofern Verwirrung hierdurch nicht zu besorgen ist35. Sind in Deutschland mehrere Orte gleichermaßen benannt, ist ein differenzierender Zusatz erforderlich (zum Beispiel: „Frankfurt am Main“). Im Ausnahmefall kann als „Ort“ i.S.d. § 4a auch ein gemeindefreies Gebiet statutarisch bestimmt werden, sofern damit der Gesetzeszweck (über diesen bei Rz. 2 f.) nicht unterlaufen wird, was insbesondere voraussetzt, dass die bei Rz. 7 ff. geschilderten Anknüpfungen aufgrund landesspezifischer Bestimmungen gelingen36. 14 Handelt es sich bei der Gemeinde um eine Großgemeinde, die in mehrere Amtsgerichts-

bezirke aufgeteilt ist, so ist zum Zwecke der eindeutigen Bestimmung des für die Gesellschaften zuständigen Registergerichts im Ausgangspunkt zusätzlich im Gesellschaftsvertrag offenzulegen, in welchem konkreten Amtsgerichtsbezirk die Gesellschaft ihren Sitz hat37. Die Pflicht, das konkret zuständige Registergericht auf Geschäftsbriefen anzugeben (§ 35a Abs. 1), vermag dieses Konkretisierungspflicht nicht zu substituieren, zumal mit Recht darauf hingewiesen wird, dass nicht jeder Teilnehmer des Rechtsverkehrs einen solchen Brief zur Hand

33 RG v. 27.10.1904 – 42/04, RGZ 59, 106, 109; RG v. 9.12.1907 – VI 276/07, RGZ 67, 191, 194; BayObLG v. 23.7.1987 – BReg. 3 Z 72/87, BayObLGZ 1987, 267, 274 = GmbHR 1988, 23; Altmeppen, Rz. 6; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 2; Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 11; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 6; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 6; Wicke, Rz. 3. Vgl. zu § 5 AktG Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 17; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 5 AktG Rz. 12; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 24; Ringe in K. Schmidt/Lutter, 4. Aufl. 2020, § 5 AktG Rz. 8. 34 RG v. 27.10.1904 – IV 242/04, RGZ 59, 106, 109 (zur AG); vgl. weiterhin Hupka in MünchKomm. GmbHG Rz. 6; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Drescher in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 5 AktG Rz. 6; Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 24; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 24. 35 Vgl., für Zulässigkeit dieses Zusatzes, ohne diese Einschränkung, BayObLG v. 13.2.1976 – 2 Z 57/ 75, BB 1976, 622 (für den Verein), C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 2; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 6; Wicke, Rz. 3; einschränkend, wie hier, Altmeppen, Rz. 6 (Zulässigkeit der Angabe, wenn die Bestimmtheit nicht beeinträchtigt wird); Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28 (Zulässigkeit der Angabe, wenn sich keine Unklarheiten für den Rechtsverkehr ergeben und die Gesellschaft ein berechtigtes Interesse hat); ebenso wie für die AG Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 24 f. 36 Daher die Angabe „gemeindefreies Gebiet Sachsenwald“ anerkennend OLG Schleswig v. 18.7.2018 – 2 Wx 59/17, BeckRS 2018, 55727. 37 Altmeppen, Rz. 6; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 2; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 6; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 6; Wicke, Rz. 3; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 5 AktG Rz. 12; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 24; Ringe in K. Schmidt/Lutter AktG, 4. Aufl. 2020, § 5 AktG Rz. 8.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 14 § 4a

hat38. Die zusätzliche Angabe des Amtsgerichtsbezirks ist allerdings nach überwiegender Meinung jedenfalls entbehrlich und in der Praxis unüblich, wenn einem Amtsgericht nach Maßgabe des § 376 Abs. 2 FamFG die Führung des Handelsregisters für mehrere Registergerichtsbezirke übertragen ist39 (Beispiel: das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg ist zuständig für das gesamte Landesgebiet40). Hier wird vielmehr in die umgekehrte Richtung die Frage aufgeworfen, ob ein den Amtsgerichtsbezirk kennzeichnender Zusatz gleichwohl zulässig ist, wogegen mitunter eingewandt wird, dass ein solcher im Fall einer Registerkonzentration missverständlich wirken könnte41. Einwände gegen einen derartigen Zusatz vermögen jedoch nicht zu überzeugen, zumal die Festlegung der örtlichen Zuständigkeit des Registergerichts nur eine der Funktionen der Angabe des Satzungssitzes ist. Unterbleibt die Konkretisierung des Satzungssitzes in Bezug auf einen bestimmten Amtsgerichtsbezirk innerhalb der Großgemeinde, können vielmehr hierdurch Folgeprobleme in Bezug auf die Bestimmung des § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO hervorgerufen werden, weil die Registerkonzentration nicht auf den allgemeinen Gerichtsstand ausstrahlt, so dass die Zuständigkeitsbestimmung nach Maßgabe des Satzungssitzes mitunter fehlschlägt. Den allgemeinen Gerichtstand hilfsweise am Ort der Führung der Verwaltung (vgl. § 17 Abs. 1 Satz 2 ZPO) anzusiedeln42, überzeugt im Grundsatz, allerdings nur im Fall eines Verwaltungssitzes bzw. jedenfalls einer Geschäftsanschrift innerhalb der Großgemeinde43. Diese Anknüpfung gelingt dagegen nicht friktionsfrei, sofern der Verwaltungssitz außerhalb des Gebietes der Großgemeinde liegt, da sich in diesem Fall der allgemeine Gerichtsstand bei sachlicher Zuständigkeit des Landgerichts in der betreffenden Großgemeinde, bei jener des Amtsgerichts aber an einem anderen Ort befände44. Deshalb einen Sitz in Anlehnung an die Grundsätze eines ausnahmsweise zulässigen Doppelsitzes (darüber bei Rz. 19 f.) in allen erfassten Amtsgerichtsbezirken mit der Folge eines Wahlrechts nach § 35 ZPO anzunehmen45, schießt allerdings über das Ziel hinaus. Richtig scheint, in diesen Fällen für diese Zuständigkeitsbestimmung zu unterstellen, der Satzungssitz liege im Bezirk des jeweiligen Registergerichts, auf das sich die registergerichtliche Zuständigkeit konzentriert46.

38 Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 24; kritisch gegen dieses Argument indes Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 25. 39 Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Wicke, Rz. 3; für die AG Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 25; Koch, 16. Aufl. 2022, § 5 AktG Rz. 6; womöglich strenger allerdings Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 24 für die AG. 40 §§ 5, 6 der VO über die Zuweisung amtsgerichtlicher Zuständigkeiten vom 8.5.2008 (GVBl. 116), geändert am 30.11.2012 (GVBl. 415). 41 In diesem Sinne Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 25; dem noch zuneigend die 12. Aufl. Rz. 9. 42 Vgl. in diese Richtung BayObLG v. 12.8.2002 – 1Z AR 100/02, NJOZ 2002, 2424, 2426; OLG Frankfurt a.M. v. 4.4.2019 – 11 SV 12/19, BeckRS 2019, 37475 Rz. 11 (ausdrücklich aufgegeben jedoch sodann in OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2021 – 11 SV 16/21, GmbHR 2021, 882, 883 m. Anm. Kittner, GWR 2021, 295); Toussaint in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2021, § 17 ZPO Rz. 11.1. 43 A.A. KG v. 11.10.2007 – 2 AR 41/07, NJOZ 2008, 237, 239; insoweit wie hier aber OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2021 – 11 SV 16/21, GmbHR 2021, 882, 883. 44 Zutreffender Befund bei OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2021 – 11 SV 16/21, GmbHR 2021, 882 f. 45 So OLG Frankfurt a.M. v. 29.4.2021 – 11 SV 16/21, GmbHR 2021, 882, 883. 46 A.A. KG v. 11.10.2007 – 2 AR 41/07, NJOZ 2008, 237, 239; erwägend, für den Fall, dass das zuständige Registergericht in der Sitzgemeinde liegt, Toussaint in BeckOK ZPO, Stand: 1.9.2021, § 17 ZPO Rz. 11.1.

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§ 4a Rz. 15 | Sitz der Gesellschaft

3. Wahlfreiheit und Einschränkungen 15 Seit der Änderung des § 4a durch das MoMiG von 2008 enthält das Gesetz keine weiteren

Vorgaben mehr für die Auswahl des Satzungssitzes im Inland. Damit kann insbesondere nicht mehr, wie noch zuvor, gefordert werden, dass der Sitz an jenem Ort liegen müsse, an dem die Gesellschaft entweder „einen Betrieb“ hat, an dem sich „die Geschäftsleitung“ befindet, oder an dem „die Verwaltung geführt wird“. Denn gerade diese Beschränkungen, die § 4a a.F. vorsah, um im Interesse eines verbesserten Gläubigerschutzes Missbräuche durch willkürliche Sitzverlegungen zu bekämpfen und die postalische Erreichbarkeit der Gesellschaft unter allen Umständen sicherzustellen47, sind durch das MoMiG im Aktien- ebenso wie im GmbH-Recht wieder abgeschafft worden, um deutschen Gesellschaften die Möglichkeit zu eröffnen, einen beliebigen, vom Satzungssitz abweichenden Verwaltungssitz im Inland oder im Ausland zu wählen, wenn ihnen dies sinnvoll erscheint (vgl. auch bei Rz. 31), zum Beispiel um für konzernangehörige Gesellschaften eine einheitliche Registerzuständigkeit zu begründen oder aus „Marketing“-Gründen eine große Stadt als Sitz angeben zu können48. Die damit bestehende Wahlfreiheit49 findet allerdings ihre Grenze im Rechtsmissbrauch50. 16 Damit ist letztlich bei vordergründiger Betrachtung die Rechtslage wiederhergestellt, die be-

reits vor dem MoMiG bestand. Ursprünglich hatte das GmbHG nämlich lediglich bestimmt, dass im Gesellschaftsvertrag der Sitz der Gesellschaft geregelt werden muss (§ 3 Abs. 1 Nr. 1); für die Sitzwahl gab es keine weiteren Vorgaben, § 4a wurde erst durch das Handelsrechtsreformgesetz von 1998 mit Wirkung vom 1.1.1999 in das Gesetz eingefügt. Daher ging damals die herrschende Meinung vor dem Handelsrechtsreformgesetz davon aus, dass sich der Sitz der Gesellschaft zwar immer im Inland befinden müsse, dass aber im Übrigen bis zur Grenze des Missbrauchs Wahlfreiheit in der Bestimmung des Gesellschaftssitzes bestehe. Als unzulässig galt aber eine geradezu willkürliche Sitzwahl, insbesondere die Wahl eines Ortes, zu dem die Gesellschaft keinerlei tatsächliche Beziehungen hatte51. Dies wurde vor allem an47 S. statt aller Ulmer in FS Th. Raiser, 2005, S. 439 ff. 48 Zu diesen und weiteren Gründen Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 29. 49 Kögel, Rpfleger 2014, 7 f.; Leitzen, RNotZ 2011, 536, 537; Altmeppen, Rz. 7; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 4; Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 9; Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 5; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 1; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 4; Wicke, Rz. 3. Für die AG vgl. Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 5 AktG Rz. 6; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 24; Ringe in K. Schmidt/Lutter AktG, 4. Aufl. 2020, § 5 AktG Rz. 1. 50 Nach Ansicht von Altmeppen, Rz. 8; Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 17; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 4 und Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 7 wird die Sitzwahl bei Gründung nicht durch den Gedanken des Rechtsmissbrauchs begrenzt (a.A. Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15; wohl auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5, der im Abschnitt über die Sitzwahl schreibt, dass „allein die Tatsache, dass ein Registergericht die Eintragungsvoraussetzungen strenger prüft als ein anderes, […] nicht den Schluss auf eine rechtsmissbräuchliche Sitzwahl [rechtfertigt]“ und damit von der Missbrauchsgrenze auszugehen scheint). Eine spätere Sitzverlegung kann missbräuchlich sein (Altmeppen, Rz. 8; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 11; Wicke, Rz. 4; a.A. Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 4: Sanktionierung über § 826 BGB bei gezielt gläubigerschädigendem Verhalten). Zu § 5 AktG vgl. Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 29 (einzige Einschränkung der Wahlfreiheit ist das Erfordernis eines inländischen Sitzes) und Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 50 sowie Koch, 16. Aufl. 2022, § 5 AktG Rz. 8, 11 (rechtsmissbräuchliche Ausübung der Wahlfreiheit grundsätzlich möglich). 51 S. etwa BayObLG v. 8.3.1982 – BReg. 1 Z 71/81, BayObLGZ 1982, 140, 141 = GmbHR 1983, 152; BayObLG v. 23.7.1987 – BReg. 3 Z 72/87, BayObLGZ 1987, 267, 272 ff. = GmbHR 1988, 23; OLG Zweibrücken v. 19.11.1990 – 3 W 119/90, GmbHR 1991, 317 = NJW-RR 1991, 1509.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 18 § 4a

genommen, wenn die Gesellschaft an dem angegebenen Ort postalisch oder auf andere Weise überhaupt nicht erreichbar war52, während ein Missbrauch verneint wurde, wenn die Gesellschaft dort bereits Geschäftsräume gemietet und Firmenschilder angebracht hatte53 oder wenn an dem fraglichen Ort der Geschäftsführer wohnte54. Die damalige Konturierung des Rechtsmissbrauchs kann aber nicht ohne Anpassung an die 17 heutige Rechtslage übertragen werden. Aufgrund der eindeutigen gesetzgeberischen Wertung wird für einen Rechtsmissbrauch die alleinige Existenz einer bloßen „Briefkastenfirma“ an dem im Gesellschaftsvertrag bestimmten Satzungssitz ebenso wenig genügen wie der Wunsch der Gesellschafter, über die Bestimmung des Satzungssitzes die Zuständigkeit eines von ihnen als besonders effektiv oder auch als „besonders großzügig“ eingeschätzten Registergerichts zu begründen55. Jenes Registergericht zu „wählen“, das für kurze Bearbeitungszeiten und damit rasche Eintragungen bekannt ist, ist legitim56. Das gilt sowohl für die Sitzwahl im Gründungsstadium als auch bei späteren Sitzverlegungen. Der mit einer Verlegung etwaig verbundene Versuch, sich Zustellungen und dem Gläubigerzugriff zu entziehen, wird nach gegenwärtiger Rechtslage, anders als früher, aufgrund der Pflicht zur Angabe einer inländischen Geschäftsanschrift (§ 8 Abs. 4 Nr. 1), der Regelung zur Vertretungsberechtigung der Gesellschafter (§ 35 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3) und der erleichterten öffentlichen Zustellung (§ 15a HGB) kaum mehr erfolgreich sein57. Anders liegt es indes, wenn eine Sitzverlegung nach Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung zur Firmenbestattung genutzt wird; hier ist von einem rechtsmissbräuchlichen Vorgang auszugehen58. Selbiges gilt, wenn eine Sitzverlegung nur dem Zweck dient, eine gerichtlich angeordnete Überprüfung einer Eintragungsvoraussetzung dadurch zu umgehen, dass der Sitz in einen weniger streng prüfenden Registerbezirk verlegt wird, um eine Eintragung zu erreichen59. Wurde die GmbH ins Liquidationsstadium überführt, sind Sitzverlegungen zwar prinzipiell 18 weiterhin zulässig (vgl. näher bei 12. Aufl., § 69 Rz. 14)60, aber einem erhöhten Missbrauchsverdacht ausgesetzt; eine nicht im Handelsregister eintragbare rechtsmissbräuchliche Sitzverlegung wird aber auch hier nur anzunehmen sein, wenn sich (jedenfalls indiziell) feststellen lässt, dass der Zweck der Sitzverlegung mitsamt der damit einhergehenden Änderung von Registergericht und Registernummer in der Erschwerung einer ordnungsgemäßen Liquidation zu Lasten vor allem der Gläubiger liegt61. Überstrapaziert wird der Rechtsmissbrauchs52 BayObLG v. 23.7.1987 – BReg. 3 Z 72/87, BayObLGZ 1987, 267, 272 ff. = GmbHR 1988, 23; OLG Stuttgart v. 17.8.1990 – 8 W 628/89, GmbHR 1991, 316 f. 53 OLG Köln v. 11.3.1987 – 2 Wx 72/86, ZIP 1987, 712, 713. 54 OLG Schleswig v. 6.1.1994 – 2 W 130/93, GmbHR 1994, 557 = NJW-RR 1994, 610. 55 S. jedoch die Fälle KG v. 25.7.2011 – 25 W 33/11, GmbHR 2011, 1104 = ZIP 2011, 1566; LG Berlin v. 23.4.1999 – 98 T 9/99, ZIP 1999, 1050. 56 Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1582 ff.; Altmeppen, Rz. 8; Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 17; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 7; Wicke, Rz. 5; Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 36. Für nicht besonders praxisrelevant wegen der weitgehend einheitlichen Anwendung des Registerrechts in Deutschland hält dies Wamser in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 3. 57 Instruktiv und überzeugend Merkbach, NZG 2014, 526, 528 ff. 58 Altmeppen, Rz. 8; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 11; Wicke, Rz. 4; a.A. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4: kein Rückgriff auf die Grenze des Rechtsmissbrauchs, sondern Sanktionierung über § 826 BGB. 59 AG Memmingen v. 1.2.2005 – 04 AR 403/04, NZG 2006, 70, 73: Sitzverlegungsbeschluss nichtig, wenn er darauf abzielt, gerichtlich angeordnete Überprüfung einer Eintragungsvoraussetzung zu umgehen und dadurch die Eintragung zu erschleichen. 60 Wie hier OLG Celle v. 26.4.2021 – 9 W 51/21, GmbHR 2021, 715. 61 Vgl., insoweit noch wie hier, KG v. 24.4.2018 – 22 W 63/17, GmbHR 2018, 1069 = EWiR 2019, 205 m. zustimmender Anm. Priebe; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 8.

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§ 4a Rz. 18 | Sitz der Gesellschaft gedanke hingegen, wenn jedwede Sitzverlegung zunächst als liquidationszweckwidrig deklariert und nur im Fall der Darlegbarkeit rechtfertigender Gründe als eintragungsfähig angesehen wird62.

4. Doppelsitz 19 Das GmbHG regelt ebenso wenig wie das AktG (§ 5 AktG) oder das BGB (§§ 24, 55 BGB)

die Frage, ob die Gesellschaft nur einen Sitz oder auch mehrere Sitze haben kann. Alle genannten Vorschriften verwenden jedoch das Wort „Sitz“ im Singular63. Mit der gewählten Formulierung wollte der Gesetzgeber des AktG seinerzeit auch in der Tat zum Ausdruck bringen, dass als Sitz der Gesellschaft grundsätzlich nur ein einziger Ort im Bundesgebiet in Betracht kommt. Von einem generellen Verbot des Doppelsitzes sah man gleichwohl ab, weil es „außergewöhnliche Fälle“ gebe, in denen eine andere Entscheidung geboten sei64. Die Gesetzesverfasser hatten dabei in erster Linie die besonderen Verhältnisse der Nachkriegszeit im Auge, so dass die einschlägigen Entscheidungen dazu nicht verallgemeinert werden dürfen65. Heute ist die Haltung der Rechtsprechung gespalten: Ein Teil der Gerichte hat bei Vorliegen eines besonderen Interesses der Gesellschaft nach wie vor keine Bedenken gegen die Eintragung eines Doppelsitzes; das gilt vor allem für Fusionsfälle, wenn die beteiligten Gesellschaften, vorwiegend wohl aus Gründen der Tradition, nach Möglichkeit an ihren unterschiedlichen bisherigen Sitzen festhalten wollen66. Von anderen Gerichten wird dagegen bis heute die Zulässigkeit eines Doppelsitzes generell oder doch für den Regelfall angelehnt67. 20 Im Schrifttum lassen sich im Wesentlichen drei Meinungen unterscheiden. Während die

einen, nicht zuletzt aus verfassungs- oder europarechtlichen Gründen, für die generelle Zulässigkeit eines Mehrfachsitzes juristischer Personen eintreten68, lehnt eine verbreitete Meinung nach wie vor die Zulässigkeit eines Doppelsitzes ab69, vor allem aus praktischen Erwägungen heraus, zum Teil unter begriffsjuristischem Verweis darauf, dass jede juristische Person nur einen Sitz haben könne. Daneben findet sich aber auch vielfach die Meinung, dass in Ausnahmefällen, d.h. bei Vorliegen eines überwiegenden berechtigten Interesses der Gesellschaft, § 4a ebenso wie § 5 AktG durchaus Raum für die Zulassung eines Doppel- oder gar

62 So jedoch KG v. 24.4.2018 – 22 W 63/17, GmbHR 2018, 1069 = EWiR 2019, 205 m. zustimmender Anm. Priebe; dagegen mit Recht OLG Celle v. 26.4.2021 – 9 W 51/21 GmbHR 2021, 715, 716. 63 S. § 4a: „Sitz der Gesellschaft ist …“ im Anschluss an den gleichlautenden § 5 AktG; vgl. Kögel, GmbHR 1998, 1108, 1111. 64 S. die Begr. RegE des AktG von 1965, bei Kropff, AktG, S. 20 f. 65 OLG Stuttgart v. 27.1.1953 – 1 W 191/52, NJW 1953, 748; BayObLG v. 23.3.1962 – BReg. 2 Z 170/61, BayObLGZ 1962, 107 = NJW 1962, 1014; KG v. 20.2.1973 – 1 W 522/72, OLGZ 1973, 272 = NJW 1973, 1201; KG v. 4.6.1991 – 1 W 5/91, NJW-RR 1991, 1507; OLG Düsseldorf v. 29.5.1987 – 3 W 447/85, AG 1988, 50 = NJW-RR 1988, 354 – Deutsche Bank (Altbank); OLG Hamm v. 29.6.1964 – 14 W 25/ 64, Rpfleger 1965, 120; Katschinski, ZIP 1997, 620; J. König, AG 2000, 18, 19 ff. 66 LG Hamburg v. 1.2.1973 – 4 T 5/72, DB 1973, 2237 – Hapag Lloyd; LG Essen v. 23.3.2001 – 45 T 1/ 01, AG 2001, 429, 430 = ZIP 2001, 1632 – Thyssen Krupp; AG Bremen v. 1.6.1976 – 38 AR 105/74, DB 1976, 1810 f. 67 BayObLG v. 29.3.1985 – BReg. 3 Z 22/85, BayObLGZ 1985, 111, 115 ff. – EVO; OLG Brandenburg v. 8.9.2005 – 6 Wx 10/04, NotBZ 2006, 22. 68 U. Borsch, GmbHR 2003, 258, 260 f.; S. Pluskat, WM 2004, 601, 604 ff.; ähnlich auch Katschinski, ZIP 1997, 620, 621. 69 Karl, AcP 159 (1960), 293, 302; Kögel, GmbHR 1998, 1108, 1110; Altmeppen, Rz. 11; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 5; Wamser in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Schmidt-Leithoff in Rowedder-Schmidt-Leithoff, Rz. 7; kritisch auch Schmitz in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 18.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 21 § 4a

Mehrfachsitzes lasse70. Für die Richtigkeit dieser Meinung spricht nicht nur die Auffassung, welche die Gesetzesverfasser zu § 5 AktG vertreten haben71, sondern auch die Tatsache, dass es in der Praxis eine Vielzahl von Doppelsitzen gibt, ohne dass die davon immer wieder befürchteten Unzuträglichkeiten eingetreten wären72. Soweit danach (ausnahmsweise) ein Doppelsitz zulässig ist, stehen die Registergerichte an den verschiedenen Sitzen der Gesellschaft selbständig nebeneinander73. Erst die Register aller zuständigen Registergerichte zusammen bilden dann „das Handelsregister“ der Gesellschaft, so dass jede Eintragung von jedem Registergericht selbständig geprüft und vorgenommen werden muss. Lehnt auch nur eines der mehreren zuständigen Registergerichte die Eintragung ab, so kann sie nicht erfolgen74. Eine weitere Folge eines Doppelsitzes ist, dass eine etwaige Anfechtung von Beschlüssen der Gesellschafterversammlung gleichzeitig vor verschiedenen, gleichermaßen zuständigen Gerichten möglich ist75.

IV. Mängel 1. Ursprüngliche Mängel § 3 Abs. 1 Nr. 1 und § 4a sind zwingendes Recht, so dass der Gesellschaftsvertrag jedenfalls 21 unvollständig ist, wenn die Angabe des Sitzes fehlt oder gegen die Vorgaben des § 4a verstößt (über diese Rechtsfolgen bereits bei 13. Aufl., § 3 Rz. 11 ff.). Es wird sich freilich – anders als unter der ursprünglichen Fassung des § 4a von 1998 – angesichts der heutigen Wahlfreiheit der Gesellschafter bei der Bestimmung des Satzungs- und des Verwaltungssitzes um Ausnahmefälle handeln. In Betracht kommen im Wesentlichen nur vier Fallgestaltungen, nämlich (1) das (in der Praxis angesichts notarieller Beurkundung des Gesellschaftsvertrages nicht bedeutsame) völlige Fehlen einer Bestimmung des Satzungssitzes im Gesellschaftsvertrag unter Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Nr. 1, (2) die Angabe eines gänzlich unbestimmten oder unzulässigen, weil z.B. im Ausland belegenen, Satzungssitzes im Gesellschaftsvertrag unter Verstoß gegen § 4a (vgl. Rz. 12), (3) die missbräuchliche Wahl des Satzungssitzes (vgl. Rz. 17), sowie (4) die Festlegung mehr als eines Satzungssitzes, sofern der Doppelsitz nicht im Ausnahmefall nach dem bei Rz. 19 f. Gesagten zulässig ist. In all diesen Fällen hat das Registergericht die Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister abzulehnen (§ 9c Abs. 2 Nr. 1). Wird die Gesellschaft gleichwohl eingetragen, etwa, weil das Gericht den Verstoß gegen § 4a übersieht, so greift zwar tatbestandlich weder § 75 noch § 397 FamFG ein, wohl aber ist als Ausdruck der Aufsichtsfunktion des Registerverfahrens von Amts wegen das Amtsauflösungsverfahren nach § 399 Abs. 4 FamFG einzuleiten, dessen Abschluss (mit formeller Rechts70 Katschinski, ZIP 1997, 620, 621 ff.; Priester, EWiR 1985, 335, 335 f.; J. König, AG 2000, 18, 28 ff.; Kindler in Bork/Schäfer, Rz. 28; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 5; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 8; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 6; Wicke, Rz. 3; ebenso im Hinblick auf § 5 AktG Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 50; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 5 AktG Rz. 21; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 35; Ringe in K. Schmidt/Lutter AktG, 4. Aufl. 2020, § 5 AktG Rz. 16. 71 S. die Begr. bei Kropff, AktG, 1965, S. 20 f. 72 Vgl. S. Pluskat, WM 2004, 601, 604 ff. 73 BayObLG v. 23.3.1962 – 2 Z 170/61, BayObLGZ 1962, 107, 112; KG v. 20.2.1973 – 1 W 522/72, OLGZ 1973, 272, 273; näher S. Pluskat, WM 2004, 601, 604 ff.; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 38 ff. 74 OLG Düsseldorf v. 29.5.1987 – 3 W 447/85, AG 1988, 50, 51 = NJW-RR 1988, 354 – Deutsche Bank (Altbank); KG v. 20.2.1973 – 1 W 522/72, OLGZ 1973, 272, 275 f.= NJW 1973, 1201; OLG Hamm v. 29.6.1964 – 14 W 25/64, Rpfleger 1965, 120. 75 KG v. 31.1.1996 – 23 U 3989/94, AG 1996, 421; LG Berlin v. 26.5.1994 – 104 O 19/94, AG 1995, 41, 42 – Viag; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 45.

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§ 4a Rz. 21 | Sitz der Gesellschaft kraft des den Satzungsmangel feststellenden Gestaltungsbeschlusses) zur Amtslöschung nach § 60 Abs. 1 Nr. 6 führt76 (vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 41 ff.). Bis zur Änderung des Gesellschaftsvertrages, insbesondere auch innerhalb der vom Registergericht gesetzten Behebungsfrist, ist weiter von § 4a auszugehen, so dass es vorerst bei der Maßgeblichkeit des gesellschaftsvertraglichen Sitzes der Gesellschaft bleibt.

2. Nachträgliche Mängel 22 Verstößt ein Beschluss über die Änderung des Sitzes der Gesellschaft gegen § 4a, so ist er

nichtig (§ 241 Nr. 3 Fall 3 AktG analog) und darf nicht ins Handelsregister eingetragen werden77. Beschlussnichtigkeit ist auch dann die alleinige Rechtsfolge, wenn der Satzungssitz ins Ausland verlegt wird; ein (impliziter) Auflösungsbeschluss ist nach dem bei Rz. 26 Gesagten darin nicht zu erblicken. Wird der Satzungsänderungsbeschluss gleichwohl eingetragen, kommt nach h.M., wie im Fall anfänglich fehlerhafter Sitzbestimmung, das Beanstandungsverfahren in entsprechender Anwendung des § 399 Abs. 4 FamFG78 in Betracht. Nach der Gegenansicht soll dagegen nur Raum für die Löschung des Satzungsänderungsbeschlusses selbst nach Maßgabe des insoweit spezielleren § 398 FamFG verbleiben79. Dieser letztgenannten Ansicht ist zuzustimmen. Nichtig ist nur der Satzungsänderungsbeschluss, der infolge seiner Nichtigkeit selbst im Fall versehentlicher Eintragung im Handelsregister keine Sitzverlegung zu bewirken vermag, so dass die frühere (in Wahrheit nicht wirksam geänderte) Sitzbestimmung weiter maßgeblich bleibt; demgegenüber verlangt § 399 Abs. 4 FamFG einen hier infolgedessen nicht vorliegenden Satzungsdefekt in Gestalt des Fehlens oder der Nichtigkeit der Satzungssitzbestimmung. Die früher relevante Streitfrage, ob die Satzungssitzbestimmung im Falle einer nachträglichen Verwaltungssitzverlegung nichtig werden kann, hat heute im Lichte der nunmehrigen Wahlfreiheit bis auf Ausnahmefälle des Rechtsmissbrauchs keine praktische Bedeutung mehr; hierüber m.N. noch in der 11. Aufl., Rz. 20. Ebenfalls kein Fall der Nichtigkeit der Satzungssitzbestimmung steht bei Verlegung des Verwaltungssitzes ins Ausland in Rede; diskutabel erscheint bei dadurch bedingter Statutenkollision (falls der Zuzugsstaat der Sitztheorie folgt) nur noch ein daran anknüpfender gesetzlicher Auflösungsgrund, nicht aber die Nichtigkeit der Satzungssitzbestimmung; hierüber bei Rz. 34.

76 BGH v. 2.6.2008 – II ZB 1/06, GmbHR 2008, 990, 991 (zu § 4a a.F.); C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 28; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 110; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 9; Wicke, Rz. 6. Zu den Folgen von Normverstößen bei der AG vgl. Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 44; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 49 f. 77 BGH v. 2.6.2008 – II ZB 1/06, GmbHR 2008, 990, 991; BayObLG v. 8.12.2003 – 2 W 123/03, GmbHR 2003, 1496, 1497; Kögel, GmbHR 1998, 1108, 1111; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Wamser in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 5; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 28; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 111; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 9; Wicke, Rz. 6. 78 Kögel, GmbHR 1998, 1108, 1111; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 28; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 111; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 9. 79 C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Wicke, Rz. 6; für die AG Bachmann in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2017, § 5 AktG Rz. 45; Koch, 16. Aufl. 2022, § 5 AktG Rz. 13; J. Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 262 AktG Rz. 67; für Amtslöschung nach § 395 FamFG: Wamser in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 5.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 23 § 4a

V. Sitzverlegung im Inland 1. Verlegung des Satzungssitzes Die Verlegung des Satzungssitzes bedeutet und verlangt eine Änderung Satzungsänderung 23 i.S.d. § 53, so dass sie erst mit Eintragung der Sitzverlegung in das Handelsregister wirksam wird (§ 54)80. Das Verfahren regelt im Einzelnen § 13h HGB. Die Sitzverlegung ist danach bei dem bisher zuständigen Registergericht zur Eintragung ins Handelsregister anzumelden (§ 13h Abs. 1 HGB), das die formelle Ordnungsmäßigkeit der Anmeldung (nicht aber die damit verbundenen Sachfragen) prüft81. Dieses hat die Sitzverlegung bei positivem Prüfergebnis (anderenfalls: Zurückweisung der Anmeldung nach fruchtlosem Ablauf einer durch Zwischenverfügung aufgegebenen Korrekturfrist) dem in Zukunft zuständigen Registergericht von Amts wegen unverzüglich unter Beifügung der Registerakten (vgl. § 13h Abs. 2 Satz 2 HGB i.V.m. § 13 HRV bzw. § 8 HRV) mitzuteilen; dieses prüft (komplementär zum Prüfungsumfang des Sitzgerichts) nur die Wirksamkeit der Sitzverlegung, d.h. ihre Vereinbarkeit mit § 4a und § 30 HGB, prüft (§ 13h Abs. 2 Satz 1 und 3 HGB)82. Die Eintragung der Sitzverlegung ist abzulehnen, wenn sie rechtsmissbräuchlich ist, etwa, weil die Sitzverlegung nach Auflösung der Gesellschaft beschlossen wird (zum Rechtsmissbrauch Rz. 15 ff.). Ein weiteres Prüfungsrecht steht dem neuen Registergericht nicht zu83. Wurde die Sitzverlegung mithin ordnungsgemäß beschlossen und § 30 HGB beachtet, trägt das neue Registergericht die Verlegung ein und übernimmt alle früheren Eintragungen bei dieser Gesellschaft ohne Nachprüfung (§ 13h Abs. 2 Satz 4 HGB) in sein Handelsregister. Die Eintragung teilt es dem früheren Sitzgericht mit, das seinerseits die bisherigen Eintragungen rötet (§ 22 HRV) und die Sitzverlegung vermerkt (§ 20 HRV). Bestehen Bedenken gegen die übernommenen Eintragungen, kann das Registergericht im Anschluss nach § 395 FamFG hiergegen vorgehen84. Wurden im Verbund mit der Sitzverlegung weitere eintragungspflichtige Tatsachen angemeldet, was zulässig ist, steht es nach zutreffender85 – im Fall des Ausbleibens einer Vorgabe 80 Altmeppen, Rz. 9; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 7; Ulmer/Löbbe in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 21; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 9; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 4. 81 OLG Köln v. 22.7.2004 – 2 Wx 23/04, GmbHR 2005, 236 = Rpfleger 2005, 30; OLG Frankfurt v. 30.4.2002 – 20 W 137/02, GmbHR 2002, 916 = Rpfleger 2002, 455; OLG Hamm v. 25.3.1991 – 15 Sbd 4/91, GmbHR 1991, 321; OLG Köln v. 7.11.1974 – 2 W 111/74, Rpfleger 1975, 251; Altmeppen, Rz. 9; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 9; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 4; ausführlich bei J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13h HGB Rz. 12 ff. 82 OLG Köln v. 22.7.2004 – 2 Wx 23/04, GmbHR 2005, 236 = Rpfleger 2005, 30; Altmeppen, Rz. 9; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 7; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 9; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8; Wicke, Rz. 4. 83 OLG Köln v. 3.10.1983 – 2 Wx 26/83, BB 1984, 1065; OLG Hamm v. 19.8.1996 – 15 W 127/96, GmbHR 1996, 858; LG Nürnberg-Fürth v. 4.2.1999 – 4HK T 6641/98, MittBayNot 1999, 398; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 7; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1. 84 OLG München v. 15.12.2010 – 31 Wx 199/10, GmbHR 2011, 143, 144; LG Frankfurt a.M. v. 30.4.2002 – 20 W 137/02, NJW-RR 2002, 1395; OLG Hamm v. 19.8.1996 – 15 W 127/96, GmbHR 1996, 858; OLG Oldenburg v. 14.12.1976 – 5 Wx 67/76, BB 1977, 12. 85 In diesem Sinne auch KG v. 22.10.1996 – 1 AR 30/96J, FGPrax 1997, 72; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13h HGB Rz. 22 m.w.N.; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 13h HGB Rz. 2; dagegen ausdrücklich, weil der Rechtssicherheit abträglich, Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; die wohl h.M. nimmt dagegen eine ausschließliche Zuständigkeit des neuen Register-

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§ 4a Rz. 23 | Sitz der Gesellschaft des Anmeldenden über die beabsichtigte Reihenfolge der Änderungen86 – im pflichtgemäßen Ermessen des Sitzgerichts, ob es die angemeldeten Satzungsänderungen insgesamt dem neuen Registergericht überweist oder zunächst über die Eintragung der übrigen Satzungsänderungen befindet und diese ggf. einträgt.

2. Verlegung des Verwaltungssitzes 24 Eine Verlegung des Verwaltungssitzes ist – anders als die Verlegung des Satzungssitzes – kei-

ne Satzungsänderung, sondern ein Realakt, zu vollziehen vornehmlich durch die Geschäftsführer. Anderes (Erfordernis der Satzungsänderung) gilt allein dann, wenn der Verwaltungssitz in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen wird87, und nicht nur mit kundmachender Wirkung, sondern als sog. „echter“ Satzungsbestandteil. Zu einer „Zementierung“ des Verwaltungssitzes kann es gleichwohl nicht kommen, weil es für dessen Bestimmung nicht auf einen autonomen Satzungsakt, sondern die tatsächlichen Gegebenheiten ankommt. Wird der Verwaltungssitz mithin im Widerspruch zur statutarischen Vorgabe gewählt, liegt darin ein sog. faktischer Satzungsverstoß88. Schweigt die Satzung, kann die tatsächliche Verwaltungssitzverlegung ohne Zustimmung der Gesellschafter gleichwohl als Pflichtwidrigkeit der Geschäftsführer zu bewerten sein89; dies vor dem Hintergrund, dass die Verwaltungssitzverlegung als Maßnahme mit Ausnahmecharakter zu betrachten ist. Auf die Wirksamkeit des Realakts der Sitzverlegung hat eine unterbliebene Zustimmung allerdings keine Auswirkung.

VI. Internationale Sitzverlegung 25 Spezielles Schrifttum: Bayer/J. Schmidt, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen und grenzüberschreitende Restrukturierungen nach MoMiG, Cartesio und Trabrennbahn. Europäischer Rahmen, deutsche lex lata und rechtspolitische Desiderata, ZHR 173 (2009), 735; Bayer/J. Schmidt, Das Vale-Urteil des EuGH: Die endgültige Bestätigung der Niederlassungsfreiheit als „Formwechselfreiheit“, ZIP 2012, 1481; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015; Ege/Klett, Praxisfragen der grenzüberschreitenden Mobilität von Gesellschaften, DStR 2012, 2442; Eidenmüller, Mobilität und Restrukturierung von Unternehmen im Binnenmarkt, JZ 2004, 24; Eidenmüller, Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, ZGR 2007, 168; Franz/Laeger, Die Mobilität deutscher Kapitalgesellschaften nach Umsetzung des MoMiG unter Einbeziehung des Referentenentwurfs zum internationalen Gesellschaftsrecht, BB 2008, 678; Fischer, Die Niederlassung von EU-Kapitalgesellschaften in Deutschland nach dem Brexit – ein Überblick, NZG 2021, 483; Gausing/Mäsch/Peters, Deutsche Ltd., PLC und LLP: Gesellschaften mit beschränkter Lebensdauer? – Folgen eines Brexits für pseu-

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gerichts an; vgl. OLG Hamm v. 25.3.1991 – 15 Sbd 4/91, GmbHR 1991, 321; OLG Frankfurt v. 30.7.1991 – 20 W 237/91, GmbHR 1991, 426; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; Wicke, Rz. 4. Über diese Möglichkeit des Teilvollzugs bei Ziegler, Rpfleger 1991, 485, 488; Krafka in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 13h HGB Rz. 8; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13h HGB Rz. 22. Vgl. etwa Heckschen, DStR 2007, 1442, 1447; Heckschen, DStR 2009, 166, 168; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19. Zutreffend in diesem Sinne Hoffmann in Michalski u.a., Rz. 116; demgegenüber wird zuweilen missverständlich suggeriert, die Verlegung eines statutarisch bestimmten Verwaltungssitzes „erfordere“ eine Satzungsänderung (in diese Richtung Heckschen, DStR 2009, 166, 168; Otte, BB 2009, 344, 345; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 12; Wicke, Rz. 5); dies trifft nur unter dem Blickwinkel der Pflichtmäßigkeit der Maßnahme zu; gegen jedes Zustimmungserfordernis (zu weitgehend) aber Stiegler, NZG 2021, 705, 706. Einen Gesellschafterbeschluss mit einfacher Mehrheit verlangend daher Lips/Randel/Werwigk, DStR 2008, 2220, 2223; Wachter, GmbHR-Sonderheft 2008, 80, 82; Otte, BB 2009, 344 sowie Marsch-Barner in FS Haarmann, 2015, S. 115, 123; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 12.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 26 § 4a do-englische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland, IPRax 2017, 49; Heckschen, Grenzüberschreitender Formwechsel, ZIP 2015, 2049; Hellgardt/Illmer, Wiederauferstehung der Sitztheorie?, NZG 2009, 94; Herrler, Gewährleistung des Wegzugs von Gesellschaften durch Art. 43, 48 EG nur in Form der Herausumwandlung, DNotZ 2009, 484; Hoffmann, Die stille Bestattung der Sitztheorie durch den Gesetzgeber, ZIP 2007, 1581; Kiem, Erwartungen der Praxis an eine künftige EU-Sitzverlegungsrichtlinie, ZHR 180 (2016), 289; Kindler, Der Wegzug von Gesellschaften in Europa, Der Konzern 2006, 811; Kindler, Internationales Gesellschaftsrecht 2009: MoMiG, Trabrennbahn, Cartesio und die Folgen, IPRax 2009, 189; Kindler, Der reale Niederlassungsbegriff nach dem VALE-Urteil des EuGH, EuZW 2012, 888; Knof/Mock, Das MoMiG und die Auslandsinsolvenz haftungsbeschränkter Gesellschaften, GmbHR 2007, 852; Kobelt, Internationale Optionen deutscher Kapitalgesellschaften nach MoMiG, „Cartesio“ und „Trabrennbahn“ – zur Einschränkung der Sitztheorie, GmbHR 2009, 808; Kobelt, Was bedeutet „ordnungsgemäße“ Sitzverlegung bei der GmbH?, Rpfleger 2014, 7; Kögel, Der Sitz der GmbH und seine Bezugspunkte, GmbHR 1998, 1108; König/Bormann, „Genuine Link“ und freie Rechtsformwahl im Binnenmarkt. Trendwende bei der Anerkennung von „Scheinauslandsgesellschaften“ durch die VALE-Entscheidung des EuGH?, NZG 2012, 1241; Leible, Niederlassungsfreiheit und Sitzverlegungsrichtlinie, RIW 2004, 531; Leible, Warten auf die Sitzverlegungsrichtlinie, in FS G. Roth, 2011, S. 447; Leible/Hoffmann, „Überseering“ und das deutsche Gesellschaftskollisionsrecht, ZIP 2003, 925; Leible/ Hoffmann, Cartesio – fortgeltende Sitztheorie, grenzüberschreitender Formwechsel und Verbot materiellrechtlicher Wegzugsbeschränkungen, BB 2009, 58; Lieder/Bialluch, Umwandlungsrechtliche Implikationen des Brexit, NotBZ 2017, 165, 209; Mayer/Manz, Der Brexit und seine Folgen auf den Rechtsverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich seit dem 1.1.2021, BB 2021, 451; Meckbach, Wahl des Satzungssitzes der Kapitalgesellschaft: Forum Shopping bei inländischen Gesellschaften?, NZG 2014, 526; Müther, Sind die Gesellschafter einer GmbH bei der Wahl des Sitzes wirklich frei?, BB 1996, 2210; Nentwig, Verlegung des Satzungssitzes einer deutschen GmbH ins europäische Ausland – dargestellt am Beispiel Luxemburg, GWR 2015, 447; Peters, Verlegung des tatsächlichen Verwaltungssitzes der GmbH ins Ausland, GmbHR 2008, 245; Preuß, Die Wahl des Satzungssitzes im geltenden Gesellschaftsrecht und nach dem MoMiG-Entwurf, GmbHR 2007, 57; G. H. Roth, Das Ende der Briefkastengründung? – Vale contra Centros, ZIP 2012, 1744; W.-H. Roth, Grenzüberschreitender Rechtsformwechsel nach VALE, in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 965; Schall, Grenzüberschreitende Umwandlungen der Limited (UK) mit deutschem Verwaltungssitz, ZfPW 2016, 407; Schall, Ohne Mindestkapital von England nach Deutschland wechseln – die UG & Co. GmbH als Zielrechtsträger eines grenzüberschreitenden Formwechsels, GmbHR 2017, 25; J. Schmidt, Cross-border mergers and divisions, transfers of seat: Is there a need to legislate?, PE 559.960; J. Schmidt, Neue Phase der Modernisierung des europäischen Gesellschaftsrechts, GmbHR 2011, R 177; Sethe/Winzer, Der Umzug von Gesellschaften in Europa nach dem Cartesio-Urteil, WM 2009, 536; Stiegler, Vorschlag zur Kodifizierung des Europäischen Gesellschaftsrechts, AG 2016, R48; Stiegler, Zustimmungspflichtige Verwaltungssitzverlegung, NZG 2021, 705; Teichmann/Ptak, Die grenzüberschreitende Sitzverlegung aus deutsch-polnischer Perspektive, RIW 2010, 817; Wachter, Grenzüberschreitender Herein-Formwechsel in die deutsche GmbH, GmbHR 2016, 738; Weller, Die „Wechselbalgtheorie“, in FS Goette, 2011, S. 583; Weller/Thomale/Zwirlein, Brexit: Statutenwechsel und Acquis communautaire, ZEuP 2018, 892; Zimmer/Naendrup, Das Cartesio-Urteil des EuGH: Rück- oder Fortschritt für das internationale Gesellschaftsrecht?, NJW 2009, 545; Zwirlein/ Großerichter/Gätsch, Exit before Brexit – Handlungsoptionen für Gesellschaften englischen Rechts in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der LLP, NZG 2017, 1041.

1. Verlegung des Satzungssitzes a) Wegzugsfälle Aus dem in § 4a vorgegebenen Erfordernis des inländischen Satzungssitzes einer deutschem 26 Personalstatut unterstehenden GmbH ist zu folgern, dass eine statuswahrende Verlegung des Satzungssitzes in das Ausland (einschließlich jenes der Mitgliedstaaten der Europäischen Union) sachrechtlich unzulässig ist. Ein entsprechender, auf eine derartige transnationale Sitzverlegung gerichteter Satzungsänderungsbeschluss darf nicht in das Handelsregister ein-

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§ 4a Rz. 26 | Sitz der Gesellschaft getragen werden90. Nach der überkommenen und gegenwärtig immer noch verbreiteten Meinung ist in einem solchen Satzungsänderungsbeschluss allerdings ein implizierter (ebenfalls der Dreiviertelmehrheit bedürfender) Auflösungsbeschluss i.S.d. § 60 Abs. 1 Nr. 2 zu sehen91. Eine derartig harsche Sanktion ist jedoch unnötig, ihre dogmatische Grundannahme überdies regelmäßig nicht tragfähig, im Fall des in Wahrheit beabsichtigten grenzüberschreitenden Rechtsformwechsels sogar unionsrechtswidrig (hierzu sogleich unter Rz. 27). Es wird dem Willen der Gesellschafter im Regelfall nicht gerecht, ihren Sitzverlegungs- als Auflösungsbeschluss umzudeuten, weil die Gesellschaft sodann im Inland abzuwickeln und erneut im Ausland nach den dortigen Vorgaben zu gründen wäre; vielmehr wird der Gesellschafterwille auf Fortbestand der Gesellschaft gerichtet sein. Als Überreaktion erwiese sich die Auflösungssanktion überdies, weil die Interessen des deutschen Wegzugsstaates bereits hinreichend über die registergerichtliche Kontrolle des Satzungsänderungsbeschlusses gewahrt werden können; der Sitzverlegungsbeschluss ist nämlich in entsprechender Anwendung des § 241 Nr. 3 AktG nichtig92, weil im Widerspruch zur Inlandsvorgabe des § 4a als „Wesensmerkmal“ der GmbH stehend; infolgedessen kann er im Fall der gleichwohl erfolgten Eintragung nach § 398 FamFG gelöscht werden (vgl. bereits Rz. 22). Kollisionsrechtlich betrachtet erweist sich die Satzungssitzverlegung allerdings bei Zugrundelegung der Sitztheorie als unbedeutend, weil durch sie nicht die von der deutschen Kollisionsnorm bestimmte Anknüpfungsvoraussetzung (an den Verwaltungssitz) betroffen wird93. Anderes (nämlich Eintritt eines Statutenwechsels) gilt freilich bei einer Verlegung des Satzungs- sowie des Verwaltungssitzes in das Ausland, ebenso im Fall der isolierten Satzungssitzverlegung, sofern § 4a, wie hier (vgl. Rz. 32), versteckter kollisionsrechtlicher Gehalt (im Sinne einer Hinwendung zur Gründungstheorie in seiner Spielart als Satzungssitztheorie94) beigemessen wird. 90 BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, GmbHR 2004, 490, 491 f.; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, GmbHR 2005, 484, 485 ff.; OLG Hamm v. 1.2.2001 – 15 W 390/00, GmbHR 2001, 440, 441; OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, GmbHR 2007, 1273, 1274; Ebenroth/Auer, RIW-Beilage 1 zu 3/1992, 1, 7; Peters, GmbHR 2008, 245, 246; R. Werner, GmbHR 2009, 191, 193 f.; C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 8; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Großfeld in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, 1998, Rz. 651 ff. 91 Heinze in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, Rz. 87: zwingend als Auflösungsbeschluss zu qualifizieren; noch zu § 4a a.F. ebenso Ebenroth/Auer, RIW-Beil. 1/1992, 1, 7; Ebenroth/Auer, JZ 1993, 374, 375; zutreffend gegen die Annahme eines Auflösungsbeschlusses etwa Michalski, NZG 1998, 762, 764; Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409, 2415; Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2, Rz. 197; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 93; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Koch, 16. Aufl. 2022, § 5 AktG Rz. 13; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 5 AktG Rz. 23 und Fn. 24; Heider in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2019, § 5 AktG Rz. 55, J. Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 262 AktG Rz. 38; Kindler in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2021, Band 13, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 838 f. 92 Triebel/v. Hase, BB 2003, 2409, 2415; Kindler, AG 2007, 721, 723; Altmeppen, Rz. 10; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 93; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 10; Wicke, Rz. 10; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13h HGB Rz. 31; Kindler in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2021, Band 13, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 838 f.; offenlassend BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, ZIP 2004, 806, 807. 93 Vgl. Großfeld in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, 1998, Rz. 650; das soll nach Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1585 sowie Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2, Rz. 197 auch dann gelten, wenn § 4a eine kollisionsrechtliche Dimension zuerkannt wird, weil es sich insoweit nur um eine einseitige Kollisionsnorm handele, die allein auf Gesellschaften mit Satzungssitz im Inland Anwendung finde; dieses Argument erscheint aber zirkulär und berücksichtigt nicht, dass bei der identitätswahrenden Satzungssitzverlegung die Gesellschaft trotz ausländischem Satzungssitz als deutsche GmbH fortbestehen soll. 94 Selbiges dürfte gelten, sofern die Gründungstheorie als Anknüpfung an den Registrierungsort verstanden wird, weil die Satzungssitzverlegung im Zuzugsstaat ausnahmslos eine dortige Registrierung (wohl als „Hauptniederlassung) verlangen dürfte; strenggenommen dürfte es jedoch bei einer

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 27 § 4a

In diesen Fällen kann über die Nichtigkeitssanktion zugleich die hier intendierte Aufgabe der Anbindung an die deutsche Rechtsordnung und das damit verbundene Sicht-Entziehen von der Anwendbarkeit u.a. drittschützender nationaler Vorschriften sanktioniert werden. Im Ergebnis besteht jedenfalls Einigkeit, dass bereits materiell-rechtlich die identitäts- und rechtsformwahrende Satzungssitzverlegung ins Ausland scheitert95, was der Effektuierung der Durchsetzung zwingenden Rechts dient und daher auch de lege ferenda keiner Änderung unterzogen werden sollte. Das Festhalten am Erfordernis eines inländischen Satzungssitzes und die damit verbundene 27 Absage an die Anerkennung einer statuswahrenden Verlegung des Satzungssitzes, ist unionsrechtskonform96. Zwar darf ausweislich der VALE-Entscheidung97, was bereits im Sevic-Urteil98 angedeutet und obiter im Cartesio-Urteil99 ausgesprochen wurde, der Gründungsstaat eine Gesellschaft nicht an einem identitätswahrenden Wegzug in einen anderen Mitgliedstaat unter Änderung des Gesellschaftsstatuts hindern, vorausgesetzt, ein solcher Zuzug wird nach dem Recht des Zuzugsstaates anerkannt. Damit ist aber nur gesagt, dass ein identitätswahrender (nicht aber eine statuswahrender!) Wegzug unter Wechsel der Nationalität der Gesellschaft, d.h. ein grenzüberschreitender Rechtsformwechsel von der Niederlassungsfreiheit gedeckt ist, wie es in der Rechtssache Polbud100 bekräftigt wurde (wobei viele Einzelheiten der erforderlichen konsekutiven Anwendung der einschlägigen Rechtsnormen beider Mitgliedstaaten nach wie vor offen sind; darüber demnächst 13. Aufl., Band 3, Anh. IPR). Nicht wird dagegen gesagt, dass die Zulässigkeit einer transnationalen Sitzverlegung im Sinne einer identitäts- und rechtsformwahrenden Satzungssitzverlegung von der Niederlassungsfreiheit verlangt würde101. Nach der auch vom EuGH zugrunde gelegten Geschöpftheorie unterliegt es vielmehr der genuinen Kompetenz der Mitgliedstaaten, zu entscheiden, unter welchen Voraussetzungen die von ihnen zur Verfügung gestellten Rechtsformen entstehen und

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Anknüpfung an das unwandelbare Gründungsrecht nicht zu einem Statutenwechsel kommen; vgl. zu alledem v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 89 f. Im Ergebnis auch OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, GmbHR 2007, 1273, 1274; näher Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 18; Großfeld in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, 1998, Rz. 243, 652; vgl. zudem Ebenroth/Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 1, 7; Ebenroth/Auer, DNotZ 1993, 190, 193; Behrens, IPRax 2000, 323, 330. OLG München v. 4.10.2007 – 31 Wx 36/07, GmbHR 2007, 1273, 1274; BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, GmbHR 2004, 490, 491 f.; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, GmbHR 2005, 484, 486 f.; Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 24 ff.; Leible, ZGR 2004, 531, 535; Horn, NJW 2004, 893, 897; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13 ff.; Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 357 f.; Schießl/Weiler in Widmann/Mayer, UmwR, Stand: August 2017, Anhang 7 Rz. 157 f. EuGH v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10, ZIP 2010, 1956 – VALE. EuGH v. 13.12.2005 – Rs. C-411/03, AG 2006, 82 – SEVIC Systems AG. EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06, GmbHR 2009, 86 – Cartesio. EuGH v. 25.10.2017 – Rs. C-106/16, GmbHR 2017, 1261 m. Anm. Bochmann/Cziupka = NZG 2017, 1308 m. Anm. Wachter – Polbud. In der Polbud-Entscheidung wird terminologisch in keiner Weise zwischen grenzüberschreitender Satzungssitzverlegung (identitäts- und rechtsformwahrend) und grenzüberschreitendem Formwechsel (nur identitäts-, aber nicht rechtsformwahrend) unterschieden; das schafft unweigerlich die Gefahr einer missverständlichen Interpretation ihrer Reichweite; allein betroffen war der grenzüberschreitende Formwechsel; zur häufigen (allerdings Missverständnisse provozierenden) synonymen Verwendung der Begriffe „Satzungssitzverlegung“ und „grenzüberschreitender Formwechsel“ auch Mitterecker, Grenzüberschreitende Sitzverlegungen, 2015, S. 180; beides ist jedoch strikt zu unterscheiden; vgl. etwa OLG Frankfurt a.M. v. 3.1.2017 – 20 W 88/15, ZIP 2017, 611, 616; ausführlich Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015, S. 8 ff. m.w.N.

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§ 4a Rz. 27 | Sitz der Gesellschaft vergehen102. Knüpft ein Mitgliedstaat die Existenz einer nationalen Gesellschaft an einen Satzungssitz im Inland und versagt sie einer Verlegung desselben die Wirkung bzw. sanktioniert sie diese mit der Auflösung der Gesellschaft, liegt darin vor diesem Hintergrund keine Unionsrechtsverletzung, sondern die Ausübung der nationalen Anknüpfungsautonomie. Wurde hingegen ein grenzüberschreitender Formwechsel beschlossen, darf der grenzüberschreitende Satzungssitzverlegungsbeschluss nur für nichtig erklärt werden, sofern der Aufnahmestaat entweder sach- oder kollisionsrechtlich der zugezogenen Gesellschaft die Anerkennung als Rechtsform des Aufnahmestaats versagt103. Unter den genannten Prämissen darf es ausweislich der Polbud-Entscheidung aus Sicht des Wegzugsstaates keine Rolle spielen, welche Art der Verbindung die wegziehende Gesellschaft zum Zuzugsstaat aufzubauen beabsichtigt, ob etwa als „reale Ansiedlung“ eine dortige substantielle Betätigung geplant ist oder eine bloße „Briefkastengesellschaft“ entstehen, insbesondere also der Verwaltungssitz nicht mitverlegt werden soll104; eine tatsächliche Mobilitätskomponente ist mit anderen Worten insoweit nicht vonnöten105. Der Aufnahmestaat darf für die Anerkennung eines formwechselnden Zuzugs allerdings in nichtdiskriminierender Weise einen bei ihm belegenen Verwaltungssitz oder eine sonstige reale Anknüpfung verlangen. 28 Auch wenn ausweislich der Polbud-Entscheidung schutzwürdige Interessen des Herkunfts-

staates die Wegzugsfreiheit nicht bereits tatbestandlich einengen können, steht dieser Hinausformwechseln doch nicht machtlos gegenüber. Belange des Minderheiten-, Gläubigerund Arbeitnehmerschutzes können als zwingende Allgemeininteressen Beschränkungen der Wegzugsfreiheit rechtfertigen, und zwar sowohl auf verfahrensrechtlicher als auch auf materiell-rechtlicher Ebene. Die im Grundsatz konsentierte, im Detail aber noch streitige entsprechende Heranziehung nationaler umwandlungsrechtlicher Schutzvorschriften ist daher im Ausgangspunkt unionsrechtskonform. Reale Wegzugserfordernisse dürfen freilich nach Polbud nicht mehr aufgestellt werden106, und zwar auch nicht sekundärrechtlich, da Polbud die

102 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. C-81/87, NJW 1989, 2186 – Daily Mail; umfassend zur Geschöpftheorie Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 742; Schön, ZGR 2013, 333, 355; Mörsdorf, ZIP 2017, 2381, 2383; kritisch allerdings, vor allem aufgrund vermeintlicher Friktionen zur Anerkennung des grenzüberschreitenden Rechtsformwechsels, W.-H. Roth in FS Grunewald, 2021, S. 935, 945 f.; W.-H. Roth in FS Torggler, 2013, S. 1023, 1028 ff. 103 Vgl. Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 241: § 4a GmbHG, § 5 AktG sind so auszulegen, dass das Erfordernis eines Inlandssitzes einem grenzüberschreitenden Formwechsel deutscher Gesellschaften nicht entgegensteht; weiterhin Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 13h HGB Rz. 4. 104 EuGH v. 25.10.2017 – Rs. C-106/16, GmbHR 2017, 1261 m. Anm. Bochmann/Cziupka = NZG 2017, 1308 m. Anm. Wachter – Polbud; hierzu etwa Teichmann, GmbHR 2017, 1314 ff.; Kieninger, NJW 2017, 3624 ff.; Oechsler, ZIP 2018, 1269 ff.; Thelen, IPrax 2018, 248 ff.; Paefgen, WM 2018, 981 ff.; Kindler, NZG 2018, 1 ff.; Mörsdorf, ZIP 2017, 2381 ff.; Mayer/Weiler in MünchHdb. GesR III, 5. Aufl. 2018, § 73 Rz. 820. 105 So bereits auf der Grundlage der VALE-Entscheidung Bayer/J. Schmidt, ZIP 2012, 1481, 1486 f.; Behme, NZG 2012, 936, 939; Drygala, EuZW 2013, 569, 570; sich dagegen kritisch wendend Kindler, EuZW 2012, 888, 891 ff.; Mörsdorf/Jopen, ZIP 2012, 1398, 1399. 106 Für die Praxis schafft die Polbud-Entscheidung vor diesem Hintergrund eine (auch technische) Erleichterung grenzüberschreitender Herausformwechsel: Denn nunmehr ist eine wie auch immer geartete wirtschaftliche Tätigkeit im Aufnahmestaat insbesondere gegenüber dem Registergericht des Herkunftsstaates nicht mehr zu versichern und bei Zweifeln nachzuweisen, etwa über Gewerbeerlaubnisse oder Steuererklärungen, ggf. mit Stellungnahme der IHK (zu diesen Nachweisen vor der Polbud-Entscheidung etwa Hushahn, RNotZ 2014, 137, 147). Deutsche Registergerichte haben insoweit weder Prüfpflicht noch -recht, wohl selbst dann nicht, wenn der Aufnahmestaat zulässigerweise über sein Sach- oder Kollisionsrecht eine reale Ansiedlung verlangt (dann hat allein der Aufnahmestaat dies zu prüfen).

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 29 § 4a

primärrechtliche Niederlassungsfreiheit konkretisiert und damit einen unüberwindbaren Rahmen für Sekundärrechtsakte vorgibt107. b) Zuzugsfälle Eine Gesellschaft, die nach dem Recht eines Mitgliedstaates der Europäischen Union (bzw. 29 eines Mitgliedstaates des EWR108 oder, kraft völkerrechtlicher Vereinbarungen, z.B. aufgrund US-Rechts109) wirksam gegründet wurde, genießt in Deutschland Niederlassungsfreiheit. Gleichwohl soll eine „statuswahrende“ grenzüberschreitende Satzungssitzverlegung (d.h. eine sowohl identitäts- als auch rechtsformwahrende) weiterhin unzulässig sein, und zwar sowohl isoliert als auch in Kombination mit einer Verwaltungssitzverlegung; erst recht gilt dies für Gesellschaften aus Drittstaaten. Auch wenn der Wegzugsstaat eine solche Sitzverlegung zulassen sollte, kann die Gesellschaft ihren Satzungssitz danach schon deshalb nicht nach Deutschland verlegen, ohne ihre Rechtspersönlichkeit einzubüßen, weil in das Handelsregister als Hauptniederlassung nur Gesellschaften mit einer deutschen Rechtsform eingetragen werden können110. Anderes soll sich (insoweit zutreffend) auch nicht aus dem Vale-Urteil111 ergeben: Hiernach muss ein Mitgliedstaat als Aufnahmemitgliedstaat die innerstaatliche Möglichkeit des Formwechsels auch für grenzüberschreitende Fälle eröffnen; das meint aber nur den grenzüberschreitenden Rechtsformwechsel112 (Hineinformwechsel), nicht die Beibehaltung der ausländischen Rechtsform unter Verlegung des Satzungssitzes. Im Lichte dessen spricht viel dafür, die aus der Niederlassungsfreiheit entnommene Gründungstheorie, in kollisionsrechtlichen Kategorien gedacht, als Satzungssitztheorie zu verstehen (vgl. Rz. 10). Diese Frage ist aber bislang nicht abschließend geklärt. Zum Teil wird gerade gegenteilig vertreten113, den rechtsformwahrenden Zuzug durch Satzungssitzverlegung für zulässig zu erachten, sofern der Wegzugsstaat (anders als in Deutschland) die Verlegung des Satzungssitzes gestattet (die Gesellschaft also bestehen lässt), aus der Perspektive des Wegzugsstaates also gerade kein Statutenwechsel eintritt. Die Gesellschaft würde in diesem Fall trotz Verlegung ihres Satzungssitzes weiterhin nach ihrem Gründungsstatut fortbestehen (Gründungstheorie als Inkorporationstheorie). Die Anerkennung einer solchen rechtsformwahrenden Hinein-

107 A.A. Kindler, NZG 2018, 1, 6; Schollmeyer, ZGR 2018, 186, 200, wie hier Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2232; Behme, ZHR 182 (2018), 32, 60. 108 Für diese gelten durch Art. 31, 34 des EWR-Abkommen in vergleichbarer Weise die Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV; vgl. noch bei Rz. 35 ff. 109 Die Gründungstheorie gilt auch im Hinblick auf US-amerikanische Kapitalgesellschaften, da nach Art. XXV V 2 des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den USA vom 29.10.1954 der Status einer Gesellschaft, die in dem Gebiet eines Vertragsteils nach dessen Gesetzen und Vorschriften rechtmäßig gegründet worden ist, in dem Gebiet des anderen Staates anzuerkennen ist; vgl. noch bei Rz. 35 ff. 110 C. Jaeger in BeckOK GmbHG, Stand: 1.8.2021, Rz. 11; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16. Für Unzulässigkeit auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17. 111 EuGH v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10, GmbHR 2012, 860 – VALE. 112 Aus der Rechtsprechung OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, GmbHR 2014, 96 = DNotZ 2014, 150 m. Anm. Hushahn; KG v. 21.3.2016 – 22 W 64/15, GmbHR 2016, 763 = MittBayNot 2017, 85 m. Anm. Hermanns. 113 S. hierzu ausführlich Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015, S. 125 ff.; Eidenmüller JZ 2004, 24, 32; Rehm in Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften im deutschen Recht, 2004, § 2 Rz. 74 ff.; wohl auch Müller-Graff in FS Hellwig, 2011, S. 251, 265 ff.; a.A. Leible, ZGR 2004, 531, 553 f.; Schön, ZGR 2013, 333, 356; Weller, DStR 2004, 1218; 1219; W.-H. Roth in FS Heldrich, 2005, S. 973, 988 f.; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 16; Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2 Rz. 50; Hörtnagl in Schmitt/Hörtnagl, 9. Aufl. 2020, § 1 UmwG Rz. 38 f.; Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 5 AktG Rz. 23 f.; Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Rz. 79.

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§ 4a Rz. 29 | Sitz der Gesellschaft verlegung des Satzungssitzes soll unionsrechtlich geboten sein, sofern der Herkunftsstaat an die Satzungssitzverlegung keine Auflösungswirkung knüpft, die Gesellschaft mithin sachrechtlich, aber auch kollisionsrechtlich unter Wahrung ihres Personalstatuts fortbestehen lässt114. Anderenfalls würde – anders als im Cartesio-Fall – nicht der Wegzugs- sondern der Zuzugsstaat das „Fortleben“ der Gesellschaft nach dessen Heimatrecht verhindern. Dass die zuziehende Gesellschaft ihren Satzungssitz im Herkunftsstaat aufgibt, führe daher nicht stets zum Verlust der Niederlassungsfreiheit115.Für die Praxis ist zu beachten, dass die europäischen Mitgliedstaaten – soweit ersichtlich – sämtlich an die Aufgabe des inländischen Satzungssitzes materiell-rechtliche oder kollisionsrechtliche Folgen knüpfen, die einem Fortbestehen entgegenstehen116. Hinzu kommt, dass ein praktisches Bedürfnis für eine derartige statuswahrende Satzungssitzverlegung nicht erkennbar ist und sie zu geradezu kuriosen (rechtspolitisch allemal zweifelhaften) Ergebnissen führte117. 30 Von alledem ist wiederum der innereuropäische grenzüberschreitende Rechtsformwechsel

zu unterscheiden, der unter den bei Rz. 27 dargestellten Voraussetzungen zuzulassen ist118. Insoweit ist aber zu betonen, dass die Polbud-Entscheidung dem Aufnahmestaat die Anknüpfungsautonomie belässt, allerdings unter strenger Beachtung des Diskriminierungsverbots. Das deutsche Recht fordert freilich sachrechtlich für die Existenz einer deutschen GmbH gerade keine reale Ansiedlung im Inland (darüber ausführlich bei Rz. 2), sondern nur den inländischen Satzungssitz. Noch ungeklärt ist jedoch, ob der Hereinformwechsel an der hier zulässigen (!) Anwendung der Sitztheorie (vorbehaltlich einer Rückverweisung) scheitern würde119, weil das deutsche Gesellschaftsrecht ohne Verwaltungssitzverlegung ins Inland aus deutscher Sicht gar nicht anwendbar wäre. Denkbar wäre indes, dass die Rspr. auch hier (oh-

114 Der Herkunftsstaat mithin materiell die Satzungssitzverlegung zulässt und hiermit keinen Statutenwechsel verbindet, weil er nicht an den Satzungs- oder Registersitz, sondern an den Sitz der ursprünglichen Inkorporation bzw. das Gründungsrecht anknüpft; vgl. in diesem Sinne Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015, S. 9, 112; Franz, EuZW 2016, 930, 934; wohl auch Eidenmüller, JZ 2004, 24, 32; dagegen aber Ego in MünchKomm. AktG, Europäisches Aktienrecht, 5. Aufl. 2021, B. Rz. 78 f.; zu dieser Differenzierung bereits Schön, ZGR 2013, 333, 335 f. 115 Vgl., mit Unterschieden im Detail, Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015, S. 112 ff.; Campos Nave, BB 2008, 1410, 1413; Frenzel, EWS 2008, 130, 132; Teichmann, ZIP 2009, 393, 394; a.A. allerdings teils nur für den freilich anders gelagerten, insoweit tatsächlich nicht von der Niederlassungsfreiheit gedeckten Wegzugsfall, teils aber ausdrücklich auch für den Zuzugsfall Forsthoff, Niederlassungsfreiheit für Gesellschaften, 2006, S. 64; Heckschen, NotBZ 2005, 315, 319; Heinze in MünchKomm. GmbHG, 3. Aufl. 2018, Rz. 29; Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2, Rz. 50. Zu beachten ist bei alledem, dass auf die ausländische Gesellschaft bei zwingenden Gründen des Allgemeinwohls u.U. materielles deutsches Gesellschaftsrecht im Wege der Sonderanknüpfung angewandt werden kann. 116 Braun, Die Wegzugsfreiheit als Teil der Niederlassungsfreiheit, S. 222 (allerdings zu Unrecht davon ausgehend, dass eine Satzungssitzverlegung auch de lege ferenda ausgeschlossen sei); Behrens, IPRax 1999, 323, 325; Behrens, JBl. 2001, 341, 344; Weller, LMK 2012, 336113; Knaier in IPR zwischen Tradition und Innovation, 2020, S. 103, 113 m. Fn. 55; Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 78. 117 Darauf weist mit Recht Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 358 hin; vgl. auch Leible, ZGR 2004, 531, 553 f.; das praktische Bedürfnis ebenfalls, wie hier, nicht erkennend Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9. 118 Vgl. aus nationaler Sicht OLG Nürnberg v. 19.6.2013 – 12 W 520/13, GmbHR 2014, 96 m. zustimmender Anm. Wachter; KG v. 21.3.2016 – 22 W 64/15, GmbHR 2016, 763; dazu etwa Hushahn, DNotZ 2014, 154 ff. 119 So Kindler, NZG 2018, 1, 4: keine isolierte Satzungssitzverlegung in einen Sitztheoriestaat; ebenso Bayer/J. Schmidt, ZIP 2017, 2225, 2232 m. Fn. 115; Altmeppen, Rz. 24; a.A. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; insoweit deutlicher noch Servatius in Baumbach/Hueck, 22. Aufl. 2019, Rz. 14.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 31 § 4a

ne, dass dies durch die Polbud-Entscheidung verlangt würde) die Gründungstheorie anwendet, was insbesondere (im Lichte des Diskriminierungsverbots) naheläge, wenn § 4a versteckter kollisionsrechtlicher Gehalt beigemessen würde (vgl. Rz. 32). An dieser Formwechselschranke ist auch im Lichte der keine Kollisionsregeln beinhaltenden, die jeweiligen nationalen Anknüpfungsmomente daher unberührt lassenden Sitzverlegungsrichtlinie120 festzuhalten121. Vgl. für Einzelheiten zum Herausformwechsel und insbesondere zur Sitzverlegungsrichtlinie 13. Aufl., Band 3, Anh. IPR.

2. Verlegung des Verwaltungssitzes a) Wegzugsfälle aa) Sachrechtliche Voraussetzungen Aus deutscher sachrechtlicher Perspektive führte früher, d.h. insbesondere vor der Neufas- 31 sung des § 4a durch das MoMiG, die Verwaltungssitzverlegung zur Auflösung mit anschließender Liquidation der deutschen Gesellschaft, gleichviel, ob diese Rechtsfolge vom Gesellschafterwillen getragen oder ihm gerade zuwiderlief122. Dieser willensunabhängige Auflösungsgrund basierte materiell-rechtlich darauf, dass ausweislich § 4a Abs. 2 a.F. Verwaltungs- und Satzungssitz kongruieren mussten, in der (damals daher notwendig einen Gesellschafterbeschluss verlangenden) Verwaltungssitzverlegung zugleich auch eine Satzungssitzverlegung erblickt wurde123, so dass das bei Rz. 26 Gesagte sinngemäß galt (überzeugender war indes bereits zum alten Recht die Annahme einer bloßen Beschlussnichtigkeit anstelle eines „gesetzlichen“ Auflösungsgrundes). Eine allfällige „Anerkennung“ durch einen der Gründungstheorie folgenden Zuzugsstaat lief damit letztlich ins Leere, weil die Heimatrechtsordnung ihrem juristischen „Geschöpf“ das Fortleben versagt hatte. Die Verfasser des MoMiG wollten durch die Streichung des früheren § 4a Abs. 2 von 1998 (sowie des § 5 Abs. 2 AktG) deutschen Gesellschaften die Verlegung ihres Verwaltungssitzes ins Ausland ermöglichen. Zumindest die sachrechtlichen Voraussetzungen hierfür sind damit geschaffen worden. Europarechtlich war dies allerdings nicht gefordert, weil es der EuGH den Mitgliedstaaten nicht verwehrt hat, den nach ihren nationalen Regelungen gegründeten Gesellschaften im Falle ihres Wegzuges ihre Existenz zu versagen (s. Rz. 27). Das frühere Diktum, dass sich eine wegziehende Gesellschaft gegenüber dem Gründungsstaat nicht auf die Niederlassungsfreiheit berufen kann124, mithin zwischen Zuzugs- und Wegzugsperspektive zu unterschei120 RL (EU) 2019/2121 vom 27.11.2019 zur Änderung der RL (EU) 2017/1132 in Bezug auf grenzüberschreitende Umwandlungen, Verschmelzungen und Spaltungen, ABl. EU Nr. L 321 v. 12.12.2019, S. 1. 121 Wie es sich aus Erwägungsgrund 2 ausdrücklich ergibt; zutreffend W.-H. Roth in FS Grunewald, 2021, S. 935, 943. 122 RG v. 5.7.1882, RGZ 7, 68, 69; BGH v. 11.7.1957 – II ZR 318/55, BGHZ 25, 134, 144; BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, GmbHR 1992, 529, 530; OLG Hamm v. 30.4.1997 – 15 W 91/97, GmbHR 1997, 848; OLG Düsseldorf v. 26.3.2001 – 3 Wx 88/01, GmbHR 2001, 438, 439; Michalski, NZG 1998, 762, 764; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2242; Forsthoff, DB 2002, 2471, 2474; Behrens/J. Hoffmann in Habersack/Casper/Löbbe, Einleitung Rz. B 155; Großfeld in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, 1998, Rz. 634; kritisch Beitzke, ZHR 127 (1964/65), 1, 41 ff.; Knobbe-Keuk, ZHR 154 (1990), 325, 350 ff.; Lutter, BB 2003, 7, 10. 123 Vgl. nur BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, GmbHR 1992, 529, 530, wonach ein Beschluss der Alleingesellschafterin, den Sitz der Gesellschaft nach London, also ins Ausland zu verlegen, „ersichtlich“ sowohl die Verlegung des statutarischen Sitzes als auch die des Verwaltungssitzes beinhalten sollte; ferner Kegel/Schurig, Internationales Privatrecht, 9. Aufl. 2004, S. 582. 124 EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, GmbHR 2002, 1137; EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06, GmbHR 2009, 86 – Cartesio; vgl. hierzu Kindler, NJW 2003, 1073, 1075; Kindler, IPRax 2009, 189, 190 ff.; Mörsdorf, EuZW 2009, 97, 98 ff.; Paefgen, WM 2009, 529 ff.; Sethe/Winzer, WM 2009,

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§ 4a Rz. 31 | Sitz der Gesellschaft den ist125, ist auch nicht im Lichte der Polbud-Entscheidung126 zu relativieren, unbeschadet dessen, dass hiermit – im Ergebnis sachgerecht, zumindest konsequent – in Bezug auf die grundsätzliche Anwendbarkeit der Niederlassungsfreiheit nicht (mehr) zwischen Wegzugund Zuzug differenziert wird. Unberührt bleibt nämlich die Kompetenz des Wegzugsstaats, über die „Vorfrage“127 des Entstehens und Vergehens seiner Gesellschaften zu entscheiden, zumal die Anknüpfungshoheit eines jeden Gründungsmitgliedstaates in der Rechtssache Polbud nochmals ausdrücklich vom EuGH betont wurde128. bb) Kollisionsrechtlicher Gehalt des § 4a 32 Weiterhin ungeklärt ist allerdings, ob § 4a auch kollisionsrechtliche Qualität zukommt129

oder ob diese Bestimmung eine reine sachrechtliche Dimension hat130; beide Lösungen wären nach dem bei Rz. 27 Gesagten unionsrechtskonform. Ein allein materielles Verständnis würde die vom Gesetzgeber mit der Neufassung des § 4a gerade intendierte131 Ermöglichung einer europaweiten grenzüberschreitenden Mobilität der GmbH vermittels Verwaltungssitzverlegung indes wesentlich beschränken132, nämlich auf Fälle eines Zuzugs in Gründungstheoriestaaten, welche noch dazu, soll eine Statutenverdopplung vermieden werden, diese als Sachnormverweisung verstehen oder eine Rückverweisung des Sitzstaates müssten (ausführlich bei Rz. 33). Dieses Folgenargument, d.h. die anderenfalls zu konstatierende erhebliche Beschränkung der gerade beabsichtigten „Auswanderungsmöglichkeit“, spricht entscheidend gegen eine rein sachrechtliche Lesart. Nach Struktur und systematischer Stellung vermag in

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536 ff.; Teichmann, ZIP 2009, 393 ff.; Zimmer/Naendrup, NJW 2009, 545 ff.; kritisch Bayer/ J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 743 f.; Nolting, NotBZ 2009, 109, 111; W.-H. Roth in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 965, 972 ff. In diesem Sinne, teilweise indes kritisch, Zimmer, ZHR 164 (2000), 23, 27; Mülbert/Schmolke, ZvglRW 100 (2001), 223, 257; Forsthoff, DB 2002, 2471, 2474 f.; Kallmeyer, DB 2002, 2521, 2522; Binz/Mayer, GmbHR 2003, 249, 256; Eidenmüller, JZ 2004, 24, 29; Eidenmüller/Rehm, ZGR 2004, 159, 175. EuGH v. 25.10.2017 – Rs. C-106/16, GmbHR 2017, 1261 m. Anm. Bochmann/Cziupka = NZG 2017, 1308 m. Anm. Wachter – Polbud. Der Begriff der „Vorfrage“ ist hier untechnisch, jedenfalls nicht im technischen internationalprivatrechtlichen Sinne zu verstehen. EuGH v. 25.10.2017 – Rs. C-106/16, GmbHR 2017, 1261 m. Anm. Bochmann/Cziupka = NZG 2017, 1308 m. Anm. Wachter – Polbud; ebenfalls BGH v. 14.11.2017 – VI ZR 73/17, ZIP 2018, 654, 656. Grundsätzlich hierfür, mit Unterschieden im Detail, Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2007, 211, 212; Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1585 ff.; Knof/Mock, GmbHR 2007, 852, 856; Körber/ Kliebisch, JuS 2008, 1041, 1044; Wälzholz, MittBayNot 2008, 425, 432; Däubler/Heuschmid, NZG 2009, 493, 494; Herrler, DNotZ 2009, 484, 489; Kobelt, GmbHR 2009, 808, 811; Leible/Hoffmann, BB 2009, 58, 62 f.; Teichmann/Ptak, RIW 2010, 817, 820; Leible in FS G. Roth, 2011, S. 447, 455 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 14; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 106 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Wicke, Rz. 13; Lutter/Bayer/ J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012, § 6 Rz. 56. Zur Bedeutung von § 5 AktG vgl. Dauner-Lieb in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2011, § 5 AktG Rz. 27 f.; offenlassend BGH v. 14.11.2017 – VI ZR 73/17, ZIP 2018, 654. Eidenmüller, ZGR 2007, 168, 204; Preuß, GmbHR 2007, 57, 62; Franz/Laeger, DB 2008, 678, 682; Peters, GmbHR 2008, 245, 249; Hirte, NZG 2008, 761, 766; Ries, AnwBl. 2008, 695, 697; Weng, EWS 2008, 264, 267; Heckschen, DStR 2009, 166; 169; Kindler, IPRax 2009, 189, 198; Werner, GmbHR 2009, 191, 195 f.; Weller in MünchKomm. GmbHG, Einleitung Rz. 416. Die Neufassung des § 4a durch das MoMiG sollte eine (erstmalige oder nachträgliche) Wahl des Verwaltungssitzes im Ausland ermöglichen, damit insbesondere multinationale Konzerne ihre im Ausland operativ tätigen Tochtergesellschaften einheitlich als deutsche Gesellschaften organisieren können. Vgl. BT-Drucks. 16/6140, S. 29; Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 29.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 33 § 4a

§ 4a allerdings keine allseitige Anknüpfungsregel im Sinne einer pauschalen Hinwendung zur Gründungsrechtsanknüpfung erblickt werden; die Bestimmung ist im Lichte des Normzwecks vielmehr als eine einseitige, versteckte Kollisionsnorm im Sinne eines Anwendungsbefehls zugunsten der Gründungstheorie für den Wegzug deutscher Gesellschaften mbH zu verstehen133 (Gleiches gilt sinngemäß für § 5 AktG). Die hiergegen vorgebrachten Einwände in der Literatur vermögen nicht zu überzeugen. Dies gilt insbesondere für das formale Argument, die Sitztheorie habe ihre Grundlage nicht in den materiellen Normen des GmbHG, sondern im Gewohnheitsrecht, womit § 4a schon strukturell nicht der taugliche Ort für eine Abkehr von der Sitztheorie sei134. Schon die Prämisse (Sitztheorie als Gewohnheitsrecht) kann nach gegenwärtigem Stand der Dogmatik nicht uneingeschränkt geteilt werden. Zwar war in der Tat die richterrechtlich entwickelte Sitztheorie in ihrer traditionellen Ausgestaltung zum Gewohnheitsrecht erstarkt. Im Lichte der zunehmenden Bedeutung der Gründungstheorie im europäischen Rechtsraum, die – je nach Fallkonstellation – auch die nationalen Gerichte zu deren Anwendung zwingt, kann aber heute nicht mehr von einer umfassenden gewohnheitsrechtlichen Anwendbarkeit der Sitztheorie gesprochen werden135. § 4a (und § 5 AktG) kollisionsrechtlich zu verstehen, kann auch nicht entgegengehalten werden, die Sitztheorie gelte umfassend für alle personen- oder kapitalgesellschaftlichen Außengesellschaften, könne mithin nicht durch Änderungen im GmbH- und Aktienrecht „abgeschafft“ werden136. Denn um eine Abschaffung der Sitztheorie geht es nicht, vielmehr soll diese gezielt nur dort durch eine Hinwendung zur Gründungstheorie substituiert werden, wo im „Wettbewerb der Rechtsordnungen“ deutsche Gesellschaften bei Geltung der Sitztheorie besondere Nachteile davontrügen. cc) Zuzugsstaat folgt Gründungstheorie Folgt der Zuzugsstaat (nicht allein unionsrechtlich induziert, sondern in seinem nationalen 33 Kollisionsrecht) einer Spielart der Gründungstheorie, führt aus deutscher Warte eine Verlagerung des Verwaltungssitzes zu keinem Statutenwechsel. Jeden Zweifels enthoben ist diese Aussage, sofern § 4a kollisionsrechtlicher Gehalt im Sinne einer (einseitigen) Gründungsrechtsanknüpfung beigemessen wird, weil in diesem Fall sowohl Wegzugs- als auch Zuzugsstaat das Gründungsrecht für anwendbar erklärten137. Gleichermaßen trifft diese Aussage aber zu, wenn es mit der Gegenansicht aus deutscher Sicht nach Maßgabe der Sitztheorie bei der Anknüpfung an den Verwaltungssitz verbliebe. Das in diesem Fall im Wege der Gesamtverweisung138 (Kollisionsnormverweisung) zur Anwendung berufene Kollisionsrecht des ausländischen Verwaltungssitzstaates spräche infolge seiner Gründungsrechtsanknüpfung eine

133 Im selbigen Sinne J. Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1585; Knof/Mock, GmbHR 2007, 852, 856; Behme, BB 2008, 70, 72; Sethe/Winzer, WM 2009, 536, 540; Bayer/J. Schmidt, ZGR 2009, 735, 746 f.; Paefgen, WM 2009, 529, 531; Kobelt, GmbHR 2009, 808, 811. 134 So Weller in MünchKomm. GmbHG, Einleitung Rz. 416; ähnlich Hübner in Gehrlein/Born/Simon, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 65, jeweils mit ausführlicher Darstellung des Meinungsstreits. 135 Überzeugend Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 205. 136 In diesem Sinne Weller in MünchKomm. GmbHG, Einleitung Rz. 416 (Sitztheorie könne nicht durch bloße Modifikation der § 4 GmbHG, § 5 AktG abgeschafft werden). 137 Vgl. etwa Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 749 ff.; Däubler/Heuschmidt, NZG 2009, 493, 494; Herrler, DNotZ 2009, 484, 489; Leible/J. Hoffmann, BB 2009, 58, 62. 138 Vgl. etwa Ebenroth/Eyles, IPRax 1989, 1, 9; M.-P. Weller, IPRax 2017, 167, 170; Hausmann in GS Blomeyer, 2004, S. 579, 580 f.; Verse, ZEuP 2013, 458, 467 m. Fn. 35; Großfeld in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, 1998, Rz. 107 ff.; Stürner in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 23; a.A. Mäsch, RabelsZ 61 (1997), 285, 291; Zwirlein, GPR 2017, 182, 189 ff.

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§ 4a Rz. 33 | Sitz der Gesellschaft Rückverweisung auf deutsches Recht aus139 (zu einer solchen Rückverweisung zwingt indessen die europarechtlich induzierte „Gründungstheorie“ einen an sich der Verwaltungssitzanknüpfung folgenden Zuzugsstaat nicht). Diese Rückverweisung nähme das deutsche Recht auf der Grundlage des Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB als Verweisung auf das eigene Sachrecht an, und zwar gleichviel, ob die Gründungsrechtsanknüpfung als Gesamt- oder als Sachnormverweisung zu verstehen ist140; denn die im Fall der Gesamtverweisung anderenfalls drohende Verweisungskette bräche Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB ab, nämlich vermittels direkten Anwendungsbefehls zugunsten des Sach-, anstelle des Kollisionsrechts. Anderes gälte hier aber (bei unterstellter Anwendung der Sitztheorie) aus der Warte des Zuzugsstaates, denn welche Rechtsfolgen ein ausländisches (Register-)Gericht an den Zuzug einer Gesellschaft knüpft, bemisst sich insoweit nach dessen Kollisionsrecht (lex-fori-Grundsatz)141, will man nicht von vornherein jedenfalls im räumlichen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit die nationale Rechtsordnung am Eintragungsort der Gesellschaft als „Ankerrechtsordnung“ einstufen, so dass sich stets nach dessen Kollisionsrecht das anwendbare Recht bestimmte142. Bei Verwaltungssitzverlegung in einen einer Spielart der Gründungstheorie folgenden Staat käme es aus dessen Sicht – wollte man § 4a nicht kollisionsrechtlich verstehen – für die Anerkennung der zuziehenden deutschen GmbH als solche aus dieser Perspektive gerade entscheidend darauf an, ob dessen Gründungsrechtsanknüpfung als Gesamt- oder als Sachnormverweisung ausgestaltet ist. Denn im Fall einer Gesamtverweisung verwiese das damit zur Anwendung berufene deutsche Kollisionsrecht auf das Sitzrecht zurück, womit es zu einem Statutenwechsel käme, vorausgesetzt, das ausländische Recht bräche die wiederum als Gesamtverweisung zu verstehende Rückverweisung durch die Sitztheorie – entsprechend der Rechtslage in Deutschland, Art. 4 Abs. 1 Satz 2 EGBGB – insoweit ab. Nach Maßgabe der Daily-Mail-Doktrin143 wäre dieses Ergebnis auch im Lichte der Niederlassungsfreiheit hinzunehmen, weil es an einer Anerkennungspflicht hinsichtlich verwaltungssitzverlegender Gesellschaften unter Aufrechterhaltung ihres Personalstatuts fehlt, sofern der Wegzugsstaat über sein Sach- oder (wie hier:) Kollisionsrecht verwaltungssitzverlegenden Gesellschaften ihre Fortexistenz als solche, jedenfalls aber unter Bewahrung ihres bisherigen Personalstatuts versagt144 bzw. – praktisch häufiger – sich hierfür (bei sachrechtlicher Gestattung des ausländischen Verwaltungssitzes) zumindest offen zeigt. Untersagt ist es einem EU-Zuzugsstaat im Lichte der europarechtlich induzierten Gründungsrechtsanknüpfung mit anderen Worten nicht, einen Statutenwechsel herbeizuführen, sofern dieser bereits aus der Sitzrechtsanknüpfung des Wegzugsstaates resultiert145. In kollisionsrechtlichen Kategorien – wenn man 139 Vgl. Ebenroth/Eyles, DB 1988, Beil. 2, S. 1, 7; Ebenroth/Auer, DNotZ 1993, 190, 193; Behrens, IPRax 2000, 323, 330; W.-H. Roth in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 965, 979. 140 Ferner kann die Gründungstheorie aufgrund bilateraler Freundschaftsverträge gegenüber Drittstaaten wie z.B. den USA eingreifen. Im letztgenannten Fall soll ein Renvoi aufgrund der Sinnklausel des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 ausgeschlossen sein, vgl. v. Hein in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 4 EGBGB Rz. 161. 141 Zu diesem methodischen Vorgehen Lorenz in BeckOK BGB, Stand: 1.11.2021, Einleitung zum IPR Rz. 53, mit dem plastischen Verweis darauf, dass dieses Vorgehen erforderlich ist, weil es kein „Kollisionsrecht für das Kollisionsrecht“ gibt. 142 Hierfür mit ausführlicher Begründung Wall in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 18 Rz. 161 ff. 143 EuGH v. 27.9.1988 – Rs. 81/87, Slg. 1988, 5483 LS 1 = NJW 1989, 2186 – Daily Mail; EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06, GmbHR 2009, 86 – Cartesio; nochmals betont EuGH v. 25.10.2017 – Rs. C-106/16, GmbHR 2017, 1261 m. Anm. Bochmann/Cziupka = NZG 2017, 1308 m. Anm. Wachter – Polbud. 144 Nur für diesen Fall i.Erg. übereinstimmend Wesiack, Europäisches Internationales Vereinsrecht, 2011, S. 164. 145 Leible/J. Hoffmann, RIW 2002, 925, 931; J. Hoffmann, ZIP 2007, 1581, 1583; Paefgen, WM 2003, 561, 568; Weng, EWS 2008, 264, 266; Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2 Rz. 196; wohl auch Verse, ZEuP 2013, 458, 474; W-H. Roth in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 970, 979 m. Fn. 84; a.A.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 34 § 4a

diese für die europarechtliche Gründungstheorie mit dann unweigerlichen Unschärfen überhaupt bemühen will – ist damit gesagt, dass die Niederlassungsfreiheit EU-Zuzugsstaaten nicht zur Ausgestaltung ihrer allfälligen Gründungsrechtsanknüpfung als Sachnormverweisung zwingt146. Überhaupt ist zu konstatieren, dass die wohl h.L. die europarechtlich induzierte (und modifizierte) Gründungstheorie als Gesamtverweisung versteht, um hierdurch die Anknüpfungsautonomie des Wegzugsstaates vollends zu respektieren147. Doch würde der Entscheidungseinklang im räumlichen Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit bei einer Einstufung der unionsrechtlich induzierten Gründungstheorie als Sachnormverweisung erhöht; hierüber sogleich bei Rz. 35. dd) Zuzugsstaat folgt Sitztheorie Folgt der Zuzugsstaat in seinem nationalen Kollisionsrecht der Sitztheorie, hat eine Verwal- 34 tungssitzverlegung nach hier vertretener Ansicht, die in § 4a eine versteckte Kollisionsnorm sieht, aus deutscher Sicht zur Folge, dass die Gesellschaft weiterhin dem deutschen Gesellschaftsstatut (als dem Satzungssitzort) unterstellt bleibt. Allerdings kommt es zu einer sog. Statutenverdopplung148, weil der Zuzugsstaat aus seiner Warte das „Schicksal“ der zugezogenen Gesellschaft nach seinem Verwaltungs-Sitzrecht bemisst149. Die fragliche Gesellschaft würde in diesem Fall wegen des Verwaltungssitzes im Zuzugsstaat als inländische Gesellschaft behandelt und könnte – nach Maßgabe des dortigen materiellen Rechts – entweder nicht als rechtsfähig oder aber etwa im Wege der Angleichung („modifizierte Sitztheorie“) allein als Personengesellschaft anerkennt werden, mangels Erfüllung der Gründungsvoraussetzungen (d.h.: erfolgter Gründung unter „falschem“ Recht) aber regelmäßig nicht als juristische Person, zumeist verbunden mit dem Entfall der Haftungsprivilegierung. An die Statu-

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Wesiack, Europäisches Internationales Vereinsrecht, 2011, S. 164 ff. (m. ausführlicher Begründung und treffender Bezeichnung der Problematik als „Verweisungszirkel“); Franz/Laeger, BB 2008, 678, 680; Kieninger, ZEuP 2004, 685, 695; Triebel/von Hase, BB 2003, 2409, 2412; Richter, IStR 2008, 719, 723; Preuß, GmbHR 2007, 57, 60 f. Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015, S. 116 ff.; Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2 Rz. 178; v. Hein in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 4 EGBGB Rz. 150; vgl. auch Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 243 sowie Rz. 209; a.A. implizit Wesiack, Europäisches Internationales Vereinsrecht, 2011, S. 181. Für Gesamtverweisung, mit Unterschieden im Detail, Körber, Grundfreiheiten im Privatrecht, 2004, S. 295 f.; Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 241; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 f. (Gesamtverweisung, aber unter Ausschluss von Rück-oder Weiterverweisung); W.-H. Roth, IPrax 2003, 117, 120 m. Fn. 44; Kindler in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2021, Band 13, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 428, der davon spricht, dass die Verweisung auf das Gründungsrecht in Fällen der Rückverweisung konterkariert wird und das Gründungsrecht hier selbst der Gesellschaft die Anerkennung versagt; Großerichter/Zwirlein-Forschner in BeckOGK IPR Internationales Gesellschaftsrecht, Stand: 1.12.2021, Allgemeiner Teil Rz. 168 f.; Wall in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 18 Rz. 113; a.A., und zwar unter Verweis auf den „Sinnvorbehalt“ des Art. 4 Abs. 1 Satz 1 EGBGB, Brödermann/Wegen in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 16. Aufl. 2021, IntGesR, Rz. 18, 31; Brödermann in Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, 1994, Rz. 127 ff., 286; Stürner in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 46: zwingend Sachnormverweisung (allerdings zu Unrecht die Frage als unstreitig bezeichnend). Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 15; Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 106; Wicke, Rz. 13; J. Koch in Staub, 5. Aufl. 2009, § 13h HGB Rz. 29; Roth in Koller/ Kindler/Roth/Drüen, 9. Aufl. 2019, § 13h HGB Rz. 4. Vgl. etwa BayObLG v. 7.5.1992 – 3Z BR 14/92, BayObLGZ 1992, 113, 116; BayObLG v. 11.2.2004 – 3Z BR 175/03, BayObLGZ 2004, 24; OLG Brandenburg v. 30.11.2004 – 6 Wx 4/04, GmbHR 2004, 484 m. Anm. Ringe; Kindler, IPRax 2009, 189, 199; W.-H. Roth in FS Hoffmann-Becking, 2013, S. 965, 979.

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§ 4a Rz. 34 | Sitz der Gesellschaft tenverdopplung knüpft sich aber entgegen überwiegender Ansicht aus Warte des deutschen Wegzugstaates keine zwingende Auflösungsfolge, die sich auch nicht damit begründen lässt, dass eine Gesellschaft (angeblich) nicht zwei Rechtsordnungen gleichzeitig unterliegen könne150; vielmehr handelt es insoweit ein hinkendes Rechtsverhältnis (vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 81). Dieses Ergebnis wäre indes nicht unionsrechtskonform, weshalb in diesem Fall innerhalb des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit der Zuzugsstaat zur Gründungsrechtsanknüpfung und damit zur Rückverweisung gezwungen wäre. Die Gegenansicht, die § 4a rein materiell versteht, führt in diesen Fällen nach Maßgabe der als Gesamtverweisung zu verstehenden Sitztheorie auch aus deutscher Sicht zur Anwendung des Kollisionsrechts am Verwaltungssitz, welches das dortige Sitzrecht für anwendbar erklärte; es käme insoweit nicht zur Rückverweisung. Die Gesellschaft verlöre damit ihre Eigenschaft als „deutsche Gesellschaft“ und würde einem ausländischen Gesellschaftsstatut unterworfen (sog. Statutenwechsel), worin (vorbehaltlich eines grenzüberschreitenden Rechtsformwechsels, der aber eine Mitverlegung des Satzungssitzes verlangte) ein zwingender Auflösungsgrund liegt (vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 81). b) Zuzugsfälle aa) Zuzug aus EU/EWR-Mitgliedstaaten und aus Staaten unter dem Schutz bilateraler Staatsverträge sowie aus Gründungstheoriestaaten 35 Im Ausgangspunkt folgt das deutsche Kollisionsrecht, vorbehaltlich unionsrechtlich oder

völkerrechtlich veranlasster Gründungsrechtsanknüpfungen, weiterhin der Sitztheorie (m.N. bei Rz. 37). Diese deutsche Kollisionsregel verweist indes nicht auf das Sachrecht des ausländischen Sitzstaates, sondern auf dessen IPR (Gesamtverweisung). Sie überlasst es damit dem in seinen Ordnungsinteressen regelmäßig am stärksten betroffenen fremden Sitzstaat, darüber zu entscheiden, ob für die nach seinem Recht inkorporierte Gesellschaft trotz Verwaltungssitzverlegung eigenes sachliches Recht oder das Recht des Aufnahmestaates maßgebend sein soll. Die Weiterverweisung ist also vom deutschen Recht zu beachten, sofern der Sitzstaat an das Gründungsrecht anknüpft. Handelt es sich bei der zuziehenden Gesellschaft um eine EU-ausländische Gesellschaft, die ihren Verwaltungssitz in das Inland verlegt hat, muss der Zuzugsstaat (hier: die Bundesrepublik Deutschland) diese Verwaltungssitzverlegung nach Maßgabe der die Niederlassungsfreiheit konkretisierenden EuGH-Rechtsprechung grundsätzlich akzeptieren; er darf der zuziehenden Gesellschaft also nicht aufgrund des Zuzugs und des damit verbundenen Auseinanderfallens von inländischem Verwaltungs- und ausländischem Satzungssitz die Anerkennung als juristische Person des Gründungsstaates unter Beibehaltung ihres bisherigen Personalstatus verweigern151. Dieses Gebot der Anerkennung des zuziehenden Rechtsträgers als eines solchen und das spiegelbildliche Verbot des durch den Zuzugsstaat „veranlassten“ Statutenwechsels gilt als Ausdruck der Geschöpftheorie (ausführlich bei Rz. 27) freilich nur, sofern der Wegzugsstaat seinerseits sachrechtlich den Wegzug gestat-

150 A.A. etwa Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 262 AktG Rz. 22; J. Koch in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 262 AktG Rz. 37; wie hier aber Bachmann in BeckOGK AktG, Stand: 1.9.2021, § 262 AktG Rz. 77. 151 BGH v. 13.3.2003 – VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185; BGH v. 2.6.2003 – II ZR 134/02, NJW 2003, 2609; BGH v. 13.9.2004 – II ZR 276/02, AG 2005, 39, 40; BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, GmbHR 2005, 630, 631; BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, GmbHR 2005, 1483 – Liechtenstein; BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, GmbHR 2009, 138 – Trabrennbahn; BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/ 06, GmbHR 2010, 211; BGH v. 13.4.2010 – 5 StR 428/09, GmbHR 2010, 819; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, GmbHR 2011, 1094; BayObLG v. 19.12.2002 – 2 Z BR 7/02, BayObLGZ 2002, 413; OLG Frankfurt v. 23.5.2003 – 23 U 35/02, OLGR Frankfurt 2003, 447; LG Hannover v. 2.7.2003 – 20 T 39/03, ZIP 2003, 1458; KG v. 18.11.2003 – 1 W 444/02, NJW-RR 2004, 331; vgl. auch etwa Bayer/J. Schmidt, ZHR 173 (2009), 735, 739 f.; Schön, ZGR 2013, 333, 355.

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tet. Bis in die Gegenwart äußerst umstritten ist, ob das so verstandene Anerkennungsgebot auch dort Platz greift, wo der Wegzugsstaat den ausländischen Verwaltungssitz sachrechtlich zwar erlaubt, durch Zugrundelegung der Sitztheorie (Gesamtverweisung) in seinem nationalen Kollisionsrecht indes eine (bloße) „Offenheit“ gegenüber einer Anerkennung vermöge Rückverweisung zeigt, die Entscheidung über den Statutenwechsel mithin dem Zuzugsstaat überantwortet; diese Frage verneint die in Deutschland gegenwärtige h.L. und sieht den Zuzug aus einem der Sitztheorie folgenden Mitgliedstaat außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit liegend152, womit in der Tat einem von dieser Lehre äußerst weit verstandenen Gebot zur Respektierung der Anknüpfungsautonomie eines jeden Mitgliedstaates Rechnung getragen wird153. In kollisionsrechtlichen Kategorien lässt sich dieses an den Zuzugsstaat adressierte Gebot zur Anerkennung der zuziehenden EU-Auslandsgesellschaft ohne Statutenwechsel als Gebot zur (partiellen) Heranziehung einer als Gesamtverweisung zu verstehenden Gründungstheorie fassen, das allerdings auf Grundlage der aufgezeigten h.L. nur zum Tragen kommt, sofern der Gründungsstaat den Wegzug sowohl sachrechtlich als auch kollisionsrechtlich (durch Gründungsrechtsanknüpfung) ermöglicht. Die Ausführungen bei Rz. 33 f. m.w.N. gelten insoweit sinngemäß. Überzeugen kann diese h.L. im Ergebnis allerdings nicht. Sie stutzt die Mobilität der Gesellschaften innerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der Niederlassungsfreiheit erheblich und führt zu den bei Rz. 34 aufgezeigten Statutenverdopplungen. Diese ließen sich vermeiden, sofern die europarechtlich induzierte Gründungstheorie als Sachnormverweisung eingestuft würde154, wie dies im Übrigen im Regelfall auch bei den geschriebenen europäischen und staatsvertragli152 Gegen eine Pflicht zur Gründungsrechtsanknüpfung in diesem Fall des Zuzugs aus einem der Sitztheorie folgenden Wegzugsstaat, mit Unterschieden im Detail, Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 934 f.; Leible/Hoffmann, ZGR 2003, 259, 260; Paefgen, WM 2003, 561, 568; Weller, IPRax 2009, 201, 205 f.; Behme, Rechtsformwahrende Sitzverlegung und Formwechsel von Gesellschaften über die Grenze, 2015, S. 116 ff.; Leible in Michalski u.a., Syst. Darst. 2 Rz. 178; v. Hein in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, Art. 4 EGBGB Rz. 150; a.A. etwa Wesiack, Europäisches Internationales Vereinsrecht, 2011, S. 165. 153 Leible/J. Hoffmann, RIW 2002, 925, 931; Verse, ZEuP 2013, 458, 474; Wall in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 18 Rz. 130 ff., jeweils unter Berufung u.a. auf EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, NZG 2002, 1164 – Überseering; EuGH v. 16.12.2008 – Rs. C-210/06, GmbHR 2009, 86 – Cartesio; EuGH v. 29.11.2011 – Rs. C371/10, NZG 2012, 114 – National Grid Indus; dagegen für ein weiterreichendes Gebot der Anerkennung, dem durch eine Anknüpfung an das Recht des Gründungsortes unabhängig von seinem nationalen Kollisionsrecht Rechnung zu tragen sein soll, etwa Wesiack, Europäisches Internationales Vereinsrecht, 2011, S. 165 f.; Franz/Laeger, BB 2008, 678, 680; Knof/Mock, GPR 2008, 134, 135; Triebel/van Hase, BB 2003, 2409, 2412; Mörsdorf, EuZW 2009, 97, 101. 154 Ebenso Brödermann/Wegen in Prütting/Wegen/Weinreich, BGB, 16. Aufl. 2021, IntGesR, Rz. 18, 31; Brödermann in Brödermann/Iversen, Europäisches Gemeinschaftsrecht und Internationales Privatrecht, 1994, Rz. 127 ff., 286; Stürner in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 46: zwingend Sachnormverweisung; Hübner, Kollisionsrechtliche Behandlung von Gesellschaften aus „nicht-privilegierten“ Drittstaaten, S. 162 ff.; implizit auch Süß in Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 4. Aufl. 2022, Rz. 52; für Sachnormverweisung auch Art. 8 des Entwurfs der Spezialkommission des Deutschen Rates für IPR zur Unterbreitung eines Regelungsvorschlags für ein europäisches Gesellschaftskollisionsrecht, abgedruckt in RIW 2006, Beilage 1 zu Heft 4/2006, S. 1 ff.; a.A. (für Gesamtverweisung) Körber, Grundfreiheiten im Privatrecht, 2004, S. 295 f.; Leible/Hoffmann, RIW 2002, 925, 930 f. (Gesamtverweisung, aber unter Ausschluss von Rück- oder Weiterverweisung); W.-H. Roth, IPrax 2003, 117, 120 m. Fn. 44; Kindler in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2021, Band 13, Internationales Gesellschaftsrecht, Rz. 428, der davon spricht, dass die Verweisung auf das Gründungsrecht in Fällen der Rückverweisung konterkariert wird und das Gründungsrecht hier selbst der Gesellschaft die Anerkennung versagt; Großerichter/Zwirlein-Forschner in BeckOGK IPR Internationales Gesellschaftsrecht, Stand: 1.12.2021, Allgemeiner Teil Rz. 168 f.; Wall in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notar- und Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 18 Rz. 113.

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§ 4a Rz. 35 | Sitz der Gesellschaft chen Kollisionsnormen durchweg der Fall ist155. Dafür spricht überdies, dass die Frage der Rückverweisung mit dem Recht des Gründungsstaates, über das Schicksal seiner Rechtsgeschöpfe in Wegzugsfällen zu entscheiden, richtigerweise nicht ausschlaggebend zu tun hat, da über das Schicksal der jeweiligen Rechtsgebilde (Verwaltungssitzverlegung ins Ausland als Auflösungsgrund?) das anwendbare materielle Recht entscheidet, nicht aber das Kollisionsrecht, auch wenn ein Statutenwechsel zum zwingenden Auflösungsgrund führt (vgl. 12. Aufl., § 60 Rz. 81). Die bei einer Auslegung als Gesamtverweisung unweigerliche Beeinträchtigung des Entscheidungseinklangs ist dagegen ihrerseits höchst unbefriedigend. Die höchstrichterliche Rechtsprechung scheint denn auch – wenngleich nicht explizit – von einem Verständnis der Gründungsrechtsanknüpfung als Sachnormverweisung auszugehen156, unterlässt jedenfalls regelmäßig eine anderenfalls (d.h. bei einem Verständnis als Gesamtnormweisung) an sich erforderliche Prüfung der „Vorfrage“, ob der Wegzugsstaat in seinem nationalen Kollisionsrecht der Sitz- oder einer Spielart der Gründungstheorie folgt. 36 All dies gilt auch für im EWR157 gegründete Gesellschaften, wobei die unter Rekurs auf die

Niederlassungsfreiheit begründete Gründungsrechtsanknüpfung nach Maßgabe des Art. 31 EWR-Abk. identischen Grundsätzen zu folgen hat158 und grosso modo auch für die Gesellschaften, die aus einem Gründungsstaat entstammen, auf den kraft vorrangiger (vgl. Art. 3 Abs. 2 EGBGB) völkerrechtlicher Vereinbarungen die Gründungstheorie zur Anwendung gelangt159, wobei freilich im Verhältnis zu den USA160 die Gründungsanknüpfung in Form der Inkorporationstheorie durch ein allerdings wenig substanzvolles, praktisch kaum bedeutsames „genuine linke“-Erfordernis modifiziert wird161.

155 Vgl. etwa zu Art. XXV Abs. 5 Satz 2 des deutsch-amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schiffahrtsvertrages vom 29.10.1954 BGH v. 13.4.2004 – I ZR 245/01, GmbHR 2005, 51: „Die Anerkennung des rechtlichen Status […] bedeutet zugleich, dass für eine Gesellschaft, die in dem Gebiet des einen Vertragsteils errichtet worden ist, die Regeln der Rechtsordnung dieses Vertragsteils die Voraussetzungen festlegen, unter denen diese Gesellschaft in dem Gebiet des anderen Vertragsteils als Rechtssubjekt handeln kann.“ 156 Vgl. BGH v. 22.5.2019 – VII ZB 87/17, DNotZ 2019, 919, 920; BGH v. 8.9.2016 – III ZR 7/15, NZG 2016, 1187, 1188; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/10, BGHZ 190, 242 Rz. 15 ff. = ZIP 2011, 1837; BGH v. 21.7.2011 − IX ZR 185/10, GmbHR 2011, 1087, 1088 m. Anm. Blöse; BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 Rz. 24 = ZIP 2008, 2411 = NJW 2009, 289 m. Anm. Kieninger = DStR 2009, 59 m. Anm. Goette = DNotZ 2009, 385 m. Anm. Thölke; aus der obergerichtlichen Rechtsprechung etwa OLG Karlsruhe v. 24.1.2018 – 6 U 56/17, DNotZ 2018, 910, 911; OLG Düsseldorf v. 19.7.2018 – 6 U 122/16 Rz. 60; dagegen ausdrücklich offenlassend, ob eine Gründungsrechtsanknüpfung nur im Fall eines Zuzugs aus einem Sitztheoriestaat geboten ist, OLG Düsseldorf v. 22.12.2003 – 6 U 171/02, DB 2004, 128, 129. 157 In Kraft getreten in Deutschland mittels Gesetz vom 31.3.1993, BGBl. II 1993, 266, 271. 158 Für diese gelten durch Art. 31, 34 des EWR-Abkommens in vergleichbarer Weise die Art. 49 i.V.m. Art. 54 AEUV; vgl. BGH v. 19.9.2005 – II ZR 372/03, BGHZ 164, 148 – Liechtenstein; OLG Frankfurt v. 23.5.2003 – 23 U 35/02, OLGR Frankfurt 2003, 447; Thölke, DNotZ 2006, 145, 145; Weller, IPRax 2009, 202, 206; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 101 f. 159 Vgl. BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, GmbHR 2003, 534; BGH v. 5.7.2004 – II ZR 389/02, GmbHR 2004, 1225, 1226; BGH v. 13.10.2004 – I ZR 245/01, GmbHR 2005, 51, 52; hierzu Thömmes, DB 2003, 1200, 1203; Ebke, JZ 2003, 927, 929; Drouven/Mödl, NZG 2007, 7, 9 f.; ausführlich zu alledem v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 103 ff. 160 Art. XXV des Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrags vom 29.10.1954 mit den USA; BGBl. II 1956, 487. 161 Vgl. Ebenroth/Bippus, DB 1988, 842, 844; Mankowski, RIW 2005, 481, 488; Großfeld in Staudinger, Internationales Gesellschaftsrecht, 1998, Rz. 204 ff.; gegen dieses Erfordernis aber Bungert, DB 2003, 1043, 1044; Rehm in Eidenmüller, Ausländische Kapitalgesellschaften, 2004, § 2 Rz. 31 ff., 34; J. Hoffmann in NK-BGB, 4. Aufl. 2021, Anh. Art. 12 EGBGB Rz. 153.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 38 § 4a

bb) Zuzug aus Drittstaaten Für Gesellschaften aus Drittstaaten162 bleibt es aus deutscher Sicht nach derzeitigem Stand 37 der Rechtsprechung unter weiterhin fehlendem kodifiziertem Kollisionsrecht bei der Anwendung der Sitztheorie163, so dass im Ausgangspunkt das Personalstatut an den tatsächlichen (hier: inländischen) Sitz der Hauptverwaltung der juristischen Person anzuknüpfen ist. Der Zuzug führt damit nach der polemisch so genannten „Wechselbalgtheorie“ nach Maßgabe der „modifizierten Sitztheorie“164 automatisch zu einer Transformation der betreffenden ausländischen Kapitalgesellschaft (im Wege der Angleichung) in eine Personengesellschaft inländischen Rechts, bei der Einpersonen-Gesellschaft verbleibt der Alleingesellschafter ggf. als Einzelkaufmann165. All diese Fälle sind mit einer persönlichen Haftung der oder des Gesellschafters verbunden (vgl. § 128 HGB), überdies mit einer Veränderung der Vertretungsverhältnisse. Folgt der Drittstaat einer Spielart der Gründungstheorie, zwingt dies außerhalb des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit sowie einschlägiger völkerrechtlicher Verträge nicht zur Anerkennung der zuziehenden Gesellschaft unter Wahrung ihres Personalstatuts; die Gründungsrechtsanknüpfung aus der Warte des Wegzugsstaates führt insoweit zu einem hinkenden Rechtsverhältnis, das mit einer Statutenverdopplung verbunden ist166. cc) Sonderfall: Zuzug aus dem Vereinigten Königreich (Folgen des „Brexit“) Spezielles Schrifttum: Behme, Bestandsschutz für die britische Limited nach dem Brexit?, ZRP 2018, 38 204; Behme, Die britische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland: Gewissheiten und Ungewissheiten, ZIP 2021, 2557; Cramer, Von der Limited in die Personenhandelsgesellschaft – Der Referentenentwurf des Vierten Gesetzes zur Änderung des UmwG, DStR 2018, 2435; DNotI, Gutachten zu Großbritannien: Brexit; Übergang eines Geschäftsanteils aufgrund Erlöschens einer englischen Limited auf den alleinigen shareholder der Limited, DNotI-Report 2021, 9; Fischer, Die Niederlassung von EU-Kapitalgesellschaften in Deutschland nach dem Brexit – ein Überblick, NZG 2021, 483; Freitag/Korch, Gedanken zum Brexit – Mögliche Auswirkungen im Internationalen Gesellschaftsrecht, ZIP 2016, 136; Gelbrich, Die nicht mehr vorhandene Ein-Personen-Limited im Insolvenzeröffnungsverfahren, NZI 2021, 256; Klett, Das Vierte Gesetz zur Änderung des Umwandlungsgesetzes – Neues bei grenzüberschreitenden Verschmelzungen mit und ohne Brexit, NZG 2019, 292; Lieder/Bialluch, Umwandlungsrechtliche Implikationen des Brexit, NotBZ 2017, 165; Lieder/Bialluch, Brexit-Prophylaxe durch das 4. UmwGÄndG – Zum deutschen Vorstoß im Recht der grenzüberschreitenden Verschmelzung, NJW 2019, 805; Luy, Grenzüberschreitende Umwandlungen und Brexit, DNotZ 2019, 484; Mäsch/Gausing/Peters, Deut-

162 Zu diesen Drittstaaten gehört auch die Schweiz; vgl. BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192, 198 = GmbHR 2009, 138. 163 BGH v. 29.1.2003 – VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353, 355 = GmbHR 2003, 534 (nur LS); BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192, 198 = GmbHR 2009, 138; BGH v. 8.10.2009 – IX ZR 227/06, ZIP 2009, 2385, 2386; OLG Hamburg v. 30.3.2007 – 11 U 231/04, GmbHR 2007, 763, 765 m. Anm. Ringe; zu dieser Fortgeltung als „modifizierte Sitztheorie“ Leible/J. Hoffmann, DB 2002, 2203, 2205; Meilicke, GmbHR 2003, 793, 798; Weller, DStR 2003, 1800, 1803; Mankowski, RIW 2005, 481, 486; Wachter, BB 2006, 2489, 2490; Stürner in Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, Anh. zu Art. 12 EGBGB Rz. 38; kritisch etwa v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 108 ff. 164 BGH v. 1.7.2002 – II ZR 380/00, BGHZ 151, 204, 206 = ZIP 2002, 1763; BGH v. 27.10.2008 – II ZR 158/06, BGHZ 178, 192 = NJW 2009, 289 m. Anm. Kieninger; BGH v. 12.7.2011 – II ZR 28/ 10, BGHZ 190, 242 = NJW 2011, 3372; vgl. hierzu weiterhin Eidenmüller, ZIP 2002, 2233, 2234; Leible/J. Hoffmann, DB 2002, 2203 ff.; Kindler, NJW 2003, 1073, 1074; W.-H. Roth, IPRax 2003, 117, 120. 165 Vgl. Goette, DStR 2002, 1679, 1680; Leible/J. Hoffmann, DB 2002, 2203, 2205; Kindler, IPRax 2003, 41, 42; J. Schmidt, ZvglRWiss 116 (2017), 313, 316 f. 166 W.-H. Roth, IPrax 2003, 117, 124; Weller in FS Wulf Goette, 2011, S. 583, 593; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 108 f.

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§ 4a Rz. 38 | Sitz der Gesellschaft sche Ltd., PLC und LLP: Gesellschaften mit beschränkter Lebensdauer? – Folgen eines Brexits für pseudo-englische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland, IPRax 2017, 49, 54 f.; Mankowski, Brexit und Internationales Privat- und Zivilverfahrensrecht, EuZW 2020, 3; Mayer/Manz, Der Brexit und seine Folgen auf den Rechtsverkehr zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich seit dem 1.1.2021, BB 2021, 451; Schall, Grenzüberschreitende Umwandlungen der Limited (UK) mit deutschem Verwaltungssitz – Optionen für den Fall des Brexit, ZfPW 2016, 407; J. Schmidt, Auswirkungen des Brexits im Bereich des Gesellschaftsrechts, ZIP 2018, 1093; J. Schmidt, Brexit: Implikationen des EU-UK TCA im Bereich des Gesellschaftsrechts, GmbHR 2021, 229; J. Schmidt, Im Labyrinth des Gesellschaftskollisionsrechts: Gründungstheorie statt „zurück auf die Trabrennbahn, EuZW 2021, 613; Schollmeyer, Geht es für britische Ltd. nach dem Brexit zurück auf die Trabrennbahn?, NZG 2021, 692; Seeger, Die Folgen des „Brexit“ für die britische Limited mit Verwaltungssitz in Deutschland, DStR 2016, 1817; Süß, Exit vor dem Brexit: Die Flucht aus der Limited – leichtes Spiel oder teurer Spaß?, ZIP 2018, 1277; Teichmann/Knaier, Brexit – Was nun? – Auswirkungen des EU–Austritts auf englische Gesellschaften in Deutschland, IWRZ 2016, 243; Teichmann/Knaier, Auswirkungen des Brexit auf das Gesellschaftsrecht, EuZW 2020, 14; Vossius, Der verlorene Sohn oder die Limited nach dem Brexit, notar 2016, 314; Weller/ Thomale/Benz, Englische Gesellschaften und Unternehmensinsolvenzen in der Post-Brexit-EU, NJW 2016, 2378; Zwirlein-Forschner, Jenseits des Acquis – Probleme der Registeranmeldung einer Limited nach Ende des Brexit-Übergangszeitraums, IPRax 2021, 357; Zwirlein/Großerichter/Gätsch, Gesellschaften englischen Rechts in Deutschland unter besonderer Berücksichtigung der LLP, NZG 2017, 1041.

39 Mit Wirksamwerden des Vollzugs des Austritts (vgl. Art. 50 AEUV) des Vereinigten König-

reichs aus der Europäischen Union („Brexit“), d.h. mit Ablauf der Übergangsfrist am 31.12.2020 (vgl. Art. 126 des Austrittsabkommens167), sind britische Gesellschaften mit Verwaltungssitz in Deutschland (insbesondere also die nachfolgend exemplarisch behandelte private companies limited by shares) als Drittstaatengesellschaften einzustufen. Damit sind jedenfalls seit diesem Zeitpunkt neu gegründete Auslandsgesellschaften mitsamt ihren in der Bundesrepublik Deutschlang belegenen Zweigniederlassungen nicht mehr über die Niederlassungsfreiheit der Art. 49, 54 AEUV privilegiert168; zudem sind zu diesem Zeitpunkt bereits gegründete britische Limiteds diesen Privilegien der Niederlassungsfreiheit verlustig gegangen169. Hierüber vermag auch nicht das am 24.12.2020 abgeschlossene Handels- und Kooperationsabkommen170 hinwegzuhelfen171, das mit Wirkung seit dem 1.1.2021 die Bezie167 Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, ABl. EU Nr. L 29 v. 31.1.2020, S. 65; vgl. auch das freilich nur deklaratorisch wirkende Gesetz für den Übergangszeitraum nach dem Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union vom 27.3.2019, BGBl. I 2019, 402, geändert durch Art. 9 Änderungsgesetz vom 21.12.2019, BGBl. I 2019, 2875. 168 BGH v. 16.2.2021 – II ZB 25/17, GmbHR 2021, 486, 487 m. Anm. Knaier; Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378, 2380 f.; Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361, 1362; Mayer/Manz, BB 2016, 1731, 1733; Mäsch/Gausing/Peters, IPRax 2017, 49, 52; Leible/Galneder/Wißling, RIWE 2017, 718, 720; Miras/ Tonner, GmbHR 2018, 601, 602; Otte-Gräbener, NZG 2019, 934, 936; Grzeszick/Verse, NZG 2019, 1129, 1130 f.; J. Schmidt, ZIP 2019, 1093, 1095 ff.; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 118. 169 BGH v. 16.2.2021 – II ZB 25/17, GmbHR 2021, 486, 487 m. Anm. Knaier; Otte-Gräbener, NZG 2019, 934, 936; Grzeszick/Verse, NZG 2019, 1129, 1130 f.; J. Schmidt, ZIP 2019, 1093, 1095 ff.; Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805; vgl. auch RegE eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Umwandlungsgesetzes, BT-Drucks. 19/5463, S. 1, 7. 170 „Handels- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft einerseits und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland andererseits“. 171 Wie hier OLG München v. 5.8.2021 – 29 U 2411/21 Kart, GmbHR 2021, 1152, 1154 f. m. Anm. Knaier; Schollmeyer, NZG 2021, 692, 693 f.; Knaier, GmbHR 2021, 1155, 1156; Gutachten, DNotIReport 2021, 9, 11; Gelbrich, NZI 2021, 256; Mayer/Manz, BB 2021, 451; insoweit auch noch Behme, ZIP 2021, 2557, 2561 f.; Wall in Hausmann/Odersky, Internationales Privatrecht in der Notarund Gestaltungspraxis, 4. Aufl. 2021, § 18 Rz. 306 ff.

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Sitz der Gesellschaft | Rz. 40 § 4a

hungen zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU regelt. Entgegen gewichtiger Gegenstimmen172 beinhaltet dieses Handelsabkommen – anders als die bei Rz. 36 geschilderten völkerrechtlichen Verträge – keinerlei kollisionsrechtlichen Regelungsgehalt, schon im Umkehrschluss aus der Benennung anderer Grundfreiheiten unter damit verbundener Ausklammerung der Niederlassungsfreiheit (vgl. Annex SERVIN-1 Nr. 10 dieses Abkommens) lässt sich indiziell auf einen fehlenden Fortgeltungswillen schließen. Auch begründet das Abkommen kein umfassendes wechselseitiges Anerkennungsgebot der Rechts- und Parteifähigkeit der jeweiligen juristischen Personen unter Beibehaltung ihres jeweiligen Personalstatuts unter Einschluss sog. „Scheinauslandsgesellschaften“. Nur im Fall der verbleibenden Ausübung von substantive business operations im Vereinigten Königreich und damit bei Bewahrung des Status als abkommensberechtigte legal person (vgl. SERVIN.1.2. lit. k) – was freilich nicht zwingend den dortigen Verwaltungssitz, wohl aber jedenfalls mehr als den reinen Satzungssitz verlangt – wird eine Anerkennungspflicht als Ausdruck des im Abkommen verankerten Meistbegünstigungsprinzips (vgl. SERVIN 2.4.) begründet173. Nach mittlerweile wohl h.M. unterstehen britischen Scheinauslandsgesellschaften vor diesem 40 Hintergrund ab dem Zeitpunkt des Ablaufs der Übergangsfrist aufgrund dieses hoheitlich induzierten Wechsels des kollisionsrechtlichen Anknüpfungspunkts (fort von der Gründungsrechts-, hin zur Sitzrechtsanknüpfung) aus der Warte des deutschen Sitzstaates fortan deutschem Personalstatut174 (Statutenwechsel), wohingegen es aus der Warte des der Gründungstheorie folgenden Vereinigten Königreichs beim bisherigen (Gründungs-)Statut verbleibt, so dass es zu einem hinkenden Rechtsverhältnis kommt175. Der Statutenwechsel aus deutscher Warte führt nach Maßgabe der „modifizierten Sitztheorie“ zwar nicht zum Verlust der Rechtsfähigkeit, wohl aber zu einer Angleichung in eine Personen(handels)gesellschaft oder, im Fall einer Einpersonen-Limited, mit einer Gesamtrechtsnachfolge bei dem sodann ggf. als Einzelkaufmann zu qualifizierenden Alleingesellschafter; es kommt mithin zu einer automatischen Veränderung der Haftungs- und Vertretungsstruktur, allen voran einer persönlichen Gesellschafterhaftung176 auch für Altverbindlichkeiten, die vor dem Statutenwechsel begründet wurden177. Der Statutenwechsel erfolgt nach überwiegender Ansicht ohne jede Zubilligung eines Vertrauensschutzes sofortig mit Wirksamwerden des Austrittszeitpunkts178 (nach allgemeinen kollisionsrechtlichen Grundsätzen hingegen seinerseits nicht 172 J. Schmidt, GmbHR 2021, 229, 230 ff.; J. Schmidt, EuZW 2021, 613, 615 ff.; Zwirlein-Forschner, IPRax 2021, 357, 360 f.; Fischer, NZG 2021, 483, 484; Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 19 ff.; dem zuneigend Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30. 173 Ausführlich dazu Wachter in Süß/Wachter, Handbuch des internationalen GmbH-Rechts, 4. Aufl. 2022, § 2 Rz. 66 ff.; Behme, ZIP 2021, 2557, 2562; Gutachten, DNotI-Report 2021, 9, 10 f.; offenlassend, wenngleich erwägend (aber ohne Stellungnahme) Hupka in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30. 174 Gutachten, DNotI-Report 2021, 9, 10 ff.; Knaier, GmbHR 2021, 488, 490 f.; Schollmeyer, NZG 2021, 692, 694 f.; Gelbrich, NZI 2021, 256. 175 Vgl. Wachter, GmbHR 2018, R260, R262; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, Rz. 118 m. Fn. 540. 176 Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378, 2381 f.; Bayer/J. Schmidt, BB 2016, 1923, 1933; Freitag/ Korch, ZIP 2016, 1361, 1363; Leible/Galneder/Wißling, RIW 2017, 718, 720; Mäsch/Gausing/Peters, IPRax 2017, 49, 51 f.; Schütt, ZEuS 2018, 97, 102 f.; Jaschinski/Wentz, WM 2019, 438, 440 f.; Bauerfeind/Tamcke, GmbHR 2019, 11, 15; v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 119. 177 Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361, 1363; Atta, GmbHR 2017, 567, 568; Mentzel, IWRZ 2017, 248, 249; Bauerfeind/Tamcke, GmbHR 2019, 11, 15; Jaschinski/Wentz, WM 2019, 438, 440. 178 Gegen Bestandsschutz, zum Teil auf einen Umkehrschluss aus der Bestimmung des § 122m UmwG gestützt, Seeger, DStR 2016, 1817, 1819 ff.; Teichmann/Knaier, IWRZ 2016, 243, 245; Kumpan/Pauschinger, EuZW 2017, 327, 332; Heckschen, NotBZ 2017, 401, 403; Lieder/Bialluch, NotBZ 2017, 165, 170; Bauerfeind/Tamcke, GmbHR 2019, 11, 12 f.; Klett, NZG 2019, 292, 293; Luy, DNotZ

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§ 4a Rz. 40 | Sitz der Gesellschaft mit Rückwirkung179!), ohne dass die Niederlassungsfreiheit aus sich heraus eine irgendwie geartete nachwirkende Kraft entfalten würde180. Allein nationale kollisionsrechtliche Grundsätze vermögen im Zeichen des Vertrauens- und Verkehrsschutzes Hinauszögerungen des Statutenwechsels zu begründen. Zu denken ist an die allgemeine Figur des Schutzes wohlerworbener Rechte, ggf. auch in ihrer besondere Ausprägung des Art. 7 Abs. 2 EGBGB181, dessen Rechtsgedanke als dogmatische Grundlage eines Vertrauensschutzes und einer darauf gestützten zeitlich befristeten Anwendung der Gründungstheorie fruchtbar gemacht werden kann182; der Suspensionszeitraum bis zum Statutenwechsel wird, sollte die Rechtsprechung entgegen der aufgezeigten derzeit h.L. kollisionsrechtlich vermittelt einen Vertrauensschutz gewähren wollen, judikativ zu konkretisieren sein. In Anlehnung an die typische Zeitspanne zwischen dem 18. und 21. Geburtstag, für welche Art. 7 Abs. 2 EGBGB einem im Inland bereits geschäftsfähigen Deutschen, der die Staatsangehörigkeit eines die Geschäftsfähigkeit erst später eintreten lassenden ausländischen Staates erwirbt (Ausgangsstatutenwechsel) den eingeräumten Rechtsstatuts bewahrt, erschein eine dreijährigen Übergangsfrist am schlüssigsten begründbar183.

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2019, 484, 488; Lieder/Bialluch, NJW 2019, 805, 806; Teichmann/Knaier, EuZW-Sonderausgabe 1/ 2020, 2020, 14, 19; Schollmeyer, NZG 2021, 692, 693. Der Statutenwirkung hat also keine ex-tunc-Wirkung; vgl. Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361, 1363; Mayer/Manz, BB 2016, 1731, 1733; Schaub in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 4. Aufl. 2020, Anh. § 12 HGB Rz. 37; a.A. offenbar Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 27, der von einer rückwirkenden Anwendung der Sitztheorie spricht, damit aber evtl. nur die Haftung auch für Altverbindlichkeiten meint. Vgl. Weller/Thomale/Zwirlein, ZEuP 2018, 892, 903; Gutachten, DNotI-Report 2021, 9, 12; unter dem Gesichtspunkt einer nachwirkenden Niederlassungsfreiheit an der Zulässigkeit dieser Wirkung zweifelnd Grzeszick/Verse, NZG 2019, 1129, 1130 f.; Ego in MünchKomm. AktG, 5. Aufl. 2021, Europäisches Aktienrecht, B. Europäische Niederlassungsfreiheit, Rz. 27, je m.w.N.; Hirte, NJW 2019, 1187, 1193; Hirte in FS Pape, 2019, S. 151, 165; vgl. hierzu auch, aber insoweit ohne Stellungnahme, v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, IPR § 7 Rz. 118 f. Mäsch/Gausing/Peters, IPRax 2017, 49, 54 f.; Mäsch/Gausing/Peters, RPfleger 2017, 601, 606 ff.; Mäsch in BeckOK BGB, Stand: 1.11.2021, Art. 12 EGBGB Rz. 82; erwägend auch v. Bar/Mankowski, Internationales Privatrecht, Band II, 2. Aufl. 2019, § 7 Rz. 119; hiergegen etwa Leible/Galneder/Wißling, RIW 2017, 718, 724; Weller/Thomale/Zwirlein, ZEuP 2018, 892, 904 f. Vgl. auch Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361, 1363 f.; Grzeszick/Verse, NZG 2019, 1129 ff.; J. Schmidt, ZIP 2019, 1093, 1098; für intertemporale Ausnahme nur in Bezug auf die Haftung für Altverbindlichkeiten, insoweit aber in dieser Differenzierung nicht überzeugend, Weller/Thomale/Zwirlein, ZEuP 2018, 892, 901 ff.; Weller/Thomale/Benz, NJW 2016, 2378, 2381 f.; vgl. auch Mohamed, ZVglRWiss 117 (2018), 189, 205 f., und zwar für eine zeitlich unbegrenzte Haftungsprivilegierung. Vgl. für diesen Zeitraum überzeugend Mäsch in BeckOK BGB, Stand: 1.11.2021, Art. 12 EGBGB Rz. 82; dagegen auf ca. 2 Jahre abstellend Freitag/Korch, ZIP 2016, 1361, 1364.

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§5 Stammkapital; Geschäftsanteil (13. Auflage 2022) (1) Das Stammkapital der Gesellschaft muss mindestens fünfundzwanzigtausend Euro betragen. (2) Der Nennbetrag jedes Geschäftsanteils muss auf volle Euro lauten. Ein Gesellschafter kann bei Errichtung der Gesellschaft mehrere Geschäftsanteile übernehmen. (3) Die Höhe der Nennbeträge der einzelnen Geschäftsanteile kann verschieden bestimmt werden. Die Summe der Nennbeträge aller Geschäftsanteile muss mit dem Stammkapital übereinstimmen. (4) Sollen Sacheinlagen geleistet werden, so müssen der Gegenstand der Sacheinlage und der Nennbetrag des Geschäftsanteils, auf den sich die Sacheinlage bezieht, im Gesellschaftsvertrag festgesetzt werden. Die Gesellschafter haben in einem Sachgründungsbericht die für die Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen wesentlichen Umstände darzulegen und beim Übergang eines Unternehmens auf die Gesellschaft die Jahresergebnisse der beiden letzten Geschäftsjahre anzugeben. Abs. 4 neu gefasst durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836), Abs. 1 und 3 Satz 2 geändert durch Gesetz vom 9.6.1998 (BGBl. I 1998, 1242), Abs. 1 geändert, Abs. 2 und 3 neu gefasst, Abs. 4 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. 1. 2. 3. II. 1.

Allgemeines Regelungsinhalt und -zwecke . . . . . . . . . Gesetzesänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . Geltungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stammkapital Begriff und Funktionen a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesellschaftsverhältnis . . . . . . . . . . . . . 2. Höhe a) Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mindesthöhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bemessung des Stammkapitals . . . . . . d) Sondervorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . III. Geschäftsanteile 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Bildung der Geschäftsanteile a) Mehrere Geschäftsanteile . . . . . . . . . . . b) Höhe der Geschäftsanteile . . . . . . . . . . c) Gesamtbetrag der Geschäftsanteile . . . 3. Verbot der Unterpari-Ausgabe . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen eines Verstoßes . . . . . . . . . IV. Sacheinlagen 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Sacheinlage im engeren Sinne a) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sacheinlagevereinbarung . . . . . . . . . . . c) Gegenstand der Sacheinlage . . . . . . . .

1 2 4

7 8 10 11 13 15 17 18 19 22 24 26 28 29 30 34 35 37

d) Einzelfälle aa) Sachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Andere Rechte und Vermögenswerte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Dienst- und Werkleistungen . . . . . ee) Sach- und Rechtsgesamtheiten . . . ff) DLT-Instrumente (Utility-, Currency- und Security Token) . . e) Verfügungsbefugnis des Sacheinlegers f) Anrechnungsbetrag aa) Festsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Obergrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Leistungsstörungen und Mängel . . . . aa) Unmöglichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Rechts- und Sachmängel . . . . . . . . h) Lasten und Verbindlichkeiten . . . . . . . 3. Sachübernahme a) Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . aa) Aufnahme in Gesellschaftsvertrag bb) Sachgründungsbericht . . . . . . . . . . cc) Sachübernahmevertrag . . . . . . . . . b) Sachübernahmen ohne Anrechnung . 4. Gemischte Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . 5. Die Festsetzung im Gesellschaftsvertrag (§ 5 Abs. 4) a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Notwendige Angaben aa) Person des Sacheinlegers . . . . . . . .

40 45 49 51 52 54a 55 56 57 60 62 63 68 69 72 73 75 78 79 80 81

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§ 5 | Stammkapital; Geschäftsanteil bb) Gegenstand der Sacheinlage . . . . . cc) Nennbetrag des Geschäftsanteils . dd) Belastungen und Schulden . . . . . . c) Mängel der Sacheinlagevereinbarung aa) Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 1 . . bb) Sonstige Mängel . . . . . . . . . . . . . . . cc) Heilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Sachgründungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . a) Erstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88 89 92 93 96 97 98 99 102 103

7. Änderung der Einlagedeckung a) Umwandlung von Geld- in Sacheinlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Austausch von Sacheinlagen . . . . . . . . c) Umwandlung von Sach- in Geldeinlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wahlrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gründungsaufwand 1. Kosten und Gründerlohn . . . . . . . . . . . . 2. Sondervorteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

106 108 109 110 111 115

Schrifttum: Angermayer, Die aktienrechtliche Prüfung von Sacheinlagen, 1994; Ammann, Bitcoin als Zahlungsmittel im Internet, CR 2018, 379; Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949; Barz, Know-how als Einbringungsgegenstand, in FS W. Schmidt, 1959, S. 157; Bayer, Unwirksame Leistungen auf die Stammeinlage und nachträgliche Erfüllung – Zugleich Besprechung der Entscheidung des BGH v. 2.12.2002 – II ZR 101/02, GmbHR 2004, 445; Berge, Der Gründungsaufwand bei der GmbH, GmbHR 2020, 82; Blaurock, Mindestkapital und Haftung bei der GmbH, in FS Raiser, 2005, S. 3; Boehme, Kapitalaufbringung durch Sacheinlagen, insbesondere obligatorische Nutzungsrechte, 1999; Bongen/Renaud, Sachübernahmen, GmbHR 1992, 100; Bork, Die Einlagefähigkeit obligatorischer Nutzungsrechte, ZHR 154 (1990), 205; Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, 2019; Büchel, Kapitalaufbringung, insbesondere Regelung der verdeckten Sacheinlage nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, GmbHR 2007, 1065; Casper, Reichweite und Sinnhaftigkeit des Konvergenzgebots in § 5 Abs. 3 S. 2 GmbHG, in FS Krieger, 2020, S. 157; Casper, Die elektronische Schuldverschreibung – eine Sache?, ZBB 2022, 65; Cramer, Die Übernahme des Gründungsaufwands durch die GmbH, NZG 2015, 373; Delmas, Die Bewertung von Sacheinlagen in der Handelsbilanz von AG und GmbH, 1997; Döllerer, Das Kapitalnutzungsrecht als Gegenstand der Sacheinlage bei Kapitalgesellschaften, in FS Fleck, 1988, S. 35; Eidenmüller/Engert, Rechtsökonomik des Mindestkapitals im GmbH-Recht, GmbHR 2005, 433; Ekkenga, Zur Aktivierungs- und Einlagefähigkeit von Nutzungsrechten nach Handelsbilanz- und Gesellschaftsrecht, ZHR 161 (1997), 599; Fabricius, Das Stammkapital der GmbH, GmbHR 1970, 137; Fabricius, Vermögensbindung in AG und GmbH – tiefgreifender Unterschied oder grundsätzliche Identität?, ZHR 144 (1980), 628; Festl-Wietek, Bewertung von Sacheinlagen, Umwandlungen und Verschmelzungen, BB 1993, 2410; Flume, Der Gesellschafter und das Vermögen der Kapitalgesellschaft und die Problematik der verdeckten Gewinnausschüttung, ZHR 144 (1980), 18; Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften, 1990; Güldü, Die Einlagefähigkeit von Bitcoins und anderen Kryptowährungen nach deutschem GmbH- und Aktienrecht, GmbHR 2019, 565; Günthner, Probleme bei der Sachgründung einer GmbH, NJW 1975, 524; Haas, Gesellschaftsrechtliche Kriterien für die Sacheinlagefähigkeit von obligatorischen Nutzungsrechten, in FS Döllerer, 1988, S. 169; Habersack, Die gemischte Sacheinlage, in FS Konzen, 2006, S. 179; Hachenburg, Gemischte Sacheinlage bei der GmbH, LZ 1907, 278; Hacker/Thomale, Crypto-Securities Regulation: ICOs, Token Sales and Cryptocurrencies under EU Financial Law, ECFR 2018, 645; Happ, Deregulierung der GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, ZHR 169 (2005), 6; Heidinger/Knaier, Die verborgenen Risiken des Sachagios bei der Bargründung und der Barkapitalerhöhung, in FS 25 Jahre Deutsches Notarinstitut, 2018, S. 467; Henkel, Die verdeckte Sacheinlage im GmbH-Recht unter Beteiligung von dem Gesellschafter nahestehenden Personen, GmbHR 2005, 1589; Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004; Hommelhoff, Das Risikokapital der GmbH, in G. Roth, Die Zukunft der GmbH, 1983, S. 15; Joost, Kapitalbegriff und Reichweite der Bindung des aufgebrachten Vermögens in der GmbH, GmbHR 1983, 285; Joost, Grundlagen und Rechtsfolgen der Kapitalerhaltungsregeln in der GmbH, ZHR 148 (1984), 27; Kleindiek, Krisenvermeidung in der GmbH: Gesetzliches Mindestkapital, Kapitalschutz und Eigenkapitalersatz, ZGR 2006, 335; Kleindiek, Reform des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes, Referat zum 66. Deutschen Juristentag, 2006, P 55; Klöhn/Parhofer/Resas, Initial Coin Offerings (ICOs) ZBB 2018, 89; Knobbe-Keuk, Obligatorische Nutzungsrechte als Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, ZGR 1980, 214; Knobbe-Keuk, „Umwandlung“ eines Personenunternehmens in eine GmbH und verschleierte Sachgründung, ZIP 1986, 885; Krüger, Mindestkapital und Gläubigerschutz, 2005; Koch, Die „Tokenisierung“ digitaler Rechtspositionen als digitale Verbreifung, ZBB 2018, 359; Kußmaul, Sind Nutzungsrechte Vermögensgegenstände bzw. Wirtschaftsgüter, BB 1987, 2053; Langner, Verdeckte Sacheinlagen bei der GmbH – Die unendliche Geschichte des richtigen Einbringungsgegenstandes, GmbHR 2004, 298;

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 1 § 5 Lerch, Bitcoin als Evolution des Geldes: Herausforderungen, Risiken und Regulierungsfragen, ZBB 2015, 191; Lieder, 10 Jahre Kapitalschutz nach dem MoMiG, GmbHR 2018, 1116; Lutter, Kapital, Sicherung der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung in den Aktien- und GmbH-Rechten der EWG, 1964; Lutz/Matschke, Zur Bewertung von Sacheinlagen bei Gründung und Kapitalerhöhung unter dem Aspekt des Gläubigerschutzes, WPg 1992, 741; Maume/Fromberger, Rechtshandbuch Kryptowerte, 2020; Meilicke, Obligatorische Nutzungsrechte als Sacheinlage, BB 1991, 579; Möhring, Erbringung von Stammeinlagen bei einer GmbH durch Aufrechnung, in FS R. Schmidt, 1976, S. 85; Möslein/Omlor, FintechHandbuch, 2019; H. P. Müller, Differenzierte Anforderungen für die Leistung von Sacheinlagen in das Eigenkapital von Kapitalgesellschaften, in FS Heinsius, 1991, S. 591; W. Müller, Die Verwendung von Gesellschafterforderungen zur Erfüllung von Einlageverpflichtungen bei Gründung und von Übernahmeverpflichtungen bei Erhöhung des Stammkapitals der GmbH, WPg 1968, 173; Noack, Reform des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts: Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen, DB 2006, 1465; Pentz, Neues zur verdeckten Sacheinlage, ZIP 2002, 2093; Pentz, Zu den GmbH-rechtlichen Änderungsvorschlägen des MoMiG aus Sicht eines Praktikers, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006, 2007, S. 115; Pfister, Das technische Geheimnis „Knowhow“ als Vermögensrecht, 1974; Priester, Die Verwendung von Gesellschafterforderungen zur Kapitalerhöhung bei der GmbH, DB 1976, 1801; Priester, Die Festsetzung im GmbH-Vertrag bei Einbringung von Unternehmen, BB 1980, 19; Priester, Ansatz des originären Firmenwertes in Einbringungs- und Umwandlungsbilanzen, in FS Nirk, 1992, S. 893; Priester, Mindestkapital und Sacheinlageregeln, in VGR, Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 1; Priester, Anteilsaufstockung nach Einziehung – Pflicht zur Einlageleistung?, GmbHR 2016, 1065; Raiser, Die neuen Gründungs- und Kapitalerhöhungsvorschriften für die GmbH, in Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, 1980, S. 21; Römermann, Der Entwurf des „MoMiG“ – die deutsche Antwort auf die Limited, GmbHR 2006, 673; von Rössing, Die Sachgründung nach der GmbH-Novelle 1980, 1984; Schall, Kapitalaufbringung nach dem MoMiG, ZGR 2009, 126; Schall, Kapitalgesellschaftsrechtlicher Gläubigerschutz, 2009; Schärtl, Die Doppelfunktion des Stammkapitals im europäischen Wettbewerb, 2006; Karsten Schmidt, Obligatorische Nutzungsrechte als Sacheinlagen, ZHR 154 (1990), 237; Schmidt-Troschke, Einbringung einer Generallizenz in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschafterrechten, BB 1996, 1530; Siegelmann, Die Grundstückssacheinlage im Recht der GmbH, GmbHR 1968, 115; Skibbe, Dienstleistungen als Sacheinlage bei der GmbH, GmbHR 1980, 73; Sosnitza, Die Einlagefähigkeit von Domain-Namen, GmbHR 2002, 821; Steinbeck, Obligatorische Nutzungsrechte als Sacheinlagen und Kapitalersatz, ZGR 1996, 116; Ströber, Valutaforderungen zur Erfüllung von Stammeinlageverbindlichkeiten bei der GmbH zu Zeiten von Währungsschwankungen, DNotZ 1975, 17; Sudhoff/Sudhoff, Die Sacheinlage bei Gründung einer GmbH, NJW 1982, 129; Trölitzsch, Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998; Ulmer, Gesellschafterdarlehen und Unterkapitalisierung, in FS Duden, 1979, S. 661; Ulmer, Freigabe der Stückelung von Stammeinlagen/Geschäftsanteilen im Zeitpunkt der GmbH-Gründung – ein empfehlenswertes Reformanliegen?, in Liber amicorum Happ, 2006, S. 325; Veil, Token-emissionen im europäischen Kapitalmarktrecht, ZHR 183 (2019), 346; J. Vetter, Reform des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes, Referat zum 66. Deutschen Juristentag, 2006, P 76; Wiedemann, Sacheinlagen in der GmbH, in FS Hirsch, 1968, S. 257; J. Wilhelm, Die Vermögensbindung bei der Aktiengesellschaft und der GmbH und das Problem der Unterkapitalisierung, in FS Flume, Bd. II, 1978, S. 337; Wilhelmi, Der Grundsatz der Kapitalerhaltung im System des GmbH-Rechts, 2001; Wohlschlegel, Gleichbehandlung von Sacheinlagen und Sachübernahmen im Gründungsrecht der GmbH, DB 1995, 2053; Zickgraf, Initial Coin Offerings – Ein Fall für das Kapitalmarktrecht?, AG 2018, 293. S. auch die Literaturangaben zu 13. Aufl., § 13 Rz. 138 (Unterkapitalisierung).

I. Allgemeines 1. Regelungsinhalt und -zwecke Die Vorschrift legt eine Mindesthöhe für das Stammkapital fest (§ 5 Abs. 1) und bestimmt, 1 dass die Summe der Nennbeträge aller Geschäftsanteile mit dem im Gesellschaftsvertrag festgesetzten Stammkapital übereinstimmen muss (§ 5 Abs. 3 Satz 2). Diese Regelungen dienen dem Gläubigerschutz. Außerdem legt die Vorschrift fest, welche Anforderungen zu beachten sind, wenn Sacheinlagen geleistet werden sollen (§ 5 Abs. 4), nämlich die Festsetzung des GeVeil | 445

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§ 5 Rz. 1 | Stammkapital; Geschäftsanteil genstands der Sacheinlage im Gesellschaftsvertrag und die Erstellung eines Sachgründungsberichts. Diese Vorgaben sollen in erster Linie die Gesellschaftsgläubiger, aber auch die Anteilsinhaber im Hinblick auf die möglichen Gefährdungen der Kapitalaufbringung bei Sachgründungen informieren (Warnfunktion)1 und dem Registergericht die Kontrolle des Vorgangs gemäß § 9c ermöglichen2. Falsche Angaben können eine Schadensersatzpflicht (§ 9a) sowie Strafbarkeit (§ 82 Abs. 1 Nr. 1 u. 2) zur Folge haben.

2. Gesetzesänderungen 2 Die größten Änderungen der Vorschrift erfolgten durch die GmbH-Novelle 1980 und das

MoMiG 20083. Die GmbH-Novelle 1980 verfolgte das Ziel, den Gläubigerschutz zu verbessern4. Dazu setzte sie mit Wirkung zum 1.1.1981 das Mindeststammkapital von 20.000 DM auf 50.000 DM herauf (§ 5 Abs. 1). Es ist mit der Einführung der Europawährung unter annähernder wertmäßiger Anpassung ab dem 1.1.1999 auf 25.000 Euro festgesetzt worden (Art. 3 § 3 Nr. 1a EuroEG). Mit der GmbH-Novelle von 1980 wurde außerdem § 5 Abs. 4 Satz 1 neu gefasst5 und in § 5 Abs. 4 Satz 2 eine Pflicht der Gesellschafter zur Erstattung eines Sachgründungsberichts eingeführt. Den Vorschlag einer obligatorischen Gründungsprüfung bei bestimmten Sacheinlagen (§ 5d RegE) griff der Gesetzgeber zwar nicht auf6. Es ist aber inzwischen anerkannt, dass der Registerrichter bei begründeten Zweifeln an der Bewertung ein Sachverständigengutachten einholen oder weiter gehende Prüfungen anordnen kann (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 14 und 34). 3 § 5 hat sodann durch das MoMiG eine Reihe an Änderungen erfahren. Diese sind zunächst

dadurch bedingt, dass ein Gesellschafter einer GmbH nach dem durch das MoMiG reformierten Recht keine Stammeinlagen, sondern Geschäftsanteile gegen Einlage auf das Stammkapital übernimmt. § 3 Abs. 1 Nr. 4 verlangt deshalb nicht mehr die Angabe des Betrags der Stammeinlage im Gesellschaftsvertrag, sondern der Nennbeträge der Geschäftsanteile. Dementsprechend regelt § 5 nicht wie früher die Bildung der Stammeinlagen, sondern die Bildung der Geschäftsanteile (vgl. aber § 20, der immer noch den Begriff der Stammeinlage verwendet). Die inhaltlichen Änderungen des § 5 verfolgen den Zweck, die Handhabung und Übertragung von Geschäftsanteilen zu erleichtern7. So konnte ein Gesellschafter früher bei der Errichtung einer GmbH nur eine Stammeinlage übernehmen (§ 5 Abs. 2 a.F.); heute ist es ihm gestattet, mehrere Geschäftsanteile zu übernehmen (§ 5 Abs. 2 Satz 2). Ferner musste die Stammeinlage jedes Gesellschafters vor der Reform mindestens hundert Euro betragen (§ 5 Abs. 1 a.F.) und ihr Betrag in Euro durch fünfzig teilbar sein (§ 5 Abs. 3 Satz 1 a.F.); jetzt begnügt sich das Gesetz mit der Vorgabe, dass der Nennbetrag jedes Geschäftsanteils auf volle Euro lauten muss (§ 5 Abs. 2 Satz 1). Keine Änderung hat das Erfordernis eines Stammkapitals von mindestens 25.000 Euro (§ 5 Abs. 1) erfahren. Die geänderten Bestimmungen traten zum 1.11.2008 in Kraft.

1 RGZ 114, 77, 81; RG, LZ 1918, 918; BGH v. 21.9.1978 – II ZR 214/77, NJW 1979, 216; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1. 2 Priester, BB 1980, 19, 21; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1. 3 S. zu den Änderungen der Stammkapitalziffer infolge der verschiedenen Währungsreformen Rz. 13. 4 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 27; Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 66. 5 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 69. 6 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 70. 7 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 29.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 7 § 5

3. Geltungsbereich Die Vorschriften des § 5 sind auch auf die Entstehung einer GmbH durch Umwandlung an- 4 wendbar. Der Mindeststammkapitalbetrag gemäß § 5 Abs. 1 gilt auch hier (§ 36 Abs. 2 Satz 1, § 135 Abs. 2 Satz 1, § 197 Satz 1 UmwG). Die umwandlungsrechtlichen Sondervorschriften zu den Mindestbeträgen der Anteile und zu deren Teilung (vgl. § 46 Abs. 1 Satz 3, § 56, § 125 Satz 1, § 243 Abs. 3 Satz 2 UmwG a.F.) gelten seit dem MoMiG nicht mehr8. Bei der Verschmelzung und Spaltung findet § 5 Abs. 4 Satz 1 Anwendung (§ 36 Abs. 2 Satz 1, § 135 Abs. 2 Satz 1 UmwG)9. Außerdem sind diesbezügliche Festsetzungen bis zum Ablauf der für sie geltenden Fristen10 aus den Gesellschaftsverträgen der übertragenden bzw. formwechselnden Rechtsträger zu übernehmen (§ 57, § 125 Satz 1, § 243 Abs. 1 Satz 2 UmwG). Ein Sachgründungsbericht i.S.d. § 5 Abs. 4 Satz 2 ist bei der Spaltung stets erforderlich (§ 138 UmwG), während er bei der Verschmelzung und beim Formwechsel nur zu erstellen ist, wenn der übertragende bzw. formwechselnde Rechtsträger keine Kapitalgesellschaft oder eingetragene Genossenschaft ist (§ 58 Abs. 2, § 245 Abs. 4, § 264 Abs. 2 UmwG). Im Sachgründungsbericht sind bei der Umwandlung auch der Geschäftsverlauf und die Lage der übertragenden bzw. formwechselnden Rechtsträger darzulegen (§ 58 Abs. 1, § 125 Satz 1, § 220 Abs. 2 UmwG). Bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung gelten die Bestimmungen des § 5 Abs. 2 und 3 auch 5 für die neu gebildeten Geschäftsanteile (§ 55 Abs. 4). Für die Festsetzungen im Erhöhungsbeschluss und in der Übernahmeerklärung betreffend Sacheinlagen gilt nach § 56 Abs. 1 Entsprechendes wie bei der Gründung. Einen Sacherhöhungsbericht der Gesellschafter schreibt das Gesetz in Abweichung von § 5 Abs. 4 Satz 2 nicht vor. Neue oder erhöhte Geschäftsanteile aus einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln müssen gemäß § 57h Abs. 1 Satz 2 auf einen Betrag gestellt werden, der auf volle Euro lautet. Weitergehende Anforderungen sind seit dem MoMiG nicht mehr vorgesehen. Daher können nun auch mehrere neue Geschäftsanteile an einen Gesellschafter zugeteilt werden (s. Rz. 22 f.). Bei einer Herabsetzung des Stammkapitals darf der in § 5 Abs. 1 bestimmte Mindestbetrag 6 nicht unterschritten werden (§ 58 Abs. 2 Satz 1). Erfolgt sie zum Zweck der Zurückzahlung von Einlagen oder zum Zweck des Erlasses zu leistender Einlagen, dürfen die verbleibenden Nennbeträge der Geschäftsanteile nicht unter den in § 5 Abs. 2 und 3 bezeichneten Betrag herabgehen (§ 58 Abs. 2 Satz 2). Für die vereinfachte Kapitalherabsetzung schreibt § 58a Abs. 3 Satz 2 ebenfalls ausdrücklich vor, dass die Geschäftsanteile auf einen Betrag gestellt werden müssen, der auf volle Euro lautet.

II. Stammkapital 1. Begriff und Funktionen a) Begriff Das GmbHG verwendet den Terminus Stammkapital in zahlreichen Vorschriften11. Darunter 7 ist eine durch den Gesellschaftsvertrag betragsmäßig zu bestimmende feste Größe12 zu ver-

8 Vgl. J. Vetter in Lutter, 6. Aufl. 2019, § 56 UmwG Rz. 19 ff. 9 Vgl. zu den notwendigen Angaben bei der Verschmelzung durch Neugründung J. Vetter in Lutter, 6. Aufl. 2019, § 56 UmwG Rz. 28 ff. 10 Für die AG und KGaA beträgt die Frist 30 Jahre (§ 26 Abs. 5, § 27 Abs. 5, § 278 Abs. 3 AktG), für die GmbH zehn Jahre ab Eintragung in das Handelsregister (s. Rz. 86). 11 § 3 Abs. 1 Nr. 3, § 5 Abs. 1 u. 3, § 5a Abs. 1 und 5, § 7 Abs. 2, § 10 Abs. 1, § 30, § 33, § 43 Abs. 3, §§ 55 ff., § 61 Abs. 2, § 75, § 82 Abs. 2 Nr. 1. 12 RGZ 68, 309, 312 spricht irrig von einem „im Gesellschaftsvertrage festgesetzten Sollvermögen“.

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§ 5 Rz. 7 | Stammkapital; Geschäftsanteil stehen, die die Gesamthöhe der mindestens aufzubringenden Gesellschaftereinlagen sowie der bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 57c ff.) „umgewandelten Rücklagen“ der Gesellschaft angibt. Sie bezeichnet zugleich die rechnerische Grenze, unterhalb der das Gesellschaftsvermögen durch Leistungen an die Gesellschafter als solche nicht geschmälert werden darf13 (Grundsatz der Kapitalerhaltung). Der Stammkapitalbegriff meint daher nicht Kapital im kredit- oder betriebswirtschaftlichen Sinne. Er ist insbesondere nicht identisch mit dem betriebswirtschaftlichen und im Handelsbilanzrecht verwandten Begriff des Eigenkapitals der Gesellschaft, das schon, beispielsweise im Falle der Einbringung eines Betriebes, bei der Gründung vom Stammkapital abweichen und sich danach anders als dieses ständig verändern kann. Auch die gebräuchlichen Kennzeichnungen als „Garantiekapital“ oder als „Haftungsfonds“ sind missverständlich14; sie bringen nur zum Ausdruck, dass das Stammkapital angreifende Auszahlungen an Gesellschafter verboten sind (vgl. § 30). b) Gläubigerschutz 8 Das Stammkapital hat nach der ursprünglichen Konzeption des Gesetzes eine zentrale Bedeu-

tung für den Gläubigerschutz15. Es soll den Gesellschaftsgläubigern als Haftungsfonds zur Verfügung stehen16. Diese Vorstellung mag bei Einführung der GmbH im Jahre 1892 berechtigt gewesen sein17. Der seinerzeit gesetzlich vorgeschriebene Mindestbetrag von 20.000 Reichsmark18 war beträchtlich19. Für den heute gültigen Mindestbetrag von 25.000 Euro trifft dies nicht mehr zu. Vor allem aber kann gesetzlich nicht sichergestellt werden, dass der Betrag des Stammkapitals den Gläubigern nach der Eintragung dauerhaft zur Verfügung steht. Die von den Gesellschaftern eingelegten Mittel werden bald nach der Gründung im operativen Geschäft eingesetzt und können verloren gehen. Verfehlt ist es deshalb, von einem Garantiekapital zu sprechen. Das im Gesellschaftsvertrag festgesetzte Stammkapital wird heute als Preis verstanden, den die Gründer für das Haftungsprivileg aufzubringen haben20 und das an die Gläubiger ein Seriositätssignal21 sendet. Der Sinn der zwingenden Vorschriften über Kapitalaufbringung und -erhaltung liegt unter diesen Umständen (nur) darin, die mit beschränkter Haftung operierenden Gesellschafter zu zwingen, den versprochenen Betrag der Gesellschaft wirklich zur Verfügung zu stellen und ihn nicht später (auch außerhalb von Krisenzeiten) aus dem Reinvermögen der Gesellschaft herauszunehmen, wenn dieses dadurch unter den Betrag des Stammkapitals sinkt oder schon gesunken ist. Die handelsgerichtliche Publizität (vgl. § 10) gewährleistet, dass Dritte sich über das „geschützte“ Vermögen der Gesellschaft zum Zeitpunkt der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister informieren können. Wie wichtig dem Gesetzgeber diese Publizität ist, zeigt sich an der Regelung der Nichtigkeitsklage: Enthält der Gesellschaftsvertrag keine Bestimmungen über die Höhe des Stammkapitals, so kann die Gesellschaft für nichtig erklärt werden (§ 75 Abs. 1).

13 Vgl. Lutter, Kapital, S. 42 ff.; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29, 32; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. 14 Zutreffend Joost, GmbHR 1983, 285 f. 15 Vgl. Schärtl, S. 25 ff.; Wilhelmi, S. 16 ff., 44 ff. 16 Vgl. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. 17 Vgl. Schärtl, S. 16 ff. 18 Das Mindeststammkapital wurde 1923 auf 5.000 GoldM, 1926 auf 20.000 RM und 1948 auf 20.000 DM festgesetzt. Vgl. Leitzen in Michalski u.a., Rz. 5. 19 Er entsprach dem Wert eines Einfamilienhauses. Vgl. Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189 ff.; Schärtl, S. 18. 20 Vgl. Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 5; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. 21 Vgl. Schall, ZGR 2009, 126, 128 ff.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 12 § 5

Das Gesetz sorgt durch die weit gehende Einschränkung der Unwirksamkeit der Betei- 9 ligungserklärungen der Gesellschafter (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 92 ff.), die strengen und zwingenden Vorschriften über die Erbringung der Einlagen (§ 5, § 7 Abs. 2 u. 3, § 8 Abs. 1 u. 2, §§ 9 ff., §§ 19 ff., § 33 Abs. 1, § 43 Abs. 3, §§ 55 ff., § 82, § 84) und durch die Sicherungen bei der Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§§ 57c ff.) dafür, dass mindestens ein der festgesetzten Stammkapitalziffer entsprechendes Reinvermögen der Gesellschaft aufgebracht wird (sog. Grundsatz der Sicherung der Kapitalaufbringung) und dass Dritte über die Leistung nicht in Geld bestehender Einlagegegenstände unterrichtet werden (§ 5 Abs. 4)22. Folgerichtig macht es die Herabsetzung des Stammkapitals von der Einhaltung besonderer Gläubigerschutzvorschriften abhängig (§§ 58 ff.). c) Gesellschaftsverhältnis Neben der Gläubigerschutzfunktion kommt dem Stammkapital Bedeutung für das interne 10 Gesellschaftsverhältnis zu. Die auf die Geschäftsanteile geleisteten Einlagen sind (wenn auch nicht notwendig die alleinigen) Beiträge der Gesellschafter zur Erreichung des Gesellschaftszwecks, die der Gesellschaft im Rahmen des Kapitalerhaltungsgrundsatzes zu belassen sind. Das Stammkapital zeigt außerdem die Höchstgrenze an, bis zu der jeder Gesellschafter eine Deckungspflicht für Einlagen gegenüber der GmbH haben kann (§ 24), auch und gerade beim Ausfallen eines seiner Mitgesellschafter, und ist teilweise eine Bezugsgröße für die Ausübung von Gesellschafterrechten (§ 50, § 61 Abs. 2, § 66 Abs. 2)23.

2. Höhe a) Festsetzung Die Festsetzung des Stammkapitals hat im Gesellschaftsvertrag in Euro zu erfolgen (§ 3 Abs. 1 11 Nr. 3) und kann nur durch Satzungsänderung nach den Sonderregeln über die Kapitalerhöhung (§§ 55 ff.) sowie über die Kapitalherabsetzung (§§ 58 ff.) geändert werden. Die Satzungsautonomie zur Bestimmung der Stammkapitalhöhe schränkt das GmbHG durch eine zwingende Untergrenze (§ 5 Abs. 1) ein24. Darin artikuliert sich die ordnungspolitische Entscheidung, die Verwendung der GmbH wegen der auf das Gesellschaftsvermögen beschränkten Haftung von einem bestimmten Mindesteinsatz an Risikokapital durch die Beteiligten abhängig zu machen und damit den Gesellschaftsgläubigern einen gewissen Mindestschutz zu geben25. Der Gesetzgeber hat an dieser Entscheidung bei der Reform durch das MoMiG zwar festgehal- 12 ten. Die mit dem MoMiG eingeführte Unternehmergesellschaft relativiert aber die Bedeutung der Kapitalaufbringung. Eine Obergrenze für die Stammkapitalhöhe sieht das GmbHG nicht vor, so dass auch Großunternehmen sich der Rechtsform der GmbH bedienen können und bedienen.

22 Die früher durch § 10 Abs. 3 sichergestellte Publizität von Sacheinlagen wurde durch das EHUG aufgehoben. S. 13. Aufl., § 10 Rz. 1 und 29. 23 Ausführlich hierzu bei 13. Aufl., § 14 Rz. 11. 24 Weitergehende spezialgesetzliche Einschränkungen der Bestimmungsfreiheit bestehen für Gesellschaften des Kreditgewerbes, s. Rz. 17. 25 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 68 f. und dazu insbesondere Karsten Schmidt, NJW 1980 1769, 1770; Kreuzer, ZIP 1980, 597, 598 f.; Priester, DNotZ 1980, 515, 517; Raiser, S. 22 ff.

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§ 5 Rz. 13 | Stammkapital; Geschäftsanteil b) Mindesthöhe 13 Das Stammkapital muss mindestens 25.000 Euro betragen (§ 5 Abs. 1). Diese durch das

EuroEG vom 9.6.1998 (BGBl. I 1998, 1242) in Anlehnung an das frühere Recht26 festgelegte Untergrenze gilt für Neugründungen ab dem 1.1.1999. Eine andere Währungseinheit als Euro ist seitdem unzulässig27. Der RegE MoMiG hatte den Betrag auf 10.000 Euro absenken wollen28 und damit der Kritik von Praxis und Wissenschaft an der Höhe und Sinnhaftigkeit des Mindeststammkapitals (s. Rz. 8) Rechnung tragen wollen29. Auf dem 66. Deutschen Juristentag fand der Antrag „Eine Reduzierung des für die GmbH geltenden Mindestkapitals von 25.000 Euro wird befürwortet.“ aber keine Mehrheit30. Ebenso entwickelte sich das Meinungsbild in der rechtswissenschaftlichen Reformdebatte31. Der Gesetzgeber nahm daraufhin von seinem Vorhaben mit Rücksicht auf die Sorge des deutschen Mittelstandes um das Ansehen der bereits gegründeten GmbHs Abstand32. Außerdem sah er auf Grund der Einführung der Unternehmergesellschaft keinen Reformdruck mehr, Unternehmen mit geringem Kapitalbedarf die Gründung einer GmbH zu ermöglichen33. Die rechtspolitische Diskussion sollte damit jedoch nicht beendet sein. Die Erfahrungen mit der Unternehmergesellschaft als „Abart“ der GmbH (s. 13. Aufl., § 5a Rz. 7) zeigen, dass ein effektiver Gläubigerschutz auch ohne eine bestimmte Mindesthöhe des Stammkapitals verwirklicht werden kann. 14 Wenn die Gesellschafter nach Abschluss des Gesellschaftsvertrags einen geringen Stamm-

kapitalbetrag aufbringen wollen, können sie den Gesellschaftsvertrag vor der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister ändern und ein unter 25.000 Euro liegendes Stammkapital festlegen. Damit gründen sie eine Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)34. c) Bemessung des Stammkapitals 15 Die Bestimmung der Höhe des statutarisch festzusetzenden Stammkapitals (Rz. 13) steht,

abgesehen von dem Mindestbetrag von 25.000 Euro (§ 5 Abs. 1), im freien Ermessen der Gesellschafter. Zwar wird vereinzelt vertreten, die Gesellschafter hätten eine Pflicht zur Festsetzung eines dem Geschäftszweck und Geschäftsumfang „angemessenen Stammkapitals“35. 26 Nach früherem Recht betrug das Mindeststammkapital 50.000 DM. S. Rz. 2 und zum Übergangsrecht ausführlich 10. Aufl., Rz. 16 f. 27 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 11. 28 Schon der RegE MindestKapG vom 1.6.2005 hatte die Absenkung des Mindeststammkapitals auf den Betrag von 10.000 Euro vorgesehen. Vgl. dazu Stellungnahme des Handelsrechtsausschusses DAV (abrufbar unter https://anwaltverein.de/de/newsroom/id-2005-32?file=files/anwaltverein.de/ downloads/newsroom/stellungnahmen/2005/2005-32.pdf). 29 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 29. 30 Der Antrag wurde mit 58:112:10 Stimmen abgelehnt; vgl. Beschlüsse der Abteilung Wirtschaftsrecht des 66. Deutschen Juristentags, I.3. (abrufbar unter http://www.djt.de/files/djt/66/66_DJT_Beschlues se.pdf). 31 Ablehnend Büchel, GmbHR 2007, 1065, 1066; Goette, WPg 2008, 231, 234; Pentz in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2006, 2007, S. 115, 122; Kleindiek, P 47 ff.; Priester in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2005, 2006, S. 1, 5 ff.; Raiser, ZGR 2006, 494, 497 („unbedachter Hüftschuss“); Schärtl, GmbHR 2007, 344, 348; kritisch auch J. Vetter, P 83 f.; eine Reduktion bzw. Abschaffung befürwortend Blaurock in FS Raiser, 2005, S. 3 ff.; Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189; Eidenmüller/Engert, GmbHR 2005, 433. 32 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 94. 33 Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 94; dazu auch Seibert/Decker, ZIP 2008, 1208; Wedemann, WM 2008, 1381. 34 OLG Frankfurt a.M. v. 20.12.2010 – 20 W 388/10, GmbHR 2011, 984. 35 So vor allem Wiedemann in Die Haftung des Gesellschafters in der GmbH, 1968, S. 17 f.; Wiedemann, WM 1975 Beil. IV, 19; Wiedemann, GesR I, S. 226, 565 ff.; vgl. auch BSG v. 1.2.1996 – 2 RU

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 16 § 5

Eine solche Pflicht hat aber keine Grundlage im geltenden Recht36 und ist auch nicht rechtsfortbildend aus den gesetzlichen Kapitalschutzvorschriften herzuleiten. Diese Regeln sollen lediglich gewährleisten, dass die Aufbringung eines Vermögensgrundstockes in Höhe des bekanntgemachten Stammkapitalbetrages gesichert ist und das Gesellschaftsvermögen bis zur Höhe dieses Betrages nicht durch Leistungen an die Gesellschafter als solche geschmälert wird (Rz. 8). Es entspricht dem gesetzgeberischen Willen, es der Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter zu überlassen, in welcher Form (Einlagen, Nachschüsse, Nebenleistungen, Rücklagen) das erforderliche Eigenkapital bereitgestellt und welcher Teil als Stammkapital aufgebracht werden soll (§ 3 Abs. 1 Nr. 3, 4 und Abs. 2; § 5; §§ 26 ff., § 29 Abs. 1, § 42 Abs. 1)37. Eine andere Beurteilung ergibt sich auch nicht aus den mittlerweile im Insolvenzrecht vorzufindenden Regeln über Gesellschafterdarlehen (§§ 39, 135, 143 InsO), die in keiner sachlichen Beziehung zur Stammkapitalhöhe stehen. Zwar liegt ihnen die Vorstellung zugrunde, dass Gesellschafter auch als Fremdkapitalgeber eine besondere Finanzierungsverantwortung tragen. Sie betreffen aber die ganz andere Frage, unter welchen Voraussetzungen die Rückgewähransprüche der Gesellschafter über die der GmbH gegebenen Fremdmittel trotz dieses Rechtscharakters im Insolvenzfalle gegenüber den Forderungen anderer Gläubiger nachrangig sein sollen. Einen rechtlichen Bewertungsmaßstab, nach dem sich die Angemessenheit des Stammkapitals bestimmen ließe, kann ihnen nicht entnommen werden. Die Gesellschafter trifft nach der gesetzlichen Ausgestaltung der GmbH keine über die Auf- 16 bringung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindeststammkapitals hinausgehende „Finanzausstattungspflicht“38. Eine solche Pflicht lässt sich rechtsdogmatisch nicht begründen. Die Vorschriften über die Handelsregisteranmeldung (§§ 7 und 8) fordern keine Unterlagen über die geplante Unternehmensfinanzierung und machen damit deutlich, dass diese nicht Gegenstand der registerrichterlichen Prüfung und die unzulängliche Eigenkapitalausstattung kein Eintragungshindernis sein sollte39. Aus den Kapitalschutzvorschriften lässt sich eine Beschränkung der Satzungsautonomie zur Bestimmung der Stammkapitalhöhe jedenfalls nicht herleiten40. Es wäre zudem kaum möglich, dass ein Gericht eine solche Pflicht rechtssicher bestimmt. Der BGH lehnt es daher zu Recht ab, eine allgemeine gesellschaftsrechtliche Haftung der Gesellschafter wegen materieller Unterkapitalisierung im Wege der Rechtsfortbildung anzuerkennen41. Eine andere Frage ist, ob eine deliktische Haftung gemäß § 826 BGB

36

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7/95, GmbHR 1996, 604, 606 (es müsse „eine gewisse Relation zwischen dem nach Art und Umfang der beabsichtigten oder der tatsächlichen Geschäftstätigkeit bestehenden Finanzbedarf und dem haftenden Eigenkapital gewährleistet sein“). BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 268; BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 319; BGH v. 24.3.1980 – II ZR 213/77, BGHZ 76, 326, 334 = GmbHR 1980, 179; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 389 = GmbHR 1984, 343; BGH v. 11.7.1994 – II ZR 162/ 92, BGHZ 127, 23 = GmbHR 1994, 691; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, ZIP 1999, 24, 26 = GmbHR 1998, 1221; BAG v. 10.2.1999 – 5 AZR 677/97, ZIP 1999, 878, 880 = GmbHR 1999, 655; Ulmer in FS Duden, 1977, S. 661, 667; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 308 ff. Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 43. BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204, 215 Rz. 23 = GmbHR 2008, 805. A.A. Lutter/ Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 57 ff.; Lutter, ZGR 1982, 244, 249 f.; Ulmer in FS Duden, S. 669 ff. Nur wenn feststeht, dass die Gesellschaftsgründung nach den Gesamtumständen auf eine vorsätzliche, sittenwidrige Schädigung anderer angelegt ist, kommt eine Zurückweisung des Eintragungsantrages in Betracht; s. 13. Aufl., § 9c Rz. 36. Vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 308 ff. BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204, 216 Rz. 24 = GmbHR 2008, 805.

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§ 5 Rz. 16 | Stammkapital; Geschäftsanteil begründet sein kann42. Dies lässt sich nur im Einzelfall bestimmen (s. hierzu 13. Aufl., § 13 Rz. 138 ff.). d) Sondervorschriften 17 Einer Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG) in der Rechtsform der GmbH muss mit einem

Anfangskapital von mindestens 300.000 Euro (bei interner Verwaltung, § 17 Abs. 2 Nr. 1 b), § 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) KAGB) bzw. 150.000 Euro (bei externer Verwaltung, § 17 Abs. 2 Nr. 1 a), § 25 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) KAGB) und mit zusätzlichen Eigenmitteln in Höhe von 0,02 % des 250 Mio. Euro übersteigenden Portfolios (§ 17 Abs. 1 Nr. 2 KAGB) ausgestattet sein (vgl. auch § 5 Abs. 2 i.V.m. § 17 Abs. 1 Nr. 2 und 3 WpIG mit Sonderregelungen für KVGS, die bestimmte Wertpapierdienstleistungen erbringen). Sondervorschriften gelten außerdem für Kreditinstitute. Die Vorschriften über die angemessene Eigenmittelausstattung von Instituten, Institutsgruppen, Finanzholding-Gruppen und gemischten Finanzholding-Gruppen sind in der Verordnung (EU) Nr. 575/2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen (EU Bankenaufsichtsverordnung – CRR) vom 26.6.2013 enthalten43. Teil 2 (Art. 25 ff. CRR) regelt die Bestandteile der Eigenmittel. Die CRR unterscheidet zwischen Kernkapital (hartes Kernkapital und zusätzliches Kernkapital) und Ergänzungskapital (Art. 62 ff. CRR). Der Teil 3 beschäftigt sich mit den Eigenmittelanforderungen (Art. 92 ff. CRR). Nach Art. 92 Abs. 1 CRR müssen Institute unbeschadet der Art. 93 und 94 CRR zu jedem Zeitpunkt folgende Eigenmittelanforderungen erfüllen: a) eine harte Kernkapitalquote von 4,5 %, b) eine Kernkapitalquote von 6 % und c) eine Gesamtkapitalquote von 8 %. Die Prüfung der Voraussetzungen über angemessene Eigenmittel obliegt der BaFin (§ 33 Abs. 1 KWG). Das Registergericht darf die Gesellschaft nur eintragen, wenn ihm die Erlaubnis nachgewiesen worden ist (§ 43 Abs. 1 KWG). Ein eigenes Prüfungsrecht bezüglich der angeführten Erlaubnisvoraussetzungen hat es nicht44.

3. Rechtsfolgen eines Verstoßes 18 Die Verletzung der Vorschrift über das Mindeststammkapital (§ 5 Abs. 1) führt zur Nichtig-

keit der statutarischen Stammkapitalfestsetzung45. Sie ist ein vom Registergericht zu beachtendes Eintragungshindernis (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 16 ff.). Wird die Gesellschaft dennoch eingetragen, so ist das Amtsauflösungsverfahren gemäß § 399 Abs. 4 FamFG gegeben. Die Nichtigkeitsklage gemäß § 75 Abs. 1 und die Amtslöschung gemäß § 397 FamFG beschränken sich dagegen auf den Fall, dass der Gesellschaftsvertrag keine Bestimmung über die Höhe des Stammkapitals enthält oder, was dem gleichsteht, die Angabe unklar ist46. Andere Mängel der Stammkapitalfestsetzung genügen dagegen nicht.

42 Der BGH hat in BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204, 216 Rz. 25 = GmbHR 2008, 805 offengelassen, ob „Anlass und Raum ist für die Bildung einer besonderen Fallgruppe der ‚Haftung wegen Unterkapitalisierung einer GmbH‘, bei der der Haftungstatbestand und dessen Rechtsfolgen einer bestimmten generalisierenden Einordnung zugänglich sein müssten“. 43 Erläuterung der CRR bei Fischer/Schulte-Mattler, KWG, CRR-VO, 6. Aufl. 2022. 44 Vgl. zu den Mitwirkungsrechten der BaFin beim Eintragungsverfahren § 43 Abs. 3 KWG. 45 Leitzen in Michalski u.a., Rz. 20. 46 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 21 § 5

III. Geschäftsanteile 1. Allgemeines Das Stammkapital ist seit dem MoMiG nicht mehr in Stammeinlagen, sondern in Geschäfts- 19 anteile zerlegt. Folglich steht der Begriff des Geschäftsanteils im Zentrum des Gründungsund Kapitalerhöhungsrechts. Auf den Begriff des Geschäftsanteils wird zunächst in § 3 Abs. 1 Nr. 4 Bezug genommen. Nach dieser Vorschrift muss der Gesellschaftsvertrag die Zahl und die Nennbeträge der Geschäftsanteile, die jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital (Stammeinlage) übernimmt, enthalten. Ferner ist in § 14 Satz 1 bestimmt, dass auf jeden Geschäftsanteil eine Einlage zu leisten ist. Die Höhe der zu leistenden Einlage richtet sich gemäß § 14 Satz 2 nach dem bei der Errichtung der Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag festgesetzten Nennbetrag des Geschäftsanteils bzw. im Fall der Kapitalerhöhung gemäß § 14 Satz 3 nach dem in der Übernahmeerklärung festgesetzten Nennbetrag des Geschäftsanteils. Mit diesen Regelungen wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass die Erhöhung des Nennbetrags der Geschäftsanteile nach § 57h Abs. 1 im Rahmen einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder die Erhöhung des Nennbetrags der Geschäftsanteile im Zuge einer Einziehung gemäß § 34 keine Erhöhung der Einlageverpflichtung zur Folge hat47. Einen Geschäftsanteil muss jeder Gesellschafter übernehmen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4). Auf jeden 20 Geschäftsanteil ist eine Einlage zu leisten (§ 14 Satz 1). Der Nennbetrag des Geschäftsanteils ist im Gesellschaftsvertrag in Euro betragsmäßig festzusetzen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4 und § 5 Abs. 1 u. Abs. 2 Satz 1). Die Einlageleistung kann in Geld inländischer Währung oder in sonstigen Gegenständen bestehen, soweit sie zur Aufbringung des Stammkapitals geeignet sind (sog. Sacheinlagen; s. Rz. 30 ff.). Wenn der Gesellschaftsvertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt (§ 5 Abs. 4 Satz 1), hat die Einlageleistung in Geld zu erfolgen. Als Übernehmer des Geschäftsanteils kommt grundsätzlich jede Person in Betracht. Allein die Gesellschaft selbst kann einen Geschäftsanteil nicht übernehmen48. In der Regel gewähren Geschäftsanteile dieselben Mitgliedsrechte. Es ist allerdings auch zulässig, Vorzugsgeschäftsanteile vorzusehen (s. auch 13. Aufl., § 14 Rz. 127). Diese kennzeichnet, dass sie dem Inhaber des Geschäftsanteils (also: nicht der Person) Sonderrechte (vgl. § 35 BB) einräumen. Dies können Herrschaftsrechte (insbesondere Mehrfachstimmrechte) und Vermögensrechte (Vorzugsdividende; Erwerbsvorrechte; Vorzug bei der Verteilung des Liquidationsüberschusses, etc.) sein. Im Falle des Übergangs des Geschäftsanteils stehen die Sonderrechte dem neuen Inhaber des Geschäftsanteils zu. Insoweit unterscheiden sich die Sonderrechte von Sondervorteilen (s. auch Rz. 115). Wenn ein Sonderrecht nicht bei der Gründung im Gesellschaftsvertrag vorgesehen ist, sondern später begründet wird, bedarf es entsprechend § 53 AktG wegen der Ungleichbehandlung der Zustimmung sämtlicher Gesellschafter49. Ohne Zustimmung des Inhabers kann ein Sonderrecht nicht aufgehoben oder eingeschränkt werden50. Ein das Sonderrecht aufhebender oder einschränkender Beschluss der Gesellschafter ist ohne die Zustimmung des Sonderrechtsinhabers schwebend unwirksam. Außer der Einlage können für alle oder für einzelne Gesellschafter auch andere Beitragsleis- 21 tungen im Gesellschaftsvertrag in der Form von sog. Nebenleistungs- oder von Nachschusspflichten (§ 3 Abs. 2, §§ 26 ff.) vereinbart werden, die nicht der Aufbringung des Stammkapitals dienen und deren Leistung daher nicht den speziellen Gläubigerschutzvorschriften unterliegt. Die Nachschüsse, die nur in Geld zulässig sind (§ 26 Abs. 1: „Einzahlungen“), haben ebenfalls den Charakter von Leistungen auf das Eigenkapital der Gesellschaft, während

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Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 37. Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 188. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 190.

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§ 5 Rz. 21 | Stammkapital; Geschäftsanteil das für die sog. Nebenleistungen, die in Geld oder in anderen Gegenständen bestehen können, der Fall sein kann, aber nicht sein muss. Praktisch relevant sind insoweit vor allem Aufgeldzahlungen (Agio). Es handelt sich dabei um die Vereinbarung einer den Nennbetrag des Geschäftsanteils überschreitenden Einlageforderung. Das Agio ist nicht als eine Zahlung auf den Geschäftsanteil, sondern als eine Nebenleistungspflicht zu qualifizieren51. In der Bilanz der Gesellschaft sind die eingeforderten Nachschüsse nach § 42 Abs. 2 Satz 3 und die Nebenleistungen auf das Eigenkapital nach § 272 Abs. 2 HGB auf der Passivseite in dem Posten „Kapitalrücklage“ auszuweisen52. Die Rückgewähr solcher Leistungen unterliegt, soweit sie nach dem Gesellschaftsvertrag zulässig ist, nicht der Kapitalbindung gemäß §§ 30, 3153, wohl aber bei Nachschüssen den Einschränkungen des § 30 Abs. 2 Satz 2 und 3. Etwas anderes gilt insoweit grundsätzlich für die Nebenleistungsvereinbarungen i.S.d. § 3 Abs. 2, die die Gesellschafter lediglich zur Bereitstellung von Fremdmitteln (Darlehen, Sachleihe) oder zum Abschluss sonstiger Geschäfte verpflichten; bei der Befriedigung oder Sicherung von Ansprüchen auf Darlehensrückgewähr können die Sondervorschriften der InsO über Gesellschafterdarlehen eingreifen (vgl. § 39 Abs. 1 Nr. 5 und § 135 InsO).

2. Bildung der Geschäftsanteile a) Mehrere Geschäftsanteile 22 Der Gesetzgeber hatte bei Erlass des GmbHG im Jahre 1892 noch gemeint, die für die Akti-

engesellschaft erleichterte Veräußerlichkeit der Beteiligung sei auf die GmbH nicht zu übertragen; deshalb sei in der Gründungsphase die Einheitlichkeit der Mitgliedschaft festzulegen54. Das seinerzeitige Anliegen ist heute nur noch von begrenzter Überzeugungskraft. In der Reformdiskussion hat sich daher die Ansicht durchgesetzt, jedenfalls die Bildung der Geschäftsanteile in der Gründungsphase zu liberalisieren55. Dies wirkt sich auf die für notwendig gehaltene Unterscheidbarkeit der Rechtsformen GmbH und AG nicht aus; denn die Geschäftsanteile sind wegen des Erfordernisses einer notariellen Beurkundung für die Abtretung weiterhin nicht in derselben Weise fungibel wie Aktien einer AG. Hinzu kam, dass ein Gesellschafter schon nach altem Recht durch den Erwerb weiterer Geschäftsanteile nach der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister, im Zuge einer Kapitalerhöhung oder auf Grund Teilung (§ 17 a.F.) über mehrere Stammeinlagen (und damit gemäß § 14 a.F. über mehrere Geschäftsanteile) verfügen konnte. Es war nicht einzusehen, warum dies in der Gründungsphase nicht zulässig sein sollte56. 23 Der Gesetzgeber hat daher mit dem MoMiG zu Recht das Verbot der Übernahme mehrerer

Geschäftsanteile aufgehoben. Dies folgt bereits aus § 3 Abs. 1 Nr. 4, ist aber in § 5 Abs. 2 Satz 2 nunmehr ausdrücklich festgelegt: Ein Gesellschafter kann bei Errichtung der Gesellschaft mehrere Geschäftsanteile übernehmen. In der Konsequenz dieser Liberalisierung hat der Gesetzgeber die Teilung von Geschäftsanteilen erleichtert, indem er § 17 durch das MoMiG aufgehoben hat. Die Teilung ist jetzt uneingeschränkt zulässig und erfolgt ebenso wie die Zusammenlegung von Geschäftsanteilen durch Beschluss der Gesellschafter (§ 46 Nr. 4).

51 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53; Ulmer/ Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 180. A.A. Herchen, S. 139 ff. 52 Für das Agio Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53. 53 Vgl. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 180. 54 Amtl. Begr. zum Entwurf eines GmbHG v. 11.2.1892, RT-Drucks. Nr. 660, S. 3724, 3729. 55 Happ, ZHR 169 (2005), 6, 17 f.; Noack, DB 2006, 1475, 1477; Römermann, GmbHR 2006, 673, 676. 56 So bereits H. Winter/H.P. Westermann, 10. Aufl., Rz. 2; Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 30.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 26 § 5

b) Höhe der Geschäftsanteile Bis zum MoMiG musste die Stammeinlage jedes Gesellschafters mindestens hundert Euro 24 betragen (§ 5 Abs. 1 a.F.). Dieses Erfordernis hat der Gesetzgeber gestrichen und stattdessen bestimmt, dass der Nennbetrag jedes Geschäftsanteils auf volle Euro lauten muss (§ 5 Abs. 2 Satz 1)57. Aus diesen beiden Änderungen folgt, dass ein Geschäftsanteil – wie eine Aktie (vgl. § 8 Abs. 2 Satz 1 AktG) – auf den Nennbetrag von einem Euro lauten kann. Der Gesetzgeber hat diese Gestaltungsautonomie mit der treffenden Erwägung gerechtfertigt, dass der frühere Mindestnennbetrag von 100 Euro zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger nichts beitrage58. Die Höhe des Nennbetrags hat in der Tat lediglich die Funktion einer Rechengröße, die bei der Ausfallhaftung der Mitgesellschafter (§ 24 und § 31 Abs. 3) relevant wird. Schließlich trägt § 47 Abs. 2 der in § 5 Abs. 2 Satz 1 getroffenen Regelung Rechnung und bestimmt, dass jeder Euro eines Geschäftsanteils eine Stimme gewährt. Weitere Anforderungen sind bei der Bildung der Geschäftsanteile nicht zu beachten. Ins- 25 besondere ist das frühere Erfordernis, dass der Betrag der Stammeinlage in Euro durch fünfzig teilbar sein muss (§ 5 Abs. 3 Satz 2 a.F.), ersatzlos gestrichen worden. Der Gesetzgeber ist damit einer Forderung der Wirtschaftsverbände nachgekommen, die in der Teilbarkeitsregel eine unnötige Belastung bei Erbauseinandersetzungen und Vorgängen der vorweggenommenen Erbfolge gesehen hatten59. Rechtlich nicht zwingend geboten ist eine Nummerierung der Geschäftsanteile im Gesellschaftsvertrag60. In der bei der Anmeldung einzureichenden Liste sind die Anteile ohnehin zu nummerieren (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 3), so dass dies praktischerweise bereits im Gesellschaftsvertrag erfolgen kann. Der Gesellschafterliste muss auch die durch den jeweiligen Nennbetrag eines Geschäftsanteils vermittelte jeweilige prozentuale Beteiligung am Stammkapital zu entnehmen sein (§ 40 Abs. 1 Satz 1). Eine Angabe im Gesellschaftsvertrag ist deshalb aber nicht angezeigt. Die Höhe der Nennbeträge der einzelnen Geschäftsanteile kann verschieden bestimmt werden (§ 5 Abs. 3 Satz 1). Ein Gesellschafter kann folglich mehrere Geschäftsanteile mit unterschiedlichen Nennbeträgen (bspw. 1, 3, 5, 10 Euro etc.) übernehmen. c) Gesamtbetrag der Geschäftsanteile Nach altem Recht musste der Gesamtbetrag der Stammeinlagen mit dem Stammkapital über- 26 einstimmen. Über das Gründungsstadium hinaus war aber keine Übereinstimmung von Stammkapital und Summe der Geschäftsanteile gefordert61. Dies hat der Gesetzgeber mit dem MoMiG ändern wollen. So bestimmt § 5 Abs. 3 Satz 2, dass die Summe der Nennbeträge aller Geschäftsanteile mit dem Stammkapital übereinstimmen muss62. Dieses Korrespondenzgebot gilt nach dem Willen des Gesetzgebers sowohl für die Gründungsphase als auch für den weiteren Verlauf der Gesellschaft63, was auch im Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 („muss“) deutlich zum Ausdruck kommt. Darauf nimmt auch § 55 Abs. 4 für die Kapitalerhöhung Bezug und in dieser Weise ist auch § 58a Abs. 3 Satz 1 bezüglich der vereinfachten Kapitalherabsetzung formuliert. Wird ein Geschäftsanteil eines Gesellschafters gemäß § 34 eingezogen (und vernichtet), müssen daher die Gesellschafter vermeiden, dass entgegen § 5 Abs. 3 Satz 2 die Summe der Nennbeträge aller Geschäftsanteile mit dem Stammkapital nicht mehr übereinstimmt (s. 13. Aufl., § 34 Rz. 62 ff.). 57 58 59 60 61 62

Dies noch ablehnend Happ, ZHR 169 (2005), 6, 20. Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 30. Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 30. Vgl. Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50. Vgl. H. Winter/H.P. Westermann, 10. Aufl., Rz. 31 f. Die Regelung gilt nicht für Sachverhalte vor Inkrafttreten des MoMiG am 1.11.2008. Vgl. OLG München v. 30.1.2012 – 31 Wx 483/11, GmbHR 2012, 398. 63 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 31.

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§ 5 Rz. 27 | Stammkapital; Geschäftsanteil 27 In der Rechtsprechung der Instanzgerichte und im Schrifttum ist es umstritten, welche

Rechtsfolgen es hat, wenn ein Einziehungsbeschluss nach § 34 gegen § 5 Abs. 3 Satz 2 verstößt. So wird mit Hinweis auf den Willen des Gesetzgebers einerseits angenommen, der Beschluss sei nichtig64. Nach a.A. hat ein Verbot des späteren Auseinanderfallens von Stammkapital und Nennbeträgen der Geschäftsanteile im Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 keinen Niederschlag gefunden. Es sei daher auch nicht anzunehmen, dass der Beschluss nichtig sei65. Der BGH hat mit überzeugenden Argumenten die zuletzt genannte Auffassung als zutreffend erachtet und sowohl die Nichtigkeit als auch die Anfechtbarkeit des Beschlusses abgelehnt. Die Gesetzessystematik spreche dagegen, aus § 5 Abs. 3 Satz 2 die Nichtigkeit eines Einziehungsbeschlusses herzuleiten. Auch die Interessen der Gläubiger würden keine Übereinstimmung der Summe der Nennbeträge der Geschäftsanteile mit dem Stammkapital gebieten. Schließlich komme es unter dem Gesichtspunkt des Schutzes der Minderheitsgesellschafter auf eine Konvergenz in dem genannten Sinne nicht entscheidend an, weil zumindest die Gewinnrechte der Gesellschafter im Regelfall nicht von den Nennbeträgen, sondern vom Verhältnis der Geschäftsanteile abhängen würden66. Das Konvergenzgebot (bzw. Kongruenzgebot) beschränkt sich darauf, für Anteilsklarheit zu sorgen67. Aus dem Normzweck kann nicht abgeleitet werden, dass ein Einziehungsbeschluss bei Verstoß gegen das Konvergenzgebot nichtig ist. Die Problematik kann durch Aufstockung der verbliebenen Geschäftsanteile gelöst werden68. Eine Pflicht zur Einlageleistung wird dadurch nicht begründet69. Höchstrichterlich noch nicht entschieden ist, welche Rechtsfolgen es hat, wenn Stammkapital und Nennbeträge der Anteile nicht übereinstimmen. Vorzugswürdig ist die Auslegung, dass die Gesellschafter keine unverzügliche Anpassungspflicht haben, doch müssen sie spätestens bei der nächsten Kapitalmaßnahme für eine Anpassung sorgen70.

3. Verbot der Unterpari-Ausgabe 28 Ein Verbot der Unterpari-Ausgabe ist in § 5 – anders als in § 9 Abs. 1 AktG – nicht vorgese-

hen. Schon nach altem Recht war daraus aber nicht zu schließen, dass Geschäftsanteile gegen einen geringeren Betrag als den Nennbetrag ausgegeben werden dürfen71. Dies hat der BGH in seiner Entscheidung vom 14.3.1977 damit begründet, dass das GmbH-Recht von dem Grundsatz beherrscht ist, dass im Interesse des redlichen Rechtsverkehrs die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals als der Haftungs- und Kreditgrundlage der Gesellschaft unbedingt gesichert werden muss. Dieser Grundsatz lasse es nicht zu, Geschäftsanteile gegen eine unter dem Nennbetrag liegende Einlage mit der Folge einzuräumen, dass die Summe der Stammeinlagen das im Gesellschaftsvertrag ausgewiesene und in das Handelsregister einzutragende Stammkapital wertmäßig nicht erreicht72. Das MoMiG hat zwar das Kapitalauf-

64 Vgl. OLG München v. 21.9.2011 – 7 U 2413/11 und v. 15.11.2011 – 7 U 2413/11, jeweils abrufbar unter www.juris.de; LG Essen v. 9.6.2010 – 42 O 100/09, GmbHR 2010, 1034 = NZG 2010, 867; LG Neubrandenburg v. 31.3.2011 – 10 O 62/09, GmbHR 2011, 823 = ZIP 2011, 1214. 65 Vgl. Braun, NJW 2010, 2700 f.; Haberstroh, NZG 2010, 1094 ff.; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Meyer, NZG 2009, 1201 ff.; Wanner-Laufer, NJW 2010, 1499 ff.; Casper in FS Krieger, S. 167, 170 ff.; in der Tendenz auch OLG Saarbrücken v. 1.12.2011 – 8 U 315/10 – 83, 8 U 315/ 10, GmbHR 2012, 209 (i.E. aber offen gelassen). 66 BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, BGHZ 203, 303, 309 f = GmbHR 2015, 416. 67 Casper in FS Krieger, S. 167, 172; nach Lieder, GmbHR 2018, 1116, 1119 hat der Gleichlauf von Nennbetragssumme und Stammkapitalziffer nur ästhetische Gründe. 68 Vgl. Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47. 69 Streitig; s. 13. Aufl., § 34 Rz. 68, 71; ferner Priester, GmbHR 2016, 1065, 1067 f. 70 Vgl. Casper in FS Krieger, S. 167, 174 ff.; a.A. Lieder, GmbHR 2018, 1116, 1119. 71 H. Winter/H.P. Westermann, 10. Aufl., Rz. 34 m.w.N. 72 BGH v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 195.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 31 § 5

bringungsrecht an zahlreichen Stellen geändert; die Grundrichtung des Gesetzes ist aber unverändert geblieben. Die Unterpari-Ausgabe von Geschäftsanteilen ist daher weiterhin unzulässig73. Dies gilt auch dann, wenn die Unterpari-Ausgabe verdeckt erfolgt, wie etwa bei Zahlung einer Provision im Zusammenhang mit der Einlageleistung an den Gesellschafter oder beim Abzug von Skonti von der Einlagezahlung74. Im Falle eines Verstoßes darf die Gesellschaft nicht eingetragen werden (Eintragungshindernis nach § 9c). Wird die Gesellschaft dennoch eingetragen, so ist der Gesellschafter verpflichtet, seine Einlage in voller Höhe des Nennbetrags zu erbringen75.

4. Rechtsfolgen eines Verstoßes Die Vorschriften über die Bildung der Geschäftsanteile (§ 5 Abs. 1 bis 3) sind zwingend. 29 Ein Verstoß gegen eine der Vorschriften hat die Nichtigkeit der entsprechenden Bestimmung des Gesellschaftsvertrags (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 4) zur Folge und begründet ein – vom Registergericht nach Maßgabe von § 9c zu überprüfendes – Eintragungshindernis. Kommt es dennoch zur Eintragung der Gesellschaft, so hat das Registergericht gemäß § 399 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 FamFG vorzugehen76; wird der Mangel nicht behoben, so wird die Gesellschaft aufgelöst.

IV. Sacheinlagen 1. Allgemeines Die zur Beschaffung des Stammkapitals erforderlichen Einlagen der Gesellschafter können 30 in Geld oder durch andere Vermögenswerte erbracht werden (Rz. 20). Zulässig und nicht selten ist die Verbindung beider Arten, zwischen denen freie Wahl besteht. Das Gesetz geht davon aus, dass mangels einer anderen Bestimmung im Gesellschaftsvertrag die Einlage in Geld deutscher Währung zu leisten ist. Das ist auch bei der Auslegung des Statuts zu berücksichtigen. Im Zweifel ist stets eine Geldeinlageschuld anzunehmen. § 5 Abs. 4 verwendet seit der Reform 1980 nicht mehr den Begriff der Sachübernahme, son- 31 dern nur noch den Begriff der „Sacheinlage“. Eine Legaldefinition dieses Terminus sieht die Vorschrift nicht vor. Die Änderung hat ausweislich der Gesetzesmaterialien77 keine inhaltliche Bedeutung. Insbesondere sollte das geltende Recht inhaltlich nicht geändert werden. Der Terminus „Sacheinlagen“ i.S.d. § 5 Abs. 4 ist daher als Oberbegriff zu verstehen, der die Sacheinlagen i.e.S., d.h. die Pflicht zur Einlage von Sachwerten (Rz. 34 ff.), und, wie § 19 Abs. 2 Satz 2 zeigt, die Sachübernahmen, d.h. die Tilgung der Geldeinlagepflicht durch die Verrechnung mit der Vergütung für von der Gesellschaft übernommene Sachwerte (Rz. 73 ff.), umfasst78. Sachübernahmen ohne Verrechnungsabrede (vgl. § 27 Abs. 1 AktG) erfasst die Vor-

73 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 182; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52. 74 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52. 75 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 183. 76 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 58. 77 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 69; näher dazu Wohlschlegel, DB 1995, 2053 ff. 78 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18.

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§ 5 Rz. 31 | Stammkapital; Geschäftsanteil schrift des § 5 Abs. 4 dagegen wie früher nicht (Rz. 75)79. Sie können im Einzelfall aber als eine verdeckte Sacheinlage (vgl. § 19 Abs. 4) zu beurteilen sein. 32 Die Sachgründung kann für die Gesellschaft wirtschaftlich zwar wesentlich vorteilhafter sein

als eine bloße Geldgründung, aber sie ist andererseits erfahrungsgemäß mit Gefahren für die Aufbringung des verlautbarten Stammkapitals verbunden, denen das Gesetz durch Sondervorschriften Rechnung zu tragen sucht. Es schreibt bestimmte Angaben über Sacheinlagen im Gesellschaftsvertrag (§ 5 Abs. 4 Satz 1, § 19 Abs. 2 Satz 2) vor, verlangt einen Sachgründungsbericht der Gesellschafter (§ 5 Abs. 4 Satz 2), gebietet die Einbringung der Einlagegegenstände vor der Anmeldung zum Handelsregister (§ 7 Abs. 3), fordert die Einreichung der zugrunde liegenden oder zur Ausführung geschlossenen Verträge (§ 8 Abs. 1 Nr. 4) sowie von Unterlagen über den Wert der Sacheinlagen (§ 8 Abs. 1 Nr. 5), sieht eine Differenzhaftung bei Überbewertungen vor (§ 9) und begründet für das Registergericht eine besondere Prüfungspflicht bezüglich der Überbewertung (§ 9c Abs. 1 Satz 2). Unrichtige Angaben über Sacheinlagen ziehen darüber hinaus die Gründerhaftung (§§ 9a f.) und Strafbarkeit (§ 82 Abs. 1 Nr. 1 bis 3) nach sich. 33 Die GmbH-Novelle 1980, die einen Teil dieser Vorschriften eingeführt oder erweitert hat, hat

die Anforderungen an die Sachgründung deutlich verschärft, um die Gläubiger möglichst wirksam zu schützen. Das MoMiG hat den Gläubigerschutz zwar im Kapitalaufbringungsrecht an einigen Stellen aufgeweicht. Dies ändert aber nichts daran, dass die Vorschriften weiterhin dem Gläubigerschutz verpflichtet und streng auszulegen sind80.

2. Die Sacheinlage im engeren Sinne a) Begriff 34 Sacheinlagen i.e.S. sind Beiträge der Gesellschafter zur anteiligen Aufbringung eines dem

Stammkapital entsprechenden Vermögens, die in anderen Vermögensgegenständen als Geld bestehen. Von den Nebenleistungspflichten gemäß § 3 Abs. 2, die ebenfalls die Verschaffung von Sachwerten betreffen können, unterscheiden sie sich durch den vorgenannten Bestimmungszweck (Rz. 21). An dem im Schrifttum angeführten weiteren Unterscheidungsmerkmal, dass sie im Gegensatz zur Sacheinlage nicht zum Erwerb von Beteiligungsrechten führen könnten81, ist zutreffend, dass der Erwerb der Mitgliedschaft notwendigerweise die Übernahme eines Geschäftsanteils voraussetzt; der Umfang der Beteiligungsrechte kann sich dagegen sehr wohl nach den Gesellschafterbeiträgen in Form von Nebenleistungen bestimmen (s. 13. Aufl., § 14 Rz. 6). Das Gesetz stellt den Gesellschaftern im Übrigen frei, welchen Weg sie zur Einbringung von Sachwerten in die Gesellschaft wählen wollen; es können auch rein schuldrechtliche Vereinbarungen ohne Einfluss auf das Mitgliedschaftsrecht getroffen werden. Die Vereinbarung einer entsprechenden Nebenleistungspflicht kann deshalb nicht ohne weiteres als eine verdeckte Sacheinlage gewertet werden82.

79 Die weitergehenden Vorschläge der §§ 5b, 12a RegE sind nicht Gesetz geworden; vgl. dazu Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 69 u. 73. 80 Vgl. Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35 f.; zur früheren Rechtslage bereits RGZ 141, 204, 212; der Vorschlag für eine neue „Kapitalteleologie“ (Schall, ZGR 2009, 126, 128 ff.) hat sich nicht durchgesetzt. 81 So Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37. 82 Vgl. auch BGH v. 29.9.1969 – II ZR 167/68, WM 1969, 1321 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 38 § 5

b) Sacheinlagevereinbarung Die Sacheinlagevereinbarung ist im Gesellschaftsvertrag zu treffen (§ 5 Abs. 4 Satz 1). Sie ist 35 ein unselbständiger und notwendiger Bestandteil des Gesellschaftsvertrages und nicht ein zum Gesellschaftsvertrag hinzutretendes gesondertes Rechtsgeschäft (sog. Illationsvertrag)83. Die Abrede ist ein Teil der Beteiligungserklärung des Gesellschafters und regelt seine mitgliedschaftliche Beitragspflicht zur Aufbringung des Stammkapitals. Die Sacheinlagevereinbarung betrifft die Begründung der Einlagepflicht. Nur sie und nicht 36 das Vollzugsgeschäft ist im Gesellschaftsvertrag zu regeln. Die Sacheinlagen müssen aber vor der Anmeldung der Gesellschafter zur Eintragung in das Handelsregister an sie so bewirkt sein, dass sie endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen (§ 7 Abs. 3). Das dazu erforderliche Rechtsgeschäft kann schon in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden84, was sich vor allem bei formbedürftigen Einbringungsakten empfiehlt; zwingend ist dies aber nicht. Die erwerbende Vorgesellschaft wird in diesem Fall durch die Gründungsgesellschafter repräsentiert85. Das Verfügungsgeschäft verändert durch die Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag aber nicht seinen eigenständigen Rechtscharakter86. Näheres zur Einbringung der Sacheinlagen bei § 7 (13. Aufl., § 7 Rz. 18 ff.). c) Gegenstand der Sacheinlage Die Eignung eines nicht in Geld bestehenden Gegenstandes zur Einlage regelt das GmbHG 37 nicht ausdrücklich. Sie ist deshalb nach dem Zweck der Vorschriften über die Kapitalaufbringung zu bestimmen, im Interesse der Gesellschafter und ihrer Gläubiger sicherzustellen, dass mindestens ein dem festgesetzten Stammkapital entsprechendes Gesellschaftsvermögen aufgebracht wird (Rz. 8, 13 und 30). Es kommen danach, wie § 27 Abs. 2 AktG für das Aktienrecht ausdrücklich vorschreibt, grundsätzlich nur verkehrsfähige Vermögensgegenstände mit einem feststellbaren wirtschaftlichen Wert in Betracht87. Der Begriff „Vermögensgegenstand“ umfasst, über § 90 BGB hinausgehend, nicht nur Sachen und Rechte, sondern alle Güter, die ihrer Natur nach verkehrsfähig sind, einen eigenen gegenwärtigen Vermögenswert haben und in die Gesellschaft zur freien Verfügung eingebracht werden können (Rz. 39)88. Entscheidend für die Sacheinlagefähigkeit ist die Gleichwertigkeit (Äquivalenz) der Sach- mit einer Geldeinlage89. Die Bilanzfähigkeit (Aktivierungsfähigkeit) eines Gegenstandes ist kein zusätzliches selb- 38 ständiges Erfordernis der Sacheinlage90, denn die bilanzrechtlichen Kriterien beruhen nicht 83 Vgl. BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 345; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 21a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40. A.A. Mülbert in FS Priester, 2007, S. 485, 493 f. (Sacheinlagepflicht als eine nichtmitgliedschaftliche Verpflichtung). 84 BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 342; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43. 85 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43. 86 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43. 87 BGH v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300, 304; BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290 = GmbHR 2000, 870; BGH v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, GmbHR 2004, 1219 = ZIP 2004, 1642 f. 88 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 23; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 25; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48. 89 Grundlegend Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52; zustimmend die h.M.; vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 23; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 73. 90 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 23; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 26; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 25; Ulmer/Casper in

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§ 5 Rz. 38 | Stammkapital; Geschäftsanteil unbedingt auf der Realisierbarkeit eines Werts aus der Sicht des Gläubigerschutzes. Die Bilanzierbarkeit eines Gegenstandes ist vielmehr Folge seiner Einlagefähigkeit. Andererseits kann eine anerkannte Praxis der Bilanzierungsfähigkeit eines Gegenstandes ein Indiz für seine Einlagefähigkeit sein91. 39 Der Einlagegegenstand muss zur Einbringung in die Gesellschaft geeignet sein, d.h. er muss

übertragbar sein, so dass die Gesellschaft ihn nutzen kann. Zweifelhaft ist, ob er darüber hinaus durch die Gesellschaft übertragbar sein muss. Im Schrifttum wird teilweise eine weitergehende Übertragbarkeit in dem Sinne gefordert, dass der Gegenstand zur Weiterveräußerung oder Überlassung an Dritte geeignet sein müsse. Denn nur dann sei er ein geeignetes Zugriffsobjekt für die Gesellschaftsgläubiger92. Diese Auslegung ist abzulehnen93. Das Gesetz will die Aufbringung eines realen Gesellschaftsvermögens sichern, enthält aber keinen Anhaltspunkt für die Auslegung, dass das Gesellschaftsvermögen sich bei der Anmeldung und später mindestens bis zur Stammkapitalhöhe nur aus Gegenständen zusammensetzen dürfe, die einer Einzelverwertung durch die Gläubiger zugänglich sind. Die Gläubigerschutzfunktion der Kapitalaufbringung liegt nicht in der Eröffnung von Vollstreckungsmöglichkeiten in konkrete Gegenstände, sondern in der Beibringung eines realen Gesellschaftsvermögens zur Unternehmenssicherung94. Eine einschränkende Auslegung würde zudem für das Gesellschaftsunternehmen u.U. besonders bedeutsame Gegenstände (z.B. Firma, einfache Lizenzen, Know-how, Vertretungen, Bierlieferungsrecht, etc.) ausschließen, deren Einlagefähigkeit die Praxis seit langem zu Recht bejaht (s. Rz. 49). Die Gläubiger sind in diesen Fällen dadurch ausreichend geschützt, dass die Gegenstände im Rahmen des Gesellschaftsunternehmens nutzbar sind und sie damit eine Tilgung der Verbindlichkeiten ermöglichen. Die Gegenstände brauchen deshalb nicht selbständig übertragbar, sondern müssen nur so beschaffen sein, dass sie der Gesellschaft endgültig zur freien Verfügung (§ 7 Abs. 3) überlassen werden können95. Soweit es sich um Rechte gegenüber dem Sacheinleger handelt, muss aus diesen Gründen auch eine Aussonderung aus dessen Vermögen erfolgen96. Eine obligatorische Verpflichtung eines Gesellschafters ist deshalb kein geeigneter Einlagegegenstand97 (s. aber § 19 Abs. 5 zum Forderungsaustausch). d) Einzelfälle aa) Sachen 40 Einlagefähig sind das Eigentum an beweglichen und unbeweglichen Sachen sowie grund-

stücksgleiche Rechte, z.B. das Erbbaurecht (§ 1 ErbbauRG) oder das Bergwerkseigentum

91 92 93

94 95 96 97

Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53. A.A. Knobbe-Keuk, ZGR 1989, 216; Ekkenga, ZHR 161 (1997), 599, 618. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; zustimmend Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77. Lutter, Kapital, S. 232; Haas in FS Döllerer, 1988, S. 169, 180 f.; Ekkenga, ZHR 161 (1997), 599, 620; vgl. auch Karsten Schmidt, ZHR 154 (1990), 237, 251. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 23; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 26; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; Brandes, ZGR 1989, 244, 247; Döllerer in FS Fleck, 1988, S. 35, 42; Bork, ZHR 154 (1990), 205, 228 f.; Meilicke, BB 1991, 579 f.; Steinbeck, ZGR 1996, 116, 122 f. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; Bork, ZHR 154 (1990), 205, 228 f. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 23; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; Bork, ZHR 154 (1990), 205, 224 f. Lutter, Kapital, S. 231; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59; Bork, ZHR 154 (1990), 205, 224 m.w.N. BGH v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38, 42 Rz. 10 = GmbHR 2009, 540; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 15; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 24; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 58.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 43 § 5

(vgl. § 9 BBergG). Künftige Sachen kommen nur in Betracht, wenn sie bis zur Anmeldung entstanden sind98. Belastungen hindern nicht, sind aber bei der Wertfestsetzung (Rz. 56 ff.) mindernd zu berück- 41 sichtigen. Ebenso geeignet sind dingliche Rechte99, insbesondere können auch Nießbrauchsrechte oder beschränkt persönliche Dienstbarkeiten für die Gesellschaft bestellt100 oder ihr anderenfalls, da unübertragbar, jedenfalls zur Ausübung überlassen werden (§§ 1059 ff., § 1092 BGB). Ein obligatorisches Gebrauchsrecht an einer Sache kann ein zulässiger Einlagegegenstand 42 sein101. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Sache dem Einleger gehört. Anders ist es aber zu beurteilen, wenn das Nutzungsrecht kurzfristig beseitigt werden kann oder wenn die Gesellschaft den Besitz der Sache, den sie gegen Zugriffe Dritter verteidigen könnte, nicht innehat. Dann ist es schwerlich möglich, einen wirtschaftlichen Wert des Nutzungsrechts zu ermitteln. Deshalb ist ein längerfristig unkündbares und mit Besitz verbundenes Gebrauchsrecht zu verlangen102, das auch nicht aus rechtlichen Gründen vorzeitig erlöschen kann. Auch obligatorische Nutzungsrechte an Grundstücken scheiden nicht von vorneherein als 43 taugliche Sacheinlage aus103. Zwar wird im Schrifttum teilweise argumentiert, die mangelnde Vollstreckungsfestigkeit bzw. der mangelhafte Schutz der Gesellschaft vor Verfügungen des Inferenten würde dem entgegenstehen. Praktisch bedeutsam ist hier namentlich der Fall der Veräußerung eines Grundstücks durch den Eigentümer ohne Weitergabe der aus der Nutzungsvereinbarung sich ergebenden Pflicht, ferner der Fall der Zwangsversteigerung des Grundstücks, bei der die Gesellschaft gegenüber dem Dritterwerber nicht geschützt ist. Die Gesellschaft ist nicht geschützt, weil eine analoge Anwendung der § 566, § 581 Abs. 2, § 593b BGB ausscheidet104. Die aus einer Verfügung und einer Zwangsversteigerung resultierenden Risiken können aber bei der Bewertung (Rz. 57 ff.) angemessen berücksichtigt werden105. Wird die Sachnutzung vor Ablauf der vereinbarten Dauer für die Gesellschaft unmöglich, so 98 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 25; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 86; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63. 99 Zur isolierten Grundschuld vgl. LG Koblenz v. 29.8.1986 – 3 HT 1/86, GmbHR 1987, 482. 100 BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 344; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 25; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64; einschränkend Lutter, Kapital, S. 232. 101 BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 294 = GmbHR 2000, 870 (zur AG); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64; Döllerer, ZGR 1979, 355 u. FS Fleck, 1988, S. 35 ff.; Brandes, ZGR 1989, 244, 246 f.; Frey, S. 76, 96 f.; Steinbeck, ZGR 1996, 116, 127 ff.; Bork, ZHR 154 (1990), 205 ff.; einschränkend auf Nutzungsrechte an beweglichen Sachen Karsten Schmidt, ZHR 154 (1990), 235, 254 ff. 102 BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 294 = GmbHR 2000, 870 (zur AG); BGH v. 14.6.2004 – II ZR 121/02, GmbHR 2004, 1219 = NZG 2004, 910 (zur GmbH); Haas in FS Döllerer, 1988, S. 178 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 25; Altmeppen, Rz. 24; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; gegen die Einlagefähigkeit bei Verbleiben des Eigentums beim Einleger aber Knobbe-Keuk, ZGR 1980, 214, 217; Ekkenga, ZHR 161 (1997), 599, 618 ff.; weitergehende Anforderungen bei Karsten Schmidt, ZHR 154 (1990), 237, 253 ff. 103 Bork, ZHR 154 (1990), 205, 217 f.; Döllerer in FS Fleck, 1988, S. 35, 44; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96 f. A.A. Karsten Schmidt, ZHR 154 (1990), 237, 253 ff.; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 103. 104 Bork, ZHR 154 (1990), 205, 217 f.; Boehme, S. 121 ff., 149 f.; Karsten Schmidt, ZHR 154 (1990), 237, 257; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 96. A.A. Döllerer in FS Fleck, 1988, S. 35, 43 f.; Götting, AG 1999, 1, 5. 105 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Döllerer, ZGR 1979, 355, 356; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 97; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65, 97; vgl. auch BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290, 294 = GmbHR 2000, 870 (zu Lizenzrechten).

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§ 5 Rz. 43 | Stammkapital; Geschäftsanteil greifen die allgemeinen Regeln des Schuldrechts über Pflichtverletzungen ein, die zu einer anstelle der Sacheinlage zu erbringenden Geldeinlage führen können (Rz. 62 ff.). 44 Schließlich ist auch ein Kapitalnutzungsrecht, d.h. die zinslose Überlassung von Geldkapital

an die Gesellschaft auf Zeit, sacheinlagefähig, wenn es sinngemäß die vorstehenden Erfordernisse erfüllt106. bb) Forderungen 45 Forderungen des Sacheinlegers mit einem feststellbaren wirtschaftlichen Wert sind grund-

sätzlich einlagefähig, selbst wenn sie bestritten oder zweifelhaft sind107. Doch sind diese Umstände bei der Bewertung (Rz. 56 ff.) zu berücksichtigen. Auch Forderungen gegen einen Mitgesellschafter, beispielsweise gegen ein mit dem Gesellschafter verbundenes Unternehmen, sind einlagefähig108. Von der Bonität her, die sich bei der Bewertung auswirkt, sind Unterschiede zu Forderungen gegen außenstehende Dritte nicht ersichtlich, und da der Inferent nach § 24 für ausstehende Einlagen seiner Mitgesellschafter aufzukommen hat, erhöht sich das Risiko für die Gesellschaft, eine als Einlage eingebrachte Forderung gegen einen Mitgesellschafter akzeptieren zu müssen, im Vergleich zur Einbringung von Forderungen gegen Dritte nicht; dem Aussonderungserfordernis (Rz. 39) ist auch dann durch die Abtretung genügt. Im Falle der Zustimmungsbedürftigkeit der Abtretung (§ 399 BGB) muss die erforderliche Erklärung des Schuldners spätestens bis zur Anmeldung zum Handelsregister vorliegen (§ 7 Abs. 3)109. Aufschiebend bedingte oder in ihrer Entstehung von weiteren Voraussetzungen abhängige Forderungen sind ebenfalls nur dann einlagefähig, wenn bis zu dem genannten Zeitpunkt die Bedingung eingetreten bzw. die Voraussetzung erfüllt ist110. Das gilt nicht für feststehende, aber aufschiebend befristete Forderungen, bei denen aber ein Bewertungsabschlag geboten ist. Auflösend bedingte Forderungen sind wegen des ihnen anhaftenden besonderen Risikos ungeeignet, soweit nicht ausnahmsweise der Bedingungseintritt als völlig unwahrscheinlich einzuschätzen ist. Befristete Forderungen, bei denen der Leistungszeitpunkt ungewiss ist, können unter Berücksichtigung eines entsprechenden Bewertungsabschlags eingebracht werden111. Allgemein ungeeignet sind dagegen Forderungen, die Dienstleistungen oder unvertretbare Werkleistungen zum Gegenstand haben (Rz. 51).

106 Döllerer in FS Fleck, 1988, S. 35, 44 ff.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 65; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Boehme, S. 145 f., 152 f., 163, 168; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 105. A.A. Karsten Schmidt, GesR, § 20 II 3a, cc. 107 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 29; Ulmer/ Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 66. 108 Ebenso zur AG Röhricht in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1996, § 27 AktG Rz. 73; offen Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; a.A. LG Krefeld v. 11.6.1986 – 11 O 38/86, GmbHR 1987, 310, 311; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 24; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 88; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 128, der allerdings in Rz. 130 die Ansicht vertritt, dass Forderungen gegen ein mit dem Inferenten verbundenes Unternehmen sacheinlagefähig seien. 109 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129; nach Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 66 muss die Zustimmung bei Abschluss des Gesellschaftsvertrags noch nicht erteilt worden sein. 110 Vgl. OLG Oldenburg v. 17.4.1997 – 1 U 90/96, AG 1997, 424, 427 (zur AG); Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 67; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132 f.; wohl auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27; a.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17. Der BGH hat eine vorabgesprochene Aufrechnung gegen eine Lohnforderung für unzulässig erklärt, zur Einlagefähigkeit einer künftigen Forderung aber nicht Stellung genommen (BGH v. 21.9.1978 – II ZR 214/77, BB 1978, 1635 f.). 111 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 132; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 67.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 47 § 5

Auch Forderungen des Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft, die die vorgenannten 46 Voraussetzungen (Rz. 45) erfüllen, sind zulässige Sacheinlagegegenstände112. In der Gründungsphase dürfte die Einbringung solcher Forderungen zwar eher die Ausnahme sein. Praktisch relevant kann aber die Einbringung von Forderungen eines Gesellschafters gegen die Gesellschaft (Beispiel: Darlehensrückzahlung) bei einer Kapitalerhöhung sein (Debt-EquitySwap). Der im Gesellschaftsvertrag begründete Anspruch auf Erstattung verauslagter Gründungskosten oder auch auf Zahlung eines angemessenen Gründerlohns (s. Rz. 113) kann als Sacheinlage verwendet werden, was für die Erstattung von Kosten und Auslagen anerkannt ist, für eine Gründervergütung aber nur gebilligt werden kann, wenn nicht die Zahlung als Einlagenrückgewähr i.S.d. §§ 30, 31 gewertet werden muss113. Die Forderung kann durch Abtretung oder durch Erlassvertrag eingebracht werden, die jeweils zu einer Reinvermögenserhöhung infolge des Schulduntergangs führen. Wenn ein Gesellschafter seine Forderung gegen die Gesellschaft einbringen kann, geschieht dies grundsätzlich zu ihrem Nennwert. Fraglich ist, ob dies unabhängig von der Vermögenssituation der Gesellschaft gilt. Dafür könnte sprechen, dass die einzubringende Forderung in der Bilanz der Gesellschaft als Verbindlichkeit mit ihrem Nennwert bilanziert ist114. In der Bilanz der Gesellschaft wirkt sich die Einbringung der Forderung zu ihrem Nennwert aus (Bilanzverkürzung). Diese Auslegung wird aber dem Zweck effektiver Kapitalaufbringung nicht gerecht. Der Gesetzgeber hat zwar mit dem MoMiG eine bilanzielle Betrachtungsweise für maßgeblich erklärt. Ein Gesellschafter wird aber nur dann von seiner Einlagepflicht frei, wenn er eine vollwertige Sache einbringt (vgl. § 19 Abs. 2, 4 und 5). Folglich kann ein Gesellschafter eine ihm zustehende Forderung gegen die Gesellschaft nur dann zu deren Nennwert einbringen, wenn die Forderung fällig, vollwertig und liquide ist115. Für eine nicht fällige, vollwertige und/oder liquide Forderung ist ein Bewertungsabschlag vorzunehmen116. Zweifelhaft ist, ob auch ein Anspruch aus einem Darlehen, das vor dem MoMiG als eigen- 47 kapitalersetzend zu qualifizieren war, einlagefähig ist. Die Frage kann noch relevant werden, weil das mit dem MoMiG abgeschaffte Eigenkapitalersatzrecht in Gestalt der sog. Novellenregeln (§§ 32a, 32b a.F.) und der Rechtsprechungsregeln (§§ 30, 31 analog) gemäß § 103d EGInsO auf Altfälle, in denen das Insolvenzverfahren vor Inkrafttreten des MoMiG eröffnet worden ist, als zur Zeit der Verwirklichung des Entstehungstatbestandes des Schuldverhältnisses geltendes „altes“ Gesetzesrecht Anwendung findet117. Es ist zu differenzieren. Ein nach den „Rechtsprechungsregeln“ analog § 30 „gesperrter“ Anspruch auf Rückzahlung des Darlehens kann nicht eingelegt werden118, sehr wohl aber ein Anspruch, der in der Insolvenz gemäß 112 BGH v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52, 60; BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/84, BGHZ 90, 370, 374 = GmbHR 1984, 313; BGH v. 15.1.1990 – II ZR 164/88, BGHZ 110, 47, 60; BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 340 = GmbHR 1991, 255; BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/ 95, BGHZ 132, 141, 143 = GmbHR 1996, 351; BGH v. 15.12.1969 – II ZR 69/67, NJW 1970, 469; OLG Düsseldorf v. 25.7.1996 – 6 U 207/95, GmbHR 1997, 606; OLG Schleswig v. 14.12.2000 – 5 U 182/98, NZG 2001, 566; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 28; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 140; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 68. 113 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72; s. auch Rz. 114. 114 Für eine Berücksichtigung zum Nennwert daher Geßler in FS Möhring, 1975, S. 173, 191; Reuter, BB 1978, 1195; Meilicke, DB 1989, 1069, 1072 ff.; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 144. 115 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 69. 116 Für Abschlag (offenbar nur bei fehlender Vollwertigkeit) LG Berlin v. 27.10.1976 – 98 T 30/76, BB 1977, 213; ohne Berücksichtigung der Fälligkeit OLG Oldenburg v. 17.4.1997 – 1 U 90/96, AG 1997, 424, 426. 117 BGH v. 26.1.2009 – II ZR 260/07, BGHZ 179, 249 Leitsatz 1 = GmbHR 2009, 427. S. zu den früheren Regelungen für eigenkapitalersetzende Darlehen die Erl. zu 13. Aufl., § 30 Rz. 107 ff. 118 OLG Schleswig v. 14.12.2000 – 5 U 182/98, NZG 2001, 568; Priester in FS Döllerer, 1988, S. 475, 483 ff.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 70; vgl. auch BGH v. 26.3.1984 – II ZR 14/ 84, BGHZ 90, 370, 374 ff. = GmbHR 1984, 313 (zur Verrechnung).

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§ 5 Rz. 47 | Stammkapital; Geschäftsanteil § 32a GmbHG, § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO a.F. nachrangig wäre119. Es kann aber im Einzelfall erforderlich sein, der Gefahr einer Zurückstufung in der Insolvenz durch einen Bewertungsabschlag Rechnung zu tragen120. 48 Eine Forderung gegen den Gesellschafter (also eine Verpflichtung des Gesellschafters) ist

nicht einlagefähig (Rz. 39 a.E.)121. Eine andere Beurteilung ist aber für den in § 19 Abs. 5 geregelten Fall geboten, in dem es zu einem Forderungsaustausch kommt (Einlage- gegen Darlehensforderung; s. 13. Aufl., § 19 Rz. 171). Anders ist es schließlich zu beurteilen, wenn mit der Forderung die Hingabe einer dinglichen Sicherheit (Hypothek, Pfandrecht, Sicherungsübereignung) oder mit der Besitzverschaffung der zu nutzenden Sache (Rz. 41) verbunden ist122. cc) Andere Rechte und Vermögenswerte 49 Zulässig ist die Einbringung von Immaterialgüterrechten, obwohl gerade bei ihnen der Ein-

lagewert oft sehr schwierig zu ermitteln ist, und zwar Urheber-123, Verlags- und Geschmacksmusterrechte sowie Markenrechte und Logos124, auch nicht patentierte oder angemeldete, jedoch keine zukünftigen Erfindungen125, geheime Fabrikationsverfahren126 und sonstiges Know-how127, auch wenn dieses rechtlich nicht spezifisch geschützt ist; desgleichen Lizenzen an den vorgenannten Schutzrechten128. Vorausgesetzt ist immer, dass die Vorkehrungen und die Kenntnis um sie gerade für das zu gründende Unternehmen Wert haben. Nicht selbständig einbringbar sind die Firma (§ 23 HGB), geschäftliche Bezeichnungen (§ 5 MarkenG), die Kundschaft oder der so genannte Goodwill, wohl aber wenn sie zusammen mit dem Unternehmen übertragen werden129. Sacheinlagen können ferner Aktien und GmbH-Geschäftsanteile sein, auch von einem Dritten gehaltene Gesellschaftsanteile eines im Mehrheitsbesitz der Gesellschaft stehenden Unternehmens130, Gesellschaftsanteile an einer OHG oder KG dann, wenn deren Gesellschafter zustimmen oder die Abtretung im Gesellschaftsvertrag allgemein oder für diesen Fall gestattet ist. Die erforderlichen Zustimmungen, auch bei vinku-

119 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151, 153; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 70 f. 120 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 153. A.A. 10. Aufl.; vgl. ferner Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71. 121 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38, 42 Rz. 10 = GmbHR 2009, 540; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 24; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 66. 122 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 24; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 91; gegen Einlagefähigkeit selbst bei dinglicher Sicherung durch den Gesellschafter oder Dritter Cahn, ZHR 166 (2002), 278, 296. 123 BGH v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300, 304. 124 BGH v. 15.5.2000 – II ZR 359/98, BGHZ 144, 290; zur Einlagefähigkeit von Domain-Namen zweifelnd Sosnitza, GmbHR 2002, 821. 125 Vgl. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76, 82. 126 RG, JW 1936, 42. 127 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 26; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 108; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31; Ulmer/ Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72. 128 BGH v. 10.11.1958 – II ZR 3/57, BGHZ 28, 314, 315 (ob. dict.); Götting, AG 1999, 1, 5 ff.; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107. 129 BGH v. 18.9.2000 – II ZR 365/98, BGHZ 145, 150 = GmbHR 2000, 1198; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 108; Priester in FS Nirk, 1992, S. 893, 899 ff.; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 82, 85. Gegen einen Ansatz für den Firmenwert auch LG Köln, GmbHR 1959, 133. 130 OLG Jena v. 30.8.2018 – 2 W 260/18, NZG 2018, 1391 = GmbHR 2018, 1315.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 52 § 5

lierten Namensaktien oder Geschäftsanteilen, müssen spätestens bei der Anmeldung zum Handelsregister erteilt sein131. Die Übernahme einer Schuld der Gesellschaft (§ 414 BGB) oder deren Tilgung durch den 50 Gesellschafter sind zulässige Einlagegegenstände. Auch wenn es sich um Geldschulden der Gesellschaft handelt, befreit die Tilgung durch den Gesellschafter ihn nur dann von seiner Mindesteinzahlungspflicht (§ 7 Abs. 3), wenn eine entsprechende Sacheinlagevereinbarung getroffen worden ist (s. auch 13. Aufl., § 7 Rz. 33)132. Ein Schuldbeitritt oder eine Bürgschaftsübernahme für Gesellschaftsschulden sind dagegen als Sacheinlagen ungeeignet. Bindende Vertragsangebote können ausnahmsweise133 als zulässiger Gegenstand angesehen werden, wenn sie einen über die Gegenleistung hinausgehenden Wert haben134. dd) Dienst- und Werkleistungen Die Verpflichtung zu einer Dienstleistung ist ohne Rücksicht darauf, ob sie den Einlageschuld- 51 ner oder einen Dritten treffen soll, nach h.M. analog § 27 Abs. 2 AktG wegen der Schwierigkeit ihrer Durchsetzung gegen den Willen des Verpflichteten kein geeigneter Sacheinlagegegenstand135. Bei personenbezogenen Ansprüchen auf Herstellung eines Werkes soll aber eine andere Beurteilung geboten sein können. An dieser auch in der 12. Auflage vertretenen Auslegung wird nicht festgehalten. Es kann keinen Unterschied machen, ob der Inferent aus dienst- oder Werkvertrag verpflichtet ist. Entscheidend muss sein, ob der Gesellschaft effektiv ein wirtschaftlicher Wert zufließt. Bedenken hinsichtlich der Durchsetzung des Anspruchs kann durch einen Bewertungsabschlag Rechnung getragen werden136. Eine (vertretbare) Werkleistungspflicht wirft keine vollstreckungsrechtlichen Probleme auf (vgl. § 887 ZPO) und ist daher als einlagefähig anzusehen137. ee) Sach- und Rechtsgesamtheiten Sach- und Rechtsgesamtheiten können als solche Gegenstände einer Leistungspflicht und da- 52 mit auch einer Sacheinlage sein138, soweit deren sonstige Voraussetzungen (Rz. 37 ff.) erfüllt sind. Beispiele sind die Einbringung des Warenlagers oder der Außenstände eines Unternehmens, einer Geschäfts- oder Fabrikeinrichtung, einer Nachlass- oder Insolvenzmasse und vor allem eines Unternehmens im Ganzen oder in Teilen (insbesondere bei einer Betriebsaufspaltung). Gegenstände, die ihrer Natur nach nicht einlagefähig sind, z.B. Ansprüche auf Dienstleistungen und bestimmte Werkleistungen (Rz. 51), können auch nicht als Bestandteil einer 131 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 111. 132 BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, GmbHR 1986, 115 = NJW 1986, 989; OLG Stuttgart v. 12.6.1986 – 7 U 22/86, GmbHR 1986, 349 = DB 1986, 1514; OLG Düsseldorf v. 3.8.1988 – 17 U 11/88, BB 1988, 2126, 2127 = GmbHR 1989, 164; OLG Köln v. 10.11.1988 – 1 U 55/88, ZIP 1989, 238, 239; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 155. 133 RG, SeuffA 87 Nr. 71; KG, RJA 12, 58. 134 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31; vgl. auch Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 158. 135 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38, 42 Rz. 9 = GmbHR 2009, 540; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 18; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 24; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 29; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73. A.A. Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138 f. 136 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138. 137 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18. 138 RG, LZ 1916, 742; RG, LZ 1918, 918; RGZ 155, 211; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338; BGH v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 196; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 29; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 33; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 79 ff.

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§ 5 Rz. 52 | Stammkapital; Geschäftsanteil Sach- oder Rechtsgesamtheit zur Sacheinlage verwendet werden. Umgekehrt liegt es bei den Gegenständen, die, wie z.B. die Firma oder eine geschäftliche Bezeichnung (§ 5 MarkenG), nicht gesondert, wohl aber als Teil der Sachgesamtheit eingebracht werden können (Rz. 49). Der Vollzug der Sacheinlagevereinbarung erfolgt bei Sach- und Rechtsgesamtheiten nicht durch die „Übertragung“ eines einheitlichen Gegenstandes, sondern der ihnen zuzurechnenden einzelnen Sachen, Rechte und sonstigen Vermögenswerte nach Maßgabe der für sie jeweils geltenden Vorschriften139. Die Einbringung durch einen einheitlichen Rechtsakt (z.B. Globalabtretung der Außenstände eines Unternehmens) ist dadurch allerdings nicht ausgeschlossen. 53 Die Sacheinlage eines Unternehmens oder von Unternehmensteilen (Betrieben) durch einen

oder mehrere Gründer ungeachtet der Bewertungsschwierigkeiten ist seit langem allgemein anerkannt und in § 5 Abs. 4 Satz 2 ausdrücklich erwähnt. Bei Unternehmen einer Personenhandelsgesellschaft und bestimmter juristischer Personen, insbesondere AG, KGaA und eG besteht alternativ140 die Möglichkeit zur formwechselnden Umwandlung in eine GmbH (§§ 190 ff. UmwG), an der sich dann freilich alle Gesellschafter beteiligen müssen. Die Einbringung von Unternehmen oder Unternehmensteilen in eine zu gründende Gesellschaft kann auch durch einen Einzelkaufmann mittels Ausgliederung (§ 125, §§ 135 ff., §§ 152 ff. UmwG) und durch andere Rechtsträger mittels Verschmelzung und Spaltung erfolgen (§§ 36 ff., §§ 56 ff., § 125, §§ 135 ff. UmwG). Die Umwandlungen bieten im Vergleich zur Sacheinlage vor allem den Vorteil des Fortbestehens des Rechtsträgers bzw. der (vollen oder partiellen) Gesamtrechtsnachfolge (§ 20 Abs. 1 Nr. 1, § 131 Abs. 1 Nr. 1, § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG). 54 Die Pflicht zur Einlage eines Unternehmens umfasst alle dem Unternehmen wirtschaftlich

zuzurechnenden Vermögenswerte, die nicht im Gesellschaftsvertrag von der Übertragung besonders ausgenommen worden sind141; nicht ausreichend ist dagegen eine aus dem Gesellschaftsvertrag oder aus einer zu ihm gehörenden Anlage (z.B. Übernahmebilanz) nicht ersichtliche Nebenabrede der Gründungsgesellschafter. Ebenfalls im Gesellschaftsvertrag ist hinreichend deutlich zu regeln, ob die Verbindlichkeiten des einzubringenden Unternehmens, was zulässig ist142, von der Gesellschaft übernommen werden sollen. Ohne eine entsprechende Festsetzung ist das Unternehmensvermögen unbelastet einzubringen143. Bei der Einlage eines Handelsgeschäfts mit Firma ist aber, abgesehen vom Sonderfall der Gründung einer Auffanggesellschaft durch den Insolvenzverwalter144, im Zweifel anzunehmen, dass auch die Übernahme der Verbindlichkeiten gewollt war145, anders bei Übernahme eines Unternehmens aus einer Insolvenzmasse. Ergibt sich aus dem Gesellschaftsvertrag (auch konkludent, z.B. aus der Bewertung) ein entsprechender Übernahmewille, so bezieht er sich im Zweifel auf 139 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113. 140 Das UmwG schränkt die herkömmlichen allgemeinen zivil- und handelsrechtlichen Umstrukturierungsmethoden nicht ein; s. Begr. z. RegE, abgedr. bei Schaumburg/Rödder, UmwG, UmwStG, 1995, S. 35. 141 OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 215; Priester, BB 1980, 20; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30. 142 RG, LZ 1916, 742; RGZ 155, 211; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 342. 143 RG, JW 1905, 214; RG, Recht 1909, 2528; OLG Düsseldorf v. 30.7.1992 – 3 Wx 36/92, GmbHR 1993, 441, 442; Priester, BB 1980, 20; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30. 144 Auch die gesetzliche Haftung für bestehende Verbindlichkeiten nach § 25 HGB (RGZ 58, 166, 168; BGH v. 11.4.1988 – II ZR 313/87, BGHZ 104, 151, 153 f.) entfällt bei einer Veräußerung durch den Insolvenzverwalter. Für bestehende Arbeitsverhältnisse gilt § 613a BGB mit der Einschränkung, dass der Erwerber nicht für die bei Insolvenzeröffnung bestehenden Verpflichtungen haftet (BAG v. 17.1.1980 – 3 AZR 160/79, BAGE 32, 326; BAG v. 4.12.1986 – 2 AZR 246/86, BAGE 53, 380; BAG v. 4.7.1989 – 3 AZR 756/87, BAGE 62, 224; st. Rspr.). Im Übrigen ist § 128 InsO anwendbar. 145 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 117; anders RG, LZ 1916, 742.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 54c § 5

alle Geschäftsverbindlichkeiten, soweit sie nicht durch besondere Bestimmung ausgeschlossen sind oder soweit es sich nicht um unbekannte Verbindlichkeiten handelt, die in den Büchern oder Schriften hätten ausgewiesen werden müssen. Die GmbH haftet bei der Fortführung eines eingebrachten Handelsgeschäfts unter seiner bisherigen Firma (ungeachtet des Rechtsformzusatzes) nach § 25 Abs. 1 HGB den Gläubigern für die Geschäftsverbindlichkeiten des Sacheinlegers, wenn nicht eine abweichende statutarische Regelung in der durch § 25 Abs. 2 HGB bestimmten Weise bekannt gemacht worden ist. Die Gesellschaft tritt bei Einbringung eines Betriebes oder Betriebsteils nach der zwingenden Vorschrift des § 613a BGB in die Rechte und Pflichten aus bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. ff) DLT-Instrumente (Utility-, Currency- und Security Token) Die Einlagefähigkeit von DLT-Instrumenten ist noch nicht höchstrichterlich geklärt. Auch 54a die rechtswissenschaftliche Diskussion hat sich mit der Frage bislang nur vereinzelt beschäftigt146. Die Frage stellt sich für alle Arten von Blockchain-Instrumenten. Eine Blockchain ist eine Infrastruktur für eine sichere, dezentralisierte und unveränderliche Datenspeicherung (auch ‚Distributed Ledger‘ – DLT – genannt)147. Sie kann grundsätzlich von jedermann zur Abwicklung von Transaktionen genutzt werden. Die Blockchain enthält eine Liste von Datensätzen (Blöcken), die durch ein kryptographisches Verfahren miteinander verkettet sind. Ein Block enthält einen sog. Hash (Streuwert) des vorhergehenden Blocks, einen Zeitstempel und bestimmte Transaktionsdaten. Bereits verifizierte Transaktionen werden in neuen Blöcken gebündelt. Ab einer gewissen Anzahl von Transaktionen wird ein neuer Block an die bestehende Blockchain angefügt, die sich somit stetig verlängert148. Um einen neuen Block anzuhängen, bedarf es eines Konsensmechanismus, der die Sicherheit des Systems gewährleistet. Token sind Software-Programme, die zu Eintragungen auf einer Blockchain führen149. Er- 54b zeugt werden Token durch einen Smart Contract. Dabei handelt es sich um einen automatisierten Mechanismus, der auf wenn-/dann-Beziehungen basiert. Token „verkörpern“ auf einer blockchainbasierten Plattform (Ethereum ist eine geläufige Plattform) digital Ansprüche und/oder Rechte150. Aus diesem Grund pflegt man Token auch als digitale Einheiten zu bezeichnen151. Die europäische Aufsichtspraxis152 und Literatur153 unterscheidet zwischen (i) Currency- 54c Token, (ii) Investment-Token (auch Security- oder Equity-Token genannt) und (iii) UtilityToken. Currency Token, wie beispielsweise Bitcoin und Ether, haben eine Wertaufbewahrungs- und Bezahlfunktion154. Investment-Token verkörpern Rechte an zukünftigen Gewinnen eines Unternehmens155 oder andere unternehmensbezogene Rechte, wie beispielsweise

146 147 148 149 150 151 152 153 154 155

Vgl. zur Einlagefähigkeit von Kryptowährungen Güldü. GmbHR 2019, 565, 567 ff. Vgl. Fromberger/Zimmermann in Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rz. 1. Fromberger/Zimmermann in Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rz. 27. Vgl. Siedler/Glatz in Möslein/Omlor, FinTech-Handbuch, § 5 Rz. 18. Vgl. Sandner/Braunberger/Gabriel in Braegelmann/Kaulartz, Rechtshandbuch Smart Contracts, Kapitel 3 Rz. 3 und 6–12. Vgl. Koch, ZBB 2018, 359, 360. Vgl. EBA, Report with advice for the European Commission on crypto-assets, 9 January 2019, S. 7; ESMA, Advice. Initial Coin Offerings and Crypto Assets, 9 January 2019, ESMA50-157-1391, S. 8, 18 ff. Vgl. Spindler in Möslein/Omlor, Fintech-Handbuch, § 13 Rz. 4 ff.; Fromberger/Zimmermann in Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 1 Rz. 68 ff. Zickgraf, AG 2018, 293, 296. Koch, ZBB 2018, 359, 361; Zickgraf, AG 2018, 293, 295.

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§ 5 Rz. 54c | Stammkapital; Geschäftsanteil Stimmrechte156. Utility Token kennzeichnet, dass der Inhaber das Recht auf Bezug eines Produkts oder Inanspruchnahme einer Dienstleistung hat157. Diese Klassifikation bringt zum Ausdruck, dass Token unterschiedliche Rechte repräsentieren. Sie weist zudem den Weg für eine wertpapierrechtliche Qualifikation. Investment-Token werden als Wertpapiere im Sinne der MiFID II eingeordnet, weil sie handelbar und standardisiert sowie funktional vergleichbar mit Aktien und/oder Schuldverschreibungen sind158. Wie Token zivilrechtlich zu qualifizieren sind, ist dagegen noch nicht geklärt. Verbreitet wird angenommen, dass der Erwerb von Token schuldrechtlich durch einen Kaufvertrag über sonstige Gegenstände i.S.d. § 453 BGB erfolgt159. Die dingliche Übertragung soll nach manchen Autoren durch einen bloßen Realakt erfolgen160, nach anderen soll dies durch Abtretung gemäß §§ 413, 398 BGB geschehen161, analog §§ 873, 925 BGB162 oder analog § 929 BGB erfolgen. Der deutsche Gesetzgeber hat bezüglich elektronischer Inhaberschuldverschreibungen bestimmt, dass diese als Sache im Sinne des § 90 BGB gelten. Das Eigentum an einer elektronischen Inhabeschuldverschreibung geht durch Einigung und Umtragung im Kryptowertpapierregister über163. 54d Die Frage der Einlagefähigkeit ist vor dem Hintergrund zu beurteilen, dass alle Güter, die ihrer

Natur nach verkehrsfähig sind, einen eigenen gegenwärtigen Vermögenswert haben und in die Gesellschaft zur freien Verfügung eingebracht werden können, einlagefähig sind (s. Rz. 37). Dies ist für Bitcoin und Ether, die auf Krypto-Börsen gehandelt werden und daher einen feststellbaren Wert, zu bejahen164. Dass diese Instrumente eine hohe Volatilität haben, steht der Einlagenfähigkeit nicht entgegen165. Da es sich in Deutschland um keine staatlich anerkannten gesetzlichen Zahlungsmittel handelt, sind Bitcoin und Ether als Sacheinlagen einzubringen. Mit dieser Maßgabe können auch DLT-Instrumente, die in der Finanzindustrie und -aufsicht als Investment- und Utility-Token bezeichnet werden, Sacheinlagen sein. Für den Nachweis der Werthaltigkeit kann es erforderlich sein, ein Sachverständigengutachten vorzulegen, da die Instrumente in der Regel nicht auf einem liquiden Sekundärmarkt gehandelt werden. Für die Einbringung der Token ist es erforderlich, die Datenschlüssel in das Gesellschaftsvermögen einzubringen, so dass der Geschäftsführer über den Token verfügen kann166. e) Verfügungsbefugnis des Sacheinlegers 55 Eigentümer der einzubringenden Sache muss nicht der Einlageschuldner selbst sein, die

Sacheinlage kann auch von einem Dritten geleistet werden, der nicht Gründungsgesellschafter ist167, was dann gewöhnlich für Rechnung eines Gründers geschehen wird. Der Gesellschafter kann sich im Gesellschaftsvertrag auch verpflichten, die einem Dritten (Mitgesellschafter oder Nichtgesellschafter) gehörende Sache einzulegen168. Überträgt er den fremden Gegenstand später der Gesellschaft, so bedarf er der Zustimmung des Berechtigten (§ 185 156 Hacker/Thomale, ECFR 2018, 645, 652; Klöhn/Parhofer/Resas, ZBB 2018, 89, 92; Koch, ZBB 2018, 359, 364 f. 157 Koch, ZBB 2018, 359, 361; Zickgraf, AG 2018, 293, 296. 158 Vgl. Veil, ZHR 183 (2019), 346, 360. 159 Siedler/Glatz in Möslein/Omlor, Fintech-Handbuch, § 5 Rz. 19. 160 Vgl. zu Bitcoin Lerch, ZBB 2015, 191, 196. 161 Vgl. Zickgraf, AG 2018, 293, 299, 301. 162 Vgl. zu Bitcoin Ammann, CR 2018, 379, 382 f. 163 Vgl. § 25 eWpG. 164 Güldü, GmbHR 2019, 565, 570; wohl auch Schwandtner in MünchKomm GmbHG, Rz. 157. 165 Zutreffend Maume in Maume/Maute, Rechtshandbuch Kryptowerte, § 12 Rz. 97. 166 Güldü, GmbHR 2019, 565, 570. 167 BayObLG v. 21.6.2005 – 3Z BR 258/04, NotBZ 2005, 405; s. auch OLG Köln v. 24.1.2002 – 18 U 59/01, GmbHR 2002, 549 = ZIP 2002, 713 f. 168 RGZ 118, 113, 120; RG, JW 1936, 42; Altmeppen, Rz. 26; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 23; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 26.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 57 § 5

BGB), die zwar nicht notwendig schon im Gesellschaftsvertrag, aber noch vor der Anmeldung erteilt sein muss (§ 7 Abs. 3) und dem Registergericht nachzuweisen ist169. Für den Erwerb von einem nichtberechtigten Sacheinleger (§§ 932 ff. BGB), der ausreicht170, kommt es nach § 166 BGB auf die Gutgläubigkeit des Geschäftsführers und nicht der Mitgründer an171. Die Erfüllung der Sacheinlagevereinbarung kann auch durch eine unmittelbare Übertragung seitens des Dritten an die Gesellschaft erfolgen, der dabei für Rechnung des Einlageschuldners handelt172. f) Anrechnungsbetrag aa) Festsetzung Nach § 5 Abs. 4 Satz 1 ist im Gesellschaftsvertrag der Nennbetrag des Geschäftsanteils fest- 56 zusetzen, auf den sich die Sacheinlage bezieht (s. dazu Rz. 89 f.). Die Gesellschafter sind in der Bestimmung dieses Anrechnungsbetrages nicht frei. Aus dem Sinn der Vorschriften über die Sicherung der Aufbringung eines der Stammkapitalhöhe entsprechenden Gesellschaftsvermögens folgt, dass der Anrechnungsbetrag den Wert des Sacheinlagegegenstandes (Rz. 57 ff.) nicht überschreiten darf. Die §§ 9, 9c Abs. 1 Satz 2, in denen der Grundgedanke der angeführten Vorschriften speziell für den Fall der Überbewertung von Sacheinlagen zum Ausdruck gekommen ist, bestätigen diese Einschränkung der Satzungsautonomie durch die Differenzhaftung des Einlegers und durch das entsprechende Eintragungshindernis (Rz. 60). Die Unterschreitung des Wertes des Sacheinlagegegenstandes bei der Festsetzung des Anrechnungsbetrages ist den Gesellschaftern dagegen gestattet173, auch wenn dadurch stille Reserven gebildet werden174. bb) Obergrenze Das Gesetz regelt nicht ausdrücklich, welcher Wert des Sacheinlagegegenstandes als Ober- 57 grenze für den auf den Nennbetrag des Geschäftsanteils anzurechnenden Betrag verbindlich ist (Rz. 56). Die Bestimmung des Wertes ergibt sich aber daraus, dass der Einlagegegenstand einen Teil des der betrieblichen Nutzung gewidmeten Gesellschaftsvermögens bilden soll. Es ist deshalb im Hinblick auf den vergleichbaren Bewertungszweck auf den Wert abzustellen, der in einer handelsrechtlichen Eröffnungsbilanz als Höchstwert angemessen wäre175. Er entspricht also, da die Anschaffungs- und Herstellungskosten als Maßstab ausscheiden, dem nach den bilanzrechtlichen Bewertungsvorschriften zu ermittelnden Zeitwert, der zugleich auch den Erfordernissen des Gläubigerschutzes genügt176. Wenn der Einlagegegenstand als 169 RGZ 118, 113, 120. 170 OLG Köln v. 24.1.2002 – 18 U 59/01, GmbHR 2002, 549 = ZIP 2002, 713; BGH v. 21.10.2002 – II ZR 118/02, GmbHR 2003, 39 = ZIP 2003, 30 f. 171 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62. A.A. noch Uwe H. Schneider/H.P. Westermann, 10. Aufl. (Gutgläubigkeit der Mitgründer, wenn diese auf die Art der Erbringung von Sacheinlagen Einfluss genommen hätten). 172 OLG Köln v. 24.1.2002 – 18 U 59/01, ZIP 2002, 713, 715 = GmbHR 2002, 549; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59. 173 OLG Stuttgart v. 19.1.1982 – 8 W 295/81, GmbHR 1982, 109, 110; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 33; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 35; einschränkend Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94. 174 Tendenziell ebenso Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 165. A.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; Schulze-Osterloh, ZGR 1993, 420, 429 ff. 175 Ballerstedt, S. 96; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 34. 176 OLG Düsseldorf v. 28.3.1991 – 6 U 234/90, GmbHR 1992, 112, 113; OLG München v. 3.12.1993 – 23 U 4300/89, GmbHR 1994, 712; OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 43;

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§ 5 Rz. 57 | Stammkapital; Geschäftsanteil Anlagevermögen dienen soll, ist demzufolge regelmäßig auf seinen Wiederbeschaffungs- oder Reproduktionskostenwert177 oder, soweit diese Maßstäbe wegen der einmaligen Natur des Gegenstandes (z.B. Patent, Gebrauchsmuster, Know-how u.Ä.) nicht anwendbar sind, auf seinen zu schätzenden Ertragswert abzustellen178. Das Vorsichtsprinzip rechtfertigt, auch nicht für die zuletzt genannten Einlagegegenstände, keine generellen Bewertungsabschläge179. Die Einlagegegenstände, die dem Umlaufvermögen der Gesellschaft dienen sollen, sind wegen ihres typischen Bestimmungszwecks im Allgemeinen mit dem unter Berücksichtigung der noch zu erwartenden spezifischen Aufwendungen und der wahrscheinlichen Erlöseinbußen zu ermittelnden Veräußerungswert als Höchstwert anzusetzen180. Unternehmen sind nach ihrem Ertragswert zuzüglich der geschätzten Nettoeinzelveräußerungspreise der nicht betriebsnotwendigen Vermögensgegenstände, mindestens nach ihrem Liquidationswert zu bemessen181 (s. zur Frage eines Beurteilungsermessens 13. Aufl., § 9 Rz. 12). 58 Wie sich aus der gesetzlichen Regelung über die Differenzhaftung des Sacheinlegers (§ 9

Abs. 1) ergibt, ist der Zeitwert am Tage der Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister maßgebend182; nur dann kann bei Eintragung die Werthaltigkeit gesichert sein. Die Wertverhältnisse im Zeitpunkt der Sacheinlagevereinbarung sind nicht entscheidend. Da der Zeitwert die Anrechnungsfähigkeit von Sacheinlagen zwingend nach oben begrenzt (Rz. 56), kann auch der Gesellschaftsvertrag für ihn keinen abweichenden Bewertungsstichtag bestimmen (s. aber Rz. 59). Das Auseinanderfallen des Vertragsabschlusses und des Bewertungsstichtages führt zu Problemen bei der Einlage von Gegenständen mit starken Wertschwankungen, insbesondere von Unternehmen (Rz. 54). Der Ungewissheit über den höchstzulässigen Anrechnungswert des Einlagegegenstandes kann in diesen Fällen durch die statutarische Vereinbarung Rechnung getragen werden, dass der Sacheinleger eine nach dem maßgeblichen Zeitwert des Einlagegegenstandes sich ergebende Unterdeckung des Nennbetrags des Geschäftsanteils durch eine Geldleistung auszugleichen hat; dann kann eingetragen wer-

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Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95; auf den steuerrechtlichen Begriff des „Teilwerts“ eines Gegenstandes im Gesamtvermögen abstellend Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36. OLG Düsseldorf v. 28.3.1991 – 6 U 234/90, GmbHR 1992, 112, 113; OLG München v. 3.12.1993 – 23 U 4300/89, GmbHR 1994, 712; Festl-Wietek, BB 1993, 2410, 2412; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 34; Sina, GmbHR 1994, 387, 388; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95. OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 43; Wiedemann in FS Hirsch, S. 257, 263; ähnlich Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25. So aber BGH v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300, 308 f.; abschwächend BGH v. 12.10.1998 – II ZR 164/97, GmbHR 1999, 232 = NJW 1999, 143, während Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95, beim Fehlen bisheriger Verwertungserfolge generell nur einen geringen Wert für angemessen halten; zum Firmenwert vgl. Priester in FS Nirk, 1992, S. 893, 911 f. Vgl. OLG München v. 3.12.1993 – 23 U 4300/89, GmbHR 1994, 712; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 34; Sina, GmbHR 1994, 387, 388; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95; vgl. auch RG, LZ 1912, 666 (Warenlager); a.M. v. Rössing, S. 57. KG v. 14.2.1997 – 5 U 3967/96, GmbHR 1997, 1066, 1067 (ob. dict.); Angermayer, S. 283 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 171; Urban in FS Sandrock, 1995, S. 305, 309 ff.; Trölitzsch, S. 208 ff.; missverständlich OLG München v. 3.12.1993 – 23 U 4300/89, GmbHR 1994, 712. OLG Düsseldorf v. 28.3.1991 – 6 U 234/90, WM 1991, 1670; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 34; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Trölitzsch, S. 202 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 96; auf den Zeitpunkt der Eintragung abstellend Spiegelberger/Walz, GmbHR 1998, 761, 763.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 59 § 5

den183. Darin liegt keine so genannte Mischeinlage (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 21 und § 5 Rz. 81)184, für die nach § 5 Abs. 4 Satz 1, § 7 Abs. 2 und 3 im Interesse des Gläubigerschutzes eine genaue ziffernmäßige Aufteilung des Nennbetrags des Geschäftsanteils geboten ist, sondern eine zur Sacheinlagevereinbarung gehörende Wertgarantie185, deren Erfüllung bis zur Anmeldung zu erfolgen hat (§ 7 Abs. 3) und durch den Geschäftsführer zu versichern ist (§ 8 Abs. 2 Satz 1). Die Gesellschafter können untereinander für den Fall der stichtagsbedingten Verminderung des Anrechnungsbetrages der Sacheinlage einen Ausgleich durch eine schuldrechtliche Nebenabrede festlegen186. Umgekehrt kann für den Fall einer Überdeckung des Nennbetrages des Geschäftsanteils durch den maßgeblichen Zeitwert des Einlagegegenstandes im Gesellschaftsvertrag auch vereinbart werden, dass der Sacheinleger den Überschussbetrag vergütet erhalten soll (so genannte gemischte Sacheinlage, vgl. Rz. 81 ff.). Der Vergütungsbetrag braucht nicht ziffernmäßig genau187 oder schätzungsweise188 im Statut angegeben zu werden, sondern es ist ausreichend, dass er für den Bewertungsstichtag bestimmbar festgelegt und in der Anmeldung konkretisiert wird (Rz. 83)189. Zum Nachweis des Zeitwertes gegenüber dem Registergericht vgl. 13. Aufl., § 8 Rz. 14 und 13. Aufl., § 9c Rz. 34. Der Zeitwert am Tage der Anmeldung ist nur eine unabdingbare Obergrenze für den An- 59 rechnungsbetrag (Rz. 56, 58), schließt also nicht aus, dass die Sacheinlagevereinbarung innerhalb dieser Grenze einen anderen Stichtagswert zugrunde legt. Das ist vor allem für die in der Praxis gebräuchlichen Formen der Sacheinlage von Unternehmen oder von Teilunternehmen (Rz. 54) bedeutsam. Die verbreitet übliche Einbringung eines Unternehmens zum Buchwert der letzten Jahresbilanz mit der Abrede, dass es ab diesem Zeitpunkt rückwirkend als für Rechnung der Vorgesellschaft geführt gilt190, ist brauchbar, solange nicht durch von ihr danach zu tragende zwischenzeitliche Verluste der vom Einbringungsbuchwert zu unterscheidende Zeitwert des Unternehmens bei Anmeldung (Rz. 57 f.) unterschritten wird191; für den zuletzt genannten Fall kann aber durch die Vereinbarung einer Ausgleichungspflicht der Differenz zwischen dem Zeitwert und dem Stammeinlagebetrag in Geld Vorsorge getroffen werden (Rz. 58); auch sollte der Sacheinleger keine Ausgleichsansprüche haben. Die Jahresbilanz ist jedoch dann keine ausreichende Wertunterlage i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 5 mehr, wenn sie – auch unter Berücksichtigung der aus ihr ersichtlichen Risiken und der Angaben im Sachgründungsbericht (§ 5 Abs. 4 Satz 2) – nicht zeitnah genug ist, weil sich dadurch eine Rückwirkung zu Lasten der Gesellschaft ergeben kann, die dem heutigen Verständnis der Kapitalaufbringung nicht entspricht192. Bei der vorgenannten Methode der Einlage von Unternehmen sind ferner die Schranken einer steuerrechtlichen Anerkennung der vereinbarten Rückbeziehung auf einen vor der Einbringung des Unternehmens liegenden Stichtag zu be183 BGH v. 23.11.1998 – II ZR 70/97, GmbHR 1999, 232; OLG Zweibrücken v. 26.11.1980 – 3 W 169/ 80, GmbHR 1981, 214, 215; OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 44; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26; Priester, BB 1980, 19, 20. 184 A.A. Priester, BB 1980, 20. 185 Die Garantie schließt mangels gegenteiliger Anhaltspunkte aber keine nach der Eintragung eintretenden Entwertungen ein; vgl. BGH v. 12.10.1998 – II ZR 164/97, GmbHR 1999, 232. 186 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 96. 187 So Günthner, NJW 1975, 524, 526; Sudhoff, NJW 1982, 132. 188 OLG Stuttgart v. 19.1.1982 – 8 W 295/81, GmbHR 1982, 109, 111. 189 OLG Zweibrücken v. 26.11.1980 – 3 W 169/80, GmbHR 1981, 214, 215; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27; Priester, BB 1980, 22 f.; Priester, GmbHR 1982, 112 f.; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 135. 190 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 31; Bedenken bei Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 102. 191 Vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 31; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 35 f.; s. im Übrigen auch Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 99 ff. 192 Anders noch BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 349 f., inzwischen aber überholt, vgl. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 102 mit Fn. 234.

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§ 5 Rz. 59 | Stammkapital; Geschäftsanteil achten (§ 20 Abs. 8 Satz 3 UmwStG). Der Gesellschaftsvertrag kann auch bestimmen, dass eine auf den Tag der Einbringung zu erstellende Bilanz maßgebend sein und eine Ausgleichungspflicht der Beteiligten bestehen soll, wonach der einbringende Gesellschafter eine sich ergebende Unterdeckung des Nennbetrags des Geschäftsanteils in Geld nachzuzahlen oder die Gesellschaft ihm eine entsprechende Überdeckung zu erstatten hat (Rz. 58)193; bei dieser Lösung ist eine Bewertung für den Registerrichter u.U. einfacher, aber nur bei einem gewissen Zeitabstand zwischen dem Gesellschaftsvertrag und der Errichtung der Einbringungsbilanz, der es ermöglicht, den eventuell zu leistenden Ausgleichsbetrag einigermaßen zuverlässig zu schätzen194. Der Vorbehalt, dass der Zeitwert des Unternehmens bei Anmeldung nicht überschritten werden darf (Rz. 56, 58), gilt dieser Einbringungsmethode gegenüber ebenfalls. Wegen der zeitnäheren Wertansätze in der Einbringungsbilanz ist diese aber regelmäßig als eine geeignete Bewertungsunterlage i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 5 anzusehen (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 18). cc) Rechtsfolgen 60 Unterschreitet der Zeitwert des Einlagegegenstandes bei Anmeldung den durch seine Leis-

tung aufzubringenden Stammeinlagebeitrag (für gemischte Sacheinlagen vgl. Rz. 85), so darf das Registergericht die Gesellschaft nicht eintragen (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 32, 40) und der Sacheinleger ist von Gesetzes wegen zur Leistung des Fehlbetrages in Geld verpflichtet (§ 9). Darüber hinaus können weitergehende Schadensersatzansprüche nach §§ 9a, 9b und nach den allgemeinen Vorschriften bestehen. 61 Die Unterdeckung des Nennbetrags des Geschäftsanteils hat keine Nichtigkeit der Sach-

einlagevereinbarung zur Folge195. Die nach früherem Recht für offensichtliche und willkürliche Überbewertungen vertretene abweichende Ansicht196 ist überholt, weil das Gesetz, wie auch die Materialien ergeben197, die bei einem Verstoß gegen das Verbot der Unterpari-Ausgabe (Rz. 28) in Erwägung zu ziehende Nichtigkeitsfolge durch die Differenzhaftung (§ 9) gerade vermeiden will, die einerseits der Gläubigerschutzfunktion voll gerecht wird, aber zugleich auch das Interesse der Gesellschaft an dem u.U. unentbehrlichen Einlagegegenstand berücksichtigt. Die Nichtigkeit der Sacheinlagevereinbarung aus anderen Gründen, z.B. wegen eines Verstoßes der Anrechnungsabrede gegen § 138 BGB, ist dadurch nicht ausgeschlossen; der Gesellschafter hat dann den Nennbetrag in voller Höhe in Geld zu entrichten, soweit die Einlageschuld nicht analog § 19 Abs. 4 durch Anrechnung erloschen ist (Rz. 95). g) Leistungsstörungen und Mängel 62 Die bürgerlich-rechtlichen Vorschriften über Leistungsstörungen sowie Sach- und Rechts-

mängel können nicht ohne weiteres angewandt werden198. Die vereinbarte Sacheinlagepflicht ist kein Kauf der einzulegenden Sache durch die Gesellschaft und kann auch nicht als ein

193 OLG Zweibrücken v. 26.11.1980 – 3 W 169/80, GmbHR 1981, 214; OLG Stuttgart v. 19.1.1982 – 8 W 295/81, GmbHR 1982, 109; Priester, GmbHR 1982, 112 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 100. 194 Dies ließ OLG Stuttgart v. 19.1.1982 – 8 W 295/81, GmbHR 1982, 109, 111, genügen; schärfere Anforderungen hinsichtlich der Genauigkeit der Angaben (Günthner, NJW 1975, 524, 526) überfordern die Beteiligten, die ohnehin mit der Differenzhaftung rechnen müssen. 195 Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 35; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 37. 196 BGH v. 16.2.1959 – II ZR 170/57, BGHZ 29, 300, 307. 197 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35. 198 Darüber besteht Einigkeit; vgl. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109 ff.; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 166.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 66 § 5

gegenseitiger, auf Austausch gerichteter Vertrag verstanden werden. Sie erfolgt vielmehr in Erfüllung korporativer Verpflichtungen. Eine Besonderheit besteht auch darin, dass die Sacheinlagepflicht die Geldeinlagepflicht substituiert und die Geldeinlagepflicht im Interesse einer wirksamen Kapitalaufbringung wiederauflebt, wenn die eingebrachte Sache nicht werthaltig ist (vgl. § 9). Diese Aspekte sind zu berücksichtigen, wenn über die Anwendbarkeit des Leistungsstörungsrechts zu entscheiden ist. aa) Unmöglichkeit Wenn die Erbringung einer vereinbarten Sacheinlage unmöglich ist, so entfällt die Einbrin- 63 gungspflicht nach § 275 Abs. 1 BGB ohne Rücksicht darauf, ob die Unmöglichkeit vor (anfängliche Unmöglichkeit) oder nach Abschluss der Sacheinlagevereinbarung (nachträgliche Unmöglichkeit) eintritt199. Die Sacheinlagevereinbarung ist nicht nichtig; dies gilt seit der Reform des Schuldrechts auch für die Fälle anfänglicher objektiver Unmöglichkeit (vgl. § 311a Abs. 1 BGB). Der Beitritt des Gesellschafters ist nicht unwirksam200. An die Stelle der Pflicht zur Leistung einer Sacheinlage tritt von Gesetzes wegen die Pflicht zur Leistung der Bareinlage201 (s. aber zur anfänglichen Unmöglichkeit Rz. 64). Darüber hinaus können der Gesellschaft schuldrechtliche Ansprüche zustehen; im Falle an- 64 fänglicher Unmöglichkeit kann sie gemäß § 311a Abs. 2 Satz 1 BGB Schadensersatz statt der Leistung verlangen, im Falle nachträglicher Unmöglichkeit ebenfalls Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280, 283 BGB202. Diese Ansprüche sind, wenn der wahre Wert des vorgesehenen Einlagegegenstandes höher ist als der Anrechnungsbetrag (Rz. 56), für die Gesellschaft vorteilhafter als der von Gesetzes wegen bestehende Bareinlageanspruch. Die Mindesthöhe des Schadensersatzanspruchs ist wegen des Verbots der Unterpari-Emission der Nennbetrag des Geschäftsanteils203. Der vertragsrechtliche Schadensersatzanspruch kann wahlweise neben dem Erfüllungsanspruch auf die Geldeinlage erhoben werden204. Ein Rücktrittsrecht entsprechend §§ 323, 326 Abs. 5 BGB besteht nach zutreffender Ansicht 65 nicht205. Es besteht kein Bedürfnis für einen Rücktritt, da die Gesellschaft bereits von Gesetzes wegen einen Bareinlageanspruch hat (s. Rz. 63). Möchten die Gesellschafter sich vom mit einer Sacheinlage gescheiterten Gesellschafter trennen, können sie ihn ausschließen206. Schwierige Fragen werden aufgeworfen, wenn die Gesellschaft die Unmöglichkeit ganz oder 66 teilweise zu vertreten hat. Wegen des Gebots effektiver Kapitalaufbringung ist § 326 Abs. 2 BGB nicht anwendbar, so dass der Gesellschafter nicht von seiner Leistungspflicht befreit wird. Allerdings kann ihm ein Schadensersatzanspruch gegen die Gesellschaft gemäß §§ 280, 283 BGB zustehen207. Das Gebot effektiver Kapitalaufbringung steht dem nicht entgegen. 199 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 40; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 118; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 171 f. 200 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 185; vgl. auch Leitzen in Michalski u.a., Rz. 172. 201 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 185; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 30; ebenso bereits vor der Schuldrechtsmodernisierung BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 34, 345; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 259/96, GmbHR 1997, 545. 202 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 119. 203 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188. 204 Vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 40; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 119. 205 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 189; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 174. A.A. noch die 10. Aufl. 206 Leitzen in Michalski u.a., Rz. 174. 207 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 191; wohl auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 40.

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§ 5 Rz. 66 | Stammkapital; Geschäftsanteil Dem Gesellschafter ist es freilich gemäß § 19 Abs. 2 Satz 2 verwehrt, mit seinem Schadensersatzanspruch gegen die Einlageforderung der Gesellschaft aufzurechnen. Er muss den Anspruch also ggf. klageweise geltend machen208. 67 Stellt sich die Unmöglichkeit vor der Eintragung der Gesellschaft heraus, ist der Gesell-

schafter daher nach den bereits dargestellten Grundsätzen zur Bareinlage verpflichtet. Es sind jedoch Fälle denkbar, in denen der Gesellschafter (oder auch die Gesellschaft) an dem Beitritt nur ein Interesse hat, wenn die spezielle Sacheinlage erbracht wird. Dann kann der Gesellschafter nicht das durch § 275 BGB begründete Recht verlieren, sich auf die Undurchführbarkeit der Sacheinlagevereinbarung zu berufen und so die Eintragung der Gesellschaft zu verhindern209. bb) Verzug 68 Ein Sachinferent kommt gemäß § 280 Abs. 2, §§ 286 ff. BGB in Verzug. Er schuldet dann

Verzugsschaden, der sich hauptsächlich daraus ergeben kann, dass wegen § 7 Abs. 3 die Eintragung der Gesellschaft nicht erfolgen kann210. Wenn die Gesellschaft dem Einleger erfolglos eine Nachfrist gesetzt hat, kann sie neben der Erfüllung der Bareinlagepflicht Schadensersatz fordern211. Ein Rücktrittsrecht besteht grundsätzlich nicht212. Eine andere Beurteilung ist aber geboten, wenn die Gesellschaft vor der Eintragung gemäß § 323 Abs. 1 BGB zurücktreten will; zwingende Gründe gegen die Zulässigkeit eines Rücktritts gibt es in der Vorgesellschaft nicht213. Das praktische Bedürfnis für einen Rücktritt besteht vor allem dann, wenn die Gesellschaft ein besonderes Interesse an der Einbringung des versprochenen Gegenstandes hatte. Der Gesellschaftsvertrag kann auch für den Fall der nicht rechtzeitigen Leistung eine Vertragsstrafe vorsehen (§ 339 BGB). cc) Rechts- und Sachmängel 69 Die Rechtsprechung hat vor der Schuldrechtsmodernisierung bürgerlich-rechtliche Scha-

densersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Inferenten wegen Sachmängel bejaht214. Auch für die Zeit nach der Schuldrechtsmodernisierung wird im Schrifttum verschiedentlich die Ansicht vertreten, das kaufrechtliche Sach- und Rechtsmängelgewährleistungsrecht sei anwendbar, wobei teilweise danach differenziert wird, um welche Art von Ansprüchen es sich handelt215. So sollen etwa Rücktritts- und Minderungsrecht wegen des Kapitalaufbringungsgrundsatzes ausgeschlossen sein, nicht aber Nacherfüllungsansprüche216, und auch nicht

208 Vgl. auch Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 191: Gesellschafter müsse sich seinen anteiligen Haftungsbetrag aus einer Vorbelastungshaftung entgegenhalten lassen. 209 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 194 f.; ebenso Ulmer/Casper in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 114 für den Fall des nicht geheilten Formmangels. 210 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 175. 211 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120. 212 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 198; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120. 213 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 199. A.A. wohl Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 30; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 175. 214 RGZ 68, 271, 274; RGZ 86, 210, 215; RG, JW 1934, 3196; vgl. auch BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/ 63, BGHZ 45, 338, 345 zur Rechtsmängelhaftung. 215 Vgl. 10. Aufl.; ferner Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 39; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121. 216 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 72 § 5

Schadensersatzansprüche217, die unabhängig von der konkurrierenden Differenzhaftung gemäß § 438 BGB verjähren würden218. Vorzugswürdig ist es, in der Regelung der Differenzhaftung (§ 9) eine grundsätzlich ab- 70 schließende Sonderregelung zu sehen219. Die (zum 1.1.2022 modernisierten) Vorschriften über die Sachmängelgewährleistung sind für Austauschverträge konzipiert. Dies kommt auch in den abgestuften Rechtsfolgen im Falle von Sach- und Rechtsmängeln zum Ausdruck (Nacherfüllung; Minderung; Rücktritt und Schadensersatz). Die Einbringung von Sacheinlagen ist aber ein körperschaftsrechtlicher Vorgang, mit dem der Inferent seine Einlagepflicht erfüllt. Dies wird im Interesse einer effektiven Kapitalaufbringung durch die einen Sachmangel nicht voraussetzende verschuldensunabhängige Differenzhaftung des § 9 gewährleistet220. Eine andere Beurteilung der Frage nach der Anwendbarkeit des bürgerlich-rechtlichen Gewährleistungsrechts ist nur dann geboten, wenn die Funktionstauglichkeit der Sache durch den Mangel erheblich beeinträchtigt ist221. Dann besteht, ebenso wie im Falle der Unmöglichkeit (s. Rz. 63), von Gesetzes wegen ein Bareinlageanspruch222. Außerdem kann der Gesellschaft dann ein (über die Differenzhaftung hinausgehender) Schadensersatzanspruch entsprechend § 437 Nr. 3 BGB zustehen223. Schließlich kann die Gesellschaft einen Schadensersatzanspruch wegen einer Nebenpflichtverletzung gemäß § 280 Abs. 1 BGB haben224. Handelt es sich bei der Sacheinlage um eine vertretbare Sache, ist der Gesellschafter verpflichtet, eine Sache von mittlerer Art und Güte zu leisten (§ 243 Abs. 1 BGB). Ist sie dies nicht, hat die Gesellschaft aus dem Sacheinlageversprechen heraus einen Anspruch auf Leistung einer solchen225. Bei Rechtsmängeln finden die Vorschriften des BGB über die Rechtsmängelhaftung gleich- 71 falls grundsätzlich keine Anwendung226. Wenn ein einzubringendes Recht nicht besteht, handelt es sich allerdings um einen Fall der Unmöglichkeit, so dass der Bareinlageanspruch von Gesetzes wegen besteht227. h) Lasten und Verbindlichkeiten Dingliche Lasten des Sachgutes bleiben bestehen, sofern nicht im Einzelfall die Gutgläubig- 72 keit des Geschäftsführers und der Mitgründer zum Erlöschen führt (z.B. nach § 936 BGB), wobei nicht ausgeschlossen ist, nach § 166 Abs. 1 BGB im Einzelfall der juristischen Person das Wissen des Inferenten zuzurechnen228. Persönliche Verbindlichkeiten, mit dem Einlagegegenstand verknüpft, z.B. die Passiven einer eingebrachten Sachgesamtheit, kann die GmbH nur übernehmen, wenn es im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist; anderenfalls verbleiben sie

217 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121; weitergehend aber Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 39. 218 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 39. 219 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 203; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 176 f. A.A. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121. 220 Karsten Schmidt, GesR, § 20 III 4. d) (S. 585). 221 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 205; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 176 (bei völliger Unbrauchbarkeit der Sache). 222 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 205; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 176. 223 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 205; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121. 224 Leitzen in Michalski u.a., Rz. 178. 225 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 207. 226 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 208; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 177. A.A. 10. Aufl.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 39; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 41. 227 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 209. 228 Ehlers, GmbHR 2005, 934 ff.

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§ 5 Rz. 72 | Stammkapital; Geschäftsanteil dem Inferenten (s. dazu Rz. 54, 92). Hat der Inferent Gewähr für den Eingang von Außenständen übernommen oder der GmbH Befreiung von Verbindlichkeiten zugesagt, die diese zu erfüllen hat, so ist dies keine Sonderleistungspflicht i.S.d. § 3 Abs. 2, sondern Nebenverbindlichkeit zur Einlagepflicht. Daher ist ein Erlass dieser Pflichten gemäß § 19 Abs. 2 unzulässig; denn dies würde zur Minderung der Einlagen führen. Anders liegt es bei einem ernstlichen Vergleich229.

3. Sachübernahme a) Begriff und Bedeutung 73 Die Sachübernahme ist in § 5 Abs. 4 Satz 1 seit der GmbH-Novelle 1980 nicht mehr aus-

drücklich erwähnt, wird aber durch den vom Gesetz in einem erweiterten Sinne gebrauchten Sacheinlagebegriff als Oberbegriff mit umfasst (Rz. 31). Es ist darunter in Übereinstimmung mit der früheren Legaldefinition (§ 5 Abs. 4 a.F.) die Gestaltung zu verstehen, dass die Vergütung für Vermögensgegenstände, die die Gesellschaft übernimmt, auf Einlagen „angerechnet“ (Rz. 73) werden soll230. Von der Sacheinlage i.e.S. (Rz. 34 ff.) unterscheidet sie sich also dadurch, dass der Gegenstand der übernommenen Einlagepflicht nicht in anderen Vermögenswerten, sondern wie regelmäßig in Geld besteht und nur ausnahmsweise die Möglichkeit eröffnet wird, die Geldeinlagepflicht durch Anrechnung der Vergütung aus Sachübernahmen zu tilgen (vgl. § 19 Abs. 2 Satz 2). Die Sachübernahme wirft wie die Sacheinlage i.e.S. das Problem auf, dass eine effektive Kapitalaufbringung zu gewährleisten ist. Auf die Einlagepflicht sind daher, unbeschadet der getroffenen Anrechnungsabrede (Rz. 73), im Übrigen die für Geldeinlage geltenden Vorschriften (§ 7 Abs. 2, § 8 Abs. 2, § 9a Abs. 1 u. 2, §§ 19 ff.) anwendbar. 74 Die Anrechnung der Vergütung aus Sachübernahmen auf die Geldeinlagepflicht des Gesell-

schafters unterliegt, da sie wirtschaftlich vergleichbar die Aufbringung des Stammkapitals gefährdet, voll den Sachgründungsvorschriften des GmbHG ohne Rücksicht darauf, ob beim Abschluss des Gesellschaftsvertrags fest mit der vergütungspflichtigen Sachübernahme und dem Vollzug der Verrechnungsabrede gerechnet werden konnte oder nicht. Auch das Erfordernis der Leistung vor der Anmeldung (§ 7 Abs. 3) gilt mit der Maßgabe, dass die Einlagepflicht bis zu diesem Zeitpunkt durch die vollzogene Anrechnung rechtswirksam getilgt sein muss231. Die Anmeldung ist anderenfalls zurückzuweisen, wenn nicht auf die Anrechnung verzichtet und die vorgeschriebene Mindesteinzahlung (§ 7 Abs. 2) geleistet worden ist232. Eine differenzierende rechtliche Behandlung von Sacheinlagen und Sachübernahmen ist wegen deren jeweiliger Eigenart bei Mängeln des Vertragsabschlusses und bei Leistungsstörungen erforderlich (Rz. 75 f.). aa) Aufnahme in Gesellschaftsvertrag 75 Die Vereinbarung über die Anrechnungsmöglichkeit der Vergütung aus Sachübernahmen

der Gesellschaft auf die Einlagepflicht bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag (§ 5 Abs. 4 Satz 1). Über die erforderlichen einzelnen Festsetzungen 229 RGZ 79, 273. 230 RGZ 41, 120, 125; BGH v. 10.11.1958 – II ZR 3/57, BGHZ 28, 314, 318; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Bongen/Renaud, GmbHR 1992, 100, 101; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18, 42; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 123. 231 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 41; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126. 232 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 126.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 79 § 5

vgl. Rz. 86 ff. Unter „Anrechnung“ ist die Tilgung der Einlagepflicht sowohl durch Aufrechnung (§ 387 BGB) als auch durch vertragliche Verrechnung (Aufrechnungsvertrag) zu verstehen. Von § 5 Abs. 4 Satz 1 werden demgemäß auch Verrechnungsvereinbarungen mit Dritten und/oder Vergütungen aus Sachübernahmeverträgen mit ihnen erfasst233, was allerdings bei einer Sachübernahmevereinbarung mit Dritten nur die Anrechnungsvereinbarung betreffen kann234. Von der Sachübernahme zu unterscheiden ist der Fall, dass die Gesellschaft bereits bei der Gründung unabhängig von der Einlagepflicht einen Leistungsanspruch gegen einen Gründer erhalten soll. Dies ist vorbehaltlich der Regelungen über verdeckte Sacheinlagen zulässig. Die konkrete Umsetzung erfolgt dann in der Satzung durch Vereinbarung einer Nebenleistungspflicht235. Die zwingend enthaltene Anrechnungsabrede ist nur wirksam, wenn die von der Gesellschaft 76 übernommenen Vermögensgegenstände, für die die anzurechnende Vergütung gewährt wird, auch zur Sacheinlage geeignet sind (Rz. 37 ff.)236. Da die Verrechnung vor der Anmeldung der Gesellschaft endgültig zu bewirken ist (§ 7 Abs. 3), scheiden solche Vermögensgegenstände aus, die erst danach entstehen oder geleistet werden sollen237. Die anzurechnende Vergütung darf ferner nicht den Zeitwert der übernommenen Vermögensgegenstände am Anmeldetag überschreiten (Rz. 57 ff.). Anderenfalls greift die Differenzhaftung gemäß § 9 ein238. Die Unwirksamkeit der statutarischen Anrechnungsvereinbarung wegen Formmangels, feh- 77 lender Eignung des Vermögensgegenstandes, anfänglicher Unmöglichkeit der Verrechnung (§ 311a BGB) oder eines ihr speziell anhaftenden sonstigen Vertragsmangels (zur begrenzten Zulässigkeit der Teilanfechtung s. Rz. 94) hat zur Folge, dass eine Anrechnung der Vergütung unzulässig (§ 19 Abs. 2 Satz 2) und die Einlage in Geld zu leisten ist239. bb) Sachgründungsbericht Auch im Falle einer Sachübernahme ist ein Sachgründungsbericht i.S.d. § 5 Abs. 4 Satz 2 er- 78 forderlich240. Zwar verweist § 19 Abs. 2 Satz 2 nicht auf § 5 Abs. 4 Satz 2. Daraus lässt sich aber nicht schließen, dass der Gesetzgeber einen Sachgründungsbericht bei der Sachübernahme für entbehrlich hielt. cc) Sachübernahmevertrag Der Sachübernahmevertrag ist ein schuldrechtlicher Austauschvertrag i.S.d. §§ 320 ff. BGB, 79 z.B. ein Kaufvertrag241, zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter oder einem Dritten (Rz. 73, 75). Er ist, soweit sich aus den allgemeinen Formvorschriften nichts anderes er-

233 RGZ 41, 120, 125; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 343; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 40; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 123, 127; im Ergebnis auch Altmeppen, Rz. 21. 234 Zweifelnd am Ergebnis der Aufnahme in die Satzung daher Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl., Rz. 33. 235 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124. 236 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 218; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127. 237 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 41. 238 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 219. 239 RGZ 86, 291, 292 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 42. 240 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 222; i.E. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40. 241 RGZ 86, 291, 292; RGZ 141, 204, 208; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 123; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 40; Altmeppen, Rz. 21; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43.

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§ 5 Rz. 79 | Stammkapital; Geschäftsanteil gibt, nicht formbedürftig und wird auch nicht deswegen zum Bestandteil des Gesellschaftsvertrages, weil nach § 5 Abs. 4 Satz 1 die dort genannten Umstände der Verrechnungsabrede in die Urkunde aufzunehmen sind242. Die Rechtsfolgen bei Mängeln des Sachübernahmevertrages und bei Leistungsstörungen bestimmen sich grundsätzlich nach den allgemeinen Vorschriften243. Dies bedeutet, dass die Gesellschaft aus der schuldrechtlichen Übernahmevereinbarung Rechte, auch Gewährleistungsansprüche und Ansprüche wegen Leistungsstörungen, gegen den Gesellschafter ableiten kann, bei deren Scheitern die Verrechnung ausgeschlossen und folglich die Geldeinlage zu leisten ist. Die Unwirksamkeit der statutarischen Anrechnungsvereinbarung (Rz. 75) berührt den Sachübernahmevertrag nur, wenn, was aber nicht ohne Weiteres anzunehmen ist, die Voraussetzungen des § 139 BGB gegeben sind. Wenn und soweit die Vergütungsforderung des Veräußerers danach entfällt, ist die Einlagepflicht mangels verrechenbarer Forderung durch den Gesellschafter in Geld zu erfüllen; bei einer Unterdeckung des Einlagebetrages infolge wertmindernder Sachmängel besteht auch die Differenzhaftung gemäß § 9 Abs. 1244. Der im Falle einer von der Gesellschaft zu vertretenden Unmöglichkeit bestehende Vergütungsanspruch des Veräußerers (§ 326 Abs. 2 BGB) kann im Hinblick auf die vorrangige Sicherung der Kapitalaufbringung nicht gegen die Einlageforderung aufgerechnet oder verrechnet werden245. Dasselbe gilt bei vertraglichen Gewährleistungsausschlüssen, soweit durch eine Anrechnung wegen der unzureichenden Gegenleistung des Veräußerers das aufzubringende Stammkapital geschmälert würde. b) Sachübernahmen ohne Anrechnung 80 Die Sachübernahmen ohne Anrechnung auf Einlagen unterwirft das GmbHG wegen der un-

terschiedlichen Interessenlage im Gegensatz zum AktG (vgl. § 27 Abs. 1 Satz 1 AktG) bewusst nicht den Sondervorschriften über die Sachgründung246, insbesondere ist ihre Wirksamkeit, soweit sie nicht als so genannte Nebenleistungspflicht i.S.d. § 3 Abs. 2 gewollt sind, nicht von einer Festsetzung der wesentlichen Umstände im Gesellschaftsvertrag abhängig, s. aber Rz. 75. Daran ändert auch nichts, wenn die Vergütung auf andere Gesellschafterbeiträge als Einlagen (Rz. 21) angerechnet werden soll. Aus den vorgenannten Gründen enthält das Gesetz konsequenterweise auch keine ergänzende Bestimmung über Nachgründungsverträge (vgl. § 52 AktG). Statt dieser Regelungen hat es, um die Einhaltung der Sachgründungsvorschriften zu sichern und die ungeschmälerte Aufbringung der Einlage zu gewährleisten, durch § 19 Abs. 2 Satz 2 ein erheblich erweitertes Aufrechnungsverbot eingeführt247. Die Vorschrift schließt beiderseits die Aufrechnung der Vergütungsforderung aus einem vor oder nach der Eintragung der Gesellschaft abgeschlossenen Sachübernahmevertrag gegen den Einlageanspruch aus, wenn sie nicht in Ausführung einer gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 getroffenen Bestim-

242 Knobbe-Keuk, ZIP 1986, 885, 886 f., 888; Bongen/Renaud, GmbHR 1992, 100, 101 f.; Altmeppen, Rz. 34; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 217; zweifelnd Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 40. A.A. BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 343; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44; Spiegelberger/Walz, GmbHR 1998, 761, 772 f. 243 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 42; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 223; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 130. 244 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 230; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 130. 245 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 230. 246 Entw. I, 52. Vgl. auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Knobbe-Keuk, ZIP 1986, 885, 886 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124. 247 Entw. I, 52, 67. Vgl. Knobbe-Keuk, ZIP 1986, 885, 886; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Altmeppen, Rz. 33; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 123.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 83 § 5

mung des Gesellschaftsvertrages erfolgt248. Ebenso ist danach eine Verrechnungsvereinbarung oder die Annahme an Erfüllungs statt (§ 364 BGB) unzulässig.

4. Gemischte Sacheinlage Eine gemischte Sacheinbringung bzw. Sacheinlage liegt vor, wenn der Gesellschafter sich in 81 der Weise zur Leistung eines Vermögensgegenstandes verpflichtet, dass sie nur zum Teil auf die Einlage erfolgen oder die für ihn zu gewährende Vergütung nur zum Teil auf die Einlage verrechnet werden soll, während der überschießende Teil ihm in Geld oder in anderen Vermögenswerten vergütet werden soll249. Es handelt sich somit um eine Verbindung von Sacheinlage und Sachübernahme. Die Gestaltung ist nicht zu verwechseln mit der Mischeinlage, bei der die Einlage sowohl in Geld als auch in anderen Vermögensgegenständen zu leisten ist (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 21). Die Vereinbarung über eine gemischte Sacheinbringung ist als ein einheitliches Rechts- 82 geschäft zu behandeln, auf das im Ganzen die für die Sachgründung geltenden Vorschriften anzuwenden sind250. Handelt es sich um eine kraft Parteivereinbarung unteilbare Leistung, unterliegt das Rechtsgeschäft insgesamt den für Sacheinlagen geltenden Vorschriften251. Die Aufspaltung des Geschäfts widerspräche dem Gründerwillen und wäre vor allem mit dem Schutzzweck der Sachgründungsvorschriften unvereinbar. Es würde ein irreführendes oder jedenfalls unvollständiges Bild über das durch die Einlage aufzubringende Gesellschaftsvermögen vermitteln und ebenfalls dem Sinn des § 5 Abs. 4 Satz 1 zuwiderlaufen, wenn bei der danach erforderlichen Festsetzung des Betrages der Einlage, auf die sich die Sacheinlage bezieht, nur der zu ihrer Deckung verwendete Wertteil und nicht auch der an den Einleger in Geld oder anderweitig zu vergütende Teil im Gesellschaftsvertrag vermerkt würde. Außer den nach § 5 Abs. 4 Satz 1 sonst erforderlichen Angaben (Rz. 87 ff.) muss sich also 83 aus dem Gesellschaftsvertrag selbst ergeben, dass ein über den Anrechnungsbetrag auf die Einlage hinausgehender Mehrwert des Einlagegenstandes dem Einleger oder einem Dritten vergütet werden soll252. Es bedarf jedoch nicht notwendig ausdrücklicher Hervorhebung des Vergütungsanspruchs, sondern er kann sich auch aus dem übrigen Vertragsinhalt durch Auslegung ergeben253. Er muss darüber hinaus Bestimmungen sowohl über die Art der zu gewährenden Vergütung (z.B. Zahlungsanspruch, Darlehensgutschrift, Schuldübernahme 248 Vgl. RGZ 86, 291; RGZ 141, 204, 210; RG, JW 1935, 2890; RG, DR 1944, 775; BGH v. 13.10.1954 – II ZR 182/53, BGHZ 15, 52, 58; BGH v. 10.11.1958 – II ZR 3/57, BGHZ 28, 314, 319; BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 340 f. = GmbHR 1991, 255; BGH v. 21.2.1994 – II ZR 60/93, BGHZ 125, 141, 149 f. = GmbHR 1994, 394; BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, GmbHR 1996, 351, 352. 249 BGH v. 18.2.2008 – II ZR 132/06, BGHZ 175, 265, 272 (zur AG); BGH v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145, 152 f. (zur AG); BGH v. 20.11.2006 – II ZR 176/05, BGHZ 170, 47, 52 (zur AG); RGZ 159, 321, 326 f.; Habersack in FS Konzen, 2006, S. 179, 180; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 20; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 231; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 46; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 131. 250 RGZ 159, 321, 326; BGH v. 16.3.1998 – II ZR 303/96, GmbHR 1998, 588, 590; Habersack in FS Konzen, 2006, S. 179, 181; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 134; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 47. 251 BGH v. 9.7.2007 – II ZR 62/06, BGHZ 173, 145, 152; KG, JW 1928, 1822; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 233; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 134. 252 RGZ 125, 323, 329; RGZ 159, 321, 327; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 342. 253 RGZ 159, 321, 327; BayObLG v. 12.4.1979 – BReg 1 Z 13/79, DB 1979, 1075 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 234; Priester, BB 1980, 19, 20; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 135.

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§ 5 Rz. 83 | Stammkapital; Geschäftsanteil u.a.) als auch über die Höhe enthalten254. Es ist dabei, was insbesondere für die Einbringung von Unternehmen bedeutsam ist, aber nicht erforderlich, dass die Vergütung im Gesellschaftsvertrag betragsmäßig genau beziffert255 oder jedenfalls mit einem Schätzbetrag256 angegeben wird, sondern es genügt den Informations- und Kontrollinteressen der Gesellschaftsgläubiger und des Registergerichts, wenn er objektiv bestimmbar festgesetzt wird in einer Weise, die eine ziffernmäßige Konkretisierung auf den Anmeldezeitpunkt anhand der eingereichten Unterlagen unschwer ermöglicht257. Auf diesem Wege kann dann die – meist erst nach Vertragsschluss festgestellte – Einbringungsbilanz berücksichtigt werden258. 84 Beim Fehlen der statutarischen Festsetzungen über die zu gewährende Vergütung (Rz. 83)

sind zwar die Beteiligungserklärung und die Sacheinlagevereinbarung rechtswirksam, doch nur so wie beurkundet. Ein Vergütungsanspruch steht dem Einleger gegen die Gesellschaft nicht zu259. Willigen die Mitgesellschafter bei einer versehentlich unterlassenen Festsetzung nicht in eine Änderung des Gesellschaftsvertrages ein, so steht dem Einleger u.U. ein außerordentliches Austrittsrecht aus wichtigem Grunde (s. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 10 ff.) zu, ggf. auch ein Bereicherungsanspruch gegen die Mitgründer (§§ 812, 815 BGB). Die nachträgliche Einfügung der unterlassenen Festsetzung in die Satzung kann nur unter Anwendung der Regeln über eine Kapitalherabsetzung (§ 58) erfolgen, da die in der Satzung nicht vermerkte Gewährung einer Vergütung an den Sacheinleger aus Gläubigersicht wie eine teilweise Rückgewähr der Einlage wirkt260. In Betracht kommt aber auch eine anderweitige Ausgleichsregelung, etwa eine Nachzahlung des Inferenten, der von seinen Mitgesellschaftern, um den Risiken aus der fehlenden statutarischen Festsetzung zu entgehen, eine Mitwirkung an der Heilungsmaßnahme verlangen kann261. Die außerhalb der Satzung erfolgte Zusicherung des Mehrbetrages durch die Mitgesellschafter kann als Garantie- oder Schuldübernahmevertrag unter den Beteiligten wirksam sein262. 85 Die Summe der auf die Einlage anzurechnenden und der als Vergütung an den Gesellschafter

zu gewährenden Beträge darf den Zeitwert des Einlagegegenstandes (Rz. 57 ff.) nicht überschreiten. Die Gesellschafter können statutarisch vereinbaren, dass ein eventueller Minderwert einseitig zu Lasten der Vergütung gehen soll, aber im Zweifel ist das nicht anzunehmen263. Das Registergericht hat deshalb bei ungenügender Wertabdeckung der Summe die Eintragung abzulehnen (§ 9c Abs. 1 Satz 2). Kommt es dennoch zur Eintragung, gilt § 19

254 RGZ 114, 77, 81; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 342 f.; OLG Stuttgart v. 19.1.1982 – 8 W 295/81, GmbHR 1982, 109, 111; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 135. 255 Das verlangt Günthner, NJW 1975, 524, 526. 256 So OLG Stuttgart v. 19.1.1982 – 8 W 295/81, GmbHR 1982, 109, 111 m. kritischer Anm. von Priester. 257 OLG Zweibrücken v. 26.11.1980 – 3 W 169/80, GmbHR 1981, 214, 215; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237; Priester, BB 1980, 19, 22 f.; Priester, GmbHR 1982, 113; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 135 f.; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 58; dahingestellt von OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 215. 258 Habersack in FS Konzen, 2006, S. 179, 184, der dies allerdings auf die Einbringung unteilbarer Gegenstände beschränkt. 259 RGZ 118, 113, 117 f.; RGZ 125, 323, 328 f.; RGZ 159, 321, 327; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 137. 260 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 138. 261 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 138. 262 RG, GmbHRspr. II § 2 R. 9; IV § 5 R. 13. 263 OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 215; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 238 f.; Trölitzsch, Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998, S. 34 f., 255 ff. A.A. Priester, GmbHR 1982, 113.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 87 § 5

Abs. 4, so dass der Gesellschafter zur Bareinlage verpflichtet ist264. Für Vertragsmängel und Leistungsstörungen gelten im Übrigen die allgemeinen Grundsätze für Sacheinlagen i.e.S. oder für Sachübernahmen mit Anrechnungsabrede.

5. Die Festsetzung im Gesellschaftsvertrag (§ 5 Abs. 4) a) Grundlagen Sollen Einlagen nicht in Geld, sondern durch Sachwerte (Sacheinlagen i.w.S.; s. Rz. 31) gedeckt 86 werden, so müssen im Gesellschaftsvertrag265 zwecks Aufklärung der Gesellschaftsgläubiger über die Zusammensetzung des aufzubringenden Stammkapitals und zur Ermöglichung der registergerichtlichen Kontrolle die Person des verpflichteten Gesellschafters (Rz. 87), der Gegenstand der Sacheinlage (Rz. 88) und der Nennbetrag des Geschäftsanteils (Rz. 89 ff.) festgesetzt werden (§ 5 Abs. 4 Satz 1). Die statutarische Regelung muss deshalb alle Gesichtspunkte enthalten, die nach Maßgabe der einschlägigen Auslegungsgrundsätze zu einer zutreffenden und zweifelsfreien Unterrichtung über die angegebenen Vertragsbestandteile notwendig sind. Nebenabreden, die für die Einschätzung der Wertverhältnisse der einzubringenden Gegenstände aussagekräftig sind, müssen aufgenommen werden, da sie sonst – abgesehen von der unabhängig davon bestehenden Gültigkeit der Sacheinlagevereinbarung – der Gesellschaft gegenüber nicht wirksam sind266. Nicht geregelt ist, ab wann Festsetzungen durch Satzungsänderung beseitigt werden können. Der Gesetzgeber hat die Frage bei der GmbH-Novelle 1980 nicht beantwortet267. In Betracht kommt, die § 27 Abs. 5, § 26 Abs. 5 AktG analog anzuwenden. Dadurch würden allerdings Fristen in das GmbH-Recht übertragen, die (mit dreißig Jahren) für die Praxis einer mehr personalistischen Gesellschaft deutlich zu lang sind268. Vorzugswürdig ist es, entsprechend § 9 Abs. 2 von einer Frist von zehn Jahren auszugehen269. b) Notwendige Angaben aa) Person des Sacheinlegers Die Angabe der Person des Sacheinlegers ist, abweichend vom früheren Recht, in § 5 Abs. 4 87 Satz 1 nicht mehr ausdrücklich erwähnt, aber an ihrer Notwendigkeit hat sich sachlich nichts geändert270. Dem Erfordernis genügt jede individualisierende Bezeichnung, die es ermög-

264 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41. 265 Die Aufnahme in eine Anlage, die dem notariellen Protokoll beigefügt ist (§ 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG), genügt nicht; Ziemons in BeckOK GmbHG, Rz. 152; a.A. Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 140; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 43; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 56; a.A. wohl Röll, GmbHR 1982, 251. 266 Vgl. RGZ 117, 77, 81; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 143. 267 Der Vorschlag in § 5b Abs. 4 RegE, wonach die Festsetzungen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 fünf Jahre nach der Abwicklung der Vereinbarungen durch Satzungsänderung beseitigt werden dürfen, ist vom Rechtsausschuss, BT-Drucks. 8/3908, S. 69 f., unter Hinweis auf die geltende Praxis mangels Bedürfnisses nicht in das Gesetz übernommen worden. 268 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 49; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 144. A.A. LG Hamburg v. 22.2.1968 – 26 T 9/67, GmbHR 1968, 207. 269 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 49; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 244; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 144. 270 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 44; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 245; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 58 (nicht dagegen die Person eines dritten Sachübernehmers); Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 147.

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§ 5 Rz. 87 | Stammkapital; Geschäftsanteil licht, den Sacheinleger eindeutig zu bestimmen, was auch durch Auslegung geschehen kann271. bb) Gegenstand der Sacheinlage 88 Der Gegenstand der Sacheinlage ist im Gesellschaftsvertrag so zu bezeichnen, dass jeder

Zweifel an seiner Identität ausgeschlossen ist. Bei Sachgesamtheiten (Rz. 52 f.) genügt regelmäßig eine verkehrsübliche, objektiv individualisierende Bezeichnung; die Angabe der zu ihr gehörenden einzelnen Gegenstände ist nicht erforderlich272, bei einer bloßen Mehrheit von Gegenständen genügt dagegen keine nur zusammenfassende Beschreibung ohne Nennung der Zahlen. Eine genaue Beschreibung braucht sich auch nicht aus einer Anlage zum Gesellschaftsvertrag zu ergeben, insbesondere muss bei Unternehmen, die mit Handelsregisternummer und Firma bezeichnet werden können, keine Einbringungsbilanz beigefügt werden273, es sei denn, bestimmte Werte sollen nicht mit eingelegt werden274; die Einbringungsbilanz braucht also erst bei der Anmeldung vorzuliegen. Den Bedürfnissen der Unterrichtung der Öffentlichkeit und der registergerichtlichen Kontrolle ist Genüge getan, wenn entsprechende zusätzliche Unterlagen mit der Anmeldung eingereicht werden (vgl. auch § 5 Abs. 4 Satz 2, § 8 Abs. 1 Nr. 4, 5). Unzureichend ist danach etwa die Bestimmung, dass die Außenstände eines Unternehmens bis zu einem angegebenen Höchstbetrag eingebracht werden, da unklar bleibt, welche Forderungen übergehen sollen275. Vertretbare Gegenstände sind nach Art und Menge anzugeben276. Die Art der einzubringenden Gattungssache kann sich aber möglicherweise schon aus den Umständen, z.B. dem Gegenstand des betreffenden Unternehmens, ergeben277. Allerdings müssen entweder die Einzelstücke näher gekennzeichnet oder die Zahl der artgleichen Stücke angegeben werden, oder es muss vermerkt werden, dass es sich um alle Stücke einer Sachgesamtheit handelt278. Unvertretbare Sachen, somit auch Immobilien, ferner auch Rechte müssen, soweit sich das nicht auf Grund von Besonderheiten erübrigt, ausreichend individualisierend gekennzeichnet, aber nicht vollständig beschrieben werden279. Dies gilt auch für DLT-Instrumente (Bitcoin, Ether, etc.; s. Rz. 54a). Bei Forderungen sind i.d.R. der Schuldner, der Gegenstand der Forderung und der Schuldgrund anzugeben, doch kann, wenn dadurch die Identifizierung nicht ausgeschlossen wird, u.U. eines dieser Merkmale fehlen280.

271 Beispiele bei Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 147. 272 OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 215; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 151, 155. 273 Priester, BB 1980, 19, 20 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 248; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 60; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 155. A.A. Sudhoff, NJW 1982, 131, 133; v. Rössing, S. 30 f. 274 BGH v. 24.7.2000 – II ZR 202/98, GmbHR 2001, 31 = DB 2000, 2260; OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 215; Priester, BB 1980, 19, 20. 275 Vgl. auch Vogel, GmbHR 1953, 47. 276 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 249; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 149; s. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 60. 277 RGZ 141, 204, 207. 278 KGJ 38, 166; KGJ 44, 146. 279 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 150; s. auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 247. 280 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 250; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 152.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 91 § 5

cc) Nennbetrag des Geschäftsanteils Schließlich ist die Angabe des Nennbetrages des Geschäftsanteils erforderlich, auf den sich die 89 Sacheinlage bezieht. Festzusetzen ist der durch die Sacheinbringung zu deckende Einlagebetrag, nicht dagegen der Wert des Einlagegegenstandes281. Eine derartige Wertangabe ist rechtlich bedeutungslos, solange nicht durch die Nennung eines überhöhten Betrages ein unrichtiger Eindruck über das aufgebrachte Gesellschaftsvermögen vermittelt wird; die Anmeldung ist in diesem Fall auch dann zu beanstanden, wenn die Einlage an sich durch den Zeitwert des Gegenstandes gedeckt ist282, wenn nicht aus der Regelung klar hervorgeht, dass eine Überpari-Emission gewollt oder, wie bei der gemischten Sacheinlage (Rz. 84, 91), der Mehrbetrag dem Einleger vergütet werden soll. Bei der Einbringung mehrerer Vermögensgegenstände braucht der Anrechnungsbetrag nicht für jeden gesondert, sondern kann einheitlich festgesetzt werden283. Festzusetzen ist der Betrag der zu deckenden Einlage. Es genügt deshalb – anders als für einen herauszuzahlenden Mehrwert bei der gemischten Sacheinlage (Rz. 91) – nach dem Gesetzeswortlaut nicht, dass ihre Größe nur bestimmbar angegeben wird, sondern sie muss ziffernmäßig genau in Euro festgelegt werden284. Unzulässig wäre z.B. auch die Einlage „sicherer kautionsfähiger Wertpapiere zum Geldkurs“ im Zeitpunkt der Anmeldung. Entsprechendes gilt für die Sachübernahme (Rz. 73) mit der Modalität, dass der Nenn- 90 betrag des Geschäftsanteils anzugeben ist, der durch die Verrechnung mit der Vergütung für den veräußerten Vermögensgegenstand getilgt werden soll. Nach dem Gesetzeswortlaut muss sich auch dieser Betrag aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben, so dass sich die genaue Festsetzung des Betrages auch durch Schlüsse aus den übrigen Angaben der Satzung ergeben kann. Es reicht also die Angabe eines spätestens zum Zeitpunkt der Anmeldung bestimmbaren Betrags aus285. Da der Gesellschaftsvertrag, wie auch § 19 Abs. 2 Satz 2 zeigt, nur die Möglichkeit einer Tilgung der Geldeinlagepflicht durch die Verrechnung mit der Vergütung vorzusehen braucht, bestehen keine Bedenken gegen eine zusätzliche Bestimmung, die die Verrechnung durch weiter gehende Kriterien einschränkt. Die Verrechnung muss aber bis zur Anmeldung erfolgt sein (§ 7 Abs. 3) und in der Anmeldung mit genauer Betragsangabe versichert werden (§ 8 Abs. 2). Die Höhe der Vergütung für die Sachübernahme sollte im Gesellschaftsvertrag angegeben werden286, ist aber jedenfalls im Sachgründungsbericht (§ 5 Abs. 4 Satz 2) zu erwähnen (vgl. auch § 8 Abs. 1 Nr. 4). Unvermeidlich ist eine genaue Angabe, wenn die Vergütungspflicht für die zu übernehmenden Vermögensgegenstände bereits im Gesellschaftsvertrag begründet werden soll (Rz. 75). Ein dem Sacheinleger zu vergütender Mehrwert muss sich aus der Satzung ergeben (sog. ge- 91 mischte Sacheinbringung). Es genügt die bestimmbare Festsetzung der Vergütung287.

281 KGJ 38, 161, 170; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 46; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 251; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 156; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 132. A.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31: Einlagewert; Altmeppen, Rz. 34. 282 Eine Irreführung kann sich auch durch die Angabe einer Agio-Leistung ergeben, wenn der Zeitwert des Einlagegegenstandes nicht den Einlagebetrag zuzüglich des Agios erreicht. 283 KGJ 36, 133, 134; BayObLG, SeuffA 62 Nr. 75 (Zubehör); Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 46; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 159. 284 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 46; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 132. A.A. Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 251 (Anrechnungsbetrag könne auch in Form eines bestimmten Bruchteils des Nennbetrags des Geschäftsanteils angegeben werden). 285 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 256; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 160. 286 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61. 287 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 46.

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§ 5 Rz. 92 | Stammkapital; Geschäftsanteil dd) Belastungen und Schulden 92 Belastungen und Schulden, die in Zusammenhang mit der Sacheinbringung von der Gesell-

schaft übernommen werden sollen, erwähnt § 5 Abs. 4 Satz 1 zwar nicht besonders. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist die Angabe aber ebenfalls erforderlich288. Überdies können Übernahmepflichten der Gesellschaft bei ihrer Errichtung rechtswirksam nur im Gesellschaftsvertrag begründet werden289, da es sich sonst um einen Vertrag zu Lasten der Gesellschaft handeln würde. c) Mängel der Sacheinlagevereinbarung aa) Verstoß gegen § 5 Abs. 4 Satz 1 93 Enthält der Gesellschaftsvertrag die nach dieser Vorschrift erforderlichen Festsetzungen

nicht oder nur unvollständig oder sind diese nicht hinreichend bestimmt (Rz. 86 ff.), so ist die Sacheinlagevereinbarung nichtig (§ 125 Satz 1 BGB). Das Registergericht hat die Eintragung der nicht ordnungsgemäß errichteten Gesellschaft abzulehnen (§ 9c Abs. 1 Satz 1), wenn der Mangel, was bis zu diesem Zeitpunkt zulässig ist, nicht durch eine Vertragsänderung behoben wird. 94 Fraglich ist, ob wegen des Mangels auch die Beteiligungserklärung unwirksam ist. Vorzugs-

würdig ist es, dies vor Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister nach § 139 BGB zu beurteilen290: Wenn der betreffende Gesellschafter nur wegen seiner Sacheinlage aufgenommen wurde oder wenn er nur wegen der Möglichkeit der Erbringung der Sacheinlage eine Beteiligung übernehmen wollte, führt der Mangel zur Nichtigkeit seiner Beteiligungserklärung und damit zur Nichtigkeit der Gesellschaft. Im Übrigen ist seine Beteiligung als wirksam anzusehen. Selbst wenn die Beteiligung und damit die Gesellschaft gemäß § 139 BGB nichtig ist, kann sie im Interesse des Gesellschafter- und Gläubigerschutzes nach den Grundsätzen der fehlerhaften Gesellschaft als vorläufig wirksam zu behandeln sein, vorausgesetzt, dass sie in Vollzug gesetzt wurde291. 95 Nach der Eintragung der Gesellschaft ist § 139 BGB nicht mehr anzuwenden. Ein Mangel

berührt aus Gründen des Gesellschafter- und Gläubigerschutzes die Beteiligungserklärung nicht mehr292. Vor dem MoMiG ging die h.M. davon aus, dass der Gesellschafter dann zu einer Geldeinlage verpflichtet sei293. Seit der Neuregelung der Kapitalaufbringung durch das MoMiG ist die Frage analog § 19 Abs. 4 zu beantworten: Wenn schon eine verdeckte Sacheinlage den Inferenten teilweise befreit, muss dies erst recht für den Fall gelten, dass eine

288 RG, JW 1905, 214; OLG Düsseldorf v. 30.7.1992 – 3 Wx 36/92, GmbHR 1993, 441, 442; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 162. 289 RG, JW 1905, 214; RG, Recht 1909 Nr. 2528; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 342; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 162. 290 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 137. Teilweise wird angenommen, dass die Beteiligungserklärung generell wirksam und der Gesellschafter zur Bareinlage verpflichtet sei; vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 165. In der 10. Aufl. wurde vertreten, die Beteiligungserklärung sei generell unwirksam. 291 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 260; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 138. 292 RGZ 82, 299, 303 f.; RGZ 86, 291, 293 f.; RGZ 118, 113, 117 f.; BGH v. 10.11.1958 – II ZR 3/57, BGHZ 28, 314, 316; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 343; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 51; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 261; Altmeppen, Rz. 36; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 156; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 139. 293 BGH v. 10.11.1958 – II ZR 3/57, BGHZ 28, 314, 316; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 165, 168.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 98 § 5

formunwirksame Sacheinlage erbracht wird294. In der Höhe des Wertes der eingebrachten Sache wird der Gesellschafter also von seiner Einlagepflicht frei. bb) Sonstige Mängel Eine Sacheinlagevereinbarung kann auch aus anderen Gründen fehlerhaft sein. In Betracht 96 kommen beispielsweise die mangelnde Eignung des versprochenen Einlagegegenstandes, die Sittenwidrigkeit der Anrechnungsvereinbarung oder das Fehlen einer behördlichen Genehmigung bezüglich einer genehmigungspflichtigen Sacheinlagevereinbarung295. Es handelt sich um die Sacheinlagevereinbarung als solche betreffende spezielle Unwirksamkeitsgründe. Die Rechtsprechung hat in diesen Fällen angenommen, dass der Gesellschafter nach der Eintragung der Gesellschaft zur Leistung der Einlage in Geld verpflichtet ist296. Seit der Neuregelung durch das MoMiG kann aber auch in diesen Fällen eine analoge Anwendung des § 19 Abs. 4 Satz 1 geboten sein. cc) Heilung Die rückwirkende Heilung unwirksamer Sacheinlagevereinbarungen durch Satzungsände- 97 rung ist nach Sinn und Zweck der Sachgründungsvorschriften ausgeschlossen. Zulässig ist eine Heilung mit Wirkung für die Zukunft. Sie kann anerkanntermaßen durch eine Kapitalherabsetzung zwecks Aufhebung der bestehenden Geldeinlage mit anschließender Sachkapitalerhöhung (§§ 53, 55, 58)297 oder in umgekehrter Reihenfolge298 geschehen. Das Verfahren ist allerdings kompliziert, kostenaufwändig und wegen der Einschränkungen des § 58 Abs. 1 Nr. 1 bis 3299 problematisch. Als einfachere Heilungsmöglichkeit kommt daneben die nachträgliche Umwandlung der Geld- in eine Sacheinlage durch normale Satzungsänderung (§§ 53 f.) in Betracht, für die die gesetzlichen Sicherungen bei Sacheinlagen analog oder sinngemäß gelten (s. Rz. 106 f.).

6. Sachgründungsbericht Die Erstattung eines Sachgründungsberichts durch die Gesellschafter (§ 5 Abs. 4 Satz 2) ist 98 durch die GmbH-Novelle 1980 eingeführt worden. Die Kapitalaufbringung soll bei Sachgründungen zum Schutze der Gesellschaftsgläubiger besser gesichert sein. Der Bericht erleichtert es dem Registergericht, die Ordnungsmäßigkeit der Gesellschaftsgründung zu prüfen300. Der Bericht ist der Anmeldung zum Handelsregister beizufügen (§ 8 Abs. 1 Nr. 4). Fehlt er, so ist die Eintragung abzulehnen, wenn auch ihre Beanstandung keine Abhilfe be-

294 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 51; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 264; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 139. 295 Leitzen in Michalski u.a., Rz. 135. 296 BGH v. 10.11.1958 – II ZR 3/57, BGHZ 28, 314, 316; BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 345; BGH v. 17.2.1997 – II ZR 259/96, GmbHR 1997, 545, 546. A.A. RGZ 68, 271, 276; RGZ 86, 210, 213. 297 BayObLG v. 5.12.1977 – BReg 3 Z 155/76, DB 1978, 337; Lenz, Die Heilung verdeckter Sacheinlagen, S. 95 ff. m.w.N. 298 Vgl. dazu Wegmann, BB 1991, 1006, 1009 f. 299 Eine diesbezügliche teleologische Reduktion der Vorschrift befürworten zu Unrecht Wegmann, BB 1991, 1006, 1009 u. Sigel, GmbHR 1995, 487, 492 f. Ebenso bedenklich ist die von Lenz, Die Heilung verdeckter Sacheinlagen, S. 117 ff. vorgeschlagene teilweise analoge Anwendung der §§ 58a ff.; s. dazu auch BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141, 154 = GmbHR 1996, 351. 300 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/3908, S. 30; BayObLG v. 10.12.1998 – 3Z BR 237/98, ZIP 1999, 968, 969 = GmbHR 1999, 295.

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§ 5 Rz. 98 | Stammkapital; Geschäftsanteil wirkt hat. Die Gesellschafter sind für seine Richtigkeit und Vollständigkeit nach § 9a zivilrechtlich und nach § 82 Abs. 1 Nr. 1 strafrechtlich verantwortlich. a) Erstellung 99 Der Sachgründungsbericht ist durch alle Gesellschafter zu erstatten (§ 5 Abs. 4 Satz 2). Es

müssen also auch diejenigen Gesellschafter mitwirken, die nicht selbst Sacheinlagen zu leisten haben. Maßgebend ist zunächst die Zusammensetzung der Gründer zur Zeit der Anmeldung. Ändert sich später vor der Eintragung der Gründerkreis durch einen Gesellschafterwechsel oder durch den Hinzutritt weiterer Gesellschafter, so haben die neuen Gesellschafter, wenn sie selber Sacheinlagen leisten, einen mit der Anmeldung der Vertragsänderung nachzureichenden (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 12) Sachgründungsbericht zu erstellen301, während der des ausgeschiedenen Gesellschafters gegenstandslos wird. 100 Der Sachgründungsbericht ist durch die Gesellschafter persönlich zu erstatten. Eine rechts-

geschäftliche Vertretung ist unzulässig302. Juristische Personen und Personenhandelsgesellschaften handeln durch ihre organschaftlichen Vertreter in vertretungsberechtigter Zahl303. Für nicht voll geschäftsfähige Gründungsgesellschafter kann nur ihr gesetzlicher Vertreter tätig werden. 101 Die Gesellschafter sind nach dem Gesellschaftsvertrag untereinander, nicht gegenüber dem

Registergericht, zur Mitwirkung bei der Berichterstattung verpflichtet304. Diese Pflicht ist einklagbar und gemäß § 888 Abs. 1 ZPO vollstreckbar. Beim Tod eines Gesellschafters trifft die Pflicht seine in der Gründerorganisation verbleibenden Erben. b) Form 102 Der Sachgründungsbericht ist von den Gesellschaftern schriftlich abzufassen und von ihnen

zu unterzeichnen (§ 126 Abs. 1 BGB)305. Dies ist zwar in § 5 Abs. 4 Satz 2, anders als in § 32 Abs. 1 AktG, nicht ausdrücklich festgelegt. Die Erfordernisse ergeben sich aber aus dem Gesetzeszweck und können auch aus § 8 Abs. 1 Nr. 4 abgeleitet werden. Nicht erforderlich ist es, dass der Bericht in einer Urkunde enthalten ist; getrennte Berichterstattung der Gründungsgesellschafter, die aber inhaltlich nicht voneinander abweichen darf, ist möglich306. Der Sachgründungsbericht ist nicht Bestandteil des Gesellschaftsvertrages und unterliegt deshalb auch nicht der Form des § 2 Abs. 1 Satz 1. Von den Geschäftsführern ist er nicht zu unterzeichnen307.

301 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 54; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 172, § 8 Rz. 13. 302 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 54; Priester, DNotZ 1980, 515, 520 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 64; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 173; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 150. 303 OLG Naumburg v. 23.1.1997 – 7 U 89/96, GmbHR 1998, 385; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 173. 304 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 172. 305 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 54; Priester, DNotZ 1980, 515, 520; Altmeppen, Rz. 39; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 64; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 174; s. auch OLG Naumburg v. 23.1.1997 – 7 U 89/ 96, GmbHR 1998, 385. I.E. auch Leitzen in Michalski u.a., Rz. 157 (Unterschrift entsprechend § 245 HGB als zusätzliches gesetzliches Erfordernis und nicht als Wirksamkeitserfordernis). 306 Priester, DNotZ 1980, 515, 521; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 174. 307 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 54; Priester, DNotZ 1980, 515, 520.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 105 § 5

c) Inhalt Die Anforderungen an den Inhalt des Sachgründungsberichts umschreibt § 5 Abs. 4 Satz 2 – 103 abgesehen von den zusätzlichen Angaben bei der Einbringung eines Unternehmens (Rz. 105) – nur allgemein dahingehend, dass „die für die Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen wesentlichen Umstände darzulegen“ sind. Ein bestimmter Mindestinhalt, wie in § 32 Abs. 2 AktG verlangt, ist für die GmbH nicht vorgeschrieben, sondern der notwendige Berichtsinhalt richtet sich nach den Gegebenheiten des Einzelfalls (Rz. 104)308. Angaben über die Gründung, die für die Angemessenheit keine Bedeutung haben, sind nicht aufzunehmen. Der Bericht hat alle Umstände anzuführen, die für die sachgemäße Beurteilung erforder- 104 lich sind, ob die Nennbeträge der Geschäftsanteile, soweit sie nicht in Geldleistungen zu erbringen sind, durch den Zeitwert des eingebrachten Vermögensgegenstandes (Rz. 57 ff.) gedeckt werden oder ob die auf die Einlageforderung verrechnete Vergütung für einen von der Gesellschaft übernommenen Vermögensgegenstand (Rz. 73 ff.) dessen Zeitwert nicht übersteigt. Ein Sachübernahmevertrag, aus dem die Vergütung hergeleitet wird, ist mit seinem wesentlichen Inhalt wiederzugeben309, was auch durch Verweisung auf die beigefügte Vertragsurkunde (§ 8 Abs. 1 Nr. 4) geschehen kann. Bei einer gemischten Sacheinlage (Rz. 81 ff.) sind auch der dem Gesellschafter zu vergütende Betrag und die wertmäßige Aufteilung der Sacheinlage darzulegen310. Die eingebrachten Vermögensgegenstände sind im Bericht in einem Umfang näher zu beschreiben, wie das im Einzelfall zur sachgerechten Ermittlung des Zeitwertes (Rz. 57 ff.) notwendig ist, z.B. Art und Menge, Alter, Beschaffenheit, Herstellungskosten, geschätzter Nutzen eines Immaterialgüterrechts311. Auch Zusicherungen über die Beschaffenheit des Gegenstandes312 oder Wertgarantien sind zu erwähnen. Auf beigefügte Unterlagen (z.B. Einbringungsbilanz, Inventarverzeichnis, Kaufverträge mit technischen Beschreibungen) darf in der Weise Bezug genommen werden, dass die Gesellschafter sich die darin enthaltenen Angaben ohne Vorbehalt zu Eigen machen. Der Bericht muss schließlich die angewandte Bewertungsmethode erkennen lassen und die zugrunde zu legenden Wertmaßstäbe (z.B. Marktpreis, Reproduktionskosten) angeben313. Bei der Einbringung oder der Übernahme eines Unternehmens sind unter anderem die 105 Jahresergebnisse der beiden letzten Geschäftsjahre (§ 5 Abs. 4 Satz 2 Halbs. 2) vor der Anmeldung314 oder, wenn es noch nicht so lange besteht, die bisher erzielten Unternehmensergebnisse anzugeben315. Doch scheiden Zeiträume von weniger als einem Jahr wegen ihrer zu geringen Aussagekraft aus. Unter „Jahresergebnis“ ist der nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zu ermittelnde Jahresüberschuss oder -fehlbetrag i.S.d. § 275 Abs. 2 Nr. 17 308 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 55; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 272; Priester, DNotZ 1980, 515, 521; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 64; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 175; für sinngemäße Heranziehung des § 32 Abs. 2 Nr. 1 u. 2 AktG Altmeppen, Rz. 40. 309 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 274; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 175. 310 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 274; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 175. 311 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 55; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 65; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 175. 312 RGZ 18, 56, 68. 313 Deutler, GmbHR 1980, 145, 148; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 273; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 65; wohl auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 55; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 175. 314 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 176. 315 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 176.

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§ 5 Rz. 105 | Stammkapital; Geschäftsanteil bzw. Abs. 3 Nr. 16 HGB zu verstehen316, die Beifügung einer Bilanz wird dann regelmäßig nicht nötig sein. Soweit das Ergebnis durch außergewöhnliche Umstände wesentlich beeinflusst worden ist, muss das vermerkt werden. Im Falle der Einbringung eines Unternehmensteils, der selbständig fortführbar ist, sind die für ihn maßgeblichen Jahresergebnisse zu nennen317.

7. Änderung der Einlagedeckung a) Umwandlung von Geld- in Sacheinlagen 106 Die nachträgliche Umwandlung der Geldeinlage in eine Sacheinlage durch Satzungsände-

rung (§§ 53, 54) galt früher als unzulässig318. In BGHZ 132, 141 ist der BGH dem im Schrifttum entwickelten Vorschlag319 gefolgt, eine Heilung durch einen satzungsändernden Beschluss der Gesellschafter zu ermöglichen, durch den die statt der unwirksamen Sacheinlage geltende Bareinlagepflicht in eine Pflicht zur Sacheinlage umgewandelt wird. In dem Beschluss sind die betreffenden Gesellschafter und der Inhalt der Sacheinlage anzugeben. Weiter ist ein Bericht über die Umwandlung der Einlage zu erstatten. Die Vollwertigkeit der Sacheinlage muss durch eine von Wirtschaftsprüfern testierte aktuelle Bilanz nachgewiesen werden. Die Geschäftsführer müssen die Werthaltigkeit und den Empfang der Sacheinlage versichern. Die Eintragung des Beschlusses bewirkt eine Heilung ex nunc. An dieser Lösung hat sich durch das MoMiG grundsätzlich nichts geändert; die Heilung einer verdeckten Sacheinlage ist weiterhin zulässig320 (s. 13. Aufl., § 19 Rz. 162). Ausgeschlossen ist sie allein in der Insolvenz der Gesellschaft321. Die praktische Bedeutung einer Heilung ist aber aufgrund der Regelung der verdeckten Sacheinlage in § 19 Abs. 4 gering. 107 Der notariell zu beurkundende Gesellschafterbeschluss (§ 53 Abs. 2) hat im Falle der voll-

ständigen oder teilweisen Änderung der bei der Gründung übernommenen Geld- in eine bestimmte Sacheinlagepflicht neben dieser Regelung auch die nach § 5 Abs. 4 Satz 1 notwendigen Festsetzungen im Gesellschaftsvertrag (Rz. 86 ff.) zu treffen322. Die Einlagefähigkeit der Sacheinlage und ihr höchstzulässiger Anrechnungswert bestimmen sich nach den in Rz. 37 ff., 56 ff. dargelegten allgemeinen Erfordernissen. Die Satzungsänderung bedarf eines satzungsändernden, also nicht einstimmigen Gesellschafterbeschlusses323. Zwar berührt der Austausch der gesellschaftsvertraglich bestimmten Einlageleistung schutzwürdige Interessen aller Gründungsgesellschafter, die durch eine bloße externe Äquivalenzkontrolle nicht abgedeckt werden; diese Risiken sind aber nicht unbedingt höher einzuschätzen als die allgemeine Mit-

316 OLG Naumburg v. 23.1.1997 – 7 U 89/96, GmbHR 1998, 385; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 276; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66. 317 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 176. 318 BayObLG v. 5.12.1977 – BReg 3 Z 155/76, DB 1978, 337; OLG Frankfurt v. 17.2.1983 – 20 W 823/ 83, GmbHR 1983, 272. 319 Vgl. Priester, DB 1990, 1753, 1758 ff.; Lutter/Gehling, WM 1989, 1453, 1455; Roth, NJW 1991, 1913, 1918; Volhard, ZGR 1995, 286. 320 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 280. 321 Krieger, ZGR 1996, 674, 688; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 281. 322 Die Festsetzungen sind nach KG v. 26.10.2004 – 1 W 21/04, NZG 2005, 183 f., entgegen Schiessl/ Rosengarten, GmbHR 1997, 772, 775 auch dann erforderlich, wenn die Einlagenänderung fünf Jahre nach Gesellschaftseintragung erfolgt; einschränkend Priester, ZIP 1996, 1025, 1029. 323 BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141, 154; Groß, GmbHR 1996, 721, 723; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 53; Lutter/Gehling, WM 1989, 1455; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 281; Volhard, ZGR 1995, 286, 296; für Einstimmigkeit aber Krieger, ZGR 1996, 674, 685 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 19 Rz. 196.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 109 § 5

haftung der Mitgesellschafter bei Kapitalaufbringung (§ 24) und Kapitalerhaltung (§ 31 Abs. 3). Mit Rücksicht auf die für den Inferenten gravierenden Rechtsfolgen kann u.U. die Treuepflicht eine Zustimmung gebieten324. Die betroffenen Gesellschafter325 haben analog § 5 Abs. 4 Satz 2 einen Sacheinlagebericht mit dem dort vorgeschriebenen Inhalt zu erstatten. Der Anmeldung der Satzungsänderung zum Handelsregister, die durch sämtliche Geschäftsführer zu bewirken ist (analog § 78 Abs. 2), sind folgende Unterlagen beizufügen: Der Gesellschafterbeschluss, der mit der notariellen Bescheinigung versehene vollständige Wortlaut des Gesellschaftsvertrages (§ 54 Abs. 1 Satz 2), die den Festsetzungen gemäß § 5 Abs. 4 Satz 1 zugrunde liegenden oder zu ihrer Ausführung geschlossenen Verträge (§ 8 Abs. 1 Nr. 4), der Sacheinlagebericht (§ 8 Abs. 1 Nr. 4), Wertnachweise zu den Sacheinlagen (§ 8 Abs. 1 Nr. 5)326 und die Versicherung der Geschäftsführer, dass die Sacheinlage geleistet ist und zu ihrer freien Verfügung steht (analog § 8 Abs. 2 Satz 1)327. Die Gesellschafter und die Geschäftsführer haften entsprechend §§ 9a, 57 Abs. 4 für die zum Zwecke der Einlagenänderung gemachten falschen Angaben. Die Differenzhaftung gemäß § 9 gilt analog328. b) Austausch von Sacheinlagen Eine Satzungsänderung, durch die die im Gesellschaftsvertrag festgesetzte Sacheinlage durch 108 eine andere Sacheinlage ersetzt werden soll, ist ebenfalls nur unter Beachtung der in Rz. 106 f. dargelegten Erfordernisse zulässig329. Es ist dabei unerheblich, ob die neue Sacheinlage gleichwertig ist oder nicht. Auch ein solcher Austausch verstößt gegen § 5 Abs. 4 Satz 1, weil nachträglich an die Stelle des verlautbarten und geprüften ein anderer Vermögensgegenstand mit möglicherweise höherem Bewertungsrisiko und einer größeren Gefahr der Überbewertung gesetzt wird. Der Austausch des einzulegenden Vermögensgegenstandes kann darüber hinaus im Wege der Kapitalherabsetzung mit nachfolgender Kapitalerhöhung erfolgen. c) Umwandlung von Sach- in Geldeinlagen Die nachträgliche Umwandlung der im Gründungsstatut wirksam vorgesehenen Sacheinlage 109 in eine Geldeinlage ist ebenfalls zulässig330, wird allerdings kaum praktisch werden, da die Sacheinlage spätestens bei Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister geleistet sein muss (§ 7 Abs. 3). Rechtliche Bedenken bestehen gegen diese Änderung des Einlagegegenstandes nicht. Die Gläubiger haben kein schützenswertes Interesse daran, dass die Gesell324 BGH v. 7.7.2003 – II ZR 235/01, BGHZ 155, 329, 337 = GmbHR 2003, 1051; Krieger, ZGR 1996, 674, 686; Pentz, ZIP 2003, 2093, 2096. 325 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 282. A.A. Volhard, ZGR 1995, 286, 309 ff. (alle zum Zeitpunkt der Anmeldung vorhandenen Gesellschafter). Bei der Einlagenänderung aus einer Kapitalerhöhung ist der Bericht nach BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141, 155 von allen Geschäftsführern und den betroffenen Gesellschaftern zu erstatten; zustimmend Priester, ZIP 1996, 1025, 1029; Krieger, ZGR 1996, 674, 687; abweichend Brauer, BB 1997, 269, 276; Groß, GmbHR 1996, 721, 724 f. 326 Noch weitergehend BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141, 155 = GmbHR 1996, 351; kritisch dazu Lutter, JZ 1996, 912, 913; Krieger, ZGR 1996, 674, 688; Brauer, BB 1997, 269, 276. 327 Für die von BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141, 155 = GmbHR 1996, 351 darüber hinausgehend geforderte Versicherung der Werthaltigkeit fehlt eine Rechtsgrundlage; zutreffend Krieger, ZGR 1996, 674, 689; Priester, ZIP 1996, 1025, 1031; Brauer, BB 1997, 269, 276 f. 328 BGH v. 4.3.1996 – II ZB 8/95, BGHZ 132, 141, 152, 154 = GmbHR 1996, 351. 329 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 53; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 286; für ein weiteres Anwendungsfeld der Austauschmöglichkeit auch OLG Stuttgart v. 28.11.1995 – 8 W 367/94, GmbHR 1996, 117 = ZIP 1996, 277. 330 KG, JW 1937, 321; BayObLG v. 5.12.1977 – BReg 3 Z 155/76, DB 1978, 337; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 53; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44; vgl. auch RG, JW 1936, 42.

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§ 5 Rz. 109 | Stammkapital; Geschäftsanteil schaft den im Gesellschaftsvertrag bestimmten Vermögensgegenstand erhält331. Es ist nicht erforderlich, den erforderlichen Satzungsänderungsbeschluss gemäß § 53 Abs. 3 von der Zustimmung aller Mitglieder abhängig zu machen. Das für eine Zustimmung aller Gesellschafter angeführte Argument, nach der Umwandlung in eine Geldeinlage könne eine Mithaftung der übrigen Gesellschafter begründet sein (§ 24)332, überzeugt nicht, da die Mitgesellschafter auch von der Minderwertigkeit einer Sacheinlage nicht unberührt bleiben. Die Rechtsvorgänger haften nicht (§ 22), außer wenn im Gründungsstatut die Umwandlung derart vorgesehen war, dass alle Gründer als hiermit einverstanden angesehen werden können. Der Satzungsänderungsbeschluss wird nur dann im Handelsregister eingetragen werden dürfen, wenn die Sacheinlage noch nicht geleistet war, aber spätestens bei der Anmeldung an Geldeinlage so viel eingezahlt ist, als auf die übrigen Geldeinlagen einzuzahlen war (die in § 7 Abs. 2 bestimmten Mindesteinzahlungen müssen gegebenenfalls also überschritten werden333). Die erforderliche Einzahlung muss bei der Anmeldung der Satzungsänderung analog § 8 Abs. 2 durch die Geschäftsführer versichert werden334. Schließlich ist zu beachten, dass die Gesellschafter nach der Eintragung an das Erlassverbot (§ 19 Abs. 2 Satz 1) gebunden sind. Es ist ihnen daher verwehrt, für die Bareinlage einen geringeren Nennbetrag des Geschäftsanteils festzusetzen. Unproblematisch ist es dagegen, wenn der Wert des Sacheinlagegenstandes über dem Nennbetrag liegt. Es ist allerdings zu prüfen, ob durch den Wegfall des Mehrwerts das gebundene Vermögen angegriffen und dadurch § 30 verletzt wird335. d) Wahlrecht 110 Ein statutarisches Wahlrecht zwischen Geld- oder Sacheinlage oder zwischen einer Sachein-

lage und einer anderen wird vom Schrifttum als zulässig angesehen. Bedenken dagegen bestehen nicht, aber das Wahlrecht muss vor der Anmeldung der Gesellschaft ausgeübt werden, da anderenfalls ein Eintragungshindernis gegeben wäre. Denn vor Eintragung der GmbH im Handelsregister müssen die erforderlichen Mindesteinzahlungen erbracht (§ 7 Abs. 2) und die Sacheinlagen endgültig zur Verfügung geleistet sein (§ 7 Abs. 3). Unter derselben Voraussetzung ist auch ein Wahlrecht zwischen mehreren Vermögensgegenständen nicht zu beanstanden, wenn sich dies aus dem Gesellschaftsvertrag mit hinreichender Deutlichkeit ergibt und die Angaben im Gesellschaftsvertrag über die wahlweisen Einlagegegenstände dem § 5 Abs. 4 Satz 1 entsprechen336.

V. Gründungsaufwand 1. Kosten und Gründerlohn 111 Als Gründungsaufwand sind die mit der Errichtung der Gesellschaft und der Einbringung

der Einlagen verbundenen Kosten (vgl. Anl. GmbHG Musterprotokolle Nr. 5) sowie der Gründerlohn (die Vergütungen für Gründer oder Dritte wegen beratender Tätigkeiten aus Anlass der Gründung) zu verstehen337. Er ist zu unterscheiden von den Betriebsaufwendun331 Zutreffend KG, JW 1937, 322. 332 KG, JW 1937, 322; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; satzungsändernde Mehrheit genügt nach Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 53. 333 KG, JW 1937, 321, 322; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45. 334 KG, JW 1937, 322. 335 KG, JW 1937, 322; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46. 336 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49. 337 OLG Hamm v. 27.10.1983 – 15 W 294/83, BB 1984, 87, 88 = GmbHR 1984, 155; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 68; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 211.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 113 § 5

gen der Vorgesellschaft, die ihr durch die Vorbereitung und die Aufnahme der Unternehmenstätigkeit entstehen; diese Kosten gehören nicht zum Gründungsaufwand338. Gründungsaufwand sind u.a. (i) Notarkosten, (ii) die Kosten, die die Gesellschaft kraft Gesetzes aufgrund der Anmeldung selbst zu tragen hat (Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister)339, (iii) Kosten der Beratung durch Anwälte, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und sonstige Sachverständige der Gesellschafter oder Dritter, die bei der Anmeldung, insbesondere für Gutachten und die Erstattung des Sachgründungsberichts entstehen können340, (iv) schließlich auch Verkehrssteuern (Umsatz- oder Grunderwerbsteuer)341, die bei der Erbringung von Sacheinlagen anfallen können342. Das GmbHG enthält anders als das Aktienrecht (§ 26 Abs. 2 AktG) keine ausdrückliche Be- 112 stimmung darüber, dass die Übernahme des Gründungsaufwandes zu Lasten der Gesellschaft der statutarischen Festsetzung bedarf. Es geht aber, wie sich andeutungsweise aus §§ 9a, 82 Abs. 1 Nr. 1 entnehmen lässt und zudem aus der Entstehungsgeschichte der GmbH-Novelle 1980 ergibt, von deren Notwendigkeit aus. Die Aufnahme einer entsprechenden ausdrücklichen Regelung, wie sie § 5a Abs. 2 RegE vorsah, ist nur wegen eines Missverständnisses unterblieben343. Die unbeabsichtigte Gesetzeslücke ist durch die analoge Anwendung des § 26 Abs. 2 AktG zu schließen344, da der Gesetzeszweck, die Belastung des von den Gesellschaftern aufzubringenden Anfangsvermögens mit dem Gründungsaufwand nur dann zuzulassen, wenn das im Gesellschaftsvertrag offengelegt worden ist, auch für das GmbHRecht zutrifft. Auch § 26 Abs. 5 AktG, wonach die Satzungsbestimmungen über die Festsetzungen durch Satzungsänderungen erst beseitigt werden können, wenn die Gesellschaft eine bestimmte Zeit im Handelsregister eingetragen ist, ist analog anwendbar345. Anders als im Aktienrecht ist allerdings von einer Karenzfrist von 10 Jahren auszugehen346. Der Gesellschaftsvertrag muss danach unter Angabe des Gesamtbetrages regeln, ob und 113 in welcher Höhe die Gesellschaft den Gründungsaufwand tragen soll347. Die bloße Angabe der Kostenarten ohne eine betragsmäßige Festsetzung genügt auch dann nicht, wenn die

338 BGH v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, NZG 2004, 773, 884 = GmbHR 2004, 1151; Jürgenmeyer/Maier, BB 1996, 2135; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 298; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 212. 339 Gebührenverzeichnis als Anlage 1 zu § 1 HRegGebV. 340 Kritisch Berge, GmbHR 2020, 82, 85. 341 Vgl. OLG Hamburg v. 18.3.2011 – 11 W 19/11, GmbHR 2011, 766. 342 Vgl. Berge, GmbHR 2020, 82, 83; Cramer, NZG 2015, 373. 343 Der Rechtsausschuss, BT-Drucks. 8/3908, S. 70, nahm irrig an, dass der vorgeschlagene § 5a RegE nur „geltendes ungeschriebenes Recht“ wiedergebe; dazu aber Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 213. 344 BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 5 f. = GmbHR 1989, 250; OLG Oldenburg v. 22.8.2016 – 12 W 121/16, AG 2017, 43, 44; OLG Hamm v. 27.10.1983 – 15 W 294/83, BB 1984, 87, 88 = GmbHR 1984, 155; OLG Düsseldorf v. 28.2.1986 – 6 Wx 60/86, GmbHR 1987, 59; OLG Düsseldorf v. 21.6.1990 – 3 Wx 232/90, GmbHR 1991, 20, 21; BayObLG v. 29.9.1988 – BReg 3 Z 109/88, BB 1988, 2195, 2196; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 57a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 68; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 213. Kritisch Schmidt-Troschke, GmbHR 1986, 253, 254. 345 OLG Oldenburg v. 22.8.2016 – 12 W 121/16, AG 2017, 43, 44. 346 Vgl. OLG Celle v. 2.2.2018 – 9 W 15/18, BB 2018, 1812 = GmbHR 2018, 372; OLG Oldenburg v. 22.8.2016 – 12 W 121/16, AG 2017, 43, 46 (i.E. offen gelassen). 347 BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 6 f. = GmbHR 1989, 250; OLG Hamm v. 27.10.1983 – 15 W 294/83, BB 1984, 87, 88 = GmbHR 1984, 155; OLG Düsseldorf v. 28.2.1986 – 6 Wx 60/86, GmbHR 1987, 59; OLG Düsseldorf v. 21.6.1990 – 3 Wx 232/90, GmbHR 1991, 20, 21; BayObLG v. 29.9.1988 – BReg 3 Z 109/88, BB 1988, 2195, 2196; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 57a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 68; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 215. A.A. Schmidt-Troschke, GmbHR 1986, 253 ff.

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§ 5 Rz. 113 | Stammkapital; Geschäftsanteil Kostenhöhe durch außenstehende Dritte zu ermitteln ist348. Andererseits bedarf es auch keiner Einzelaufstellung der übernommenen Kosten; sie ist erforderlichenfalls bei der Anmeldung vorzulegen349. Die Festsetzung ist auch für den Gründungsaufwand erforderlich, den die Gesellschaft nach anderen gesetzlichen Vorschriften im Außenverhältnis selbst schuldet, wie beispielsweise die Kosten der Handelsregisteranmeldung350. Der Einwand, dass § 26 Abs. 2 AktG nur den Ausgleich zwischen der AG und den Gründern als Gesamtschuldner regele und seiner analogen Anwendung auf die GmbH z.B. bezüglich der Anmelde- und Eintragungskosten deshalb die fehlende Gesamtschuldnerstellung der Gründungsgesellschafter entgegenstehe351, verkennt den weiter gehenden Gesetzeszweck, die Vorbelastungen des Grundkapitals durch Gründungsaufwand im Interesse des Gläubigerschutzes in der Satzung offen zu legen352. Unterbliebene oder fehlerhafte Festsetzungen können nur bis zur Eintragung der Gesellschaft durch Satzungsänderung nachgeholt oder geheilt werden (analog § 26 Abs. 3 Satz 2 AktG)353. Eine Kostenübernahme durch die Gesellschaft ist nach der Rechtsprechung nicht grenzenlos möglich. Dies ist nur zulässig, wenn es sich um notwendige Aufwendungen für Kosten handelt, die kraft Gesetzes oder nach Art und Umfang angemessen sind354. In der Registerpraxis hat sich eine Obergrenze von 10 % des Stammkapitals etabliert355. In einer UG kann der gesellschaftsvertraglich bestimmte Gründungsaufwand genau dem vereinbarten Stammkapital entsprechen356. Für den Fall einer wirtschaftlichen Neugründung durch eine Vorratsgesellschaft soll nach der Judikatur der Gründungsaufwand auf 2.000 Euro begrenzt sein357. 114 Die Gründungsgesellschafter können aufgrund der Festsetzung des Gründungsaufwands im

Gesellschaftsvertrag von der Gesellschaft die Übernahme der jeweiligen Kosten im Zeitpunkt der Eintragung verlangen358 (s. auch 13. Aufl., § 7 Rz. 41). Der ordnungsgemäß festgesetzte 348 BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 6 f = GmbHR 1989, 250. 349 BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 2 = GmbHR 1989, 250; BayObLG v. 29.9.1988 – BReg 3 Z 109/88, GmbHR 1989, 158 = DB 1988, 2351; OLG Düsseldorf v. 28.2.1986 – 6 Wx 60/ 86, GmbHR 1987, 59; Jürgenmeyer/Maier, BB 1996, 2135, 2137 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 215; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 202; weitergehend werden in der Rechtsprechung (BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 5 = GmbHR 1989, 250; OLG Celle v. 11.2.2016 – 9 W 10/16, GmbHR 2016, 650 f.; LG Essen v. 11.12.2002 – 44 T 5/02, GmbHR 2003, 471) Angaben über die Einzelkosten verlangt. 350 BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 4 ff. = GmbHR 1989, 250; OLG Hamm v. 27.10.1983 – 15 W 294/83, BB 1984, 87, 88 = GmbHR 1984, 155; OLG Düsseldorf v. 28.2.1986 – 6 Wx 60/86, GmbHR 1987, 59 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 217; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 57a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 69; a.A. BayObLG v. 29.9.1988 – BReg 3 Z 109/88, BB 1988, 2195, 2196 f. = GmbHR 1989, 158. 351 BayObLG v. 29.9.1988 – BReg 3 Z 109/88, BB 1988, 2195 f.; Schmidt-Troschke, GmbHR 1986, 253. 352 BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 5 f. = GmbHR 1989, 250; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 217. 353 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 57c; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 216; a.A. noch Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl., Rz. 71. 354 KG v. 26.10.2021 – 22 W 44/21, ZIP 2021, 2333, 2334; OLG Celle v. 22.10.2014 – 9 W 124/14, GmbHR 2014, 139 f. (Satzungsklausel in einer GmbH mit einem Stammkapital von 25.000 Euro, wonach die Gesellschaft Gründungskosten bis zu 15.000 Euro trägt, ist unzulässig und steht der Eintragung im Handelsregister entgegen); OLG Zweibrücken v. 25.6.2013 – 3 W 28/13, GmbHR 2014, 427 f. (Obergrenze in der Satzung i.H. von 10 % des Stammkapitals genügt nicht). 355 Vgl. OLG Hamburg v. 18.3.2011 – 11 W 19/11, GmbHR 2011, 766, 767; vgl. auch Berge, GmbHR 2020, 82, 86. 356 KG v. 31.7.2015 – 22 W 67/14, GmbHR 2015, 1158; vgl. auch OLG Hamburg v. 18.3.2011 – 11 W 19/11, GmbHR 2011, 766. 357 Vgl. OLG Stuttgart v. 23.10.2021 – 8 W 218/12, GmbHR 2012, 1301. 358 BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/88, BGHZ 107, 1, 5 = GmbHR 1989, 250; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 300.

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Stammkapital; Geschäftsanteil | Rz. 117 § 5

Gründungsaufwand wird in der für die Feststellung einer Unterbilanzhaftung aufzustellenden Vorbelastungsbilanz nicht zu Lasten des zu deckenden Stammkapitals berücksichtigt359. Im Falle ordnungsgemäßer Festsetzung steht die Vorschrift des § 30 der Zahlung des notwendigen Gründungsaufwands einschließlich eines Gründerlohns durch die Gesellschaft nicht entgegen, soweit diese notwendig und betragsmäßig angemessen sind; bei späteren diesbezüglichen Ausschüttungen ist aber § 30 voll zu beachten. Sieht der Vertrag vor, dass die Gesellschaft einen unangemessen hohen Gründungsaufwand trägt, hat das Registergericht die Eintragung zu verweigern. Wenn der durch die Gesellschaft übernommene Gründungsaufwand durch einen Höchstbetrag bestimmt ist, haben die Gründer einen darüber hinausgehenden Betrag zu übernehmen360.

2. Sondervorteile Als Sondervorteile sind Vergünstigungen zu verstehen, die einem Gesellschafter oder Drit- 115 ten aus Anlass der Gründung zu Lasten der Gesellschaft eingeräumt werden und für die der Gesellschafter oder Dritte keine Gegenleistung erbringen muss361. Anders als die Sonderrechte (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 71, 13. Aufl., § 14 Rz. 127 und oben Rz. 19) sind sie nicht an die Mitgliedschaft geknüpft (können aber u.U. nur einem Gesellschafter eingeräumt werden) und unabhängig von ihr übertragbar. Beispiele sind Ansprüche auf einen Gewinnanteil, Umsatzprovisionen, Vorkaufsrechte oder Naturalleistungen der Gesellschaft, die auch für jeden Dritten vorgesehen werden können, sowie Informations- oder sonstige Kontrollrechte362. Ob ein Gesellschafter ein Sonderrecht hat oder ihm ein Sondervorteil zusteht, ist durch Auslegung zu ermitteln. Sondervorteile bedürfen analog § 26 Abs. 1 AktG der Aufnahme in den Gesellschaftsver- 116 trag363. Die Sondervorteile sind im Gesellschaftsvertrag einzeln und unter Bezeichnung des Berechtigten festzusetzen (analog § 27 Abs. 1 AktG). Ein zwischen der Gesellschaft und dem Berechtigten geschlossener schuldrechtlicher Vertrag über den Sondervorteil braucht nicht aufgenommen zu werden364. Rechtsfolge ist, dass der Gesellschafter bzw. Dritte einen Anspruch auf Leistung der Sonder- 117 vorteile erhält. Die Aufnahme ist also Voraussetzung für das Entstehen des Anspruchs. Anders als der Gründungsaufwand wird der Sondervorteil in der Vorbelastungsbilanz berücksichtigt365. Auszahlungen an einen Gesellschafter sind nur zulässig, wenn darin kein Verstoß gegen § 30 Abs. 1 liegt366.

359 BGH v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, GmbHR 1997, 1145 = ZIP 1997, 2008; BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 141 = GmbHR 1981, 114; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 301. 360 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 68. 361 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 302; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 199. 362 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 303. 363 RGZ 165, 129, 135; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 57d; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 206; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 204. 364 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 304. 365 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305. 366 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 305; Leitzen in Michalski u.a., Rz. 204.

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§ 5a Unternehmergesellschaft (13. Auflage 2022) (1) Eine Gesellschaft, die mit einem Stammkapital gegründet wird, das den Betrag des Mindeststammkapitals nach § 5 Abs. 1 unterschreitet, muss in der Firma abweichend von § 4 die Bezeichnung „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ führen. (2) Abweichend von § 7 Abs. 2 darf die Anmeldung erst erfolgen, wenn das Stammkapital in voller Höhe eingezahlt ist. Sacheinlagen sind ausgeschlossen. (3) In der Bilanz des nach §§ 242, 264 des Handelsgesetzbuchs aufzustellenden Jahresabschlusses ist eine gesetzliche Rücklage zu bilden, in die ein Viertel des um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr geminderten Jahresüberschusses einzustellen ist. Die Rücklage darf nur verwandt werden 1. für Zwecke des § 57c; 2. zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist; 3. zum Ausgleich eines Verlustvortrags aus dem Vorjahr, soweit er nicht durch einen Jahresüberschuss gedeckt ist. (4) Abweichend von § 49 Abs. 3 muss die Versammlung der Gesellschafter bei drohender Zahlungsunfähigkeit unverzüglich einberufen werden. (5) Erhöht die Gesellschaft ihr Stammkapital so, dass es den Betrag des Mindeststammkapitals nach § 5 Abs. 1 erreicht oder übersteigt, finden die Absätze 1 bis 4 keine Anwendung mehr; die Firma nach Absatz 1 darf beibehalten werden. Eingefügt durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. Normzweck und Entstehungsgeschichte 1. Die Anreize zur Schaffung der „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ . . 2. Die Zielgruppe der gesetzlichen Regelung, Verwirklichung der Zielsetzung . . . . . . . . II. Grundstruktur und anwendbare Rechtsnormen 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgerungen (Finanzierung, Gläubigerschutz, Innenverhältnis) . . . . . . . . . . . . . . III. Gründung der Unternehmergesellschaft 1. Die Geschäftsanteile . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verwendung des Musterprotokolls . . . . . 3. Firmierung und Publizität der Unternehmergesellschaft (§ 5a Abs. 1) . . . . . . . 4. Zur Volleinzahlung des Stammkapitals, insbesondere: Sacheinlagen (§ 5a Abs. 2)

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IV. Kapitalaufbringung und -erhaltung bei der Unternehmergesellschaft 1. Zur Systematik des Gesetzes . . . . . . . . . . 2. Die gesetzliche Rücklage (§ 5a Abs. 3) . . a) Die Pflicht zur Bildung der gesetzlichen Rücklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verstöße und Umgehungsversuche . . c) Gerechtfertigte Nutzung der Rücklage 3. Die Kapitalerhöhung aus der Rücklage . 4. Die Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung (§ 5a Abs. 4) . . . . . V. Die Unternehmergesellschaft als Gestaltungsinstrument 1. Gründungsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die UG im Umwandlungsrecht . . . . . . . . 3. Die UG als Konzerngesellschaft . . . . . . . . 4. Die UG als Komplementärin einer KG . .

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Schrifttum: Bayer, „MoMiG II“ – Plädoyer für eine Fortsetzung der GmbH-Reform, GmbHR 2010, 1289; Bayer/Hoffmann, 10 Jahre MoMiG – 10 Jahre „Mini-GmbH“, GmbHR 2018, 1156; Bayer/Hoffmann, Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) des MoMiG zum 1.1.2009 – eine erste Bilanz, GmbHR 2009, 124; Bayer/Hoffmann, Was ist aus der ersten Generation von Unternehmergesellschaften geworden?, GmbHR 2011, R 321; Berninger, Aufstieg der UG (haftungsbeschränkt) zur vollwertigen GmbH, GmbHR 2011, 953; Berninger, Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) – Sachkapi-

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Unternehmergesellschaft | § 5a talerhöhungsverbot und Umwandlungsrecht, GmbHR 2010, 63; Bormann, Die Kapitalaufbringung nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, GmbHR 2007, 897; Bormann/Urlichs, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung nach dem MoMiG, in Römermann/Wachter (Hrsg.), GmbH-Beratung nach dem MoMiG, GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 37; Drygala, Zweifelsfragen im Regierungsentwurf zum MoMiG, NZG 2007, 561; Freitag/Riemenschneider, Die Unternehmergesellschaft – „GmbH light“ als Konkurrenz für die Limited?, ZIP 2007, 1485; Gehrlein, Der aktuelle Stand des neuen GmbH-Rechts, Der Konzern 2007, 771; Goette, Chancen und Risiken der GmbH-Novelle, WPg 2008, 231; Heckschen, Die GmbH-Reform – Wege und Irrwege, DStR 2007, 1442; Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, 2009; Heinemann, Die Unternehmergesellschaft als Zielgesellschaft von Formwechsel, Verschmelzung und Spaltung nach dem Umwandlungsgesetz, NZG 2008, 820; Hennrichs, Die UG (haftungsbeschränkt) – Reichweite des Sacheinlageverbots und gesetzliche Rücklage, NZG 2009, 1161; Herrler, Fehlgeschlagene Gründung im vereinfachten Verfahren als herkömmliche GmbH-Gründung?, GmbHR 2010, 960; Holzner, Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) im Wettbewerb der Gesellschaftsrechtsformen, 2011; Joost, Unternehmergesellschaft, Unterbilanz und Verlustanzeige, ZIP 2007, 2242; Kessel, UG – Umgehungsmöglichkeiten der Thesaurierungsverpflichtung, GmbHR 2016, 199; Kleindiek, Aspekte der GmbH-Reform, DNotZ 2007, 200; Klose, Die Stammkapitalerhöhung bei der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), GmbHR 2009, 294; Kock/Vater/Mraz, Die Zulässigkeit einer UG (haftungsbeschränkt) & Co. KG auch bei Gewinnausschluss zu Lasten der Komplementärin, BB 2009, 848; Lange, Wenn die UG erwachsen werden soll – „Umwandlung“ in die GmbH, NJW 2010, 3686; Leuering, Die Unternehmergesellschaft als Alternative zur Limited, NJW-Spezial 2007, 315; Lieder/Hoffmann, Upgrades von Unternehmergesellschaften – Der Übergang von der UG zur Voll-GmbH: Rechtstatsachen und Streitfragen, GmbHR 2011, 561; Meckbach, Haftungsfolgen einer unrechtmäßigen Firmierung einer UG (haftungsbeschränkt)?, NZG 2011, 968; Miras, Die neue Unternehmergesellschaft, 2. Aufl. 2011; Müller, Die gesetzliche Rücklage bei der Unternehmergesellschaft, ZGR 2012, 81; Niemeier, Die „Mini-GmbH“ (UG) trotz Marktwende bei der Limited?, ZIP 2007, 1794; Niemeier, „Triumph“ und Nachhaltigkeit deutscher Ein-Euro-Gründungen – Rechtstatsachen zur Limited und ein Zwischenbericht zur Unternehmergesellschaft, in FS G. H. Roth, 2011, S. 533; Noack, Der Regierungsentwurf des MoMiG – Die Reform des GmbH-Rechts geht in die Endrunde, DB 2007, 1395; Pentz, Die verdeckte Sacheinlage im GmbH-Recht nach dem MoMiG, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1265; Pentz, Verdeckte Sacheinlage und UG (haftungsbeschränkt), in FS Goette, 2011, S. 359; Priester, Kapitalbildung bei der UG (haftungsbeschränkt) – einer GmbH mit erneut zunehmenden Sonderrechten –, in FS G. H. Roth, 2011, S. 573; Priester, Mindestkapital und Sacheinlageregeln, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 1; Priester, Kapitalaufbringung nach Gutdünken?, ZIP 2008, 55; Ries, Brauchen wir die „Unternehmergesellschaft“ und den Verzicht auf die notarielle Beurkundung des GmbH-Gesellschaftsvertrages?, NotBZ 2007, 244; Römermann/Passarge, Die GmbH & Co. KG ist tot – es lebe die UG & Co. KG!, ZIP 2009, 1497; Rousseau/Hoyer, Die UG als aufnehmender Rechtsträger im Rahmen einer Verschmelzung, GmbHR 2016, 1023; Rubel, Konzerneinbindung einer UG (haftungsbeschränkt) durch Gewinnabführungsverträge, GmbHR 2010, 470; Schäfer, Rechtsprobleme bei Gründung und Durchführung einer UG, ZIP 2011, 53; Schirrmacher, Haftungsrechtliche Folgen der Nutzung eines falschen Rechtsformzusatzes, GmbHR 2018, 942; Jessica Schmidt, 10 Jahre UG – ein Geburtstagsgruß, in FS Seibert, 2019, S. 747; Schulte, Zwei Jahre MoMiG, GmbHR 2011, 1128; Seibert, Ist es an der Zeit, den Rechtsformzusatz der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) abzukürzen (§ 5a Abs. 1 GmbHG)?, in FS Krieger, 2020, S. 911; Seibert, Der Regierungsentwurf des MoMiG und die haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft, GmbHR 2007, 673; Seibert/ Decker, Die GmbH-Reform kommt!, ZIP 2008, 1208; Seikel/Menken, Persönliche Haftung des Vertreters einer UG mangels Hinweises auf Rechtsform und Haftungsbeschränkung, DB 2022, 1058; Stenzel, Die Pflicht zur Bildung einer gesetzlichen Rücklage bei der UG (haftungsbeschränkt) und die Folgen für die Wirksamkeit des Gesellschaftsvertrages einer UG (haftungsbeschränkt), NZG 2009, 168; Tettinger, UG (umwandlungsbeschränkt?) – Die Unternehmergesellschaft nach dem MoMiG-Entwurf und das UmwG, Der Konzern 2008, 75; Ulmer, Sacheinlageverbote im MoMiG – umgehungsfest?, GmbHR 2010, 1298; Veil, Die Unternehmergesellschaft nach dem Regierungsentwurf des MoMiG, GmbHR 2007, 1080; Veil, Die Unternehmergesellschaft im System der Kapitalgesellschaften, ZGR 2009, 623; Wachter, Die neue Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), in Römermann/Wachter (Hrsg.), GmbH-Beratung nach dem MoMiG, GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 25; Wachter, Sacheinlagen bei der Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), NJW 2011, 2620; Waldenberger/Sieber, Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt) jenseits der „Existenzgründer“. Rechtliche Besonderheiten und praktischer Nutzen, GmbHR 2009, 114; Wälzholz, Die „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ als Alternative zur GmbH?, GmbH-StB 2007, 319; Weber, Die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt), BB 2009,

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§ 5a Rz. 1 | Unternehmergesellschaft 842; Werner, Aktuelle Entwicklungen des Rechts der Unternehmergesellschaft, GmbHR 2010, 449; H. P. Westermann, Das neue GmbH-Recht (i.d.F. des MoMiG) im Überblick, DZWiR 2008, 485; H. P. Westermann, Wohin steuert die GmbH? – Benutzerkreis und Verwendungszwecke der Rechtsform im künftigen deutschen Gesellschaftsrecht, in FS Priester, 2007, S. 835; Wicke, Gründungserleichterungen als zentrales Reformanliegen, GmbHR 2018, 1105; Wilhelm, „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ – Der neue § 5a GmbH-Gesetz in dem RegE zum MoMiG, DB 2007, 1510.

I. Normzweck und Entstehungsgeschichte 1. Die Anreize zur Schaffung der „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ 1 Die Vorschrift enthält eine verbreitet als Kehrtwende in der bis dahin überwiegend auf Ver-

stärkung der Kapitalausstattung der GmbH ausgerichteten Rechtspolitik, die gegenüber der mit Sorge beachteten Ltd. und Scheinauslandsgesellschaften eine einigermaßen solide Einstiegsmöglichkeit für junge (und noch kapitalschwache) Unternehmensgründer bieten sollte1. Der Verzicht auf ein 1 Euro übersteigendes Stammkapital führte aber dazu, dass der Rechtsform die Eignung für längerfristig angelegtes (und erfolgreiches) unternehmerisches Wirtschaften vielfach abgesprochen und eine hohe Insolvenzanfälligkeit prognostiziert wurde2, obwohl andererseits für eine gewisse Deregulierung des Kapitalgesellschaftsrechts und Erleichterung der Gründung ein Bedürfnis nicht ganz geleugnet wurde3; eine große Rolle spielte auch der Wunsch, die internationale Konkurrenzfähigkeit der deutschen GmbH (nicht nur gegenüber der Ltd.) zu stärken, ohne eine ganz neue Rechtsform schaffen zu müssen4. Die Motive des Gesetzgebers haben sich im Wesentlichen als realistisch erwiesen, desgleichen aber einige der Warnungen. Zwar hat es den Anschein, als wäre der zeitweilige Erfolg der Ltd.5 auch ohne die Einführung der neuen deutschen Rechtsform bald zu Ende gegangen6, aber die Einschätzung, dass der praktische Verzicht auf ein auch nur in der Nähe des § 5 Abs. 1 liegendes Stammkapital, verbunden mit einem verhältnismäßig geringen Aufwand bei der Gründung, für Existenzgründer und Projektgesellschaften attraktiv sein werde, war berechtigt7, musste allerdings gegen verbreitete Warnungen8 durchgesetzt werden. Der 1 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/140, S. 31; Seibert, GmbHR 2007, 673; Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114, 124; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 2. 2 Niemeier in FS G. H. Roth, S. 533 ff.; Priester, ZIP 2005, 921; Zöllner, GmbHR 2006, 1; Noack, DB 2007, 1395; Handelsrechtsausschuss DAV, NZG 2007, 736; etwas abschwächend Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. 3 Zum diesbezüglichen Reformdruck Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 2. 4 Gehb/Heckelmann, GmbHR 2006, R 349; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3. 5 Ende 2007 soll es ungefähr 14.000, nur 2 Jahre später sogar 18.000 Ltd. in Deutschland gegeben haben, was mit dem niedrigen Stammkapital, den mäßigen Gründungskosten und dem schnellen Ablauf des Gründungsvorgangs erklärt wurde; näher Schall/Westhoff, GmbHR 2005, R 357; zum schnellen zahlenmäßigen Rückgang der Rechtsformen ausländischen Rechts, u.a. auch der britischen Ltd., Kornblum, GmbHR 2021, 681, 688 Rz. 20 ff. 6 Niemeier, ZIP 2007, 1794; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 779; Kornblum, GmbHR 2010, R 53; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3; Schäfer, ZIP 2011, 53 meinte, die Empfehlung eine Ltd. zu gründen, stelle eine „flagrante“ Verletzung der Beratungspflicht dar. Zum Scheitern der Ltd. auch Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, 2009, S. 73. 7 Berninger, GmbHR 2011, 953; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5; zu den formalen Erleichterungen gegenüber der GmbH-Gründung die Überlegungen von Gehb/Drange/Heckelmann, NZG 2006, 88 ff.; früher Bachmann, ZGR 2001, 351, 356 f. 8 Schaden befürchteten etwa Wachter, Status Recht Beil. 7/2007, 245; Bormann, GmbHR 2007, 897, 899; für Entbehrlichkeit etwa Goette, Status Recht Beil. 7/2007, S. 236; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485 ff.; kritisch auch Heckschen, DStR 2007, 1442.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 3 § 5a

Zuspruch für die neue Variante der GmbH war beachtlich9, ihre heutige Verbreitung ist groß. Die neuen Zahlen (per 1.1.2021) betragen insgesamt etwa 163.500 UG10. Die tatsächliche Kapitalausstattung der UG sowie die Erfahrungen mit Insolvenzen und Lö- 2 schungen dürfen angesichts des Umstandes nicht überraschen, dass mit der neuen Rechtsform Existenzgründer angesprochen werden sollten, die als Einzelkaufleute nicht antraten und für eine „normale“ GmbH nicht genügend Kapital aufbringen konnten oder wollten. Das durchschnittliche Stammkapital wird in verschiedenen Untersuchungen teils mit 1173, teils mit nur 500 Euro angegeben11; auch wenn Gesellschaften mit größerem Kapitaleinsatz durchaus vorzukommen scheinen, liegt dieser doch deutlich unter dem bei der „normalen“ GmbH. Auffällig ist die hohe Zahl von „upgrades“ von der UG zur GmbH12, sie könnte die Einschätzung bestätigen, dass die UG nur als Übergangsform geeignet sei13. Allerdings kann die UG, wenn sie nicht nur als Komplementärin fungiert, vorwiegend für Unternehmen wie etwa reine Dienstleister ohne nennenswerten Kapitalbedarf genutzt werden, wobei aber auch die Gefahr im Auge zu behalten ist, dass sie von Anfang an (schon durch die Pflicht zur Aufbringung der Gründungskosten) überschuldet oder sonst für unternehmerische Aktivitäten ganz unzulänglich ausgestattet sein kann14. Die Erleichterung der GmbH-Gründung durch eine Liberalisierung der Formalitäten, ebenfalls ein zentrales Anliegen der Reform, kommt bei der regelmäßigen GmbH wie bei der UG zum Tragen. Bemerkenswert ist freilich der hohe Anteil der UG an Insolvenzen (im Jahre 2020 12,1 % bei der UG)15. Das muss aber nicht bedeuten, dass es der UG schlechthin an Seriosität fehlt16; ein „gesundes“ Verhältnis von eingesetzten Geldmitteln und unternehmerischen Risiken kann auch bei der normaltypischen GmbH nicht als Charakteristikum bezeichnet werden, zumal die immer wieder unterbreiteten Vorschläge, das Mindeststammkapital der GmbH erheblich heraufzusetzen17, auf absehbare Zeit kaum verwirklicht werden dürften. Insgesamt hat die Einführung der UG die Gestaltungsmöglichkeiten haftungsbeschränkenden Wirtschaftens erweitert, ohne allzu großen Argwohn gegen Missbräuche zu begründen.

2. Die Zielgruppe der gesetzlichen Regelung, Verwirklichung der Zielsetzung Die verhältnismäßig gute Aufnahme der UG liegt auch daran, dass einige der kennzeichnen- 3 den Merkmale der Rechtsform Überlegungen der Gründer und ihrer Berater in Richtung auf Vorkehrungen gegen schlechte Reputation zu lenken scheinen. Zu nennen sind die Volleinzahlungspflicht, das Verbot von Sacheinlagen, Hinweise auf die Haftungsbeschränkung in der Firma, die auch alle aus der rechtspolitischen Diskussion um die Zukunft der GmbH in der Gestalt des früheren Rechts erklärlich sind. 9 Erste Zahlen bei Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, 124 und GmbHR 2010, 9. S. auch Bayer/Hoffmann, GmbHR 2018, 1156. 10 Kornblum, GmbHR 2021, 681, 688 Rz. 18 f. 11 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2010, 9; Niemeier in FS G. H. Roth, 2011, S. 785, nach dessen Ansicht die Kapitalisierung der UG „keinen Deut besser“ ist als bei der Ltd., die abweichenden Zahlen beruhten „auf einer anderen Datenaufbereitung“. 12 Dazu Lieder/Hoffmann, GmbHR 2011, 561. 13 Schäfer, ZIP 2011, 53, 59; dagegen allerdings Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4. 14 Leyendecker, GmbHR 2008, 302, 304. 15 Nachw. aus den Statistiken bei Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Einl. Rz. 51 Fn. 104, 105. 16 Dagegen auch Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4 gegen Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 73. 17 So Priester in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 1, 7 ff.; s. auch Wilhelmi, GmbHR 2006, 13; dagegen Grunewald/Noack, GmbHR 2005, 189 f.; Fastrich, DStR 2006, 156, 160.

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§ 5a Rz. 3 | Unternehmergesellschaft Die für die zeitweilige „Welle“ an Ltd.-Gründungen ursächlichen Vorteile einer einfachen, praktisch online von zu Hause aus „zu bestellenden“ und innerhalb weniger Tage „per Post gelieferten“ Ltd. springen angesichts der deutlich reduzierten Anforderungen an die Gründung einer UG nicht mehr so ins Auge (zu den Kosten der Gründung einer UG s. Rz. 12). Auf der anderen Seite gab es bei der Ltd. durchaus eine gewisse Kontrolle ihres Finanzgebarens18, so dass die zunehmende Bevorzugung der UG verständlich erscheint. Dabei dürfte die – legitime – Haftungsbeschränkung bei geringem Kapitaleinsatz nicht nur bei der Zielgruppe der „jungen Unternehmensgründer“ eine Rolle spielen, sondern auch bei Vorratsgründungen im Zuge einer mittelfristigen Nachfolgeplanung, wobei die UG als künftige Komplementärin einer Familien-KG vorgesehen werden könnte (zu den Zweifeln an der Komplementär-Fähigkeit Rz. 40). Es ist auch denkbar, dass im Zusammenhang mit Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen für die Arbeitnehmer ein Investitionsvehikel in Form einer (haftungsbeschränkten) Kapitalgesellschaft eingesetzt werden könnte. Sodann könnte die Möglichkeit der Gründung einer Gesellschaft mit einem vorerst nur minimalen Kapitaleinsatz, der später zweckentsprechend erhöht werden kann, wozu dann auch ein Anreiz geschaffen werden sollte, mit Blick auf einen zukünftigen Einsatz im Rahmen einer Unternehmensgruppe interessant sein. Dabei werden dann freilich vor allem Gesellschaften entstehen, die – möglicherweise auch für längere Zeit – ohne eigene unternehmerische Aktivität gewissermaßen auf Abruf vorgehalten werden, obwohl natürlich auch die Regeln über „wirtschaftliche Neugründung“ gelten, während außerhalb des reinen, vielleicht ohne erheblichen Kapitaleinsatz offenstehenden Dienstleistungssektors die Möglichkeit, sich der UG zu bedienen, die Zahl „echter“ Betriebsgründungen nicht erhöhen wird, abgesehen von den auch bei der „echten“ GmbH häufigen Fällen nur sehr kurzer Lebensdauer19. Bei der wirksam gegründeten UG wird es manchmal zu einer unternehmerischen Aktivität nach ersten Anfängen nicht mehr kommen. Der weitere Gedanke20, den Gläubigerschutz dadurch zu bewerkstelligen, dass die Gesellschaft Gewinne nicht ausschütten darf, sondern durch teilweise Einstellung in eine Rücklage zu thesaurieren hat, bis das Eigenkapital die Höhe des gesetzlichen Mindestkapitals erreicht, legt es nahe, dass „Unternehmer“ im Sinne dieser Neuerung nur Personen sein sollten, die zumindest in den ersten Jahren nach der Gründung nicht auf Ausschüttungen bedacht sind, wobei sie dann allerdings, wenn sie hauptberuflich tätig sein wollen, auf Geschäftsführervergütungen angewiesen sind21. Dieser Zielgruppe hätte freilich der Vorschlag einer „Unternehmensgründergesellschaft“ in der Bezeichnung eher entsprochen. 4 Für den gesetzlichen Gesellschaftstyp kommen als Nutzer – wie allgemein für die GmbH –

auch die Gestalter von Unternehmensgruppen in Betracht22, die in Einzelfällen mit einer sehr niedrigen Kapitalausstattung der Gesellschaft auszukommen glauben und ihr Funktionen beilegen wollen, die zunächst oder sogar auf Dauer keine Gewinnerzielung erfordern, denen andererseits die Pflicht zur Volleinzahlung der gewählten Einlage nichts ausmacht (näher Rz. 16). Die Verwendbarkeit der UG als Komplementärin einer KG hat sich inzwischen durchgesetzt, für sie spricht mit einigem Gewicht die Möglichkeit, die zunächst benötigten Gelder sogleich ins KG-Vermögen einzulegen und so die Schwierigkeiten, die sonst bei

18 Zum Vergleich mit der UG Leuering, NJW-Spezial 2007, 315; Schumann, DB 2004, 743; zur Ltd. in Deutschland Heckschen, Private Limited Company, 2. Aufl. 2007; Just, Die englische Limited in der Praxis, 4. Aufl. 2012; zum „wrongful trading“ Hirte, ZGR 2004, 71 ff. 19 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Zahlen zu den Vorratsgründungen bei Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, 124, 125; zur wirtschaftlichen Neugründung Bachmann, NZG 2011, 441; Peetz, GmbHR 2011, 178; J. Schmidt in Michalski u.a., § 3 Rz. 116 ff. 20 Seibert/Decker, ZIP 2008, 1208; anerkennend (Kunstgriff) Joost, ZIP 2007, 2242, 2245. 21 S. auch dazu Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 31. 22 Zur Verwendung der UG als Holding- und Zielgesellschaft für Wagnisbeteiligungen näher Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 121 f.; Veil, ZGR 2009, 623, 640 f.; Rubel, GmbHR 2010, 470.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 6 § 5a

der Weitergabe der GmbH-Einlagen an die KG auftreten, zu vermeiden23 (zu Möglichkeiten der Umwandlung s. Rz. 35 ff.). Zum Wechsel bestehender GmbH oder Ltd. in die neue Rechtsform s. Rz. 37. Erhebliche Bedeutung haben auch die verschiedenen Formen des Rechtsformwechsels von der UG in die GmbH im Hinblick auf die Frage, wann das Sonderrecht der UG außer Kraft tritt, zuletzt auch im Zusammenhang mit Umwandlungsvorgängen wie der Neugründung durch Abspaltung (näher Rz. 11). Soweit von der noch im RefE vorgesehenen Verwendung einer „Mustersatzung“, die jetzt durch die Möglichkeit eines „Musterprotokolls“ (§ 2 Abs. 1a) ersetzt ist und für eine Gesellschaft – nicht nur eine UG – mit nicht mehr als drei Gesellschaftern in Betracht kommt, eine Erleichterung der Gründung erwartet wurde24, ist dies für die mit der UG angesprochene Zielgruppe nur mittelbar bedeutsam. Es sollte auch nicht gefördert werden, da der Beratungsbedarf bei der neuen Rechtsform nicht unterschätzt werden darf, der sich aus dem – bei Gründung allein nach dem Musterprotokoll zwangsläufigen – Fehlen eines Gesellschaftsvertrages ergibt. Erste Übersichten über die von den Registergerichten zu treffenden Entscheidungen25 zeig- 5 ten, dass es einen gewissen Bedarf an relativ kurzfristigen, manchmal schon vor der Eintragung greifenden Änderungen der im Musterprotokoll zu dokumentierenden Umstände gibt, nicht nur im Bereich von Kapitalerhöhungen, also etwa im Hinblick auf die Zahl der Gesellschafter und der Geschäftsführer. Unter den Satzungsänderungen steht die Kapitalerhöhung im Vordergrund, zum einen im Hinblick auf die hierbei beizubringenden Unterlagen, hauptsächlich aber in der Frage, ob hierbei Sacheinlagen, die bei der Gründung nicht zugelassen sind, jedenfalls wenn durch sie das regelmäßige Stammkapital der „echten“ GmbH aufgebracht werden soll (dazu näher Rz. 18, 19), möglich sind. Es verwundert nicht, dass das genannte Verbot und die Möglichkeiten seiner Umgehung auch sonst viel Aufmerksamkeit geweckt haben (näher Rz. 20). Nicht völlig geklärt war am Anfang auch die Frage, ob in einem für die Gründung verwendeten Musterprotokoll, das bei einer UG zunächst nur einen Geschäftsführer vorsehen darf, die hier zugelassene Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens auch für später bestellte weitere Geschäftsführer gilt, oder ob dann § 35 Abs. 2 zum Zuge kommt. Die Praxis wird zeigen, ob die „typischen“ Gesellschafter und Geschäftsführer einer UG tatsächlich die Erfahrungen und Kenntnisse haben werden, die notwendig sind, um den gegenüber der „normalen“ GmbH keineswegs niedrigeren Anforderungen an ihre Fähigkeit zur Bewältigung von Rechtsfragen genügen zu können26. Zumindest ein Gesellschafter-Geschäftsführer wird aber auch einige Jahre nach der Reform bei Notaren und Rechtsanwälten, Kammern und Verbänden genügende Beratung erhalten können und auf ihre Notwendigkeit aufmerksam gemacht werden. Dabei scheint die Firmierung der UG, bei der es darum ging, das Publikum zu warnen, mit dem allgemeinen Firmenrecht des HGB nicht perfekt abgestimmt, was bei der hohen Bedeutung der UG als Komplementärin von KG nicht hingenommen werden sollte27. Sodann musste bei neuen Regelungsansätzen wie der zur Aufwertung des Ansehens der UG 6 eingeführten „Zwangsthesaurierung“ durch Rücklagenbildung anstelle von Ausschüttungen mit Umgehungsversuchen gerechnet werden, die als Reaktion eine Art „Rücklagenersatzrecht“ hervorrufen könnten28. 23 Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1498 unter Hinweis auf BGH v. 10.12.2007 – II ZR 180/06, ZIP 2008, 174 (mit Bespr. Karsten Schmidt, S. 481) = GmbHR 2008, 203. 24 Dazu Seibert/Decker, ZIP 2008, 1208, 1209; so schon die Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 27; kritisch zur Mustersatzung Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1487. 25 Schulte, GmbHR 2010, 1128; Werner, GmbHR 2011, 449 ff.; Schäfer, ZIP 2011, 53, 54. 26 Hierzu – ohne Begrenzung auf die Gesellschafter und Geschäftsführer einer UG, aber im Hinblick auf die GmbH-Reform – H. P. Westermann in FS Priester, 2007, S. 835, 838 ff., 850 ff.; zu diesbezüglichen Erfahrungen mit der niederländischen „Flex-BV“ H. P. Westermann, GmbHR 2017, 683 ff. 27 Zur Firma der UG & Co. KG Wachter, NZG 2009, 1253 ff. 28 Dazu H. P. Westermann in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 1437, 1445 f.

H. P. Westermann | 499

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§ 5a Rz. 7 | Unternehmergesellschaft

II. Grundstruktur und anwendbare Rechtsnormen 1. Grundsatz 7 Die UG ist eine Variante der haftungsbeschränkten Gesellschaftsformen, also eine GmbH,

für die einige vom GmbHG abweichende Bestimmungen gelten29, obwohl sie, was eine Merkwürdigkeit ist, nicht als GmbH firmieren darf30. Damit ist nicht nur das eigentliche GmbH-Recht auf die UG anwendbar, sondern das gesamte auch für die GmbH geltende deutsche Recht31, so dass sie Formkaufmann und Unternehmer i.S.d. § 14 Abs. 1 BGB und auch rechnungslegungspflichtig nach §§ 264 ff. HGB ist32. Namentlich gelten auch die Regeln zur Stellung des Geschäftsführers in seinem Verhältnis zur Gesellschafterversammlung, zu seiner fachlichen und persönlichen Qualifikation, zu seinen Pflichten in Bezug auf eine mögliche Insolvenz; zu – nicht allzu gewichtigen – Einschränkungen der Umwandlungsfähigkeit der UG Rz. 35, zum Einsatz der UG als KG-Komplementärin Rz. 40. Die UG wird vermutlich nicht so wie die „normale“ GmbH ein Allzweck-Instrument werden33, weil angesichts ihres zumindest am Anfang meist wohl deutlich unter 25.000 Euro bleibenden Stammkapitals bedeutende unternehmerische Ziele mit entsprechendem Investitionsbedarf nicht auf diesem Wege verfolgt werden können; auch eine Rechtsanwalts-UG ist möglich34. Andererseits sind die Gesellschafter bezüglich des Einsatzes der vorhandenen Mittel frei; so müssen sie, auch wenn an sich aus der Rücklage durch Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln ein Stammkapital gebildet werden könnte, das das Mindeststammkapital einer „normalen“ GmbH übersteigt, nicht in die Regelform wechseln, was insbesondere nicht im Zuge einer automatischen Umwandlung geschieht35; streitig ist, ob die bisherige Firma beibehalten werden kann; näher dazu Rz. 29, 31.

2. Folgerungen (Finanzierung, Gläubigerschutz, Innenverhältnis) 8 In Bezug auf die Finanzierung müssen die Gründer darauf achten, dass nicht schon durch

die Gründungs- und sonstigen Anlaufkosten Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit eintritt36, was bei Verwendung des Musterprotokolls für die Gründung (§ 2 Abs. 1a) durch die Überbürdung der Gründungskosten auf die Gesellschaft (bis zum Betrag des Stammkapitals) leicht geschehen kann37 und dann die vom Gesetz eingeräumte Beliebigkeit der Wahl der Stammkapitalziffer faktisch einschränkt (s. Rz. 22), indem allein deswegen schon ein Stamm29 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1081; Noack, DB 2007, 1395 f.; Wilhelm, DB 2007, 1510; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 778; Weber, BB 2009, 842 f.; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 4; Priester in FS G. H. Roth, 2011, S. 573, 574; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 3. 30 Kritisch insoweit auch Wilhelm, DB 2007, 1510, 1511. 31 So auch die Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 31; Wicke, Rz. 3; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; zur Beitragspflicht einer UG zur IHK OVG Lüneburg v. 24.7.2013 – 8 LA 16/13, GmbHR 2013, 1323. 32 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 4. 33 Dazu H. P. Westermann, Die GmbH – ein „Allzweck-Instrument“?, in Pro GmbH, Analysen und Perspektiven des Gesellschafts- und Steuerrechts der GmbH, hrsg. von der Centrale für GmbH, 1980, S. 23 ff. 34 Dazu Axmann/Deister, NJW 2009, 2941 ff. 35 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1081: Die UG „muss nicht erwachsen werden“; Wachter in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 25, 34; Weber, BB 2009, 842, 846; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42; kritisch Handelsrechtsausschuss des DAV, NZG 2007, 737; dagegen wieder Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 781. 36 Etwa Kindler, NJW 2008, 2249 f.; Wachter in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 25, 30 f. 37 Seibert, GmbHR 2007, 673, 675; Drygala, NZG 2007, 562.

500 | H. P. Westermann

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Unternehmergesellschaft | Rz. 8 § 5a

kapital von mindestens 300 Euro vorhanden sein muss38. Die in der Registerpraxis übliche Festsetzung des Gründungsaufwands auf bis zu 10 % des Stammkapitals kann bei der UG nicht gelten39; jedenfalls sind die bei einer GmbH-Gründung in der Praxis typischerweise ohne weitere Nachweise akzeptierten Abwälzungen von Gründungskosten in Höhe von bis zu 2.500 Euro bei einer deutlich unter dem GmbH-Mindeststammkapital bezifferten Stammkapital der UG (haftungsbeschränkt) als unangemessen zu bewerten40, insbesondere, sofern zu einer bilanziellen Überschuldung führend. Abzulehnen ist daher auch die Entscheidung KG ZIP 2015, 192341, der zufolge es – unter Überdehnung des Aussagegehalts der Nr. 5 des Musterprotokolls der Anlage 1 („höchstens jedoch bis zum Betrag des Stammkapitals“) – sogar zulässig sein soll, Gründungsaufwand auf die UG (haftungsbeschränkt) bis zur Höhe der (im konkreten Fall 1.000 Euro betragenden) Stammkapitalsumme abzuwälzen. Davon abgesehen gibt es aber keine Vorgabe hinsichtlich des Stammkapitals, das lediglich den Betrag gemäß § 5 unterschreiten muss, also von mindestens einem vollen Euro (§ 5 Abs. 2 Satz 1) pro Gründer bis zu 24 999 Euro reichen kann, die Gesellschafter haben insoweit die volle Freiheit. Wenn die Gründer unter diesen Umständen unternehmerische, auch gewerbliche Zwecke mit durchaus unzulänglichen Eigenmitteln zu verfolgen beginnen, wirft dies im Fall des Scheiterns die Frage nach ihrer Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung auf42. Nun gibt es bekanntlich bei der „normalen“ GmbH bis heute keine festen, vor allem keine für eine Prognose im Einzelfall nachvollziehbaren Vorstellungen über die Höhe der angemessenen Kapitalausstattung. Dies könnte aber für die UG gerade anders gesehen werden43, so dass möglicherweise Anlass besteht, über einen Haftungsdurchgriff wegen Unterkapitalisierung nachzudenken44. Für die GmbH, bei der ein Missverhältnis zwischen eigentlich benötigten und tatsächlich eingesetzten Eigenmitteln keine Seltenheit ist, und auch sonst im Verbandsrecht hat die Rechtsprechung aber sowohl eine Ausfallhaftung der Gesellschafter als auch einen direkten Durchgriff auf sie stets abgelehnt45, womit auch der Ansatz bei einem Missbrauch der Haftungsbeschränkung, der zur persönlichen Haftung entsprechend § 128 HGB führen würde46, nicht generell eingreift, sondern einer einzelfallbezogenen Haftung wegen (schuldhaft verursachter) Gläubigerschädigung weichen muss47, wenn es zur Insolvenz kommt, was dann auch für die UG gilt. Angesichts der positiven gesetzlichen Regelung kann allein die Tatsache eines extrem niedrigen Kapitals also für einen Durchgriff nicht ausreichen, auch weil bei manchen Gesellschaften, etwa reinen Projektgesellschaften, in der Tat am Anfang kein hohes Kapital bereitgestellt werden muss. Wohl ist damit zu rechnen, dass die Insolvenzantragspflichten hier von der Praxis eher scharf gehandhabt werden48, was auch die anzustellende Fortbestehensprognose betrifft. Gesellschafterdarlehen können die Lage 38 Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11, 12. 39 OLG Hamburg v. 18.3.2011 – 11 W 19/11, GmbHR 2011, 766; zustimmend Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12. 40 Mit Nachdruck i.d.S. OLG Hamm v. 16.2.2021 – 27 W 130/20, NotBZ 2022, 148. 41 KG v. 31.7.2015 – 22 W 67/14, GmbHR 2015, 1158 = ZIP 2015, 1923. 42 Dazu etwa Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 275 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 4c; Altmeppen, ZIP 2008, 1201; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, § 13 Rz. 130. 43 Joost, ZIP 2007, 2242, 2244. 44 S. etwa Goette, Status Recht Beil. 7/2007, S. 236 f.; Gehrlein, WM 2008, 761, 768; Wachter in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 25, 31, allerdings im Ergebnis ablehnend; anders Altmeppen, § 13 Rz. 142; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 295. 45 BGH v. 8.7.1970 – VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222, 224; BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 398/75, BGHZ 68, 312, 316; BGH v. 30.11.1978 – II ZR 204/76, WM 1979, 229 = GmbHR 1979, 89; grundlegend in der „Gamma“-Entscheidung BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, ZIP 2008, 1232 ff. = GmbHR 2008, 805; praktisch vorbereitet durch Stimpel in FS Goerdeler, 1987, S. 601, 606 ff. 46 Wiedemann, GesR I, S. 224; wohl auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 13 Rz. 20. 47 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 47; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, GmbHR 1998, 1221 = NJW 1999, 740. 48 Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 9.

H. P. Westermann | 501

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§ 5a Rz. 8 | Unternehmergesellschaft nur verbessern, wenn sie mit einem Rangrücktritt gemäß § 19 Abs. 2 InsO verbunden sind49. Skepsis ist auch gegenüber dem Einsatz einer UG für u.U. sehr aufwendige und risikobehaftete Aufgaben wie die Verwaltung einer außerordentlich großen Wohnungseigentumsanlage angebracht, wenn die UG nicht Sicherheiten etwa in Gestalt einer nachgewiesenen und betragsmäßig ausreichenden Haftpflichtversicherung beibringen kann50. 9 Der Gläubigerschutz beruht bei der „Variante“ der GmbH auf durchaus eigenständigen Er-

wägungen, wobei es überraschend wirken kann, dass eine Gesellschaft mit einem vorgesehenen Stammkapital von 24.500 Euro – freilich ein eher theoretischer Fall – dieses bei der Gründung voll in bar aufbringen muss, während ab einem Kapital von 25.000 Euro die Möglichkeit einer Teileinzahlung (§ 7 Abs. 2) besteht und Sacheinlagen zugelassen sind. Die nach § 30 für Auszahlungen an Gesellschafter maßgebliche Bestimmung einer Unterbilanz richtet sich bei der UG nach denselben Regeln; wenn aber das von den Gründern gewählte Kapital besonders niedrig ist, kann sich das Erfordernis, dass eine Auszahlung an Gesellschafter nur erlaubt ist, wenn der entsprechende Betrag durch Aktivvermögen gedeckt ist, im Sinne einer größeren Kapitalflexibilität nur auswirken, wenn praktisch keine Verbindlichkeiten vorhanden sind. Auf der anderen Seite weicht die Rücklage, die gemäß § 5a Abs. 3 Satz 1 zu bilden ist, die also eine gesetzliche ist, von der nach § 150 Abs. 2 AktG zu bildenden sowohl in Bezug auf die Art der Inanspruchnahme des Jahresüberschusses als auch hinsichtlich der Begrenzung der Höhe nach ab51. Es handelt sich dabei um einen im Gesellschaftsrecht neuen Fall der Kapitalaufholung52 (auch: Ansammeln des gesetzlichen Mindeststammkapitals53), der nicht nur in der Anfangszeit nach Gründung der Gesellschaft relevant ist, sondern immer dann, wenn die Rücklage zur Verlustdeckung eingesetzt worden ist54. Unabhängig davon lässt sich nicht ausschließen, dass die Gesellschafter einer UG sich nach Jahren korrekter Bedienung der gesetzlichen Rücklage in Krisenzeiten nach Möglichkeiten (vielleicht auch: missbräuchlicher Art) umsehen werden, doch einen teilweisen Rückfluss des eingesetzten Kapitals zu erreichen, obwohl die Regeln über Kapitalaufbringung und -erhaltung auch hier gelten (im Einzelnen Rz. 24 ff.). Eine weitere Besonderheit ist die in § 5a Abs. 4 vorgesehene Pflicht zur unverzüglichen Einberufung der Gesellschafterversammlung bei drohender Zahlungsunfähigkeit (näher Rz. 33); ob von ihr gläubigerschützende Wirkungen ausgehen oder in ihr auch nur ein Seriositätsindiz liegt, ist allerdings fraglich. 10 Im Innenverhältnis der UG gilt ebenfalls uneingeschränkt das Gesetzesrecht der GmbH, in

den durch einzelne zwingende Bestimmungen gesetzten Grenzen also auch Vertragsfreiheit. Danach sind gläubigerschützende Regeln zwingend, was nach der Formulierung des § 5a Abs. 3 Satz 2 für die Verwendung der hiernach gebildeten Rücklage gilt, aber nach dem Zweck der Regelung wohl nicht eine Kapitalerhöhung i.S.d. § 5a ausschließen kann (näher dazu Rz. 28, 29). Daher sind vertragliche Absprachen über den auf diese Weise zu bewirkenden Übergang in die „normale“ GmbH wirksam, wenn nicht sogar satzungsmäßige Regelungen zur Thesaurierung und Gewinnverwendung geschaffen werden, wie sie etwa für einen Governance Kodex der geschlossenen Gesellschaft vorgeschlagen werden (s. etwa 13. Aufl., Einl. Rz. 63). Da aber eine Pflicht der Gesellschafter, bei genügender Höhe der Rücklage durch 49 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18. 50 S. LG Frankfurt a.M. v. 4.12.2013 – 2-13 S 94/12, NZG 2014, 826; gegen die Forderung, die Zulassung der UG als WEG-Verwalterin von der Höhe des Stammkapitals abhängig zu machen, LG Karlsruhe v. 28.6.2011 – 11 S 7/10, NZG 2011, 1275; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21. 51 Auch dazu Joost, ZIP 2007, 2242, 2245; zum Charakter als gesetzliche Rücklage auch Weber, BB 2009, 842, 845; Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114, 117; zur Ähnlichkeit dieser Rücklage mit der nach § 150 AktG zu bildenden Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 37. 52 Noack, DB 2007, 1395 f. 53 Hennrichs, NZG 2009, 1161, 1165. 54 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 11 § 5a

Kapitalerhöhung in die GmbH überzuwechseln, nach allgemeiner Meinung (Rz. 7 a.E.) nicht besteht, wird man auch eine Pflicht des einzelnen Gesellschafters, an einem solchen Schritt mitzuwirken, im Regelfall nicht annehmen können. Probleme mit der Zulässigkeit von Vereinbarungen können sich auch bei der Festlegung von Geschäftsführervergütungen ergeben, wenn hierdurch – trotz u.U. durchaus angemessener Höhe der Vergütung – die vorgeschriebene Rücklagenbildung verhindert oder stark verzögert wird. Dies schlechthin als Umgehung zu kennzeichnen55, würde die Gesellschafter zwingen, praktisch umsonst zu arbeiten, die Thesaurierungspflicht gilt nach dem Wortlaut nur für ein Viertel des Jahresüberschusses. Weder in der „normalen“ GmbH noch in der UG sind im bisherigen Recht die Pflichten von Geschäftsführern und Gesellschaftern in Krisenzeiten im Verhältnis zueinander genau festgelegt, auf die es im Rahmen der vermutlich häufig von Anfang an kapitalschwachen UG aber entscheidend ankommen kann. Die bei drohender Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft vorgesehene Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung (§ 5a Abs. 4) löst allein dieses Problem nicht, so dass Satzungsregeln über Handlungs- und Verhaltenspflichten der Gesellschafter zweckmäßig erscheinen, obwohl derartige Bestimmungen über Verhaltenspflichten von Gesellschaftern und Geschäftsführern in Krisenzeiten auch in normalen GmbH-Satzungen selten sind.

III. Gründung der Unternehmergesellschaft 1. Die Geschäftsanteile Die Änderungen des GmbHG in Bezug auf den Nennbetrag eines Geschäftsanteils (§ 5 11 Abs. 2 Satz 1), wonach der Betrag auf volle Euro zu lauten hat, gelten auch für die UG, bei der sie, da das Stammkapital auf jeden Betrag zwischen 1 und 24 999 Euro festgesetzt werden kann, praktische Bedeutung insofern haben, als jeder Gründer einen Geschäftsanteil von mindestens 1 Euro übernehmen muss56. Das bedeutet auch, dass die 1 Euro-UG nur von einem Gesellschafter gegründet und gehalten werden kann, was ziemlich verbreitet ist57. Als Gründer kommen auch juristische Personen und Gesamthandsgesellschaften (die dann, wenn sie allein gründen, eine Ein-Mann-Gesellschaft schaffen) in Betracht58. Im Übrigen gelten für den Gründungsvorgang, der im vereinfachten Verfahren nach § 2 Abs. 1a stattfinden kann, aber nicht muss, keine Besonderheiten. Allerdings ist eine Gründung durch Abspaltung ausgeschlossen, weil es gegen das Sacheinlageverbot gemäß § 5a Abs. 2 Satz 2 verstoßen würde, aus dem Vermögen des gründenden Rechtsträgers Gegenstände auf die nun zu errichtende UG zu übertragen, wobei auch davon ausgegangen wird, dass das Sacheinlageverbot nicht durch umwandlungsrechtliche Sonderregeln verdrängt wird59. Der BGH ist dem in vollem Umfang gefolgt60, wobei entscheidend auf die Parallele zu § 138 UmwG abgestellt wurde61.

55 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1081; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1488; Bormann, GmbHR 2007, 897, 899; Römermann, GmbHR 2007, R 193. 56 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 9; s. auch Drygala, NZG 2007, 561; Joost, ZIP 2007, 2242. 57 Bayer/Hoffmann, GmbHR 2009, R 225. 58 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. 59 Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60; Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1500; Berninger, GmbHR 2010, 63, 69; s. auch Priester in Lutter, § 138 UmwG Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69. 60 BGH v. 11.4.2011 – II ZB 9/10, GmbHR 2011, 701; s. auch schon OLG Frankfurt a.M. v. 9.3.2010 – 20 W 7/10, GmbHR 2010, 920 = ZIP 2010, 1798. Zustimmend Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 59 f. 61 Im Ergebnis zustimmend Bachmann, Anm. WuB II C § 5a GmbHG 2.11, der darauf hinweist, dass es sich eigentlich um eine Bargründung gehandelt hat.

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§ 5a Rz. 11 | Unternehmergesellschaft Der andere Rechtsträger ist aber nicht gehindert, bei einer Bargründung mit einem für die UG passenden Betrag als Gründer aufzutreten, welche Rolle nicht auf natürliche Personen beschränkt ist; die UG selber kann auch als übertragende Gesellschaft an einer Verschmelzung oder Spaltung mitwirken, wie sie auch umwandlungsfähig ist62, näher Rz. 31. Auch kann bei der UG wie bei jeder GmbH die Höhe der Geschäftsanteile verschieden bestimmt werden, § 5 Abs. 3 Satz 1. Die Neuregelung ermöglicht es damit, selbst bei extrem niedrigem Stammkapital und auch bei einer ungeraden Zahl von Gesellschaftern Paritäten nach Maßgabe der Geschäftsanteile zu bilden, was auch bei einem Zusammengehen mehrerer Beteiligungsgesellschaften – ein möglicherweise keineswegs unpraktischer Fall – eine verhältnismäßige Aufteilung des Stammkapitals ermöglicht. Auch kann nach § 5 Abs. 2 Satz 2 jeder Gesellschafter mehrere Geschäftsanteile übernehmen, was praktikabel erscheint, wenn demnächst noch weitere Gesellschafter gewonnen werden sollen. Auch im Hinblick auf Treuhandverhältnisse, die schon bei der Gründung bestehen, sind damit keine besonderen gesellschaftsrechtlichen Vorkehrungen nötig63. Die Zahl und die Nennbeträge der Geschäftsanteile, die jeder Gesellschafter gegen Einlage auf das Stammkapital übernimmt, nach der Definition in § 3 Abs. 1 Nr. 4 also die Stammeinlage jedes Gesellschafters, muss in der Satzung genannt sein. Insgesamt nimmt also die UG an den vor einiger Zeit geschaffenen Erleichterungen für die Gründung einer GmbH teil, sie kann also, muss aber nicht im „vereinfachten“ Verfahren gemäß § 2 Abs. 1a gegründet werden, was insbesondere ausscheidet, wenn mehr als drei Gesellschafter oder mehr als ein Geschäftsführer vorgesehen sind. Auch die Figur einer Vor-UG mit der zu § 11 entwickelten Vorbelastungs- und Verlustdeckungshaftung der Gesellschafter findet Anwendung64, s. den Fall in Rz. 31; zur Vorratsgründung Rz. 34.

2. Verwendung des Musterprotokolls 12 Das Musterprotokoll gemäß § 2 Abs. 1a Satz 1 und 2 wurde auch gerade für die UG vorgese-

hen65. Es umfasst Satzung, Geschäftsführerbestellung und Gesellschafterliste, und da nach § 2 Abs. 1a Satz 5 die Vorschriften über den Gesellschaftsvertrag entsprechende Anwendung finden, bedarf es einer notariellen Beurkundung66, ohne dass im Musterprotokoll die Formalien des BeurkG vollständig erwähnt sind67. Die Verwendung des Musterprotokolls ist gegenüber dem normalen Verfahren kostengünstiger (§ 107 Abs. 1 Satz 2 GNotKG)68, was auch für Änderungen der Satzung im Rahmen des Musterprotokolls gilt. Da das Musterprotokoll nicht um weitere Bestimmungen ergänzt werden darf (§ 2 Abs. 1a Satz 3) und es somit nicht möglich ist, weitere bei einer Mehrpersonengesellschaft gewöhnlich unerlässliche Vertragsbestimmungen, etwa über Vinkulierung, Einziehung oder Abfindung, aufzunehmen, wird dieser Weg gewöhnlich nur bei Einmann-Gründungen benutzt69. Probleme hat in diesem Zusammenhang auch die Bestimmung in Nr. 5 des Musterprotokolls über die Tragung der Gründungskosten bereitet, näher Rz. 8; eine Ergänzung des Musterprotokolls dahin, dass die Gesellschaft auch eine die 300 Euro übersteigende Kostenschuld übernehmen sollte, wäre 62 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 69. 63 Heckschen, DStR 2007, 1442, 1445. 64 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24; Drygala, NZG 2007, 561; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 43. 65 Seibert/Decker, ZIP 2008, 1208, 1209. 66 Seibert/Decker, ZIP 2008, 1208, 1209 l.Sp.; s. auch Heckschen, DStR 2009, 166; Verspay, MDR 2009, 117. 67 Kritisch daher – auch wegen des Fehlens von Klauseln zur Kündigung und Abfindung – Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114, 118. 68 Wachter, GmbHR 2013, R 241, 242; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; zur Anwendung bei Satzungsänderungen Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 49. 69 Werner, GmbHR 2011, 459, 460; Schäfer, ZIP 2011, 53, 54.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 13 § 5a

also nur bei einem Stammkapital von über 3.000 Euro möglich, wurde aber in der Rechtsprechung als unzulässig erklärt70 und kann auch erst in einer Satzungsänderung nach Ablauf von fünf Jahren (analog § 26 Abs. 4 AktG) bestimmt werden71. Das trägt dazu bei, dass die Verwendung des Musters praktisch nur bei der Gründung einer UG in Betracht kommt. Allerdings hängen die Gründungskosten, und zwar sowohl die Gebühren der Registrierung und die Kosten der Bekanntmachung als auch diejenigen für die rechtliche Beratung und die Erstellung des Gesellschaftsvertrages72, von der Höhe des Stammkapitals, der Beteiligung nur einer oder mehrerer Personen an der Gründung und vom Umfang der Vollzugstätigkeit der Urkundsperson ab. Andererseits ist darauf hinzuweisen, dass bei einer kurzfristig vorgesehenen „Umwandlung“ der Gesellschaft in eine „normale“ GmbH weitere Kosten anfallen werden. Bei einer stärker auf den konkreten Einzelfall bezogenen Verwendung des Musterprotokolls 13 können – auch im Zusammenhang mit der notariellen Praxis – einige weitere Fragen auftreten. Das betrifft z.T. Äußerlichkeiten73, wobei inzwischen wohl klar ist, dass völlig unbedeutende Abweichungen in Zeichensetzung, Satzstellung und Wortwahl zulässig sind74. Unklarheiten hat es aber in Bezug auf die Bestimmungen über die Vertretungsmacht des oder der Geschäftsführer gegeben. Nr. 4 Satz 2 des Musterprotokolls sieht für den im Musterprotokoll selbst bestellten Gründungsgeschäftsführer eine Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens vor, die in diesem Stadium auch passend ist, aber so nicht ohne weiteres fortgelten kann, wenn später ein anderer Alleingeschäftsführer oder ein weiterer Geschäftsführer bestellt werden. Hierzu wurde entschieden, dass in diesem Fall § 35 Abs. 2 mit der Folge grundsätzlicher Gleichstellung der Geschäftsführer zum Zuge kommt und Sonderbefugnisse eines einzelnen ausdrücklich in der Satzung niedergelegt sein müssen75. Andere Instanzgerichte wollen die dem Gründungsgeschäftsführer erteilte Befreiung auch weiteren Geschäftsführern zugute kommen lassen76. Da die Befreiung des Geschäftsführers von § 181 BGB und auch die Ermächtigung als echter Satzungsbestandteil betrachtet wird, anders als die bloße Bestellung des ersten Geschäftsführers, die unechter Satzungsbestandteil und daher jederzeit mit einfacher Mehrheit änderbar sein soll77, wird eine Ausdehnung des Privilegs als Satzungsänderung qualifiziert78, so dass auch zweifelhaft ist, ob die Befreiung von § 181 BGB auch für später bestellte Geschäftsführer gilt79. Zum Problem der Satzungsänderung nach ursprünglicher Verwen70 OLG München v. 12.5.2010 – 31 Wx 19/10, GmbHR 2010, 755 = ZIP 2010, 1081 und dazu Schäfer, ZIP 2011, 53, 55; Werner, GmbHR 2011, 459, 460. 71 Auch dazu Seibert/Decker, ZIP 2008, 1208, 1209. Warnend gegenüber der Benutzung für Mehrpersonengründungen („Prokrustes-Bett“) Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10. 72 Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12. 73 Zur Verwendung eines „Wappendeckblatts“ oder dem Weglassen von „Erläuterungsfußnoten“ Schulte, GmbHR 2010, 1128 und im Einzelnen 13. Aufl., § 2 Rz. 140, dort auch zu verschiedenen aus Gründen des Beurkundungsrechts erfolgenden Ergänzungen des Protokolls. 74 OLG München v. 6.10.2010 – 31 Wx 143/08, GmbHR 2010, 1263. 75 OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827. 76 OLG Hamm v. 15.10.2009 – 15 Wx 208/09, GmbHR 2009, 1334; OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, GmbHR 2009, 1210. 77 OLG Bremen v. 15.9.2009 – 2 W 61/09, GmbHR 2009, 1210; OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/ 09, GmbHR 2010, 872; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 62; näher Blasche, GmbHR 2015, 403, 404, 406. 78 Herrler, GmbHR 2010, 960, 964; Miras, BB 2010, 2488 f.; Schäfer, ZIP 2011, 53, 55; Werner, GmbHR 2011, 461; a.M. aber Ries, NZG 2009, 739, 740. 79 OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, GmbHR 2015, 1279; OLG Hamm v. 14.4.2011 – 15 Wx 499/10, GmbHR 2011, 709; dafür Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 62 Fn. 4. Nach OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 822 soll bei Bestellung eines weiteren Geschäftsführers die dem ersten erteilte Befreiung sogar automatisch wegfallen, so auch OLG Nürnberg v. 15.7.2015 – 12 W 1208/15, GmbHR 2015, 1279; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 66; a.M. Ries, NZG 2009, 740.

H. P. Westermann | 505

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§ 5a Rz. 13 | Unternehmergesellschaft dung eines Musterprotokolls s. 13. Aufl., § 2 Rz. 125, 143. Die bei der Schaffung der Rechtsform und ihrer Regelung über das Musterprotokoll noch befürchteten Abweichungen einzelner Satzungsvereinbarungen vom Muster haben somit Gültigkeitshindernisse offenbar nicht verursacht. Soll eine UG mehr als einen Geschäftsführer haben, kann es danach genügen, den zweiten nach Eintragung der Gesellschaft zu bestellen und darüber ein privatschriftliches Protokoll aufzunehmen. Genaue Beobachtung dieser Regeln ist allerdings auch für die Anmeldung zum Register erforderlich, was bei Bestellung mehrerer Geschäftsführer mit möglicherweise verschieden ausgestalteter Vertretungsmacht – wenn man dies zulässt – auch entsprechend angemeldet werden muss80. Verstöße können sich ergeben, wenn entgegen § 2 Abs. 1a Satz 1 das Musterprotokoll bei einer Gesellschaft mit mehr als drei Gesellschaftern oder mehr als einem Geschäftsführer verwendet wird oder die Angabe der Gesellschafter im Vertrag, die nach § 2 Abs. 1a Satz 4 zugleich als Gesellschafterliste gilt, unrichtig ist, ähnlich bei unzulässigen Ergänzungen oder Streichungen im Text des Musterprotokolls. Die Rechtsfolgen sind umstritten, z.T. wird angenommen, dass es sich dann um eine normale GmbHGründung handelt, für die dann aber ohne Zuhilfenahme des Musterprotokolls die gesetzlichen Erfordernisse in Bezug auf Satzungsinhalt und Organbestellung vorliegen müssen81. Nach anderer Ansicht enthält das Musterprotokoll alle unerlässlichen Bestandteile einer Satzung, so dass nur die fehlenden oder unkorrekt wiedergegebenen Umstände, etwa die Gesellschafterliste, nachgereicht werden müssen82. Jedenfalls ist aber die Gründung nicht nichtig.

3. Firmierung und Publizität der Unternehmergesellschaft (§ 5a Abs. 1) 14 § 5a Abs. 1 regelt die Firmierung der Gesellschaft in der Weise, dass abweichend von § 4

die Bezeichnung „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ verwendet werden muss. Dies ist als zwingender Rechtsformzusatz zu verstehen83, im Übrigen ist für den bezeichnenden Teil der Firma, besonders den Firmenkern, für den § 4 gilt, die Frage der hinreichenden Unterscheidungskraft der Firma nach dem GmbHRecht der Firmenbildung zu entscheiden, so dass Personen- und Sachfirmen sowie Mischformen zulässig sind84. Das bedeutet, dass u.U. auch eine bereits bestehende Firma übernommen werden und dann mit dem Rechtsformzusatz versehen werden kann. Der Zusatz, in dem das Wort „haftungsbeschränkt“ das Ziel der Warnung des Publikums mit einiger Sicherheit voll erreichen wird, ist dennoch irreführend insofern, als auch bei der normalen GmbH eine Haftungsbeschränkung, die auch aus dem Rechtsformzusatz ersichtlich ist, vorgesehen ist, so dass es nahe läge, wie dort auch bei der UG die Haftungsbeschränkung in einem Kürzel gewissermaßen zu verstecken. Das aber ist unzulässig, was für alle im Gesetzgebungsverfahren diskutierten Ersatzformulierungen („Ein-Euro-GmbH“ oder „GmbH oM – ohne Mindestkapital“) gilt85, insbesondere darf der die Haftungsbeschränkung erwähnende Teil des Zusatzes nicht abgekürzt werden86. In der Praxis sind zahlreiche, manchmal fast skurrile

80 Werner, GmbHR 2011, 459, 461. 81 OLG München v. 12.5.2010 – 31 Wx 19/10, GmbHR 2010, 755 mit Anm. Wachter; Wachter, ZNotP 2009, 82, 96; s. auch OLG Rostock v. 12.3.2010 – 1 W 83/09, GmbHR 2010, 872. 82 Herrler, GmbHR 2010, 960, 964; Wachter, ZNotP 2009, 82, 96; Werner, GmbHR 2011, 459, 461. 83 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 31 r. Sp.; BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953 Rz. 12; von „Rechtsformzusatz“ spricht auch das Schrifttum, s. etwa Wagner, BB 2009, 842, 843; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Altmeppen, Rz. 6. Zu den in der Praxis auftretenden unzulässigen Rechtsformzusätzen s. Bayer/Hoffmann, GmbHR 2018, 1156, 1157. 84 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28; Altmeppen, § 4 Rz. 3; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55. 85 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29; Altmeppen, Rz. 6. 86 Veil, GmbHR 2007, 1082; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 8.

506 | H. P. Westermann

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

Unternehmergesellschaft | Rz. 14 § 5a

Fehler eingetragener Firmen zu beobachten gewesen87, die das Registergericht von Amts wegen zu berichtigen hat; wenn eine andere Gründung als die einer UG ausgedrückt werden sollte, muss die Satzung geändert werden88. Auch anderslautende Abkürzungen (etwa „UGmbH“) sind unzulässig, womöglich auch wettbewerbswidrig89. Gleichwohl hat der BGH90 unlängst – vergleichsweise liberal – für eine gemeinnützige UG (haftungsbeschränkt) die Abkürzung „gUG (haftungsbeschränkt)“ als zulässig, insbesondere als nicht irreführend, anerkannt, und zwar trotz der voranstellenden Integrierung des Kürzels „g“ in den sich anschließenden Rechtsformzusatz. Dem ist zuzustimmen, da bei Lichte besehen – wie in 13. Aufl., § 4 Rz. 19 näher dargelegt – der Rechtsformzusatz nicht im Widerspruch modifiziert, sondern allein ein weiterer Firmenzusatz dem Firmenkern hintangestellt, der allein sprachlich (zutreffend) auf den nachfolgenden Rechtsformzusatz bezogen wird und für sich genommen, wie § 4 Satz 2 für die GmbH (wenngleich nicht unmittelbar für die UG) klargestellt hat, keine Täuschungsgefahr in sich birgt. Verbindungen des Teils „Unternehmergesellschaft“ mit einem den Unternehmensgegenstand bezeichnenden Wort (z.B. „Unternehmergesellschaft für schlüsselfertiges Bauen“), werden ebenfalls für zulässig erklärt91, sind aber, da sie mit der Warnung „haftungsbeschränkt“ kombiniert werden müssen, kaum praktisch. Umstritten ist die Sanktion der Verwendung einer danach unzulässigen Firma. Bei Eintragung der Gesellschaft mit einer unzulässigen Firma entsteht zwar die Gesellschaft, es besteht aber Anlass zu einem Amtslöschungsverfahren nach § 399 Abs. 4 FamFG, § 60 Abs. 1 Nr. 6 GmbHG (s. im Übrigen 13. Aufl., § 4 Rz. 102). Wenn freilich bei Weglassen des vorgeschriebenen Rechtsformzusatzes die unbeschränkte persönliche Haftung der Gesellschafter gefolgert wird92, so geht dies an dem Umstand vorbei, dass eine falsche Firmierung nicht ohne weiteres einen die Gesellschafter persönlich betreffenden Rechtsschein setzt, während die Gesellschaft selber (deren Haftung meist wertlos sein wird) sowie der Geschäftsführer, der mit der Firma im Verkehr auftritt, u.U. aus culpa in contrahendo haften93, wogegen eine Analogie zu § 179 BGB, der vollmachtlose Vertretung betrifft, nicht passen dürfte94. Im Grunde wird eine nicht (mehr) bestehende Befriedigungsmöglichkeit etwa bei unzulässiger Verwendung des Rechtsformzusatzes „GmbH“ nicht suggeriert95, so dass auch ein Schadensersatzanspruch 87 Bericht von Bayer/Hoffmann, GmbHR 2010, R 369. 88 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 89 S. etwa OLG Hamburg v. 2.11.2010 – 11 W 84/10, GmbHR 2011, 657; OLG Dresden v. 19.2.2013 – 14 U 1810/12, GmbHR 2013, 715. 90 BGH v. 28.4.2020 – II ZB 13/19, GmbHR 2020, 829, 830 ff. = DNotZ 2020, 945 m. zustimmender Anm. Pietzarka; schon zuvor in diesem Sinne Ullrich, GmbHR 2009, 750, 756; Wachter, GmbHR 2013, R145, R146; Bayer/Hoffmann, GmbHR 2018, 1156, 1162; Wachter, EWiR 2019, 425, 426; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 56; Mock in Michalski u.a., Rz. 86; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12, § 4 Rz. 59; a.A. jedoch (jedenfalls bis zur BGH-Entscheidung) Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 15; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 13; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 55; Wicke, Rz. 6. 91 Holzner, Die Unternehmergesellschaft, S. 173; strenger aber OLG Hamburg v. 2.11.2010 – 11 W 84/10, GmbHR 2011, 657; s. auch Wicke, Rz. 6. 92 BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, GmbHR 2012, 953; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485 f.; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 780; Wagner, BB 2009, 842, 844; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 57; Wicke, Rz. 6. 93 Altmeppen, ZIP 2007, 889, 894 f.; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; Schäfer in Henssler/ Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 15; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30. 94 Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18 gegen BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, NJW 2012, 2871; ablehnend auch Beck/Schaub, GmbHR 2012, 1332; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30; zustimmend aber Seebach, RNotZ 2013, 277; Päßler, Das Gebot zur Führung des Rechtsformzusatzes im Kapitalgesellschaftsrecht, 2017, S. 71 ff.; für Beschränkung auf die Differenz zu 25.000 Euro J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 7. 95 So auch Veil, GmbHR 2007, 1080, 1082; eingehend Holzner, Die Unternehmergesellschaft, S. 183 ff.; anders Meckbach, NZG 2011, 968, 971.

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§ 5a Rz. 14 | Unternehmergesellschaft gegen den Geschäftsführer aus § 823 Abs. 2 BGB, wenn man § 5a als Schutzgesetz ansieht96, an der Kausalität scheitern kann. Da auch bei der GmbH das Stammkapital verbraucht sein kann, ist trotz deren Mindeststammkapitalziffer ein Vertrauen auf deren höhere „Solidität“ nicht schützenswert, und damit sogar eine Haftung auf die Differenz zu deren Stammkapital, die verbreitet für richtig gehalten wird, nicht angebracht97 (a.A. unter Betonung der Notwendigkeit einer typisierenden Betrachtungsweise für eine Vertrauensschadenshaftung, mit näherer Schilderung des Streitstands zu dieser dort als „Aufschwungexzess“ bezeichneten Fallgruppe, bei 13. Aufl., § 4 Rz. 29). Zur Firmierung der UG & Co. KG s. Rz. 40. Ob „das Publikum“ aus dem Rechtsformzusatz den Schluss auf eine besonders geringe Kapitalausstattung ziehen wird, wie der Gesetzgeber annahm, ist zwar nicht sicher, aber angesichts der Publizität des Stammkapitalbetrages (Rz. 15) wohl auch nicht entscheidend. Es wird z.T. sogar angenommen, dass das Fehlen des Klammerzusatzes, jedenfalls wenn „Unternehmergesellschaft“ ausdrücklich angesprochen wird, keine Irreführung des Verkehrs bedeutet98. Dieser Sichtweise hat sich aber der III. Zivilsenat ausdrücklich nicht angeschlossen, vielmehr unter Betonung der zwingenden gesetzlichen Vorgabe, den Rechtsformzusatz „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ exakt und buchstabengetreu zu verwenden, bei Weglassung des Klammerzusatzes eine Rechtsscheinhaftung angenommen99. Darüber näher, dem BGH weitgehend zustimmend, indes für eine Rechtsscheinhaftung überdies die Gutgläubigkeit des Vertragspartners verlangend, bei 13. Aufl., § 4 Rz. 29. Eine Weglassung der Klammersetzung, ohne Streichung des Klammerinhalts „haftungsbeschränkt“, dürfte dagegen trotz Abweichung von der gesetzlichen Rechtsformzusatzvorgabe zulässig sein, insbesondere keine Rechtsscheinhaftung auslösen – die fortgefallene Klammersetzung unterstreicht vielmehr den im Interesse des Gläubigerschutzes zentralen Hinweis auf die Haftungsbeschränkung. 15 Die Publizität der Gesellschaftsfirma ergibt sich aus der Eintragung im Handelsregister (da-

zu näher § 10). Auch hierfür gelten keine Besonderheiten, und die anfänglich diskutierte Verpflichtung, das Stammkapital auf den Geschäftsbriefen anzugeben, ist nicht Gesetz geworden100. § 37a HGB gilt aber, so dass bezüglich der Firma, die dabei auch nicht verändert oder durch ein Kürzel ersetzt werden kann, und der anderen aus dem Register ersichtlichen Umstände Publizität besteht. Auch hier ist ein Verstoß denkbar, wenn etwa eine als UG gegründete und als solche im Handelsregister eingetragene Gesellschaft im Rechtsverkehr dennoch als „GmbH“ auftritt. Dann ist möglich, dass Gutgläubige entgegen dem – richtigen – Handelsregister vom Bestehen einer GmbH ausgehen, woraus sie aber, was die Kapitalisierung der Gesellschaft betrifft, allenfalls folgern können, dass ihre konkrete Vertragspartnerin einmal unter Beachtung der § 5 Abs. 1, § 7 Abs. 2 gegründet worden ist, so dass mindestens 12 500 Euro eingezahlt sind und im Übrigen noch eine Einlagepflicht der Gesellschafter bestehen kann. Das muss bei der UG nicht so sein, aber die eingelegten Geldbeträge können hier wie in der normalen GmbH nach der Gründung durch Geschäfte investiert oder verloren worden sein, und ein Schutz des guten Glaubens, dass die Beträge im Vermögen der Gesellschaft noch vorhanden sind, ist nicht vorstellbar. Daher ist auch die hier vorgeschlagene Sanktion einer Haftung des Geschäftsführers bis zur Höhe des Mindeststammkapitals

96 Meckbach, NZG 2011, 968, 970; zurückhaltend aber Weber, BB 2009, 842, 844; Altmeppen, ZIP 2007, 889, 894; Paura in Habersack/Casper/Lübbe, Rz. 31. 97 Veil, GmbHR 2007, 1082; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31; Weber, BB 2009, 842, 844; Seibert, GmbHR 2007, 673, 676; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18. 98 LG Düsseldorf v. 16.10.2013 – 9 O 434/12, GmbHR 2014, 33; ; zustimmend, mit ausführlicher Begründung, Seibert in FS Krieger, 2020, S. 911, 916; Beck, GmbHR 2014, 402. 99 BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, GmbHR 2022, 351, 353 f. 100 Dazu Seibert, GmbHR 2007, 673, 677; kritisch aber Wilhelm, DB 2007, 1510, 1512.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 17 § 5a

nicht angebracht101. Möglich ist auch der umgekehrte Fall, dass eine nach § 5a Abs. 5 in eine „normale“ GmbH umgewandelte UG, die ja nach § 5a Abs. 5 Halbs. 2 ihre Firma beibehalten haben kann, im Rechtsverkehr weiterhin als UG betrachtet wird, woraus dann möglicherweise auf Volleinzahlung der Einlage geschlossen wird (s. dazu näher Rz. 31).

4. Zur Volleinzahlung des Stammkapitals, insbesondere: Sacheinlagen (§ 5a Abs. 2) a) Die Zulassung der Variante der GmbH mit einem deutlich unter 25.000 Euro liegenden, 16 möglicherweise wirtschaftlich unbedeutenden Stammkapital wurde bisweilen nur für vertretbar gehalten im Hinblick auf die in § 5a Abs. 2 Satz 1 vorgeschriebene Volleinzahlung des gesamten Stammkapitals, die im Einzelfall dazu führen kann, dass das konkret eingezahlte Kapital einer UG dasjenige einer GmbH mit dem gesetzlichen Mindestbetrag, bei der von der Möglichkeit der Halbeinzahlung Gebrauch gemacht wurde, übersteigt. Gründer, die die UG nur als erleichterten Einstieg in die GmbH mit ihrem nicht ganz unbedeutenden Mindeststammkapital empfinden, werden eine Kapitalhöhe wählen, bei der die Pflicht zur Volleinzahlung keine Belastung darstellt102. Die Einzahlung auf ein Konto der Gesellschaft kann schon vor der Anmeldung erfolgen, da die nach der Schaffung der Satzung bestehende VorUnternehmergesellschaft kontofähig ist103. Die erfolgte Einzahlung hat der Geschäftsführer bei der Anmeldung zu versichern. Wenn die UG vor der Eintragung ihre geschäftliche Tätigkeit aufnimmt, ist fraglich, wie sich hiernach die vom BGH für die Vor-GmbH entwickelte gesellschaftsinterne Verlustdeckungs- und Unterbilanzhaftung104, insbesondere bezüglich der unbegrenzten Höhe der Verpflichtung, entwickeln wird. Nun muss bei der UG wie bei jeder GmbH das Stadium einer Vor-Gesellschaft durchlaufen werden, mag es auch wegen der hier geltenden Art der Kapitalaufbringung kürzer sein als bei vielen GmbH-Gründungen, so dass das Problem möglicherweise weniger praktische Bedeutung hat, auch weil ein Wirtschaften mit völlig unzureichenden Mitteln schon im Frühstadium zur Insolvenz führen kann. Wenn der als Geschäftsführer Vorgesehene nicht erklären kann (§ 8 Abs. 2), dass die Einlagen geleistet und auch noch vorhanden sind, darf nicht eingetragen werden, s. aber noch Rz. 18. Bei der Einpersonen-Vor-GmbH sollen nach der Rechtsprechung die eingezahlten Mittel, die es ja bei der UG nach ihrer Eintragung geben muss, im Zuge einer Abwicklung nicht an den Eigner des Gesellschaftsvermögens, also den Einmann-Gesellschafter, zurückfallen105. Ohnehin wird es aber bei einer UG, deren Geschäftsbetrieb mit unzulänglichen Mitteln im Gründungsstadium aufgenommen wurde, häufiger bei der so genannten unechten Vorgesellschaft und damit bei der Anwendung einer Rechtsform des Personengesellschaftsrechts bleiben106. b) Auch die Rechtsfragen um die Effektivität einer Einzahlung, etwa bei Verbuchung auf ei- 17 nem debitorisch geführten Konto oder bei alsbaldiger Rückzahlung an den Inferenten („Hinund Herzahlen“), sind im Grundsatz nach den allgemeinen (§ 19 Abs. 5) und durch die Reform um § 8 Abs. 2 Satz 2 erweiterten Regeln zu beurteilen, die die Prüfungspflicht und

101 102 103 104

Anders wiederum Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 778, 780. Joost, ZIP 2007, 2242, 2245. BGHZ 45, 347; OLG Naumburg v. 13.5.1997 – 1 U 205/96, GmbHR 1998, 239. BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 336 = GmbHR 1996, 279; zur Anwendung auf die Vor-UG Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 43. 105 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, NJW 2006, 509 = GmbHR 2006, 43. 106 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 11 Rz. 32; Karsten Schmidt, hier § 11 Rz. 162; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 11 Rz. 24.

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§ 5a Rz. 17 | Unternehmergesellschaft -möglichkeit hinsichtlich der tatsächlich erfolgten Einlagezahlung erweitern107. Daneben stellt sich die Frage, ob für den Fall, dass tatsächlich eine in bar erbrachte Einlage abredegemäß alsbald wieder, möglicherweise als Darlehen, dem Gesellschafter zurückgezahlt wird, wie bei der „normalen“ GmbH nach § 19 Abs. 5 zu verfahren ist, ebenso bei Aufrechnung gegen die Einlageforderung mit einer vollwertigen Forderung der UG gegen den Inferenten. Sieht man in der Regelung auch eine Vorkehrung für eine Mindestliquidität der Gesellschaft im Sinne des Einlageversprechens, so ist auch ein jederzeit fälliger und werthaltiger Anspruch gegen den Inferenten kein Äquivalent für die effektive Einzahlung, so dass es vorzuziehen ist, diese Art der Einlageleistung als mit § 5a Abs. 2 nicht vereinbar anzusehen108. Hierfür spricht auch, dass die Gesellschafter frei sind, das Stammkapital der Gesellschaft ihren Wünschen entsprechend festzusetzen, so dass es ihnen zugemutet werden kann, es auch effektiv einzuzahlen und der Gesellschaft zu belassen. Andererseits ist dem § 19 Abs. 5 eine Einschränkung bezüglich seiner Anwendbarkeit auf eine UG nicht zu entnehmen109, und es liegt nicht sehr nahe, dass dem Gesetzgeber bei der rechtspolitisch durchaus umstrittenen Entscheidung, eine Leistung an den Gesellschafter zuzulassen, wenn der Rückzahlungsanspruch vollwertig ist, nicht auch die Verhältnisse bei der UG vor Augen gestanden haben sollten110; also ist § 19 Abs. 5 auch unter der Geltung des Volleinzahlungsgebots uneingeschränkt anzuwenden, also einschließlich des § 19 Abs. 5 Satz 2, wonach eine Vereinbarung über das „Hin- und Herzahlen“ dem Registergericht anzuzeigen ist111. 18 c) Die Anwendung des Volleinzahlungsgebots auch auf Kapitalerhöhungen ist auch bei einer

Kapitalerhöhung unter Einsatz von Sacheinlagen zu diskutieren. Dass solche nicht zur Deckung der Einlagepflicht zugelassen sind, sondern allenfalls als Nebenleistungen i.S.d. § 3 Abs. 2 vereinbart sein können, hat zur Folge, dass bei einem satzungsmäßigen Stammkapital von weniger als 25.000 Euro nur Bareinlagen zulässig sind; das gilt auch für eine Kapitalerhöhung, die das Stammkapital noch nicht auf wenigstens diesen Betrag bringt112. Weitere Fragen stellen sich im Hinblick auf die Vereinbarung von Teileinzahlungen, die in § 5a Abs. 2 Satz 1 für die Gründung verboten, aber möglicherweise bei einer Kapitalerhöhung beabsichtigt sind. Wenn das sehr niedrige Gründungskapital einer UG durch Bareinzahlung auf 25.000 Euro erhöht werden soll, aber zunächst nur eine Vierteleinzahlung versprochen wird, kann dies jedoch darauf hinauslaufen, dass am Ende das Stammkapital der GmbH weniger als die Hälfte des gesetzlichen Mindestkapitals beträgt. Das würde bedeuten, dass die Regeln über die Gründung einer normalen GmbH durch den Umweg über die UG überspielt werden; deshalb wird für diesen Fall der Kapitalerhöhung auf das Mindeststammkapital der GmbH eine analoge Anwendung des § 7 Abs. 2 Satz 2 vorgeschlagen113 (obwohl § 56a nur auf § 7 Abs. 2 Satz 1, nicht auf dessen Satz 2 verweist), woraus folgen würde, dass die durch Umwandlung aus der UG entstandene GmbH die Hälfte des gesetzlichen Mindestkapitals (also 50 Prozent von 25.000 Euro = 12.500 Euro) zur Verfügung haben muss; eine Vierteleinzahlung verbunden mit dem bloßen Leistungsversprechen genügt dann nicht, auch wenn andererseits überwiegend bei Transformation in die GmbH mittels Kapitalerhöhung keine 107 Dass die Erweiterung der Möglichkeiten, Nachweise über die Erbringung der Sacheinlagen zu fordern, auf das allgemeine GmbH-Recht nicht übertragen worden ist, gehört nach Heckschen, DStR 2007, 1442, 1447 zu den begrüßenswerten Entscheidungen des Reformgesetzgebers. 108 Weber, BB 2009, 842, 845; Priester in FS G. H. Roth, 2011, S. 573, 578. 109 Heckschen, DStR 2009, 166, 171; Altmeppen, Rz. 18; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 14. 110 Holzner, Die Unternehmergesellschaft, S. 245 ff.; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32. 111 Zu dieser, zu den Voraussetzungen der Erfüllungswirkung gehörenden Pflicht BGH v. 20.7.2009 – II ZR 273/07, GmbHR 2009, 926. 112 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25. 113 Berninger, GmbHR 2011, 953, 955; Klose, GmbHR 2009, 297; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 18 § 5a

Volleinzahlung mehr verlangt wird114. In diese Richtung (Pflicht zur Einzahlung des Mindeststammkapitals der GmbH) hat sich mittlerweile die ganz h.M., getragen von zwei jüngeren obergerichtlichen Entscheidungen, bewegt115. Bei früher teils vertretener, heute aber wohl überholter enger Auslegung bezöge sich § 5a Abs. 2 Satz 2 indes nur auf die Anmeldung der neu gegründeten Gesellschaft zum Handelsregister, so dass für eine Kapitalerhöhung auch ohne Erreichen des Mindeststammkapitals der GmbH konsequent § 56a, § 7 Abs. 2 Satz 1 gelten und damit die Möglichkeit der Übernahme lediglich eines Viertels des Nennbetrages einer Bareinlage und möglicherweise auch einer Erfüllung der Einlageschuld durch die Sacheinlage bestehen würde, das Sonderrecht der UG griffe dann (auch ohne Erreichen der Mindeststammkapitalziffer) nicht mehr ein116. Die strenge Gegenposition würde dagegen dazu führen, dass auch die Volleinzahlungspflicht weiterhin besteht, so dass das Sonderrecht für Kapitalerhöhungen bis zur Mindestkapitalziffer erst dann außer Betracht bleiben könnte, wenn wenigstens dieser Betrag effektiv eingezahlt ist (sodass auch z.B. ein Übergang von der UG zur GmbH nicht vermittels Sachkapitalerhöhung möglich wäre); anders also nur dann, nachdem durch Erfüllung der bei der Erhöhung übernommenen Einlagepflicht der insgesamt effektiv eingezahlte Betrag die Mindestgrenze erreicht worden ist117. Allerdings werden hierdurch die Gesellschafter beim Übergang von der UG zur normalen GmbH schlechter gestellt als bei einer normalen GmbH-Gründung118, was auch nicht dadurch überzeugend erklärt werden kann, dies sei ein systembedingter Preis für die erleichterte Einstiegsmöglichkeit über die UG in die „echte“ GmbH119, was jedenfalls dann nicht recht einleuchtet, wenn einmal die für die UG erforderliche Barleistung erbracht ist. Für die Praxis sollte es daher bei einer Grundsatzentscheidung des BGH bleiben, wonach für die Kapitalerhöhung mit Sacheinlagen das Verbot gemäß § 5a Abs. 2 Satz 2 nicht mehr anwendbar ist, wenn eine die Mindestkapitalgrenze erreichende Erhöhung hierdurch bewirkt werden soll120. Das passt zwar nicht zu der Grundtendenz, die UG in ihrer Funktion als Einstiegsvariante der GmbH bei ihrem Übergang in die GmbH, zu dem sie Rücklagen nicht im-

114 OLG München v. 7.11.2011 – 31 Wx 475/11, GmbHR 2011, 1276 = NZG 2012, 104; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 33; OLG Hamm v. 5.5.2011 – 27 W 24/11, GmbHR 2011, 655; zustimmend Wachter, NJW 2011, 2620, 2623. 115 OLG Celle v. 17.7.2017 – 9 W 70/17, GmbHR 2017, 1034 m. Anm. Wachter; OLG Düsseldorf v. 12.5.2022 – 3 Wx 3/22, BeckRS 2022, 14570 = juris. Wenn dem „Halbaufbringungsgrundsatz“ genügt ist, muss der Geschäftsführer nach § 57 Abs. 2 nur dies und nicht die Fortdauer des ursprünglichen Stammkapitals versichern (OLG Celle v. 17.7.2017 – 9 W 70/17, GmbHR 2017, 1034; zweifelnd dazu Wachter, GmbHR 2017, 1036 ff.). 116 Hennrichs, NZG 2009, 1161 f.; Klose, GmbHR 2009, 294; kritisch gegen eine Besserstellung der UG Wachter, NJW 2011, 2620, 2624. 117 So noch OLG München v. 23.9.2010 – 31 Wx 149/10, GmbHR 2010, 1210 = NJW 2011, 464; ähnlich OLG Stuttgart v. 13.10.2011 – 8 W 341/11, BB 2011, 2690 (nur Leitsatz) = GmbHR 2011, 1275 und OLG Hamm v. 5.5.2011 – 27 W 24/11, GmbHR 2011, 655; zustimmend Priester in FS G. H. Roth, 2011, S. 573, 575; Lieder/Hoffmann, GmbHR 2011, 561, 564; a.M. aber Miras, DB 2010, 2488, 2490; Klose, GmbHR 2010, 1212 f. 118 Bayer/Hoffmann/Lieder, GmbHR 2010, 9, 12; Klose, GmbHR 2010, 1212, 1213; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491. 119 Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 26. 120 BGH v. 19.4.2011 – II ZB 25/10, ZIP 2011, 955 = GmbHR 2011, 699 mit Anm. Bremer, S. 703 f.; OLG Hamm v. 5.5.2011 – 27 W 24/11, GmbHR 2011, 655; OLG Stuttgart v. 13.10.2011 – 8 W 341/11, NZG 2012, 22; ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39; Altmeppen, Rz. 47; im Wesentlichen auch Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28; Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009 114; Schäfer, ZIP 2011, 53, 56; Berninger, GmbHR 2010, 63, 66; Wachter, NJW 2011, 2620, 2622; Priester in FS G. H. Roth, 2011, S. 579; Berninger, GmbHR 2011, 754, 958; dagegen aber Heckschen, DStR 2009, 166, 170; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 779; so auch schon Lieder/Hoffmann, GmbHR 2011, 561, 565.

H. P. Westermann | 511

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

§ 5a Rz. 18 | Unternehmergesellschaft mer wird nutzen können, ganz auf Bareinlagen zu verweisen. Aber mit dem BGH121 kann auch gesagt werden, dass die grundsätzliche Zulassung von Sacheinlagen die Kontrollfunktion des Verfahrens nach §§ 56 ff. nicht beseitigt. Überhaupt sollte im Einklang mit dieser BGH-Entscheidung der maßgebende Zeitpunkt, zu welchem die Sonderbestimmungen des § 5 Abs. 1–4 entfallen, jener Kapitalerhöhung sein, vermöge derer das Mindeststammkapital nach Eintragung derselben erreicht werden wird. Zum Wegfall der für die Unternehmergesellschaft geltenden Sonderregeln durch eine Kapitalerhöhung gemäß § 5a Abs. 5 s. Rz. 29 ff. 19 Im Geltungsbereich des Sacheinlageverbotes wär eine „offene“ Vereinbarung einer Sachein-

lage, auch wenn sie in der Satzung festgelegt wird, wegen des Verstoßes gegen § 5a Abs. 2 Satz 2 nach § 134 BGB nichtig, was ein Eintragungshindernis ist122. Da die Finanzierung ein Teil der Satzung ist, ohne den die anderen Vereinbarungen nicht aufrechtzuerhalten sind, müsste vielfach Gesamtnichtigkeit angenommen werden, was aber schon für das Einlageversprechen nur insoweit bejaht werden sollte, als es als Geldeinlagepflicht aufrechterhalten bleiben kann123. Der Mangel erfasst auch nicht den sonstigen Gesellschaftsvertrag, so dass, wenn trotz des Fehlers eingetragen wird, die Gesellschaft existiert. 20 d) Die ursprünglich vielleicht vorhandene Vorstellung, dass mit § 5a Abs. 2 Satz 2 das Phä-

nomen der sog. verdeckten Sacheinlage erledigt sei, weil es nicht mehr auftreten könne, erscheint voreilig; im Gegenteil hat sich das wissenschaftliche Schrifttum der Frage, ob die „Anrechnungslösung“ des § 19 Abs. 4 oder die frühere Nichtigkeitssanktion für die UG gelten soll, mit großem Aufwand angenommen, obwohl auffällt, dass von den vom BGH zur Anrechnungslösung entschiedenen Fällen124 keiner eine UG betraf und bisher eine höchstrichterliche Entscheidung zur UG fehlt. Im Ausgangspunkt beruht § 19 Abs. 4 auf der Annahme, dass die Vereinbarung einer verdeckten Sacheinlage, deren Begriffsverständnis sich durch die Neuregelung nicht geändert hat125, im Gegensatz zum früheren Recht nicht unwirksam ist, wenn auch eine solche Handhabung den Gesellschafter nicht von seiner Einlagepflicht befreit, so dass er die Differenz zwischen dem Wert der eingelegten Sache und dem Nominalbetrag seines Geschäftsanteils zahlen muss, während die offene Vereinbarung einer Sacheinlage in der Satzung nichtig wäre126. Nun ist über den Zweck des § 19 Abs. 4, der ja an sich auf die UG als GmbH anwendbar sein müsste, bei einer Zusammenschau mit dem Sacheinlageverbot des § 5a Abs. 2 Satz 2 auch nach intensiven Studien der Gesetzesmaterialien kaum Einigkeit zur erzielen127, wenn man es nicht genügen lässt, dass es bei der UG (haftungsbeschränkt) um eine Erleichterung des Gründungsvorgangs für junge Unternehmensgründer gehen sollte, die hierbei nämlich angesichts der geringen Kapitalanforderungen, wie der Gesetzgeber meinte, Sacheinlagen nicht benötigten, die deshalb als „ausgeschlossen“ erklärt wurden. Hiernach

121 BGH v. 19.4.2011 – II ZB 25/10, ZIP 2011, 955, 957 = GmbHR 2011, 699, 701. 122 Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1486; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 779; Weber, BB 2009, 842, 845; Priester in FS G. H. Roth, 2011, S. 573, 576; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24. 123 Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 13. 124 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = NJW 2009, 2375 = GmbHR 2009, 540; BGH v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = NJW 2009, 2375 = GmbHR 2009, 540 – Qivive; dazu Wachter, NJW 2010, 1715; BGH v. 22.3.2010 – II ZR 12/08, NJW 2010, 1948 = GmbHR 2010, 700. Die Entscheidungen betreffen die Folgen der Einbringung von Werten, die als Geldeinlage nicht in Betracht kamen. 125 BGH v. 16.2.2009 – II ZR 120/07, BGHZ 180, 38 = NJW 2009, 2375 = GmbHR 2009, 540 – Qivive; Pentz in FS Karsten Schmidt, S. 1265, 1273. 126 Darauf hinweisend Heckschen, DStR 2009, 166, 171; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1486; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40. 127 Zur Unergiebigkeit der Gesetzesmaterialien Witt, ZIP 2009, 1102, 1104; zur Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte eingehend Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, 2008, S. 174 ff.; Ulmer, GmbHR 2010, 1298, 1301 f.; Pentz in FS Goette, S. 355, 359 ff.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 21 § 5a

tritt sogleich die Frage auf, ob es dann systemgerecht sein kann, die Erleichterungen, die § 19 Abs. 4 für den Fall einer Umgehung der Formalien der Sacheinlage im Auge hat, den Gründern einer UG zu versagen128; andererseits muss man sehen, dass das in § 19 Abs. 4 liegende „Umgehungsprivileg“129 nicht auf ein schlichtes Verbot von Sacheinlagen, wie es für die UG verfügt wurde, sondern auf das Unterlaufen der für solche Finanzierungsmaßnahmen geltenden Vorschriften über Offenlegung und Prüfung reagiert, so dass die Lage bei der UG tatsächlich eine etwas andere ist als bei der normalen GmbH130. Der Unterschied ist freilich nicht groß, da im Fall des § 5a Abs. 2 Satz 2 der Inferent eine Bareinlage schuldet, weil eine Sacheinlage ausgeschlossen ist, während § 19 Abs. 4 davon ausgeht, dass der Inferent auf eine grundsätzlich geschuldete Bareinlage den Wert einer – wirksam – erbrachten Sacheinlage angerechnet bekommt. Demgegenüber bei der UG die Folgen der Vereinbarung einer verdeckten Sacheinlage ganz am bisherigen, den Inferenten stark belastenden Rechtszustand auszurichten, ihn also insbesondere der Gefahr der Doppelzahlung auszusetzen, wäre nicht leicht erklärbar, jedenfalls schwerer einzusehen als die Anwendung der gegenüber dem vor dem MoMiG geltenden Recht erleichternden „Anrechnungslösung“ gemäß § 19 Abs. 4 auch auf die UG131. Nach wie vor nicht auszuschließen ist allerdings ein Verständnis des § 5a Abs. 2 Satz 2 dahin, dass eine Sacheinlage gar nicht, auch nicht mit den ihre Erfüllungswirkung begrenzenden Folgen des § 19 Abs. 4 vereinbart und geleistet werden kann; dann trifft dieses Verbot auch die Absprache über eine Verdeckung der in Wahrheit gemeinten Sachdurch eine Bareinlage, und die Gründer einer UG können nicht in den Genuss der gegenüber der bisherigen Rechtsprechung erleichternden Rechtsfolgenbestimmung gemäß § 19 Abs. 4 kommen. Sie müssen also eine volle Bareinlage leisten und können im Insolvenzfall die geleistete „Sache“ als Gegenstand einer Insolvenzforderung zurückzuholen versuchen132. Das spricht am Ende ebenfalls für die – ergebnisbezogene, aus dem Gesetz nicht direkt ableitbare – Annahme, dass § 19 Abs. 4 auf die UG entsprechend anzuwenden ist133. Allerdings darf der Registerrichter, dem die Absicht der Gründer, eine Sach- statt einer Bar- 21 einlage zu erbringen, bekannt ist, angesichts des Sacheinlageverbots nicht eintragen, wobei auch eine nachträgliche Heilung durch eine satzungsändernde Offenlegung der wahren Sachlage nicht in Betracht kommt134. Unabhängig hiervon muss der Geschäftsführer, auch mit Rücksicht auf die Strafdrohung in § 82 Abs. 1 Nr. 1, den Gesellschaftern klar machen, dass

128 Dies bezweifelte Lutter in Lutter/Hommelhoff, 17. Aufl., Rz. 13, ähnlich Roth in Roth/Altmeppen, Rz. 21. 129 Ulmer, GmbHR 2010, 1298, 1301, 1303. 130 Dazu besonders Ulmer, GmbHR 2010, 1298, 1301, 1303; gerade in diesem Punkt anders die auf eine analoge Anwendung des § 19 Abs. 4 für die UG hinauslaufenden Überlegungen von Pentz in FS Goette, S. 363 ff. 131 Dafür Veil, ZGR 2009, 623, 631; Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1502; im Ergebnis auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29 unter Verweisung auf seine eingehende Stellungnahme in FS Hopt, 2010, S. 941 ff.; im Ergebnis ebenso Altmeppen, Rz. 23 f.; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40; dagegen Bormann/Urlichs in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 37, 38 f., 42; Weber, BB 2009, 842, 845; Miras, Die neue Unternehmergesellschaft, S. 43. 132 So auch Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1486; Bormann, GmbHR 2007, 897, 901; Joost ZIP 2007, 2242, 2244. 133 Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 779; Habersack, DB 2008, 2347, 2349; Veil, ZGR 2009, 623, 631 f.; Römermann, NJW 2010, 905, 907; Wälzholz, GmbHR 2008, 841, 842; Pentz in FS Goette, S. 359 ff.; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 14; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 11; a.M. aber Bormann, GmbHR 2007, 897, 901; Ulmer, GmbHR 2010, 1298, 1301 ff.; Priester in FS G. H. Roth, 2011, S. 573, 577 f.; Weber, BB 2009, 842, 845; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 23. 134 Insoweit ist Ulmer, GmbHR 2010, 1298, 1299, 1303 f. zu folgen; ebenso Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40.

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§ 5a Rz. 21 | Unternehmergesellschaft derzeit das Risiko, mehr als die Differenzzahlung gemäß § 19 Abs. 4 erbringen zu müssen, nicht ausgeräumt werden kann135. 22 e) Vor der Eintragung der Gesellschaft ist nach allgemeinem, für die UG nicht modifiziertem

Recht auch zu prüfen, ob die Gesellschaft nicht überschuldet ist. Der in diesem Tatbestand liegende Insolvenzgrund kann aber auch kurz nach der Eintragung auftreten und liegt insbesondere bei einer mit einem sehr niedrigen Startkapital angetretenen Gesellschaft durch erste Investitionen und mögliche Gründungskosten (dazu schon Rz. 11) tatsächlich ziemlich nahe. Das Problem wurde schon vor Abschluss der parlamentarischen Beratung mit dem Hinweis auf Änderungs- oder Klarstellungsbedarf beim RegE aufgeworfen136, eine generelle gesetzliche Lösung fehlt aber, wenn man von der Kostenregelung (Rz. 8) absieht. Auch sind im Hinblick auf die Notarkosten die Gründer selber Schuldner137, und eine Überwälzung der Kosten auf die Gesellschaft ist nur begrenzt zulässig (Rz. 12). Wendet man also die gewöhnlichen Regeln an138, so ist im Ausgangspunkt klar, dass auch bei der UG das von den Parteien festgesetzte Mindestkapital durch Aktivvermögen oder Rücklagen gedeckt sein muss, und dass dann, wenn das Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht (mehr) deckt, Überschuldung vorliegt; allerdings ist jetzt auch § 19 Abs. 2 InsO anwendbar, der eine durch das FinanzmarktstabilisierungsG veranlasste Neubestimmung des Überschuldungsbegriffs enthält139. Gesellschafterdarlehen, die in diese Berechnung einbezogen werden sollen, müssen danach mit Rangrücktritt versehen sein140, und für die Bewertung kommt es wie auch sonst auf die Fortführungsprognose an, die naturgemäß bei einem sehr niedrigen Stammkapital nur positiv ausfallen kann, wenn und solange unübersehbare unternehmerische Risiken nicht eingegangen werden.

IV. Kapitalaufbringung und -erhaltung bei der Unternehmergesellschaft 1. Zur Systematik des Gesetzes 23 Die Regeln über die Effektivität der Kapitalaufbringung gehören zu den Teilen des GmbH-

Rechts, die trotz seiner grundsätzlichen Anwendbarkeit auf die UG nicht unbesehen hierher übertragen werden können. Das ist für das Gebot der Volleinzahlung und für das Verbot von Sacheinlagen bereits als Besonderheit der Gründung einer UG festgelegt, ohne dass hierdurch die im GmbH-Recht bestehenden Probleme der Kapitalaufbringung sämtlich erledigt wären, so etwa gelegentliche Praktiken wie die Einbringung von Einlagen in einen die Gesellschaft umfassenden Cash-Pool. Vor diesem Hintergrund kann es auch bei der UG vorkommen, dass Verstöße gegen die Regeln der Kapitalaufbringung eine Pflicht eines Gesellschafters begründen, ein zweites Mal auf seine Einlagepflicht zu leisten, was allerdings zu den Meinungsverschiedenheiten um die Behandlung verdeckter Sacheinlagen (Rz. 20) beigetragen hat. Das gilt dann auch im Rahmen von Konzernverhältnissen, in die die UG ebenfalls einbezogen sein kann (Rz. 38). Die Entwicklung in diesem Bereich wird – auch getragen von 135 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41. 136 Von Drygala, NZG 2007, 561, 565 ff.; zum geltenden Recht Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 11. 137 Wachter, GmbHR 2008, 1296 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 2 Rz. 71. 138 Bei der UG gibt es kein Problem einer „notwendigen Überschuldung“, Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13. 139 Eingehend dazu mit Blick auf die UG Wachter, GmbHR 2008, 1296 ff.; Hirte/Knof/Mock, ZInsO 2008, 1217; Bitter, ZInsO 2008, 1097; Veil, ZGR 2009, 623, 628 f. unter Hinweis auf die Folgen der Finanzmarktkrise; s. dazu auch Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; aus insolvenzrechtlicher Sicht dazu Karsten Schmidt, DB 2008, 2467 ff. 140 Veil, ZGR 2009, 623, 628; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 25 § 5a

dem gegenüber der Neuschöpfung des MoMiG verbreiteten Argwohn gegenüber Missbrauchspotentialen – im Hinblick auf Umgehungsversuche der Vertragspraxis im Auge zu behalten sein (Rz. 25).

2. Die gesetzliche Rücklage (§ 5a Abs. 3) Eine Besonderheit der UG im Hinblick auf Kapitalaufbringung und -erhaltung liegt in dem 24 Gebot (§ 5a Abs. 3 Satz 1), in jedem Jahresabschluss ein Viertel des um einen Verlustvortrag geminderten Jahresüberschusses in eine gesetzliche Rücklage einzustellen. Dieses Instrument des Gläubigerschutzes, der durch eine Stärkung der Eigenkapitaldecke des Unternehmens in Gestalt einer Ausschüttungssperre erreicht werden soll141, kann auch zu der Notwendigkeit führen, bei wirtschaftlichen Rückschlägen sowie zur Bedienung des nötigen Fremdkapitals immer wieder neue Mittel „anzusparen“142. Das kann aber auf der anderen Seite auch zu einer Neigung der Gesellschafter führen, doch einen gewissen Rückfluss der eingelegten Mittel an die Gesellschafter zu veranlassen, zumal sie gerade als Existenzgründer vielfach keine sehr hohen privaten Mittel zur Verfügung haben werden. Dabei könnte ein Spannungsfeld zwischen der Freiheit der Wahl eines unter 25.000 Euro liegenden Stammkapitals und den Grundsätzen der Kapitalerhaltung entstehen. a) Die Pflicht zur Bildung der gesetzlichen Rücklage Von der Pflicht zur Bildung einer besonderen gesetzlichen Rücklage wurde erhofft, dass die 25 Gesellschaft innerhalb einiger Jahre die möglicherweise bei der Gründung bestehende Kapitalschwäche durch Thesaurierung und Entstehung einer höheren Eigenkapitalausstattung überwindet143. Die Gesellschafter haben also einen teilweisen Verzicht auf Ausschüttungen bezüglich eines Teils des nach den gewöhnlichen Regeln (§§ 242, 246 HGB) zu ermittelnden Jahresüberschusses zu leisten, wobei die Begründung von der Annahme ausging, bei diesem Gesellschaftstyp werde es häufig Identität von Gesellschaftern und Geschäftsführern geben, so dass diese Personen ihren Lebensunterhalt von den Geschäftsführergehältern bestreiten könnten. Natürlich kann hier das Problem einer verdeckten Gewinnausschüttung auftreten144, was aber nicht immer ganz feste Grenzen festlegt (es sei denn, die Gewinne sind gar nicht entstanden), was bei angemessenen Vergütungen nicht zu besorgen ist. Demgemäß ist bestimmt, dass die Rücklage nur für die in § 5a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1–3 aufgeführten Zwecke, also für eine Kapitalerhöhung nach § 57c sowie zum Ausgleich von Jahresfehlbeträgen und Verlustvorträgen, also nicht zur Gewinnausschüttung, herangezogen werden darf145. Damit erinnert die Zweckbindung der Rücklage an diejenige der gesetzlichen Rücklage gemäß § 150 Abs. 3 AktG, nur dass zu ihrer Bildung ein bedeutend größerer Teil des Jahresüberschusses 141 Von einem „Kunstgriff“ des Gesetzgebers, der einerseits eine „GmbH-Light“ habe zulassen, andererseits „das bewährte Kapitalschutzsystem der GmbH“ möglichst habe beibehalten wollen, spricht Joost, ZIP 2007, 2242, 2245. Von „Kapitalaufholung“ spricht Noack, DB 2007, 1395, 1396, ähnlich Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54; skeptisch bezüglich des Gläubigerschutzes Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114, 117; s. auch Veil, ZGR 2009, 623, 633 ff.; Schäfer, ZIP 2011, 53; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35. 142 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42. 143 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 32. 144 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44. 145 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1082; Weber, BB 2009, 842, 845; zu den Verwendungszwecken eingehend Müller, ZGR 2012, 81, 84 ff. Frühere Zweifel von Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1488 (ähnl. Veil, GmbHR 2007, 1080, 1082, 1083), ob die Rücklage überhaupt zur Deckung von Verlusten dienen darf, sind durch die letzte Gesetzesfassung beseitigt; s. auch J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 21.

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§ 5a Rz. 25 | Unternehmergesellschaft herangezogen werden muss. Es heißt, die Rücklage dürfe unabhängig von ihrer jeweiligen Höhe für die zugelassenen Zwecke eingesetzt werden146, und in der Tat ist eine betragsmäßige Obergrenze nicht vorgesehen. Die Rücklage muss also weiter bedient werden, auch wenn sie zusammen mit dem Stammkapital das gesetzliche Mindeststammkapital der GmbH übersteigt147. Das kann dazu veranlassen, dass bei Erreichen des Mindeststammkapitals die Rücklage zu einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln benutzt wird, was § 5a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 auch erlaubt148. Ebensowenig gilt eine zeitliche Begrenzung der Rücklagenbildung vor ihrer Verwendung für eine Kapitalerhöhung (dazu Rz. 29 ff.). Die die Gesellschafter disziplinierende Kraft einer solchen Regelung mag man höher einschätzen als ihre gläubigerschützende Wirkung, weil zumindest in den ersten Jahren nach der Gründung Gewinne, die die zu zahlenden Geschäftsführervergütungen deutlich übersteigen, nicht immer anfallen werden. Es liegt also etwas daran, dem Thesaurierungsgedanken zuwiderlaufende Zugriffe auf die Rücklage zu verhindern, zumal der „Jahresüberschuss“ nicht unbedingt immer eine real vorhandene Größe ist. Er ist grundsätzlich allein aus effektiv erzielten Jahresüberschüssen zu bilden, Verlustvorträge und Gewinnvorträge gehen in die Berechnung nicht ein149, sie dürfen allerdings aus einer bestehenden Rücklage ausgeglichen werden. Von dem so ermittelten Jahresüberschuss ist dann ein Viertel in die Rücklage einzustellen (zur Folge von Verstößen s. Rz. 26). Dass u.U. längere Zeit gar keine Gewinne gemacht, solche auch nicht ernstlich angestrebt werden, gehört zu den vom Gesetz akzeptierten Besonderheiten des Wirtschaftens in einer UG. Nicht sonderlich realitätsnah erscheint unter diesen Umständen auch eine Satzungsbestimmung oder ein Gesellschafterbeschluss, die eine höhere Zuwendung an die Rücklage vorschreibt. Zur gerechtfertigten Nutzung der Rücklage näher Rz. 28. b) Verstöße und Umgehungsversuche 26 Wie erläutert, haben die Gesellschafter die Möglichkeit, durch Vergütungsansprüche, die

sie selbst festsetzen, den Jahresüberschuss und damit die Rücklage zu vermindern150. Das kann Geschäftsführergehälter, aber auch andere Verträge eines Gesellschafters oder seiner nahen Angehörigen mit der Gesellschaft betreffen, etwa Darlehen, Beratungsverträge, Vermietung und Verpachtung, Lizenzierung. Die Reaktion auf solche Praktiken, die auch durch Maßnahmen der Bilanzierung mit dem Ziel eines „stetigen Gewinnabzugs“151 in einer sowohl die Gesellschafts- als auch die Gläubigerbelange bedrohenden Art vertieft werden können, wird auf verschiedenen Wegen diskutiert. Wenn von einer verbreiteten Meinung § 30 analog angewendet wird, indem die Nicht-Bildung der Rücklage der Ausschüttung von zu erhaltendem Kapital an Gesellschafter gleichgestellt wird152, muss eine planwidrige Lücke in der Regelung des § 5a festgestellt werden, was schwerer zu begründen ist als die einfache Lösung über einen Bereicherungsanspruch der Gesellschaft153. Immerhin könnten die zu § 30 entwickelten Kriterien eines Drittvergleichs und des arms-length-Maßstabs in Missbrauchsfällen zu Ansprüchen der Gesellschaft nach § 31 führen, die die Gläubiger – wie auch einen 146 147 148 149 150

Wachter in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 25, 34. Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46; Altmeppen, Rz. 26. Joost, ZIP 2007, 2242, 2245; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48. Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49. Bormann, GmbHR 2007, 897, 899; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1488; Veil, GmbHR 2007, 1080, 1083; Wicke, Rz. 11; s. auch Joost, ZIP 2007, 2242, 2245; Priester in FS G. H. Roth, 2011, S. 573, 581. 151 Dazu Kessel, GmbHR 2016, 199, 203 mit ausführlicher Erörterung der Methodik der Lösungsversuche. 152 Weber, BB 2009, 842, 845; Müller, ZGR 2012, 81, 92 f.; Hennrichs, NZG 2009, 1165; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43, 49; Altmeppen, Rz. 29. 153 Kessel, GmbHR 2016, 199, 201; zur Kondiktion in diesem Zusammenhang Priester in FS G. H. Roth, S. 582; zweifelnd Müller, ZGR 2012, 81, 92, 94.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 27 § 5a

Bereicherungsanspruch – während eines zehnjährigen Verjährungszeitraums (§ 31 Abs. 3) pfänden könnten, was sich allerdings nicht gut, wie § 31 Abs. 3 vorsieht, auf die Mitgesellschafter des Zuwendungsempfängers erstrecken ließe. Die Übertragung der in der steuerrechtlichen Praxis entwickelten Maßstäbe der verdeckten Gewinnausschüttung auf einen gesellschaftsrechtlich ungeregelten Tatbestand, die auch noch zu Korrekturen der Bilanzen führen muss, ohne dass es im Übrigen noch auf die Feststellung einer Unterbilanz ankommt, überzeugt nicht recht154. Eine Schwäche gegenüber Manipulationen mit der Rücklage155 ist nicht zu befürchten, da für Verstöße gegen die Pflicht zur Rücklagenbildung und zum richtigen Ausweis ihrer bilanziellen Voraussetzungen und Folgen andere Sanktionen in Betracht kommen. So geht schon die Begründung des RegE davon aus, ein Verstoß gegen § 5a Abs. 3 bei der Bilanzierung ziehe die Nichtigkeit der Feststellung des Jahresabschlusses entsprechend § 256 AktG sowie die Nichtigkeit des darauf folgenden Gewinnverwendungsbeschlusses nach sich156. Allerdings muss hier zwischen Verstößen gegen § 256 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 AktG (jeweils analog) unterschieden werden, was praktisch nicht unwichtig ist, weil ein Verstoß gegen die letztgenannte Norm nach 6 Monaten geheilt ist (§ 256 Abs. 6 AktG), der andere erst nach 3 Jahren. Wenn Nichtigkeit des Jahresabschlusses feststeht, tritt aber wieder die Frage auf, nach welcher Norm eine Auskehrung an Gesellschafter zurückzufordern ist. Jedenfalls kann – und muss – die Gesellschafterversammlung, wenn die ihr vorzulegende Bilanz die Pflicht zur Bildung der Rücklage nicht berücksichtigt hat, diese ändern und veranlassen, dass verbotswidrig erfolgte Zahlungen zurückgefordert werden. Kein hierher gehörender Fall liegt vor, wenn andere Buchungsvorgänge, die nicht korrekt sind, den Jahresüberschuss sinken lassen. Freilich ist die Sanktion der Nichtigkeit von Jahresabschluss und Gewinnfeststellung, da die Gesellschafter und zumeist auch der Geschäftsführer hier unter sich sind, nicht unbedingt sehr einschneidend, auch nicht aus der Perspektive des Gläubigerschutzes. Ein – etwa an die Behandlung eigenkapitalersetzender Mittel angeglichenes – „Rücklagenersatzrecht“ bedürfte einer speziellen gesetzlichen Regelung, an der es fehlt157. Solange die UG „kleine Kapitalgesellschaft“ i.S.d. § 267 Abs. 1 HGB ist, unterliegt ihr Jahres- 27 abschluss auch keiner Pflichtprüfung, § 316 Abs. 1 HGB. Die Pflicht auch solcher Gesellschaften zur Einreichung und Veröffentlichung des Jahresabschlusses, also Bilanz und Anhang, nicht aber der Gewinn- und Verlustrechnung (§ 325 Abs. 1, § 326 HGB), wird regelmäßig ebenfalls nicht ohne weiteres zur Aufdeckung von Manipulationen zu Lasten des Jahresüberschusses und damit der Thesaurierung führen158. Ein Informationsrecht einzelner Gläubiger, die die Rückgewähransprüche der Gesellschaft pfänden wollen, hätte angesichts der zu engen Formulierung der §§ 809, 810 BGB durch Gesetz eingeführt werden müssen159. Anders kann es gehen, wenn die Gläubiger in Kenntnis von Bilanzierungsfehlern auf Nichtigkeit des Jahresabschlusses geklagt und dann die daraus entstehenden Rückgewähransprüche der Gesellschaft gepfändet haben160. Schließlich kann es vorgekommen sein, dass ein Geschäftsführer in diesem Zusammenhang gegen seine Pflichten aus § 5a Abs. 3 verstoßen hat, wovon ihn Weisungen der Gesellschafter wegen § 43 Abs. 3 Satz 1 nicht freistellen würden; auch hier sind die Gläubiger dann auf die Heranziehung der Ansprüche der Gesellschaft zu ihrer Befriedigung angewiesen. Eine Schutznorm zugunsten der Gläubiger im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB dürfte die in erster Linie dem Gesellschaftsinteresse dienende Pflicht zur

154 Eingehend Kessel, GmbHR 2016, 199, 203 f.; im Ergebnis auch Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44; anders wohl Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 30. 155 Befürchtung von Römermann, GmbHR 2010, R 241. 156 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 32; dem folgend Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 780; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1488; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 22. 157 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; anders Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1502. 158 Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1488. 159 Das forderten Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1489. 160 Hinweis von Kessel, GmbHR 2016, 199, 201.

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§ 5a Rz. 27 | Unternehmergesellschaft Rücklagenbildung nicht darstellen161. Danach bestehen gegenüber Umgehungsversuchen in diesem Zusammenhang immerhin effektive Hilfsmittel. c) Gerechtfertigte Nutzung der Rücklage 28 Der Funktion der Rücklage im Rahmen der Finanzierung der UG entspricht als Grundsatz

eine Ausschüttungssperre, die auch nicht davon abhängt, ob der zurückgelegte Betrag die Höhe von 25.000 Euro erreicht oder überschreitet162, die Pflicht endet erst, wenn es zur Kapitalerhöhung auf 25.000 Euro gekommen ist. Die zulässigen Verwendungszwecke sind in § 5a Abs. 3 Satz 2 abschließend genannt, wobei der Einsatz für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln (§ 57c) hauptsächlich dem „Hineinwachsen“ der UG in die „normale“ GmbH dient. Ein Einsatz der Rücklage im Rahmen eines „Schütt-aus-Hol-zurück-Verfahrens“ geht dagegen nicht an163. Die in § 5a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 zugelassene Verwendung zum Ausgleich eines Jahresfehlbetrags, soweit er nicht durch einen Gewinnvortrag aus dem Vorjahr gedeckt ist (Nr. 2), muss offen auf Positionen aus dem konkret aufzustellenden und festzustellenden Jahresabschluss und seinen Vorgängern gestützt werden; der Geschäftsführer hat bei der Aufstellung der Bilanz, ebenso die Gesellschafterversammlung bei ihrer Feststellung, den Fehlbetrag durch Ausbuchung aus der Rücklage abzudecken, wenn nicht der Abschluss des Vorjahres einen Gewinnvortrag enthält, aus dem der Fehlbetrag gedeckt werden könnte164. Nicht gestattet ist, unterjährig die Rücklage zur Ausgleichung aufgetretener Verluste einzusetzen. Immerhin müssen, bevor die Rücklage zum Ausgleich eines Fehlbetrages genutzt wird, nicht vorher alle Rücklagen angegriffen worden sein165. Wenn die Rücklage zur Verlustdeckung angegriffen worden ist, bleibt es für die Folgezeit bei der Notwendigkeit, aus etwaigen Gewinnen weiterhin zu thesaurieren, was erst endet, wenn durch Kapitalerhöhung das gesetzliche Mindestkapital erreicht ist. Daneben ist die Frage gestellt worden, ob die gesetzliche Rücklage auch unter dem Schutz des Kapitalerhaltungsgebots gemäß § 30 steht166. Da das Gesetz die umfassende Zweckbindung der Rücklage mit dem Wort „nur“ so ausgedrückt hat, dass die in § 5a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1–3 genannten Verwendungszwecke neben der Benutzung zur Kapitalerhöhung als abschließende Aufzählung zu betrachten sind, und da es für die Reichweite der Ausschüttungssperre nicht auf die Entstehung von Unterbilanz oder auf das Vorhandensein eines Jahresüberschusses im Jahr der Auskehrung ankommt, scheint eine Notwendigkeit, die Rücklage wie das Stammkapital bilanziell durch Aktivvermögen zu decken, bevor Ausschüttungen an die Gesellschafter möglich sind, nicht gegeben. Dies ginge auch über die insoweit klare Formulierung des § 30, die sich nur auf den Schutz des Stammkapitals bezieht, deutlich hinaus. Dass bei gezieltem Gewinnabzug die Folgen auch aus seiner analogen Anwendung des § 30 abgeleitet werden können (Rz. 25), ändert nichts daran, dass die Rücklage (noch) kein nach den Grundsätzen der Kapitalerhaltung (u.U. auch in analoger Anwendung des § 57 AktG167) schutzwürdiges Kapital darstellt. Jedenfalls ist aber die Pflicht zur Bildung und Aufrechterhaltung der gesetzlichen Rücklage mit

161 162 163 164

Auch dazu Kessel, GmbHR 2016, 199, 202. Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 46; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 26. Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 21; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30. 165 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 21; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30. 166 Dafür wohl J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 23; Altmeppen, Rz. 29; dagegen Noack, DB 2007, 1395 f.; Wachter in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 25, 34; Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114, 118; a.M. aber Joost, ZIP 2007, 2242, 2247; Wälzholz, GmbH-StB 2007, 316, 324; Schäfer, ZIP 2011, 53, 58. 167 Vorschlag von Kessel, GmbHR 2016, 199, 203 ff.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 29 § 5a

einer erheblichen Einschränkung der Kapitalflexibilität verbunden168, was vom Gesetz auch so gewollt war.

3. Die Kapitalerhöhung aus der Rücklage Wenn die Rücklage, ihrem hauptsächlichen Zweck entsprechend, zur Kapitalerhöhung ver- 29 wendet wird und das Kapital die gesetzliche Mindesthöhe von 25.000 Euro erreicht hat oder übersteigt, wird die Gesellschaft (auch wenn die Kapitalerhöhung nicht aus der Rücklage finanziert wurde) künftig nach dem gewöhnlichen GmbH-Recht behandelt. § 5a Abs. 5 drückt dies so aus, dass hinfort die Absätze 1–4 der Vorschrift keine Anwendung mehr finden, ohne dass sich die Firmierung ändern muss. Das ist also eine Umwandlung kraft Gesetzes, die auch stattfindet, wenn die Kapitalerhöhung durch Einlagen der Gesellschafter finanziert worden ist169, für die dieselben Regeln gelten wie bei einer Neugründung, solange nicht die Schwelle gemäß § 5 Abs. 2 Satz 2 erreicht ist. Anzuwenden ist auch das Volleinzahlungsgebot und das Verbot von Sacheinlagen170. Somit genügt es nicht, dass die Rücklage den Betrag des Mindeststammkapitals erreicht, sondern es kommt darauf an, dass das Stammkapital auf dem hierfür gesetzlich vorgesehenen Weg, also durch Gesellschafterbeschluss und Registereintragung, auf diesen Betrag erhöht worden ist, wozu nach § 5a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 die Rücklage verwendet werden darf; da es sich hierbei um eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln handelt, müssen auch deren sonstige Voraussetzungen vorliegen (Rz. 30). Der Einsatz eines genehmigten Kapitals i.S.d. § 55a ist zwar möglich, wird aber praktisch kaum in Betracht kommen171. Eine zeitliche Begrenzung der Kapitalaufholung ist vom Gesetz nicht gewollt, ebenso wenig eine Obergrenze für die Höhe der Rücklage, was praktisch bedeutet, dass die Gesellschafter nicht verpflichtet sind, durch Kapitalerhöhung die Sonderregeln des § 5a, damit also auch die Pflicht zur weiteren Bedienung der Rücklage aus Jahresüberschüssen, „abzuschütteln“172. Sie können also auch auf Dauer nach den Regeln über die UG weiterleben und müssen eine Rücklage, die zur Erhöhung des Kapitals auf 25.000 Euro ausreichen würde, hierfür nicht einsetzen. Der Vorgang des Eintretens in die GmbH wird bisweilen als „Umwandlung“ bezeichnet, wobei aber klar ist, dass es sich nicht um einen Fall nach dem UmwG handelt173, da die Veränderung automatisch durch die gültig herbeigeführte Bildung des erhöhten Stammkapitals geschieht. Die Gesellschaft ist vor und nach diesem Vorgang eine GmbH, wenn auch in zwei Varianten, man könnte also von einem Formwechsel sprechen174; es findet also auch keine Gesamtrechtsnachfolge statt175. Allerdings ändert sich die Finanzverfassung, ohne dass aus dieser Formulierung aber Schlüsse auf die nunmehr an-

168 Für eine Verschärfung der Verhaltenshaftung anstelle der Anwendung des § 30 Noack, DB 2007, 1395, 1397. 169 So Begr. RegE zu § 5a Abs. 5, BT-Drucks. 16/6140, S. 32; ebenso Joost, ZIP 2007, 2242, 2246; Veil, ZGR 2009, 623, 626; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56; Altmeppen, Rz. 46. 170 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53; für Einzahlung von mindestens 12500 Euro trotz des Fehlens einer Verweisung auf § 7 Abs. 2 Satz 2, das als planwidrige Regelungslücke im Verhältnis zur normalen GmbH gesehen wird, Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44, dort in Rz. 46 auch zur ausnahmsweisen Zulässigkeit einer Sachkapitalerhöhung. 171 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 58. 172 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1082; Weber, BB 2009, 842, 846; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41. 173 Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1490 f.; so auch die Begr. RegE zu § 5a Abs. 5, BTDrucks. 16/6140, S. 32; der Vorgang wird auch als „upgrade“ bezeichnet, Lieder/Hoffmann, GmbHR 2011, 561; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 36. 174 Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1490 f. 175 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1081.

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§ 5a Rz. 29 | Unternehmergesellschaft wendbaren Rechtsnormen gezogen werden sollten. Am besten ist der Vorgang als das Entfallen eines bis dahin geltenden Sonderrechts zu kennzeichnen176. 30 Wenn die Rücklage für eine Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln eingesetzt wird,

kommt über § 57c Abs. 4 auch § 57d zum Zuge, dessen Abs. 1 verlangt, dass die Rücklage in der letzten Jahresbilanz vor dem Kapitalerhöhungsbeschluss ausgewiesen sein muss, und nach dessen Abs. 2 die Umwandlung der Rücklage nicht stattfinden darf, wenn die Bilanz einen Verlust oder einen Verlustvortrag ausweist. Das würde heißen, dass selbst nach guten Jahren, in denen eine zur Umwandlung ausreichende Rücklage gebildet worden ist, nach einem (einzigen) Verlustjahr nicht einmal dann, wenn der Verlust die Rücklage nicht unter die 25.000 Euro absinken lässt, dieser Weg in die „normale“ GmbH nicht eröffnet wäre177. Das leuchtet indessen nicht ein, vielmehr sollte § 57d Abs. 2 auch in diesem Zusammenhang so verstanden werden, dass die zur Kapitalerhöhung bestimmte Rücklage um den ausgewiesenen Bilanzverlust zu kürzen ist178. Das hält den Wechsel aus der UG offen, wenn das Mindeststammkapital gemäß § 5 erreicht werden kann. Für die Kapitalerhöhung können auch andere als die gesetzlichen Rücklagen eingesetzt werden179. Die Gesellschafter können aus Gesellschaftsmitteln u.U. den Ausweis eines Bilanzverlusts durch Verrechnung mit Rücklagen vermeiden. Wenn eine Einlageleistung durch Sacheinlagen zulässig sein sollte (näher Rz. 25, 27), muss dies wie auch sonst bei Gründung oder Kapitalerhöhung bei der Anmeldung angegeben werden. Formell geschieht die Umwandlung in Gestalt eines Beschlusses der Gesellschafterversammlung, wie den Abs. 2 und 3 des § 57c zu entnehmen ist, und für den nach dem gemäß § 57c Abs. 4 anzuwendenden § 53 Abs. 2 eine notarielle Beurkundung erforderlich ist. Die Beschlussfassung in der Gesellschafterversammlung unterliegt, da es sich um eine Satzungsänderung handelt, nach § 53 Abs. 2 dem Erfordernis einer Dreiviertelmehrheit, so dass es zu Konflikten zwischen Mehrheit und Minderheit kommen kann180, bei deren Beurteilung dann die Motive eine Rolle spielen, die einen Gesellschafter dazu veranlassen können, trotz vorhandener Finanzierungsmöglichkeiten für eine Umwandlung in der Form der UG verbleiben zu wollen, wobei als Ausgangspunkt klar ist, dass es einen Zwang, die UG zu verlassen, nicht gibt181. Da es sich um eine Satzungsänderung handelt, tritt die Wirksamkeit mit der Eintragung im Handelsregister ein182. 31 Eine Ausnahme von Einflüssen der Sonderregeln (Rz. 29) besteht darin, dass nach § 5a Abs. 5

Halbs. 2 die Firma der UG (Rz. 14) beibehalten werden darf. Daran wird freilich kaum jemals ein Interesse bestehen. Andererseits ist im Firmenrecht der Grundsatz der Firmenkontinuität stark genug ausgeprägt, dass der Rechtsverkehr aus der Firmierung nicht den Schluss ziehen könnte, in der Gesellschaft werde weiterhin regelmäßig ein (nicht unerheblicher) Teil des Gewinns in eine Rücklage eingestellt; bzgl. der Höhe des Stammkapitals besteht ohnehin Registerpublizität183. Die Gesellschaft kann sich aber auch für eine Neubildung der Firma mit dem Rechtsformzusatz gemäß § 4 und einer Beibehaltung des Firmenkerns unter Wech-

176 Vom „Wegfall der Sondervorschriften“ spricht Weber, BB 2009, 842, 846; s. auch Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 25; Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 29. 177 Veil, GmbHR 2007, 1080, 2082; ebenso Wachter in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 25, 34. 178 Klose, GmbHR 2009, 294, 298; Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1487. 179 Altmeppen, Rz. 47; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 53; Hennrichs, NZG 2009, 1165. 180 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1083. 181 Zu einem Anspruch von Minderheitsgesellschaftern auf Fassung eines solchen Beschlusses Priester in FS Roth, 2011, S. 582. 182 Klose, GmbHR 2009, 294, 297; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41. 183 Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491 kritisieren dennoch ein Irreführungspotential; ähnlich Heckschen, DStR 2009, 170; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 35. Für Beibehaltung des Rechtsformzusatzes in der Firma Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 28; wie hier auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 35; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61; Altmeppen, Rz. 53.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 32 § 5a

sel des Rechtsformzusatzes entscheiden. Nach heute wohl klar h.M.184 darf die Rücklage, soweit sie nicht für die Erhöhung des Stammkapitals verwendet werde, nunmehr aufgelöst werden. Ein Einwand, die Gläubiger hätten sich auf die Existenz der in der Bilanz ausgewiesenen Rücklage verlassen, so dass die Gesellschafter, wenn sie die Mittel als Gewinn ausschütten wollen, zunächst mit sämtlichen zurückgelegten Mitteln eine Kapitalerhöhung durchführen und anschließend eine Kapitalherabsetzung nach §§ 58, 58b vorzunehmen hätten, ließe die Freiheit unberücksichtigt, in der „normalen“ GmbH mit der Rücklage nach Gesetz und Satzung, im Übrigen nach unternehmerischer Einschätzung zu verfahren, soweit nicht das Gebot der Kapitalerhaltung entgegensteht. Allerdings kann eine Überführung von Werten ins Privatvermögen der Gesellschafter unter Auflösung der Rücklage im Einzelfall einen Tatbestand der Existenzvernichtungshaftung erfüllen; von der Schaffung einer auf die UG oder auch nur auf ihren Wechsel in die „normale“ GmbH bezogenen Durchgriffshaftung wurde aber mit Recht abgesehen, da dies kein auf die UG beschränktes Problem ist185. Auch eine Pflicht, das Kapital bei höheren Bedürfnissen des Unternehmens „mitwachsen“ zu lassen, besteht nicht, da der Gesetzgeber unmissverständliche Regeln über das Mindestkapital getroffen hat. Zur offenen oder gar gezielten Unterkapitalisierung s. Rz. 8. Das Gesetz befasst sich nicht mit dem Fall des Wechsels einer GmbH in eine UG, die sicher 32 nicht im Sinne der gesetzlichen Neuschöpfung liegt, die als Einstiegsvariante gedacht war, und auch das UmwG sieht eine Umwandlung zweier Varianten einer Rechtsform nicht vor. Der Weg über eine Kapitalherabsetzung unter das gesetzliche Mindeststammkapital ist nach § 58 Abs. 2 Satz 1 (s. auch § 58a Abs. 4 Satz 1) nicht zulässig186. Möglich – abgesehen von Fällen mit Manipulationsverdacht – wäre, dass die GmbH eine Tochter in der Rechtsform der UG gründet und sich sodann auf diese verschmilzt187; dies alles ist allerdings mit Rücksicht auf die Publizität der Vorgänge gewiss nicht praktikabel. Anders ist die Rechtslage bei einem Versuch beurteilt worden, eine als GmbH gegründete Vorgesellschaft, die (aus der Zeit vor dem MoMiG stammend) über Jahre hinweg nicht zur Eintragung angemeldet worden war, jetzt durch Satzungsänderung zu einer UG mit einem deutlich niedrigeren, aber voll eingezahlten Stammkapital werden zu lassen. Dies hat das OLG Frankfurt, da es sich um eine Vor-GmbH handelte, nicht als Herabstufung einer GmbH zur UG, sondern als Neugründung gelten lassen, obwohl die Regeln über eine Neugründung gerade nicht eingehalten waren188. In der Tat scheint angesichts der fortbestehenden Haftung der Gründer ein Verbot unter Gesichtspunkten des Gläubigerschutzes nicht erforderlich. Kaum zu überwinden ist aber das Bedenken, dass angesichts des offenbar lange zurückliegenden Entschlusses, die Gründung der GmbH nicht weiterzubetreiben, diese als Kapitalgesellschaft untergegangen war und eine Umwandlung der Personengesellschaft in eine UG durch bloßen Beschluss nicht in Betracht kommt189.

184 Der Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 32 l.Sp. folgend Joost, ZIP 2007, 2242, 2247; Gehrlein, Der Konzern 2007, 781; Hennrichs, NZG 2009, 1161, 1166; Veil, ZGR 2009, 623, 632; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59. 185 Ebenso Veil, GmbHR 2007, 1080, 1085; a.M. aber Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491. 186 Heckschen, DStR 2009, 166; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Paura in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 62; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 70; s. auch Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1499; abweichend Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084. 187 Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1500; folgend Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62. 188 OLG Frankfurt v. 20.12.2010 – 20 W 388/10, GmbHR 2011, 984; dazu Wachter, GmbHR 2011, 986. 189 Insoweit ist Wachter, GmbHR 2011, 986, 987 zu folgen.

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§ 5a Rz. 33 | Unternehmergesellschaft

4. Die Pflicht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung (§ 5a Abs. 4) 33 Eine Besonderheit der UG ist die in § 5a Abs. 4 dem Geschäftsführer vorgeschriebene unver-

zügliche Einberufung der Gesellschafterversammlung bei drohender Zahlungsunfähigkeit. Damit ist neben dem ohnehin stets zu beachtenden § 49 Abs. 2 offensichtlich der in § 18 Abs. 2 InsO angesprochene Zeitpunkt gemeint190, auf den es ankommen soll, weil bei der UG die Information der Gesellschafter über eine so schwere Krisensituation zum sofortigen Handeln zwingen soll, wofür die Anknüpfung an den Verlust der Hälfte des Stammkapitals (im Sinne des § 49 Abs. 3) nicht genüge191. Für eine Rettung der Gesellschaft ist dieser Zeitpunkt gewiss der letztmögliche. Das ändert nichts daran, dass auch ein Tatbestand gemäß § 49 Abs. 3 eine Krise signalisiert, was gemäß § 49 Abs. 2 Anlass zu einer Einberufung der Gesellschafterversammlung sein kann. Wenn deshalb im Schrifttum – wenn auch hauptsächlich in der Vorstellung, dass der Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit i.d.R. zur Bekämpfung der Krise zu spät liegen wird – die Forderung erhoben wird, dass durch § 5a Abs. 4 die Verlustanzeigepflicht gemäß § 49 Abs. 3 nicht verdrängt werden dürfe192, so ist einzuräumen, dass bei der UG, die ja eine GmbH ist, die Anwendung der Norm sinnvoll erscheint. Der Wortlaut des § 5a Abs. 4, der die Anzeigepflicht bei drohender Zahlungsunfähigkeit abweichend von § 49 Abs. 3 begründet, lässt sich – bei einiger Bereitschaft zur Rechtsfortbildung – auch als Kumulation beider Regelungen interpretieren. Schließlich wird der Geschäftsführer schon in Beachtung seiner allgemeinen Pflichten bei einer für die Gesellschafter nicht schon mit Händen zu greifenden Krisensituation die Gesellschafterversammlung einberufen und auf Maßnahmen der hierfür zuständigen Anteilseigner zu drängen haben193. Bei drohender Zahlungsunfähigkeit muss dann eine Prognose über die künftige Liquiditätsentwicklung stattfinden, bezogen auf die Fälligkeit der bei der Einberufung übersehbaren Verbindlichkeiten. Die Einberufung einer besonderen Versammlung ist entbehrlich, wenn alle Gesellschafter zugleich Geschäftsführer sind. Nicht geregelt ist – und wäre auch nicht zu erwarten –, was die einberufenden Gesellschafter nun zu unternehmen haben, auch eine spezielle Sanktion einer Verletzung der Einberufungspflicht fehlt, so dass es bei der Anwendung des § 43 bleibt194. Die Strafsanktion gemäß § 84 gilt für diese Pflicht nicht195.

V. Die Unternehmergesellschaft als Gestaltungsinstrument 1. Gründungsphase 34 Neben der in Rz. 32 erörterten „Umwandlung“ einer Vor-GmbH in eine UG kann die gesetz-

liche Verfassung der UG in einigen Punkten Anreize zu Gestaltungen bieten, die schon aus dem allgemeinen GmbH-Recht bekannt sind. Da der finanzielle Aufwand für die Gründung

190 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1083; Joost, ZIP 2007, 2242, 2248; Weber, BB 2009, 842, 846; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52; zu den Gründen auch Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1502. 191 Begr. RegE, BT-Drucks. 16/6140, S. 32. 192 Noch de lege ferenda Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1489; Joost, ZIP 2007, 2242, 2247; schon de lege lata Weber, BB 2009, 842, 846; für eine Verdrängung des § 49 Abs. 3 Goette, WPg 2008, 231, 237. 193 Dazu Veil, ZGR 2006, 374 ff.; H. P. Westermann, DZWiR 2006, 158 ff.; für eine Abweichung von § 49 Abs. 3 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 64; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27. 194 Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53. 195 Altmeppen, Rz. 42; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 68.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 35 § 5a

der UG nicht hoch zu sein braucht, ist sie u.U. interessant für Vorratsgründungen196, zumal ein Erwerber keine großen Schwierigkeiten haben wird, später eine Umwandlung in eine „normale“ GmbH mit einer weniger hinderlichen Firmierung und ohne die Pflicht zur Bildung der gesetzlichen Rücklage durch Einlage von Kapital zu vollziehen. Allerdings sind für die eigentliche Gründung die Anforderungen an die Angabe des Unternehmensgegenstandes (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 28 ff.) zu beachten, und der entstandene Mantel muss bei seiner späteren Verwendung im Einklang mit den zuletzt deutlich präzisierten Anforderungen der Handelndenhaftung bei einer „wirtschaftlichen Neugründung“197 wie auch mit den Gründungserfordernissen einer UG stehen und gehalten werden. Das bedeutet namentlich, dass nur Bareinzahlung der Einlagen in Betracht kommt und das bei Errichtung der Vorratsgesellschaft vorhandene Stammkapital nicht angetastet werden darf (im Einzelnen zur Vorratsgründung 13. Aufl., § 3 Rz. 181 ff.). Wenn aber das für die UG bei ihrer Entstehung vereinbarte Stammkapital nicht hoch ist, dürfte die Einhaltung dieser Ansprüche einschließlich der Hindernisse bei einer Rückzahlung der Bareinlage möglich sein. Auch wenn ein „gebrauchter“ UG-Mantel erworben wird, was zugelassen wird198, bleiben die Regeln über die Bar- und die Volleinzahlung in vollem Umfang relevant. Auch wenn es sich hierbei um einen so genannten „leeren Mantel“ handelt, wird die hier bestehende Notwendigkeit, Gründungsformalitäten nachzuholen (13. Aufl., § 3 Rz. 189 ff.), kaum ein Hindernis für die „Belebung“ des Mantels bilden. Ein formales Vorgehen ist aber besonders im Hinblick auf das Misstrauen, das einer UG einstweilen noch entgegengebracht wird, durchaus zu empfehlen. Ohnehin dürfte aber die Vollgründung einer UG meistens gegenüber dem Erwerb eines Mantels, insbesondere wenn dieser über den kommerziellen Handel mit Vorratsgesellschaften geschieht, der einfachere Weg sein.

2. Die UG im Umwandlungsrecht Die UG kann, obwohl sie eigentlich nur als Einstiegsform in die normale GmbH gedacht 35 war, doch Gegenstand von Umwandlungen nach Maßgabe des UmwG sein199, auch für einen Formwechsel gemäß § 190 UmwG. Allerdings stellt der Weggang aus der UG einen Formwechsel in diesem Sinne nicht dar200. Denn das Verfahren mit Umwandlungsbericht und Umwandlungsbeschluss scheint nicht erforderlich, wenn durch eine bloße Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln, der es ja auch bedürfte, um künftig als GmbH existieren zu können, dieser Wechsel ermöglicht wird. Bei allen Umwandlungsformen ist allerdings zu beachten, dass das Stammkapital nicht durch Einbringung des Vermögens einer umzuwandelnden Gesellschaft als Sacheinlage aufgebracht werden darf201, weshalb Verschmelzung und Spaltung zur Neugründung einer UG nicht in Betracht kommen. Generell ist zu unterscheiden zwi-

196 So auch Joost, ZIP 2007, 2242, 2248; Waldenberger/Sieber, GmbHR 2009, 114, 122; Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, 2009, S. 85 f.; J. Schmidt in Michalski u.a., Rz. 43. 197 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032 mit Anm. Bayer, S. 1034. 198 Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13. S. dazu auch Bayer/Hoffmann, GmbHR 2018, 1156, 1161. 199 Zum Grundsatz Bormann, GmbHR 2007, 897, 899; Weber, BB 2009, 842, 846; Hennrichs, NZG 2009, 1161, 1163; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; eingehend Heckschen, Das MoMiG in der notariellen Praxis, 2009, S. 87 ff. 200 Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1185, 1491; Tettinger, Der Konzern, 2008, 75, 76; Heckschen, DStR 2009, 166, 171; Berninger, GmbHR 2011, 953, 958; Rieder in MünchKomm. GmbHG, Rz. 58; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 18. 201 So (zu einer Spaltung) BGH v. 11.4.2011 – II ZB 9/10, GmbHR 2011, 701 = NJW 2011, 1883; OLG Frankfurt v. 9.3.2010 – 20 W 7/10, GmbHR 2010, 920 = NZG 2010, 1429; s. ferner Heinemann, NZG 2008, 820; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64.

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§ 5a Rz. 35 | Unternehmergesellschaft schen einer formwechselnden (mit der UG als Zielrechtsform) und einer übertragenden Umwandlung, in deren Zug die UG aufgelöst wird, und der Heranziehung einer UG als aufnehmender oder neu zu gründender Rechtsträger202. Eine Umwandlung aus der UG als selbständigem Rechtsträger in eine Personenhandelsgesellschaft ist möglich, da die Personengesellschaften kein bestimmtes gebundenes Haftkapital erfordern203, wobei ein Formwechsel sich nach §§ 247, 243 UmwG richtet. Auch eine Verschmelzung einer UG als übertragendem Rechtsträger auf eine Personenhandelsgesellschaft oder eine andere Form der Kapitalgesellschaft, bei der es also zu einer Aufgabe der Rechtsform der UG als Einstiegsvariante der GmbH kommt, ist danach aus der Sicht der übertragenden UG möglich204, während es beim aufnehmenden Rechtsträger zu einer Sachgründung kommt, die bei einer UG an § 5a Abs. 2 Satz 2 scheitern kann. Die Gefahr einer Verletzung des Verbots von Sacheinlagen tritt aber nicht ohne weiteres auf, wenn es sich um eine Verschmelzung durch Neugründung handeln sollte (ähnlich zur Gründung durch Abspaltung Rz. 11). Anders u.U., wenn eine bereits bestehende UG als Zielgesellschaft an einer Verschmelzung durch Aufnahme (§ 2 Nr. 1 UmwG) oder Spaltung durch Aufnahme (§ 123 Abs. 1 Nr. 1 UmwG) beteiligt werden soll. Soweit hier – etwa für die Zuteilung von Anteilen an die Gesellschafter der übertragenden UG – eine Kapitalerhöhung erforderlich ist, sind aber die Regeln über Bar- und Sachkapitalerhöhung auf ein Stammkapital unter oder über 25.000 Euro (Rz. 29) anzuwenden205; dies ist nach der Judikatur zur Gründung der UG durch Abspaltung (Rz. 11) trotz der Argumente aus dem Umwandlungsrecht wohl als h.M. anzunehmen. Verbreitet wird auch die Möglichkeit einer Umwandlung von Kapitalgesellschaften in eine UG verneint, was bei GmbH und AG daran liegt, dass mit dem für diese Rechtsformen erforderlichen Stammkapital die für die UG gesetzte Höchstgrenze von 25.000 Euro überschritten würde206, so dass bei einer Kapitalgesellschaft eine Kapitalherabsetzung stattfinden müsste, durch die ebenfalls eine reguläre GmbH oder AG entstehen würde207. Bezüglich des Wechsels aus einer Personengesellschaft in eine UG besteht das Bedenken wiederum darin, dass die Einbringung des von der Personengesellschaft gehaltenen Vermögens in die UG und die damit zu bewerkstelligende Aufbringung des Stammkapitals der UG gegen das Verbot von Sacheinlagen verstieße208; es bleibt dann nur, bei dieser Gelegenheit die UG zur GmbH „heraufzustufen“209. Ausnahmen sind zu erwägen, wenn eine GmbH – möglicherweise sogar im Stadium der Unterbilanz – auf eine neu gegründete gesellschaftergleiche UG verschmolzen werden soll (down-stream-merger). 36 In den Fällen des § 54 UmwG, also hauptsächlich bei einem up-stream oder einem down-

stream-merger, darf der übernehmende Rechtsträger für die Verschmelzung keine Kapitalerhöhung durchführen, so dass hier eine Umwandlung auf die UG möglich sein müsste210. Die auch hier bestehenden Zweifel, ob der Einsatz einer UG als aufnehmender Rechtsträger 202 Heinemann, NZG 2008, 820; Weber, BB 2009, 842, 846; Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1500; Berninger, GmbHR 2011, 953, 958 ff.; Werner, GmbHR 2011, 460, 463; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 18. 203 Berninger, GmbHR 2011, 953, 958; Heinemann, NZG 2008, 820 ff. 204 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63, 66; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 18; Wicke, Rz. 16. 205 Berninger, GmbHR 2011, 953, 960; Werner, GmbHR 2011, 460, 463; Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1500; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18. 206 Näher Heinemann, NZG 2008, 820 f.; Weber, BB 2009, 842, 847. 207 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 69. 208 Heinemann, NZG 2008, 820, 821. 209 Über Ausnahmen für den Fall einer Mutter-Tochter-Verschmelzung Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1500; zur Lösung über ein „Anwachsungsmodell“ Tettinger, Der Konzern 2008, 75, 78. 210 Berninger, GmbHR 2011, 953, 960 auf der Grundlage der durch die Einfügung des § 54 Abs. 1 Satz 3 UmwG entstandenen Rechtslage.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 38 § 5a

mit ihrem „transitorischen Charakter“ vereinbar ist211, lassen sich angesichts der Möglichkeit, trotz einer hinreichend hohen Rücklage länger in der Sonderform der UG zu verbleiben (Rz. 29), was ja auch auf Uneinigkeit der Gesellschafter beruhen kann, wohl überwinden. Immerhin mag im Rahmen einer Unternehmensgruppe für einen begrenzten Zeitraum auch die nur einem speziellen Ziel dienende Verwendung eines solchen Rechtsträgers sinnvoll sein. Es könnte sein, dass nach dem erfolgreichen Start der UG ins deutsche Recht Überlegungen 37 angestellt werden, eine bereits bestehende, mit nur sehr geringem Stammkapital ausgestattete Ltd. englischen Rechts, deren Ansehen in der Praxis ja gelitten hat, in eine UG deutschen Rechts umzuwandeln. Dies stößt auf mehrere Bedenken. § 1 Abs. 1 UmwG geht davon aus, dass das Gesetz nur „Rechtsträger mit Sitz im Inland“ betrifft, was die Anwendbarkeit der Regeln auf Rechtsträger mit einem Satzungssitz in Deutschland beschränkt. Für Verschmelzungen, Auf- und Abspaltungen ist die Beschränkung der Teilnahmefähigkeit auf Gesellschaften mit Satzungssitz im Inland unter dem Gesichtspunkt der europarechtlichen Überlagerung der Sitztheorie durch Judikatur des EuGH problematisch. Die Vorstellung, insoweit sei das Recht beider beteiligten Gesellschaften zu beachten, kann sich auf Hinweise in der Judikatur des EuGH berufen, wonach Art. 49 und 54 AEUV anwendbar sind, wenn die beteiligten Unternehmen ihren Sitz in der Europäischen Union haben. Dies ist aber nach der Sevic-Entscheidung und der Umsetzung der 10. Richtlinie durch das 2. Gesetz zur Änderung des UmwG durch die Einführung der §§ 122a bis l UmwG nicht mehr sicher, so dass es jetzt näher liegen könnte, beim Formwechsel eines einzigen Rechtsträgers, der die Niederlassungsfreiheit nicht berührt, jedenfalls innerhalb Europas von der Gründungstheorie auszugehen und das deutsche Umwandlungsrecht als Teil des Gesellschaftsrechts nur auf einen nach deutschem Recht gegründeten und hier weiterhin inkorporierten Rechtsträger anzuwenden212. Die Richtlinie zur Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten, die am 15.12.2005 in Kraft getreten ist213, erfasst die Umwandlung, an der nur ein Rechtsträger beteiligt ist, nicht ausdrücklich. Das Problem, das besonders für nach englischem Gründungsrecht lebende Gesellschaften nach einem „Brexit“ praktisch werden wird, ist in 12. Aufl., Anh. § 4a Rz. 77) näher behandelt worden.

3. Die UG als Konzerngesellschaft Die Einsetzbarkeit einer UG in einem Konzern, angesichts ihres Charakters als Kapitalgesell- 38 schaft grundsätzlich möglich214, wird im Hinblick auf einen Vertragskonzern für fraglich gehalten215, weil Weisungsrechte in die Handhabung der Sonderregelung der UG, namentlich das Thesaurierungsgebot, eingreifen könnten. Es kann aber für eine solche Gestaltung durchaus praktische Gründe geben. Zum Gewinnabführungsvertrag s. Rz. 39. Soweit über die Mitgliedschaft „faktische“ Verbindungen vermittelt werden, ist die Entstehung von Abhängigkeit nicht zu vermeiden, sowohl mit einer UG als herrschendem als auch abhängigem Unternehmen. Damit besteht auch das Bedürfnis nach einer Reglementierung der hieraus fließenden Einwirkungsmöglichkeit im Interesse außenstehender Gesellschafter und Gläubiger einer abhängigen Gesellschaft, obwohl auch hier wie bei der GmbH eine grundsätzlich

211 212 213 214

Freitag/Riemenschneider, ZIP 2007, 1485, 1491; anders wohl Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084. Im Einzelnen dazu Drygala in Lutter, § 1 UmwG Rz. 4 ff., 15. Dazu Neye, ZIP 2005, 1893; Teichmann, ZIP 2006, 361. Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 72; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 37. 215 Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084; a.M. Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1503, Schäfer, ZIP 2011, 53, 59; dem folgend Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76; s. auch Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 37.

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§ 5a Rz. 38 | Unternehmergesellschaft nicht verbotene Leitungsmacht aus der Ausübung der Mitgliedschaftsrechte entstehen kann; dem kann durch entsprechende Anwendung des § 300 AktG Rechnung getragen werden, allerdings mit der Maßgabe, die hier vorgesehene Frist auf 10 Jahre zu verlängern216. Die Gesellschafter, auch ein „herrschender“, müssen sich allerdings sowohl beim Aufbau der Gesellschaft als auch bei der Führung des Unternehmens an die besonderen Regeln über die UG halten. Dies steht einem Abziehen von Mitteln für Konzernzwecke ebenso entgegen wie die stärkere Bindung der Rücklage. Umgekehrt ist bei einer Verwendung der UG als Holding zu beachten, dass Leistungen der Töchter an die Konzernspitze angesichts der bei ihr dann regelmäßig bestehenden Kapitalschwäche unter dem Aspekt der Kapitalerhaltung (§ 30) bedenklich sein können. 39 Bei einem Gewinnabführungsvertrag, aufgrund dessen die UG ihren gesamten Gewinn ab-

zuführen hat, kann dem Thesaurierungsgebot nicht mehr Genüge geschehen; der Folgerung, darum einen solchen Unternehmensvertrag ganz abzulehnen, steht freilich der Umstand entgegen, dass die abhängige UG nunmehr nach § 302 AktG gegen das herrschende Unternehmen den Anspruch auf Verlustausgleich hat, so dass aus der bloßen Gewinnabführungspflicht keine Gläubigergefährdung folgt. Ein Teil-Gewinnabführungsvertrag mag unter Berücksichtigung des Thesaurierungsgebots vorstellbar sein, auch kann die Rücklagenbildung nach dem Gebot des § 300 Nr. 1 AktG entsprechend herangezogen werden217, doch werden die steuerrechtlichen Zwecke, die gewöhnlich mit dem Ergebnisabführungsvertrag verbunden sind, bei einer solchen Beschränkung der abzuführenden Beträge nicht mehr gesichert sein218. Ferner darf es auch hier nicht gestattet sein, durch Entnahmen aus den Rücklagen den Jahresüberschuss und damit den abzuführenden Betrag zu erhöhen219. Aufgrund eines bloßen Beherrschungsvertrages könnte das herrschende Unternehmen Weisungen erteilen, die sich auf die Ermittlung des für die Rücklagenbildung maßgeblichen Jahresüberschusses beziehen könnten, ohne damit gleich einen Jahresfehlbetrag zu begründen; da somit auch nicht ohne weiteres eine Ausgleichungspflicht i.S.d. § 302 AktG entstünde, sind solche Weisungen gegenüber einer abhängigen UG rechtswidrig und dürfen nicht befolgt werden.

4. Die UG als Komplementärin einer KG 40 Der UG wurde von Anfang an für die Rolle als Komplementärin einer KG eine gewisse Zu-

kunft vorhergesagt220. Das ist angesichts der großen Freiheit in der Bestimmung ihres „haftenden“ Stammkapitals plausibel. Allerdings steht die häufige, wohl schon gängige gesellschaftsvertragliche Regelung, dass die Komplementärin am Kapital der KG nicht beteiligt ist, praktisch einer Beteiligung am Gewinn der KG, die die UG für die Bildung eines eigenen Jahresüberschusses und damit zur Rücklagenbildung einsetzen soll, entgegen221, was sich auch dann nur unwesentlich ändert, wenn der Komplementärin ein Anspruch auf Erstattung ihrer Kosten, etwa in einer ihr geschuldeten Geschäftsführervergütung, eingeräumt wird.

216 Dazu Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084, dem auch Weber, BB 2009, 842, 847, gefolgt ist; wohl auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 37; dieselbe Situation hat bezüglich der gesetzlichen Rücklage bei der AG keine Beschränkungen begründet, s. auch Rubel, GmbHR 2010, 470. 217 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 37; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 76. 218 So auch Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084. 219 So für die konzernrechtliche Beurteilung aus der Sicht der UG Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497, 1503. 220 Römermann/Passarge, ZIP 2009, 1497 ff.; Berninger GmbHR 2011, 953; s. auch schon Wachter, NZG 2009, 1263 ff.; Karsten Schmidt, DB 2006, 1096, 1098. 221 S. dazu Veil, GmbHR 2007, 1080, 1084; Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 779; Wachter in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 35, 33; kritisch auch Heeg, DB 2009, 719 ff.; Priester in FS G. H. Roth, 2011, S. 573, 583; dagegen aber Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73; Pfisterer in Saenger/Inhester, Rz. 29; im Ergebnis auch Müller, ZGR 2012, 81, 103.

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Unternehmergesellschaft | Rz. 40 § 5a

Man könnte allerdings auch eine solche Kostenerstattung im Einzelfall als Gewinn i.S.d. § 5a Abs. 3 betrachten222, was allerdings kaum dem gesetzlichen Vorstellungsbild und dem transitorischen Charakter der UG entspricht. Richtig ist aber, dass die UG durch § 5a Abs. 3 nicht verpflichtet werden sollte (und konnte), Jahresüberschüsse zu erwirtschaften, und dass ihr Zweck als Komplementärin einer KG auch dann nicht verfehlt wird, wenn sie es ist, die im eigenen Namen, wenn auch für Rechnung der KG, Geschäfte abschließt, die die Entstehung eines Jahresüberschusses bei ihr verhindern223. Möglicherweise hilft auch hier wieder ein durch Analogie zu § 300 AktG hergeleiteter Zwang, Höhe und Fristigkeit der Rücklagen der UG so zu bestimmen, dass den Ansprüchen an die Kapitalaufbringung genügt wird224. Zu weit ginge es dagegen, die Regelung eines KG-Gesellschaftsvertrages, in dem eine Gewinnbeteiligung der Komplementärin ausgeschlossen wird, als Verstoß gegen § 5a Abs. 3 als eine Verbotsnorm i.S.d. § 134 BGB zu qualifizieren, zumal sich die Norm kaum gegen die Kommanditisten richtet225 und ein Thesaurierungsgebot in der KG, solange keine Einlagenrückgewähr stattfindet, nicht besteht. Sodann können sich die Gläubiger einer GmbH & Co. KG, was die Leistungsfähigkeit der Komplementärin anbelangt, auch nur darauf verlassen, dass das aus dem Register ersichtliche Stammkapital einmal effektiv aufgebracht worden ist. Es erscheint auch nicht angebracht, die UG durch Zuweisungen zu der Zwangsrücklage gewissermaßen „komplementär-fähig“ zu machen, was u.U. totes Kapital schaffen würde226. Deshalb spricht mehr dafür, die Figur der UG & Co. KG ohne bedeutende Einschränkung zuzulassen227, so dass es insbesondere keiner Vertragsregelung bedarf – an die man sonst hätte denken können –, die der Komplementärin zwar eine Gewinnbeteiligung, aber keinen Kapitalanteil und kein Stimmrecht einräumen würde. Die Firmierung der KG muss die Position der Komplementärin durch die volle Firma der UG einschließlich des Rechtsformzusatzes verlautbaren228, auch um der Gefahr einer Rechtsscheinhaftung wegen unzulässiger Firmierung (Rz. 14) zu entgehen.

222 Kock/Vater/Mraz, BB 2009, 848, 849; im Ergebnis ähnlich Schäfer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 8; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 74. 223 Stenzel, GmbHR 2009, 168, 170 f.; ähnlich Kock/Vater/Mraz, BB 2009, 848, 850; s. auch Hirte, ZInsO 2008, 933, 935; Veil, ZGR 2009, 623, 641. 224 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 36; sympathisierend auch Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73. 225 Auch dazu Stenzel, GmbHR 2009, 168 ff.; Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72. 226 Müller, ZGR 2012, 81, 105. 227 Paura in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73; Heckschen, DStR 2009, 171; eingehend Römermann/ Passarge, ZIP 2009, 1497, 1499; stark einschränkend dagegen Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 36: entsprechende Anwendung des § 300 Abs. 1 AktG mit Dotierung der Rücklage während des Zeitraums von 10 Jahren; dagegen aber Müller, ZGR 2012, 81, 105. 228 Bormann, GmbHR 2007, 897, 899; gegen Umgehungsversuche KG v. 8.9.2009 – 1 W 244/09, NZG 2009, 1159 mit Bespr. Wachter, S. 1263 ff.; Schulte, GmbHR 2010, 1121, 1129.

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§6 Geschäftsführer (13. Auflage 2022) (1) Die Gesellschaft muss einen oder mehrere Geschäftsführer haben. (2) Geschäftsführer kann nur eine natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Person sein. Geschäftsführer kann nicht sein, wer 1. als Betreuter bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt (§ 1903 [ab 1.1.2023: § 1825] des Bürgerlichen Gesetzbuchs) unterliegt, 2. aufgrund eines gerichtlichen Urteils oder einer vollziehbaren Entscheidung einer Verwaltungsbehörde einen Beruf, einen Berufszweig, ein Gewerbe oder einen Gewerbezweig nicht ausüben darf, sofern der Unternehmensgegenstand ganz oder teilweise mit dem Gegenstand des Verbots übereinstimmt, 3. wegen einer oder mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten a) des Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens (Insolvenzverschleppung), b) nach den §§ 283 bis 283d des Strafgesetzbuchs (Insolvenzstraftaten), c) der falschen Angaben nach § 82 dieses Gesetzes oder § 399 des Aktiengesetzes, d) der unrichtigen Darstellung nach § 400 des Aktiengesetzes, § 331 des Handelsgesetzbuchs, § 313 [nach RegE UmRUG: § 346] des Umwandlungsgesetzes oder § 17 des Publizitätsgesetzes oder e) nach den §§ 263 bis 264a oder den §§ 265b bis 266a des Strafgesetzbuchs zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist; dieser Ausschluss gilt für die Dauer von fünf Jahren seit der Rechtskraft des Urteils, wobei die Zeit nicht eingerechnet wird, in welcher der Täter auf behördliche Anordnung in einer Anstalt verwahrt worden ist. Satz 2 Nummer 2 gilt entsprechend, wenn die Person in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einem vergleichbaren Verbot unterliegt. Satz 2 Nr. 3 gilt entsprechend bei einer Verurteilung im Ausland wegen einer Tat, die mit den in Satz 2 Nr. 3 genannten Taten vergleichbar ist. (3) Zu Geschäftsführern können Gesellschafter oder andere Personen bestellt werden. Die Bestellung erfolgt entweder im Gesellschaftsvertrag oder nach Maßgabe der Bestimmungen des dritten Abschnitts. (4) Ist im Gesellschaftsvertrag bestimmt, dass sämtliche Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt sein sollen, so gelten nur die der Gesellschaft bei Festsetzung dieser Bestimmung angehörenden Personen als die bestellten Geschäftsführer. (5) Gesellschafter, die vorsätzlich oder grob fahrlässig einer Person, die nicht Geschäftsführer sein kann, die Führung der Geschäfte überlassen, haften der Gesellschaft solidarisch für den Schaden, der dadurch entsteht, dass diese Person die ihr gegenüber der Gesellschaft bestehenden Obliegenheiten verletzt. Abs. 2 eingefügt durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836). Abs. 2 Satz 2 eingefügt durch § 33 BtG vom 12.9.1990 (BGBl. I 1990, 2002); Abs. 2 Satz 2 und 3 geändert und Abs. 5 eingefügt durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026); Abs. 2 Satz 3 eingefügt und bisheriger Satz 3 wurde Satz 4 mit Wirkung zum 1.8.2022 durch DiRUG vom 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338); Verweis auf § 1903 des Bürgerlichen Gesetzbuches in Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 wird zu Verweis auf § 1825 des Bürgerlichen Gesetzbuches mit Wirkung zum 1.1.2023 durch Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.2021 (BGBl. I 2021, 882). S. zuletzt auch Art. 9 RegE Gesetz zur Umsetzung der Umwandlungsricht-

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Geschäftsführer | § 6 linie vom 6.7.2022. Danach soll in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchst. d die Angabe „§ 313“ UmwG durch die Angabe „§ 346“ ersetzt werden. I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Der Geschäftsführer als notwendiges Handlungsorgan . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Zahl der Geschäftsführer . . . . . . . IV. Gesetzliche Eignungsvoraussetzungen 1. Natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Nichtgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Spezialgesetzliche Eignungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gesetzliche Ausschlussgründe . . . . . . . 1. Betreuung (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) . . . 2. Berufs- und Gewerbeausübungsverbote (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . 3. Verurteilung im Ausland, ausländische Verwaltungsbehörde . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorsätzlich begangene Straftaten (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) . . . . . . . . . . . . . a) Insolvenzverschleppung . . . . . . . . . . b) Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verurteilung wegen Verletzung von Erklärungspflichten . . . . . . . . . . d) Unrichtige Darstellung . . . . . . . . . . . e) Betrug/Untreue . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Sportwettbetrug . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Aufsichtsratsmitglieder als Geschäftsführer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Unwirksame Bestellung . . . . . . . . . . . . . 3. Haftung der Gesellschafter (§ 6 Abs. 5) a) Eigenständiger Haftungstatbestand . b) Haftende Gesellschafter . . . . . . . . . . c) Führung der Geschäfte . . . . . . . . . . . d) Überlassung an inhabile Personen . . e) Auswahlverschulden . . . . . . . . . . . . .

1 3 7

11 14 15 21 22 23 25 27 28 30 32 33 34 35 35a 36 37 37 38 39 40 42 45 53 55

f) Darlegungs- und Beweislast . . . . . . . g) Zu ersetzender Schaden . . . . . . . . . . h) Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . i) Erlass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Grundsatz der Gleichbehandlung . . . VIII. Satzungsrechtliche Eignungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zulässige Gestaltungen . . . . . . . . . . . . . 2. Fehlen und Wegfall einer Eignungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Bestellung 1. Bestellung durch Gesellschafterversammlung oder Aufsichtsrat . . . . . . . . . 2. Bestellung und Amt als Sonderrecht . . 3. Die Bestellung durch Nichtgesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Auslegungsregel des § 6 Abs. 4 . . . 5. Die Bestellung nach den Bestimmungen des dritten Abschnitts . . . . . . . . . . . 6. Pflicht zur Übernahme der Organstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Der Notgeschäftsführer 1. Gerichtliche Bestellung . . . . . . . . . . . . . 2. Geschäftsführungs- und Vertretungsmacht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die persönliche Stellung . . . . . . . . . . . . 4. Beendigung, Abberufung . . . . . . . . . . . XI. Wegfall oder Verhinderung im Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Der Geschäftsführer in der mitbestimmten GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . XIII. Der faktische Geschäftsführer . . . . . . XIV. Die Stellung des Geschäftsführers außerhalb des GmbH-Gesetzes 1. Der Geschäftsführer als Verbraucher . . 2. Unternehmensverantwortlicher und Beauftragter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57 58 61 62 63 69 69 73

74 79 86 90 91 93 94 102 104 107 110 112 114

117 121

Schrifttum: Ahlbrecht, Kein Ausschluss vom Geschäftsführer-/Vorstandsamt nach § 6 II GmbHG und § 76 III AktG bei Verurteilung als Teilnehmer, wistra 2018, 241; Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006; Bauer/Arnold, AGG-Probleme bei vertretungsberechtigten Organmitgliedern, ZIP 2008, 993; Becker, Suspendierung und Verdachtsabberufung als Instrumente prospektiver Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats der AG, 2022; Beuthien/Gätsch, Vereinsautonomie und Satzungsrechte Dritter, ZHR 156 (1992), 459; Beuthien/Gätsch, Einfluss Dritter auf die Organbesetzung und Geschäftsführung bei Vereinen, Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, ZHR 157 (1993), 483; Böge, Zur Beendigung der faktischen Geschäftsführung, GmbHR 2014, 1121; Brand, Neuere Anwendungsprobleme der gesellschaftsrechtlichen Inhabilitätsvorschriften, ZNotP 2019, 321; Deilmann/Dornbusch, Drittanstellungen im Konzern, NZG 2016, 201; Dinkhoff, Der faktische Geschäftsführer in der GmbH, 2003; Drygala, Zur

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§ 6 | Geschäftsführer Neuregelung der Tätigkeitsverbote für Geschäftsleiter von Kapitalgesellschaften, ZIP 2005, 423; Ebner, Auswirkungen der Inhabilität gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a GmbHG auf die Strafbarkeit des GmbHGeschäftsführers bei fortgesetzter Insolvenzverschleppung, wistra 2013, 86; Erdmann, Ausländische Staatsangehörige in Geschäftsführungen und Vorständen deutscher GmbHs und AGs, NZG 2002, 503; Eßler/Baluch, Bedeutung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes für Organmitglieder, NZG 2007, 321; Fest, Gesetzliche Vertretung und Prozessfähigkeit einer führungslosen Gesellschaft nach dem MoMiG, NZG 2011, 130; Fleischer, Juristische Personen als Organmitglieder im Europäischen Gesellschaftsrecht, RIW 2004, 16; Fleischer, Bestellungshindernisse und Tätigkeitsverbote von Geschäftsleitern im Aktien-, Bank- und Kapitalmarktrecht, WM 2004, 157; Fromholzer/Simons, Die Festlegung von Zielgrößen für den Frauenanteil in Aufsichtsrat, Geschäftsleitung und Führungspositionen, AG 2015, 457; Gehrlein/Witt/Volmer, GmbH-Recht in der Praxis, 4. Aufl. 2019; Geißler, Fragen zur Gesellschafterhaftung nach § 6 Abs. 5 GmbHG wegen Amtsunfähigkeit des Geschäftsführers (§ 6 Abs. 6 GmbHG), GmbHR 2021, 521; Haas, Rechtsfolgen bei Beeinträchtigung von Sonderrechten in der personalistischen GmbH, LMK 2004, 131; Helmschrott, Der Notgeschäftsführer – eine notleidende Regelung, ZIP 2001, 636; Heitsch, Zur Inhabilität des Geschäftsführers bei Vermögensverfall de lege ferenda, ZInsO 2020, 1109; Henssler, Keine Öffnung für Anwaltskonzerne, NJW 2017, 1644; Hersch, Aufsichtsrechtliche Anforderungen an die Geschäftsleiter und Aufsichtsräte von Versicherungsunternehmen nach dem Gesetz zur Modernisierung der Finanzaufsicht über Versicherungen, VersR 2016, 145; Heßeler, Amtsunfähigkeit von GmbH-Geschäftsführern gemäß § 6 Abs. 2 GmbHG, 2009; Heßeler, Der „Ausländer als Geschäftsführer“ – das Ende der Diskussion durch das MoMiG?, GmbHR 2009, 759; Hinghaus/Höll/Hüls/ Ransiek, Inhabilität nach § 6 Abs 2 Nr 3 GmbHG und Rückwirkungsverbot, wistra 2010, 291; Hohlfeld, Der Notgeschäftsführer der GmbH, GmbHR 1986, 181; Hübner, § 21 FamFG als Hindernis bei der Abberufung des GmbH-Geschäftsführers, NZG 2016, 933; Ingelfinger, Gedanken zur strafrechtlichen Inhabilität des GmbH-Geschäftsführers, in FS Ebke, 2021, S. 443; Jäger, Der Betreuer als gesetzlicher Vertreter des Gesellschafter-Geschäftsführers und des Gesellschafters, DStR 1996, 108; Junker/Schmidt-Pfitzner, Quoten und Zielgrößen für Frauen (und Männer) in Führungspositionen, NZG 2015, 929; Kleindiek, Unternehmensleiter als Verbraucher, in FS Otte, 2005, S. 185; Knaier, Anmerkungen zu OLG Oldenburg, Beschluss vom 08.01.2018 – 12 W 126/17, DNotZ 2018, 542; Knaier/Meier, Geschäftsführerinhabilität in Deutschland und der EU – was bringt die Umsetzung des Company Law Packages?, Teil I, GmbHR 2020, 1336, Teil II, GmbHR 2021, 77; Kort, Ungleichbehandlung von Geschäftsleitungsmitgliedern bei AG und GmbH wegen des Alters, WM 2013, 1049; Kögel, Die Not mit der Notgeschäftsführung, NZG 2000, 20; Kögel, Neues bei der GmbH-Notgeschäftsführung?, GmbHR 2012, 772; Kögel, Der amtsunfähige GmbH-Geschäftsführer – wie groß ist das Risiko für den Rechtsverkehr?, GmbHR 2019, 384; Köllner, Aktuelle strafrechtliche Fragen in Krise und Insolvenz, NZG 2020, 555; Kruse/Stenslik, Mutterschutz für Organe von Gesellschaften?, NZA 2013, 596; Langenbucher, Frauenquote und Gesellschaftsrecht, JZ 2011, 1038; Lingemann/Weingarth, Zur Anwendung des AGG auf Organmitglieder, DB 2012, 2325; Lutter, Anwendbarkeit der Altersbestimmung des AGG auf Organpersonen, BB 2007, 725; Lutz, Prozessvertretung der GmbH gegenüber dem Geschäftsführer und actio pro socio bei einstweiligen Verfügungen, NZG 2015, 424; Mager, Altersdiskriminierung – Eine Untersuchung zu Konzept und Funktionen eines außergewöhnlichen Diskriminierungsverbots, in FS Säcker, 2012, S. 1075; Melchior, Ausschluss vom Amt als Geschäftsführer wegen Sportwettbetruges (?), GmbHR 2017, R193-R194; Melchior, Ausländer als GmbH-Geschäftsführer, DB 1997, 413; Miller, Eintragung ausländischer GmbHGeschäftsführer und Gründung einer GmbH durch Ausländer, DB 1983, 977; Mohr, Die Auswirkungen des arbeitsrechtlichen Verbots von Altersdiskriminierungen auf Gesellschaftsorgane, ZHR 178 (2014), 326; Möser, Berufsverbote für Geschäftsleiter – Überlegungen zu einer Weiterentwicklung des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2, 3 GmbHG und des § 76 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, 3 AktG vor dem Hintergrund des englischen Companies Directors Disqualification Act 1986, ZVglRWiss 2011, 324; Müller-Bonanni/Forst, Frauenquoten in Führungspositionen der GmbH, GmbHR 2015, 621; Nietsch, Internationale NachhaltigkeitsGovernance, KlimaRZ 2022, 22; Noack, Reform des deutschen Kapitalgesellschaftsrechts: Das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen, DB 2006, 1475; Peetz, Der faktische Geschäftsführer – faktisch oder eine Fiktion, GmbHR 2017, 57; Preis/Sagan, Der GmbHGeschäftsführer in der arbeits- und diskriminierungsrechtlichen Rechtsprechung des EuGH, BGH und BAG, ZGR 2013, 26; Reichold/Heinrich, Zum Diskriminierungsschutz des GmbH-Geschäftsführers, in FS H. P. Westermann, 2008, S. 1315; Ries, Der ausländische Geschäftsführer, NZG 2010, 298; Römermann, Das Tor steht offen: Das BVerfG erlaubt weitergehende interprofessionelle Zusammenarbeit von Rechtsanwälten und Patentanwälten mit erheblichen Auswirkungen auf andere, NZG 2014, 481; Schelp, Bestellung eines Notgeschäftsführers, GmbH-StB 2011, 26; Schiedermair, Der ausländische Geschäftsführer einer GmbH, in FS Bezzenberger, 2000, S. 393; Schmidt, J., DiRUG-RefE: Ein Digitalisierungs-

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Geschäftsführer | Rz. 2 § 6 Ruck für das deutsche Gesellschafts- und Registerrecht, ZIP 2021, 112; Schneider, Uwe H./Schneider, Sven H., Der Aufsichtsrat der Kreditinstitute zwischen gesellschaftsrechtlichen Vorgaben und aufsichtsrechtlichen Anforderungen, NZG 2016, 41; Schneider, Uwe H./Schneider, Sven H., Die persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter bei Überlassung der Geschäftsführung an Personen, die nicht Geschäftsführer sein können – Ein Beitrag zu § 6 Abs. 5 GmbHG, GmbHR 2012, 347; Schubert, Der Diskriminierungsschutz der Organvertreter und die Kapitalverkehrsfreiheit der Investoren im Konflikt, ZIP 2013, 289; Schulte, Der strafrechtlich „inhabile“ GmbH-Geschäftsführer, NZG 2019, 646; Seibert, Die rechtsmissbräuchliche Verwendung der GmbH in der Krise, in FS Röhricht, 2005, S. 585; Seibert, GmbH-Reform: Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen – MoMiG, ZIP 2006, 1157; Singer, Die Bestellung eines Notgeschäftsführers in der GmbH, NWB 2017, 1450; Staake/Weber, Geschäftsunfähige Gesellschafter, Zum Spannungsfeld von Gesellschafts- und Betreuungsrecht, ZIP 2021, 611; Stein, § 6 Abs. 2 Satz 2 GmbHG, § 76 Abs. 3 Satz 2 AktG: Verfassungswidrige Berufsverbote?, AG 1987, 165; Theiselmann, Die Bestellung eines GmbH-Notgeschäftsführers, GmbH-StB 2017, 17; Thüsing/Stiebert, Altersgrenzen bei Organmitgliedern, NZG 2011, 641; Voerste, Nochmals: § 6 Abs. 2 S. 2 GmbHG, § 76 Abs. 3 S. 2 AktG: Verfassungswidrige Berufsverbote?, AG 1987, 376; Waldenberger, Sonderrechte der Gesellschafter einer GmbH – ihre Arten und ihre rechtliche Behandlung, GmbHR 1997, 49; Weimar, Grundprobleme und offene Fragen um den faktischen GmbH-Geschäftsführer, GmbHR 1997, 473 und 538; Weller/Benz, Frauenförderung als Leitungsaufgabe, AG 2015, 467; Werner, Ausschluss vom Geschäftsführeramt nach strafgerichtlicher Verurteilung, NWB 2020, 706; H. P. Westermann, Der Notgeschäftsführer der GmbH – der Mann zwischen den Fronten, in FS Kropff, 1997, S. 681; Winter, Satzung und schuldrechtliche Gesellschaftervereinbarungen: Die Sicht der Praxis, in Henze/Timm/Westermann (Hrsg.), Gesellschaftsrecht 1995, 1996, S. 31. Weitere Lit.-Nachw. bei § 35, § 37, § 38, § 39 und § 46.

I. Überblick § 6 ist im Zusammenhang mit den §§ 35 ff. und mit § 46 Nr. 5 zu lesen. § 6 ist hierbei die 1 Grundnorm, die den Geschäftsführer als zwingendes Handlungsorgan der Gesellschaft vorschreibt. Er ist nicht nur „Vollstrecker der Gesellschafterinteressen“, sondern auch „Garant eines Mindestmaßes an seriöser Geschäftsführung“1 und „Garant für nachhaltige Unternehmensführung“2. Das Gesetz unterscheidet dabei nicht zwischen dem Geschäftsführer einer konzernfreien Gesellschaft, einer Familiengesellschaft, einem Gemeinschaftsunternehmen usw., obgleich in der Praxis die Stellung des Geschäftsführers ganz unterschiedlich ist. Die Stellung des § 6 im Abschnitt über die Errichtung der Gesellschaft erklärt sich daraus, dass schon die werdende GmbH eines für sie im Außenverhältnis handlungsberechtigten Organs bedarf (s. Rz. 3). Die Geschäftsführung und die Vertretung der Gesellschaft sind im Übrigen in den §§ 35 ff. geregelt; von der Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer handeln auch die §§ 38, 39, 46 Nr. 5; zur Anmeldung zum Handelsregister s. §§ 39, 78 und bei § 7; zur Eintragung der Namen der Geschäftsführer sowie ihrer Vertretungsbefugnis s. § 10 Abs. 1 sowie § 39; zur zivilrechtlichen Verantwortlichkeit s. §§ 9, 37, 43, 44; zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit s. §§ 82 ff. Das im GmbHG nicht geregelte Anstellungsverhältnis der Geschäftsführer ist bei § 35 kommentiert. Durch das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Miss- 2 bräuchen (MoMiG) vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026) wurden die Ausschlussgründe in § 6 Abs. 2 erweitert und übersichtlicher gefasst. Mit diesen Änderungen hat der Gesetzgeber die Vorschläge des Bundesrats für ein Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (FoSiG)3 aufgegriffen und in mo-

1 Drygala, ZIP 2005, 431. 2 Entschließung des Europäischen Parlaments zum Erlass eines Rechtsakts über nachhaltige Unternehmensführung (2020/2037 (INI) vom 3.9.2020; Nietsch, KlimaRZ 2022, 22, 26. 3 BR-Drucks. 16/511, S. 10.

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§ 6 Rz. 2 | Geschäftsführer difizierter Form umgesetzt4. Neben den bereits in der alten Fassung enthaltenen Straftaten nach §§ 283 bis 283d StGB sind weitere Straftatbestände in den Katalog eingefügt worden, deren Verwirklichung gegen die Eignung des Betreffenden als Geschäftsführer spricht. Danach begründen auch Verurteilungen wegen Insolvenzverschleppung oder nach § 82 GmbHG, §§ 399 f. AktG, § 331 HGB, § 313 UmwG, § 17 PublG ein Bestellungshindernis. Darüber hinaus führt auch eine Verurteilung nach §§ 263 bis 264a oder nach §§ 265b bis 266a des Strafgesetzbuches zur Inhabilität, wenn eine Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verhängt wurde. Der mit dem MoMiG neu gefasste § 6 Abs. 2 Satz 3 (seit dem 1.8.2022: § 6 Abs. 2 Satz 4) erstreckt das Bestellungshindernis auf Verurteilungen wegen vergleichbarer Straftaten im Ausland. Ob die Verurteilung im Ausland wegen einer Tat erfolgte, die mit denen in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 vergleichbar ist, ist durch Rechtsgutachten zu ermitteln5. Zudem wurde in § 6 Abs. 5 ein Schadensersatzanspruch der GmbH gegen ihre Gesellschafter eingeführt, wenn diese vorsätzlich oder grob fahrlässig einer amtsunfähigen Person „die Führung der Geschäfte überlassen“ haben und diese Person die ihr gegenüber der Gesellschaft bestehenden „Obliegenheiten“ verletzt hat. Im RegE eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie vom 6.7.2022 ist in Art. 9 vorgesehen, dass in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchst. d die Angabe „§ 313“ UmwG durch die Angabe „§ 346“ ersetzt wird. 2a Durch das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie6 (DiRUG) vom 5.7.2021

(BGBl. I 2021, 3338) mit Wirkung zum 1.8.2022 neu eingefügt wurde § 6 Abs. 2 Satz 3, der die Bestellungshindernisse nach § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 auf Gewerbeausübungsverbote erstreckt, denen der Betreffende in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaaat des EWR unterliegt. § 6 Abs. 2 Satz 3 a.F. wurde zum neuen Satz 4. Eine Angleichung der Ausschlussgründe für die Geschäftsführerbestellung war durch die Digitalisierungsrichtlinie nicht veranlasst7. § 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ist erstmalig zum 1.8.2023 anzuwenden (§ 11 Abs. 1 EGGmbHG). Zudem wurde durch das DiRUG ein neuer § 9c HGB geschaffen, der dem Austausch von Informationen über Disqualifizierungsgründe zwischen Mitgliedstaaten der Europäischen Union und Vertragsstaaten des EWR dient, und ebenfalls erstmalig zum 1.8.2023 anzuwenden ist8. 2b Für regulierte Unternehmen, insbesondere für Kreditinstitute9 und Versicherungsunterneh-

men10 werden die gesellschaftsrechtlichen Normen zum Geschäftsführer durch deutsche und europäische aufsichtsrechtliche Vorschriften, insbesondere zur Eignung des Geschäftsführers11 zu den ihm auferlegten Pflichten ergänzt.

II. Der Geschäftsführer als notwendiges Handlungsorgan 3 Die GmbH hat zwei gesetzlich notwendige Handlungsorgane, nämlich die Gesellschafter und

die Geschäftsführer. Die Gesellschaft muss Geschäftsführer auch schon vor der Eintragung der GmbH haben, und zwar insbesondere zur Empfangnahme und zur Verwaltung der von den Gesellschaftern vor der Eintragung zu bewirkenden Einlagen und zur Anmeldung der Gesellschaft, §§ 7, 8, 78. Die Anmeldung durch einen Nichtgeschäftsführer hat der Registerrichter zurückzuweisen. Die Eintragung darf nicht erfolgen; auch wenn die Geschäftsführer nach der 4 5 6 7 8 9 10 11

Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 32; Ingelfinger in FS Ebke, 2021, S. 443, 446. Altmeppen, Rz. 22; Weyand, ZInsO 2008, 702, 703. S. zu den Richtlinienvorgaben etwa Knaier/Meier, GmbHR 2021, 77, 80 ff. J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 120 m.N. zur rechtspolitischen Diskussion. Art. 88 Abs. 1 EGHGB. S. dazu allgemein Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, NZG 2016, 41. Hersch, VersR 2016, 145. S. etwa § 33 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2, § 35 Abs. 2 Nr. 3, § 36 Abs. 1 KWG sowie Merkblatt der BaFin zu den Geschäftsleitern gemäß KWG, ZAG und KAGB vom 4.1.2016, zuletzt geändert am 24.6.2021.

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Geschäftsführer | Rz. 6 § 6

Anmeldung und nach der Versicherung nach § 8 Abs. 2 und 3, aber vor der Eintragung wegfallen, darf der Registerrichter nicht eintragen. Die Anmeldung bleibt zwar wirksam12, die Eintragung kann aber erst dann erfolgen, wenn ein neuer Geschäftsführer bestellt ist. Wurde die GmbH gleichwohl eingetragen, so ist sie aber wirksam entstanden13. Eine Amtslöschung wegen Mangels einer wesentlichen Voraussetzung wäre unzulässig, § 395 FamFG. Fallen alle Geschäftsführer nach der Eintragung der Gesellschaft weg, so ist die Gesellschaft 4 entstanden. Sie ist nur ohne organschaftliche Vertretung. Der Wegfall der Geschäftsführer führt auch nicht zum Übergang der den Geschäftsführern zustehenden Befugnisse auf andere Organe der Gesellschaft. Die Verjährungsfrist wird nicht gehemmt. § 210 BGB ist zu Gunsten der GmbH, deren Geschäftsführer weggefallen ist, nicht anwendbar14. Der Registerrichter hat darauf hinzuwirken, dass wieder Geschäftsführer bestellt werden. Er kann aber weder von Amts wegen, also ohne dass ein Antrag vorliegt, einen Geschäftsführer bestellen, noch kann er die Gesellschafter durch Ordnungsstrafen zur Schaffung einer gesetzlichen Vertretung anhalten15. Der Geschäftsführer ist kein Kaufmann i.S.v. §§ 1 ff. HGB16. Er ist, wenn er ein Geschäft im 5 eigenen Namen abschließt, Verbraucher i.S.d. § 13 BGB (s. Rz. 118 f.)17. Die Bezeichnung „Geschäftsführer“ im Geschäftsverkehr ist nicht zwingend. Sie kann durch 6 die Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterbeschluss geändert werden18. Unbedenklich ist etwa die Bezeichnung des Geschäftsführers im Geschäftsverkehr als „Direktor“. So können Geschäftsführer des herrschenden Unternehmens im Konzern diesen Titel weiterführen, auch wenn sie als Geschäftsführer einer Tochtergesellschaft handeln. Ihr Auftreten als „Direktor“ weist jedoch im Zweifel darauf hin, dass sie für das herrschende Unternehmen handeln19. Titel, die einen Irrtum begründen können, dürfen aber nicht geführt werden. Unzulässig ist daher die Bezeichnung im Geschäftsverkehr als „Vorstand“, weil dies zu Verwechslungen mit der Aktiengesellschaft führt20. Zweifelhaft ist die Eintragungsfähigkeit eines Geschäftsführers als „Sprecher der Geschäftsführung“21. Bei der Bestellung muss aber klar erkennbar sein, dass die Person zum Geschäftsführer der GmbH berufen werden sollte. Das Registergericht muss bei der Eintragung stets die Bezeichnung „Geschäftsführer“ gebrauchen. Auch auf den Geschäftsbriefen müssen die Geschäftsführer als solche aufgeführt und bezeichnet werden, § 35a.

12 Zur unvollständigen Anmeldung: KG, BB 1972, 10. 13 Ebenso: Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5. 14 BGH v. 17.1.1968 – VIII ZR 207/65, NJW 1968, 692; BGH v. 14.12.1970 – II ZR 161/68, BB 1971, 369. 15 KG v. 13.6.1913 – 1a X 644/13, KGJ 45, 180; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. 16 BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, BGHZ 133, 71, 77; BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, BGHZ 165, 43 = GmbHR 2006, 148; BGH v. 24.7.2007 – XI ZR 208/06, NZG 2007, 820, 821 = GmbHR 2007, 1154; Tebben in Michalski u.a., Rz. 17. 17 BGH v. 24.7.2007 – XI ZR 208/06, NZG 2007, 820, 821 = GmbHR 2007, 1154; BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, GmbHR 2010, 1142. 18 Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 5. 19 A.A. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2. 20 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Wicke, Rz. 2; anders: Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 5: zulässig, solange nicht irreführend; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4: zulässig ist „Vorstand einer GmbH“; Tebben in Michalski u.a., Rz. 10: evtl. mit dem Zusatz „der XY GmbH“. 21 OLG München v. 5.3.2012 – 31 Wx 47/12, GmbHR 2012, 750: unzulässig.

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§ 6 Rz. 7 | Geschäftsführer

III. Die Zahl der Geschäftsführer 7 Das GmbHG verlangt nur, dass mindestens ein Geschäftsführer bestellt wird. Nach oben ist

die Zahl aber nicht begrenzt. Die Satzung kann daher auch jede höhere Zahl festlegen, z.B. eine bestimmte Zahl, eine Mindest- oder eine Höchstzahl vorschreiben. Aus der Bestellung mehrerer Geschäftsführer im Gesellschaftsvertrag kann jedoch allein nicht gefolgert werden, dass damit eine verbindliche Festlegung der Zahl auch für die Zukunft gewollt war. Ergibt dagegen die Auslegung des Gesellschaftsvertrags, dass eine bestimmte Zahl vorhanden sein muss oder nicht überschritten werden darf, kann davon nur nach der Änderung der Satzung abgewichen werden22. Wird die in der Satzung festgesetzte Zahl von Geschäftsführern überschritten, so ist die Bestellung zwar wirksam; der Gesellschafterbeschluss aber ist anfechtbar23. Erfolgt die Bestellung durch ein nicht zuständiges Organ, so ist die Bestellung unwirksam24. 8 Beim Fehlen einer ausdrücklichen Regelung in der Satzung entscheiden die nach § 46 Nr. 5

für die Bestellung zuständigen Gesellschafter mit einfacher Mehrheit auch darüber, wie viele Geschäftsführer ernannt werden sollen25. Ein ausdrücklicher Beschluss über die Zahl der zu bestellenden Geschäftsführer ist bei Fehlen einer Regelung in der Satzung nicht erforderlich. Die Gesellschafter können vielmehr auch mittelbar durch Bestellung bestimmter Geschäftsführer deren Zahl festlegen und dadurch u.a. von einer früheren Praxis abweichen, indem sie nur eine geringere Zahl an Geschäftsführern bestellen26. Ist nach dem Gesellschaftsvertrag für die Bestellung der Geschäftsführer ein anderes Organ zuständig, so ist insbesondere unter Berücksichtigung des Zwecks der getroffenen Zuständigkeitsregelung durch Auslegung zu ermitteln, ob es auch die Zahl der Geschäftsführer bestimmen kann; im Zweifel ist das nicht anzunehmen27. 9 Das DrittelbG enthält keine Vorschriften über die Zahl oder die Qualifikation der Geschäfts-

führer. Fällt die GmbH aber in den Anwendungsbereich des MitbestG, so muss sie mindestens zwei Geschäftsführer haben, wovon ein Geschäftsführer zum Arbeitsdirektor zu bestellen ist28. Auch in diesem Fall kann die Satzung aber jede darüber hinausgehende Zahl an Geschäftsführern bestimmen. 10 Unabhängig von den gesellschafts- und unternehmensrechtlichen Bestimmungen kann sich

aus gewerberechtlichen Vorschriften ergeben, dass die Gesellschaft mindestens zwei Geschäftsführer haben muss, s. etwa § 33 Abs. 1 Nr. 5 KWG29 und § 23 Nr. 2 KAGB.

IV. Gesetzliche Eignungsvoraussetzungen 1. Natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen 11 Geschäftsführer können nur natürliche, unbeschränkt geschäftsfähige Personen sein. Mit der

Neufassung des § 6 Abs. 2 Satz 1 durch die Novelle 1980 wurde die Frage entschieden, dass 22 23 24 25 26 27 28 29

Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 81. OLG Stuttgart v. 28.12.1998 – 20 W 14/98, GmbHR 1999, 537, 538; Beurskens in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 3, 36; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 14; Altmeppen, Rz. 3; Tebben in Michalski u.a., Rz. 16; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8. Ebenso Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. H.M.; a.A. nur Overlack, ZHR 141 (1977), 125 ff. VG Frankfurt a.M. v. 8.7.2004 – 1 E 7363/03 (I), WM 2004, 2157; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 9; Habersack, WM 2005, 2360.

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Geschäftsführer | Rz. 14 § 6

Minderjährige auch mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters nicht zum Geschäftsführer bestellt werden können30. Auch juristische Personen und sonstige Personenvereinigungen können nicht zum Geschäftsführer bestellt werden31. Wird eine nicht unbeschränkt geschäftsfähige Person zum Geschäftsführer bestellt, ist die 12 Bestellung unwirksam. Der Verlust der Geschäftsfähigkeit führt automatisch zum Verlust der Organstellung32. Hat ein Geschäftsführer durch den Verlust seiner unbeschränkten Geschäftsfähigkeit sein Amt verloren, so erlangt er es nicht kraft Gesetzes wieder, wenn er die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit zurückgewinnt33. Vielmehr bedarf es erneuter Bestellung. Ist der Geschäftsführer eingetragen, aber geschäftsunfähig, so können sich Dritte nicht auf § 15 HGB berufen; denn die fehlende Geschäftsfähigkeit ist keine einzutragende Tatsache34. Krankheit, Mutterschutz, Elternzeit etc. führen nicht automatisch zur Beendigung oder Suspendierung als eine zeitweise Aussetzung der Geschäftsführerstellung. Der Geschäftsführer hat jedoch nach § 38 Abs. 3, eingefügt durch Gesetz vom 7.8.202135 das Recht, die Gesellschaft um den Widerruf seiner Bestellung zu ersuchen (näher bei § 38, 12. Aufl., § 38 Rz. 94 f.). Keine Eignungsvoraussetzungen im gesellschaftsrechtlichen Sinne enthalten gesetzliche Vor- 13 schriften, die wegen der Innehabung eines öffentlichen Amtes die Ausübung der Geschäftsführung ausschließen oder von einer Genehmigung abhängig machen, wie etwa Art. 55 Abs. 2, 66 GG (Bundespräsident, Bundeskanzler, Bundesminister)36, §§ 97 ff. BBG sowie die entsprechenden Vorschriften der Landesverfassungen und der Landesbeamtengesetze37. Der Registerrichter darf die Anmeldung daher nicht beanstanden. Dasselbe gilt für etwaige berufsständische Vorschriften, die der Übernahme des Geschäftsführeramtes entgegenstehen oder sie von einer Genehmigung abhängig machen.

2. Nichtgesellschafter Zu Geschäftsführern können Gesellschafter und Personen, die nicht Gesellschafter sind 14 (Fremdgeschäftsführer), bestellt werden (Grundsatz der Drittorganschaft) (§ 6 Abs. 3 Satz 1). Im GmbHG wird auch im Übrigen nicht danach unterschieden, ob ein Geschäftsführer Gesellschafter ist oder nicht. Gesellschafter müssen ebenso wie Nichtgesellschafter durch einen besonderen Akt bestellt werden. Unabhängig hiervon werden aber Gesellschafter-Geschäfts-

30 OLG Hamm v. 13.4.1992 – 15 W 25/92, GmbHR 1992, 671 = DB 1992, 1401; Altmeppen, Rz. 6; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 18; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Tebben in Michalski u.a., Rz. 19; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14 f.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9. 31 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; s. aber auch Brandes, Juristische Personen als Geschäftsführer der Europäischen Privatrechtsgesellschaft, 2003; Fleischer, RIW 2004, 16. 32 Zuletzt BGH v. 3.12.2019 – II ZB 18/19, WM 2020, 133 = GmbHR 2020, 200; BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, GmbHR 1991, 358 = JZ 1992, 152 m. Anm. Lutter/Gehling; BayObLG v. 23.3.1989 – BReg 3 Z 148/88, GmbHR 1989, 371; OLG München v. 6.7.1990 – 23 U 2079/90, GmbHR 1991, 63; OLG Düsseldorf v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, GmbHR 1994, 114; OLG Köln v. 6.1.2003 – 2 Wx 39/02, GmbHR 2003, 360; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Tebben in Michalski u.a., Rz. 19; Jäger, DStR 1996, 108; Goette, DStR 1998, 939; Staake/Weber, ZIP 2021, 611, 613. 33 BayObLG v. 4.2.1992 – 3Z BR 6/93, GmbHR 1993, 223 = DStR 1993, 407. 34 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, GmbHR 1991, 358 = JZ 1992, 152. 35 BGBl. I 2021, 3311. 36 Teilweise streitig, s. dazu Herzog in Maunz/Dürig, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, Stand: 2016, Art. 66 GG Rz. 41 ff.; Achterberg, ZStW 126 (1970), 344 ff. 37 Schuster/Lorenzen in Hoppe/Uechtritz/Reck, Handbuch kommunale Unternehmen, 3. Aufl. 2012, § 12 E II.

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§ 6 Rz. 14 | Geschäftsführer führer und Fremdgeschäftsführer in vielfacher Weise unterschiedlich behandelt, s. dazu bei § 35. Eine besondere Quote für die Bestellung von Frauen, Ausländern, Behinderte, etc. ist im Gesetz nicht vorgesehen. Besondere Anforderungen ergeben sich aber aus dem allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz38 (s. Rz. 63) und dem Gesetz für die gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst39 (s. Rz. 68a).

3. Ausländer 15 Das GmbH-Gesetz verlangt weder, dass der Geschäftsführer die deutsche Staatsangehörigkeit

hat, noch einen Wohnsitz im Inland40 oder deutsche Sprachkenntnisse. Die Beherrschung der deutschen Sprache kann aber durch das Aufsichtsrecht geboten sein. Auch wenn die Gesellschaft mehrere Geschäftsführer hat, ist nicht erforderlich, dass mindestens einer der Geschäftsführer deutscher Staatsangehöriger ist41. 16 Nur für die Steuerberatungs-GmbH verlangt § 50 Abs. 1 Satz 2 StBerG ausdrücklich, dass

mindestens ein Steuerberater, der Geschäftsführer ist, „seine berufliche Niederlassung am Sitz der Gesellschaft oder in deren Nahbereich hat“. Das Entsprechende gilt nach § 28 Abs. 1 Satz 4 WPO für Wirtschaftsprüfungs-GmbHs.

17 Teilweise wird die Ansicht vertreten, die Aufenthaltsgenehmigung bzw. die Aufenthalts-

erlaubnis EU zwecks Einreisemöglichkeit seien keine Bestellungsvoraussetzungen42. Eine planwidrige Lücke, die eine entsprechende Anwendung von § 6 Abs. 2 rechtfertige, bestehe nicht43. Geschäftsführer könnten mithilfe moderner Kommunikationsmittel ihre Tätigkeit auch vom Ausland aus ausüben und Leitungsaufgaben delegieren44. Die Registergerichte seien zur Überprüfung der ausländerrechtlichen Vorschriften nicht befugt45. Die Eintragung eines ausländischen Geschäftsführers in das Handelsregister sei nur abzulehnen, wenn sie von dort aus ihren gesetzlichen Pflichten nicht gerecht werden46 oder wenn sich konkrete Hin38 39 40 41

42

43 44

45 46

Gesetz vom 14.8.2006, BGBl. I 2006, 1897. Gesetz vom 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. OLG Köln v. 30.9.1998 – 2 Wx 22/98, GmbHR 1999, 182, 183. Unstreitig: OLG Frankfurt v. 14.3.1977 – 20 W 113/77, NJW 1977, 1595; LG Braunschweig v. 7.2.1983 – 22 T 1/83, DB 1983, 706; LG Köln v. 16.3.1981 – 87 T 14/81, GmbHR 1983, 48; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Miller, DB 1983, 978. Zum Ganzen Wachter, ZIP 1999, 1577; Erdmann, NZG 2002, 503. OLG Dresden v. 5.11.2002 – 2 U 1433/02, GmbHR 2003, 537; OLG Düsseldorf v. 16.4.2009 – 3 Wx 85/09, GmbHR 2009, 776; OLG München v. 17.12.2009 – 31 Wx 142/09, NZG 2010, 157 = GmbHR 2010, 210; OLG Zweibrücken v. 9.9.2010 – 3 W 70/10, GmbHR 2010, 1260; LG Berlin v. 4.3.2004 – 102 T 6/04, GmbHR 2004, 951; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53 ff.; Kleindiek in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 15; Altmeppen, Rz. 41, 43; Tebben in Michalski u.a., Rz. 32; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20 f.; Wachter, ZIP 1999, 534; Schiedermair in FS Bezzenberger, 2000, S. 393; Erdmann, NZG 2003, 503, 505; Heßeler, GmbHR 2009, 759; Ries, NZG 2010, 298; unklar Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11. Wachter, BB 2010, 268, 270; a.A. Heßeler, GmbHR 2009, 759. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 19, 22; zur Verlegung des Verwaltungssitzes bei tatsächlicher Leitung im Ausland: OLG Köln v. 30.9.1998 – 2 Wx 22/98, GmbHR 1999, 184; Mankowski, EWiR § 6 GmbHG 1995, 673 (Anm. zu LG Köln v. 6.1.1995 – 87 T 38/94, GmbHR 1995, 656). LG Hildesheim v. 7.6.1995 – 11 T 6/95, GmbHR 1995, 656; Melchior, DB 1997, 413; Rawert, EWiR § 6 GmbHG 1999, 461 (Anm. zu OLG Köln v. 26.10.1998 – 2 Wx 29/98, GmbHR 1999, 343); Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20. LG Köln v. 6.1.1995 – 87 T 38/94, GmbHR 1995, 656.

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Geschäftsführer | Rz. 19 § 6

weise ergeben, dass ausländerrechtliche Vorschriften oder andere gewerbliche Vorschriften umgangen werden sollen47. Dem ist nicht zu folgen. Das hat sachliche Gründe. Missbräuchliche Gestaltungen48 haben gelehrt, dass ausländische Geschäftsführer aus dem Ausland heraus erhebliche Schäden verursachen, im Inland rechtswidrige Handlungen vornehmen und damit das Vertrauen in die GmbH unterhöhlen. Erleichterte Zustellungsmöglichkeiten, die Probleme der Firmenbestattung lösen sollen, erleichtern allenfalls die Geltendmachung bereits entstandener Schäden49. Aus dem durch das MoMiG geschaffenen § 4a GmbHG folgt, dass Ausländer keiner Arbeitsgenehmigung bedürfen, wenn sie zu Vertretern juristischer Personen bestellt werden. Ausländer benötigen aber u.U. eine Aufenthaltsgenehmigung. Ein Rechtsanspruch besteht auf die Erteilung der Aufenthaltsgenehmigung in der Regel nicht. Daher ist zu unterscheiden: Für einen EU-Bürger gilt dasselbe wie für Inländer, auch wenn 18 der Betreffende im Inland keinen Wohnsitz hat50; denn für EU-Bürger besteht innerhalb der Union Freizügigkeit. EU-Bürger können zu Geschäftsführern bestellt werden. Für Nicht-EU-Bürger ist weiter zu unterscheiden. Besteht auf Grund besonderer gesetzlicher 19 Regelungen zeitlich begrenzt keine Visumspflicht, z.B. für drei Monate51, so bestehen keine Bedenken gegen ihre Bestellung52. Für Nicht-EU-Bürger, für die ein solcher begrenzter Zeitraum für einen Aufenthalt ohne Visum nicht besteht, begründet eine fehlende Aufenthaltsgenehmigung ein Bestellungshindernis, und zwar nicht nur, wenn der betreffende Ausländer zum einzigen Geschäftsführer bestellt werden soll, sondern auch, wenn der Nicht-EUBürger neben einem oder mehreren EU-Bürgern zum Geschäftsführer bestellt werden soll53. Durch die Bestellung des Geschäftsführers soll die GmbH handlungsfähig gemacht werden. Aus dem normativen Zusammenhang lässt sich hierzu entnehmen, dass nur solche Personen zu Geschäftsführern bestellt werden können, die auch die der Gesellschaft und ihnen persönlich in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer auferlegten gesetzlichen Pflichten erfüllen können. Zahlreiche dem Geschäftsführer obliegende gesetzliche Pflichten verlangen aber eine Tätigkeit und ein persönliches Erscheinen vor Gerichten und Behörden im Inland. Das gilt auch, wenn die Gesellschaft ihren Verwaltungssitz im Ausland hat54. Eine Vertretung ist ausgeschlossen. Ein persönliches Tätigwerden ist aber Nicht-EU-Bürgern, denen die Genehmigung zum wenigstens zeitweisen Aufenthalt im Inland fehlt, verwehrt. Hinzu kommt, dass Berufsverbote, die durch ausländische Verwaltungsbehörden ausgesprochen wurden, im Inland nicht greifen (s. Rz. 27). Daher können die genannten Nicht-EU-Bürger auch nicht ne-

47 OLG Frankfurt v. 14.3.1977 – 20 W 113/77, NJW 1977, 1595; OLG Celle v. 1.10.1976 – 9 Wx 5/76, DB 1977, 993; OLG Düsseldorf v. 20.7.1997 – 3 W 147/77, GmbHR 1978, 110; LG Braunschweig v. 7.2.1983 – 22 T 1/83, DB 1983, 706; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 58 f.; Bartl, DB 1977, 571, 575; Miller, DB 1983, 978. 48 Seibert in FS Röhricht, 2005, S. 585, 594; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20 f.; Kuhn, Die GmbH-Bestattung, 2011. 49 A.A. Tebben in Michalski u.a., Rz. 32. 50 EuGH v. 7.5.1998 – Rs. C-350/96, NZG 1998, 809. 51 § 15 Aufenthaltsverordnung i.V.m. Art. 1 Abs. 2 der EU-VO Nr. 539/2001 vom 15.3.2001 („EU-Visum-VO“). In Anhang II der EU-Visum-VO werden die jeweiligen Länder gesondert aufgeführt. 52 OLG Frankfurt v. 22.2.2001 – 20 W 376/00, GmbHR 2001, 433 = NZG 2001, 757 m. Anm. Mankowski, EWiR § 6 GmbHG 2001, 813; Boujong, NZG 2003, 503. 53 OLG Köln v. 30.9.1998 – 2 Wx 22/98, GmbHR 1999, 183 = EWiR § 6 GmbHG 1999, 261 (Mankowski): Keine Bestellung eines Nicht-EU-Bürgers zum Alleingeschäftsführer; OLG Hamm v. 9.8.1999 – 15 W 181/99, GmbHR 1999, 1089 = ZIP 1999, 1919; OLG Zweibrücken v. 3.3.2001 – 3 W 15/01, GmbHR 2001, 435; OLG Frankfurt v. 22.2.2001 – 20 W 376/00, GmbHR 2001, 433; OLG Celle v. 2.5.2007 – 9 W 26/07, NZG 2007, 634 = GmbHR 2007, 657; Haase, GmbHR 1999, 1091; Teichmann, IPRax 2000, 100; kritisch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53 ff. 54 A.A. OLG Düsseldorf v. 16.4.2009 – 3 Wx 85/09, GmbHR 2009, 776.

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§ 6 Rz. 19 | Geschäftsführer ben EU-Bürgern zum Geschäftsführer bestellt werden. Der Registerrichter hat bei Nicht-EUBürgern den Nachweis zu verlangen, dass der Geschäftsführer die Erlaubnis zum wenigstens zeitweisen Aufenthalt im Inland hat55. 20 Verliert ein Nicht-EU-Bürger, der zum Geschäftsführer bestellt ist, die Berechtigung zum Auf-

enthalt im Inland, wird er ausgewiesen, so erlischt seine Organstellung56; denn er ist nicht mehr in der Lage, seinen gesetzlichen Pflichten nachzukommen.

4. Spezialgesetzliche Eignungsvoraussetzungen 21 Werden in berufs- und gewerberechtlichen Vorschriften bestimmte Anforderungen an den

Geschäftsführer gestellt, z.B. die fachliche Eignung, § 33 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 2, § 35 Abs. 2 Nr. 3, § 36 Abs. 1 KWG, § 24 VAG57, so darf das Gericht bei Fehlen dieser Voraussetzungen die Eintragung nicht ablehnen58. Die Bestellung ist wirksam. Die Rechtsfolgen ergeben sich vielmehr allein aus den jeweiligen Sondergesetzen. 21a § 59f Abs. 1 Satz 1 BRAO sieht vor, dass Rechtsanwaltsgesellschaften von Rechtsanwälten

verantwortlich geführt werden müssen, und § 59f Abs. 1 Satz 2 BRAO verlangt, dass die Geschäftsführer mehrheitlich Rechtsanwälte sein müssen. Das Entsprechende gilt nach § 52f Abs. 1 Satz 1 und 2 PAO für Patentanwaltsgesellschaften und entsprechend für Steuerberater, § 50 Abs. 1 StBerG, und für Wirtschaftsprüfer, § 28 Abs. 1 Satz 1 WPO. Diese berufsbezogenen Anforderungen hindern nicht die Bestellung zum Geschäftsführer und die Eintragung ins Handelsregister59. Fehlt es an den berufsbezogenen Erfordernissen, ergeben sich die Rechtsfolgen aus den jeweiligen spezialgesetzlichen Normen. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 14.1.201460 erkannt, dass die beiden genannten Vorschriften in der BRAO mit Art. 12 Abs. 1 GG nicht vereinbar und daher nichtig sind (s. hierzu 13. Aufl., § 1 Rz. 33 f.).

V. Gesetzliche Ausschlussgründe 22 Das MoMiG hat die gesetzlichen Ausschlussgründe („Disqualifikationsgründe“61) für Ge-

schäftsführer in § 6 Abs. 2 Satz 2 neu geordnet. Für Gesellschafter gibt es keine gesetzlichen Ausschlussgründe. Nicht ins Gesetz aufgenommen wurde die Anregung des Bundesrats62, den Ausschluss des Geschäftsführers von der Geschäftsführertätigkeit „als solche“ aufzuneh55 OLG Köln v. 30.9.1998 – 2 Wx 22/98, GmbHR 1999, 183; OLG Köln v. 26.10.1998 – 2 Wx 29/98, GmbHR 1999, 343 = BB 1999, 493 = NZG 1999, 269 = EWiR § 6 GmbHG 1999, 461 (m. ablehnender Anm. Rawert); LG Köln v. 18.3.1981 – 87 T 14/81, GmbHR 1983, 48; LG Köln v. 7.10.1983 – 87 T 16/83, GmbHR 1984, 157; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 58; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Altmeppen, Rz. 43; Tebben in Michalski u.a., Rz. 32; Schiedermair in FS Bezzenberger, 2000, S. 393. 56 Ebenso Teichmann, IPrax 2000, 110; a.A. Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Altmeppen, Rz. 43; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; widersprüchlich Tebben in Michalski u.a., Rz. 32: Dem Geschäftsführer muss es möglich sein, seine Mindestpflichten zu erfüllen. Aber er brauche keine Aufenthaltsgenehmigung. 57 Hersch, VersR 2016, 145. 58 Vgl. etwa Fischer/Müller in Boos/Fischer/Schulte-Mattler, 5. Aufl. 2016, § 36 KWG Rz. 79. 59 Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Wicke, Rz. 9; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 60. 60 BVerfG v. 14.1.2014 – I BvR 2998/11, GmbHR 2014, 301. Dazu Römermann, NZG 2014, 481; zustimmend Singer, DStR-Beih. 2015, 11; Henssler, NJW 2017, 1644. 61 Vgl. § 9c Abs. 1 Satz 1 HGB i.d.F. des DiRUG; zum im Schrifttum gebräuchlichen Begriff „Inhabilitätsgründe“ vgl. Schulte, NZG 2019, 646. 62 BR-Drucks. 354/05, S. 8

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Geschäftsführer | Rz. 26 § 6

men. § 6 Abs. 2 bezieht sich vielmehr nur auf drei Fallgruppen, nämlich den Ausschluss des Betreuten bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten (1. Fallgruppe), die Personen, die einem Berufs- oder Gewerbeausübungsverbot unterliegen (2. Fallgruppe) und die wegen einer oder mehrerer vorsätzlich begangener Straftaten verurteilt worden sind (3. Fallgruppe).

1. Betreuung (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1) Zum Geschäftsführer kann nicht bestellt werden, wer als Betreuter nach § 1896 BGB (mit 23 Wirkung zum 1.1.2023 durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.2021 (BGBl. I 2021, 882): § 1814 BGB) bei der Besorgung seiner Vermögensangelegenheiten ganz oder teilweise einem Einwilligungsvorbehalt gemäß § 1903 BGB (mit Wirkung zum 1.1.2023 durch das Gesetz zur Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts vom 4.5.2021 (BGBl. I 2021, 882): § 1825 BGB) unterliegt. Das Gesetz hat davon abgesehen, alle Betreuten vom Amt eines Geschäftsführers auszuschlie- 24 ßen. Anders ist die Lage bei Anordnung eines so genannten Einwilligungsvorbehalts (s. Rz. 23). Der Betreute, der seine eigenen Vermögensangelegenheiten nicht ohne Einwilligung eines Betreuers vornehmen kann, ist auch als Geschäftsführer nicht geeignet, § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1. Sinn und Zweck des Ausschlusses ist der Schutz des Betreuten selbst und des Rechtsverkehrs. Die persönliche Versicherungserklärung des Geschäftsführers hat sich nicht auf das Nichtvorliegen des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 oder des Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 2 Satz 2 zu beziehen.

2. Berufs- und Gewerbeausübungsverbote (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2) Einen weiteren Ausschlussgrund vom Geschäftsführeramt bilden die Untersagungen der 25 Ausübung eines Berufs, Berufszweigs, Gewerbes oder Gewerbezweigs durch gerichtliches Urteil oder durch vollziehbare Entscheidung einer Verwaltungsbehörde (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2)63. Entscheidend ist der satzungsmäßige und der tatsächliche Unternehmensgegenstand64. Wer die Leitung des Gewerbebetriebs einer GmbH einem gewerberechtlich unzuverlässigen Strohmann überlässt, ist seinerseits unzuverlässig i.S.v. § 35 GewO65. Der Ausschluss vom Geschäftsführeramt auf Grund der vorgenannten Untersagungen ist auf die Gesellschaften beschränkt, deren satzungsmäßiger oder tatsächlicher Unternehmensgegenstand ganz oder teilweise mit dem Gegenstand des Verbots übereinstimmt. Er gilt für die Dauer des Verbots66. Die in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 am Ende genannte fünfjährige Ausschlussfrist ist nicht entsprechend anzuwenden. Setzt das Gericht das Berufsverbot nach § 70a StGB zur Bewährung aus, so ist auch kein Ausschlussgrund i.S.d. § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 gegeben. Die einem Geschäftsführer durch eine deutsche Verwaltungsbehörde untersagte Gewerbe- 26 ausübung stellt einen Verweigerungsgrund für die Eintragung einer mit diesem geführten inländischen Zweigniederlassung einer ausländischen Kapitalgesellschaft dar67. Personen, die in Deutschland nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 nicht Geschäftsführer sein können, dürfen daher

63 BVerwG v. 19.12.1995 – 1 C 3/93, DVBl. 1996, 808; zur Amtslöschung der Geschäftsführereintragung bei Gewerbeuntersagungen: OLG Karlsruhe v. 3.12.2013 – 11 Wx 116/13, NZG 2014, 1238. 64 KG v. 19.10.2011 – 25 W 35/11, GmbHR 2012, 91, 92. 65 Hess. VGH v. 16.6.1993 – 8 UE 533/91, DB 1993, 2021. 66 KG v. 19.10.2011 – 25 W 35/11, GmbHR 2012, 91, 92. 67 A.A. OLG Oldenburg v. 28.5.2001 – 5 W 71/01, GmbHR 2002, 29 = RIW 2001, 863; wie hier BGH v. 7.5.2007 – II ZB 7/06, GmbHR 2007, 870 = NJW 2007, 2328; Altmeppen, Rz. 10.

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§ 6 Rz. 26 | Geschäftsführer auch nicht als Geschäftsführer einer ausländischen Gesellschaft über deren inländische Zweigniederlassung ihre Geschäfte im Inland weiter betreiben68.

3. Verurteilung im Ausland, ausländische Verwaltungsbehörde 27 Schon bisher, nämlich bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Umsetzung der Digitalisie-

rungsrichtlinie (DiRUG) vom 10.6.2021 (BGBl. I 2021, 3338), war in § 6 Abs. 2 Satz 3 vorgesehen, dass § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 „bei einer Verurteilung im Ausland wegen einer Tat, die mit den in Satz 2 Nr. 3 genannten Taten vergleichbar ist“ entsprechend gilt. Entscheidend war folglich „eine Verurteilung im Ausland“. Berufsverbote und Gewerbeausübungsverbote durch eine ausländische Verwaltungsbehörde stellten demgegenüber keinen gesetzlichen Ausschlussgrund dar69. Gefordert war die Gleichstellung in einer Stellungnahme des Bundesrats70 mit dem Hinweis, nach dem Company Directors Disqualification Act englischen Rechts könne derjenige von der Geschäftsführung ausgeschlossen werden, der bereits Direktor oder faktischer Geschäftsführer einer insolventen Gesellschaft war. Abgelehnt wurde diese Forderung von der Bundesregierung71 als „zu weitgehend“. Es erscheine zur Einschränkung der Berufsfreiheit angemessener, auf die zugrundeliegende Straftat und nicht auf die Rechtsfolge abzustellen. 27a Mit dem durch das DiRUG zum 1.8.2022 eingefügten und erstmals zum 1.8.2023 (§ 11 Abs. 1

EGGmbHG) anzuwendenden § 6 Abs. 2 Satz 3 hat sich diese Rechtslage im Hinblick auf Berufs- und Gewerbeausübungsverbote, denen der Betroffene in einem Mitgliedstaat der Europäischen Union oder eines Vertragsstaates des EWR unterliegt, geändert. Umgesetzt wird damit Art. 13i Abs. 1 Satz 2 der Digitalisierungsrichtlinie (EU Richtlinie 2019/1151)72. Erforderlich ist, dass es sich um ein § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 „vergleichbares“ Verbot handelt. Voraussetzung ist dafür, dass das Verbot von einer Behörde oder einem Gericht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum angeordnet wurde, dem Betroffenen die Berufs- oder Gewerbeausübung untersagt wurde und der Unternehmensgegenstand der Gesellschaft, zu deren Geschäftsführer der Betroffene bestellt werden soll, zumindest teilweise identisch mit dem Verbotsgegenstand ist73. Die Prüfung obliegt dem Registergericht, wenn es Zweifel an der Richtigkeit der Versicherung nach § 8 Abs. 3 hat74. Eine Überprüfung kann ab dem 1.8.2023 (s. Art. 88 Abs. 1 EGHGB) durch Anfrage beim Unternehmensregister als zuständiger Stelle im Rahmen des Informationsaustauschs über disqualifizierte Personen über das Europäische System der Registervernetzung erfolgen (§ 9c Abs. 1 Satz 2 HGB). Hiernach wird das Unternehmensregister ein entsprechendes Informationsersuchen gegenüber anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union sowie Vertragsstaaten des EWR vornehmen und die erhaltenen Antworten dem Registergericht zuleiten. 27b § 6 Abs. 2 Satz 4 gilt auch nach Inkrafttreten des DiRUG. Geregelt wird eine „Verurteilung

im Ausland“. § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 erweitert die entsprechende Anwendung auf Verurteilungen im Ausland als auf vergleichbare Verbote durch Gerichte, die nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens 68 So ausdrücklich der 2. Leitsatz, OLG Oldenburg v. 28.5.2001 – 5 W 71/01, GmbHR 2002, 29 = RIW 2001, 863. 69 Ebenso Altmeppen, Rz. 22; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Wicke, Rz. 5. 70 BT-Drucks. 16/6140, S. 64. 71 BT-Drucks. 16/6140, S. 75. 72 Stöhr, EuZW 2020, 654; Knaier/Meier, GmbHR 2020, 1336; Knaier/Meier, GmbHR 2021, 77; Halder, NJOZ 2020, 1505, 1507. 73 BT-Drucks. 19/28177, S. 159 f., 162. 74 BT-Drucks. 19/28177, S. 160, 162.

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Geschäftsführer | Rz. 28 § 6

über den Europäischen Wirtschaftsraum ihren Sitz haben. Dagegen reichen entsprechende Verbote einer Verwaltungsbehörde nicht. Im Vorschlag für eine EU-Richtlinie über den strafrechtlichen Schutz der Umwelt und zur 27c Ersetzung der Richtlinie 2008/99/EG vom 15.12.202175 verlangt Art. 5 von den Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass gegen natürliche Personen, die die in den Art. 3 und 4 genannten Straftaten begangen haben, Sanktionen verhängt werden können „einschließlich des Verbots, Einrichtungen zu führen, die für die Begehung der Straftat verwendet wurden“. Es ist davon auszugehen, dass dies zu einem Bestellungsverbot für Geschäftsführer führt.

4. Vorsätzlich begangene Straftaten (§ 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3) § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 nennt eine Reihe von Straftaten, die, wenn es zu einer Verurteilung 28 kommt, dazu führen, dass der Verurteilte von der Bestellung zum Geschäftsführer ausgeschlossen ist. Durch das MoMiG wurde die Zahl der möglichen Straftaten ausgeweitet. Nicht berücksichtigt wurde aber die Anregung, auch Steuerstraftaten i.S.d. § 369 AO i.V.m. den Einzelsteuergesetzen aufzunehmen76. Ausdrücklich klar gestellt wurde, dass nur Verurteilungen wegen vorsätzlich begangener Straftaten zum Ausschluss vom Geschäftsführeramt führen. Fahrlässig verwirklichte Delikte hindern die Bestellung des Betreffenden zum Geschäftsführer dagegen nicht. Unerheblich ist, ob die Tat als Täter (§ 25 StGB) oder Teilnehmer (§§ 26, 27 StGB) begangen wurde77. Zwar wird in § 6 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 der Terminus „Täter“ verwendet. Jedoch kann dieser auch als weiter, untechnischer Oberbegriff verstanden werden, welcher sowohl „Täter“ als auch „Teilnehmer“ umfasst78. Ferner wird in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 nicht explizit zwischen Täterschaft und Teilnahme unterschieden, so dass auch rechtskräftig verurteilte Teilnehmer nicht Geschäftsführer einer GmbH sein können79. Dem wird entgegengehalten, der Unrechtsgehalt einer Teilnahme reiche wegen der Stellung des Teilnehmers als Randfigur vor allem des Gehilfen nicht an den einer täterschaftlichen Begehung heran80 (). Dem wird aber mit Recht entgegengehalten, die Stellung des Beteiligten werde bei der Strafzumessung, wie Rahmen der Verurteilung, wegen Teilnahme berückstichtigt81. Das Bestellungsverbot gilt auch hier für die Dauer von fünf Jahren nach Rechtskraft des Urteils82, wobei Zeiten, in denen der Täter auf behördlicher Anordnung in einer Anstalt verwahrt wurde, nicht eingerechnet werden. Bereits zur vorherigen Fassung wurde vertreten, dass auch Verurteilungen wegen vergleichbarer Auslandsstraftaten ein Bestellungshindernis zur Folge haben. Das hat der Gesetzgeber ausdrücklich in § 6 Abs. 2 Satz 4 geregelt. Nicht nur rechtskräftige Urteile führen zum Bestellungsverbot, sondern auch Strafbefehle nach§ 407 Abs. 1 StPO83. Dies ergibt sich bereits daraus, dass gemäß § 410 Abs. 3 StPO Strafbefehle einem Urteil gleichgestellt sind. Auch aus dem Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 kann sich

75 Com (2021) 851 final. 76 So die Anregung des Bundesrats: BR-Drucks. 354/07, S. 11. 77 BGH v. 3.12.2019 – II ZB 18/19, WM 2020, 133 = GmbHR 2020, 200; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 6 Rz. 21; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, § 6 GmbHG Rz. 21; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Weiß, GmbHR 2013, 1076, 1077; a.A. Ahlbrecht, wistra 2018, 241; kritisch auch Heitsch, ZInsO 2020, 1109, 1110. 78 So BGH v. 3.12.2019 – II ZB 18/19, WM 2020, 133; a.A. Ahlbrecht, wistra 2018, 241; zweifelnd Ingelfinger in FS Ebke, 2021, S. 443, 449. 79 Kritisch Köllner, NZI 2020, 555; Werner, NWB 2020, 706. 80 So Ahlbrecht, wistra 2018, 241, 244. 81 Ingelfinger in FS Ebke, 2021, S. 443, 450. 82 Kritisch Kögel, GmbHR 2019, 384, 388 ff. 83 KG v. 17.7.2018 – 22 W 34/18, NZG 2019, 31 = GmbHR 2018, 1206.

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§ 6 Rz. 28 | Geschäftsführer nichts anderes ergeben: Denn dort wird allein von „verurteilt“ und gerade nicht von „Urteil“ gesprochen, so dass damit nur der Inhalt der Entscheidung und nicht die bloße Form der Enscheidung gemeint ist84. 29 Maßgebend ist in den Fällen des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 und Satz 4 i.d.F. des DiRUG die

Bestellung nach dem 1.11.2008 (§ 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 EGGmbHG) und die Rechtskraft der Verurteilung nach Inkrafttreten des MoMiG. a) Insolvenzverschleppung 30 Nach § 6 stellen strafrechtliche Verurteilungen wegen Verletzung der Insolvenzantrags-

pflicht ein Bestellungshindernis dar85. Die im Referentenentwurf86 vorgesehene Regelung wurde in den Stellungnahmen kritisiert, da dort nur die Straftatbestände der § 84 GmbHG a.F. und § 401 AktG ausdrücklich erfasst waren. Der Gesetzgeber nahm das zum Anlass, die Insolvenzantragspflicht rechtsformunabhängig in der Insolvenzordnung zu regeln87. In § 15a Abs. 4 InsO wurde dazu auch ein allgemeiner Straftatbestand geschaffen, der die einzelgesetzlich geregelten Strafvorschriften ablöste. 31 Das Gesetz unterscheidet nicht danach, in welcher Eigenschaft die Antragspflicht verletzt

wurde, nämlich als Geschäftsführer oder als Gesellschafter oder als Aufsichtsratsmitglied einer führungslosen GmbH (§ 15a Abs. 3 InsO i.V.m. § 15a Abs. 4 InsO). Nach dem Wortlaut von § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a bezieht sich der Ausschließungsgrund nur auf Straftaten „des Unterlassens der Stellung des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens“. Nicht ausdrücklich erwähnt ist die verspätete Stellung des Antrags, obgleich dieser rechtstatsächlich wichtige Fall auch nach § 15a Abs. 4 InsO strafbar ist. Den Antrag nicht gestellt hat indessen auch, wer nicht „rechtzeitig“ stellt. Daher macht auch eine Verurteilung wegen nicht rechtzeitiger oder unrichtiger Stellung des Insolvenzantrags inhabil88. b) Verurteilung wegen einer Insolvenzstraftat 32 Auf die Dauer von 5 Jahren seit der Rechtskraft des Urteils kann nicht Geschäftsführer sein,

wer wegen einer vorsätzlich begangenen Straftat nach den §§ 283 bis 283d StGB (Insolvenzdelikte) verurteilt worden ist. Die Regelung dient dem Schutz der Gesellschaft sowie der gegenwärtigen und künftigen Gläubiger vor Wiederholungstaten; sie ist verfassungsrechtlich unbedenklich89. Das gilt auch bei einer Verurteilung im Ausland auf Grund vergleichbarer Tatbestände90. Ohne Bedeutung ist es, ob sich der Gesellschaftszweck und der Gegenstand des Unternehmens entsprechen. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Gericht gegen den Betreffenden ein Berufsverbot (§ 70 StGB) verhängt hat. In der Anmeldung haben die Geschäftsführer die gesetzlichen Bestellungshindernisse im Einzelnen aufzuführen und deren

84 KG v. 17.7.2018 – 22 W 34/18, NZG 2019, 31 = GmbHR 2018, 1206; Weiß, GmbHR 2013, 1076, 1077. 85 Floeth, NZI 2013, 852; Geißler, GWR 2013, 488. 86 RefE zum MoMiG vom 29.5.2006, abgedruckt in Goette, Einführung in das neue GmbH-Recht, S. 184 ff. 87 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 55. 88 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; Gundlach/Müller, NZI 2011, 480; a.A. Römermann, NZI 2008, 641, 646. 89 OLG Naumburg v. 10.11.1999 – 7 Wx 7/99, GmbHR 2000, 378, 380 = ZIP 2000, 622; Tebben in Michalski u.a., Rz. 26; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 37; Fleischer, WM 2004, 157, 165 f. A.A. Stein, AG 1987, 165 (Verstoß gegen das Übermaßverbot und Art. 12 GG); Voerste, AG 1987, 376. 90 OLG Naumburg v. 10.11.1999 – 7 Wx 7/99, ZIP 2000, 622 = GmbHR 2000, 378; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22; Altmeppen, Rz. 22.

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Geschäftsführer | Rz. 35 § 6

Vorliegen zu verneinen, § 8 Abs. 391. Die gleichwohl vorgenommene Bestellung ist nichtig92. Die früher vorgenommene Bestellung wird wirkungslos mit Rechtskraft eines entsprechenden Strafurteils93. c) Verurteilung wegen Verletzung von Erklärungspflichten Als Geschäftsführer ist ungeeignet, wer als Gesellschafter oder als Geschäftsführer im Zu- 33 sammenhang mit der Gründung einer Gesellschaft, der Erhöhung oder Herabsetzung des Stammkapitals oder in öffentlichen Mitteilungen vorsätzlich falsche Angaben macht. Daher hindern auch Verurteilungen nach den Straftatbeständen des § 82 GmbHG und des § 399 AktG die Bestellung des Betreffenden als Geschäftsführer. d) Unrichtige Darstellung Wer wegen einer unrichtigen Darstellung nach § 400 AktG, also wer als Mitglied des Vor- 34 stands oder des Aufsichtsrats oder als Abwickler die Verhältnisse einer Aktiengesellschaft einschließlich ihrer Beziehungen zu verbundenen Unternehmen in Darstellungen oder Übersichten über den Vermögensgegenstand, in Vorträgen oder Auskünften in der Hauptversammlung unrichtig wiedergibt oder verschleiert und deshalb verurteilt wurde, ist als Geschäftsführer ungeeignet. Das Entsprechende gilt bei unrichtiger Darstellung nach § 331 HGB, § 313 UmwG94 und § 17 PublG. Anders als nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3e fehlt die Voraussetzung, dass mindestens eine Freiheitsstrafe von einem Jahr verwirkt wurde. e) Betrug/Untreue Eine strafrechtliche Verurteilung wegen Betrug und Untreue stand vor der Änderung des § 6 35 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3e einer Bestellung zum Geschäftsführer nicht entgegen. Das war wenig überzeugend; denn eine entsprechende Verurteilung ist Ausdruck wirtschaftlicher Unzuverlässigkeit. Diese Rechtslage hat sich mit dem MoMiG geändert. In der Reformdiskussion war dies streitig95. Nunmehr stellen eine Verurteilung wegen Betrug (§ 263 StGB), Computerbetrug (§ 263a StGB), Subventionsbetrug (§ 264 StGB) sowie Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB) und wegen Kreditbetrug (§ 265b StGB), Untreue (§ 266 StGB) sowie Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) gesetzliche Bestellungshindernisse dar. Voraussetzung ist, dass eine Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr vorliegt. Höchstrichterlich nicht entschieden ist, welche Folgen eine Gesamtstrafenbildung bei der Bestimmung der Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe hat96. Eine Verurteilung wegen Diebstahl, Einbruch oder Raub reicht nicht aus.

91 BayObLG v. 10.12.1981 – BReg 1 Z 184/81, GmbHR 1982, 210 = WM 1982, 168; BayObLG v. 30.8.1983 – BReg 3 Z 116/83, GmbHR 1984, 101 = WM 1983, 1170 m.w.N. sowie bei § 8. 92 Amtl. Begr. BT-Drucks. 8/1347, S. 31; OLG Naumburg v. 10.11.1999 – 7 Wx 7/99, ZIP 2000, 622, 624 = GmbHR 2000, 378; BayObLG v. 30.8.1983 – BReg 3 Z 116/83, GmbHR 1984, 101 = WM 1983, 1170; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 42. 93 BayObLG v. 30.8.1983 – BReg 3 Z 116/83, GmbHR 1984, 101 = WM 1983, 1170; BayObLG v. 30.6.1987 – BReg 3 Z 75/87, GmbHR 1987, 468 = DB 1987, 1882. 94 Im RegE eines Gesetzes zur Umsetzung der Umwandlungsrichtlinie vom 6.7.2022 ist in Art. 9 vorgesehen, dass in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 Buchst. d die Angabe „§ 313“ UmwG durch die Angabe „§ 346“ ersetzt wird. 95 LG Köln v. 6.1.1995 – 87 T 38/94, GmbHR 1995, 656 = NJW-RR 1995, 553; zur Begründung s. Bericht des BT-Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 70. 96 S. hierzu Satzer/Endler, NZG 2019, 1201; Ingelfinger in FS Ebke, 2021, S. 443.

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§ 6 Rz. 35a | Geschäftsführer f) Sportwettbetrug 35a Da § 6 Abs. 2 Nr. 3 auf §§ 265b bis 266a StGB verweist, ist auch eine Verurteilung nach

§ 265c StGB miteingeschlossen. Das bedeutet, dass auch ein zu mindestens einem Jahr verurteilter Wettbetrüger von Amts wegen als Geschäftsführer wegen Unzuverlässigkeit ausgeschlossen ist97. § 265c StGB, nämlich die Strafbarkeit des Wettbetrugs, ist durch das „Einundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit von Wettbetrug und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben“ vom 11.4.201798 in das Gesetz eingefügt worden. Dieser Verweis ist auch wirksam, obgleich die Strafbarkeit des Sportwettbetrugs bei Einführung der gesetzlichen Ausschlussgründe noch gar nicht bestand. Ein bloß „statischer Verweis“ ist damit gerade nicht anzunehmen99. Als Täter in Betracht kommen vor allem Sportler, Trainer sowie Schieds-, Wertungs- oder Kampfrichter. Dem wird zu Unrecht entgegengehalten, das Fehlverhalten dieser Personen sei kein typisches Risiko organschaftlicher Tätigkeit und es sei nicht Ausdruck mangelnder Eignung zur treuhänderischen Verwaltung fremden Vermögens100. 35b Verurteilungen durch ein ausländisches Gericht wegen Straftaten stehen einer Verurteilung

durch ein inländisches Gericht gleich (§ 6 Abs. 2 Satz 4 i.d.F. des DiRUG). Dabei kann es sich um einen Auslandssachverhalt handeln, der zu dem Verbot geführt hat. Voraussetzung ist nur, dass die Verurteilung auf vergleichbaren Straftatbeständen beruht und das gerichtliche Verfahren dem Mindeststandard eines rechtsstaatlichen Verfahrens entspricht, also etwa das Recht auf Gehör gewährt wird, die Richter nicht korrupt sind, usw. Wie im Rahmen des § 6 Abs. 2 Satz 3 i.d.F. des DiRUG obliegt die Prüfung dem Registergericht, das auch hier ab dem 1.8.2023 auf den Informationsaustausch über disqualifizierte Personen über das Europäische System der Registervernetzung zurückgreifen kann (s. hierzu Rz. 27a).

5. Aufsichtsratsmitglieder als Geschäftsführer 36 S. dazu bei § 52, 12. Aufl., § 52 Rz. 218.

VI. Rechtsfolgen 1. Anmeldung 37 In der Anmeldung der Gesellschaft haben die Geschäftsführer zu versichern, dass keine Um-

stände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 und 4 entgegenstehen (§ 8 Abs. 3 Satz 1)101.

97 Melchior, GmbHR 2017, R 193. 98 BGBl. I 2017, 815 f. 99 OLG Düsseldorf v. 21.10.2021 – 3 Wx 182/21, GmbHR 2022, 198; OLG Oldenburg v. 8.1.2018 – 12 W 126/17, DNotZ 2018, 540 = GmbHR 2018, 310; vgl. auch KG v. 22.7.2019 – 22 W 40/19, NZG 2019, 1260 = GmbHR 2020, 31 (dort bejahend zur Frage, ob sich auch die Versicherung des Geschäftsführers auf §§ 265c bis 265e StGB beziehen muss); a.A. OLG Hamm v. 27.9.2018 – 27 W 93/18, NZG 2019, 29 = GmbHR 2018, 1271; Brand, ZNotP 2019, 321, 324; Knaier, DNotZ 2018, 542, 544 f.; Knaier/Meier, GmbHR 2020, 1336, 1342; Melchior/Böhringer, GmbHR 2017, 1074, 1075: dynamischer Verweis zweifelhaft. 100 So aber Melchior, GmbHR 2017, R 193. 101 Zum Inhalt der Versicherung: OLG Frankfurt v. 11.7.2011 – 20 W 246/11, GmbHR 2011, 1156.

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Geschäftsführer | Rz. 39 § 6

2. Unwirksame Bestellung Liegt ein gesetzlicher Ausschlussgrund vor, so ist die Bestellung unwirksam. Tritt der Aus- 38 schlussgrund erst nachträglich ein, so verliert der Geschäftsführer automatisch sein Amt102. Die Anordnung der Verwaltungsbehörde muss nicht unanfechtbar sein, sondern es genügt, dass sie sofort vollziehbar ist103. Das Berufsverbot durch die Verwaltungsbehörde gegenüber einem Geschäftsführer kann auf § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO oder eine der spezialgesetzlichen gewerberechtlichen Vorschriften gestützt sein104. Eine Untersagung nach § 16 Abs. 3 HandwO reicht aber nicht aus105. Nicht ausreichend ist ein vorläufiges Berufsverbot nach § 132a StPO. Auch bewirkt ein nur gegenüber der GmbH ergangenes Gewerbeverbot keinen Ausschlussgrund106. Fällt der gesetzliche Ausschlussgrund nachträglich weg, war die Bestellung unwirksam und es bedarf erneuter Bestellung. Ist ein Geschäftsführer im Handelsregister eingetragen, obwohl ein Ausschlussgrund vorliegt, so ist die Eintragung von Amts wegen zu löschen107. Handelt der Geschäftsführer, obwohl seine Bestellung unwirksam ist, so wird der gutgläubige Dritte nach § 15 Abs. 1, 3 HGB geschützt108. Das gilt jedoch nicht bei fehlender Geschäftsfähigkeit des bestellten Geschäftsführers109. Die Geschäftsfähigkeit ist keine einzutragende Tatsache, auf die ein Dritter vertrauen könnte. Der Ansicht, der Dritte könne sich auf allgemeine Rechtsscheinsgrundsätze berufen, ist nicht zu folgen110. Zwar wendet sich der Rechtsschein nicht gegen den geschäftsunfähigen Geschäftsführer, sondern gegen die GmbH111. Nichtig ist aber nicht nur die Willenserklärung eines Geschäftsunfähigen, die dieser im eigenen Namen abgibt, sondern auch die Erklärung des geschäftsunfähigen Vertreters. Auch in diesem Fall werden Dritte nicht geschützt112.

3. Haftung der Gesellschafter (§ 6 Abs. 5) Die bereits im FoSiG113 angeregte Binnenhaftung der Gesellschafter für ein Auswahlver- 39 schulden wurde noch im Regierungsentwurf des MoMiG als Durchbrechung der Gesetzessystematik abgelehnt. Eine Haftung für unternehmerische Fehlentscheidungen des faktischen Geschäftsführers widerspreche dem Grundsatz des GmbH-Rechts, da die Gesellschafter grundsätzlich nicht für einen Schaden verantwortlich seien, den sie innerhalb der Grenzen der Kapitalerhaltungsregeln und § 826 BGB der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu102 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 80 = GmbHR 1991, 358; OLG Frankfurt v. 4.3.1994 – 20 W 49/94, GmbHR 1994, 802; OLG Düsseldorf v. 2.6.1993 – 11 W 37/93, GmbHR 1994, 114; KG v. 19.11.2011 – 25 W 35/11, GmbHR 2012, 91; Altmeppen, Rz. 25; Tebben in Michalski u.a., Rz. 23 und 89; Goette, DStR 1998, 939; Drygala, ZIP 2005, 423, 428; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 42. 103 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21: Kein Ausschlussgrund, solange das Verbot in Folge Widerspruchs oder Anfechtungsklage nicht vollziehbar ist (vgl. § 80 VwGO). 104 BVerfG v. 30.9.1976 – I C 32/74, GewA 1977, 14. 105 BayObLG v. 11.6.1986 – BReg 3 Z 78/86, GmbHR 1987, 20. 106 BayObLG v. 11.6.1986 – BReg 3 Z 78/86, GmbHR 1987, 20 (kein Durchgriff). 107 OLG Zweibrücken v. 13.3.2001 – 3 W 15/01, GmbHR 2001, 435 = NZG 2001, 857; Altmeppen, Rz. 25. 108 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 32. 109 BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 81 = GmbHR 1991, 358; Wicke, Rz. 6; Dreher, DB 1991, 533. 110 So aber BGH v. 1.7.1991 – II ZR 292/90, BGHZ 115, 78, 82 = GmbHR 1991, 358; BGH v. 18.7.2002 – III ZR 124/01, ZIP 2002, 1895, 1897 = GmbHR 2002, 972. 111 W. Roth, JZ 1990, 1030. 112 Ebenso Altmeppen, Rz. 27; a.A. Lutter/Gehling, JZ 1992, 154. 113 BT-Drucks. 16/511.

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§ 6 Rz. 39 | Geschäftsführer fügen114. Eine Haftung der Gesellschafter sei weder effektiv noch mit der Gesetzessystematik vereinbar. Der Bundesrat betonte dagegen in seiner Stellungnahme zum Regierungsentwurf abermals die Notwendigkeit dieser Haftungsnorm, um einer Umgehung der Ausschlusstatbestände durch die Einschaltung eines Strohmannes zu begegnen115, so dass die Vorschrift doch Eingang ins Gesetz fand. a) Eigenständiger Haftungstatbestand 40 Es bleibt dabei, dass den Gesellschaftern weder gegenüber der Gesellschaft116 noch gegen-

über Dritten eine Pflicht obliegt, Geschäftsführer zu bestellen. Sie haften auch nicht, wenn sie einen unzuverlässigen und/oder fachlich nicht geeigneten Geschäftsführer bestellen, dieser seine Leitungspflichten verletzt und der Gesellschaft hierdurch Schaden entstanden ist. Die Grenze bildet § 826 BGB. 41 Dieser Grundsatz wird aber eingeschränkt117. § 6 Abs. 5 begründet einen eigenen Haftungs-

tatbestand allerdings nur im Verhältnis zur Gesellschaft (Innenhaftung)118, nicht aber im Verhältnis zu Dritten. § 6 Abs. 5 ergänzt damit § 43 Abs. 2. Die Vorschrift begründet aber keine Außenhaftung. Die Innenhaftung dient jedoch nicht zuvörderst dem allgemeinen Schutz des Vermögens der GmbH119. Es geht nicht um eine Haftung für „geschäftliche Fehlentscheidungen“. Sie hat vielmehr vor allem gläubigerschützende Wirkung120. Es handelt sich „um eine die Kapitalerhaltungsinteressen stärkende Haftung der Gesellschafter“ für ein Auswahlverschulden121. Daran fehlt es, wenn die Gesellschafter selbst in die Verantwortung gehen. Erteilen die Gesellschafter dem inhabilen faktischen Geschäftsführer eine Weisung, so mag zwar zweifelhaft sein, ob eine Folgepflicht besteht; denn ein solcher Geschäftsführer ist nicht wirksam bestellt. Führt er aber die Weisung aus, so entfällt seine Haftung, weil er keine Pflicht verletzt hat. Entsprechend entfällt die Haftung der Gesellschafter nach § 6 Abs. 5. Dies gilt jedoch nicht für Weisungen, die gläubigerschützende Vorschriften verletzen (s. Rz. 59). Und die Gesellschafter können nachträglich auch auf Ansprüche der Gesellschaft wegen schuldhafter Verletzung der Leitungspflichten verzichten. Das führt dann auch zum Wegfall der Haftung der Gesellschafter. Das gilt aber nur, wenn dem nicht Gläubigerinteressen entgegenstehen122. Die Vorschrift will missbräuchliche GmbH-Bestattungen verhindern123. In den Missbrauchsfällen machen die Gesellschafter die GmbH führungslos oder sie steuern mit dubiosen Geschäftsführern aus dem Hintergrund, verlegen mehrfach den Sitz der Gesellschaft, um dann die GmbH im rechtlichen Nirwana verschwinden zu lassen. In solchen Fällen sollen wenigstens die Gesellschafter haften. Die Haftung nach § 6 Abs. 5 ist nicht subsidiär.

114 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 33; Heßeler, Amtsunfähigkeit von GmbH-Geschäftsführern gemäß § 6 Abs. 2 GmbHG, 2009, S. 307. 115 BR-Drucks. 354/07, S. 10; vgl. Gesetzentwurf des Bundesrats zum FoSiG, BT-Drucks. 16/511, S. 25. 116 Wicke, Rz. 20; a.A. Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 16. 117 Zum Ganzen: Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, GmbHR 2012, 347. 118 Dafür schon Hirte, ZInsO 2003, 833, 838; Haas, GmbHR 2006, 729, 239; Altmeppen, Rz. 30, 39; dagegen Drygala, ZIP 2005, 423, 430. 119 So aber wohl Altmeppen, Rz. 32. 120 BR-Drucks. 354/07, S. 10. 121 BR-Drucks. 354/07, S. 10. 122 S. auch Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 58; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 23. 123 Seibert in FS Röhricht, 2005, S. 585 ff.; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Kuhn, Die GmbH-Bestattung, 2011.

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Geschäftsführer | Rz. 45 § 6

b) Haftende Gesellschafter Voraussetzung für eine Haftung ist, dass die Gesellschafter einer inhabilen Person die Füh- 42 rung der Geschäfte überlassen. Haftende Gesellschafter können natürliche Personen sein, Mehrheitsgesellschafter, Minder- 43 heitsgesellschafter124, konzernfreie Gesellschafter oder Konzernunternehmen. Jeder Gesellschafter kann somit in die Haftung geraten. Voraussetzung ist nur, dass der Gesellschafter an der Überlassung der Geschäftsführung aktiv mitwirkt oder ein Einschreiten in Kenntnis der Amtsunfähigkeit und der Geschäftsführung unterlassen hat. Das spricht dafür, dass auch ein Gesellschafter eines Gesellschafters, also der mittelbar beteiligte Gesellschafter, unabhängig von der Höhe seiner Beteiligung nach § 6 Abs. 5 haftet, wenn er seinen Einfluss geltend gemacht hat, dass eine amtsunfähige Person in der Geschäftsführung wirkt125. Im Konzern bedeutet dies, dass nach § 6 Abs. 5 eine fehlerhafte konzernweite Personalpolitik zur Haftung des mittelbar beteiligten herrschenden Unternehmens führen kann. Schadensersatzpflichtig können auch Mitglieder des Aufsichtsrats sein126. Sie haften nach 44 § 52 GmbHG i.V.m. § 116 AktG. Diese Haftung kann jedoch ausgeschlossen werden. Dann gewinnt die Analogie zu § 6 Abs. 5 praktische Bedeutung; denn vom Wortlaut des § 6 Abs. 5 ist eine Haftung der Mitglieder eines Aufsichtsrats nicht gedeckt. Eine analoge Anwendung ist jedoch gerechtfertigt, wenn der Aufsichtsrat für die Bestellung der Geschäftsführer zuständig ist und er seinerseits die Führung der Geschäfte dem inhabilen Geschäftsführer überlässt. Davon geht auch die Regierungsbegründung zum MoMiG127 aus. Dort heißt es, die Aufsichtsratsmitglieder verletzten bei der Bestellung oder durch Gewährenlassen einer amtsunfähigen Person ihre Pflichten und haften auf Schadensersatz. Dies gelte gemäß § 52 auch für die GmbH. c) Führung der Geschäfte § 6 Abs. 5 knüpft den Anspruch auf Schadensersatz nicht an die Bestellung eines inhabilen 45 Geschäftsführers. Das allein genügt nicht. Ein Anspruch auf Schadensersatz der Gesellschaft entsteht vielmehr, wenn die Gesellschafter dem inhabilen Geschäftsführer die Führung der Geschäfte überlassen. Der Begriff „Überlassung der Führung der Geschäfte“ ist dabei weit auszulegen. Die Überlassung kann durch positives Tun oder durch Unterlassen erfolgen. In Betracht kommt die Mitwirkung des Gesellschafters an dem Beschluss zur Bestellung des inhabilen Geschäftsführers. Allerdings haftet in diesem Fall nur der Gesellschafter, der der Bestellung zugestimmt hat. Er haftet nicht, wenn er an dem Beschluss nicht mitgewirkt, nicht zugestimmt oder widersprochen hat128. An der Überlassung mitgewirkt hat aber auch ein Gesellschafter, der zwar der Bestellung widersprochen hat, der aber in der Folge unter Vernachlässigung seiner Minderheitenrechte nicht alles unternommen hat, z.B. durch Einberufung der Gesellschafterversammlung, um die Unternehmensleitung durch den inhabilen Geschäftsführer zu verhindern. Auch der gleichgültige Gesellschafter verletzt somit seine Pflich-

124 Altmeppen, Rz. 32; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 21; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 112. 125 Ebenso Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113; Wicke, Rz. 22. 126 Altmeppen, Rz. 36; Wicke, Rz. 22; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 79; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 54; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 26; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 114; Tebben in Michalski u.a., Rz. 99. 127 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 33. 128 Ebenso Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 112; a.A. Altmeppen, Rz. 32; Römermann in Römermann/Wachter, GmbH-Beratung nach dem MoMiG, GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 62, 69.

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§ 6 Rz. 45 | Geschäftsführer ten durch Unterlassen, wenn die anderen Gesellschafter einen inhabilen Geschäftsführer einsetzen129, er aber nicht alles Notwendige unternimmt, um ein Tätigwerden des inhabilen Geschäftsführers zu verhindern. Es fehlt nicht nur am Verschulden130. Dem erfolglosen Minderheitsgesellschafter, der alles unternommen hat, um die Geschäftsführung durch den inhabilen Dritten zu verhindern, werden aber die schadensstiftenden Maßnahmen nicht zugerechnet. Er haftet nicht. 46 Die Überlassung der Geschäftsführung verlangt keinen formalen Bestellungsakt131. Daher

ist auch nicht erforderlich, dass die inhabile Person als Geschäftsführer eingetragen ist oder als Geschäftsführer bezeichnet wird. Entscheidend ist vielmehr, dass der inhabilen Person tatsächlich Leitungsaufgaben übertragen, überlassen sind oder deren Wahrnehmung geduldet wird132. 47 – Möglich ist daher, dass die Gesellschafter eine inhabile Person mit der Leitung beauftragen

und dass diese Person über die Maßnahmen entscheidet, sie umsetzt und im Außenverhältnis auftritt (1. Fallgruppe). 48 – Es genügt auch, dass die Gesellschafter die inhabile Person als Strohmann-Geschäftsführer

bestellen und zur Ausführung von Maßnahmen benutzen und sie ihrerseits aber die Unternehmensleitung aus dem Hintergrund steuern (2. Fallgruppe). 49 – Möglich ist endlich, dass die amtsunfähige Person, z.B. der Mehrheitsgesellschafter, mit

Billigung der Mitgesellschafter über die Maßnahmen der Geschäftsführung entscheidet, diese aber durch einen amtsfähigen Geschäftsführer umgesetzt werden (3. Fallgruppe)133. 50 Die Person, der die Geschäfte überlassen werden, muss demnach nicht im Außenverhältnis

auftreten. Ihr muss keine rechtsgeschäftliche Vollmacht erteilt sein. Organschaftliche Vertretungsmacht hat der inhabile Dritte ohnehin nicht; denn eine Bestellung wäre unwirksam. Ist die inhabile Person weisungsabhängiger leitender Angestellter, so sind ihr aber keine Geschäfte übertragen; denn verlangt ist eine gewisse Selbständigkeit in der Entscheidungsbefugnis. 51 Tritt die Amtsunfähigkeit erst nach der Übertragung der Geschäfte ein, so verliert ein bestell-

ter Geschäftsführer automatisch seine Organstellung. Unabhängig davon müssen die Gesellschafter nach Eintritt der Amtsunfähigkeit einschreiten, um eine weitere tatsächliche Geschäftsführung zu verhindern134. 52 Kein Überlassen der Geschäftsführung liegt vor, wenn die Gesellschafter keinen Geschäfts-

führer bestellen und sie auch sonst niemandem die Führung der Geschäfte übertragen, also die Dinge hängen lassen. Entsprechend liegt kein Überlassen der Geschäftsführung vor, wenn die Gesellschafter einen Geschäftsführer abberufen, ohne einen neuen Geschäftsführer zu bestellen, und sie auch sonst die Geschäftsführung keinem Dritten überlassen. Das Fehlen von Bestellungspflichten mit der Folge einer führungslosen Gesellschaft mag zwar der gesetzlichen Intention widersprechen. Das begründet aber keinen Haftungstatbestand. Kein Überlassen liegt ferner vor, wenn ein krimineller Gesellschafter selbst die Geschäfte der Gesellschaft führt oder steuert, die Geschäftsführung ihm aber nicht von den Gesellschaftern in

129 Ähnlich Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53. 130 So Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 21. 131 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109; Altmeppen, Rz. 30; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 73; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Tebben in Michalski u.a., Rz. 100. 132 Altmeppen, Rz. 30. 133 Ebenso Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 19; Altmeppen, Rz. 30; a.A. Tebben in Michalski u.a., Rz. 101. 134 Ebenso Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109.

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Geschäftsführer | Rz. 57 § 6

ihrer Gesamtheit überlassen ist135. Zweifelhaft ist nur der Fall, in dem ein inhabiler Alleingesellschafter die Geschäfte führt und er zu diesem Zweck einen amtsfähigen Geschäftsführer für die Vertretung im Außenverhältnis bestellt hat. Der Gesetzeszweck spricht für seine Haftung. d) Überlassung an inhabile Personen Überlassen sein muss die Geschäftsführung Personen, die aus gesetzlichen Gründen, die in 53 § 6 Abs. 2 aufgelistet sind, nicht Geschäftsführer sein können. Fehlen dem Geschäftsführer die statutarischen oder die aufsichtsrechtlichen Eignungsvoraussetzungen, z.B. nach § 33 KWG oder § 24 VAG, greift § 6 Abs. 5 nicht136. Nach dem Wortlaut ist dies zwar zweifelhaft; denn eine solche Begrenzung fehlt im Text. Sie ergibt sich aber durch einschränkende Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift. § 6 Abs. 5 soll nur greifen, um die gesetzlichen Ausschlussgründe durchzusetzen. Sinn und Zweck der Haftung nach § 6 Abs. 5 besteht nicht darin, die satzungsmäßigen oder gewerberechtlichen/aufsichtsrechtlichen Bestellungsvoraussetzungen zu verwirklichen. Aus diesem Grund liegt auch keine Überlassung an eine inhabile Person i.S.v. § 6 Abs. 5 vor, 54 wenn der faktische Geschäftsführer aus sonstigen Gründen unzuverlässig und ungeeignet ist. Dazu gehören Gründe aus dem öffentlichen Dienstrecht, ein Wettbewerbsverbot aus einem Dienstvertrag mit einem Dritten, usw. e) Auswahlverschulden § 6 Abs. 5 begründet für die Gesellschafter eine Verschuldenshaftung. Sie findet ihren Grund 55 in einer schuldhaft fehlerhaften Auswahl der Geschäftsführer (Auswahlverschulden). Die Gesellschafter haften gesamtschuldnerisch137. Der Gesellschafter haftet nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit. Das bedeutet, dass der 56 Gesellschafter seine Pflichten bei der Überlassung der Führung der Geschäfte vorsätzlich oder grob fahrlässig verletzt hat. Der Gesellschafter handelt nicht grob fahrlässig, wenn er nicht bei jeder Bestellung oder Wiederbestellung nachprüft, ob die Voraussetzungen für einen Ausschlussgrund vorliegen. Er handelt nur dann grob fahrlässig, wenn Anhaltspunkte bestehen, die die Vermutung aufkommen lassen, es gäbe ein Ermittlungsverfahren oder es liege eine Vorstraftat vor. In diesem Fall muss der Gesellschafter nachprüfen, ob die betreffende Person inhabil ist138. f) Darlegungs- und Beweislast Wie § 43 steht § 6 Abs. 5 für einen besonderen Fall der Organhaftung. Daraus lässt sich ab- 57 leiten, dass die Regeln über die Darlegungs- und Beweislast, die für § 43 gelten, hier entsprechend anzuwenden sind. Das bedeutet, dass die Gesellschafter die Darlegungs- und Beweislast dafür tragen, dass sie ihren Sorgfaltspflichten nachgekommen sind oder sie kein Verschulden trifft oder dass der Schaden auch bei pflichtgemäßem Alternativverhalten, also bei pflichtgemäßer Bestellung der Geschäftsführer, eingetreten wäre139. Dem steht nicht ent-

135 So zutreffend Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 633. 136 A.A. wohl Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 72. 137 BR-Drucks. 354/07, S. 8: Gesprochen wird dort von „gesamthänderischer Haftung“. Gemeint ist aber wohl „gesamtschuldnerische Haftung“. 138 Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 22. 139 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 60; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120; allgemein: Born in Krieger/Uwe H. Schneider, Hdb. Managerhaftung, 3. Aufl. 2017, Rz. 14.1 ff.

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§ 6 Rz. 57 | Geschäftsführer gegen, dass zwar der Geschäftsführer über alle Informationen verfügt, um einen Vorwurf pflichtwidrigen Verhaltens bei der Unternehmensleitung abzuwehren. Für den Gesellschafter trifft dies in dieser Weise nicht zu. Er kann sich die Informationen aber besorgen. g) Zu ersetzender Schaden 58 Die pflichtvergessenen Gesellschafter haften der Gesellschaft als Gesamtschuldner auf Ersatz

des entstandenen Schadens. Dabei ist aber nicht jeder durch den faktischen Geschäftsführer verursachte Schaden zu ersetzen, sondern nur der Schaden, der dadurch entstanden ist, dass diese Person die ihr gegenüber der Gesellschaft bestehenden Obliegenheiten verletzt hat. Schuldhaft muss die inhabile Person hierbei nicht gehandelt haben140. 59 Mit der Formulierung „Obliegenheit“ knüpft § 6 Abs. 5 an die Formulierung in § 43 Abs. 2

an. § 43 Abs. 2 meint dabei die Pflichten, die dem Geschäftsführer im Verhältnis zur Gesellschaft auferlegt sind. Nun obliegen zwar auch dem faktischen Geschäftsführer gegenüber der Gesellschaft Pflichten, deren schuldhafte Verletzung zur Haftung führt. Teilweise wird allerdings eine Haftung des faktischen Geschäftsführers nur angenommen, wenn die Person auch im Außenverhältnis auftritt. Das ist im Rahmen von § 6 Abs. 5 jedoch nicht erforderlich141. Zu fragen ist vielmehr, ob ein wirksam bestellter Geschäftsführer seine Pflichten verletzt hätte, wenn er an Stelle der inhabilen Person die Aufgaben wahrgenommen hätte. Mit dem Verweis auf die Pflichtverletzung des Geschäftsführers verknüpft § 6 Abs. 5 die Haftung der Gesellschafter zugleich auch mit den allgemeinen Regeln zur Haftungsfreistellung des Geschäftsführers142. Dazu gehören insbesondere die Haftungsfreistellung bei rechtmäßigen Weisungen oder einem offenen oder stillschweigenden Einverständnis der Gesellschafter (s. 12. Aufl., § 43 Rz. 386). Sie führen auch zur Freistellung des faktischen Geschäftsführers. Dabei genügt für den Weisungsbeschluss eine einfache Mehrheit der Gesellschafter143. Bei ihm liegt keine Obliegenheitsverletzung vor, wenn die angewiesene Maßnahme zu Schaden führt mit der Folge, dass auch die Gesellschafter nicht nach § 6 Abs. 5 haften144. Eine Haftungsfreistellung erfolgt freilich nur, wenn die Weisung rechtmäßig ist. Dies ist nicht der Fall, wenn die angewiesene Maßnahme gegen Vorschriften zur Kapitalerhaltung oder gegen das Verbot des existenzvernichtenden Eingriffs145 oder sonstiges zwingendes Recht verstößt (s. 12. Aufl., § 43 Rz. 371)146. Und eine Haftungsfreistellung ergibt sich nicht bei fehlerhafter Ausführung. 60 Zu ersetzen sind auch Schäden, die auf einer Verletzung von Loyalitätspflichten beruhen, so-

fern die Verletzung im Zusammenhang mit der Überlassung der Geschäftstätigkeit steht. Die Gesellschafter haften daher auch für eine Nichtbeachtung des Wettbewerbsverbots des faktischen Geschäftsführers, für das Ansichziehen von Geschäftschancen, die der Gesellschaft zustehen, und für Schäden durch Griff in die Kasse der Gesellschaft. Die Gesellschafter haften nur dann ausnahmsweise der Gesellschaft nicht, wenn die schadensverursachende Handlung auf einer allgemeinen Sorgfaltspflichtverletzung beruht. Zu denken ist an die Beschädigung eines PKW anlässlich einer Dienstfahrt147. 140 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 54 und 61; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117; Altmeppen in Altmeppen, Rz. 35. 141 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 54: Haftung nur entsprechend Verantwortlichkeit eines (amtsunfähigen) faktischen Geschäftsführers. 142 Allgemein dazu Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider, GmbHR 2005, 1229. 143 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, § 43 Rz. 115. 144 Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 55; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 56; Geißler, GmbHR 2021, 521, 526; a.A. Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 114 f. 145 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10, 16 = GmbHR 2001, 1036; BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, GmbHR 2002, 549. 146 Vgl. auch Geißler, GmbHR 2021, 521, 526 f. 147 Ebenso zum letzteren Altmeppen, Rz. 35.

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Geschäftsführer | Rz. 65 § 6

Zum Ersatz des Schadens Dritter sind die Gesellschafter nur verpflichtet, wenn der Dritte seinerseits gegen die Gesellschaft Anspruch auf Schadensersatz hat. Bejaht man ein eigenes Verfolgungsrecht Dritter gegen die Gesellschafter in entsprechender Anwendung von § 93 Abs. 5 AktG148, so kann der Dritte Zahlung an sie verlangen. h) Verjährung Nicht gesetzlich geregelt ist, zu welchem Zeitpunkt der Anspruch aus § 6 Abs. 5 verjährt. 61 Eine Analogie zu § 43 Abs. 4 spricht für eine Verjährung des entsprechenden Anspruchs in 5 Jahren149. i) Erlass Wegen der gläubigerschützenden Wirkung von § 6 Abs. 5 können die Gesellschafter nicht 62 von Anfang an durch die Satzung auf die Haftung der Gesellschafter verzichten. Sie können aber nachträglich auf den Anspruch verzichten, soweit dem nicht Gläubigerinteressen entgegenstehen.

VII. Grundsatz der Gleichbehandlung Nach § 6 i.V.m. § 7 Abs. 1 AGG dürfen „Beschäftigte“ nicht wegen eines in § 1 AGG genann- 63 ten Grundes, also aus Gründen der Rasse oder wegen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters150 oder der sexuellen Identität, behindert werden. Nach § 6 Abs. 3 AGG gelten diese Vorschriften auch für Geschäftsführer, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit sowie den beruflichen Aufstieg betrifft. Eine bestimmte Quote, etwa im Blick auf die Religionszugehörigkeit des Geschäftsführers oder der ethnischen Herkunft151 ist nicht vorgesehen. Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass sich das Gleichbehandlungsgebot nur auf den An- 64 stellungsvertrag, nicht aber die Bestellung bezieht152. Ein Verstoß gegen die Vorschriften des AGG liege nur vor, wenn dem bestellten Geschäftsführer der Abschluss eines Anstellungsvertrags verweigert werde153. Mit dem Wortlaut von § 6 Abs. 3 AGG sowie dem Sinn und Zweck des Gesetzes ist eine 65 solche einschränkende Auslegung nicht vereinbar. Voraussetzung für den Zugang zum Amt des Geschäftsführers ist die Bestellung und nicht die Anstellung154. Das Gebot der Gleichbehandlung gilt daher auch für die Bestellung, deren Fortführung und den Anstellungsvertrag155.

148 So Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 59; Schäfer in Bork/Schäfer, Rz. 24. 149 Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121; Wicke, Rz. 23. 150 S. dazu Lingemann/Weingart, DB 2012, 2325; Mager in FS Säcker, 2012, S. 1075; Kort, WM 2013, 1049; Mohr, ZHR 178 (2014), 326. 151 Zu Geschlechterquoten: Langenbucher, JZ 2011, 1038; Hirte, Der Konzern 2011, 519. 152 So Bauer/Krieger/Günther, 5. Aufl. 2018, § 2 AGG Rz. 16, § 6 AGG Rz. 27; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 997; a.A. Lutter, BB 2007, 725, 726; Krause, AG 2007, 392, 394; Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 328. 153 Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 998. 154 Ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 328; Krause, AG 2007, 392, 394; Lutter, BB 2007, 725, 726. 155 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, GmbHR 2012, 845 = ZIP 2012, 1291 m. Anm. Paefgen.

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§ 6 Rz. 65 | Geschäftsführer Hinsichtlich der Höhe der Vergütung des Geschäftsführers ist der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz nur eingeschränkt anwendbar: Zum einen ist dieser in persönlicher Hinsicht auf den Personenkreis der Fremd-Geschäftsführer und der nur minderheitlich beteiligten Gesellschafter-Geschäftsführer beschränkt156. Zum anderen folgt aus dem dem Grunde nach anwendbaren arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz für diesen Personenkreis noch kein generelles Gebot einer einheitlichen Vergütung157. Eine unterschiedliche Vergütung der einzelnen Geschäftsführer ist jedoch nur bei Vorliegen sachlicher Gründe zulässig, welche wiederum ihre Grenzen in dem nicht immer trennscharf definierbaren Bereich des willkürlichen Verhaltens finden158. 66 Für Fremdgeschäftsführer wird zudem darauf hingewiesen, dass sie zwar nach deutschem

Recht nach h.M. keine Arbeitnehmer seien (s. dazu aber auch 12. Aufl., § 35 Rz. 260 ff.). Die Vorschriften des AGG seien jedoch im Lichte des europäischen Gleichbehandlungsrechts auszulegen und das europäische Recht qualifiziere Fremdgeschäftsführer als Arbeitnehmer159. 67 Das schließt nicht aus, dass die Bewerber auch im Blick auf das Gesellschaftsinteresse bewer-

tet werden und ein Bewerber deshalb bestellt und ausgewählt wird, weil er für das Amt besser geeignet ist. So ist es ein anerkennenswertes Kriterium, dass der Geschäftsführer Gesellschafter ist. Der Grundsatz der Gleichbehandlung hat daher vor allem für Fremdgeschäftsführer etwa bei Konzernunternehmen praktische Bedeutung. Der Schutz des Geschäftsführers erstreckt sich nach § 6 Abs. 3 AGG aber nur auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg, nicht aber auf die Beschäftigungsbedingungen, die Vergütung, die Vereinbarungen über das Ausscheiden usw.160. Mit Geschäftsführern von Tochtergesellschaften können daher unterschiedliche Vergütungen vereinbart werden, ohne dass der Vorwurf der Ungleichbehandlung zu befürchten ist. 68 Rechtswidrig ist insoweit nur die Diskriminierung aufgrund der genannten Merkmale. Für

das Alter ist zudem in § 10 AGG vorgesehen, das eine unterschiedliche Behandlung zulässig ist, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Im Rahmen des Einzelfalles ist aber eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters im Rahmen von § 10 Satz 3 AGG zulässig. So kann in der Satzung ein Mindestalter für Geschäftsführer bestimmt werden. Und Geschäftsführer können mit dem Hinweis auf ihr fortgeschrittenes Alter abberufen werden161. Anzuwenden ist die Beweislastregel nach § 22 AGG. Der Bewerber muss nur beweisen, dass eine Diskriminierung vorliegt. Indizien genügen. Die Gesellschaft muss beweisen, dass der Bewerber nicht wegen seines Alters benachteiligt wurde162. 68a Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wurde im Jahr 2015 durch das Gesetz für die

gleichberechtigte Teilhabe von Frauen und Männern an Führungspositionen in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst ergänzt163. Hiernach ist bei der GmbH zu unterscheiden (s. auch 12. Aufl., § 36 Rz. 1 ff. und 12. Aufl., § 52 Rz. 166, 175, 238):

156 157 158 159 160 161 162 163

Jaeger/Steinbrück in MünchKomm. GmbHG, § 35 Rz. 306. Zuletzt OLG München v. 25.11.2020 – 7 U 1297/20, NZG 2021, 244 = GmbHR 2021, 320. Vgl. OLG München v. 25.11.2020 – 7 U 1297/20, NZG 2021, 244. EuGH v. 30.11.1995 – Rs. C-55/94, DB 1996, 35; EuGH v. 17.3.2005 – Rs. C-109/04, NJW 2005, 1481; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Reichold/Heinrich in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1315, 1322. Weitergehend Reichold/Heinrich in FS H.P. Westermann, 2008, S. 1315, 1329: Arbeitsrechtlicher Teil des AGG ist auf Fremdgeschäftsführer analog anzuwenden. Zum Ganzen: Lutter, BB 2007, 725. BGH v. 23.4.2012 – II ZR 163/10, GmbHR 2012, 845 = ZIP 2012, 1291 m. Anm. Paefgen. Gesetz vom 24.4.2015, BGBl. I 2015, 642. Einzelheiten bei Frommholzer/Simons, AG 2015, 457; Wella/Benz, AG 2015, 467; Junker/Schmidt-Pfitzner, NZG 2015, 929; Bayer/Hoffmann, Frauenquote: Ja – Mitbestimmung: Nein. GmbH mit Frauenquoten ohne Mitbestimmung?, GmbHR 2017, 441.

552 | Uwe H. Schneider/Sven H. Schneider

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

Geschäftsführer | Rz. 70 § 6

– Bei der GmbH ohne Aufsichtsrat haben die Geschäftsführer Zielgrößen für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer festzulegen, § 36. Dagegen besteht eine solche Verpflichtung für die Gesellschafter bei der Bestellung der Geschäftsführer nicht. – Bei der GmbH mit einem Aufsichtsrat, der nach dem Drittelbeteiligungsgesetz zu bestellen ist, legt die Gesellschafterversammlung für den Frauenanteil unter den Geschäftsführern Zielgrößen fest, es sei denn, sie hat dem Aufsichtsrat diese Aufgabe übertragen, § 52 Abs. 2 Satz 1. Für den Frauenanteil in den beiden Führungsebenen unterhalb der Geschäftsführer haben die Geschäftsführer die Zielgrößen zu bestimmen, § 36. – Für die GmbH, die nach dem Mitbestimmungsgesetz, dem Montan-Mitbestimmungsgesetz oder dem Mitbestimmungsergänzungsgesetz einen Aufsichtsrat zu bestellen hat, hat der Aufsichtsrat und nicht etwa die Gesellschafterversammlung für den Frauenanteil unter den Geschäftsführern Zielgrößen festzulegen, § 52 Abs. 2 Satz 2. Die Festlegung der Zielgrößen kann, soweit der Aufsichtsrat berufen ist, auf einen Ausschuss übertragen werden. Für die Geschäftsführer gehört die Festlegung der Zielgrößen zu den Leitungsaufgaben. Bei der Festlegung der Zielgrößen haben die Gesellschafter, der Aufsichtsrat und die Geschäftsführer ein weites Ermessen. Die Zielgröße darf den tatsächlich erreichten Frauenanteil aber nicht unterschreiten, es sei denn der Frauenanteil läge bereits bei mindestens 30 %.

VIII. Satzungsrechtliche Eignungsvoraussetzungen 1. Zulässige Gestaltungen In der Satzung kann festgelegt werden, dass nur Personen, die bestimmte Voraussetzungen 69 erfüllen, zu Geschäftsführern ernannt werden dürfen, z.B. nur Gesellschafter164, nur Mitglieder einer bestimmten Familie, nur Personen, die ein bestimmtes Alter165, oder eine qualifizierte Vorbildung und Berufserfahrung haben. Es besteht insoweit volle Satzungsfreiheit. Soll hiervon abgewichen werden, so bedarf es zunächst einer Satzungsänderung166. Der Beschluss der Gesellschafter, durch den ein Geschäftsführer bestellt wird, der die Voraussetzungen nicht erfüllt, ist anfechtbar, selbst wenn eine satzungsändernde Mehrheit bestand. Solche satzungsrechtlichen Eignungsklauseln finden aber ihre Grenze an den Vorschriften 70 des AGG (s. dazu Rz. 63 ff.). Nach § 6 Abs. 3 AGG gilt das Gleichbehandlungsgebot auch für Geschäftsführer, soweit es die Bedingungen für den Zugang zur Erwerbstätigkeit und den beruflichen Aufstieg betrifft. Der teilweise vertretenen Ansicht, dass sich das Gleichbehandlungsgebot nur auf den Anstellungsvertrag bezieht167, ist nicht zu folgen. Dem widersprechen der Wortlaut von § 6 Abs. 3 AGG und der Sinn und Zweck der Vorschrift. Voraussetzung für den Zugang zum Amt des Geschäftsführers ist die Bestellung und nicht die Anstellung168. Daher sind satzungsmäßige Eignungsklauseln, wonach nur Personen eines bestimmten Geschlechts zum Geschäftsführer bestellt werden dürfen, rechtswidrig. Das schließt aber nicht aus, dass solche Eignungsklauseln im Lichte des Gesellschaftsinteresses formuliert wer-

164 Altmeppen, Rz. 45. 165 Erdmann, NZG 2002, 503; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40; s. aber auch Lutter, BB 2007, 725; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 45. 166 Vgl. für die Selbstorganschaft Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10. 167 So Bauer/Krieger/Günther, 5. Aufl. 2018, § 2 AGG Rz. 16 und § 6 AGG Rz. 27; Bauer/Arnold, ZIP 2008, 993, 997. 168 Ebenso Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 34; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 45; Eßer/Baluch, NZG 2007, 321, 328; Krause, AG 2007, 392, 394; Lutter, BB 2007, 725, 726.

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§ 6 Rz. 70 | Geschäftsführer den können, also etwa, dass der Geschäftsführer Gesellschafter oder der deutschen Sprache mächtig sein muss. 71 Anforderungen an ein Mindestalter oder ein Höchstalter sind nach § 10 AGG zulässig, wenn

sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt sind169. So kann in der Satzung eine Regel-Pensionsgrenze festgelegt werden. Unzulässig sind aber zwingende Altersgrenzen, zu denen üblicherweise noch kein Antrag auf Rente wegen Erreichens der Altersgrenze gestellt werden kann, § 10 Satz 3 Nr. 5 AGG. 72 Die Festlegung solcher Eignungsvoraussetzungen in der Satzung ist auch in der nach dem

MitbestG und nach dem DrittelbG mitbestimmten GmbH zulässig. Der Gestaltungsspielraum ist bei der GmbH größer als bei der AG. Voraussetzung für eine Satzungsregelung ist aber, dass die Eignungsvoraussetzung sachlich begründbar ist und dass für den mitbestimmten Aufsichtsrat noch eine angemessene Auswahlmöglichkeit besteht170. In Betracht kommen insb. Eignungsvoraussetzungen hinsichtlich Alter, Zuverlässigkeit, fachliche Eignung, Wohnsitz und Zugehörigkeit zu einer Familie.

2. Fehlen und Wegfall einer Eignungsvoraussetzung 73 Fehlen einem Geschäftsführer die erforderlichen Eignungsvoraussetzungen, so ist seine Be-

stellung gleichwohl wirksam171. Überstimmte Gesellschafter können jedoch den die Satzung verletzenden Beschluss anfechten bzw. die Abberufung verlangen. Fällt eine Eignungsvoraussetzung nachträglich weg, z.B. die Zugehörigkeit zur Familie auf Grund Ehescheidung, beendet dies gleichfalls nicht die Geschäftsführerstellung. Begründet ist jedoch ein wichtiger Grund zur Abberufung.

IX. Bestellung 1. Bestellung durch Gesellschafterversammlung oder Aufsichtsrat 74 Zu den Aufgaben der Gesellschafter gehört es, für handlungsfähige Organe zu sorgen, also

auch Geschäftsführer zu berufen. Zuständig ist die Gesellschafterversammlung, § 46 Nr. 5. Sie entscheidet durch Beschluss (Einzelheiten bei § 46). Die Bestellung kann befristet oder unbefristet sein. Sie ist in der Regel unbefristet172. Sie darf aber weder an eine aufschiebende Bedingung, entgegen der höchstrichterlichen Rechtsprechung173, noch an eine auflösende Bedingung geknüpft werden174. Denn durch eine bedingte Bestellung oder die bedingte Be169 Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 45; weitergehend Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40; zum Ganzen Lutter, BB 2007, 725. 170 Str., Einzelheiten für MitbestG: Tebben in Michalski u.a., Rz. 69; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 31 MitbestG Rz. 10 ff.; Martens, AG 1976, 120; Wiedemann, ZGR 1977, 168; Immenga, ZGR 1977, 255; Raiser/Veil/Jacobs, 7. Aufl. 2020, § 31 MitbestG Rz. 9; enger: Wißmann/Kleinsorge/Schubert, Mitbestimmungsrecht, 5. Aufl. 2017, § 31 MitbestG Rz. 22 ff.: äußerst begrenzte Zulässigkeit; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 43. 171 Zustimmend: Altmeppen, Rz. 45; Oetker in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 46; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Wisskirchen/Kuhn/Hesser in BeckOK GmbHG, 49. Ed., Rz. 33, 34. 172 Altmeppen, Rz. 72; Becker, Suspendierung und Verdachtsabberufung als Instrumente prospektiver Überwachungstätigkeit des Aufsichtsrats der AG, 2022, S. 208. 173 BGH v. 24.10.2005 – II ZR 55/04, GmbHR 2006, 46 = ZIP 2005, 2255. 174 Wie hier: Altmeppen, Rz. 72; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41a; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 42 Rz. 39; Theusinger/Liese, EWiR 2006, 113 f.; a.A. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, § 38 Rz. 81; Tebben in Michalski u.a., Rz. 86; Raff in Roweder/Pentz, Rz. 69;

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Geschäftsführer | Rz. 79 § 6

endigung der Organstellung entsteht Rechtsunsicherheit. Zu bedenken ist auch, dass ins Handelsregister Tatsachen, die erst in der Zukunft entstehen, nämlich der Eintritt der Bedingung, nicht eingetragen werden können175. Die Folge wäre, wenn man der höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt, dass bei Eintritt der auflösenden Bedingungen das Handelsregister unrichtig wird. Der Rechtsverkehr müsste sich in diesem Fall außerhalb des Registers informieren. Zulässig ist nur die Bestellung mit Gremienvorbehalt, also die Bestellung vorbehaltlich der 75 Zustimmung durch ein anderes Organ. Zur Verknüpfung der Bestellung mit dem Anstellungsvertrag s. bei § 35, 12. Aufl., § 35 Rz. 252, 462. Ist die Gesellschaft nach dem DrittelbeteiligungsG mitbestimmt, so richten sich die Zustän- 76 digkeiten des Aufsichtsrats nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG i.V.m. den dort aufgeführten aktienrechtlichen Vorschriften. Im Übrigen bleibt es aber bei den Bestimmungen des GmbHG. Das bedeutet, dass die Geschäftsführer weiterhin durch die Gesellschafterversammlung bestellt176 und angestellt werden177; denn § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG verweist nicht auf § 84 AktG (Einzelheiten bei § 52, 12. Aufl., § 52 Rz. 57). Ist die Gesellschaft nach dem MitbestG mitbestimmt, bestellt der Aufsichtsrat die Geschäftsführer, § 1 Abs. 1 Nr. 1, § 31 MitbestG i.V.m. § 84 AktG (Einzelheiten insbesondere zur Anstellung bei § 52, 12. Aufl., § 52 Rz. 31). Sowohl bei der mitbestimmungsfreien GmbH wie bei der GmbH mitbestimmt nach dem 77 DrittelbG kann die Zuständigkeit zur Bestellung des Geschäftsführers durch die Satzung auf den Aufsichtsrat oder ein anderes Kreationsorgan, das durch die Satzung geschaffen werden kann, übertragen werden. Sofern sich aus dem Gesellschaftsvertrag nichts anderes ergibt, ist davon auszugehen, dass 78 die Bestellung nur bei Gelegenheit im Rahmen des Abschlusses und der Beurkundung des Gesellschaftsvertrags erfolgen sollte178. Es handelt sich aber nur um einen unechten Satzungsbestandteil mit der Folge, dass sich die Dauer der Bestellung, die Abberufung, die Amtsniederlegung und die Neubestellung von Geschäftsführern nach den allgemeinen Regeln über die Bestellung usw. richten. Für die Abberufung des in dieser Weise bestellten Geschäftsführers und für die Neubestellung genügt demnach die einfache Mehrheit179.

2. Bestellung und Amt als Sonderrecht Die Zuständigkeit zur Bestellung180 und Abberufung, aber auch die Organstellung selbst 79 können einem Gesellschafter als Sonderrecht zugewiesen werden181. Dabei sind die vielfäl-

175 176 177 178 179

180 181

Wicke, Rz. 14; Gehrlein/Witt/Vollmer, GmbH-Recht in der Praxis, 4. Aufl. 2019, Kap. 5. Rz. 29; Goette, DStR 1998, 939. DNotI-Report 2009, 113; Wicke, Rz. 3; Krafka, Registerrecht, 11. Aufl. 2019, Rz. 146. Boewer/Gaul/Otto, GmbHR 2004, 1065, 1066. BGH v. 3.7.2000 – II ZR 282/98, GmbHR 2000, 876 = ZIP 2000, 1442, 1443 für MitbestG: Annexkompetenz; Oetker in ErfK, 21. Aufl. 2021, § 1 DrittelbG Rz. 17. Priester, DB 1979, 681. BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205; BGH v. 19.1.1961 – II ZR 217/58, NJW 1961, 507; BGH v. 4.1.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129; OLG Hamm v. 8.7.1985 – 8 U 295/83, ZIP 1986, 1188 m. Anm. Lutter; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 67; Altmeppen, Rz. 66; Tebben in Michalski u.a., Rz. 49. OLG Stuttgart v. 28.12.1998 – 20 W 14/98, GmbHR 1999, 537. BGH v. 2.3.2004 – II ZR 50/02, GmbHR 2004, 739 = ZIP 2004, 804; OLG Stuttgart v. 28.12.1998 – 20 W 14/98, GmbHR 1999, 537; allgemein Aker, Sonderrecht von GmbH-Gesellschaftern, 2002, S. 155 ff.; van Venrooy, GmbHR 2010, 841, 847.

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§ 6 Rz. 79 | Geschäftsführer tigsten Gestaltungen möglich, und zwar in der Form anteilsgebundener Sonderrechte oder höchstpersönlicher Sonderrechte, als befristete oder als dauerhafte mitgliedschaftliche Bevorrechtigung182. Das Ernennungsrecht kann einem Familienstamm, einem Partner eines Gemeinschaftsunternehmens oder einer Kommune (nicht Behörde) zustehen. 80 Inhalt und Umfang des Sonderrechts ist durch Auslegung zu ermitteln. In Betracht kommt

ein Vorschlagsrecht („Präsentationsrecht“), ein Benennungsrecht, das Recht zur Abberufung nur bei wichtigem Grund183 und das Recht, selbst als Geschäftsführer tätig zu werden. Ist einem Gesellschafter das Recht, als Geschäftsführer tätig zu sein, eingeräumt, so bleibt er Geschäftsführer bis zu dem in der Satzung genannten Zeitpunkt (z.B. Altersgrenze). Er kann nur aus wichtigem Grund abberufen werden184. Ist einem Gesellschafter auch das Recht eingeräumt, bei einer Tochtergesellschaft als Geschäftsführer tätig zu sein, so darf deren Geschäftstätigkeit nicht ausgehöhlt werden. Bei gleichzeitiger Tätigkeit als Geschäftsführer bei der Mutter- und bei der Tochtergesellschaft kann in der Satzung festgelegt werden, dass nur eine einheitliche Vergütung bezahlt wird185. Fehlt eine Satzungsregelung, so ist eine getrennte Vergütung zulässig, wenn die Gesellschaften auf unterschiedlichen Gebieten tätig sind und für den Geschäftsführer unterschiedliche Haftungsrisiken bestehen186. 81 Ob einem Gesellschafter das Sonderrecht zur Geschäftsführung eingeräumt ist, muss sich

zwar nicht ausdrücklich aus der Satzung ergeben; es müssen sich jedoch im Gesellschaftsvertrag selbst deutliche Anhaltspunkte finden187. Im Zweifel ist sein Bestehen aber zu verneinen188. Und im Zweifel ist der Umfang einschränkend auszulegen189. Dies folgt – auch – aus der Auslegungsregel des § 6 Abs. 4 (s. Rz. 90). 82 Ist ein Gesellschafter im Gesellschaftsvertrag zum ersten Geschäftsführer ernannt190 oder

wird für die Abberufung der Geschäftsführer durch die Satzung das Vorliegen eines wichtigen Grundes verlangt, so reicht dies für die Annahme eines Sonderrechts in der Regel noch nicht aus191. Auch sind keine ausreichenden Anhaltspunkte für ein Sonderrecht die Bezeichnung eines Gesellschafters als Geschäftsführer192, eine Mehrheitsbeteiligung oder – in der zweigliedrigen GmbH – das Einstimmigkeitserfordernis für alle Beschlüsse193. 83 Ein mitgliedschaftliches Geschäftsführungsrecht in der Form eines Sonderrechts ist aber in

der Regel anzunehmen, wenn dem Geschäftsführer die Stellung im Gesellschaftsvertrag auf

182 Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 52; s. auch bei 13. Aufl., § 14 Rz. 27 ff. 183 S. auch OLG Hamburg v. 27.8.1954 – 1 U 395/53, BB 1954, 978. 184 BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, BGHZ 86, 177, 179 = GmbHR 1983, 149; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, WM 1968, 1350; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129 = WM 1981, 438; BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29; Born, GmbH-Recht, Rz. 1585. 185 BGH v. 22.3.2004 – II ZR 50/02, GmbHR 2004, 739 m. Anm. Haas, LMK 2004, 131. 186 Zum Anstellungsvertrag im Konzern: Uwe H. Schneider, GmbHR 1993, 10; Deilmann/Dornbusch, NZG 2016, 201; s. auch 12. Aufl., § 35 Rz. 297. 187 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, BB 1968, 1399; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, WM 1981, 438 = GmbHR 1982, 129; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 69. 188 BGH v. 29.9.1955 – II ZR 225/54, BGHZ 18, 205; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71. 189 Altmeppen, Rz. 69. 190 BGH v. 18.11.1968 – II ZR 121/67, GmbHR 1969, 38; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129 = WM 1981, 438. 191 OLG Hamm v. 24.1.2002 – 15 W 8/02, GmbHR 2002, 431; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 71; Marsch-Barner/Diekmann in MünchHdb. GesR III, § 42 Rz. 22; Goette/Goette, Die GmbH, 3. Aufl. 2019, § 8 Rz. 12; zweifelnd: Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 95. 192 Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 70. 193 BGH v. 17.10.1983 – II ZR 31/83, WM 1984, 29.

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Geschäftsführer | Rz. 87 § 6

Lebenszeit oder auf die Dauer seiner Mitgliedschaft vorbehalten ist194. Ebenso ist die Bestellung im Gesellschaftsvertrag auszulegen, wenn aus dem Sinn der Gesamtregelung hervorgeht, dass alle Gesellschafter dieselben Sonderrechte haben sollen (strikte Parität), aber nur für einen Gesellschafter ausdrücklich das Sonderrecht zur Geschäftsführung erwähnt wird195, oder wenn die Ernennung als Bestandteil einer vertraglichen Gestaltung des Gesellschaftsverhältnisses nach Art einer Personengesellschaft zu verstehen ist196. Sonderrechte können nur Gesellschaftern, aber nicht Dritten, eingeräumt werden197. Mög- 84 lich und zulässig ist auch die Verknüpfung mit dem Geschäftsanteil198. Bedeutung hat dies bei Gemeinschafts- und Familienunternehmen. Ist einem Gesellschafter ein Sonderrecht eingeräumt, so ist im Zweifel davon auszugehen, dass es der Person als höchstpersönliches Recht zustehen soll, dass dieses Sonderrecht aber weder vererbbar ist, noch dass es bei Übertragung des Geschäftsanteils auf einen Dritten mit übergeht199. Mit dem Sonderrecht zur Geschäftsführung kann aber auch das mitgliedschaftliche Recht verbunden sein, den Nachfolger zu benennen200. Die Beeinträchtigung oder Aufhebung satzungsmäßiger Sonderrechte kann nur durch Sat- 85 zungsänderung erfolgen. Dabei ist die Zustimmung des berechtigten Gesellschafters erforderlich (s. 12. Aufl., § 53 Rz. 48). Wird das Sonderrecht durch einen Mitgesellschafter beeinträchtigt, so hat der Inhaber des Sonderrechts einen Unterlassungsanspruch201.

3. Die Bestellung durch Nichtgesellschafter a) Einigkeit besteht, dass Nichtgesellschaftern durch schuldrechtlichen Vertrag keine orga- 86 nisationsrechtlichen Bestellungs- und/oder Abberufungskompetenzen eingeräumt oder übertragen werden können202. Die Gesellschaft kann sich aber verpflichten, bestimmte Personen zu berufen oder auf Verlangen des Dritten, z.B. eines Kreditinstituts, den Geschäftsführer abzuberufen. Pflichtverletzungen haben jedoch nur schuldrechtliche Folgen; ein Anspruch auf Erfüllung besteht nicht. b) Einem Nichtgesellschafter kann auch in der Satzung ein persönliches Sonderrecht als In- 87 dividualrecht (ad personam) mit der Maßgabe, nach eigenem Ermessen den Geschäftsführer zu bestellen oder abzuberufen, nicht eingeräumt werden203. Die Einzelheiten sind streitig. Auch die Gegenansicht geht davon aus, die Gesellschafter könnten jederzeit die Zuständig194 OLG Hamburg v. 27.8.1954 – U 395/53, GmbHR 1954, 188; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, DB 1968, 2166; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129 = WM 1981, 438; Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 69. 195 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129. 196 R. Fischer, GmbHR 1953, 132; R. Fischer in FS W. Schmidt, 1959, S. 121; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967, S. 24; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 95. 197 Streitig; wie hier Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 70; eingehend Ulmer in FS Werner, 1984, S. 917 m.w.N. 198 Goette in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71. 199 Tebben in Michalski u.a., Rz. 52; auch Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72. 200 BGH v. 4.10.1973 – II ZR 31/71, GmbHR 1973, 279. 201 BGH v. 22.3.2004 – II ZR 50/02, ZIP 2004, 804, 805 = GmbHR 2004, 739. 202 Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 483, 488. 203 Wie hier: Teichmann, Gestaltungsfreiheit bei Gesellschaftsverträgen, 1971, S. 196; Priester in FS Werner, 1984, S. 665; Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911, 922; Ulmer in FS Wiedemann, 2002, S. 1297; a.A. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 47; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 66; Tebben in Michalski u.a., Rz. 63; Altmeppen, Rz. 61; Hammen, WM 1994, 765; Herfs, Einwirkung Dritter auf den Willensbildungsprozess der GmbH, 1994, S. 117.

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§ 6 Rz. 87 | Geschäftsführer keit wieder an sich ziehen204. Das Sonderrecht wäre damit wesentlich eingeschränkt. Selbst eine solche Gestaltung widerspricht indessen dem Grundsatz der Selbstorganisation. 88 c) Zulässig ist aber folgende Gestaltung: Die Satzungsfreiheit erlaubt den Gesellschaftern, ne-

ben der Gesellschafterversammlung und neben den Geschäftsführern und gegebenenfalls neben dem Aufsichtsrat zusätzliche Organe zu schaffen. Diesem zusätzlichen Organ kann auch die Bestellungs- und Abberufungskompetenz sowie die Anstellungskompetenz zugewiesen werden. Wie dieses zusätzliche Organ besetzt wird, liegt gleichfalls in der Gestaltungsfreiheit der Gesellschafter. Berufen werden können Gesellschafter, aber auch Nichtgesellschafter. Die Berufung kann durch Beschluss der Gesellschafterversammlung oder auch in der Satzung erfolgen. 89 Erfolgt die Berufung eines Nichtgesellschafters in der Satzung, so ist dies in der Weise zu ver-

stehen, dass erstens ein zusätzliches Organ gebildet wird und der Nichtgesellschafter zweitens durch unechten Satzungsbestandteil mit der Folge bestellt ist, dass der Dritte mit einfacher Mehrheit abberufen werden kann205. Die Abberufbarkeit kann allerdings auf wichtige Gründe beschränkt werden. Im Ergebnis bedeutet dies, dass durch die Satzung ein besonderes fakultatives Verbandsorgan geschaffen werden kann, dass diesem Organ die Bestellungs- und Abberufungskompetenz zugewiesen, ein Nichtgesellschafter zum alleinigen Organmitglied berufen und dieser gegebenenfalls nur bei Vorliegen eines wichtigen Grundes abberufen werden kann206. Das auf diese Weise bestellte Organmitglied wird nicht als außenstehender Dritter tätig, sondern es nimmt als Geschäftsführer organschaftliche Befugnisse wahr und ist entsprechend verpflichtet.

4. Die Auslegungsregel des § 6 Abs. 4 90 § 6 Abs. 4 enthält eine Auslegungsregel. Ist im Gesellschaftsvertrag bestimmt, dass sämtliche

Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt sein sollen, so sind damit nur diejenigen Gesellschafter gemeint, die der Gesellschaft bei Festsetzung dieser Bestimmung Gesellschafter sind. Werden später in die Gesellschaft weitere Gesellschafter aufgenommen, werden Anteile übertragen, so werden die neuen Gesellschafter nicht ohne weitere Bestellung auch Geschäftsführer.

5. Die Bestellung nach den Bestimmungen des dritten Abschnitts 91 Fehlt in der Satzung eine Bestellung der Geschäftsführer, so erfolgt sie – und dies ist die Re-

gel – nach Maßgabe des dritten Abschnittes des Gesetzes, d.h. durch einfachen Mehrheitsbeschluss der Gesellschafter, § 46 Nr. 5, §§ 47 ff. (Bestellungsbeschluss). Ein mit der Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefasster Gesellschafterbeschluss genügt zur Bestellung des Geschäftsführers auch dann, wenn die GmbH noch nicht im Handelsregister eingetragen ist207. Die Bestellung wird aber erst wirksam, wenn das Beschlussergebnis gegenüber dem Bestellten erklärt ist (Bestellungserklärung) und der Berufene sich zur Übernahme der Organstellung bereit erklärt hat (Bereiterklärung)208. Einzelheiten bei 12. Aufl., § 46 Rz. 69.

204 Flume in FS Coing, II, 1982, S. 97, 99 ff.; Tebben in Michalski u.a., Rz. 63. 205 Ausdrücklich Ulmer in FS Werner, 1984, S. 911, 923. 206 Beuthien/Gätsch, ZHR 157 (1993), 483, 492 ff.; Hammen, WM 1994, 765: analoge Anwendung von § 328 BGB; Fleck, ZGR 1988, 121; wohl auch Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 47; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 66; Altmeppen, Rz. 61; Tebben in Michalski u.a., Rz. 64. 207 BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212 = GmbHR 1982, 67 = WM 1981, 645; OLG Hamm v. 4.12.1995 – 15 W 399/95, DB 1996, 369; Altmeppen, Rz. 50, 65. 208 Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48 f.; Altmeppen, Rz. 66; Tebben in Michalski u.a., Rz. 41.

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Geschäftsführer | Rz. 94 § 6

Durch die Satzung kann die Zuständigkeit zur Bestellung des Geschäftsführers aber auch ei- 92 nem anderen Gesellschaftsorgan zugewiesen werden, s. bei 12. Aufl., § 52 Rz. 179, 182. Zur Bestellung der Geschäftsführer bei der mitbestimmten GmbH s. gleichfalls bei 12. Aufl., § 52 Rz. 31, 57.

6. Pflicht zur Übernahme der Organstellung Die Gesellschafter sind in der Regel weder gegenüber der Gesellschaft noch gegenüber den 93 Gläubigern der Gesellschaft verpflichtet, das Amt des Geschäftsführers zu übernehmen209. Das gilt auch dann, wenn weder ein Dritter noch ein Mitgesellschafter hierzu bereit ist210. Im Gesellschaftsvertrag kann aber die mitgliedschaftliche Pflicht211, in einem Anstellungsvertrag kann eine schuldrechtliche Pflicht zur Übernahme des Geschäftsführeramtes begründet werden. Die Bestellung eines Gesellschafters im Gesellschaftsvertrag nach § 6 Abs. 3 Satz 2 verpflichtet ihn nicht, auf Dauer das Amt beizubehalten; doch kann die fristlose Amtsniederlegung treuwidrig sein; zur Amtsniederlegung s. 12. Aufl., § 38 Rz. 85. Ob eine mitgliedschaftliche Pflicht mit dem Sonderrecht auf Übernahme der Geschäftsführerstellung verknüpft ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.

X. Der Notgeschäftsführer 1. Gerichtliche Bestellung Es gehört zwar zu den Aufgaben der Gesellschafter, Geschäftsführer zu bestellen. Sie waren 94 bisher hierzu weder gegenüber den Gläubigern noch gegenüber dem Registergericht verpflichtet212. Ob dies nach Einführung von § 6 Abs. 5 noch gilt, ist zweifelhaft, aber abzulehnen. Hat die GmbH jedoch keinen Geschäftsführer, der die der Gesellschaft und dem Geschäftsführer obliegenden gesetzlichen Pflichten wahrnehmen und der sie vertreten kann, hat sie nicht die für die Vertretung erforderliche Zahl an Geschäftsführern oder ist der Geschäftsführer in der Vertretung tatsächlich oder rechtlich verhindert, so findet kein automatischer Übergang der Vertretungsbefugnis auf ein anderes Organ der Gesellschaft statt213. Es kann aber nach § 29 BGB, der sinngemäß auf die GmbH anwendbar ist, durch das Amtsgericht des Sitzes der Gesellschaft (Registergericht) auf Antrag ein Notgeschäftsführer bestellt werden214. Eine § 85 AktG entsprechende Vorschrift fehlt im GmbH-Gesetz. Sie war in

209 BGH v. 22.10.1984 – II ZR 31/84, GmbHR 1985, 149. 210 A.A. Gustavus, GmbHR 1992, 15, 18: Bestellung eines Gesellschafters zum Notgeschäftsführer auch gegen seinen Willen. 211 OLG Hamm v. 24.1.2002 – 15 W 8/02, GmbHR 2002, 429; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 49. 212 OLG Naumburg v. 23.7.2002 – 9 U 67/02, GmbHR 2002, 1237: Keine Strafbarkeit der Gesellschafter nach § 266a StGB, wenn keine Geschäftsführer bestellt werden; Fleck, Anm. zu BGH v. 22.10.1984 – II ZR 31/84, EWiR, § 6 GmbHG 1/85, 97; Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 87; Gustavus, GmbHR 1992, 17: kein Zwangsgeld. 213 BGH v. 7.2.1972 – II ZR 169/69, BGHZ 58, 115 = DB 1972, 475. 214 BayObLG v. 28.8.1997 – 3Z BR 1/97, GmbHR 1997, 1002 = ZIP 1997, 1786; OLG Frankfurt v. 16.1.2014 – 20 W 309/13, GmbHR 2014, 929; OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – 3 Wx 302/15, GmbHR 2016, 1032; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 72 ff.; Altmeppen, Rz. 51; Tebben in Michalski u.a., Rz. 72; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84; Hohlfeld, GmbHR 1986, 181; Gustavus, GmbHR 1992, 15 ff.; a.A. Theiselmann, GmbH-StB 2017, 17, 21: analoge Anwendung von § 85 AktG.

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§ 6 Rz. 94 | Geschäftsführer § 68 RegE 1971 zwar vorgesehen; die Novelle 1980 hat die gerichtliche Bestellung aber nicht geregelt. 95 Gesellschafter und erst recht Dritte sind zur Annahme einer Bestellung als Notgeschäftsfüh-

rer nicht verpflichtet215. Sie machen sich auch nicht schadensersatzpflichtig, wenn sie das Amt als Notgeschäftsführer ablehnen. Hat der Antragsteller niemand als Notgeschäftsführer vorgeschlagen und haben auch die Organe des Handelsstandes gemäß § 380 FamFG keine Person vorgeschlagen, so kann das Gericht den Antrag auf Bestellung eines Notgeschäftsführers ablehnen216. 96 Die gerichtliche Notbestellung erfolgt nur „in dringenden Fällen für die Zeit bis zur Behe-

bung des Mangels auf Antrag eines Beteiligten“217. Es handelt sich um eine subsidiäre Maßnahme. Die Verhinderung kann tatsächlich oder rechtlich begründet, sie kann auf Dauer bestehen, aber auch auf einen Einzelfall beschränkt sein, z.B. wegen § 181 BGB218.

97 Voraussetzung für eine gerichtliche Bestellung ist die Erforderlichkeit und ein dringender

Fall. Da durch die gerichtliche Bestellung tief in die Zuständigkeit der Gesellschafter eingegriffen wird, kommt sie nur in Betracht, wenn es die einzige Möglichkeit ist, die Vertretung der Gesellschaft zu sichern. Sie ist erforderlich, wenn ein Geschäftsführer fehlt219 oder der Geschäftsführer rechtlich oder tatsächlich verhindert ist. Daher ist der Antrag des Gesellschafters einer Einpersonen-GmbH auf Bestellung eines Notgeschäftsführers nicht begründet220. Hinzukommen muss, dass die Gesellschaftsorgane nicht selbst in der Lage sind, den Mangel in angemessener Frist zu beseitigen (Grundsatz der Subsidiarität)221. So ist die Bestellung eines Notgeschäftsführers zulässig, wenn sich die Gesellschafter nicht innerhalb angemessener Frist einigen können222. Allerdings ist es nicht die Aufgabe der Bestellung des Geschäftsführers durch das Gericht, einen Streit der Gesellschafter zu schlichten223. Die Weigerung des Geschäftsführers, einzelne Geschäftsführungsakte vorzunehmen, ist aber kein Grund für eine Notbestellung; anders bei grundsätzlicher Ablehnung der Geschäftsführungstätigkeit224. § 29 BGB gibt auch keine Befugnis, nachlässige Geschäftsführer zu entlassen oder 215 BGH v. 22.10.1984 – II ZR 31/84, GmbHR 1985, 149; OLG Hamm v. 4.12.1995 – 15 W 399/95, DB 1996, 369; KG v. 4.4.2000 – 1 W 3052/99, GmbHR 2000, 660; OLG Frankfurt v. 22.2.2001 – 20 W 376/00, GmbHR 2001, 435. 216 OLG Frankfurt v. 27.7.2005 – 20 W 280/05, GmbHR 2006, 204. 217 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 193; BayObLG v. 7.10.1980 – BReg 1 Z 24/80, NJW 1981, 955; OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – 3 Wx 302/15, GmbHR 2016, 1032; U. Hübner, Interessenkonflikt und Vertretungsmacht, 1977, S. 258; Hohlfeld, GmbHR 1986, 181; allgemein zum Verhältnis zwischen Notbestellung von Organmitgliedern und Pflegschaft: Beitzke in FS Ballerstedt, 1975, S. 185 ff. 218 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 193 = GmbHR 1961, 27; H.P. Westermann in FS Kropff, 1997, S. 690. 219 OLG Braunschweig v. 9.9.2009 – 3 U 41/09, GmbHR 2009, 1276, 1279. 220 OLG Frankfurt v. 2.7.1962 – 6 W 203/62, GmbHR 1963, 232. 221 BayObLG v. 28.8.1997 – 3Z BR 1/97, GmbHR 1997, 1002 = ZIP 1997, 1786; BayObLG v. 12.8.1998 – 3Z BR 456/97, GmbHR 1998, 1125; Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 125, 129: Grundsatz der Erforderlichkeit; a.A. OLG Frankfurt v. 9.1.2001 – 20 W 421/00, GmbHR 2001, 436; Happ, Die GmbH im Prozess, 1997, S. 43. 222 A.A. OLG München v. 11.9.2007 – 31 Wx 49/07, GmbHR 2007, 1271; Tebben in Michalski u.a., Rz. 75; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Vor § 35 Rz. 16; wie hier für Zweipersonen-GmbH: BayObLG v. 12.8.1998 – 3Z BR 456/97, GmbHR 1998, 1123; BayObLG v. 29.9.1999 – 3Z BR 76/ 99, NZG 2000, 41 = GmbHR 1999, 1291; OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – 3 Wx 302/15, GmbHR 2016, 1032, 1034; Altmeppen, Rz. 51. 223 OLG Zweibrücken v. 30.9.2011 – 3 W 119/11, GmbHR 2012, 691; OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – 3 Wx 302/15, GmbHR 2016, 1032, dazu Theiselmann, GmbH-StB 2017, 17. 224 KG v. 25.2.1937 – 1 Wx 703/36, JW 1937, 1730; OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 363/65, GmbHR 1966, 141; OLG Frankfurt v. 5.5.1986 – 20 W 387/85, GmbHR 1986, 432 = BB 1986, 1601; Helmschrott, ZIP 2001, 636.

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Geschäftsführer | Rz. 99 § 6

durch andere zu ersetzen, wenn nicht der Fall tatsächlicher oder rechtlicher Behinderung vorliegt225. Verlangt die Satzung, dass die Gesellschaft durch mindestens zwei Geschäftsführer vertreten wird, und fällt einer der beiden Geschäftsführer weg, so ist ein Notgeschäftsführer „erforderlich“, um die Vertretung zu sichern226. Das gilt auch bei fehlender Vertretungsbefugnis wegen § 181 BGB227. Keine Erforderlichkeit besteht, wenn die Gesellschaft durch einen Geschäftsführer vertreten werden kann. Das gilt auch dann, wenn das Mitbestimmungsrecht zwei Geschäftsführer verlangt228. Tatsächliche Behinderung ist z.B. durch schwere Krankheit, durch Tod, durch Abberufung229, nicht aber durch hohes Alter230 oder durch vorübergehenden Auslandsaufenthalt gegeben, wenn dieser jederzeit beendet werden kann. Dagegen ist § 29 BGB entsprechend anwendbar, wenn der Geschäftsführer aus Furcht vor Strafverfolgung im Ausland weilt, wenn er sich in Strafhaft befindet231 oder bei ausländischen Geschäftsführern nicht einreisen darf. Unzulässig ist die Bestellung eines Notgeschäftsführers ferner bei unwirksamer Abberufung 98 des bisherigen Geschäftsführers232, bei rechtsmissbräuchlicher Amtsniederlegung233, bei treuwidriger und unzweckmäßiger Geschäftsführertätigkeit234 und wenn ein Prozess- oder Verfahrenspfleger bestellt wurde und dies ausreicht, um drohende Schäden abzuwehren235. Als antragsberechtigte Beteiligte gelten sowohl Gesellschafter236 als auch jeder Dritte, der 99 ein schutzwürdiges Interesse an der Bestellung eines Notgeschäftsführers hat. Das ist jeder, dessen Rechte oder Pflichten durch die beantragte Bestellung unmittelbar beeinflusst werden237. Antragsberechtigt ist daher auch ein Gläubiger238 und ein Geschäftsführer, wenn nach der Satzung ein zweiter oder weiterer Geschäftsführer notwendig oder wenn zweifelhaft ist, ob eine Abberufung wirksam ist239, ein Aufsichtsratsmitglied240, eine Verwaltungsbehörde, die sicherstellen muss, dass die der Gesellschaft obliegenden öffentlich-rechtlichen Pflichten 225 OLG Frankfurt v. 22.11.1965 – 6 W 363/65, GmbHR 1966, 141; OLG Frankfurt v. 5.5.1986 – 20 W 387/85, GmbHR 1986, 432 = BB 1986, 1601. 226 OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – 3 Wx 302/15, GmbHR 2016, 1032, 1034; Goette/Goette, Die GmbH, 3. Aufl. 2019, § 8 Rz. 23; Tebben in Michalski u.a., Rz. 73; Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84 f. 227 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 215/58, BGHZ 33, 189, 193: Alleingeschäftsführer einer EinpersonenGmbH. 228 Tebben in Michalski u.a., Rz. 73; a.A. für AG: Oetker in Großkomm. AktG, 4. Aufl. 1999, § 33 MitbestG Rz. 8. 229 OLG Bremen v. 6.11.1955 – 1 W 303/55, NJW 1955, 1925. 230 OLG Frankfurt v. 5.5.1986 – 20 W 387/85, GmbHR 1986, 432 = BB 1986, 1601; AG Potsdam v. 24.1.2013 – 35 IN 978/12, NZI 2013, 602 = ZIP 2013, 1638; Tebben in Michalski u.a., Rz. 74; Singer, NWB 2017, 1450, 1452. 231 Zweifelnd: OLG Frankfurt v. 16.1.2014 – 20 W 309/13, GmbHR 2014, 929. 232 BayObLG v. 14.9.1999 – 3Z BR 158/99, GmbHR 1999, 1292 = ZIP 1999, 1845. 233 BayObLG v. 15.6.1999 – 3Z BR 35/99, GmbHR 1999, 980 = ZIP 1999, 1599; OLG Düsseldorf v. 6.12.2000 – 3 Wx 393/00, GmbHR 2001, 144 = ZIP 2001, 25; Altmeppen, Rz. 53. 234 BayObLG v. 28.8.1997 – 3 Z BR 1/97, GmbHR 1997, 1002. 235 A.A. OLG Köln v. 3.1.2000 – 2 W 214/99, GmbHR 2000, 390 = ZIP 2000, 280, 283; wie hier: OLG Zweibrücken v. 12.4.2001 – 3 W 23/01, GmbHR 2001, 571 = ZIP 2001, 973; Kutzer, ZIP 2000, 654. 236 BayObLG v. 28.8.1997 – 3Z BR 1/97, GmbHR 1997, 1002 = ZIP 1997, 1785; BayObLG v. 12.8.1998 – 3Z BR 456/97, GmbHR 1998, 1124; OLG Düsseldorf v. 8.6.2016 – 3 Wx 302/15, GmbHR 2016, 1032. 237 OLG Frankfurt v. 16.1.2014 – 20 W 309/13, GmbHR 2014, 929, 930. 238 OLG Hamm v. 4.12.1995 – 15 W 399/95, GmbHR 1996, 210; Tebben in Michalski u.a., Rz. 77; Helmschrott, GmbHR 2001, 637. 239 KG v. 28.5.1931 – 1 b X 322/31, JW 1932, 752; BayObLG v. 7.10.1980 – BReg 1 Z 24/80, GmbHR 1981, 243 = NJW 1981, 995, 996; BayObLG v. 21.10.1993 – 3Z BR 174/93, BayObLGZ 1993, 349; BayObLG v. 12.8.1998 – 3Z BR 456/97, GmbHR 1998, 1125. 240 Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Vor § 35 Rz. 18; Tebben in Michalski u.a., Rz. 77.

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§ 6 Rz. 99 | Geschäftsführer wahrgenommen werden241. Die Staatsanwaltschaft ist nur antragsberechtigt, wenn sie nicht auf andere Weise die öffentlichen Interessen wahrnehmen kann242. Der Antragsteller kann geeignete Persönlichkeiten zur Bestellung vorschlagen243. Das Registergericht ist an solche Vorschläge aber nicht gebunden. Es darf aber nur solche Personen bestellen, die die gesetzlichen, und soweit dies möglich ist, auch die statutarischen Voraussetzungen für das Geschäftsführeramt erfüllen244. Im Übrigen hat es bei der Auswahl nach pflichtgemäßem Ermessen zu verfahren245. Die Gesellschafter sind vor der gerichtlichen Entscheidung anzuhören246. Die Organstellung erlangt der Betreffende erst mit der Annahme. Eine Pflicht hierzu besteht nicht. Auch Gesellschafter, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer usw. sind zur Übernahme des Geschäftsführeramts nicht verpflichtet247. 100 Ist die Gesellschaft nach MitbestG mitbestimmt, so gehört es zu den Pflichten des Aufsichts-

rats, einen Geschäftsführer zu bestellen. Verletzt der Aufsichtsrat seine Pflichten, so hat in dringenden Fällen das Gericht auf Antrag eines Beteiligten das Mitglied zu bestellen248. § 31 Abs. 1 MitbestG verweist auf § 85 AktG. Beteiligter ist, wer ein rechtliches Interesse an der Bestellung eines Notgeschäftsführers hat, z.B. einzelne Gesellschafter und Gläubiger. 101 Ist die Gesellschaft im Anwendungsbereich des DrittelbG, so bleibt es bei den allgemeinen

Regelungen, die auch für die mitbestimmungsfreie GmbH bestehen.

2. Geschäftsführungs- und Vertretungsmacht 102 Der gerichtlich bestellte Notgeschäftsführer hat alle Zuständigkeiten, Befugnisse und Pflich-

ten wie ein durch die zuständigen Gesellschaftsorgane bestellter Geschäftsführer249. Durch das Gericht kann allerdings die Geschäftsführungsbefugnis beschränkt werden250. Fehlt es an einer gerichtlichen Beschränkung, so richten sich die Art und der Umfang der Geschäftsführungsbefugnis nach dem Gesellschaftsvertrag. Der Notgeschäftsführer ist an Weisungen der Gesellschafter gebunden. Zustimmungsvorbehalte der Gesellschafter sind zu beachten. Die Grenze von Weisungen bilden Notmaßnahmen251.

241 Altmeppen, Rz. 51; Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 92 Fn. 401. 242 OLG Frankfurt v. 16.1.2014 – 20 W 309/13, GmbHR 2014, 929, 931. 243 OLG Hamm v. 4.12.1995 – 15 W 399/95, GmbHR 1996, 210: zur Ermittlung geeigneter Personen, wenn Antragsteller keine Person benennt. 244 BayObLG v. 7.10.1980 – BReg 1 Z 24/80, NJW 1981, 995; Diekmann/Marsch-Barner in MünchHdb. GesR III, § 42 Rz. 15; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 43; Fichtner, BB 1964, 868; Hoffmann/Neumann, GmbHR 1976, 184. 245 BayObLG v. 28.7.1978 – BReg 1 Z 45/78, DB 1978, 2165; BayObLG v. 12.8.1998 – 3Z BR 456/97, GmbHR 1998, 1125. 246 BayObLG v. 7.10.1980 – BReg 1 Z 24/80, NJW 1981, 996. 247 BGH v. 22.10.1984 – II ZR 31/84, GmbHR 1985, 149; KG v. 4.4.2000 – 1 W 3052/99, GmbHR 2000, 660; OLG Frankfurt v. 9.1.2001 – 20 W 421/00, GmbHR 2001, 436; Helmschrott, ZIP 2001, 638. 248 Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 83. 249 BayObLG v. 7.10.1980 – BReg 1 Z 24/80, GmbHR 1981, 243 = BayObLGZ 1980, 306 = DB 1980, 2435; H.P. Westermann in FS Kropff, 1997, S. 691. 250 BayObLG v. 6.12.1985 – BReg 3 Z 116/85, GmbHR 1986, 189; BayObLG v. 12.8.1998 – 3Z BR 456/97, GmbHR 1998, 1125; LG Frankenthal v. 11.2.2003 – 1 HK T 3/02, GmbHR 2003, 586; OLG Köln v. 27.6.2019 – 18 Wx 11/19 (Justiz – Online NRW); Altmeppen, Rz. 57: Daher ist das Gericht verpflichtet, die Geschäftsführungsbefugnis des Notgeschäftsführers auf das Notwendige zu beschränken. 251 H.P. Westermann in FS Kropff, 1997, S. 694; Tebben in Michalski u.a., Rz. 79; Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 192.

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Geschäftsführer | Rz. 106 § 6

Seine organschaftliche Vertretungsmacht ist unbeschränkt und gerichtlich unbeschränkbar, 103 und zwar auch dann, wenn der Notgeschäftsführer nur für bestimmte „Wirkungskreise“ bestellt wurde252. Das Gericht ist aber an satzungsrechtliche Bestimmungen über die Mindestzahl der Geschäftsführer bei der Vertretung gebunden; gegebenenfalls ist daher die Bestellung mehrerer Notgeschäftsführer erforderlich. Das Gericht kann jedoch auch anordnen, dass einem Notgeschäftsführer Einzelvertretungsbefugnis an Stelle von Gesamtvertretungsbefugnis zustehen soll253. Bei sachlichem Bedürfnis kann auch von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit werden254.

3. Die persönliche Stellung Mit der Bestellung entsteht ein Geschäftsbesorgungsverhältnis zwischen dem Notgeschäfts- 104 führer und der Gesellschaft255. Der hierdurch begründete Anspruch auf Vergütung richtet sich nur gegen die GmbH, nicht aber gegen die Gesellschafter, auch nicht gegen den Antragsteller256 und auch nicht subsidiär gegen die Staatskasse257. Mangels Vereinbarung mit der Gesellschaft richtet sich die Vergütung nach § 612 BGB258. 105 Außerdem hat der Notgeschäftsführer Anspruch auf Ersatz seiner notwendigen Auslagen259. Dazu gehört auch die Prämie für eine im eigenen Namen abgeschlossene D&O-Versicherung. Zweifelhaft ist, ob die Höhe der Vergütung für den Notgeschäftsführer durch das Registerge- 106 richt schon bei der Bestellung wirksam festgesetzt werden kann260. Für eine einseitige Festsetzung in entsprechender Anwendung des § 85 Abs. 3 Satz 2 AktG ist entgegen teilweise vertretener Ansicht nur ausnahmsweise dann Raum, wenn dies ausdrücklich angeordnet wird, wie dies etwa für die mitbestimmte GmbH gemäß § 31 MitbestG der Fall ist. Im Übrigen liegt es nicht in der Zuständigkeit des Registergerichts, schon im Rahmen der Bestellung die Höhe

252 BayObLG v. 6.12.1985 – BReg 3 Z 116/85, GmbHR 1986, 189 = DB 1986, 422 = EWiR, § 37 GmbHG 1/86, 163 (Miller). 253 BayObLG v. 12.8.1998 – 3Z BR 456/97, GmbHR 1998, 1125: wenn in Satzung vorgesehen; a.A. Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 164, 170. 254 OLG Düsseldorf v. 12.11.2001 – 3 Wx 157/00, NZG 2002, 338. 255 A.A. Karsten Schmidt/Scheller, hier 12. Aufl., § 66 Rz. 52 für Liquidator: besonderer Abschluss erforderlich. 256 BGH v. 22.10.1984 – II ZR 31/84, GmbHR 1985, 149 = WM 1985, 52 m. Anm. Fleck, EWiR, § 6 GmbHG, 1/85, 97; BayObLG v. 7.10.1980 – BReg 1 Z 24/80, GmbHR 1981, 243 = NJW 1981, 995; LG Hamburg v. 12.11.1971 – 71 T 38/70, MDR 1971, 298. 257 So aber Eickmann, ZIP 1982, 22; Kögel, NZG 2000, 23; a.A. Helmschrott, ZIP 2001, 636, 639: analog § 1835 Abs. 4, § 1835a Abs. 3; Bauer, Der Notgeschäftsführer in der GmbH, 2006, S. 226. 258 BayObLG v. 11.7.1975 – BReg 2 Z 9/75, BayObLGZ 1975, 260, 262; BayObLG v. 7.10.1980 – BReg 1 Z 24/80, GmbHR 1981, 243 = NJW 1981, 995 f. 259 S. aber auch OLG Karlsruhe v. 21.8.2002 – 3A W 44/02, GmbHR 2003, 39. Zur Vertretung einer GmbH bei einer von Amts wegen bewirkten Löschung im Handelsregister s. BGH v. 23.2.1970 – II ZB 5/69, BGHZ 53, 264 = WM 1970, 520 und BGH v. 18.4.1985 – IX ZR 75/84, GmbHR 1985, 325 = WM 1985, 870. 260 Dafür: LG Hamburg v. 12.11.1971 – 71 T 38/70, MDR 1971, 298; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, Vor § 35 Rz. 24; Altmeppen, Rz. 59; Diekmann/Marsch-Barner in MünchHdb. GesR III, § 42 Rz. 36; H.P. Westermann in FS Kropff, 1997, S. 687, 688; Karsten Schmidt/Scheller (für Liquidator), hier 12. Aufl., § 66 Rz. 53: Gericht kann Vergütung analog § 265 Abs. 4 AktG festsetzen. Ablehnend: BayObLG v. 11.7.1975 – BReg 2 Z 9/75, BB 1975, 1037; BayObLG v. 28.7.1988 – BReg 3 Z 49/88, GmbHR 1988, 436 = DB 1988, 1945; Uwe H. Schneider, EWiR 1988, 999. Differenzierend: Tebben in Michalski u.a., Rz. 80: Nur bei einer nach MitbestG mitbestimmten GmbH legt das Registergericht gemäß § 85 Abs. 3 AktG die Vergütung fest.

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§ 6 Rz. 106 | Geschäftsführer der Vergütung festzusetzen261. Können sich die Gesellschaft, vertreten durch die Gesellschafter, und der Notgeschäftsführer über die Höhe der Vergütung nicht einigen, so kann der Notgeschäftsführer seinen Anspruch nur im ordentlichen Rechtsweg geltend machen. Das Registergericht gilt nach § 85 Abs. 3 AktG nur bei der GmbH im Anwendungsbereich des MitbestG zuständig.

4. Beendigung, Abberufung 107 Das Amt des gerichtlich bestellten Geschäftsführers endet mit der Bestellung eines Ge-

schäftsführers durch das zuständige Organ, insbesondere also bei Bestellung durch die Gesellschafter. Einer Abberufung bedarf es in diesem Fall nicht262. 108 Ist noch kein Geschäftsführer bestellt, so kann ein Notgeschäftsführer bei Vorliegen eines

wichtigen Grundes abberufen werden. Nur Wegfall der Erforderlichkeit oder lange Zeitdauer genügen nicht263. Für die Abberufung ist nur das Registergericht zuständig264. Die Gesellschafter sind zur Abberufung des Notgeschäftsführers nicht befugt, auch nicht bei Vorliegen eines wichtigen Grundes265. Es kann lediglich die Abberufung aus wichtigem Grund beim Registergericht beantragt werden266. 109 Gegen die Abberufung besteht die Möglichkeit der einfachen Beschwerde267.

Der Notgeschäftsführer kann – wie jeder Geschäftsführer – jederzeit ohne wichtigen Grund sein Amt niederlegen268.

XI. Wegfall oder Verhinderung im Prozess 110 Ist in einem Prozess bereits ein Prozessbevollmächtigter bestellt, so steht der Wegfall oder

die Verhinderung eines Geschäftsführers dem Fortgang des Rechtsstreits nicht entgegen, § 246 Abs. 1 ZPO269. Der Prozessbevollmächtigte der GmbH, nicht jedoch der Prozessgegner, kann aber beantragen, dass das Verfahren ausgesetzt wird, § 246 Abs. 1, §§ 248 ff. ZPO. 111 Im Aktivprozess ist bei Fehlen eines Geschäftsführers die Bestellung eines Notgeschäftsfüh-

rers zulässig. Ist im laufenden Verfahren noch kein Prozessbevollmächtigter bestellt, so wird der Rechtsstreit nach § 241 Abs. 1 ZPO kraft Gesetzes unterbrochen, wenn der Geschäftsführer wegfällt oder dauerhaft verhindert ist. Fällt der Geschäftsführer während des Rechts-

261 BayObLG v. 28.7.1988 – BReg 3 Z 49/88, GmbHR 1988, 436 = DB 1988, 1945; Uwe H. Schneider, EWiR 1988, 999. 262 Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 80; Altmeppen, Rz. 56; Tebben in Michalski u.a., Rz. 82; a.A. H.P. Westermann in FS Kropff, 1997, S. 687; Theiselmann, GmbH-StB 2017, 17. 263 OLG Düsseldorf v. 18.4.1997 – 3 Wx 584/96, GmbHR 1997, 549 = ZIP 1997, 846; H.P. Westermann in FS Kropff, 1997, S. 689. 264 KG v. 21.11.1966 – 1 W 2437/66, NJW 1967, 933; OLG München v. 30.6.1993 – 7 U 6945/92, GmbHR 1994, 259; OLG Düsseldorf v. 18.4.1997 – 3 Wx 584/96, GmbHR 1997, 549 = ZIP 1997, 846. 265 Altmeppen, Rz. 56. 266 OLG München v. 30.6.1993 – 7 U 6945/92, GmbHR 1994, 259; OLG Düsseldorf v. 18.4.1997 – 3 Wx 584/96, GmbHR 1997, 549 = ZIP 1997, 846. 267 BayObLG v. 18.9.1999 – 3Z BR 158/99, ZIP 1999, 1845; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 80. 268 Ebenso Hohlfeld, GmbHR 2002, 162. 269 OLG Hamburg v. 28.6.1983 – 16 WF 44/83 U, FamRZ 1983, 1262; Happ, Die GmbH im Prozess, 1997, S. 36.

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Geschäftsführer | Rz. 114 § 6

streits weg und bewirkt dies eine Verfahrensaussetzung oder eine Verfahrensunterbrechung, so kann nach h.A. in unmittelbarer oder entsprechender Anwendung von § 57 Abs. 1 ZPO ein Prozesspfleger bestellt werden270. Die Bestellung eines Prozesspflegers hindert aber nicht die gerichtliche Bestellung eines Notgeschäftsführers271. Umgekehrt ist die Bestellung eines Prozesspflegers auch nicht davon abhängig, dass zugleich ein Notgeschäftsführer bestellt wird und sich die Bestellung des Notgeschäftsführers durch das zuständige Gericht verzögert272; denn der Prozesspfleger vertritt die Gesellschaft lediglich im Prozess. Er hat darüber hinaus keine organschaftlichen Befugnisse273.

XII. Der Geschäftsführer in der mitbestimmten GmbH Die GmbH kann in unterschiedlicher Weise mitbestimmt sein. Dies hat Folgen für die Zu- 112 sammensetzung des Aufsichtsrats, dessen Zuständigkeit insbesondere zur Bestellung der Geschäftsführer, die Zahl der Geschäftsführer (s. Rz. 9), die Zulässigkeit von statutarischen Eignungsvoraussetzungen (s. Rz. 72) und für die Grenzen der Gestaltungsfreiheit (zum Ganzen bei 12. Aufl., § 52 Rz. 344, 347). Unterliegt die GmbH dem Anwendungsbereich des MontanMitbestG 1951, des MontanMitbestErgG 1956 oder des MitbestG 1976, so erfolgt nach h.M. die Bestellung der Geschäftsführung durch den Aufsichtsrat (s. 12. Aufl., § 52 Rz. 349). Dabei müssen mindestens zwei Geschäftsführer bestellt werden, wovon ein Geschäftsführer zum Arbeitsdirektor zu bestellen ist (s. Rz. 9). Die Stellung der Geschäftsführer ist in diesen Fällen gestärkt; denn sie werden nicht auf unbestimmte Zeit, sondern auf Zeit berufen; und eine Abberufung ist nur aus wichtigem Grund zulässig. In dem nach dem DrittelbG mitbestimmten GmbHs ist weiterhin die Gesellschafterversamm- 113 lung für die Bestellung zuständig. Die Feststellung, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat einer mitbestimmten GmbH zusammenzusetzen ist, kann nur in einem besonderen Verfahren, nämlich dem sog. Statusverfahren, getroffen werden. Dabei sind zwei Arten zu unterscheiden, nämlich – das einfache Statusverfahren. Hiernach haben die Geschäftsführer im Wege der einfachen Bekanntmachung offen zu legen, nach welchen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammengesetzt werden soll. Davon abhängig sind dann auch seine Zuständigkeiten, das Verfahren zur Bestellung der Geschäftsführer, usw.; – das gerichtliche Statusverfahren nach § 98 AktG. Voraussetzung ist, dass „streitig oder ungewiss ist, nach welchen gesetzlichen Vorschriften der Aufsichtsrat zusammenzusetzen ist“.

XIII. Der faktische Geschäftsführer Wer, ohne als Geschäftsführer bestellt zu sein, die Geschicke einer Gesellschaft durch eigenes 114 Handeln, nicht nur durch interne Einwirkung auf die Gesellschaft, sondern durch eigenes

270 LAG Niedersachsen v. 22.10.1984 – 4 Ta 31/84, MDR 1985, 170; OLG Dresden v. 11.12.2001 – 2 W 1848/01, GmbHR 2002, 163; OLG Zweibrücken v. 22.1.2007 – 4 W 6/07, GmbHR 2007, 544; Bork, MDR 1991, 97, 99; Althammer in Zöller, § 57 ZPO Rz. 1a. 271 Paefgen in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 84; einschränkend Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 42: Wegfall der Dringlichkeit; a.A. für Passivprozess: Bergwitz, GmbHR 2008, 225, 228. 272 Streitig; a.A. Tebben in Michalski u.a., Rz. 83; zum Streitstand: Happ, Die GmbH im Prozess, 1997, S. 38; Lutz, NZG 2015, 424. 273 OLG Dresden v. 11.12.2001 – 2 W 1848/01, GmbHR 2002, 163.

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§ 6 Rz. 114 | Geschäftsführer Handeln im Außenverhältnis, das die Tätigkeit des Geschäftsführungsorgans nachhaltig prägt, maßgeblich in die Hand nimmt, wird als „faktischer Geschäftsführer“ bezeichnet274. Maßgeblich sind somit zwei Merkmale, nämlich eigenes Handeln im Außenverhältnis und nachhaltige Einwirkung im Innenverhältnis. Wer nur intern auf die Geschäftsführung Einfluss nimmt, ist daher nicht faktischer Geschäftsführer; denn seine Weisungsabhängigkeit von der Gesellschafterversammlung ist ein typisches Merkmal der GmbH. Liegt aber zugleich ein eigenes Handeln im Außenverhältnis vor, so ist das Gesamterscheinungsbild275 maßgebend unter Berücksichtigung insbesondere seines Einflusses auf die Unternehmenspolitik, die Unternehmensorganisation und wesentliche Maßnahmen der Geschäftsführung, die Entscheidung in Steuerangelegenheiten sowie die Einstellung von Mitarbeitern. Im Einzelnen weichen die Definitionen freilich voneinander ab. So wird teilweise etwa danach unterschieden, ob ein fehlerhafter Anstellungsvertrag276 oder ein tatsächlicher, wenn auch rechtsunwirksamer Bestellungsakt vorliegt277 oder ob de facto ohne Bestellungsakt Zuständigkeiten wahrgenommen werden278. 115 Dabei handelt es sich aber nicht um ein gesetzlich anerkanntes oder von der Rechtsprechung

und von der Lehre voll ausgebildetes Rechtsinstitut. Vielmehr geht es nur um ein Zurechnungsproblem, und insbesondere um die Frage, ob bestimmte Befugnisse dem Betreffenden zustehen und ob Rechte und vor allem Pflichten, die den Geschäftsführer treffen, auf den faktischen Geschäftsführer auszudehnen sind. Es handelt sich daher um ein Normanwendungsproblem, so dass jeweils im Einzelfall zu prüfen ist, ob sich die Rechtsfolgen übertragen lassen. 116 Im Blick hierauf wird auf die Einzelkommentierungen verwiesen, s. etwa zur Haftung des

faktischen Geschäftsführers279 bei § 43 (s. 12. Aufl., § 43 Rz. 30 und 12. Aufl., § 64 Rz. 67), zur Einberufung der Gesellschafterversammlung durch den faktischen Geschäftsführer bei § 49 (s. 12. Aufl., § 49 Rz. 5), zur Insolvenzanmeldepflicht und zum Antragsrecht des faktischen Geschäftsführers, zur Abberufung des faktischen Geschäftsführers sowie zur Insolvenzver-

274 BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, GmbHR 2005, 1126 = ZIP 2005, 1414, 1415 = BB 2005, 1869 m. Anm. Gehrlein sowie schon BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 104, 44, 48 = GmbHR 1988, 299; BGH v. 21.3.1988 – II ZR 194/87, BGHZ 150, 61, 69 = EWiR 1988, 905 (Karsten Schmidt); BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, NZI 2002, 395 = GmbHR 2002, 549; Himmelsbach/Achsnick, NZI 2003, 355; zum Ganzen auch: Dinkhoff, Der faktische Geschäftsführer in der GmbH, 2003; Peetz, GmbHR 2017, 57. 275 Ebenso Trölitzsch in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishandbuch der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, § 11 Rz. 46 mit Hinweis auf BayObLG v. 20.2.1997 – 5St RR 159/96v, GmbHR 1997, 453. 276 BGH v. 6.4.1964 – II ZR 75/62, BGHZ 41, 282, 287; BGH v. 17.4.1967 – II ZR 157/64, BGHZ 47, 341, 343; BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414 = GmbHR 2005, 1126; Gerlach, AG 1965, 251, 257. 277 Reich, DB 1967, 1663, 1666; Jarzembowski, Fehlerhafte Organakte nach deutschem und amerikanischem Aktienrecht unter besonderer Berücksichtigung des Instituts des de facto officer, 1982, S. 104; Mertens/Cahn in KölnKomm. AktG, 3. Aufl. 2010, § 93 AktG Rz. 43; zum Ganzen Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 33 ff.; Stein, ZHR 148 (1984), 207. 278 BayObLG v. 20.2.1997 – 5St RR 159/96, GmbHR 1997, 453; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 71 ff., 75 ff.; zum Ganzen auch Weimar, GmbHR 1997, 473, 538. 279 BGH v. 27.6.2005 – II ZR 113/03, ZIP 2005, 1414 = GmbHR 2005, 1126; OLG Düsseldorf v. 25.11.1993 – 6 U 245/92, GmbHR 1994, 318; OLG Brandenburg v. 15.11.2000 – 7 U 114/00, NZG 2001, 807; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, § 43 Rz. 5, § 6 Rz. 75 ff.; Geißler, GmbHR 2003, 1106; Drygala, ZIP 2005, 423, 429; Siegmann/Vogel, ZIP 1994, 1821; Fleischer, GmbHR 2011, 337 sowie 11. Aufl., § 43 Rz. 22.

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Geschäftsführer | Rz. 119 § 6

schleppung durch den faktischen Geschäftsführer280 (s. 12. Aufl., vor § 64 Rz. 133 ff. und 12. Aufl., § 64 Rz. 232), zur strafrechtlichen Verantwortung des faktischen Geschäftsführers (s. 12. Aufl., § 82 Rz. 45 ff.)281, zum faktischen Geschäftsführer im Recht der Unfallverhütung282 und zum herrschenden Unternehmen im Konzern als faktischer Geschäftsführer sowie zur Beendigung der faktischen Konzernführung283.

XIV. Die Stellung des Geschäftsführers außerhalb des GmbH-Gesetzes 1. Der Geschäftsführer als Verbraucher Der Geschäftsführer ist kein „Unternehmer“ i.S.d. § 14 Abs. 1 BGB; denn er übt keine ge- 117 werbliche Tätigkeit aus. Er ist auch nicht selbständig beruflich tätig, sondern er handelt in Ausübung einer unselbständigen, nämlich angestellten beruflichen Tätigkeit284. Ob dies ausnahmslos gilt, entscheidet auch darüber, unter welchen Voraussetzungen der Ge- 118 schäftsführer als „Verbraucher“ ein Rechtsgeschäft abschließt. Voraussetzung für § 13 BGB ist, dass das Rechtsgeschäft weder seiner gewerblichen noch seiner selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann. Bedeutung hat dies insbesondere für die Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB und damit vor allem für die Inhaltskontrolle von Anstellungsverträgen. Zu bedenken ist dabei, dass nach h.A. Anstellungsverträge nicht als Verträge „auf dem Gebiet des Gesellschaftsrechts“, § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, angesehen werden285. Teils wird die Ansicht vertreten, der Geschäftsführer handle, wenn er im eigenen Namen Rechtsgeschäfte abschließt, unselbständig und in angestellter beruflicher Tätigkeit286. Er sei in jedem Fall „Verbraucher“. Geht man dagegen davon aus, dass er in bestimmten Fällen selbständig beruflich tätig sei, ist zweifelhaft, ob er bei Abschluss des Anstellungsvertrags den Vertrag zu einem Zweck abschließt, der seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit zuzurechnen ist. Teilweise wird die Ansicht vertreten, der Geschäftsführer handle zwar nicht als „Verbraucher“ i.S.v. § 13 BGB, wenn er über eine Sperrminorität verfüge und Leitungsmacht über die Gesellschaft ausübe287. Er handle aber als „Verbraucher“, wenn er Fremdgeschäftsführer sei oder Gesellschafter-Geschäftsführer mit einer Beteiligung unterhalb der Sperrminorität288. Stellungnahme: § 13 BGB denkt die betreffenden Personen in ihren jeweiligen Rollen. Das 119 gilt auch für Organwalter. Wenn dieser im eigenen Interesse tätig wird, handelt er nicht in Ausübung seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit. Das gilt auch, wenn

280 BGH v. 18.12.2014 – 4 StR 323/14, NJW 2015, 712; Weyand, ZInsO 2015, 1773. 281 S. dazu BGH v. 28.5.2002 – 5 StR 16/02, BGHSt 47, 318, 324 = GmbHR 2002, 1026; BGH v. 29.9.1982 – 3 StR 287/82, BB 1983, 788; BGH v. 13.10.2016 – 3 StR 352/16, GmbHR 2016, 1311; OLG Düsseldorf v. 16.10.1987 – 5 Ss 193/87 – 200/87, GmbHR 1988, 191 = NStZ 1988, 369 m. Anm. Hoyer; Kratzsch, ZGR 1985, 506; Peetz, GmbHR 2017, 57, 62. 282 Robrecht, GmbHR 2003, 762; Böge, GmbHR 2014, 1121. 283 Böge, GmbHR 2014, 1121. 284 BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, BGHZ 133, 71, 78; BGH v. 28.6.2000 – VIII ZR 240/99, BGHZ 144, 370, 380 = GmbHR 2000, 878; Altmeppen, Rz. 5; Wicke, Rz. 2; Raff in Rowedder/Pentz, Rz. 7. 285 Grüneberg in Grüneberg, 81. Aufl. 2022, § 310 BGB Rz. 49; Schmitt-Rolfes in FS Hromadka, 2008, S. 395; Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337. 286 BGH v. 28.6.2000 – VIII ZR 240/99, BGHZ 144, 370, 380 = GmbHR 2000, 878; Micklitz in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2018, § 13 BGB Rz. 61. 287 So BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, GmbHR 2010, 1142. 288 Altmeppen, Rz. 5; Mülbert in FS Hadding, 2004, S. 575, 579: wenn Ausübung des Weisungsrechts der Gesellschaftergesamtheit determiniert werden kann; a.A. kein Verbraucher: Mülbert in FS Goette, 2011, S. 333, 337; Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337, 2339.

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§ 6 Rz. 119 | Geschäftsführer er Allein-Gesellschafter und Allein-Geschäftsführer ist. Er ist auch in den letztgenannten Fällen Verbraucher. 120 Der Geschäftsführer übt als Organ der Gesellschaft deren Arbeitgeberfunktion aus289. Auch

mitbestimmungs- und betriebsverfassungsrechtlich steht der Geschäftsführer auf der Arbeitgeberseite. Er wird aufgrund seiner Stellung als Organ einer GmbH aber nicht Kaufmann, da er nicht im eigenen Namen gewerbsmäßig Handelsgeschäfte betreibt (§ 1 HGB)290. Er kann zum Handelsrichter (§ 109 Abs. 1 GVG), zum Arbeitsrichter (§§ 22, 37, 43 ArbGG) und zum Sozialrichter (§§ 16, 47 SGG) – in den letzten beiden Fällen jeweils auf Arbeitgeberseite – ernannt werden. Er ist auch wählbar für die Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer291.

2. Unternehmensverantwortlicher und Beauftragter 121 Die GmbH und ihr Geschäftsführer sind mit einer Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Pflich-

ten und Verboten belegt, etwa durch das Umweltrecht, das Steuerrecht, das Datenschutzrecht usw. Der bzw. die Geschäftsführer sind die Unternehmensverantwortlichen. So ist für den Außenwirtschaftsverkehr der Geschäftsführer der Ausfuhrverantwortliche. Er ist für die Einhaltung der Exportkontrollvorschriften persönlich verantwortlich. „Ihm obliegen die Organisation und Überwachung des innerbetrieblichen Exportkontrollsystems.“292 122 Darüber hinaus können die Geschäftsführer gesetzlich verpflichtet sein, einen besonderen

Beauftragten bzw. eine Beauftragte zu bestellen. Dazu gehört etwa der Gleichstellungsbeauftragte, der Brandschutzbeauftragte, der Behindertenbeauftragte und der Exportkontrollbeauftragte293. Teilweise ist die Einrichtungsverpflichtung eine öffentlich-rechtliche Pflicht. Die Einrichtungsverpflichtung besteht dabei nur im öffentlichen Interesse und nicht zum Schutz Privater. Teilweise sind die Geschäftsführer zugleich oder auch nur organisationsrechtlich gehalten im Rahmen eines Complianceprogramms einen Beauftragten zu bestellen. So heißt es in § 4 Abs. 3 Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz: „Das Unternehmen hat dafür zu sorgen, dass festgelegt ist, wer innerhalb des Unternehmens dafür zuständig ist, das Risikomanagement zu überwachen, etwa durch die Benennung eines Menschenrechtsbeauftragten.“ Die organisationsrechtliche Verpflichtung zur Bestellung besteht nur imVerhältnis zur Gesellschaft. Sie hat keinen drittschützenden Charakter. Und ISO 9001 erwartet auf freiwilliger Basis einen Beauftragten, der von der obersten Leitung benannt wird, der die Befugnis hat sicherzustellen, dass ein Qualitätsmanagementsystem eingeführt, verwirklicht und auf Dauer aufrechterhalten wird. 123 Die Einrichtungsverpflichtung bezieht sich teilweise auf alle Unternehmen, teilweise nur auf

Gesellschaften, die in bestimmten Branchen tätig sind. Zu denken ist etwa an den Abfallbeauftragten, die Druckluftfallkraft, den Geldwäschebeauftragten. Hinzu kommen Beauftragte für Unternehmen beim Umgang mit Gefahrenstoffen und der Immissionsschutzbeauftragte. 289 BGH v. 11.7.1953 – II ZR 126/52, BGHZ 10, 187; BGH v. 16.12.1953 – II ZR 41/53, BGHZ 12, 1, 8 = NJW 1954, 505; BGH v. 7.12.1961 – II ZR 117/60, BGHZ 36, 142; BGH v. 9.11.1967 – II ZR 64/67, BGHZ 49, 30; Peltzer, BB 1976, 1252; Born, GmbH-Recht, 2. Aufl. 2020, Rz. 1663; Scheidt in Heinz/Schmidt-De Caluwe/Scholz, Sozialgesetzbuch III, 7. Aufl. 2021, § 25 Rz. 23; OLG Jena v. 14.3.2001 – 7 U 913/00, GmbHR 2001, 673. 290 BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, BGHZ 133, 71, 74; BGH v. 28.6.2000 – VIII ZR 240/99, BGHZ 144, 370, 380 = GmbHR 2000, 878; BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, BGHZ 165, 43 = GmbHR 2006, 148; BGH v. 24.7.2007 – XI ZR 208/06, NZG 2007, 820, 821 = GmbHR 2007, 1154. 291 Vgl. Wahlordnung der jeweiligen Industrie- und Handelskammer. 292 Merkblatt Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Firmeninterne Exportkontrolle, 3. Aufl. 2022, S. 5. 293 Lachner, BB 2021, 53.

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Geschäftsführer | Rz. 124 § 6

In all diesen Fällen stellt sich die Frage, wer für die Bestellung des Beauftragten zuständig ist, 124 welche persönlichen und fachlichen Voraussetzungen der Beauftragte haben muss, welche nicht delegierbaren und welche delegierbaren Aufgaben der Geschäftsführer hat und ob der Geschäftsführer zugleich der Beauftragte sein kann und die Aufgaben des Beauftragten übernehmen kann. Insoweit lassen sich keine allgemeinen Aussagen machen. Die Antwort ist vielmehr für jeden einzelnen Beauftragten gesondert zu ermitteln.

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§7 Anmeldung der Gesellschaft (13. Auflage 2022) (1) Die Gesellschaft ist bei dem Gericht, in dessen Bezirk sie ihren Sitz hat, zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden. (2) Die Anmeldung darf erst erfolgen, wenn auf jeden Geschäftsanteil, soweit nicht Sacheinlagen vereinbart sind, ein Viertel des Nennbetrags eingezahlt ist. Insgesamt muss auf das Stammkapital mindestens soviel eingezahlt sein, dass der Gesamtnennbetrag der eingezahlten Geldeinlagen zuzüglich des Gesamtnennbetrags der Geschäftsanteile, für die Sacheinlagen zu leisten sind, die Hälfte des Mindeststammkapitals gemäß § 5 Abs. 1 erreicht. (3) Die Sacheinlagen sind vor der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister so an die Gesellschaft zu bewirken, dass sie endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen. Text des Abs. 1 geändert 1898; Abs. 2 geändert und Abs. 3 hinzugefügt durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 2 geändert durch Gesetz vom 9.6.1998 (BGBl. I 1998, 1242); Überschrift geändert, Abs. 2 Sätze 1 und 2 geändert, Satz 3 aufgehoben durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. 1. 2. 3. II. 1. 2. 3. 4. 5. 6. III.

Grundlagen Regelungsinhalt und -zweck . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Anmeldung (§ 7 Abs. 1) Anmeldeerfordernis . . . . . . . . . . . . . . . . . Zuständiges Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmeldebefugnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur, Form und Inhalt . . . . . . . . . Mängel der Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einlageleistungen vor der Anmeldung (§ 7 Abs. 2) 1. Mindesteinlageleistungen . . . . . . . . . . . . . a) Ein Viertel auf jeden Geschäftsanteil .

1 2 3 5 8 10 12 15 17

b) Vollständige Leistung der Sacheinlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gesamtbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zuwiderhandlungen gegen § 7 Abs. 2 2. Einzahlungen a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Freie Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Mindesteinzahlung und Gründungsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Leistung der Sacheinlagen (§ 7 Abs. 3) a) Bewirken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Freie Verfügung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Mehrleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

22 23 25 26 30 34 41 42 45 46

18 19

Schrifttum: Bergmann, Die verschleierte Sacheinlage bei AG und GmbH, AG 1987, 57, 75 ff.; Blecker, Die Leistung der Mindesteinlage in Geld zur „endgültig freien Verfügung“ der Geschäftsleitung bei AG und GmbH im Fall der Gründung und Kapitalerhöhung, 1995; Cahn, Kapitalaufbringung im Cash Pool, ZHR 166 (2002), 278; Feine in von Ehrenberg (Hrsg.), Handbuch des gesamten Handelsrechts, Band III, 1929; Frey, Einlagen in Kapitalgesellschaften, 1990; Habetha, Verdeckte Sacheinlage, endgültig freie Verfügung, Drittzurechnung und „Heilung“ fehlgeschlagener Bareinzahlungen im GmbH-Recht, ZGR 1998, 305; Henze, Erfordernis der wertgleichen Deckung bei Kapitalerhöhung mit Bareinlagen?, BB 2002, 955; Hofmann, Voreinzahlungen auf Anteile an Kapitalgesellschaften und Genossenschaften, AG 1963, 261 u. 299; Hommelhoff/Kleindiek, Schuldrechtliche Verwendungspflichten und „freie Verfügung“ bei der Barkapitalerhöhung, ZIP 1987, 477; Ihrig, Die endgültige freie Verfügung über die Einlage von Kapitalgesellschaften, 1991; Joost, Vorbelastungshaftung und Leistung der Bareinlage in das Vermögen der Vor-GmbH vor Fälligkeit, ZGR 1989, 554; Kreuels, Abgrenzung der Lehre von der verdeckten Sacheinlage zum Grundsatz endgültig freier Verfügung, 1996; Lutter, Das überholte Thesaurierungsgebot bei Eintragung einer Kapitalgesellschaft im Handelsregister, NJW 1989, 2649; Meilicke, Die „verschleierte“ Sacheinlage, 1989; Melber, Zur Kaduzierung des GmbH-Gesellschafters trotz freiwilliger vollständiger Einlageleistung vor Eintragung der GmbH, GmbHR 1991, 563; Mildner, Bareinlage, Sacheinlage und

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 2 § 7 ihre „Verschleierung“ im Recht der GmbH, 1989; Mülbert, Das „Magische Dreieck der Barkapitalaufbringung“, ZHR 154 (1990), 145; Pleyer, Freiwillige Zahlungen auf die Stammeinlage vor Eintragung der GmbH in das Handelsregister, GmbHR 1962, 156; Römermann, Der Entwurf des „MoMiG“ – die deutsche Antwort auf die Limited, GmbHR 2006, 673; von Rössing, Die Sachgründung nach der GmbH-Novelle 1980, 1984; G. H. Roth, Die freie Verfügung über die Einlage, in FS Semler, 1993, S. 299; G. H. Roth, Die wertgleiche Deckung als Eintragungsvoraussetzung, ZHR 167 (2003), 89; Karsten Schmidt, Barkapitalaufbringung und „freie Verfügung“ bei der Aktiengesellschaft und der GmbH, AG 1986, 106; Karsten Schmidt, Unterbilanzhaftung – Vorbelastungshaftung – Gesellschafterhaftung, ZHR 156 (1992), 93; Seibert, GmbH-Reform: Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen – MoMiG, ZIP 2006, 1157; Ulbrich, Bedeutung und Anrechnung von Leistungen auf GmbH-Stammeinlagen im Gründungsstadium, 1965; Ulbrich, Anrechnung freiwilliger Voreinzahlungen, wenn dafür Sachwerte zufließen, GmbHR 1966, 249; Ulmer, Rechtsfragen der Barkapitalerhöhung bei der GmbH, GmbHR 1993, 189; Wachter, Verschlankung des Registerverfahrens bei der GmbH-Gründung. Zwölf Vorschläge aus der Praxis, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 55; Wedemann, Das neue GmbH-Recht, WM 2008, 1381; Wilhelm, Kapitalaufbringung und Handlungsfreiheit der Gesellschaft nach Aktien- und GmbH-Recht, ZHR 152 (1988), 333.

I. Grundlagen 1. Regelungsinhalt und -zweck § 7 Abs. 1 bestimmt, dass die Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden 1 ist (Anmeldepflicht). Ferner legt sie die Bedingungen für die Anmeldung fest. Die inhaltlichen Anforderungen an eine Anmeldung sind in § 8 normiert. Von Bedeutung für die Anmeldung sind ferner die in § 78 niedergelegten Regeln über die Anmeldepflichtigen. Dagegen findet § 79 über die Festsetzung eines Zwangsgelds keine Anwendung. Soweit das GmbHG keine abweichenden Bestimmungen trifft, gelten für das Eintragungsverfahren die allgemeinen Vorschriften über das Handelsregister (§§ 8 ff. HGB, §§ 376, 379 und 387 FamFG und Handelsregisterverordnung vom 12.8.1937). Aus § 7 Abs. 2 und 3 folgt, dass die Gesellschafter vor der Anmeldung bestimmte Mindestleistungen erbringen müssen. Das Gesetz will sicherstellen, dass die Gesellschaft nicht ohne ein reales eigenes Gesellschaftsvermögen ins Leben tritt. Auch soll eine gewisse Garantie für die Ernstlichkeit der Beteiligungen der Gesellschafter geschaffen werden. Die in § 7 Abs. 3 vorgesehene Anordnung zur vollständigen Leistung der Sacheinlagen soll darüber hinaus einen Ausgleich für die fehlende Gründungsprüfung bilden sowie die Aufbringung des durch Sacheinlagen gedeckten Teils des Stammkapitals sicherstellen1.

2. Anwendungsbereich Die Vorschrift findet teilweise auch bei einer Kapitalerhöhung Anwendung. So bestimmt 2 § 56a, dass für die Leistungen der Einlagen auf das neue Stammkapital § 7 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 entsprechende Anwendung finden. Dies gilt zum einen bei einer ordentlichen Kapitalerhöhung durch Ausgabe neuer Geschäftsanteile (§ 55 Abs. 3), zum anderen aber auch dann, wenn die Kapitalerhöhung durch Aufstockung aller oder einzelner Geschäftsanteile (Erhöhung des Nennbetrags) erfolgt. Im letzteren Fall ist ¼ des Erhöhungsbetrags auch dann vor der Anmeldung einzuzahlen, wenn zum Zeitpunkt des Kapitalerhöhungsbeschlusses durch Einzahlungen auf den bestehenden Geschäftsanteil der nach Aufstockung erhöhte Nennbetrag

1 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 32 f.

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§ 7 Rz. 2 | Anmeldung der Gesellschaft zu ¼ gedeckt ist2. Auch bei der Aktivierung einer Vorrats- oder Mantelgesellschaft muss nach der Rechtsprechung des BGH das Kapital effektiv aufgebracht sein; andernfalls trifft die Gesellschafter die Vorbelastungshaftung (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 190 ff.). Abweichende Bestimmungen sind für die Unternehmergesellschaft vorgesehen. Deren Anmeldung darf abweichend von § 7 Abs. 2 erst erfolgen, wenn das Stammkapital in voller Höhe eingezahlt ist (§ 5a Abs. 2 Satz 1). Außerdem sind Sacheinlagen ausgeschlossen (§ 5a Abs. 2 Satz 2), so dass die Anforderungen des § 7 Abs. 3 für eine Unternehmergesellschaft nicht relevant werden.

3. Reformen 3 Die Vorschrift stand bereits bei der GmbH-Novelle von 1980 im Blickpunkt der rechtspoliti-

schen Debatte. Der Gesetzgeber hatte mit dieser Reform das Anliegen verfolgt, einen effektiveren Gläubigerschutz zu verwirklichen. Dazu wurden die Anforderungen an eine Anmeldung der Gesellschaft verschärft. Es müssen seitdem vor der Anmeldung auf jede Geldeinlage mindestens ein Viertel eingezahlt (§ 7 Abs. 2 Satz 1) und insgesamt einschließlich der vollständig zu leistenden Sacheinlagen (§ 7 Abs. 3) mindestens die Hälfte des gesetzlichen Mindeststammkapitals geleistet sein (§ 7 Abs. 2 Satz 2). Eine Erweiterung gegenüber dem früheren Recht trat auch für die Erbringung der Sacheinlagen insofern ein, als die Sachübernahmen mit Anrechnungsabrede einbezogen wurden3. Das EuroEG vom 9.6.1998 (BGBl. I 1998, 1242) hat den früheren Begriff der Gesamtmindesteinlageleistungen durch den Begriff des Mindeststammkapitals ersetzt. Dies hatte aber keine nennenswerten inhaltlichen Konsequenzen. 4 Die Änderungen des § 7 Abs. 2 Satz 1 und 2 durch das MoMiG sind dadurch bedingt, dass

das Stammkapital in Geschäftsanteile zerlegt ist; statt des Begriffs der Stammeinlage stellt § 3 Abs. 1 Nr. 4 daher auf den Nennbetrag der Geschäftsanteile ab (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 50 und 13. Aufl., § 5 Rz. 19). Dementsprechend stellt § 7 Abs. 2 Satz 1 hinsichtlich der Mindesteinzahlung auf den Geschäftsanteil ab; ebenso bezieht sich § 7 Abs. 2 Satz 2 für die zu erbringende Sacheinlage auf den Geschäftsanteil4. Das MoMiG hat ferner § 7 Abs. 2 Satz 3 aufgehoben. Der Gesetzgeber hatte diese Regelung im Jahre 1980 eingeführt und sie damit begründet, dass im Fall der Gründung einer Einpersonen-Gesellschaft nur ein Gesellschafter vorhanden sei, also keine weiteren Gesellschafter für die Leistung aller Einlagen gemäß § 24 haften würden; die Aufbringung des Stammkapitals solle dadurch gesichert werden, dass der einzige Gesellschafter für den die nach den Sätzen 1 und 3 vorgeschriebenen Einzahlungen übersteigenden Teil der Geldeinlage eine Sicherung bestellen müsse5. In der Praxis hat man die Vorschrift als verzichtbar angesehen6. Der Gesetzgeber hat sie daher 28 Jahre später ersatzlos gestrichen, um eine unnötige Komplizierung der GmbH-Gründung zu vermeiden7. Dies bedeutet, dass es auch im Falle einer Einpersonen-Gründung ausreicht, wenn auf das Stammkapital mindestens so viel eingezahlt wird, dass der Gesamtbetrag der eingezahlten Geldeinlagen zuzüglich des Gesamtnennbetrags der Geschäftsanteile, für die Sacheinlagen zu leisten sind, die Hälfte des Mindeststammkapitals gemäß § 5 Abs. 1 erreicht (§ 7 Abs. 2

2 BGH v. 11.6.2013 – II ZB 25/12, GmbHR 2013, 869, 870. 3 Die Regelung des § 7 Abs. 2 und 3 fand erstmals für Gesellschaften Anwendung, die ab dem 1.1.1981 zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet wurden (Art. 12 § 3 GmbH-Novelle). 4 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 33. 5 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 32. 6 BDI/Hengeler, Die GmbH im Wettbewerb der Rechtsformen, Februar 2006, S. 76: Vorschriften zur Sicherheitsleistung seien „kaum je praktisch geworden“; Römermann, GmbHR 2006, 673, 675. 7 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 33; vgl. auch Seibert, ZIP 2006, 1157, 1164.

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 6 § 7

Satz 2)8. In den Altfällen einer Einpersonen-GmbH sind mit Inkrafttreten des MoMiG die bestellten Sicherungen allerdings nicht automatisch frei geworden9. Das DIRUG hat die Möglichkeit einer Online-Gründung eingeführt (vgl. § 2 Abs. 3; s. 13. Aufl., § 2 Rz. 160 ff.). Die Vorschrift über die Anmeldung der Gesellschaft brauchte aber nicht geändert zu werden (s. zu den Änderungen bezüglich des Inhalts der Anmeldung 13. Aufl., § 8 Rz. 10).

II. Die Anmeldung (§ 7 Abs. 1) 1. Anmeldeerfordernis Die Anmeldung ist die Voraussetzung für die Eintragung der GmbH in das Handelsregister 5 und damit für ihr rechtswirksames Entstehen (§ 11 Abs. 1). Eine Pflicht zur Anmeldung begründet § 7 Abs. 1 trotz seines missverständlichen Wortlauts nach übereinstimmender Auffassung nicht10. Es ist vielmehr den Gründungsgesellschaftern überlassen, ob sie die GmbH zur Entstehung bringen wollen oder nicht. Aus diesem Grund ist gemäß § 79 Abs. 2 auch die Festsetzung eines Zwangsgeldes (vgl. § 14 HGB) gegen Geschäftsführer ausgeschlossen. Die Verzögerung der Anmeldung hat aber Rechtsnachteile in Form der Fortdauer der Handelndenhaftung der Geschäftsführer (§ 11 Abs. 2) und unter Umständen der Verlustdeckungspflicht der Gesellschafter (im Falle des Scheiterns der Eintragung) bzw. Vorbelastungshaftung der Gesellschafter (bei Eintragung der Gesellschaft). Die Geschäftsführer sind allerdings gegenüber der Gesellschaft auf Grund ihrer durch das 6 Einverständnis mit der Bestellung begründeten Organstellung verpflichtet, die Gesellschaft unverzüglich zur Eintragung anzumelden, wenn keine Eintragungshindernisse gegeben sind und die Gründungsgesellschafter keine abweichende Weisung erteilen11. Sie haften bei einer schuldhaften Verzögerung auf Schadensersatz (§ 43) und können – u.U. auch bei Einschränkung der Abberufbarkeit wegen Vorliegens eines wichtigen Grundes – abberufen werden. Der Anspruch auf Vornahme der Anmeldung ist darüber hinaus gerichtlich durchsetzbar12. Die Schutzfunktion der Anmeldevorschriften wird dadurch nicht beeinträchtigt, da die Begründetheit der Klage vom Vorliegen der Anmeldevoraussetzungen (§ 7 Abs. 2 und 3) abhängt und die Geschäftsführer nicht gehindert sind, die ihnen obliegenden Versicherungen (§ 8 Abs. 2 und 3) wahrheitsgemäß abzugeben. Die Vollstreckung des Urteils erfolgt nicht nach § 894 ZPO i.V.m. § 16 HGB, sondern nach § 888 ZPO13. Dies folgt aus dem Umstand, dass die Anmeldung nach § 7 Abs. 1 als eine von den Geschäftsführern persönlich vorzunehmende, also unvertretbare Handlung zu qualifizieren ist (s. Rz. 11).

8 Vgl. aus der registergerichtlichen Praxis OLG Nürnberg v. 18.4.2011 – 12 W 631/11, GmbHR 2011, 582. 9 Tebben in Michalski u.a., Rz. 38. A.A. Bormann/Urlichs in GmbHR-Sonderheft MoMiG, 2008, S. 38. 10 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Altmeppen, Rz. 3; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5; Tebben in Michalski u.a., Rz. 9; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. 11 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Altmeppen, Rz. 4; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Tebben in Michalski u.a., Rz. 10; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; vgl. auch OLG Hamm v. 11.7.1983 – 8 U 199/83, GmbHR 1984, 343. 12 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Altmeppen, Rz. 4; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9. 13 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 34; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe Rz. 9.

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§ 7 Rz. 7 | Anmeldung der Gesellschaft 7 Auch die Gründungsgesellschafter sind untereinander verpflichtet, die ihrerseits als Vo-

raussetzung für die Anmeldung notwendigen Handlungen vorzunehmen und erforderlichenfalls an Maßnahmen gegen die Geschäftsführer zur Erzwingung der unbegründet verzögerten oder verweigerten Anmeldung mitzuwirken14. Im Einzelfall kann ein Gesellschafter aufgrund seiner mitgliedschaftlichen Treuepflicht auch gehalten sein, sich mit der Beseitigung von Mängeln des Gesellschaftsvertrages einverstanden zu erklären15.

2. Zuständiges Gericht 8 Für die Anmeldung ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk die GmbH ihren Sitz

hat. Maßgebend ist der im Gesellschaftsvertrag (§ 3 Abs. 1 Nr. 1) bestimmte Gesellschaftssitz. Dieser Sitz muss im Inland liegen. Der Verwaltungssitz kann dagegen seit dem MoMiG auch im Ausland liegen (s. 13. Aufl., § 4a Rz. 32). 9 Die örtliche Zuständigkeit regelt § 7 Abs. 1 zwingend. Die Eintragung durch ein unzuständi-

ges Registergericht ist aber ohne Einfluss auf ihre Wirksamkeit (§ 2 Abs. 3 FamFG). Eine Amtslöschung gemäß § 395 FamFG aus diesem Grund ist ausgeschlossen (s. auch Rz. 15)16.

3. Anmeldebefugnis 10 Die Anmeldung hat namens der Gesellschaft (der Vor-GmbH) durch die Geschäftsführer zu

erfolgen17. Es müssen sämtliche Geschäftsführer mitwirken, auch die Stellvertreter, auch bei statutarischer Einzelvertretungsbefugnis, jedoch nicht notwendig gleichzeitig (§ 78)18. Die Unwirksamkeit der Bestellung zum Geschäftsführer, z.B. wegen fehlender Eignung gemäß § 6 Abs. 2, schließt die Anmeldebefugnis aus. 11 Notwendig ist darüber hinaus, dass die Anmeldung durch die Geschäftsführer persönlich

erfolgt19. Die gewillkürte Vertretung lässt sich insbesondere nicht auf die allgemeine Vorschrift des § 12 Abs. 1 Satz 2 HGB stützen20. Die Regelungen über die zivil- und strafrechtliche Verantwortlichkeit für die Richtigkeit der zum Zwecke der Eintragung gemachten Angaben (§ 9a Abs. 1, § 82 Abs. 1 Nr. 1 und 4) zeigen, dass das Gesetz der persönlichen Mitwirkung der Geschäftsführer bei der Abgabe der zur Anmeldung erforderlichen Erklärungen eine entscheidende Bedeutung beimisst, um die Ordnungsmäßigkeit der Gründung zu gewährleisten. Die Sicherungen wären weitgehend entwertet, wenn die Geschäftsführer sich ihnen durch 14 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. 15 Tebben in Michalski u.a., Rz. 10. 16 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. A.A. Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52 f. 17 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 327; BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 325 ff. 18 Vgl. BayObLG v. 7.2.1984 – BReg 3 Z 190/83, WM 1984, 638; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7, 10; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 8.12.2017 – 3 Wx 275/16, GmbHR 2018, 424: von alleinigem Geschäftsführer einem Rechtsanwalt wirksam erteilte Vollmacht zur Vertretung bei allen Handelsregister-Anmeldungen wird nicht dadurch ergänzungsbedürftig, dass inzwischen weitere Geschäftsführer bestellt worden sind und eine neue Vertretungsregelung gilt. 19 BayObLG v. 12.6.1986 – BReg 3 Z 29/86, NJW 1987, 136; BayObLG v. 13.11.1986 – BReg 3 Z 134/ 86, DB 1987, 215, 216; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; dahingestellt in BGH v. 2.12.1991 – II ZB 13/91, BGHZ 116, 190, 199. 20 A.A. KG, JW 1932, 2626; OLG Köln v. 1.10.1986 – 2 Wx 53/86, BB 1986, 2088; Feine, S. 145; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23.

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 13 § 7

die Einschaltung von Bevollmächtigten ganz oder teilweise entziehen könnten. Die Höchstpersönlichkeit beschränkt sich auf die bei der Abgabe der Anmeldung erforderlichen Versicherungen und sonstigen Erklärungen. Es spricht nichts dagegen, dass die Anmeldung durch einen Stellvertreter oder Boten beim Handelsregister eingereicht wird21. Der Notar, der die Anmeldeerklärung der Geschäftsführer beurkundet oder beglaubigt hat, ist nach § 378 FamFG ermächtigt, die Anmeldung beim Gericht einzureichen22. Hat er nur den Gesellschaftsvertrag beurkundet, so ist er nicht befugt, die Anmeldung als solche zu beantragen; § 378 FamFG findet dann keine Anwendung23.

4. Rechtsnatur, Form und Inhalt Die Anmeldung ist ein verfahrensrechtlicher Antrag an das zuständige Registergericht 12 (Rz. 8) auf Eintragung der Gesellschaft24. Die Vorschriften des BGB über Rechtsgeschäfte sind daher nicht unmittelbar anwendbar, sondern können nur, soweit die Rechtsnatur der Anmeldung als Verfahrenshandlung nicht entgegensteht, analog herangezogen werden. So erfordert die Anmeldung entsprechend §§ 104 ff. BGB die unbeschränkte Geschäftsfähigkeit, die im Übrigen ohnehin Voraussetzung für die rechtswirksame Bestellung der Geschäftsführer ist (§ 6 Abs. 2 Satz 1). Die Anmeldung wird mit Zugang beim Registergericht wirksam25. Die Wirksamkeit der Anmeldung wird nicht davon beeinflusst, dass ein Geschäftsführer nach ihrer Abgabe seine Geschäftsfähigkeit verliert, verstirbt oder aus einem anderen Grund aus dem Amt ausscheidet (§ 130 Abs. 2 BGB analog)26. Die Anmeldung kann ferner nicht durch Bedingungen oder Befristungen eingeschränkt und auch nicht wegen Willensmängeln angefochten werden27. Bis zur Eintragung ist aber jederzeit formlos der Widerruf der Anmeldung zulässig. Sind mehrere Geschäftsführer vorhanden und widerruft nur einer von ihnen, so wird gleichwohl wegen der Notwendigkeit seiner Mitwirkung (Rz. 10) die Anmeldung wirkungslos28. Auch eine Berichtigung der Anmeldung ist bis zur Eintragung möglich29, muss aber in der vorgeschriebenen Form (Rz. 13) durch sämtliche Geschäftsführer erfolgen. Die Anmeldung bedarf der öffentlich beglaubigten Form (§ 12 Abs. 1 HGB, § 129 BGB). 13 Zulässig ist auch die notarielle Beurkundung (§ 129 Abs. 2 BGB) oder die Protokollierung der Erklärung bei einem gerichtlichen Vergleich (§ 127a BGB). Seit dem EHUG ist die Anmeldung dem Registergericht elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 HGB). Wie dies im Einzelnen vonstatten zu gehen hat, ist in den Verord-

21 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22, 25 f. 22 BayObLG v. 31.1.1978 – BReg 1 Z 5/78, DB 1978, 880; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 23 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. A.A. Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29. 24 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; nach Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19 ist sie „organschaftlicher Akt“ (ebenso BayObLG v. 22.2.1985 – BReg 3 Z 16/85, DB 1985, 1223, 1224), doch schließt dies nach den Autoren nicht aus, die Vorschriften über Willenserklärungen entsprechend anzuwenden. 25 OLG Hamm v. 29.4.1981 – 15 W 67/81, DNotZ 1981, 707, 709; Tebben in Michalski u.a., Rz. 11. 26 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10. 27 BayObLG v. 25.6.1992 – 3Z BR 30/92, GmbHR 1992, 672, 674; Tebben in Michalski u.a., Rz. 11. 28 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21. 29 Altmeppen, Rz. 9; Tebben in Michalski u.a., Rz. 11, 13; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22.

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§ 7 Rz. 13 | Anmeldung der Gesellschaft nungen über die elektronische Registerführung der Länder (vgl. § 8a Abs. 2 HGB)30 geregelt. Diese Verordnungen sehen vor, dass die Anmeldungen über das Elektronische Gerichtsund Postfach (EGVP) einzureichen sind31 (vgl. http://www.egvp.justiz.de). 14 Der Gegenstand der Anmeldung ist nach § 7 Abs. 1 nur „die Gesellschaft“. Die weiteren

Anforderungen an ihren Inhalt und an beizufügende Unterlagen ergeben sich aus § 8. Es handelt sich dabei im Verhältnis zu § 29 HGB um Spezialvorschriften32. Eine besondere Anmeldung der „Firma“ oder des „Ortes der Handelsniederlassung“, wie sie § 29 HGB verlangt, erübrigt sich daher.

5. Mängel der Anmeldung 15 Soweit Mängel nicht behebbar sind oder auf die Beanstandung des Registerrichters nicht be-

hoben werden, verpflichten Mängel zur Ablehnung der Eintragung (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 39). Wird die Gesellschaft dennoch eingetragen, so werden die Mängel des Anmeldeverfahrens grundsätzlich geheilt33, insbesondere die örtliche Unzuständigkeit des Registergerichts (Rz. 8 f.), Inhalts- und Formmängel der Anmeldung (Rz. 12 ff.), die fehlende Befugnis zur Einreichung der Anmeldung (Rz. 10 f.) und die Unvollständigkeit der einzureichenden Unterlagen (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 38). Auch eine Amtslöschung der GmbH gemäß § 395 FamFG kommt grundsätzlich nicht in Betracht34. 16 Anders ist es zu beurteilen, wenn das Eintragungsverfahren ohne einen dahingehenden Wil-

len der Geschäftsführer eingeleitet oder durchgeführt worden ist. Wenn eine Anmeldung nicht erfolgt ist, durch einen Unbefugten ohne Zustimmung der Geschäftsführer oder durch einen Geschäftsführer ohne Zustimmung eingereicht worden ist, ist eine Amtslöschung der Scheingesellschaft gemäß § 395 FamFG möglich35. Das Registergericht wird allerdings zuvor zu prüfen haben, ob die Geschäftsführer sich nachträglich mit der Anmeldung einverstanden erklären. Dann wäre der Mangel geheilt.

6. Verantwortlichkeit 17 Die Verantwortlichkeit der Gesellschafter und der Geschäftsführer für die Richtigkeit der

Anmeldung und der beizufügenden Unterlagen folgt aus §§ 9a, 82 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4. Daneben können auch Schadensersatzansprüche Dritter nach den allgemeinen bürgerlichrechtlichen Vorschriften gegeben sein.

30 Die Landesjustizverwaltungen haben auf der Grundlage einer Musterverordnung über den elektronischen Rechtsverkehr und elektronische Verfahren Regelungen getroffen. Die Länderregelungen sind beispielsweise bei Müther in BeckOK HGB, 34. Ed. (Stand: 15.10.2021), § 8a HGB Rz. 8.1 aufgeführt. Ferner können sie auf den Internetseiten der jeweiligen Justizverwaltung abgerufen werden. 31 Vgl. zu den Einzelheiten des technischen Ablaufs Müther, Rpfleger 2008, 233; Melchior, NotBZ 2006, 409; Mödl/Schmidt, ZIP 2008, 2332; Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 9c Rz. 44 f. 32 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 1; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 33 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4; Altmeppen, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 16; Tebben in Michalski u.a., Rz. 16. 34 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Tebben in Michalski u.a., Rz. 16; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 11. 35 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4; Altmeppen, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 16; Tebben in Michalski u.a., Rz. 17; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11.

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 21 § 7

III. Einlageleistungen vor der Anmeldung (§ 7 Abs. 2) 1. Mindesteinlageleistungen Das GmbHG setzt für die Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister zwingend vo- 18 raus, dass auf die übernommenen Geschäftsanteile bestimmte Einlageleistungen bereits erbracht worden sind (§ 7 Abs. 2 und 3). Der Gesellschaftsvertrag kann zwar höhere Einzahlungen vor der Anmeldung oder bis zur Eintragung vorsehen (Rz. 46), nicht aber die gesetzlichen Anforderungen herabsetzen. Die Geschäftsführer haben in der Anmeldung zu versichern, dass die gesetzlich geforderten Mindesteinlageleistungen bewirkt sind und die Gegenstände der Leistungen sich endgültig in ihrer freien Verfügung befinden (§ 8 Abs. 2 Satz 1). Die registergerichtliche Prüfung bezieht sich auch nur auf die Mindesteinlageleistungen36. a) Ein Viertel auf jeden Geschäftsanteil Für jeden Geschäftsanteil ist mindestens ein Viertel des statutarisch festgesetzten Einlage- 19 betrages (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) einzuzahlen (§ 7 Abs. 2 Satz 1). Wenn beispielsweise ein Geschäftsanteil einen Nennbetrag von einem Euro hat37, ist auf ihn mindestens ein Betrag von 0,25 Euro einzuzahlen. Es genügt nicht, dass auf einen oder einzelne Geschäftsanteile gezahlt wird, mag damit auch insgesamt ein Viertel des Geschäftsanteils gedeckt sein38. In einer Unternehmergesellschaft ist die Bareinlage vollständig einzuzahlen (§ 5a Abs. 2 Satz 1). Sowohl bei der Berechnung der Quote als auch bei der Mindesteinzahlung ist ein statutarisch 20 gefordertes Aufgeld (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 21) unberücksichtigt zu lassen39. Auch die Versicherung der Geschäftsführer (§ 8 Abs. 2 Satz 1) und die registergerichtliche Kontrolle (§ 9c) beziehen sich nicht auf ein Agio. Es ist mangels einer erkennbaren gegenteiligen Bestimmung des Gesellschafters regelmäßig davon auszugehen, dass dieser mit einer Einzahlung zuerst die gesetzlich geforderte Mindesteinlageleistung und erst danach andere fällige Gesellschafterpflichten gegenüber der Gesellschaft, z.B. ein Aufgeld, tilgen will40. Bei der so genannten Mischeinlage – es handelt sich um die Kombination einer Bar- mit 21 einer Sacheinlage (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 81) –, ist die gesetzlich geforderte Mindesteinzahlung (§ 7 Abs. 2 Satz 1) nicht von dem Gesamtbetrag des Geschäftsanteils, sondern nur von dem in Geld zu entrichtenden Teil zu berechnen41. Die Sacheinlage muss vollständig bewirkt werden.

36 OLG Stuttgart v. 13.7.2011 – 8 W 252/11, BB 2011, 1858. 37 S. zu den notwendigen Angaben des Geschäftsführers bezüglich der Leistung der Mindesteinlage auf einen Geschäftsanteil mit einem Nennbetrag von einem Euro die Erl. 13. Aufl., § 8 Rz. 26. 38 RGSt. 33, 252, 253; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Altmeppen, Rz. 15; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 18; Tebben in Michalski u.a., Rz. 20; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26. 39 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; Tebben in Michalski u.a., Rz. 20; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 26. A.A. Gienow in FS Semler, 1993, S. 165, 173 ff.; Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004, S. 148 ff. Anders ist die Rechtslage im Aktienrecht; vgl. § 36a Abs. 1, § 37 Abs. 1 AktG. 40 Vgl. aber für einen Sonderfall BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, DNotZ 1991, 828, 832 (bez. Resteinlage). 41 RGSt. 48, 153, 160; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Altmeppen, Rz. 17; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 19; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28.

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§ 7 Rz. 22 | Anmeldung der Gesellschaft b) Vollständige Leistung der Sacheinlagen 22 Die Sacheinlagen sind vor der Anmeldung an die Gesellschaft vollständig so zu bewirken,

dass sie endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen (§ 7 Abs. 3). Der Gesetzesbegriff der Sacheinlage umfasst wie in den übrigen Bestimmungen in Abweichung vom früheren Recht (§ 5 Abs. 4 a.F.) auch die Sachübernahmen mit Anrechnungsabrede (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 31, 73 ff.), die demgemäß ebenfalls vorher in der genannten Weise zu bewirken (Rz. 44) sind42. Die Erweiterung war, wie die Entstehungsgeschichte des § 7 Abs. 3 zeigt43, gewollt und wird überdies durch den Zweck der Norm (Rz. 1) gefordert. c) Gesamtbetrag 23 Außerdem verlangt § 7 Abs. 2 Satz 2, dass der Gesamtbetrag der eingezahlten Geldeinlagen

zuzüglich der Summe der Einlagen, die durch Sachwerte zu decken sind, mindestens die Hälfte des gesetzlichen Mindeststammkapitals (12 500 Euro) erreichen muss. Bei der Berechnung, ob diese Anforderung erfüllt ist, sind wiederum die nicht auf die Geschäftsanteile geleisteten Beitragszahlungen der Gesellschafter (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 21) unberücksichtigt zu lassen (Rz. 20) und ist auch bei den Sacheinlagen nicht der – möglicherweise höhere – Wert des geleisteten Einlagegegenstandes, sondern der durch ihn zu tilgende Betrag des Geschäftsanteils anzusetzen. Ein danach sich ergebender Minderbetrag ist zusätzlich von einem oder mehreren Geldeinlageschuldnern vor der Anmeldung zu erbringen. 24 Das Gesetz schreibt nicht vor, ob und wie der einzuzahlende Minderbetrag unter mehreren

Geldeinlageschuldnern aufzuteilen ist, sondern überlässt die Bestimmung der Zahlungspflicht dem Gesellschaftsvertrag44. Mangels einer entsprechenden Vereinbarung ist entsprechend § 19 Abs. 1 die erforderliche Zusatzeinzahlung nach dem Verhältnis der in Geld aufzubringenden Geschäftsanteile zu leisten45. d) Zuwiderhandlungen gegen § 7 Abs. 2 25 Bei einer Zuwiderhandlung gegen § 7 Abs. 2 hat das Registergericht die Eintragung abzuleh-

nen (§ 9c Abs. 1 Satz 1). Die trotzdem eingetragene GmbH ist aber nicht nichtig (§ 75)46. Auch die Amtslöschung nach § 395 FamFG scheidet aus. Bei unrichtigen Angaben über die Mindestleistungen finden die §§ 9a, 82 Abs. 1 Nr. 1, 4 Anwendung.

2. Einzahlungen a) Voraussetzungen 26 Aus § 8 Abs. 2 folgt, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 bezeichneten Leistungen auf die Geschäfts-

anteile bewirkt sein und dass der Gegenstand der Leistungen sich endgültig in der freien Verfügung des Geschäftsführers befinden muss. Diese Vorschriften sind zusätzlich zu den

42 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20, 32; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27. 43 Die dahingehende ausdrückliche Bestimmung des § 7b Abs. 1 Satz 1 RegE ist nur wegen der diese Sachübernahmen einbeziehenden Erweiterung des Sacheinlagebegriffs i.S.d. § 5 Abs. 4 Satz 1 angepasst worden; vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 71. 44 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 45 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Altmeppen, Rz. 16; Tebben in Michalski u.a., Rz. 23; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 46 RGZ 82, 288, 289 f.; RGZ 82, 375, 382; RG, JW 1913, 1043; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31.

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 28 § 7

allgemeinen Vorschriften der §§ 362 ff. BGB zu beachten, denn sie stellen aus Gläubigerschutzgründen strengere Voraussetzungen an eine Erfüllung auf47. Das GmbHG enthält anders als das Aktienrecht (§ 54 Abs. 3 AktG) darüber hinaus keine näheren Bestimmungen über die Art und Weise der vor der Anmeldung zu erbringenden Mindesteinzahlungen der Gesellschafter. Sie sind vom Gesetzgeber als entbehrlich angesehen worden48. Es muss daher nicht verwundern, dass die Gerichte sich bis heute mit zahlreichen Auslegungsfragen beschäftigen mussten. Der Anspruch auf Leistung der Mindesteinzahlungen steht bis zur Eintragung der GmbH 27 der Vorgesellschaft zu. Diese ist kontofähig, so dass der Gesellschafter mit Zahlung auf das Konto der Vor-GmbH frei wird. Zahlungen, die an eine (mit der Vorgesellschaft nicht identische!) Vorgründungsgesellschaft (s. 13. Aufl., § 11 Rz. 6 ff.) oder auf ein vor Abschluss des Gesellschaftsvertrages für die künftige GmbH i.Gr. eingerichtetes Konto geleistet werden, erfüllen die Einlagepflicht nicht und genügen nicht den gesetzlichen Anforderungen an Mindesteinzahlungen49. Die vorgeschriebene Einlageleistung ist in diesen Fällen erst dann erbracht, wenn der geschuldete Geldbetrag ungeschmälert an die Vorgesellschaft zur freien Verfügung ihrer Geschäftsführer weitergeleitet worden ist. Im Falle einer GmbH & Co. KG wird der Gesellschafter der GmbH durch Zahlung auf ein Konto der KG nicht von seiner Mindesteinlagepflicht befreit (s. auch 13. Aufl., § 19 Rz. 42)50. Der Eintritt der Erfüllungswirkung einer Zahlung kann wie auch sonst durch Tilgungs- 28 bestimmungen des Gesellschafters, z.B. die Angabe eines anderen Zahlungszwecks oder die Hinzufügung von Vorbehalten oder Bedingungen ausgeschlossen sein. Einer besonderen Zweckbestimmung bedarf es aber regelmäßig nicht, wenn der Gesellschafter nur die Einlage schuldet51. Stehen der Vorgesellschaft außer der Einlageforderung noch andere Geldforderungen gegen den Gesellschafter zu und behält sich dieser bei der Zahlung eine spätere Zweckbestimmung (§ 366 Abs. 1 BGB) vor, so wird bei der nachträglichen Benennung der Einlageschuld diese nur getilgt, wenn und soweit die eingezahlten Mittel in diesem Zeitpunkt für den Einlagezweck wertmäßig noch verfügbar sind52. Im Übrigen kommt es beim Bestehen weiterer Geldschulden gegenüber der Gesellschaft primär auf die auch konkludent mögliche53 eindeutige Leistungsbestimmung des Gesellschafters54 oder, wenn diese fehlt, auf die 47 Vgl. BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 602; BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, GmbHR 1986, 115 f.; OLG Hamburg v. 10.4.1981 – 14 U 170/80, GmbHR 1982, 157, 158; OLG Frankfurt v. 21.12.1983 – 9 U 43/83, WM 1984, 1448; Tebben in Michalski u.a., Rz. 19. 48 Die Begr. I, 55 und II, 44 hielt eine gesetzliche Festlegung wegen der geringeren Missbrauchsgefahr für unnötig; die Beurteilung habe nach „den Umständen des einzelnen Falles unter Berücksichtigung allgemeiner Verkehrsgewohnheiten“ zu erfolgen, wobei jedenfalls die „freie Verfügung der Geschäftsführer“ hergestellt sein müsse. Die Einfügung einer dem § 54 Abs. 3 AktG entsprechenden Bestimmung ist bei der GmbH-Novelle 1980 als überflüssig abgelehnt worden, weil dies dem bereits geltenden (Richter-)Recht entspreche; vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 71. 49 BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 602; OLG Köln v. 10.11.1988 – 1 U 55/88, ZIP 1989, 238, 239; OLG Hamm v. 25.5.1992 – 8 U 247/91, GmbHR 1992, 750, 751; OLG Düsseldorf v. 10.12.1993 – 17 U 19/93, GmbHR 1994, 398, 399; OLG Stuttgart v. 31.5.1994 – 10 U 253/93, GmbHR 1995, 115, 118; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 98. 50 Tebben in Michalski u.a., Rz. 26. 51 BGH v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, GmbHR 1991, 152, 153; OLG Hamburg v. 15.4.1994 – 11 U 237/ 93, GmbHR 1994, 468, 469. 52 BGH v. 2.12.1968 – II ZR 144/67, BGHZ 51, 157, 160 ff.; OLG Hamburg v. 15.4.1994 – 11 U 237/ 93, GmbHR 1994, 468, 470; OLG Dresden v. 14.12.1998 – 2 U 2679/98, GmbHR 1999, 233, 234; Tebben in Michalski u.a., Rz. 27; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32 a.E. 53 OLG Frankfurt v. 24.11.1989 – 10 W 165/88, GmbHR 1991, 102, 103; OLG Dresden v. 14.12.1998 – 2 U 2679/98, GmbHR 1999, 233, 234. 54 Vgl. dazu BGH v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, GmbHR 1991, 152, 153; BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/ 91, GmbHR 1992, 601, 602; BGH v. 26.9.1994 – II ZR 166/93, GmbHR 1995, 119, 120; BGH v.

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§ 7 Rz. 28 | Anmeldung der Gesellschaft in § 366 Abs. 2 BGB bestimmten Kriterien an, ob die Einlageschuld durch die Zahlung erfüllt worden ist55 (s. zur Zahlungsverwendung bei Vereinbarung eines Aufgelds Rz. 20). Erfüllungswirkung tritt folglich auch dann ein, wenn im Falle mehrerer durch die Zahlung nicht vollständig gedeckter Verbindlichkeiten für den Empfänger ersichtlich ist, dass eine bestimmte Forderung nach dem Willen des Leistenden getilgt werden soll. Dies ist etwa anzunehmen, wenn gerade der Betrag der Schuldsumme gezahlt wird56. 29 Die Beweislast für die ordnungsgemäße Einlageleistung trifft den Gesellschafter57. Für die

Beweisführung gelten die allgemeinen Regeln58, insbesondere besteht keine Beschränkung der Beweismittel auf die Vorlage von Zahlungsbelegen59. Die Verweisung auf die Versicherung der Geschäftsführer (§ 8 Abs. 2 Satz 1) reicht zum Nachweis nicht aus. b) Zahlung 30 § 7 Abs. 2 Satz 1 verlangt, dass mindestens ein Viertel des Nennbetrags des Geschäftsanteils

„eingezahlt“ wird. Dieser Begriff ist nach Maßgabe des Normzwecks des § 7 Abs. 2 zu bestimmen. „Einzahlung“ ist danach nicht gleichbedeutend mit Barzahlung an die Vorgesellschaft, die selbstverständlich darunter fällt, wenn sie mittels inländischer gesetzlicher Zahlungsmittel erfolgt60. Es genügt vielmehr jede Leistung, die nach der Verkehrsgewohnheit der Barzahlung gleich zu erachten ist und die jederzeit mit Sicherheit ohne Wertverlust in Geld umgesetzt werden kann61. Die Vorschrift des § 54 Abs. 3 AktG ist zwar nicht analog anzuwenden62. Sie kann aber bei der Auslegung wegen der weitgehend übereinstimmenden Zielsetzung und Problemlage sinngemäß mit herangezogen werden63.

31 Die vorstehenden Voraussetzungen erfüllen die vorbehaltlose Gutschrift auf einem inländi-

schen Bankkonto, das für die Gesellschaft oder den Geschäftsführer in dieser Eigenschaft (also nicht als Privatkonto) eingerichtet worden ist64. § 54 Abs. 3 AktG lässt die „Gutschrift auf ein Konto bei einem Kreditinstitut oder einem nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1

55 56 57

58 59 60 61 62 63 64

22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 602; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 183/00, NJW 2001, 1647, 1648. Tebben in Michalski u.a., Rz. 27. Vgl. BGH v. 17.9.2001 – II ZR 275/99, ZIP 2001, 1997, 1998. St. Rspr.; vgl. BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 603; OLG Naumburg v. 10.5.1999 – 7 W 24/99, GmbHR 1999, 1037, 1038; OLG Köln v. 13.10.1988 – 1 U 37/88, ZIP 1989, 174, 176; OLG Jena v. 19.4.2017 – 2 U 18/15, GmbHR 2017, 754, 756; zu den Anforderungen an die Darlegungs- und Beweislast für den Vortrag, der Geschäftsführer sei in Höhe des Kreditbetrags des Kontos dispositionsbefugt, vgl. OLG Naumburg v. 24.11.2000 – 7 U (Hs) 98/99, 7 U (Hs) 99/99, 7 U (Hs) 101/99, NZG 2001, 230, 231. BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 603. KG v. 12.7.1990 – 2 U 3964/89, GmbHR 1991, 64, 65. A.A. OLG Hamm v. 19.9.1983 – 8 U 387/82, GmbHR 1984, 317, 318. OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531, 533; OLG Düsseldorf v. 3.12.1997 – 3 Wx 545/97, GmbHR 1998, 235, 236. Vgl. RGZ 41, 120, 122; RGZ 72, 266, 268; RGSt. 32, 82; RGSt. 36, 186; RGSt. 72, 832. Für eine Analogie LG Frankenthal v. 25.1.1996 – 2 HK O 24/95, GmbHR 1996, 356, 358; Mülbert, ZHR 154 (1990), 145, 158; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 32. A.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Karsten Schmidt, AG 1986, 106 ff. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85. BGH v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, GmbHR 1991, 152; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, GmbHR 1990, 554, 555; BGH v. 2.4.1962 – II ZR 169/61, GmbHR 1962, 233; OLG Hamm v. 5.12.1984 – 8 U 12/84, GmbHR 1985, 326; OLG Frankfurt v. 5.5.1992 – 5 U 67/91, GmbHR 1992, 604; OLG Köln v. 12.4.1994 – 22 U 189/93, GmbHR 1994, 470; OLG Naumburg v. 13.5.1997 – 1 U 205/96, GmbHR 1998, 239; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Altmeppen, Rz. 27; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 24; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34.

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 32 § 7

Satz 1 oder Abs. 7 KWG tätigen Unternehmen“ genügen. Unter den Begriff des Kreditinstituts sind einschränkend nur CRR-Kreditinstitute65 zu versehen, da nur diese das Einlagengeschäft betreiben66. Die nach § 53 Abs. 1 Satz 1 oder § 53b Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 7 KWG tätigen Unternehmen sind ausländische Unternehmen, die über eine inländische Zweigstelle das Einlagengeschäft betreiben67. Haftungsbefreiend sind nur Leistungen auf ein Zahlungskonto i.S.v. § 1 Abs. 17 ZAG, so dass Spar-, Festgeld- und Kreditkonten ausscheiden68. Wenn ernsthafte Zweifel bezüglich der Bonität des Kreditinstituts bestehen, genügt die Gutschrift auf dem Bankkonto nicht. Unerheblich ist es dagegen, dass das Konto der Gesellschaft einen Schuldsaldo aufweist, wenn dadurch nicht die freie Verfügung der Geschäftsführer im Zahlungszeitpunkt eingeschränkt ist (vgl. dazu Rz. 40)69. Auch eine Einlagezahlung auf ein Konto der GmbH, das in kurzen Zeitabständen schwankende Kontenstände aufweist, kann haftungsbefreiend wirken70. Ebenso wenig steht entgegen, dass das betreffende Kreditinstitut zugleich Mitgründer ist71. Es kann unter den oben bezeichneten Voraussetzungen auch die eigene Mindesteinzahlung durch Gutschrift auf ein bei ihm geführtes Konto leisten72. Der Einwand, dass die Einbuchung nicht als Zahlung angesehen werden könne, weil sie nur den einen Schuldgrund durch einen anderen ersetze73, ist nicht wertungsgerecht, da die Gutschrift im Hinblick auf § 7 Abs. 2 dieselbe Wirkung hat wie in den übrigen Fällen. Eine wirksame Einlageleistung liegt weiterhin auch dann vor, wenn der Kontoinhaber nicht die (Vor-) Gesellschaft, sondern ein für sie tätiger Verwaltungstreuhänder (Notar) ist74. Vor allem im Falle einer Einpersonen-GmbH kann es zweifelhaft sein, ob eine Einzahlung erfolgt ist. Der zur Einlagezahlung bestimmte Bargeldbetrag muss aus dem Privatvermögen des Gründungsgesellschafters (und Geschäftsführers) weggegeben werden, der Bargeldbetrag in das Sondervermögen der zu gründenden GmbH gelangen und die Zugehörigkeit zum Vermögen der zu gründenden GmbH für einen Außenstehenden objektiv erkennbar werden75. Die Hingabe eines Schecks oder Wechsels ist nicht als Einzahlung i.S.d. § 7 Abs. 2 zu wer- 32 ten76. Eine Ausnahme wurde wegen der gesetzlichen Einlösungspflicht der Bank für einen bestätigten Bundesbankscheck (§ 23 BBankG) angenommen77. Als der Bundesbankscheck 65 66 67 68 69

70 71 72 73 74 75 76

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Vgl. § 1 Abs. 3d Satz 1 KWG, Art. 4 Abs. 1 Nr. 1 CRR. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34. BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 346 f.; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, GmbHR 1990, 554, 555; BGH v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, GmbHR 1991, 152; BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/ 95, ZIP 1996, 1466, 1467; BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, GmbHR 2002, 545, 546; BGH v. 8.11.2004 – II ZR 362/02, GmbHR 2005, 229, 230; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 110; Priester, DB 1987, 1473 ff.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34. OLG Oldenburg v. 17.7.2008 – 1 U 49/08, GmbHR 2008, 1270. Geßler in FS Möhring, 1975, S. 173, 174 ff.; Heinsius in FS Fleck, 1988, S. 89, 102 ff.; Wimmer, GmbHR 1997, 827; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87. A.A. noch Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl., Rz. 26. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Heinsius in FS Fleck, 1998, S. 89, 102 ff.; Wimmer, GmbHR 1997, 827; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35. Vgl. RG, Holdh. 14 (1904), 142. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Lutter in FS Heinsius, 1991, S. 497 ff.; Altmeppen, Rz. 25; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37; Wimmer, GmbHR 1997, 827 f. OLG Oldenburg v. 26.7.2007 – 1 U 8/07, GmbHR 2007, 1043, 1045. RG, JW 1912, 950; OLG Düsseldorf v. 3.8.1988 – 17 U 11/88, BB 1988, 2126; OLG Frankfurt v. 24.2.1993 – 21 U 194/91, GmbHR 1993, 652, 653 f.; KG v. 31.3.2021 – 22 W 39/21, ZIP 2021, 847; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Altmeppen, Rz. 26; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39. A.A. RGZ 41, 120, 123. Vgl. etwa OLG Naumburg v. 10.5.1999 – 7 W 24/99, GmbHR 1999, 1037, 1038.

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§ 7 Rz. 32 | Anmeldung der Gesellschaft nicht mehr als zulässiges Zahlungsmittel in § 54 Abs. 3 AktG aufgeführt wurde78, wurde diese Auslegung überwiegend abgelehnt79. Dies ist nicht überzeugend80. Erstens können solche Schecks ohne Wertverlust in Geld umgesetzt werden81. Zweitens hat der Gesetzgeber bei der Reform des GmbHG durch das MoMiG einen „LZB-garantierten Scheck“ ausdrücklich als zulässiges Einzahlungsmittel angesehen82. Eine wirksame Einlageleistung liegt bei anderen Schecks und Wechseln aber nur vor, wenn und soweit die Gesellschaft eine Zahlung in zulässiger Form (Rz. 30 f.) erhalten hat und nicht (wie bei einer Diskontierung des Wechsels) mit dem Risiko der Rückgriffshaftung belastet ist83. Auch wenn die Gesellschaft den übereigneten Scheck unmittelbar zur Bezahlung eigener Verbindlichkeiten verwendet, tritt die Erfüllung der Einlageschuld nicht schon mit der Weiterbegebung, sondern erst mit seiner Einlösung ein84; der getilgte Einlagebetrag bemisst sich dann nach dem Scheckerlös und nicht etwa nach dem Wert der erfüllten Gesellschaftsverbindlichkeit oder der dafür gewährten Gegenleistung, da ein eventueller Verlust aus der Geschäftstätigkeit nicht im Zusammenhang mit der Einlageleistung steht und erforderlichenfalls im Rahmen der Vorbelastungshaftung aller Gesellschafter auszugleichen ist. Die Leistung ausländischer Zahlungsmittel genügt der Mindesteinzahlungspflicht gemäß § 7 Abs. 2 nicht85; sie können ebenfalls nur erfüllungshalber (s. Rz. 33) entgegengenommen werden (Tilgungswirkung mit Umsetzung in inländisches gesetzliches Zahlungsmittel). Schließlich genügt auch die Leistung Blockchain-basierter Instrumente (Krypto-Währungen), wie beispielsweise Bitcoin oder Ether, nicht, da es sich nicht um staatlich anerkannte Zahlungsmittel handelt. Die Krypto-Instrumente können aber als Sacheinlage eingebracht werden. 33 In einer anderen Form als durch Zahlung im oben dargelegten Sinne können die durch § 7

Abs. 2 vorgeschriebenen Mindestgeldeinlagepflichten nicht erfüllt werden. Die Vorschrift schließt die Annahme einer anderen Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB) und – über § 19 Abs. 2 Satz 2 hinausgehend – beiderseits jede Aufrechnung aus86. Dies gilt unabhängig von der Werthaltigkeit der Forderung des Gesellschafters87. Schließlich kann die erforderliche Mindesteinzahlung auch nicht nach § 362 Abs. 2 BGB mit Ermächtigung der Geschäftsführer befreiend an einen Dritten zwecks Erfüllung einer fälligen Gesellschaftsverbindlichkeit geleistet werden88. Andernfalls wäre die notwendige registergerichtliche Kontrolle der Ordnungsmäßigkeit der Gesellschafterleistung gefährdet. Die vereinzelt vertretene 78 Die Änderung des § 54 Abs. 3 AktG erfolgte durch Art. 4 Nr. 1 Begleitgesetz zum Gesetz zur Umsetzung von EG-Richtlinien zur Harmonisierung bank- und wertpapierrechtlicher Vorschriften vom 22.10.1997, BGBl. I 1997, 2567. 79 In diesem Sinne u.a. die 11. Aufl. sowie die weitere Kommentarliteratur. 80 Mittlerweile h.M.; vgl. Tebben in Michalski u.a., Rz. 32; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 93. 81 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 93. 82 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 15. 83 RGSt. 36, 185. 84 Vgl. OLG Dresden v. 26.8.1999 – 7 U 646/99, ZIP 1999, 1885, 1886. 85 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Tebben in Michalski u.a., Rz. 32; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 94. 86 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Altmeppen, Rz. 32; Tebben in Michalski u.a., Rz. 33; im Grundsatz ebenso Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41. Großzügiger Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25. 87 Tebben in Michalski u.a., Rz. 33; anders für den Betrag, der über den Betrag der Mindesteinlage hinausgeht, s. Rz. 34. 88 BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, GmbHR 1986, 115 f.; OLG Stuttgart v. 12.6.1986 – 7 U 22/86, DB 1986, 1514; OLG Düsseldorf v. 3.8.1988 – 17 U 11/88, BB 1988, 2126, 2127; OLG Köln v. 10.11.1988 – 1 U 55/88, ZIP 1989, 238, 239; OLG Naumburg v. 10.5.1999 – 7 W 24/99, NJW-RR 1999, 1641, 1642; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Altmeppen, Rz. 33; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42; s. auch BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 188 ff. (zur AG).

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 35 § 7

Gegenmeinung89 weist zwar zu Recht auf die gläubigerschützende Funktion der Vorbelastungshaftung hin. Sie wird aber nicht hinreichend dem Anliegen der Kapitalaufbringungsvorschriften gerecht, die Gesellschaft mit einem effektiv verfügbaren Anfangsvermögen auszustatten. Ein Gesellschafter einer als Komplementärin agierenden Vor-GmbH kann daher seine Mindesteinzahlungsverpflichtung nicht durch Zahlung an die KG erfüllen90 (s. auch Rz. 27 und 13. Aufl., § 19 Rz. 42). Ist die Leistung an die Gesellschaft erfolgt, spricht aus der Sicht des Gründungsrechts nichts dagegen, dass der Geschäftsführer die Forderungen der Gesellschaftsgläubiger begleicht91. Schließlich genügt es nicht, wenn der Gesellschafter der GmbH einen Bankkredit verschafft92. Begleicht der Gesellschafter seine Einlageschuld mit Mitteln, die er zuvor von der Gesellschaft aufgrund eines Darlehens erhalten hat (sog. Hinund Herzahlen), ist das gesetzliche Erfordernis der Leistung zur endgültigen freien Verfügung des Geschäftsführers nicht erfüllt (s. Rz. 38). c) Freie Verfügung aa) Aus dem Gesetzeszweck und der Entstehungsgeschichte des § 7 Abs. 293 sowie aus dem 34 Wortlaut des § 8 Abs. 2 Satz 1 folgt, dass die vorgeschriebenen Mindestgeldeinlagen bis zur Anmeldung zur endgültigen freien Verfügung der Geschäftsführer bewirkt sein müssen. Damit ist festgelegt, wie die Mittel aufzubringen sind. Es handelt sich um eine – vom Gesetzgeber mit dem MoMiG unverändert gelassene – Voraussetzung für die wirksame Erfüllung der gesetzlichen Mindesteinzahlungspflichten der Gesellschafter (Rz. 26). Sie ist außerdem Gegenstand der vom Geschäftsführer bei der Anmeldung abzugebenden Versicherung (§ 8 Abs. 2 Satz 1; s. hierzu 13. Aufl., § 8 Rz. 26). Für den über den Mindestbetrag hinausgehenden Betrag (Resteinlage) gilt das gesetzliche Erfordernis nicht, so dass sich die Erfüllung nach § 362 Abs. 2 BGB richtet94; außerdem ist insoweit § 19 Abs. 2 zu beachten. Anforderungen an die Verwendung der eingezahlten Mittel können aus dem Erfordernis 35 der Leistung zur freien Verfügung nicht abgeleitet werden. Es ist weder erforderlich, dass die Beträge bis zur Anmeldung noch bis zur Eintragung im Gesellschaftsvermögen vorhanden sind95. Die wohl h.A. beurteilt diese Frage aber anders und verlangt, dass die Beträge noch wertmäßig vorhanden sein müssten96. Danach wären also nur wertneutrale Geschäfte möglich. Diese Auslegung überzeugt nicht. Zwar folgt aus dem Wortlaut des Gesetzes, dass der Geschäftsführer versichern muss, die Beträge seien zur endgültigen freien Verfügung bewirkt. Daraus folgt jedoch nur, dass ein Rückfluss der Beträge an den Gesellschafter unzulässig ist. Das Erfordernis der Leistung der Einlage zur endgültigen freien Verfügung muss im Gesamtkontext des Gründungsrechts ausgelegt werden. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der BGH mit der Entscheidung BGHZ 80, 129 das Vorbelastungsverbot aufgegeben und eine Verlustdeckungs- und Vorbelastungshaftung der Gesellschafter entwickelt hat, das den Belangen der Gläubiger angemessen Rechnung trägt. Es besteht daher kein Bedürfnis mehr dafür, den

89 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16; Bayer, GmbHR 2004, 445. 90 Vgl. BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, GmbHR 1986, 115 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 43. A.A. Karsten Schmidt, DB 1985, 1986. Abweichendes gilt für die Resteinlageschuld; vgl. BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, GmbHR 1986, 115 f. 91 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42. 92 OLG Köln v. 12.4.1994 – 22 U 189/93, GmbHR 1994, 470. 93 Vgl. Begr. I S. 55, II S. 44 u. dazu RGZ 41, 120, 121 f. 94 BGH v. 25.11.1985 – II ZR 48/85, GmbHR 1986, 115; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 129. 95 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19. 96 BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177 (zur Kapitalerhöhung in einer AG); G.H. Roth, ZHR 167 (2003), 89, 97; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 26; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; Altmeppen, Rz. 29.

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§ 7 Rz. 35 | Anmeldung der Gesellschaft Vorbehalt einer wertgleichen Deckung zu verlangen97. Den gesetzlichen Anforderungen an die Leistung der Einlage ist genügt, wenn der Gesellschafter die Leistung zu irgendeinem Zeitpunkt (bis zur Anmeldung der Gesellschaft) ordnungsgemäß zur freien Verfügung des Geschäftsführers erbringt und ein späterer Rückfluss an ihn nicht erfolgt98. 36 bb) Die freie Verfügung ist gegeben, wenn die Geldeinlagen derart geleistet werden, dass die

Geschäftsführer tatsächlich und rechtlich in der Lage sind, die eingezahlten Mittel uneingeschränkt für die Gesellschaft verwenden zu können99. Die Einzahlung in einer gesetzlich zulässigen Form kann im Allgemeinen wegen der erforderlichen unbedingten Übereignung oder vorbehaltlosen Kontogutschrift zwar dazu führen, dass zugleich auch dem Erfordernis der Leistung zur freien Verfügung genügt ist100. Im Einzelfall können aber besondere Umstände eine abweichende Beurteilung gebieten. 37 Die Erfüllung der gesetzlichen Mindesteinzahlungspflicht scheitert bei Scheineinzahlungen re-

gelmäßig schon daran, dass die Voraussetzungen einer ordnungsmäßigen Zahlung (Rz. 26 ff.) mangels Rechtsübergangs nicht erfüllt sind101 oder die Beteiligten die Tilgung der Einlageschuld nicht ernstlich gewollt haben (§ 117 BGB)102. Darüber hinaus stehen die übergebenen Mittel nicht zur freien Verfügung der Geschäftsführer. Entsprechendes gilt für den in der Rechtsprechung genannten Fall, dass der Gesellschafter lediglich einen ihm persönlich eingeräumten Bankkredit zur Verfügung gestellt hat (s. Rz. 31)103. 38 Eine Einzahlung zur freien Verfügung ist ferner nicht gegeben, wenn die Beteiligten bei Zah-

lung die schuldrechtliche Abrede getroffen haben, dass die gezahlten Mittel generell oder beim Eintritt bestimmter Voraussetzungen unmittelbar oder mittelbar wieder an den Einleger zurückfließen sollen104. Es ist dabei irrelevant, ob die Abrede rechtswirksam ist oder nicht105. Die größte praktische Bedeutung haben die Fälle des sog. Hin- und Herzahlens sowie Herund Hinzahlens, in denen der Gesellschafter seine Einlage erbringt und die Beträge sodann aufgrund eines Darlehensvertrags von der Gesellschaft zurückerhält (oder umgekehrt). Der Gesetzgeber hat diese Fälle mit dem MoMiG in § 19 Abs. 5 geregelt. Voraussetzung für eine Befreiung von der Einlageschuld ist, dass der Vorgang (Austausch der Einlage- durch eine Darlehensschuld) bei der Anmeldung offengelegt wird (vgl. § 19 Abs. 5 Satz 2). Wenn dies nicht geschieht oder wenn die Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 Satz 1 nicht vorliegen, wird der Gesellschafter nicht von seiner Einlagepflicht gemäß § 19 Abs. 5 Satz 1 befreit. Es bleibt dann

97 So noch BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 187 zur Kapitalerhöhung; insoweit aber nun für die Kapitalerhöhung aufgegeben durch BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197, 199. 98 Vgl. für die Kapitalerhöhung BGH v. 18.3.2002 – II ZR 363/00, BGHZ 150, 197, 201. Das Urteil erlaubt allerdings keine zwingenden Rückschlüsse darauf, ob der BGH die Frage auch für das Gründungsrecht im betreffenden Sinne entscheiden würde. S. auch 13. Aufl., § 8 Rz. 27. 99 Vgl. BGH v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 241 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53, 59. 100 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59. 101 Vgl. RGSt. 24, 287; RGSt. 30, 300; RGZ 157, 213, 225; RG, JW 1911, 514; RG, JW 1927, 1698. 102 Vgl. RG, JW 1915, 356; BayObLG v. 30.5.1994 – 4St RR 74/94, GmbHR 1994, 551 f.; vgl. auch BGH v. 10.11.1958 – II ZR 3/57, BGHZ 28, 314, 316. 103 Vgl. OLG Köln v. 12.4.1994 – 22 U 189/93, GmbHR 1994, 470. 104 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 76/04, BGHZ 166, 8, 11; BGH v. 9.1.2006 – II ZR 72/05, BGHZ 165, 352, 356; BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113, 116 (zur AG); BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 348; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, GmbHR 1990, 554, 555; BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 603; BGH v. 1.2.1977 – 5 StR 626/76, AG 1978, 166, 167. 105 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113, 117 (zur AG; Unwirksamkeit der Darlehensabrede wegen Verstoßes gegen die Kapitalaufbringungsvorschriften); BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 349.

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 40 § 7

dabei, dass der Gesellschafter nach den höchstrichterlichen Grundsätzen seine Einlage nicht endgültig zur freien Verfügung der Gesellschaft geleistet hat106 (s. 13. Aufl., § 19 Rz. 190). Es ist auch nicht ausreichend, wenn die Leistung aus einem von der Gesellschaft bei einem Dritten aufgenommenen Kredit bewirkt wird107 oder wenn die Gesellschaft für ein dem Einzahlungspflichtigen gewährtes Darlehen mithaftet oder Sicherheiten stellt108. Ebenso ist zu entscheiden, wenn der Gesellschafter-Geschäftsführer das von einem anderen Gesellschafter ihm Eingezahlte zur Erfüllung seiner eigenen Einzahlungspflicht verwendet109 oder wenn mit der Zahlung zugleich der Erlass einer Gegenforderung der GmbH verbunden ist110. Keine Bedenken bestehen dagegen, dass der Gesellschafter seine Einlagepflicht ohne eine derartige Beteiligung der Gesellschaft mit Fremdmitteln tilgt (s. auch 13. Aufl., § 5 Rz. 55) oder die Zahlung unmittelbar durch einen Dritten erfolgt111. Schließlich fehlt es bei Geldleistungen, die zur Ausführung einer Vereinbarung über verdeckte Sacheinlagen erbracht werden, an der erforderlichen freien Verfügung112. Die Neuregelung durch das MoMiG in § 19 Abs. 4 ändert daran nichts113. Schließlich ist auch keine andere rechtliche Beurteilung der Vorgänge geboten, wenn die Gesellschaftsversammlung den Geschäftsführer zur Rückzahlung der Mittel angewiesen hat. Schuldrechtliche Verwendungsabsprachen zwischen der Gesellschaft und dem Einleger 39 oder einem Dritten, die den Einsatz der eingezahlten Mittel für andere Unternehmensmaßnahmen festlegen, hindern dagegen die freie Verfügung i.S.d. § 7 Abs. 2, § 8 Abs. 2 grundsätzlich nicht, da sie nicht mehr die ordnungsgemäße Leistung auf die Geldeinlage, sondern nur noch die Mittelverwendung betreffen114. Auch innergesellschaftliche Weisungen an den Geschäftsführer sind in diesem Bereich unschädlich115. Bei der Zahlung durch Kontogutschrift eines Kreditinstituts (Rz. 31) mangelt es an der er- 40 forderlichen freien Verfügung, wenn das Konto in diesem Zeitpunkt gesperrt116 oder das Guthaben in einer den Einzahlungsbetrag einschließenden Höhe gepfändet ist117 oder einen Debetsaldo aufweist und die Bank den Gutschriftbetrag wegen ungenehmigter Kontoüberziehung oder wegen Kündigung oder Rückführung des Kreditrahmens sofort verrechnen kann, so dass der Geschäftsführer keine rechtliche Möglichkeit erhält, über die eingezahlten Mittel

106 Vgl. zuletzt OLG Jena v. 19.4.2017 – 2 U 18/15, GmbHR 2017, 754, 757. 107 RGZ 47, 180, 185; BGH v. 30.6.1958 – II ZR 213/56, BGHZ 28, 77, 78. 108 BGH v. 2.4.1962 – II ZR 169/61, GmbHR 1962, 233; OLG Köln v. 18.11.1983 – 20 U 71/83, WM 1984, 740, 742; vgl. auch Altmeppen, Rz. 33; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44 f. 109 Nichtig nach § 138 Abs. 1 BGB; vgl. RGZ 159, 321, 331. 110 OLG Hamburg v. 18.10.1985 – 11 U 92/85, GmbHR 1986, 230, 232. 111 BGH v. 26.9.1994 – II ZR 166/93, GmbHR 1995, 119, 120; OLG Frankfurt v. 24.11.1989 – 10 W 165/88, GmbHR 1991, 102, 103; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25; Ulmer/ Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44 f. 112 BGH v. 21.11.2005 – II ZR 140/04, BGHZ 165, 113, 116 (zur AG); BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/ 90, BGHZ 113, 335, 347 f. 113 Tebben in Michalski u.a., Rz. 51. 114 BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 603; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, GmbHR 1990, 554, 555; Ihrig, Die endgültige freie Verfügung über die Einlage von Kapitalgesellschaften, S. 248. 115 BGH v. 22.6.1992 – II ZR 30/91, GmbHR 1992, 601, 603; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, GmbHR 1990, 554, 555; Gehling, DNotZ 1991, 833, 839 ff. 116 BGH v. 2.4.1962 – II ZR 169/61, GmbHR 1962, 233; BayObLG v. 27.5.1998 – 3Z BR 110/98, GmbHR 1998, 736, 737; OLG Köln v. 12.4.1994 – 22 U 189/93, GmbHR 1994, 470, 472; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59. 117 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59.

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§ 7 Rz. 40 | Anmeldung der Gesellschaft in entsprechender Höhe zu disponieren118. Es genügt nicht, dass die Überziehung nur tatsächlich geduldet ist119. Unberührt bleibt die freie Verfügung dagegen, wenn die Gesellschaft der Bank vor der Kontogutschrift den Auftrag zur Weiterüberweisung des Einzahlungsbetrages an einen Dritten erteilt hat, es sei denn, dass dieser ihn wirtschaftlich für Rechnung des Einlegers erhalten soll120. Auch faktische Beschränkungen der Verfügungsmöglichkeit der Gesellschaft über die gutgeschriebene Einzahlung können u.U. der freien Verfügung entgegenstehen121. d) Mindesteinzahlung und Gründungsaufwand 41 Der Gründungsaufwand geht nur bei entsprechender Festsetzung im Gesellschaftsvertrag zu

Lasten der Gesellschaft (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 113 ff.). Wenn und soweit sie erfolgt ist, dürfen analog § 36 Abs. 2 AktG122 die bei der Gründung anfallenden Steuern und Gebühren aus den gesetzlich geforderten Mindesteinzahlungen der Gesellschafter bestritten werden123. Anders ist es zu beurteilen, wenn die Aufwandsübernahme im Gesellschaftsvertrag nicht entsprechend festgelegt ist. Auch wenn die Gesellschaft im Außenverhältnis die Steuer- und Kostenschuldnerin ist, haben ihr dann die Gesellschafter die verauslagten Beträge spätestens bis zur Anmeldung zu erstatten, wenn sie über kein die gesetzlichen Mindestleistungen übersteigendes Gesellschaftsvermögen verfügt. Anderenfalls ist die Anmeldevoraussetzung des § 7 Abs. 2 nicht erfüllt und die Versicherung der Geschäftsführer gemäß § 8 Abs. 2, die die fehlenden Beträge nicht erwähnt, unrichtig mit der Haftungsfolge des § 9a Abs. 1.

3. Leistung der Sacheinlagen (§ 7 Abs. 3) a) Bewirken 42 Die Sacheinlagen sind vor der Anmeldung so zu bewirken, dass sie endgültig zur freien Ver-

fügung der Geschäftsführer stehen (§ 7 Abs. 3). Unter „Bewirken“ sind bei den Sacheinlagen i.e.S. (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 34 ff.) die zur Erfüllung der statutarisch übernommenen Einlagepflicht von Vermögensgegenständen erforderlichen Rechtsakte zu verstehen. Die Anforderungen bestimmen sich nach dem Inhalt der vereinbarten Leistungspflicht. Bewegliche Sachen, an denen das Vollrecht eingebracht werden soll, sind also nach §§ 929 ff. BGB der Vor-

118 BGH v. 3.12.1990 – II ZR 215/89, GmbHR 1991, 152; BGH v. 24.9.1990 – II ZR 203/89, GmbHR 1990, 554, 555; OLG Düsseldorf v. 20.11.1992 – 17 U 98/92, GmbHR 1993, 292, 293; OLG Frankfurt v. 21.12.1983 – 9 U 43/83, ZIP 1984, 836, 837; OLG Köln v. 12.4.1994 – 22 U 189/93, GmbHR 1994, 470, 472; OLG Köln v. 28.2.1996 – 5 U 101/95, GmbHR 1998, 143, 146; OLG Stuttgart v. 31.5.1994 – 10 U 253/93, GmbHR 1995, 115, 119; BayObLG v. 27.5.1998 – 3Z BR 110/98, GmbHR 1998, 736, 737. 119 LG Frankenthal v. 25.1.1996 – 2 HK O 24/95, GmbHR 1996, 356, 358; Spindler, ZGR 1997, 537, 547; Wimmer, GmbHR 1997, 827, 828. A.A. offenbar OLG Hamm v. 25.5.1992 – 8 U 247/91, GmbHR 1992, 750, 751; Priester, DB 1987, 1473, 1474 f. 120 Ähnlich Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56, 59. 121 BGH v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 241 f.; OLG Hamm v. 28.9.1989 – 27 U 81/88, ZIP 1989, 1398, 1400; Hommelhoff/Kleindiek, ZIP 1987, 477, 491. 122 Eine dementsprechende Bestimmung enthielt § 7a Abs. 3 RegE, der mangels Regelungsbedürfnisses nicht Gesetz wurde (vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 71). 123 BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, DNotZ 1997, 495, 496; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 25; Altmeppen, § 8 Rz. 27; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 26; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64; s. auch BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 188 (zur AG).

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 44 § 7

gesellschaft zu übereignen124; eine nur aufschiebend bedingte Übereignung genügt nicht125. Einzulegende Forderungen und Rechte sind ihr nach den jeweils maßgebenden Vorschriften (§§ 398, 413, 1032, 1069, 1153 f. BGB) zu übertragen; auch Zustimmungen Dritter, von denen der Rechtsübergang abhängt (z.B. §§ 185, 399 BGB, § 15 Abs. 5 GmbHG), müssen spätestens bei der Anmeldung vorliegen. Bei den zum Gebrauch einzulegenden Sachen ist der Vorgesellschaft der unmittelbare Besitz zu verschaffen126. Fabrikationsgeheimnisse müssen den Geschäftsführern zugänglich gemacht sein127; die Übergabe einer Beschreibung genügt. Auch das Eigentum an einzubringenden Grundstücken oder anderer einzubringender Rech- 43 te, deren Begründung oder Übertragung die Eintragung in ein öffentliches Register erfordert, muss nach § 7 Abs. 3 vor der Anmeldung auf die Vorgesellschaft übergegangen sein. Dies ist möglich, weil die Vorgesellschaft bereits grundbuchfähig ist und Grundstücksrechte erwerben kann (s. 13. Aufl., § 11 Rz. 41). Dagegen soll nach einer verbreiteten Meinung für Grundstücke und andere Immobiliarrechte eine bindende Einigung (§ 873 Abs. 2, § 925 BGB) zusammen mit der Eintragungsbewilligung und dem erforderlichen rangwahrenden Eintragungsantrag oder die Eintragung einer Erwerbsvormerkung (§ 883 BGB) ausreichend sein128. Zur Begründung werden vor allem Praktikabilitätserwägungen (Beschleunigung der Anmeldung, Entbehrlichkeit der Grundbuchberichtigung) angeführt. Ferner wird geltend gemacht, dass der Erwerbsanspruch der Gesellschaft auch grundstücksrechtlich gesichert sei (§ 17 GBO, §§ 883, 888 BGB). Diese Argumente sind nicht überzeugend. In den genannten Konstellationen ist die geschuldete Einlage noch nicht „bewirkt“ und der Einlagegegenstand steht auch noch nicht „endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer“129. Die Gesellschaft erhält nicht die vorgeschriebene uneingeschränkte Verfügungsmöglichkeit über das Grundstück zur Veräußerung oder Belastung. Auch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift spricht für eine strenge Auslegung der gesetzlichen Anforderungen an die Erbringung einer Sacheinlage. Die Ausnahmeregelung des § 7b Abs. 2 RegE, welche die Eintragung einer Vormerkung für ausreichend erklärte, ist bewusst nicht Gesetz worden. Auch bei der Einbringung von Grundstücken als Sacheinlage besteht, so die Vorstellung des Rechtsausschusses, ein Interesse daran, dass die Sacheinlagen möglichst voll erbracht werden und endgültig zur Verfügung der Geschäftsführer stehen. Darüber hinaus auch die Vormerkung zuzulassen, würde zu Unsicherheiten führen130. Bei den Sachübernahmen mit Anrechnungsabrede (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 73 ff.), die ebenfalls 44 dem § 7 Abs. 3 unterliegen (Rz. 3, 22), erfordert das „Bewirken“, dass vor der Anmeldung der Sachübernahmevertrag abgeschlossen worden, der danach geschuldete Vermögensgegenstand der Vorgesellschaft geleistet und die Aufrechnung oder Verrechnung der Vergütungsforderung gegen die Einlageforderung vorgenommen sein muss131. Diese Erfordernisse ergeben sich aus dem Zweck des § 7 Abs. 3, die Aufbringung des Stammkapitals durch die angeordnete Vollleistung der Sacheinlagen zu sichern. Auch in § 7 Abs. 2 Satz 2 geht das Gesetz 124 BGH v. 2.5.1966 – II ZR 219/63, BGHZ 45, 338, 347 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Altmeppen, Rz. 40; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49, 61. 125 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31. A.A. BGH v. 13.6.1958 – VIII ZR 202/57, GmbHR 1959, 94. 126 Altmeppen, Rz. 40; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61. 127 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61. 128 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Priester, DNotZ 1980, 515, 523; Tebben in Michalski u.a., Rz. 43 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51. 129 Hüffer, ZHR 148 (1984), 74, 76; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31. 130 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 71. 131 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49.

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§ 7 Rz. 44 | Anmeldung der Gesellschaft von ihrem Vorliegen aus, da die Sachübernahmen bei der Berechnung des durch Einlagen aufzubringenden Mindestvermögens von 12 500 Euro berücksichtigt werden. b) Freie Verfügung 45 Die Voraussetzung, dass die Sacheinlagen „endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsfüh-

rer“ stehen (§ 7 Abs. 3), ist im Allgemeinen zugleich mit dem ordnungsgemäßen „Bewirken“ (Rz. 42 ff.) erfüllt. Zusätzliche Abreden und Einschränkungen, die dies in Frage stellen können, sind unzulässig. Die Ausführungen oben Rz. 34 ff. gelten insoweit sinngemäß.

4. Mehrleistungen 46 Das Gesetz regelt nur die Mindesteinlageleistungen. Der Gesellschaftsvertrag kann bestim-

men, dass die Gesellschafter bei der Gründung höhere Einzahlungen zu leisten haben132. Das entspricht dem Sinn der Vorschrift, die die Geldeinlageleistungen vor der Eintragung nicht etwa auf die genannten Beträge beschränken, sondern im Gegenteil erreichen will, dass die Gesellschaft schon vor der Anmeldung mit einem realen Gesellschaftsvermögen ausgestattet und ein Mindestmaß an finanzieller Leistungsfähigkeit durch die aufgebrachten Einlagen nachgewiesen ist (Rz. 1). Von einer gesetzlichen Vollleistungspflicht aller Geldeinlagen vor der Anmeldung ist nur deswegen abgesehen worden, weil die unwirtschaftliche Anlage nicht benötigten Kapitals vermieden und kein Anreiz zur Festsetzung eines zu niedrigen Stammkapitals gegeben werden sollte. Mit Recht wird daher seit langem nahezu einhellig angenommen, dass die Einlageschuld durch Mehrleistungen der Gesellschafter, die auf einer statutarischen Anordnung beruhen, erlischt (§ 362 BGB)133. 47 Zweifelhaft ist, ob eine Befreiungswirkung auch bei einer freiwilligen Mehrleistung des Ge-

sellschafters eintritt. Der BGH vertrat ursprünglich die Ansicht, dass eine Mehrleistung nur dann zur Tilgung der Einlageschuld führe, wenn das eingezahlte Geld bei Eintragung noch unverbraucht oder jedenfalls in Form eines Gegenwertes vorhanden ist oder das Gesellschaftsvermögen das Stammkapital deckt134. Diese restriktive Auslegung hat der II. Zivilsenat mittlerweile unter Berufung auf die Vorbelastungshaftung der Gründungsgesellschafter aufgegeben135. Nicht geklärt ist allerdings, ob die Mehrleistung, wenn sie durch die Satzung nicht festgelegt bzw. erlaubt ist, zumindest im Einvernehmen aller Gesellschafter erbracht worden sein muss. Diese Einschränkung wird von einem Teil der Literatur wegen der Vorbelastungshaftung, die alle Gesellschafter treffe, gefordert136. Sie ist abzulehnen137. Eine freiwillige Mehrleistung, die ordnungsgemäß zur freien Verfügung der Gesellschaft erbracht worden ist, führt im Zweifel (§ 271 Abs. 2 BGB) zum Erlöschen der Einlageschuld. Denn es ist schwerlich einleuchtend, dass das Risiko für die gleichermaßen zu gemeinschaftlichen Zwecken verwendeten Mittel bei den gesetzlich oder statutarisch angeordneten Einlageleistungen vor Eintragung allen Gesellschaftern, bei anderen darüber hinausgehenden Einlageleistungen aber allein dem be-

132 RGZ 149, 293, 302; BGH v. 13.10.1954 – II ZR 295/53, BGHZ 15, 66, 68; BGH v. 29.3.1962 – II ZR 50/61, BGHZ 37, 75, 77 f.; BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 137; BGH v. 7.11.1966 – II ZR 136/64, GmbHR 1967, 145; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46. 133 Vgl. RGZ 83, 370, 374 ff.; RG, JW 1922, 94; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 27. 134 Vgl. BGH v. 29.3.1962 – II ZR 50/61, BGHZ 37, 75, 77 f.; BGH v. 2.12.1968 – II ZR 144/67, BGHZ 51, 157, 159; BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 137. 135 BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 301 ff. 136 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5a; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46 f. 137 Altmeppen, Rz. 22; Tebben in Michalski u.a., Rz. 55.

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Anmeldung der Gesellschaft | Rz. 48 § 7

treffenden Gesellschafter aufgebürdet werden soll. Entscheidend gegen die Einschränkung der Erfüllungswirkung spricht ferner, dass die die effektive Aufbringung der Einlageleistung sichernde Vorschrift (§ 7 Abs. 2) sich nicht auf die Verwendung der in Übereinstimmung mit ihr eingezahlten Mittel durch die Gesellschaft bezieht. Es besteht daher kein hinreichender Grund dafür, die Erfüllungswirkung der Mehrleistungen beim Fehlen einer Satzungsregelung von der Zustimmung aller Gesellschafter abhängig zu machen. Und schließlich: Die Vorbelastungshaftung wird nicht durch die freiwillige Mehrleistung, sondern durch die Aufnahme der Geschäftstätigkeit ausgelöst und im Wesentlichen auch umfangmäßig bestimmt138. Die Erfüllungswirkung von freiwilligen Mehrleistungen tritt demzufolge nur dann nicht ein, wenn die Satzung oder besondere Umstände des Einzelfalls eine andere Beurteilung erfordern139. Die Leistung der statutarisch erforderlichen Mehrbeträge ist keine Anmeldevoraussetzung. 48 Die Versicherung nach § 8 Abs. 2 hat sich auf sie und etwaige freiwillige Mehrleistungen (Rz. 47) nicht zu erstrecken140.

138 Stimpel in FS Fleck, S. 345, 347 f. 139 Stimpel in FS Fleck, S. 345, 348; Melber, GmbHR 1991, 563, 566. 140 OLG Stuttgart v. 13.7.2011 – 8 W 252/11, BB 2011, 1858.

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§8 Inhalt der Anmeldung (13. Auflage 2022) (1) Der Anmeldung müssen beigefügt sein: 1. der Gesellschaftsvertrag und im Fall des § 2 Abs. 2 die Vollmachten der Vertreter, welche den Gesellschaftsvertrag unterzeichnet haben, oder eine beglaubigte Abschrift dieser Urkunden, 2. die Legitimation der Geschäftsführer, sofern dieselben nicht im Gesellschaftsvertrag bestellt sind, 3. eine von den Anmeldenden unterschriebene oder mit den qualifizierten elektronischen Signaturen der Anmeldenden versehene Liste der Gesellschafter nach den Vorgaben des § 40, 4. im Fall des § 5 Abs. 4 die Verträge, die den Festsetzungen zugrunde liegen oder zu ihrer Ausführung geschlossen worden sind, und der Sachgründungsbericht, 5. wenn Sacheinlagen vereinbart sind, Unterlagen darüber, dass der Wert der Sacheinlagen den Nennbetrag der dafür übernommenen Geschäftsanteile erreicht. (2) In der Anmeldung ist die Versicherung abzugeben, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 bezeichneten Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt sind und dass der Gegenstand der Leistungen sich endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet. Das Gericht kann bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der Versicherung Nachweise wie insbesondere die Vorlage von Einzahlungsbelegen eines in der Europäischen Union niedergelassenen Finanzinstituts oder Zahlungsdienstleisters verlangen. (3) In der Anmeldung haben die Geschäftsführer zu versichern, dass keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 und 4 entgegenstehen, und dass sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht belehrt worden sind. Die Belehrung nach § 53 Abs. 2 des Bundeszentralregistergesetzes kann schriftlich vorgenommen werden; sie kann auch durch einen Notar oder einen im Ausland bestellten Notar, durch einen Vertreter eines vergleichbaren rechtsberatenden Berufs oder einen Konsularbeamten erfolgen. (4) In der Anmeldung sind ferner anzugeben 1. eine inländische Geschäftsanschrift 2. Art und Umfang der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer. (5) Für die Einreichung von Unterlagen nach diesem Gesetz gilt § 12 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs entsprechend. Text von 1892; Abs. 4 eingefügt durch Gesetz vom 15.8.1969 (BGBl. I 1969, 1146); Abs. 1 Nr. 4 u. 5, Abs. 3 eingefügt sowie Abs. 2 geändert durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 3 Satz 1 geändert durch Gesetz vom 12.9.1990 (BGBl. I 1990, 2002); Abs. 1 Nr. 3 geändert durch Gesetz vom 22.6.1998 (BGBl. I 1998, 1474); Abs. 5 neu gefasst durch Gesetz vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553); Abs. 1 Nr. 3 und 5 geändert, Nr. 6 aufgehoben, Abs. 2 Satz 1 geändert, Satz 2 neu gefasst, Abs. 3 Satz 1 geändert, Satz 2 neu gefasst, Abs. 4 neu gefasst durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026); Abs. 1 Nr. 3 neu gefasst durch Gesetz vom 23.6.2017 (BGBl. I 2017, 1822); Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 geändert durch DiRUG vom 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338). I. 1. 2. II. 1.

Grundlagen Regelungsinhalt und -zweck . . . . . . . . . . . Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlagen zur Anmeldung (§ 8 Abs. 1) Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Legitimation der Geschäftsführer . . . . . . 9 3. Liste der Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . 10 4. Verträge über Sacheinlagen und Sachgründungsbericht . . . . . . . . . . . . . . . 14

Inhalt der Anmeldung | Rz. 2 § 8 5. Unterlagen über den Wert der Sacheinlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bestellung des Aufsichtsrates . . . . . . . . . . 7. Weitere Angaben und Unterlagen . . . . . . 8. Nicht mehr erforderlich: Genehmigungsurkunde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Versicherungen der Geschäftsführer (§ 8 Abs. 2 und 3) 1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inhalt der Versicherungen a) Gesetzliche Mindestleistungen . . . . . . b) Ausschlussgründe vom Geschäftsführeramt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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IV. Angaben zur Geschäftsanschrift und Vertretungsbefugnis (§ 8 Abs. 4) 1. Angaben zur Geschäftsanschrift (§ 8 Abs. 4 Nr. 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Angaben zur Vertretungsbefugnis (§ 8 Abs. 4 Nr. 2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Einreichung von Unterlagen (§ 8 Abs. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Sonstiges 1. Registergerichtliche Kontrolle . . . . . . . . . 2. Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Schrifttum: Bärwaldt, Die Anmeldung „zukünftiger“ Tatsachen zum Handelsregister, GmbHR 2000, 421; Bärwaldt, Der Zeitpunkt der Richtigkeit der Versicherung der Geschäftsführung über die Leistung der Stammeinlagen und deren endgültig freie Verfügbarkeit, GmbHR 2003, 524; Böhringer, Das neue GmbH-Recht in der Notarpraxis, BWNotZ 2008, 104; Böhringer/Melchior, Auswirkungen der Reform des Vormundschafts- und Betreuungsrechts und des DiRUG auf die notarielle Praxis bei Anmeldungen in Registersachen, GmbHR 2022, 177; Geßler, Die GmbH-Novelle, BB 1980, 1385; Katschinski/Rawert, Stangenware versus Maßanzug: Vertragsgestaltung im GmbH-Recht nach Inkrafttreten des MoMiG, ZIP 2008, 1993; Lutter, Die GmbH-Novelle und ihre Bedeutung für die GmbH, die GmbH & Co KG und die Aktiengesellschaft, DB 1980, 1317; Maier-Reimer/Wenzel, Kapitalaufbringung in der GmbH nach dem MoMiG, ZIP 2008, 1449; Mayer, Aufwertung der Gesellschafterliste durch das MoMiG – Fluch oder Segen?, ZIP 2009, 1037; Mödl, Die ausländische Kapitalgesellschaft in der notariellen Praxis, RNotZ 2008, 1; von Rössing, Die Sachgründung nach der GmbH-Novelle 1980, 1984; Schaub, Stellvertretung bei Handelsregisteranmeldungen, DStR 1999, 1699; Schwerin, Die Behandlung der Urschrift einer Handelsregisteranmeldung nach Einführung des elektronischen Registerverkehrs durch das EHUG, RNotZ 2007, 27; Seibert, GmbH-Reform: Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen – MoMiG, ZIP 2006, 1157; Seibert/Decker, Die GmbH-Reform kommt!, ZIP 2008, 1208; Spiegelberger/Walz, Die Prüfung der Kapitalaufbringung im Rahmen der GmbH-Gründung, GmbHR 1998, 761; Ulbert, Die GmbH im Handelsregisterverfahren, 1997; Wachter, Verschlankung des Registerverfahrens bei der GmbH-Gründung. Zwölf Vorschläge aus der Praxis, in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 55; Wachter, GmbH-Reform: Auswirkungen auf die Gründung einer klassischen GmbH, NotBZ 2008, 361; Weiß, Die Versicherung des GmbH-Geschäftsführers über das Nichtvorliegen strafrechtlicher Verurteilungen (§ 8 Abs. 3 S. 1 GmbHG), GmbHR 2013, 1076.

I. Grundlagen 1. Regelungsinhalt und -zweck Die Vorschrift regelt die inhaltlichen Anforderungen an die Anmeldung der Gesellschaft 1 zum Handelsregister. So bestimmt sie, welche Anlagen beizufügen und welche Versicherungen abzugeben sind. Sie will die Seriosität des Gründungsvorgangs gewährleisten. Ihr Zweck liegt im Gläubigerschutz; sie ist zwingend. Die Anmeldung hat in elektronischer Form zu erfolgen (§ 12 Abs. 1 HGB). Auch die Unter- 2 lagen sind elektronisch einzureichen (§ 8 Abs. 5 i.V.m. § 12 Abs. 2 HGB). Welche Form bei der elektronischen Übermittlung der Erklärung gilt, ergibt sich aus § 12 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 HGB. Daraus folgt, dass für die elektronische Einreichung eines notariell beurkundeten Dokuments oder einer öffentlich beglaubigten Abschrift ein einfaches

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§ 8 Rz. 2 | Inhalt der Anmeldung elektronisches Zeugnis gemäß § 39a BeurkG erforderlich ist1. Die Dokumente werden in einen elektronischen Registerordner aufgenommen und sind in der zeitlichen Folge ihres Eingangs und nach der Art des jeweiligen Dokuments abrufbar zu halten (§ 9 Abs. 1 Satz 1 und 2 HRV). Sie können von jedermann eingesehen werden (vgl. § 9 HGB). Die Urschrift der Anmeldung verbleibt in der Regel beim Notar2. 3 § 8 ist im Verhältnis zu § 29 HGB lex specialis. Die Vorschrift ist bei Aktivierung einer Vor-

ratsgesellschaft und einer Mantelgesellschaft entsprechend anwendbar (s. Erl. zu 13. Aufl., § 3 Rz. 196). Für Satzungsänderungen (§ 54) und Kapitalerhöhungen (§ 57) sieht das GmbHG eigene Vorschriften über die Anmeldung vor. Ferner sind Vorschriften des § 8 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 und 4 bei der Anmeldung von Zweigniederlassungen einer GmbH mit Sitz im Ausland anzuwenden3.

2. Reformen 4 Die Vorschrift ist mehrfach geändert worden. Das Erfordernis der Angabe der Vertretungs-

befugnis der Geschäftsführer (§ 8 Abs. 4) wurde durch das KoordG vom 15.8.1969 eingeführt. Sodann erfolgten umfangreichere Änderungen durch die GmbH-Novelle 1980. Die Bestimmung des § 8 Abs. 2 über die Versicherung der Einlagemindestleistungen vor Anmeldung wurde den geänderten Voraussetzungen des § 7 Abs. 2 Satz 1, 2 und Abs. 3 angepasst. Ferner wurde in § 8 Abs. 3 eine zusätzliche Versicherung über das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen für die bestellten Geschäftsführer sowie in § 8 Abs. 1 Nr. 4 und 5 die Einreichung zusätzlicher Unterlagen bei Sachgründungen eingeführt. Der Gesetzgeber verfolgte mit diesen Änderungen das Ziel, die gerichtliche Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Gründung zu ermöglichen und zu erleichtern und dadurch den Gläubigerschutz zu verstärken4. Das EHUG vom 1.1.2007 hat die in § 8 Abs. 5 a.F. vorgesehene Pflicht der Geschäftsführer, in der Anmeldung selbst oder in einem gesonderten Dokument jeweils handschriftlich in notariell beglaubigter Form ihre Unterschrift anzugeben, aufgehoben. Eine solche Pflicht ist auch nicht in anderen Gesetzen vorgesehen. 5 Die strengen Anforderungen an die Anmeldung und gerichtliche Prüfung führten dazu, dass

sich das Registerverfahren über mehrere Monate hinziehen und erhebliche Kosten verursachen konnte. Der Gesetzgeber entschloss sich daher, die Vorschrift mit dem MoMiG zu reformieren. Die Änderungen des § 8 Abs. 1 Nr. 3 und 5 sowie des § 8 Abs. 2 sind im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass nach neuem Recht das Stammkapital in Geschäftsanteile zerlegt ist; das Gesetz spricht vom Nennbetrag der Geschäftsanteile und nicht mehr von den Stammeinlagen (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 54; 13. Aufl., § 5 Rz. 19). Die Aufhebung des § 8 Abs. 1 Nr. 6 und die Einfügung des § 8 Abs. 2 Satz 2 sind dem Ziel verpflichtet, eine schnelle und kostengünstige Eintragung der Gesellschaft zu ermöglichen5. Die Streichung des § 8 Abs. 2 Satz 2 a.F. ist eine Folge der Aufhebung des § 7 Abs. 2 Satz 3 über die Sicherung bei einer Einmann-Gründung (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 4). Die Änderung des § 8 Abs. 3 Satz 1 ist eine Folge der Änderung des § 6. Dagegen dient die Neufassung des § 8 Abs. 2 Satz 2 der Klarstellung, dass die Belehrung über die unbeschränkte Auskunftspflicht schriftlich erfolgen und auch durch 1 BGH v. 15.6.2021 – II ZB 25/17, ZIP 2021, 1488, 1489: Einreichung mit einer qualifizierten elektronischen Signatur des Ausstellers der Anmeldung gemäß § 126a BGB reicht nicht aus. 2 Schwerin, RNotZ 2007, 27; Tebben in Michalski u.a., Rz. 1. 3 Vgl. zur Unionrechtskonformität dieser Regelungen die Vorlage des BGH an den EuGH v. 14.5.2019 – II ZB 25/17, GmbHR 2019, 821, dort anhängig unter C-469/19. 4 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 33 f.; s. auch BayObLG v. 27.7.1993 – 3Z BR 126/93, GmbHR 1994, 62. 5 Vgl. zum Problem der langen Eintragungsdauer Wachter in Gesellschaftsrechtliche Vereinigung (VGR), Die GmbH-Reform in der Diskussion, 2006, S. 55, 58 f.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 6 § 8

einen ausländischen Notar oder einen deutschen Konsularbeamten vorgenommen werden kann. Die Änderung des § 8 Abs. 4 ist Bestandteil eines Maßnahmenpakets, das Missbräuchen im Zusammenhang mit der Verwendung einer GmbH entgegenwirken soll. Der RegE MoMiG hatte in § 8 Abs. 2 die von der Rechtsprechung entwickelte Fallgruppe des sog. „Hin- und Herzahlens“, bei der es zu einem Rückfluss des Einlagebetrags durch ein Darlehen an den Gesellschafter kommt, regeln wollen6. Aus systematischen Gründen wurde die vorgesehene Vorschrift in § 19 Abs. 5 verschoben7 (zu den Einzelheiten s. 13. Aufl., § 19 Rz. 173). Allerdings ist der Vorgang auch für die Anmeldung relevant. Denn eine solche Leistung oder die Vereinbarung einer solchen Leistung ist gemäß § 19 Abs. 5 Satz 2 in der Anmeldung nach § 8 anzugeben (s. Rz. 28). Die nächste Änderung erfolgte durch das Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geld- 5a wäscherichtlinie, zur Ausführung der EU-Geldtransferverordnung und zur Neuorganisation der Zentralstelle für Finanztransaktionsuntersuchungen vom 23.6.2017 (Änderung des § 8 Abs. 1 Nr. 3). Schließlich hat das Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie (DiRUG) vom 5.7.2021 (BGBl. I 2021, 3338) die Vorschrift in mehrerlei Hinsicht geändert. In § 8 Abs. 1 Nr. 3 wurden nach dem Wort „unterschriebene“ die Wörter „oder mit den qualifizierten elektronischen Signaturen der Anmeldenden versehene“ eingefügt. § 8 Abs. 2 Satz 2 wurde neu gefasst und in § 8 Abs. 3 Satz 1 nach den Wörtern „sowie Satz 3“ die Angabe „und 4“ eingefügt

II. Anlagen zur Anmeldung (§ 8 Abs. 1) 1. Gesellschaftsvertrag Der Anmeldung muss (in elektronischer Form) gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 der Gesellschaftsver- 6 trag in Urschrift oder in beglaubigter Abschrift beigefügt sein. Mit dem Begriff des Gesellschaftsvertrags ist das gesamte Errichtungsgeschäft gemeint8. Beizufügen sind also die Satzung sowie das Gründungsprotokoll über die Feststellung der Satzung und Übernahme der Geschäftsanteile durch die Gründer. Dazu ist – als einheitliches Schriftstück (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 2 BeurkG) – das Gründungsprotokoll zusammen mit der Satzung als Anlage einzureichen9. Es ist aber nicht zwingend erforderlich, dass eine Urkunde vorgelegt wird. Wenn aus zeitlichen oder örtlichen Gründen mehrere Urkunden errichtet worden sind, sind Abschriften dieser Urkunden einzureichen10. Der Anmeldung muss entsprechend § 54 Abs. 1 Satz 2 „der vollständige Wortlaut des Gesellschaftsvertrags“ beigefügt werden. Seine Bestimmungen müssen vollständig in einem Schriftstück beurkundet sein11. Wurde die Gesellschaft im vereinfachten Verfahren gegründet, ist das Musterprotokoll einzureichen (vgl. § 2 Abs. 1a Satz 5). Wenn der Gesellschaftsvertrag nicht in deutscher Sprache verfasst und beurkundet ist (vgl. § 5 Abs. 2 BeurkG), muss eine deutsche Übersetzung eingereicht12 und die Übereinstimmung durch eine Bescheinigung des beurkundenden Notars oder eine Bestätigung eines öf-

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Vgl. Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 82. Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 16/9737, S. 96. Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Tebben in Michalski u.a., Rz. 3. Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Tebben in Michalski u.a., Rz. 3. Tebben in Michalski u.a., Rz. 4. OLG Köln v. 11.8.1972 – 2 Wx 75/72, GmbHR 1973, 11; OLG Schleswig-Holstein v. 21.10.1974 – 2 W 99/74, GmbHR 1975, 183; OLG Stuttgart v. 29.11.1978 – 8 W 225/78, DNotZ 1979, 359, 360; OLG Frankfurt v. 4.3.1981 – 20 W 370/80, Rpfleger 1981, 309. 12 LG Düsseldorf v. 16.3.1999 – 36T 3/99, GmbHR 1999, 609, 610.

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§ 8 Rz. 6 | Inhalt der Anmeldung fentlich bestellten Übersetzers nachgewiesen werden13. Etwaige schuldrechtliche Nebenabreden sind nicht beizufügen14. 7 Bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages vor der Eintragung sind auch die Ausfertigung

oder eine beglaubigte Abschrift der darüber errichteten Urkunde und in entsprechender Anwendung des § 54 Abs. 1 Satz 2 der vollständige Wortlaut des Gesellschaftsvertrages in der geltenden Fassung mit einer entsprechenden abgewandelten Bescheinigung des Notars einzureichen15. Die Herstellung des vollständigen Vertragstextes obliegt den Geschäftsführern16. Eine erneute Beurkundung des gesamten Gesellschaftsvertrages, die überdies zu einer unnötigen Kostenbelastung führen würde, erfordert der Gesetzeszweck dagegen nicht. Wird der Gesellschaftsvertrag nach der Anmeldung geändert, so genügt die Nachreichung der genannten Unterlagen; einer erneuten Anmeldung bedarf es nicht17. 8 Soweit ein Gesellschafter beim Abschluss des Gesellschaftsvertrages durch einen Bevoll-

mächtigten vertreten war, ist nach § 8 Abs. 1 Nr. 1 auch die Vollmacht in Urschrift bzw. in einer Ausfertigung oder in beglaubigter Abschrift beizufügen. Entsprechendes gilt für die Genehmigungserklärung im Falle vollmachtloser Vertretung. Bei gesetzlicher Vertretung ist die Legitimation nach den jeweils einschlägigen Vorschriften zu belegen, z.B. durch beglaubigten Handelsregisterauszug, eine Bestellungsurkunde des Vormunds (§ 1791 BGB; ab 1.1.2023: § 168b FamFG), eine Notarbescheinigung gemäß § 21 BNotO oder entsprechend § 32 GBO durch Bezugnahme auf die Registerakten desselben Gerichts18. Eine juristische Person des öffentlichen Rechts kann die Vertretungsmacht ihrer gesetzlichen Vertreter meist selbst bestätigen19. Ist eine ausländische Gesellschaft als Gründerin aufgetreten, kommen als Nachweis eine beglaubigte Auskunft des Heimatregisters oder des Notars des Gründungsstaats in Betracht20.

2. Legitimation der Geschäftsführer 9 Der Anmeldung muss gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 2 die Legitimation der Geschäftsführer beigefügt

sein, sofern dieselben nicht im Gesellschaftsvertrag bestellt sind. Die Bestellung erfolgt in der Regel durch einen Gesellschafterbeschluss in der notariellen Mantelurkunde, so dass ein entsprechender Nachweis meist nicht erforderlich sein dürfte21. Wenn dies nicht der Fall ist, 13 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10; Tebben in Michalski u.a., Rz. 8. 14 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Tebben in Michalski u.a., Rz. 3. 15 OLG Köln v. 11.8.1972 – 2 Wx 75/72, GmbHR 1973, 11; OLG Schleswig-Holstein v. 21.10.1974 – 2 W 99/74, GmbHR 1975, 183; BayObLG v. 31.1.1978 – BReg 1 Z 5/78, Rpfleger 1978, 143; BayObLG v. 14.9.1988 – BReg 3 Z 85/88, BB 1988, 2198; BayObLG v. 27.7.1993 – 3Z BR 126/93, GmbHR 1994, 62 f.; OLG Stuttgart v. 29.11.1978 – 8 W 225/78, DNotZ 1979, 359; OLG Frankfurt v. 4.3.1981 – 20 W 370/80, Rpfleger 1981, 309; OLG Hamm v. 14.1.1986 – 15 W 310/84, GmbHR 1986, 311; KG v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, GmbHR 1997, 412, 413; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 4. 16 OLG Zweibrücken v. 20.9.2000 – 3 W 178/00, GmbHR 2000, 1204; BayObLG v. 14.9.1988 – BReg 3 Z 85/88, BB 1988, 2198; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4. A.A. OLG Schleswig v. 11.12.1972 – 2 W 54/72, DNotZ 1973, 482, 483 (Gesellschafter) und OLG Celle v. 16.3.1982 – 1 W 4/82, OLGZ 1982, 317, 318 (Notar). 17 BayObLG v. 31.1.1978 – BReg 1 Z 5/78, Rpfleger 1978, 143; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4. 18 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Tebben in Michalski u.a., Rz. 7; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6. 19 Tebben in Michalski u.a., Rz. 7; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. 20 Tebben in Michalski u.a., Rz. 7; ausführlich Mödl, RNotZ 2008, 1, 10 ff. 21 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 10 § 8

müssen die Urkunden über den Bestellungsakt des zuständigen Gesellschaftsorgans in elektronischer Form (vgl. § 8 Abs. 5 i.V.m. § 12 Abs. 2 HGB) eingereicht werden. Eine besondere Form für die Bestellung schreibt das Gesetz nicht vor; die Schriftform ist ausreichend22. War die Bestellung zulässigerweise mündlich vorgenommen worden, muss sie durch Mitglieder des Gesellschaftsorgans oder die nach dem Gesellschaftsvertrag für die Mitteilung seiner Entscheidungen maßgeblichen Personen (z.B. den Versammlungsleiter) schriftlich bestätigt werden23. Dabei sind auch das Geburtsdatum und der Wohnort anzugeben (vgl. § 43 Nr. 4 HRV). Der Nachweis, dass die Geschäftsführer das Amt angenommen haben, ergibt sich aus ihrer Anmeldung. Änderungen in den Personen der Geschäftsführer, die nach der Anmeldung eintreten, sind analog § 39 unter Beifügung der entsprechenden Legitimationen nachzumelden24.

3. Liste der Gesellschafter Der Anmeldung muss gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 eine von den Anmeldenden unterschriebene 10 Liste der Gesellschafter nach den Vorgaben des § 40 beigefügt sein. Seit dem 1.8.2022 kommt auch in Betracht, dass die Liste mit den qualifizierten elektronischen Signaturen der Anmeldenden versehen ist (Umsetzung von Art. 13g GesRRL). Diese Alternative zum Unterschriftserfordernis ermöglicht es, dass bei einer Online-Gründung die erste Gesellschafterliste durch die Anmeldenden elektronisch signiert und daher auch online erstellt sowie eingereicht werden kann25. Der Verweis auf § 40 wurde durch das Gesetz zur Umsetzung der Vierten EUGeldwäscherichtlinie (Rz. 5a) eingefügt. Dieses Gesetz dient dazu, „Transparenz über die Anteilseignerstrukturen der GmbH zu schaffen und Geldwäsche zu verhindern“26. Dazu wurde § 40 über die Gesellschafterliste neu gefasst (die Vorschrift war bis dato auf natürliche Personen zugeschnitten). Der Verweis des § 8 Abs. 1 Nr. 3 auf § 40 dient der „Verschlankung des Normtextes“27. Aus der Liste müssen Name, Vorname (Rufname), Geburtsdatum und Wohnort (ohne Angabe der Straße) ersichtlich sein. Die Angabe des Berufs wird seit der Änderung der Vorschrift durch das HRefG vom 22.6.1998 nicht mehr gefordert. Aus der Gesellschafterliste müssen zudem nach dem neuen Wortlaut die Nennbeträge und die laufenden Nummern der von einem jeden derselben übernommenen Geschäftsanteile sowie die durch den jeweiligen Nennbetrag eines Geschäftsanteils vermittelte jeweilige prozentuale Beteiligung am Stammkapital zu entnehmen sein (s. Rz. 11). Welche Angaben bei Personenhandelsgesellschaften und juristischen Personen zu machen sind, war nach altem Recht streitig. Das Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie hat die Rechtslage geklärt. Aus § 40 Abs. 1 Satz 1 folgt, dass bei eingetragenen Gesellschaften in die Liste deren Firma, Satzungssitz, zuständiges Register und Registernummer aufzunehmen sind. Die Gesellschafter sind also nicht zu nennen. Bei nicht eingetragenen Gesellschaften sind deren jeweilige Gesellschafter unter einer zusammenfassenden Bezeichnung mit Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort aufzunehmen28. Dies wird beispielsweise für eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und eine Erbengemeinschaft relevant. Eine unternehmenstragen22 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. 23 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. 24 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Altmeppen, Rz. 3. 25 Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 161. 26 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/11555, S. 172. 27 Begr. RegE, BT-Drucks. 18/11555, S. 172. 28 In diesem Sinne zum alten Recht bereits die 11. Aufl.; ferner OLG Hamm v. 18.11.1974 – 15 Wx 111/74, BB 1975, 292, 293 (Erbengemeinschaft); OLG Hamm v. 18.12.1995 – 15 W 413/95, GmbHR 1996, 363, 365 (GbR); Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; Tebben in Michalski u.a., Rz. 12; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8.

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§ 8 Rz. 10 | Inhalt der Anmeldung de Außen-GbR ist teilrechtsfähig. Dennoch verlangt § 8 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 2, alle Gesellschafter mit Name, Vorname, Geburtsdatum und Wohnort unter einer zusammenfassenden Bezeichnung aufzuführen (und nicht bloß der Name der GbR und ihren Sitz). Der Gesetzgeber hat dies damit begründet, dass in Abwesenheit eines Registers für derartige GbR durch die zusätzliche Angabe der Gesellschafter größtmögliche Transparenz mit Blick auf den Kreis der Gesellschafter erzielt werden kann29. Für Publikumsgesellschaften sei keine Ausnahme zu machen, weil dies dem Transparenzgedanken zuwiderlaufen würde. Für diese genügt daher die Nennung der jeweils vertretungsberechtigten Gesellschafter nicht30. Die Anforderungen an Personenhandelsgesellschaften und juristische Personen gelten gleichermaßen für inländische wie für ausländische Gesellschaften31. Im Übrigen gilt, dass es sachgemäß ist, die Gesellschafter so zu bezeichnen, wie es im Gründungsstatut geschehen ist. Ist ein Einzelkaufmann als Mitgründer unter seiner Firma aufgetreten und bezeichnet (dazu 13. Aufl., § 2 Rz. 55), so ist er in die Gesellschafterliste mit gleicher Bezeichnung aufzunehmen; sein bürgerlicher Name braucht nicht angegeben zu werden, da sowohl die Liste wie der Gesellschaftsvertrag beim Registergericht von jedermann eingesehen werden können (§ 9 HGB) und der Geschäftsverkehr daher über die Person Aufschluss erlangen kann32. In der Gesellschafterliste sind keine Angaben über Treuhandverhältnisse oder Belastungen zu machen33. Das am 1.1.2024 in Kraft tretende MoPeG ändert mit Rücksicht auf die Registerpublizität der GbR § 40 Abs. 1. Ist ein Gesellschafter selbst eine juristische Person oder rechtsfähige Personengesellschaft, sind nach der Neufassung der Norm in die Liste deren Firma oder Name, Sitz und, soweit gesetzlich vorgesehen, das zuständige Registergericht und die Registernummer aufzunehmen. Eine GbR kann nur in die Liste eingetragen und Veränderungen an ihrer Eintragung können nur vorgenommen werden, wenn die GbR in das Gesellschaftsregister eingetragen ist. 11 Aus der Liste müssen seit dem MoMiG die Nennbeträge und die laufenden Nummern der

von einem jeden der Gesellschafter übernommenen Geschäftsanteile ersichtlich sein. Die durchgehende Nummerierung der Geschäftsanteile soll deren eindeutige Bezeichnung vereinfachen und Anteilsübertragungen praktisch erleichtern34. Mit der Angabe der Nennbeträge der von den Gesellschaftern übernommenen Geschäftsanteile soll ebenfalls deren Zuordnung erleichtert werden35. Beispiel: Hat ein Gesellschafter zehn Geschäftsanteile mit einem Nennbetrag von jeweils 100 Euro übernommen, so sind alle Anteile mit ihrer Nummerierung anzugeben. Nicht ausreichend ist es, wenn in der Liste angegeben wird, dass der Gesellschafter Anteile über insgesamt 1000 Euro hält. Sach- oder Geldeinlage und bewirkte Einzahlung brauchen aus der Liste nicht hervorzugehen36. Seit dem Gesetz zur Umsetzung der Vierten EU-Geldwäscherichtlinie (Rz. 5a) muss außerdem „die durch den jeweiligen Nennbetrag eines Geschäftsanteils vermittelte jeweilige prozentuale Beteiligung am Stammkapital“ aus der Liste zu entnehmen sein (§ 40 Abs. 1 Satz 1 a.E.). Diese Pflicht zur Angabe der pro29 Begr. RegE zu Art. 14 Nr. 3 b) Gesetz zur Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie, BT-Drucks. 18/11555, S. 173. 30 Begr. RegE zu Art. 14 Nr. 3 b) Gesetz zur Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie, BT-Drucks. 18/11555, S. 173. 31 Begr. RegE zu Art. 14 Nr. 3 b) Gesetz zur Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie, BT-Drucks. 18/11555, S. 172 f. 32 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Tebben in Michalski u.a., Rz. 12; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25. A.A. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. 33 Mayer, ZIP 2009, 1037, 1039; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25. A.A. LG Aachen v. 6.4.2009 – 44 T 1/09, GmbHR 2009, 1218 (Nießbrauch sei eintragungsfähig). 34 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 34. 35 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 34. 36 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 16 § 8

zentualen Beteiligung am Stammkapital macht es für den Nutzer des neuen Transparenzregisters einfacher, sich über den wirtschaftlich Berechtigten zu informieren37. Die prozentuale Angabe der Beteiligung am Stammkapital durch den Nennbetrag (Verhältnis des betreffenden Nennbetrags zu den Nennbeträgen der anderen Geschäftsanteile) ist für jeden Geschäftsanteil getrennt zu machen38. Hält ein Gesellschafter mehr als einen Geschäftsanteil, ist in der Liste zudem der Gesamtbetrag der Beteiligung als Prozentsatz gesondert anzugeben (§ 8 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 40 Abs. 1 Satz 3). Damit wird in erster Linie bezweckt, dass Gesellschafter, die mehr als 25 % der Anteile halten und damit als wirtschaftliche Berechtigte gelten, mit einem Blick in die Gesellschafterliste ausfindig gemacht werden können39. Die Liste muss den Mitgliederstand zur Zeit der Anmeldung enthalten40, also die seit der 12 Feststellung des Gründungsstatuts eingetretenen Veränderungen berücksichtigen. Nach jeder späteren Veränderung in den Personen der Gesellschafter oder des Umfangs ihrer Beteiligung haben die Geschäftsführer unverzüglich eine den Vorgaben des § 40 entsprechende, von ihnen unterschriebene Liste der Gesellschafter zum Handelsregister einzureichen41. Im Falle einer vereinfachten Gründung gilt das Musterprotokoll zugleich als Gesellschafter- 13 liste (vgl. § 2 Abs. 1a Satz 4), so dass eine Gesellschafterliste gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 nicht eingereicht zu werden braucht42.

4. Verträge über Sacheinlagen und Sachgründungsbericht Der Anmeldung ebenfalls beizufügen sind die Verträge, die den Festsetzungen über Sachein- 14 lagen zugrunde liegen oder zu ihrer Ausführung geschlossen worden sind (§ 8 Abs. 1 Nr. 4). Damit sind die schuldrechtlichen und dinglichen Verträge gemeint, die zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft über die Einbringung einer Sacheinlage geschlossen wurden. § 8 Abs. 1 Nr. 4 schreibt eine Form nicht selbst vor43. Daher sind die Verträge nur vorzulegen, wenn sie auf Grund einer gesetzlichen Bestimmung oder freiwillig schriftlich oder in notarieller Form abgeschlossen worden sind. Wenn schriftliche Verträge nicht vorliegen, ist in der Anmeldung darauf hinzuweisen44. Die Vorschrift findet auch bei Sachübernahmen (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 73) Anwendung. Der 15 Anmeldung sind in diesem Fall die Verträge über den Erwerb der Vermögensgegenstände und über die Verrechnung des Entgelts mit der Einlageforderung beizufügen45. Anders als nach § 37 Abs. 4 Nr. 2 AktG sind die Verträge über den von der Gesellschaft über- 16 nommenen Gründungsaufwand nicht einzureichen46. Das Registergericht kann aber bei der 37 Begr. RegE zu Art. 14 Nr. 3 b) Gesetz zur Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie, BT-Drucks. 18/11555, S. 174. 38 Begr. RegE zu Art. 14 Nr. 3 b) Gesetz zur Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie, BT-Drucks. 18/11555, S. 174. 39 Begr. RegE zu Art. 14 Nr. 3 b) Gesetz zur Umsetzung der 4. EU-Geldwäscherichtlinie, BT-Drucks. 18/11555, S. 174. 40 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Tebben in Michalski u.a., Rz. 11; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9. 41 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Tebben in Michalski u.a., Rz. 11; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9. 42 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21. 43 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Tebben in Michalski u.a., Rz. 16; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 11. 44 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Tebben in Michalski u.a., Rz. 16; vgl. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12: „empfehlenswert“. 45 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31. 46 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Tebben in Michalski u.a., Rz. 17.

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§ 8 Rz. 16 | Inhalt der Anmeldung Prüfung der Versicherung über die Mindesteinzahlungen (§ 8 Abs. 2) deren Vorlage verlangen, soweit aus ihnen der Gründungsaufwand bestritten worden ist. 17 Einzureichen ist weiter der nach § 5 Abs. 4 Satz 2 zu erstattende Sachgründungsbericht (§ 8

Abs. 1 Nr. 4). Er muss von allen zur Zeit der Anmeldung beteiligten Gründungsgesellschaftern abgefasst und unterzeichnet sein (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 99, 102). Tritt danach ein Gesellschafterwechsel ein, so braucht der hinzukommende Gesellschafter einen eigenen Bericht nicht nachzureichen47. Anders ist es zu beurteilen, wenn der neue Gesellschafter selbst eine Sacheinlage übernimmt. In diesem Fall muss er darüber einen (zusätzlichen) Sachgründungsbericht erstatten und nachreichen (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 99 ff.).

5. Unterlagen über den Wert der Sacheinlagen 18 Der Anmeldung sind im Falle der Vereinbarung einer Sacheinlage auch Unterlagen darüber

beizufügen, dass der Wert der Sacheinlagen den Nennbetrag der dafür übernommenen Geschäftsanteile erreicht (§ 8 Abs. 1 Nr. 5). Welche Unterlagen im Einzelnen erforderlich sind, bestimmt sich nach der Art des Vermögensgegenstandes48. Es kommen Kaufverträge, Rechnungen, Nachweise der Herstellungskosten, Preislisten, Kurszettel, Tarife, etc. in Betracht49. Bei der Sacheinlage von Unternehmen ist eine Einbringungsbilanz beizufügen50, die regelmäßig dann ausreicht, wenn die Einbringung zu Buchwerten erfolgen soll, der Bilanzstichtag zeitnah genug ist und die Ordnungsmäßigkeit der Bilanzierung durch einen Angehörigen der wirtschaftsprüfenden oder steuerberatenden Berufe bescheinigt ist51. Abweichende Einbringungswerte sind dagegen gesondert zu belegen. Die Vorlage der Jahresabschlüsse für vorausgehende Geschäftsjahre kann im Allgemeinen nicht verlangt werden52. Der Wert mancher Sacheinlagegegenstände lässt sich grundsätzlich nur durch ein Sachverständigengutachten ausreichend belegen, so z.B. für gewerbliche Schutzrechte und Urheberrechte, Lizenzrechte, Grundstücke und Gebäude53 und Beteiligungen an anderen Unternehmen54. Ausnahmsweise kann es in diesen Fällen entbehrlich sein, wenn der Kaufvertrag über einen kurze Zeit zurückliegenden Erwerb von einem unbeteiligten Dritten vorgelegt wird55. In der Praxis ist es üblich (und für die registergerichtliche Kontrolle ausreichend), dass ein Wirtschaftsprüfer 47 Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 5 Rz. 34; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5 Rz. 54; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 48 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 34; BayObLG v. 2.11.1994 – 3 Z BR 276/94, GmbHR 1995, 52, 53; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Tebben in Michalski u.a., Rz. 18; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 49 Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Deutler, GmbHR 1980, 145, 148; Priester, DNotZ 1980, 515, 522; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Altmeppen, Rz. 8; SchmidtLeithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 50 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Priester, DNotZ 1980, 515, 522; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; einschränkend Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9 (zweckmäßig, nur in schwierigen Fällen unerlässlich). 51 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Priester, DNotZ 1980, 515, 522; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Spiegelberger/Walz, GmbHR 1998, 761, 764; Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 14. 52 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Tebben in Michalski u.a., Rz. 18; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. A.A. Lutter, DB 1980, 1317, 1318. 53 Vgl. BayObLG v. 2.11.1994 – 3 Z BR 276/94, GmbHR 1995, 52, 53. 54 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Priester, DNotZ 1980, 515, 522; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; zur Einbringung von Geschäftsanteilen vgl. LG Freiburg v. 20.2.2009 – 12 T 1/09, GmbHR 2009, 1106. 55 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Tebben in Michalski u.a., Rz. 18.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 22 § 8

bestätigt, die Sacheinlage erreiche mindestens den betreffenden Nennbetrag des Geschäftsanteils56. In der Regel wird es ausreichend sein, wenn der Bewertungsstichtag nicht länger als sechs Monate zurückliegt57.

6. Bestellung des Aufsichtsrates Der Anmeldung beizufügen ist weiterhin die Urkunde über die Bestellung des Aufsichts- 19 rates, wenn sie vor der Eintragung der GmbH erfolgt ist (§ 52 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 37 Abs. 4 Nr. 3 AktG); Schriftform ist ausreichend. Es ist dabei unerheblich, ob es sich um einen fakultativen oder um einen obligatorischen Aufsichtsrat handelt58. Es sind in der Anmeldung der Name, Vorname, Beruf und Wohnort der Mitglieder des Aufsichtsrates anzugeben (§ 52 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 40 Abs. 1 Nr. 4 AktG)59. Keine Einreichungspflichten bestehen, wenn die Gesellschaft einen Beirat hat, es sei denn, dieser ist in Wirklichkeit ein Aufsichtsrat im Sinne des Gesetzes60.

7. Weitere Angaben und Unterlagen Nach § 24 Abs. 2 Satz 1 HRV (i.d.F. durch das MoMiG) soll die Lage der Geschäftsräume 20 der Gesellschaft in der Anmeldung angegeben werden. Dies gilt gemäß § 24 Abs. 2 Satz 2 HRV nicht, wenn die Lage der Geschäftsräume als inländische Geschäftsanschrift zur Eintragung in das Handelsregister eingetragen wird oder bereits in das Handelsregister eingetragen worden ist. Dies dürfte in der Regel der Fall sein, so dass die Vorschrift nur dann aktuell wird, wenn die Lage der Geschäftsräume sich von der angemeldeten bzw. eingetragenen inländischen Geschäftsanschrift unterscheidet (weil sie sich im Ausland befinden)61.

8. Nicht mehr erforderlich: Genehmigungsurkunde Nach früherem Recht musste der Anmeldung eine Genehmigungsurkunde beigefügt werden, 21 falls eine „staatliche Genehmigung“ für den Gegenstand des Unternehmens erforderlich ist (§ 8 Abs. 1 Nr. 6 a.F.). Der Gesetzgeber hat mit dem MoMiG diese Vorschrift ersatzlos gestrichen (s. Rz. 5). Daraus folgt, dass das Vorliegen einer etwaig erforderlichen Genehmigung im Registerverfahren nicht mehr kontrolliert wird.

III. Versicherungen der Geschäftsführer (§ 8 Abs. 2 und 3) 1. Allgemeines Der Geschäftsführer hat gemäß § 8 Abs. 2 und 3 zwei Versicherungen abzugeben. Unter dem 22 Begriff der „Versicherung“ i.S. dieser Vorschriften ist die Abgabe einer Erklärung über das 56 Tebben in Michalski u.a., Rz. 18. 57 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39 (entsprechend § 33a Abs. 1 Nr. 2 AktG). 58 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; wohl a.A. Altmeppen, Rz. 10 (im Falle eines obligatorischen Aufsichtsrats nach dem MitbestG sind die Voraussetzungen frühestens ab Eintragung gegeben). 59 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Tebben in Michalski u.a., Rz. 23; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16. 60 Tebben in Michalski u.a., Rz. 23. 61 Tebben in Michalski u.a., Rz. 25.

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§ 8 Rz. 22 | Inhalt der Anmeldung Vorliegen oder Nichtvorliegen dort bestimmter tatsächlicher oder rechtlicher Umstände zu verstehen. Es handelt sich um eine Wissenserklärung, die sich auf vergangene und gegenwärtige Umstände bezieht62. 23 Die Versicherung muss in der Anmeldung abgegeben werden (§ 8 Abs. 2 und 3). Das bedeu-

tet nicht, dass sie im Eintragungsantrag selbst enthalten sein muss. Es ist auch die Abgabe in einem gesonderten Schriftstück zulässig, das aber ebenfalls der öffentlich beglaubigten Form (§ 12 Abs. 1 HGB; § 126 BGB) bedarf63. Die Verwendung des Ausdrucks „versichern“ ist nicht zwingend. Es genügt jede Wendung (beispielsweise „erklären“, „angeben“), die hinreichend erkennen lässt, dass es sich um eine eigenverantwortliche Bekundung des Betreffenden handelt64. 24 Maßgeblicher Zeitpunkt für die mitzuteilenden Umstände ist der Eingang der Anmeldung

beim Registergericht65. Erfahren die Geschäftsführer nach ihrer Abgabe, dass sie sich über die zu berücksichtigenden Umstände (auch unverschuldet) geirrt haben, so sind sie verpflichtet, die Versicherung zu berichtigen66. Anderenfalls haften sie nach § 9a Abs. 1. Eine spätere Änderung der tatsächlichen Verhältnisse löst dagegen keine Mitteilungspflicht aus67. Die Versicherung ist aber unter Berücksichtigung derartiger Umstände erneut abzugeben, wenn wegen berechtigter Beanstandungen des Registergerichts (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 37) eine neue Anmeldung erfolgt68. Bezüglich des nachträglichen Eintritts von Ausschlussgründen i.S.d. § 8 Abs. 3 s. Rz. 31. Wenn die Gesellschafter die Versicherung bereits nach Beurkundung des Gründungsgeschäfts abgeben, stellt sich die Frage, ob sie bereits die Versicherung abgeben können. Da zu diesem Zeitpunkt die Einlagen noch nicht geleistet sind, kann sich die Versicherung darauf nicht erstrecken. In der Praxis wird daher eine Treuhandabrede mit dem Notar geschlossen, dass dieser die Versicherung erst nach Anweisung der Geschäftsführer an das Registergericht übermittelt69. Die Versicherung bezieht sich auf den Zeitpunkt der absprachegemäßen Einreichung beim Registergericht70. 25 Alle Geschäftsführer, einschließlich der Stellvertreter, haben die Versicherung abzugeben (s.

13. Aufl., § 7 Rz. 11). Eine Vertretung ist unzulässig. Es ist ohne Einfluss auf die Anmeldung, wenn der Geschäftsführer nach dem Eingang der Versicherung beim Registergericht aus sei62 OLG Hamm v. 3.8.2010 – 15 W 85/10, GmbHR 2010, 1091, 1092. 63 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Tebben in Michalski u.a., Rz. 29; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. 64 OLG Karlsruhe v. 20.4.2012 – 11 Wx 33/12, GmbHR 2012, 797, 798; BayObLG v. 6.8.1987 – BReg 3 Z 106/87, BB 1987, 2119, 2120; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 11; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. 65 RGSt. 43, 323; RGSt. 43, 431; RG, LZ 1916, 617; OLG Köln v. 18.3.1988 – 2 Wx 9/88, GmbHR 1988, 227; BayObLG v. 1.10.1991 – BReg 3 Z 110/91, GmbHR 1992, 109, 110; LG Gießen v. 15.10.2002 – 6 T 9/02, GmbHR 2003, 543; Altmeppen, Rz. 19 f.; Tebben in Michalski u.a., Rz. 30; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. A.A. Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48 (Abgabe an das Registergericht) mit der Begründung, die Versicherung sei eine Wissenserklärung, die sich nur auf vergangene oder gegenwärtige Umstände beziehen könne. Praktisch entspricht aber der Zeitpunkt der Abgabe demjenigen des Zugangs beim Registergericht. 66 Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50. 67 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Jäger, MDR 1995, 1184, 1185; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20. A.A. Lieb in FS Zöllner, S. 347, 360; Altmeppen, Rz. 21. 68 LG Gießen v. 19.3.1985 – 6 T 5/85, GmbHR 1986, 162; LG Gießen v. 15.11.1994 – 6 T 15/94, 6 T 16/94, GmbHR 1995, 453, 454; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Jäger, MDR 1995, 1184, 1185; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22; vgl. auch OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531, 532. 69 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51 (mit der Anweisung sollten dem Notar Einzahlungsbelege vorgelegt werden). 70 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 26 § 8

nem Amt ausscheidet (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 12). Die Versicherung nach § 8 Abs. 3 muss, wie aus § 39 Abs. 3 folgt, auch durch einen nach der Anmeldung bestellten neuen Geschäftsführer abgegeben werden. Dagegen braucht dieser nicht die Versicherung nach § 8 Abs. 2 zu wiederholen71, zumal er von den maßgeblichen Verhältnissen im Zeitpunkt der Anmeldung keine eigene Kenntnis haben kann. Anders liegt es, wenn der Anmeldevorgang bei seiner Bestellung noch nicht abgeschlossen, z.B. die Anmeldung unvollständig war72. Sind die Geschäftsführer bei der Abgabe der Anmeldung einschließlich Versicherung noch nicht wirksam bestellt, können sie diese auch nicht wirksam unterzeichnen73. Doch reicht es aus, wenn die Geschäftsführer mit Zugang der Anmeldung beim Registergericht wirksam bestellt sind74. Die Geschäftsführer sind für die Richtigkeit der Versicherung zivilrechtlich nach § 9a und strafrechtlich nach § 82 Abs. 1 Nr. 1, 4 verantwortlich.

2. Inhalt der Versicherungen a) Gesetzliche Mindestleistungen Die Versicherung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 hat sich darauf zu beziehen, dass die gesetzlich vor- 26 geschriebenen Mindestleistungen auf die Geschäftsanteile vor der Anmeldung bewirkt worden sind (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 26 ff., 42 ff.) und die Leistungsgegenstände sich endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befinden. Eine Erklärung, die lediglich pauschal oder unter wörtlicher oder sinngemäßer Wiedergabe des Gesetzestextes angibt, dass die vorgeschriebenen Mindestleistungen erfüllt seien, genügt dafür nicht. Es sind vielmehr die tatsächlichen Umstände anzugeben, die dem Registergericht ein Urteil über die Anmeldevoraussetzungen des § 7 Abs. 2 und 3 ermöglichen75. Es muss ersichtlich sein, welcher Gesellschafter die Leistung erbracht und welchen ziffernmäßig anzugebenden Betrag er eingezahlt oder welche – zumindest durch Bezugnahme auf andere Anmeldeunterlagen (Gesellschaftsvertrag, Ausführungsverträge, Sachgründungsbericht) zu kennzeichnende – Sacheinlagen er eingebracht hat. Es muss deutlich werden, wie hoch der auf den Geschäftsanteil geleistete Betrag ist. Werden bei der Gründung einer GmbH Geschäftsanteile mit Nennbeträgen von jeweils einem Euro gebildet, muss die Versicherung des Geschäftsführers bei der Anmeldung der GmbH sich auf die Tatsachen erstrecken, die für die Beurteilung der Tilgungswirkung einer einheitlich erfolgten, jedoch nur einen Teilbetrag deckenden Zahlung auf das übernommene Stammkapital maßgeblich sind, also ob eine Tilgungsbestimmung getroffenen worden ist und ggf. welche76. Einzelangaben über die bewirkten Geldeinlagen erübrigen sich dann, wenn die

71 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Altmeppen, Rz. 19; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; weitergehend Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 19. 72 KG v. 30.11.1971 – 1 W 1188/71, NJW 1972, 951; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11. 73 OLG Düsseldorf v. 15.12.1999 – 3 Wx 354/99, GmbHR 2000, 232, 233 (zukünftige Geschäftsführer-Stellung keine eintragungsfähige Tatsache). 74 OLG Hamm v. 3.8.2010 – 15 W 85/10, GmbHR 2010, 1091, 1092; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52. 75 BayObLG v. 18.12.1979 – 1 Z 83/79, DB 1980, 438 u. 439; BayObLG v. 14.10.1993 – 3Z BR 191/93, GmbHR 1994, 116, 117; OLG Hamm v. 24.2.1982 – 15 W 114/81, GmbHR 1983, 102; OLG Hamm v. 28.10.1986 – 15 W 319/86, WM 1987, 405; OLG Celle v. 7.1.1986 – 1 W 37/85, GmbHR 1986, 309; OLG Düsseldorf v. 25.9.1985 – 3 Wx 363/85, GmbHR 1986, 267; LG Münster v. 24.7.1986 – 23 T 8/86, NJW 1987, 264; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Altmeppen, Rz. 12, 14; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24 f. 76 OLG Hamm v. 24.3.2011 – 15 W 684/10, GmbHR 2011, 652.

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§ 8 Rz. 26 | Inhalt der Anmeldung Versicherung auf beigefügte Belege verweist77 oder die Volleinzahlung aller Geschäftsanteile angibt78. Bei Sachübernahmen mit Anrechnungsabrede (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 73 ff.) muss die Versicherung außer der konkreten Kennzeichnung des Übernahmevertrages (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 79) und der Leistung des Vermögensgegenstandes (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 42 f.) auch enthalten, ob und in welcher Höhe die Vergütungsforderung gegen die Einlageschuld verrechnet worden ist (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 44)79. Es ist im Allgemeinen nicht erforderlich, die Art und Weise der Geld- und Sacheinlageleistungen näher darzulegen80. Auch eine Vorlage von Nachweisen über die Einlageleistungen verlangt das GmbHG grundsätzlich nicht81. Das Registergericht kann gemäß § 8 Abs. 2 Satz 2 bei erheblichen Zweifeln an der Richtigkeit der Versicherung Nachweise verlangen82. Unzulässig ist folglich eine routinemäßige Anforderung83. Welche Nachweise in Betracht kommen, ist in der durch das DiRUG zum 1.8.2022 geänderten Fassung des Gesetzeswortlauts beispielhaft geregelt. Hintergrund ist, dass in der Literatur die Einzahlung auf ein ausländisches Bankkonto kontrovers diskutiert wurde (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 31). Das Gesetz lässt nunmehr in Umsetzung von Art. 13g Abs. 6 Satz 1 GesRRL die Vorlage von Einzahlungsbelegen eines in der EU niedergelassenen Finanzinstituts oder Zahlungsdienstleisters genügen. Der Gesetzgeber wollte mit dieser „Klarstellung“ aber keine Aussage darüber treffen, „ob und inwieweit eine Einzahlung in Fremdwährung als gleichwertig anzusehen ist und welche Anforderungen für die Bonität des entsprechenden Kreditinstituts gelten.“84 27 Es ist ausdrücklich zu versichern, dass sich der Gegenstand der gesetzlich vorgeschriebenen

Mindesteinlageleistungen (§ 7 Abs. 2 und 3) endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet (§ 8 Abs. 2 Satz 1). Die abzugebende Versicherung beinhaltet nach dem Wortlaut und Zweck der Vorschrift zunächst, dass die Einlagen wirksam durch Leistung zur freien Verfügung der Geschäftsführer bewirkt worden sind (s. dazu 13. Aufl., § 7 Rz. 34 ff.). Nach h.M. soll sie sich ferner darauf beziehen, dass die freie Verfügung über das aufgebrachte Eigenkapital im Zeitpunkt der Anmeldung zum Handelsregister noch besteht85. Zur Begründung führt sie an, das Gesetz wolle zum Schutze der Gesellschaftsgläubiger sicherstellen, dass die Gesellschaft am Stichtag der Anmeldung mit einem Mindestbestand frei verfügbarer 77 Teilweise wird angenommen, eine unvollständige Versicherung genüge, wenn die nicht angegebenen Tatsachen dem Registergericht bekannt oder sonst nachgewiesen sein; vgl. OLG Düsseldorf v. 4.9.1985 – 3 Wx 267/85, GmbHR 1986, 266 f.; Gustavus, GmbHR 1988, 47, 49; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 11; Tebben in Michalski u.a., Rz. 33. A.A. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12 unter Hinweis auf die sichernden zivil- und strafrechtlichen Sanktionen. 78 OLG Düsseldorf v. 25.9.1985 – 3 Wx 363/85, GmbHR 1986, 267; OLG Frankfurt v. 20.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531, 532; Gustavus, GmbHR 1988, 47, 49; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22. 79 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25. 80 OLG Frankfurt v. 20.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531, 532; Baumann, DNotZ 1986, 182 f.; Tebben in Michalski u.a., Rz. 32; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25. A.A. BayObLG v. 18.12.1979 – 1 Z 83/79, DB 1980, 438; OLG Hamm v. 24.2.1982 – 15 W 114/81, GmbHR 1983, 102 f.; OLG Düsseldorf v. 4.9.1985 – 3 Wx 267/85, GmbHR 1986, 266. 81 Der Vorschlag in § 8 Abs. 2 RegE ist nicht in die GmbH-Novelle 1980 übernommen worden; vgl. dazu Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 71. 82 Schon vor dem MoMiG gingen Rechtsprechung und Schrifttum davon aus, dass nur unter bestimmten Voraussetzungen Nachweise verlangt werden können. Vgl. BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 352; OLG Düsseldorf v. 25.9.1985 – 3 Wx 363/85, GmbHR 1986, 267; OLG Düsseldorf v. 31.7.1996 – 3 Wx 293/96, GmbHR 1997, 70, 71; OLG Düsseldorf v. 3.12.1997 – 3 Wx 545/ 97, GmbHR 1998, 235, 236; BayObLG v. 18.2.1988 – BReg 3 Z 154/87, BB 1988, 716, 717; BayObLG v. 14.10.1993 – 3Z BR 191/93, GmbHR 1994, 116, 117; OLG Frankfurt v. 20.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531, 532; OLG Hamm v. 1.12.1992 – 15 W 275/92, GmbHR 1993, 95, 96. 83 Vgl. Tebben in Michalski u.a., Rz. 38. 84 Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 162. 85 Vgl. Tebben in Michalski u.a., Rz. 35.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 28 § 8

eigener Mittel real ausgestattet sei. Die Aufgabe des für Bargründungen früher geltenden sog. Vorbelastungsverbots86 rechtfertige keine Einschränkung dieser inhaltlichen Anforderung an die Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 1. Das Erfordernis der endgültigen freien Verfügbarkeit sei der zwischenzeitlichen Rechtsentwicklung sinngemäß lediglich dahingehend anzupassen, dass die Einlagen am Anmeldestichtag nicht mehr gegenständlich87, sondern wertmäßig uneingeschränkt zur freien Verfügung der Geschäftsführer stehen müssten88. Die Versicherung enthalte demgemäß ohne Weiteres auch die Angaben, dass der Vermögenswert des aufgebrachten Einlagekapitals nicht aus irgendeinem Grunde (z.B. durch eine Verwendung ohne ausreichenden Gegenwert, Verlust oder Beschädigung der Einlagegegenstände, Wertveränderung von Sacheinlagen) unter dem gesetzlich bestimmten Mindestbetrag (§ 7 Abs. 2 und 3) liege, keine dies bewirkenden Pflichten der Vorgesellschaft begründet worden seien und ihr Vermögen nicht sonst in einer Höhe belastet sei, die die Deckung des Stammkapitals durch die bewirkten und ausstehenden Einlagen nicht mehr gewährleiste89. Lediglich die Bezahlung des im Gesellschaftsvertrag festgesetzten Gründungsaufwandes sei unschädlich (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 41). Diese Auffassung ist abzulehnen90. Sie trägt nicht ausreichend Rechnung, dass der BGH das Vorbelastungsverbot aufgegeben und zum Schutz der Gesellschaftsgläubiger eine ab der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister bestehende Haftung der Gesellschafter für Vorbelastungen entwickelt hat. Diese Haftung verwirklicht den erforderlichen Gläubigerschutz (s. bereits 13. Aufl., § 7 Rz. 35). Die Geschäftsführer haben somit (nur) zu versichern, dass keine Vorbelastungen entstanden sind oder aber durch Leistungen der Gesellschafter ausgeglichen sind91. Die Versicherung nach § 8 Abs. 2 Satz 1 enthält auch die Erklärung, dass die Mindesteinlage 28 nicht an die Gesellschafter zurückgezahlt wurde und auch keine Vereinbarung über eine spätere Rückzahlung geschlossen wurde92. Seit dem MoMiG kann aber in den Fällen eines Hinund Herzahlens oder Her- und Hinzahlens eine Befreiung von der Einlageschuld erfolgen, wenn die Voraussetzungen des § 19 Abs. 5 Satz 1 erfüllte sind und „eine solche Leistung oder die Vereinbarung einer solchen Leistung … in der Anmeldung nach § 8“ angegeben wird (§ 19 Abs. 5 Satz 2). Eine gesetzliche Pflicht, in einem solchen Fall entsprechende Unterlagen einzureichen, hat der Gesetzgeber mit dem MoMiG nicht geschaffen. Allerdings wird das Registergericht in eine Prüfung nur eintreten können, wenn es über den Darlehensvertrag und Nachweise über die Kreditfähigkeit des Gesellschafters verfügt. Es kann daher im Regelfall entsprechende Unterlagen einfordern, anhand derer es die Liquidität und Vollwertigkeit des Rückgewähranspruchs prüfen kann (s. auch 13. Aufl., § 19 Rz. 184)93. 86 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 133 ff. 87 So aber noch BayObLG v. 25.2.1988 – BReg 3 Z 165/87, GmbHR 1988, 215 f.; OLG Köln v. 18.3.1988 – 2 Wx 9/88, GmbHR 1988, 227; OLG Köln v. 10.11.1988 – 1 U 55/88, ZIP 1989, 238, 240; weitergehend LG Gießen v. 19.3.1985 – 6 T 5/85, GmbHR 1986, 163 (auch nach Anmeldung). 88 Jäger, MDR 1995, 1184; Altmeppen, Rz. 29; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24; Spiegelberger/Walz, GmbHR 1998, 761, 766; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 7 Rz. 55, 62; vgl. auch BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 189 f.; BGH v. 10.6.1996 – II ZR 98/95, ZIP 1996, 1466, 1467. 89 BayObLG v. 1.10.1991 – BReg 3 Z 110/91, BB 1991, 2391, 2392; LG Bonn v. 26.5.1987 – 11 T 5/87, GmbHR 1988, 193; Fleck, GmbHR 1983, 5, 11 f.; Priester, ZIP 1982, 1141, 1143 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 24; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 7 Rz. 55, 62. 90 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; vgl. auch Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 115; Gustavus, GmbHR 1988, 47, 49 f.; Lutter, NJW 1989, 2649, 2652 f. 91 Insoweit auch Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26 und Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60; vgl. das Beispiel für eine Formulierung von Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12. 92 Tebben in Michalski u.a., Rz. 36. 93 OLG München v. 17.2.2011 – 31 Wx 246/10, GmbHR 2011, 422 f. (als Bonitätsnachweis komme die positive Bewertung des Rückgewährschuldners durch eine anerkannte Ratingagentur in Betracht).

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§ 8 Rz. 29 | Inhalt der Anmeldung b) Ausschlussgründe vom Geschäftsführeramt 29 Die Geschäftsführer haben in der Anmeldung ferner nach § 8 Abs. 3 Satz 1 zu versichern,

dass keine Umstände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 und 4 entgegenstehen, und dass sie über ihre unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht belehrt worden sind. Mit der Pflicht zur Abgabe einer Versicherung soll dem Registergericht die Kontrolle der Anmeldung erleichtert werden. Andernfalls müsste das Gericht ein zeit- und kostenaufwändiges Auskunftsersuchen nach § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG stellen94. Davon unberührt besteht die Befugnis des Gerichts, gemäß § 26 FamFG von Amts wegen eine Auskunft einzuholen. Die Versicherung ist zwar ebenfalls von sämtlichen Geschäftsführern abzugeben, aber anders als die nach § 8 Abs. 2 von jedem nur für seine Person95. Die Abweichung, die auch durch § 39 Abs. 3 bestätigt wird, hat ihren Grund in der eingeschränkten Erkenntnismöglichkeit. 29a Die Vorschrift wurde durch das DiRUG mit Wirkung zum 1.8.2022 geändert (s. Rz. 5a). Die

Neuregelung versteht sich als eine Folgeänderung zur Einfügung des neuen § 6 Abs. 2 Satz 3; die abzugebende Versicherungserklärung erstreckt sich nunmehr auch auf das neu eingefügte Bestellungshindernis eines einschlägigen Berufs- oder Gewerbeverbotes in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder eines anderen Vertragsstaates des EWR96. Die Ausdehnung der strafbewehrten Versicherungserklärung auf die ausländischen Bestellungshindernisse soll nach Ansicht des Gesetzebers für eine betroffene Person keine unverhältnismäßige Belastung sein, weil davon auszugehen sei, dass die Person von einem einschlägigen behördlichen oder gerichtlichen Verbot gegen sie im Ausland Kenntnis habe und daher die Richtigkeit ihrer Angaben überprüfen könne97. Die notarielle Praxis empfiehlt mit Blick auf die Neuregelung folgende Erklärung: „… wird versichert, dass ihm/ihr weder durch gerichtliches Urteil noch durch vollziehbare Entscheidung einer Verwaltungsbehörde die Ausübung irgendeines Berufs, Berufszweigs, Gewerbes oder Gewerbezweigs untersagt wurde und er/sie auch nicht in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union oder einem anderen Vertragsstaat des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum einem vergleichbaren Verbot unterliegt, und somit auch nicht im Bereich des Unternehmensgegenstands der Gesellschaft; …“98. 29b Die Geschäftsführer haben nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 3 zu versichern, dass keine Um-

stände vorliegen, die ihrer Bestellung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 und 4 entgegenstehen. Fraglich ist, ob die Versicherung sich auf die Vorschriften zu erstrecken hat, die mit dem 51. Strafrechtsänderungsgesetz vom 11.4.2017 mit Wirkung zum 12.4.2017 in das StGB eingeführt wurden. Dabei handelt es sich um § 265c StGB (Sportwettbetrug), § 265d StGB (Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben) und § 265e StGB (Besonders schwere Fälle des Sportwettberufs und der Manipulation von berufssportlichen Wettbewerben). Die Frage wird in der obergerichtlichen Rechtsprechung und Literatur kontrovers diskutiert. Sie wird jedenfalls dann relevant, wenn die Versicherung des Geschäftsführers sich nicht am Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. e) („§§ 265b bis 266a des Strafgesetzbuchs“) orientiert, auf den § 8 Abs. 3 verweist. Vorzugswürdig ist die Auslegung, dass der Verweis des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 lit. e) ein statischer Verweis ist. Das MoMiG hat zum 1.11.2008 unter der Sammelbezeichnung aus redaktionellen Gründen die Strafvorschriften erfasst99. Dessen

94 95 96 97 98 99

Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 70. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36, 39b. Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 163. Begr. RegE BT-Drucks. 19/28177, S. 159. Böhringer/Melchior, GmbHR 2022, 177, 178. OLG Hamm v. 27.9.2018 – 27 W 93/18, NJW-RR 2019, 155, 156; DNotI-Gutachten, DNotI-Report 2017, 73 ff.; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71. A.A. OLG Oldenburg v. 8.1.2018 – 12 W 126/17, GmbHR 2018, 310 f. (dynamische Verweisung); zustimmend KG v. 22.7.2019 – 22 W 40/ 19, GmbHR 2020, 31, 32.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 30a § 8

ungeachtet empfiehlt es sich in der Praxis, die Versicherung auch auf die zum 12.4.2017 eingeführten Strafvorschriften zu beziehen, wenn der Geschäftsführer die Strafvorschriften einzeln aufführt (was aber nicht erforderlich ist, s. Rz. 30). Der Wortlaut des § 8 Abs. 3 erlaubt keine zwingenden Schlussfolgerungen für die Frage, wir 30 konkret die Versicherung des Geschäftsführers zu sein hat. Die Gerichte hatten zunächst strenge Anforderungen an die Versicherung gestellt. So sollte die pauschale Angabe über das Nichtvorliegen der Ausschlussgründe des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 und 3 sowie Satz 3 nicht den gesetzlichen Anforderungen genügen, es müsse unter Bezugnahme auf den Unternehmensgegenstand jeder Ausschlussgrund einzeln angeführt und verneint werden100. Der BGH hat mit Blick auf den Wortlaut der Vorschrift und deren Sinn und Zweck eine Pflicht zur Benennung der einzelnen Katalogstraftatbestände abgelehnt. Der Versicherung kommt danach nicht die Funktion zu, dass sie erkennen lässt, dem Erklärenden seien Inhalt und Umfang seiner Erklärungspflicht bewusst. Die vom Geschäftsführer in der Anmeldung zum Handelsregister gemäß § 8 Abs. 3 abgegebene Versicherung, er sei „noch nie, weder im Inland noch im Ausland, wegen einer Straftat verurteilt worden“, genügt nach Ansicht des BGH den gesetzlichen Anforderungen. Es sei weder erforderlich, die in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 genannten Straftatbestände noch die in Rede stehenden vergleichbaren Bestimmungen des ausländischen Rechts in der Versicherung im Einzelnen aufzuführen101. Der Normzweck (s. Rz. 1) gebietet in der Tat nicht, konkretere Angaben zu fordern. Schließlich lässt sich die Auslegung des BGH rechtssystematisch damit rechtfertigen, dass der Geschäftsführer gemäß § 82 Abs. 1 Nr. 5 für falsche Angaben strafrechtlich verantwortlich ist102. Folglich reicht es aus, wenn ein neu bestellter Geschäftsführer versichert, im Ausland nicht 30a wegen Straftaten verurteilt worden zu sein, die mit den in § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 genannten deutschen Straftaten vergleichbar sind. Das Registergericht kann nicht verlangen, dass der Geschäftsführer noch versichert, im Ausland nicht wegen „solcher Taten“ verurteilt worden zu sein103 (was beispielsweise in Betracht kommt, wenn es sich im Ausland um administrative Sanktionen handelt). Ferner ist es nicht zu beanstanden, wenn die vom Geschäftsführer in der Anmeldung abgegebene Versicherung dem Gesetzestext wörtlich entspricht („dass keine Umstände vorliegen, die der Bestellung nach § 6 Abs. 2 Satz 2 u. 3 GmbHG entgegenstehen und er über seine unbeschränkte Auskunftspflicht gegenüber dem Gericht durch Notar belehrt worden ist“)104. Selbstverständlich ist es unschädlich, wenn der Geschäftsführer die Gesetze nicht mit vollem Titel, sondern mit ihren jeweiligen amtlichen Abkürzungen zitiert105. Eine Versicherung, in der ein Geschäftsführer nur auf den Zeitpunkt der Verurteilung selbst abstellt und nicht auf den der Rechtskraft des Urteils, vermittelt dem Registergericht nach Ansicht des BGH nicht die nach dem Gesetz erforderlichen Angaben über das Vorliegen ei-

100 OLG München v. 20.4.2009 – 31 Wx 34/09, GmbHR 2009, 829; OLG Düsseldorf v. 7.10.1996 – 3 Wx 400/96, GmbHR 1997, 71, 72; OLG Thüringen v. 6.9.1994 – 6 W 311/94 (54), GmbHR 1995, 453; BayObLG v. 30.8.1983 – BReg 3 Z 116/83, BB 1984, 238; BayObLG v. 10.12.1981 – BReg 1 Z 184/81, BB 1982, 200. A.A. LG Kassel v. 12.8.1981 – 12 T 3/81, Rpfleger 1982, 229. 101 BGH v. 17.5.2010 – II ZB 5/10, GmbHR 2010, 812, 813 f.; zustimmend OLG Hamm v. 14.4.2011 – 27 W 27/11, GmbHR 2011, 587; OLG Hamm v. 29.9.2010 – 15 W 460/10, GmbHR 2011, 30; nach OLG Frankfurt v. 11.7.2011 – 20 W 246/11, GmbHR 2011, 1156, 1158 f. muss die Versicherung aber umfassend und eindeutig formuliert sein. 102 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72. 103 OLG München v. 18.6.2014 – 31 Wx 250/14, GmbHR 2014, 869. 104 OLG Stuttgart v. 10.10.2012 – 8 W 241/11, GmbHR 2013, 91 ff. A.A. OLG Schleswig v. 3.6.2014 – 2 W 36/14, GmbHR 2014, 1095, 1097; offengelassen von OLG Hamm v. 26.3.2021 – 27 W 31/21, GmbHR 2021, 1105, 1107. 105 OLG Hamm v. 26.3.2021 – 27 W 31/21, GmbHR 2021, 1105, 1107.

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§ 8 Rz. 30a | Inhalt der Anmeldung nes Ausschlussgrundes nach § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 GmbHG106. Die Versicherung ist von jedem Geschäftsführer einzeln abzugeben; eine in Wir-Form abgegebene Versicherung ist daher unzulässig107. 30b Höchstrichterlich noch ungeklärt ist, welche Anforderungen an die Versicherung bezüglich

Berufs- und Gewerbeverbote gemäß § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 gelten. Das OLG Frankfurt/ Main lässt eine am Wortlaut des § 6 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 orientierte Versicherung nicht genügen108. Es argumentiert, dass das Gericht im Unterschied zu den Straftaten nach Nr. 3 eine rechtliche Prüfung vornehmen müsse. Diese Auslegung ist abzulehnen109. Das Registergericht muss auch bezüglich der Straftaten nach Nr. 3 rechtliche Prüfungen, insbesondere über die endgültig zur freien Verfügung des Geschäftsführers geleistete Einzahlung, anstellen. 31 Im Hinblick darauf, dass die Geschäftsführer die Ausschlussgründe dem Registergericht nur

dann unbeschränkt offenbaren müssen, wenn sie darüber besonders belehrt worden sind (§ 53 Abs. 2 BZRG), ist auch die entsprechende Belehrung zu versichern. Die Belehrung kann durch einen Notar vorgenommen werden (§ 8 Abs. 3 Satz 2); seit der Neufassung der Vorschrift durch das MoMiG kann sie auch durch einen im Ausland bestellten Notar110, durch einen Vertreter eines vergleichbaren rechtsberatenden Berufs oder einen Konsularbeamten erfolgen111. Sie kann also auch durch einen Rechtsanwalt erfolgen112. Diese Möglichkeiten einer Belehrung sind in der Praxis durchaus von Relevanz, denn eine GmbH kann ihren Verwaltungssitz in das Ausland verlegen (s. 13. Aufl., § 4a Rz. 31). Ein Notar ist nicht schon deswegen zur Belehrung verpflichtet, weil er mit der Beglaubigung der Registeranmeldung beauftragt worden ist; er muss darum ersucht werden113. Die Belehrung erfolgt in der Regel mündlich. Der Gesetzgeber wollte mir der Neuregelung klarstellen, dass die Belehrung über die unbeschränkte Auskunftspflicht auch schriftlich erfolgen kann. Eine Belehrung durch Telefax oder Email genügt folglich nicht114. Fehlt in der zunächst beim Registergericht eingereichten Anmeldung die Versicherung des Geschäftsführers zur Belehrung über die unbeschränkte Auskunftspflicht und wird diese vom Notar nachträglich in derselben Urkunde ohne erneute Beglaubigung ergänzt, kann das Registergericht die Eintragung ablehnen115. 32 Nach der Anmeldung eintretende Ausschlussgründe aus § 6 Abs. 2 Satz 3 und 4 führen

ipso iure zum Verlust des Geschäftsführeramtes; es greift daher die Anmeldepflicht gemäß § 39 Abs. 1 ein116 (s. zur Bestellung eines neuen Geschäftsführers nach Anmeldung, aber vor Eintragung Rz. 25). 106 BGH v. 7.6.2011 – II ZB 24/10, GmbHR 2011, 864; OLG Oldenburg v. 8.6.2015 – 12 W 107/15, DNotI-Report 2016, 138. 107 OLG München v. 17.5.2018 – 31 Wx 166/18, GmbHR 2018, 807. 108 OLG Frankfurt v. 9.4.2015 – 20 W 215/14, GmbHR 2015, 863 bezüglich des Liquidators. 109 Ebenso Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 76; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39a. 110 Die Belehrung durch einen ausländischen Notar genügte vor dem MoMiG nach einer verbreiteten Meinung nicht (vgl. LG Ulm v. 13.11.1987 – T 4/87, Rpfleger 1988, 108; Wolf, GmbHR 1998, 35 f.; dagegen aber bereits LG Nürnberg v. 16.3.1994 – 4 HK T 3189/93, Rpfleger 1994, 360; Bartovics, GmbHR 1998, 778 f.). 111 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 35. 112 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 35. 113 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Priester, DNotZ 1980, 515, 525 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32; Tebben in Michalski u.a., Rz. 46; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37. 114 Wachter, NotBZ 2008, 361, 380; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38. A.A. Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 80. 115 OLG München v. 23.7.2010 – 31 Wx 128/10, GmbHR 2010, 983 (zur Unternehmergesellschaft). 116 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16 a.E.; Tebben in Michalski u.a., Rz. 47; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 35 § 8

IV. Angaben zur Geschäftsanschrift und Vertretungsbefugnis (§ 8 Abs. 4) 1. Angaben zur Geschäftsanschrift (§ 8 Abs. 4 Nr. 1) Die in § 8 Abs. 4 Nr. 1 vorgesehene Pflicht des Geschäftsführers117, eine inländische Ge- 33 schäftsanschrift anzugeben, wurde durch das MoMiG eingeführt. Unter der Anschrift kann nunmehr an den oder die Vertreter der Gesellschaft zugestellt werden. Hintergrund dieser Regelung sind die früher beklagten Zustellungsprobleme zu Lasten der Gläubiger einer GmbH118. Als inländische Geschäftsanschrift kommen zunächst die Anschrift des Geschäftslokals, des Sitzes der Hauptverwaltung oder des maßgeblichen Betriebs in Betracht119. Die inländische Geschäftsanschrift muss nicht notwendig mit dem Sitz der Gesellschaft übereinstimmen120. Besitzt die Gesellschaft solche Einrichtungen nicht oder, etwa aufgrund der Verlegung ihrer Hauptverwaltung in das Ausland (s. 13. Aufl., § 4a Rz. 31 ff.), nicht mehr, können die inländische Wohnanschrift eines Geschäftsführers, eines Gesellschafters oder eines als Zustellungsbevollmächtigten eingesetzten Vertreters (Steuerberater, Rechtsanwalt) angegeben werden121. Eine c/o-Adresse im Inland reicht aus122, nicht jedoch ein Postfach123. Anzugeben sind die Straße und Hausnummer und der Ort mit Postleitzahl124. Die Pflicht, die Änderung einer inländischen Geschäftsanschrift anzugeben, ist in § 31 HGB normiert. Diese Pflicht kann mit Zwangsgeld (§ 14 HGB; §§ 388 ff. FamFG) durchgesetzt werden125. Die Pflicht, die inländische Geschäftsanschrift in das Handelsregister anzumelden, gilt auch 34 für Gesellschaften, die bei Inkrafttreten des MoMiG bereits in das Handelsregister eingetragen waren, es sei denn, die inländische Geschäftsanschrift ist dem Gericht bereits nach § 24 Abs. 2 HRV (s. Rz. 20) mitgeteilt worden und hat sich anschließend nicht geändert (§ 3 Abs. 1 Satz 1 EGGmbHG)126. Nach dem Übergangsrecht waren die betreffenden Gesellschaften verpflichtet, die inländische Geschäftsanschrift spätestens bis zum 31.10.2009 anzumelden (§ 3 Abs. 1 Satz 2 EGGmbHG).

2. Angaben zur Vertretungsbefugnis (§ 8 Abs. 4 Nr. 2) Nach § 8 Abs. 4 Nr. 2 sind Art und Umfang der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer 35 anzugeben. Es reicht nicht aus, dass die Vertretungsbefugnis aus anderen Anlagen zur Anmel-

117 Die Prokura umfasst nicht die Vertretungsmacht zur Anmeldung der Änderung der Geschäftsanschrift beim Handelsregister. Vgl. OLG Karlsruhe v. 7.8.2014 – 11 Wx 17/14, GmbHR 2014, 1046 f. 118 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 35. 119 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 35 f. 120 KG v. 20.3.2012 – 25 W 99/11, GmbHR 2012, 798, 799. 121 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 36. 122 OLG Hamm v. 20.11.2011 – 15 W 485/10, GmbHR 2011, 595 (Kanzleianschrift des Insolvenzverwalters); OLG Rostock v. 31.5.2010 – 1 W 6/10, GmbHR 2011, 30 (Angabe einer c/o Adresse genügt nur dann als inländische Geschäftsanschrift einer GmbH, wenn eine sichere und zuverlässige Zustellung an diese Adresse erfolgen könne, was nicht der Fall sei bei einer juristischen Person, deren Geschäftsbetrieb im Ankauf, der Sanierung und Abwicklung insolvenzbedrohter GmbH bestehe); OLG Hamm v. 7.5.2015 – 27 W 51/15, GmbHR 2015, 938. 123 OLG Naumburg v. 8.5.2010 – 5 Wx 4/09, GmbHR 2009, 832. 124 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20. 125 OLG Hamburg v. 27.1.2011 – 11 W 4/11, GmbHR 2011, 828; Tebben in Michalski u.a., Rz. 50. 126 Dazu OLG Köln v. 7.5.2010 – 2 Wx 20/10, FGPrax 2010, 203; OLG München v. 28.1.2009 – 31 Wx 5/09, GmbHR 2009, 380.

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§ 8 Rz. 35 | Inhalt der Anmeldung dung (Gesellschaftsvertrag, Bestellungsbeschluss) hervorgeht127. Die Angabe muss unabhängig davon erfolgen, ob die Vertretungsbefugnis sich nach dem Gesetz (§ 35 Abs. 2 Satz 2), dem Gesellschaftsvertrag oder dem Bestellungsakt bestimmt. Sie hat für jeden – auch den einzigen128 – Geschäftsführer zu ergeben, ob er einzel- oder gesamtvertretungsberechtigt und gegebenenfalls in welcher Form er Letzteres ist. Bei Abweichungen von einer generellen Regelung für einzelne Geschäftsführer ist das zu vermerken129. Aus der (durch das MoMiG eingeführten) gesetzlichen Vorgabe, den Umfang der Vertretungsbefugnis anzugeben, folgt nicht, dass die sachliche Reichweite der Vertretungsbefugnis anzumelden ist130. Eine solche Angabe würde keinen Sinn machen, denn die Vertretungsbefugnis ist unbeschränkt (vgl. § 37 Abs. 2). Auch die Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) muss wörtlich131 angegeben werden132, nicht jedoch auch die bloße statutarische Ermächtigung hierzu133. Die Angabe „in der Anmeldung“ erfordert (wie nach § 8 Abs. 2; s. Rz. 23) nicht, dass sie in derselben Urkunde enthalten sein muss; doch ist die Form des § 12 Abs. 1 HGB einzuhalten134. 36 Wird eine GmbH im vereinfachten Verfahren mit Musterprotokoll gegründet (vgl. § 2

Abs. 1a), muss der Geschäftsführer die abstrakte und konkrete Vertretungsbefugnis angeben135. Es gilt zwingend die gesetzliche Vertretungsregelung des § 35 Abs. 2 Satz 1 (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 126). Nach dieser Vorschrift vertreten bei Vorhandensein mehrerer Geschäftsführer diese die Gesellschaft nur gemeinschaftlich. Auch wenn bei Vorhandensein nur eines einzigen Geschäftsführers dieser die Gesellschaft naturgemäß allein vertritt, ist die generalisierende Formulierung in der Anmeldung, der Geschäftsführer vertrete die Gesellschaft „stets einzeln“, nicht zutreffend136. Das Musterprotokoll enthält die Gestattung von In-Sich-Geschäften für den Fall des alleinigen Geschäftsführers. Deshalb ist auch die Anmeldung der konkreten Vertretungsbefugnis erforderlich137. 127 BayObLG v. 4.2.1974 – BReg 2 Z 72/75, DNotZ 1975, 117; BayObLG v. 8.1.1980 – BReg 1 Z 85/79, GmbHR 1981, 59; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21; Altmeppen, Rz. 36; Tebben in Michalski u.a., Rz. 52; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44. 128 BGH v. 5.12.1974 – II ZB 11/73, BGHZ 63, 261, 264 f.; BayObLG v. 8.1.1980 – BReg 1 Z 85/79, GmbHR 1981, 59; BayObLG v. 7.5.1997 – 3Z BR 101/97, GmbHR 1997, 741; OLG Düsseldorf v. 2.5.1989 – 3 Wx 206/89, NJW 1989, 3100; Tebben in Michalski u.a., Rz. 52; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44. 129 BayObLG v. 4.2.1974 – BReg 2 Z 75/73, BB 1974, 291; OLG Köln v. 25.2.1970 – 2 Wx 11/70, DNotZ 1970, 748; OLG Frankfurt v. 22.10.1993 – 20 W 263/93, GmbHR 1994, 117 f.; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44. 130 Tebben in Michalski u.a., Rz. 56. 131 OLG Hamm v. 28.10.1986 – 15 W 319/86, WM 1987, 406; LG Münster v. 24.7.1986 – 23 T 8/86, NJW 1987, 264. 132 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 61; BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, BB 1980, 597; BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, WM 1982, 1033, 1034; OLG Köln v. 23.4.1980 – 2 Wx 11/80, DB 1980, 1390; OLG Köln v. 22.2.1995 – 2 Wx 5/95, GmbHR 1996, 218, 219; OLG Frankfurt v. 3.12.1982 – 20 W 819/82, NJW 1983, 944; OLG Frankfurt v. 13.12.1996 – 10 U 8/96, GmbHR 1997, 349; OLG Stuttgart v. 7.5.1985 – 8 W 389/84, Justiz 1985, 312; OLG Düsseldorf v. 1.7.1994 – 3 Wx 20/93, GmbHR 1995, 51. 133 BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, WM 1982, 1033, 1034; OLG Frankfurt v. 30.9.1983 – 20 W 465/83, BB 1984, 238; OLG Frankfurt v. 9.7.1987 – 20 W 107/87, GmbHR 1988, 65, 66; OLG Frankfurt v. 7.10.1993 – 20 W 175/93, GmbHR 1994, 118; OLG Hamm v. 22.1.1993 – 15 W 224/91, GmbHR 1993, 500; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 22; Tebben in Michalski u.a., Rz. 55. 134 Tebben in Michalski, Rz. 52. 135 LG Stralsund v. 27.1.2009 – 3 T 7/08, NZG 2009, 915; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 93; ausführlich Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1999; Wicke, NotBZ 2009, 9. 136 OLG Celle v. 26.1.2011 – 9 W 12/11, GmbHR 2011, 305 f. (Geschäftsführer sei nur einzelvertretungsberechtigt, solange er alleiniger Geschäftsführer sei und nicht „stets“). 137 OLG Stuttgart v. 28.4.2009 – 8 W 116/09, GmbHR 2009, 827.

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Inhalt der Anmeldung | Rz. 39 § 8

V. Einreichung von Unterlagen (§ 8 Abs. 5) § 8 Abs. 5 bestimmt klarstellend, dass für die Einreichung von Unterlagen § 12 Abs. 2 HGB 37 entsprechend gilt. Nach § 12 Abs. 2 Satz 1 HGB sind Dokumente elektronisch einzureichen. Ist eine Urschrift oder eine einfache Abschrift einzureichen oder ist für das Dokument die Schriftform bestimmt, genügt nach § 12 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 1 HGB die Übermittlung einer elektronischen Aufzeichnung. Dies betrifft beispielsweise die gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 einzureichende Gesellschafterliste oder die gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 5 einzureichenden Unterlagen über den Wert einer Sacheinlage. Ist ein notariell beurkundetes Dokument oder eine öffentlich beglaubigte Abschrift einzureichen, so ist gemäß § 12 Abs. 2 Satz 2 Halbs. 2 HGB ein mit einem einfachen elektronischen Zeugnis (§ 39a BeurkG) versehenes Dokument zu übermitteln. Diese Vorgabe wird für den Gesellschaftsvertrag relevant, der gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 der Anmeldung beizufügen ist. Die Unterlagen verbleiben bei den Handelsregisterakten, wo sie von jedermann eingesehen werden können (§ 9 HGB).

VI. Sonstiges 1. Registergerichtliche Kontrolle Fehlen die erforderlichen Anlagen oder sind sie fehlerhaft, so darf der Registerrichter nicht 38 eintragen (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 15)138. Er wird regelmäßig durch Zwischenverfügung eine Frist zur Nachholung setzen unter Androhung der Zurückweisung der Anmeldung. Aufgabe des Registerrichters ist es, auch für die Beobachtung der formalen Ordnungsvorschriften zu sorgen (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 5 f.). Mit Zwangsgeld kann er freilich nicht vorgehen. Denn es besteht keine öffentlich-rechtliche Pflicht zur Anmeldung der GmbH und daher auch nicht zur Einreichung der Unterlagen (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 5). Unterbleibt diese, so ist lediglich die mit der Anmeldung beantragte Eintragung abzulehnen. Ist aber trotzdem, also versehentlich, die GmbH eingetragen, so besteht sie als Rechtsperson und ohne wegen des Mangels der Einreichung mit der Amtslöschung bedroht zu sein (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 15). Da die Anmeldenden ihr Ziel aber nur unter Beachtung des § 8 erreichen durften, kann jetzt, d.h. nach der Eintragung, der Registerrichter die Nachreichung der fehlenden Urkunden gegen die Geschäftsführer, die angemeldet haben, durch Zwangsgeldfestsetzung erzwingen (s. 12. Aufl., § 79 Rz. 17).

2. Sanktionen Im Falle unrichtiger Angaben oder Versicherungen können sich die Geschäftsführer und Ge- 39 sellschafter strafbar machen (§ 82 Abs. 1 Nr. 1 und 5). Außerdem können sie gemäß § 9a zum Schadensersatz verpflichtet sein.

138 Vgl. BayObLG v. 10.12.1998 – 3Z BR 237/98, ZIP 1999, 968, 969 betr. Sachgründungsbericht.

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§9 Überbewertung der Sacheinlagen (13. Auflage 2022) (1) Erreicht der Wert einer Sacheinlage im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung in das Handelsregister nicht den Nennbetrag des dafür übernommenen Geschäftsanteils, hat der Gesellschafter in Höhe des Fehlbetrags eine Einlage in Geld zu leisten. Sonstige Ansprüche bleiben unberührt. (2) Der Anspruch der Gesellschaft nach Absatz 1 Satz 1 verjährt in zehn Jahren seit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister. Eingefügt durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 2 geändert durch Gesetz vom 9.12.2004 (BGBl. I 2004, 3214); Abs. 1 Satz 1 geändert, Satz 2 angefügt und Abs. 2 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. 1. 2. 3. II. 1. 2.

Grundlagen Regelungsinhalt und -zweck . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anspruchsvoraussetzungen Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterdeckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Nennbetrag des Geschäftsanteils . . . . b) Wert der Sacheinlage . . . . . . . . . . . . . . c) Ausgleich eines Negativwertes . . . . . . d) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kein Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 5 6 7 8 11 17 18 19

4. 5. 6. III. IV. 1. 2.

Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Höhe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fälligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verjährung (§ 9 Abs. 2) . . . . . . . . . . . . . . Verhältnis zu anderen Ansprüchen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bürgerlich-rechtliche Ansprüche wegen Schlechterfüllung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Gründungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Vorbelastungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . .

20 22 23 24 26 28 29 30

Schrifttum: Bayer/Illhardt, Darlegungs- und Beweislast im Recht der GmbH anhand praktischer Fallkonstellationen, GmbHR 2011, 505; Gienow, Zur Differenzhaftung nach § 9 GmbHG, in FS Semler, 1993, S. 165; Heckschen, Differenzhaftung und existenzvernichtender Eingriff bei der Verschmelzung in der Krise, NZG 2019, 561; Hennrichs, Zur Kapitalaufbringung und Existenzvernichtungshaftung in sog. Aschenputtel-Konstellationen, in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 489; Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004; Ihrig, Gläubigerschutz durch Kapitalaufbringung bei Verschmelzung und Spaltung nach neuem Umwandlungsrecht, GmbHR 1995, 622; Kallmeyer, Differenzhaftung bei Verschmelzung mit Kapitalerhöhung und Verschmelzung im Wege der Neugründung, GmbHR 2007, 1121; Kind, Die Differenzhaftung im Recht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1984; Lieb, Zum Spannungsverhältnis zwischen Vorbelastungshaftung und Differenzhaftung – Versuch einer Harmonisierung, in FS Zöllner, 1998, S. 347; Lieder/Bialluch, Differenzhaftung und Existenzvernichtungshaftung bei Verschmelzung, ZGR 2019, 760; Porzelt, Ungeklärte Fragen der Gründerhaftung der Gesellschafter einer (Vor-)GmbH, GmbHR 2018, 663; Porzelt, Die Überbewertung der Sacheinlagen und die Rechtsfolgen für die Gesellschafter, GmbHR 2018, 1251; Priester, Eine Lanze für die Differenzhaftung bei Verschmelzung von GmbH, ZIP 2019, 646; Sandberger, Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung und Gründerhaftung bei Umwandlungsvorgängen, in FS Westermann, 2008, S. 1401; Schlößer/ Pfeiffer, Wegfall der kapitalgesellschaftsrechtlichen Differenzhaftung durch Nacherfüllung der mangelhaften Sacheinlage, NZG 2012, 1047; Karsten Schmidt, Die Differenzhaftung des Sacheinlegers, GmbHR 1978, 5; Schoop, Die Haftung für die Überbewertung von Sacheinlagen bei der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, 1981; Trölitzsch, Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998; Urban, Die Differenzhaftung des GmbH-Gesellschafters im Zusammenhang mit der Überbewertung von Sacheinlagen, in FG Sandrock, 1995, S. 305; Wartlsteiner, Zur Beweislast bei der Differenzhaftung im GmbH-Recht, GesRZ 1993, 147; Wicke, Sanierungsfusion und Existenzvernichtungshaftung, DNotZ 2019, 405; Wieneke, Die Differenzhaftung des Inferenten und die Zulässigkeit eines Vergleichs über ihre Höhe, NZG 2012, 136.

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Überbewertung der Sacheinlagen | Rz. 4 § 9

I. Grundlagen 1. Regelungsinhalt und -zweck Die Vorschrift bezweckt die Sicherung der Kapitalaufbringung bei Sachgründungen1. Sie 1 begründet eine ergänzende Geldeinlagepflicht des Gesellschafters, wenn und soweit der Wert einer Sacheinlage oder eines Sachübernahmegegenstandes im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister nicht den Betrag des dafür übernommenen Geschäftsanteils erreicht. Die Vorschrift dient dem Gläubigerschutz und ist zwingend. Sie wurde durch die GmbH-Novelle 1980 in das GmbHG eingeführt. Der Gesetzgeber begründete sie mit der Erwägung, es lasse sich nicht ausschließen, dass eine Überbewertung von Sacheinlagen unentdeckt bleibe und die Gesellschaft trotzdem durch Eintragung zur Entstehung gelange. Außerdem wollte er klarstellen, dass Sacheinlageverpflichtungen nicht allein wegen einer Überbewertung der Sacheinlage unwirksam sind2. Dass der Sacheinleger im Falle einer Überbewertung für die Differenz einzustehen hat, hatte die Rechtsprechung bereits vorher entschieden3. Die neue Vorschrift stellte daher vor allem die Rechtslage klar4. Außerdem klärte sie die zuvor umstrittene Frage, zu welchem Zeitpunkt eine Differenzhaftung begründet ist5. Die erste Änderung der Vorschrift erfolgte durch das Gesetz zur Anpassung von Verjäh- 2 rungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004, mit dem die fünfjährige Frist auf zehn Jahre verlängert wurde. Sodann wurde durch das MoMiG Abs. 1 Satz 1 der Vorschrift geändert und Satz 2 angefügt. Die Änderung des Satzes 1 – statt „Betrag der dafür übernommenen Stammeinlage“ heißt es nun „Nennbetrag des dafür übernommenen Geschäftsanteils“ – ist darauf zurückzuführen, dass seit dem MoMiG im Gesellschaftsvertrag der Nennbetrag der Geschäftsanteile und nicht mehr der Nennbetrag der Stammeinlagen anzugeben ist (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 46 ff.). Neu aufgenommen hat der Gesetzgeber die in Satz 2 getroffene Vorschrift, dass sonstige Ansprüche unberührt bleiben.

2. Anwendungsbereich Die Vorschrift findet nur bei Sacheinlagen Anwendung (s. Rz. 6). Bei einer Kapitalerhöhung 3 mit Sacheinlagen findet sie entsprechende Anwendung (vgl. § 56 Abs. 2). Sie gilt nicht für verdeckte Sacheinlagen. Nach dem RegE MoMiG sollte die Vorschrift zwar entsprechend anwendbar sein, wenn eine Sache verdeckt eingebracht wird (vgl. § 19 Abs. 4 RegE). Doch wurde diese Lösung zugunsten einer anderen Regelung – der Anrechnung des Werts der verdeckt eingebrachten Sache – verworfen (s. die Erläuterung hierzu 13. Aufl., § 19 Rz. 137). Die Vorschrift ist nach der Judikatur des BGH nicht entsprechend anwendbar bei der zur 4 Durchführung einer Verschmelzung oder Spaltung erfolgten Kapitalerhöhung der aufnehmenden GmbH (§ 55, § 125 Satz 1 UmwG)6. Der BGH begründet diese Auslegung damit, dass die Gesellschafter des übertragenden Rechtsträgers keine Kapitaldeckungszusage (s.

1 Ausführlich zum Haftungsgrund Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 102 ff., 145 f. 2 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35. Dass der Sacheinleger im Falle einer Überbewertung für die Differenz einzustehen hat, hatte die Rechtsprechung bereits vorher entschieden. 3 Vgl. BGH v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 195 f.; zur AG auch BGH v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 62; aus dem Schrifttum Karsten Schmidt, GmbHR 1978, 5. 4 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3. 5 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1. 6 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, GmbHR 209, 114, 115; kritisch Priester, ZIP 2019, 646, 647; zustimmend Heckschen, NZG 2019, 561, 563.

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§ 9 Rz. 4 | Überbewertung der Sacheinlagen Rz. 3) abgeben würden7. Es ist dann konsequent, auch bei der Verschmelzung oder Spaltung auf eine neue GmbH (§ 36 Abs. 2, § 135 Abs. 2 UmwG) eine Differenzhaftung abzulehnen, weil die Gesellschafter auch bei dieser Umwandlungsart keine Kapitaldeckungszusage abgeben8. Beim Rechtsformwechsel in eine GmbH ist zu differenzieren. Handelt es sich um eine Personenhandelsgesellschaft, kann eine Differenzhaftung begründet sein (§ 197 Satz 1 UmwG)9. Dagegen besteht beim Formwechsel einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft anderer Rechtsform kein Bedürfnis, die Werthaltigkeit erbrachter Einlagen erneut durch eine Differenzhaftung sicherzustellen10. Für den Fehlbetrag haften in den genannten Umwandlungsfällen die Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers nach Maßgabe ihrer verhältnismäßigen Beteiligung.

3. Rechtsnatur 5 § 9 Abs. 1 gewährt der GmbH einen Zahlungsanspruch gegen den Sacheinleger. Es handelt

sich um einen die Sacheinlage ergänzenden gesetzlichen Geldeinlageanspruch11. Die Nachzahlungspflicht ist nach Ansicht des Gesetzgebers Ausfluss der im Einlageversprechen des Gesellschafters enthaltenen Deckungszusage12. Auf den Anspruch sind die allgemeinen Vorschriften über Geldeinlagen anwendbar13. Dies bedeutet, dass er nicht gestundet, erlassen oder durch Aufrechnung getilgt werden kann (§ 19 Abs. 2 und 3)14. Bei nicht rechtzeitiger Zahlung sind Verzugszinsen zu leisten (§ 20). Ferner ist die Kaduzierung des Geschäftsanteils möglich (§§ 21 ff.). Die Mitgesellschafter können einer Ausfallhaftung unterliegen (§ 24). Im Falle der Anteilsveräußerung gilt § 16 Abs. 215.

II. Anspruchsvoraussetzungen 1. Sacheinlage 6 Voraussetzung für eine Differenzhaftung ist, dass eine Sacheinlage im Gesellschaftsvertrag

vereinbart worden ist (§ 9 Abs. 1 Satz 1). Der Begriff der Sacheinlage ist in demselben Sinne wie in § 5 Abs. 4 Satz 1 zu verstehen, erfasst also sowohl die Sacheinlage i.e.S., d.h. die Vereinbarung einer anderen Einlageleistung als Geld (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 34), als auch die Sachübernahme mit Anrechnungsabrede, d.h. die Vereinbarung über die Zulässigkeit der Aufrechnung oder Verrechnung der Vergütung aus einer Sachübernahme gegen einen Geldeinlageanspruch (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 73). Ebenfalls fallen darunter gemischte Sacheinlagen (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 81 und Rz. 10). Sind die Sacheinlage- oder die Anrechnungsvereinbarung oder der zugrunde liegende Sachübernahmevertrag unwirksam, findet § 9 Abs. 1 keine Anwendung.

7 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, GmbHR 209, 114, 115; kritisch Priester, ZIP 2019, 646, 647; zustimmend Heckschen, NZG 2019, 561, 563. 8 Lieder/Bialluch, ZGR 2019, 760, 769; Wicke, DNotZ 2019, 405, 408. 9 Hoger in Lutter, § 197 UmwG Rz. 37; kritisch Joost/Hoger in Lutter, § 219 UmwG Rz. 4; a.A. Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 352 f. 10 Busch, AG 1995, 555, 559; Hoger in Lutter, § 197 UmwG Rz. 39. A.A. Meister/Klöcker/Berger in Kallmeyer, § 197 UmwG Rz. 44. 11 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4. 12 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35. 13 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; einschränkend Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4. 14 Vgl. zum Vergleich BGH v. 6.12.2011 – II ZR 149/10, BGHZ 191, 364, 379 Rz. 34 (zur AG). 15 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 7; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4.

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Überbewertung der Sacheinlagen | Rz. 10 § 9

Der Gesellschafter ist dann verpflichtet, die gesamte Einlage in Geld zu leisten16. Handelt es sich um eine verdeckte Sacheinlage, kommt eine Anrechnung gemäß § 19 Abs. 4 Satz 3 in Betracht17; eine Differenzhaftung nach § 9 kann dagegen nicht begründet sein (s. Rz. 3).

2. Unterdeckung Voraussetzung ist zweitens, dass der Wert der Sacheinlage nicht den Nennbetrag des dafür 7 übernommenen Geschäftsanteils erreicht. a) Nennbetrag des Geschäftsanteils Der erforderlichen Vergleichsberechnung ist bei einer Sacheinlage i.e.S. (Rz. 6) der im Gesell- 8 schaftsvertrag nach § 5 Abs. 4 Satz 1 festgesetzte Nennbetrag oder, wenn eine Mischeinlage (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 81) vereinbart worden ist, der Teilnennbetrag zugrunde zu legen, der durch die Leistung eines anderen Vermögensgegenstandes als Geld zu erfüllen ist (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 83). Anders liegt es bei einer Sachübernahme (Rz. 6), für die im Gesellschaftsvertrag der Betrag des Geschäftsanteils festgesetzt wird, der durch die Aufrechnung oder Verrechnung mit der Vergütung für einen zu veräußernden Vermögensgegenstand getilgt werden darf, aber nicht muss. Wird die Aufrechnung oder Verrechnung später mit einem geringeren Betrag vorgenommen, so ist deshalb nach dem Wortlaut und Zweck des § 9 Abs. 1 der ihm entsprechende, nicht aber der im Gesellschaftsvertrag festgesetzte Betrag maßgebend. Ein im Gesellschaftsvertrag vereinbartes Aufgeld bzw. Agio (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 21), das mit 9 der Leistung des Vermögensgegenstandes ebenfalls abgegolten sein soll, bleibt bei der Vergleichsberechnung außer Ansatz18. § 9 Abs. 1 soll nur die Aufbringung eines das festgesetzte Stammkapital deckenden Gesellschaftsvermögens sicherstellen und erfasst daher nicht die weitergehenden Beitragspflichten der Gesellschafter. Dementsprechend erstreckt sich auch die Kapitalerhaltung (§ 30 Abs. 1) nicht auf ein vom Gesellschafter versprochenes Aufgeld (s. dazu 13. Aufl., § 30 Rz. 52 ff.). Bei einer gemischten Sacheinbringung (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 81 ff.) muss der Wert des Ver- 10 mögensgegenstandes nach Abzug der dem Gesellschafter oder einem Dritten herauszuzahlenden oder gutzubringenden Vergütung den festgesetzten Betrag des Geschäftsanteils erreichen19. Vorbehaltlich einer abweichenden Bestimmung des Gesellschaftsvertrages, die hinreichend deutlich zum Ausdruck kommen muss20, ist es also nicht möglich, zu Gunsten des Einlageanteils die herauszuzahlende Vergütung zu kürzen. Die Gesellschaft kann aber mit dem ihr zustehenden Einlageergänzungsanspruch gegen den Vergütungsanspruch des Gesellschaftersaufrechnen oder wegen ihres Anspruchs das Zurückbehaltungsrecht ausüben21, während dies dem Gesellschafter wegen des in § 19 Abs. 2 normierten Aufrechnungsverbots versagt ist (s. 13. Aufl., § 19 Rz. 83 ff.). 16 BGH v. 24.7.2000 – II ZR 202/98, NZG 2000, 1226, 1227; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2. 17 Altmeppen, Rz. 1. 18 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 211 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Wachter in Bork/ Schäfer, Rz. 9; vgl. auch Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 36. A.A. Gienow in FS Semler, S. 165, 175; Herchen, Agio und verdecktes Agio, S. 161; wohl auch LG Bonn v. 5.5.1999 – 16 O 55/ 98, GmbHR 1999, 1291. 19 So auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 255 ff.; s. auch OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, BB 1996, 338, 339. 20 A.A. Priester, GmbHR 1982, 112, 113 (im Zweifel sei die Kürzung des Mehrbetrages gewollt). 21 Vgl. OLG Köln v. 2.12.1998 – 27 U 18/98, GmbHR 1999, 288, 293.

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§ 9 Rz. 11 | Überbewertung der Sacheinlagen b) Wert der Sacheinlage 11 Für die Berechnung, ob der Betrag des Geschäftsanteils durch die Sacheinlage gedeckt ist,

kommt es nach § 9 Abs. 1 auf den objektiven Wert des einzulegenden oder zu übernehmenden Vermögensgegenstandes im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft, d.h. am Tage ihres Eingangs beim Registergericht an. Es ist der unter Berücksichtigung der bezweckten betrieblichen Nutzung des Gegenstandes zu ermittelnde Zeitwert anzusetzen (Näheres s. 13. Aufl., § 5 Rz. 57)22. Dieser ist unabhängig von den der statutarischen Festsetzung des Anrechnungsbetrages zugrunde gelegten Wertvorstellungen der Gründungsgesellschafter durch das Prozessgericht nach den maßgeblichen Bewertungsgrundsätzen (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 57) festzustellen. Im Einzelnen gilt, dass Forderungen nur dann zum Nominalbetrag eingebracht werden dürfen, wenn sie fällig, liquide und vollwertig sind. Für einen Gegenstand, der als Anlagevermögen eingebracht wird, ist der Wiederbeschaffungswert anzusetzen23. 12 Zweifelhaft ist, ob der Sachinferent sich auf einen Bewertungsspielraum berufen kann. Der

BGH hatte vor Einführung des § 9 die (auf der Kapitaldeckungszusage des Inferenten beruhende) Differenzhaftung entsprechend eingeschränkt. Es bestehe für die Bewertung von Sacheinlagen und namentlich von Handelsgeschäften ein gewisser Beurteilungsspielraum. Jedes Überschreiten dieses Spielraums müsse die Differenzhaftung des Einlegers auslösen, weil nur so die gesetzmäßige Kapitalgrundlage der Gesellschaft zu sichern sei24. Bei der Auslegung des § 9 ist das Schrifttum aber strenger und lehnt es ab, einen Bewertungsspielraum zugunsten des Inferenten anzuerkennen25. Dieser Auslegung ist im Grundsatz zuzustimmen, denn sie wird dem Zweck der Vorschrift, einen wirksamen Gläubigerschutz sicherzustellen, gerecht. Auch kann aus § 9c Abs. 1 Satz 2 (Ablehnung des Antrags auf Eintragung der GmbH bei nicht unwesentlicher Überbewertung) nicht geschlossen werden, dass geringfügige Abweichungen keine Differenzhaftung begründen26. Andererseits wäre es verfehlt, anzunehmen, dass Sachen immer einen bestimmten objektiven Wert haben. Besonders komplex erweist sich die Bewertung von Unternehmen27; mit der Ertragswertmethode und der Discounted Cash Flow-Methode haben sich zwei Methoden herauskristallisiert, die nach Ansicht der Wirtschaftsprüfer (IDW S 1 i.d.F. 2008) gleichermaßen zur Unternehmensbewertung herangezogen werden können. Ein später mit einer Differenzhaftung befasstes Prozessgericht wäre bei der Bewertung einer eingebrachten Sache allerdings nicht an die vom Gesellschafter gewählte Bewertungsmethode gebunden28. Noch ungeklärt ist, ob Gerichte auch alle einzelnen Aspekte der Unternehmensbewertung, insbesondere die getroffenen Prognosen, eigenständig beurteilen dürfen. Bezüglich Abfindungsrechten von Aktionären und Gesellschaftern in Konzernverhältnissen wird die Frage intensiv diskutiert29. Die zu den Abfindungsrechten erzielten Erkenntnisse können auch für die Differenzhaftung nutzbar gemacht werden. Demnach wären

22 OLG Düsseldorf v. 28.3.1991 – 6 U 234/90, GmbHR 1992, 112, 113; OLG München v. 3.12.1993 – 23 U 4300/89, GmbHR 1994, 712; OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 43; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 23 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Porzelt, GmbHR 2018, 1251, 1252. 24 BGH v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 196. 25 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 205 f. 26 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4. 27 Ausführlich hierzu insbesondere mit Blick auf die Einbringung ertragsschwacher Unternehmen Hennrichs in FS Uwe H. Schneider, S. 489, 492 ff. 28 Tebben in Michalski u.a., Rz. 8 (bestimmte Wertmethode sei gesetzlich nicht vorgeschrieben); Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 29 Vgl. etwa OLG Stuttgart v. 14.2.2008 – 20 W 9/06, AG 2008, 783, 788; OLG Stuttgart v. 6.7.2007 – 20 W 5/06, AG 2007, 705, 706; OLG Stuttgart v. 16.2.2007 – 20 W 25/05, AG 2007, 596, 597 f.; OLG Stuttgart v. 8.3.2006 – 20 W 5/05, AG 2006, 420, 425.

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Überbewertung der Sacheinlagen | Rz. 16 § 9

steuerrechtliche Fragen voll überprüfbar, Planungen der Geschäftsleitung dagegen nur eingeschränkt. Sofern diese vernünftigerweise annehmen darf, ihre Planung sei realistisch, darf diese durch die Gerichte nicht durch eine andere Annahme ersetzt werden. Der Grund für die Wertabweichung ist nach § 9 Abs. 1 unerheblich. Die Vorschrift soll 13 nicht nur Überbewertungen durch die Gesellschafter verhindern, sondern, wie insbesondere der festgesetzte Bewertungsstichtag zeigt30, sicherstellen, dass der für den Geschäftsanteil übernommene Betrag im Anmeldezeitpunkt durch Einlagepflichten des Gesellschafters wertmäßig voll abgedeckt ist. Der Minderwert kann daher auch auf die Berücksichtigung erst später erkennbar gewordener Sachmängel, auf der Abnutzung oder Beschädigung des Vermögensgegenstandes oder auf der Änderung anderer wertungsrelevanter tatsächlicher Umstände des Vermögensgegenstandes oder der Bewertungsmaßstäbe beruhen31. Das gilt auch für Werteinbußen, die durch ein schuldhaftes Verhalten des Geschäftsführers oder eines Mitgesellschafters verursacht und nicht durch eine Ersatzleistung des Schädigers oder einer Versicherung ausgeglichen worden sind32. Der Sacheinleger kann in einem solchen Fall bei Zahlung der ergänzenden Geldeinlage von der Gesellschaft die Abtretung eines Ersatzanspruchs gegen den Schädiger verlangen. Eine Wertminderung ist nicht allein deshalb zu verneinen, weil der Gesellschaft auch Sachmängelgewährleistungsansprüche (s. Rz. 28) zustehen33. Die bis zur Anmeldung eintretenden Werterhöhungen, die nicht auf Verbesserungen der 14 Gesellschaft beruhen, können einen etwaigen Fehlbetrag ausgleichen34; sie kommen daher dem Gesellschafter zugute. Übersteigt der erhöhte Wert den für den Geschäftsanteil übernommenen Einlagebetrag, kann der Gesellschafter den Mehrbetrag allerdings nur herausverlangen, wenn dies im Gesellschaftsvertrag bestimmt ist. Wertveränderungen, die erst nach der Anmeldung eintreten, berühren die Differenzhaftung gemäß § 9 dagegen nicht (s. aber 13. Aufl., § 9c Rz. 33)35. Für die Ermittlung des objektiven Zeitwerts der Sacheinlage ist nicht zu berücksichtigen, dass der Gesellschaft wegen der Wertminderung noch weitere Ansprüche, namentlich aus § 9a oder Sachmängelgewährleistung, zustehen können. Anders ist es nur zu beurteilen, wenn ein solcher Anspruch durch Geldzahlung erfüllt wird36. Bei mehreren Sacheinlagegegenständen eines Gesellschafters ist deren Gesamtwert maß- 15 gebend37. Auch wenn für sie gesonderte Anrechnungsbeträge im Gesellschaftsvertrag genannt sind, kann danach die Überbewertung oder die Wertminderung eines Einlagegegenstandes durch den Wert anderer kompensiert werden, z.B. im Falle der unterschiedlichen Marktpreisentwicklung eingebrachter Warenvorräte. Bei der Einlage von Gegenständen mit starken Wertschwankungen wird häufig vereinbart, 16 dass der Sacheinleger eine sich ergebende Unterdeckung des für den Geschäftsanteil übernommenen Betrags durch eine Geldleistung auszugleichen hat. Diese gesellschaftsvertrag-

30 Nach der Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35 sollte das Risiko von Wertminderungen in der Zeit zwischen Vertragsabschluss und Eintragung zu Gunsten der Gesellschaftsgläubiger möglichst eingeschränkt werden, was den Sacheinlegern auch zumutbar sei, da diese es regelmäßig in der Hand hätten, ob sie schon längere Zeit vor der Anmeldung leisten wollten. 31 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11, 15. 32 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15. 33 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 34 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 202 f. 35 Vgl. OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 43; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5, 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16. 36 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20. 37 OLG Düsseldorf v. 28.3.1991 – 6 U 234/90, GmbHR 1992, 112, 113; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5; Schwandtner in MünchKomm., GmbHG, Rz. 18.

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§ 9 Rz. 16 | Überbewertung der Sacheinlagen lich begründete Pflicht des Sacheinlegers zum Ausgleich einer Wertdifferenz in Geld ist bei der Vergleichsberechnung zu berücksichtigen, vorausgesetzt, dass es sich um eine einklagbare Pflicht handelt und der Inhalt der Leistungspflicht bestimmbar ist. So weit diese Pflicht reicht, scheidet eine Anwendung des § 9 aus. c) Ausgleich eines Negativwertes 17 Die Differenzhaftung umfasst nach überwiegender Ansicht auch den Negativwert eines Ein-

lagegegenstandes38, wie er sich z.B. bei der Einbringung eines überschuldeten Unternehmens (Haftung der Gesellschaft gemäß § 25 HGB) oder eines Grundstücks mit Altlasten ergeben kann39. Diese Auslegung entspricht dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 und wird auch dem Zweck der Vorschrift gerecht, sicherzustellen, dass bei Sacheinlagen ein dem Stammkapital entsprechendes Vermögen aufgebracht ist. Anders liegt es aber bei Sachübernahmen (Rz. 6), da die Aufrechnungs- bzw. Verrechnungsmöglichkeit durch den Betrag der geschuldeten Geldeinlage begrenzt ist (Rz. 6). d) Beweislast 18 Nach den allgemeinen Regeln der Beweislastverteilung trifft die Gesellschaft grundsätzlich

die Beweislast für das Vorliegen einer Unterdeckung und für deren Höhe40. Das ist im Hinblick auf die vorangehenden Werthaltigkeitsprüfungen durch die Gesellschaft und durch das Registergericht sachgerecht41. Die Darlegung begründeter Zweifel am Anrechnungswert kann deshalb keine Beweislastumkehr rechtfertigen42. Auch bei der Einbringung eines ehemals sicherungsübereigneten Gegenstands ist es nicht gerechtfertigt, dem Gesellschafter die Darlegungs- und Beweislast aufzubürden, dass das Eigentum an dem Gegenstand bereits vor der Eintragung zurückübertragen war43. Lediglich in besonders gelagerten Ausnahmefällen, insbesondere bei Vorlage unzureichender oder falscher Wertnachweise durch den Sacheinleger, können Beweiserleichterungen angezeigt sein44.

3. Kein Verschulden 19 Ein Verschulden des Sacheinlegers ist nach § 9 Abs. 1 nicht erforderlich45. Die Vorschrift

soll nicht eine schuldhafte unrichtige Bewertung des Einlagegegenstandes beim Vertragsabschluss oder die Schlechterfüllung der Einlagepflicht sanktionieren, sondern die Aufbrin38 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 140; BGH v. 23.11.1981 – II ZR 115/81, GmbHR 1982, 235 (ob. dict.); Gienow in FS Semler, S. 165, 171 ff.; Urban in FG Sandrock, S. 305, 312 f.; G. Schneider, MittRhNotK 1992, 165, 173, 179; s. auch schon BGH v. 14.3.1977 – II ZR 156/75, BGHZ 68, 191, 198; a.A. Hohner, DB 1975, 629, 631; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 228 ff. 39 Zu den Anwendungsfällen vgl. Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 221 ff. 40 OLG München v. 3.12.1993 – 23 U 4300/89, GmbHR 1994, 712; OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 43; OLG Naumburg v. 23.1.1997 – 7 U 89/96, GmbHR 1998, 385, 386; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; Altmeppen, Rz. 9. 41 Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 284 ff. 42 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14; grundsätzlich ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; a.A. OLG Naumburg v. 23.1.1997 – 7 U 89/96, GmbHR 1998, 385, 386; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 28.3.1991 – 6 U 234/90, GmbHR 1992, 112, 113. 43 A.A. LG Bonn v. 5.5.1999 – 16 O 55/98, GmbHR 1999, 1291; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10. 44 OLG München v. 3.12.1993 – 23 U 4300/89, GmbHR 1994, 712 (sehr weitgehend). 45 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35; OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 43; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10.

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Überbewertung der Sacheinlagen | Rz. 23 § 9

gung der für den Geschäftsanteil übernommenen Beträge durch eine ergänzende Geldeinlagepflicht wertmäßig sichern. Auch bei einer Wertunterdeckung, die von anderen (Gesellschafter, Geschäftsführer, Dritte) verschuldet worden ist, greift sie deshalb ein.

4. Entstehung Der Anspruch entsteht, wenn die gesetzlichen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind. Die 20 Eintragung der Gesellschaft ist keine solche Voraussetzung. Die ergänzende Geldeinlagepflicht ist von der Eintragung grundsätzlich nicht abhängig46. Es entspricht auch dem Gesetzeszweck des § 9, den Betrag des übernommenen Geschäftsanteils für den Anmeldezeitpunkt durch den Anspruch auf Zahlung des Fehlbetrages abzudecken. Das entgegenstehende Interesse des Sacheinlegers kann eine teleologische Restriktion der Vorschrift nicht rechtfertigen. Die Differenzhaftung kann bei der zulässigen Aufnahme der Geschäftstätigkeit schon im Gründungsstadium erheblich werden und schließt eine Schlechterstellung der Gläubiger und Mitgesellschafter im Vergleich zur Bargründung aus. Der Sacheinleger hat seinerseits die Möglichkeit, beim Bekanntwerden der Unterdeckung durch den Einlagegegenstand die Auflösung der Vorgesellschaft zu betreiben und die Eintragung der Gesellschaft zu verhindern. Anders ist es aber zu beurteilen, wenn die Gründung der GmbH scheitert. Dies kann bei- 21 spielsweise der Fall sein, wenn das Registergericht die Bewertung der Sacheinlage beanstandet und die Gründer danach die Eintragung aufgeben. In einem solchen Fall besteht kein Bedürfnis mehr dafür, die Kapitalaufbringung zu sichern47. Eine Differenzhaftung nach § 9 ist daher nicht mehr notwendig. Im Übrigen werden die Gläubiger durch die Verlustdeckungshaftung der Gründer (im Falle einer gescheiterten Vor-GmbH, s. 13. Aufl., § 11 Rz. 88) oder durch die unbeschränkte Haftung der Gründer (im Falle einer unechten Vor-GmbH, s. 13. Aufl., § 11 Rz. 100) angemessen geschützt. Der Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 ist daher teleologisch dahingehend zu reduzieren, dass die Vorschrift mit dem endgültigen Scheitern der Gründung keine Anwendung findet.

5. Höhe Die Höhe des Geldeinlageanspruchs bemisst sich nach dem Fehlbetrag der Einlagedeckung 22 im Zeitpunkt der Anmeldung der Gesellschaft (Rz. 5 ff.). Spätere Wertveränderungen des Einlagegegenstandes können nach dieser ausdrücklichen gesetzlichen Entscheidung, die sinngemäß mit § 7 Abs. 3 übereinstimmt, den Anspruch weder erhöhen noch vermindern (Rz. 11).

6. Fälligkeit Die Fälligkeit des Anspruchs regelt das Gesetz nicht. Der Anwendung der allgemeinen Fäl- 23 ligkeitsbestimmung des § 46 Nr. 2 steht die Funktion des Anspruchs entgegen, die vor der Anmeldung zu bewirkende Sacheinlageleistung (§ 7 Abs. 3) zu ergänzen. Hieraus könnte zu

46 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 17; Altmeppen, Rz. 14; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. A.A. Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29 f.; vgl. auch Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 148 ff., der selbst bis zur Eintragung eine schuldrechtliche Pflicht annimmt. 47 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8.

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§ 9 Rz. 23 | Überbewertung der Sacheinlagen schließen sein, dass der ergänzende Geldeinlageanspruch sofort fällig wird48. Dagegen spricht aber, dass erst bei der Anmeldung feststeht, in welcher Höhe ein Anspruch begründet ist. Ab diesem Zeitpunkt ist er daher fällig49. Auf die Einforderung kommt es nicht an. Ebenso wenig bedarf es eines Gesellschafterbeschlusses50. Der Sacheinleger kann aber vor der Eintragung der Gesellschaft deren Auflösung verlangen (Rz. 20) und in diesem Falle die Zahlung verweigern, wenn und soweit sie nicht zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist (Rz. 21). Die Stundung der Einlageschuld ist dagegen ausgeschlossen (§ 19 Abs. 2). Nach der vergeblichen Einforderung sind auch Verzugszinsen zu entrichten (§ 20)51.

III. Verjährung (§ 9 Abs. 2) 24 Der Anspruch verjährt in zehn Jahren seit der Eintragung der Gesellschaft (§ 9 Abs. 2).

Die frühere fünfjährige Verjährungsfrist beruhte auf der Erwägung, dass bis zum Ablauf dieser Frist erfahrungsgemäß feststeht, ob sich eine Überbewertung von Sacheinlagen zum Nachteil der Gläubiger ausgewirkt hat. Auch hatte der Gesetzgeber gemeint, dass eine danach erfolgende Wertfeststellung regelmäßig mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden wäre52. Die mit dem Gesetz zur Anpassung von Verjährungsvorschriften an das Gesetz zur Modernisierung des Schuldrechts vom 9.12.2004 erfolgte Verlängerung der Verjährungsfrist auf zehn Jahre beruht auf dem Ziel, eine einheitliche Frist im Recht der Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung festzulegen53. 25 Für die Fristberechnung sind die §§ 187 ff. BGB maßgebend. Die Hemmung und die Unter-

brechung der Verjährung bestimmen sich nach den allgemeinen Vorschriften. Die Verjährungsfrist kann wegen des zwingenden Charakters der Vorschrift (Rz. 1) nicht vertraglich abgekürzt werden54; die Verlängerung ist zulässig (§ 202 Abs. 2 BGB), in der Praxis aber unüblich55.

IV. Verhältnis zu anderen Ansprüchen 1. Grundlagen 26 Ist eine Sacheinlage nicht unwesentlich überbewertet, hat das Gericht die Eintragung ab-

zulehnen (§ 9c Abs. 1 Satz 2), obwohl gemäß § 9 Abs. 1 ein Einlageergänzungsanspruch besteht. Das Eintragungshindernis entfällt nach teleologischer Auslegung der Vorschrift aber dann, wenn der Sacheinleger den Fehlbetrag vor der Eintragung zahlt und die Geschäftsfüh-

48 Vgl. Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl., Rz. 7. A.A. Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 152 ff.: Eintragung. 49 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 17. 50 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 34; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9. A.A. teilweise die ältere Lit., vgl. Meyer-Landrut, Rz. 10 und Steinrücke, GmbHR 1992, R 73. 51 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9 (Verzinsung auch ohne Verzug gemäß § 20); Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9. 52 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35. Vgl. auch BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 305; BGH v. 13.4.1992 – II ZR 277/90, BGHZ 118, 83, 101 f. 53 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 15/3653, S. 20; zur Übergangsregelung vgl. Art. 229 § 12 Abs. 1 EGBGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 3 EGBGB. 54 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Altmeppen, Rz. 22. 55 Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 19.

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Überbewertung der Sacheinlagen | Rz. 30 § 9

rer dies analog § 8 Abs. 2 dem Registergericht gegenüber versichern56. Mit der Zahlung, die der Kapitalbindung gemäß § 30 unterliegt, ist dem bezweckten Gläubigerschutz Rechnung getragen. Die durch das MoMiG in § 9 Abs. 1 Satz 2 neu eingeführte Vorschrift bestimmt, dass sons- 27 tige Ansprüche unberührt bleiben. Dies können nach der Vorstellung des Gesetzgebers Ansprüche auf ein durch den Wert der Sacheinlage nicht vollständig gedecktes Agio sein57. Die Vorschrift ist ferner von Bedeutung für schuldrechtliche Ansprüche wegen Schlechterfüllung (s. Rz. 28) und Schadensersatzansprüche gemäß § 9a Abs. 1 und 2 gegen die Geschäftsführer und Gesellschafter (s. Rz. 29). Auch deliktsrechtliche Ansprüche (§ 826 BGB; § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB) kommen in Betracht.

2. Bürgerlich-rechtliche Ansprüche wegen Schlechterfüllung Beruht die Unterdeckung des für den Geschäftsanteil übernommenen Betrags auf einer 28 durch den Sacheinleger zu vertretenden Schlechterfüllung, so können der Gesellschaft neben dem Einlageergänzungsanspruch aus § 9 auch Ansprüche wegen Leistungsstörungen gemäß § 280 BGB (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 62 ff.) zustehen, die im Falle der Vereinbarung einer den Nennbetrag wertmäßig übersteigenden Leistung für sie vorteilhafter sein können58. Der Gesellschaft steht es frei, welchen Anspruch sie geltend machen will (Wahlrecht)59. Eine Nacherfüllung seitens des Gesellschafters gegen den Willen der Gesellschaft ist grundsätzlich nicht möglich60.

3. Gründungshaftung Auch Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer oder die Mitgesellschafter aus § 9a 29 Abs. 1 oder 2 können mit dem Einlageergänzungsanspruch des § 9 zusammentreffen. Der von diesen Vorschriften vorausgesetzte Schaden ist nicht deshalb abzulehnen, weil die Gesellschaft einen Anspruch gemäß § 9 hat. Es entsteht zwischen den Ersatzpflichtigen und dem Einlageschuldner ein Gesamtschuldverhältnis (streitig; s. 13. Aufl., § 9a Rz. 42).

4. Vorbelastungshaftung Die Regelung des § 9 schließt Ansprüche gegen die Gründungsgesellschafter aus der von der 30 Rechtsprechung entwickelten Vorbelastungshaftung61 wegen der Wertminderung von Sacheinlagen nicht aus. Diese greift beim Vorliegen der übrigen Voraussetzungen dann ein, wenn die Wertminderung im Zusammenhang mit der Geschäftsaufnahme durch die Vorgesellschaft steht, also z.B. der Wert des Einlagegegenstandes durch seine Nutzung oder Beschädigung geschmälert worden oder der Wert des fortgeführten Unternehmens nach seiner Ein-

56 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19. 57 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 36. 58 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11, 15; Tebben in Michalski u.a., Rz. 21; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 277 ff. 59 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21; Schlößer/Pfeiffer, NZG 2012, 1047, 1049 f. 60 Schlößer/Pfeiffer, NZG 2012, 1047, 1049 f. 61 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 140 ff.; BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 303; BGH v. 23.11.1981 – II ZR 115/81, WM 1982, 40. Näheres dazu s. 13. Aufl., § 11 Rz. 139 ff.

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§ 9 Rz. 30 | Überbewertung der Sacheinlagen bringung abgesunken ist62. Sind solche Wertminderungen vor der Anmeldung eingetreten, so besteht daneben der ergänzende Geldeinlageanspruch gegen den Sacheinleger aus § 963; dieser kann aber im Falle seiner Inanspruchnahme intern von den übrigen Gründungsgesellschaftern anteilig nach Maßgabe ihrer Stammkapitalbeteiligung64 einen Ausgleich verlangen, da die Risiken aus der Geschäftsaufnahme vor der Eintragung gemeinschaftlich zu tragen sind (s. 13. Aufl., § 11 Rz. 148). Die Vorbelastungshaftung der Gründungsgesellschafter und ihre Ausgleichshaftung sind dagegen nicht gegeben, wenn die Wertminderung eingebrachter Sachen ohne oder unabhängig von der Geschäftsaufnahme eingetreten ist oder wenn ihre sonstigen Voraussetzungen nicht vorliegen65. Der Sacheinleger haftet in diesen Fällen – vorbehaltlich des § 24 (Rz. 5) – allein, jedoch nur für die bis zur Anmeldung entstandenen Wertminderungen (Rz. 14).

62 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22; Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, 1987, S. 543; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 93, 130. 63 Schwandtner in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40. A.A. (Vorrang der Haftung gemäß § 9) Stimpel in FS Fleck, 1988, S. 345, 349; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 11 Rz. 30. 64 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 141. 65 Vgl. dazu Meister in FS Werner, 1984, S. 521; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 93, 130; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22.

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§ 9a Ersatzansprüche der Gesellschaft (13. Auflage 2022) (1) Werden zum Zweck der Errichtung der Gesellschaft falsche Angaben gemacht, so haben die Gesellschafter und Geschäftsführer der Gesellschaft als Gesamtschuldner fehlende Einzahlungen zu leisten, eine Vergütung, die nicht unter den Gründungsaufwand aufgenommen ist, zu ersetzen und für den sonst entstehenden Schaden Ersatz zu leisten. (2) Wird die Gesellschaft von Gesellschaftern durch Einlagen oder Gründungsaufwand vorsätzlich oder aus grober Fahrlässigkeit geschädigt, so sind ihr alle Gesellschafter als Gesamtschuldner zum Ersatz verpflichtet. (3) Von diesen Verpflichtungen ist ein Gesellschafter oder ein Geschäftsführer befreit, wenn er die die Ersatzpflicht begründenden Tatsachen weder kannte noch bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes kennen musste. (4) Neben den Gesellschaftern sind in gleicher Weise Personen verantwortlich, für deren Rechnung die Gesellschafter Geschäftsanteile übernommen haben. Sie können sich auf ihre eigene Unkenntnis nicht wegen solcher Umstände berufen, die ein für ihre Rechnung handelnder Gesellschafter kannte oder bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes kennen musste. Eingefügt durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 4 Satz 1 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. 1. 2. II. 1. 2. 3. 4. III.

Grundlagen Regelungsinhalt und -zweck . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Gründungshaftung Anspruchsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsnatur des Anspruchs . . . . . . . . . . . Zwingendes Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kein Schutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Haftung für falsche Angaben (§ 9a Abs. 1) 1. Objektive Haftungsvoraussetzungen a) Angabe zum Zweck der Errichtung . . b) Urheber und Adressat . . . . . . . . . . . . . c) Form der Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art der Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Falsche Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftpflichtige Personen a) Geschäftsführer und Gesellschafter . . b) Umwandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Hintermänner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Art und Umfang der Haftung a) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 3 4 6 7 8

9 10 12 13 20 23 25 26 27 30

b) Mitverschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Haftung für Schädigung durch Einlagen oder Gründungsaufwand (§ 9a Abs. 2) 1. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Haftungsvoraussetzungen a) Schädigung durch Einlagen oder Gründungsaufwand . . . . . . . . . . . . . . . b) Vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Verschulden der übrigen Gesellschafter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftungsschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gesamtschuldnerische Haftung 1. Mehrere Verantwortliche . . . . . . . . . . . . . 2. Verhältnis zum Einlageschuldner . . . . . . VI. Sonstige Ansprüche 1. Gesellschaft a) Haftung analog § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anspruch aus § 43 . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sonstige Ersatzansprüche . . . . . . . . . . 2. Gesellschafter und Dritte . . . . . . . . . . . . .

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36 37 38 39 40 41 42

43 47 48 49

Schrifttum: Dreher, Die Gründungshaftung bei der GmbH, DStR 1992, 33; Haas/Wünsch, Die Haftung der Gesellschafter und Geschäftsführer nach § 9a Absatz 1 GmbHG, NotBZ 1999, 109; Lowin, Die Gründungshaftung bei der GmbH nach § 9a GmbHG, 1987; Trölitzsch, Differenzhaftung für Sachein-

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§ 9a Rz. 1 | Ersatzansprüche der Gesellschaft lagen in Kapitalgesellschaften, 1998; van Venrooy, Vertrauen des Geschäftsführers bei der Anmeldung einer Sachkapitalerhöhung und die Folgen enttäuschten Vertrauens, GmbHR 2002, 701.

I. Grundlagen 1. Regelungsinhalt und -zweck 1 Die Vorschrift bestimmt die Voraussetzungen der Gründungshaftung. Sie wurde mit der

GmbH-Novelle von 1980 eingeführt. Ihr Zweck besteht im Gläubigerschutz1. Dem Gesetzgeber war dieses Regelungsziel so wichtig, dass er die Gründerhaftung erheblich verschärfte. Bis zur GmbH-Novelle von 1980 kannte das GmbHG einen besonderen Haftungstatbestand nur für die anmeldenden Geschäftsführer. Der Gesetzgeber sah es als unbefriedigend an, dass namentlich die Gesellschafter, die die Gesellschaft errichten, eine nur sehr beschränkte Verantwortlichkeit für den Gründungsvorgang und insbesondere für die Deckung und Aufbringung des Stammkapitals betraf, obwohl in ihren Händen die Errichtung der Gesellschaft liegt und sie maßgebenden Einfluss auf die Gründung haben2. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung orientierte er sich an den entsprechenden Haftungsvorschriften des Aktienrechts (§§ 46–51 AktG), da sich diese bewährt hätten und die Interessenlage für beide Gesellschaftsformen weitgehend dieselbe sei3. 2 Die Gesellschafter und die Geschäftsführer sind der GmbH für jedwede falsche Angaben

zum Zwecke der Errichtung der Gesellschaft zivilrechtlich verantwortlich. Außerdem haften die Gesellschafter gemäß § 9a Abs. 2 für eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Schädigung der Gesellschaft durch Einlagen und durch Gründungsaufwand. Die Schadensersatzsanktion soll – neben der Strafbarkeit falscher Angaben (§ 82 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4) – die Ordnungsmäßigkeit der Gründung sichern4. Um Umgehungen durch die Einschaltung vermögensloser Strohmanngründer zu verhindern, erstreckt das Gesetz die Gründungshaftung auch auf die Personen, für deren Rechnung die Gesellschafter Geschäftsanteile übernommen haben (§ 9a Abs. 4 Satz 1), und rechnet ihnen deren Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis von Umständen zu (§ 9a Abs. 4 Satz 2). Darüber hinaus besteht analog § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG auch eine Haftung der Kreditinstitute für die Richtigkeit einer Bestätigung über die Einzahlungen auf die Einlage (s. Rz. 43). Die Änderung des § 9a Abs. 4 Satz 1 durch das MoMiG – statt „Stammeinlagen“ heißt es „Geschäftsanteile“ – ist darauf zurückzuführen, dass ein Gesellschafter nach neuer Terminologie nicht mehr eine Stammeinlage, sondern einen Geschäftsanteil übernimmt (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 50).

2. Anwendungsbereich 3 Auf die Entstehung einer GmbH durch Umwandlung (Verschmelzung, Spaltung und

Rechtsformwechsel) ist die Vorschrift des § 9a entsprechend anwendbar (§ 36 Abs. 2, § 135 Abs. 2, § 197 Satz 1 UmwG)5. Nach § 57 Abs. 4 gelten bei einer Kapitalerhöhung für die Verantwortlichkeit der Geschäftsführer die Vorschriften des § 9a Abs. 1 und 3 entsprechend; eine Haftung der Gesellschafter ist dagegen nicht vorgesehen. Schließlich findet die Vorschrift auch bei Aktivierung einer Vorratsgesellschaft oder Mantelgesellschaft analog Anwendung (s. dazu 13. Aufl., § 3 Rz. 193). Versichert der Geschäftsführer bei der Offenlegung der wirt1 2 3 4 5

Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 27. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35. Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1. Zur abweichenden Bestimmung der Verantwortlichen in diesen Fällen s. Rz. 25.

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Ersatzansprüche der Gesellschaft | Rz. 6 § 9a

schaftlichen Neugründung der Wahrheit zuwider, dass sich das Stammkapital endgültig in seiner freien Verfügung befindet, haftet er analog § 9a Abs. 16.

II. Die Gründungshaftung 1. Anspruchsberechtigte Der Schadensersatzanspruch aus § 9a steht der Gesellschaft zu. Er entsteht mit der Eintra- 4 gung der Gesellschaft in das Handelsregister7. Dies folgt aus dem Zweck des § 9a, die Aufbringung des Stammkapitals sicherzustellen. Darüber hinaus kann die Gesellschaft weitere Ansprüche haben, wenn die Beteiligten falsche Angaben gemacht haben. In Betracht kommen Ansprüche aus Vertragsverletzung gegen die Gründungsgesellschafter (Rz. 48) oder, wenn die Gründung scheitert, aus § 43 gegen die Geschäftsführer (Rz. 47). Auch setzen die Straftatbestände des § 82 Abs. 1 Nr. 1, 2 und 4 die Eintragung nicht voraus. Die Gesellschaftsgläubiger sind daher bereits im Vorfeld der Eintragung durch deliktische Schadensersatzersatzansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 82 Abs. 1 geschützt. Die Geltendmachung der Ersatzansprüche aus § 9a gegen einen Gesellschafter oder einen 5 Geschäftsführer erfordert grundsätzlich einen Gesellschafterbeschluss (§ 46 Nr. 8), der nicht Sachurteils-, sondern Anspruchsvoraussetzung ist und dessen Fehlen deshalb zur Abweisung der Klage mangels Begründetheit führt. Der betroffene Gesellschafter hat dabei kein Stimmrecht (§ 47 Abs. 4 Satz 2). Erforderlichenfalls ist zugleich ein besonderer Prozessvertreter zu bestellen. Im Insolvenzverfahren der Gesellschaft entscheidet dagegen der Insolvenzverwalter allein (§ 80 InsO). Nur er kann den zur Insolvenzmasse gehörenden Ersatzanspruch der GmbH geltend machen. Ebenso ist die Geltendmachung durch einen Pfändungsgläubiger nicht von einem Gesellschafterbeschluss abhängig8. Die Inanspruchnahme des Hintermannes eines Gesellschafters gemäß § 9a Abs. 4 setzt keinen Gesellschafterbeschluss voraus9; § 46 Nr. 8 ist nicht analog anwendbar.

2. Rechtsnatur des Anspruchs Die Vorschrift begründet eine verschuldensabhängige Schadensersatzpflicht (§ 9a Abs. 1 6 bis 3)10. Die Bestimmung des nach § 9a Abs. 1 ersatzfähigen Schadens unterliegt nach dem Schutzzweck der Gründungshaftung einigen Besonderheiten (Rz. 30 ff.), die dem Anspruch insoweit gewisse garantieähnliche Züge geben11. Die Haftung gemäß § 9a soll nach teilweise vertretener Ansicht einen deliktsähnlichen Charakter aufweisen12. Vorzugswürdig ist aber eine gesellschaftsrechtliche Qualifikation. Sie kann mit den aus dem Gesellschaftsverhältnis bzw. der Organstellung fließenden Pflichten der Geschäftsführer bzw. der Gesellschafter ge6 BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032, 1034. 7 OLG Rostock v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658, 659; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Lowin, Gründungshaftung, S. 9 ff.; Altmeppen, Rz. 12; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 9; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 18. 8 RG, LZ 1918, 856; RG, LZ 1929, 1460; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14. 9 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10. 10 OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 44; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 143; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 11 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 12 Vgl. OLG Düsseldorf v. 15.8.1991 – 6 U 274/90, GmbHR 1992, 373, 374; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 34.

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§ 9a Rz. 6 | Ersatzansprüche der Gesellschaft genüber der GmbH begründet werden, keine falschen Angaben zu machen oder die Gesellschaft nicht durch Einlagen oder Gründungsaufwand zu schädigen13. Daher ist § 32 ZPO (über den Gerichtsstand der unerlaubten Handlung) nicht anwendbar; stattdessen sind §§ 12 und 22 ZPO heranzuziehen14.

3. Zwingendes Recht 7 § 9a ist zwingendes Recht15. Die Gründungshaftung kann im Voraus vertraglich weder aus-

geschlossen noch abgemildert werden. Ein nachträglicher Verzicht oder Vergleich wirkt nur in den Grenzen des § 9b Abs. 1 (s. 13. Aufl., § 9b Rz. 4 ff.). Eine Aufrechnung durch die Gesellschaft ist nur nach Maßgabe des § 19 Abs. 2 zulässig16.

4. Kein Schutzgesetz 8 Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass der Gesetzgeber mit § 9a die vermögens-

rechtlichen Interessen der Gläubiger hatte schützen wollen. In den Materialien zur GmbHNovelle kommt vielmehr die Vorstellung des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass die Gründerhaftung „nur der Gesellschaft gegenüber“ bestehen würde17. Dass der Gesetzgeber dies hatte ändern wollen, wird aus der Begründung des RegE nicht ersichtlich. Die Vorschrift des § 9a ist daher kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB zu Gunsten der Gesellschaftsgläubiger. Auch die Gesellschafter können keine Ansprüche gemäß § 823 Abs. 2 BGB geltend machen. Der Anspruch der Gesellschaft kann aber für einen Gesellschaftsgläubiger gepfändet werden (§§ 829, 835 ZPO). Soweit er sich auf den Ersatz von Einlagebeträgen richtet (Rz. 31 f.), gelten aber dieselben Einschränkungen wie für deren Pfändung (s. dazu 13. Aufl., § 19 Rz. 105 ff.)18.

III. Haftung für falsche Angaben (§ 9a Abs. 1) 1. Objektive Haftungsvoraussetzungen a) Angabe zum Zweck der Errichtung 9 Eine Haftung gemäß § 9a Abs. 1 setzt voraus, dass Angaben zum Zweck der Errichtung der

Gesellschaft gemacht wurden. Der Ausdruck „Errichtung“ ist nicht in dem engen rechtstechnischen Sinne des Abschlusses des Gesellschaftsvertrages zu verstehen, sondern umfasst entsprechend der Abschnittsüberschrift des GmbHG den gesamten Gründungsvorgang. Die Vorschrift bezieht sich danach nur auf die Angaben, die vor der Eintragung der Gesellschaft gemacht werden19. Auf nachzureichende fehlende Unterlagen gemäß § 8 bei einer versehentlichen Eintragung (s. dazu 13. Aufl., § 8 Rz. 24) ist sie aber analog anzuwenden20. Erforderlich

13 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 1; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 143; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; a.A. Altmeppen, Rz. 11 (Rechtsschein- oder Vertrauenshaftung). 14 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 15 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 1; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 4. 16 OLG Hamm v. 5.7.1993 – 8 U 249/92, GmbHR 1994, 399. 17 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 35 zur Rechtslage vor der GmbH-Novelle 1980. 18 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. 19 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7 ff.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 143; Altmeppen, Rz. 5; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. 20 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41; a.A. Tebben in Michalski u.a., Rz. 5.

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Ersatzansprüche der Gesellschaft | Rz. 11 § 9a

ist außerdem ein sachlicher Zusammenhang der Angaben mit dem Gründungsverfahren. Die betreffende Angabe braucht zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben oder für die Eintragung ursächlich zu sein. Eine Haftung besteht daher auch für freiwillig erfolgte Angaben21. Doch folgt aus dem Gesetzeszweck (Rz. 1), dass die Angabe für die Ordnungsmäßigkeit der Gründung erheblich sein können muss22. Dies ist bei einer Angabe, die außerhalb des Gründungsverfahrens (z.B. bei Kreditverhandlungen, Geschäftsabschlüssen der Vorgesellschaft u.Ä.) gemacht worden ist, nicht der Fall. Die Vorstellung des Äußernden, dass die Angabe für die Gründung bedeutsam sein könnte, ist weder erforderlich noch ausreichend. b) Urheber und Adressat Es ist für die Haftung nach § 9a Abs. 1 nicht entscheidend, von wem die Angabe stammt23. 10 Ein Gesellschafter oder Geschäftsführer ist nicht nur für die Richtigkeit seiner eigenen Angaben, sondern auch für die aller anderen Gesellschafter und Geschäftsführer verantwortlich. Es kommt auch nicht darauf an, wer von ihnen nach den Gründungsvorschriften die betreffende Angabe zu machen hat. So haben einerseits die Geschäftsführer für die Angaben der Gesellschafter über die Übernahme der Geschäftsanteile (Rz. 14) oder im Sachgründungsbericht (Rz. 17) und andererseits die Gesellschafter, wie die Gesetzesmaterialien ausdrücklich hervorheben24, für die Angaben der Geschäftsführer in der Anmeldung (Rz. 16) einzustehen25. Die strenge Zurechnung soll die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Gründung durch alle Verantwortlichen (Rz. 23 ff.) gewährleisten (Rz. 1). Sie wird allerdings (nur) durch das Verschuldenserfordernis (Rz. 27 ff.) begrenzt26. Eine Haftung kann ebenfalls durch die Angabe eines Dritten (z.B. Auskunftspersonen, Berater, Bewertungssachverständige, Belegaussteller u.a.) begründet werden, wenn er am Gründungsverfahren mit Kenntnis zumindest eines Verantwortlichen (Rz. 23 ff.) mitgewirkt oder ein Verantwortlicher sie sich zu eigen gemacht hat27. Der nach § 9a Abs. 1 relevante Adressatenkreis der Angabe beschränkt sich nicht auf das 11 Registergericht, sondern umfasst auch die Geschäftsführer, die Mitgesellschafter und andere am Gründungsverfahren Beteiligte, z.B. die Organe des Handels- und des Handwerksstandes bei ihrer Mitwirkung am Eintragungsverfahren (§ 380 FamFG), hinzugezogene Bewertungssachverständige oder der beurkundende Notar28. Voraussetzung ist allein, dass die Angaben „zum Zweck der Errichtung der Gesellschaft“ gemacht werden. Dass auch die Mitgesellschafter als taugliche Empfänger in Betracht kommen, ergibt sich aus dem Umstand, dass das Gesetz ihnen die Sorge für die Ordnungsmäßigkeit der Gründung übertragen hat und damit die richtige gegenseitige Unterrichtung voraussetzt. Die Angaben gegenüber der 21 OLG Brandenburg v. 28.2.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 476. 22 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 11; von Rössing, Sachgründung, S. 115; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12 f. 23 Vgl. Karsten Schmidt, NJW 1980, 1769, 1771; Deutler, GmbHR 1980, 145, 148; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8. 24 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 71. 25 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3, 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53 ff. A.A. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33 f.: Gesellschafter ohne maßgebliche Beteiligung haften nur, wenn sie die Angabe selbst gemacht oder veranlasst haben. 26 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 27 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3, 6; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 142; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; enger Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 28 Vgl. OLG Köln v. 25.4.1997 – 19 U 167/96, GmbHR 1998, 42, 44; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57 f.; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 12; einschränkend im Hinblick auf Mitgesellschafter Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8.

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§ 9a Rz. 11 | Ersatzansprüche der Gesellschaft für eine staatliche Genehmigung des Unternehmensgegenstandes zuständigen Behörde fallen dagegen nicht unter § 9a Abs. 129. Denn seit dem MoMiG ist die Vorlage einer Genehmigungsurkunde im Eintragungsverfahren entbehrlich (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 21). c) Form der Angaben 12 Die Einhaltung der gesetzlichen Form der Angabe ist für die Haftung aus § 9a Abs. 1 un-

erheblich. Sie greift deshalb z.B. auch dann ein, wenn die Geschäftsführer die Versicherung nach § 8 Abs. 2 nicht in öffentlich beglaubigter Form (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 23) abgegeben haben und die Gesellschaft dennoch versehentlich eingetragen worden ist. Es kommen im Übrigen nicht nur schriftliche, sondern auch mündliche Angaben, z.B. gegenüber dem Bewertungssachverständigen (Rz. 11) in Betracht30, soweit sie erkennbar verbindlich sein sollten und für die Gründung erheblich sein können (Rz. 9). Sie müssen nicht ausdrücklich erfolgen. Haftungsbegründend kann schließlich auch das Unterlassen einer Angabe sein31; es muss allerdings eine gesetzliche Pflicht bestanden haben, eine entsprechende Angabe zu machen. d) Art der Angaben 13 Die Art der Angaben, für deren Richtigkeit gehaftet wird, bestimmt das Gesetz, abweichend

vom Aktienrecht (§ 46 Abs. 1 Satz 1 AktG), nicht näher. Es können daher alle für das Eintragungsverfahren relevanten Angaben eine Haftung nach § 9a Abs. 1 begründen32. Es ist weder mit der Entstehungsgeschichte (die abschließende Aufzählung der haftungserheblichen Angaben in § 9a Abs. 1 Satz 1 RegE wurde nicht Gesetz) noch mit Sinn und Zweck der Norm zu vereinbaren, die Haftung wie im Aktienrecht auf die Angaben zu beschränken, die die Übernahme sowie die Aufbringung des Stammkapitals und den Gründungsaufwand betreffen. In Betracht kommen etwa Angaben über den Unternehmensgegenstand33, über die Eignung der Geschäftsführer (§ 8 Abs. 3 Satz 1; § 6 Abs. 2)34 und über Vorbelastungen aus der Aufnahme der Geschäftstätigkeit35. Dass diese Vorgänge nicht zu einer Gründungshaftung führen sollen, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht entnehmen. Hinzu kommt, dass teleologische Gesichtspunkte nicht zu einer sklavisch an § 46 AktG orientierten Auslegung zwingen. 14 aa) Erheblich sind die Angaben über die Übernahme der Geschäftsanteile, die im Gesell-

schaftsvertrag erfolgen müssen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) und sich aus der einzureichenden Gesellschafterliste ergeben (§ 8 Abs. 1 Nr. 3). Das betrifft zunächst deren Vollständigkeit und Rechtswirksamkeit, für die insbesondere die Angaben über die Vertretungsmacht, über die Geschäftsfähigkeit und eine eventuell notwendige Zustimmung des Ehegatten bedeutsam werden können (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 30, 95), während die Scheinübernahme wegen der Unbeachtlichkeit dieses Erklärungsmangels nach Eintragung (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 92) und des daher fehlenden Gesellschaftsschadens regelmäßig keine Haftung nach § 9a Abs. 1 auslösen kann. Bei der Strohmanngründung (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 66) braucht dieser Umstand nicht offengelegt

29 30 31 32

Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 142; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38; Tebben, in Michalski u.a., Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 9; wohl auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 6. 33 Altmeppen, Rz. 6. 34 Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 142; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30. 35 Vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8. S. hierzu sogleich unter Rz. 26.

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Ersatzansprüche der Gesellschaft | Rz. 16 § 9a

zu werden36. Seit dem MoMiG sind auch Angaben zu den Nennbeträgen und den laufenden Nummern der Geschäftsanteile zu machen (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 11); auch diese können falsch sein und eine Haftung begründen. Bedeutsam sind ferner Angaben über den Gegenstand der Einlage und seine Verfügbar- 15 keit. So müssen die Geschäftsführer in der Anmeldung die Versicherung abgeben, dass die in § 7 Abs. 2 und 3 bezeichneten Leistungen auf die Geschäftsanteile bewirkt sind und dass der Gegenstand der Leistungen sich endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet (§ 8 Abs. 2 Satz 1). Eine falsche Angabe liegt folglich vor, wenn eine Zahlung nicht oder nicht in der angegebenen Höhe erfolgt ist37. Ein weiterer zum Schadensersatz verpflichtender Fall liegt vor, wenn die Barbeträge an den Gesellschafter zurückgeflossen sind, etwa im Rahmen einer verdeckten Sacheinlage (vgl. § 19 Abs. 4) oder im Rahmen eines Darlehens (sog. Hin- und Herzahlen, vgl. § 19 Abs. 5)38. Für das Hin- und Herzahlen gilt, dass der Vorgang bei der Anmeldung offenzulegen ist. Mangels Offenlegung erfolgt keine Befreiung und die Versicherung des Geschäftsführers ist falsch. Wird eine Bareinlage vor der Anmeldung aufgrund einer Abrede verdeckt an den Gesellschafter zurückgezahlt, so hat der Gesellschafter nicht zur endgültig freien Verfügung des Geschäftsführers geleistet (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 38). Die entsprechende Versicherung des Geschäftsführers ist falsch39. Unrichtige Zusagen über Eigenschaften eines Sacheinlage- oder Sachübernahmegegenstandes, das Verschweigen offenbarungspflichtiger Mängel oder von Belastungen des Gegenstandes (Rz. 17) können nach § 9a Abs. 1 haftbar machen40. bb) Die Gründungshaftung bezieht sich auf alle in der Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 oder 16 in sonstigen Erklärungen (z.B. im Gesellschaftsvertrag) gemachten Angaben über die vor der Anmeldung geleisteten Einlagen. Es ist unerheblich, ob es sich um die gesetzlich vorgeschriebenen Mindestleistungen (§ 7 Abs. 2 und 3) oder um statutarisch geforderte oder freiwillige Mehrleistungen (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 46) handelt41. Zwar erstreckt sich die registergerichtliche Prüfung nicht auf solche Mehrleistungen (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 30). Der Gesetzgeber hat aber die Gründungshaftung bei der GmbH-Novelle 1980 tatbestandlich weit konzipiert und die in der früheren Vorschrift (vgl. § 9 Abs. 1 a.F.) vorgesehene Bezugnahme auf Angaben über die Leistungen der gesetzlich vorgeschriebenen Mindesteinlagen aufgegeben42. Die Angaben über die Einzahlungen und die Sacheinlageleistungen müssen nach ihrem Umfang, ihrem Gegenstand und der Art der Bewirkung zutreffen. Bei einer Sachübernahme mit Anrechnungsabrede (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 73 ff.) gilt das außerdem für die Wiedergabe des wesentlichen Inhalts des Übernahmevertrages im Sachgründungsbericht und die beigefügten Vertragsabschriften (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 15). Die Versicherung, wonach der Gegenstand der Geld- und Sacheinlageleistungen sich endgültig in der freien Verfügung der Geschäftsführer befindet (§ 8 Abs. 2), beinhaltet auch (s. dazu 13. Aufl., § 7 Rz. 34, 36), dass keine Pflichten oder Zusagen zur Rückzahlung, keine Verwendungsabreden zugunsten des Einlageschuldners oder ihm nahestehender Personen oder keine Haftungsrisiken aus der Mittelbeschaffung für die Gesellschaft bestehen (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 32). Dagegen ist ihr nicht der Erklärungsinhalt beizumessen, dass die eingezahlten Beträge bei der Anmeldung wertmäßig noch ungeschmä36 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19. 37 OLG Brandenburg v. 28.2.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 477 (Hin- und Herzahlen); Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 45. 38 OLG Brandenburg v. 28.2.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 476; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 46; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 9. 39 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28. 40 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47. 41 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 39; vgl. auch OLG Düsseldorf v. 10.3.1995 – 17 U 130/94, GmbHR 1995, 582, 583; OLG Celle v. 15.3.2000 – 9 U 209/99, NZG 2000, 1178, 1179; Altmeppen, Rz. 11. 42 Vgl. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20.

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§ 9a Rz. 16 | Ersatzansprüche der Gesellschaft lert vorhanden sind43. Nach zutreffendem Verständnis kommt der Versicherung nur die Bedeutung zu, dass die Einlagen einmal wirksam geleistet worden und an den Gesellschafter nicht zurückgeflossen sind. Hat die Gesellschaft bereits vor der Anmeldung ihre Geschäfte begonnen und Verluste erlitten, ist der Geschäftsführer allerdings verpflichtet, für den Ausgleich der Vorbelastungen zu sorgen. Auch hat er bei der Anmeldung zu erklären, dass das Nettovermögen nicht geringer ist als das ausgewiesene Stammkapital (s. dazu 13. Aufl., § 8 Rz. 27). Diese Versicherung kann ebenfalls eine Haftung nach § 9a Abs. 1 auslösen44. 17 cc) Die Angaben im Gesellschaftsvertrag (§ 8 Abs. 1 Nr. 1), im Sachgründungsbericht (§ 5

Abs. 4 Satz 2, § 8 Abs. 1 Nr. 4), in den beigefügten Wertunterlagen (§ 8 Abs. 1 Nr. 5) und in sonstigen Erklärungen über den Wert der Sacheinlage- oder Sachübernahmegegenstände unterliegen § 9a Abs. 1. Sie können die wertungserheblichen Umstände des Gegenstandes betreffen, die angewandte Bewertungsmethode, die zugrunde gelegten Maßstäbe und mitgeteilten Werturteile anderer. Der Sachgründungsbericht gemäß § 5 Abs. 4 Satz 2 hat alle für die Angemessenheit der Leistungen für Sacheinlagen wesentlichen Umstände darzulegen (s. dazu 13. Aufl., § 5 Rz. 103 ff.), darf also keine unvollständigen Angaben machen, wenn er sich mit der Bewertung des Gegenstandes befasst. Die beigefügten Wertunterlagen (§ 8 Abs. 1 Nr. 5) müssen nicht nur selbst inhaltlich richtig sein, sondern müssen auch auswahlmäßig ein zutreffendes Bild über die durch sie belegten Umstände, z.B. den Marktpreis des Gegenstandes (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 18), vermitteln. 18 Seit dem MoMiG sind keine Angaben über die Sicherungen für ausstehende Geldeinlagen

bei Einmann-Gründungen (§ 8 Abs. 2 Satz 2 a.F.) mehr zu machen, so dass eine Gründungshaftung insoweit nicht mehr entstehen kann. 19 dd) Ferner sind Angaben über den von der Gesellschaft zu übernehmenden Gründungsauf-

wand haftungsbewehrt; dies ist in § 9a Abs. 1 ausdrücklich festgelegt. Zweck dieser Vorschrift ist es, die nicht erwähnte Belastung der Gesellschaft durch Zahlung im Außenverhältnis geschuldeter Aufwendungen (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 112) oder durch gesetzwidrige Zahlung zu verhindern45. Eine Haftung besteht auch dann, wenn Abreden über Sondervorteile für Gesellschafter oder die Übernahme von Gründungsauwand durch die Gesellschaft außerhalb des Gesellschaftsvertrags getroffen wurden46. Dagegen könnte zwar eingewandt werden, dass Gesellschafter einen Anspruch auf Ersatz von Gründungsaufwand nur haben, wenn die Übernahme des Gründungsaufwands im Gesellschaftsvertrag festgesetzt ist (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 111). Dennoch schränkt die außerhalb des Gesellschaftsvertrags getroffene und daher formnichtige Abrede die freie Verfügbarkeit der Einlage ein47. e) Falsche Angaben 20 Eine falsche Angabe i.S.d. § 9a Abs. 1 liegt nicht nur dann vor, wenn die ausdrückliche oder

konkludente Mitteilung für sich genommen inhaltlich objektiv unrichtig ist, sondern ist auch dann gegeben, wenn durch das Verschweigen von Einzelumständen insgesamt ein mit der Wirklichkeit objektiv nicht übereinstimmender Sinn vermittelt wird48, z.B. wenn in der Versicherung über die endgültige freie Verfügbarkeit der eingezahlten Geldeinlage (§ 8 43 Vgl. Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 114 f. A.A. LG Bonn v. 26.5.1987 – 11 T 5/87, GmbHR 1988, 193; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21. 44 So wohl auch BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182, 185. 45 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 46 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 47 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 29. 48 OLG Bremen v. 6.5.1997 – 2 U 135/96, GmbHR 1998, 40, 41; Altmeppen, Rz. 8; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16.

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Ersatzansprüche der Gesellschaft | Rz. 23 § 9a

Abs. 2) die Abrede über deren Verwendung zum Erwerb eines Vermögensgegenstandes von dem Einleger (Rz. 15 f.) oder im Sachgründungsbericht bei der Darlegung der Angemessenheit eine wertmindernde Eigenschaft des Vermögensgegenstandes (Rz. 17) übergangen wird. Soweit das Gesetz keine speziellen Anforderungen stellt, bestimmt sich der Umfang der offenbarungspflichtigen Umstände nach ihrer Erheblichkeit für eine zutreffende Beurteilung des Aussagegegenstandes durch einen außenstehenden Adressaten. Andererseits müssen bei der Ermittlung des Aussageinhaltes einer Einzelangabe auch die sonstigen Erklärungen und die eingereichten Unterlagen mit herangezogen werden. Ergibt sich aus ihnen zweifelsfrei, dass sich der Betreffende bei der Angabe nur missverständlich oder falsch ausgedrückt, aber das Richtige gemeint hat, so greift § 9a Abs. 1 nicht ein49. Für die Beurteilung, ob die Angabe falsch ist, kommt es auf die Verhältnisse im Zeitpunkt 21 der Mitteilung an50. Spätere Änderungen sind unerheblich. Ebenso wenig besteht eine generelle Pflicht des Betreffenden, beim Eintritt von Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse jeweils erneut tätig zu werden51. Die Beanstandungen der Anmeldung durch eine Zwischenverfügung des Registergerichts müssen dagegen unter Berücksichtigung der eingetretenen Änderungen erledigt werden. Anderenfalls greift für die zu ihrer Behebung gemachten Angaben § 9a Abs. 1 ein52. Die Berichtigung falscher Angaben ist bis zur Eintragung der Gesellschaft in das Handels- 22 register möglich53, muss allerdings in einer für Außenstehende ohne Weiteres ersichtlichen unzweideutigen Weise in der für die betreffende Mitteilung vorgeschriebenen Form geschehen. Eine Haftung aus § 9a Abs. 1, die von der Eintragung abhängig ist (Rz. 4), entfällt dann, kann aber nach anderen Vorschriften bestehen54.

2. Haftpflichtige Personen a) Geschäftsführer und Gesellschafter Die Haftung trifft die Geschäftsführer und die Gesellschafter (§ 9a Abs. 1). Dagegen haften 23 Sachverständige, Berater, Notare, Aufsichtsratsmitglieder oder andere Personen, die am Gründungsverfahren beteiligt sind, nicht nach § 9a Abs. 1. Die Haftung erstreckt sich auch auf einen Geschäftsführer, dessen Bestellung unwirksam war, der das Amt aber in der Gründungszeit tatsächlich ausgeübt hat55. Es ist dabei nicht von Bedeutung, wer von ihnen die Angabe zu machen hatte und ob der Haftpflichtige an ihr persönlich mitgewirkt hat (Rz. 10). Aufsichts-

49 RGZ 127, 186, 193 f. 50 OLG München v. 29.1.1990 – 26 U 3650/89, BB 1990, 1151, 1152; OLG Bremen v. 6.5.1997 – 2 U 135/96, GmbHR 1998, 40, 41 f.; OLG Brandenburg v. 28.2.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 476; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. A.A. (Zeitpunkt der Eintragung) OLG Rostock v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658, 659; Altmeppen, Rz. 12; differenzierend Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12; offengelassen von OLG Köln v. 2.2.1999 – 22 U 116/98, ZIP 1999, 399, 401. 51 OLG München v. 29.1.1990 – 26 U 3650/89, BB 1990, 1151, 1152; OLG Bremen v. 6.5.1997 – 2 U 135/96, GmbHR 1998, 40, 42; OLG Rostock v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658, 659; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17; wohl a.A. Altmeppen, Rz. 12. 52 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. 53 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 11; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18. 54 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 68; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18. 55 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32.

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§ 9a Rz. 23 | Ersatzansprüche der Gesellschaft ratsmitglieder fallen nicht unter § 9a, können aber nach allgemeinen Vorschriften haften (§ 52 GmbHG, § 93 Abs. 1 u. 2, § 116 AktG)56. 24 Ein vor der Eintragung ausgeschiedener Geschäftsführer oder Gesellschafter haftet nicht

nach § 9a Abs. 157. Der Anspruch entsteht nämlich erst mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister (Rz. 4). In Betracht kommen aber Schadensersatzansprüche gegen den früheren Gesellschafter aus anderen Rechtsgründen und seine strafrechtliche Verantwortlichkeit (§ 82 Abs. 1 Nr. 1, 2) für das eigene Fehlverhalten. Ein während der Gründungszeit beitretender neuer Gesellschafter haftet uneingeschränkt nach § 9a Abs. 1, da seine Prüfungspflicht sich auch auf die Vorgänge vor seinem Beitritt bezieht58. b) Umwandlung 25 Die Haftung aus § 9a trifft bei der Gründung einer GmbH im Wege der Verschmelzung

oder Spaltung die zur Registeranmeldung berufenen Mitglieder des Vertretungsorgans des übertragenden Rechtsträgers (§ 38 Abs. 2, § 137 Abs. 1 UmwG) und diesen selbst als Gründer (§ 36 Abs. 2 Satz 2, § 135 Abs. 2 Satz 2 UmwG)59, nicht dagegen die Gesellschafter der GmbH60. Eine Abweichung ergibt sich für die Ausgliederung zur Neugründung aus dem Vermögen eines Einzelkaufmanns, bei der er persönlich und der Geschäftsführer der GmbH haften (§ 135 Abs. 2, § 160 Abs. 1 UmwG). Beim Formwechsel einer Personenhandelsgesellschaft in eine GmbH sind deren Geschäftsführer (§ 222 Abs. 1 Satz 1 UmwG) und die der Umwandlung zustimmenden Gesellschafter des formwechselnden Rechtsträgers verantwortlich (§ 219 UmwG), während beim Formwechsel einer AG oder KGaA in eine GmbH die Verantwortlichkeit nur die Mitglieder des Vertretungsorgans des formwechselnden Rechtsträgers trifft (§ 246 Abs. 1 UmwG) und, wie der Umkehrschluss aus § 245 UmwG ergibt, eine Gründerhaftung der Gesellschafter entfällt61. c) Hintermänner 26 Die Haftung erweitert § 9a Abs. 4 Satz 1 durch die Einbeziehung von Personen, für deren

Rechnung die Gesellschafter Geschäftsanteile übernommen haben. Die Vorschrift ist § 46 Abs. 5 AktG nachgebildet62 und soll verhindern, dass sich jemand der Verantwortlichkeit durch das Vorschieben eines vermögenslosen Strohmannes entzieht. Nach einem Teil der Lit. sollen solche Personen auszunehmen sein, die keine oder nur eine unwesentliche Einflussmöglichkeit auf die Gründung haben63. Als Beispiel wird der Fall genannt, dass kraft testa56 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4. 57 OLG Rostock v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658, 660; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; von Rössing, Sachgründung, S. 116; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32. A.A. Münzel, BB 1994, 2164, 2165; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17, 24; Altmeppen in Altmeppen, Rz. 16, der bei vorher ausgeschiedenen Gesellschaftern aber § 9a Abs. 3 für gegeben hält. Noch weitergehend Lowin, Gründungshaftung, S. 81 ff. 58 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Altmeppen, Rz. 16; einschränkend Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35: Haftung nur für persönlich zu verantwortende Angaben. 59 Für den Ersatzanspruch gilt die Fortbestehensfiktion des übertragenden Rechtsträgers gemäß § 25 Abs. 2, § 125 Satz 1 UmwG. 60 Kallmeyer, ZIP 1994, 1746, 1753; Ihrig, GmbHR 1995, 662, 634; J. Vetter in Lutter, § 56 UmwG Rz. 52. 61 Hoger in Lutter, § 197 UmwG Rz. 35; Göthel in Lutter, § 245 UmwG Rz. 26, 60. 62 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 35 f. 63 Karsten Schmidt, NJW 1980, 1769, 1771; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4; ebenso die 10. Aufl.

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Ersatzansprüche der Gesellschaft | Rz. 29 § 9a

mentarischer Anordnung eine vom Erben unabhängige Person für ihn einen Geschäftsanteil übernehmen und für eine gewisse Zeit treuhänderisch halten soll. Auch bei einem Unterbeteiligungsverhältnis soll eine teleologische Reduktion der Vorschrift erfolgen64. Die restriktive Auslegung überzeugt nicht und ist daher abzulehnen65. Sie wird dem Zweck der Vorschrift, einer Umgehung der haftungsrechtlichen Verantwortlichkeiten zu begegnen, nicht gerecht.

3. Verschulden Die Haftung setzt ein Verschulden des betreffenden Geschäftsführers oder Gesellschafters 27 voraus (§ 9a Abs. 3). Der Anspruchsgegner muss schuldfähig sein (§§ 827 f. BGB)66 und haftet für Vorsatz und Fahrlässigkeit. Maßstab der anzuwendenden Sorgfalt ist die eines ordentlichen Geschäftsmannes (§ 9a Abs. 3). Die Beteiligten können sich deshalb nicht damit entschuldigen, dass ihnen die erforderliche Ausbildung oder Erfahrung gefehlt habe67. Alle Verantwortlichen haben für die Ordnungsmäßigkeit der zwecks Errichtung der Gesellschaft gemachten Angaben zu sorgen. Die Berufung darauf, dass der Geschäftsführer oder Gesellschafter für die Angaben nicht zuständig gewesen sei, keine Kenntnis von ihr gehabt habe oder selbst durch einen Mitbeteiligten oder Dritten getäuscht worden sei, entlastet ihn daher nur, wenn er trotz Anwendung der erforderlichen Sorgfalt von ihr nichts wissen und/oder deren Unrichtigkeit nicht erkennen konnte68. Es ist davon auszugehen, dass dem Geschäftsführer der über das Geschäftskonto abgewickelte Zahlungsverkehr bekannt ist69. Bedient sich ein Gesellschafter eines Gehilfen, so muss er sich dessen Verschulden analog § 9a Abs. 4 Satz 2 zurechnen lassen70. Der maßgebliche Zeitpunkt für die Kenntnis oder fahrlässige Unkenntnis der Angabe und ihrer Unrichtigkeit ist die Eintragung der Gesellschaft71. Der Geschäftsführer oder Gesellschafter haftet auch, wenn die genannten Umstände nach der Abgabe, aber vor der Eintragung ihm bekannt oder erkennbar werden und er die unrichtige Angabe nicht berichtigt oder die Berichtigung oder die Rücknahme der Anmeldung nicht veranlasst72. Das Verschulden wird beim Vorliegen der objektiven Haftungsvoraussetzungen (Rz. 9 ff.) ge- 28 setzlich vermutet (§ 9 Abs. 3). Ein Geschäftsführer oder Gesellschafter wird also nur von der Haftung frei, wenn er seinerseits den Entlastungsbeweis führt. Der Hintermann, für dessen Rechnung ein anderer den Geschäftsanteil übernommen hat 29 (Rz. 26), haftet für das Verschulden dieses Gesellschafters und für eigenes Verschulden (§ 9a Abs. 4). Er kann sich also nur durch den Nachweis entlasten (Rz. 28), dass weder er noch der für seine Rechnung handelnde Gesellschafter die Angabe und ihre Unrichtigkeit kannte oder bei gebotener Sorgfalt kennen konnte (Rz. 27)73.

64 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36. 65 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 28; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Wachter in Bork/Schäfer, Rz. 25. 66 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6. 67 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38. 68 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38. 69 OLG Brandenburg v. 28.2.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 479. 70 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; teilweise wird angenommen, dass sich die Zurechnung nach § 166 Abs. 2 BGB beurteile, vgl. Altmeppen, Rz. 23 und Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. 71 KG v. 13.7.1999 – 14 U 8764/95, NZG 2000, 841, 843; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40. 72 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40. 73 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Altmeppen, Rz. 22; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39.

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§ 9a Rz. 30 | Ersatzansprüche der Gesellschaft

4. Art und Umfang der Haftung a) Schadensersatz 30 Der Anspruch geht auf den Ersatz des der Gesellschaft durch die falsche Angabe entstande-

nen Schadens. Sein Umfang bestimmt sich nach dem Schutzzweck des § 9a Abs. 1, die Ordnungsmäßigkeit der Gründung der GmbH sicherzustellen74. Die Gesellschaft ist deshalb so zu stellen, wie sie stehen würde, wenn die betreffende Angabe zutreffend gewesen wäre75. Der Einwand, dass ein ersatzfähiger Schaden deswegen nicht bestehe, weil die GmbH ohne die falsche Angabe gar nicht entstanden wäre, ist danach unbeachtlich. Der Anspruch umfasst den gesamten durch die Falschangabe adäquat verursachten Schaden der Gesellschaft einschließlich eines ihr entgangenen Gewinnes76. 31 aa) Beziehen sich die unrichtigen Angaben auf die Einlageleistung, so sind die fehlenden

Einzahlungen geschuldet (§ 9a Abs. 1). Die fortbestehende Einlagepflicht schließt einen ersatzfähigen Schaden auch dann nicht aus, wenn der Gesellschafter zahlungsfähig ist77. Die Gesellschaft braucht ihn nicht vorrangig in Anspruch zu nehmen78. Es besteht ein Gesamtschuldverhältnis. Daneben ist auch der sonstige Schaden zu ersetzen (Rz. 30), der sich z.B. daraus ergeben kann, dass die Gesellschaft zur Erfüllung von Verpflichtungen außerstande ist79. 32 bb) Entsprechendes gilt, obwohl der Gesetzeswortlaut das nicht ausdrücklich erwähnt, auch

bei unrichtigen Angaben über die Leistung der Sacheinlagen80. Sind sie entgegen der Versicherung (§ 8 Abs. 2) nicht erbracht worden, haben die Haftpflichtigen (Rz. 23 ff.), wenn nach den allgemeinen Vorschriften (§§ 249 ff. BGB) eine Naturalherstellung durch die Bewirkung der vereinbarten Sacheinlage ausscheidet, Geldersatz in Höhe ihres vollen Werts zu leisten, soweit er nach dem Gesellschaftsvertrag der GmbH zu Gute kommen sollte. Bei gemischten Sacheinbringungen (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 81 ff.) ist also der dem Einlagepflichtigen zu vergütende Teilbetrag abzuziehen. Bei unrichtigen Angaben über die Bewertung von Sacheinlagen ist Geldersatz in Höhe der Differenz zwischen dem tatsächlichen Wert des Einlagegegenstandes (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 57 ff.) und dem Wert zu leisten, der sich ergeben würde, wenn die Angabe zuträfe, jedoch begrenzt durch den der Gesellschaft nach dem Gesellschaftsvertrag zustehenden Einlagewert. Er kann, wenn ausdrücklich oder konkludent ein Agio vereinbart war (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 21), über dem Betrag des Geschäftsanteils liegen81. Der Ersatzanspruch aus § 9a Abs. 1 wird in diesen Fällen genauso wenig wie bei fehlenden Einzahlun74 Vgl. dazu RGZ 144, 348, 356; BGH v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 58 betr. die Gründerhaftung bei der AG. 75 RGZ 144, 348, 356 f. (AG); KG v. 13.7.1999 – 14 U 8764/95, NZG 2000, 841, 842; OLG Rostock v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658, 660; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41. 76 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41. 77 OLG Hamm v. 5.7.1993 – 8 U 249/92, GmbHR 1994, 399, 401; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43. 78 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 355 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 43. 79 BGH v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 61 (AG); OLG Rostock v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658, 600; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41. 80 KG v. 13.7.1999 – 14 U 8764/95, NZG 2000, 841, 842; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Altmeppen, Rz. 17; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 272 f.; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42 f. 81 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43 a.E.; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 273; einschränkend wohl Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7 und Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 18, die wie nach § 9 Abs. 1 haften lassen.

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Ersatzansprüche der Gesellschaft | Rz. 36 § 9a

gen (Rz. 31) davon berührt, dass der Einlageschuldner zur Leistung des Einlagegegenstandes oder des Fehlbetrages bei Überbewertung (§ 9 Abs. 1) in der Lage ist82. cc) War eine Vergütung, die im Gesellschaftsvertrag nicht unter dem Gründungsaufwand 33 aufgenommen worden ist (s. dazu 13. Aufl., § 5 Rz. 112 ff.), für diesen Zweck von der Gesellschaft geleistet worden, so haben die Haftpflichtigen (Rz. 23 ff.) ohne Rücksicht darauf Ersatz zu leisten, ob sie vom Empfänger zurückgefordert werden kann83. Das gilt auch dann, wenn die Mittel dafür nicht den gesetzlichen Mindesteinzahlungen (§ 7 Abs. 2), sondern den freiwilligen Mehrleistungen (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 47) oder anderen Gesellschafterbeiträgen als Einlageleistungen (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 21) entnommen worden sind. Dass die Versicherung nach § 8 Abs. 2 sich nicht auf sie bezieht, ist unerheblich. b) Mitverschulden Die Berufung auf ein mitwirkendes Verschulden der Gesellschaft bei der Entstehung des 34 Schadens (§ 254 Abs. 1 BGB) ist nach dem Schutzzweck des § 9a Abs. 1 ausgeschlossen84. Wohl aber kann, wenn die Obliegenheit zur Schadensminderung nach der Eintragung der Gesellschaft durch andere Geschäftsführer als die Haftpflichtigen verletzt wird, die Vorschrift des § 254 Abs. 2 BGB eingreifen85. Die Weisungsgebundenheit der Geschäftsführer schließt die Anwendung dieser Vorschrift nicht generell aus. Allerdings kann im Falle einer verbindlichen Weisung durch die Gesellschafter der Vorwurf eines fahrlässigen Verhaltens hinsichtlich der Schadensentstehung ausscheiden.

IV. Haftung für Schädigung durch Einlagen oder Gründungsaufwand (§ 9a Abs. 2) 1. Anwendungsbereich Wird die Gesellschaft von Gesellschaftern durch Einlagen oder Gründungsaufwand vorsätz- 35 lich oder aus grober Fahrlässigkeit geschädigt, so sind ihr alle Gesellschafter als Gesamtschuldner zum Ersatz verpflichtet (§ 9a Abs. 2). Die Vorschrift ist gegenüber § 9a Abs. 1 subsidiär86. Sie soll bei solchen Schädigungen der Gesellschaft durch Einlagen oder Gründungsaufwand eingreifen, die nicht durch falsche Angaben verursacht worden sind87. Die praktische Bedeutung des Haftungstatbestandes, der § 46 Abs. 2 AktG nachgebildet ist, ist gering.

2. Haftungsvoraussetzungen a) Schädigung durch Einlagen oder Gründungsaufwand Erforderlich ist eine Schädigung der Gesellschaft durch Einlagen oder Gründungsaufwand. 36 Sie muss abweichend von § 9a Abs. 1 auf anderen Ursachen als falschen Angaben beruhen 82 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43, 46. 83 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42, 46. 84 RGZ 154, 276, 286; BGH v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 60 f. betr. AG; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 8; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; vgl. auch BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 355 für die Haftung aus § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG. 85 RGZ 154, 276, 286; BGH v. 27.2.1975 – II ZR 111/72, BGHZ 64, 52, 60 f. betr. AG; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 21; zweifelnd Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45. 86 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9, 15; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Altmeppen, Rz. 20; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47. 87 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 71 f.

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§ 9a Rz. 36 | Ersatzansprüche der Gesellschaft (Rz. 35), kann aber andererseits auch nach der Eintragung der Gesellschaft erfolgt sein88. Die Voraussetzungen können deshalb insbesondere bei statutarisch vorgesehenen Mehrleistungen auf die Geschäftsanteile (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 46 ff.) erfüllt sein, die nicht von der Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 umfasst werden (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 48, 13. Aufl., § 8 Rz. 26 f.), z.B. wenn sie aus Mitteln eines Darlehens bewirkt worden sind, für das die Gesellschaft mithaftet oder Sicherheiten gestellt hat. Ebenso können unter § 9a Abs. 2 die Fälle von verdeckten Sacheinlagen subsumiert werden, in denen der Zeitpunkt der Verabredung und deshalb die Unrichtigkeit der Versicherung gemäß § 8 Abs. 2 nicht nachweisbar ist89. Ein weiterer Anwendungsfall des § 9a Abs. 2 kann darin liegen, dass der Einlagegegenstand zwar zutreffend bewertet, aber für die Gesellschaft völlig unbrauchbar ist90. Ebenso ist der Tatbestand erfüllt, wenn der Gesellschaft statutarisch ein völlig unangemessen hoher Gründungsaufwand (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 112) auferlegt worden ist91. Im Übrigen wird eine Schädigung durch die Überbewertung von Sacheinlagen wegen der notwendigen Angaben im Sachgründungsbericht (§ 5 Abs. 4 Satz 2) und in den Bewertungsunterlagen (§ 8 Abs. 1 Nr. 5) im Allgemeinen von § 9a Abs. 1 erfasst92. b) Vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln 37 Die Schädigung muss durch ein vorsätzliches oder grob fahrlässiges Handeln wenigstens ei-

nes Gesellschafters erfolgt sein (§ 9a Abs. 2). Es ist nicht notwendig, dass diese Voraussetzung beim Einlageschuldner oder dem Empfänger des Gründungsaufwandes vorliegt; es genügt, wenn ein anderer Gesellschafter vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat93. Es ist analog § 9a Abs. 4 Satz 1 auch als ausreichend anzusehen, dass die Voraussetzung beim Auftraggeber gegeben ist, für dessen Rechnung der Gesellschafter gehandelt hat94. Die Beweislast für das Vorliegen von Vorsatz oder grober Fährlässigkeit trägt die Gesellschaft95. c) Verschulden der übrigen Gesellschafter 38 Die Haftung setzt schließlich ein Verschulden der ersatzpflichtigen anderen Gesellschafter

voraus (§ 9a Abs. 3). Es ist insoweit einfache Fahrlässigkeit ausreichend, die sich nur auf den objektiven Schädigungstatbestand (Rz. 36), nicht dagegen auch auf den Vorsatz oder die grobe Fahrlässigkeit des Einlegers (Rz. 37) zu beziehen braucht96. Im Übrigen gelten für das Verschulden und den Entlastungsbeweis, auch bezüglich der Hintermänner (§ 9a Abs. 4), die Ausführungen oben Rz. 27 ff.

88 Altmeppen, Rz. 21; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22. 89 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; zweifelnd Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 88. 90 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18. 91 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 49. 92 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47. 93 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51. 94 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51. 95 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51. 96 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51.

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Ersatzansprüche der Gesellschaft | Rz. 42 § 9a

3. Haftungsschuldner Haftungsschuldner können nach § 9a Abs. 2 nur Gesellschafter und ihre Auftraggeber sein, 39 für deren Rechnung sie die Geschäftsanteile übernommen haben (§ 9a Abs. 4 Satz 1). Für Geschäftsführer kommt lediglich eine Ersatzpflicht gemäß § 43 in Betracht.

4. Haftungsumfang Es ist der gesamte Schaden zu ersetzen, der der Gesellschaft durch die schädigende Hand- 40 lung (Rz. 36 ff.) entstanden ist. Soweit er im Ausfall von Einlagebeträgen oder in der Vergütung von unangemessenem Gründungsaufwand besteht (Rz. 36), ist es auch für den Anspruch aus § 9a Abs. 2 unerheblich, ob der Einlage- oder Erstattungsschuldner zahlungsfähig ist oder nicht (Rz. 31 ff.)97.

V. Gesamtschuldnerische Haftung 1. Mehrere Verantwortliche Mehrere Geschäftsführer, Gesellschafter und deren Hintermänner, die nach § 9a Abs. 1, 2 41 und 4 für denselben Schaden verantwortlich sind, haften der Gesellschaft als Gesamtschuldner. Der Ausgleich unter ihnen bestimmt sich nach § 426 BGB. Sie sind also im Verhältnis zueinander zu gleichen Anteilen verpflichtet, sofern nichts anderes bestimmt ist. Die Beteiligungsquote der Gesellschafter ist für den internen Ausgleich wegen des Haftungsgrundes (Sanktionierung eines pflichtwidrigen Verhaltens) ohne Bedeutung98. Eine abweichende interne Beteiligung bis zur Freistellung einzelner, z.B. im Falle ihrer Täuschung durch die anderen, kann sich dagegen insbesondere aus dem analog anzuwendenden § 254 BGB ergeben, wonach auf das Ausmaß der Mitverursachung und auf den unterschiedlichen Verschuldensgrad abzustellen ist99.

2. Verhältnis zum Einlageschuldner Soweit die Schadensersatzpflicht aus § 9a mit der Einlagepflicht des Gesellschafters zusam- 42 mentrifft (Rz. 31 f., 40), besteht eine unechte Gesamtschuldnerschaft des Einlageschuldners und Ersatzpflichtigen gegenüber der Gesellschaft100. Befriedigt der Einlageschuldner die GmbH, so entfällt eine Haftung gegenüber der Gesellschaft101. Umgekehrt hat die Ersatzleistung die Tilgung der Einlageschuld zur Folge. Der Ersatzpflichtige hat dann aber gegenüber

97 Lowin, Gründungshaftung, S. 124 ff.; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52. A.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25; zum früheren Recht Karsten Schmidt, GmbHR 1978, 5, 7. 98 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31. A.A. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53. 99 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53. 100 Vgl. OLG Hamm v. 5.7.1993 – 8 U 249/92, GmbHR 1994, 399, 401; OLG Celle v. 15.3.2000 – 9 U 209/99, NZG 2000, 1178, 1179; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54. A.A. noch H. Winter, 9. Aufl., § 9a Rz. 42; ferner Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 281 ff. 101 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6.

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§ 9a Rz. 42 | Ersatzansprüche der Gesellschaft dem säumigen Gesellschafter einen Regressanspruch aus dem Gesamtschuldverhältnis; ferner geht der Einlageanspruch auf ihn über (§ 426 Abs. 2 BGB).

VI. Sonstige Ansprüche 1. Gesellschaft a) Haftung analog § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG 43 Ein Kreditinstitut, das den Geschäftsführern zwecks Vorlage beim Handelsregister schrift-

lich bestätigt hat, dass die Einzahlung auf einen Geschäftsanteil durch Gutschrift auf dem Konto der Gesellschaft oder der Geschäftsführer geleistet worden sei und endgültig zu ihrer freien Verfügung stehe, haftet der Gesellschaft analog § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG für die Richtigkeit dieser Bestätigung, wenn sie dem Registergericht bei der Anmeldung oder danach im Rahmen des Eintragungsverfahrens eingereicht worden ist102. Das GmbHG verlangt zwar anders als das AktG (§ 37 Abs. 1 Satz 3) nicht generell die Vorlage eines derartigen Nachweises über die erbrachten Einlageleistungen (§ 8)103. Die Bankbestätigung hat aber, wenn sie auf Grund einer Beanstandung des Registergerichts (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 14, 37) oder auch freiwillig vorgelegt wird, für die registergerichtliche Kontrolle der Eintragungsvoraussetzungen im Wesentlichen dieselbe Tragweite und Bedeutung wie im Aktienrecht und muss deshalb in analoger Anwendung des § 37 Abs. 1 Satz 4 AktG auch mit derselben Haftungssanktion verbunden werden. 44 Es ist im Einzelfall durch Auslegung der Bankbestätigung festzustellen, ob diese nur die

Gutschrift des Betrages oder darüber hinaus auch die freie Verfügbarkeit des Betrags für die Geschäftsführer bescheinigen soll; dabei ist eine ihr zugrunde gelegte registergerichtliche Anforderung zu berücksichtigen104. Ohne hinreichend deutliche Anhaltspunkte in der Bescheinigung ist für das GmbH-Recht nicht anzunehmen, dass eine umfassende Bankbestätigung i.S.d. § 37 Abs. 1 Satz 3 AktG gewollt war105. Auch wenn Letzteres zutrifft, beschränkt sie sich inhaltlich aber ausschließlich auf Umstände aus der Sphäre des Bankbereichs106. Für die Beurteilung der Richtigkeit ist der Zeitpunkt der Ausstellung maßgebend107. 45 Die Gewährleistungshaftung des Kreditinstituts für die Erfüllung der entgegen der ausge-

stellten Bestätigung offenstehenden Geldeinlageforderung setzt kein Verschulden voraus108. Ebenso ist der Einwand mitwirkenden Verschuldens der Gesellschaft gemäß § 254 BGB wegen des Zwecks und der Rechtsnatur des Anspruchs ausgeschlossen109. 102 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 351 ff.; BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 180 f.; BGH v. 16.12.1996 – II ZR 200/95, GmbHR 1997, 255, 256; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Altmeppen, Rz. 18, § 8 Rz. 35; Spindler, ZGR 1997, 537, 539 ff. 103 Vgl. dazu Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 67, 71. 104 BGH v. 16.12.1996 – II ZR 200/95, GmbHR 1997, 255 f.; Goette, DStR 1997, 378, 379; Spindler, ZGR 1997, 537, 543 f. 105 Spindler, ZGR 1997, 537, 545 f. 106 Vgl. dazu Ihrig, Die endgültige freie Verfügung über die Einlage von Kapitalgesellschaften, S. 227 f.; Ulmer, GmbHR 1993, 189, 196 f.; Kübler, ZHR 157 (1993), 196, 212; Appel, ZHR 157 (1993), 213, 216 ff.; Hüffer, ZGR 1993, 474, 468 f.; Röhricht in FS Boujong, 1996, S. 457, 473 f.; Spindler, ZGR 1997, 537, 548. Offengelassen in BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 356. 107 Ulmer, GmbHR 1993, 189. 108 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 355; BGH v. 13.7.1992 – II ZR 263/91, BGHZ 119, 177, 180 f.; Ulmer, GmbHR 1993, 189, 196; Kübler, ZHR 157 (1993), 196, 211 f.; Hüffer, ZGR 1993, 474, 485 f. A.A. Rümker, ZBB 1991, 176, 178; Priester in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 159, 164. 109 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 355.

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Ersatzansprüche der Gesellschaft | Rz. 49 § 9a

Der Anspruch umfasst den gesamten Fehlbetrag ohne Rücksicht darauf, ob die falsche 46 Bankbestätigung sich auf die gesetzlich vorgeschriebenen Mindesteinzahlungen (§ 7 Abs. 2) oder auf darüber hinausgehende Leistungen bezieht110; ein weitergehender Schaden aus der Nichteinzahlung der Einlage ist dagegen nicht zu ersetzen. Die Haftung des Kreditinstituts ist gegenüber der fortbestehenden Einlagepflicht nicht subsidiär, sondern besteht neben ihr111; für das Verhältnis zum Einlageschuldner gelten sinngemäß die Ausführungen in Rz. 42. Mit den nach § 9a Abs. 1, 4 verantwortlichen Geschäftsführern, Gesellschaftern und Hintermännern haftet das Kreditinstitut gesamtschuldnerisch. Die Aufrechnung mit Gegenforderungen ist, soweit die Leistung zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist, wegen des Sicherungszwecks der Haftung analog § 19 Abs. 2 Satz 2 ausgeschlossen112. Die Verjährungsfrist beträgt analog § 9b Abs. 2 fünf Jahre113. b) Anspruch aus § 43 Der Gesellschaft können gegen die Geschäftsführer wegen Pflichtverletzungen im Grün- 47 dungsstadium auch Ersatzansprüche aus § 43 zustehen. Soweit die Pflichtverletzung in den durch § 9a Abs. 1 erfassten Handlungen besteht, geht diese spezielle Vorschrift aber der allgemeinen Haftungsnorm des § 43 vor114. Der Anwendungsbereich der allgemeinen organschaftlichen Haftung ist daher marginal. Nach h.M. scheidet eine Haftung nach § 9a Abs. 1 aus, wenn es nicht zur Eintragung kommt (s. Rz. 4). Dann kann aber eine Haftung nach § 43 begründet sein115. Abweichend von der speziellen Gründungshaftung (s. Rz. 7) schließt das Einverständnis aller Gesellschafter mit der schädigenden Handlung außer bei einem Verstoß gegen § 30 die Ersatzpflicht nach § 43 aus. Ebenso ist, von dem genannten Ausnahmefall abgesehen (§ 43 Abs. 3 Satz 2), der Verzicht auf den Schadensersatzanspruch ohne die Einschränkungen des § 9b Abs. 1 möglich (s. 13. Aufl., § 9b Rz. 2). c) Sonstige Ersatzansprüche Außerdem können sowohl gegen Geschäftsführer als auch gegen Gesellschafter deliktische 48 Ansprüche (§ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 266 StGB, § 826 BGB) gegeben sein. Diese Ansprüche werden durch § 9a nicht ausgeschlossen. Gegenüber Gesellschaftern können darüber hinaus Schadensersatzansprüche aus der Verletzung gesellschaftsvertraglicher Pflichten in Betracht kommen.

2. Gesellschafter und Dritte Gesellschaftern und Gläubigern können Schadensersatzansprüche wegen Gründungsschwin- 49 dels vor allem aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 82 Abs. 1 Nr. 1, 2 u. 4 GmbHG zustehen116. Die genannten Strafvorschriften sind, wie die Rechtsprechung für die entsprechenden aktienrechtlichen Regelungen (§ 313 HGB a.F. und nunmehr § 399 Abs. 1 Nr. 1 AktG) anerkannt 110 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 356 f.; Spindler, ZGR 1997, 537, 541. 111 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 355 f. 112 Im Hinblick auf die Regelung des § 9b Abs. 1 zu weitgehend BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 357 f. 113 Vgl. dazu Hüffer, ZGR 1993, 474, 487 f. 114 OLG Rostock v. 2.2.1995 – 1 U 191/94, GmbHR 1995, 658, 660; OLG Celle v. 15.3.2000 – 9 U 209/99, NZG 2000, 1178, 1179; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15; Altmeppen, Rz. 18; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56. 115 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 99; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56. 116 Vgl. OLG München v. 7.10.1987 – 3 U 3138/87, NJW-RR 1988, 290; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59 ff.

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§ 9a Rz. 49 | Ersatzansprüche der Gesellschaft hat117, als Schutzgesetze zugunsten des genannten Personenkreises anzusehen118. Sie verfolgen den Zweck, das Vertrauen auf die Richtigkeit der Angaben bei der Gründung zu schützen. Der Personenkreis, der vor Täuschungen gewahrt werden soll, kann nicht auf die Gesellschafter beschränkt werden, sondern umfasst auch Dritte, die mit der Gesellschaft kontrahieren. Daneben kommen auch Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 263, 266 StGB, § 826 BGB und – für die Gesellschafter untereinander – u.U. aus der Verletzung vertraglicher Vereinbarungen in Betracht119. Ein Schaden der Gesellschafter oder Dritter entfällt, wenn der Täter nach § 9a durch die Gesellschaft in Anspruch genommen worden ist120. Umgekehrt befreit die Befriedigung jener nicht von der Haftung aus § 9a; eine doppelte Inanspruchnahme wegen desselben Schadens kann er aber durch die Leistung an die Gesellschaft vermeiden121.

117 Vgl. RGZ 157, 213, 217; RGZ 159, 211, 224; BGH v. 11.11.1985 – II ZR 109/84, BGHZ 96, 231, 243; vgl. auch BGH v. 11.7.1988 – II ZR 243/87, BGHZ 105, 121, 123 zu § 399 Abs. 1 Nr. 4 AktG. 118 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 60; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 101. 119 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 1; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 37; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59 ff., 63. 120 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62. Vgl. auch RGZ 115, 289, 296; RGZ 157, 213, 216 betr. die AG. 121 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62.

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§ 9b Verzicht auf Ersatzansprüche (13. Auflage 2022) (1) Ein Verzicht der Gesellschaft auf Ersatzansprüche nach § 9a oder ein Vergleich der Gesellschaft über diese Ansprüche ist unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist. Dies gilt nicht, wenn der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht oder wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. (2) Ersatzansprüche der Gesellschaft nach § 9a verjähren in fünf Jahren. Die Verjährung beginnt mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister oder, wenn die zum Ersatz verpflichtende Handlung später begangen worden ist, mit der Vornahme der Handlung. Eingefügt durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 1 Satz 2 geändert durch Gesetz vom 5.10.1994 (BGBl. I 1994, 2911). I. 1. 2. 3. II. 1. 2.

Grundlagen Regelungsinhalt und -zweck . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Gläubigerschutzvorschriften . . . . Verzicht und Vergleich (§ 9b Abs. 1) Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unwirksamkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 2 3 4 5

a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ausnahme bei Insolvenz des Ersatzpflichtigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Abwendung des Insolvenzverfahrens . b) Regelung im Insolvenzverfahren . . . . III. Verjährung (§ 9b Abs. 2) . . . . . . . . . . . .

6 10 12 13 15 16

Schrifttum: Cahn, Vergleichsverbote im Gesellschaftsrecht, 1996; Haas, Der Verzicht und Vergleich auf Haftungsansprüche gegen den GmbH-Geschäftsführer, ZInsO 2007, 464.

I. Grundlagen 1. Regelungsinhalt und -zweck Die Vorschrift ist durch die GmbH-Novelle 1980 in das Gesetz eingefügt worden, änderte 1 aber das frühere Recht (§ 9 Abs. 2 und 3 a.F.) nur unwesentlich. Sie schränkt in § 9b Abs. 1 Satz 1 die Rechtswirksamkeit eines Verzichts auf Ersatzansprüche aus § 9a oder eines Vergleichs über sie ein, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gläubiger erforderlich ist. Ausgenommen ist ein Vergleich, den der Ersatzpflichtige zur Abwendung oder zur Beseitigung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern geschlossen hat. § 9b Abs. 1 Satz 2 ist durch Art. 48 Nr. 1 EGInsO an die Neuregelung des Insolvenzverfahrens angepasst worden (s. Rz. 12 ff.). § 9b Abs. 2 regelt den Beginn und die Dauer der Verjährungsfrist für die Ersatzansprüche aus § 9a. Die Vorschrift dient ausschließlich dem Gläubigerschutz. Daher hat der Gesetzgeber anders als im Aktienrecht (vgl. § 50 AktG) weder eine Sperrfrist noch ein Widerspruchsrecht einer Gesellschafterminderheit gegen den Verzicht oder Vergleich vorgesehen1. Die Vorschrift ist ebenso wie § 9a zwingend.

1 Begr. RegE, BT-Drucks. 8/1347, S. 36.

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§ 9b Rz. 2 | Verzicht auf Ersatzansprüche

2. Anwendungsbereich 2 § 9b ist auf die gleichartigen Ersatzansprüche in den Fällen der Kapitalerhöhung (§ 57

Abs. 4) und der Umwandlung (§ 36 Abs. 2 Satz 1, § 135 Abs. 2 Satz 1, § 197 Satz 1 UmwG) entsprechend anwendbar. Die Vorschrift gilt dagegen nicht für sonstige Schadensersatzansprüche der Gesellschaft gegen die Geschäftsführer oder die Gesellschafter aus Anlass der Gründung (vgl. dazu 13. Aufl., § 9a Rz. 47 ff.). Schranken für den Verzicht und den Vergleich ergeben sich bei diesen Ansprüchen aber aus anderen Gläubigerschutzvorschriften (Rz. 3). Eine Ausnahme besteht für Schadensersatzansprüche gegen die Geschäftsführer wegen Verstoßes gegen die §§ 30, 33, auf die § 9b Abs. 1 entsprechend anzuwenden ist (§ 43 Abs. 3 Satz 2)2. Auch für Ansprüche wegen Masseschmälerung sah § 64 Satz 1 a.F. eine entsprechende Anwendung von § 9b vor3. Das SanInsFoG hat mit Wirkung zum 1.1.2021 diese Regelung in § 15b Abs. 4 InsO überführt. Die Erstattungspflicht ist nunmehr rechtsformunabhängig ausgestaltet. Folglich wird auch nicht mehr auf § 9b verwiesen. Stattdessen ist in § 15b Abs. 4 Satz 4 InsO (übereinstimmend mit § 9b) geregelt, dass ein Verzicht der juristischen Person auf Erstattungs- oder Ersatzansprüche oder ein Vergleich der juristischen Person über diese Ansprüche unwirksam ist. Dies gilt nach § 15b Abs. 4 Satz 5 InsO (übereinstimmend mit § 9b) nicht, wenn der Erstattungs- oder Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht, wenn die Erstattungsoder Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder (dies ist in § 9b Abs. 2 nicht explizit vorgesehen, vom BGH aber in BGHZ 219, 98 entwickelt worden, s. Rz. 12) wenn ein Insolvenzverwalter für die juristische Person handelt.

3. Andere Gläubigerschutzvorschriften 3 Die Vorschrift schließt die Anwendbarkeit anderer Gläubigerschutzvorschriften auf einen

Verzicht auf die Schadensersatzansprüche aus § 9a oder auf einen Vergleich über sie nicht aus. So sind entsprechende Vereinbarungen nach § 30 unzulässig, wenn dadurch das zur Erhaltung des Stammkapitals erforderliche Gesellschaftsvermögen zugunsten eines haftpflichtigen Gesellschafters oder Hintermannes geschmälert wird4. Ebenfalls möglich, neben § 9b Abs. 1 allerdings meist entbehrlich ist die Anfechtung nach §§ 129 ff. InsO und nach den Vorschriften des AnfG5. Beim Hinzutreten besonderer Umstände kann ein Verzicht oder Vergleich auch gemäß § 138 BGB nichtig sein.

II. Verzicht und Vergleich (§ 9b Abs. 1) 1. Grundsatz 4 Die Gesellschaft kann grundsätzlich auf ihren Ersatzanspruch aus § 9a verzichten oder sich

über ihn vergleichen, allerdings nicht im Voraus6. Die Entscheidung darüber steht, wenn der Ersatzpflichtige ein Gesellschafter oder ein amtierender Geschäftsführer ist, der Gesellschafterversammlung zu (§ 46 Nr. 8)7. Der betroffene Gesellschafter hat dabei kein Stimmrecht (§ 47 Abs. 4 Satz 2). Besondere Schutzvorschriften zugunsten der dem Verzicht oder Vergleich widersprechenden Gesellschafterminderheit bestehen abweichend vom Aktienrecht 2 3 4 5 6 7

Vgl. hierzu BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, NZG 2008, 314, 315. Vgl. hierzu BGH v. 20.4.2021 – II ZR 387/18, ZIP 2021, 1109, 1112. Vgl. Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 2. Vgl. Tebben in Michalski u.a., Rz. 1. Altmeppen, Rz. 10. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2.

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Verzicht auf Ersatzansprüche | Rz. 6 § 9b

(§ 50 AktG) nicht. Der Beschluss kann im Einzelfall aber wegen Verstoßes gegen die mitgliedschaftliche Treuepflicht anfechtbar sein. Ob ein mit einem gesamtschuldnerisch haftenden Beteiligten (s. 13. Aufl., § 9a Rz. 41) vereinbarter Verzicht zugunsten aller Mitverpflichteten wirkt, beurteilt sich nach § 423 BGB. Auch die Erfüllung eines Vergleiches (§ 779 BGB) kann nach dem Willen der Vertragsschließenden gesamtbefreiend wirken8.

2. Unwirksamkeit Ein Verzicht und ein Vergleich sind unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der 5 Gläubiger der Gesellschaft erforderlich ist (§ 9b Abs. 1 Satz 1). Die Vorschrift ist nach ihrem Schutzzweck (Rz. 1) auf andere Rechtsgeschäfte entsprechend anwendbar, die eine vergleichbare Wirkung wie ein Vergleich oder ein Verzicht haben. Dazu gehören insbesondere die Annahme einer unzureichenden Leistung an Erfüllungs statt (§ 364 Abs. 1 BGB)9 und die Abtretung des Ersatzanspruches ohne angemessene Gegenleistung10. Dagegen findet § 9b Abs. 1 Satz 1 für den Abschluss eines Schiedsvertrags gemäß §§ 1025, 1030 Abs. 1 ZPO bezüglich eines Anspruchs nach § 9b Abs. 1 keine Anwendung, weil mit der Abrede nicht über einen Anspruch verfügt wird11. a) Voraussetzungen aa) Unter Verzicht i.S.d. § 9b Abs. 1 sind der Erlassvertrag (§ 397 Abs. 1 BGB) und das ver- 6 tragliche negative Schuldanerkenntnis (§ 397 Abs. 2 BGB) zu verstehen. Ferner fällt darunter die Verzichtswirkung der Entlastung (§ 46 Nr. 5)12. Es genügt, wenn er sich auf einen Teilbetrag des Ersatzanspruches aus § 9a bezieht oder nur einen der Gesamtschuldner betrifft13. Gleichzustellen ist ein nicht nur für einen kurzen Zeitraum wirkendes sogenanntes pactum de non petendo mit dem Ersatzpflichtigen oder einem Dritten, das den Bestand des Ersatzanspruches zwar nicht berührt, aber dem Schuldner ein Leistungsverweigerungsrecht gibt14. Die Stundung des Ersatzanspruches erfasst § 9b Abs. 1 Satz 1 im Allgemeinen nicht (abweichend von § 19 Abs. 2 betr. die Einlageschuld)15, aber nach dem Schutzzweck der Vorschrift (Rz. 1) ist eine analoge Anwendung dann gerechtfertigt, wenn die Fälligkeit längerfristig hinausgeschoben wird16. Der Prozessverzicht der Gesellschaft (§ 306 ZPO) fällt ebenfalls unter § 9b Abs. 1 Satz 1. Da er die Dispositionsbefugnis der Partei über den Streitgegenstand voraussetzt, ist er beim Vorliegen der Voraussetzungen des § 9b Abs. 1 Satz 1 unwirksam; ein Verzichtsurteil darf nicht erlassen werden. Entsprechendes gilt für das prozessuale Anerkennt8 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. 9 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. 10 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; vgl. auch OLG Hamm v. 13.6.2001 – 8 U 130/00, NZG 2001, 1144 (Unwirksamkeit der Abtretung eines Anspruchs aus § 43 Abs. 3, § 31 Abs. 6). 11 Bork, ZZP 100 (1987), 249, 267 ff.; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 19; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2. A.A. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8. 12 BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, NZG 2008, 314, 315; BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, ZIP 1987, 1050, 1052; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9. 13 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. 14 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Tebben in Michalski u.a., Rz. 3. 15 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10. 16 Noch weitergehend Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; vgl. auch Tebben in Michalski u.a., Rz. 3 (Stundung sei generell von § 9b Abs. 1 Satz 1 erfasst).

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§ 9b Rz. 6 | Verzicht auf Ersatzansprüche nis der Gesellschaft (§ 307 ZPO) im Falle einer negativen Feststellungsklage des Haftpflichtigen. Zur Urteilswirkung s. im Übrigen unter Rz. 11. 7 bb) Der Begriff des Vergleichs i.S.d. § 9b Abs. 1 ergibt sich aus § 779 BGB. Erforderlich ist,

dass die Parteien einen Streit oder eine Ungewissheit über den Ersatzanspruch im Wege des gegenseitigen Nachgebens beseitigt haben. Betroffen sind nach dem Schutzzweck des § 9b Abs. 1 Satz 1 alle Vergleiche, die die Geltendmachung des vollen Ersatzanspruchs einschränken. Bloße Stundungs- und Ratenzahlungsvergleiche über den Anspruch unterliegen der Vorschrift unter den in Rz. 6 genannten Voraussetzungen. Das Vorstehende gilt auch für einen Prozessvergleich (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), der aufgrund seiner Doppelnatur als Prozesshandlung und materiell-rechtliches Rechtsgeschäft die Wirksamkeitsvoraussetzungen beider erfüllen muss und deshalb von der Dispositionsbefugnis der verfügenden Prozesspartei abhängig ist. 8 cc) Der erlassene oder der die Vergleichssumme übersteigende Ersatzbetrag ist zur Befriedi-

gung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich, wenn die Gesellschaft ohne ihn überschuldet wäre oder wenn sie zahlungsunfähig ist17. Die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) ist nicht notwendig. Darüber hinausgehend ist die genannte Voraussetzung auch schon dann gegeben, wenn die Gesellschaft nicht nur kurzfristig behebbare Zahlungsschwierigkeiten hat18 und die Mittel zur Tilgung fälliger Gesellschaftsverbindlichkeiten benötigt werden19. Ein allgemeines Interesse der Gesellschaftsgläubiger an der Bereitstellung von ihrem Zugriff unterliegenden oder erleichternden Vermögensmitteln reicht dagegen nicht aus20. Andererseits verlangt § 9b Abs. 1 Satz 1 nicht, dass die Erforderlichkeit des Ersatzes beim Abschluss des Verzichts- oder Vergleichsvertrages vorhersehbar oder durch den Erlass mit verursacht worden war21. 9 dd) Beweislast. Der Abschluss des Verzichts- oder Vergleichsvertrages (Rz. 6 f.) ist durch die

haftpflichtigen Gesellschafter und Geschäftsführer darzulegen und zu beweisen, während die Gesellschaft die Darlegungs- und Beweislast dafür hat, dass der erlassene oder die Vergleichssumme übersteigende Ersatzbetrag zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist (Rz. 8)22. Hat ein Gesellschaftsgläubiger den Anspruch aus § 9a pfänden und sich zur Einziehung überweisen lassen (§§ 829 ff. ZPO; vgl. dazu 13. Aufl., § 9a Rz. 8), so beweist dieser Umstand allein noch nicht, dass der Ersatzbetrag zur Befriedigung notwendig ist23. b) Rechtsfolgen 10 Der Verzicht oder Vergleich ist beim Vorliegen oder dem späteren Eintritt der in § 9b Abs. 1

Satz 1 genannten Voraussetzung (Rz. 6) ohne Weiteres der Gesellschaft und ihren Gläubigern gegenüber unwirksam, soweit der Ersatz zur Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger erforderlich ist. Die Vereinbarungen stehen also, bis zur vollendeten Verjährung (Rz. 16 ff.),

17 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Altmeppen, Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; vgl. aus der Rechtsprechung (i.E. eine Erforderlichkeit ablehnend) BGH v. 18.2.2008 – II ZR 62/07, NZG 2008, 314, 316. 18 Zum Begriff der Zahlungsstockung vgl. BGH v. 24.5.2005 – IX ZR 123/04, GmbHR 2005, 1117. 19 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Tebben in Michalski u.a., Rz. 7; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 20 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 21 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Tebben in Michalski u.a., Rz. 7. A.A. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 22 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. 23 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2 a.E.

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Verzicht auf Ersatzansprüche | Rz. 12 § 9b

stets unter dieser (auflösenden) gesetzlichen Bedingung24. Die Unwirksamkeit ist demzufolge weder von der Klageerhebung noch von einer sonstigen Erklärung der Gesellschaft abhängig. Auch der Haftpflichtige kann sich, vorbehaltlich eines Rechtsmissbrauchs, auf sie berufen25. Bei einer Teilunwirksamkeit der Vereinbarung gilt für die Auswirkung auf die übrigen Vertragsbestandteile die allgemeine Auslegungsregel des § 139 BGB26. Ein die Klage auf Zahlung des erlassenen Ersatzbetrags abweisendes rechtskräftiges Urteil 11 steht der erneuten klageweisen Geltendmachung des Anspruchs nicht entgegen, wenn der Unwirksamkeitsgrund (s. Rz. 8, 10), auf den die Gesellschaft sich stützt, erst nach der letzten mündlichen Verhandlung des Vorprozesses eingetreten ist27. Der Berufung auf die Rechtskraft eines sachlich unrichtigen klageabweisenden Urteils kann dagegen bei einer erneuten Inanspruchnahme nur in besonderen Ausnahmefällen mit dem Arglisteinwand (§ 826 BGB) begegnet werden28. Das gilt auch für ein Versäumnisurteil gegen die GmbH, dessen Zulässigkeit § 9b Abs. 1 Satz 1 nicht ausschließt29. Die GmbH ist in diesen Fällen auf Schadensersatzansprüche gegen ihren Geschäftsführer oder den bestellten Prozessvertreter (§ 46 Nr. 8) wegen pflichtwidriger Prozessführung beschränkt.

3. Ausnahme bei Insolvenz des Ersatzpflichtigen § 9b Abs. 1 Satz 2 schränkt das weitreichende Verzichts- und Vergleichsverbot im Interesse 12 der Gläubigergleichbehandlung in der Insolvenz des Schuldners ein. Die Vorschrift setzt voraus, dass der Ersatzpflichtige zahlungsunfähig ist und sich zur Abwendung des Insolvenzverfahrens mit seinen Gläubigern vergleicht. Ferner gilt das Verzichts- und Vergleichsverbot nicht, wenn die Ersatzpflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird. Schließlich gilt die Vorschrift des § 9b Abs. 1 Satz 1 nach der Rechtsprechung des BGH nicht für den Insolvenzverwalter30. Der BGH begründet diese Auslegung (nunmehr auch in § 15b Abs. 4 Satz 5 InsO für Ansprüche wegen Masseschmälerung explizit geregelt) damit, dass § 9b Abs. 2 ausschließlich dem Gläubigerschutz diene und dieser mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorrangig durch das Ziel des Insolvenzrechts realisiert werde, eine bestmögliche und gleichmäßige Gläubigerbefriedigung sicherzustellen31. Das Verzichts- und Vergleichsverbot bleibt freilich für den vorläufigen Insolvenzverwalter anwendbar, auch wenn ein Zustimmungsvorbehalt nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 InsO zu seinen Gunsten angeordnet wurde, weil die Tätigkeit des vorläufigen Verwalters und die mit ihr einhergehenden Befugnisse sich grundlegend von denen des Insolvenzverwalters im eröffneten Verfahren unterscheiden32.

24 OLG Brandenburg v. 28.12.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 479; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Altmeppen, Rz. 3; Tebben in Michalski u.a., Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15. 25 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 15. 26 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 9; Tebben in Michalski u.a., Rz. 12; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16. 27 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24. 28 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 29 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27; Tebben in Michalski u.a., Rz. 8; zweifelnd Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24. 30 BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 232/17, BGHZ 219, 98. 31 BGH v. 14.6.2018 – IX ZR 232/17, BGHZ 219, 98 Rz. 26. 32 BGH v. 20.4.2021 – II ZR 387/18, ZIP 2021, 1109, 1113.

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§ 9b Rz. 13 | Verzicht auf Ersatzansprüche a) Abwendung des Insolvenzverfahrens 13 Die erste Ausnahme von der Beschränkung des § 9b Abs. 1 Satz 1 setzt voraus, dass der Er-

satzpflichtige zahlungsunfähig i.S.d. § 17 Abs. 2 InsO ist. Die Überschuldung ist in § 9b Abs. 1 Satz 2 nicht genannt, obwohl sie nach der Erweiterung des Personenkreises der Verantwortlichen durch § 9a für eine als Gesellschafterin oder als Hintermann (s. 13. Aufl., § 9a Rz. 23 ff., 39) haftpflichtige juristische Person oder GmbH & Co. KG ebenfalls als Insolvenzgrund in Betracht kommen kann (§§ 11, 19 InsO, § 98 GenG). Bei der unveränderten Übernahme des § 9 Abs. 2 a.F. wurde diese Erweiterung versehentlich nicht berücksichtigt33. Soweit die Überschuldung bei dem haftpflichtigen Gesellschafter oder Hintermann einen Insolvenzgrund darstellt, kommt nach dem Gesetzeszweck des § 9b Abs. 1 Satz 2 der Ausnahmetatbestand entsprechend zur Anwendung34. Die drohende Zahlungsunfähigkeit reicht dagegen nur aus, wenn auf Antrag des Schuldners das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist (§ 18 InsO)35. Nicht ausreichend ist es, wenn auf Antrag des Schuldners nach § 29 StaRUG Verfahrenshilfen des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens in Anspruch genommen werden. 14 Weiteres Erfordernis ist, dass der Vergleich zur Abwendung oder Beseitigung des Insol-

venzverfahrens mit den Gläubigern geschlossen worden ist. Es kommt nur der außergerichtliche Vergleich in Betracht36. Es genügt, dass der Schuldner sich mit seinen Gläubigern derart auseinandersetzt, dass das Insolvenzverfahren vermieden wird37. Es ist nicht notwendig, dass alle Gläubiger an dem Vergleich beteiligt sind. In diesem Fall muss der Schuldner aber jedenfalls den Willen haben, die Gläubiger als Gesamtheit abzufinden. Dass er dann einzelne Gläubiger ausnimmt, ist für die Anwendung des § 9b Abs. 1 Satz 2 unschädlich. Wenn das Insolvenzverfahren bereits eröffnet ist, kann es nur mit Zustimmung aller Gläubiger eingestellt werden (vgl. § 213 InsO). Ein solcher Vergleich ist ebenfalls unter § 9b Abs. 1 Satz 2 zu subsumieren38. b) Regelung im Insolvenzverfahren 15 Ein Insolvenzplan kann Forderungen der Gläubiger kürzen, stunden oder sonst regeln

(§§ 217 ff. InsO). Voraussetzung für seine Wirksamkeit ist, dass die Gläubiger ihn mehrheitlich angenommen haben (§ 244 InsO). Außerdem muss er rechtskräftig durch das Insolvenzgericht bestätigt werden (§§ 248, 254 InsO). Aus § 9b Abs. 1 Satz 2 folgt, dass Ersatzforderungen nach § 9a in den Insolvenzplan aufgenommen werden können.

III. Verjährung (§ 9b Abs. 2) 16 Die Sonderregelung des § 9b Abs. 2 über die Verjährung erfasst nur die Ersatzansprüche aus

§ 9a, nicht auch andere Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschafter, ihre Hintermänner und die Geschäftsführer aus Anlass der Gründung (s. 13. Aufl., § 9a Rz. 47 ff.). Die abweichende Regelung betrifft lediglich den Beginn und die Dauer der Verjährung, während

33 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 36. 34 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19. 35 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. 36 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20. 37 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20. A.A. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7 a.E. (Beteiligung der Gesamtheit der Gläubiger). 38 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 20.

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Verzicht auf Ersatzansprüche | Rz. 20 § 9b

im Übrigen, soweit der Sinn dieser Bestimmung nicht entgegensteht, die allgemeinen Vorschriften des BGB gelten. Die Verjährungsfrist für die Ersatzansprüche aus § 9a beträgt fünf Jahre und beginnt regel- 17 mäßig mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister (§ 9b Abs. 2). Der maßgebliche Tag ist der zu datierenden Eintragung (§ 382 Abs. 2 FamFG) zu entnehmen. Wird die schädigende Handlung, was bei den Haftungsfällen des § 9a Abs. 2, nicht aber bei denen des § 9b Abs. 1 (s. 13. Aufl., § 9a Rz. 9) möglich ist, erst nach der Eintragung begangen, so beginnt die Verjährung nach § 9b Abs. 2 mit ihrer Vornahme. Auf den Zeitpunkt des Schadenseintritts kommt es dagegen nicht an39. Dies bedeutet für den Fall, dass der Schaden erst durch eine Rückzahlung nach Registereintragung eintritt, dass die schädigende Handlung in der durch die Registereintragung bewirkten Falschangabe liegt und die Verjährung mit der Eintragung in das Handelsregister beginnt40. Ebenso wenig ist erheblich, ob die für die Entscheidung über die Geltendmachung des Ersatzanspruches zuständigen Personen (s. 13. Aufl., § 9a Rz. 4) von den ihn begründenden Umständen Kenntnis hatten. Die Hemmung und Unterbrechung der Verjährung bestimmt sich nach den allgemeinen 18 Vorschriften des BGB (§§ 203 ff. BGB). Der Verjährungsablauf ist aber bei einem Forderungserlass nicht bis zum Eintritt der Unwirksamkeitsbedingung des § 9b Abs. 1 Satz 1 (Rz. 10) gehemmt. Ebenso kann ein Vergleich über die Ersatzforderung, soweit er nach der zitierten Bestimmung rechtsunwirksam ist, die Verjährung weder unterbrechen noch hemmen41. Auch das Fehlen eines gesetzlichen Vertreters der GmbH ist kein Hemmungsgrund, da eine entsprechende Anwendung des § 206 BGB auf juristische Personen nicht möglich ist. Ebensowenig tritt eine Hemmung deswegen ein, weil der Ersatzpflichtige während dieser Zeit weiter Geschäftsführer war; seiner Verjährungseinrede steht in der Regel auch nicht der Einwand von Treu und Glauben entgegen42. Die Vorschrift des § 9b Abs. 2 ist zwingend (s. Rz. 1). Die Verjährung kann also nicht ver- 19 traglich verkürzt werden43. Für einen rechtskräftig festgestellten Ersatzanspruch aus § 9a gilt die dreißigjährige Ver- 20 jährungsfrist (§ 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB). Dasselbe gilt, wenn über ihn ein nach Abs. 1 wirksamer gerichtlicher Vergleich abgeschlossen worden ist (§ 197 Abs. 1 Nr. 4 BGB). Bei einem außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens geschlossenen Vergleichs bestimmt sich die Verjährung dagegen nach § 9b Abs. 244; ihr Neubeginn folgt aus § 212 Abs. 1 BGB45.

39 OLG Brandenburg v. 28.12.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 479; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25. 40 OLG Brandenburg v. 28.12.2017 – 6 U 87/15, GmbHR 2018, 474, 479. 41 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 27. 42 BGH v. 29.6.1961 – II ZR 39/60, GmbHR 1961, 145. 43 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Servatius, in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4; Altmeppen, Rz. 8; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 28. 44 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 14; Tebben in Michalski u.a., Rz. 15; wohl auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; unklar Altmeppen, Rz. 7. 45 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26.

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§ 9c Ablehnung der Eintragung (13. Auflage 2022) (1) Ist die Gesellschaft nicht ordnungsgemäß errichtet und angemeldet, so hat das Gericht die Eintragung abzulehnen. Dies gilt auch, wenn Sacheinlagen nicht unwesentlich überbewertet worden sind. (2) Wegen einer mangelhaften, fehlenden oder nichtigen Bestimmung des Gesellschaftsvertrages darf das Gericht die Eintragung nach Absatz 1 nur ablehnen, soweit diese Bestimmung, ihr Fehlen oder ihre Nichtigkeit 1. Tatsachen oder Rechtsverhältnisse betrifft, die nach § 3 Abs. 1 oder aufgrund anderer zwingender gesetzlicher Vorschriften in dem Gesellschaftsvertrag bestimmt sein müssen oder die in das Handelsregister einzutragen oder von dem Gericht bekanntzumachen sind, 2. Vorschriften verletzt, die ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger der Gesellschaft oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind, oder 3. die Nichtigkeit des Gesellschaftsvertrages zur Folge hat. Eingefügt durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 2 angefügt durch Gesetz vom 22.6.1998 (BGBl. I 1998, 1474); Abs. 1 Satz 2 geändert durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). I. 1. 2. II. 1. 2.

Grundlagen Regelungsinhalt und -zweck . . . . . . . . . . . 1 Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Prüfungspflicht des Registergerichts Rechtsgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4 Inhalt und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 a) Gegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 b) Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 3. Einzelne Prüfungsgegenstände a) Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 b) Gesellschaftsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . 16 c) Geschäftsführerbestellung . . . . . . . . . . 24

d) e) f) g)

Aufsichtsratsbestellung . . . . . . . . . . . . Einlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bewertung der Sacheinlagen . . . . . . . . Genehmigungsbedürftigkeit des Unternehmensgegenstandes . . . . . . . . h) Wirtschaftliche und finanzielle Unternehmensgrundlagen . . . . . . . . . . . . . . III. Entscheidungen des Registergerichts 1. Beanstandungen der Anmeldung . . . . . . 2. Ablehnung der Eintragung . . . . . . . . . . . 3. Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27 28 32 35 36 37 39 41

Schrifttum: Ammon, Die Prüfungsbefugnis des Registergerichts bei GmbH-Anmeldungen – besteht Reformbedarf?, DStR 1995, 1311; Baur, Zur Beschränkung der Entscheidungsbefugnis des Registerrichters durch einstweilige Verfügung, ZGR 1972, 421; Bormann/Appelbaum, Handelsregister und GmbHGründung als „Best Practice“ im Vergleich zum anglo-amerikanischen Rechtskreis, ZIP 2007, 946; Braasch, Gründungsprobleme bei der GmbH. Eine Untersuchung über die Prüfungspraxis beim Registergericht Hamburg, 1975; Buschmann, Die Kontrollmöglichkeiten des Registerrichters bei der Eintragung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung, DRiZ 1974, 90; Gustavus, Handelsregisteranmeldungen, 11. Aufl. 2022; Heckschen, Die GmbH-Gründung 10 Jahre nach MoMiG – eine Bestandsaufnahme, GmbHR 2018, 1093; Heinemann, Die Reform der freiwilligen Gerichtsbarkeit durch das FamFG und ihre Auswirkungen auf die notarielle Praxis, DNotZ 2009, 6; Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, 2004; Holzer, Die inhaltliche Kontrolle des Gesellschaftsvertrages der GmbH – Ein Beitrag zu Prüfungsrecht und Prüfungspflicht des Registergerichts, WiB 1997, 290; Keilbach, Die Prüfungsaufgaben der Registergerichte, MittRhNotK 2000, 365; Klepsch, Prüfungsrecht und Prüfungspflicht der Registergerichte, 2002; Lappe, Änderungen des Registerrechts der GmbH, GmbHR 1970, 9; Menold, Das materielle Prüfungsrecht des Handelsregisterrichters, 1966; Müller, Zur Prüfungspflicht des Handelsregisterrichters und -rechtspflegers, Rpfleger 1970, 375; Nüther, Prüfungspflichten des Registergerichts im elektronischen Handelsregister, Rpfleger 2008, 233; Rawert, Prüfungspflichten des Registerrichters nach dem Entwurf des Handelsrechtsreformgesetzes, in Hommelhoff/Röhricht, RWS-

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Ablehnung der Eintragung | Rz. 2 § 9c Forum 10, Gesellschaftsrecht 1997, 1998, S. 81; von Rössing, Die Sachgründung nach der GmbH-Novelle 1980, 1984; Rühl, Rechtstatsachen zur Sachgründung im GmbH-Recht, 1987; Schäfer-Gölz, Die Lehre vom Vorbelastungsverbot und die Differenzhaftung der Gründer, 1983; Spiegelberger/Walz, Die Prüfung der Kapitalaufbringung im Rahmen der GmbH-Gründung, GmbHR 1998, 761; Stumpf, Das Handelsregister nach der HGB-Reform, BB 1998, 2380; Trölitzsch, Differenzhaftung für Sacheinlagen in Kapitalgesellschaften, 1998; Ulbert, Die GmbH im Handelsregisterverfahren, 1997; Ullrich, Registergerichtliche Inhaltskontrolle von Gesellschaftsverträgen und Satzungsänderungsbeschlüssen. Eintragungsverfahren gemäß § 9c Abs. 2 GmbHG, 2006.

I. Grundlagen 1. Regelungsinhalt und -zweck Die durch die GmbH-Novelle 1980 eingefügte Vorschrift bestimmt die Voraussetzungen, un- 1 ter denen das Registergericht die Eintragung der Gesellschaft abzulehnen hat. Ablehnungsgründe sind danach die nicht ordnungsgemäße Errichtung und Anmeldung (§ 9c Abs. 1 Satz 1). Konkretisierend bestimmt das Gesetz zusätzlich, dass dies auch bei einer nicht unwesentlichen Überbewertung von Sacheinlagen gilt (§ 9c Abs. 1 Satz 2). Die Regelung soll sicherstellen, dass nur solche Gesellschaften als GmbH zur Entstehung gelangen (§ 11 Abs. 1), die die zwingenden gesetzlichen Gründungsvoraussetzungen erfüllen. Die Prüfungspflicht des Registergerichts ist zwar im Gesetz nicht ausdrücklich erwähnt. Sie ergibt sich aber zwangsläufig aus § 9c (Rz. 4)1. Die Einführung einer obligatorischen Gründungsprüfung durch sachverständige Gründungsprüfer, wie sie § 5d RegE für bestimmte Sachgründungen vorgesehen hatte, lehnte der Gesetzgeber im Hinblick auf die sonstigen Sicherungen letztlich als zu weitgehend ab2. Das Registergericht kann aber im Rahmen seiner allgemeinen Prüfungspflicht sachverständige Prüfer hinzuziehen, wenn dies ihm nötig erscheint (Rz. 14, 34). Die Vorschrift des Abs. 2 ist durch das HRefG vom 22.6.1998 (BGBl. I 1998, 1474) eingefügt 2 worden. Der Gesetzgeber wollte durch sie die inhaltliche Prüfung des Gesellschaftsvertrages einschränken (s. Rz. 19 ff.) und das Eintragungsverfahren vereinfachen sowie beschleunigen3. Sie ist am 1.7.1998 in Kraft getreten (Art. 29 Abs. 4 HRefG). Schließlich hat das MoMiG in § 9c Abs. 1 Satz 2 die Wörter „nicht unwesentlich“ eingefügt. Damit hat es die Werthaltigkeitskontrolle des Registergerichts bei Sacheinlagen an die Rechtslage bei der AG (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 2 AktG) angepasst. Der Gesetzgeber wollte einen „inhaltlich nicht begründbaren Widerspruch zwischen AktG und GmbHG“ beseitigen und die Eintragung einer Gesellschaft beschleunigen. Dazu sah er sich auch wegen einer höchst unterschiedlichen Registergerichtspraxis veranlasst4. Die Änderungen durch das MoMiG traten zum 1.11.2008 in Kraft. Seitdem wurde die Vorschrift nicht mehr geändert. Der Rechtsrahmen der Gründung hat seitdem aber grundlegende Änderungen erfahren. Den Startschuss für die Digitalisierung des Verfahrens erfolgte am 1.1.2007 mit dem EHUG. Seitdem wird das Handelsregister ausschließlich elektronisch geführt. Anmeldungen zur Eintragung in das Handelsregister sind elektronisch in öffentlich beglaubigter Form einzureichen (§ 12 Abs. 1 Satz 1 HGB). Dokumente sind ebenfalls elektronisch einzureichen (§ 12 Abs. 2 Satz 1 HGB). Das DiRUG vom 5.7.2021 hat schließlich die Online-Gründung von GmbH ermöglicht (vgl. § 2 Abs. 3) und bestimmt, dass für die Anmeldung die öffentliche Beglaubigung mittels Videokommunikation gemäß § 40a BeurkG zulässig ist (§ 12 Abs. 1 Satz 2 HGB). Der Gesetzgeber hat zwar den

1 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 72; BayObLG v. 5.11.1982 – BReg 3 Z 92/82, BB 1983, 83. 2 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 70. 3 Vgl. Begr. RegE, BT-Drucks. 340/97, S. 77 f. 4 Vgl. Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 36.

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§ 9c Rz. 2 | Ablehnung der Eintragung Wortlaut des § 9c unverändert gelassen. Dennoch sind die Neuregelungen auch für das Registergericht bei der Prüfung relevant (s. Rz. 5 und Rz. 16).

2. Anwendungsbereich 3 Die Vorschrift des § 9c betrifft die Gründung einer GmbH. Sie gilt auch für die Verschmel-

zung und Spaltung eines Rechtsträgers auf eine neu zu gründende GmbH (§ 36 Abs. 2 Satz 1, § 135 Abs. 2 Satz 1 UmwG) und für den Formwechsel eines Rechtsträgers anderer Rechtsform in eine GmbH (§ 197 Satz 1 UmwG). Die entsprechende Anwendung des § 9c Abs. 1 ist ferner ausdrücklich für die ordentliche Kapitalerhöhung angeordnet (§ 57a). Die Eintragungskontrolle durch das Registergericht gemäß § 9c Abs. 1 Satz 1 gilt darüber hinaus für die Anmeldung anderer Satzungsänderungen entsprechend, soweit sie nicht durch Spezialvorschriften eingeschränkt ist5. Auch bei einer wirtschaftlichen Neugründung – durch Aktivierung einer Vorratsgesellschaft oder eines Mantels – ist § 9c entsprechend anwendbar (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 189, 191, 195).

II. Prüfungspflicht des Registergerichts 1. Rechtsgrundlage 4 Die Prüfungspflicht des Registergerichts ist im GmbHG nicht ausdrücklich bestimmt. Sie

folgt aber implizit aus § 9c Abs. 1 Satz 1, wonach das Gericht die Eintragung einer nicht ordnungsgemäß errichteten und angemeldeten Gesellschaft abzulehnen hat. Der Sinn der Bestimmung, eine GmbH nach Maßgabe des geltenden Normativsystems durch die konstitutive Eintragung in das Handelsregister nur dann entstehen zu lassen, wenn sie die vorgeschriebenen rechtlichen Anforderungen erfüllt (Rz. 1), setzt notwendigerweise deren registergerichtliche Prüfung voraus. Die Erforderlichkeit dieser Kontrolle ergibt sich ferner aus den für die Gründungsgesellschafter und für Dritte einschneidenden Rechtswirkungen der Eintragung, die die Geltendmachung von Gründungsmängeln weitgehend ausschließt (s. 13. Aufl., § 10 Rz. 21 ff.)6. Die Prüfungspflicht ist dagegen nicht aus dem Grundsatz der Amtsermittlung (§ 26 FamFG) abzuleiten, der für das Eintragungsverfahren gilt (Rz. 13), aber nicht den prüfungspflichtigen Tatbestand regelt7.

2. Inhalt und Umfang 5 Das Gericht hat, wie § 9c Abs. 1 Satz 1 indirekt festlegt (Rz. 4), die Ordnungsmäßigkeit der

Errichtung und der Anmeldung der Gesellschaft zu prüfen. Die Merkmale umschreiben Inhalt und Umfang der Pflicht und des Rechts zur Prüfung. Eine Differenzierung zwischen beiden ist wegen der gewollten Verknüpfung mit den Ablehnungsgründen8 nicht möglich9. Die 5 RG v. 21.6.1935 – II B 5/35, RGZ 148, 175, 187; KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, GmbHR 1997, 708, 709; BayObLG v. 29.10.1992 – 3Z BR 38/92, GmbHR 1993, 167, 168; OLG Hamm v. 18.12.1995 – 15 W 413/95, FGPrax 1996, 71, 72; OLG Naumburg v. 12.2.1997 – 10 Wx 1/97, GmbHR 1997, 1152, 1153; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 1; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3. 6 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. 7 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 3. 8 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 72. 9 Vgl. dazu Braasch, Gründungsprobleme, S. 24; Menold, Prüfungsrecht, S. 67 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. A.A. Altmeppen, Rz. 9; offen lassend BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/ 90, BGHZ 113, 335, 351.

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Ablehnung der Eintragung | Rz. 8 § 9c

Prüfung muss sich auf die Ordnungsmäßigkeit des Vorgangs erstrecken. Sie darf darüber nicht hinausgehen. Denn die Beteiligten haben grundsätzlich einen Anspruch auf unverzügliche Eintragung, wenn die Voraussetzungen hierfür vorliegen10. Entsprechendes gilt demgemäß auch für das Ermittlungsrecht, das nur in dem sachlich gebotenen Umfange ausgeübt und nicht nach dem Ermessen des Gerichts erweitert werden darf (Rz. 12 ff.). Erfolgt eine Online-Gründung gemäß § 2 Abs. 3, so hat sich die Prüfung des Registergerichts auch darauf zu erstrecken, ob die Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sind, d.h., dass (i) es sich ausschließlich um eine Bargründung handelt und (ii) die notarielle Beurkundung des Gesellschaftsvertrags mittels Videokommunikation gemäß §§ 16a–16e BeurkG erfolgt ist (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 191 ff.). Der Gesetzeswortlaut des § 9c Abs. 1 Satz 1 lehnt sich an das Aktienrecht (§ 38 Abs. 1 6 AktG) an. Die Vorschrift will die für das frühere Recht praeter legem entwickelte Prüfungspflicht des Registergerichts, die schon mit der analogen Anwendung der zitierten aktienrechtlichen Vorschrift begründet worden ist, anerkennen und bestätigen11. Zweifel über die Gegenstände und den Umfang der Prüfung klärt das Gesetz, abgesehen von den Fällen des Inhalts des Gesellschaftsvertrags (§ 9c Abs. 2) und der Überbewertung von Sacheinlagen (§ 9c Abs. 1 Satz 2), nicht. In beiden Beziehungen bedürfen die angeführten Voraussetzungen (Rz. 5) der Konkretisierung nach Maßgabe des Prüfungszwecks. a) Gegenstand Die Prüfung der Ordnungsmäßigkeit der Errichtung und Anmeldung erfordert, dass alle 7 formellen und materiellen gesetzlichen Eintragungsvoraussetzungen einzubeziehen sind (dazu näher Rz. 15 ff.)12. Unter „Errichtung“ ist nicht nur der Abschluss des Gesellschaftsvertrages zu verstehen, sondern der Gesetzesbegriff erfasst, wie die Abschnittsüberschrift des GmbHG zeigt, die Gesamtheit der zwingend vorgeschriebenen Gründungsvoraussetzungen einer GmbH, insbesondere auch die Bestellung der Geschäftsführer (§ 6) und die erforderlichen Einlageleistungen der Gesellschafter (§ 7 Abs. 2 und 3). Die Beschränkung der Prüfung auf die eintragungspflichtigen Umstände (§ 10) ist nach dem Sinn des Eintragungserfordernisses (Rz. 1) unzulässig13. Dem Registergericht steht auch kein Ermessen zur Bestimmung der Prüfungsgegenstände zu. Es darf seine Kontrolle einerseits nicht auf einzelne, z.B. erfahrungsgemäß besonders kritische Eintragungsvoraussetzungen beschränken und andererseits nicht auf Umstände ausdehnen, von denen rechtlich eine Eintragung nicht abhängt. Letzteres gilt vor allem für die wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen des Unternehmens der GmbH, die seiner Prüfungskompetenz nicht unterliegen (Rz. 36). b) Umfang Die Ordnungsmäßigkeit der Errichtung und der Anmeldung der Gesellschaft ist durch das 8 Registergericht nicht nur in formeller, sondern auch in materieller Hinsicht zu prüfen. Die im Grundsatz seit langem allgemein anerkannte14, in den Einzelheiten aber umstrittene ma10 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 352; KG v. 19.5.1998 – 1 W 5328/97, GmbHR 1998, 786, 787; OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, BB 1992, 1160; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2a. 11 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 72. 12 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 351; OLG Düsseldorf v. 3.12.1997 – 3 Wx 545/97, GmbHR 1998, 235, 236; Altmeppen, Rz. 3; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9, 11. 13 BayObLG v. 5.11.1982 – BReg 3 Z 92/82, BB 1983, 83. 14 Vgl. RG v. 24.3.1933 – II 398/32, RGZ 140, 174, 180; RG v. 21.6.1935 – II B 5/35, RGZ 148, 175; BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 351; KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, GmbHR 1997, 708; OLG Stuttgart v. 13.12.1966 – 8 W 141/66, GmbHR 1967, 232; BayObLG v. 9.12.1974 –

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§ 9c Rz. 8 | Ablehnung der Eintragung terielle Prüfungspflicht folgt aus dem Zweck des Eintragungserfordernisses. Eine Bestätigung findet sie in § 9c Abs. 1 Satz 2 und Abs. 215. Sie umfasst die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Gesellschaftserrichtung (Rz. 9 ff.) und der inhaltlichen Richtigkeit des für die Eintragung angemeldeten rechtserheblichen Sachverhalts (Rz. 12 f.). 9 Die materielle Rechtmäßigkeitskontrolle (Rz. 8) hat sich darauf zu beziehen, dass die zwin-

genden gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an die Gründung der GmbH eingehalten worden sind16, die notwendigen Gründungsakte nicht ganz oder teilweise wegen Verstoßes gegen andere (auch außergesellschaftsrechtliche) Vorschriften nichtig oder unwirksam sind und die Vor-GmbH, wovon mangels gegenteiliger Anhaltspunkte aber auszugehen ist, nicht aufgelöst ist. Das Registergericht hat sie umfassend vorzunehmen, soweit sich nicht aus Abs. 2 Einschränkungen ergeben (s. Rz. 2, 20 ff.)17. Es darf Gründungsmängel nicht deswegen unbeachtet lassen, weil sie durch Eintragung der Gesellschaft geheilt werden (s. 13. Aufl., § 10 Rz. 21 ff.) oder durch eine salvatorische Klausel des Gesellschaftsvertrages erfasst werden. Auch der Umstand, dass der Notar die zu beurkundenden Erklärungen der Gründungsgesellschafter (§ 2 Abs. 1) auf ihre Rechtswirksamkeit zu prüfen und bestehende Zweifel in der Niederschrift zu vermerken hat (§ 17 Abs. 2 BeurkG), ändert an der Prüfungspflicht des Registergerichts nichts18. 10 Die Kontrolle der Satzungsregelungen auf inhaltliche Klarheit gehört dagegen grundsätzlich

nicht zu den Aufgaben des Registergerichts (§ 9 Abs. 2)19. Es ist unerheblich, ob die Bestimmungen lediglich das interne Gesellschaftsverhältnis betreffen oder auch für außenstehende Dritte bedeutsam sind20. Eine Ausnahme ist nur bei solchen Unklarheiten gerechtfertigt, die zugleich eine naheliegende Gefahr der Irreführung über die für Außenstehende wichtigen Umstände der Gesellschaft begründen21. 11 Eine Zweckmäßigkeitskontrolle der Gründungsakte, die nicht nur die Satzungsautonomie

der Gesellschafter unzulässig beeinträchtigen, sondern auch in den grundgesetzlich geschütz-

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BReg 2 Z 57/74, BayObLGZ 1974, 479; BayObLG v. 5.10.1978 – BReg 1 Z 104/78, BayObLGZ 1978, 282; BayObLG v. 10.12.1981 – BReg 1 Z 184/81, GmbHR 1982, 210; BayObLG v. 5.11.1982 – BReg 3 Z 92/82, BB 1983, 83; BayObLG v. 8.2.1985 – BReg 3 Z 12/85, BB 1985, 545, 546; BayObLG v. 19.9.1991 – BReg 3 Z 97/91, BB 1991, 2103, 2104; OLG Köln v. 1.7.1981 – 2 Wx 31/81, GmbHR 1982, 187; OLG Hamburg v. 4.4.1984 – 2 W 25/80, BB 1984, 1763; OLG Düsseldorf v. 3.12.1997 – 3 Wx 545/97, GmbHR 1998, 235, 236. Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9, 11. OLG Stuttgart v. 13.12.1966 – 8 W 141/66, GmbHR 1967, 232; BayObLG v. 5.11.1982 – BReg 3 Z 92/82, BB 1983, 83; BayObLG v. 8.2.1985 – BReg 3 Z 12/85, BB 1985, 545, 546; BayObLG v. 19.9.1991 – BReg 3 Z 97/91, BB 1991, 2103, 2104; OLG Köln v. 1.7.1981 – 2 Wx 31/81, GmbHR 1982, 187; OLG Köln v. 12.5.1997 – 2 Wx 57/96, GmbHR 1997, 945; OLG Hamburg v. 4.4.1984 – 2 W 25/80, BB 1984, 1763 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9, 11; vgl. auch BayObLG v. 9.12.1974 – BReg 2 Z 57/74, BB 1975, 249, 250. Kritisch zu diesen durch das HRefG eingefügten Einschränkungen Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 13. OLG Köln v. 1.7.1981 – 2 Wx 31/81, GmbHR 1982, 187; BayObLG v. 5.7.1971 – BReg 2 Z 93/70, BayObLGZ 1971, 242, 245; BayObLG v. 8.2.1985 – BReg 3 Z 12/85, BB 1985, 545, 546; BayObLG v. 29.10.1992 – 3Z BR 38/92, GmbHR 1993, 167, 168; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12. Für den zuletzt genannten Fall a.A. BayObLG v. 5.7.1971 – BReg 2 Z 93/70, BayObLGZ 1971, 242, 245; BayObLG v. 8.2.1985 – BReg 3 Z 12/85, BB 1985, 545, 546; BayObLG v. 29.10.1992 – 3Z BR 38/92, GmbHR 1993, 167, 168. Vgl. BayObLG v. 5.7.1971 – BReg 2 Z 93/70, BayObLGZ 1971, 242, 245; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12.

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ten Kernbereich der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) eingreifen würde22, ist ausgeschlossen23. Der Registerrichter darf also eine Anmeldung nicht deshalb zurückweisen oder beanstanden, weil er eine rechtswirksame Satzungsbestimmung für unzweckmäßig oder bedenklich hält24 oder weil sie nach seiner Ansicht einen möglichen Konflikt nicht interessegerecht25 oder unvollständig regelt. Er darf auch nicht die redaktionelle oder sprachliche Fassung des Gesellschaftsvertrages oder die wörtliche oder sinngemäße Wiedergabe von Gesetzesvorschriften beanstanden. Er handelt pflichtwidrig, wenn er durch unangebrachte Ratschläge oder Belehrungen in diesen Bereichen die Eintragung der Gesellschaft verzögert. Die Prüfungspflicht bezieht sich ferner auf die inhaltliche Richtigkeit des angemeldeten 12 entscheidungserheblichen Sachverhalts (Rz. 8). Auch insoweit hängt sie nicht von zusätzlichen Voraussetzungen, z.B. einem besonderen Anlass zu Zweifeln oder Bedenken26 ab, sondern gilt uneingeschränkt für alle Anmeldungen27. Die Prüfung ist anhand der beigefügten Anmeldeunterlagen (§ 8) vorzunehmen28. Das Gericht kann in zweifelhaften Fällen außerdem die berufsständischen Organe anhören, soweit dies zur Vornahme der gesetzlich vorgeschriebenen Eintragungen sowie zur Vermeidung unwichtiger Eintragungen in das Register erforderlich ist (§ 380 Abs. 2 FamFG). In der Praxis wird allerdings nicht nur in Zweifelsfällen, sondern regelmäßig Gutachten der Industrie- und Handelskammer bezüglich der firmenrechtlichen Zulässigkeit eingeholt29. Die volle Überzeugung oder die Gewissheit über das Vorliegen der maßgeblichen Tatsachen brauchen die Unterlagen dem Registergericht nicht zu verschaffen30. Es ist vielmehr, wie die Entstehungsgeschichte der Vorschrift31 und die gesetzlichen Anforderungen an die Anmeldeunterlagen (§ 8) bestätigen, lediglich erforderlich, dass die Prüfung keine sachlich berechtigten Zweifel an der Richtigkeit der Anmeldung ergibt32. Eine Pflicht des Registergerichts zu weiteren Sachverhaltsermittlungen (§ 26 FamFG) be- 13 steht deshalb nur, wenn und soweit nach den Umständen des Einzelfalls derartige Zweifel gegeben sind, weil die eingereichten Anmeldeunterlagen unklar, widersprüchlich oder inhalt-

22 BayObLG v. 5.11.1982 – BReg 3 Z 92/82, BayObLGZ 1982, 368, 373; BayObLG v. 8.2.1985 – BReg 3 Z 12/85, BB 1985, 545, 546; BayObLG v. 29.10.1992 – 3 Z BR 38/92, GmbHR 1993, 167, 168. 23 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 24 OLG Stuttgart v. 13.12.1966 – 8 W 141/66, GmbHR 1967, 232; BayObLG v. 9.12.1974 – BReg 2 Z 57/ 74, BayObLGZ 1974, 479, 483; BayObLG v. 5.11.1982 – BReg 3 Z 92/82, BB 1983, 83, 84; BayObLG v. 8.2.1985 – BReg 3 Z 12/85, BB 1985, 545, 546; BayObLG v. 29.10.1992 – 3Z BR 38/92, GmbHR 1993, 167, 168; OLG Köln v. 1.7.1981 – 2 Wx 31/81, GmbHR 1982, 187; OLG Karlsruhe v. 8.1.1993 – 4 W 28/92, GmbHR 1993, 101, 102; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 25 BayObLG v. 5.11.1982 – BReg 3 Z 92/82, BB 1983, 83, 84; BayObLG v. 8.2.1985 – BReg 3 Z 12/85, BB 1985, 545, 546; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 26 So RG v. 24.3.1933 – II 398/32, RGZ 140, 174, 181; OLG Hamburg v. 4.4.1984 – 2 W 25/80, BB 1984, 1763 f.; Altmeppen, Rz. 9. 27 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 12; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 13. 28 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 352; OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/ 95, GmbHR 1996, 214, 216; OLG Düsseldorf v. 3.12.1997 – 3 Wx 545/97, GmbHR 1998, 235, 236; KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, GmbHR 1997, 708, 709; KG v. 19.5.1998 – 1 W 5328/97, GmbHR 1998, 786, 787; s. auch schon RG v. 24.3.1933 – II 398/32, RGZ 140, 174, 181. 29 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11. 30 A.A. die ältere Lit.; vgl. Baums, StuW 1980, 299; Braasch, Gründungsprobleme, S. 4 ff., 20 ff., 78; Menold, Das materielle Prüfungsrecht, S. 68, 90 ff.; Groß, Rpfleger 1976, 237. 31 Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 72. 32 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 352; BayObLG v. 10.12.1981 – BReg 1 Z 184/81, GmbHR 1982, 210, 211; OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 216; KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, GmbHR 1997, 708, 709; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2a; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13.

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§ 9c Rz. 13 | Ablehnung der Eintragung lich für die zu belegende Tatsache (z.B. den Einlagewert einer Sacheinlage) unzureichend oder wenn konkrete Anhaltspunkte für mögliche Unrichtigkeiten oder Unvollständigkeiten des angemeldeten Sachverhalts vorhanden sind. Die Ermittlungspflicht darf nicht überspannt werden. Ganz entfernt liegende Bedenken genügen nicht; vielmehr müssen begründete Zweifel gegeben sein33. Es besteht auch kein Ermessen des Registergerichts, ohne Rücksicht auf das Vorliegen der genannten Voraussetzung weitere Ermittlungen vorzunehmen34. Nach der Entstehungsgeschichte der GmbH-Novelle 1980 widerspräche es insbesondere den Intentionen des Gesetzes, beim Fehlen eines konkreten Anlasses zum Zweifel an der Richtigkeit der Anmeldung für die den Gegenstand der Versicherungen nach § 8 Abs. 2 und 3 bildenden Umstände die Vorlage von Nachweisen (z.B. Zahlungsbelegen oder Bankbestätigungen) zu verlangen oder eine Gründungsprüfung anzuordnen35. 14 Über die Mittel zur weiteren Sachverhaltsaufklärung entscheidet das Registergericht nach

pflichtgemäßem Ermessen. Es hat von mehreren geeigneten Maßnahmen nach dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz möglichst diejenige zu wählen, die voraussichtlich unnötige Verfahrensverzögerungen oder Kostenbelastungen der Beteiligten vermeidet36. Es kann von der Gesellschaft auf Grund ihrer Mitwirkungspflicht zusätzliche Aufklärungen über den Sachverhalt und die Vorlage geeigneter Nachweise verlangen, aber auch die erforderlichen Ermittlungen selbst vornehmen. Vor allem wenn Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Sacheinlagen nicht unwesentlich überbewertet sind (§ 9c Abs. 1 Satz 2), kann es geboten sein, einen Sachverständigen hinzuzuziehen oder, wenn das den Umständen nach erforderlich erscheint, eine umfassendere Gründungsprüfung durch sachverständige Prüfer anzuordnen37. Die Feststellungslast bei nicht aufklärbaren Sachverhalten trägt die Antragstellerin38.

3. Einzelne Prüfungsgegenstände a) Anmeldung 15 Das Registergericht hat die Anmeldung darauf zu prüfen, ob seine örtliche Zuständigkeit

für die Eintragung (Amtsgericht des statutarischen Sitzes) gegeben ist, die erforderliche Form (§ 12 HGB) gewahrt ist, sämtliche Geschäftsführer einschließlich der Stellvertreter persönlich angemeldet haben (§ 78), diese ausreichend legitimiert und nicht amtsunfähig (§ 6 Abs. 2) sind, die vorgeschriebenen Unterlagen (§ 8 Abs. 1) beigefügt sind und sie sowie 33 Vgl. KG v. 11.2.1997 – 1 W 3412/96, GmbHR 1997, 708, 710; KG v. 19.5.1998 – 1 W 5328/97, GmbHR 1998, 786, 787; OLG Hamburg v. 4.4.1984 – 2 W 25/80, BB 1984, 1763 f.; BayObLG v. 18.2.1988 – BReg 3 Z 154/87, GmbHR 1988, 269; BayObLG v. 14.10.1993 – 3Z BR 191/93, GmbHR 1994, 116, 117; OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531, 532; OLG Hamm v. 1.12.1992 – 15 W 275/92, GmbHR 1993, 95, 96; OLG Düsseldorf v. 31.7.1996 – 3 Wx 293/96, GmbHR 1997, 70, 71; OLG Düsseldorf v. 3.12.1997 – 3 Wx 545/97, GmbHR 1998, 235, 236; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3; Priester, DNotZ 1980, 515, 523. 34 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; Groß, Rpfleger 1976, 237; a.A. Altmeppen, Rz. 9. 35 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 70, 71, 72; BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 352; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2a; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 3 f.; Spindler, ZGR 1997, 537, 541 f. 36 Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14. 37 Vgl. Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8/3908, S. 72; BayObLG v. 2.11.1994 – 3Z BR 276/ 94, GmbHR 1995, 52, 53; Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Priester, DNotZ 1980, 515, 523; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16. 38 KG v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, GmbHR 1997, 412; BayObLG v. 13.10.1978 – BReg 1 Z 111/78, BayObLGZ 1978, 319, 323; Menold, Das materielle Prüfungsrecht, S. 110 ff.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14.

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Ablehnung der Eintragung | Rz. 16 § 9c

der Eintragungsantrag auch im Übrigen den formellen und inhaltlichen Anforderungen des Gesetzes genügen. Nachträgliche Änderungen in den Personen der Geschäftsführer oder ihrer Vertretungsbefugnis sind unter Beifügung der entsprechenden Urkunden anmeldepflichtig (§ 39 Abs. 1 und 2). Das Gericht prüft, ob die angegebene inländische Geschäftsanschrift eine zustellfähige Anschrift darstellt39. Die Anmeldung neuer Geschäftsführer muss die Angabe über ihre Vertretungsbefugnis enthalten (§ 8 Abs. 4); sie müssen die Versicherung über das Nichtvorhandensein von Ausschlussgründen abgeben (§ 8 Abs. 3), nicht aber die Versicherung über die vorher bewirkten Einlageleistungen (§ 8 Abs. 2) wiederholen (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 25). Wenn eine Person, die für Willenserklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft empfangsberechtigt ist, mit einer inländischen Anschrift zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet wird, sind auch diese Angaben zu prüfen. Auch jede nachträgliche Änderung im Gesellschafterbestand ist unter Vorlage des Gesellschaftsvertrags mitzuteilen40. Eine Mitteilungspflicht gegenüber dem Registergericht über sonstige nachträgliche Änderungen besteht dagegen nicht41, wohl aber muss eine unrichtige oder unvollständige Anmeldung berichtigt oder eine rechtserhebliche Änderung auf die Anfrage des Gerichts angegeben werden42. b) Gesellschaftsvertrag aa) Das rechtswirksame Zustandekommen des Gesellschaftsvertrages ist zu prüfen. Die Re- 16 gelung des § 9c Abs. 2 betrifft nur die Inhaltskontrolle des Vertrages (s. Rz. 19 ff.), schränkt aber im Übrigen die Prüfungspflicht nicht ein43. Es ist demgemäß festzustellen, ob die allgemeinen Voraussetzungen des Vertragsabschlusses (§§ 145 ff. BGB) erfüllt sind, die vorgeschriebene notarielle Form (§ 2 Abs. 1 Satz 1) ordnungsgemäß eingehalten ist und sämtliche Gesellschafter den Vertrag unterzeichnet haben (§ 2 Abs. 1 Satz 2). Das Registergericht prüft, ob die nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 bei der Anmeldung eingereichte Gesellschafterliste ordnungsgemäß ist, d.h. ob die Liste den Vorgaben des § 40 entspricht44. Die Prüfung hat sich auch auf die mit qualifizierten elektronischen Signaturen der Anmeldenden zu erstrecken. Es sind die Beteiligungserklärungen der Gesellschafter auf ihre formelle und materielle Ordnungsmäßigkeit zu prüfen45, z.B. die Beteiligungsfähigkeit ausländischer Gesellschaften (Rechtsfähigkeit)46, die ordnungsgemäße Vertretung eines Gesellschafters beim Vertragsabschluss und die hinreichende Legitimation des Vertreters (§ 2 Abs. 2, § 8 Abs. 1 Nr. 1), das Vorliegen notwendiger Genehmigungen des Familiengerichts (§ 1822 Nr. 3, 10 BGB) oder Zustimmungserklärungen des Ehegatten (§§ 1365, 1423 BGB) und Hinweise auf vorhandene Erklärungsmängel. Die Anfechtung der Beteiligungserklärung eines Gesellschafters hat das Registergericht zu berücksichtigen (§ 142 Abs. 1 BGB); es kann das Eintragungsverfahren erforderlichenfalls nach §§ 21, 381 FamFG aussetzen (Rz. 38)47. Ausländerrechtliche Vorschriften hat das Registergericht nicht zu prüfen48.

39 KG v. 6.10.2021 – 22 W 6/21, GmbHR 2022, 153, 154. 40 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 18. 41 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30. A.A. Altmeppen, Rz. 17. 42 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30. 43 Begr. RegE, BR-Drucks. 340/97, S. 77 f.; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 30. 44 KG v. 26.8.2019 – 22 W 55/19, ZIP 2019, 2254, 2255. 45 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 24 f. 46 LG Saarbrücken v. 24.7.1990 – 7 T 10/90 IV, GmbHR 1991, 581, 582; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25. 47 Tebben in Michalski u.a., Rz. 11; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16. 48 Sehr streitig; näher 13. Aufl., § 2 Rz. 47.

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§ 9c Rz. 17 | Ablehnung der Eintragung 17 Mängel des Gesellschaftsvertrages sind nicht deswegen unbeachtlich, weil die Vorgesellschaft

bereits in Vollzug gesetzt worden war (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 86 f.) oder weil eine Eintragung der Gesellschaft sie heilt oder ihre Rechtsfolge verändert (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 89 ff.). Anders liegt es bei Vertragsmängeln, die vor der Eintragung entweder durch die Gesellschafter beseitigt oder sonst gegenstandslos werden. Das trifft bei bedingten oder befristeten Beitrittserklärungen zu, wenn sich die Beschränkung, was nachzuweisen ist, bis zur Eintragung durch Verzicht oder aus tatsächlichen Gründen erledigt hat49. 18 Nachträgliche Änderungen des Gesellschaftsvertrages sind vom Registergericht nur zu be-

achten, wenn die erforderlichen Urkunden (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 6) durch die Geschäftsführer eingereicht werden. Diese sind, sofern insoweit keine Eintragungshindernisse bestehen, der Gesellschaft, nicht aber dem Gericht gegenüber zur Einreichung verpflichtet50. 19 bb) Die Inhaltskontrolle des Gesellschaftsvertrages regelt § 9c Abs. 2 abschließend51. Die

Eintragung der Gesellschaft darf danach wegen einer mangelhaften, fehlenden oder nichtigen Satzungsbestimmung nur abgelehnt werden, wenn einer der in den Nr. 1 bis 3 des § 9c Abs. 2 festgelegten Tatbestände erfüllt ist (Rz. 20 ff.). Das Registergericht ist diesbezüglich zur inhaltlichen Prüfung des Gesellschaftsvertrages verpflichtet. Es darf weitergehende Beanstandungen wegen Inhaltsmängel nicht vornehmen (Rz. 5). Im Einzelnen gilt Folgendes: 20 Die Prüfungspflicht bezieht sich als erstes auf das Fehlen und den Inhalt von Satzungs-

bestimmungen über Tatsachen oder Rechtsverhältnisse, die nach § 3 Abs. 1 oder aufgrund anderer zwingender gesetzlicher Vorschriften im Gesellschaftsvertrag festgesetzt sein müssen oder die in das Handelsregister einzutragen oder vom Gericht bekanntzumachen sind (§ 9c Abs. 2 Nr. 1). Es ist also zu untersuchen, ob der Gesellschaftsvertrag den zwingenden Mindestinhalt aufweist (§ 3 Abs. 1) und ob dieser den gesetzlichen Anforderungen genügt, insbesondere die gewählte Firma (§ 4 GmbHG, §§ 18, 30 HGB) sowie der bestimmte Gesellschaftssitz (§ 4a) zulässig sind, der Unternehmensgegenstand nicht gesetzes- oder sittenwidrig und ausreichend individualisiert ist (s. dazu 13. Aufl., § 3 Rz. 18 ff.), das Stammkapital ordnungsgemäß festgesetzt ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 1) und die Vereinbarungen über die Geschäftsanteile dem Gesetz entsprechen (§ 3 Abs. 1 Nr. 4, § 5 Abs. 1 bis 3). Die Eignung von Firmenbestandteilen zur Irreführung über geschäftliche Verhältnisse ist in einem registergerichtlichen Verfahren nur zu berücksichtigen, wenn sie „ersichtlich“ ist (§ 18 Abs. 2 Satz 2 HGB), d.h. ohne weitere Nachforschungen aus der Angabe hervorgeht. Der Prüfung unterliegt auch, ob der Gesellschaftsvertrag die erforderlichen Festsetzungen zur Übernahme des Gründungsaufwands (analog § 26 Abs. 2 AktG) und über Sacheinlagevereinbarungen der Gesellschafter enthält (§ 5 Abs. 4 Satz 1)52, der Einlagegegenstand geeignet (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 37 ff.) und die Vereinbarung nicht aus anderen Gründen unwirksam ist (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 93 ff.; zur sog. Überbewertung von Sacheinlagen vgl. Rz. 32 ff.). Bestehen Gründe für die Annahme, dass die Sachgründungsvorschriften umgangen werden (zur verdeckten Sachgründung s. 13. Aufl., § 19 Rz. 119 und zum sog. Hin- und Herzahlen 13. Aufl., § 19 Rz. 177)53, so muss das Registergericht dem nachgehen (Rz. 13 f.). Ebenfalls zu prüfen sind die nach § 10 einzutragenden Satzungsbestimmungen über die Vertretungsbefugnis der Ge-

49 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16. A.A. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25. 50 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19 f. 51 Begr. RegE, BR-Drucks. 340/97, S. 77 f. 52 Vgl. Rawert, S. 81, 89; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5a; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21. 53 BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 351 f.; OLG Köln v. 13.2.1996 – 3 U 98/95, GmbHR 1996, 682; Altmeppen, Rz. 6; vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5a.

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Ablehnung der Eintragung | Rz. 23 § 9c

schäftsführer (s. dazu noch Rz. 24 f.), über die Zeitdauer der Gesellschaft und über das genehmigte Kapital54 (s. 13. Aufl., § 10 Rz. 15)55. Die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages sind ferner daraufhin zu prüfen, ob sie Vor- 21 schriften verletzen, die „ausschließlich oder überwiegend zum Schutze der Gläubiger oder sonst im öffentlichen Interesse gegeben sind“ (§ 9c Abs. 2 Nr. 2). Ebenso wie in § 241 Nr. 3 AktG, dem die zitierte Formulierung entnommen ist56, meint das Gesetz mit dem Ausdruck „überwiegend“, dass die betreffende Vorschrift wesentliche Bedeutung für den Gläubigerschutz haben muss und dieser nicht nur untergeordnete Nebenwirkung sein darf. Gläubigerschutzvorschriften in diesem Sinne enthalten vor allem die Regelungen über die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals (§ 7, §§ 9 ff., § 16 Abs. 2, § 18 Abs. 2, § 19, § 22, § 24, §§ 30 ff.; s. auch Rz. 20). Eine Sittenwidrigkeit gemäß § 138 BGB wegen sittenwidriger Kapitalausstattung der Gesellschaft (s. auch Rz. 36) oder der unzulässigen Beschränkung des Einziehungsentgelts bei Pfändung und Insolvenz ist entsprechend den Vorstellungen des Gesetzgebers57 nicht zu prüfen58. Der Begriff des öffentlichen Interesses gemäß § 9c Abs. 2 Nr. 2 bezieht sich nicht nur auf 22 die Belange der Allgemeinheit, sondern ist nach seiner Herkunft und dem Regelungszusammenhang in einem weiteren Sinne zu verstehen59. Die Abgrenzung im Einzelnen ist zweifelhaft. Das öffentliche Interesse muss für die zwingende Anordnung der betreffenden Norm von maßgeblicher Bedeutung sein. Das trifft im Hinblick auf den möglichen Satzungsinhalt beispielsweise zu für einzelne Strafvorschriften (§ 82), für einschlägige zwingende öffentlichrechtliche Vorschriften, insbesondere § 1 GWB, für die meisten Vorschriften über die Rechnungslegung (§§ 41 ff. GmbHG, §§ 239 ff. HGB) und für wesentliche Vorschriften des MitbestG60. Auch die zwingenden Vorschriften des GmbHG sind grundsätzlich schwerpunktmäßig im öffentlichen Interesse gegeben, es sei denn, es handelt sich um solche, die ausschließlich die Rechte der Gesellschafter untereinander betreffen61. Schließlich hat das Registergericht zu untersuchen, ob das Fehlen oder die Nichtigkeit einer 23 einzelnen Satzungsbestimmung die Nichtigkeit des ganzen Gesellschaftsvertrages zur Folge hat (§ 9c Abs. 2 Nr. 3). Diese Rechtsfolge tritt ohne weiteres bei Fehlen oder Nichtigkeit einer nach § 3 Abs. 1 notwendigen Bestimmung ein62; in diesem Fall gilt zusätzlich § 9c Abs. 2

54 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22. 55 Die Vorschrift soll insoweit verhindern, dass das Registergericht an der Eintragung oder Veröffentlichung unrichtiger Tatsachen mitwirkt, vgl. Begr. RegE, BR-Drucks. 340/97, S. 78. 56 Begr. RegE, BR-Drucks. 340/97, S. 78. 57 Begr. RegE, BR-Drucks. 340/97, S. 78. 58 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24. A.A. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; Tebben in Michalski u.a., Rz. 19. 59 OLG München v. 1.7.2010 – 31 Wx 102/10, GmbHR 2010, 870; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54. 60 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 123/81, BGHZ 83, 106, 109 ff.; BGH v. 25.2.1982 – II ZR 145/80, BGHZ 83, 151, 152 f.; BGH v. 14.11.1983 – II ZR 33/83, BGHZ 89, 48, 50; OLG Karlsruhe v. 20.6.1980 – 15 U 171/79, AG 1981, 102, 103; OLG Hamburg v. 17.12.1982 – 11 U 21/82, WM 1983, 130, 132. A.A. Rawert, S. 81, 93. 61 OLG München v. 1.7.2010 – 31 Wx 102/10, GmbHR 2010, 870 (§ 48, § 51a, § 50 Abs. 1 und 2, § 61 Abs. 2, § 66 Abs. 2 und 3 nicht im öffentlichen Interesse); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Tebben in Michalski u.a., Rz. 20; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 25; anders noch 10. Aufl., § 9c Rz. 22. 62 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 3 Rz. 22.

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§ 9c Rz. 23 | Ablehnung der Eintragung Nr. 1 (s. Rz. 20). Bei Nichtigkeit sonstiger Vertragsbestimmungen ist die Auslegungsregel des § 139 BGB anwendbar63. c) Geschäftsführerbestellung 24 Die Bestellung der Geschäftsführer (§ 6 Abs. 3 Satz 2) ist durch das Registergericht auf ihre

Wirksamkeit zu prüfen. Es hat zu beachten, ob die gesetzlichen Eignungsvoraussetzungen (§ 6 Abs. 2 Satz 1 und 2) vorliegen, keine zwingenden Ausschlussgründe gegeben sind (§ 6 Abs. 2 und 3)64, die Bestellung im Gesellschaftsvertrag oder durch gesonderten Akt des zuständigen Organs nicht wegen anderer Mängel unwirksam ist und der Betreffende, was sich regelmäßig aus seiner Mitwirkung bei der Anmeldung ergibt (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 9), das Amt angenommen hat. Die Abweichung von statutarischen Eignungsvoraussetzungen ist nur zu beanstanden, wenn der Bestellungsbeschluss angefochten worden ist. 25 Die Prüfung hat grundsätzlich anhand der gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, 2 beizufügenden Unter-

lagen (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 6 ff.) und der gemäß § 8 Abs. 3 abzugebenden Versicherung der Geschäftsführer (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 22 ff.) zu erfolgen (zur Anmeldepflicht eines späteren Geschäftsführerwechsels s. Rz. 15). Sind die Unterlagen inhaltlich unzureichend oder bestehen begründete Zweifel an ihrer Richtigkeit, muss das Gericht weitere Ermittlungen anstellen65, z.B. zusätzliche Aufklärung verlangen oder eine Auskunft aus dem Zentralregister einholen (Rz. 12 ff.). Der ausländerrechtliche Status der Geschäftsführer ist grundsätzlich nicht in die Prüfung einzubeziehen, es sei denn, dass im Einzelfall Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass bei der Amtsausübung ausländerrechtliche Vorschriften umgangen werden sollen66. Die meisten Instanzgerichte vertraten außerdem vor dem MoMiG die Ansicht, dass dem Geschäftsführer die jederzeitige Einreise möglich sein müsse67. Seit der Reform des GmbHRechts durch das MoMiG kann dies aber nicht mehr gefordert werden68, so dass entsprechende registergerichtliche Prüfungen nicht mehr veranlasst sind. 26 Der Kontrolle unterliegt ferner, ob die in der Anmeldung angegebene Vertretungsbefugnis

der Geschäftsführer (§ 8 Abs. 4) den gesetzlichen Anforderungen genügt sowie dem Gesellschaftsvertrag und, wenn Besonderheiten des Einzelfalles das erfordern, dem Bestellungsbeschluss entspricht (13. Aufl., § 10 Rz. 11 ff.). d) Aufsichtsratsbestellung 27 Die Bestellung des Aufsichtsrates ist ebenfalls auf ihre Rechtswirksamkeit zu prüfen. Sie ist

zwar nicht Eintragungsvoraussetzung, aber das Gesetz verlangt, wenn sie vor der Eintragung erfolgt ist, die Beifügung der Urkunde über die Aufsichtsratsbestellung (§ 52 Abs. 2 GmbHG i.V.m. § 37 Abs. 4 Nr. 3 AktG) und geht damit auch von der Notwendigkeit ihrer Prüfung

63 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5c, § 2 Rz. 38. A.A. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56; Altmeppen, § 2 Rz. 43; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26. 64 BayObLG v. 10.12.1981 – BReg 1 Z 184/81, GmbHR 1982, 210. 65 BayObLG v. 10.12.1981 – BReg 1 Z 184/81, GmbHR 1982, 210, 211. 66 KG v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, GmbHR 1997, 412, 413; OLG Düsseldorf v. 20.7.1977 – 3 W 147/ 77, GmbHR 1978, 110; OLG Frankfurt v. 14.3.1977 – 20 W 113/77, NJW 1977, 1595; OLG Celle v. 1.10.1976 – 9 Wx 5/76, DB 1977, 993; Tebben in Michalski u.a., Rz. 40. A.A. LG Hildesheim v. 7.6.1995 – 11 T 6/95, GmbHR 1995, 655, 656; LG Köln v. 16.3.1981 – 87 T 14/81, GmbHR 1983, 48. 67 OLG Celle v. 2.5.2007 – 9 W 26/07, GmbHR 2007, 657 (russischer Staatsangehöriger mit Wohnsitz in Russland); OLG Köln v. 26.10.1998 – 2 Wx 29/89, GmbHR 1999, 343. 68 OLG München v. 17.12.2009 – 31 Wx 142/09, GmbHR 2010, 210; OLG Düsseldorf v. 16.4.2009 – 3 Wx 85/09, NZG 2009, 678.

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Ablehnung der Eintragung | Rz. 29 § 9c

aus. Dagegen hat das Gericht nicht zu prüfen, ob aufgrund der Mitbestimmungsgesetze ein Aufsichtsrat zu bilden ist69; diese Frage wird im Statusverfahren geklärt. Auch die Bestellung eines Beirats unterliegt nicht der registergerichtlichen Kontrolle, es sei denn, dass das als Beirat bezeichnete Organ in Wirklichkeit ein Aufsichtsrat ist70. e) Einlagen Die Prüfungspflicht bezieht sich auch auf die notwendigen Leistungen auf die Geschäfts- 28 anteile (§ 7 Abs. 2 Satz 1, 2 und Abs. 3). Das Registergericht hat also festzustellen, ob die vorgeschriebenen Mindesteinlageleistungen (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 18 ff.) vor der Anmeldung endgültig zur freien Verfügung der Geschäftsführer erbracht sind (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 34 ff.) und ob zum Zeitpunkt der Anmeldung Vorbelastungen bestehen, die eine Unterbilanzhaftung begründen71. Die Versicherungen der Geschäftsführer müssen die tatsächlichen Umstände der Einlageleistungen hinreichend genau darlegen, so dass dem Registergericht die Prüfung des Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen möglich ist. Bei begründeten Zweifeln an der Richtigkeit der Angaben kann es Nachweise über die Leistung fordern (Rz. 14) und erforderlichenfalls auch andere Ermittlungen anstellen (§ 26 FamFG), so z.B. wenn der Verdacht besteht, dass die Einzahlung in Ausführung einer verdeckten Sachgründung erfolgt72. Die Verwendung der ordnungsgemäß bewirkten Einlageleistungen durch die Geschäftsführer 29 nach der Anmeldung unterliegt dagegen nicht der Kontrolle des Registergerichts. Das gilt auch für die Frage, ob im Eintragungszeitpunkt zeitweise oder dauernde Vorbelastungen des Stammkapitals durch die Verwendung von Einlagemitteln oder sonst durch die Geschäftstätigkeit der Vorgesellschaft bestehen73. Dies wird in der Rechtsprechung und im Schrifttum teilweise zwar anders gesehen. So sollen nach dem Anmeldezeitpunkt entstandene Vorbelastungen bei Bargründungen74 oder allgemein75 ein Eintragungshindernis sein. Diese Auslegung überzeugt aber nicht. Denn sie hat keine Grundlage im GmbHG. Die Vorschriften über die Kapitalaufbringung erklären die Anmeldung als relevanten Zeitpunkt (vgl. § 7 Abs. 2 und 3, § 8 Abs. 2). Auf den Zeitpunkt der Eintragung stellt keine der Vorschriften ab, auch nicht § 9c Abs. 1 Satz 1 und 2. Es gibt auch kein Bedürfnis dafür, die registergerichtliche Kontrolle

69 Tebben in Michalski u.a., Rz. 42; wohl a.A. Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32. 70 Tebben in Michalski u.a., Rz. 43; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32. 71 OLG Karlsruhe v. 7.5.2014 – 11 Wx 24/14, GmbHR 2014, 752, 753; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19. 72 BayObLG v. 18.2.1988 – BReg 3 Z 154/87, GmbHR 1988, 269; BayObLG v. 14.10.1993 – 3Z BR 191/93, GmbHR 1994, 116, 117; OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531, 532; OLG Hamm v. 1.12.1992 – 15 W 275/92, GmbHR 1993, 95, 96; OLG Düsseldorf v. 31.7.1996 – 3 Wx 293/96, GmbHR 1997, 70, 71; OLG Düsseldorf v. 3.12.1997 – 3 Wx 545/97, GmbHR 1998, 235, 236; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33. 73 Vgl. Ulmer, ZGR 1981, 593, 607 f. sowie Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6b; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31; Priester, ZIP 1982, 1141, 1143 f.; Heidenhain, NJW 1988, 401; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 93, 128 f.; Henze, ZHR 161 (1997), 851, 853 f.; Ihrig, Die endgültige freie Verfügung über die Einlage von Kapitalgesellschaften, 1991, S. 102 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41. 74 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 143; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182, 184 f.; dem deutlich zuneigend auch BayObLG v. 1.10.1991 – BReg 3 Z 110/91, BB 1991, 2391, 2392. 75 OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531, 532; OLG Hamm v. 1.12.1992 – 15 W 275/92, GmbHR 1993, 95, 96; OLG Düsseldorf v. 31.7.1996 – 3 Wx 293/96, GmbHR 1997, 70, 71; BayObLG v. 7.10.1998 – 3Z BR 177/98, GmbHR 1998, 1225, 1226; Fleck, GmbHR 1983, 5, 11 f.; Roth, DNotZ 1989, 3, 8 f.; Altmeppen, Rz. 18; Meister in FS Werner, 1984, S. 534 f.; Gustavus, GmbHR 1988, 47, 52.

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§ 9c Rz. 29 | Ablehnung der Eintragung auf den Zeitpunkt der Eintragung zu erstrecken. Den Belangen der Gläubiger wird angemessen durch die sich auf den Eintragungszeitpunkt erstreckende Vorbelastungshaftung Rechnung getragen. Schließlich wäre diese Kontrolle in den Hauptanwendungsfällen der Unternehmenstätigkeit der Vorgesellschaft regelmäßig unpraktikabel und machte die Eintragung wegen des Fehlens geeigneter Prüfungsunterlagen sowie der Zufälligkeit des Eintragungszeitpunktes zu einem Lotteriespiel. Etwas anderes kann somit nur gelten, wenn sich, etwa wegen der Vermögensverhältnisse der Gründer, ernsthafte Zweifel bestehen, dass die Vorbelastungshaftung auch tatsächlich realisiert wird76. Ein Eintragungshindernis ist nach der gesetzlichen Wertung (§§ 15a, 17, 19 InsO) bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung der Vorgesellschaft gegeben. 30 Das Registergericht hat auch nicht zu prüfen, ob die nach der Satzung vor der Anmeldung

oder Eintragung fälligen Mehrleistungen auf die Geschäftsanteile (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 46) ordnungsgemäß erbracht worden sind (Rz. 7)77. Entsprechendes gilt für die Erfüllung der im Gesellschaftsvertrag festgelegten sonstigen Beitragspflichten der Gesellschafter einschließlich eines auf den Geschäftsanteil zu leistenden Aufgelds78. Einzuschreiten hat das Gericht in diesen Fällen nur, wenn die Anmeldeunterlagen irreführende Angaben über deren Leistung enthalten. 31 Die Prüfung der Solvenz des Einlageschuldners bezüglich der nach der Eintragung zu be-

wirkenden Geldeinlagen gehört grundsätzlich nicht zu den Aufgaben des Registergerichts. Die Solvenz eines Gesellschafters ist nicht gesetzliche Eintragungsvoraussetzung. Die Kapitalaufbringung wird durch die Haftung der Mitgesellschafter (§ 24) gesichert. Anders ist es aber zu beurteilen, wenn schwerwiegende Zweifel daran bestehen, dass die ausstehenden Einlagen erbracht werden können und die Mithaftung nach § 24 realisiert werden kann79. Einen weiteren Ausnahmefall bilden die Fälle des sog. Hin- und Herzahlens, in denen ein Gesellschafter nur dann von seiner Einlageverpflichtung befreit wird, wenn die Leistung (der Gesellschaft) durch einen vollwertigen Rückgewähranspruch (gegen den Gesellschafter) gedeckt ist80. Der Vorgang muss bei der Anmeldung offen gelegt werden (§ 19 Abs. 5 Satz 2). Der Registerrichter muss überprüfen, ob der Rückgewähranspruch werthaltig ist81. Um ihm dies zu ermöglichen, hat der Gesellschafter entsprechend § 8 Abs. 1 Nr. 5 Unterlagen darüber, dass der Rückgewähranspruch vollwertig, ist, einzureichen. In Betracht kommen Bescheinigungen eines Steuerberaters oder Wirtschaftsprüfers82. Aus den Unterlagen muss sich außerdem ergeben, ob der Rückgewähranspruch jederzeitig fällig ist oder durch fristlose Kündigung durch die Gesell76 BayObLG v. 1.10.1991 – BReg 3 Z 110/91, BB 1991, 2391, 2392; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 43 (bei schwerwiegenden Zweifeln an der Bonität der Gründer und der Durchsetzbarkeit der Vorbelastungshaftung). 77 OLG Stuttgart v. 13.7.2011 – 8 W 252/11, GmbHR 2011, 1101 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 35; offen gelassen von BGH v. 18.2.1991 – II ZR 104/90, BGHZ 113, 335, 356. 78 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; LG Augsburg v. 8.1.1996 – 3 HKT 3651/95, GmbHR 1996, 216; einschränkend Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Geßler, BB 1980, 1385, 1387 bei Verbindung mit Sacheinlage. A.A. Herchen, Agio und verdecktes Agio im Recht der Kapitalgesellschaften, S. 158. 79 Koch, ZHR 146 (1982), 136 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 2; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 43. 80 Die Fälle des Hin- und Herzahlens sind typischer Weise Darlehenskonstellationen, in denen ein Gesellschafter zunächst seine Einlage bar erbringt und diesen Betrag anschließend aufgrund einer Abrede durch ein Darlehen von der Gesellschaft zurückerhält. Alternativ kommt in Betracht, dass die Gesellschaft dem Gesellschafter zunächst den Darlehensbetrag auszahlt und der Gesellschaft dann seine Einlage erbringt. Ausführlich s. 13. Aufl., § 19 Rz. 179. 81 Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1993, 2000; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38. 82 Katschinski/Rawert, ZIP 2008, 1993, 2000; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38.

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Ablehnung der Eintragung | Rz. 34 § 9c

schaft fällig gestellt werden kann (vgl. zu diesen Anforderungen des § 19 Abs. 5 Satz 1 die Erl. 13. Aufl., § 19 Rz. 184). Dies wird es im Regelfall erforderlich machen, auch den Darlehensvertrag bei der Anmeldung einzureichen83. f) Bewertung der Sacheinlagen Die Eintragungskontrolle umfasst außerdem die Bewertung der Sacheinlagen. Sie hat aber 32 entgegen dem missverständlichen Gesetzeswortlaut des § 9c Abs. 1 Satz 2 regelmäßig nur daraufhin zu erfolgen, ob der Wert des Einlagegegenstandes den Nennbetrag des Geschäftsanteils und, wenn eine gemischte Sacheinbringung (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 81 ff.) vereinbart ist, auch den Betrag der dem Gesellschafter zu gewährenden Vergütung (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 85)84 nicht unterschreitet. Seit dem MoMiG hindert eine unwesentliche Überbewertung die Eintragung nicht (s. auch Rz. 2). Es ist nicht zu prüfen, ob der Wert der Sacheinlage den im Gesellschaftsvertrag angenommenen Mehrwert erreicht (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 89) oder ein durch den Sacheinleger zu leistendes Aufgeld vereinbarungsgemäß abdeckt85. Es darf aber auch hier nicht durch die Angaben über die bewirkte Sacheinlage ein unrichtiger Eindruck darüber vermittelt werden, dass das Aufgeld damit wertmäßig getilgt ist (Rz. 30). Die Vorschrift des § 9c Abs. 1 Satz 2 enthält keine Aussage darüber, welcher Bewertungs- 33 stichtag maßgebend ist. Die h.M. stellt auf den Eintragungszeitpunkt ab und hält deshalb die nach der Anmeldung eingetretenen Wertveränderungen des Einlagegegenstandes ohne Rücksicht auf deren Ursache für beachtlich86. Das Verbot der Unterpari-Ausgabe, auf das sie sich beruft, betrifft aber nur die Vereinbarung einer den Nennbetrag des Geschäftsanteils unterschreitende Gegenleistung (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 28). Es rechtfertigt keine weiteren Schlussfolgerungen. Entscheidend steht der von der h.M. vertretenen Auslegung die gesetzliche Wertung der § 7 Abs. 2 und 3, § 8 Abs. 2, § 9 Abs. 1 entgegen. Diese Vorschriften legen aus Gründen der Praktikabilität, aber auch, wie sich insbesondere aus § 9 Abs. 1 ergibt, aufgrund einer materiellen Interessenwertung den Anmeldezeitpunkt zugrunde. Spätere Wertveränderungen stellen daher grundsätzlich kein Eintragungshindernis dar87. Etwas anderes gilt nur dann, wenn ihre Ursachen bereits im Anmeldezeitpunkt vorlagen88. Die bloße Möglichkeit einer nachträglichen Wertveränderung reicht für eine ausnahmsweise andere Beurteilung der Rechtsfrage aber nicht aus89. Entscheidend für die Frage einer nicht bloß unwesentlichen Überbewertung der Sacheinlage ist also in der Regel der Zeitpunkt der Anmeldung. Die Grundlage für die Wertprüfung der Sacheinlagen- und Sachübernahmegegenstände 34 bilden die Festsetzungen im Gesellschaftsvertrag (§ 5 Abs. 4 Satz 1), der Sachgründungs-

83 Ähnlich Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38 (Registergericht könne nach pflichtgemäßem Ermessen die Vorlage verlangen). 84 OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 215; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; Haslinger, MittBayNot 1996, 278, 279; Spiegelberger/Walz, GmbHR 1998, 761, 764 f. 85 LG Augsburg v. 8.1.1996 – 3 HKT 3651/95, GmbHR 1996, 216, 217; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Spiegelberger/Walz, GmbHR 1998, 761, 765. 86 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 136 f.; BayObLG v. 1.10.1991 – BReg 3 Z 110/91, GmbHR 1992, 109, 110; Altmeppen, Rz. 12 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21, 41; Trölitzsch, Differenzhaftung, S. 204 f. 87 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Tebben in Michalski u.a., Rz. 34; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41 f.; aus dem älteren Schrifttum bereits Geßler, BB 1980, 1385, 1387; von Rössing, Sachgründung, S. 141 ff.; Schäfer-Gölz, Vorbelastungsverbot, S. 131 ff.; vgl. auch für die Kapitalerhöhung OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 216. 88 Geßler, BB 1980, 1385, 1387; Tebben in Michalski u.a., Rz. 36. 89 Tebben in Michalski u.a., Rz. 36.

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§ 9c Rz. 34 | Ablehnung der Eintragung bericht (§ 5 Abs. 4 Satz 2), die Verträge über Sacheinlagen (§ 8 Abs. 1 Nr. 4) und die Unterlagen über den Wert der Sacheinlagen (§ 8 Abs. 1 Nr. 5)90. Das Registergericht hat auf Grund seines eigenen Werturteils91 festzustellen, ob der Zeitwert der Einlage- oder Übernahmegegenstände am Tage der Anmeldung (s. Rz. 33) den Nennbetrag des Geschäftsanteils und bei gemischten Sacheinbringungen auch die dem Gesellschafter zu gewährende Vergütung deckt (Rz. 32). Ein Eintragungshindernis ist im zuletzt genannten Fall aber nicht gegeben, wenn nach der Satzung ein eventueller Minderwert ausschließlich zu Lasten der Vergütung gehen soll. Bestehen nach den eingereichten Unterlagen an der Wertdeckung begründete Zweifel, so hat das Registergericht zusätzliche Ermittlungen anzustellen (§ 26 FamFG) und kann dabei nach pflichtgemäßem Ermessen auch Sachverständige hinzuziehen bzw. gemäß § 380 Abs. 2 FamFG von der IHK oder einer anderen öffentlich-rechtlichen Kammer ein Gutachten einholen (Rz. 14). Die Fragwürdigkeit des Wertansatzes der Gründungsgesellschafter genügt allein nicht, wenn gleichwohl die erforderliche Deckung unzweifelhaft ist. Erst recht würde es dem Gesetz widersprechen, routinemäßig die genannten Ermittlungsmaßnahmen zu treffen (Rz. 13)92. Schließlich ist bei der Beurteilung der Amtsermittlungspflichten zu berücksichtigen, dass die Gründer ein Interesse an einer zügigen und kostengünstigen Eintragung haben93. Kostenträchtige Unterlagen, wie beispielswiese Gutachten eines Wirtschaftsprüfers, dürfen daher nur verlangt werden, wenn konkrete Umstände des Einzelfalls die Vorlage gebieten94. Dies soll der Fall sein, wenn eingereichte Unterlagen unklar, in sich widersprüchlich oder lückenhaft sind sowie wenn sonstige konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit des vorgetragenen Sachverhalts bestehen95. g) Genehmigungsbedürftigkeit des Unternehmensgegenstandes 35 Das MoMiG hat die früher in § 8 Abs. 1 Nr. 6 vorgesehene Regelung aufgehoben, um das

Eintragungsverfahren zu beschleunigen (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 21). Die Genehmigungsbedürftigkeit des Unternehmensgegenstandes ist daher nicht mehr im Registerverfahren zu überprüfen. Dann ist es folgerichtig, dass die Gerichte etwaige gesetzliche Vorgaben zur Gründung einer GmbH durch Angehörige freier Berufe nicht mehr kontrollieren96. Ausnahmsweise kann das Gericht aber verpflichtet sein, das Vorliegen einer Erlaubnis zu prüfen. Dies betrifft den Sonderfall, dass eine GmbH Bankgeschäfte betreiben oder Finanzdienstleistungen erbringen will (vgl. § 43 Abs. 1 KWG)97. h) Wirtschaftliche und finanzielle Unternehmensgrundlagen 36 Die Prüfungskompetenz des Registergerichts bezieht sich nicht auf die Entscheidungen der

Gesellschafter über die wirtschaftlichen und finanziellen Grundlagen des von der GmbH betriebenen Unternehmens (Rz. 7). Es darf den Eintragungsantrag insbesondere weder wegen vermeintlicher wirtschaftlicher Unangemessenheit des festgesetzten Stammkapitals98 noch 90 Näheres dazu s. 13. Aufl., § 8 Rz. 10 ff. 91 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37 f.; Tebben in Michalski u.a., Rz. 27. 92 OLG Düsseldorf v. 10.1.1996 – 3 Wx 274/95, GmbHR 1996, 214, 216; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 40. 93 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12. 94 OLG Stuttgart v. 9.3.2020 – 8 W 295/19, FGPrax 2020, 180, 181. 95 OLG Stuttgart v. 9.3.2020 – 8 W 295/19, FGPrax 2020, 180, 181; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12 f,. 96 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 29. A.A. Leitzen, GmbHR 2009, 480; Heckschen, GmbHR 2018, 1093, 1094. 97 Heckschen, GmbHR 2018, 1093, 1094. 98 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Tebben in Michalski u.a., Rz. 45; einschränkend wohl Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33.

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Ablehnung der Eintragung | Rz. 38 § 9c

wegen einer nach seiner Ansicht verfehlten Wahl der Formen der Unternehmensfinanzierung beanstanden. Auch ein die Eintragung hinderndes Verbot der (eindeutigen) materiellen Unterkapitalisierung99 ist nach geltendem Recht nicht anzuerkennen100 und wäre zudem rechtspolitisch verfehlt. Anders zu entscheiden ist nur, wenn nach den Gesamtumständen feststeht, dass die Gesellschaftsgründung auf eine sittenwidrige Gläubigerschädigung angelegt ist101.

III. Entscheidungen des Registergerichts 1. Beanstandungen der Anmeldung Das Registergericht hat beim Vorliegen behebbarer Anmeldemängel zunächst eine Zwischen- 37 verfügung zu erlassen, durch die es den anmeldenden Geschäftsführern unter Setzung einer angemessenen Frist die Gelegenheit zu ihrer Beseitigung gibt (vgl. § 382 Abs. 4 FamFG). Entsprechend verfährt es, wenn es zur Aufklärung begründeter Zweifel an dem angemeldeten Sachverhalt (Rz. 13) nach seinem pflichtgemäßen Ermessen von den Geschäftsführern Auskünfte oder die Vorlage von zusätzlichen Unterlagen verlangen will. Es kann insoweit aber auch eigene Ermittlungen anstellen, insbesondere einen Sachverständigen mit der Bewertung einer Sacheinlage beauftragen (§§ 26, 29 FamFG). In der Praxis ist es verbreitet, dass das Gericht das Gutachten gemäß § 380 Abs. 2 FamFG von der IHK einholt102. Aus § 23 Satz 2 HRV folgt, dass das Gutachten elektronisch eingeholt und übermittelt werden soll. Bei Streitigkeiten zwischen den Beteiligten kann das Registergericht die Entscheidung über 38 die Eintragung bis zur Erledigung des Rechtsstreits aussetzen (§ 21 Abs. 1, §§ 381 ff. FamFG). Es kann auch, wenn ein Rechtsstreit noch nicht anhängig ist, einem der Beteiligten eine Frist zur Klageerhebung setzen (§ 381 Satz 2 FamFG). Die Entscheidung über die Aussetzung ist von Amts wegen nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffen103. Sie sollte in der Regel dann erfolgen, wenn ein Gründungsgesellschafter den Gesellschaftsvertrag oder seine Beteiligungserklärung angefochten und die rechtzeitige Abgabe der Anfechtungserklärung sowie der Anfechtungsgründe hinreichend glaubhaft (eine eigene eidesstattliche Versicherung genügt dafür nicht) gemacht hat104. Der Registerrichter muss bei seiner Ermessensentscheidung andererseits aber auch berücksichtigen, ob der Gesellschaft durch die Aussetzung nicht schwerwiegende und unersetzliche Nachteile entstehen können105. Die Aussetzung der Eintragung kann im Übrigen auch durch das Prozessgericht im Wege einer einstweiligen Verfügung angeordnet werden (§ 16 Abs. 2 HGB)106.

99 So Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Koch, ZHR 146 (1982), 136, jedoch mit Differenzierungen im Einzelnen. 100 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 32 f.; Altmeppen, Rz. 7. 101 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 33; Tebben in Michalski u.a., Rz. 45. 102 Tebben in Michalski u.a., Rz. 46. 103 Tebben in Michalski u.a., Rz. 49; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49. 104 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59. 105 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49. 106 RG v. 10.6.1913 – II 95/13, RGZ 82, 375, 380; OLG München v. 13.9.2006 – 7 U 2912/06, NZG 2007, 152; LG Heilbronn v. 8.9.1971 – 1 KfH O 125/71, AG 1971, 372; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 38.

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§ 9c Rz. 39 | Ablehnung der Eintragung

2. Ablehnung der Eintragung 39 Sie muss erfolgen, wenn die Anmeldung – gegebenenfalls nach einer ergebnislosen Zwischen-

verfügung (Rz. 37) – formell mangelhaft ist (Rz. 15) oder wenn die materiellen Eintragungsvoraussetzungen (Rz. 16 ff.) nicht erfüllt sind. Ferner unterbleibt die Eintragung bei Nichteinzahlung des nach § 14 Abs. 1 Satz 3 GNotKG geforderten Vorschusses107. Die Ablehnung kann nicht auf fehlerhafte Teile der Satzung (s. Rz. 16 ff.) beschränkt werden, sondern hat sich auch in diesem Fall auf den gesamten Eintragungsantrag zu beziehen108. Nach den erforderlichen Ermittlungen verbleibende Zweifel am Vorliegen der Voraussetzungen gehen zu Lasten der Anmelder109. Vor der Ablehnung hat das Gericht rechtliches Gehör zu geben110. Die Entscheidung ist zu begründen (§ 38, § 382 Abs. 3, §§ 49 ff. FamFG).

40 Ein Ablehnungsgrund liegt, wie § 9c Abs. 1 Satz 2 ausdrücklich klarstellt, auch darin, dass

Sacheinlagen überbewertet worden sind, d.h. ihr Zeitwert bei Anmeldung nicht zur Deckung des Nominalbetrages der durch sie zu tilgenden Stammeinlage oder bei gemischten Sacheinbringungen auch der dem Gesellschafter zu gewährenden Vergütung ausreicht (Rz. 32 ff.). Bis zum MoMiG schadete jede Unterdeckung ohne Rücksicht darauf, ob es sich um einen „nicht unwesentlichen“ Betrag handelte. Nach neuer Rechtslage hindern unwesentliche Überbewertungen die Eintragung nicht. Das Eintragungshindernis der Überbewertung entfällt nach dem Sinn des § 9c Abs. 1 Satz 2 dann, wenn der Einlageschuldner den zur Deckung erforderlichen Differenzbetrag vor der Eintragung eingezahlt hat und die Geschäftsführer dies analog § 8 Abs. 2 versichert haben111. Einer Änderung des Gesellschaftsvertrages bedarf es dafür nicht. Ob die Gesellschaft oder die Mitgesellschafter sich mit der Ergänzungszahlung begnügen oder mögliche weitergehende Rechte (z.B. Anfechtung wegen Täuschung oder nach der Eintragung die Ausschließung, Ansprüche aus Gewährleistung u.a.) geltend machen wollen, kann ihnen überlassen bleiben. Die Differenzhaftung gemäß § 9 schließt dagegen das Eintragungshindernis nicht aus.

3. Beschwerde 41 Gegen die Ablehnung der Eintragung und gegen Zwischenverfügungen ist die Beschwerde

(§§ 58 ff. FamFG) statthaft. Beschwerdeberechtigt ist die Vorgesellschaft als Antragstellerin (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 10)112. Die Beschwerde ist durch die Geschäftsführer in vertretungsbe-

107 KG v. 15.6.2017 – 22 W 42/17, ZIP 2018, 80; KG v. 2.9.2021 – 22 W 66/21, ZIP 2021, 2247; einschränkend zur UG OLG Hamm v. 24.3.2021 – 27 W 11/21, NZG 2021, 1261 (Anmeldung nur zurückzuweisen, wenn berechtigte Zweifel daran bestehen, dass die Gesellschaft über eine Geschäftsanschrift verfügt, die den gesetzlichen Vorgaben genügt),. 108 BayObLG v. 5.3.1987 – BReg 3 Z 29/87, WM 1987, 502, 502 f.; LG München v. 4.2.1991 – 17 HKT 15041/90, GmbHR 1991, 270; LG Dresden v. 20.12.1993 – 45 T 82/93, GmbHR 1994, 555 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 60; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48. 109 KG v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, GmbHR 1997, 412; BayObLG v. 13.10.1978 – BReg 1 Z 111/78, BayObLGZ 1978, 319, 322 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 60; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47 a.E. 110 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 48. 111 OLG Naumburg v. 17.1.2018 – 5 Wx 12/17, GmbHR 2018, 1068, 1069; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 21; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 27; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 43. 112 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 325 ff. (zur AG); BGH v. 20.2.1989 – II ZB 10/ 88, BGHZ 107, 1 f.; OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, BB 1992, 1160; BayObLG v. 22.6.1995 – 3Z BR 71/95, GmbHR 1995, 722; KG v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, GmbHR 1997, 412; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62; Tebben in Michalski u.a., Rz. 48.

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Ablehnung der Eintragung | Rz. 42 § 9c

rechtigter Zahl einzulegen113. Die Gesellschafter und die Geschäftsführer haben kein eigenes Beschwerderecht114. Die Organe des Handels- und Handwerkstandes und die berufsständischen Organe von Anwalts-, Steuerberatungs- und Wirtschaftsprüfungsgesellschaften sind nur bei Zurückweisung ihrer Gegenanträge, dagegen nicht bei Beanstandungen der Anmeldung durch eine Zwischenverfügung oder bei der Ablehnung der Eintragung beschwerdeberechtigt (§ 380 Abs. 5 FamFG)115. Als Rechtsmittel gegen eine ablehnende Entscheidung steht die Rechtsbeschwerde zur Verfügung, wenn das Beschwerdegericht sie zugelassen hat (vgl. §§ 70 ff. FamFG). Die erfolgte Eintragung in das Handelsregister kann nicht durch eine Beschwerde angegrif- 42 fen werden116. Es kann jedoch ein Amtslöschungs- oder Amtsauflösungsverfahren angeregt werden, das aber nur in Ausnahmefällen durchgreift (§§ 397, 399 FamFG).

113 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 327 ff.; vgl. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62. 114 OLG Hamm v. 27.11.1996 – 15 W 311/96, BB 1997, 753; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3. 115 BayObLG v. 18.3.1982 – BReg 1 Z 145/81, BayObLGZ 1982, 153, 155; BayObLG v. 28.8.1996 – 3Z BR 75/96, BB 1996, 2324 f.; BayObLG v. 20.10.1983 – BReg 3 Z 164/83, BB 1984, 171, 172; OLG Oldenburg v. 16.11.1956 – 3 Wx 62/56, NJW 1957, 349; Tebben in Michalski u.a., Rz. 48 a.E. 116 BGH v. 21.3.1988 – II ZB 69/87, BGHZ 104, 61, 63; BayObLG v. 18.12.1986 – BReg 3 Z 135/86, BayObLGZ 1986, 540; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63.

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§ 10 Inhalt der Eintragung (13. Auflage 2022) (1) Bei der Eintragung in das Handelsregister sind die Firma und der Sitz der Gesellschaft, eine inländische Geschäftsanschrift, der Gegenstand des Unternehmens, die Höhe des Stammkapitals, der Tag des Abschlusses des Gesellschaftsvertrags und die Personen der Geschäftsführer anzugeben. Ferner ist einzutragen, welche Vertretungsbefugnis die Geschäftsführer haben. (2) Enthält der Gesellschaftsvertrag Bestimmungen über die Zeitdauer der Gesellschaft oder über das genehmigte Kapital, so sind auch diese Bestimmungen einzutragen. Wenn eine Person, die für Willenserklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft empfangsberechtigt ist, mit einer inländischen Anschrift zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet wird, sind auch diese Angaben einzutragen; Dritten gegenüber gilt die Empfangsberechtigung als fortbestehend, bis sie im Handelsregister gelöscht und die Löschung bekannt gemacht worden ist, es sei denn, dass die fehlende Empfangsberechtigung dem Dritten bekannt war. Fassung von 1898; Abs. 1 Satz 2 eingefügt und Abs. 2 neu gefasst durch KoordG vom 15.8.1969 (BGBl. I 1969, 1146); Abs. 3 geändert durch Gesetz vom 4.7.1980 (BGBl. I 1980, 836); Abs. 3 aufgehoben durch Gesetz vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553); Überschrift geändert, Abs. 1 Satz 2 geändert, Abs. 2 Satz 2 angefügt durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026); Abs. 2 Satz 1 geändert durch ARUG vom 30.7.2009 (BGBl. I 2009, 2479). I. 1. 2. II. 1. 2. 3. 4. 5.

Grundlagen Regelungsinhalt und -zweck . . . . . . . . . . . Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintragung der GmbH Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Notwendiger Eintragungsinhalt . . . . . . . . Bestimmungen über Zeitdauer . . . . . . . . . Genehmigtes Kapital . . . . . . . . . . . . . . . . . Fakultativ angemeldete empfangsberechtigte Person . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Wirkung und Mängel der Eintragung 1. Entstehung der GmbH . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eintragungsmängel

1 3 4 6 14 15

IV. 1. 2. 3. V.

16 VI.

a) Unrichtige Eintragungen . . . . . . . . . . . b) Verfahrensmängel . . . . . . . . . . . . . . . . c) Nicht ordnungsgemäße Gesellschaftserrichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Veröffentlichung Bekanntmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eintragungs- und Bekanntmachungskosten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Amtshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 23 24 27 29 30 31 32

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Schrifttum: Kort, Paradigmenwechsel im deutschen Registerrecht. Das elektronische Handels- und Unternehmensregister – eine Zwischenbilanz, AG 2007, 801; Liebscher/Scharff, Das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, NJW 2006, 3745; J. Schmidt, DiRUG-RefE: Ein Digitalisierungs-Ruck für das deutsche Gesellschafts- und Registerrecht, ZIP 2021, 112; Spindler, Abschied vom Papier? Das Gesetz über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister, WM 2006, 109; Steffek, Zustellungen und Zugang von Willenserklärungen nach dem Regierungsentwurf zum MoMiG. Inhalt und Bedeutung der Änderungen für GmbHs, AGs und ausländische Kapitalgesellschaften, BB 2007, 2077.

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Inhalt der Eintragung | Rz. 3 § 10

I. Grundlagen 1. Regelungsinhalt und -zweck Die Vorschrift regelt den Inhalt der Eintragung der GmbH in das Handelsregister. Sie ist 1 durch das KoordG vom 15.8.1969 dahingehend erweitert worden, dass die Angabe über die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer stets eingetragen werden muss. Aufgrund des Gesetzes über elektronische Handelsregister und Genossenschaftsregister sowie das Unternehmensregister (EHUG) wird seit dem 1.1.2007 die Handelsregistereintragung elektronisch bekannt gemacht (vgl. § 8 Abs. 1 HGB). Entsprechend dem Grundsatz des Verzichts auf Zusatzbekanntmachung wurde § 10 Abs. 3 – die Vorschrift war zuvor durch die GmbH-Novelle 1980 geändert worden – zu diesem Zeitpunkt aufgehoben1. Die Änderung des Abs. 1 Satz 2 durch das MoMiG ist eine Folgeänderung zu § 8 Abs. 4 (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 33 ff.); die bei der Anmeldung anzugebende inländische Geschäftsanschrift ist in das Handelsregister einzutragen. Der durch das MoMiG neu eingefügte § 10 Abs. 2 Satz 2 bestimmt, dass eine Person in das Handelsregister eingetragen werden kann, die den Gläubigern als zusätzlicher Zustellungsbevollmächtigter dient, und normiert die Dauer der Empfangsberechtigung. Schließlich hat das ARUG durch Änderung des § 10 Abs. 2 Satz 1 die Eintragung auf gesellschaftsvertragliche Bestimmungen über ein genehmigtes Kapital (§ 55a) erstreckt. Seit 1.8.2002 bestimmt sich die elektronische Bekanntmachung nach § 10 HGB. Die Eintragungen in das Handelsregister werden nach dieser in Umsetzung der Digitalisierungs-Richtlinie vorgesehenen Vorschrift durch ihre erstmalige Abrufbarkeit über das elektronische Informationsund Kommunikationssystem nach § 9 Abs. 1 HGB bekannt gemacht. Diese Regelung – auch als once-only principle bezeichnet – vermeidet Redundanzen, weil die Bekanntmachung bereits durch die erstmalige Abrufbarkeit über das Registerportal der Länder (handelsregister. de) erfolgt2. Der Zugriff ist erstmals kostenfrei. Die Eintragung in das Handelsregister hat konstitutive Bedeutung für die Entstehung der 2 GmbH (§ 11 Abs. 1). Sie dient nicht nur Publizitätszwecken, sondern soll durch die vorgeschaltete registergerichtliche Prüfung (§ 9c) gewährleisten, dass nur ordnungsgemäß errichtete Gesellschaften als GmbH entstehen können. Die Eintragung hat im Interesse des Gläubiger- und Bestandschutzes die Einschränkung der Beachtlichkeit von Gründungsmängeln und/ oder eine Modifizierung ihrer Rechtswirkungen zur Folge.

2. Anwendungsbereich § 10 gilt für die Neugründung einer GmbH. Die Vorschrift ist ferner gemäß § 36 Abs. 2 3 Satz 1, § 135 Abs. 2 Satz 1, § 197 Satz 1 UmwG bei einer Verschmelzung, Spaltung und einem Rechtsformwechsel anwendbar. Andere Fälle einer Eintragung sind die Änderung des Gesellschaftsvertrags (§ 54), die Änderung der Vertretungsbefugnis (§ 39) und die Auflösung der GmbH (§ 65). Schließlich wird auch die Zweigniederlassung eingetragen (§ 13 HGB)3.

1 Begr. RegE EHUG, BT-Drucks. 16/960, S. 66. 2 J. Schmidt, ZIP 2021, 112, 118. 3 § 13e und § 13g HGB sehen Anforderungen an die Eintragung von Zweigniederlassungen einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Ausland vor. Ob diese Anforderungen unionsrechtlich zulässig sind, war Gegenstand der Vorlage des BGH an den EuGH, vgl. BGH v. 14.5.2019 – II ZB 25/17, GmbHR 2019, 821. Der Vorlagebeschluss wurde aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der EU allerdings wieder aufgehoben, vgl. BGH v. 16.2.2021 – II ZB 25/17, GmbHR 2021, 486 Rz. 5.

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§ 10 Rz. 4 | Inhalt der Eintragung

II. Eintragung der GmbH 1. Allgemeines 4 Die Eintragung der Gesellschaft ist in Abt. B des Handelsregisters vorzunehmen (§ 3 Abs. 3,

§ 43 HRV). Ihren Inhalt legt § 10 Abs. 1 und 2 abschließend fest4. Das Gesetz unterscheidet zwischen den notwendigen Eintragungsgegenständen (Rz. 6 ff.) und den möglichen weiteren Angaben (Rz. 14 ff.)5. Die Eintragung sonstiger Umstände der Gesellschaft ist unzulässig und, wenn sie versehentlich erfolgt ist, von Amts wegen zu löschen6. Daher kann in das Handelsregister die Funktion eines von mehreren Geschäftsführern einer GmbH als „Sprecher der Geschäftsführung“ nicht eingetragen werden7. 5 Jede Eintragung soll den Tag, an dem sie vorgenommen worden ist, angeben und mit der

elektronisch signierten Unterschrift des betreffenden Urkundsbeamten der Geschäftsstelle versehen sein (§ 382 Abs. 2 FamFG, § 27 Abs. 4 und § 28 HRV). Die Datumsangabe ist wegen des Entstehungszeitpunkts der GmbH (§ 11 Abs. 1), des Verjährungsbeginns für die Nachzahlungspflicht bei der Überbewertung von Sacheinlagen (§ 9 Abs. 2) und für die zivilrechtliche Haftung der Gründer und Geschäftsführer (§ 9b Abs. 2 Satz 2) von Bedeutung. Die Eintragung soll, ausgenommen bei Verzicht, dem Antragsteller bekanntgemacht werden (§ 383 Abs. 1 FamFG). Sie ist unanfechtbar (s. 13. Aufl., § 9c Rz. 42).

2. Notwendiger Eintragungsinhalt 6 a) Einzutragen sind zunächst die Firma und der Sitz der Gesellschaft, wie im Gesellschafts-

vertrag angegeben (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1). Bei einer Unternehmergesellschaft muss die Firma die Bezeichnung „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ oder „UG (haftungsbeschränkt)“ führen. Die Firma ist in Spalte 2 unter dem Buchstaben a) einzutragen (vgl. § 43 Nr. 2 a) HRV) und der Sitz in Spalte 2 unter dem Buchstaben b) (§ 43 Nr. 2 b) HRV). Ferner muss seit der Änderung des § 10 Abs. 1 Satz 1 durch das MoMiG die inländische Geschäftsanschrift eingetragen werden (sie ist nicht zwingender Satzungsbestandteil (!) und muss nicht mit dem Sitz der Gesellschaft übereinstimmen, s. auch 13. Aufl., § 8 Rz. 20 ff.). Sie ist ebenfalls in Spalte 2 unter dem Buchstaben b) einzutragen (§ 43 Nr. 2 b) HRV). 7 b) Bei der Eintragung in das Handelsregister ist ferner der Gegenstand des Unternehmens

der Gesellschaft (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 2) anzugeben. Erforderlich ist die wörtliche Wiedergabe der maßgeblichen Satzungsbestimmungen. Eine abgekürzte sinngemäße Angabe genügt nicht8. Insbesondere ist es angesichts des klaren und eindeutigen Wortlauts sowie der Publizitätsfunktion der Eintragung nicht zulässig, angebliche Leerformeln (wie beispielsweise die Bestimmung, dass die „Gesellschaft berechtigt ist, alle Geschäfte vorzunehmen und alle Maßnahmen zu ergreifen, die mit dem Gegenstand des Unternehmens zusammenhängen oder

4 BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, GmbHR 1998, 181, 182; BayObLG v. 4.3.1997 – 3Z BR 348/96, GmbHR 1997, 410; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3. 5 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3. 6 OLG Karlsruhe v. 2.10.1963 – 5 W 57/63, GmbHR 1964, 78; Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 25. 7 OLG München v. 5.3.2012 – 31 Wx 47/12, GmbHR 2012, 750. 8 OLG Köln v. 12.5.1981 – 2 Wx 9/81, WM 1981, 805; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 7; Tebben in Michalski u.a., Rz. 6; großzügiger Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9.

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Inhalt der Eintragung | Rz. 11 § 10

ihm unmittelbar oder mittelbar förderlich sind“) wegzulassen9. Der Gegenstand des Unternehmens ist in Spalte 2 unter Buchstabe c) einzutragen (§ 43 Nr. 2 c) HRV). c) Einzutragen ist weiterhin die Höhe des Stammkapitals (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 3), d.h. sein im 8 Gesellschaftsvertrag festgesetzter Betrag. Dies geschieht in Spalte 3 der Abteilung B des Handelsregisters (vgl. § 43 Nr. 3 HRV). Nicht einzutragen sind die einzelnen Geschäftsanteile bzw. deren Nennbeträge10 und die Namen der Gesellschafter (vgl. hierzu aber § 40 über die Publizität durch die Gesellschafterliste)11. Ebenso wenig sind Angaben über Sacheinlagen zu machen12 (über die Bekanntmachung s. aber Rz. 29). Die Umstände sind aber den abrufbaren (§ 9 HGB) Anmeldeunterlagen zu entnehmen (s. 13. Aufl., § 8 Rz. 37). d) Bei der Eintragung in das Handelsregister ist auch der Tag des Abschlusses des Gesell- 9 schaftsvertrages anzugeben. Die Eintragung erfolgt in Spalte 6 unter Buchstabe a) (vgl. § 43 Nr. 6 a) HRV). Der Tag des Abschlusses ergibt sich regelmäßig aus der notariellen Urkunde (§ 9 Abs. 2 BeurkG). Es kann vorkommen, dass die Beteiligungserklärungen der Gesellschafter an verschiedenen Tagen abgegeben wurden. In Betracht kommt dies beispielsweise, wenn ein vollmachtlos vertretener Gründer die notarielle Urkunde im Nachhinein genehmigt13. Da in einem solchen Fall die Genehmigung rückwirkt (vgl. § 184 BGB), ist der Tag der Errichtung der notariellen Gründungsurkunde einzutragen14. Wenn der Gesellschaftsvertrag vor der Eintragung der Gesellschaft geändert wurde, ist das Datum der Unterzeichnung des Nachtrags in das Handelsregister einzutragen15. e) Ferner sind die Personen der Geschäftsführer einzutragen, und zwar aller einschließlich 10 der Stellvertreter (§ 44)16, die aber nicht als solche bezeichnet werden können17. Sie sind mit Familiennamen, Vornamen, Geburtsdatum und Wohnort in Spalte 4 unter Buchstabe b) einzutragen (§ 43 Nr. 4 b) HRV). Die Privatanschrift ist nicht einzutragen. Aufsichtsratsmitglieder, die möglicherweise bereits vor der Eintragung bestellt wurden, sind nicht einzutragen. f) Einzutragen ist auch die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer. Sie ist seit der Neurege- 11 lung des § 10 Abs. 1 Satz 2 durch das KoordG vom 15.8.1969 ohne Einschränkung immer und nicht mehr wie nach früherem Recht (§ 10 Abs. 2 a.F.) nur dann einzutragen, wenn sie von der gesetzlichen Regelung des § 35 Abs. 2 Satz 2 abweicht. Das gilt auch dann, wenn nur ein

9 A.A. BayObLG v. 16.9.1993 – 3Z BR 121/93, GmbHR 1994, 60, 62; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11; Tebben in Michalski u.a., Rz. 6; vgl. auch LG München v. 4.2.1991 – 17 HKT 15041/90, GmbHR 1991, 270. 10 RG v. 20.6.1911 – II 622/10, RGZ 78, 359, 361; RG v. 7.11.1913 – II 316/13, RGZ 83, 256, 265; RG v. 20.6.1911 – II 622/10, JW 1911, 779; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3, 8. 11 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12. 12 RG v. 20.6.1911 – II 622/10, RGZ 78, 359, 362; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 3. 13 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13. 14 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13. Nach a.A. soll die Angabe des Datums der letzten Erklärung genügen, vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Tebben in Michalski u.a., Rz. 8. 15 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 13; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. 16 BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, GmbHR 1998, 181, 182; Altmeppen, Rz. 3; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8. 17 BGH v. 10.11.1997 – II ZB 6/97, GmbHR 1998, 181, 182; BayObLG v. 4.3.1997 – 3Z BR 348/96, GmbHR 1997, 410; inzwischen auch h.L.; vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 8; a.A. teilweise die ältere Rspr., vgl. OLG Stuttgart v. 15.7.1960 – 8 W 143/60, NJW 1960, 2150; OLG Düsseldorf v. 28.2.1969 – 3 W 39/69, GmbHR 1969, 108.

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§ 10 Rz. 11 | Inhalt der Eintragung Geschäftsführer bestellt ist und dieser die Gesellschaft allein vertreten kann18. Die Eintragung erfolgt in Spalte 4 unter Buchstabe a) (vgl. § 43 Nr. 4 a) HRV). 12 Einzutragen ist grundsätzlich die nach dem GmbHG oder, wenn der Gesellschaftsvertrag ab-

weicht, die nach ihm geltende generelle Regelung der Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer19. Es ist anzugeben, ob Einzel-20 oder Gesamtvertretungsmacht besteht und wie diese im Einzelnen ausgestaltet ist. Lediglich dann, wenn für jeden oder für einzelne Geschäftsführer Besonderheiten bestehen, muss bei ihrer Eintragung die jeweilige spezielle Vertretungsbefugnis angegeben werden21. Wenn das Vertretungsorgan einer Gesellschaft aus einem oder mehreren Mitgliedern besteht, ist nicht nur die bei einer Mehrheit von Vertretungsberechtigten geltende Vertretungsregelung offenzulegen, sondern auch anzugeben, dass bei Bestellung eines einzigen Vertretungsberechtigten dieser die Gesellschaft allein vertritt, selbst wenn sich eine solche Befugnis ohne weiteres aus dem nationalen Recht ergibt22. Folglich ist die alleinige Vertretungsmacht des einzigen Geschäftsführers stets zur Eintragung in das Handelsregister anzumelden, auch wenn sich diese ohne weiteres aus der vorhandenen Eintragung über die Rechtslage bei Bestellung mehrerer Geschäftsführer in Verbindung mit der gesetzlichen Regelung folgern lässt23. Die Vertretungsbefugnis muss im Übrigen ohne Zuhilfenahme der Anmeldeunterlagen und ohne Kenntnis sonstiger tatsächlicher Umstände aus dem Handelsregister selbst eindeutig ersichtlich sein24. Unzulässig ist deshalb z.B. die Eintragung, dass den Geschäftsführern, die zugleich Gesellschafter sind, Einzelvertretungsmacht zustehe. Die Beifügung von Bedingungen oder Befristungen ist nur möglich, wenn deren Eintritt aus dem Handelsregister hervorgeht25. Die satzungsmäßige Ermächtigung eines Gesellschaftsorgans, die Vertretungsbefugnis der Geschäftsführer zu bestimmen (z.B. Befreiung vom Verbot des Selbstkontrahierens, Einräumung einer Einzelvertretungsmacht), ist als solche nicht eintragungsfähig26; eine solche Eintragung würde nicht die bestehende Vertretungsbefugnis, sondern nur die statutarischen Möglichkeiten der Vertretungsbefugnis angeben und daher nur 18 EuGH v. 12.11.1974 – 32/74, BB 1974, 1500; BGH v. 5.12.1974 – II ZB 11/73, BGHZ 63, 261, 264 f.; BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, BB 1980, 597; OLG Düsseldorf v. 2.5.1989 – 3 Wx 206/89, NJW 1989, 3100; OLG Naumburg v. 30.9.1993 – 5 W 1/93, GmbHR 1994, 119; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; a.A. noch OLG Frankfurt v. 6.5.1971 – 6 W 126/71, BB 1971, 797. 19 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 63; zuvor bereits h.A. in der obergerichtlichen Rspr., vgl. etwa BayObLG v. 7.5.1997 – 3Z BR 101/97, GmbHR 1997, 741; OLG Köln v. 25.2.1970 – 2 Wx 11/70, Rpfleger 1970, 172; OLG Frankfurt v. 9.7.1987 – 20 W 107/87, Rpfleger 1987, 419; OLG Hamm v. 24.3.1972 – 15 W 44/72, NJW 1972, 1763; OLG Zweibrücken v. 12.10.1992 – 3 W 134/92, GmbHR 1993, 97; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9. 20 Der stattdessen teilweise verwendete Ausdruck „Alleinvertretungsmacht“ wird von OLG Zweibrücken v. 12.10.1992 – 3 W 134/92, GmbHR 1993, 97 f.; OLG Frankfurt v. 7.10.1993 – 20 W 175/93, DB 1993, 2174; OLG Naumburg v. 30.9.1993 – 5 W 1/93, GmbHR 1994, 119 als irreführend beanstandet. 21 Vgl. OLG Hamm v. 14.4.2011 – 15 Wx 499/10, GmbHR 2011, 708, 709; OLG Frankfurt v. 22.10.1993 – 20 W 263/93, GmbHR 1994, 117 f.; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17. 22 EuGH v. 12.11.1974 – 32/74, BB 1974, 1500. 23 BGH v. 5.12.1974 – II ZB 11/73, BGHZ 63, 261; OLG Zweibrücken v. 20.3.2013 – 3 W 8/13, GmbHR 2013, 1094, 1095. 24 BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 63; BayObLG v. 8.1.1980 – BReg 1 Z 85/79, WM 1980, 473, 474; OLG Frankfurt v. 30.9.1983 – 20 W 465/83, BB 1984, 238 f.; OLG Zweibrücken v. 12.10.1992 – 3 W 134/92, GmbHR 1993, 97; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11. 25 Kanzleiter, Rpfleger 1984, 1, 3; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. 26 BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, BayObLGZ 1982, 41, 45; BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, BB 1984, 1117, 1118; OLG Karlsruhe v. 5.7.1982 – 11 W 40/82, BB 1984, 238; OLG Frankfurt v. 30.9.1983 – 20 W 465/83, BB 1984, 238, 239; OLG Frankfurt v. 22.10.1993 – 20 W 175/93,

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Inhalt der Eintragung | Rz. 13 § 10

Verwirrung stiften27. Es kann nur die für den bestellten Geschäftsführer getroffene Entscheidung des Gesellschaftsorgans eingetragen werden. Schließlich ist es unzulässig, zusätzlich eine den Rechtsverkehr verwirrende konkrete Vertretungsregelung einzutragen, wonach der Geschäftsführer einzelvertretungsbefugt ist, nur weil er derzeit der einzige Geschäftsführer ist28. Die Gestattung des Selbstkontrahierens (§ 181 BGB) ist eine eintragungspflichtige Rege- 13 lung der Vertretungsbefugnis i.S.d. § 10 Abs. 1 Satz 229, soweit sie sich nicht nur auf ein konkretes Einzelgeschäft bezieht30. Unerheblich ist dabei, ob sie alle Geschäfte mit der Gesellschaft oder nur bestimmte Geschäftsarten umfasst und welche Bedeutung die gestatteten Insichgeschäfte für die Gesellschaft haben31. Die Eintragung muss derart erfolgen, dass die Zulässigkeit des Selbstkontrahierens durch den Geschäftsführer vollständig aus dem Handelsregister zu entnehmen ist (Rz. 12)32. Sie darf also z.B. nicht dahingehend lauten, dass einem Gesellschafter-Geschäftsführer das Selbstkontrahieren gestattet sei33, sondern muss bei dem bestellten Geschäftsführer, der diese statutarische Voraussetzungen erfüllt, uneingeschränkt die ihm speziell zustehende Befugnis angeben34. Die bloße statutarische Ermächtigung eines Gesellschaftsorgans, dem Geschäftsführer das Selbstkontrahieren zu gestatten, kann nicht in das Handelsregister eingetragen werden (s. auch Rz. 12)35. Ebenso wenig eintragungsfähig ist

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GmbHR 1994, 118 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 12. Das übersehen OLG Zweibrücken v. 12.10.1992 – 3 W 134/92, GmbHR 1993, 97; LG Köln v. 14.5.1993 – 87 T 19/93, GmbHR 1993, 501, 502. Die Eintragungsfähigkeit offen lassend OLG Hamm v. 22.1.1993 – 15 W 224/91, GmbHR 1993, 500. OLG Hamm v. 14.4.2011 – 15 Wx 499/10, GmbHR 2011, 708, 709 (bezüglich der Anmeldung bei einer nach Mustersatzung gegründeten GmbH). BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 61 f.; BGH v. 8.4.1991 – II ZB 3/91, BGHZ 114, 167, 170; BayObLG v. 29.5.1979 – BReg 1 Z 36/79, BB 1980, 597; BayObLG v. 10.4.1981 – BReg 1 Z 26/ 81, BB 1981, 869; BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, BB 1982, 577; BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, BB 1984, 1117 f.; OLG Frankfurt v. 3.12.1982 – 20 W 819/82, BB 1983, 146; OLG Frankfurt v. 7.10.1993 – 20 W 175/93, GmbHR 1994, 118 f.; OLG Köln v. 23.4.1980 – 2 Wx 11/80, GmbHR 1980, 129; OLG Köln v. 22.2.1995 – 2 Wx 5/95, GmbHR 1996, 218, 219; OLG Düsseldorf v. 1.7.1994 – 3 Wx 20/93, GmbHR 1995, 51; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 7; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. A.A. teilweise die ältere Rechtsprechung, vgl. OLG Karlsruhe v. 2.10.1963 – 5 W 57/63, GmbHR 1964, 78; LG Oldenburg v. 7.6.1972 – 6 T (KH) 3/72, BB 1972, 769; LG Köln v. 26.1.1980 – 29 T 23/79, DB 1980, 922. Vgl. Bühler, DNotZ 1983, 588, 593; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15. OLG Düsseldorf v. 1.7.1994 – 3 Wx 20/93, GmbHR 1995, 51, 52; Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 13. BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 63; OLG Frankfurt v. 30.9.1983 – 20 W 465/83, BB 1984, 238, 239; OLG Düsseldorf v. 1.7.1994 – 3 Wx 20/93, GmbHR 1995, 51; OLG Köln v. 22.2.1995 – 2 Wx 5/95, GmbHR 1996, 218, 219; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 20; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. BGH v. 28.2.1983 – II ZB 8/82, BGHZ 87, 59, 63; OLG Frankfurt v. 30.9.1983 – 20 W 465/83, BB 1984, 238, 239; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 14. OLG Stuttgart v. 18.10.2007 – 8 W 412/07, GmbHR 2007, 1270 (bei der Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot mit Beschränkung auf Geschäfte mit bestimmten Dritten sind diese bei der Anmeldung konkret zu benennen und einzutragen); OLG Köln v. 22.2.1995 – 2 Wx 5/95, GmbHR 1996, 218, 219; OLG Düsseldorf v. 1.7.1994 – 3 Wx 20/93, GmbHR 1995, 51, 52. BayObLG v. 28.1.1982 – BReg 1 Z 126/81, BayObLGZ 1982, 41, 45; BayObLG v. 7.5.1984 – BReg 3 Z 163/83, BayObLGZ 1984, 109, 111 f.; BayObLG v. 21.9.1989 – BReg 3 Z 5/89, GmbHR 1990, 213, 214; OLG Frankfurt v. 7.10.1993 – 20 W 175/93, GmbHR 1994, 118; OLG Stuttgart v. 26.11.1984 – 8 W 435/84, OLGZ 1985, 37; OLG Hamm v. 28.10.1986 – 15 W 319/86, WM 1987, 405, 406; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12, 14. A.A. LG Köln v. 14.5.1993 – 87 T 19/93, GmbHR 1993, 501, 502; offenlassend OLG Hamm v. 22.1.1993 – 15 W 224/91, GmbHR 1993, 500.

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§ 10 Rz. 13 | Inhalt der Eintragung die überflüssige und deshalb unzulässige (Rz. 4) zusätzliche Angabe, dass die Erlaubnis zum Selbstkontrahieren auch für den Fall der Vereinigung aller Geschäftsanteile in einer Hand gelten solle36.

3. Bestimmungen über Zeitdauer 14 Nach § 10 Abs. 2 Satz 1 ist auch eine Bestimmung des Gesellschaftsvertrages über die Zeit-

dauer der Gesellschaft in das Handelsregister einzutragen. Es sind damit die in § 3 Abs. 2 geregelten Vereinbarungen gemeint, dass die Gesellschaft, abweichend von der gesetzlichen Regel, „auf eine gewisse Zeit beschränkt sein“ soll37. Eine die Gesetzeslage wiedergebende Bestimmung, wonach die Gesellschaft auf unbestimmte Zeit bestehen soll, ist demzufolge nicht eintragungsfähig38. Auch die Vereinbarung eines Kündigungsrechts der Gesellschafter fällt nicht unter § 10 Abs. 2 ohne Rücksicht darauf, ob die Kündigung zur Auflösung der Gesellschaft führt oder nicht39. Die Eintragung erfolgt in Spalte 6 unter Buchstabe b) (vgl. § 43 Nr. 6 b) aa) HRV). Die fehlende Eintragung über die Zeitdauer der Gesellschaft berührt nicht die Rechtswirksamkeit der Satzungsbestimmung40.

4. Genehmigtes Kapital 15 Das ARUG vom 30.7.2009 hat § 10 Abs. 2 Satz 1 dahingehend geändert, dass auch Bestim-

mungen über das genehmigte Kapital einzutragen sind. Die Möglichkeit einer Kapitalerhöhung durch ein „genehmigtes Kapital“ wurde bereits durch das MoMiG in § 55a eingeführt. Anders als bei der Aktiengesellschaft fehlte jedoch eine Vorschrift, die eine Eintragung des genehmigten Kapitals im Handelsregister sicherstellt. Auf Vorschlag des Bundesrates wurde daher § 10 Abs. 1 Satz 2 entsprechend geändert, um die nötige Publizität zu gewährleisten41. Die Eintragung erfolgt in Spalte 6 unter Buchstabe b); einzutragen ist das Bestehen eines genehmigten Kapitals unter Angabe des Beschlusses der Hauptversammlung oder Gesellschafterversammlung, der Höhe des genehmigten Kapitals und des Zeitpunktes, bis zu dem die Ermächtigung besteht (vgl. § 43 Nr. 6 b) hh) HRV).

5. Fakultativ angemeldete empfangsberechtigte Person 16 Einer GmbH ist es seit dem MoMiG gestattet, eine Person in das Handelsregister eintragen

zu lassen, die den Gläubigern als zusätzlicher Zustellungsbevollmächtigter neben den Vertre36 Vgl. BGH v. 8.4.1991 – II ZB 3/91, BB 1991, 925; OLG Düsseldorf v. 9.1.1991 – 3 Wx 340/90, GmbHR 1991, 161; AG Köln v. 22.2.1991 – 42 HRB 6934, GmbHR 1991, 161; Reinicke/Tiedtke, GmbHR 1991, 200; Tiedtke, ZIP 1991, 355. A.A. BayObLG v. 21.9.1989 – BReg 3 Z 5/89, GmbHR 1990, 213, 216. 37 Herrler; in: MünchKomm. GmbHG, Rz. 23. 38 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 16; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Tebben in Michalski u.a., Rz. 12. 39 BayObLG v. 9.12.1974 – BReg 2 Z 57/74, BB 1975, 249, 250; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 17; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Tebben in Michalski u.a., Rz. 12. A.A. RG v. 21.6.1912 – II 223/12, RGZ 79, 418, 422; OLG Hamm v. 13.11.1970 – 15 W 280/70, GmbHR 1971, 57, 59; auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4 bezüglich der Bestimmung, dass die Gesellschaft beim Ausscheiden eines Gesellschafters aufgelöst ist. 40 OLG Hamm v. 13.11.1970 – 15 W 280/70, GmbHR 1971, 57, 59; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 23; Tebben in Michalski u.a., Rz. 12. 41 Begr. RegE ARUG, BT-Drucks. 16/13098, S. 43.

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Inhalt der Eintragung | Rz. 18 § 10

tern der Gesellschaft dient (Zustellung an Geschäftsanschrift ist daher weiterhin möglich, vgl. § 35 Abs. 2 Satz 4). Insbesondere setzt eine Zustellung an den zusätzlichen Bevollmächtigten keinen erfolglosen Zustellungsversuch unter der Geschäftsanschrift voraus42. Nach Ansicht des Gesetzgebers werden von dieser Option nur solche Gesellschaften Gebrauch machen, die Bedenken haben, ob die eingetragene Geschäftsanschrift tatsächlich ununterbrochen für Zustellungen geeignet sein wird und sich dadurch Risiken aus öffentlichen Zustellungen ergeben könnten. Fakultativ angemeldete empfangsberechtigte Personen können zum einen natürliche Personen sein, wie beispielsweise Gesellschafter, Rechtsanwälte oder Notare43. Zum anderen können auch juristische Personen eingetragen werden44, wie beispielsweise eine Anwalts-GmbH. Es ist weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck der Vorschrift ausgeschlossen, dass mehrere Personen als zusätzliche Zustellungsbevollmächtigte eingetragen werden45. Wenn eine Person, die für Willenserklärungen und Zustellungen an die Gesellschaft empfangsberechtigt ist, mit einer inländischen Anschrift zur Eintragung in das Handelsregister angemeldet wird, sind gemäß § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 1 auch diese Angaben einzutragen. Die Eintragung der empfangsberechtigten Person erfolgt in Spalte 2 lit. b) des Registerblatts mit Vor- und Familienname und inländischer Anschrift (§ 43 Nr. 2 lit. b) HRV). Wenn es sich um eine juristische Person handelt, sind gemäß § 43 Nr. 2 lit. b) HRV die Firma und Rechtsform sowie die inländische (Geschäfts-)Anschrift einzutragen. Die Eintragung hat dann zur Folge, dass eine öffentliche Zustellung ausscheidet46 (s. aber Rz. 17 a.E.). Die Zustellung an eine empfangsberechtigte Person müsste scheitern, wenn die Gesellschaft 17 die Empfangsberechtigung gegenüber der empfangsberechtigten Person mittlerweile widerrufen hat. Um Dritte im Vertrauen auf die Registerpublizität zu schützen, reicht der Gutglaubensschutz des § 15 Abs. 1 HGB nicht aus. Denn diese Vorschrift findet nur bezüglich eintragungspflichtiger Tatsachen Anwendung. Die Anmeldung einer zusätzlichen empfangsberechtigten Person steht aber im Ermessen der Gesellschaften. § 10 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 schließt nach dem Vorbild des § 15 HGB die Schutzlücke und bestimmt, dass die Empfangsberechtigung Dritten gegenüber als fortbestehend gilt, bis sie im Handelsregister gelöscht und die Löschung bekannt gemacht worden ist, es sei denn, dass die fehlende Empfangsberechtigung dem Dritten bekannt war. Dieser Gutglaubensschutz hilft nicht weiter, wenn ein Zustellversuch an die eingetragene Person unter der eingetragenen Anschrift aus tatsächlichen Gründen scheitert, etwa weil die Anschrift nicht mehr existiert; dann muss der Gläubiger einen öffentlichen Zustellversuch (§ 185 ZPO) unternehmen47.

III. Wirkung und Mängel der Eintragung 1. Entstehung der GmbH Mit der Eintragung in das Handelsregister entsteht die GmbH als solche (§ 11 Abs. 1). Sie 18 schließt also den Gründungsprozess ab: Die durch den Abschluss des Gesellschaftsvertrages

42 Gehrlein, Der Konzern 2007, 771, 778; Steffek, BB 2007, 2077, 2081. 43 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; vgl. auch OLG Hamm v. 20.1.2011 – 15 W 485/10, GmbHR 2011, 595. 44 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 27; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Wicke, Rz. 4; Tebben in Michalski u.a., Rz. 15. 45 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26; wohl auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 19. A.A. Tebben in Michalski u.a., Rz. 13. 46 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4. 47 Begr. RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 37.

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§ 10 Rz. 18 | Inhalt der Eintragung (§ 2) gegründete und bereits rechtsfähige Gesellschaft wird zur juristischen Person (§ 13 Abs. 1); die Vorschriften des GmbHG sind nunmehr auf sie uneingeschränkt anwendbar. 19 Maßgebend für den Eintritt dieser Rechtswirkungen ist der Tag der Eintragung (§ 382 Abs. 2

FamFG, § 27 Abs. 4 HRV). Der Beweis, dass die Datumsangabe unrichtig sei, ist zulässig48. Auch § 15 HGB greift nicht ein. Die versehentlich unzutreffende Datumsangabe ist von Amts wegen zu berichtigen (§ 17 HRV). 20 Die Bekanntmachung der Eintragung (§ 10 Abs. 1 HGB) ist ohne Einfluss auf die Entste-

hung der GmbH. Die Publizitätswirkungen ergeben sich aus § 15 HGB.

2. Eintragungsmängel a) Unrichtige Eintragungen 21 Das Gesetz regelt nicht, ob die Entstehung der GmbH (Rz. 18) durch einen Verstoß gegen

§ 10 Abs. 1 und 2 berührt wird. Die Vorschriften über die Nichtigkeitsklage (§ 75 GmbHG), die Amtslöschung (§§ 395, 397 FamFG) und die Amtsauflösung (§ 399 FamFG) sind nicht anwendbar49. Anders ist nur zu entscheiden, wenn nach dem Inhalt des Handelsregisters ernsthafte Zweifel an der Identität der Gesellschaft bestehen50, weil die Entstehung einer juristischen Person aus Gründen der Rechts- und Verkehrssicherheit nicht an eine derartige funktionswidrige Registereintragung geknüpft werden kann. Ob die genannte Voraussetzung gegeben ist, kann nicht schematisch, sondern muss durch objektive Auslegung des Eintragungsinhalts im Einzelfall bestimmt werden51. Regelmäßig wird sie vorliegen, wenn die Firma der Gesellschaft überhaupt nicht oder in einer ihre Identifizierung ausschließenden Weise entstellt eingetragen ist52. Die fehlende oder unrichtige Eintragung des Sitzes oder des Unternehmensgegenstandes wird meist nicht ausreichen, um ernsthafte Identitätszweifel zu begründen53. Die GmbH entsteht im obigen Falle erst, wenn die Eintragung entsprechend berichtigt wird54. 22 Andere Unvollständigkeiten und Unrichtigkeiten der Registereintragung hindern nicht die

Entstehung der GmbH und haben auch nicht die Unwirksamkeit der betreffenden Satzungsbestimmung zur Folge55. Das Registergericht ist von Amts wegen zur Berichtigung des Eintragungsmangels befugt und verpflichtet (§ 17 HRV)56. Die Gesellschaft kann durch eine Beschwerde (§ 59 Abs. 2 FamFG) oder durch einen formlosen Antrag auf sie hinwirken; die Anwendung des § 14 HGB kommt dagegen nicht in Betracht. War die unrichtige Eintragung

48 Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 32; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. 49 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Altmeppen, Rz. 18; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 21. 50 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Altmeppen, Rz. 18; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 37; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 23. 51 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 52 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 23. 53 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 23. 54 Altmeppen, Rz. 18; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; vgl. auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. 55 OLG Hamm v. 13.11.1970 – 15 W 280/70, GmbHR 1971, 57, 59 betr. eine statutarische Bestimmung über die Zeitdauer. 56 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 10; Altmeppen, Rz. 18; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 22; s. auch OLG Köln v. 22.2.1995 – 2 Wx 5/95, GmbHR 1996, 218 (betr. Ergänzung).

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Inhalt der Eintragung | Rz. 26 § 10

bekanntgemacht worden (Rz. 27 ff.), kann ein Dritter sie der Gesellschaft entgegensetzen, wenn er die Unrichtigkeit nicht kannte (§ 15 Abs. 3 HGB). b) Verfahrensmängel Mängel des Eintragungsverfahrens haben auf die Entstehung der GmbH keine Auswirkung 23 (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 15 f., 13. Aufl., § 8 Rz. 38). Das gilt auch für die Eintragung durch ein örtlich unzuständiges Registergericht (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 9, 15). Ebenso wenig ist wegen dieses Verfahrensmangels die Amtslöschung zulässig (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 9, 15). Der Mangel ist vielmehr in sinngemäßer Anwendung der Vorschriften über die Sitzverlegung (§ 13h Abs. 2 HGB) zu beheben57. Die Amtslöschung hat dagegen dann zu erfolgen, wenn die Eintragung ohne einen dahingehenden Willen der anmeldebefugten Geschäftsführer vorgenommen worden ist (s. 13. Aufl., § 7 Rz. 16). Die durch die Eintragung entstandene Gesellschaft ist alsdann abzuwickeln. c) Nicht ordnungsgemäße Gesellschaftserrichtung Die materiell-rechtlich nicht ordnungsgemäße Gesellschaftserrichtung (§ 9c) hindert grund- 24 sätzlich nicht die rechtswirksame Entstehung der GmbH durch die Eintragung in das Handelsregister. Eine Nichtigkeit der Gesellschaft nach Eintragung kommt nur noch nach § 75 in Betracht. Dies bedeutet, dass andere Mängel durch die Eintragung grundsätzlich geheilt werden (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 89 ff.). Eine Ausnahme soll aber nach der wohl h.M. anzuerkennen sein, wenn alle Beteiligungserklärungen an einem auch nach der Eintragung beachtlichen Unwirksamkeitsmangel leiden, so dass die Scheingesellschaft dann als gegenstandslos von Amts wegen zu löschen sein soll (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 96). Im Übrigen ist bezüglich der Rechtsfolgen von Errichtungsmängeln zu unterscheiden. Be- 25 sonders schwerwiegende Mängel des Gesellschaftsvertrages, die das Gesetz abschließend bestimmt, führen zur Vernichtbarkeit (§§ 75 ff.) und zur Amtslöschung der GmbH mit Auflösungswirkung oder rechtfertigen die Einleitung des Amtsauflösungsverfahrens. Sonstige Errichtungsmängel sind dagegen regelmäßig ohne Einfluss auf den Bestand der 26 GmbH. Formmängel des Gesellschaftsvertrages (§ 2 Abs. 1) oder der Abschlussvollmachten (§ 2 Abs. 2) werden durch die Eintragung geheilt (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 90); § 139 BGB ist auf die Nichtigkeit einzelner Beteiligungserklärungen oder Satzungsbestimmungen nicht anwendbar. Fehler einer Beteiligungserklärung können nach der Eintragung, soweit nicht bestimmte überwiegende schutzwürdige Interessen betroffen sind (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 93 ff.), nicht mit der Unwirksamkeitsfolge (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 99), sondern im Falle ihres Fortwirkens nur noch mit anderen Mitteln (Austritt, Ausschließung, u.U. auch Auflösungsklage) geltend gemacht werden. Bei der Unwirksamkeit von Sacheinlagevereinbarungen ist der Gesellschafter zur Geldeinlage (s. 13. Aufl., § 5 Rz. 93 ff.) und bei der Überbewertung von Sacheinlagen zur Ergänzungszahlung verpflichtet (§ 9). Errichtungsmängel können darüber hinaus Haftungsfolgen für Gesellschafter und Geschäftsführer haben (§§ 9a, 9b).

57 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 23; ähnlich auch Ulmer/Casper in Habersack/ Casper/Löbbe, § 7 Rz. 17.

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§ 10 Rz. 27 | Inhalt der Eintragung

IV. Veröffentlichung 1. Bekanntmachung 27 Die Bekanntmachung der Eintragung der GmbH in das Handelsregister ist durch das Ge-

richt von Amts wegen unverzüglich zu veranlassen (§ 10 HGB, § 32 HRV). Entsprechendes gilt für die Berichtigung einer Eintragung (§ 17 Abs. 1 HRV). Der Verzicht auf die Bekanntmachung durch die Anmeldenden ist nicht möglich. 28 Das DiRUG hat mit Wirkung zum 1.8.2022 die Bekanntmachung von Handelsregistereintra-

gungen neu geregelt. Unter Bekanntmachung ist nicht mehr die Bekanntmachung im Bundesanzeiger und in Tageszeitungen zu verstehen, sondern die „erstmalige Abrufbarkeit über das nach § 9 Abs. 1 HGB bestimmte elektronische Informations- und Kommunikationssystem“ (§ 10 Abs. 1 HGB). Deshalb bestimmt § 10 Abs. 2 HGB, dass die Eintragungen in das Handelsregister und die eingereichten Dokumente, die gemäß § 9 HGB der unbeschränkten Einsichtnahme unterliegen, unverzüglich nach der Eintragung in das Handelsregister zum Abruf über das elektronische Informations- und Kommunikationssystem bereitzustellen sind (vgl. auch § 32 HRV). Diese Verpflichtung gilt für die Registergerichte, die die Eintragungen vornehmen und die eingereichten Dokumente im Registerordner speichern, ferner für die Landesjustizverwaltungen, die die Abrufbarkeit der Eintragungen und der eingereichten Dokumente über das System sicherzustellen haben58. Das elektronische Informations- und Kommunikationssystem ist das Registerportal der Länder und unter www.handelsregister.de zugänglich. Eine zusätzliche Bekanntmachung ist nicht mehr erforderlich. Der Bekanntmachungszeitpunkt wird gemäß § 10 Abs. 4 HGB widerleglich gesetzlich vermutet59.

2. Inhalt 29 Der Inhalt der Bekanntmachung betrifft die „Eintragungen in das Handelsregister sowie Re-

gisterbekanntmachungen“ (§ 10 Abs. 1 HGB). Dazu gehört auch die inländische Geschäftsanschrift (vgl. § 34 Satz 2 HRV). Da das EHUG die in § 10 Abs. 3 getroffene Regelung aufgehoben hat (s. Rz. 1), sind weder die nach § 5 Abs. 4 Satz 1 im Gesellschaftsvertrag getroffenen Festsetzungen über Sacheinlagen noch die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages über die Form der öffentlichen Bekanntmachungen der GmbH bekanntzumachen. Schließlich hat das EHUG auch § 40 Abs. 1 Nr. 4 AktG aufgehoben (die Vorschrift war gemäß § 52 Abs. 2 Satz 1 anwendbar), so dass die Mitglieder eines bereits bestellten Aufsichtsrats mit Name, Beruf und Wohnort nicht mehr bekanntzumachen sind.

3. Wirkungen 30 Die Bekanntmachung ist bezüglich der konstitutiven Wirkungen der Eintragungen irrele-

vant. Insbesondere hängt das Entstehen der GmbH nicht von ihr ab (Rz. 18). Dies hat sich durch das DiRUG nicht geändert. Die Bekanntmachung hat vor allem die Funktion, die Öffentlichkeit über die Eintragung zu informieren. Die Öffentlichkeit genießt nach Maßgabe des § 15 HGB Vertrauensschutz. Für die Publizitätswirkung kommt es auf die erstmalige Abrufbarkeit nach § 10 Abs. 1 HGB an60.

58 Vgl. Begr. RegE DiRUG, BT-Drucks. 19/28177, S. 94. 59 Vgl. Begr. RegE DiRUG, BT-Drucks. 19/28177, S. 93. 60 Vgl. Begr. RegE DiRUG, BT-Drucks. 19/28177, S. 94.

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Inhalt der Eintragung | Rz. 32 § 10

V. Eintragungs- und Bekanntmachungskosten Die Kosten bestimmen sich nach der Verordnung über Gebühren in Handels-, Partnerschafts- 31 und Genossenschaftsregistersachen (Handelsregistergebührenverordnung – HRegGebV). Die HRegGebV legt fest, dass im Falle der Ersteintragung einer GmbH (außer aufgrund einer Umwandlung nach dem UmwG) Eintragungsgebühren in Höhe von 150 Euro anfallen (Nr. 2100) und im Falle der Leistung mindestens einer Sacheinlage in Höhe von 240 Euro (Nr. 2101). Für die Entgegennahme der Liste der Gesellschafter fallen keine Gebühren an (Nr. 5002). Wird das Musterprotokoll verwendet, ist eine Gebührenermäßigung nicht vorgesehen. Wenn die Bekanntmachung, wie im Regelfall, ausschließlich elektronisch im Bundesanzeiger erfolgt (§ 12 Satz 1), entstehen der Gesellschaft durch die Veröffentlichung keine weiteren Kosten (vgl. Anm. zu Nr. 31004 Kostenverzeichnis zum GNotKG). Das Registergericht kann einen Kostenvorschuss verlangen (vgl. § 13 Satz 1 GNotKG).

VI. Amtshaftung Für fehlerhafte Eintragungen und Bekanntmachungen, die auf einer schuldhaften Pflicht- 32 verletzung des Registerrichters beruhen, ist die Amtshaftung nach § 839 Abs. 1 BGB allen Personen gegenüber gegeben, für die die Eintragung oder die Veröffentlichung vermöge der mit ihnen verbundenen Wirkungen von Bedeutung ist oder werden kann61. Ebenso besteht sie gegenüber der Gesellschaft bei schuldhaften Verzögerungen der Eintragung oder der Bekanntmachung. Das Richterprivileg des § 839 Abs. 2 Satz 1 BGB greift im FamFG-Verfahren nicht ein62. Die Gesellschaft, deren Geschäftsführern die Eintragung bekanntgemacht wird, verliert ihren Anspruch aber insoweit, als sie es schuldhaft unterlässt, den Schaden durch entsprechende Berichtigungsbegehren abzuwenden (§ 839 Abs. 3 BGB). Entsprechendes gilt bei fehlerhaften Bekanntmachungen63.

61 Vgl. RG v. 24.3.1933 – II 398/32, RGZ 140, 174, 184; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 43; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; einschränkend BGH v. 24.6.1982 – III ZR 19/81, BGHZ 84, 285, 287: kein Gesellschaftsschutz bei Eintragung einer unzulässigen Firma. 62 BGH v. 21.5.1953 – III ZR 272/51, BGHZ 10, 55, 60; BGH v. 26.4.1954 – III ZR 6/53, BGHZ 13, 142, 144; Herrler in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42; Tebben in Michalski u.a., Rz. 29; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32. 63 RG v. 11.12.1937 – V 120/37, JW 1938, 593; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33.

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§ 11 Rechtszustand vor der Eintragung (13. Auflage 2022) (1) Vor der Eintragung in das Handelsregister des Sitzes der Gesellschaft besteht die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche nicht. (2) Ist vor der Eintragung im Namen der Gesellschaft gehandelt worden, so haften die Handelnden persönlich und solidarisch. Abs. 1 i.d.F. von 1898, Abs. 2 von 1892. I. Grundlagen 1. Gegenstand der Regelung . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfortbildung und Funktionswandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Rechtsverhältnisse im Vorgründungsstadium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Vorgründungsstadium . . . . . . . . . . 2. Der Gründungsvorvertrag . . . . . . . . . . . 3. Die Mitunternehmerschaft im Vorgründungsstadium . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Haftungsverhältnisse im Vorgründungsstadium . . . . . . . . . . . . . . 5. Der Einfluss der Errichtung und Eintragung der GmbH auf die Rechtsverhältnisse aus dem Vorgründungsstadium . III. Die Vorgesellschaft als Rechtsträgerin und als Organisation 1. Begriff, Tatbestand, Rechtsnatur und Gesellschaftszweck . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Vorgesellschaft als Rechtsträgerin . 3. Die Kontinuität zwischen Vorgesellschaft und GmbH und die Überwindung des Vorbelastungsverbots . . . . . . . IV. Das Innenrecht der Vorgesellschaft 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Mitgliedschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Organisationsverfassung . . . . . . . . . 4. Die Kapital- und Haftungsverfassung . 5. Auflösung der Vorgesellschaft . . . . . . . . V. Das Außenrecht der Vorgesellschaft 1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellvertretung bei Rechtsgeschäften und in Prozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Besitzausübung, Verschuldenszurechnung, Haftung für fremdes Handeln, Wissenszurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Haftungsverhältnisse im Überblick VI. Die Haftung der Gesellschafter . . . . . . 1. Unbeschränkte Vor-Gesellschafterhaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2. Außenhaftung oder Innenhaftung? . . . 3. Die unbeschränkte Gründerhaftung für Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft . 4. Regressansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Haftungsfolgen der Eintragung oder des Scheiterns der Eintragung . . . . . . . VII. Die Haftung der Handelnden nach § 11 Abs. 2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlagen der Handelndenhaftung . . 2. Sachlicher Anwendungsbereich: nur bei Vorgesellschaften . . . . . . . . . . . 3. Persönlicher Anwendungsbereich . . . . 4. Das Handeln im Namen der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Geschützter Gläubigerkreis . . . . . . . . . . 6. Haftungsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Regressansprüche der Handelnden . . . 8. Haftung aus § 179 BGB? . . . . . . . . . . . . 9. Das Erlöschen der Haftung . . . . . . . . . . VIII. Vorbelastungen der GmbH und ihre Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Unversehrtheitsgrundsatz . . . . . . . 2. Das Eintragungsverbot . . . . . . . . . . . . . 3. Die Vorbelastungshaftung (Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung) der Gründer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Folgen der Eintragung oder ihrer Versagung 1. Folgen der Eintragung für die Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Folgen der Eintragung für die persönliche Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgen der Eintragungsverweigerung . 4. Fortführung der Vorgesellschaft ohne Eintragungsabsicht (sog. unechte Vorgesellschaft) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Die Einpersonen-Vorgesellschaft . . . . 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Verfassung der EinpersonenVor-GmbH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Haftungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . .

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 1 § 11 4. Die Eintragung der Einpersonengesellschaft und ihre Folgen . . . . . . . . . 177 XI. Gründungsstadien der GmbH & Co. KG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 1. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181

2. Situation A: Die GmbH ist eingetragen, aber noch nicht die KG . . . . . . . . . . . . . 185 3. Situation B: Die KG ist eingetragen, aber noch nicht die GmbH . . . . . . . . . . 187 4. Situation C: Beide Gesellschaften sind noch nicht eingetragen . . . . . . . . . . . . . 189

Schrifttum (vgl. auch Rz. 6, 85, 101, 164, 180): Altmeppen, Konkursantragspflicht in der Vor-GmbH?, 1 ZIP 1997, 273; Bachmann, Vorgesellschaft und Nachgesellschaft – Ein Beitrag zur juristischen Personifikation, in Trierer FS Lindacher, 2017, S. 23; Beuthien, Die Vorgesellschaft im Privatrechtssystem, ZIP 1996, 305 (Teil I) und 360 (Teil II); Binz, Haftungsverhältnisse im Gründungsstadium der GmbH & Co. KG, 1976; v. Bismarck, Rechtsnatur und Haftungsverhältnisse der Gründungs-GmbH, Diss. Kiel 1963; Böhringer, Zur Grundbuchfähigkeit einer GmbH im Gründungsstadium, Rpfleger 1988, 846; Büttner, Identität und Kontinuität bei der Gründung juristischer Personen, Diss. Erlangen 1967; Butt, Probleme der Vorgesellschaft nach französischem, belgischem, englischem und deutschem Recht, Diss. Mainz 1970; Derwisch-Ottenberg, Die Haftungsverhältnisse der Vor-GmbH, 1988; Dilcher, Rechtsfragen der sog. Vorgesellschaft, JuS 1966, 89; Dregger, Haftungsverhältnisse bei der Vorgesellschaft, 1951; Drygala, Praktische Probleme der Vor-GmbH, JURA 2003, 433; Eckhardt, Die Vor-GmbH im zivilprozessualen Erkenntnisverfahren und in der Einzelvollstreckung, 1990; Fabricius, Vorgesellschaften bei der Aktiengesellschaft und der Gesellschaft mit beschränkter Haftung: ein Irrweg?, in FS Kastner, 1972, S. 85; Fichtelmann, Die prozessuale Stellung der Vorgesellschaft nach ihrer Auflösung – Anmerkungen und Beratungshinweise zu dem Urteil des OLG Köln vom 27.2.1997 – 7 U 178/96, GmbHR 1997, 995; Fleck, Die neuere Rechtsprechung des BGH zur Vorgesellschaft und zur Haftung des Handelnden, ZGR 1975, 212; Fleck, Neueste Entwicklungen in der Rechtsprechung zur Vor-GmbH, GmbHR 1983, 5; Flume, Die juristische Person, 1983; Flume, Die werdende juristische Person, in FS Geßler, 1971, S. 3; Flume, Zur Enträtselung der Vorgesellschaft, NJW 1981, 1753; Gaerths, Die Rechtsnatur der Gründungsgesellschaft, Diss. Göttingen 1933; Ganßmüller, Zur Rechtsnatur der Vorgesellschaften, NJW 1956, 1186; Ganßmüller, Wieder einmal: zur Vor-GmbH, GmbHR 1970, 170; Gehrlein, Die Haftung in den verschiedenen Gründungsphasen einer GmbH, DB 1996, 561; Gummert, Die Vorgesellschaft, in Priester/Mayer/Wicke (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. III, 5. Aufl. 2018, § 16; Haas, Vor-GmbH und Insolvenz, DStR 1999, 985; Haberkorn, Rechtliche Struktur der werdenden Kapitalgesellschaft, BB 1962, 1408; Hansis, Zur Rechtsnatur der GmbH zwischen Errichtung und Eintragung, Diss. Tübingen 1967; Heidinger, Die Haftung und die Vertretung in der Gründungsphase der GmbH im Vergleich zur (kleinen) Aktiengesellschaft, GmbHR 2003, 189; Heymann, Die nicht eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung im deutsch-ausländischen Rechtsverkehr, JherJ 75 (1925), 408; Horn, Die Vorgesellschaft in der höchstrichterlichen Rechtsprechung, NJW 1964, 86; U. Huber, Haftungsprobleme der GmbH & Co. KG im Gründungsstadium, in FS Hefermehl, 1976, S. 127; Hubert, Die rechtliche Natur einer im Entstehen begriffenen Gesellschaft mit beschränkter Haftung und die Wirkung der von ihr abgeschlossenen Verträge, Diss. Erlangen 1915; Hueck, Vorgesellschaft, in FS 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 127; John, Die organisierte Rechtsperson, 1977; Kersting, Die Vorgesellschaft im europäischen Gesellschaftsrecht, 2000; Kießling, Vorgründungs- und Vorgesellschaft, 1999; Knoche, Gründerhaftung und Interessenausgleich bei der Vor-GmbH, 1990; G. Kuhn, Die Vorgesellschaft, WM-Sonderbeil. 5/1956; Lieb, Meilenstein oder Sackgasse? Bemerkungen zum Stand von Rechtsprechung und Lehre zur Vorgesellschaft, in FS Stimpel, 1985, S. 399; Lieder; Vorgründungsgesellschaft, Vorbeteiligungsgesellschaft und andere Vorbereitungsgesellschaften, DStR 2014, 2464; de Lousanoff, Partei- und Prozessfähigkeit der unechten und fehlgeschlagenen Vor-GmbH, NZG 2008, 490; Meister, Zur Vorbelastungsproblematik und zur Haftungsverfassung der Vorgesellschaft bei der GmbH, in FS Werner, 1984, S. 521; Murawo, Die unechte Vorgesellschaft im GmbH- und Aktienrecht, 2006; Nitschke, Die körperschaftlich strukturierte Personengesellschaft, 1970; Ostheim, Probleme der Vorgesellschaft bei der GmbH, JurBl. 1978, 337; Ostheim, Gedanken zu § 2 GmbHG idF. der Novelle 1980, GesRZ 1982, 124; Porzelt, Ungeklärte Fragen der gründerhaftung der Gesellschafter einer (Vor-)GmbH, GmbHR 2018, 663; Rittner, Die werdende juristische Person, 1973; Schäfer-Gölz, Die Lehre vom Vorbelastungsverbot und die Differenzhaftung der Gründer, Diss. Bonn 1983; Schaffner, Die Vorgesellschaft als Gesellschaft sui generis, 2003; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002; Karsten Schmidt, Zur Stellung der oHG im System der Handelsgesellschaften, 1972; Karsten Schmidt, Zum Vorbelastungsverbot im Gründungsrecht der Kapitalgesellschaften, NJW 1973, 1595; Karsten Schmidt, Die Vor-GmbH als Unternehmerin und als Komplementärin, NJW 1981, 1345; Karsten Schmidt, Theorie und Praxis der Vorgesellschaft nach gegenwärti-

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§ 11 Rz. 1 | Rechtszustand vor der Eintragung gem Stand, GmbHR 1987, 77; Karsten Schmidt, Zur Übertragung von Vor-Gesellschaftsanteilen, GmbHR 1997, 869; Karsten Schmidt, Umwandlung von Vorgesellschaften, in FS Zöllner, 1998, S. 521; Karsten Schmidt, Unbeschränkte Außenhaftung/unbeschränkte Innenhaftung, in FS Goette, 2011, S. 459; Schmitz/Thelen, Sind Vorgesellschaften zur Mitteilung an das Transparenzregister verpflichtet?, GmbHR 2020, 1101; Schultz, Rechtsfragen der Vor-GmbH im Lichte der höchstrichterlichen Rechtsprechung, JuS 1982, 732; Schultze-v. Lasaulx, Die unechte Vorgesellschaft, JZ 1952, 390; Schultze-v. Lasaulx, Gedanken zur Rechtsnatur der sog. Vorgesellschaft, in FS Olivecrona, 1964, S. 576; Schumann, Der Ausgleich zwischen GmbH-Gründern. Zum Innenrecht der Vor-GmbH, 2004; Servatius, Der Anfang vom Ende der unechten Vorgesellschaft, NJW 2001, 1696; Stoppel, Vinkulierungsklauseln in der Vorgesellschaft und bei Umwandlung, WM 2008, 147; Thelen/Trimborn, Haftungssituationen in der GmbH in den Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) und der Schweiz, GmbHR 1994, 782; Theobald, Vor-GmbH und Gründerhaftung, 1984; U. Torggler, Die Verbandsgründung – de lege lata betrachtet, Wien 2009; U. Torggler, Das Sein und das Nichts: Die Vorgesellschaften als Rechtsverhältnis und als Rechtsträger, in FS Krejci, 2001, S. 945; Ulmer, Die Gründung der GmbH, in Probleme der GmbH-Reform, 1970; Ulmer, Das Vorbelastungsverbot im Recht der GmbH-Vorgesellschaft – notwendiges oder überholtes Dogma?, in FS Ballerstedt, 1975, S. 279; Ulmer, Abschied vom Vorbelastungsverbot im Gründungsstadium der GmbH, ZGR 1981, 593; Wacker, Die Vorgesellschaften als Gesellschaften besonderer Art, Diss. Würzburg 1963; Waldecker, Studien über die Rechtsverhältnisse der sog. nicht eingetragenen Genossenschaft, Gruch 59 (1915), 961; Wallner, Die Liquidatoren der Vor-GmbH i.L., GmbHR 1998, 1168; Werneburg, Die GmbH vor Eintragung im Handelsregister, SächsA 1929, 244; Wiedemann, Das Rätsel Vorgesellschaft, JurA 1970, 439; Wimmer, Gründung und Beendigung von juristischen Personen (Teil I), DStR 1995, 1838; Zöllner, Die sog. Gründerhaftung. Bemerkungen zum Rätsel Vorgesellschaft, in FS Wiedemann, 2002, S. 1383. Zur „wirtschaftlichen Neugründung“ durch Mantelverwendung: Adolff, Die Haftung des Gesellschafters der eingetragenen GmbH bei wirtschaftlicher Neugründung, in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2011, 2012, S. 49; Altmeppen, Zur Verwendung eines alten GmbH-Mantels, DB 2003, 2050; Altmeppen, Zur Mantelverwendung in der GmbH, NZG 2003, 145; Bachmann, Abschied von der „wirtschaftlichen Neugründung“?, NZG 2011, 441; Bachmann, Die Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung und die Folgen ihrer Versäumung, NZG 2012, 579; Bayer, Neue und gebrauchte Mäntel, „gestreckte“ und „mutierte“ Gründungen. Die Rechtsfigur der wirtschaftlichen Neugründung in der Rechtsprechung des BGH, in FS Goette, 2011, S. 15; Berkefeld, Ungelöste Probleme auf der Rechtsfolgenseite bei der „wirtschftlichen Neugründung“ von Vorrats- und Mantelgesellschaften, GmbHR 2018, 337; Goette, Haftungsfragen bei der Verwendung von Vorratsgesellschaften und „leeren“ GmbH-Mänteln, DStR 2004, 461; Habersack, Wider das Dogma von der unbeschränkten Gesellschafterhaftung bei wirtschaftlicher Neugründung einer AG oder GmbH, AG 2010, 845; Hacker/Petsch, Leere Hülse, volle Haftung? Plädoyer für eine Insolvenzausnahme bei Unternehmensfortsetzung und wirtschaftlicher Neugründung, ZIP 2015, 761; Heidenhain, Anwendung der Gründungsvorschriften des GmbH-Gesetzes auf die wirtschaftliche Neugründung einer Gesellschaft, NZG 2003, 1051; Heidinger, Die wirtschaftliche Neugründung, ZGR 2005, 101; Heinze, „Präventivkontrolle“ der Kapitalaufbringung bei der wirtschaftlichen Neugründung?, GmbHR 2011, 962; Hermanns, Die wirtschaftliche Neugründung von Kapitalgesellschaften – das gedankliche Konzept der Rechtsprechung, in FS Brambring, 2011, S. 161; Herresthal/Servatius, Grund und Grenzen der Haftung bei der wirtschaftlichen Neugründung einer GmbH, ZIP 2012, 197; Hüfer, Wirtschaftliche Neugründung und Haftung des Geschäftsführers, NZG 2011, 1257; Kallmeyer, Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung nach dem MoMiG, DB 2007, 2755; Keller, Aktuelle Haftungsrisiken bei Mantelkauf, Mantelverwendung und Vorratsgründung, DZWiR 2005, 133; Kleindiek, Mantelverwendung und Mindestkapitalerfordernis, in FS Priester, 2007, S. 369; Krafka, Die wirtschaftliche Neugründung von Kapitalgesellschaften, ZGR 2003, 577; Lieder, Zur Anwendbarkeit der Grundsätze der Mantelverwendung, NZG 2010, 410; Lieder, Wirtschaftliche Neugründung: Grundsatzfragen und aktuelle Entwicklungen, DStR 2012, 137; Peetz, Wirtschaftliche Neugründung einer GmbH und Haftung, GmbHR 2011, 178; Peters, Der GmbH-Mantel als gesellschaftsrechtliches Problem, 1989; Podewils, Offene Fragen zur wirtschaftlichen Neugründung, GmbHR 2010, 684; Priester, Beginn der Rechtsperson – Vorräte und Mäntel, ZHR 168 (2004), 247; Priester, Wirtschaftliche Neugründung in der Liquidation, GmbHR 2021, 1327; Schall, „Cessante ratione legis“ und das Richterrecht zur wirtschaftlichen Neugründung, NZG 2011, 656; Karsten Schmidt, Vorratsgründung, Mantelkauf und Mantelverwendung, NJW 2004, 1345; Karsten Schmidt, Die Verwendung von GmbH-Mänteln und ihre Haftungsfolgen, ZIP 2010, 857; Wicke, Risiko Mantelverwendung, NZG 2005, 409.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 5 § 11

I. Grundlagen 1. Gegenstand der Regelung a) Die Vorschrift befasst sich mit den Rechtsverhältnissen vor der Eintragung der gegrün- 2 deten GmbH im Handelsregister. Diese sind darin freilich nur fragmentarisch geregelt. Aus § 11 Abs. 1 geht hervor, dass die GmbH vor der Eintragung „als solche“ noch nicht besteht. § 11 Abs. 2 regelt die Haftung derer, die vor der Eintragung im Namen der Gesellschaft gehandelt haben. Historisch knüpfte das GmbH-Gesetz von 1892 mit dieser Regelung an die aktienrechtliche Bestimmung des Art. 211 ADHGB an1. Die Gesetzesbegründung nahm hierauf lediglich Bezug2 und betonte, dass die Eintragung „die notwendige Voraussetzung für die rechtswirksame Entstehung der GmbH als solcher“ bilde. Immerhin sind in der fragmentarischen Regelung die Hauptprobleme der GmbH vor der Eintragung angesprochen: der Status der Gesellschaft (Abs. 1) und die Haftungsverhältnisse (Abs. 2). Ein in sich stimmiges Konzept konnte allerdings erst in Ergänzung und Fortbildung dieser Regeln entwickelt werden. Die Reform von 2008 (MoMiG) ließ § 11 unberührt. Mit Art. 8 der Publizitätsrichtlinie sind § 11 und die auf dieser Basis entwickelten Haftungsgrundsätze vereinbar3. b) Nur Gründungsfälle sind von der Regelung erfasst. Umstritten ist demgemäß die entspre- 3 chende Anwendung auf Umwandlungsfälle (Rz. 28), Mantelverwendungen (Rz. 29, 84, 109) und auf nicht als inländische Zweigniederlassungen eingetragene Auslandsgesellschaften (Rz. 10). Sonderregeln galten nach der deutschen Wiedervereinigung in den neuen Bundesländern für die „GmbH im Aufbau“ (vgl. dazu noch 9. Aufl., Rz. 186).

2. Rechtsfortbildung und Funktionswandel a) Das dem Gesetzeswortlaut zugrundeliegende gesetzliche Rechtsbild der GmbH vor der 4 Eintragung war vor allem durch folgende Elemente bestimmt: erstens durch die Leugnung einer Vorgesellschaft als Rechtsträgerin (vgl. § 11 Abs. 1); zweitens durch die konsequente Ablehnung einer Kontinuität zwischen der in Gründung befindlichen und der eingetragenen GmbH; folgerichtig drittens durch das Vorbelastungsverbot, das grundsätzlich keine Belastung der fertigen GmbH mit vor der Eintragung begründeten Gesellschaftsverbindlichkeiten gestattete (dazu Rz. 44 f.); viertens durch die Annahme, man müsse den auf Geschäfte der noch nicht existierenden Gesellschaft vertrauenden Rechtsverkehr durch eine Haftung schützen, die dem heutigen § 179 BGB ähnelt (vgl. § 11 Abs. 2). Der vor der Eintragung im Namen der Gesellschaft Handelnde (vgl. § 11 Abs. 2) tritt nach dieser Vorstellung als Vertreter eines in Wahrheit noch nicht vorhandenen Rechtsträgers auf. b) Rechtsfortbildung. Im Lauf der Jahrzehnte hat das Recht der Vorgesellschaft einen Insti- 5 tutionalisierungsprozess durchlaufen, der von der Literatur ausging4 und in der Rechtsprechung zunächst nur zögernd aufgegriffen wurde. Eine dem Stand der Rechtswissenschaft im Grundsätzlichen entsprechende Praxis kann seit dem Urteil BGHZ 80, 1295 konstatiert wer-

1 Vgl. näher Rittner, S. 130 ff.; Karsten Schmidt, oHG, S. 276 ff.; Schäfer-Gölz, S. 9 ff.; Fabricius in FS Kastner, S. 89 ff. 2 Begründung 1891, S. 57. 3 Dazu Kersting, S. 310 ff., 321; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 2. 4 Grundlegend zunächst in der RG-Epoche Otto Schreiber, Die KGaA, 1925; Feine in Ehrenbergs Hdb. III/3, 1929; sodann in der BGH-Epoche vor allem: Büttner, Dregger, Flume, Karsten Schmidt, Rittner, Ulmer und Wiedemann, alle a.a.O.; ablehnend Fabricius, a.a.O.; Kießling, a.a.O. (im Schrifttum). 5 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114.

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§ 11 Rz. 5 | Rechtszustand vor der Eintragung den6. Das Urteil wurde ergänzt durch BGHZ 134, 3337, wo die persönliche Haftung der Gründer für Gesellschaftsverbindlichkeiten klargestellt (allerdings in das Innenverhältnis verlegt) wurde (dazu Rz. 86 f.)8. Hauptzüge dieser Rechtsfortbildung sind: die Anerkennung der Vorgesellschaft als Rechtsträgerin (Rz. 34 ff.); die Bejahung einer Kontinuität der Rechtsverhältnisse zwischen der gegründeten und der eingetragenen GmbH (Rz. 31, 151 ff.); die Beseitigung des Vorbelastungsverbots (Rz. 45); der Funktionswandel der neben eine Haftung der Vorgesellschaft tretenden Haftung der Handelnden nach § 11 Abs. 2 (Rz. 102); die Haftung der Gründer als Gesellschafter gegenüber den Gläubigern (Rz. 86 f.) bzw. gegenüber der Gesellschaft (Rz. 139 ff.) für Schulden aus Vorbelastungen der GmbH. Die nachfolgende Kommentierung basiert auf dieser für das gegenwärtige Verständnis grundlegenden Entwicklungsgeschichte. Sie verzichtet darauf, gesicherte Ergebnisse nochmals ausführlich zu begründen, und beschränkt sich insofern auf Bemerkungen, die entweder für das Verständnis des geltenden Rechtszustandes oder für die Klärung verbliebener Zweifelsfragen oder für einzelne Abweichungen von der h.M. noch von Bedeutung sind.

II. Rechtsverhältnisse im Vorgründungsstadium 6 Schrifttum (vgl. zunächst die Angaben bei Rz. 1): Grottke, Die Vorgründungsgesellschaft der GmbH …, 1991; Kappet, Das Vorgründungsstadium von Kapitalgesellschaften, 2006; Kort, Die Haftung der Beteiligten im Vorgründungsstadium einer GmbH, DStR 1991, 1317; Michalski/Sixt, Die Haftung in der Vorgründungs-GmbH, in FS Boujong, 1996, S. 349; Nordhues, Gesellschafterhaftung in der Vorgesellschaft und Vorgründungsgesellschaft, 2003; Priester, Die Vorgründungsgesellschaft, in Priester/Mayer/Wicke (Hrsg.), Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Bd. III, 5. Aufl. 2018, § 15; Priester, Das Gesellschaftsverhältnis im Vorgründungsstadium – Einheit oder Dualismus?, GmbHR 1995, 481; Karsten Schmidt, Rechtsgrundlagen der Mitunternehmerschaft im Vorgründungsstadium der GmbH, GmbHR 1982, 6 = GesRZ 1983, 1; Karsten Schmidt, Haftung aus Rechtsgeschäften vor Errichtung einer GmbH, GmbHR 1998, 613; Karsten Schmidt, Vom „Rätsel Vorgesellschaft“ zum „Rätsel Vorgründungsgesellschaft“ – eine deutsch/österreichische Skizze, in FS Reich-Rohrwig, Wien 2014, S. 195; U. Torggler, Die Verbandsgründung, Wien 2009.

1. Das Vorgründungsstadium 7 a) Abgrenzung. Als Vorgründungsstadium wird hier der Zeitraum vor der Errichtung der

GmbH durch förmlichen Abschluss des Gesellschaftsvertrages (besser: durch Satzungsfeststellung) nach § 2 bezeichnet. In diesem Stadium kann, muss aber nicht, eine Vorgründungsgesellschaft vorhanden sein (Begriffsbestimmung in Rz. 9). Jeder GmbH-Gründung geht notwendig ein Vorgründungsstadium, allerdings nicht in jedem Fall auch eine Vorgründungsgesellschaft, voraus. In vielen Fällen binden sich die Beteiligten vor der Errichtung der GmbH nicht vertraglich. In anderen Fällen wollen sie sich vertraglich binden, aber es fehlt für einen wirksamen Vorgründungsvertrag an der erforderlichen Bestimmtheit oder Form (dazu Rz. 12 f.). Ein Vorgründungsvertrag ist in solchen Fällen entweder nicht vorhanden oder nicht wirksam. Trotzdem kann man von einem Vorgründungsstadium sprechen, sobald die

6 Vgl. zu diesem Urteil besonders Flume, NJW 1981, 1753; Fleck, GmbHR 1983, 5; Meister in FS Werner, 1984, S. 521; Priester, ZIP 1982, 1141; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1345; Ulmer, ZGR 1981, 593; Zöllner in FS Wiedemann, 2002, S. 1383 ff. 7 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507 = GmbHR 1997, 405. 8 Zu diesem Urteil Sandberger in FS Fikentscher, 1998, S. 389 ff.; Zöllner in FS Wiedemann, 2002, S. 1383 ff.; Altmeppen, NJW 1997, 1509; Flume, DB 1998, 46; Gummert, DStR 1997, 1007; Kleindiek, ZGR 1996, 427; Krebs/Klerx, JuS 1998, 991; Lübbert, BB 1998, 2222; Monhemius, JA 1997, 913; Karsten Schmidt, ZIP 1997, 61; Wiegand, BB 1998, 1065.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 9 § 11

prospektiven Gründer der GmbH in ein Planungs- und Verhandlungsstadium zueinander getreten sind. b) Das Vorgründungsstadium setzt nicht den wirksamen Abschluss eines Gesellschafts(vor-) 8 vertrags (Rz. 9 f.) voraus. Es begründet auch ohne förmlichen Vertragsschluss bereits Sonderrechtsbeziehungen unter den prospektiven Gründern. Damit entstehen unabhängig vom Bestehen einer wirksamen vorvertraglichen Bindung (dazu Rz. 9 ff.) Treupflichten und Schutzpflichten, deren Verletzung zum Schadensersatz verpflichten kann9. Ob es sich hierbei um culpa in contrahendo (Verletzung vorvertraglicher Pflichten, bezogen auf die GmbH-Errichtung) oder um eine positive Vertragsverletzung (bezogen auf einen schon bestehenden Vorgründungsvertrag) handelt, wird vielfach im Ergebnis ohne Bedeutung sein (vgl. §§ 241, 311 BGB). Nach § 311 Abs. 2 BGB schließt das Fehlen eines formgerecht vereinbarten Gründungs-Vorvertrags die Annahme von Treupflichten und das Entstehen von Schadensersatzpflichten nicht aus. Ohne wirksamen Vorgründungsvertrag können die prospektiven Gründungsgesellschafter zwar grundsätzlich nicht zur Errichtung der geplanten GmbH, zur Einbringung der in Aussicht gestellten Einlagen oder sonst zur Erfüllung der Verpflichtungen aus dem künftigen GmbH-Vertrag angehalten werden. Jede Rechtsdurchsetzung in Erfüllungsrichtung ist ausgeschlossen10, ebenso auch eine Schadensersatzhaftung wegen Nichterfüllung11. Wohl aber sind die Verhandlungspartner einander schon im Vorgründungsstadium zu vorvertraglicher Rücksicht verpflichtet und dürfen das Vertrauen der prospektiven Mitgründer nicht missbrauchen. Wer schuldhaft gegen die sich hieraus ergebenden Nebenpflichten verstößt, ist zum Ersatz des Vertrauensschadens verpflichtet12.

2. Der Gründungsvorvertrag a) Begriff und Rechtsnatur. aa) Von einem Gründungsvorvertrag ist zu sprechen, wenn sich 9 die Gründer einer GmbH – oder ein Teil dieser Gründer – durch schuldrechtlichen Vertrag zur Gründung verpflichtet haben13. Ein solcher rein schuldrechtlicher Gründungs-Vorvertrag14 ist sowohl von der noch nicht bestehenden Vorgesellschaft (Rz. 27 ff.) als auch von einer von Fall zu Fall entstehenden Mitunternehmerschaft im Vorgründungsstadium (Rz. 15 ff.) streng zu unterscheiden15. Er setzt die Beteiligung mehrerer Gründer voraus16. Aus einem wirksamen Gründungsvorvertrag ergibt sich die klagbare Pflicht zum Abschluss des GmbHGesellschaftsvertrags sowie eine allgemeine Förderungs- und Loyalitätspflicht. Möglich ist 9 Vgl. BGH v. 21.9.1987 – II ZR 16/87, GmbHR 1988, 98 = BB 1988, 159 = NJW-RR 1988, 288; LG Aachen v. 26.6.1985 – 4 O 108/84, NJW-RR 1986, 662; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2a; Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 27; Kappet, S. 51 ff.; vgl. zur formlosen Vorbereitung der Gründung auch Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 35 f.; zum Anteilskauf OLG Stuttgart v. 7.7.1989 – 9 U 13/89, DB 1989, 1817; LG Heilbronn v. 15.8.1988 – 2 KfH O 241/87, DB 1989, 1227. 10 Bedenklich die Annahme einer bereits wirksamen Vertragsstrafevereinbarung im Fall OGH Wien v. 5.5.1981 – 5 Ob 570/81, GesRZ 1981, 178 m. kritischer Anm. Ostheim. 11 Vgl. BGH v. 21.9.1987 – II ZR 16/87, GmbHR 1988, 98 = NJW-RR 1988, 288. 12 BGH v. 21.9.1987 – II ZR 16/87, GmbHR 1988, 98 = NJW-RR 1988, 288; LG Aachen v. 26.6.1985 – 4 O 108/84, NJW-RR 1986, 662, 663; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2a. 13 Vgl. zur Terminologie auch Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2a; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 19, 22 ff.; zustimmend Kappet, S. 15 ff.; ähnlich Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 6 ff.: Vorvertrag versus „Vorgründungsvertrag“; Blath in Michalski u.a., Rz. 4: Gründungsvorvertrag versus „Vorgründungsgesellschaftsvertrag“. 14 Vgl. insbesondere Altmeppen, Rz. 3; Michalski/Sixt in FS Boujong, S. 364 ff.; Priester, GmbHR 1995, 481 ff. 15 So der Sache nach auch Blath in Michalski u.a., Rz. 7 ff. 16 Keine Einpersonen-Vorgründungsgesellschaft! Vgl. FG München v. 13.3.2017 – 7 K 55/16, EFG 2017, 1826 Rz. 26.

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§ 11 Rz. 9 | Rechtszustand vor der Eintragung allerdings auch der Abschluss eines Vertrags, der nur auf die Vorbereitung einer GmbHGründung zielt und nicht bereits zum Abschluss verpflichtet17. Für einen solchen Vertrag gelten die bei Rz. 11 ff. dargestellten strengen Grundsätze nicht, denn er ist nur ein Projektvertrag und kein Vorvertrag (vgl. auch Rz. 13). 10 bb) Seiner Rechtsnatur nach ist der Gründungsvorvertrag gleichzeitig Gesellschaftsvertrag

und Vorvertrag; er begründet zugleich ein Gesellschaftsverhältnis und ein Vorvertragsverhältnis18. Das eine schließt das andere nicht aus19. Um einen Gesellschaftsvertrag handelt es sich insofern, als ein schuldrechtlicher Vertrag mit einem den Gesellschaftern gemeinsamen Zweck vorliegt, mithin eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts gemäß § 705 BGB (ab 1.1.2024, nach Inkrafttreten des MoPeG, § 505 Abs. 2, § 740 BGB n.F.). Gemeinsamer Zweck ist die Errichtung der GmbH. Hierauf, also auf den Abschluss eines GmbH-Gesellschaftsvertrages, zielen die von den Gesellschaftern zu leistenden Beiträge (insbesondere die auf Grund des Vorvertrags abzugebenden Willenserklärungen). Gemäß diesem Inhalt hat der Vorgründungsvertrag Vorvertragscharakter, weil eine rein schuldrechtliche Bindung (kein Verband) vorliegt. Als rein vorvertragliches Schuldverhältnis kann diese Innengesellschaft selbst nicht Trägerin eines etwa schon vorhandenen Unternehmens sein (Rz. 15 f.)20. Sie kann auch nicht Inhaberin eines Gesellschaftsvermögens sein21. Ebenso wenig taugt sie als Gesellschafterin wie z.B. als Komplementärin einer GmbH & Co. KG22. Wird vor der Errichtung der GmbH bereits ein Gesellschaftsvermögen gebildet oder sogar schon ein gemeinschaftliches Unternehmen betrieben, so entsteht neben dem Vorgründungsvertragsverhältnis eine Mitunternehmerschaft in Gestalt einer vom Vorvertrag zu unterscheidenden Außengesellschaft (sog. dualistisches Modell; vgl. Rz. 15)23. 11 b) Die Wirksamkeit des Gründungsvorvertrags richtet sich zunächst nach allgemeinen

rechtsgeschäftlichen Regeln. Als rein schuldrechtlicher Vertrag setzt der Gründungsvorvertrag die Beteiligung von mindestens zwei Parteien voraus. Dies müssen nicht alle Gründer der künftigen GmbH sein, doch ist i.d.R. eine vertragliche Bindung erst gewollt, wenn sich alle Gründer rechtswirksam zur Errichtung der GmbH verpflichtet haben. Die Grundsätze über fehlerhafte Gesellschaftsverträge gelten für das vorvertragliche Rechtsverhältnis nicht24. Das hängt mit dem Fehlen einer Verbandsstruktur zusammen. Diese Grundsätze werden auch nicht benötigt, weil eine Verpflichtung der Beteiligten zur Gesellschaftsgründung bei fehlerhafter Vertragsgrundlage nicht zu rechtfertigen ist und ein freiwilliger Fortgang der Gründung durch die Fehlerhaftigkeit ebenso wenig gehindert wird wie ein Ersatz des Vertrauensscha17 Vgl. der Sache nach Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 18 ff.; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, § 2 Rz. 36; Blath in Michalski u.a., Rz. 4: „Vorgründungsgesellschaftsvertrag“. 18 Näher Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2a; Karsten Schmidt, GmbHR 1982, 7; Karsten Schmidt, GmbHR 1998, 614; übereinst. Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, vor § 705 BGB Rz. 26; s. auch Kießling, S. 27 ff.; Altmeppen, § 2 Rz. 51. 19 A.M. Blath in Michalski u.a., Rz. 10 ff.; Michalski/Sixt in FS Boujong, S. 366 f.; reserviert auch Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 15 ff.; für ein rein theoretisches Problem wird die Frage gehalten von Priester, GmbHR 1995, 483. 20 A.M. Kießling, S. 356 ff.; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 43; Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 29. 21 A.M. Kießling, S. 39 f., 378; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 43; Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 17; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116; wohl auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 50; für Unterscheidung zwischen Vorvertrag und „Vorgründungsvertrag“ aber Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 6 ff., 18 ff. 22 A.M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 168; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 160 a.E. 23 Ausführlich Karsten Schmidt, GmbHR 1982, 6 ff.; zustimmend Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, § 2 Rz. 90; a.M. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112 ff.; Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 17; Priester, GmbHR 1995, 481 ff. 24 Dazu auch Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 16.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 14 § 11

dens (Rz. 8). Ist nur die Vertragserklärung eines Gründers unwirksam, so bestimmt sich die Wirksamkeit der anderen nach § 139 BGB25. aa) Um eine Rechtspflicht zum Abschluss des Gesellschaftsvertrags zu begründen, bedarf der 12 Gründungsvorvertrag (nicht auch eine zur Teilnahme an der Gründung nicht verpflichtende Projektvereinbarung; vgl. Rz. 9) eines Mindestmaßes an Bestimmtheit (13. Aufl., § 2 Rz. 106 f.). Die Gründer müssen sich über einen Mindestinhalt der in Aussicht genommenen Gründung einig geworden sein26. Im Grundsatz gilt, was BGH, LM Nr. 3 zu § 705 BGB = BB 1953, 97 in folgenden Leitsatz fasst: „Ein Vorvertrag muss zu seiner Wirksamkeit so vollständig sein, dass der Inhalt des demnächst abzuschließenden Gesellschaftsvertrages hinreichend bestimmt oder bestimmbar ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der Vorvertrag die gleiche Vollständigkeit aufweist, die für den vorgesehenen Gesellschaftsvertrag zu verlangen ist; es genügt, wenn die notwendige Ergänzung nach dem vermutlichen Parteiwillen möglich ist.“ Zur ergänzenden Vertragsauslegung und zur Ergänzung des Vertrags durch Beschlüsse vgl. 13. Aufl., § 2 Rz. 106 f. An die Bestimmbarkeit sind also keine allzu strengen Maßstäbe anzulegen. Es genügt, dass der Hauptinhalt der Satzung im Prozessfall (§ 894 ZPO!) bestimmbar ist. bb) Kaum noch umstritten ist, ob die Form des § 2 beachtet werden muss. Soweit der Ver- 13 trag zur Errichtung der GmbH und nicht bloß zur Vorbereitung und Planung verpflichten soll (dazu Rz. 9), ist diese Frage mit der auch bei 13. Aufl., § 2 Rz. 108 vertretenen Auffassung zu bejahen. Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung27 und der ganz herrschenden Lehre28. Ein heilender Vollzug durch Beitragsleistungen, der einen formlos vereinbarten Gründungsvorvertrag nach den Regeln über fehlerhafte Gesellschaften wirksam machen könnte, ist bei diesem rein schuldrechtlichen Vertragsverhältnis nicht anzuerkennen29. Ein Abschluss des Vorvertrags in notarieller Form (§ 2 Abs. 1) wird in der Praxis kaum anzutreffen sein, und auch die vereinfachte Form mit Musterprotokoll (§ 2 Abs. 1a) eignet sich wenig für eine vorvertragliche Bindung. Deshalb sind wirksame Gründungsvorverträge eine Seltenheit30. Allerdings gilt das Formerfordernis nur für Abreden, die Satzungsbestandteile werden sollen. Abreden, die nicht auf den Abschluss oder auf einen bestimmten Inhalt des GmbH-Vertrags, sondern auf Nebenpflichten zielen, sind formfrei (13. Aufl., § 2 Rz. 108). Formfrei ist demgemäß auch ein bloßer Projektvertrag, der nicht die Verpflichtung zur Errichtung der GmbH umfasst (Rz. 9). Ist der Vorvertrag formnichtig, so kann die Wirksamkeit solcher formfreier Nebenabreden nach § 139 BGB beurteilt werden. Hiervon zu unterscheiden ist die Frage des Schadensersatzes bei Nichteinhaltung formnichtiger Gründungszusagen (vgl. Rz. 8). c) Die Beendigung des Vorvertragsverhältnisses folgt den allgemeinen Regeln der Innenge- 14 sellschaft. Das Gründungsvorvertragsverhältnis endet bei einem zeitlich begrenzten Vor25 Zustimmend Blath in Michalski u.a., Rz. 8. 26 RGZ 66, 116, 121; RGZ 149, 385, 395; RGZ 156, 129, 138; BGH, LM Nr. 3 zu § 705 BGB; OLG München, BB 1958, 187; Kappet, S. 44 ff.; Kießling, S. 17; Altmeppen, § 2 Rz. 51; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 34; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 2 Rz. 89; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 55. 27 RGZ 43, 136, 139; RGZ 66, 116, 120; RGZ 106, 174, 176; RGZ 130, 73, 75; RGZ 149, 385, 395; RGZ 156, 129, 138; BGH v. 21.9.1987 – II ZR 16/87, BB 1988, 159 = GmbHR 1988, 98 = NJW-RR 1988, 288; ebenso OLG München, BB 1958, 787; LG Aachen v. 26.6.1985 – 4 O 108/84, NJW-RR 1986, 662. 28 Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 10; Altmeppen, § 2 Rz. 51; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; Blath in Michalski u.a., Rz. 7; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 2 Rz. 88; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 33; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 51; Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, vor § 705 BGB Rz. 26; Rob. Fischer, GmbHR 1954, 133; a.M. Kappet, S. 25 ff.; Kießling, S. 19 ff.; Flume in FS Geßler, 1971, S. 3, 18. 29 A.M. anscheinend BGH v. 28.2.2002 – IX ZR 153/00, NZG 2002, 725, 727. 30 Richtig Priester, GmbHR 1995, 483 f.; kritisch Michalski/Sixt in FS Boujong, S. 357 f.

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§ 11 Rz. 14 | Rechtszustand vor der Eintragung vertrag mit Ablauf der vereinbarten Zeit (ein ernsthaftes Erfüllungsverlangen kann fristwahrend wirken). Das Vorgründungsvertragsverhältnis endet außerdem mit der Erreichung oder Vereitelung des gemeinsamen Zwecks (§ 726 BGB; ab 1.1.2024 § 729 Abs. 2 BGB n.F.). Wann der gemeinsame Zweck erreicht ist, hängt von den vereinbarten Vertragspflichten ab. Sofern sich die Vertragspflichten in der Gründung der GmbH erschöpfen, beendet nicht erst die Eintragung der GmbH, sondern schon deren förmliche Errichtung das Vorgründungsvertragsverhältnis (Rz. 25)31. Dies muss als die Regel gelten32. Unmöglichkeit der Zweckerreichung setzt grundsätzlich objektive Unmöglichkeit voraus. Ob die vorvertragliche Verpflichtung eines Beteiligten mit dessen Tod endet (§ 727 BGB), hängt vom Einzelfall ab (vgl. ab 1.1.2024 auch § 730 BGB n.F.)33. Eine Liquidation dieser reinen Innengesellschaft findet nicht statt (Rz. 25). Besondere Pflichten, die über die Beendigung des Vorvertragsverhältnisses wirksam bleiben sollen, werden i.d.R. als satzungsmäßige Nebenpflichten der GmbH-Gesellschafter vereinbart. Der Vorvertrag kann für die ergänzende Auslegung des GmbH-Vertrags bedeutsam bleiben. Loyalitätspflichten, die sich aus dem Vorvertragsverhältnis ergeben haben, können von Fall zu Fall fortbestehen. Ausnahmsweise kann auch das Vorgründungsvertragsverhältnis neben der errichteten GmbH fortdauern (vgl. dazu auch Rz. 25)34. Ein Recht zu jederzeitiger ordentlicher Kündigung nach § 723 Abs. 1 BGB besteht i.d.R. nicht (differenzierend ab 1.1.2024 § 725 BGB n.F.)35. Möglich ist aber eine außerordentliche Kündigung des Vorvertragsverhältnisses36, z.B. bei unzumutbarer Verzögerung der Gesellschaftserrichtung (ab 1.1.2024 § 725 Abs. 3 BGB n.F.)37. Die durch den Vorvertrag gebildete rein schuldrechtliche Innengesellschaft lebt noch nicht nach dem Recht der künftigen GmbH. Insbesondere § 15 gilt nicht (stattdessen nur Vertragsübernahme oder Vertragsbeitritt Dritter in allseitigem Einverständnis). Möglich sind aber Vorverträge über künftige Geschäftsanteilsübertragungen, die richtigerweise auch schon der Form des § 15 Abs. 4 bedürfen (vgl. 13. Aufl., § 15 Rz. 50; a.M. für Treuhandabrede im Vorgründungsstadium BGHZ 141, 207, 21338).

3. Die Mitunternehmerschaft im Vorgründungsstadium 15 a) Rechtsformzwang. Betreiben die Gründer bereits im Vorgründungsstadium nach außen

hin gemeinschaftlich als Mitunternehmer das von der künftigen GmbH zu betreibende Unternehmen – wovon dringend abgeraten werden muss –, so entsteht unter ihnen kraft Rechtsformzwangs eine oHG bzw., wenn kein kaufmännisches Handelsgewerbe i.S.v. § 1 Abs. 2 HGB betrieben wird, eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts39. Der BGH hat dazu schon die Eröff31 Altmeppen, Rz. 5; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 56; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 46; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2b; Karsten Schmidt, GmbHR 1982, 7; Gehrlein, DB 1996, 561; a.M. Feine in Ehrenbergs Hdb. III/3, S. 190; Hadding in Soergel, 13. Aufl., vor § 705 BGB Rz. 39. 32 Übereinstimmend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 120; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 36; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 56; a.M. Blath in Michalski u.a., Rz. 10; Michalski/Sixt in FS Boujong, S. 369, die unrichtig annehmen, dann müsste die Gesellschaft nach §§ 730 ff. BGB bzw. §§ 145 ff. HGB (ab 1.1.2024 nach dem MoPeG §§ 735 ff. BGB n.F. bzw. §§ 143 ff. HGB n.F.) liquidiert werden. 33 Vgl. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 122. 34 Vgl. insofern Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 39. 35 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 62. 36 Vgl. nur BGH v. 28.2.2002 – IX ZR 153/00, NZG 2002, 725, 727 (arglistige Täuschung). 37 Ausführlich Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 56; die h.M. beruft sich auf den Kapitalerhöhungsfall RGZ 87, 164. 38 BGH v. 19.4.1999 – II ZR 365/97, BGHZ 141, 207, 213 = ZIP 1999, 925, 926 = GmbHR 1999, 707. 39 H.M.; vgl. nur BGH v. 20.6.1983 – II ZR 200/82, BB 1983, 1433 = NJW 1983, 2822 = GmbHR 1984, 41; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 120/02, DB 2004, 1359 = JuS 2004, 727 (Karsten Schmidt) = ZIP 2004, 1208; BAG v. 25.1.2006 – 10 AZR 238/05, DB 2006, 1146, 1147 = GmbHR 2006, 756, 757 = ZIP

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 16 § 11

nung eines Bankkontos für die „GmbH in Gründung“ als Vorbereitungsgeschäft ausreichen lassen40. Diese Gesellschaft ist eine Außengesellschaft, und sie ist weder mit der künftigen Vor-GmbH identisch (vgl. Rz. 26) noch mit dem etwa durch Abschluss eines Gründungsvorvertrags entstandenen Innen-Gesellschaftsverhältnis (vgl. Rz. 9; s. auch 13. Aufl., § 2 Rz. 103 ff.)41. Mit Recht entschied deshalb RG, JW 1929, 645 m. Anm. Bing, dass diese unternehmenstragende Gesellschaft wirksam sein kann, auch wenn der Vorgründungsvertrag wegen Formmangels nichtig ist. Diese Entscheidung wird zu Unrecht als inkonsistent kritisiert42. Es liegt kein Widerspruch darin, wenn die unternehmenstragende Außengesellschaft als vorhanden und wirksam, ein zur GmbH-Errichtung verpflichtendes schuldrechtliches Vorgründungsvertragsverhältnis i.S.v. Rz. 9 ff. dagegen nicht als vereinbart oder als formunwirksam angesehen wird. b) Die Trennung zwischen dem obligatorischen Gründungsvorvertragsverhältnis und der 16 unternehmenstragenden Gesellschaft hilft bei der Klärung vieler schwieriger Fragen43. Die durch den Gründungsvorvertrag entstehende BGB-Innengesellschaft als bloßes Schuldverhältnis kann nicht Trägerin von Rechten und Pflichten sein (Rz. 10), sich auch nicht in eine Außengesellschaft und Unternehmensträgerin verwandeln44. An ihr sind zwar in aller Regel, jedoch nicht denknotwendig, alle Gründer beteiligt (Rz. 11). Die Mitunternehmerschaft im Vorgründungsstadium kann formlos entstehen und setzt keinen wirksamen Vorvertrag (an dem es meist fehlt) voraus45. Es kann eine Mitunternehmerschaft ohne Vorvertrag (Rz. 15) und auch umgekehrt ein Vorgründungsvertragsverhältnis ohne mitunternehmerische Tätigkeit geben. Ist beides nebeneinander gegeben, so handelt es sich um unterschiedliche Rechtsverhältnisse (Rz. 15). Die Gesellschafter können den Gründungsvorvertrag in diesem Fall erfüllen, indem sie entweder eine GmbH gründen und ihre Anteile an der entstandenen oHG bzw. BGB-Gesellschaft (Rz. 15) in diese GmbH einbringen (Sachgründung), aber auch indem sie die durch Mitunternehmerschaft im Vorgründungsstadium entstandene Gesellschaft als oHG eintragen lassen und diese Gesellschaft nach §§ 190 ff. UmwG in eine GmbH umwandeln (Formwechsel).

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2006, 1044, 1045; OLG Stuttgart v. 27.2.2002 – 9 U 205/01, GmbHR 2002, 1067 = NZG 2002, 910; LAG Rheinland-Pfalz v. 10.8.2018 – 1 Sa 534/17; LG Düsseldorf v. 21.11.1985 – 9 O 212/85, DB 1986, 958, 959 = GmbHR 1986, 235; FG Niedersachsen v. 7.6.1991 – VI 592/90, GmbHR 1992, 391; Kübler/Assmann, GesR, § 25 I 2c; Karsten Schmidt, GesR, § 11 II 2c, § 34 III 2b; Altmeppen, Rz. 4; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 41; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 115; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 2 Rz. 90; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 36; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 58, 60; Schroeter in Bork/ Schäfer, Rz. 5. BGH v. 26.4.2004 – II ZR 120/02, DB 2004, 1359 = JuS 2004, 727 (Karsten Schmidt) = ZIP 2004, 1208. Anders noch in der Vorinstanz OLG Stuttgart v. 27.2.2002 – 9 U 205/01, GmbHR 2002, 1067 (LS) = NZG 2002, 910. Eingehend zur Richtigkeit der Unterscheidung Karsten Schmidt, oHG, S. 261 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1982, 8 f.; zustimmend Altmeppen, Rz. 5; Blath in Michalski u.a., Rz. 22 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; a.M. Kießling, S. 37 ff., 352 ff.; Nordhues, S. 203 ff.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 109 ff.; Priester, GmbHR 1995, 481 ff.; kritisch auch Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 58: Unterschiedlichkeit nur der Gesellschaftszwecke. Vgl. nur Keßler in Staudinger, 12. Aufl., vor § 705 BGB Rz. 118; Fischer, GmbHR 1954, 131. Zustimmend Blath in Michalski u.a., Rz. 23; ablehnend aber Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 17; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 112 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 58. Dafür aber Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 29. Wie hier Altmeppen, Rz. 4; ungenau aufgrund der „monistischen“ Betrachtungsweise Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 5: Formbedürftiger Gesellschaftsvertrag nur, „wenn er die Gründer bereits zur Errichtung der GmbH verpflichten soll“.

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§ 11 Rz. 17 | Rechtszustand vor der Eintragung

4. Die Haftungsverhältnisse im Vorgründungsstadium 17 a) Haftungsverhältnisse bei vorweggenommener Mitunternehmerschaft. Wird schon im

Vorgründungsstadium ein Unternehmen von sämtlichen Gründern in Mitunternehmerschaft betrieben, so liegt eine oHG oder eine unternehmenstragende Gesellschaft bürgerlichen Rechts vor (Rz. 15). Wird in diesem Fall unternehmensbezogen kontrahiert, so wird diese Gesellschaft Vertragspartnerin. Wer unternehmensbezogene Rechtsgeschäfte abschließt, handelt im Namen des wahren Unternehmensträgers, ohne dass es auf dessen richtige Bezeichnung ankommt46. Im Zweifel besteht, wenn die mitunternehmerische Tätigkeit schon beginnt, Einzelvertretungsmacht jedes Gründers, sei es nach § 125 HGB, sei es – bei fehlender Kaufmannseigenschaft – in entsprechender Anwendung dieser Bestimmung auf die unternehmenstragende Gesellschaft bürgerlichen Rechts47. Die im Vorgründungsstadium mitunternehmerisch handelnden Gesellschafter verpflichten im Zweifel die oHG (bzw. die Gesellschaft bürgerlichen Rechts) und ihre persönlich haftenden Gesellschafter, auch wenn dem Anschein nach im Namen einer „GmbH in Gründung“ kontrahiert wurde. Richtig heißt es bei BGHZ 91, 148, 15248, es handele sich dann um einen der im Geschäftsleben vielfältig vorkommenden Fälle, in denen der Rechtsträger des Unternehmens, für das gehandelt wird, lediglich falsch bezeichnet ist49. Vertreten wird dann nach der Terminologie des BGH statt der noch nicht bestehenden „GmbH in Gründung“ „die Vorgründungsgesellschaft“50. Gemeint ist aber nicht die durch den Gründungsvorvertrag entstehende BGB-Innengesellschaft (Rz. 10), sondern vertreten wird die neben dem Gründungsvorvertrag bestehende Außengesellschaft (Rz. 15 f.). Hinsichtlich der Haftungskonsequenzen ist dem BGH deshalb zuzustimmen. Auch aus gesetzlichen Schuldverhältnissen (Delikt, UWG, ungerechtfertigte Bereicherung, Gewerbesteuer etc.) kann die oHG oder GbR bereits haften. Daneben haften die Gründer für die Unternehmensverbindlichkeiten unbeschränkt, sofern nicht mit den einzelnen Gläubigern abweichende Vereinbarungen getroffen werden51. Die unbeschränkte Gesellschafterhaftung ergibt sich im Fall eines kaufmännischen Unternehmens aus § 128 HGB, im Fall eines nicht-kaufmännischen Unternehmens aus analoger Anwendung des § 128 HGB auf die in diesem Fall bestehende Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Rz. 15)52, ab 1.1.2024 (Inkrafttreten des MoPeG) aus § 721 BGB n.F. Eine Haftung der im Namen der Gesellschaft Handelnden nach § 11 Abs. 2 greift daneben im Vorgründungsstadium nicht ein (Rz. 24). 18 b) Sonstiges Handeln im Vorgründungsstadium. Wird das Unternehmen noch nicht oder

noch nicht in Mitunternehmerschaft von den Gründern betrieben, wurde aber im Vorgrün-

46 Karsten Schmidt, HandelsR, § 4 Rz. 90 ff. 47 A.M. für Vorgründungsgesellschaft als GbR OLG Stuttgart v. 27.2.2002 – 9 U 205/01, GmbHR 2002, 1067 = NZG 2002, 910 (Anwendung der §§ 709, 714 BGB); für analoge Anwendung des § 125 HGB (ab 1.1.2024 nach dem MoPeG § 124 HGB n.F.) dagegen Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 125 HGB Rz. 26. 48 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152 = BB 1984, 1315, 1316 = GmbHR 1984, 316, 317. 49 Bestätigend BGH v. 13.1.1992 – II ZR 63/91, GmbHR 1992, 164; wie hier aber auch Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 6. 50 In gleicher Richtung BGH v. 9.3.1998 – II ZR 366/96, GmbHR 1998, 633, 634 = NZG 1998, 382 m. Anm. v. Reinersdorff = ZIP 1998, 646, 647; BGH v. 15.4.2021 – III ZR 139/20, BGHZ 229, 299 Rz. 24 = GmbHR 2021, 813 Rz. 24 = ZIP 2021, 1160 Rz. 24; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 115. 51 Vgl. Karsten Schmidt, GmbHR 1998, 616; über Belehrungspflichten des Notars vgl. Jäger, MDR 1996, 657. 52 So auch Blath in Michalski u.a., Rz. 29; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116; die entsprechende Anwendung des § 128 HGB auf die persönliche Haftung von BGB-Außengesellschaftern ist gesichert seit BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; ab 1.1.2024 gilt nach dem MoPeG § 721 BGB n.F.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 21 § 11

dungsstadium schon „im Namen der Gesellschaft“ gehandelt, so muss zunächst gefragt werden, ob der für die Gründer Handelnde als Vertreter der künftigen Vor-GmbH und GmbH (dann § 11 GmbHG) oder im Namen einer nur angeblich schon vorhandenen, in Wahrheit noch inexistenten, (Vor-)GmbH (dann §§ 177, 179 BGB) oder im Namen der Gründungsbeteiligten oder im eigenen Namen auftrat53. Die Antworten können unterschiedlich sein: aa) Deckt der Handelnde die Verhältnisse auf, teilt er also dem Geschäftspartner mit, dass 19 die Gesellschaft noch nicht errichtet ist, so kann dies auf ein Handeln im eigenen Namen hindeuten54. In diesem eher seltenen Fall sind die Rechtsfolgen einfach. Der Handelnde verpflichtet sich selbst und nur sich selbst. Ein Handeln im eigenen Namen liegt auch vor, wenn ein Gründungsbeteiligter ein Unternehmen, das in die künftige GmbH eingebracht werden soll, vorerst als Einzelunternehmen, führt und – unter welcher Bezeichnung auch immer (vgl. Rz. 38) – unternehmensbezogene Geschäfte abschließt55. Selbst wenn dieser Gründungsbeteiligte für Rechnung der künftigen Gesellschaft handeln will, dies aber nicht durch eine aufschiebende Bedingung verdeutlicht, berechtigt und verpflichtet er sich im Außenverhältnis selbst56. Dasselbe gilt, wenn er Bevollmächtigte für sich handeln lässt. bb) Gesamtschuldnerische Verpflichtung. Schließen mehrere Gründungsbeteiligte oder 20 schließt ein Bevollmächtigter in ihrer aller Namen einen Vertrag ab, der schon vor der Errichtung der GmbH wirksam sein soll, so verpflichten sich die Gründungsbeteiligten im Zweifel selbst als Gesamtschuldner nach § 427 BGB57. Beispielsweise haften die Gründer und nicht die künftige GmbH, wenn die Gründer einen Maklervertrag abschließen, der der künftigen GmbH den Erwerb eines Grundstücks ermöglichen soll58. cc) Im Namen der künftigen (Vor-)GmbH wird gehandelt, wenn vereinbart wird, dass der 21 Vertrag erst die gegründete oder eingetragene GmbH berechtigen und verpflichten soll59. Da diese Gesellschaft noch nicht wirksam vertreten werden kann, muss sie den Vertrag gemäß § 177 BGB noch genehmigen. Vor der Errichtung bzw. Eintragung der GmbH wird dann gar keine Verbindlichkeit, also auch keine persönliche Haftung, begründet. Ein solches Handeln nur für die künftige Gesellschaft setzt Offenlegung des Sachverhalts und Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung voraus; das bloße Auftreten unter einer GmbH-Firma genügt hierfür nicht60.

53 Eingehend Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2c. 54 Vgl. auch BGH v. 9.3.1998 – II ZR 366/96, GmbHR 1998, 633 = NJW 1998, 1645 = NZG 1998, 382 m. Anm. v. Reinersdorff = ZIP 1998, 646; OLG Koblenz v. 6.11.2001 – 3 U 151/01, NZG 2003, 32 = GmbHR 2002, 1239; OLG Stuttgart v. 7.2.1992 – 2 U 141/91, NJW-RR 1992, 994 = WM 1993, 33: bei Eigeninteresse des Handelnden (Gründers). 55 Vgl. OLG Düsseldorf v. 23.10.1986 – 10 U 99/86, BB 1987, 1624 = GmbHR 1987, 430; OLG Karlsruhe v. 2.3.1988 – 13 U 182/86, GmbHR 1988, 482, 483. 56 Vgl. Karsten Schmidt, GmbHR 1998, 615 zu BGH v. 9.3.1998 – II ZR 366/96, GmbHR 1998, 633 = NJW 1998, 1645 = ZIP 1998, 646; vgl. auch OLG Hamm v. 24.1.1992 – 11 U 30/91, GmbHR 1993, 105 (Einpersonengründung). 57 Im Ergebnis richtig deshalb BGH v. 20.6.1983 – II ZR 200/82, BB 1983, 1433 = GmbHR 1984, 41 = NJW 1983, 861 = ZIP 1983, 933; BGH v. 7.2.1996 – IV ZR 335/94, VersR 1996, 583 = WM 1996, 722; BGH v. 9.3.1998 – II ZR 366/96, GmbHR 1998, 633 = NJW 1998, 1645 = ZIP 1998, 646; OLG Hamm v. 13.12.1988 – 7 U 104/88, NJW-RR 1989, 616 = GmbHR 1989, 335; eingehend Karsten Schmidt, GmbHR 1998, 615 f.; wie hier Blath in Michalski u.a., Rz. 33. 58 BGH v. 7.2.1996 – IV ZR 335/94, VersR 1996, 583 = WM 1996, 722. 59 OLG Stuttgart v. 20.9.2000 – 20 U 87/99, GmbHR 2001, 200 = NZG 2001, 86; s. auch Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 44; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 60. 60 Charakteristisch BGH v. 9.3.1998 – II ZR 366/96, GmbHR 1998, 633 = NJW 1998, 1645 = ZIP 1998, 646: Kauf einer Maschine im Namen einer noch nicht gegründeten GmbH; OLG Hamm v. 13.12.1988 – 7 U 104/88, NJW-RR 1989, 616 = GmbHR 1989, 335: Mietvertrag im Namen der noch nicht errichteten „S & B GmbH“ verpflichtet „die Vorgründungsgesellschaft“.

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§ 11 Rz. 22 | Rechtszustand vor der Eintragung 22 dd) Wer im Namen einer vorgeblich schon errichteten „GmbH i.G.“ oder gar vorgeblich

schon fertigen „GmbH“ handelt, ohne deren fehlende Gründung offenzulegen, haftet, da er im Namen einer nicht vorhandenen Rechtsträgerin handelt, entsprechend § 179 BGB, solange nicht die GmbH entstanden ist und das Geschäft wirksam genehmigt hat61.

23 ee) Soll die vorhandene Gesellschaft Vertragspartnerin sein, was bei einer Innengesellschaft

rechtlich nicht möglich ist, so vertritt der Handelnde die Gründungsbeteiligten im Rahmen der ihm erteilten Vertretungsmacht (anders wohlgemerkt nach Rz. 17 bei mitunternehmerischem Handeln in Personengesellschaft)62. Der BGH vom 20.6.198363 entscheidet treffend: „Eine rechtsgeschäftliche persönliche Haftung der GmbH-Gesellschafter für Verbindlichkeiten, die sie vorweg für die erst noch zu gründende GmbH eingegangen sind, endet mit Gründung oder Eintragung der GmbH im Handelsregister nur, wenn das mit dem Gläubiger so vereinbart ist; eine solche Vereinbarung muss der Haftungsschuldner beweisen.“ Dieser Standpunkt entspricht heute der h.M. (enger noch BGH vom 26.10.198164)65. Auch die Genehmigung eines unter Verwendung ihrer Firma, jedoch nicht aufschiebend bedingt, vereinbarten Rechtsgeschäfts durch die später gegründete oder sogar eingetragene GmbH lässt eine im Vorgründungsstadium entstandene persönliche Haftung nicht entfallen66. 24 c) Keine Handelndenhaftung. Es gibt im Vorgründungsstadium keine Handelndenhaftung

nach § 11 Abs. 267. Diese Auffassung befand sich bis 1984 in der Minderheit68 gegenüber

61 OLG Koblenz v. 6.11.2001 – 3 U 151/01, NZG 2003, 32 = GmbHR 2002, 1239; Altmeppen, Rz. 11; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 60; in gleicher Richtung Blath in Michalski u.a., Rz. 39 (wo die Voraussetzung, dass die fehlende Errichtung einer GmbH nicht offengelegt ist, nicht deutlich wird). 62 A.M. Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 6 f.: im Namen der Gesellschaft und mit akzessorischer persönlicher Haftung. 63 BGH v. 20.6.1983 – II ZR 200/82, GmbHR 1984, 41 = WM 1983, 861 = ZIP 1983, 933. 64 BGH v. 26.10.1981 – II ZR 31/81, GmbHR 1982, 183 = WM 1981, 1300. 65 Zustimmend OLG Hamm v. 24.1.1992 – 11 U 30/91, GmbHR 1993, 105; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2c; Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 38; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 37; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 117; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 60; Kort, DStR 1991, 1319 f.; s. auch BGH v. 13.1.1992 – II ZR 63/91, GmbHR 1992, 164; BGH v. 22.4.1996 – II ZR 303/94, DStR 1996, 1015 m. Anm. Goette; BGH v. 9.3.1998 – II ZR 366/96, GmbHR 1998, 633 = ZIP 1998, 646; OLG Düsseldorf v. 23.10.1986 – 10 U 99/86, BB 1987, 1624 = GmbHR 1987, 430; OLG Karlsruhe v. 2.3.1988 – 13 U 182/86, GmbHR 1988, 482. 66 BGH v. 9.3.1998 – II ZR 366/96, GmbHR 1998, 633 = ZIP 1998, 646. 67 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148 = GmbHR 1984, 316 = NJW 1984, 2164 = JZ 1984, 943 m. Anm. John; BGH v. 17.12.1984 – II ZR 69/84, GmbHR 1985, 214 = WM 1985, 479; BGH v. 22.4.1996 – II ZR 303/94, DStR 1996, 1015 m. Anm. Goette; OGH Wien v. 21.4.1998 – 2 Ob 2254/ 96a, SZ 71/69 = NZG 1998, 595 = ecolex 1998, 636 m. Anm. Fantur; BAG v. 12.7.2006 – 5 AZR 613/05, AG 2006, 796 = NJW 2006, 3230 = ZIP 2006, 1672 (betr. Vor-AG; Vorinstanz LAG Köln v. 4.8.2005 – 6 (10) Sa 350/05, AG 2006, 171); OLG Hamburg v. 23.1.1987 – 11 U 188/86, BB 1987, 505 = GmbHR 1987, 477 = NJW-RR 1987, 811; OLG Stuttgart v. 20.9.2000 – 20 U 87/99, GmbHR 2001, 200 = NZG 2001, 86; LG Düsseldorf v. 21.11.1985 – 9 O 212/85, DB 1986, 958, 959 = GmbHR 1986, 235; Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 40; Altmeppen, Rz. 13; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 45; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 118; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 50; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30, 131; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 8; Kappet, S. 110 ff.; Kort, DStR 1991, 1319; bestätigend auch BGH v. 17.12.1984 – II ZR 69/84, GmbHR 1985, 214 = WM 1985, 479; kritisch Kießling, S. 393; Nordhues, S. 221 ff.; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG, 3. Aufl., § 2 Rz. 7. 68 Karsten Schmidt, oHG, S. 266 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1982, 8; Ulmer in Hachenburg, 7. Aufl., Rz. 20.

688 | Karsten Schmidt

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 25 § 11

einer damals ganz h.M.69. In Abkehr von dieser h.M. hat aber BGHZ 91, 14870 richtig entschieden: „Die in § 11 Abs. 2 GmbHG bestimmte Haftung dessen, der für eine noch nicht in das Handelsregister eingetragene GmbH handelt, greift nicht ein, solange nicht der Gesellschaftsvertrag oder die Errichtungserklärung des einzigen Gesellschafters notariell beurkundet worden ist; die bisherige Rechtsprechung, die Handlungshaftung könne auch schon im Vorgründungsstadium entstehen, wird aufgegeben.“ Der II. Zivilsenat hat die damit vollzogene Änderung seiner Praxis mehrfach bekräftigt71. Dieser Rechtsprechung ist ungeachtet ihrer angreifbaren Begründung (die Handelndenhaftung solle sicherstellen, dass neben der nur beschränkten Haftung der Gesellschafter einer Vorgesellschaft wenigstens eine verantwortliche Person unbeschränkt hafte) im Ergebnis zuzustimmen, denn im Vorgründungsstadium besteht für die Handelndenhaftung weder Bedürfnis noch Rechtfertigung: Kontrahiert der Handelnde im eigenen Namen, so verpflichtet er sich selbst; kontrahiert er im Namen der Gründer, so verpflichtet er diese als Gesamtschuldner (§ 427 BGB), wenn er Vertretungsmacht hat (§ 164 BGB)72, sonst sich selbst (§ 179 BGB)73; kontrahiert er im Namen der noch einzutragenden künftigen GmbH, so entsteht keine persönliche Haftung, aber dies setzt voraus, dass er die tatsächlichen Verhältnisse aufdeckt (vgl. zu diesen Varianten Rz. 19–23)74.

5. Der Einfluss der Errichtung und Eintragung der GmbH auf die Rechtsverhältnisse aus dem Vorgründungsstadium a) Beendigung des Vorgründungsstadiums. Mit der Errichtung der (Vor-)GmbH (Rz. 28) 25 endet das Vorgründungsstadium, und das Gründungsstadium beginnt (Rz. 27 ff.). Ein im Fall eines wirksamen Gründungsvorvertrags entstandenes Innen-Gesellschaftsverhältnis wird i.d.R. durch Zweckerreichung aufgelöst (§ 726 BGB), wenn die Satzung errichtet und dadurch eine Vor-GmbH entstanden ist (vgl. Rz. 14). Eine Liquidation findet nicht statt, weil der Gründungsvorvertrag kein Gesellschaftsvermögen und keine Außenbeziehungen begründet (Rz. 10)75. Soweit unter den Gründern bereits ein Gesellschaftsvermögen gebildet wurde – der Hauptfall ist der der Mitunternehmerschaft im Vorgründungsstadium (Rz. 15) – kann dessen Auseinandersetzung geboten sein76, doch ist dies keine Liquidation der durch den Gründungsvorvertrag entstandenen Innengesellschaft. Als obligationsrechtliches Schuldverhältnis kommt diese einfach zur Beendigung. Nur soweit Pflichten aus dem Vorvertrag neben der gegründeten GmbH fortbestehen sollen, treten beide Rechtsverhältnisse – GmbHSatzung und Vorgründungsvertrag – nebeneinander (vgl. auch hierzu Rz. 14).

69 RGZ 122, 172, 174 (dazu W. Schmidt, Lion und Abraham, JW 1929, 648 und 1372); BGH, LM Nr. 11 zu § 11 GmbHG = JZ 1963, 63; BGH v. 8.10.1979 – II ZR 165/77, GmbHR 1980, 198 = NJW 1980, 287; BGH v. 26.10.1981 – II ZR 31/81, GmbHR 1982, 183 = NJW 1982, 932; zustimmend bis 1984 die ganz überwiegende Literatur. 70 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148 = GmbHR 1984, 316 = JZ 1984, 943 m. Anm. John. 71 BGH v. 17.12.1984 – II ZR 69/84, GmbHR 1985, 214 = WM 1985, 479; BGH v. 22.4.1996 – II ZR 303/94, DStR 1996, 1015 m. Anm. Goette. 72 Vgl. LAG Köln v. 2.11.2006 – 6 (10) Sa 350/05 (im Nachgang zu BAG v. 12.7.2006 – 5 AZR 613/05, AG 2006, 796 = ZIP 2006, 1672). 73 Dazu BAG v. 12.7.2006 – 5 AZR 613/05, AG 2006, 796 = ZIP 2006, 1672. 74 Vgl. Karsten Schmidt, GmbHR 1998, 615; so auch Altmeppen, Rz. 13; zur Haftung nach § 179 BGB LAG Köln v. 25.11.1987 – 5 Sa 923/87, GmbHR 1988, 341 = DB 1988, 864. 75 A.M. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 30: Abwicklung, wenn Gesellschaftsvermögen gebildet wurde; ebenso Priester in MünchHdb. GesR III, § 15 Rz. 43 (zur „Vorgründungsgesellschaft“); vollends unrichtig Michalski/Sixt in FS Boujong, S. 369. 76 Nur dies meinen die soeben genannten Gegenstimmen.

Karsten Schmidt | 689

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§ 11 Rz. 26 | Rechtszustand vor der Eintragung 26 b) Keine Identität mit der (Vor-)GmbH. Die Vorgründungsgesellschaft kann nicht mit der

(errichteten) Vor-GmbH und später mit der (eingetragenen) GmbH identisch sein77. Das gilt sowohl für ein durch Gründungsvorvertrag entstandenes (Innen-) Gesellschaftsverhältnis (Rz. 10) als auch für eine durch vorweggenommene Mitunternehmerschaft entstandene (Außen-)Gesellschaft (Rz. 15). Leistungen der Gründer zu Gunsten der Vorgründungsgesellschaft befreien sie nicht von ihren Einlagepflichten gegenüber der (Vor-)GmbH78. Treffend heißt es bei BGHZ 91, 148, 15179, dass keine Subjektkontinuität zwischen der Vorgründungsgesellschaft einerseits und der Vor-GmbH bzw. der später eingetragenen GmbH andererseits besteht80. Es gehen keine Rechte und Pflichten der Vorgründungsgesellschaft auf die spätere GmbH über81. Die Gründer können solche Rechte und Pflichten nur durch Einbringungsgeschäfte auf eine (Vor-)GmbH überführen, z.B. auch konkludent durch Fortführung eines „Gesellschaftskontos“ bei der Bank82. Auch der Firmenschutz der später eingetragenen GmbH reicht nicht ohne weiteres – nämlich nur im Fall des derivativen Erwerbs eines in die Gesellschaft mit Firma eingebrachten Unternehmens – in das Vorgründungsstadium zurück83. Eine im Vorgründungsstadium begründete persönliche Haftung der Gründer (Rz. 17– 24) endet nicht mit der Gründung oder Eintragung der GmbH84 und auch nicht mit deren bloßer Genehmigung. Enthaftend wirkt nur ein Verzicht oder Erlass seitens des Gläubigers oder die Zustimmung zu einer befreienden Schuldübernahme seitens der (Vor-)GmbH85. Da es sich um eine Eigenhaftung der Gründer handelt, kommt § 13 Abs. 2 nicht haftungsbeschränkend zum Zuge.

III. Die Vorgesellschaft als Rechtsträgerin und als Organisation Schrifttum: vgl. Rz. 1.

1. Begriff, Tatbestand, Rechtsnatur und Gesellschaftszweck 27 a) Begriff und Tatbestand. aa) Als Vor-GmbH (oder: Vorgesellschaft) bezeichnet man die

nach § 2 formgerecht errichtete, aber noch nicht eingetragene GmbH, also die GmbH im Gründungsstadium. Auch die als „Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt)“ nach

77 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 151 = BB 1984, 1315, 1316 = NJW 1984, 2164 = WM 1984, 929 = GmbHR 1984, 316, 317; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 38; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 9; Kappet, S. 118 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 2b; Karsten Schmidt, GmbHR 1982, 8; a.M. Kießling, S. 352 ff. 78 Vgl. OLG Köln v. 10.11.1988 – 1 U 55/88, ZIP 1989, 238; s. auch Kort, DStR 1991, 1320. 79 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 151 = BB 1984, 1315, 1316 = GmbHR 1984, 316, 317 = NJW 1984, 2164 = WM 1984, 929. 80 Dazu näher Karsten Schmidt in FS Reich-Rohrwig, 2014, S. 195, 198. 81 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152 = NJW 1984, 2164, 2165 = GmbHR 1984, 316; BGH v. 9.3.1998 – II ZR 366/96, GmbHR 1998, 633, 634 = NJW 1998, 1645; BGH v. 25.10.2000 – VIII ZR 306/99, GmbHR 2001, 293 = NZG 2001, 561; OLG Dresden v. 19.12.1996 – 7 U 872/96, GmbHR 1997, 215, 216; BGH v. 15.4.2021 – III ZR 139/20, BGHZ 229, 299 Rz. 24 = GmbHR 2021, 813 Rz. 24 = ZIP 2021, 1160 Rz. 24; Altmeppen, Rz. 7; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 2; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 46; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 119; Altmeppen, Rz. 14; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 59; Wälzholz in GmbH-Hdb., Rz. I 384; a.M. Kießling, S. 352 f., 375 ff. 82 Vgl. OLG Hamm v. 20.1.1997 – 31 U 138/96, GmbHR 1997, 602. 83 Vgl. LG Düsseldorf v. 14.1.1987 – 4 O 359/85, NJW-RR 1987, 874. 84 BGH v. 25.10.2000 – VIII ZR 306/99, GmbHR 2001, 293 = NZG 2001, 561; Kappet, S. 122 ff. 85 Vgl. Kappet, S. 125 ff.

690 | Karsten Schmidt

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 28 § 11

§ 5a gegründete sog. Vor-Unternehmergesellschaft86 ist in diesem Sinne eine Vor-GmbH (keine eigenständige Rechtsform; vgl. 13. Aufl., § 5a Rz. 16). Der Status der GmbH als Vorgesellschaft beginnt mit dem Abschluss und Wirksamwerden des Gesellschaftsvertrags (§§ 2 f.) und endet, sofern nicht die Vor-GmbH umgewandelt oder liquidiert oder ihre Eintragung rechtskräftig abgelehnt wird, mit der Eintragung der GmbH im Handelsregister (§ 10). Das Gründungsstadium und damit der Status der Vor-GmbH umfasst den gesamten von § 11 beschriebenen Zeitraum zwischen Errichtung und Eintragung. Soweit der Registeranmeldung Bedeutung für die Haftung zukommt (Rz. 141), braucht nicht deshalb ein neues Gesellschaftsstadium erfunden zu werden87. Das Stadium der Vorgesellschaft ist ein notwendiges Stadium jeder GmbH, die durch Gründung – nicht durch Formwechsel nach §§ 190 ff. UmwG – zu Stande kommt (vgl. zum Umwandlungsrecht Rz. 28). Der Begriff der Vorgesellschaft setzt nicht mehr voraus als die Errichtung einer GmbH gemäß §§ 1 ff. Vielfach wird noch betont, dass die Gesellschafter außerdem die Absicht haben müssen, die Gesellschaft in das Handelsregister eintragen zu lassen88. Dieser Wille ist aber in der Errichtung der GmbH notwendig enthalten. Nicht das Fehlen der Eintragungsabsicht, sondern nur ihr nachträglicher Fortfall ist von praktischem Interesse (dazu Rz. 162). bb) Die Vorgesellschaft entsteht durch förmlichen Abschluss des Gesellschaftsvertrags gemäß 28 §§ 2 ff. (also durch Feststellung der Satzung). Die Rechtsgrundsätze über fehlerhafte Gesellschaften finden Anwendung89. Im Fall der Umwandlung ist zu unterscheiden: Der Formwechsel eines bereits vollwirksamen Rechtsträgers in die Rechtsform der GmbH (§§ 190 ff. UmwG) lässt keine interimistische Vorgesellschaft entstehen90. Anderes gilt nach h.M. für die Überführung eines Gesellschaftsvermögens auf eine neu entstehende GmbH im Fall der Verschmelzung durch Neugründung (§§ 36 ff. UmwG) und der Spaltung zur Neugründung (§ 123 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 2, §§ 135 ff. UmwG)91, denn dies ist der Sache nach eine vereinfachte Sachgründung. Praktische Folgen, insbesondere Haftungsfolgen, hat diese Annahme allerdings i.d.R. nicht (Rz. 110), denn es wird nicht im Namen der Vorgesellschaft gehandelt92. Wenig diskutiert worden ist die Frage, ob ein Vor-e.V. oder eine Vorgenossenschaft durch Vertragsänderung in eine Vor-GmbH umgewandelt und der schon errichtete Verband als GmbH eingetragen werden kann. Die Frage sollte bejaht werden93. Sie hilft, wenn ein bereits errichteter Rechtsträger in einer anderen als der zunächst vereinbarten und zur Eintragung angemeldeten Rechtsform eingetragen werden soll (z.B. weil die Eintragung als e.V. verweigert wurde94), über den Liquidationszwang und über den numerus clausus des § 1 UmwG hinweg95. Nach den bei Rz. 56 f. zur Satzungsänderung entwickelten Grundsätzen sind zwei Varianten der Umwandlung im Stadium der Vor-GmbH möglich: erstens die durch

86 Dazu Paura in Habersack/Casper/Löbbe, § 5a Rz. 24; Rieder in MünchKomm. GmbHG, § 5a Rz. 14. 87 A.M. Baumann, JZ 1998, 597 ff.: vor der Anmeldung nur „GmbH in Anwartschaft“; wie hier Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6. 88 Vgl. BGH v. 18.1.2000 – XI ZR 71/99, BGHZ 143, 314, 319 = ZIP 2000, 411, 421 = GmbHR 2000, 276; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 32; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 12. 89 Vgl. RG, JW 1941, 1080; BGHZ 13, 320, 324; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 138, 144 f. 90 BGH v. 25.1.1999 – II ZR 383/96, NJW-RR 1999, 1554, 1555 = GmbHR 1999, 612. 91 Vgl. Drygala in Lutter, § 4 UmwG Rz. 24; J. Vetter in Lutter, § 56 UmwG Rz. 7, 28; Mayer in Widmann/Mayer, § 135 UmwG Rz. 75; Ihrig, GmbHR 1995, 633; Dieter Mayer, DB 1995, 862; s. auch BGH v. 25.1.1999 – II ZR 383/96, NJW-RR 1999, 1554, 1555 = GmbHR 1999, 612; a.M. noch Vossius in Widmann/Mayer, § 131 UmwG Rz. 18; vgl. auch zur formwechselnden Umwandlung früheren Rechts Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 79. 92 Vgl. BGH v. 23.9.1985 – II ZR 284/84, NJW-RR 1986, 115 = WM 1985, 1364 = GmbHR 1986, 225. 93 Karsten Schmidt in FS Zöllner, S. 529 ff.; zustimmend Blath in Michalski u.a., Rz. 71. 94 Karsten Schmidt, Verbandszweck und Rechtsfähigkeit im Vereinsrecht, 1984, S. 309 ff. 95 Karsten Schmidt in FS Zöllner, 1998, S. 534.

Karsten Schmidt | 691

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

§ 11 Rz. 28 | Rechtszustand vor der Eintragung allseitigen Vertrag aller Gesellschafter mit Sofortwirkung vollzogene Umwandlung der VorGmbH z.B. in eine Vor-AG oder Vor-Genossenschaft und zweitens die auf den Zeitpunkt der Eintragung aufschiebend bedingte Umwandlung durch qualifizierten Mehrheitsbeschluss96. 29 cc) Keine Vorgesellschaft ist die im Handelsregister eingetragene Vorrats- oder Mantelge-

sellschaft. Seit den Beschlüssen BGHZ 153, 15897 und BGHZ 155, 31898 unterwirft der BGH die Verwendung solcher Vorrats- bzw. Mantelgesellschaften für Zwecke der Unternehmensträgerschaft als „wirtschaftliche Neugründung“ allerdings dem Gründungsrecht (dazu 13. Aufl., § 3 Rz. 181 ff.). Im Jahr 2010 hat der BGH den Tatbestand der „wirtschaftlichen Neugründung“ klarstellend auf Fälle begrenzt, in denen die für die „wirtschaftliche Neugründung“ verwendete Gesellschaft eine „leere Hülse“ ist, also kein aktives Unternehmen betreibt, an das die Fortführung des Geschäftsbetriebs – sei es auch unter wesentlicher Umgestaltung, Einschränkung oder Erweiterung seines Tätigkeitsgebiets – in irgendeiner wirtschaftlich noch gewichtbaren Weise anknüpfen kann99. Im Jahr 2011 hat der BGH herausgestellt, dass Strukturänderungen, die vor der Eintragung der Gesellschaft vollzogen worden sind, gleichfalls nicht ausreichen100. Eine sich hinschleppende Gründungsphase, an deren Ende das Unternehmen ein anderes als das geplante Gesicht hat, ist nach dieser Entscheidung kein Fall der „wirtschaftlichen Neugründung“. Auch mit dieser Maßgabe wird diese Rechtsprechung verschiedentlich als in den Rechtsfolgen zu weitgehend kritisiert101. Dagegen kann nach einem Urteil von 2013 selbst noch in der Liquidation der GmbH durch deren Fortsetzung der Tatbesatnd der „wirtschaftlichen Neugründung“ verwirklicht werden102. Nach der hier vertretenen, noch weitergehenden Auffassung bestehen gegen die Verwendung der gründungsrechtlichen (Haftungs-)Regeln auf Fälle der Wiederverwendung „leerer“ GmbHMäntel Bedenken grundsätzlicher Art (vgl. zur Gesellschafterhaftung Rz. 67, 84, 140; zur Handelndenhaftung Rz. 99)103. Literatur zu den Mantelgesellschaften Rz. 1 und 13. Aufl., § 3 Rz. 181 ff. 30 b) Rechtsnatur der Vor-GmbH. aa) Streitstand. Die Rechtsnatur der Vorgesellschaft ist bis

heute umstritten, jedoch hat sich ein wesentlicher Teil der hiermit verbundenen Streitfragen erledigt. Ältere Stimmen sahen die Vorgesellschaft als einen nichtrechtsfähigen Verein104 oder als eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts105 an. Heute herrscht die auf Otto Schreiber und Hans Erich Feine zurückgehende Auffassung vor, es handele sich bereits um eine Vorstufe der fertigen GmbH, um eine Gesellschaft, die bereits dem Recht der GmbH unterliegt,

96 97 98 99 100 101 102 103 104 105

Karsten Schmidt in FS Zöllner, 1998, S. 527 ff., 538. BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = NJW 2003, 892. BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = NJW 2003, 3198. BGH v. 18.1.2010 – II ZR 61/09, GmbHR 2010, 474 = = ZIP 2010, 621 = NZG 2010, 428; dazu auch Altmeppen, § 3 Rz. 58. BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032 m. Anm. Bayer = ZIP 2011, 1761. Vgl. Bachmann, NZG 2011, 441 ff.; Habersack, AG 2010, 845 ff.; Herresthal/Servatius, ZIP 2012, 197 ff.; Hüffer, NZG 2011, 1257; Keller, DZWiR 2005, 133 ff.; Peetz, GmbHR 2011, 178 ff.; Priester, ZHR 168 (2004), 248 ff.; Wicke, NZG 2005, 409 ff. BGH v. 10.12.2013 – II ZB 53/12, GmbHR 2014, 317 = ZIP 2014, 15 = NZG 2014, 264; dazu Priester, GmbHR 2021, 1327. Vgl. Kleindiek in FS Priester, S. 368 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857 ff.; teilweise auch Priester, ZHR 168 (2004), 248 ff.; in gleicher Richtung Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 203 ff.; s. auch Berkefeld, GmbHR 2018, 337, 345. Schultze-v. Lasaulx in FS Olivecrona, S. 605 ff.; Paul, NJW 1947/48, 417 ff.; Bayer, JZ 1952, 551 f.; Haberkorn, BB 1962, 1411; vgl. seither noch Beuthien, ZIP 1996, 307. RGZ 58, 56; RGZ 82, 290; RGZ 105, 229; RGZ 151, 91; LAG Bremen, DB 1979, 407; Brodmann, Anm. 1a; Liebmann/Saenger, Anm. 1; Franz Scholz, JW 1938, 3149 m.w.N.

692 | Karsten Schmidt

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 31 § 11

soweit dieses nicht die Eintragung voraussetzt106. Die Vorgesellschaft gilt als Rechtsform sui generis107. Der Bundesgerichtshof108 bezeichnet die Vorgesellschaft als „notwendige Vorstufe zur juristischen Person“ (dem wird hier zugestimmt) und als ein „Rechtsgebilde mit einer zeitlich und sachlich eng begrenzten Aufgabenstellung“ (dem wird hier widersprochen; vgl. zum Zweck der Vorgesellschaft Rz. 32 f.). Nach einer lange Zeit dominierenden Vorstellung handelt es sich, da noch keine GmbH als juristische Person bestehe, um eine Gesamthandsgesellschaft109. Die Eintragung einer GmbH, die nach Abs. 1 zuvor nicht „als solche“ bestand, hätte hiernach den Effekt eines Formwechsels von der Gesamthand in die Rechtsform der juristischen Person. Diese Deutung der Vorgesellschaft hat nicht nur bei der Anerkennung der Einpersonen-Vorgesellschaft unangemessene Schwierigkeiten bereitet (Rz. 166 f.), sondern sie wirkt sich auch bei der rechtlichen Behandlung der Vor-GmbH insgesamt hinderlich aus. Das Rechtsinstitut der Vorgesellschaft resultiert aus einer Auflehnung von Praxis und Lehre gegen den aus § 11 Abs. 1 sprechenden Willen des historischen Gesetzgebers (vgl. Rz. 4 f.). Diese Rechtsfortbildung gestattet es, dem Willen der Gründer, eine Körperschaft zu errichten, schon vor der Eintragung Rechnung zu tragen110. Die Vorgesellschaft als werdende juristische Person ist bereits eine Körperschaft111. Aus dem Gegensatz zwischen „juristischer Person“ und „Gesamthand“ dürfen keine generalisierenden Folgerungen abgeleitet werden112. bb) Das Verhältnis zwischen Vorgesellschaft und eingetragener GmbH. Die Vorgesell- 31 schaft ist mit der später eingetragenen GmbH identisch (Rz. 152)113. Die Frage hatte in frü-

106 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen BGHZ 21, 242, 246 = NJW 1956, 1435; BGHZ 45, 338, 347 = NJW 1966, 1311, 1313; BGHZ 51, 30, 32 = NJW 1969, 509; BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 48 f. = NJW 1978, 1978, 1979; BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 132 = NJW 1981, 1373, 1374 = GmbHR 1981, 114; BAG, NJW 1963, 680; BAG AP Nr. 2 zu § 11 GmbHG m. Anm. Rittner/Krell = NJW 1973, 1904; OLG Nürnberg v. 9.5.2018 – 8 W 736/18, JurBüro 2018, 418 Rz. 22; Schaffner, S. 157 ff. („Gesellschaft sui generis“); Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 6; Altmeppen, Rz. 16 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5 ff. („Gesellschaft sui generis“); Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 3 („Gesellschaftsform sui generis“); Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 13; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, Rz. 10; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 98; Hueck in FS 100 Jahre GmbHG, S. 146; Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 148 f.; Fleck, GmbHR 1983, 7; Bachmann in Trierer FS Lindacher, S. 23, 25. 107 BGHZ 21, 242, 246 = NJW 1956, 1435; BGHZ 51, 30, 32 = NJW 1969, 509 = GmbHR 1969, 80; Altmeppen, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Blath in Michalski u.a., Rz. 43. 108 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 326 = GmbHR 1992, 451; BGH v. 20.6.1983 – II ZR 200/82, BB 1983, 1433 = GmbHR 1984, 42; Konzeptionslosigkeit wurde der h.M. vorgeworfen bei John, Rechtsperson, S. 309 ff. 109 BGH v. 29.5.1980 – II ZR 225/78, WM 1980, 955, 956; Kießling, S. 104 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41, 59; s. auch Beuthien, ZIP 1996, 307 (nichtrechtsfähiger Wirtschaftsverein als Gesamthand); reserviert Altmeppen, Rz. 19; zum Streitstand Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 10 ff.; Bachmann in Trierer FS Lindacher, S. 23, 25. 110 A.M. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12; zur Einpersonen-Vorgesellschaft ebd., Rz. 24; diese Auffassung setzt, ähnlich wie die Terminologie des 19. Jahrhunderts, die Begriffe „Körperschaftsbildung“ und Bildung einer „juristischen Person“ weitgehend gleich. 111 Vgl. Rittner, S. 142 ff., 331 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 11 IV 2, § 34 III 3; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 42; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 79; s. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61: „Sondervermögen eigener Art“; distanziert gegenüber dem hier vertretenen Standpunkt dann aber ebd. Rz. 73. 112 S. auch Theobald, S. 10; insoweit auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61, 73. 113 Vgl. BFH v. 11.4.1973 – I R 172/72, BFHE 109, 190; BFH v. 14.10.1992 – I R 17/92, BStBl. II 1993, 352 = GmbHR 1993, 171 = NJW 1993, 1222; Karsten Schmidt, GesR, § 11 IV 2c; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 112; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 14; Altmeppen, Rz. 17; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5 (unscharf); Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff,

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§ 11 Rz. 31 | Rechtszustand vor der Eintragung heren Jahren erhebliche Bedeutung, weil über zweierlei gestritten wurde: darüber, ob die Gesellschaft schon vor der Eintragung als Rechtsträgerin anzuerkennen ist (dazu Rz. 34 ff.), und darüber, ob Rechte und Pflichten von der Vorgesellschaft automatisch auf die fertige GmbH „übergehen“ oder ob es hierfür eines Rechtsgeschäfts der GmbH bedarf (dazu Rz. 152 ff.). Die sog. Identitätstheorie114 suchte den automatischen Übergang apriorisch aus der Identität der Gesellschaften abzuleiten. Das war methodisch bedenklich115, aber nachdem der automatische „Übergang“ unter Berücksichtigung aller in Frage stehenden Interessen als geklärt gelten kann, darf man dieses Ergebnis mit der Formel der Identitätstheorie verallgemeinern116: Es besteht Identität im Sinne vollständiger Kontinuität der Rechtsverhältnisse (Rz. 46)117. Im Augenblick der Eintragung setzt sich die Gesellschaft unter Einschluss aller Aktiva und Passiva als GmbH fort (vgl. Rz. 151 ff.). Diese Identitätsformel vereinfacht eine ganze Reihe sonst unnötig komplizierter Fragen. 32 c) Der gemeinsame Zweck der Vorgesellschaft. aa) Meinungsstreit. Der Gesellschaftszweck

ist nicht auf die Gründung beschränkt, sondern er ist bereits deckungsgleich mit dem Zweck der späteren GmbH118 (vgl. auch vice versa für das Liquidationsstadium 12. Aufl., § 69 Rz. 3). Anders sah es die ältere, noch vom Vorbelastungsverbot beherrschte Rechtsprechung119. Diese Sichtweise ist bis heute nicht überwunden120. Immer noch herrscht die Auffassung vor, Hauptzweck oder „spezifischer“ Zweck der Vorgesellschaft sei die Vollendung des Gründungsvorgangs121. Nach dieser angeblichen „lex lata“122 können die Gründer durch den Gesellschaftsvertrag oder durch einen einstimmigen Beschluss den gemeinsamen Zweck der Vorgesellschaft erweitern, insbesondere die Geschäftsführer ermächtigen, bereits Vorbereitungs-

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Rz. 15; a.M. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 64 (relativierend Rz. 167); Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12 (s. aber Rz. 90); Hueck in FS 100 Jahre GmbHG, S. 148 ff. Feine in Ehrenbergs Hdb. III/3, 1929, S. 201 ff.; Dregger, S. 50 ff., 63 ff.; Dilcher, JuS 1966, 92 ff. Vgl. Büttner, S. 128 ff.; Flume in FS Geßler, S. 25 f.; Rittner, S. 105; Karsten Schmidt, oHG, S. 261 ff.; Ulmer in FS Ballerstedt, S. 286; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 15. Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 11 IV 2c, § 11 IV 4; zustimmend insoweit Altmeppen, Rz. 17; zum Sieg der Identitätstheorie vgl. auch Karsten Schmidt, NJW 1981, 1346; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 78; Zuflucht zu den §§ 190 ff. UmwG sucht überflüssigerweise Kießling, S. 324 ff. Zustimmend Altmeppen, Rz. 17; der Sache nach ebenso auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 89 f. mit verbleibenden Konzessionen an die frühere h.M. („durch … Kontinuität geprägt“) und mit Sonderbehandlung der Einpersonengründung (Rz. 95). Vorsichtig in dieser Richtung schon Karsten Schmidt, oHG, S. 299; entschieden dann Karsten Schmidt, GesR, § 11 IV 2b, § 34 III 3a; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 79; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 51; zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 14; Blath in Michalski u.a., Rz. 45; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 54; immer noch kritisch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 12 (jedoch in Widerspruch zu Rz. 90); die dort kritisierte Vernachlässigung der Strukturunterschiede zwischen Gesamthand und juristischer Person ist kein schlagender Einwand; abgesehen von Zweifeln an der Gesamthandsnatur der Vorgesellschaft ist darauf hinzuweisen, dass sich dieser Einwand auch bei der Umwandlungsgesetzgebung als ein überwindbarer Hemmschuh erwiesen hat; Nachweise bei Karsten Schmidt, AcP 191 (1991), 506 ff. RGZ 83, 370, 373; RGZ 105, 228, 229; RGZ 134, 121, 122; aus der Literatur besonders nachdrücklich Horn, NJW 1964, 88. Charakteristisch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; vgl. auch zur Betrachtung als Gelegenheitsgesellschaft Altmeppen, Rz. 16. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 139 = NJW 1981, 1373, 1375 = GmbHR 1981, 114, 116; BayObLG, NJW 1965, 2254, 2256; OLG Hamm v. 19.7.2006 – 20 U 214/05, GmbHR 2006, 1044 = NZG 2006, 754 = ZIP 2006, 2031. Kießling, S. 75 ff.; Schumann, S. 114 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 11 i.V.m. Rz. 19; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 85 a.E.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 34 § 11

geschäfte der werbenden GmbH zu tätigen123, auch bereits die werbende Tätigkeit der Vorgesellschaft selbst auf diese Weise zum gemeinsamen Zweck erheben124. Diese angebliche Zweckerweiterung kann nach BGHZ 80, 129125 formlos geschehen126. Doch ist diese h.M. immer noch zu eng. Sie verwechselt das absehbare Ziel der Gründung und den im Gründungsstadium schon zugelassenen Tätigkeitsrahmen mit dem Verbandszweck127 und mit dem Gegenstand des Unternehmens (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 und dazu 13. Aufl., § 3 Rz. 18 ff.). Verbandszweck und Unternehmensgegenstand der GmbH sind bereits vorhanden128. Insbesondere ist die Zustimmung zur Aufnahme des Geschäftsbetriebs keine Veränderung des Verbandszwecks, sondern nur eine Erweiterung der Geschäftsführerbefugnisse (vgl. unten Rz. 58 f.)129. Auch Bareinlagen muss die Vorgesellschaft nicht treuhänderisch für die spätere GmbH verwalten, sondern sie kann diese bereits im Rahmen ihres eigenen Zwecks für den Erwerb von Gütern oder für sonstige Geschäfte verwenden130. bb) Bedeutung. Im Wesentlichen spielt die angebliche Zweckbegrenzung der Vorgesellschaft 33 unter drei Gesichtspunkten eine Rolle und hat hier eine scheinbare Berechtigung: bei der Verpflichtung der Gründer, das für die Eintragung Erforderliche zu tun (Rz. 52), bei der Verpflichtung der Geschäftsführer, nicht ohne Zustimmung der Gesellschafter mit der werbenden Tätigkeit zu beginnen (Rz. 58 f.), und bei der Auflösung der Gesellschaft, wenn die Eintragung scheitert (Rz. 159). Keine dieser Rechtsfolgen braucht aber damit erklärt zu werden, dass nur die Herbeiführung der Eintragung als GmbH gemeinsamer Zweck der Vorgesellschaft ist (ausführlich noch in der 10. Aufl.).

2. Die Vorgesellschaft als Rechtsträgerin a) Rechtsfähigkeit. Entgegen überkommener, jedoch überholter Auffassung (vgl. auch Rz. 5) 34 ist die Vorgesellschaft als Trägerin von Rechten und Pflichten rechtsfähig131. Ihre Qualifikation als „teilrechtsfähig“132 ist eine ängstliche Verdeckung der zwischen dem Wortlaut des 123 RGZ 58, 55, 56; RGZ 83, 370, 373; Flume, Juristische Person, § 5 III 2; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 37. 124 Theobald, S. 20. 125 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114. 126 Zustimmend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 37; Karsten Schmidt, NJW 1984, 1345; Fleck, GmbHR 1983, 9; Bedenken noch bei John, BB 1982, 512; Ulmer in FS Ballerstedt, S. 291; Ulmer, ZGR 1981, 599 ff. 127 Vgl. Karsten Schmidt, GmbHR 1979, 79; zum Verbandszweck vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 4 II. 128 Hiergegen Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17: „abzulehnende Gegenansicht“. 129 S. auch Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 14 ff.; dass die Aufnahme der Geschäftstätigkeit „Zweck der Vorgesellschaft“ wäre (dagegen Altmeppen, Rz. 49), wird auch hier nicht behauptet. 130 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5; Lutter, NJW 1989, 2649. 131 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 132 = NJW 1981, 1373, 1374 = GmbHR 1981, 114, 115; BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 326 = NJW 1992, 1824; BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, NJW 1998, 1079, 1080 = GmbHR 1998, 185; BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, DB 1986, 106; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 7; John, Rechtsperson, S. 311 ff.; Kersting, S. 212 ff.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 105; Wicke, Rz. 3; Karsten Schmidt, GesR, § 11 IV 2b, § 34 III 3a; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 80 f.; Hueck in FS 100 Jahre GmbHG, S. 157; zusammenfassend Altmeppen, Rz. 18; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 24. 132 Vgl. Büttner, S. 109 ff.; s. auch Rittner, S. 321 ff.; Blath in Michalski Rz. 47, 58; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 74 („beschränkte Rechtsfähigkeit“); Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; vgl. auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 59 mit Fn. 132 (nicht „vollwertige Trägerin von Rechten und Pflichten“); zum zweifelhaften Aussagewert der Rechtsfigur der Teilrechtsfähigkeit vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 8 V 1.

Karsten Schmidt | 695

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§ 11 Rz. 34 | Rechtszustand vor der Eintragung § 11 Abs. 1 und dem praktizierten Recht bestehenden Kluft133. Den entscheidenden Schritt hat nach jahrzehntelangen Vorarbeiten der Bundesgerichtshof durch sein Urteil BGHZ 80, 129 vom 9.3.1981 getan134. Heute kann die Vorgesellschaft einschränkungslos als Rechtsträgerin bezeichnet werden. 35 Als vollwertige Rechtsträgerin hat die Vorgesellschaft schon im Zeitpunkt ihrer Errichtung

ein Gesellschaftsvermögen, bestehend aus den Ansprüchen auf Leistung der gezeichneten Stammeinlagen. Diese müssen nach § 7 jedenfalls teilweise schon an die Vorgesellschaft geleistet werden. Der dogmatische Streit um die Einordnung der Vorgesellschaft (Rz. 30) ist aus heutiger Sicht rein akademisch. Die traditionelle Sicht spricht teils von einem Gesamthandsvermögen135, teils von einem Sondervermögen136, teils orientiert sie sich an der Rechtsfigur der Teilrechtsfähigkeit (vgl. soeben Rz. 34). Doch ist nur eines entscheidend: Man muss Ernst machen mit der Vorstellung, dass bereits ein echtes Gesellschaftsvermögen vorliegt, weil die Vor-GmbH, obwohl noch nicht fertige juristische Person, bereits mit der einzutragenden GmbH zweckidentisch (Rz. 31 f.) und bereits Rechtsträgerin ist (Rz. 34). 36 b) Die Vor-GmbH kann als Trägerin eines Unternehmens fungieren und Kaufmann

sein137. Das war bereits früh anerkannt für den Fall, dass im Wege der Sachgründung ein Unternehmen in die Gesellschaft eingebracht wird, das naturgemäß nicht bis zur Eintragung stillgelegt werden kann138. Mittlerweise ist die Fähigkeit der Vorgesellschaft, Trägerin eines Unternehmens zu sein, auch für den Fall der Bargründung anerkannt139. Der Verbandszweck der Vorgesellschaft deckt nicht nur den Gründungsvorgang, sondern auch den Geschäftsbetrieb der künftigen GmbH (vgl. Rz. 32 f.). Damit ist vor allem die ältere Lehre von der „unechten Vorgesellschaft“140 abgelehnt, soweit sie besagt, dass sich die Vorgesellschaft, weil der Unternehmensträgerschaft unfähig, je nach Art des Unternehmens automatisch in eine oHG oder in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts verwandelt, wenn die GmbH bereits im Gründungsstadium mit dem Betrieb eines Gesellschaftsunternehmens beginnt141. Eine solche automatische Umwandlung kommt erst in Betracht, wenn die Eintragung gescheitert ist oder nicht mehr betrieben wird (Rz. 162). Als Trägerin eines Unternehmens kann die Vorgesellschaft auch bereits Arbeitgeberin sein142.

133 Vgl. zur Entwicklung Rittner, S. 130 ff.; Karsten Schmidt, oHG, S. 302 ff.; kritisch vor allem Schultze-v. Lasaulx in FS Olivecrona, S. 591 ff.; Fabricius in FS Kastner, S. 96. 134 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = GmbHR 1981, 114. 135 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 135 = GmbHR 1981, 114, 115; Kießling, S. 104 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41, 59. 136 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 61. 137 Karsten Schmidt, HandelsR, § 4 Rz. 14; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 1 HGB Rz. 40; Altmeppen, Rz. 30; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 53 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61; ausführlich M. Scholz, S. 9 f.; unrichtig OLG Düsseldorf v. 18.11.1998 – 11 U 36/98, NJW-RR 1999, 615, 616. 138 Vgl. BGHZ 45, 338, 349 f. = NJW 1966, 1311, 1314; BGHZ 51, 30, 32 = NJW 1969, 509. 139 Vgl. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61; grundlegend John, Rechtsperson, S. 338. 140 Vertreten vor allem von Schultze-v. Lasaulx, JZ 1952, 390 ff.; vgl. auch OLG Frankfurt, NJW 1947/ 48, 429; OLG Celle, NJW 1951, 36; OLG Hamburg, GmbHR 1952, 138; OLG Oldenburg, BB 1955, 713 = JR 1956, 104; BayObLG, GmbHR 1979, 14, 15; BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, DB 1986, 106, 107 = GmbHR 1986, 118. 141 Vgl. gegen diese herkömmliche Lehre von der unechten Vorgesellschaft BGHZ 51, 30, 32 = NJW 1969, 509; Karsten Schmidt, oHG, S. 285 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 25; Kuhn, WM-Beilage 5/1956, S. 15 f. m.w.N. 142 Vgl. BAG v. 13.5.1996 – 5 AZB 27/95, NJW 1996, 2678 (allerdings zu § 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG); unrichtig OLG Frankfurt v. 6.1.1994 – 1 U 174/91, GmbHR 1994, 708.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 38 § 11

Ob die Vor-GmbH Handelsgesellschaft (§ 6 HGB) und damit Kaufmann i.S.d. Handels- 37 rechts ist, richtet sich nach §§ 1 ff. HGB, so dass eine Kaufmannseigenschaft nur unter der Voraussetzung des § 1 Abs. 2 HGB in Betracht kommt; Formkaufmann nach § 13 Abs. 3 ist die Vorgesellschaft nicht143. Als solche – d.h. als Vorgesellschaft – wird die noch in Gründung befindliche GmbH auch nicht in das Handelsregister eingetragen (zur Eintragung als Gesellschafterin einer Personengesellschaft vgl. dagegen Rz. 40)144. Als Trägerin eines Handelsunternehmens unterliegt sie aber bereits der kaufmännischen Buchführungspflicht nach §§ 238 ff. HGB, wenn sie ein Handelsgewerbe nach § 1 Abs. 2 HGB betreibt, das nach Art und Umfang einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert. Im Hinblick auf die Bilanzkontinuität zwischen Vorgesellschaft und GmbH wird man jedoch auch in anderen Fällen die Geschäftsführer den kapitalgesellschaftsrechtlichen Rechnungslegungspflichten unterwerfen müssen145. Ist die Vorgesellschaft bereits Kaufmann, so unterliegen ihre Geschäfte auch den §§ 343 ff. HGB. Betreibt sie kein unter § 1 Abs. 2 HGB fallendes oder ein sonstiges nicht unter § 1 HGB fallendes Unternehmen, so kann sich die im Handelsrecht umstrittene Frage stellen, inwieweit die §§ 343 ff. HGB trotz (noch) fehlender Kaufmannseigenschaft Anwendung finden146. c) Die Vorgesellschaft hat bereits eine Firma bzw., wenn sie kein kaufmännisches Unterneh- 38 men betreibt, einen Namen147. Ihre Firma bzw. der Name ist identisch mit der gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 im Gesellschaftsvertrag enthaltenen, zum Handelsregister anzumeldenden und dem § 4 entsprechenden Firma148. Üblicherweise und korrekterweise wird sie bis zur Eintragung mit dem Zusatz „in Gründung“ (auch abgekürzt „i.G.“) verwendet (13. Aufl., § 4 Rz. 31)149. Aus dem zu eng formulierten Katalog des § 19 HGB ist zu folgern, dass jeder kaufmännisch tätige Rechtsträger einen Rechtsformzusatz in der Firma bzw. als Firmenanhang führen muss. Geschieht dies nicht, so käme eine Vertrauenshaftung wegen irreführenden Firmengebrauchs in Betracht (Vortäuschung einer GmbH, die bereits eingetragen ist). In der Regel wird jedoch das Weglassen des Zusatzes „in Gründung“ kein besonderes Haftungsvertrauen begründen. Ohne Rücksicht auf Kausalität und Verschulden haftet allerdings der für die Vor-GmbH Handelnde nach den bei 13. Aufl., § 4 Rz. 20 ff. geschilderten Grundsätzen, wenn er auch den warnenden Firmenzusatz „GmbH“ weglässt und z.B. nur für die von der Vor-GmbH betriebene „Firma X“ auftritt150. Diese Haftung tritt neben die der Gesellschaft und neben die hier angenommene Außenhaftung der Gesellschafter (Rz. 91); im Gegensatz zu dieser erlischt sie auch nicht mit der Eintragung der Gesellschaft (Rz. 158). Fir-

143 Karsten Schmidt, HandelsR, § 10 Rz. 19; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 6 HGB Rz. 12; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 76. 144 BayObLG, NJW 1965, 2254, 2257; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61; Karsten Schmidt, JZ 1973, 303. 145 Vgl. nur Schiffers in GmbH-Hdb., Rz. II 4006. 146 Bejahend Heymann/Jung, 2. Aufl. 1999, § 238 HGB Rz. 18; vgl. auch Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2017, § 343 HGB Rz. 12. 147 BGH v. 29.10.1992 – I ZR 264/90, BGHZ 120, 103, 106 = NJW 1993, 459, 460 = GmbHR 1993, 103, 104; BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, NJW 1998, 1079, 1080; Rittner, S. 352 f.; Altmeppen, Rz. 31; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 51; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 75 ff.; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 13; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 13; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 80 f.; a.M. OLG München v. 25.1.1990 – 29 U 5621/89, GmbHR 1991, 63. 148 Akademisch und rein theoretisch ist deshalb die Kontroverse, ob der Name der Vor-GmbH auch ohne kaufmännische Tätigkeit bereits Firma im Rechtssinne der §§ 17 ff. HGB ist; dafür noch Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Rz. 42. 149 OLG Celle v. 14.3.1990 – 9 U 3/89, GmbHR 1990, 398, 399; Binz, S. 178 f.; Büttner, S. 79; Rittner, S. 352 f.; Altmeppen, Rz. 31; Heinrich in Habersack/Casper/Löbbe, § 4 Rz. 84. 150 OLG Celle v. 14.3.1990 – 9 U 3/89, GmbHR 1990, 398; a.M. Altmeppen, Rz. 31 f.

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§ 11 Rz. 38 | Rechtszustand vor der Eintragung ma und Name sind nach § 37 HGB, § 12 BGB geschützt. Die Gegenansicht, wonach sich ein durch Verkehrsgeltung und Prioritätsschutz gerechtfertigter Firmenschutz nicht mit der fehlenden Eintragung verträgt151, beruht auf Vorstellungen, die nach Rz. 5, 27 ff. der Vergangenheit angehören sollten. Man wird einen Firmenschutz gemäß § 37 HGB sogar zu Gunsten solcher Vorgesellschaften bejahen können, die noch nicht kaufmännisch tätig sind152. Denn auch eine solche Gesellschaft kann schon durch unerlaubte Firmenführung in ihren Rechten verletzt sein. Mehr setzt § 37 Abs. 2 HGB nicht voraus. 39 d) Materielles Recht. Die Rechtsfähigkeit der Vor-GmbH (Rz. 34 f.) erstreckt sich zunächst

auf das ganze materielle Recht153. Die Vorgesellschaft kann Eigentümerin, Gläubigerin und Schuldnerin sein (auch aus übernommenen Altverbindlichkeiten; vgl. Rz. 81). Die Vor-GmbH kann Gesellschafterin einer anderen Gesellschaft sein (wichtig für die Einbringung von Anteilen)154. Auch ihre Fähigkeit, an einer Gesellschaftsgründung – insbesondere an der Gründung einer (GmbH & Co.) KG – beteiligt zu sein, wird seit dem Grundlagenurteil BGHZ 80, 129155 allgemein bejaht. Die Vor-GmbH ist schon patent- und markenrechtsfähig (§ 7 MarkenG)156. Ihre Kontofähigkeit157 bedeutet, dass ein bereits eingerichtetes Konto im Rechtssinne ein eigenes Konto der Gesellschaft (und nicht der Gesellschafter) ist. Die Vorgesellschaft ist auch aktiv und passiv wechselrechtsfähig und scheckrechtsfähig158. 40 e) Formelles Recht. aa) Die Vor-GmbH ist beteiligungsfähig im Verfahren der freiwilligen

Gerichtsbarkeit159. Die Anmeldung der Gesellschaft zu ihrer ersten Eintragung im Handelsregister erfolgt in ihrem Namen durch die Vertretungsorgane160. Auch andere Registeranmeldungen, z.B. die Eintragung eines Unternehmensvertrags, können bereits im Namen der Gesellschaft erfolgen161. Die Vor-GmbH ist hier überall Verfahrensbeteiligte. Sie kann ggf. auch Rechtsmittel einlegen. Gleiches gilt für die Eintragung von Grundstücksrechten der Vor-GmbH im Grundbuch (Rz. 41) und für die Eintragung als Gesellschafterin einer Handelsgesellschaft im Handelsregister (§§ 106, 162 HGB), z.B. wenn Kommanditanteile in die Vor-GmbH eingebracht sind. Entgegen dem Standpunkt des Bundesverwaltungsamts (Fragen und Antworten zum Geldwäschegesetz unter Nr. 7) besteht keine Pflicht zur Mittei-

151 OLG München v. 25.1.1990 – 29 U 5621/89, BB 1990, 1153 = GRUR 1990, 697 = WM 1990, 1965 = GmbHR 1991, 63; vorsichtig zweifelnd LG Düsseldorf v. 14.1.1987 – 4 O 359/85, NJW-RR 1987, 874. 152 Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 81; so im Ergebnis schon Winter in der 6. Aufl. (Rz. 4) im Anschluss an Flume in FS Geßler, S. 37. 153 Wie hier Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 52. 154 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114. 155 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114. 156 Vgl. Ingerl/Rohnke, 3. Aufl. 2010, § 7 MarkenG Rz. 9. 157 BGHZ 45, 338, 347 = NJW 1966, 1311, 1313 = GmbHR 1966, 139, 140; OLG Naumburg v. 13.5.1997 – 1 U 205/96, GmbHR 1998, 239 = NJW-RR 1998, 1648; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62. 158 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323, 326 = NJW 1992, 1824; Baumbach/Hefermehl/ Casper, Wechselgesetz, Scheckgesetz, Recht des Zahlungsverkehrs, 24. Aufl. 2020, Einl. WG Rz. 21; Binz, S. 198; Büttner, S. 120; Karsten Schmidt, oHG, S. 304; M. Scholz, S. 62 f.; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 9; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 63; a.M. noch BGH, NJW 1962, 1008; Ulmer in Hachenburg, 7. Aufl., Rz. 51. 159 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 = GmbHR 1992, 451 = ZIP 1992, 689 (betr. VorAG); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9. 160 BGH v. 16.3.1992 – II ZB 17/91, BGHZ 117, 323 = GmbHR 1992, 451 = ZIP 1992, 689; so auch der Vorlagebeschluss OLG Stuttgart v. 5.12.1991 – 8 W 73/91, ZIP 1992, 250; für die GmbH OLG Hamm v. 1.10.1991 – 15 W 255/90, DB 1992, 264. 161 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 328 = NJW 1989, 295, 296 = GmbHR 1989, 25.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 42 § 11

lung der wirtschaftlich Berechtigten an das Transparenzregister nach § 2 GwG162. Das Bundesverwaltungsamt hält die Mitteilung nur für entbehrlich, wenn binnen drei Monaten nach ihrer Errichtung die Anmeldung der Gesellschaft zum Handelsregister erfolgt. bb) Die Vor-GmbH ist bereits grundbuchfähig163, und zwar nicht nur für gründungsnot- 41 wendige Sacheinlagen, sondern auch für sonstigen Erwerb von Grundstücksrechten164. Insbesondere kann eine Auflassungsvormerkung schon für die Vor-GmbH eingetragen werden165. Das ist praktisch von großer Bedeutung (nach Eintragung der errichteten GmbH im Handelsregister wird nur der Gründungszusatz im Grundbuch beseitigt!). cc) Die Vorgesellschaft ist im Zivilprozess parteifähig166, und zwar nicht nur passiv167, son- 42 dern auch aktiv parteifähig168. Sie kann also, vertreten durch ihre Geschäftsführer, als Klägerin oder Beklagte an Zivilprozessen teilnehmen. Allgemeiner Gerichtsstand ist nach § 17 ZPO ihr Satzungssitz169. Zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ist ein gegen die Vor-GmbH gerichteter Titel ausreichend170, aber auch erforderlich. Auch Beteiligte an einem Verwaltungsverfahren (§§ 11, 13 VwVfG) oder an einem Verwaltungsprozess (§§ 61, 63 VwGO) kann die Vorgesellschaft sein. Dasselbe gilt im finanzbehördlichen (§ 79 AO) bzw. finanzgerichtlichen (§§ 57 f. FGO) Verfahren sowie bei den Kartellbehörden (§ 54 Abs. 4 GWB).

162 Gegen die Begründung der Mitteilungspflicht mit den Buchführungs- und Steuerpflichten Schmitz/Thelen, GmbHR 2020, 1101 ff. 163 BGHZ 45, 338, 348 = NJW 1966, 1311, 1313; BayObLGZ 1979, 172 = DB 1979, 1500 = DNotZ 1979, 502; BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, GmbHR 1986, 118 = DB 1986, 106; OLG Hamm v. 9.3.1981 – 15 W 41/81, GmbHR 1982, 44 = DB 1981, 1973 = DNotZ 1981, 582; Altmeppen, Rz. 29; Blath in Michalski u.a., Rz. 59; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 80; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62; M. Scholz, S. 63; eingehend Böhringer, Rpfleger 1988, 446 ff.; s. auch Schmitz, JuS 1995, 334. 164 Vgl. BayObLGZ 1979, 172 = DB 1979, 1500 = DNotZ 1979, 502; OLG Hamm v. 9.3.1981 – 15 W 41/81, GmbHR 1982, 44 = DB 1981, 1973 = DNotZ 1981, 582. 165 BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, GmbHR 1986, 118 = DB 1986, 106; OLG Hamm v. 9.3.1981 – 15 W 41/81, OLGZ 1981, 410 = DB 1981, 1973 = DNotZ 1981, 582; LG Nürnberg-Fürth v. 9.5.1985 – 13 T 2571/85, GmbHR 1986, 48 = DNotZ 1986, 377. 166 BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, GmbHR 1998, 185 = NJW 1998, 1079; BGH v. 31.3.2008 – II ZR 308/06, BB 2008, 1249 m. Anm. Weiß = GmbHR 2008, 654 = WuB II C § 11 GmbHG 1.08 m. Anm. Lange/Widmann; Demuth, BB 1998, 966; M. Scholz, S. 65 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3a; Altmeppen, Rz. 29; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 56; Blath in Michalski u.a., Rz. 60; Lindacher/Hau in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2020, § 50 ZPO Rz. 12. 167 Dazu BGH v. 23.1.1981 – I ZR 30/79, BGHZ 79, 239, 241 = NJW 1981, 873; BAG, NJW 1963, 680; OLG Hamburg, BB 1973, 1505. 168 BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, GmbHR 1998, 185 = NJW 1998, 1079; BGH v. 31.3.2008 – II ZR 308/06, BB 2008, 1249 m. Anm. Weiß = GmbHR 2008, 654 = NJW 2008, 2441 = WuB II C § 11 GmbHG 1.08 m. Anm. Lange/Widmann; OLG Köln v. 27.2.1997 – 7 U 178/96, GmbHR 1997, 601; OLG Brandenburg v. 25.8.2003 – 1 AR 66/03, NZG 2004, 100 = GmbHR 2003, 1488; LG Köln v. 21.10.1992 – 4 O 141/92, GmbHR 1994, 178 = NJW-RR 1993, 1385; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 9; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 81; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64; Lindacher/Hau in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2020, § 50 ZPO Rz. 12. 169 OLG Brandenburg v. 25.8.2003 – 1 AR 66/03, GmbHR 2003, 1488 = NZG 2004, 100. 170 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64 (mit unrichtigem Hinweis auf § 735 ZPO).

Karsten Schmidt | 699

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§ 11 Rz. 43 | Rechtszustand vor der Eintragung 43 dd) Die Vorgesellschaft ist insolvenzrechtsfähig171 und war schon für die bis 1998 eröff-

neten Verfahren konkursfähig172. Die Vorgesellschaft ist auch restrukturierungsfähig nach § 30 Abs. 1 StaRUG. Es ist für die Praxis ohne Belang, ob man die Vor-GmbH als insolvenzrechtliche (werdende) juristische Person i.S.v. § 11 Abs. 1 InsO ansieht173 oder als Gesellschaft ohne Rechtspersönlichkeit i.S.v. § 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO174. Soweit die Gesellschafter der Vorgesellschaft persönlich für deren Verbindlichkeiten haften (Rz. 91 ff.), kann der Verwalter diese Haftung geltend machen (analoge Anwendung des § 93 InsO; dazu auch Rz. 92)175. Insolvenzgrund ist die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) bzw. die drohende Zahlungsunfähigkeit (§ 18 InsO). Überschuldung scheidet als Insolvenzgrund nach h.M. aus, ebenso die Insolvenzantragspflicht nach § 15a InsO (näher 12. Aufl., vor § 64 Rz. 38, 12. Aufl., § 64 Rz. 43, 264, streitig)176. Das ist rechtspolitisch bedenklich177 und beruht auf der (rechtspolitisch gleichfalls nicht unproblematischen!) Beschränkung des Überschuldungstatbestands und der Insolvenzantragspflichten auf Gesellschaften ohne unbeschränkte Gesellschafterhaftung. Ein über das Vermögen einer Vor-GmbH eröffnetes Insolvenzverfahren kann im (unwahrscheinlichen) Fall ihrer Eintragung im Handelsregister als Insolvenzverfahren über das Vermögen der eingetragenen GmbH fortgesetzt werden.

3. Die Kontinuität zwischen Vorgesellschaft und GmbH und die Überwindung des Vorbelastungsverbots 44 a) Die Überwindung des sog. Vorbelastungsverbots erlaubt es, die Vorgesellschaft als iden-

tisch und zweckidentisch mit der später eingetragenen GmbH anzusehen (Rz. 31 ff.). Das Vorbelastungsverbot besagte, dass nur Verbindlichkeiten, die ihre Grundlage im Gesetz oder in der Satzung haben oder sonst gründungsnotwendig sind, das Vermögen der Vorgesellschaft belasten und auf die spätere GmbH „übergehen“ können178. Das Vorbelastungsverbot hatte eine doppelte Grundlage: Aus der Sicht der fertigen GmbH basierte es auf dem Unversehrtheitsgrundsatz, nach dem das Vermögen der GmbH im Zeitpunkt ihrer Eintragung unversehrt zu sein hat179. Aus der Sicht der Vorgesellschaft basierte es auf dem angeblich beschränkten Zweck dieser Gesellschaft180. Ob es auf dem unter dem ADHGB von 1861 zunächst noch geltenden, heute überholten, Konzessionssystem beruhte181 oder auf einer gleich-

171 BGH v. 9.10.2003 – IX ZB 34/03, NJW-RR 2004, 258 = GmbHR 2003, 1488; Altmeppen, Rz. 29; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 6; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 57; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64. 172 BayObLG v. 23.7.1965 – BReg. 2 Z 7/65, NJW 1965, 2254, 2257 (für AG); OLG Nürnberg v. 28.2.1967 – 7 U 169/66, AG 1967, 362, 363 (für AG); Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, KO/VglO/GesO, 17. Aufl. 1997, § 207 KO Anm. 2; Skrotzki, KTS 1962, 139. 173 So offenbar Haas, DStR 1999, 985 ff. 174 Vgl. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64. 175 Karsten Schmidt, § 93 InsO Rz. 10. 176 Altmeppen, Rz. 29 sowie Vorb. § 64 Rz. 11; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 60; Altmeppen, ZIP 1997, 273 ff.; ebenso mit unhaltbarer Begründung Bittmann/Pikarski, wistra 1995, 92; a.M. Haas, DStR 1999, 985 ff. 177 Für Anwendung des § 15a InsO vgl. Blath in Michalski u.a., Rz. 61; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 17; ausführlich Haas, DStR 1999, 985 ff. 178 Vgl. nur RGZ 58, 55, 56; RGZ 83, 370, 373; RGZ 105, 228, 229; RGZ 134, 121, 122; RGZ 141, 204, 209; RGZ 143, 368, 372; RGZ 149, 293, 303; RGZ 151, 89, 91; BGHZ 17, 385, 391; BGHZ 53, 210, 212; BGH, NJW 1955, 1228; BGH, NJW 1973, 798; umfassende Literaturnachweise noch bei Winter in der 6. Aufl., Rz. 7. 179 Charakteristisch RGZ 149, 293, 303; BGHZ 53, 210, 212. 180 Charakteristisch RGZ 105, 228, 230; RGZ 134, 121, 122. 181 Vgl. Ulmer in FS Ballerstedt, S. 282; s. auch Karsten Schmidt, oHG, S. 276.

700 | Karsten Schmidt

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 47 § 11

falls überholten Theorie der juristischen Person182, ist für die vorliegende Kommentierung irrelevant. Für die Würdigung von Nachwirkungen relevant sind aber die rechtstechnischen Folgerungen: Der Gesellschaftszweck ist bis zur Eintragung beschränkt (dazu Rz. 32). Es gibt auch noch keine unbeschränkte Organvertretungsmacht der Geschäftsführer (dazu Rz. 72 f.). Es gibt ferner keine gesetzliche Haftungszurechnung nach § 31 BGB (dazu Rz. 77). Verbindlichkeiten aus dem Gründungsstadium können die später eingetragene GmbH nicht automatisch belasten. b) Dieses Vorbelastungsverbot ist seit dem Urteil BGHZ 80, 129183 im Grundsatz aufgege- 45 ben. Die ersten Leitsätze des Urteils lauten: „Eine Vorgesellschaft wird durch Geschäfte, die ihr Geschäftsführer mit Ermächtigung aller Gesellschafter im Namen der Gesellschaft abschließt, auch dann verpflichtet, wenn nach der Satzung nur Bareinlagen vereinbart sind. Die Rechte und Pflichten aus solchen Geschäften gehen mit der Eintragung der GmbH voll auf diese über (kein sog. Vorbelastungsverbot).“ Das entspricht nunmehr einer gefestigten Rechtsprechung184 und der h.M. in der Literatur185. Der Erklärung bedarf nach diesem Umschwung der Rechtsprechung das Verhältnis des Vorbelastungsverbots zu dem fortgeltenden Unversehrtheitsgrundsatz (vgl. zu diesem Rz. 44, 134 f.). Dieser fortgeltende Grundsatz ist nicht mehr durch ein Vorbelastungsverbot sanktioniert, sondern durch ein Eintragungsverbot (Rz. 138) und durch die Vorbelastungshaftung (Rz. 139 ff.). An die Stelle des Vorbelastungsverbots ist ein Vorbelastungsrisiko getreten186. c) Der Fortfall des Vorbelastungsverbots erlaubt eine vollständige Kontinuität der Rechts- 46 verhältnisse zwischen Vorgesellschaft und GmbH (vgl. zu den diesbezüglichen Folgen der Eintragung Rz. 151 ff.). In diesem Sinne ist heute von einem Verhältnis der Identität zwischen Vorgesellschaft und GmbH zu sprechen (Rz. 31).

IV. Das Innenrecht der Vorgesellschaft Schrifttum: Rz. 1.

1. Grundsatz Grundsätzlich unterliegt die Vorgesellschaft hinsichtlich der unter den Gesellschaftern und 47 zwischen ihnen und der Gesellschaft bestehenden Verhältnisse schon denjenigen Rechtsregeln, die für die fertige GmbH gelten. Ausgenommen sind nur die Bestimmungen, die eine Eintragung voraussetzen187. Das gilt auch für die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrags (der Satzung)188. Die Satzung gibt der Vorgesellschaft bereits eine körperschaftliche Verfassung (Rz. 30; streitig). Auch die Auslegung des Gesellschaftsvertrags bestimmt sich schon 182 Vgl. Schäfer-Gölz, S. 31 ff. 183 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = GmbHR 1981, 114. 184 Bestätigend BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 151; BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/ 94, BGHZ 134, 333, 338 f. = LM Nr. 38 zu § 11 GmbHG m. Anm. Noack = DStR 1997, 625, 627 m. Anm. Goette = GmbHR 1997, 405, 408. 185 Zur heute h.M. vgl. statt vieler Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 66, 99 ff. m.w.N.; zu dem Ausgangsurteil vgl. die Stellungnahmen von Flume, NJW 1981, 1753 ff.; Meister in FS Werner, S. 521 ff.; Priester, ZIP 1982, 1141 ff.; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1345 ff.; Ulmer, ZGR 1981, 593 ff.; Hueck in FS 100 Jahre GmbHG, S. 155; kritisch noch Priester, ZIP 1982, 1145. 186 Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 4c. 187 BGHZ 21, 242, 246 = NJW 1956, 1435; BGHZ 51, 30, 32 = NJW 1969, 509; BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 214 = NJW 1981, 2125, 2126 = GmbHR 1982, 67. 188 Vgl. statt vieler Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Stoppel, WM 2008, 147, 148.

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§ 11 Rz. 47 | Rechtszustand vor der Eintragung nach den für die fertige GmbH geltenden Grundsätzen (dazu 13. Aufl., § 2 Rz. 39 ff.)189. Soweit dem entgegengehalten wird, dass sich die Gesellschaft vor der Eintragung noch nicht vom persönlichen Zusammenschluss der Gründer zur Kapitalgesellschaft entwickelt hat190, ist dem nach Rz. 30 ff. nicht zu folgen. Es kann zwar ein Bedürfnis danach bestehen, bei einer noch unverändert aus den Gründern zusammengesetzten jungen GmbH in verstärktem Maße subjektive Momente in die Bestimmung von Rechten und Pflichten der Gesellschafter einzubeziehen, aber dies hängt nicht von der Nichteintragung der Gesellschaft im Handelsregister ab. Es handelt sich vielmehr um einen Gesichtspunkt, dem auch noch nach der Eintragung der Gesellschaft Rechnung zu tragen ist. Die auch noch bei der eingetragenen GmbH mögliche korporative Bindung an satzungsbegleitende Vereinbarungen der Gesellschafter (dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 116) kann sogar zur Fortwirkung allseits bindender Vereinbarungen aus dem Vorgründungsstadium führen191. Das steht nicht in Widerspruch zur Nicht-Identität der Vor-GmbH als Körperschaft mit einer vorausgegangenen Vorgründungsgesellschaft (dazu Rz. 26).

2. Die Mitgliedschaft 48 a) Die Mitgliedschaft in der Vorgesellschaft wird originär erworben durch Teilnahme am

Gründungsgeschäft (Satzungserrichtung nach § 2). Die Mitgliedschaft in der Vorgesellschaft setzt sich automatisch als Mitgliedschaft in der GmbH fort, wenn diese eingetragen wird. Soll ein Gesellschafter ersatzlos ausscheiden oder soll ein Gesellschafter mit einem neuen Geschäftsanteil hinzutreten, so bedarf es – im Gegensatz zur Anteilsübertragung nach Rz. 49 – einer Neufassung der Satzung und einer Änderung der Registeranmeldung192. Ein Austritt aus wichtigem Grund bzw. eine Ausschließung aus wichtigem Grund ist in Anlehnung an die im Anhang § 34 dargestellten Grundsätze möglich193. Der wichtige Grund setzt voraus, dass eine Fortsetzung des Gesellschaftsverhältnisses für den betreffenden Gesellschafter bzw. mit dem betreffenden Gesellschafter im Gründungsstadium definitiv unzumutbar ist. Eine Ausschließung durch bloße Hinauskündigung (vgl. § 737 BGB, ab 1.1.2024 § 727 BGB n.F.) ist ohne Satzungsgrundlage nicht möglich194. 49 b) Übertragbarkeit. Nach der noch h.M. gibt es vor der Eintragung noch keine übertrag-

baren Geschäftsanteile195. Zwar kann durch satzungsändernden Vertrag aller Gründer ein

189 Ostheim, JurBl. 1978, 350; zust. auch Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 29; a.M. Kießling, S. 272; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; unentschieden (wegen geringer Relevanz der Frage) Altmeppen, Rz. 39. 190 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32. 191 Dazu, in Auseinandersetzung mit OGH v. 4.3.2013 – 8 Ob 100/12g, GesRZ 2013, 283, Karsten Schmidt in FS Reich-Rohrwig, 2014, S. 195, 203 ff. 192 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63 f. 193 OLG Dresden v. 17.6.1996 – 2 U 546/96, GmbHR 1997, 746; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 63; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 50. 194 OLG Hamm v. 7.3.1994 – 8 U 148/93, GmbHR 1994, 706, 707 (aber auch S. 708). 195 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, GmbHR 1997, 405 = NJW 1997, 1507 = ZIP 1997, 679; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 409/02, GmbHR 2005, 354 = NJW-RR 2005, 469; OLG Dresden v. 17.12.1997 – 12 U 2364/97, GmbHR 1998, 186, 189; OLG Frankfurt a.M. v. 14.8.1996 – 10 W 33/96, GmbHR 1997, 896 = NJW-RR 1997, 1062; LG Dresden v. 4.3.1993 – 45 T 4/93, GmbHR 1993, 590; Altmeppen, Rz. 41 (referierend); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 19 ff.; Blath in Michalski u.a., Rz. 51; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8, § 15 Rz. 2; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; M. Scholz, S. 52; Wiedemann, Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten …, 1965, S. 56.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 50 § 11

zusätzlicher Gesellschafter beitreten196 oder ein Gründer ausscheiden197. Aber die Anteilsübertragung – ein vom Aus- und Eintritt zu unterscheidender Vorgang – erfordert nach h.M. einen satzungsändernden Vertrag aller Gründer198. Die Gestaltungspraxis muss sich auf diese h.M. einrichten. Allerdings versucht die Gerichtspraxis, notariell beurkundete Anteilsübertragungen bei Vorgesellschaften in Satzungsänderungen umzudeuten, sofern die Gegebenheiten des Falls dies zulassen199. Daneben lässt die h.M. die vorweggenommene Abtretung des Anteils in der Form des § 15 zu, sieht dies aber nur als Übertragung eines zukünftigen Geschäftsanteils an, der als übertragbares Recht erst mit der Eintragung übergehen kann200. Vinkulierungsklauseln (§ 15 Abs. 5) gelten selbstverständlich schon für diese Übertragung201. Auch 13. Aufl., § 2 Rz. 29 der vorliegenden Kommentierung folgt dieser lange Zeit unangefochtenen Auffassung. Der Standpunkt der h.M. ist überholt202. Sie geht historisch auf einen Stand zurück, nach 50 dem auch Personengesellschaftsanteile als konstitutionell unübertragbar galten203. Das ist nicht mehr geltendes Recht. Die Übertragbarkeit bedarf insbesondere keiner ausdrücklichen gesetzlichen Regelung. Im Gegensatz zu § 41 Abs. 4 Satz 1 AktG besteht für das GmbH-Gesetz auch kein Anlass, Vorsorge zu treffen, um den Handel mit verbrieften Anteilen vor der Eintragung zu verhindern204. Die h.M. geht auf die Zeit vor der GmbH-Novelle von 1980 zurück. Es herrschte damals die Ansicht vor, dass abtretbare Geschäftsanteile erst mit der Eintragung entstehen und dass insbesondere bei der Strohmanngründung einer Einpersonen-GmbH der Geschäftsanteil des Strohmanns erst nach der Eintragung oder, wenn vorher, jedenfalls nur aufschiebend bedingt auf den Zeitpunkt der Eintragung auf den Einpersonengesellschafter übertragen werden könne205. Die GmbH sollte jedenfalls für die Dauer einer „logischen Sekunde“ als eine aus den Gründern bestehende Mehrpersonengesellschaft eingetragen sein. Für diese Beschränkung ist seit der gesetzlichen Zulassung der Einpersonen-Gründung, jede Rechtfertigung entfallen. Der Grundsatz des § 15 Abs. 1 trifft bereits auf die Vor-GmbH zu. Auf der anderen Seite müssen, solange die Eintragung noch nicht ge196 BGHZ 15, 204, 206 = NJW 1955, 219; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 20. 197 BGHZ 21, 242, 245 f. = NJW 1956, 1435; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 20. 198 BGHZ 29, 300, 303 = NJW 1959, 934, 935 = GmbHR 1959, 149, 150 m. Anm. Rau; BGH, WM 1971, 306, 307; BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = GmbHR 1997, 405 = NJW 1997, 1507 = ZIP 1997, 97; OLG Frankfurt a.M. v. 14.8.1996 – 10 W 33/96, GmbHR 1997, 896 = NJW-RR 1997, 1062; Altmeppen, Rz. 41 (referierend); Blath in Michalski u.a., Rz. 51; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 20; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 63; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 40; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 48. 199 Vgl. BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = GmbHR 1997, 405 = ZIP 1997, 97; OLG Frankfurt a.M. v. 14.8.1996 – 10 W 33/96, GmbHR 1997, 896; OLG Dresden v. 17.12.1997 – 12 U 2364/97, NZG 1998, 311 = GmbHR 1998, 186; Blath in Michalski u.a., Rz. 51; kritisch Karsten Schmidt, GmbHR 1998, 869 f. 200 BGHZ 21, 242, 245 = NJW 1956, 1435; BGHZ 21, 378, 383 = NJW 1957, 19; BGH v. 26.9.1994 – II ZR 166/93, GmbHR 1995, 119 = NJW 1995, 128, 129; FG Münster v. 15.3.2005 – 12 K 3837/02 E, G, EFG 2005, 1259 = WPg 2005, 1301; aus der Literatur etwa Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 2 Rz. 13; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; Stoppel, WM 2008, 147, 151. 201 Ausführlich Stoppel, WM 2008, 147 ff. 202 Eingehend Karsten Schmidt, GmbHR 1997, 869 ff.; dieser Standpunkt wird hier seit der 7. Aufl. vertreten; zust. Schaffner, S. 91; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 42; sympathisierend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 31 f.; unklar OLG Düsseldorf v. 18.5.1995 – 13 U 86/94, MittRhNotK 1996, 189 m. Anm. Wochner = GmbHR 1995, 823; ablehnend mit Hinweis auf § 41 Abs. 4 AktG Altmeppen, Rz. 42; schwer einzuordnen Kießling, S. 168 ff. 203 Vgl. zur Dogmengeschichte Karsten Schmidt, GesR, § 45 III. 204 Zum Argumentationswert des § 41 Abs. 4 AktG vgl. Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 4, 65; Karsten Schmidt, GmbHR 1997, 872; a.M. Altmeppen, Rz. 42. 205 Vgl. BGHZ 21, 378, 383 = NJW 1957, 19, 20; Schopp, GmbHR 1977, 54 f.

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§ 11 Rz. 50 | Rechtszustand vor der Eintragung sichert ist, die Mitgründer – ähnlich wie bei einer Personengesellschaft – gegen die Beteiligung ihnen unbekannter Dritter geschützt werden, nicht zuletzt wegen der bei Rz. 86 ff. behandelten persönlichen Haftung und wegen der Ausfallhaftung nach § 24. Deshalb sind die Geschäftsanteile an einer Vorgesellschaft, wie Anteile an Personengesellschaften, mangels entgegenstehender Klausel im Gesellschaftsvertrag automatisch vinkuliert206. Die Anteilsübertragung muss wegen dieser Besonderheit nicht als ein aliud gegenüber dem Fall des § 15 angesehen werden207. Nur bedarf es keiner besonderen Satzungsklausel nach § 15 Abs. 5, um die Abtretung vor der Eintragung der Gesellschaft an die Zustimmung der Mitgesellschafter zu binden. Das bedeutet: Die Geschäftsanteile sind veräußerlich (§ 15 Abs. 1)208; die Veräußerung und die Verpflichtung zur Veräußerung bedürfen eines in notarieller Form geschlossenen Vertrags (§ 15 Abs. 3, 4); das gilt, wie der BGH im Jahr 1999 entschieden hat, auch für die Begründung eines Treuhandverhältnisses in Gestalt der Vereinbarungstreuhand zwischen der Errichtung und der Eintragung der GmbH209. Bei einer bereits zur Eintragung angemeldeten GmbH ist auch § 40 Abs. 1 (Einreichung der Gesellschafterliste bei Anteilsübertragung) zu beachten. Vor der Eintragung der Gesellschaft kann die Abtretung von Geschäftsanteilen nur wirksam werden, wenn sie im Gesellschaftsvertrag zugelassen ist oder wenn sämtliche Mitgesellschafter zustimmen. Daneben bleibt die bisher anerkannte Methode des Gesellschafterwechsels durch Satzungsänderung zulässig (vgl. dazu Rz. 56 f.). Sie ist vorerst noch der sichere Weg zur Neuformierung des Gründerkreises vor der Eintragung der Gesellschaft210. Dieses Wissen der professionellen Kautelarpraxis verzögert vorerst eine Rechtsfortbildung, durch die die Gerichtspraxis explizit den Weg der Anteilsübertragung bei der Vorgesellschaft eröffnet. Erst dann wird sich auch die Gestaltungspraxis auf diese Möglichkeit verlassen. 51 c) Die Vererblichkeit der Mitgliedschaft (vgl. § 15 Abs. 1) ist bereits anerkannt211. Die Ver-

erbung folgt allgemeinen erbrechtlichen Grundsätzen, nicht den Regeln der sog. Sondererbfolge wie bei einem Anteil an einer Personengesellschaft212. Die Vorgesellschaft besteht mit dem Erben (ggf. sogar als Einpersonengesellschaft) fort. Bei Nachfolge mehrerer Miterben geht der Anteil ungeteilt auf die Erbengemeinschaft, nicht also geteilt auf die je einzelnen Erben über. Da der vererbte Geschäftsanteil an einer Körperschaft (nicht: Personengesellschaft) besteht (Rz. 30), kann eine Erbengemeinschaft Gesamtrechtsnachfolgerin werden. Ungebräuchlich, aber zulässig ist eine Regelung über die Unvererblichkeit der Vorgesellschafts-Anteile im Gesellschaftsvertrag (der Satzung). Im Fall einer solchen Unvererblichkeitsklausel muss sorgsam geprüft werden, ob eine automatische Auflösung der Vorgesellschaft im Todesfall gewollt ist oder nur ein außerordentlicher Ausschließungs- oder Auflösungsgrund. Im letzteren Fall werden die Erben vorläufige Gründungsgesellschafter. Zur Frage, ob die Auflösung aus wichtigem Grund durch Kündigung oder durch Klage herbeigeführt wird, vgl. Rz. 64.

206 Karsten Schmidt, GmbHR 1997, 870 m.w.N. 207 So aber, noch der älteren Auffassung verhaftet, Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; wohl auch Kießling, S. 168 ff. 208 Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 82; Karsten Schmidt, GmbHR 1997, 870; der Sache nach kaum noch anders Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 48; in dieser Richtung schon OLG Frankfurt, NJW 1947/48, 229, 230. 209 BGH v. 19.4.1999 – II ZR 365/97, BGHZ 141, 207, 211 f. = GmbHR 1999, 707 = ZIP 1999, 925; bestätigend BGH v. 4.11.2004 – III ZR 172/03, ZIP 2004, 2324, 2325 = GmbHR 2005, 53, 54. 210 So auch die Empfehlung bei Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 31 a.E. 211 Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 33; Altmeppen, Rz. 43; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, § 2 Rz. 13; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 22; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 44; Blath in Michalski u.a., Rz. 51b; a.M. Kießling, S. 179. 212 Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 35; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 22; nur im Ergebnis wie hier auch Altmeppen, Rz. 43.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 55 § 11

d) Die Pflichten der Gründer gehen nicht nur auf die Leistung fälliger Einlagen. Die Grün- 52 der sind verpflichtet, das ihrerseits zur Herbeiführung der Eintragung Erforderliche zu tun213. Sie können u.U. auch verpflichtet sein, Eintragungshindernisse durch Satzungsänderung zu beseitigen214. Um diese selbstverständlichen Pflichten zu begründen, braucht man nicht die Eintragung der GmbH zum gemeinsamen Zweck der Vorgesellschaft zu erklären (vgl. zu dieser h.M. kritisch Rz. 32 f.). Der Anspruch auf Mitwirkung steht jedem Gründer gegen jeden Mitgründer zu215. Die Gründer unterliegen auch bereits der gesellschaftlichen Treupflicht216. e) Rechte der Gründer sind insbesondere die Teilhaberechte (Stimmrecht, Anfechtungsrecht 53 etc.). Über Gesellschafterbeschlüsse in der Vorgesellschaft vgl. Rz. 55. Die Vorschrift des § 51a über Informationsrechte findet bereits Anwendung217, denn sie ist weder von der Eintragung der GmbH noch von deren „Rechtsnatur“ (Rz. 30) abhängig. Auch das Informationserzwingungsverfahren unterliegt bereits der Sonderbestimmung des § 51b218. Wäre es anders, so müsste der Gesellschafter vor der Eintragung den Prozessweg einschlagen, und der Prozess könnte nach der Eintragung nicht fortgesetzt werden. Es bestehen auch schon Rechte auf Gewinnbezug und auf die Liquidationsquote im Fall einer Auflösung der Vorgesellschaft.

3. Die Organisationsverfassung a) Die Gesellschafter. aa) Oberstes Organ sind die Gesellschafter in ihrer Gesamtheit219. 54 Die übliche Redeweise von der „Gesellschafterversammlung“ als Gesellschaftsorgan ist ungenau (vgl. 12. Aufl., § 45 Rz. 1)220. bb) Für Beschlüsse gelten die §§ 45 ff.221. Insbesondere gilt schon das Mehrheitsprinzip des 55 § 47 Abs. 1222, und es gelten die Grundsätze über den Ausschluss vom Stimmrecht nach § 47 Abs. 4223. Mit Recht erkennt die h.M. an, dass die Grundsätze über die Anfechtbarkeit und Nichtigkeit von Beschlüssen bereits vor der Eintragung gelten224. Eine Anfechtungsklage ist gegen die Gesellschaft zu erheben (zu ihrer Parteifähigkeit vgl. Rz. 42); der gegen die Vor-

213 RGZ 58, 55, 56; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 39; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 39; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39. 214 Zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 39; über Vertragsänderungspflichten vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 5 IV. 215 Zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 39. 216 Martin Weber, Vormitgliedschaftliche Treubindungen, 1999, S. 122, 226. 217 Zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 39; Blath in Michalski u.a., Rz. 52; Schaffner, S. 104. 218 Zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 39. 219 Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 40; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 42; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45. 220 Anders Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 40. 221 Altmeppen, Rz. 40; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 43; zum Folgenden vgl. auch durchgehend in Übereinstimmung mit dem Text Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 41. 222 BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 214 f. = GmbHR 1982, 67; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 101; Schaffner, S. 99; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 33; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; a.M. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 15 (wegen der Gefahren aus der Vorbelastungshaftung); differenzierend nach Bar- und Sachgründung Flume, Juristische Person, § 5 III 2 (S. 159); Kießling, S. 258 ff. 223 Schaffner, S. 99; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46. 224 BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 215 ff. = GmbHR 1982, 67 = NJW 1981, 2125, 2126 f.; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 15; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43; jetzt auch Altmeppen, Rz. 40; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46.

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§ 11 Rz. 55 | Rechtszustand vor der Eintragung gesellschaft begonnene Anfechtungsprozess kann nach den regeln der Kontinuität fortgeführt werden, wenn die Gesellschaft eingetragen worden ist (vgl. Rz. 156). 56 b) Änderungen des Gesellschaftsvertrags, die schon vor der Eintragung der Gesellschaft

wirksam werden sollen, bedürfen – naturgemäß! – keiner Eintragung in das Handelsregister. § 54 Abs. 3 ist also für diese Art Vertragsänderung unanwendbar. Der Gesellschaftsvertrag wird einfach in seiner geänderten Fassung der Anmeldung der Gesellschaft beigefügt bzw. nachgereicht. Nach h.M. ist aber auch § 53 unanwendbar: Eine Änderung des Gesellschaftsvertrages vor der Eintragung soll sich nach § 2 durch Vertrag aller Gesellschafter in notarieller Form vollziehen225; nur für die Auflösung soll analog § 60 Abs. 1 Nr. 2 eine Dreiviertelmehrheit genügen226. Diese h.M. wird mit der Überlegung begründet, dass die Gesellschafter einer Vor-GmbH nur Partner eines Gesellschaftsvertrags und noch nicht Glieder einer körperschaftlichen Organisation seien, weil der GmbH-Vertrag mangels Eintragung noch nicht zur körperschaftlichen GmbH-Satzung geworden sei227. Nur wenn der Vertrag (die Satzung) vom Einstimmigkeitsprinzip abweiche, könnten satzungsändernde Mehrheitsbeschlüsse gefasst werden228. Eine Satzungsklausel, die dies bewirken solle, müsse sich aber speziell auf die Vorgesellschaft beziehen229. Solche Regelungen wird man in GmbH-Satzungen schwerlich finden. Im praktischen Ergebnis wäre danach eine mehrheitliche Satzungsänderung ausgeschlossen. Abhilfe ist nur durch Zustimmungspflichten (Treupflichten) möglich230.

57 Stellungnahme: Die Gestaltungspraxis wird die h.M. im Dienste der Rechtssicherheit einst-

weilen beachten231. Aber die h.M. verdient Kritik. Die notariell errichtete Gesellschaft ist bereits Körperschaft (Rz. 30), ihr Gesellschaftsvertrag als Satzung bereits Grundlage ihrer körperschaftlichen Verfassung (Rz. 47). Der Verfasser hat in diesem Kommentar seit der 7. Aufl. zur Korrektur der h.M. aufgerufen232. Das Mehrheitsprinzip des § 53 beruht nicht auf der Eintragung der Gesellschaft, sondern darauf, dass die Gründer die körperschaftliche Rechtsform und Verfassung einer GmbH gewählt haben233. Die Vor-GmbH unterliegt dem Recht der GmbH-Verfassung (Rz. 47). Es genügt deshalb schon im Gründungsstadium entsprechend § 53 Abs. 2 ein in notarieller Form mit Dreiviertelmehrheit gefasster Beschluss. Allerdings wird dieser Mehrheitsbeschluss nach § 54 Abs. 3 erst wirksam, wenn er (und da-

225 BGH, BB 1952, 990; vgl. auch BGHZ 21, 242, 246 = NJW 1956, 1435; Altmeppen, Rz. 44; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 53 Rz. 82; Link in Gehrlein/Born/ Simon, Rz. 17; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 35 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 62; im Ausgangspunkt wohl auch Blath in Michalski u.a., Rz. 50; unentschieden OLG Hamm v. 7.3.1994 – 8 U 148/93, GmbHR 1994, 706, 707. 226 Vgl. Flume, Juristische Person, § 5 III 2 (S. 158); Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53. 227 Altmeppen, Rz. 44; ausführlich Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47 sowie Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 2 Rz. 24. 228 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 43; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 47. 229 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 47. 230 Vgl. Blath in Michalski u.a., Rz. 50 (mit zweifelhafter Berufung auf OLG Karlsruhe v. 19.12.1997 – 1 U 170/97, ZIP 1998, 1961). 231 Vgl. auch, wenngleich der hier vorgetragenen Kritik folgend, Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 43. 232 Zugrunde lagen Beiträge von Priester, ZIP 1987, 280; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 82 f.; dazu auch Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 43; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 47 Rz. 3; unklar Blath in Michalski u.a., Rz. 50 (Mehrheitsbeschluss? Zustimmungspflicht?); umständlich Schaffner, S. 101 ff. 233 Fast wörtlich wie hier Schaffner, S. 102.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 59 § 11

mit auch die Gesellschaft) in das Handelsregister eingetragen ist234. Konsequenz: Die Gesellschafter haben die Wahl235: Sie können durch allseitige Vertragsänderung entsprechend der bisher h.M. den Gesellschaftsvertrag (die Satzung) mit sofortiger Wirkung oder zu einem frei gewählten Zeitpunkt einverständlich ändern. Dann ist die GmbH mit dem wirksam geänderten Gesellschaftsvertrag anzumelden und auf dieser Grundlage einzutragen. Die Gesellschafter können aber auch einen Beschluss nach § 53 fassen. Dann sollte zunächst die GmbH auf der Grundlage der unveränderten Satzung und sogleich deren mehrheitlich beschlossene Änderung eingetragen werden236. Im praktischen Ergebnis bedeutet dies, dass die Satzungsänderung mit der Eintragung der Gesellschaft und des Änderungsbeschlusses wirksam wird. Dies wird durch die doppelte Eintragung zunächst der GmbH und sodann der Satzungsänderung dokumentiert. Dieses Vorgehen kann sich empfehlen, wenn eine allseitige formgerechte Vertragsänderung vor der Eintragung z.B. an fehlender Gesellschafterpräsenz scheitert, während ein förmlicher satzungsändernder Mehrheitsbeschluss zustande gebracht werden kann. Dieser Beschluss braucht nach der Eintragung nicht noch einmal gefasst zu werden. Das gilt auch für Kapitalerhöhungen. Scheitert allerdings die Eintragung der GmbH (Rz. 159 ff.), so wird die Gesellschaft mangels einstimmiger Vertragsänderung auf der Basis der unveränderten Satzung abgewickelt. Auch für die Umwandlung einer Vorgesellschaft sollten diese Grundformen der Satzungsänderung anerkannt werden (Rz. 28). Beispielsweise kann die Vor-GmbH unter Wahrung der in § 23 Abs. 1 AktG vorgeschriebenen Form in eine Vor-AG umgewandelt werden (streitig). c) Die Vorgesellschaft muss bereits einen oder mehrere Geschäftsführer haben (§ 6). aa) De- 58 ren Bestellung erfolgt nach § 6 Abs. 3 durch den Vertrag oder durch Beschluss, und zwar – wie hier auf Grund von § 6 Abs. 3 Satz 2 allgemein anerkannt ist – durch Mehrheitsbeschluss237. Von der Bestellung ist die Anstellung der Geschäftsführer zu unterscheiden; sie macht die Geschäftsführer nicht zu Arbeitnehmern der Gesellschaft (§ 5 Abs. 1 Satz 3 ArbGG)238. bb) Innenverhältnis: Die Geschäftsführungsbefugnis (Innenverhältnis!) ist grundsätzlich 59 noch beschränkt (vgl. dagegen zum Außenverhältnis Rz. 72 f.)239. Die Geschäftsführer haben das Gründungsstadium durch Herbeiführung der Eintragung zu beenden und alle Maßnahmen zu ergreifen, die erforderlich sind, um die Einlagen einzufordern, zu verwalten etc. Eine Aufnahme werbender unternehmerischer Tätigkeit ist den Geschäftsführern gestattet, wenn eine Sachgründung mit Unternehmenseinbringung vorliegt oder wenn alle Gründer der Aufnahme der werbenden Tätigkeit zustimmen240. Im Einzelfall kann eine Pflicht für Minderheitsgesellschafter bestehen, sich der Mehrheit anzuschließen und die Zustimmung zu erteilen, wenn die Aufnahme der Tätigkeit vor der Eintragung sachgerecht ist und nen-

234 Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 83; Karsten Schmidt in FS Zöllner, S. 525 f.; a.M. Priester, ZIP 1987, 284; die hier vertretene Auffassung macht die Bedenken von Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, § 2 Rz. 24, weitgehend gegenstandslos. 235 Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 83; Karsten Schmidt in FS Zöllner, S. 526. 236 Diese Zweistufigkeit wird für überflüssig gehalten von KG v. 24.9.1996 – 1 W 4534/95, GmbHR 1997, 412, 413; Schaffner, S. 103. 237 BGH v. 23.3.1981 – II ZR 27/80, BGHZ 80, 212, 214 = NJW 1981, 2125, 2126 = GmbHR 1982, 67 f.; Altmeppen, Rz. 47; Blath in Michalski u.a., Rz. 53; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 44. 238 BAG v. 13.5.1996 – 5 AZB 27/95, BB 1996, 1774 = EWiR 1996, 773 (Bormann) = NJW 1996, 2678. 239 Wie hier Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 46 f.; Blath in Michalski u.a., Rz. 54 f.; vgl. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 26. 240 Insofern – für das Innenverhältnis! – richtig BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 139 = GmbHR 1981, 114, 116; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 51; Altmeppen, Rz. 49; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 45.

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§ 11 Rz. 59 | Rechtszustand vor der Eintragung nenswerte Haftungsrisiken nicht zu erwarten sind. Die Haftung der Geschäftsführer richtet sich bereits nach § 43241. Die Haftung für falsche Angaben ergibt sich aus § 9a. Zur Insolvenzverschleppungshaftung nach § 15a InsO vgl. Rz. 43. 60 cc) Im Außenverhältnis können die Geschäftsführer bereits in Vertretung der Gesellschaft

handeln, weil diese schon Partei von Rechtsgeschäften sein kann. Wegen der Einzelheiten, insbesondere zur Vertretungsmacht, vgl. Rz. 71 ff. Im Gegensatz zur Rechtsprechung wird hier für eine unbeschränkte Vertretungsmacht gemäß § 37 eingetreten. Schon wegen der im Innenverhältnis beschränkten Kompetenz wird der Geschäftsführer allerdings Genehmigungen für Rechtsgeschäfte und Maßnahmen einholen, die nicht gründungsnotwendig sind. 61 d) Einen Aufsichtsrat schreibt das Gesetz nicht ausdrücklich vor. § 52 über den fakultativen

Aufsichtsrat findet im Einklang mit dem Gesellschaftsvertrag bereits Anwendung242. Umstritten ist die Anwendung der Mitbestimmungsvorschriften der §§ 1, 4 DrittelbG, §§ 1, 6 MitbestG. Sie wird teils bejaht243, teils verneint244, teils wird auf §§ 30, 31 AktG verwiesen245. Die Frage kann vor allem in Sachgründungsfällen praktisch werden, wenn ein Unternehmen in die Vorgesellschaft eingebracht wird. Sie ist nicht begrifflich, sondern teleologisch-praktisch zu entscheiden. Die klarste Lösung ist, dass erst nach der Eintragung ein obligatorischer Aufsichtsrat zu bilden ist. Die Eintragung der Gesellschaft kann in diesem Stadium noch scheitern mit der Folge, dass die Gesellschaft aufgelöst oder als Personengesellschaft fortgeführt wird (Rz. 159 ff.)246. Der Mitbestimmungsstatus der Gesellschaft steht also vor der Eintragung nicht endgültig fest. Auch ist zu bedenken, dass die Gesellschaft, obschon bereits werdende juristische Person (Rz. 30) und bereits körperschaftlich verfasst (Rz. 47), wenn sie mit der Geschäftstätigkeit vor der Eintragung beginnt, dem Haftungsstatus einer Personengesellschaft unterliegt (Rz. 93 ff.). Vollends auszuschließen ist eine auf das Vorhandensein eines mitbestimmten Aufsichtsrats gerichtete Prüfungspflicht des Handelsregistergerichts bei der Eintragung der GmbH247.

4. Die Kapital- und Haftungsverfassung 62 a) Die Vorschriften über die Aufbringung und Erhaltung des Stammkapitals (§§ 19 ff.,

§§ 30 f.) sind nach h.M. noch nicht unmittelbar und nicht uneingeschränkt anwendbar248. Man wird differenzieren müssen: Die materiellen Kapitalaufbringungs- und -erhaltungs241 BGH v. 20.3.1986 – II ZR 114/85, GmbHR 1986, 302 = WM 1986, 789; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 46; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 9a Rz. 56; a.A. Kion, BB 1984, 864 f.: Haftung aus § 43 erst nach Eintragung möglich, davor aus § 9a. 242 Altmeppen, Rz. 39; Heermann in Habersack/Casper/Löbbe, § 52 Rz. 24; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 48; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44. 243 Vgl. für § 76 BetrVG insbes. Raiser in Hachenburg, 8. Aufl., § 52 Rz. 160; für das MitbestG Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 52 Rz. 51; Raiser/Veil/Jacobs, MitbestG, DrittelbG, 7. Aufl. 2020, § 1 MitbestG Rz. 29. 244 Vgl. für §§ 1, 4 DrittelbG Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 1 DrittelbG Rz. 22; für § 77 BetrVG BayObLG v. 9.6.2000 – 3Z BR 92/00, GmbHR 2000, 982 = ZIP 2000, 1445; für das MitbestG Altmeppen, Rz. 39; Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 6 MitbestG Rz. 7. 245 Blath in Michalski u.a., Rz. 57; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 53; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 52 Rz. 158; unentschieden Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 16. 246 Zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 53; ausführlich und im Ergebnis ebenso Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 31 f. 247 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 57. 248 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 133 = NJW 1981, 1373, 1374 = GmbHR 1981, 114, 115; BGH v. 29.5.1980 – II ZR 225/78, WM 1980, 955, 956; Schumann, S. 280 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13; im Grundsatz auch Blath in Michalski u.a., Rz. 48.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 64 § 11

grundsätze gelten bereits als Garanten der Eintragungsfähigkeit249. Es gilt z.B. § 19 Abs. 2 (Erlassverbot, Aufrechnungsverbot, Verbot des Zurückbehaltungsrechts), und es gilt § 30 (Ausschüttungsverbot)250. Anwendbar sind aber auch schon die §§ 24, 31251 einschließlich der Ausfallhaftungsregeln in §§ 24 und 31 Abs. 3252. Insbesondere dem Kapitalschutz nach §§ 30, 31 können die Gründer nur entgehen, wenn sie auf die Eintragungsfähigkeit der Vorgesellschaft als GmbH durch deren Auflösung oder durch Umwandlung in eine oHG oder GbR verzichten. b) Die Haftungsverfassung ist eine Frage des Außenverhältnisses. Sie ist bei Rz. 79 ff. ein- 63 gehend erläutert. Dabei wird klar zwischen der Haftung der Gesellschaft, der Haftung der handelnden Organe und der Haftung der Gesellschafter zu unterscheiden sein.

5. Auflösung der Vorgesellschaft a) Auflösungsgrund ist zunächst die rechtskräftige Ablehnung des Eintragungsantrags (s. 64 auch Rz. 159)253. Die h.M. begründet dies mit § 726 BGB (ab 1.1.2024 § 729 Abs. 2 BGB n.F.) und beruft sich auf den angeblichen Zweck der Vorgesellschaft, die Eintragung zum Abschluss zu bringen (dagegen aber Rz. 32 f.). Richtigerweise beruht die Auflösung darauf, dass die Gesellschaft nach der Ablehnung nicht mehr ohne Änderungen in der Organisation und Haftung fortgesetzt werden kann254. Weitere Auflösungsgründe sind: der Zeitablauf (§ 60 Abs. 1 Nr. 1; nicht praktisch), der Auflösungsbeschluss der Gesellschafter (§ 60 Abs. 1 Nr. 2)255, im Fall eines wichtigen Grundes eine Kündigung (§ 723 BGB, ab 1.1.2024 § 729 BGB n.F.)256 oder ein Auflösungsurteil (dazu sogleich in dieser Rz.) oder eine Auflösungsverfügung der Verwaltungsbehörde (§ 60 Abs. 1 Nr. 3), die Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 60 Abs. 1 Nr. 4)257 bzw. die Ablehnung der Eröffnung mangels Masse (§ 60 Abs. 1 Nr. 5)258. Ein Auflösungsbeschluss kann nach § 60 Abs. 1 Nr. 2 auch ohne vorherige Eintragung der Gesellschaft als GmbH mit Dreiviertelmehrheit gefasst werden259. Wird im Benehmen aller Gesellschafter die Eintragungsabsicht aufgegeben, so kann dies ein konkludenter Auflösungsbeschluss sein260. Dasselbe gilt, wenn einvernehmlich gegen die Kapitalbindung verstoßen und da249 Theobald, S. 95 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 83. 250 Priester, ZIP 1982, 1147 f.; s. aber Theobald, S. 106 ff.: erst ab Anmeldung. 251 Vgl. zu § 24 auch Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 24; zu § 31 Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 54. 252 Ausführlicher noch in der 9. Aufl.; zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 54. 253 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 45; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52. 254 Auch ein Vorverein ist aufgelöst und besteht nicht ohne weiteres als nichtrechtsfähiger Verein ohne Auflösung fort, wenn die Eintragung unter Berufung auf § 22 BGB abgelehnt wird; vgl. Karsten Schmidt, Verbandszweck und Rechtsfähigkeit im Vereinsrecht, 1984, S. 24, 311 ff. 255 Flume, Juristische Person, § 5 III 2; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 46; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53; M. Scholz, S. 73. 256 Vgl. BGH v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270, 275 ff. = NJW 2007, 589, 590. 257 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 53. 258 Überholt Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl., § 60 Anh. §§ 1, 2 LöschG Rz. 2: nur bei eingetragener GmbH. 259 Zustimmend Schaffner, S. 104; vgl. auch Altmeppen, Rz. 21, 24; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66. 260 So offenbar auch BGH v. 31.3.2008 – II ZR 308/06, BB 2008, 1249 m. Anm. Weiß = GmbHR 2008, 654 = NJW 2008, 2441 = WuB II C § 11 GmbHG 1.08 m. Anm. Lange/Widmann; ähnlich Altmeppen, Rz. 24.

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§ 11 Rz. 64 | Rechtszustand vor der Eintragung durch die Eintragungsfähigkeit beseitigt wird (Rz. 62). Die aufgelöste Gesellschaft muss, um den Status als Vorgesellschaft in Liquidation zu behalten, die Liquidation auch betreiben261. Bleibt die Gesellschaft im Einverständnis der Gesellschafter ohne Eintragung als GmbH unternehmerisch tätig, so kann es sich um eine Fortsetzung als Personengesellschaft handeln (Rz. 162). Umstritten ist, ob im Fall des § 61 die Auflösungsklage oder eine außergerichtliche Kündigung angezeigt ist262. Nicht zuletzt aus § 133 HGB (ab 1.1.2024 § 139 HGB n.F.) wurde gefolgert, der Gesetzgeber gebe der Klage bei einer Handelsgesellschaft allgemein den Vorzug, sofern nicht der Gesellschaftsvertrag diese nicht selten als unzweckmäßig empfundene Regelung im Sinne eines Kündigungsrechts abändere. Inzwischen hat aber das Urteil BGHZ 169, 270263 für die Vor-AG entschieden, dass die Vorgesellschaft im Fall eines wichtigen Grundes durch bloße Kündigung aufgelöst werden kann. Keine gesetzlichen Auflösungsgründe sind der Tod (Rz. 51) oder das Insolvenzverfahren eines Gesellschafters264. Nach der hier in der 10. Aufl. vertretenen Ansicht ist eine Auflösung bloß durch ordentliche Kündigung ohne entsprechende Satzungsvorschrift nicht möglich265. 65 b) Die Abwicklung vollzieht sich, soweit nicht die Vorschriften die Eintragung in das Han-

delsregister voraussetzen, nach den §§ 65 ff.266. Eine vormals vorherrschende Praxis und Lehre wendete die §§ 730 ff. BGB (ab 1.1.2024 §§ 735 ff. BGB n.F.) analog an267. Danach wären im Zweifel sämtliche Gesellschafter als Liquidatoren berufen268. Das passt in Fällen, bei denen die Gesellschaft zwischen dem Gründungsstadium und dem Auflösungsstadium als Personengesellschaft fortgeführt worden ist (vgl. insbes. Rz. 162). Handelt es sich dagegen um die Auflösung einer Vor-GmbH als solcher, so sind gemäß § 66 die Geschäftsführer als Liquidatoren berufen, sofern nicht andere Personen bestellt werden269. Auch eine Bestellung

261 In diesem Sinne auch BGH v. 31.3.2008 – II ZR 308/06, BB 2008, 1249 m. Anm. Weiß = GmbHR 2008, 654 = NJW 2008, 2441 = WuB II C § 11 GmbHG 1.08 m. Anm. Lange/Widmann; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 200. 262 Für Auflösungsurteil Rittner, S. 347; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66 mit (ungenauer) Berufung auf OLG Hamm v. 7.3.1994 – 8 U 148/93, GmbHR 1994, 706 = DB 1994, 1232; für außerordentliche Kündigung BGH v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270, 275 ff. = NJW 2007, 589, 590 = JZ 2007, 995 m. Anm. Drygala; Altmeppen, Rz. 25; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 53. 263 BGH v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = NJW 2007, 589 = JZ 2007, 995 m. Anm. Drygala. 264 Vgl. RGZ 82, 288, 290 (Konkurs); Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 67; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54; diese Rechtslage stand bis 1998 in Gegensatz zu den §§ 727 f. BGB, § 131 HGB. 265 OLG Hamm v. 7.3.1994 – 8 U 148/93, GmbHR 1994, 706 = DB 1994, 1232. 266 BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, GmbHR 1998, 185 = NJW 1998, 1079, 1080; BAG, NJW 1963, 680, 681 = AP Nr. 1 zu § 11 GmbHG m. kritischer Anm. Hueck; Rittner, S. 348 f.; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 57; Altmeppen, Rz. 27; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 33; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 69; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55. 267 BGH, LM Nr. 12 zu § 11 GmbHG; BGHZ 51, 30, 34 = NJW 1969, 509, 510; BGH v. 13.12.1982 – II ZR 282/81, BGHZ 86, 122, 127 = GmbHR 1983, 46, 47; OLG Düsseldorf v. 18.6.1993 – 3 Wx 247/93, GmbHR 1994, 178; Kießling, S. 210 ff.; Fleck, ZGR 1975, 215. 268 Vgl. BGHZ 51, 30, 34 = NJW 1969, 509; OLG Düsseldorf v. 18.6.1993 – 3 Wx 247/93, GmbHR 1994, 178. 269 BAG, NJW 1963, 680, 681 = AP Nr. 1 zu § 11 GmbHG m. kritischer Anm. Hueck; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 70 (für Analogie); Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; Altmeppen, Rz. 27; M. Scholz, S. 78; Wallner, GmbHR 1998, 1168 ff. (mit kaum haltbarer Ableitung aus der Haftungsrechtsprechung).

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 67 § 11

von Liquidatoren durch das Gericht nach § 66 Abs. 2 ist möglich270. Die Auflösung der Vorgesellschaft führte nach früher h.M. als solche nicht zu einer persönlichen Haftung der Gesellschafter271. Nach der älteren Rechtsprechung gab es auch im Innenverhältnis keine allgemeine Nachschuss- und Verlustausgleichspflicht zum Ausgleich einer Unterdeckung und zur Bereitstellung einer vollständigen Liquidationsmasse gemäß § 735 BGB (ab 1.1.2024 § 737 BGB n.F.)272. Seit dem Grundlagenurteil BGHZ 134, 333273 löst allerdings die Auflösung wie die Eintragung eine Unterbilanzhaftung aus (Rz. 86 ff.), während hier sogar für eine Außenhaftung der Gründer plädiert wird (Rz. 93 ff.). Folgerichtig sollte man im Fall der Auflösung der Gesellschaft auch die Regel des § 735 BGB resp. § 737 BGB n.F. sinngemäß anwenden, denn diese Regel folgt nicht aus der Rechtsnatur der Personengesellschaft, sondern ist spiegelbildlich aus der persönlichen Haftung der Gesellschafter274. Sie regelt die Geltendmachung der persönlichen Haftung im Liquidationsfall und erlaubt eine Haftungsabwicklung über die Liquidationsmasse anstelle individuellen Gläubigerzugriffs (vgl. auch Rz. 43, 161). Die Haftung der Gründer einer bereits unternehmerisch tätigen Vorgesellschaft ist zwar eine Außenhaftung (streitig; vgl. Rz. 86 f., 91), aber sie kann im Liquidationsfall durch Nachschüsse in die Liquidationsmasse und durch Gläubigerbefriedigung aus dieser Masse verwirklicht werden275. Im Fall der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens folgt die Abwicklung den Regeln der InsO (Rz. 43, 92).

V. Das Außenrecht der Vorgesellschaft Schrifttum: Rz. 1.

1. Grundsatz a) Grundlage ist die Rechtsträgerschaft der Vorgesellschaft (Rz. 34 ff.). Die Vorgesellschaft 66 kann Eigentümerin von beweglichen und unbeweglichen Sachen, Inhaberin dinglicher Rechte und Immaterialgüterrechte, Gläubigerin und Schuldnerin von Forderungen sein. Sie kann Besitz an Sachen ausüben (Rz. 76). Im öffentlichen Recht kann die Vorgesellschaft gebührenund steuerpflichtig sein. Sie unterliegt der ordnungsrechtlichen Störer- oder Nicht-Störerhaftung. Sie kann Beteiligte in Verwaltungsverfahren und Verwaltungsprozessen, Klägerin und Beklagte sein. Die Vorgesellschaft ist, wenn ein Vollstreckungstitel gegen sie vorliegt, taugliche Vollstreckungsschuldnerin. Sie kann als Schuldnerin oder Gläubigerin an einem Insolvenzverfahren teilnehmen (näher Rz. 43). b) Die Rechtsgrundsätze für Vorgesellschaften gelten nicht für sog. Vorrats- oder Mantelge- 67 sellschaften (streitig, vgl. ausführlich 13. Aufl., § 3 Rz. 181 ff.). Vorrats- und Mantelgesellschaften sind eingetragene, wenn auch „leere“ und häufig unterkapitalisierte Gesellschaften. Die Anwendung von Gründungsvorschriften in der Praxis des BGH ist bedenklich (Rz. 29, 87, 109). Sie folgt dem irreführenden Grundgedanken, dass die Neuverwendung einer bereits ein-

270 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 55; a.M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 70. 271 Lutter/Hommelhoff, 15. Aufl., Rz. 10. 272 BGH v. 13.12.1982 – II ZR 282/81, BGHZ 86, 122, 125 = GmbHR 1983, 46, 47; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 71. 273 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507 m. Anm. Altmeppen. 274 Ähnlich Schumann, S. 228 ff. 275 Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 119 f.

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§ 11 Rz. 67 | Rechtszustand vor der Eintragung getragenen, aber „leeren“ GmbH im Wege der „wirtschaftlichen Neugründung“ der Gründung einer neuen GmbH rechtlich gleichsteht276.

2. Stellvertretung bei Rechtsgeschäften und in Prozessen 68 a) Handeln im Namen der Gesellschaft. aa) Die Möglichkeit eines Handelns im Namen der

Vorgesellschaft ergibt sich aus deren Rechtsfähigkeit (Rz. 34 ff.). Herkömmlicherweise unterschied man zwischen einem „Handeln im Namen der Vor-GmbH“ und einem „Handeln im Namen der künftigen GmbH“277. Hiervon wurde wiederum der Fall unterschieden, dass sowohl im Namen der Vorgesellschaft als auch im Namen der GmbH gehandelt wird278. Diese Unterscheidung ist missverständlich279. Wie bei Rz. 25 ausgeführt, handelt es sich bei der Vor-GmbH und der fertigen GmbH nicht um zwei unterschiedliche Rechtsträger, sondern um eine und dieselbe Gesellschaft. Deshalb hat der Vertreter gar nicht die Wahl, ob er nur im Namen einer dieser „beiden“ Gesellschaften oder im Namen „beider“ handelt (vgl. sogleich Rz. 69 f.). Entscheidend ist nur, ob er erkennbar im Namen der Gesellschaft (Rz. 69 f.) oder/und im eigenen Namen oder im Namen einzelner Gründer handelt, z.B. auch bei der Einrichtung eines Girokontos280. 69 bb) Ausdrücklich oder konkludent kann im Namen der Vor-GmbH gehandelt werden. Die

Geschäftsführer handeln im Namen der Vor-GmbH, wenn sie erkennbar für ein von dieser bereits betriebenes Unternehmen handeln281 oder wenn sie die Firma der (künftigen) GmbH verwenden282. In beiden Fällen handeln sie im Namen eines gegenwärtigen Rechtsträgers, selbst wenn sie die Gesellschaft schon als „GmbH“ ohne den Zusatz „in Gründung“ bezeichnen. Auch wenn sie selbst diesen Zusatz weglassen und nur „für Firma X“ handeln, vertreten sie die Vor-GmbH283, wobei in diesem Fall eine persönliche Vertrauenshaftung wegen täuschenden Firmengebrauchs hinzukommen kann (Rz. 38). Ein Geschäftskonto wird im Zweifel selbst dann als Konto der (Vor-) GmbH eingerichtet, wenn es von den Gründern in Rechtsunkenntnis als „Gemeinschaftskonto“ bezeichnet wird284, Da die Vor-GmbH und die 276 Dagegen Altmeppen, Rz. 15; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 204 ff.; Kleindiek in FS Priester, S. 368 ff.; Priester, ZHR 168 (2004), 248; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857 ff. 277 Vgl. besonders BGH, NJW 1973, 798; BGH, NJW 1974, 1284; BGHZ 65, 378, 382 = NJW 1976, 419, 420 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 1976, 65, 66; BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 47 = NJW 1978, 1978, 1979 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 1978, 232. 278 BGHZ 53, 210, 211 = NJW 1970, 806, 807; BAG, AP Nr. 2 zu § 11 GmbHG m. Anm. Rittner/Krell = NJW 1973, 1904 = WM 1973, 1330 = JR 1974, 108 m. Anm. Karsten Schmidt. 279 Mit Recht ablehnend Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 89; vgl. schon Karsten Schmidt, NJW 1973, 1595 ff.; Karsten Schmidt, JR 1974, 109. 280 OLG Naumburg v. 13.5.1997 – 1 U 205/96, NJW-RR 1998, 1648 = GmbHR 1998, 239. 281 Vgl. BGH v. 29.11.1989 – IVa ZR 273/88, GmbHR 1990, 206; OLG Celle v. 14.3.1990 – 9 U 3/89, GmbHR 1990, 398; LAG Köln v. 17.3.2000 – 11 Sa 1060/99, NZA-RR 2001, 129 (Arbeitsvertrag); Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 84; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 74; zur Stellvertretung des Unternehmensträgers vgl. konzeptionell Karsten Schmidt, HandelsR, § 4 Rz. 88 ff.; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, § 343 HGB Rz. 12; Karsten Schmidt, JuS 1987, 425. 282 OLG Celle v. 14.3.1990 – 9 U 3/89, GmbHR 1990, 398; OLG Naumburg v. 13.5.1997 – 1 U 205/ 96, GmbHR 1997, 1066 = GmbHR 1998, 239 = NJW-RR 1998, 1648; Flume, Juristische Person, § 5 III 3; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 74; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73. 283 Vgl. OLG Celle v. 14.3.1990 – 9 U 3/89, GmbHR 1990, 398; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 73. 284 Vgl. OLG Naumburg v. 13.5.1997 – 1 U 205/96, GmbHR 1998, 239 = NJW-RR 1998, 1648; zur Frage der Mithaftung eines die Kontoeröffnung mitunterschreibenden Gesellschafters vgl. OLG Brandenburg v. 13.11.2001 – 11 U 53/01, NZG 2002, 182 = GmbHR 2002, 109.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 72 § 11

später eingetragene GmbH identisch sind (Rz. 31), wirken die im Namen der Vor-GmbH wirksam abgegebenen Willenserklärungen ohne weiteres für und gegen die fertige GmbH (und umgekehrt)285. cc) Hiervon zu unterscheiden ist die Vereinbarung der Eintragung als aufschiebende Be- 70 dingung. Wenn die Unterscheidung zwischen dem Handeln „im Namen der Vorgesellschaft“ und „im Namen der GmbH“ (Rz. 68) überhaupt einen Sinn haben soll, kann dieser nur darin bestehen, dass je nach den getroffenen Vereinbarungen diese eine (zunächst noch nicht eingetragene, später eingetragene) Gesellschaft einmal schon vor der Eintragung, ein andermal dagegen erst nach der Eintragung berechtigt und verpflichtet sein soll286. Es wird also nicht im Namen unterschiedlicher Gesellschaften gehandelt, sondern es wird in Vertretung der nämlichen Gesellschaft einmal mit sofortiger Wirkung, ein andermal unter der aufschiebenden Bedingung ihrer Eintragung kontrahiert. Eine solche aufschiebende Bedingung ist ohne weiteres zulässig287. Der Bundesgerichtshof hat mittlerweile ausdrücklich anerkannt, dass sich ihre Vereinbarung durch Auslegung des rechstgeschäfts ergeben kann288. Unrichtig hatte der BGH vom 14.3.1973289 noch angenommen, dass im letzten Fall die §§ 177 ff. BGB analog anwendbar seien, weil im Namen eines noch nicht existenten Rechtsträgers gehandelt werde. Zu dem für §§ 177 ff. BGB verbleibenden Anwendungsspielraum vgl. noch Rz. 129 ff. b) Steht fest, dass im Namen der Vorgesellschaft gehandelt wurde, so kommt es weiter auf 71 die Vertretungsmacht an. Ist sie gegeben, so wird aus dem Rechtsgeschäft die Vorgesellschaft berechtigt und verpflichtet (§ 164 BGB), und die Rechte und Pflichten setzen sich im Eintragungsfall bei der GmbH fort (Rz. 151 ff.); ist die Vertretungsmacht nicht gegeben, so gelten die §§ 177, 179 BGB (vgl. Rz. 129). aa) Organschaftliche Vertreter der Vorgesellschaft sind die Geschäftsführer (§ 35), im Auf- 72 lösungsfall die Liquidatoren (§ 70). Die Vertretungsmacht der Geschäftsführer ist bereits unbeschränkt i.S.v. §§ 35, 37 (näher Rz. 73)290. Diese Auffassung wird hier seit der 6. Auflage vertreten. Sie findet zunehmende, wenn auch zögerliche Zustimmung. Die noch h.M. tritt für eine beschränkte Vertretungsmacht der Vorgesellschaftsgeschäftsführer ein291. Nach

285 Vgl. auch für das Gebot in der Zwangsversteigerung LG München II v. 9.4.1987 – 7 T 431/87, NJW-RR 1987, 1519. 286 Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3b aa; Karsten Schmidt, NJW 1973, 1596; übereinstimmend M. Scholz, S. 141; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75. 287 RGZ 32, 97, 99; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 90; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 74; Jula, BB 1995, 1600. 288 BGH v. 14.4.2021 – III ZR 139/20, BGHZ 229, 299 = ZIP 2021, 1160 = NJW 2021, 2036. 289 BGH v. 14.3.1973 – VIII ZR 114/72, NJW 1973, 798 m. Anm. Karsten Schmidt, NJW 1973, 1595. 290 Vgl. Binz, S. 134 ff.; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 63; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 108, 123; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3b bb; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 84; Schaffner, S. 107; M. Scholz, S. 29 f.; Theobald, S. 27 ff.; Blath in Michalski u.a., Rz. 63; Wulf-Henning Roth, ZGR 1984, 609; Weimar, GmbHR 1988, 292; Beuthien, NJW 1997, 565 ff.; s. auch Jäger, Die persönliche Gesellschafterhaftung in der werdenden GmbH, 1994, S. 81 ff. 291 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 139 = GmbHR 1981, 114 = NJW 1981, 1373, 1375; OLG Naumburg v. 15.2.1996 – 7 U 66/95, DtZ 1996, 320; OLG Brandenburg v. 2.7.2002 – 11 U 185/01, NZG 2002, 869 (AG); Hess. LAG v. 13.8.2001 – 16 Sa 365/01, DB 2002, 644; Kießling, S. 250 ff.; Schumann, S. 245 ff.; Altmeppen, Rz. 33 f. (vorbehaltlich allseitiger Zustimmung zur Geschäftsaufnahme); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 13; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 65 ff.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 85; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 68 f.; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 19; Wicke, Rz. 5; Ulmer, ZGR 1981, 596 ff.; Fleck, GmbHR 1983, 8 f.; Beuthien, GmbHR 1996, 563; Lachmann, NJW 1998, 2263; vgl. auch schon RGZ 32, 97, 98; RGZ 83, 370, 373; RGZ 105, 228, 229; aus der älteren Literatur vgl. besonders Scholz, JW 1938, 3153.

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§ 11 Rz. 72 | Rechtszustand vor der Eintragung BGHZ 80, 129, 139292 und BGHZ 80, 182, 183293 ist die Vertretungsmacht grundsätzlich durch den Gründungszweck auf gründungsnotwendige Geschäfte beschränkt. Bei Sachgründungen soll sich diese Vertretungsbefugnis zwar „praktisch weitgehend“ mit derjenigen nach §§ 35 ff. decken; aber bei Bargründungen beschränkt sie sich nach Auffassung des BGH im Allgemeinen auf Rechtshandlungen, die für die Herbeiführung der Eintragung unerlässlich sind. Die Vertretungsmacht kann allerdings durch den Gesellschaftsvertrag oder – auch formlos – durch eine von den Gründern zu erteilende Ermächtigung erweitert werden294. Fehlt es daran, so kann nach der Rechtsprechung z.B. nicht einmal ein wirksamer Arbeitsvertrag zwischen einem Angestellten und der Gesellschaft abgeschlossen werden, der später die GmbH bindet295. Auch können die Gesellschafter, wenn man diese Ansicht zugrunde legt, die Vertretungsmacht beliebig einengen oder erweitern296. In Betracht gezogen wird allerdings eine Vertrauenshaftung der GmbH bzw. der Gesellschafter, wenn diese das eigenmächtige Handeln des Geschäftsführers geduldet haben297. Die Gestaltungspraxis muss sich vorerst auf diese Rechtsprechung einrichten. 73 Stellungnahme298: Die hier vertretene Auffassung (unbeschränkte Vertretungsmacht, vgl.

Rz. 72) bedarf der Begründung. Ausgangspunkt ist die Maßgeblichkeit der GmbH-Verfassung und damit der §§ 35, 37 für die Vorgesellschaft (Rz. 47 ff.). Solange die Rechtsprechung noch am Vorbelastungsverbot festhielt (Rz. 44), war die Beschränkung der organschaftlichen Vertretungsmacht einleuchtend, denn es sollte weder die Vorgesellschaft noch die spätere Kapitalgesellschaft aus beliebigen Rechtsgeschäften unbegrenzt verpflichtet werden. Dieses Argument hat sich seit dem Grundlagenurteil des Bundesgerichtshofs vom 9.3.1981299 erledigt. Auch die ultra-vires-Doktrin, nach der die Organvertretungsmacht durch den Verbandszweck beschränkt sein soll, ist als Rechtfertigung der h.M. nicht anzuerkennen300, ganz abgesehen davon, dass der Zweck der Vorgesellschaft überhaupt nicht in der von der h.M. angenommenen Weise beschränkt ist (vgl. Rz. 32 f.). Auch der mehrfach hervorgehobene Schutz der Gründer gegen eine persönliche Inanspruchnahme auf Grund von Geschäften der Geschäftsführer301 ist kein für die Beschränkung durchschlagendes Argument. Wer eine Organisation ins Leben ruft, die bereits nach dem Recht der GmbH lebt, kann das Risiko eines pflichtwid292 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 139 = NJW 1981, 1373, 1375 = GmbHR 1981, 114, 116. 293 BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182, 183 = GmbHR 1981, 192. 294 Vgl. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 139 = NJW 1981, 1373, 1375 = GmbHR 1981, 114; LAG Hamm v. 28.10.1982 – 10 Sa 726/82, ZIP 1983, 312; Altmeppen, Rz. 32 f.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 69; Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl., Rz. 46 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 87; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 69 f.; Fleck, GmbHR 1983, 9; Gehrlein, DB 1996, 563; gegen Formlosigkeit noch Ulmer in FS Ballerstedt, S. 291; wie der BGH aber schon John, Rechtsperson, S. 320, 323, 345. 295 Vgl. LAG Hamm v. 28.10.1982 – 10 Sa 726/82, ZIP 1983, 312. 296 A.M. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 70: Die Gründer könnten nur zwischen der Nicht-Erweiterung oder der typisierten Erweiterung der Vertretungsmacht wählen (Verlegenheitslösung!); so wohl auch Altmeppen, Rz. 33 a.E., 34 a.E. 297 Vgl. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 88; a.M. Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 73, mit Hinweis auf das zur Personengesellschaft ergangene Urteil BGHZ 61, 56, 64 ff. 298 Vgl. auch Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3b bb; Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 84. 299 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114. 300 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 8 V 2 und § 34 III 3b bb; Karsten Schmidt, AcP 184 (1984), 529 ff. 301 Deutlich Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; s. insoweit auch Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 68; extrem Wiegand, BB 1998, 1071, wonach die hier vertretene Auffassung „nach dem neuen Modell der Gründerhaftung unhaltbar“ sein dürfte; das „neue Modell“ (unbeschränkte Gesellschafterhaftung) wurde hier jedoch schon in den Vorauflagen vertreten, die Anwendung des § 37 Abs. 2 aber gleichwohl für „haltbar“ erachtet.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 75 § 11

rigen Geschäftsführerhandelns nicht dem Rechtsverkehr aufbürden. Es ist deshalb zwischen dem internen Dürfen und dem externen Können der Geschäftsführer zu unterscheiden. Die h.M. verlegt die Argumente, mit denen die Binnen-Kompetenz der weisungsgebundenen Geschäftsführer beschränkt werden kann (Geschäftsführung), unberechtigterweise ins Außenverhältnis (Vertretung). Intern dürfen die Geschäftsführer nicht ohne allseitige Billigung vor der Eintragung mit der Geschäftstätigkeit beginnen (Rz. 59). Extern geht es darum, ob die organschaftliche Vertretungsmacht gemäß §§ 35 ff. schon vorhanden ist. Da die sich aus den Gesellschaftsverbindlichkeiten ergebende Gesellschafterhaftung (Rz. 86 ff.) ebenso wie die Vertretungsmacht nach §§ 35, 37 eine gesetzliche ist, kommt es auch nicht auf die Frage an, ob die Vertretungsmacht der Geschäftsführer ausreicht, um eine persönliche Haftung der Gesellschafter zu begründen302. Selbst eine ausdrückliche Beschränkung der Vertretungsmacht durch die Gründer hat nach den Regeln des § 37 Abs. 2 keine direkte Außenwirkung303. Sofern Geschäftsführer evident eigenmächtig handeln, die Pflichtwidrigkeit ihres Handelns also dem Geschäftspartner bekannt oder nur infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, sind die Gesellschaft und die Gesellschafter durch die Grundsätze über den Missbrauch der Vertretungsmacht (vgl. Erl. § 37) geschützt304. Bei der Anwendung dieser Grundsätze ist zu beachten, dass ein Dritter, dem die fehlende Eintragung bekannt ist, nicht generell schon aus diesem Grund den Schutz durch die unbeschränkte Vertretungsmacht verliert. Bei typischen Anlaufgeschäften kann der Dritte regelmäßig auf die gesetzliche Vertretungsmacht vertrauen. bb) Die Vorgesellschaft kann nicht nur durch die Geschäftsführer vertreten werden, sondern 74 auch durch Bevollmächtigte, im Fall einer kaufmännischen Tätigkeit (Rz. 37) auch durch Prokuristen305. Vollmachten werden durch die Geschäftsführer als Organe der Gesellschaft erteilt. Die Wirksamkeit einer solchen Bevollmächtigung hängt also wiederum davon ab, ob die Geschäftsführer ihrerseits die Gesellschaft wirksam vertreten können (Rz. 73). Insbesondere eine Prokura oder Handlungsvollmacht wäre nach der bisher h.M. nur wirksam erteilt, wenn eine Sachgründung vorliegt oder wenn die Gesellschafter die Geschäftsführer zur Vorwegnahme der Unternehmensführung ermächtigen306. Diese Einengung ist aus den bei Rz. 73 dargelegten Gründen abzulehnen. Die Geschäftsführer können auf Grund ihrer organschaftlichen Vertretungsmacht Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte bestellen. Ob sie dies intern dürfen, ist eine Frage ihrer Geschäftsführungsbefugnis (Rz. 59). Im Außenverhältnis kann die Prokura sogleich wirksam werden und mit der Anmeldung der GmbH zur Eintragung im Handelsregister gleichfalls zur Eintragung angemeldet werden (die Eintragung nach § 53 Abs. 1 HGB wirkt nicht konstitutiv). cc) Im Prozess wird die Vor-GmbH durch ihre Geschäftsführer vertreten (§ 35 Abs. 1). Zu- 75 stellungen gehen an die Geschäftsführer, im Fall der Führungslosigkeit an die Gesellschafter (§ 35 Abs. 1 Satz 2). Die Geschäftsführer werden im Prozess der Gesellschaft nicht als Zeugen, sondern als Partei vernommen. Dasselbe gilt im Auflösungsfall für die Liquidatoren.

302 Ausführlicher noch 9. Aufl.; überholt BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 49 f. = NJW 1978, 1978, 1979 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 1978, 232; BGH v. 13.12.1982 – II ZR 282/81, BGHZ 86, 122, 125 = NJW 1983, 876, 877 = GmbHR 1983, 46, 47. 303 Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3b bb; enger (nur bei Beginn kaufmännischer Tätigkeit) Beuthien, NJW 1997, 566 f.; a.M. Wiegand, BB 1998, 1071: „unhaltbar“. 304 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3b bb; näher zum Missbrauch der Vertretungsmacht, ebd., § 10 II 2. 305 Ebenso Altmeppen, Rz. 35; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 73; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 77. 306 So konsequent Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 73; s. auch Altmeppen, Rz. 35.

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§ 11 Rz. 76 | Rechtszustand vor der Eintragung

3. Besitzausübung, Verschuldenszurechnung, Haftung für fremdes Handeln, Wissenszurechnung 76 a) Den Besitz an beweglichen und unbeweglichen Sachen übt die Gesellschaft durch ihre

Geschäftsführer aus (Organbesitz), sowie durch Hilfspersonen als Besitzdiener307. 77 b) Ein Organverschulden wird der Gesellschaft analog § 31 BGB zugerechnet308. Sie haftet

also ohne Entlastungsmöglichkeit für ein Verschulden ihrer Geschäftsführer oder Liquidatoren. Im Rahmen von Sonderrechtsverhältnissen, insbesondere von Verträgen, haftet die Vorgesellschaft nach § 278 BGB für ihre Erfüllungsgehilfen. Für unerlaubte Handlungen ihrer Verrichtungsgehilfen haftet die Vorgesellschaft als Geschäftsherrin nach § 831 BGB aus vermutetem Auswahl- und Überwachungsverschulden (Rz. 80)309. Im Ordnungsrecht (sog. Polizeirecht) wie auch im Recht der privatrechtlichen Unterlassungsansprüche kann die Vorgesellschaft auf Grund eines Verhaltens ihrer Geschäftsführer als Handlungsstörer haften310. Strafrechtlich können tatbestandsrelevante Merkmale, die bei der Gesellschaft vorliegen, den Geschäftsführern nach § 14 StGB zugerechnet werden311. 78 c) Auch für die Wissenszurechnung gelten die allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Grund-

sätze312. Grundsätzlich werden Kenntnis und Irrtum, guter und böser Glaube der Geschäftsführer oder Liquidatoren der Gesellschaft unmittelbar zugerechnet. Die Wissenszurechnung bei Bevollmächtigten richtet sich nach § 166 BGB.

4. Die Haftungsverhältnisse im Überblick 79 a) Haftung der Vorgesellschaft. aa) Die Vorgesellschaft kann selbst aus Rechtsgeschäften

haften, wenn sie rechtswirksam vertreten worden ist (Rz. 68 ff.) oder ein ohne Vertretungsmacht vorgenommenes Rechtsgeschäft genehmigt (§ 177 BGB). Im Fall von Leistungsstörungen durch Vertragsverletzungen kann sich eine Haftung der Vorgesellschaft aus einer Verschuldenszurechnung für Organe und Gehilfen nach §§ 31, 278 BGB ergeben (Rz. 77). 80 bb) Auch aus gesetzlichen Schuldverhältnissen haftet die Vorgesellschaft nach allgemeinen

Regeln. Sie kann z.B. als nichtberechtigter Besitzer (§§ 987 ff. BGB) oder als Empfänger einer ungerechtfertigten Bereicherung (§ 812 BGB) oder als nichtberechtigt Verfügender (§ 816 BGB) haften. Sie kann Geschäftsherr im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß §§ 677 ff. BGB sein. Sie kann als Halterin eines Kraftfahrzeugs (§ 7 StVG) oder eines Tiers (§ 833 BGB) oder als Grundstücksbesitzerin (§ 836 BGB) haften und der Produkthaftung (§ 1 ProdHG) unterliegen. Sie kann Geschäftsherrin i.S.v. § 831 BGB sein (vgl. Rz. 77). Sie kann aus § 8 UWG auf Unterlassung in Anspruch genommen werden313. Für ein Verschulden ihrer Organe – insbesondere also der Geschäftsführer – haftet sie bereits entsprechend § 31 BGB (vgl. Rz. 77).

307 Dazu vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 10 III. 308 Vgl. OLG Stuttgart v. 2.11.1988 – 2 W 5/88, NJW-RR 1989, 637, 638; M. Scholz, S. 80; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 106; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 105; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 22; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 85; Beuthien, BB 1996, 1337 f. 309 Im Ergebnis zust. Beuthien, BB 1996, 1339. 310 Vgl. zum UWG OLG Frankfurt v. 17.1.1985 – 6 U 137/84, DB 1985, 1334 = GmbHR 1985, 331. 311 Nach wohl h.M. aber nur aus § 14 Abs. 1 Nr. 2 StGB; vgl. KG v. 2.10.2002 – 10 U 139/01, GmbHR 2003, 591; Bittmann/Pikarski, wistra 1995, 92 f.; bedenklich! 312 Vgl. zu diesen Karsten Schmidt, GesR, § 10 V; Grigoleit et al., ZHR 181 (2017), 160 ff. 313 Vgl. OLG Frankfurt v. 17.1.1985 – 6 U 137/84, DB 1985, 1334 = GmbHR 1985, 331.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 84 § 11

cc) Nicht nur für Verbindlichkeiten, die für die Vor-GmbH als solche im Gründungsstadium 81 begründet worden sind, sondern auch für Altverbindlichkeiten kann die Vorgesellschaft haften, wenn hierfür eine gesetzliche oder vertragliche Grundlage besteht. Von besonderer Bedeutung ist § 25 HGB314, wenn ein Unternehmen in die Gesellschaft eingebracht (Sachgründung) oder von ihr entgeltlich erworben wird (Bargründung bzw. verdeckte Sachgründung). Da § 25 HGB und nicht § 28 HGB einschlägig ist315, greift die Haftung nach h.M. allerdings nur ein, wenn die Vorgesellschaft das eingebrachte Unternehmen mit dessen bisheriger Firma fortführt316. Anders entscheiden diejenigen, die im Fall der GmbH-Sachgründung entgegen dem Wortlaut des Gesetzes § 28 HGB anwenden317 oder mit der vom Verfasser vertretenen Ansicht gegen den Wortlaut des Gesetzes den § 25 HGB auch bei Unternehmensfortführung ohne Firmenfortführung anwenden318. Aus § 25 HGB ergibt sich nur eine Haftung der Gesellschaft319; die Gesellschafterhaftung folgt den Rz. 86 ff. Auch Arbeitsverhältnisse gehen im Fall der Sach-Einbringung eines Unternehmens nach § 613a BGB auf die Vorgesellschaft über320. Zur Frage, ob die Gesellschafter im Fall der Geschäftsfortführung auch persönlich haften, vgl. Rz. 95. b) Von der Haftung der Vorgesellschaft ist die persönliche Außenhaftung der Beteiligten 82 zu unterscheiden. Sie kann insbesondere begründet sein: (1) als Gesellschafterhaftung der Gründer neben der Vorgesellschaft (dazu Rz. 85 ff.), (2) als Haftung der Handelnden neben der Vorgesellschaft gemäß § 11 Abs. 2 (dazu Rz. 101 ff.), (3) als Haftung von Vertretern ohne Vertretungsmacht gemäß § 179 BGB an Stelle der Vorgesellschaft (dazu Rz. 69 ff., 129). c) Von der Außenhaftung beteiligter Personen ist wiederum die seit BGHZ 80, 129321 prakti- 83 zierte Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung oder Differenzhaftung) der Gründer als Innenhaftung nach Eintragung der Gesellschaft zu unterscheiden. Sie begründet Nachschusspflichten der Gründer im Innenverhältnis und keine unmittelbare Haftung gegenüber den Gläubigern (eingehend Rz. 139 ff.). d) Nach der hier vertretenen Auffassung finden die Haftungsgrundsätze keine Anwendung 84 auf die Mantel- oder Vorratsverwertung (Rz. 29, 67, 109, 140). Die abweichenden, auf den Gedanken der „wirtschaftlichen Neugründung“ gestützten Urteile BGHZ 153, 158322 und BGHZ 155, 318323 verdienen keine Zustimmung324. Die Praxis muss sie allerdings respektie-

314 Dazu eingehend Karsten Schmidt, HandelsR, § 8 Rz. 1 ff. 315 Vgl. nur BGHZ 18, 248, 250 = NJW 1955, 1916; BGH v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, BB 1982, 888 = NJW 1982, 1647 m. Anm. Karsten Schmidt; Karsten Schmidt, HandelsR, § 7 Rz. 48, § 8 Rz. 104; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 103; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5 Rz. 30; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 5 Rz. 80. 316 BGHZ 18, 248, 250 = NJW 1955, 1916; BGH v. 29.3.1982 – II ZR 166/81, BB 1982, 888 = NJW 1982, 1647 m. Anm. Karsten Schmidt; gegen diese Beschränkung Karsten Schmidt, HandelsR, § 7 Rz. 48, § 8 Rz. 13 ff. 317 Dafür m.w.N. Thiessen in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 28 HGB Rz. 10; Servatius, NJW 2001, 1696; nach dieser Auffassung müsste im Fall der Sacheinlage die GmbH unbedingt haften, im Fall der Sachübernahme nur, wenn sie auch die Firma des erworbenen Unternehmens führt. 318 Karsten Schmidt, HandelsR, § 8 Rz. 13 ff. 319 A.M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 91 ff., 103 m.N. 320 Vgl. zur Anwendung des § 613a BGB auf Unternehmens-Sacheinlagen LAG Rheinland-Pfalz v. 10.8.2018 – 1 Sa 537/17, ArbRB 2019, 39; Müller-Glöge in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 613a BGB Rz. 64 m.w.N. 321 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114. 322 BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = NJW 2003, 892. 323 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = NJW 2003, 3198. 324 Priester, ZHR 168 (2004), 248 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857 ff.; zustimmend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 209.

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§ 11 Rz. 84 | Rechtszustand vor der Eintragung ren, solange der BGH an der Anwendung des Gründungsrechts festhält (eingehend 13. Aufl., § 3 Rz. 181 ff.). Eine Entschärfung enthält das Urteil BGHZ 192, 341325.

VI. Die Haftung der Gesellschafter 85 Schrifttum: (vgl. zunächst die Angaben bei Rz. 1): Ahrens, Kapitalgesellschaftliche Mantelverwertung und Vorgesellschafterhaftung, DB 1998, 1069; Altmeppen, Das unvermeidliche Scheitern des Innenhaftungskonzepts in der Vor-GmbH, NJW 1997, 3272; Bayer/Lieder, Vorbelastungshaftung und Vorbelastungsbilanz, insbesondere bei späterer Auffüllung des Haftungsfonds, ZGR 2006, 875; Baumann, Die GmbH in Anwartschaft – ein neues Konzept zur Gründerhaftung, JZ 1998, 597; Beuthien, Haftung bei gesetzlichen Schuldverhältnissen einer Vorgesellschaft, BB 1996, 1337; Beuthien, Vorgesellschafterhaftung nach innen oder außen? Zum Vorlagebeschluss des BGH vom 4.3.1996, GmbHR 1996, 309; Beuthien, Zum Haftungsprivileg der Vorgesellschafter, in FS Hadding, 2004, S. 309; Beuthien, Haftung der Vorgesellschafter: Warum so umständlich? Warum so milde?, WM 2013, 1485; Binz, Haftungsverhältnisse im Gründungsstadium der GmbH & Co. KG, 1976; Brinkmann, Begrenzte Haftung der Einmann-GmbH in Gründung?, GmbHR 1982, 269; Chebulla, Haftungsmodelle bei der GmbH-Gründung, NZG 2001, 972; Dauner-Lieb, Haftung und Risikoverteilung in der Vor-GmbH, GmbHR 1996, 82; Derwisch-Ottenberg, Die Haftungsverhältnisse der Vor-GmbH, 1988; Dregger, Haftungsverhältnisse bei der Vorgesellschaft, 1951; Dreher, Die Gründungshaftung bei der GmbH, DStR 1992, 33; v. Einem, Haftung der Gesellschafter einer Vorgesellschaft für Beitragsschulden, DB 1987, 621; Ensthaler, Haftung der Gesellschafter einer Vor-GmbH: Innenhaftung oder Außenhaftung?, BB 1997, 257; Fantur, Das Haftungssystem der GmbH-Vorgesellschaft, Wien 1997; Fleck, Die neuere Rechtsprechung zur Vorgesellschaft und zur Haftung der Handelnden, ZGR 1975, 212; Flume, Die Rechtsprechung zur Haftung der Gesellschafter der Vor-GmbH und die Problematik der Rechtsfortbildung, DB 1998, 45; Gehrlein, Die Haftung in den verschiedenen Gründungsphasen einer GmbH, DB 1996, 561; Gehrlein, Von der Differenz- zur Verlustdeckungshaftung, NJW 1996, 1193; Gummert, Die Haftungsverfassung der Vor-GmbH nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH, DStR 1997, 1007; Hartmann, Gründerhaftung in der Vor-GmbH, WiB 1997, 66; Binge/Binz, Zur Handelndenhaftung im Gründungsstadium der GmbH & Co., DB 1982, 1971; Hey, Haftung des Gründungsgesellschafters der Vor-GmbH – KG, WM 1994, 1288, JuS 1995, 484; Huber, Die Vorgesellschaft mbH, in FS Fischer, 1979, S. 263; Jäger, Die persönliche Gesellschafterhaftung in der werdenden GmbH, 1994; Kellermann, Zur Gesellschafterhaftung in der Vor-GmbH, in FS Röhricht, 2005, S. 291; Kind, Die Differenzhaftung im Recht der GmbH, Diss. Mainz 1984; Kleindiek, Zur Gründerhaftung in der Vor-GmbH – Besprechung der Entscheidung BGH ZIP 1997, 679 –, ZGR 1997, 427; Knoche, Gründerhaftung und Interessenausgleich bei der Vor-GmbH, 1990; Kort, Die Gründerhaftung in der Vor-GmbH – Überlegungen anlässlich des Vorlagebeschlusses des BAG vom 23. August 1995 an den GmS OGB, ZIP 1995, 1892, ZIP 1996, 109; Krebs/Klerx, Die Haftungsverfassung der Vor-GmbH, JuS 1998, 991; Lieb, Meilenstein oder Sackgasse? Bemerkungen zum Stand von Rechtsprechung und Lehre zur Vorgesellschaft, in FS Stimpel, 1985, S. 399; Lutter, Haftungsrisiken bei der Gründung einer GmbH, JuS 1998, 1073; Maulbetsch, Haftung für Verbindlichkeiten der Vorgründungsgesellschaft und der Vorgesellschaft einer GmbH, DB 1984, 1561; Meister, Zur Vorbelastungsproblematik und zur Haftungsverfassung der Vorgesellschaft bei der GmbH, in FS Werner, 1984, S. 521; Michalski/Barth, Außenhaftung der Gesellschafter einer Vor-GmbH, NZG 1998, 525; Nordhues, Gesellschafterhaftung in der Vor-GmbH und Vorgründungsgesellschaft, 2003; Paefgen, Handelndenhaftung bei europäischen Auslandsgesellschaften, GmbHR 2005, 957; Petersen, Spannungsverhältnis zwischen Gründerhaftung und Handlungshaftung …, Diss. Mainz 1985; Priester, Die Unversehrtheit des Stammkapitals bei Eintragung der GmbH – ein notwendiger Grundsatz?, ZIP 1982, 1141; Raab, Die Haftung der Gesellschafter der Vor-GmbH im System der Gesellschaft, WM 1999, 1596; Raiser/Veil, Die Haftung der Gesellschafter einer Gründungs-GmbH – Zum Vorlagebeschluss des BGH vom 4. März 1996 an den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, BB 1996, 1349 ff., BB 1996, 1344; Günter Reinicke, Die Stellung der Mitglieder in der Vorgesellschaft unter besonderer Berücksichtigung ihrer Haftung, Diss. Köln 1960; Riedel/Rabe, Die Vorhaftung bei der Vorgesellschaft, NJW 1966, 1004; NJW 1968, 873; Wulf-Henning Roth, Die Gründerhaftung im Recht der Vorgesellschaft, ZGR 1984, 597; Sandberger, Die 325 BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, BGHZ 192, 341 = GmbHR 2012, 630 = ZIP 2012, 817 Rz. 24. Dazu Wicke in MünchKomm. GmbHG, § 3 Rz. 33; Simon in Gehrlein/Born/Simon, § 3 Rz. 69; Ulmer, ZIP 2012, 1265, 1272; ablehnend Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 3 Rz. 91.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 86 § 11 Haftung bei der Vorgesellschaft, in FS Fikentscher, 1998, S. 389; Schäfer-Gölz, Die Lehre vom Vorbelastungsverbot und die Differenzhaftung der Gründer, Diss. Bonn 1983; Karsten Schmidt, Zur Stellung der oHG im System der Handelsgesellschaften, 1972; Karsten Schmidt, Unterbilanzhaftung, Vorbelastungshaftung, Gesellschafterhaftung, ZHR 156 (1992), 93; Karsten Schmidt, Zur Haftungsverfassung der VorGmbH – Bemerkungen zum Urteil des BGH vom 27. Januar 1997, ZIP 1997, 679, ZIP 1997, 671; Karsten Schmidt, Außenhaftung und Innenhaftung bei der Vor-GmbH – Der BGH und der Vorlagebeschluss des Bundesarbeitsgerichts, ZIP 1996, 353; Karsten Schmidt, Unbeschränkte Außenhaftung/unbeschränkte Innenhaftung – Stimmigkeitsprobleme der Haftungsabwicklung, in FS Goette, 2011, S. 459 ff.; Franz Scholz, Die Haftung der Gründergesellschaft, JW 1938, 3149; Michael Scholz, Die Haftung im Gründungsstadium der GmbH, 1979; Schütz, Enträtselung des Rätsels Vorgesellschaft? Die Haftungsverfassung der Vor-GmbH nach dem Vorlagebeschluss des BGH vom 4.3.1996 – II ZR 123/94, GmbHR 1996, 727; Schumann, Der Ausgleich zwischen GmbH-Gründern, 2004; Schwarz, Offene Fragen bei der so genannten unechten Vor-GmbH, ZIP 1996, 2005; Theobald, Vor-GmbH und Gründerhaftung, 1984; Stimpel, Unbeschränkte oder beschränkte, Außen- oder Innenhaftung der Gesellschafter der Vor-GmbH?, in FS Fleck, 1988, S. 345; Ulmer, Abschied zum Vorbelastungsverbot im Gründungsstadium der GmbH, ZGR 1981, 593; Ulmer, Zur Haftungsverfassung in der Vor-GmbH – Erwiderung auf Karsten Schmidt, ZIP 1996, 353 und ZIP 1996, 593, ZIP 1996, 733; Weimar, Abschied von der Gesellschafter- und Handelnden-Haftung im GmbH-Recht?, GmbHR 1988, 289; Wiedenmann, Zur Haftungsverfassung der VorAG: Der Gleichlauf von Gründerhaftung und Handelnden-Regress – Zugleich eine Besprechung des Urteils des Landgerichts Heidelberg vom 11. Juni 1997, ZIP 1997, 2045, ZIP 1997, 2029; Wiegand, Offene Fragen zur neuen Gründerhaftung in der Vor-GmbH, BB 1998, 1065; Wilhelm, Die Haftung des Gesellschafters der durch Gesellschaftsvertrag errichteten GmbH auf Grund der gewerblichen Betätigung vor der Eintragung der GmbH, DB 1996, 461; Wilhelm, Das Innenhaftungskonzept geht in sich, DStR 1998, 457; Wilken, Gesellschafterhaftung in der echten Vor-GmbH, ZIP 1995, 1163; Wünsch, Die Haftung der Gründer einer GmbH, GesRZ 1984, 1; Zöllner, Die sog. Gründerhaftung, in FS Wiedemann, 2002, S. 1383.

1. Unbeschränkte Vor-Gesellschafterhaftung a) Die persönliche Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der Vor-GmbH ist unbe- 86 schränkt. Das Gesetz, auf Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft nicht eingerichtet, enthält keine klärende Regelung. Bis zu dem Grundsatzurteil BGHZ 134, 333326 war die Gesellschafterhaftung umstritten327. Die engste Auffassung lehnte eine persönliche Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten ab328. Diese fehlende Außenhaftung wurde von einzelnen Autoren durch eine sich an § 735 BGB (ab 1.1.2024 § 737 BGB n.F.) anlehnende Innenhaftung auf Ausgleich von Anlaufverlusten neutralisiert (Rz. 65)329. Die Gegenauffassung sprach sich – teils generell, teils unter der Voraussetzung, dass die Gesellschaft schon Unternehmensgeschäfte betreibt – für eine unbeschränkte Gesellschafterhaftung aus330. Dem

326 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507 = GmbHR 1997, 405. 327 Zum Folgenden auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 79. 328 OLG Dresden v. 17.5.1995 – 3 U 1139/93, WiB 1995, 908 = ZIP 1996, 718 = DB 1996, 178; Binz, Haftungsverhältnisse, S. 233 ff.; Huber in FS Fischer, S. 282 ff.; Lutter/Hommelhoff, 13. Aufl., Rz. 7; Jäger, S. 113 ff., 123 f.; M. Scholz, S. 81 ff.; Weimar, GmbHR 1988, 294 f.; Dreher, DStR 1992, 35; im Grundsatz auch Priester, ZIP 1982, 1151 f.; s. auch Fleck, GmbHR 1983, 7. 329 Stimpel in FS Fleck, S. 358 ff., 361 ff.; dem folgend Ulmer in Ulmer, 1. Aufl., Rz. 75 ff.; in dieser Richtung zuvor schon Meister in FS Werner, 1984, S. 549 f.; Lieb in FS Stimpel, 1985, S. 414 f. 330 BSG v. 28.2.1986 – 2 RU 21/85, DB 1986, 1291 = ZIP 1986, 645; Flume in FS Geßler, S. 33 f.; Flume, JurP, § 5 III 3; Flume, NJW 1981, 1754; John, Die organisierte Rechtsperson, S. 324; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 124 ff.; Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl., Rz. 55; WulfHenning Roth, ZGR 1984, 597 ff.; Karsten Schmidt, oHG, S. 317 ff.; Karsten Schmidt in FS Goette, S. 459, 462; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3c; Karsten Schmidt, NJW 1978, 1980; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1347; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 107 ff.; Theobald, S. 113, 121 ff.; s. auch Brinkmann, GmbHR 1982, 209 ff.; v. Einem, DB 1987, 623 f.

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§ 11 Rz. 86 | Rechtszustand vor der Eintragung folgte, wenn zunächst auch beschränkt auf den Fall, dass bereits unternehmerische Geschäfte betrieben wurden, die vorliegende Kommentierung (8. Aufl., Rz. 80 ff.). Zwischen beiden Standpunkten lag die bis 1997 vom Bundesgerichtshof vertretene und damals wohl herrschende vermittelnde Auffassung, nach der die Haftung auf den Betrag der noch ausstehenden Einlagen beschränkt ist331. Diese vermittelnde Auffassung war unausgewogen (eingehende Kritik hier in der 8. Aufl.). Sie vertrug sich insbesondere nicht mit der seit BGHZ 80, 129332 praktizierten Unterbilanzhaftung im Eintragungsfall. Diese Haftung kann nicht am Eintragungsstichtag aus dem Nichts entstehen, und es geht auch nicht an, die Gründer im Eintragungsfall haften zu lassen, nicht dagegen im Fall einer scheiternden Gründung. Mit Recht hat deshalb der II. Senat diese ältere Rechtsprechung aufgegeben. 87 b) Grundlage der gegenwärtigen Gerichtspraxis ist das am 27.1.1997 ergangene Grund-

satzurteil BGHZ 134, 333333: „Die Gesellschafter einer Vor-GmbH haften für die Verbindlichkeiten dieser Gesellschaft unbeschränkt.“ Damit steht fest, dass der auf den Eintragungsstichtag bezogenen Vorbelastungshaftung der Gesellschafter eine ihrem Umfang nach gleiche Gründerhaftung bei der Vorgesellschaft vorgelagert ist334. Das Urteil hat einen zuvor vermissten Haftungsgleichlauf vor und nach der Eintragung geschaffen. Bundesarbeitsgericht und Bundessozialgericht haben sich diesem Standpunkt angeschlossen335. Mit diesem hier in der 7. und 8. Auflage eingeforderten Rechtsprechungswandel haben die Gerichte einem Haftungsbedürfnis Rechnung getragen, das in vorausgegangenen Jahrzehnten durch Einbeziehung der Gesellschafter in den Kreis der nach § 11 Abs. 2 haftenden Handelnden erfüllt werden sollte (dazu Rz. 116). Diese Anwendung des § 11 Abs. 2 auf die Gesellschafterhaftung stärkte den Gläubigerschutz auf einer falschen Grundlage336. Aber das rechtspolitische Haftungsbedürfnis war klar erkannt. Ihm wird heute mit einer von § 11 Abs. 2 unabhängigen gesetzlichen (jedoch ungeschriebenen) Gesellschafterhaftung Rechnung getragen (Rz. 92 ff.).

2. Außenhaftung oder Innenhaftung? 88 a) Herrschende Auffassung. aa) Umstritten ist, ob die in der neuen Rechtsprechung an-

erkannte persönliche Haftung eine Außenhaftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern oder eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft ist. Der Bundesgerichtshof folgt in dem

331 BGHZ 65, 378, 382 ff. = NJW 1976, 419, 420 m. Anm. Karsten Schmidt; BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 48 f. = NJW 1978, 1978, 1979 m. Anm. Karsten Schmidt; BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 135 = GmbHR 1981, 114 = NJW 1981, 1373, 1376 (zweifelnd); BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152 = GmbHR 1984, 316 = NJW 1984, 2164; BGH v. 29.5.1980 – II ZR 225/78, WM 1980, 955, 956; BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, GmbHR 1986, 118 = DB 1986, 106; OLG Hamburg v. 18.10.1985 – 11 U 92/85, GmbHR 1986, 230 = WM 1986, 738, 739 = NJW-RR 1986, 116, 117; KG v. 7.1.1993 – 22 U 7180/93, WM 1994, 1288; Hueck/ Fastrich in Baumbach/Hueck, GmbHG, 16. Aufl., Rz. 23 ff.; Meyer-Landrut, Rz. 14; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 31, 91 ff.; Meister in FS Werner, S. 546 ff.; Hüffer, JuS 1980, 488; s. auch noch Ulmer in Hachenburg, 7. Aufl., Rz. 60 ff.; Ulmer, ZGR 1981, 593, 608 ff. 332 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = GmbHR 1981, 114 = NJW 1981, 1373. 333 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507 = GmbHR 1997, 405. 334 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = LM Nr. 38 zu § 11 GmbHG m. Anm. Noack = DStR 1997, 625 m. Anm. Goette = GmbHR 1997, 405 = NJW 1997, 1507 = ZIP 1997, 679; vgl. schon BGH v. 4.3.1996 – II ZR 123/94, GmbHR 1996, 279 = DStR 1996, 515 m. Anm. Goette = NJW 1996, 1210 = ZIP 1996, 590. 335 BAG v. 10.7.1996 – 10 AZR 908/94, GmbHR 1996, 763 = ZIP 1996, 1548. 336 Karsten Schmidt, oHG, S. 327 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 146 ff. m.w.N.

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Grundsatzurteil vom 27.1.1997 einem zuvor in der Literatur entwickelten337 Binnenhaftungsmodell338: „Es besteht eine einheitliche Gründerhaftung in Form einer bis zur Eintragung der Gesellschaft andauernden Verlustdeckungshaftung und einer an die Eintragung geknüpften Vorbelastungs-(Unterbilanz-)haftung … Die Verlustdeckungshaftung ist ebenso wie die Vorbelastungs-(Unterbilanz-)haftung eine Innenhaftung.“ Dem folgt ein erheblicher Teil der Literatur339. Auch die anderen obersten Gerichtshöfe des Bundes haben sich dem Binnenhaftungskonzept des BGH im Ausgangspunkt angeschlossen340. Folge des Binnenhaftungskonzepts ist, dass die persönliche Gründerhaftung eine mit Zunahme der Verbindlichkeiten allmählich anwachsende Vorbelastungshaftung ist: Die Gründer haften zwischen der Gründung und der Eintragung anteilig nach Maßgabe ihrer Geschäftsanteile für jede Unterbilanz. Die Haftung trifft sie nach dieser h.M. als Teilschuldner, nicht als Gesamtschuldner341. Für Ausfälle eines Gesellschafters haften sie entsprechend § 24342. Der Zeitpunkt des Haftungsbeginns ist noch nicht ausdiskutiert. Das grundlegende BGH- 89 Urteil vom 27.1.1997 geht noch davon aus, dass die Binnenhaftung „erst mit dem Scheitern der Eintragung entsteht“343. Sie erfasst dann aber auch die bereits vor diesem Zeitpunkt entstandenen Verbindlichkeiten (Verluste)344. Gleichzeitig besteht das Urteil unter Hinweis auch 337 Stimpel in FS Fleck, S. 358 ff., 361 ff.; dem folgend Fantur, S. 140; Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl., Rz. 65; in dieser Richtung schon Meister in FS Werner, 1984, S. 549 f.; Lieb in FS Stimpel, 1985, S. 414 f. 338 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 133 = NJW 1997, 1507 = GmbHR 1997, 405 = ZIP 1997, 679; vgl. auch für die Vor-Genossenschaft BGH v. 10.12.2001 – II ZR 89/01, BGHZ 149, 273 = NJW 2002, 824. 339 Kießling, S. 157 ff.; Schumann, S. 261 ff.; Goette, § 1 Rz. 50; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 23 ff.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 27 ff., 35 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 25; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 80 ff., 119 ff.; Wicke, Rz. 7; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG, 3. Aufl. 2007, § 2 Rz. 25 f.; Schmidsberger/Duursma in Gruber/Harrer, GmbHG, 2010, § 2 Rz. 32 f.; Dauner-Lieb, GmbHR 1996, 91; Gehrlein, NJW 1996, 1193; Goette, DStR 1996, 517 ff.; Hartmann, WiB 1997, 71; Kellermann in FS Röhricht, S. 293 ff.; Kort, ZIP 1996, 114; Lutter, JuS 1998, 1077; Schütz, GmbHR 1996, 733; Ulmer, ZIP 1996, 733; Wiedemann, ZIP 1997, 2029, 2032 f.; Wiegand, BB 1998, 1065 ff.; Wilken, ZIP 1995, 1163 ff. 340 BAG v. 10.7.1996 – 10 AZR 908/94 (B), BAGE 83, 283 = NJW 1996, 3165; BAG v. 22.1.1997 – 10 AZR 908/94, GmbHR 1997, 694 = ZIP 1997, 1544; BAG v. 27.5.1995 – 9 AZR 483/96, BAGE 86, 38, 41 = NJW 1998, 628, 629 = GmbHR 1998, 39, 40 = ZIP 1997, 2199, 2201; BFH v. 7.4.1998 – VII R 82/97, BFHE 185, 356, 359 ff. = DStR 1998, 1129, 1131 m. Anm. Goette = NJW 1998, 2926, 2927 = GmbHR 1998, 854, 855 f. = ZIP 1998, 1149, 1150 f.; BSG v. 31.5.1996 – 2 S (U) 3/96, KTS 1996, 599; s. auch OLG Dresden v. 17.12.1997 – 12 U 2364/97, GmbHR 1998, 186 = NZG 1998, 311, 312; OLG Koblenz v. 25.8.1998 – 3 U 1817/97, ZIP 1998, 1670, 1671 = EWiR 1998, 979 (Bähr/Nölle); OLG Oldenburg v. 2.4.2001 – 11 U 39/00, NZG 2001, 811, 812 = GmbHR 2001, 973; LAG Thüringen v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121; LAG Köln v. 17.3.2000 – 11 Sa 1060/99, NZA-RR 2001, 129; LG Heidelberg v. 11.6.1997 – 8 O 97/96, ZIP 1997, 2045, 2047 f. = NZG 1998, 392 f.; AG Holzminden v. 26.2.1997 – 2 C 552/96, NJW-RR 1997, 781, 782 = GmbHR 1997, 895; FG Köln v. 12.3.1997 – 11 K 2598/95, GmbHR 1997, 867 = EFG 1997, 934. 341 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 340 = NJW 1997, 1507, 1509 = GmbHR 1997, 405, 408 = ZIP 1997, 679, 681 f.; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 38. 342 KG v. 7.1.1993 – 22 U 7180/91, NJW-RR 1994, 494, 495 = GmbHR 1993, 647 = WM 1994, 1288 = WiB 1994, 354 m. Anm. Gummert; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 38; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 25; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82; Gummert, DStR 1997, 1009; Hey, JuS 1995, 487; Karsten Schmidt, ZIP 1997, 672; s. auch für die Unterbilanzhaftung BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 131 = NJW 1981, 1373, 1376 = GmbHR 1981, 114. 343 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 340 = NJW 1997, 1507, 1509 = GmbHR 1997, 405, 408 = ZIP 1997, 679, 681 f.; ähnlich Schumann, S. 271 f.; kritisch wie hier aber Blath in Michalski u.a., Rz. 69; zwischen dem Entstehen und der Fälligkeit der Haftung unterscheidend Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 26. 344 Dies klarstellend Langenbucher, JZ 2003, 629.

Karsten Schmidt | 721

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§ 11 Rz. 89 | Rechtszustand vor der Eintragung auf die vorliegende Kommentierung auf einem unentbehrlichen Haftungsgleichlauf vor und nach Eintragung (Rz. 87)345. Das Konzept einer erst mit der Eintragung entstehenden Gründerhaftung ist in diesem Punkt noch nicht zu Ende gedacht und wohl durch neuere Rechtsprechung überholt, nach der die Binnenhaftung beim Scheitern der Gründung zur Außenhaftung wird (Rz. 90). Auch der Eintragungszeitpunkt, verschiedentlich als Ansatz der Haftung vorgeschlagen346, eignet sich nicht als Zeitpunkt des Haftungsbeginns. Der Sache nach läuft das Innenhaftungsmodell der Rechtsprechung auf eine kontinuierliche Verlustausgleichspflicht hinaus347. Mit der Eintragung in das Handelsregister bzw. mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens steht nur die Höhe des Verlustausgleichs endgültig fest. Für die Verjährung gilt nach der Rechtsprechung § 9 Abs. 2 sinngemäß (vgl. für den Fall der Eintragung auch Rz. 143)348. Überzeugender ist eine entsprechende Anwendung der §§ 159, 160 HGB, ab 1.1.2024 des § 739 BGB n.F. resp. § 151 HGB n.F. (Rz. 149)349. 90 bb) Ausnahmen von der Innenhaftung, also ihr Umschlagen in eine Außenhaftung hatte

der Bundesgerichtshof in seinem Grundsatzurteil vom 21.1.1997 zunächst nur hypothetisch in den Raum gestellt350. Solche Ausnahmen werden mittlerweile anerkannt. Die Gründer haften im Außenverhältnis unbeschränkt, wenn die Eintragungsabsicht aufgegeben oder ihre Verwirklichung unmöglich geworden ist (vgl. zur „unechten Vorgesellschaft“ auch Rz. 162 f.)351. Nach BGHZ 152, 290352 bleibt in einem solchen Fall der Vorzug der Binnenhaftung nur erhalten, wenn die Geschäftstätigkeit sofort beendet und die Vorgesellschaft abgewickelt wird. Anderenfalls geht die unbeschränkte Innenhaftung (Verlustdeckungshaftung) in eine unbeschränkte Außenhaftung über. Insbesondere im Fall der masselosen Insolvenz der Vor-GmbH soll die Außenhaftung gelten353. Auch für den Fall der Einpersonengründung wird eine Ausnahme angenommen354. Schließlich wird vertreten, dass die Gesell-

345 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 337 = GmbHR 1997, 405, 406 = ZIP 1997, 679, 680; scharf ablehnend Beuthien, WM 2013, 1485, 1486. 346 Vgl. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103, 119. 347 Dafür namentlich Dauner-Lieb, GmbHR 1996, 89 f.; Lutter, JuS 1997, 1076; Schütz, GmbHR 1996, 733; dagegen aber Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 26. 348 Vgl. BGH v. 10.12.2001 – II ZR 89/01, BGHZ 149, 273 = NJW 2002, 824 (betr. Vor-Genossenschaft); Altmeppen, Rz. 72. 349 Vgl. Karsten Schmidt in FS Goette, S. 459, 470. 350 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 341 = GmbHR 1997, 405, 408 = ZIP 1997, 679, 682; zust. BFH v. 7.4.1998 – VII R 82/97, BFHE 185, 356, 359 ff. = DStR 1998, 1129, 1131 m. Anm. Goette = ZIP 1998, 1149, 1150 f. 351 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290 = NJW 2003, 429 = JZ 2003, 626 m. Anm. Langenbucher; BAG v. 27.5.1997 – 9 AZR 483/96, BAGE 86, 38, 42 = GmbHR 1998, 39, 40 = ZIP 1997, 2199, 2201; BFH v. 7.4.1998 – VII R 82/97, BFHE 185, 356, 359 = DStR 1998, 1129 m. Anm. Goette = GmbHR 1998, 854, 855 = ZIP 1998, 1149, 1150; LAG Berlin v. 7.12.1998 – 9 Sa 74/98, NZG 1999, 355; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 25; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 33; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87; Altmeppen, Rz. 23; Kort, ZIP 1996, 111; Lutter, JuS 1998, 1077 f.; Monhemius, GmbHR 1997, 391; Wiegand, BB 1998, 1070. 352 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290 = NJW 2003, 429 = JZ 2003, 626 m. Anm. Langenbucher. 353 BAG v. 25.1.2006 – 10 AZR 238/05, NZG 2006, 507; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 25; Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl., Rz. 67; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27; Dauner-Lieb, GmbHR 1996, 91; Ulmer, ZIP 1996, 735; s. auch Gummert, DStR 1997, 1010. 354 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 341 = GmbHR 1997, 405, 408 = ZIP 1997, 679, 682; BGH v. 19.3.2001 – II ZR 249/99, GmbHR 2001, 432 = NJW 2001, 2092; LG Braunschweig v. 29.6.2001 – 1 O 1518/99, GmbHR 2001, 920; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 27; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 25, 61; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 88; Schroeter in Bork/ Schäfer, Rz. 36; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84; Lutter, JuS 1998, 1077; Ulmer, ZIP 1996, 737; Wiegand, BB 1998, 1069.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 91 § 11

schafter unmittelbar im Außenverhältnis haften, wenn die Vorgesellschaft vermögenslos355 oder geschäftsführerlos („führungslos“ i.S.v. § 35 Abs. 1 Satz 2) und insolvent356 ist oder wenn nur ein Gläubiger vorhanden ist (ein wohl rein theoretischer Fall)357. Eine Schwierigkeit wird allerdings darin gesehen, dass der Gläubiger die zur Außenhaftung führende Sondersituation darlegen und im Streitfall beweisen muss358, weshalb nur im Fall der Einpersonengründung und der masselosen Insolvenz zur direkten Inanspruchnahme der Gesellschafter geraten wird359. Diese Einschätzung deckt sich nicht mit der Realität. In der Mehrzahl der vor die Gerichte gelangenden Haftungsfälle liegen auch nach den Maßstäben der Rechtsprechung die Voraussetzungen der Außenhaftung vor, die nur aufgrund der Innenhaftungsprämisse als Ausnahmeerscheinung ausgegeben wird. Dass ein Gläubiger, solange er kein Scheitern der Gründung und Eintragung befürchtet, vernünftigerweise nicht gegen die Gründer klagt (und genau so wenig nach § 11 Abs. 2 gegen die Geschäftsführer), hat seinen ganz einfachen Grund aber nicht darin, dass eine solche Außenhaftung im Regelfall nicht bestünde, sondern darin, dass diese Haftung ins Leere geht, wenn die Gesellschaft eingetragen wird (Rz. 98, 130). b) Das Außenhaftungsmodell. Die hier bereits in den Vorauflagen vertretene Gegenansicht 91 (8./9. Aufl., Rz. 80 ff.) spricht sich für unmittelbare und unbeschränkte Außenhaftung der Gründer für alle zwischen der Gründung und der Eintragung begründete Gesellschaftsverbindlichkeiten aus (vgl. Rz. 94)360. Diese Außenhaftungslösung führt rechnerisch nicht zu einer weitergehenden Haftung als die Innenhaftungslösung, weil der Gesellschafter zur Regressnahme bei seinen Mitgesellschaftern befugt ist (Rz. 92). Sie erlegt aber das Haftungs- und Regressrisiko von vornherein den haftenden Gründern auf. Dieses Konzept wurde mehrfach

355 BAG v. 27.5.1997 – 9 AZR 483/96, BAGE 86, 38 = GmbHR 1998, 39 = ZIP 1997, 2199; BFH v. 7.4.1998 – VII R 82/97, BFHE 185, 356 = DStR 1998, 1129 m. Anm. Goette = NJW 1998, 2926 = GmbHR 1998, 854 = ZIP 1998, 1149; BAG v. 25.1.2006 – 10 AZR 238/05, DB 2006, 1146 = ZIP 2006, 1044 = GmbHR 2006, 756; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 90; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 36; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 25; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 83; nur für die Unterbilanzhaftung nach Eintragung anders BGH v. 24.10.2005 – II ZR 129/ 04, BB 2005, 2773 m. Anm. Gehrlein = DZWiR 2006, 118 m. Anm. Bräuer = EWiR 2006, 143 (Wilhelm) = GmbHR 2006, 88 = WuB II C § 11 GmbHG 1.06 m. Anm. Hennrich/Wojcik. 356 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 83. 357 Dazu BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = GmbHR 1997, 405, 408 = ZIP 1997, 679, 682; BAG v. 4.4.2001 – 10 AZR 305/00, GmbHR 2001, 919 = NZA 2001, 1247; OLG Dresden v. 17.12.1997 – 12 U 2364/97, GmbHR 1998, 186, 188; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 89; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 36; Lutter, JuS 1999, 1077. 358 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 36. 359 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92. 360 OLG Thüringen v. 3.3.1999 – 2 U 540/98, GmbHR 1999, 772; LAG Köln v. 21.3.1997 – 4 Sa 1288/ 96, NZA 1997, 1053 = GmbHR 1997, 1148 = ZIP 1997, 1921 = DStR 1998, 179 m. Anm. Goette; LSG Stuttgart v. 25.7.1997 – L 4 Kr 1317/96, NJW-RR 1997, 1463 = GmbHR 1997, 893 = ZIP 1997, 1651 m. Anm. Altmeppen; Nordhues, S. 102 ff., 124 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3c; Kersting, S. 28 ff.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 125 ff.; Wilhelm, Kapitalgesellschaftsrecht, Rz. 396 ff.; Altmeppen, Rz. 95 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Blath in Michalski u.a., Rz. 67; Roth in Roth/Altmeppen, Rz. 55 (aber unklar); Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 98 a.E.; Sandberger in FS Fikentscher, S. 408 ff.; Zöllner in FS Wiedemann, S. 1405 ff., 1412; Altmeppen, NJW 1997, 3272; Altmeppen, ZIP 1997, 273; Beuthien, GmbHR 1996, 312 ff.; Beuthien, BB 1996, 1340; Beuthien, ZIP 1996, 319; Beuthien, WM 2013, 1485, 1487, 1494; Cebulla, NZG 2001, 972; Flume, DB 1998, 45; Flume, Juristische Person, § 5 III 3 (S. 164); Kleindiek, ZGR 1997, 427; Langenbucher, JZ 2003, 628 (mit Einschränkungen); Michalski/Barth, NZG 1998, 527 f.; Raab, WM 1999, 1596 ff.; Raiser/Veil, BB 1996, 1344; Schwarz, ZIP 1996, 2007; Wilhelm, DB 1996, 922; Wilhelm, DStR 1998, 457 ff.

Karsten Schmidt | 723

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§ 11 Rz. 91 | Rechtszustand vor der Eintragung ausführlich begründet361. § 13 Abs. 2, wonach den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen haftet, gilt erst von der Eintragung an. Die bloße Anmeldung der Gesellschaft zur Eintragung im Handelsregister beseitigt die Haftung nicht362. Die seit BGHZ 134, 333 auch vom Bundesgerichtshof als unentbehrlich erkannte unbeschränkte Gründerhaftung (Rz. 86 f.) kann nur als Außenhaftung sinnvoll verwirklicht werden. Nach dem Binnenhaftungskonzept müsste der Gesellschaftsgläubiger aus einem erst gegen die Vor-GmbH zu erwirkenden Titel in deren Forderungen gegen die einzelnen als Teilschuldner haftenden Gründer in Höhe der (ihm nicht ohne weiteres bekannten) Geschäftsanteile vollstrecken und bei fruchtloser Vollstreckung neuerlich die Ausfallhaftungsforderungen nach § 24 geltend machen363. Einstweiliger Rechtsschutz direkt gegen die Gesellschafter wäre nicht zu erlangen. Das ist unbefriedigend. Auch die von der Rechtsprechung konzedierten Ausnahmen vom Binnenhaftungskonzept (Rz. 90) machen die Sache nicht besser. Institutionell und ex post belegen sie ein Versagen des Binnenhaftungsmodells (Außenhaftung in der Mehrzahl der praktischen Fälle); im Einzelfall und ex ante sind sie keine effektive Hilfe für die Gläubiger, weil diese nicht immer imstande sind, die angeblichen Voraussetzungen der Außenhaftung darzulegen. Besonders gilt dies für die Fälle der Vermögenslosigkeit oder des Vorhandenseins nur eines Gläubigers. Die Vermögenslosigkeit wird der Gläubiger häufig erst nach erfolgloser Vollstreckung oder nach einem Insolvenzantrag feststellen, und das Fehlen weiterer Gläubiger ist ein Zustand, der sich noch während des Prozesses ändern kann. Die Haftung ist also, wenn sie benötigt wird, nur als Außenhaftung praktikabel. 92 Es besteht auch kein rechtfertigender Grund, die Gründer vor den Gefahren der Außen-

haftung zu schützen364. Diese ist rechnerisch nicht strenger als die Binnenhaftung (Rz. 91), denn auch bei dieser trifft bei Ausfall aller Mitgesellschafter die Gründerhaftung den einzig solventen Gründer nach § 24 voll (Rz. 88 a.E.). Der Unterschied zwischen Außen- und Binnenhaftung liegt in der Haftungsabwicklung. Er besteht nur darin, dass sich das „Regresskarussell“365 umkehrt (vgl. zum Regress bei der Außenhaftung Rz. 97)366. Soweit die Haftungsgefahr, wie warnend betont wird, GmbH-Gründungen verhindern sollte367, ist zu bedenken, dass eine GmbH, deren Gründer nicht einmal die vor der Eintragung auflaufenden Ingangsetzungsverluste tragen wollen, es nicht besser verdient hat368. Schließlich braucht auch kein Gründer vor einer mutwilligen Inanspruchnahme durch Gesellschaftsgläubiger ge-

361 Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3c; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 84; Karsten Schmidt in FS Goette, 2011, S. 459, 463; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 93 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1996, 353 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1996, 593; Karsten Schmidt, ZIP 1997, 672 f.; zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 128, 135 ff.; Altmeppen, Rz. 95 ff.; Sandberger in FS Fikentscher, S. 409. 362 A.M. Langenbucher, JZ 2003, 628, 629 f. (dilatorische, nach Eintragung peremptorische Einrede gegen die Außenhaftung). 363 Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3c; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 93 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 1996, 353 ff.; ausführlich in gleicher Richtung Beuthien, WM 2013, 1485, 1487; Gegenstandpunkt bei Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 82. 364 Karsten Schmidt, ZIP 1996, 357, 593; zust. LAG Köln v. 21.3.1997 – 4 Sa 1288/96, NZA 1997, 1053 = GmbHR 1997, 1148 = ZIP 1997, 1921 = DStR 1998, 179 m. Anm. Goette; s. auch Beuthien, WM 2013, 1485, 1488; a.M. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85 („Schutz der Investoren“); BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 340 = GmbHR 1997, 405, 408 = ZIP 1997, 679, 682 („nicht unzumutbar“); Ulmer, ZIP 1996, 736. 365 Terminus des Verf.; vgl. ZIP 1996, 357, 599 und öfter; zusammenfassend Karsten Schmidt in FS Goette, S. 459, 461. 366 Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3c aa; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 84; Karsten Schmidt in FS Goette, S. 459, 463; Karsten Schmidt, ZIP 1996, 357, 599 (auch zum Terminus „Regress-Karussell“); zustimmend Sandberger in FS Fikentscher, S. 411. 367 Kort, ZIP 1996, 113. 368 Karsten Schmidt, ZIP 1996, 356.

724 | Karsten Schmidt

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 94 § 11

schützt zu werden. Da nämlich die Außenhaftung mit der Eintragung der GmbH entfällt (Rz. 157), wird ein Gläubiger die Gründer nicht mitverklagen, wenn er der Solvenz und Ertragsfähigkeit der Vor-GmbH traut (vgl. auch Rz. 90 a.E.)369. Die angebliche Gefahr eines Gläubigerwettlaufs im Insolvenzfall370 spricht gleichfalls nicht gegen die Außenhaftung, denn bei eröffnetem Insolvenzverfahren führt die analoge Anwendung des § 93 InsO auch bei der Außenhaftung zu einer Innen-Abwicklung (Rz. 43), und bei Verfahrensablehnung mangels Masse wird gerade auch von den Befürwortern des Binnenhaftungskonzepts eine Außenhaftung bejaht (Rz. 90). Soweit schließlich „Strukturprinzipien des GmbH-Rechts“ gegen die Außenhaftung ins Feld geführt werden371, ist zu erwidern: Das seit BGHZ 134, 333372 gerade von der Rechtsprechung zugrunde gelegte „Strukturprinzip“ des Kapitalgesellschaftsrechts (wenn dieses große Wort auf die Haftungsdiskussion passt) besteht in der Abhängigkeit der Haftungsbeschränkung von der durch Registereintragung dokumentierten Prüfung der gesetzlichen Eintragungsvoraussetzungen373.

3. Die unbeschränkte Gründerhaftung für Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft a) Die Voraussetzungen der unbeschränkten Haftung ergeben sich aus Rz. 86 ff.: Es muss 93 eine Vorgesellschaft und eine Verbindlichkeit der Vorgesellschaft vorliegen. Mehr ist nicht zu verlangen. Es muss sich nicht um operative, über das Gründungsnotwendige hinausgehende Geschäfte der Gesellschaft handeln (allerdings wird dies, wenn die Haftungsfrage praktisch wird, i.d.R. gegeben sein). Der Haftende muss eine unternehmerische Tätigkeit in Anbetracht der bei Rz. 73 mitgeteilten Wertungsgrundlagen auch nicht gebilligt oder auch nur gekannt und geduldet haben (anders hier noch die 7. Aufl.), denn hierauf kommt es nur für das Innenverhältnis an. Die hier angenommene Außenhaftung ist eine gesetzliche akzessorische Haftung374. Sie ist am Modell der §§ 128 ff. HGB orientiert (ab 1.1.2024 an §§ 126 ff. HGB n.F.). Auf das abweichende Konzept der Rechtsprechung wurde bei Rz. 88 f. hingewiesen: Nach BGHZ 134, 333375 handelt es sich um eine Innenhaftung gegenüber der Gesellschaft (Rz. 88), die nur ausnahmsweise in eine Außenhaftung umschlagen kann (Rz. 90). b) Der Umfang der Haftung erfasst einheitlich sämtliche Drittverbindlichkeiten der Vor- 94 gesellschaft. Wie bei der Haftung nach § 128 HGB kann Drittgläubiger auch ein Gesellschafter (Gründer) sein, beispielsweise als Lieferant oder Dienstleister376. Als gesetzliche Haftung ist die unbeschränkte Haftung der Gründer für rechtsgeschäftliche wie für gesetzliche Verbindlichkeiten der Gesellschaft einheitlich zu begründen377. Es bedarf bei rechtsgeschäftlichen Verbindlichkeiten keiner Doppelverpflichtung der Gesellschaft und der Gründer durch die Geschäftsführer (§§ 164, 727 BGB), um die persönliche Haftung zu begründen378, also 369 370 371 372 373 374 375 376 377 378

Karsten Schmidt, ZIP 1996, 357. Vgl. BGH v. 4.3.1996 – II ZR 123/94, GmbHR 1996, 279 = ZIP 1996, 590, 592. Ulmer, ZIP 1996, 736. BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = GmbHR 1997, 405. Zustimmend LAG Köln v. 21.3.1997 – 4 Sa 1288/96, GmbHR 1997, 1148 = ZIP 1997, 1921 = NZA 1997, 1053 = DStR 1998, 179 m. Anm. Goette. Karsten Schmidt, oHG, S. 335 ff.; Theobald, S. 80 ff., 135; Altmeppen, Rz. 97. BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = LM Nr. 38 zu § 11 GmbHG m. Anm. Noack = DStR 1997, 625 m. Anm. Goette = GmbHR 1997, 405. Vgl. sinngemäß Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 128 HGB Rz. 12. Zustimmend OLG Frankfurt v. 6.1.1994 – 1 U 174/91, GmbHR 1994, 708; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 99. Vgl. demgegenüber noch Ulmer in Hachenburg, 7. Aufl., Rz. 61. Ulmer hat die von ihm begründete Doppelverpflichtungslehre auch bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts aufgegeben (Ulmer, ZIP 1999, 563 ff.).

Karsten Schmidt | 725

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§ 11 Rz. 94 | Rechtszustand vor der Eintragung auch keiner besonderen Vertretungsmacht für die Gründer379. Erfasst sind nicht nur rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten, sondern auch Verbindlichkeiten aus gesetzlichen Schuldverhältnissen, z.B. auch Beitrags- und Steuerschulden der Gesellschaft380. Dazu braucht man nicht die Gründer zu Steuerschuldnern, Arbeitgebern etc. zu erklären (zur Vorgesellschaft als Arbeitgeberin vgl. Rz. 36)381. Erfasst sind nicht nur Verbindlichkeiten, die nach der Aufnahme unternehmerischer Tätigkeit eingegangen wurden, sondern auch Altverbindlichkeiten, sogar solche, die die Vorgesellschaft z.B. gemäß § 25 HGB, § 613a BGB von einem Rechtsvorgänger übernommen hat (dazu Rz. 81)382. Der gesetzliche Gedanke, dass sich die einmal eingetretene unbeschränkte Haftung ohne Unterschied auf alle neuen und alten Gesellschaftsverbindlichkeiten beziehen soll (vgl. § 130 HGB resp. § 127 HGB n.F.), passt auch hier383. 95 c) Die unbeschränkte akzessorische Haftung unterliegt allgemeinen Grundsätzen der per-

sönlichen Gesellschafterhaftung, wie sie den §§ 128–130 HGB resp. §§ 126 ff. HGB n.F. sinngemäß entnommen werden können384. Sie ist eine Außenhaftung, kann also von den Gläubigern unmittelbar geltend gemacht werden (Rz. 91; zur Innenhaftung im Liquidations- oder Insolvenzfall vgl. Rz. 43, 65, 92). Sie ist eine Primärhaftung385. Sie ist eine gesamtschuldnerische: Im Verhältnis zur Gesellschaftsschuld besteht Akzessorietät (Rz. 83), im Verhältnis der Gesellschafter untereinander besteht eine Gesamtschuld (a.M. das bei Rz. 88 f. geschilderte Innenhaftungskonzept: Haftung pro rata mit Ausfallhaftung analog § 24)386. Der unbeschränkt haftende Vorgesellschafter kann Einwendungen und Einreden unter denselben Voraussetzungen geltend machen wie der Gesellschafter einer oHG (vgl. § 129 HGB resp. § 128 HGB n.F.)387. Auch wer durch Eintritt oder Anteilserwerb (Rz. 49) neu hinzukommt, haftet, wenn die Haftungsvoraussetzungen nach Rz. 93 erfüllt sind, unbeschränkt auch für Altverbindlichkeiten der Vorgesellschaft (Rechtsgedanke des § 130 HGB). Aus dem handelsrechtlichen Haftungssystem der §§ 25, 28, 130 wird man sogar zu folgern haben, dass die persönliche Gesellschafterhaftung der Vor-Gesellschafter die nach § 25 HGB auf die Gesellschaft übergegangenen Altverbindlichkeiten eines eingebrachten Unternehmens (Rz. 72) mit umfasst, wenn dieses Unternehmen von der noch nicht eingetragenen (Vor-) GmbH fortgeführt wird (Rz. 44). Als Außenhaftung unterliegt die Haftung im Fall der Auflösung der Vor-GmbH entspre379 Vgl. Theobald, S. 76 ff.; aber streitig; a.M. früher noch BGH v. 15.12.1975 – II ZR 95/73; BGHZ 65, 378, 382 = GmbHR 1976, 65, 66; BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 49 = NJW 1978, 1978, 1979 = GmbHR 1978, 232; BGH v. 13.12.1982 – II ZR 282/81, BGHZ 86, 122, 125 GmbHR 1976, 46, 47; BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, GmbHR 1986, 118 = DB 1986, 106. 380 Vgl. für Umsatzsteuerschulden FG Nds. v. 3.11.1982 – V 1573/82 U, GmbHR 1984, 51; für Beiträge zur gesetzlichen Unfallversicherung BSG v. 28.2.1986 – 2 RU 21/85, GmbHR 1986, 228 = DB 1986, 1291 = ZIP 1986, 645 = EWiR § 11 GmbHG 1/86 m. ablehnender Anm. Fleck; BSG, DB-Beil. 27/ 1986, S. 6; LAG Frankfurt v. 1.7.1991 – 16 Sa 1504/90, GmbHR 1992, 178; OLG Saarbrücken v. 17.1.1992 – 4 U 175/90, GmbHR 1992, 307, 308 m. Anm. Jestaedt; im Ergebnis auch OLG Frankfurt v. 6.1.1994 – 1 U 174/91, GmbHR 1994, 708 (Sozialversicherung); v. Einem, DB 1987, 612 ff.; eingehend Beuthien, BB 1996, 1337 ff. 381 So aber OLG Frankfurt v. 6.1.1994 – 1 U 174/91, GmbHR 1994, 708. 382 Wie hier im Ergebnis OLG Saarbrücken, JZ 1952, 35 m. Anm. Weipert; Theobald, S. 138 ff.; a.M. noch Karsten Schmidt, oHG, S. 340: nur bei Umwandlung der Gesellschaft in eine nicht eingetragene Dauergesellschaft. 383 A.M. noch Karsten Schmidt, oHG, S. 338 ff. 384 Zu dieser Konsequenz der hier vertretenen Ansicht vgl. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 99. 385 A.M. Wulf-Henning Roth, ZGR 1984, 626 f.; eines Schutzes durch eine Einrede der Vorausklage bedarf es nicht; in praxi wird jede Gesellschafterhaftung wie eine Ausfallhaftung abgewickelt, aber geklagt werden kann sofort und unbedingt. 386 Für eine bloße Teilschuld-Haftung ohne Ausfallhaftung nach § 24 vereinzelt Beuthien in FS Hadding, S. 320 ff. 387 Vgl. zur Akzessorietät der Haftung Karsten Schmidt, oHG, S. 343 ff.

726 | Karsten Schmidt

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 97 § 11

chend § 159 Abs. 1 HGB einer fünfjährigen Enthaftungsfrist388. Eine Verjährung analog § 9 Abs. 2 bzw. § 159 HGB oder § 151 HGB n.F. (Rz. 149) kommt erst nach der Eintragung der Gesellschaft in Betracht (dazu Rz. 143)389. Auf die Außenhaftung passt sie nicht. d) Eine Haftungsbeschränkung kann nicht durch den Gesellschaftsvertrag, wohl aber durch 96 Rechtsgeschäft mit dem individuellen Gläubiger herbeigeführt werden390. Entgegen BGHZ 72, 45, 50391 genügt hierfür nicht, dass der Vertreter im Namen einer „GmbH“ handelt. Die hier in den Vorauflagen kritisierte ältere Rechtsprechung über die Haftungsbeschränkung durch erkennbares Handeln für eine Vor-GmbH ist durch das Grundsatzurteil BGHZ 134, 333392 ausdrücklich aufgegeben worden. Die Tatsache allein, dass der Handelnde das Interesse der Gesellschafter an beschränkter Haftung zum Ausdruck bringt, genügt nicht für die Haftungsbeschränkung. Auch ein ausdrückliches Handeln im Namen einer „GmbH i.G.“ beschränkt die Haftung nicht (vgl. auch zur Handelndenhaftung Rz. 118). Dieses Auftreten unterstreicht im Gegenteil den haftungsbegründenden Tatbestand. Um eine Rechtsscheinhaftung, die durch Information des Vertragsgegners behoben werden könnte, handelt es sich bei der Gründerhaftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten nicht.

4. Regressansprüche Ein Rückgriffsanspruch (vor der Zahlung: ein Befreiungsanspruch) des Gesellschafters be- 97 steht im Fall seiner persönlichen Haftung (Rz. 90 ff.) entsprechend § 110 HGB (ab 1.1.2024 § 716 BGB n.F.) gegenüber der Gesellschaft393. Allerdings gilt dies nur, soweit nicht die Vorbelastungshaftung nach Rz. 139 ff. Platz greift. Das bedeutet: Die Gesellschafter haben im Innenverhältnis Anlaufverluste in Gestalt von Haftungsverbindlichkeiten, die eine Unterbilanz herbeiführen oder verschärfen, pro rata zu tragen und können insoweit keinen Regress bei der Gesellschaft nehmen (vgl. zur Geltung der Kapitalschutzregeln Rz. 62)394. Diese insoweit regresslose Haftung ist deckungsgleich mit der vom BGH angenommenen Binnenhaftung der Gründer (zu ihr vgl. Rz. 88 f.). Erst wenn die Unterbilanz behoben ist, kann der Regressanspruch wieder geltend gemacht werden (die Gesellschaft schuldet Regress aus dem zur Erhaltung des Stammkapitals nicht erforderlichen Reinvermögen; vgl. auch die Wertung bei Rz. 150). Die Gesellschafter untereinander können sich als Gesamtschuldner nach § 426 BGB pro rata ausgleichen395. In diesem Innenverhältnis haften die Mitgesellschafter als Teilschuldner nach Maßgabe ihrer Beteiligung am Gewinn und Verlust, also regelmäßig nach Maßgabe der übernommenen Stammeinlagen. Sind alle Gründer solvent, so haften sie im Ergebnis nicht anders als nach dem Binnenhaftungskonzept des BGH. Auch wenn einzelne Gründer ausfallen, besteht im Ergebnis kein Unterschied (Rz. 88–92). Nur das Regresskarussell dreht sich anders herum (Rz. 92): Nach der hier vertretenen Ansicht tritt der vom Gläu-

388 A.M. BGH v. 10.12.2001 – II ZR 89/01, BGHZ 149, 273, 275 = NJW 2002, 824 f. (betr. Vor-Genossenschaft). 389 A.M. BGH v. 10.12.2001 – II ZR 89/01, BGHZ 149, 273, 275 = NJW 2002, 824 f. (betr. Vor-Genossenschaft). 390 Karsten Schmidt, oHG, S. 345; zust. Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 101; s. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 100. 391 BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 50 = NJW 1978, 1978, 1979 = GmbHR 1978, 232. 392 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = LM Nr. 38 zu § 11 GmbHG m. Anm. Noack = DStR 1997, 625 m. Anm. Goette = GmbHR 1997, 405. 393 Karsten Schmidt, oHG, S. 356 f.; Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 152; zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 106; insoweit auch Altmeppen, Rz. 98; vgl. auch noch Ulmer in Hachenburg, 7. Aufl., Rz. 67; kritisch Theobald, S. 142. 394 Insoweit überzeugend Theobald, S. 142; a.M. Altmeppen, Rz. 99. 395 Karsten Schmidt, oHG, S. 357; Theobald, S. 142.

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§ 11 Rz. 97 | Rechtszustand vor der Eintragung biger in Anspruch genommene Gründer gleichsam in Vorlage und muss selbst den Regress bei den Mitgründern suchen. Soweit die Gesellschaft analog § 110 HGB (ab 1.1.2024 § 716 BGB n.F.) selbst in Regress genommen werden kann, ist die Regresshaftung der Mitgesellschafter nur eine subsidiäre396. Wer haftet, obwohl er dem Geschäftsbeginn nicht zugestimmt hatte (Rz. 93), kann auch den Handelnden (§ 11 Abs. 2) in Regress nehmen.

5. Haftungsfolgen der Eintragung oder des Scheiterns der Eintragung 98 a) Eintragung: Wird die Gesellschaft eingetragen, so endet eine nach Rz. 93 ff. begründete

unbeschränkte persönliche Außenhaftung der Gründer397. Im Außenverhältnis gilt nunmehr § 13 Abs. 2: Für die Verbindlichkeiten der GmbH haftet nur noch das Gesellschaftsvermögen. Der Entstehungsgrund der Gesellschafter-Außenhaftung, die Unternehmensführung ohne legitimierte Haftungsbeschränkung, entfällt, und es besteht kein Grund mehr, die Altgläubiger der bisherigen Vor-GmbH gegenüber den Neugläubigern der GmbH durch eine persönliche Gesellschafterhaftung zu privilegieren. Wer schon Ansprüche gegen die Vorgesellschaft hatte, kann mit der Eintragung nicht mehr direkt gegen die Gesellschafter als Gründer vorgehen. Die Enthaftung der Gründer tritt allerdings nur im Außenverhältnis ein. Unter den bei Rz. 141 ff. geschilderten Voraussetzungen setzt sie sich als Vorbelastungs-Innenhaftung gegenüber der GmbH fort398. Diese Vorbelastungshaftung tritt als Innenhaftung an die Stelle der vor der Eintragung bestehenden Außenhaftung (nach dem bei Rz. 88 f. geschilderten Innenhaftungsmodell des BGH ist sie nichts anderes als die akkumulierte persönliche Gründer-Innenhaftung). Ein von Kritikern der hier vertretenen Auffassung befürchteter „Verlust an Haftungsmasse“ tritt nach dieser Lösung nicht ein399. 99 b) Scheitern der Eintragung: Das Scheitern der Eintragung führt auch nach dem bei Rz. 88 f.

dargestellten Binnenhaftungskonzept der Rechtsprechung zur unbeschränkten Außenhaftung (vgl. Rz. 90). Unbeschränkt haften die Gesellschafter unstreitig dann, wenn sie das Unternehmen in diesem Fall ohne Liquidationsanstrengungen fortführen (Rz. 162 f.). Aber es wurde auch schon vor 1997 vertreten, dass das Scheitern der Eintragung per se zur unbeschränkten Haftung führt400. Dies ließ die Frage entstehen, ob die unbeschränkte Außenhaftung nur Neuverbindlichkeiten erfasst, oder ob die Haftung rückwirkend eintritt401. Vorgeschlagen wurde auch eine interne Verlustausgleichshaftung der Gesellschafter gegenüber

396 Kritisch Theobald, S. 142. 397 Vgl., teils noch unter Annahme einer beschränkten Außenhaftung, BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/ 80, BGHZ 80, 129, 144 = GmbHR 1981, 114, 118; BGH v. 20.6.1983 – II ZR 200/82, BB 1983, 1433; FG Münster v. 3.11.1982 – V 1573/82 U, GmbHR 1984, 51; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 27 a.E., 36; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 33, 104; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 66; Fleck, GmbHR 1983, 13 f.; Flume in FS v. Caemmerer, S. 528 f.; Karsten Schmidt, oHG, S. 347 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 151; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1347; Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 121 ff.; Theobald, S. 140; Zöllner in FS Wiedemann, S. 1413; Wiedemann, JurA 1970, 456 f.; Dreher, DStR 1992, 37; a.M. OLG Saarbrücken v. 17.1.1992 – 4 U 175/90, GmbHR 1992, 307, 308 f. m. Anm. Jestaedt; Schultz, JuS 1982, 738 f.; Beuthien, ZIP 1996, 362; Beuthien, WM 2013, 1485, 1488 f. 398 Insofern ähnlich Blath in Michalski u.a., Rz. 126; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 102; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121. 399 Vgl. Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 124 f., in Reaktion auf Stimpel in FS Fleck, S. 351 f. 400 Knoche, S. 185 ff.; Huber in FS Fischer, S. 283 f. (als Vorschlag de lege ferenda); Priester, ZIP 1982, 1151 f.; einschränkend Fleck, GmbHR 1983, 15; Maulbetsch, DB 1984, 1563. 401 Für Rückwirkung Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 104; Priester, ZIP 1982, 1152; Maulbetsch, DB 1984, 1563.

728 | Karsten Schmidt

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 101 § 11

der in Liquidation befindlichen Vorgesellschaft402. Seit dem Urteil BGHZ 134, 333403 steht fest, dass nach Scheitern der Eintragung für alle, auch für die schon bestehenden Verbindlichkeiten, unbeschränkt gehaftet wird (Rz. 88 ff.). Nach BGHZ 152, 290404 tritt unbeschränkte Außenhaftung ein, wenn die Geschäftstätigkeit im Fall eines Scheiterns der Eintragung nicht sofort eingestellt wird, und zwar für alle, auch die bereits vorhandenen, Geschäftsverbindlichkeiten (Rz. 162). Nach der hier vertretenen Auffassung bedarf es dieses Umwegs nicht. Für alle Gesellschaftsverbindlichkeiten haften die Gesellschafter persönlich und unbeschränkt (Rz. 93 ff.). Diese Haftung entsteht nicht erst mit dem Scheitern des Eintragungsantrags (Rz. 88 f.). Sie ist eine Außenhaftung (Rz. 91 f.). Aber sie kann im Liquidations- oder Insolvenzfall in Gestalt von Nachschussforderungen zu Gunsten der Masse geltend gemacht werden (Rz. 43, 65, 92, 160). c) Fall der „unechten Vorgesellschaft“: Setzen die Gesellschafter ohne Eintragungsabsicht 100 die als GmbH errichtete Gesellschaft fort, betreiben sie z.B. dauerhaft ein Unternehmen unter der Firma einer „GmbH in Gründung“, so haften sie auch nach der h.M. unbeschränkt im Außenverhältnis. Dieser Fall, der meist mit dem Schlagwort „unechte Vorgesellschaft“ belegt wird, wird vor allem dann praktisch, wenn die GmbH-Gründung scheitert, aber keine Liquidation stattfindet (vgl. Rz. 162). Nach der hier vertretenen Ansicht (Rz. 91 f.) ensteht diese Außenhaftung nicht aus dem Nichts. Deshalb bedarf es für die Außenhaftung nicht des Beweises, dass die Eintragungsabsicht fehlt oder dass die Eintragung objektiv unmöglich ist.

VII. Die Haftung der Handelnden nach § 11 Abs. 2 Schrifttum: (vgl. zunächst die Angaben bei Rz. 1, 85): Bergmann, Die Handelnden-Haftung als Aus- 101 gleich fehlender Registerpublizität, GmbHR 2003, 563; Beuthien, Regeln die Vorschriften über die Handelndenhaftung einen Sonderfall des Handelns ohne Vertretungsmacht? – Zum Verhältnis der §§ 54 S. 2 BGB, 11 Abs. 2 GmbHG, 41 Abs. 1 S. 2 AktG zu § 179 BGB, GmbHR 1996, 561; Beuthien, Wer sind die Handelnden? Warum und wie lange müssen sie haften?, GmbHR 2013, 1; Brock, Die Haftungssituation des Geschäftsführers der GmbH und ihre Begrenzung im Bereich der Vorgesellschaft, 1987; Fantur, Das Haftungssystem der GmbH-Vorgesellschaft, Wien 1997; Fleck, Die neuere Rechtsprechung zur Vorgesellschaft und zur Haftung der Handelnden, ZGR 1975, 212; Heerma, Die Haftung des Handelnden beim Mantelkauf, GmbHR 1999, 640; Binge/Binz, Zur Handelndenhaftung im Gründungsstadium der GmbH & Co., DB 1982, 1971; Jestaedt, Weitere Einschränkungen der Haftung aus § 11 Abs. 2 GmbHGesetz?, MDR 1996, 541; Jula, Gestaltungsmöglichkeiten des Geschäftsführers einer GmbH i.G. zum Ausschluss oder zur Abschwächung der Handelndenhaftung, BB 1995, 1597; Klein, Der Rückgriffsanspruch des Handelnden gegen die Gründer einer Vor-GmbH, 1993; Lieb, Abschied von der Handlungshaftung, DB 1970, 961; André Meyer, Die Abhängigkeit der Haftung des Handelnden von der Vertretungsmacht für die Vor-GmbH, GmbHR 2002, 1176; Michalski, Haftung nach § 11 II GmbHG für rechtsgeschäftsähnliches Handeln, NZG 1998, 248; Petersen, Spannungsverhältnis zwischen Gründerhaftung und Handlungshaftung …, Diss. Mainz 1985; Riedel/Rabe, Die Vorhaftung bei der Vorgesellschaft, NJW 1966, 1004, NJW 1968, 873; Wulf-Henning Roth, Die Gründerhaftung im Recht der VorGmbH, ZGR 1984, 597; Hubert Schmidt, Der Regressanspruch des Fremdgeschäftsführers gegen die Gesellschafter der Vor-GmbH, GmbHR 1988, 129; Karsten Schmidt, Der Funktionswandel der Handelndenhaftung im Recht der Vorgesellschaft, GmbHR 1973, 146; Michael Scholz, Die Haftung im Gründungsstadium der GmbH, 1979; Schwab, Handelndenhaftung und gesetzliche Verbindlichkeiten, NZG 2012, 481; Theobald, Vor-GmbH und Gründerhaftung, 1984; Thümmel/Sparberg, Haftungsrisiken der Vorstände, Geschäftsführer, Aufsichtsräte und Beiräte sowie deren Versicherbarkeit, DB 1995, 1013; Weimar, Abschied von der Gesellschafter- und Handelndenhaftung im GmbH-Recht?, GmbHR 1988,

402 Baumbach/Hueck, 15. Aufl., Rz. 30; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 91; Lieb in FS Stimpel, S. 414. 403 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507 m. Anm. Altmeppen. 404 BGH v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290 = GmbHR 2003, 97 = NJW 2003, 429 = JZ 2003, 626 m. Anm. Langenbucher.

Karsten Schmidt | 729

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§ 11 Rz. 101 | Rechtszustand vor der Eintragung 289; Weimar, Grundprobleme und offene Fragen um den faktischen GmbH-Geschäftsführer (I), GmbHR 1997, 473; Werner, Mantelgründung und Handelndenhaftung – Stellungnahme zu KG, NZG 1998, 731 f., NZG 1999, 146.

1. Grundlagen der Handelndenhaftung 102 a) Nach § 11 Abs. 2 haften die Handelnden persönlich und solidarisch, wenn vor der Eintra-

gung im Namen der Gesellschaft gehandelt worden ist. Die Vorschrift ist auf Grund von überholten gesetzlichen Grundlagen entstanden. Der Gesetzgeber von 1892 hat die aus dem Aktienrecht bekannte Haftung kommentarlos übernommen405. Historische Grundlage ist deshalb Art. 211 ADHGB, der ursprünglich auf das Vorbelastungsverbot im Konzessionssystem zugeschnitten war (Rz. 2, 44) und das Handeln im Namen einer nicht konzessionierten Kapitalgesellschaft unterbinden sollte406. Diese historische Grundlage war nicht ohne Einfluss auf den angenommenen Normzweck. Sie macht die früher angenommene sog. Straffunktion des § 11 Abs. 2 erklärlich407. Danach war die Haftung eine Reaktion des Zivilrechts auf unerlaubtes Handeln im Namen einer vor dem Recht noch nicht bestehenden juristischen Person. Schon in der Rechtsprechung des RG trat dann immer mehr die Sicherungsfunktion des § 11 Abs. 2 in Erscheinung. Diese Sicherungsfunktion wurde traditionellerweise darin erblickt, dass den Gläubigern an Stelle der GmbH jedenfalls ein Schuldner, nämlich der Handelnde, zur Verfügung gestellt werden solle408. Hierauf beruht die Annahme, es handle sich um eine der Regel des § 179 BGB (Haftung des Vertreters ohne Vertretungsmacht) nahe stehende Regelung409. Auch diese Deutung ist seit der Aufgabe des Vorbelastungsverbots durch BGHZ 80, 129410 (Rz. 45) überholt, denn der Handelnde haftet, jedenfalls in der Regel, nicht an Stelle einer noch nicht vorhandenen Gesellschaft, sondern er haftet neben der durchaus schon vorhandenen und nur noch nicht eingetragenen GmbH411. 103 b) Der Sinn und Zweck der Handelndenhaftung ist von einem Funktionswandel der Han-

delndenhaftung bestimmt412. Aus heutiger Sicht steht die Funktion im Vordergrund, die vor der Eintragung noch ungesicherte Erfüllung der Normativbestimmungen durch die Haftung

405 Begründung 1891, S. 57; rechtsvergleichend zum Aktienrecht Heller, RIW 2010, 139 ff. 406 Vgl. eingehend Rittner, S. 111 ff., 365; Karsten Schmidt, oHG, S. 328 ff.; Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, §§ 21, 22 BGB Rz. 103. 407 Vgl. dazu RGZ 47, 1, 2; RGZ 55, 302, 304; RGZ 70, 296, 301; vgl. noch Riedel, BB 1974, 1459. 408 BGHZ 47, 25, 29 f.; BGHZ 53, 210, 214; BGHZ 65, 378, 380 f.; BGHZ 66, 359, 360; BGH v. 13.6.1977 – II ZR 232/75, BGHZ 69, 95, 103; BGH v. 17.3.1980 – II ZR 11/79, BGHZ 76, 320, 323 = GmbHR 1980, 202; OLG Brandenburg v. 19.8.1998 – 7 U 24/98, ZIP 1998, 2095 = GmbHR 1998, 1031; s. auch Altmeppen, Rz. 53; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28. 409 So noch mit Hinweis auf die auch hier betonte ungenügende Sicherung des GmbH-Vermögens Roth in Roth/Altmeppen, GmbHG. 8. Aufl., Rz. 21 (vgl. auch ebd. Rz. 23: Handeln für die „noch nicht existierende GmbH“); vgl. auch noch Schubert in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 179 BGB Rz. 12 (§ 11 Abs. 2 als vorrangige Spezialnorm im Verhältnis zu § 179 BGB). 410 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114. 411 Vgl. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 136 = NJW 1981, 1373, 1374 = GmbHR 1981, 114, 116; Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 149; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1347; zustimmend Theobald, S. 41; John, BB 1982, 512. 412 Zusammenfassend BGH v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, NJW 2004, 2519 = ZIP 2004, 1409 (zu § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG); eingehend Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 146 ff.; vgl. seither etwa Altmeppen, Rz. 34, 115; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 123; Beuthien, GmbHR 1996, 561 ff.; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 2 ff.; Bergmann, GmbHR 2003, 563 ff.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 104 § 11

jedenfalls einer Person auszugleichen und hierdurch den Gesellschaftsgläubiger zu sichern413. Besonders vordringlich musste diese Haftungsfunktion denjenigen erscheinen, die die Gründer (wie bis 1996 der BGH) als Gesellschafter nur beschränkt oder überhaupt nicht persönlich haften ließen (Rz. 86). Bei BGHZ 91, 148, 152414 wurde sogar ganz maßgeblich auf den Ersatz für die, nach der damaligen Rechtsprechung ja fehlenden, unbeschränkten Gesellschafterhaftung abgestellt. Im Ergebnis kommt der gläubigersichernden Funktion auch dann maßgebliche Bedeutung zu, wenn man die persönliche Haftung der Gesellschafter bejaht, denn es geht um ein Handeln im Namen einer zwar schon existierenden, aber noch nicht endgültig auf Einhaltung der gesetzlichen Normativbestimmungen geprüften Gesellschaft415. Umstritten ist, ob § 11 Abs. 2 daneben auch die Funktion hat, die Organe der Vorgesellschaft zu einer Beschleunigung des Eintragungsverfahrens anzuhalten (sog. Druckfunktion). Diese Nebenfunktion ist zu bejahen416. Sie wird von einer zunehmend vertretenen Ansicht in Zweifel gezogen417, dies insbesondere mit dem Hinweis, dass die Organe die Dauer des Eintragungsverfahrens nicht bestimmen können418. So richtig das aber ist, so unleugbar ist doch das Interesse des Rechtsverkehrs an raschen und ordentlichen Anmeldungen bzw. Reaktionen auf Zwischenverfügungen. Das Betreiben des Eintragungsvorgangs ist vor allem auch für die Enthaftung der Gründungsbeteiligten von erheblicher Bedeutung (vgl. dazu Rz. 98). Sie müssen die Haftungsrisiken aus Geschäften im Gründungsstadium tragen (Rz. 88 f.) und sind auf schleunige Eintragung angewiesen. Mindestens als rechtspolitischer Nebeneffekt bleibt deshalb die Druckfunktion von Belang. c) Die Handelndenhaftung ist eine Organhaftung419. Nur wer als Geschäftsführer bestellt 104 ist oder als faktischer Geschäftsführer die Aufgaben eines Geschäftsführers wahrnimmt, kann nach § 11 Abs. 2 haften (Rz. 112 ff.). Als Organhaftung ist die Handelndenhaftung systematisch streng von der bei Rz. 86 ff. besprochenen Gesellschafterhaftung zu unterscheiden420. Sie tritt ggf. nicht nur neben die Haftung der Gesellschaft, sondern unter den bei Rz. 90 ff. besprochenen Voraussetzungen auch neben die persönliche Haftung der Gesellschafter421. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer kann aus beiden Anspruchsgrundlagen persönlich haften.

413 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 133 = NJW 1981, 1373, 1374 = GmbHR 1981, 114, 115; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182, 184 = NJW 1981, 1452 = GmbHR 1981, 192, 193; BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152 = NJW 1984, 2164, 2165 = GmbHR 1984, 316, 317; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Blath in Michalski u.a., Rz. 85; Ostheim, JurBl. 1978, 347 ff.; Ostheim, GesRZ 1982, 125. 414 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 152 = NJW 1984, 2164, 2165 = GmbHR 1984, 316, 317. 415 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3d; Derwisch-Ottenberg, S. 55 ff.; Klein, S. 24 f.; Altmeppen, Rz. 115; Blath in Michalski u.a., Rz. 88; Bergmann, GmbHR 2003, 563; Schwab, NZG 2012, 481, 485; vgl. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 136: „Ausgleichsfunktion“. 416 Vgl. BGH, LM Nr. 10 zu § 11 GmbHG; BGHZ 47, 25, 29 = NJW 1967, 828, 829; OLG Karlsruhe v. 11.12.1997 – 11 U 20/97, GmbHR 1998, 239 = ZIP 1998, 958; Dregger, S. 107; Karsten Schmidt, oHG, S. 358; Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 146, 152; zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 107; vgl. auch Ostheim, GesRZ 1982, 125; nur referierend Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Blath in Michalski u.a., Rz. 86; ablehnend offenbar BGH v. 14.6.2004 – II ZR 47/02, GmbHR 2004, 1151 m. Anm. Bergmann = NJW 2004, 2519 = ZIP 2004, 1409 (zu § 41 Abs. 1 Satz 2 AktG). 417 BGH v. 13.6.1977 – II ZR 232/75, BGHZ 69, 95, 103 = NJW 1977, 1683, 1685 = GmbHR 1977, 246, 248; Klein, S. 20 („ungewollte Nebenwirkung“); Blath in Michalski u.a., Rz. 87; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; Fleck, GmbHR 1983, 5, 13. 418 Dazu auch Blath in Michalski u.a., Rz. 87; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 137. 419 Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3d aa; Karsten Schmidt, oHG, S. 350; Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 147; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 109; Theobald, S. 31 m.w.N. 420 Vgl. dazu Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 149 ff. 421 Vgl. Theobald, S. 43.

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§ 11 Rz. 105 | Rechtszustand vor der Eintragung 105 d) Die Handelndenhaftung ist keine Rechtsscheinhaftung (Vertrauenshaftung). Sie dient

dem Verkehrsschutz beim Handeln im Namen einer noch nicht eingetragenen GmbH, ohne dass es darauf ankäme, ob der Vertragspartner die Gesellschaft für bereits eingetragen hielt (vgl. auch Rz. 112, 121). Verkehrsschutz und Vertrauenshaftung sind nicht dasselbe. 106 e) Rechtspolitisch wird die Haftungsbestimmung vielfach kritisiert422. Richtig ist, dass sie

nach der Anerkennung der Vorgesellschaft als Rechtsträgerin nicht mehr dieselbe Berechtigung und Tragweite haben kann wie noch im Jahr 1892 (Rz. 5, 102). Aber der Sinnwandel der Bestimmung (Rz. 103) lässt die Haftung auch heute nicht als obsolet oder völlig verfehlt erscheinen423. Wie in der Literatur betont wird, könnte eine Beseitigung der Haftungsbestimmung sogar gegen Art. 7 der Ersten gesellschaftsrechtlichen Richtlinie (Publizitätsrichtlinie)424 verstoßen425. De lege lata abzulehnen ist jedenfalls die im Schrifttum vorgetragene Forderung, § 11 Abs. 2 solle von der Rechtsprechung nicht mehr angewandt werden426. Diese These verwechselt die hier relevante Lehre vom Wandel der Normsituation mit dem hier nicht zum Zuge kommenden Grundsatz „cessante ratione legis cessat lex ipsa“.

2. Sachlicher Anwendungsbereich: nur bei Vorgesellschaften 107 a) Voraussetzung der Haftung ist, dass für eine Vorgesellschaft gehandelt wurde. Im Vor-

gründungsstadium gilt § 11 Abs. 2, wie seit geraumer Zeit auch der BGH427 anerkennt, nicht (Rz. 24). Umgekehrt gilt § 11 Abs. 2 nicht, wenn die GmbH bereits eingetragen ist428. Dies gilt auch dann, wenn der Geschäftspartner glaubt, die Gesellschaft sei noch nicht eingetragen, z.B. weil der Geschäftsführer sie als „GmbH i.G.“ bezeichnet hatte. Weder ist § 11 Abs. 2 selbst ein Rechtsscheintatbestand (Rz. 105), noch kann sich ein Dritter darauf berufen, er habe mit der persönlichen Haftung des handelnden Geschäftsführers gerechnet. Es kommt nur auf den objektiven Haftungstatbestand an, und dieser kann nicht mehr eintreten, wenn die GmbH bereits in das Handelsregister eingetragen ist. Allenfalls wenn eine persönliche Haftung aktiv vorgetäuscht wird, kann der Handelnde haften, dann aber nicht aus § 11 Abs. 2, sondern aus veranlasstem Rechtsschein oder culpa in contrahendo (§ 311 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BGB). 108 b) Nicht anzuwenden ist § 11 Abs. 2 auf den Fall der Satzungsänderung, insbesondere der

Kapitalerhöhung. Rechtsgeschäfte einer schon eingetragenen Gesellschaft, die zwischen einem Satzungsänderungs- oder Kapitalerhöhungsbeschluss und dessen Registereintragung vorgenommen werden, lösen keine Handelndenhaftung aus. Das gilt auch dann, wenn die Gesellschafter de Satzungsänderung das Gewicht einer „Umgründung“ des Unternehmens geben und wenn sich die Gesellschafter schon vor der Eintragung der von ihnen beschlossenen Satzungsänderungen im Sinne dieser „Umgründung“ unternehmerisch betätigen429.

422 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; Lieb, DB 1970, 967; Lieb in FS Stimpel, S. 405; Fleck, LM Nr. 20 zu § 11 GmbHG; Weimar, GmbHR 1988, 289; Weimar, AG 1992, 77; s. auch Fantur, S. 30; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 107. 423 Wie hier Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 138 f.; Kersting, S. 18. 424 ABl. EG L Nr. 65 v. 14.3.1968, S. 8 = Lutter/Bayer/J. Schmidt, Europäisches Unternehmens- und Kapitalmarktrecht, 5. Aufl. 2012, S. 417 ff.; dazu Klein, S. 32 f.; Sandberger in FS Fikentscher, S. 417; Werner, NZG 1999, 148. 425 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; kritisch Beuthien, GmbHR 2013, 1, 15. 426 So Weimar, GmbHR 1988, 289 f.; Weimar, GmbHR 1997, 478 Fn. 47. 427 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148 = NJW 1984, 2164 = GmbHR 1984, 316; bestätigt bei BGH v. 17.12.1984 – II ZR 69/84, GmbHR 1985, 214 = WM 1985, 479. 428 BGH v. 9.11.1978 – II ZR 69/77, GmbHR 1980, 55. 429 Vgl. OLG Hamburg v. 23.1.1987 – 11 U 188/86, BB 1987, 505 = GmbHR 1987, 477 = NJW-RR 1987, 811; insoweit zust. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 131.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 110 § 11

Auch wenn dieser Vorgang mit einer Änderung der Firma und des Unternehmensgegenstands einhergeht, ist das Handeln vor der Eintragung dieser Satzungsänderungen kein Fall des § 11 Abs. 2 (zur „wirtschaftlichen Neugründung“ vgl. auch Rz. 109)430. c) Wirtschaftliche Neugründung? Das Recht der Mantelverwendung ist seit den Urteilen 109 BGHZ 153, 158431 und BGHZ 155, 318432 neuerlich umstritten (näher 13. Aufl., § 3 Rz. 181 ff.). Der BGH versteht die Verwendung von Vorrats- und Mantelgesellschaften als eine „wirtschaftliche Neugründung“ und wendet gründungsrechtliche Bestimmungen an. Nach BGHZ 155, 318433 kommt nicht nur die Unterbilanzhaftung (Rz. 140), sondern daneben auch eine Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 in Betracht, wenn vor Offenlegung der wirtschaftlichen Neugründung die Geschäfte aufgenommen werden, ohne dass alle Gesellschafter zugestimmt haben434. Diese bei 13. Aufl., § 3 Rz. 199 ff. ausführlich behandelte Rechtsprechung ist abzulehnen (Rz. 29, 67, 84, 140)435. Schon vor den zitierten Urteilen wurde allerdings die Anwendbarkeit des § 11 Abs. 2 verschiedentlich bejaht436, im vorliegenden Kommentar dagegen verneint (Rz. 29, 67, 84, 140)437. Allerdings hat das OLG Hamburg438 eine Haftung bei einem Fall der Mantelverwertung in einem Einzelfall mit Recht bejaht. Die Haftung konnte jedoch, wie später wohl auch das OLG Hamburg439 erkannt hat, nicht auf die Geltung des § 11 Abs. 2 bei Mantelverwertungen gestützt werden, sondern sie ergab sich aus den Besonderheiten des damaligen Falls. Im zu entscheidenden Fall hatte der Beklagte, als Geschäftsführer einer noch nicht eingetragenen X-GmbH handelnd, Aufträge vergeben. Er hatte dann die Geschäftsanteile einer Y-GmbH erworben und eine Satzungs- und Firmenänderung dieser zukünftigen X-GmbH beschlossen. Zur Eintragung der Satzungsänderung kam es nicht mehr, weil die GmbH Konkursantrag stellen musste. Hier musste der Beklagte haften, aber nicht aus § 11 Abs. 2, sondern aus § 179 BGB (wenn er ohne Vertretungsmacht gehandelt hatte) oder auf Grund einer Vertrauenshaftung (wenn er über die Identität des Vertragspartners getäuscht hatte)440. Mit § 11 Abs. 2 hatte dieser Haftungsfall entgegen der Auffassung des OLG nichts zu tun. d) Umwandlung, Sitzverlegung? In Fällen der Umwandlung kommt eine Haftung nach 110 § 11 Abs. 2 kaum in Betracht. Beim Formwechsel gibt es keine Vorgesellschaft, sondern nur eine und dieselbe Gesellschaft in alter und neuer Rechtsform (Rz. 28). Der Handelnde kann nur im Namen der Gesellschaft alter oder neuer Rechtsform handeln. Im Fall der Verschmel430 Vgl. OLG Koblenz v. 19.1.1989 – 6 U 1221/87, BB 1989, 315 = GmbHR 1989, 374; s. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 142. 431 BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = GmbHR 2003, 227 m. Anm. Peetz. 432 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = GmbHR 2003, 1125 m. Anm. Peetz. 433 BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = GmbHR 2003, 1125 m. Anm. Peetz. 434 So auch BGH v. 12.7.2011 – II ZR 71/11, GmbHR 2011, 1032 m. Anm. Bayer = ZIP 2011, 1761; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 46; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 130; Gornstedt, BB 2003, 2082 f. 435 Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857 ff.; krit. auch Altmeppen, DB 2003, 2050; Priester, ZHR 168 (2004), 248 ff.; Kallmeyer, GmbHR 2003, 322; Schaub, NJW 2003, 2125, 2128; s. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 225; Kesseler, ZIP 2003, 1790 ff.; Berkefeld, GmbHR 2018, 337, 344 f.; unentschieden Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 185 ff. 436 Für Anwendbarkeit OLG Hamburg v. 15.4.1983 – 11 U 43/83, BB 1983, 1116 = GmbHR 1983, 219 = ZIP 1983, 570 (anders OLG Hamburg v. 23.1.1987 – 11 U 188/86, BB 1987, 505 = GmbHR 1987, 477); KG v. 6.2.1998 – 21 U 5505/97, NZG 1998, 731; LG Hamburg v. 18.4.1985 – 2 S 199/ 84, NJW 1985, 2426; LG Hamburg v. 28.1.1997 – 309 S 108/96, GmbHR 1997, 895; Ulmer, BB 1983, 1124; unentschieden OLG Koblenz v. 19.1.1989 – 6 U 1221/87, BB 1989, 315 = GmbHR 1989, 374. 437 10. Aufl., Rz. 99 mit umfangreichen Nachweisen. 438 OLG Hamburg v. 15.4.1983 – 11 U 43/83, GmbHR 1983, 219 = BB 1983, 1116 = ZIP 1983, 570. 439 OLG Hamburg v. 23.1.1987 – 11 U 188/86, BB 1987, 505 = GmbHR 1987, 477. 440 Karsten Schmidt, GesR, § 4 III 3e.

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§ 11 Rz. 110 | Rechtszustand vor der Eintragung zung ist eine Haftung nach § 11 Abs. 2 nur zu erwägen, wenn eine Vorgesellschaft entsteht, also bei der Verschmelzung durch Neubildung (Rz. 28). Auch hier kommt eine Haftung aber nur in dem eher theoretischen Fall in Betracht, dass vor der Eintragung der Verschmelzung im Namen der Vorgesellschaft gehandelt wird (vgl. Rz. 69 f.). So wird es sich kaum je verhalten. Wer nach einem notariellen Verschmelzungsvertrag bereits unter der Firma der neuen GmbH Geschäfte abschließt, handelt – je nach dem Zeitpunkt, in dem die Geschäfte wirksam werden sollen – im Namen der gegenwärtigen oder der künftigen eingetragenen GmbH als Unternehmensträgerin441; eine Haftung nach § 11 Abs. 2 bleibt dann außer Betracht442. Ähnliches gilt im Fall der Spaltung. Selbst in den wenigen Umwandlungsfällen, in denen nach h.M. eine Vorgesellschaft zur Entstehung gelangt, wird demnach kaum je ohne aufschiebende Bedingung im Namen der künftigen Gesellschaft gehandelt. Analog anzuwenden ist § 11 Abs. 2 dagegen in Fällen der Sitzverlegung, wenn im Namen einer nach deutschem Recht nicht anerkannten Auslandsgesellschaft gehandelt wird443. Die in einem Rest-Anwendungsbereich noch vertretene Sitztheorie (12. Aufl., Anh. § 4a Rz. 10 ff.) lässt die Auslandsgesellschaft als eine zwar bereits existente Gesellschaft erscheinen, die aber die Normativbestimmungen des deutschen Gesellschaftsrechts nicht erfüllt hat444. Nicht anzuwenden ist dagegen § 11 Abs. 2 im Geltungsbereich der Artt. 49, 54 AEUV (vormals Artt. 43, 48 EG), also auf eine durch die EuGH-Rechtsprechung „Centros“, „Überseering“, „Inspire Art“ und „Vale“ gedeckte445, jedoch im Inland nicht eingetragene Auslandsgesellschaft446. 111 e) Abgrenzung zur Rechtsscheinhaftung. Von dem nach § 11 Abs. 2 haftungsbegründenden

Handeln im Namen der (Vor-)Gesellschaft zu unterscheiden ist das Handeln im Namen einer in Wahrheit inexistenten bzw. nicht als Rechtsträgerin anerkannten Gesellschaft. Nur die heute überholte Auffassung, nach der auch die Vorgesellschaft noch keine Rechtsträgerin, sondern eine noch inexistente GmbH sein sollte (Rz. 4 f.), konnte diese Fälle einander gleichstellen. Die Haftung beim Handeln im Namen einer überhaupt nicht vorhandenen GmbH ergibt sich entsprechend § 179 BGB (Rz. 19–24)447. Diese Fälle sind selten. Rechtsgeschäfte, die für ein existierendes Unternehmen abgeschlossen werden, sind i.d.R. Rechtsgeschäfte im Namen

441 Vgl. zum rechtsgeschäftlichen Handeln für ein Unternehmen, Karsten Schmidt, HandelsR, § 4 Rz. 88 ff. 442 Vgl. auch BGH v. 23.9.1985 – II ZR 284/84, GmbHR 1986, 225 = NJW-RR 1986, 115 = WM 1985, 1364. 443 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen OLG Hamburg v. 20.2.1986 – 6 U 147/85, GmbHR 1986, 349 = NJW 1986, 2199; KG v. 13.6.1989 – 6 U 591/89, NJW 1989, 3100; OLG Oldenburg v. 4.4.1989 – 12 U 13/89, GmbHR 1990, 346 = NJW 1990, 1422; OLG Düsseldorf v. 15.12.1994 – 6 U 59/94, GmbHR 1995, 595 = ZIP 1995, 1009; LG Marburg v. 27.8.1992 – 1 O 115/92, GmbHR 1993, 299 = NJW-RR 1993, 222; LG Stuttgart v. 10.8.2001 – 5 KfH O 76/01, GmbHR 2002, 697 = NJW-RR 2002, 463, 466; Kruse, Sitzverlegung von Kapitalgesellschaften in der EG, 1997, S. 41 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 4a Rz. 12 a.E.; Bogler, DB 1991, 848; Eidenmüller/Rehm, ZGR 1997, 99 f.; Karsten Schmidt, ZGR 1999, 25; a.M. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 143; H.-F. Müller, ZIP 1997, 1053 f. 444 Karsten Schmidt, ZGR 1999, 22 ff.; streitig. 445 EuGH v. 9.3.1999 – Rs. C-212/97, Slg. 1999, I-1459 = GmbHR 1999, 474 – Centros; EuGH v. 5.11.2002 – Rs. C-208/00, Slg. 2002, I-9919 = GmbHR 2002, 1137 – Überseering; EuGH v. 30.9.2003 – Rs. C-167/01, Slg. 2003, 3331 = GmbHR 2003, 1260 – Inspire Art; EuGH v. 12.7.2012 – Rs. C-378/10, ZIP 2012, 1394 = GmbHR 2012, 860 – Vale. 446 BGH v. 14.3.2005 – II ZR 5/03, GmbHR 2005, 630 = ZIP 2005, 805 = RIW 2005, 542 m. Anm. Leible/Hoffmann; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 143; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 109b; Wicke, Rz. 15; eingehend Eidenmüller, NJW 2005, 1618 ff.; ausführlich und kritisch zu dem BGH-Urteil aber auch Paefgen, GmbHR 2005, 630 ff. 447 Zustimmend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 144.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 115 § 11

des wahren – sei es auch unrichtig bezeichneten – Unternehmensträgers448. Selbst wenn die Firma einer nicht oder noch nicht existierenden GmbH verwendet wird, liegt regelmäßig kein Handeln im Namen eines Nicht-Rechtssubjekts, sondern ein Handeln im Namen des existierenden Unternehmensträgers vor. Die Haftung nach des § 179 BGB hängt dann nur davon ab, ob Vertretungsmacht für diesen falsch bezeichneten Unternehmensträger vorliegt. Im Fall einer täuschend verwendeten Firma kommt an Stelle des § 11 Abs. 2 oder des § 179 BGB eine Rechtsscheinhaftung oder eine Haftung aus culpa in contrahendo (§ 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB) in Betracht.

3. Persönlicher Anwendungsbereich Als Organhaftung (Rz. 104) erfasst die Handelndenhaftung nur solche Personen, die als Ge- 112 schäftsführer der Vorgesellschaft bestellt sind, oder, ohne Geschäftsführer zu sein, wie solche handeln (sog. faktische Geschäftsführer)449. a) Wer Geschäftsführer ist, kann als Handelnder haften450. Geschäftsführer ist, wer nach § 6 113 Abs. 3 oder nach § 46 Nr. 5 bestellt (nicht notwendig auch wirksam angestellt) ist. Handelnde sind nicht ohne weiteres alle Mitglieder der Geschäftsführung451, sondern nur 114 diejenigen, denen die Entstehung der Gesellschaftsverbindlichkeit zugerechnet werden kann. Aber ein Geschäftsführer muss nicht selbst und nicht allein gehandelt haben. Hat er einen Bevollmächtigten nach seiner Weisung handeln lassen, so haftet er selbst452. Auch ein gesamtvertretungsberechtigter Geschäftsführer, der seinen Mitgeschäftsführer zum Alleinhandeln ermächtigt hat, kann nach § 11 Abs. 2 haften453. Gleiches gilt, wenn ein Geschäftsführer ein bereits wirksames Geschäft der Vorgesellschaft durch Erklärung genehmigt454. Die bloß passive Billigung eines Geschäfts, die nach der seit BGHZ 47, 25 ständigen Praxis auch einen Gesellschafter nicht zum Handelnden macht (Rz. 116), ist dagegen nicht ausreichend455. Haben zwei Geschäftsführer Einzelvertretungsmacht und lässt der eine den anderen gewähren, so ist dies allein kein Handeln i.S.v. § 11 Abs. 2. Ob diese Passivität im Verhältnis zur Gesellschaft (§ 43!) eine Haftung rechtfertigt, besagt nichts für die Haftung aus § 11 Abs. 2 im Verhältnis zu Dritten. b) „Faktische Geschäftsführer“ sind miterfasst. Wer bei der Begründung der Verbindlichkeit 115 wie ein Geschäftsführer auftritt, ohne als solcher bestellt zu sein, haftet nach § 11 Abs. 2456. Ob 448 Karsten Schmidt, HandelsR, § 4 Rz. 88 ff.; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2018, § 344 HGB Rz. 3. 449 BGHZ 51, 30, 35; BGHZ 66, 359, 360; BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 135 = GmbHR 1981, 114; Altmeppen, Rz. 116; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 47; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 51; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 113 ff.; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 89; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 133. 450 BGHZ 66, 359, 360; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 133. 451 A.M. Schwab, NZG 2012, 481, 485. 452 BGHZ 53, 206, 208 = NJW 1970, 1043, 1044; OLG Hamburg v. 18.10.1985 – 11 U 92/85, GmbHR 1986, 230 = WM 1986, 738 = NJW-RR 1986, 116; OLG Hamm v. 20.1.1997 – 31 U 138/96, GmbHR 1997, 602; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 117; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 138; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 7 f. 453 BGH, NJW 1974, 1284, 1285; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 89; Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 138. 454 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 139. 455 OLG Hamburg v. 18.10.1985 – 11 U 92/85, GmbHR 1986, 230 = WM 1986, 738 = NJW-RR 1986, 116; s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 31; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 117. 456 BGHZ 65, 378, 380 = NJW 1976, 419; BGHZ 66, 359, 360 = NJW 1976, 1685; BGH v. 8.10.1979 – II ZR 165/77, GmbHR 1980, 198 = NJW 1980, 287; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 89; vgl. auch

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§ 11 Rz. 115 | Rechtszustand vor der Eintragung der Handelnde mit oder ohne Vertretungsmacht aufgetreten ist, ist dann ohne Belang457. Die Haftung gilt auch dann, wenn der Geschäftsführer selbst vermögenslos ist458. 116 c) Nicht „Handelnder“ i.S.v. § 11 Abs. 2 ist, wer weder Geschäftsführer ist noch als solcher

auftritt. Bevollmächtigte, auch Prokuristen, haften nicht nach § 11 Abs. 2459. Dasselbe gilt für Hilfspersonen, die zwar im Wortsinn für die Gesellschaft „gehandelt“ haben, aber nicht als Gesellschaftsorgane aufgetreten sind. Ebenso wenig haftet, wer nach dem Abschluss des Vertrags mit dem Geschäftspartner Gespräche führt460. Auch die Eigenschaft nur als Gesellschafter, selbst als Mehrheitsgesellschafter, genügt als solche nicht. Die Handelndenhaftung ist keine Gesellschafterhaftung (zu dieser vgl. Rz. 86 ff.). Die ältere Rechtsprechung, wonach jeder Gesellschafter, der seine Zustimmung zur Aufnahme der Geschäfte gegeben hat, als Handelnder haften sollte461, ist seit BGHZ 47, 25 = NJW 1967, 828 überholt462. Erst recht gilt dies für die nachträgliche Billigung von Geschäften; sie macht den, der diese Geschäfte billigt, noch nicht zum Handelnden463. Die Gesellschafterhaftung (Rz. 86 ff.) ist keine Handelndenhaftung. Auch Aufsichtsratsmitglieder haften den Gläubigern nicht, solange sie nicht als faktische Geschäftsführer agieren464. Die Duldung von Geschäftsführungshandlungen macht sie noch nicht zu faktischen Geschäftsführern.

4. Das Handeln im Namen der Gesellschaft 117 a) Nur ein rechtsgeschäftliches Handeln löst die Haftung nach § 11 Abs. 2 aus465. § 11 Abs. 2

begründet keine Haftung für gesetzliche Schuldverhältnisse. Insbesondere folgt aus § 11 Abs. 2 auch keine allgemeine Haftung der schon für die Vor-GmbH tätigen Geschäftsführer für Steuern466, Gebühren und Beiträge467. Ebenso wenig sind rechtsgeschäftlich begründete

457 458 459 460 461 462

463 464 465

466 467

obiter BGH v. 29.5.1980 – II ZR 225/78, WM 1980, 955; s. auch Altmeppen, Rz. 116; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 133, 135; zur Gleichstellung mit einem Geschäftsführer Weimar, GmbHR 1997, 478 (der aber die Anwendung des § 11 Abs. 2 prinzipiell bekämpft); für § 179 BGB dagegen Beuthien, GmbHR 2013, 1, 8. H.M.; vgl. (unter Einschluss der Geschäftsführer) Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 135. BGH v. 29.5.1980 – II ZR 225/78, WM 1980, 955. BGHZ 66, 359 = NJW 1976, 1685; BGH v. 29.5.1980 – II ZR 225/78, WM 1980, 955; Altmeppen, Rz. 116; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 30; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 47; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 134; Beuthien, ZIP 1996, 368. BGH v. 29.5.1980 – II ZR 225/78, WM 1980, 955. RGZ 55, 302, 304; RGZ 70, 296, 301; BGH, NJW 1955, 1228 = BB 1955, 618; s. auch noch Beuthien, ZIP 1996, 313. Vgl. auch BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 46 = NJW 1978, 1978, 1979 = GmbHR 1978, 232; KG v. 7.1.1993 – 22 U 7180/91, NJW-RR 1994, 494; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 113; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 135. BGHZ 47, 25, 28 = NJW 1967, 828; BGH, NJW 1957, 1359 = BB 1957, 726. Vgl. OLG Köln v. 20.12.2001 – 18 U 152/01, NZG 2002, 1066. Altmeppen, Rz. 118; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 52; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 122; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 49; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127, 136 ff.; Beuthien, BB 1996, 1339; a.M. Schwab, NZG 2012, 481 ff. (analoge Anwendung auf gesetzliche Verbindlichkeiten). Vgl. BFH v. 16.7.1996 – VII R 133/95, GmbHR 1997, 188. Vgl. für Beiträge zur gesetzlichen Renten- oder Unfallversicherung BAG v. 22.1.1997 – 10 AZR 908/94, BAGE 85, 94, 97 = NJW 1997, 3331, 3332 = GmbHR 1997, 694, 695; BSG v. 28.2.1986 – 2 RU 21/85, GmbHR 1986, 228 = ZIP 1986, 645, 646; OLG Saarbrücken v. 17.1.1992 – 4 U 175/ 90, GmbHR 1992, 307 m. Anm. Jestaedt; LAG Frankfurt/M. v. 1.7.1991 – 16 Sa 1504/90, GmbHR 1992, 178; s. auch Altmeppen, Rz. 118; Michalski, NZG 1998, 248; a.M. Jestaedt, MDR 1996, 543.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 118 § 11

Verbindlichkeiten erfasst, die nicht von dem Geschäftsführer begründet werden, sondern z.B. nach § 25 HGB oder § 613a BGB auf die Vor-GmbH übergegangen sind468. Auch rechtsgeschäftsähnliche Handlungen – insbesondere eine Geschäftsführung ohne Auftrag – genügen nach wohl richtiger, wenn auch nicht vorherrschender, Auffassung nicht und begründen keine Handelndenhaftung für gesetzliche Verbindlichkeiten469. Beispielsweise geht es nicht an, den Geschäftsführer nach § 11 Abs. 2 für die Folgen einer unberechtigten Zahlungsaufforderung oder Mahnung und der dadurch hervorgerufenen rechtsgrundlosen Zahlung an die Vorgesellschaft haften zu lassen470. Anders verhält es sich bei Verfahrenshandlungen, die, wie etwa Anträge auf Leistungen der öffentlichen Hand, selbst als Rechtsgeschäfte behandelt werden. Nimmt der Geschäftsführer solche Leistungen für die Gesellschaft in Anspruch, so haftet er aus dem hierdurch entstandenen Rechtsverhältnis471. b) Ein Handeln „im Namen der Gesellschaft“ liegt nach der früher wohl herrschenden, ins- 118 besondere in der älteren Rechtsprechung vertretenen Auffassung nur vor, wenn im Namen der „künftigen“, noch nicht eingetragenen GmbH gehandelt wird472. Diese Rechtsprechung nimmt an, es könne beim Handeln im Namen der noch nicht eingetragenen GmbH „auch“ die Vorgesellschaft berechtigt und verpflichtet werden473. Das ist nach dem bei Rz. 68 ff. Gesagten unklar und spätestens seit der Aufgabe des Vorbelastungsverbots durch den BGH (Rz. 45) auch für die Praxis überholt. Wenn es überhaupt noch einen Sinn hat, das „Handeln im Namen der Vorgesellschaft“ und das „Handeln im Namen der künftigen GmbH“ voneinander zu unterscheiden, dann kann dieser Sinn – wie bei Rz. 69 f. dargelegt – nur darin bestehen, dass die Gesellschaft im einen Fall bereits vor der Eintragung berechtigt und verpflichtet werden soll („Handeln im Namen der Vorgesellschaft“), im anderen Fall erst nach der Eintragung („Handeln im Namen der künftigen GmbH“). In diesem Sinne kann nur ein „Handeln im Namen der Vorgesellschaft“ die Haftung begründen474. Wegen der Abgrenzung ist auf Rz. 69 f. zu verweisen. Nur wenn der Handelnde erkennbar werden lässt, dass erst die noch einzutragende Gesellschaft aufschiebend bedingt berechtigt und verpflichtet werden soll (vielleicht sogar den Vertragsschluss noch genehmigen muss, vgl. Rz. 153), fehlt es am haftungsbegründenden Handeln im Namen der Vorgesellschaft (vgl. Rz. 70)475. Wird 468 Vgl. für § 613a BGB LAG Thüringen v. 14.11.2000 – 5 Sa 55/99, NZA-RR 2001, 121; zust. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32. 469 Vgl. RG, LZ 1927, 1473, 1474; a.M. OLG Karlsruhe v. 11.12.1997 – 11 U 20/97, ZIP 1998, 958 = GmbHR 1998, 239; Altmeppen, Rz. 119; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 122; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 49; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 136 a.E.; Wicke, Rz. 13; a.M. Michalski, NZG 1998, 248 f.; referierend Altmeppen, Rz. 119. 470 A.M. OLG Karlsruhe v. 11.12.1997 – 11 U 20/97, ZIP 1998, 958 = GmbHR 1998, 239; zustimmend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Michalski, NZG 1998, 248, 249; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 90. 471 Vgl. für Fernmeldegebühren LG Karlsruhe v. 9.1.1987 – 9 S 399/86, BB 1987, 1697. 472 Vgl. RGZ 70, 296, 298; RGZ 143, 368, 373; BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 47 = NJW 1978, 1978, 1979 = GmbHR 1978, 232; BAG, AP Nr. 2 zu § 11 GmbHG m. Anm. Rittner/ Krell = JR 1984, 108 m. Anm. Karsten Schmidt; Altmeppen, Rz. 118. 473 BGHZ 65, 378, 382 = NJW 1976, 419, 420 = GmbHR 1976, 65; BGH v. 15.6.1978 – II ZR 205/76, BGHZ 72, 45, 47 = NJW 1978, 1978, 1979 = GmbHR 1978, 232; BAG, AP Nr. 2 zu § 11 GmbHG m. Anm. Rittner/Krell = JR 1984, 108 m. Anm. Karsten Schmidt. 474 Vgl. besonders Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 150; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 120; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 137; Jula, BB 1995, 1599; vgl. schon Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 149 f.; Karsten Schmidt, NJW 1973, 1596; Karsten Schmidt, JR 1974, 110. 475 H.M.; vgl. nur Blath in Michalski u.a., Rz. 98 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 54; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 120; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 137; Jula, BB 1995, 1599 f.; im Ergebnis richtig schon RGZ 32, 97, 99.

Karsten Schmidt | 737

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§ 11 Rz. 118 | Rechtszustand vor der Eintragung keine solche aufschiebende Bedingung vereinbart, ist dies ein „Handeln im Namen der Gesellschaft“ i.S.v. § 11 Abs. 2. 119 c) Nicht erforderlich ist Vertretungsmacht476. Die Haftung beruht auf dem Gesetz und ist

keine rechtsgeschäftliche. So wenig wie § 11 Abs. 2 ein Rechtsscheintatbestand ist (Rz. 105), wird die Bestimmung durch Rechtsscheintatbestände verdrängt, auch nicht durch § 179 BGB477. Anderenfalls stünde der ohne Vertretungsmacht Handelnde besser da als der nach § 11 Abs. 2 Handelnde (vgl. § 179 Abs. 3 BGB). Umgekehrt schützt vorhandene Vertretungsmacht den Handelnden nicht vor der Haftung478.

5. Geschützter Gläubigerkreis 120 a) Nach h.M. sind nur Dritte geschützt, Gesellschafter sind auch dann nicht geschützt, wenn

ihnen eine Drittgläubigerforderung zusteht479. Diese h.M. ist nicht zweifelsfrei480. Die der Haftung zukommende Druckfunktion (Rz. 103) könnte auch die Gesellschafter schützen. Aber die entscheidende Gläubigerschutzfunktion (Rz. 103) passt kaum auf einen Gesellschafter, der z.B. ein Darlehen an die Gesellschaft gibt. Praktisch würde die Haftung gegenüber einem Gesellschafter auch kaum zum Tragen kommen. Dem Gesellschafter haftet der Handelnde, selbst wenn man die Haftung im Grundsatz bejaht, jedenfalls nur subsidiär und unter Berücksichtigung der Haftungsquote des Gläubiger-Gesellschafters481. 121 b) Die Haftung ist keine Vertrauenshaftung (Rz. 105). Sie setzt nicht voraus, dass der Ver-

tragspartner die Gesellschaft im Zeitpunkt des Handelns für eingetragen hielt482; ein ausdrückliches Handeln im Namen einer „GmbH i. Gr.“ genügt also nicht, um die Haftung auszuschließen (vgl. schon Rz. 118); die Firmenverwendung ist allerdings erforderlich, um eine die Eintragung überdauernde firmenrechtliche Vertrauenshaftung nach § 4 (13. Aufl, § 4 Rz. 21 ff.) auszuschließen. Ebenso wenig setzt die Haftung voraus, dass der Vertragspartner mit einer persönlichen Haftung rechnet483. Auch ein ausdrückliches Handeln unter einer „GmbH“-Firma, womit eine Eintragung der Gesellschaft reklamiert wird, beseitigt die Haftung also nicht. Hiervon zu unterscheiden sind Fälle, bei denen das Rechtsgeschäft aufschiebend bedingt für den Fall der Eintragung verabredet wird. Es liegt dann kein haftungsbegründendes Handeln im Namen der Vorgesellschaft vor (Rz. 118).

476 BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182 = NJW 1981, 1452 = GmbHR 1981, 192; Altmeppen, Rz. 121; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 151; a. M. Beuthien, GmbHR 1996, 561 ff.; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 8; André Meyer, GmbHR 2002, 1176, 1185 f. 477 A.M. André Meyer, GmbHR 2002, 1176, 1186. 478 H.M.; vgl. nur Altmeppen, Rz. 121; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 28; a.M. LAG Köln v. 17.3.2000 – 11 Sa 1060/99, NZA-RR 2001, 129. 479 Vgl. RGZ 105, 152, 153; BGHZ 15, 204, 206 = NJW 1955, 219, 220; BGH v. 17.3.1980 – II ZR 11/ 79, BGHZ 76, 320, 325 = NJW 1980, 1630, 1631 = GmbHR 1980, 202; BGH, LM Nr. 10 zu § 11 GmbHG; OLG Hamm, NJW 1974, 1472; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 153; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 123; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 49; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 140. 480 Vgl. Karsten Schmidt, oHG, S. 341 f.; strikt gegen die Rechtsprechung vor allem Riedel, NJW 1970, 404 ff. 481 Karsten Schmidt, oHG, S. 342. 482 BGH, LM Nr. 10 zu § 11 GmbHG; öOGH, SZ 60, 221; OGH v. 16.11.1994 – 9 Ob A 219/94, WBl. 1995, 207; OLG Hamburg, GmbHR 1963, 50; Altmeppen, Rz. 122; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48; Ostheim, GesRZ 1982, 127. 483 Zustimmend Altmeppen, Rz. 122.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 123 § 11

c) Die Haftung aus § 11 Abs. 2 ist eine abdingbare Haftung484. Die ältere Rechtsprechung 122 war in der Annahme eines vertraglichen Haftungsausschlusses großzügig485. Weitgehend handelte es sich dabei um Scheinargumente, mit denen die überdehnte und in casu oftmals als zu weit empfundene Haftungsregelung eingeschränkt werden sollte. Diese Rechtsprechung ist überholt (vgl. zum engen Anwendungsbereich des § 11 Abs. 2 Rz. 112 ff., 117 ff.). Nur wenn eine klare Vereinbarung besteht oder wenn besondere Umstände des Einzelfalls auf einen entsprechenden Vertragswillen beider Teile hindeuten, kann die Haftung als ausgeschlossen gelten. Ein stillschweigender Ausschluss wird nicht vermutet486. Ein Ausschluss durch Allgemeine Geschäftsbedingungen ist nach § 307 BGB unwirksam487.

6. Haftungsfolgen a) Die Haftung ist eine akzessorische Haftung488. Sie tritt i.d.R. inhaltsgleich neben die Haf- 123 tung der Gesellschaft (vgl. Rz. 125). Die Vorgesellschaft wird durch das Handeln in ihrem Namen in aller Regel wirksam verpflichtet (Rz. 72 f.). Der Gläubiger kann deshalb auch nicht, wie in Haftungsfällen nach § 179 Abs. 1 BGB, zwischen Erfüllung und Schadensersatz wählen489. Schadensersatz statt der Leistung kann er nur verlangen, wenn auch die Gesellschaft Schadensersatz schuldet (z.B. nach § 280 Abs. 1, 3, § 283 BGB). Auch ein Wahlrecht, wonach der Gläubiger gegenüber der Gesellschaft vom Geschäft Abstand nehmen, aber gleichwohl den Handelnden in voller Höhe in Anspruch nehmen kann, ist dem Gläubiger nach dem Normzweck (Rz. 102 ff.) nicht zuzugestehen490. Der Handelnde haftet im Außenverhältnis nicht bloß subsidiär (vgl. auch Rz. 125)491. Er haftet inhaltsgleich neben der Vorgesellschaft für die von ihm begründete Verbindlichkeit, bei fehlender Vertretungsmacht (vgl. Rz. 119) für die hypothetische Gesellschaftsverbindlichkeit492. Die Gläubiger sollen aber hinsichtlich des Haftungsinhalts nicht besser gestellt werden, als wäre der Vertrag mit der fertigen GmbH abgeschlossen493. Der Handelnde kann deshalb Einwendungen und Einreden, die der Gesellschaft zustünden, auch selbst geltend machen494. Z.B. kann er trotz fehlender Gegenseitigkeit die Leistung verweigern, wenn die Gesellschaft aufrechnen könnte. Auch die Verjährung des gegen die Gesellschaft gerichteten Anspruches kommt ihm zugute495. Hand-

484 BGHZ 53, 210, 213 = NJW 1970, 806, 807 = GmbHR 1970, 154; BGH, NJW 1973, 798 = GmbHR 1973, 101; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 57; SchmidtLeithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 128; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 148; eingehend Jula, BB 1995, 1597 ff. 485 Charakteristisch RGZ 116, 71, 74. 486 Altmeppen, Rz. 123; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 148. 487 Klein, S. 44 ff.; Altmeppen, Rz. 123; differenzierend Jula, BB 1995, 1602 (zu § 9 AGBG a.F.). 488 Vgl. Karsten Schmidt, oHG, S. 354 f.; Altmeppen, Rz. 124; Blath in Michalski u.a., Rz. 104; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 154; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 141; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 11. 489 H.M.; vgl. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 51; über das Verhältnis zu § 179 BGB vgl. auch Altmeppen, Rz. 121. 490 Noch Roth in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, Rz. 29. 491 A.M. vereinzelt Beuthien in FS Hadding, S. 309 f.; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 11. 492 Verf. spricht hier von hypothetischer Akzessorietät; andere Terminologie bei Altmeppen, Rz. 125; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 155: „keine Akzessorietät“. 493 RGZ 75, 203, 206; BGHZ 53, 210, 214; BGHZ 69, 104; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 154. 494 Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 127; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 144. 495 RGZ 75, 203, 205 f.; BGH v. 13.6.1977 – II ZR 232/75, BGHZ 69, 95, 104 = NJW 1977, 1683, 1685 = GmbHR 1977, 246; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 144.

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§ 11 Rz. 123 | Rechtszustand vor der Eintragung lungen, die die Verjährung gegenüber der Gesellschaft hemmen, wirken allerdings nicht ohne weiteres gegen den nach § 11 Abs. 2 haftenden Handelnden496. Die Grundsätze des § 129 HGB lassen sich sinngemäß auf die Handelndenhaftung anwenden497. Die Handelnden haften nicht nur für die Erfüllungsansprüche aus dem abgeschlossenen Rechtsgeschäft, sondern auch für Ansprüche aus Rücktritt, Wandlung oder ungerechtfertigter Bereicherung sowie für Schadensersatzansprüche wegen Nicht- oder Schlechterfüllung, soweit diese auf dem Rechtsgeschäft beruhen498. Für Verbindlichkeiten, die sich erst mittelbar aus dem abgeschlossenen Rechtsgeschäft ergeben wie etwa für jeden Soll-Saldo aus einem vom Geschäftsführer begründeten Girokonto, wird nicht gehaftet499. Der Handelnde haftet auch nicht für jede von ihm nicht begangene Verletzung von Vertragspflichten500. 124 b) Die Haftung ist unbeschränkt501. Sie folgt kraft Akzessorietät (Rz. 123) der Höhe der Ge-

sellschaftsverbindlichkeit aus dem durch das Handeln begründeten Rechtsgeschäft und kann über den Betrag des Stammkapitals oder der noch ausstehenden Einlagen hinausgehen. Der Handelnde kann auch im Fall einer Überschuldung nicht einwenden, den Gläubigern dürfe nicht mehr als aus einer bereits eingetragenen (und überschuldeten!) GmbH zufließen502. 125 c) Das Verhältnis zur Haftung der Gesellschaft und anderer beteiligter Personen ist das

Folgende: Die Haftung neben der Gesellschaft ist eine Primärhaftung, keine bloße Ausfallhaftung (vgl. auch Rz. 123)503. Die Haftung setzt zwar nicht in jedem Fall voraus, dass der Handelnde mit Vertretungsmacht gehandelt und eine Gesellschaftsverbindlichkeit begründet hat (vgl. Rz. 119); ist dies aber der Fall, so haften die Gesellschaft und der Handelnde unmittelbar und primär nebeneinander. Die Handelndenhaftung begründet im Verhältnis zu der Haftung der Gesellschaft keine Gesamtschuld i.S.d. §§ 421 ff. BGB504, sondern eine akzessorische Haftung ähnlich wie bei einem Bürgen oder dem Gesellschafter einer oHG (vgl. schon Rz. 123). Neben der Handelndenhaftung kann eine Gesellschafterhaftung eintreten, soweit die bei Rz. 93 ff. besprochenen Voraussetzungen erfüllt sind. Dann haften die Gesellschafter und die Handelnden als Gesamtschuldner. Gesamtschuldner sind auch mehrere Personen, die gemeinschaftlich i.S.v. § 11 Abs. 2 gehandelt haben.

7. Regressansprüche der Handelnden 126 a) Gegen die Gesellschaft stehen den Handelnden gemäß §§ 611, 675, 670 BGB Befreiungs-

und Regressansprüche zu, wenn sie pflichtgemäß gehandelt, die Gesellschaft also durch ihr Handeln nicht rechtswidrig geschädigt haben505. Diese Ansprüche richten sich auf Freistel496 Vgl. LAG Berlin v. 29.10.1984 – 9 Sa 80/84, DB 1985, 1536 = GmbHR 1985, 218; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 144. 497 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 144; Ostheim, GesRZ 1982, 127. 498 Vgl. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 136. 499 So OLG Koblenz v. 25.8.1998 – 3 U 1817/97, ZIP 1998, 1670; anders aber wohl bei einem Kontokorrentkredit. 500 Im Ergebnis richtig deshalb BAG v. 20.1.1998 – 9 AZR 593/96, GmbHR 1998, 597 = NZG 1998, 776: Keine Haftung des Geschäftsführers für Verletzung des von ihm geschlossenen Vertrags nach seinem eigenen Ausscheiden. 501 Vgl. LG Hamburg v. 29.2.1996 – 302 S 188/95, GmbHR 1996, 763; Theobald, S. 44; eine Haftungsbeschränkung wird erwogen bei Meister in FS Werner, S. 553 f. 502 Vgl. LG Hamburg v. 29.2.1996 – 302 S 188/95, GmbHR 1996, 763. 503 Vgl. aber Lieb in FS Stimpel, S. 405 f.; Beuthien, ZIP 1996, 367; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 11 f. 504 So aber RGZ 72, 401, 406; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 130; wie hier Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 154. 505 BGH v. 13.12.1982 – II ZR 282/81, BGHZ 86, 122 = GmbHR 1983, 46; Link in Gehrlein/Born/ Simon, Rz. 58; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 161; Servatius in Noack/Servatius/Haas,

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 128 § 11

lung bzw. Regress aus dem Gesellschaftsvermögen506. Sie können auch dann bestehen, wenn die Geschäftsführer zum Handeln im Namen der Vor-GmbH nicht besonders ermächtigt worden sind (zur Wirksamkeit des Geschäfts in diesem Fall vgl. Rz. 72 f.), vorausgesetzt das Handeln im Namen der Vor-GmbH entsprach auch ohne besondere Ermächtigung den Geschäftsführerpflichten (vgl. § 52)507. Die Regresshaftung der Gesellschaft ist im Gesetz zwar nicht angelegt (der Gesetzgeber ging von einer ausschließlichen Haftung der Handelnden und Nichtexistenz der Gesellschaft aus; vgl. Rz. 102). Sie entspricht aber der Abstandsnahme vom Vorbelastungsverbot (Rz. 45): Vorbelastungen, die rechtmäßig herbeigeführt worden sind, treffen auch im Innenverhältnis die Gesellschaft. b) Ein Regressanspruch des Handelnden gegen die Gründer persönlich ist umstritten. Der 127 Streit ist Spiegelbild der umstrittenen Frage, ob die Gründer im Außenverhältnis gegenüber den Gesellschaftsgläubigern haften. Eine Regresshaftung der Gründer wird von einem Teil der Literatur bejaht508. Erwogen wird auch, dass eine solche Haftung dann besteht, wenn die Geschäftsführer auf Weisung der Gesellschafter gehandelt haben509. Die herkömmliche Auffassung verneint eine Regresshaftung der Gründer510. Nach BGHZ 86, 122511 kann der haftende Geschäftsführer die Gründer grundsätzlich nur in Höhe der von ihnen versprochenen Einlagen in Regress nehmen. Das müsste bedeuten, dass der Handelnde ohne Regressmöglichkeit dastünde, wenn eine Regressnahme bei der Gesellschaft scheitert. Die herkömmliche Auffassung beruhte auf der Prämisse, dass die Gründer für Schulden der Vor-GmbH nicht über ihre Einlagen hinaus (und dann auch nicht im Regresswege) haften (dazu Rz. 86) Um nicht pflichtgemäß handelnde Geschäftsführer strenger haften zu lassen als die Gesellschafter, musste diese Ansicht mit vertraglichen Befreiungsansprüchen operieren512. c) Stellungnahme: Dieser hier schon in früheren Auflagen attackierte herkömmliche Stand- 128 punkt ist überholt. Er beruhte auf der durch BGHZ 134, 333513 ihrerseits überholten Rechtsprechung, wonach die Gründer für Schulden der Vor-Gesellschaft nicht über ihre Einlagen hinaus haften sollten (dazu Rz. 86 f.). Die Regressproblematik musste nach diesem Urteil von der Rechtsprechung neu durchdacht werden514. Man muss sich darüber klar sein, dass die Regressproblematik ein Spiegelbild der Rechtsfortbildung bei Vorgesellschaften ist. Das Gesetz, das die Vorgesellschaft als Haftungssubjekt noch nicht kannte und von einer ausschließlichen Haftung der Handelnden ausging (Rz. 102), weiß von keiner persönlichen Re-

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Rz. 54; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 149 f.; s. auch (geringfügig abweichend) Altmeppen, Rz. 128 ff.; Wulf-Henning Roth, ZGR 1984, 619 ff.; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 12. Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 152; Wulf-Henning Roth, ZGR 1984, 620; Klein, S. 84 ff.; wie hier auch Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 117; Altmeppen, Rz. 128; Wiedemann, ZIP 1997, 2029, 2035. Für Geschäftsführung ohne Auftrag in diesem Fall Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 117; aber es kommt nur darauf an, ob der Geschäftsführer die Aufwendungen für erforderlich halten darf (§ 670 BGB); a.M. wohl Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 161. Karsten Schmidt, oHG, S. 321 f., 355 ff.; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 119; Flume, NJW 1981, 1755; Meister in FS Werner, S. 551 ff.; Lieb in FS Stimpel, S. 403 f.; Wulf-Henning Roth, ZGR 1984, 621; Hubert Schmidt, GmbHR 1988, 133; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37 (nur referierend); Beuthien, GmbHR 2013, 1, 13. BGH v. 13.12.1982 – II ZR 282/81, BGHZ 86, 122, 126 = GmbHR 1983, 46; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 54; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37. Vgl. nur Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 151; Dreher, DStR 1992, 36; Heidinger, GmbHR 2003, 191. BGH v. 13.12.1982 – II ZR 282/81, BGHZ 86, 122 = NJW 1983, 876 = GmbHR 1983, 46. Vgl. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 131; s. auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 151. BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507 = GmbHR 1997, 405. Vgl. Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 96; s. auch Wiedemann, ZIP 1997, 2029 ff.: Innenhaftungsmodell auch beim Handelndenregress.

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§ 11 Rz. 128 | Rechtszustand vor der Eintragung gresshaftung der Gründer gegenüber den Handelnden515. Eine solche Haftung lässt sich weder auf eine Sonderrechtsbeziehung zwischen dem Gesellschafter und dem Handelnden noch auf eine Anwendung des § 11 Abs. 2 gegenüber den Gesellschaftern516 stützen. Seitdem eine persönliche Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten anerkannt ist (Rz. 86 ff.), stellt sich die Frage neu. Allerdings ist das Binnenhaftungsmodell des BGH (Rz. 88 f.) keine geeignete Basis für eine Ausgleichshaftung gegenüber dem Geschäftsführer. In dem hier befürworteten Modell einer Gesellschafter-Außenhaftung (Rz. 91 f.) stellt sich die Frage, ob die Regressverbindlichkeit der Gesellschaft eine solche Außenhaftung trägt. Das wird hier bereits seit der 8. Aufl. bejaht. Danach haften die Gesellschafter für Regressansprüche der Geschäftsführer517, so wie sie auch sonst für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haften, vorausgesetzt, der Geschäftsführer hat i.S.v. Rz. 72 f. pflichtgemäß gehandelt und kann Regress bei der Gesellschaft suchen518. Weiterhin sind die Gesellschafter dem Handelnden stets dann zum Regress verpflichtet, wenn sie ihn zu dem rechtsgeschäftlichen Handeln ausdrücklich oder stillschweigend ermächtigt haben (zur Frage, ob dies Wirksamkeitsvoraussetzung für das Handeln im Namen der Vor-GmbH ist, vgl. Rz. 72 f.). Weisen ihn die Gesellschafter zum Handeln an, so kann hierin auch eine konkludente Haftungsfreistellung seitens der Gesellschafter zu erblicken sein519.

8. Haftung aus § 179 BGB? 129 Eine Haftung der Handelnden aus § 179 BGB wegen Vertretung ohne Vertretungsmacht

kommt nur ausnahmsweise in Betracht. Nach § 179 BGB haftet, wer für eine vorhandene Vor-GmbH ohne Vertretungsmacht (dazu aber Rz. 72 ff.) handelt (was eine Haftung nach § 11 Abs. 2 nicht ausschließt; vgl. Rz. 119). Entsprechend § 179 BGB haftet auch, wer im Rechtsverkehr als Vertreter einer überhaupt nicht errichteten, also auch nicht als Vor-GmbH existenten GmbH auftritt (Rz. 18 ff.)520. Im Stadium der Vorgesellschaft kommen Anwendungsfälle des § 179 grundsätzlich nicht vor. Überholt ist die Auffassung521, die ein Handeln im Namen der noch nicht eingetragenen GmbH als Handeln im Namen einer inexistenten Person522 ansah (Rz. 102)523. Handelt der Vertreter unter dem Vorbehalt, dass die künftige GmbH den Vertrag noch genehmigen muss (vgl. Rz. 155), so scheidet jede Haftung aus § 179 BGB aus524. Handelt er ohne solchen Vorbehalt im Namen der Vorgesellschaft oder im Namen der künftigen GmbH, so liegt jedenfalls kein Handeln im Namen einer inexistenten Gesellschaft vor525. Zum Handeln im Namen der Vor-GmbH und der GmbH vgl. im Übrigen Rz. 68 ff. 515 Vgl. Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 152. 516 So aber Klein, S. 153: Haftung der Gründer nach § 11 Abs. 2 gegenüber dem Geschäftsführer. 517 Vgl. Karsten Schmidt, oHG, S. 321 f., 355 ff.; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 119; Wulf-Henning Roth, ZGR 1984, 620; s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37 (Haftung auf der Grundlage des Außenhaftungskonzepts zu bejahen); a.M. Lutter/Hommelhoff, 15. Aufl., Rz. 17; Wiedemann, ZIP 1997, 2029, 2036. 518 Zu dieser Voraussetzung vgl. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 162 a.E.; modifizierend Altmeppen, Rz. 131. 519 Vgl. insofern noch Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl., Rz. 123; einschränkend Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 54; distanziert Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 151. 520 LAG Köln v. 25.11.1987 – 5 Sa 923/87, GmbHR 1988, 341 = DB 1988, 864; zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 120. 521 So noch Haberkorn, MDR 1964, 555. 522 Dazu BGH v. 8.7.1974 – II ZR 180/72, BGHZ 63, 45, 48 = NJW 1974, 1905; Schubert in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 179 BGB Rz. 11. 523 Vgl. immer noch Schubert in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 179 BGB Rz. 12. 524 Karsten Schmidt, NJW 1973, 1597. 525 Unklar BGH, NJW 1973, 798 = GmbHR 1973, 101; ähnlich Schubert in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 179 BGB Rz. 13.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 130 § 11

Es kommt dann darauf an, ob der Vertreter mit oder ohne Vertretungsmacht gehandelt hat. Nach der bei Rz. 72 f. zum Umfang der Geschäftsführer-Vertretungsmacht vertretenen Auffassung wird ein Handeln eines Geschäftsführers ohne Vertretungsmacht im Außenverhältnis kaum vorkommen526. Ein Handeln ohne Vertretungsmacht kann vorliegen, wenn ein Nichtgeschäftsführer ohne wirksame Bevollmächtigung im Namen der (Vor-)GmbH kontrahiert527. Im Übrigen kann eine Haftung aus § 179 BGB in Betracht kommen, wenn über die Identität der Gesellschaft getäuscht wird, der Vertreter der Vorgesellschaft also im Namen einer von ihr verschiedenen Gesellschaft handelt528. Eine Haftung aus § 179 BGB erlischt nicht mit der Eintragung der Gesellschaft (vgl. Rz. 132).

9. Das Erlöschen der Haftung a) Die Handelndenhaftung erlischt mit der Eintragung529. Dieses automatische Erlöschen 130 der Haftung wird immer wieder bestritten530. Aber der Sicherungszweck dieser Haftung (Rz. 103) entfällt in diesem Augenblick, und es besteht kein Grund mehr, von nun an die Altgläubiger aus der Zeit vor der Eintragung besser als die Neugläubiger aus der Zeit nach der Eintragung zu behandeln531. Klarstellend heißt es bei BGHZ 80, 182532: „Die Haftung des Handelnden aus Geschäften, die er mit Ermächtigung aller Gründer im Namen der Gesellschaft abgeschlossen hat, erlischt ohne Rücksicht darauf, ob es sich um eine Sach- oder um eine Bargründung handelt, mit der Eintragung der GmbH“. Die ältere Rechtsprechung, die noch eine befreiende Schuldübernahme seitens der Gesellschaft verlangte533, ist überholt. Überholt ist auch der Meinungsstreit, ob die Haftung aus Dauerschuldverhältnissen fortbesteht534. Die Frage ist klar zu verneinen535, und zwar auch bezüglich der noch vor der Eintragung begründeten Schuldraten536. 526 Vgl. für die Gegenansicht Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 128, wo aber § 179 BGB als durch § 11 Abs. 2 verdrängt angesehen wird. 527 S. auch Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 120. 528 Vgl. BGH v. 23.9.1985 – II ZR 284/84, GmbHR 1986, 225 = WM 1985, 1364, 1365; s. auch LAG Köln v. 25.11.1987 – 5 Sa 923/87, GmbHR 1988, 341 = DB 1988, 864. 529 BGH v. 13.6.1977 – II ZR 232/75, BGHZ 69, 95, 103 f. = NJW 1977, 1683, 1685 m. Anm. Karsten Schmidt = GmbHR 1977, 246; BGH v. 19.12.1977 – II ZR 202/76, BGHZ 70, 132, 139 ff. = NJW 1978, 636, 637 f. = GmbHR 1978, 152; BGH v. 17.3.1980 – II ZR 11/79, BGHZ 76, 320, 323 = NJW 1980, 1630, 1631 = GmbHR 1980, 202; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182 = BB 1981, 750 = GmbHR 1981, 192; BAG v. 1.12.2004 – 5 AZR 117/04, ZIP 2005, 350 (AG); LG Düsseldorf v. 21.11.1985 – 9 O 212/85, DB 1986, 958, 959 = GmbHR 1986, 235; LG Bonn v. 3.3.1997 – 9 O 590/96, MDR 1997, 759; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 4b; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 146; Blath in Michalski u.a., Rz. 108; Altmeppen, Rz. 126; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36 (Ausnahme bei Vertretung ohne Vertretungsmacht); Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 53; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 163; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 132, 142; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 146; Karsten Schmidt, oHG, S. 347 ff.; Theobald, S. 44; Fleck, GmbHR 1983, 14; Hüffer, JuS 1983, 168; Dreher, DStR 1992, 37. 530 Vgl. LG Münster v. 7.9.1982 – 3 O 221/82, GmbHR 1983, 73 m. kritischer Anm. Karsten Schmidt; M. Scholz, S. 156 ff.; Schäfer-Gölz, S. 175 f.; Sudhoff, GmbHR 1965, 109; Schultz, JuS 1982, 738 f.; Beuthien, GmbHR 2013, 1, 13 f.; s. auch OLG Düsseldorf v. 23.10.1986 – 10 U 99/86, BB 1987, 1624 = GmbHR 1987, 430, wo aber die Haftung nicht auf § 11 Abs. 2 zu stützen gewesen wäre. 531 Vgl. Karsten Schmidt, GmbHR 1973, 150. 532 BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182 = NJW 1981, 1452 = GmbHR 1981, 192. 533 BGH, NJW 1953, 219 = GmbHR 1953, 11. 534 Vgl. dazu noch BGH v. 19.12.1977 – II ZR 202/76, BGHZ 70, 132, 141 = NJW 1978, 636, 638 = GmbHR 1978, 152. 535 Vgl. schon 6. Aufl. (Winter), Rz. 28; wie hier Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 133. 536 A.M. Beuthien, GmbHR 2013, 1, 14.

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§ 11 Rz. 131 | Rechtszustand vor der Eintragung 131 b) Die Handelndenhaftung erlischt allerdings nur, wenn die nämliche Gesellschaft, für die

gehandelt wurde, eingetragen wird. Wer als Geschäftsführer einer Vorgesellschaft haftungsbegründend gehandelt hat, haftet weiter, wenn diese erste GmbH-Gründung gescheitert und eine neue GmbH gegründet und eingetragen worden ist537. 132 c) Die Handelndenhaftung besteht nach einer verbreiteten Auffassung fort, wenn und soweit

die später eingetragene GmbH ausnahmsweise nicht verpflichtet wird538. Gemeint sind Fälle, in denen der Handelnde mangels Vertretungsmacht weder die Vorgesellschaft noch die spätere GmbH verpflichten konnte und diese das Rechtsgeschäft auch nicht genehmigt. Ob es solche Fälle überhaupt gibt, ist zweifelhaft. Folgt man der hier hinsichtlich der Organvertretungsmacht vertretenen Auffassung (Rz. 73), so kann der Fall jedenfalls bei einem Handeln eines Geschäftsführers nicht eintreten. Eine Forthaftung auch nach der Eintragung kann in Betracht kommen, wenn ein Nichtgeschäftsführer als Handelnder auftritt (Rz. 129). Aber diese fortbestehende Haftung beruht nicht auf § 11 Abs. 2. In diesem Fall ist neben § 11 Abs. 2 auch § 179 BGB anwendbar (Rz. 71 und 129). Die Haftung nach § 11 Abs. 2 erlischt. Die Haftung nach § 179 BGB – das Vorliegen ihrer Voraussetzungen unterstellt – erlischt nicht539.

VIII. Vorbelastungen der GmbH und ihre Folgen 133 Schrifttum: vgl. Rz. 85; außerdem Bayer/Lieder, Vorbelastungshaftung und Vorbelastungsbilanz, insbesondere bei späterer Auffüllung des Haftungsfonds, ZGR 2006, 875; Fleischer, Unterbilanzhaftung und Unternehmensbewertung, GmbHR 1999, 752; Habersack/Lüssow, Vorbelastungshaftung, Vorbelastungsbilanz und Unternehmensbewertung, NZG 1999, 629; Hennrichs, Vorbelastungshaftung und Unternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode, ZGR 1999, 837; Hey, Die Bewertung der Vermögensgegenstände in der „Vorbelastungsbilanz“, GmbHR 2001, 905; Hüttemann, Vorbelastungshaftung, Vorbelastungsbilanz und Unternehmensbewertung, in FS Huber, 2006, S. 757; Joost, Vorbelastungshaftung und Leistung der Bareinlage in das Vermögen der Vor-GmbH vor Fälligkeit, ZGR 1989, 554; Lieb, Zum Spannungsverhältnis zwischen Vorbelastungshaftung und Differenzhaftung, in FS Zöllner, 1998, S. 347; Luttermann/Lingel, Unterbilanzhaftung, Organisationseinheit der Vor-GmbH und Haftungskonzept, NZG 2006, 454; Maurer, Vorbelastungshaftung und Eintragungshindernis bei Kapitalgesellschaften, BB 2001, 2537; Monhemius, Bilanzrecht, Gründerhaftung und Scheitern der VorGmbH, GmbHR 1997, 384; Mylich, Gesellschafterdarlehen und Vorbelastungshaftung, in Zweite FS Karsten Schmidt II, 2019, S. 67; Priester, Vorbelastungshaftung und anschließende Gewinne, in FS Ulmer, 2003, S. 477; Schulze-Osterloh, Die Vorbelastungsbilanz der GmbH …, in FS Goerdeder, 1987, S. 531; Weitemeyer, Unterbilanzhaftung bei „Start-up-Unternehmen“, NZG 2006, 648; Zöllner, Die sog. Gründerhaftung, in FS Wiedemann, 2002, S. 1383.

1. Der Unversehrtheitsgrundsatz 134 a) Verhältnis zum Vorbelastungsverbot. Nach der älteren Rechtsprechung konnte die

GmbH vor ihrer Eintragung nur mit satzungsmäßig zugelassenen oder gründungsnotwendigen Verbindlichkeiten belastet werden (Rz. 44). Dieses Vorbelastungsverbot ist veraltet und seit dem Grundlagenurteil BGHZ 80, 129540 überholt (vgl. Rz. 45). Die Folgen dieses Sinnwandels sind aber nur teilweise geklärt. Nicht überholt ist nämlich der zugrundeliegende Unversehrtheitsgrundsatz. Er soll gewährleisten, dass das zur Deckung des Garantiekapitals 537 Vgl. BGH v. 17.1.1983 – II ZR 89/82, ZIP 1983, 299; zustimmend auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 163. 538 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 53; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 147. 539 Vgl. auch Altmeppen, Rz. 126 a.E. 540 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1981, 1373 = GmbHR 1981, 114.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 135 § 11

erforderliche Gesellschaftsvermögen nicht schon durch Vorbelastungen aus dem Gründungsstadium geschmälert wird. Das Vorbelastungsverbot war eine prohibitive Sanktion des Unversehrtheitsgrundsatzes. An seine Stelle sind als Vorbelastungsrisiko (Rz. 45) zwei andere Sanktionen getreten: die Vorbelastungshaftung der Gründer (Rz. 139 ff.) und das Eintragungsverbot bei unausgeglichener Unterbilanz (Rz. 136). b) Zweifelhaft ist noch der genaue Inhalt des Unversehrtheitsgrundsatzes sowie die Frage, 135 ob der Unversehrtheitsgrundsatz auf den Zeitpunkt der Anmeldung oder auf den Zeitpunkt der Eintragung bezogen werden soll. Die Frage wird vor allem für den Bereich der Vorbelastungshaftung diskutiert (Rz. 141), aber sie stellt sich sowohl für das Eintragungsverbot (Rz. 136) als auch für die Vorbelastungshaftung der Gründer (Rz. 139 ff.). Nach Auffassung des BGH541 und der h.L.542 entscheidet der Zeitpunkt der Eintragung. In diesem Moment muss das Gesellschaftsvermögen das Stammkapital decken. Diese h.M. basiert auf der kaum je überprüften Prämisse, dass der Unversehrtheitsgrundsatz ein am Eintragungsstichtag ungeschmälertes Vermögen garantiert543. Ihr steht eine Gegenauffassung gegenüber, nach der es auf den Anmeldungszeitpunkt ankommt544. Diese hier in der 7. Aufl. vertretene Auffassung wurde in der 8. Aufl. modifiziert und neu begründet. Sie versteht die Vorbelastungshaftung der Gründer als Spiegelbild ihres gesellschaftsrechtlichen Haftungsrisikos vor der Eintragung (Rz. 91 ff.). Dieses muss zwar nicht mit der Differenzhaftung des Sacheinlegers nach § 9 Abs. 1 koordiniert werden; aus § 9 kann aber entnommen werden, dass das Gesetz eine strikte Vollwertigkeit des Gesellschaftsvermögens nur am Anmeldungsstichtag sicherstellen will545. Das schließt, wie zu zeigen sein wird, eine zusätzliche Vorbelastungshaftung nicht aus. Eine differenzierende dritte Ansicht stellt hinsichtlich der Vorbelastungshaftung auf den Eintragungszeitpunkt, hinsichtlich der Vorbelastung als Eintragungshindernis dagegen auf den Anmeldungszeitpunkt ab, so dass Verluste der Vorgesellschaft die Eintragung nicht hindern, aber die Vorbelastungshaftung auslösen546. Die Gerichtspraxis wird sich zunächst auf die erste, evtl. auch auf die dritte Ansicht einstellen. Nach ihr ist volle Kapitalaufbringung im Eintragungszeitpunkt gesichert, aber diese Kapitalaufbringungsgarantie wird bei Verlusten der Vorgesellschaft nicht durch eine Verweigerung der Eintragung sichergestellt, sondern sie wird nach der Eintragung durch die Vorbelastungshaftung der Gründer sichergestellt. Diese Auffassung ist, was das Eintragungsverfahren anlangt, praktikabel (Rz. 138). Haftungsrechtlich geht dieser Unversehrtheitsgrundsatz mit einem doppelten Konzept einher: mit einer strikten Differenzhaftung auf den Anmeldungsstichtag und mit einer Vorbelas-

541 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 141 = GmbHR 1981, 114, 117; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182, 184 = GmbHR 1981, 192, 193; BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 338 = GmbHR 1997, 405, 407. 542 Vgl. – z.T. allerdings nur hinsichtlich der Haftung – Altmeppen, Rz. 70; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 177; Schmidt-Leithoff in Rowedder/SchmidtLeithoff, Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 63a; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; M. Scholz, S. 132; Theobald, S. 65; Hüffer, JuS 1983, 167. 543 Vgl. nur BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 136 = GmbHR 1981, 114, 116; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 36; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103 f.; Theobald, S. 57 ff.; Fleck, GmbHR 1983, 10; dazu auch Altmeppen, Rz. 55; eingehende Kritik bei Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 99 ff. 544 So hier die 7. Aufl.; Priester, ZIP 1982, 1146 ff.; Schultz, JuS 1982, 736 f.; s. auch Karsten Schmidt, NJW 1981, 1346; gegen diese Auffassung vgl. insbesondere die Ausführungen von Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 104; Stimpel in FS Fleck, 1988, S. 357 f. 545 Dazu Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 106. 546 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41, 51; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 9c Rz. 6a f., § 11 Rz. 63b; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, § 9c Rz. 34, § 11 Rz. 108; Ulmer, ZGR 1981, 603 f., 606 f.

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§ 11 Rz. 135 | Rechtszustand vor der Eintragung tungshaftung auf den Eintragungsstichtag (Rz. 141)547. Klarheit sollte darüber bestehen, dass nur eine eintragungsreife Anmeldung ausreicht, nicht eine Anmeldung, die unvollständig oder mangelhaft ist. Vorbelastungen, die diesem Zeitpunkt nachfolgen, können eine Vorbelastungshaftung nach Rz. 139 ff. begründen, dies aber nur, soweit die Gesellschafter nach Rz. 88 ff. auch persönlich haften548.

2. Das Eintragungsverbot 136 a) Grundsatz. Ein Eintragungsverbot wegen Vorbelastungen besteht nach h.M., wenn das

Vermögen der Gesellschaft im Zeitpunkt der Eintragung bereits durch vorbelastende Rechtsgeschäfte unter den Betrag des Stammkapitals geschmälert ist (dazu 13. Aufl., § 9c Rz. 28)549. Ausstehende Einlagen sind dabei dem Aktivvermögen der Gesellschaft zuzurechnen (für etwaige Ausfälle hierbei wird nach § 24, nicht im Wege der Unterbilanzhaftung, gehaftet). Das Registergericht kann also die Einforderung aller ausstehenden Einlagen nicht verlangen (dies wäre durch § 7 nicht gedeckt). Die Forderung der Gesellschaft aus der Unterbilanzhaftung (Rz. 139 ff.) reicht dagegen als Aktivum nicht aus, um das Eintragungsverbot auszuschalten550. Von den Gründern wird deshalb verlangt, dass sie eine vor der Eintragung festgestellte Unterbilanz alsbald ausgleichen, um die Eintragung zu ermöglichen (über Zweifel an dieser Rechtsprechung s. sogleich im Text). Wegen der Feststellung der Unterbilanz ist auf Rz. 139 zu verweisen. 137 b) Zweifelhaft ist der Stichtag, auf den diese Unterbilanzprüfung zu beziehen ist (vgl.

Rz. 135). Der BGH, der allerdings regelmäßig nur im Rahmen von Haftungsprozessen Inzidentausführungen über das Eintragungsverfahren zu formulieren pflegt, stellt auf den Eintragungszeitpunkt ab551. Nach einer Gegenansicht kommt es auf den Anmeldungszeitpunkt an. Nach diesem Zeitpunkt eintretende Verluste der Vorgesellschaft rechtfertigen nach dieser Ansicht nicht die Ablehnung der Registereintragung (vgl. 13. Aufl., § 9c Rz. 29)552. Dieser in der 7. Aufl. noch geteilte Standpunkt553 wurde hier seit der 8. Aufl. modifiziert554: 547 Näher Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 120 ff.; dazu auch Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 128 ff. 548 Vgl. ebd. 549 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 143 = GmbHR 1981, 114, 117; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182, 184 f. = GmbHR 1981, 192, 193; BayObLG v. 1.10.1991 – BReg. 3 Z 110/91, BB 1991, 2391 = GmbHR 1992, 109 = WM 1992, 695; BayObLG v. 7.10.1998 – 3Z BR 177/98, GmbHR 1998, 1225 = BB 1998, 2439; OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, GmbHR 1992, 531 = DNotZ 1992, 744; OLG Hamm v. 1.12.1992 – 15 W 275/92, DB 1993, 86 = GmbHR 1993, 95; OLG Düsseldorf v. 31.7.1996 – 3 Wx 293/96, ZIP 1996, 1705 = GmbHR 1997, 70; LG Gießen v. 18.6.1985 – 6 T 10/85, GmbHR 1986, 163; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 124 ff.; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 34; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 193, 194 a.E.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 9c Rz. 31; Theobald, S. 67; Meister in FS Werner, S. 526; Schultz, JuS 1982, 733 ff.; Fleck, GmbHR 1983, 11; Gustavus, GmbHR 1988, 52; G.H. Roth, DNotZ 1989, 8 f. 550 Vgl. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 143 = GmbHR 1981, 114, 117; BayObLG v. 1.10.1991 – BReg. 3 Z 110/91, GmbHR 1992, 109 = WM 1992, 695; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 125; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 9c Rz. 31. 551 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 141 = GmbHR 1981, 114, 117; OLG Düsseldorf NJW-RR 1998, 898; OLG Karlsruhe v. 7.5.2014 – 11 Wx 24/14, NZG 2014, 622 = GmbHR 2014, 752; s. auch Altmeppen, § 9c Rz. 70; Fleck, GmbHR 1983, 12. 552 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51, § 9c Rz. 19; Blath in Michalski u.a., Rz. 160; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 9c Rz. 6a f.; Tebben in Michalski u.a., § 9c Rz. 29; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113 sowie § 9c Rz. 34; Maurer, BB 2001, 2537, 2540; Ulmer, ZGR 1981, 603 f. 553 Vgl. auch Karsten Schmidt, GmbHR 1987, 86. 554 Herausgearbeitet bei Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 129.

746 | Karsten Schmidt

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 139 § 11

Eine schon auf den Anmeldungszeitpunkt festgestellte Unterbilanz muss vor der Eintragung 138 durch Zahlung oder durch vollwertige Schuldanerkenntnisse der Gesellschafter ausgeglichen werden555. Spätere, d.h. der Anmeldung nachfolgende, Vorbelastungen durch Verluste der Gesellschaft stellen grundsätzlich kein Eintragungshindernis dar556. Grundsätzlich genügt, dass der Geschäftsführer die Forderung aus der Vorbelastungshaftung (Rz. 139 ff.) einbucht. Die Rechtsprechung verlangt allerdings die Versicherung, dass das Reinvermögen der Gesellschaft (ggf. zuzüglich Gründungskosten) das Stammkapital deckt (kritisch 13. Aufl., § 8 Rz. 27). Daraus sollte indes keine Verpflichtung zum sofortigen Ausgleich jeder Unterbilanz abgeleitet werden (streitig; vgl. 13. Aufl., § 9c Rz. 29)557. Soweit eine Vorbelastungshaftung entstanden ist (Rz. 91 ff., 139 ff.), bedarf es keiner Einzahlung vor der Eintragung, denn die Vorbelastungshaftung erhöht nicht die Einlagepflichten (Rz. 139), und eine vollwertige Forderung aus der Vorbelastungshaftung wird dem Aktivvermögen der Gesellschaft hinzugerechnet (streitig)558. Für etwaige Ausfälle haften die Mitgesellschafter analog § 24. Das Registergericht kann auch, wenn die Geltendmachung der Haftungsforderung (also ihre Aktivierbarkeit im Gesellschaftsvermögen) zweifelhaft ist, eine entsprechende Versicherung von den Geschäftsführern verlangen559. Bestehen Anhaltspunkte dafür, dass der Deckungsanspruch nicht vollwertig ist, kann das Gericht ausnahmsweise den Nachweis der Vollwertigkeit, ggf. sogar einen Barausgleich in der bereits festgestellten Höhe, verlangen (a.M. Veil, 13. Aufl., § 9c Rz. 13 f.)560. Unabhängig vom Bestand einer Vorbelastungshaftung ist eine Überschuldung der Gesellschaft stets ein Eintragungshindernis (vgl. Veil, 13. Aufl., § 9c Rz. 29).

3. Die Vorbelastungshaftung (Differenzhaftung, Unterbilanzhaftung) der Gründer a) An die Stelle des Vorbelastungsverbots ist seit BGHZ 80, 129561 eine Vorbelastungshaf- 139 tung (Differenzhaftung; Unterbilanzhaftung) der Gründer getreten. Der Leitsatz des BGH lautet: „Für die Differenz, die sich durch solche Vorbelastungen zwischen dem Stammkapital und dem Wert des Gesellschaftsvermögens zum Zeitpunkt der Eintragung ergibt, haften die Gesellschafter anteilig.“ Dies ist ständige Rechtsprechung562. Die Maßgeblichkeit des sat555 Zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 126; Ausgleich durch Zahlung verlangen Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 7 Rz. 62; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 8 Rz. 12. 556 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51, § 8 Rz. 12; Tebben in Michalski u.a., § 9c Rz. 29; s. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 9c Rz. 31; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113, § 9c Rz. 34; Priester, ZIP 1982, 1143. 557 So wohl BayObLG v. 1.10.1991 – BReg. 3 Z 110/91, GmbHR 1992, 109 = WM 1992, 695; BayObLG v. 7.10.1998 – 3Z BR 177/98, BB 1998, 2439 = DB 1998, 2359 = GmbHR 1998, 1225; BayObLG v. 24.3.1999 – 3Z BR 295/98, GmbHR 1999, 607 = DB 1999, 954; OLG Frankfurt v. 27.5.1992 – 20 W 134/92, OLGZ 1992, 388 = DNotZ 1992, 744 = GmbHR 1992, 531; OLG Hamm v. 1.12.1992 – 15 W 275/92, DB 1993, 86 = GmbHR 1993, 95; OLG Düsseldorf v. 31.7.1996 – 3 Wx 293/96, ZIP 1996, 1705 = GmbHR 1997, 70. 558 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113 ff.; Ulmer, ZGR 1981, 604; a.M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 9c Rz. 31. 559 Vgl. auch BayObLG v. 1.10.1991 – BReg. 3 Z 110/91, GmbHR 1992, 109 = WM 1992, 695; anders wohl Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 8 Rz. 12. 560 BayObLG v. 1.10.1991 – BReg. 3 Z 110/91, GmbHR 1992, 109 = WM 1992, 695; ähnlich Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 51; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 9c Rz. 6b; Tebben in Michalski u.a., § 9c Rz. 33; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 116. 561 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = GmbHR 1981, 114. 562 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = GmbHR 1981, 114; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/ 80, BGHZ 80, 182 = GmbHR 1981, 192; BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 303 = NJW 1989, 710, 711 = BB 1989, 169; BGH v. 26.10.1981 – II ZR 31/81, GmbHR 1982, 183; BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 335 = GmbHR 1997, 405, 406; BGH v. 16.1.2006 – II

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§ 11 Rz. 139 | Rechtszustand vor der Eintragung zungsmäßigen Stammkapitals gilt auch für die Unternehmergesellschaft (haftungsbeschränkt). Die Haftung wird im Grundsatz von der h.L. gebilligt563. Sie wurde durch die bei Rz. 86 f. dargestellte persönliche Haftung der Gründer stimmig ergänzt. Aus systematischer Sicht erscheint sie als Resultat dieser vom BGH allerdings erst nachträglich anerkannten Gründerhaftung. Der Rechtsprechung und der h.L. ist im Grundsatz zuzustimmen. Die Haftung ist keine heimliche Fortschreibung des überholten Vorbelastungsverbots, sondern sie ist eine sachgerechte Sanktion des fortgeltenden Unversehrtheitsgrundsatzes. Ihrer Rechtsnatur nach wird man die Haftung nicht, wie die Differenzhaftung im Fall des § 9, als Teil oder Ergänzung der Einlagepflichten anzusehen haben564. Sie begründet aber, wie die Haftung aus § 9, Zahlungsansprüche der Gesellschaft. Für die Begründung dieser Haftung ist allerdings nicht, wie es der BGH in seinem Grundsatzurteil getan hat, § 9 heranzuziehen565. Von dieser Vorschrift, die nur das Differenzhaftungsrisiko des Sacheinlegers betrifft, ist die Vorbelastungshaftung vielmehr zu unterscheiden (Rz. 135). Sie ist nicht Bestandteil der Kapitaldeckungspflicht des einzelnen Einlegers, sondern sie ist eine aus der Satzung nicht ableitbare kollektive gesetzliche Haftung (Rz. 138). Grundlage ist ein Akt der richterlichen Rechtsfortbildung566. Das Ergebnis dieser Rechtsfortbildung besteht darin, dass das Vorbelastungsverbot durch eine Vorbelastungshaftung ersetzt wird. 140 b) Nur bei der Ersteintragung der GmbH unter Einschluss der Verschmelzung durch Neu-

gründung und der Spaltung zur Neugründung (Rz. 28)567 greift die Unterbilanzhaftung ein, nicht bei der Kapitalerhöhung568, und entgegen der h.M. nicht bei der Mantelverwendung (Rz. 29, 67, 84, 109; eingehend zu dieser vgl. 13. Aufl., § 3 Rz. 181 ff.)569. Die Registereintragung bei der Mantelverwendung dokumentiert als bloße Satzungsänderung nicht ein unversehrtes Stammkapital. Die gegenteilige Rechtsprechungslinie (BGHZ 153, 158570; BGHZ 155, 318571) führt nach dem Verständnis der h.M. zu unverhältnismäßigen Haftungsrisiken. Mit Recht wurde im Grundlagenurteil vom 6.3.2012572 erkannt, dass auch auf der Basis der Theorie der „wirtschaftlichen Neugründung“ (Rz. 29) eine Unterbilanzhaftung nicht auf den

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ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390 (Bespr. Luttermann/Linge, NZG 2006, 454); OLG Celle v. 12.9.2000 – 9 W 97/00, GmbHR 2000, 1265 = NJW-RR 2000, 1706 = NZG 2000, 1134. Vgl. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Blath in Michalski u.a., Rz. 126 ff.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 61; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 99; M. Scholz, S. 124 ff.; Theobald, S. 53 ff.; Flume, NJW 1981, 1753; Meister in FS Werner, S. 538 f.; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1346; Ulmer, ZGR 1981, 593 f.; Hüffer, JuS 1983, 167; Dreher, DStR 1992, 36; Sandberger in FS Fikentscher, S. 394 ff.; im Ergebnis auch Beuthien, ZIP 1996, 363 ff. (Herleitung aus dem insolvenzrechtlichen Gebot der Vorverlustfreiheit); grundlegend schon Ulmer in FS Ballerstedt, S. 294 ff.; ablehnend Schäfer-Gölz, S. 170 ff.; Dreßel, Kapitalaufbringung und -erhaltung in der GmbH, 1988, S. 64; kritisch Priester, ZIP 1982, 1141 ff. So noch die 8. Aufl. mit Hinweis auf Meister in FS Werner, S. 538; s. auch Fleck, GmbHR 1983, 11. Vgl. die unterschiedliche Kritik bei Schäfer-Gölz, S. 131 ff.; Theobald, S. 58 ff.; Beuthien, ZIP 1996, 360; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1346; Ulmer, ZGR 1981, 603 ff.; John, BB 1982, 510. Vgl. nur Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 62; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 100; Wank, ZGR 1988, 340 ff. Weitergehend bei Umwandlungsfällen Sandberger in FS Westermann, 2008, S. 1401 ff. 12. Aufl., § 56 Rz. 43 (Priester/Tebben); Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 56 Rz. 24, 26; Karsten Schmidt, AG 1986, 106, 115; Karsten Schmidt, ZGR 1982, 529. Eingehend Karsten Schmidt, NJW 2004, 1349; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857, 863 ff.; Hornstein, GmbHR 1998, 231; vgl. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 203. BGH v. 9.12.2002 – II ZB 12/02, BGHZ 153, 158 = NJW 2003, 892 = GmbHR 2003, 227. BGH v. 7.7.2003 – II ZB 4/02, BGHZ 155, 318 = NJW 2003, 3198 = GmbHR 2003, 1125. BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, GmbHR 2012, 630 = ZIP 2012, 817.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 141 § 11

Stichtag der Offenlegung der „wirtschaftlichen Neugründung“573, sondern nur auf den Zeitpunkt des Vollzugs der Mantelverwendung bezogen sein kann574. Sie sollte auch auf das satzungsmäßige Stammkapital beschränkt sein575. Aber diese Entschärfung der Rechtsprechung ist nur ein halber Schritt. Die Lehre von der „wirtschaftlichen Neugründung“ und den mit ihr verbundenen Risiken verdient eine Überprüfung im Grundsätzlichen (vgl. Rz. 29, 67, 84, 109). In Fällen der Umwandlung nach dem Umwandlungsgesetz soll dagegen die Ersteintragung der GmbH zur Unterbilanzhaftung führen576. c) Umstritten ist auch in Fällen der Ersteintragung der Stichtag, auf den die Vorbelastung 141 und Unterbilanz zu beziehen ist. Der BGH und die wohl herrschende Ansicht stellen auf den Eintragungsstichtag ab577. Jede auf diesen Stichtag berechnete Unterbilanz ist auszugleichen. Nach einer Gegenansicht ist Haftungsstichtag der Tag, an dem eine eintragungsreife Anmeldung vorgelegen hat. Alle nach diesem Stichtag anfallenden Vorbelastungen gehen nicht mehr auf Kosten der Gründer, sondern der GmbH578. Diesem Standpunkt hatte sich hier die 7. Aufl. angeschlossen. Er ist, wie bei Rz. 135 bemerkt wurde, nicht der vorherrschende. Es geht um ein Wertungsproblem579: Die h.M. erklärt sich daraus, dass aus dem historischen Ansatz des § 11 Abs. 1 noch der Gedanke herübergerettet wird, wonach am Eintragungsstichtag das satzungsmäßige Garantiekapital vollständig vorhanden sein muss; die Haftung taugt nach diesem Haftungsmodell nur dann als Ersatz für das Vorbelastungsverbot, wenn sie für einen Ausgleich der Unterbilanz am Eintragungsstichtag sorgt. Sieht man dagegen das Konzept des § 11 Abs. 1 als vollends veraltet an (die GmbH entsteht als operative Einheit eben nicht erst mit der Eintragung!), so lässt sich eine Unversehrtheitsgarantie am Eintragungsstichtag nicht mehr rechtfertigen580. Das führt zu einer Unterscheidung zwischen der Unterbilanzhaftung und der Vorbelastungshaftung581, die entgegen der h.M. nicht nur als verschiedene Begriffsbildungen für dieselbe Haftung verstanden werden sollten. Hieraus ergibt sich der folgende Unterschied: Die Unterbilanzhaftung wird rein bilanziell ermittelt und fragt nicht nach den Ursachen der haftungsbegründenden Unterbilanz; dagegen ist die Vorbelastungshaftung nur die zur Innenhaftung mutierte akkumulierte Haftung der Gründer für Verbindlichkeiten der Gesellschaft (also die nicht durch realisierbare Regressansprüche gedeckte 573 In diesem Sinne OLG München v. 14.1.2010 – 23 U 2814/09, BB 2010, 1240 = GmbHR 2010, 425 = ZIP 2010, 579; zustimmend Wachter, BB 2010, 1243 f. 574 In diesem Sinne KG v. 7.12.2009 – 23 U 24/09, GmbHR 2010, 476 = ZIP 2010, 582; Hilfslösung auch nach Karsten Schmidt, ZIP 2010, 862 f.; s. auch Peetz, GmbHR 2011, 178 ff. 575 Kleindiek in FS Priester, S. 369 ff.; Karsten Schmidt, NJW 2004, 1345 ff.; Karsten Schmidt, ZIP 2010, 857 ff. 576 Vgl. Sandberger in FS Fikentscher, S. 400; Sandberger in FS Westermann, 2008, S. 1401 ff.; zur Frage, ob eine umwandlungsrechtliche Unterbilanzhaftung eingreift, vgl. auch J. Vetter in Lutter, § 56 UmwG Rz. 56 und Joost/Hoger in Lutter, § 220 UmwG Rz. 8. 577 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 141 = GmbHR 1981, 114, 117; BGH v. 16.3.1981 – II ZR 59/80, BGHZ 80, 182, 184 = GmbHR 1981, 192, 193; Altmeppen, Rz. 56, 62 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 41; Blath in Michalski u.a., Rz. 135; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 35 f.; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 63; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103 f.; M. Scholz, S. 132; Theobald, S. 65; Kind, S. 116 ff.; Ulmer, ZGR 1981, 603 f.; Hüffer, JuS 1983, 167; Fleck, GmbHR 1993, 551. 578 So namentlich Fischer, GmbHG, 10. Aufl. 1983, Anm. 4; Priester, ZIP 1982, 1146 ff.; Schultz, JuS 1982, 736 f.; sympathisierend Joost, ZGR 1989, 562. 579 A.M. möglicherweise Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 177: „nach der eindeutigen Regelung des § 11 Abs. 1 gelangt die GmbH erst mit der Eintragung zur Entstehung und nicht mit der Anmeldung …“. 580 Kritisch gegenüber der h.M. schon Winter, hier in der 6. Aufl., Anm. 38; s. seither auch Sandberger in FS Fikentscher, S. 394 ff. 581 Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 97, 99, 107 ff., 132; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 4c; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 119; zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 128, 135 ff.; kritisch Altmeppen, Rz. 64.

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§ 11 Rz. 141 | Rechtszustand vor der Eintragung [Rz. 97] Haftung der Gesellschafter für Gesellschaftsverbindlichkeiten vor der Eintragung). Eine nicht nach den Ursachen fragende strenge Unterbilanzhaftung lässt sich, ebenso wie ein strenges Eintragungsverbot wegen Vorbelastungen (Rz. 136), nur für den Anmeldungszeitpunkt rechtfertigen (vgl. auch Rz. 146). Vorbelastungen aus der Zeit zwischen der Anmeldung und der Eintragung können eine hierüber hinausgehende Vorbelastungshaftung nur rechtfertigen, soweit bereits vor der Eintragung eine Gesellschafterhaftung (Gründerhaftung) entsteht (dazu Rz. 88 ff.)582. Die nach dem Anmeldungszeitpunkt hinzugekommene Vorbelastungshaftung beschränkt sich insoweit auf die operativen Verluste durch Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft, während reine Wertverluste des Anlagevermögens aus der Zeit nach der Anmeldung entgegen dem Standpunkt des BGH nicht auszugleichen sind583. Die Innenhaftung nach der Eintragung setzt sich hiernach aus zwei Elementen zusammen: aus einer strengen Unterbilanzhaftung auf den Anmeldungsstichtag und aus einer darüber hinausgehenden Vorbelastungshaftung im Fall der Geschäftstätigkeit zwischen Anmeldung und Eintragung (näher Rz. 144 f.)584. 142 d) Die Unterbilanz- bzw. Vorbelastungshaftung begründet einen Anspruch der Gesellschaft

gegen die Gesellschafter. Sie ist eine Innenhaftung und bleibt dies auch im Fall nachträglicher Insolvenz oder Vermögenslosigkeit der Gesellschaft585. Dieser Anspruch entsteht nach der auf das Grundsatzurteil BGHZ 80, 129586 zurückgehenden Praxis und Lehre mit der Eintragung587. Seit dem Grundsatzurteil BGHZ 134, 333, 337 ff.588 wird man den Zusammenhang zwischen der Gesellschafterhaftung im Gründungsstadium (Rz. 86 f.) und der Unterbilanzhaftung dahin zu deuten haben, dass am Eintragungsstichtag eine fixierbare Unterbilanzhaftung (Rz. 139), im Fall der Eintragungsverweigerung dagegen eine der Höhe nach ungewisse Innenhaftung entsteht (Rz. 86 f.). Die Haftungssituation vor der Eintragung oder ihrer Verweigerung ist immer noch nicht ausdiskutiert. Nach der hier vertretenen Ansicht entsteht der Anspruch, soweit er auf Ausgleich einer Unterbilanz auf den Anmeldungsstichtag geht (Rz. 141 a.E.), mit der Anmeldung; seine Durchsetzung kann also, soweit aktivierbar, zugleich der Behebung des Eintragungshindernisses der Vorbelastung dienen (Rz. 138). Diese Leistung wird von den Gründern schon während des Eintragungsverfahrens geschuldet589. Ob auch schon vor der Eintragung gezahlt werden muss, ist streitig (Rz. 138). Hat das Registergericht Grund zu der Annahme, dass eine die Eintragung hindernde Vorbelastung

582 Näher Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 109, 120 f. 583 Vgl. mit Unterschieden im Detail Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 4c; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Koppensteiner/Rüffler, GmbHG, 3. Aufl., § 2 Rz. 37; gegen solche Begrenzung wohl Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 46. 584 Dazu Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 125 f.; teilweise übereinstimmend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 46; ablehnend Blath in Michalski u.a., Rz. 137; Lieb in FS Zöllner, S. 353 ff.; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107 (anders noch in der 1. Aufl.); Zöllner in FS Wiedemann, S. 1399. 585 BGH v. 24.10.2005 – II ZR 129/04, BB 2005, 2773 m. Anm. Gehrlein = DZWiR 2006, 118 m. Anm. Bräuer = EWiR 2006, 143 (Wilhelm) = GmbHR 2006, 88 = WuB II C § 11 GmbHG 1.06 m. Anm. Hennrichs/Wojcik. 586 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = NJW 1991, 1373 = GmbHR 1991, 114. 587 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 141 = NJW 1981, 1373, 1376 = GmbHR 1981, 114, 117; BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333 = NJW 1997, 1507 = GmbHR 1997, 405; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 63a; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 103; Kind, S. 132 ff. 588 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 337 ff. = NJW 1997, 1507, 1508 = GmbHR 1997, 405, 407. 589 Zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 145; insofern wie hier Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 46; insoweit für den Fall des Scheiterns der Gründung auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121 (Geschäftsbeginn genüge; vgl. demgegenüber jedoch Rz. 103 für die Unterbilanzhaftung).

750 | Karsten Schmidt

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 144 § 11

vorliegt (Rz. 136 ff.), so kann es die Beseitigung dieses Eintragungshindernisses mittels einer Zwischenverfügung durchsetzen. Der Geschäftsführer kann den Nachschuss einfordern. Auch die auf Ausgleich der operativen Verluste der Gesellschaft zwischen der Anmeldung und der Eintragung zielende Vorbelastungshaftung (Rz. 141 a.E.) entsteht nicht neu mit der Eintragung, sondern es handelt sich nur darum, dass sich die schon im Gründungsstadium bestehende Außenhaftung der Gründer in das Innenverhältnis verlagert (Rz. 98): Vor der Eintragung kann sich eine Gesellschafter-Außenhaftung (Rz. 91) mit Binnenregress gegen das freie Vermögen der Gesellschaft (Rz. 97) aufbauen; diese wird mit der Eintragung, soweit sie nicht aus freien Mitteln zu decken ist, als Vorbelastungs-Binnenhaftung summenmäßig fixiert. e) Zahlungspflichtig sind die Gesellschafter. Die Vorbelastungshaftung trifft die Gesellschaf- 143 ter anteilig nach dem Verhältnis der von ihnen übernommenen Stammeinlagen590. Sie ist weder auf den Betrag des Stammkapitals noch – für die einzelnen Gründer – auf den Betrag der übernommenen Stammeinlagen beschränkt und kann auch zum Ausgleich einer Überschuldung führen591. Die Vorbelastungshaftung ist Bestandteil der strengen Kapitalsicherungsregeln im GmbH-Recht. Sie unterliegt deshalb den strengen Regeln der Kapitalaufbringung, insbesondere denen des § 19592. Für Ausfälle bei einzelnen Gesellschaftern haften die Mitgesellschafter anteilig nach § 24593. Der Anspruch der Gesellschaft ist in ihrer Jahresbilanz (nicht auch im Unterbilanzstatus nach Rz. 144) zu aktivieren594. Er unterliegt nach h.M. analog § 9 Abs. 2 einer zehnjährigen Verjährung, die mit der Eintragung beginnt, nach der hier vertretenen Ansicht einer fünfjährigen Verjährung analog § 160 HGB resp. § 151 HGB n.F. (Rz. 149)595. Die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Anspruchs trifft die von den Geschäftsführern vertretene Gesellschaft als Gläubigerin, im Insolvenzfall den Verwalter596. f) Haftungsumfang. Die Unterbilanzhaftung zielt auf Beseitigung der Unterdeckung durch 144 Ausgleich des die Stammkapitaldeckung verhindernden Fehlbetrags597. Die bloße Beseiti590 Vgl. Altmeppen, Rz. 59; Link in Gehrlein/Born/Simon, 35; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 64a; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 112; Meister in FS Werner, S. 528; a.M. Kind, S. 172 ff. 591 BGH v. 23.11.1981 – II ZR 115/81, GmbHR 1982, 235 = WM 1982, 40; BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 303 = BB 1989, 169 = GmbHR 1989, 74; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Blath in Michalski u.a., Rz. 143; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 64a; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105; Theobald, S. 62; Fleck, GmbHR 1983, 10; Flume, NJW 1981, 1755 ff.; Ulmer, ZGR 1981, 603, Fn. 48. 592 BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282, 283 = GmbHR 1994, 176 = NJW 1994, 724; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = BB 2006, 907 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 185; einschränkend Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48. 593 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 141 = GmbHR 1981, 114, 117; LG Gießen v. 18.6.1985 – 6 T 10/85, GmbHR 1986, 163; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 185; die Beschränkung dieser Ausfallhaftung auf den ausfallenden Einlagebetrag (Karsten Schmidt, BB 1985, 154 f.) versteht sich hier unter Einrechnung der Vorbelastungshaftung. 594 Eingehend Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, S. 544 ff. 595 BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 304 ff. = NJW 1989, 710, 711 = GmbHR 1989, 74; bestätigend BGH v. 10.12.2001 – II ZR 89/01, BGHZ 149, 273, 275 = NJW 2002, 824 f. (Innenhaftung bei der Genossenschaft); zustimmend z.B. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 118. 596 BGH v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, DStR 1997, 1857 m. Anm. Goette = GmbHR 1997, 1145 = ZIP 1997, 2008; OLG Köln v. 1.3.1995 – 2 U 110/94, BB 1995, 793 = GmbHR 1995, 449 = NJW-RR 1995, 930; OLG Frankfurt v. 5.5.1992 – 5 U 67/91, BB 1992, 1082 = GmbHR 1992, 609; OLG Düsseldorf v. 13.10.1992 – 16 U 265/91, GmbHR 1993, 587; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 50; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117. 597 Umfangreiche Nachweise bei Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105 f.

Karsten Schmidt | 751

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§ 11 Rz. 144 | Rechtszustand vor der Eintragung gung einer bilanziellen Überschuldung reicht hierfür nicht aus598. Der Umfang der Haftung (Rz. 124) ist bilanziell zu ermitteln599. Die maßgebliche Bilanz ist eine Vermögensbilanz (ein Unterbilanzstatus)600. Die Aktiven werden, sofern die Gesellschaft am Bewertungsstichtag nicht im Rechtssinne überschuldet, das Unternehmen also nicht fortführungsunfähig war, zu Fortführungswerten angesetzt601. Ist die Fortführungsprognose dagegen negativ, so sind Gegenstände des Gesellschaftsvermögens nicht zu Fortführungs-, sondern zu Veräußerungswerten anzusetzen602. Hat die Ingangsetzung der Vorgesellschaft bereits zu einer unternehmerischen Organisationseinheit geführt, so kann diese als ganzes (also einschließlich des sog. Firmenwerts) nach der Ertragswertmethode bewertet werden603. Ein separater Ansatz des Firmenwerts ist dann nicht angezeigt604. Die Ansetzung des Unternehmenswerts als Ertragswert setzt voraus, dass sich das Unternehmen bereits als fortführungsfähige Organisationseinheit etabliert hat605. Auf der Passivseite sind alle Verbindlichkeiten der (Vor-) Gesellschaft zu verbuchen606. Darauf, ob die Gesellschafter (Gründer) hierzu ihr Einverständnis gegeben hatten, kommt es nicht an (vgl. auch zur Vertretungsmacht der Geschäftsführer Rz. 72 f.)607. Zu passivieren sind auch Gesellschafterdarlehen608. Eine Rangrücktrittsvereinbarung ändert hieran nichts609, denn der bloße Nachrang im Insolvenzfall lässt 598 A.M. für den Fall einer scheiternden Eintragung Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 34 im Anschluss an Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120; hier wird für den Fall scheiternder Eintragung eine unbeschränkte Außenhaftung (Rz. 93 ff.) mit Regressmöglichkeit gegenüber dem Gesellschaftsvermögen (Rz. 97) angenommen (Rz. 99). 599 Vgl. BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282 = GmbHR 1994, 176; BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = NJW 1999, 283 = ZIP 1998, 2151 = GmbHR 1999, 31; BGH v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, GmbHR 1997, 1115 = ZIP 1997, 2008; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 36; eingehend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 182 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 108 ff.; Priester, ZIP 1982, 1142. 600 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 108; Mylich in Zweite FS Karsten Schmidt II, 2019, S. 67, 68 f.; Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, S. 533 ff., 537; Hüttemann in FS Huber, S. 757, 767 (aber auch S. 781). 601 So auch BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = ZIP 1998, 2151 = GmbHR 1999, 31; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 108 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Hüttemann in FS Huber, S. 757, 768; gegen einen Vorrang der Ertragswertmethode Habersack/Lüssow, NZG 1999, 633. 602 BGH v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, DStR 1997, 1857 m. Anm. Goette = GmbHR 1997, 1115 = ZIP 1997, 2008; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390 (Bespr. Luttermann/Linge, NZG 2006, 454); Hüttemann in FS Huber, S. 757, 768; weitere Nachweise bei Wilken, EWiR 1998, 34; grundsätzlich für eine vorgezogene Einzelbewertung Fleischer, GmbHR 1999, 755; Habersack/Lüssow, NZG 1999, 632. 603 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = ZIP 1998, 2151 = GmbHR 1999, 31; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391, 396 = BB 2006, 907 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390; s. auch OLG Frankfurt v. 5.5.1992 – 5 U 67/91, DB 1992, 1335, 1336 = GmbHR 1992, 604, 605; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 43; a.M. Hennrichs, ZGR 1999, 837 ff.; für Einzelbewertung auch Fleischer, GmbHR 1999, 752; Hornstein, GmbHR 1998, 230. 604 Wie hier Hüttemann in FS Huber, S. 757, 770; a.M. Fleischer, GmbHR 1999, 752, 755. 605 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 190/97, BGHZ 140, 35 = ZIP 1998, 2151 = GmbHR 1999, 31; BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = BB 2006, 907 m. Anm. Gehrlein = DStR 2006, 711 m. Anm. Goette = EWiR 2006, 565 (Naraschewski) = GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390; dazu Luttermann/Linge, NZG 2006, 454 ff.; Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875, 894 f. 606 Vgl. Winnefeld, BilanzHdb., 5. Aufl. 2015, Rz. N 203; Wicke, Rz. 8; Weitemeyer, NZG 2006, 648. 607 A.M. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 176; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 102. 608 BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282 = GmbHR 1994, 176. 609 Wie hier OLG Naumburg v. 13.11.1998 – 7 U 280/96, GmbHR 1999, 665 (LS) = NZG 1999, 316; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 36; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 35; Mylich in Zweite FS Karsten Schmidt II, 2019, S. 67, 77; unterschieden insofern BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282 = NJW 1994, 724; a.M. Priester, ZIP 1994, 417.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 146 § 11

den Tatbestand der Unterbilanz nicht entfallen. Ein zum Erlöschen der Darlehensschuld führender Erlass- oder Verzichtsvertrag mindert dagegen die Unterbilanz610. Die für die Überschuldungsfeststellung geltenden Grundsätze (§ 19 Abs. 2 Satz 2 InsO und dazu Erl. vor § 64 [12. Aufl., vor § 64 Rz. 38 ff.]) gelten nicht für die Feststellung der Unterbilanz, weil es hier nicht um die Fortführungsfähigkeit des Unternehmens, sondern um die Kapitaldeckung geht. Gründungsaufwand schmälert das Gesellschaftsvermögen und darf in der Vorbelastungs- 145 bilanz nur dann aktiviert werden, wenn die Gesellschaft ihn durch förmliche Satzungsregelung übernommen hat611. Wertsteigerungen des Aktivvermögens, die vor dem Bewertungsstichtag generiert wurden, kommen den Gesellschaftern haftungsrechtlich zugute, auch wenn sie nicht auf der Geschäftstätigkeit der Gesellschaft beruhen612. Umstritten ist demgegenüber, welche Vermögenseinbußen haftungserheblich sind. Der Meinungsstreit hängt mit Unsicherheiten und Divergenzen hinsichtlich der Haftungszwecke und Haftungsgrundlagen zusammen. Die strengste (vorherrschende!) Auffassung geht dahin, dass die Haftung insgesamt eine echte Unterbilanzhaftung ist und dass deshalb jede irgendwie begründete Differenz zwischen dem Stammkapital und dem Vermögen auszugleichen ist613. Nach einer Gegenansicht begrenzt sich die Haftung auf solche Verluste, die durch einzelne Rechtsgeschäfte (z.B. den Erwerb eines Unternehmens im Fall der Bargründung) oder durch die Vorwegnahme der Geschäftstätigkeit (in Gestalt eines Wertverlusts des Unternehmens) herbeigeführt wurden614. Eine dritte Auffassung will die Ingangsetzungskosten von der Vorbelastungshaftung ausnehmen615. Eine Stellungnahme muss von dem bei Rz. 134, 139 dargestellten Normzweck und dem bei 146 Rz. 141 entwickelten Haftungsumfang ausgehen. Der Normzweck verbietet es, der dritten Ansicht zu folgen616. Die Ingangsetzungskosten sind nach dem Vorbelastungskonzept ein geradezu charakteristischer Haftungsfall. Aus Rz. 141, 142 ergibt sich weiter, dass die Haftung aus zwei Elementen besteht: Sie umfasst eine auf den Anmeldungsstichtag zu errechnende Unterbilanz (Unterbilanzhaftung) sowie die sich bis zum Eintragungsstichtag ergebenden Anlaufverluste aus Gesellschaftsverbindlichkeiten, insbesondere aus operativer Tätigkeit der Vorgesellschaft (Vorbelastungshaftung)617. Entgegen der h.M. ist nämlich eine Garantiehaftung der Gründer für jedwede Unterbilanz nur auf den Anmeldungs-, nicht auf den Eintragungsstichtag zu rechtfertigen (Rz. 141). Daneben tritt die akkumulierte Haftung der Gründer für die Vorbelastung mit Verbindlichkeiten bis zum Eintragungsstichtag. Das bedeutet (Rz. 141): Die Unterbilanzhaftung lässt die Gründer ohne Entlastungsmöglichkeit für jede 610 Mylich in Zweite FS Karsten Schmidt II, 2019, S. 67, 72 ff., 78. 611 BGH v. 29.9.1997 – II ZR 245/96, DStR 1997, 1857 m. Anm. Goette = GmbHR 1997, 1115 = NJW 1998, 102 = ZIP 1997, 2008; Altmeppen, Rz. 67; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109. 612 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 109; Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, S. 543; s. aber Messer in FS Werner, S. 541. 613 So BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 303 = GmbHR 1989, 74 = NJW 1989, 710 = BB 1989, 169; Flume, Juristische Person, § 5 III 4; Altmeppen, Rz. 56, 64; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20 f.; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 64; Theobald, S. 63 f. 614 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 4c; Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, S. 543; a.M. entgegen der Erstauflage Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; unklar Blath in Michalski u.a., Rz. 141. 615 Priester, ZIP 1982, 1142 f.; ablehnend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 180. 616 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 44; eingehend Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, S. 540 ff.; Hüttemann in FS Huber, S. 757, 761. 617 Vgl. Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 124 ff.; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 116 ff.; teilweise ähnlich Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 105 ff.; ablehnend freilich Altmeppen, Rz. 64; Blath in Michalski u.a., Rz. 137; Lieb in FS Zöllner, S. 353 ff.; Zöllner in FS Wiedemann, S. 1399.

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§ 11 Rz. 146 | Rechtszustand vor der Eintragung Unterdeckung am Anmeldungsstichtag haften; sie ist im Einklang mit der h.M. rein bilanziell festzustellen. Die Vorbelastungshaftung ist eine die Außenhaftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten (Rz. 93) ablösende Innenhaftung der Gesellschafter für die durch die operative Tätigkeit entstandenen Wertverluste im Gesellschaftsvermögen. Sie ist nicht durch rein bilanziellen Wertvergleich festzustellen. Insbesondere geht es nicht, wie dies bei BGHZ 165, 391618 erscheint, darum, das von der Vor-GmbH bereits betriebene Unternehmen am Eintragungsstichtag wie eine Sacheinlage zu behandeln und zu bewerten. 147 In der Praxis wird allerdings – z.B. vom Insolvenzverwalter – die gesamte Unterbilanz am

Eintragungsstichtag geltend gemacht. Das genügt für die schlüssige Darlegung des Anspruchs, und es ist Sache der Gesellschafter, darzulegen, inwieweit die vom Insolvenzverwalter dargelegte und im Streitfall von ihm zu beweisende Unterbilanz keine Vorbelastungshaftung auslöst. Die Minderung des Ertragswerts eines bereits eingebrachten oder sonst von der Vor-GmbH erworbenen und von ihr fortgeführten Unternehmens ist haftungsschädlich619. Dagegen ist eine Unterbilanz, die sich ohne unternehmerische Tätigkeit der Vorgesellschaft nach dem Anmeldungszeitpunkt nur aus Wertverlusten im Anlagevermögen ergeben könnte, nicht auszugleichen620. Ein solcher Wertverlust braucht also im Vorbelastungsstatus nicht berücksichtigt zu werden. Zweifelhaft ist, welche Abzüge von dieser Haftung erlaubt sind. Nach der Rechtsprechung sollen nur Vorbelastungen schaden, die sich weder aus dem Gesetz noch aus der Satzung ergeben621. Hieraus wird teilweise gefolgert, dass im Fall einer Sachgründung mit Unternehmenseinbringung die aus der Fortführung des Handelsgeschäfts resultierenden Vorbelastungen nicht ausgeglichen werden müssen622. Dem ist nicht zu folgen623. Allenfalls für den Gründungsaufwand (vgl. § 26 Abs. 2 AktG) kann gelten, dass er – soweit durch Gesetz oder Satzung gedeckt – bei der Feststellung einer Unterbilanz außer Betracht gelassen werden kann (vgl. auch Rz. 145)624. Die ganze Abgrenzungsdiskussion erklärt sich immer noch aus dem überholten Vorbelastungsverbot, das – um nicht zu sinnwidrigen Ergebnissen zu führen – für gesetzlich oder satzungsgemäß legitimierte Vorbelastungen durchlöchert werden musste. Diese Denkweise sollte nicht auf die Vorbelastungshaftung übertragen werden. Die Rechtsprechung sollte nur noch den satzungsmäßig gedeckten Gründungsaufwand bei der Feststellung einer Unterbilanz unberücksichtigt lassen625, und auch dies nur, wenn er auch der Höhe nach festgesetzt ist626. Es wird sogar vertreten, alle Gründungskosten seien ausnahmslos den Gründern zusätzlich zum Stammkapital aufzubürden627. Diese Auffassung ist in sich konsequent. Gegen sie spricht allerdings, dass sie die GmbHGründer strenger behandelt als die Gründer einer AG.

618 BGH v. 16.1.2006 – II 65/04, BGHZ 165, 391 = BB 2006, 907 m. Anm. Gehrlein = GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390; dazu Luttermann/Lingel, NZG 2006, 454; Weitemeyer, NZG 2006, 649. 619 Vgl. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 107; Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, S. 543. 620 A.M. z.B. Theobald, S. 65; Altmeppen, Rz. 64, 66; zweifelnd Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 121. 621 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 137 = GmbHR 1981, 114, 116; Meister in FS Werner, S. 529. 622 Meister in FS Werner, S. 529 f.; s. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30; Fleck, GmbHR 1983, 11; s. auch, für den Zeitraum nach Anmeldung, Kind, S. 159 ff. 623 Vgl. auch Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 121; Ulmer in Hachenburg, 7. Aufl., Rz. 86. 624 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 64; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 121. 625 Vgl. auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 106, 110, Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 5 Rz. 208; Karsten Schmidt, AG 1986, 115. 626 Vgl. zu diesem Erfordernis OLG Hamm v. 27.10.1983 – 15 W 294/83, BB 1984, 87 = GmbHR 1984, 155. 627 So M. Scholz, S. 129 f.; Theobald, S. 63.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 149 § 11

g) Zweifelhaft ist das Verhältnis zwischen der Vorbelastungshaftung und der Differenz- 148 haftung des Sacheinlegers nach § 9, wenn ein Unternehmen oder ein verlustbringender Gegenstand in die Gesellschaft eingebracht wird. Praktisch läuft dies auf die Frage hinaus, ob ein Anspruch aus § 9 im Unterbilanzstatus (Rz. 144) zu aktivieren ist. Grundsätzlich hat die Haftung nach § 9 Vorrang vor der Vorbelastungshaftung628. Haftet der Sacheinleger nach § 9, so ist die Unterbilanz auf den Anmeldungsstichtag in Höhe dieser einbringlichen Forderung durch seine Haftung ausgeglichen; die Mitgesellschafter haften nur subsidiär (§ 24)629. Das gilt insbesondere auch für Verluste, die der Sacheinleger vor der Einbringung eines Unternehmens als Sacheinlage erwirtschaftet hat. Soweit Verluste auszugleichen sind, die zwischen der Anmeldung und der Eintragung zu Stande kommen (Rz. 135, 141, 144 ff.), unterliegen diese Verluste von vornherein nicht der Haftung nach § 9. Sie können aber die Vorbelastungshaftung auslösen630. Diese trifft alle Gesellschafter anteilig (Rz. 143). Soweit es um Verluste zwischen der Einbringung des Unternehmens und der eintragungsfähigen Anmeldung geht, schulden die Mitgesellschafter dem nach § 9 unbeschränkt nachschusspflichtigen Sacheinleger im Innenverhältnis Ausgleich; der Geschäftsführer wird sie grundsätzlich primär in Anspruch nehmen631. Es geht um das richtige Verhältnis zwischen dem Risiko des Einlegers und den gemeinschaftlichen Risiken aller Gründer. In der Regel wollen diese die Gefahr von der Einbringung an gemeinsam tragen632. Dann hat im Innenverhältnis die Vorbelastungshaftung Vorrang vor der Sacheinlegerhaftung, nicht umgekehrt. h) Die Eintragung bringt die Vorbelastungshaftung nicht zum Erlöschen (nach der bis 1997 149 praktizierten Rechtsprechung sogar erst zum Entstehen!). Sie sorgt aber dafür, dass der Umfang der Vorbelastungshaftung endgültig fixiert wird (und dass nach dem hier vertretenen Außenhaftungsmodell aus der gesamtschuldnerischen Außenhaftung der Gründer eine anteilige Vorbelastungs-Innenhaftung wird; vgl. Rz. 91 f.). Die Verjährungsfrist für den Haftungsanspruch wird von der bisher h.M. analog § 9 Abs. 2 (= 10 Jahre) bestimmt633. Diese h.M. beruht auf dem Gedanken, dass die Feststellung der Unterbilanz zunehmend schwierig wird634. Aus heutiger Sicht ist die Analogiebasis zu bestreiten. Die Frist nach § 9 Abs. 2 lief bis 2004 fünf Jahre ab Eintragung, und dies war gegenüber der vormaligen Regelverjährungsfrist (30 Jahre) ein Privileg. Im Vergleich zu dem geltenden § 195 BGB stellt dagegen der Rückgriff auf § 9 Abs. 2 eine Verschärfung dar, und diese Verschärfung wurde im Jahr 2004 parallel zu § 19 Abs. 6 noch weiter ausgebaut (10 statt 5 Jahre). Die Analogiebasis ist bezüglich der Vorbelastungshaftung (Rz. 141) nicht mehr bei § 9 Abs. 2 zu suchen, sondern bei den Nachhaftungsregeln der §§ 26, 159, 160 HGB, § 736 Abs. 2 BGB, §§ 45, 131 Abs. 3, § 224 UmwG. Damit ist es bei der fünfjährigen Verjährungsfrist ab Eintragung geblieben635. Wird die Haftung erst binnen der Frist des § 9 Abs. 2 geltend gemacht, so muss, was kaum gelingen 628 Insoweit wie hier Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 49; Blath in Michalski u.a., Rz. 153; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 189; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30. 629 Stimpel in FS Fleck, S. 349. 630 Vgl. auch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 30; a.M. noch Meister in FS Werner, S. 529 f. 631 Näher Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 130. 632 Der Text ist als Erfahrungsresultat gemeint, nicht als Unterstellung; so aber wohl die Wahrnehmung bei Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 189. 633 BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300 = GmbHR 1989, 74; LG Ravensburg v. 15.3.1984 – 2 O 1709/83, 2 O 1710/83, GmbHR 1985, 25; M. Scholz, S. 132; Altmeppen, Rz. 72; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28 a.E.; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 66; Servatius in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 64a; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 118; Priester, ZIP 1982, 1143; Fleck, GmbHR 1983, 13; Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875, 889 f. 634 BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 305 = NJW 1989, 710, 711 = GmbHR 1989, 74. 635 Näher Karsten Schmidt in FS Goette, S. 459, 470; zustimmend Blath in Michalski u.a., Rz. 145.

Karsten Schmidt | 755

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§ 11 Rz. 149 | Rechtszustand vor der Eintragung wird, eine Unterbilanz schon auf den Anmeldungsstichtag dargelegt und ggf. bewiesen werden (Rz. 141). Wurde die Haftungsforderung nicht in die Bilanz aufgenommen (Rz. 143 a.E.), so ist die Berufung auf ihre Verjährung deshalb noch nicht arglistig636. Die Geschäftsführer sind verpflichtet, die Haftung geltend zu machen und einen Verjährungseintritt zu verhindern637. Der Eintritt der Verjährung wird dadurch verhindert, dass der Haftungsanspruch in der Bilanz aktiviert wird und jährlich der Bilanzfeststellung unterliegt638. Die Bilanzfeststellung hat nach § 212 BGB die Wirkung eines Neubeginns der Verjährung639, doch empfiehlt sich in Anbetracht einer diese Folge im Personengesellschaftsrecht verneinenden BGH-Entscheidung640, den Neubeginn durch individuelle Anerkenntnisse der haftenden Gesellschafter zu sichern641. Schädigt der Geschäftsführer die Gesellschaft durch Nichtrealisierung oder durch Verjährenlassen der Haftung, so kann er nach § 43 zum Ersatz verpflichtet sein642. 150 i) Der Anspruch der Gesellschaft auf Beseitigung der Unterbilanz wird vom BGH wie ein

Einlageanspruch den Kapitalaufbringungsregeln des § 19 unterstellt643. Das gilt auch für das Aufrechnungsverbot des § 19 Abs. 2644. Daraus folgt in den Augen des BGH auch, dass die Haftung nicht durch nachträgliche Beseitigung oder Verringerung der Unterbilanz automatisch erlischt bzw. sich verringert645. Im Gegensatz zu der Parallelproblematik im Rahmen des § 31 (dazu 13. Aufl., § 31 Rz. 25) ist dies zu bezweifeln646. Der Anspruch aus der Vorbelastungshaftung (Rz. 141) ist keine Einlageforderung der Gesellschaft (Rz. 139) und unterscheidet sich gerade in dieser Hinsicht auch von dem Anspruch des § 9647. Er ist auch nicht wie der aus § 31 durch eine ein für allemal unzulässige Vermögensbewegung unverrückbar definiert. Der Anspruch basiert auf einer Unterbilanz und fällt mit dieser fort. Deshalb muss auch die Aufrechnung oder Verrechnung mit vollwertigen Ansprüchen der haftenden Gesellschafter zulässig sein648. Ein Verzicht oder Erlass seitens der Gesellschaft ist 636 BGH v. 24.10.1988 – II ZR 176/88, BGHZ 105, 300, 306 = NJW 1989, 710, 711 = BB 1989, 169 = GmbHR 1989, 74; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 118. 637 Joost, ZGR 1989, 562; Priester, ZIP 1982, 1143; Meister in FS Werner, S. 539 f. 638 Zustimmend Blath in Michalski u.a., Rz. 145; s. auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 118. 639 Grothe in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 212 BGB Rz. 15; s. auch Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl., Rz. 94; Schulze-Osterloh in FS Goerdeler, 1987, S. 457; Karsten Schmidt, DB 2009, 1971, 1973; anders Schulze-Osterloh in FS Westermann, 2008, S. 1487 ff. 640 BGH v. 1.3.2010 – II ZR 249/08, GmbHR 2010, 814, 815. 641 Verf. bereitet eine kritische Stellungnahme vor. 642 Zustimmend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 187. 643 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = BB 2006, 907 m. Anm. Gehrlein = DStR 2006, 711 m. Anm. Goette = EWiR 2006, 565 (Naraschewski) = GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390 mit Hinweis auf BGH v. 6.12.1993 – II ZR 102/93, BGHZ 124, 282, 286 = GmbHR 1994, 176 = NJW 1994, 724; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 28; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 101, 105; kritisch Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875, 880 ff. 644 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = BB 2006, 907 m. Anm. Gehrlein = DStR 2006, 711 m. Anm. Goette = EWiR 2006, 565 (Naraschewski) = GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390; zustimmend Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 66; kritisch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875, 887 ff. 645 BGH v. 16.1.2006 – II ZR 65/04, BGHZ 165, 391 = BB 2006, 907 m. Anm. Gehrlein = DStR 2006, 711 m. Anm. Goette = EWiR 2006, 565 (Naraschewski) = GmbHR 2006, 482 = NZG 2006, 390 m. umfangreichen Nachweisen; BGH v. 6.3.2012 – II ZR 56/10, ZIP 2012, 817, 823 Rz. 45; referierend Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 37; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 188; zustimmend Servatiush in Noack/Servatius/Haas, Rz. 64b; a.M. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875, 883 ff. 646 So hier schon die 9. Aufl., Rz. 131a; ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Blath in Michalski u.a., Rz. 148; Priester in FS Ulmer, S. 477 ff. 647 Dazu auch Karsten Schmidt, GesR, § 37 II 3c. 648 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875, 887 ff.

756 | Karsten Schmidt

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 152 § 11

dagegen bezüglich des Anspruchs nicht möglich, weil er die Unterbilanz nicht behebt649. Doch ist dies alles nicht der Standpunkt des BGH.

IX. Folgen der Eintragung oder ihrer Versagung Schrifttum: vgl. Rz. 1, Rz. 133; außerdem Murawo, Die unechte Vorgesellschaft im GmbH- und Aktienrecht, 2006; de Lousanoff, Partei- und Prozessfähigkeit der unechten und fehlgeschlagenen Vorgesellschaft, NZG 2008, 490; Servatius, Der Anfang vom Ende der unechten Vorgesellschaft, NJW 2001, 1696.

1. Folgen der Eintragung für die Gesellschaft a) Mit der Eintragung ins Handelsregister entsteht, wie es § 11 Abs. 1 ausdrückt, die GmbH 151 „als solche“. Das bedeutet in der Sprache des heute geübten Rechts: Aus der Vor-GmbH wird eine fertige GmbH, die in jeder Hinsicht dem GmbHG unterliegt. Die Gesellschaft kommt nicht als neuer Rechtsträger zur Entstehung, sondern die Eintragung führt nur einen Statuswechsel der in ihrer Identität unveränderten Gesellschaft herbei: aus der werdenden juristischen Person wird eine fertige juristische Person (Rz. 46). b) Mit der Eintragung der GmbH im Handelsregister sind alle Rechte und Pflichten der 152 Vor-GmbH ohne weiteres Rechte und Pflichten der GmbH650. Die rechtsdogmatische Einordnung dieses Vorgangs gelingt am besten mit der Rechtsfigur der Identität651. Die Eintragung bewirkt einen Formwechsel des identisch bleibenden Rechtsträgers von der Vor-GmbH zur fertigen GmbH (Rz. 31, 151). Bisweilen ist immer noch von einem „Erlöschen“ der VorGmbH652 und einem „Übergang“ der Rechte und Pflichten auf die GmbH die Rede653, bisweilen auch von einer „Gesamtrechtsnachfolge“654. Diese Formeln sind, wenngleich im Ergebnis unschädlich655, Ausdruck eines veralteten, die Identität von Vor-GmbH und Kapitalgesell649 So im Ergebnis auch Bayer/Lieder, ZGR 2006, 875, 886 f. 650 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 140 = GmbHR 1981, 114, 116 f.; BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 151 = GmbHR 1984, 316, 317; BGH v. 29.10.1992 – I ZR 264/90, BGHZ 120, 103, 107 = GmbHR 1993, 103 = NJW 1993, 459, 460; BGH v. 23.11.1981 – II ZR 115/ 81, GmbHR 1982, 235 = WM 1982, 40; OLG Nürnberg v. 9.5.2018 – 8 W 736/18, JurBüro 2018, 418 Rz. 22; Servatiush in Noack/Servatius/Haas, Rz. 56; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 90; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 137 ff. 651 Vgl. Büttner, S. 134; Dregger, S. 81; Flume, Juristische Person, § 5 III 4; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 20; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 112; Karsten Schmidt, GesR, § 11 IV 2c; Karsten Schmidt in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2016, § 41 AktG Rz. 99 f.; Altmeppen, Rz. 17; vgl. auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 89 („formwechselnde Umwandlung“); kritisch Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 137; Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl., Rz. 73. 652 Vgl. nur Blath in Michalski u.a., Rz. 114; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 30; wie hier dagegen Altmeppen, Rz. 17. 653 Vgl. nur BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 140 = GmbHR 1981, 114, 116 f.; BGH v. 29.10.1992 – I ZR 264/90, BGHZ 120, 103, 107 = GmbHR 1993, 103, 104; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 112; Altmeppen, Rz. 17; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 56; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 137 (aber auch: keine Gesamtrechtsnachfolge, sondern „ein Wandel der Rechtsgestalt des Vermögensträgers“). 654 Vgl. BGH v. 26.10.1981 – II ZR 31/81, NJW 1982, 932 = GmbHR 1982, 183, 184; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 56; Hueck in FS 100 Jahre GmbHG, S. 152; Hüffer, JuS 1983, 167; distanziert Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90: Es werde „nach wie vor nicht selten von Gesamtrechtsnachfolge gesprochen“. 655 Vgl. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 167 a.E.: Streit von „eher dogmatischer Natur und nur von geringer praktischer Bedeutung“.

Karsten Schmidt | 757

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

§ 11 Rz. 152 | Rechtszustand vor der Eintragung schaft noch ausschließenden Verständnisses der Vorgesellschaft als Organisation (vgl. Rz. 44). Geht man von der Identität beider Gesellschaften aus (Rz. 31), so bedarf es keines Überganges. Die Kontinuität der Rechtsverhältnisse ist Bestandteil dieser Identität. Firmen und Geschäftsbezeichnungen, die von der Gesellschaft vor und nach ihrer Eintragung geführt werden, behalten ihre zuvor vorhandene Priorität656. Dasselbe gilt für gewerbliche Schutzrechte. Die automatische Fortsetzung von Rechten und Pflichten durch die fertige GmbH setzt weder einen Übertragungsakt voraus noch ist sie eine gesetzliche Rechtsnachfolge. Insbesondere werden Grundbucheintragungen nur durch Beseitigung des Gründungszusatzes richtig gestellt657. Es fällt auch keine Grunderwerbsteuer an658. War ein Grundstück an die Vor-GmbH aufgelassen, diese aber noch nicht im Grundbuch eingetragen, so wird nunmehr die GmbH ohne Gründungszusatz eingetragen659. Auch in der Zwangsversteigerung kann der GmbH auf Grund eines noch von der Vor-GmbH erklärten Gebots der Zuschlag erteilt werden660. Waren Kommanditanteile in die Vorgesellschaft eingebracht, so ist nunmehr die fertige GmbH Kommanditistin, eine etwa schon erfolgte Registereintragung wird auch hier nur berichtigt. 153 c) Auch die Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft sind nunmehr Verbindlichkeiten der

GmbH661. Das gilt für die gesetzlichen Verbindlichkeiten ebenso wie für die vertraglichen662. Die ältere Rechtsprechung, die einen automatischen „Übergang“ nur bei satzungsgemäßen oder gründungsnotwendigen Geschäften anerkannte663, ist mit der Beseitigung des Vorbelastungsverbots überholt (Rz. 45, 134). Jede Haftung der Vorgesellschaft, wann immer sie wirksam begründet wurde, wird im Augenblick der Eintragung zu einer Haftung der eingetragenen GmbH. Solange die Gerichte noch von einer beschränkten Vertretungsmacht der Geschäftsführer einer Vor-GmbH ausgehen (Rz. 72), wird konsequenterweise eine Genehmigung seitens der Gesellschaft verlangt, soweit die Gesellschafter dem Geschäftsbeginn vor der Eintragung nicht zugestimmt hatten (dazu aber Rz. 73)664. Nach der hier vertretenen Auffassung ist eine Genehmigung nur unter engen Voraussetzungen zu vonnöten: entweder wenn ein Vertreter ohne Vertretungsmacht bzw. unter evidentem Missbrauch der Vertretungsmacht für eine Vorgesellschaft tätig gewesen ist, und dies ist ein seltener Fall (vgl. Rz. 73, 74, 129), oder wenn beim Handeln „im Namen der künftigen GmbH“ das Geschäft unter die Bedingung ihrer Zustimmung gestellt wurde (dazu sogleich Rz. 154). 154 d) Rechtsgeschäfte, die „im Namen der künftigen GmbH“, d.h. unter der aufschiebenden

Bedingung der Eintragung abgeschlossen wurden (vgl. zu diesem Handeln im Namen der künftigen GmbH Rz. 69 f.), werden im Rahmen der Vertretungsmacht des für die Gesellschaft Handelnden (Rz. 71 ff.) automatisch wirksam, sofern nicht die Genehmigung durch die Gesellschaft beim Geschäftsabschluss vorbehalten wurde. Die vormals entgegenstehende h.M.665 ist mit der Aufgabe des Vorbelastungsverbotes obsolet. Sie wird kompensiert durch die strenge Vorbelastungshaftung (Rz. 139 ff.). Nach wie vor ist es auch möglich, dass Rechts-

656 Vgl. BGH v. 29.10.1992 – I ZR 264/90, BGHZ 120, 103, 107 = GmbHR 1993, 103, 104. 657 Nach Böhringer, Rpfleger 1988, 449 ist dies nicht einmal ein Grundbuchberichtigungsvorgang i.S.d. § 22 GBO. 658 BFH, BStBl. III 1957, 28; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158; Henninger, GmbHR 1974, 269. 659 Vgl. Böhringer, Rpfleger 1988, 449. 660 LG München II v. 9.4.1987 – 7 T 431/87, NJW-RR 1987, 1519. 661 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 144 = NJW 1981, 1373, 1376 = GmbHR 1981, 114, 118; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 57; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 138; Ostheim, GesRZ 1982, 128. 662 Vgl. Büttner, S. 134. 663 Vgl. RGZ 58, 55, 56; RGZ 83, 370, 373; RGZ 105, 228, 229 f.; RGZ 134, 121, 122; RGZ 151, 86, 91; BGHZ 17, 385, 391 f.; BGHZ 20, 281, 287; Scholz, JW 1938, 3152; Fleck, ZGR 1975, 219. 664 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 91. 665 Vgl. die Darstellung bei Karsten Schmidt, NJW 1973, 1595 f.

758 | Karsten Schmidt

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 158 § 11

geschäfte unter dem Vorbehalt späterer Genehmigung durch die eingetragene GmbH abgeschlossen werden (sog. Potestativbedingung)666. Solche Vertretergeschäfte lösen weder eine Haftung der Geschäftsführer nach § 11 Abs. 2 noch eine Haftung nach § 179 BGB aus (Rz. 121, 129). e) Die Kontinuität wirkt umfassend und erfasst nicht nur einzelne Ansprüche und Verbind- 155 lichkeiten, sondern auch ganze Rechtsverhältnisse. Der „Übergang“ solcher Rechtsverhältnisse auf die GmbH ist nicht mit §§ 566, 613a BGB, §§ 25 ff. HGB etc. zu begründen, sondern er ergibt sich von selbst aus der Identität der Gesellschaft vor und nach der Eintragung (vgl. Rz. 31, 152). f) Prozesse werden automatisch von der GmbH fortgesetzt (vgl. auch für Anfechtungspro- 156 zesse gegen Gesellschafterbeschlüsse Rz. 55)667. Dies ist kein Parteiwechsel, sondern es ist nur eine Berichtigung der Parteibezeichnung im Rubrum erforderlich. Der Rechtsstreit wird auch nicht unterbrochen. Rechtskräftige Urteile, die zu Gunsten oder zu Lasten der Vorgesellschaft ergangen sind, wirken für und gegen die fertige GmbH. Vollstreckungstitel, die gegen die Vor-GmbH erstritten wurden, können ohne eine gemäß § 727 ZPO im Fall eines Rechtsübergangs erforderliche Titelumschreibung für die Vollstreckung gegen die GmbH verwendet werden668. An Stelle des Titelumschreibungsverfahrens genügt auch hier eine formlose Änderung des Rubrums im Vollstreckungstitel.

2. Folgen der Eintragung für die persönliche Haftung a) Die persönliche Außenhaftung der Gründer und der Handelnden erlischt (vgl. Rz. 98 157 und 130; streitig). Der Haftungszweck einer solchen Außenhaftung hat sich erledigt, und es besteht nach der Eintragung kein Anlass mehr, die Altgläubiger, deren Forderungen schon gegen die Vor-GmbH gerichtet waren, gegenüber den Gläubigern der fertigen GmbH zu begünstigen. Die Gründer haften ggf. nach Rz. 141 ff. im Innenverhältnis weiter. Haben die Gründer allerdings auf Grund ihrer persönlichen Haftung gezahlt, so kann zweifelhaft sein, ob der Rechtsgrund der Haftung mit der Rechtsfolge des § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB entfällt. Die Frage ist grundsätzlich zu verneinen. Wer vor der Eintragung an einen Gläubiger der Gesellschaft gezahlt hat, hat mit Rechtsgrund gezahlt (über Regressfragen vgl. Rz. 126 ff.). Anders verhält es sich, wenn der Gründer oder der Handelnde vor der Eintragung der Gesellschaft lediglich verurteilt war. Hier kann grundsätzlich geltend gemacht werden, dass die Haftungsverbindlichkeit fortgefallen ist (ggf. § 767 ZPO). War gegen einen Gründer allerdings ein Anerkenntnisurteil ergangen, so kann er sich nach Auffassung des LAG Hamm669 nicht im Wege der Vollstreckungsgegenklage auf den Fortfall der Haftung berufen. Dieser Standpunkt ist schon deshalb bedenklich, weil das Anerkenntnis nach § 307 ZPO als reine Prozesshandlung keine neue Verbindlichkeit herstellt und vielfach nur auf die Kostenfolge des § 93 ZPO zielt. Der Gründer hat eine Klagforderung als bestehend anerkannt, die nachträglich fortgefallen ist. b) Das Erlöschen gilt nur für die auf der fehlenden Eintragung beruhende gesellschafts- 158 rechtliche Außenhaftung, nicht für eine gegenüber der Gesellschaft entstandene Innenhaftung. Ein sich aus § 9 oder aus §§ 19 ff. ergebender Anspruch der Gesellschaft gegen die Gründer sowie eine nach Rz. 139 ff. entstandene Vorbelastungshaftung bleibt bestehen. Zur Verjährung des Haftungsanspruchs vgl. Rz. 149. Nicht zum Erlöschen kommt aber auch eine 666 Vgl. BGH v. 14.3.1973 – VIII ZR 114/72, NJW 1973, 798; dazu Karsten Schmidt, NJW 1973, 1597. 667 RGZ 85, 256, 259 (für den Vor-e.V.); Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90. 668 OLG Stuttgart v. 2.11.1988 – 2 W 5/88, NJW-RR 1989, 637; s. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 169. 669 LAG Hamm v. 22.10.1982 – 14 Sa 896/82, ZIP 1983, 63.

Karsten Schmidt | 759

2022-08-10, 11:19, GroKO groß

§ 11 Rz. 158 | Rechtszustand vor der Eintragung Außenhaftung, die auf anderer Anspruchsgrundlage beruht, so die Culpa-in-contrahendoHaftung bei Vertragsschluss trotz Überschuldung der Vor-GmbH (Rz. 38, 69 f. sowie Erl. § 64 [12. Aufl., § 64 Rz. 368 ff.]) oder die bei 13. Aufl., § 4 Rz. 23 ff. dargestellte Vertrauenshaftung bei Nicht-Verwendung des warnenden GmbH-Zusatzes (auch dazu vgl. Rz. 38, 69)670. Auch eine durch Bürgschaft oder Garantie oder gemeinschaftliche Kontoeröffnung rechtsgeschäftlich begründete Außenhaftung kann fortbestehen671.

3. Folgen der Eintragungsverweigerung 159 a) Auflösungsfolgen. Eine Ablehnung des Eintragungsantrags kann die Geschäftsführer

nach Lage des Falls zur Einlegung von Rechtsmitteln (im Namen der Gesellschaft, vgl. Rz. 40) und die Gesellschafter zur Beseitigung von Eintragungshindernissen verpflichten672. Scheitert die Eintragung endgültig, so ist die Vorgesellschaft aufgelöst673. Die h.M. begründet dies mit der Erwägung, dass die nunmehr unmöglich gewordene Herbeiführung der Eintragung gemeinsamer Zweck der Vorgesellschaft sei. Diese Begründung ist abzulehnen (Rz. 32 f.), aber die Verfehlung der von den Gründern bezweckten Rechtsform bringt die Grundlage des Gesellschaftsverhältnisses in Fortfall (s. auch Rz. 64). 160 b) Die aufgelöste Vor-GmbH muss auseinandergesetzt werden. Betreiben die Gesellschafter

die Liquidation, so besteht die Gesellschaft nunmehr als Vorgesellschaft in Liquidation fort674. Mit Ausnahme der Einpersonengründung (Rz. 168) tritt kein automatischer Wegfall der Vor-GmbH als Rechtsträgerin ein, und das Gesellschaftsvermögen fällt nicht automatisch den Gründern an675. Die aufgelöste Vor-GmbH unterliegt dem Liquidationsrecht des GmbHG, soweit dieses nicht die Eintragung voraussetzt (Rz. 65). Sie bleibt Trägerin von Rechten und Pflichten676. Auch ihre Parteifähigkeit bleibt erhalten677. Insbesondere gilt § 66, wonach im Zweifel die Geschäftsführer als Liquidatoren berufen sind, analog (Rz. 65; streitig). Nach der älteren, heute überholten BGH-Praxis sollte es dann bei der angeblich beschränkten Haftung der Gründer bleiben (dazu Rz. 86 f.)678. Die nunmehr vorherrschende Rechtsprechungslösung (Rz. 88 ff.) wirft nicht mehr die Frage auf, ob die Haftung zu bejahen oder zu verneinen ist, sondern die Frage ist nur, ob sich die Gründerhaftung von einer Innenhaftung in eine Außenhaftung verwandelt (Rz. 90, 99). Das hier vertretene Außenhaftungskonzept lässt die Frage als einfach erscheinen. Wenn die Gründer schon während des

670 Vgl. OLG Celle v. 14.3.1990 – 9 U 3/89, GmbHR 1990, 398. 671 Vgl. OLG Brandenburg v. 3.7.2002 – 3 U 101/01, ZIP 2002, 2088 = NZG 2003, 175 (Mithaftung aus Mietvertrag); zu den Grenzen einer solchen Außenhaftung (Kontoeröffnung) vgl. OLG Brandenburg v. 13.11.2001 – 11 U 53/01, GmbHR 2002, 109 = NZG 2002, 182. 672 Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38 f.; vgl. allgemein zu den Gründerpflichten RGZ 151, 86, 91; Flume, Juristische Person, § 5 III 2. 673 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 66; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 52. 674 BGH v. 24.10.1968 – II ZR 216/66, BGHZ 51, 30, 32 = NJW 1969, 509 = GmbHR 1969, 80; BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, NJW 1998, 1079, 1080; vgl. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 142 = NJW 1981, 1373, 1376 = GmbHR 1981, 114, 117; BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, DB 1986, 106 f. = GmbHR 1986, 118; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 31. 675 Im Ansatz unrichtig die Gründe des (in casu aber eine Einpersonengesellschaft betreffenden) Beschlusses des BayObLG v. 18.3.1987 – BReg. 2 Z 8/87, GmbHR 1987, 393 m. Anm. Hubert Schmidt; dazu näher Karsten Schmidt, GmbHR 1988, 89 ff.; gleichfalls im Ansatz unrichtig, aber eine Einpersonengesellschaft betreffend und deshalb in casu richtig OLG Köln v. 27.2.1997 – 7 U 178/96, GmbHR 1997, 601: Wegfall der Parteifähigkeit. 676 BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, GmbHR 1998, 185 = NJW 1998, 1079, 1080. 677 Fichtelmann, GmbHR 1997, 905 gegen OLG Köln v. 27.2.1997 – 7 U 178/96, GmbHR 1997, 601. 678 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 142 f. = GmbHR 1981, 114, 117.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 162 § 11

Eintragungsverfahrens unbeschränkt gesamtschuldnerisch haften (Rz. 91), gilt dies selbstverständlich auch im Fall der Liquidation (Rz. 65; streitig)679. Im Insolvenzverfahren wird die Haftung dagegen über die Masse abgewickelt. Der Grund ist allerdings nicht gesellschaftsrechtlicher Art, sondern er liegt in der analogen Anwendung des § 93 InsO (dazu Rz. 43, 92). c) Zweifelhaft ist, ob die Gesellschafter untereinander zum Verlustausgleich verpflichtet 161 sind. BGHZ 86, 122680 hatte dies mit der Begründung verneint, eine allgemeine Nachschussund Verlustausgleichspflicht im Auflösungsfall (§ 735 BGB) gebe es nicht, weil die Gründer einer GmbH grundsätzlich kein Risiko über den Verlust der übernommenen Stammeinlagen hinaus eingehen wollen (zum Streitstand vgl. Rz. 65). Dem kann nur mit der Einschränkung zugestimmt werden, dass Verluste, die nicht zur persönlichen Haftung der Gründer führen, aus dem Gesellschaftsvermögen beglichen werden müssen (vgl. auch Rz. 144 ff.). Soweit dagegen die Gesellschafter im Außenverhältnis unbeschränkt haften (Rz. 91), können sie nicht nur nach § 426 BGB untereinander Regress suchen, sondern sie schulden einander im Liquidationsfall auch Beiträge zur Schuldenabwicklung. § 735 BGB ist dann entsprechend anzuwenden (vgl. Rz. 65).

4. Fortführung der Vorgesellschaft ohne Eintragungsabsicht (sog. unechte Vorgesellschaft) a) Tatbestand. Von dem Liquidationsverfahren zu unterscheiden ist die Fortführung der 162 Gesellschaft nach Scheitern oder Aufgabe der Eintragungsabsicht. Wird die Gesellschaft ohne Eintragungsabsicht als werbende (nicht Liquidations-)Gesellschaft betrieben, so entfallen die Voraussetzungen des Rechts der Vor-GmbH. Herkömmlicherweise wird dann von einer „unechten Vorgesellschaft“ gesprochen681, was im Hinblick auf die bei Rz. 32 f. geschilderte, heute überholte Lehre von der „unechten Vorgesellschaft“ (dazu Rz. 36) terminologisch nicht ohne Probleme ist682. Die bloße Aufnahme der Unternehmenstätigkeit vor der Eintragung macht die Vorgesellschaft noch nicht zu einer „unechten Vorgesellschaft“ (Rz. 36). Ebenso wenig genügt eine bloße Verzögerung der Liquidation683. Führen die Gründer aber ein in die Vor-GmbH eingebrachtes oder von ihr in Gang gesetztes Unternehmen fort, ohne die Eintragung oder die Liquidation zu betreiben684, so wird aus der Vorgesellschaft je nach der Art und Umfang des Unternehmens eine oHG (§§ 1, 105 HGB) oder eine unternehmenstragende Gesellschaft bürgerlichen Rechts685. Die Gesellschaft bleibt rechts- und partei679 Vgl. Karsten Schmidt, oHG, S. 284; s. auch Theobald, S. 51 f.; Brinkmann, GmbHR 1982, 269 f. 680 BGH v. 13.12.1982 – II ZR 282/81, BGHZ 86, 122 = GmbHR 1983, 46. 681 Vgl. nur BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, DB 1986, 106 f. = GmbHR 1986, 118; BFH v. 7.4.1998 – VII R 82/97, BFHE 185, 356 = DStR 1998, 1129 m. Anm. Goette = GmbHR 1998, 854 = ZIP 1998, 1149; OLG Koblenz v. 19.12.2000 – 3 U 1562/99, GmbHR 2001, 433 = WM 2002, 182, 183; FG Hamburg v. 22.6.1989 – II 100/87, GmbHR 1990, 189; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 196; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 8, 22; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 32; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27; s. auch Theobald, S. 50, 133. 682 Vgl. auch (in vermeintlicher Abgrenzung zur hier vertretenen Ansicht) Altmeppen, Rz. 23. 683 OLG Celle v. 8.5.1996 – 9 U 201/95, GmbHR 1996, 688 = EWiR 1996, 1083 (Veil); nur scheinbar a.M. BGH v. 4.11.2002 – II ZR 204/00, BGHZ 152, 290 = GmbHR 2003, 97 (die Entscheidung handelt von der Außenhaftung und basiert auf dem Innenhaftungsmodell des BGH). 684 Zu dieser Abgrenzung vgl. Karsten Schmidt, oHG, S. 358; nicht weiterführend Murawo, S. 60 ff. (Gedanke des Eigenkapitalersatzrechts). 685 So im Ergebnis die h.M.; vgl. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 142 = GmbHR 1981, 114, 117; BGH v. 28.11.1997 – V ZR 178/96, GmbHR 1998, 185 = NJW 1998, 1079, 1080; BGH v. 31.3.2008 – II ZR 308/06, BB 2008, 1249 m. Anm. Weiß = GmbHR 2008, 654 = WuB II C § 11 GmbHG 1.08 m. Anm. Lange/Widmann; BayObLG, NJW 1965, 2254, 2256; BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, GmbHR 1986, 118 = DB 1986, 106 f. = ZIP 1985, 1487; OLG Dresden v.

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§ 11 Rz. 162 | Rechtszustand vor der Eintragung fähig686. Sie kann aber nicht mehr als werdende juristische Person (Rz. 30) durch schlichte Eintragung in das Stadium der fertigen GmbH überführt werden, ist vielmehr Personengesellschaft und bedürfte, soll aus ihr doch noch eine GmbH werden, der Umwandlung. Eine definitive Aufgabe der Eintragungs- oder Abwicklungsabsicht ist für die Verwandlung in eine „unechte Vorgesellschaft“ nicht erforderlich; ihre nachhaltige Vernachlässigung durch alle Gründer genügt687. Vor allem die bestandskräftige Versagung der Eintragung (Rz. 159) zwingt die Gesellschafter zur Liquidation der Vorgesellschaft, wenn sie nicht die Rechtsfolgen der „unechten Vorgesellschaft“ in Kauf nehmen wollen. 163 b) Die Gesellschafterhaftung bei der „unechten Vorgesellschaft“ ist eine unbeschränkte

persönliche Außenhaftung (vgl. § 128 HGB)688. Die eine solche Haftung bei der „echten“ Vor-GmbH verneinende h.M. (Rz. 79 ff.) sieht in deren Umwandlung in eine Personengesellschaft eine gravierende haftungsrechtliche Veränderung, deren tatbestandliche Voraussetzungen nicht immer einfach nachzuweisen sind. Die Gesellschafter haften für Altschulden (aus der Zeit vor der Umwandlung) wie für Neuschulden unbeschränkt689. Folgt man der hier vertretenen Ansicht, so setzt sich die vorläufige Außenhaftung der Vorgesellschafter im Fall einer „unechten Vorgesellschaft“ einfach als endgültige Außenhaftung fort. Wer vor der Umwandlung der Vor-GmbH in eine oHG oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts aus der Gesellschaft ausscheidet, unterliegt nach der h.M. überhaupt keiner Außenhaftung690. Nach der hier vertretenen Auffassung entfällt bei einem solchen Gesellschafter nur die Haftung für die nach seinem Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten (vgl. sinngemäß § 160 HGB).

X. Die Einpersonen-Vorgesellschaft 164 Schrifttum: (vgl. zunächst die Angaben bei Rz. 1, 85): W. Albach, Die Einmanngründung der GmbH, Diss. Bonn 1986; Brinkmann, Begrenzte Haftung der Einmann-GmbH in Gründung?, GmbHR 1982, 269; Bode, Die gescheiterte Gründung der Einmann-GmbH, Diss. Hannover 1994; Fezer, Die Einmanngründung der GmbH, JZ 1981, 608; Flume, Die Gründung der Einmann-GmbH nach der Novelle zum

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17.12.1997 – 12 U 2364/97, GmbHR 1998, 186, 188; OLG Jena v. 3.3.1999 – 2 U 540/98, GmbHR 1999, 772, 773; OLG Koblenz v. 19.12.2000 – 3 U 1562/99, WM 2002, 182 = GmbHR 2001, 433; LG Dresden v. 16.11.2001 – 8-S-0033/01, GmbHR 2002, 549; BFH v. 1.12.1987 – VII R 206/85, GmbHR 1988, 404; BFH v. 7.4.1998 – VII R 82/97, BFHE 185, 356, 360 = GmbHR 1998, 854, 856; FG Berlin v. 11.12.2001 – 5 K 5287/99, GmbHR 2002, 450, 451; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 22; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 196; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 45, 48; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 32 f.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 26; Theobald, S. 50 f.; Schwarz, ZIP 1996, 2007; unentschieden BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 341 = LM Nr. 38 zu § 11 GmbHG m. Anm. Noack = GmbHR 1997, 405, 407. BGH v. 31.3.2008 – II ZR 308/06, BB 2008, 1249 m. Anm. Weiß = GmbHR 2008, 654 = WuB II C § 11 GmbHG 1.08 m. Anm. Lange/Widmann; dazu de Lousanoff, NZG 2008, 490. Karsten Schmidt, oHG, S. 358; zustimmend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 199; vgl. im Ergebnis auch Fleck, GmbHR 1983, 15; Maulbetsch, DB 1984, 1563; die Gegenansicht muss den inneren Willen aus denselben Indizien erschließen; vgl. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27. Ebenso Murawo, S. 147 ff.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 201; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 22. Vgl. nur BAG v. 27.5.1997 – 9 AZR 483/96, BAGE 86, 38 = GmbHR 1998, 39 = ZIP 1997, 2199; BFH v. 7.4.1998 – VII R 82/97, BFHE 185, 356 = GmbHR 1998, 854 = ZIP 1998, 1149; BayObLG v. 6.11.1985 – BReg. 3 Z 15/85, DB 1986, 106 f.; FG Brandenburg v. 23.10.1997 – 5 K 1401/96 H, GmbHR 1998, 392; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 33; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 28; Lutter, JuS 1999, 1077 f. Vgl. OLG Düsseldorf v. 18.5.1995 – 13 U 86/94, GmbHR 1995, 823; Servatius in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 33 a.E.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 166 § 11 GmbH-Gesetz, DB 1980, 1781; Flume, Die GmbH-Einmanngründung, ZHR 146 (1982), 205; Heil, Die Rechtsnatur der Einpersonen-Vor-GmbH, 2007; Hüffer, Zuordnungsprobleme und Sicherung der Kapitalaufbringung bei der Einmanngründung der GmbH, ZHR 145 (1981), 521; Hüffer, Vorgesellschaft und Einmanngründung, in Die Zukunft der GmbH, 1983, S. 167; John, Die Gründung der EinmannGmbH, 1986; John, Zur Problematik der Vor-GmbH, insbesondere bei der Einmann-Gründung, BB 1982, 505; John, Die doppelstöckige Einmanngründung, BB 1985, 626; Kleberger, Die rechtliche Behandlung von Sicherungen bei der Gründung der Einmann-GmbH, Diss. Gießen 1986; Koppensteiner, Zur Neuregelung der Einmann-GmbH in Österreich, in FS Claussen, 1997, S. 213; Kusserow, Die EinmannGmbH in Gründung, 1986; Merkt, Die Einpersonen-Vor-GmbH im Spiegel der rechtswissenschaftlichen Diskussion, in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1161; Petersen, Die fehlgeschlagene Einmanngründung – liquidationsloses Erlöschen oder Fiktion des Fortbestehens?, NZG 2004, 400; Karsten Schmidt, Einmanngründung und Einmann-Vorgesellschaft, ZHR 145 (1981), 540; Karsten Schmidt, Die Rechtslage der gescheiterten Einmann-Vor-GmbH, GmbHR 1988, 89; Albert Schröder, Die Einmann-Vorgesellschaft, 1990; Ulmer, Die Einmanngründung der GmbH – ein Danaergeschenk?, BB 1980, 1001; Ulmer/Ihrig, Die Rechtsnatur der Einmann-Gründungsorganisation, GmbHR 1988, 373; Winter, Gründungs- und Satzungsprobleme bei der Einmann-GmbH nach der GmbH-Novelle, in Pro GmbH, 1980, S. 191.

1. Grundlagen Nach § 1 kann eine GmbH auch durch einen Gründer als Einpersonen-GmbH geschaffen 165 werden (eingehend 13. Aufl., § 1 Rz. 50 ff.). Dieser einzige Gründer kann eine natürliche Person, eine juristische Person oder eine rechtsfähige Personengesellschaft sein. Das Errichtungsgeschäft ist dann trotz des ungenauen Wortlauts des § 2 Abs. 1 kein Vertrag, sondern eine einseitige Willenserklärung (13. Aufl., § 1 Rz. 56). Die durch das Errichtungsgeschäft geschaffene Rechtslage und deren rechtsdogmatische Begründung691 ist bis heute umstritten: a) Meinungsstand: Ein Teil der Literatur nimmt an, dass durch die Einpersonengründung 166 zwar schon die Verfassung der künftigen Einpersonen-Gesellschaft festgelegt, aber vor der Eintragung weder ein Sondervermögen noch ein selbständiger Rechtsträger geschaffen wird692. Andere Stimmen sehen die errichtete, aber noch nicht eingetragene Gesellschaft als ein Sondervermögen des Gründers an, so dass dieser bereits Einlagen leisten kann, indem er Vermögensgegenstände aus seinem Privatvermögen auf das Sondervermögen überführt693. Eine dritte, inzwischen vorherrschende Auffassung erkennt die Einpersonen-Vorgesellschaft als Rechtsträgerin an694.

691 Zur begrenzten praktischen Relevanz vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25. 692 So insbes. Ulmer, BB 1980, 1003 f.; Hüffer, ZHR 145 (1981), 522 f., 532; eingehende Kritik bei Schröder, S. 38 ff. 693 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen Flume, Juristische Person, § 5 IV 2; Heil, S. 40 ff.; Flume, DB 1981, 1783; Flume, ZHR 146 (1982), 208; Fezer, JZ 1981, 615 f.; Fleck, GmbHR 1983, 17; vgl. auch Blath in Michalski u.a., Rz. 74; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 235; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 144, 146 ff. 694 Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen OLG Dresden v. 19.12.1996 – 7 U 872/96, GmbHR 1997, 215, 217 = DZWir 1997, 200, 203 m. Anm. Mutter; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 42; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 35 Rz. 90 f.; Raiser in Das neue GmbH-Recht in der Diskussion, 1981, S. 38; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 154, 163; Schröder, S. 151 ff.; Altmeppen, Rz. 106 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Blath in Michalski u.a., Rz. 74; Karsten Schmidt, GesR, § 40 II 2a; Karsten Schmidt, NJW 1980, 1774 f. und ZHR 145 (1981), 560; John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 37 ff.; John, BB 1982, 513; Koppensteiner in FS Claussen, S. 215 f.; Winter in Pro GmbH, S. 200 f.; Albach, S. 132 ff., 170 f.; Kleberger, S. 189 f.; jetzt auch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23 ff.

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§ 11 Rz. 167 | Rechtszustand vor der Eintragung 167 b) Stellungnahme: Die dritte Auffassung wird in diesem Kommentar seit der 7. Aufl. ver-

treten695. Indem der Gesetzgeber die Einpersonengründung zugelassen hat (§ 1), hat er der Mehrpersonen-Vorgesellschaft die Einpersonen-Vorgesellschaft in diesem entscheidenden Punkt gleichgestellt. Die Einpersonen-Vorgesellschaft ist, wie die Mehrpersonen-Vorgesellschaft, artgleich mit der Einpersonen-GmbH als Körperschaft. Die Sondervermögenslösung bleibt auf halbem Wege stehen. Sie ist eine Notlösung und basiert auf dem für die Einpersonengründung nicht passenden, dogmengeschichtlich überholten Verständnis der Vorgesellschaft als Gesamthand (dazu Rz. 30). Sie kann zwar die Rechtslage beim Scheitern der Gründung besser erklären (dazu Rz. 168), nicht aber den Status der Vorgesellschaft und die Rechtsfolgen der Eintragung696. Insbesondere zeigt sich dies, wenn ein Einzelunternehmen in die Gesellschaft eingebracht wird (eine Prozedur, statt derer sich freilich die Ausgliederung nach §§ 158 ff. UmwG empfiehlt) oder wenn sonst schon unternehmerische Rechtsgeschäfte mit Dritten abgeschlossen werden. Die Einpersonen-Vorgesellschaft ist als werdende juristische Person bereits Rechtsträgerin und taugt auch als Unternehmensträgerin. Es gibt kein Unternehmen ohne Unternehmensträger697, und es gibt keinen Unternehmensträger, der nicht fähig wäre, Träger von Rechten und Pflichten zu sein698. Die Einpersonen-Vorgesellschaft als rechtsfähige Organisation (Rz. 169) erfüllt diese Voraussetzungen. Die Einpersonen-Vorgesellschaft kann auch bereits als taugliche Komplementärin an einer KG-Gründung teilnehmen (Rz. 182), oder selbst eine GmbH gründen699. 168 c) Eine Schwierigkeit besteht, wenn die GmbH-Gründung scheitert und die Eintragungs-

absicht nicht mehr verfolgt wird. Schulmäßig müsste dann der Gründer einen Auflösungsbeschluss fassen und die Gesellschaft abwickeln, indem er die Gläubiger befriedigt und das Restvermögen von der aufgelösten Vorgesellschaft zurückerwirbt. Richtig ist, dass der Gründer die Einpersonen-Vorgesellschaft auflösen kann (Rz. 173). Aber dies gibt keinen hinreichenden Schutz gegen schlichte Passivität des Gründers. Die Einpersonen-Vorgesellschaft kann nicht als „unechte Vorgesellschaft“ zur Personengesellschaft mutieren (vgl. dazu Rz. 162 f.). Man wird deshalb, auch wenn dies rechtsdogmatisch schwer zu erklären ist, annehmen müssen, dass die Einpersonen-Vorgesellschaft in diesem Fall automatisch erlischt und dass alle Rechte und Pflichten wieder dem Gesellschafter – nach der Sondervermögenstheorie: seinem Privatvermögen – zufallen700. Die wirksam errichtete (Vor-)Gesellschaft ver-

695 Ausführlicher dazu noch in der 8./9. Aufl.; s. auch Karsten Schmidt, GesR, § 40 II 2a; dieser Standpunkt wurde ausführlicher entwickelt bei Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 541 ff.; sympathisierend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 235; Merkt in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1161, 1167 f. 696 S. auch Merkt in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1161, 1167; das wird eingeräumt bei Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25. 697 Karsten Schmidt, HandelsR, § 3 Rz. 44. 698 Karsten Schmidt, HandelsR, § 4 Rz. 36. 699 Vgl. zur doppelstöckigen Einmann-Gründung ausführlich John, BB 1985, 626 ff. 700 BGH v. 25.1.1999 – II ZR 383/96, GmbHR 1999, 612 = DStR 1999, 943, 944 = NZG 1999, 962 m. Anm. Grießenbeck = ZIP 1999, 489; LG Berlin v. 18.5.1987 – 81 T 330/87, GmbHR 1988, 71 = Rpfleger 1987, 460; BFH v. 17.10.2001 – II R 43/99, BStBl. II 2002, 210 = GmbHR 2002, 223; OLG München v. 9.8.2017 – 7 U 2663/16, AG 2017, 866 = ZIP 2017, 2101 Rz. 29 (Aktiengesellschaft); Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Blath in Michalski u.a., Rz. 76; Link in Gehrlein/Born/Simon, Rz. 61; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 153; eingehend Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 563; Karsten Schmidt, GmbHR 1988, 89 ff.; ausführlich und zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 169; John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 58 ff.; s. auch Heil, S. 145 f.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 251; Merkt in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1161, 1181; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 57 (im Ergebnis wie hier); Schröder, S. 151 ff.; Fichtelmann, GmbHR 1997, 996; vgl. aber Albach, S. 112 ff.; Bode, S. 125 ff.; Böhringer, Rpfleger 1988, 450.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 169 § 11

liert ihre Rechts- und Parteifähigkeit701. Eine Liquidation findet nicht statt702. Eingebrachte Vermögensgegenstände fallen automatisch dem Gründer im Wege der Gesamtrechtsnachfolge zu; das gilt auch für im Grundbuch eingetragene Rechte und für vormerkungsgesicherte Forderungen703, während eine Eintragung, die erst für die bereits erloschene Vor-GmbH erfolgt, ins Leere gehen müsste704, sofern man sie nicht als Eintragung für den Gründer als Gesamtrechtsnachfolger aufrechterhält705. Auch der Vor-GmbH zustehende Gesellschaftsanteile (z.B. Komplementäranteile) fallen dem Gründer zu (war er einziger Kommanditist einer Einpersonen-GmbH & Co. KG in Gründung, so erlischt diese Gesellschaft). Einlageforderungen der Vor-GmbH gegen ihren Gründer erlöschen durch Konfusion; etwa schwebende Prozesse werden vom Gründer als Gesamtrechtsnachfolger fortgeführt706; Titel, die schon gegen die Vorgesellschaft erwirkt worden sind, werden nach § 727 ZPO umgeschrieben707. Hatte ein Gläubiger einen Titel gegen den Gründer erwirkt, so kann er nunmehr aus diesem Titel in das bisherige Gesellschaftsvermögen vollstrecken, ohne dass hiergegen eine Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) gegeben wäre708.

2. Die Verfassung der Einpersonen-Vor-GmbH a) Die Rechtsstruktur der Einpersonen-Vor-GmbH ist theoretisch(!) umstritten (Rz. 165 ff.). 169 Soweit die Mehrpersonen-Vorgesellschaft als Gesamthandsgesellschaft angesehen wird (Rz. 30), liegt die Folgerung nahe, die Einpersonen-Vorgesellschaft könne nicht dieselbe Rechtsnatur wie eine Mehrpersonen-Vorgesellschaft haben709. Dem ist nicht zu folgen710. Als Einpersonengesellschaft hat zwar die Einpersonen-Vor-Gesellschaft eine andere Realstruktur als eine Mehrpersonen-Vorgesellschaft, aber ihre Rechtsnatur ist dieselbe (vgl. schon Rz. 30)711: Sie ist eine werdende juristische Person712. Die Einpersonen-Vorgesellschaft kann 701 Insofern richtig, wenn auch im Grundsätzlichen verfehlt, OLG Köln v. 27.2.1997 – 7 U 178/96, GmbHR 1997, 601; dazu treffend Fichtelmann, GmbHR 1997, 995 f. 702 Im Ergebnis wie hier Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, Rz. 57 (auf der Basis der Sondervermögenslehre); a.M. Bode, S. 142 ff.; Petersen, NZG 2004, 400 f. 703 Karsten Schmidt, GmbHR 1988, 91. 704 Insofern richtig BayObLG v. 18.3.1987 – BReg. 2 Z 8/87, NJW-RR 1987, 812 = GmbHR 1987, 393 mit zu Recht krit. Anm. Hubert Schmidt. 705 Vgl. dazu Karsten Schmidt, GmbHR 1988, 90 f.; s. auch Hubert Schmidt, GmbHR 1987, 394. 706 A.M. OLG Köln v. 27.2.1997 – 7 U 178/96, GmbHR 1997, 601: Weder Rubrumsberichtigung noch Parteiwechsel sei möglich; für analoge Anwendung des § 239 ZPO Fichtelmann, GmbHR 1997, 996. 707 Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 563 f. 708 LG Berlin v. 18.5.1987 – 81 T 330/87, GmbHR 1988, 71 = Rpfleger 1987, 460. 709 So noch Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 374 ff. 710 Nur der Abwehr dieses Arguments diente die vom Verf. vertretene Auffassung, wenn man an der Gesamthandsnatur der Vorgesellschaft festhalte, müsse man sich an die Möglichkeit einer Einpersonen-Gesamthand gewöhnen; vgl. Karsten Schmidt, NJW 1980, 1775; Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 557; vgl. auch John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 35 f.; gegen dieses Argument Winter in Pro GmbH, S. 201; Blath in Michalski u.a., Rz. 74; Schmidt-Leithoff in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 145 f. 711 Von einer unbegründbaren „organisationsrechtlichen Bevorzugung“ der Einmann-Vor-GmbH (Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 376) kann nur sprechen, wer die Gesamthand-Natur der Mehrpersonen-Vor-GmbH ungeprüft als Prämisse nimmt. 712 Karsten Schmidt, GesR, § 11 IV 2b; dazu Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 384: „sachlich nicht weiterführender Formelkompromiss“; dieser Einwand wird hier an die Leerformel vom „Sondervermögen“ zurückgegeben, deren „Theoriedefizit“ von Ulmer/Ihrig kritiklos konstatiert wird; diese bezeichnen die hier vertretene Ansicht in problemlosen Fällen als „unschädlich“, in Problemfällen dagegen als „nicht geeignet, Lösungsvorschläge aufzuzeigen“; der Text enthält indes solche Vorschläge.

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§ 11 Rz. 169 | Rechtszustand vor der Eintragung Trägerin von Rechten und Pflichten sein (Rz. 167)713. Sie kann wie eine Mehrpersonen-Vorgesellschaft (Rz. 67 ff.) am Rechtsverkehr teilnehmen, kann Inhaberin eines Bankkontos sein, ist grundbuchfähig, wechselrechtsfähig, parteifähig und insolvenzfähig714. Einlageforderungen gegen den Gründer sind Forderungen der Gesellschaft. Aus einem gegen den Gesellschafter gerichteten Titel kann nicht in das Vermögen der Gesellschaft vollstreckt werden und umgekehrt (zum Durchgriff vgl. 13. Aufl., § 13 Rz. 90 ff.); dies kann durch Klage nach § 771 ZPO geltend gemacht werden. Der Pfändung gegenüber dem Gründer unterliegt allerdings die Mitgliedschaft an der Vorgesellschaft715. Mittelbar kann so der Gläubiger so auf das gesamte Gesellschaftsvermögen zugreifen716, wobei die Verwertung außer durch Auflösung auch durch Erwerb des Anteils717 erfolgen kann. 170 b) Wie eine Mehrpersonen-Vorgesellschaft (Rz. 47 ff.) unterliegt die Gesellschaft bereits dem

Recht der fertigen GmbH, soweit dieses nicht die Eintragung voraussetzt. Sie muss gemäß § 6 mindestens einen Geschäftsführer haben. Das wird meist der Alleingesellschafter sein, der sich ohne Verstoß gegen § 181 BGB, § 47 Abs. 4 GmbHG selbst durch Satzung oder Beschluss zum Geschäftsführer bestellen kann (vgl. 12. Aufl., § 47 Rz. 105)718. Der Geschäftsführer (auch ein Gesellschafter-Geschäftsführer) vertritt die bereits als Rechtssubjekt vom Gründervermögen gesonderte Vor-GmbH719. Die Vertretungsmacht der Geschäftsführer wird auch hier vielfach als beschränkt auf den Gründungszweck angesehen720. Dem ist aus den bei Rz. 72 f. genannten Gründen nicht zu folgen. Die organschaftliche Vertretungsmacht ist unbeschränkt. § 35 Abs. 4 ist bereits zu beachten721; anzuwenden ist auch schon § 48 Abs. 3722. 171 c) Einlagen erbringt der Gesellschafter durch Leistung an die Vor-GmbH723. Dies versteht

sich nicht nur als Überführung der zu leistenden Gegenstände in ein dem Gesellschafter gehörendes Sondervermögen, sondern es handelt sich um regelrechte Übertragungsgeschäfte zwischen dem Gesellschafter und der Gesellschaft (Zahlung, Übereignung etc.)724. Die vormalige Verpflichtung zur Sicherheitsleistung bei der Einpersonengründung nach § 7 Abs. 2 Satz 3 a.F. ist durch das MoMiG entfallen (vgl. 13. Aufl., § 7 Rz. 4). 713 Für „Teilrechtsfähigkeit“ John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 11 f., 35; John, BB 1982, 508; Kleberger, S. 189 f.; Winter in Pro GmbH, S. 201; Blath in Michalski u.a., Rz. 74. 714 Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 163; John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 37, 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 43; s. auch Albach, S. 101. 715 Nach der Sondervermögenslehre ist Zugriffsgegenstand „die der Mitgliedschaft bei der Mehrpersonen-Gründung entsprechende Position des Gründers als des gegenüber dem Geschäftsführer der Einmann-Gründungsorganisation weisungsbefugten Inhabers des Sondervermögens“; vgl. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 239; Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 383. 716 Wie hier Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 239. 717 John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 43 ff.; im Einzelnen noch nicht ausdiskutiert. 718 Zust. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236; Merkt in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1161, 1169. 719 Vgl. Merkt in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1161, 1176; so im Ergebnis auch, jedoch mit Konstruktionsschwierigkeiten, die Sondervermögenslehre; vgl. Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 378. 720 John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 38 m.w.N.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 237; Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 378. 721 Ebenso John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 39; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 43; a.M. Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 151 unter Berufung auf Ekkenga, AG 1985, 45 f. 722 Ebenso Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 236; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 151. 723 Albach, S. 22; John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 25 ff.; Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 560; im Ergebnis ähnlich Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 240. 724 Ausführlich Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 241; Merkt in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1161, 1172 f.

766 | Karsten Schmidt

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 176 § 11

d) Verfügungen über die Mitgliedschaft (Übertragung, Belastung, Pfändung) sind nach der 172 hier vertretenen Auffassung bereits vor der Eintragung möglich (Rz. 50). Nach hergebrachter Auffassung gibt es dagegen noch keine nach § 15 übertragbaren Geschäftsanteile725. Dem ist aus denselben Gründen wie bei der Mehrpersonengesellschaft (Rz. 50) zu widersprechen726. Verfügungen in notarieller Form sind schon vor der Eintragung wirksam. e) Die Einpersonen-Vorgesellschaft kann, wie jede Gesellschaft, aufgelöst und liquidiert und 173 auch in einem Insolvenzverfahren abgewickelt und reorganisiert werden727. Nur beim Scheitern der Gründung kann das Vermögen automatisch dem Gründer anfallen (vgl. Rz. 168).

3. Haftungsverhältnisse a) Die Einpersonen-Vorgesellschaft kann als Rechtsträgerin auch Schuldnerin sein. Sie kann, 174 vertreten durch ihren Geschäftsführer oder durch Bevollmächtigte, rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten eingehen und gesetzlichen Haftungstatbeständen unterliegen728. Ist im Wege der Sachgründung ein Unternehmen eingebracht worden, so gilt für ihre Gesellschaftstätigkeit der allgemeine Grundsatz, dass unternehmensbezogene Rechtsgeschäfte den Unternehmensträger verpflichten (vgl. Rz. 69), hier also die Einpersonen-Vorgesellschaft. Auch die Haftungszurechnungsregeln für Organverschulden (§ 31 BGB) und für Gehilfenverschulden (§ 278 BGB) finden Anwendung, ebenso § 831 BGB (Rz. 77). b) Neben der Vorgesellschaft haftet der Gesellschafter den Gläubigern der Vorgesellschaft 175 unbeschränkt (vgl. sinngemäß Rz. 91)729. Das wird im Fall der Einpersonengründung auch von den Befürwortern einer Innenhaftung (Rz. 88 f.) anerkannt (Rz. 90) und entspricht auch dem Urteil BGHZ 134, 333, 341730. Nur durch Abrede mit dem individuellen Gläubiger kann diese unbeschränkte Haftung ausgeschlossen oder beschränkt werden (vgl. sinngemäß Rz. 96). Dazu genügt nicht ein Auftreten im Namen einer „GmbH i.G.“ oder einer „GmbH“. Die Rechtslage ist ähnlich umstritten wie bei der mehrköpfigen Vorgesellschaft731. Das bei Rz. 96 Gesagte gilt sinngemäß. Scheitert die Gründung, so bleibt die zunächst nur vorläufig unbeschränkte Haftung bestehen (nach der bei Rz. 86 f. dargestellten Auffassung entsteht erst in diesem Fall eine unbeschränkte Haftung). Wird die Einpersonengesellschaft eingetragen, so erlischt die unbeschränkte Außenhaftung (Rz. 178). Zur Vorbelastungshaftung (Unterbilanzhaftung, Differenzhaftung) vgl. Rz. 179. c) Unter den in Rz. 102 ff. im Einzelnen dargelegten Voraussetzungen tritt auch bei der Ein- 176 personen-Vorgesellschaft eine Handelndenhaftung nach § 11 Abs. 2 ein732. Sie trifft i.d.R. nur den Geschäftsführer der Einpersonen-Vor-GmbH (über die Haftung anderer Personen 725 726 727 728 729

John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 50. Ähnlich jetzt Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 157. John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 62 ff. Eingehend John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 40 f. Vgl. mit Unterschieden im Einzelnen Flume, Juristische Person, § 5 Fn. 78; Flume, DB 1980, 1782; Flume, NJW 1981, 1756; Karsten Schmidt, GesR, § 34 III 3c; Karsten Schmidt, ZHR 145 (1981), 561 f.; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 166; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 44; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 246 ff.; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 84; John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 40 f.; John, BB 1982, 511; Brinkmann, GmbHR 1982, 270 ff.; Ulmer, BB 1980, 1005; Ulmer/Ihrig, GmbHR 1988, 382. 730 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, BGHZ 134, 333, 341 = GmbHR 1997, 405, 408. 731 Für Haftungsbeschränkung auch bei der Einpersonengründung hier noch die 6. Aufl. (Winter) Anm. 43; Fleck, GmbHR 1983, 17; im Ergebnis auch Gersch/Herget/Marsch/Stützle, GmbH-Reform, 1980, Rz. 146. 732 BGH v. 7.5.1984 – II ZR 276/83, BGHZ 91, 148, 149 = NJW 1984, 2164 = GmbHR 1984, 316; John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 46; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 44; Merkt in

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§ 11 Rz. 176 | Rechtszustand vor der Eintragung nach § 11 Abs. 2 vgl. Rz. 115 f.). Ist dies – was der Regelfall sein wird – der Gründer selbst, so konkurriert die Handelndenhaftung mit der bei Rz. 175 besprochenen Haftung des Gesellschafters. Auch die Handelndenhaftung bei der Einpersonen-Vor-GmbH erlischt mit der Eintragung der Gesellschaft (Rz. 157). Hatte der Gründer allerdings im Fall einer Sachgründung sein Unternehmen noch nicht in die Gesellschaft eingebracht und hatte er deshalb bei Unternehmensgeschäften im eigenen Namen gehandelt, so beruht seine Haftung weder auf der Gründereigenschaft noch auf der Handelndeneigenschaft nach § 11 Abs. 2 und erlischt mangels entsprechender Vereinbarung mit dem Gläubiger nicht733.

4. Die Eintragung der Einpersonengesellschaft und ihre Folgen 177 a) Mit der Eintragung wird die Einpersonengesellschaft zur juristischen Person. An der

Identität der Gesellschaft ändert sich hierdurch nichts (Rz. 31)734. Alle Rechte und Pflichten der Gesellschaft sind nunmehr ohne weiteres Rechte und Pflichten der GmbH, ohne dass man von einem „Übergang“ dieser Rechte und Pflichten735 sprechen sollte (vgl. sinngemäß Rz. 152). Es braucht deshalb auch nicht, wie bei der Einpersonen-Umwandlung, eine Liste der übergehenden Vermögensgegenstände eingereicht zu werden736. Die §§ 152 ff. UmwG sind hier ohne Parallele, denn sie regeln den Erwerb in das Gesellschaftsvermögen (Gesamtrechtsnachfolge statt Einzeleinbringung), um den es bei der Eintragung der nach § 1 gegründeten Einpersonen-GmbH nicht mehr geht. 178 b) Die sich aus Rz. 175 und 176 ergebende persönliche Außenhaftung des Gesellschafters

und der handelnden Geschäftsführer erlischt mit der Eintragung (Rz. 157). Dieser allgemeine Grundsatz gilt auch für die Einpersonengründung737. Er gilt auch hier nicht für etwaige Ansprüche der Gesellschaft gegen ihren Gesellschafter aus §§ 9, 19 ff. oder für die Vorbelastungshaftung. 179 c) Die bei Rz. 139 ff. dargestellte Vorbelastungs- oder Unterbilanzhaftung kann auch bei

der Einpersonengesellschaft eintreten738: Deckt das Aktivvermögen im Zeitpunkt der eintragungsfähigen Anmeldung – nach der bisherigen Rechtsprechung: im Zeitpunkt der Eintragung (dazu Rz. 141) – nicht mehr das Stammkapital, so muss der Gesellschafter die Differenz in bar nachschießen. Diese Haftung kann vor allem in der Insolvenz der Einpersonengesellschaft eine nicht unbeträchtliche Rolle spielen. Nach der hier vertretenen Auffassung ist sie auf die operativen Verluste beschränkt (Rz. 144 ff.).

733 734 735

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MünchKomm. GmbHG, Rz. 249; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 152; Ulmer, BB 1980, 1004. Im Ergebnis richtig OLG Düsseldorf v. 23.10.1986 – 10 U 99/86, BB 1987, 1624 = GmbHR 1987, 430. Wie hier Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 167; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 98; s. auch Altmeppen, Rz. 113. So aber bei der Einpersonengründung John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 55; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 43; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 153; Ulmer/ Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95; Kleberger, S. 193; unentschieden Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 250. A.M. Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl., Rz. 78; vgl. auch noch Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 95. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 39; vgl. bereits John, Die Gründung der Einmann-GmbH, S. 14; Fleck, GmbHR 1983, 17.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 182 § 11

XI. Gründungsstadien der GmbH & Co. KG Schrifttum: (vgl. zunächst die Angaben bei Rz. 1 und 85): Beuthien, Systemfragen des Handelsrechts – 180 Gibt es Personengesellschaften?, in Festgabe Zivilrechtslehrer 1934/1935, 1999, S. 39; Binz, Haftungsverhältnisse im Gründungsstadium der GmbH & Co. KG, 1976; Binz, Haftungsverhältnisse bei werbender Tätigkeit der Vor-GmbH & Co. KG, GmbHR 1976, 29; Binz, Zur Handelndenhaftung im Gründungsstadium der GmbH & Co. KG, DB 1982, 1971; Binz/Sorg, Die GmbH & Co. KG, 11. Aufl. 2010; Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 22. Aufl. 2020; Huber, Haftungsprobleme der GmbH & Co. KG im Gründungsstadium, in FS Hefermehl, 1976, S. 127; Hüffer, Gesellschafterhaftung und Geschäftsführerhaftung in der Vor-GmbH & Co. KG, JuS 1980, 485; Kuhn, Zur werdenden GmbH & Co. KG, in FS Hefermehl, 1976, S. 159; Schaffner, Die Vorgesellschaft als Gesellschaft sui generis, 2003; Karsten Schmidt, Haftungsverhältnisse bei werbender Tätigkeit in den Gründungsstadien der GmbH & Co., NJW 1975, 665; Karsten Schmidt, Die Vor-GmbH als Unternehmerin und als Komplementärin, NJW 1981, 1345.

1. Grundlagen a) Auch bei der GmbH & Co. KG treten Vorgesellschaftsprobleme auf. Hier ist die Schwie- 181 rigkeit eine mehrfache, weil zwei Gesellschaften zu gründen und einzutragen sind: die GmbH und die Kommanditgesellschaft. Die Nichteintragung hat für die beiden Gesellschaften eine sehr unterschiedliche Bedeutung. Eine noch nicht im Handelsregister eingetragene Komplementär-GmbH ist eine Vor-GmbH (Rz. 27 ff.), ggf. auch eine Einpersonen-Vorgesellschaft (Rz. 164 ff.). Eine noch nicht im Handelsregister eingetragene KG ist in den Fällen der § 2, § 3, § 105 Abs. 2, § 161 Abs. 2 HGB vorerst nur eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts, im Fall des § 1 Abs. 2 HGB dagegen bereits eine Handelsgesellschaft (vgl. auch § 123, § 162 Abs. 2 HGB). Von einer Vorgesellschaft i.S.v. Rz. 27 ff. ist hier allerdings nicht zu sprechen739. Die gegründete Personengesellschaft ist, sei es bereits als KG (§ 1, § 123 Abs. 2, § 161 Abs. 2 HGB), sei es als Gesellschaft bürgerlichen Rechts (§ 123 Abs. 1, § 161 Abs. 2 HGB) „fertige“ Personengesellschaft, nicht Vorgesellschaft. Anders sieht es die h.M. in Österreich. § 123 UGB (Unternehmensgesetzbuch) (von 2005) lautet: „(1) Die offene Gesellschaft entsteht mit der Eintragung in das Firmenbuch. (2) Handeln Gesellschafter oder zur Vertretung der Gesellschaft bestellte Personen nach Errichtung, aber vor Entstehung der Gesellschaft in deren Namen, so werden alle Gesellschafter daraus berechtigt und verpflichtet. Dies gilt auch dann, wenn ein handelnder Gesellschafter nicht, nicht allein oder nur beschränkt vertretungsbefugt ist, der Dritte den Mangel der Vertretungsmacht aber weder kannte noch kennen musste. Die Gesellschaft tritt mit Eintragung in das Firmenbuch in die Rechtsverhältnisse ein.“ Die Bestimmung stellt im Vergleich zu der Entwicklung im Recht der GmbH einen Rückschritt dar740. Das gilt gleichermaßen für die Anerkennung der noch nicht eingetragenen (Vor-)Personengesellschaft als Rechtsträger und für die aus § 123 Abs. 2 UGB resultierenden Haftungsprobleme. b) Für das deutsche Recht hat der Bundesgerichtshof mit dem Urteil BGHZ 80, 129741 an- 182 erkannt, dass die Vor-GmbH bereits komplementärfähig ist742. Einwände, wie sie zuvor

739 So auch Beuthien in FS Zivilrechtslehrer, S. 39 ff.; eine kaum weiterführende Diskussion um die „Vor-Partnerschaft“ findet sich bei Schaffner, S. 165 ff. 740 Vgl. Weilinger in FS Doralt, 2004, S. 671 ff.; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2016, § 123 HGB Rz. 24. 741 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = GmbHR 1981, 114. 742 So schon vor dem Urteil des BGH Binz, Haftungsverhältnisse, S. 145 ff., 213; Huber in FS Hefermehl, S. 147 ff.; Ulmer in Hachenburg, 7. Aufl., Rz. 102; Hüffer, JuS 1980, 487; seit dem Urteil z.B.

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§ 11 Rz. 182 | Rechtszustand vor der Eintragung vorgetragen worden waren743, haben sich seither erledigt. Entgegen einer überholten älteren Gerichtspraxis744 kann die Kommanditgesellschaft vor der GmbH in das Handelsregister eingetragen werden745. Die Komplementär-GmbH muss hierfür nur errichtet sein, braucht aber noch nicht eingetragen zu sein. Als Komplementärin der bereits eingetragenen KG wird dann in Abteilung A des Handelsregisters die GmbH mit dem Firmenzusatz „in Gründung“ (oder: „i.Gr.“) eingetragen. Diese Eintragung braucht nur berichtigt zu werden, wenn die Komplementär-Vor-GmbH ihrerseits durch ihre Eintragung in Abteilung B zur fertigen GmbH wird. All diese Ausführungen gelten auch für die Einpersonen-GmbH, da die Einpersonen-Vorgesellschaft wie eine Mehrpersonen-Vorgesellschaft Trägerin von Rechten und Pflichten sein kann (vgl. Rz. 167). Da die bisher h.M. Zweck und organschaftliche Vertretungsmacht der Geschäftsführer bei der Vor-GmbH auf die gründungsnotwendigen Geschäfte begrenzt sieht (Rz. 72), nimmt sie mit BGHZ 80, 129, 139746 an, dass die Komplementärtätigkeit der GmbH vor der Eintragung nicht ohne entsprechende Ermächtigung seitens der Gesellschafter gewährleistet ist747. Dem ist aus den bei Rz. 32 f., 72 f. geschilderten Gründen nicht zu folgen. Die Beteiligung der GmbH als Komplementärin einer KG ist zwar eine strukturelle, im Innenverhältnis der Zustimmung der Gesellschafter und ggf. der Beschlussfassung über den Unternehmensgegenstand vorbehaltene Maßnahme. Die Geschäftsführertätigkeit ist aber hiervon zu unterscheiden. Ob die Geschäftsführer der GmbH vor deren Eintragung schon Komplementäraufgaben wahrnehmen dürfen, ist eine Frage des Innenverhältnisses und hängt von der Lage des Einzelfalls, ggf. von der Zustimmung der Gesellschafter ab (Rz. 59); betreibt die KG als Personengesellschaft bereits das Gesellschaftsunternehmen, handelt es sich z.B. um die „Umwandlung“ einer KG in eine GmbH & Co. KG (Rz. 187), so bedarf es einer besonderen Zustimmung i.d.R. nicht. Aber diese Differenzierungen betreffen nicht die Vertretungsmacht, sondern nur die Geschäftsführungsbefugnisse der GmbH-Geschäftsführer. Nach außen können sie bereits wirksam handeln. 183 c) Von der Vor-GmbH ist auch hier die sog. Vorgründungsgesellschaft zu unterscheiden

(Rz. 6 ff.)748. Diese Gesellschaft – hier jetzt zur Klarstellung als bloßer Gründungsvorvertrag bezeichnet (Rz. 9) – ist als bloße Innengesellschaft keine taugliche Komplementärin (Rz. 10)749. Schließen die Gründer schon vor der Errichtung der GmbH einen KG-Vertrag und werden sie für die noch nicht eingetragene „Kommanditgesellschaft“ tätig, so wird es sich bei dieser Gesellschaft regelmäßig um eine oHG bzw. Gesellschaft bürgerlichen Rechts handeln (was sich

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Binz/Sorg, GmbH & Co. KG, § 3 Rz. 69, 72; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Rz. 3.39; Altmeppen, Rz. 133; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8, 16; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 257; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 168; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 23; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 68; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 160; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1347. Vgl. Kuhn in FS Hefermehl, S. 169 f.; Karsten Schmidt, NJW 1975, 665 ff. BayObLG, GmbHR 1967, 9, 10; BayObLG, GmbHR 1969, 22, 23; OLG Hamm, DB 1976, 1859 = GmbHR 1976, 241. BGH v. 12.11.1984 – II ZB 2/84, NJW 1985, 736, 737 = BB 1985, 880, 881 m. Anm. Wessel; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 70; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 172; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 163; Fleck, GmbHR 1983, 16; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1347. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 139 = GmbHR 1981, 114. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 70; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 172; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, Rz. 3.39. Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, Rz. 3.41; Altmeppen, Rz. 134. Altmeppen, Rz. 134; a.M. Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, Rz. 3.41; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 169; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 160 a.E.; abwartend Binz/Sorg, § 3 Rz. 71; differenzierend Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 53.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 186 § 11

nach § 1 Abs. 2 HGB entscheidet) und jedenfalls nicht um eine KG, weil es am Komplementär fehlt; die Gesellschafter haften unbeschränkt, soweit nicht ein anderes mit dem Gläubiger vereinbart ist750. Ist an der Gründung nur ein Kommanditist beteiligt, so kann er in diesem Stadium nur als Einzelperson handeln (eine Gesellschaft, die durch Eintragung KG werden könnte, gibt es noch nicht). Treten mehrere Gründer bereits vor der Errichtung der GmbH und vor der Gründung der KG im Rechtsverkehr gemeinsam auf, so gelten die bei Rz. 18 ff. dargestellten Grundsätze sinngemäß: Es haften im Zweifel die Gründer gesamtschuldnerisch (§ 427 BGB), oder es haftet der für sie vollmachtlos Handelnde nach § 179 BGB, doch kann die Haftung durch Vereinbarung mit dem Gläubiger oder durch Information über die Vertretungsverhältnisse beschränkt bzw. ausgeschlossen werden751. d) Die Haftungsverhältnisse bei der nicht eingetragenen GmbH & Co. KG lassen sich da- 184 nach ordnen, ob es nur an der Eintragung der KG oder nur an der Eintragung der GmbH oder an der Eintragung beider Gesellschaften fehlt.

2. Situation A: Die GmbH ist eingetragen, aber noch nicht die KG a) In diesem Fall ist die Personengesellschaft ihrem Rechtsstatus nach entweder Kommandit- 185 gesellschaft (Fall des § 1 HGB) oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Fälle der §§ 2, 3, 105 Abs. 2 HGB; vgl. Rz. 181). Sie ist nicht bloß Vorgesellschaft (vgl. demgegenüber zu § 123 des österreichischen UGB Rz. 181). Die GmbH ist persönlich haftende Gesellschafterin. Für die Geschäftsführungs- und Vertretungsverhältnisse gilt in jedem Fall bereits das Recht der KG, dies also auch, wenn vorläufig noch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts vorliegt752. b) Die Haftungsverhältnisse folgen dem Recht der Kommanditgesellschaft, sofern nach §§ 1, 186 123, 161 HGB trotz fehlender Eintragung bereits eine KG vorliegt. Eine unbeschränkte Kommanditistenhaftung gemäß § 176 Abs. 1 HGB753 kann vermieden werden, indem die Haftungsverhältnisse durch Verwendung der GmbH & Co. KG-Firma offengelegt werden754. Erfüllt die Personengesellschaft nicht die Merkmale des § 1 Abs. 2 HGB, so liegt bei fehlender Eintragung keine Kommanditgesellschaft vor, sondern eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Rz. 181, 185). Die ältere Rechtsprechung gestattete auch hier eine Haftungsbeschränkung zu Gunsten der „Kommanditisten“ durch offengelegte Beschränkung der „Komplementär“-Vertretungsmacht755, so dass nach ihr ein Auftreten als „GmbH & Co. KG in Gründung“ ausrei-

750 Vgl. Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, § 176 HGB Rz. 52. 751 BGH v. 22.4.1996 – II ZR 303/94, DStR 1996, 1015 m. Anm. Goette. 752 Vgl. zu den Einzelheiten Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, § 176 HGB Rz. 55. 753 Die Vorschrift gilt auch für die GmbH & Co. KG; vgl. BGH v. 18.6.1979 – II ZR 194/77, GmbHR 1979, 223; BGH v. 21.3.1983 – II ZR 113/82, GmbHR 1983, 238 = NJW 1983, 2258 m. Anm. Karsten Schmidt; eingehend Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, § 176 HGB Rz. 49 f.; a.M. Priester, BB 1980, 913 f. 754 So für Fälle seit 1981 BGH v. 21.3.1983 – II ZR 113/82, GmbHR 1983, 238 = NJW 1983, 2258 m. Anm. Karsten Schmidt; dieselbe Rechtslage galt auch für ältere Fälle; vgl. LG Ravensburg v. 24.5.1984 – 2 O 1593/83, ZIP 1984, 1232; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 71; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 171; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, § 176 HGB Rz. 50 m.w.N.; eingehend Binz/Sorg, GmbH & Co. KG, § 3 Rz. 76, § 5 Rz. 34 ff.; a.M. BGH v. 18.6.1979 – II ZR 194/77, NJW 1980, 54 = GmbHR 1979, 223; Flume, Die Personengesellschaft, 1977, § 16 IV 5; Crezelius, BB 1983, 12. 755 BGH v. 8.11.1978 – VIII ZR 190/77, BGHZ 72, 267; BGHZ 74, 240 m. Anm. Hommelhoff, JR 1979, 505 und Ulmer, JZ 1980, 354; BGH v. 15.12.1980 – II ZR 52/80, NJW 1981, 1213; BGH v. 25.10.1984 – VII ZR 2/84, ZIP 1985, 98 = JuS 1985, 643 m. Anm. Karsten Schmidt; eingehend Ulmer in FS Rob. Fischer, 1979, S. 785 ff.; kritisch Flume, Die Personengesellschaft, 1977, § 16 IV.

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§ 11 Rz. 186 | Rechtszustand vor der Eintragung chen konnte, um die Haftung zu beschränken756. Dies ist überholt durch BGHZ 142, 315757: „Für die im Namen einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts begründeten Verpflichtungen haften die Gesellschafter kraft Gesetzes auch persönlich. Diese Haftung kann nicht durch einen Namenszusatz oder einen anderen, den Willen, nur beschränkt für diese Verpflichtungen einzustehen, verdeutlichenden Hinweis beschränkt werden, sondern nur durch eine individualvertragliche Vereinbarung ausgeschlossen werden.“ Das ist anders im Fall des § 176 HGB, womit entgegen früherer Sichtweise aus einer als überzogen geltenden Haftungsnorm758 eine Haftungsprivilegierung geworden ist759. Da dieses Privileg alle nach §§ 161, 105 HGB im Handelsregister eintragbaren Kommanditgesellschaften erfasst760, wirkt dieses Privileg flächendeckend: Die Gründung einer GmbH & Co. KG wirkt bereits haftungsbeschränkend, wenn Geschäftsbriefe gemäß § 125a HGB (ab 1.1.2024 § 125 HGB n.F.) mit Angaben über die GmbH und ihre Geschäftsführer verwendet werden761.

3. Situation B: Die KG ist eingetragen, aber noch nicht die GmbH 187 a) Auf Grund der bei Rz. 182 geschilderten Rechtsprechung kann die KG vor der GmbH

eingetragen werden. Es liegt dann eine fertige Kommanditgesellschaft vor mit der einzigen Besonderheit, dass die Komplementärin noch eine Vor-GmbH ist. Diese Situation kann nicht nur bei der Neugründung einer GmbH & Co. KG entstehen, sondern auch bei der „Umwandlung“ einer regulären KG (oder sogar oHG) in eine GmbH & Co. KG. In diesem Fall tritt der bisherige Komplementär (oder es treten die bisherigen oHG-Gesellschafter) in die Kommanditistenstellung zurück, und es wird eine Vor-GmbH als neue Komplementärin aufgenommen762. Wird dieser Beitritt zur KG schon vor der Eintragung der GmbH im Teil B des Handelsregisters wirksam, so liegt die Situation B vor. 188 b) Die Haftungsverhältnisse ergeben sich aus dem Recht der KG und der Vor-GmbH. Die

Kommanditisten haften in dieser Eigenschaft nur nach Maßgabe der §§ 171 ff. HGB. Als Komplementärin haftet nach § 161 Abs. 2, § 128 HGB (ab 1.1.2024 § 126 HGB n.F.) für Gesellschaftsverbindlichkeiten der KG die Vor-GmbH. Die im Namen der KG für die VorGmbH als Komplementärin Handelnden – also die Geschäftsführer der Komplementär-VorGmbH – haften nach § 11 Abs. 2763. Ob daneben sämtliche Gesellschafter der Vor-GmbH haf-

756 Vgl. Binz, Haftungsverhältnisse, S. 31 ff.; Binz/Sorg, GmbH & Co. KG, § 5 Rz. 16 ff., § 3 Rz. 102; Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl., Rz. 144; Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 176 HGB Rz. 50. 757 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = GmbHR 1999, 1134 = ZIP 1999, 1755 m. Anm. Altmeppen. 758 Vgl. BGH v. 22.9.1980 – II ZR 204/79, BGHZ 78, 114, 117 = GmbHR 1981, 12. 759 Vgl. zum Funktionswandel des § 176 HGB Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, § 176 HGB Rz. 3; Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 341 ff.; Dauner-Lieb in FS Lutter, 2000, S. 835. 760 Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, § 176 HGB Rz. 5 f.; vgl. auch Karsten Schmidt, GmbHR 2002, 341 ff.; in gleicher Richtung schon Dauner-Lieb in FS Lutter, 2000, S. 849; Wagner, NJW 2001, 1112; zustimmend Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 172; sehr streitig. 761 Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2019, § 176 HGB Rz. 50, 55; zum Streitstand Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 269. 762 Dazu vgl. eingehend Dremel in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, Rz. 11.386. 763 Für unmittelbare Anwendung Flume, Die Personengesellschaft, 1977, § 16 IV; Huber in FS Hefermehl, S. 144, 156; Karsten Schmidt, NJW 1981, 1346 f. (gegen den früher vertretenen Standpunkt); für analoge Anwendung BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129, 133 = NJW 1981, 1373, 1374 = GmbHR 1981, 114; Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 197; Altmeppen, Rz. 140; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 55; Blath in Michalski u.a., Rz. 81; Merkt in MünchKomm.

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Rechtszustand vor der Eintragung | Rz. 191 § 11

ten, bestimmt sich nach deren umstrittenem Haftungsstatus (dazu Rz. 86 ff.). Nach der hier bei Rz. 91 ff. vertretenen Auffassung haften die GmbH-Gründer unbeschränkt und gesamtschuldnerisch für alle Verbindlichkeiten der Vor-GmbH, und damit wegen § 128 HGB auch für Verbindlichkeiten der Kommanditgesellschaft764. Diese Außenhaftung endet ebenso wie die Handelndenhaftung765, wenn die Komplementär-GmbH in das Handelsregister eingetragen wird (vgl. Rz. 130, 157). Die Außenhaftung der GmbH-Gründer wird dann durch eine Vorbelastungs-Innenhaftung (Rz. 139 ff.) abgelöst (Rz. 157)766. Die Leitentscheidung zur Differenzhaftung betraf gerade eine Vor-GmbH & Co. KG (BGHZ 80, 129767). Soweit die Vorbelastung auf Verbindlichkeiten der KG beruht, ist die Vorbelastungshaftung durch Leistung an die KG – im Insolvenzfall also: in die Masse des KG-Insolvenzverfahrens – zu begleichen768.

4. Situation C: Beide Gesellschaften sind noch nicht eingetragen a) Da bereits die Vor-GmbH Komplementärin sein kann (Rz. 182), kann auch in diesem Fall 189 bereits eine Kommanditgesellschaft bestehen (§§ 1, 123, 161 HGB). Handelt es sich um eine unter § 2 oder § 3 oder § 105 Abs. 2 HGB fallende Gesellschaft, so ist diese allerdings auch hier wieder bis zu ihrer Eintragung eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (Rz. 181, 186). Im Fall des § 1 Abs. 2 HGB ist die Gesellschaft bereits vor ihrer Eintragung KG. Bloße Vorgesellschaft ist sie als Personengesellschaft in keinem Fall (vgl. dagegen § 123 UGB in Österreich und dazu Rz. 181). b) Die Haftung der Kommanditisten ergibt sich im Fall eines unter § 1 Abs. 2 HGB fallenden 190 vollkaufmännischen Gewerbes aus §§ 171 ff. HGB (Rz. 188); eine unbeschränkte Haftung gemäß § 176 HGB kann durch den Gebrauch einer GmbH & Co. KG-Firma abgewendet werden (Rz. 186). Auch für die Haftung im Fall einer unter § 2 oder § 3 oder § 105 Abs. 2 HGB fallenden Gesellschaft gilt das bei Rz. 185, 186 Gesagte sinngemäß. c) Für die Haftung der GmbH-Gründer und der für die Komplementär-GmbH Handelnden 191 gelten die Ausführungen bei Rz. 188769.

764 765

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GmbHG, Rz. 264; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 89; Ulmer/Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, Rz. 167; Überblick bei Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, Rz. 3.247; gegen die Haftung Binz/Sorg, § 3 Rz. 96. Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 3. Aufl. 2012, § 176 HGB Rz. 53; zustimmend Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 197. Zu dieser vgl. bei der GmbH & Co. KG BGH v. 13.6.1077 – II ZR 232/75, BGHZ 69, 95, 102 ff. = NJW 1977, 1683, 1685 = GmbHR 1977, 246; BGH v. 19.12.1977 – II ZR 202/76, BGHZ 70, 132, 138 ff. = NJW 1978, 636, 637 f. = GmbHR 1978, 152; BGH v. 17.3.1980 – II ZR 11/79, BGHZ 76, 320, 323 = NJW 1980, 1630, 1631 = GmbHR 1980, 202. Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 197; Lüke in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, Rz. 3.241; Schmidt-Leithoff in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 176; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 169. BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 = GmbHR 1981, 114. Vgl. Karsten Schmidt, ZHR 156 (1992), 118 f. Dazu auch Gummert in MünchHdb. GesR III, § 16 Rz. 198.

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§ 12 Bekanntmachungen der Gesellschaft (13. Auflage 2022) Bestimmt das Gesetz oder der Gesellschaftsvertrag, dass von der Gesellschaft etwas bekannt zu machen ist, so erfolgt die Bekanntmachung im Bundesanzeiger (Gesellschaftsblatt). Daneben kann der Gesellschaftsvertrag andere öffentliche Blätter oder elektronische Informationsmedien als Gesellschaftsblätter bezeichnen. Vorschrift eingeführt durch Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005 (BGBl. I 2005, 837); frühere Vorschrift zur Zweigniederlassung aufgehoben durch Gesetz zur Durchführung der Elften gesellschaftsrechtlichen EG-Richtlinie vom 22.7.1993 (BGBl. I 1993, 1282); Satz 3 eingeführt durch EHUG vom 10.11.2006 (BGBl. I 2006, 2553) und aufgehoben durch BAnzDiG vom 22.12.2011 (BGBl. I 2011, 3044). I. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bekanntmachung im Bundesanzeiger . . .

1 6

III. Bekanntmachung in anderen Blättern und Informationsmedien . . . . . . . . . . . . . 8 IV. Fehlerhafte Bekanntmachung . . . . . . . . . 12

Schrifttum: Apfelbaum, Wichtige Änderungen für Notare durch das EHUG jenseits der elektronischen Handelsregisteranmeldung, DNotZ 2007, 166; Krafka, Gesellschaftsrechtliche Auswirkungen des Justizkommunikationsgesetzes, DB 2005, 599; Melchior, Angabe des Veröffentlichungsorgans in der GmbHSatzung, NotBZ 2005, 447; Noack, Pflichtbekanntmachungen bei der GmbH. Neue Regeln durch das Justizkommunikationsgesetz, DB 2005, 599; Noack, Elektronische Publizität im Aktien- und Kapitalmarktrecht in Deutschland und Europa, AG 2003, 537; Oppermann, Bekanntmachungen der GmbH und der AG im „Bundesanzeiger“, RNotZ 2005, 597; Priester, Registersperre kraft Richterrechts?, GmbHR 2007, 296; Spindler/Kramski, Der elektronische Bundesanzeiger als zwingendes Gesellschaftsblatt für Pflichtbekanntmachungen der GmbH, NZG 2005, 746; Stuppi, Bekanntmachungen der GmbH nach § 12 GmbHG, GmbHR 2006, 138; Terbrack, Neuregelung der Bekanntmachungen bei der GmbH, DStR 2005, 2045.

I. Grundlagen 1 Das Transparenz- und Publizitätsgesetz (TransPuG) führte 2002 für Unternehmensmitteilun-

gen einer Aktiengesellschaft den elektronischen Bundesanzeiger ein (§ 25 Satz 1 AktG)1. Das Justizkommunikationsgesetz vom 22.3.2005 (BGBl. I 2005, 837) hat ihn mit der in § 12 Satz 1 getroffenen Regelung mit Wirkung zum 1.4.2005 auch für die GmbH als Gesellschaftsblatt bestimmt, so dass die vom Gesetz oder vom Gesellschaftsvertrag geforderten Bekanntmachungen der Gesellschaft im elektronischen Bundesanzeiger erfolgen mussten. Das Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetz in der Fassung vom 22.12.2011 hat mit Wirkung zum 1.4.2012 den elektronischen Bundesanzeiger als einzigen Bundesanzeiger festgelegt. Satz 1 der Vorschrift begnügt sich folglich damit, die Bekanntmachung im Bundesanzeiger zu verlangen. 2 Die Vorschrift ist zwingend2. Allerdings kann der Gesellschaftsvertrag noch weitere Gesell-

schaftsblätter bestimmen (§ 12 Satz 2). In diesem Fall erfolgt die Bekanntmachung auch in dem bezeichneten öffentlichen Blatt oder elektronischen Informationsmedium. Satz 3 des § 12 wurde durch das EHUG vom 10.11.2006 eingeführt, um in der Praxis aufgetretene Auslegungsprobleme rechtssicher zu lösen. Da das Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetz

1 § 25 Satz 1 AktG geht auf Art. 1 Nr. 1 TransPuG vom 19.7.2002, BGBl. I 2002, 2681, zurück. 2 Vgl. Begr. RegE JKomG, BT-Drucks. 15/4067, S. 56; vgl. auch Begr. RegE TransPuG, BT-Drucks. 14/ 8769, S. 11.

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Bekanntmachungen der Gesellschaft | Rz. 7 § 12

in der Fassung vom 22.12.2011 die Papierausgabe des Bundesanzeigers aufgegeben hat, bedurfte es der Regelung nicht mehr; Satz 3 ist daher mit Wirkung zum 1.4.2012 außer Kraft getreten. Die Vorschrift dient der Vereinheitlichung der Bekanntmachungsvorschriften und deren 3 sprachlicher Angleichung3; folglich ist in § 12 Satz 1 der Begriff des Gesellschaftsblatts festgelegt und in den betreffenden Vorschriften über eine Bekanntmachung der Gesellschaft (s. Rz. 6) verwandt. Dass die Publikation im Bundesanzeiger zu erfolgen hat, liegt im Interesse der Gläubiger4, welche sich ohne nennenswerte Kosten jederzeit informieren können (s. Rz. 4). Der Bundesanzeiger kann unter www.bundesanzeiger.de abgerufen werden (§ 5 VkBkmG). 4 Herausgeber ist das Bundesministerium der Justiz, Betreiberin die Bundesanzeiger Verlagsgesellschaft mbH mit Sitz in Köln. Der Zugriff auf den elektronischen Bundesanzeiger ist kostenfrei und jederzeit möglich (§ 5 Abs. 1 und § 6 Abs. 1 VkBkmG). Die Betreiberin ist verpflichtet, ordnungsgemäß eingereichte Bekanntmachungen aufzunehmen. Als Nachweis der Bekanntmachung – etwa gegenüber dem Handelsregister – reicht die Angabe der Internetfundstelle aus5. Die früher in § 12 geregelte Zweigniederlassung der GmbH ist seit 1993 in den §§ 13 ff. 5 HGB vorzufinden. Auf eine Erläuterung dieser Vorschriften wird hier verzichtet. Stattdessen ist auf das einschlägige Schrifttum zum HGB zu verweisen.

II. Bekanntmachung im Bundesanzeiger § 12 Satz 1 bestimmt, dass Bekanntmachungen der Gesellschaft im Bundesanzeiger erfol- 6 gen. Bekanntmachungen von Eintragungen im Handelsregister sind nicht gemeint6, sondern nur solche der Gesellschaft. Dies sind zum einen Bekanntmachungen, die kraft Gesetzes zu erfolgen haben (§ 30 Abs. 2 Satz 2; § 52 Abs. 2 Satz 2; § 58 Abs. 1 Nr. 1 und 3; § 65 Abs. 2; § 75 Abs. 2 i.V.m. § 246 Abs. 4 AktG; § 73 Abs. 1; § 19 MitbestG7). Zum anderen sind Bekanntmachungen erfasst, die gesellschaftsvertraglich gefordert sind8. Dabei handelt es sich meist um Vorgänge, welche der Information der Gesellschafter dienen. In Betracht kommt beispielsweise, dass die Einberufung der Gesellschafterversammlung und die Mitteilung der Tagesordnung aufgrund einer gesellschaftsvertraglichen Bestimmung im Gesellschaftsblatt bekannt zu machen ist9. Das Gesetz trifft keine Aussage zur Dauer des mindestens zu gewährenden Informations- 7 zugangs über den Bundesanzeiger. Die Frage ist mit Blick auf den Vorgang zu beurteilen, der von der Gesellschaft bekannt zu machen ist. So ist im Falle der Bekanntmachung des Rückzahlungsbeschlusses nach § 30 Abs. 2 ein Abruf für die Dauer von mindestens drei Monaten zu gewährleisten10. Ist eine Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage erhoben, so ist die Veröffentlichung so lange aufrecht zu erhalten, wie eine Nebenintervention durch einen Gesellschafter möglich ist11.

3 4 5 6 7 8 9 10 11

Vgl. Begr. RegE JKomG, BT-Drucks. 15/4067, S. 56. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1. Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 4; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5. Für diese gilt § 10 HGB. S. 13. Aufl., § 10 Rz. 1. Blath in Michalski u.a., Rz. 5; Stuppi, GmbHR 2006, 138. Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 5.

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§ 12 Rz. 8 | Bekanntmachungen der Gesellschaft

III. Bekanntmachung in anderen Blättern und Informationsmedien 8 § 12 Satz 2 stellt klar, dass der Gesellschaftsvertrag andere öffentliche Blätter (beispielswei-

se regionale oder überregionale Tageszeitungen) oder elektronische Informationsmedien (beispielsweise Website der Gesellschaft oder die Internetpräsenz eines privaten Dienstanbieters12, auch in einer fremden Sprache13) als Gesellschaftsblätter festlegen kann. Dies ist sowohl für gesetzlich als auch für gesellschaftsvertraglich vorgesehene Bekanntmachungen der Gesellschaft möglich14. Eine solche Bekanntmachung vermag die Bekanntmachung im Bundesanzeiger aber nicht zu ersetzen. Sie kann nur zusätzlich zur Veröffentlichung im Gesellschaftsblatt vorgesehen werden. Es sind dann zwei Veröffentlichungen erforderlich. Dies ist auch für die Fristen von Bedeutung, die das Gesetz verschiedentlich von der Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern abhängig macht (vgl. § 58 Abs. 1 Nr. 1 und 3; § 65 Abs. 2; § 73). Diese (auf die Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern und nicht, wie § 19 MitbestG, auf die Bekanntmachung im Bundesanzeiger abstellenden) Fristen beginnen erst zu laufen, wenn die Veröffentlichung im Bundesanzeiger und in dem weiteren gesellschaftsvertraglich bestimmten Medium erfolgt ist15. Angesichts der Kosten und vor allem der potenziellen weiteren Fehlerquellen ist eine zusätzliche Bekanntmachung in der Regel wenig sinnvoll16. 9 In Altverträgen (d.h. Gesellschaftsverträgen, die vor Inkrafttreten des § 12 geschlossen wor-

den sind) war zuweilen bestimmt, dass eine Bekanntmachung im „Bundesanzeiger“ erforderlich ist. In diesen Fällen konnte zusätzlich eine Veröffentlichung in der gedruckten Ausgabe des Bundesanzeigers notwendig sein. Der Gesetzgeber meinte bei Erlass des Justizkommunikationsgesetzes, bei einer solchen Klausel stehe in der Regel fest, dass allein die Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger erfolgen müsse17. Das Schrifttum beurteilte die Frage größtenteils ebenso. Es könne schwerlich angenommen werden, dass die Gesellschafter bei einer entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Regelung eine mehrfache Veröffentlichung gewollt hätten. Eine entsprechende Klausel in einem Gesellschaftsvertrag sei daher dynamisch in dem Sinne auszulegen, dass eine Veröffentlichung im elektronischen Bundesanzeiger gewollt sei18. Das OLG München entschied (in einem besonders gelagerten) Fall aber anders19. Der Gesetzgeber räumte die durch diese Entscheidung entstandene Rechtsunsicherheit mit dem EHUG aus: Sieht der Gesellschaftsvertrag vor, dass Bekanntmachungen der Gesellschaft im Bundesanzeiger erfolgen, so ist die Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger ausreichend. Da das Verkündungs- und Bekanntmachungsgesetz in der Fassung vom 22.12.2011 die Papierausgabe des Bundesanzeigers aufgegeben hat (vgl. § 5

12 Vgl. Altmeppen, Rz. 7; Spindler/Kramski, NZG 2005, 745, 747; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8. 13 Altmeppen, Rz. 7; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 8 (bei Printmedium dürfte es nicht erforderlich sein, dass diese in Deutschland erscheinen). 14 Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 6. 15 Blath in Michalski u.a., Rz. 10. 16 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 7; Blath in Michalski u.a., Rz. 9; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9. 17 Vgl. Begr. RegE BT-Drucks. 15/4067, S. 56. 18 Noack, DB 2005, 599, 600; Krafka, MittBayNot 2005, 293, 294; Stuppi, GmbHR 2006, 138, 139. 19 Vgl. OLG München v. 10.10.2005 – 31 Wx 65/05, GmbHR 2005, 1492, 1493 bezüglich einer gesellschaftsvertraglichen Bestimmung, wonach Bekanntmachungen „nur im Bundesanzeiger“ erfolgen. A.A. LG Bielefeld v. 24.8.2006 – 24 T 23/06, Rpfleger 2007, 32 (gesetzeskonform ist diese Satzungsbestimmung dahin auszulegen, dass Veröffentlichungen auf die Bekanntmachung im elektronischen Bundesanzeiger beschränkt werden); LG Darmstadt v. 7.12.2005 – 18 T 28/05, NotBZ 2006, 63 (Die Satzungsregelung „nur im Bundesanzeiger“ meint die jeweils einschlägige Publikationsform des Bundesanzeigers; mithin vorliegend nicht mehr die Papierform).

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Bekanntmachungen der Gesellschaft | Rz. 12 § 12

VkBkmG), bedurfte es der Regelung nicht mehr; Satz 3 ist daher mit Wirkung zum 1.4.2012 außer Kraft getreten. Anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Bekanntma- 10 chung außer in dem Bundesanzeiger in einem weiteren Medium vorsieht20. In solchen Fällen genügt eine Veröffentlichung nur im elektronischen Bundesanzeiger nicht, es ist dann zusätzlich auch in dem weiteren Medium zu veröffentlichen21. Wenn als Medium der Bekanntmachung ausschließlich ein anderes Blatt als der Bundesanzeiger (beispielsweise der Bayerische Staatsanzeiger oder eine örtliche Tageszeitung22) genannt wird, ist durch Auslegung des Vertrags zu klären, ob zusätzlich zur Veröffentlichung im Bundesanzeiger eine Veröffentlichung im betreffenden Gesellschaftsblatt zu erfolgen hat. Da es durchaus vorstellbar ist, dass die Verkehrskreise mit einer Veröffentlichung außerhalb des Bundesanzeigers rechnen, dürfte es in der Regel daher interessengerecht sein, eine zusätzliche Veröffentlichungspflicht zu bejahen23. Bezeichnet der Gesellschaftsvertrag andere öffentliche Blätter oder elektronische Informati- 11 onsmedien als Gesellschaftsblätter, bestimmt sich der Beginn einer Frist (vgl. § 187 BGB) vorbehaltlich einer anderweitigen gesetzlichen Regelung nach dem Zeitpunkt, in dem die letzte Veröffentlichung erfolgt24. Gesellschafter und Dritte dürfen darauf vertrauen, dass es genügt, entweder das gesellschaftsvertraglich bestimmte Blatt oder den elektronischen Bundesanzeiger zu verfolgen.

IV. Fehlerhafte Bekanntmachung Eine fehlerhafte Bekanntmachung entfaltet keine Rechtswirkungen25. Fristen werden durch 12 sie nicht in Gang gesetzt26. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass eine Bekanntmachung auch in einem weiteren Gesellschaftsblatt zu erfolgen hat und entweder diese oder die Bekanntmachung im Bundesanzeiger nicht erfolgt ist.

20 Zur praktisch kaum relevanten Konstellation, dass ein Gesellschaftsvertrag die Bekanntmachung ausschließlich in einem anderen Medium als dem Bundesanzeiger vorsieht, vgl. Stuppi, GmbHR 2006, 138, 139. 21 OLG Stuttgart v. 12.11.2010 – 8 W 444/10, GmbHR 2011, 38; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 5, 7; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Noack, DB 2005, 599, 600; tendenziell auch Blath in Michalski u.a., Rz. 12. A.A. Krafka, MittBayNot 2005, 293, 294. 22 Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14. 23 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Noack, DB 2005, 599, 600; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 9. A.A. Oppermann, RNotZ 2005, 597, 601 ff. 24 Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Altmeppen, Rz. 9; Schroeter in Bork/Schäfer, Rz. 7; Ulmer/Habersack in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 9; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17. 25 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Blath in Michalski u.a., Rz. 13. 26 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 8; Servatius in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Blath in Michalski u.a., Rz. 13; Wicke in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17.

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Zweiter Abschnitt Rechtsverhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter

§ 13 Juristische Person; Handelsgesellschaft (13. Auflage 2022) (1) Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als solche hat selbständig ihre Rechte und Pflichten; sie kann Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben, vor Gericht klagen und verklagt werden. (2) Für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft haftet den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen. (3) Die Gesellschaft gilt als Handelsgesellschaft im Sinne des Handelsgesetzbuchs. Text seit 1892 unverändert. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtspersönlichkeit der GmbH Juristische Person . . . . . . . . . . . . . . . . Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit a) Die Entstehung der GmbH . . . . . . . b) Das Erlöschen der GmbH . . . . . . . . 3. „Keinmann-GmbH“ . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsschein-GmbH? . . . . . . . . . . . . . III. Umfang der Rechtsfähigkeit . . . . . . . 1. Privatrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Handeln der GmbH durch ihre Organe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Haftung der GmbH aus gesetzlichen Schuldverhältnissen . . . . . . . . . . . . . c) Schutz der GmbH durch das Deliktsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Die GmbH als Inhaberin von (Grundstücks-)Rechten und Besitz e) Die GmbH als Gesellschafterin . . . f) Die GmbH als Vertreterin . . . . . . . g) Die GmbH im Familien- und Erbrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentliches Recht . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Prozessrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Insolvenzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Schiedsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Handelsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . V. Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Haftung der Gesellschafter – Grundlagen 1. Überblick zur Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. II. 1. 2.

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1 3 7 8 9 13 14 16 17 18 21 23 24 26 27 28 30 33 34 41 43 47 50

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2. Ökonomische Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung . . . . . . . . . . . 3. Systematisierung der Durchgriffsfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Zurechnungsdurchgriff . . . . . . . . . . . 1. Wissenszurechnung bei arglistiger Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gutgläubiger Erwerb . . . . . . . . . . . . . 3. Reichweite eines Wettbewerbsverbots 4. Maklerprovision (§ 652 BGB) . . . . . . 5. Zurechnung von Eigenschaften . . . . 6. Bauhandwerkersicherungshypothek (§ 650c BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. „Unechter“ Haftungsdurchgriff . . . . 1. Vertragshaftung a) Bürgschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schuldbeitritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vertrauenshaftung a) Rechtsscheinhaftung wegen fehlenden Rechtsformzusatzes . . . . . . . . . b) Culpa in contrahendo (c.i.c.) . . . . . 3. Deliktshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtsgutsverletzung und Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung (§ 826 BGB) . . . . . . . . . . . . . . aa) Sozialwidrige Risikoabwälzung auf Dritte . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unterkapitalisierung/Spekulation auf Kosten der Gläubiger . . cc) Vermögensvermischung . . . . . . IX. Echte Durchgriffshaftung wegen Missbrauchs der Rechtsform 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

60 69 75 76 78 81 84 85 87 90 91 93

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 2 § 13 2. Durchgriffstheorien . . . . . . . . . . . . . . 112 a) Durchgriffsformeln in der höchstrichterlichen Rechtsprechung . . . . . 113 b) Dogmatik des Durchgriffs in der Lehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 c) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Fallgruppen der Durchgriffshaftung 130 a) Vermögensvermischung . . . . . . . . . 131 b) Unterkapitalisierung . . . . . . . . . . . . 138 aa) Definition der Unterkapitalisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 bb) Nominelle und materielle Unterkapitalisierung . . . . . . . . . . . . . . 140 cc) Durchgriffshaftung bei materieller Unterkapitalisierung . . . . . . 143 c) Beherrschung der Gesellschaft . . . . 148 4. Einwendungen und Einreden, insbesondere Verjährung . . . . . . . . . . 151a 5. Internationale Zuständigkeit für Durchgriffsklagen . . . . . . . . . . . . . . . . 151c X. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

1. Entwicklung der Existenzvernichtungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schuldner und Gläubiger des Anspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tatbestandsvoraussetzungen . . . . . . 4. Einzelfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Verschulden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Konkurrenzen a) Geschäftsführerhaftung . . . . . . . . . b) Gesellschafterhaftung . . . . . . . . . . . 8. Haftung während der Liquidation . . 9. Verjährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. „Gesellschafterfreundlicher Durchgriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XII. Umgekehrter Durchgriff . . . . . . . . . . XIII. Berechnungsdurchgriff im Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

153 157 161 166 167 169 172 175 176 176a 177 185 188

I. Einleitung Die Vorschrift des § 13 leitet den zweiten Abschnitt des Gesetzes, überschrieben mit „Rechts- 1 verhältnisse der Gesellschaft und der Gesellschafter“ ein. Das Gesetz regelt hier zunächst die wichtigsten Merkmale der GmbH und versucht sodann, durch eine Fülle unterschiedlicher Vorschriften nach Möglichkeit die Kapitalaufbringung und Kapitalerhaltung sicherzustellen. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei die Vorschriften der §§ 30 bis 32. Der an die Spitze dieses Abschnitts gestellte (zwingende) § 13 nennt dagegen die drei in den Augen der Gesetzesverfasser wichtigsten Merkmale der GmbH. Nach § 13 Abs. 1 besitzt die GmbH Rechtsfähigkeit. § 13 Abs. 2 fügt hinzu, dass für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen haftet, dass mit anderen Worten eine persönliche Haftung der Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft (grundsätzlich) ausgeschlossen ist, sofern nicht ein besonderer Rechtsgrund vorliegt. Die Gesellschaft gilt schließlich nach § 13 Abs. 3 ohne Rücksicht auf ihren konkreten Zweck und Gegenstand sowie auf ihre Größe als Handelsgesellschaft, so dass auf sie in jedem Fall zusätzlich die für die Handelsgesellschaften, d.h. für Kaufleute geltenden Rechtsvorschriften anwendbar sind (s. § 6 HGB). Mit § 13 nahezu wörtlich übereinstimmende Vorschriften finden sich für die Genossenschaft in § 17 GenG sowie für die österreichische GmbH in § 61 öGmbHG. Ebenso lautete ursprünglich die entsprechende Bestimmung für die AG (§ 213 Abs. 1 HGB a.F.), während jetzt § 1 Abs. 1 AktG ausdrücklich bestimmt, dass die AG eine Gesellschaft mit eigener Rechtspersönlichkeit ist (§ 1 Abs. 1 Satz 1 AktG), für deren Verbindlichkeiten den Gläubigern allein das Gesellschaftsvermögen haftet (§ 1 Abs. 1 Satz 2 AktG). § 13 muss vor allem im Zusammenhang mit § 11 Abs. 1 gesehen werden. Nach jener Vor- 2 schrift besteht die Gesellschaft vor ihrer Eintragung in das Handelsregister „als solche“ nicht. Aus beiden Vorschriften zusammen wird allgemein der Schluss gezogen, dass die GmbH (spätestens) ab Eintragung ins Handelsregister eine juristische Person darstellt (s. Rz. 3 ff.).

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§ 13 Rz. 2 | Juristische Person; Handelsgesellschaft Aus § 13 folgt ferner das sog. Trennungsprinzip1. Man bezeichnet damit die durch das positive Recht begründete Notwendigkeit, zwischen dem Vermögen und den Schulden der Gesellschaft auf der einen Seite und dem Vermögen und den Schulden der Gesellschafter auf der anderen Seite zu unterscheiden2. Diese sich aus der eigenen Rechtspersönlichkeit der GmbH (§ 13 Abs. 1) ergebende Trennung der Sphären von Gesellschaft und Gesellschaftern wird oft ganz selbstverständlich mit der in § 13 Abs. 2 mittelbar zum Ausdruck kommenden fehlenden Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten in Verbindung gebracht3, obwohl es sich richtigerweise um zwei zu unterscheidende Dinge handelt4: Auch bei den Personengesellschaften gibt es nämlich die Trennung zwischen dem Verband und den Gesellschaftern, und zwar sowohl in Bezug auf das Vermögen wie auch die Schulden5. Selbst der Umstand, dass die Gesellschafter einer GbR, OHG oder KG für die Gesellschaftsschulden akzessorisch mithaften – sei es in direkter oder analoger Anwendung des § 128 HGB (ab 1.1.2024 § 721 BGB n.F. bzw. § 126 HGB n.F.) unbeschränkt oder gemäß § 171 HGB beschränkt –, macht die Gesellschaftsschuld nicht zur Gesellschafterschuld. Der Gesellschafter haftet vielmehr für eine fremde Schuld: jene der Personengesellschaft, wie es seit BGHZ 142, 3156 und BGHZ 146, 3417 auch für die (Außen-)GbR anerkannt ist und mit dem MoPeG zum 1.1.2024 auch im Gesetz verankert wird (Rz. 5)8. Insoweit sind das bei allen Kapital- und Personengesellschaften geltende Trennungsprinzip – verstanden im Sinne 1 Verwendung dieses Begriffs z.B. bei BGH v. 27.9.2016 – II ZR 57/15, ZIP 2016, 2238 = GmbHR 2016, 1263 Rz. 20; BGH v. 19.11.2013 – II ZR 150/12, ZIP 2014, 565 = MDR 2014, 550 Rz. 25; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 261 = ZIP 2007, 1552, 1557 = GmbHR 2007, 927 Rz. 36 – Trihotel; BVerwG v. 5.6.2019 – 7 B 18/18, ZInsO 2019, 1942 Rz. 11; BVerwG v. 5.6.2019 – 7 B 21/18 juris-Rz. 10; LAG Hamm v. 30.1.2015 – 10 Sa 828/14, ZIP 2015, 1392, 1393 = GmbHR 2015, 931; LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531 (Leitsatz 2); LSG Hessen v. 18.11.2021 – L 1 BA 25/21 juris-Rz. 25, 39; Lieder in Michalski u.a., Rz. 331; näher Mülhens, S. 232 ff.; Hornberg, S. 21 ff.; s. auch BGH v. 26.9.2018 – Vlll ZR 187/17, BGHZ 220, 19 = ZIP 2018, 2112 = GmbHR 2018, 1263 Rz. 36; umfassend zum Trennungsprinzip die Habilitationsschrift von Thomale, Kapital als Verantwortung (vgl. die Zusammenfassung in AcP 218 [2018], 685 f.); von „Abschirmwirkung“ und „Durchgriffsverbot“ spricht BFH v. 16.9.2021 – IV R 7/18, ZIP 2022, 262 (für BFHE vorgesehen) Rz. 21 f. m.w.N. 2 Rechtsvergleichend Mülhens, S. 23 ff. 3 Deutlich BVerwG v. 5.6.2019 – 7 B 18/18, ZInsO 2019, 1942 Rz. 11; BVerwG v. 5.6.2019 – 7 B 21/18 juris-Rz. 10; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1 und Überschrift vor Rz. 5; Boujong in FS Odersky, 1996, S. 739 im Titel: „Das Trennungsprinzip des § 13 Abs. 2 GmbHG“; Schweizer, ZVglRWiss 118 (2019), 1, 2 ff.; ferner Lieder in Michalski u.a., Rz. 2 und insbes. Rz. 332 („eng verbunden“); Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 2015, S. 244 (vgl. aber auch S. 249); Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83, 84 und 96 f.; ausführlich Hornberg, S. 21 ff. mit Ergebnis S. 60 ff.; s. auch BGH v. 26.9.2018 – Vlll ZR 187/17, BGHZ 220, 19 = ZIP 2018, 2112 = GmbHR 2018, 1263 Rz. 36; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 51, 61; Prütting, JuS 2018, 409, 411; für den Verein Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, vor § 21 BGB Rz. 56, 186. 4 Tendenziell auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5 a.E. und Rz. 7; ferner Raiser, ZGR 2016, 781, 787 f. und 795 und Guntermann, Das Zusammenspiel von Mindeststammkapital und institutioneller Haftungsbeschränkung, 2016, S. 14 f. m.w.N. zur erforderlichen Differenzierung zwischen Rechtsfähigkeit (der juristischen Person) und Haftungsbeschränkung; umfassend zur fehlenden Möglichkeit, die Haftungsbeschränkung aus dem Trennungsprinzip rechtfertigen zu können, die Habilitationsschrift von Thomale, Kapital als Verantwortung (vgl. die Zusammenfassung in AcP 218 [2018], 685 f.). 5 Tendenziell anders Lieder in Michalski u.a., Rz. 3: unterschiedlicher Grad der rechtlichen Verselbständigung; den Hinweis auf die Personengesellschaften ausdrücklich nicht als Einwand gegen die Verknüpfung von Trennungsprinzip und Haftungsbeschränkung akzeptierend Hornberg, S. 33 ff. 6 BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = GmbHR 1999, 1134. 7 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = MDR 2001, 459. 8 Zu der sich daraus ergebenden Unmöglichkeit der Abgrenzung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften nach der Frage der eigenen Rechtspersönlichkeit Bitter/Heim, GesR, § 1 Rz. 15 ff.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 3 § 13

einer rechtlichen Verselbständigung des Verbands – und die bei den Kapitalgesellschaften (insbesondere AG und GmbH) zusätzlich fehlende Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten letztlich zwei verschiedene, in § 13 Abs. 1 und 2 auch gesondert angeordnete Dinge9. Der in § 13 Abs. 2 durch die Haftungsbeschränkung auf das Gesellschaftsvermögen mittelbar zum Ausdruck kommende grundsätzliche Ausschluss einer persönlichen Haftung aus §§ 128, 171 HGB (ab 1.1.2024 § 721 BGB n.F. bzw. §§ 126, 171 HGB n.F.) schließt allerdings im Einzelfall einen „Durchgriff“ auf die Gesellschafter nicht aus. Angesichts der gesetzlichen Regelung bedarf ein solcher Durchgriff jedoch in jedem Fall einer besonderen Begründung (s. Rz. 90 ff., 110 ff., 152 ff.).

II. Rechtspersönlichkeit der GmbH Schrifttum: Bachmann, Vorgesellschaft und Nachgesellschaft – Ein Beitrag zur juristischen Personifikation, in FS Lindacher, 2017, S. 23; Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, 1907; Brecher, Subjekte und Verband, in FS A. Hueck, 1959, S. 233; Fabricius, Relativität der Rechtsfähigkeit, 1963; O. v. Gierke, Deutsches Privatrecht Bd. I, 1895/1936; Grünwald, Die deliktsrechtliche Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers für Organisationsdefizite, 1999; Haff, Grundlagen einer Körperschaftslehre, 1915; Henkel, Zur Theorie der Juristischen Person im 19. Jahrhundert: Geschichte und Kritik der Fiktionstheorien, Göttingen 1973; Hölder, Natürliche und juristische Personen, 1905; Hölder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, JherJb 53 (1908), 40; Hornberg, Das rechtliche Schicksal der Durchgriffshaftung in Abhängigkeit zur Gesellschaftsschuld, 2020, § 2; G. Husserl, Rechtssubjekt und Rechtsperson, AcP 127 (1927), 129; U. John, Die organisierte Rechtsperson, 1977; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1997; Kübler, Rechtsfähigkeit und Verbandsverfassung, 1971; Mülhens, Der sogenannte Haftungsdurchgriff im deutschen und englischen Recht: Unterkapitalisierung und Vermögensentzug, 2006; C. Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977; Raiser, Der Begriff der juristischen Person, AcP 199 (1999), 104; Raiser, Gesamthandsgesellschaft und juristische Person, in FS Zöllner Bd. I, 1998, S. 469; Raiser, Die Haftungsbeschränkung ist kein Wesensmerkmal der juristischen Person, in FS Lutter, 2000, S. 637; Raiser, Allgemeine Vorschriften über juristische Personen in einem künftigen Bürgerlichen Gesetzbuch, ZGR 2016, 781; E. Rehbinder, Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, 1969; F. Rittner, Die werdende juristische Person, 1973; Rohde, Juristische Person und Treuhand, 1932; C. Schubel, Verbandssouveränität und Binnenorganisation der Handelsgesellschaften, 2003; Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 2. Aufl. 1980; Thomale, Kapital als Verantwortung – Kritik der institutionellen Haftungsbeschränkung, im Erscheinen (vgl. zusammenfassend AcP 218 [2018], 685); Wieacker, Zur Theorie der Juristischen Person im Privatrecht, in FS E. R. Huber, 1973, S. 339; J. Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981; H. J. Wolff, Organschaft und juristische Person, 2 Bde., 1933/1934; weitere Literatur zur Haftung und zum Durchgriff s. vor Rz. 55, vor Rz. 110, vor Rz. 131, vor Rz. 138, zur Haftung wegen Existenzvernichtung vor Rz. 152.

1. Juristische Person Die GmbH gilt heute allgemein als juristische Person (Rz. 2), obwohl das Gesetz dies nicht 3 ausdrücklich sagt, sondern sich in § 13 Abs. 1 Halbs. 1 anders als etwa heute § 1 Abs. 1 AktG auf die Bestimmung beschränkt, dass die Gesellschaft mit beschränkter Haftung „als solche selbständig ihre Rechte und Pflichten“ hat. Zur weiteren Verdeutlichung fügt das Gesetz aus historischen Gründen noch hinzu, dass die Gesellschaft Eigentum und andere dingliche Rechte an Grundstücken erwerben sowie vor Gericht klagen und verklagt werden kann (§ 13 Abs. 1 Halbsatz 2). Dasselbe bestimmte ursprünglich das HGB für die AG in § 213 Abs. 1 a.F. und bestimmt § 17 GenG noch heute für die Genossenschaft (s. schon Rz. 1). Von § 124 Abs. 1 HGB in der noch bis Ende 2023 geltenden Fassung (bzw. § 705 Abs. 2 BGB und § 105 Abs. 2 HGB in der am 1.1.2024 in Kraft tretenden neuen Fassung) unterscheiden sich alle 9 Ebenso Mülhens, S. 23 ff.; im Grundsatz a.A. Hornberg, S. 21 ff. mit Ergebnis S. 60 ff.

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§ 13 Rz. 3 | Juristische Person; Handelsgesellschaft diese Vorschriften (lediglich) durch den (wenig aussagekräftigen) Zusatz „als solche selbständig“. Die Gesetzesverfasser wollten mit dieser Formulierung gleichwohl seinerzeit zum Ausdruck bringen, dass die GmbH ab Eintragung ins Handelsregister (s. § 11 Abs. 1) im Gegensatz zur OHG mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestattet ist10. Die Gesellschaft ist folglich ein selbständiges, d.h. von ihren Gesellschaftern zu unterscheidendes Zuordnungssubjekt für Rechte und Pflichten, das in seinem Bestand von den Mitgliedern unabhängig ist (§ 15), das durch eigene Organe handeln kann (§ 35 Abs. 1) und mit einem eigenen, von dem der Gesellschafter getrennten Vermögen ausgestattet ist (§ 13 Abs. 2). Auf der Unabhängigkeit von den Mitgliedern beruht letztlich auch die Möglichkeit von Einpersonengesellschaften, die § 1 ausdrücklich anerkennt (s. 13. Aufl., § 1 Rz. 49 ff.)11 und die fast 60 % aller GmbH in Deutschland ausmachen12. 4 Die GmbH ist ebenso wie die AG und die Genossenschaft nach der Systematik des deutschen

Gesellschaftsrechts nichts anderes als eine besondere Erscheinungsform des bürgerlichrechtlichen Vereins, wie insbesondere in § 6 Abs. 2 HGB zum Ausdruck kommt. In jener Vorschrift ist nämlich von einem „Verein“ die Rede, „dem das Gesetz ohne Rücksicht auf den Gegenstand des Unternehmens die Eigenschaft eines Kaufmanns beilegt“. Genau dies ist für die GmbH in § 13 Abs. 3 der Fall, so dass die §§ 21 ff. BGB subsidiär auf die GmbH anwendbar sind13. Besondere Bedeutung hat dies bekanntlich für die §§ 31, 33 und 35 BGB14. Die GmbH zählt damit zusammen mit den genannten anderen Gesellschaften zu den sog. Körperschaften, die meistens in einen betonten Gegensatz zu den Personengesellschaften, insbesondere also zur GbR, zur OHG und zur KG gerückt werden, die – trotz des § 124 Abs. 1 HGB – nach herkömmlichem Verständnis keine juristischen Personen darstellen, sondern „bloße“ Gesamthandsgemeinschaften bilden (§§ 717, 719 BGB in der bis Ende 2023 geltenden Fassung), ein Verständnis, das freilich mit dem Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024 vom Gesetzgeber in Bezug auf die Gesamthand korrigiert wird15. 5 Bei Lichte besehen sind freilich die Unterschiede zwischen den Körperschaften und den Per-

sonengesellschaften nur gering, wie im Grunde bereits aus der Formulierung des derzeit noch geltenden § 124 Abs. 1 HGB folgt, angesichts derer die Rechtsfähigkeit der Personengesellschaften eigentlich niemals ernstlich zweifelhaft sein konnte16. Noch deutlicher wird dies mit dem Inkrafttreten des MoPeG am 1.1.2024, weil dann nicht nur die OHG in § 105 Abs. 2 HGB n.F., sondern auch die (Außen-)GbR – in Übernahme der Anfang des Jahrtausends entwickelten BGH-Rechtsprechung (s. schon Rz. 2)17 – in § 705 Abs. 2 BGB n.F. ausdrücklich zur „rechtsfähigen Gesellschaft“ erklärt wird18. Die Diskussion über die Unterschiede oder Ge10 Vgl. für die AG die Denkschrift zum HGB, S. 118 in Schubert/Schmiedel/Krampe, Quellen zum HGB II, 1987, S. 118; anders noch Hölder, Natürliche und juristische Personen, 1905, S. 206 ff.; heute unstr., s. z.B. statt aller Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 3 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 1 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 2 ff. 11 Kritisch Gröpl, jM 2017, 315, 318: Einpersonengesellschaft als contradictio in adiecto. 12 Daten bei Bayer/Hoffmann, GmbHR 2014, 12, 13. 13 Zustimmend Lieder in Michalski u.a., Rz. 4. 14 Zu § 31 BGB s. Rz. 18 ff.; zu §§ 33, 35 BGB s. 12. Aufl., § 53 Rz. 48, 155, 181. 15 Zur allgemeinen Unterscheidung zwischen Körperschaften und Personengesellschaften vgl. Bitter/ Heim, GesR, § 1 Rz. 9 ff. mit dem Hinweis, dass die Frage der Rechtsfähigkeit (nur) früher der Ausgangspunkt jener Unterteilung war; zur Abschaffung des Gesamthandsprinzips s. Bitter/Heim, GesR, § 1 Rz. 16 und insbes. § 5 Rz. 37 ff. 16 Auch dazu Bitter/Heim, GesR, § 1 Rz. 16; ferner Raiser, ZGR 2016, 781, 785 f.; deutlich Bachmann/ Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012, S. 112 f. mit rechtsvergleichendem Blick; früher schon Emmerich in Heymann, § 124 HGB Rz. 4. 17 S. BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 = GmbHR 1999, 1134 = NJW 1999, 3483; BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056; BGH v. 18.2.2002 – II ZR 331/00, NJW 2002, 1207 = NZG 2002, 322 = NZM 2002, 271. 18 Dazu Bitter/Heim, GesR, § 1 Rz. 17 und insbes. § 5 Rz. 29 ff.

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meinsamkeiten der Kapital- und Personengesellschaften19 wird gleichwohl nicht verstummen. Sie ist jedoch in ihrer Bedeutung erheblich reduziert, nämlich vorrangig auf die eher begriffliche Frage, ob es immer noch sinnvoll ist, zwischen Rechtsfähigkeit und juristischer Person zu unterscheiden, wie es der Gesetzgeber des MoPeG mit dem der juristischen Person gegenübergestellten Begriff der „rechtsfähigen Personengesellschaft“ tut (vgl. z.B. § 707 Abs. 2 Nr. 2 b) BGB n.F.)20, oder beides gleichzusetzen ist21. Im vorliegenden Zusammenhang braucht darauf jedoch nicht weiter eingegangen zu werden, weil, wie immer man im Übrigen den Begriff der juristischen Person fassen mag, für die GmbH feststeht, dass sie juristische Person und Körperschaft (Verein) ist, deren Rechtsfähigkeit so weit reicht, wie dies überhaupt bei juristischen Personen (in den Grenzen des Rechts) denkbar ist (§ 13 Abs. 1 GmbHG; § 1 Abs. 1 Satz 1 AktG; s. im Einzelnen Rz. 16 ff.). Da die GmbH als juristische Person letztlich ein vom Recht geschaffenes fiktives Gebilde ist, 6 welches – anders als eine natürliche Person – nicht selbst handeln kann, und zwar weder rechtsgeschäftlich noch deliktisch, benötigt sie Organe, mittels derer sie im Rechtsverkehr handlungsfähig wird (§§ 35, 46 ff.)22. Die GmbH ist in ihrem Bestand von ihren Mitgliedern unabhängig (§ 15) und mit einem eigenen Vermögen ausgestattet (Rz. 2), das zum Schutz der Gläubiger durch strenge Kapitalaufbringungs- und Kapitalerhaltungsvorschriften gesichert wird (§ 13 Abs. 2, § 14, §§ 19 ff., §§ 30 ff.). Es sind vor allem diese Merkmale, die man üblicherweise vorrangig im Auge hat, wenn man die GmbH als „Körperschaft“ bezeichnet (Rz. 4)23. Dabei bleibt jedoch zu beachten, dass eigene Rechtspersönlichkeit eines Verbandes und eine spezifische körperschaftliche Verfassung nicht korrelieren. Ferner kann auch innerhalb einer körperschaftlichen Struktur mit ihren drei prägenden Merkmalen (Gesamtname, Fremdorganschaft und Unabhängigkeit von der Identität der Mitglieder) die Intensität der institutionellen Trennung zwischen dem Verband und seinen Mitgliedern variieren. Nichts hindert insbesondere den Gesetzgeber, den Gesellschaftern für ihr Innenverhältnis Vertragsfreiheit einzuräumen (s. § 45 GmbHG im Gegensatz zu § 23 Abs. 5 AktG und § 18 Satz 2 GenG). Die Gesellschafter können daher auch eine personalistische Struktur für ihre Körperschaft GmbH wählen und tun dies in der Praxis häufig24. Die höhere Intensität der Bindung im Innenverhältnis wirkt sich freilich auch auf die Intensität der Treuebindung aus (Rz. 51).

2. Beginn und Ende der Rechtsfähigkeit Beginn und Ende des „Lebens“ einer GmbH als eines künstlich geschaffenen Elements recht- 7 licher Infrastruktur25 hängen eng mit der Eintragung im Handelsregister zusammen, wobei 19 S. dazu Flume, Juristische Person, § 1 (S. 1 ff.); U. John, Die organisierte Rechtsperson, 1979; Kleindiek, Deliktshaftung, S. 151 ff.; C. Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977; Raiser, AcP 199 (1999), 104; Raiser in FS Zöllner, Bd. I, S. 469; Raiser in FS Lutter, S. 637; Karsten Schmidt, GesR, § 8 (S. 181 ff.); Bitter/Heim, GesR, § 1 Rz. 14 ff. 20 Zustimmend Habersack, ZGR 2020, 539, 548 m.w.N.; Armbrüster, ZGR-Sonderheft 23, 2021, S. 143, 151 f.; s. auch den Diskussionsbericht bei Benz, ebenda, S. 165, 167. 21 Dazu Bachmann in FS Lindacher, 2017, S. 23, 34 ff.; s. aber auch BGH v. 14.12.2016 – VIII ZR 232/ 15, ZIP 2017, 122 Rz. 17 ff. mit – wenig überzeugender – Differenzierung zwischen Personen- und Kapitalgesellschaften bei der Eigenbedarfskündigung (§ 573 Abs. 2 Satz 2 BGB); dazu mit Recht kritisch die Monografie von Palmen, Eigenbedarfsähnliche Kündigungsgründe und vermietende Gesellschaften, 2021. 22 Raiser, ZGR 2016, 781, 788 ff. 23 Zu den Merkmalen der Körperschaften Bitter/Heim, GesR, § 1 Rz. 15 ff., § 2 Rz. 1 ff.; s. auch Lieder in Michalski u.a., Rz. 2. 24 Dazu Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 3 f.; s. auch Lieder in Michalski u.a., Rz. 12 f. 25 So Bachmann in FS Lindacher, 2017, S. 23, 36.

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§ 13 Rz. 7 | Juristische Person; Handelsgesellschaft freilich auch vor der Eintragung und nach der Löschung kein rechtsträgerloser Zustand herrscht: a) Die Entstehung der GmbH 8 Die Gesellschaft erlangt, wie sich aus § 13 Abs. 1 i.V.m. § 11 Abs. 1 ergibt, die (volle) eigene

Rechtspersönlichkeit erst mit ihrer Eintragung ins (deutsche) Handelsregister. Dies gilt auch für die verschiedenen Fälle der Umwandlung nach dem UmwG. In der Zeit vor ihrer Eintragung ins Handelsregister besteht dagegen die GmbH „als solche“, d.h. als juristische Person GmbH noch nicht (§ 11 Abs. 1). Um dies zu verdeutlichen, wird allgemein die in der Zeit zwischen der Errichtung der Gesellschaft durch Abschluss des Gesellschaftsvertrages (§ 2) und ihrer Eintragung ins Handelsregister (§ 11 Abs. 1) bereits bestehende Gesellschaft als Vorgesellschaft oder Vor-GmbH bezeichnet (s. 13. Aufl., § 11 Rz. 27 ff.)26. Sie wird als Gesellschaft eigener Art (sui generis) und als rechtsfähig angesehen27. Ob sie deshalb – wie die GmbH – schon als juristische Person bezeichnet werden sollte, hängt von der in Rz. 5 angeführten Frage ab, ob zwischen Rechtsfähigkeit und juristischer Person zu unterscheiden oder beides gleichzusetzen ist28. b) Das Erlöschen der GmbH 9 Das Erlöschen der Rechtspersönlichkeit der GmbH ist vom Gesetz nicht geregelt. Aus ihm

ergibt sich vielmehr lediglich, dass jedenfalls die Auflösung (§§ 60 ff.) und die Eintragung der Nichtigkeitserklärung (§§ 75, 77) diese Folge nicht haben, sondern die Gesellschaft mit verändertem Zweck (Abwicklung) fortbestehen lassen. Denn die Gesellschaft ist jetzt nach den besonderen Vorschriften über das Liquidationsverfahren abzuwickeln (§§ 66 ff., § 77), an deren Stelle im Falle der Insolvenz (§ 60 Abs. 1 Nr. 4, § 66 Abs. 1) die Vorschriften der InsO treten. Da die Gesellschaft während des Liquidationsverfahrens (mit verändertem Zweck) fortbesteht, können die Gesellschafter auch jederzeit – nach Beseitigung des jeweiligen Auflösungsgrundes – die Fortsetzung der Gesellschaft beschließen (s. 12. Aufl., § 60 Rz. 95 ff.). Vor allem hieran wird deutlich, dass sorgfältig zwischen der Auflösung und dem Erlöschen der Gesellschaft unterschieden werden muss (12. Aufl., § 60 Rz. 1 ff.). 10 Im Schrifttum war früher stärker als heute umstritten, unter welchen Voraussetzungen die

Gesellschaft endgültig erlischt, ob insbesondere die Vermögenslosigkeit oder die Löschung im Handelsregister je für sich die entscheidende Zäsur bilden oder beides zusammenkommen muss (s. dazu 12. Aufl., § 60 Rz. 8, 65 ff.). Als herrschend hat sich die in diesem Kommentar seit der 6. Aufl. von Karsten Schmidt entwickelte Lehre vom Doppeltatbestand durchgesetzt (12. Aufl., § 60 Rz. 66, 68)29. Danach kommt es auf beide Umstände gleichermaßen an: Nur Vermögenslosigkeit und Eintragung der Löschung zusammen bewirken das endgültige Erlöschen der Gesellschaft als Rechtsperson30, während die Gegenansicht in Fällen der Löschung im Handelsregister bei fehlender Vermögenslosigkeit von einer „Nachgesellschaft“ ausgeht, die – in Parallele zur Vorgesellschaft (Rz. 8) – zwar als Gesellschaft eigener Art (sui generis) rechtsfähig, aber keine juristische Person ist31. 11 In der praktischen Anwendung dürften sich beide Lehren kaum unterscheiden. Vielmehr

geht es jeweils darum zu begründen, warum ein noch vorhandenes Vermögen, welches sich

26 27 28 29 30 31

Näher – auch zur Haftung im Gründungsstadium – Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 24 ff. Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 38. Ausführlich Bachmann in FS Lindacher, 2017, S. 23 ff., insbes. S. 34 ff. Nachw. bei Lieder in Michalski u.a., Rz. 16. Ebenso Lieder in Michalski u.a., Rz. 17; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 7. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 12; ausführlich Bachmann in FS Lindacher, 2017, S. 23 ff.

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nach einer Löschung der GmbH im Handelsregister herausstellt, nicht trägerlos ist. Ob man als Rechtsträger jenes Vermögens die bis zur Vermögenslosigkeit fortbestehende GmbH oder stattdessen eine Nachgesellschaft ansieht, dürfte sich in der Praxis nicht auswirken. Begrifflich ergibt sich jedoch die bereits zweifach angesprochene Frage, ob jener Rechtsträger im Hinblick auf seine allseits anerkannte Rechtsfähigkeit als juristische Person einzuordnen oder von ihr zu unterscheiden ist (Rz. 5 und 8)32. Nach dem Wortlaut des § 11 Abs. 1 ist insoweit ohne Eintragung im Handelsregister nicht von einer GmbH „als solcher“ auszugehen. Außer durch Vermögenslosigkeit und/oder Löschung im Handelsregister kann es auch durch 12 Umwandlungsmaßnahmen nach dem UmwG zu einem Erlöschen der GmbH als Rechtsträger kommen. Dies gilt zum einen für die Verschmelzung durch Aufnahme in einen anderen Rechtsträger oder durch Neugründung, weil damit der übertragende Rechtsträger erlischt (§ 20 Abs. 1 Nr. 2, § 36 UmwG), zum anderen für den Formwechsel, weil damit zwar der Rechtsträger erhalten bleibt, nicht jedoch in seiner Eigenschaft als bisherige GmbH (§ 202 UmwG)33.

3. „Keinmann-GmbH“ Ein vor allem theoretisch bedeutsamer Grenzfall ist die GmbH ohne Gesellschafter, die sog. 13 Keinmann- oder besser: Keinpersonen-GmbH. Sie ergibt sich durch die Vereinigung aller Anteile in der Hand der Gesellschaft, etwa nach Abtretung, Kaduzierung34 oder Erbgang (gesellschafterlose GmbH), zudem beim Wegfall sämtlicher Anteile durch Einziehung (anteillose GmbH)35. Die rechtliche Behandlung der Keinpersonen-GmbH ist umstritten. Richtiger Meinung nach muss man danach unterscheiden, ob der fragliche Zustand kraft Gesetzes (s. § 21, § 27 Abs. 3 und § 33; s. 13. Aufl., § 33 Rz. 173) oder durch rechtsgeschäftlichen Erwerb eintritt, da nichts hindert, zumindest den rechtsgeschäftlichen Erwerb des letzten Anteils durch die Gesellschaft als nichtig zu behandeln36. In den verbleibenden Fällen mag die Vereinigung aller Anteile in der Hand der Gesellschaft zwar gelegentlich unvermeidbar sein; dieser Zustand ist indessen nicht als Dauerzustand hinnehmbar, weil es die Gesellschafter andernfalls in der Hand hätten, der Sache nach eine private Anstalt oder Stiftung ohne die dafür mit gutem Grund vorgesehenen Kautelen (§§ 80 ff. BGB) zu schaffen (s. auch 13. Aufl., § 33 Rz. 173)37. Umstritten ist deshalb nur, ob bei der Vereinigung aller Anteile in der Hand der Gesellschaft die Auflösung sofort eintritt (h.M.)38 oder erst nach einer kurz bemessenen Übergangszeit, vorausgesetzt, dass es den Geschäftsführern nicht gelingt, den eingetretenen Zustand unverzüglich durch die Veräußerung zumindest eines Anteils wieder zu beenden39. Die besseren Gründe sprechen für die zuerst genannte Auffassung, weil alle Maßstäbe für die von der zweiten Auffassung favorisierte Übergangszeit fehlen (näher 12. Aufl., § 60 Rz. 80)40. Nicht hierher gehört jedoch der mit dem MoPeG in § 170 Abs. 2 HGB n.F. ab 1.1.2024 aus32 S. erneut Bachmann in FS Lindacher, 2017, S. 23 ff., insbes. S. 34 ff. 33 Ebenso Lieder in Michalski u.a., Rz. 18. 34 Vgl. OGH v. 7.10.1998 – 3 Ob 196/98i, SZ Bd. 71 (1998 II) Nr. 163, S. 303, 309 f. = WiBl. 1999, 275, 276 f. = NZG 1999, 444, 445; Michalski/Schulenburg, NZI 1999, 431. 35 Zur begrifflichen Unterscheidung Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 83; Steding, NZG 2003, 57, 58 f. 36 Vgl. dazu auch Kersting in Noack/Servatius/Haas, § 33 Rz. 19; a.A. Lieder in Michalski u.a., Rz. 11 m.w.N.; wohl auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 5. 37 Ähnlich Lieder in Michalski u.a., Rz. 11. 38 S. 13. Aufl., § 33 Rz. 173 (Verse); 12. Aufl., § 60 Rz. 80 (Scheller); Kersting in Noack/Servatius/Haas, § 33 Rz. 19; Pentz in Rowedder/Pentz, § 33 Rz. 27; Lieder in Michalski u.a., Rz. 11. 39 So noch Westermann in der 12. Aufl., § 33 Rz. 44. 40 Anders wohl für die Kaduzierung des einzigen Geschäftsanteils OLG Hamburg v. 16.3.2001 – 11 U 190/00, GmbHR 2001, 972 = BB 2001, 2182; OGH v. 7.10.1998 – 3 Ob 196/98i, SZ Bd. 71 (1998 II)

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§ 13 Rz. 13 | Juristische Person; Handelsgesellschaft drücklich anerkannte Fall einer GmbH & Co. KG, bei welcher die KG alleinige Gesellschafterin der Komplementär-GmbH ist (sog. Einheitsgesellschaft)41, weil beide Gesellschaften verschiedene Rechtssubjekte sind und die KG mit den Kommanditisten über autonom handelnde Interessenträger verfügt42.

4. Rechtsschein-GmbH? 14 Im Schrifttum wird die Frage erörtert, ob es auch eine sog. Rechtsschein-GmbH gibt, wobei

man offenbar Fälle im Auge hat, in denen Personen unter der unzutreffenden Bezeichnung als GmbH am Geschäftsverkehr teilnehmen43. In der Rechtsprechung haben derartige Fälle insbesondere in zwei verschiedenen Konstellationen gelegentlich eine Rolle gespielt44: zum einen bei einer UG (haftungsbeschränkt) i.S.v. § 5a, welche unzulässig als „GmbH“ im Rechtsverkehr firmierte45, zum anderen bei Gesellschaften aus Drittstaaten, die im Inland wie eine deutsche GmbH auftraten46. 15 In beiden Fällen führen bereits die Grundsätze über das unternehmensbezogene Rechts-

geschäft47 zur Verpflichtung des tatsächlichen Unternehmensträgers, in den Beispielsfällen also der UG (haftungsbeschränkt) bzw. der ausländischen Gesellschaft48. Neben deren Haftung kommt jedoch eine Rechtsscheinhaftung der handelnden Personen in Betracht (näher 13. Aufl., § 4 Rz. 20 ff.)49. Bei der Firmierung als „GmbH“ statt als „UG (haftungsbeschränkt)“ ist diese freilich im Umfang auf die Differenz zwischen dem scheinbar und dem tatsächlich aufgebrachten Kapital begrenzt50 und deshalb wie die Außenhaftung eines Kommanditisten abzuwickeln (§§ 171, 172 HGB)51. Im Fall des für eine Auslandsgesellschaft mit der Bezeichnung als „GmbH“ Auftretenden tritt neben die Differenz im aufzubringenden Stammkapital hingegen auch das Problem der praktischen Erreichbarkeit der Auslandsgesell-

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Nr. 163, S. 303, 309 f. = WiBl. 1999, 275, 276 f. = NZG 1999, 444, 445; s. dazu 13. Aufl., § 21 Rz. 56, 13. Aufl., § 22 Rz. 60; Michalski/Schulenburg, NZG 1999, 431, 432 f. Dazu Bitter/Heim, GesR, § 7 Rz. 30a; näher Begr. RegE MoPeG zu § 170 Abs. 2 HGB n.F., BTDrucks. 19/27635, S. 255 f.; Wertenbruch, GmbHR 2021, 1, 6 f. (Rz. 18 f.); Heckschen/Nolting, BB 2021, 2946, 2952; ausführlich Wertenbruch, GmbHR 2021, 1181, 1183 ff. Fleischer in MünchKomm. GmbHG, § 1 Rz. 86; ferner Kersting in Noack/Servatius/Haas, § 33 Rz. 19 a.E. und 20; a.A. Gonella, DB 1965, 1165; Winkler, GmbHR 1972, 80. Altmeppen, Rz. 7 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 19; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15. S. zum Folgenden sowie auch zur Haftung bei gänzlich fehlendem Rechtsformzusatz ausführlich Bitter, ZInsO 2018, 625, 633 ff. BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 = GmbHR 2012, 953; dazu Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 3 Rz. 17b; Beurskens, NZG 2016, 681, 684 f. S. OLG Nürnberg v. 7.6.1984 – 8 U 111/84, WM 1985, 259 f.; LG Karlsruhe v. 31.10.1995 – 12 O 402/95, ZIP 1995, 1818, 1819 f. Dazu allgemein 13. Aufl., § 4 Rz. 6; Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rz. 51 ff.; hier speziell Bitter, ZInsO 2018, 625, 635. S. zur UG die in BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 = GmbHR 2012, 953 Rz. 6 wiedergegebene und vom BGH bestätigte Ansicht der Vorinstanz; zur Auslandsgesellschaft LG Karlsruhe v. 31.10.1995 – 12 O 402/95, ZIP 1995, 1818, 1819 (französische Société à responsabilité limitée); allgemein Altmeppen, Rz. 8; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Lieder in Michalski u.a., Rz. 19. Zur Rechtsscheinhaftung wegen fehlenden Rechtsformzusatzes Rz. 94. BGH v. 12.6.2012 – II ZR 256/11, ZIP 2012, 1659 = GmbHR 2012, 953 Rz. 14 ff. m.w.N. (vgl. aber auch Rz. 26); dogmatische Kritik in 13. Aufl., § 4 Rz. 29 (Scheller) sowie bei Altmeppen, § 35 Rz. 34 ff. Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 3 Rz. 17b; Bitter, ZInsO 2018, 625, 635; entgegen dem BGH für eine Innenhaftung Lieder in Michalski u.a., Rz. 20 m.w.N.

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schaft, weshalb insoweit an eine unbeschränkte Rechtsscheinhaftung analog § 179 Abs. 1 BGB wegen gänzlichen Fehlens der inländischen Gesellschaft zu denken ist52.

III. Umfang der Rechtsfähigkeit Die GmbH ist juristische Person (Rz. 3). Folglich kann sie grundsätzlich ebenso wie natürli- 16 che Personen am Rechtsverkehr teilnehmen, Verträge abschließen sowie Rechte erwerben und Verbindlichkeiten eingehen (§ 13 Abs. 1). Eine völlige Gleichstellung juristischer Personen mit natürlichen Personen verbietet sich jedoch aus in der Natur der Sache liegenden Gründen. Das schweizerische ZGB bestimmt deshalb in Art. 53 ausdrücklich, dass die juristischen Personen aller Rechte und Pflichten fähig sind, „die nicht die natürlichen Eigenschaften des Menschen, wie das Geschlecht, das Alter oder die Verwandtschaft, zur notwendigen Voraussetzung haben“ (vgl. außerdem § 26 Satz 2 öABGB)53. Dies gilt sinngemäß auch in Deutschland, so dass es in Zweifelsfällen immer der Prüfung bedarf, ob sich der Anwendungsbereich einer Rechtsvorschrift nach ihrem Sinn und Zweck auf natürliche Personen beschränkt oder alle oder doch bestimmte juristische Personen umfasst54. Dieser Frage ist im Folgenden getrennt für das Privatrecht, das öffentliche Recht, das Strafrecht, das Prozessrecht und Insolvenzrecht nachzugehen (Rz. 17, 30, 33, 34, 41 ff.). Vorwegzuschicken ist lediglich noch, dass die ultra-vires-Lehre des anglo-amerikanischen Rechtskreises dem deutschen Privatrecht unbekannt ist, so dass die Rechtsfähigkeit juristischer Personen nicht durch ihren Zweck oder Gegenstand beschränkt wird (s. § 35 Abs. 1, § 37 Abs. 2)55. Verstöße der Geschäftsführer gegen den Zweck oder den Gegenstand der Gesellschaft können nur im Einzelfall unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs der Vertretungsmacht56 Relevanz erlangen (§ 37 Abs. 2)57.

1. Privatrecht Als juristische Person kann sich die GmbH grundsätzlich im selben Umfang wie natürliche 17 Personen am rechtsgeschäftlichen Verkehr beteiligen, Verträge abschließen und sich zu beliebigen Leistungen verpflichten58. Darauf beruht insbesondere auch ihre Möglichkeit, freiberuflich tätig zu werden (s. im Einzelnen 13. Aufl., § 1 Rz. 21 ff.)59. Dagegen kann die GmbH nicht Arbeitnehmer und daher auch nicht Handlungsgehilfe oder Lehrling sein (§§ 59 ff. HGB)60. Die GmbH ist (als Kaufmann kraft Rechtsform) auch niemals Verbraucher

52 LG Karlsruhe v. 31.10.1995 – 12 O 402/95, ZIP 1995, 1818, 1819; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 15; Bitter, ZInsO 2018, 625, 635; partiell kritisch Altmeppen, Rz. 11; zur europarechtlichen Zulässigkeit der Rechtsscheinhaftung analog § 179 BGB beim Handeln für ausländische Gesellschaften BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, NJW 2007, 1529 = ZIP 2007, 908 Rz. 10 f.; allgemein zur Haftung analog § 179 BGB beim Handeln für eine nicht existente Person Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rz. 260 m.N. zur Rspr.; gegen die Heranziehung des § 179 BGB bei tatsächlich existenten Rechtsträgern Lieder in Michalski u.a., Rz. 20 m.w.N. 53 S. dazu auch Raiser, ZGR 2016, 781, 784, 786. 54 Zustimmend Lieder in Michalski u.a., Rz. 23. 55 Lieder in Michalski u.a., Rz. 24: einhellige Auffassung. 56 Dazu allgemein Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rz. 221 ff.; Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 6 Rz. 29 ff. mit Fall Nr. 18. 57 Lieder in Michalski u.a., Rz. 24; s. im Einzelnen 12. Aufl., § 35 Rz. 187 ff. 58 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 17 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 18 ff. 59 Lieder in Michalski u.a., Rz. 49. 60 Lieder in Michalski u.a., Rz. 46, 48.

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§ 13 Rz. 17 | Juristische Person; Handelsgesellschaft im Sinne des § 13 BGB, sondern stets Unternehmer im Sinne des § 14 Abs. 1 BGB und des § 310 Abs. 1 BGB. a) Handeln der GmbH durch ihre Organe 18 Kommt es auf das Kennen oder Kennenmüssen bestimmter Umstände an, so muss sich die

Gesellschaft die Kenntnis ihrer Geschäftsführer und sonstigen Repräsentanten zurechnen lassen (§§ 31, 166 BGB; s. 12. Aufl., § 35 Rz. 121 ff.)61. 19 Deliktisches Handeln der Geschäftsführer und sonstiger Repräsentanten wird der GmbH

analog § 31 BGB unbedingt zugerechnet, so dass die im Rahmen des § 831 BGB bestehende Möglichkeit der Exkulpation entfällt62. Nach der Vorschrift des § 31 BGB, die auch für sonstige Verbände wie die GmbH gilt (s. Rz. 4), haftet die Gesellschaft nämlich für den Schaden, den der Geschäftsführer oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter (Repräsentant) durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung während seiner Tätigkeit für die GmbH einem Dritten zufügt. Aktuell diskutiert und vom BGH grundsätzlich bejaht wird die Repräsentantenhaftung in Anwendung des § 31 BGB insbesondere im sog. Dieselskandal, in dem zu entscheiden war, ob die Herstellerin VW AG (und ggf. auch die Tochtergesellschaft Audi AG) direkt gegenüber geschädigten Autokäufern aufgrund eines deliktischen Fehlverhaltens ihrer „verfassungsmäßig berufenen Vertreter“ haftet63. 20 Soweit es um die Haftung für die Verletzung vertraglicher oder vorvertraglicher Pflichten

geht, ist § 31 BGB seinem Zweck nach ebenfalls anzuwenden64. Allerdings kommt es für die unbedingte Haftung der GmbH ohne Möglichkeit der Exkulpation auf jene Vorschrift – anders als bei Delikten (Rz. 19, 21) – im Ergebnis nicht an, wenn man im Rahmen einer Sonderbeziehung auch für Organmitglieder (und andere verfassungsmäßig berufene Vertreter der Gesellschaft) die Vorschrift des § 278 BGB anwendet65. b) Haftung der GmbH aus gesetzlichen Schuldverhältnissen 21 Als notwendige Folge der vollen Rechtsfähigkeit im Privatrechtsverkehr (Rz. 17) kann die

GmbH (selbstverständlich) auch aus gesetzlichen Schuldverhältnissen berechtigt und verpflichtet sein66. Sie haftet aus c.i.c., wenn ihre Geschäftsführer (oder Erfüllungsgehilfen) gegen § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 und 3 BGB verstoßen, ferner aus den §§ 812 ff. BGB, wenn sie grundlos bereichert ist. Umstritten ist jedoch die Deliktsfähigkeit der GmbH als juristische Person67. Nicht einheitlich beurteilt wird insoweit, ob aus § 31 BGB (Rz. 19)

61 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 24; eingehend Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25 ff. 62 Dazu Lieder in Michalski u.a., Rz. 33 f.; Bitter/Heim, GesR, § 2 Rz. 7; s. auch Raiser in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 21. 63 S. aus der umfangreichen Rspr. BGH v. 25.5.2020 – VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 = ZIP 2020, 1179 = MDR 2020, 790 (Rz. 29 ff.); BGH v. 11.5.2021 – VI ZR 80/20, ZIP 2021, 2344 (Rz. 14 ff.); BGH v. 11.5.2021 – VI ZR 154/20, ZIP 2021, 2593 f. (Rz. 13 ff.) m. w. N.; vgl. auch BGH v. 8.3.2021 – VI ZR 505/19, ZIP 2021, 799 = MDR 2021, 559 und BGH v. 16.9.2021 – VII ZR 192/20, ZIP 2022, 81 MDR 2022, 28 zur Haftung der Audi AG; ferner OLG Frankfurt v. 4.9.2019 – 13 U 136/18, ZIP 2020, 123: Das Wissen der VW AG wird der Skoda-Importeurin nicht zugerechnet. 64 Lieder in Michalski u.a., Rz. 30 m.w.N. 65 Dafür Schäfer in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 718 BGB Rz. 30 (zur GbR); für ein Nebeneinander von § 31 BGB und § 278 BGB Bitter/Heim, GesR, Fall 24 (S. 390 ff.) und Fall 31 (S. 418 ff.); gegen die Anwendung des § 278 BGB auf Geschäftsführer aber Lieder in Michalski u.a., Rz. 30. 66 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 21 ff. 67 S. dazu insbes. Coing in FS R. Fischer, 1979, S. 65; Kleindiek, Deliktshaftung und juristische Person, 1979, bes. S. 206 ff.; Lutter, GmbHR 1997, 329; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 38 ff.; Lieder

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 22 § 13

folgt, dass die GmbH selbst deliktsfähig ist68 oder ob eine deliktische Haftung der Gesellschaft immer nur auf dem Weg über eine Zurechnungsnorm, d.h. über § 31 BGB oder § 8 Abs. 2 UWG in Betracht kommt69. Unbestreitbar ist auf jeden Fall, dass die GmbH selbst deliktische Pflichten treffen können, so dass ihre Haftung bei einer Verletzung dieser Pflichten durch ihre Organe außer Frage steht (§ 31 BGB)70. Beispiele sind der weite Bereich der Verkehrs- oder Verkehrssicherungspflichten, die Pflichten der Gesellschaft aus dem UWG und den gleichstehenden anderen Wettbewerbsgesetzen sowie insbesondere der gesamte Bereich der Gefährdungshaftung71. Es steht nichts im Wege, die GmbH selbst als Halter eines Kraftfahrzeugs (§ 7 StVG), als Tierhalter (§ 833 Satz 1 BGB), als Hersteller i.S.d. §§ 1, 4 ProdHaftG bzw. als Inhaber oder Betreiber einer Anlage i.S.d. § 89 WHG, § 1 UmweltHG zu behandeln72. § 31 BGB ist schließlich entsprechend anzuwenden, wenn die Gesellschafter ausnahmsweise wie bei der Bestellung der Geschäftsführer die Gesellschaft vertreten (§ 46 Nr. 5; s. dazu 12. Aufl., § 46 Rz. 69 ff., 80) oder wenn sie, etwa über einen schuldlos irrenden Geschäftsführer, eine unerlaubte Handlung gegenüber Dritten begehen (§ 830 BGB)73. Von der Haftung der Gesellschaft für unerlaubte Handlungen (Rz. 21) muss die Eigenhaf- 22 tung der für die Gesellschaft tätig gewordenen Personen, in erster Linie also der Geschäftsführer unterschieden werden (vgl. dazu eingehend 12. Aufl., § 43 Rz. 461 ff.; 12. Aufl., § 64 Rz. 383 ff.; ferner unten Rz. 97 ff.)74. In zahlreichen Fällen ist die persönliche Verantwortlichkeit der Geschäftsführer (neben der Gesellschaft, § 31 BGB) ausdrücklich bestimmt und daher unproblematisch. Paradigmata sind § 69 AO und § 34 AO75. Die Geschäftsführer haften außerdem dann selbst persönlich, wenn sie in ihrer Person den Deliktstatbestand erfüllen, insbesondere fremde Rechtsgüter i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB verletzen oder gegen Schutzgesetze i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB verstoßen und dadurch Dritte schädigen76. Ebenso haftet der Geschäftsführer für unlautere Wettbewerbshandlungen der von ihm vertretenen Gesellschaft persönlich, wenn er daran entweder durch positives Tun beteiligt war oder wenn er die Wettbewerbsverstöße aufgrund einer nach allgemeinen Grundsätzen des Deliktsrechts begründeten Garantenstellung hätte verhindern müssen77. Eigentlich problematisch sind daher nur diejenigen Fälle, in denen die deliktischen Pflichten in erster Linie die Gesellschaft treffen, wie dies etwa für Verkehrs- oder Verkehrssicherungspflichten zutrifft. Die Praxis tendiert auch in diesen Fällen zu einer Ausdehnung der Haftung auf die für die Gesellschaft tätig werdenden Organe, freilich unter Widerspruch eines erheblichen Teils des Schrifttums und in

68 69 70 71 72 73 74

75 76 77

in Michalski u.a., Rz. 32; Matusche/Beckmann, Das Organisationsverschulden, 2001; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22 f.; Raiser, AcP 199 (1999), 104, 134 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 10 IV (S. 273 ff.); Spindler, Unternehmensorganisationspflichten, 2001. Bejahend Raiser, AcP 199 (1999), 104, 135; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. So die ganz h.M., z.B. Lieder in Michalski u.a., Rz. 32 (keine „aktive Deliktsfähigkeit“); Karsten Schmidt, GesR, § 10 IV 1 (S. 273 f.). Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 40; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. S. auch Lieder in Michalski u.a., Rz. 32, 35. Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 41; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23. Zustimmend Lieder in Michalski u.a., Rz. 33. S. dazu Grünwald, Deliktische Außenhaftung des GmbH-Geschäftsführers für Organisationsdefizite, 1999; Haas, Geschäftsführung und Gläubigerschutz, 1997; Haas, NZG 1999, 373; Kleindiek, Deliktshaftung, S. 368 ff.; Lutter, GmbHR 1997, 329; Neusel, GmbHR 1997, 1129; aus jüngerer Zeit Bitter, ZInsO 2018, 625, 638 ff. m.w.N.; vgl. auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 22. S. dazu Neusel, GmbHR 1997, 1129; Bruschke, DStZ 2012, 407 m.w.N. Überblick bei Bitter, ZInsO 2018, 625, 638 ff., 641 ff. (§ 823 Abs. 2 BGB), 652 ff. (§ 823 Abs. 1 BGB). BGH v. 18.6.2014 – I ZR 242/12, BGHZ 201, 344 = ZIP 2014, 1475 = GmbHR 2014, 977 = MDR 2014, 1038; dazu und zu der weitergehenden Rspr. des X. Zivilsenats zum Patentrecht im Urteil BGH v. 15.12.2015 – X ZR 30/14, BGHZ 208, 182, 206 ff. = ZIP 2016, 362 (Rz. 108 ff.) – „Glasfasern II“ s. 12. Aufl., § 64 Rz. 450 und näher Bitter, ZInsO 2018, 625, 654 f.

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§ 13 Rz. 22 | Juristische Person; Handelsgesellschaft jüngerer Zeit teilweise restriktiver (s. im Einzelnen 12. Aufl., § 43 Rz. 461 ff.; 12. Aufl., § 64 Rz. 442 ff.)78. c) Schutz der GmbH durch das Deliktsrecht 23 Die GmbH genießt (natürlich) den Schutz des Deliktsrechts, z.B. gegen die Verletzung ihres

Eigentums oder ihres Unternehmens nach § 823 Abs. 1 BGB oder gegen die Verbreitung ihren Kredit schädigender unwahrer Tatsachen nach § 824 BGB und § 4 Nr. 2 UWG sowie gegen jede Form der Geschäftsehrverletzung nach § 4 Nr. 1 UWG. Angesichts dessen ist es folgerichtig, die GmbH grundsätzlich auch in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts einzubeziehen79. Zwar steht dieses Recht seinem Wesen nach in erster Linie natürlichen Personen zu (Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG). Dadurch wird es indessen nicht ausgeschlossen, die privatrechtlichen Personenverbände in den Schutzbereich zumindest einzelner Ausstrahlungen des Persönlichkeitsrechts einzubeziehen (Art. 19 Abs. 3 GG). Von selbst versteht sich dies zunächst mit Rücksicht auf die gesetzliche Regelung (§ 4 GmbHG; § 12 BGB; §§ 5, 15 MarkenG) für das Namens- und Zeichenrecht. Jenseits dieser eindeutigen Fälle ist die Rechtsprechung jedoch bisher bei der Zubilligung eines Ehrenschutzes für juristische Personen zurückhaltend80; insbesondere lehnt sie einen Anspruch auf Ersatz immaterieller Schäden (§ 253 Abs. 2 BGB) im Grundsatz ab81. Indessen ist nicht erkennbar, was eigentlich einem umfassenden Ehren- und Ansehensschutz sowie dem Schutz der Geheimsphäre juristischer Personen über § 823 Abs. 1 BGB entgegenstehen sollte82. Die Einzelheiten gehören in die Darstellungen des Deliktsrechts und sind daher hier nicht weiter zu vertiefen. d) Die GmbH als Inhaberin von (Grundstücks-)Rechten und Besitz 24 Die GmbH kann, wie § 13 Abs. 1 Halbs. 2 aus historischen Gründen hervorhebt, Eigentum

und dingliche Rechte an Grundstücken und grundstücksgleichen Rechten erwerben83, daneben aber selbstverständlich auch an anderen nicht ausdrücklich erwähnten dinglichen Rechten. Den Besitz an beweglichen und unbeweglichen Gegenständen übt die Gesellschaft durch ihre Organe aus (sog. Organbesitz)84. Die Geschäftsführer sind weder Besitzdiener noch Besitzmittler der Gesellschaft85; vielmehr wird die Gesellschaft, die selbst nicht hand78 Details bei Bitter, ZInsO 2018, 625, 652 ff. 79 Näher Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Lieder in Michalski u.a., Rz. 37. 80 S. BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, BGHZ 78, 24, 25 f. = NJW 1980, 2807 = MDR 1980, 41 – Das Medizin-Syndikat I; BGH v. 3.6.1986 – VI ZR 102/85, BGHZ 98, 94, 97 ff. = NJW 1986, 2951 – BMW-Bums mal wieder; den Ausnahmecharakter betonend auch BGH v. 8.2.1994 – VI ZR 286/93, NJW 1994, 1281, 1282; weniger deutlich insoweit BGH v. 19.1.2016 – VI ZR 302/15, GRUR-RR 2016, 476 Rz. 11 f. – Nerzquäler. 81 BGH v. 8.7.1980 – VI ZR 177/78, BGHZ 78, 24, 25 f. = NJW 1980, 2807 – Das Medizin-Syndikat I (Leitsatz 3); OLG Frankfurt v. 9.3.2000 – 16 U 119/99, AfP 2000, 576; anders BGH v. 25.9.1980 – III ZR 74/78, BGHZ 78, 274, 280 = NJW 1981, 675, 676 juris-Rz. 27 für einen religiösen Verein. 82 Ehmann, JuS 1997, 193, 201 f.; Klippel, JZ 1988, 625; Lieder in Michalski u.a., Rz. 37 ff.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 36; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 17. 83 Für den Nießbrauch s. die Sonderbestimmungen der §§ 1059a ff. BGB; für ausländische juristische Personen s. Art. 86 EGBGB. 84 BGH v. 31.3.1971 – VIII ZR 256/69, BGHZ 56, 73, 77 = NJW 1971, 1358 juris-Rz. 19; BGH v. 27.10.1971 – VIII ZR 48/70, BGHZ 57, 166, 167 = NJW 1972, 43 juris-Rz. 5; BGH v. 16.10.2003 – IX ZR 55/02, BGHZ 156, 310, 316 = ZIP 2003, 2247, 2250 juris-Rz. 26; BGH v. 21.4.2016 – IX ZR 72/14, MDR 2016, 1047 Rz. 11; Altmeppen, Rz. 4; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Lieder in Michalski u.a., Rz. 26 f. 85 Karsten Schmidt, GesR, § 10 III 1/2 (S. 266 ff.); Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; ferner Altmeppen, Rz. 4 mit zusätzlichem Hinweis auf Ausnahmefälle.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 29 § 13

lungsfähig ist, auch bei der Besitzausübung durch ihre Organe tätig. Nur die Gesellschaft hat deshalb Besitz, nicht auch der (aktive) Geschäftsführer86. Der GmbH fehlt zwar die Fähigkeit, Erfinder oder Urheber zu sein; sie kann jedoch gewerb- 25 liche Schutzrechte wie Patent- oder Gebrauchsmusterrechte von Dritten erwerben87. An Urheberrechten kann sie außerdem Nutzungsrechte erlangen; kraft Erbfolge (Rz. 29) kann sie sogar Inhaberin des Urheberrechts werden (s. §§ 7, 28 f. UrhG). e) Die GmbH als Gesellschafterin Die GmbH kann sich an jeder anderen in- und ausländischen Gesellschaft beteiligen, mag 26 es sich dabei um eine Personen- oder um eine Kapitalgesellschaft handeln88. Ein bekanntes Beispiel ist die GmbH & Co. KG, in welcher die GmbH die Komplementärstelle und damit zugleich die Funktion als geschäftsführungs- und vertretungsbefugter Gesellschafter übernimmt89. Die GmbH kann außerdem bei Handelsgesellschaften Liquidator sein90. Ausgeschlossen ist sie dagegen von dem Amt eines Vorstands- oder Aufsichtsratsmitglieds sowie vom Amt des Geschäftsführers bei einer anderen Kapitalgesellschaft (§ 6 Abs. 2 Satz 1 GmbHG; § 76 Abs. 3 Satz 1, § 100 Abs. 1 Satz 1 AktG; § 9 Abs. 2 GenG)91. f) Die GmbH als Vertreterin Der GmbH kann einfache Vollmacht (§ 167 BGB) und Handlungsvollmacht (§ 54 HGB), 27 jedoch nicht Prokura i.S.v. § 48 HGB erteilt werden92, weil dafür nach h.M. nur natürliche Personen in Betracht kommen93. Außerdem kann sie Handelsvertreter, und zwar gleichermaßen Abschluss- wie Vermittlungsvertreter sein (§ 84 HGB). g) Die GmbH im Familien- und Erbrecht Das Familienrecht bleibt der GmbH im Wesentlichen verschlossen94. Aus den derzeitigen 28 Regelungen in § 1779 Abs. 2, § 1897 Abs. 1 und § 1915 Abs. 1 BGB sowie den am 1.1.2023 in Kraft tretenden neuen Vorschriften der §§ 1774, 1816, 1888 BGB n.F. folgt außerdem, dass eine GmbH nicht Vormund, Betreuer oder Pfleger sein kann, weil diese Ämter im Grundsatz natürlichen Personen vorbehalten sind. Die derzeit in § 1791a, § 1908f BGB i.V.m. § 54 SGB VIII und ab 1.1.2023 in § 1774 Abs. 2 Nr. 1, § 1818 BGB n.F. i.V.m. § 54 SGB VIII vorgesehene Ausnahme für juristische Personen ist auf besonders zugelassene Vormundschaftsbzw. Betreuungsvereine (§ 21 BGB) beschränkt95, gilt also nicht für die GmbH. Anders steht es im Erbrecht. Die GmbH kann zwar nichts vererben, sie kann aber, wie sich 29 aus § 2044 Abs. 2 Satz 3, § 2109 Abs. 2 und § 2163 Abs. 2 BGB ergibt, sehr wohl erben oder mit einem Vermächtnis bedacht werden. In der Position des Bedachten kann sie außerdem 86 BGH v. 16.10.2003 – IX ZR 55/02, BGHZ 156, 310, 316 = ZIP 2003, 2247, 2250 juris-Rz. 26 mit Abgrenzung zum ehemaligen Geschäftsführer. 87 Lieder in Michalski u.a., Rz. 50 m.w.N. 88 Lieder in Michalski u.a., Rz. 44 m.w.N. 89 Dazu Bitter/Heim, GesR, § 7 Rz. 49 ff. 90 Lieder in Michalski u.a., Rz. 45; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 16. 91 Dies (auch rechtspolitisch) begrüßend Gehrlein, NZG 2016, 566 ff. 92 Lieder in Michalski u.a., Rz. 31, 46. 93 Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 6 Rz. 7 (§ 48 HGB) und Rz. 43 (§ 54 HGB). 94 Lieder in Michalski u.a., Rz. 42; s. auch Art. 53 Schweizerisches ZGB. 95 Dazu Götz in Grüneberg, 81. Aufl. 2022, § 1791a BGB Rz. 2, § 1908f BGB Rz. 2; Tillmanns in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 54 SGB VIII Rz. 1 ff.; Spickhoff in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 1791a BGB Rz. 4; Schneider in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 1908f BGB Rz. 3, 11.

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§ 13 Rz. 29 | Juristische Person; Handelsgesellschaft einen Erbvertrag abschließen (§§ 2274, 2275 BGB). Aus den § 2210 Satz 3 und § 2163 Abs. 2 BGB ergibt sich ferner, dass der GmbH das Amt des Testamentsvollstreckers offen steht96. Folgerichtig sollte man die GmbH auch als Nachlasspfleger zulassen (§§ 1960 f. BGB), da es hier nicht um eine persönliche Pflegschaft, sondern um die Sicherung einer Vermögensmasse geht97. Die Nachlassverwaltung (§§ 1975, 1981 BGB) hingegen rückt in die Nähe der Insolvenzverwaltung (dazu Rz. 42) und ist deshalb – mit Blick auf die Rechtsprechung zu § 56 InsO – jedenfalls inländischen juristischen Personen verwehrt98.

2. Öffentliches Recht 30 Die GmbH ist im öffentlichen Recht ebenso wie im Privatrecht als selbständiges Rechtssub-

jekt anerkannt. Sie kann sich daher auch an Verwaltungsverfahren beteiligen (§ 11 Nr. 1 VwVfG), wobei sie durch ihre Geschäftsführer vertreten wird (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG). Entsprechendes gilt für das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten (§ 61 Nr. 1, § 62 Abs. 3 VwGO) und vor dem BVerfG (§ 90 BVerfGG). 31 Die GmbH kann öffentlich-rechtliche Rechte und Pflichten haben. Paradigma sind die steu-

erlichen Pflichten, die die GmbH als juristische Person nach Maßgabe der einzelnen Steuergesetze treffen (§§ 33, 64 AO), wobei insbesondere an das KStG, das UStG und das GewStG zu denken ist. Bei den sonstigen öffentlich-rechtlichen Pflichten kommt es vor allem darauf an, ob die einschlägige Rechtsnorm nach ihrem Sinngehalt überhaupt auf die GmbH (und nicht nur auf natürliche Personen) anwendbar ist. Soweit solche Vorschriften an menschliche Eigenschaften wie z.B. die Zuverlässigkeit anknüpfen, wird meistens auf die Person der Geschäftsführer abgestellt. 32 Eine inländische GmbH ist ferner grundrechtsfähig, soweit die Grundrechte ihrem Wesen

nach auf juristische Personen anwendbar sind (Art. 19 Abs. 3 GG)99. Außer Streit ist dies vor allem für die zentralen wirtschaftlichen Grundrechte der Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG. Die Verfahrensgrundrechte sind gleichfalls unbedenklich auf die GmbH anzuwenden (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG).

3. Strafrecht 33 Eine Strafbarkeit juristischer Personen ist dem geltenden deutschen Recht bislang fremd (vgl.

aber noch Rz. 33a)100. Nach § 30 OWiG kann jedoch gegen die GmbH eine Geldbuße als Nebenfolge zu einer von ihren Geschäftsführern im inneren Zusammenhang mit ihrer Organstellung begangenen Straftat oder Ordnungswidrigkeit festgesetzt werden, wenn durch diese Tat entweder Pflichten, die die Gesellschaft treffen, verletzt worden sind oder die Gesellschaft bereichert werden sollte101. Als eine Pflicht i.S.d. ersten Alternative des § 30 OWiG

96 Lange, Erbrecht, 2017, § 31 Rz. 45; Muscheler, Erbrecht, 2010, § 40 Rz. 2747; Krätzschel in Firsching/Graf, Nachlassrecht, 11. Aufl. 2019, § 19 Rz. 15; Zimmermann in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 2210 BGB Rz. 7. 97 Lieder in Michalski u.a., Rz. 42; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4; a.A. Lange, Erbrecht, 2017, § 48 Rz. 16; Leipold in MünchKomm. BGB, 8. Aufl. 2020, § 1960 BGB Rz. 45. 98 Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 15; Wicke, § 13 Rz. 2; Lieder in Michalski u.a., Rz. 42; a.A. Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 4. 99 Ausführlich Lieder in Michalski u.a., Rz. 87 ff.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 81 f.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 42 ff. 100 Karsten Schmidt, GesR, § 10 IV 5 (S. 281 ff.); Lieder in Michalski u.a., Rz. 99 f.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 83. 101 Lieder in Michalski u.a., Rz. 103.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 36 § 13

ist namentlich die Aufsichtspflicht in Betrieben und Unternehmen anzusehen (§ 130 OWiG). Steuerstrafen können in diesem Rahmen ebenfalls gegen die GmbH ausgesprochen werden (§§ 33, 377 AO; zu § 890 ZPO s. Rz. 40). Abzuwarten bleibt, ob sich der Gesetzgeber in Zukunft dazu durchringen wird, ein straf- 33a rechtliches Sanktionsregime für Unternehmen einzuführen. Der viel diskutierte Regierungsentwurf eines Verbandssanktionengesetzes102 ist aufgrund von Unstimmigkeiten innerhalb der Großen Koalition in der letzten Legislaturperiode jedenfalls gescheitert103.

4. Prozessrecht Die in § 13 Abs. 1 angeordnete Rechtsfähigkeit der GmbH als juristische Person erstreckt 34 sich nach dem Wortlaut der Norm ausdrücklich auch auf die Fähigkeit, „vor Gericht [zu] klagen und verklagt [zu] werden“, mithin auf das Prozessrecht104. Die GmbH ist parteifähig (§ 13 Abs. 1 GmbHG; § 50 Abs. 1 ZPO) und bleibt dies auch nach 35 ihrer Auflösung105. Selbst die Löschung der Gesellschaft im laufenden Prozess schadet nicht, soweit sie nicht mit der Vollbeendigung (Rz. 9 ff.) verbunden ist; erst dadurch verliert die Gesellschaft die Fähigkeit, zu klagen und verklagt zu werden (Details in der 12. Aufl., § 60 Rz. 73 ff.)106. Die GmbH ist auch prozessfähig107, wobei sich diese Aussage in der Rechtsprechung nur beiläufig findet108. Die Gegenansicht109 lässt sich mit § 52 ZPO, wonach eine Person insoweit prozessfähig ist, als sie sich durch Verträge verpflichten kann, nicht vereinbaren110. Praktische Bedeutung entfaltet der Meinungsstreit nicht, denn die Organe juristischer Personen übernehmen im Prozess jedenfalls die Stellung von gesetzlichen Vertretern Prozessunfähiger (§ 51 Abs. 1 ZPO)111. Die GmbH wird im Prozess im Regelfall durch die Geschäftsführer oder Liquidatoren ver- 36 treten (§ 35 Abs. 1 Satz 1, § 70 Satz 1, s. 12. Aufl., § 35 Rz. 202 ff.), im Ausnahmefall der Führungslosigkeit zumindest passiv zum Zwecke der Zustellung durch die Gesellschafter 102 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft, BT-Drucks. 19/ 23568. Kernstück des Entwurfs ist das Verbandssanktionengesetz (VerSanG). 103 Zum gescheiterten Gesetzesvorhaben ausführlich Baur/Holle, ZRP 2022, 18. 104 S. zum Folgenden ausführlich Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 49 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 52 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 24 ff. 105 BGH v. 28.3.1996 – IX ZR 77/95, ZIP 1996, 842 juris-Rz. 7; BGH v. 23.10.2006 – II ZR 162/05, BGHZ 169, 270 = NJW 2007, 589 Rz. 7 (zur Vor-GmbH); OLG Stuttgart v. 28.2.1986 – 2 U 148/ 85, ZIP 1986, 647 = GmbHR 1986, 269 = NJW-RR 1986, 836 juris-Rz. 28. 106 S. auch Lieder in Michalski u.a., Rz. 53. 107 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Lieder in Michalski u.a., Rz. 52; wohl auch Altmeppen, Rz. 6. 108 BGH v. 20.3.1985 – VIII ZR 342/83, BGHZ 94, 105, 108 = NJW 1985, 1836 juris-Rz. 12: „parteiund damit prozeßfähig“; BGH v. 8.2.1993 – II ZR 62/92, BGHZ 121, 263, 266 = NJW 1993, 1654, 1655 juris-Rz. 11: „eine juristische Person … prozeßunfähig wird“; BGH v. 25.10.2010 – II ZR 115/09, ZIP 2010, 2444 = NJW-RR 2011, 115 Rz. 12: „nicht mehr prozessfähig i.S. des § 52 ZPO“; zu einer Stiftung niederländischen Rechts BGH v. 30.6.1965 – VIII ZR 71/64, NJW 1965, 1666, 1667 juris-Rz. 13: „Als juristische Person war sie auch prozeßfähig.“. 109 Nachw. zur älteren Rspr. in der 11. Aufl., Rz. 23 sowie bei Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50; heute noch Hüßtege in Thomas/Putzo, 42. Aufl. 2021, § 51 ZPO Rz. 3 i.V.m. Rz. 6, § 52 ZPO Rz. 4; wohl auch Bendtsen in Saenger, 9. Aufl. 2021, § 52 ZPO Rz. 3, 7. 110 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 50. 111 Gehrlein in Prütting/Gehrlein, § 51 ZPO Rz. 6; Weth in Musielak/Voit, 18. Aufl. 2021, § 51 ZPO Rz. 6; von einer verfehlten Fragestellung spricht Lindacher/Hau in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2020, § 52 ZPO Rz. 23; Details zur Vertretung juristischer Personen im Prozess bei Althammer in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 51 ZPO Rz. 4 ff.

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§ 13 Rz. 36 | Juristische Person; Handelsgesellschaft (§ 35 Abs. 1 Satz 2). Die Namen und Anschriften der gesetzlichen Vertreter sollen in der Klageschrift angegeben werden (§ 130 Nr. 1 ZPO). Auch wenn Gesamtvertretung besteht (§ 35 Abs. 2 Satz 1), können Zustellungen und Ladungen immer an einen von ihnen bewirkt werden (§ 170 Abs. 3 ZPO). Sind keine Geschäftsführer vorhanden, so kann die Regelung in § 57 ZPO zum Prozesspfleger (zumindest entsprechend) angewandt werden112. 37 Der Geschäftsführer ist, solange er im Amt ist113, als Partei zu vernehmen (§§ 445 ff., § 455

ZPO)114, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob er unmittelbar am Prozess mitwirkt (s. 12. Aufl., § 35 Rz. 212). Zeuge können dagegen nur die Gesellschafter sein115, und zwar auch der Alleingesellschafter, wenn er nicht zugleich Geschäftsführer ist. 38 Der allgemeine Gerichtsstand der GmbH bestimmt sich nach ihrem satzungsmäßigen Sitz

(§ 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO; s. 13. Aufl., § 4a Rz. 12 ff.); der Gesellschaftsvertrag kann daneben noch einen besonderen Gerichtsstand vorsehen (§ 17 Abs. 3 ZPO). Dieser Gerichtsstand ist auch maßgebend für Klagen der Gesellschaft aus dem Gesellschaftsverhältnis gegen ihre Mitglieder sowie für Rechtsstreitigkeiten unter den Mitgliedern (§ 22 ZPO)116. Prozesskostenhilfe kann die GmbH nach Maßgabe der §§ 114, 116 Nr. 2 ZPO erhalten117. Ein Urteil im Rechtsstreit mit der GmbH wirkt nur für und gegen diese, nicht für und gegen die Gesellschafter (§§ 322, 325 ZPO). 39 Das Gesagte (Rz. 35 ff.) gilt auch für Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gesellschaft und

ihren Gesellschaftern, namentlich aus sog. Drittgeschäften118. Bei Rechtsstreitigkeiten zwischen der Gesellschaft und ihren Geschäftsführern ist § 46 Nr. 8 zu beachten (s. im Einzelnen 12. Aufl., § 46 Rz. 163 ff.). Die Bestellung eines Vertreters der Gesellschaft ist hier folglich grundsätzlich Sache der Gesellschafter. Eine Ausnahme gilt nur für mitbestimmte Gesellschaften, bei denen § 112 AktG entsprechend anzuwenden ist (s. 12. Aufl., § 46 Rz. 165). Nichtigkeits- und Anfechtungsklagen sind gegen die Gesellschaft, nicht gegen die Mitgesellschafter zu richten (s. 12. Aufl., § 45 Rz. 148). 40 Die Zwangsvollstreckung aus einem Urteil gegen die GmbH kann nur gegen die Gesell-

schaft erfolgen (§ 750 ZPO). Bei der Erzwingung von Unterlassungen und Duldungen gemäß § 890 ZPO ist der Gesellschaft (allein) das Verschulden ihrer Geschäftsführer sowie deren Stellvertreter i.S.v. § 44 zuzurechnen119. Die Rechtsfolgen sind ebenso wie in Fällen der Vollstreckung nicht vertretbarer Handlungen gemäß § 888 ZPO umstritten. Während nach der einen Meinung alle Ordnungsmittel einschließlich der Ordnungshaft allein gegen die für die Gesellschaft handelnden Geschäftsführer festzusetzen sind120, ist nach der Gegenansicht zu unterscheiden: Während die Zwangs- und Ordnungshaft in Ermangelung der Möglichkeit, eine GmbH zu inhaftieren, allein an den Geschäftsführern vollstreckt werden kann, sollen das Zwangsgeld und das Ordnungsgeld nur gegen die Gesellschaft festgesetzt werden

112 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Lieder in Michalski u.a., Rz. 56; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 25. 113 Zur Zeugenfunktion des abberufenen Geschäftsführers BGH v. 29.4.2003 – IX ZR 54/02, NJW-RR 2003, 1212, 1213 juris-Rz. 17–19. 114 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 8; Lieder in Michalski u.a., Rz. 60. 115 RG, SeuffA 55 (1900) Nr. 119 (S. 239 f.); RG, Recht 1909 Nr. 1698; RG, LZ 1910, 218 Nr. 29; Damrau/Weinland in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2020, § 373 ZPO Rz. 12; Lieder in Michalski u.a., Rz. 61. 116 S. im Einzelnen Lieder in Michalski u.a., Rz. 69 ff. 117 Wegen der Einzelheiten s. Lieder in Michalski u.a., Rz. 66 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 27. 118 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9. 119 OLG Karlsruhe v. 29.1.1998 – 6 W 98/97, OLGR 1998, 338 = NJW-RR 1998, 1571 = GmbHR 1998, 1085. 120 Brehm, NJW 1975, 249, 251.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 42 § 13

können121. Zur Vermögensauskunft gemäß § 802c ZPO einschließlich der eidesstattlichen Versicherung s. 12. Aufl., § 35 Rz. 211.

5. Insolvenzrecht Die GmbH ist insolvenzrechtsfähig (§ 60 Abs. 1 Nr. 4; § 11 Abs. 1 Satz 1 InsO). Für die Vor- 41 GmbH gilt unabhängig vom Streit um ihre Rechtsnatur (13. Aufl., § 11 Rz. 30) im Ergebnis das Gleiche, sei es über die Anwendung der Regel für juristische Personen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 InsO) oder jene über die Gesellschaften „ohne Rechtspersönlichkeit“ (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO; ab 1.1.2024 mit neuer Bezeichnung als „rechtsfähige Personengesellschaft“122)123. Die lediglich auf den Abschluss des GmbH-Vertrags gerichtete Vorgründungsgesellschaft ist hingegen eine rein schuldrechtliche Innengesellschaft (13. Aufl., § 11 Rz. 9 ff.)124 und deshalb nicht insolvenzrechtsfähig125. Soweit bereits zu diesem frühen Zeitpunkt ein Unternehmen betrieben wird, ist die oft ebenfalls als „Vorgründungsgesellschaft“ bezeichnete Außengesellschaft126 unabhängig vom Streit um ihre (fehlende) Identität mit der auf den Abschluss des GmbH-Gesellschaftsvertrags zielenden Verbindung im Innenverhältnis (13. Aufl., § 11 Rz. 15 f.) eine GbR oder OHG127 und deshalb als solche insolvenzrechtsfähig (§ 11 Abs. 2 Nr. 1 InsO)128. Die Bestellung zum Insolvenzverwalter ist der GmbH nach dem Wortlaut des § 56 InsO 42 versagt129. Der Gesetzgeber hat sich abweichend vom RegE dafür entschieden, das Verwalteramt auf natürliche Personen beschränkt zu lassen und die Rechtsprechung sieht sich dadurch gebunden130. Der Bestellung einer juristischen Person steht nach Ansicht des BGH die Höchstpersönlichkeit des Verwalteramtes entgegen131. Die gewünschte Alleinzuständigkeit und Vollverantwortlichkeit des Verwalters sei angesichts der gesellschaftsrechtlichen Willensbildung und der Austauschbarkeit der Organträger nicht gewährleistet132. Die gerichtliche Aufsicht über den Verwalter, seine Unabhängigkeit und seine Haftung gegenüber den Verfahrensbeteiligten würden beeinträchtigt133. Eine dagegen erhobene Verfassungsbeschwerde134 hatte keinen Erfolg: Bei der Aufsicht über den Insolvenzverwalter (§ 58 InsO) würden – so das BVerfG – die Einschätzung des Gerichts von der persönlichen und fachlichen Qualifikation des Verwalters sowie die Erwartung einer vertrauensvollen Zusammenarbeit entscheidende Bedeutung erlangen135. Ein vergleichbares persönliches und fachliches Vertrau-

121 OLG Dresden v. 30.10.1998 – 10 WF 115/98, OLGR Dresden 2000, 197 = FamRZ 2000, 298 (für ein Zwangsgeld gemäß § 33 FGG); OLG Braunschweig, JZ 1959, 94; Lieder in Michalski u.a., Rz. 83; Gruber in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2020, § 888 ZPO Rz. 26 m.w.N. 122 Art. 35 MoPeG v. 10.8.2021, BGBl. I 2021, 3436, 3451 f. 123 Karsten Schmidt, § 11 InsO Rz. 12; für die zweite Alternative Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 38. 124 Dazu Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 26 f. 125 Karsten Schmidt, § 11 InsO Rz. 12. 126 Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 28 ff. mit Hinweis auf die uneinheitliche Terminologie. 127 Dazu Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 30. 128 Karsten Schmidt, § 11 InsO Rz. 12; Hirte in Uhlenbruck, § 11 InsO Rz. 36. 129 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 70. 130 Bezugnahme auf die gesetzgeberische Entscheidung bei BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225 = ZIP 2013, 2070 Rz. 4; BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121 = ZIP 2016, 321 Rz. 3 ff., 48. 131 BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225 = ZIP 2013, 2070 Rz. 13 ff. 132 BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225 = ZIP 2013, 2070 Rz. 18 ff. 133 BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225 = ZIP 2013, 2070 Rz. 23 ff. 134 Dazu Höfling, ZIP 2015, 1568 ff. 135 BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121 = ZIP 2016, 321 Rz. 47.

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§ 13 Rz. 42 | Juristische Person; Handelsgesellschaft en könne juristischen Personen nicht ohne Weiteres entgegengebracht werden136. Der Eingriff in die Freiheit der Berufswahl der GmbH (Art. 12 Abs. 1, Art. 19 Abs. 3 GG) sei deshalb gerechtfertigt137. Gerungen wird noch um die Wirkung der Dienstleistungsrichtlinie (DLRL)138 auf die Beschränkung des § 56 InsO. Der Streit beginnt mit der Frage, ob die Insolvenzverwaltung unter Art. 2 Abs. 2 lit. i DL-RL fällt, der Tätigkeiten, die i.S.d. Art. 51 AEUV mit der Ausübung öffentlicher Gewalt verbunden sind, vom Anwendungsbereich der RL ausnimmt139. Der deutsche Gesetzgeber hat eine Ausnahme verneint140 und in § 102a EGInsO Personen aus anderen EU-Mitgliedstaaten die Aufnahme in eine Vorauswahlliste für Insolvenzverwalter ermöglicht, ohne juristische Personen ausdrücklich auszuschließen141. Die daraus folgende Inländerdiskriminierung hält der BGH für gerechtfertigt142.

6. Schiedsgerichte 43 Der Gesellschaftsvertrag kann für Streitigkeiten aus dem Gesellschaftsverhältnis zwischen

der GmbH und ihren Gesellschaftern sowie zwischen diesen unter Ausschluss des ordentlichen Rechtswegs die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts bestimmen. Es handelt sich dann um ein sog. angeordnetes Schiedsgericht i.S.d. § 1066 ZPO143, dem der Rechtsnachfolger eines Gründungsgesellschafters durch den Erwerb des Geschäftsanteils ohne Weiteres unterworfen ist, vorausgesetzt, dass die Einsetzung des Schiedsgerichts zu den sog. materiellen (körperschaftsrechtlichen) Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages144 gehört145. Die Formvorschrift des § 1031 ZPO findet in diesem Fall keine Anwendung146. Anders ist die Rechtslage zu beurteilen, wenn die Einsetzung des Schiedsgerichts Teil der formellen (individualrechtlichen) Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages ist, welche schuldrechtlicher Natur sind und nur die an der Abrede beteiligten Gesellschafter binden. In diesem Fall bleibt es bei

136 BVerfG v. 12.1.2016 – 1 BvR 3102/13, BVerfGE 141, 121 = ZIP 2016, 321 Rz. 49. 137 Dazu äußerst kritisch Kleine-Cosack, ZIP 2016, 741 ff.: Grundrechtslehrlauf bei juristischen Personen. 138 Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt, ABl. EU Nr. L 376 v. 27.12.2006, S. 36. 139 Zipperer in Uhlenbruck, § 56 InsO Rz. 5; Riedel in Kayser/Thole, 10. Aufl. 2020, § 56 InsO Rz. 3; Ries in Karsten Schmidt, § 56 InsO Rz. 11. 140 Vgl. Begr. RegE zu § 102a EGInsO-E, BT-Drucks. 17/3356, S. 15; die Einwände des Bundesrats (BR-Drucks. 539/10, S. 2 f.) machte der Bundestag sich nicht zu eigen. 141 Für die Zulassung einer 100%igen spanischen Tochter-GmbH einer deutschen RA-GmbH im Wege richtlinienkonformer Auslegung AG Mannheim v. 14.12.2015 – 804 AR 163/15, ZIP 2016, 132. Gegen deren Zulassung aber AG Mannheim v. 20.1.2016 – 804 AR 163/15 (II), ZIP 2016, 431. 142 BGH v. 19.9.2013 – IX AR (VZ) 1/12, BGHZ 198, 225 = ZIP 2013, 2070 Rz. 31 = GmbHR 2013, 1265. 143 Details bei Raeschke-Kessler in Prütting/Gehrlein, § 1066 ZPO Rz. 6 ff. 144 Zur Unterscheidung 13. Aufl., § 2 Rz. 8, 40; Bitter/Heim, GesR, § 3 Rz. 17 ff. 145 RG v. 5.2.1937 – VII 168/36, RGZ 153, 267, 269 f. (e.V.); RG v. 29.10.1940 – VII 44/40, RGZ 165, 140, 143 f. (nicht rechtsfähiger Verein); BGH v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 159 f. = NJW 1963, 203 (offen gelassen); BGH v. 22.5.1967 – VII ZR 188/64, BGHZ 48, 35, 43 = NJW 1967, 2057 (für alle juristische Personen); Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 9; Raiser in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 37 f.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 74; Münch in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1066 ZPO Rz. 19; zur Abgrenzung zwischen Vertrags- und Satzungsrecht auch RG v. 21.3.1939 – VII 150/38, DR 1939, 1338, 1339 (betr. die Anwendung der Schiedsklausel auf einen Geschäftsführer). 146 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 71; Lieder in Michalski u.a., Rz. 78; Münch in MünchKomm. ZPO, 6. Aufl. 2022, § 1066 ZPO Rz. 17 m.w.N.; streitig

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der Anwendbarkeit der §§ 1025 ff. ZPO, so dass dann auch die Formvorschrift des § 1031 ZPO zu beachten ist147. Schiedsgerichte zur Entscheidung über Rechtsstreitigkeiten auf Grund körperschaftsrecht- 44 licher Bestimmungen der Satzung können auch noch nachträglich durch Satzungsänderung eingeführt werden (§ 53). Mit Rücksicht auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG müssen einer derartigen Satzungsänderung indessen alle Gesellschafter zustimmen148. Anders als im Einzelfall bei Vereinen149 kann dem widerstrebenden Gesellschafter wegen seiner wirtschaftlichen Beteiligung an der GmbH nicht zugemutet werden, nach einem bloßen Mehrheitsbeschluss aus der Gesellschaft auszuscheiden150. Umstritten war lange Zeit, welche Rechtsstreitigkeiten mit Bezug auf die GmbH schiedsfähig 45 sind (§ 1030 ZPO)151. Die Rechtsprechung verfährt insoweit ausgesprochen großzügig. Schiedsfähig sind danach z.B. Auskunftsansprüche aus den §§ 51a und 51b152, Zahlungsansprüche ausgeschiedener Gesellschafter gegen die Gesellschaft153, Zustimmungsvorbehalte des Aufsichts-/Beirats154, Rechtsstreitigkeiten über die Wirksamkeit der Aufbringung von Stammkapital, etwa in Fällen des Hin- und Herzahlens155 oder verdeckter Sacheinlagen156, und seit BGHZ 180, 221 („Schiedsfähigkeit II“)157 auch Beschlussmängelstreitigkeiten, sofern und soweit das schiedsgerichtliche Verfahren in einer dem Rechtsschutz durch staatliche Gerichte gleichwertigen Weise – d.h. unter Einhaltung eines aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Mindeststandards an Mitwirkungsrechten und damit an Rechtsschutzgewährung für alle ihr unterworfenen Gesellschafter – ausgestaltet ist (s. 12. Aufl., § 45 Rz. 150a ff.)158. Schiedsfähig sind ferner auch Organhaftungsansprüche, die freilich besondere Rechtsfragen bei Bestehen einer D&O-Versicherung aufwerfen159.

147 BGH v. 25.10.1962 – II ZR 188/61, BGHZ 38, 155, 159 ff. = NJW 1963, 203, 204 f.; mittelbar bestätigend BGH v. 22.5.1967 – VII ZR 188/64, BGHZ 48, 35, 43 = NJW 1967, 2057, 2059. 148 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 72; Lieder in Michalski u.a., Rz. 79; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 29; Raeschke-Kessler in Prütting/Gehrlein, § 1066 ZPO Rz. 15; zum „allseitigen Einvernehmen“ BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221, 227 = NJW 2009, 1962, 1964 = GmbHR 2009, 705, 707 Rz. 15 – Schiedsfähigkeit II; zum e.V. im Grundsatz auch BGH v. 3.4.2000 – II ZR 373/98, BGHZ 144, 146, 148 ff. = NJW 2000, 1713 f. = MDR 2000, 777 f. juris-Rz. 9 ff. 149 Dazu BGH v. 3.4.2000 – II ZR 373/98, BGHZ 144, 146, 149 f. = NJW 2000, 1713 = MDR 2000, 777 juris-Rz. 11. 150 Raeschke-Kessler in Prütting/Gehrlein, § 1066 ZPO Rz. 15. 151 S. zur AG ferner Habersack/Wasserbäch, AG 2016, 2 ff. 152 OLG Hamm v. 7.3.2000 – 15 W 355/99, ZIP 2000, 1013 = GmbHR 2000, 676 m.w.N. 153 OLG Köln v. 29.1.2013 – 19 Sch 30/12, SchiedsVZ 2013, 339. 154 BGH v. 16.4.2015 – I ZB 3/14, NJW 2015, 3234 = GmbHR 2015, 1148. 155 BGH v. 19.7.2004 – II ZR 65/03, BGHZ 160, 127 = NJW 2004, 2898 = GmbHR 2004, 1214; dazu Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 75. 156 OLG Frankfurt v. 30.1.2004 – 10 U 75/03, BB 2004, 908. 157 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = GmbHR 2009, 705 – Schiedsfähigkeit II. 158 BGH v. 6.4.2009 – II ZR 255/08, BGHZ 180, 221 = NJW 2009, 1962 = GmbHR 2009, 705 – Schiedsfähigkeit II; dazu Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 76 f.; Raeschke-Kessler in Prütting/ Gehrlein, § 1066 ZPO Rz. 10 ff.; s. zur GmbH & Co. KG auch BGH v. 6.4.2017 – I ZB 23/16, ZIP 2017, 1024 = GmbHR 2017, 759 Rz. 24 ff. – Schiedsfähigkeit III; dazu mit Recht kritisch Nolting, ZIP 2017, 1641 ff.; Heinrich, ZIP 2018, 411 ff.; einschränkend für die Personengesellschaft nun BGH v. 23.9.2021 – I ZB 13/21, ZIP 2022, 125 – Schiedsfähigkeit IV m.w.N. zur breiten Kritik in Rz. 16; vgl. dazu auch Begr. RegE MoPeG, BT-Drucks. 19/27635, S. 112: Die – vom BGH nunmehr aufgenommene – Kritik erledige sich mit der Umstellung des Beschlussmängelrechts im Recht der Personengesellschaften auf das kapitalgesellschaftsrechtliche Anfechtungsmodell. 159 Dazu Schumacher, NZG 2016, 969; Borris, r+s 2020, 316.

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§ 13 Rz. 46 | Juristische Person; Handelsgesellschaft 46 Der Gesellschaftsvertrag kann einem „Schiedsgericht“ ferner die Funktion übertragen, au-

ßerhalb der zwingenden Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung unter bestimmten Voraussetzungen – etwa in Pattsituationen – an deren Stelle zu entscheiden (§ 45 Abs. 2). Ein derartiges institutionelles Schiedsgericht wird nicht als Gericht, sondern als Gesellschaftsorgan tätig. Folglich gelten für diese besondere Erscheinungsform von „Schiedsgerichten“ nicht die Vorschriften der §§ 1025 ff. ZPO, sondern die des GmbH-Rechts. Der Schiedsspruch eines institutionellen Schiedsgerichts ist daher der Sache nach ein Beschluss, der mit Zugang bei den Beteiligten wirksam wird und mit der Nichtigkeits- oder Anfechtungsklage angegriffen werden kann160.

IV. Handelsgesellschaft 47 Nach § 13 Abs. 3 gilt die GmbH als Handelsgesellschaft i.S.d. HGB. Das GmbHG verweist

damit auf § 6 Abs. 1 HGB, nach dem die für Kaufleute geltenden Vorschriften auch für Handelsgesellschaften gelten. Die GmbH lebt folglich, selbst wenn sie kein Handelsgewerbe betreibt, sondern z.B. ideelle Zwecke oder eine freiberufliche Tätigkeit verfolgt, ohne Rücksicht auf ihre Größe (§ 1 Abs. 2 HGB) und den Gegenstand (§ 6 Abs. 2 HGB) ausschließlich nach Handelsrecht161. Voraussetzung ist lediglich die Eintragung der Gesellschaft ins Handelsregister (§ 11 Abs. 1). Für die Gesellschafter und Geschäftsführer hat § 13 Abs. 3 dagegen keine Bedeutung; sie sind nicht ebenfalls automatisch Kaufleute162. 48 Als Kaufmann kraft Rechtsform kann die GmbH unabhängig vom Gegenstand ihres Unter-

nehmens z.B. Prokuristen und Handlungsbevollmächtigte bestellen (§§ 48, 54 HGB)163, während ihre Arbeitnehmer Handlungsgehilfen i.S.d. §§ 59 ff. HGB sind, sofern sie kaufmännische Dienste leisten164. Für die Buchführung und Rechnungslegung der Gesellschaft gelten die §§ 238, 264 ff. HGB. Außerdem sind die von ihr vorgenommenen Geschäfte stets Handelsgeschäfte i.S.d. §§ 343 ff. HGB, da die auf natürliche Personen zugeschnittene Unterscheidung zwischen Handelsgeschäften und privaten Geschäften für die GmbH ebenso wie die Vermutung des § 344 HGB gegenstandslos ist165. Die Zuständigkeit der Kammer für Handelssachen nach § 95 Abs. 1 Nr. 1 GVG ist daher gegeben, wenn der Gegenstand des Rechtsstreits für den anderen Teil gleichfalls ein Handelsgeschäft ist166. 49 § 13 Abs. 3 unterstellt die GmbH durch die Verweisung auf § 6 HGB nur dem Handelsrecht

des HGB. Deshalb ist es eine Frage des Einzelfalls, ob die GmbH auch i.S. solcher Vorschriften, die außerhalb des HGB an die Kaufmannseigenschaft oder an das Vorliegen eines Handelsgewerbes oder eines Erwerbsgeschäftes Rechtsfolgen knüpfen, als Kaufmann zu behan160 BGH v. 25.2.1965 – II ZR 287/63, BGHZ 43, 261, 264 f. = NJW 1965, 1378 = GmbHR 1965, 111; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 78; Lieder in Michalski u.a., Rz. 80; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 31; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 41. 161 Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 2 Rz. 30 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 326 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 32–34. 162 BGH v. 12.5.1986 – II ZR 225/85, ZIP 1986, 1457 juris-Rz. 10; BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224, 228 = ZIP 1993, 424, 426 juris-Rz. 32; Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 2 Rz. 34. 163 Zur Prokura Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 6 Rz. 6, während es bei § 54 HGB ohnehin nicht auf die Kaufmannseigenschaft ankommt (a.a.O., § 6 Rz. 42). 164 BAG v. 12.12.1956 – 2 AZR 11/56, BAGE 3, 321; BAG v. 13.10.1960 – 5 AZR 104/59, BAGE 10, 76, 81 = MDR 1961, 179 juris-Rz. 49; BAG v. 28.1.1966 – 3 AZR 374/65, BAGE 18, 104, 108 f. = MDR 1966, 539 juris-Rz. 17. 165 Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 7 Rz. 5: eine „private Sphäre“ existiert bei Handelsgesellschaften nicht; für die OHG und KG BGH v. 5.5.1960 – II ZR 128/58, NJW 1960, 1852, 1853 = MDR 1960, 825 juris-Rz. 22. 166 Lieder in Michalski u.a., Rz. 327 und Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 33.

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deln ist167. Für die Mehrzahl der Fälle wird dies heute bejaht168. Die GmbH ist etwa Unternehmer i.S.d. § 14 Abs. 1 und § 310 Abs. 1 BGB169 sowie des § 2 Abs. 1 Nr. 6 UWG. Dagegen findet die GewO auf sie nur Anwendung, wenn tatsächlich ein Gewerbe betrieben wird170.

V. Treuepflicht Unter dem Stichwort Treuepflicht (oder: Treupflicht) fasst man heute die Vielzahl gegenseiti- 50 ger Rücksichts- und Loyalitätspflichten zusammen, denen die Gesellschafter in ihrem Verhältnis untereinander und in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft ebenso wie diese in ihrem Verhältnis zu den Gesellschaftern unterworfen sind. Der Sache nach handelt es sich bei der „Treuepflicht“ um eine gesellschaftsrechtliche Generalklausel, aus der sich je nach den Umständen des Falles die unterschiedlichsten Pflichten der Gesellschafter wie der Gesellschaft ergeben können171. Die Pflichten können von einem Schädigungsverbot und sonstigen Unterlassungspflichten (Paradigma: Wettbewerbsverbot) über Mitwirkungs- und Förderungspflichten bis hin zu Stimmpflichten bei Änderungen des Gesellschaftsvertrages reichen. Da es insoweit jeweils um Pflichten aus dem Mitgliedschaftsverhältnis geht, werden sie in diesem Werk gemeinsam mit der Einlagepflicht bei § 14 kommentiert (vgl. 13. Aufl., § 14 Rz. 64 ff.)172. An dieser Stelle genügt der allgemeine Hinweis, dass es sich bei den Treuepflichten – anders 51 als bei dem Gebot der Kapitalaufbringung und -erhaltung – nicht um einen Preis des in § 13 Abs. 2 gewährten Haftungsprivilegs (Rz. 57) handelt, sondern es – vergleichbar mit § 241 Abs. 2 BGB – um Pflichten aus einer Sonderbeziehung geht, welche sich aus der über den Gesellschaftsvertrag vermittelten Bindung zwischen den Gesellschaftern ergibt173. Wie an anderer Stelle näher dargelegt174, gibt es allerdings im Gesellschaftsrecht nicht das Allesoder-nichts-Prinzip des BGB mit seiner Unterscheidung zwischen Vertrag (mit Rücksichtnahmepflicht wegen Sonderverbindung) und Delikt (mit Beschränkung auf die Verkehrspflichten), sondern ein System fließender Übergänge, in welchem die Rücksichtnahmepflichten (Treuepflichten) mit der Intensität der vertraglichen Bindung zunehmen. Der Umfang der Treuepflichten ist stets unter Beachtung der Realstruktur der Gesellschaft zu bestimmen175, weshalb es insbesondere darauf ankommt, ob die konkrete GmbH (oder sonstige Gesellschaft) – ähnlich wie eine typische Personengesellschaft – durch eine enge persönliche Bindung zwischen den Gesellschaftern geprägt ist (personalistische GmbH) oder – wie bei einer typischen AG – durch eine eher lose Beziehung der Anteilseigner untereinander (kapitalistische GmbH)176. 167 Emmerich in Heymann, § 6 HGB Rz. 4; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87. 168 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 73; Lieder in Michalski u.a., Rz. 330; Pentz in Rowedder/ Pentz, Rz. 34. 169 Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 87. 170 VGH Mannheim v. 21.3.2002 – 14 S 2578/01, GewArch 2002, 425 (von einer GmbH betriebene Heilpraktikerschule); VG Darmstadt v. 8.5.2002 – 3 E 2169/01, GewArch 2003, 195 (in Form einer Einmann-GmbH beratender Ingenieur); Kanther, GewArch 2002, 362 (soweit die Freiberufler nicht bloß Angestellte sind); Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 73; offengelassen von BVerwG v. 1.7.1987 – 1 C 25/85, BVerwGE 78, 6 = NVwZ 1988, 56, 57. 171 S. dazu auch Karsten Schmidt, GesR, § 35 I 2 d (S. 1035 ff.); Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 89, 115, 249, zur AG ferner § 3 Rz. 40 ff., zur GbR § 5 Rz. 74, 78, 91, 101, 149. 172 Ausführliche Darstellung der Treuepflicht auch bei Lieder in Michalski u.a., Rz. 131 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 35 ff. 173 S. auch Lieder in Michalski u.a., Rz. 135. 174 Eingehend Bitter, ZGR 2010, 147, 172 ff. 175 Zutreffend Karsten Schmidt, GesR, § 20 IV 2 d (S. 592). 176 Bitter, ZGR 2010, 147, 172 ff.

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§ 13 Rz. 52 | Juristische Person; Handelsgesellschaft 52 Die im konkreten Fall festzustellende Intensität des Gemeinschaftsverhältnisses ist jedoch

nicht der einzige Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Intensität von Rücksichtnahmepflichten. Vielmehr ist auch die Intensität der Einwirkungsmacht von Bedeutung177. Die Intensität der vertraglichen Bindung einerseits und die Einwirkungsmacht andererseits sind dabei als zwei Parameter zu betrachten, die zwar miteinander verbunden sein können, aber je für sich die Intensität der Rücksichtnahmepflichten beeinflussen. Es besteht also ein System der Pflichtenbindung, das von dem einen Extrem der fehlenden vertraglichen Bindung und der ebenfalls fehlenden Einwirkungsmacht, bei dem nur deliktische Verkehrspflichten bestehen, über verschiedene denkbare Mittelpositionen bis hin zum anderen Extrem höchster vertraglicher Bindungsintensität und zugleich höchster Einwirkungsmacht reicht178. Und genau diese fließende Abstufung macht es nicht leicht, den Gehalt der Treuepflicht im konkreten Einzelfall zu bestimmen (vgl. die Darstellung der Einzelfälle in 13. Aufl., § 14 Rz. 89 ff.)179. 53 In jedem Fall muss man sich aber davor hüten, die GmbH als juristische Person zu über-

höhen und ihr (durch Treuepflichten geschützte) Eigeninteressen zuzusprechen, die von den Interessen der an der GmbH interessierten Personen losgelöst sind, wie dies insbesondere in der Diskussion um die Existenzvernichtung und -gefährdung der GmbH durch Vermögensabzug oder Unterkapitalisierung (Rz. 110 ff., 152 ff.) bisweilen geschehen ist180. Die GmbH als juristische Fiktion (Rz. 6) kann – anders als eine natürliche Person – keine eigenen Interessen haben, sondern es können lediglich Interessen Dritter auf die GmbH projiziert werden, um eine Haftungsabwicklung über die GmbH zu ermöglichen (Rz. 124)181. Dann aber muss jeweils sorgsam betrachtet werden, in welchem Umfang das GmbHG jene Interessen auch tatsächlich schützt und auf welcher dogmatischen Basis. 54 Da die Treuepflicht aus der vertraglichen Bindung der Gesellschafter untereinander folgt,

auch wenn sie im Einzelfall – zu Projektionszwecken – als Pflicht des Gesellschafters gegenüber der GmbH beschrieben wird, ist sie nach richtiger Ansicht kein Instrument des Gläubigerschutzes182, was freilich selbst der Gesetzgeber bisweilen verkennt (vgl. 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 412 ff. zu § 135 Abs. 3 InsO). Mit Recht lehnt es deshalb der BGH spätestens seit BGHZ 119, 257183 ab, zwischen einem (wirtschaftlichen) Alleingesellschafter und „seiner“ GmbH bzw. zwischen mehreren einverständlich handelnden Gesellschaftern und „ihrer“ GmbH durch Schadensersatzpflichten sanktionierte Treuepflichten aus einer Sonderverbindung anzuerkennen (Rz. 125)184. Sind hingegen Mitgesellschafter, insbesondere Minderheitsgesellschafter, vorhanden, die mit einer konkreten, vom anderen Mit-/Mehrheitsgesellschafter zu seinen Gunsten veranlassten Maßnahme nicht einverstanden sind, kommt eine (verschuldensabhängige) Schadensersatzpflicht wegen Treuepflichtverletzung nach Maßgabe

177 Näher Bitter, ZGR 2010, 147, 174 ff. 178 Bitter, ZGR 2010, 147, 178 f. 179 Darstellung der Fallgruppen auch bei Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 117 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 43 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 160 ff. 180 Dazu ausführlich Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S. 305 ff. 181 Ebenso Hornberg, S. 113; insoweit übereinstimmend auch Guntermann, Das Zusammenspiel von Mindeststammkapital und institutioneller Haftungsbeschränkung, 2016, S. 20 m.w.N., die jedoch im Gegensatz zur hier vertretenen Position (Rz. 124 ff.) gerade aufgrund jener Projektion ein „künstliche[s] Interesse der Gesellschaft an ihrer Existenz“ (S. 86 ff., 131) und in der Folge eine Innenhaftung aus § 280 BGB anerkennen will (S. 472 ff.). 182 Ebenso Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 113; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 284. 183 BGH v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, BGHZ 119, 257 = GmbHR 1993, 38. 184 Dazu eingehend Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S. 310 ff.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 54 § 13

der ITT-Rechtsprechung185 sowie ein (verschuldensunabhängiger) Rückgewähranspruch wegen Verstoßes gegen das Sondervorteilsverbot in Betracht (Rz. 124; s. auch 13. Aufl., § 14 Rz. 62, 125)186. Anders als im Aktienrecht, welches eine umfassende Vermögensbindung im Interesse der Gläubiger und Mitaktionäre kennt (§§ 57, 62 AktG), muss deshalb im Recht der GmbH immer sorgsam unterschieden werden, ob und in welchem Umfang die Vermögensinteressen der Gläubiger bzw. Mitgesellschafter tangiert sind187. Ansonsten droht nämlich die Gefahr, dass das vom GmbHG sorgsam austarierte Gleichgewicht zwischen den anerkennenswerten Gläubigerinteressen und dem ebenfalls schützenswerten Interesse der Gesellschafter an einer Haftungsbeschränkung (dazu sogleich Rz. 55 ff.) aus den Fugen gerät. Würden nämlich die Gesellschafter – unabhängig von der Betroffenheit von Mitgesellschaftern – für jede fahrlässige Verletzung der Vermögensinteressen „ihrer“ GmbH wegen der Verletzung einer (angeblichen) Treuepflicht gegenüber der GmbH haften, geriete die Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 in Gefahr (s. auch Rz. 125).

VI. Haftung der Gesellschafter – Grundlagen Schrifttum: Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 1991; Bachmann/Eidenmüller/Engert/Fleischer/Schön, Rechtsregeln für die geschlossene Kapitalgesellschaft, 2012, S. 112 ff.; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000; Bitter, Gesellschafterhaftung für materielle Unterkapitalisierung – Betrachtungen aus ökonomischer und juristischer Perspektive, in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil (Hrsg.), Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts im Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht, 2007, S. 57; Easterbrook/Fischel, Limited Liability and the Corporation, 52 U. Chi.L.Rev. 89 (1985); Eucken, Grundsätze der Wirtschaftspolitik (hrsg. von Edith Eucken und K. Paul Hensel), 1952; Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 2015, S. 245 ff.; Fleischer, Grundfragen der ökonomischen Theorie im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, ZGR 2001, 1; Geiger, Ökonomische Analyse des Konzernhaftungsrechts, 1993; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 5 ff., 18 ff., 31 ff.; Gröpl, Flucht in die Haftungsbeschränkung – Fluch der Haftungsbeschränkung, jM 2017, 315 und 359; Guntermann, Das Zusammenspiel von Mindeststammkapital und institutioneller Haftungsbeschränkung – Eine normative und ökonomische Analyse, 2016; Halmer, Gesellschafterdarlehen und Haftungsdurchgriff, 2013; Hofstetter, Sachgerechte Haftungsregeln für Multinationale Konzerne, 1995, S. 74 ff.; Hornberg, Das rechtliche Schicksal der Durchgriffshaftung in Abhängigkeit zur Gesellschaftsschuld, 2020, § 2; Kirchner, Ökonomische Überlegungen zum Konzernrecht, ZGR 1985, 214; Lehmann, Das Privileg der beschränkten Haftung und der Durchgriff im Gesellschafts- und Konzernrecht, Eine juristische und ökonomische Analyse, ZGR 1986, 345; Lehmann, Schranken der beschränkten Haftung, Zur ökonomischen Legitimation des Durchgriffs bei der GmbH, GmbHR 1992, 200; Meyer, Haftungsbeschränkung im Recht der Handelsgesellschaften, 2000, S. 13 ff., 951 ff.; Möller, Die materiell unterkapitalisierte GmbH, 2005, S. 14 ff.; Mülhens, Der sogenannte Haftungsdurchgriff im deutschen und englischen Recht: Unterkapitalisierung und Vermögensentzug, 2006; Nacke, Die Durchgriffshaftung in der US-amerikanischen Corporation, 1989, S. 210 ff.; Posner, Economic Analysis of Law, 9. Aufl. 2014, § 15 (S. 531 ff.); Roth, Zur „economic analysis“ der beschränkten Haftung, ZGR 1986, 371; Roth, Unterkapitalisierung und persönliche Haftung, ZGR 1993, 170; Schön, Der Anspruch auf Haftungsbeschränkung im Europäischen Gesellschaftsrecht, in FS Hommelhoff, 2012, S. 1037; Stöber, Kapitalverkehrsfreiheit und persönliche Gesellschafterhaftung im europäischen Kapitalgesellschaftsrecht, ZVglRWiss 113 (2014), 57; Thomale, Kapital als Verantwortung – Kritik der institutionellen Haftungsbeschränkung, im Erscheinen (vgl. zusammenfassend AcP 218 [2018], 685); Thomale, Zur Versicherung der Kapitalgesellschaft durch ihre Gläubiger, in Behme/Fries/ Stark (Hrsg.), Versicherungsmechanismen im Recht, 2016, S. 131 ff.; Wagner, Deliktshaftung und Insol-

185 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15 = NJW 1976, 191 – ITT; dazu Lieder in Michalski u.a., Rz. 141. 186 Ausführlich zur verschuldensabhängigen und verschuldensunabhängigen Haftung bei fehlendem Einverständnis von Mitgesellschaftern Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S. 272 ff.; Bitter, ZHR 164 (2004), 302 ff. 187 Bitter/Heim, GesR, § 3 Rz. 187 ff. (zur AG), § 3 Rz. 224 ff., 249 ff. (zur GmbH).

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§ 13 Rz. 55 | Juristische Person; Handelsgesellschaft venzrecht, in FS Gerhardt, 2004, S. 1043; Wüst, Das Problem des Wirtschaftens mit beschränkter Haftung, JZ 1992, 710; zur Durchgriffshaftung s. die Nachw. vor Rz. 110.

1. Überblick zur Haftungsbeschränkung 55 Im zweiten Absatz des § 13 wird bestimmt, dass für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft

den Gläubigern derselben nur das Gesellschaftsvermögen haftet. Diese gesetzliche Anordnung ist vor dem Hintergrund einer Anerkennung der GmbH als eigenständige juristische Person (§ 13 Abs. 1) eigentlich selbstverständlich, weil jede juristische und natürliche Person für ihre Verbindlichkeiten nur mit ihrem eigenen Vermögen haftet: Es ist ja gerade die GmbH – und nur diese –, die Trägerin der Rechte und Pflichten ist (Rz. 3), nicht die „hinter“ der GmbH stehenden Gesellschafter188. Die besondere Anordnung der Haftungsbeschränkung im Gesetz erklärt sich nur aus dem Gegensatz zu den Personengesellschaften, bei denen gemäß § 128 HGB (analog bei der GbR189; ab 1.1.2024 § 721 BGB n.F., § 126 HGB n.F.) die Gesellschafter für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern persönlich haften190. Diese volle und unbeschränkte Haftung der Gesellschafter für die Gesellschaftsverbindlichkeiten betrachtet das Gesetz als gesellschaftsrechtlichen Normalfall191 und ordnet deshalb die davon abweichende Haftungsbeschränkung – ebenso wie in § 1 Abs. 1 Satz 2 AktG für die AG oder in § 2 GenG für die Genossenschaft – gesondert an. 56 Da für die Gründung der GmbH gemäß § 5 Abs. 1 nur ein Mindeststammkapital von

25 000 Euro aufgebracht werden muss, seit dem MoMiG bei der UG (haftungsbeschränkt) gemäß § 5a sogar nur ein einziger Euro, ist die aus dogmatischer Sicht natürliche Haftungsbeschränkung bei den juristischen Personen rechtspolitisch keineswegs ebenso selbstverständlich192. Immerhin ermöglicht sie es den Gesellschaftern, eine ökonomische Aktivität zu entfalten, deren Gewinn ihnen im Erfolgsfall zufließt (vgl. zur Gewinnberechtigung 13. Aufl., § 29 Rz. 78 ff.), während der Verlust im Misserfolgsfall ganz oder teilweise die Gläubiger trifft und sich die Beteiligung der Gesellschafter an diesem Verlust auf das in die Gesellschaft eingebrachte, ggf. nur äußerst geringe Vermögen beschränkt. Es verwundert daher nicht, dass bereits seit Einführung der GmbH im Jahr 1892 sehr eng mit der Haftungsbeschränkung (§ 13 Abs. 2) die Frage verbunden ist, ob und in welchen Ausnahmefällen die Gesellschafter gleichwohl den Gläubigern der GmbH für deren Verbindlichkeiten einzustehen haben, wann also das Prinzip der Haftungsbeschränkung durchbrochen werden kann. Nichts anderes gilt insoweit für die AG als die noch ältere Rechtsform, mit der ökonomische Aktivitäten in haftungsbeschränkter Form gestattet werden, während die Rechtsprechung beim Idealverein (e.V.) sehr zurückhaltend mit dem Durchgriff ist193.

188 Deutlich z.B. OLG Köln v. 18.9.2017 – 2 Wx 204/17, ZIP 2018, 535 = GmbHR 2018, 581: Grundsätzlich keine Haftung des Alleingesellschafter-Geschäftsführers für Notargebühren, die bei Beurkundungen für die GmbH angefallen sind. 189 Grundlegend BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 34 = ZIP 2001, 330 = NJW 2001, 1056; dazu Karsten Schmidt, NJW 2001, 993; Bitter/Heim, GesR, § 5 Rz. 30 ff., 39 ff. 190 Zur grundsätzlichen Trennung in Körperschaften und Personengesellschaften s. Karsten Schmidt, GesR, § 3 I 2 (S. 46 f.); Bitter/Heim, GesR, § 1 Rz. 9 ff. 191 Noch weitergehend Raiser in FS Lutter, 2000, S. 637, 641 ff.: Allgemeiner zivilrechtlicher Grundsatz persönlicher Haftung bei mehreren in gleicher Stellung zusammenwirkenden Personen. 192 Dazu monographisch Guntermann, Das Zusammenspiel von Mindeststammkapital und institutioneller Haftungsbeschränkung, 2016; sehr kritisch zur Haftungsbeschränkung bei Einpersonengesellschaften Gröpl, jM 2017, 315 ff., 359 ff. 193 Eine Durchgriffshaftung selbst bei wirtschaftlicher Betätigung des Vereins und Überschreitung des Nebenzweckprivilegs ablehnend BGH v. 13.4.2016 – XII ZR 146/14, ZIP 2016, 1434 = MDR 2016, 1196 Rz. 27 m.w.N.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 60 § 13

Die Haftungsdiskussion wird in Rechtsprechung und Literatur häufig ohne einen tiefgehen- 57 deren Blick auf die ökonomische Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung geführt, obwohl die Frage nach einer Ausnahme vom Prinzip der Haftungsbeschränkung erst beantwortet werden kann, wenn man sich über den Telos des Grundprinzips Gewissheit verschafft hat (dazu Rz. 60 ff.). Bedeutung hat dies insbesondere für die breit geführte Debatte zu einer Durchgriffshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung (dazu Rz. 138 ff.), in der von den Gegnern zumeist darauf verwiesen wird, das GmbH-Gesetz kenne nur ein Mindeststammkapital und keine Pflicht zu angemessener Kapitalausstattung, während die Befürworter mit Recht darauf abstellen, dass der Gesetzgeber mit der Gewährung des Haftungsprivilegs194 einen ökonomischen Zweck verfolgt und deshalb eine Durchbrechung im Wege teleologischer Reduktion der Haftungsbeschränkung in solchen Fällen möglich ist, in denen dieser Telos nicht eingreift (Rz. 126 f.). Keineswegs hat nämlich die Haftungsbeschränkung den Zweck, dass die Gesellschafter nach Aufbringung des Mindeststammkapitals ganz allgemein auf Kosten und Risiko der Gesellschaftsgläubiger Geschäfte machen können (vgl. zum Verbot der Spekulation auf Kosten der Gläubiger Rz. 105 ff., 145, 163 f.). Besonders deutlich wird die Ausblendung der ökonomischen Grundlagen in vielen juristi- 58 schen Stellungnahmen, wenn es beim Haftungsdurchgriff um eine Gläubigerdifferenzierung geht, d.h. um eine Unterscheidung zwischen vertraglichen und damit freiwilligen Gläubigern einerseits, Delikts- und damit Zwangsgläubigern der GmbH andererseits195. Während diese Unterscheidung für Ökonomen selbstverständlich erscheint, weil nur ein vertraglicher Gläubiger für das mit der Haftungsbeschränkung übernommene Risiko über den festgelegten Preis und eine darin enthaltene Risikoprämie kompensiert werden kann (dazu Rz. 65), lehnt die in der juristischen Diskussion h.M. eine derartige Differenzierung ab oder diskutiert sie überhaupt nicht (vgl. zur hier vertretenen Sicht Rz. 164)196. Erkennt man, dass es aus ökonomischer Sicht durchaus gute Gründe dafür geben kann, das 59 in § 13 Abs. 2 gewährte Haftungsprivileg von gewissen Mindestbedingungen abhängig zu machen (dazu sogleich Rz. 60 ff.), ist es wiederum eine originär juristische Aufgabe zu klären, auf welchem dogmatischen Weg eine Haftung der Gesellschafter zu begründen und wie sie rechtstechnisch auszugestalten ist (dazu Rz. 69 ff.).

2. Ökonomische Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung Wer die uferlose Durchgriffsdiskussion in Rechtsprechung und juristischer Literatur betrach- 60 tet, wird erstaunt darüber sein, wie selten dabei der Versuch einer Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung unternommen wird197. Überwiegend betrachtet man die Begründung des Prinzips offenbar für überflüssig198. Soweit darauf im juristischen Bereich eingegangen wird,

194 Zu diesem „Vorrecht“ bei bestimmten Verbänden Raiser in FS Lutter, 2000, S. 637 ff.; Raiser in FS Priester, 2007, S. 619 f.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 45; Guntermann, S. 15 ff.; ausführlich Fischinger, S. 243 ff. mit Fazit S. 284 f.; vgl. auch Hornberg, S. 94; kritisch zum Begriff des „Privilegs“ hingegen Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 81; Bachmann/Eidenmüller u.a., S. 115 f. 195 Begrifflich zwischen adjusting und non-adjusting creditors differenzierend Bachmann/Eidenmüller u.a., S. 118 f. 196 Mit Recht kritisch insoweit Thomale in Versicherungsmechanismen im Recht, 2016, S. 131 ff., insbes. S. 139 f., der deshalb für eine Gesellschafterhaftung pro rata für unerlaubte Handlungen der Gesellschaft plädiert (S. 140 ff.). 197 Vgl. auch Wiedemann, ZGR 2003, 283, 287; Fischinger, S. 245; sehr kritisch zur Haftungsbeschränkung (bei Einpersonengesellschaften) jüngst Gröpl, jM 2017, 315 ff., 359 ff. 198 Vgl. die zutreffende Feststellung von Lehmann, ZGR 1986, 345, 350.

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§ 13 Rz. 60 | Juristische Person; Handelsgesellschaft finden sich meist nur allgemeine Bekenntnisse zu einer Haftungsbeschränkung199. Der BGH verweist auf die Notwendigkeit der Haftungsbeschränkung im Geschäftsverkehr200. Andere sprechen davon, die Haftungsbeschränkung fördere unternehmerische Aktivitäten201, schaffe einen Anreiz zur Unternehmerinitiative202 bzw. diene der Risikobegrenzung und damit Investitionsförderung203. Auf diese Weise werde – zum Nutzen aller – der wirtschaftliche Fortschritt gesichert204. Zusätzlich wird auf die Kapitalsammelfunktion insbesondere der AG, aber auch der GmbH hingewiesen205. Wüst206 führt vor allem rechtsethische Argumente für die Haftungsbeschränkung ins Feld. Nach seiner Ansicht „gehört es zur Lebensgestaltung einer freien Welt, daß sich der Mensch eine nicht oder nur schwer angreifbare Lebensreserve zu sichern vermag.“ Karsten Schmidt207 fasste die herrschende Sichtweise bereits vor vielen Jahren dahingehend zusammen, die „allgemeine Frage der Legitimation von Haftungsbeschränkungen [werde] … heute durchweg in dem Sinne beantwortet, daß es kein allgemeines Gebot der unbeschränkten Haftung für Wirtschaftssubjekte gibt.“ Entsprechend denkt Schön sogar über einen „Anspruch auf Haftungsbeschränkung im Europäischen Gesellschaftsrecht“ nach208. 61 Es gibt jedoch auch differenziertere Ansätze, die auf die Verteilung des Risikos zwischen Ge-

sellschafter und Gläubiger abstellen209. So spricht z.B. Lutter210 davon, dass sich die mit der Haftungsbeschränkung verbundene Risikoverteilung zwischen dem Gesellschafter, der ein bestimmtes Vermögen endgültig zur Verfügung stellen muss einerseits und dem Gläubiger, der seinen Kredit mit Befriedigungsvorrang vor dem Gesellschafter, aber eben auch mit dem Risiko des wirtschaftlichen Zusammenbruchs seines Schuldners gibt andererseits, „offenbar als wirtschaftlich und sozial nützlich“ erwiesen hat. Ähnlich hat sich auch Kübler211 geäußert: Der Kaufmann wolle verhindern, im Falle des Scheiterns auch sein privates Vermögen zu verlieren; durch die Haftungstrennung beschränke er sein Risiko zulasten der Gläubiger, deren

199 Vgl. allerdings die grundsätzlichen Überlegungen bei Wiedemann, GesR I, S. 543 ff.; im Anschluss an die hiesige Kommentierung nun auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 344 ff.; zur gesamtwirtschaftlichen Funktion der AG ferner Kübler/Assmann, GesR, § 14 II (S. 164 ff.); zur Bedeutung für den europäischen Binnenmarkt Schön in FS Hommelhoff, S. 1037 ff.; s. auch noch die Nachw. in Rz. 62. 200 BGH v. 17.3.1966 – II ZR 282/63, BGHZ 45, 204, 207 = NJW 1966, 1309, 1310 – Rektor unter Ziff. I.2 der Gründe; ähnlich Hofmann, NJW 1969, 577, 580. 201 LAG Hamm v. 30.1.2015 – 10 Sa 828/14, ZIP 2015, 1392, 1393 = GmbHR 2015, 931; ähnlich Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 82 und Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11: Förderung unternehmerischen Handelns; Raiser, ZGR 1994, 156, 165; Raiser in FS Lutter, 2000, S. 637, 649: Förderung unternehmerischen Wagemutes; Fastrich in FS Karsten Schmidt, Bd. I, 2019, S. 291, 294: Ermutigung zu unternehmerischer Tätigkeit; Schweizer, ZVglRWiss 118 (2019), 1, 3: Förderung der Bereitschaft, unternehmerische Risiken einzugehen. 202 Altmeppen, EWiR § 302 AktG 1/91, S. 945; Raiser in FS Priester, 2007, S. 619; Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83, 84; ausführlich Fischinger, S. 252 ff. 203 Ulmer in FS Duden, 1977, S. 661, 663; Erlinghagen, GmbHR 1962, 169, 175; Kübler, NJW 1993, 1204; Wüst, JZ 1992, 710; Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 302; Prütting, JuS 2018, 409; w.N. bei Hofstetter, S. 62 in Fn. 62; in diese Richtung auch Raiser in FS Priester, 2007, S. 619; Haas, WM 2003, 1929, 1930. 204 Raiser, ZGR 1994, 156, 165. 205 Erlinghagen, GmbHR 1962, 169, 175; s. auch Raiser in FS Lutter, 2000, S. 637, 649; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 287. 206 Wüst, JZ 1992, 710. 207 Karsten Schmidt, GmbHR 1984, 272, 276 m.w.N. in Fn. 53. 208 Schön in FS Hommelhoff, S. 1037 ff.; zur Haftungsbeschränkung als „Grundtatbestand der europäischen Kapitalgesellschaftsrechte“ auch Stöber, ZVglRWiss 113 (2014), 57 ff. 209 Monographisch Fischinger, S. 243 ff. m.w.N. 210 Lutter in Hommelhoff u.a. (Hrsg.), Der qualifiziert faktische GmbH-Konzern, 1992, S. 183, 185. 211 Kübler, NJW 1993, 1204.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 64 § 13

Risiko entsprechend erhöht werde. Es bestehe Einigkeit, dass diese Risikoverlagerung „wirtschaftlich sinnvoll und deshalb legitim“ sei. In der (Rechts-)Ökonomie wird die Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung viel umfas- 62 sender behandelt. Die in Deutschland ab den 1980er Jahren aufkommende Diskussion212 konnte dabei auf frühere Ansätze aufbauen, die in der amerikanischen „Law and Economics“-Literatur ab Ende der 1960er Jahre entwickelt worden sind213. Sie lässt sich im Rahmen dieser Kommentierung nicht vollständig nachzeichnen214. Einige Grundzüge sollen aber doch dargelegt werden, weil damit nicht nur für die hier kommentierte (Durchgriffs-)Außenhaftung der Gesellschafter, sondern auch für das in Band III kommentierte Recht der Gesellschafterdarlehen die Basis gelegt wird (12. Aufl., Anh. § 64). In der ökonomischen Diskussion wird nicht nur die erstrebte Risikobegrenzung für den Un- 63 ternehmer, sondern mit Recht auch die daraus folgende Risikoverlagerung auf die Gläubiger in den Blick genommen215. Aus volkswirtschaftlicher Sicht wäre nämlich nichts damit gewonnen, wenn die Haftungsbeschränkung zwar einen Anreiz zu Unternehmerinitiative und Investitionen geben würde, sich dieser Anreiz aber letztlich auf Kosten anderer Teilnehmer am Wirtschaftsleben auswirken würde. Genau dies war der Vorwurf jener Autoren, die in einem ab 1930 aufkommenden, teils ordoliberalen, teils autoritären Wirtschaftsdenken die Haftungsbeschränkung insgesamt in Frage stellten216, wie es auch in jüngerer Zeit wieder vereinzelt anzutreffen ist217. Die volkswirtschaftliche Effizienz der Haftungsbeschränkung ergibt sich aus verschiede- 64 nen Ansatzpunkten, je nachdem, ob es sich um eine große Publikumsgesellschaft (public corporation) oder um eine Gesellschaft mit beschränktem Gesellschafterkreis (close corporation) handelt218. Bei der großen Publikumsgesellschaft sprechen insbesondere drei Aspekte für die Haftungsbeschränkung: (1) die volkswirtschaftlich sinnvolle Förderung einer Trennung von Kapital und Management, wenn ein Investor bei einer nicht von ihm selbst geleiteten 212 S. insbes. Kirchner, ZGR 1985, 214 ff.; Lehmann, ZGR 1986, 371 ff.; Lehmann, GmbHR 1992, 200 ff.; Adams, Eigentum, Kontrolle und beschränkte Haftung, 1991; Roth, ZGR 1986, 371 ff.; Roth, ZGR 1993, 170, 177 ff.; Nacke, S. 210 ff.; Hofstetter, S. 77 ff.; Geiger, Ökonomische Analyse des Konzernhaftungsrechts, 1993; zusammenfassend Fleischer, ZGR 2001, 1, 16 ff. m.w.N.; Möller, S. 14 ff.; ausführlicher Bitter, Durchgriffshaftung, S. 150 ff.; Grigoleit, S. 38 ff.; Meyer, S. 975 ff., insbes. S. 998 ff., 1017 ff. 213 Manne, 53 Virginia Law Review, 259 (1967); Landers, 42 U.Chi.L.Rev. 589 (1975); Landers, 43 U. Chi.L.Rev. 527 (1976); Halpern/Trebilcock/Turnbull, 30 U.Tor.L.J. 117 (1980); Posner, 43, U.Chi.L. Rev. 499 (1976); besonders lesenswert: Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89 (1985); vgl. auch Stone, 90 Yale L.J. 65 (1980); Kraakmann, 93 Yale L.J. 857 (1984); Woodward, ZgS 141 (1985), 601 ff.; Hansmann/Kraakmann, 100 Yale L.J. 1879 (1990/91); Grundfest, 102 Yale L.J. 387 (1992/ 93); Posner, Economic Analysis, § 15.3 (S. 540 ff.); zur Theorie des Unternehmens Bainbridge, 82 Cornell L.Rev. 856 (1997). 214 S. die umfassende Darstellung bei Meyer, S. 998 ff.; Halmer, S. 11 ff.; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 150 ff., sowie Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57 ff. m.w.N.; s. auch Fischinger, S. 245 ff.; Guntermann, S. 38 ff.; Hornberg, S. 63 ff. 215 Näher zu den „Kosten der Haftungsbeschränkung“ Halmer, S. 31 ff.; ferner Guntermann, S. 38 ff.; s. auch Hornberg, S. 66 ff. 216 Besonders pointiert Großmann-Doerth, AcP 147 (1941), 1, 17 und dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 1; ausführliche Darstellung bei Meyer, S. 988 ff.; Fischinger, S. 259 ff. mit Fazit S. 274; s. auch die Nachw. bei Blaurock in FS Stimpel, 1985, S. 553, 554 und Guntermann, S. 55 f. 217 Deutliche (auch verfassungsrechtliche) Kritik an der Haftungsbeschränkung bei Einpersonengesellschaften bei Gröpl, jM 2017, 315 ff., 359 ff. 218 Zustimmend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 346 ff.; Hornberg, S. 64 ff.; s. für eine umfassendere Darstellung Bitter, Durchgriffshaftung, S. 159 ff.; zusammenfassend Guntermann, S. 59 ff. m.w.N.; von nur graduellen Unterschieden sprechend hingegen Bachmann/Eidenmüller u.a., S. 114 f.

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§ 13 Rz. 64 | Juristische Person; Handelsgesellschaft Gesellschaft nicht den Verlust seines gesamten privaten Vermögens erwarten muss219, (2) der Informationskostenvorteil der (Groß-)Gläubiger bezüglich der Risiken der Unternehmung im Verhältnis zu den vermögensmäßig nur geringfügig beteiligten Gesellschaftern220 und (3) die Schaffung eines effizienten Kapitalmarktes, welche den gleichen Wert aller Gesellschaftsanteile voraussetzt, der bei unbeschränkter Haftung nicht bestünde221. Da sich die GmbH – im Gegensatz zur (börsennotierten) AG – in der deutschen Unternehmenspraxis jedoch nur selten durch einen großen Gesellschafterkreis auszeichnet, sollen diese Aspekte hier nicht weiter vertieft werden222. 65 Gerade weil diese drei Aspekte für die in der Praxis sehr häufig anzutreffende GmbH mit

beschränktem Gesellschafterkreis keine Bedeutung haben, insbesondere GmbH-Gesellschaftsanteile nicht frei an der Börse handelbar sind, wird in der Literatur teilweise die unbeschränkte Haftung für sog. „close corporations“ entweder allgemein223 oder jedenfalls bei Tochtergesellschaften im Konzern224 als das effizientere Haftungsregime angesehen225. Diese Ansicht übersieht jedoch, dass auch bei der Gesellschaft mit beschränktem Gesellschafterkreis der gesamtwirtschaftliche Nutzen durch die Haftungsbeschränkung gefördert wird226: Durch die Haftungsfreistellung des Privatvermögens wird die natürliche Risikoaversität des Gesellschafters reduziert und damit ein Investitionsanreiz gesetzt227. Müsste nämlich ein Gesellschafter befürchten, bei einem Misserfolg seines Unternehmens sein komplettes Hab und Gut und damit die Lebensgrundlage für sich und seine Familie zu verlieren, würde er in volkswirtschaftlich sinnvolle Projekte trotz eines positiven Erwartungswertes228 nur deshalb nicht investieren, weil sie risikoreich sind und folglich auch die Möglichkeit des Totalverlustes seiner Lebensgrundlage implizieren. Kann der Gesellschafter seine volle Haftung beim Scheitern des Unternehmens hingegen vermeiden, wird die Risikoaversität ausgeschaltet oder doch jedenfalls reduziert, damit die Durchführung von Geschäften mit positivem Erwartungswert gefördert und so der volkswirtschaftliche Gesamtnutzen vergrößert229. Da alle Gläubiger der haftungsbeschränkten Gesellschaft einen kleinen Teil des Risikos tragen, wirkt 219 Dazu Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 93 f. (1985); Nacke, S. 226 ff.; Lehmann, ZGR 1986, 345, 354; Geiger, S. 78; vgl. auch Wiedemann, GesR I, S. 547; Schön in FS Hommelhoff, S. 1037 ff. 220 Bitter, Durchgriffshaftung, S. 161 ff. mit Zusammenfassung S. 165. 221 Halpern/Trebilcock/Turnbull, 30 U.Tor.L.J. 117, 130 (1980); Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 95 f. (1985); Nacke, S. 235 ff.; Adams, S. 49 f.; Lehmann, ZGR 1986, 345, 354 f.; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 166 ff. 222 Ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 159 ff. 223 Halpern/Trebilcock/Turnbull, 30 U.Tor.L.J. 117, 148 (1980); Stone, 90 Yale L.J. 65, 72 (1980); vgl. früher schon Eucken, S. 282 f. 224 Landers, 43 U.Chi.L.Rev. 589, 619 (1975); Stone, 90 Yale L.J. 65, 72 (1980); aus dem juristischen Schrifttum insbes. Wiedemann, ZGR 1986, 656, 671; Sonnenschein/Holdorf, JZ 1992, 715, 723; vgl. auch Meyer, S. 1049 ff.; Teubner in FS Steindorff, 1990, S. 261, 267 ff.; so früher schon Eucken, S. 281, 283. 225 S. dazu auch Thomale in Versicherungsmechanismen im Recht, 2016, S. 131, 134 ff. 226 Dazu ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 168 ff.; Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57, S. 61 ff.; s. auch Bachmann/Eidenmüller u.a., S. 114 f. 227 Zustimmend Lieder in Michalski u.a., Rz. 336; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 441; in der Sache auch Guntermann, S. 61 ff. mit partieller, auf einem Missverständnis meiner Position beruhender Kritik; s. für den Verein auch Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, vor § 21 BGB Rz. 23. 228 Ein positiver Erwartungswert liegt vor, wenn der durchschnittlich zu erwartende Gewinn den durchschnittlich zu erwartenden Verlust übersteigt, d.h. der im Erfolgsfall erwartbare Gewinn multipliziert mit der Erfolgswahrscheinlichkeit höher liegt als der im Misserfolgsfall erwartbare Verlust multipliziert mit der Misserfolgswahrscheinlichkeit. 229 Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 97 (1985); Adams, S. 51; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 168 ff.; Steffek, JZ 2009, 77, 79; Lehmann, ZGR 1986, 345, 353 spricht von „Wagnisfinanzierung“; vgl. auch Wiedemann, ZGR 1986, 656, 670.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 67 § 13

die Haftungsbeschränkung wirtschaftlich wie eine (Teil-)Versicherung des unternehmerischen Risikos, bei der die Gesellschafter die Versicherungsnehmer und die Gläubiger der Versicherer sind; die partielle Risikoübernahme durch die Gläubiger kann dabei von Vertragsgläubigern der GmbH – im Gegensatz zu Deliktsgläubigern230 – bei der Festlegung des Preises in Gestalt einer Risikoprämie berücksichtigt werden231. Kann der Gesellschafter allerdings seine Haftung beschränken und damit einen Teil des Risi- 66 kos auf die Gläubiger verlagern, entsteht auf der anderen Seite ein Anreiz zur Externalisierung, d.h. zur nicht kompensierten Verlagerung von Kosten auf die Gläubiger232. Verschweigt der Gesellschafter seinen (Vertrags-)Gläubigern schon anfänglich den Umfang des bestehenden Risikos oder sorgt er nachträglich zulasten der Gläubiger für eine Erhöhung des unternehmerischen Risikos, kann er dadurch seine subjektive Rendite steigern233: Weil die Gläubiger auf einen Festbetragsanspruch234 beschränkt sind, der Gesellschafter hingegen variabel am Gewinn beteiligt ist, entsteht der Anreiz, in übermäßig spekulative Projekte zu investieren. Im Verlustfall trifft der Ausfall nämlich die Gläubiger. Gelingt hingegen das Projekt, nehmen die Gläubiger wegen ihres Festbetragsanspruchs nicht proportional am Gewinn teil. Vielmehr wird die Rendite des eingegangenen Risikos vom Gesellschafter abgeschöpft. In dieser Gemengelage aus Investitionsanreiz und Gefahr der Kostenexternalisierung dient 67 die Beteiligung des Gesellschafters mit Eigenkapital als Ausgleich235. Die Besonderheit des Eigenkapitals gegenüber dem Fremdkapital besteht nämlich darin, dass die Eigenkapitalgeber ihren Einsatz vor den Fremdkapitalgebern verlieren (§ 199 InsO im Vergleich zu § 38 InsO) und somit stärker am Unternehmensrisiko beteiligt sind236. In all den Fällen, in denen das Unternehmen zwar Verluste macht, der Verlustbetrag aber nicht den Betrag des Eigenkapitals – verstanden als (Netto-)Wert des Unternehmens nach Abzug der Verbindlichkeiten237 – übersteigt, wird allein der Unternehmer, nicht aber der Festbetragsanspruch der Gläubiger betroffen. Da die Gläubigerposition also nur in den (verhältnismäßig seltenen) Fällen eines das Eigenkapital übersteigenden Verlustes tangiert wird, ist die Hemmungswirkung sogar überproportional im Verhältnis zum Anteil des Eigenkapitals am Gesamtkapital238.

230 Zur Differenzierung zwischen freiwilligen und unfreiwilligen Gläubigern s. Bitter, Durchgriffshaftung, S. 185 ff.; Meyer, S. 969 ff.; Wagner in FS Gerhardt, 2004, S. 1043, 1049 ff.; Thomale in Versicherungsmechanismen im Recht, 2016, S. 131 ff., jeweils m.w.N. 231 Dazu Lehmann, ZGR 1986, 345, 355; Halpern/Trebilcock/Turnbull, 30 U.Tor.L.J 117, 135 (1980); Posner, Economic Analysis, § 15.3 (S. 540 f.); Bitter, Durchgriffshaftung, S. 170; Wagner in FS Gerhardt, 2004, S. 1043, 1049 f.; s. auch Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, vor § 21 BGB Rz. 63; partiell kritisch Halmer, S. 54 ff. 232 Dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 182 ff.; Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57, 63 ff. m.w.N. und mit Modellrechnungen auf S. 68 ff.; Guntermann, S. 45 ff. m.w.N.; s. auch Wagner in FS Gerhardt, 2004, S. 1043, 1049; Halmer, S. 54 f., stellt demgegenüber auf die Investitionsverzerrung ab; erst dadurch würden negative externe Effekte erzeugt. 233 Ausführlich zum Risikoanreiz Halmer, S. 72 ff. 234 Der dem Gläubiger zustehende Festbetragsanspruch gegen die Gesellschaft setzt sich aus dem kreditierten Betrag zuzüglich eines festen Zinssatzes zusammen. 235 Ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 190 ff.; Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57, 74 ff.; ähnlich Guntermann, S. 78 ff., 122 f., 130 f.: Finanzierungsverantwortung als Gegenstück zur Haftungsbeschränkung; ansatzweise auch Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, vor § 21 BGB Rz. 60 m.w.N. (Bildung eines „Verlustpolsters“); partiell kritisch Halmer, S. 80 ff., jedoch auf einem (begrifflichen) Missverständnis meiner Position beruhend. 236 Easterbrook/Fischel, 52 U.Chi.L.Rev. 89, 90 (1985); Adams, S. 31; Posner, Economic Analysis, § 15.4 (S. 544); Steffek, JZ 2009, 77, 78 f. m.w.N. 237 Entgegen Halmer, S. 80 (Fn. 55) sind bereits die Überlegungen bei Bitter, Durchgriffshaftung, S. 195 f. in diesem Sinne zu verstehen. 238 S. dazu die umfangreichen Modellrechnungen bei Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57, 74 ff.

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§ 13 Rz. 68 | Juristische Person; Handelsgesellschaft 68 Ohne diesen hemmenden Faktor ist die Haftungsbeschränkung in der Gesellschaft mit be-

schränktem Gesellschafterkreis ökonomisch nicht zu rechtfertigen, weshalb es richtig erscheint, von den Gesellschaftern zu verlangen, sich in Gestalt einer angemessenen Eigenkapitalbeteiligung (vorrangig) an der Tragung des unternehmerischen Risikos zu beteiligen. Eine reine Spekulation auf Kosten der Gläubiger durch (fast) gar nicht am Risiko beteiligte Gesellschafter muss verhindert werden, soll die Haftungsbeschränkung nicht zu volkswirtschaftlichen Ineffizienzen führen. Eben deshalb ist entgegen der BGH-Rechtsprechung239 insbesondere eine echte Durchgriffshaftung bei materieller Unterkapitalisierung der GmbH zu befürworten (Rz. 138 ff.).

3. Systematisierung der Durchgriffsfragen 69 Beim sog. „Durchgriff“ geht es jeweils um Fallkonstellationen, in denen bei der Rechtsan-

wendung dadurch Probleme auftreten können, dass eine (nicht notwendig haftungsbeschränkte) Gesellschaft und ihre Gesellschafter im Rechtsverkehr als unabhängige Rechtssubjekte auftreten und daher getrennt Zuordnungsobjekt von Rechten und Pflichten sein können. Es kann sich dann die Frage stellen, ob den betreffenden Gesellschaftern in jedem Fall die Vorteile aus dieser Trennung belassen werden sollen oder ob nicht in bestimmten Konstellationen der Gesellschafter mit „seiner“ GmbH gleichgesetzt und damit – bildlich gesprochen – durch die GmbH hindurch auf den „hinter“ ihr stehenden Gesellschafter „durchgegriffen“ werden kann. Das angloamerikanische Recht spricht insoweit in anschaulicher Bildersprache davon, dass der den Rechtsträger schützende Schleier gehoben bzw. durchstoßen wird (lifting or piercing the corporate veil)240. 70 Mit diesem Bild ist jedoch nicht viel für die juristische Bewältigung des zugrunde liegenden

tatsächlichen Problems gewonnen. Es bedarf vielmehr einer Systematisierung der verschiedenen Durchgriffsfragen und -tatbestände. Dabei erscheint in einem ersten Schritt die von Wiedemann241 eingeführte Unterscheidung zwischen Zurechnungsdurchgriff und Haftungsdurchgriff sinnvoll, die in der Literatur breite Gefolgschaft gefunden hat242, allerdings nicht dahingehend verstanden werden darf, dass hierdurch eine scharfe Grenzziehung zwischen zwei Rechtsinstituten mit getrenntem Regelungsgehalt gezogen wird243. 71 Unter dem Begriff des Zurechnungsdurchgriffs werden Gestaltungen zusammengefasst, in

denen es um die jeweilige Gesetzes- oder Vertragsauslegung (Normanwendung) im Einzelfall, also um die Frage geht, inwieweit Gesellschaft und Gesellschafter als Adressat bestimmter gesetzlicher Normen oder vertraglicher Pflichten in Betracht kommen, wobei die 239 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 = NJW 2008, 2437 = GmbHR 2008, 805 – Gamma; nachdrücklich zustimmend Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 47; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5 Rz. 6. 240 Dazu Hofstetter, S. 142 ff.; Mülhens, S. 69 ff., 98 ff., insbes. S. 103 ff., 156, 160 f., 181 f., 222, 225 ff., 228, 236 f.; Dähnert, NZG 2015, 258; Schweizer, ZVglRWiss 118 (2019), 1, 3, 11; kritisch zu dieser Begrifflichkeit Raiser in FS Lutter, 2000, S. 637, 641; s. auch Blaurock in FS Stimpel, 1985, S. 553, 563 f. 241 Wiedemann, GesR I, § 4 III, S. 220 ff. 242 Z.B. bei Emmerich, 10. Aufl., Rz. 68 ff., 76 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 66, 79; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10, 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 12; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 136; Windbichler, GesR, § 24 Rz. 27; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 1; Raiser in FS Lutter, 2000, S. 637, 638; Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 258; früher schon Mertens in Hachenburg, 8. Aufl. 1989, Anh. § 13 Rz. 32, 38; rechtsvergleichend Mülhens, S. 56 ff.; vgl. zum Ganzen auch Rehbinder in FS Kübler, 1997, S. 493, 496 f.; insgesamt kritisch zum Begriff des (Haftungs-)Durchgriffs Lieder in Michalski u.a., Rz. 341. 243 Vgl. Mertens in Hachenburg, 8. Aufl. 1989, Anh. § 13 Rz. 38; ferner Raiser in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 79, 84.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 73 § 13

Mitgliedschaft des Gesellschafters in der Gesellschaft die entsprechende Auslegung beeinflusst244. Dabei geht es – wie nicht deutlich genug betont werden kann – nicht um ein Spezifikum der juristischen Personen. Vielmehr können sich Fragen der Zurechnung zwischen Gesellschaft und Gesellschafter auch bei Personengesellschaften stellen und dort auch bei den unbeschränkt persönlich haftenden Gesellschaftern relevant werden245. So stellt sich z.B. auch für den Komplementär einer KG die Frage, ob ein mit der Gesellschaft vereinbartes Wettbewerbsverbot auf ihn zu beziehen ist (vgl. zu diesem Fall des Zurechnungsdurchgriffs Rz. 81 ff.) oder ob die KG eine Maklerprovision für ein mit ihm vermitteltes Geschäft verlangen darf (vgl. zu diesem Fall Rz. 84). Im Jahr 2013 hat der BGH zudem ausgesprochen, dass dem von einer GbR erhobenen Zahlungsbegehren – trotz (formal) fehlender Gegenseitigkeit – im Ausnahmefall ein dem Schuldner gegen die Gesellschafter zustehender Schadensersatzanspruch entgegengehalten werden kann, wenn die Berufung der GbR auf ihre Eigenständigkeit gegen Treu und Glauben verstößt246. Da es in all diesen Fällen um Gesetzesoder Vertragsauslegung im Einzelfall geht, ist der Zurechnungsdurchgriff weitgehend von den Schwierigkeiten der sehr grundsätzlich geführten, in erster Linie die Haftungsfragen betreffenden Durchgriffsdebatte frei. Er wird deshalb in dieser Kommentierung zunächst abgehandelt (Rz. 75 ff.). In Bezug auf die problematischeren Haftungsfragen erscheint – insbesondere aus prozesstak- 72 tischer Sicht – eine Systematisierung nach der Frage sinnvoll, wer Anspruchssteller und wer Anspruchsgegner eines bestimmten Haftungsansatzes ist. Dabei ist im Hinblick auf den Anspruchssteller zu unterscheiden zwischen einer – zumeist nur den Geschäftsführer, nicht den Gesellschafter247 treffenden – Innenhaftung, bei der die Gesellschaft Inhaberin des Anspruchs ist (vgl. insbesondere § 43 GmbHG und § 15b InsO), und einer Außenhaftung direkt gegenüber den Gesellschaftsgläubigern248. Im Rahmen der Außenhaftung ist sodann dogmatisch zwischen der „echten“ Durchgriffs- 73 haftung und dem sog. „unechten“ Durchgriff zu trennen249. Während es bei dem erstgenannten Ansatz um eine mit gesellschaftsrechtlichen Erwägungen begründete unmittelbare Durchbrechung des Haftungsprivilegs unter Rückgriff auf die eigentlich nur im Recht der Personengesellschaften geltende Haftungsnorm des § 128 HGB (ab 1.1.2024 § 126 HGB n.F.) geht (dazu Rz. 110 ff., insbesondere Rz. 126 f.), haftet der Gesellschafter(-Geschäftsführer) beim „unechten“ Durchgriff zwar ebenfalls persönlich, jedoch nicht für eine Verbindlichkeit der Gesellschaft, sondern für eine eigene Verbindlichkeit, die aber im Zusammenhang mit dem Tätigwerden für die GmbH begründet wurde. Bisweilen wird auch gesagt, der „unechte“ Durchgriff sei in Wahrheit überhaupt kein Fall des Durchgriffs, eben weil der Gesellschafter

244 S. die Zusammenstellungen der Einzelfälle bei Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 160 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14 f.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 344 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 9 III (S. 226 ff.); Wiedemann, GesR I, § 4 III 2 (S. 228 ff.); Windbichler, GesR, § 24 Rz. 32 f.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 5 ff.; Geißler, GmbHR 1993, 71, 73 f.; Rehbinder in FS Kübler, S. 493, 504 ff.; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 95 f. m.w.N.; rechtsvergleichend Mülhens, S. 57 ff. 245 So zutreffend Karsten Schmidt, GesR, § 9 I 2 (S. 219 f.). 246 BGH v. 19.11.2013 – II ZR 150/12, ZIP 2014, 565 = MDR 2014, 550 Rz. 25 f. 247 Eine Innenhaftung des Gesellschafters befürwortet der BGH in Fällen der Existenzvernichtung (dazu Rz. 152 ff., insbes. Rz. 158 ff.). 248 S. dazu die umfassende Darstellung der Haftungstatbestände bei Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 558 ff. und Bitter, ZInsO 2018, 625-631 (Innenhaftung), Bitter, ZInsO 2018, 625, 631 ff. (Außenhaftung). 249 S. aber auch Raiser in FS Lutter, 2000, S. 637, 638, der mit gewissem Recht darauf hinweist, dass sich beide Alternativen bei der Anwendung zivilrechtlicher Generalklauseln, insbes. bei § 826 BGB, überlagern; kritisch mit anderer Stoßrichtung Hornberg, S. 117 f.

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§ 13 Rz. 73 | Juristische Person; Handelsgesellschaft aus einer eigenständigen Anspruchsgrundlage haftet250. Entsprechend kann auch dieser Teil der Debatte, der heute weitgehend unstreitig ist, abgeschichtet werden (Rz. 90 ff.). 74 Im Hinblick auf den Anspruchsgegner ist sauber zu unterscheiden, ob eine „hinter“ der

GmbH stehende Person in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführer oder Gesellschafter in Anspruch genommen wird251. Für den typischen Allein-Gesellschafter-Geschäftsführer in der Einpersonen-GmbH (13. Aufl., § 1 Rz. 49 ff.) mag es zwar im Ergebnis keinen Unterschied machen, auf welche seiner beiden Positionen die Haftung gestützt wird. Hat die GmbH hingegen einen Fremdgeschäftsführer, ist die Frage des richtigen Haftungsadressaten auch praktisch bedeutsam. Um eine Durchbrechung der in § 13 Abs. 2 angeordneten Haftungsbeschränkung kann es im Grundsatz nur bei einer Haftung des Gesellschafters gehen. Diese ist insbesondere dann problematisch und umstritten, wenn für einen derartigen Haftungsdurchgriff keine eigenständige Anspruchsgrundlage vorhanden ist, sondern die haftungsbeschränkende Norm des § 13 Abs. 2 im Wege einer teleologischen Reduktion durchbrochen wird (dazu Rz. 110 ff., insbesondere Rz. 126 f.). Allerdings kann der mit Haftungssanktionen intendierte (präventive) Gläubigerschutz auch dadurch erreicht werden, dass der Geschäftsführer in die Pflicht genommen, er insbesondere durch eine Haftungsandrohung – wie in § 43 Abs. 3 – von Verlagerungen des Vermögens in die Gesellschaftersphäre abgehalten wird (vgl. dazu 12. Aufl., § 43 Rz. 371 ff.). Der mit dem MoMiG neu eingeführte und seit dem 1.1.2021 in § 15b Abs. 5 InsO aufgegangene § 64 Satz 3 (dazu 12. Aufl., § 64 Rz. 230 ff.) hat insoweit noch einmal das Haftungsgefüge zulasten des Geschäftsführers verschoben252. 74a Im Mittelbereich zwischen Zurechnungs- und Haftungsdurchgriff liegt der sog. Berechnungs-

durchgriff, der insbesondere im Arbeitsrecht bei der Dotierung von Sozialplänen und der Anpassung von Betriebsrenten besondere Bedeutung hat. Dabei wird – anders als beim Haftungsdurchgriff – zwar nicht unmittelbar ein Anspruch gegen den Gesellschafter begründet. Die Vermögenslage des Gesellschafters (insbesondere einer Konzernmuttergesellschaft) wird aber kraft Gesetzesauslegung bei der Bemessung eines Anspruchs gegen die (Tochter-)Gesellschaft berücksichtigt und die dadurch im Außenverhältnis erhöhte Verpflichtung der (Tochter-)Gesellschaft nur im Innenverhältnis vom Gesellschafter ausgeglichen (Rz. 188 ff.). Im Grundsatz ähnlich kommt es im Finanzaufsichtsrecht zu einer Zusammenrechnung der Vermögensmassen von konzernverbundenen Unternehmen und damit zu einer Berücksichtigung der Gesellschafterbeziehung bei der Bemessung des Anspruchs, dort aus einem Bußgeldtatbestand (Rz. 110a).

VII. Zurechnungsdurchgriff 75 In den verschiedensten Bereichen des Rechts kann die Verbindung zwischen einem Gesell-

schafter und „seiner“ Gesellschaft Anknüpfungspunkt von Zurechnungsfragen sein, die Eigenschaft als Gesellschafter also die Anwendung oder Auslegung einer bestimmten Norm oder einer vertraglichen Pflicht beeinflussen (Zurechnungsdurchgriff i.S.v. Rz. 70 f.). So führt etwa die gesellschaftsrechtliche Verbindung im Insolvenzanfechtungsrecht zu einer erweiterten Anfechtungsmöglichkeit unter dem Gesichtspunkt der nahestehenden Person i.S.v. § 138 Abs. 1 Nr. 4 und Abs. 2 InsO, so kann die Gewährung von Darlehen durch eine Gesellschaft, an der ein Gesellschafter maßgeblich beteiligt ist, als „wirtschaftlich“ einem Gesellschafter-

250 In diesem Sinne Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 1b (S. 233 f.); Nirk in FS Stimpel, 1985, S. 443, 449; gänzlich gegen den Begriff des (Haftungs-)Durchgriffs Lieder in Michalski u.a., Rz. 341. 251 Dazu auch Wiedemann, ZGR 2003, 283, 290 f.; Steffek, JZ 2009, 77, 79. 252 Dazu kritisch Raiser in FS Priester, 2007, S. 619, 630; Wiedemann in FS Lüer, 2008, S. 337, 342; Strohn, ZHR 173 (2009), 589, 589 ff.; allgemein auch Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449 ff. („GmbH-Reform auf Kosten der Geschäftsführer?“).

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 78 § 13

darlehen entsprechende Rechtshandlung i.S.v. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO anzusehen sein (dazu 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 201 ff.) und so wird die gewerberechtliche Zuverlässigkeit einer Gesellschaft durch die Eigenschaften der an ihr beteiligten Personen beeinflusst. Die Vielzahl solcher im Gesetz ausdrücklich oder implizit angelegten oder erst im Wege der Interpretation von Rechtsprechung und Lehre hineingelesenen Zurechnungen253 macht es unmöglich, sie an dieser Stelle vollständig zusammenzutragen254. Die Kommentierung beschränkt sich daher auf einige wichtige Fälle, zumal es – wie in Rz. 71 ausgeführt – beim Zurechnungsdurchgriff ohnehin nicht um ein Spezifikum von haftungsbeschränkten Gesellschaften wie der GmbH geht.

1. Wissenszurechnung bei arglistiger Täuschung Da die Gesellschaft – ein juristisches Konstrukt – nicht selbst, sondern nur durch ihre Orga- 76 ne handeln kann, wird ihr deren Wissen gemäß § 166 Abs. 1 BGB und das Verhalten gemäß § 31 BGB zugerechnet255. Dabei geht es jedoch noch nicht um Durchgriffsfragen256, weil Anknüpfungspunkt jener Zurechnungsnormen nicht das Handeln eines Gesellschafters, sondern eines Organs – bei der GmbH insbesondere des Geschäftsführers – ist (vgl. Rz. 74). Eine Identifikation des Gesellschafters mit „seiner“ GmbH steht vielmehr dann in Rede, 77 wenn der Geschäftsführer als Organ der GmbH gerade nicht das gemäß § 166 Abs. 1 BGB grundsätzlich zurechenbare Wissen besitzt, wohl aber der Gesellschafter, der „hinter“ der GmbH steht. Relevant wird dies, wenn der Alleingesellschafter einer GmbH, der nicht zugleich Geschäftsführer ist, einen Geschäftspartner der GmbH arglistig täuscht und diesen so zu einem Geschäftsabschluss mit der GmbH bewegt, diese aber beim Vertragsabschluss nicht durch den täuschenden Gesellschafter, sondern einen ahnungslosen Geschäftsführer vertreten wird. Mit § 166 Abs. 1 BGB lässt sich eine Wissenszurechnung dann nicht begründen, gerade weil die Täuschung nicht durch den als Vertreter der GmbH auftretenden (Fremd-) Geschäftsführer verübt wurde. Gleichwohl erscheint es unbillig, die Anfechtbarkeit des Geschäfts abzulehnen und so dem täuschenden Alleingesellschafter über seine (alleinige) Gewinnbeteiligung den Vorteil seiner Täuschung zu belassen. Er kann sich deshalb nicht darauf berufen, Dritter i.S.v. § 123 Abs. 2 BGB zu sein, wenn der irregeführte Vertragspartner das mit dem Geschäftsführer abgeschlossene Geschäft anfechten möchte257.

2. Gutgläubiger Erwerb Um ein vergleichbares Normanwendungsproblem geht es, wenn der Alleingesellschafter ein 78 fälschlicherweise auf seinen Namen eingetragenes Grundstück oder einen sonstigen ihm nicht gehörenden Gegenstand an „seine“ GmbH veräußert oder umgekehrt. Die Möglichkeit eines gutgläubigen Erwerbs nach §§ 892, 932 BGB wird in solchen Fällen mit dem Hinweis

253 S. aus jüngerer Zeit etwa auch BGH v. 15.1.2019 – II ZR 392/17, BGHZ 220, 377 = ZIP 2019, 564 = GmbHR 2019, 397: Vertretung der AG durch den Aufsichtsrat (§ 112 AktG) auch beim Rechtsgeschäft mit einer Ein-Personen-Gesellschaft eines Vorstandsmitglieds. 254 Sehr umfassend Wiedemann, GesR I, § 4 III 2 (S. 229 ff.); s. auch die Nachw. Rz. 71. 255 Dazu Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 25 ff. 256 Anders wohl Emmerich, 10. Aufl., Rz. 71 f. 257 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 14; Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 30; Geißler, GmbHR 1993, 71, 73; Kuhn in FS Heusinger, 1968, S. 203, 208; Erlinghagen, GmbHR 1962, 169, 170; Hofmann, NJW 1966, 1941, 1942; Rehbinder in FS Kübler, 1997, S. 493, 506; vgl. auch BGH v. 22.1.1990 – II ZR 25/89, NJW 1990, 1915 = GmbHR 1990, 164.

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§ 13 Rz. 78 | Juristische Person; Handelsgesellschaft darauf verneint, dass es sich bei dem Geschäft zwischen Gesellschaft und Gesellschafter nicht um ein Verkehrsrechtsgeschäft handele258. Da letztlich das ganze positive Vermögen der GmbH dem oder den Gesellschaftern gebührt, wäre es nicht gerechtfertigt, dem wahren Eigentümer seine Rechtsposition aus Gründen des – den Gutglaubenserwerb allein rechtfertigenden – Verkehrsschutzes zu entziehen, obwohl bei einer derartigen Veräußerung wirtschaftlich gesehen gar kein Rechtsübergang stattgefunden hat, vielmehr wirtschaftlich gesehen die gleiche(n) Person(en) auf beiden Seiten des Geschäfts stehen. 79 Problematisch wird der Zurechnungsdurchgriff zwischen Gesellschafter- und Gesellschafts-

sphäre allerdings, wenn es an einer vollständigen wirtschaftlichen Personenidentität auf Erwerber- und Veräußererseite fehlt. Dann nämlich ist die Frage zu entscheiden, ob im Interesse der nicht auf beiden Seiten wirtschaftlich beteiligten Person der gutgläubige Erwerb zuzulassen ist oder das Verkehrsschutzinteresse dieser Person deshalb zurückzutreten hat, weil jedenfalls andere, ggf. mehrheitlich beteiligte Personen, nicht schutzwürdig erscheinen. Da der gutgläubige Erwerb bei fehlender Personenidentität die gesetzliche Regel ist und diese Regel allein im Hinblick auf eine wirtschaftliche Identität durchbrochen wird, muss sich der Verkehrsschutz des Erwerbers schon dann gegenüber dem Bestandsschutzinteresse des wahren Eigentümers durchsetzen, wenn mindestens eine Person wirtschaftlich nicht auf beiden Seiten steht259. Dieser einen Person lässt sich nämlich die Schutzwürdigkeit nicht deshalb absprechen, weil sie anderen Personen, den Mitgesellschaftern, fehlt260. Allerdings sollte man darüber nachdenken, ob nicht gegenüber den auf beiden Seiten wirtschaftlich beteiligten und damit nicht schutzwürdigen Personen ein schuldrechtlicher Ausgleichsanspruch des benachteiligten Eigentümers anzuerkennen ist. 80 Ein Fehlen der wirtschaftlichen Personenidentität ist allerdings dann nicht anzuerkennen,

wenn die zusätzlichen Erwerber ihrerseits nur Treuhänder (Strohmänner) der Gesellschafter sind261. Aufgrund des Treuhandverhältnisses halten sie dann nämlich ihre Vermögensposition wiederum nur „wirtschaftlich“ für die Treugeber262, so dass auf diesem Weg die wirtschaftliche Identität auf Veräußerer- und Erwerberseite doch hergestellt ist.

258 BGH v. 29.6.2007 – V ZR 5/07, BGHZ 173, 71, 77 = NJW 2007, 3204 = MDR 2007, 1362 Rz. 22 m.w.N.; Picker in Staudinger, 2019, § 892 BGB Rz. 107 ff. m.w.N.; Fastrich in Noack/Servatius/ Haas, Rz. 15; Lieder in Michalski u.a., Rz. 354; Karsten Schmidt, GesR, § 9 III 2d (S. 230); Raiser/ Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 20; Geißler, GmbHR 1993, 71, 73 f.; Kuhn in FS Heusinger, 1968, S. 203, 207 f.; Erlinghagen, GmbHR 1962, 169, 170; Hofmann, NJW 1966, 1941, 1942; Rehbinder in FS Kübler, 1997, S. 493, 508; Wiedemann, WM-Beilage 4/1975, S. 23; vgl. auch RG v. 17.1.1934 – V 67/328/33, RGZ 143, 202, 207; RG v. 26.11.1927 – V 468/26, RGZ 119, 126, 128 ff.; RG v. 19.10.1929 – V 426/28, RGZ 126, 46, 48; BGH v. 5.11.1980 – VIII ZR 230/79, BGHZ 78, 318, 325. 259 So die h.M.; vgl. BGH v. 26.1.1996 – V ZR 212/94, ZIP 1996, 688, 690; BGH v. 29.6.2007 – V ZR 5/07, BGHZ 173, 71, 77 = NJW 2007, 3204 = MDR 2007, 1362 Rz. 22; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 16; Picker in Staudinger, 2018, § 892 BGB Rz. 108 ff. mit umfassenden Nachw. zu z.T. differenzierenden Ansichten; ferner Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 27 f.; s. zum gutgläubigen Erwerb einer Sacheinlage von einem Gesellschafter auch BGH v. 21.10.2002 – II ZR 118/02, NJW-RR 2003, 170, 171 = GmbHR 2003, 39. 260 S. aber auch die vom RG v. 17.1.1934 – V 67/328/33, RGZ 143, 202, 207, „jedenfalls für den Bereich des § 14 AufwNov“ befürwortete Einschränkung für den Fall, dass nur 1/30 der Geschäftsanteile einem Dritten gehörten, der in jenem Fall aber der minderjährige Sohn des Hauptgesellschafters war und von diesem vertreten wurde. 261 Ebenso Emmerich, 10. Aufl., Rz. 74a; Lieder in Michalski u.a., Rz. 356; Picker in Staudinger, 2018, § 892 BGB Rz. 111 m.w.N. 262 Umfassend zum Außenrecht der Verwaltungstreuhand Bitter, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, 2006, zum „wirtschaftlichen Eigentum“ des Treugebers insbes. S. 22 ff., 265 ff.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 84 § 13

3. Reichweite eines Wettbewerbsverbots Aus dem Bereich der Vertragsauslegung ist insbesondere auf die Frage hinzuweisen, ob ein 81 von der Gesellschaft eingegangenes Wettbewerbsverbot nach dem konkreten Zweck der Verpflichtung auch die Gesellschafter trifft oder umgekehrt ein den Gesellschafter treffendes Wettbewerbsverbot auch dann verletzt ist, wenn das Konkurrenzgeschäft von einer Gesellschaft betrieben wird, an der der Gesellschafter beteiligt ist263. Im Zweifel ist ein Gesellschafter, der einem Wettbewerbsverbot unterliegt, gehalten, im 82 Rahmen seiner rechtlichen Einflussmöglichkeiten auch einen Wettbewerb durch eine Gesellschaft zu verhindern, an der er beteiligt ist264. Dies gilt insbesondere für einen Mehrheitsgesellschafter, der zugleich Geschäftsführer jener Gesellschaft ist265. Aber auch bei fehlender Mehrheitsbeteiligung und/oder Geschäftsführung kann der Gesellschafter ggf. verpflichtet sein, seinen in der Gesellschaft betriebenen Wettbewerb einzustellen266, notfalls durch Austritt aus jener Gesellschaft. Adressat des Wettbewerbsverbots bleibt allerdings in aller Regel der Gesellschafter selbst, während die Konkurrenz betreibende Gesellschaft jedenfalls dann nicht unmittelbar auf Unterlassung in Anspruch genommen werden kann, wenn an ihr noch andere, nicht durch das Wettbewerbsverbot gebundene Gesellschafter beteiligt sind. Dann nämlich würde ein vertragliches Wettbewerbsverbot einen Vertrag zulasten Dritter – der Gesellschaft – darstellen267. Zudem dürfte auch die Ausdehnung eines gesetzlichen Wettbewerbsverbots wie § 112 HGB auf eine Gesellschaft, an der außenstehende Dritte als Gesellschafter beteiligt sind, nicht in Betracht kommen. Der Zweck eines Vertrags, mit dem sich eine Gesellschaft zur Unterlassung von Wett- 83 bewerb verpflichtet hat, dürfte in der Regel ebenfalls durchkreuzt werden, wenn die Gesellschafter den Wettbewerb sodann in eigener Person oder mittels einer anderen neu gegründeten Gesellschaft betreiben268. Ferner trifft das gesetzliche Wettbewerbsverbot des § 112 HGB auch den (Allein-)Gesellschafter der Komplementär-GmbH269.

4. Maklerprovision (§ 652 BGB) Im Grenzbereich zwischen Vertragsauslegung und Normanwendung270 sind die sog. Makler- 84 fälle angesiedelt. Der Makler erhält seine Provision für die Vermittlung eines Geschäftes mit einem Dritten (§ 652 BGB). Deshalb wird keine Vermittlungsprovision fällig, wenn der Makler das Geschäft selbst abschließt. Vermittelt nun die Gesellschaft ein Geschäft mit ihrem Hauptgesellschafter oder umgekehrt, so kann eine Maklerprovision ebenfalls nicht verlangt 263 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 26; Rehbinder in FS Kübler, 1997, S. 493, 513 f.; Rehbinder in FS R. Fischer, 1979, S. 579, 600; Kuhn in FS Heusinger, 1968, S. 203, 208; Hofmann, NJW 1966, 1941, 1942; Wiedemann, WM-Beilage 4/1975, S. 21. 264 Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 26; für eine GbR BGH v. 3.2.1978 – I ZR 163/76, MDR 1978, 904 = GmbHR 1978, 175 (Leitsatz). 265 S. für eine GmbH insbes. BGH v. 21.2.1978 – KZR 6/77, NJW 1978, 1001; s. für eine KG auch BGH v. 9.11.1973 – I ZR 83/72, BB 1974, 482 = WM 1974, 482. 266 Dazu Rehbinder in FS R. Fischer, 1979, S. 579, 600. 267 Zutreffend Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 26. 268 So für den Fall zweier Kommanditgesellschaften mit identischem Gesellschafterkreis BGH v. 7.6.1972 – VIII ZR 175/70, BGHZ 59, 64 = WM 1972, 882; ebenso BGH v. 28.5.1975 – VIII ZR 200/74, BB 1975, 1037 für den Fall, dass in die neue KG ein weiterer Kommanditist aufgenommen wird. 269 BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 165 = GmbHR 1984, 203 – Heumann-Ogilvy. 270 So zutreffend Karsten Schmidt, GesR, § 9 III 2a (S. 228 f.); demgegenüber geht Fastrich in Noack/ Servatius/Haas, Rz. 14 wohl von einem Fall reiner Vertragsauslegung aus.

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§ 13 Rz. 84 | Juristische Person; Handelsgesellschaft werden, da aufgrund der wirtschaftlichen Identität von Gesellschaft und Gesellschafter nicht von einer Nachweis- oder Vermittlungstätigkeit im Sinne des § 652 BGB gesprochen werden kann271.

5. Zurechnung von Eigenschaften 85 Um eine Frage der Auslegung im Einzelfall geht es auch, wenn gesetzliche Normen auf be-

stimmte Eigenschaften einer Person abstellen und insoweit zu beurteilen ist, ob die Eigenschaften der Gesellschafter der Gesellschaft zuzurechnen sind272. Solche Zurechnungsfragen sind teilweise im Gesetz selbst angelegt, wenn etwa § 116 Satz 1 Nr. 2 ZPO die Gewährung von Prozesskostenhilfe für eine juristische Person davon abhängig macht, dass nicht nur diese, sondern auch die „am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten“ mittellos sind273. Wirtschaftlich beteiligt in diesem Sinne sind bei der GmbH insbesondere deren Gesellschafter274. Sind diese also nicht mittellos, wird auch der GmbH keine Prozesskostenhilfe gewährt. 86 Bedeutsam kann die Zurechnung auch bei einem Irrtum über verkehrswesentliche Eigen-

schaften i.S.v. § 119 Abs. 2 BGB sein. Gerade hier zeigt sich allerdings deutlich, dass es beim sog. Zurechnungsdurchgriff gar nicht um Spezifika der juristischen Person, ja nicht einmal um das besondere Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter geht. Wie nämlich schon das RG im Jahr 1934 klargemacht hat, können für die Frage, ob der mit einer Gesellschaft abgeschlossene Vertrag vom Vertragspartner nach § 119 Abs. 2 BGB angefochten werden kann, nicht nur Eigenschaften des Gesellschafters, sondern ebenso auch Eigenschaften des Geschäftsführers bedeutsam sein, wenn sie für den Vertragsschluss erheblich waren275. Hier geht es also – nicht anders als bei der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit einer Gesellschaft (Rz. 75) – ganz allgemein um die Frage, auf welche natürliche/n Person/en abzustellen ist, wenn es um die Beurteilung von Eigenschaften geht, die eine für sich nicht handlungsfähige juristische Person gar nicht haben kann.

6. Bauhandwerkersicherungshypothek (§ 650c BGB) 87 Sind die Gesellschafter einer GmbH Eigentümer eines Grundstücks und beauftragt die

GmbH einen Unternehmer mit der Errichtung eines Bauwerks auf diesem Grundstück, kann sich die Frage ergeben, ob der Unternehmer trotz der „formalen“ Trennung zwischen Besteller (GmbH) und Eigentümer des Grundstücks (Gesellschafter) die Bestellung einer Sicherungshypothek an dem Baugrundstück verlangen kann276. Weil es bei dieser Frage der Auslegung des Bestellerbegriffs in § 650c BGB (früher § 648 BGB) letztlich um Haftungsfragen, 271 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 14; Karsten Schmidt, GesR, § 9 III 2a (S. 228 f.); Geißler, GmbHR 1993, 71, 73; Rehbinder in FS Kübler, 1997, S. 493, 504; Wiedemann, WM-Beilage 4/1975, S. 22; ausführlich Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 96 ff.; vgl. auch BGH v. 12.5.1971 – IV ZR 82/70, NJW 1971, 1839 f. (90 % Beteiligung); BGH v. 25.5.1973 – IV ZR 16/72, NJW 1973, 1649 f. (wirtschaftlich erhebliche Mitbeteiligung); BGH v. 24.4.1985 – Iva ZR 211/83, NJW 1985, 2473 (wirtschaftliche Identität aufgrund enger Verflechtung); BGH v. 1.4.1992 – IV ZR 154/91, MDR 1992, 562 = NJW 1992, 2818 m. Anm. Dehmer, NJW 1993, 2225 f. 272 Dazu Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 29; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 7; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 91. 273 Dazu auch Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 29. 274 Schultzky in Zöller, 34. Aufl. 2022, § 116 ZPO Rz. 21. 275 RG v. 23.2.1934 – II 284/33, RGZ 143, 429, 431. 276 Dazu Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 94; Rehbinder in FS R. Fischer, 1979, S. 579, 589 f.; Wilhelm, S. 369 ff.

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nämlich darum geht, ob auf das Privatvermögen der Gesellschafter – hier im Wege der Sicherung – zur Befriedigung der Gesellschaftsverbindlichkeit zurückgegriffen werden kann277, sollte sie ähnlich zurückhaltend beurteilt werden wie der an späterer Stelle zu kommentierende Haftungsdurchgriff (Rz. 110 ff.). Haften die Gesellschafter im Einzelfall ohnehin aufgrund eines besonderen Verpflichtungs- 88 grundes (insbesondere Bürgschaft; vgl. Rz. 90 ff.) oder im Wege der Durchgriffshaftung (Rz. 110 ff.) für die Verbindlichkeit der GmbH, sollte man wegen der dann ohnehin schon aufgehobenen Haftungstrennung zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftersphäre auch einen Anspruch gemäß § 648 BGB bejahen278. Liegt ein solcher Sonderfall hingegen nicht vor, hat es auch im Hinblick auf die Bauhandwerkersicherung bei dem Grundsatz zu bleiben, dass das Gesellschaftervermögen nicht für die Verbindlichkeiten der GmbH haftet, Gesellschaft und Gesellschafter also als zwei verschiedene Rechtspersonen zu betrachten sind. Das gilt übrigens auch im umgekehrten Fall, in dem die GmbH Eigentümerin eines Grundstücks ist und der Bauauftrag von deren Gesellschaftern erteilt wird. Ein „Zurechnungsdurchgriff“ im Rahmen des § 650c BGB ginge in diesem Fall zulasten der GmbH-Gläubiger, denen das Vermögen der Gesellschaft vorrangig vor den Gesellschaftergläubigern als Haftungsmasse zusteht. Diese grundsätzliche haftungsrechtliche Trennung der beiden Vermögenssphären schließt es 89 freilich nicht aus, dass im Einzelfall besondere Umstände vorliegen, die die Berufung des Grundstückseigentümers auf die rechtliche Trennung als Verstoß gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB) erscheinen lässt279.

VIII. „Unechter“ Haftungsdurchgriff Schrifttum: Bitter, Haftung von Gesellschaftern und Geschäftsführern in der Insolvenz ihrer GmbH – Teil 2, ZInsO 2018, 625, 632 ff.

Als „unechten“ Haftungsdurchgriff bezeichnet man eine Haftung des Gesellschafters für die 90 Gesellschaftsverbindlichkeiten aufgrund einer eigenständigen Haftungsgrundlage (zur Systematisierung s. Rz. 73). Eine solche Haftung kann vertraglicher oder deliktischer Natur sein oder sich aus einer Rechtsscheinhaftung ergeben280. Die verschiedenen, dem allgemeinen Zivilrecht entstammenden Haftungsgründe sollen an dieser Stelle nur insoweit dargestellt werden, wie Anknüpfungspunkt der Haftung die Eigenschaft als Gesellschafter der GmbH ist, während die an die Geschäftsführereigenschaft anknüpfenden Haftungsansätze in den Kommentierungen zu § 43 und § 64 dargestellt werden (vgl. 12. Aufl., § 43 Rz. 455 ff.; 12. Aufl., § 64 Rz. 365 ff.)281. Für den Geschäftsführer gilt freilich noch mehr als für den Gesellschafter 277 Rehbinder in FS R. Fischer, 1979, S. 579, 590 spricht von „dinglich beschränkter Mithaftung“. 278 In diesem Sinne auch BGH v. 22.10.1987 – VII ZR 12/87, BGHZ 102, 95, 102 f. = NJW 1988, 255, 257 = ZIP 1988, 244, 246; OLG Hamm v. 21.4.1989 – 26 U 194/88, NJW-RR 1989, 1105; OLG Hamm v. 7.3.2006 – 21 W 7/06, BauR 2007, 721; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 11. 279 BGH v. 22.10.1987 – VII ZR 12/87, BGHZ 102, 95, 100 ff. = NJW 1988, 255, 256 f. = ZIP 1988, 244, 246; OLG Hamm v. 21.4.1989 – 26 U 194/88, NJW-RR 1989, 1105; OLG Naumburg v. 14.4.1999 – 12 U 8/99, NJW-RR 2000, 311, 312; OLG Celle v. 31.10.2002 – 6 U 159/02, NJW-RR 2003, 236 = MDR 2003, 504; OLG Hamm v. 7.3.2006 – 21 W 7/06, BauR 2007, 721; LG Tübingen v. 4.9.2018 – 20 O65/18 juris-Rz. 16 f.; sehr restriktiv OLG Frankfurt v. 10.8.2001 – 3 W 39/01, OLGR 2001, 261 = MDR 2001, 1405 f.; OLG Schleswig v. 23.12.1999 – 7 U 99/99, OLGR 2000, 158 = BauR 2000, 1377. 280 Dazu auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 367 ff. 281 S. für eine umfassende Darstellung aller an die Gesellschafter- und Geschäftsführereigenschaft anknüpfenden Haftungsansätze im Rahmen des „unechten“ Durchgriffs Bitter, ZInsO 2018, 625, 632 ff.

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§ 13 Rz. 90 | Juristische Person; Handelsgesellschaft (Rz. 55), dass er im Grundsatz nicht für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haftet, vielmehr ein besonderer Haftungsgrund erforderlich ist282.

1. Vertragshaftung a) Bürgschaft 91 Eine eigenständige Haftung des Gesellschafters für die Gesellschaftsverbindlichkeiten kann

sich in der Praxis insbesondere daraus ergeben, dass er sich für eine Verbindlichkeit der Gesellschaft persönlich verbürgt (§§ 765 ff. BGB). Die Bürgschaft ist eine akzessorische Sicherheit (vgl. § 767 BGB), d.h., die Haftung des Bürgen ist in Höhe und Bestand von der Hauptverbindlichkeit (des Gläubigers gegenüber der GmbH) abhängig. Zudem haftet der Bürge grundsätzlich nur subsidiär, also erst, wenn der Gläubiger erfolglos versucht hat, den Hauptschuldner in Anspruch zu nehmen (Einrede der Vorausklage nach § 771 BGB). Aufgrund von § 773 Abs. 1 Nr. 3 BGB steht dem bürgenden Gesellschafter die Einrede der Vorausklage allerdings nicht zu, wenn über das Vermögen des Hauptschuldners – d.h. der GmbH – das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. 92 Auch außerhalb der Insolvenz ist die subsidiäre Haftung des Bürgen meist ausgeschlossen,

denn auf die Einrede der Vorausklage kann der Bürge verzichten (sog. selbstschuldnerische Bürgschaft gemäß § 773 Abs. 1 Nr. 1 BGB; bei Bürgschaften gegenüber Banken üblich). Ein Ausschluss der Einrede der Vorausklage kommt zudem nach § 349 HGB in Betracht, wenn der Bürge Kaufmann und die Bürgschaft für ihn ein Handelsgeschäft ist. Ohne Weiteres kann dies bejaht werden, wenn die Muttergesellschaft sich für ihre Tochter verbürgt. Ist der Gesellschafter jedoch eine natürliche Person, so ist dieser weder als Gesellschafter noch als Geschäftsführer Kaufmann i.S.d. § 1 HGB283, so dass jedenfalls eine direkte Anwendung des § 349 HGB nicht in Betracht kommt. Eine analoge Anwendung wird z.T. befürwortet, soweit der Gesellschafter zugleich geschäftsführend tätig ist284, von der h.M. jedoch nicht in Betracht gezogen oder ausdrücklich abgelehnt285. Im gleichen Sinne ist die Bürgschaft eines GmbH-Gesellschafters nach h.M. auch nicht gemäß § 350 HGB von der Schriftform des § 766 BGB frei286. b) Schuldbeitritt 93 Eine in ihrer Funktion und wirtschaftlichen Bedeutung der Bürgschaft vergleichbare Personal-

sicherheit ist der Schuldbeitritt. Im Gegensatz zum Bürgen haftet der Schuldbeitretende nicht akzessorisch, sondern gleichrangig neben dem Schuldner der Forderung. Da der Schuldbeitritt formfrei, die Bürgschaft eines GmbH-Gesellschafters hingegen nach § 766 BGB formbedürftig ist (Rz. 92), besteht bei mündlichen Erklärungen des Gesellschafters, für die Verbindlichkeiten der GmbH einzustehen, ein Interesse des Gläubigers, diese Erklärung als Schuld282 BAG v. 23.2.2016 – 9 AZR 293/15, ZIP 2016, 885 = GmbHR 2016, 640 Rz. 14 m.w.N. 283 Anderes gilt für persönlich haftende Gesellschafter einer OHG/KG; vgl. Bitter/Heim, GesR, § 6 Rz. 5a. 284 Karsten Schmidt in MünchKomm. HGB, 4. Aufl. 2018, § 349 HGB Rz. 5 und § 350 HGB Rz. 10 f.; ähnlich Canaris, HandelsR, 24. Aufl. 2006, § 24 Rz. 13 (S. 370) zu § 350 HGB. 285 Maultzsch in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 349 HGB Rz. 15; s. auch die zu § 350 HGB in der Folgefußnote angeführte Rechtsprechung und Literatur sinngemäß. 286 Vgl. BGH v. 12.5.1986 – II ZR 225/85, ZIP 1986, 1457; BGH v. 28.1.1993 – IX ZR 259/91, BGHZ 121, 224, 228 = NJW 1993, 1126 = JR 1993, 318 m. Anm. Karsten Schmidt; Maultzsch in MünchKomm. HGB, 5. Aufl. 2021, § 349 HGB Rz. 12; Pamp in Oetker, 7. Aufl. 2021, § 350 HGB Rz. 11 f.; Koller in Staub, 4. Aufl. 2004, § 350 HGB Rz. 9; Roth in Koller/Kindler/Roth/Drüen, § 350 HGB Rz. 5; Hakenberg in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, § 350 HGB Rz. 13.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 94 § 13

beitritt auszulegen. Der BGH hat diesbezüglich entschieden, dass bei der Abgrenzung von Schuldbeitritt und Bürgschaft das eigene wirtschaftliche (oder auch rechtliche) Interesse des sich verpflichtenden Vertragspartners daran, dass die Verbindlichkeit des Schuldners getilgt wird, ein wichtiger Anhaltspunkt für das Vorliegen des Schuldbeitritts sein kann: Bei einem die Vertragsverhandlungen führenden Geschäftsführer, der zugleich auch – ggf. dominierender – Gesellschafter der GmbH ist, wird daher eher anzunehmen sein, dass er sich parallel zu „seiner“ GmbH im Wege des Schuldbeitritts mitverpflichten will, als bei einem Fremdgeschäftsführer287.

2. Vertrauenshaftung a) Rechtsscheinhaftung wegen fehlenden Rechtsformzusatzes Offenbart eine im Rahmen geschäftlicher Verhandlungen für die Gesellschaft auftretende 94 Person nicht, dass Verhandlungs- und Vertragspartner eine GmbH (bzw. UG) ist, und tritt insbesondere bei schriftlichen Vertragsschlüssen288 mit fehlerhaftem oder gänzlich fehlendem Rechtsformzusatz i.S.v. § 4 bzw. § 5a auf, kann dies – neben der Haftung der Gesellschaft289 – zu einer persönlichen Haftung des Handelnden führen (näher 13. Aufl., § 4 Rz. 20 ff.)290. Der erstgenannte Fall des fehlerhaften Rechtsformzusatzes ist bereits partiell an früherer Stelle unter dem Stichwort der Rechtsschein-GmbH behandelt worden; insoweit geht es um Fälle, in denen eine UG oder eine ausländische haftungsbeschränkte Gesellschaft unrichtig als (deutsche) GmbH firmiert (Rz. 14 f.). Im zweitgenannten Fall des fehlenden Rechtsformzusatzes kann im Rechtsverkehr der fehlerhafte Eindruck entstehen, es fehle bei der Gesellschaft die in § 13 Abs. 2 angeordnete Haftungsbeschränkung und deshalb greife eine unbeschränkte Haftung der Gesellschafter ein (derzeit in direkter oder analoger Anwendung des § 128 HGB; ab 1.1.2024 gemäß § 721 BGB n.F. und § 126 HGB n.F.). Jener unrichtige Eindruck einer fehlenden Haftungsbeschränkung kann zudem entstehen, wenn der Fehler im Rechtsformzusatz das haftungsbeschränkende Element betrifft, insbesondere in der Bezeichnung einer Unternehmergesellschaft (UG) der zwingende Zusatz „(haftungsbeschränkt)“ weggelassen oder unzulässig abgekürzt wird291. Die Haftung aufgrund des hierdurch veranlassten Rechtsscheins unbeschränkter Haftung trifft die im Einzelfall gegenüber dem Vertragspartner auftretende Person292 und knüpft damit i.d.R. an die Geschäftsführer-, nicht die Gesellschafterposition an (vgl. auch 12. Aufl., § 43 Rz. 459).293 Handelt ein sonstiger Mit-

287 Vgl. BGH v. 25.9.1980 – VII ZR 301/79, NJW 1981, 47 = ZIP 1980, 983; BGH v. 19.9.1985 – VII ZR 338/84, NJW 1986, 580 = ZIP 1985, 1485; BGH v. 3.9.2020 – III ZR 56/19, ZIP 2021, 245 = GmbHR 2021, 313 Rz. 20 ff. 288 Zu dieser Begrenzung Beurskens, NZG 2016, 681, 682. 289 Diese ergibt sich aus den Grundsätzen zum unternehmensbezogenen Rechtsgeschäft; vgl. bereits oben Rz. 15; ferner BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 Rz. 17 ff. m.w.N.; näher Bitter, ZInsO 2018, 625, 635 m.w.N. in Fn. 825; allgemein auch Bitter/Röder, BGB AT, 5. Aufl. 2020, § 10 Rz. 51 ff. 290 BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 m.w.N. (Analogie zu § 311 Abs. 2 und 3; § 179 BGB); Details bei Bitter, ZInsO 2018, 625, 633 ff.; kritisch Beurskens, NZG 2016, 681 ff. 291 BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 Rz. 26. 292 BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 m.w.N. (Analogie zu § 311 Abs. 2 und 3; § 179 BGB). 293 S. dazu Bitter/Linardatos, HandelsR, 4. Aufl. 2022, § 3 Rz. 16 ff. mit Fall Nr. 7; Bitter, ZInsO 2018, 625, 633 ff.; für eine (subsidiäre) Haftung auf Schadensersatz aus culpa in contrahendo hingegen Altmeppen, § 35 Rz. 34 ff. mit dogmatischer Kritik am Konzept der h.M.; Kritik auch bei Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 94.

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§ 13 Rz. 94 | Juristische Person; Handelsgesellschaft arbeiter oder Untervertreter, so trifft diesen die Haftung und nicht den Geschäftsführer294. Der Gesellschafter haftet folglich nur, wenn er im konkreten Fall die Vertragsverhandlungen geführt hat. b) Culpa in contrahendo (c.i.c.) 95 Unter culpa in contrahendo ist ein Verschulden bei oder vor Vertragsschluss zu verstehen,

welches zu einer Schadensersatzpflicht gegenüber dem Verhandlungspartner nach § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB führen kann. Typische Fallgruppen der c.i.c. sind die Verletzung von Sorgfalts-, Obhuts- und Aufklärungspflichten, im Zusammenhang mit einer GmbH insbesondere die unterlassene Aufklärung über eine wirtschaftlich angespannte Lage295. Führt eine solche Pflichtverletzung zu einem Schaden beim Verhandlungspartner, so ist der Schaden aufgrund der § 280 Abs. 1, § 241 Abs. 2, § 311 Abs. 2 BGB zu ersetzen. Der Anspruch aus c.i.c. richtet sich aber gewöhnlich nur gegen denjenigen, der durch die Vertragsverhandlungen Vertragspartner werden soll, also gegen die GmbH; nur diese haftet also im Grundsatz für die Verletzung vorvertraglicher Schutzpflichten durch ihre Organe und Mitarbeiter (vgl. auch 12. Aufl., § 43 Rz. 460)296. 96 Ausnahmsweise kann sich der Anspruch aus c.i.c. aber auch gegen den Vertreter selbst rich-

ten, der die Verhandlungen für die GmbH führt. Nach § 311 Abs. 3 BGB kommt dies insbesondere in Betracht, wenn der Vertreter besonderes persönliches Vertrauen in Anspruch nimmt. Daneben ist als weitere Fallgruppe seit langem auch das unmittelbare eigene wirtschaftliche Interesse am Vertragsabschluss anerkannt. Da der Haftungsansatz jedoch immer ein konkretes Handeln der betreffenden Person im Rahmen des Vertragsschlusses voraussetzt und damit in erster Linie an die Geschäftsführerposition anknüpft, wird darauf in der Kommentierung der Geschäftsführerhaftung näher eingegangen (12. Aufl., § 64 Rz. 368 ff.; knapp auch 12. Aufl., § 43 Rz. 460)297.

3. Deliktshaftung 97 Eine deliktische Haftung gegenüber den Gläubigern der GmbH kommt unter drei Gesichts-

punkten in Betracht: wegen Verletzung von Rechtsgütern der Gläubiger (§ 823 Abs. 1 BGB), wegen Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 Abs. 2 BGB) und wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB)298.

294 BGH v. 5.2.2007 – II ZR 84/05, ZIP 2007, 908 = GmbHR 2007, 593 = NJW 2007, 1529 (Ziff. II 3 der Gründe); BGH v. 24.6.1991 – II ZR 293/90, ZIP 1991, 1004 = GmbHR 1991, 360 = NJW 1991, 2627 (Leitsatz und Ziff. II der Gründe); BGH v. 13.1.2022 – III ZR 210/20, ZIP 2022, 481 Rz. 23 (Prokurist und späterer Gesellschafter); dazu (kritisch) Beurskens, NZG 2016, 681 ff. 295 Kritisch zu dieser Aufklärungspflicht Poertzgen, ZInsO 2010, 416, 418 ff.; vgl. dazu auch 12. Aufl., § 64 Rz. 407 f. zum Betrug durch Unterlassen mit kritischer Würdigung durch Pauka/Link/Armenat, NZI 2016, 897 ff. 296 Eine Haftung der Geschäftsführer als „Repräsentanten“ der GmbH wird ganz überwiegend abgelehnt; vgl. in diesem Kommentar in der 11. Aufl. Uwe H. Schneider, § 43 Rz. 314 m.w.N.; überzeugend Bork, ZGR 1995, 505, 509 f.; a.A. in diesem Kommentar in der 11. Aufl. Karsten Schmidt, § 64 Rz. 218; zu dessen Position kritisch Wagner in FS Karsten Schmidt, 2009, S. 1665, 1672 f.; Poertzgen, ZInsO 2010, 460, 462 f. 297 S. dazu auch Bitter, ZInsO 2018, 625, 636 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 373 f.; Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 354. 298 Zusammenfassende Darstellung bei Bitter, ZInsO 2018, 625, 638 ff.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 100 § 13

a) Rechtsgutsverletzung und Verletzung eines Schutzgesetzes (§ 823 BGB) Die persönliche Haftung aus § 823 Abs. 1 und 2 BGB knüpft in aller Regel an ein Handeln 98 des Geschäftsführers an und wird deshalb in der Kommentierung der Geschäftsführerhaftung dargestellt (vgl. 12. Aufl., § 43 Rz. 461 ff.; 12. Aufl., § 64 Rz. 383 ff.). Im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB sind dabei insbesondere diejenigen Schutzgesetze von Interesse, deren Tatbestand typischerweise im Vorfeld einer Insolvenz verwirklicht wird und die deshalb in der späteren Insolvenz der GmbH einen Rückgriff auf den Geschäftsführer erlauben (Betrug gemäß § 263 StGB, Kreditbetrug i.S.v. § 265b StGB, Bankrott i.S.d. §§ 283 ff. StGB299, Untreue nach § 266 StGB300 und das Vorenthalten von Sozialversicherungsbeiträgen gemäß § 266a StGB301)302. Einen Sonderfall bildet die Außenhaftung wegen Insolvenzverschleppung gemäß § 823 99 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO, die im Anschluss an die Innenhaftung aus dem mittlerweile in § 15b InsO aufgegangenen § 64 behandelt wird (vgl. 12. Aufl., § 64 Rz. 253 ff.)303. Diese Insolvenzverschleppungshaftung kann im Einzelfall auch den Gesellschafter treffen, nämlich entweder als Anstifter oder Gehilfe (12. Aufl., § 64 Rz. 267, 361 ff.) oder seit dem MoMiG bei einer führungslosen Gesellschaft aufgrund einer dann eingreifenden eigenen Insolvenzantragspflicht gemäß § 15a Abs. 3 InsO (12. Aufl., § 64 Rz. 268 f.)304. b) Sittenwidrige vorsätzliche Schädigung (§ 826 BGB) Ein Verhalten des Gesellschafters bzw. ein von diesem (bewusst) geschaffener gläubigerschä- 100 digender Zustand kann Ansatzpunkt für eine Haftung aus § 826 BGB sein305. Diese allgemeine zivilrechtliche Norm gerät immer dann in den Blick, wenn ein Gläubiger, der in der Insolvenz der GmbH mit seiner Forderung ausfällt, nicht in seinen nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Rechtsgütern verletzt, sondern nur in seinem Vermögen geschädigt ist und zudem kein besonderes Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB einschlägig ist. Mit den Tatbestandsmerkmalen der Sittenwidrigkeit und des Vorsatzes stellt § 826 BGB freilich hohe Hürden für die Haftung des Gesellschafters, der oft zugleich Geschäftsführer ist, auf. In erster Linie geht es insoweit um Sachverhalte, in denen die Gesellschafter die Rechtsform der GmbH bewusst zum Zwecke der Gläubigerschädigung missbrauchen. Dann haftet er selbst aus § 826 BGB und ggf. neben ihm der Geschäftsführer306. 299 Dazu nach Aufgabe der Interessentheorie durch BGH v. 15.5.2012 – 3 StR 118/11, BGHSt 57, 229 = ZIP 2012, 1451 = GmbHR 2012, 24 monographisch Graf von Spee, Sanktion schuldnerseitiger Insolvenzverursachung durch Vermögensdispositionen, 2016; vgl. dazu 12. Aufl., § 64 Rz. 414 ff.; speziell zur Gläubigerbegünstigung nach § 283c StGB BGH v. 12.12.2019 – IX ZR 328/18, ZIP 2020, 280 = MDR 2020, 311 Rz. 35 ff. 300 Vgl. z.B. BGH v. 10.7.2012 – VI ZR 341/10, BGHZ 194, 26 = ZIP 2012, 1552 = GmbHR 2012, 964 Rz. 13 ff. m.w.N.; BGH v. 24.4.2018 – VI ZR 250/17, ZIP 2018, 1736 = MDR 2018, 994 m.w.N.; Details in der 12. Aufl., § 64 Rz. 421 ff.; in Bezug auf die Existenzvernichtung unten Rz. 174 m.N.; zum Verhältnis von straf- und zivilrechtlicher Haftung Kuhlen, NZWiSt 2015, 121 ff., 161 ff. 301 BGH v. 18.12.2012 – II ZR 220/10, ZIP 2013, 412 = GmbHR 2013, 265 m.w.N.; BGH v. 11.6.2013 – II ZR 389/12, ZIP 2013, 1591 = MDR 2013, 1049; BGH v. 3.5.2016 – II ZR 311/14, ZIP 2016, 1283 = GmbHR 2016, 806; w.N. in der 12. Aufl., § 64 Rz. 427. 302 Näher zur Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit diversen Schutzgesetzen 12. Aufl., § 64 Rz. 403 ff.; Bitter, ZInsO 2018, 625, 641 ff. 303 S. auch Bitter, ZInsO 2018, 625, 646 ff.; zum neuen § 15b InsO s. Bitter, ZIP 2021, 321, 324 ff.; Bitter, GmbHR 2022, 57 ff. 304 Dazu auch Steffek, JZ 2009, 77, 81; Bitter, ZInsO 2018, 625, 646. 305 Vgl. auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 122 f.; Bitter, ZInsO 2018, 625, 638 ff.; Steffek, JZ 2009, 77, 80 f. m.N. zur Rspr. 306 Zur Geschäftsführerhaftung aus § 826 BGB bei einem „Schwindelunternehmen“ s. z.B. BGH v. 14.7.2015 – VI ZR 463/14, ZIP 2015, 2169 = MDR 2015, 1363.

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§ 13 Rz. 101 | Juristische Person; Handelsgesellschaft aa) Sozialwidrige Risikoabwälzung auf Dritte 101 Eine unmittelbare Außenhaftung gegenüber den Gläubigern aus § 826 BGB hat die Recht-

sprechung zum einen in Fällen anerkannt, in denen die Gesellschafter(-Geschäftsführer) die gesellschaftliche Struktur derart angelegt hatten, dass Nachteile systematisch bei der GmbH anfallen, während sich die Vorteile in ihrem Privatvermögen realisieren und dadurch die Gläubiger planmäßig und absehbar geschädigt werden (sog. Aschenputtelfälle; vgl. auch 12. Aufl., § 43 Rz. 476307). 102 Im Architektenfall aus dem Jahr 1978 ging es um eine Gestaltung, in der sich die vom Be-

klagten beherrschte GmbH & Co. KG gegenüber diesem verpflichtete, Bauvorhaben auf Grundstücken des Beklagten zu einem Festpreis zu errichten, der die Selbstkosten der Gesellschaft voraussichtlich nicht deckt. Der in der Insolvenz der unterkapitalisierten GmbH ausgefallene Architekt nahm daraufhin den Beklagten persönlich in Anspruch und hatte damit beim BGH Erfolg308. 103 Im Bauhandwerkerfall aus dem Jahr 1988 erfolgte die Gründung einer GmbH und deren

mangelnde Vermögensausstattung mit dem Ziel, Verträge mit Bauhandwerkern durch die GmbH abschließen zu lassen, die Bauleistungen der Vertragspartner aber auf Grundstücken der Gesellschafter-Geschäftsführer erbringen und damit den Vorteil jenen persönlich zukommen zu lassen. Durch diese planmäßige Spaltung der Vor- und Nachteile wurde den Werkunternehmern der Zugriff auf die mit ihren Werkleistungen geschaffenen Vermögenswerte, nämlich die den Gesellschaftern persönlich zufließenden Erlöse aus dem Verkauf der renovierten Wohnungen, unmöglich gemacht309. 104 Im Jahr 1992 hat der BGH zudem eine Haftung aus § 826 BGB in einem Fall bejaht, in dem

der Geschäftsführer in großem Umfang Bauvorhaben ohne sachgerechte Kalkulation durchführte und Aufträge zu Festpreisen übernahm, die nicht kostendeckend waren. Damit war von vorneherein absehbar, dass die Forderungen der für die GmbH tätigen Bauhandwerker aus den Erlösen der GmbH nicht befriedigt werden konnten, während der beklagte Geschäftsführer sein Gehalt sowie eine Provision vorab aus den eingehenden Baugeldern zahlen konnte310. bb) Unterkapitalisierung/Spekulation auf Kosten der Gläubiger 105 Neben den vorgenannten Fällen, die dem berühmten Aschenputtel-Motto „Die guten ins

Töpfchen, die schlechten ins Kröpfchen“ folgen311, wird § 826 BGB insbesondere in zwei Konstellationen relevant, die zugleich als Anwendungsfälle der „echten“ Durchgriffshaftung diskutiert werden: Unterkapitalisierung und Vermögensvermischung. Ist der Vorsatz nachweisbar, greift § 826 BGB ein (dazu sogleich Rz. 106 f., 109). Gelingt der Beweis nicht, ist weiter zu fragen, ob auch unterhalb dieser Haftungsschwelle eine Gesellschafterhaftung wegen teleologischer Reduktion des § 13 Abs. 2 anzuerkennen ist (dazu Rz. 130 ff.).

307 S. zum Folgenden schon Bitter, ZInsO 2018, 625, 638 f.; ferner Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 129 ff.; Steffek, JZ 2009, 77, 81; Weber/Sieber, ZInsO 2008, 952, 955 f. 308 BGH v. 30.11.1978 – II ZR 204/76, NJW 1979, 2104 = GmbHR 1979, 89; dazu Schwab, GmbHR 2012, 1213, 1217 f. m.w.N. 309 BGH v. 25.4.1988 – II ZR 175/87, NJW-RR 1988, 1181 = DB 1988, 1848; ebenso OLG Jena v. 28.11.2001 – 4 U 234/01, ZIP 2002, 631, 632 f. = GmbHR 2002, 112. 310 BGH v. 16.3.1992 – II ZR 152/91, GmbHR 1992, 363 = ZIP 1992, 694 = WM 1992, 735 (Ziff. 2 der Gründe); daran in anderem Zusammenhang anknüpfend auch BGH v. 19.9.1994 – II ZR 237/ 93, ZIP 1994, 1690, 1692 = GmbHR 1994, 881, 882 f. (juris-Rz. 27). 311 Vgl. bereits Bitter, ZInsO 2018, 625, 639; dazu auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 140; Schwab, GmbHR 2012, 1213, 1217 f. m.w.N.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 109 § 13

Eine eindeutig unzureichende Kapitalisierung, die in keinem Verhältnis zu den von der 106 GmbH eingegangenen Risiken steht und bei der folglich im Falle der Realisierung des Risikos notwendig die Gläubiger der GmbH ausfallen müssen, ist bei (bedingt) vorsätzlichem Handeln der Gesellschafter als Fallgruppe des § 826 BGB anzuerkennen (vgl. auch 12. Aufl., § 43 Rz. 477)312. Der BGH, der jedenfalls einer echten (objektiven) Durchgriffshaftung wegen Unterkapitalisierung sehr reserviert gegenübersteht (Rz. 144), hat die Frage freilich im Hinblick auf § 826 BGB in seinem Urteil „Gamma“ aus dem Jahr 2008 offen gelassen313. Allerdings hat er in früheren Urteilen zur (zunächst konzernrechtlich) begründeten Miss- 107 brauchshaftung wegen Existenzvernichtung auch die Fälle der „einseitigen Spekulation auf Kosten der Gläubiger“ anerkannt (Rz. 145, 163) und genau darum geht es bei qualifizierter Unterkapitalisierung. Ist aber in solchen Fällen – entgegen der jüngeren Rechtsprechung – sogar eine (Außen-)Haftung wegen objektiven Missbrauchs der Haftungsbeschränkung anzuerkennen (Rz. 138 ff.), muss erst recht eine Haftung aus § 826 BGB eingreifen, wenn den Gesellschafter-Geschäftsführern vorsätzliches Verhalten nachgewiesen werden kann. Nach der zutreffenden Ansicht des BGH und des BAG liegt eine sittenwidrige Spekulation 108 auf Kosten der Gläubiger aber nicht schon in Fällen eines ex-ante lohnend erscheinenden Sanierungsversuchs vor: Versucht jemand ein notleidendes Unternehmen zu retten und darf er die Krise den Umständen nach als überwindbar und darum Bemühungen um ihre Behebung als lohnend ansehen, verstößt er damit nicht schon deshalb gegen die guten Sitten, weil dieser Versuch die Möglichkeit des Misslingens und damit einer Schädigung nicht informierter Geschäftspartner und Gläubiger einschließt314. Dass der (geschäftsführende) Gesellschafter die Bemühungen um eine Sanierung für erfolgreich und die Krise für überwindbar ansehen durfte, muss aber er selbst beweisen315. Dazu genügt es nicht, dass er subjektiv davon ausging, die Krise sei überwindbar; er muss vielmehr objektive Anhaltspunkte vortragen. cc) Vermögensvermischung Eine Haftung aus § 826 BGB sollte zudem anerkannt werden, wenn Gesellschafter planmäßig 109 das Gesellschafts- mit Privatvermögen vermischen, um auf diese Weise dem Gläubiger den Haftungszugriff auf das GmbH-Vermögen zu erschweren316. In Fällen einer derartigen generellen Vermögensvermischung wird freilich auch vom Bundesgerichtshof eine echte Durchgriffshaftung wegen Missbrauchs der Rechtsform anerkannt (Rz. 131 ff.), so dass die nur bei Vorsatz eingreifende Haftung aus § 826 BGB daneben ohne praktische Bedeutung ist317.

312 Vgl. bereits Bitter, ZInsO 2018, 625, 639; ferner Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 358; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 137 ff.; Weller/Discher in Bork/Schäfer, Rz. 41; Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 60; Altmeppen, Rz. 145 ff.; Altmeppen, ZIP 2008, 1201, 1205 f.; Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 41 f.; Kahler, BB 1985, 1429, 1431; Wüst, JZ 1995, 990, 994; Steffek, JZ 2009, 77, 81; ausführlich Weitbrecht, S. 81 ff.; von „allgemeiner Anerkennung“ spricht Wiesner in Theobald (Hrsg.), Entwicklungen zur Durchgriffs- und Konzernhaftung, S. 59, 68 f.; s. zur Rspr. auch Heermann, ebenda, S. 11, 38 ff.; im Grundsatz auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 50, aber sehr zurückhaltend; auf die Umstände des Einzelfalls hinweisend auch Strohn, ZInsO 2008, 706, 711; insgesamt a.A. Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1056 f. 313 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204, 216 = GmbHR 2008, 805 = ZIP 2008, 1232, 1235 f. (Leitsatz 2 und Rz. 25) – Gamma. 314 So BAG v. 15.1.1991 – 1 AZR 94/90, GmbHR 1991, 413 = ZIP 1991, 884 = NJW 1991, 2923; ähnlich BGH v. 26.6.1989 – II ZR 289/88, BGHZ 108, 134, 141 ff. = ZIP 1989, 1341, 1344 = GmbHR 1990, 69 (Ziff. 3 der Gründe); ferner Gehrlein, ZInsO 2017, 849, 854 f. 315 BGH v. 18.12.2007 – VI ZR 231/06, ZIP 2008, 361, 362 = GmbHR 2008, 315 = WM 2008, 456 Rz. 17 (insoweit in BGHZ 175, 58 nicht abgedruckt). 316 Zustimmend Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 358 m.w.N.; ebenso Fischinger, S. 374. 317 So bereits Bitter, ZInsO 2018, 625, 640; ebenso Fischinger, S. 374.

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§ 13 | Juristische Person; Handelsgesellschaft

IX. Echte Durchgriffshaftung wegen Missbrauchs der Rechtsform Schrifttum: Benne, Haftungsdurchgriff bei der GmbH, 1978; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S. 67 ff.; Boujong, Das Trennungsprinzip des § 13 Abs. 2 GmbHG und seine Grenzen in der neueren Judikatur des Bundesgerichtshofs, in FS Odersky, 1996, S. 739; Burg, Gesellschafterhaftung bei Existenzvernichtung der Einmann-GmbH, 2006, S. 57 ff.; Burgard, Die Förder- und Treupflicht des Alleingesellschafters einer GmbH, ZIP 2002, 827; Coing, Zum Problem des sogenannten Durchgriffs bei juristischen Personen, NJW 1977, 1793; Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften, 1959; Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung, 2002, S. 169 ff.; Ehricke, Zur Begründbarkeit der Durchgriffshaftung in der GmbH, insbesondere aus methodischer Sicht, AcP 199 (1999), 257; Fastrich, Bemerkungen zur Existenzvernichtungshaftung, in FS Karsten Schmidt, Band I, 2019, S. 291; Gottschalk, Die Existenzvernichtungshaftung des GmbH-Gesellschafters, 2007, S. 55 ff.; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 221 ff.; Henzler, Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Existenzvernichtung, 2009, S. 68 ff.; Hofstetter, Sachgerechte Haftungsregeln für Multinationale Konzerne, 1995, S. 142 ff., 177 ff.; Hornberg, Das rechtliche Schicksal der Durchgriffshaftung in Abhängigkeit zur Gesellschaftsschuld, 2020; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 405 ff., 418 ff.; Khonsari, Die Haftung der GmbH-Gesellschafter aus existenzvernichtendem Eingriff, 2007, S. 47 ff.; Kindler, Kapitalgesellschaftsrechtliche Durchgriffshaftung und EU-Recht, in FS Säcker, 2011, S. 393; Kübler/Assmann, Gesellschaftsrecht, 6. Aufl. 2006, § 24; Kuhn, Strohmanngründung bei Kapitalgesellschaften, 1964, S. 35 ff., 146 ff., 199 ff.; Lehmann, Das Privileg der beschränkten Haftung und der Durchgriff im Gesellschafts- und Konzernrecht, Eine juristische und ökonomische Analyse, ZGR 1986, 345, 357 ff.; Lieder, Die Existenzvernichtungshaftung als verbandsübergreifende Durchgriffshaftung, in FS Pannen, 2017, S. 439; Matschernus, Die Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung der GmbH, 2007, S. 64 ff.; Mossmann, Die Haftung des Kommanditisten in der unterkapitalisierten KG, Diss. Heidelberg, 1978; Mülhens, Der sogenannte Haftungsdurchgriff im deutschen und englischen Recht, 2006; Müller-Freienfels, Zur Lehre vom sogenannten „Durchgriff“ bei juristischen Personen im Privatrecht, AcP 156 (1957), 522; Nacke, Die Durchgriffshaftung in der US-amerikanischen Corporation, 1989; Nirk, Zur Rechtsfolgenseite der Durchgriffshaftung, in FS Stimpel, 1985, S. 443; Poelzig, Angriffe auf das konzernrechtliche Trennungsprinzip und ihre Folgen für die Konzernleitung, in VGR (Hrsg.), Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83 ff.; Rabensdorf, Die Durchgriffshaftung im deutschen und russischen Recht der Kapitalgesellschaften, 2009, S. 71 ff.; Raiser, Die Haftungsbeschränkung ist kein Wesensmerkmal der juristischen Person, in FS Lutter, 2000, S. 637; Raiser, Durchgriffshaftung nach der Reform des GmbH-Rechts, in FS Priester, 2007, S. 619; Raiser/Veil, Recht der Kapitalgesellschaften, 6. Aufl. 2015, § 39; Rehbinder, Konzernaußenrecht und allgemeines Privatrecht, 1969, S. 90 ff., 103 ff.; Rehbinder, Zehn Jahre Rechtsprechung zum Durchgriff im Gesellschaftsrecht, in FS R. Fischer, 1979, S. 579; Rehbinder, Neues zum Durchgriff unter besonderer Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, in FS Kübler, 1997, S. 493; Reinhard, Gedanken zum Identitätsproblem bei der Einmanngesellschaft, in FS Lehmann, Bd. II, 1956, S. 576; Reuter in MünchKomm. BGB, Bd. 1, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 21 ff.; Röhricht, Die GmbH im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Dispositionsfreiheit ihrer Gesellschafter und Gläubigerschutz, in FS 50 Jahre BGH, Bd. 1, 2000, S. 83; Schanze, Einmanngesellschaft und Durchgriffshaftung als Konzeptionalisierungsprobleme gesellschaftsrechtlicher Zurechnung, 1975; Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 9; Karsten Schmidt, Zur Durchgriffsfestigkeit der GmbH, ZIP 1994, 837; Schwab, Die Durchgriffshaftung des GmbH-Gesellschafters bei Verjährung der ursprünglichen Gesellschaftsverbindlichkeit, GmbHR 2012, 1213; Schweizer, Die (Durchgriffs-)Haftung der Gesellschafter in der „kleinen“ Kapitalgesellschaft und die Grenzen der Dogmatik – Deutschland, Großbritannien und Brasilien im Rechtsvergleich, ZVglRWiss 118 (2019), 1; Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, 1955, 2. unveränderte Aufl. 1980; Serick, Durchgriffsprobleme bei Vertragsstörungen, 1959; Steffek, Der subjektive Tatbestand der Gesellschafterhaftung im Recht der GmbH – zugleich ein Beitrag zum Haftungsdurchgriff, JZ 2009, 77; Stimpel, „Durchgriffshaftung“ bei der GmbH: Tatbestände, Verlustausgleich, Ausfallhaftung, in FS Goerdeler, 1987, S. 601; Ulmer, Von „TBB“ zu „Bremer Vulkan“ – Revolution oder Evolution?, ZIP 2001, 2021; Wahl, Die Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Existenzvernichtung, 2006, S. 68 ff.; Weitbrecht, Haftung der Gesellschafter bei materieller Unterkapitalisierung der GmbH, 1990, S. 35 ff.; Wiedemann, Haftungsbeschränkung und Kapitaleinsatz in der GmbH, in Die Haftung des Gesellschafters in der GmbH, 1968, S. 1 ff., sowie Schlußwort, S. 154 f.; Wiedemann, Juristische Person und Gesamthand als Sondervermögen, WM-Sonderbeilage 4/1975, S. 17 ff.; Wiedemann, Gesellschaftsrecht, Bd. I, 1980, § 4 III; Wiedemann, Reflexionen zur Durchgriffshaftung, ZGR 2003, 283; Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 285 ff.; Wilhelm, Konzernrecht und

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 110a § 13 allgemeines Haftungsrecht, DB 1986, 2113; Wilhelm, Zurück zur Durchgriffshaftung – das „KBV“-Urteil des II. Zivilsenats des BGH vom 24.6.2002, NJW 2003, 175; Zöllner, Gläubigerschutz durch Gesellschafterhaftung bei der GmbH, in FS Konzen, 2006, S. 999 ff.

1. Überblick Von den Fällen der „unechten“ Durchgriffshaftung, in denen der Gesellschafter einer GmbH 110 aufgrund besonderer zivilrechtlicher Anspruchsgrundlagen – Vertrag, Vertrauen, Delikt – haftbar ist (Rz. 90 ff.), muss die sog. echte Durchgriffshaftung wegen Missbrauchs der Rechtsform grundsätzlich unterschieden werden (s. schon Rz. 73)318. Nach diesem bis heute umstrittenen Haftungsansatz wird in Einzelfällen das in § 13 Abs. 2 angeordnete Prinzip der haftungsrechtlichen Trennung zwischen Gesellschaft (GmbH) und Gesellschafter durchbrochen, dem Gesellschafter also das „Privileg“ der Haftungsbeschränkung abgesprochen. Hierdurch kommt es dann – bildlich gesprochen – zu einem „Durchgriff“ auf die „hinter“ der GmbH stehenden Gesellschafter, die persönlich für die Gesellschaftsverbindlichkeiten einzustehen haben (Rz. 126 f.). Eine ausdrückliche gesetzliche Regelung hat der Haftungsdurchgriff im Jahr 2016 für den 110a Bereich der Atomenergie durch das sog. Nachhaftungsgesetz erfahren, wobei dort allerdings zur Überwindung der Haftungssegmentierung (subsidiär) auf die Muttergesellschaften der Betreiber, nicht der Eigentümer von Kernkraftwerken „durchgegriffen“ wird319. Auch im deutschen und europäischen Kartellrecht ist bisweilen von einer Durchbrechung des Trennungsprinzips bzw. einem „Durchgriff“ (namentlich auf die Konzernmutter) die Rede, der jedoch darauf beruht, dass sich die (Bußgeld-)Sanktionen von vorneherein gegen „das Unternehmen“ und nicht gegen eine konkrete juristische Person richten320. Im Finanzaufsichtsund Kapitalmarktrecht zeigen sich ähnliche Tendenzen zu einer partiellen Überwindung der haftungsrechtlichen Trennung321, dort allerdings vorrangig im Wege des Berechnungsdurchgriffs (zum Begriff Rz. 74a): Der Bußgeldbemessung werden konsolidierte Gesamtumsätze zugrunde gelegt322. Die Gesamtbetrachtung erfolgt dabei – wie insbesondere der auf Art. 30 Abs. 2 MAR323 zurückgehende § 120 Abs. 23 Satz 2 WpHG324 (früher § 39 Abs. 5 Satz 2

318 S. dazu auch Emmerich, 10. Aufl., Rz. 76 ff.; knapper Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 359 f.; ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 67 ff. 319 Dazu Weck, NZG 2016, 1374, 1377; ausführlicher König, Der Konzern 2017, 61 ff.; w.N. bei Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83, 84. 320 Dazu Schlussanträge von GA Pitruzzella in der Rechtssache C-882/19, ECLI:EU:C:2021:293 Rz. 47; Kersting/Otto, NZKart 2021, 651 ff.; mit Blick auf die 9. GWB-Novelle ferner Meixner, WM 2017, 1281, 1285 f.; Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83, 87 ff.; s. auch Weck, NZG 2016, 1374 ff. m.w.N.; umfassend und kritisch Aberle, Sanktionsdurchgriff und wirtschaftliche Einheit im deutschen und europäischen Kartellrecht, 2013; grundsätzlich befürwortend hingegen Blome, Rechtsträgerprinzip und wirtschaftliche Einheit, 2016; ferner Moser, Konzernhaftung bei Kartellrechtsverstößen, 2017, S. 60 ff. mit Zusammenfassung S. 122 f.; zur kartellrechtlichen Haftungskontinuität bei Unternehmensnachfolge EuGH v. 14.3.2019 – Rs. C-724/17, ECLI: EU:C:2019:204 = ZIP 2019, 1087 = AG 2019, 607 – Skanska; dazu auch Mörsdorf, ZIP 2020, 489; zum internen Ausgleich zwischen den Konzernunternehmen BGH v. 18.11.2014 – KZR 15/12, BGHZ 203, 193 = ZIP 2015, 544 – Calciumcarbid-Kartell II; zuvor Aberle, a.a.O., S. 135 ff. 321 Dazu allgemein, nicht auf Haftungsfragen begrenzt Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83, 85 ff., 92 ff. 322 Auch dazu Weck, NZG 2016, 1374, 1376 f.; ferner Poelzig, NZG 2016, 492, 498; Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83, 92 ff. 323 Marktmissbrauchsverordnung (EU) Nr. 596/2014 vom 16.4.2014 (= market abuse regulation). 324 Neufassung durch das Zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz vom 23.6.2017, BGBl. I 2017, 1693, 1769.

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§ 13 Rz. 110a | Juristische Person; Handelsgesellschaft WpHG) zeigt325 – in beiderlei Richtung, also sowohl bei einem Handeln des Mutterunternehmens wie auch der Tochtergesellschaft. Insgesamt entsteht so die „Tendenz hin zu einer Konzernverantwortung, die blind für die Grenzen des Gesellschaftsrechts ist“326. Von den zwar zunehmenden327, jedoch immer noch sektorspezifischen Ausnahmen abgesehen ist der Haftungs- und Berechnungsdurchgriff jedoch im Allgemeinen nicht kodifiziert328. 111 Umstritten ist nicht nur die Frage, ob und ggf. wie ein solcher Haftungsdurchgriff auf die

Gesellschafter dogmatisch begründet werden kann (dazu Rz. 112 ff.), sondern – bei grundsätzlicher Anerkennung des Rechtsinstituts – auch, in welchen Fallgruppen eine derartige Durchbrechung der Haftungsbeschränkung in Betracht zu ziehen ist. Fast allgemein anerkannt ist bislang nur die Fallgruppe der generellen Vermögensvermischung (Rz. 131 ff.), während insbesondere die Unterkapitalisierung nach wie vor höchst unterschiedlich beurteilt wird (Rz. 138 ff.). Die Beherrschung der Gesellschaft ist teils als Durchgriffsfall betrachtet worden, teils als besonderer konzernrechtlicher Tatbestand (Rz. 148 ff.; 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 132 ff.). Inzwischen hat sich die Rechtsprechung von der Beherrschung als Haftungstatbestand ganz gelöst und stellt nunmehr im Einzelfall auf die Existenzvernichtung der GmbH ab und sieht diese – zu Unrecht – nicht mehr als Durchgriffstatbestand an (Rz. 152 ff.). Neben diesen wichtigen und explizit diskutierten Fallgruppen kann auch in sonstigen Einzelfällen eine Durchgriffshaftung in Betracht kommen329. Bisweilen wird auch die Gründerhaftung in Form der Verlustdeckungs- und Vorbelastungshaftung330 als Fall einer Durchbrechung des § 13 Abs. 2 angesehen331. Doch kommen insoweit keine Durchgriffstheorien, sondern speziell auf die Kapitalaufbringung bei der Vor-GmbH bezogene Erwägungen zum Tragen, weshalb dieser Haftungsansatz nicht an dieser Stelle, sondern im Zusammenhang mit den Gründungs(haftungs)regeln behandelt wird (13. Aufl., § 11 Rz. 79 ff., 85 ff.).

2. Durchgriffstheorien 112 Der Haftungsdurchgriff ist zwar – seiner grundsätzlichen Idee nach – ein weit über die Gren-

zen Deutschlands hinaus, insbesondere auch im anglo-amerikanischen und im russischen Rechtskreis anerkanntes sowie in China sogar gesetzlich verankertes Instrument der Gesellschafterhaftung332, dessen Anwendung auch keinen grundsätzlichen europarechtlichen Be-

325 Zu den aufgrund der MAR deutlich verschärften Bußgeldsanktionen im Kapitalmarktrecht Poelzig, NZG 2016, 492, 497 f.; Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83, 92 f. 326 So wörtlich Poelzig in VGR, Gesellschaftsrecht in der Diskussion 2017, 2018, S. 83, 85. 327 Dazu Thomale in Versicherungsmechanismen im Recht, 2016, S. 131, 141 f. 328 Auch § 4 Abs. 3 Satz 4 Alt. 2 BBodSchG ist kein eigenständiger Durchgriffstatbestand, sondern knüpft nur an einen anderweitig (gesellschaftsrechtlich) begründeten Durchgriff an; vgl. BVerwG v. 5.6.2019 – 7 B 18/18, ZInsO 2019, 1942 Rz. 11; BVerwG v. 5.6.2019 – 7 B 21/18 juris-Rz. 10. 329 Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 48 f.; Wiedemann, GesR I, § 4 III 1d (S. 227 f.); s. zum individuellen Rechtsmissbrauch ferner Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 46. 330 Dazu Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 41 ff., 52 ff. 331 OLG Frankfurt v. 1.12.2016 – 20 W 198/15, ZIP 2017, 920, 921 = GmbHR 2017, 371. 332 Dazu Wiedemann, ZGR 2003, 283, 288 ff. m.N.; Dähnert, NZG 2015, 258; Hofstetter, S. 142 ff. (zum piercing the corporate veil); Nacke, Die Durchgriffshaftung in der US-amerikanischen Corporation, 1989; Kolks, Die Durchgriffshaftung im deutschen und kanadischen Recht der Kapitalgesellschaften, 2004; Mülhens, Der sogenannte Haftungsdurchgriff im deutschen und englischen Recht: Unterkapitalisierung und Vermögensentzug, 2006; Schweizer, ZVglRWiss 118 (2019), 1 ff. (Rechtsvergleich für Deutschland, Großbritannien und Brasilien); zum russischen Recht Aukhatov, Durchgriffs- und Existenzvernichtungshaftung im deutschen und russischen Sach- und Kollisionsrecht,

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 113 § 13

denken begegnet333. Wegen seiner umstrittenen dogmatischen Basis handelt es sich jedoch um eine der schwierigsten gesellschaftsrechtlichen Problematiken überhaupt334. Die umfassende, seit Jahrzehnten geführte Diskussion335 hat in Deutschland insbesondere um subjektive und objektive Missbrauchslehren gekreist. Sie kann im Rahmen dieser Kommentierung nicht vollständig nachgezeichnet werden336. a) Durchgriffsformeln in der höchstrichterlichen Rechtsprechung Die Möglichkeit eines Durchgriffs ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung zwar an- 113 erkannt. Die dogmatische Basis blieb jedoch angesichts recht vager Formulierungen zumindest in der Anfangszeit oft unklar337. So hat sich der BGH zunächst auf die bereits vom RG338 verwendete Formel gestützt, „daß die juristische Person und ihr Alleingesellschafter dann als eine Einheit behandelt werden müsse, wenn die Wirklichkeit des Lebens, die wirtschaftlichen Bedürfnisse und die Macht der Tatsachen es dem Richter gebieten, die personen- und vermögensrechtliche Selbständigkeit der GmbH und ihres alleinigen Gesellschafters hintanzusetzen“339. An anderer Stelle formuliert der BGH: „Die Rechtsfigur der juristischen Person wird beiseite geschoben, falls eine sachgerechte Entscheidung nur dann möglich ist, wenn die realen Kräfte aufgesucht werden, die hinter der juristischen Person stehen.“340 Es findet sich ferner der Hinweis, dass „die rechtliche Verschiedenheit der GmbH und ihres Gesellschafters nicht ausnahmslos berücksichtigt werden kann“341 bzw. „die ausnahmslose Anwendung des Trennungsprinzips zu Ergebnissen führt, die mit dem Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit unvereinbar sind und nicht als Recht anerkannt werden können“342.

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2009, S. 93 ff.; Rabensdorf, Die Durchgriffshaftung im deutschen und russischen Recht der Kapitalgesellschaften, 2009; Telke, OstEuR 2011, 294; zum chinesischen Recht Fan, RIW 2013, 515. Weck, NZG 2016, 1374, 1375; ausführlich Kindler in FS Säcker, 2011, S. 393 ff. in zutreffender Analyse des EuGH-Urteils v. 21.10.2010 – Rs. C-81/09, EuGHE 2010, I-10161 = ZIP 2010, 2493 = AG 2011, 81 – Idryma Typoll; inzident auch die in Rz. 151c angeführte EuGH-Entscheidung „ÖFAB“; ferner – in stärkerer Betonung des Grundsatzes der Haftungsbeschränkung – Schön in FS Hommelhoff, S. 1037 ff.; Stöber, ZVglRWiss 113 (2014), 57 ff.; zur Anwendung der Durchgriffshaftung auf EU-Auslandsgesellschaften ferner Bitter, WM 2004, 2190 ff. Rechtsvergleichend für weniger (deutsche) Dogmatik und stärkere (ökonomische) Wertung plädierend Schweizer, ZVglRWiss 118 (2019), 1 ff. Nachw. zum älteren Schrifttum bei Nirk in FS Stimpel, S. 443, 445 f. in Fn. 6. Umfassend zu den Grundlagen der Durchgriffshaftung Bitter, Durchgriffshaftung, S. 82 ff.; Überblick auch bei Lieder in Michalski u.a., Rz. 376 ff.; rechtsvergleichend Mülhens, S. 86 ff. (Deutschland), S. 98 ff. (England). Darstellung bei Mossmann, S. 105 ff. Vgl. z.B. RG v. 22.6.1920 – III 68/20, RGZ 99, 232, 234; RG v. 19.5.1930 – VI 534/29, RGZ 129, 50, 53 f.; weitere Nachw. bei Mertens in Hachenburg, 8. Aufl. 1989, Anh. § 13 Rz. 40 in Fn. 54; zur Rspr. des RG auch Schweizer, ZVglRWiss 118 (2019), 1, 7 ff. BGH v. 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 230 = WM 1957, 59; BGH v. 26.11.1957 – VIII ZR 301/56, WM 1958, 460, 461; vgl. auch OLG Nürnberg v. 26.5.1955 – 3 U 276/54, WM 1955, 1566; LG Tübingen v. 4.9.2018 – 20 O65/18 juris-Rz. 16; dazu Reinhard in FS Lehmann, S. 576, 579, 586. BGH v. 4.7.1961 – VI ZR 84/60, GmbHR 1961, 161, 162 = WM 1961, 1103, 1105. BGH v. 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226, 230 = WM 1957, 59; vgl. auch OLG Hamburg v. 15.2.1973 – 3 U 126/72, BB 1973, 1231; ähnlich aus späterer Zeit BGH v. 19.11.2013 – II ZR 150/12, ZIP 2014, 565 = MDR 2014, 550 Rz. 25. BGH v. 30.1.1956 – II ZR 168/54, BGHZ 20, 4, 12 = WM 1956, 349, 350; ähnlich auch BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, ZIP 1996, 1134, 1135 = GmbHR 1996, 604.

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§ 13 Rz. 114 | Juristische Person; Handelsgesellschaft 114 In den meisten Entscheidungen des BGH343, des BSG344 und des BAG345 wird der Grund für

eine Durchbrechung des Trennungsprinzips in einem Verstoß gegen Treu und Glauben gesehen346: „Der Gesellschafter ist mit der Gesellschaft gleichzustellen, wenn die Berufung auf die förmliche Verschiedenheit gegen Treu und Glauben verstößt.“347 Daneben findet sich aber in der Rechtsprechung des BGH348 und des BSG349 auch die Begründung, dass „die Rechtsfigur der juristischen Person nur in dem Umfang Beachtung finden könne, in dem ihre Verwendung dem Zweck der Rechtsordnung entspricht“. 115 Der Durchgriff ist dabei in der Rechtsprechung nur teilweise an subjektive Elemente an-

geknüpft worden350, während eine rein objektiv verstandene Missbrauchslehre überwiegt, die insbesondere auch von dem für das Gesellschaftsrecht zuständigen II. Senat des BGH vertreten wird351. Insbesondere die in jüngerer Zeit für die Durchgriffshaftung ins Feld geführte teleologische Reduktion der Haftungsbeschränkung aus § 13 Abs. 2, verbunden mit einer Analogie zu § 128 HGB derzeitiger bzw. § 126 HGB zukünftiger Fassung (dazu noch Rz. 126 f.)352 ist ein an objektive Umstände anknüpfender Haftungsansatz. 343 BGH v. 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226 = WM 1957, 59 f. unter Berufung auf RG v. 29.6.1942 – II 22/42, RGZ 169, 240, 248; BGH v. 26.11.1957 – VIII ZR 301/56, WM 1958, 460, 461; BGH v. 4.7.1961 – VI ZR 84/60, GmbHR 1961, 161, 162 = WM 1961, 1103, 1104; BGH v. 14.5.1974 – VI ZR 8/73, NJW 1974, 1371, 1372; BGH v. 3.11.1976 – I ZR 156/74, WM 1977, 73, 75; BGH v. 19.11.2013 – II ZR 150/12, ZIP 2014, 565 = MDR 2014, 550 Rz. 25. 344 BSG v. 7.12.1983 – 7 Rar 20/82, GmbHR 1985, 294 = DB 1984, 1103; BSG v. 27.9.1994 – 10 Rar 1/ 92, ZIP 1994, 1944, 1946 = GmbHR 1995, 46; BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, ZIP 1996, 1134, 1135 = GmbHR 1996, 604; BSG v. 29.10.1997 – 7 Rar 80/96, NZS 1998, 346, 347. 345 BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, BAGE 89, 349, 355 = NJW 1999, 740, 741 = GmbHR 1998, 1221, 1223 = ZIP 1999, 24, 26. 346 S. aus der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte auch OLG Nürnberg v. 26.5.1955 – 3 U 276/ 54, WM 1955, 1566; OLG Hamm v. 8.5.1963 – 8 U 102/62, MDR 1963, 849 – Rektor; OLG Hamm v. 30.3.1984 – 19 U 141/83, BB 1984, 873 = MDR 1984, 665; OLG Düsseldorf v. 1.3.1989 – 17 U 115/88, GmbHR 1990, 44. 347 Das BSG v. 7.12.1983 – 7 Rar 20/82, GmbHR 1985, 294 = DB 1984, 1103; BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, ZIP 1996, 1134, 1135 = GmbHR 1996, 604 weist dabei ausdrücklich darauf hin, dass der entscheidende Maßstab für den Durchgriff im Verstoß gegen Treu und Glauben liege. 348 BGH v. 30.1.1956 – II ZR 168/54, BGHZ 20, 4, 14 = WM 1956, 349, 351; BGH v. 29.11.1956 – II ZR 156/55, BGHZ 22, 226 = WM 1957, 59, 60. 349 BSG v. 27.9.1994 – 10 Rar 1/92, ZIP 1994, 1944, 1946 = GmbHR 1995, 46; BSG v. 29.10.1997 – 7 Rar 80/96, NZS 1998, 346, 347. 350 BGH v. 26.11.1957 – VIII ZR 301/56, WM 1958, 460, 462. 351 S. aus der Rechtsprechung des II. Zivilsenats BGH v. 30.1.1956 – II ZR 168/54, BGHZ 20, 4, 13 = WM 1956, 349, 351 in Abgrenzung zu „Serick, Rechtsform und Realität juristischer Personen, Berlin/Tübingen, 1955“; BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 271; ferner BGH v. 14.5.1974 – VI ZR 8/73, NJW 1974, 1371, 1372 (VI. Senat); deutlich für eine rein objektive Anknüpfung des Durchgriffs auch BSG v. 7.12.1983 – 7 Rar 20/82, DB 1984, 1103, 1104 = GmbHR 1985, 294; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, BAGE 89, 349, 355 = NJW 1999, 740, 741 = GmbHR 1998, 1221, 1223 = ZIP 1999, 24, 26 (8. Senat); BAG v. 8.9.1998 – 3 AZR 185/97, NJW 1999, 2612, 2613 = ZIP 1999, 723, 724 = GmbHR 1999, 658, 659 (3. Senat); weniger deutlich BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, ZIP 1996, 1134, 1135 = GmbHR 1996, 604 („zumindest objektiv geschädigt“); unklar BAG v. 10.2.1999 – 5 AZR 677/97, NJW 1999, 2299 = ZIP 1999, 878 = GmbHR 1999, 655 (5. Senat), wo einerseits auf den „objektiven Maßstab“ hingewiesen wird [unter Ziff. I. 1. der Gründe], andererseits dann aber ein Haftungsdurchgriff wegen Unterkapitalisierung allenfalls dann als gerechtfertigt angesehen wird, „wenn der Gesellschafter die Unterkapitalisierung erkennen kann“ [unter Ziff. I. 2. b) aa) der Gründe], womit ein subjektives Element eingeführt wird; s. die ausführlichere Darstellung bei Bitter, Durchgriffshaftung, S. 87 ff. 352 Allgemein in diesem Sinne BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 332 = ZIP 1985, 1263, 1264 = GmbHR 1986, 78 – Autokran; für den Fall der Vermögensvermischung BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 257 = ZIP 2007, 1552, 1556 = GmbHR 2007, 927 Rz. 27 – Trihotel;

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b) Dogmatik des Durchgriffs in der Lehre Der Rechtsprechung ist in der Literatur schon früh die Verwendung von Formeln vorgewor- 116 fen worden, mit denen man „alles begründen kann und dennoch niemand zu überzeugen vermag“353. Als Alternative ist eine Vielzahl verschiedener Durchgriffslehren entwickelt worden354, deren Ordnung schwer fällt, weil bereits die Terminologie nicht einheitlich ist355. Darüber hinaus wird der Durchgriff teilweise als ein umfassendes Problem der Trennung zwischen einem Verband und seinen Mitgliedern verstanden, während andere Lehren allein auf die Aufhebung der Haftungsbeschränkung zugeschnitten sind (s. schon Rz. 70 ff.)356. Insbesondere Serick hat den Rechtsgrund für den Durchgriff im subjektiven, absichtlichen 117 Rechtsmissbrauch der juristischen Person durch den Gesellschafter gesehen357. Der Anwendungsbereich einer so verstandenen Missbrauchslehre wäre freilich gering, weil die Anforderungen dem Tatbestand des § 826 BGB ähnlich wären358. Der subjektiven Missbrauchslehre steht eine Betrachtungsweise gegenüber, die auf die objektiv-zweckwidrige Verwendung der juristischen Person abstellt359. Sowohl die subjektive als auch die objektive Missbrauchslehre stimmen allerdings in ihrem Ansatzpunkt beim sog. Trennungsprinzip überein360. Der Durchgriff wird als ein Problem der Trennung von Verband und Mitgliedern verstanden, so dass es sich letztlich bei beiden Begründungsansätzen um institutionelle Durchgriffslehren handelt361. Eine derartige institutionelle Betrachtungsweise ist erstmalig von Müller-Freienfels362 in sei- 118 ner Antwort auf Serick in Zweifel gezogen worden. Gedanklich sei nicht bei der juristischen

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für den Fall existenzvernichtender Eingriffe auch BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 = ZIP 2002, 1578 = GmbHR 2002, 902 (Leitsatz 1) – KBV, wo von einem „Verlust des Haftungsprivilegs“ die Rede ist; dazu Hornberg, S. 106 ff., der die Analogie zu § 128 HGB (ab 1.1.2024 § 126 HGB n.F.) stärker als die teleologische Reduktion des § 13 Abs. 2 betonen will (S. 111, 117). Serick, Rechtsform, S. 13 f.; vgl. auch Serick, Durchgriffsprobleme, S. 21; im Anschluss daran Erlinghagen, GmbHR 1962, 169, 170; kritisch auch Roll, NJW 1974, 492, 493 („vage Begründungsformeln“); Karsten Schmidt, GmbHR 1974, 178, 180 („stereotype Wendung“); Mossmann, S. 109 („Konzeptionslosigkeit“); Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 68, 71; Nirk in FS Stimpel, S. 443, 446 ff., 456 f.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 2; das Fehlen fester dogmatischer Grundlagen einräumend BGH v. 4.7.1961 – VI ZR 84/60, GmbHR 1962, 169, 170 = WM 1961, 1103, 1104. Vgl. die Übersichten bei Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 137 ff.; Wiedemann, GesR I, § 4 III (S. 217 ff.); Karsten Schmidt, GesR, § 9 II (S. 221 ff.); Bitter, Durchgriffshaftung, S. 89 ff. So zutreffend Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10. Vgl. dazu Karsten Schmidt, GesR, § 9 II (S. 221 ff.) m.N. Serick, Rechtsform, S. 38, 203 ff., insbes. 208; Serick, Durchgriffsprobleme, S. 23 ff.; dazu Schweizer, ZVglRWiss 118 (2019), 1, 9 ff.; w.N. zur subjektiven Missbrauchslehre bei Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62, und bei Wiedemann, GesR I, § 4 III (S. 219) in Fn. 1. Vgl. auch BGH v. 30.1.1956 – II ZR 168/54, BGHZ 20, 4, 13 = WM 1956, 349, 351; Nirk in FS Stimpel, S. 443, 452; Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 21. Immenga, S. 405 ff.; Kuhn, S. 199 ff.; Reinhard/Schultz, GesR, 2. Aufl. 1981, Rz. 851 ff. (S. 340 ff.); wohl auch Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977, S. 49; nicht ganz eindeutig Reinhard in FS Lehmann, S. 576, 579, der nach dem Sinn und Zweck der juristischen Person fragt, andererseits auf S. 591 auch auf den „ordre public“ sowie die §§ 826, 138 BGB verweist. Vgl. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 61 f. In diesem Sinne wohl auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 62; demgegenüber identifiziert Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 138 nur die objektive Variante der Missbrauchslehre mit der institutionellen Durchgriffslehre; ebenso wohl Karsten Schmidt, GesR, § 9 II 1a (S. 222). Müller-Freienfels, AcP 156 (1957), 522 ff., zusammenfassend S. 542 f.

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§ 13 Rz. 118 | Juristische Person; Handelsgesellschaft Person als solcher, sondern bei der im jeweiligen Einzelfall anzuwendenden Vorschrift anzusetzen, deren Normzweck ggf. eine Zurechnung der Rechtsfolgen auf die Mitglieder des Verbandes rechtfertigt, wenn ihr Sinngehalt nur so vollzogen werden kann363. Dieser später als Normanwendungs- oder Normzwecklehre bezeichnete Ansatz364 hat seine konsequenteste Ausarbeitung bei Schanze365 erfahren366. 119 Teilweise sind vermittelnde Ansätze entwickelt worden, die zwischen gewissen Fällen einer

Identifizierung von juristischer Person und Gesellschafter (Durchgriffslösung) und Fällen einer über die juristische Person hinaus generalisierbaren Normanwendung (Normzwecklösung)367 unterscheiden368. Diese Differenzierung dürfte weitgehend der heute üblichen Unterscheidung in den echten Haftungsdurchgriff einerseits und den unechten Haftungsdurchgriff sowie den Zurechnungsdurchgriff andererseits entsprechen (zur Systematisierung Rz. 70 ff.). Zur Begründung des echten Haftungsdurchgriffs wird allerdings zunehmend die haftungsbeschränkende Norm des § 13 Abs. 2 selbst unter teleologischen Aspekten in den Blick genommen und gefragt, ob nicht auch dieser Vorschrift ein bestimmter gesetzlicher Zweck zugrunde liegt und folglich die Haftungsbeschränkung im Wege der teleologischen Reduktion durchbrochen werden kann, wenn dieser Zweck nicht erfüllt ist. Bei einer solchen Betrachtung erscheint auch der echte Haftungsdurchgriff nur noch als eine Frage der Normanwendung (vgl. zu diesem auch hier verfolgten Konzept Rz. 126 f.). Eine so verstandene Normzweck- oder Normanwendungstheorie steht dann freilich der objektiven Missbrauchslehre sehr nahe. 120 Andere haben den Durchgriffsansatz grundsätzlich abgelehnt und die Trennung zwischen

Gesellschaft und Gesellschaftern betont (daher teilweise sog. „Trennungstheorie“369). Namentlich Flume370 hat darauf hingewiesen, dass keine Norm vorhanden sei, welche die Haftung von Gesellschaftern grundsätzlich ausschlösse und erst im Wege eines „Durchgriffs“ durchbrochen werden müsse, um zu einer Haftung des Mitglieds gelangen zu können371. Es gehe in Wahrheit nur um die Haftung aus eigenem Handeln oder Verhalten des Mitglieds in Hinsicht auf die juristische Person. Ähnlich hat sich Wilhelm in grundlegender Weise gegen die Durchgriffslehren gewandt372. Die juristische Person solle nicht im Wege eines Durchgriffs negiert, sondern im Gegenteil ernstgenommen werden373. Hiervon ausgehend nimmt er eine Pflichtenbindung der Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft an, für deren Verletzung die Gesellschafter zwingend nach Organhaftungsgrundsätzen (§ 43) einzustehen

363 Vgl. hierzu Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 10; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63; Karsten Schmidt, GesR, § 9 II 1b (S. 223 f.). 364 Vgl. zur Terminologie Coing, NJW 1977, 1793, Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 21 f.; die bei Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 440 und Lieder in Michalski u.a., Rz. 380 ff. vorgenommene Trennung der Normanwendungs- von der Normzwecklehre (zustimmend Aukhatov, S. 25 ff.) ist demgegenüber unüblich. 365 Schanze, S. 102 ff. 366 Vgl. hierzu Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 63; Karsten Schmidt, GesR, § 9 II 2a (S. 224); Rehbinder in FS R. Fischer, S. 579, 582. 367 Rehbinder in FS R. Fischer, S. 579, 581 f. spricht insoweit vom „bürgerlichrechtlichen Ansatz“; ebenso Rehbinder in FS Kübler, S. 493. 368 S. insbes. Rehbinder, Konzernaußenrecht, S. 103 ff. mit Zusammenfassung S. 125; Rehbinder in FS R. Fischer, S. 579, 581 ff.; Rehbinder in FS Kübler, S. 493 ff.; zustimmend Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 22; dazu auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 64. 369 Vgl. die Bezeichnung bei Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 140. 370 Flume, Juristische Person, § 3 I (S. 68). 371 Von einer Umkehrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zwischen persönlicher Haftung und dem Ausschluss derselben spricht Guntermann, S. 13 m.w.N. 372 Wilhelm, S. 308 ff., 330 ff., insbes. 336 ff.; vgl. im Konzernzusammenhang auch Wilhelm, DB 1986, 2113, 2117 ff.; s. auch wieder Wilhelm, NJW 2003, 175, 178 ff. 373 Wilhelm, S. 334 ff.

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hätten374. Die Haftung wird damit also – im Gegensatz zum Durchgriff – allein auf das Innenverhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft bezogen375. Vergleichbar stellt sich auch die von Karsten Schmidt in Fortentwicklung des Ansatzes von 121 Wilhelm vorgeschlagene Haftung wegen schuldhafter Verletzung der mitgliedschaftlichen Sonderverbindung zwischen GmbH und Gesellschafter dar, mit der Karsten Schmidt den Durchgriff jedenfalls in Teilbereichen (insbesondere für die Fälle der Unterkapitalisierung) ablösen will376. Ulmer377 und Winter378 gehen – in der Grundtendenz ebenfalls ähnlich – von einer Treuepflicht des Gesellschafters gegenüber „seiner“ GmbH aus379. Dieser auf das Innenverhältnis abstellende Ansatz hat seit der Jahrtausendwende bis in die jüngste Zeit im Schrifttum verstärkt Unterstützung gefunden, wobei allerdings die Details der Haftung unterschiedlich beurteilt werden380. Altmeppen, der ebenfalls ein aus den Ideen Flumes und Wilhelms fortentwickeltes Innenhaftungsmodell vertritt381, meint gar, schon den „Abschied vom Durchgriff im Kapitalgesellschaftsrecht“ einläuten zu können382. Nicht alle Gegner der Durchgriffshaftung sprechen sich allerdings für eine Innenhaftung 122 aus, die zumeist im Sinne einer Haftung für (einfache) Fahrlässigkeit verstanden wird383. Vielmehr gibt es auch Tendenzen, das Rad in der Gläubigerschutzdiskussion ganz auf den Stand um 1945384 zurückzudrehen und allein auf die Deliktshaftung zu setzen, die bei reinen Vermögensschäden in der Regel nur bei Vorsatz eingreift (vgl. § 826 BGB)385. Das 2007

374 Wilhelm, S. 337 ff.; Wilhelm, DB 1986, 2113, 2117 f. 375 Dem folgend Koller in Koller/Roth/Morck, 6. Aufl. 2007, § 172a HGB Rz. 5 (für den Fall der Unterkapitalisierung); mit Modifizierungen auch Khonsari, S. 71 ff.; kritisch hingegen die ganz h.L.; vgl. insbes. Lutter, ZGR 1982, 244, 253 f.; Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2024 ff.; Wahl, S. 92 ff. m.w.N.; auch Strohn, ZHR 173 (2009), 589, 594; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 291. 376 Vgl. Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 4c (S. 243), § 9 IV 5 (S. 244 ff.) und § 37 III 7 (S. 1150 f.); Karsten Schmidt, ZIP 1990, 69, 78 (unter Berufung auf Wilhelm, S. 336 ff.); Karsten Schmidt, ZIP 1994, 837, 843 unter Ziff. IV. 3.; Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449, 456 ff.; vgl. auch Karsten Schmidt, NJW 1977, 1451, 1452. 377 Grundlegend Ulmer, ZHR 148 (1984), 391, 416 ff.; s. auch Ulmer, WPg 1986, 685, 691 f.; Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2026 f. 378 Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 190 ff.; Winter, ZGR 1994, 570, 580 ff. 379 Weitere Nachw. zu diesem Haftungsansatz bei Bitter, Durchgriffshaftung, S. 307 ff. 380 Eckhold, S. 307 ff., 327 ff., 563 ff., 621 ff.; Grigoleit, S. 321 ff.; Henzler, S. 68 ff., insbes. S. 97 ff.; Burg, S. 72 ff.; Zöllner in FS Konzen, S. 999, 1006 ff.; Burgard, ZIP 2002, 827 ff.; Ihrig, DStR 2007, 1170 ff.; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274 ff., insbes. S. 290 ff. m.w.N.; Stöber, ZIP 2013, 2295 ff.; Fischinger, S. 329 ff.; Guntermann, S. 479 ff.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 316 f.; kritisch aber Wahl, S. 96 ff. 381 Altmeppen, ZIP 2001, 1837, 1844 ff.; Altmeppen, NJW 2002, 321, 322 ff.; Altmeppen, ZIP 2002, 961, 966 f.; Altmeppen, ZIP 2002, 1553, 1560 ff.; Altmeppen, NJW 2007, 2657, 2659 f.; Altmeppen, Rz. 123 ff. befürwortet eine Gesellschafterhaftung wegen „gröblich“ sorgfaltswidrigen Verhaltens analog § 93 Abs. 5 Satz 2 und 3 AktG; das Konzept hat bislang keine Gefolgschaft gefunden; vgl. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 67; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 127. 382 Altmeppen, NJW 2008, 2657 ff. 383 Dazu Rubner, Der Konzern 2007, 635, 643; umfassend zum Sorgfaltsmaßstab Eckhold, S. 566 ff. m.w.N.; auf ein „gröblich“ sorgfaltswidriges Verhalten will hingegen Altmeppen, Rz. 123 ff. m.w.N. abstellen, auf „Evidenz“ Grigoleit, S. 65, 366 f., auf eine vorsätzliche Schädigung Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 317 (für Fälle sog. Existenzvernichtung). 384 Zur damaligen Sicht des RG und zum nachfolgenden Wandel s. Immenga, S. 405 ff.; Benne, S. 4 ff. 385 Deutlich für eine Begrenzung der Gesellschafterhaftung auf vorsätzliches Handeln Haas, Reform des gesellschaftsrechtlichen Gläubigerschutzes, Gutachten E zum 66. DJT, S. E 90 ff.; Haas, ZHR 170 (2006), 478, 485 f.; Steffek, JZ 2009, 77 ff.; für eine Deliktshaftung aus § 826 BGB – in Bezug auf die Existenzvernichtung – Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473 ff.; Rubner, Der Konzern 2007, 635 ff.; Schanze, NZG 2007, 681 ff.; Weller, ZIP 2007, 1681 ff.; Paefgen, DB 2007, 1907, 1910; in

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§ 13 Rz. 122 | Juristische Person; Handelsgesellschaft ergangene „Trihotel“-Urteil des BGH zur Existenzvernichtungshaftung386 bestätigt diese Tendenz, wenn auch modifiziert aufgrund der Verlagerung der Haftung ins Innenverhältnis zur Gesellschaft (Rz. 152 ff.). c) Stellungnahme 123 Die Frage, wie die Pflichtenbindung des Gesellschafters gegenüber „seiner GmbH“ zu kon-

struieren ist und ob dabei eine Haftung im Innen- oder Außenverhältnis dogmatisch und praktisch vorzugswürdig ist, ist eine sehr grundsätzliche387. Sie zieht sich seit Jahrzehnten durch die Durchgriffsdiskussion sowie die – einen Teilausschnitt davon bildende – Problematik der Haftung wegen Existenzvernichtung (dazu Rz. 152 ff.). 124 Wer die GmbH als juristische Person stark verselbständigt – um nicht zu sagen: überhöht –,

hat keine Schwierigkeiten, eine Pflichtenbindung des Gesellschafters gegenüber der eine getrennte Person darstellenden GmbH anzuerkennen, ganz ähnlich wie sie im BGB zwischen den Partnern eines (vor-)vertraglichen Schuldverhältnisses besteht (Haftung aus Sonderverbindung gemäß § 280 BGB, ggf. i.V.m. § 241 Abs. 2 BGB und/oder § 311 BGB). Wer hingegen die GmbH nur als ein juristisches Konstrukt betrachtet, das – anders als eine natürliche Person – keine eigenen Interessen verfolgen kann, wird Pflichtenbindungen gegenüber der GmbH nur aus den auf die GmbH projizierten Einzelinteressen der an ihr interessierten Personen herleiten können388. Sind Mitgesellschafter vorhanden, deren in der GmbH gebundene Vermögensinteressen durch die Maßnahme eines anderen Gesellschafters verletzt werden, fällt die Begründung eines Schadensersatzanspruchs wegen Treuepflichtverletzung (entsprechend der zivilrechtlichen Haftung aus § 280 BGB) nach der ITT-Rechtsprechung389 nicht schwer390, eben weil es dann – mittelbar über das Vermögen der GmbH – um die Schädigung von gesellschaftsvertraglich verbundenen Personen geht (Rz. 53 f.)391. 125 Das dogmatische Problem beginnt jedoch beim Fehlen von Mitgesellschaftern oder bei Ge-

sellschaftern, die einverständlich zum Schaden der Gläubiger handeln392. Dann nämlich existiert keine (gesellschaftsvertragliche) Basis als Anknüpfungspunkt der Haftung393, weil die

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Bezug auf die Unterkapitalisierung Möller, S. 43 ff.; Philipp/Weber, DB 2006, 142 ff.; Veil, NJW 2008, 3264, 3265 f.; w.N. bei J. Vetter, BB 2007, 1965 in Fn. 10; für eine Deliktshaftung aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 73 Abs. 1 GmbHG Haas, WM 2003, 1929, 1940; Schwab, ZIP 2008, 341, 345 ff.; dazu kritisch Wahl, S. 99. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 – Trihotel. Zusammenfassend Zöllner in FS Konzen, S. 999 ff.; s. bereits ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 82 ff. (Grundlagen der Durchgriffshaftung), S. 304 ff. (Haftung im „Gesellschaftsinteresse“). Eingehend Bitter, Durchgriffshaftung, S. 304 ff.; s. auch Halmer, S. 197 m.w.N.; Hornberg, S. 113 ff. BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15 = NJW 1976, 191 – ITT. Zustimmend Hornberg, S. 113 f.; zum Schadensersatz wegen Treuepflichtverletzung s. auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 54; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 178 ff.; Fastrich in FS Karsten Schmidt, Bd. I, 2019, S. 291, 295; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 280 f.; Burgard, ZIP 2002, 827, 829; Bitter, ZGR 2010, 147, 164; Wahl, S. 46 f. Dazu Zöllner in FS Konzen, S. 999, 1010 f.; umfassend Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 63 ff.; zur Parallele zwischen dem Anspruch aus Treuepflichtverletzung im Gesellschaftsrecht und §§ 280, 241 Abs. 2 BGB (früher PVV) im allgemeinen Zivilrecht s. Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 249 f.; umfassend Eckhold, S. 327 ff., insbes. S. 390; ausführlich zur verschuldensabhängigen und verschuldensunabhängigen Haftung bei fehlendem Einverständnis von Mitgesellschaftern Bitter, Durchgriffshaftung, S. 272 ff.; Bitter, ZHR 164 (2004), 302 ff. Zutreffend Fastrich in FS Karsten Schmidt, Bd. I, 2019, S. 291, 295 ff. Zustimmend Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 441, 446; Lieder in Michalski u.a., Rz. 391, 436; Hornberg, S. 114; ähnlich Wiedemann, ZGR 2003, 283, 291; Khonsari, S. 56 ff., 77 f.; s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 18; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 149.

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Gläubiger nur in Vertragsbeziehungen zur GmbH, nicht aber zu den Gesellschaftern stehen. Mit Recht hat der BGH es insoweit abgelehnt, zwischen einem (wirtschaftlichen) Alleingesellschafter und „seiner“ GmbH bzw. zwischen mehreren einverständlich handelnden Gesellschaftern und „ihrer“ GmbH eine generelle, durch Schadensersatzpflichten sanktionierte Sonderverbindung anzuerkennen394. Würde nämlich der Gesellschafter – ganz unabhängig von einem Verstoß gegen spezielle gläubigerschützende Vorschriften wie §§ 30 ff. GmbHG oder § 15b InsO (früher § 64 GmbHG) – für jede fahrlässige Vermögensschädigung „seiner“ GmbH auf Schadensersatz haften, geriete die Haftungsbeschränkung zur Gänze in Gefahr (s. bereits Rz. 54)395. Genau hier liegt nun der Ausgangspunkt der Durchgriffsdiskussion: Wird mit der Rechtspre- 126 chung und h.M. eine generelle und zum Schadensersatz im Innenverhältnis führende Pflichtenbindung des Gesellschafters gegenüber „seiner“ GmbH abgelehnt, kann dies umgekehrt nicht bedeuten, der Gesellschafter könne mit „seiner“ GmbH – bis zur Grenze sittenwidrigen Verhaltens (§ 826 BGB) – nach Gutdünken schalten und walten. Vielmehr lassen sich der Konzeption des GmbH-Gesetzes gewisse explizite und implizite Mindestbedingungen entnehmen, von deren Einhaltung die ökonomische Rechtfertigung der Haftungsbeschränkung (Rz. 60 ff.) abhängig ist. Sind diese Mindestbedingungen in bestimmten Konstellationen nicht erfüllt (s. Rz. 132 und 143, 146), kann dem Gesellschafter im Wege einer teleologischen Reduktion des § 13 Abs. 2 das Haftungsprivileg mit der Folge genommen werden, dass er sodann nach dem Grundprinzip deutscher Personengesellschaften unbeschränkt und persönlich für die Verbindlichkeiten der GmbH haftet (Analogie zu § 128 HGB; ab 1.1.2024 § 721 BGB n.F. und § 126 HGB n.F.)396.

394 BGH v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, BGHZ 119, 257 = ZIP 1992, 1734 = GmbHR 1993, 38 = NJW 1993, 193; BGH v. 10.5.1993 – II ZR 74/92, BGHZ 122, 333 = ZIP 1993, 917 = GmbHR 1993, 427 = NJW 1993, 1922 (Ziff. I 1 der Gründe); BGH v. 21.6.1999 – II ZR 47/98, BGHZ 142, 92 = GmbHR 1999, 921 = ZIP 1999, 1352 = NJW 1999, 2817 (Leitsatz 2 und Ziff. I 2c der Gründe); BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, ZIP 2000, 493 = GmbHR 2000, 330 = NJW 2000, 1571; BGH v. 26.10.2009 – II ZR 222/08, ZIP 2009, 2335 = GmbHR 2010, 85 = NJW 2010, 64; s. auch BGH v. 7.1.2008 – II ZR 314/05, ZIP 2008, 308 = GmbHR 2008, 257 Rz. 15: kein Wettbewerbsverbot des Alleingesellschafters, wenn Gläubigerinteressen nicht betroffen sind; unrichtig das Gegenteil behauptend Stöber, ZIP 2013, 2295, 2297 bei Fn. 38; ausdrücklich gegen den BGH ein Eigeninteresse anerkennend Fischinger, S. 333 ff. m.w.N. 395 Dazu Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1508 ff.; Bitter/Baschnagel, ZInsO 2018, 557, 561 ff.; ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 304 ff., 314 ff. m.w.N.; insoweit wie hier auch Raiser in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 149; Fastrich in FS Karsten Schmidt, Bd. I, 2019, S. 291, 296; Rubner, Der Konzern 2007, 635, 643; ähnlich Haas, WM 2003, 1929, 1939; bedrohlich z.B. der weitgehende Haftungsansatz bei Burg, S. 150 ff., 256 f. 396 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11; Lieder in Michalski u.a., Rz. 337, 392, 434; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124 ff. (vgl. aber auch Rz. 134, 149 ff.); Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 92, 95 ff.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 25; Wiedemann, GesR I, § 4 III 1 (S. 223); Nirk in FS Stimpel, S. 443, 459 f.; Bitter, WM 2001, 2133, 2139; Raiser in FS Lutter, S. 637, 645; Raiser in FS Priester, 2007, S. 619, 621; Keßler, GmbHR 2002, 945, 950; Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 430; Strohn, ZInsO 2008, 706, 712 f.; Schäfer/Fischbach, LMK 2008, 267714; Schwab, GmbHR 2012, 1213, 1214; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439 ff.; umfassend Bitter, Durchgriffshaftung, S. 94 ff.; Wahl, S. 80 ff. mit Ergebnis S. 91 f., 206; Gottschalk, S. 55 ff. mit Ergebnis S. 74; Matschernus, S. 76 ff.; Fischinger, S. 369 ff.; zurückhaltender mittlerweile Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 146, 151 ff.; für eine nur beschränkte persönliche Haftung Immenga, S. 410 f., 418 ff.

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§ 13 Rz. 127 | Juristische Person; Handelsgesellschaft 127 Bei diesem auch in der Rechtsprechung zum Ausdruck kommenden Haftungsansatz397 han-

delt es sich letztlich auch um eine Normanwendungs- oder Normzwecktheorie (Rz. 118)398. Nur geht es – anders als in den Fällen des sog. Zurechnungsdurchgriffs (dazu Rz. 75 ff.) – nicht um die Erstreckung einzelner, insbesondere zivilrechtlicher Normen von der Gesellschaft auf die Gesellschafter oder umgekehrt, sondern um die Anwendung bzw. Nichtanwendung der die Haftungsbeschränkung anordnenden Norm des § 13 Abs. 2 selbst399. Damit ist zugleich klar, dass eine so verstandene Normzwecklehre auf Gesellschaften mit Haftungsprivileg begrenzt ist, während sich die Fragen des Zurechnungsdurchgriffs ebenso bei Gesellschaftsformen stellen, bei denen die Gesellschafter unbeschränkt für das Gesellschaftsvermögen haften (s. bereits Rz. 71). Die Erstreckung allgemeiner (zivilrechtlicher) Normen von der Gesellschaft auf den Gesellschafter oder umgekehrt hat folglich mit der Durchgriffshaftung fast gar nichts gemein – außer die zugrunde liegende juristische Methodik, die in der allgemein anerkannten Auslegung gesetzlicher Vorschriften nach dem Telos der Norm besteht. Diese teleologische Auslegung mit der Möglichkeit des Richters, eine Norm in solchen Fällen außer Anwendung zu lassen, in denen die Norm zwar dem Wortlaut, nicht aber dem Sinn und Zweck nach anwendbar ist400, kann selbstverständlich auch nicht vor der Haftungsbeschränkung des § 13 Abs. 2 Halt machen401. Da es insoweit nur um die Anwendung einer allgemeinen juristischen Methodik geht, ist die Durchgriffshaftung entgegen vereinzelt vertretener Ansicht402 auch keineswegs verfassungswidrig403. 128 Die hier favorisierte Außenhaftung hat zudem den praktischen Vorteil, dass sie die Rechts-

durchsetzung für die Gläubiger in den sehr häufigen Fällen der masselosen Insolvenz erleichtert, in denen die Gesellschafterhaftung besonders bedeutsam ist. Mit ihrem Direktanspruch gegen die Gesellschafter sind die Gläubiger dann nämlich nicht auf den mühsamen Umweg der Pfändung eines im Innenverhältnis zwischen GmbH und Gesellschafter bestehenden Anspruchs beschränkt (näher Rz. 159 f. zur Existenzvernichtungshaftung). 129 Ist die Außenhaftung danach aus dogmatischen und praktischen Gründen vorzugswürdig,

überzeugt es nicht, die Lösung allein bei § 826 BGB zu suchen404. Zum einen wird die dahingehende, in jüngerer Zeit erkennbare Tendenz zur Rechtsrückbildung (Rz. 122) der besonderen Einwirkungsmacht der Gesellschafter auf die Vermögensinteressen der Gläubiger nicht gerecht, die mit der normalen, im bürgerlichen Recht adressierten Situation (vertraglich) völlig ungebundener Personen nicht vergleichbar ist. Zum anderen sollte die Lösung dort gesucht werden, wo das Problem herkommt, also im Gesellschaftsrecht405. Erkennt man, dass die Haftungsbeschränkung nur unter bestimmten Bedingungen volkswirtschaftlich sinnvoll und 397 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 332 = ZIP 1985, 1263, 1264 = GmbHR 1986, 78 – Autokran; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 257 = ZIP 2007, 1552, 1556 = GmbHR 2007, 927 Rz. 27 – Trihotel; ferner BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 = ZIP 2002, 1578 = GmbHR 2002, 902 (Leitsatz 1) – KBV, wo von einem „Verlust des Haftungsprivilegs“ die Rede ist. 398 Ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 11. 399 Dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 97. 400 S. allgemein zur teleologischen Reduktion Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 210 ff.; Pawlowski, Einführung in die Juristische Methodenlehre, 2. Aufl. 2000, Rz. 168 f. (S. 88 f.); Bitter/Rauhut, JuS 2009, 289, 294 f. 401 Ausführlich Wahl, S. 85 ff. 402 Nassall, ZIP 2003, 969, 970 ff. 403 Zutreffend Haas, WM 2003, 1929, 1931 in Fn. 31 („wenig einsichtig“). 404 Ebenso Lieder in Michalski u.a., Rz. 394, 415, 437 ff.; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 442 und 446: substanzielle Verkürzung des Gläubigerschutzniveaus. 405 Zweifelnd gegenüber der „Allzweckwaffe des § 826 BGB“ schon Bitter, ZHR 171 (2007), 114, 117; wie hier auch Lieder in Michalski u.a., Rz. 394; Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl. 1991, Anh. § 30 Rz. 42; Röhricht in FS 50 Jahre BGH, Bd. 1, 2000, S. 83, 116; Grigoleit, S. 202 ff.; Wahl, S. 34 ff.; Khonsari, S. 61 f.; Guntermann, S. 478; Lieder, DZWIR 2008, 145, 147 f.; aus rechtsökonomischer

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deshalb im Gesellschaftsrecht vorgesehen ist (Rz. 60 ff.), muss es auch das Gesellschaftsrecht sein, das auf die fehlende Einhaltung dieser Bedingungen reagiert406.

3. Fallgruppen der Durchgriffshaftung Eine unmittelbare Außenhaftung in teleologischer Reduktion der Haftungsbeschränkung 130 kann allerdings nur in Ausnahmefällen anerkannt werden, da ansonsten die – grundsätzlich sinnvolle, nämlich der Förderung unternehmerischer Aktivitäten dienende (Rz. 60 ff.) – Begrenzung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen in § 13 Abs. 2 aufgegeben würde407. Insbesondere darf nicht in solchen Fällen, in denen sich etwa der subjektive Tatbestand einer deliktischen Haftungsnorm schwer nachweisen lässt, pauschal auf einen objektiven Missbrauch der Haftungsbeschränkung abgestellt und so „durch die Hintertür“ die persönliche Haftung begründet werden408. Welche Fallgruppen des Durchgriffs wegen Missbrauchs der haftungsbeschränkten Rechtsform GmbH anzuerkennen sind, ist seit langem umstritten409. In jedem Fall geht es aber nur um das Verhältnis der Gesellschafter zu den Gläubigern (Rz. 60 ff., 123 ff.), nicht hingegen um Missbräuche oder Treuwidrigkeiten im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Deshalb ist insbesondere die in BGHZ 192, 236410 anerkannte Haftung der Mitgesellschafter für den Abfindungsanspruch eines ausgeschlossenen GmbH-Gesellschafters411 entgegen teilweise vertretener Ansicht412 kein Fall der Durchgriffshaftung, ganz abgesehen davon, dass jene Haftung nur subsidiär und anteilig greift. a) Vermögensvermischung Schrifttum: Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S. 103 ff.; Boujong, Das Trennungsprinzip des § 13 Abs. 2 GmbHG und seine Grenzen in der neueren Judikatur des Bundesgerichtshofs, in FS Odersky, 1996, S. 739, 742 ff.; Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 2015, S. 364 ff.; Gao, Vermögensvermischung als Haftungstatbestand im Recht der Gesellschaft mit beschränkter Haftung, Diss. HU Berlin 2001; Hornberg, Das rechtliche Schicksal der Durchgriffshaftung in Abhängigkeit zur Gesellschaftsschuld, 2020, § 4; Raiser, Die Haftungsbeschränkung ist kein Wesensmerkmal der juristischen Person, in FS Lutter, 2000, S. 637, 644 ff.; Reiner, Unternehmerisches Gesellschaftsinteresse und Fremdsteuerung, 1995, § 6; Karsten Schmidt, Zum Haftungsdurchgriff wegen Sphärenvermischung und zur Haftungsverfassung im GmbH-Konzern, BB 1985, 2074; Stimpel, „Durchgriffshaftung“ bei der GmbH: Tatbestände, Verlustausgleich, Ausfallhaftung, in FS Goerdeler, 1987, S. 601, 606 f.; Strohn, Existenzvernichtungshaftung – Vermögensvermischungshaftung – Durchgriffshaftung, ZInsO 2008, 706.

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Sicht Halmer, S. 247 („effizienzschädliche Anreizlücken“); a.A. Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 492 ff.; Möller, S. 80. Im Ergebnis ebenso Halmer, S. 197 f. auf der Basis einer umfassenden ökonomischen Analyse der Haftungsbeschränkung. Ebenso Windbichler, GesR, § 24 Rz. 27; Strohn, ZInsO 2008, 706; früher schon Rehbinder in FS R. Fischer, S. 579, 581 f. und 583 a.E.; warum hingegen die Durchgriffshaftung § 13 Abs. 2 insgesamt obsolet machen soll (so Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 485 m.w.N.), ist nicht erkennbar. Deutlich zu pauschal insoweit OLG Naumburg v. 9.4.2008 – 6 U 148/07, ZInsO 2009, 43 = GmbHR 2008, 1149 m. kritischer Anm. Schröder. Umfassend zu den Fallgruppen der Durchgriffshaftung Bitter, Durchgriffshaftung, S. 103 ff. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 = ZIP 2012, 422 = GmbHR 2012, 387. BGH v. 24.1.2012 – II ZR 109/11, BGHZ 192, 236 = ZIP 2012, 422 = GmbHR 2012, 387; bestätigend BGH v. 10.5.2016 – II ZR 342/14, BGHZ 210, 186 = ZIP 2016, 1160 = GmbHR 2016, 754; BGH v. 26.6.2018 – II ZR 65/16, ZIP 2018, 1540 = GmbHR 2018, 961 Rz. 16; einführend Bitter/ Heim, GesR, § 4 Rz. 96 ff. Schirrmacher, GmbHR 2016, 1077 ff.

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§ 13 Rz. 131 | Juristische Person; Handelsgesellschaft 131 Die einzige wenigstens im Grundsatz in Rechtsprechung413 und Literatur414 als möglicher

Anwendungsbereich einer echten Durchgriffshaftung allgemein anerkannte Fallgruppe ist die Vermögensvermischung415. Von nur grundsätzlicher Anerkennung muss deshalb gesprochen werden, weil unter dem Begriff der Vermögens- und/oder Sphärenvermischung unterschiedliche Gestaltungen diskutiert werden, die nicht durchweg alle über die Durchgriffshaftung gelöst werden, sondern z.T. auch mit allgemeinen Rechtsgrundsätzen zu erfassen sind. Darüber hinaus ist auch die Begrifflichkeit nicht immer klar416. 132 Zur echten Durchgriffshaftung führt nur die sog. generelle Vermögensvermischung, d.h.

eine Situation, in der das Gesellschafts- vom Privatvermögen des Gesellschafters in keiner Weise mehr klar unterschieden werden kann417. Dafür reichen einzelne Privatentnahmen der Gesellschafter noch nicht aus. Hinzukommen muss, dass die Vermögensabgrenzung zwischen Gesellschafts- und Gesellschaftervermögen durch undurchsichtige Buchführung oder auf ähnliche Weise allgemein verwischt oder verschleiert wird; denn in diesem Fall können die Kapitalerhaltungsvorschriften, deren Einhaltung ein unverzichtbarer Ausgleich für die Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen (§ 13 Abs. 2) ist418, nicht funktio-

413 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 332 ff. = GmbHR 1986, 78 = NJW 1986, 188 – Autokran; BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = NJW 1994, 1801 = WM 1994, 896 = GmbHR 1994, 390; BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85 = ZIP 2006, 467 = NJW 2006, 1344 = GmbHR 2006, 426; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 257 = ZIP 2007, 1552, 1556 = GmbHR 2007, 927 Rz. 27 – Trihotel; BAG v. 15.1.1991 – 1 AZR 94/90, ZIP 1991, 884, 889 = GmbHR 1991, 413 = NJW 1991, 2923; BSG v. 27.9.1994 – 10 Rar 1/92, BSGE 75, 82, 84 = ZIP 1994, 1945 f. = GmbHR 1995, 46; BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, ZIP 1996, 1134, 1135 = GmbHR 1996, 604; zurückhaltender noch BGH v. 12.11.1984 – II ZR 250/83, GmbHR 1985, 80 = ZIP 1985, 29, 30 (dazu Karsten Schmidt, ZIP 1994, 837, 838 f.). 414 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 99; Lieder in Michalski u.a., Rz. 395 ff.; Mertens in Hachenburg, 8. Aufl. 1989, Anh. § 13 Rz. 17 und 49; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 72, 124 ff.; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 170; Weller/Discher in Bork/Schäfer, Rz. 36; Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 34; Windbichler, GesR, § 24 Rz. 30; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 25 f.; Wiedemann in FS Bärmann, 1975, S. 1037, 1054; Wiedemann, WM-Beilage 4/1975, S. 19; Lutter, ZGR 1982, 244, 251; Stimpel in FS Goerdeler, S. 601, 606 f.; Nirk in FS Stimpel, S. 443, 453; Raiser in FS Lutter, S. 637, 644 f.; Raiser in FS Priester, S. 619, 622; Fischinger, S. 369 ff. (mit zusätzlicher Anerkennung von Ansprüchen aus § 826 BGB und §§ 280, 311 Abs. 1 BGB auf S. 374 ff.); eingehend Hornberg, S. 121 ff.; im Grundsatz wohl auch Karsten Schmidt, BB 1985, 2074, 2076 unter II 3b dd und Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 2a (S. 234 ff.), der einer Durchgriffshaftung insgesamt sehr reserviert gegenübersteht. 415 Vgl. zur (fast) allgemeinen Anerkennung auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 124; Raiser in FS Priester, S. 619, 622; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 288; Roth, LM Nr. 24 zu § 13 GmbHG, Bl. 6; Strohn, ZInsO 2008, 706, 711; Schwab, GmbHR 2012, 1213 m.N. in Fn. 1; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 103 f.; Bitter, WM 2004, 2190, 2196; Fischinger, S. 364 mit Darstellung abweichender Ansichten S. 367 f.; Hornberg, S. 120; anders z.B. Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 289 ff., der den Durchgriff wegen Vermögensvermischung durch eine Einstandspflicht des Gesellschafters für nichtordnungsgemäße Buchführung gemäß § 43 Abs. 2, § 41 GmbHG, § 830 Abs. 2, § 840 Abs. 1, §§ 421 ff. BGB ersetzen will; nur tendenziell kritisch Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 496 („Durchgriffshaftung am ehesten vertretbar“). 416 Vgl. Bitter, Durchgriffshaftung, S. 103 ff.; Bauschke, BB 1985, 77, 78; Geißler, GmbHR 1993, 71, 74 f. 417 Sehr eingehend zur Durchgriffshaftung wegen Vermögensvermischung mit allen Details der Haftungsabwicklung und des Regresses Hornberg, S. 121-324. 418 Dazu Keßler, GmbHR 2002, 945, 947 ff.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 133 § 13

nieren419. Salopp wird teilweise von einer „Waschkorblage“ gesprochen420. Damit kann entweder gemeint sein, dass alle Gegenstände – wie in einem Waschkorb – heillos durcheinander geraten sind, insbesondere keine Rechnungslegungsunterlagen existieren, die eine klare rechtliche Zuordnung der einzelnen Gegenstände ermöglichen421. Alternativ lässt sich der Waschkorb aber auch als Bild für den Zustand der Buchhaltungsunterlagen verwenden (sog. „Waschkorbbuchhaltung“)422, woraus sich sodann die fehlende Möglichkeit klarer Zuordnung ergibt. Die Haftung trifft einen Gesellschafter nach Ansicht der Rechtsprechung allerdings nur, 133 wenn er aufgrund des von ihm wahrgenommenen Einflusses als Allein- oder Mehrheitsgesellschafter, ggf. auch als Treugeber im Hintergrund423, für den Vermögensvermischungstatbestand verantwortlich ist (Verhaltenshaftung)424. Mit dem dogmatischen Konzept einer teleologischen Reduktion der Haftungsbeschränkung (Rz. 126 f.) ist diese Einschränkung allerdings nicht leicht zu erklären425, weil auch der für die Vermögensvermischung nicht selbst verantwortliche Gesellschafter von diesem Zustand profitiert haben kann426. Umstritten ist im Rahmen der Durchgriffshaftung, ob diese eine Insolvenz der Gesellschaft tatbestandlich voraussetzt, die persönliche Haftung der Gesellschafter also nur subsidiär eingreift427.

419 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 334 = WM 1985, 1263, 1264 = NJW 1986, 188, 189 = GmbHR 1986, 78 – Autokran; BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366 = NJW 1994, 1801 = WM 1994, 896 = GmbHR 1994, 390; BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85 = ZIP 2006, 467 = NJW 2006, 1344 = GmbHR 2006, 426; zustimmend Rehbinder in FS Kübler, 1997, S. 493, 501; Boujong in FS Odersky, 1996, S. 739, 742; näher Bitter, Durchgriffshaftung, S. 104 ff.; zur Anwendbarkeit auf EU-Auslandsgesellschaften Bitter, WM 2004, 2190, 2196. 420 S. z.B. Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 26; Röhricht in FS 50 Jahre BGH, Bd. 1, 2000, S. 83, 89; Haas, WM 2003, 1929, 1932. 421 In diesem Sinne Gottschaller, KStZ 2014, 1 im Anschluss an die hiesige 11. Aufl. 422 In letzterem Sinne Windbichler, GesR, § 24 Rz. 30; wohl auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 284. 423 Vgl. BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 369 = ZIP 1994, 867, 868 = GmbHR 1994, 390; zu einem Strohmannfall auch KG v. 4.12.2007 – 7 U 77/07, ZIP 2008, 1535 = WM 2008, 1690 = GmbHR 2008, 703, wobei der konkrete Fall wohl besser über das Deliktsrecht hätte gelöst werden sollen. 424 BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85 = ZIP 2006, 467 = NJW 2006, 1344 = GmbHR 2006, 426; Weller/Discher in Bork/Schäfer, Rz. 36; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 101 ff.; Strohn, ZInsO 2008, 706, 712; Raiser in FS Lutter, S. 637, 645; näher Hornberg, S. 128 ff., 153 ff., ferner S. 292 ff. zum Regress bei den Mitgesellschaftern. Diese Verhaltenshaftung ist aber keine Verschuldenshaftung (vgl. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 127; Weller/Discher in Bork/Schäfer, Rz. 36; tendenziell anders Gottschaller, KStZ 2014, 1, 2); erst recht erfordert sie kein vorsätzliches Handeln des Gesellschafters (a.A. Steffek, JZ 2009, 77, 81 f.; Schirrmacher, GmbHR 2016, 1077, 1080). 425 Von einem „Spannungsverhältnis“ spricht Lieder in Michalski u.a., Rz. 398; s. auch Fischinger, S. 372 f.: „Auf den ersten Blick passt dies nicht zu einer Analogie zu § 128 HGB“. 426 Vgl. Wiedemann, ZGR 2003, 283, 292 („keine Handelndenhaftung, sondern Statusverantwortung“); früher auch Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 4. Aufl. 2002, Rz. 141, ferner Rz. 140 zur Unterkapitalisierung; a.A. Gottschalk, S. 136 ff.; Hornberg, S. 153 ff. (mit Hinweis u.a. auf § 322 AktG). 427 Dazu eingehend Hornberg, S. 132 ff., 161 ff.

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§ 13 Rz. 134 | Juristische Person; Handelsgesellschaft 134 Von der generellen Vermögensvermischung, die zu einem – in der Insolvenz analog § 93

InsO vom Verwalter geltend zu machenden428 – Haftungsdurchgriff führt, klar zu unterscheiden sind die gegenständliche Vermögensvermischung sowie die Vermischung von Haftungssubjekten (Sphärenvermischung)429.

135 Soweit einzelne bei der Gesellschaft befindliche Gegenstände nicht mehr eindeutig als Privat-

vermögen identifiziert werden können (gegenständliche Vermögensvermischung), ergibt sich daraus noch keine generelle Durchbrechung der Haftungsbeschränkung im Wege der Durchgriffshaftung. Die gegenständliche Vermögensvermischung führt – worauf früh schon Karsten Schmidt430 und Stimpel431 mit Recht hingewiesen haben – allein zu einer gegenständlichen Haftungserweiterung auf diesen konkreten Gegenstand432. Wird beispielsweise aus einem gegen die GmbH gerichteten Titel ein Gegenstand in den Geschäftsräumen der GmbH gepfändet, so setzt eine erfolgreiche Drittwiderspruchsklage des Gesellschafters (§ 771 ZPO)433 eine klare Vermögenstrennung voraus. Ist diese nicht gegeben, so versagt die Drittwiderspruchsklage des Gesellschafters, ohne dass es um die Frage einer Durchgriffshaftung geht434. 136 Nicht um Fragen einer echten Durchgriffshaftung geht es auch in den Fällen der Ver-

mischung von Haftungssubjekten, in denen die rechtliche Trennung zwischen Gesellschaft und ihren Gesellschaftern nach außen hin überspielt wird. Dies ist der Fall, wenn die betreffende Gesellschaft eine ähnliche Firma, den gleichen Sitz, die gleichen Geschäftsräume, den gleichen Telefonanschluss und die gleichen Bediensteten hat wie das einzelkaufmännische Unternehmen des Gesellschafters oder eine Muttergesellschaft. In Abgrenzung von der zuvor angeführten mangelnden Trennung der Vermögensmassen, für die sich auch in der Literatur mehrheitlich die Bezeichnung „Vermögensvermischung“ findet435, wird hier überwiegend von „Sphärenvermischung“ gesprochen436.

428 BGH v. 14.11.2005 – II ZR 178/03, BGHZ 165, 85, 89 f. = ZIP 2006, 467 = NJW 2006, 1344 = GmbHR 2006, 426 Rz. 10; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 128; Strohn, ZInsO 2008, 706, 713; Fischinger, S. 380 f.; Schwab, GmbHR 2012, 1213, 1217 (mit Konsequenzen für die Verjährung); ausführlich Hornberg, S. 296 ff. 429 S. schon Bitter, Durchgriffshaftung, S. 107 ff. 430 Karsten Schmidt, BB 1985, 2074, 2075 f. unter Ziff. II 3b bb; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 2a (S. 234 f.). 431 Stimpel in FS Goerdeler, 1987, S. 601, 615. 432 Ähnlich auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45, und Raiser in FS Priester, S. 619, 622, die jeweils davon sprechen, dass bei Unklarheit über die Zuordnung einzelner Gegenstände keine Durchgriffshaftung in Betracht kommt; offen demgegenüber Priester, ZGR 1993, 512, 528. 433 Gesellschafts- und Gesellschaftersphäre sind in beide Richtungen vollstreckungsrechtlich getrennt (vgl. Rz. 185). 434 Karsten Schmidt, BB 1985, 2074, 2075 f. unter Ziff. II 3b bb; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 2a (S. 235); Bitter, Durchgriffshaftung, S. 107 f.; Reiner, S. 206 in Fn. 5 und S. 217. 435 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 45; Lutter, ZGR 1982, 244, 251; Stimpel in FS Goerdeler, 1987, S. 601, 606 f. und 615; Wiedemann in FS Bärmann, 1975, S. 1037, 1054; Boujong in FS Odersky, 1996, S. 739, 742. 436 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 46; Weller/Discher in Bork/Schäfer, Rz. 37; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 129; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 156; Lutter, ZGR 1982, 244, 251; Rehbinder in FS Kübler, S. 493, 498 f., 501; Zöllner in FS Konzen, S. 999, 1000; Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 299 f.; demgegenüber verwendet Karsten Schmidt, BB 1985, 2074, 2075 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 2 (S. 234 ff.) den Begriff der „Sphärenvermischung“ als Oberbegriff und unterteilt dann zwischen einer „Vermischung von Haftungssubjekten“ und einer „Vermischung von Vermögensmassen“.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 137 § 13

Es geht insoweit um ein Offenkundigkeitsproblem des Firmen- und Stellvertretungsrechts, 137 das über Rechtsscheinsgrundsätze zu lösen ist437. Soweit sich daraus eine persönliche Haftung der Gesellschafter ergibt, handelt es sich entgegen teilweise vertretener Ansicht438 aber gerade nicht um einen Fall echter Durchgriffshaftung439. b) Unterkapitalisierung Schrifttum: Altmeppen, Zur vorsätzlichen Gläubigerschädigung, Existenzvernichtung und materiellen Unterkapitalisierung in der GmbH, ZIP 2008, 1201; Banerjea, Haftungsfragen in Fällen materieller Unterkapitalisierung und im qualifizierten faktischen Konzern, ZIP 1999, 1153; Benne, Haftungsdurchgriff bei der GmbH, 1978, S. 61 ff.; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S. 110 ff.; Bitter, Gesellschafterhaftung für materielle Unterkapitalisierung – Betrachtungen aus ökonomischer und juristischer Perspektive, in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil (Hrsg.), Steuerungsfunktionen des Haftungsrechts im Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht, 2007, S. 57; Boujong, Das Trennungsprinzip des § 13 Abs. 2 GmbHG und seine Grenzen in der neueren Judikatur des Bundesgerichtshofs, in FS Odersky, 1996, S. 739, 745 ff.; Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung, 2002; Erlinghagen, Haftungsfragen bei einer unterkapitalisierten GmbH, GmbHR 1962, 169; Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 2015, S. 354 ff.; Gloger/Goette/Japing, Existenzvernichtung und Unterkapitalisierung, ZInsO 2008, 1051; Guntermann, Das Zusammenspiel von Mindeststammkapital und institutioneller Haftungsbeschränkung, 2016, S. 78 ff., 466 ff.; Halmer, Gesellschafterdarlehen und Haftungsdurchgriff – Zur Rechtsökonomik beschränkter Haftung bei Unterkapitalisierung, 2013; Heermann, Materielle Unterkapitalisierung und sog. Haftungsdurchgriff, Überlegungen zum Anwendungsbereich, zu den dogmatischen Grundlagen und zu den Tatbestandsvoraussetzungen, in Theobald (Hrsg.), Entwicklungen zur Durchgriffs- und Konzernhaftung, 2002, S. 11 ff.; Hölzle, Materielle Unterkapitalisierung und Existenzvernichtungshaftung – Das Phantom als Fallgruppe der Durchgriffshaftung, ZIP 2004, 1729; Hofmann, Zum „Durchgriffs“-Problem bei der unterkapitalisierten GmbH, NJW 1966, 1941; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970, S. 400 ff.; Kahler, Die Haftung des Gesellschafters im Falle der Unterkapitalisierung einer GmbH, BB 1985, 1429; Kleindiek, Materielle Unterkapitalisierung, Existenzvernichtung und Deliktshaftung – GAMMA, NZG 2008, 686; Lutter/Hommelhoff, Nachrangiges Haftkapital und Unterkapitalisierung in der GmbH, ZGR 1979, 31; Möller, Die materiell unterkapitalisierte GmbH, 2005 (Rezension von Bitter, ZHR 171 [2007], 114); Mossmann, Die Haftung des Kommanditisten in der unterkapitalisierten KG, Diss. Heidelberg, 1978; Mülhens, Der sogenannte Haftungsdurchgriff im deutschen und englischen Recht: Unterkapitalisierung und Vermögensentzug, 2006; Philipp/Weber, Materielle Unterkapitalisierung als Durchgriffshaftung im Lichte der jüngeren BGHRechtsprechung zur Existenzvernichtung, DB 2006, 142; Raiser, Konzernhaftung und Unterkapitalisierungshaftung, ZGR 1995, 156; Raiser, Die Haftungsbeschränkung ist kein Wesensmerkmal der juristischen Person, in FS Lutter, 2000, S. 637, 647 ff.; Roth, Unterkapitalisierung und persönliche Haftung, ZGR 1993, 170; Schäfer/Fackler, Durchgriffshaftung wegen allgemeiner Unterkapitalisierung?, NZG 2007, 377; Stimpel, „Durchgriffshaftung“ bei der GmbH: Tatbestände, Verlustausgleich, Ausfallhaftung, in FS Goerdeler, 1987, S. 601, 608 ff.; Ulmer, Gesellschafterdarlehen und Unterkapitalisierung bei GmbH und GmbH & Co. KG – Zehn Thesen, in FS Duden, 1977, S. 661; Veil, Gesellschafterhaftung

437 Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 157; Karsten Schmidt, BB 1985, 2074, 2075 unter Ziff. II 3b aa; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 2b (S. 236); Zöllner in FS Konzen, S. 999, 1000; Ehricke, AcP 199 (1999), 257, 300 m.w.N.; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 68 f. m.N. in Fn. 5, S. 108 f.; so inzwischen auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 46; s. zur Rechtsscheinhaftung wegen Fortlassens des Rechtsformzusatzes auch Rz. 94, bei unzutreffender Firmierung als „GmbH“ Rz. 14. 438 Geißler, GmbHR 1993, 71, 75; vgl. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24; Wiedemann, WMBeilage 4/1975, S. 19; Thole, GPR 2014, 113, 114; missverständlich Hermann/Woedtke, BB 2012, 2255, 2257. 439 Zutreffend Karsten Schmidt, BB 1985, 2074, 2075 unter Ziff. II 3b aa; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 2b (S. 236); Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 157; Lieder in Michalski u.a., Rz. 404; Reiner, S. 217; ferner Gottschaller, KStZ 2014, 1, 5; in der Sache sieht das auch Lutter (ZGR 1982, 244, 251 f.) so, wenn er diese Gestaltung zwar als Fallgruppe des Durchgriffs einordnet, zur Begründung der persönlichen Haftung aber ausführt: „Der Rechtsschein der Identität führt zur Identität der Haftung.“; zurückhaltender nun auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 24.

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§ 13 Rz. 138 | Juristische Person; Handelsgesellschaft wegen existenzvernichtenden Eingriffs und Unterkapitalisierung, NJW 2008, 3264; Vonnemann, Haftung der GmbH-Gesellschafter bei materieller Unterkapitalisierung, 1991; Vonnemann, Haftung von GmbH-Gesellschaftern wegen materieller Unterkapitalisierung, GmbHR 1992, 77; Weitbrecht, Haftung der Gesellschafter bei materieller Unterkapitalisierung der GmbH, 1990; Wiesner, Materielle Unterkapitalisierung – ein überflüssiges Institut?, in Theobald (Hrsg.), Entwicklungen zur Durchgriffs- und Konzernhaftung, 2002, S. 59 ff.; Winkler, Die Haftung der Gesellschafter einer unterkapitalisierten GmbH, BB 1969, 1202; Winter, Die Haftung der Gesellschafter im Konkurs der unterkapitalisierten GmbH, 1973; Wüst, Das Problem des Wirtschaftens mit beschränkter Haftung, JZ 1992, 710; Wüst, Die unzureichende Eigenkapitalausstattung bei Beschränkthaftern, JZ 1995, 990.

138 Bis heute sehr umstritten ist die Fallgruppe der Unterkapitalisierung440. Ausgangspunkt der

– ebenso auch in anderen Rechtsordnungen bekannten441 – Problematik ist der folgende: aa) Definition der Unterkapitalisierung

139 Das Gesetz enthält für keine Gesellschaftsform generelle Regeln darüber, dass das Eigenkapi-

tal der Gesellschaft in einem angemessenen Verhältnis zum angestrebten oder tatsächlichen Geschäftsumfang stehen muss442. Für die AG und GmbH gibt es allein Regeln über ein Mindestkapital; für die Personengesellschaften wurde auch darauf verzichtet. Es ist daher denkbar, dass eine Gesellschaft mit einem das Eigenkapital um ein Vielfaches übersteigenden jährlichen Umsatzvolumen arbeitet, so dass ein im Verhältnis zum Umsatz nur geringfügiger Verlust schnell zur Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft und damit zu Schäden für die Gläubiger führen kann443. Daher wird die Unterkapitalisierung in Rechtsprechung444 und Literatur445 oftmals als der Zustand gekennzeichnet, in dem ein Missverhältnis zwischen Haftungskapital und Gesellschaftszweck besteht bzw. das Eigenkapital für den Unternehmenszweck zu gering ist. Präziser formuliert Ulmer446, nach dessen Definition eine Gesellschaft als unterkapitalisiert bezeichnet werden kann, „wenn das Eigenkapital nicht ausreicht, um den nach Art und Umfang der […] Geschäftstätigkeit […] bestehenden, nicht durch Kredite Dritter zu deckenden mittel- oder langfristigen Finanzbedarf zu befriedigen“447.

440 S. bereits die 10. Aufl., Rz. 81 ff.; Überblick zum Meinungsstand auch bei Altmeppen, Rz. 142; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 132 f.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 406 ff.; ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 110 ff.; Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57 ff.; Bitter, WM 2004, 2190, 2197 f.; monographisch Möller, Die materiell unterkapitalisierte GmbH, 2005 (dazu die Rezension von Bitter, ZHR 171 [2007], 114); sehr eingehend Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung, 2002, der sich jedoch für eine Innenhaftung ausspricht (S. 307 ff. und insbes. S. 621 ff.). 441 S. die rechtsvergleichende Darstellung bei Möller, S. 171 ff.; Mülhens, S. 124 ff., 150 ff. (England); knapp Blaurock in FS Stimpel, S. 553, 561 f., 563 f. (USA); Fan, RIW 2013, 515 ff. (China). 442 Vgl. Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl. 1991, Anh. § 30 Rz. 1; Kahler, BB 1985, 1429, 1433; Raiser in FS Lutter, S. 637, 649; zu den speziellen Vorschriften im Bankenbereich vgl. Walter, AG 1998, 370, 371. 443 Vgl. Geißler, GmbHR 1993, 71, 76; Kahler, BB 1985, 1429. 444 BGH v. 14.12.1959 – II ZR 187/57, BGHZ 31, 258, 268; BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312, 316 = GmbHR 1977, 198, 199 – Fertighaus. 445 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5 Rz. 6; Wiedemann, GesR I, § 10 IV 3 (S. 565); Lieder in Michalski u.a., Rz. 409; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 443. 446 Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl. 1991, Anh. § 30 Rz. 16; dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 110. 447 So im Anschluss an Ulmer auch Karsten Schmidt, ZIP 1981, 689, 690; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 4a (S. 240); Wüst, JZ 1995, 990, 992; Fischinger, S. 354; umfassend aus ökonomischer Sicht Halmer, S. 68 ff. m.w.N.; partiell kritisch Kahler, BB 1985, 1429, 1430.

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bb) Nominelle und materielle Unterkapitalisierung Bei den Rechtsfolgen einer derartigen Unterkapitalisierung ist im Ansatz zwischen nominel- 140 ler und materieller Unterkapitalisierung zu unterscheiden, wobei nur für die letztere eine Durchgriffshaftung überhaupt in Betracht kommt448. Die Besonderheit der nominellen Unterkapitalisierung besteht darin, dass das erforderliche 141 Kapital wohl vorhanden ist, von den Gesellschaftern aber nicht durch Eigenkapitalzufuhr, sondern im Wege der Fremdfinanzierung, insbesondere durch Hingabe von Gesellschafterdarlehen aufgebracht wird. Insoweit galt früher ein zweispuriges Haftungssystem unter dem Stichwort der sog. „eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen“ (dazu 10. Aufl., §§ 32a, 32b), das mit dem MoMiG durch eine insolvenzrechtliche Regelung abgelöst worden ist: Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens und Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, sind nachrangig (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO). Hat der Gesellschafter vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch eine Leistung auf seinen Darlehensrückgewähranspruch von der Gesellschaft erlangt, unterliegt die Rückzahlung der Insolvenzanfechtung durch den Insolvenzverwalter: Gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO i.V.m. § 143 InsO muss der Gesellschafter die Leistung zurückgewähren, wenn er sie binnen eines Jahres vor dem Insolvenzantrag oder danach erhalten hat. Dieses heutige Recht der Gesellschafterdarlehen ist seit der 11. Aufl. im Anhang zu § 64 kommentiert (vgl. nunmehr 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 1 ff.). Hiervon zu trennen ist die materielle Unterkapitalisierung, von der gesprochen wird, wenn 142 der Gesellschaft die benötigten Mittel überhaupt nicht – weder als Eigenkapital noch als Fremdkapital – zur Verfügung stehen. Schlagwortartig kann daher in Abgrenzung zur (nominellen) „Unterkapitalisierung durch Fremdkapitalisierung“ von „Unterkapitalisierung durch Nichtkapitalisierung“ gesprochen werden449. cc) Durchgriffshaftung bei materieller Unterkapitalisierung Der Betrieb einer unterkapitalisierten GmbH mit Risikoverlagerung auf die Gläubiger wider- 143 spricht dem Zweck des § 13 Abs. 2, denn das Gesellschaftskapital soll auch als Finanzpolster dienen, mit dem Verluste aufgefangen und ein jederzeitiges Abrutschen der GmbH in die Insolvenz verhindert wird (s. Rz. 67 f.)450. Eine Durchgriffs-/Außenhaftung des Gesellschafters analog § 128 HGB (ab 1.1.2024 § 721 BGB n.F. und § 126 HGB n.F.) für eine objektiv

448 Zu dieser Unterscheidung s. Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl. 1991, Anh. § 30 Rz. 21; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 47; Lieder in Michalski u.a., Rz. 410; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 147 ff.; Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 37 ff.; Windbichler, GesR, § 24 Rz. 31; Wüst, JZ 1995, 990, 992 ff.; Michalski/de Vries, NZG 1999, 181 f.; näher Bitter, Durchgriffshaftung, S. 111 ff. mit Darstellung der historischen Entwicklung; von „formeller“ und „materieller“ Unterkapitalisierung sprechen Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5 Rz. 6 und Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 40; von „nomineller“ und „aktueller“ Unterkapitalisierung sprach Benne, S. 88 ff. und 179 ff. 449 Vgl. Karsten Schmidt, ZIP 1981, 689, 690. 450 Zustimmend Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 444; s. auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20; Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 58 f.; nur im Ansatz übereinstimmend Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, vor § 21 BGB Rz. 60, der sodann aber den Gläubigern das Risiko fast ausschließlich zuweisen und nur ein Verbot der Existenzvernichtung durch Eingriffe in die Vermögenssubstanz anerkennen will (Rz. 65 ff.).

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§ 13 Rz. 143 | Juristische Person; Handelsgesellschaft völlig unzureichende Vermögensausstattung der GmbH wird deshalb mit Recht von zahlreichen Stimmen in der Literatur befürwortet451, von vielen anderen aber auch abgelehnt452. 144 Auch in der Rechtsprechung ist das Bild gespalten453. Während das BSG sich durchaus offen

gegenüber einer Missbrauchshaftung wegen materieller Unterkapitalisierung gezeigt hat454, steht die Rechtsprechung des BGH455 und BAG456 ihr sehr zurückhaltend gegenüber. Besonders deutlich ist in dieser Hinsicht das 2008 ergangene Urteil „Gamma“ des für Gesellschafts-

451 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 20 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 415; Raiser in FS Lutter, S. 637, 647 ff.; Raiser in FS Priester, S. 619, 623 f.; Kübler/Assmann, GesR, 6. Aufl. 2006, § 18 VI 5 (S. 269 ff.); Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 58 ff.; Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 419 f.; Wiedemann, GesR I, § 4 III 1b (S. 224 ff.); Wiedemann, WM-Beilage 4/1975, S. 19; Wiedemann, ZGR 2003, 283, 295 f.; Stimpel in FS Goerdeler, S. 601, 609 ff.; Lehmann, GmbHR 1992, 200, 204 ff.; Wüst, JZ 1992, 710, 712; Wüst, JZ 1995, 990, 994 f.; Hölzle, ZIP 2004, 1729 ff.; Hölzle, ZIP 2010, 913 f.; G.H. Roth, NZG 2003, 1081, 1082 f.; Blaurock in FS Stimpel, S. 553, 559 ff.; Schäfer/Fischbach, LMK 2008, 267714; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 443 ff.; Matschernus, S. 258 ff.; wohl auch Nirk in FS Stimpel, S. 443, 454; eingehend Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl. 1991, Anh. § 30 Rz. 50 ff., 64; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 119 ff., 531 ff.; Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57 ff.; Halmer, S. 196 ff., 229 ff.; s. auch Bitter, WM 2004, 2190, 2197 f.; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 140; umfassend Eckhold, Materielle Unterkapitalisierung, 2002 und Guntermann, S. 466 ff., die sich jedoch für eine Innenhaftung aussprechen; Präferenz für eine Innenhaftung auch bei Banerjea, ZIP 1999, 1153 ff.; Ulmer, ZIP 2001, 2021, 2026; Karsten Schmidt, GesR, § 9 IV 4 (S. 240 ff.); partiell anders Altmeppen, Rz. 148 ff.; zu weiteren, insbes. in der älteren Literatur entwickelten dogmatischen Ansätzen s. Winter, S. 78 ff.; zur h.M. in China Fan, RIW 2013, 515, 516. 452 Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5 Rz. 6; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 47; Windbichler, GesR, § 24 Rz. 31; Weitbrecht, S. 66 ff.; Möller, S. 43 ff., 82 ff.; Rabensdorf, S. 130 ff.; Heermann, S. 26 ff., insbes. S. 30 ff. mit Ergebnis S. 43 f., 56 f.; Wiesner, S. 63 ff.; Fischinger, S. 358 ff.; Kahler, BB 1985, 1429, 1432 ff.; Weller, IPRax 2003, 520, 524; Zimmer, NJW 2003, 3585, 3588; Philipp/Weber, DB 2006, 142 ff.; Schäfer/Fackler, NZG 2007, 377 ff.; Veil, NJW 2008, 3264, 3265 f.; Weber/Sieber, ZInsO 2008, 952, 955 ff.; Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1055 f.; zurückhaltender als früher inzwischen auch Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 151 ff.; seine frühere Ansicht ganz aufgebend Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 134 ff. 453 S. die ausführliche Darstellung bei Bitter, Durchgriffshaftung, S. 115 ff.; Winter, S. 61 ff.; Weitbrecht, S. 58 ff.; Möller, S. 99 ff., ferner S. 73 ff.; Wiesner, S. 60 ff.; zur älteren Rspr. Mossmann, S. 105 ff.; zum Vereinsrecht s. auch BGH v. 8.7.1970 – VIII ZR 28/69, BGHZ 54, 222 = NJW 1970, 2015 = WM 1970, 1106; BGH v. 10.12.2007 – II ZR 239/05, BGHZ 175, 12 = ZIP 2008, 364 = MDR 2008, 396 – Kolpingwerk. 454 BSG v. 7.12.1983 – 7 RAr 20/82, BSGE 56, 76, 83 ff. = DB 1984, 1103, 1104 = GmbHR 1985, 294; BSG v. 27.9.1994 – 10 RAr 1/92, BSGE 75, 82, 84 = ZIP 1994, 1944, 1945 f. = GmbHR 1995, 46; insbes. BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, ZIP 1996, 1134, 1135 = GmbHR 1996, 604; vgl. aus der instanzgerichtlichen Rechtsprechung der Zivilgerichte außerdem OLG Hamburg v. 15.2.1973 – 3 U 126/72, BB 1973, 1231, 1232, wo im konkreten Fall jedoch die Haftung verneint wurde. 455 BGH v. 4.5.1977 – VIII ZR 298/75, BGHZ 68, 312 = GmbHR 1977, 198 – Fertighaus (VIII. Zivilsenat); demgegenüber offen die Entscheidung des II. Zivilsenats v. 13.6.1977 – II ZR 232/75, NJW 1977, 1683, 1686 = GmbHR 1977, 246, in der Vorbehalte geäußert werden, „ob der engen Auffassung, die der VIII. Zivilsenat des BGH unlängst […] zur Haftung eines Gesellschafters wegen Unterkapitalisierung vertreten hat, in Anbetracht neuerer, auch in der Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu verzeichnender Tendenzen zu einem verstärkten Gläubigerschutz gefolgt werden kann“ (insoweit in BGHZ 69, 95 nicht abgedruckt); deutlich ablehnend gegenüber einer Durchgriffshaftung sodann aber der II. Zivilsenat in BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 = NJW 2008, 2437 = GmbHR 2008, 805 – Gamma. 456 BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, BAGE 89, 349, 356 = NJW 1999, 740, 741 = GmbHR 1998, 1221, 1223 = ZIP 1999, 24, 26 (8. Senat); BAG v. 10.2.1999 – 5 AZR 677/97, NJW 1999, 2299 = ZIP 1999, 878 = GmbHR 1999, 655 (5. Senat).

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recht zuständigen II. Zivilsenats457. Danach existiert weder eine gesetzliche Regelung noch besteht eine ausfüllungsbedürftige oder ausfüllungsfähige Gesetzeslücke458: Das GmbHG kenne lediglich eine „Entnahmesperre“ zugunsten des Stammkapitals der GmbH (§§ 30, 31), nicht aber eine Rechtspflicht der Gesellschafter zu ausreichender Finanzausstattung. Eine Haftung des GmbH-Gesellschafters wegen unzureichender Kapitalisierung der Gesellschaft sei also weder gesetzlich normiert noch durch richterrechtliche Rechtsfortbildung als gesellschaftsrechtlich fundiertes Haftungsinstitut anerkannt. Mangels einer im derzeitigen gesetzlichen System des GmbHG bestehenden Gesetzeslücke komme daher die Statuierung einer allgemeinen gesellschaftsrechtlichen Haftung des Gesellschafters wegen materieller Unterkapitalisierung im Wege der Rechtsfortbildung schon im Ansatz nicht in Betracht. Diese scharfe Ablehnung erstaunt459, hat sich derselbe II. Zivilsenat des BGH doch früher 145 durchaus offen gezeigt460 und insbesondere im Rahmen der Missbrauchshaftung wegen Existenzvernichtung eine Haftung wegen „Spekulation auf Kosten der Gläubiger“ anerkannt (dazu Rz. 163)461, womit in der Sache das gleiche Phänomen gemeint ist462. Wer eine Gesellschaft betreibt, die im Verhältnis zu den mit der Geschäftstätigkeit verbundenen Risiken eindeutig unterkapitalisiert ist, spekuliert auf Kosten der Gläubiger: Realisiert sich das Risiko nicht, schöpft der Gesellschafter den Gewinn des risikoreichen Projektes über sein Gewinnbezugsrecht ab; realisiert es sich, lässt er die GmbH insolvent werden und überträgt damit den Schaden auf die Gläubiger. Dass ein solches Verhalten nicht zu missbilligen sein soll, ist in keiner Weise einzusehen, zumal die Haftungsbeschränkung so zu volkswirtschaftlichen Ineffizienzen führen würde (Rz. 65 ff.). Mit Recht ist schon früh darauf hingewiesen worden, dass der Zweck der im Gesetz geregel- 146 ten (zwingenden) Kapitalerhaltungsvorschriften nicht ersichtlich sei, wenn der Gesetzgeber von einer völligen Freiheit der Gesellschafter zur Bestimmung des Eigenkapitals ausgegangen wäre. Dem Gesetzgeber kann nicht entgangen sein, dass mit einem Stammkapital von nur 25.000 Euro (früher 20.000 DM, dann 50.000 DM) eine Gesellschaft betrieben werden könnte, die einen Umsatz von mehreren Millionen pro Jahr tätigt. Hätten die Gesellschafter hier tatsächlich nur für das Mindestkapital aufzukommen, ohne dass weitergehende Kapitalisierungspflichten bestünden, so würde der Sinn der Gläubigerschutzvorschriften entleert463. 457 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204 = ZIP 2008, 1232 = NJW 2008, 2437 = GmbHR 2008, 805 – Gamma; zustimmend u.a. Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 5 Rz. 6; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 47; Windbichler, GesR, § 24 Rz. 31; Weber/Sieber, ZInsO 2008, 952, 955 ff.; Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1055 f. 458 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204, 212 f. = ZIP 2008, 1232, 1234 f. = NJW 2008, 2437 = GmbHR 2008, 805 Rz. 17 ff. – Gamma; so auch schon Karsten Schmidt, JZ 1984, 771, 777. 459 A.A. Kleindiek, NZG 2008, 686, 688. 460 S. das Zitat aus BGH v. 13.6.1977 – II ZR 232/75, NJW 1977, 1683, 1686 = GmbHR 1977, 246 in den Fußnoten zu Rz. 144. 461 BGH v. 13.12.1993 – II ZR 89/93, NJW 1994, 446, 447 = GmbHR 1994, 171 – EDV; BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, NJW 2000, 1571, 1572 = GmbHR 2000, 330; dazu auch Matschernus, S. 252 ff. 462 Vgl. Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57, 59 f. und 82 f.; Bitter, WM 2004, 2190, 2197 f.; ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 540 ff.; zustimmend Lieder in Michalski u.a., Rz. 415; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 444; s. auch Haas, WM 2003, 1929, 1935 in Fn. 97 m.w.N. („zwei Seiten derselben Medaille“); Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 46; ähnlich Hölzle, ZIP 2004, 1729, 1733 ff.; wohl auch Halmer, S. 212 („enger funktionaler Zusammenhang“), aber in den Rechtsfolgen differenzierend (S. 214, 227 f.). 463 Vgl. Westermann, Vertragsfreiheit und Typengesetzlichkeit im Recht der Personengesellschaften, 1970, S. 289; Wiedemann, WM-Beilage 4/1975, S. 19; pointiert Wiedemann, Schlußwort, in Die Haftung des Gesellschafters in der GmbH, 1968, S. 154, wo nach dem Zweck einer „Haftung für Nichts“ gefragt wird; im Anschluss daran auch Winkler, BB 1969, 1202, 1205; vgl. ferner Lieder in Michalski u.a., Rz. 415; Raiser, ZGR 1995, 156, 165; a.A. jedoch Winter, S. 106 f.

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§ 13 Rz. 146 | Juristische Person; Handelsgesellschaft Noch einmal sei deshalb betont: Die Beschränkung des GmbH-Gesetzes auf eine Regelung zum Mindestkapital ist kein Freibrief, nach Aufbringung dieses „Eintrittsgeldes“ frei zulasten der Gläubiger zu spekulieren (s. noch Rz. 163)464. Das begrenzte Mindestkapital hat mit der Zulässigkeit einer Haftung für materielle Unterkapitalisierung im Grunde überhaupt nichts zu tun, weshalb auch die Einführung der UG (haftungsbeschränkt) mit einem Mindestkapital von nur 1 Euro kein Argument gegen465, sondern allenfalls für eine Haftung wegen materieller Unterkapitalisierung bietet466. 147 Entgegen der jüngeren Rechtsprechung ist deshalb eine Außenhaftung bei materieller Unter-

kapitalisierung anzuerkennen, die letztlich nur ein Unterfall der sog. Existenzvernichtung durch „Existenzgefährdung“ ist467: Verboten ist der Betrieb einer Gesellschaft mit deutlich erhöhter Insolvenzwahrscheinlichkeit (s. Rz. 163). Bestätigt wird diese Sichtweise durch die Regelung zur Nutzungsüberlassung in § 135 Abs. 3 InsO, die mit ihrer faktischen Nachschusspflicht des Gesellschafters nur als spezialgesetzliche Sanktion der materiellen Unterkapitalisierung erklärbar ist (12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 412 ff.)468. Zudem zeigt auch das Recht der Gesellschafterdarlehen insgesamt, dass die Eigentümer der Gesellschaft keineswegs frei sind, in welchem Umfang sie sich vorrangig gegenüber den Gläubigern am Risiko beteiligen469. Gäbe es nämlich tatsächlich eine Finanzierungsfreiheit der Gesellschafter im Sinne eines Rechts auf Unterkapitalisierung, wäre rechtlich nicht erklärbar, warum das Darlehen eines Gesellschafters im Rang zurückgestuft wird, das Darlehen eines sonstigen Gläubigers nicht (12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 29 ff.)470. c) Beherrschung der Gesellschaft Schrifttum: Zur früher viel diskutierten, heute jedoch nicht mehr relevanten Rechtsfigur des sog. „qualifiziert faktischen Konzerns“ s. die Nachweise in der 10. Aufl. vor Rz. 55 und in 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 132 ff.; zur Position des Verfassers s. Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S. 137 ff., 421 ff.; zur heutigen Haftung wegen Existenzvernichtung s. die Nachw. vor Rz. 152.

464 Zutreffend schon Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31, 58; Immenga, S. 402 ff.; näher Bitter, Durchgriffshaftung, S. 128 ff.; zustimmend Geißler, DZWIR 2019, 301, 312; monographisch Guntermann, passim; ähnlich Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 152; Raiser in FS Lutter, S. 637, 647 ff.; Wagner in FS Gerhardt, S. 1043, 1057. 465 So aber Goette, ZHR 177 (2013), 740, 755; Podewils, GmbHR 2009, 606, 608; Gloger/Goette/Japing, ZInsO 2008, 1051, 1055; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 45 f.; Prütting, JuS 2018, 409, 411; Fischinger, S. 363; wie hier demgegenüber Lieder in Michalski u.a., Rz. 416. 466 Wie hier Priester, ZIP 2005, 921, 922; eingehend Guntermann, S. 427 ff., 466 ff. mit Zusammenfassung S. 498 f., 503 ff.: Anscheinsbeweis für materielle Unterkapitalisierung bei Insolvenz einer UG. 467 Ebenso Matschernus, S. 258 ff.; Hangebrauck, Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung und Existenzschutz bei konzernweiten Cash-Pooling-Systemen, 2008, S. 494 f. m.w.N.; vgl. auch Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 46, der jedoch eine Innenhaftung aus § 826 BGB wegen Existenzvernichtung befürwortet; offen gelassen bei LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 537. 468 Dazu Bitter, ZIP 2010, 1 ff., insbes. S. 9 f.; zustimmend Hölzle, ZIP 2010, 913 f.; Guntermann, S. 120 f. 469 Zur Verbindung beider Problembereiche sehr früh schon Mossmann, S. 112 ff.; Lutter/Hommelhoff, ZGR 1979, 31 ff.; umfassend aus rechtsökonomischer Sicht die Dissertation von Halmer mit Zusammenfassung S. 245: „gemeinsame ökonomische Fundierung“. 470 Näher Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 262 ff., insbes. Rz. 272; früher schon Mossmann, S. 112 ff.; ähnlich Matschernus, S. 265 f.; Raiser in FS Lutter, S. 637, 649 f., der von einem „bemerkenswerten Kontrast“ und einem „Wertungswiderspruch“ zwischen der Rechtsprechung zur materiellen und nominellen Unterkapitalisierung spricht; ferner Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 46.

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Als dritte Fallgruppe der Durchgriffshaftung wurde früher die Beherrschung der Gesellschaft 148 diskutiert471, wobei zwischen der Konzernbeherrschung einerseits und der nur im Recht der Personengesellschaften relevanten Beherrschung einer KG andererseits zu unterscheiden ist472. Jeweils geht es um die Frage, ob mit der Herrschaft in der Gesellschaft auch eine Haftung für deren Verbindlichkeiten verbunden sein muss. In Bezug auf die KG ist diese Frage relevant, wenn entgegen der Grundidee des HGB die KG 149 nicht durch die Komplementäre, sondern faktisch durch einen Kommanditisten beherrscht wird (sog. atypische KG). Insoweit hat der BGH in dem berühmten „Rektor“-Urteil473 schon 1966 entschieden, dass es keinen zwingenden Grundsatz der Verknüpfung von Herrschaft und Haftung gebe und folglich der Kommanditist nicht schon deshalb persönlich für die Verbindlichkeiten der KG hafte, weil er – für die KG atypisch – die Gesellschaft beherrscht474. Anderes kann allerdings in Fällen der Unterkapitalisierung einer derartigen atypischen KG gelten475. Vornehmlich in Bezug auf das GmbH-Recht ist hingegen in den 1980er und 1990er Jahren 150 die sogleich im Zusammenhang mit der Existenzvernichtungshaftung noch darzustellende Diskussion zum sog. „qualifiziert faktischen Konzern“ geführt worden (s. Rz. 152 ff.; ausführlicher 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 132 ff.)476. Darin ging es um die Frage, ob ein Gesellschafter, der mehr als nur eine GmbH beherrscht, wegen der Gefahr, eine Gesellschaft um der anderen willen zu instrumentalisieren, einer persönlichen Haftung zu unterwerfen ist. Die herrschende Ansicht übertrug seinerzeit das Modell des aktienrechtlichen Konzernrechts, das eine unmittelbare Leitungsmacht der Gesellschafter (Aktionäre) nur bei Beherrschungsverträgen (§ 291 AktG in Abweichung von § 76 AktG) und dort um den Preis des Verlustausgleichs kennt (§ 302 AktG), auf das GmbH-Recht – mit katastrophalen Folgen: Wird nämlich die in §§ 291, 302 AktG enthaltene Wertung, dass Herrschaft nur um den Preis unbeschränkter Haftung zu haben ist477, auf das GmbH-Recht übertragen, das in § 13 Abs. 2 gerade eine Haftungsbeschränkung trotz umfassender Herrschaftsrechte der Gesellschafter kennt, muss notwendig dieses Prinzip der Haftungstrennung ins Wanken geraten478. Der Gipfel der Rechtsentwicklung, in die der BGH von einer Heerschar Professoren geführt worden ist, zeigte sich im „Video“-Urteil aus dem Jahr 1991479, in dem der BGH in der Sache entschied, dass eine Person, die als Gesellschafter mindestens zwei Gesellschaften beherrscht oder sich neben einer GmbH-Beteiligung noch anderweitig unternehmerisch betätigt480, das Haftungsprivileg des § 13 verliert481. Der Aufschrei der Praxis und der Wissenschaft war 471 472 473 474 475 476 477 478 479 480

481

Nachweise bei Mülhens, S. 66 f. Dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 137 ff. BGH v. 17.3.1966 – II ZR 282/63, BGHZ 45, 204 = NJW 1966, 1309 – Rektor. Dazu Blaurock in FS Stimpel, S. 553, 554 ff., 569 mit rechtsvergleichenden Hinweisen; ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 139 ff. mit umfassenden Nachw. Blaurock in FS Stimpel, S. 553, 569. Überblick bei Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 290 ff.; umfassend Bitter, Durchgriffshaftung, S. 421 ff.; knapper Bitter, WM 2001, 2133 ff. Dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 338 ff. Dazu Bitter, ZIP 2001, 265 ff.; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 349 ff.; zustimmend Matschernus, S. 345 f. BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187 = NJW 1991, 3142 = GmbHR 1991, 520 – Video. Durch die mehrfache unternehmerische Betätigung wird er zum „Unternehmen“ im konzernrechtlichen Sinne, weil damit der konzerntypische Interessenkonflikt beginnt: eines der beiden Unternehmen könnte zulasten des anderen benachteiligt werden, ohne dass der Gesellschafter dadurch – im Hinblick auf seine zweifache Beteiligung – einen Nachteil hätte, wohl aber die Gläubiger und Mitgesellschafter der benachteiligten Gesellschaft. Der in dem Urteil anerkannte Entlastungsbeweis des Gesellschafters war praktisch nicht zu führen.

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§ 13 Rz. 150 | Juristische Person; Handelsgesellschaft groß482, und zwar auch bei jenen Professoren, die die zugrundeliegende Dogmatik selbst entwickelt hatten483. Der BGH gab das ganze (konzernrechtliche) Konstrukt in den Urteilen „TBB“484 und „Bremer Vulkan“485 mit Recht wieder auf486. 151 Dies war die Geburtsstunde der Haftung wegen Existenzvernichtung (dazu sogleich Rz. 152 ff.).

Heute ist man sich deshalb weitgehend darin einig, dass allein die Beherrschung einer oder auch mehrerer GmbH durch einen Gesellschafter für sich genommen keine Durchgriffshaftung rechtfertigt487.

4. Einwendungen und Einreden, insbesondere Verjährung 151a Da es sich bei der Durchgriffshaftung um eine akzessorische Gesellschafterhaftung analog

§ 128 HGB (ab 1.1.2024 § 721 BGB n.F. und § 126 HGB n.F.) handelt (Rz. 126), findet auf die Verteidigungsmittel des Gesellschafters die Vorschrift des § 129 HGB (ab 1.1.2024 § 721b BGB n.F. und § 128 HGB n.F.) ebenfalls entsprechende Anwendung. Die Vorschrift gilt insbesondere auch für die Verjährung, wobei allerdings zu beachten ist, dass die Gesellschafterhaftung – anders als die ebenfalls akzessorische Bürgenhaftung – nach h.M. keiner eigenständigen (Sonder-)Verjährung unterliegt488. Ein aus dem Bürgschaftsrecht bekanntes und insoweit wie dort zu behandelndes Problem kann sich bei einer Löschung der GmbH aus dem Handelsregister vor Ablauf der – auch für die Gesellschafterschuld maßgeblichen – Verjährungsfrist der Gesellschaftsschuld ergeben: Es existiert dann – jedenfalls bei Vollbeendigung der GmbH (12. Aufl., § 60 Rz. 8 f.) – nur noch der Gesellschafter, weshalb die ursprünglich akzessorische Schuld zu einer selbständigen wird und es folglich verjährungshemmender Maßnahmen, z.B. der Klageerhebung, gegen den Gesellschafter bedarf489. 151b Trotz grundsätzlicher Anwendbarkeit des § 129 Abs. 1 HGB (ab 1.1.2024 § 721b Abs. 1

BGB n.F. und § 128 Abs. 1 HGB n.F.), welcher dem Gesellschafter die Einwendungen der Gesellschaft insoweit versagt, wie die Gesellschaft sie nicht (mehr) erheben kann, erstreckt sich die Rechtskraft eines Eintrags in die Insolvenztabelle der Gesellschaft regelmäßig nicht auf den GmbH-Gesellschafter, es sei denn er war an dem Feststellungsverfahren beteiligt und hatte Gelegenheit, der Forderungsanmeldung für seine persönliche Haftung zu widersprechen490. Diese Möglichkeit ist ihm im Fall einer Durchgriffshaftung ebenso wie dem persönlich haftenden Personengesellschafter einzuräumen, der zur Gewährung rechtlichen Gehörs an dem Forderungsfeststellungsverfahren zu beteiligen ist und Gelegenheit haben muss, der Forderungsanmeldung mit Wirkung für seine persönliche Haftung zu widersprechen491.

482 Besonders prägnant der Aufsatztitel von Flume, ZIP 1992, 817: „Das Video-Urteil als eine Entscheidung des II. Senats des BGH aus dessen Selbstverständnis der Innehabung gesetzgeberischer Gewalt“; ferner Mertens, AG 1991, 434 (Anm.): „Wiedergeburt der oHG aus dem GmbH-Gesetz“. 483 Dazu Bitter, ZIP 2001, 265, 267 ff. 484 BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = GmbHR 1993, 283 = NJW 1993, 1200 – TBB. 485 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036 = ZIP 2001, 1874 = NJW 2001, 3622 – Bremer Vulkan. 486 Dazu Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 540 ff.; Bitter, WM 2001, 2133 ff. 487 Vgl. Strohn, ZInsO 2008, 706, 707 („Damit war der faktische GmbH-Konzern tot“); Weller/Discher in Bork/Schäfer, Anhang zu § 13 Rz. 56 („Bedeutung für die Praxis verloren“); Paefgen, DB 2007, 1907, 1911 („Abschied vom qualifiziert faktischen Konzern“); s. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, Rz. 361; für eine Weiterführung der konzernspezifischen Rechtsprechung allerdings Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48. 488 Näher Bitter/Heim, GesR, § 6 Rz. 23 m.w.N. 489 Dazu eingehend Schwab, GmbHR 2012, 1213 ff. m.N. zur Rspr. 490 BGH v. 10.10.2013 – IX ZR 30/12, ZIP 2014, 134 = MDR 2014, 114 Rz. 23 m.w.N. 491 BGH v. 20.2.2018 – II ZR 272/16, BGHZ 217, 327 = ZIP 2018, 640 = GmbHR 2018, 468 Rz. 30.

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5. Internationale Zuständigkeit für Durchgriffsklagen Auf Klagen gegen Gesellschafter aus Durchgriffshaftung, insbesondere soweit sie auf eine 151c Unterkapitalisierung gestützt sind, ist der Deliktsgerichtsstand des Art. 7 Nr. 2 EuGVVO anwendbar; als „Ort, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist oder einzutreten droht“, ist dabei derjenige Ort anzusehen, an dem der Geschäftsbetrieb der Gesellschaft und die damit verbundene finanzielle Lage anknüpfen492.

X. Haftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs Schrifttum: s. 10. Aufl., vor Rz. 55 (insbesondere zur früheren „Bremer-Vulkan“-Rechtsprechung), ferner Altmeppen, Abschied vom „Durchgriff“ im Kapitalgesellschaftsrecht, NJW 2008, 2657; Aukhatov, Durchgriffs- und Existenzvernichtungshaftung im deutschen und russischen Sach- und Kollisionsrecht, 2009; Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000, S. 490 ff.; Bitter, Der Anfang vom Ende des „qualifiziert faktischen GmbH-Konzerns“ – Ansätze einer allgemeinen Missbrauchshaftung in der Rechtsprechung des BGH, WM 2001, 2133; Burg, Gesellschafterhaftung bei Existenzvernichtung der Einmann-GmbH, 2006; Burg/Hützen, Existenzvernichtungshaftung im Vertragskonzern, Der Konzern 2010, 20; Dauner-Lieb, Die Existenzvernichtungshaftung als deliktische Innenhaftung gemäß § 826 BGB, ZGR 2008, 34; Fastrich, Bemerkungen zur Existenzvernichtungshaftung, in FS Karsten Schmidt, Band I, 2019, S. 291; Fischinger, Haftungsbeschränkung im Bürgerlichen Recht, 2015, S. 320 ff.; Förster, Der Schwarze Ritter – § 826 BGB im Gesellschaftsrecht, AcP 209 (2009), 398; Gehrlein, Die Existenzvernichtungshaftung im Wandel der Rechtsprechung, WM 2008, 761; Gehrlein, Flankenschutz des Insolvenzanfechtungsrechts durch das allgemeine Zivilrecht, DB 2016, 1177; Geißler, Die Anspruchsverfolgung der Gesellschaftsgläubiger bei Existenzvernichtung der GmbH, DZWIR 2013, 395; Geißler, Die Existenzvernichtungshaftung in ihren tatbestandlichen Ausprägungen unter Einbezug der (aktuellen und persistierenden) Streitfragen, DZWIR 2019, 301; Gottschalk, Die Existenzvernichtungshaftung des GmbH-Gesellschafters, 2007; Grabmann, Differenz- und Existenzvernichtungshaftung in der Aschenputtel-GmbH, 2019; Grigoleit, Gesellschafterhaftung für interne Einflussnahme im Recht der GmbH, 2006, S. 249 ff.; Guski, Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung: § 826 BGB als Fugenkitt?, KTS 2010, 277; Haas, Die Gesellschafterhaftung wegen Existenzvernichtung, WM 2003, 1929; Hangebrauck, Kapitalaufbringung, Kapitalerhaltung und Existenzschutz bei konzernweiten CashPooling-Systemen, 2008, S. 469 ff.; Heeg/Manthey, Existenzvernichtender Eingriff – Fallgruppen der Rechtsprechung und Praxisprobleme, GmbHR 2000, 798; Henzler, Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Existenzvernichtung, 2009; Hölzle, Materielle Unterkapitalisierung und Existenzvernichtungshaftung – Das Phantom als Fallgruppe der Durchgriffshaftung, ZIP 2004, 1729; Hönn, Roma locuta? – Trihotel, Rechtsfortbildung und die gesetzliche Wertung, WM 2008, 769; Ihrig, Einzelfragen zur Existenzvernichtungshaftung als Innenhaftung, DStR 2007, 1170; Jahn, Die Anwendbarkeit deutscher Gläubigerschutzvorschriften bei einer EU-Kapitalgesellschaft mit Sitz in Deutschland, 2014, S. 277 ff.; Keßler, Die Durchgriffshaftung der GmbH-Gesellschafter wegen „existenzgefährdender“ Eingriffe – Zur dogmatischen Konzeption des Gläubigerschutzes in der GmbH, GmbHR 2002, 945; Khonsari, Die Haftung der GmbH-Gesellschafter aus existenzvernichtendem Eingriff, 2007; Kleindiek, Materielle Unterkapitalisierung, Existenzvernichtung und Deliktshaftung – GAMMA, NZG 2008, 686; Koch, Die Abkehr von der „bilanziellen Betrachtungsweise“ und ihre Auswirkungen auf die Existenzvernichtungshaftung, 2007; Kroh, Der existenzvernichtende Eingriff – Eine vergleichende Untersuchung zum deutschen, englischen, französischen und niederländischen Recht, 2013; Lieder, Die neue Existenzvernichtungshaftung, DZWIR 2008, 145; Lieder, Die Existenzvernichtungshaftung als verbandsübergreifende Durchgriffshaftung, in FS Pannen, 2017, S. 439; Lieder/Bialluch, Differenzhaftung und Existenzvernichtungshaftung bei Verschmelzung, ZGR 2019, 760; Livonius, Untreue wegen existenzgefährdenden Eingriffs – Rechtsgeschichte?, wistra 2009, 91; Lutter/Banerjea, Die Haftung wegen Existenzvernichtung, ZGR 2003, 402; Matschernus, Die Durchgriffshaftung wegen Existenzvernichtung in der GmbH, 2006; Neuberger, Haftung bei Insolvenzverschleppung: Ein Tatbestand, vier verschiedene Rechtsfolgen, ZIP 2018, 909; Neuberger, Existenzvernichtungshaftung aufgeben und Kapitalerhaltung sowie Differenzhaftung mit den

492 EuGH v. 18.7.2013 – Rs. C-147/12, ZIP 2013, 1832 – ÖFAB; zustimmend Thole, GPR 2014, 113 ff.; s. auch Wedemann, ZEuP 2014, 867 ff.; partiell kritisch Freitag, ZIP 2014, 302.

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§ 13 Rz. 152 | Juristische Person; Handelsgesellschaft richtigen Werten anwenden, ZIP 2020, 153; Osterloh-Konrad, Abkehr vom Durchgriff: Die Existenzvernichtungshaftung des GmbH-Gesellschafters nach „Trihotel“, ZHR 172 (2008), 274; Paefgen, Existenzvernichtungshaftung nach Gesellschaftsdeliktsrecht, DB 2007, 1907; Röck, Die Rechtsfolgen der Existenzvernichtungshaftung, 2011; Röck, Die Anforderungen der Existenzvernichtungshaftung nach „Trihotel“ – Eine Zwischenbilanz, DZWIR 2012, 97; Röhricht, Die GmbH im Spannungsfeld zwischen wirtschaftlicher Dispositionsfreiheit ihrer Gesellschafter und Gläubigerschutz, in FS 50 Jahre BGH, Bd. 1, 2000, S. 83; Rubner, Die Haftung wegen sittenwidriger vorsätzlicher Existenzvernichtung, Der Konzern 2007, 635; Schanze, Gesellschafterhaftung für unlautere Einflussnahme nach § 826 BGB: Die TrihotelDoktrin des BGH, NZG 2007, 681; Schirrmacher, Existenzvernichtung, Unterkapitalisierung, kalte Liquidation, ZGR 2021, 2; Sven H. Schneider, (Mit-)Haftung des Geschäftsführers eines wegen Existenzvernichtung haftenden Gesellschafters, GmbHR 2011, 685; Schön, Zur „Existenzvernichtung“ der juristischen Person, ZHR 168 (2004), 268; Schult, Solvenzschutz der GmbH durch Existenzvernichtungsund Insolvenzverursachungshaftung, 2009; Schwab, Die Neuauflage der Existenzvernichtungshaftung: kein Ende der Debatte!, ZIP 2008, 341; Stöber, Die Haftung für existenzvernichtende Eingriffe, ZIP 2013, 2295; Strohn, Existenzvernichtungshaftung – Vermögensvermischungshaftung – Durchgriffshaftung, ZInsO 2008, 706; Strohn, Existenzvernichtungshaftung, §§ 30, 31, 43 GmbHG und § 64 S. 3 GmbHG – Koordinierungsbedarf?, ZHR 173 (2009), 589; Theiselmann, Die Existenzvernichtungshaftung im Wandel, GmbHR 2007, 904; Tröger/Dangelmeyer, Eigenhaftung der Organe für die Veranlassung existenzvernichtender Leitungsmaßnahmen im Konzern, ZGR 2011, 558; Ulmer, Von „TBB“ zu „Bremer Vulkan“ – Revolution oder Evolution?, ZIP 2001, 2021; Veil, Gesellschafterhaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs und Unterkapitalisierung, NJW 2008, 3264; J. Vetter, Die neue dogmatische Grundlage des BGH zur Existenzvernichtungshaftung, BB 2007, 1965; Wagner, Existenzvernichtung als Deliktstatbestand, in FS Canaris, Bd. II, 2007, S. 473; Wahl, Die Haftung der GmbH-Gesellschafter wegen Existenzvernichtung, 2006; Wazlawik, Existenzvernichtung und kein Ende, NZI 2009, 291; A. Weiß, Insolvenzspezifische Geschäftsführerhaftung – Zahlungsverbote, Existenzvernichtung und Insolvenzverschleppung, 2017; C. Weiß, Gesellschafterhaftung bei Verschmelzung mit insolventer Gesellschaft, GmbHR 2017, 1017; Weller, Die Neuausrichtung der Existenzvernichtungshaftung durch den BGH und ihre Implikationen für die Praxis, ZIP 2007, 1681; Wiedemann, Reflexionen zur Durchgriffshaftung – Zugleich Besprechung des Urteils WM 2002, 1804 – KBV, ZGR 2003, 283; Wiedemann, Existenzvernichtung und Bestandsschutz der GmbH, in FS Lüer, 2008, S. 337; Wilhelmi, Die „neue“ Existenzvernichtungshaftung der Gesellschafter der GmbH, DZWIR 2003, 45; Zöllner, Gläubigerschutz durch Gesellschafterhaftung bei der GmbH, in FS Konzen, 2006, S. 999.

152 Auch die Haftung wegen sog. Existenzvernichtung493 ist – im Gegensatz etwa zu den Haf-

tungstatbeständen des § 43 GmbHG und des § 15b InsO – eine Gesellschafter-, nicht eine Geschäftsführerhaftung. Sie muss als eine „schwere Geburt“ der Rechtsprechung bezeichnet werden und es kann nach dem letzten Stand der Dinge auch nicht festgestellt werden, dass diese Geburt geglückt sei494. Die Haftungsfigur war zunächst in den 1980er und 1990er Jahren als Haftung im sog. „qualifiziert faktischen Konzern“ entstanden (s. schon Rz. 150), wurde dann in den Jahren 2001/2002 durch die BGH-Entscheidungen „Bremer Vulkan“495 und „KBV“496 vom konzernrechtlichen Ansatz befreit und richtigerweise zu einer allgemeinen Durchgriffshaftung wegen Missbrauchs der Haftungsbeschränkung fortentwickelt (Außen-

493 Kritisch zu dem Begriff – mit je unterschiedlicher Stoßrichtung – Bitter, WM 2001, 2133, 2136 (missverstanden bei Wahl, S. 43 f.); Schön, ZHR 168 (2004), 268, 271 f.; Zöllner in FS Konzen, S. 999, 1003; Fischinger, S. 321; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 285. 494 Kritisch auch Hönn, WM 2008, 769 ff.; Schwab, ZIP 2008, 341 ff.; Geißler, DZWIR 2019, 301, 315 (nicht die letzte und unumstößliche Weisheit); zustimmend hingegen Weller, ZIP 2007, 1681, 1689 („dogmatisches Kabinettstück“); Gehrlein, WM 2008, 761, 769 („erfreuliche Klärung“); w.N. bei Veil, NJW 2008, 3264 in Fn. 5. 495 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036 = ZIP 2001, 1874 = NJW 2001, 3622 – Bremer Vulkan; s. auch BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = GmbHR 2002, 549 = NJW 2002, 1803 m. Anm. Bitter, WuB II C § 13 GmbHG 2.02. 496 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = NJW 2002, 3024 = ZIP 2002, 1578 = GmbHR 2002, 902 – KBV.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 153 § 13

haftung gegenüber den Gläubigern)497, um sodann durch das 2007 ergangene Urteil „Trihotel“498 eine erneute überraschende Wendung hin zu einer Innenhaftung aus § 826 BGB zu nehmen499. Da dieses ständige Hin und Her der Rechtsprechung, welches durch mehrere Wechsel in der Besetzung, insbesondere im Vorsitz des II. Zivilsenats beeinflusst500 und bisweilen gar als „Odyssee“ bezeichnet wurde501, das Verständnis der Haftungsfigur nicht gerade leicht macht, kann auch eine Kommentierung nicht ganz darauf verzichten, die – von Gehrlein502 mit Recht als „stürmisch“ bezeichnete – Entwicklung kurz darzustellen503.

1. Entwicklung der Existenzvernichtungshaftung Ausgangspunkt des von der Rechtsprechung entwickelten Haftungsansatzes ist seit jeher die 153 Vorstellung, dass das gesetzliche Gläubigerschutzkonzept des GmbH-Gesetzes Lücken enthält504. Das Gesetz schützt zwar das bilanzielle Kapital der GmbH, indem es in §§ 30, 31 dieses vor einem Gesellschafterzugriff bewahrt. Nicht sanktioniert werden aber sonstige, nicht in einem Vermögensabfluss an Gesellschafter bestehende oder nicht bilanziell erfassbare nachteilige Eingriffe in das Vermögen und in die Interessen der Gesellschaft durch den Alleingesellschafter oder mehrere einverständlich handelnde Gesellschafter (vgl. auch Rz. 125)505. Zudem ist der Anspruch aus § 31 auf den Ersatz des abgeflossenen Betrags beschränkt; darüber hinaus bei der GmbH entstandene Schäden werden im Rahmen der Gesellschafterhaftung

497 In diesem Sinne zuvor schon Bitter, Durchgriffshaftung, S. 490 ff.; im Anschluss an das Urteil „Bremer Vulkan“ auch Bitter, WM 2001, 2133; Wahl, S. 52 ff., S. 77 ff.; Matschernus, S. 64 ff.; Gottschalk, S. 55 ff.; Hangebrauck, S. 482 ff.; s. dazu auch Wiedemann, ZGR 2003, 283 ff. 498 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 – Trihotel. 499 Dazu Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 543 ff.; Kroh, S. 14 ff.; Goette, ZHR 177 (2013), 740, 747 spricht von einem „schmerzlichen Lernprozess“ des II. Zivilsenats des BGH. 500 Dazu monographisch C. Weiß, Der Richter hinter dem Recht, Kontinuität und Brüche in der Rechtsprechung des BGH zum GmbH-Recht mit Blick auf die Besetzung des II. Zivilsenats, 2014, S. 208 ff., 423 ff.; s. auch Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 445. 501 Hönn, WM 2008, 769; kritisch zum ständigen Rechtsprechungswechsel auch Hellwig, ZGR 2013, 116, 229. 502 So Gehrlein, WM 2008, 761. 503 S. auch den Überblick bei Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 48 f., 57 ff.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 290 ff.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 421 ff.; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 6 ff.; ausführlich Wahl, S. 48 ff.; Jahn, S. 279 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 539 ff. mit umfassenden Literaturangaben vor Rz. 539. 504 BGH v. 15.9.2014 – II ZR 442/13, GmbHR 2015, 644 Rz. 9; eingehend Röhricht in FS 50 Jahre BGH, Bd. 1, 2000, S. 83, 92 ff.; Wahl, S. 3 ff. mit Ergebnis S. 46; Khonsari, S. 47 ff.; Hangebrauck, S. 475 ff.; Henzler, S. 19 ff., 121 ff.; Kroh, S. 29 ff.; Jahn, S. 304 ff.; s. auch Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 121 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 26; Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 108 f.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 283, 289, 312; Zöllner in FS Konzen, S. 999, 1011 ff.; Strohn, ZInsO 2008, 706, 707; Paefgen, DB 2007, 1907 f.; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 4 ff.; vgl. auch BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019, 172 Rz. 39 (Ergänzung des Kapitalschutzsystems der GmbH); zurückhaltender Rubner, Der Konzern 2007, 635, 640 ff. („gewisse Lücken“); Haas, ZHR 170 (2006), 478, 480; deutlich kritisch Wazlawik, NZI 2009, 291, 293; gänzlich anderes Konzept mit deutlich strengerer Anwendung der §§ 30, 31 bei Neuberger, ZIP 2018, 909 ff.; Neuberger, ZIP 2020, 153 ff. 505 BGH v. 15.9.2014 – II ZR 442/13, GmbHR 2015, 644 Rz. 9; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 4 f.; ausführlich Wahl, S. 10 ff.; Henzler, S. 20 ff.; Beispiel bei Strohn, ZHR 173 (2009), 589, 591: Übertragung existenzwichtiger Patente auf einen Gesellschafter.

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§ 13 Rz. 153 | Juristische Person; Handelsgesellschaft nicht ersetzt506. Auch das – einen gewissen Schutz bietende507 – Insolvenzanfechtungsrecht ist nur auf Rückgewähr und auch nur gegen den Empfänger des Gegenstandes gerichtet508. Bei fehlender Eröffnung des Insolvenzverfahrens greifen zudem mangels Anwendbarkeit der §§ 129 ff. InsO nur die allgemeinen Tatbestände des Anfechtungsgesetzes ein (insbesondere § 3 AnfG)509. 154 Der insoweit als lückenhaft erkannte Gläubigerschutz wurde zunächst für Konzerngesell-

schaften durch eine Analogie zu den Vorschriften des aktienrechtlichen Vertragskonzerns (§§ 302, 303 AktG) geschlossen (sog. „qualifiziert faktischer Konzern“). Demnach war das herrschende Unternehmen – und dies kann auch ein Gesellschafter sein, der mindestens zwei GmbH beherrscht510 – gegenüber seinem abhängigen Unternehmen zum Verlustausgleich verpflichtet, wenn das herrschende Unternehmen dem anderen Nachteile zufügt, indem es kompensationslos in das Gesellschaftsvermögen eingreift. Führte der Eingriff in das Vermögen zur Insolvenz des abhängigen Unternehmens, so haftete der Gesellschafter analog § 303 AktG den Gläubigern sogar persönlich511. Bei unabhängigen Gesellschaften dagegen waren Eingriffe des Gesellschafters bis zur Grenze des § 30 uneingeschränkt zulässig. 155 In seinen Entscheidungen „Bremer Vulkan“512 und „KBV“513 hat der BGH dann den bislang

ausschließlich konzernrechtlich begründeten Haftungsansatz aufgegeben und – gleich ob in abhängiger oder unabhängiger Gesellschaft – den existenzvernichtenden Eingriff des oder der Gesellschafter als missbräuchlich qualifiziert514. Unabhängig von einer Unternehmensverbindung hafteten die Gesellschafter den Gläubigern also unmittelbar, wenn der Eingriff in das Vermögen der Gesellschaft zu deren Insolvenz führte oder die Insolvenz vertiefte.

156 Diese im Ansatz überzeugende Linie mit der Folge einer persönlichen Durchgriffshaftung

des/der Gesellschafter gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft515 hat der BGH in seiner Entscheidung „Trihotel“516 zugunsten einer nicht mehr gesellschaftsrechtlichen, sondern 506 Zur fehlenden Ersatzfähigkeit sog. „Kollateralschäden“ vgl. BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 254 = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 Rz. 21 – Trihotel; BGH v. 15.9.2014 – II ZR 442/13, GmbHR 2015, 644 Rz. 9; Wahl, S. 19 f.; Khonsari, S. 50 ff.; Kroh, S. 32; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 37; Strohn, ZInsO 2008, 706, 707; Röck, DZWIR 2012, 97, 101; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 5. Der Geschäftsführer haftet demgegenüber auf Schadensersatz (vgl. § 43 Abs. 2, 3 GmbHG; dazu Strohn, ZHR 173 [2009], 589, 590 ff.). 507 Dazu Haas, ZIP 2006, 1373 ff.; Henzler, S. 35 ff. mit Ergebnis S. 54; kritisch zur häufigen Ausblendung des Anfechtungsrechts Haas, ZHR 170 (2006), 478, 482 f. 508 Dazu Guski, KTS 2010, 277, 284 ff., 287 f.; Henzler, S. 57 f. 509 Henzler, S. 56 f. 510 Ausführlich zum Unternehmensbegriff des Konzernrechts Bitter, Durchgriffshaftung, S. 34 ff. 511 S. zu diesem in den Urteilen BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330 = GmbHR 1986, 78 = NJW 1986, 188 – Autokran; BGH v. 20.2.1989 – II ZR 167/88, BGHZ 107, 7 = GmbHR 1989, 196 = NJW 1989, 1800 – Tiefbau und BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187 = GmbHR 1991, 520 = NJW 1991, 3142 – Video entwickelten Haftungsansatz den Überblick bei Bitter, WM 2001, 2133 ff.; umfassend Bitter, Durchgriffshaftung, S. 432 ff. 512 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036 = ZIP 2001, 1874 = NJW 2001, 3622 – Bremer Vulkan. 513 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = ZIP 2002, 1578 = GmbHR 2002, 902 = NJW 2002, 3024 – KBV. 514 Dazu Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 292; Strohn, ZInsO 2008, 706, 707; Beck, DStR 2012, 2135 ff. 515 Zustimmend auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 46; Lieder in Michalski u.a., Rz. 433 ff.; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 445 f.; Lieder/Bialluch, ZGR 2019, 760, 772; Geißler, DZWIR 2019, 301, 303; Wahl, S. 52 ff. (Darstellung), S. 77 ff. (Bewertung); Matschernus, S. 64 ff.; Hangebrauck, S. 482 ff.; Gottschalk, S. 55 ff.; kritisch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 309. 516 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 – Trihotel.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 157 § 13

nunmehr deliktsrechtlichen Haftung des betreffenden Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft wieder aufgegeben und für diese Rechtsrückbildung517 erstaunlich viel Zustimmung im Schrifttum gefunden518. Die Existenzvernichtungshaftung versteht der BGH jetzt als eine besondere Fallgruppe der sittenwidrigen, vorsätzlichen Schädigung der Gesellschaft nach § 826 BGB mit der Folge einer Haftung des betreffenden Gesellschafters auf Ersatz des „Zerschlagungsschadens“. Den Anspruch spricht der BGH dabei entgegen der bisherigen Linie nicht mehr den Gläubigern zu, sondern der GmbH (Innenhaftung)519, was in der Literatur deutliche Kritik erfahren hat (Rz. 159)520. Nach Ansicht der Rechtsprechung trägt die GmbH bzw. der Insolvenzverwalter an ihrer Stelle die volle Darlegungs- und Beweislast für alle objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale521, was in der Literatur ebenfalls auf berechtigte Kritik stößt522.

2. Schuldner und Gläubiger des Anspruchs Die Haftung trifft denjenigen, der durch seinen tatsächlichen Einfluss einen existenzvernich- 157 tenden Eingriff vornehmen kann. In erster Linie ist das der Gesellschafter einer GmbH523; es kann aber auch der „Gesellschafter-Gesellschafter“ sein524, der z.B. auf ein „Enkelunternehmen“ einen beherrschenden Einfluss ausübt. Die Haftung trifft auch diejenigen Mitgesellschafter, die – ohne selbst etwas empfangen zu haben – durch ihr Einverständnis mit einem 517 Zu dieser Tendenz im jüngeren Schrifttum bereits Rz. 122. 518 Nachw. bei Veil, NJW 2008, 3264 in Fn. 5. 519 Im Anschluss an den II. Zivilsenat des BGH auch der IX. Zivilsenat in BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 20; ferner BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, BAGE 144, 180 = ZIP 2013, 1041 = GmbHR 2013, 747 = AG 2013, 524 Rz. 35 f.; OLG München v. 15.4.2013 – 7 U 457/13 juris-Rz. 12; ausführlich OLG Köln v. 25.2.2015 – 13 U 96/13 juris-Rz. 74 ff.; LAG Hamm v. 30.1.2015 – 10 Sa 828/14, ZIP 2015, 1392, 1393 f. = GmbHR 2015, 931; weitere Nachw. zur instanzgerichtlichen Rspr. bei Röck, DZWIR 2012, 97 in Fn. 10; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 549. 520 Nachw. bei Röck, DZWIR 2012, 97 in Fn. 5 („zumeist auf heftigen Widerstand gestoßen“); Stöber, ZIP 2013, 2295, 2296 in Fn. 19 („überwiegend … Ablehnung“); weitere Nachw. Rz. 159; Nachw. zum Streitstand auch bei Fastrich in FS Karsten Schmidt, Bd. I, 2019, S. 291 in Fn. 3; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 11 f. 521 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 = GmbHR 2012, 740 Rz. 13; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019, 172 Rz. 26; ebenso Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 598 ff.; weitere Nachw. bei Born, WMSonderbeilage 1/2013, S. 18 in Fn. 220; Kroh, S. 91 f.; zum Streitstand auch Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 28 ff. 522 Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 376 ff.; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, Rz. 168; Röck, DZWIR 2012, 97, 102 f.; Geißler, DZWIR 2013, 395, 399 f., jeweils m.w.N.; Fischinger, S. 337 f.; für eine sekundäre Darlegungslast des Gesellschafters im Einzelfall auch Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 119. 523 Näher Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 348 ff. 524 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, ZInsO 2005, 311, 312 = ZIP 2005, 117, 118 = GmbHR 2005, 225 – BMW-Vertragshändler; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250, 251 = GmbHR 2005, 299 = WM 2005, 332 – Handelsvertreter; BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 263 f. = ZIP 2007, 1552, 1558 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 Rz. 44 – Trihotel; BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 14; BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 20; Lieder in Michalski u.a., Rz. 462 f.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 65; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 352; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 112; Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 479; Gehrlein, WM 2008, 761, 764; Strohn, ZInsO 2008, 706, 709; J. Vetter, BB 2007, 1965, 1968 f.; Schroeder, GmbHR 2007, 935; ausführlich zum Anspruchsgegner Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 606 ff.; Wahl, S. 135 ff.; knapper Kroh, S. 63 ff.

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§ 13 Rz. 157 | Juristische Person; Handelsgesellschaft Vermögensabzug an der Existenzvernichtung der Gesellschaft mitgewirkt haben525. Personen, bei denen die Übernahme der Gesellschafterstellung zum Zeitpunkt des zu beurteilenden Eingriffs nur vorbereitet, aber noch nicht vollzogen war, scheiden nach herkömmlichem Verständnis als unmittelbare Adressaten der Existenzvernichtungshaftung aus526. Der Geschäftsführer haftet, soweit er zugleich auch (Allein-)Gesellschafter ist527; daneben kommt eine (Mit-)Haftung nach §§ 826, 830 BGB und aus § 43 Abs. 2, 3 GmbHG sowie § 15b Abs. 5 InsO in Frage (s. Rz. 172). Auch sonstige Mittäter, Anstifter und Gehilfen können gemäß §§ 826, 830 BGB haften528. In der Literatur wird zudem weitergehend erwogen, das Rechtsinstitut der Existenzvernichtungshaftung über das Gesellschaftsrecht hinaus fruchtbar zu machen und folglich jeden planmäßigen Entzug des Vermögens einer insolvenzreifen Gesellschaft zum Nachteil der Gläubiger der Regelung des § 826 BGB zu unterwerfen, weil die Existenzvernichtungshaftung unausgesprochen auf dem bereits nach herkömmlichem Verständnis unter § 826 BGB zu subsumierenden Rechtsgedanken einer unlauteren Vermögensverschiebung beruhe529. 158 Gläubiger des Anspruchs ist nach der neueren Rechtsprechung die Gesellschaft530. In der In-

solvenz wird die Haftung durch den Insolvenzverwalter geltend gemacht531. Gleiches würde nach dem in der jüngeren Literatur wieder zunehmend vertretenen Alternativmodell gelten, das die dogmatische Basis der Innenhaftung in einer mitgliedschaftlichen Sonderverbindung zwischen Gesellschafter und Gesellschaft sieht (Rz. 121), jedoch nach hier vertretener und von der Rechtsprechung geteilter Ansicht als Grundlage für eine Haftung im Gläubigerinteresse dogmatisch nicht taugt (Rz. 125)532. 159 Der entscheidende praktische Nachteil sowohl des deliktischen wie auch des mitgliedschaft-

lichen Innenhaftungsmodells zeigt sich in den häufigen Fällen, in denen mangels Masse kein Insolvenzverfahren eröffnet wird (§ 26 InsO). Dann gibt es keinen Insolvenzverwalter, der den Anspruch durchsetzt533. Die Gläubiger sind – anders als nach dem früheren Modell der Durchgriffshaftung – auf den in der Praxis sehr umständlichen Umweg verwiesen, den

525 So – noch unter dem früheren Modell der Außenhaftung – BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = GmbHR 2002, 549 = ZIP 2002, 848 = NJW 2002, 1803 (Leitsatz 2) = WuB II C § 13 GmbHG 2.02 Bitter; s. auch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 350 f.; Geißler, DZWIR 2013, 395, 397 f. m.w.N.; Geißler, DZWIR 2019, 301, 308; ausführlich Wahl, S. 137 ff. 526 OLG München v. 20.5.2009 – 7 U 3724/08, ZIP 2010, 331; eine Teilnehmerhaftung ist jedoch möglich; gegen eine Anwendung von § 130 HGB (ab 1.1.2024 § 721a BGB n.F. und § 127 HGB n.F.) Wahl, S. 145 f. 527 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33; weitergehend Tröger/Dangelmeyer, ZGR 2011, 558 ff.: Eigenhaftung auch der Organe im Konzern. 528 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 20 m.w.N.; LAG Hamm v. 30.1.2015 – 10 Sa 828/14, ZIP 2015, 1392, 1394 = GmbHR 2015, 931; Blöse, GmbHR 2013, 533, 534: denkbar weiter Kreis der Haftungsadressaten; s. auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 624; kritisch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 355. 529 Gehrlein, DB 2016, 1177, 1183 m.w.N. 530 S. die Nachw. zum Konzept der Innenhaftung in Rz. 156; dazu Strohn, ZInsO 2008, 706, 709 f.; Gehrlein, WM 2008, 761, 762 bezeichnet dies als „deutlichste und erstaunlichste Kehrtwende“; ähnlich Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 42. 531 Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 367; Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 124; Strohn, ZInsO 2008, 706, 710; Bisle, DStR 2012, 1514 f. 532 Ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 304 ff.; zustimmend Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 441 f.; s. auch die Kritik bei Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 118 (anders sodann aber Rz. 119). 533 Geißler, GmbHR 2013, 1302, 1306; Geißler, DZWIR 2019, 301, 303; näher Geißler, DZWIR 2013, 395 ff.; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 441, 446; vor dem Urteil „Trihotel“ schon Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 487 f. m.w.N.; dem folgend Rubner, Der Konzern 2007, 635, 644 f.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 160 § 13

Anspruch der GmbH pfänden zu müssen534, was insbesondere nach der von Amts wegen erfolgenden Löschung der GmbH im Handelsregister (§ 394 FamFG; dazu 12. Aufl., § 60 Rz. 33 ff.) sehr schwer fällt535, namentlich in Fällen der sog. „GmbH-Bestattung“536. Zudem fehlt in der Rechtsprechung eine dogmatische Begründung dafür, warum ein durch das Verhalten der Gesellschafter sittenwidrig geschädigter Gläubiger nicht zumindest aus § 826 BGB unmittelbar auf den Schadensverursacher soll zugreifen können, wie dies außerhalb der Existenzvernichtungshaftung auch vom BGH anerkannt wird (Rz. 100 ff.). Der II. Zivilsenat des BGH ist nicht dazu berufen, eine zivilrechtliche Norm im Verhältnis bestimmter Personen – hier Gläubiger und Gesellschafter – für unanwendbar zu erklären und dies auch nur in einer speziellen Fallgruppe, der Existenzvernichtung (vgl. auch 13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 161)537. Erst recht gilt dies, wenn man die Existenzvernichtungshaftung ganz von ihrer gesellschaftsrechtlichen Basis lösen und zu einer allgemeinen Haftung für unlautere Vermögensverschiebungen fortentwickeln wollte (dazu Rz. 157 a.E.). Soweit die Vertreter der Innenhaftung teilweise auf ein Verfolgungsrecht der Gläubiger in 160 Analogie zu § 62 Abs. 2, § 93 Abs. 5, § 117 Abs. 5, § 309 Abs. 4 Satz 3, § 317 Abs. 4 AktG verweisen538, reichen sie den Gläubigern auch damit „Steine statt Brot“, weil jene Vorschriften aufgrund ihrer gesetzlichen Fehlkonstruktion auch in ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich praktisch bedeutungslos sind. Geht man davon aus, dass der Gläubiger nur einen Anspruch auf Leistung an die Gesellschaft hat539, wird kein Gläubiger auf eigene Prozesskosten den Schadensersatzbetrag einklagen, wenn dieser nur partiell ihm selbst und ganz überwiegend den anderen Gläubigern zugutekommt. Gibt man dem Gläubiger hingegen das Recht, Zahlung an sich zu verlangen540, kann der Schuldner dem Gläubiger immerhin noch

534 Mit Recht kritisch insoweit Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 116 f. und 163; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 46; Lieder in Michalski u.a., Rz. 392, 438; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 166, 169; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 33; Kleindiek, NZG 2008, 686, 689 m.w.N.; Schwab, ZIP 2008, 341, 347 f.; Thole, ZIP 2007, 1590, 1593; Habersack, ZGR 2008, 533, 548 m.w.N.; dem folgend Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 59; auch Gehrlein, WM 2008, 761, 766 spricht von einem „dornenreichen Umweg“ und befürwortet deshalb bei masseloser Insolvenz einen Direktanspruch der Gläubiger (ebenso Habersack, ZGR 2008, 533, 548; Kroh, S. 90 f.; Geißler, GmbHR 2013, 1302, 1307; Geißler, DZWIR 2013, 395 ff. mit Details der Anspruchsverfolgung; Geißler, DZWIR 2019, 301, 303; ähnlich Grigoleit, S. 455; dazu sogleich Rz. 160); insgesamt anders Strohn, ZInsO 2008, 706, 710, der den Umweg über die Pfändung für zumutbar hält; dem Innenhaftungsmodell des BGH zustimmend auch Altmeppen, Rz. 98; Altmeppen, ZIP 2008, 1201, 1204 f.; Paefgen, DB 2007, 1907; Fischinger, S. 332. 535 Darauf mit Recht hinweisend OLG Brandenburg v. 15.1.2009 – 5 U 170/06 juris-Rz. 75; Schwab, ZIP 2008, 341, 347 f.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 169; Details der Anspruchsverfolgung bei Geißler, DZWIR 2013, 395 ff. 536 Dazu Geißler, GmbHR 2013, 1302, 1306 f.; zur möglichen Existenzvernichtung durch Firmenbestattung LAG Hamm v. 30.1.2015 – 10 Sa 828/14, ZIP 2015, 1392, 1395 = GmbHR 2015, 931. 537 Mit Recht kritisch auch Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 46; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 154, 166 m.w.N.; Hönn, WM 2008, 769, 771 ff.; Guski, KTS 2010, 277 ff.; Schanze, NZG 2007, 681, 685; Stöber, ZIP 2013, 2295, 2300; Fischinger, S. 345 ff.; Geißler, DZWIR 2019, 301, 302 f. („Verstoß gegen das Regelwerk eherner Elementardogmatik“); ähnlich Kleindiek, NZG 2008, 686, 689; für eine – offenbar neben die Innenhaftung tretende – Außenhaftung auch Born, WM-Sonderbeilage 1/2013, S. 18; anders wohl Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 43 f. und 47, die von einer „teleologischen Reduktion der gesetzlichen Anspruchsgrundlage des § 826 BGB“ spricht, deren methodische Zulässigkeit aber nicht begründet. 538 Dafür – jeweils m.w.N. – Altmeppen, Rz. 109; Altmeppen, NJW 2007, 2657, 2660; Karsten Schmidt, GmbHR 2008, 449, 458; allgemein für alle gläubigerschützenden Innenansprüche Khonsari, S. 84 f.; a.A. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 166. 539 So die wohl h.M. zu § 62 Abs. 2 AktG; vgl. Koch, § 62 AktG Rz. 15 f. 540 So die wohl h.M. zu § 93 Abs. 5 AktG; vgl. Koch, § 93 AktG Rz. 170 f., 173.

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§ 13 Rz. 160 | Juristische Person; Handelsgesellschaft durch Leistung an die Gesellschaft den Anspruch aus der Hand schlagen541. Unklar ist zudem, welcher Gläubiger in welchem Umfang soll Befriedigung verlangen können, wenn der Schadensersatzbetrag nicht zur Befriedigung aller Gläubiger ausreicht542. Was der Gläubiger braucht und was ihn ggf. zur Durchsetzung der Haftung motiviert, ist ein eigener, vom Anspruch der Gesellschaft sowie von den anderen Gläubigern unabhängiger Zahlungsanspruch gegen den Gesellschafter und den gewährt ihm nur die Außenhaftung, insbesondere im Wege des Durchgriffs.

3. Tatbestandsvoraussetzungen 161 Der GmbH-Gesellschafter haftet persönlich, wenn er auf die Zweckbindung des Gesell-

schaftsvermögens keine Rücksicht nimmt und der Gesellschaft im Wege der „Selbstbedienung“ ohne angemessenen Ausgleich – offen oder verdeckt – Vermögenswerte entzieht, die sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten benötigt (betriebsfremder Eingriff)543. Gemeint ist das Vermögen im weiteren Sinne, also auch das, was – wie etwa bei Geschäftschancen, dem Abzug notwendigen Personals, der Verlagerung von Produktionen oder der Belastung von Gesellschaftsvermögen für fremde Schulden – bilanziell nicht in Erscheinung tritt und mithin keine Folgen nach §§ 30, 31 hat544. Der BGH spricht insoweit von „bilanzneutralen Vermögensabschöpfungen“545.

162 Um einen Eingriff handelt es sich auch bei der systematischen Verlagerung von Vermögen

auf eine Schwestergesellschaft im Konzern546, eine unabhängige Zweitgesellschaft oder einen sonstigen Dritten547. Zwar sind die Gesellschafter einer GmbH nicht verpflichtet, deren Geschäftsbetrieb im Interesse von Gesellschaftsgläubigern fortzusetzen. Sie können den Ge-

541 Dazu Koch, § 93 AktG Rz. 171, 173. 542 Insofern bleibt unerfindlich, wie Gehrlein, WM 2008, 761, 766 den bei masseloser Insolvenz ins Außenverhältnis gewendeten Anspruch auf den Schaden der Gesellschaft beschränken will, müsste für eine solche Begrenzung doch entschieden werden, welche Klage/n der vielen Gläubiger sich noch innerhalb dieses Schadens bewegt/bewegen und welche nicht mehr. 543 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 Rz. 18 – Trihotel; BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 20 m.w.N.; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019, 172 Rz. 30; LAG Hamm v. 30.1.2015 – 10 Sa 828/14, ZIP 2015, 1392, 1393 = GmbHR 2015, 931; dazu Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 545 f., 554 ff.; Röck, DZWIR 2012, 97, 98 ff.; Kroh, S. 65 ff.; auf den Nachteilsbegriff des § 317 AktG abstellend Leuschner in Habersack/ Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 322 ff.; mit guten Gründen kritisch zur Maßgeblichkeit des „Eingriffs“ Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 24 f., der stattdessen auf die Zweckänderung in Richtung (kalte) Liquidation abstellt (S. 21 ff.). 544 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 Rz. 24 – Trihotel; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 32; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 113; Altmeppen, Rz. 83; Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 114; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 322; Strohn, ZInsO 2008, 706, 708; Wahl, S. 103 ff., 107 ff.; s. zur Sicherheitenbestellung aber BGH v. 10.1.2017 – II ZR 94/15, ZIP 2017, 472 = AG 2017, 233; BGH v. 21.3.2017 – II ZR 93/16, ZIP 2017, 971 = GmbHR 2017, 643. 545 BGH v. 15.9.2014 – II ZR 442/13, GmbHR 2015, 644 Rz. 9; dazu auch Lieder in Michalski u.a., Rz. 446 ff. 546 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 23; für eine Außenhaftung aus § 826 BGB BGH v. 20.9.2004 – II ZR 302/02, ZIP 2004, 2138 = GmbHR 2004, 1528 (Leitsatz 1); Born, WM-Sonderbeilage 1/2013, S. 18. 547 Dazu, dass die Vermögensverlagerung nicht zugunsten des Gesellschafters erfolgen muss, s. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 567; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 330; Strohn, ZInsO 2008, 706, 708 f.; Beck, DStR 2012, 2135 f.; Kleindiek, GmbHR 2019, 179, 181; ferner BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019,

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schäftsbetrieb sogar mit dem Ziel der Weiterführung durch eine neu gegründete Gesellschaft einstellen548. Dabei müssen sie aber die für die Abwicklung der GmbH geltenden Regeln beachten, also die Gesellschaft liquidieren oder Insolvenz beantragen549, während die „Liquidation auf kaltem Wege“ unzulässig ist550. Dieses häufig anzutreffende Verhalten zeichnet sich dadurch aus, dass zugunsten der Gesellschafter in das Vermögen der Gesellschaft eingegriffen, letztere dadurch in die Insolvenz getrieben und in der Folge ein Schaden angerichtet wird, der über den reinen, nach §§ 30, 31 kompensierbaren Vermögensabzug hinausgeht. Der Grund für eine derartige Verfahrensweise liegt in dem persönlichen Vorteil der Gesellschafter: Der Vermögenstransfer in das Privatvermögen oder in das Vermögen einer von ihnen gehaltenen (neuen) Gesellschaft (GmbH-Stafette) kommt ihnen direkt zugute, während die Gläubiger der insolventen Gesellschaft auf ihrem Forderungsausfall sitzen bleiben551. Es erfolgt letztlich eine Trennung der Aktiva von den Passiva der Gesellschaft552, die zwar – als sog. „übertragende Sanierung“ – im Insolvenzverfahren möglich ist553, nicht aber im Vorfeld der Insolvenz zulasten der Gläubiger554. Nach dem Verständnis der Rechtsprechung setzt die Haftung wegen Existenzvernichtung im- 163 mer einen (kompensationslosen555) „Eingriff“ in das Gesellschaftsvermögen voraus556, der im Regelfall durch den Abfluss von Werten aus dem Gesellschaftsvermögen gekennzeichnet ist (vgl. die Einzelfälle Rz. 166)557, aber auch in einer Erhöhung der Verbindlichkeiten beste-

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172 Rz. 33, 37; umfassende Nachw. zum Streitstand bei Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 26 f. mit Stellungnahme S. 42 f. BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 = GmbHR 2012, 740 Rz. 17; dazu Bisle, DStR 2012, 1514; Beck, DStR 2012, 2135. BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181, 186 f. = NJW 2002, 3024, 3025 = ZIP 2002, 1578 = GmbHR 2002, 902 (Ziff. 2. der Gründe) – KBV; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, GmbHR 2005, 225 = ZIP 2005, 117 = WM 2005, 176 (Leitsatz 1) – BMW-Vertragshändler; BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 = GmbHR 2012, 740 Rz. 17. Ebenso Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 113; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 543; Lieder in Michalski u.a., Rz. 455; Windbichler, GesR, § 24 Rz. 37 a.E.; Fischinger, S. 328 f., 337; Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 477 und 488; Heeg/Manthey, GmbHR 2000, 798, 799; Schön, ZHR 168 (2004), 268, 286 ff.; Koch, S. 111 ff.; Grabmann, S. 147 f., 157 f., 166; Geißler, DZWIR 2019, 301, 305; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 16 ff.; grundlegend – auf anderer dogmatischer Basis – Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988, S. 202 ff.; dem folgend Henzler, S. 115 ff. m.w.N.; s. auch BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019, 172 Rz. 43 f. für eine Liquidation durch Verschmelzung; zurückhaltend Beck, DStR 2012, 2135, 2136 f. S. dazu auch Geißler, DZWIR 2019, 301, 306; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 17 f. Vgl. Bitter, WM 2004, 2190, 2196 f. Dazu ausführlich Bitter/Rauhut, NZI 2007, 197 ff. und 258 ff. Zutreffend Heeg/Manthey, GmbHR 2000, 798, 799 f.; zur GmbH-Stafette auch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 337 („Prototyp für einen existenzvernichtenden Eingriff“). Dazu Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 447 ff. m.w.N.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 323: mittelbare Auswirkungen sind auch zu berücksichtigen; insgesamt kritisch zu dieser Voraussetzung Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 39. BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204, 210 f. = ZIP 2008, 1232, 1234 = NJW 2008, 2437 = GmbHR 2008, 805 (Leitsatz 1 und Rz. 12) – Gamma; OLG Köln v. 7.2.2013 – 18 U 30/12, n.v. juris-Rz. 78; OLG Köln v. 25.2.2015 – 13 U 96/13, n.v. juris-Rz. 82; dazu auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 157 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 64; Lieder in Michalski u.a., Rz. 442 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 114; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 322 ff.; Wahl, S. 101 ff.; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 283 ff.; Gehrlein, WM 2008, 761, 762 f. bezeichnet dies als „Kardinalvoraussetzung“; mit Recht kritisch gegenüber dieser zu engen Tatbestandsvoraussetzung Zöllner in FS Konzen, S. 999, 1016 f.; Röck, S. 117 ff. Zutreffend Kleindiek, GmbHR 2019, 179, 181.

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§ 13 Rz. 163 | Juristische Person; Handelsgesellschaft hen kann558. Der Erforderlichkeit eines „Eingriffs“ ist nur insoweit zuzustimmen, als die Haftung sicher nicht allein an unternehmerische Fehlentscheidungen (Managementfehler) anknüpfen kann, die einen – auch zulasten der Gläubiger gehenden – Vermögensverlust zur Folge haben559. Wenn der BGH darüber hinaus aber die Ansicht vertreten hat, ein Unterlassen hinreichender Kapitalausstattung im Sinne einer „Unterkapitalisierung“ der GmbH (dazu Rz. 138 ff.) stehe dem Eingriff nicht gleich560, ist dem zu widersprechen561. Insbesondere kann aus der Beschränkung des GmbH-Gesetzes auf eine Regelung zum Mindestkapital kein Freibrief hergeleitet werden, nach Aufbringung dieses „Eintrittsgeldes“ frei zulasten der Gläubiger zu spekulieren (s. schon Rz. 145 f.)562. Daher ist in Übereinstimmung mit früheren, noch unter Geltung des Außenhaftungsmodells ergangenen Entscheidungen eine Haftung in solchen Fällen anzuerkennen, in denen ein risikoreiches Projekt auf eine TochterGmbH ausgelagert wird, wenn die Verluste im Fall des Fehlschlagens wegen Unterkapitalisierung der GmbH notwendig die Gläubiger treffen. Die hier vorliegende „einseitige Spekulation auf Kosten der Gläubiger“ ist nach ganz h.M. verboten563: Die Verwendung einer haf558 Dazu BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = GmbHR 2019, 172 m. zustimmender Anm. Kleindiek = ZIP 2019, 114 Rz. 27 ff.; Lieder/Bialluch, ZGR 2019, 760, 773 m.w.N.; a.A. vor dem BGH-Urteil C. Weiß, GmbHR 2017, 1017 ff. 559 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, WM 2005, 332 = ZIP 2005, 250 = GmbHR 2005, 299 (Leitsatz 1) – Handelsvertreter; BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019, 172 Rz. 30; OLG Köln v. 7.2.2013 – 18 U 30/12, n.v. juris-Rz. 78, 81; vgl. auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 67; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 37; Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 45; Gehrlein, WM 2008, 761, 762; Strohn, ZInsO 2008, 706, 708; Heeg/Manthey, GmbHR 2000, 798, 800; Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 476; Born, WM-Sonderbeilage 1/2013, S. 18; Geißler, DZWIR 2013, 395, 397 m.w.N.; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 449; Geißler, DZWIR 2019, 301, 305; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 39; Kroh, S. 83 f.; a.A. Burg, S. 169 ff., 256 f. (dazu Rz. 125). 560 BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204, 210 f. = ZIP 2008, 1232, 1234 = NJW 2008, 2437 = GmbHR 2008, 805 (Leitsatz 1 und Rz. 12) – Gamma; im Anschluss daran auch BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, BAGE 137, 203 = ZIP 2011, 1433 = AG 2011, 703 Rz. 35 f.; ebenso Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 343 f., 346; Wahl, S. 115 f.; Kroh, S. 84 f.; Schäfer/Fackler, NZG 2007, 377, 378; Weller, ZIP 2007, 1681, 1684; Osterloh-Konrad, ZHR 172 (2008), 274, 283 m.w.N.; s. auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 64, der aber in bestimmten Konstellationen gleichwohl eine deliktische (Außen-)Haftung befürwortet (Rz. 50 f.). 561 Wie hier auch Hangebrauck, S. 494 f.; Matschernus, S. 252 ff., 258 ff.; Halmer, S. 212; Geißler, DZWIR 2019, 301, 312; unklar nun Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158 f., der einerseits eine „zu geringe Kapitalausstattung“ für nicht haftungsrelevant erklärt, wohl aber die – sich daraus ja ergebende – „Überbürdung unvertretbarer Risiken“ auf die Gläubiger; allgemein nicht nur positives Tun, sondern auch Unterlassungen berücksichtigend Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 39 ff. m.w.N. zum Streitstand. 562 Dazu eingehend Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57 ff.; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 110 ff., 531 ff.; ein existenzvernichtender Eingriff fehlt allerdings, wenn das Verhalten des Gesellschafters bei einer Gesamtschau als Rettungsversuch zu werten ist (vgl. BGH v. 2.6.2008 – II ZR 104/07, GmbHR 2008, 929 = ZIP 2008, 1329). 563 BGH v. 13.12.1993 – II ZR 89/93, NJW 1994, 446, 447 = GmbHR 1994, 171 – EDV; BGH v. 31.1.2000 – II ZR 189/99, NJW 2000, 1571, 1572 = GmbHR 2000, 330; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 151; Lieder in Michalski u.a., Rz. 451 f.; Bitter, WM 2001, 2133, 2136 f.; Bitter, WM 2004, 2190, 2197 f.; Grüner, NZG 2000, 601, 602 f.; Hölzle, ZIP 2004, 1729, 1733; Raiser in FS Lutter, S. 637, 649; Röhricht in FS 50 Jahre BGH, Bd. 1, 2000, S. 83, 109 ff.; G.H. Roth, NZG 2003, 1081, 1082 f.; Wüst, JZ 1992, 710, 712; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 444; Geißler, DZWIR 2019, 301, 312 f.; Kleindiek, GmbHR 2019, 179, 181; Hangebrauck, S. 494 f.; Matschernus, S. 252 ff.; Halmer, S. 212; ähnlich Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 158 („Überbürdung unvertretbarer Risiken, übermäßig riskante Spekulationsgeschäfte“); Lutter in Lutter/Hommelhoff, 17. Aufl. 2009, Rz. 36 („Eingehung ganz unverhältnismäßiger Schulden und Risiken“; einschränkend Bayer in der 21. Aufl. 2022, Rz. 35); Koppensteiner/Gruber in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 5. Aufl. 2013, § 43 Rz. 72 („unzulässige Risikoverlagerung“); Hermann/Woedtke, BB 2012, 2255, 2257 („Eingehung unvertretbarer Risiken“); tendenziell auch Wiedemann in 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. II,

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tungsbeschränkten Rechtsform wie der GmbH impliziert zwar ganz allgemein die Übertragung eines gewissen, mit jeder Geschäftstätigkeit verbundenen Insolvenzrisikos auf die Gläubiger (Rz. 65 ff.)564, erlaubt aber nicht den Betrieb mit einer deutlich erhöhten Insolvenzwahrscheinlichkeit565. Zwischen der vom BGH als Fall der Existenzvernichtung anerkannten Unterkapitalisierung durch Übertragung von Schulden „en bloc“566 und jener bei Übertragung risikoreicher Projekte darf im Ergebnis nicht unterschieden werden, zumal sich beide Tatbestände nur graduell, nicht aber qualitativ unterscheiden567. Richtig ist daher allein, dass der Ansatzpunkt der Haftung unterschiedlich ist und man inso- 164 weit zwischen zwei Fallgruppen unterscheiden kann: (1) Existenzvernichtung durch Eingriffe und (2) Spekulation auf Kosten der Gläubiger wegen mangelnder Risikobeteiligung der Gesellschafter (zur Unterkapitalisierung Rz. 138 ff., insbesondere 145 f.)568. Die Rechtsfolge einer unmittelbaren Außenhaftung ist aber nach eingetretener Insolvenz die gleiche. Im Rahmen dieses – hier favorisierten – Außenhaftungskonzepts kann bei der zweiten Fallgruppe allerdings zwischen verschiedenen Gläubigergruppen unterschieden werden, je nachdem, ob sich der Gläubiger gegen derartige „Spekulationen“ absichern kann oder nicht569. Diese ökonomisch sinnvolle Differenzierung (Rz. 58, 65) ist bei einem Innenhaftungsmodell, das von einem einheitlichen Anspruch der GmbH ausgeht, nicht möglich570. Die im Ergebnis existenzvernichtende Maßnahme muss jeweils zur Insolvenz der Gesell- 165 schaft geführt haben, d.h. für die Insolvenz kausal gewesen sein oder diese zumindest ver-

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2000, S. 337, 363 ff. („Systemwidrige Risikoüberwälzung“); ferner Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 577, Schön, ZHR 168 (2004), 268, 288 ff. und Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 23, 37, 40 f., die aber die Unterkapitalisierung davon trennen wollen (bei Liebscher Rz. 574 f., bei Schön S. 290, bei Schirrmacher S. 41, 45); s. auch Ihrig, DStR 2007, 1170, 1173 und Grabmann, S. 183 ff. (Aschenputtelfälle); a.A. Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 314, 346 („systemkonform“); Weller/Discher in Bork/Schäfer, Rz. 48; differenzierend Wahl, S. 108 ff. (Durchgriffshaftung nein, § 826 BGB ja); s. auch Koch, S. 131 ff.; Kroh, S. 84 f. Haas, WM 2003, 1929 ff. spricht vom „normalen Risiko“ (S. 1930) in Abgrenzung zum „besonderen, systemwidrigen Gläubigerrisiko“ (S. 1931). Dazu Bitter, WM 2001, 2133, 2141; Bitter, WM 2004, 2190, 2197 f.; ausführlich Bitter in Bachmann/Casper/Schäfer/Veil, S. 57 ff., insbes. S. 81 ff.; in der Sache ähnlich Lehmann, ZGR 1986, 345, 362 f.; Matschernus, S. 256, 263; Geißler, DZWIR 2019, 301, 312 f.; a.A. wohl Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 497, wenn er ohne Begründung behauptet, dass auch jede hinreichend kapitalisierte GmbH „mit erheblicher Wahrscheinlichkeit“ scheitert. BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019, 172. Ähnlich Geißler, DZWIR 2019, 301, 314; Kleindiek, GmbHR 2019, 179, 181; ferner Geißler, DZWIR 2019, 301, 312 und Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 23, 37, 40 f. und insbes. S. 46 für den Vergleich zwischen Vermögensentzug und Übertragung völlig unvertretbarer Risiken; ausführlich und vergleichend zu den verschiedenen Aschenputtel-Konstellationen Grabmann, S. 127 ff., insbes. S. 170 ff. mit Ergebnis S. 194 f. Wie hier auch Halmer, S. 212 mit Hinweis auf Schön, ZHR 168 (2004), 268, 285-290; ebenso Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 46 (materielle Unterkapitalisierung als „Existenzvernichtung bei Gründung“), der jedoch merkwürdigerweise zugleich keine Pflicht zur angemessenen Kapitalisierung anerkennen will (S. 45; dagegen oben Rz. 145 ff.); offen gelassen bei LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 537. Dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 554 ff.; Bitter, WM 2001, 2133, 2140 f.; ähnlich Wagner in FS Gerhardt, S. 1043, 1057 f.; deutlich zwischen den beiden Fallgruppen differenzierend Wahl, S. 153 ff. m.w.N., insbes. S. 157 ff.; zur Möglichkeit der Eigensicherung vertraglicher Gläubiger (allerdings zu weitgehend) auch Wazlawik, NZI 2009, 291, 295; nur partiell zustimmend Lutter/Banerjea, ZGR 2003, 402, 431 f.; ablehnend Wilhelmi, DZWIR 2003, 45, 54. Dies einräumend Eckhold, S. 637 ff.; wenig praktikabel ist insoweit der auf die Bildung von Sondermassen hinauslaufende Vorschlag von Khonsari, S. 88 ff., der auch dogmatisch nicht zu einer Haftung wegen Fremdgeschäftsbesorgung (a.a.O., S. 71 ff.) passt.

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§ 13 Rz. 165 | Juristische Person; Handelsgesellschaft tieft, etwa eine schon bestehende Überschuldung vergrößert haben571. Der Anspruch besteht auch, wenn die Insolvenz erst während der Liquidation der Gesellschaft hervorgerufen oder vertieft wird572. Ob dem Kriterium der Kompensationslosigkeit des Eingriffs neben der Insolvenzverursachung eigenständige Bedeutung zukommt oder der fehlende Ausgleich für die entzogenen Vermögenswerte nur den typischen Fall der Insolvenzverursachung/-vertiefung beschreibt, erscheint bislang offen573.

4. Einzelfälle 166 Als existenzvernichtender Eingriff kommt nach der Rechtsprechung in Betracht574: (1) der

Entzug liquider Mittel in einen Konzern-Cashpool ohne Rücksichtnahme auf das Interesse der Tochtergesellschaft an der Aufrechterhaltung ihrer Fähigkeit, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen575, (2) die Vereinnahmung des Geschäfts der GmbH ohne Gegenleistung, etwa des „Beraterstamms“ (der Versuch reicht jedoch noch nicht)576, (3) die Übernahme sämtlicher Aktiva gegen Übernahme nur eines kleinen Teils der Verbindlichkeiten577, (4) die Übernahme des Kundenstamms/Betriebs ohne ausreichende Vergütung; Verlagerung von Geschäftschancen und Ressourcen auf eine andere Gesellschaft578, (5) die Veräußerung von

571 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 25 m.w.N.; LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 537 (Herbeiführung einer „Insolvenzlage“ nicht ausreichend, sofern noch abwendbar); Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 579 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 160; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 141 f.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 38; Gehrlein, WM 2008, 761, 763; Strohn, ZInsO 2008, 706, 709; Röck, DZWIR 2012, 97, 98 f.; Kroh, S. 72 ff.; ausführlich Wahl, S. 116 ff., 122 ff.; differenzierender Ansatz bei Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 325 ff., der für das Verbot der Existenzvernichtung in einer ex-ante-Perspektive auf die (qualifizierte) Eignung zur Insolvenzverursachung abstellt und sich insoweit an § 15b Abs. 5 InsO (früher § 64 Satz 3 GmbHG) anlehnt (Rz. 328), für die Haftung sodann aber einen kausalen Insolvenzausfallschaden verlangt (Rz. 359 f.); ähnlich auch Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 25 f. 572 BGH v. 9.2.2009 – II ZR 292/07, GmbHR 2009, 601 m. Anm. Podewils = ZInsO 2009, 878 = ZIP 2009, 802 = WM 2009, 800 Rz. 15 f., 37 ff. – Sanitary; OLG Celle v. 28.10.2009 – 9 U 125/06, GmbHR 2010, 87; dazu auch noch Rz. 176. 573 Die eigenständige Bedeutung der Kompensationslosigkeit mit guten Gründen verneinend Röck, DZWIR 2012, 97, 99 ff.; s. auch Lieder in Michalski u.a., Rz. 456; Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 447 ff.; Geißler, DZWIR 2019, 301, 307 f. 574 S. auch die Zusammenstellungen der Fallgruppen bei Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 72; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 336 ff.; Raiser in Ulmer/Habersack/Löbbe, Rz. 157 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 568 ff.; Heeg/Manthey, GmbHR 2008, 798 ff.; Geißler, DZWIR 2019, 301, 310 ff.; Koch, S. 123 ff., Gottschalk, S. 165 ff.; ausführlich Wahl, S. 184 ff.; Matschernus, S. 194 ff.; Kroh, S. 77 ff. 575 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10 = GmbHR 2001, 1036 = ZIP 2001, 1874 = NJW 2001, 3622 – Bremer Vulkan; dazu auch Koch, S. 123 ff.; Kroh, S. 77 ff. und ausführlich Hangebrauck, S. 484 ff., jeweils m.w.N.; ferner Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 339 f.; Geißler, GmbHR 2015, 734, 738; zurückhaltend für die Zeit nach dem MoMiG Theiselmann, GmbHR 2007, 904, 905 f. 576 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61 = GmbHR 2002, 549 = ZIP 2002, 848 = NJW 2002, 1803 = WuB II C § 13 GmbHG Bitter. 577 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = ZIP 2002, 1578 = GmbHR 2002, 902 = NJW 2002, 3024 – „KBV“. 578 BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, GmbHR 2005, 225 = ZIP 2005, 117 = WM 2005, 176 – BMWVertragshändler; LG Krefeld v. 23.1.2019 – 2 O 200/18 juris-Rz. 32 ff.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 341; Geißler, GmbHR 2015, 734, 738; Kroh, S. 81 ff.; a.A. in Bezug auf den Entzug von Geschäftschancen und -aktivitäten Wahl, S. 110 ff. m.w.N.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 166a § 13

Gesellschaftsvermögen unter dem Verkehrswert (nicht: Buchwert)579 oder im Gegenzug zur Übernahme von Darlehensschulden, die nach dem Gesellschafterdarlehensrecht (Anh. § 64) nachrangig sind580, (6) der Vermögensentzug unter Vereinbarung einer zunächst angemessenen Gegenleistung, die jedoch nachträglich auf ein unangemessenes Maß herabgesetzt wird581, (7) die Veräußerung von Vermögensgegenständen zu einem zwar angemessenen Kaufpreis, jedoch mit dem später vom Käufer (Gesellschafter) realisierten Plan, gegen die aus dem Kaufvertrag entstehende Forderung mit wertlosen Gegenforderungen aufzurechnen582, (8) die Umleitung von der Gesellschaft zustehenden Geldern an den Gesellschafter583, (9) der Entzug eines Warenlagers oder einer sonstigen Sicherheit mit der Folge einer Kreditkündigung durch die Bank als Sicherungsnehmerin584, (10) die Verwendung von Gesellschaftsvermögen zur Besicherung eines vom Geschäftsführer persönlich aufgenommenen, unter anderem durch eine Mithaft ihrer Alleingesellschafterin besicherten und der Gesellschaft nur partiell zugutekommenden Kredits585, (11) in Form der Insolvenzvertiefung auch die Zahlung einer zusätzlichen Vergütung für die Leitung der Gesellschaft in der Krise und die Entnahme dieser Vergütung586, (12) das Bewirken der rechtskräftigen Abweisung eines zugunsten der GmbH gegen den Alleingesellschafter-Geschäftsführer geführten Schadensersatzprozesses587 und (13) die Herbeiführung oder Vertiefung der Insolvenz durch Übertragung negativer Vermögenswerte im Wege der Verschmelzung eines insolvenzreifen übertragenden Rechtsträgers als Gestaltungsmittel für dessen liquidationslose Abwicklung588. Nicht ausreichend ist demgegenüber (1) die schlichte, unter §§ 30, 31 fallende offene oder 166a verdeckte Vermögensverlagerung589, ferner die Zahlung auf eine durch sog. „qualifizierten Rangrücktritt“590 gesperrte Forderung, weil es insoweit im Hinblick auf die Einzelausgleichs-

579 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 = GmbHR 2012, 740 Rz. 17 ff.; zur Übertragung auf eine Schwestergesellschaft im Konzern Rz. 162. 580 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 23; soweit Blöse, GmbHR 2013, 533, 534 demgegenüber die mangelnde wirtschaftliche Werthaltigkeit übernommener Schulden nicht ausreichen lassen will und dafür auf die Bilanzneutralität verweist, überzeugt das nicht (vgl. die Überlegungen von Bitter, KTS 2017, 256, 258 f. zur Nominalwertbetrachtung beim Debt Equity Swap sinngemäß). 581 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 – Trihotel. 582 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 21; zustimmend Böcker, DZWIR 2013, 86, 87. 583 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 26. 584 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 25. 585 OLG Köln v. 18.10.2016 – 18 U 93/15, ZInsO 2017, 1491 = juris-Rz. 51 ff. 586 BGH v. 13.12.2007 – IX ZR 116/06, ZInsO 2008, 276, 277 = ZIP 2008, 455 = GmbHR 2008, 322 Rz. 12. 587 BGH v. 9.2.2009 – II ZR 292/07, GmbHR 2009, 601 m. Anm. Podewils = ZInsO 2009, 878 = ZIP 2009, 802 = WM 2009, 800 – Sanitary; OLG Celle v. 28.10.2009 – 9 U 125/06, GmbHR 2010, 87; verallgemeinernd für die Unterlassung der Durchsetzung von Forderungen Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 338. 588 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = GmbHR 2019, 172 m. Anm. Kleindiek = ZIP 2019, 114 Rz. 27 ff.; zustimmend Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 342; für eine alternative Lösung (auch) über die Differenzhaftung Priester, ZIP 2019, 646 ff.; Lieder/Bialluch, ZGR 2019, 760, 763 ff. m.w.N.; umfassend die Dissertation von Grabmann; zur Bankrottstrafbarkeit Brand, ZIP 2019, 1993 ff., die zu einer Haftung gemäß § 823 Abs. 2 BGB führen kann (dazu 12. Aufl., § 64 Rz. 414 ff.). 589 BGH v. 15.9.2014 – II ZR 442/13, GmbHR 2015, 644 Rz. 9 m. Anm. Ulrich/Schlichting; dazu Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 450 f. 590 BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231 = ZIP 2015, 638 m. Anm. Bitter/Heim = GmbHR 2015, 472; dazu eingehend Bitter, ZHR 181 (2017), 428 ff. sowie 12. Aufl., Vor § 64 Rz. 92 ff. und 12. Aufl., Anh. § 64 Rz. 473.

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§ 13 Rz. 166a | Juristische Person; Handelsgesellschaft fähigkeit an einer Schutzlücke fehlt (Rz. 153)591, (2) die Einziehung von Forderungen der GmbH gegen Dritte auf ein eigenes Konto des Gesellschafters, wenn er mit diesen und weiteren eigenen Mitteln Verbindlichkeiten der Gesellschaft begleicht592, (3) die Sicherungsübertragung von Gesellschaftsvermögen, wenn dadurch die übliche Weiterbenutzung des Sicherungsgutes seitens der GmbH und damit auch die Betriebsfortführung nicht beeinträchtigt wird593, (4) die Überleitung von Miet-, Leasing- und Mitarbeiterverträgen auf eine vom Gesellschafter neu gegründete Gesellschaft, wenn dadurch die spätere Insolvenzschuldnerin sogar von Verbindlichkeiten entlastet wurde (vgl. zur GmbH-Stafette auch Rz. 162)594, (5) die bloße Schädigung des Gesellschaftsvermögens ohne Vermögenstransfer auf den Gesellschafter oder Dritte595.

5. Verschulden 167 Die Haftung wegen Existenzvernichtung setzt, wenn man sie mit der neueren BGH-Recht-

sprechung als Anwendungsfall des § 826 BGB ansieht, Verschulden im Sinne eines zumindest bedingten Vorsatzes voraus596. Dem Vorsatzerfordernis genügt es bereits, wenn dem Gesellschafter bekannt ist, dass der Gesellschaft ohne angemessenen Ausgleich und ohne Rücksicht auf die Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens Vermögenswerte entzogen werden. Ein Bewusstsein des Gesellschafters, dass sein Verhalten sittenwidrig ist, wird ebenso wenig gefordert wie die Absicht einer Schädigung der Gesellschaft oder ihrer Gläubiger597. Ein Verschulden liegt demnach vor, wenn die Erfüllung von Verbindlichkeiten durch die Gesellschaft dauerhaft beeinträchtigt wurde, dies voraussehbare Folge des Eingriffs war und der

591 Vgl. sinngemäß die noch zum alten Eigenkapitalersatzrecht ergangene Entscheidung BGH v. 15.9.2014 – II ZR 442/13, GmbHR 2015, 644 Rz. 9; Gehrlein, DB 2016, 1177, 1181; anders offenbar Seidel/Wolf, NZG 2016, 921, 925, die sogar die Befriedigung eines gewöhnlichen Gesellschafterdarlehens für haftungsrelevant erklären. 592 BGH v. 2.6.2008 – II ZR 104/07, GmbHR 2008, 929 = ZIP 2008, 1329 Rz. 10. 593 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246 = ZIP 2007, 1552 = GmbHR 2007, 927 Rz. 47 f. – Trihotel; dazu auch Brand, ZIP 2012, 1010, 1012; s. aber auch Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 113 und Kroh, S. 80 f. zu existenzvernichtenden Sicherheitenbestellungen. 594 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 = GmbHR 2012, 740 Rz. 19. 595 BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019, 172 Rz. 38 f. mit dem Hinweis, dass bei der reinen Schädigung aber der allgemeine Tatbestand des § 826 BGB in Betracht komme (dazu kritisch Lieder/Bialluch, ZGR 2019, 760, 774 f.); der Formulierung nach anders sodann Rz. 49 der Urteilsgründe, wo die Existenzvernichtung durch liquidationslose Abwicklung als Alternative zum Vermögenstransfer angeführt wird (dazu Wilhelmi, DZWIR 2019, 251, 258). Hier setzt der BGH aber wohl implizit voraus, dass auch diese liquidationslose Abwicklung dem Interesse der Gesellschafter dient (vgl. Kleindiek, GmbHR 2019, 179, 181; Lieder/Bialluch, ZGR 2019, 760, 775) und damit bei diesen ein (wirtschaftlicher) Vorteil entsteht (Heckschen, EWiR 2019, 101, 102). 596 Dazu BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 21; OLG Köln v. 18.10.2016 – 18 U 93/15, ZInsO 2017, 1491 = juris-Rz. 62 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 40; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 591 ff.; Weller, ZIP 2007, 1681, 1685 f.; Röck, S. 125 f.; Röck, DZWIR 2012, 97, 99; Kroh, S. 76 f.; Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 34 f.; differenzierend Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 331 ff., 362 (Vorsatz hinsichtlich des Eingriffs, nicht aber der Insolvenzverursachung); für eine allgemeine Beschränkung der Gesellschafterhaftung auf vorsätzliches Verhalten Steffek, JZ 2009, 77 ff.; für eine Fahrlässigkeitshaftung hingegen Zöllner in FS Konzen, S. 999, 1018; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 145 f. (Wertung aus § 64 Satz 3); kritisch zum Vorsatzerfordernis auch Geißler, DZWIR 2019, 301, 304. 597 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 21.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 169 § 13

Gesellschafter diese Folge in Erkenntnis ihres möglichen Eintritts billigend in Kauf genommen hat598. Stützt man das Haftungskonzept demgegenüber mit der im Urteil „KBV“599 eingenommenen, 168 bereits zuvor vom Verfasser vertretenen Position600 auf einen objektiv verstandenen Missbrauch der Haftungsbeschränkung601, der – wie allgemein in Fällen der Durchgriffshaftung – über eine teleologische Reduktion der haftungsbeschränkenden Norm des § 13 Abs. 2 zu einer unmittelbaren Außenhaftung gegenüber den Gläubigern führt (Rz. 126 f.), ist ein Verschulden nicht erforderlich602.

6. Haftungsumfang Der Schädiger schuldet nach dem Modell der Rechtsprechung als Schadensersatz grundsätz- 169 lich den Betrag, der erforderlich ist, um seinen zur Insolvenz führenden Eingriff auszugleichen603. Wären die Gläubiger auch ohne den existenzvernichtenden Eingriff partiell ausgefallen, muss der Gesellschafter die Masse nur soweit auffüllen, dass die Gläubiger jene Befriedigung erhalten können, die sie auch bei einem redlichen Verhalten des Gesellschafters erlangt hätten (sog. Quotenschaden)604. Lag der Fall hingegen so, dass die Gesellschaft zur Zeit des Eingriffs noch nicht überschuldet war, bildet derjenige Betrag die Obergrenze, den der Insolvenzverwalter zur Befriedigung aller Gläubiger und der Kosten des Insolvenzverfahrens benötigt605.

598 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 258 f. = ZIP 2007, 1552 = NJW 2007, 2689 = GmbHR 2007, 927 Rz. 30 – Trihotel; dazu auch Schanze, NZG 2007, 681, 684; J. Vetter, BB 2007, 1965, 1966 f.; Theiselmann, GmbHR 2007, 904, 906. 599 BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181 = ZIP 2002, 1578 = GmbHR 2002, 902 = NJW 2002, 3024 – KBV. 600 S. insbes. Bitter, Durchgriffshaftung, S. 67 ff., 490 ff.; Bitter, WM 2001, 2133 ff.; Bitter, WuB II C. § 13 GmbHG, 2.02 unter Ziff. 4.; im Anschluss an „KBV“ auch Bitter, WM 2004, 2190, 2195 ff.; zur seinerzeitigen Übernahme dieses Haftungskonzepts durch den BGH s. die Anm. Ulmer, JZ 2002, 1049 ff. (insbes. ab Ziff. II 1b). 601 Dafür auch Wahl, S. 82 ff.; Hangebrauck, S. 482 ff.; Gottschalk, S. 55 ff. 602 Ebenso Wahl, S. 134 f.; Geißler, DZWIR 2019, 301, 304; s. auch Lieder in FS Pannen, 2017, S. 439, 442; Lieder in Michalski u.a., Rz. 391 ff.; 459 a.E. 603 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 260 und 268 = ZIP 2007, 1552, 1556 und 1560 = GmbHR 2007, 927 Rz. 32 und 55 – Trihotel; BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 29; OLG Köln v. 18.10.2016 – 18 U 93/15, ZInsO 2017, 1491 = jurisRz. 68 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 118; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 364; näher Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 626 ff.; Röck, S. 129 ff.; Kroh, S. 86 ff. 604 Wagner in FS Canaris, Bd. II, S. 473, 483 f.; Strohn, ZInsO 2008, 706, 710, Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 32 ff., 43 (Differenz zwischen dem fiktiven Liquidationserlös und der tatsächlichen Vermögenslage der Gesellschaft); Gehrlein, WM 2008, 761, 762 spricht vom „tatsächlich bei der Gesellschaft eingetretenen Vermögensverlust“; s. auf der Basis des Außenhaftungsmodells auch BGH v. 13.12.2004 – II ZR 206/02, GmbHR 2005, 225 = ZIP 2005, 117 = NJW-RR 2005, 335 (Leitsatz 2) – BMW-Vertragshändler; ferner Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 365 im Anschluss an die Voraufl. von Casper („Quotenverschlechterungsschaden“); zustimmend Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 167; kritisch Röck, S. 139 ff. 605 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 268 f. = ZIP 2007, 1552, 1560 = GmbHR 2007, 927 Rz. 56 – Trihotel; BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 29 f.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 68 spricht von „Wiederherstellung der Schuldendeckungsfähigkeit“; kritisch Fischinger, S. 340 ff.

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§ 13 Rz. 170 | Juristische Person; Handelsgesellschaft 170 Gibt es Minderheitsgesellschafter in der GmbH, die mit dem existenzvernichtenden Verhal-

ten des Mehrheitsgesellschafters nicht einverstanden waren, sollen nach Ansicht von Gehrlein darüber hinaus auch diejenigen Aufwendungen zu ersetzen sein, die erforderlich sind, um aus der GmbH wieder eine werbende Gesellschaft zu machen606. Doch ergibt sich diese Rechtsfolge bei mehrgliedrigen Gesellschaften ohnehin schon aus einem dort eingreifenden Anspruch auf Schadensersatz wegen Treuepflichtverletzung (Rz. 54, 124)607, während die Haftungsfigur der Existenzvernichtung primär Gläubigerschädigungen im Blick hat.608 171 Geht man – wie hier vertreten – von einem Konzept der Durchgriffshaftung aus, haftet der

Gesellschafter unmittelbar persönlich für die (ganze) Forderung des Gläubigers (derzeit analog § 128 HGB und ab 1.1.2024 analog § 721 BGB n.F. und § 126 HGB n.F.; s. Rz. 126)609. Mit einem solchen Außenhaftungskonzept wird verhindert, dass sich zulasten der Gläubiger das von der Insolvenzverschleppungshaftung hinlänglich bekannte Phänomen wiederholt, dass ein Quotenverminderungsschaden (hier aufgrund des existenzvernichtenden Eingriffs) praktisch nicht einklagbar ist (vgl. zur Insolvenzverschleppung 12. Aufl., § 64 Rz. 314)610. Möglich ist – wie gesagt – aber eine Differenzierung nach Gläubigergruppen in Fällen der Spekulation auf Kosten der Gläubiger (Rz. 164)611.

7. Konkurrenzen a) Geschäftsführerhaftung 172 Der Geschäftsführer ist geradezu notwendigerweise in Fälle der Existenzvernichtung ver-

wickelt, da er den Eingriff in der Regel verwirklicht612. Er haftet dann mit dem Gesellschafter als Gesamtschuldner in erster Linie bereits aus § 43 Abs. 2 und 3 (dazu 12. Aufl., § 43 Rz. 377, 12. Aufl., § 64 Rz. 251)613, zumal ihn das Einverständnis des Gesellschafters in Fällen

606 So Gehrlein, WM 2008, 761, 765, a.A. Drescher, Die Haftung des GmbH-Geschäftsführers, 8. Aufl. 2019, Rz. 920, obwohl er sich auf Gehrlein, WM 2008, 761, 765, bezieht. 607 Zur insoweit fehlenden Schutzlücke Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 636 m.w.N. – Die Möglichkeit einer Haftung aus Sonderverbindung wird auch bei Gehrlein, WM 2008, 761, 767 f. betont. 608 Vgl. Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 282, 284. 609 Ausführlich in diesem Sinne Wahl, S. 146 ff.; dazu auch Dauner-Lieb, ZGR 2008, 34, 38 f.; Geißler, DZWIR 2019, 301, 309; kritisch Schirrmacher, ZGR 2021, 2, 8. 610 Darauf mit Recht hinweisend Schanze, NZG 2007, 681, 684; s. zum Quotenschaden bei der Insolvenzverschleppung Bitter, ZInsO 2018, 625, 648; Bitter, Beilage zu ZIP 22/2016, S. 6, 11; von Neuberger, ZIP 2018, 909 ff. wird deshalb für ein Schadensmodell in Anlehnung an das zur Beraterhaftung durch BGH v. 6.6.2013 – IX ZR 204/12, ZIP 2013, 1332 entwickelte Konzept plädiert, dessen Übernahme in diesem Kommentar für § 64 Satz 1 GmbHG a.F. bzw. nun § 15b Abs. 1, 4 InsO vorgeschlagen wird (vgl. dazu 12. Aufl., § 64 Rz. 103 mit Hinweis in Fn. 282). 611 S. zu einer (anders gelagerten) Möglichkeit der Gläubigerdifferenzierung speziell für den in BGH v. 6.11.2018 – II ZR 199/17, BGHZ 220, 179 = ZIP 2019, 114 = GmbHR 2019, 172 entschiedenen Verschmelzungsfall Kleindiek, GmbHR 2019, 179, 182. 612 Ähnlich jetzt Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 353. 613 BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 = GmbHR 2012, 740 Rz. 27 zu einem Fall der Personalunion; OLG Köln v. 18.10.2016 – 18 U 93/15, ZInsO 2017, 1491 = jurisRz. 66; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 353, 371; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 620; Strohn, ZHR 174 (2009), 589, 590 ff.; Tröger/Dangelmeyer, ZGR 2011, 558, 572 ff.; Geißler, DZWIR 2019, 301, 308; Kroh, S. 95 ff.

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der Existenzvernichtung nicht entlastet614. Daneben besteht – oft inhaltsgleich – ein Anspruch der GmbH aus dem durch das MoMiG neu eingeführten § 64 Satz 3 GmbHG (dazu 12. Aufl., § 64 Rz. 230 ff.)615, der zum 1.1.2021 inhaltsgleich in § 15b Abs. 5 InsO aufgegangen ist. Jene Norm soll nämlich nach dem Willen des Gesetzgebers einen Teilbereich der Existenzvernichtungshaftung regeln616. Es kommt aber auch eine Haftung als Anstifter oder Gehilfe nach §§ 826, 830 Abs. 2 BGB in Betracht617, nach teilweise vertretener Ansicht auch eine Eigenhaftung aus § 826 BGB618. Diese Deliktshaftung hat jedoch, soweit man sie in der Folge der „Trihotel“-Doktrin auch beim Geschäftsführer auf das Innenverhältnis zur Gesellschaft beschränkt, neben den bereits bei Fahrlässigkeit eingreifenden Tatbeständen des § 43 GmbHG und § 15b InsO keine praktische Bedeutung619. Lehnt man im Rahmen des § 826 BGB die Beschränkung auf das Innenverhältnis hingegen ab (Rz. 159), behält die Deliktshaftung ihren eigenständigen Wert. Das Verhältnis von § 826 BGB zu § 15b Abs. 1, 4 InsO (früher § 64 Satz 1 GmbHG) ist 173 noch nicht endgültig geklärt. Eine Haftung aus § 15b InsO kommt nur in Frage, wenn der nach § 826 BGB Haftende auch Geschäftsführer oder faktischer Geschäftsführer der Gesellschaft ist. Dann liegt aber eine Anspruchskonkurrenz nahe. Sieht man § 15b InsO entgegen der bislang h.M.620 als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB an, kommt ferner nach § 830 Abs. 2 BGB eine Haftung von Anstiftern und Gehilfen in Betracht, die aus der verbotenen Zahlung Nutzen ziehen621. Da die Existenzvernichtung oftmals zugleich den strafrechtlichen Tatbestand der Untreue 174 i.S.v. § 266 StGB erfüllen wird622, kommt auch eine Haftung des Geschäftsführers aus § 823 Abs. 2 BGB in Betracht623.

614 BGH v. 18.6.2013 – II ZR 86/11, ZIP 2013, 1712 = GmbHR 2013, 1044 Rz. 33 m.w.N.; BGH v. 9.12.2014 – II ZR 360/13, ZIP 2015, 322 = GmbHR 2015, 248 Rz. 15; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 353; Fastrich in FS Karsten Schmidt, Bd. I, 2019, S. 291, 305 f.; Kroh, S. 98 f. m.w.N. 615 Dazu BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31; Haas, NZG 2013, 41; Jost, ZInsO 2014, 2471; Bitter, ZInsO 2010, 1505, 1511 und insbes. 1519; Kroh, S. 101 ff.; ausführlich A. Weiß, S. 173 ff. 616 RegE MoMiG, BT-Drucks. 16/6140, S. 46; dazu auch BGH v. 9.10.2012 – II ZR 298/11, BGHZ 195, 42 = ZIP 2012, 2391 = GmbHR 2013, 31 Rz. 13; Brand, ZIP 2012, 1010. 617 Dazu OLG Köln v. 18.10.2016 – 18 U 93/15, ZInsO 2017, 1491 = juris-Rz. 50; ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 620 ff.; Sven H. Schneider, GmbHR 2011, 685 ff.; s. auch Strohn, ZInsO 2008, 706, 708; Kroh, S. 106 f.; ferner Weller/Discher in Bork/Schäfer, Rz. 54; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 112; Gehrlein, WM 2008, 761, 764, und Kölbl, BB 2009, 1194, 1198, die betonen, dass auch Banken, Berater und Geschäftspartner der GmbH über §§ 826, 830 BGB in die Haftung einbezogen sein können (s. aber auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 624). 618 OLG Köln v. 7.2.2013 – 18 U 30/12, n.v. juris-Rz. 69; Tröger/Dangelmeyer, ZGR 2011, 558 ff. für Konzernsachverhalte. 619 Vgl. auch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 353. 620 Nachw. bei Kroh, S. 37. 621 Dafür Gehrlein, DB 2016, 1177, 1183. 622 Dazu BGH v. 31.7.2009 – 2 StR 95/09, BGHSt 54, 52 = ZIP 2009, 1860 = GmbHR 2009, 1202 = NJW 2009, 3666 Rz. 23 ff.; BGH v. 28.5.2013 – 5 StR 551/11, ZIP 2013, 1382 = AG 2013, 640 Rz. 28 ff.; OLG Köln v. 7.2.2013 – 18 U 30/12, n.v. juris-Rz. 91 (dort verneint); Anders, NZWiSt 2017, 13 ff., der aber auch ein alternatives Konzept über § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorschlägt; a.A. Livonius, wistra 2009, 91: keine Vermögensbetreuungspflicht aus § 826 BGB ableitbar. 623 Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 371 m.w.N.; gegen den „Umweg“ über das Strafrecht Tröger/Dangelmeyer, ZGR 2011, 558, 579 f.

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§ 13 Rz. 175 | Juristische Person; Handelsgesellschaft b) Gesellschafterhaftung 175 Hat der Gesellschafter (oder Gesellschafter-Gesellschafter624) zugleich §§ 30, 31 verletzt, so

schließt das den Anspruch der Gesellschaft aus § 826 BGB nicht aus: beide Ansprüche bestehen nebeneinander625 mit je eigenständiger Verjährung626. Gleiches gilt, wenn man § 31 in den Fällen des § 15b Abs. 5 InsO (früher § 64 Satz 3 GmbHG) analog anwendet627. Ein Nebeneinander gibt es auch zwischen Existenzvernichtungshaftung und Insolvenzanfechtung (insbesondere aus § 133 InsO)628. Allerdings lässt eine erfolgreiche Anfechtung durch den Insolvenzverwalter den Schaden entfallen, so dass sich die Haftung des Gesellschafters aus § 826 BGB entsprechend verringert629.

8. Haftung während der Liquidation 176 Eine Innenhaftung aus § 826 BGB kommt nach Ansicht des BGH auch nach Auflösung der

Gesellschaft in Frage, wenn der als Liquidator fungierende Gesellschafter das noch vorhandene Kapital der Gesellschaft zu eigenen Gunsten entzieht630. In der Liquidationsphase ist es wegen des Kapitalerhaltungsgebots in der Liquidation auch nicht erforderlich, dass die Maßnahme insolvenzverursachend wirkt.

9. Verjährung 176a Ansprüche aus Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB verjähren nach den allgemei-

nen Vorschriften (§§ 195, 199 BGB) und nicht nach Sonderverjährungsvorschriften des GmbHG631. Da es sich nach der Rechtsprechung um einen eigenständigen Schadensersatzanspruch und nicht um eine akzessorische Durchgriffshaftung analog § 128 HGB (ab 1.1.2024 § 721 BGB n.F. und § 126 HGB n.F.) handelt (zur Verjährung in diesem Fall Rz. 151a), kann sich der in Anspruch genommene Gesellschafter nicht auf die Verjährung der Gesellschaftsverbindlichkeit(en) berufen632. Nach § 199 Abs. 1 BGB beginnt die regelmäßige Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (Nr. 1) und der Gläubiger – bei der Innenhaftung zumeist der für die GmbH handelnde Insolvenzverwalter633 – von den

624 Dazu BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 14, 31. 625 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 262 f. = ZIP 2007, 1552, 1557 f. = GmbHR 2007, 927 Rz. 38 ff. – Trihotel; BGH v. 23.4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96 = ZIP 2012, 1071 = GmbHR 2012, 740 Rz. 22; dazu auch Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 370; J. Vetter, BB 2007, 1965, 1968; Kroh, S. 88 f. 626 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 14 ff., 31. 627 Dafür Strohn, ZHR 173 (2009), 589, 594 f., jedoch zweifelhaft im Hinblick auf die klare gesetzliche Anordnung (nur) einer Geschäftsführerhaftung in § 15b Abs. 5 InsO (früher § 64 Satz 3 GmbHG). 628 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529; Gehrlein, DB 2016, 1177, 1183; zur umstrittenen Frage des gleichen Streitgegenstands Haas/Keller, NZI 2013, 503, 504. 629 Näher zur Konkurrenz zwischen Schadensersatz und Insolvenzanfechtung Henzler, S. 158 ff. 630 BGH v. 9.2.2009 – II ZR 292/07, GmbHR 2009, 601 m. Anm. Podewils = ZInsO 2009, 878 = ZIP 2009, 802 = WM 2009, 800 – Sanitary; s. auch OLG Celle v. 28.10.2009 – 9 U 125/06, GmbHR 2010, 87. 631 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 14 m.w.N.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 368; Kroh, S. 93 f. 632 Zur Außenhaftung aus § 826 BGB Schwab, GmbHR 2012, 1213, 1217 ff. 633 Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 369; Kroh, S. 93.

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den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (Nr. 2). In Bezug auf § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB dürfte das Tatbestandsmerkmal der Insolvenzverursachung (Rz. 165) nicht so zu verstehen sein, dass die Anspruchsentstehung die Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder die Abweisung mangels Masse voraussetzt634. Von einer Kenntnis oder grobfahrlässigen Unkenntnis i.S.v. § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB kann bei der Haftung eines Teilnehmers (Anstifters oder Gehilfen), etwa eines mittelbaren, den Eingriff steuernden Gesellschafter-Gesellschafters, nur ausgegangen werden, wenn sowohl die Umstände bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt sind, die in Bezug auf die Handlung des Haupttäters einen Ersatzanspruch begründen, als auch die Umstände, aus denen sich ergibt, dass auch der Teilnehmer als Haftender in Betracht kommt635. Generell nicht zugerechnet wird der durch die Existenzvernichtung geschädigten GmbH das Wissen der an der Schädigung mitwirkenden Geschäftsführer636. Teilweise wird behauptet, die Verjährung sei gemäß oder entsprechend § 204 Abs. 1 Nr. 10 176b BGB während des laufenden Insolvenzverfahrens gehemmt637. Doch bezieht sich jene Vorschrift nur auf die Anmeldung der Gläubigerforderung in der Insolvenz der GmbH, nicht auf den davon zu trennenden Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB gegen den (nicht insolventen) Gesellschafter. Richtig wäre die Erstreckung der Hemmung auf die Gesellschafter nur bei dem hier vertretenen Durchgriffsmodell (Rz. 152, 155 f., 159), weil es dann um eine akzessorische Haftung analog §§ 128, 129 HGB geht, bei der die Wirkungserstreckung anerkannt ist638.

XI. „Gesellschafterfreundlicher Durchgriff“ Schrifttum: Benne, Haftungsdurchgriff bei der GmbH, 1978, S. 198 ff.; Frank, Nochmals: Schadensersatzanspruch des GmbH-Alleingesellschafters bei einem Schaden der Gesellschaft, NJW 1974, 2313; Ganssmüller, Die Rechtsstellung des Gesellschafters in bezug auf Schaden, der am Vermögen der GmbH eintritt, GmbHR 1975, 193; Hüffer, Eigener Schaden des Alleingesellschafters, Drittschadensliquidation oder Vertrag mit Schutzwirkung bei Schädigung der Einmann-GmbH – BGHZ 61, 380, JuS 1976, 83; John, Gesellschafterfreundlicher Durchgriff, JZ 1979, 511; Kowalski, Der Ersatz von Gesellschafts- und Gesellschafterschaden, 1990; Lieb, Schadensersatzansprüche von Gesellschaftern bei Folgeschäden im Vermögen der Gesellschaft, in FS R. Fischer, 1979, S. 385; Rehbinder, Zehn Jahre Rechtsprechung zum Durchgriff im Gesellschaftsrecht, in FS R. Fischer, 1979, S. 579, 592 ff.; Karsten Schmidt, Wohin führt das Recht der Einmann-Gesellschaft?, GmbHR 1974, 178; Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 379 ff.

Unter dem unpassenden und die Sachlage vernebelnden Begriff des sog. „gesellschafter- 177 freundlichen Durchgriffs“ wird im Anschluss an zwei Entscheidungen des VI. Zivilsenats639

634 So aber wohl Haas/Keller, NZI 2013, 503, 504; wie hier Kroh, S. 93: Vorliegen eines Insolvenzgrundes als Anspruchsvoraussetzung; für eine Verjährungshemmung bis zur Insolvenzeröffnung oder deren Ablehnung Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 165. 635 BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, ZIP 2012, 1804 = GmbHR 2012, 1070 Rz. 15 m.w.N. 636 BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, ZIP 2013, 894 = GmbHR 2013, 529 Rz. 25; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 633 m.w.N.; Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 369; anders möglicherweise Kroh, S. 93. 637 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Anh. § 13 Rz. 634; Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Anh. § 77 Rz. 165. 638 Näher Bitter/Heim, GesR, § 6 Rz. 23 m.w.N. 639 BGH v. 13.11.1973 – VI ZR 53/72, BGHZ 61, 380 = NJW 1974, 134 = WM 1974, 16; BGH v. 8.2.1977 – VI ZR 249/74, NJW 1977, 1283 = MDR 1977, 568 = GmbHR 1977, 274.

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§ 13 Rz. 177 | Juristische Person; Handelsgesellschaft und ein Urteil des III. Zivilsenats des BGH640 eine schadensersatzrechtliche Frage umfassend diskutiert: Kann der Gesellschafter einer GmbH bei einer Rechtsguts- oder Vertragsverletzung bzw. einer sonstigen gegen ihn persönlich gerichteten rechtswidrigen Maßnahme von seinem Schädiger auch denjenigen Schaden ersetzt verlangen, der am Vermögen „seiner“ GmbH dadurch entsteht, dass dieser GmbH in Folge der Verletzung/Maßnahme Gewinne entgehen oder Verluste entstehen641. 178 Im ersten Fall aus dem Jahr 1973 stand ein GmbH-Gesellschafter in persönlicher Vertrags-

beziehung mit einem Anwalt, der in Verletzung seiner anwaltlichen Pflichten die Eintragung jenes Gesellschafters in die Schuldnerdatei nicht verhinderte. Daraufhin kündigte eine Bank einer GmbH, deren Geschäftsanteile der Gesellschafter zu 100 % hielt, den Kredit mit der Folge, dass der GmbH ein lukratives Baugeschäft entging642. Im zweiten Fall aus dem Jahr 1977 wurde der Alleingesellschafter einer Kapitalgesellschaft bei einem Skiunfall verletzt und dadurch arbeitsunfähig; da der Alleingesellschafter nicht zu bestimmten Auftraggebern der Gesellschaft ins Ausland reisen konnte, entging jener ein Geschäftsgewinn643. Im dritten Fall aus dem Jahr 1988 machte ein zu Unrecht in Untersuchungshaft genommener Alleingesellschafter in einer Klage nach dem Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen (StrEG) geltend, in dem seiner Gesellschaft gehörenden Haus, das zur Renovierung anstand, seien während seiner Haft mangels Beaufsichtigung Baumaterial und sonstige Gegenstände entwendet, ferner durch Brandstiftung und Wassereinbruch erhebliche Schäden angerichtet worden644. 179 In allen drei Entscheidungen sprach der BGH dem Gesellschafter den Ersatz des entgan-

genen Gewinns bzw. der eingetretenen Verluste zu. Er stützte sich dabei im ersten Urteil auf Durchgriffserwägungen645, die hier freilich – anders als bei der Durchgriffshaftung (Rz. 110 ff.) – zugunsten des Gesellschafters ausgingen (daher: gesellschafterfreundlicher Durchgriff). Im zweiten und dritten Urteil betont das Gericht demgegenüber, dem Gesellschafter werde derjenige Schaden ersetzt, der sich als Einbuße an seiner Gesellschaftsbeteiligung für ihn selbst ergebe. Dass der entgangene Gewinn bei der Gesellschaft nicht immer zwingend identisch sei mit dem entgangenen Gewinn beim Gesellschafter, sei unerheblich, weil jedenfalls der geschäftsführende Alleingesellschafter bei jeder Disposition über das Gesellschaftsvermögen zugleich in Bezug auf sein (Gesellschafter-)Vermögen entscheide; die Gesellschaft erscheine „in schadensrechtlicher Betrachtung praktisch … als ein in besonderer Form verwalteter Teil des Vermögens“646.

640 BGH v. 6.10.1988 – IIII ZR 143/87, ZIP 1989, 98 = NJW-RR 1989, 684; s. auch noch das Urteil BGH v. 15.11.1990 – III ZR 246/89, NJW-RR 1991, 551 = GmbHR 1991, 525, in dem die Klage jedoch schon wegen versagten Vorteilsausgleichs (dazu Rz. 181) erfolgreich war. 641 S. dazu die vor Rz. 177 angeführte Literatur; ferner Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48 ff.; Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 171; ausführlicher Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 132 ff.; umfassende Nachw. zum älteren Schrifttum bei Wilhelm, S. 382 in Fn. 336; rechtsvergleichend Mülhens, S. 74 ff. 642 BGH v. 13.11.1973 – VI ZR 53/72, BGHZ 61, 380 = NJW 1974, 134 = WM 1974, 16. 643 BGH v. 8.2.1977 – VI ZR 249/74, NJW 1977, 1283 = MDR 1977, 568 = GmbHR 1977, 274. 644 BGH v. 6.10.1988 – IIII ZR 143/87, ZIP 1989, 98 = NJW-RR 1989, 684. 645 BGH v. 13.11.1973 – VI ZR 53/72, BGHZ 61, 380 = NJW 1974, 134 = WM 1974, 16 unter Ziff. II. 2. b) der Gründe. 646 BGH v. 8.2.1977 – VI ZR 249/74, NJW 1977, 1283, 1284 = MDR 1977, 568 = GmbHR 1977, 274 unter Ziff. II. 3. b) und b) aa) der Gründe; dem folgend BGH v. 6.10.1988 – IIII ZR 143/87, ZIP 1989, 98 = NJW-RR 1989, 684 unter Ziff. I. 3. der Gründe; ähnlich auch BGH v. 15.11.1990 – III ZR 246/89, NJW-RR 1991, 551 = GmbHR 1991, 525 unter Ziff. II. 2. der Gründe; BGH v. 25.2.1999 – III ZR 53/98, NJW 1999, 1407 = MDR 1999, 693 unter Ziff. 5. der Gründe.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 182 § 13

Der Hinweis auf die wirtschaftliche Identität des Vermögens und die damit verbundenen 180 Durchgriffserwägungen sind in der Literatur auf Kritik gestoßen647. Stattdessen wird zumeist auf die Drittschadensliquidation648, teils auch auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter649 verwiesen. Ferner ist verschiedentlich vertreten worden, der Gesellschafter dürfte nicht Zahlung an sich, sondern – wie bei der Rechtsprechung des II. Zivilsenats zu den sog. Reflexschäden650 – nur Zahlung ins Gesellschaftsvermögen verlangen651. Diese Kritik überzeugt ganz überwiegend nicht, wie insbesondere Lieb näher dargelegt hat652. Richtig ist zwar, dass das Problem mit einer Vermögensidentität zwischen Gesellschaft und Gesellschafter und folglich auch mit dem Durchgriff nichts zu tun hat. Doch ändert dies an dem richtigen Ergebnis der Rechtsprechung, einem Schadensersatzanspruch des Gesellschafters auf Leistung in sein Privatvermögen, nichts. Soweit der Gesellschafter – in Fällen seiner Verletzung – trotz der Arbeitsunfähigkeit wei- 181 terhin Anspruch gegen die GmbH auf Leistung seiner Bezüge hat, ergibt sich der Schadensersatzanspruch – nicht anders als bei Verletzung eines Arbeitnehmers mit Anspruch auf Lohnfortzahlung – schon unter dem allgemeinen schadensrechtlichen Gesichtspunkt des versagten Vorteilsausgleichs653. Die Lohnfortzahlung wird normativ ausgeblendet und der Gesellschafter kann seinen Schaden in Höhe des gleichwohl gezahlten Gehalts ersetzt verlangen654. Allerdings kann der Dienstberechtigte – hier die GmbH – die Abtretung jenes Ersatzanspruchs vom Verletzten verlangen655. Unabhängig davon kann ein deliktisch oder im Rahmen einer Vertragsbeziehung geschädig- 182 ter Gesellschafter aber selbstverständlich vom Verletzer immer seinen ganzen – über den Verdienstausfall als Geschäftsführer hinausgehenden – Schaden ersetzt verlangen, also auch jenen, der sich aus der Verminderung des Wertes seiner Gesellschaftsbeteiligung ergibt656. Dass dieser Ersatz mit einer Drittschadensliquidation nichts zu tun hat657, jene These vielmehr

647 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 60 m.w.N.; Rehbinder in FS R. Fischer, S. 579, 592 ff.; Roll, NJW 1974, 492 f.; Frank, NJW 1974, 2313, 2314; Karsten Schmidt, GmbHR 1974, 178 ff.; Ganssmüller, GmbHR 1975, 193, 198; Hüffer, NJW 1977, 1285; Hüffer, JuS 1976, 83, 84 f.; Benne, S. 199 f. m.w.N.; ausführlich Wilhelm, S. 381 ff. 648 Roll, NJW 1974, 492 f.; Mann, NJW 1974, 492; Hüffer, NJW 1977, 1285; Hüffer, JuS 1976, 83, 86; Lutter in Lutter/Hommelhoff, 17. Aufl. 2009, Rz. 25; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 60; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 53; s. auch Kübler/Assmann, GesR, § 24 IV (S. 375). 649 Karsten Schmidt, GmbHR 1974, 178, 179; von „Überschneidung“ mit jenem Rechtsgedanken spricht Nirk in FS Stimpel, S. 443, 454; unklar Rehbinder in FS R. Fischer, S. 579, 593. 650 BGH v. 11.7.1988 – II ZR 243/87, BGHZ 105, 121, 130 f. = ZIP 1988, 1112, 1115 – Kerkerbachbahn; BGH v. 10.11.1986 – II ZR 140/85, NJW 1987, 1077, 1079 = MDR 1987, 384 = WM 1987, 13 = ZIP 1987, 29 unter Ziff. III. 1. b) der Gründe; dazu ausführlich Kowalski, passim. 651 Lutter in Lutter/Hommelhoff, 17. Aufl. 2009, Rz. 27; Kübler/Assmann, GesR, § 24 IV (S. 375); früher auch Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, Rz. 16 (anders ab der 22. Aufl.); mit anderer Begründung (Naturalrestitution i.S.v. § 249 Abs. 1 BGB) auch Frank, NJW 1974, 2313, 2315; Reuter in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2015, vor § 21 BGB Rz. 32; Benne, S. 202; dagegen zutreffend Wilhelm, S. 384; es geht um Geldersatz (vgl. § 249 Abs. 2 bzw. § 251 BGB). 652 Lieb in FS R. Fischer, S. 385 ff.; ferner John, JZ 1979, 511 ff.; s. auch Altmeppen, Rz. 155. 653 Dazu Grüneberg in Grüneberg, 81. Aufl. 2022, Vorb. v. § 249 BGB Rz. 87 m.w.N. 654 BGH v. 8.2.1977 – VI ZR 249/74, NJW 1977, 1283 = MDR 1977, 568 = GmbHR 1977, 274 m.w.N. unter Ziff. II. 1. der Gründe; BGH v. 15.11.1990 – III ZR 246/89, NJW-RR 1991, 551 = GmbHR 1991, 525 unter Ziff. II. 5. der Gründe; wie hier auch Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 134. 655 Insoweit zutreffend Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 171; s. auch Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 139, der diesen Anspruch inzwischen auch nicht mehr von einer Unterbilanz abhängig macht; a.A. wohl Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16 mit Fn. 70, wo die hiesige Ansicht als „a.A.“ bezeichnet wird. 656 Insoweit zutreffend schon Frank, NJW 1974, 2313, 2314. 657 Richtig schon Wilhelm, S. 384.

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§ 13 Rz. 182 | Juristische Person; Handelsgesellschaft unhaltbar ist658, zeigt sich insbesondere bei Gesellschaften mit mehreren Gesellschaftern. Der Schädiger hat hier keineswegs den (ganzen) bei der GmbH eingetretenen (Dritt-)Schaden zu ersetzen659, sondern nur den Schaden des von ihm verletzten Gesellschafters; dieser besteht in der Entwertung (allein) von dessen Geschäftsanteil660, unabhängig davon, wie hoch dieser ist661. Ein Fall (zufälliger) Schadensverlagerung liegt im Verhältnis zwischen Gesellschafter und Gesellschaft nicht vor und zwar weder bei mehrgliedrigen Gesellschaften noch bei der Einpersonen-GmbH662; insbesondere handelt der Gesellschafter als Privatmann in aller Regel nicht für Rechnung der Gesellschaft663 und übrigens auch nicht umgekehrt die Gesellschaft für Rechnung des Gesellschafters664. 183 Der auf den Anteil des konkret verletzten Gesellschafters beschränkte Schadensbetrag steht

im Grundsatz auch nur diesem Geschädigten und nicht seinen Mitgesellschaftern zu, weshalb die Zahlung in das Privatvermögen zu erbringen ist665. Soweit zur Begründung des gegenteiligen Ergebnisses in der Literatur (früher) auf die angeblich gleiche Rechtslage bei den sog. Reflexschäden666 sowie den Rechtsgedanken der § 117 Abs. 1 Satz 2, § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG verwiesen wurde/wird667, überzeugt das in dieser Allgemeinheit nicht668, vielmehr nur in solchen besonderen Fällen, in denen der Gesellschaft – wie in jenen Konstellationen – aufgrund desselben Schadensereignisses ebenfalls ein Schadensersatzanspruch gegen den Schädiger zusteht669. Ist dieser Anspruch der GmbH werthaltig, entfällt der parallele Anspruch des Gesellschafters übrigens schon deshalb, weil sich im Hinblick auf dieses Aktivum der Gesellschaft eine Entwertung der Gesellschaftsbeteiligung gar nicht feststellen lässt670. Einen parallelen Anspruch der GmbH gibt es jedoch bei einer deliktischen Schädigung des Alleingesellschafters (BGH-Fall Nr. 2: Skiunfall) nicht671, ferner auch nicht bei der

658 So wörtlich Lieb in FS R. Fischer, S. 385, 392. 659 So aber Kowalski, S. 169 ff. mit begrenzten Ausnahmen. 660 Zutreffend Lieb in FS R. Fischer, S. 385, 392 f.; Lieder in Michalski u.a., Rz. 480; ähnlich John, JZ 1979, 511, 514 f.; Ganssmüller, GmbHR 1975, 193, 196; s. auch Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 133 und 138; ebenso BGH v. 15.11.1990 – III ZR 246/89, NJW-RR 1991, 551 = GmbHR 1991, 525 unter Ziff. II. 3. der Gründe (für eine Beteiligung von 96 %); deutliche Trennung zwischen dem Eigenschaden des Gesellschafters und dem Schaden der Gesellschaft auch bei BGH v. 25.2.1999 – III ZR 53/98, NJW 1999, 1407 = MDR 1999, 693. 661 Zutreffend Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 138. 662 Zutreffend John, JZ 1979, 511, 514 f.; Wilhelm, S. 384; Benne, S. 201 m.w.N.; nur im gedanklichen Ansatz a.A. Rehbinder in FS R. Fischer, S. 579, 592 f.; auch im Ergebnis a.A. Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 39 Rz. 53. 663 Anders wohl Rehbinder in FS R. Fischer, S. 579, 592; s. zum „wirtschaftlichen Eigentum“ als Anknüpfungspunkt der Schadensersatzpflicht in den meisten Fällen der sog. Drittschadensliquidation Bitter, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, 2006, S. 369 ff. 664 Dazu Bitter, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, 2006, S. 430 f. 665 Zutreffend Lieb in FS R. Fischer, S. 385, 392 ff.; Wilhelm, S. 381 ff.; demgegenüber will der BGH v. 8.2.1977 – VI ZR 249/74, NJW 1977, 1283, 1284 = MDR 1977, 568 = GmbHR 1977, 274 unter Ziff. II. 3. c) der Gründe offenbar nur beim Alleingesellschafter einen Anspruch auf Leistung ins Privatvermögen anerkennen; dazu mit Recht kritisch Wilhelm, S. 383 f. 666 Auf diese Rechtsprechung (vgl. die Nachw. Rz. 180) hinweisend früher Fastrich in Baumbach/ Hueck, 21. Aufl. 2017, Rz. 16 („Entsprechendes gilt für sog. Reflexschäden“; anders jetzt Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 16); Lutter in Lutter/Hommelhoff, 17. Aufl. 2009, Rz. 27 („Rechtslage … nicht anders“); anders Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48 ff. 667 Pentz in Rowedder/Pentz, Rz. 171. 668 Wie hier auch Altmeppen, Rz. 155. 669 Im Ergebnis wie hier Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 137. 670 Zutreffend John, JZ 1979, 511, 515; s. auch Ganssmüller, GmbHR 1975, 193, 195 f. und 197. 671 John, JZ 1979, 511, 514.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 185 § 13

Entschädigung nach dem StrEG (BGH-Fall Nr. 3: Untersuchungshaft)672; bei einer vertraglichen Verbindung zwischen Schädiger und Gesellschafter (BGH-Fall Nr. 1: Anwaltsverschulden) muss im Einzelfall sorgfältig geprüft werden, ob die GmbH nach den engen Grundsätzen des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter673 in den Schutzbereich jenes mit dem Gesellschafter geschlossenen Vertrags einbezogen war674, nicht anders als dies im umgekehrten Fall ist, in dem der Gesellschafter in den Schutzbereich eines mit der GmbH geschlossenen Vertrags einbezogen werden soll675. Insgesamt zeigt sich, dass die ganze Problematik mit dem Durchgriff letztlich gar nichts zu 184 tun hat676, sondern der Gesellschafter schlicht auch den Schaden liquidiert, der in seiner Vermögensbeteiligung an der juristischen Person eingetreten ist. Dabei sollte man zur Schadensbemessung nicht auf umständliche Differenzberechnungen zwischen zwei verschiedenen Unternehmenswerten vor und nach dem schädigenden Ereignis677, sondern einfach darauf abstellen, dass bei einer florierenden, nicht überschuldeten Gesellschaft678 im Umfang des der Gesellschaft entgangenen Gewinns oder bei ihr eingetretenen Verlusts auch der Wert der Gesellschaftsbeteiligung(en) vermindert ist679. Diese Wertminderung ist sodann dem verletzten Gesellschafter in dem Umfang zu ersetzen, in dem er an der Gesellschaft beteiligt ist (Rz. 182). Allenfalls in solchen Fällen, in denen bei der GmbH durch das Schadensereignis das Stammkapital nicht mehr gedeckt ist680, mag man darüber nachdenken, ob der beim Gesellschafter eintretende Vermögenszufluss aus dem Schadensersatzbetrag im Interesse der Gläubiger durch einen Anspruch der GmbH analog §§ 30, 31 in jene umzulenken ist681.

XII. Umgekehrter Durchgriff Unter dem Stichwort des „umgekehrten Durchgriffs“ lässt sich die Frage stellen, ob – genau 185 gegenteilig zu den Fällen der Durchgriffshaftung (Rz. 110 ff.) – der Gläubiger eines GmbHGesellschafters auf das Vermögen der von diesem gehaltenen GmbH „durchgreifen“ kann. Dies ist in der älteren Rechtsprechung bei der Einpersonen-GmbH teilweise zugelassen, der GmbH insbesondere bei einer gegen den Alleingesellschafter gerichteten Pfändung die Drittwiderspruchsklage verweigert worden682. Dem ist der BGH jedoch erfreulich klar entgegengetreten, weil die Trennung der Vermögenssphären zwischen Gesellschaft und Gesellschafter

672 Deutlich BGH v. 6.10.1988 – IIII ZR 143/87, ZIP 1989, 98, 99 = NJW-RR 1989, 684 unter Ziff. I. 4. a) der Gründe. 673 Dazu allgemein Grüneberg in Grüneberg, 81. Aufl. 2022, § 328 BGB Rz. 13 ff. m.N. zur Rspr. 674 Dazu John, JZ 1979, 511, 515; Wilhelm, S. 385; Benne, S. 201; Hüffer, JuS 1976, 83, 87 f.; deutlich knapper Hüffer, NJW 1977, 1285. 675 Dazu BGH v. 2.12.1999 – IX ZR 415/98, ZIP 2000, 72 = GmbHR 2000, 131 = NJW 2000, 725. 676 Ähnlich Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 133. 677 So Hüffer, JuS 1976, 83, 84; s. auch John, JZ 1979, 511, 513 f. 678 Zu einer fast insolvenzreifen GmbH s. Wilhelm, S. 385 f. 679 Näher Lieb in FS R. Fischer, S. 385, 388 ff., dort auch zur Berücksichtigung von Steuerlasten; dazu auch BGH v. 15.11.1990 – III ZR 246/89, NJW-RR 1991, 551 = GmbHR 1991, 525 unter Ziff. II.6. der Gründe; Ganssmüller, GmbHR 1975, 193, 195 ff. 680 Auf diese Fälle hinweisend Karsten Schmidt, GmbHR 1974, 178, 180; zum Gläubigerinteresse auch Ganssmüller, GmbHR 1975, 193, 198. 681 Auch dies mit beachtlichen Gründen ablehnend John, JZ 1979, 511, 514; ferner Lieb in FS R. Fischer, S. 385, 393 ff., der bei seinen Überlegungen allerdings übersieht, dass auch in allen anderen Fällen der Rückgewähr nach §§ 30, 31 dafür unter mehreren Gesellschaftern ein Ausgleich herbeigeführt werden muss. 682 S. z.B. OLG Hamm v. 10.11.1976 – 8 U 218/76, GmbHR 1978, 13 = NJW 1977, 1159; rechtsvergleichend Drobnig, Haftungsdurchgriff bei Kapitalgesellschaften, 1959, S. 68 ff.

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§ 13 Rz. 185 | Juristische Person; Handelsgesellschaft im Grundsatz in beiderlei Richtung gilt683. Der Gläubiger kann aber natürlich den GmbHAnteil pfänden, weil dieser zum Vermögen des Gesellschafters gehört684. 186 Der Grundsatz der vollstreckungsrechtlichen Trennung gilt allerdings nicht ausnahmslos.

Ebenso wie dem Gesellschafter im Einzelfall bei einer unklaren Vermögenszuordnung die Drittwiderspruchsklage bei einer gegen die GmbH gerichteten Vollstreckung versagt sein kann (Rz. 135), gilt dies im umgekehrten Fall. Die bloße Missbrauchsmöglichkeit reicht aber nicht aus685. 187 Die an früherer Stelle angeführten Fragen des Zurechnungsdurchgriffs, bei denen es um Ver-

trags- oder Normauslegung im Einzelfall geht (Rz. 71, 75 ff.), stellen sich auch in umgekehrter Richtung (vgl. insbesondere Rz. 81 ff. zum Wettbewerbsverbot)686. Insoweit mag man von einem „umgekehrten Zurechnungsdurchgriff“ sprechen.

XIII. Berechnungsdurchgriff im Arbeitsrecht Schrifttum: Bürgel, Berechnungs- und Haftungsdurchgriff im Konzern bei erzwungenem Sozialplan, 2015; Franzen/Wutte, Betriebsrentenanpassung: Berechnungsdurchgriff im faktischen Konzern nach geltendem Konzernhaftungsrecht, in FS Windbichler, 2020, S. 215; Hegtmeier, Sozialplandotierung im Konzern außerhalb und innerhalb des Insolvenzverfahrens, 2013; Heikel, Betriebsrentenanpassung und Berechnungsdurchgriff, 2014; Kaindl/Nickel, Durchgriff oder kein Durchgriff, das ist hier die Frage, BB 2021, 2868; Löwisch, Haftungsdurchgriff und Berechnungsdurchgriff bei Sozialplänen, ZIP 2015, 209; Ludwig/Hinze, Der Sozialplan in der Restrukturierung – Allgemeine Grundsätze und „Berechnungsdurchgriff“, NZA 2020, 1657; Matthießen, Die Kontrolle der Ermessensentscheidung nach § 16 BetrAVG im Konzern, DB 2017, 2417; Schäfer, Betriebsrentenanpassung im Konzern aus gesellschaftsrechtlicher Sicht, ZIP 2010, 2025; Schäfer, Neues zum Berechnungsdurchgriff im Betriebsrentenrecht, ZIP 2016, 2245; Schubert, Berechnungsdurchgriff bei der Dotierung von Sozialplänen und der Anpassung von Betriebsrenten – Arbeitsrecht in den Grenzen des Gesellschaftsrechts, in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441; Tholuck, Sozialplandotierung durch die Einigungsstelle bei verbundenen Unternehmen, 2014; Wutte, Betriebsrentenanpassung im Konzern: Berechnungsdurchgriff und Rentnergesellschaft, 2016; Wutte, Bemessungsdurchgriff bei der Sozialplandotierung im Konzern, ZfA 2016, 261.

188 Anders als beim Haftungsdurchgriff geht es beim arbeitsrechtlichen Berechnungsdurch-

griff687, dessen Wurzeln schon in der BAG-Rechtsprechung der 1980er Jahre gelegt wurden688, nicht um eine Direkthaftung des Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft689. Gleichwohl ergibt sich wirtschaftlich ein ähnliches Ergebnis, weil in einem ersten Schritt die Vermögenslage des Gesellschafters bei der Bemessung eines Anspruchs gegen die

683 BGH v. 16.10.2003 – IX ZR 55/02, BGHZ 156, 310 = GmbHR 2004, 57 = ZIP 2003, 2247 = NJW 2004, 217; zuvor schon KG v. 13.1.2002 – 24 W 311/02, GmbHR 2003, 775 = InVo 2003, 404; ebenso Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 145; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 56; Lieder in Michalski u.a., Rz. 479; s. auch schon Wiedemann, GesR I, § 4 III 1d (S. 228) mit Hinweis auf die gegenteilige BGH-Rechtsprechung zu den Aufrechnungsfragen bei Reichskriegsgesellschaften; dort werden allerdings Durchgriffs- mit Treuhandfragen vermischt (vgl. Bitter, Rechtsträgerschaft für fremde Rechnung, 2006, S. 430 ff.). 684 Saenger in Saenger/Inhester, Rz. 146; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47. 685 Zutreffend KG v. 13.1.2002 – 24 W 311/02, GmbHR 2003, 775 = InVo 2003, 404 f. 686 S. auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 54 ff. mit weiteren Beispielen. 687 Wutte, ZfA 2016, 261 ff. spricht für die Sozialplandotierung von „Bemessungsdurchgriff“. 688 Ausführlich zur Historie Wutte, S. 11 ff.; Heikel, S. 201 ff.; knapper Überblick bei Matthießen, DB 2017, 2417, 2418 ff. 689 Deutlich BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, BAGE 144, 180 = ZIP 2013, 1041 = GmbHR 2013, 747 = AG 2013, 524 Rz. 31: Der Berechnungsdurchgriff ändert nichts an der Schuldnerstellung.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 191 § 13

Gesellschaft berücksichtigt wird, die sodann im zweiten Schritt für diese höhere Belastung beim Gesellschafter Regress nimmt (Rz. 74a). Jener insbesondere von der arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung für die Anpassung von Betriebsrenten sowie die Dotierung von Sozialplänen entwickelte Berechnungsdurchgriff ist daher parallel zur Durchgriffsdiskussion, insbesondere zum sog. qualifiziert faktischen Konzern (Rz. 150 ff.), verlaufen und hierdurch stark beeinflusst worden (Rz. 191 ff.). Ausgangspunkt der arbeitsrechtlichen Diskussion sind zwei Vorschriften, in denen jeweils 189 auf die Vermögenslage des Arbeitgebers für die Bemessung von Ansprüchen der Arbeitnehmer abgestellt wird. Kommt in Fällen einer Betriebsänderung i.S.v. § 111 BetrVG – etwa einer Einschränkung, Stilllegung oder Verlegung des Betriebs – keine Einigung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat über den Interessenausgleich zustande, entscheidet gemäß § 112 Abs. 4 BetrVG notfalls die Einigungsstelle über die Aufstellung eines Sozialplans. Gemäß § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG hat sie bei ihrer Entscheidung sowohl die sozialen Belange der betroffenen Arbeitnehmer zu berücksichtigen als auch auf die wirtschaftliche Vertretbarkeit ihrer Entscheidung für das Unternehmen zu achten690. Eine ähnliche, an die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers anknüpfende Vorschrift findet sich für die Anpassung der Betriebsrenten in § 16 Abs. 1 BetrAVG691. Danach hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden; dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Bei der Auslegung beider Vorschriften stellt sich die die Haftungsbegrenzung des § 13 Abs. 2 berührende Frage, ob es allein auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit jener (Tochter-)Gesellschaft ankommt, mit der das Arbeitsverhältnis besteht, oder auch die Leistungsfähigkeit des Gesellschafters (der Muttergesellschaft) zu berücksichtigen ist und ggf. unter welchen Voraussetzungen692. Da es insoweit um die Berücksichtigung der Gesellschafterbeziehung im Rahmen der Geset- 190 zesauslegung geht693, besteht eine Nähe zum Zurechnungsdurchgriff (dazu Rz. 71, 75). Zugleich sind aber die wirtschaftlichen Konsequenzen denen des Haftungsdurchgriffs vergleichbar (soeben Rz. 188)694. Der Berechnungsdurchgriff ist daher ein gutes Beispiel für die bereits herausgestellte Unmöglichkeit einer scharfen Grenzziehung zwischen beiden Ansätzen (Rz. 70). Die insoweit im Arbeitsrecht umfassend geführte Debatte695 kann hier nur in den Grundzügen dargestellt werden: Die (jüngere) Rechtsprechung des BAG hat einen Berechnungsdurchgriff immer nur dann in 191 Betracht gezogen, wenn sich die durch den Sozialplan oder die Rentenanpassung belastete Tochtergesellschaft durch einen Rückgriff auf die Konzernobergesellschaft refinanzieren konnte, weil die Zusatzkosten anderenfalls aus der Substanz der Tochtergesellschaft zu zahlen wären, so zu deren Insolvenz und damit zur Vernichtung der Arbeitsplätze führen könn-

690 Dazu eingehend Hegtmeier, S. 53 ff. 691 Dazu einführend Schäfer, ZIP 2010, 2025 f.; Schäfer, ZIP 2016, 2245 f.; Matthießen, DB 2017, 2417 ff.; Wutte, S. 4 ff.; ausführlich Heikel, S. 25 ff. 692 Wutte, S. 214 spricht insoweit von „punktueller Durchbrechung des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips“; ähnlich LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 535. 693 Ausführlich Wutte, S. 75 ff. (zu § 16 Abs. 1 BetrAVG); Hegtmeier, S. 74 ff. (zu § 112 Abs. 5 BetrVG). 694 Ähnlich Franzen/Wutte in FS Windbichler, 2020, S. 215, 226, die von einer Durchbrechung des gesellschaftsrechtlichen Trennungsprinzips durch die Zurechnung fremder Ertragslage sprechen. 695 S. – jeweils m.w.N. – die vor Rz. 188 zitierte Literatur.

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§ 13 Rz. 191 | Juristische Person; Handelsgesellschaft ten696. Durch jenes Erfordernis der Rückgriffsmöglichkeit entstand die konstruktive Abhängigkeit des Berechnungsdurchgriffs von den Haftungs-/Durchgriffsfragen697: 192 Im Grundsatz wird nur im Vertragskonzern die haftungsrechtliche Trennung über den Ver-

lustausgleichsanspruch aus § 302 AktG – bei der GmbH nach h.M. in analoger Anwendung (13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 246 ff., 291 f.)698 – überwunden, weshalb sich der Berechnungsdurchgriff im Grundsatz auf jenen Fall beschränkt699. Ein formnichtiger, aber faktisch durchgeführter Beherrschungsvertrag soll reichen700. Umstritten ist allerdings seit jeher eine Grundsatzfrage701: Ist der Berechnungsdurchgriff allein schon wegen der Vertragskonzernverbindung begründet702 oder ist zusätzlich erforderlich, dass die Konzernobergesellschaft keine angemessene Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft genommen, also deren Vermögenssubstanz ausgezehrt hat703? Der 3. Senat des BAG hat in Bezug auf die Betriebsrentenanpassung gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG insoweit zunächst geschwankt704, sich sodann aber mit dem in der Literatur als „dogmatischer Donnerschlag“ bezeichneten705 Urteil vom 10.3.2015 im Grundsatz für den letztgenannten Standpunkt entschieden; dabei hat er freilich dem Arbeitgeber aufgegeben, im Einzelnen substantiiert und unter Benennung der Beweismittel nachvollziehbar darzulegen, dass sich die im Beherrschungsvertrag angelegte Gefahrenlage nicht verwirklicht oder seine wirtschaftliche Lage nicht in einem für die Betriebsrentenanpassung maßgeblichen Umfang verschlechtert hat706. Dem hat sich im Jahr 2016 der II. Zivilsenat des BGH angeschlossen707. Lehnt man jene neue Linie der Rechtsprechung nicht wegen des kaum zu erbringenden substantiierten Vortrags über Negativtatsachen ab708, dürfte sie wegen der Parallelität der Problemstellung auch für die Sozialplandotie-

696 Dazu Wutte, S. 28, 30, 214 und Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441 mit Hinweis auf BAG v. 26.10.2010 – 3 AZR 502/08, ZIP 2011, 171 = AP Nr. 71 zu § 16 BetrAVG Rz. 60; s. auch BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, BAGE 144, 180 = ZIP 2013, 1041 = GmbHR 2013, 747 = AG 2013, 524 Rz. 31; BAG v. 15.9.2015 – 3 AZR 839/13, BAGE 152, 285 = ZIP 2016, 135 = MDR 2016, 282 Rz. 43; ferner Heikel, S. 266 f.; Franzen/Wutte in FS Windbichler, 2020, S. 215 f.; Kaindl/Nickel, BB 2021, 2868, 2870 ff.; vgl. auch LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 535. 697 Dazu auch Wutte, S. 30 (Änderungen bei der Durchgriffshaftung als „Motor für Weiterentwicklungen des Berechnungsdurchgriffs“); Löwisch, ZIP 2015, 209 ff. 698 S. aus der arbeitsgerichtlichen Rspr. etwa BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, BAGE 137, 203 = ZIP 2011, 1433 = AG 2011, 703 Rz. 38; kritisch zur Übertragung des aktienrechtlichen Konzepts auf andere Gesellschaftsformen aber Bitter, ZIP 2001, 265 ff.; ausführlich Bitter, Durchgriffshaftung, S. 323 ff., 386 ff. 699 Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441 ff.; Schäfer, ZIP 2016, 2245 ff.; kritisch Franzen/Wutte in FS Windbichler, 2020, S. 215, 216 ff. 700 LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 563. 701 Dazu eingehend Wutte, S. 42 ff. 702 In diesem Sinne Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 446 und 453 f. m.w.N.; deutlich a.A. LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 536 (Sozialplan): Nach § 302 Abs. 1 AktG seien Verluste auszugleichen, nicht aber Mittel bereitzustellen, die den Verlust erhöhen. 703 In diesem Sinne Schäfer, ZIP 2010, 2025, 2026 ff. m.w.N.; Schäfer, ZIP 2016, 2245, 2246 ff. mit Bezug auf Zöllner, AG 1994, 285, 294 und m.w.N. 704 Vgl. die Nachw. bei Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 454; Franzen/Wutte in FS Windbichler, 2020, S. 215, 216; s. auch Matthießen, DB 2017, 2417, 2419. 705 Wutte, S. 35. 706 BAG v. 10.3.2015 – 3 AZR 739/13, BAGE 151, 94 = ZIP 2015, 1137 = GmbHR 2015, 696; dazu Kaindl/Nickel, BB 2021, 2868, 2871 f. 707 BGH v. 27.9.2016 – II ZR 57/15, ZIP 2016, 2238 = GmbHR 2016, 1263. 708 Wutte, S. 133 f. mit berechtigtem Hinweis auf die vom BGH aufgegebenen Vermutungsregeln des früheren „Video“-Urteils (dazu Bitter, Durchgriffshaftung, S. 448 ff.); zustimmend Schäfer, ZIP 2016, 2245, 2247.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 193 § 13

rung gemäß § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG zu übernehmen sein709, wie es das LAG Berlin-Brandenburg bereits entschieden hat710. Besonders umstritten ist der Berechnungsdurchgriff in beiden Fällen bei Beendigung des Vertragskonzerns711. Ein isolierter Gewinnabführungsvertrag soll hingegen nicht als Grundlage für einen Be- 192a rechnungsdurchgriff ausreichen, weil er weder mit einer tatsächlichen Beherrschung noch mit dem Recht und der Möglichkeit zur nachteiligen Einflussnahme auf den Versorgungsschuldner verbunden ist712. Früher hatte der 3. Senat des BAG im Anschluss an die Rechtsprechung des II. Zivilsenats 193 des BGH zum sog. qualifiziert faktischen Konzern wegen der dort befürworteten Analogie zu § 302 AktG (Rz. 150, 154) auch insoweit einen Berechnungsdurchgriff im Rahmen des § 16 Abs. 1 BetrAVG zugelassen713. Jenes Konzept hat er dann aber später im Anschluss an den im Urteil „Trihotel“ vom II. Zivilsenat des BGH vollzogenen Wechsel zur Existenzvernichtungshaftung gemäß § 826 BGB (Rz. 156 ff.) wieder aufgegeben714. Der Anspruch der Tochtergesellschaft aus § 826 BGB könnte zwar theoretisch – ebenso wie sonstige (Ausgleichs)Ansprüche715 – bei der Bestimmung ihrer Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden716; da die Existenzvernichtungshaftung aber die Verursachung der Insolvenz voraussetzt (Rz. 165)717, kommt eine Betriebsrentenanpassung i.d.R. nicht mehr in Betracht718. Allein die gesell-

709 Zur Parallelität Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 446 m.w.N. in Fn. 23; Wutte, ZfA 2016, 261, 281 f.; Ludwig/Hinze, NZA 2020, 1657, 1661; a.A. Kaindl/Nickel, BB 2021, 2868, 2871. 710 LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 538 f. 711 Dazu Schäfer, ZIP 2010, 2025, 2027 ff.; Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 447 und 456 ff.; Kaindl/Nickel, BB 2021, 2868, 2872. 712 LAG Hessen v. 3.11.2021 – 6 Sa 1507/19 juris-Rz. 65 ff. (Revision beim BAG unter Az. 3 AZR 506/21); tendenziell auch BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 298/13, BAGE 148, 244 = ZIP 2014, 2459 = MDR 2015, 108 Rz. 81; vgl. dazu auch Matthießen, DB 2017, 2417, 2420; Ludwig/Hinze, NZA 2020, 1657, 1662; Kaindl/Nickel, BB 2021, 2868, 2872 m.w.N. 713 BAG v. 28.4.1992 – 3 AZR 244/91, BAGE 70, 158 = ZIP 1992, 1566 = GmbHR 1993, 220 Leitsatz 4. 714 BAG v. 15.1.2013 – 3 AZR 638/10, BAGE 144, 180 = ZIP 2013, 1041 = GmbHR 2013, 747 = AG 2013, 524; BAG v. 21.4.2014 – 3 AZR 1027/12, NZA-RR 2015, 90 Rz. 49 ff.; dazu auch Schäfer, ZIP 2010, 2025, 2026 f.; Schäfer, ZIP 2016, 2245, 2247 f.; Matthießen, DB 2017, 2417, 2420 m. Kritik S. 2421 f.; Franzen/Wutte in FS Windbichler, 2020, S. 215, 216 f. m. Kritik S. 218 ff.; Heikel, S. 225 ff.; ebenso zur Sozialplandotierung BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, BAGE 137, 203 = ZIP 2011, 1433 = AG 2011, 703 Rz. 35; ausführlich Hegtmeier, S. 85 ff. 715 Dazu Wutte, ZfA 2016, 261, 296 f.; Franzen/Wutte in FS Windbichler, 2020, S. 215, 227 ff.; Schäfer, ZIP 2016, 2245, 2248 weist auf §§ 311, 317 AktG hin; diese Vorschriften sind bei der GmbH nicht anwendbar (BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, BAGE 137, 203 = ZIP 2011, 1433 = AG 2011, 703 Rz. 40; Bitter, Durchgriffshaftung, S. 274 m.w.N.); bei der GmbH können sich bei Vermögensverlagerungen aber Ansprüche aus §§ 30, 31 sowie einem Verstoß gegen die Treuepflicht und das Sondervorteilsverbot ergeben (dazu Bitter/Heim, GesR, § 4 Rz. 225 ff., 249 f.; Bitter, ZHR 168 [2004], 302 ff.; zur GmbH & Co. KG Bitter, Durchgriffshaftung, S. 230 ff.). 716 Vgl. nur Wutte, ZfA 2016, 261, 296 ff. 717 Im hiesigen Zusammenhang LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 537 (Sozialplan). 718 BAG v. 15.9.2015 – 3 AZR 839/13, BAGE 152, 285 = ZIP 2016, 135 = MDR 2016, 282 Rz. 46; s. auch Heikel, S. 271 ff.; Wutte, S. 112 ff.; Schäfer, ZIP 2016, 2245, 2248; Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 458 m.w.N., ferner S. 450 zur parallelen Frage bei der Sozialplandotierung, dort in Abgrenzung zu BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, BAGE 137, 203 = ZIP 2011, 1433 = AG 2011, 703 Rz. 36; Kaindl/Nickel, BB 2021, 2868, 2875 (Sozialplandotierung); a.A. Löwisch, ZIP 2015, 209, 211 ff.; Matthießen, DB 2017, 2417, 2421 f. (Leerlaufen der Anpassung); Franzen/Wutte in FS Windbichler, 2020, S. 215, 218 ff., insbes. S. 223 ff. (Wiederbelebung des Berechnungsdurch-

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§ 13 Rz. 193 | Juristische Person; Handelsgesellschaft schaftsrechtliche Verbindung in einem Konzern reicht jedenfalls nicht mehr zur Begründung des Berechnungsdurchgriffs aus719. 194 Einen Berechnungsdurchgriff hat der 1. Senat des BAG bezogen auf die Sozialplandotierung

durch die Einigungsstelle gemäß § 112 Abs. 5 Satz 1 BetrVG ferner für Fälle der Betriebsaufspaltung in Besitz- und Betriebsgesellschaft im Hinblick auf die gesamtschuldnerische Haftung gemäß § 134 UmwG zugelassen720: Bei der Bemessung des Sozialplanvolumens für die Betriebsgesellschaft wird auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit einer Besitzgesellschaft berücksichtigt, wobei der Bemessungsdurchgriff jedoch der Höhe nach auf die der Betriebsgesellschaft bei der Spaltung entzogenen Vermögensteile begrenzt ist721. Die Übertragung dieser Rechtsprechung auf die Betriebsrentenanpassung gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG erscheint problematisch, weil die Rentenerhöhung dauerhaft wirkt, die Haftung nach § 134 UmwG aber auf 10 Jahre begrenzt ist722. 195 Nach Ansicht des BAG kann sich allerdings bei einer Ausgliederung nur der Versorgungsver-

bindlichkeiten auf eine sog. Rentnergesellschaft723 in Fällen der unzureichenden Ausstattung jener Gesellschaft ein Anspruch auf Schadensersatz gegen den (bisherigen) versorgungspflichtigen Arbeitgeber ergeben, weil diesen grundsätzlich die arbeitsvertragliche Nebenpflicht treffe, die Gesellschaft, auf die Versorgungsverbindlichkeiten ausgegliedert werden, so auszustatten, dass sie nicht nur die laufenden Betriebsrenten zahlen kann, sondern auch zu den gesetzlich vorgesehenen Anpassungen in der Lage ist724. Im umgekehrten Fall, in dem das operative Geschäft ausgegliedert wird und der versorgungspflichtige Arbeitgeber als Rentnergesellschaft zurückbleibt, funktioniert jener Ansatz freilich nicht, weil es gar nicht zu einem Wechsel des Versorgungsschuldners kommt725. Nach Ansicht des BAG kommt aber im Einzelfall, in dem einem Anspruch auf Anpassung der Betriebsrente die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers i.S.v. § 16 Abs. 1 und 2 BetrAVG entgegensteht, ein Anspruch des Versorgungsberechtigten aus § 826 BGB gegen seinen konzernangehörigen Arbeitgeber – also den originären Versorgungsschuldner – in Betracht, wenn jener sein operatives Geschäft innerhalb des Konzerns (ohne marktgerechte Gegenleistung) überträgt und dort die wirtschaftlichen Aktivitäten weitergeführt werden726. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass der Anspruch des Versorgungsberechtigten durch konzerninterne Umstrukturierungen ausgezehrt wird727.

719 720 721 722 723 724 725 726

727

griffs im faktischen Konzern); anders wohl auch BAG v. 26.1.2021 – 3 AZR 139/17, ZIP 2021, 918, 927 Rz. 86 (für BAGE vorgesehen) trotz Bezugnahme auf BAGE 152, 285 Rz. 46. LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531 (Leitsatz 6 zum Sozialplan); LAG Hessen v. 3.11.2021 – 6 Sa 1507/19 juris-Rz. 39; Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 447 ff., 458; Schäfer, ZIP 2016, 2245 ff.; Matthießen, DB 2017, 2417 f. Einführend Kaindl/Nickel, BB 2021, 2868, 2870; näher Wutte, ZfA 2016, 261, 270 ff., 281 ff. BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, BAGE 137, 203 = ZIP 2011, 1433 = AG 2011, 703 Rz. 28 ff.; zustimmend Löwisch, ZIP 2015, 209, 210; Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 451 m.w.N.; Hegtmeier, S. 81 ff. Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 459 m.N. auch zur Gegenansicht. Dazu eingehend Wutte, S. 137 ff. BAG v. 11.3.2008 – 3 AZR 358/06, BAGE 126, 120 = ZIP 2008, 1935 = GmbHR 2008, 1326; dazu kritisch Schäfer, ZIP 2010, 2025, 2028 ff. und Schäfer, ZIP 2016, 2245, 2249 f., der nur im Einzelfall über § 826 BGB helfen will. BAG v. 17.6.2014 – 3 AZR 298/13, BAGE 148, 244 = ZIP 2014, 2459 = MDR 2015, 108; Wutte, S. 151 ff. BAG v. 15.9.2015 – 3 AZR 839/13, BAGE 152, 285 = ZIP 2016, 135 = MDR 2016, 282 Rz. 64 ff.; bestätigend BAG v. 26.1.2021 – 3 AZR 139/17, ZIP 2021, 918, 927 Rz. 86 (für BAGE vorgesehen); zustimmend Schäfer, ZIP 2016, 2245, 2250; ausführlich zur Anwendung des § 826 BGB als Innenund Außenhaftung Heikel, S. 352 ff. Dazu auch Franzen/Wutte in FS Windbichler, 2020, S. 215, 218 ff., die jedoch eine Anspruchsvereitelungshaftung aus § 280 BGB befürworten.

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Juristische Person; Handelsgesellschaft | Rz. 197 § 13

Alle diese zuletzt genannten Ansätze zeigen eine Nähe zur Diskussion um den Durchgriff 196 wegen Unterkapitalisierung (Rz. 138 ff.), weil gerade durch Betriebsaufspaltungen und sonstige Umstrukturierungen Gesellschaften geschaffen werden können, die übermäßige Risiken bei nur geringer Kapitalausstattung zu tragen haben. Ein wesentlicher Unterschied besteht jedoch darin, dass die Rechtsprechung des BAG nur den bisherigen Arbeitnehmern den Bestand bereits vorhandener Ansprüche oder Anwartschaften sichern will, während solche Gläubiger/Arbeitnehmer, die erst nach der Umstrukturierung in Kontakt zur nunmehr begrenzt leistungsfähigen Gesellschaft treten, nicht geschützt werden728. Deshalb ist auch der dogmatische Ansatz des BAG ein anderer als beim Durchgriff, der nach hier vertretener Ansicht in Fällen eindeutiger Unterkapitalisierung jedoch (daneben) anzuerkennen ist (Rz. 143 ff.). Für die Sozialplandotierung hat das LAG Berlin-Brandenburg einen Berechnungsdurchgriff 197 ferner für Fälle der Vermögensvermischung erwogen, in denen zugleich auch der Haftungsdurchgriff auf das Vermögen des Gesellschafters anerkannt ist (Rz. 131 ff.); allerdings waren im konkreten Fall keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine derartige (generelle) Vermögensvermischung erkennbar729.

728 S. bezogen auf die Betriebsaufspaltung Schubert in FS von Hoyningen-Huene, 2014, S. 441, 452. 729 LAG Berlin-Brandenburg v. 18.10.2018 – 21 TaBV 1372/17, ZIP 2019, 531, 539 f.

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Anhang § 13 GmbH-Konzernrecht (13. Auflage 2022) A. I. II. III. B. I. II.

III.

IV. V.

VI.

C. I. II.

III.

IV. D. I.

Einleitung Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechtsquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbundene Unternehmen . . . . . . . . . Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mehrheitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abhängigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gemeinschaftsunternehmen, mehrfache Abhängigkeit . . . . . . . . . . 3. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wechselseitige Beteiligungen . . . . . . . 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Einfache wechselseitige Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Qualifizierte wechselseitige Beteiligungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Sonstige Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mitteilungspflichten 1. §§ 20, 21 AktG; § 33 WpHG . . . . . . 2. Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernbildungskontrolle Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernbildungskontrolle auf der Ebene der abhängigen GmbH 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Beschlusskontrolle . . . . . . . . . . . . . . . a) Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschaftsvertrages . . . . . . . . . b) Dispens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Inhaltskontrolle . . . . . . . . . . . . . . 3. Wettbewerbsverbot, Treuepflicht . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernbildungskontrolle auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Mitwirkung der Gesellschafter . . . . . 3. Konzernklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Konzernleitungskontrolle, Konzernleitungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faktischer Konzern Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1 5 9 15 16 22 22 24 28 29 36 38 40 46 46 47 50 52 54 57 58

66 69 69 72 74 76 80

81 83 88 90 92 97

II. Schädigungsverbot 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . 3. Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechtsfolgen 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Qualifizierter faktischer Konzern, Existenzvernichtungshaftung 1. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Schutz der Minderheit . . . . . . . . . . . 6. Abschied vom qualifizierten faktischen Konzern . . . . . . . . . . . . . . 7. Folgerungen a) Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . b) Minderheitsschutz . . . . . . . . . . . E. Beherrschungsverträge I. Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zustandekommen des Vertrages 1. Anwendbarkeit der §§ 53, 54 . . . . . . 2. Zustimmung der Gesellschafter der Obergesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mehrstufige Konzerne . . . . . . . . . . . 4. Vertragsbericht, Vertragsprüfung . . 5. Eintragung ins Handelsregister . . . . 6. Ermächtigungsklauseln . . . . . . . . . . 7. Abfindung und Ausgleich . . . . . . . . 8. Fehlerhafte und verdeckte Beherrschungsverträge a) Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Materielle Mängel . . . . . . . . . . . . c) Formelle Mängel . . . . . . . . . . . . . IV. Weisungsrecht 1. Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schranken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Haftung des herrschenden Unternehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Änderung des Vertrages . . . . . . . . . . . VIII. Beendigung des Vertrages 1. Ordentliche Kündigung . . . . . . . . . .

103 106 110 115 117 127

132 141 147 154 157 160 163 167 171 180 183 196 200 201 204 206 211 219 222 227 231 236 242 246 252 254 258

GmbH-Konzernrecht | Anh. § 13

F. I. II. III.

2. Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde . . . . . . . . . . . . . . . 3. Vertragsaufhebung . . . . . . . . . . . . . . a) Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge . . . . . . . . . . . b) Andere Unternehmensverträge . Gewinnabführungsvertrag Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abschluss des Gewinnabführungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinnabführung . . . . . . . . . . . . . . . . .

265 273 273 281 282 286 288

Gläubigerschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andere Unternehmensverträge Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gewinngemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . Teilgewinnabführungsvertrag . . . . . . Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsvertrag 1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . V. Umgehungsproblematik . . . . . . . . . . .

IV. G. I. II. III. IV.

291 294 298 301

308 310 313

Allgemeines Schrifttum (Auswahl): Altmeppen, Abschied vom „qualifiziert faktischen Konzern“, 1991; Altmeppen, Die Haftung des Managers im Konzern, 1998; Assmann, Der faktische GmbH-Konzern, in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 657; Ballerstedt, Kapital, Gewinn und Ausschüttung bei Kapitalgesellschaften, 1949; M. Becker, Der Austritt aus der GmbH, 1985, S. 126 ff.; Beinert, Die Konzernhaftung für die satzungsmäßig abhängig gegründete GmbH, 1995; Binnewies, Die Konzerneingangskontrolle in der abhängigen Gesellschaft, 1996; M. Bouchon, Konzerneingangsschutz im GmbH- und Aktienrecht, 2002; Büscher, Die qualifiziert faktische Konzernierung – eine gelungene Fortbildung des Rechts der GmbH?, 1999; H. Dehmer/St. Hettler, Haftungsfalle GmbH-Konzernhaftung, 1993; B. Deilmann, Die Entstehung des qualifizierten faktischen Konzerns, 1990; K. Denzer, Konzerndimensionale Beendigung der Vorstands- und Geschäftsführerstellung, 2004, S. 99 ff.; Döser, Der faktische Konzern, AG 2003, 406; Drax, Durchgriffs- und Konzernhaftung der GmbH-Gesellschafter – ein Vergleich, 1992; Drüke, Die Haftung der Mutter- für Schulden der Tochtergesellschaft, 1990; Drygala, Gläubigerschutz bei der typischen Betriebsaufspaltung, 1991; Ehricke, Das abhängige Konzernunternehmen in der Insolvenz, 1998; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 11. Aufl. 2020; Grauer, Konzernbildungskontrolle im GmbH-Recht, 1991; Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986; Holzwarth, Konzernrechtlicher Gläubigerschutz bei der klassischen Betriebsaufspaltung, 1993; Hommelhoff, Die Konzernleitungspflicht, 1982; Hommelhoff (Hrsg.), Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, 1986; Ihde, Der faktische GmbH-Konzern, 1974; Imhof, Die Verantwortlichkeit der Konzernobergesellschaft als Ausfluss faktischer Organschaft?, 2002; Chr. Jansen, Konzernbildungskontrolle im faktischen GmbH-Konzern, 1993; Fr. Jungkurth, Konzernleitung bei der GmbH: Die Pflichten des Geschäftsführers, 2000; Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995; J. Keßler (Hrsg.), Handbuch des GmbH-Konzerns, 2004; Kleindiek, Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern, 1991; Kort, Der Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen im GmbH-Recht, 1986; Kühn, Die Minderheitsrechte in der GmbH und ihre Reform, 1964; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, 1995; Limmer, Die Haftungsverfassung des faktischen GmbH-Konzerns, 1992; Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970; Mestmäcker, Verwaltung, Konzerngewalt und Rechte der Aktionäre, 1958; Mestmäcker/Behrens (Hrsg.), Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991; Müller, Das Austrittsrecht des GmbH-Gesellschafters, 1996; Rodewald, Der GmbH-Konzern in GmbH-Handbuch, Rz. I 2815 ff.; Scheel, Konzerninsolvenzrecht, 1995; Uwe H. Schneider (Hrsg.), Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge in der Praxis der GmbH, 1989; Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017; Sonnenschein, Organschaft und Konzerngesellschaftsrecht, 1976; U. Stein, Das faktische Organ, 1984; A. Streyl, Zur konzernrechtlichen Problematik von Vorstands-Doppelmandaten, 1992; Verhoeven, GmbH-Konzern-Innenrecht, 1978; Versteegen, Konzernverantwortlichkeit und Haftungsprivileg, 1993; U. Wehlmann, Kompetenzen von Gesellschaftern und Gesellschaftsorganen bei der Bildung faktischer GmbH-Konzerne, 1996; J. Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981; S. Wimmer-Leonhardt, Konzernhaftungsrecht, 2004; Chr. Windbichler, Arbeitsrecht im Konzern, 1989; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988; Kl. Ziegler, Kapitalersetzende Gebrauchsüberlassungsverhältnisse und Konzernhaftung bei der GmbH, 1989; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahmen auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996. Kommentierungen zum GmbH-Konzernrecht: Altmeppen, Konzern-Recht der GmbH, in Altmeppen, GmbHG, 10. Aufl. 2021, § 13 Anh.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, Schlussanhang KonzernR, S. 2217 ff.; Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2022; Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, GmbHG, 20. Aufl. 2020, Anh. zu § 13; Kessler in Saenger/Inhester, GmbHG, 4. Aufl. 2020, § 13 Anhang; Kiefner, Konzernrecht, in Priester/Meyer/Wicke,

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Anh. § 13 Rz. 1 | GmbH-Konzernrecht Münchener Hdb. des Gesellschaftsrechts Bd. 3, GmbH, 5. Aufl. 2018, §§ 67–70; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, GmbHG, 6. Aufl. 2017, § 52 Anh.; Liebscher, Die GmbH als Konzernbaustein, in MünchKomm. GmbHG, 4. Aufl. 2022, § 13 Anh.; Servatius, System. Darstellung 4: Konzernrecht, in Michalski u.a., GmbHG, 3. Aufl. 2017, Bd. 1, S. 287 ff.; Servatius, Konzernrecht in BeckOK GmbHG, Stand: 1.5.2021. – Alle genannten Kommentierungen werden im Folgenden nur mit dem Namen des Verfassers zitiert, soweit nicht im Einzelfall, um Missverständnisse zu vermeiden, weitere bibliographische Angaben erforderlich erscheinen.

A. Einleitung I. Verbreitung 1 An Unternehmensverbindungen können Unternehmen jeder Rechtsform beteiligt sein. Die

GmbH macht insoweit keine Ausnahme. Wegen der weitgehenden Dispositivität des GmbHRechts (§ 45), der Weisungsabhängigkeit der Geschäftsführer (§ 37 Abs. 1, § 46 Nr. 6) sowie des nur verhältnismäßig schwach ausgeprägten Gläubigerschutzes eignet sich die GmbH sogar in besonderem Maße zur Beteiligung an Unternehmensverbindungen, und zwar gleichermaßen in der Rolle des herrschenden wie des abhängigen Unternehmens. In beiden Rollen ist die GmbH daher eine vertraute Erscheinung der Praxis der Unternehmensverbindungen, – woraus sich zugleich die Notwendigkeit spezieller Regelungen für die GmbH als verbundenes Unternehmen ergibt. Die Gesamtheit dieser Regelungen nennt man – pars pro toto – „GmbH-Konzernrecht“. Seine Hauptaufgabe ist es, den spezifischen Gefahren zu begegnen, die mit Unternehmensverbindungen typischerweise für die Gesellschaft, ihre Gesellschafter und ihre Gläubiger verbunden sind. 2 Nur eine besondere Erscheinungsform von Unternehmensverbindungen (unter anderen) bil-

den Konzerne (§ 18 AktG). Die GmbH kann an Konzernen gleichermaßen in der Rolle der herrschenden wie der abhängigen Gesellschaft beteiligt sein. Vornehmlich mit Bezug auf den zweiten Fall spricht man auch von „GmbH-Konzernen“. Über die Verbreitung und die Struktur derartiger Konzerne ist bisher nur wenig an die Öffentlichkeit gedrungen. Jedoch geht man vermutlich nicht fehl in der Annahme, dass bei Großunternehmen in der Rechtsform einer GmbH die Struktur der Konzerne keine wesentlichen Unterschiede zu Aktienkonzernen aufweisen wird, so dass man auch hier ebenso wie im Aktienkonzernrecht Vertragskonzerne und faktische Konzerne zu unterscheiden hat. In Vertragskonzernen herrschen offenbar vorerst noch aus steuerlichen Gründen Gewinnabführungs- und Organschaftsverträge vor (s. §§ 14, 17 KStG)1, während reine Beherrschungsverträge selten zu sein scheinen. Bedeutung hat die GmbH ferner als Gemeinschaftsunternehmen, als Betriebsführungsgesellschaft sowie als Holding und als Leitungsorgan in Gleichordnungskonzernen erlangt. Vor allem aber sind Gesellschaften mbH in großer Zahl als nachträglich ausgegründete Tochtergesellschaften zur Erledigung spezieller Aufgaben und zur Haftungssegmentierung in Konzernen anzutreffen, beides Aufgaben, für die sich die GmbH als besonders geeignet erwiesen hat2. 3 Exakte Zahlen über die Verbreitung von GmbH-Konzernen liegen ebenso wenig wie bei Ak-

tienkonzernen vor. Es gibt lediglich vage und zudem durchweg ältere Schätzungen, nach denen rund 30 bis 40 % oder (nach Abzug der Komplementärgesellschaften in GmbH & Co. 1 § 14 KStG verlangt seit 2003 freilich nur noch die finanzielle Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger in Verbindung mit dem Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages, so dass jetzt ein Organschaftsverhältnis ohne weiteres auch ohne Abschluss eines Beherrschungsvertrages begründet werden kann; dies kann auf die Dauer zu einem merklichen Rückgang der Bedeutung der Vertragskonzerne führen. Die Entwicklung ist aber noch offen. 2 S. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 2.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 7 Anh. § 13

KG) über 50 % der Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH in irgendeiner Weise mit anderen Unternehmen konzernverbunden sind3. Unternehmensverbindungen unter Beteiligung einer GmbH werfen ebenso wie sonstige Un- 4 ternehmensverbindungen in erster Linie Fragen des Gläubiger- und des Minderheitenschutzes auf. Der Minderheitenschutz ist hier sogar besonders dringlich, weil die Minderheit in GmbH-Konzernen von Vorgängen in ihrer Gesellschaft gewöhnlich stärker als ein ohnehin einflussloser Kleinaktionär in einer AG betroffen wird4. Ihre Situation wird durch die beschränkte Fungibilität der GmbH-Anteile (s. § 15) noch weiter verschärft, da Minderheitsgesellschaftern bei der GmbH infolgedessen noch nicht einmal ein Austritt über die Börse möglich ist5. Aber auch der Gläubigerschutz bedarf hier angesichts der bekannten Insolvenzanfälligkeit der GmbH besonderer Beachtung, zumal bei den zahlreichen EinpersonenGesellschaften.

II. Geschichte Das GmbH-Konzernrecht ist keine „Entdeckung“ erst der letzten Jahre6; vielmehr sind (na- 5 türlich) GmbH-konzernrechtliche Fragen bereits früher diskutiert und z.T. sogar, freilich in erster Linie unter steuer- oder mitbestimmungsrechtlichen Aspekten, gesetzlich geregelt worden. Seit der Kodifizierung des Aktienkonzernrechts im Jahre 1965 wandte sich indessen das wissenschaftliche Interesse nahezu ausschließlich den Aktienkonzernen zu, so dass darüber die besonderen Probleme von GmbH-Konzernen eine Zeitlang aus dem Blickfeld gerieten. Zu dieser Entwicklung hatte auch der Umstand beigetragen, dass die Bundesregierung nach 6 Abschluss der Aktienrechtsreform im Jahre 1965 Anfang der 1970iger Jahre zunächst eine Regelung des GmbH-Konzernrechts in enger Anlehnung an das Konzernrecht des AktG von 1965 angestrebt hatte7. Dieser Plan erwies sich indessen als undurchführbar, weshalb sich die kleine GmbH-Novelle von 1980 schließlich auf wenige Einzelregelungen beschränkte, das Konzernrecht im Übrigen aber aussparte (s. Rz. 8). Weitergehende Gesetzgebungspläne bestehen nicht mehr8. Diese Abstinenz des deutschen Gesetzgebers hatte zur Folge, dass die Aufgabe, ein GmbH- 7 Konzernrecht zu entwickeln, Rechtsprechung und Wissenschaft zufiel. Die Führung übernahm alsbald der BGH, der seit Mitte der siebziger Jahre in einer Reihe viel diskutierter Urteile Schritt für Schritt die Grundzüge eines neuen GmbH-Konzernrechts herausarbeitete, wobei er sich im Recht der Vertragskonzerne aus naheliegenden Gründen in mehreren Punkten, aber keineswegs generell an dem aktienrechtlichen Vorbild (§§ 291 bis 303 AktG) orientierte, während er im Recht der faktischen Konzerne nach einer eigenständigen Lösung suchte, die in erster Linie an die Treuepflicht der Gesellschafter untereinander und gegenüber der Gesellschaft anknüpft. Die Entwicklung verlief nicht gradlinig, wie insbesondere die abrupte Aufgabe der Figur des qualifizierten faktischen Konzerns im Jahre 2001 zugunsten der neuen Haftung für existenzvernichtende Eingriffe zeigt (s. Rz. 132 ff.).

3 S. Monopolkommission, 7. Hauptgutachten 1986/87, Rz. 858; Hansen, GmbHR 1980, 99; Gösling, AG 1993, 538, 546 f.: knapp 50 % konzernverbunden. 4 Anders z.B. Altmeppen, Rz. 1. 5 H.-Fr. Müller, Das Austrittsrecht des GmbH-Gesellschafters, S. 56 ff. 6 Vgl. die grundsätzlichen Überlegungen bei Ballerstedt, Kapital, 1949; Mestmäcker, Verwaltung, 1958; s. zum Folgenden ausführlich auch Assmann in FS 100 Jahre GmbHG, S. 657 ff. 7 Vgl. den RegE eines neuen GmbHG von 1973, BT-Drucks. VI/3088, neu eingebracht 1974 als BTDrucks. 7/253. 8 S. Altmeppen, Rz. 1.

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Anh. § 13 Rz. 8 | GmbH-Konzernrecht 8 Die Besonderheit der Haftung für existenzvernichtende Eingriffe besteht infolge ihrer An-

knüpfung an § 826 BGB darin, dass sie nicht konzernspezifisch konzipiert ist, so dass sie gleichermaßen Unternehmens- wie Privatgesellschafter treffen kann. Die umstrittene Grenzziehung zwischen Unternehmens- und Privatgesellschaftern (s. Rz. 16 f.) hat dadurch jedenfalls im GmbH-Konzernrecht viel von ihrer früheren Brisanz verloren. Nicht zu Unrecht wird deshalb im Schrifttum die Frage diskutiert, ob es mit Rücksicht auf diese Entwicklung – jenseits des Rechts der Vertragskonzerne – noch eines besonderen GmbH-Konzernrechts bedarf oder ob nicht die allgemeinen Rechtsinstitute, allen voran Treuepflicht und Gleichbehandlungsgrundsatz, zum Schutze der Minderheit ebenso wie zum Schutz der abhängigen Gesellschaft und damit mittelbar auch der Gesellschaftsgläubiger ausreichen9. Diese Frage kann nur im Zusammenhang mit der Frage erörtert werden, ob für die Rechtsfigur des qualifizierten faktischen Konzerns heute noch Raum ist (dazu Rz. 132 ff.).

III. Rechtsquellen 9 Gesetzliche Regelungen einzelner Aspekte des GmbH-Konzernrechts finden sich bislang in

erster Linie in den allgemeinen Vorschriften des AktG über verbundene Unternehmen (§§ 15 bis 22 AktG) sowie in den §§ 290 ff. HGB über die Konzernrechnungslegung. Weitere Einzelfragen sind an verstreuten Stellen innerhalb und außerhalb des GmbHG geregelt. Zu nennen sind hier aus dem GmbHG vor allem die Vorschriften des § 30 Abs. 1 Satz 2, nach der Leistungen aufgrund eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages nicht dem Verbot der Auszahlung des Stammkapitals an die Gesellschafter unterliegen, des § 47 Abs. 4 über Stimmverbote (s. 12. Aufl., § 47 Rz. 165 ff.) sowie des § 51a und des § 51b über das Auskunftsund Einsichtsrecht der Gesellschafter (s. Rz. 94 f.). 10 Außerhalb des GmbHG ist vor allem auf § 17 KStG hinzuweisen, nach dem eine GmbH mit

Geschäftsleitung und Sitz im Inland ebenso wie eine AG Organgesellschaft eines anderen Unternehmens sein kann. Der Geltungsbereich des § 17 KStG beschränkt sich freilich auf das Steuerrecht, so dass ihm – trotz des auf den ersten Blick abweichenden Wortlauts – keine gesellschaftsrechtliche Bedeutung zukommt10. Konzernrechtliche Regelungen finden sich schließlich noch in § 1 Abs. 2 MitbestErgänzungsG von 195611, in § 5 MitbestG von 197612 sowie in § 2 DrittelbG von 200413. 11 Die Mehrzahl der konzernrechtlichen Vorschriften des AktG ist bereits anwendbar, wenn an

der Unternehmensverbindung wenigstens eine AG (oder KGaA) neben anderen Unternehmen beliebiger Rechtsform beteiligt ist, so dass sie durchaus auch auf Unternehmensverbindungen zwischen einer AG und einer GmbH angewandt werden können. Ihre Bedeutung für Unternehmensverbindungen unter Einschluss einer GmbH ist freilich unterschiedlich. Man muss vor allem danach unterscheiden, in welcher Rolle die GmbH jeweils an der Unternehmensverbindung beteiligt ist. Lediglich in einer verhältnismäßig kleinen Zahl von Fällen ist bedeutungslos, in welcher Rolle die GmbH an der Unternehmensverbindung beteiligt ist. In erster Linie gehören hierher die § 19 und § 328 AktG über wechselseitige Beteiligungen sowie die § 20 und § 21 AktG über Mitteilungspflichten. § 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG über die Gewinngemeinschaft kann gleichfalls hierher gezählt werden.

9 Dagegen betont Servatius in Michalski u.a., Rz. 3 f. 10 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 339 f. = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 = AG 1989, 295 – Supermarkt; BayObLG v. 16.6.1988 – BReg 3 Z 62/88, BayObLGZ 1988, 201 = AG 1988, 379 = GmbHR 1988, 389. 11 BGBl. I 1956, 707. 12 BGBl. I 1976, 1153. 13 BGBl. I 2004, 974.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 15 Anh. § 13

Die Mehrzahl der einschlägigen Vorschriften des AktG setzt dagegen voraus, dass es im Falle 12 der Beteiligung einer GmbH an einer Unternehmensverbindung neben einer AG gerade die AG ist, die die Rolle der abhängigen oder der die vertragstypischen Leistungen erbringenden Gesellschaft einnimmt, während die Rechtsform des anderen Vertragsteils gleichbleibt, so dass es sich dabei auch um eine GmbH handeln kann. So verhält es sich gleichermaßen mit den §§ 291 bis 310 AktG wie mit den §§ 311 bis 318 AktG. Wieder anders ist die Situation schließlich bei den § 56 Abs. 2, § 71d Satz 2 und § 136 Abs. 2 Satz 1 AktG, deren Anwendbarkeit jeweils voraussetzt, dass gerade die GmbH in der Unternehmensverbindung die Rolle des verbundenen oder abhängigen Unternehmens einnimmt (s. Rz. 25 f.). Noch der Aktiengesetzgeber von 1965 hatte das Konzernrecht des AktG als Kern eines all- 13 gemeinen Unternehmenskonzernrechts verstanden14. Deshalb lag es nach 1965 zunächst nahe, in den vielen nicht geregelten Fragen des GmbH-Konzernrechts in erster Linie eine Analogie zum AktG von 1965 ins Auge zu fassen. Wegen der bekannten Strukturunterschiede zwischen AG und GmbH ist man indessen hiervon später wieder abgekommen. Nicht analogiefähig sind namentlich die Vorschriften der §§ 311 bis 318 AktG über faktische Konzerne15, die §§ 319 bis 327 AktG über die Eingliederung16 sowie die §§ 327a bis 327f AktG über den Ausschluss von Minderheitsaktionären, deren Anwendungsbereich sich durchweg streng auf Aktiengesellschaften beschränkt. Anders verhält es sich dagegen mit den §§ 15 bis 19 AktG (Rz. 15 ff.) sowie mit den Vorschriften über Unternehmensverträge. Die §§ 291 ff. AktG sind zwar nicht in jeder Hinsicht, aber doch in wichtigen Punkten auf Unternehmensverträge mit einer abhängigen GmbH übertragbar (Rz. 171 ff.). Als ungeregelt erweisen sich damit in erster Linie der Fragenkreis der Konzernbildungs- und 14 Konzernleitungskontrolle sowie der weite Bereich des Schutzes der abhängigen Gesellschaft, ihrer Gesellschafter und ihrer Gläubiger in faktischen Unternehmensverbindungen, vor allem also in faktischen Konzernen. Zur Lösung der hier auftauchenden Fragen ist in erster Linie an allgemeine gesellschaftsrechtliche Schutzinstrumente anzuknüpfen, allen voran die Treuepflicht herrschender Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft und ihren Mitgesellschaftern, der Gleichbehandlungsgrundsatz und die actio pro socio. Daneben tritt die besondere Haftung wegen existenzvernichtender Eingriffe, die freilich keine konzernspezifischen Besonderheiten mehr aufweist (Rz. 8), so dass sich insgesamt das GmbH-Konzernrecht – jenseits des Rechts der Vertragskonzerne – deutlich in Richtung auf seine (Wieder-)Eingliederung in allgemeine gesellschaftsrechtliche Institute bewegt (s. im Einzelnen Rz. 155, 132 ff.).

B. Verbundene Unternehmen Das AktG enthält in den §§ 15 bis 19 AktG verschiedene Definitionen konzernrechtlicher 15 Grundbegriffe, die allgemein auch im GmbH-Konzernrecht zugrunde gelegt werden (s. Rz. 9, 13). Deshalb ist im Folgenden zunächst auf diese Begriffsbestimmungen unter Betonung der GmbH-rechtlichen Besonderheiten kurz einzugehen. Wegen der Einzelheiten ist im Übrigen auf die Kommentierungen der §§ 15 bis 19 AktG zu verweisen17.

14 Begr. RegE, Vorbem. zu § 291, bei Kropff, AktG, S. 374. 15 Anders Kropff in FS Kastner, 1992, S. 279, 296 ff.; Rowedder in Hommelhoff, Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, S. 20. 16 Anders T. Fenck, Herkunft und Perspektiven des Eingliederungskonzerns, 2005, S. 157 ff. 17 S. ausführlich z.B. J. Vetter in K. Schmidt/Lutter, §§ 15–19 AktG.

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Anh. § 13 Rz. 16 | GmbH-Konzernrecht

I. Unternehmen 16 Nach § 15 AktG können an Unternehmensverbindungen im Sinne der konzernrechtlichen

Vorschriften des AktG allein rechtlich selbständige „Unternehmen“ im Gegensatz zu Privatgesellschaftern teilnehmen. Hinter dieser Entscheidung des Gesetzgebers, den Anwendungsbereich jedenfalls des Aktienkonzernrechts auf „Unternehmen“ zu beschränken, steht die Vorstellung der Gesetzesverfasser, dass die typischen konzernrechtlichen Konflikte, deren Regelung die Aufgabe des Konzernrechts ist, allein bei einer Beteiligung von Unternehmensgesellschaftern im Gegensatz zu einer solchen von Privatgesellschaftern auftauchen können18. Diese Wertung des Gesetzgebers, wiewohl immer wieder kritisiert, ist jedenfalls für das Aktienkonzernrecht zu respektieren, woraus sich die Notwendigkeit ergeben hat, operationale Kriterien zur Unterscheidung von Unternehmens- und Privatgesellschaftern zu entwickeln.

17 Die überwiegende Meinung zieht aus dem Gesagten (Rz. 16) den Schluss, dass bei der Präzi-

sierung des konzernrechtlichen Unternehmensbegriffs entsprechend dem Willen der Gesetzesverfasser in erster Linie an den so genannten Konzernkonflikt anzuknüpfen ist (so genannter teleologischer Unternehmensbegriff). Die Folge ist, dass die Unternehmensqualität heute grundsätzlich bei jedem Gesellschafter bejaht wird, bei dem zu seiner Beteiligung an der Gesellschaft wirtschaftliche Interessenbindungen außerhalb der Gesellschaft hinzutreten, die stark genug sind, um die ernste Besorgnis zu begründen, der Gesellschafter könne um ihretwillen seinen Einfluss zum Nachteil der Gesellschaft geltend machen19. 18 Dieses Gesetzesverständnis ist nicht zwingend, schon gar nicht für das Konzernrecht der

GmbH, und gestattet auch nicht in allen kritischen Fällen eine überzeugende Abgrenzung zwischen Privat- und Unternehmensgesellschaftern, wie etwa die generelle Behandlung der öffentlichen Hand als herrschendes Unternehmen zeigt (Rz. 21). Richtiger Meinung nach sollte deshalb bei der Abgrenzung zwischen Unternehmens- und Privatgesellschaftern der Akzent stärker auf die Funktion des Unternehmensbegriffs gelegt werden, entsprechend dem Willen der Gesetzesverfasser reine Privatgesellschafter aus dem Anwendungsbereich des Konzernrechts (wieder) auszuklammern, weil bei ihnen nicht der konzerntypische Interessenkonflikt (die „Konzerngefahr“) besteht. Dies hätte den nicht zu unterschätzenden Vorteil, dass in allen Zweifelsfällen nicht wie üblich zu fragen ist, ob der betreffende Gesellschafter schon Unternehmensqualität besitzt, sondern nur, ob er „noch“ als reiner Privatgesellschafter angesehen werden kann. Ist diese Frage zu verneinen, so ist von der Unternehmensqualität des betreffenden Gesellschafters auszugehen, ganz gleich, ob man ihn auch in anderen Beziehungen als „Unternehmen“ bezeichnen kann. Dem entspricht es genau, dass die öffentliche Hand im Konzernrecht heute immer Unternehmensqualität besitzt (s. Rz. 21). 19 Eine Einschränkung des danach potenziell sehr weiten Unternehmensbegriffes ergibt sich

vor allem daraus, dass die Unternehmensqualität allein durch gesellschaftsrechtlich vermittelte Beziehungen zwischen Unternehmen im Gegensatz zu bloßen tatsächlichen Beziehungen begründet wird, weil es sich bei dem Konzernrecht – anders als etwa bei dem Kartellrecht – um ein spezifisch gesellschaftsrechtliches Schutzsystem handelt, das folgerichtig auch nur auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Unternehmensbeziehungen angewandt wer-

18 S. im Einzelnen m.N. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 15 AktG Rz. 6 f. 19 Z.B. BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 337 = GmbHR 1986, 78 = NJW 1986, 188 = AG 1986, 15 – Autokran; BGH v. 22.4.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 114, 203, 210 f. = NJW 1991, 2765 = AG 1991, 270; BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187, 189 ff. = GmbHR 1991, 520 = NJW 1991, 3142 = AG 1991, 429 – Video; BGH v. 9.1.1992 – IX ZR 165/91, BGHZ 117, 8, 18 = NJW 1992, 1702 = AG 1991, 155; BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 = NJW 1997, 1855, 1856 = AG 1997, 374 – VW; BGH v. 18.6.2001 – II ZR 212/99, BGHZ 148, 123, 125 ff. = NJW 2001, 2973 = AG 2001, 588 – MLP; BGH v. 2.10.2000 – II ZR 64/99, LM AktG § 302 Nr. 13 = GmbHR 2000, 1263 = NJW 2001, 370 = AG 2001, 133.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 23 Anh. § 13

den kann20. Die Rechtsform des Gesellschafters spielt demgegenüber keine Rolle, so dass Unternehmen im Sinne des Konzernrechts insbesondere auch Einzelpersonen sein können, immer vorausgesetzt, dass sie sich zugleich außerhalb der Gesellschaft unternehmerisch betätigen, wofür jede beliebige selbständige wirtschaftliche Tätigkeit einschließlich einer freiberuflichen Betätigung genügt21. Ausreichend ist ferner nach überwiegender Meinung eine maßgebliche Beteiligung an einer 20 anderen Gesellschaft, weil und sofern mit ihr der konzerntypische Interessenkonflikt verbunden sein kann. Dies wird nicht erst angenommen, wenn der betreffende Gesellschafter tatsächlich leitend, etwa i.S. des § 18 Abs. 1 AktG, auf das andere Unternehmen einwirkt22; vielmehr reicht bereits eine bloße Beteiligung des Gesellschafters an einer anderen Gesellschaft aus, die so stark ist, dass sie die Möglichkeit solcher Einflussnahme eröffnet23. Auch die öffentliche Hand besitzt im Falle ihrer Beteiligung an einer GmbH Unterneh- 21 mensqualität, d.h. sie wird den besonderen Schutzmechanismen des Konzernrechts unterworfen, wobei es zum Schutze der privaten Minderheit gegen politisch motivierte Einflussnahmen der öffentlichen Hand bereits ausreicht, wenn diese lediglich ein in privater Rechtsform betriebenes Unternehmen beherrscht; anders als bei Einzelpersonen muss hier also nicht noch eine weitere maßgebliche Beteiligung an einer anderen Gesellschaft hinzukommen, um die Anwendbarkeit des Konzernrechts auszulösen24.

II. Mehrheitsbeteiligung 1. Begriff Die Definition der Mehrheitsbeteiligung richtet sich auch bei der GmbH nach § 16 Abs. 1 22 AktG. Das Gesetz unterscheidet in § 16 Abs. 1 zwei verschiedene Formen der Mehrheitsbeteiligung, die Anteils- oder Kapitalmehrheit und die Stimmenmehrheit. Eine Mehrheitsbeteiligung liegt m.a.W. sowohl dann vor, wenn einem anderen Unternehmen die Mehrheit der Anteile gehört als auch dann, wenn dem anderen Unternehmen die Mehrheit der Stimmrechte bei der Gesellschaft zusteht. Einzelheiten der Berechnung finden sich in § 16 Abs. 2 und 3 AktG. Umgehungen werden durch die Zurechnungsvorschrift des § 16 Abs. 4 AktG verhindert. Aufgrund der weitgehenden Satzungsautonomie der Gesellschafter einer GmbH (§ 45 Abs. 1) 23 finden sich bei dieser häufiger als bei der AG Abweichungen zwischen der Kapital- und der Stimmbeteiligung; außerdem kommen Differenzierungen von Stimmrechten je nach Beschlussgegenstand vor. In solchen Fällen kann eine „Mehrheitsbeteiligung“ des privilegierten Gesellschafters i.S. des Konzernrechts nur angenommen werden, wenn sich die Stimmrechtsmehrheit gerade auf solche Fragen bezieht, die für das selbständige Auftreten der Gesellschaft am Markt relevant sind, insbesondere also auf die Bestellung der Geschäftsführer, 20 BGH v. 18.6.2001 – II ZR 212/99, BGHZ 148, 123, 125 ff. = NJW 2001, 2973 = AG 2001, 588 – MLP; OLG Frankfurt v. 23.2.2021 – 21 U 134/20, NZG 2021, 777, 780; s. auch Rz. 33. 21 BGH v. 19.9.1994 – II ZR 237/93, GmbHR 1994, 881 = NJW 1994, 3288 = AG 1995, 35, 36; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 136/94, GmbHR 1995, 446 = NJW 1995, 1544 = AG 1995, 326. 22 So insbes. Mülbert, ZHR 163 (1999), 1, 33 f. 23 So BGH v. 18.6.2001 – II ZR 212/99, BGHZ 148, 123, 125 ff. = NJW 2001, 2973 = AG 2001, 588 – MLP; s. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 15 AktG Rz. 13 f.; Rodewald in GmbH-Handbuch, Rz. I 2827. 24 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 113 f. = AG 1997, 374 = NJW 1997, 1855, 1856 – VW; BAG v. 27.10.2010 – 7 ABR 85/09, BAGE 136, 114 Rz. 26, 31 = AG 2011, 382; OLG Celle v. 12.7.2000 – 9 U 125/99, GmbHR 2001, 342 = AG 2001, 474, 476; wegen der Einzelheiten s. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 15 AktG Rz. 26–32.

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Anh. § 13 Rz. 23 | GmbH-Konzernrecht auf die Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführer in Fragen der Geschäftspolitik oder auf die Ergebnisverwendung25. Denn hinter den Vorschriften über die Mehrheitsbeteiligung steht letztlich der Gedanke, dass es vor allem eine derartige Beteiligung ist, die den Einfluss verleiht, dessen Gefahren das Gesetz gerade zu begegnen versucht. Dies zeigt vor allem die Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG (Rz. 24). 2. Rechtsfolgen 24 Die wichtigste Rechtsfolge der Mehrheitsbeteiligung ist die an sie geknüpfte Vermutung der

Abhängigkeit (§ 17 Abs. 2 AktG). Diese Vermutung ist zwar außer bei wechselseitigen Beteiligungen (§ 19 Abs. 2 AktG) an sich widerleglich. Indessen ist insoweit bei der GmbH wegen des hier besonders ausgeprägten Primats der Gesellschafterversammlung Zurückhaltung geboten, da für die Bejahung der Abhängigkeit bereits die bloße Möglichkeit eines beherrschenden Einflusses genügt (§ 17 Abs. 1 AktG)26. Eine Widerlegung der Abhängigkeitsvermutung kommt daher bei der GmbH im Falle einer Mehrheitsbeteiligung nur in Betracht, wenn die letztere ausnahmsweise nicht die Möglichkeit verleiht, auf die Bestellung der Geschäftsführer oder sonst auf die Geschäftspolitik Einfluss zu nehmen, insbesondere, weil Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer durch den Gesellschaftsvertrag (§ 45) auf andere Organe verlagert oder zum Sonderrecht eines (anderen) Gesellschafters gemacht sind und der Mehrheitsgesellschafter auf die fraglichen anderen Organe oder auf den begünstigten Gesellschafter keinen Einfluss besitzt27. 25 Nach § 56 Abs. 2 AktG darf eine im Mehrheitsbesitz einer AG stehende GmbH keine Ak-

tien der AG als Gründer oder Zeichner oder in Ausübung eines bei einer bedingten Kapitalerhöhung eingeräumten Umtausch- oder Bezugsrechts übernehmen (s. dazu 13. Aufl., § 33 Rz. 157 ff.). Außerdem darf eine solche GmbH Aktien der AG nur erwerben oder als Pfand nehmen, soweit dies der AG selbst nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, 7 und 8 und Abs. 2 AktG gestattet wäre (§ 71d Satz 2 AktG)28. 26 Ähnliche Regelungen hatten noch die Entwürfe von 1973 und 1974 für den Fall vorgesehen,

dass sich ein anderes Unternehmen im Mehrheitsbesitz einer GmbH befindet. Obwohl diese Vorschriften nicht Gesetz geworden sind, ist doch davon auszugehen, dass es auch de lege lata einem im Mehrheitsbesitz einer GmbH stehenden Unternehmen verwehrt ist, bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen einen neuen Geschäftsanteil der GmbH zu übernehmen, da eine solche Kapitalerhöhung auf eine mittelbare Einlagenrückgewähr hinausliefe29. 27 Überwiegend wird zu diesem Zweck der Grundgedanke der § 56 Abs. 2, § 71d und § 71e

AktG erweiternd in § 33 „hineingelesen“. Deshalb ist ferner anzunehmen, dass ein im Mehrheitsbesitz einer GmbH stehendes Unternehmen Anteile der GmbH nur erwerben darf, wenn dies der GmbH selbst nach § 30 Abs. 1 und § 33 gestattet wäre, also nur, wenn der Geschäftsanteil schon vollständig eingezahlt ist und dem Unternehmen, sofern es eine GmbH ist, der Erwerb aus freien Rücklagen möglich ist30. Außerdem ist die Ausübung von Rechten aus Geschäftsanteilen der von der Gesellschaft abhängigen oder in ihrem Mehrheitsbesitz stehenden Unternehmen analog den § 71b und § 71d Satz 4 AktG untersagt (s. Rz. 38).

25 26 27 28

Emmerich/Habersack, Kommentar, § 16 AktG Rz. 5; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 116. S. B. Richter, AG 1982, 261 mit Beispielen. S. Rz. 33, 39; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 17 AktG Rz. 35 ff., 45 f. S. OLG München v. 7.4.1995 – 23 U 6733/94, GmbHR 1995, 590 = AG 1995, 383 = NJW-RR 1995, 1066. 29 S. Lutter, Kapital, S. 91; Verhoeven, GmbHR 1977, 97, 102 f.; s. im Übrigen Rz. 47 ff. 30 S. dazu 13. Aufl., § 33 Rz. 157 ff.; Altmeppen, § 33 Rz. 33 f.; Lutter, Kapital, S. 197, 462 ff.; H.P. Westermann in Der GmbH-Konzern, 1976, S. 25, 34; zu dem Sonderfall wechselseitiger Beteiligungen s. Rz. 47 f.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 30 Anh. § 13

III. Abhängigkeit Nach § 17 Abs. 1 AktG sind abhängige Unternehmen rechtlich selbständige Unternehmen, 28 auf die ein anderes Unternehmen unmittelbar oder mittelbar einen beherrschenden Einfluss auszuüben vermag. Von einem im Mehrheitsbesitz befindlichen Unternehmen wird vermutet, dass es von dem anderen Unternehmen abhängig ist (§ 17 Abs. 2 AktG; s. Rz. 24). An die Abhängigkeit eines Unternehmens knüpft sich ihrerseits die Vermutung, dass es zusammen mit dem herrschenden Unternehmen einen Konzern bildet (§ 18 Abs. 1 Satz 3 AktG). Alle diese Definitionsnormen werden auch auf die GmbH angewandt, bei der zudem das ihnen zugrundeliegende Regelungskonzept wegen des hier deutlich stärker als bei der AG ausgeprägten Primats der Gesellschafterversammlung besonders sinnfällig ist (s. insbes. die § 37 Abs. 1, § 45, § 46 Nr. 5 und 6). 1. Begriff Das Gesetz knüpft an die Mehrheitsbeteiligung unmittelbar die Vermutung der Abhängigkeit 29 (§ 17 Abs. 2 AktG) und mittelbar die der Bildung eines Konzerns (§ 18 Abs. 1 Satz 3 AktG), weil eine Mehrheitsbeteiligung im Regelfall einen maßgeblichen Einfluss auf die Personalpolitik und damit auch auf die Geschäftspolitik der Beteiligungsgesellschaft verleiht. Das gilt bereits für die AG (s. die § 84 und § 101 AktG) und in noch größerem Maße für die GmbH (s. § 37 Abs. 1, § 46 Nr. 5 und 6 sowie § 47). Daraus folgt, dass die Abhängigkeit einer Gesellschaft von einem anderen Unternehmen jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn das letztere aufgrund seiner Herrschaft über die Personalpolitik der Gesellschaft in der Lage ist, deren Geschäftspolitik in entscheidenden Punkten zu beeinflussen31, d.h., wenn es über die gesicherte rechtliche Möglichkeit verfügt, der abhängigen Gesellschaft oder besser: deren Verwaltung Konsequenzen für den Fall anzudrohen, dass sie dem Willen des herrschenden Unternehmens nicht Folge leistet32. Dem entspricht es, wenn das Gesetz in § 18 Abs. 1 Satz 2 AktG bei Abschluss eines Beherrschungsvertrages (ebenso wie im Falle der Eingliederung) ohne weiteres von dem Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnisses (und eines Unterordnungskonzerns) ausgeht (s. §§ 308, 323 AktG). Es ist nicht erforderlich, dass das herrschende Unternehmen von seinen Einflussmöglichkei- 30 ten tatsächlich Gebrauch macht; zur Begründung der Abhängigkeit genügt vielmehr die bloße Möglichkeit der Herrschaft über die abhängige Gesellschaft33. Ebenso wenig ist eine bestimmte Dauer der Einflussmöglichkeit vorausgesetzt34. Auf der anderen Seite begründet aber auch eine bloße Zufallsmehrheit in der Gesellschafterversammlung noch keine Abhängigkeit; die Möglichkeit der Einflussnahme muss vielmehr beständig, umfassend und gesellschaftsrechtlich vermittelt (Rz. 19, 35) sein35. 31 BAG v. 30.10.1986 – 6 ABR 19/85, BAGE 53, 187 = AG 1988, 106 = WM 1987, 1551, 1553; OLG Düsseldorf v. 22.7.1993 – 6 U 84/92, AG 1994, 36, 37 = ZIP 1993, 1791 – Feno; OLG München v. 7.4.1995 – 23 U 6733/94, GmbHR 1995, 590 = AG 1995, 383 = NJW-RR 1995, 1066. 32 So BGH v. 19.1.1993 – KVR 32/91, BGHZ 121, 137, 146 = NJW 1993, 2114 = AG 1993, 334 – WAZ/IKZ; OLG Düsseldorf v. 22.7.1993 – 6 U 84/92, AG 1994, 36, 37 = ZIP 1993, 1791 – Feno; OLG Düsseldorf v. 8.11.2004 – 19 W 9/03 AktE, AG 2005, 538, 539 = NZG 2005, 1012; OLG Düsseldorf v. 7.5.2008 – Kart 1/07 (V), AG 2008, 859; OLG Düsseldorf v. 31.3.2009 – 26 W 5/08 (AktE), AG 2009, 873; OLG Stuttgart v. 1.12.2008 – 20 W 12/08, AG 2009, 204, 205 f.; OLG Karlsruhe v. 11.12.2003 – 12 W 11/02, AG 2004, 147, 148; KG v. 1.8.2000 – 14 U 9216/98, GmbHR 2001, 244 = AG 2001, 529, 530 = NZG 2001, 680; OLG Frankfurt v. 23.2.2021 – 21 W 134/20, NZG 2021, 777, 779 = AG 2021, 792; Einzelheiten bei Emmerich/Habersack, Kommentar, § 17 AktG Rz. 5 ff. 33 BGH v. 4.3.1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193, 201 = NJW 1974, 855 – Seitz. 34 OLG Köln v. 2.5.1990 – 24 U 141/89, GmbHR 1990, 456 = AG 1991, 140. 35 BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 = NJW 1997, 1855, 1856 = AG 1997, 374 = ZIP 1997, 967 – VW.

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Anh. § 13 Rz. 31 | GmbH-Konzernrecht 31 Wichtigste Grundlage der Abhängigkeit einer Gesellschaft von einem anderen Unternehmen

ist die Stimmenmehrheit in der Gesellschafterversammlung (§ 47), wie durch die Vermutung des § 17 Abs. 2 AktG bestätigt wird. Keine Rolle spielt, worauf die Stimmenmehrheit eines Unternehmensgesellschafters beruht. Selbst wenn er die Mehrheit nur aufgrund der Stimmen anderer Gesellschafter zu erreichen vermag, führt die so gewonnene Mehrheit zur Abhängigkeit der Gesellschaft, vorausgesetzt, dass er über die Stimmen der anderen Gesellschafter, etwa aufgrund von Stimmbindungsverträgen oder Stimmrechtskonsortien, sicher verfügen kann36. 32 Eine Minderheitsbeteiligung kann gleichfalls zur Begründung der Abhängigkeit ausreichen,

sofern sie in Verbindung mit verlässlichen Umständen rechtlicher oder tatsächlicher Art dem beteiligten Unternehmen den nötigen Einfluss auf die Personalpolitik der Beteiligungsgesellschaft sichert37. Zu denken ist hier neben Stimmbindungsverträgen und Stimmrechtskonsortien noch an Treuhandverhältnisse, ebenso aber auch an beständige familiäre Beziehungen oder personelle Verflechtungen38. 33 Bei der GmbH kann die Position eines Minderheitsgesellschafters durch Bestimmungen im

Gesellschaftsvertrag oder durch Gesellschafterabsprachen außerhalb des Gesellschaftsvertrages so sehr verstärkt werden, dass er einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben vermag (§ 45)39, ebenso wie es auf der anderen Seite auch denkbar ist, dass durch zusätzliche Abreden die Position eines Mehrheitsgesellschafters so sehr relativiert wird, dass die Abhängigkeitsvermutung des § 17 Abs. 2 AktG bei ihm ausnahmsweise widerlegt ist (Rz. 24). 34 Beispiele für Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag mit den geschilderten Konsequenzen

für die Abhängigkeit der Gesellschaft von einzelnen Gesellschaftern sind Mehrstimmrechte (s. Rz. 23) sowie Sonderrechte auf Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer, auf Besetzung des Aufsichtsrats, sofern diesem seinerseits die Bestellung der Geschäftsführer obliegt, sowie auf Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführer. Wo immer aufgrund solcher Umstände ein Unternehmensgesellschafter beständig einen maßgeblichen Einfluss auf die Geschäftsführung der Gesellschaft besitzt, liegt Abhängigkeit vor. 35 Zu beachten bleibt, dass die Abhängigkeit gesellschaftsrechtlich vermittelt sein muss (s.

Rz. 19); eine bloße tatsächliche Abhängigkeit, wie sie sich durchaus auch aus besonders engen Geschäftsbeziehungen ergeben kann, reicht nicht aus, um das besondere konzernrechtliche Schutzinstrumentarium auszulösen, das allein auf gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussmöglichkeiten zugeschnitten ist. Dadurch wird es jedoch nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall eine bereits bestehende gesellschaftsrechtlich vermittelte Einflussmöglichkeit noch durch eine hinzutretende wirtschaftliche Abhängigkeit so sehr verstärkt wird, dass auch

36 Joussen, GmbHR 1996, 574. 37 BGH v. 13.10.1977 – II ZR 123/76, BGHZ 69, 334, 347 = NJW 1978, 104 – VEBA/Gelsenberg; BGH v. 13.4.1994 – II ZR 16/93, BGHZ 125, 366, 369 = GmbHR 1994, 390 = NJW 1994, 1801; BGH v. 17.3.1997 – II ZB 3/96, BGHZ 135, 107, 114 f. = NJW 1997, 1855, 1856 f. – VW; BGH v. 15.12.2011 – I ZR 129/10, AG 2012, 594 Rz. 15; BayObLG v. 6.3.2002 – 3Z BR 343/00, BayObLGZ 2002, 46, 55 = AG 2002, 511, 513; OLG Düsseldorf v. 19.11.1999 – 17 U 46/99, AG 2000, 365, 366 = NZG 2000, 314, 315; OLG Düsseldorf v. 8.7.2003 – 19 W 6/00 AktE, AG 2003, 688 – Veba; OLG Düsseldorf v. 31.3.2009 – 26 W 5/08 (AktE), AG 2009, 873; OLG Stuttgart v. 21.12.2012 – 20 AktG 1/12, AG 2013, 604, 608; OLG Frankfurt v. 23.2.2021 – 21 W 134/20, NZG 2021, 777, 779 = AG 2021, 792. 38 S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 17 AktG Rz. 18 ff. 39 S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 17 AktG Rz. 45 ff.; Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995, S. 164 ff.; Joussen, GmbHR 1996, 574; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 122 ff.; Noack, Gesellschaftervereinbarungen bei Kapitalgesellschaften, 1994, S. 87 ff.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 38 Anh. § 13

in konzernrechtlicher Hinsicht von Abhängigkeit die Rede sein kann (sog. kombinierte Beherrschung)40. 2. Gemeinschaftsunternehmen, mehrfache Abhängigkeit Gemeinschaftsunternehmen41, die häufig die Rechtsform einer GmbH haben, können von 36 mehreren oder von allen Müttern zugleich abhängig sein, so dass dann der eigenartige Fall einer mehrfachen Abhängigkeit vorliegt. Paradigma ist das sog. paritätische (50:50) Gemeinschaftsunternehmen. Voraussetzung ist lediglich, dass die gemeinsame Beherrschung des Gemeinschaftsunternehmens durch die Mütter auf Dauer gesichert ist, wozu nicht unbedingt der Abschluss entsprechender Verträge zwischen den Müttern erforderlich ist; die gemeinsame Herrschaft der Mehrheitsgruppe kann auch auf sonstigen rechtlichen oder tatsächlichen Umständen beruhen, sofern sie nur auf Dauer eine gemeinsame Interessenverfolgung in der abhängigen Gesellschaft gewährleisten. Als Mittel der gemeinsamen Beherrschung kommen außer der Gründung einer BGB-Gesell- 37 schaft der Mütter (als gemeinsamem Beherrschungsorgan) oder der Zusammenfassung der Mütter in einem Gleichordnungskonzern insbesondere noch Konsortial- und Stimmbindungsverträge der Mütter in Betracht, während tatsächliche Verhältnisse hierfür nur ausreichen, sofern sie auf Dauer eine gemeinsame Interessenverfolgung der Mütter sicherstellen42. Je nach den Umständen des Falles kann danach sogar eine personelle Verflechtung der Mütter oder deren gemeinsame Beherrschung durch dieselbe Familie die Abhängigkeit des Gemeinschaftsunternehmens begründen43. 3. Rechtsfolgen Soweit einem im Mehrheitsbesitz einer GmbH befindlichen Unternehmen die Zeichnung 38 oder der Erwerb von Anteilen der GmbH verboten ist (s. Rz. 25 f.), gilt dies in gleicher Weise für ein von einer GmbH abhängiges Unternehmen; insoweit wird zwischen Mehrheitsbesitz und Abhängigkeit nicht unterschieden44. Nach § 71d Satz 4 i.V.m. § 71b AktG hat eine von einer AG abhängige GmbH außerdem kein Stimmrecht bei ihrer Muttergesellschaft. Dadurch soll der Gefahr unkontrollierbarer Verwaltungsstimmrechte vorgebeugt werden.

40 S. BGH v. 26.3.1984 – II ZR 171/83, BGHZ 90, 381, 397 = GmbHR 1984, 343 = NJW 1984, 1893 = AG 1984, 181 – BuM; OLG Düsseldorf v. 22.7.1993 – 6 U 84/92, AG 1994, 36, 37 = ZIP 1993, 1791 – Feno; BFH v. 8.1.1969 – I R 91/66, BFHE 95, 215, 218; BFH v. 23.10.1985 – I R 247/81, BFHE 145, 165, 169 f.; s. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 17 AktG Rz. 14–16 m.N. 41 S. zum Folgenden insbes. P. Bauer, NZG 2001, 742; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 17 AktG Rz. 28 ff.; Gansweid, Gemeinsame Tochtergesellschaften im deutschen Konzern- und Wettbewerbsrecht, 1976; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 127 ff.; S. Maul, NZG 2000, 470. 42 Böttcher/Liekefett, NZG 2003, 701. 43 S. BGH v. 4.3.1974 – II ZR 89/72, BGHZ 62, 193, 199 ff. = NJW 1974, 955 – Seitz; BGH v. 8.5.1979 – KVR 1/78, BGHZ 74, 359, 363 ff. = NJW 1979, 2401 – WAZ; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 73 = GmbHR 1981, 189 = NJW 1981, 1512 – Süssen; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/ 84, BGHZ 95, 330, 349 = GmbHR 1986, 78 = NJW 1986, 188; BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123, 125 f. = GmbHR 1993, 283 = NJW 1993, 1200, 1202 – TBB; BGH v. 19.9.1994 – II ZR 237/93, GmbHR 1994, 881 = NJW 1994, 3288 = AG 1995, 35. 44 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 144.

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Anh. § 13 Rz. 38 | GmbH-Konzernrecht Dieser Gedanke ist verallgemeinerungsfähig, so dass ein von einer GmbH abhängiges Unternehmen gleichfalls kein Stimmrecht aus Anteilen an der herrschenden GmbH besitzt45. 39 In § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG knüpft das Gesetz an die Abhängigkeit einer Gesellschaft von

einem Unternehmen ferner die Vermutung, dass die abhängige Gesellschaft zusammen mit dem herrschenden Unternehmen einen Unterordnungskonzern bildet. Eine Widerlegung dieser Vermutung wird gerade bei der GmbH wegen des Primats der Gesellschafterversammlung (§ 37 Abs. 1, § 45, § 46 Nr. 5 und 6) ausgesprochen selten in Betracht kommen, im Grunde wohl nur, wenn aufgrund besonderer Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages die Einflussmöglichkeiten des Mehrheitsgesellschafters so stark beschnitten sind, dass er weder auf die Zusammensetzung der Geschäftsführung noch auf deren Amtsführung Einfluss nehmen kann (s. schon Rz. 24, 33). Beispiele für derartige Abreden sind Sonderrechte anderer Gesellschafter auf Bestellung der Geschäftsführer oder auf die Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführer, sonstige, die Minderheit umfassend schützende Bestimmungen sowie Entherrschungsverträge46, die freilich nur schuldrechtliche Wirkung haben und das Stimmrecht des verpflichteten Gesellschafters im Ergebnis unberührt lassen, sodass ihre Auswirkungen in jedem Einzelfall einer besonders kritischen Prüfung bedürfen47.

IV. Konzern 40 Die Konzerndefinition des AktG in § 18 Abs. 1 und Abs. 2 AktG wird allgemein auch auf

die GmbH angewandt. Man hat deshalb hier ebenso wie bei der AG zwei verschiedene Formen von Konzernen zu unterscheiden, für die sich die Bezeichnungen Unterordnungs- und Gleichordnungskonzern eingebürgert haben. Wichtigstes Merkmal des Konzerns ist in beiden Fällen die Zusammenfassung mehrerer rechtlich selbständiger Unternehmen unter einheitlicher Leitung. Unterordnungs- und Gleichordnungskonzerne unterscheiden sich „lediglich“ dadurch, dass im Unterordnungskonzern die unter einheitlicher Leitung zusammengefassten Unternehmen außerdem voneinander i.S. des § 17 AktG abhängig sind (§ 18 Abs. 1 Satz 1 AktG), während im Gleichordnungskonzern solche Abhängigkeit der verbundenen Unternehmen gerade fehlt (§ 18 Abs. 2 AktG). Ergänzt wird die Regelung des Konzerns in § 18 AktG durch eine unwiderlegliche und eine widerlegliche Vermutung eines Konzerns. Unwiderleglich ist die Vermutung nach § 18 Abs. 1 Satz 2 AktG vor allem bei Bestehen eines Beherrschungsvertrages (§ 291 Abs. 1 Satz 1 AktG), widerleglich dagegen gemäß § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG in den sonstigen Fällen der Abhängigkeit (§ 17 Abs. 1 AktG). 41 Innerhalb der Konzerne unterscheidet man im Anschluss an die aktienrechtliche Regelung

weiter zwischen Vertragskonzernen und faktischen Konzernen (s. die §§ 291 f., §§ 308 ff. und §§ 311 ff. AktG) sowie schließlich noch unter einem anderen Gesichtspunkt zwischen einstufigen und mehrstufigen Konzernen. Bis vor kurzem war es ferner üblich, innerhalb der faktischen Konzerne noch aufgrund der früheren Rechtsprechung des BGH zur Konzernhaftung zwischen einfachen und qualifizierten faktischen Konzernen zu trennen. Mittlerweile ist jedoch offen, ob an dieser Unterscheidung nach der Neuorientierung der Rechtsprechung (Stichwort: Haftung für existenzvernichtende Eingriffe) noch festzuhalten ist (s. Rz. 132 ff.). 42 Der Konzernbegriff des AktG ist im Einzelnen umstritten48. Im Folgenden ist nur zu dem

Zentralbegriff des Konzerntatbestandes des AktG, der einheitlichen Leitung (s. § 18 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AktG), näher Stellung zu nehmen.

45 46 47 48

Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 118; Rodewald in GmbH-Handbuch, Rz. I 2826. S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 18 AktG Rz. 20 ff. BGH v. 22.9.2020 – II ZR 319/18, AG 2020, 965 Rz. 14,19 = NZG 2020, 1349. S. dazu Emmerich/Habersack, Kommentar, § 18 AktG Rz. 8–24.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 46 Anh. § 13

Im Schrifttum zu § 18 AktG wird üblicherweise zwischen einem engen und einem weiten 43 Konzernbegriff unterschieden. Der enge Konzernbegriff geht von dem (wirtschaftswissenschaftlichen) Vorverständnis des Konzerns als wirtschaftlicher Einheit aus und bejaht folgerichtig das Vorliegen eines Konzerns nur, wenn die Konzernspitze grundsätzlich für alle zentralen unternehmerischen Bereiche eine einheitliche Planung aufstellt und bei den Konzernunternehmen ohne Rücksicht auf deren Selbständigkeit durchsetzt. Zu den zentralen unternehmerischen Bereichen in diesem Sinne wird in erster Linie das Finanzwesen gezählt, so dass ein Konzern von den Vertretern dieser Meinung allein dann angenommen wird, wenn für den Konzern jedenfalls auch einheitlich festgelegt wird, welchen Beitrag jedes Unternehmen zum Konzernerfolg leisten muss, über welche Mittel es verfügen darf und wie diese aufzubringen sind49. Der wohl überwiegend vertretene weite Konzernbegriff stimmt mit dem engen (Rz. 43) nur 44 im Ausgangspunkt überein. Erfolgt die Finanzplanung zentral für den ganzen Konzern durch die Konzernspitze, so handelt es sich nach jeder Meinung um einen Konzern im Rechtssinne50. Darüber hinaus lässt der weite Konzernbegriff für die Annahme eines Konzerns jedoch auch eine einheitliche Planung und deren Durchsetzung in einem der anderen zentralen Unternehmensbereiche wie etwa Einkauf, Organisation, Personalwesen und Verkauf genügen, dies freilich nur unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass die Koordinierung der Unternehmen in dem fraglichen Bereich Rückwirkungen auf das Gesamtunternehmen hat, so dass den Konzernunternehmen eine selbständige Planung letztlich unmöglich gemacht wird. Für diesen weiten Konzernbegriff spricht vor allem, dass es allein auf seinem Boden möglich ist, den wenigen Vorschriften, die an den Konzerntatbestand anknüpfen, einen nennenswerten Anwendungsbereich zu sichern, wobei in erster Linie neben den mitbestimmungsrechtlichen Regelungen an die verschiedenen Publizitätsvorschriften zu denken ist (s. besonders §§ 290 ff. HGB)51. Die Rechtsprechung folgt bisher gleichfalls durchweg einem weiten Verständnis des Kon- 45 zernbegriffs, ausdrücklich im Bereich des § 5 MitbestG, im Ergebnis aber ebenso in den wenigen Beziehungen, in denen es auf den Konzernbegriff des § 18 AktG sonst noch ankommt52. Vor allem die einheitliche Finanzplanung für die zusammengefassten Unternehmen ist daher in jedem Fall ein wichtiges Indiz für das Vorliegen eines Konzerns53.

V. Wechselseitige Beteiligungen 1. Überblick Verbundene Unternehmen sind nach § 15 AktG schließlich noch die wechselseitig beteiligten 46 Unternehmen. Darunter sind nach § 19 Abs. 1 AktG (nur) Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland zu verstehen, die aneinander mit jeweils mehr als 25 % beteiligt sind, wobei die Zurechnungsvorschrift des § 16 Abs. 4 AktG zu beachten ist, so dass für die Ermittlung der kritischen

49 So insbes. Milde, Der Gleichordnungskonzern im Gesellschaftsrecht, 1996, S. 70 ff. 50 Ebenso LG Mainz v. 16.10.1990 – 10 HO 57/89, AG 1991, 30, 31. 51 Altmeppen, Rz. 13–16; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 18 AktG Rz. 13 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 147. 52 BayObLG v. 24.3.1998 – 3Z BR 236/96, BayObLGZ 1998, 85, 90 f. = AG 1998, 523, 524; BayObLG v. 6.3.2002 – 3Z BR 343/00, BayObLGZ 2002, 46, 50 = AG 2002, 511 = NJW-RR 2002, 974; OLG Stuttgart v. 3.5.1989 – 8 W 38/89, AG 1990, 168, 169; OLG Düsseldorf v. 30.1.1979 – 19 W 17/78, AG 1979, 318 = WM 1979, 956; OLG Düsseldorf v. 4.7.2013 – 26 W 13/08 (AktE), AG 2013, 720; OLG Dresden v. 15.4.2010 – 2 W 1174/09, AG 2011, 88; LG Dortmund v. 25.3.2010 – 18 O 95/09 AktE, ZIP 2010, 2152. 53 LG Oldenburg v. 14.3.1992 – 15 O 478/88, ZIP 1992, 1632, 1636 – TBB.

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Anh. § 13 Rz. 46 | GmbH-Konzernrecht Beteiligung von mehr als 25 % die Beteiligungen von Mutter- und Tochtergesellschaften zusammenzurechnen sind. Innerhalb der so umschriebenen wechselseitigen Beteiligungen hat man weiter, wie sich aus den § 19 Abs. 4 und § 328 AktG ergibt, zwischen einfachen und qualifizierten wechselseitigen Beteiligungen zu unterscheiden je nachdem, ob zwischen den verbundenen Unternehmen Mehrheits- bzw. Abhängigkeitsbeziehungen bestehen. Ist dies der Fall, so finden allein die Regeln über Mehrheits- und Abhängigkeitsbeziehungen Anwendung (§ 19 Abs. 4 AktG), während sonst die Sondervorschrift des § 328 AktG zu beachten ist. Von derselben Tatbestandsbildung ist angesichts der allgemeinen Fassung der § 19 und § 328 AktG im GmbH-Konzernrecht auszugehen. Im Einzelnen muss man deshalb die folgenden Fälle unterscheiden: 2. Einfache wechselseitige Beteiligungen 47 Den ersten Fall bilden einfache wechselseitige Beteiligungen i.S. des § 19 Abs. 1 AktG, zu de-

nen nicht noch eine Mehrheits- oder Abhängigkeitsbeziehung hinzutritt (§ 19 Abs. 2 und 3 AktG). Ist an dieser Unternehmensverbindung wenigstens eine AG (neben einer GmbH) beteiligt, so greift allein § 328 AktG ein (§ 19 Abs. 4 AktG), der unmittelbar auf den Mitteilungspflichten der § 20 und § 21 AktG aufbaut und im Ergebnis eine Ausübungssperre zu Lasten derjenigen wechselseitig beteiligten Gesellschaft begründet, die die wechselseitige Beteiligung begründet hat oder doch verspätet ihrer Mitteilungspflicht nachgekommen ist. Auf einfache wechselseitige Beteiligungen allein zwischen Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH kann diese Regelung dagegen nicht entsprechend angewandt werden, weil für solche Gesellschaften keine den § 20 und § 21 AktG entsprechenden Mitteilungspflichten bestehen (s. Rz. 54 f.). 48 Aus der Unanwendbarkeit des § 328 AktG (Rz. 47) darf nicht der Schluss gezogen werden,

dass einfache wechselseitige Beteiligungen zwischen Gesellschaften mbH unbeschränkt zulässig seien; auf diesen Fall ist vielmehr § 33 Abs. 2 entsprechend anzuwenden, so dass den verbundenen Gesellschaften der weitere Ausbau der wechselseitigen Beteiligung nur unter den in dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erlaubt ist. Nach h.M. gilt dies freilich entsprechend einer in dem RegE von 1977 zu der Novelle von 1980 vorgesehenen Regelung nur, wenn die eine Gesellschaft an der anderen mehrheitlich beteiligt ist, d.h., wenn es sich um eine einseitige qualifizierte wechselseitige Beteiligung handelt54. Dabei bleibt jedoch unbeachtet, dass dieser Entwurf gerade nicht Gesetz geworden ist, weil man es für richtiger hielt, die Entscheidung des Fragenkreises der Rechtsprechung zu überlassen55. Unter diesen Umständen steht nichts im Wege, im GmbH-Recht an die Wertungen der § 19 Abs. 1 und § 328 AktG anzuknüpfen und daher im Interesse der Kapitalerhaltung in einfachen wechselseitigen Beteiligungen § 33 Abs. 2 schon anzuwenden, sobald die 25 %-Grenze überschritten wird56. Diese Auffassung hat zudem den großen Vorzug, auf beide verbundenen Unternehmen anwendbar zu sein. Dagegen besteht kein Bedürfnis für eine Analogie auch zu § 33 Abs. 157. 49 Umstritten ist die Rechtslage außerdem hinsichtlich Kapitalerhöhungen gegen Einlagen (so

genannter originärer Erwerb von Anteilen). Überwiegend wird hier § 56 Abs. 2 Satz 1 AktG 54 Ebenso Altmeppen, § 33 Rz. 34; Koppensteiner, WiBl. 1990, 1, 2 f.; Lutter, Kapital, S. 57 f.; Serick, Juristische Person, S. 110 ff.; Verhoeven, GmbHR 1977, 97, 100; s. dazu auch 13. Aufl., § 33 Rz. 157 ff. 55 S. den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 8(1980)/3908, S. 74. 56 S. Emmerich in FS H.P. Westermann, 2008, S. 55, 65 f.; Emmerich, AG 1975, 282, 292; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 175; Ramming, Beteiligungen, S. 74 ff.; Sosnitza in Michalski u.a., § 33 Rz. 50; Kerstin Schmidt, Wechselseitige Beteiligungen, S. 82 f. 57 S. Altmeppen, § 33 Rz. 41; Kerstin Schmidt, Wechselseitige Beteiligungen, S. 85 f.; Verhoeven, GmbHR 1977, 97, 100.

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entsprechend angewandt, so dass sich das Zeichnungsverbot auf die abhängige Gesellschaft in Mehrheits- und Abhängigkeitsbeziehungen beschränkt58. Richtigerweise sollte jedoch im Interesse der Kapitalerhaltung auch hier von der 25 %-Grenze ausgegangen werden, so dass bereits in einfachen wechselseitigen Beteiligungen für beide Gesellschaften ein Zeichnungsverbot bei einer Kapitalerhöhung der anderen Gesellschaft besteht59. 3. Qualifizierte wechselseitige Beteiligungen Eine qualifizierte wechselseitige Beteiligung liegt nach § 19 Abs. 2 und 3 AktG vor, wenn zu 50 der wechselseitigen Beteiligung der verbundenen Gesellschaften i.S.d. § 19 Abs. 1 AktG einseitige oder beiderseitige Mehrheits- oder Abhängigkeitsbeziehungen hinzutreten. Ist in einem solchen Fall an der Unternehmensverbindung eine AG, und zwar als herrschende oder mit Mehrheit beteiligte Gesellschaft beteiligt, so gelten für die beteiligte GmbH bereits unmittelbar die Vorschriften der § 56 Abs. 2, § 71d Satz 4 und § 71b AktG. Dies bedeutet vor allem, dass der Anteilsbesitz der abhängigen GmbH grundsätzlich auf 10 % beschränkt wird (§ 71d Satz 2 i.V.m. § 71 Abs. 2 Satz 1 AktG), dass der weitergehende Anteilsbesitz abgebaut werden muss (§ 71d Satz 4 i.V.m. § 71c Abs. 1 AktG) und dass sämtliche Rechte der abhängigen GmbH aus dem ihr verbleibenden Anteilsbesitz ruhen (§ 71d Satz 4 i.V.m. § 71b AktG)60. Ungeregelt ist der „umgekehrte“ Fall, d.h. die Beteiligung einer GmbH neben einer AG an 51 einer qualifizierten wechselseitigen Beteiligung als herrschende oder mit Mehrheit beteiligte Gesellschaft, ebenso wie der Fall einer qualifizierten wechselseitigen Beteiligung allein zwischen Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH. In beiden Fällen ergibt sich jedoch bereits aus den Ausführungen zu einfachen wechselseitigen Beteiligungen, dass hier auf jeden Fall § 33 Abs. 2 entsprechend anzuwenden ist und dass außerdem ein Zeichnungsverbot für beide Gesellschaften besteht (Rz. 47 f.)61, während sich die Regelung der § 71d Satz 4 und § 71c Abs. 1 AktG über die Pflicht zur Veräußerung des über 10 % hinausgehenden Anteilsbesitzes wohl nicht auf die GmbH übertragen lässt62. 4. Sonstige Fälle Wechselseitige Beteiligungen kommen auch zwischen Kapital- und Personengesellschaften 52 vor. Nach überwiegender Meinung bestehen gegen derartige wechselseitige Beteiligungen grundsätzlich keine Bedenken, weshalb insbesondere das Stimmverbot für abhängige Gesellschaften nicht auf abhängige Personengesellschaften übertragen wird63. Ein Grund für diese Privilegierung von Personengesellschaften ist nur schwer erkennbar64. 53 Deshalb sollten die vorstehend entwickelten Regeln (Rz. 47 ff.) – entgegen der h.M. – auch auf wechselseitige Beteiligungen zwischen einer GmbH und einer Personengesellschaft angewandt werden, wie sie insbesondere im Rahmen einer GmbH & Co. KG vorkommen. Das sollte jedenfalls für qualifizierte wechselseitige Beteiligungen mit Personengesellschaften gelten, so dass auch hier die § 56 Abs. 2 und § 71d Satz 4 i.V.m. den § 71b und § 71c AktG 58 LG Berlin v. 26.8.1986 – 98 T 24/86, GmbHR 1987, 395, 396 = ZIP 1986, 1564; Altmeppen, § 33 Rz. 40; Verhoeven, GmbHR 1977, 97, 102. 59 Ebenso Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 176; Kerstin Schmidt, Wechselseitige Beteiligungen, S. 90 f. 60 S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 19 AktG Rz. 14 ff. 61 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 178. 62 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 178. 63 BGH v. 6.10.1992 – KVR 24/91, BGHZ 119, 346, 356 f. = GmbHR 1993, 44 = NJW 1993, 1265 = AG 1993, 140. 64 S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 19 AktG Rz. 25; Ramming, Beteiligungen, S. 106 ff.

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Anh. § 13 Rz. 53 | GmbH-Konzernrecht entsprechend angewandt werden können. Die Folge ist, dass bei einer wechselseitigen Beteiligung zwischen einer GmbH und einer Personengesellschaft die letztere im Falle einer Kapitalerhöhung der GmbH von der Beteiligung ausgeschlossen ist65. Im Übrigen dürfte hier auch Raum für eine entsprechende Anwendung des § 33 Abs. 2 sein.

VI. Mitteilungspflichten 1. §§ 20, 21 AktG; § 33 WpHG 54 Für Beteiligungen einer GmbH an anderen Gesellschaften und für Beteiligungen an einer

GmbH bestehen bisher – jenseits des § 40 – keine generellen Mitteilungspflichten aufgrund des GmbHG oder anderer Gesetze. Lediglich in Einzelfällen können sich solche Pflichten aus den §§ 33 ff. WpHG oder aus den § 20 und § 21 AktG ergeben. Vorrangig sind die Mitteilungspflichten nach dem WpHG (§ 20 Abs. 8 und § 21 Abs. 5 AktG), die jedoch allein Beteiligungen einer GmbH an einer börsennotierten AG i.S.d. § 33 Abs. 4 WpHG erfassen. Die Mitteilungspflicht für Beteiligungen einer GmbH an einer anderen AG richtet sich dagegen nach § 20 AktG, während Beteiligungen einer AG an einer GmbH nach § 21 AktG mitteilungspflichtig sein können.

55 Eine weitere Mitteilungspflicht für wechselseitige Beteiligungen folgt aus § 328 Abs. 4 AktG.

Die zuletzt genannte Vorschrift ist entsprechend auch auf wechselseitige Beteiligungen allein zwischen GmbH oder anderen Kapitalgesellschaften mit Sitz im Inland mit Ausnahme von Aktiengesellschaften anwendbar66. Jenseits dieser Sonderfälle besteht jedoch bisher keine gesetzliche Mitteilungspflicht für Beteiligungen einer GmbH und an einer GmbH. Deshalb muss hier im Interesse der dringend gebotenen Publizität von Beteiligungsverhältnissen nach anderen Rechtsgrundlagen Ausschau gehalten werden (Rz. 57). 56 Eine in mancher Hinsicht mit den § 20 und § 21 AktG vergleichbare Funktion hat die zum

Handelsregister einzureichende Gesellschafterliste, aus der sich jede Veränderung in den Beteiligungsverhältnissen einer GmbH ergeben muss (§ 8 Abs. 1 Nr. 3, § 40). Die sich aus den genannten Vorschriften des GmbHG ergebenden Mitteilungspflichten der Geschäftsführer können sich im Einzelfall durchaus mit den Mitteilungspflichten nach den §§ 20 und 21 AktG oder nach dem WpHG (§§ 33 ff. WpHG) überschneiden, stehen dann aber selbständig nebeneinander und müssen unabhängig voneinander erfüllt werden67. 2. Treuepflicht 57 Zumal in faktischen Konzernen ist der Minderheit ein Schutz ihrer Interessen nur möglich,

wenn sie überhaupt über die Beziehungen der Mehrheit zu anderen Unternehmen unterrichtet ist. Deshalb ist jedenfalls in Abhängigkeitsverhältnissen anzunehmen, dass das herrschende Unternehmen aufgrund seiner Treuepflicht zur Offenlegung seines Beteiligungsbesitzes und seiner Beziehungen zu anderen Unternehmen verpflichtet ist (§ 242 BGB), vor allem, wenn es das Unternehmen der Gesellschaft seinen außerhalb der Gesellschaft liegenden Interessen dienstbar machen will. Die Mitteilungspflicht besteht dann nicht nur gegen-

65 LG Berlin v. 26.8.1986 – 98 T 24/86, GmbHR 1987, 395 = ZIP 1986, 1564; LG Hamburg, Hamburger JVBl. 1972, 67; zustimmend Koppensteiner, WiBl. 1990, 1, 6; s. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 19 AktG Rz. 25; Emmerich in FS H.P. Westermann, 2008, S. 55, 62 f.; Ramming, Beteiligungen, S. 110 ff. 66 S. Rz. 50; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 20 AktG Rz. 9, § 328 AktG Rz. 24 f. 67 Wachter, GmbHR 2011, 1084.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 59 Anh. § 13

über der Gesellschaft (so wohl die h.M.), sondern auch unmittelbar gegenüber den Mitgesellschaftern. Im Ergebnis besteht hierüber heute weitgehende Übereinstimmung68.

C. Konzernbildungskontrolle Schrifttum: B. Binnewies, Die Konzerneingangskontrolle in der abhängigen Gesellschaft, 1996; Bouchon, Konzerneingangsschutz im GmbH- und Aktienrecht, 2002; Decher, Personelle Verflechtungen im Aktienkonzern, 1990; Deilmann, Die Entstehung des qualifizierten faktischen Konzerns, 1990; Druey (Hrsg.), Das St. Galler Konzernrechtsgespräch, 1988; Geiger, Wettbewerbsverbote im Konzernrecht, 1997; W. Grauer, Konzernbildungskontrolle im GmbH-Recht, 1991; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996; Hirte, Bezugsrechtsausschluss und Konzernbildung, 1986; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982; Hommelhoff (Hrsg.), Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, 1986; Chr. Jansen, Konzernbildungskontrolle im faktischen GmbH-Konzern, 1993; Kleindiek, Strukturvielfalt im Personengesellschafts-Konzern, 1991; Knoll, Die Übernahme von Aktiengesellschaften, 1992; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, 1995; Mecke, Konzernbeteiligung und Aktionärsentscheid, 1992; Mestmäcker/Behrens, Das Gesellschaftsrecht der Konzerne im internationalen Vergleich, 1991; Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 2. Aufl. 1996; J. Reul, Die Pflicht zur Gleichbehandlung der Aktionäre bei privaten Kontrolltransaktionen, 1991; Schießl, Die beherrschte Personengesellschaft, 1985; Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 522 ff.; B. Sonntag, Konzernbildungsund Konzernleitungskontrolle bei der GmbH, 1990; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998; Timm, Die AG als Konzernspitze, 1980; U. Wackerbarth, Grenzen der Leitungsmacht in der internationalen Unternehmensgruppe, 2001; Wahlers, Konzernbildungskontrolle durch die Hauptversammlung der Obergesellschaft, 1995; Warschkow, Schutz der Aktionäre der Konzernobergesellschaft, 1991; Wehlmann, Kompetenzen von Gesellschaftern und Gesellschaftsorganen bei der Bildung faktischer GmbH-Konzerne, 1996; H. Wiedemann, Die Unternehmensgruppe im Privatrecht, 1988; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988.

I. Überblick Unter Konzerneingangs-, Konzernbildungs- oder Gruppenbildungskontrolle versteht man 58 einen Präventivschutz gegen die Begründung von Abhängigkeits- oder Konzernlagen. Dahinter steht die prinzipiell zutreffende Überlegung, dass das bisher überwiegend als bloßes Schutzrecht für bereits abhängige Gesellschaften konzipierte Konzernrecht häufig zu kurz greift, weil es erst einsetzt, wenn es im Grunde bereits zu spät ist, nämlich erst nach Begründung der Abhängigkeit, während es in Wirklichkeit darauf ankommt, schon vorweg die Entstehung eines Abhängigkeitsverhältnisses der Gesellschaft zu einem anderen Unternehmen oder doch ihre Eingliederung in einen von dem anderen Unternehmen geführten Konzern zu verhindern. Plastisch wird häufig der Zeitpunkt der Abhängigkeitsbegründung oder doch der Konzerneingliederung als der „archimedische“ Punkt des Konzernrechts bezeichnet69. Aus dieser Einsicht wird verbreitet die Forderung abgeleitet, das Konzernrecht durch eine 59 effektive Kontrolle der Begründung von Abhängigkeits- oder Konzernverhältnissen zu ergänzen. Dabei wird naturgemäß in erster Linie die abhängige Gesellschaft ins Auge gefasst, weil hier offenkundig die Notwendigkeit eines Schutzes der Minderheit besonders dringlich ist (Rz. 66 ff.). Darüber darf man jedoch nicht übersehen, dass die Bildung weit verzweigter 68 S. Rz. 74; Altmeppen, Rz. 138; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 20 AktG Rz. 12, § 318 AktG Anhang Rz. 15; Hirte, Bezugsrechtsausschluss, S. 171, 202, 227 ff.; Lutter/Timm, NJW 1982, 409, 419; Schilling in FS Hefermehl, 1976, S. 383, 387; Karsten Schmidt, GmbHR 1979, 121, 132; wohl auch BGH v. 6.10.1980 – II ZR 60/80, BGHZ 79, 337, 344 = NJW 1981, 1449; BGH v. 5.2.2013 – II ZR 134/11, BGHZ 196, 131, 142 Rz. 28 = NJW 2013, 2190. 69 Lutter/Timm, NJW 1982, 409, 411 f.; Hommelhoff, Rz. 29.

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Anh. § 13 Rz. 59 | GmbH-Konzernrecht Konzerne auf der Stufe der herrschenden Gesellschaft gleichfalls Probleme des Minderheitsund Gläubigerschutzes aufwerfen kann, des Minderheitsschutzes etwa dann, wenn die Verwaltung der herrschenden Gesellschaft die Politik einer strikten Gewinnthesaurierung bei den Tochtergesellschaften verfolgt, und des Gläubigerschutzes, wenn Haftungsrisiken aus den Tochtergesellschaften auf die Muttergesellschaft durchzuschlagen drohen (s. die § 302 und § 303 AktG). Das hat zu der Frage geführt, ob auch auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft, jedenfalls in bestimmten Fallgestaltungen, Raum für eine ergänzende Konzernbildungskontrolle ist (Rz. 81 ff.). 60 Neben die Forderung nach der Entwicklung einer Konzernbildungskontrolle tritt häufig der

Wunsch nach der Entwicklung einer Gruppen- oder Konzernleitungskontrolle. Gemeint ist damit die angemessene Beteiligung der Gesellschafter der Obergesellschaft an der Konzernleitung, in erster Linie um zu verhindern, dass sich die Verwaltung der Obergesellschaft durch die Verlagerung der wirtschaftlichen Aktivitäten der Obergesellschaft in die Untergesellschaften einen weithin kontrollfreien Raum verschafft, da die Kontrollrechte der Gesellschafter der Obergesellschaft nur von Fall zu Fall und mit großen Schwierigkeiten in die Untergesellschaften hinein verlängert werden können. Die Konzernbildungskontrolle auf der Ebene der Obergesellschaft (Rz. 59) und die Konzernleitungskontrolle auf derselben Ebene sind, so gesehen, im Grunde nur zwei Seiten derselben Medaille. 61 Die Notwendigkeit einer besonderen Konzernbildungs- oder Konzernleitungskontrolle ist

ebenso umstritten wie ihre rechtliche Ausgestaltung70. In der ausufernden Diskussion zeichnen sich bisher nur wenige, allseits akzeptierte Lösungen ab (s. Rz. 64 f.). Es kommt hinzu, dass auch die Rechtsprechung zu dem Fragenkreis bisher nur selten und keineswegs einheitlich Stellung genommen hat. Zu beginnen ist mit einem kurzen Blick auf die verstreuten gesetzlichen Regelungen des Fragenkreises sowie auf die Rechtsprechung dazu: 62 Gesetzliche Regelungen finden sich bisher nur verstreut an einzelnen Stellen. Hervorzu-

heben ist (neben den hier nicht interessierenden § 319 und § 320 AktG) § 293 AktG, der für Aktiengesellschaften eine Mitwirkung der Aktionäre bei dem Abschluss bestimmter Unternehmensverträge auf beiden Ebenen, bei der Muttergesellschaft ebenso wie bei der Tochtergesellschaft, vorsieht. Diese Regelung ist, jedenfalls partiell, auf die GmbH übertragbar, so dass zumindest bei dem Abschluss bestimmter Unternehmensverträge bei der Mutter- wie bei der Tochtergesellschaft eine Konzernbildungskontrolle, verstanden als Mitwirkung der Gesellschafter bei Strukturentscheidungen im Rahmen des Konzernaufbaus, gewährleistet ist (s. Rz. 183, 196 ff.). 63 Eine weitere Teilregelung hat das UmwG, und zwar insbesondere für bestimmte Fälle der

Ausgliederung im Wege der Spaltung gebracht. Die Einzelheiten finden sich in den §§ 123 ff. UmwG. Hervorzuheben ist die Notwendigkeit einer Zustimmung der Gesellschafter zu der Ausgliederung im Wege der Abspaltung von Vermögensteilen mit qualifizierter Mehrheit (§§ 125, 13 UmwG). Aus § 62 UmwG ergeben sich außerdem Hinweise auf die durchweg zu beachtende Bagatellgrenze, die in den Augen des Gesetzgebers offenbar bei 10 % des Vermögens liegt. 64 Die Rechtsprechung hat sich in Deutschland ebenso wie etwa in Österreich bisher nur gele-

gentlich mit Fragen der Konzernbildungskontrolle befasst. Soweit ersichtlich, ist das erste einschlägige Urteil des BGH das so genannte Süssen-Urteil vom 16.2.1981, das eine GmbH

70 Zusammenfassend Altmeppen, Rz. 127 ff.; Bouchon, Konzerneingangsschutz, 2002; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, §§ 7 ff. (S. 100 ff.); Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 8–24; Kiefner in MünchHdb. GesR III, § 67 Rz. 14 ff.; Hommelhoff, Rz. 29 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 286 ff.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 65 Anh. § 13

betraf71. Nach diesem Urteil sind Mehrheitsbeschlüsse, die die Gefahr der Abhängigkeit einer Gesellschaft von einem anderen Unternehmen begründen, grundsätzlich rechtswidrig, außer wenn der Beschluss aufgrund besonderer Umstände den Interessen der Gesellschaft entspricht und deshalb sachlich gerechtfertigt erscheint. In dem wenig später folgenden Holzmüller-Urteil vom 25.2.198272 erkannte der BGH außerdem für den Fall der Ausgliederung einer 100%igen Tochtergesellschaft aus einer AG, auf die der bei weitem größte Teil des Vermögens der Gesellschaft übertragen werden sollte, ausdrücklich eine Konzernbildungs- und Konzernleitungskontrolle auf der Ebene der herrschenden AG an und billigte obendrein den Aktionären der Muttergesellschaft Einzelklagerechte zur Durchsetzung ihrer Rechte bei weiterreichenden Strukturentscheidungen zu. Beispiele sind der Erwerb oder die Veräußerung einer wesentlichen Beteiligung, wenn die Maßnahme den Kernbereich der Unternehmenstätigkeit betrifft und die Unternehmensstruktur durch die Maßnahme von Grund auf geändert wird73, sowie die Einbringung des Grundbesitzes, der das wesentliche Vermögen einer Gesellschaft darstellt, in eine Tochtergesellschaft, an der zudem Dritte beteiligt sind74. Soweit es speziell um die AG geht, handelt es sich dabei freilich um Ausnahmefälle, da sich 65 nach den beiden Gelatine-Urteilen vom 26.4.200475 der Anwendungsbereich der Holzmüller-Doktrin streng auf Geschäftsführungsmaßnahmen des Vorstandes beschränkt, die an die Kernkompetenz der Hauptversammlung, über die Verfassung der Gesellschaft zu bestimmen, rühren und in ihren Auswirkungen einem Zustand nahezu entsprechen, der allein durch eine Satzungsänderung herbeigeführt werden kann76. Dafür genüge nicht die Überschreitung einer Bagatellgrenze von 5 oder 10 % des Vermögens; erforderlich seien vielmehr ebenso einschneidende Auswirkungen wie in dem Holzmüller-Fall (s. Rz. 64). Unter diesen Voraussetzungen könnten dann nicht nur Ausgliederungen von Tochtergesellschaften, sondern auch Strukturänderungen bei Tochtergesellschaften erfasst werden. Sie bedürften in diesem Fall außerdem zwingend einer Zustimmung der Hauptversammlung der Muttergesellschaft mit qualifizierter Mehrheit (s. Rz. 81 ff.). Insgesamt ist danach bisher bei der AG für eine effektive Konzernbildungskontrolle wohl nur selten Raum. Ein deutlich anderes Bild zeigt sich dagegen bei einem Blick auf die aktuelle Diskussion speziell zu der Rechtslage bei der GmbH (Rz. 66 ff.).

II. Konzernbildungskontrolle auf der Ebene der abhängigen GmbH Schrifttum: Altmeppen, Rz. 127 ff.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30 ff.; Binnewies, Die Konzerneingangskontrolle in der abhängigen Gesellschaft, 1996, S. 133–282; Bouchon, Konzerneingangsschutz im GmbH- und Aktienrecht, 2002, S. 67, 239 ff.; Emmerich, Konzernbildungskontrolle, AG 1991, 303; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 11. Aufl. 2020, § 8 II (S. 107 ff.); Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2022, § 318 AktG Anh. Rz. 8 ff.; W. Grauer, Konzernbildungskontrolle im GmbH-Recht, 1991; Kiefner in MünchHdb. GesR III, § 67 Rz. 14 f.; Liebscher,

71 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 f. = NJW 1981, 189 = GmbHR 1981, 189; ebenso zuvor schon OGH v. 16.12.1980 – 5 Ob 649/80, SZ Bd. 53 (1980) Nr. 172, S. 779, 783 ff. = GesRZ 1981, 44. 72 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 131 ff. = NJW 1982, 1703 = AG 1982, 158 = ZIP 1982, 568. 73 LG Duisburg v. 27.6.2002 – 21 O 106/02, AG 2003, 390 – Babcock Borsig/HDW I; LG Duisburg v. 21.8.2003 – 21 T 6/02, AG 2004, 159 – Babcock Borsig/HDW II; bestätigt durch OLG Düsseldorf v. 16.1.2004 – 3 Wx 290/03, AG 2004, 211 = ZIP 2004, 313. 74 OLG München v. 10.11.1994 – 24 U 1036/93, AG 1995, 232, 233. 75 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30 = AG 2004, 384 = NJW 2004, 1860 – Gelatine I; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575 = ZIP 2004, 1001 – Gelatine II. 76 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 44 ff. = AG 2004, 384 = NJW 2004, 1860 – Gelatine I.

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Anh. § 13 Rz. 66 | GmbH-Konzernrecht Konzernbildungskontrolle, 1995, S. 218–302; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 286 ff.; Hommelhoff, Rz. 27 ff.; Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017; Servatius in Michalski u.a., Rz. 442 ff.; Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 532 ff.

1. Überblick 66 Für eine Konzernbildungskontrolle auf der Ebene der abhängigen Gesellschaft besteht nur

dann ein Bedürfnis, wenn es sich um eine ursprünglich unabhängige Gesellschaft handelt. Wenn eine GmbH dagegen von vornherein, etwa durch Ausgliederung oder Abspaltung, als abhängige Tochtergesellschaft zur Erledigung bestimmter Aufgaben gegründet wird, erübrigen sich alle weiteren Überlegungen zum Schutze der Unabhängigkeit der Gesellschaft. Umso dringlicher sind derartige Überlegungen dagegen bei den anderen Gesellschaften mbH. Man muss sich hier als erstes vergegenwärtigen, dass der Unabhängigkeit einer Gesellschaft Gefahren aus sehr unterschiedlichen Richtungen drohen können77. Entsprechend differenziert müssen auch die Reaktionen der Rechtsordnung ausfallen. 67 Der wichtigste hierher gehörige Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass ein Unternehmens-

gesellschafter nachträglich die Mehrheit der Geschäftsanteile erwirbt, wobei es keine Rolle spielt, ob er schon vorher an der Gesellschaft beteiligt war. Auch der Mehrheitserwerb im Zuge einer Kapitalerhöhung gehört hierher. Gleich steht der Fall, dass sich ein privater Mehrheitsgesellschafter nachträglich in einen Unternehmensgesellschafter verwandelt, etwa durch Aufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit außerhalb der Gesellschaft oder durch die mehrheitliche Beteiligung an einer weiteren Gesellschaft. In die Abhängigkeit der GmbH kann außerdem z.B. ein Zusammenschluss mehrerer kleiner Unternehmensgesellschafter führen, mit dem sie den Zweck verfolgen, die Gesellschaft unter ihre Kontrolle zu bringen78. 68 In den genannten Fällen (Rz. 67) hängt die Rechtslage vor allem davon ab, ob der Weg der

Gesellschaft in die Abhängigkeit über einen Beschluss der Gesellschafter führt (Rz. 69 ff.). Ein Beschluss der Gesellschafter ist zur Begründung der Abhängigkeit z.B. erforderlich bei einer Kapitalerhöhung, wenn die neuen Anteile einem Unternehmensgesellschafter, der dadurch die Mehrheit erlangt, unter Ausschluss der übrigen zugewiesen werden sollen, oder bei dem Mehrheitserwerb eines Unternehmensgesellschafters, wenn die Gesellschaftsanteile nach § 15 Abs. 5 vinkuliert sind, während die Gesellschafterversammlung nicht involviert ist, wenn sich etwa der Mehrheitserwerb außerhalb der Gesellschaft durch Erbfolge vollzieht oder wenn ein bisher privater Mehrheitsgesellschafter durch die Aufnahme einer konkurrierenden unternehmerischen Tätigkeit Unternehmensqualität erlangt. 2. Beschlusskontrolle a) Gestaltungsmöglichkeiten des Gesellschaftsvertrages 69 Angesichts der Vertragsfreiheit, die die Gesellschafter einer GmbH bei der Gestaltung ihres

Innenverhältnisses besitzen (§ 45 Abs. 1), ist die Sicherung der Unabhängigkeit der Gesellschaft in erster Linie eine Aufgabe des Gesellschaftsvertrages (§ 45)79. Dafür kommen un77 S. statt aller Emmerich, AG 1987, 1, 2; Emmerich, AG 1991, 303; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 288 ff. 78 Vgl. den Fall OLG Saarbrücken v. 12.7.1979 – 8 U 14/78, AG 1980, 26 und BGH v. 13.10.1980 – II ZR 201/79, AG 1980, 342. 79 Monopolkommission 7. Hauptgutachten, 1986/87, Rz. 860 ff.; Altmeppen, Rz. 129 ff.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 32 ff.; Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 143 ff.; Bouchon, Konzerneingangsschutz, S. 66 f.; Doralt, ZGR 1991, 252, 261 ff.; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 72 ff.; Uwe H. Schneider in Hommelhoff, Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, S. 121 ff.; M. Winter, Treuebindungen, S. 239 ff.

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terschiedliche Regelungen in Betracht80. Als besonders erfolgversprechend gilt allgemein die Vinkulierung der Anteile gemäß § 15 Abs. 581. Ähnliche Bedeutung wie der Vinkulierung der Anteile (Rz. 69) wird verbreitet Wettbewerbs- 70 verboten für die Gesellschafter zur Sicherung der Unabhängigkeit der Gesellschaft beigemessen, vor allem, wenn das Wettbewerbsverbot im Sinne eines umfassenden Verbots unternehmerischer Betätigung außerhalb der Gesellschaft formuliert wird (13. Aufl., § 3 Rz. 87 ff.). Daneben ist, gegebenenfalls zusätzlich, an die Einführung von Höchststimmrechten82, an Ankaufs- und Vorkaufsrechte der Gesellschafter hinsichtlich der Anteile der Mitgesellschafter (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 85) sowie an Ausschlussrechte gegenüber fremden Unternehmensgesellschaftern zu denken. Sollen derartige Schutzmechanismen nachträglich eingeführt werden, so dürfte dafür im 71 Regelfall eine Änderung des Gesellschaftsvertrages mit qualifizierter Mehrheit nach § 53 Abs. 2 genügen83; ein Fall des § 53 Abs. 3 wird nur vorliegen, wenn sich solche Klauseln gezielt gegen einzelne Gesellschafter richten, von denen der Unabhängigkeit der Gesellschaft in besonderem Maße Gefahren drohen. Die Wirksamkeit derartiger Schutzmechanismen ist umso höher einzuschätzen, je enger die Voraussetzungen sind, unter denen jeweils im Einzelfall einem Gesellschafter Befreiung (Dispens) von der fraglichen Beschränkung erteilt werden kann, und umgekehrt (s. Rz. 72 f.). b) Dispens Soll einem Gesellschafter Befreiung von einer der genannten, die Unabhängigkeit der Gesell- 72 schaft sichernden gesellschaftsvertraglichen Regelungen erteilt werden (zuvor Rz. 69 f.), so ist danach zu unterscheiden, ob der Gesellschaftsvertrag bereits selbst eine derartige Möglichkeit vorsieht; bei Fehlen einer gesellschaftsvertraglichen Regelung, ist eine Dispenserteilung nur im Wege der Änderung des Gesellschaftsvertrages nach § 53 möglich. Für eine Inhaltskontrolle, wie sie in anderen Fällen der Dispenserteilung erwogen wird (Rz. 74), dürfte daneben kein Raum sein. In Betracht kommt allenfalls eine Missbrauchskontrolle in besonders schwerwiegenden Fällen (§§ 242, 826 BGB; alles streitig). Sieht dagegen bereits der Gesellschaftsvertrag selbst eine Befreiungsmöglichkeit, z.B. von 73 einem Veräußerungs- oder einem Wettbewerbsverbot vor, so genügt für den Dispens grundsätzlich ein Beschluss der Gesellschafter mit einfacher Mehrheit, sofern nicht der Vertrag selbst eine höhere Mehrheit vorschreibt84. Die zentrale Frage ist in diesen Fällen immer die Anwendbarkeit des § 47 Abs. 4 Satz 1. Für den Fall der Zustimmung der Gesellschafter zur Veräußerung von Gesellschaftsanteilen nach § 15 Abs. 5 wird die Frage überwiegend verneint (s. 12. Aufl., § 47 Rz. 117). Anders wird dagegen in der Regel entschieden, soweit es um die Befreiung eines Gesellschafters von einem (vertraglichen oder aus der Treuepflicht abgeleiteten) Wettbewerbsverbot geht85. Die Beweislast für das Vorliegen der genannten

80 S. insbes. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 10 f.; Lutter/Timm, NJW 1982, 409, 415 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 261 ff.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 30 ff. 81 S. Bouchon, Konzerneingangsschutz, S. 68 ff.; zur Unanwendbarkeit des § 47 Abs. 4 auf diese Fälle s. Rz. 73. 82 Bouchon, Konzerneingangsschutz, S. 78 ff. 83 Im Einzelnen streitig, s. Bouchon, Konzerneingangsschutz, S. 87 ff. 84 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, NJW 1981, 1512, 1513 = GmbHR 1981, 189, 190 – Süssen (insoweit nicht in BGHZ 80, 69 abgedruckt); Bouchon, Konzerneingangsschutz, S. 73, 83 ff.; Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 147 f.; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, S. 275 ff. 85 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, NJW 1981, 1512, 1513 = GmbHR 1981, 189, 190 – Süssen; Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 173 ff.; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, S. 281 ff.

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Anh. § 13 Rz. 73 | GmbH-Konzernrecht Voraussetzungen für einen Dispens trifft das die Befreiung beantragende herrschende Unternehmen86. Aufgrund seiner Treuepflicht ist der Gesellschafter, der die Gesellschaft in die Abhängigkeit von einem anderen Unternehmen führen will, außerdem zur umfassenden Information seiner Mitgesellschafter verpflichtet (Rz. 57). c) Inhaltskontrolle 74 Eine verbreitete Meinung tritt im Interesse einer weiteren Verstärkung der Konzernbildungs-

kontrolle für eine ergänzende Inhaltskontrolle gegenüber abhängigkeitsbegründenden Beschlüssen der Gesellschafterversammlung ein; Beispiele sind die Zustimmung zur Veräußerung der Anteile oder zur Aufhebung eines Wettbewerbsverbotes87. Die Folge wäre, dass der fragliche Beschluss anfechtbar ist, wenn er nicht (ausnahmsweise) durch die Interessen der Gesellschaft sachlich gerechtfertigt ist oder wenn weniger schwer in die Rechte der Mitgesellschafter eingreifende Alternativen zur Verfügung stehen88. Als derartige Alternativen kommen etwa der Erwerb des anderen Unternehmens, in dessen Abhängigkeit die Gesellschaft zu geraten droht, durch die Gesellschaft selbst oder auch treuhänderische Bindungen des neuen herrschenden Unternehmensgesellschafters in Betracht. Die Problematik solcher Inhaltskontrolle liegt in den nur schwer zu konkretisierenden Maßstäben. Denn es geht hier letztlich um unternehmenspolitische Entscheidungen, deren Kontrolle, von evidenten Missbrauchsfällen abgesehen, kaum den Gerichten übertragen werden kann. 75 Sollen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages zur Sicherung der Unabhängigkeit der Ge-

sellschaft nachträglich aufgehoben oder geändert werden, so genügt dafür grundsätzlich eine Änderung des Gesellschaftsvertrages mit qualifizierter Mehrheit nach § 53 Abs. 2. Etwas anderes kommt nur in Betracht, wenn die daraufhin drohende Konzernierung der Gesellschaft geradezu eine Zweckänderung zur Folge hat (§ 33 BGB). 3. Wettbewerbsverbot, Treuepflicht 76 Das Erfordernis einer Zustimmung der Mitgesellschafter sowie eine zusätzliche Inhaltskon-

trolle gegenüber Beschlüssen der Gesellschafter (Rz. 72 ff.) bieten dort keinen Schutz für die Unabhängigkeit der Gesellschaft, wo dieser Gefahren von Vorgängen außerhalb der Gesellschaft drohen. Nimmt z.B. ein (bisher) privater Mehrheitsgesellschafter eine unternehmerische Tätigkeit außerhalb der Gesellschaft auf oder erwirbt er an einem anderen Unternehmen eine maßgebliche Beteiligung, so kann offenbar auf dem Weg über eine Inhaltskontrolle von Gesellschafterbeschlüssen keine Abhilfe geschaffen werden. Deshalb ist zu erwägen, in derartigen Fällen zusätzliche Schranken aus der Treuepflicht der Gesellschafter abzuleiten. Diskutiert werden in erster Linie ein Wettbewerbsverbot zu Lasten von Mehrheitsgesellschaftern aufgrund der Treuepflicht, jedenfalls bei personalistischen Gesellschaften (Rz. 77), sowie eine Zustimmungspflicht der Gesellschafter zur Begründung der Abhängigkeit der Gesellschaft oder doch zur Eingliederung der Gesellschaft in einen fremden Konzern, wobei wiederum die Mehrheitserfordernisse umstritten sind (Rz. 79). 77 In Fällen wie der Beteiligung eines Unternehmensgesellschafters an der Gesellschaft oder der

Aufnahme einer Konkurrenztätigkeit durch einen Mehrheitsgesellschafter kann der Schutz 86 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 ff. = NJW 1981, 1512 = GmbHR 1981, 189 – Süssen. 87 Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 224 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 12 f.; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 76, 82 ff.; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, S. 281 ff. 88 BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 ff. = NJW 1981, 1512 = GmbHR 1981, 189 – Süssen; OGH v. 16.12.1980 – 5 Ob 649/80, SZ Bd. 53 (1980) Nr. 172, S. 779, 783 ff. = GesRZ 1981, 44.

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der Unabhängigkeit der Gesellschaft durch ein aus der Treuepflicht abgeleitetes Wettbewerbsverbot für Mehrheitsgesellschafter sichergestellt werden, dessen Anwendungsbereich auch nicht auf personalistische Gesellschaften beschränkt werden sollte und von dem die Gesellschafterversammlung dann lediglich von Fall zu Fall, nach manchen sogar nur mit qualifizierter Mehrheit, Befreiung erteilen kann89. Der Vorteil dieser Lösung liegt darin, dass bei der Entscheidung über den Dispens der betref- 78 fenden Gesellschafter nach § 47 Abs. 4 Satz 1 kein Stimmrecht hat (Rz. 73). Ein Allheilmittel stellen derartige aus der Treuepflicht abgeleitete Wettbewerbsverbote gleichwohl nicht dar, da der von ihnen ausgehende Schutz der Unabhängigkeit der Gesellschaft versagt, wenn der Gesellschaft von der unternehmerischen Tätigkeit des Mehrheitsgesellschafters keine Konkurrenz droht, ohne dass dadurch indessen die Gefahr der Abhängigkeit verringert würde. In den Fällen, in denen Abhilfe über die Annahme eines konkludenten Wettbewerbsverbots 79 nicht möglich ist (Rz. 78), ist nach einzelnen Stimmen in der Literatur aus der Treuepflicht der Gesellschafter die zusätzliche Verpflichtung der Gesellschafter abzuleiten, alles zu unterlassen, was die Selbständigkeit der Gesellschaft beeinträchtigen könnte, weil grundsätzlich jede Abhängigkeit die Gefahr einer nachhaltigen Schädigung der Gesellschaft und schwerwiegender Eingriffe in die Rechte der Mitgesellschafter heraufbeschwört90. Daraus wird z.T. die Notwendigkeit der Zustimmung der Gesellschafter zu der Begründung der Abhängigkeit abgeleitet, da nur die Gesellschafterversammlung einem Gesellschafter Befreiung von seiner Treuepflicht erteilen könne, jedenfalls, wenn es sich um eine personalistische Gesellschaft handelt91. Dem ist indessen die überwiegende Meinung wegen der grundsätzlichen Konzernoffenheit der GmbH, d.h. der Sache nach wegen der fehlenden Grundlage im Gesetz, nicht gefolgt92. Anders verhält es sich nur in Fällen, in denen der Übergang zu Konzernsituationen droht, die früher mit dem Stichwort qualifizierter faktischer Konzern umschrieben wurden. Dass hierzu die Zustimmung der Gesellschafter, und zwar grundsätzlich aller erforderlich ist, folgt schon aus § 33 BGB (Rz. 91 ff.). 4. Rechtsfolgen Die Rechtsfolgen von Verstößen gegen die Regeln über die Konzernbildungskontrolle hängen 80 von der Art der die Gefahr der Abhängigkeit begründenden Maßnahmen eines Gesellschafters ab. In erster Linie ist hier, soweit möglich, an die Anfechtung der maßgeblichen Gesellschafterbeschlüsse zu denken (Rz. 74 ff.). Soweit dies nicht weiterhilft, ist zu bedenken, dass das Verhalten des betreffenden Gesellschafters einen schwerwiegenden Verstoß gegen seine Treuepflicht gleichermaßen gegenüber der Gesellschaft wie gegenüber den Mitgesellschaftern darstellt, so dass als weitere Rechtsfolgen Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche der Gesellschaft in Betracht kommen (§§ 242, 280 Abs. 1, 249 BGB)93.

89 S. Altmeppen, Rz. 134 ff.; Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 192 ff.; Geiger, Wettbewerbsverbote; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 91 ff.; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, S. 245 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 316 ff. 90 S. Rz. 76; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 325 ff.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 38 ff. 91 Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 192 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 325 ff. 92 S. Rz. 64 sowie Altmeppen, Rz. 132 ff.; Bälz, AG 1992, 277, 300; Bouchon, Konzerneingangsschutz, S. 267 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 112; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 102 ff. 93 S. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 Rz. 5 f.

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III. Konzernbildungskontrolle auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft Schrifttum: S. 12. Aufl., § 37 Rz. 40, 118 ff. sowie Altmeppen, Rz. 156 ff.; Emmerich/Habersack, Aktienund GmbH-Konzernrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2022, Vor § 311 AktG Rz. 31–55, § 318 AktG Anh. Rz. 49–52; Habersack, Mitwirkungsrechte der Aktionäre nach Macrotron und Gelatine, AG 2005, 137; Fr. Jungkurth, Konzernleitung bei der GmbH, 2000; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, 1995, S. 160–182; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1091–1211; Uwe H. Schneider, Konzerngründung im faktischen GmbH-Konzern, GmbHR 2014, 113; Uwe H. Schneider in Hommelhoff (Hrsg.), Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, 1986, S. 121; Tieves, Der Unternehmensgegenstand der Kapitalgesellschaft, 1998, S. 409 ff.; U. Wackerbarth, Grenzen der Leistungsmacht in der internationalen Unternehmensgruppe, 2001; Zitzmann, Die Vorlagepflichten des GmbH-Geschäftsführers, 1991.

1. Überblick 81 Der Aufbau von Unternehmensverbindungen kann nicht nur für die abhängige, sondern

auch für die herrschende Gesellschaft und ihre Gesellschafter gravierende Konsequenzen haben94. Für die herrschende Gesellschaft selbst resultieren sie vor allem aus den wachsenden Haftungsrisiken, in erster Linie natürlich in Vertragskonzernen (s. die §§ 302 und 303 AktG), während bei den Gesellschaftern insbesondere die Gefahren ins Auge stechen, die sich daraus ergeben, dass ihre Mitverwaltungsrechte in der Gesellschaft in dem Maße mediatisiert werden, in dem die Verwaltung der Obergesellschaft eines Konzerns die Aktivitäten in Tochter- und Enkelgesellschaften verlagert, weil die Beteiligungsverwaltung traditionell als Domäne der Verwaltung der Obergesellschaft gilt. Zugleich droht das Gewinnbezugsrecht der Gesellschafter zur leeren Hülse zu verkümmern, wenn die Verwaltung dazu übergeht, die Gewinne systematisch bei den Tochtergesellschaften zu thesaurieren. Dass das Recht hier gegensteuern muss, liegt auf der Hand. Die Frage ist nur: wie. 82 Üblicherweise wird zu diesem Zweck auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft zwischen

einer Konzernbildungs- und einer Konzernleitungskontrolle unterschieden. Stattdessen ist vielfach auch (genauer) von Gruppenbildungs- und Gruppenleitungskontrolle die Rede. Unterscheidungsmerkmal soll sein, ob sich die fragliche Maßnahme auf einen bereits bestehenden Konzern bezieht (dann Gruppen- oder Konzernleitungskontrolle) oder ob es sich um den ersten Akt des Aufbaues eines neuen Konzerns handelt (dann Gruppen- oder Konzernbildungskontrolle); gleich steht der weitere Ausbau eines schon bestehenden Konzerns. Die Sinnfälligkeit dieser Unterscheidungen wird gelegentlich (nicht ohne Grund) angezweifelt95. Sie ist jedoch üblich geworden und soll deshalb auch hier der Darstellung zugrunde gelegt werden. Konkret geht es vor allem um die Frage, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang die Gesellschafter des herrschenden Unternehmens an Entscheidungen über die Konzernbildung und über die Konzernleitung zu beteiligen sind (s. Rz. 83 ff., 92 f.). 2. Mitwirkung der Gesellschafter 83 In einer Reihe von Fällen hat das Gesetz bereits selbst Vorsorge für die nötige Mitwirkung

der Gesellschafter bei der Konzernbildung getroffen96. Hervorzuheben sind die Begründung eines Vertragskonzerns durch Abschluss eines Beherrschungs- oder Organschaftsvertrages (§ 293 AktG analog) sowie die verschiedenen Fälle der Umwandlung, die unter das UmwG

94 Zu diesen Gefahren s. Emmerich/Habersack, Kommentar, Vor § 311 AktG Rz. 31 ff.; Henssler in FS Zöllner Bd. I, 1998, S. 203; Jungkurth, Konzernleitung, S. 24 ff. 95 Zutreffend Mülbert, Aktiengesellschaft, Unternehmensgruppe und Kapitalmarkt, 1995, S. 463, 471 ff. 96 Ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1093 ff.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 86 Anh. § 13

fallen, wobei vor allem an die Abspaltung von Tochtergesellschaften zu denken ist (§ 123 Abs. 2 Nr. 2, § 135 und §§ 138 ff. UmwG). Involviert die Konzernbildung die Übertragung nahezu des gesamten Vermögens der herrschenden Gesellschaft auf andere Unternehmen, so kommt außerdem die entsprechende Anwendung des § 179a AktG in Betracht. In diesen Fällen kann es sich daher nur fragen, ob der jeweils erforderliche Zustimmungsbeschluss (§§ 53, 54; §§ 179a, 293 AktG analog; §§ 125, 128 und § 13 UmwG) zusätzlich einer Inhaltskontrolle unterliegt. Überwiegend wird diese Frage heute verneint (s. Rz. 87). Jenseits der genannten Fälle (Rz. 83) ist davon auszugehen, dass jedenfalls die laufende Betei- 84 ligungsverwaltung bei der GmbH grundsätzlich Sache der Geschäftsführung ist (§§ 35 ff.)97. Jedoch müssen die Geschäftsführer dabei die Schranken beachten, die die Grundlagenkompetenz der Gesellschafter sowie Gegenstand und Zweck der Gesellschaft ihrer Geschäftsführungsbefugnis ziehen98. Folglich sind ihnen der Erwerb oder die Veräußerung von Beteiligungen grundsätzlich nur erlaubt, wenn sie dem Gesellschaftsvertrag entsprechen, durch Zweck und Gegenstand der Gesellschaft gedeckt sind und durch diese Vorgänge außerdem nicht in die Zuständigkeit der Gesellschafter für die grundlegenden Entscheidungen über die Geschäftspolitik eingegriffen wird. Andernfalls bedürfen die Geschäftsführer der vorherigen Zustimmung der Gesellschafter, und zwar mit qualifizierter Mehrheit, wenn durch die fraglichen Maßnahmen der Sache nach der Zweck oder der Gegenstand der Gesellschaft geändert wird (§ 53). Darüber hinaus können die Gesellschafter ohnehin sämtliche Fragen der Beteiligungsverwaltung an sich ziehen und darüber jederzeit Auskunft verlangen, so dass sie bei Bedarf die Kontrolle in der Hand behalten können (§ 37 Abs. 1 und § 51a)99. Über diese Grundsätze besteht im Ausgangspunkt Einigkeit100. Im Einzelnen herrscht indes- 85 sen viel Streit. Hervorzuheben sind die folgenden Punkte: Zunächst geht es um die Frage, ob hier eine Bagatellgrenze anzuerkennen ist, jenseits derer für eine Konzernbildungskontrolle kein Raum mehr ist101. Im Schrifttum wurden dafür eine Zeitlang unterschiedliche Beträge zwischen 5 % und 50 %, bezogen noch dazu auf unterschiedliche Parameter wie Vermögen, Umsatz und dergleichen mehr genannt. Allen diesen Versuchen letztlich zur Ausdehnung der Holzmüller-Doktrin hat der BGH jedoch in den beiden Gelatine-Urteilen für die AG eine klare Absage erteilt102. Um eine ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit bei der AG annehmen zu können, muss die fragliche Maßnahme danach vielmehr ungefähr 75 bis 80 % des Vermögens der AG betreffen103. Noch offen ist, ob und inwieweit die Gelatine-Rechtsprechung auf die GmbH mit ihrer ab- 86 weichenden Struktur und der prinzipiellen Allzuständigkeit der Gesellschafterversammlung übertragen werden kann104; auszugehen ist jedenfalls davon, dass die Geschäftsführer der Gesellschafterversammlung alle Maßnahmen mit außergewöhnlichem Charakter einschließ97 S. 12. Aufl., § 37 Rz. 40, 118 ff.; OLG Koblenz v. 9.8.1990 – 6 U 888/90, GmbHR 1991, 264 = NJW-RR 1991, 487, 488. 98 S. 12. Aufl., § 37 Rz. 118 f.; BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, NJW 1991, 1681 = GmbHR 1991, 197 = AG 1991, 235, 236; OLG Koblenz v. 9.8.1990 – 6 U 888/90, GmbHR 1991, 264 = NJW-RR 1991, 487, 488; Altmeppen, Rz. 156; ausführlich Jungkurth, Konzernleitung, S. 27 ff.; Tieves, Unternehmensgegenstand, S. 268 ff. 99 Altmeppen, Rz. 156. 100 Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 50 f.; Henssler in FS Zöllner Bd. I, 1998, S. 203, 211 f.; Jungkurth, Konzernleitung, S. 27 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1091, 1126 ff. 101 S. Henssler in FS Zöllner Bd. I, 1998, S. 203, 213 f. 102 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 45 f., 47 = NJW 2004, 1860 = AG 2004, 384; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575 = ZIP 2004, 1001. 103 S. Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 Rz. 19 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, Vor § 311 AktG Rz. 33 ff. 104 Ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1134 ff.

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Anh. § 13 Rz. 86 | GmbH-Konzernrecht lich eben solcher der Gruppenbildung und Gruppenumbildung zur Beschlussfassung vorlegen müssen (§ 49 Abs. 2), wobei freilich bei der Annahme derartiger Fälle heute offenbar mit Rücksicht auf den Stand der Rechtsprechung zur AG Zurückhaltung geboten ist105. Im Schrifttum finden sich zwar vielfältige Versuche zur Bildung von Fallgruppen, die jedoch angesichts der geringen Zahl einschlägiger Entscheidungen nur wenig hilfreich sind. 87 Die zweite noch ungeklärte Frage geht dahin, ob der Zustimmungsbeschluss der Gesellschaf-

ter zusätzlich zum Schutze der Minderheit einer Inhaltskontrolle zu unterwerfen ist. Der Sache nach kann es dabei aber um nicht mehr als um eine Missbrauchskontrolle gehen, wie sie immer möglich ist. Hinzuweisen bleibt noch darauf, dass die vorstehend entwickelten Grundsätze auch und gerade für die Gründung von Tochtergesellschaften gelten, soweit nicht die Sonderregelungen des UmwG eingreifen. 3. Konzernklauseln 88 Wegen der geschilderten Schranken für die Beteiligungsverwaltung der Geschäftsführer

(Rz. 83 ff.) haben sich in der Gesellschaftspraxis so genannte Ermächtigungs-, Konzernierungs-, Satzungs- oder Konzernklauseln weithin in den Gesellschaftsverträgen durchgesetzt. Man versteht darunter Bestimmungen im Gesellschaftsvertrag, nach denen die Gesellschaft grundsätzlich befugt sein soll, Tochtergesellschaften zu erwerben und Konzerne aufzubauen. In den beiden bereits mehrfach erwähnten Gelatine-Urteilen von 2004 hat der BGH indessen solchen Klauseln, soweit nach der Holzmüller-Doktrin bei der AG eine ungeschriebene Zuständigkeit der Hauptversammlung anzunehmen ist, jede Bedeutung abgesprochen; ohne Rücksicht auf die Konzernklausel ist in diesem Bereich vielmehr stets eine Zustimmung der Hauptversammlung mit qualifizierter Mehrheit erforderlich106. 89 Für die GmbH ist aus der Gelatine-Rechtsprechung zur AG (Rz. 88) der Schluss zu ziehen,

dass Konzernklauseln grundsätzlich restriktiv zu handhaben sind, so dass, wie immer im Übrigen die Klausel formuliert sein mag, bei strukturändernden außergewöhnlichen Maßnahmen der Gruppenbildung oder -umbildung die Gesellschafterversammlung mit qualifizierter Mehrheit zustimmen muss (§ 53), und dass es sich in allen sonstigen Fällen der Konzernbildung durchweg um außergewöhnliche Maßnahmen i.S.d. § 49 Abs. 2 handelt, die zwingend der Gesellschafterversammlung vorzulegen sind107. Die Gesellschafter können eine solche Vorlegung auch selbst erzwingen (§ 50 Abs. 1) und dann durch entsprechende Weisungsbeschlüsse in die Beteiligungsverwaltung eingreifen. Vor allem in diesem Zusammenhang kommt dem Auskunfts- und Einsichtsrecht der Gesellschafter (§ 51a) zentrale Bedeutung zu. 4. Rechtsfolgen 90 Die Rechtsinstitute zum Schutze der Minderheit gegen die ihr von einer Konzernbildung

drohenden Gefahren (Rz. 83 ff.) finden ihre Grundlage letztlich in der Treuepflicht der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern. Für die Rechtsfolgen bei einer Übergehung der Mitwirkungsrechte der Gesellschafter bei Konzernbildungsmaßnahmen folgt daraus, dass die Gesellschafter in erster Linie, soweit noch möglich (§ 275 Abs. 1 BGB), Unterlassung

105 Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 9 Rz. 9 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1127, 1182 ff. 106 BGH v. 26.4.2004 – II ZR 155/02, BGHZ 159, 30, 45 f. = NJW 2004, 1860 = AG 2004, 384; BGH v. 26.4.2004 – II ZR 154/02, NZG 2004, 575 = ZIP 2004, 1001. 107 Henssler in FS Zöllner Bd. I, 1998, S. 203, 216; Jungkurth, Konzernleitung, S. 42 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1103 ff.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 95 Anh. § 13

und Beseitigung durch Rückgängigmachung der Maßnahmen verlangen können (§ 242, § 249, § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 1, § 1004 BGB)108. Die Wirksamkeit der fraglichen Maßnahmen im Außenverhältnis wird dagegen durch die 91 Verletzung der Zuständigkeit der Gesellschafter grundsätzlich nicht berührt, soweit nicht ein Missbrauch der Vertretungsmacht vorliegt (§ 37 Abs. 2). Hilfsweise kommen Schadensersatzansprüche gegen die Gesellschaft sowie auch gegen die Geschäftsführer in Betracht (§ 43 Abs. 2). Zur Durchsetzung ihrer Rechte hat die Minderheit das Auskunftsrecht des § 51a sowie das Recht, die Einberufung der Gesellschafterversammlung zu verlangen (§ 50). Von Fall zu Fall sind schließlich auch Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche gegen die Mehrheitsgesellschafter in der herrschenden Gesellschaft denkbar, wenn sie in dem genannten Sinne von ihrem Einfluss auf die Geschäftsführer zum Schaden der Minderheit Gebrauch gemacht haben109.

IV. Konzernleitungskontrolle, Konzernleitungspflicht Bei der Konzernleitungskontrolle hat man in erster Linie Maßnahmen der Verwaltung der 92 herrschenden Gesellschaft im Rahmen bereits bestehender Unternehmensverbindungen im Auge (s. schon Rz. 82 f.). Beispiele sind die Zusammenfassung abhängiger Gesellschaften in einem von der herrschenden Gesellschaft geführten Konzern (§ 18 Abs. 1 AktG) sowie vor allem die Ausübung der der herrschenden Gesellschaft aufgrund ihrer Beteiligung bei den abhängigen Gesellschaften zustehenden Rechte. Besonderes Gewicht haben dabei neben der Veräußerung von Töchtern die Entscheidungen über die Gewinnverwendung, über die Beteiligung Dritter an Tochtergesellschaften, insbesondere im Rahmen von Kapitalerhöhungen, sowie über den Abschluss von Unternehmensverträgen auf der Ebene der abhängigen Gesellschaften. Wegen der von derartigen Maßnahmen den Gesellschaftern der herrschenden Gesellschaft 93 drohenden Gefahren erstreckt sich zunächst deren Auskunfts- und Einsichtsrecht ausnahmslos auf die fraglichen Maßnahmen bei den abhängigen Gesellschaften, weil deren Angelegenheiten zugleich solche der herrschenden Gesellschaft i.S.d. § 51a Abs. 1 sind110. Bereits dadurch wird den Gesellschaftern der herrschenden GmbH eine weitgehende Kontrolle der Beteiligungsverwaltung ermöglicht (s. schon Rz. 83, 88 f.). Sodann ist zu bedenken, dass der Erwerb abhängiger Gesellschaften nichts an der Kom- 94 petenzordnung in der herrschenden Gesellschaft ändert. Sämtliche grundlegenden Entscheidungen der Konzernpolitik fallen daher wegen ihrer notwendigen Rückwirkungen auf die herrschende Gesellschaft – im Gegensatz zur laufenden Konzernverwaltung – weiterhin in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung der herrschenden Gesellschaft (12. Aufl., § 37 Rz. 118). Von der laufenden Konzernverwaltung müssen ferner alle weitreichenden Entscheidungen 95 und Maßnahmen bei den Tochtergesellschaften unterschieden werden, die ebenfalls Rückwirkungen auf die herrschende Gesellschaft haben können. Bei derartigen Entscheidungen und Maßnahmen sind daher die Geschäftsführer der herrschenden Gesellschaft gleichfalls von sich aus zur Vorlage an die Gesellschafter verpflichtet (§ 49 Abs. 2). Denn auch die Billigung von Unternehmensverbindungen durch die Gesellschafter (Rz. 83 ff.) ändert nichts daran, dass sich die Geschäftsführungsbefugnis der Geschäftsführer grundsätzlich auf die lau-

108 BGH v. 25.2.1982 – II ZR 174/80, BGHZ 83, 122, 127 = NJW 1982, 1703 = AG 1982, 158 – Holzmüller; LG Stuttgart v. 8.11.1991 – 2 KfH O 135/91, AG 1992, 236, 237 f. 109 S. Henssler in FS Zöllner Bd. I, 1998, S. 203, 216; M. Winter, Treuebindungen, S. 306 ff. 110 S. 12. Aufl., § 51a Rz. 20; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1200 f.

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Anh. § 13 Rz. 95 | GmbH-Konzernrecht fenden oder gewöhnlichen Geschäfte beschränkt, während zu darüber hinausgehenden Geschäften die Zustimmung der Gesellschafter erforderlich ist und bleibt (§ 116 HGB analog). Dies gilt auch für die Beteiligungsverwaltung111. Dabei beurteilt sich aus der Sicht der Obergesellschaft (und nicht aus der der Tochtergesellschaften), ob eine Maßnahme bei den Tochtergesellschaften außergewöhnlichen Charakter trägt (s. 12. Aufl., § 37 Rz. 118). Beispiele für danach im Zweifel zustimmungspflichtige Maßnahmen oder Entscheidungen bei Tochtergesellschaften sind Kapitalerhöhungen, der Abschluss von Unternehmensverträgen, die Beteiligung Dritter und die Veräußerung wesentlicher Vermögensteile der Töchter112. 96 Von der Frage der Konzernleitungskontrolle (Rz. 92 f.) ist die Frage der Konzernleitungs-

pflicht zu trennen. Man versteht darunter die im Schrifttum gelegentlich befürwortete Verpflichtung der Verwaltung der herrschenden Gesellschaft, von den Rechten der herrschenden Gesellschaft in abhängigen Gesellschaften auch tatsächlich im Sinne einer umfassenden Konzernbildung unter ihrer Leitung Gebrauch zu machen113. Von der überwiegenden Meinung wird bisher solche Konzernleitungspflicht der herrschenden Gesellschaft – mit guten Gründen – abgelehnt. Gegen sie spricht vor allem der grundsätzlich unerwünschte konzentrationsfördernde Effekt, der von einer derartigen Pflicht ausginge114.

D. Faktischer Konzern Schrifttum: Altmeppen, Abschied vom „qualifiziert faktischen Konzern“, 1991; Altmeppen, Rz. 138 ff.; M. Becker, Der Austritt aus der GmbH, 1985, S. 126 ff.; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, 11. Aufl. 2020, § 30 (S. 524 ff.); Emmerich/Habersack, Aktien- und GmbH-Konzernrecht, Kommentar, 10. Aufl. 2022, § 318 AktG Anh. Rz. 22–48 (S. 775 ff.); Fr. Jungkurth, Konzernleitung bei der GmbH, 2000, S. 117 ff.; Kiefner in MünchHdb. GesR III, § 68; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 380, 422 ff.; Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 478 ff.; Tröger, Treupflicht im Konzernrecht, 2000.

I. Überblick 97 Das Haftungssystem im faktischen GmbH-Konzern ist eines der zentralen Themen der kon-

zernrechtlichen Diskussion mit Bezug speziell auf die GmbH. Faktische Konzerne stehen an sich im Gegensatz auf der einen Seite zu Vertragskonzernen (die auch bei der GmbH nur durch Abschluss eines Beherrschungsvertrags begründet werden können) und auf der anderen Seite zu einfachen Abhängigkeitsverhältnissen, in denen die verbundenen Unternehmen noch nicht unter der einheitlichen Leitung des herrschenden Unternehmens zusammengefasst sind (s. § 18 Abs. 1 AktG). Da sich jedoch die Haftungssysteme bei der GmbH in einfachen Abhängigkeitsverhältnissen und in faktischen Konzernen i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG nicht grundlegend unterscheiden, ist es üblich geworden, beide Formen von Unternehmensverbindungen im GmbH-Recht unter dem Stichwort „faktische Konzerne“ (pars pro toto) zusammen zu behandeln. Eine Sonderrolle spielten lediglich früher die so genannten qualifizierten faktischen Konzerne (Rz. 132 ff.), deren Besonderheit in erster Linie darin gesehen wurde, dass die abhängige Gesellschaft derart umfassend in den Konzern des herrschenden Unternehmens eingegliedert wird, dass die einzelnen Einflussmaßnahmen des herrschenden Unter-

111 S. 12. Aufl., § 37 Rz. 122 ff.; BGH v. 25.2.1991 – II ZR 76/90, NJW 1991, 1681 = GmbHR 1991, 197 = AG 1991, 235, 236; OLG Frankfurt a.M. v. 19.1.1988 – 5 U 3/86, GmbHR 1989, 254 = AG 1988, 335; ausführlich Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1212 ff. 112 S. außer den Genannten (vorige Fn.) insbesondere noch Lutter/Leinekugel, ZIP 1998, 225, 231 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1221 ff. 113 Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, 1982, passim; Jungkurth, Konzernleitung, S. 51 ff. 114 Statt aller Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1229 ff. m.N.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 100 Anh. § 13

nehmens nicht mehr isoliert werden können. Die gesonderte Behandlung dieser speziellen Konzernform ist indessen mittlerweile weithin aufgegeben und kann deshalb hier zunächst zurückgestellt werden. Unternehmensverbindungen unter Beteiligung einer abhängigen GmbH sind offenbar in der 98 Mehrzahl der Fälle „faktische Konzerne“ in dem genannten umfassenden Sinne (Rz. 97)115. Die Ursache hierfür hat man wohl in erster Linie in der von der AG abweichenden Zuständigkeitsordnung der GmbH zu suchen, die zur Folge hat, dass in der GmbH die Mehrheitsherrschaft über die Gesellschafterversammlung nahezu total ist (§ 37 Abs. 1, §§ 45, 46). Des Abschlusses eines Beherrschungsvertrages bedarf es zu solcher Herrschaft daher anders als bei der AG (s. § 76 AktG) grundsätzlich nicht. Wenn gleichwohl Beherrschungsverträge, meistens in Gestalt eines Organschaftsvertrages, auch mit abhängigen Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH abgeschlossen wurden, so wohl vorwiegend aus steuerlichen Gründen, da früher der Abschluss eines Beherrschungsvertrages die Erfüllung der Voraussetzungen der gewerbe- und körperschaftsteuerlichen Organschaft erleichterte, weil dann nämlich ohne weiteres von der erforderlichen wirtschaftlichen Eingliederung der Organgesellschaft in den Organträger auszugehen war (§§ 14, 17 KStG a.F.). Über die Notwendigkeit besonderer Schutzvorkehrungen zugunsten der Minderheit und 99 der Gläubiger in faktischen GmbH-Konzernen besteht weitgehende Einigkeit. Dafür bieten sich vor allem zwei Wege an, einmal der umfassende Ausbau der gesetzlichen Minderheitsrechte116, zum anderen die Entwicklung spezifischer konzernrechtlicher Schutzinstrumente, wobei verschiedene Haftungsmodelle diskutiert werden, über die im Folgenden ein kurzer Überblick gegeben werden soll117. Nach überwiegender Meinung ist bei der Haftung des herrschenden Unternehmens für eine 100 nachteilige Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft neben dem Gleichbehandlungsgrundsatz vorrangig an die (gesteigerte) Treuepflicht des herrschenden Unternehmens gleichermaßen gegenüber der abhängigen Gesellschaft wie gegenüber den Mitgesellschaftern anzuknüpfen, aus denen sich seine Verpflichtung ergibt, bei sämtlichen Maßnahmen in der abhängigen Gesellschaft die gebotene Rücksicht auf den gemeinsamen Zweck und die Interessen der Gesellschaft sowie der Mitgesellschafter zu nehmen (s. § 242). Das herrschende Unternehmen macht sich folglich schadensersatzpflichtig, sobald es auf die abhängige Gesellschaft in einer Weise Einfluss nimmt, durch die diese grundlos geschädigt wird oder durch die die Rechte der Mitgesellschafter ohne Not verkürzt werden. Als Haftungsmaßstab wird dabei meistens § 43 entsprechend herangezogen118. Die Möglichkeit einer Abwendung der Haftung durch Nachteilsausgleich entsprechend § 311 AktG wird überwiegend abgelehnt119.

115 Ebenso Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 382 f. 116 Insbes. Altmeppen, Rz. 144 ff.; Altmeppen, Abschied vom „qualifiziert faktischen Konzern“, 1991; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 394 ff. 117 S. Assmann in FS 100 Jahre GmbHG, S. 657, 676 ff.; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 30 Rz. 2 ff. (S. 533 ff.); Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 422 ff.; Limmer, Haftungsverfassung, passim; Orth, DStR 1994, 250. 118 Monopolkommission, 7. Hauptgutachten, Rz. 864; Altmeppen, Rz. 142, 152 ff.; Emmerich/Habersack, Konzernrecht, § 30 Rz. 7 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar § 318 AktG Anh. Rz. 27 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 424 ff.; Hommelhoff, Rz. 39 f.; Orth, DStR 1994, 250; Servatius in Michalski u.a., Rz. 437 f.; Thöni, GesRZ 1987, 92, 126; Wiedemann, Unternehmensgruppe, S. 77 ff.; M. Winter, Treuebindungen, S. 113 ff. 119 Emmerich/Habersack, Kommentar § 318 AktG Anh. Rz. 30; Liebscher in MünchKomm, GmbHG, Rz. 430; Servatius in Michalski u.a., Rz. 437 ff.; Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 527 ff.

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Anh. § 13 Rz. 101 | GmbH-Konzernrecht 101 Mit dem Haftungsmodell der h.M. durchaus vergleichbar ist die Herleitung der Haftung des

herrschenden Unternehmens für nachteilige Einflussnahmen auf die abhängige Gesellschaft aus einer Sonderrechtsbeziehung zwischen ihm und der abhängigen Gesellschaft (§§ 242, 276, 280 Abs. 1 BGB)120 oder aus einer besonderen Konzernverschuldenshaftung121. Nur noch wenig Anklang findet dagegen heute die früher häufig diskutierte Organhaftung maßgeblicher Gesellschafter einschließlich des herrschenden Unternehmens analog § 43 Abs. 2122 oder die Analogie zu den §§ 311 bis 318 AktG123. 102 Auf derselben Linie wie die überwiegende Meinung (Rz. 100) bewegt sich, jedenfalls im Kern,

die Rechtsprechung, seitdem der BGH in dem so genannten ITT-Urteil vom 5.6.1975124 erstmals aus der Möglichkeit der Mehrheit, durch Einflussnahme auf die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft die Interessen der Mitgesellschafter zu beeinträchtigen, die Pflicht der Mehrheit abgeleitet hatte, dabei auf die Interessen der Minderheit die gebotene Rücksicht zu nehmen. Seitdem hält die Rechtsprechung daran fest, dass Grundlage des Minderheitenschutzes in Abhängigkeitsverhältnissen einschließlich des einfachen faktischen GmbH-Konzerns ein umfassendes Schädigungsverbot für die Mehrheit ist, das in erster Linie auf der Treuepflicht der Mehrheit gegenüber der Gesellschaft und den Mitgesellschaftern beruht und bei dessen Verletzung die Mehrheit analog § 43 der abhängigen Gesellschaft schadensersatzpflichtig ist (s. Rz. 103 ff.).

II. Schädigungsverbot 1. Einleitung 103 Aus der gesteigerten Treuepflicht des herrschenden Unternehmens in Abhängigkeitsverhält-

nissen (Rz. 100) ergibt sich vor allem ein umfassendes Verbot jeder schädigenden Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft, bei dessen Verletzung als Rechtsfolgen in erster Linie an Unterlassungs- und Schadensersatzansprüche der abhängigen Gesellschaft zu denken ist (§§ 242, 249, 276, 280 Abs. 1; s. Rz. 117 ff.). Soweit auf diese Weise der vom herrschenden Unternehmen zu vertretende Schaden der Gesellschaft kompensiert wird, gilt dasselbe im Ergebnis auch für die so genannten Reflexschäden der Gesellschafter als bloße Folgen der Schädigung der Gesellschaft in dem Vermögen der Gesellschafter. Gleichsam „klassische“ Beispiele für derartige Schädigungen sind Konzernumlagen ohne entsprechende Gegenleistungen des herrschenden Unternehmens sowie die Benachteiligung der abhängigen Gesellschaft bei der Festsetzung von Konzernverrechnungspreisen (Rz. 110 ff.). 104 Keine Rolle spielt, in welcher Form sich die Einflussnahme des herrschenden Unternehmens

auf die abhängige Gesellschaft vollzieht125. Einwirkungen auf die Geschäftsführer im Rahmen der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung über Beschlüsse der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 6) unterliegen ebenso wie direkte Weisungen unter Umgehung der Gesell-

120 Limmer, Haftungsverfassung, S. 64 ff. 121 So insbesondere M. Lutter, ZGR 1982, 244, 265 ff.; M. Lutter, ZIP 1985, 425; M. Lutter, ZGR 1987, 324, 362 ff.; M. Lutter in GS Knobbe-Keuk, 1997, S. 229, 242 ff.; Uwe H. Schneider, ZGR 1980, 511, 532. 122 J. Wilhelm, Rechtsform und Haftung bei der juristischen Person, 1981, S. 253, 326, 352 ff.; J. Wilhelm, DB 1986, 2113; ebenso offenbar Geitzhaus, GmbHR 1989, 397, 403 f.; Konzen, NJW 1989, 2977, 2985 f.; U. Stein, Das faktische Organ, 1984, S. 155, 183 ff. 123 Dafür Kropff in FS Kastner, 1992, S. 279, 296 ff.; Rowedder in Hommelhoff, Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, S. 20 ff. 124 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 ff. = (vollständiger) WM 1975, 1152 = NJW 1976, 191 = AG 1976, 16 = GmbHR 1975, 269. 125 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 438.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 107 Anh. § 13

schafterversammlung der besonderen Treuebindung des herrschenden Unternehmens126. Nur wenn sämtliche Mitgesellschafter der fraglichen Maßnahme zustimmen, entfallen die sich aus der Treuepflicht gegenüber den Mitgesellschaftern ergebenden Schranken, so dass dann nur noch § 30 sowie das Verbot existenzvernichtender Eingriffe als unübersteigbare Hürde für eine schädigende Einflussnahme des herrschenden Unternehmens übrigbleiben. Ebenso verhält es sich im Ergebnis bei Einpersonengesellschaften (s. Rz. 130 f.). Für die Frage, wann die Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf die abhängige 105 Gesellschaft zu einer Schädigung der letzteren führt, kann an die zu § 43 und insbesondere zu den § 311 und § 317 AktG entwickelten Maßstäbe angeknüpft werden, weil der Gesetzgeber mit diesen Vorschriften zum Ausdruck gebracht hat, wie eine abhängige Gesellschaft zum Schutze der Gesellschafter und der Gläubiger gegen die Gefahren der Abhängigkeit zu führen ist127. Maßgeblich ist folglich, ob der pflichtbewusste und ordentliche Geschäftsführer einer unabhängigen Gesellschaft, der sich allein am Interesse der Gesellschaft und ihrer Gesellschafter orientiert, die fragliche Maßnahme gleichfalls vorgenommen oder wegen ihrer Risiken für die abhängige Gesellschaft unterlassen hätte128. Im Ergebnis darf mithin das herrschende Unternehmen die abhängige Gesellschaft zu keinen Maßnahmen veranlassen, die nicht mit den sich aus § 43 GmbHG und § 317 AktG ergebenden Maßstäben für die ordentliche Geschäftsführung in einer unabhängigen Gesellschaft vereinbar sind. 2. Anwendungsbereich Das Schädigungsverbot trifft das herrschende Unternehmen grundsätzlich in jedem Abhän- 106 gigkeitsverhältnis einschließlich insbesondere der faktischen Konzerne i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG, solange sich noch einzelne Einflussnahmen und ihre nachteiligen Auswirkungen auf die abhängige Gesellschaft isolieren lassen, daher insbesondere auch in den früher so genannten qualifizierten faktischen Konzernen129. Immer machen das herrschende Unternehmen treuwidrige, isolierbare, schädigende Einzeleingriffe ersatzpflichtig. Ausnahmen gelten lediglich bei Zustimmung aller Gesellschafter (Rz. 104) sowie in Einpersonengesellschaften (Rz. 130 f.). In mehrstufigen Abhängigkeitsverhältnissen obliegt das Schädigungsverbot der Mutterge- 107 sellschaft nicht nur gegenüber der Tochtergesellschaft, sondern ebenso gegenüber der Enkelgesellschaft, selbst wenn sie nicht unmittelbar an der letzteren beteiligt ist. Die Begründung bereitet zwar Schwierigkeiten, wenn man die Treuepflicht aus dem Gesellschaftsvertrag herleitet; das Ergebnis ist indessen außer Streit, weil die Muttergesellschaft in einer mehrstufigen Unternehmensverbindung schwerlich nur deshalb zusätzliche Eingriffsrechte gegenüber einer Enkelgesellschaft erwerben kann, weil sie auf eine unmittelbare Beteiligung an der Enkel-

126 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 ff. = GmbHR 1975, 269 = NJW 1976, 191 = AG 1976, 16 – ITT; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 ff. = GmbHR 1981, 189 = NJW 1981, 1512 – Süssen; BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 166 ff. = NJW 1984, 1351 = GmbHR 1984, 203 – Heumann/Ogilvy; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 340 = NJW 1986, 188 = GmbHR 1986, 78 = AG 1986, 15 – Autokran; BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187, 193 = NJW 1991, 3142 = GmbHR 1991, 520 = AG 1991, 429 – Video; BGH v. 5.2.1979 – II ZR 210/76, GmbHR 1979, 246 = AG 1980, 47 = NJW 1980, 231 – Gervais. 127 Altmeppen, Rz. 152 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 29; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 439 f.; Beispiele s. Rz. 110 ff. 128 BGH v. 1.3.1999 – II ZR 312/97, BGHZ 141, 72, 84 ff. = GmbHR 1999, 660 = NJW 1999, 1706 = AG 1999, 372; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 311 AktG Rz. 39, 46 ff. 129 Cahn, ZIP 2001, 2159; Deilmann, Entstehung, S. 147 ff.; Konzen, NJW 1989, 2977, 2986; Stimpel, ZGR 1991, 144, 159 f.; Ziegler, Gebrauchsüberlassungsverhältnisse, S. 211 f.

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Anh. § 13 Rz. 107 | GmbH-Konzernrecht gesellschaft verzichtet und sich stattdessen der (treuepflichtgebundenen) Einflussmöglichkeiten ihrer Tochter auf die Enkelgesellschaft bedient130. 108 In internationalen Unternehmensverbindungen, d.h. bei grenzüberschreitenden Abhängig-

keitsverhältnissen, hängt die Anwendbarkeit des deutschen Rechts und damit der zuvor entwickelten Schutzinstrumente zugunsten der abhängigen Gesellschaft in erster Linie davon ab, in welcher Rolle jeweils die deutsche und die ausländische Gesellschaft beteiligt sind. Für die Anwendung des deutschen Konzernrechts, verstanden als Schutzrecht zugunsten der abhängigen Gesellschaft, ist grundsätzlich nur Raum, wenn die deutsche Gesellschaft an der internationalen Unternehmensverbindung gerade in der Rolle der abhängigen Gesellschaft beteiligt ist, während die Nationalität des herrschenden Unternehmens keine Rolle spielt131. 109 Anders ist die Rechtslage, wenn die deutsche Gesellschaft an der internationalen Unterneh-

mensverbindung in der Rolle des herrschenden Unternehmens beteiligt ist. In diesem Fall finden lediglich diejenigen konzernrechtlichen Regeln Anwendung, die wie etwa § 71b AktG die Verhältnisse inländischer Obergesellschaften regeln132, während sich die Rechtsverhältnisse der ausländischen abhängigen Gesellschaft nach ihrem Personalstatut richten133. 3. Beispiele 110 Die wichtigsten Fallgruppen, in denen danach typischerweise mit einer Schädigung der ab-

hängigen Gesellschaft zu rechnen ist, sind nachteilige Umsatzgeschäfte oder entsprechende Maßnahmen der Konzernfinanzierung (Stichwort: Cash-Pooling-Systeme, s. Rz. 111 f.), Konzernumlagen ohne echte Gegenleistung, organisatorische Maßnahmen und sonstige Strukturveränderungen, die der abhängigen Gesellschaft zum Nachteil gereichen, sowie Wettbewerbsmaßnahmen des herrschenden Unternehmens oder anderer Konzernunternehmen, durch die in den Kundenstamm und die Märkte der abhängigen Gesellschaft eingegriffen wird, insbesondere durch die Umleitung von Geschäftschancen auf andere Konzernunternehmen (s. Rz. 113 f.)134: 111 Im Vordergrund des Interesses steht die Benachteiligung der abhängigen Gesellschaft bei

dem konzerninternen Geschäftsverkehr. Beispiele dafür sind die Berechnung unangemessener Konzernverrechnungspreise135, die Inanspruchnahme von Gütern („assets“) und Rechten der abhängigen Gesellschaft ohne angemessene Gegenleistung, insbesondere die Veräußerung wertvoller Unternehmensbeteiligungen an das herrschende Unternehmen weit unter ihrem Wert136, sowie die Abordnung qualifizierten Personals der abhängigen Gesellschaft zum herrschenden Unternehmen ohne Gegenleistung137. Ebenso nachteilig können sich Maßnahmen der Konzernfinanzierung auswirken, durch die die abhängige Gesellschaft benachteiligt wird. Hierher gehören eine Kreditgewährung an das herrschende Unternehmen oder

130 Assmann in FS 100 Jahre GmbHG, S. 657, 708 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 28; Kleindiek, Strukturvielfalt, S. 258 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 433 f.; Limmer, Haftungsverfassung, S. 68 ff.; Rehbinder, ZGR 1977, 581, 637 ff.; Stimpel, AG 1986, 117; Stimpel in Hommelhoff, Entwicklungen, S. 39, 41 f.; Tröger, Treupflicht, S. 37 ff. 131 Ebenso (freilich ohne Begründung) BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15 = NJW 1976, 191 = GmbHR 1975, 269 = AG 1976, 16 – ITT; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250, 251 (r.Sp. unten) = GmbHR 2005, 299 = NZG 2005, 214 – Handelsvertreter; Altmeppen, Rz. 172 ff. 132 OLG Frankfurt v. 23.3.1988 – 9 U 80/94, AG 1988, 267, 272. 133 OLG Hamburg, MDR 1976, 402 Nr. 54; Schweiz. BGE 80 II (1954), 53, 59 – Shell. 134 S. z.B. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 442 ff. 135 BGH v. 15.11.1993 – II ZR 235/92, BGHZ 124, 111, 118 = NJW 1994, 520 = AG 1994, 124 – Vereinigte Krankenversicherung. 136 BGH v. 26.6.2012 – II ZR 30/11, AG 2012, 680 Rz. 16 = NZG 2012, 1030 – HVB/UniCredito. 137 OLG Stuttgart v. 23.1.1979 – 12 U 171/77, AG 1979, 200, 202.

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andere Konzernunternehmen ohne angemessene Gegenleistung oder ohne Sicherheiten138, die Aufnahme überteuerter Kredite bei anderen Konzernunternehmen oder die Verpfändung von Aktien der abhängigen Gesellschaft auf Weisung des herrschenden Unternehmens für ein diesem gewährtes Darlehen139. Gleich stehen verdeckte Gewinnausschüttungen (nur) an das herrschende Unternehmen unter Verstoß gegen § 29 (s. 13. Aufl., § 29 Rz. 115 ff.), insbesondere durch die ungerechtfertigte Belastung der abhängigen Gesellschaft mit so genannten Steuer- oder Konzernumlagen140. Ein besonderes Problem bildet die Einbeziehung der abhängigen Gesellschaft in ein zentrales 112 Cash-Management- oder auch Cash-Pooling-System des herrschenden Unternehmens141. Zwar wollte der Gesetzgeber des MoMiG mit § 30 Abs. 1 Satz 2 die Praktizierung derartiger Systeme erleichtern142. Aber davon unberührt bleibt die Anwendbarkeit des Schädigungsverbots. Dieses ist insbesondere verletzt, wenn den Beiträgen der abhängigen Gesellschaft keine jederzeit fällige und liquide Gegenforderung gegen das herrschende Unternehmen auf Bereitstellung der nötigen Liquidität gegenübersteht, insbesondere, wenn die Gefahr droht, dass die Ansprüche der abhängigen Gesellschaft durch die Insolvenz anderer Konzernunternehmen gefährdet werden können. Außerdem muss durch angemessene Sicherheiten gewährleistet werden, dass die abhängige Gesellschaft ihre Mittel auf jeden Fall zurückerhält. Eine weitere häufige Ursache für Schädigungen der abhängigen Gesellschaft zugunsten des 113 herrschenden Unternehmens oder anderer Konzernunternehmen sind Strukturveränderungen im Konzern, durch die die abhängige Gesellschaft benachteiligt wird, z.B. die Übertragung des Vertriebs ihrer Produkte auf andere Konzernunternehmen, weil dadurch die abhängige Gesellschaft vom Markt abgeschnitten wird, die Abgabe erfolgversprechender Entwicklungen an andere Konzernunternehmen, die Veranlassung der abhängigen Gesellschaft zu einem nachteiligen Effektenaustausch oder zur Abgabe sonstiger wertvoller Vermögensbestandteile an andere Konzernunternehmen, ihre Veranlassung zu übermäßig riskanten oder spekulativen Geschäften, vor allem, wenn die etwaigen Vorteile daraus allein dem herrschenden Unternehmen zugutekommen, während die Risiken bei der abhängigen Gesellschaft konzentriert werden, die Sanierung eines anderen Konzernunternehmens auf Kosten der abhängigen Gesellschaft143, die Veräußerung ihres Beteiligungsbesitzes auf Weisung des herrschenden Unternehmens weit unter Wert144 sowie die Auflösung der Gesellschaft und die anschließende Übernahme des Gesellschaftsvermögens durch das herrschende Unternehmen unter Verdrängung der anderen Gesellschafter (so genannte übertragende Auflösung)145.

138 Reich-Rohrwig, GmbH-Recht, S. 572. 139 LG Düsseldorf v. 22.12.1978 – 40 O 138/78, AG 1979, 290, 291 f.; OLG Düsseldorf v. 24.10.1979 – 11 U 47/79, AG 1980, 273 f. 140 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 ff. = GmbHR 1975, 69 = AG 1976, 16 = NJW 1976, 191 – ITT; BGH v. 1.3.1999 – II ZR 312/97, BGHZ 141, 79, 84 ff. = NJW 1999, 1706 = AG 1999, 372; BGH v. 1.12.2003 – II ZR 202/01, NJW-RR 2004, 474 = GmbHR 2004, 258 = AG 2004, 205; s. zu diesen Fällen noch Feddersen, ZGR 2000, 523; Kleindiek, DStR 2000, 559. 141 Ausführlich Emmerich/Habersack, Kommentar, § 311 AktG Rz. 48; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 444–464; L. Neumann, GmbHR 2016, 1016, 1020; J. Vetter/Lauterbach in Lutter/Bayer, Holding-Hdb., 6. Aufl. 2020, § 11. 142 Vgl. BGH v. 24.11.2003 – II ZR 171/01, BGHZ 157, 72 = NJW 2004, 1111 = GmbHR 2004, 302. 143 OGH v. 24.2.1982 – 6 Ob 547/82, GesRZ 1982, 256 f. 144 Lutter in FS Steindorff, 1990, S. 125, 135 ff. für den Fall – Deutsche Bank/Feldmühle Nobel AG. 145 Vgl. zu diesen problematischen Fällen BayObLG v. 17.9.1998 – 3Z BR 37/98, BayObLGZ 1998, 211, 214 ff., 219 = NJW-RR 1999, 1559 = AG 1999, 185, 186 ff. = ZIP 1998, 2002 – Magna Media Verlag/WKA; OLG Stuttgart v. 21.12.1993 – 10 U 48/93, AG 1994, 411, 412 f.; BVerfG v. 23.8.2000 – 1 BvR 68/95, 1 BvR 147/97, AG 2001, 42 = NJW 2001, 279 = ZIP 2000, 1670, alle zu dem Fall „Motometer/Bosch“.

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Anh. § 13 Rz. 114 | GmbH-Konzernrecht 114 Als letzte Fallgruppe seien Verstöße seitens der herrschenden Gesellschaft oder anderer Kon-

zernunternehmen gegen ein Wettbewerbsverbot zugunsten der abhängigen Gesellschaft genannt. Ein Beispiel ist die Umlenkung von Geschäftschancen der abhängigen Gesellschaft unter Verletzung der Treuepflicht auf das herrschende Unternehmen146.

III. Rechtsfolgen 1. Überblick 115 Im faktischen GmbH-Konzern greifen zunächst sämtliche Rechtsfolgen ein, die die Rechts-

ordnung an verstreuten Stellen bereits an die Abhängigkeit einer GmbH zu deren Schutz knüpft (s. Rz. 38). Hervorzuheben sind (neben § 18 Abs. 1 Satz 3 AktG) das Verbot der Zeichnung oder des Erwerbs von Anteilen an dem herrschenden Unternehmen (entsprechend den § 56 Abs. 2 und § 71d Satz 2 AktG), das Verbot der Ausübung des Stimmrechts aus solchen Anteilen (entsprechend den § 71b und § 71d Satz 4 AktG) sowie insbesondere die Stimmverbote des § 47 Abs. 4 und die Kapitalerhaltungsregeln der §§ 30 bis 32, die heute durchweg entsprechend ihrem Zweck – über ihren Wortlaut hinaus – konzerndimensional angewandt werden. Die Stimmverbote des § 47 Abs. 4 greifen deshalb auch dann ein, wenn einer der Ausschlusstatbestände zwar nicht in der Person des herrschenden Unternehmens, wohl aber in einer von ihm gleichfalls kontrollierten Gesellschaft verwirklicht ist (s. 12. Aufl., § 47 Rz. 107, 163, 165 ff.). 116 Die Position der Minderheit im faktischen GmbH-Konzern wird weiter durch die allgemei-

nen Minderheitsrechte verstärkt, die ihre zentrale Bedeutung gerade in Abhängigkeits- und Konzernverhältnissen haben. Die wichtigsten dieser Rechte sind das Auskunfts- und Einsichtsrecht der Minderheit aufgrund der § 51a und § 51b, das Recht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung, um dort gegen die Konzernpolitik des herrschenden Unternehmens gerichtete Weisungen an die Geschäftsführer durchzusetzen (§ 50, § 47 Abs. 4, § 46 Nr. 6), wodurch, richtig eingesetzt, die Gefahren der Abhängigkeit für die außenstehenden Gesellschafter bereits erheblich reduziert werden können147, das Anfechtungsrecht gegen Beschlüsse der vom herrschenden Unternehmen majorisierten Gesellschafterversammlung (§ 243 AktG), die Abberufung der Geschäftsführer aus wichtigem Grunde (s. § 38), das Bezugsrecht bei Kapitalerhöhungen (§ 57j), das Recht auf Gewinnbeteiligung (§ 29) sowie das (gesetzlich nicht geregelte) Austrittsrecht aus wichtigem Grunde, das – entgegen einer verbreiteten Meinung148 – den Minderheitsgesellschafter allgemein in Abhängigkeitslagen unter engen Voraussetzungen zugebilligt werden sollte, jedenfalls, sofern ihnen angesichts der Breite der schädigenden Einflussnahme des herrschenden Unternehmens ein weiteres Verbleiben in der Gesellschaft nicht mehr zuzumuten ist (§§ 242, 314 BGB)149. Der austretende Gesellschafter hat einen Anspruch auf volle Abfindung; gesellschaftsvertragliche Abfindungsbeschränkungen dürften im Zweifel in den hier interessierenden Fallgestaltungen unwirksam sein (§§ 138, 242 BGB)150.

146 BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, MDR 1977, 560 = GmbHR 1977, 129; BGH v. 30.11.1978 – II ZR 204/76, NJW 1979, 2104 = GmbHR 1979, 89; BGH v. 3.7.1978 – II ZR 180/76, WM 1978, 1205. 147 Ausführlich Altmeppen, Rz. 145 ff. 148 H.-Fr. Müller, Das Austrittsrecht des GmbH-Gesellschafters, 1996, S. 56 ff. 149 Rz. 168 ff.; ebenso Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 353 f. 150 Monopolkommission, 7. Hauptgutachten, Rz. 866; M. Becker, Der Austritt aus der GmbH, 1985, S. 132 ff.; Flume, Juristische Person, § 4 IV (S. 126 f., 129); Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, S. 303 ff.; Schilling in FS Hefermehl, S. 386 ff.; Karsten Schmidt, GmbHR 1979, 121, 131 f.; Verhoeven, GmbH-Konzern-Innenrecht, S. 115 ff.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 121 Anh. § 13

2. Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche Verstöße des herrschenden Unternehmens gegen das Schädigungsverbot lösen in erster Linie 117 Ansprüche der abhängigen Gesellschaft auf Ersatz der von dem herrschenden Unternehmen z.B. durch eine Weisung an die Geschäftsführer verursachten Schäden nach den §§ 249 bis 252 BGB aus, sofern das herrschende Unternehmen den Verstoß zu vertreten hat (§§ 31, 276, 278, 280 Abs. 1 BGB). Hat es z.B. Geschäftschancen unter Verstoß gegen seine Treuepflicht an Stelle der Gesellschaft selbst wahrgenommen (s. Rz. 114), so ist es gemäß § 252 BGB zur Herausgabe des dabei erzielten Gewinns verpflichtet151. Dasselbe gilt für zu Unrecht bezogene, verdeckt ausgeschüttete Gewinne. Bei Verstößen gegen das auf der Treuepflicht fußende Wettbewerbsverbot (für das herrschende Unternehmen und die anderen von ihm abhängigen Unternehmen) ist außerdem an die entsprechende Anwendbarkeit des Eintrittsrechts der abhängigen Gesellschaft nach § 113 Abs. 1 HGB zu denken152. Bei gegen die Treuepflicht der Gesellschafter verstoßenden und deshalb rechtswidrigen, von 118 dem herrschenden Unternehmen mit seiner Mehrheit gleichwohl durchgesetzten Beschlüssen der Gesellschafterversammlung, durch die die Geschäftsführer zu einem für die abhängige Gesellschaft nachteiligen Verhalten angewiesen werden, muss entschieden werden, ob die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen gegen das herrschende Unternehmen entsprechend § 46 Nr. 8 von der vorherigen erfolgreichen Anfechtung des Weisungsbeschlusses abhängig ist, wie von einer verbreiteten Meinung angenommen wird153. Dieser Meinung ist indessen nicht zu folgen, weil durch das Erfordernis einer vorherigen 119 Anfechtungsklage (Rz. 118) die ohnehin schwierige Rechtsverfolgung seitens der Minderheit (Rz. 121) nur ohne Not zusätzlich erschwert würde. Eine Inzidentprüfung der Rechtswidrigkeit des Beschlusses im Rahmen des Schadensersatzprozesses genügt vollauf154. Eindeutig ist dies jedenfalls bei Nichtigkeit des Beschlusses nach den § 138 und § 826 BGB. Neben Schadensersatzansprüchen (Rz. 117) kommen ferner Unterlassungs- und Beseiti- 120 gungsansprüche der abhängigen Gesellschaft in Betracht, insbesondere auf Widerruf unzulässiger Weisungen oder auf Rückgängigmachung sonstiger schädigender Maßnahmen (§ 249 BGB)155. Im Falle der rechtswidrigen Eingliederung der abhängigen Gesellschaft in den Konzern des herrschenden Unternehmens kann sich daraus auch ein Anspruch auf Rückgängigmachung der Konzerneingliederung ergeben156. Obwohl es somit von Fall zu Fall durchaus sinnvoll sein kann, der abhängigen Gesellschaft 121 ebenso wie ihren Gesellschaftern (s. Rz. 120) Unterlassungs- und Beseitigungsansprüche zuzubilligen, stoßen derartige Ansprüche doch neuerdings auf Bedenken, weil mit ihrer Verfolgung die Gesellschafter des abhängigen Unternehmens überfordert seien und außerdem entgegen dem Willen des Gesetzgebers des MoMiG letztlich die Praktizierung faktischer Konzerne unmöglich gemacht werde157. Diese Einwände vermögen nicht zu überzeugen, weil es keinen Grund gibt, die abhängige Gesellschaft und ihre Gesellschafter dort, wo sie sich gegen Verletzungen der Treuepflicht seitens des herrschenden Unternehmens mit Unterlassungs-

151 BGH v. 3.7.1978 – II ZR 180/76, WM 1978, 1205; BGH v. 10.2.1977 – II ZR 79/75, MDR 1977, 560 = GmbHR 1977, 129. 152 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 511. 153 So z.B. statt aller Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 474 m.w.N. 154 Aus dem Urteil des BGH v. 26.6.2012 (II ZR 30/11, AG 2012, 680 – AVB/UniCredito) folgt (entgegen Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 474) nichts anderes. 155 S. Emmerich, AG 1987, 1, 4; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 504 f. 156 Fleck, ZHR 149 (1985), 387, 415 ff.; Schilling, ZHR 140 (1976), 528, 535; Uwe H. Schneider in Hommelhoff, Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, S. 121, 129 ff. 157 Hommelhoff, ZGR 2012, 535, 551 ff.; Hommelhoff, Rz. 33 ff., 40.

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Anh. § 13 Rz. 121 | GmbH-Konzernrecht und Beseitigungsansprüchen wehren können, um ihre auf Gesetz beruhenden Ansprüche zu bringen (§ 280 Abs. 1, § 276, § 249 und § 705 BGB). 122 Die genannten Ansprüche (Rz. 117 f.) stehen an sich der abhängigen Gesellschaft zu, so dass

ihre Geltendmachung gemäß § 46 Nr. 8 grundsätzlich einen Beschluss der Gesellschafterversammlung voraussetzt, bei dem zwar das herrschende Unternehmen nach § 47 Abs. 4 Satz 2 kein Stimmrecht hat, bei dem aber gleichwohl häufig, schon mit Rücksicht auf die Abhängigkeit der Geschäftsführer von dem herrschenden Unternehmen, mit großen Schwierigkeiten bei der Verfolgung von Ansprüchen gegen das herrschende Unternehmen zu rechnen sein dürfte. 123 Deshalb ist anerkannt, dass daneben – unter im Einzelnen umstrittenen Voraussetzungen –

eine Zuständigkeit der Gesellschafter zur Geltendmachung der Ansprüche besteht, weil ein wirksamer Schutz der Minderheit allein auf diese Weise gewährleistet werden kann (actio pro socio oder besser: societate)158. Die Gläubiger der Gesellschaft können zudem die Ansprüche der Gesellschaft pfänden und sich überweisen lassen (§§ 829, 835 ZPO). Daneben verfügen sie noch über eine eigene Zuständigkeit aufgrund der entsprechend anwendbaren § 317 Abs. 4 und § 309 Abs. 4 AktG (Rz. 127 f.). Auch daraus folgt eine gewisse „Garantie“ für die Durchsetzung der Ansprüche der Gesellschaft. 124 Die Darlegungs- und Beweislast insbesondere für die Voraussetzungen eines Schadensersatz-

oder Unterlassungsanspruchs wegen Treuepflichtverletzung (Rz. 117 f.), d.h. für die Einflussnahme des herrschenden Unternehmens, für die Kausalität der Einflussnahme und für den Schaden der abhängigen Gesellschaft, trifft denjenigen, der den Schadensersatz- oder Unterlassungsanspruch geltend macht, d.h. in erster Linie also die abhängige Gesellschaft sowie gegebenenfalls die Mitgesellschafter, wenn sie die Ansprüche der Gesellschaft im Wege der actio pro socio verfolgen (s. Rz. 122). Es liegt indessen auf der Hand, dass insbesondere die Minderheitsgesellschafter – trotz ihres Auskunfts- und Einsichtsrechts aus § 51a – in aller Regel überfordert sein dürften, wenn man ihnen in vollem Umfang die Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen derartiger Schadensersatzansprüche auferlegte, da sie meistens keinen Einblick in die ihren Augen sorgsam verborgenen Konzerninterna haben. 125 Es besteht deshalb Übereinstimmung, dass der Minderheit hier mit verschiedenen Beweis-

erleichterungen geholfen werden muss: Wurde die abhängige Gesellschaft in einer Weise geschädigt, die in erster Linie dem herrschenden Unternehmen oder anderen Konzernunternehmen zugutekommt, so dürfte es angemessen sein, die Kausalität zwischen der Schädigung und einem etwaigen sorgfaltswidrigen Eingriff des herrschenden Unternehmens zu vermuten. Auf jeden Fall spricht dann aber der Beweis des ersten Anscheins für solche Einflussnahme. Ist danach von der Kausalität eines Eingriffs für die Schädigung der abhängigen Gesellschaft auszugehen, so ist außerdem in geeigneten Fällen zu erwägen, § 93 Abs. 2 Satz 2 AktG entsprechend anzuwenden. 126 Neben dem herrschenden Unternehmen können sich auch die Geschäftsführer der abhängi-

gen Gesellschaft nach § 43 schadensersatzpflichtig machen, wenn sie treuwidrige und damit rechtswidrige Weisungen des herrschenden Unternehmens zum Nachteil der abhängigen 158 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 21 = GmbHR 1975, 264 = NJW 1976, 191 – ITT; BGH v. 23.6.1969 – II ZR 272/67, NJW 1969, 1712 = MDR 1969, 909; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 125/89, GmbHR 1990, 343 = AG 1990, 458; BGH v. 24.1.1967 – VI ZR 92/65, BB 1967, 348 = MDR 1967, 480; BGH v. 28.6.1982 – II ZR 199/81, WM 1982, 928, 929; BGH v. 2.6.1986 – II ZR 300/85, NJW-RR 1987, 57 = WM 1986, 1201; Assmann in FS 100 Jahre GmbHG, S. 657, 681 f.; M. Becker, Verwaltungskontrolle durch Gesellschafterrechte, 1998, S. 595 ff.; v. Gerkan, ZGR 1988, 441; Konzen, NJW 1989, 2977, 2984 f.; Emmerich/Habersack, Kommentar § 318 AktG Anh. Rz. 31; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 497 ff., 506; Limmer, Haftungsverfassung, S. 138 ff.; M. Winter, Treuebindungen, S. 306 ff.; Zöllner, ZGR 1988, 392, 410 f.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 130 Anh. § 13

Gesellschaft befolgen. Beruht die Weisung freilich auf einem Beschluss der Gesellschafterversammlung, so kommt eine Haftung der Geschäftsführer nur in Betracht, wenn der Beschluss wirksam angefochten wird159. Unabhängig davon ist jedoch die Haftung des herrschenden Unternehmens selbst (s. Rz. 123).

IV. Gläubigerschutz In Abhängigkeitsverhältnissen („faktischen Konzernen“) muss der Schutz der abhängigen 127 Gesellschaft und ihrer Minderheitsgesellschafter – auf dem Weg über den Bestandsschutz zugunsten der abhängigen Gesellschaft – den gebotenen Gläubigerschutz mitübernehmen. Die Gläubiger haben insbesondere die Möglichkeit, etwaige Schadensersatzansprüche der abhängigen Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen wegen treuwidriger Eingriffe zu pfänden und sich überweisen zu lassen (§§ 829, 835 ZPO). Das Erfordernis eines vorherigen Gesellschafterbeschlusses nach § 46 Nr. 8 entfällt auch (erst recht) in diesem Fall (s. Rz. 111). Außerdem ist davon auszugehen, dass die Gläubiger, sofern sie von der abhängigen Gesell- 128 schaft, etwa wegen deren Vermögenslosigkeit, keine Befriedigung mehr zu erlangen vermögen, die Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen das herrschende Unternehmen entsprechend den § 317 Abs. 4 und § 309 Abs. 4 Satz 3 AktG auch selbst verfolgen können, und zwar mit dem Antrag auf Leistung an sich selbst (s. Rz. 125), indessen nur bis zur Deckung ihrer Forderung gegen die Gesellschaft160. Alle diese Ansprüche der Gläubiger sind freilich mit der Schwäche behaftet, dass sie versagen, wenn die Minderheitsgesellschafter das Vorgehen des herrschenden Unternehmens billigen oder doch nachträglich auf Schadensersatzansprüche verzichten (§ 397 BGB). Dieselben Probleme bestehen in Einpersonengesellschaften (s. dazu Rz. 130 f.). Eigene, d.h. nicht von der abhängigen Gesellschaft abgeleitete Ansprüche der Gläubiger ge- 129 gen das herrschende Unternehmen kommen nur in Betracht, wenn ausnahmsweise die Voraussetzungen der Durchgriffshaftung erfüllt sind161 oder wenn das herrschende Unternehmen aus einem anderen Rechtsgrund ihnen unmittelbar ersatzpflichtig ist, wobei – neben Deliktsansprüchen (§ 823 Abs. 2 und § 826 BGB) – in erster Linie an Ansprüche wegen existenzvernichtender Eingriffe zu denken ist (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.). Solche Ersatzansprüche kommen auch und gerade in Betracht, wenn die Gesellschafter einvernehmlich die abhängige Gesellschaft schädigen oder wenn es sich um Einpersonengesellschaften handelt (Rz. 130 f.). Der Gläubigerschutz knüpft in der mehrgliedrigen abhängigen Gesellschaft in erster Linie an 130 die Treuepflicht des herrschenden Unternehmens gegenüber der abhängigen Gesellschaft und den Minderheitsgesellschaftern an. Ein derartiges Haftungsmodell versagt indessen in bestimmten Fällen. Die wichtigsten sind Einpersonengesellschaften, weil sich hier ein über die § 30 und § 31 hinausgehender Bestandsschutz der abhängigen Gesellschaft gegenüber ihrem einzigen Gesellschafter nicht oder doch nur schwer konstruieren lässt (s. § 60 Abs. 1 Nr. 2), sowie Mehrpersonengesellschaften, bei denen die Gesellschafter einvernehmlich handeln (Rz. 127).

159 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 493. 160 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 340 = NJW 1986, 188 = GmbHR 1986, 78 = AG 1986, 15 – Autokran. 161 S. 13. Aufl., § 13 Rz. 90 ff.; Boujong in FS Odersky, 1996, S. 739; Th. Raiser, ZGR 1995, 156, 162 ff.; Stimpel in FS Goerdeler, 1987, S. 601.

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Anh. § 13 Rz. 131 | GmbH-Konzernrecht 131 Die Frage, wie in diesen Fällen ein angemessener Gläubigerschutz gewährleistet werden

kann, wird heute überwiegend nicht mehr konzernspezifisch gelöst; vielmehr tritt nach h.M. an die Stelle einer etwaigen Konzernhaftung des herrschenden Unternehmens und insbesondere des einzigen Gesellschafters bei Einpersonengesellschaften die allgemeine gesellschaftsrechtliche Existenzvernichtungshaftung (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.). Die Folge sind jedoch Schutzlücken, die es notwendig machen dürften, wenigstens in Grenzfällen auch weiterhin konzernspezifische Lösungen der Haftungsproblematik ins Auge zu fassen:

V. Qualifizierter faktischer Konzern, Existenzvernichtungshaftung 1. Überblick 132 Wie bereits ausgeführt (s. Rz. 130), gibt es eine Reihe von Fällen, in denen der gebotene

Gläubigerschutz auf der Grundlage des herkömmlichen Schutzinstrumentariums in faktischen GmbH-Konzernen nicht mehr gewährleistet ist. Für diese in sich sehr unterschiedlichen Fallgestaltungen hatte sich in den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts der plastische Begriff des „qualifizierten faktischen Konzerns“ eingebürgert, der bis zum Jahre 2001 im Mittelpunkt der konzernrechtlichen Diskussion stand, seitdem aber fast völlig wieder „in der Versenkung verschwunden ist“. Gleichwohl soll hier eine kleine Ehrenrettung dieses mittlerweile nahezu verfemten Rechtsinstituts gewagt werden162. 133 Als qualifizierte faktische Konzerne bezeichnete man (ursprünglich) Abhängigkeitsverhält-

nisse, in denen das auf Einzeleingriff und Schadensersatz wegen Treuepflichtverletzung aufgebaute Haftungssystem (Rz. 103 ff.) deshalb nicht mehr funktioniert, weil wegen der Breite und Dichte der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf die abhängige Gesellschaft einzelne Weisungen und deren Auswirkungen nicht mehr isoliert werden können. Die Rechtsprechung hatte diesen Haftungstatbestand alsbald aufgegriffen, in der Folgezeit aber immer wieder modifiziert, bis die Entwicklung im Jahre 2001 mit dem 1. Bremer Vulkan-Urteil des BGH vom 17.9.2001163 abrupt wieder abbrach. Die vorausgegangene Rechtsprechung hatte seinerzeit eine zuletzt kaum mehr überschaubare Diskussion ausgelöst, in der es vor allem um die folgenden vier Fragen ging: zunächst um die Abgrenzung des mit dem Schlagwort „qualifizierter faktischer Konzern“ umschriebenen Tatbestandes, sodann um die Frage der Zulässigkeit solcher Konzerne, weiter um die Frage des angemessenen Schutzes etwaiger außenstehender Gesellschafter sowie schließlich und vor allem um die Frage der Haftungsverfassung. Gemeint war damit das Problem, unter welchen Voraussetzungen das herrschende Unternehmen gegenüber der abhängigen Gesellschaft oder deren Gläubigern ersatzpflichtig ist, konkret: ob und wann hier Raum für eine Analogie zu den § 302 und § 303 AktG war. 134 Kern der Auseinandersetzung war das Problem, ob der „Haftungsdurchgriff“ auf das herr-

schende Unternehmen entsprechend den § 302 und § 303 AktG bereits gerechtfertigt ist, wenn das Haftungssystem für faktische Konzerne (Rz. 103 ff.) funktionsunfähig wird, weil sich einzelne Einflussnahmen des herrschenden Unternehmens und die von ihnen ausgehenden Wirkungen nicht mehr isolieren lassen, oder ob noch ein „qualifizierendes“ Element hinzukommen muss, zuletzt meistens im Anschluss an das TBB-Urteil des BGH von 29.3.1993 als „objektiver Missbrauch infolge fehlender angemessener Rücksichtnahme auf

162 S. auch Emmerich/Habersack, Kommentar, § 317 AktG Anh. Rz. 5, § 318 AktG Rz. 3; Kessler in Saenger/Inhester, Rz. 101; Servatius in Michalski u.a., Rz. 416 ff.; Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 499 ff. 163 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10, 16 = NJW 2001, 3622 = GmbHR 2001, 1036 = AG 2002, 43 = ZIP 2001, 1874.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 137 Anh. § 13

die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft“ definiert164. Zulässigkeitsfragen spielten demgegenüber nur eine untergeordnete Rolle165. Die Rechtsprechung war nicht geradlinig verlaufen, sondern hatte die Akzente einmal mehr 135 auf eine nur wenig eingeschränkte Strukturhaftung, das andere Mal mehr auf eine (modifizierte) Verhaltenshaftung gelegt166. Die wichtigsten Urteile des BGH auf diesem verschlungenen Pfad sind unter den Bezeichnungen „Autokran“167, „Tiefbau“168, „Video“169, „Stromlieferung“170 und „TBB“171 in die Konzernrechtsgeschichte eingegangen. Vor allem das erwähnte Video-Urteil von 1991172 hatte wegen seiner weitreichenden Konsequenzen ein regelrechtes „Erdbeben“ ausgelöst, weshalb sich der BGH schon wenig später in dem TBB-Urteil vom 29.3.1993173 zu deutlichen Korrekturen veranlasst sah, bis er schließlich in dem 1. Bremer-Vulkan-Urteil vom 17.9.2001 diese Praxis wieder aufgab174. In der Zeit zwischen „TBB“ und „Bremer Vulkan“, d.h., in den Jahren von 1993 bis 2001 ver- 136 folgte der BGH zuletzt offenbar ein Konzept, das im Kern auf eine durch Elemente der Strukturhaftung modifizierte Verhaltenshaftung hinauslief175. Das Ergebnis war eine deutliche Zurückhaltung des BGH bei der Bejahung des „Haftungsdurchgriffs“ auf das herrschende Unternehmen im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern176. In der Rechtsprechung „nach TBB“ (Rz. 135) hatten sich zuletzt die folgenden Vorausset- 137 zungen für einen Haftungsdurchgriff analog § 302 und § 303 AktG im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern abgezeichnet: Das herrschende Unternehmen musste in nachteiliger Weise auf die abhängige Gesellschaft Einfluss genommen haben; diese Nachteilszufügung

164 BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123, 130 = NJW 1993, 1200 = GmbHR 1993, 283. 165 S. Emmerich, AG 1991, 303, 306. 166 S. zuletzt die Übersichten bei Altmeppen, Rz. 158 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 317 AktG Anh.; Ulmer in Ulmer, GmbH-Konzern, 2002, S. 41. 167 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 174/84, BGHZ 95, 330 = NJW 1986, 188 = GmbHR 1986, 78 = AG 1986, 15. 168 BGH v. 20.9.1989 – II ZR 167/88, BGHZ 107, 7 = NJW 1989, 1800 = GmbHR 1989, 196 = AG 1989, 243. 169 BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187 = NJW 1991, 3142 = GmbHR 1991, 520 = AG 1991, 429. 170 BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37 = GmbHR 1992, 34 = NJW 1992, 505 = WM 1991, 2137 = AG 1992, 83. 171 BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = NJW 1993, 1200 = GmbHR 1993, 283 = AG 1993, 371. 172 BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187 = NJW 1991, 3142 = GmbHR 1991, 520 = AG 1991, 429. 173 BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123 = NJW 1993, 1200 = GmbHR 1993, 283 = AG 1993, 371. 174 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 287/90, BGHZ 149, 10, 16 = NJW 2001, 3622 = GmbHR 2001, 1036 – Bremer Vulkan; BGH v. 18.3.2002 – II ZR 11/01, BGHZ 150, 61, 68 = NJW 2002, 1803 = GmbHR 2002, 545 – L. Kosmetik; BGH v. 24.6.2002 – II ZR 300/00, BGHZ 151, 181, 186 ff. = NJW 2002, 3024 = GmbHR 2002, 902 – KBV. 175 S. Rz. 137 sowie BGH v. 13.12.1993 – II ZR 89/93, GmbHR 1994, 171 = NJW 1994, 446 = AG 1994, 179 – EDV-Peripherie; BGH v. 19.9.1994 – II ZR 237/93, LM Nr. 8 zu § 302 AktG = GmbHR 1994, 881 = NJW 1994, 3288 = AG 1995, 35 – Freiberufler-Konzern I; BGH v. 27.3.1995 – II ZR 136/94, GmbHR 1995, 446 = NJW 1995, 1544 = AG 1995, 326 – Freiberufler-Konzern II; BGH v. 12.2.1996 – II ZR 279/94, NJW 1996, 1283 = GmbHR 1996, 366 = AG 1996, 221; BGH v. 25.11.1996 – II ZR 352/95, GmbHR 1997, 258 = NJW 1997, 943 = AG 1997, 180; BGH v. 3.11.1997 – II ZR 328/96, GmbHR 1998, 87 = DStR 1997, 1937; vgl. außerdem noch BGH v. 9.1.1992 – IX ZR 165/91, BGHZ 117, 8, 16 = NJW 1992, 1702. 176 Ebenso ausdrücklich Goette in Ulmer, GmbH-Konzern, 2002, S. 9, 12, 21 ff.; Boujong in FS Odersky, S. 739, 748 ff.; Raiser, ZGR 1995, 156, 161 f.

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Anh. § 13 Rz. 137 | GmbH-Konzernrecht musste einen objektiven Missbrauch der Herrschaftsmacht darstellen, weil das herrschende Unternehmen dabei nicht in der gebotenen Weise Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft genommen hatte; und schließlich musste ein Einzelausgleich der zugefügten Nachteile ausscheiden, wobei in erster Linie an Schadensersatzansprüche der abhängigen Gesellschaft wegen der Nachteilszufügung zu denken war. 138 Ursprünglich hatte der BGH statt dessen zur Begründung der Haftung des herrschenden Un-

ternehmens im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern besonderes Gewicht auf die Frage gelegt, ob dieses „dauernd und umfassend“ die Leitung der abhängigen Gesellschaft an sich gezogen hatte177. Das lag vor allem deshalb nahe, weil auslösend für die „Entdeckung“ des qualifizierten faktischen Konzerns die Beobachtung gewesen war, dass in bestimmten Konzernfällen, gekennzeichnet eben durch eine besondere Breite und Tiefe der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens, das auf treuwidrige Einzeleingriffe und Schadensersatz abstellende gesetzliche Haftungssystem nicht mehr funktioniert (Rz. 132 f.). 139 Diese Linie wurde jedoch im Grunde bereits mit dem Video-Urteil vom 23.9.1991178 verlas-

sen, in dem es erstmals hieß, der Umstand, dass das herrschende Unternehmen die Geschäfte der abhängigen Gesellschaft dauernd und umfassend führt, sei lediglich ein Indiz dafür, dass es im Konzerninteresse nicht mehr hinreichend Rücksicht auf die Belange der abhängigen Gesellschaft nimmt. Seit dem TBB-Urteil vom 29.3.1993179 drängte sodann das Merkmal einer mangelnden Rücksichtnahme auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft alle anderen Haftungsvoraussetzungen weitgehend in den Hintergrund (Stichwort: modifizierte Verhaltenshaftung). 140 Die beiden wichtigsten Voraussetzungen des „Haftungsdurchgriffs“ auf das herrschende

Unternehmen im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern waren nach dem Gesagten (Rz. 137 f.) der objektive Missbrauch der herrschenden Gesellschafterstellung in Gestalt der fehlenden Rücksichtnahme auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft bei der Einflussnahme auf diese sowie die Unmöglichkeit des Einzelausgleichs des zugefügten Nachteils. Von diesen Tatbestandsmerkmalen interessiert heute wegen der Parallele zu der Diskussion über die Existenzvernichtungshaftung letztlich nur noch die Frage, wann ein Missbrauch in dem genannten Sinne angenommen wurde (Rz. 141 ff.). 2. Missbrauch 141 Die schwierigste Aufgabe, die die TBB-Doktrin stellte, war die Entwicklung von Kriterien,

anhand derer es möglich war, die erlaubte von der unerlaubten Einflussnahme des herrschenden Unternehmens zu unterscheiden. Diese Aufgabe hatte sich als ausgesprochen schwierig erwiesen, weil die „eigenen Belange“ der abhängigen GmbH, einer juristischen Person (!), naturgemäß nur schwer zu fassen sind. Sicher war nur, dass man zur Konkretisie177 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 344 = NJW 1986, 188 = GmbHR 1986, 78 – Autokran; BGH v. 20.2.1989 – II ZR 167/88, BGHZ 107, 7, 17, 19 f. = GmbHR 1989, 196 = NJW 1989, 1800 – Tiefbau; BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187, 193 ff. = NJW 1991, 3142 = GmbHR 1991, 520 – Video; ebenso BAG v. 28.4.1992 – 3 AZR 244/91, BAGE 70, 158, 162 ff. = AG 1993, 380, 381 = GmbHR 1993, 220; BAG v. 6.10.1992 – 3 AZR 242/91, AP Nr. 5 zu § 1 BetrAVG-Konzern = NJW 1993, 954 = AG 1993, 382 = GmbHR 1993, 218 – AG Union; OLG Saarbrücken v. 22.9.1992 – 7 U 4/92, GmbHR 1993, 39 = AG 1993, 183 – Gerken; OLG Karlsruhe v. 7.8.1992 – 15 U 123/91, GmbHR 1993, 171 = AG 1993, 89, 92 = WM 1992, 2088 – Schotterkleber; AG Düsseldorf v. 11.3.1993 – 51 C 11687/92, AG 1994, 87. 178 BGH v. 23.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187, 193 f. = NJW 1991, 3142 = GmbHR 1991, 520 = AG 1991, 429. 179 BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123, 130 ff. = NJW 1993, 1200 = GmbHR 1993, 283 = AG 1993, 371; ebenso OLG Düsseldorf v. 26.11.1998 – 6 U 57/97, GmbHR 1999, 123 = AG 1999, 276.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 146 Anh. § 13

rung der eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft von dem vertraglichen Gegenstand und dem Zweck der Gesellschaft auszugehen hatte (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 19 ff.). Das herrschende Unternehmen missbrauchte folglich seine Gesellschafterstellung durch die Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft, wenn die fragliche Maßnahme mit den Belangen der abhängigen Gesellschaft, definiert durch ihren Gegenstand und Zweck, unvereinbar war. Eine weitere Konkretisierung des Missbrauchs erlaubte die (ohnehin naheliegende) Parallele 142 zu den § 311 Abs. 1 und § 317 Abs. 2 AktG. Bedeutung hatte dies vor allem für mehrgliedrige Gesellschaften, in denen bei nüchterner Betrachtungsweise mit den eigenen Belangen der abhängigen Gesellschaft sinnvollerweise nur die legitimen Interessen der übrigen Gesellschafter und der Gläubiger der abhängigen Gesellschaft gemeint sein konnten, die in aller Regel darauf gerichtet sind, dass die Gesellschaft ihr Unternehmen unabhängig im gemeinsamen Interesse aller Beteiligten (und nicht nur im Interesse eines einzigen, des herrschenden Gesellschafters) betreibt. Folglich war hier die Beeinträchtigung „der eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft“ 143 letztlich identisch mit einer Nachteilszufügung durch das herrschende Unternehmen in einer Weise, wie sie der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsführer einer unabhängigen Gesellschaft, der sich allein an den Interessen seiner Gesellschaft und aller ihrer Gesellschafter orientiert, niemals akzeptiert hätte (§ 43 GmbHG; §§ 76, 93, 317 Abs. 2 AktG analog). Jede Einflussnahme des herrschenden Unternehmens auf die abhängige Gesellschaft, die mit diesem Maßstab unvereinbar ist, bedeutete, anders gewendet, einen objektiven Missbrauch durch Unterlassung der gebotenen Rücksichtnahme auf die eigenen Belange der abhängigen Gesellschaft, definiert durch das legitime Interesse der übrigen Gesellschafter und der Gläubiger an der Führung der abhängigen Gesellschaft als einer unabhängigen in ihrem gemeinsamen Interesse. Anders lag die Situation zunächst, wenn die übrigen Gesellschafter der Einbeziehung der 144 abhängigen Gesellschaft in den Konzern des herrschenden Unternehmens zugestimmt hatten, weil darin, zumindest im Regelfall, auch die Einwilligung in eine Nachteilszufügung im Konzerninteresse liegen dürfte (§ 308 Abs. 2 AktG analog). Anders war die Situation außerdem, wenn die abhängige Gesellschaft bereits nach ihrem Gesellschaftsvertrag ganz auf das Konzerninteresse ausgerichtet ist, wenn es sich z.B. um eine von vornherein allein zur Erfüllung bestimmter Konzernaufgaben gegründete Tochtergesellschaft handelte. Es bestand Übereinstimmung, dass bei solchen Gesellschaften auch eine schädigende Einflussnahme im Konzerninteresse so lange unbedenklich ist, wie die Überlebensfähigkeit der abhängigen Gesellschaft und damit namentlich ihre Fähigkeit zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten gewährleistet sind180. Ebenso zu beurteilen war die Rechtslage bei Einpersonengesellschaften. Die Praxis gestattete 145 hier dem herrschenden Unternehmen – in den Grenzen der § 30 und § 31 – gleichfalls jede Einflussnahme auf die abhängige Gesellschaft, solange sie nur in der Lage blieb, ihren Verbindlichkeiten nachzukommen (Rz. 130 f.). Weitere Haftungsvoraussetzungen waren die Unmöglichkeit eines Einzelausgleichs sowie 146 Kausalität zwischen den Schäden der abhängigen Gesellschaft und dem objektiv missbräuchlichen Eingriff des herrschenden Unternehmens.

180 S. LG Frankfurt a.M. v. 20.1.1997 – 3/13 O 119/96, AG 1998, 98 = NJW-RR 1997, 796; Beinert, Die Konzernhaftung für die satzungsmäßig abhängig gegründete GmbH, 1995.

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Anh. § 13 Rz. 147 | GmbH-Konzernrecht 3. Beweislast 147 Die zentrale Frage unter der Geltung des Haftungsdurchgriffs im qualifizierten faktischen

Konzern war letztlich die nach der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast zwischen den Parteien. Deshalb soll hier zu dieser Frage in der gebotenen Kürze noch Stellung genommen werden: 148 Die Beweislast für das Vorliegen des Haftungstatbestandes (Rz. 140 ff.) traf grundsätzlich

denjenigen, der, als Gesellschafter oder Gläubiger der abhängigen Gesellschaft, vom herrschenden Unternehmen Schadensersatz oder Verlustausgleich verlangte181. Vor allem diese Beweislastverteilung hatte dazu geführt, dass es zuletzt nur noch selten zum Haftungsdurchgriff im qualifizierten faktischen Konzern gekommen war. Namentlich der Beweis der nachhaltigen Beeinträchtigung des Eigeninteresses der abhängigen Gesellschaft (Rz. 140 f.) war dem Kläger in der Regel nicht möglich. 149 Im Schrifttum waren deshalb verschiedene Fallgruppen herausgearbeitet worden, in denen

in erster Linie in qualifizierten faktischen Konzernen eine Haftung entsprechend den § 302 und § 303 AktG in Betracht kam. Da diese Fallgruppen nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben, soll hier ein kurzer Überblick über die einschlägigen Fälle gegeben werden: 150 Die wichtigsten Fallgruppen waren die Insolvenz einer Einpersonengesellschaft, vor allem,

wenn noch andere, in dieselbe Richtung weisende Merkmale hinzukamen, ebenso sonstige Insolvenzfälle, sofern zugleich die Geschäfte mit neugegründeten Gesellschaften oder anderen Konzerngesellschaften fortgeführt wurden (Stichwort: GmbH-Stafetten), ferner die „systematische“ Schädigung der abhängigen Gesellschaft im Rahmen des konzerninternen Geschäfts- und Abrechnungsverkehrs durch unangemessene Konzernverrechnungspreise oder durch Konzernumlagen zugunsten anderer Konzerngesellschaften, weiter die Veranlassung der abhängigen Gesellschaft zur Hingabe ungesicherter Darlehen an nicht mehr kreditwürdige, andere Konzernunternehmen, außerdem der systematische Abzug der Liquidität der Gesellschaft, insbesondere im Rahmen so genannter Cash-Management-Systeme, so dass die abhängige Gesellschaft im Grunde wie eine bloße Betriebsabteilung geführt wurde, sowie generell eine mangelhafte Buchführung oder die Undurchschaubarkeit des gesamten Geschäfts- und Abrechnungsverkehrs zwischen den verbundenen Unternehmen. 151 Einen umstrittenen Grenzfall stellte insbesondere die Betriebsaufspaltung dar. Obwohl zu-

mindest bei der „echten“ Betriebsaufspaltung im Regelfall alles für die Annahme eines qualifizierten faktischen Konzerns sprach, überwog doch die abweichende Sicht der Dinge182. Wenn jedoch zu der Betriebsaufspaltung noch eine personelle Verflechtung der verbundenen Unternehmen hinzukam, legte auch eine Betriebsaufspaltung richtiger Meinung nach die Annahme eines qualifizierten faktischen Konzerns nahe183.

152 Die Diskussion über den qualifizierten faktischen Konzern hatte ihren Ausgangspunkt sei-

nerzeit bei der Erkenntnis genommen, dass es Situationen gibt, in denen wegen der Breite und Intensität der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens einzelne Eingriffe und 181 BGH v. 29.3.1993 – II ZR 265/91, BGHZ 122, 123, 131, 132 f. = NJW 1993, 1200 = GmbHR 1993, 283 = AG 1993, 371 – TBB; BAG v. 3.9.1998 – 8 AZR 189/97, GmbHR 1998, 1220, 1223 f. = AG 1999, 184 = NZG 1999, 116. 182 S. BSG v. 1.2.1996 – 2 RU 7/95, GmbHR 1996, 604, 607 = ZIP 1996, 1134 = NJW-RR 1997, 94, 96; Drygala, Der Gläubigerschutz bei der typischen Betriebsaufspaltung, 1991, S. 74 ff.; Drygala, NJW 1995, 3237; Priester in Heidelberger Konzernrechtstage, S. 223, 241 ff.; Schulze-Osterloh, ZGR 1983, 123; Ziegler, Kapitalersetzende Gebrauchsüberlassungsverhältnisse und Konzernhaftung bei der GmbH, 1989, S. 193 ff. 183 BAG v. 8.9.1998 – 3 AZR 185/97, AP Nr. 12 zu § 303 AktG = NJW 1999, 2612 = AG 1999, 376, 377 f. = GmbHR 1999, 658; Holzwarth, Konzernrechtlicher Gläubigerschutz bei der klassischen Betriebsaufspaltung, 1994, S. 131, 191 ff.; G. Raiser, NJW 1995, 1804.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 156 Anh. § 13

ihre Folgen nicht mehr isoliert werden können, so dass ein auf Einzeleingriff und Schadensausgleich abstellendes Haftungssystem notwendigerweise versagen musste (s. Rz. 132 f.). Folgerichtig kam eine Haftung wegen des Vorliegens eines qualifizierten faktischen Konzerns in erster Linie in Betracht, wenn die letztlich vom herrschenden Unternehmen zu verantwortende Situation eine Isolierung von Einzeleingriffen und deren Folgen praktisch unmöglich machte. Es handelte sich dabei um Fallgestaltungen, die zunächst vor allem unter dem Stichwort: „Führung der abhängigen Gesellschaft wie eine Betriebsabteilung“ diskutiert worden waren. Gleich standen (und stehen) die Fälle einer gänzlich mangelhaften Buchführung sowie überhaupt der Undurchschaubarkeit des Geschäftsverkehrs (Stichworte: Waschkorblage, Intransparenzhaftung)184. Richtiger Meinung nach gehörten hierher ferner Einpersonengesellschaften, jedenfalls, 153 wenn ihr einziger Gesellschafter zugleich die Aufgaben des Geschäftsführers übernimmt, sowie schließlich noch – entgegen der überwiegenden Meinung – bestimmte Formen der Organverflechtung, sofern sie zur Folge hatten, dass die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft von Vertretern des herrschenden Unternehmens majorisiert wird, einfach deshalb, weil dann eine Isolierung einzelner Einflussnahmen und ihrer Wirkungen kaum mehr vorstellbar ist, auch nicht durch entsprechende Dokumentation und Verbuchung bei der abhängigen Gesellschaft185. 4. Rechtsfolgen Die Rechtsfolge der später aufgegebenen Besonderheit des Haftungssystems im (früheren) 154 qualifizierten faktischen Konzern bestand darin, dass sich die Haftung des herrschenden Unternehmens unter den genannten Voraussetzungen (Rz. 137, 141 ff.) gegenüber den Gläubigern nach den entsprechend anwendbaren § 302 und § 303 AktG richtete. Dies bedeutete vor allem, dass die abhängige Gesellschaft von dem herrschenden Unternehmen Übernahme ihrer Verluste verlangen konnte, sobald einmal die Voraussetzungen der Konzernhaftung des herrschenden Unternehmens erfüllt waren (§ 302 Abs. 1 AktG). Der Anspruch stand der abhängigen Gesellschaft zu, konnte aber im Wege der actio pro socio (oder: pro societate) auch von den Minderheitsgesellschaftern geltend gemacht werden. § 303 AktG wurde gleichfalls entsprechend im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern an- 155 gewandt, wobei hier – mangels Registerpublizität solcher Konzerne – Stichtag der Tag der tatsächlichen Beendigung der Voraussetzungen für die Konzernhaftung des herrschenden Unternehmens war186. War die abhängige Gesellschaft vermögenslos, so verwandelte sich außerdem der Anspruch der Gläubiger auf Sicherheitsleistung in einen direkten Zahlungsanspruch gegen das herrschende Unternehmen, jedenfalls, wenn ein Insolvenzverfahren über das Vermögen der abhängigen Gesellschaft nicht mehr durchgeführt wurde (so genannte Ausfallhaftung). § 322 Abs. 2 und 3 AktG galt entsprechend. Im Ergebnis führte somit das frühere Haftungssystem des qualifizierten faktischen GmbH- 156 Konzerns zur Durchgriffshaftung des herrschenden Unternehmens unter Zurückdrängung des § 13 Abs. 2. Dasselbe Ergebnis wird heute in bestimmten Fallkonstellationen auf dem Weg über die Existenzvernichtungshaftung nach § 826 BGB erreicht (Rz. 160 ff.). Außerdem gibt es Fälle, in denen weiterhin an eine entsprechende Anwendung der § 302 und § 303 AktG in „faktischen Konzernbeziehungen“ zu denken ist. Die wichtigsten Beispiele 184 S. dazu P. Oser, WPg 1994, 312; Schulze-Osterloh, ZIP 1993, 1838; Weigl, Haftung, S. 179 ff. 185 Ebenso Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 376 ff. 186 BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 347 = NJW 1986, 188 = GmbHR 1986, 78 = AG 1986, 15 – Autokran; BGH v. 28.9.1991 – II ZR 135/90, BGHZ 115, 187, 202 = NJW 1991, 3142 = GmbHR 1991, 520 = AG 1991, 429 – Video; BGH v. 25.11.1996 – II ZR 352/95, GmbHR 1997, 258 = AG 1997, 180 = NJW 1997, 943.

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Anh. § 13 Rz. 156 | GmbH-Konzernrecht sind die so genannten Extremfälle (Rz. 164 f.) sowie die eigenartigen Fallgestaltungen, die verbreitet unter dem Stichwort „verdeckte Beherrschungsverträge“ diskutiert werden (Rz. 221). 5. Schutz der Minderheit 157 Im qualifizierten faktischen GmbH-Konzern war der Schutz der Minderheit (natürlich) nicht

geringer als in sonstigen „einfachen“ Abhängigkeitslagen (Rz. 103 ff.). Die Herbeiführung der Voraussetzungen, unter denen es entsprechend den § 302 und § 303 AktG zu einer Konzernhaftung des herrschenden Unternehmens kam (Rz. 140 ff.), stellte und stellt im Gegenteil eine besonders schwerwiegende Treuepflichtverletzung des herrschenden Unternehmens dar, so dass die übrigen Gesellschafter von dem herrschenden Gesellschafter Unterlassung, Beseitigung durch Rückgängigmachung der fraglichen Eingriffe und Schadensersatz verlangen konnten (§§ 242, 249, 276, 280 Abs. 1, § 705 BGB; s. Rz. 159). Daran hat sich bis heute im Ergebnis nichts geändert.

158 Die Minderheitsgesellschafter hatten und haben in den genannten Fallgruppen (s. Rz. 152 f.)

ferner nach allgemeiner Meinung zu ihrem Schutz ein Austrittsrecht gegen volle Abfindung, und zwar ohne Rücksicht auf etwaige gesellschaftsvertragliche Beschränkungen des Abfindungsanspruchs. Nach h.M. handelt es sich dabei um das allgemeine Austrittsrecht jedes Gesellschafters aus wichtigem Grunde (entsprechend den §§ 242, 314, 723, 738 BGB sowie § 133 HGB); vorzugswürdig ist indessen die entsprechende Anwendung des § 305 AktG, weil der austrittswillige Gesellschafter die Abfindung – als Barabfindung – dann (auch) vom herrschenden Unternehmen verlangen kann (s. § 305 Abs. 2 Nr. 3 AktG)187. 159 Die Begründung eines qualifizierten faktischen Konzerns galt (und gilt) allgemein als rechts-

widrig, sofern und solange nicht alle Gesellschafter der Eingliederung der abhängigen Gesellschaft in den Konzern des herrschenden Unternehmens zugestimmt haben (§ 33 BGB)188. Folglich konnte sich die Minderheit gegen jede Maßnahme des herrschenden Unternehmens, die auf die Konzerneingliederung der abhängigen Gesellschaft abzielt, mit Rücksicht auf die darin liegende Verletzung der Treuepflicht des herrschenden Unternehmens gegenüber den Mitgesellschaftern mit Beseitigungs-, Unterlassungs- und Schadensersatzansprüchen wehren, in erster Linie gerichtet auf Rückgängigmachung des rechtswidrigen Zustandes (§ 241 Abs. 2, §§ 242, 249, 276 Abs. 1 und § 280 Abs. 1 BGB). Billigt man diese Ansprüche der Gesellschaft zu, so können sie von den Mitgesellschaftern jedenfalls mit der actio pro socio verfolgt werden189. 6. Abschied vom qualifizierten faktischen Konzern 160 Bei dem qualifizierten faktischen Konzern handelte es sich in erster Linie um einen Kon-

zernhaftungstatbestand, gekennzeichnet durch die entsprechende Anwendung der § 302 und § 303 AktG auf in bestimmter Weise qualifizierte faktische Abhängigkeitsbeziehungen (Rz. 132, 154 ff.). Deshalb verwundert es nicht, dass heute vielfach die weitere Existenzberechtigung des ganzen Rechtsinstituts in Frage gestellt wird, seitdem der BGH den quali187 So zutreffend Geuting, BB 1994, 365, 367 ff.; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, S. 272 f.; – dagegen Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 261 f.; J. Hoffmann, NZG 2002, 68, 73; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 642; H.-Fr. Müller, Das Austrittsrecht des GmbH-Gesellschafters, 1996, S. 56 ff., bes. S. 61 f. 188 Ebenso für die AG OLG Köln v. 15.1.2009 – 18 U 205/07, AG 2009, 416, 419 – Strabag/E. Züblin AG; LG Köln v. 23.11.2007 – 82 O 214/06, AG 2008, 327, 334 – Strabag. 189 S. schon Rz. 80 ff. sowie Binnewies, Die Konzerneingangskontrolle in der abhängigen Gesellschaft, 1996, S. 258 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 30 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 638; J. Hoffmann, NZG 2002, 68, 72 ff.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 162 Anh. § 13

fizierten faktischen Konzern als Konzernhaftungsmodell zu Gunsten der auf § 826 BGB gestützte Existenzvernichtungshaftung verabschiedet hat (13. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.). Bereits in dem ersten einschlägigen Urteil, dem Bremer Vulkan-Urteil vom 17.9.2001, heißt es ausdrücklich, der Schutz einer abhängigen GmbH gegenüber Eingriffen ihres Alleingesellschafters „folge nicht dem Haftungssystem des Konzernrechts des AktG (§§ 291 ff. AktG)“, sondern obliege den § 30 und § 31 GmbHG sowie der Durchgriffshaftung wegen existenzvernichtenden Eingriffs190. Die frühere Praxis zur Haftung im qualifiziert faktischen Konzern gilt seitdem überwiegend als „überholt“191, während den Schutz der Minderheit die allgemeinen Regeln über (einfache) faktische Konzerne übernehmen sollen. An diesem Ergebnis hat auch die erneute Kehrtwendung der Rechtsprechung im Jahre 2007 161 hin zu einer nur noch auf § 826 BGB gestützten Existenzvernichtungshaftung nichts geändert (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.). Es handelt sich dabei um eine aus § 826 BGB hergeleitete Binnenhaftung der Gesellschafter gegenüber ihrer Gesellschaft (nur) für vorsätzliche schädigende Eingriffe in das vorhandene Gesellschaftsvermögen192. Kern des „neuen“ Rechtsinstituts ist eine Insolvenzverursachungshaftung des unmittelbaren oder mittelbaren Gesellschafters für kompensationslose Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger, die auch während der Abwicklung der bereits aufgelösten Gesellschaft in Betracht kommt und die neben den unmittelbaren Gesellschaftern auch die diese Gesellschafter beherrschenden „mittelbaren“ Gesellschafter erfasst, so dass sie konzerndimensionale Züge trägt. Anzumerken bleibt, dass die neue Praxis gleichfalls keineswegs „über alle Kritik erhaben 162 ist“193. Problematisch ist vor allem die Reduktion der Haftung auf eine bloße Binnenhaftung, obwohl Ansprüche aus § 826 BGB zweifelsfrei den Gläubigern unmittelbar zustehen, zumal eine Binnenhaftung notwendigerweise versagt, wenn es erst gar nicht mehr zur Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kommt. Auch die mit § 826 BGB zusammenhängende Beschränkung der Haftung auf Vorsatzfälle erscheint keineswegs zwingend und verurteilt die neue Existenzvernichtungshaftung wegen der bekannten Probleme bei dem Nachweis von Vorsatz von vornherein zu einer Ausnahmeerscheinung, die wohl kaum dem Schutzbedürfnis der Gläubiger gerecht wird.

190 BGH v. 17.9.2001 – II ZR 178/99, BGHZ 149, 10, 16 = NJW 2001, 3622 = GmbHR 2001, 1036 = ZIP 2001, 1874 = AG 2002, 43; dazu z.B. Emmerich, AG 2004, 423 m.N. 191 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 68 = GmbHR 2002, 549 = NJW 2002, 1803 – L. Kosmetik; BGH v. 13.12.2004 – II ZR 256/02, ZIP 2005, 250, 251 (l. Sp. unten) = GmbHR 2005, 299 = NZG 2005, 214; ebenso BAG v. 31.7.2002 – 10 AZR 420/01, AG 2003, 322, 323 (unter 1c) = NJW 2003, 1340; OLG Jena v. 28.11.2001 – 4 U 234/01, GmbHR 2002, 112, 114 (unter V); – anders aber OLG Schleswig v. 29.9.2021 – 9 U 11/21, NZG 2022, 173, 176 Rz. 26 = ZIP 2022, 899; wohl auch Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 500 ff.; dagegen aber wieder Beurskens, NZG 2022, 177 f. 192 BGH v. 16.7.2007 – II ZR 3/04, BGHZ 173, 246, 252 ff. Rz. 16 ff. = NJW 2007, 2685 = GmbHR 2007, 927 = AG 2007, 657 – Trihotel; BGH v. 28.4.2008 – II ZR 264/06, BGHZ 176, 204, 209 ff. Rz. 10 ff. = NJW 2008, 2137 = GmbHR 2008, 805 = AG 2008, 542 – Gamma; BGH v. 23 4.2012 – II ZR 252/10, BGHZ 193, 96, 100 Rz. 17 = GmbHR 2012, 740 = NZG 2012, 667 – Wirtschaftsakademie; BGH v. 24.7.2012 – II ZR 177/11, GmbHR 2012, 1070 Rz. 14, 21, 25, 29 = NZG 2012, 1069; BGH v. 21.2.2013 – IX ZR 52/10, GmbHR 2013, 529 Rz. 20 ff. = NZG 2013, 827 – Spritzgussmaschinen. 193 S. statt aller Emmerich, AG 2004, 423; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 37 f.; kritisch auch OLG Schleswig v. 29.9.2021 – 9 U 11/21, NZG 2022, 173, 176 Rz. 26 = ZIP 2022, 899.

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Anh. § 13 Rz. 163 | GmbH-Konzernrecht 7. Folgerungen a) Gläubigerschutz 163 Nach überwiegender Meinung bedeutet die geschilderte neuere Rechtsprechung des BGH

das endgültige Aus des qualifizierten faktischen Konzerns, jedenfalls als Konzernhaftungstatbestand. Von anderer Seite wird dagegen dem Rechtsinstitut des qualifizierten faktischen Konzerns nach wie vor eine gewisse, wenn auch deutlich reduzierte Funktion beigemessen. Das gilt zunächst für die AG, bei der selbst in der Rechtsprechung teilweise an dem Rechtsinstitut, zumindest als Unrechtstatbestand und wohl auch als Haftungstatbestand, festgehalten wird194. Für die GmbH wurde – zumindest in den ersten Jahren nach „Vulkan“ – ebenfalls häufig die Auffassung vertreten, der Anwendungsbereich des neuen Haftungstatbestandes beschränke sich im Wesentlichen auf die Fälle von Einpersonengesellschaften und vergleichbare Fallgestaltungen, während in mehrgliedrigen Gesellschaften mit einer opponierenden Minderheit durchaus noch Raum für die Anwendung des Rechtsinstituts des qualifizierten faktischen Konzerns bleibe, zumindest in Fällen, in denen die abhängige Gesellschaft wie eine „Betriebsabteilung“ geführt wird195. Schließlich finden sich auch zahlreiche vermittelnde Meinungen, die in Fällen einer qualifizierten faktischen Konzernierung für Beweiserleichterungen im Rahmen des neuen Haftungstatbestandes eintreten196 oder die doch für den Schutz der opponierenden Minderheit an den herkömmlichen Regeln festhalten wollen197. In der Tat ist in der Frage, welche Bedeutung heute noch dem Tatbestand des qualifizierten faktischen Konzerns zukommt, genau zwischen dem Bereich des Gläubigerschutzes (Rz. 164) und dem des Minderheitenschutzes (Rz. 167) zu unterscheiden198. 164 Das Rechtsinstitut des qualifizierten faktischen Konzerns war seinerzeit zur Lösung be-

stimmter Sachfragen entwickelt worden, die ihre Aktualität nicht mit der Abschaffung dieses Rechtsinstituts eingebüßt haben199. Der Unterschied ist nur, dass diese Fälle heute nicht mehr primär als konzernrechtliche verstanden werden, sondern als solche, die nach den allgemeinen haftungsrechtlichen Grundsätzen zu lösen sind. Ihre Erörterung gehört infolgedessen heute in den Zusammenhang des § 13 (s. deshalb im Einzelnen 13. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.). Hier genügen stattdessen wenige Bemerkungen, um deutlich zu machen, dass nicht nur bei der AG (Rz. 163), sondern durchaus auch bei der GmbH die früher mit dem Begriff des qualifizierten faktischen Konzerns umschriebenen Sachfragen ihre auch konzernrechtliche Relevanz behalten haben. Es geht dabei insbesondere um die Frage der Beweislast und um die Haftung in den so genannten Extrem- oder (so heute) Umgehungsfällen (Rz. 165) sowie um den Minderheitenschutz (Rz. 167 f.). 165 Das größte praktische Problem in sämtlichen Haftungstatbeständen, die eine persönliche

Haftung der Gesellschafter an Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen knüpfen, ist die Vertei-

194 S. m.N. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 317 AktG Anh. Rz. 5 ff.; insbes. OLG Köln v. 15.1.2009 – 18 U 205/07, AG 2009, 416, 418 ff.; LG Köln v. 23.11.2007 – 82 O 214/06, AG 2008, 327, 334. 195 Insbes. Cahn, ZIP 2001, 2159, 2160; Chr. Eberl-Borges, WM 2003, 105 f.; Chr. Eberl-Borges, Jura 2002, 761, 765; Karsten Schmidt, GesR, § 39 III 3 (S. 1224 ff.); Karsten Schmidt, NJW 2001, 3577, 3580; ebenso im Ergebnis OLG Schleswig v. 29.9.2021 – 9 U 11/21, NZG 2022, 173, 176 Rz. 26 = ZIP 2022, 899; – noch wesentlich weitergehend Ulmer in Ulmer, GmbH-Konzern, 2002, S. 41, 48 f., 53, 69 f. (generelle Vorzugswürdigkeit des Tatbestandes des qualifizierten faktischen Konzerns). 196 So insbes. Drygala, GmbHR 2003, 729, 737 f.; St. Lampert, JA 2002, 356, 358. 197 Drygala, GmbHR 2003, 729, 737 f.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 318 AktG Anh. Rz. 39; insbes. J. Hoffmann, NZG 2002, 68, 72 f. 198 Ebenso ausdrücklich BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 68 = GmbHR 2002, 549 = NJW 2002, 1803 – L. Kosmetik. 199 Ebenso z.B. Kessler in Saenger/Inhester, Rz. 101; im Ergebnis (zutreffend) auch Altmeppen, Rz. 166 ff.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 168 Anh. § 13

lung der Beweislast. Denn hält man in diesen Fällen an der vollen Beweislast der Gläubiger fest, so ist dies zumindest für den Regelfall gleichbedeutend mit der Verurteilung des fraglichen Haftungstatbestandes zur Bedeutungslosigkeit. Deshalb sollte man auch in Zukunft in den typischen Fallgestaltungen, in denen früher in erster Linie die Annahme eines qualifizierten faktischen Konzerns erwogen wurde (Rz. 149 f.), dem Insolvenzverwalter mit spürbaren Erleichterungen bei der Darlegungs- und Beweislast zur Hilfe kommen. Außerdem ist nicht zu leugnen, dass es „Extremfälle“ gibt, in denen die abhängige Gesell- 166 schaft letztlich so geführt wird, als ob das herrschende Unternehmen mit ihr einen Beherrschungsvertrag abgeschlossen hat, insbesondere bei Führung der abhängigen Gesellschaft wie eine Betriebsabteilung. In solchen Fällen ist die Analogie zu den § 302 und § 303 AktG nach wie vor sachgerecht, wenn nicht, wie früher, unter dem Gesichtspunkt des qualifizierten faktischen Konzerns, sondern dann eben unter dem neuen Topos des verdeckten Beherrschungsvertrages (Rz. 221)200, während im Schrifttum neuerdings offenbar (wieder) die Tendenz wächst, ergänzend auf eine Analogie zu den § 311 und § 317 AktG zurückzugreifen, um allfällige Schutzlücken zu schließen201. b) Minderheitsschutz Von dem Schutz der Gläubiger durch eine Konzernhaftung entsprechend den § 302 und 167 § 303 AktG (Rz. 164 f.) muss der Schutz der Minderheit in derartigen qualifizierten Abhängigkeitsverhältnissen unterschieden werden. Nach Meinung des BGH202 soll diesen Schutz die „Haftung aus Treupflichtverletzung“ nach dem Vorbild des ITT-Urteils vom 5.6.1975203 übernehmen. Gemeint sind damit die Regeln über den einfachen faktischen Konzern (Rz. 97 ff.), deren Kern in dem Schutz der abhängigen Gesellschaft und der übrigen Gesellschafter gegen schädigende Eingriffe des herrschenden Unternehmens durch Unterlassungs-, Beseitigungs- und Schadensersatzansprüche wegen Treuepflichtverletzung besteht (Rz. 103, 115 ff.). Damit dürfte in der Tat in der Masse der Fälle ein angemessener Schutz der Minderheit zu erreichen sein204. Auf der anderen Seite steht jedoch fest, dass es Fallgestaltungen gibt, in denen dieses Schutzsystem versagt, und zwar deshalb versagt, weil wegen der Intensität und der Häufigkeit der Einflussnahme seitens des herrschenden Unternehmens einzelne Eingriffe und deren Wirkungen nicht mehr isoliert werden können. Das aber sind genau diejenigen Fälle, die am Anfang der Diskussion über den qualifizierten faktischen Konzern standen (Rz. 132 ff.). Spätestens in diesen Fällen sind zusätzlich zu den in einfachen faktischen Konzernen an- 168 erkannten Schutzmechanismen weitere Regeln zum Schutze der Minderheit, d.h. der außenstehenden Gesellschafter erforderlich, deren Kern nach überwiegender Meinung in einem Austrittsrecht gegen volle Abfindung besteht205. Es steht ferner außer Frage, dass in den „Extremfällen“ die Eingliederung der abhängigen Gesellschaft in den von dem herrschenden Unternehmen kontrollierten Konzern ohne Zustimmung aller Gesellschafter rechtswidrig ist, so dass die übrigen Gesellschafter Unterlassung und Schadensersatz durch Rückgängigmachung der Konzerneingliederung verlangen können (Rz. 17 ff.). Hinzukommen müssen 200 Ebenso Servatius in Michalski u.a., Rz. 420 f.; Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 500 ff.; im Ergebnis auch unter Berufung auf § 317 AktG Altmeppen, Rz. 168–171; Beurskens, NZG 2022, 177 f. (konkludente Verlustdeckungszusage). 201 Altmeppen, Rz. 166 m.N. 202 BGH v. 25.2.2002 – II ZR 196/00, BGHZ 150, 61, 68 (unter 3) = GmbHR 2002, 549 = NJW 2002, 1803 – L. Kosmetik. 203 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 ff. = GmbHR 1975, 269 = NJW 1976, 191 = AG 1976, 16. 204 Ebenso Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 638 ff. 205 S. schon Rz. 116; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 641.

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Anh. § 13 Rz. 168 | GmbH-Konzernrecht in diesem Fall Ersatzansprüche der Minderheit wegen des ihnen durch den Verlust der Selbständigkeit der Gesellschaft entgangenen Gewinns (§ 241 Abs. 2, §§ 242, 252, 280 Abs. 1), wobei naturgemäß ohne grobe Schätzungen nicht auszukommen sein wird (§ 287 ZPO). Die Parallele zu den § 304 und § 305 AktG wird hier deutlich. 169 Nichts hindert zudem, den Mitgesellschaftern die genannten Rechtsbehelfe, wo immer nötig,

bereits in einfachen faktischen Konzernen zuzubilligen (Rz. 115 ff.). Damit entfallen zugleich – mit einem Schlag – die schwerwiegenden Abgrenzungsprobleme, die früher mit dem Tatbestand des qualifizierten faktischen Konzerns verbunden waren und die wohl nicht zuletzt zur Aufgabe dieses Rechtsinstituts geführt haben. 170 Soweit der Tatbestand des qualifizierten faktischen Konzerns heute nach dem Gesagten

(Rz. 165 f.) überhaupt noch Bedeutung hat, also insbesondere in der Frage der Beweislast im Rahmen der neuen Existenzvernichtungshaftung und, jedenfalls nach h.M., bei den Rechten der Minderheit, bestehen zudem keine Bedenken, zu den Ursprüngen der ganzen Diskussion zurückzukehren und immer dann von einem qualifizierten faktischen Konzern zu sprechen, wenn sich einzelne Eingriffe des herrschenden Unternehmens und ihre Folgen wegen der Dauer und der Intensität der Einflussnahme des herrschenden Unternehmens mit zumutbarem Aufwand für die Gläubiger oder die Mitgesellschafter nicht mehr isolieren lassen, so dass insbesondere der Minderheit ein weiteres Verbleiben in der Gesellschaft nicht mehr zuzumuten ist.

E. Beherrschungsverträge Schrifttum: Altmeppen, Die Haftung des Managers im Konzern, 1998; Binnewies, Die Konzerneingangskontrolle in der abhängigen Gesellschaft, 1996; G. Bitter, Konzernrechtliche Durchgriffshaftung bei Personengesellschaften, 2000; Bouchon, Konzerneingangsschutz im GmbH- und Aktienrecht, 2002; Grüner, Die Beendigung von Gewinnabführungs- und Beherrschungsverträgen, 2003; Kort, Der Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen im GmbH-Recht, 1986; Kort, Bestandsschutz fehlerhafter Strukturänderungen im Kapitalgesellschaftsrecht, 1998; J. Kurz, Der Gewinnabführungsvertrag im GmbH-Recht aus konzernverfassungsrechtlicher Sicht, 1992; Liebscher, Konzernbildungskontrolle, 1995; Uwe H. Schneider (Hrsg.), Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge in der Praxis der GmbH, 1989; Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017; Veil, Unternehmensverträge, 2003; U. Wackerbarth, Grenzen der Leitungsmacht in der internationalen Unternehmensgruppe, 2001.

I. Überblick 171 Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH können sich ebenso wie andere Gesellschaften

an Unternehmensverträgen i.S.d. § 291 und § 292 AktG auf beiden Seiten des Vertrages beteiligen. Davon geht heute auch das GmbHG in § 30 Abs. 1 Satz 2 in der Fassung von 2008 aus, da nach dieser Vorschrift die Kapitalerhaltungsregeln des § 30 Abs. 1 Satz 1 unter anderem nicht für Leistungen gelten, die bei Bestehen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages i.S.d. § 291 AktG erfolgen. Aus den § 14 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 KStG sowie aus § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG folgt ferner, dass die körperschaft- und gewerbesteuerliche Organschaft mit ihren erheblichen Steuervergünstigungen den wirksamen Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages i.S.d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG mit einer GmbH voraussetzt; § 17 Abs. 1 Satz 2 KStG fügt hinzu, dass in diesem Fall auf einen Gewinnabführungsvertrag mit einer GmbH die § 301 und § 302 AktG entsprechend anzuwenden sind. 172 Die Regelung der § 14 und § 17 KStG sowie des § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG hat zur Folge, dass

zumindest Gewinnabführungsverträge mit abhängigen GmbH in erheblicher Zahl abgeschlossen werden. Mit solchen Verträgen sind außerdem nicht selten Beherrschungsverträge zu Organschaftsverträgen verbunden, während reine Beherrschungsverträge bisher selten 922 | Emmerich

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 176 Anh. § 13

zu sein scheinen, aber durchaus vorkommen (s. 12. Aufl., § 53 Rz. 164). Auch andere Unternehmensverträge mit einer abhängigen GmbH sind bereits bekannt geworden. Hervorzuheben sind insbesondere Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge (§ 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG). Zu beachten ist außerdem, dass sämtliche stillen Gesellschaftsverträge mit einer GmbH zugleich unter § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG fallen. Trotz der Verbreitung von Unternehmensverträgen mit abhängigen Gesellschaften in der 173 Rechtsform einer GmbH fehlt bisher eine gesetzliche Regelung der Materie, nachdem entsprechende Gesetzgebungspläne in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts gescheitert sind und (bedauerlicherweise) nicht mehr weiterverfolgt werden206. Keinen Ersatz für dieses Defizit bilden die § 14 Abs. 1 und § 17 Abs. 1 KStG (die auf die § 291 Abs. 1, § 301 und § 302 AktG verweisen), weil sie allein steuerrechtliche Bedeutung haben, so dass das Gesellschaftsrecht durch sie nicht gehindert wird, an die Gültigkeit von Gewinnabführungsverträgen mit GmbH andere, und zwar strengere Anforderungen als das Steuerrecht zu stellen207. Ob und inwieweit die daraus resultierende Gesetzeslücke durch den (naheliegenden) Rückgriff auf die §§ 291 bis 310 AktG geschlossen werden kann, ist bis heute umstritten. Im Schrifttum sind die Meinungen nach wie vor geteilt. Während ein Teil des Schrifttums 174 für eine möglichst umfassende „Gesamtanalogie“ zu den §§ 291 bis 310 AktG eintritt – als Ausdruck eines „einheitlichen Systems der Strukturänderungen bei Kapitalgesellschaften“208, halten andere eine Analogie zum Aktienrecht mit Rücksicht insbesondere auf die besonderen Bestimmungen des GmbHG in den § 30, § 53 und § 54 für weitgehend oder sogar ganz entbehrlich209. Die überwiegende Meinung verfolgt dagegen eine mittlere Linie, gekennzeichnet einerseits durch die Ablehnung einer Gesamtanalogie zu den §§ 291 bis 310 AktG, andererseits aber durch die Zulassung der Analogie in Einzelfragen. Der Grund für die Ablehnung einer „Gesamtanalogie“ zu den §§ 291 bis 310 AktG ist vor 175 allem in den bekannten Strukturunterschieden zwischen der AG und der GmbH zu sehen, die gerade im vorliegenden Zusammenhang besonderes Gewicht erlangen. Um dies zu erkennen, genügt es, sich zu vergegenwärtigen, dass die Problematik des Beherrschungsvertrages bei der AG nicht zuletzt auf der mit ihm verbundenen Durchbrechung des Prinzips der eigenverantwortlichen Leitung der Gesellschaft durch den Vorstand beruht (§ 76 Abs. 1 AktG), während bei der GmbH aus § 37 Abs. 1 GmbHG allgemein der Schluss gezogen wird, dass die Geschäftsführer ohnehin grundsätzlich von den Weisungen der Gesellschafterversammlung als dem obersten Organ der Gesellschaft abhängig sind (§§ 45, 46 GmbHG). Anders als bei der AG (§ 23 Abs. 5 AktG) besteht außerdem bei der GmbH im Innenverhältnis der Gesellschafter weitgehende Vertragsfreiheit (§ 45 GmbHG), so dass im Gesellschaftsvertrag auch einzelnen Gesellschaftern ein Weisungsrecht gegenüber den Geschäftsführern eingeräumt werden kann. Die Rechtsprechung liegt auf derselben Linie, da nach dem BGH die §§ 291 bis 299 AktG 176 über die Begründung und Beendigung von Unternehmensverträgen auf Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge mit einer abhängigen GmbH gleichfalls (nur) dann entsprechend anzuwenden sind, soweit der Schutzzweck der Vorschriften auf eine abhängige GmbH ebenso wie auf eine abhängige AG zutrifft und diese Vorschriften nicht auf Unterschieden 206 Kritisch wegen der daraus resultierenden Rechtsunsicherheit z.B. auch Stephan, Der Konzern 2014, 1, 27 f. 207 Ebenso BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 339 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; BayObLG v. 16.6.1988 – BReg 3 Z 62/88, BayObLGZ 1988, 201 = AG 1988, 379 = GmbHR 1988, 389; OLG Düsseldorf v. 19.8.1994 – 3 Wx 178/94, AG 1995, 137, 138 = NJW-RR 1995, 233 = GmbHR 1994, 805 – Rüttgerswerke AG; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 658. 208 Servatius in Grigoleit, § 291 AktG Rz. 11; Hommelhoff, Rz. 43 f. 209 Insbesondere Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 94; Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017; Schreiber, GmbHR 2018, 1003; dazu z.B. Emmerich, AG 2018, 379.

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Anh. § 13 Rz. 176 | GmbH-Konzernrecht der Binnenverfassung zwischen der AG und der GmbH beruhen; vorrangig ist zudem in jedem Fall die Anwendung der § 53 und § 54210. 177 Aus den genannten Besonderheiten der GmbH im Vergleich mit der AG (s. Rz. 175) wird in

der Literatur vielfach der Schluss gezogen, vor allem ein Beherrschungsvertrag sei bei der GmbH als Mittel der Konzernierung der abhängigen Gesellschaft entbehrlich211. Ein nüchterner Blick auf die Rechtslage macht indessen deutlich, dass die Praktizierung der meisten GmbH-Konzerne wohl nicht ohne den Abschluss eines Beherrschungsvertrages möglich sein dürfte. Davon sind offenkundig auch die Verfasser des MoMiG von 2008 ausgegangen, wie sich aus der Vorschrift des § 30 Abs. 1 Satz 2 ergibt, durch die gerade die Praktizierung von Cash Management- oder Cash-Pooling-Systemen in Konzernen ermöglicht werden sollte, aber eben nur bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages. Bereits dieses so genannte Konzernprivileg, d.h. die Außerkraftsetzung der Kapitalerhaltungsregeln im Vertragskonzern (§ 30 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2; ebenso für die AG § 57 Abs. 1 Satz 2, § 291 Abs. 3 AktG), rechtfertigt das Festhalten an dem Beherrschungsvertrag als einem besonderen konzernrechtlichen Institut auch im Recht der GmbH. 178 In dieselbe Richtung weist die Überlegung, dass jedenfalls in mehrgliedrigen Gesellschaften

direkte (unmittelbare) Weisungen einzelner Gesellschafter an die Geschäftsführer unter Umgehung der Gesellschafterversammlung, für die Gesellschaft nachteilige Weisungen sowie Weisungen, durch die die Gesellschaft in den Konzern des herrschenden Unternehmens eingegliedert werden soll, unzulässig sind und bleiben, solange ihnen nicht ausnahmsweise im Einzelfall sämtliche Gesellschafter zustimmen (Rz. 103 ff.), so dass solche Weisungen, ohne die ein Vertragskonzern kaum erfolgreich praktiziert werden kann, grundsätzlich nur aufgrund eines Beherrschungsvertrages möglich sind. Daher gilt für die GmbH ebenso wie für die AG, dass in der Regel allein der Abschluss eines Beherrschungsvertrages die Befugnis zur Ausübung einer umfassenden Leitungsmacht des herrschenden Unternehmens gegenüber der abhängigen Gesellschaft vermittelt212. 179 Aus der Vertragsfreiheit der Gesellschafter im Innenverhältnis (§ 45) folgt bei Lichte besehen

nichts anderes213. Denn der Sache nach handelt es sich bei Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages über ein weitgehendes Weisungsrecht einzelner Gesellschafter um einen (mit dem Gesellschaftsvertrag nur formal verbundenen) Beherrschungsvertrag, so dass der Gesellschaftsvertrag insoweit zugleich die Voraussetzungen erfüllen muss, die für den Abschluss eines Beherrschungsvertrages mit einer abhängigen GmbH anerkannt sind (s. Rz. 183 ff.). Ohnehin sollte der in der Regel zeitlich befristete Beherrschungsvertrag grundsätzlich von dem gewöhnlich auf Dauer bestimmten Gesellschaftsvertrag getrennt werden214. Dies alles belegt ins-

210 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 50 f. Rz. 29 ff. = GmbHR 2011, 922 = AG 2011, 902; BGH v. 16.5.2015 – II ZR 384/13, BGHZ 206, 74, 78 Rz. 14 = GmbHR 2015, 985 = AG 2015, 630 = NZG 2015, 912; BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223,13, 19 f. Rz. 22 = GmbHR 2019, 1176 = AG 2019, 828; OLG Zweibrücken v. 29.10.2013 – 3 W 82/13, AG 2014, 630 = GmbHR 2014, 251; OLG Jena v. 15.2.2021 – 2 W 53/21, NZG 2021, 1025, 1026 = GmbHR 2021, 1054. 211 Altmeppen, Rz. 20 ff.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 94; Korff, GmbHR 2009, 243; Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017; Schreiber, GmbHR 2018, 1003. 212 Ebenso BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, LM Nr. 2 zu § 293 AktG = GmbHR 1992, 253 = NJW 1992, 1452 = AG 1992, 192, 194 – Siemens/NRG; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 42 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 648 ff.; Hommelhoff, Rz. 46 f.; Zöllner, ZGR 1992, 173, 186 f.; – ganz anders z.B. Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017; Schreiber, GmbHR 2018, 1003. 213 Anders z.B. Korff, GmbHR 2009, 243. 214 Ebenso für den Gewinnabführungsvertrag OGH v. 20.5.1999 – 6 Ob 169/98s, NZG 1999, 1216; OGH v. 20.5.1999 – 6 Ob 86/99m, AG 2000, 331, 332 = EvBl. 1999 Nr. 200 = ÖJZ 1999, 846 = öRdW 1999, 597 = WiBl. 1999, 521.

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gesamt die Notwendigkeit von Beherrschungsverträgen auch mit einer abhängigen GmbH, und zwar selbst bei Einpersonengesellschaften (streitig).

II. Begriff Der Begriff des Beherrschungsvertrages ist im GmbH-Recht grundsätzlich derselbe wie im 180 Aktienrecht (vgl. § 30 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 291 Abs. 1 AktG)215. Darunter ist folglich ein Vertrag mit einer abhängigen GmbH zu verstehen, durch den sich diese der Leitung eines anderen Unternehmens unterstellt, indem sie diesem ein Weisungsrecht hinsichtlich der Leitung ihres Unternehmens einräumt. Nach Abschluss des Vertrages sind die Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft verpflichtet, etwaige Weisungen des herrschenden Unternehmens hinsichtlich der Leitung des Unternehmens der abhängigen Gesellschaft zu befolgen, selbst wenn sie für die Gesellschaft nachteilig sein sollten. Im Ergebnis wird mithin durch den Abschluss eines Beherrschungsvertrages die Geschäftsführungskompetenz der Gesellschafterversammlung (§ 37 Abs. 1, § 46 Nr. 6) auf das herrschende Unternehmen verlagert. Die Bedeutung des Beherrschungsvertrages ist im GmbH-Konzernrecht infolgedessen kaum 181 geringer als im Aktienkonzernrecht216. Zwar ist an sich bei der GmbH im Gegensatz zur AG (s. § 76 AktG) die Erteilung von Weisungen an die Geschäftsführer durch die Gesellschafterversammlung grundsätzlich auch ohne Abschluss eines Beherrschungsvertrages möglich (vgl. § 37). Jedoch ist in GmbH-Konzernen nicht anders als in Aktienkonzernen eine umfassende einheitliche Leitung der verbundenen Unternehmen i.S.d. § 18 Abs. 1 AktG nur auf der Basis des Abschlusses eines Beherrschungsvertrages möglich, weil allein in diesem Fall die Kapitalerhaltungsregeln außer Kraft gesetzt sind (§ 30 Abs. 1 Satz 2) und auch nur dann jedenfalls in mehrgliedrigen Gesellschaften beliebige nachteilige Weisungen i.S.d. § 308 Abs. 1 AktG an der Gesellschafterversammlung vorbei ohne Zustimmung der Minderheit möglich sind. Die folgenden Ausführungen beschränken sich im Wesentlichen auf die GmbH-spezifischen 182 Besonderheiten von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen. Im Übrigen kann, soweit eine Analogie zu den §§ 291 bis 310 AktG heute noch in Betracht kommt, unbedenklich auf die zahlreichen ausführlichen Kommentierungen des AktG verwiesen werden217.

III. Zustandekommen des Vertrages 1. Anwendbarkeit der §§ 53, 54 Der Beherrschungsvertrag stellt einen Vertrag zwischen der abhängigen Gesellschaft und 183 dem herrschenden Unternehmen dar, so dass für seinen Abschluss bei der abhängigen Gesellschaft nach den § 35 und § 37 die Geschäftsführer zuständig sind. Keine Anwendung findet jedoch § 37 Abs. 2, da Beherrschungsverträge gesellschaftsrechtliche Verträge sind, für die der Grundsatz der Unbeschränkbarkeit der Vertretungsmacht nicht gilt218. Der Vertrag wird deshalb nach durchaus h.M. erst wirksam, wenn ihm die Gesellschafterversamm-

215 Anders offenbar Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017, S. 101 ff. 216 Ebenso Kropff in FS Semler, 1993, S. 517, 528 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 683, 813 ff.; Zöllner, ZGR 1992, 173, 175 f. 217 S. insbesondere Langenbucher und Stephan in K. Schmidt/Lutter, §§ 291–310 AktG, sowie Emmerich/Habersack, Kommentar, §§ 291–310 AktG. 218 S. 12. Aufl., § 53 Rz. 166; BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 332 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt.

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Anh. § 13 Rz. 183 | GmbH-Konzernrecht lungen der abhängigen wie der herrschenden Gesellschaft mit der jeweils erforderlichen Mehrheit zugestimmt haben (s. Rz. 184 ff.). 184 Die Notwendigkeit einer Zustimmung der Gesellschafter zu dem Vertragsschluss mit qualifi-

zierter Mehrheit wird allgemein daraus hergeleitet, dass ein Beherrschungsvertrag letztlich den Zweck der Gesellschaft verändert, indem er sie auf die Interessen des herrschenden Unternehmens ausrichtet (§ 33 BGB)219. Er enthält außerdem einen gravierenden Eingriff in die Mitverwaltungsrechte (§§ 37, 46) und in das Gewinnbezugsrecht der Gesellschafter (§ 29). Der Sache nach kommt sein Abschluss daher einer Vertragsänderung zumindest so nahe, dass es geboten erscheint, auf ihn die § 53 und § 54, wenn nicht schon unmittelbar, so doch jedenfalls entsprechend anzuwenden220. Daraus wird allgemein gefolgert, dass zu dem Abschluss des Beherrschungsvertrages durch die Geschäftsführer (Rz. 183) die Zustimmung der Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft (§§ 53, 54; Rz. 188 ff.) und die der Gesellschafter der herrschenden Gesellschaft (s. Rz. 196 f.) sowie die Eintragung ins Handelsregister (Rz. 204 ff.) als Wirksamkeitsvoraussetzungen hinzutreten müssen. 185 Die § 53 und § 54 regeln allein die Zustimmung der Gesellschafter zu dem Abschluss eines

Unternehmensvertrages. Dagegen kann ihnen keine Aussage über die Form eines Unternehmensvertrages mit einer abhängigen GmbH entnommen werden, so dass insoweit Raum für einen Rückgriff auf die subsidiär anwendbaren Vorschriften des AktG in den § 293 Abs. 3 und § 294 AktG ist. Folglich genügt für den Vertrag selbst schriftliche Abfassung221. Nur wenn der Vertrag ein Umtausch- oder Abfindungsangebot an die außenstehenden Gesellschafter enthält, dürfte mit Rücksicht auf § 15 Abs. 4 die notarielle Beurkundung des Vertrages erforderlich sein. Von der Frage der Vertragsform ist auch im GmbH-Konzernrecht die Frage der Form des Zustimmungsbeschlusses zu unterscheiden. Sie beurteilt sich nach § 53 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1, so dass notarielle Beurkundung des Beschlusses erforderlich ist. 186 Zu dem formgerechten Abschluss des Beherrschungsvertrages durch die Geschäftsführer der

abhängigen GmbH (Rz. 183, 185) muss mit Rücksicht auf die (unmittelbar oder doch entsprechend anwendbaren) § 53 und § 54 (s. Rz. 184) zunächst die formgerechte Zustimmung (Rz. 185) der Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft mit der nötigen Mehrheit hinzukommen222. Da das herrschende Unternehmen in aller Regel (unmittelbar oder mittelbar) mehrheitlich an der abhängigen Gesellschaft beteiligt sein wird (sonst würde kein Beherrschungsvertrag abgeschlossen), stellt sich hier als erstes die weitere Frage, ob das herrschende Unternehmen bei der Abstimmung über den Vertrag nach § 47 Abs. 4 Satz 2 vom Stimmrecht ausgeschlossen ist, weil die Beschlussfassung die Vornahme eines Rechtsgeschäfts gegenüber einem Gesellschafter, nämlich dem herrschenden Unternehmen, betrifft.

219 S. Rz. 188 ff.; anders Bouchon, Konzerneingangsschutz, S. 244 ff.; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 158, 174 ff. 220 S. 12. Aufl., § 53 Rz. 167 f.; Altmeppen, Rz. 28 ff.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 105 f.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293 AktG Rz. 42 m.N.; Hommelhoff, Rz. 49 ff.; Mues, RNotZ 2005, 1, 15 f.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 74, 67 ff. 221 S. 12. Aufl., § 53 Rz. 168; BGH v. 24.1.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 342 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223,13, 17 Rz. 17 = GmbHR 2019, 1176 = AG 2019, 828 = NJW 2019, 3302; BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, LM Nr. 2 zu § 293 AktG = NJW 1992, 1452 = AG 1992, 192, 193 = GmbHR 1992, 253 – Siemens/NRG. 222 S. 12 Aufl., § 53 Rz. 171; BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 331 f., 338 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 43 f. = NJW 1992, 505 = GmbHR 1992, 34 – Hansa Feuerfest/Stromlieferung; BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 17 f. Rz. 17 = GmbHR 2019, 1176 = AG 2019, 828 = NJW 2019, 3302; BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, GmbHR 1992, 253 = NJW 1992, 1452 = AG 1992, 192 – Siemens/NRG; BayObLG v. 10.12.1992 – 3Z BR 130/92, BayObLGZ 1992, 367 = GmbHR 1993, 165 = ZIP 1993, 263 = AG 1993, 177 – BSW.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 190 Anh. § 13

Die Frage ist umstritten. Relevant wird sie freilich nur, wenn generell oder doch im Einzelfall 187 für die Zustimmung der Gesellschafter zu dem Abschluss des Unternehmensvertrages eine qualifizierte Mehrheit genügt. Ist dies der Fall, so wird heute überwiegend die Anwendbarkeit des § 47 Abs. 4 Satz 2 unter Hinweis auf den Charakter jedenfalls von Beherrschungsund Gewinnabführungsverträgen als Organschaftsverträge verneint223. Dem ist schon deshalb zuzustimmen, weil andernfalls, sofern eine qualifizierte Mehrheit der Gesellschafter als ausreichend angesehen wird, gegebenenfalls ganz kleine Minderheiten über den Abschluss so weitreichender Verträge entscheiden könnten, wie es nun einmal Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge sind. Die entsprechende Anwendung der § 53 und § 54 auf den Abschluss von Unternehmensver- 188 trägen und insbesondere der hier im Mittelpunkt des Interesses stehenden Beherrschungsund Gewinnabführungsverträge hat zur Folge, dass der Vertrag erst wirksam wird, wenn ihm die Gesellschafterversammlung der abhängigen wie gegebenenfalls auch der herrschenden Gesellschaft mit der jeweils erforderlichen Mehrheit zugestimmt hat224. Noch nicht entschieden ist damit über die Frage, mit welcher Mehrheit insbesondere die Gesellschafterversammlung der abhängigen GmbH (zur herrschenden Gesellschaft s. Rz. 194 f.) dem Abschluss insbesondere eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages mit der abhängigen Gesellschaft zustimmen muss. Der Fragenkreis ist seit langem umstritten. Nach wie vor stehen sich im Wesentlichen zwei 189 verschiedene Meinungen gegenüber, die zudem jeweils noch in verschiedenen Varianten vertreten werden225. Am weitesten geht die Auffassung, nach der entsprechend § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB und § 53 Abs. 3 GmbHG immer die Zustimmung aller Gesellschafter zu dem Vertragsschluss erforderlich ist, so dass auch ein einstimmiger Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung nur genügt, wenn entweder alle Gesellschafter auf der Gesellschafterversammlung vertreten waren oder doch die nicht vertretenen Gesellschafter dem Abschluss des Vertrages nachträglich zustimmen226. Nach anderen soll dies dagegen nur für personalistische Gesellschaften gelten, während bei kapitalistischen Gesellschaften entsprechend § 53 Abs. 2 GmbHG und § 293 Abs. 1 AktG eine qualifizierte Mehrheit der Gesellschafter für die Zustimmung zu dem Abschluss insbesondere eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages genügen soll227. Nach wieder anderen soll dagegen generell eine qualifizierte Mehrheit ausreichen, wofür 190 neben § 53 Abs. 2 GmbHG und § 293 Abs. 1 AktG auch die Vorschriften des UmwG als Analogiebasis herangezogen werden, die sich für die Fälle der Verschmelzung, der Spaltung 223 12. Aufl., § 47 Rz. 115; BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 48 Rz. 15, 50 Rz. 19 = GmbHR 2011, 922 = AG 2011, 608; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 243 AktG Rz. 40, 43; Beck, GmbHR 2012, 777, 783 f.; Hegemann, GmbHR 2012, 315; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 771; Hommelhoff, Rz. 51; – anders insbesondere Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 107; Altmeppen, Rz. 39. 224 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 332 = NJW 1989, 295 – Supermarkt; BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 50 Rz. 19 = GmbHR 2011, 922; BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 17 Rz. 17 = GmbHR 2019, 1176 = AG 2019, 828 = NJW 2019, 3302. 225 S. z.B. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 273 AktG Rz. 43 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 758 ff.; Schöning/Steininger, NZG 2022, 253, alle m.N. 226 S. 12. Aufl., § 47 Rz. 5, 115, 12. Aufl., § 53 Rz. 171; Altmeppen, DB 1994, 1273; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 106; Binnewies, Konzerneingangskontrolle, S. 265 ff. (mit Ausnahmen); Drüke, Haftung, S. 99; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293 AktG Rz. 43a; Katschinski in FS Reuter, 2010, S. 1043; Kleindiek, Strukturvielfalt, S. 77 ff.; Mues, RNotZ 2005, 1, 16 f.; Pache, GmbHR 1995, 90, 92; Th. Raiser in FS Hüffer, 2010, S. 789, 793; Sonnenschein, Organschaft und Gesellschaftsrecht, 1976, S. 355 ff.; Timm, GmbHR 1992, 211, 215; Ulmer, BB 1989, 10, 13; Zöllner, ZGR 1992, 173, 174 f. 227 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 758 ff., 765 f.

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2022-08-10, 11:29, GroKO groß

Anh. § 13 Rz. 190 | GmbH-Konzernrecht und des Formwechsels durchweg mit einem Zustimmungsbeschluss der betroffenen Anteilsinhaber mit qualifizierter Mehrheit begnügen (§ 13 Abs. 1 Satz 1, § 50 Abs. 1 Satz 1, § 125, § 193 und § 240 UmwG)228. Einzelne Autoren treten freilich zugleich für eine Anwendung des § 47 Abs. 4 Satz 2 ein, so dass das herrschende Unternehmen vom Stimmrecht ausgeschlossen wäre und letztlich eine qualifizierte Mehrheit der anderen Gesellschafter, der Minderheit über den Abschluss des Vertrages entschiede229. Lehnt man dies richtiger Meinung nach ab, so muss freilich auf andere Weise für den nötigen Minderheitsschutz Vorsorge getroffen werden, wobei in erster Linie an die entsprechende Anwendung jedenfalls des § 305 AktG zu denken ist, während die Frage der Analogie zu § 304 AktG noch offen ist230. Außerdem müsste in diesem Fall wohl den Gesellschaftern der GmbH das Spruchverfahren analog § 1 Nr. 1 SpruchG zur Überprüfung der Abfindung und ggf. des Ausgleichs eröffnet werden231. 191 Der BGH hatte die Frage, mit welcher Mehrheit die Gesellschafter dem Abschluss eines Be-

herrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages zustimmen müssen, 1988 zunächst noch offen gelassen232. In einem Urteil vom Mai 2011, in dem er klargestellt hat, dass hier für eine Anwendung des § 47 Abs. 4 Satz 2 grundsätzlich kein Raum ist, so dass auch das herrschende Unternehmen mit abstimmen darf233, finden sich jedoch ebenso wie in einem Urteil aus dem Jahre 2019234 Ausführungen, die im Schrifttum z.T. dahin interpretiert werden, der BGH wolle fortan einen Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter (unter Einschluss des herrschenden Unternehmens) mit qualifizierter Mehrheit genügen lassen235. 192 Tatsächlich heißt es in dem Urteil von 2011 lediglich, ein Unternehmensvertrag habe nicht

lediglich schuldrechtlichen Charakter, sondern stelle einen gesellschaftsrechtlichen Organisationsvertrag dar, der den rechtlichen Status der beherrschten Gesellschaft ändere; und im Jahr 2019 hat der BGH hinzugefügt, der Unternehmensvertrag ändere satzungsgleich die rechtliche Grundstruktur der abhängigen Gesellschaft, woraus sich die Notwendigkeit einer Anwendung der § 53 und § 54 ergebe236. Aber damit ist nur gesagt, was ohnehin im Wesentlichen unstreitig ist, dass nämlich jedenfalls Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge als Organisationsverträge, die den Status der abhängigen Gesellschaft verändern, auf jeden Fall der Zustimmung der Gesellschafter (zumindest) mit qualifizierter Mehrheit bedürfen (§ 53 Abs. 2). Aber ob diese Mehrheit auch ausreicht oder doch die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich ist, ist damit noch nicht entschieden. 228 Beck, GmbHR 2012, 777, 783 f.; Beck, 2014, 1075, 1077 f.; Bouchon, Konzerneingangsschutz, S. 241 ff.; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 168, 189 ff.; Servatius in Grigoleit, § 293 AktG Rz. 12 f.; Halm, NZG 2001, 728, 729 f.; Heckschen, DB 1989, 29 f.; Hegemann, GmbHR 2012, 315; Koppensteiner, RdW 1985, 170; Lutter in Hommelhoff, Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, S. 196; Hommelhoff, Rz. 52, 65 f.; Schöning/Steininger, NZG 2022, 253, 257 f.; A. Weber, GmbHR 2003, 1347, 1348. 229 Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 107; Altmeppen, Rz. 39; – dagegen schon Rz. 187; insbesondere BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45 = GmbHR 2011, 922. 230 Vgl. Baldamus, ZGR 2007, 819, 843 ff.; Halm, NZG 2001, 728, 733 f.; Schöning/Steininger, NZG 2022, 253, 258 f. 231 So Hegemann, GmbHR 2012, 315, 320 m.N.; Raiser in FS Hüffer, 2010, S. 789, 793. 232 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 332 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt. 233 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45 = GmbHR 2011, 922; s. im Einzelnen Rz. 143. 234 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 17 Rz. 17 = GmbHR 2019, 1176 = AG 2019, 828 = NJW 2019, 3302. 235 In diesem Sinne Altmeppen Rz. 35, 37; Hegemann, GmbHR 2012, 315; Müller-Eising/D. Schmidt, NZG 2011, 1100; dagegen Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293 AktG Rz. 43a m.N. 236 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 50 Rz. 19 = GmbHR 2011, 922 = AG 2011, 608 = NZG 2011, 902 = NJW-RR 2011, 1117; BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 17 Rz. 17 = GmbHR 2019, 1176 = AG 2019, 828 = NJW 2019, 3302.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 196 Anh. § 13

An dieser Stelle ist bisher stets an der grundsätzlichen Notwendigkeit einer Zustimmung al- 193 ler Gesellschafter zu dem Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages festgehalten worden. Dafür spricht nach wie vor in erster Linie die Überlegung, dass Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge den Zweck der abhängigen Gesellschaft durch ihre Ausrichtung auf das herrschende Unternehmen verändern und infolgedessen schwerwiegend in die Mitverwaltungs- und Gewinnbezugsrechte der Gesellschafter eingreifen, zumal es auch allein auf dieser Grundlage möglich ist, das herrschende Unternehmen dazu zu veranlassen, auf die Interessen der Minderheit durch angemessene Ausgleichs- oder Abfindungsleistungen Rücksicht zu nehmen. Der Hinweis auf die angeblich abweichenden Wertungen des UmwG verfängt demgegenüber nicht, weil bei den verschiedenen Formen der Umwandlung die betroffenen Gesellschafter letztlich immer noch eine werthaltige Beteiligung, wenn auch ggf. in anderer Rechtsform behalten, während bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages ihre Beteiligungen im Grunde entwertet werden. Ein einstimmiger Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung genügt folglich 194 nur, wenn an dieser tatsächlich alle Gesellschafter teilgenommen haben, wobei freilich Stimmenthaltungen dem Zustimmungsbeschluss nicht entgegenstehen dürften. Ist der (einstimmige) Beschluss der Gesellschafterversammlung nicht unter der Mitwirkung sämtlicher Gesellschafter zu Stande gekommen, so wird es ferner meistens als ausreichend angesehen, wenn die übrigen Gesellschafter noch nachträglich dem Beschluss über die Billigung des Beherrschungsvertrages zustimmen (s. § 33 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 BGB; § 53 Abs. 3 GmbHG). Dabei bleibt freilich zu beachten, dass auch dann, wenn man sich materiell-rechtlich mit der formlosen Zustimmung aller Gesellschafter zu dem mit qualifizierter Mehrheit gefassten Zustimmungsbeschluss begnügt, dem Registergericht die Zustimmung doch in der Form des § 12 HGB nachgewiesen werden muss, da das Gericht ohne solchen Nachweis den Beherrschungsvertrag nicht ins Handelsregister eintragen darf (s. § 294 AktG). Die üblicherweise gegen die Notwendigkeit einer Zustimmung aller Gesellschafter vorge- 195 brachten Einwände überzeugen nicht. Das gilt auch für die verbreitete Kritik, einzelnen Gesellschaftern werde auf diese Weise ohne Not die Möglichkeit eröffnet, den Abschluss von Unternehmensverträgen aus unsachlichen Gründen zu hintertreiben. Denn nichts hindert die Vorstellung, dass die Gesellschafter in Ausnahmefällen aufgrund ihrer Treuepflicht verpflichtet sein können, dem Abschluss eines Unternehmensvertrages zuzustimmen, etwa, wenn allein auf diese Weise das Überleben der abhängigen Gesellschaft gesichert werden kann. 2. Zustimmung der Gesellschafter der Obergesellschaft Gemäß § 293 Abs. 2 AktG bedarf der Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabfüh- 196 rungsvertrages mit einer AG der Zustimmung der Hauptversammlung der herrschenden AG mit qualifizierter Mehrheit. Diese Regelung findet ihre Rechtfertigung vor allem in dem Umstand, dass sich auch für das herrschende Unternehmen aus Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen aufgrund der §§ 302 bis 305 AktG erhebliche Belastungen ergeben können. Von den genannten Vorschriften sind zumindest die § 302 und § 303 AktG auch auf Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge mit einer abhängigen GmbH anwendbar (s. Rz. 246 ff.). Daraus ist der Schluss zu ziehen, dass § 293 Abs. 2 AktG in der Tat im GmbHKonzernrecht entsprechend anzuwenden ist, auf jeden Fall, wenn die herrschende Gesellschaft eine AG ist, grundsätzlich aber auch sonst, namentlich also im Verhältnis zwischen einer herrschenden GmbH und einer abhängigen GmbH237. 237 S. 12. Aufl., § 53 Rz. 173; BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 333 ff. = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; BGH v. 23.9.1991 – II ZR 231/90, BGHZ 115, 187, 192 = GmbHR 1991, 520 = NJW 1991, 3142 – Video; BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, NJW 1992, 1452 =

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Anh. § 13 Rz. 197 | GmbH-Konzernrecht 197 Der Zustimmungsbeschluss der herrschenden Gesellschaft bedarf nur dann der notariellen

Beurkundung, wenn es sich bei der herrschenden Gesellschaft um eine AG handelt (§ 293 Abs. 2, § 130 Abs. 1 AktG)238. Anders hingegen bei Gesellschaften anderer Rechtsform. Auch wenn die Muttergesellschaft eine GmbH ist, genügt für den Zustimmungsbeschluss einfache Schriftform, wobei der Vertrag der Urkunde, d.h. dem Protokoll über den Beschluss, als Anlage beizufügen ist; für eine entsprechende Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 1 ist hier kein Raum239. 198 Die geschilderten Förmlichkeiten (Rz. 196 ff.) sind grundsätzlich auch bei Abschluss eines

Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrages mit 100%igen Tochtergesellschaften in der Rechtsform einer GmbH zu beachten240. Für die Einführung einer Bagatellklausel, wie in der Praxis vielfach gefordert, bietet das geltende Recht keine ausreichende Grundlage. 3. Mehrstufige Konzerne 199 Verwickelte zusätzliche Fragen stellen sich bei dem Abschluss von Beherrschungs- und Ge-

winnabführungsverträgen in mehrstufigen Konzernen241. Hervorzuheben sind folgende Fallgestaltungen: Zunächst ist es vorstellbar, dass eine Muttergesellschaft direkt einen Unternehmensvertrag mit einer Enkelgesellschaft abschließt. Hier scheidet nach überwiegender Meinung zwar (trotz der offenkundigen damit verbundenen Probleme) ein Zustimmungserfordernis hinsichtlich der Gesellschafterversammlung der dazwischenliegenden und übergangenen Tochtergesellschaft aus; wenn aber die Muttergesellschaft die Tochtergesellschaft veranlasst, dem Vertrag in der Gesellschafterversammlung oder der Hauptversammlung der Enkelgesellschaft zuzustimmen, so greift in GmbH-Konzernen zum Schutz der Tochtergesellschaft und deren Minderheit das allgemeine Schädigungsverbot ein242. 200 Andere Überlegungen sind bei einem Vertragsschluss (nur) zwischen der Tochter- und der

Enkelgesellschaft geboten: Wegen der möglichen nachteiligen Rückwirkungen derartiger Verträge auf die Muttergesellschaft sollte hier zusätzlich analog § 293 Abs. 2 AktG auch die Zustimmung der Gesellschafterversammlung oder der Hauptversammlung der Muttergesellschaft – entgegen der h.M. – gefordert werden243. Der bloße Verweis auf die Holzmüller/Gelatine-Doktrin in den genannten Fallgestaltungen, wie er sich vielfach im Schrifttum findet, hilft offenkundig nicht weiter.

238 239

240 241 242 243

GmbHR 1992, 253 = AG 1992, 192 – Siemens/NRG; OLG Zweibrücken v. 2.12.1998 – 3 W 174/ 98, GmbHR 1999, 665 = AG 1999, 328; LG Mannheim v. 9.12.1993 – 24 T 3/93, AG 1995, 142 = GmbHR 1994, 810 = Rpfleger 1994, 256 – Freudenberg & Co. (für einen Beherrschungsvertrag zwischen einer KG und einer GmbH); Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 110; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 775 f.; Mues, RNotZ 2005, 1, 18 f.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 69; anders Altmeppen, Rz. 44. BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, NJW 1992, 1452 = GmbHR 1992, 253 = AG 1992, 192 – Siemens/NRG. S. 12. Aufl., § 53 Rz. 173; BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 336 f. = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; Altmeppen, DB 1994, 1273; Hoffmann-Becking, WiB 1994, 57, 59; Hommelhoff, Rz. 59; Mues, RNotZ 2005, 1, 19 (l. Sp. 3. Abs.); – anders Heckschen, DB 1989, 29, 30; Uwe H. Schneider in Uwe H. Schneider, Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge, S. 7, 15 ff.; Th. Weigel in FS Quack, S. 505, 516 f. Z.B. Hommelhoff, Rz. 55. Vgl. für die AG statt aller m.N. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293 AktG Rz. 10 ff. Hommelhoff, Rz. 564; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 778. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 111; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293 AktG Rz. 12 m.N.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 204 Anh. § 13

4. Vertragsbericht, Vertragsprüfung Im Interesse der Verbesserung der Information der Aktionäre sind 1994 im Aktienkonzern- 201 recht nach dem Vorbild des Verschmelzungsrechts (s. §§ 8–12 UmwG) durch die Vorschriften der §§ 293a bis 293g AktG für bestimmte Fallgestaltungen (s. § 293a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 293 Abs. 1 und 2 AktG) ein Unternehmensvertragsbericht (§ 293a AktG) und eine Unternehmensvertragsprüfung (§ 293b AktG) eingeführt worden. Bei der Frage, ob im GmbHKonzernrecht Raum für eine Analogie zu den genannten Vorschriften ist, ist davon auszugehen, dass bereits im Aktienkonzernrecht die sachliche Berechtigung der ganzen Regelung ebenso wie ihr praktischer Nutzen durchaus kontrovers diskutiert werden244. Wenn überhaupt, so machen Vertragsbericht und Vertragsprüfung lediglich bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen und auch hier allein hinsichtlich der Information der Aktionäre über die Höhe der Kompensation sowie hinsichtlich der Kontrolle deren Angemessenheit Sinn. Für die GmbH ergeben sich daraus mehrere Schlussfolgerungen245: Von vornherein kein 202 Raum für eine Analogie zu den §§ 293a bis 293g AktG ist bei den anderen Unternehmensverträgen des § 292 AktG. Und auch bei den Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen besteht kein Bedürfnis für ihre entsprechende Anwendung, wenn und soweit man daran festhält, dass der Abschluss eines Unternehmensvertrages mit einer abhängigen GmbH der Zustimmung aller Gesellschafter bedarf. Eine andere Beurteilung kommt nur in Betracht, sofern man sich, etwa aufgrund einer entsprechenden Vertragsbestimmung, mit einer qualifizierten Mehrheit für die Zustimmung zu dem Unternehmensvertrag begnügt (Rz. 191 f.). Auch in den genannten Fällen (Rz. 202) ist für eine Vertragsprüfung (analog § 293b AktG) 203 nur Raum, wenn der Vertrag ausnahmsweise eine Kompensation für die außenstehenden Gesellschafter vorsieht (s. Rz. 211 ff.). Eine weitergehende Analogie ist allein bei dem Vertragsbericht zu erwägen (§ 293a AktG), insbesondere in allen Fällen, in denen eine abhängige GmbH z.B. einer herrschenden AG oder auch GmbH gegenübersteht. In diesen Fällen könnte eine Analogie zu § 293a AktG wohl in der Tat einen Beitrag zur Verbesserung des Schutzes der außenstehenden Gesellschafter, d.h. der Minderheit leisten. 5. Eintragung ins Handelsregister Letzte Voraussetzung der Wirksamkeit eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertra- 204 ges mit einer abhängigen GmbH ist entsprechend § 54 GmbHG und (hilfsweise) § 294 AktG die Eintragung des Vertrages in das Handelsregister der abhängigen Gesellschaft. Der Anmeldung zum Handelsregister müssen nach § 54 Abs. 1 Satz 2 der Zustimmungsbeschluss und der Unternehmensvertrag als Anlagen beigefügt werden246. In das Handelsregister sind sodann entsprechend § 294 AktG im Interesse der Unterrichtung der Öffentlichkeit über den Konzernstatus der abhängigen Gesellschaft Bestand und Art des Vertrages, der Zustimmungsbeschluss, der Name des anderen Vertragsteils sowie das Datum des Zustimmungsbeschlusses

244 S. m.N. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293a AktG Rz. 4 ff. 245 Wegen aller Einzelheiten s. Altmeppen, Rz. 46 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293a AktG Rz. 10–13; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 780 ff.; Mues, RNotZ 2005, 1, 17 f.; Humbeck, BB 1995, 1893 f.; Bungert, DB 1995, 1449, 1452 ff. 246 S. 12. Aufl., § 53 Rz. 174; BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 342 f. = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, GmbHR 1992, 253 = NJW 1992, 1452 = AG 1992, 192 – Siemens/NRG.

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Anh. § 13 Rz. 204 | GmbH-Konzernrecht und des Vertragsabschlusses einzutragen247. Die Eintragung hat konstitutive Wirkung248. Dies alles gilt auch für Einpersonengesellschaften249. 205 Noch offen ist, ob der Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag auch ins Handelsre-

gister der herrschenden Gesellschaft einzutragen ist. Im Aktienkonzernrecht wird § 294 AktG einhellig allein auf die abhängige Gesellschaft bezogen250. Dementsprechend verneint die überwiegende Meinung auch für das GmbH-Konzernrecht eine Pflicht zur Eintragung des Vertrages bei der herrschenden Gesellschaft, mag es sich bei dieser um eine AG oder um eine GmbH handeln251. Nach einer verbreiteten Meinung soll jedoch eine freiwillige deklaratorische Eintragung des Vertrages bei der herrschenden Gesellschaft im Interesse der Registerpublizität möglich sein252. 6. Ermächtigungsklauseln 206 Der Praxis ist die Erfüllung der üblichen Voraussetzungen für die Wirksamkeit des Abschlus-

ses eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages mit einer abhängigen GmbH häufig lästig. Deshalb werden unter den Stichworten Ermächtigungs-, Satzungs- oder Konzernklauseln verschiedene Vertragsgestaltungen diskutiert, mit denen bezweckt wird, den Abschluss der genannten Verträge auf beiden Ebenen zu „erleichtern“253. Diskutiert werden insbesondere sogenannte Ermächtigungsklauseln sowie Klauseln, durch die die Mehrheitserfordernisse (Rz. 183 ff.) herabgesetzt werden (s. Rz. 207 f.). 207 Ermächtigungsklauseln sollen den Geschäftsführern der abhängigen Gesellschaft generell

oder im Einzelfall die Befugnis zum Abschluss von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen verleihen. Derartige Klauseln werden überwiegend als unzulässig angesehen, weil sie auf eine mit § 53 unvereinbare Ermächtigung der Geschäftsführer zur Änderung des Gesellschaftsvertrages hinauslaufen (§ 134 BGB)254. Zweifelhaft ist ferner die Zulässigkeit einer vertraglichen Herabsetzung der Mehrheitserfordernisse für den Zustimmungsbeschluss bei der abhängigen Gesellschaft. Sicher ist lediglich, dass sich eine absolute Untergrenze für derartige Klauseln aus dem zwingenden § 53 Abs. 2 Satz 1 Halbs. 2 ergibt; geringere Mehrheits-

247 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 337, 345 f. = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; OLG Naumburg v. 24.3.2003 – 1 U 79/02, AG 2004, 43 = GmbHR 2003, 1277 (nur Leitsatz); Altmeppen, Rz. 32; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293 AktG Rz. 45; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 796 ff.; Hommelhoff, Rz. 64. 248 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 341 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 39 = GmbHR 1992, 34 = NJW 1992, 505 – Hansa Feuerfest/Stromlieferung; BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, GmbHR 1992, 253 = NJW 1992, 1452 = AG 1992, 192 – Siemens/NRG; BayObLG v. 18.2.2003 – 3Z BR 233/02, BayObLGZ 2003, 21, 22 = GmbHR 2003, 534 = NJW-RR 2003, 908; BayObLG v. 5.2.2003 – 3Z BR 232/02, NJW-RR 2003, 907 = GmbHR 2003, 476. 249 BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 – Supermarkt; BGH v. 30.1.1992 – II ZB 15/91, NJW 1992, 1452 = AG 1992, 192, 194 = GmbHR 1992, 253 – Siemens/NRG; streitig. 250 S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 294 AktG Rz. 5. 251 AG Duisburg v. 18.11.1993 – HRB 3196, AG 1994, 568 = GmbHR 1994, 811; AG Erfurt v. 2.10.1996 – HRB 8340, GmbHR 1997, 75 = AG 1997, 275; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 110; Altmeppen, DB 1994, 1273; E. Vetter, AG 1994, 110, 113 f. 252 OLG Celle v. 4.6.2014 – 9 W 80/14, AG 2014, 754 = GmbHR 2014, 1047; LG Bonn v. 27.4.1993 – 11 T 2/93, AG 1993, 521 = GmbHR 1993, 443; Hommelhoff, Rz. 63 f.; Priester, GmbHR 2015, 169. 253 Formulierungsvorschläge z.B. bei Kleinert/Lahl, GmbHR 2003, 698; wegen der Einzelheiten s. z.B. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293 AktG Rz. 44; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 767 f. 254 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 765.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 211 Anh. § 13

erfordernisse als dort genannt können daher in keinem Fall durch den Gesellschaftsvertrag zugelassen werden255. Eine generelle Herabsetzung des Mehrheitserfordernisses bis zu der genannten Untergren- 208 ze (Rz. 207) stößt gleichfalls auf Bedenken256, da man wohl den Gedanken des Minderheitenschutzes, der gleichermaßen der Vorschrift des § 33 BGB wie der des § 53 Abs. 3 zugrunde liegt, als zwingend anzusehen haben wird; eine abweichende Beurteilung kommt deshalb nur in Betracht, wenn sich die Klausel (zum Schutz der Minderheit vor unkalkulierbaren Risiken) auf bestimmte Verträge oder doch Vertragsarten bezieht und zugleich für den nötigen Schutz der Minderheit Sorge getragen ist, namentlich durch einen Verweis auf die § 304 und § 305 AktG257. Lediglich dann, wenn eine derartige Klausel von vornherein im Gesellschaftsvertrag enthalten ist, wissen die Gründer, worauf sie sich einlassen, so dass sie keines zusätzlichen Schutzes bedürfen (§ 2 Abs. 1 Satz 2)258. Wenn eine derartige Klausel dagegen erst nachträglich im Wege der Änderung des Gesellschaftsvertrages eingeführt wird, ist zum Schutze der Minderheit § 53 Abs. 3 entsprechend anzuwenden. Dieselbe Diskussion wie auf der Ebene der abhängigen Gesellschaft (Rz. 206–208) findet sich 209 auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft. Man wird unterscheiden müssen: Für eine herrschende AG ist von dem zwingenden Charakter der § 293 Abs. 3 und § 294 AktG auszugehen, selbst wenn die abhängige Gesellschaft die Rechtsform einer GmbH hat. Bei einer herrschenden GmbH sind dagegen Ermächtigungsklauseln für die Geschäftsführer (s. Rz. 207) – mangels Anwendbarkeit des § 53 – zulässig, wenn sie sich auf konkrete Einzelfälle beziehen, so dass dann ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung nach § 293 Abs. 2 AktG (ausnahmsweise) entbehrlich ist259. Bagatellklauseln dürften auf der Ebene der herrschenden Gesellschaft gleichfalls in engen 210 Grenzen zulässig sein. Soweit es danach jedoch bei der Notwendigkeit eines Zustimmungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung bleibt, ist auch für die GmbH von dem zwingenden Charakter des § 293 Abs. 2 AktG auszugehen. Der Gesellschaftsvertrag kann daher keine geringere, sondern nur eine höhere Mehrheit als in § 293 Abs. 2 AktG bestimmt für den Zustimmungsbeschluss vorschreiben260. 7. Abfindung und Ausgleich Durch den Abschluss von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen, die grundsätz- 211 lich allein den Interessen des herrschenden Unternehmens dienen, wird die Position der Minderheit in einer Gesellschaft im Kern bedroht. Deshalb sieht das AktG in den § 304 und § 305 als zwingendes Recht zum Schutz der außenstehenden Gesellschafter eine Ausgleichsund Abfindungspflicht des herrschenden Unternehmens vor. Eine Analogie zu diesen Vorschriften ist im GmbH-Konzernrecht jedoch entbehrlich, wenn und solange man grundsätzlich die Zustimmung aller Gesellschafter zu dem Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages für erforderlich hält (Rz. 188 ff.), weil dann die außenstehenden Gesellschafter selbst in der Lage sind, ihre Rechte zu wahren261.

255 256 257 258 259 260

Altmeppen, Rz. 40; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 770. Anders Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 769. Im Einzelnen streitig, s. Altmeppen, Rz. 40 f. Ebenso Altmeppen, Rz. 41. Enger Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 110. S. Grunewald, AG 1990, 133, 135 f.; Hoffmann-Becking, WiB 1994, 57, 60; Priester, DB 1989, 1013, 1016 ff.; Uwe H. Schneider in Uwe H. Schneider, Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge, S. 7, 19 f.; Timm, GmbHR 1989, 11, 18. 261 Anders z.B. Servatius in Grigoleit, § 304 AktG Rz. 4.

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Anh. § 13 Rz. 212 | GmbH-Konzernrecht 212 Eine abweichende Beurteilung ist dagegen angebracht, wenn man sich – entgegen der hier ver-

tretenen Meinung (Rz. 188 f.) – generell mit einer qualifizierten Mehrheit begnügt (Rz. 191) oder wenn doch solche Mehrheit ausnahmsweise aufgrund entsprechender Satzungsklauseln ausreichend ist (Rz. 207). Gleich steht der Fall, dass die außenstehenden Gesellschafter im Einzelfall aufgrund ihrer Treuepflicht zur Zustimmung zu dem Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag verpflichtet sind (Rz. 193). In derartigen Fällen ist eine Analogie zu den §§ 304 und 305 AktG geboten262.

213 Im Wesentlichen unstreitig ist dies für die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens

zum Angebot einer Barabfindung entsprechend § 305 Abs. 2 Nr. 3 AktG. Das den Gesellschaftern der abhängigen Gesellschaft zustehende Austrittsrecht gegen volle Abfindung ist kein Ersatz für das Abfindungsrecht, weil sich (anders als der Abfindungsanspruch nach dem Austritt) der Anspruch auf Barabfindung unmittelbar gegen das herrschende Unternehmen richtet (§ 305 Abs. 1 AktG). Offen ist dagegen, ob die Gesellschafter der abhängigen GmbH in bestimmten Fällen (s. § 305 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AktG) stattdessen auch einen Anspruch auf Abfindung in Anteilen der herrschenden Gesellschaft haben. Dies ist jedenfalls dann zu bejahen, wenn die herrschende Gesellschaft die Rechtsform einer deutschen AG hat263. Ob dasselbe bei einer herrschenden Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH zu gelten hat, ist offen264. Denkbar wäre es hier auch, den außenstehenden Gesellschaftern ein Wahlrecht zwischen einer Abfindung in Anteilen und einer Barabfindung einzuräumen (§ 242 BGB). 214 Eine Ausgleichspflicht der herrschenden Gesellschaft entsprechend § 304 AktG wird da-

gegen vielfach verneint, meistens mit der Begründung, die Anfechtbarkeit des Zustimmungsbeschlusses bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages ohne angemessene Abfindungsleistung für die Minderheitsgesellschafter (Rz. 216) gewährleiste bereits ausreichend deren Schutz (§ 243 Abs. 1 AktG). Diese Überlegung ist nicht zwingend265, da man nicht übersehen darf, dass die Minderheitsgesellschafter in keinem Fall, auch nicht, wenn sie ausnahmsweise aufgrund ihrer Treuepflicht zur Zustimmung zu dem Vertragsabschluss verpflichtet sind (Rz. 193), gegen ihren Willen zum Ausscheiden aus der abhängigen Gesellschaft gegen Abfindung gezwungen werden können, so dass sie dann einen Ausgleichsanspruch haben sollten. 215 Die Höhe von Abfindung und Ausgleich beurteilt sich, wenn man eine Analogie zu den

§ 304 und § 305 AktG hier für angebracht hält, nach denselben Regeln wie im Aktienkonzernrecht. Auszugehen ist folglich in der Regel von dem wie immer ermittelten Ertragswert der abhängigen Gesellschaft, d.h. den in die Zukunft fortgeschriebenen und gegebenenfalls kapitalisierten, bisherigen durchschnittlichen und bereinigten Erträgen der abhängigen Gesellschaft. 216 Im Schrifttum wird – unter Berufung auf die beiden im Grunde gar nicht einschlägigen Wel-

la-Urteile des BGH266 – diskutiert, ob in dem Unternehmensvertrag die Kompensation aus-

262 S. Rz. 191 f. sowie Altmeppen, Rz. 87 f.; Baldamus, ZGR 2007, 819, 843 ff.; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 202 ff.; Hoffmann-Becking, WiB 1994, 57, 59 f.; Kleindiek, ZIP 1988, 613, 617 f.; Kort, Abschluss, S. 135, 157 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 944; Lutter in Hommelhoff, Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, S. 197 f.; Hommelhoff, Rz. 68 ff.; Mestmäcker, Verwaltung, S. 352 ff.; Priester in Hommelhoff, Entwicklungen im GmbH-Konzernrecht, S. 151, 156 ff.; Stoltenberger-Wolters, Fehlerhafte Unternehmensverträge im GmbH-Recht, 1990, S. 21 ff.; H. Weber, GmbHR 2003, 1347. 263 Ebenso Altmeppen, Rz. 89. 264 Dafür jedenfalls bei kapitalistischen Gesellschaften Hommelhoff, Rz. 70. 265 Ebenso Altmeppen, Rz. 89; Hommelhoff, Rz. 68 ff. 266 BGH v. 19.4.2011 – II ZR 237/09, BGHZ 189, 261 = AG 2011, 514; BGH v. 19.4.2011 – II ZR 244/ 09, NZG 2011, 780 = AG 2011, 517; – unklar aber in der Tat BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88,

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geschlossen oder doch beschränkt werden kann267. Dagegen spricht jedoch, dass bei Zulassung derartiger Regelungen das herrschende Unternehmen seinen Einfluss vermutlich vielfach dazu nutzen wird, die Minderheit nach Möglichkeit um ihre Rechte zu bringen (§§ 138, 242 BGB). Etwas anderes gilt lediglich für entsprechende Regelungen in dem ursprünglichen Gesellschaftsvertrag, weil dann alle Gründer genau wissen, worauf sie sich einlassen. Wenn der Beherrschungsvertrag in einem der genannten Fälle (Rz. 212 ff.) überhaupt kein 217 Ausgleichs- und Abfindungsangebot enthält, sollte man – entgegen der ganz h.M. – ihn zum Schutze der Minderheit entsprechend § 304 Abs. 3 Satz 1 AktG als nichtig behandeln268. Ist das Angebot dagegen nicht angemessen, so ist der Zustimmungsbeschluss nach h.M. analog § 243 Abs. 2 AktG anfechtbar. Ob an die Stelle dieses Anfechtungsrechts das Spruchverfahren nach dem Spruchverfahrens- 218 gesetz von 2003 gesetzt werden kann, ist offen. Das Problem rührt daher, dass die hier interessierenden Fälle in § 1 SpruchG nicht ausdrücklich erwähnt sind. Das muss indessen kein unüberwindliches Hindernis sein, weil heute § 1 SpruchG meistens nicht mehr als abschließend angesehen wird, so dass an sich keine Bedenken bestehen, das SpruchG hier entsprechend anzuwenden. Angesichts dessen sollte man nicht zögern, auch der Minderheit in einer GmbH entsprechend § 1 Nr. 1 und 2 SpruchG den Weg zum Spruchverfahren zu eröffnen, wenn sie die angebotene Abfindungs- oder Ausgleichsleistung des herrschenden Unternehmens nicht für angemessen hält269. 8. Fehlerhafte und verdeckte Beherrschungsverträge a) Überblick Ein Unternehmensvertrag wird als fehlerhaft bezeichnet, wenn er an Mängeln leidet, die sei- 219 ne Wirksamkeit in Frage stellen, sei es, weil bei seinem Abschluss nicht sämtliche gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen beachtet wurden (Rz. 183 ff.), sei es, weil er inhaltliche Mängel aufweist (§§ 125, 134, 138 BGB). Im Einzelnen hat man zwischen Mängeln des Vertrages und Mängeln der Zustimmungsbeschlüsse zu unterscheiden (§ 53 GmbHG, § 293 Abs. 2 AktG). Häufig spricht man insoweit auch von formellen und materiellen Mängeln des Vertrages270. Sind die genannten Mängel nicht in der Zwischenzeit, etwa durch Zeitablauf oder Nachholung der erforderlichen Beschlüsse geheilt worden (s. § 53 GmbHG; §§ 242, 244, 246 Abs. 1 AktG; § 140 BGB), so stellt sich die Frage, wie zu verfahren ist, wenn der Vertrag trotz der genannten Mängel vollzogen wurde. Ein Vollzug des Vertrages liegt vor, wenn der Vertrag von den Beteiligten trotz seiner Nichtigkeit praktiziert wird, insbesondere indem das herrschende Unternehmen Verluste der abhängigen Gesellschaft ausgleicht oder in deren Geschäftsführung eingreift (vgl. § 302 Abs. 1, § 308 Abs. 1 AktG)271. Die aufgeworfenen Fragen hatten sich mit besonderer Dringlichkeit Ende der achtziger Jahre 220 im Steuerrecht für so genannte Altverträge gestellt, die nicht den vom BGH in dem Supermarktbeschluss vom 24.10.1988272 entwickelten Wirksamkeitsvoraussetzungen genügten. Die Finanzverwaltung hatte hier mit verschiedenen Übergangsfristen bis Ende des Jahres

267 268 269 270 271 272

BGHZ 105, 324, 335 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 = AG 1989, 91 – Supermarkt; BGH v. 21.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 52 Rz. 21 = GmbHR 2011, 922 = AG 2011, 668. Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Rz. 231. Anders Altmeppen, Rz. 87; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 977 ff. S. Altmeppen, Rz. 88; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 304 AktG Rz. 12; § 1 SpruchG Rz. 8; Hommelhoff, Rz. 71a; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 981 ff. Wegen der Einzelheiten s. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 44 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 731–744. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 112; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 735. BGH v. 24.10.1988 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25.

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Anh. § 13 Rz. 220 | GmbH-Konzernrecht 1992 für die Anpassung der Altverträge an die neue Rechtslage geholfen. Seit 1993 geht die Finanzverwaltung hingegen davon aus, dass die Anerkennung der Organschaft in jedem Fall die zivilrechtliche Wirksamkeit des Gewinnabführungs- oder des Organschaftsvertrages voraussetzt. Fehlt es daran, z.B. wegen eines Formmangels oder wegen der Nichtigkeit eines der Zustimmungsbeschlüsse, so wird die Organschaft „verworfen“273. 221 Der Fragenkreis der fehlerhaften Unternehmensverträge besitzt bei der GmbH bis heute eine

deutlich größere praktische Bedeutung als bei der AG274. Der Grund liegt in der Verbreitung von Freigabeverfahren aufgrund des § 246a AktG von 2005 im Aktienrecht, die zur Folge hat, dass sich hier der Anwendungsbereich der Lehre von den fehlerhaften Unternehmensverträgen seitdem im Grunde auf wenige Grenzfälle von Vertragsfehlern und Beschlussmängeln beschränkt, bei denen es ausnahmsweise nicht zu einem Freigabeverfahren gekommen ist275. Die deshalb naheliegende Übertragung des Freigabeverfahrens auf die GmbH wird jedoch bisher von der Rechtsprechung unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte des § 246a AktG abgelehnt276. Zwingend ist dies zwar keineswegs, aber hinzunehmen – mit der notwendigen Folge der bleibenden praktischen Bedeutung des Fragenkreises der fehlerhaften Unternehmensverträge bei der GmbH. b) Materielle Mängel 222 Unternehmensverträge, die an formellen oder materiellen Mängeln (s. Rz. 219) leiden, sind

idR nichtig, weil es sich bei den fraglichen Wirksamkeitsvoraussetzungen durchweg um zwingende gesetzliche Regelungen handelt. Gleichwohl tendiert die Rechtsprechung dahin, fehlerhafte Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge nach dem Muster fehlerhafter Gesellschaftsverträge nach ihrem Vollzug (Rz. 219) trotz ihrer Mängel nach Möglichkeit aufrechtzuerhalten, vor allem wohl, um den Gläubigerschutz aufgrund der hier entsprechend anwendbaren § 302 und § 303 AktG sicherzustellen277. Generell kann dies indessen nicht gelten; man muss vielmehr nach der Art der Mängel unterscheiden. 223 Im Mittelpunkt des Interesses stehen materielle Mängel des Vertrages. Paradigma ist das

Fehlen oder die Nichtigkeit des Zustimmungsbeschlusses der abhängigen Gesellschaft. In diesem Fall muss es – entgegen der Rechtsprechung – bei der Nichtigkeit des Vertrages auch im Falle seines Vollzugs bleiben, weil es den Beteiligten andernfalls möglich wäre, die Mitwirkungsrechte der Gesellschafter in der abhängigen Gesellschaft durch Praktizierung eines nichtigen Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages zu umgehen278. Ob bei Fehlen oder Nichtigkeit des Zustimmungsbeschlusses der herrschenden Gesellschaft ebenso zu verfahren ist, ist umstritten, sollte aber zum Schutze der Beteiligten gleichfalls bejaht werden.

273 274 275 276

S. großzügiger z.B. Fichtelmann, GmbHR 2010, 576, 577. Ebenso Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 731. S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 45. KG v. 23.6.2011 – 23 AktG 1/11, GmbHR 2011, 1044 = NZG 2011, 1068; kritisch zu Recht Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 739, 803; Bayer/Lieder, NZG 2011, 1170 ff. 277 BGH v. 14.12.1987 – II ZR 170/87, BGHZ 103, 1, 5 = GmbHR 1988, 174 = NJW 1988, 1326 = AG 1988, 133 – Familienheim; BGH v. 19.9.1988 – III ZR 255/87, BGHZ 105, 168, 182 = GmbHR 1989, 19 = NJW 1988, 3143 = AG 1989, 27 – HSW; BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 39 ff. = GmbHR 1992, 34 = NJW 1992, 505 = AG 1992, 83 – Stromlieferungen/Hansa Feuerfest; BGH v. 5.11.2001 – II ZR 119/00, LM Nr. 11 zu § 53 GmbHG (Bl. 2) (m. Anm. Emmerich) = NJW 2002, 822 = AG 2002, 240 = GmbHR 2002, 62; OLG Koblenz v. 30.11.1990 – 2 U 317/89, GmbHR 1991, 420 = AG 1991, 142 = WM 1991, 227; OLG München v. 14.6.1991 – 23 U 4638/90, AG 1991, 358, 361; enger OLG Koblenz v. 23.11.2000 – 6 U 1434/95, ZIP 2001, 1095, 1098. 278 S. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 113; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 47 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 738; enger Servatius in Michalski u.a., Rz. 260; anders z.B. Altmeppen, Rz. 115.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 228 Anh. § 13

Kontrovers diskutiert wird ferner, ob dasselbe auch bei „bloßer“ Anfechtbarkeit eines der 224 Zustimmungsbeschlüsse zu gelten hat. Indessen besteht bei Anfechtbarkeit eines der Zustimmungsbeschlüsse, die nur innerhalb kurzer Fristen möglich ist, kein Anlass für einen Vertrauensschutz, so dass in diesem Fall ebenfalls an der Nichtigkeit des Vertrages festzuhalten ist. Einen Sonderfall, der in letzter Zeit im Aktienkonzernrecht große Aufmerksamkeit gefunden 225 hat, bilden die so genannten verdeckten Beherrschungsverträge279. Man versteht darunter offenbar verbreitete, eigenartige Vertragsgestaltungen, mit denen die Beteiligten im Ergebnis denselben Zweck wie mit dem Abschluss eines Beherrschungsvertrages verfolgen, insbesondere durch die Begründung eines Weisungsrechts für einen Vertragsteil gegenüber der betroffenen Gesellschaft (§ 308 AktG), ohne jedoch die förmlichen und inhaltlichen Voraussetzungen eines wirksamen Beherrschungsvertrages zu beachten (§§ 293 ff. und §§ 304 ff. AktG). Die Behandlung dieser Fälle ist noch weitgehend ungeklärt. Der Fragenkreis wird jedoch bis- 226 her nahezu ausschließlich mit Bezug auf Aktiengesellschaften diskutiert, während zur parallelen Problematik bei der GmbH nur wenige Äußerungen vorliegen280. Deshalb mögen hier die folgenden Bemerkungen genügen: Es stellt jedenfalls keine Lösung der Problematik dar, die Minderheitsgesellschafter in solchen Fällen auf Schadensersatzansprüche wegen Treuepflichtverletzung gegen die Mehrheit zu verweisen, weil solche Ansprüche – mangels Kenntnis der relevanten Fakten – für die Minderheitsgesellschafter gar nicht durchsetzbar sind. Als Lösung kommt daher allein die Anwendung der Regeln über fehlerhafte Beherrschungsverträge in Betracht. Das Ergebnis ist: Entsprechende Geltung der §§ 302 f. und §§ 304 f. AktG. c) Formelle Mängel Verstöße gegen Formvorschriften sind der wohl häufigste Anwendungsfall der Regeln über 227 fehlerhafte Beherrschungsverträge. Nach seinem Vollzug (Rz. 219) ist der Vertrag in diesen Fällen folglich grundsätzlich für die Vergangenheit als wirksam zu behandeln. Dies bedeutet vor allem, dass es für die bereits abgelaufene Zeit bei der entsprechenden Anwendbarkeit der §§ 302 und 303 AktG sein Bewenden hat281. Die Einzelheiten sind umstritten. In besonderem Maße gilt dies für den Fall der fehlenden 228 Eintragung des Vertrages ins Handelsregister (§ 54 GmbHG; § 294 Abs. 2 AktG). Speziell für die GmbH hat der BGH diesem Umstand wiederholt keine Bedeutung beigemessen und auf den Vertrag nach seinem Vollzug (entsprechend den Regeln über die fehlerhafte Gesellschaft) die Vorschriften über Beherrschungsverträge und damit insbesondere die § 302 und § 303 AktG entsprechend angewandt282. Dem ist jedoch nicht zu folgen, weil vor Eintragung des Vertrages ins Handelsregister mit Rücksicht auf die gesetzliche Regelung (§ 54 GmbHG; § 294 Abs. 2 AktG) sinnvollerweise niemand auf den Bestand des Vertrages vertrauen kann

279 S. dazu Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 28–38; Emmerich in FS Hüffer, 2010, S. 179, 183 ff.; Ederle, Verdeckte Beherrschungsverträge, 2010; Ederle, AG 2010, 273; Kienzle, Verdeckte Beherrschungsverträge im Aktienrecht, 2010. 280 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 693 ff.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 264 ff. 281 Insbes. BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 45 f. = AG 1992, 83 = NJW 1992, 505 = GmbHR 1992, 34 – Hansa Feuerfest/Stromlieferung. 282 BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 39 = NJW 1992, 505 = AG 1992, 83 = GmbHR 1992, 24 – Stromlieferungen/Hansa Feuerfest; insbes. BGH v. 5.11.2001 – II ZR 119/00, NJW 2002, 822 = GmbHR 2002, 62 = AG 2002, 240.

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Anh. § 13 Rz. 228 | GmbH-Konzernrecht und darf283. Die Frage spielt eine Rolle insbesondere bei der Behandlung der zahlreichen stillen Gesellschaftsverträge mit Aktiengesellschaften, bei deren Abschluss die § 292 Abs. 1 Nr. 2, § 293 und § 294 AktG „übersehen“ wurden (s. Rz. 301 ff.). 229 Fehlerhafte Beherrschungsverträge bleiben, selbst bei partieller Anerkennung für die Vergan-

genheit nach ihrem Vollzug (Rz. 217), fehlerhaft, solange nicht der Mangel geheilt ist (s. dazu Rz. 218). Die Folge ist, dass sich beide Parteien jederzeit auf die Unwirksamkeit des Vertrages berufen oder doch (so ohne Not die h.M.) durch Kündigung aus wichtigem Grunde die weitere Anwendung des Vertrages beenden können284. Zuständig für die Beendigung des durch den Vollzug des an sich unwirksamen Vertrages entstandenen Zustandes sind vorrangig die Geschäftsführer (§ 37). Ein Ermessen haben sie insoweit nicht; vielmehr sind sie verpflichtet, gegenüber dem herrschenden Unternehmen die „faktische“ Fortgeltung des Vertrages durch die Berufung auf dessen Nichtigkeit oder (so die h.M.) durch dessen Kündigung aus wichtigem Grunde zu beenden, wenn die Minderheitsgesellschafter die nachträgliche Zustimmung zu dem Unternehmensvertrag verweigern und auch auf andere Weise eine Heilung des Mangels nicht mehr möglich ist285. Durch die Gesellschafterversammlung können die Geschäftsführer dazu auch angewiesen werden (§ 46 Nr. 6, § 50). Das herrschende Unternehmen ist bei der Beschlussfassung über eine entsprechende Weisung an die Geschäftsführer nach § 47 Abs. 4 vom Stimmrecht ausgeschlossen. Eine entgegenstehende Weisung des herrschenden Unternehmens an die Geschäftsführer ist rechtswidrig und deshalb unbeachtlich286. 230 Werden die Geschäftsführer pflichtwidrig nicht tätig, so bleibt zu beachten, dass der von

dem herrschenden Unternehmen geschaffene Zustand mangels Wirksamkeit des Vertrages rechtswidrig ist, so dass die Minderheitsgesellschafter in der abhängigen Gesellschaft von dem herrschenden Unternehmen Schadensersatz verlangen können, hier in erster Linie durch Vertragsaufhebung (§ 249, § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 1 BGB). Schließlich ist noch daran zu denken, ihnen eine Notzuständigkeit zur „Kündigung“ einzuräumen, entweder entsprechend den Regeln über die actio pro socio oder (besser) entsprechend § 744 Abs. 2 BGB, so dass sie bei pflichtwidriger Untätigkeit der Geschäftsführer selbst die „Kündigung“ des unwirksamen Unternehmensvertrages aussprechen können287.

IV. Weisungsrecht 1. Parteien 231 Kern des Beherrschungsvertrages ist bei der GmbH nicht anders als bei der AG entsprechend

den § 291 Abs. 1 und § 308 AktG das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens gegenüber den Geschäftsführern der abhängigen Gesellschaft hinsichtlich der Leitung der Gesellschaft. Wegen der Einzelheiten kann auf die Kommentierungen der § 291 und § 308 AktG verwiesen werden. Im Folgenden genügt ein kurzer Überblick über die Rechtslage unter Beschränkung auf die für die GmbH besonders wichtigen Punkte. 232 Nach dem (entsprechend anwendbaren) § 308 Abs. 1 Satz 1 AktG berechtigt der wirksame

Abschluss eines Beherrschungsvertrages das herrschende Unternehmen, den Geschäftsfüh283 Altmeppen, Rz. 115; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 114; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 736; Krieger, ZHR 158 (1994), 35, 41; Hommelhoff, Rz. 82; anders Servatius in Michalski u.a., Rz. 260 f. 284 So insbes. BFH v. 30.7.1997 – I R 7/97, BFHE 184, 88, 90 f. = BStBl. II 1998, 33 = GmbHR 1998, 53 = AG 1998, 491; dagegen wie hier Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 115. 285 Hommelhoff, Rz. 85; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 742. 286 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 742 f. 287 S. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 744.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 235 Anh. § 13

rern der abhängigen Gesellschaft hinsichtlich der Leitung ihrer Gesellschaft Weisungen zu erteilen. Ohne Abschluss eines Beherrschungsvertrages kann das herrschende Unternehmen auch bei der GmbH ein vergleichbares Weisungsrecht nicht in Anspruch nehmen288. Der Begriff der Weisung ist in diesem Zusammenhang weit auszulegen und erfasst z.B. auch vom herrschenden Unternehmen initiierte Weisungsbeschlüsse der Gesellschafterversammlung (wichtig wegen der Haftung des herrschenden Unternehmens analog § 309 AktG)289. Adressaten der Weisungen des herrschenden Unternehmens sind (nur) die Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft. Vor allem in diesem direkten „Zugriff“ auf die Geschäftsführung der abhängigen Gesellschaft liegt der Vorteil eines Beherrschungsvertrages gegenüber der an sich auch ohne ihn möglichen Beherrschung der abhängigen Gesellschaft über die Gesellschafterversammlung290. Dem herrschenden Unternehmen steht kein Weisungsrecht gegenüber anderen Organen der 233 abhängigen Gesellschaft zu. Die abhängige Gesellschaft bleibt weisungsfrei, soweit die zwingende Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung oder eines etwaigen obligatorischen Aufsichtsrats reicht (zum Aufsichtsrat s. Rz. 235). Dem Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens entzogen sind insbesondere etwaige Änderungen des Gesellschaftsvertrages (§ 53), Kapitalveränderungen (§§ 55 ff.), die Zustimmung der Gesellschafter zum Abschluss, zur Änderung oder zur Kündigung von Unternehmensverträgen (§ 53 GmbHG, §§ 293 ff. AktG) sowie die Bestellung und die Abberufung von Geschäftsführern (§§ 38, 46 Nr. 5; s. Rz. 235)291. Ebenso wenig hat das herrschende Unternehmen grundsätzlich ein Weisungsrecht gegenüber den Mitarbeitern der abhängigen Gesellschaft. Das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens gegenüber den Geschäftsführern der 234 abhängigen Gesellschaft (§ 308 Abs. 1 Satz 1 AktG) kann im Einzelfall mit dem Weisungsrecht der Gesellschafter gegenüber den Geschäftsführern auf dem Weg über die Gesellschafterversammlung kollidieren (§ 37 Abs. 1). In derartigen Fällen ist davon auszugehen, dass, nachdem einmal die Gesellschafter mit der erforderlichen Mehrheit, d.h. grundsätzlich einstimmig dem Beherrschungsvertrag zugestimmt haben, das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens den Vorrang vor dem Weisungsrecht der Gesellschafter hat292. Das gilt auch, soweit durch den Gesellschaftsvertrag vor Abschluss des Beherrschungsvertrages besondere Zuständigkeiten der Gesellschafterversammlung in Fragen der Geschäftsführung begründet wurden. Immer geht der grundsätzlich nur mit Zustimmung aller Gesellschafter mögliche Beherrschungsvertrag vor293. Dieselben Regeln wie für das Verhältnis des herrschenden Unternehmens zur Gesellschafter- 235 versammlung (Rz. 234) gelten als Folge des vertragsändernden Charakters des Beherrschungsvertrages für sein Verhältnis zu einem fakultativen Aufsichtsrat294. Anders ist die Rechtslage dagegen hinsichtlich eines obligatorischen Aufsichtsrats aufgrund der Mitbestimmungsgesetze, da dieser in dem ihm gesetzlich übertragenen Aufgabenbereich, namentlich

288 Anders in Österreich OGH v. 25.11.2020 – 6 Ob 209/20h, NZG 2021, 647, 650 Rz. 29 ff.; Kalss, NZG 2021, 654 m.N. 289 Emmerich/Habersack, Kommentar, § 308 AktG Rz. 21 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 829. 290 Ebenso ausdrücklich BGH, Beschl. v. 8.6.2021 – XI ZB 22/19 Rz. 64 f., AG 2022, 34, 40 = ZIP 2021, 2585. 291 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 826 f. 292 OLG Stuttgart v. 29.10.1997 – 20 U 8/97, GmbHR 1998, 943 = AG 1998, 585 = NZG 1998, 601, 602 – Dornier; Grauer, Konzernbildungskontrolle, S. 158 ff.; Kort, Abschluss, S. 140 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 818 f. 293 Servatius in Michalski u.a., Rz. 123. 294 Altmeppen, Rz. 53; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 821.

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Anh. § 13 Rz. 235 | GmbH-Konzernrecht also hinsichtlich der Bestellung der Geschäftsführer, keinem Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens unterliegt (§ 31 MitbestG). 2. Umfang 236 Das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens erstreckt sich analog § 308 Abs. 1 Satz 1

AktG (nur) auf die „Leitung“ der abhängigen Gesellschaft. Gemeint ist damit, wie die §§ 76 bis 78 AktG zeigen, der gesamte weite Bereich der Geschäftsführung und Vertretung der abhängigen Gesellschaft, und zwar einschließlich der zentralen Leitungsfunktionen wie der Zielplanung, der Unternehmenskoordination und -kontrolle sowie der Besetzung der Führungspositionen295. Der BFH hat daraus den Schluss gezogen, dass bei Abschluss eines Beherrschungsvertrages mit einer AG oder GmbH z.B. stets die organisatorische Eingliederung der abhängigen Gesellschaft in das herrschende Unternehmen als Voraussetzung der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft anzunehmen ist (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG)296. Einbezogen sind ferner die Geschäfte zwischen der Gesellschaft und dem herrschenden Unternehmen; § 47 Abs. 4 Satz 2 findet insoweit keine entsprechende Anwendung.

237 Den Gegensatz bilden die so genannten Grundlagengeschäfte, die der Sache nach auf eine

Änderung des Gesellschaftsvertrages hinauslaufen, da der Beherrschungsvertrag dem herrschenden Unternehmen keine Befugnis zur einseitigen Änderung des Gesellschaftsvertrages der abhängigen Gesellschaft verleiht. Die Grenzziehung ist schwierig297. Richtiger Meinung nach sollte wie folgt unterschieden werden: Zur Geschäftsführung (im Rahmen des bestehenden Gesellschaftsvertrages) gehören grundsätzlich auch solche außergewöhnlichen Maßnahmen, die in der unabhängigen Gesellschaft entsprechend § 116 HGB von den Geschäftsführern vor ihrer Vornahme der Zustimmung der Gesellschafter zu unterbreiten sind (§ 49 Abs. 2), so dass bei Abschluss eines Beherrschungsvertrages das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens selbst derartige Maßnahmen umfasst, solange sie nur durch Zweck und Gegenstand der Gesellschaft gedeckt sind (§ 3 Abs. 1 Nr. 2) und sich deshalb im Rahmen des bestehenden Gesellschaftsvertrages halten (Rz. 242). 238 Dagegen hat das herrschende Unternehmen – ohne Änderung des Gesellschaftsvertrages –

keine Befugnis, die Geschäftsführer der abhängigen Gesellschaft zu Geschäften jenseits des Gegenstandes der Gesellschaft anzuweisen oder die Aufgabe zentraler bisheriger, durch den Vertrag gedeckter Tätigkeitsbereiche zu verlangen (s. Rz. 242)298. Derart weitreichende Weisungen setzen vielmehr eine vorherige Änderung des Gesellschaftsvertrages voraus, – zu der das herrschende Unternehmen unter den gegebenen Umständen in aller Regel ohne weiteres in der Lage sein dürfte. 239 Umstritten ist ferner, ob sich das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens auf Maß-

nahmen im so genannten innerkorporativen Bereich erstreckt. Man versteht darunter Maßnahmen wie die Einberufung der Gesellschafterversammlung oder die Vorbereitung solcher Entscheidungen, die der ausschließlichen Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung unterliegen. Solange nicht durch Weisungen in diesem Bereich in die ausschließliche Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung eingegriffen wird, bestehen wohl keine Bedenken gegen eine Erstreckung des Weisungsrechts auf diesen Bereich299. 295 BFH v. 10.5.2017 – V R 7/16, BFHE 258, 181 = NZG 2018, 395 = AG 2018, 452 = GmbHR 2017, 1115, 1116 f. Rz. 19; Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 308 AktG Rz. 21. 296 BFH v. 10.5.2017 – V R 7/16, BFHE 258, 181 = NZG 2018, 395 = AG 2018, 452 = GmbHR 2017, 1115, 1116 f. Rz. 17–19. 297 S. Altmeppen, Rz. 49 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 818, 830 f., 856; Servatius in Michalski u.a., Rz. 127 f. 298 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 857. 299 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 828.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 243 Anh. § 13

Aus dem ebenfalls entsprechend anwendbaren § 308 Abs. 1 Satz 2 AktG folgt außerdem die 240 grundsätzliche Zulässigkeit nachteiliger Weisungen. Darunter sind solche Weisungen zu verstehen, die Maßnahmen zum Gegenstand haben, die der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsführer einer unabhängigen Gesellschaft, der sich ausschließlich an den Interessen seiner Gesellschaft orientiert, wegen der mit ihnen verbundenen Risiken oder Nachteile nicht vorgenommen hätte (§ 43 GmbHG; §§ 76, 93, 311, 317 Abs. 2 AktG). Voraussetzung der Zulässigkeit nachteiliger Weisungen ist jedoch, wie aus § 308 Abs. 1 Satz 2 AktG zu folgern ist, dass die Weisungen wenigstens im Konzerninteresse liegen (Rz. 241). Die Zulässigkeit nachteiliger Weisungen (Rz. 240) setzt entsprechend § 308 Abs. 1 Satz 2 241 AktG voraus, dass die fragliche Weisung den Belangen des herrschenden Unternehmens oder der mit ihm und der abhängigen Gesellschaft konzernverbundenen Unternehmen dient, d.h. im Konzerninteresse liegt. Dagegen verstoßen insbesondere solche Weisungen, durch die die abhängige Gesellschaft übermäßig (unverhältnismäßig) geschädigt wird oder die nur dem Interesse außenstehender Dritter, z.B. des Mehrheitsgesellschafters dienen300. Derartige Weisungen dürfen von den Geschäftsführern der abhängigen Gesellschaft nicht befolgt werden und lösen gegebenenfalls die Haftung des herrschenden Unternehmens aus (s. Rz. 252 f.). Daraus ergibt sich zugleich, dass die Geschäftsführer der Gesellschaft verpflichtet sind, sämtliche Weisungen des herrschenden Unternehmens, bevor sie sie befolgen, auf ihre Zulässigkeit zu überprüfen. Dieser Prüfungspflicht der Geschäftsführer kommt in dem Haftungssystem im Vertragskonzern zentrale Bedeutung zu301. 3. Schranken Trotz seines weiten Umfangs (s. Rz. 236 ff.) ist das Weisungsrecht des herrschenden Unter- 242 nehmens nicht grenzenlos, sondern unterliegt vielfältigen Schranken302. Schranken ergeben sich zunächst aus dem zwingenden Gesetzesrecht (§§ 134, 138 BGB). Unzulässig sind ferner Weisungen, die zu einer faktischen Änderung des Gesellschaftsvertrages der abhängigen Gesellschaft führen, da solche Änderung in die ausschließliche Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung fällt (§ 53). Wichtig ist das vor allem für die Bindung der Geschäftsführer an Gegenstand und Zweck der abhängigen Gesellschaft, so dass sich das herrschende Unternehmen darüber auch nicht aufgrund seines Weisungsrechts (§ 308 Abs. 1 AktG) hinwegsetzen darf (§ 3 Abs. 1 Nr. 2)303. Eine letzte Schranke für das Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens ergibt sich aus 243 der Überlebensfähigkeit der abhängigen Gesellschaft, die durch Weisungen des herrschenden Unternehmens grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden darf. Hierher gehört insbesondere die Existenzvernichtungshaftung (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 152 ff.), deren zwingender Charakter mithin selbst dem Weisungsrecht des herrschenden Unternehmens im Vertragskonzern unübersteigbare Schranken zieht304. Im Einzelnen muss man vor allem zwischen existenzvernichtenden Weisungen während des Bestandes des Vertrages und solchen unter-

300 S. im Einzelnen Emmerich/Habersack, Kommentar, § 308 AktG Rz. 48 ff.; Altmeppen, Rz. 67 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 851. 301 Ebenso z.B. Servatius in Michalski u.a., Rz. 147 f. 302 S. dazu m.N. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 308 AktG Rz. 55 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 849 ff. 303 OLG Stuttgart v. 29.10.1997 – 20 U 8/97, GmbHR 1998, 943 = AG 1998, 585 = NZG 1998, 601, 602 – Dornier; OLG Düsseldorf v. 7.6.1990 – 19 W 13/86, AG 1990, 490, 492; OLG Nürnberg v. 9.6.1999 – 12 U 4408/98, AG 2000, 228, 229 = GmbHR 2001, 73 – WBG. 304 S. OLG Düsseldorf v. 7.6.1990 – 19 W 13/86, AG 1990, 490, 492 – DAB/Hansa; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 308 AktG Rz. 60 ff.; Altmeppen, Rz. 58 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 858 ff.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 140 ff.

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Anh. § 13 Rz. 243 | GmbH-Konzernrecht scheiden, die die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft erst nach Vertragsende bedrohen (Rz. 244 ff.). 244 Bei Weisungen, die die Überlebensfähigkeit der Gesellschaft bereits während des Bestandes

des Vertrages bedrohen, zeigt § 302 AktG (Rz. 246), dass die Zulässigkeitsgrenze für existenzgefährdende Weisungen im Vertragskonzern exakt entlang der Funktionsfähigkeit des Haftungssystems der § 302 und § 303 AktG verläuft305: Solange auf dem Weg über die Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens die Existenzfähigkeit der abhängigen Gesellschaft sichergestellt ist, bleiben auch existenzgefährdende Weisungen zulässig, während die Zulässigkeitsgrenze überschritten ist, sobald die Zahlungsfähigkeit der abhängigen Gesellschaft, etwa wegen einer drohenden Insolvenz des herrschenden Unternehmens, gefährdet ist. 245 Anders zu beurteilen ist dagegen die Zulässigkeit von Weisungen, durch die die Überlebens-

fähigkeit der Gesellschaft nach Vertragsende bedroht wird. Nach h.M. können dem Gesetz insoweit grundsätzlich keine Zulässigkeitsschranken und insbesondere nicht die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zur Leistung einer Wiederaufbauhilfe zugunsten der abhängigen Gesellschaft nach Vertragsende entnommen werden306.

V. Gläubigerschutz 246 Im Vertragskonzern verlangt der Gläubigerschutz angesichts des umfassenden Weisungs-

rechts des herrschenden Unternehmens (Rz. 236 ff.) besondere Aufmerksamkeit. Das AktG bestimmt deshalb in den § 302 und § 303 AktG, dass das herrschende Unternehmen verpflichtet ist, während des Bestandes des Vertrages jeden Jahresfehlbetrag auszugleichen und nach Vertragsende den Gläubigern Sicherheit zu leisten. Diese Vorschriften sind nach h.M. auch auf Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge mit einer abhängigen GmbH entsprechend anwendbar (Rz. 291 f.)307. In dem Vertrag kann nichts anderes bestimmt werden. Zu beachten ist, dass die Aufhebung des Auszahlungsverbots des § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG bei Abschluss eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages mit einer GmbH nach

305 Ebenso Altmeppen, Rz. 58 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 863 f.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 140 ff. 306 S. Altmeppen, Rz. 62 ff.; Burg/Hützen, Der Konzern 2010, 20; Decher in MünchHdb. III, § 70 Rz. 25; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 308 AktG Rz. 65; Servatius in Michalski u.a., Rz. 143 f.; anders z.B. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 138 f.; – zum sog. Einwendungsdurchgriff s. 13. Aufl., § 13 Rz. 188 ff. 307 BGH v. 5.2.1979 – II ZR 210/76, GmbHR 1979, 246 = NJW 1980, 231 = AG 1980, 47 – Gervais; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 345 f. = NJW 1986, 188 = GmbHR 1986, 78 = AG 1986, 15 – Autokran/Heidemann; BGH v. 19.9.1988 – II ZR 255/87, BGHZ 105, 168, 182 = GmbHR 1989, 18 = AG 1989, 27 = NJW 1988, 3143 – HSW; BGH v. 24.10.1989 – II ZB 7/88, BGHZ 105, 324, 336 = NJW 1989, 295 = GmbHR 1989, 25 = AG 1989, 91 – Supermarkt; BGH v. 11.11.1991 – II ZR 287/90, BGHZ 116, 37, 39 = GmbHR 1992, 34 = NJW 1992, 505 = AG 1992, 83 – Stromlieferung/Hansa Feuerfest; BGH v. 7.10.2014 – II ZR 361/13, BGHZ 202, 317, 319 Rz. 8 = GmbHR 2015, 24 = AG 2014, 855; BGH v. 16.6.2015 – II ZR 384/13, BGHZ 206, 74 = NZG 2015, 912 = GmbHR 2015, 985 (durch Bestätigung von OLG München v. 20.11.2013 – 7 U 5025/11, GmbHR 2014, 535); BGH v. 5.11.2001 – II ZR 119/00, LM Nr. 11 zu § 53 GmbHG = NJW 2002, 822 = AG 2002, 240 = GmbHR 2002, 62; BAG v. 14.2.1989 – 3 AZR 191/87, BAGE 61, 94 = AP Nr. 22 zu § 16 BetrAVG = AG 1991, 274, 275 = NZA 1989, 844; BAG v. 10.3.2015 – 3 AZR 739/ 13, BAGE 151, 94 = GmbHR 2015, 696, 699 Rz. 26; BAG v. 15.3.2011 – 1 ABR 97/09, NZG 2011, 1112 Rz. 38 = ZIP 2011, 1433; Altmeppen, Rz. 71 ff.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 122; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 883 ff.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 173 ff.; – streitig, anders z.B. Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2007, S. 200 f.; Schreiber, GmbHR 2018, 1003; Chr. Koehler, GmbHR 2020, 185.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 250 Anh. § 13

h.M. die strikte Beachtung der Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens analog § 302 AktG voraussetzt, so dass bei Gefährdung des Anspruchs der Gesellschaft auf Verlustausgleich kein Raum mehr für die Anwendung des § 30 Abs. 1 Satz 2 ist, vielmehr der Grundsatz des § 30 Abs. 1 Satz 1 wieder in Kraft tritt308. Eine wichtige ergänzende Regelung findet sich für steuerliche Zwecke in § 17 Satz 2 Nr. 2 247 KStG. Nach dieser Vorschrift wird ein Gewinnabführungsvertrag mit einer GmbH – als Voraussetzung der körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft – nur anerkannt, wenn in dem Vertrag eine Verlustübernahme „durch Verweis auf die Vorschriften des § 302 AktG in seiner jeweils gültigen Fassung vereinbart wird“. Anders als nach Gesellschaftsrecht (s. Rz. 246) setzt mithin steuerrechtlich der wirksame Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages oder eines Organschaftsvertrages die ausdrückliche Vereinbarung einer Anwendung des § 302 AktG voraus. Eine Organschaft wird infolgedessen von der Finanzverwaltung nur anerkannt, wenn in dem 248 Vertrag § 302 AktG „in seiner jeweils gültigen Fassung“ insgesamt ausdrücklich in Bezug genommen wird. Fehlt eine Bezugnahme auf § 302 AktG oder ist diese in irgendeiner Hinsicht eingeschränkt, so wird die Organschaft – ungeachtet der feststehenden Anwendbarkeit des § 302 AktG nach Gesellschaftsrecht – mit Rücksicht auf den (angeblich) abweichenden Wortlaut des § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG verworfen309. Dies ist deshalb wichtig, weil Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge mit abhängigen GmbHs überwiegend aus steuerlichen Gründen, nämlich zur Schaffung der Voraussetzungen für die körperschaft- und gewerbesteuerliche Organschaft, abgeschlossen werden, so dass letztlich die steuerlichen Anforderungen die gesellschaftsrechtliche Praxis prägen. Die Folge ist, dass die meisten im GmbHKonzernrecht mit Bezug auf § 302 AktG diskutierten gesellschaftsrechtlichen Fragen ohne praktische Relevanz sind310, so dass dazu wenige Bemerkungen genügen: Es geht dabei zunächst um die Frage, ob die Verlustausgleichspflicht des herrschenden Un- 249 ternehmens immer die gesamten Verluste der abhängigen Gesellschaft umfassen muss oder sich, wie vielfach insbesondere bei Einpersonengesellschaften angenommen, auf die Deckung der Stammkapitalziffer beschränken kann311. Da das Steuerrecht in § 17 KStG in Übereinstimmung mit § 302 AktG in jedem Fall die Übernahme der gesamten Verluste der abhängigen GmbH verlangt, und zwar auch bei Einpersonengesellschaften, spielt diese Frage in der Praxis keine Rolle. Diskutiert wird ferner die Bedeutung des § 302 Abs. 1 Halbs. 2 AktG im GmbH-Recht, nach 250 dem die Verlustausgleichspflicht des herrschenden Unternehmens nur entfällt, wenn und soweit der Jahresfehlbetrag dadurch ausgeglichen werden kann, dass den anderen Gewinnrücklagen Beträge entnommen werden, die während der Vertragsdauer in sie eingestellt wurden. Gleich stehen die Kapitalrücklagen des § 272 Abs. 2 Nr. 4 HGB. Auch hier mag bei der GmbH eine andere Sicht der Dinge vertretbar sein, insbesondere bei Einpersonengesellschaf-

308 S. 13. Aufl., § 30 Rz. 75 m.N. sowie z.B. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 302 AktG Rz. 25; Chr. Koehler, Der Konzern 2020, 325; Neumann, GmbHR 2016, 1016, 1020; Chr. Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017, S. 216 ff.; Chr. Schreiber, GmbHR 2018, 1003. 309 Z.B. BFH v. 24.7.2013 – I R 40/12, BFHE 242, 139 Rz. 23 ff. = GmbHR 2013, 1105 = AG 2013, 924; BFH v. 3.3.2010 – I R 68/09, GmbHR 2010, 661 Rz. 17 ff.; BFH v. 28.7.2010 – I B 27/10, GmbHR 2010, 1049 Rz. 24; BGH v. 3.3.2011 – III ZR 170/10, AG 2011, 296; BMF v. 19.10.2010 – IV C 2 - S 2770/08/10004 DOK 2010/0769613, GmbHR 2010, 1232; E.-A. Baldamus, Die Unternehmensbesteuerung (Ubg) 2009, 484; Kinzl, AG 2010, 447; Neumayer/Imschweiler, GmbHR 2011, 57; N. Schneider, Der Konzern 2010, 486; Wulf, AG 2010, 34; Wulf, AG 2011, 23. 310 Ebenso Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 890 f. 311 S. einerseits Emmerich/Habersack, Kommentar, § 302 AktG Rz. 30a; andererseits Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 891.

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Anh. § 13 Rz. 250 | GmbH-Konzernrecht ten312. Praktische Bedeutung hat aber auch dies wiederum nicht, weil das Steuerrecht verlangt, dass § 302 AktG ohne Einschränkungen in dem Vertrag in Bezug genommen wird (§ 17 Satz 2 Nr. 2 KStG), so dass auch bei der GmbH vorvertragliche Rücklagen nicht zum Verlustausgleich herangezogen werden dürfen (§ 302 Abs. 1 Halbs. 2 AktG), und zwar auch nicht bei den Einpersonengesellschaften. 251 Der Anspruch der abhängigen Gesellschaft auf Ausgleich ihrer Verluste entsteht mit Ende

des Geschäftsjahres und wird in diesem Augenblick auch grundsätzlich fällig (§ 271 BGB). Der Anspruch geht auf Ausgleich der Verluste durch Geldzahlungen des herrschenden Unternehmens, kann aber auch durch Leistungen an Erfüllung statt oder durch Aufrechnung erfüllt werden, sofern die Leistungen des herrschenden Unternehmens werthaltig sind. Besondere Bedeutung hat dies wiederum in Cash-Management-Systemen313. Droht unterjährig die Zahlungsunfähigkeit der abhängigen Gesellschaft, so kann sie Abschlagszahlungen auf den später geschuldeten Verlustausgleich verlangen (s. Rz. 241).

VI. Haftung des herrschenden Unternehmens 252 Aus dem Beherrschungsvertrag ergeben sich nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten des

herrschenden Unternehmens. Einzelne Pflichten regelt bereits das Gesetz, wobei die § 302 und § 303 AktG hervorzuheben sind (Rz. 246 f.). Andere Pflichten ergeben sich aus dem Vertrag in Verbindung mit den § 241 Abs. 2 und § 242 BGB. Beispiele sind die Pflicht, die vertraglichen und gesetzlichen Schranken des Weisungsrechts einzuhalten (Rz. 242 ff.), sowie die weitere Pflicht, bei der Erteilung von Weisungen die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters zu beachten (s. § 309 Abs. 1 AktG). Das gilt im GmbH-Konzernrecht mit Rücksicht auf die Treuepflicht des herrschenden Unternehmens nicht weniger als im Aktienkonzernrecht, so dass wegen der Einzelheiten auf die Kommentierungen des § 309 AktG verwiesen werden kann, der ebenso wie der unmittelbar zugehörige § 310 AktG allgemein im GmbH-Konzernrecht entsprechend angewandt wird314. 253 Bei einer Verletzung der genannten Pflichten (Rz. 252) ist das herrschende Unternehmen der

abhängigen Gesellschaft zum Schadensersatz verpflichtet (§ 280 Abs. 1, §§ 249 ff. BGB). Neben ihm haften persönlich entsprechend den § 309 Abs. 2 und § 310 Abs. 1 AktG die gesetzlichen Vertreter des herrschenden Unternehmens sowie die Geschäftsführer und die Aufsichtsratsmitglieder der abhängigen Gesellschaft, die, insbesondere bei der Prüfung der Weisungen auf ihre Zulässigkeit, ihre Pflichten verletzt haben (§ 43 Abs. 2). Die Ersatzansprüche der abhängigen Gesellschaft können in diesen Fällen außer von den Geschäftsführern der Gesellschaft auch von deren Minderheitsgesellschaftern mit der actio pro socio verfolgt werden. Anwendbar sind ferner die § 309 Abs. 4 und § 310 Abs. 4 AktG. Praktische Bedeutung haben bisher freilich alle genannten Haftungsvarianten des herrschenden Unternehmens sowie der Organe der beteiligten Gesellschaften nicht erlangt, wofür unterschiedliche Gründe genannt werden. Der wichtigste Grund dürfte das Kostenrisiko sein.

312 S. Altmeppen, Rz. 75; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 302 AktG Rz. 36a; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 892. 313 Altmeppen, Rz. 73; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 302 AktG Rz. 40f–40g m.N. 314 Z.B. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 309 AktG Rz. 16; Emmerich in GS Sonnenschein, 2003, S. 651; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 865 ff.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 150 ff.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 256 Anh. § 13

VII. Änderung des Vertrages Unternehmensverträge können ebenso wie andere Verträge von den Parteien nachträglich 254 durch einen weiteren Vertrag abgeändert werden (§ 311 Abs. 1 BGB). Eine gesetzliche Regelung der Abänderung von Unternehmensverträgen findet sich bislang lediglich für Verträge mit einer abhängigen AG in § 295 AktG. Danach muss zu dem Änderungsvertrag in jedem Fall noch ein Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung der abhängigen AG sowie die Eintragung der Änderung ins Handelsregister hinzukommen. Bei der entsprechenden Anwendung dieser Regelung im GmbH-Konzernrecht stellt sich vor allem die Frage nach der erforderlichen Mehrheit, mit der die Gesellschafter der abhängigen GmbH der Vertragsänderung zustimmen müssen. Das Problem rührt daher, dass bereits umstritten ist, mit welcher Mehrheit die Gesellschafterversammlung der abhängigen GmbH dem Abschluss des Vertrages zustimmen muss (s. Rz. 183 ff., 187 ff.). Diese Auseinandersetzung setzt sich naturgemäß bei der Frage fort, welche Anforderungen 255 an den Zustimmungsbeschluss bei Vertragsänderungen zu stellen sind. Zum Teil wird angenommen, entsprechend § 53 Abs. 2 GmbHG und § 295 Abs. 1 Satz 2, § 293 Abs. 1 Satz 2 AktG genüge eine Zustimmung der Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit, ergänzt freilich durch einen zustimmenden Sonderbeschluss der Minderheitsgesellschafter der abhängigen Gesellschaft, sofern die Bestimmungen des Vertrages über einen etwaigen Ausgleich oder eine Abfindung geändert werden315. Richtiger Meinung nach gelten dagegen für die Änderung des Vertrages dieselben Voraussetzungen wie für den Vertragsabschluss (§ 311 Abs. 1 BGB), so dass man wohl – zumal unter Berücksichtigung der jüngsten Rechtsprechung insbesondere zu Teilgewinnabführungsverträgen316 – wie folgt differenzieren muss: Soweit es um die Änderung von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen geht, ist, um Umgehungen zu verhindern, ebenso wie für den Abschluss eines derartigen Vertrages grundsätzlich die Zustimmung aller Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft zu fordern, und zwar nach denselben Regeln wie bei dem Abschluss solcher Verträge317. Davon geht grundsätzlich auch der BFH aus, indem er für die Änderung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages mit einer abhängigen GmbH die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der abhängigen GmbH sowie die Eintragung der Änderung ins Handelsregister verlangt318. Bei den anderen Unternehmensverträgen des § 292 AktG muss man dagegen aufgrund der 256 Rechtsprechung des BGH zu Teilgewinnabführungsverträgen fortan weiter differenzieren, da man an eine Änderung derartiger Verträge schwerlich andere, nämlich höhere Anforderungen als an den Abschluss der Verträge stellen kann319. Dies bedeutet, dass für die Änderung eines Teilgewinnabführungsvertrages mit einer GmbH und wohl auch für die einer Gewinngemeinschaft unter Beteiligung einer GmbH jetzt ebenso wie für den Abschluss dieser Verträge ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter oder eine Eintragung ins Handelsregister im Regelfall entbehrlich sind (Rz. 303 ff.). Dagegen sollte bei den Betriebspachtverträgen und den gleichstehenden Verträgen an der Notwendigkeit eines Zustimmungsbeschlusses der Gesellschafter sowie der Eintragung der Änderung ins Handelsregister als Voraussetzungen der Wirksamkeit zum Schutze der Gesellschafter festgehalten werden320.

315 Altmeppen, Rz. 111; Hoffmann-Becking, WiB 1994, 57; Servatius in Michalski u.a., Rz. 195 ff.; – noch weitergehend (Zustimmung aller betroffenen Gesellschafter) Hommelhoff, Rz. 86. 316 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 19 f., Rz. 21 ff. und hier Rz. 303 ff. 317 Krieger/Jannott, DStR 1995, 1473 f.; ebenso jedenfalls für personalistische Gesellschaften Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 999. 318 BFH v. 22.10.2008 – I R 66/07, BFHE 223, 163 = AG 2009, 511 = GmbHR 2009, 119. 319 Lieder/Wernert, NZG 2020, 361, 368. 320 Wegen der Einzelheiten s. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1001.

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Anh. § 13 Rz. 257 | GmbH-Konzernrecht 257 Umstritten ist ferner, ob im GmbH-Konzern auch die Zustimmung der Gesellschafter der

herrschenden Gesellschaft zur Änderung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages mit qualifizierter Mehrheit erforderlich ist. Diese Frage ist auf jeden Fall dann zu bejahen, wenn an der Unternehmensverbindung als herrschende Gesellschaft eine AG beteiligt ist, richtiger Meinung nach aber auch, wenn beide Parteien die Rechtsform einer GmbH haben, da die Gründe, die zur Einführung des Zustimmungserfordernisses der Gesellschafter der herrschenden Gesellschaft geführt haben, letztlich von deren Rechtsform unabhängig sind321. Aus denselben Gründen können auf beiden Seiten auch nur in engen Grenzen Ermächtigungsklauseln zugunsten der Geschäftsführer für Änderungen des Vertrages anerkannt werden; sie kommen wohl nur für reine Textanpassungen ohne materielle Bedeutung in Betracht.

VIII. Beendigung des Vertrages 1. Ordentliche Kündigung 258 Das AktG regelt in den § 296 und § 297 als Beendigungsgründe für Unternehmensverträge

lediglich den Aufhebungsvertrag und die Kündigung (vgl. außerdem noch § 307 AktG). Eine vergleichbare gesetzliche Regelung für Unternehmensverträge und insbesondere für Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge mit einer abhängigen GmbH fehlt. Deshalb stellt sich hier als erstes die Frage einer zumindest partiellen Analogie zu § 297 AktG322. Während solche Analogie früher weithin unbesehen für möglich gehalten wurde, entfernt sich mittlerweile gerade in diesem Punkt das GmbH-Recht immer mehr von dem aktienrechtlichen Vorbild. Das beginnt bereits bei der Frage nach den Voraussetzungen einer ordentlichen Kündigung von Unternehmensverträgen: 259 Das AktG unterscheidet zwar in § 297 AktG zwischen der ordentlichen und der außer-

ordentlichen Kündigung eines Unternehmensvertrages aus wichtigem Grunde, sagt aber nicht, unter welchen Voraussetzungen Unternehmensverträge ordentlich gekündigt werden können. Daraus wird bei der AG überwiegend der Schluss gezogen, dass eine ordentliche Kündigung nur möglich ist, sofern sie im Vertrag vorgesehen ist oder wenn sie sich (bei den anderen Unternehmensverträgen des § 292 AktG) sonst aus der gesetzlichen Regelung für den betreffenden Vertrag ergibt323. 260 Ob bei der GmbH ebenso zu entscheiden ist, ist offen, liegt aber nahe324. Vertragsfreiheit

besteht folglich hinsichtlich der Kündigungsgründe und Kündigungsfolgen. Außerdem ist § 297 Abs. 2 AktG entsprechend anwendbar, wenn der Vertrag (ausnahmsweise) Ausgleichsoder Abfindungsregelungen zugunsten der Minderheit enthält325. Nötig ist dann ein (dem GmbHG sonst unbekannter) Sonderbeschluss der Minderheitsgesellschafter, sofern man nicht gemäß § 311 Abs. 1 BGB die Zustimmung jedes einzelnen betroffenen Gesellschafters verlangt (streitig). 261 Das AktG behandelt in § 297 Abs. 2 AktG die Entscheidung über die ordentliche Kündigung

eines Unternehmensvertrages als Akt der Geschäftsführung, für die der Vorstand zuständig ist (§ 77 und § 78 AktG); eine Mitwirkung der Aktionäre ist – jenseits des Sonderfalles des 321 Krieger in Uwe H. Schneider, Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge in der Praxis der GmbH, 1989, S. 99, 101 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1000; Servatius in Grigoleit, Rz. 15; Wirth, DB 1990, 2105. 322 Dagegen insbesondere Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017, S. 68 f. 323 S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 297 AktG Rz. 4–6. 324 Anders aber z.B. Fichtelmann, GmbHR 2010, 576, 578 f.; Timm in FS Kellermann, 1991, S. 461, 469 ff.; wohl auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1031 ff. 325 Altmeppen, Rz. 99.

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§ 297 Abs. 2 AktG – nicht vorgesehen. Ebenso wird die Rechtslage z.T. bei der GmbH beurteilt326. Dagegen qualifiziert der BGH die Entscheidung der Gesellschaft über die ordentliche Kündigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages als „innergesellschaftlichen Organisationsakt“, der den Status der abhängigen Gesellschaft ändere, so dass die Kündigung einen Zustimmungsbeschluss der Gesellschafter der abhängigen Gesellschaft voraussetze, bei dem das herrschende Unternehmen – mangels Anwendbarkeit des § 47 Abs. 4 Satz 2 – nicht vom Stimmrecht ausgeschlossen sei327. Im Schrifttum wird aus der Rechtsprechung des BGH (Rz. 261) überwiegend der Schluss ge- 262 zogen, dass – analog den § 53 und § 54 – die Kündigung einer Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit qualifizierter Mehrheit bedürfe, dass der Beschluss beurkundet werden müsse und dass er zu seiner Wirksamkeit der Eintragung ins Handelsregister bedürfe328, – so unpraktisch dies im Einzelfall auch sein mag. Für die Kündigung selbst ist Schriftform vorgeschrieben (§ 297 Abs. 3 AktG analog); ein Verstoß gegen das Schriftformerfordernis hat die Nichtigkeit der Kündigung zur Folge (§§ 126, 125 BGB)329. Das Registergericht prüft nach der Anmeldung der Kündigung zur Eintragung deren Wirksamkeit330. Noch unklar ist, was aus der Qualifizierung der Entscheidung über die ordentliche Kündi- 263 gung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages als „innergesellschaftlicher Organisationsakt“ (so jetzt der BGH) für die Rechtslage auf der Seite des herrschenden Unternehmens folgt. Es gibt gute Gründe für die Annahme, dass, wenn es sich bei dem herrschenden Unternehmen gleichfalls um eine GmbH handelt, Voraussetzung der Wirksamkeit der Kündigung seitens des herrschenden Unternehmens ebenfalls die Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit qualifizierter Mehrheit ist331. Dagegen besteht kein Anlass, jeweils auch die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der Kündigungsgegnerin zu verlangen, sofern diese die Rechtsform einer GmbH hat; dafür fehlt jede gesetzliche Grundlage332. Auf die ordentliche Kündigung eines der anderen Unternehmensverträge (i.S.d. § 292 AktG) 264 mit einer GmbH lassen sich die vorstehend entwickelten Regeln (Rz. 261 ff.) nicht unbesehen übertragen, da nach der neueren Rechtsprechung des BGH jedenfalls der Abschluss eines Teilgewinnabführungsvertrages mit einer GmbH grundsätzlich nicht der Zustimmung der Gesellschafterversammlung oder der Anmeldung zum Handelsregister bedarf333; für die Gewinngemeinschaft unter Beteiligung einer GmbH dürfte dasselbe gelten (Rz. 300), während sich für Betriebspachtverträge und die gleichstehenden Verträge des § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG mit einer GmbH mit guten Gründen nach wie vor auch eine abweichende Position vertreten lässt (Rz. 312 f.). An die Kündigung eines der genannten anderen Unternehmensverträge mit einer GmbH wird man nun aber i.d.R. schwerlich höhere Anforderungen als an ihren Abschluss stellen können, so dass auch die Kündigung insbesondere eines Teilgewinnabführungsvertrages mit einer GmbH keiner Zustimmung der Gesellschafterversammlung und ebenso wenig einer Anmeldung zum Handelsregister bedarf334. Was die Betriebspacht-, die Betriebsüberlassungs- und die Betriebsführungsverträge (s. § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG) angeht, 326 Altmeppen, Rz. 100 f.; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 128 f. 327 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 50 f. Rz. 19 ff. = GmbHR 2011, 922 = AG 2011, 608. 328 Emmerich/Habersack, Kommentar, § 297 AktG Rz. 3a m.N.; Hommelhoff, Rz. 87; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1034. 329 OLG München v. 21.3.2011 – 31 Wx 80/11, AG 2011, 467 = GmbHR 2011, 489. 330 OLG München v. 20.6.2011 – 31 Wx 163/11, ZIP 2011, 1912 = GmbHR 2011, 871. 331 Deilmann, NZG 2015, 450, 463; sehr streitig, anders z.B. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1037; Servatius in Grigoleit, § 297 AktG Rz. 31, 37 (nur interne Bedeutung). 332 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1038, ebenfalls streitig, anders hier z.B. Servatius in Grigoleit, § 297 AktG Rz. 9, 15. 333 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13 = NJW 2019, 3302 = GmbHR 2019, 1176. 334 Lieder/Wernert, NZG 2020, 361, 368 f.; Wachter, GmbHR 2019, 1153, 1162.

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Anh. § 13 Rz. 264 | GmbH-Konzernrecht so ist der Fragenkreis nach wie vor offen. Zum Schutz der Gesellschafter sollte man aber insoweit an der Notwendigkeit der Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu einer Kündigung festhalten. 2. Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde 265 Ein Unternehmensvertrag und insbesondere ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungs-

vertrag mit einer abhängigen GmbH kann grundsätzlich jederzeit außerordentlich fristlos gekündigt werden, wenn ein wichtiger Grund vorliegt. Das folgt bereits aus § 314 BGB, da durch Unternehmensverträge mit einer GmbH durchweg Dauerschuldverhältnisse begründet werden, sowie für die Verträge des § 292 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 3 AktG auch aus der Analogie zu § 297 Abs. 1 Satz 1 AktG. Aus § 314 BGB ergibt sich zugleich, dass ein wichtiger Grund anzunehmen ist, wenn dem kündigenden Teil, im vorliegenden Zusammenhang also in erster Linie der abhängigen GmbH, unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zur vereinbarten Beendigung oder bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann335. Entsprechend § 297 Abs. 1 Satz 2 AktG ist dies insbesondere anzunehmen, wenn der andere Vertragsteil, d.h. das herrschende Unternehmen, voraussichtlich nicht in der Lage sein wird, seine vertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen, wobei hier in erster Linie an die Verpflichtungen des herrschenden Unternehmens aus den auf die GmbH entsprechend anwendbaren § 302 und § 303 AktG zu denken ist. 266 Die Kündigung muss gemäß § 314 Abs. 3 BGB binnen angemessener Frist erfolgen336. Zur

Begründung dieses Kündigungsrechts hat sich der BGH ursprünglich offenbar auf eine Analogie zu § 297 gestützt337, während er später wohl eher auf § 314 BGB rekurrierte338. Für das Ergebnis bedeutet dies keinen Unterschied339. Gehören jedoch die Kündigungsgründe zum Risikobereich derjenigen Partei, die kündigen will, so scheidet eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund im Regelfall aus340. Das gilt gleichermaßen für Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge wie für die anderen Unternehmensverträge des § 292 AktG341. 267 Ergänzend bestimmt § 14 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 KStG, dass eine vorzeitige Beendigung des

Organschafts- oder Gewinnabführungsvertrages durch Kündigung unschädlich ist, wenn ein wichtiger Grund die Kündigung rechtfertigt, so dass in diesem Fall trotz vorzeitiger Beendigung des Vertrages die steuerlichen Vorteile der Organschaft nicht verloren gehen342. Bei der Anwendung dieser steuerrechtlichen Vorschrift ist insbesondere R 60 Abs. 6 der Körperschaftsteuerrichtlinien 2004/R 14.5 Abs. 6 KStR 2015/2022 zu beachten (dazu Rz. 270 f.). 268 Das Kündigungsrecht aus wichtigem Grunde (§ 297 Abs. 1 AktG; § 314 BGB) ist zwingendes

Recht, so dass eine vertragliche Beschränkung des Kündigungsrechts nicht in Betracht kommt. Zulässig ist dagegen eine vertragliche Ausdehnung des Kündigungsrechts, insbesondere durch eine Bestimmung, nach der Gründe, die an sich keinen wichtigen Grund i.S.d. 335 Z.B. BGH v. 16.6.2015 – II ZR 384/13, BGHZ 206, 74, 81 Rz. 19 = GmbHR 2015, 985; BFH v. 13.11.2013 – I R 45/12, BFHE 244, 277 Rz. 20 = GmbHR 2014, 499 = BStBl. II 2014, 486 = AG 2014, 369; OLG München v. 20.6.2011 – 31 Wx 163/11, GmbHR 2011, 871 = ZIP 2011, 1912 f.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 297 AktG Rz. 19 ff.; M. Grüner, Beendigung, S. 110 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1044 ff.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 245. 336 OLG München v. 21.3.2011 – 31 Wx 80/11, AG 2011, 467 = GmbHR 2011, 489. 337 BGH v, 16.6.2015 – II ZR 384/13, BGHZ 206, 74,81 Rz. 19. 338 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 26 Rz. 35. 339 S. z.B. Lieder/Wernert, NZG 2020, 361,368; Wachter, GmbHR 2019, 1153, 1162 f. 340 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 26 Rz. 35 = NJW 2019, 3302. 341 BGH v, 16.6.2015 – II ZR 384/13, BGHZ 206,74 – BMW/Rover; BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13 = NJW 2019, 3308. 342 S. dazu Fichtelmann, GmbHR 2010, 576, 579 f.

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§ 297 AktG und des § 314 BGB darstellen (Rz. 265), ausnahmsweise doch eine Partei zu solcher Kündigung berechtigen sollen343. Das folgt wohl schon daraus, dass die Parteien auch eine ordentliche Kündigung in beliebigem Umfang vertraglich einführen und ausgestalten können344. Steuerrechtlich wird solche Ausdehnung des Begriffs des wichtigen Grundes mit Rücksicht auf die Sonderregelung des § 14 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 KStG freilich heute nur noch anerkannt, wenn zugleich die Voraussetzungen des steuerrechtlichen Begriffs des wichtigen Grundes erfüllt sind, dagegen nicht, wenn mit der fraglichen Abrede lediglich der Zweck verfolgt wird, willkürlich einen Kündigungsgrund und damit einen Grund zur vorzeitigen steuerunschädlichen Beendigung der Organschaft zu schaffen345. Nach wie vor umstritten ist, ob die außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grunde 269 ebenso wie die ordentliche Kündigung (Rz. 261) wegen ihrer schwerwiegenden Konsequenzen für die Gesellschaft, insbesondere wegen des Verlustes des Anspruchs auf den Verlustausgleich aus § 302 AktG zumindest auf der Seite der abhängigen Gesellschaft der Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit qualifizierter Mehrheit bedarf346. Obwohl nach wie vor gute Gründe angesichts der gesetzlichen Regelung in § 297 Abs. 1 AktG für die Verneinung der Frage sprechen347, deuten doch die sehr allgemeinen Ausführungen des BGH in seinem Urteil vom 31.5.2011348 darauf hin, dass der Fragenkreis bei der GmbH hinsichtlich der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund ebenso wie hinsichtlich der ordentlichen Kündigung zu behandeln ist, so dass wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen zur ordentlichen Kündigung verwiesen werden kann (s. Rz. 262). Auch für die Form der Kündigung und die Eintragung ins Handelsregister gilt dasselbe wie bei der ordentlichen Kündigung (Rz. 262). Die außerordentliche Kündigung eines Unternehmensvertrages mit einer abhängigen GmbH 270 kommt in erster Linie in Betracht, wenn wirtschaftliche Schwierigkeiten bei dem herrschenden Unternehmen, insbesondere also die (drohende) Insolvenz, den von diesem geschuldeten Verlustausgleich (Rz. 252 f.) gefährden349. Nach wie vor umstritten ist dagegen die zutreffende Beurteilung des offenbar verbreiteten Falles, dass das herrschende Unternehmen seine Beteiligung an der abhängigen Gesellschaft veräußert oder doch so stark verringert, dass die Abhängigkeit der fraglichen Gesellschaft für die Zukunft entfällt350. Man muss hier unterscheiden zwischen der Kündigung durch das herrschende Unternehmen und durch die abhängige Gesellschaft. Im Mittelpunkt des Interesses steht die Kündigung durch das herrschende Unternehmen. Hintergrund der Diskussion ist die schwierige Situation, in die ein herrschendes Unterneh- 271 men nach Veräußerung seiner Beteiligung im Falle des Fortbestandes des Unternehmensvertrages notwendigerweise gerät351. Das Steuerrecht betrachtete deshalb früher generell eine Kündigung des Gewinnabführungsvertrages aus wichtigem Grunde in diesem Fall als unschädlich, so dass die Vorteile der Organschaft trotz vorzeitiger Beendigung des Vertrages erhalten blieben (R 60 Abs. 6 KStR 2004). Nach der Rechtsprechung des BFH gilt dies indes343 Kritisch z.B. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1057. 344 S. Rz. 261; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 297 AktG Rz. 17 m.N. zur Streitfrage. 345 BFH v. 13.11.2013 – I R 45/12, BFHE 244, 277 = GmbHR 2014, 499 = AG 2014, 369; s. dazu Emmerich/Habersack, Kommentar, § 297 AktG Rz. 15a, 24; Deilmann, NZG 2015, 460. 346 So z.B. Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 130. 347 Altmeppen, Rz. 103 ff.: „komplette Verwirrung“; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1058 f.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 247. 348 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 50 Rz. 19 = GmbHR 2011, 922 = AG 2011, 608. 349 OLG Düsseldorf v. 19.2.2021 – 3 Wx 152/20, GmbHR 2022, 87, 89; LG Bochum v. 1.7.1986 – 12 O 67/86, AG 1987, 323 f. = GmbHR 1987, 24; Timm, GmbHR 1987, 8, 13 ff. 350 S. m.N. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 297 AktG Rz. 24 f. 351 S. dazu z.B. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1049 ff.; Müller/Dorweiler in FS Beuthien, 2009, S. 183, 195 f.; H. Wilhelm, Beendigung, S. 22 f.

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Anh. § 13 Rz. 271 | GmbH-Konzernrecht sen heute nur noch, wenn zugleich die Voraussetzungen des steuerrechtlichen Begriffs des wichtigen Grundes erfüllt sind, also insbesondere dann nicht, wenn etwa mit einer konzerninternen Veräußerung der Beteiligung letztlich allein der Zweck verfolgt wird, willkürlich einen Kündigungsgrund für den Gewinnabführungsvertrag und damit die Möglichkeit zu einer vorzeitigen steuerunschädlichen Beendigung der Organschaft zu schaffen (Rz. 265)352. Die Einzelheiten sind noch nicht endgültig geklärt353. 272 Im Gesellschaftsrecht wird bisher überwiegend noch ein Kündigungsrecht des herrschen-

den Unternehmens im Falle der Anteilsveräußerung verneint, weil das herrschende Unternehmen die bedrohliche Situation infolge der Anteilsveräußerung selbst aus freien Stücken herbeigeführt habe354. Indessen mehren sich die Stimmen, die für eine großzügigere Beurteilung des Kündigungsrechts des herrschenden Unternehmens eintreten, jedenfalls bei Veräußerung der Beteiligung an ein konzernfremdes Unternehmen, während naturgemäß eine bloße konzerninterne Umschichtung des Beteiligungsbesitzes nicht den Weg zu der Steuervergünstigung des § 14 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 KStG eröffnen kann355. Eine wieder andere Frage ist, ob und unter welchen Voraussetzungen das abhängige Unternehmen im Falle der Anteilsveräußerung kündigen kann. Ein derartiges Kündigungsrecht des abhängigen Unternehmens ist in der Tat vor allem zu erwägen, wenn fortan die Erfüllung des Vertrages infolge der Veräußerung der Beteiligung an ein konzernfremdes Unternehmen nicht mehr gewährleistet ist356. 3. Vertragsaufhebung a) Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge 273 Unternehmensverträge mit einer abhängigen GmbH können ebenso wie andere Verträge ge-

mäß § 311 Abs. 1 BGB jederzeit durch actus contrarius, also durch einen neuen Vertrag wieder aufgehoben werden. Davon geht im Prinzip auch das AktG in § 296 für Unternehmensverträge mit einer abhängigen AG aus; das AktG bringt lediglich in § 296 einige ergänzende Regelungen. Daher stellt sich hier die Frage, ob insbesondere bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen mit einer abhängigen GmbH (zu den anderen Unternehmensverträgen s. Rz. 281) Raum für eine Analogie zu § 296 AktG ist357. 274 Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei naturgemäß die Frage, welche speziellen Vorausset-

zungen ein derartiger Aufhebungsvertrag erfüllen muss, um wirksam zu sein. In dieser Frage 352 BFH v. 13.11.2013 – I R 45/12, BFHE 244, 277 = GmbHR 2014, 499 m. Anm. Herzberg = AG 2014, 369 = NZG 2014, 558. 353 S. Deilmann, NZG 2015, 460, 461 f. m.N. 354 OLG Düsseldorf v. 19.8.1994 – 3 Wx 178/94, GmbHR 1994, 805 = NJW-RR 1995, 233 = AG 1995, 137, 138; OLG Oldenburg v. 23.3.2000 – 1 U 175/99, NZG 2000, 1138, 1140; OLG München v. 20.11.2013 – 7 U 5025/11, GmbHR 2014, 535, 536, 538 f.; LG Frankenthal v. 4.8.1988 – 2 (HK) O 178/87, AG 1989, 253, 254 f.; LG Dortmund v. 6.8.1993 – 18 AktE 1/87, AG 1994, 85, 86; Altmeppen, Rz. 102; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 131; Hommelhoff, Rz. 87; Mülbert in Großkomm. AktG, § 297 AktG Rz. 36 ff. 355 S. mit Unterschieden im Einzelnen LG Bochum v. 1.7.1986 – 12 O 67/86, AG 1987, 323 = GmbHR 1987, 24, 25; Angerer, ZGR 2016, 609, 614 f.; Knott/Rodewald, BB 1996, 472, 473 f.; Krieger/Jannott, DStR 1995, 1473, 1476; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1049; Müller/Dorweiler in FS Beuthien, 2009, S. 183, 193 f.; Schlögell, GmbHR 1995, 401, 408 ff.; – so wohl auch BGH v. 16.6.2015 – II ZR 384/13, BGHZ 206, 74, 81 = GmbHR 2015, 985. 356 Veil in Spindler/Stilz, § 297 AktG Rz. 12; a.A. Langenbucher in K. Schmidt/Lutter, § 297 AktG Rz. 8. 357 S. dazu insbes. Angerer, ZGR 2016, 509; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 296 AktG Rz. 27– 34; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1011 ff.; Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017, S. 56 ff.; Wicke, GmbHR 2017, 686.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 275 Anh. § 13

standen sich bis vor kurzem im Wesentlichen drei Meinungen gegenüber: (1.) Die bisher wohl überwiegende Meinung ging von der generellen Analogiefähigkeit des § 296 AktG aus, so dass im GmbH-Recht (ebenso wie im Aktienrecht) für die Vertragsaufhebung der Abschluss eines Vertrages durch die Geschäftsführer allein als ausreichend angesehen wurde (§ 311 Abs. 1 BGB; §§ 35, 37 GmbHG). Ein Sonderbeschluss der Minderheitsgesellschafter der abhängigen GmbH war nach dieser Auffassung nur vonnöten, wenn in dem aufzuhebenden Vertrag (ausnahmsweise) Ausgleichs- und Abfindungsleistungen zu ihren Gunsten vorgesehen waren358. Dagegen wurde jedoch (2.) verbreitet eingewandt, dass es sich bei der Aufhebung eines Unternehmensvertrages mit einer GmbH in aller Regel um eine außerordentliche Geschäftsführungsmaßnahme handele, zu der deshalb intern die Zustimmung der Gesellschafterversammlung (mit einfacher Mehrheit) erforderlich sei, wobei dann wieder umstritten war, ob das herrschende Unternehmen bei solcher Abstimmung ein Stimmrecht hat (§ 47 Abs. 4)359. Nach einer wieder anderen Auffassung sollte schließlich (3.) darauf abzustellen sein, dass die Aufhebung eines Unternehmensvertrages für die abhängige GmbH in zahlreichen Fällen dieselbe Bedeutung wie dessen Abschluss hat, insbesondere wegen der häufig gefährdeten Überlebensfähigkeit der Gesellschaft nach Aufhebung eines Unternehmensvertrages. Deshalb sei anzunehmen, dass bei der GmbH auf die Vertragsaufhebung ebenso wie auf den Vertragsabschluss die § 53 und § 54 entsprechend anzuwenden sind, sofern nicht sogar ebenso wie für den Abschluss des Vertrages (s. Rz. 183 ff.) die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich sei360. Der BGH hat sich in dieser Kontroverse (s. Rz. 274) im Ausgangspunkt der zuletzt genann- 275 ten engsten Auffassung angeschlossen. Danach stellt bei der abhängigen oder verpflichteten GmbH anders als bei der AG die Entscheidung über die Aufhebung oder die Kündigung eines Unternehmensvertrages keine Maßnahme der Geschäftsführung, sondern einen „innergesellschaftlichen Organisationsakt“ dar, weil mit der Beendigung des Unternehmensvertrags ein Eingriff in die Organisationsstrukturen der Gesellschaft verbunden sei, so dass die Aufhebung oder Kündigung des Vertrages nicht allein schuldrechtliche Wirkungen besitze361. Der BGH hat daraus den Schluss gezogen, dass der herrschende Unternehmensgesellschafter, mit dem der Vertrag abgeschlossen worden war, in der Gesellschafterversammlung der abhängigen Gesellschaft bei der Abstimmung über dessen Aufhebung (oder Kündigung) ein Stimmrecht habe362. Jedoch könne sich im Einzelfall aus der Treuepflicht des Gesellschafters eine Stimmpflicht ergeben363.

358 OLG Frankfurt v. 11.11.1993 – 20 W 317/93, OLGR 1994, 286, 287 f. = GmbHR 1994, 809 = AG 1994, 85 = NJW-RR 1994, 296; OLG Karlsruhe v. 3.6.1994 – 4 W 122/93, AG 1995, 38 = NJW-RR 1994, 106 = GmbHR 1994, 807 – Mannesmann/Kienzle; LG Essen v. 27.2.1998 – 47 O 175/97, AG 1999, 135 = NZG 1998, 860; Bungert, NJW 1995, 1118; Halsterkamp, AnwBl. 1994, 487, 491 ff.; Kallmeyer, GmbHR 1995, 578; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1077, besonders 1022 ff.; Paschos/Goslar, Der Konzern 2006, 479, 484; St. Ulrich, GmbHR 2004, 1000, 1002 ff.; E. Vetter, ZIP 1995, 345, 346 ff. 359 So Altmeppen, Rz. 107; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 133; Grüner, Beendigung, S. 61 ff.; Servatius in Grigoleit, § 296 AktG Rz. 10 f.; auch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1019. 360 OLG Oldenburg v. 23.3.2000 – 1 U 175/99, NZG 2000, 1138, 1139; Ehlke, ZIP 1995, 355, 357 f.; Ebenroth/Wilken, WM 1993, 1617; Fleischer/Rentsch, NZG 2000, 1141; Halm, NZG 2001, 728, 736 ff.; Hoffmann-Becking, WiB 1994, 57, 62 f.; Krieger/Jannott, DStR 1995, 1473, 1477; Schlögell, GmbHR 1995, 401, 403 ff.; O. Schwarz, DNotZ 1996, 68, 75 ff. 361 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 50 = AG 2011, 668 Rz. 19 f. = NJW-RR 2011, 1117 = NZG 2011, 902 = GmbHR 2011, 922; zur Kündigung s. schon Rz. 256 ff. 362 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 47 f. = AG 2011, 668 Rz. 12 ff. = NJW-RR 2011, 1117 = NZG 2011, 902 = GmbHR 2011, 922. 363 BGH v. 31.5.2011 – II ZR 109/10, BGHZ 190, 45, 51 = AG 2011, 668 Rz. 20 = NJW-RR 2011, 1117 = NZG 2011, 902 = GmbHR 2011, 922.

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2022-08-10, 11:29, GroKO groß

Anh. § 13 Rz. 276 | GmbH-Konzernrecht 276 Die Rspr. des BGH (Rz. 275) hat eine lebhafte Diskussion über die Konsequenzen für das

GmbH-Konzernrecht ausgelöst364. In dieser Diskussion hat sich mittlerweile weitgehend die Auffassung durchgesetzt, dass die Entscheidung über den Abschluss des Aufhebungsvertrages seitens der Geschäftsführer analog den § 53 und § 54 (und damit abweichend von § 296 AktG) der Zustimmung der Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit bedarf sowie dass der Beschluss beurkundet und ins Handelsregister eingetragen werden muss365. Umstritten ist, ob die Eintragung (analog § 53 Abs. 3) konstitutive Bedeutung hat366 oder ob ihr analog § 298 AktG lediglich deklaratorische Wirkung zukommt, wohin bisher deutlich die Rechtsprechung tendiert367. Dies alles soll offenbar auch für das Verhältnis zu 100%igen Tochtergesellschaften gelten368. Solange der Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung mit qualifizierter Mehrheit fehlt, ist der von den Geschäftsführern abgeschlossene Aufhebungsvertrag mangels Vertretungsmacht der Geschäftsführer schwebend unwirksam, wird aber mit Fassung des Zustimmungsbeschlusses der Gesellschafterversammlung, wohl mit rückwirkender Kraft (streitig), wirksam (§ 177 BGB)369. 277 Aus dem Gesagten (Rz. 276) können sich Probleme in den offenbar nicht seltenen Fällen er-

geben, in denen bei Abschluss eines Aufhebungsvertrages (oder bei der Kündigung des Vertrages) die genannten Anforderungen an den Vertragsschluss oder die Kündigung nicht beachtet wurden, die Beteiligten den Unternehmensvertrag aber gleichwohl als nicht mehr wirksam behandelt haben. Da der Vertrag unter diesen Voraussetzungen in Wirklichkeit fortbesteht, kann dies erhebliche gesellschaftsrechtliche und steuerrechtliche Konsequenzen für die Beteiligten nach sich ziehen (§§ 302 und 303 AktG; § 14 und § 17 KStG), für die bisher keine befriedigende Lösung gefunden wurde, – abgesehen von der natürlich immer möglichen Nachholung des Zustimmungsbeschlusses und dessen Eintragung ins Handelsregister mit rückwirkender Kraft (§ 177 BGB, Rz. 276)370. 278 Andere Regeln als auf der Ebene der abhängigen Gesellschaft (s. Rz. 273 ff.) gelten auf der

Ebene der herrschenden Gesellschaft, bei der es sich i.d.R. wohl um eine AG oder um eine GmbH handeln wird. Es besteht weitgehende Übereinstimmung, dass auf dieser Seite des Vertrages eine Zustimmung der Hauptversammlung oder der Gesellschafterversammlung grundsätzlich entbehrlich ist371. Etwas anderes gilt nur, wenn es sich um eine außergewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahme handelt, die nur mit Zustimmung der Gesellschafter (mit einfacher Möglichkeit) möglich ist. Der Zustimmungsbeschluss hat aber lediglich interne Bedeutung372. 364 S. z.B. Angerer, ZGR 2016, 609; Beck, GmbHR 2014, 1075; Kürten/E. Chr. Westermann, GmbHR 2014, 852; Priester, NZG 2012, 641; Priester, GmbHR 2014, 254; Schreiber, Konzernrechtsfreie Kontrolle, 2017, S. 56 ff.; Wachter, GmbHR 2015, 367; Wicke, GmbHR 2017, 686. 365 OLG Jena v. 15.2.2021 – 2 W 53/21, NZG 2021, 1025, 1026; L. Beck, GmbHR 2014, 1075, 1078 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1024 f.; Wachter, GmbHR 2015, 360, 370 f.; Wicke, GmbHR 2017, 686, 689. 366 Halm, NZG 2001, 728, 737 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1024. 367 BayObLG v. 5.2.2003 – 3Z BR 232/02, GmbHR 2003, 476, 477 = NJW-RR 2003, 907; OLG München v. 21.3.2011 – 31 Wx 80/11, AG 2011, 467, 468 = GmbHR 2011, 489; OLG München v. 20.6.2011 – 31 Wx 163/11, NZG 2011, 867 = GmbHR 2012, 871, 872; OLG München v. 27.10.2014 – 31 Wx 235/14, AG 2015, 280 = GmbHR 2015, 368 = NZG 2015, 311; Paschos/Goslar, Der Konzern 2006, 479, 484 (l. Sp. unten); Veith/Schmid, DB 2012, 728, 731; – offen gelassen in OLG Zweibrücken v. 29.10.2013 – 3 W 82/13, AG 2014, 630 = GmbHR 2014, 251, 252 f. 368 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1024. 369 S. OLG München v. 27.10.2014 – 31 Wx 235/14, AG 2015, 280 = GmbHR 2015, 368 = NZG 2015, 311; Wachter, GmbHR 2015, 369; streitig. 370 S. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1025; Müller-Eising/Schmitt, NZG 2011, 1100, 1101 f. 371 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1026–1028. 372 Grüner, Beendigung, S. 181 ff.; Veith/Schmid, DB 2012, 728, 732; Servatius in Grigoleit, § 296 AktG Rz. 9; kritisch Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1026 ff.

952 | Emmerich

2022-08-10, 11:29, GroKO groß

GmbH-Konzernrecht | Rz. 281 Anh. § 13

Nach § 296 Abs. 1 Satz 1 AktG ist die Aufhebung eines Unternehmensvertrages nur zum 279 Ende des Geschäftsjahres (oder des sonst vertraglich bestimmten Abrechnungszeitraums) möglich. Außerdem ist eine rückwirkende Aufhebung des Vertrages unzulässig (§ 296 Abs. 1 Satz 2 AktG). Beide Regelungen werden als weithin überflüssige Regulierungen kritisiert. Daher rührt die Diskussion, ob sie auch auf eine abhängige oder verpflichtete GmbH übertragen werden sollen. Vor allem die Zulässigkeit einer unterjährigen Aufhebung von Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen mit einer GmbH wird vielfach befürwortet373. Die Frage der unterjährigen und der rückwirkenden Aufhebung von Unternehmensverträ- 280 gen sollte nach Möglichkeit trotz der verbreiteten Kritik an der gesetzlichen Regelung in § 296 AktG wegen der identischen Interessenlage bei der AG und der GmbH und mit Rücksicht auf die grundsätzlich mögliche Analogie zu § 296 einheitlich beantwortet werden374. Ohnehin ist nicht recht zu erkennen, was mit der Abweichung von § 296 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG eigentlich gewonnenen sein soll, zumal bei Berücksichtigung von § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 KStG und § 17 KStG. Für die Analogie zu § 296 Abs. 1 Satz 1 und 2 AktG sprechen zudem Erwägungen der Rechtssicherheit. Aus demselben Grund müssen auch die verschiedenen Vorschläge auf Bedenken stoßen, je nach Schutzbedürftigkeit der Beteiligten, der Gläubiger und der Gesellschafter, von Fall zu Fall zu differenzieren375. In Ausnahmefällen, insbesondere bei einer unaufschiebbaren Umstrukturierung von Konzernen bleibt immer noch der Ausweg der Bildung eines Rumpfgeschäftsjahres im Wege der Änderung des Gesellschaftsvertrages (§§ 3, 53). Das von dem KStG (§ 7 Abs. 4 Satz 3 KStG) zusätzlich geforderte Einvernehmen mit dem Finanzamt hat keine gesellschaftsrechtliche, sondern lediglich steuerrechtliche Bedeutung376. b) Andere Unternehmensverträge Einen letzten Streitpunkt stellt die Frage der Übertragbarkeit der für die Aufhebung eines 281 Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages mit einer GmbH entwickelten Regeln (Rz. 273 ff.) auf die Aufhebung der anderen Unternehmensverträge des § 292 Abs. 1 AktG mit einer GmbH in der Rolle der jeweils verpflichteten Gesellschaft dar. Die neuere Rechtsprechung des BGH zu Teilgewinnabführungsverträgen mit einer GmbH377 zwingt hier wohl zu einem Umdenken, weil man an die Aufhebung eines Vertrages kaum höhere Anforderungen als an den Abschluss des Vertrages stellen kann378. Die Folge ist, dass fortan jedenfalls die Aufhebung einer Gewinngemeinschaft oder eines Teilgewinnabführungsvertrages mit einer GmbH keiner Zustimmung der Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit und auch keiner Eintragung ins Handelsregister mehr bedarf379. Die Abweichung von der Rechtslage bei Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen mit einer GmbH ist zwar auffällig, erklärt sich aber letztlich aus den Unterschieden der Verträge und ist bei dem Ausgangs373 Beck, GmbHR 2014, 1075, 1080; Paschos/Goslar, Der Konzern 2006, 479, 482 ff.; Priester, NZG 2012, 641; Priester, GmbHR 2014, 254; St. Ulrich, GmbHR 2004, 1000, 1002; W. Walter, GmbHR 2015, 965. 374 BGH v. 16.6.2015 – II ZR 384/13, BGHZ 206, 74, 78 ff. = AG 2015, 630 Rz. 13 ff. = GmbHR 2015, 985 m. Anm. Ulrich, GmbHR 2015, 988; ebenso schon BGH v. 5.11.2001 – II ZR 119/00, GmbHR 2002, 62 = NJW 2002, 822 = AG 2002, 240; OLG München v. 16.3.2012 – 31 Wx 70/12, AG 2012, 422 = NZG 2012, 590 = GmbHR 2012, 641; OLG München v. 20.11.2013 – 7 U 5025/11, GmbHR 2014, 535, 538; OLG München v. 27.10.2014 – 31 Wx 235/14, AG 2015, 280 = NZG 2015, 311 = GmbHR 2015, 368; Altmeppen, Rz. 108–110; Angerer, ZGR 2016, 609, 612 f.; Hommelhoff, Rz. 89; Wachter, GmbHR 2015, 369. 375 So Kürten/E. Chr. Westermann, GmbHR 2014, 852. 376 Walter, GmbHR 2015, 965; Wicke, GmbHG 2017, 686, 690. 377 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 19 ff. Rz. 21 ff.; s. Rz. 301 ff. 378 Lieder/Wernert, NZG 2020, 361, 368; Wachter, GmbHR 2019, 1153, 1162 ff. 379 Wachter, GmbHR 2019, 1153, 1162 ff.

Emmerich | 953

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Anh. § 13 Rz. 281 | GmbH-Konzernrecht punkt des BGH unvermeidlich380. In der Rechtsprechung findet sich dieselbe Auffassung mittlerweile auch für die Aufhebung eines Betriebspachtvertrages mit einer GmbH381. Zwingend ist dies indessen unter dem Blickwinkel des Schutzes der Gesellschafter nicht.

F. Gewinnabführungsvertrag I. Überblick 282 Ein Gewinnabführungsvertrag ist nach § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG ein Vertrag, durch den

sich eine (abhängige) Gesellschaft verpflichtet, ihren gesamten Gewinn an ein anderes Unternehmen abzuführen. Gewinnabführungsverträge können mit einer GmbH ebenso wie mit einer AG abgeschlossen werden, wovon das Gesetz selbst ausdrücklich in § 30 Abs. 1 Satz 2 GmbHG in Übereinstimmung mit § 17 KStG ausgeht. Die Bedeutung der Gewinnabführungsverträge liegt bei der GmbH offenbar überwiegend auf steuerlichem Gebiet, da der Abschluss eines wirksamen Gewinnabführungsvertrages hier nicht anders als bei der AG eine Voraussetzung für die Anerkennung der körperschaftsteuerlichen und der gewerbesteuerlichen Organschaft mit einer GmbH bildet (§§ 14, 17 KStG, § 2 GewStG). Die Folge ist, dass Gewinnabführungsverträge mit einer abhängigen GmbH ausgesprochen häufig sind, wobei offenbar isolierte Gewinnabführungsverträge vorherrschen382. 283 Infolge der Verbreitung von Gewinnabführungsverträgen mit abhängigen Gesellschaften in

der Rechtsform einer GmbH als Voraussetzung für die Anerkennung der Organschaft hat die ergänzende steuerrechtliche Regelung in § 17 KStG erhebliche praktische Bedeutung erlangt, mag sie auch für das Gesellschaftsrecht an sich nicht vorgreiflich sein383. § 17 Abs. 1 Satz 1 KStG bestimmt zunächst, dass Voraussetzung der Anerkennung der Organschaft mit einer GmbH der wirksame Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages ist. § 17 Abs. 1 Satz 2 KStG fügt hinzu, dass außerdem bei der Gewinnabführung die Grenze des § 301 AktG beachtet werden muss (Nr. 1 der Vorschrift) und dass in dem Gewinnabführungsvertrag eine Verlustübernahme durch Verweis auf § 302 AktG „in seiner jeweils gültigen Fassung“ vereinbart werden muss (Nr. 2 der Vorschrift; s. Rz. 287, 290 f.). Die Finanzverwaltung achtet streng auf die Einhaltung gerade dieser Bestimmungen als Voraussetzung für die Anerkennung der Organschaft. 284 Der Gewinnabführungsvertrag muss vor allem von dem Teilgewinnabführungsvertrag des

§ 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG unterschieden werden, weil der Abschluss eines Teilgewinnabführungsvertrages, selbst wenn er den größten Teil des Gewinns erfasst, nicht als Voraussetzung für die Anerkennung der Organschaft in Betracht kommt. Die Abgrenzung zwischen beiden Verträgen richtet sich allein danach, ob sich der Vertrag auf die Abführung des gesamten Gewinns der abhängigen Gesellschaft oder „nur“ eines (beliebig großen) Teils davon bezieht (s. Rz. 300 f.). Einen (praktisch bedeutungslosen) Sonderfall des Gewinnabführungsvertrages bildet der in § 291 Abs. 1 Satz 2 AktG erwähnte Geschäftsführungsvertrag. Ein derartiger Vertrag ist anzunehmen, wenn eine Gesellschaft sich verpflichtet, ihr Unternehmen für Rechnung eines anderen Unternehmens zu führen384.

380 Wachter, GmbHR 2019, 1153, 1163. 381 OLG Zweibrücken v. 29.10.2013 – 3 W 82/13, GmbHR 2014, 251, 253 = AG 2014, 630; zustimmend Kürten/E. Chr. Westermann, GmbHR 2014, 852, 854 f.; Priester, GmbHR 2014, 254; Wittgens/ Fischer, DB 2015, 2315, 2317; kritisch Beck, GmbHR 2014, 1075, 1081 f. 382 Ulrich, GmbHR 2004, 1000. 383 Wegen der Einzelheiten s. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 92 ff. m.N. 384 S. dazu Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 95–101.

954 | Emmerich

2022-08-10, 11:29, GroKO groß

GmbH-Konzernrecht | Rz. 287 Anh. § 13

Eine ausführliche gesetzliche Regelung haben die Gewinnabführungsverträge zusammen mit 285 den Beherrschungsverträgen bisher allein im AktG gefunden. Das GmbHG beschränkt sich dagegen in § 30 Abs. 1 Satz 2 in der Fassung von 2008 auf die Bestimmung, dass das Verbot der Auszahlung des zur Erhaltung des Stammkapitals erforderlichen Vermögens an die Gesellschafter keine Anwendung bei Leistungen findet, die bei Bestehen eines Beherrschungsoder Gewinnabführungsvertrages i.S.d. § 291 AktG erfolgen, und zwar, weil in den Augen der Gesetzesverfasser die entsprechende Anwendung des § 302 AktG bei Abschluss eines Gewinnabführungsvertrages (Rz. 291 f.) für einen ausreichenden Gläubigerschutz sorgt. Aus § 30 Abs. 1 Satz 2 wird ebenso wie aus den erwähnten steuerrechtlichen Bestimmungen (s. insbesondere § 17 KStG) allgemein der Schluss gezogen, dass sich die gesellschaftsrechtliche Behandlung von Gewinnabführungsverträgen mit einer abhängigen GmbH grundsätzlich an dem aktienrechtlichen Vorbild zu orientieren hat, soweit dem nicht die Besonderheiten des GmbH-Rechts entgegenstehen. Allein auf diese Besonderheiten ist daher im Folgenden näher einzugehen385.

II. Abschluss des Gewinnabführungsvertrages Das AktG behandelt Gewinnabführungsverträge hinsichtlich der Erfordernisse des Vertrags- 286 abschlusses ebenso wie Beherrschungsverträge (§§ 291 und §§ 293 ff. AktG). Davon ist grundsätzlich auch im GmbH-Konzernrecht auszugehen, so dass wegen der Einzelheiten auf die Ausführungen zum Abschluss eines Beherrschungsvertrages mit einer abhängigen GmbH verwiesen werden kann386. Auszugehen ist mit anderen Worten grundsätzlich von der entsprechenden Anwendbarkeit der § 53 und § 54, wobei der Zustimmungsbeschluss der abhängigen Gesellschaft mit Rücksicht auf die darin liegende Zweckänderung gemäß § 33 Abs. 1 Satz 2 BGB in der Regel zusätzlich der Zustimmung aller Gesellschafter bedarf387. Hinzukommen muss noch die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der herrschenden Gesellschaft mit qualifizierter Mehrheit388. Die Zustimmung aller Gesellschafter der abhängigen (ihren Gewinn abführenden) Gesell- 287 schaft (Rz. 286) ist ebenso wie beim Beherrschungsvertrag nur entbehrlich, wenn der Gesellschaftsvertrag ausdrücklich für einen konkreten Fall einen Zustimmungsbeschluss mit qualifizierter Mehrheit genügen lässt389. In diesem Fall sind jedoch Abfindungs- und Ausgleichsleistungen für die Minderheit entsprechend den § 304 und § 305 AktG unverzichtbar. Für die Barabfindung des § 305 Abs. 2 Nr. 3 AktG ist dies wohl weithin anerkannt390. Ist das herrschende Unternehmen eine AG, so sollte auch die Verpflichtung dieser Gesellschaft zur Abfindung der Minderheit in Aktien erwogen werden (§ 305 Abs. 2 Nr. 1 AktG).

385 S. m.N. Altmeppen, Rz. 116 ff.; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 91 ff., § 293 AktG Rz. 38 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 749, 883, 941 ff.; Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 314 ff. 386 Rz. 183 ff. sowie z.B. Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 749 ff.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 299 ff.; Servatius in BeckOK GmbHG, Konzernrecht, Rz. 359 ff. 387 S. 12. Aufl., § 53 Rz. 168, 171; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 293 AktG Rz. 63 f.; ebenso zumindest für personalistische Gesellschaften Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 764 ; – anders aber Esch, BB 1986, 272; Koppensteiner, öRdW 1985, 170, 173 ff.; Kort, Abschluss, S. 109 ff. 388 S. im Einzelnen Rz. 196 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 775 f. 389 S. Rz. 206 f. 390 S. Rz. 211 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 944, 949 ff.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 317, 330.

Emmerich | 955

2022-08-10, 11:29, GroKO groß

Anh. § 13 Rz. 288 | GmbH-Konzernrecht

III. Gewinnabführung 288 Um trotz der Abführung des gesamten Gewinns an das herrschende Unternehmen (§ 291

Abs. 1 Satz 1 AktG) der abhängigen Gesellschaft wenigstens ihr bilanzielles Anfangsvermögen zu sichern, beschränkt das AktG durch die § 300 und § 301 AktG in verschiedener Hinsicht die Höhe des abzuführenden Gewinns. Für eine Anwendung des § 300 AktG ist im GmbH-Konzernrecht indessen kein Raum, weil das GmbHG keine gesetzlichen Rücklagen kennt. Hinsichtlich des § 301 AktG ist die Anwendbarkeit im Konzernrecht der GmbH umstritten, vor allem, weil bei der GmbH letztlich nur das Stammkapital gebunden, d.h. von einer Ausschüttung an die Gesellschafter ausgeschlossen ist. Was daraus für die entsprechende Anwendbarkeit des § 301 AktG auf die GmbH folgt, ist noch nicht endgültig geklärt391. 289 Nach § 301 Satz 1 AktG darf aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages als Gewinn höchs-

tens der ohne die Gewinnabführung entstehende Jahresüberschuss abgeführt werden, vermindert um einen Verlustvortrag aus dem Vorjahr sowie um den nach § 268 Abs. 8 HGB ausschüttungsgesperrten Betrag. § 268 Abs. 8 HGB bestimmt eine Ausschüttungssperre für Beträge, die sich aus dem Ausweis selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände im Anlagevermögen in der Bilanz ergeben. Durch diese Regelung wurde das frühere Verbot der Aktivierung selbst geschaffener immaterieller Vermögensgegenstände ersetzt392. Zugleich wurde durch die Änderung des § 301 AktG klargestellt, dass derartige ausschüttungsgesperrte Beträge nicht aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages an das herrschende Unternehmen abgeführt werden dürfen, soweit nicht frei verfügbare Rücklagen abzüglich eines Verlustvortrags und zuzüglich eines Gewinnvortrags dem Gesamtbetrag der angesetzten Beträge mindestens entsprechen393. 290 Die entsprechende Anwendung des § 301 AktG auf die GmbH wird teilweise für entbehrlich

gehalten394. Dafür mag es gute Gründe geben. Die Frage hat indessen mit Rücksicht auf § 17 Satz 2 Nr. 1 KStG keine praktische Bedeutung, da Gewinnabführungsverträge mit einer GmbH nahezu ausschließlich aus steuerlichen Gründen abgeschlossen werden, das Steuerrecht jedoch die genaue Beachtung des § 301 AktG als Voraussetzung für die Anerkennung der Organschaft vorschreibt. Das gilt auch für den Verweis auf § 268 Abs. 8 HGB in § 301 Satz 1 AktG. Daraus ist zugleich der Schluss zu ziehen, dass der Vorschrift des § 301 Satz 1 AktG, soweit sie bei ihrer entsprechenden Anwendung auf die GmbH mit dem Konzernprivileg des § 30 Abs. 1 Satz 2 kollidiert, der Vorrang als lex specialis gebührt395.

IV. Gläubigerschutz 291 Der Preis für die Übernahme des ganzen Gewinns einer abhängigen Gesellschaft aufgrund

eines Gewinnabführungsvertrages ist nach dem Aktienrecht (§ 302 AktG) und dem Steuerrecht (§ 17 Satz 2 Nr. 2 KStG) die Pflicht zur Verlustübernahme durch Ausgleich jedes während der Vertragsdauer entstehenden Jahresfehlbetrags, soweit dieser nicht dadurch ausgeglichen werden kann, dass den anderen Gewinnrücklagen Beträge entnommen werden, die während der Vertragsdauer in sie eingestellt worden sind. Das Aktienrecht fügt noch in § 303 391 S. m.N. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 301 AktG Rz. 6; Hüffer in FS Uwe H. Schneider, 2011, S. 559, 565, 569 f. 392 S. Begr. RegE, BT-Drucks. 16/12407 = BR-Drucks. 344/08, S. 138. 393 Begr. RegE; BT-Drucks. 16/12407 = BR-Drucks. 344/08, S. 139, 231; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 301 AktG Rz. 9a; ebenso für die GmbH Baldamus, Die Unternehmensbesteuerung (Ubg) 2009, 484, 486, 489 f.; Servatius in Michalski, Rz. 278. 394 So z.B. Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Rz. 224. 395 Ebenso im Ergebnis Servatius in Michalski u.a., Rz. 278; wohl auch Baldamus, Die Unternehmensbesteuerung (Ubg) 2009, 484, 486.

956 | Emmerich

2022-08-10, 11:29, GroKO groß

GmbH-Konzernrecht | Rz. 295 Anh. § 13

AktG die Verpflichtung des herrschenden Unternehmens zur Sicherheitsleistung gegenüber den Gläubigern der abhängigen Gesellschaft bei Vertragsende hinzu. Es ist unstreitig, dass die § 302 und § 303 AktG grundsätzlich auch auf Gewinnabführungsverträge mit einer abhängigen GmbH anwendbar sind, und zwar bereits unmittelbar kraft Gesetzes, d.h. auch dann, wenn dies in dem Vertrag nicht ausdrücklich vereinbart ist396. Wegen der Einzelheiten kann auf die Ausführungen zum Beherrschungsvertrag verwiesen werden (Rz. 246 ff.). Fraglich ist jedoch, ob auch das in § 302 Abs. 1 AktG ausgesprochene Verbot der Auflösung 292 vorvertraglicher Rücklagen zur Deckung eines Jahresfehlbetrags ins GmbH-Konzernrecht übernommen werden kann397. Die Frage ist im Grunde müßig, da § 17 Satz 2 Nr. 2 KStG für die steuerliche Anerkennung von Gewinnabführungsverträgen mit abhängigen Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH die Anwendung des § 302 AktG vorschreibt und Gewinnabführungsverträge nahezu ausschließlich steuerliche Bedeutung haben, so dass schon deshalb immer von der Geltung des ganzen § 302 Abs. 1 AktG auszugehen ist398. In einer mehrgliedrigen Gesellschaft kommt ohnehin eine Inanspruchnahme vorvertragli- 293 cher Rücklagen durch das herrschende Unternehmen nur in Betracht, wenn dem alle anderen Gesellschafter in dem Vertrag ausdrücklich zugestimmt haben399. Lediglich bei Einpersonen-Gesellschaften bestehen keine Bedenken gegen die Auflösung vorvertraglicher Rücklagen, da bei solchen Gesellschaften der sonst gebotene Minderheitenschutz keine Rolle spielt, während der hier allein interessierende Gläubigerschutz bereits ausreichend durch § 301 Satz 1, § 302 Abs. 1 und § 303 AktG (Rz. 290 f.) sowie durch die Existenzvernichtungshaftung gewährleistet wird.

G. Andere Unternehmensverträge I. Überblick Das AktG unterscheidet in den § 291 und § 292 bei den Unternehmensverträgen deutlich 294 zwischen den Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträgen sowie den anderen Unternehmensverträgen. Es sind dies der Reihe nach die Gewinngemeinschaft (§ 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG), der Teilgewinnabführungsvertrag (§ 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG) sowie der Betriebspachtund der Betriebsüberlassungsvertrag (§ 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG), wobei den letzteren in der Regel noch der Betriebsführungsvertrag gleichgestellt wird. Sonderregelungen für den Teilgewinnabführungsvertrag finden sich in § 292 Abs. 2 und in § 300 Nr. 2 und 3 AktG sowie für die Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge in den § 292 Abs. 3 und § 302 Abs. 2 AktG. Mit der Qualifizierung der in § 292 AktG genannten Verträge als Unternehmensverträge ver- 295 folgt das AktG in erster Linie den Zweck, ihren Abschluss dem Regime der §§ 293–299 AktG zu unterstellen. Auf weitere Vorschriften zum Schutze der jeweils verpflichteten („abhängigen“) Gesellschaft, ihrer Gesellschafter und ihrer Gläubiger hat das AktG dagegen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (s. Rz. 294), bei den „anderen“ Verträgen verzichtet. Dahinter steht die Vorstellung der Gesetzesverfasser, es handele sich bei diesen Verträgen grundsätzlich um normale schuldrechtliche Austauschverträge zwischen voneinander unabhängigen Unternehmen, so dass sich weitere Schutzmaßnahmen zugunsten der die vertragstypischen Leistungen erbringenden („abhängigen“) Gesellschaft sowie ihrer Gesellschafter und Gläubi396 S. z.B. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 302 AktG Rz. 25 m.N.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 888 ff. 397 Verneinend z.B. Casper in Ulmer/Habersack/Löbbe, 2. Aufl. 2016, Rz. 225. 398 Ebenso Altmeppen, Rz. 121. 399 Ebenso Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 892 f.

Emmerich | 957

2022-08-10, 11:29, GroKO groß

Anh. § 13 Rz. 295 | GmbH-Konzernrecht ger erübrigten. Tatsächlich eignen sich indessen auch die anderen Unternehmensverträge des § 292 AktG durchaus zum Aufbau von Konzernen. Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge dürften sogar überwiegend zwischen voneinander abhängigen Unternehmen abgeschlossen werden und dienen dann als Mittel zur „Eingliederung“ des Unternehmens des Verpächters in den Konzern des Pächters. Das ist bei der GmbH nicht anders als bei der AG. 296 Über die Verbreitung der anderen Unternehmensverträge mit Gesellschaften in der Rechts-

form einer GmbH ist bisher nicht viel bekannt geworden400. Teilweise wird die Auffassung vertreten, lediglich Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge i.S.d. § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG spielten bei der GmbH eine Rolle401, z.B. im Rahmen der verschiedenen Entflechtungsmaßnahmen im Energiesektor402. Aber auch Teilgewinnabführungsverträge nach § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG, meistens in Gestalt stiller Gesellschaftsverträge mit einer GmbH, kommen offenbar häufiger vor403, während Gewinngemeinschaften unter Beteiligung einer GmbH (s. § 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG) tatsächlich ausgesprochen selten zu sein scheinen. 297 Angesichts des Fehlens einer gesetzlichen Regelung der anderen Unternehmensverträge mit

einer GmbH richtet sich der Blick notwendigerweise als erstes wieder auf die entsprechenden Vorschriften des AktG und damit insbesondere auf die §§ 292–294 AktG, sodass bei den anderen Unternehmensverträgen unter Beteiligung einer GmbH die Frage der Analogiefähigkeit dieser Vorschriften im Vordergrund des Interesses steht. Zwar wird die Definition der anderen Unternehmensverträge auch im GmbH-Konzernrecht durchweg dem § 292 Abs. 1 AktG entnommen (so dass wegen der Einzelheiten unbedenklich auf die zahlreichen Kommentierungen des § 292 AktG verwiesen werden kann); jedoch löst sich das GmbH-Konzernrecht in der Frage, welche Anforderungen an den wirksamen Abschluss eines der anderen Unternehmensverträge mit einer verpflichteten oder abhängigen GmbH zu stellen sind, immer mehr von dem großen aktienrechtlichen Vorbild (s. insbesondere Rz. 306 ff.).

II. Gewinngemeinschaft 298 Gewinngemeinschaften sind nach § 292 Abs. 1 Nr. 1 AktG Verträge, durch die sich mehrere

Unternehmen verpflichten, ihren Gewinn oder den Gewinn einzelner ihrer Betriebe ganz oder zum Teil mit dem Gewinn anderer Unternehmen oder einzelner Betriebe anderer Unternehmen zur Aufteilung eines gemeinschaftlichen Gewinns zusammenzulegen. Ist an dem Vertrag eine AG (oder KGaA) beteiligt, so findet auf ihn das AktG Anwendung, auch wenn zu den weiteren Beteiligten eine GmbH gehört. Unklar ist die Situation dagegen, wenn an dem Vertrag allein Gesellschaften in anderer Rechtsform beteiligt sind, wobei im vorliegenden Zusammenhang lediglich die Beteiligung von Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH interessiert404.

400 S. insbesondere Führling, Sonstige Unternehmensverträge mit einer abhängigen GmbH, 1993; Mimberg, Konzernexterne Pachtverträge im Recht der GmbH, 2000. 401 Hommelhoff, Rz. 77. Beispiele in OLG Zweibrücken v. 29.10.2013 – 3 W 82/13, GmbHR 2015, 251 = AG 2014, 630; LG Berlin v. 14.8.1991 – 94 O 164/91, AG 1992, 92; LG Darmstadt v. 24.8.2004 – 8 O 96/04, AG 2005, 488: s. Kürten/Westermann, GmbHR 2014, 852. 402 K. Adenauer, Betriebsführungsverträge und Unbundling im Energiesektor, 2018. 403 Ebenso Altmeppen, Rz. 123; Beispiele in BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223,13 = GmbHR 2019, 1176 = AG 2019, 828; BGH v. 16.7.2019 – II ZR 426/17, GmbHR 2019, 1236 = AG 2019,877; BayObLG v. 18.2.2003 – 3 Z BR 233/02, BayObLGZ 2003, 21 = GmbHR 2003, 534 = NJW-RR 2003, 908; OLG München v. 17.3.2011 – 31 Wx 68/11, GmbHR 2011, 487 = DStR 2011, 1139; KG v. 24.3.2014 – 12 W 43/12, GmbHR 2014, 756 = AG 2014, 627 = NZG 2014, 668. 404 S. dazu Emmerich/Habersack, Kommentar, § 292 AktG Rz. 21 f.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 300 Anh. § 13

Bei einer Gewinngemeinschaft handelt es sich wohl durchweg um eine BGB-Gesellschaft 299 (§ 705 BGB). Deshalb stellt sich hier als erstes die Frage, ob der Abschluss des der Gemeinschaft zugrunde liegen Gesellschaftsvertrages von der Vertretungsmacht der Geschäftsführer gedeckt ist (§ 37 Abs. 2) oder ob nach den §§ 53 und 54 und entsprechend den § 292 Abs. 1 Nr. 1, § 293 und § 294 AktG die Zustimmung der Gesellschafterversammlung der beteiligten GmbH sowie die Eintragung ins Handelsregister hinzukommen müssen. Überwiegend wurde bisher eine Erstreckung der Vertretungsmacht der Geschäftsführer auf derartige strukturverändernde Verträge abgelehnt405 und deshalb eine Zustimmung der Gesellschafter zu dem Vertragsschluss mit qualifizierter Mehrheit gefordert406. Soweit in Literatur und Rechtsprechung dagegen angenommen wird, dass der Abschluss des Vertrages durch die Vertretungsmacht der Geschäftsführer gedeckt sei (§ 37), wird meistens noch intern zusätzlich eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit gefordert, weil es sich bei dem Vertragsschluss um eine außerordentliche Geschäftsführungsmaßnahme handele407. Zugleich stellt sich dann die weitere Frage, ob der andere Vertragsteil, in der Regel das herrschende Unternehmen, ein Stimmrecht nach § 47 Abs. 4 hat, – wobei freilich zu bedenken ist, dass der andere Vertragsteil dem Abschluss des Vertrages ohnehin immer zustimmen muss. In diesem Kommentar ist bisher die Auffassung vertreten worden, dass bei voneinander un- 300 abhängigen Gesellschaften eine Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu dem Vertragsschluss mit qualifizierter Mehrheit ausreicht, während bei Abhängigkeit der beteiligten GmbH von anderen Teilnehmern an der Gewinngemeinschaft der Gesellschaftsvertrag zum Schutz der Minderheit eine Zustimmung aller Gesellschafter bedürfe408. Diese Auffassung wird sich mit Rücksicht auf die Rechtsprechung des BGH zu Teilgewinnabführungsverträgen mit einer GmbH (Rz. 306 f.) wohl nicht mehr aufrechterhalten lassen409. Da Teilgewinnabführungsverträge an Gefährlichkeit für die Gesellschafter kaum einer Gewinngemeinschaft nachstehen dürften, können fortan an die Vereinbarung einer Gewinngemeinschaft mit einer GmbH schwerlich höhere Anforderungen als an den Abschluss eines Teilgewinnabführungsvertrages gestellt werden, so dass in beiden Fällen jetzt grundsätzlich keine Zustimmung der Gesellschafter der GmbH entsprechend den § 53 und § 54 mehr erforderlich ist – ebenso wenig wie eine Eintragung des Vertrags bei der GmbH ins Handelsregister. Eine abweichende Beurteilung kommt nur in den Fällen der so genannten Satzungsüberlagerung durch den Gesellschaftsvertrag der Gewinngemeinschaft in Betracht, wovon indessen nach überwiegender Meinung allein dann die Rede sein kann, wenn sich hinter der Gewinngemeinschaft ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag verbirgt (Rz. 306 f.). Unberührt bleibt die Notwendigkeit einer internen Zustimmung der Gesellschafterversammlung zu dem Vertragsschluss mit einfacher Mehrheit, wenn es sich bei der Beteiligung der GmbH an der Gewinngemeinschaft um eine ungewöhnliche Geschäftsführungsmaßnahme handelt (Rz. 299).

405 Führling, Sonstige Unternehmensverträge mit einer abhängigen GmbH, 1993, S. 131 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 714, 805 f.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 348. 406 So Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 808 f.; Servatius in Michalski u.a., Rz. 351; – für die Notwendigkeit einer Zustimmung aller Gesellschafter dagegen Uwe H. Schneider in Uwe H. Schneider, Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge in der Praxis der GmbH, S. 7, 26 ff. 407 So m.N. Altmeppen, Rz. 124 f. 408 12. Aufl., Anh. § 13 Rz. 212. 409 Ebenso Altmeppen, Rz. 123 ff.; Lieder/Werner, NZG 2020, 361, 367.

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Anh. § 13 Rz. 301 | GmbH-Konzernrecht

III. Teilgewinnabführungsvertrag 301 Ein Teilgewinnabführungsvertrag liegt nach § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG vor, wenn sich eine

Gesellschaft verpflichtet, einen Teil ihres Gewinns oder den Gewinn einzelner ihrer Betriebe ganz oder zum Teil an einen anderen abzuführen. Die Abgrenzung zu den Gewinnabführungsverträgen des § 291 Abs. 1 AktG erfolgt ganz formal allein nach dem Kriterium, ob der Vertrag nach seinem Wortlaut den gesamten Gewinn einer Gesellschaft oder nur einen Teil davon erfasst, ganz gleich, wie groß oder klein dieser Teil ist. In Umgehungsfällen kommt die Annahme eines verdeckten Gewinnabführungsvertrages in Betracht. Die Bedeutung der Abgrenzungsproblematik wird häufig überschätzt, weil Teilgewinnabführungsverträge, selbst wenn sie z.B. 99 % des Gewinns einer Gesellschaft erfassen, nicht den Anforderungen der § 14 und § 17 KStG genügen, so dass sie als Grundlage der körperschaft- und gewerbesteuerlichen Organschaft ausscheiden. 302 Eine gesetzliche Regelung der Teilgewinnabführungsverträge mit einer GmbH fehlt. Für die

Bestimmung des Begriffs des Teilgewinnabführungsvertrages wird deshalb allgemein auf die Vorschrift des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG zurückgegriffen (s. Rz. 301). Da Teilgewinnabführungsverträgen mit einer GmbH nicht als Grundlage für die körperschaft- und die gewerbesteuerrechtliche Organschaft taugen, sind ihrer Verbreitung von vornherein enge Grenzen gesetzt. Gleichwohl kommen Teilgewinnabführungsverträge mit einer GmbH durchaus vor, da sich bei näherem Zusehen zahlreiche Verträge als Teilgewinnabführungsverträge erweisen, sofern sie im Ergebnis auf eine Gewinnbeteiligung des anderen Vertragsteils hinauslaufen. Beispiele sind insbesondere stille Gesellschaftsverträge mit einer GmbH, gewinnorientierte Genussrechte sowie zahlreiche partiarische Rechtsverhältnisse; aber auch außerhalb dieser besonderen Rechtsverhältnisse sind Teilgewinnabführungsverträge mit einer GmbH in der Praxis anzutreffen410. 303 Da der Begriff des Teilgewinnabführungsvertrags aus dem Aktienkonzernrecht stammt,

kann wegen der meisten Einzelheiten auf die zahlreichen Erläuterungen des § 292 Abs. 1 Nr. 2 AktG verwiesen werden. Im GmbH-Konzernrecht wird folgerichtig allein die Frage näher diskutiert, welche Voraussetzungen der wirksame Abschluss eines Teilgewinnabführungsvertrages mit einer GmbH erfüllen muss, zumal die Rechtsprechung gerade in dieser Frage in jüngster Zeit eine vielbeachtete neue Richtung eingeschlagen hat (s. Rz. 306). 304 Im Schrifttum ist lange intensiv über die Frage diskutiert worden, welche Anforderungen an

den Abschluss eines Teilgewinnabführungsvertrages mit einer GmbH zu stellen sind. Das Meinungsspektrum reichte (und reicht) von der alleinigen Zuständigkeit der Geschäftsführer aufgrund ihrer umfassenden Vertretungsmacht gemäß § 37 Abs. 2411 bis zur Notwendigkeit der Zustimmung der Gesellschafter wenigstens mit satzungsändernder Mehrheit (s. Rz. 305). 305 In diesem Kommentar wurde bisher die Auffassung vertreten, dass der Abschluss eines Teil-

gewinnabführungsvertrags wegen des mit einem derartigen Vertrag verbundenen Eingriffs in das Gewinnbezugsrecht der Gesellschafter (§ 29) sowie in die Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung (§ 46 Nr. 1) in der Tat der Zustimmung der Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit nach Maßgabe der § 53 und § 54 bedürfe, sofern der Vertrag keine ange-

410 S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 292 AktG Rz. 29 ff.; Beispiele aus der Rechtsprechung s. schon Rz. 296, insbes. BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13 = GmbHR 2019, 1176 = AG 2019, 828; BGH v. 16.7.2019 – II ZR 426/17, GmbHR 2019, 1236 = AG 2019, 877. 411 So die wohl überwiegende M., z.B. BayObLG v. 18.2.2003 – 3Z BR 233/02, BayObLGZ 2003, 21, 23 ff. = NJW-RR 2003, 908 = GmbHR 2003, 534; LG Darmstadt v. 24.8.2004 – 8 O. 96/05, AG 2005, 488 = ZIP 2005, 402, 404; Jebens, BB 1996, 701; Altmeppen, Rz. 124 f.; Habersack in Liber amicorum Happ, 2006, S. 49, 54 f.; Morshäuser/Dietz-Vellmer, NZG 2011, 1135, 1136; Rust, AG 2006, 563, 564; Schmidt-Ott, GmbHR 2001, 182, 183 f.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 307 Anh. § 13

messene Gegenleistung vorsieht412, sowie dass der Vertrag zu seiner Wirksamkeit außerdem der Eintragung ins Handelsregister bedürfe413. Diese Auffassung (Rz. 305) hat indessen nicht die Billigung des BGH gefunden414. Danach 306 gilt vielmehr folgendes: Der Vertragsschluss bedarf grundsätzlich zu seiner Wirksamkeit – mangels Anwendbarkeit der § 53 und § 54 – keiner Zustimmung der Gesellschafter; entbehrlich ist außerdem i.d.R. eine Eintragung des Vertrags ins Handelsregister. Anders soll es sich lediglich dann verhalten, wenn der Vertrag eine „satzungsüberlagernde Wirkung“ hat, während noch offen ist, ob zusätzlich eine Obergrenze für die Abführung des Gewinns an Dritte ohne Zustimmung der Gesellschafter gilt, etwa, wenn der Vertrag einen „Großteil oder zumindest den überwiegenden Anteil des Gewinns“ der Gesellschaft erfasst. Wird nach Abschluss des Vertrages die GmbH in eine AG umgewandelt, so ändert dies nichts an der Wirksamkeit des Vertrags (§ 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG); jedoch bedarf der Vertrag nunmehr gemäß § 294 AktG der Eintragung ins Handelsregister, an der aufgrund des Vertrages beide Parteien mitzuwirken verpflichtet sind415. Die Eintragung hat jedoch, weil der Vertrag bereits wirksam ist, lediglich deklaratorische Bedeutung. Entstehung und Fälligkeit des Anspruchs des anderen Vertragsteils auf Gewinnabführung aufgrund des Vertrages soll sich nach den Abreden der Parteien richten, so dass sie nicht zwingend von der Feststellung des Jahresabschlusses der verpflichteten GmbH abhängig sind416. Eine andere vom BGH nicht entschiedene Frage ist, ob die Geschäftsführer wegen der Bedeutung des Geschäfts gesellschaftsintern die Zustimmung der Gesellschafter nach § 49 Abs. 2 einholen müssen und ob auf diesen Beschluss das Stimmverbot des § 47 Abs. 4 Satz 2 Anwendung findet417, – so dass gegebenenfalls eine kleine Minderheit über den Vertrag entscheiden kann. Ebenso wie in anderen vergleichbaren Fällen dürfte dies von der Relevanz des Teilgewinnabführungsvertrages für die Gesellschaft im Einzelfall abhängen418. Im Schrifttum hat die neue Rechtsprechung des BGH (Rz. 306) überwiegend Zustimmung419 307 und nur gelegentlich Kritik erfahren, nicht zuletzt wegen der wenig klaren Abgrenzungskriterien für die wenigen Ausnahmen von der grundsätzlichen Zuständigkeit der Geschäftsführer für den Abschluss des Vertrages420. Eine „satzungsüberlagernde“ Wirkung des Teilgewinnabführungsvertrages (bei der gegebenenfalls doch eine Zustimmung der Gesellschafter zu der Gewinnabführung erforderlich sein soll) wird deshalb durchweg nur angenommen, wenn mit dem Vertrag ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag i.S.d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG verbunden ist, ein wohl eher theoretischer Grenzfall, während eine rechnerische 412 L. Beck, GmbHR 2014, 1075, 1082; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 292 AktG Rz. 37; Führling, Sonstige Unternehmensverträge, S. 109, 138 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 717, 808 f.; K. Mertens, AG 2000, 32; Servatius in Michalski u.a., Rz. 351. 413 Anders aber bisher schon BayObLG v. 18.2.2003 – 3Z BR 233/02, BayObLGZ 2003, 21, 23 ff. = GmbHR 2003, 534 = NJW-RR 2003, 908, 909; OLG München v. 17.3.2011 – 31 Wx 68/11, GmbHR 2011, 487, 488 = DStR 2011, 1137; KG v. 24.3.2014 – 12 W 43/12, GmbHR 2014, 756 = AG 2014, 627 = NZG 2014, 668. 414 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 19 ff. Rz. 21 ff. = NJW 2019, 3302 = AG 2019, 828 = GmbHR 2019, 1176; ebenso BGH v. 16.7.2019 – II ZR 426/17, NJW 2019, 3635 Rz. 22 = AG 2019, 877 = GmbHR 2019, 1239. 415 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 24 Rz. 29 ff.; Lieder/Wernert, NZG 2020, 361, 367; Mertens, AG 2000, 32, 37 f.; Winter in FS Peltzer, 2001, S. 645, 649 ff.; Wachter, GmbHR 2019, 1153, 1163 f. 416 BGH v. 16.7.2019 – II ZR 175/18, BGHZ 223, 13, 29 f. Rz. 41 ff. = NJW 2019, 3302; dagegen z.B. Pöschke, DB 2019, 2618, 2622 f. 417 S. Lieder/Wernert, NZG 2020, 361, 366; insbes. Altmeppen, Rz. 124 f. 418 S. 12. Aufl., § 37 Rz. 34 ff., 38 m.N. 419 Altmeppen, Rz. 124 f.; Lieder/Werner, NZG 2020, 361; Mock, JZ 2019, 1162; Pöschke, DB 2019, 2618; Wachter, GmbHR 2019, 1153. 420 Priester, NZG 2020, 1.

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Anh. § 13 Rz. 307 | GmbH-Konzernrecht Obergrenze, von der ab ebenfalls eine Zustimmung der Gesellschafter erforderlich sein könnte, – im Interesse der Rechtssicherheit – durchweg nur befürwortet wird, wenn der Vertrag nach den Umständen in Wirklichkeit auf eine vollständige Gewinnabführung i.S.d. § 291 Abs. 1 Satz 1 AktG hinausläuft421. Einigkeit besteht schließlich darüber, dass ebenso wie bei der AG gemäß § 293 AktG eine Zustimmung der Gesellschafter des anderen Vertragsteils, mag es sich bei diesem um eine GmbH oder um eine AG handeln, in keinem Fall erforderlich ist422.

IV. Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsvertrag 1. Begriff 308 Als letzten Fall der anderen Unternehmensverträge erwähnt das AktG in § 292 Abs. 1 Nr. 3

AktG noch die Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge. Unter Betriebspachtverträgen versteht man in der Regel Verträge, durch die eine Gesellschaft ihre gesamten betrieblichen Anlagen gegen Entgelt dem Pächter überlässt, der darin fortan den Betrieb im eigenen Namen und für eigene Rechnung weiterführt (§ 581 Abs. 1 BGB)423. Nicht hierher gehören nach h.M. Verträge, durch die eine Gesellschaft lediglich einen Teil ihrer betrieblichen Anlagen verpachtet424. Betriebspachtverträge, die eine GmbH ebenso wie eine AG abschließen kann, haben zur Folge, dass die Gesellschaft zu einer Rentnergesellschaft herabgestuft wird. Ihre praktische Bedeutung, und zwar auch bei der GmbH, wird heute als durchaus erheblich eingestuft, insbesondere im Handel, im Hotel- und Gaststättengewerbe sowie im Energiesektor425. 309 Der in § 292 Abs. 1 Nr. 3 AktG dem Betriebspachtvertrag gleichgestellte Betriebsüberlas-

sungsvertrag unterscheidet sich vom Betriebspachtvertrag lediglich dadurch, dass bei ihm der Übernehmer den Betrieb der überlassenden Gesellschaft zwar für eigene Rechnung, jedoch nicht im eigenen Namen, sondern im Namen der überlassenden Gesellschaft aufgrund einer entsprechenden umfassenden Vollmacht führt (§ 54 HGB). Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge sind häufig mit anderen Unternehmensverträgen, insbesondere mit Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen verbunden. In diesen Fällen greifen allein die weiter gehenden Schutzvorschriften ein, die bei dem Abschluss von Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträgen zu beachten sind. Besonderer Prüfung bedarf zudem in jedem Fall, insbesondere bei Verträgen zwischen voneinander abhängigen Gesellschaften, ob sich nicht unter (oder: hinter) dem Betriebspachtvertrag in Wirklichkeit ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag verbirgt (Rz. 313 f.).

421 Lieder/Werner, NZG 2020, 361, 365; Wachter, GmbHR 2019, 1153, 1159 f. 422 Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 810. 423 S. K. Adenauer, Betriebsführungsverträge und Unbundling im Energiesektor, 2018; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 292 AktG Rz. 38 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 722 ff.; Mimberg, Betriebspachtverträge; Beispiele in OLG Zweibrücken v. 29.10.2013 – 3 W 82/13, GmbHR 2014, 251 = AG 2014, 630; LG Berlin v. 14.8.1991 – 94 O 164/91, AG 1992, 92 = GmbHR 1992, 184 = WM 1992, 22 – Interhotel; LG Darmstadt v. 24.8.2004 – 8 O 96/04, AG 2005, 488; BFH v. 18.10.1967 – I 262/63, BFHE 90, 370; BFH v. 16.2.1979 – III R 37/77, BFHE 127, 56; BFH v. 7.12.1980 – I R 220/78 BFHE 132, 285 = GmbHR 1981, 203. 424 Streitig, anders z.B. K. Adenauer, Betriebsführungsverträge und Unbundling im Energiesektor, 2018, S. 278 ff.; K. Adenauer, NZG 2019, 361, 365 f.; s. dazu Emmerich/Habersack, Kommentar, § 292 AktG Rz. 40a. 425 S. K. Adenauer, Betriebsführungsverträge und Unbundling im Energiesektor, 2018; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 292 AktG Rz. 38 m.N.; Küster/Westermann, GmbHR 2014, 852.

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GmbH-Konzernrecht | Rz. 312 Anh. § 13

2. Voraussetzungen Eine gesetzliche Regelung der Betriebspacht- und Betriebsführungsverträge mit einer GmbH 310 fehlt. Ob zur Füllung dieser Lücke Raum für eine entsprechende Anwendung der § 292 Abs. 1 Nr. 3, § 293 und § 294 AktG ist, wird unterschiedlich beantwortet. In diesem Kommentar ist bisher in Übereinstimmung mit einer verbreiteten Meinung die Auffassung vertreten worden, Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträge mit einer GmbH liefen wegen ihrer tiefgreifenden Auswirkungen auf die verpflichtete Gesellschaft (s. Rz. 308 f.) auf eine Vertragsänderung hinaus, so dass die Vertretungsmacht der Geschäftsführer (§ 37 Abs. 2) zum Abschluss derartiger Verträge nicht ausreiche426, vielmehr die Gesellschafterversammlung der verpachtenden GmbH dem Vertragsabschluss nach § 53 mit qualifizierter Mehrheit zustimmen müsse427. Die Verträge bedürften außerdem entsprechend § 54 GmbHG und § 294 AktG der Eintragung ins Handelsregister. Wenn die Gegenleistung nicht angemessen ist, sei der Zustimmungsbeschluss ferner anfechtbar (vgl. § 292 Abs. 3 AktG). Es ist offen, ob an der hier bisher vertretenen Auffassung zur Zustimmungsbedürftigkeit von 311 Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträgen mit einer GmbH (Rz. 310) angesichts der jüngsten Rechtsprechung des BGH zu Teilgewinnabführungsverträgen mit einer GmbH noch festgehalten werden kann. Wie gezeigt (Rz. 306), verneint der BGH heute die Notwendigkeit einer Zustimmung der Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit für den Regelfall, außer wenn der Vertrag eine „satzungsüberlagernde Wirkung“ hat. Dadurch wird naturgemäß die Frage aufgeworfen, ob diese Rechtsprechung auch auf Betriebspacht- und Betriebsüberlassungsverträgen mit einer GmbH zu übertragen ist428. Für die bisher überwiegend vertretene Meinung, dass insbesondere Betriebspachtverträge 312 mit einer GmbH der Zustimmung der Gesellschafter mit qualifizierter Mehrheit bedürften und dass diese Verträge außerdem ins Handelsregister eingetragen werden müssten (s. § 53 und § 54), war vor allem die Überlegung maßgebend gewesen, dass Betriebspachtverträge häufig tiefgreifend in die Struktur der Gesellschaft eingreifen und dass mit ihnen durchweg erhebliche Eingriffe in das Gewinnbezugsrecht der Gesellschafter (§ 29) sowie in die Zuständigkeit der Gesellschafter (§ 46) verbunden sind. Es sind vor allem derartige Überlegungen des Gesellschafterschutzes, die dafür sprechen, an dieser Auffassung auch in Zukunft festzuhalten, zumal die mit Betriebspachtverträgen verbundenen Eingriffe in die Struktur der Gesellschaft und die Rechte der Gesellschafter im Ergebnis noch deutlich über die mit der Mehrzahl der Teilgewinnabführungsverträgen verbundenen Eingriffe hinausgehen dürften. Ob dasselbe außerdem für die nicht geregelten Betriebsführungsverträge zu gelten hat, ist noch offen und lässt sich wohl wegen der großen Unterschiedlichkeit dieser Verträge nicht einheitlich beantworten429.

426 So Altmeppen, Rz. 123 ff.; differenzierend Führling, Sonstige Unternehmensverträge, S. 188 ff. 427 Ebenso z.B. LG Berlin v. 14.8.1991 – 94 O 164/91, GmbHR 1992, 184 = AG 1992, 91 = WM 1992, 22 – Interhotel; LG Darmstadt v. 24.8.2004 – 8 O 96/04, AG 2005, 488 = ZIP 2005, 402, 404; K. Adenauer, Betriebsführungsverträge und Unbundling im Energiesektor, 2018, S. 288 f.; Hommelhoff, Konzernleitungspflicht, S. 278 ff.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 725, 811; Hommelhoff, Rz. 78; Mimberg, Betriebspachtverträge, S. 107 ff.; Uwe H. Schneider in Uwe H. Schneider, Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge in der Praxis der GmbH, S. 7, 28; Servatius in Michalski u.a., Rz. 382; Servatius in Grigoleit, § 292 AktG Rz. 42. 428 Dafür insbes. Altmeppen, Rz. 124 f.; gegen die Eintragungsbedürftigkeit dieser Verträge auch OLG Köln v. 23.10.2019 – 18 Wx 16/19, GmbHR 2020, 709 = AG 2020, 676; – gegen die Übertragbarkeit der neuen Rspr. aber z.B. Lieder/Werner, NZG 2020, 361, 366. 429 Für die grundsätzliche Anwendbarkeit der Regeln über Betriebspachtverträge insbesondere Beurskens in Noack/Servatius/Haas, Rz. 100; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 726, 812.

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Anh. § 13 Rz. 313 | GmbH-Konzernrecht

V. Umgehungsproblematik 313 Hinter einer Gewinngemeinschaft oder einem Teilgewinnabführungsvertrag kann sich ein

Gewinnabführungsvertrag, hinter einem Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag kann sich ohne weiteres ein Beherrschungsvertrag verbergen. Solche Annahme liegt z.B. nahe, wenn sich die „Pächterin“ ein Weisungsrecht gegenüber der verpachtenden Gesellschaft auch hinsichtlich der „pachtfreien“ Sphäre, z.B. hinsichtlich der Verwaltung ihres übrigen Beteiligungsbesitzes, ausbedingt oder wenn die vereinbarte „Gegenleistung“ der Pächterin hinter der angemessenen Gegenleistung zurückbleibt. Ebenso verhält es sich etwa bei einem Betriebsführungsvertrag, wenn der Betriebsführer herrschendes Unternehmen ist und durch den Vertrag die Kontroll- und Einflussrechte der Eigentümergesellschaft weitgehend beschnitten werden430. Die Behandlung dieser Fälle ist noch nicht geklärt431. Nach den § 133 und § 157 BGB sollte in ihnen die Betonung nicht auf die von den Parteien frei gewählte Bezeichnung ihres Vertrages, sondern auf dessen „wirklichen“ Inhalt gelegt werden432. 314 Dies bedeutet, dass eine Gewinngemeinschaft oder ein Teilgewinnabführungsvertrag ebenso

wie ein Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag, hinter (oder: unter) denen sich ein Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrag verbirgt, auch als solche, d.h. als Beherrschungs- oder Gewinnabführungsverträge zu behandeln sind, so dass der Vertrag nur wirksam ist, wenn er zugleich die Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrages erfüllt (Rz. 171, 282 ff.). Fehlt es daran, so dürfte der Vertrag grundsätzlich nichtig sein. Dazu gehört insbesondere auch die Eintragung des Vertrags ins Handelsregister als solcher (und nicht etwa als Betriebspacht- oder Betriebsüberlassungsvertrag) (§ 54 GmbHG; § 294 AktG). 315 Im Schrifttum wird dagegen im Interesse des Gläubiger- und Minderheitenschutzes vielfach

eine Ausnahme von der an sich gebotenen Nichtigkeit der Verträge in den Umgehungsfällen befürwortet, wenn der Vertrag – trotz seiner falschen Bezeichnung im Handelsregister – die wichtigsten Voraussetzungen eines Beherrschungsvertrages erfüllt433. Jenseits solcher Ausnahmefälle ist aber auch für die Anwendung der Regeln über fehlerhafte Unternehmensverträge mit Rücksicht auf die unrichtige Eintragung des Vertrags im Handelsregister kein Raum434. Der abweichenden Rechtsprechung, in der wiederholt auf Beherrschungs- und Gewinnabführungsverträge trotz fehlender Eintragung ins Handelsregister die Regeln über fehlerhafte Unternehmensverträge angewandt wurde, ist nicht zu folgen (s. Rz. 219 ff.).

430 S. U. Huber, ZHR 152 (1988), 123, 128, 135 ff. 431 S. Altmeppen, Rz. 126; Emmerich/Habersack, Kommentar, § 292 AktG Rz. 61 f.; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 728 f. 432 S. Rz. 221; Emmerich in FS Hüffer, 2010, S. 179, 183 ff. 433 So Altmeppen, Rz. 126; Liebscher in MünchKomm. GmbHG, Rz. 730. 434 S. Emmerich/Habersack, Kommentar, § 291 AktG Rz. 30.

964 | Emmerich

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§ 14 Einlagepflicht (13. Auflage 2022) Auf jeden Geschäftsanteil ist eine Einlage zu leisten. Die Höhe der zu leistenden Einlage richtet sich nach dem bei der Errichtung der Gesellschaft im Gesellschaftsvertrag festgesetzten Nennbetrag des Geschäftsanteils. Im Fall der Kapitalerhöhung bestimmt sich die Höhe der zu leistenden Einlage nach dem in der Übernahmeerklärung festgesetzten Nennbetrag des Geschäftsanteils. Neu gefasst durch MoMiG vom 23.10.2008 (BGBl. I 2008, 2026). Bedeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsanteil und Einlagepflicht Begriff des Geschäftsanteils . . . . . . . . . Entstehung und Erlöschen . . . . . . . . . . Einlagepflicht a) Pflicht zur Leistung der Einlage (§ 14 Satz 1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Höhe der zu leistenden Einlage (§ 14 Sätze 2 und 3) . . . . . . . . . . . . . . 4. Nennbetrag des Geschäftsanteils und dessen Funktion . . . . . . . . . . . . . . 5. Subjektives Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Bewertung des Geschäftsanteils . . . . . a) Privatrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Steuerrechtlich . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Rechte und Pflichten der Gesellschafter im Allgemeinen 1. Gesellschaftsrechtliche und schuldrechtliche Rechte und Pflichten a) Gesellschaftsrechtliche Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Schuldrechtliche Rechte und Pflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Gläubigerrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Mitgliedschaftsrechte, Sonderrechte und Sonderpflichten a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Sonderrechte aa) Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Begründung und Inhalt . . . . . . . cc) Übergang des Sonderrechts mit Geschäftsanteil . . . . . . . . . . . dd) Aufhebung und Änderung des Sonderrechts . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Folgen eines rechtswidrigen Eingriffs in das Sonderrecht durch Beschluss . . . . . . . . . . . . . . c) Sonderpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Unentziehbarkeit allgemeiner Mitgliedschaftsrechte aa) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . I. II. 1. 2. 3.

1 2 4

5 6 7 12 14 15 21

22 23 25

26 27 28 32 33 36 37 39

bb) Absolut unentziehbare (unverzichtbare) Mitgliedschaftsrechte cc) Relativ unentziehbare Mitgliedschaftsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abspaltungsverbot . . . . . . . . . . . . . . f) Gebot gleichmäßiger Behandlung aa) Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bedeutung und Inhalt . . . . . . . . cc) Folgen der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes . 3. Treuepflicht a) Geltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bedeutungsinhalt; Zweck, Wirkweise und Funktion der Treuepflicht . . . . c) Rechtsgrundlage der Treuepflicht; Abdingbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Schutzrichtungen der Treuepflicht . e) Zeitliche Komponente der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Umfang und Intensität der Treuepflichten aa) Einzelfallbetrachtung anhand wertungserheblicher Umstände bb) Spektrum der Rechtsfolgen . . . . g) Verhältnis der Treuepflichten zueinander . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . h) Verhältnis zu anderen Rechtsinstituten und zur Anfechtungsklage aa) Verhältnis zu anderen Rechtsinstituten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verhältnis zur Anfechtungsklage i) Verhältnis der Treuepflicht zu außerrechtlichen Mechanismen . . . . . . . . j) Fallgruppenbetrachtung . . . . . . . . . . aa) Einwirkungsmöglichkeiten der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . bb) (Dritt-)Ansprüche von Gesellschaftern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Fragen der Geschäftsführung . . dd) Related Party Transactions . . . . . ee) Besetzung von Gesellschaftsorganen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40 43 50 51 53 60 64 65 71 73 75

76 77 85

86 87 88 89 90 91 92 93 96

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§ 14 Rz. 1 | Einlagepflicht ff) Satzungsänderung (einschließlich Kapitalmaßnahmen) . . . . . . . . . . 98 gg) Feststellung des Jahresabschlusses; Gewinnverwendung . . . . . . . 102 hh) Pflicht zur Offenlegung von Gesellschafterinterna . . . . . . . . . 104 ii) Übertragung von Geschäftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 jj) Einziehung von Geschäftsanteilen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 kk) Ausübung von Kündigungsrechten; Gesellschafterausschluss . . . 107 ll) Liquidation der Gesellschaft . . . 109 mm) Ladung zur und Teilnahme an Gesellschafterversammlungen . . 110 nn) Pflicht zur Umsetzung von Gesellschafterbeschlüssen . . . . . . 111 oo) Minderheitenrechte (§ 50, § 51a GmbHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 pp) Wettbewerbsverbot; Verbot der Überleitung gesellschaftlicher Geschäftschancen . . . . . . . . . . . . 113 qq) Verschwiegenheitspflicht; Unterlassung rufschädigender Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 k) Treuepflichten im Konzern . . . . . . . . 116 aa) Untergesellschaft . . . . . . . . . . . . . 117 bb) Obergesellschaft . . . . . . . . . . . . . 119

IV. V. VI. VII. VIII. 1. 2. 3. 4. 5. 6. IX.

l) Folgen der Verletzung der Treuepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Treuwidrige Stimmabgabe; Durchsetzung von Stimmpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Unbeachtlichkeit von Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Einziehung, Ausschluss, Auflösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Schadensersatz . . . . . . . . . . . . . . ee) Eintrittsrecht bei Wettbewerbsverstößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorzugsgeschäftsanteile . . . . . . . . . . . . Geschäftsbereichsanteile . . . . . . . . . . . Anteilsscheine . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dividendenscheine . . . . . . . . . . . . . . . . Genussrechte (Genussscheine) Begriff und Bedeutung . . . . . . . . . . . . Begründung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rechte der Genussrechtsgläubiger . . . Änderung und Aufhebung . . . . . . . . . Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verbriefung und Veräußerlichkeit . . . Options- und Wandelanleihen . . . . . .

120 121 123 124 125 126 127 128 131 134 135 136 142 144 147 148 151

I. Bedeutung 1 Die frühere, seit 1892 bestehende Fassung von § 14 (a.F.) bestimmte unter der amtlichen

Überschrift „Geschäftsanteil“ knapp „Der Geschäftsanteil jedes Gesellschafters bestimmt sich nach dem Betrage der von ihm übernommenen Stammeinlage“ und statuierte (i) damit den Begriff des Geschäftsanteils (ohne ihn zu definieren) als Verkörperung der Verbandsmitgliedschaft in der GmbH, (ii) die Verknüpfung von durch den Gesellschafter zu leistender Stammeinlage und Geschäftsanteil sowie (iii) die Verknüpfung von Verbandsmitgliedschaft in der GmbH mit einer Kapitalbeteiligung1. Mit dem MoMiG hat § 14 diese Zentralstellung für das Verständnis des Geschäftsanteils verloren, und wesentliche Aspekte des Geschäftsanteils sind nun in Einzelbestimmungen (neu) geregelt, wobei die Neuregelungen Ausdruck der Akzentverschiebung hin zur kapitalgesellschaftsrechtlichen Seite des GmbH-Verbands sind: So kann ein Gesellschafter – anders als nach dem früheren Verbot der Übernahme mehrerer Stammeinlagen – nun schon bei der Gründung mehrere Geschäftsanteile übernehmen (§ 5 Abs. 2 Satz 2); die Höhe der Nennbeträge der einzelnen Geschäftsanteile können hierbei unterschiedlich bestimmt werden (§ 5 Abs. 3 Satz 1). Die Zahl und die Nennbeträge der Geschäftsanteile, die jeder Gesellschafter bei Errichtung der Gesellschaft übernimmt, sind nunmehr konsequenterweise im Gesellschaftsvertrag zu regeln (§ 3 Abs. 1 Nr. 4). Die Fungibilität des Geschäftsanteils und seine vermögensrechtliche Rolle als Finanzierungsunterlage wurde durch Abschaffung von § 17 a.F. und durch die Ermöglichung eines gutgläubigen Erwerbs von Geschäftsanteilen nach Maßgabe von § 16 Abs. 3 erleichtert. Der ver-

1 Zur Bedeutung der früheren Norm s. 10. Aufl., Rz. 1.

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Einlagepflicht | Rz. 3 § 14

bleibende Regelungsgehalt des § 14 ist – allerdings bei einem Perspektivwechsel vom Geschäftsanteil als bisherigen Bezugspunkt auf die Einlagepflicht nach neuem Recht – materiell gegenüber der früheren Rechtslage unverändert geblieben: Der Gesellschafter hat für die Übernahme eines Geschäftsanteils eine Einlage zu leisten (Satz 1). Die Einlageverpflichtung entsteht im Fall der Errichtung der Gesellschaft in der Höhe, in welcher der Nennbetrag des jeweiligen Geschäftsanteils im Gesellschaftsvertrag festgesetzt wird (Satz 2), im Fall der Kapitalerhöhung in der Höhe, in welcher der Nennbetrag des jeweiligen Geschäftsanteils in der Übernahmeerklärung festgesetzt wird (Satz 3). Damit macht § 14 – wie die Regelung in § 14 a.F. – deutlich, dass sich die Nennbeträge der Geschäftsanteile und die Nennbeträge der Stammeinlagen grundsätzlich entsprechen2.

II. Geschäftsanteil und Einlagepflicht Schrifttum: Buchwald, Zum Wesen des GmbH-Geschäftsanteils, GmbHR 1962, 25; U. Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970; Kleindiek, Die Einziehung von GmbH-Geschäftsanteilen und das Konvergenzgebot aus § 5 III 2 GmbHG, NZG 2015, 489; Müller-Erzbach, Das private Recht der Mitgliedschaft als Prüfstein eines kausalen Rechtsdenkens, 1948; Neukamp, Die Geschäftsanteile der GmbH, ZHR 57 (1906), 1; Schefer, Welche Rechte enthält der Geschäftsanteil eines GmbH-Gesellschafters?, GmbHR 1961, 81; O. Schwarz, Die Geschäftsanteile und ihre Übertragung bei der GmbH, 1904; Spitaler, Das Wesen eines Geschäftsanteils an einer GmbH, GmbHR 1950, 153; Wiedemann, Die Übertragung und Vererbung von Mitgliedschaftsrechten bei Handelsgesellschaften, 1965; Wolany, Rechte und Pflichten des Gesellschafters einer GmbH, 1965.

1. Begriff des Geschäftsanteils Das GmbHG verwendet zwar den Begriff des Geschäftsanteils in zahlreichen Vorschriften, 2 gibt aber selbst keine Begriffsbestimmung. Er wurde in der Begründung zu den Gesetzentwürfen I (1891) bzw. II (1892) definiert als „die durch Übernahme der Stammeinlage geschaffene Rechtsposition des Gesellschafters“3. Genauer ist er in Anlehnung an das Reichsgericht zu bestimmen als die durch die Beteiligungserklärung begründete mitgliedschaftliche Rechtsstellung des Gesellschafters und der hieraus sich ergebenden Gesamtheit seiner Rechte und Pflichten4. Das Schrifttum stimmt damit weitgehend überein5. In welcher Form der Geschäftsanteil auch eine Beteiligung am Gesellschaftsvermögen ver- 3 körpert, war zunächst unklar, aber wird im Anschluss an die Rechtsprechung6 mit Recht auch im Schrifttum überwiegend bejaht7. Der vermögensrechtliche Inhalt des Geschäftsanteils erschöpft sich nämlich nicht in den Rechten auf den Gewinnanteil und auf die Liquidationsquote. Die Vermögensgüter sind zwar dinglich der GmbH als rechtsfähigem Per-

2 Ausdrücklich BT-Drucks. 16/6140, S. 37 li.Sp. 3 Begr. zu Entw. I, 1891, S. 59, Begr. zu Entw. II, 1892, S. 47. 4 RG v. 18.4.1913 – II 659/12, RGZ 82, 167; RG v. 25.11.1919 – VII 295/19, RGZ 97, 197, 200; BGH v. 18.11.1971 – VII ZR 102/70, BB 1972, 11; KG v. 29.7.1943 – 1 Wx 258/43, DR 1943, 1230; OLG Frankfurt v. 2.7.1957 – 5 U 10/57, MDR 1958, 108. 5 Vgl. Feine, S. 258 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 1; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 1; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 1 und 7; Altmeppen, Rz. 2, 4; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 2; D. Jasper/Kötteritzsch in MünchHdb. III, § 23 Rz. 1. 6 RG v. 18.4.1913 – II 659/12, RGZ 82, 167, 169. 7 S. Feine, S. 264 ff.; Brodmann, Anm. 1; Vogel, Anm. 2; U. Huber, S. 145 ff.; wohl auch Altmeppen, Rz. 5; abweichend Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 3.

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§ 14 Rz. 3 | Einlagepflicht sonenverband zugeordnet (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 16 ff.), aber das schließt eine Beteiligung der Gesellschafter an der Vermögenssubstanz nicht aus. Es steht ihnen vielmehr als Mitglieder des Personenverbandes rechtlich8 – nicht nur wirtschaftlich – ein Wertanteil an dem veränderlichen Gesellschaftsvermögen zu9, der sich ganz oder teilweise durch die Veräußerung des Geschäftsanteils oder bei seiner entgeltlichen Einziehung oder bei der Liquidation auch realisieren lässt. Dem Umstand, dass der Wert des Geschäftsanteils noch durch andere Faktoren beeinflusst wird (s. Rz. 6), steht nicht entgegen, dass er auch einen Wertanteil am Gesellschaftsvermögen vermittelt10.

2. Entstehung und Erlöschen 4 Die Geschäftsanteile entstehen nach weiter h.M. nicht schon mit dem Abschluss des Gesell-

schaftsvertrages, sondern erst mit der Eintragung der Gesellschaft in das Handelsregister11. Zwar ist auch in den das Vorgründungsstadium der Gesellschaft betreffenden §§ 3, 5 von „Geschäftsanteilen“ die Rede, diese Formulierung ist jedoch dahingehend auszulegen, dass der MoMiG-Gesetzgeber lediglich Bezug auf die zukünftigen Geschäftsanteile nehmen wollte12. Zur Rechtsstellung der Gesellschafter bis zur Eintragung s. Erl. zu 13. Aufl., § 11 Rz. 48 ff.; ein Gesellschafterwechsel kann nach dieser h.M. bis dahin nicht durch Abtretung, sondern nur durch eine mit Zustimmung aller Gesellschafter erfolgende Änderung des Gesellschaftsvertrags vollzogen werden (vgl. dazu 13. Aufl., § 15 Rz. 11 f.). Der Geschäftsanteil erlischt mit seiner Einziehung (s. Erl. zu § 34) und mit der Vollbeendigung der GmbH (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 9 ff.), nicht dagegen bereits mit ihrer Auflösung (s. 12. Aufl., § 69 Rz. 22). Der Erwerb eines Geschäftsanteils durch die GmbH (§ 33) berührt seinen Bestand nicht, aber die personenrechtlichen Befugnisse ruhen (s. 13. Aufl., § 33 Rz. 129 ff.), während das für die vermögensmäßigen Rechte und Pflichten nur eingeschränkt gilt (eingehend dazu 13. Aufl., § 33 Rz. 36). Ebenso wenig geht der Anteil durch die Kaduzierung (s. 13. Aufl., § 21 Rz. 52 ff.), durch den Abandon (s. 13. Aufl., § 27 Rz. 29 ff.) und durch den Austritt oder die Ausschließung aus wichtigem Grunde (s. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 6 ff., 25 ff.) unter, soweit letztere nicht mittels Einziehung ausgeführt werden.

3. Einlagepflicht a) Pflicht zur Leistung der Einlage (§ 14 Satz 1) 5 Die GmbH-Verbandsmitgliedschaft ist zwingend mit der Übernahme einer Kapitalbetei-

ligung verkoppelt (Rz. 1). Dieser Rechtsgrundsatz galt bereits nach früherem Recht und kommt nun in § 3 Abs. 1 Nr. 4 sowie in § 14 Satz 1 zum Ausdruck. In Übereinstimmung mit dem in der Gesetzesbegründung niedergelegten gesetzgeberischen Willen ist § 14 Satz 1 keine neue Anspruchsgrundlage zugunsten der Gesellschaft gegenüber dem Gesellschafter auf

8 RG v. 18.4.1913 – II 659/12, RGZ 82, 167, 169; Würdinger, S. 49; U. Huber, S. 147, 162. 9 Würdinger, S. 48; U. Huber, S. 151 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 10; offen gelassen bei Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6. 10 A.M. Wiedemann, S. 36; vgl. dazu U. Huber, S. 147 f. 11 BGH v. 27.1.1997 – II ZR 123/94, GmbHR 1997, 405; OLG Frankfurt v. 14.8.1996 – 10 W 33/96, GmbHR 1997, 896; Wicke, Rz. 3; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 4; D. Jasper/Kötteritzsch in MünchHdb. III, § 23 Rz. 10; s. aber auch überzeugend hier Karsten Schmidt, 13. Aufl., § 11 Rz. 49 m.w.N.; s. auch 13. Aufl., § 15 Rz. 10; a.M. auch Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 9 ff. (Entstehen mit der Errichtung der Vorgesellschaft). 12 A.M. Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 11.

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Einlagepflicht | Rz. 8 § 14

Einlageleistung13. Die Verpflichtung des Gesellschafters auf Einlageleistung und spiegelbildlich der Anspruch der Gesellschaft auf Erhalt der Einlagenleistung ergibt sich wie nunmehr im Fall der Errichtung der Gesellschaft (in Anlehnung an § 2 AktG) aus der Aufnahme des Nennbetrages des jeweiligen Geschäftsanteils in der Satzung (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) und im Falle der Kapitalerhöhung aus der Übernahmeerklärung. § 14 Satz 1 ist nur ein programmatischer Einleitungssatz und insofern ist auch aus der amtlichen Überschrift „Einlagepflicht“ nichts Überschießendes zu gewinnen. b) Höhe der zu leistenden Einlage (§ 14 Sätze 2 und 3) Die Höhe der Einlagepflicht des Gesellschafters bemisst sich grundsätzlich nach der Höhe 6 des Nennbetrags des in Frage stehenden Geschäftsanteils14. Dabei differenziert das Gesetz den Fall der Errichtung der Gesellschaft, bei dem der Nennbetrag des Geschäftsanteils im Gesellschaftsvertrag (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) festgesetzt wird (Satz 2), und den Fall der Kapitalerhöhung, in dem der Nennbetrag des Geschäftsanteils in der Übernahmeerklärung (§ 55) festgesetzt ist (Satz 3). Aus einem Umkehrschluss zu diesen Regelungen ergibt sich, dass in den Fällen, in denen sich die Nennbeträge der Geschäftsanteile nach § 57h Abs. 1 im Rahmen einer Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln oder im Zuge einer Einziehung nach § 34 erhöhen, dies keine Erhöhung der Einlageverpflichtung zur Folge hat15.

4. Nennbetrag des Geschäftsanteils und dessen Funktion Während § 14 a.F. festschrieb, dass „der Geschäftsanteil jedes Gesellschafters … sich nach 7 dem Betrage der von ihm übernommenen Stammeinlage [bestimmt]“, ist nach dem Perspektivwechsel des MoMiG (Rz. 1) nun geregelt, dass sich die Höhe der zu leistenden Einlage nach dem im Gesellschaftsvertrag bzw. in der Übernahmeerklärung festgesetzten Nennbetrag bestimmt. Durch diesen Perspektivwechsel wird das frühere Verständnis unterstützt, dass der Nennbetrag des Geschäftsanteils von der Frage unabhängig ist, ob der Gesellschafter auf die Einlagepflicht bereits (vollständig) geleistet hat16. Der Nennbetrag wird ab initio im Gesellschaftsvertrag (Fall der Errichtung der Gesellschaft) bzw. in der Übernahmeerklärung (Fall der Kapitalerhöhung) festgesetzt, er kann sich aber auch später ändern, und zwar durch die Teilung des Geschäftsanteils (§ 46 Nr. 4), durch die Zusammenlegung zweier Geschäftsanteile (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 45 f.) und durch die Kapitalerhöhung mittels Heraufsetzung des Nennbetrags (s. § 57h Abs. 1)17, aber die veränderten Nennbeträge sind dann jedenfalls auf entsprechende Stammeinlagebeträge zurückzuführen. Unberührt bleiben dagegen die Nennbeträge der übrigen Geschäftsanteile in den Fällen der 8 Unwirksamkeit einer Beteiligungserklärung (s. 13. Aufl., § 2 Rz. 92 ff.) oder der Einziehung eines anderen Geschäftsanteils18; diese Vorgänge bewirken nur, dass die Summe der Nenn-

13 BT-Drucks. 16/6140, S. 37 li.Sp. („Satz 1 dient lediglich der Klarstellung“); a.M. Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 4: Satz 1 ist neue Anspruchsgrundlage betreffend die Einlageleistung. 14 BT-Drucks. 16/6140, S. 28 und 37. 15 BT-Drucks. 16/6140, S. 37 li.Sp.; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 6. 16 S. 10. Aufl., Rz. 4. 17 Auch bei der Kapitalerhöhung gegen Einlagen ist u.U. abweichend von § 55 Abs. 3 eine Aufstockung bestehender Geschäftsanteile möglich; s. BGH v. 24.10.1974 – II ZB 1/74, BGHZ 63, 116; OLG Hamm v. 24.2.1982 – 15 W 114/81, GmbHR 1983, 102 = DB 1982, 945; BayObLG v. 17.1.1986 – BReg 3 Z 170/85, BReg 3 Z 228/85, GmbHR 1986, 159 = DB 1986, 738; BayObLG v. 24.5.1989 – BReg 3 Z 20/89, DB 1989, 1558, 1559 = GmbHR 1990, 35. Näheres vgl. 12. Aufl., § 55 Rz. 24 ff. 18 Näher dazu Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 34 Rz. 4; Niemeier, Rechtstatsachen und Rechtsfragen der Einziehung von GmbH-Anteilen, 1982, S. 357 ff. m.w.N.; H.P. Westermann in FS 100 Jahre

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§ 14 Rz. 8 | Einlagepflicht beträge aller (verbleibenden) Geschäftsanteile nicht mehr mit der Stammkapitalziffer übereinstimmt und dass sich die verhältnismäßige Beteiligung der Gesellschafter an den Rechten und Pflichten verschiebt (s. Rz. 6 u. 13. Aufl., § 34 Rz. 63). Zwar muss nach dem Wortlaut des § 5 Abs. 3 Satz 2 die Summe der Nennbeträge mit dem Nennbetrag des Stammkapitals übereinstimmen. Nach dem BGH ist ein Einziehungsbeschluss aber nicht deshalb nichtig, weil nicht gleichzeitig Maßnahmen ergriffen wurden, um ein Auseinanderfallen der Summe der Nennbeträge mit dem Stammkapital zu verhindern19. Eine Anpassung der Nennbeträge wegen des Auseinanderfallens ihrer Summe und der Stammkapitalziffer ist auch nicht nachträglich notwendig20; sie ist beim Vorliegen dieser Voraussetzung zwar nicht unzulässig21, aber wegen der möglichen Verwirrung über die Identität der Geschäftsanteile (s. Rz. 5) zu vermeiden. Die Kapitalherabsetzung hat grundsätzlich eine automatische Anpassung der Nennbeträge der Geschäftsanteile an die neue Stammkapitalziffer zur Folge (s. auch § 58 Abs. 2 Satz 2, § 58a Abs. 3 Satz 1); besondere Bestimmungen darüber muss der Herabsetzungsbeschluss nur enthalten, wenn die Kapitalherabsetzung nicht alle Geschäftsanteile gleichmäßig betreffen soll oder wenn Maßnahmen zur Einhaltung der Erfordernisse der § 5 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 u. Abs. 3, § 58 Abs. 2 Satz 2, § 58 Abs. 3 Satz 2 zu treffen sind22. Im Übrigen ist die Änderung der Nennbeträge ausgeschlossen23. Möglich ist auch die Neubildung eines Geschäftsanteils an Stelle eines eingezogenen (s. 13. Aufl., § 34 Rz. 66). Die Angabe von Quoten an Stelle der Nennbeträge (sog. „Quotengeschäftsanteile“) ist demgegenüber nicht statthaft24. 9 Die Nennbeträge haben die folgenden Funktionen:

Identitätsbezeichnung. Sie dienen als Identitätsbezeichnung der Geschäftsanteile25. Die Nennbeträge sind in der Errichtungssatzung (§ 3 Abs. 1 Nr. 4) sowie in der Gesellschafterliste (§ 40) zu verzeichnen und sind im Gesellschaftsleben sowie bei Rechtsgeschäften über die Geschäftsanteile zu deren Bezeichnung zu verwenden. 10 Höhe der Einlageverpflichtung. Sie bestimmen die Höhe der Einlageverpflichtung (Sätze 2

und 3; Rz. 7). 11 Beteiligungsmaßstab. Sie sind ferner Beteiligungsmaßstab für Rechte und Pflichten der Ge-

sellschafter und geben insoweit die relative Größe der Geschäftsanteile an26. Für den Umfang

19 20 21

22 23 24 25 26

GmbHG, 1992, S. 447, 469 f.; a.M. Lutter, S. 114; Priester in FS Kellermann, 1991, S. 337, 347 ff.; unklar Wolany, S. 77. BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, BGHZ 203, 303 = GmbHR 2015, 416; zustimmend Kleindiek, NZG 2015, 489. Ebbing in Michalski u.a., Rz. 8; Kleindiek, NZG 2015, 489; offen gelassen von BGH v. 2.12.2014 – II ZR 322/13, BGHZ 203, 303 = GmbHR 2015, 416; a.M. Strohn in MünchKomm. GmbHG, § 34 Rz. 68. S. auch RG v. 30.9.1930 – II 518/29, RGZ 130, 39, 44 f.; BGH v. 6.6.1988 – II ZR 318/87, GmbHR 1988, 337, 338 f.; KG v. 29.7.1943 – 1 Wx 258/43, DR 1943, 1230; BayObLG v. 25.10.1991 – BReg 3 Z 125/91, BB 1991, 2464 f.; Hohner in FS Barz, 1974, S. 147, 165; Niemeier, Rechtstatsachen und Rechtsfragen der Einziehung von GmbH-Anteilen, 1982, S. 364 ff.; Priester in FS Kellermann, 1991, S. 351 f. u. H.P. Westermann/Seibt, unten § 34 Rz. 72 m.w.N. Vgl. 12. Aufl., § 58 Rz. 35; Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 58 Rz. 14 ff., 30; Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 58 Rz. 6, 11 f.; Kersting in Noack/Servatius/Haas, § 58 Rz. 7 ff.; Altmeppen, § 58 Rz. 5, 7; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 58 Rz. 10, 15. Zu weitgehend daher LG Hamburg v. 14.2.1952 – 26 T 40/51, BB 1953, 8 betr. § 40. Gl.M. Feine, S. 260; Priester in FS Kellermann, 1991, S. 348. Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 3; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 5. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 6; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 5; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 1; Altmeppen, Rz. 4; Niemeier, Rechtstatsachen und Rechtsfragen der Einziehung von GmbH-Anteilen, 1982, S. 361 f.; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 14; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 10.

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Einlagepflicht | Rz. 13 § 14

der Beteiligung ist nach dem GmbHG meist das Größenverhältnis der Nominalbeträge der Geschäftsanteile untereinander maßgebend (§ 24, § 26 Abs. 3, § 29 Abs. 3, § 31 Abs. 3, § 47 Abs. 2, § 72). Diese verhältnismäßige Beteiligung ist im Ergebnis auch für das Bestehen der Minderheitenrechte aus § 50 Abs. 1, § 61 Abs. 2, § 66 Abs. 2 entscheidend, bei denen der Gesetzeswortlaut zwar an das Größenverhältnis der Nominalbeträge zur Stammkapitalziffer anknüpft, aber diese entsprechend dem Gesetzeszweck durch die Nichtberücksichtigung unwirksamer Übernahmen von Stammeinlagen, der eingezogenen Geschäftsanteile und eigener Geschäftsanteile der GmbH zu korrigieren ist27. Der vom GmbHG bestimmte Beteiligungsmaßstab ist für einige Rechte und Pflichten teilweise zwingend (§§ 24, 31 Abs. 3: keine Abschwächung der Haftung zulässig; § 50 Abs. 1, § 61 Abs. 2, § 66 Abs. 2: keine Verschärfung der Voraussetzungen möglich), kann aber im Übrigen (§ 26 Abs. 3, § 29 Abs. 3, § 47 Abs. 2, § 72) durch den Gesellschaftsvertrag anderweitig festgelegt werden. Es gibt darüber hinaus Gesellschafterrechte und -pflichten, die nicht oder jedenfalls nicht notwendig von einem Beteiligungsmaß abhängen, z.B. Auskunfts- und Einsichtsrechte, Sonderrechte und -pflichten28.

5. Subjektives Recht Der Geschäftsanteil ist Gegenstand eines subjektiven Rechts des Anteilsinhabers29. Das 12 GmbHG ordnet ihm seine Rechtsposition als Gesellschafter mit ihrem vermögens- und personenrechtlichen Gehalt als einen einheitlichen Rechtsgegenstand zu, über den er nach § 15 Abs. 1 als Ganzen verfügen (ihn abtreten oder mit einem Pfand- oder Nießbrauchsrecht belasten; s. 13. Aufl., § 15 Rz. 172 ff., 212 ff.) kann, der als solcher vererblich ist (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 24 ff.) und der der Zwangsvollstreckung in Rechte unterliegt (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 195 ff.). Der Einwand, der Geschäftsanteil sei als „Gesamtheit der Rechte und Pflichten“ zu charakterisieren und könne deshalb nicht als übertragbares Recht qualifiziert werden30, beruht auf einem mit den vorstehenden Regelungen unvereinbaren und nicht sachgerechten Verständnis vom Anteilsrecht, da er die mitgliedschaftliche Rechtsposition in die aus ihr sich nach Gesetz und Gesellschaftsvertrag ergebenden31 aktuellen sowie potentiellen Einzelrechte und -pflichten auflöst und zudem ihren vermögensrechtlichen Gehalt (s. Rz. 3) unzureichend berücksichtigt. Das Anteilsrecht ist als sonstiges Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB gegen Verletzungen durch 13 Dritte geschützt32. Eine zum Schadensersatz verpflichtende Handlung liegt aber nur vor,

27 Gl.M. 12. Aufl., § 61 Rz. 19; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 10. Für § 50 Abs. 1: Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 50 Rz. 5; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 16; Noack in Noack/Servatius/ Haas, § 50 Rz. 23. Für § 61: Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 61 Rz. 30; Haas in Noack/Servatius/Haas, § 61 Rz. 14; abweichend Karsten Schmidt/Bitter, 11. Aufl., § 61 Rz. 8. Für § 66: Haas in Noack/Servatius/Haas, § 66 Rz. 19; abweichend Karsten Schmidt/Scheller, 12. Aufl., § 66 Rz. 21 i.V.m. § 50 Rz. 9. 28 Vgl. Wolany, S. 78 f. 29 BGH v. 25.4.1968 – II ZR 149/67, GmbHR 1968, 207; Feine, S. 262 ff.; Wiedemann, S. 39 ff.; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 21 ff.; U. Huber, S. 381; Flume, Juristische Person, S. 258; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 47; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 100 ff.; Karsten Schmidt, GesR, § 19 I 3; Altmeppen, Rz. 4; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 4; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 1. 30 Vogel, Anm. 2; Hadding in FS Reinhard, 1972, S. 258 Fn. 63; Hadding in FS Steindorff, 1990, S. 31, 38. 31 Unberechtigt daher die Kritik von Hadding in FS Reinhard, 1972, S. 261 f. 32 RG v. 26.11.1920 – VII 286/20, RGZ 100, 274, 278; Wiedemann, S. 39; Mertens in FS R. Fischer, 1979, S. 461, 468 ff.; Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 113 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 6; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 54;

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§ 14 Rz. 13 | Einlagepflicht wenn der Geschäftsanteil selbst verletzt ist33; es genügt nicht, dass allein das Vermögen oder der Ertrag der GmbH beeinträchtigt und dadurch mittelbar der Wert des Geschäftsanteils gemindert wird34. Die Rechtsposition des Gesellschafters wird im Innenverhältnis zur GmbH (d.h. zur Geschäftsführung) und zu den anderen Gesellschaftern – anders als bei Verein oder AG – nicht durch § 823 Abs. 1 BGB, sondern durch die gesellschaftsrechtlichen Normen geschützt35, u.U. greifen aber zusätzlich die Haftungsvorschriften der § 823 Abs. 2, § 826 BGB ein. Der Geschäftsanteil steht ferner unter dem Eigentumsschutz des Art. 14 GG36.

6. Bewertung des Geschäftsanteils Schrifttum: Bellinger/Vahl, Unternehmensbewertung in Theorie und Praxis, 2. Aufl. 1992; Braunhofer, Unternehmens- und Anteilsbewertung bei Bemessung von familien- und erbrechtlichen Ausgleichsansprüchen, 1995; Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019; Götzenberger, Konsequenzen des neuen Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts bei Ausscheiden eines Gesellschafters, BB 2009, 131; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 9. Aufl. 2020; Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, 8. Aufl. 1995; Hülsmann, Gesellschafterabfindung und Unternehmensbewertung nach der Ertragswertmethode im Lichte der Rechtsprechung, ZIP 2001, 450: Hüttemann, Unternehmensbewertung als Rechtsproblem, ZHR 162 (1998), 563; Kiem, Kaufpreisregelungen beim Unternehmenskauf, 2. Aufl. 2018; Moxter, Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 1983; Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung bei freiwilligem Ausscheiden aus der Personengesellschaft, 1990; Piltz, Die Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung zum Gesellschafts-, Familien-, Erb-, Schadens- und Enteignungsrecht, 3. Aufl. 1994; Piltz, Rechtspraktische Überlegungen zu Abfindungsklauseln in Gesellschaftsverträgen, BB 1994, 1021; Ränsch, Die Bewertung von Unternehmen als Problem der Rechtswissenschaft, AG 1984, 202; Sieben, Unternehmensbewertung, HWB, 5. Aufl. 1993; Thoennes, Die Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung aus der Sicht der Berufspraxis, in 50 Jahre Wirtschaftsprüferberuf, 1981, S. 265 ff.; Ulmer, Abfindungsklauseln in Personengesellschafts- und GmbH-Verträgen – Plädoyer für die Ertragswertklausel, in FS Quack, 1991, S. 477 ff.

14 Der wirtschaftliche Wert des Geschäftsanteils, der nicht mit dessen Nennbetrag (über diesen

Begriff und seine Funktionen s. Rz. 4 ff.) verwechselt werden darf und über oder unter dem Nennbetrag liegen kann, ist in verschiedenen Beziehungen rechtserheblich:

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36

Wicke, Rz. 2; Altmeppen, Rz. 4; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 43; Lutter, AcP 180 (1980), 130 f.; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 2; kritisch dazu aber Hadding in FS Kellermann, 1991, S. 91, 102 ff. Gl.M. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 23; zu Unrecht weiter gehend Habersack, Die Mitgliedschaft – subjektives und „sonstiges“ Recht, 1996, S. 152 ff.; s. dazu Reuter, AcP 197 (1997), 322 ff.; Hüffer, ZHR 161 (1997), 867 ff. RG v. 26.11.1920 – VII 286/20, RGZ 100, 274, 278; RG v. 21.9.1938 – II 183/37, RGZ 158, 248. Für einen ausschließenden Vorrang gesellschaftsrechtlicher Schadensersatz- und Abwehransprüche Wiedemann, S. 39; Teichmann in FS Mühl, 1981, S. 663, 677; Reuter in FS Lange, 1992, S. 721 ff.; Zöllner, ZGR 1988, 392, 430; Grunewald, Die Gesellschafterklage in der Personengesellschaft und der GmbH, 1990, S. 100; Beurskens in Noack/Servatius/Haas, § 43 Rz. 116; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 44; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 2; Verse in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, Rz. 34; im Detail unklar Kleindiek in Lutter/Hommelhoff, § 43 Rz. 49; a.M. Mertens in FS R. Fischer, 1979, S. 461, 469 ff. und in Hachenburg, 8. Aufl. 1997, § 43 Rz. 105 ff.; Karsten Schmidt, JZ 1991, 157 ff.; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 58; s. ferner BGH v. 12.3.1990 – II ZR 179/89, BGHZ 110, 323 – Schärenkreuzer (Verein). Vgl. BVerfG v. 20.7.1954 – 1 BvR 459/52, BVerfGE 4, 7, 26; BVerfG v. 7.8.1962 – 1 BvL 16/60, BVerfGE 14, 263, 276 f.; BVerfG v. 1.3.1979 – 1 BvR 532/77, BVerfGE 50, 290; BVerfG v. 27.4.1999 – 1 BvR 1613/94, BVerfGE 100, 289, 298, 301 zur Aktie.

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Einlagepflicht | Rz. 16 § 14

a) Privatrechtlich Der Anteilswert ist privatrechtlich vor allem für die Bemessung der Abfindungen oder Aus- 15 gleichszahlungen in den Fällen der Ausschließung und des Austritts aus wichtigem Grunde (s. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 22, 53), der Zwangseinziehung von Geschäftsanteilen (§ 34 Abs. 2), des Abschlusses von Beherrschungs- und/oder Gewinnabführungsverträgen, der Eingliederung (analog §§ 304, 305, 320 AktG)37 und des Austritts widersprechender Gesellschafter bei der Umwandlung der GmbH (§§ 29 ff., § 125 Satz 1, § 176 Abs. 2, §§ 207 ff. UmwG) von Bedeutung. Er ist darüber hinaus insbesondere für die Festlegung des Umtauschverhältnisses bei der Verschmelzung und Spaltung der GmbH (§ 5 Abs. 1 Nr. 3, § 15 Abs. 1, § 126 Abs. 1 Nr. 3, § 128 UmwG), für den (niedrigeren) Wertansatz im Jahresabschluss eines beteiligten Unternehmens (§ 253 Abs. 3 Satz 5 HGB) und für die Berechnung des Zugewinns beim gesetzlichen Güterstand (§§ 1373, 1376 BGB)38 sowie des Nachlasswerts für den Pflichtteilsanspruch (§ 2311 BGB)39 erheblich. Er kann ferner auch für die Bestimmung des Entgelts bei statutarischen Abtretungs- und Übernahmepflichten (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 33, 51 f., 60) und allgemein beim Beteiligungs- oder Unternehmenskauf zur Ermittlung des Kaufpreises maßgeblich sein. Die Anteilsbewertung ist schließlich kostenrechtlich Grundlage für die Ermittlung des Ge- 16 genstandswerts der anwaltlichen Tätigkeit (§ 23 Abs. 3 RVG).40. Notarkosten richten sich gemäß § 97 Abs. 3 GNotKG nach dem Wert der Leistungen des einen Teils, im Fall eines Auseinanderfallens von Leistung und Gegenleistung ist jedoch der höhere Wert maßgebend. Bei einer gewerblich geprägten GmbH wird in der Regel der Kaufpreis als (höherer) Wert gelten und kann damit als Anknüpfungspunkt für die Wertermittlung angesetzt werden41 – in diesem Fall ist eine Wertermittlung des Geschäftsanteils durch den Notar nicht erforderlich42. In den anderen Fällen, vor allem wenn ein Geschäftsanteil bewusst „unter Wert“ veräußert wird, z.B. zu einem symbolischen Kaufpreis von einem Euro, ist eine Bewertung des Geschäftsanteils nach Maßgabe des § 54 Satz 1 GNotKG vorzunehmen43. Danach ist für eine gewerblich geprägte GmbH als Mindestwert der anteilige Wert nach dem Eigenkapital i.S.v. § 266 Abs. 3 HGB heranzuziehen; die Bewertung der Grundstücke, Gebäude, grundstücksgleichen Rechte, Schiffe und Schiffsbauwerke erfolgt dabei gemäß § 54 Satz 2 i.V.m. §§ 46 ff.

37 Zur Frage der analogen Anwendung des § 305 AktG vgl. Leuschner in Habersack/Casper/Löbbe, Anh. § 77 Rz. 216 ff., 233; hier Emmerich, 13. Aufl., Anh. § 13 Konzernrecht Rz. 158, jeweils m.w.N. 38 BGH v. 9.3.1977 – IV ZR 166/75, BGHZ 68, 163; BGH v. 1.10.1986 – IVb ZR 69/85, NJW 1987, 321 = GmbHR 1987, 19; Hüttemann in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 1 Rz. 14; zu Einzelheiten Braunhofer, Unternehmens- und Anteilsbewertung, S. 107 ff. 39 BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 f.; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, NJW 1985, 192, 193 = GmbHR 1985, 113; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 21; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 14; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 11; Hüttemann in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 1 Rz. 15. 40 Vgl. BGH v. 17.4.1975 – III ZR 171/72, NJW 1975, 1417 (zu § 8 Abs. 2 BRAGebO i.V.m. § 39 Abs. 2 KostO a.F.). 41 Hierzu BGH v. 17.4.1975 – III ZR 171/72, NJW 1975, 1417; BayObLG v. 30.10.1984 – BReg 3 Z 204/84, BB 1985, 7; BayObLG v. 17.10.1991 – BReg 3 Z 114/91, MittBayNot 1992, 227; OLG Köln v. 14.2.2005 – 2 Wx 3/05, RNotZ 2005, 183; Diehn in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, § 54 GNotKG Rz. 12, § 97 GNotKG Rz. 38; Neie in BeckOK Kostenrecht, 36. Ed., § 54 GNotKG Rz. 5. 42 Vgl. auch Tiedtke in Korintenberg, § 54 GNotKG Rz. 11. 43 Eine Wertschätzung, wie sie nach alter Rechtslage erforderlich war, scheidet aus; vielmehr muss die Ermittlung des Geschäftswerts nach § 54 GNotKG erfolgen, vgl. Gläser in BeckOK Kostenrecht, 36. Ed., § 97 GNotKG Rz. 32.

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§ 14 Rz. 16 | Einlagepflicht GNotKG nicht nach Buch-, sondern nach Verkehrswerten44. Für überwiegend vermögensverwaltende Gesellschaften – insbesondere für Immobilienverwaltungs-, Objekt-, Holding-, Besitz- oder sonstige Beteiligungsgesellschaften – kann jedoch der Kaufpreis grundsätzlich nicht herangezogen werden; vielmehr ist gemäß § 54 Satz 3 GNotKG der auf den jeweiligen Anteil oder die Beteiligung entfallende Wert des Vermögens der Gesellschaft maßgeblich, und zwar gemäß § 38 GNotKG ohne Abzug der Schulden (Schuldenabzugsverbot)45. Bei einer überwiegend vermögensverwaltenden Gesellschaft ist somit ein Wertvergleich zwischen dem Kaufpreis und dem gemäß § 54 Satz 3 GNotKG errechneten Geschäftswert vorzunehmen, weil der kostenrechtlich relevante Wert des Geschäftsanteils den Wert der in der Regel um die Verbindlichkeiten der Gesellschaft verringerten Gegenleistung übersteigt46. 17 Über die Ermittlung des (vom Buchwert zu unterscheidenden wirklichen) Anteilswerts feh-

len für das Privatrecht ausdrücklich gesetzliche Vorschriften. Es ist deshalb durch Auslegung der jeweils einschlägigen Vorschrift nach Maßgabe des aus ihr sich ergebenden Bewertungszwecks, der in ihr enthaltenen sonstigen bewertungsrelevanten Vorgaben und des Regelungszusammenhangs festzustellen, welche Bewertungsmethode normgerecht ist und welche Bewertungselemente zu berücksichtigen sind47. Die Wertermittlung ist insoweit eine Rechtsfrage48. Der Anteilswert bemisst sich grundsätzlich nach dem dem Beteiligungsverhältnis entsprechenden Anteil am Verkaufswert des Unternehmens als Ganzes (d.i. der volle wirtschaftliche Wert des Geschäftsanteils)49, der unter Beachtung des rechtlichen Bewertungszwecks und der sonstigen rechtlich maßgebenden Wertfaktoren nach betriebswirtschaftlich anerkannten Bewertungsmethoden zu ermitteln ist. Betriebswirtschaftlich hat sich, soweit nicht dauernd unrentable oder ertragsschwache Unternehmen den Bewertungsgegenstand bilden oder Besonderheiten etwas anderes erfordern (z.B. bei Beschränkung der Unternehmenstätigkeit auf die Beteiligungsverwaltung oder Start up-Unternehmen), weitgehend die sog. Ertragswertmethode durchgesetzt, bei der der Substanzwert lediglich für den Wert des hinzuzusetzenden nicht betriebsnotwendigen (neutralen) Vermögens maßgebend ist und im Übrigen allenfalls noch eine kontrollierende und korrigierende Hilfsfunktion hat50. Teilweise 44 Tiedtke in Korintenberg, § 54 GNotKG Rz. 4; zum Berechnungsmodus für § 54 Satz 1 und 2 GNotKG vgl. Neie in BeckOK Kostenrecht, 36. Ed., § 54 GNotKG Rz. 11, 13. 45 Vgl. Diehn in Bormann/Diehn/Sommerfeldt, § 54 GNotKG Rz. 2; Tiedtke in Korintenberg, § 54 GNotKG Rz. 10. 46 Vgl. Tiedtke in Korintenberg, § 54 GNotKG Rz. 10. 47 BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90, AG 1996, 127, 128; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 9. Aufl. 2020, Rz. 28, 79 ff.; Ränsch, AG 1984, 202, 204; Neuhaus, Unternehmensbewertung und Abfindung, 1990, S. 64 f.; Hüttemann, ZHR 162 (1998), 563 ff.; Hüttemann in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 1 Rz. 25; Braunhofer, S. 8 ff., jeweils m.w.N. 48 Nachw. in der vorherigen Fn. sowie Piltz, Unternehmensbewertung in der Rechtsprechung, 3. Aufl. 1994, S. 121 ff.; Karsten Schmidt, Handelsrecht, 6. Aufl. 2014, § 3 II 2; Raiser in Habersack/Casper/ Löbbe, Rz. 13; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 22; Altmeppen, Rz. 6; Hüttemann in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 1 Rz. 5. 49 BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464; BGH v. 20.9.1971 – II ZR 157/68, WM 1971, 1450; BGH v. 8.2.1979 – III ZR 2/77, WM 1979, 429, 432, 433; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = NJW 1985, 192; BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130, 137; BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195, 199 = GmbHR 1980, 200; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 370 f. = GmbHR 1992, 257; OLG Hamm v. 23.1.1963 – 8 AR 1/60, DB 1963, 446; OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, GmbHR 1998, 641, 642; Großfeld, JZ 1981, 769; Großfeld/Egger/Tönnes, Recht der Unternehmensbewertung, 9. Aufl. 2020, Rz. 143 ff.; Piltz, S. 55, 207; Braunhofer, S. 84 f. 50 Hierzu Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishdb. der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2019, S. 57 ff.; Seppelfricke, Hdb. Aktien- und Unternehmensbewertung, 4. Aufl. 2012, S. 175 ff., 186; Institut der Wirtschaftsprüfer, IDW S 1: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, 2.4.2008, WPg Supplement 3/2008, S. 68 ff.; vorher: Stellungnahme des Hauptfachausschusses

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Einlagepflicht | Rz. 18 § 14

wird auch (daneben) die Anwendung der Discounted-Cash-Flow-Methode (Rz. 19), von transaktionsbezogenen Bewertungsmethoden (z.B. Past Transactions Comparison Method51) oder kapitalmarktorientierten Vergleichsmethoden (z.B. Comparative Company Approach52) befürwortet. Die früher gebräuchlichen Methoden der Unternehmenswertermittlung aus Kombinationen des Substanz-(Reproduktions-) und des Ertragswertes oder nach dem Substanzwert unter Zuschlag eines Geschäftswertes werden dagegen heute nur noch in extremen Einzelfällen vertreten. Die Anwendung einer bestimmten Bewertungsmethode ist (verfassungs-)rechtlich nicht 18 vorgeschrieben53. Die Rechtsprechung54 hat sich mit der Unternehmensbewertung hauptsächlich im Zusammenhang mit der Abfindung von Aktionären und mit der Zugewinn- und Pflichtteilsberechnung, vereinzelt aber auch mit der Abfindung von Mitgliedern der GmbH55 befasst. Sie hat dabei früher zumeist die Substanzwertmethode unter Berücksichtigung der Ertragskraft durch den zusätzlichen Ansatz eines Firmenwertes oder den good will56, aber auch die Mittelwertmethode angewandt57, in neuerer Zeit indes praktisch ausschließlich die Ertragswertmethode (z.T. mit Einschränkungen) zugrunde gelegt58, die zwar verfassungs-

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(HFA) des Instituts der Wirtschaftsprüfer: Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen, WPg 1983, 468 ff. und hierzu; Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, 8. Aufl. 1995; Sieben, Unternehmensbewertung, HWB, 5. Aufl. 1993, Sp. 4315 ff. Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishdb. der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2019, S. 88 ff.; Piltz, S. 41 f. Mandl/Rabel in Peemöller, Praxishdb. der Unternehmensbewertung, 7. Aufl. 2019, S. 84; Helbling, Unternehmensbewertung und Steuern, 8. Aufl. 1995, S. 129 ff.; Piltz, S. 41. BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, ZIP 2011, 1051; BGH v. 23.11.1962 – V ZR 148/60, LM § 2311 BGB Nr. 5; BGH v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, WM 1972, 687; BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509 f.; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40; BGH v. 24.10.1990 – XII ZR 101/89, NJW 1991, 1547, 1548; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, NJW 1993, 2101, 2103 = GmbHR 1993, 505; BGH v. 28.4.1977 – II ZR 208/75, WM 1977, 781, 782; BGH v. 26.10.1983 – II ZR 44/83, GmbHR 1985, 18, 19; BGH v. 23.11.1977 – IV ZR 131/76, BGHZ 70, 224, 225; OLG Hamm v. 23.1.1963 – 8 AR 1/60, DB 1963, 446; KG v. 15.12.1970 – 1 W 2982/69, WM 1971, 764; OLG Düsseldorf v. 29.10.1976 – 19 W 6/73, WM 1977, 797; OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, ZIP 1984, 586; OLG Celle v. 4.4.1979 – 9 Wx 2/77, DB 1979, 1031; BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, BB 1995, 1759, 1760 = GmbHR 1995, 662. Hierzu Wüstemann, BB 2011, 1707 ff.; Piltz, S. 121 ff.; Braunhofer, S. 35 ff.; Thoennes, Die Rechtsprechung zur Unternehmensbewertung aus der Sicht der Berufspraxis in 50 Jahre Wirtschaftsprüferberuf, 1981, S. 265 ff.; Hüttemann in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 1 Rz. 29 f. BGH v. 28.4.1977 – II ZR 208/75, WM 1977, 781 betr. Einziehungsentgelt u. BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257; OLG Köln v. 19.12.1997 – 4 U 31/97, GmbHR 1998, 641, 642 betr. Abfindung beim Austritt. Vgl. Piltz, S. 203 ff. BGH v. 30.9.1981 – IVa ZR 127/80, DB 1982, 106 betr. Pflichtteilsberechnung; OLG Saarbrücken v. 28.6.1984 – 6 UF 181/82 GÜR, FamRZ 1984, 794. BGH v. 8.2.1979 – III ZR 2/77, WM 1979, 429, 432; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, GmbHR 1993, 505 = NJW 1993, 2101; BGH v. 24.9.1984 – II ZR 256/83, GmbHR 1985, 113 = NJW 1985, 192; BGH v. 1.10.1986 – IVb ZR 69/85, GmbHR 1987, 19 = NJW 1987, 321; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257; BGH v. 19.6.1995 – II ZR 58/94, ZIP 1995, 1256, 1258 f. = GmbHR 1995, 302; BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, ZIP 1998, 1161, 1165; OLG Celle v. 4.4.1979 – 9 Wx 2/77, DB 1979, 1031; OLG Hamburg v. 17.8.1979 – 11 W 2/79, DB 1980, 77; OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, ZIP 1984, 586; OLG Düsseldorf v. 11.4.1988 – 19 W 32/86, ZIP 1988, 1555; OLG Düsseldorf v. 2.8.1994 – 19 W 1/93 AktE, WM 1995, 756, 761; OLG Düsseldorf v. 7.6.1990 – 19 W 13/86, ZIP 1990, 1333, 1336; OLG Düsseldorf v. 12.2.1992 – 19 W 3/91, AG 1992, 200, 203; OLG Frankfurt v. 24.1.1989 – 20 W 477/86, AG 1989, 442; OLG Zweibrücken v. 9.3.1995 – 3 W 133/92, WM 1995, 980, 981; BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, BB 1995, 1759, 1760 = GmbHR 1995, 662; BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90, AG 1996, 127; OLG Köln v.

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§ 14 Rz. 18 | Einlagepflicht rechtlich unbedenklich, deshalb in ihrer Anwendung jedoch nicht von Verfassungswegen geboten ist59. Bei der gerichtlichen Überprüfung der Bewertung haben die Gerichte zu entscheiden, ob die richtige Bewertungsmethode zugrunde gelegt wurde, ob die Methode zutreffend angewandt wurde und ob die einzelnen in die Bewertung eingegangenen Faktoren zutreffend berücksichtigt wurden, wobei diese Fragen auch der revisionsgerichtlichen Nachprüfung zugänglich sind60. Das Ergebnis der Bewertung durch einen Sachverständigen ist vom Gericht nach §§ 286, 287 ZPO tatrichterlich frei zu würdigen61. Soweit es sich dabei um Tatsachenfragen handelt, ist die rechtliche Nachprüfung in der Revisionsinstanz nach den allgemeinen zivilprozessualen Grundsätzen ausgeschlossen62. 19 Die gesellschaftsrechtliche Praxis folgt bei Unternehmensbewertungen im Regelfall einer

(ggf. modifizierten) Ertragswertmethode63, daneben auch das hiermit verwandte Discounted-Cash-Flow-Verfahren (DCF); im Regelfall wird hierbei IDW Standard „S 1“ – Grundsätze zur Durchführung von Unternehmensbewertungen (IDW S 1) – angewandt64. Zur Bestimmung des Unternehmenswertes sind dem Ertragswert die zu schätzenden Nettoeinzelveräußerungserlöse des nicht betriebsnotwendigen Vermögens hinzuzurechnen und die nicht betriebsbedingten Verbindlichkeiten abzuziehen65. Zur Plausibilisierung werden nicht selten noch transaktionsbezogene oder kapitalmarktorientierte Vergleichsmethoden (Rz. 17 a.E.) herangezogen. Für Sonderfälle weicht die Bewertungspraxis aber von Vorstehendem ab. Sie setzt bei vermögenverwaltenden oder mit einem außergewöhnlich hohen Anteil an nicht betriebsnotwendigem Vermögen ausgestatteten Unternehmen deren Substanzwert66 und bei freiberuflichen sowie anderen stark personenbezogenen Unternehmen deren Substanzwert zuzüglich

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19.12.1997 – 4 U 31/97, GmbHR 1998, 641, 642. – Zur Ertragswertmethode z.B. Caumanns in Kiem, Kaufpreisregelungen beim Unternehmenskauf, 2. Aufl. 2018, § 1 Rz. 80 ff. BVerfG v. 26.4.2011 – 1 BvR 2658/10, ZIP 2011, 1051, 1053. BGH v. 18.4.2002 – IX ZR 72/99, BGHZ 150, 319, 323; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. BGH v. 28.4.1977 – ZR 208/75, WM 1977, 781; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40; OLG Düsseldorf v. 29.10.1976 – 19 W 6/73, WM 1977, 797; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40; BGH v. 23.10.1985 – IVb ZR 62/84, WM 1986, 234, 236; vgl. auch Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 13. Vgl. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40; BGH v. 23.10.1985 – IVb ZR 62/84, WM 1986, 234, 236; Piltz, S. 125 ff.; Ulmer in FS Quack, 1991, S. 477, 490 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 15; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 48; zu den einzelnen Bewertungsmethoden vgl. Caumanns in Kiem, Kaufpreisregelungen beim Unternehmenskauf, 2. Aufl. 2018, § 1. Aus der Rechtsprechung vgl. OLG Düsseldorf v. 31.1.2003 – 19 W 9/00 AktE, AG 2003, 329, 333; LG München v. 25.2.2002 – 5HK O 1080/96, AG 2002, 563, 566; BayObLG v. 28.10.2005 – 3Z BR 71/00, AG 2006, 41, 42 f. (alle zur AG); aus der Literatur vgl. Caumanns in Kiem, Kaufpreisregelungen beim Unternehmenskauf, 2. Aufl. 2018, § 1 Rz. 21 ff.; Böcking/Rauschenberg in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 2 Rz. 44 ff. BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, AG 1978, 196, 199; BGH v. 19.6.1995 – II ZR 58/94, ZIP 1995, 1256, 1258 = GmbHR 1995, 302; OLG Celle v. 4.4.1979 – 9 W 2/77, AG 1979, 230, 232; OLG Düsseldorf v. 17.2.1984 – 19 W 1/81, ZIP 1984, 586, 588; OLG Düsseldorf v. 11.4.1988 -19 W 32/86, ZIP 1988, 1555, 1556; OLG Düsseldorf v. 12.2.1992 – 19 W 3/91, AG 1992, 200, 203; BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, BB 1995, 1759, 1760 = GmbHR 1995, 662; BayObLG v. 19.10.1995 – 3Z BR 17/90, AG 1996, 127, 130. BGH v. 24.5.1993 – II ZR 36/92, GmbHR 1993, 505 = NJW 1993, 2101; OLG Düsseldorf v. 11.4.1988 – 19 W 32/86, ZIP 1988, 1555; LG Berlin v. 24.11.1982 – 98 AktE 3/80, AG 1983, 135; Piltz, S. 129; Korth, BB 1992 Beil. 19, S. 5; zur Berechnung des Substanzwerts vgl. Franken/Schulte in Fleischer/ Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 11 Rz. 75 ff.

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Einlagepflicht | Rz. 20 § 14

eines eventuellen Goodwill an67. Als Wertuntergrenze wird gesellschaftsrechtlich68 der Liquidationswert des Unternehmens angenommen, sofern seine Abwicklung nicht aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen ausgeschlossen ist69. Der anteilige Unternehmenswert, der einem Geschäftsanteil zuzurechnen ist, richtet sich zunächst nach der durch ihn gewährten Beteiligung an den Rechten und Pflichten, also nach dem Verhältnis der Nennbeträge der Geschäftsanteile (s. Rz. 6)70. Sonderrechte und Sonderpflichten (s. Rz. 27 ff., 37), soweit sie bewertungsrelevant sind (z.B. ein Veräußerungserlösvorrecht, erhöhtes Gewinnrecht, Mehrfachstimmrecht, Bestellungsrecht für Geschäftsführer, Pattauslösungsrecht), beeinflussen daher den zuzurechnenden Unternehmenswertanteil. Unabhängig davon können nach dem jeweiligen Bewertungszweck auch andere Umstände es erforderlich machen, die Bewertung des Geschäftsanteils mit dem quotalen Anteil am Unternehmenswert durch Zu- oder Abschläge zu korrigieren, so z.B. die Größe der Beteiligung und die durch sie vermittelte Einflussmöglichkeit auf die Gesellschaft und andere Unternehmen, die Beschränkung oder der Ausschluss der Übertragbarkeit der Geschäftsanteile71, statutarische Abfindungsbeschränkungen in Ausscheidensfällen72, besondere Risiken oder steuerliche Folgen (z.B. Wegfall von Verlustvorträgen, § 8c KStG)73. Der Gesellschaftsvertrag kann eine abweichende Anteilsbewertung für die Zwecke statutari- 20 scher Abtretungspflichten oder Erwerbsrechte oder für die Zwangseinziehung nur insoweit wirksam treffen, als der Anspruch, dessen Höhe sich nach ihr bemessen soll, der statutarischen Disposition unterliegt74. Für andere Fälle wird es angesichts der Uneinheitlichkeit der Bewertungsmethoden als zulässig zu erachten sein, dass er mit Wirkung für das Gesellschaftsverhältnis (nicht zwischen Dritten, z.B. dem Gesellschafter-Erben und dem Pflichtteilsberechtigten) in den Grenzen der betriebswirtschaftlich anerkannten Bewertungsmethoden Zweifelsfragen regelt oder Bewertungsspielräume unerheblich einengt. Verweist der Gesellschaftsvertrag für die Anteilsbewertung auf eine (steuer)gesetzliche Norm, ein (steuer) 67 BGH v. 26.10.1972 – VII ZR 232/71, NJW 1973, 98, 100; BGH v. 13.10.1976 – IV ZR 104/74, NJW 1977, 378; BGH v. 23.11.1977 – IV ZR 131/76, BGHZ 70, 224; OLG Koblenz v. 11.1.1988 – 13 UF 1492/86, FamRZ 1988, 950; OLG München v. 13.3.1984 – 4 UF 195/83, FamRZ 1984, 1096; OLG München v. 5.3.1987 – 4 WF 11/87, NJW-RR 1988, 262; AG Münster v. 9.1.2007 – 46 F 858/05, NJW 2007, 2645 f. Vgl. dazu aber Braunhofer, S. 103 ff. m.w.N. 68 Anders für die Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsberechnung bei Unternehmensfortführung BGH v. 17.1.1973 – IV ZR 142/70, NJW 1973, 509, 510; BGH v. 1.7.1982 – IX ZR 34/81, NJW 1982, 2441; BGH v. 7.5.1986 – IVb ZR 42/85, FamRZ 1986, 776, 779. Kritisch dazu Piltz, S. 170 ff.; Braunhofer, S. 167 ff., jeweils m.w.N. 69 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40; OLG Hamm v. 23.1.1963 – 8 AR 1/60, DB 1963, 446; BayObLG v. 31.5.1995 – 3Z BR 67/89, BB 1995, 1759, 1760 = GmbHR 1995, 662; LG Frankfurt v. 16.5.1984 – 3/3 AktE 144/80, AG 1985, 310; LG Dortmund v. 6.8.1993 – 18 AktE 1/87, AG 1994, 85; HFA-Grundsätze, WPg 1983, 468, 479; Piltz, S. 30; Braunhofer, S. 79 f.; Hüttemann in Fleischer/Hüttemann, Rechtshandbuch Unternehmensbewertung, 2. Aufl. 2019, § 1 Rz. 27; a.M. OLG Düsseldorf v. 11.4.1988 – 19 W 32/86, ZIP 1988, 1555; OLG Düsseldorf v. 11.1.1990 – 19 W 6/86, AG 1990, 397, 399; s. auch BGH v. 8.5.1998 – BLw 18/97, ZIP 1998, 1161, 1166. 70 Vgl. dazu BGH v. 21.4.1955 – II ZR 227/53, BGHZ 17, 130; BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195, 199 = GmbHR 1980, 200; BGH v. 30.3.1967 – II ZR 141/64, NJW 1967, 1464; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359 = GmbHR 1992, 257. 71 BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195 = GmbHR 1980, 200; BGH v. 1.10.1986 – IVb ZR 69/85, GmbHR 1987, 19 = NJW 1987, 321; OLG Oldenburg v. 15.6.1995 – 1 U 126/90, GmbHR 1997, 503, 505. 72 BGH v. 10.10.1979 – IV ZR 79/78, BGHZ 75, 195, 201 f. = GmbHR 1980, 200. 73 Vgl. dazu Braunhofer, S. 86 ff., jeweils m.w.N. 74 Zur Abtretung oder Einziehung im Erbfall s. 13. Aufl., § 15 Rz. 30, 32; zum Austritt oder zur Ausschließung aus wichtigem Grunde s. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 19; zur Einziehung bei Anteilspfändung oder Insolvenz des Anteilsinhabers s. 13. Aufl., § 15 Rz. 205. Allgemein zur Einziehung unter Wert vgl. 13. Aufl., § 34 Rz. 71 ff.

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§ 14 Rz. 20 | Einlagepflicht verwaltungsrechtliches Verfahren (z.B. Ertragswertverfahren nach dem Leitfaden der OFD Münster und Rheinland75) oder auf berufsständische Verfahren (z.B. Institut der Wirtschaftsprüfer (IdW), Stellungnahme S1), so ist bei fehlender ausdrücklicher Regelung durch Auslegung zu ermitteln, ob die zum Zeitpunkt ihrer Vereinbarung (statische Verweisung) oder die zum Zeitpunkt der Wertermittlung geltenden Vorschriften anzuwenden sind (dynamische Verweisung). Im Regelfall wird die gebotene objektive Auslegung der Satzungsbestimmung für das Verständnis einer dynamischen Verweisung sprechen, wie dies auch die Rechtsprechung bei Gesetzesverweisen in Ruhegehaltsvereinbarungen entschieden hat76. Allerdings können auch bestimmte Umstände oder sonstige Satzungsbestimmungen für eine Auslegung als statische Verweisung streiten, insbesondere wenn es den Gesellschaftern erkennbar um die Heranziehung bestimmter Wertermittlungsvorschriften ging und eine Unterwerfung unter die zufällige Weiterentwicklung dieser Vorschriften erkennbar nicht gewollt war. b) Steuerrechtlich 21 Steuerrechtlich ist für die Erbschaft- und Schenkungsteuer der gemeine Wert des Geschäfts-

anteils i.S.d. §§ 9, 11 BewG maßgebend, d.h. der Betrag, der als Preis im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Geschäftsanteils bei einer Veräußerung zu erzielen wäre (§ 9 Abs. 2 BewG). Der gemeine Wert ist, wenn er sich nicht aus weniger als ein Jahr zurückliegenden Verkäufen im gewöhnlichen Geschäftsverkehr (oder aus der Übernahme neuer Geschäftsanteile bei Kapitalerhöhungen77) ableiten lässt, unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der GmbH zu schätzen (§ 11 Abs. 2 BewG). Maßgeblich ist seit der Erbschaftsteuerreform 2009 – und auch nach der erneuten Erbschaftsteuerreform 201678 – das vereinfachte (vergangenheitsorientierte) Ertragswertverfahren der §§ 199 ff. BewG, demzufolge sich der Anteilswert aus dem zukünftig nachhaltig erzielbaren Jahresertrag multipliziert mit einem Kapitalisierungsfaktor (vgl. § 203 BewG: fester Kapitalisierungsfaktor von 13,75 %79) und quotaler Aufteilung dieses Ergebnisses nach Beteiligungsverhältnis ergibt80. Dies kann zu nach Marktgesichtspunkten überhöhten Werten führen81; führt dieses Verfahren umgekehrt zu einem Ergebnis, das unter dem Substanzwert liegt, ist jener als Bemessungsgrundlage heranzuziehen (§ 11 Abs. 2 Satz 3 BewG). Gesellschaftsvertragliche Abfindungsklauseln, die Bezug auf das frühere sog. Stuttgarter Verfahren nehmen, sind durch Auslegung dahingehend zu überprüfen, ob sie eine statische oder dynamische Verweisung auf das Ermittlungsverfahren für den gemeinen Wert eines Anteils beinhalten82.

75 Leitfaden der OFD Münster und Rheinland (v. 15.11.2007 – S2244-1008-St14), 4. Fassung v. Jan. 2007 (abrufbar unter: www.datenbank.nwb.de/dokument/Anzeigen/281184). 76 BGH v. 27.3.1984 – IX ZR 147/83, WM 1984, 900; BGH v. 8.10.1979 – II ZR 177/78, GmbHR 1981, 59 = NJW 1980, 1741; BGH v. 20.9.1993 – II ZR 104/92, NJW 1993, 3193; BAG v. 10.8.1982 – 3 AZR 90/81, ZIP 1983, 104, 106. 77 BFH v. 5.2.1992 – II R 185/87, BStBl. II 1993, 266 = GmbHR 1992, 624. 78 Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, BGBl. I 2016, 2464. 79 Mit dieser Normierung 2016 soll der wegen des Niedrigzinsumfelds erfolgenden Überbewertung von Unternehmen im Rahmen der Unternehmenswertermittlung im vereinfachten Ertragswertverfahren entgegengewirkt werden; vgl. BT-Drucks. 18/8911, S. 47. 80 Leitzen, RNotZ 2009, 315, 316; Oppenländer in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishdb. der GmbH-Geschäftsführung, 3. Aufl. 2020, § 9 Rz. 44. 81 Vgl. Leitzen, RNotZ 2009, 315 ff.; Oppenländer in Oppenländer/Trölitzsch, Praxishdb. der GmbHGeschäftsführung, 3. Aufl. 2020, § 9 Rz. 44. – Zur Überbewertung in einem Niedrigzinsumfeld bis 2016: Welling/Kambeck, DB 2014, 2732 ff.; Riedel, ZErb 2015, 213 ff. 82 OLG Naumburg v. 2.10.2006 – 2 U 14/06, BeckRS 2007, 00361; im Zweifel dynamische Verweisung; dazu ausführlich Leitzen, RNotZ 2009, 315, 321.

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Einlagepflicht | Rz. 21 § 14

Auch für ertragsteuerliche Zwecke nutzt die Finanzverwaltung nicht mehr das Stuttgarter Verfahren83, sondern zum einen ein sich am IDW S1 (Rz. 19) orientierendes Ertragswertverfahren, das in einem „Leitfaden zur Bewertung von (Anteilen an) Kapitalgesellschaften für ertragssteuerliche Zwecke“ zusammengefasst ist84, und zum anderen das vereinfachte Ertragswertverfahren (s. oben) im Gleichlautenden Erlass der obersten Finanzbehörden der Länder „zur Umsetzung des Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts vom 17.5.2011“85.

III. Rechte und Pflichten der Gesellschafter im Allgemeinen Schrifttum: Altmeppen, Kernbereichslehre, Bestimmtheitsgrundsatz und Vertragsfreiheit in der Personengesellschaft, NJW 2015, 2065; Baltzer, Die gesellschaftliche Treupflicht im Recht der AG und GmbH, 1967; Baumgärtner, Rechtsformübergreifende Aspekte der gesellschaftlichen Treuepflicht im deutschen und angloamerikanischen Recht, 1990; Bopp, Die Informationsrechte des GmbH-Gesellschafters, 1991; Cohn, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Mitglieder im Verbandsrecht, AcP 132 (1932), 129; Dreher, Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht bei der GmbH, DStR 1993, 1632; Ebenroth, Die Kontrollrechte der GmbH-Gesellschafter – eine methodische Studie zur GmbH-Reform, 1971; Ebenroth, Die Geschäftsführerkontrolle durch den GmbH-Gesellschafter nach geltendem und künftigem Recht, 1972; v. Falkenhausen, Verfassungsrechtliche Grenzen der Mehrheitsherrschaft nach dem Recht der Kapitalgesellschaften, 1967; R. Fischer, Die Grenzen bei der Ausübung gesellschaftlicher Mitgliedschaftsrechte, NJW 1954, 777; Flume, Die juristische Person, 1983; Gadow, Die Sonderrechte der Körperschaftsmitglieder, Gruch. 66, 514; Grunewald, Einsichts- und Auskunftsrecht des GmbH-Gesellschafters nach neuem Recht, ZHR 146 (1982), 211; Grüter, Gleichbehandlung im Gesellschaftsrecht, 1959; Henze, Treuepflichten der Gesellschafter im Kapitalgesellschaftsrecht, ZHR 162 (1998), 186; A. Hueck, Der Treuegedanke im modernen Privatrecht, 1947; G. Hueck, Der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung im Privatrecht, 1958; Immenga, Die personalistische Kapitalgesellschaft, 1970; Kipp, Körperschaftliche Rechtsverhältnisse, IherJ 35, 319; Kipp, Bindung von Rechtsmacht durch Treuepflichten, in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 189; Ivens, Das Fördergebot des GmbH-Gesellschafters, GmbHR 1988, 249; Kühn, Die Minderheitsrechte in der GmbH und ihre Reform, 1964; M. Lehmann, Die ergänzende Anwendung von Aktienrecht auf die GmbH, 1970; Less, Der Begriff der Sonderrechte nach § 35 BGB, 1928; Lutter, Rechtsverhältnisse zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft, in Probleme der GmbH-Reform, 1970, 63; Lutter, Theorie der Mitgliedschaft, AcP 180 (1980), 84; Lutter, Treuepflichten und ihre Anwendungsprobleme, ZHR 162 (1998), 164; Markowitsch, Das Problem der Sonderrechte der Körperschaftsmitglieder, 1910; Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970; Martens, Die GmbH und der Minderheitenschutz, GmbHR 1984, 265; Martens, Grundlagen und Entwicklung des Minderheitenschutzes in der GmbH, in FS 100 Jahre GmbHG, 1992, S. 607; Müller-Erzbach, Das private Recht der Mitgliedschaft als Prüfstein eines kausalen Rechtsdenkens, 1948; Obermüller, Die Minderheitsrechte in der GmbH, DB 1967, 1971; Ott, Recht und Realität der Unternehmenskorporation, 1977; Paschke, Treuepflichten im Recht der juristischen Person, in FS R. Serick, 1992, S. 313; Raiser, Der Gleichheitsgrundsatz im Privatrecht, ZHR 111 (1948), 75; Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969; Raiser, Die Treuepflichten im GmbH-Recht als Beispiel der Rechtsfortbildung, ZHR 151 (1987), 422; Regelsberger, Entziehbare und unentziehbare Rechte der Mitglieder einer Corporation, SeuffBl. 60, 1; Roitzsch, Der Minderheitenschutz im Verbandsrecht, 1981; Rücker, Die Entziehung von Sonderrechten eines GmbH-Gesellschafters wegen missbräuchlicher Rechtsausübung, 1969; Rückersberg, Minderheitenschutz bei der GmbH, HansGRZ 1940, A, 205; Schäfer, Der stimmrechtslose GmbH-Geschäftsanteil, 1997; Schäfer, Stimmrechtslose Anteile in der GmbH, GmbHR 1998, 113 u. 168; H. M. Schmidt, Die gegenseitige Treupflicht der GmbH-Gesellschafter, GmbHR 1960, 137; U. Schmidt, Die Mitgliedschaft in Verbänden, 1989; F. Scholz, Die Rechte eines Minderheitengesellschaf-

83 Anwendung erfolgte nur bis zum 12.12.2006 (SEStEG). 84 Leitfaden der OFD Münster und Rheinland (v. 15.11.2007 – S2244-1008-St14), 4. Fassung v. Jan. 2007 (abrufbar unter: www.datenbank.nwb.de/Dokument/281184). 85 BStBl. I 2011, 606; vgl. auch BMF-Schreiben vom 22.9.2011 betr. Bewertung von Unternehmen und Anteilen an Kapitalgesellschaften; Anwendung der bewertungsrechtlichen Regelungen für ertragsteuerliche Zwecke, BStBl. I 2011, 859.

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§ 14 Rz. 22 | Einlagepflicht ters in der GmbH, GmbHR 1955, 36; A. Schultze, Organschaftsrechte als Sonderrechte, IherJ 75, 455; A. Teichmann, Gestaltungsfreiheit in Gesellschaftsverträgen, 1970; Teichmann, Rechte des Einzelnen und Befugnisse der Minderheit, in GmbH-Reform, 1970, S. 59; Waldenberger, Sonderrechte der Gesellschafter einer GmbH – ihre Arten und ihre rechtliche Behandlung, GmbHR 1997, 49; Wertenbruch, Abschied vom Bestimmtheitsgrundsatz und Kernbereichslehre im Beschlussanfechtungssystem der Personengesellschaft, DB 2014, 2875; Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung des § 242 BGB, 1956; Wiedemann, Zu den Treuepflichten im Gesellschaftsrecht, in FS Heinsius, 1991, S. 949; Winkler, Die Lückenausfüllung des GmbH-Rechts durch das Recht der Personengesellschaften, 1967; M. Winter, Mitgliedschaftliche Treuebindungen im GmbH-Recht, 1988; Wolany, Rechte und Pflichten der Gesellschafter einer GmbH, 1964; Wohlleben, Informationsrechte des Gesellschafters, 1989; Ziemons, Die Haftung der Gesellschafter für Einflussnahme auf die Geschäftsführung der GmbH, 1996; Zöllner, Die Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht bei den privatrechtlichen Personenverbänden, 1963. Weitere Lit.-Nachw. vor Rz. 2.

1. Gesellschaftsrechtliche und schuldrechtliche Rechte und Pflichten a) Gesellschaftsrechtliche Rechte und Pflichten 22 Gesellschaftsrechtlich sind alle nach Gesetz oder Satzung aus dem Gesellschaftsverhältnis

sich ergebenden Rechte und Pflichten der Mitglieder. Die übliche Einteilung in Verwaltungsrechte (z.T. enger Organschafts-, Herrschafts- oder Teilhaberechte genannt) und Vermögensrechte (auch als Wertrechte bezeichnet) erfasst sie nur unvollständig, z.B. lässt sich das statutarische Wettbewerbsverbot oder die statutarische Zustimmungsbefugnis zur Anteilsveräußerung (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 126) in keine der beiden Gruppen einordnen. Geeigneter scheint deshalb die Unterscheidung nach der personen- und vermögensrechtlichen Seite der Mitgliedschaft86, die die Mitgliedschaftsrechte im Gegensatz zu anderen Einteilungen umfassend und ohne Überschneidungen erfasst, dabei allerdings eine unzureichende funktionelle Kennzeichnung in Kauf nimmt. Der personenrechtliche Bereich umfasst insbesondere die Mitverwaltungsrechte i.e.S. (z.B. die Rechte auf Einberufung u. Teilnahme an sowie auf Anhörung in Gesellschafterversammlungen, das Stimmrecht, das Anfechtungsrecht, besondere Zustimmungsrechte zu Gesellschaftsangelegenheiten, das Recht auf Geschäftsführeramt), das Austrittsrecht aus wichtigem Grund (s. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 6 ff.), die Informations- und Kontrollrechte (z.B. das Auskunfts- und Einsichtsrecht, das Recht auf Mitgliedschaft im Aufsichtsrat oder zur Entsendung eines Aufsichtsratsmitglieds) sowie die Treuepflichten (Rz. 64 ff.) und Wettbewerbsverbote (Rz. 113). Vermögensrechtlich sind vor allem die Beitragspflichten (Leistung des Geschäftsanteils, Nachschüsse oder sonstige Beitragsleistungen nach § 3 Abs. 2, z.B. eine Darlehensgewährung), das Bezugsrecht (s. 12. Aufl., § 55 Rz. 42 ff.), die Beteiligung am Jahresüberschuss, Haftungspflichten aus §§ 24, 31 Abs. 3, Nebenleistungspflichten gemäß § 3 Abs. 2 und die Beteiligung am Liquidationsüberschuss zu nennen. Die gesellschaftlichen Rechte und Pflichten sind Bestandteil der Mitgliedschaft und gehen, sofern der Gesellschaftsvertrag nicht zulässigerweise eine Ausnahme macht oder diese sich aus der Natur des Rechts oder der Pflicht ergibt (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 103; 13. Aufl., § 15 Rz. 16, 32), auf den Anteilserwerber über. Die gesonderte Abtretung einzelner Mitgliedschaftsrechte an Dritte ist nur bei bestimmten Ansprüchen vermögensrechtlicher Art statthaft (vgl. Rz. 50 und 13. Aufl., § 15 Rz. 20 f.). Eine befreiende Schuldübernahme ist für gesellschaftliche Pflichten unzulässig; bei Nebenleistungspflichten vermögensrechtlicher Art aus § 3 Abs. 2 erfordert die Entlas86 Wiedemann, S. 32 ff.; dem folgend Ebbing in Michalski u.a., Rz. 55 ff.; ähnlich Raiser in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 25; vgl. auch Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 77 ff. Über weitere Einteilungen vgl. Teichmann, S. 143 f. (Mitverwaltungsrechte u. einfache Mitgliedschaftsrechte), Karsten Schmidt, GesR, § 19 III 3c (Teilhaberechte, Schutzrechte u. Vermögensrechte), Wolany, S. 155, 162 ff., Müller-Erzbach, S. 207 ff. (gemeinnützige Mitgliedschaftsrechte, selbstnützige Mitgliedschaftsrechte, Sonderrechte).

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Einlagepflicht | Rz. 24 § 14

sung des Gesellschafter-Schuldners eine Satzungsänderung (über Erlöschensgründe vgl. 13. Aufl., § 3 Rz. 107 ff.). b) Schuldrechtliche Rechte und Pflichten Schuldrechtlich sind Rechte und Pflichten, die begründet werden durch Vereinbarungen zwi- 23 schen den Gesellschaftern persönlich (s. 13. Aufl., § 3 Rz. 145 ff.). Solche Vereinbarungen können unterschiedliche Inhalte haben, z.B.: Einigung über die Bestellung einer bestimmten Person zum Geschäftsführer oder Aufsichtsratsmitglied; Verpflichtung, in einer bestimmten Angelegenheit in bestimmtem Sinne zu stimmen; Zusicherung von Büroräumen; Darlehensversprechen usw. (s. dazu 13. Aufl., § 3 Rz. 157 f.). Auch eine Innengesellschaft bürgerlichen Rechts kann für solche Zwecke gegründet werden87. Die Vereinbarungen sind nicht nach GmbH-Recht, sondern nach allgemeinem bürgerlichen Recht zu behandeln. Der Umstand, dass die Beteiligten zugleich Gesellschafter der GmbH sind und die Vereinbarung sich auf diese bezieht, kann zwar für deren Auslegung nach §§ 133, 157 BGB und für die Bewirkung der Leistung nach § 242 BGB bedeutsam sein, ändert aber an ihrem besonderen Charakter nichts. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht aus der Mitgliedschaft in der GmbH ist auf diese Leistungsbeziehung nicht anwendbar; möglich ist u.U. aber, dass die Gesellschafter durch nebenvertragliche Bestimmungen gegen ihre Pflichten in der GmbH verstoßen (über Abreden sog. verdeckter Sacheinlagen vgl. 13. Aufl., § 19 Rz. 116 ff.). Die Verletzung der nebenvertraglichen Pflichten zieht grundsätzlich nur Rechtsfolgen unter den Beteiligten, z.B. Schadensersatzansprüche nach §§ 280 ff. BGB, nicht aber für das Gesellschaftsverhältnis nach sich, bildet also im Allgemeinen auch keinen wichtigen Grund für einen Gesellschafterausschluss (13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 25 ff.). Auch die Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses lässt sich, selbst wenn alle Gesellschafter an der Vereinbarung beteiligt sind88, nicht aus der abredewidrigen Stimmrechtsausübung herleiten (Trennungstheorie)89, sofern sie nicht zugleich die gesellschaftliche Bindung verletzen. Solche Verträge wirken auf die GmbH nur dann ein, wenn sie als Verträge zu Gunsten Dritter, hier der GmbH, i.S.d. § 328 BGB anzusprechen sind90, bleiben aber auch dann schuldrechtlicher Art (Rz. 24). Die Rechte und Pflichten aus der Vereinbarung gehen nicht ohne weiteres mit dem Geschäftsanteil auf den Erwerber über, sondern bedürfen der besonderen Abtretung bzw. Schuldübernahme (§§ 398, 414 f. BGB), es sei denn, es liegt eine Gesamtrechtsnachfolge des Erwerbers vor91. Nichtgesellschaftsrechtliche Leistungspflichten können auch zwischen der GmbH und ihren 24 Gesellschaftern bestehen. Sie können wie mit einem Dritten durch ein gesondertes Rechtsgeschäft begründet werden, aber auch als sog. unechter Satzungsbestandteil bereits im Gesellschaftsvertrag enthalten sein, wenn dessen Auslegung ergibt, dass die betreffende Bestimmung nicht die Gesellschafterstellung des Berechtigten oder Verpflichteten als solche regeln soll (Näheres zur Abgrenzung vgl. 13. Aufl., § 3 Rz. 128 ff.). Die sog. Drittgeschäfte mit den 87 Vgl. Baumann/Reiß, ZGR 1989, 157, 200 f.; Joussen, Gesellschafterabsprachen neben Satzung und Gesellschaftsvertrag, 1995, S. 59 ff.; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 3 Rz. 119. 88 Abweichend insoweit BGH v. 20.1.1983 – II ZR 243/81, GmbHR 1983, 196; BGH v. 27.10.1986 – II ZR 240/85, NJW 1987, 1890, 1891 = GmbHR 1987, 94. 89 Vomhof, GmbHR 1984, 181 f.; Ulmer, NJW 1987, 1851, 1852; Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/ Löbbe, § 3 Rz. 123 ff.; M. Winter, S. 51 f.; M. Winter, ZHR 154 (1990), 259, 268 ff.; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, § 47 Rz. 24; Altmeppen, § 47 Rz. 75; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 9, 11; wie BGH (vorige Fn.) im Erg. aber Happ, ZGR 1984, 168, 175; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 47 Rz. 117 f.; hier Karsten Schmidt/Bochmann, 12. Aufl., § 45 Rz. 116 u. Karsten Schmidt, 12. Aufl., § 47 Rz. 53; Noack, Gesellschaftervereinbarungen, 1994, S. 162 ff.; Joussen, S. 146 ff. Eine Ausnahme gilt nur für den Fall des Rechtsmissbrauchs (vgl. M. Winter, S. 277 f. m.w.N.). 90 BGH v. 8.2.1993 – II ZR 24/92, GmbHR 1993, 214, 215; a.M. offenbar OLG Nürnberg v. 4.6.1981 – 8 U 3216/80, GmbHR 1981, 242 = BB 1981, 1293. 91 Ulmer/Löbbe in Habersack/Casper/Löbbe, § 3 Rz. 118 m.w.N.

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§ 14 Rz. 24 | Einlagepflicht Gesellschaftern unterliegen grundsätzlich nicht dem Gesellschaftsrecht92, sondern auf sie sind die jeweils relevanten allgemeinen Vorschriften anwendbar. Die schuldrechtliche Natur des Rechtsgeschäfts ändert sich nicht schon deswegen, weil die Gesellschafterstellung für sein Zustandekommen oder die vereinbarten Konditionen erheblich war, aber für den Vertragsabschluss gelten dann der Gleichbehandlungsgrundsatz (Rz. 51) sowie die gesellschaftliche Treuepflicht (Rz. 64)93, und bei der Vertragsabwicklung darf im Rahmen des § 242 BGB die Sonderverbindung zur Gesellschaft nicht unberücksichtigt bleiben. Die Gesellschafter stehen im Übrigen mit ihren Gläubigerforderungen aus besonderen schuldrechtlichen Geschäften grundsätzlich einem Dritten gleich (daher die übliche Bezeichnung als Drittgeschäfte). Die Doppelrolle als Gesellschafter und Gläubiger wird aber ausnahmsweise bei der rechtlichen Behandlung von Darlehensrückgewähransprüchen oder ihnen wirtschaftlich entsprechende Forderungen aus anderen Geschäften, z.B. Kaufpreisforderungen bei ungewöhnlichem Zahlungsziel oder bei Stundung, oder von Gesellschaftersicherheiten nach § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 InsO, § 6 AnfG bedeutsam94. Die in der äußeren Form eines Drittgeschäfts erscheinenden Rechtsgeschäfte können auch in anderen Fällen einen gesellschaftsrechtlichen Gehalt haben, z.B. bei der Vereinbarung einer unverhältnismäßig hohen Gegenleistung der GmbH beim Kauf, die teilweise als verdeckte Gewinnausschüttung oder verbotene Stammkapitalrückzahlung zu werten ist und daher den entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Vorschriften unterliegt (s. 13. Aufl., § 29 Rz. 115 ff., 13. Aufl., § 30 Rz. 25 ff.). Es kann im Einzelfall auch eine Umgehung der gesetzlichen Vorschriften vorliegen, z.B. bei Vereinbarungen einer verdeckten Sachgründung mittels eines Kaufgeschäfts (s. 13. Aufl., § 19 Rz. 116 ff.). c) Gläubigerrechte 25 Sog. Gläubigerrechte der Gesellschafter nehmen eine Mittelstellung ein zwischen den gesell-

schaftsrechtlichen und den schuldrechtlichen Rechten und Pflichten. Sie sind von den sog. Drittgläubigerrechten der Gesellschafter zu unterscheiden, die auf Rechtsgeschäften beruhen, die ein Gesellschafter wie ein Dritter mit der GmbH abgeschlossen hat, z.B. aus Verkauf, Vermietung von Räumen, Darlehenshingabe (falls nicht etwa eine gesellschaftsrechtliche Nebenleistungspflicht i.S.d. § 3 Abs. 2 hierzu bestand), und die ihnen deshalb grundsätzlich dieselbe Rechtsstellung gewähren (Rz. 24). Dagegen sind Gläubigerrechte der Gesellschafter solche, die dem Gesellschaftsverhältnis (Rz. 22) entstammen und zu einem Gläubigerrecht geworden sind, aber ihren gesellschaftsrechtlichen Sinngehalt behalten haben, z.B. dem Gleichbehandlungsgrundsatz (Rz. 51 ff.) und der besonderen Treuebindung des Gesellschafters (Rz. 64 ff.) weiter unterliegen, wodurch sie sich von reinen Gläubigerrechten (Drittgläubigerrechten) unterscheiden95. Hierher gehören: Ansprüche der Gesellschafter gegen die GmbH auf Bezahlung der Lieferungen, die in Erfüllung einer gesellschaftsrechtlichen Nebenleistungspflicht (§ 3 Abs. 2) erfolgt waren; das aus dem Gewinnverteilungsbeschluss der Gesellschafter (§ 46 Nr. 1) entspringende Gläubigerrecht des einzelnen Gesellschafters auf die Gewinnquote; Anspruch des einzelnen Gesellschafters auf Anteil am Liquidationserlös (§ 72).

92 Vgl. BGH v. 27.6.1988 – II ZR 143/87, ZIP 1988, 1117, 1118 = GmbHR 1988, 386 (zur gesellschafterlichen Treuepflicht). 93 Gl.M. Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 51. 94 Entgegen der auch im Ergebnis bedenklichen Entscheidung des OLG Hamburg v. 4.10.1985 – 11 U 18/83, ZIP 1985, 1390, 1391 = GmbHR 1986, 121 bleibt aber auch ein diesen Vorschriften unterliegender Rückgriffsanspruch eines Gesellschafterbürgen ein Drittgläubigerrecht, da er nur gegenüber Forderungen anderer Drittgläubiger, nicht aber gegenüber Gesellschafteransprüchen zurückgesetzt wird. 95 Vgl. Wiedemann, S. 292 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 12 a.E.; Altmeppen, Rz. 15; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 44; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 54; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 12.

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Einlagepflicht | Rz. 27 § 14

2. Allgemeine Mitgliedschaftsrechte, Sonderrechte und Sonderpflichten a) Grundlagen Allgemeine Mitgliedschaftsrechte sind solche, die allen Gesellschaftern gleichmäßig zuste- 26 hen; Sonderrechte sind dagegen die einzelnen Gesellschaftern oder Gruppen von Gesellschaftern statutarisch eingeräumten mitgliedschaftlichen Vorrechte (Rz. 27). Für Sonderrechte spricht § 35 BGB (den Verein betreffend) den auch für die GmbH geltenden96 Grundsatz aus: „Sonderrechte eines Mitglieds können nicht ohne dessen Zustimmung durch Beschluss der Mitgliederversammlung beeinträchtigt werden.“ Damit ist entgegen einer früher häufig vertretenen Meinung keine Begriffsbestimmung gegeben, sondern nur an das Bestehen eines Sonderrechts eine Rechtsfolge geknüpft. Es gibt daneben auch allgemeine Mitgliedschaftsrechte, auf die jene Rechtsfolge ebenfalls zutrifft oder die darüber hinausgehend selbst mit Zustimmung des Gesellschafters nicht entziehbar sind (Rz. 40 ff.). Die Unentziehbarkeit richtet sich in diesen Fällen aber nach anderen, unter sich und im Vergleich mit den Sonderrechten nicht auf einen einheitlichen Regelungsgesichtspunkt zurückzuführende Kriterien97. Verwandt sind die Gründe der Unentziehbarkeit allerdings für Sonderrechte und für die Gruppe der kraft statutarischer Bestimmung unentziehbaren Mitgliedsrechte (Rz. 45) insofern, als die Eingriffsschranke aus dem Gesellschaftsvertrag sich ergibt. Eine relative Grenze für die Entziehung und Verkürzung von Mitgliedschaftsrechten bildet schließlich der Gleichbehandlungsgrundsatz (Rz. 51 ff.), der wie auch die gesellschaftliche Treuepflicht (Rz. 64 ff.) und die konzernrechtlichen Regelungen (13. Aufl., Anh. § 13 Rz. 1 ff.) einen Teil der Schutzfunktion übernommen hat, die die erwähnten früheren Lehrmeinungen in den Sonderrechtsbegriff einbezogen hatten98. b) Sonderrechte aa) Begriff Der Begriff des Sonderrechts war lange Zeit im Schrifttum außerordentlich umstritten, was 27 nicht zuletzt auf den immer wieder hervortretenden Bestrebungen beruhte, ihn als konstruktives Mittel für einen allgemeinen Schutz von Mitgliedschaftsrechten gegen Eingriffe durch die Gesellschaftermehrheit einzusetzen. Auch das Reichsgericht nahm keinen einheitlichen Standpunkt ein: Überwiegend verstand es unter einem Sonderrecht zwar das mitgliedschaftliche Vorrecht einzelner Gesellschafter99, verwendete den Begriff aber auch in einem weiteren Sinne100. Die zuerst genannte Auffassung, die schon der Gesetzeswortlaut des § 35 BGB na96 RG v. 12.11.1912 – II 291/12, RGZ 80, 385, 389; RG v. 23.12.1938 – II 102/38, RGZ 159, 272, 281; RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 368; BGH v. 13.7.1967 – II ZR 238/64, BGHZ 48, 141, 143; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, GmbHR 1962, 212; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; BGH v. 10.10.1988 – II ZR 3/88, WM 1989, 250, 252; Ullrich, ZGR 1985, 235, 242. 97 Vgl. dazu auch Wiedemann, GesR I, S. 357 ff. m.w.N.; unzutreffend die an die Sonderrechtsdefinition O. v. Gierkes anknüpfende Erklärung von Feine, S. 273 m.N., dass die Unentziehbarkeit immer aus der Zugehörigkeit des Rechts zur Individualsphäre des Mitglieds folge. 98 Unzutreffend Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 35 BGB Rz. 3, wonach die Regelung des § 35 BGB aufgrund der genannten Institutionen „obsolet und funktionslos“ geworden sei. Dies verkennt die gegenwärtige Schutzfunktion des Sonderrechts und übersieht – wie auch Ullrich, ZGR 1985, 235, 243 – die Entwicklung der sonstigen unentziehbaren Mitgliedschaftsrechte. 99 RG v. 30.10.1901 – IV 218/01, RGZ 49, 150, 151; RG v. 23.3.1910 – IV 694/09, RGZ 73, 187, 191; RG v. 4.4.1922 – II 547/21, RGZ 104, 253, 255 f.; RG v. 26.10.1940 – II 57/40, RGZ 165, 129, 133; RG v. 4.2.1942 – II 94/42, RGZ 170, 358, 368 u.a. 100 RG v. 5.7.1901 – VII 165/01, RGZ 49, 195, 198, 199 (das Recht eines Versicherten, bei Abänderung von Versicherungsbedingungen die Feststellung zu beantragen, dass diese Änderung auch sein Versicherungsverhältnis betrifft); RG v. 5.3.1904 – V 570/03, RGZ 57, 169, 174 (Herabsetzung von Invalidenrenten durch Versicherung nur bei gleichmäßiger Kürzung der Ansprüche aller Berechtig-

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§ 14 Rz. 27 | Einlagepflicht helegt, die sich auch auf die Gesetzesmaterialien101 stützen kann und die allein eine befriedigende Abgrenzung dieser Gruppe unentziehbarer Rechte ermöglicht, hat sich heute mit Recht durchgesetzt, d.h. als Sonderrechte sind nur solche Mitgliedschaftsrechte anzusehen, die einzelnen Gesellschaftern oder einer Gruppe von Gesellschaftern eine Vorzugsstellung vor anderen gewährt102. Mit Sonderrechten ausgestattete Geschäftsanteile werden Vorzugsgeschäftsanteile genannt (Rz. 127). Die sog. Gläubigerrechte der Gesellschafter (Rz. 25) gehören dagegen nicht zu den mitgliedschaftlichen Sonderrechten. Schuldrechtliche Ansprüche einzelner Gesellschafter sind ebenfalls selbst dann nicht als „Sonderrecht“ zu bezeichnen, wenn sie in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen worden sind. Es versteht sich von selbst, dass diese Vertragsrechte nicht durch Mehrheitsbeschlüsse der Gesellschafter beeinträchtigt werden dürfen. Hierzu können auch Gründervorteile gehören, die allerdings, auch wenn als persönliche, nicht gesellschaftsrechtliche Rechte gedacht, nach h.M. der Aufnahme in die Satzung bedürfen. bb) Begründung und Inhalt 28 (1) Ein Sonderrecht kann als dauernde Regelung des Gesellschaftsverhältnisses wirksam nur

durch Aufnahme in den Gesellschaftsvertrag begründet werden103. Möglich ist seine Einführung bei Gründung und auch im Wege der Satzungsänderung (§ 53)104, die dann nach Maßgabe des Grundsatzes der gleichmäßigen Behandlung (der z.B. nicht verletzt ist, sofern alle Gesellschafter ein Bezugsrecht auf Vorzugsgeschäftsanteile erhalten) der Zustimmung der nicht bevorrechtigten übrigen Gesellschafter bedarf105; andernfalls ist der satzungsändernde Beschluss anfechtbar (Rz. 61). Beeinträchtigt das vorgesehene Recht ein bestehendes unentziehbares, aber verzichtbares Recht eines anderen Gesellschafters, so ist die Satzungsänderung ohne Zustimmung des Rechtsinhabers unwirksam (Rz. 36, 48). 29 (2) Der Inhalt der Sonderrechte kann mitgliedschaftliche Bevorrechtigungen der verschie-

densten Art betreffen. Die Beteiligten haben bei der GmbH gerade insoweit eine sehr weit gehende Gestaltungsfreiheit106, die freilich – auch abgesehen von den allgemeinen gesetzli-

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ten); RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 212 („die Befugnisse, die ein Mitglied ausschließlich zu seinem eigenen Nutze hat, – Sonderrechte“); RG v. 25.4.1911 – II 572/10, RGZ 76, 155, 156 (Recht auf Gleichberechtigung unter Altanteilsinhabern bei Kapitalerhöhung); RG v. 29.4.1932 – II 368/31, RGZ 136, 185, 190 (Recht auf Liquidation und Auskehrung der Liquidationsquote nach Ablauf der „satzungsmäßigen Dauer“ der Gesellschaft) u.a. Prot. I, 530. BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; BGH v. 16.3.1970 – II ZR 58/68, LM, § 50 ZPO Nr. 23; BGH v. 27.6.1974 – III ZR 47/72, BGHZ 63, 14, 19; BGH v. 10.10.1988 – II ZR 3/88, WM 1989, 250, 252; OLG Stuttgart v. 14.2.1974 – 10 U 90/73, GmbHR 1974, 257; Flume, Juristische Person, S. 272; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 27 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Altmeppen, Rz. 21Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 26; Wiedemann, GesR I, S. 358 f., 380 f. u.a. RG v. 10.5.1912 – II 43/12, RGZ 79, 332, 336; RG v. 16.4.1926 – II 532/25, RGZ 113, 241, 245; RG v. 26.10.1940 – II 57/41, RGZ 165, 129, 132; RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 367; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 82; Ullrich, ZGR 1985, 235, 240 ff. RG v. 26.10.1940 – II 57/41, RGZ 165, 129, 132; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 18; Altmeppen, Rz. 21; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 82; Reichert/ Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 103; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 14; s. auch Priester/ Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 48. Vgl. die in der vorigen Fn. Zitierten sowie Lutter/Timm, NJW 1982, 418; Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 50. Allg. M., früher von Reuter in MünchKomm. BGB, 3. Aufl. 1993, § 35 BGB Rz. 3, bestritten, der zu Unrecht für die sog. Satzungs-GmbH aus dem Sinn der §§ 12, 101, 139 f. AktG die Unzulässigkeit von Sonderorganschaftsrechten herleitete (mit 4. Aufl. aufgegeben).

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Einlagepflicht | Rz. 30 § 14

chen Verboten (§ 134 BGB) und den Schranken der guten Sitten (§ 138 BGB) – durch einzelne zwingende Vorschriften sowie Gestaltungsprinzipien des GmbH-Rechts begrenzt wird107. Sonderrechte dürfen keinen danach unzulässigen Gegenstand haben (z.B. entgegen § 30 eine Leistung aus dem zur Deckung des Stammkapitals erforderlichen Vermögen gewähren; s. 13. Aufl., § 30 Rz. 1), nicht gegen zwingende Kompetenzvorschriften verstoßen (z.B. § 26 Abs. 1, § 53 Abs. 1, § 60 Abs. 1 Nr. 2, § 66 Abs. 1 u. 3 GmbHG; §§ 5 f., §§ 8, 12 MontanMitbestG; §§ 6 f., § 13 MitbestErgG v. 1956; §§ 6 f., §§ 8, 31 MitbestG; § 1 Abs. 1 Nr. 3, § 4 Abs. 1 DrittelbG108) oder absolut unentziehbare Rechte anderer Gesellschafter (Rz. 40 ff.) verkürzen. Die Sonderrechte können innerhalb dieser Grenzen Vorrechte bei der Mitverwaltung gewähren, z.B. ein erhöhtes Stimmrecht (s. 12. Aufl., § 47 Rz. 11), Zustimmungs- oder Einspruchsrechte bei Gesellschafterbeschlüssen109, Weisungsrechte gegenüber der Geschäftsführung, das Recht zur Versammlungsleitung, ein Entsendungsrecht für Mitglieder des Aufsichtsrats oder eines anderen Kontrollorgans110, das Recht zur Ernennung des Geschäftsführers (s. 13. Aufl., § 6 Rz. 79 ff.) oder zur Geschäftsführung für sich und/oder seinen Nachfolger111. Das Recht zur Abberufung des Ernannten oder des Geschäftsführungsberechtigten aus wichtigem Grunde (§ 38 Abs. 2) kann aber nicht abbedungen werden112; eine solche Abberufung ist durch einfachen Mehrheitsbeschluss möglich, der allerdings zu beurkunden ist113. Zu beachten ist auch, dass aus der Bestellung zum Geschäftsführer im Gesellschaftsvertrag 30 (§ 6 Abs. 3) im Zweifel nicht auf das Bestehen eines Sonderrechts geschlossen werden kann (s. dazu 13. Aufl., § 6 Rz. 81) und auch sonst stets zu prüfen ist, ob die Satzungsbestimmung ein Mitgliedschaftsrecht des Betreffenden begründen wollte114. Ebenso kann die Vorzugsstellung vermögensrechtlicher Art sein, z.B. einen höheren Gewinnanteil (s. 13. Aufl., § 29 Rz. 74), eine höhere Liquidationsquote (s. 12. Aufl., § 72 Rz. 14), ein Veräußerungserlösvorrecht (sog. Sales Preference), Benutzungsrechte an Vermögensgegenständen oder Einrichtungen der Gesellschaft, Belieferungs- oder Abnahmerechte o.Ä. einräumen. Schließlich kommen auch sonstige personenrechtliche Befugnisse des Gesellschafters in Betracht, z.B. ein Zustimmungsrecht bei der Übertragung von Geschäftsanteilen115 (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 122), ein Recht zur Übernahme eines anderen Geschäftsanteils (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 51), besondere Auskunfts-, Einsichts- oder Prüfungsrechte u. dgl. Kein Sonderrecht ist dagegen die im Verhältnis zu den übrigen Gesellschaftern erfolgte Verschonung von Nachschuss- oder Nebenleistungspflichten116; gegen eine nachträgliche Belastung schützt aber hier § 53 Abs. 3.

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Vgl. auch Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 51. Zu zulässigen Mitbestimmungsvereinbarungen Seibt, AG 2005, 413 ff. RG v. 30.3.1942 – II 96/41, RGZ 169, 65, 81; KG v. 5.2.1925 – 1 X 19/25, JW 1926, 598. OLG Stuttgart v. 28.12.1998 – 20 W 14/98, GmbHR 1999, 537, 538. RG v. 21.10.1899 – I 247/99, RGZ 44, 95, 99; RG v. 19.5.1914 – II 26/14, LZ 1914, Sp. 1762; RG v. 11.2.1916 – II 408/15, LZ 1916, Sp. 809; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, GmbHR 1962, 212 f.; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 89/79, GmbHR 1982, 129; BGH v. 3.5.1988 – KZR 17/87, GmbHR 1988, 334, 336; BGH v. 10.10.1988 – II ZR 3/88, WM 1989, 250. – Formulierungsvorschläge bei Seibt in MünchAnwHdb. GmbH-Recht, 4. Aufl. 2018, § 2 Rz. 128–137. OLG Nürnberg v. 10.11.1999 – 12 U 813/99, GmbHR 2000, 563, 564. OLG Nürnberg v. 10.11.1999 – 12 U 813/99, GmbHR 2000, 563, 564. RG v. 4.2.1942 – II 94/42, RGZ 170, 358, 368; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 31; Reichert/ Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 106. Formulierungsvorschläge bei Seibt in MünchAnwHdb. GmbH-Recht, 4. Aufl. 2018, § 2 Rz. 128–137. RG v. 23.12.1938 – II 102/38, RGZ 159, 272, 280. Unzutreffend Wolany, S. 177.

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§ 14 Rz. 31 | Einlagepflicht 31 Die Sonderrechte können auf die Dauer der Gesellschaft oder mit zeitlicher Begrenzung, für

einen bestimmten Gesellschafter oder jeden Anteilsinhaber (Rz. 32) begründet werden. Möglich ist auch die Vereinbarung einer aufschiebenden oder auflösenden Bedingung; ein Vorrecht, das nach dem Gesellschaftsvertrag ohne Zustimmung des Berechtigten entzogen werden kann, ist aber kein auflösend bedingtes Sonderrecht, sondern ihm fehlt dessen Rechtsqualität überhaupt117. cc) Übergang des Sonderrechts mit Geschäftsanteil 32 Der neue Inhaber eines Geschäftsanteils erwirbt grundsätzlich auch die mit dem Geschäfts-

anteil verbundenen Sonderrechte, da sie Bestandteil der Mitgliedschaft sind118. Doch kann der Gesellschaftsvertrag ausdrücklich Gegenteiliges vorsehen oder es kann sich aus dem Zusammenhang der gesellschaftsvertraglichen Regelungen eine hinreichend klare Ausnahme ergeben: So wird z.B. ein Sonderrecht zur Geschäftsführung im Zweifel als höchstpersönliches Recht gewollt sein und deshalb beim Ausscheiden erlöschen. Von den an die Mitgliedschaft eines bestimmten Gesellschafters gebundenen Sonderrechten sind die sog. Sondervorteile zu unterscheiden119, die zwar die Zugehörigkeit des Begünstigten zur Gesellschaft bei der Begründung des Rechts durch eine Satzungsbestimmung und durch einen zusätzlichen schuldrechtlichen Vertrag voraussetzen, aber ihm unabhängig von der Mitgliedschaft persönlich zustehen, also ihm auch nach der Übertragung des Geschäftsanteils verbleiben und getrennt von diesem übertragen werden können. dd) Aufhebung und Änderung des Sonderrechts 33 (1) Für die Aufhebung oder Änderung eines Sonderrechts ist ein satzungsändernder Be-

schluss erforderlich (§ 53 Abs. 3). 34 (2) Außerdem ist für jede Änderung, die ein Sonderrecht beeinträchtigt (Rz. 36), die Zustim-

mung seines Inhabers erforderlich (§ 35 BGB)120. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt nicht nur dann vor, wenn der Beschluss in das Sonderrecht direkt schmälernd eingreift, sondern es genügt vielmehr, wenn durch ihn notwendig nachteilige Folgen für den Berechtigten zu erwarten sind121. Die Vorschriften des § 37 Abs. 1 und 3 MitbestG, die für die ihm unterliegenden GmbH die vor seinem Inkrafttreten oder vor seiner Anwendbarkeit wirksam begründeten Sonderrechte auf Geschäftsführung (Rz. 28 f.) beseitigen und die darauf beru-

117 A.M. Wolany, S. 180. 118 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 32; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 118; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; einschränkend Wiedemann, Übertragung, S. 74 ff. u. GesR I, S. 381 f.; auf den Einzelfall abstellend: Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 52. 119 A.M. Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 5 Rz. 179, 193, die zwischen anteilsgekoppeltem Vorzugsrecht und lediglich personengebundenem Sondervorteil unterscheiden. Wie hier Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 53; Servatius in Noack/Servatius/Haas, § 3 Rz. 45 f.; Fastrich in Noack/ Servatius/Haas, § 14 Rz. 18 f.; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 107; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 78; Altmeppen, § 5 Rz. 53; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 13. 120 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Altmeppen, Rz. 21; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 109; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 35; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 42; s. auch Priester/Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 48. 121 Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 35 BGB Rz. 11; Ellenberger in Grüneberg, § 35 BGB Rz. 5; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 33; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 86; Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 54.

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Einlagepflicht | Rz. 35 § 14

henden Geschäftsführerstellungen jederzeit widerruflich machen, sind mit Art. 12, 14 Abs. 3 GG unvereinbar und daher verfassungswidrig122. (3) Die Zustimmung des Rechtsinhabers ist ausnahmsweise entbehrlich, wenn ein wichtiger 35 Grund für die Einschränkung oder Entziehung von Sonderrechten vorliegt123, d.h. wenn Umstände gegeben sind, die bei Abwägung der Interessen aller Beteiligten das (unveränderte) Bestehen des Sonderrechts für die Gesellschaft auf Dauer unzumutbar erscheinen lassen. Die Nichtzustimmungsbedürftigkeit der Satzungsänderung kann aber nicht, wie teilweise angenommen worden ist124, mit dem Hinweis auf die Zulässigkeit der Ausschließung aus wichtigem Grund (s. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 25 ff.) gerechtfertigt werden. Die Einschränkung und Entziehung von Sonderrechten sind gegenüber der Ausschließung nicht einfach ein Weniger125 und nicht einmal notwendig ein „milderes Mittel“126, sondern wirken wegen der trotz Wegfall der Vorzugsstellung bestehenbleibenden Bindung des Gesellschafters an die GmbH wesentlich anders und u.U. viel einschneidender als eine Aufhebung der Mitgliedschaft. Die rechtliche Möglichkeit eines derartigen umgestaltenden Eingriffs in das Mitgliedschaftsverhältnis ergibt sich zum einen aus dem allgemeinen Grundsatz der Kündbarkeit von Dauerschuldverhältnissen aus wichtigem Grund sowie zum anderen aus der sinngemäßen Anwendung der Vorschriften über die Entziehung der Geschäftsführungsbefugnis (§ 712 Abs. 1 BGB, ab 1.1.2024 [MoPeG]: § 715 Abs. 5 BGB, § 117 HGB, ab 1.1.2024 [MoPeG]: § 116 Abs. 5 HGB, § 38 Abs. 2 GmbHG), demzufolge der Gesellschafter unter Aufrechterhaltung seiner Bindung selbst den Verlust einer sonst gesicherten wesentlichen mitgliedschaftlichen Einzelbefugnis aus wichtigem Grunde im Interesse der Gesellschaft hinnehmen muss127. Bei der GmbH steht das Sonderrecht auf Geschäftsführung nach § 38 Abs. 2 überdies stets unter dem Vorbehalt des wichtigen Grundes128. Die Vorschrift ermächtigt die Gesellschafterversammlung zwar nicht zur Aufhebung des Sonderrechts, sondern gestattet nur den keine Satzungsänderung voraussetzenden129 Eingriff durch Abberufung, führt aber, wenn der wichtige Grund nicht nur vorübergehender Natur ist und deshalb eine (Wieder-) Bestellung130 nicht mehr verlangt werden kann, zur Unmöglichkeit des statutarischen Rechts 122 Ebenso Ballerstedt, ZGR 1977, 133, 157 f.; Zöllner, ZGR 1977, 320 f.; Hoffmann/Lehmann/Weinmann, MitbestG, 1978, § 37 Rz. 62; differenzierend Habersack in Habersack/Henssler, Mitbestimmungsrecht, 4. Aufl. 2018, § 37 MitbestG Rz. 36 f.; offen Raiser/Veil/Jacobs, 7. Aufl. 2019, § 37 MitbestG Rz. 2; a.M. Koberski in Wlotzke/Wißmann/Koberski/Kleinsorge, MitbestG, 5. Aufl. 2017, § 37 Rz. 37; Fabricius in Gemeinschafts-Komm. z. MitbestG, 1976, § 37 Rz. 69 ff. 123 OLG Düsseldorf v. 8.6.1989 – 6 U 223/88, WM 1990, 265; H. M. Schmidt, GmbHR 1960, 137, 139; Wolany, S. 180 f.; Rücker, S. 90 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Altmeppen, Rz. 21; Flume, Juristische Person, S. 192; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 42. 124 So Schilling in Hachenburg, 7. Aufl. 1975, Rz. 11. 125 So Schilling in Hachenburg, 7. Aufl. 1975, Rz. 11; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 36. 126 So Rücker, S. 100; Schilling in Hachenburg, 7. Aufl. 1975, Rz. 11; dagegen mit Recht Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 110 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 88; Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 54. 127 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 34 stützt die Zulässigkeit der Entziehung aus wichtigem Grunde auf eine Rechtsanalogie zu den § 712 Abs. 1 BGB, §§ 117, 127, 140 HGB, § 38 Abs. 2 GmbHG; ebenso Ebbing in Michalski u.a., Rz. 87; Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 54 bezieht sich zusätzlich auf die gesellschafterliche Treuepflicht. 128 RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 368; RG v. 19.5.1914 – II 26/14, LZ 1914, Sp. 1762; RG v. 29.11.1918 – II 224/18, LZ 1919, Sp. 596; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, GmbHR 1962, 212; BGH v. 4.11.1968 – II ZR 63/67, NJW 1969, 131; BGH v. 20.12.1982 – II ZR 110/82, GmbHR 1983, 149, 150. 129 Unzutreffend OLG Hamburg v. 27.8.1954 – 1 U 395/53, GmbHR 1954, 188; wie hier Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 90. 130 Vgl. dazu OLG Frankfurt v. 14.2.1916 – 1 U 17/16, GmbHRspr. II R. 38, 11.

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§ 14 Rz. 35 | Einlagepflicht auf Geschäftsführung; das Zustimmungserfordernis zu der das Sonderrecht streichenden Satzungsänderung entfällt deshalb in diesem Fall auch mangels eines berechtigten Interesses. Für andere Sonderrechte fehlt es zwar an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung der Rechtsfolgen des Eintritts eines wichtigen Grundes, aber die durch jene Vorschriften eröffnete Möglichkeit der Einschränkung oder Entziehung einer mitgliedschaftlichen Einzelbefugnis muss auf Grund desselben Rechtsgedankens ebenfalls für andere Vorrechte bei der Mitverwaltung (Rz. 29), aber auch für solche vermögensrechtlicher Art, insbesondere Abnahme- und Lieferungsrechte des Mitglieds (Rz. 30), gelten, wobei die bei der Zumutbarkeitsprüfung erforderliche Abwägung jeweils die besondere Natur des Rechts und seine Bedeutung sowohl für die GmbH als auch für den Gesellschafter berücksichtigen muss. Sind mildere Mittel als die dauernde oder vollständige Rechtsverkürzung vorhanden, gehen diese in allen Fällen vor (z.B. Verringerung einer Vorzugsdividende). Das kann, wie bereits erwähnt, im Einzelfall auch die Ausschließung sein, die (nur) dann vorgenommen werden darf131. Der wichtige Grund ersetzt im Übrigen nur das Zustimmungserfordernis des Betroffenen, macht aber den satzungsändernden Gesellschafterbeschluss (Rz. 33) nicht überflüssig132. Der Berechtigte hat in diesem Fall kein Stimmrecht (§ 47 Abs. 4)133. Ein gerichtliches Gestaltungsurteil ist nicht erforderlich134. ee) Folgen eines rechtswidrigen Eingriffs in das Sonderrecht durch Beschluss 36 Das Sonderrecht eines Gesellschafters kann durch Gesellschafterbeschluss außer beim Vor-

liegen eines wichtigen Grundes (Rz. 35) nur mit seiner Zustimmung beeinträchtigt werden (§ 35 BGB). Ein Gesellschafterbeschluss, der ohne die danach erforderliche Zustimmung ein Sonderrecht verletzt, ist insoweit unwirksam135. Er ist aber nur dem Verletzten gegenüber, also relativ unwirksam136, sofern sich aus dem Beschluss nicht ergibt, dass er seinem Inhalt nach ohne die Geltung für den Zustimmungsberechtigten rechtlich nicht bestehen kann (gegenstandslos oder nicht mehr sinnvoll ist), oder wenn er erkennbar nur für den Fall seiner Beteiligung gewollt ist. Einer Anfechtungsklage gegen den Beschluss bedarf es nicht. Der Sonderberechtigte kann aber erforderlichenfalls nach § 256 ZPO auf Feststellung des Fortbestehens seines Rechts oder der Unwirksamkeit der beschlossenen Rechtsbeeinträchtigung klagen137. Ebenso kann er sonst jederzeit auf die Unwirksamkeit der Beeinträchtigung sich berufen. Der Beschluss kann andererseits nachträglich durch die Genehmigung der Berechtigten wirksam werden (§ 184 BGB), die auch durch schlüssige Handlungen erfolgen kann und so lange möglich ist, wie er seine Ablehnung noch nicht erklärt hat. Bis dahin besteht 131 Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 19; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Leuschner in MünchKomm. BGB, 9. Aufl. 2021, § 35 BGB Rz. 13; die Anwendbarkeit der Ausschließung generell verneinend und dem Gesellschafter, wenn eine Sonderrechtsbeeinträchtigung ihn härter trifft, ein Austrittsrecht aus wichtigem Grunde gebend Altmeppen, Rz. 21. 132 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 89; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 42; a.M. Wolany, S. 181; H. M. Schmidt, GmbHR 1960, 137, 139, die einen einfachen Gesellschafterbeschluss genügen lassen. 133 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 89; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 114. 134 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 35; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 90; a.M. Rücker, S. 116 ff. 135 RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 376; BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 181; BGH v. 13.7.1967 – II ZR 238/64, BGHZ 48, 141, 143; BGH v. 30.11.1961 – II ZR 137/60, GmbHR 1962, 212; BGH v. 25.1.1966 – V ZR 121/63, WM 1966, 476, 477; Raiser in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 36; s. auch Karsten Schmidt/Bochmann, 12. Aufl., § 45 Rz. 54 und Priester/ Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 48. 136 RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 376; BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 181. 137 BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 181; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36.

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Einlagepflicht | Rz. 39 § 14

ein Schwebezustand, den die GmbH analog § 108 Abs. 2, § 177 Abs. 2 BGB durch eine Aufforderung mit angemessener Erklärungsfrist beenden kann138. Äußert er sich nicht fristgemäß, so gilt das als Ablehnung, und der Beschluss ist endgültig unwirksam. Es ist allerdings eine neue Beschlussfassung zulässig, bei der kein Gesellschafter an seine frühere Stimmabgabe gebunden ist139. Die schuldhafte Verletzung ebenso wie die rein tatsächliche Beeinträchtigung eines Sonderrechts begründet einen Schadensersatzanspruch140. c) Sonderpflichten Sonderpflichten müssen, wie Sonderrechte, im Gesellschaftsvertrag festgesetzt sein. Hierzu 37 gehören: Aufgeld-, Nachschuss- und sonstige Leistungspflichten einzelner Gesellschafter, Wettbewerbsverbot für einzelne, Pflicht zur Übernahme oder Beibehaltung einer Tätigkeit (z.B. als Geschäftsführer, Buchprüfer, Rechtsberater); allerdings ist zu beachten, dass Dienstleistungen nicht erzwingbar sind (§ 888 Abs. 3 ZPO)141. Auch hier ist, trotz Aufnahme in die Satzung, stets zu prüfen, ob die Verpflichtung eine schuldrechtliche und schon deshalb jedem Mehrheitsbeschluss entzogene und nicht mit dem Geschäftsanteil verbundene Pflicht ist, oder aber eine gesellschaftsrechtliche. Im letzteren Falle geht sie im Zweifel auf einen Erwerber des Geschäftsanteils des Verpflichteten über142. Ohne Zustimmung des Betroffenen kann auch durch satzungsändernden Beschluss eine Vermehrung (Erschwerung) der Sonderpflicht nicht erfolgen; ein solcher Beschluss wäre relativ unwirksam (vgl. Rz. 36). Dies folgt schon aus § 53 Abs. 3 (dazu auch § 180 Abs. 1 AktG) und ergibt sich auch durch Umkehrung des in § 35 BGB (Rz. 26) enthaltenen Rechtssatzes: Sonderpflichten eines Mitglieds können nicht ohne dessen Zustimmung durch Beschluss der Mitgliederversammlung begründet, vermehrt oder erschwert werden143. Von Sonderpflichten (Rz. 37) sind Sonder- oder Nebenleistungspflichten i.S.d. § 3 Abs. 2 38 zu unterscheiden: Bei jenen steht die Sonderpflicht im Gegensatz zur allgemeinen Pflicht zur Leistung der Geschäftsanteile, nicht als Sonderbelastung einzelner Gesellschafter im Verhältnis zu den anderen. Doch kann auch der letztere Fall vorliegen, wenn nämlich die Nebenleistungspflichten für einzelne Gesellschafter höher bemessen sind. d) Unentziehbarkeit allgemeiner Mitgliedschaftsrechte aa) Allgemeines Es gibt kein einheitliches Kriterium, demzufolge sich bestimmen ließe, ob ein allgemeines 39 Mitgliedschaftsrecht der Gesellschafter entzogen oder eingeschränkt werden kann144. Ebenso wenig lässt sich eine Vermutung für oder gegen eine Entziehbarkeit allgemeiner Mitgliedschaftsrechte begründen, insbesondere sind dahingehende Schlüsse aus § 53 Abs. 1 u. 2 oder aus den Spezialregelungen der § 35 BGB, § 53 Abs. 3 GmbHG nicht möglich145. Für jedes 138 Ebenso Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36; Waldenberger, GmbHR 1997, 49, 55. 139 Ebenso Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36. 140 RG v. 5.5.1930 – 408 29 IV, JW 1930, 3473; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 36 a.E.; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 92. 141 Zur mangelnden Vollstreckbarkeit der Pflicht zur Geschäftsführung BGH v. 14.7.1980 – II ZR 161/79, BGHZ 78, 82, 86; vgl. auch Schneider/Schneider, GmbHR 1980, 4, 8. 142 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 17; Bayer in Lutter/ Hommelhoff, Rz. 19. 143 Ebenso Feine, S. 281; Zöllner, S. 111; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 19; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 75; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 17; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 134. 144 Vgl. auch Wiedemann, GesR I, S. 363 f. 145 Abweichend Schäfer, Der stimmrechtslose Geschäftsanteil, 1997, S. 171 ff., insbes. S. 176.

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§ 14 Rz. 39 | Einlagepflicht Mitgliedschaftsrecht ist vielmehr gesondert zu prüfen, ob und inwieweit das Gesetz oder der Gesellschaftsvertrag seine Entziehung ausschließen146. Nach dem Grund der Unentziehbarkeit sind die folgenden Gruppen zu unterscheiden: bb) Absolut unentziehbare (unverzichtbare) Mitgliedschaftsrechte 40 Bei den absolut unentziehbaren (unverzichtbaren) Mitgliedschaftsrechten handelt es sich um

die den Gesellschaftern kraft zwingender Rechtsnormen zustehenden und deshalb weder im ursprünglichen noch im geänderten Gesellschaftsvertrag auszuschließenden oder einzuschränkenden Mitgliedschaftsrechte. Die Unentziehbarkeit beruht bei ihnen auf der Begrenzung der Satzungsautonomie (inhaltliche Gestaltungsfreiheit) und ist eine rechtspaternalistische Reaktion der Rechtsordnung auf das Phänomen begrenzter Rationalität. Hierher gehören das Auskunfts- und Einsichtsrecht des Gesellschafters (§ 51a)147, das Minderheitenrecht zur Einberufung der Gesellschafterversammlung und Aufnahme von Anträgen in die Tagesordnung (§ 50)148, das Recht auf Teilnahme an und Rede in der Gesellschafterversammlung149, die Berechtigung zur Erhebung der Anfechtungsklage bei mangelhaften Gesellschafterbeschlüssen (s. 12. Aufl., § 45 Rz. 127 ff.), das Preisgaberecht bei unbeschränkter Nachschusspflicht (§ 27 Abs. 1), das Austrittsrecht aus wichtigem Grund150 (s. dazu 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 6 ff.), die Berechtigung zur Auflösungsklage nach § 61 und das Antragsrecht zur Bestellung oder Abberufung von Liquidatoren nach § 66 Abs. 2 u. 3. Dagegen sind die Rechte auf einen Gewinnanteil (§ 29) sowie auf eine Liquidationsquote (§ 72) und entgegen vereinzelt erhobener Bedenken151 auch das Stimmrecht (§ 47)152 trotz der ihnen normalerweise zukommenden Bedeutung für die Mitgliedschaft abdingbar. Unzulässig wäre allerdings der Ausschluss des Stimmrechts aller Gesellschafter, weil dadurch ein notwendiges (§ 45 Abs. 1, § 53 Abs. 1, § 60 Abs. 1 Nr. 2, § 66 Abs. 1) Beschlussorgan beseitigt würde. Das Zustimmungserfordernis bei Leistungsvermehrungen (§ 53 Abs. 3) kann die Satzung nicht generell

146 RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 368; OLG Stuttgart v. 14.2.1974 – 10 U 90/73, GmbHR 1974, 257, 259; Feine, S. 274; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 84; Altmeppen, Rz. 16; Winter, GmbHR 1964, 251, 252; einschränkend auf sog. organschaftliche Mitgliedschaftsrechte RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 211 f., was aber auf dem dort verwendeten zu weiten – alle selbstnützigen Mitgliedsbefugnisse umfassenden – Sonderrechtsbegriff beruht; s. dazu Rz. 19. 147 Ebenso Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 38; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 60; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 84. 148 Heute ganz h.M.; anders noch RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 212; RG v. 22.9.1933 – II 60/33, JW 1933, 2904; KG v. 4.4.1908, GmbHRspr. I § 50 Nr. 1. Näheres dazu Seibt, 12. Aufl., § 50 Rz. 6. 149 RG v. 24.4.1941 – II 117/40, RGZ 167, 65, 73; BGH v. 12.7.1971 – II ZR 127/69, GmbHR 1971, 207; BGH v. 17.10.1988 – II ZR 18/88, GmbHR 1989, 120, 121; OLG Frankfurt v. 26.8.1983 – 20 W 528/83, GmbHR 1984, 99, 100; s. auch Seibt, 12. Aufl., § 48 Rz. 13 ff.; Pentz in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, Rz. 18; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 48 Rz. 6; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 85; Altmeppen, § 48 Rz. 4. Die grundsätzliche Zulässigkeit von sog. Vertreterklauseln wird davon nicht berührt; vgl. dazu RG v. 12.11.1912 – II 291/12, RGZ 80, 385, 390 f.; RG v. 5.5.1916 – II 33/16, RGZ 88, 220, 221; BGH v. 17.10.1988 – II ZR 18/88, GmbHR 1989, 120, 121 u. Seibt, 12. Aufl., § 48 Rz. 18a m.w.N. 150 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 360/369 = GmbHR 1992, 257. 151 Brodmann, § 47 Anm. 1a und, soweit die zwingende Zuständigkeit der Gesellschafterversammlung gegeben ist, Wiedemann, GesR I, S. 369. 152 BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 269 ff.; BGH v. 24.5.1993 – II ZR 73/92, GmbHR 1993, 591, 592; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 17; Ebbing in Michalski u.a., Rz. 64; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 19; Schäfer, Der stimmrechtslose Geschäftsanteil, 1997, S. 64 ff., 117 ff.

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Einlagepflicht | Rz. 44 § 14

ausschließen oder durch eine unbestimmte Klausel einschränken. Der Stimmrechtsausschluss berührt grundsätzlich auch nicht andere Zustimmungserfordernisse. Fraglich ist es, ob der Geschäftsanteil über die unentziehbaren Einzelrechte (Rz. 40) hinaus 41 zwingend weitere Mitgliedschaftsrechte gewähren muss, die, jedes für sich genommen, an sich abdingbar sind. Der BGH hat das bejaht und angenommen, dass der Gesellschaftsvertrag einem Gesellschafter nicht zugleich das Stimmrecht, das Gewinnrecht und den Liquidationserlösanteil nehmen könne153. Die Berufung darauf, dass diese Gestaltung mit dem „Wesen der GmbH“ und mit dem „Gesellschafterbegriff“ unvereinbar sei, überzeugt aber nicht; sie begründet nicht, warum überhaupt abdingbare Rechte und erst recht nicht warum gerade sie teilweise bestehen bleiben müssen. Ein Beteiligungsinteresse kann auch ohne sie gegeben sein, und die wirtschaftlichen Eintritts- und Austrittsbedingungen können entsprechend dem Rechteinhalt des Geschäftsanteils angepasst sein. Das GmbHG garantiert allein durch die unentziehbaren Mitgliedschaftsrechte die Mindestbedingungen einer „Teilnahme am Gesellschaftsleben“154 und gestattet im Übrigen den Gesellschaftern (§ 45 Abs. 2), die Rechtsverhältnisse der Gesellschaft nach ihrem Bedürfnis zu gestalten155. Nur wenn die Mitgliedschaft im (extremen) Ausnahmefall ohne zusätzliche Verwaltungs- oder Vermögensrechte völlig sinnentleert wäre, kann die Ausgestaltung des Geschäftsanteils unzulässig sein156. Die Gesellschafterbeschlüsse, die unabdingbare Mitgliedschaftsrechte entziehen oder ein- 42 schränken, sind in sinngemäßer Anwendung des § 241 Nr. 3 AktG nichtig (s. 12. Aufl., § 45 Rz. 73)157. Bei dementsprechenden Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag ist Teilnichtigkeit gegeben, die aber nach der Eintragung der GmbH in das Handelsregister (da dann § 139 BGB nicht mehr gilt) seine Rechtswirksamkeit im Übrigen unberührt lässt. cc) Relativ unentziehbare Mitgliedschaftsrechte Relativ unentziehbare Mitgliedschaftsrechte sind diejenigen Mitgliedschaftsrechte, die nach 43 Gesetz oder Gesellschaftervertrag nur mit Zustimmung des Rechtsinhabers entzogen oder eingeschränkt werden können. (1) Gesetzlich ist die relative Unentziehbarkeit nur vereinzelt vorgesehen. Sie gilt vor allem 44 für die Mitgliedschaft selbst158, die – abgesehen von der Kaduzierung (§ 21 Abs. 2) sowie der Ausschließung aus wichtigem Grund (s. 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 25 ff.) – nur mit Zustimmung des Gesellschafters entzogen werden kann; keine Ausnahme, sondern eine vorweggenommene Zustimmung ist bei der sog. Zwangsamortisation auf Grund eines vor dem Anteilserwerb statutarisch festgesetzten Einziehungstatbestandes gegeben (s. Erl. zu 13. Aufl., § 34 Rz. 12). Die nachträgliche Einführung der Einziehungsmöglichkeit erfordert deshalb ebenfalls die Zustimmung der betroffenen Gesellschafter (s. 12. Aufl., § 53 Rz. 126). Die Veräußerlichkeit und die Vererblichkeit des Geschäftsanteils (§ 15 Abs. 1) können nach dem Sinn dieser Vorschrift ohne Zustimmung des Anteilseigners nicht nachträglich ausgeschlos153 BGH v. 14.7.1954 – II ZR 342/53, BGHZ 14, 264, 270, 273; vgl. auch Feine, S. 265 f., 523; s. auch Priester/Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 45; a.M. Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 92. 154 RG v. 24.4.1941 – II 117/40, RGZ 167, 65, 73. 155 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 37; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Wolany, S. 182, 185 f.; Teichmann, S. 145 f., 208 ff.; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 43; vgl. im Übrigen Schäfer, Der stimmrechtslose Geschäftsanteil, 1997, S. 130 ff. 156 Zutreffend Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 15; Wicke, Rz. 5. 157 Vgl. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Anh. § 47 Rz. 16 f.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 20; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 88; Vogel, Gesellschafterbeschlüsse und Gesellschafterversammlung, 2. Aufl. 1986, S. 207. 158 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Flume, Juristische Person, S. 273 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 382 ff.; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 43; abweichend Schäfer, Der stimmrechtslose Geschäftsanteil, 1997, S. 185 ff.

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§ 14 Rz. 44 | Einlagepflicht sen oder eingeschränkt werden, sofern der Gesellschaftsvertrag das nicht zulässt159. Unter demselben Vorbehalt gewährt § 72 Satz 1 den Gesellschaftern einen unantastbaren Anspruch auf den anteiligen Liquidationserlös160; das gilt auch bei idealem oder gemeinnützigem Gesellschaftszweck161, da aus der Belassung der Liquidationsquote hervorgeht, dass das verbleibende Vermögen nicht mehr jenen Zwecken gewidmet sein soll, eine abweichende Regelung (§ 72 Satz 2) also gerade nicht gewollt war. 45 (2) Ebenso kann der Gesellschaftsvertrag bestimmen, dass ein Mitgliedschaftsrecht ohne

Zustimmung des Gesellschafters nicht entziehbar sein soll. Es ist für jedes Recht durch Auslegung zu ermitteln, ob dies gewollt war162. Für das Gewinnrecht der Gesellschafter (§ 29 Abs. 1 u. 3) ist bei Erwerbsgesellschaften wegen seines die Art des Zusammenschlusses und der Beteiligung grundlegend prägenden Charakters163 in der Regel eine gewillkürte Unentziehbarkeit anzunehmen164, die aber, wenn der Gesellschaftsvertrag nicht entsprechende weiter gehende Anordnungen trifft, mittelbare Eingriffe durch satzungsändernde Mehrheitsbeschlüsse (§ 53 Abs. 2 Satz 1) innerhalb der Grenzen des Gleichbehandlungsgebots (Rz. 51 ff.) und der gesellschaftlichen Treuepflicht (Rz. 64 ff.) nicht ausschließt165. So kann z.B., wenn das im Gesellschaftsinteresse erforderlich ist, in einem sachlich vertretbaren Umfange die Bildung von Gewinnrücklagen nachträglich im Gesellschaftsvertrag bindend vorgeschrieben werden, während die Einführung eines dauernden vollständigen Ausschüttungsverbots oder die Änderung des bestehenden Gewinnverteilungsschlüssels ohne Zustimmung aller betroffenen Gesellschafter nicht möglich sind. Für das Stimmrecht ist ebenfalls anzunehmen, dass es als „Grundmitgliedsrecht“ regelmäßig als unentziehbar gewollt ist166; es kann deshalb, auch wenn der Gleichbehandlungsgrundsatz (Rz. 51 ff.) gewahrt ist, nicht ohne seine Zustimmung beseitigt werden, z.B. durch Heraufsetzung des für die Stimme notwendigen Betrages (§ 47 Abs. 2) über den Nennbetrag des Geschäftsanteils. Andere satzungsändernde Regelungen sind dagegen, in den allgemeinen Grenzen, ohne Zustimmung möglich167. Vorstehendes gilt unabhängig davon, ob die Gründer es bei den dispositiven gesetzlichen Gewinn- und Stimmrechtsregelungen der §§ 29, 47 belassen oder ob sie gleich lautende oder abweichende Bestimmungen in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen haben168. Unentziehbarkeit ist im Zweifel auch gewollt, wenn im Gesellschaftsvertrag die Liquidations159 Im Ergebnis ebenso OLG München v. 23.1.2008 – 7 U 3292/07, GmbHR 2008, 541, das sich zudem auf die Wertungen des § 180 Abs. 2 AktG stützt; RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 211; OLG Celle v. 24.7.1958 – 9 U 37/58, GmbHR 1959, 113; s. dazu 13. Aufl., § 15 Rz. 108 und Priester/Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 161, 175. 160 KG v. 16.9.1937 – 1 Wx 415/37, JW 1937, 2979; s. Karsten Schmidt/Scheller, 12. Aufl., § 72 Rz. 14. 161 Abweichend Feine, S. 286 m.w.N. 162 S. RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 368; RG v. 14.11.1913 – II 444/13, LZ 1914, Sp. 571; OLG Karlsruhe v. 10.2.1926 – 2 BR 239 25, GmbHR 1926, 649; OLG Stuttgart v. 14.2.1974 – 10 U 90/73, GmbHR 1974, 257; OLG Stuttgart v. 22.5.1997 – 11 U 13/96, GmbHR 1997, 1108. 163 BGH v. 10.5.1976 – II ZR 180/74, WM 1976, 661; BayObLG v. 17.9.1987 – BReg 3 Z 122/87, GmbHR 1988, 102, 103. 164 Feine, S. 282 f.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 43; M. Winter, S. 138 f.; Ulmer in Hachenburg, 8. Aufl. 1997, § 53 Rz. 69 u. Priester/Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 47; s. auch Teichmann, S. 152 ff.; Flume, Juristische Person, S. 274 f. 165 Vgl. dazu Priester/Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 142 sowie Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 53 Rz. 127 ff.; M. Winter, S. 280 ff.; Flume, Juristische Person, S. 276; Immenga, S. 208 f. 166 Feine, S. 284, 524 f.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 91; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, Rz. 21; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 43; Priester/Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 47, 158; M. Winter, S. 138 f. 167 Problematisch u.U. aber der Übergang zu einem anderen Stimmrechtsmaßstab (s. Zöllner, S. 123 f.) und die Einführung eines Höchststimmrechts (s. Karsten Schmidt, 12. Aufl., § 47 Rz. 11). 168 Unzutreffend Wolany, S. 187 f. u. offenbar auch RG v. 12.11.1912 – II 291/12, RGZ 80, 385, 389 f.

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Einlagepflicht | Rz. 47 § 14

oder Abfindungsquote der Gesellschafter169 oder für den Liquidationsfall die Rückgabe der zur Verwertung nicht benötigten Sacheinlagen bestimmt ist170. Schreibt der Gesellschaftsvertrag für eine bestimmte Maßnahme, die unmittelbar die Stellung der Gesellschafter oder ein grundlegendes Strukturelement der Gesellschaft betrifft, die Zustimmung aller Gesellschafter (also nicht nur einen einstimmigen Beschluss) vor, so ist daraus im Zweifel ebenfalls zu entnehmen, dass das Zustimmungsrecht jedes Gesellschafters nur mit dessen Einverständnis entziehbar oder einschränkbar sein soll171. Weitere Umstände, die bei der Auslegung zu berücksichtigen sind, aber für sich genommen noch nicht ohne weiteres einen Schluss auf die Unentziehbarkeit zulassen, sind z.B. die Bedeutung des Rechts für die Gesellschaft und die einzelnen Gesellschafter, seine mehr oder weniger starke Eigen- oder Fremdnützigkeit172, das Sicherungsinteresse Einzelner oder aller Gesellschafter, der Gesellschaftszweck173 und die Verbandsstruktur174. Für die Umwandlung (Verschmelzung, Spaltung, Formwechsel) regeln die § 13 Abs. 2, § 50 46 Abs. 2, § 125 Satz 1, § 193 Abs. 2, § 233 Abs. 2, § 252 Abs. 2 UmwG die Zustimmungserfordernisse bei der Beeinträchtigung von Sonderrechten und anderen satzungsgemäß relativ unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten in einer übertragenden bzw. formwechselnden GmbH. Die Vorschrift des § 50 Abs. 2 UmwG erfasst nach ihrem Wortlaut und Zweck in Übereinstimmung mit dem allgemeinen Grundsatz entgegen der sich auf die missverständliche Gesetzesbegründung175 beziehenden überwiegenden Schrifttumsmeinung176 auch die mitgliedschaftlichen Vermögensrechte (z.B. auf Vorzugsdividende oder auf erhöhten Liquidationserlösanteil u.a.)177. (3) Aus wichtigem Grunde können relativ unentziehbare allgemeine Mitgliedschaftsrechte 47 ohne Zustimmung des Betroffenen durch satzungsändernden Gesellschafterbeschluss (§ 53 Abs. 1) eingeschränkt oder beseitigt werden178. Es gelten im Wesentlichen die unter Rz. 35 dargestellten Grundsätze, da es für die Einschränkung der Unentziehbarkeit, wie auch aus den dort u.a. sinngemäß herangezogenen § 712 Abs. 1 BGB, ab 1.1.2024 [MoPeG]: § 715 Abs. 5 HGB, § 117 HGB, ab 1.1.2024 [MoPeG]: § 116 Abs. 5 HGB und aus § 38 Abs. 2 GmbHG für das Geschäftsführungsrecht folgt, keinen wertungserheblichen Unterschied macht, ob die Befugnis dem Gesellschafter als Vorrecht eingeräumt ist oder ob sie außer ihm auch den übrigen Gesellschaftern zusteht. Bei mitgliedschaftlichen Vermögensrechten wird es aber im zuletzt genannten Fall der Natur der Sache nach selten so liegen, dass der wichtige Grund nur

169 Nicht aber die Anfallberechtigung Dritter; vgl. RG v. 30.3.1942 – II 96/41, RGZ 169, 65, 82. 170 Über die gesetzliche Liquidationsquote gemäß § 72 Satz 1 vgl. Rz. 44. 171 OLG Stuttgart v. 14.2.1974 – 10 U 90/73, GmbHR 1974, 257, 259; Winter, GmbHR 1964, 252; Altmeppen, Rz. 18; weitergehend OLG Hamm v. 21.12.2015 – 8 U 67/15, GmbHR 2016, 358, 359 ohne Rücksicht auf die Art der Maßnahme; ebenso Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 39. 172 Feine, S. 274; Winter, GmbHR 1964, 252; auch RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 212, aber zu weitgehend. 173 Feine, S. 274. 174 OLG Stuttgart v. 14.2.1974 – 10 U 90/73, GmbHR 1974, 257, 259; zu weitgehend Martens, Mehrheits- und Konzernherrschaft in der personalistischen GmbH, 1970, S. 165 ff. in Anwendung des § 53 Abs. 2 Satz 2. 175 Abgedruckt bei Schaumburg/Rödder, UmwG, UmwStG, 1995, S. 121 f. 176 J. Vetter in Lutter, 6. Aufl. 2019, § 50 UmwG Rz. 51; Bermel in Goutier/Knopf/Tulloch, 2. Aufl. 2007, § 50 UmwG Rz. 21; Reichert in Semler/Stengel/Leonard, 5. Aufl. 2021, § 50 UmwG Rz. 31; Zimmermann in Kallmeyer, 7. Aufl. 2020, § 50 UmwG Rz. 21; Simon/Nießen in KölnKomm. UmwG, 2009, § 50 UmwG Rz. 20; Mayer in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, § 50 UmwG Rz. 89. 177 Zutreffend Schöne, Die Spaltung unter Beteiligung von GmbH, 1998, S. 183 ff. 178 Rücker, S. 102 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 17; Altmeppen, Rz. 19; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 45; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 93.

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§ 14 Rz. 47 | Einlagepflicht einem Gesellschafter gegenüber eingreift, z.B. wenn dieser das allen Gesellschaftern zustehende Recht zur Verwertung eines Patents der GmbH179 ständig treuwidrig missbraucht hat. Soweit das nicht zutrifft, ist auch beim Vorliegen eines wichtigen Grundes der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung zu wahren (Rz. 52) und darf beim Fehlen von Differenzierungen rechtfertigenden zusätzlichen Umständen nicht nur das Recht eines Gesellschafters beschränkt oder aufgehoben werden: Gestattet z.B. die Notlage der GmbH keinerlei Gewinnausschüttung, so ist grundsätzlich das Gewinnrecht aller Gesellschafter zu suspendieren. 48 (4) Gesellschafterbeschlüsse, die ohne wichtigen Grund und ohne Zustimmung des Anteils-

berechtigten oder ohne ausdrückliche statutarische Zulassung ein relativ unentziehbares Mitgliedschaftsrecht aufheben oder beschränken, sind insoweit (relativ) unwirksam180. Zu den Einzelheiten vgl. Rz. 36. 49 (5) Nach einem jüngeren Urteil des BGH181 zum Personengesellschaftsrecht soll es nicht

möglich sein, den Kreis der nicht ohne weiteres durch Mehrheitsbeschluss entziehbaren Rechte abstrakt und ohne Berücksichtigung der konkreten Umstände zu beschreiben. Vielmehr komme es bei Eingriffen in die individuelle Rechtsstellung des Gesellschafters letztlich immer darauf an, ob der Eingriff im Interesse der Gesellschaft geboten und dem betroffenen Gesellschafter unter Berücksichtigung seiner eigenen schutzwerten Belange zumutbar sei. Anders sei dies lediglich bei unverzichtbaren und schon deshalb unentziehbaren Rechten, sofern man solche überhaupt anerkennen wolle. Damit distanziert sich der BGH zu Recht von einem starren Bestand relativ unentziehbarer Rechte zugunsten einer beweglichen Überprüfung anhand der Treuepflicht. Ob und in welcher Weise dieses Urteil auf die Rechtslage bei der GmbH Anwendung finden kann, ist derzeit noch nicht abzusehen, aber voraussichtlich wird die bisherige Rechtslage damit ohne materiell-inhaltliche Änderung in den konkreten Einzelfällen auf eine neue dogmatische Grundlage (gesellschaftsrechtliche Treuepflicht; vgl. Rz. 64 ff.) gestellt182. e) Abspaltungsverbot 50 Eine isolierte Abtretung einzelner Mitgliedschaftsrechte ist als Aufspaltung der Mitglied-

schaft in einzelne Mitgliedschaftselemente wie bei anderen Verbänden unzulässig (sog. Abspaltungsverbot)183. Eine solche Abspaltung widerspräche der gesetzlich festgelegten Konstitution der Mitgliedschaft als im Hinblick auf den Geschäftsanteil ungeteilte Partizipation an Schicksal und Steuerung der Gesellschaft (vgl. Rz. 22 u. 13. Aufl., § 15 Rz. 17). Diese verbietet daher nicht nur die Übertragung einzelner Mitgliedschaftsrechte an gesellschaftsfremde Dritte sondern auch an Mitgesellschafter, weil eine solche die Gesellschaftsstruktur nachhaltig und ohne erforderliche Satzungsänderung verändern würde184. Dies gilt insbesondere für Mitver-

179 RG v. 2.7.1926 – II 570/25, RGZ 114, 212, 219. 180 BGH v. 10.11.1954 – II ZR 299/53, BGHZ 15, 177, 181; BGH v. 13.7.1967 – II ZR 238/64, BGHZ 48, 141, 143; Schäfer, Der stimmrechtslose Geschäftsanteil, S. 248 ff. m.w.N.; s. auch Priester/ Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 48. 181 BGH v. 21.10.2014 – II ZR 84/13, BGHZ 203, 77 = GmbHR 2014, 1303; zustimmend Wertenbruch, DB 2014, 2875; kritisch Altmeppen, NJW 2015, 2065; Priester, NZG 2015, 529; Ulmer, ZIP 2015, 657, 659. 182 Ebbing in Michalski u.a., Rz. 67; vgl. auch Blath, RNotZ 2017, 218, 220 mit Fn. 36; Schäfer, ZIP 2015, 1313. 183 Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 119; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, Rz. 20; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 45; Altmeppen, § 15 Rz. 22; zur Herleitung und Begründung des Abspaltungsverbots im Aktienrecht ausführlich Seibt, ZGR 2010, 795, 814 ff. 184 Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 119; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 46.

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Einlagepflicht | Rz. 52 § 14

waltungsrechte, wobei hier das Stimmrecht von besonderer Bedeutung ist. Neben der isolierten Abtretung von aus der Mitgliedschaft rührenden Verwaltungsrechten sind auch die wertungsmäßig gleichzustellenden Legitimationszessionen sowie sog. „verdrängende Vollmachten“185 unzulässig. Eine abweichende Bewertung ergibt sich auch nicht aus einem in sachlicher und zeitlicher Verbindung vereinbarten schuldrechtlichen oder dinglichen Recht am Geschäftsanteil186 (vgl. 13. Aufl., § 15 Rz. 17 ff.). In Bezug auf die Vermögensrechte hat das Abspaltungsverbot lediglich das Vermögensstammrecht zum Gegenstand, was zur Folge hat, dass aus diesem hervorgehende – auch zukünftige – Einzelansprüche isoliert abtretbar sind (vgl. 13. Aufl., § 15 Rz. 20 ff.). f) Gebot gleichmäßiger Behandlung aa) Geltung Der Gesellschaftsvertrag kann, von verhältnismäßig wenigen zwingenden Vorschriften abge- 51 sehen, die innergesellschaftlichen Rechtsverhältnisse frei gestalten (§ 45) und dabei auch den Gesellschaftern eine „ungleiche“ Rechtsstellung zuweisen, also bei der Regelung der Mitgliedsrechte und/oder Mitgliedspflichten einzelne von ihnen bevorzugen oder zurücksetzen. Wenn und soweit dies aber nicht geschehen ist und durch Gesetz oder Satzung auch nicht für die betreffende Maßnahme eine Abweichung gestattet wird (Rz. 53), gilt mit dem Eintritt der Gemeinschaftsbindung und der dadurch gegebenen Unterwerfung unter die Verbandsmacht der Grundsatz der gleichmäßigen Behandlung aller Gesellschafter. Seine Anwendung auf die GmbH ist von der Rspr187 und der herrschenden Auffassung im Schrifttum188 seit langem anerkannt, aber über seinen Geltungsgrund besteht noch immer Unklarheit189. Das GmbHG schreibt die Gleichbehandlungspflicht nicht ausdrücklich vor (s. dagegen 52 § 53a AktG). Die Vorschriften der § 14, § 19 Abs. 1, § 24, § 26 Abs. 2 u. 3, § 29 Abs. 3, § 31 Abs. 3, § 47 Abs. 2, § 72, auf die die Gegenmeinung der ausdrücklichen Normierungsthese verweist190, enthalten nur einen überwiegend dispositiven Maßstab der verhältnismäßigen Beteiligung der Gesellschafter an bestimmten allgemeinen Mitgliedschaftsrechten und -pflichten, der aber nicht uneingeschränkt gilt (Rz. 6 a.E.). Er ist, soweit sein Anwendungsgebiet reicht, im Einzelfall zwar für die Frage des Ob einer unterschiedlichen Behandlung bedeutsam

185 BGH v. 10.11.1951 – II ZR 111/50, BGHZ 3, 354; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 124; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 22; Noack in Noack/Servatius/Haas, § 47 Rz. 40 f. 186 A.M. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 23. 187 RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 213; RG v. 25.4.1911 – II 572/10, RGZ 76, 155; RG v. 12.11.1912 – II 291/12, RGZ 80, 385, 389; RG v. 23.10.1928 – II 54/28, RGZ 122, 159 163; RG v. 12.11.1935 – II 48/35, RGZ 149, 293, 300; RG v. 4.2.1943 – II 94/42, RGZ 170, 358, 378; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 227; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 373 = GmbHR 1992, 257; BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931; BGH v. 15.4.1985 – II ZR 274/83, NJW 1985, 1901, 1902 = GmbHR 1985, 297; BGH v. 27.11.1989 – II ZR 43/89, WM 1990, 182, 185 = GmbHR 1990, 122; OLG Hamm v. 25.3.1996 – 8 U 195/95, GmbHR 1996, 768; OLG München v. 24.10.1997 – 23 U 2392/97, GmbHR 1997, 1103; OLG Köln v. 10.3.1999 – 5 U 43/97, NZG 1999, 1112. 188 Feine, S. 274 ff.; G. Hueck, S. 48 ff.; Zöllner, S. 301 ff.; Wolany, S. 164 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 31 ff.; Altmeppen, § 13 Rz. 61 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 46 ff.; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 18 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 427 ff.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 94; a.M. v. Falkenhausen, S. 30 ff.; Konow, S. 122 f.; s. für die AG auch Wiethölter, S. 103 ff. 189 Vgl. dazu insbesondere G. Hueck, S. 83 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 428 f.; Karsten Schmidt, GesR, § 16 II 4b, jeweils m.w.N. 190 Feine, S. 261, 275 f.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 114; Müller-Erzbach, S. 75; G. Hueck, S. 47 ff.; vgl. auch Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 31.

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§ 14 Rz. 52 | Einlagepflicht (Rz. 56), begründet aber nicht die Geltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes und schließt, wie schon die § 24 Satz 2, § 31 Abs. 3 Satz 2 (nicht anders liegt es für § 19 Abs. 1191) zeigen, bei der erforderlichen Abwägung auch nicht die Relevanz anderer Umstände aus (Rz. 56). Die Beschränkung der Verbandsautonomie, die der Gleichbehandlungsgrundsatz bewirkt, folgt aus dem gesellschaftlichen Treuegedanken192, mit dem sachlich unbegründete Differenzierungen in der Behandlung der Gesellschafter unvereinbar sind. Das Gleichbehandlungsgebot ist demnach ein spezieller Anwendungsfall der gesellschaftlichen Treuepflicht193. Dies entspricht auch unterstützenswerten, ökonomischen Begründungsmustern, denenzufolge die Parteien einer „nach vorne offenen“ Rechtsbeziehung erwarten dürfen, gegen die begründete Enttäuschung geschützt zu sein, in vertraglich nicht spezifizierten und im Vorhinein auch nicht spezifizierbaren Situationen ohne Grund schlechter gestellt zu werden als vergleichbare Vertragspartner194. bb) Bedeutung und Inhalt 53 (1) Anwendungsbereich. Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist nur subsidiär anwendbar,

wenn und soweit der Gesellschaftsvertrag keine abweichende Bestimmung getroffen hat195. Dabei ist im Zweifel nicht anzunehmen, dass eine ungleiche Behandlung der Gesellschafter gewollt ist. Der Gleichbehandlungsgrundsatz kann für alle gesellschaftlichen Maßnahmen gelten, die die Gesellschafter als solche betreffen. Seine Geltung für das Gesellschaftsverhältnis kann nicht generell ausgeschlossen werden196. Allerdings können Gesellschafter auf konkrete, sich aus der Gleichbehandlungspflicht ergebende Rechtspositionen verzichten197. 54 Nicht vom Gleichbehandlungsgrundsatz erfasst sind Drittgeschäfte zwischen der GmbH

und den Gesellschaftern198, es sei denn, dass sie gesellschaftliche Elemente insofern enthalten, als die Gesellschaftereigenschaft des Geschäftspartners für den Abschluss oder für den Inhalt des Geschäfts (mit-)bestimmend war199, z.B. die Festsetzung des Umfangs der Leistung (z.B. Umfang von Druckereiaufträgen für Gesellschafter einer Verlagsgesellschaft nach der Beteiligungsquote) oder die Höhe der Gegenleistung beeinflusst hat200. Die Verletzung des Gleichbehandlungsgebots kann in derartigen Fällen mit einer unzulässigen verdeckten

191 S. RG v. 12.11.1935 – II 48/35, RGZ 149, 293, 300. 192 Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 96; Ritter, JW 1934, 3025 ff.; Fechner, S. 93 ff.; s. auch G. Hueck, S. 107 ff. m.w.N. 193 Vgl. auch Lutter, AcP 180 (1980), 84, 122 f.; a.M. Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 115 mit Fn. 261 (Minderheitenschutz); Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 38 Rz. 54, § 11 Rz. 58 (Minderheitenschutz); Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 31. 194 Vgl. Bachmann, ZHR 170 (2006), 144, 161; Fleischer, ZGR 2001, 1, 5; Janke, Gesellschaftsrechtliche Treuepflicht, 2003, S. 151 ff. 195 Feine, S. 275; Müller-Erzbach, S. 74, 77; G. Hueck, S. 250 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 34; Zöllner, S. 302 f.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 113; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Altmeppen, § 13 Rz. 62. 196 G. Hueck, S. 267 f.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 33; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 47; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 20. 197 So zum Aktienrecht Fleischer in K. Schmidt/Lutter, § 53a AktG Rz. 37 f.; Henze/Notz in Großkomm. AktG, 5. Aufl. 2021, § 53a AktG Rz. 107 ff. 198 A.M. Altmeppen, § 13 Rz. 64 „nach Maßgabe der unternehmerischen Vernunft“. 199 BGH v. 14.1.1997 – KZR 30/95, AG 1997, 414; Zöllner, S. 304 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 34; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 23. 200 RG v. 25.6.1930 – II 310/29, HRR 1932, 1287; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 227; BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931.

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Einlagepflicht | Rz. 58 § 14

Gewinnausschüttung zusammentreffen201, ist indes nicht zwingend, da die Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieser Institute nicht übereinstimmen (Rz. 60). Der Gleichbehandlung unterliegen nicht nur die von Gesellschaftsorganen, sondern auch 55 von einzelnen Gesellschaftern ausgehenden Rechtsakte, soweit ihnen durch den Gesellschaftsvertrag die Befugnis zu einem organähnlichen Handeln eingeräumt ist202. (2) Willkürverbot. Der Gleichbehandlungsgrundsatz bedeutet inhaltlich das Verbot einer 56 willkürlichen, d.h. sachlich ungerechtfertigten verschiedenen Behandlung der Gesellschafter203. Für die Beurteilung kommt es nicht darauf an, ob der Urheber des Rechtsaktes (Rz. 55) eine willkürliche Ungleichbehandlung gewollt oder umgekehrt sein Vorgehen für gerechtfertigt gehalten hat, sondern maßgebend ist der Standpunkt eines objektiven Betrachters204. Bei der praktischen Handhabung sind mehrere Fallgruppen zu unterscheiden205: (a) Bei den jedem Gesellschafter zustehenden unverzichtbaren Mitgliedschaftsrechten 57 (Rz. 40) gilt absolute Gleichheit nach Personen. (b) Ansonsten ist die für das Eingreifen des Gleichbehandlungsgrundsatzes primär erforderliche „verschiedene Behandlung“ gegeben, wenn der nach dem Gesetz oder dem Gesellschaftsvertrag für den Gegenstand des betreffenden gesellschaftlichen Rechtsaktes geltende Maßstab der Beteiligung der Gesellschafter (z.B. nach der dispositiven gesetzlichen Regel für das Gewinn- oder Stimmrecht die Größe der Geschäftsanteile; s. Rz. 6, 52) in ihrem Verhältnis zueinander nicht für alle gewahrt, also der sog. Gleichbehandlungsmaßstab206 nicht eingehalten worden ist. Die Auswirkungen der Maßnahme auf die Gesellschafter sind nach ihrem Inhalt unter Berücksichtigung aller Gegebenheiten des konkreten Gesellschaftsverhältnisses festzustellen, wobei aber von vorübergehenden tatsächlichen Zufälligkeiten abzusehen ist207. Andere Umstände, insbesondere die außergesellschaftlichen persönlichen Verhältnisse der Gesellschafter und die sich daraus ergebenden Folgen haben i.d.R. außer Betracht zu bleiben208. Eine Ausnahme ist in dieser Hinsicht aber dann zu machen, wenn nach den Gesamtumständen feststeht, dass die gesellschaftliche Maßnahme sich nur gegen einzelne Gesellschafter richten kann und diese benachteiligt werden sollen209; u.U. kann außerdem ein Machtmissbrauch durch die Mehrheit vorliegen210. Liegt eine „Verschiedenbehandlung“ der Gesellschafter in dem unter (b) (Rz. 57) erörterten 58 Sinne vor, so ist das Gleichbehandlungsgebot verletzt, wenn nicht, was von dem Urheber des Rechtsaktes darzulegen und zu beweisen ist, nach Maßgabe des konkreten Gesellschaftsverhältnisses relevante und ausreichende sachliche Gründe die vorgenommene Differenzie-

201 BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 227; BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931; Ballerstedt, S. 174 ff.; Flume, Juristische Person, S. 286 ff., insbes. 294 ff.; M. Winter, ZHR 148 (1984), 579, 582, 597 ff. u. unten 13. Aufl., § 29 Rz. 115 ff. 202 G. Hueck, S. 226, 229 ff. 203 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175, 186; BGH v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117, 120 ff.; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 373 = GmbHR 1992, 257; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141, 150 f.; BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931; Bodenheimer, S. 6 ff.; G. Hueck, S. 173 ff.; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 38 Rz. 56; Grüter, S. 50 ff., 62 ff. u. 76 ff., jeweils m.w.N. 204 G. Hueck, S. 193 ff.; Zöllner, S. 303; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117. 205 Ebenso Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 121 f. 206 G. Hueck, S. 198 ff. 207 RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 213. 208 RG v. 4.4.1908 – I 302/07, RGZ 68, 210, 213; RG v. 12.11.1912 – II 291/12, RGZ 80, 385; G. Hueck, S. 54 ff., 190 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 32; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 117; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 19. 209 G. Hueck, S. 191 ff. 210 RG v. 5.5.1916 – II 33/16, RGZ 88, 220, 222 f.

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§ 14 Rz. 58 | Einlagepflicht rung rechtfertigen211. Dabei kann eine Wechselwirkung zwischen der erforderlichen Qualität der sachlichen Rechtfertigung und dem Maß und der Spürbarkeit der Ungleichbehandlung bestehen. Missbraucht z.B. ein Gesellschafter die allen eingeräumte Nutzung eines Patentrechtes der GmbH, so kann ihm dieser Vorteil künftig genommen, den übrigen aber belassen werden. Die Einforderung der Resteinlage verstößt nicht deswegen gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (§ 19 Abs. 1), weil ein anderer Gesellschafter zahlungsunfähig ist212. Ebenso wenig trifft das zu, wenn die Satzung den Gesellschaftern einen Abfindungsanspruch beim Ausscheiden einräumt, der sich aus dem Nominalbetrag des Geschäftsanteils und einem nach Jahren der Gesellschaftszugehörigkeit bemessenen, nach größeren Zeitabschnitten gestaffelten, durch einen Höchstsatz begrenzten Betrag zusammensetzt213. Unzulässig wäre es dagegen, im Falle eines dringenden Rücklagenbedarfs die auf der Kapitalbeteiligung beruhenden Gewinnrechte ungleichmäßig zu kürzen oder bei der Zulassung bisheriger Gesellschafter zu einer Kapitalerhöhung einen Gesellschafter nicht anteilig zu beteiligen, obwohl dem keine im Gesellschaftsinteresse liegenden, seine Mitgliedsinteressen überwiegenden dringenden Gründe entgegenstehen214. 59 Bei mit einfacher Mehrheit zu fassenden Gesellschafterbeschlüssen, z.B. zu einzelnen Ge-

schäftsmaßnahmen oder zur Geschäftspolitik, wirkt das Diskriminierungsverbot nur noch durch Verfahrensgerechtigkeit. Jeder Gesellschafter ist berechtigt, am Beschlussverfahren gleichberechtigt beteiligt und mit seinen Argumenten gehört zu werden215. Inhaltlich kann der Gesellschafterbeschluss nur daraufhin überprüft werden, ob er nicht willkürlich ist (d.h. ohne jegliche sachliche Rechtfertigung ist) und Gesellschafter diskriminiert werden216. cc) Folgen der Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes 60 Es ist bezüglich der Rechtsfolgen einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes da-

nach zu unterscheiden, ob sie durch einen Gesellschafterbeschluss oder ob sie durch andere gesellschaftliche Akte erfolgt ist. 61 (1) Ein Gesellschafterbeschluss, der die Gesellschafter ohne Einverständnis der Benachtei-

ligten sachlich ungerechtfertigt verschieden behandelt, ist anfechtbar (s. 12. Aufl., § 45 Rz. 105)217. Die abweichende Auffassung, derzufolge Unwirksamkeit eintrete218, ist unzutreffend, da der Beschluss hier im Gegensatz zu den übrigen Unwirksamkeitsfällen (s. 12. Aufl., § 45 Rz. 54 ff.) keine der Mehrheitsherrschaft entzogenen Mitgliedschaftsrechte (Rz. 36, 48) oder Pflichtenvermehrungen (§ 53 Abs. 3) zum Gegenstande hat, sondern es um eine (keinen Nichtigkeitsgrund bildende; s. dazu 12. Aufl., § 45 Rz. 61 ff.) Gesetzesverletzung geht

211 BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175, 186; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 373 = GmbHR 1992, 257; BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931. 212 RG v. 12.11.1935 – II 48/35, RGZ 149, 293, 300 f. 213 BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 373 f = GmbHR 1992, 257. 214 Vgl. auch BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44 ff. betr. AG. 215 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 118; Karsten Schmidt, GesR, § 16 II 4, 460; Raiser/Veil, Kapitalgesellschaften, § 38 Rz. 56. 216 Vgl. BGH v. 6.10.1960 – II ZR 150/58, BGHZ 33, 175, 186; BGH v. 19.12.1977 – II ZR 136/76, BGHZ 70, 117, 120 ff.; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44; BGH v. 9.11.1992 – II ZR 230/91, BGHZ 120, 141, 149 f. (alle zur AG). 217 RG v. 16.9.1927 – II 21/27, RGZ 118, 67, 72 f.; RG v. 13.11.1934 – II 190/34, JW 1935, 1776; BGH v. 14.5.1990 – II ZR 126/89, BGHZ 111, 224, 227; BGH v. 16.12.1991 – II ZR 58/91, BGHZ 116, 359, 373 = GmbHR 1992, 257; G. Hueck, S. 311 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 35; A. Hueck in FS Molitor, 1962, S. 403 f.; Zöllner, S. 416; Wolany, S. 164 f.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120; Altmeppen, § 13 Rz. 65; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 25 u.a.; offen gelassen von BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931. 218 So Feine, S. 276, 578; Fischer, JZ 1956, 363.

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Einlagepflicht | Rz. 62 § 14

und eine Ausdehnung der Unwirksamkeitsfolge mit dem Interesse an Rechtssicherheit unvereinbar ist219. Die den Gesellschafter benachteiligende Regelung bleibt so lange gültiges Verbandsrecht, bis der Beschluss auf eine entsprechende Anfechtungsklage durch Urteil rechtskräftig für nichtig erklärt worden ist. Er kann vor einer Nichtigerklärung unter Berufung auf den Gleichbehandlungsgrundsatz weder einen der beschlossenen Regelung widersprechenden Anspruch gegen die GmbH durchsetzen noch (außer bei treuwidrigem Vorgehen; s. 12. Aufl., § 45 Rz. 124, 143 a.E.) der eigenen Inanspruchnahme aus dem Beschluss einredeweise begegnen; möglich sind aber u.U. die Beschlussausführung betreffende einstweilige Regelungen durch das Gericht (§§ 935 ff. ZPO). Eine Anfechtungsklage ist nicht erforderlich, wenn durch einen Beschluss lediglich der Antrag des benachteiligten Gesellschafters auf Gleichbehandlung abgelehnt wird, da dessen Wirkung sich in dem Verbrauch des Antrags erschöpft, den Anspruch selbst aber unberührt lässt220. Über satzungsändernde Beschlüsse vgl. zudem die Erl. in der 12. Aufl., § 53 Rz. 18 ff. (2) Die Rechtsfolgen einer Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durch andere ge- 62 sellschaftliche Rechtsakte als Gesellschafterbeschlüsse lassen sich wegen der Verschiedenartigkeit der Verletzungsmöglichkeiten und ihrer Begleitumstände nicht einheitlich bestimmen221. Sie richten sich danach, was im Einzelfall erforderlich ist, einen der Gleichbehandlung entsprechenden Zustand herzustellen, ohne hierbei mehr als notwendig in die Verbandsautonomie einzugreifen222. Rechtsgeschäftliche oder rechtsgeschäftsähnliche Erklärungen, die einen Gesellschafter willkürlich ungleichmäßig belasten, sind insoweit unwirksam (nicht nichtig223), so z.B. eine ihn benachteiligende Einforderung von Leistungen auf den Geschäftsanteil durch den statutarisch zuständigen Geschäftsführer (s. 13. Aufl., § 19 Rz. 9 ff.) oder die Kündigung und Rückforderung eines Darlehens, das ihm von der Gesellschaft gewährt wurde224. Die Unwirksamkeitsfolge genügt aber u.U. allein nicht: Verweigert z.B. der Geschäftsführer unter Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes die zur Abtretung des Geschäftsanteils erforderliche Genehmigung (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 119 ff.), so ist nicht nur diese Erklärung unwirksam, sondern der Gesellschafter hat einen Anspruch auf Genehmigung (s. 13. Aufl., § 15 Rz. 127). Bei einem Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz durch Zuwendung vermögenswerter Vorteile ist zu unterscheiden, ob deren Rückforderung rechtlich möglich und den Beteiligten nach den Gesamtumständen zuzumuten ist oder nicht225. Die Gesellschaft ist im ersten Falle zwecks Herstellung eines der Gleichbehandlung entsprechenden Zustandes verpflichtet, entweder den Vermögensvorteil vom Begünstigten zurückzuverlangen oder dem benachteiligten Gesellschafter eine gleichartige Leistung zuzuwenden226. Das Wahlrecht steht der Gesellschaft und nicht dem benachteiligten Gesellschafter 219 G. Hueck, S. 311 ff. m.w.N. 220 BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 120. 221 BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931; Raiser, Das Unternehmen als Organisation, 1969, S. 95 f.; G. Hueck, S. 295 f.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 35; Altmeppen, § 13 Rz. 65; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 26; Martens, GmbHR 1984, 265, 266. 222 G. Hueck, S. 296. 223 So aber Bodenheimer, S. 61 ff. 224 BGH v. 21.6.2010 – II ZR 113/09, DStR 2010, 1899; OLG Brandenburg v. 31.3.2009 – 6 U 4/08, GmbHR 2009, 825 = ZIP 2009, 1955. 225 BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931. – Für einen verschuldensunabhängigen Rückgewährungsanspruch hier Bitter, 13. Aufl., § 13 Rz. 54; Bitter, ZHR 164 (2004), 302, 317 ff. 226 BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 119; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 35; Altmeppen, § 13 Rz. 65; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 26; Martens, S. 266. Für verdeckte Gewinnausschüttungen anders M. Winter, ZHR 148 (1984), 579, 597 ff.: Grundsätzlich nur ein Rückerstattungsanspruch der Gesellschaft, in Ausnahmefällen ein Ausgleichsanspruch der benachteiligten Gesellschafter.

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§ 14 Rz. 62 | Einlagepflicht zu227; die Vorschriften der §§ 263 ff. BGB sind anwendbar. Bei Unmöglichkeit der Rückgewähr des Vermögensvorteils ist Wertersatz zu leisten. Wenn aus den oben genannten Gründen die Rückforderung ausgeschlossen ist, hat der Benachteiligte gegen die GmbH einen Anspruch auf Zuwendung eines gleichartigen Vermögensvorteils oder, sofern das nicht möglich ist, auf eine Ausgleichsleistung228. 63 Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist dagegen kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB229;

es kann aber bei einer Verletzung in extremen Ausnahmefällen eine Schadensersatzpflicht aus § 826 BGB gegeben sein.

3. Treuepflicht a) Geltung 64 Die im Bedeutungsinhalt schwer zu konturierende gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist eine

sprachliche Zusammenfassung einer Vielzahl von gesellschaftsrechtlichen Verhaltensnormen230 und ein rechtsformübergreifendes, allgemeines verbandsrechtliches Prinzip231. Ihre Geltung für das Gesellschaftsverhältnis der GmbH ist allgemein anerkannt232, hat in ihrem richterlich ausgelegten Kernbestand den Rang von Gewohnheitsrecht erlangt und steht insoweit Gesetzesrecht gleich233. b) Bedeutungsinhalt; Zweck, Wirkweise und Funktion der Treuepflicht 65 Zur Bestimmung des Bedeutungsinhalts der Treuepflicht im Gesellschafterbereich wird

herkömmlich formuliert, dass diese gebietet, die Interessen der Treueberechtigten zu wahren und zu fördern sowie ihre Schädigung zu unterlassen234. Teilweise wird auch in der In227 Ebenso Altmeppen, § 13 Rz. 65; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 26; a.M. Raiser in Habersack/ Casper/Löbbe, Rz. 119; Lutter, ZGR 1978, 348, 366 ff.; Ballerstedt, S. 175, der aber zu Unrecht das Gleichbehandlungsproblem mit der Frage der unzulässigen verdeckten Gewinnausschüttung vermengt. 228 BGH v. 11.7.1960 – II ZR 24/58, LM § 18 GenG Nr. 2; BGH v. 15.5.1972 – II ZR 70/70, WM 1972, 931; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 119; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 48; Böhm in MünchHdb. III, § 31 Rz. 26. 229 Bodenheimer, S. 62; G. Hueck, S. 293 f.; a.M. Wolany, S. 164. 230 Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 35; Hüffer, ZHR 153 (1989), 84, 87 f.; Hüffer in FS Steindorff, 1990, S. 59, 72 f. 231 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 77; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 35. 232 RG v. 27.6.1940 – II 31/39, RGZ 164, 257, 262; RG v. 12.10.1940 – II 33/40, RGZ 165, 68, 79; RG v. 13.8.1942 – II 67/41, RGZ 169, 330, 333 f., 338; RG v. 4.2.1943 – II 94/41, RGZ 170, 358, 373; BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 163; BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 38; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 f. – ITT; BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 355 = GmbHR 1981, 111; BGH v. 23.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346, 349 = GmbHR 1981, 290; BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 279 f. = GmbHR 1986, 426; OLG Düsseldorf v. 28.10.1993 – 6 U 160/92, GmbHR 1994, 172, 175; OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, ZIP 1996, 1083, 1087 = GmbHR 1996, 689; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 77 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 20 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29 ff.; Reichert/Weller in MünchKomm. GmbHG, Rz. 131; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 18 ff.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 35; Zöllner, S. 335 ff.; 366 ff.; Wolany, S. 103 ff.; Immenga, S. 168 ff.; Teichmann, S. 168 ff.; Lutter, AcP 180 (1980), 102 ff.; M. Winter, S. 43 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 431 ff., jeweils m.w.N. Kritisch Flume, ZIP 1996, 161 ff.; Altmeppen, § 13 Rz. 30 f. 233 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 77. 234 So M. Winter, S. 2; vgl. auch BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 163; Hueck, Treuegedanke, S. 15; Schilling in Hachenburg, 7. Aufl., Rz. 24; Marsch-Barner, ZHR 157 (1993), 172 f.; Lutter, ZHR 1962 (1998), 164, 167 f.; Michalski, NZG 1998, 460; Karsten Schmidt, GesR, 2002,

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Einlagepflicht | Rz. 67 § 14

haltsbestimmung die Pflicht weggelassen, Schädigungen der Interessen der Treueberechtigten zu unterlassen, und postuliert: Die Treuepflicht gebietet im Gesellschafterbereich das Wahren und Fördern der Interessen der Treueberechtigten. Es ist offenkundig, dass sich aus einer solch abstrakten Bedeutungszuschreibung kein erkenntnisfördernder spezifischer Aussagegehalt für Einzelgebote und Einzelverbote ergibt235. Zur Einhegung des Beurteilungsspielraums des das Gewohnheitsrecht auslegenden Richters und zur Steigerung der Rechtssicherheit ist daher eine weitere Konturierung des Bedeutungsinhalts der Treuepflicht im Gesellschafterbereich durch ihren Zweck (Rz. 66) und ihre Wirkweise (Rz. 67) notwendig. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht hat den janusköpfigen Doppelzweck, einerseits das 66 für das Funktionieren im Verband notwendige Vertrauen des Treueberechtigten (über internalisierte Moralvorstellungen hinaus) zu verrechtlichen und andererseits für die besonderen Einwirkungsmöglichkeiten des Treueverpflichteten zu kompensieren236, wobei in der Rechtsprechung vorrangig auf die Kompensation der besonderen Einwirkungsmöglichkeit des Treueverpflichteten abgestellt wird237. Die Treuepflicht erfährt also ihre Rechtfertigung (und Konturierung) aus der in einem Gesellschaftsverband jedem Mitglied eingeräumten rechtlichen oder vergleichbaren qualifiziert tatsächlichen Möglichkeit (z.B. über ein qualifiziertes Wissens- oder Fähigkeitsgefälle), auf die in der Gesellschaft gebundenen Vermögenswerte und Interessen der Mitgesellschafter als Treueverpflichtete einzuwirken – mit anderen Worten: Die Treuepflicht soll für eine Korrelation zwischen Einwirkungsmacht und Verantwortung sorgen. Eine weitere Eingrenzung des Bedeutungsinhalts gelingt aus der spezifischen Wirkweise der 67 Treuepflicht: Mit der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht sollen auf vorhersehbare Weise unvorhergesehene Lücken geschlossen werden, da eine explizite Regelung sämtlicher Lebenssachverhalte in einem Langzeitvertrag praktisch unmöglich oder jedenfalls mit prohibitiven Kosten verbunden wäre238. In Abgrenzung zum Rechtsinstitut der ergänzenden Vertragsauslegung ist das Charakteristikum der Treuepflicht allerdings seine Handlungsoffenheit239. Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht gebietet lediglich, das Interesse des Treueberechtigten als ein zu berücksichtigendes Handlungsziel anzusetzen, sie gibt weder eine spezifische

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§ 20 IV 1.a); Wiedemann, GesR I, 2004, S. 194; vgl. auch § 1186 Abs. 1 öst. ABGB, der 2015 neu eingeführt wurde. Vgl. Altmeppen, § 13 Rz. 31 („Bei der Treuepflicht handelt es sich danach jedenfalls um eine allgemeine Charakterisierung der Gesellschafterstellung ohne spezifischen Aussagegehalt“); Verse in Bayer/Habersack, Aktienrecht im Wandel, S. 579, Fn. 39 („Über einzelne Fallgruppen hinausgehende, übergreifende Aussagen lassen sich [über die Treuepflicht], jedenfalls was die Tatbestandsseite anbetrifft, kaum treffen“); Koppensteiner, GesRZ 2009, 177, 199 („Die aus der Bindung an das gemeinsame Interesse resultierenden Einzelpflichten lassen sich nicht abstrakt und aussagekräftig umschreiben“); M. Mann, Abdingbarkeit der Treuepflicht, Abschn. 2, A. I. 1.; Martens in Rechtsdogmatik & Rechtspolitik, 1990, S. 251, 259 („kein Erkenntniswert“). M. Mann, Abdingbarkeit der Treuepflicht, Abschn. 2, A. I. 3. a); Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1993, S. 341 ff. S. z.B. BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 – ITT; BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 194 – Linotype; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 142 = GmbHR 1995, 665 – Girmes; BGH v. 5.7.1999 – II ZR 126/98, BGHZ 142, 167, 170 – Hilgers; vgl. auch Karsten Schmidt, GesR, § 20 IV. 1b, S. 588; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 239. Vgl. M. Winter, S. 17; Wiedemann, GesR I, 2004, S. 198; Fleischer, ZGR 2001, 1, 4; Fleischer, ZHR 168 (2004), 673, 683; Schmolke, Grenzen der Selbstbindung, S. 596; für das US-amerikanische Recht vgl. Easterbrook/Fischel, 36 J. L. & Econ. 425, 426 (1993); Easterbrook/Fischel, Economic Structure, 1998, S. 90 f. Hierzu M. Mann, Abdingbarkeit der Treuepflicht, Abschn. 2, A. I. 3. b); s. auch Zöllner, Schranken mitgliedschaftlicher Stimmrechtsmacht, 1993, S. 342 f.; Fischer in FS Barz, 1974, S. 33, 36; Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 f.; Cahn in FS Wiese, 1998, S. 71, 79; allgemein zu Langzeitverträgen: Grundmann, Treuhandvertrag, 1997, S. 146; Löhnig, Treuhand, 2006, S. 834.

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§ 14 Rz. 67 | Einlagepflicht Handlung als Entscheidungsergebnis noch einen konkreten Handlungserfolg vor, sondern regelt lediglich den Entscheidungsprozess240. Diese Handlungs- und Erfolgsoffenheit, ähnlich der Ermessensregelung im öffentlichen Recht241, entspricht dem Vorgehen des BGH (z.B. in der Kali + Salz-Entscheidung242), nicht die Richtigkeit des Abstimmungsergebnisses zu fordern, sondern lediglich die Interessenabwägung als Prozess zu überprüfen. 68 Aus Zweck und Wirkweise der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht lässt sich der Bedeu-

tungsinhalt also wie folgt schärfen: Die Treuepflicht soll für die objektiv anvertraute (rechtliche oder vergleichbare tatsächliche) Einwirkungsmöglichkeit des Treueverpflichteten über eine ihm anvertraute fremde Rechtsposition kompensieren und dabei eine Handlungs- und Ergebnisoffenheit wahren, in dem sie an den Entscheidungsprozess des Treueverpflichteten anknüpft und diesen Prozess dahingehend verbindlich regelt, dass der Treueverpflichtete (i) bei Tätigkeiten im ausschließlich fremden Interessenkreis allgemein und vorrangig die Ziele des Treueberechtigten für seine Entscheidungen ansetzen muss bzw. (ii) bei Tätigkeiten im auch fremden Interessenkreis die Ziele des Treueberechtigten angemessen mitberücksichtigen muss243. Inhaltlich fordert die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als Handlungsmaxime ein redliches und loyales Verhalten, wie es von dem Treueverpflichteten aufgrund seines – auf gegenseitig angelegten – Versprechens auf Unternehmenszweckförderung und seiner Teilhabe an dem zur Verfolgung des statutarischen Zwecks bestehenden Gemeinschaftsverhältnis vom Treuepflichtberechtigten erwartet werden darf244. 69 Sie ist daher funktional kein reines Minderheitenschutzinstrument, wenngleich sie in der

Unternehmenspraxis häufig als solches fungiert. Als allgemeine Handlungsmaxime wirkt sie aber nicht nur zu Lasten des Mehrheitsgesellschafters oder eines durch eine Veto-Rechtsposition qualifizierten Minderheitsgesellschafters, sondern konzeptionell zu Lasten und zu Gunsten eines jeden Gesellschafters (s. auch Rz. 78). Sie ist zudem kein Instrument des Gläubigerschutzes (vgl. Bitter, 13. Aufl., § 13 Rz. 54). 70 Dabei ist die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht eine selbständige Pflicht der Gesellschafter

und der Gesellschaft, sie hat also nicht bloß akzessorischen Charakter245. c) Rechtsgrundlage der Treuepflicht; Abdingbarkeit 71 Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht ist als umfassendes Prinzip nicht gesetzlich geregelt.

Allerdings wurde ein Einzelausschnitt der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht mit § 7 Abs. 7 Satz 1 FMStBG246 für Unternehmen des Finanzsektors positiviert247. Vor diesem Hintergrund ist die Rechtsgrundlage der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht im Einzelnen streitig: So wird in der Literatur herangezogen: (i) der Gesellschaftsvertrag selbst bzw. die von ihm begründeten vertragsähnlichen, schuldrechtlichen Beziehungen der Gesellschafter untereinander und zur Gesellschaft, (ii) der Grundsatz von Treu und Glauben aus § 242 BGB, (iii) die Zweckförderungspflicht aus § 705 BGB, ab 1.1.2024 (MoPeG): § 705 Abs. 1 BGB, (iv) eine je nach 240 M. Mann, Abdingbarkeit der Treuepflicht, Abschn. 2, A. I. 3. b). 241 Timm, ZGR 1987, 403, 410. 242 BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 49 f. – Der BGH stützt seine Entscheidung zwar nicht ausdrücklich auf die Treuepflicht, sie findet jedoch ihre Grundlage in ihr; vgl. Henze, BB 1996, 489, 499; Lutter, ZHR 162 (1998), 164, 167. 243 Ähnlich M. Mann, Abdingbarkeit der Treuepflicht, Abschn. 2, A. I. 3. c). 244 Vgl. OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, ZIP 1996, 1083, 1087 = GmbHR 1996, 689; vgl. auch Lutter, AcP 180 (1980), 84, 102 f. 245 Lutter, AcP 180 (1980), 84, 117; M. Winter, S. 63 ff. 246 Gesetz zur Beschleunigung und Vereinfachung des Erwerbs von Anteilen an sowie Risikopositionen von Unternehmen des Finanzsektors durch den Fonds „Finanzmarktstabilisierungsfonds – FMS“ (FMStBG) vom 17.10.2008, BGBl. I 2008, 1986. 247 Hierzu Karsten Schmidt, ZGR 2011, 108, 118.

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Einlagepflicht | Rz. 72 § 14

betroffenem Bereich differenzierte Rechtsgrundlage von § 242 BGB (Rechtsausübungskontrolle) und § 705 BGB, ab 1.1.2024 (MoPeG): § 705 Abs. 1 BGB (Zweckförderungspflicht) sowie (v) ein vielen Einzelregelungen zugrundeliegendes Rechtsprinzip248. Zutreffend ist, dass die Treuepflicht ihren Geltungsgrund im Gesellschaftsvertrag selbst hat. Sie entspringt seiner Auslegung „wie Treu und Glauben (…) es erfordern“ (vgl. § 157 BGB) unter Berücksichtigung der im Gesellschaftsvertrag bestimmten und ausgeformten gemeinschaftlichen Zweckförderungspflicht (vgl. § 705 BGB, ab 1.1.2024 [MoPeG]: § 705 Abs. 1 BGB). Die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht geht daher über den allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) im Hinblick auf die besondere Eigenart der Zusammenschlüsse zu Personenverbänden mit einem gemeinschaftlichen Zweck sowohl in ihrer Intensität als auch in ihrer Qualität hinaus249. Eine sog. personalistische Realstruktur der GmbH ist dabei keine Voraussetzung für die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht250, sie beeinflusst allerdings (nur) ihren Umfang und ihre Intensität (Rz. 76). Nach herkömmlicher Ansicht ist die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht als solche zwar nicht 72 disponibel, jedoch sind ihre einzelnen Ausprägungen weitgehend abdingbar251. Mit einer neueren Literaturauffassung252 ist für die Frage der Abdingbarkeit der Treuepflicht als solcher zu differenzieren: Die Treuepflicht ist grundsätzlich im Gesellschaftsvertrag abdingbar und modifizierbar. Jedoch sind von einer Abbedingung der Treuepflicht abgrenzbare allgemeine Institute wie das Institut des Rechtsmissbrauchs und der Sittenwidrigkeit nicht betroffen. Zudem kann die Abbedingung der Treuepflicht im Einzelfall nach allgemeinen Regeln unwirksam sein; insbesondere kommt eine Sittenwidrigkeit in Betracht, wenn die Abbedingung ausnahmsweise evident unangemessen ist und ein strukturelles Ungleichgewicht vorliegt, wofür aber konkrete und gewichtige Tatsachen dargelegt werden müssen. Die Frage nach der Abdingbarkeit der Treuepflicht hat nicht nur akademische Bedeutung, vielmehr kann ein praktisches Bedürfnis für die Abbedingung der Treuepflicht bestehen, namentlich wegen erheblicher Rechtsunsicherheiten und überschießender Wirkung bei Anwendung der Treuepflicht im konkreten Einzelfall253.

248 Zu den unterschiedlichen Begründungsansätzen eingehend z.B. Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 225 ff.; s. auch Merkt in MünchKomm. GmbHG, § 13 Rz. 100; Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 135. 249 Vgl. BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 163 („Obliegt den Gesellschaftern einer GmbH … eine echte, nicht bloß dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) beinhaltende Treuepflicht“); s. auch Veil in FS Priester, 2007, S. 799, 813 (Aliud zu § 242 BGB), demgegenüber zur Interpretation der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht als verdichtete Ausprägung des allgemeinen Grundsatzes von Treu und Glauben z.B. OLG München v. 28.7.2008 – 7 U 3004/08, NZG 2009, 25, 26; Karsten Schmidt, GesR, § 20 IV 1a, S. 587 f.; Hennrichs, AcP 195 (1995), 221, 229 ff. und 238 f. 250 Vgl. Wiedemann, GesR I, § 8 II 3; Karsten Schmidt, GesR, § 20 IV d; Raiser, ZHR 151 (1987), 422, 430 ff.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 79; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 22; Henze, Hdb. zum GmbH-Recht, 2. Aufl. 1997, Rz. 832; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 19. – Eindeutig BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = GmbHR 1995, 665 – Girmes (Treuepflichten in AG). 251 Emmerich, 11. Aufl., § 13 Rz. 38c; Teichmann, S. 170; M. Winter, S. 216, Wiedemann, GesR I, S. 198; aus der jüngeren Literatur Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289; Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht; s. auch Schmolke, S. 593 ff. 252 M. Mann, Abdingbarkeit der Treuepflicht, Abschnitt 3; vgl. auch Lieder in Michalski u.a., § 13 Rz. 150 ff.; Hellgardt in FS Hopt, 2010, S. 765, 784 ff., 794; Waclawik, DB 2005, 1151, 1153; a.M. Fleischer/Harzmeier, NZG 2015, 1289; Kampf, Abdingbarkeit der Treuepflicht; s. auch Schmolke, S. 593 ff. 253 Dazu M. Mann, Abdingbarkeit der Treuepflicht, Abschnitt 3, A. IV. 2. a.

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§ 14 Rz. 73 | Einlagepflicht d) Schutzrichtungen der Treuepflicht 73 Der Anwendungsbereich der gesellschaftlichen Treuepflicht umfasst nicht nur das Verhältnis

der Gesellschafter zur GmbH, sondern auch dasjenige der Gesellschafter untereinander254. Die Treuepflicht hat also im Grundsatz eine vertikale Schutzrichtung zugunsten der Interessen der Gesellschaft und sie wirkt horizontal pflichtenbegründend und -bestimmend gegenüber den Mitgesellschaftern. Treueverpflichtete können also die Gesellschaft (im Verhältnis zu den Gesellschaftern) sowie die Gesellschafter (im Verhältnis zur Gesellschaft und untereinander), aber ausnahmsweise auch Dritte sein, die nicht selbst Gesellschafter sind, soweit diese gesellschaftsrechtlich vermittelte besondere Einwirkungsmöglichkeiten auf die Gesellschaft bzw. deren Gesellschafter haben. Dies gilt zunächst für den Treugeber/Hintermann, nach dessen Weisung und auf dessen Rechnung ein Treuhänder/Strohperson den Geschäftsanteil hält255. Aber auch den Erwerber eines Geschäftsanteils können bereits vor dem Erwerb Treuepflichten treffen, z.B. wenn er schon einen anderen Geschäftsanteil der Gesellschaft besitzt oder wenn er mit dem Veräußerer in einer Weise verbunden ist, dass ihm dessen Treuepflichten zugerechnet werden256. Schließlich kommt eine Zurechnung der Treuepflicht in Konzernbeziehungen in Frage, und zwar in zwei Richtungen: Das herrschende Unternehmen ist an die Treuepflicht des abhängigen Unternehmens gebunden, wenn es auf dessen Verhalten als Gesellschafter Einfluss nimmt257, und umgekehrt bleibt ein herrschendes Unternehmen an die Beachtung der Treuepflicht gebunden, selbst wenn es gesellschaftsschädigende Handlungen durch ein von ihm abhängiges Unternehmen vornimmt258. 74 Allerdings gilt die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht nicht für den Alleingesellschafter

einer GmbH, da ihm gegenüber außerhalb des zwingenden gesetzlichen Gläubigerschutzes (u.a. Haftung wegen existenzgefährdender Eingriffe) kein durch eine Treuepflicht zu schützendes gesondertes Eigeninteresse der Gesellschaft anzuerkennen ist259. Die hierdurch entstehende Lücke im Gläubigerschutz ist durch Annahme einer Haftung wegen Existenzvernichtung/-gefährdung (s. 13. Aufl., § 13 Rz. 153 ff.) geschlossen. e) Zeitliche Komponente der Treuepflicht 75 Bei der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht kann in zeitlicher Hinsicht zwischen drei Pha-

sen unterschieden werden, nämlich die vormitgliedschaftliche, die mitgliedschaftliche und 254 Vgl. BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 – ITT; BGH v. 23.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346, 349 = GmbHR 1981, 290; BGH v. 15.4.1985 – II ZR 274/83, NJW 1985, 1901 = GmbHR 1985, 297; BGH v. 30.9.1991 – II ZR 208/90, NJW 1992, 368, 369 = GmbHR 1992, 104; BGH v. 23.9.1991 – II ZR 189/90, GmbHR 1991, 568, 569; BGH v. 30.9.1991 – II ZR 208/90, NJW 1992, 368 = GmbHR 1992, 104; OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, ZIP 1996, 1083, 1087 = GmbHR 1996, 689; M. Winter, S. 85 ff., 95 ff., 130 ff. m.w.N.; a.M. Flume, Juristische Person, S. 268 ff.; Flume, ZIP 1996, 151; kritisch auch Altmeppen, § 13 Rz. 29. 255 Ebenso Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86. 256 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86; vgl. auch M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindung, S. 226 ff., 239 ff. 257 Vgl. BGH v. 5.12.1983 – II ZR 242/82, BGHZ 89, 162, 165 f. = GmbHR 1984, 203; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 72. 258 Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 86. 259 BGH v. 28.9.1992 – II ZR 299/91, BGHZ 119, 257, 259 f. und 262; BGH v. 10.5.1993 – II ZR 74/ 92, BGHZ 122, 333, 335 f. = GmbHR 1993, 427 (offen gelassen für existenzgefährdende Maßnahmen); Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 20; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 42; Altmeppen, § 13 Rz. 58 ff.; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 20; differenzierend Priester, ZGR 1993, 512, 520 ff.; M. Winter, S. 203 ff.; M. Winter, ZGR 1994, 570 ff.; a.M. insbes. Ziemons, S. 97 ff. m.w.N. sowie BGH-Strafsenate, vgl. BGH v. 24.6.1952 – 1 StR 153/52, BGHSt 3, 32, 39 f.; BGH v. 29.5.1987 – 3 StR 242/86, BGHSt 34, 379 f. = GmbHR 1987, 464; BGH v. 20.12.1994 – 1 StR 593/94, GmbHR 1995, 654 = NStZ 1995, 185.

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Einlagepflicht | Rz. 76 § 14

die nachmitgliedschaftliche Treuepflicht260. Bei der vormitgliedschaftlichen und der nachmitgliedschaftlichen Treuepflicht ist allerdings zu beachten, dass hier nur das engere Schädigungsverbot gilt, da es für die Geltung der Zweckförderungspflicht (vgl. § 705 BGB, ab 1.1.2024 [MoPeG]: § 705 Abs. 1 BGB) an der Verbandsmitgliedschaft als notwendiger Voraussetzung fehlt261. Im vormitgliedschaftlichen Bereich ist es dem zukünftigen Anteilserwerber jedenfalls ab der Vornahme auf den Anteilserwerb gerichteter, rechtlicher Schritte möglich, seine (qualifiziert tatsächlichen) Einflussmöglichkeiten zum Nachteil der Gesellschaft oder seiner zukünftigen Mitgesellschafter auszuüben, und zwar unabhängig davon, ob es sich um einen derivativen Anteilserwerb oder um einen originären Anteilserwerb qua Kapitalerhöhung handelt262. Folgerichtig unterliegt er ab diesem Zeitpunkt dem allgemeinen Schädigungsverbot. Davor gilt hingegen alleine das deliktsrechtliche Schädigungsverbot. Im nachmitgliedschaftlichen Bereich trifft den ausgeschiedenen Gesellschafter ebenfalls das sich aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht ergebene Schädigungsverbot, insbesondere hat er weiterhin Interna der Gesellschaft geheim zu halten (Rz. 115). Er darf diese nicht für eigene Rechnung verwerten und er ist allgemein verpflichtet, Wettbewerb zu unterlassen (Rz. 113 f.). f) Umfang und Intensität der Treuepflichten aa) Einzelfallbetrachtung anhand wertungserheblicher Umstände Die Konkretisierung der Treuepflicht als umfassendes verbandsrechtliches Prinzip kann nur 76 unter Berücksichtigung aller Umstände im Einzelfall und ihrer jeweiligen Wertung erfolgen, auf die die sie konstituierende Handlungsmaxime (Rz. 68) verweist263. Auch durch die Rechtsprechung und/oder Literatur gebildete Fallgruppen haben lediglich indizielle Bedeutung. Nach Lage des jeweiligen Einzelfalls können als wertungserhebliche Umstände insbesondere von Bedeutung sein: (i) der statutarische Gesellschaftszweck264 (z.B. Gewinnerzielung versus Verfolgung gemeinnütziger oder karitativer Zwecke durch den im Unternehmensgegenstand niedergelegten Tätigkeitsbereich); (ii) weitere statutarische Bestimmungen (sowie Regelungen in alle Gesellschafter bindende Gesellschaftervereinbarungen), die Hinweise auf die Abgrenzung des mitgliedschaftlichen vom privaten Handlungsbereich erlauben (z.B. Regelung zum Unternehmensgegenstand, zur Reichweite des Wettbewerbsverbots, zur Regelung von Interessenkonfliktlagen sowie zu Related Party Transactions, zur Anteilsfungibilität und zu Fällen vor-geregelter Ausstiegsmechanismen); (iii) der Grad der persönlichen Bindung der Gesellschafter untereinander (Realstruktur des Verbandes) (und zwar in dem Sinne, dass in einer auf eine persönliche Zusammenarbeit der Gesellschafter ausgelegten GmbH ein höheres Maß an Rücksichtnahme und Förderung geschuldet ist als bei einem unpersönlich, kapitalistisch strukturierten Gesellschafterkreis)265 (s. auch 13. Aufl., § 13 Rz. 51; vgl. aber auch Rz. 88); 260 Ebenso Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 39; Karsten Schmidt, GesR, § 20 IV 1b, S. 588 f.; Wittkowski, GmbHR 1990, 544, 549. 261 Ebenso Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 39. 262 Ähnlich Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 39; Karsten Schmidt, GesR, § 20 IV 1b, S. 588 f.; M. Weber, Vormitgliedschaftliche Treuebindung, 1999, S. 178 ff.; Wittkowski, GmbHR 1990, 544, 549. 263 Dazu Wieacker, S. 13 ff. m.w.N. 264 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 19 – ITT. 265 BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 163; BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 38; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 19 – ITT; BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 279 f. = GmbHR 1986, 426; BGH v. 27.6.1988 – II ZR 143/87, NJW 1989, 166, 167 = GmbHR 1988, 386; OLG Hamm v. 9.12.1991 – 8 U 78/91, GmbHR 1992, 612; OLG Düsseldorf v.

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§ 14 Rz. 76 | Einlagepflicht (iv) der Grad des durch besondere Maßnahmen geschaffenen Vertrauens in ein bestimmtes Verhalten der Treueverpflichteten266; (v) der Umfang der Beteiligung des Gesellschafters (als typischer Gradmesser der rechtlichen und tatsächlichen Einflussmöglichkeiten)267; (vi) die Dauer der Beteiligung (als Indiz für die Intensität des zwischen den Beteiligten bestehenden Vertrauens); (vii) die Eigenart und das Maß der eingeräumten Einflussmöglichkeiten (insbesondere Rechtsmacht), insbesondere die Unterscheidung der Wahrnehmung eigennütziger Rechte (z.B. Gewinnrecht, Austrittsrecht) von fremdnützigen Rechten des Gesellschafters (z.B. Stimmrechte im Hinblick auf Geschäftsführungsmaßnahmen)268; sowie ähnlich (viii) die mehr oder weniger starke Gemeinschaftsnähe (Fremdnützigkeit oder Zweckverfolgungsnähe) des konkret ausgeübten Gesellschafterrechts269; und schließlich (ix) die Art der zu beurteilenden gesellschaftsrechtlichen Maßnahme, ihre Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf die Auswirkung für die Interessen der Treueberechtigten270. bb) Spektrum der Rechtsfolgen 77 Die Handlungs- und Ergebnisoffenheit der Treuepflicht (Rz. 67) sowie die Vielgestaltigkeit

der zur Konkretisierung der Treuepflicht im konkreten Einzelfall anzulegenden Wertungsparameter macht augenscheinlich, dass die Beteiligten (sowie im Streitfall die Gerichte) eine gewisse Zurückhaltung üben sollten bei der Deduktion konkreter Ge- und Verbote aus der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht. Das Spektrum der sich aus der allgemeinen Handlungsmaxime der Treuepflicht (Rz. 68) ergebenden Rechtsfolgen ist breit: (1) Die Treuepflicht

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28.10.1993 – 6 U 160/92, GmbHR 1994, 172, 175; Lutter, S. 105 ff. u. Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 29; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 22 f.; Altmeppen, § 13 Rz. 40; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 78; M. Winter, S. 75 ff., 185 ff.; Wiedemann, GesR I, 434 u.a.; kritisch insoweit Zöllner, S. 338 f., 343. RG v. 20.1.1941 – II 96/40, DR 1941, 1305, 1307. RG v. 30.3.1926 – II 226/25, RGZ 113, 188, 196; RG v. 31.3.1931 – II 222/30, RG v. 31.3.1931 – II 222/30, RGZ 132, 149, 163; RG v. 13.8.1942 – II 67/41, RGZ 169, 330, 338; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 20 – ITT; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 340 = GmbHR 1986, 78; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 40. RG v. 30.3.1926 – II 226/25, RGZ 113, 188, 196; RG v. 31.3.1931 – II 222/30, RGZ 132, 149, 163; RG v. 12.10.1940 – II 33/40, RGZ 165, 68, 79; RG v. 13.8.1942 – II 67/41, RGZ 169, 330, 338; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 19, 20 – ITT; BGH v. 16.9.1985 – II ZR 275/84, BGHZ 95, 330, 340 = GmbHR 1986, 78; Zöllner, S. 342 ff.; Immenga, S. 264 ff., 277 ff.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 22; Lutter, S. 144; Altmeppen, § 13 Rz. 40; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 40; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 19. Vgl. OLG Hamm v. 9.12.1991 – 8 U 78/91, GmbHR 1992, 612; OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, ZIP 1996, 1083, 1087 = GmbHR 1996, 689; Hueck, Treuegedanke, S. 81, 86, 89 ff.; Zöllner, S. 344 ff.; Immenga, S. 269; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 22; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 87 ff.; Wiedemann, GesR I, S. 434 f. RG v. 31.3.1931 – II 222/30, RGZ 132, 149, 163; RG v. 13.8.1942 – II 67/41, RGZ 169, 330, 338; BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 158; BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317, 322; BGH v. 27.10.1955 – II ZR 310/53, BGHZ 18, 350, 362; BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 353 f., 355 f. = GmbHR 1981, 111; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 f. = GmbHR 1981, 189; BGH v. 23.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346, 349 = GmbHR 1981, 290; BGH v. 15.4.1985 – II ZR 274/83, GmbHR 1985, 297 = NJW 1985, 1901; BGH v. 10.6.1991 – II ZR 234/89, GmbHR 1991, 362, 363; s. auch BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44 betr. AG; Zöllner, S. 351 ff.; Lutter, S. 114; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35 f.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 27 f.; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 87 f.

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Einlagepflicht | Rz. 80 § 14

kann mitgliedschaftliche Einzelrechte und -pflichten überlagern, d.h. ihre Ausübung und Erfüllung näher bestimmen oder modifizieren und hat dann eine primär rechtsbegrenzende Schrankenfunktion (Rz. 78–82). (2) Sie kann aber darüber hinausgehend nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls zusätzliche Unterlassungs-, aber auch Tätigkeitspflichten der Gesellschaft bzw. der Gesellschafter begründen (Rz. 83 f.). (1) Schrankenfunktion bei Rechtsausübung. Die gesellschaftliche Treupflicht hat vor allem 78 eine Schrankenfunktion bei der Ausübung von Gesellschafterrechten und von Befugnissen der Gesellschaftsorgane, kann sie also im Einzelfall unzulässig machen271. Sie ist von besonderer Bedeutung für den Minderheitenschutz, insbesondere beim Bestehen oder der Herausbildung gesteigerte Treuepflichten auslösender fester Mehrheitsverhältnisse; sie geht in ihrer Reichweite aber wesentlich darüber hinaus, denn auch die Ausübung von Minderheitenoder Quorumsrechten, von Individual- oder Sonderrechten und sogar von ordinären Verwaltungsrechten kann treuwidrig sein (Rz. 69)272. Die Gesellschafter haben bei der Wahrnehmung der ihnen als solchen zustehenden Rechte 79 grundsätzlich das Gesellschaftsinteresse zu berücksichtigen, was indes nicht bedeutet, dass diesem im Interessenwiderstreit allgemein oder gar ausschließlich Vorrang vor ihrem Eigeninteresse zukäme273. Die Bedeutung und damit die Wertigkeit des Gesellschaftsinteresses hängen vielmehr von den Umständen des Einzelfalles, vor allem auch von der Art und dem Gegenstand der ausgeübten Rechtsmacht ab: (a) Bei Entscheidungen über Geschäftsführungsangelegenheiten durch Gesellschafterbe- 80 schluss (§ 37 Abs. 1, § 45 Abs. 1) haben die Beteiligten sich bei der Ausübung des Stimmrechts vorrangig vom Gesellschaftsinteresse leiten zu lassen (s. näher Rz. 92). Auch sonst kann die besondere Gemeinschaftsnähe („Zweckverfolgungsnähe“ oder Fremdnützigkeit) eines Rechts, z.B. zur Bestellung oder Abberufung eines Geschäftsführers (Rz. 96) oder Mitglieder anderer Gesellschaftsorgane (Rz. 96); ebenso gilt das für die Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses (§ 46 Nr. 1; Rz. 102), über die Wahl des gesetzlichen oder statutarischen Abschlussprüfers (Rz. 96), über die Verwendung des Jahresergebnisses zur Rücklagenbildung (§ 29 Abs. 2, § 46 Nr. 1; Rz. 103), über die Einforderung von Zahlungen auf Geschäftsanteile, die Rückzahlung von Nachschüssen sowie über die Bestellung von Prokuristen oder Handlungsbevollmächtigten (§ 46 Nr. 2, 3 und 7; Rz. 96). Das Gebot einer im

271 RG v. 22.1.1935 – II 198/34, RGZ 146, 385, 396; RG v. 27.6.1940 – II 31/39, RGZ 164, 257, 263; RGZ 165, 49; BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 178; BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 38; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 46; BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 357 = GmbHR 1981, 111; BGH v. 23.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346, 349 = GmbHR 1981, 290; BGH v. 27.4.1970 – II ZR 24/68, WM 1970, 904; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 19 – ITT; BGH v. 15.4.1985 – II ZR 274/83, GmbHR 1985, 297 = NJW 1985, 1901; BGH v. 9.11.1987 – II ZR 100/87, ZIP 1988, 22, 24; BGH v. 19.11.1990 – II ZR 88/89, GmbHR 1991, 62. 272 BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136 = GmbHR 1995, 665 – Girmes (zur AG); OLG München v. 3.11.1993 – 7 U 2905/93, GmbHR 1994, 406, 409; Lutter, S. 120 ff.; Immenga, S. 195; Karsten Schmidt, GesR, § 20 IV 3; Altmeppen, § 13 Rz. 39; Röhricht in Hdb. Corporate Governance, 1. Aufl. 2003, S. 513, 540 und 543. 273 RG v. 12.11.1912 – II 291/12, RGZ 80, 385, 391; BGH v. 9.6, S. 63 ff.ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 38; BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 280 f. = GmbHR 1986, 426; BGH v. 10.6.1991 – II ZR 234/89, GmbHR 1991, 362; OLG Düsseldorf v. 14.3.1996 – 6 U 119/94, ZIP 1996, 1083, 1087 = GmbHR 1996, 689; OLG Frankfurt v. 15.1.1992 – 13 U 196/88, GmbHR 1993, 659; A. Hueck, Treuegedanke, S. 79; Fischer, NJW 1954, 777 ff.; (s. aber Fischer in Pro GmbH, 1980, S. 159 f.); Wolany, S. 108 f.; Wiedemann, GesR I, S. 434 f.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 21, 26 ff.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 40; Altmeppen, § 13 Rz. 32; zurückhaltend Raiser, ZHR 151 (1987), 422, 435 ff.; abweichend (zeitgeschichtlich begründet!) RG v. 22.1.1935 – II 198/34, RGZ 146, 385, 395; RG v. 25.8.1938 – V 32/38, RGZ 158, 145, 154.

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§ 14 Rz. 80 | Einlagepflicht Rahmen des Gesellschaftsinteresses möglichen angemessenen Rücksichtnahme auf betroffene schutzwürdige mitgliedschaftliche (nicht aber private) Belange der Minderheit (Rz. 68 a.E.) ist aber auch bei diesen Entscheidungen zu beachten. 81 (b) Bei der Entscheidung über andere Gesellschaftsangelegenheiten durch die Gesellschaf-

ter und bei der Ausübung sonstiger Gesellschafterrechte erfordert die gesellschaftliche Treuepflicht im Allgemeinen keine vorrangige Berücksichtigung des Gesellschaftsinteresses. Seine Bedeutung bestimmt sich im Einzelfall nach der Art des Rechts und den jeweils bei seiner Ausübung vorliegenden besonderen Umständen (Rz. 76)274. Allgemein gilt hier ebenfalls, dass ein Gesellschafter die GmbH nicht zwecks Erlangung gesellschaftsfremder Sondervorteile oder durch eine sonstige zweckwidrige Rechtsausübung schädigen darf (Rz. 70). Bei den ausschließlich eigennützigen Mitgliedsrechten und bei den Drittansprüchen/Gläubigerrechten der Gesellschafter (Rz. 91) steht im Übrigen das Gesellschaftsinteresse nur ausnahmsweise der Rechtsausübung entgegen, wenn die nachteiligen Auswirkungen für die Gesellschaft durch ein mögliches und zumutbares anderweitiges Vorgehen vermieden werden können oder wenn die Loyalitätspflicht auf Grund außergewöhnlicher Verhältnisse die Einschränkung geboten erscheinen lässt (s. näher Rz. 91). 82 (c) Auch den Mitgesellschaftern gegenüber verlangt die gesellschaftliche Treuepflicht bei

den vorgenannten Maßnahmen (Rz. 81) grundsätzliche keine Zurücksetzung eigener Interessen275, aber sie gebietet eine dem jeweiligen Mitgliedschaftsrecht und den übrigen wertungserheblichen Umständen des Einzelfalls (Rz. 76) gemäße angemessene Rücksichtnahme auf deren schutzwürdigen mitgliedschaftlichen (nicht aber privaten) Belange276. Es ist danach unzulässig, die Mitgliedschaftsstellung anderer Gesellschafter durch die zweckwidrige Ausübung eines Gesellschaftsrechts277 oder signifikant mehr als erforderlich, d.h. nicht in Anwendung eines zur Zweckerreichung geeigneten und zumutbaren schonenderen Mittels278, oder im 274 Vgl. BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 38; BGH v. 10.6.1991 – II ZR 234/89, GmbHR 1991, 362, 363; Zöllner, S. 344 f.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 27 f. 275 BGH v. 7.10.1954 – III ZR 121/53, BGHZ 15, 25, 38; BGH v. 10.6.1991 – II ZR 234/89, GmbHR 1991, 362; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 21, 27; Wiedemann, GesR I, S. 434; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90 f.; Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 40; Altmeppen, § 13 Rz. 38, 55; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 25. 276 RG v. 23.10.1928 – II 54/28, RGZ 122, 159, 166 f.; RG v. 31.3.1931 – II 222/30, RGZ 132, 149, 163 f. (AG); RG v. 13.8.1942 – II 67/41, RGZ 169, 330, 338; BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 158; BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317, 322; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 ff. – ITT; BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44 ff. (AG); BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 355 f. = GmbHR 1981, 111; BGH v. 23.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346, 349 = GmbHR 1981, 290; BGH v. 19.4.1982 – II ZR 55/81, BGHZ 83, 319, 321; BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 279 ff. = GmbHR 1986, 426; BGH v. 1.2.1988 – II ZR 75/87, BGHZ 103, 184, 194 f. – Linotype (AG); BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 142 ff. = GmbHR 1995, 665 – Girmes (AG); BGH v. 15.4.1985 – II ZR 274/83, NJW 1985, 1901; Zöllner, S. 349 ff.; Immenga, S. 274 f.; Lutter, S. 114; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 35; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 90 f.; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 21, 23, 26 ff.; Altmeppen, § 13 Rz. 38 f.; Henze, Hdb. zum GmbH-Recht, 2. Aufl. 1997, Rz. 834, 847 f.; Martens, GmbHR 1984, 265, 267 ff., jeweils m.w.N. 277 RG v. 23.10.1928 – II 54/28, RGZ 122, 159, 166 f.; BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 – ITT; BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 355 ff. = GmbHR 1981, 111; Zöllner, S. 349 ff. 278 RG v. 31.3.1931 – II 222/30, RGZ 132, 149, 163; RG v. 13.8.1942 – II 67/41, RGZ 169, 330, 338; BGH v. 1.4.1953 – II ZR 235/52, BGHZ 9, 157, 158; BGH v. 17.2.1955 – II ZR 316/53, BGHZ 16, 317, 322; BGH v. 23.2.1981 – II ZR 229/79, BGHZ 80, 346, 349 = GmbHR 1981, 290; BGH v. 15.4.1985 – II ZR 274/83, GmbHR 1985, 297 = NJW 1985, 1901; BGH v. 23.3.1987 – II ZR 244/ 86, WM 1987, 841, 842 = GmbHR 1987, 349; Zöllner, S. 351 f.; Lutter, S. 114; Wiedemann, GesR I, S. 435; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 88; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 26 f.; M. Winter, S. 144 ff.

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Einlagepflicht | Rz. 84 § 14

Hinblick auf das mit der Rechtsausübung angestrebte Ziel unverhältnismäßig279 zu beeinträchtigen oder die Mitgesellschafter als solche in sonstiger Weise illoyal zu schädigen. Eine Treuepflichtverletzung kann in Einzelfällen beispielsweise vorliegen (i) bei der Anteilsübertragung (Rz. 105); (ii) bei einer Auflösungskündigung, einer Auflösungsklage (§ 61) oder einem Auflösungsbeschluss (§ 60 Abs. 1 Nr. 2) (Rz. 107–109); (iii) beim Ausschluss oder Austritt eines Gesellschafters aus wichtigem Grund (Rz. 108; s. auch 13. Aufl., Anh. § 34 Rz. 14, 34); (iv) bei der Zwangseinziehung eines Geschäftsanteils (§ 34 Abs. 2) oder der Geltendmachung des Erwerbsrechts an einem Geschäftsanteil (Rz. 108; s. auch 13. Aufl., § 15 Rz. 51). Die Rücksichtnahmepflicht hat besondere Bedeutung bei der Beeinträchtigung der mitgliedschaftlichen Stellung der Minderheit durch Mehrheitsbeschlüsse, insbesondere auch solchen über Satzungs-, Kapital- und Strukturänderungen, die nicht nur die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit wahren, sondern auch der Bindung der Beschlusskompetenz an den Gesellschaftszweck und das Gesamtinteresse des Personenverbandes Rechnung tragen müssen, also nicht schikanös oder willkürlich schutzwürdige Minderheitsinteressen übergehen dürfen280. (2) Zusätzliche Handlungspflichten. Das Gebot des gesellschaftstreuen Verhaltens kann 83 auch zusätzliche Handlungspflichten der Gesellschafter begründen281. Es kommen insoweit vor allem Schutzpflichten auf Unterlassung treuwidriger Schädigungen der GmbH und der Mitgesellschafter in ihrem mitgliedschaftlichen Bereich282 in Betracht. Wie weit sie im Einzelnen reichen, hängt entscheidend von der rechtstatsächlichen Struktur des Gesellschaftsverhältnisses und dem Grad der geschuldeten oder tatsächlich ausgeübten Mitwirkung eines Gesellschafters an der Verwirklichung des Gesellschaftszwecks ab (Rz. 76). Aus dem Treuegebot können im Ausnahmefall ebenfalls positive Leistungspflichten der Ge- 84 sellschafter gegenüber der Gesellschaft und/oder den Mitgesellschaftern hergeleitet werden (sog. Förderfunktion oder Optimierungsgebot283); doch ist insoweit im Hinblick auf die grundsätzliche gesetzliche Wertung des § 53 Abs. 3 und besonders bei vorwiegend kapitalistisch geprägten Beteiligungen erhebliche Zurückhaltung erforderlich. Die Gesellschafter können danach in seltenen Einzelfällen auf Grund ihrer besonderen Stellung in der GmbH oder zwecks Gewährleistung der satzungsmäßigen Beschlussfähigkeit bei bestandskritischen Entscheidungen zur Teilnahme an der Gesellschafterversammlung in Person oder durch Vertreter verpflichtet sein (Rz. 110) und unter Umständen zu einer bestimmten (positiven) Stimmabgabe verpflichtet sein (Rz. 98 und 101). Grundsätzlich gilt das Vorstehende ebenfalls für Satzungs- und Strukturänderungen zur Anpassung an veränderte Umstände, aber es sind insoweit besonders strenge Anforderungen zu stellen (s. 12. Aufl., § 47 Rz. 31 und 12. Aufl., § 53 Rz. 37)284. Die Zustimmung zu einer Vermehrung der Leistungspflichten der Gesell-

279 Zöllner, S. 351; Lutter, S. 114; Raiser in Habersack/Casper/Löbbe, Rz. 88; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 26 f.; Wiedemann, GesR I, S. 435; M. Winter, S. 144 ff. 280 Vgl. RG v. 23.10.1928 – II 54/28, RGZ 122, 159, 166 f.; RG v. 31.3.1931 – II 222/30RGZ 132, 149, 163 f. (AG); BGH v. 13.3.1978 – II ZR 142/76, BGHZ 71, 40, 44 ff. (AG); BGH v. 28.1.1980 – II ZR 124/78, BGHZ 76, 352, 355 ff. = GmbHR 1981, 111; BGH v. 16.2.1981 – II ZR 168/79, BGHZ 80, 69, 74 = GmbHR 1981, 189; BGH v. 1.6.1987 – II ZR 128/86, BGHZ 101, 113, 116 = GmbHR 1988, 18; OLG Stuttgart v. 1.12.1999 – 20 U 38/99, GmbHR 2000, 333 = NZG 2000, 156, 159 (Ermittlung Ausgabepreis bei Kapitalerhöhung). Näheres dazu s. Karsten Schmidt/Bochmann, 12. Aufl., § 45 Rz. 107 u. Priester/Tebben, 12. Aufl., § 53 Rz. 58 ff. 281 Vgl. Lutter, S. 110 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, Rz. 33, 36; Fastrich in Noack/Servatius/Haas, § 13 Rz. 24, 28 f.; Altmeppen, § 13 Rz. 52 ff.; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 31, 38. 282 BGH v. 5.6.1975 – II ZR 23/74, BGHZ 65, 15, 18 ff. – ITT; BGH v. 30.9.1991 – II ZR 208/90, NJW 1992, 368, 369 = GmbHR 1992, 104. 283 Begriffsbildung von Fleischer/St. Schneider, DB 2010, 2713, 2717. 284 BGH v. 25.9.1986 – II ZR 262/85, BGHZ 98, 276, 279 f. = GmbHR 1986, 426; BGH v. 20.3.1995 – II ZR 205/94, BGHZ 129, 136, 152 f. = GmbHR 1995, 665 – Girmes; BGH v. 23.3.1987 – II ZR

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§ 14 Rz. 84 | Einlagepflicht schafter kann nicht mit Hilfe der Treuepflicht erzwungen werden (§ 53 Abs. 3)285; ebenso wenig rechtfertigt sie die Beeinträchtigung von Sonderrechten (Rz. 27 ff.) oder relativ unentziehbaren Mitgliedschaftsrechten (Rz. 43 ff.)286, wenn dafür nicht ein wichtiger Grund gegeben ist (Rz. 35, 47). g) Verhältnis der Treuepflichten zueinander 85 Bei der Wahrnehmung eigennütziger Rechte gebietet die gesellschaftsrechtliche Treuepflicht

eine Mit-Berücksichtigung der gesellschaftsbezogenen Interessen der Mit-Gesellschafter im Wege einer Abwägung der widerstreitenden Interessen. Dies gilt allerdings für sämtliche Gesellschafter, so dass die Treuepflichtbeziehungen wechselseitig zum Tragen kommen. Häufig werden konkrete Lebenssachverhalte unterschiedliche Treuepflichtbeziehungen, z.B. Pflichten der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern, oder der Pflichten der Gesellschafter gegenüber der Gesellschaft und/oder gegenüber ihren jeweiligen Mitgesellschaftern auslösen. Dabei kann es sich um widerstreitende Treuepflichtfolgen, aber auch um parallele Treupflichtfolgen handeln (z.B. treuwidriges Verhalten der Gesellschaft gegenüber einem Gesellschafter ist zugleich treuwidriges Verhalten der Mit-Gesellschafter287). Treuwidriges Verhalten eines Gesellschafters gegenüber der Gesellschaft ist zugleich treuwidriges Verhalten gegenüber den Mitgesellschaftern288. Bei parallelen, sich aus der Treuepflicht ergebenden Ansprüchen stehen diese im Grundsatz gesondert nebeneinander, allerdings mit folgenden Modifikationen289: Der geschädigte Gesellschafter kann entsprechend dem Rechtsgedanken der § 117 Abs. 1 Satz 2, § 317 Abs. 1 Satz 2 AktG bei einer gleichzeitigen Schädigung der Gesellschaft nicht Zahlung an sich selbst, sondern nur in das Gesellschaftsvermögen verlangen (Ausnahme: in Höhe eines eigenen Schadens, der über den Schaden der Gesellschaft hinausgeht). h) Verhältnis zu anderen Rechtsinstituten und zur Anfechtungsklage aa) Verhältnis zu anderen Rechtsinstituten 86 Die Treuepflicht ist von allgemeinen Instituten wie dem Rechtsmissbrauch, dem wider-

sprüchlichen Verhalten, der ergänzenden Vertragsauslegung und der Störung der Geschäftsgrundlage streng zu unterscheiden290. bb) Verhältnis zur Anfechtungsklage 87 In der Praxis stellt sich nicht selten die Frage, ob die Geltendmachung von Schadensersatz-

ansprüchen, die im Zusammenhang mit treuepflichtwidrigen Gesellschafterbeschlüssen stehen, voraussetzen, dass zuvor der betreffende Beschluss im Wege der Anfechtungsklage ge-

285 286 287 288 289 290

244/86, GmbHR 1987, 349 = WM 1987, 841; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 53 Rz. 81 ff.; Bayer in Lutter/Hommelhoff, § 53 Rz. 37; Zöllner, S. 353 f.; Noack in Noack/Servatius/ Haas, § 53 Rz. 85; M. Winter, S. 178 ff.; Henze, ZHR 162 (1998), 186, 191 ff.; Altmeppen, § 13 Rz. 54; Böhm in MünchHdb. III, § 32 Rz. 31; Schnorbus in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 53 Rz. 82. Bedenklich daher BGH v. 23.3.1987 – II ZR 244/86, GmbHR 1987, 349 = WM 1987, 841. BGH v. 9.6.1954 – II ZR 70/53, BGHZ 14, 25, 38; Ulmer/Casper in Habersack/Casper/Löbbe, § 53 Rz. 82; M. Winter, S. 179 f. Beispiel nach Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 41: Trotz erkennbarem Fehlen eines wichtigen Grundes kündigt die Gesellschaft den Geschäftsführerdienstvertrag eines Gesellschafter-Geschäftsführers aufgrund eines von der Mehrheit veranlassten Gesellschafterbeschlusses. Beispiel nach Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 41: Ein Gesellschafter schädigt die Gesellschaft durch eine unangemessen hohe Konzernumlage. Zutreffend Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, § 13 Rz. 41. Ausführlich M. Mann, Abdingbarkeit der Treuepflicht, Abschnitt 2, A. III.

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Einlagepflicht | Rz. 90 § 14

richtlich für nichtig erklärt wurde. Es ist entgegen einer starken Literaturauffassung unzutreffend, dass ein Schadensersatzanspruch wegen treuepflichtwidrigen Gesellschafterbeschlusses erst mit der erfolgreichen Anfechtung dieses Beschlusses entsteht291. Es ist vielmehr so, dass der treuewidrige Gesellschafterbeschluss mit Feststellung durch den Versammlungsleiter bereits besteht, allerdings während der Anfechtungsfrist und bis zur Bestandskräftigkeit einer Gerichtsentscheidung über den Gesellschafterbeschluss in der Geltendmachung gehemmt ist und – soweit der Sinn und Zweck der Anfechtungsfrist bei Gesellschafterbeschlüssen reicht – dann endgültig erlischt, sofern der treuepflichtwidrig gefasste Gesellschafterbeschluss bestandskräftig wird, entweder weil die Anfechtung von vornherein unterbleibt oder eine an sich materiell gerechtfertigte Anfechtungsklage gleichwohl rechtskräftig abgewiesen wird292. i) Verhältnis der Treuepflicht zu außerrechtlichen Mechanismen Es gibt eine Reihe außergesetzlicher Mechanismen und Pflichten, die parallel zur gesell- 88 schaftsrechtlichen Treuepflicht dazu bestimmt oder jedenfalls geeignet sind, die Interessen des Treueberechtigten zu wahren. Hierzu gehören (i) die Herstellung gleichlaufender finanzieller Interessen der Gesellschafter (z.B. proportionale Beteiligung an der Wertsteigeru