Globale Sicherheit: Europäische Potenziale. Herausforderungen - Ansätze - Instrumente 9783205790778, 9783205784197


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Globale Sicherheit: Europäische Potenziale. Herausforderungen - Ansätze - Instrumente
 9783205790778, 9783205784197

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Internationale Sicherheit und Konfliktmanagement Schriftenreihe des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement (IFK) Herausgegeben von Walter Feichtinger Band 4

Walter Feichtinger, Carmen Gebhard (Hg.)

Globale Sicherheit europäische potenziale Herausforderungen – Ansätze – Instrumente

B ö h l a u Ve r l a g W i e n · K ö l n · W e i m a r

Gedruckt mit Unterstützung durch:

Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung, Wien

Dieses Projekt (Projektnummer 13580) wurde aus Mitteln des Jubiläumsfonds der Oesterreichischen Nationalbank gefördert.

Redaktionelle Beratung und Bearbeitung: Benedikt Hensellek, Dr. Carmen Gebhard

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek   : Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie   ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http   ://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78419-7 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der ­Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2010 by Böhlau Verlag Ges. m. b. H und Co. KG, Wien · Köln · Weimar http   ://www.boehlau.at http   ://www.boehlau.de Umschlagabbildung: © AP Photo/Khalil Hamra Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier Druck  : Generaldruckerei, 6726 Szeged

Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Vorwort der Herausgeber

Teil 1: Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

9

11

Carmen Gebhard Einleitung

13

Internationale Krisen- und Konfliktbewältigung im 21. Jahrhundert

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Die EU als Akteur in der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung

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Die EU auf dem Weg zum sicherheitspolitischen Akteur

21

Akteure im internationalen Krisenmanagement

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Instrumente

48

Institutionen, Strukturen und Prozesse

56

EU-Krisenmanagement-Operationen 2003-2009

80

Teil 2: Kernthemen

83

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich Walter Feichtinger

85

Die Strategischen Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU Fabian Breuer

105

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements Nicole Alecu de Flers

123 5

Inhaltsverzeichnis

Die Fähigkeiten der EU Michael Dóczy

141

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage Thomas Bauer

157

Multilateralismus und multilaterale Kooperation als Grundlagen der EU-Außenpolitik Franco Algieri

173

Umsetzung der EU-Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik aus der Sicht einzelner Mitgliedstaaten am Beispiel Österreich Nikolaus Rottenberger

189

Das Zivil-Militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement Carmen Gebhard

201

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der EU Ernst Schmid und Peter Hazdra

221

Teil 3: Ausblick

243

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends aus bisherigen Einsätzen Sammi Sandawi

245

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte – Der nächste Schritt nach SAFE und ECPC Jochen Rehrl

267

GSVP 2025 Zukunftsszenarien und mögliche Ableitungen für die Sicherheitsund Verteidigungspolitik von Kleinstaaten Bernhard Richter 6

287

Inhaltsverzeichnis

Anhang

309

Abkürzungsverzeichnis

315

Literaturverzeichnis

319

Autoren und Herausgeber

327

7

Inhaltsverzeichnis

8

Europäische Interessen

Vorwort der Herausgeber

Es wäre sicherlich übertrieben, die EU als globaler sicherheitspolitischer Akteur als dominierende Erscheinung darzustellen. Allerdings wäre es genauso unzutreffend, sie unter ihrem Wert zu schlagen und sie unverändert als „zahnlosen Tiger“ zu apostrophieren. Bei allen offensichtlichen Defiziten ist es nämlich erstaunlich, in welch kurzer Zeit praktisch aus dem Nichts Strukturen und Instrumente entstanden, die in unterschiedlichsten Einsätzen die Sichtbarkeit der EU erhöhten und ihre Handlungsfähigkeit demonstrierten. Diese Entwicklung war immer eng an politische Ereignisse gebunden und so wird es wohl auch bleiben. Die Ohnmacht gegenüber den kriegerischen Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien, die Terroranschläge in den USA und in Europa, der Irak-Krieg 2003, der kurzzeitig einen Keil zwischen die „alten“ und „neuen“ EU-Mitglieder trieb und die Kriegshandlungen in Georgien 2008 – all das waren Momente, die zu einem stärkeren Zusammenrücken der EU-Staaten auch in sicherheitspolitischen Belangen führten. Angesichts zukünftiger Herausforderungen und Risiken wird die Notwendigkeit einer verstärkten Kooperation immer klarer erkennbar – eine intensivierte Zusammenarbeit hat aber auch das Potenzial, erheblich zur Vertiefung des Integrationsprozesses beizutragen. Diese zwei Parameter bilden den Hintergrund dieses Bandes, der helfen soll, die EU als sicherheitspolitischer Akteur kennen zu lernen und einschätzen zu können. Es erscheint nämlich im Kontext der EU-Entwicklung als bedeutsam, realistische Erwartungen bei der EU-Bevölkerung zu erzeugen: einerseits, um Enttäuschungen zu vermeiden und andererseits, um das Bewusstsein zu heben, das „Selbstbewusstsein“ zu steigern und das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit der EU zu fördern. Durch den systematischen Aufbau ziviler und militärischer Instrumente und deren operativen Einsatz in verschiedenen Krisenregionen in Europa, Asien und Afrika hat die EU als regionaler und zunehmend auch globaler Krisenmanager fundamental an Bedeutung gewonnen. In Kombination mit den Kapazitäten in den Bereichen Außenhandel, Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit verfügt die EU nunmehr über ein einzigartiges Spektrum an Fähigkeiten und Instrumenten, das den Umfang, die Ganzheitlichkeit und das strategische Potential anderer Akteure im internationalen Krisenmanagement, wie etwa der NATO, OSZE oder UNO übersteigt. Diese Besonderheit der EU als Krisenmanager ‚der eigenen Art’ (sui generis) bildet den Ausgangspunkt für diesen Band, der sich mit den Hintergründen dieser spezifischen Entwicklung auseinandersetzt, deren wesentliche Etappen nach9

Vorwort der Herausgeber

zeichnet und damit einen grundlegenden analytischen Einblick in die Thematik vermittelt. Bedingt durch die Tatsache, dass die EU erst vergleichsweise spät mit dem Aufbau eingenständiger Instrumente für internationales Krisenmanagement begonnen hat, kann ihr besonderer Werdegang nicht ohne Bezugnahme auf andere Schlüsselakteure analysiert werden. Die EU begibt sich mit ihren spezifischen Fähigkeiten auf ein international bereits dicht besetztes Feld mit staatlichen, nichtstaatlichen und kollektiven Akteuren, die in ihren Aktivitäten mitunter anderen, wenn auch nicht entgegen gesetzten Interessen und Handlungsstrategien folgen. Die EU bildet somit zwar den Fokus dieses Bandes, jedoch mit Einbettung der spezifischen EU-Problematik in das breitere Themenfeld des internationalen Krisenmanagements. Der Band gliedert sich in drei Teile. In Teil 1 werden die historischen, institutionellen und operativen Grundlagen europäischer Sicherheitspolitik vermittelt, um eine Ausgangsbasis für den kritisch-analytischen Teil 2 des Bandes zu schaffen. Dieser befasst sich mit der Diskussion ausgewählter Kernthemen, die die aktuelle politische und fachliche Debatte um die mittelfristige Weiterentwicklung der EU als globaler Krisenmanager bestimmen. Dazu zählen europäische Interessen, der strategische Rahmen der europäischen Sicherheitspolitik, die vertraglichen Bestimmungen und deren Entwicklung in den vergangenen Jahren. Ebenso gehören die Kapazitäten der EU als sicherheitspolitischer Akteur, das Verhältnis der EU zur NATO, Multilateralismus, die europäische Sicherheitspolitik aus der Sicht des Mitgliedstaates Österreich, das zivil-militärische Zusammenspiel und die Finanzierung der EU-Sicherheitspolitik dazu. Teil 3 beschäftigt sich mit den Zukunftsperspektiven dieses vergleichbar jungen und dynamischen Politikfeldes, schließt auf Lehren und Trends, die sich in der bisherigen Entwicklung abgezeichnet haben und präsentiert eine Reihe von Zukunftsszenarien. Mit dieser Struktur soll dem geschätzten Lesepublikum ein Werk zur Verfügung stehen, das sich von anderen Werken zu dieser Thematik abhebt und ein nützliches Nachschlagewerk, das auch mit Denkanstößen versehen ist, bietet. Zu guter Letzt ist noch darauf hinzuweisen, dass in diesem Band neben arrivierten Experten bewusst junge und aufstrebende Autoren zu Wort kommen. Zwischen den Zeilen kann daher manchmal ein gewisser „Glaube an die Zukunft der EU“ ausgemacht werden – möglicherweise handelt es sich dabei um jenes gewisse Element, das über die zukünftige Rolle der EU in einer sich rasant verändernden Welt entscheidet.

Walter Feichtinger

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Carmen Gebhard

Teil 1: Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

Carmen Gebhard*

1. Einleitung Die tiefgreifenden weltpolitischen Veränderungen nach Ende des Kalten Krieges haben zu einer Neuordnung der globalen Sicherheitslandschaft geführt. Der Wegfall der statischen Zweiteilung zwischen Ost und West mit dem Fall des Eisernen Vorhangs 1989/90 markierte das Ende einer Auseinandersetzung globalen Ausmaßes. Vor rund 20 Jahren stand die internationale Gemeinschaft demnach vor einem Neubeginn, gleichzeitig aber auch vor einem Tor der Ungewissheit bezüglich der nachfolgenden Entwicklungen im globalen Machtgefüge. Was würde auf das Machtvakuum im Osten folgen? Wie würden sich die Beziehungen zwischen den Staaten der ehemaligen Blöcke weiter entwickeln? Welche Nebenschauplätze würden in den Vordergrund treten, wo die globale Sicherheitslage nun nicht mehr einzig und allein durch das Gleichgewicht des Schreckens bestimmt wurde? Die globale Sicherheitslage, wie sie sich nach 1989 allmählich herausgebildet hat, ist in mehrfacher Hinsicht komplexer als jene zu Zeiten des Kalten Krieges. Die internationale Gemeinschaft ist heute mit einer Reihe neuer Herausforderungen konfrontiert, die effiziente Sicherheitspolitik zu einer schwierigen Aufgabe machen. Das Ende der bipolaren Blockkonfrontation hat aber nicht nur neuen Raum geschaffen für andere, unkonventionelle und vielfältigere Bedrohungsformen. Der Wegfall der übermächtigen Blockstruktur hat auch neue sicherheitspolitische Möglichkeiten eröffnet. Sowohl für einzelne Staaten als auch für Organisationen wie die Vereinten Nationen (VN), die Nordatlantische Vertragsorganisation (NATO), die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und die Europäische Union (EU) haben sich die strategischen Optionen vervielfacht. Nach Ende des Kalten Krieges ist es einzelnen Staaten möglich geworden, sich unabhängig von etwaigen ideologischen Zugehörigkeiten neu zu orientieren und Organisationen beizutreten, die sich nun ebenso neu ausrichteten. Die Entwicklung internationaler Organisationen seit 1989 zeigt, dass die althergebrachte Zweiteilung zwischen Ost und West keine übergeordnete Kategorie mehr darstellt. Zusammenarbeit und Integration sind nunmehr über *

Die Autorin bedankt sich bei der Compagnia di San Paolo, dem Riksbankens Jubileumsfond und vor allem der Volkswagen-Stiftung, die mit ihrem „European Foreign and Security Studies“-Programm die Forschung zu diesem Kapitel unterstützt haben.

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Carmen Gebhard

diese ehemaligen ideologischen Grenzen hinweg möglich, bezeichnenderweise auch in sensiblen Bereichen wie der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Die EU hat in den vergangenen Jahren im Zuge dieses allgemeinen Wandels ein gänzlich neues außen- und sicherheitspolitisches Profil entwickelt und damit neue Wege in der internationalen Politik eingeschlagen. Bis Anfang der 1990er Jahre war die EU, zuvor in Gestalt der Europäischen Gemeinschaften (EG), vor allem als struktureller Akteur und Partner für internationale Entwicklungszusammenarbeit und Handel aufgetreten. Die EG/EU spielte dabei bereits eine maßgebliche internationale und auch globale Rolle, verfügte allerdings noch nicht über die notwendigen rechtlichen und politischen Instrumente für eine gemeinsame Außenpolitik ihrer Mitgliedstaaten. Die Europäischen Gemeinschaften (EG), bestehend aus der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG/EG), der Europäischen Atomgemeinschaft (EURATOM) und der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) wurden 1992 mit dem Vertrag von Maastricht in die EU übergeführt. Ihre außenpolitische Bedeutung als Partner in internationalen Entwicklungsfragen und Außenhandelsbeziehungen behielt die EU aus den Zeiten der EG bei. Im Unterschied zu den Gemeinschaften stand in der neu gegründeten Union jedoch nicht allein die wirtschaftliche Komponente der europäischen Integration im Vordergrund. Die EU wurde als politische Union gegründet und hatte damit auch ihre eigene Außen- und Sicherheitspolitik. Mit dem Vertrag von Maastricht und der Gründung der Union erfolgte die Schaffung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (GASP). Die GASP bildet bis heute den rechtlichen und institutionellen Rahmen für einen Großteil der außen- und sicherheitspolitischen Aktivitäten der EU. Mit dem Vertrag von Nizza im Jahre 2000 erwuchs der GASP ein sicherheitsund verteidigungspolitischer Arm, die sogenannte Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP; seit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“/GSVP) genannt. Im Rahmen der ESVP wurden in der Folge zivile und militärische Fähigkeiten zur Bewältigung von Krisen und Konflikten entwickelt und aufgebaut, die bislang in über 20 sogenannten „Krisenmanagementoperationen und -missionen“ in Europa, Asien und Afrika zum Einsatz gekommen sind. 1 Mit diesen Aktivitäten gesellt sich die EU als operativer Akteur zu einer Reihe vergleichbarer sicherheitspolitischer Akteure, die sich der Bewältigung von Krisen und Konflikten in den unterschiedlichsten Regionen der Welt verschrieben haben. Im Unterschied zu anderen Organisationen verfügt die EU allerdings nicht nur über operative Fähigkeiten, sondern auch über ein sehr breites Spektrum an strukturellen Kapazitäten, etwa in den Bereichen Außenhandel, Entwicklungszusammenarbeit und Diplomatie. Diese Kapazitäten bieten der EU ein einzigartiges Potenzial für ge1

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Ganz allgmein wird im EU-Kontext bei Einsätzen im zivilen Bereich von „Missionen“ gesprochen und im militärischen Bereich von „Operationen“.

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

samtheitliche und umfassende Krisen- und Konfliktbewältigung. Sämtliche Operationen der EU können dadurch auf eine sehr solide Basis gestellt und operative Anstrengungen durch strukturelle Maßnahmen flankiert werden. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass die EU als sicherheitspolitischer Akteur dieses umfassende Potential noch gar nicht richtig ausschöpfen konnte. Grund dafür sind einerseits politische Differenzen zwischen den Mitgliedstaaten, etwa über die Bestimmung und Reichweite der Europäischen Sicherheitspolitik, andererseits aber auch bestimmte institutionelle Faktoren, die die Handlungs- und Beschlussfähigkeit der EU beeinträchtigen. Dieser Teil des vorliegenden Bandes bietet eine grundlegende Einführung in die Entwicklung, die Funktionsweise und die Bedeutung der EU als sicherheitspolitischer Akteur, insbesondere bei der internationalen Bewältigung von Krisen und Konflikten, im sogenannten „internationalen Krisenmanagement.“ Ausgangspunkt für diese Gesamtdarstellung ist die Eigenheit der EU als sicherheitspolitischer Akteur „der besonderen Art“ (sui generis), also das oben erwähnte Potenzial der EU, eine umfassende Sicherheitspolitik betreiben zu können, die strukturelle Programme und Instrumente mit operativen Maßnahmen verbindet. Bedingt durch die Tatsache, dass die EU vergleichsweise spät mit dem Aufbau eigenständiger Instrumente und Fähigkeiten für zivile und militärische Krisenund Konfliktbewältigung begonnen hat, kann ihr besonderer Werdegang nicht ohne Bezug auf andere Schlüsselakteure in diesem Bereich analysiert werden. Die EU begibt sich mit ihren spezifischen Fähigkeiten auf ein international bereits dicht besetztes Feld mit staatlichen, nichtstaatlichen und kollektiven Akteuren ein, die in ihren Aktivitäten mitunter anderen, wenn auch nicht entgegen gesetzten Interessen und Handlungsstrategien folgen. Die EU bildet somit zwar den Schwerpunkt dieses Grundlagenteils, allerdings unter Einbettung der spezifischen EU-Problematik in das weitaus breitere Themenfeld des internationalen Krisenmanagements. Aus diesem Grund beginnt diese Gesamtdarstellung mit einer allgemeinen Einführung in die Grundlagen, Rahmenbedingungen und Herausforderungen internationaler Krisen- und Konfliktbewältigung im 21. Jahrhundert.

2. Internationale Krisen- und Konfliktbewältigung im 21. Jahrhundert Die globale Sicherheitslage hat sich nach Ende des Kalten Krieges maßgeblich gewandelt. An die Stelle der alles überlagernden systemischen Konfrontation zwischen Ost und West ist eine Vielzahl unterschiedlichster Bedrohungsformen getreten. Terrorismus, die Verbreitung („Proliferation“) von Massenvernichtungswaffen, organisierte Kriminalität, kriegerische Auseinandersetzungen um natürliche Ressourcen und ethnische Konflikte stellen heute die zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen dar. Zum Teil haben diese Bedrohungen 15

Carmen Gebhard

bereits während des Kalten Krieges bestanden. Terrorismus und organisierte Kriminalität zum Beispiel sind in der Tat keine neuen Phänomene. Der Wegfall des übermächtigen Konflikts zwischen den Blöcken hat allerdings die Sichtbarkeit bestimmter Bedrohungen erhöht und auch das Bewusstsein über ihre potenziell weitreichenden Auswirkungen geschärft. Wenn viele der heutigen Bedrohungen im Prinzip auch keine gänzlich neuen Herausforderungen darstellen, so hat sich doch einiges in der Art und Weise geändert, wie sie in Erscheinung treten und das Funktionieren moderner Gesellschaften beeinträchtigen. Zum einen hat der globale sicherheitspolitische Wandel der späten Achtziger Jahre Raum geschaffen für die zusätzliche Ausbreitung und Anhäufung bereits bestehender Probleme und Konfliktformen. Zum anderen haben sich aber auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen verändert, wodurch sich wiederum neue Erfordernisse für eine wirksame Sicherheitspolitik ergeben haben. Von besonderer Bedeutung in dieser Hinsicht ist die zuletzt rapid voranschreitende Technologisierung des öffentlichen Lebens. Technologischer Fortschritt, wie etwa die Verbreitung des Massenmediums Internet oder die allgemeine Automatisierung sensibler Infrastruktur zeigen ganz wesentliche sicherheitspolitische Auswirkungen. Einerseits steigert die zunehmende Abhängigkeit von Technik und automatisierten Systemen die Verwundbarkeit moderner Gesellschaften und deren Anfälligkeit beispielsweise für terroristische Anschläge. Andererseits wissen nichtstaatliche Akteure wie Terroristen, Waffenschmuggler und Menschenhändler die neuen technischen Möglichkeiten und Kommunikationswege für ihre Zwecke zu nutzen. Eine zusätzliche Herausforderung liegt darin, dass an sich althergebrachte sicherheitspolitische Herausforderungen in Kombination mit anderen Risiken auftreten und damit oft eine nie zuvor da gewesene Mischung aus verschiedenen Bedrohungsformen entstehen lassen. Besonders problematisch ist etwa die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, organisierter Kriminalität im Allgemeinen und deren Verquickung mit terroristischen Machenschaften oder das gebündelte Auftreten dieser Bedrohungsformen in Krisengebieten oder ehemaligen Kriegsregionen. Instabile politische Systeme, fehlende öffentliche Ordnung, Verarmung und entsprechend geschwächte Gesellschaften bieten einen hervorragenden Nährboden für terroristische und kriminelle Aktivitäten. Diese beeinträchtigen von Krieg und ethnischen Konflikten ohnehin geschwächte Staaten noch zusätzlich und destabilisieren damit oft ganze Regionen, wie etwa den Mittleren Osten rund um den Irak oder Afghanistan und die umliegende zentralasiatische Region. Der in derartigen Zusammenhängen auftretende Terrorismus unterscheidet sich maßgeblich von klassischen „subnationalen“ Formen der terroristischen Bedrohung, wie z.B. durch die irische Untergrundorganisation IRA (Irish Republican Army) oder die baskische ETA (Euskadi Ta Askatasuna/Baskenland und Freiheit). Im Unterschied dazu nimmt dieser sogenannte „transnationale Terrorismus“ seinen Ausgang typischerweise in einem bestimm 16

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

ten Land (z.B. Afghanistan), wird von dort aus systematisch organisiert, zielt aber im Grunde auf die weiträumige Destabilisierung der gesamten umliegenden Region. Das Terror-Netzwerk AlQaeda ist ein weit fortgeschrittenes Beispiel für diese terroristische Organisationsform: verschiedene regionale Kernzonen, insbesondere der Irak und Afghanistan, werden miteinander vernetzt, um eine Machtauswirkung von globaler Reichweite zu erlangen. Das Machtvakuum in Kriegsregionen wird für den Aufbau weitläufiger Organisationsstrukturen genutzt. Die betreffenden Staaten werden weiter destabilisiert, was die Bedingungen für terroristische Aktivitäten wiederum begünstigt. Derartige Krisenherde stellen besonders komplexe Anforderungen an die Handlungs- und Konfliktlösungsfähigkeit einzelner Staaten sowie der internationalen Gemeinschaft insgesamt. Aufgrund der spezifischen Beschaffenheit dieser neuen Bedrohungsformen, ihrer geographischen Weitläufigkeit, Unkalkulierbarkeit und ihrer aus sicherheitspolitischer Sicht untypischen Verbreitungsform durch nicht-staatliche Akteure (daher auch „asymmetrische“ Bedrohungen genannt) hat sich in den letzten Jahren das internationale Verständnis von Sicherheit maßgeblich verändert. Es gibt mittlerweile einen breiten Konsens darüber, dass die meisten sicherheitspolitischen Bedrohungen der heutigen Zeit langfristig nicht mehr allein durch militärische Mittel zu bewältigen sind. Es ist vielmehr eine Kombination aus zivilen, militärischen und strukturellen Maßnahmen, die zu einer dauerhaften Befriedung oder nachhaltigen Stabilisierung führen soll. Diesem heute weit verbreiteten Ansatz umfassender Krisen- und Konfliktbewältigung liegt ein erweiterter Sicherheitsbegriff zugrunde. Im Gegensatz zu klassischen Konzepten wird „Sicherheit“ oder „Frieden“ heute breiter definiert. Sicherheit ist mehr als die Abwehr physischer Gewalt oder die Beendigung oder Beilegung kriegerischer Auseinandersetzung. Modernes Krisenmanagement baut weitgehend auf alternative oder sogenannte postmoderne Friedens- und Sicherheitskonzepte. Demnach umfasst „Sicherheit“ neben der Abwesenheit faktischer Bedrohung auch den Schutz oder die Abwehr struktureller Gewalt, wie z.B. Diskriminierung, Verfolgung, Unterdrückung. Eine wesentliche Bedeutung in heutigen Konfliktbewältigungsstrategien haben auch Faktoren wie Nachhaltigkeit oder Selbstbestimmung/-sbefähigung (owner-ship). Internationale Bemühungen um die Beilegung oder Stabilisierung von Krisenund Konfliktsituationen gehen in ihrer strategischen Ausrichtung über die Phase der Beilegung gewaltsamer Auseinandersetzungen hinaus und umfassen etwa auch präventive Maßnahmen zur Verhinderung von Konflikten oder Konfliktnachbearbeitung zur nachhaltigen Stabilisierung betreffender Staaten oder Regionen. Dieser umfassende Ansatz ist nicht nur auf die veränderten Rahmenbedingungen und das Aufkommen neuer komplexer Bedrohungsformen zurückzuführen. In den letzten Jahren ist sicherlich auch die Erwartungshaltung gegenüber internationalen Kooperationsmechanismen gestiegen und damit die Ambition, eine erweiterte Form der Sicherheit zu gewährleisten. 17

Carmen Gebhard

Dieses neue sicherheitspolitische Bewusstsein hat auch dazu geführt, dass Sicherheit nicht mehr als bilaterale oder einzelstaatliche Angelegenheit gesehen wird. Die Vielzahl an Herausforderungen und deren unkalkulierbare Eigendynamik bewegen immer mehr Staaten dazu, sich in kollektive Sicherheitssysteme einzubinden und von sicherheitspolitischen Alleingängen Abstand zu nehmen. Die Einbindung in internationale Kooperationen und Allianzen ist gerade für kleinere und mittlere Staaten mittlerweile zum Schlüsselfaktor für deren Sicherheit und Verteidigung geworden. Nationale Sicherheit ist dabei nicht mehr nur im klassischen Sinne auf die Absicherung des Territoriums gegen von außen kommende Feinde gerichtet, sondern zielt auch auf die Befriedung und Stabilisierung von Regionen, die mitunter Tausende Kilometer entfernt von nationalen Grenzen oder sogar auf einem anderen Kontinent liegen, ab. Dieser Trend hin zu einer zunehmend internationalen und globalisierten Bedrohungswahrnehmung und weg von einer rein national geprägten strategischen Ausrichtung bildet unter anderem die Grundlage dafür, dass internationale Organisationen wie die EG/EU und die NATO sich nach Ende des Kalten Krieges zusehends auf umfassende Krisen- und Konfliktbewältigung konzentriert haben. In den letzten Jahren sind die Ambitionen der internationalen Gemeinschaft gestiegen, Krisen und Konflikten in den unterschiedlichsten Regionen der Welt nachhaltig zu begegnen, sie zu befrieden und dabei auf die Kooperationsbereitschaft der beteiligten Staaten zu bauen. Das Kerninstrument für diese Form der kooperativen Sicherheitspolitik bilden multinational organisierte Einsätze, sogenannte „Krisenmanagement-Operationen“. Ein Verbund von Staaten trifft dabei operative Maßnahmen, um auf eine bestimmte Krisen- oder Konfliktsituation vorbeugend, stabilisierend, vermittelnd oder bewältigend einzuwirken. Diese Form der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik hat bereits eine lange Tradition, etwa im Rahmen der UNO und der OSZE. Im Zeichen des allgemeinen sicherheitspolitischen Umdenkens nach Ende des Kalten Krieges und angesichts des Aufkommens neuer Bedrohungsformen hat diese allerdings einen deutlichen Aufschwung erfahren. Vor allem in den westlichen Staaten sind insgesamt die Bereitschaft und das Interesse gestiegen, durch den Einsatz ziviler und militärischer Mittel abseits des eigenen staatlichen Territoriums einen Beitrag zur Befriedung von Konflikten und der Stabilisierung in Krisensituationen zu leisten. Für Europa waren in diesem Zusammenhang vor allem die Erfahrungen am Balkan von prägender Bedeutung. Als hier im Laufe der Neunziger Jahre der Zerfall des Jugoslawischen Staates zu einer Reihe kriegerischer Auseinandersetzungen führte, sah sich die internationale Gemeinschaft, in erster Linie aber die europäische Nachbarschaft, mit der eigenen Handlungsunfähigkeit in Sachen Krisen- und Konfliktbewältigung konfrontiert. Bezeichnenderweise konnte auch die VN wenig gegen die Eskalation der ethnischen Konflikte am Balkan ausrichten. Erst die NATO-geführte Operation „Allied Force“ konnte Mitte 1999 ein 18

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

Ende der offenen Kampfhandlungen herbeiführen. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Kriege am Balkan bereits etwa 270 000 Todesopfer gefordert und zudem massive Flüchtlingsströme ausgelöst. Die EU als soeben geschaffene politische Organisation stand diesen Entwicklungen macht- und mittellos gegenüber. Die im Rahmen ihrer GASP verfügbaren politischen Instrumente erwiesen sich als vollkommen ungeeignet für die Beilegung eines Konfliktes dieser Art und Größenordnung. Dass eine gewaltsame Eskalation dieses Ausmaßes in der unmittelbaren geographischen Nachbarschaft der EU überhaupt möglich war, stellte für die Europäer abseits der faktischen Tragik der Ereignisse ein traumatisches Erlebnis dar. Auch dass die EU in dieser an sich „europäischen Angelegenheit“ auf die massive Unterstützung der USA im Rahmen der NATO-Operation angewiesen war, hinterließ einen nachhaltigen Eindruck in den Reihen der Mitgliedstaaten. Es ist durchaus kein Zufall, dass unmittelbar nach Ende der Balkankriege eine besonders dynamische Entwicklungsphase in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik folgte. Der Aufbau eines EU-eigenen Systems für die Bewältigung von Krisen und Konflikten wurde daraufhin zum zentralen Thema innerhalb der EU. Auch wenn diese Entwicklung für den Balkan gewissermaßen zu spät kam, entschieden sich die EU-Mitgliedstaaten Ende der Neunziger Jahre für den Aufbau gemeinsamer ziviler und militärischer Fähigkeiten, um diese bei Bedarf in den unterschiedlichsten Krisen- und Konfliktregionen der Welt zum Einsatz bringen zu können.

3. Die EU als Akteur in der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung Die traumatischen Erfahrungen am Balkan bildeten insgesamt eine wichtige Triebfeder für die Ausbildung und Entwicklung einer eigenen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in die EU. Das Bewusstsein über die eigene Verantwortung, als politischer und wirtschaftlicher Akteur auch sicherheitspolitisch handlungsfähig sein zu müssen, hat sich seitdem innerhalb der EU weiter ausgeprägt. Die institutionellen und operativen Fortschritte, die in den letzten Jahren in diesen Bereichen erzielt wurden, zeigen auch deutlich, dass die EU-Mitgliedstaaten weitaus mehr anstreben als die Befähigung zu Krisen- und Konfliktbewältigung am eigenen Kontinent und in der unmittelbaren geographischen Nachbarschaft. In den vergangenen Jahren wurden unter der Ägide der EU auch Krisenmanagement-Operationen in weiter entfernten Gebieten durchgeführt. Das operative Engagement der EU am Kaukasus, im Mittleren Osten, Asien und Afrika macht klar ersichtlich, dass die EU bereits mehr ist und sein kann als nur ein „Balkan-Krisenmanager.“ Dennoch ist der Entwicklungsprozess der EU in Richtung eines voll leistungsfähigen Akteurs in der Krisen- und Konflikt19

Carmen Gebhard

bewältigung bei weitem noch nicht abgeschlossen. Beim Aufbau diesbezüglicher Fähigkeiten handelt es sich insgesamt um eine sehr junge Entwicklung. Diese Tatsache muss stets berücksichtigt werden, wenn es um die Bewertung der Aktivitäten und Leistungen der EU in diesem Bereich geht. Seitdem die EUMitgliedstaaten damit begonnen haben, ihre gemeinsame Außenpolitik um ein operatives Handlungsspektrum zu erweitern und der EU die notwendigen Mittel und Instrumente zu verschaffen, um eine eigenständige Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik betreiben zu können, gab es Kritik an der Sinnhaftigkeit dieser sicherheitspolitischen Ambitionen. Warum sollte sich die EU als an sich wirtschaftliche und politische Organisation in diese Richtung entwickeln? Wie würde sich das Verhältnis zwischen der EU als Krisenmanager und anderen sicherheitspolitischen Organisationen, vor allem aber der NATO, entwickeln? Wie würde dieser neue Politikbereich die sicherheitspolitische Position der Mitgliedstaaten beeinflussen oder gar beeinträchtigen? Was würde eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik für die Eigenständigkeit der Mitgliedstaaten bedeuten? Auch rund ein Jahrzehnt nach ihrer Schaffung gilt die ESVP als umstritten. Die im Rahmen der ESVP durchgeführten Krisen- und Konfliktbewältigungsaktivitäten der EU und ihrer Mitgliedstaaten werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Debatten etwa über eine schleichende Militarisierung der EU im Zuge des Aufbaus umfassender Krisen- und Konfliktbewältigungsfähigkeiten stehen sowohl im politischen als auch im öffentlichen und medialen Diskurs nach wie vor auf der Tagesordnung. Auf der anderen Seite stehen Kritiker, die das Potenzial der EU, jemals ein vollwertiger sicherheitspolitischer Akteur zu werden, meist unter Verweis auf mangelnde militärische Fähigkeiten offen in Frage stellen und dahingehende Ambitionen der Mitgliedstaaten deshalb ablehnen. Allzu oft lenken derartige Diskussionen von den tatsächlichen Entwicklungen und den spezifischen politischen Hintergründen ab. Die öffentliche Debatte ist zum Teil stark emotionalisiert, was unter anderem darauf zurückzuführen ist, dass Themen wie Sicherheit und Verteidigung den Kern nationaler Souveränität und Eigenständigkeit berühren. Die gängigen Argumente in den verschiedenen Lagern zeigen jedenfalls ganz allgemein, dass es einen erhöhten Informations- und Aufklärungsbedarf gibt. Dieser Bereich der EU-Politik hat im Laufe weniger Jahre einen Grad an Komplexität und Vielseitigkeit erreicht, der eine fundierte Einschätzung von außen besonders schwierig macht. Zudem entwickelt sich das Politikfeld mit sehr hoher Geschwindigkeit, und die Bandbreite an Themen und Hintergründen, die berücksichtigt werden müssen, erweitert sich ständig. Viele Kernaspekte des EU-Krisenmanagements spielen dabei auch für andere Organisationen eine zentrale Rolle. Beispiele dafür sind etwa die Umsetzung umfassender zivil-militärischer Sicherheitskonzepte in die operative Praxis, Fragen der Einsatzbereitschaft und Einsatzfähigkeit im Krisenfall, das Verhältnis zu anderen Akteuren und zur Zivilgesellschaft in den 20

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

Einsatzregionen oder internationale Rechtsfragen z.B. in Bezug auf Intervention und Souveränität. Andere Aspekte wiederum sind besonders charakteristisch für die EU und ihre spezifische Vorgeschichte als wirtschaftliche und politische Organisation. Hier spielt vor allem die Komplexität der institutionellen Strukturen eine Rolle, die die Grundlage für die Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik der EU bilden. Im folgenden Abschnitt wird die Entwicklung dieses komplexen Institutionengefüges schrittweise nachgezeichnet und damit der Werdegang der EU als sicherheitspolitischer Akteur anschaulich gemacht.

4. Die EU auf dem Weg zum sicherheitspolitischen Akteur Die EU hat sich in den letzten Jahren in großen Zügen hin zu einem eigenständigen sicherheitspolitischen Akteur mit ausgereiften institutionellen Strukturen entwickelt. Dabei standen während der ersten Jahrzehnte des europäischen Integrationsprojektes vor allem wirtschaftliche Zielsetzungen im Vordergrund. Auch wenn Sicherheit und die Stabilisierung des europäischen Kontinents nach Ende des Zweiten Weltkrieges von Anfang an ein zentrales Thema waren, zeigten sich die Mitgliedstaaten in Fragen der sicherheits- und verteidigungspolitischen Zusammenarbeit doch sehr lange zurückhaltend. Es wurde vielmehr auf die nach innen gerichtete Stabilisierungswirkung des Integrationsprozesses gebaut. Wirtschaftliche Zusammenarbeit und zunehmende Interdependenz wurden als Garant für innereuropäischen Frieden angesehen. Tatsächlich gelang es im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses, den europäischen Kontinent langfristig zu befrieden und zu stabilisieren. Die Fähigkeit der EG, diese Sicherheit und Stabilität auch nach außen in Form ordnungspolitischer Machtprojektion weiterzugeben, blieb allerdings lange Zeit sehr beschränkt. Insgesamt blieb die EG in ihrer außenpolitischen Wirkung weit hinter ihrem Potenzial als mächtiger und aufstrebender Wirtschaftsblock.

4.1. Erste Integrationsversuche – die europäische Außenpolitik bis 1992 Von der Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) 1951 über die Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft 1957 bis hin zur Überführung der Europäischen Gemeinschaften (EG) in die EU mit dem Vertrag von Maastricht 1992 gab es lediglich sehr bescheidene Schritte in Richtung politischer Integration, wobei die sicherheitspolitische Komponente fast gänzlich ausgeklammert blieb. Zwar gab es in den Fünfziger Jahren Ambitionen, vor allem von Seiten Frankreichs, eine eigene europäische Verteidigungsgemeinschaft aufzubauen, dieser 21

Carmen Gebhard

Versuch scheiterte allerdings und führte letztendlich zu einer Kompromisslösung. Anstelle einer eigenständigen europäischen Verteidigungsorganisation wurde 1954 die Westeuropäische Union (WEU) als rein kollektiver Beistandspakt gegründet. Gegenstand der Organisation war also reaktive Abwehr anstelle proaktiver Verteidigung. Im Unterschied zur ursprünglich geplanten Verteidigungsgemeinschaft umfasste die WEU auch keine europäische Armee unter gemeinsamer europäischer Führung. Aus politischer Sicht diente die WEU vor allem der Handhabung einer konkreten Nachkriegsproblematik, der militärischen Einbindung Deutschlands in ein westeuropäisches Sicherheitssystem. Sobald die Bundesrepublik 1955 auch der NATO beigetreten war, hatte sich die Kernfunktion der WEU damit eigentlich schon wieder erschöpft. Die NATO übernahm in der Folge auch die Kernaufgaben der WEU, sodass die Organisation niemals ihre vollständige, in den betreffenden Verträgen vorgesehene Rolle übernehmen konnte. Nicht zuletzt führte die Verhärtung der Fronten zwischen Ost und West zu einer strategischen Aufwertung der NATO als verteidigungspolitischer Rahmen. Gegenüber der EG wiederum konnte die WEU langfristig keine bemerkenswerte politische Position aufbauen, sodass die Organisation während der Sechziger und Siebziger Jahre keine bemerkenswerte Bedeutung erlangen konnte. Die politische Integration in Westeuropa wurde im Jahre 1970 durch die Begründung der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) im Zuge des Davignon-Berichts geringfügig vorangetrieben. Die neu geschaffene EPZ war aber ihrem Anspruch nach weitaus weniger als der Anfang einer gemeinsamen europäischen Außen- oder gar Sicherheitspolitik, zumal sie institutionell auch außerhalb des EG-Rahmens angesiedelt, also nicht „vergemeinschaftet“ wurde. Die EPZ war mit einer eher schwachen bürokratischen Infrastruktur ausgestattet und basierte auf losen Konsultationen zwischen den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten. Insgesamt war mit der formellen Schaffung der EPZ ein Bündel an ohnehin bereits seit längerem bestehenden Abstimmungs- und Harmonisierungspraktiken institutionalisiert worden. Weiter reichende politische Eingeständnisse wurden den Mitgliedstaaten im Rahmen der EPZ zu diesem Zeitpunkt nicht abverlangt. Mit der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA) erfolgte 1987 dann nicht nur die Schaffung des Europäischen Binnenmarktes, die EEA markierte auch die Überführung der EPZ in das Vertragswerk der EG. Diese primärrechtliche Verankerung der politischen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten ist allerdings nicht gleichzusetzen mit einer Vergemeinschaftung des Politikbereiches. Auch nach 1987 galten die gemeinschaftlichen oder sogenannten supranationalen Verfahren nur für die Kernbereiche der wirtschaftlichen Integration unter der Ägide der Europäischen Kommission. Die Kompetenzen in außenpolitischen Fragen blieben weiterhin fest in den Händen der Staats- und Regierungschefs. Die EPZ blieb intergouvernemental, also „zwischenstaatlich“ organisiert. Die Außenhandelsbeziehungen und Fragen der Entwicklungszusammenarbeit hingegen waren seit jeher gemeinschaftlich organisiert und unter22

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lagen damit der institutionellen Zuständigkeit der Europäischen Kommission. Diese Zweiteilung der europäischen Außenbeziehungen in die zwischenstaatliche „intergouvernementale“ Regelung der Außenpolitik und die gemeinschaftliche „supranationale“ Regelung der Außenhandelsbeziehungen und Entwicklungskooperation stellt bis heute eines der maßgeblichen Charakteristika der EU als außenpolitischer Akteur dar und beeinflusst damit auch ihr Handeln in sicherheitspolitischen Angelegenheiten. Abseits dieser zaghaften Erfolge in der politischen Integration folgte die westeuropäische Entwicklung in Sicherheitsfragen während des gesamten Kalten Krieges ganz allgemein einem selbstbezogenen, nach innen orientierten Ansatz. Die nach außen gerichtete Verteidigungsdimension Westeuropas wurde dabei – wohl auch bedingt durch die globalen strategischen Rahmenbedingungen – nahezu gänzlich von der NATO wahrgenommen. Die WEU erlangte in den Achtziger Jahren zwar wieder einiges mehr an Bedeutung, ihre Rolle blieb allerdings auf Teilbereiche wie die nukleare Abrüstung beschränkt. Während die WEU also weiterhin ein Schattendasein führte, bildete die NATO den zentralen institutionellen Rahmen für das westeuropäische Sicherheitsbedürfnis. Es gilt zu betonen, dass zu dieser Zeit sämtliche sicherheitspolitischen Belange von der bipolaren Statik der Blockkonfrontation überlagert wurden. Dennoch war es nicht nur das Bewusstsein über die Natur und die Dimension der externen Bedrohung, das die EG-Mitgliedstaaten dazu veranlasste, diese Form der Auslagerung einer zentralen politischen Funktion an eine andere Organisation ohne weiteres anzunehmen. Es war auch die Gewissheit über die verlässliche Wirkung des US-amerikanischen Schutzschirms, den der NATO-Rahmen mit sich brachte und insofern erst gar keine nach außen gerichteten europäischen Ambitionen aufkommen ließ.

4.2. Die sicherheitspolitische Dimension der EU: Von Maastricht bis St. Malo Erst nach Beendigung des Ost-West-Konfliktes und dem Zusammenbruch der Sowjetunion waren bestimmte Rahmenbedingungen für eine eigenständige europäische Außen- und Sicherheitspolitik gegeben. Der Wegfall der übermächtigen Bedrohung eines globalen Konflikts zwischen den Blöcken eröffnete für die Europäer neue Wege in ihrer sicherheitspolitischen Ausrichtung. Doch auch während des ersten Jahrzehnts nach der Wende blieb die europäische Außenpolitik vorwiegend in der wirtschaftlichen, finanzpolitischen und diplomatischen Dimension verhaftet, während weiter gehende Schritte in Richtung einer eigenen sicherheitspolitischen Komponente für die EU zunächst fehlten. Die Projektion von Sicherheit und Stabilität nach außen erfolgte in erster Linie auf Basis wirtschaftlicher Assoziierungsprozesse in den unmittelbaren Nachbarregionen. Nicht zuletzt ist die erfolgreiche post-sowjetische Transformation in den ostmittel- und osteuropäischen Nachfolgestaaten untrennbar mit diesem europäischen Engage23

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ment nach Ende des Kalten Krieges verbunden. Auf dem Kontinent wurden Sicherheit und Stabilität also vor allem durch regionale Integration und strukturelle Maßnahmen propagiert, und der Kern der EU-Außenpolitik lag demzufolge nach wie vor in den Außenhandelsbeziehungen, der Entwicklungszusammenarbeit und regionalen Assoziierungsprozessen. Die EU war ihrer Konstitution nach zwar bereits ein wirtschaftliches Gravitationszentrum mit ständig wachsender Attraktivität und insofern gewissermaßen schon ein mächtiger globaler Faktor. Zum eigenständigen außenpolitischen Akteur mit entsprechender politischer Handlungs- und Projektionsfähigkeit fehlten der gewachsenen Zivilmacht EU jedoch nach wie vor die nötigen Mittel und Instrumente. Zumindest für diese Phase der Integrationsentwicklung lässt sich dies in erster Linie auf die mangelnde Ambition der Mitgliedstaaten zurückführen, aktive Eigenverantwortung für die sicherheitspolitischen Herausforderungen im europäischen und globalen Umfeld zu übernehmen. Die Europäer sahen offenbar noch keinen Grund, aus dem sicherheitspolitischen Automatismus des Kalten Krieges auszubrechen und aus dem transatlantischen Schutzschirm hervorzutreten, der nach wie vor als Selbstverständlichkeit angenommen wurde. 1992 wurden mit dem Vertrag über die Europäische Union, dem „Vertrag von Maastricht“, die Europäischen Gemeinschaften in die EU übergeführt. Diese bildeten nunmehr die sogenannte „erste Säule“ in der institutionellen Tempelkonstruktion der EU (siehe Abbildung). Als „zweite Säule“ wurde die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) geschaffen und als „dritte Säule“ die Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres (JI). Abbildung: Die Tempelkonstruktion der EU (Quelle: eigene Darstellung)

Säule I

Säule II

Säule III

EG

GASP

JI

Europäische Gemeinschaften und EURATOM

Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik

Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres

Die beiden neu geschaffenen Bereiche GASP und JI sollten zwischenstaatlich, also „intergouvernemental“ geregelt werden, während für die erste Säule einschließlich der Außenhandelsbeziehungen und der Entwicklungszusammenarbeit der EU die supranationalen Gemeinschaftsverfahren der EG übernommen wurden. Für das neu geschaffene außenpolitische Profil der EU bedeutete dies nunmehr, dass die EU als politische Union mit der GASP oder zweiten Säule zwar 24

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

über eine eigene Außen- und Sicherheitspolitik verfügte, dass die außenpolitischen Agenden der EG allerdings in einer anderen Säule und unter Anwendung grundsätzlich anderer Beschlussverfahren geregelt wurden. Mit dem Vertrag von Maastricht wurde also die Zweiteilung der EU-Außenpolitik fortgeschrieben, die sich schon Jahrzehnte zuvor mit der Schaffung und späteren Verrechtlichung der EPZ abgezeichnet hatte. Die GASP löste das außenpolitische Vorläufermodell EPZ ab und übernahm damit dessen Strukturen und Mechanismen, wie etwa die Formation des Europäischen Rates mit seiner Kompetenz in der Vorgabe von politischen Leitlinien oder das Instrument der „Gemeinsamen Erklärungen“, das es den EPZ-Staaten bereits zuvor ermöglichte, zu bestimmten internationalen oder regionalen Fragen gemeinsam Stellung zu beziehen. Zusätzliche Strukturen wurden geschaffen wie beispielsweise die halbjährlich rotierende Ratspräsidentschaft und das Politische Komitee als zentrales Koordinierungsorgan für die GASP. Als neue rechtliche Instrumente wurden die „Gemeinsame Aktion“ und der „Gemeinsame Standpunkt“ eingeführt. Eine sicherheits- und verteidigungspolitische Komponente wurde im Vertrag von Maastricht bereits explizit als eine der zentralen Zielsetzungen der GASP genannt; ein konkreter Zeitplan für die Umsetzung wurde allerdings noch nicht vorgelegt. Artikel J des Vertrages von Maastricht legte vielmehr Folgendes fest: „Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik umfasst sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Europäischen Union betreffen, wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte.“

Immerhin wurde dadurch der strikt außenpolitische Fokus der EPZ auf alle sicherheits- und verteidigungspolitischen Aspekte ausgeweitet und das Thema Sicherheit zur gemeinsamen Angelegenheit der EU-Mitgliedstaaten gemacht. Die Schaffung der GASP als neuer institutioneller und rechtlicher Rahmen für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU stellte insgesamt also einen wichtigen Integrationsschritt dar, in den ersten Jahren blieben diese neuen Politikbereiche allerdings weitgehend unterentwickelt. Mit dem Zerfall Jugoslawiens wurde zu Beginn der Neunziger Jahre das Phänomen Krieg wieder zu einer europäischen Wirklichkeit. Die diplomatischen Vermittlungsversuche seitens der EU zeigten angesichts des eskalierenden ethnischen Konflikts am Balkan allerdings kaum Wirkung. Die soeben geschaffenen politischen Instrumente der GASP erwiesen sich bereits im Kroatien- (1991-1995) und im Bosnien-Krieg (1992-1995) als weitgehend ungeeignet für eine rasche und nachhaltige Intervention. Was der EU im Besonderen fehlte, waren militärische Fähigkeiten, um aktiv einzuschreiten und ein Ende der Kampfhandlungen herbeizuführen. Auch fehlten ganz allgemein operative Kapazitäten für die Krisenbewältigung in den betreffenden Gebieten. Was ein wirkungsvolles Handeln durch die EU zusätzlich erschwerte, war die politische Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten einerseits über die 25

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politische Zuständigkeit für die Bewältigung der Konflikte und andererseits über die strategische Beurteilung der Krisensituation an sich. Doch auch angesichts der dramatischen Entwicklungen in der unmittelbaren europäischen Nachbarschaft wuchs das Bewusstsein über den dringenden Handlungsbedarf und die Notwendigkeit einer entsprechenden funktionellen Weiterentwicklung der GASP bei den EU-Mitgliedstaaten nur sehr langsam. Auf der Regierungskonferenz 1996/1997 wurde unter anderem auch die Revision der vertraglichen Bestimmungen der GASP diskutiert. Der daraus resultierende Vertrag von Amsterdam brachte in der Folge tatsächlich einige maßgebliche Neuerungen für das erst junge Politikfeld auf den Weg. Von besonderer Bedeutung für die institutionelle Entwicklung war wohl die Einrichtung der Position des Hohen Vertreters für die GASP, der in Personalunion mit dem Generalsekretär des Rates die Sichtbarkeit der Union nach außen verbessern und damit ein geschlosseneres Auftreten der Mitgliedstaaten in außenpolitischen Angelegenheiten ermöglichen sollte. Außerdem wurden die GASP-Strukturen durch eine Strategieplanungs- und Frühwarneinheit (Politischer Stab/Policy Unit) verstärkt. Deren Aufgabe sollte es künftig sein, sicherheitsrelevante internationale Entwicklungen zu überwachen, Lagebeurteilungen durchzuführen und entsprechende strategische Handlungsoptionen für die EU auszuarbeiten. Als neues politisches Instrument wurde die „gemeinsame Strategie“ eingeführt, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen sollte, eine geschlossene strategische Haltung gegenüber Drittstaaten oder ganzen Regionen einzunehmen. Auch das für die GASP geltende Beschlussfassungsverfahren wurde im Zuge dieser Vertragsrevision optimiert, nachdem sich das bislang gültige Einstimmigkeitsprinzip als zu schwerfällig erwiesen hatte. Die Einführung des Mehrheitsprinzips für GASPBeschlüsse stand für die meisten Mitgliedstaaten allerdings nach wie vor außer Frage. Zu gering war die Bereitschaft der einzelnen Staaten, ihre Souveränität so weit aufzugeben, als dass sie im Krisenfall von einer Mehrheit hätten überstimmt werden können. Die Kompromisslösung im Amsterdamer Vertrag bestand in der Einführung des Systems der „konstruktiven Enthaltung“, das es einzelnen Mitgliedstaaten im Beschlussfall ermöglichen sollte, sich der Stimme zu enthalten und sich damit der Durchführung zu entziehen, ohne dabei die Zielsetzung des Beschlusses insgesamt zu beeinträchtigen. Abseits dieser verfahrensrechtlichen und institutionellen Neuerungen blieb die EU-Außenpolitik, vor allem aber ihre sicherheitspolitische Komponente, noch ein Provisorium, was vor allem darauf zurückzuführen war, dass innerhalb der EU zu diesem Zeitpunkt kein Konsens zur weiteren Ausgestaltung der GASP erzielt werden konnte. Mit dem Vertrag von Amsterdam wurde der WEU die Aufgabe übertragen, den Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik anzuleiten. Damit wurde die WEU näher an die EU herangeführt und zum integralen Bestandteil der gesamteuropäischen Integrationsentwicklung aufgewertet. Allerdings war auch nach Absegnung des Amsterdamer Vertrages 26

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

unklar, welche Rolle die WEU gegenüber der EU und vor allem deren im Aufbau befindlichen sicherheits- und verteidigungspolitischen Apparat spielen sollte. Ein Ausbau der operationellen Rolle der WEU, um der EU als verteidigungspolitisches Organ zu dienen, wurde ebenso in Betracht gezogen wie eine mittelfristige Einschmelzung der WEU-Strukturen in ein neu zu schaffendes EUSicherheits- und Verteidigungssystem. Aus dem WEU-Rahmen übernommen wurde jedenfalls zunächst das Handlungsspektrum, das die EU-Krisenmanagement-Politik künftig abdecken sollte. Die sogenannten „Petersberg-Aufgaben“, wie sie zuvor 1992 für die WEU definiert worden waren, wurden textgleich in den Artikel 17 des Amsterdamer Vertrages übernommen: humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen sollten künftig im Rahmen der europäischen Sicherheitspolitik durchgeführt werden. Während innerhalb der EU mit dem Vertrag von Amsterdam soeben ein rechtlicher Minimalkonsens in außen- und sicherheitspolitischen Belangen ausgehandelt worden war, konnte den krisenhaften Entwicklungen am Balkan seitens der EU-Mitgliedstaaten weiterhin kein Einhalt geboten werden. Ende der Neunziger Jahre schien das europäische Bewusstsein jedoch soweit gereift zu sein, dass einige entscheidende Weichenstellungen auf dem Weg der EU zum sicherheitspolitischen Akteur vorgenommen werden konnten. 1998 kam es zu einer bahnbrechenden politischen Einigung zwischen Großbritannien und Frankreich, deren politische Positionen in Sicherheits- und Verteidigungsfragen zuvor über Jahrzehnte hinweg weitgehend unvereinbar schienen. Frankreich hatte seit jeher den Aufbau eines eigenständigen europäischen Sicherheitssystems forciert, während sich Großbritannien stets für die NATO als sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsrahmen für die EU stark machte. Ein Regierungswechsel in Großbritannien Ende der Neunziger Jahre machte erstmals einen britisch-französischen Schulterschluss in dieser Frage möglich. Der Sieg der Labour-Partei 1997 hatte die 18 Jahre andauernde Regierungszeit der konservativen Partei in Großbritannien beendet. Der neue Premierminister Tony Blair vollzog eine Wende in der britischen Europapolitik, wodurch die maßgebliche Annäherung an Frankreich erst möglich wurde. Nachdem sich bereits beim EU-Sondergipfel in Pörtschach im Oktober 1998 ein Kompromiss abzeichnete, trafen Frankreich und Großbritannien bei einem Gipfeltreffen im französischen St. Malo im darauffolgenden Dezember eine Vereinbarung über den Aufbau autonomer militärischer Fähigkeiten im Rahmen der GASP und deren Einsatz zur Bewältigung internationaler Krisen und Konflikte. Die britisch-französische Uneinigkeit in dieser Frage hatte bis zu diesem Zeitpunkt sämtliche Entwicklungen in der EU-Außenund Sicherheitspolitik behindert. Die bilaterale Einigung von St. Malo gilt daher als Schlüsselmoment in der sicherheitspolitischen Entwicklungsgeschichte der EU. Sie war die Voraussetzung für jeden weiteren Schritt, der nunmehr bei der Entwicklung einer eigenen EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik erfolgen konnte. 27

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Abseits dieses diplomatischen Erfolges traten jedoch im Zuge des KosovoKrieges im Jahre 1999 die nach wie vor bestehenden Unzulänglichkeiten der EU in außen- und sicherheitspolitischen Fragen erneut offen und unter besonders tragischen Umständen zu Tage. Das drastische Versagen oder vielmehr die faktische Handlungsunfähigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten bei dieser wichtigen strategischen Herausforderung rief Mitte 1999 schließlich ein weiteres Mal die USA als dominierende globale Ordnungsmacht auf den Plan. Erst die vorwiegend von den Vereinigten Staaten geleitete und durchgeführte NATOOperation „Allied Force“ vermochte es im Juni 1999, die Kampfhandlungen am Balkan zu beenden. Dies war eine Erfahrung, die sich abseits der humanitären Dramatik tief in das europäische sicherheitspolitische Bewusstsein eingeprägte und damit nicht zuletzt auch weitere Dynamik in die folgende politische und institutionelle Weiterentwicklung der GASP brachte.

4.3. Köln, Helsinki und Feira: Weichenstellungen für die Fähigkeitsentwicklung Im ersten Halbjahr 1999 während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft wurde unter dem Eindruck des laufenden Kosovo-Krieges eine Reihe zentraler Weichenstellungen für die Weiterentwicklung der sicherheitspolitischen Komponente der GASP vorgenommen. In dieser Zeit wurden die Rahmenbedingungen für eine eigenständige europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik definiert und der Grundstein für die ESVP gelegt. Als Teil der zweiten Säule sollte die ESVP den institutionellen und rechtlichen Rahmen für eine eigenständige EUKrisen- und Konfliktbewältigungspolitik bieten. Beim Aufbau autonomer Handlungsfähigkeiten sollte der Schwerpunkt zunächst auf ein glaubwürdiges militärisches Leistungsprofil gelegt werden, die strategische Ausrichtung der ESVP war allerdings auch zu diesem Zeitpunkt bereits umfassend zivil-militärisch. Es sollten geeignete Strukturen geschaffen werden, um den operativen Einsatz der neuen Fähigkeiten zu ermöglichen und um die Mitgliedstaaten mit den notwendigen institutionellen Grundlagen auszustatten, damit sie sich im Rahmen der ESVP an Krisenmanagement-Operationen beteiligen können. Auch innerhalb der NATO kam es zeitgleich zu strategischen und institutionellen Entwicklungen, die für das weitere Vorgehen beim Aufbau einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik von maßgeblicher Bedeutung waren. Im April 1999 wurde im Rahmen des NATO-Gipfeltreffens von Washington ein „neues strategisches Konzept“ für die Allianz ausverhandelt, das sich gemäß der britisch-französischen Einigung von St. Malo unter anderem für die Entwicklung eigenständiger europäischer Fähigkeiten im militärischen Bereich aussprach. Es wurde allerdings betont, dass dies ausschließlich im Rahmen des transatlantischen Sicherheitssystems erfolgen sollte. Das NATO-Konzept sah den Aufbau einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität (ESVI) innerhalb der 28

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Allianz vor, wobei die WEU den institutionellen Rahmen für die Durchführung von Operationen bieten sollte. Eine Duplizierung, also eine unnötige Verdoppelung jener Strukturen und Fähigkeiten, die bereits innerhalb des Bündnisses zur Verfügung stehen, sei in jedem Fall zu vermeiden. Es wurde der Aufbau von Mechanismen in Aussicht gestellt, die es der WEU im Auftrag der EU ermöglichen sollten, im Krisenfall auf NATO-Fähigkeiten zurückzugreifen, und zwar insbesondere dann, wenn die Allianz selbst nicht an der Operation beteiligt ist. Diese Möglichkeit des Rückgriffs auf NATO-Mittel stellt bis heute eine der zentralen Kontroversen in der Entwicklung der ESVP dar. Die Uneinigkeit über die Frage, ob sich die EU als sicherheitspolitischer Akteur gänzlich von der NATO emanzipieren soll oder ob das Bündnis doch auch in Zukunft als Rahmen für die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik beibehalten werden sollte, spaltet die Union bis heute. Das „neue strategische Konzept“ der NATO hatte einen sehr starken Bezug zur künftigen Schlüsselrolle der WEU für die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und wies ihr ganz klar die Rolle als institutioneller Rahmen für eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität zu. In EU-Kreisen zeichnete sich während des ersten Halbjahres 1999 allerdings ein Trend in eine andere Richtung ab. Nachdem der Vertrag von Amsterdam die WEU institutionell bereits näher an die EU herangeführt hatte, wurde jetzt damit begonnen, wesentliche Kernfunktionen der WEU in den EU-Rahmen überzuführen. Aus den Beschlüssen des Europäischen Rates von Köln im Juni 1999 wurde deutlich, dass die Einschmelzung von WEU-Strukturen in den neu entstehenden institutionellen Überbau der ESVP bereits voll im Gange war. Alle wesentlichen WEUGremien und Strukturen sollten fast spiegelgleich im ESVP-Rahmen errichtet werden, unter anderem ein politisches und sicherheitspolitisches Komitee, ein Militärausschuss und ein Militärstab einschließlich eines Lagezentrums. Außerdem sollten das WEU-Satellitenzentrum in Torrejón und das WEU-Institut für Sicherheitsstudien in Paris von der EU übernommen werden. Damit wurden sämtliche Funktionen der WEU in die EU übergeführt, die für den Aufbau eigenständiger operativer Fähigkeiten und deren Einsatz in EU-KrisenmanagementEinsätzen notwendig waren. In den Kölner Beschlüssen verpflichteten sich die EU-Mitgliedstaaten außerdem, zum Aufbau europäischer Fähigkeiten aktiv und eigenverantwortlich beizutragen, und zwar nicht nur in Form von bereitgestelltem Personal und Gerät, sondern insbesondere auch durch die Förderung von Transformationsmaßnahmen innerhalb der eigenen Streitkräfte. Die EU müsse im Krisenfall auf leistungsfähige, moderne Streitkräfte zurückgreifen können, die den sicherheitspolitischen Anforderungen komplexen Krisenmanagements gerecht werden. Insbesondere die Fähigkeiten der Mitgliedstaaten in den Bereichen strategische Aufklärung und Planung, strategischer Transport, Lageanalyse und Streitkräfteführung sollten dabei gestärkt werden. Als weitere wichtige Zielsetzungen in diesem 29

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Zusammenhang wurden die gegenseitige Anpassung und Zusammenführung nationaler und multinationaler europäischer Streitkräfte genannt, wobei bestimmte qualitative Eigenschaften wie die Verlegefähigkeit, Durchhaltefähigkeit, Mobilität und Flexibilität besonders betont wurden. Ein wichtiges Augenmerk sollte künftig auch auf die Verbesserung der Interoperabilität gelegt werden. Darunter ist zu verstehen, dass die Streitkräfte der EU-Mitgliedstaaten ohne größere Anpassungs- oder Kommunikationsprobleme gemeinsam tätig werden können. Auch ihren militärischen Bedarf und die entsprechende Beschaffung von Material sollten die Mitgliedstaaten in Zukunft aufeinander abstimmen, um so die Kosteneffizienz und auch Transparenz zu steigern. Der NATO wurde gerade in diesem Zusammenhang eine durchaus wichtige Rolle zugeschrieben. Die im Rahmen der Erweiterung und strategischen Umorientierung der Allianz bereits laufenden Transformationsprozesse sollten den EU-Mitgliedstaaten als Referenz für ihre eigenen dahingehenden Bemühungen dienen. Über dieses pragmatische Verhältnis hinaus sollte die NATO auch weiterhin eine Schlüsselrolle für die europäische Sicherheit übernehmen, wenn auch nicht in der im strategischen Konzept vorgesehenen Art und Weise. Die Möglichkeit des Rückgriffs auf NATO-Mittel in Krisenfällen, in denen die Allianz selbst nicht beteiligt ist, wurde auch in den Beschlüssen von Köln erwähnt. Neue, effizientere Mechanismen sollten geschaffen werden, um die Konsultation und Zusammenarbeit zwischen NATO und EU zu verbessern und um die notwendigen institutionellen Voraussetzungen für die praktische Umsetzung dieses Prinzips zu gewährleisten. Zusätzlich wurde klar betont, dass sich die EU mittelfristig auch die notwendigen Fähigkeiten aneignen sollte, um autonome Operationen ohne Rückgriff auf NATO-Mittel durchführen zu können. Mit den Beschlüssen von Köln hatten sich die Mitgliedstaaten somit bereits weit über die Idee einer der NATO unterstellten europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität hinweggesetzt. Die seit Maastricht auf rein deklaratorischer Ebene bestehende Sicherheits- und Verteidigungskomponente der EU begann nun allmählich an Substanz zu gewinnen. Nachdem in Köln erste Schritte in Richtung einer Institutionalisierung des neuen Vorhabens getan waren, ging es während der darauffolgenden finnischen Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 1999 bereits eindeutig um den Aufbau der operativen Fähigkeiten an sich. Im Zuge des Europäischen Rates von Helsinki im Dezember 1999 wurden die in Köln formulierten Zielsetzungen bestätigt und darüber hinaus weiter konkretisiert. Ausgehend von den in Köln vereinbarten strategischen Vorgaben und politischen Leitlinien einigten sich die Mitgliedstaaten nun gemeinsam auf die Festlegung konkreter Entwicklungsziele beim Aufbau militärischer Fähigkeiten. Das Ergebnis der Verhandlungen wurde im sogenannten „Planziel von Helsinki“ (Helsinki Headline Goal) festgehalten, das im Wortlaut folgendes vorschrieb:

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„Spätestens im Jahre 2003 müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen der freiwilligen Zusammenarbeit bei EU-geführten Operationen in der Lage sein, innerhalb von 60 Tagen Streitkräfte im Umfang von 50 000 bis 60 000 Personen, die imstande sind, den Petersberg-Aufgaben in ihrer ganzen Bandbreite gerecht zu werden, zu verlegen und dafür zu sorgen, dass diese Kräfte für mindestens ein Jahr im Einsatz gehalten werden können.“

In Helsinki wurde der militärische Fähigkeitsentwicklungsprozess im Rahmen der ESVP auch explizit an die Verteidigungsfähigkeits-Initiative (Defence Capabilities Initiative/DCI) der NATO geknüpft und organisatorisch mit dem Planungs- und Überprüfungsprozess (Planning and Review Process/PARP) verbunden, der bis dahin vor allem NATO-Beitrittsanwärter im Rahmen der sogenannten Partnerschaft für den Frieden (Partnership for Peace/PfP) auf ihre Aufnahme in die Allianz vorbereiten sollte. Das strategische Verhältnis zwischen der EU und der NATO sollte bis zur Festlegung ständiger Kooperations- und Konsultationsmechanismen vorerst auf informeller Ebene durch enge Kontakte zwischen dem Hohen Vertreter der GASP und dem Generalsekretär der NATO gestärkt werden. Die Schlussfolgerungen von Helsinki brachten auch einige wesentliche institutionelle Neuerungen mit sich. Die in Köln bereits auf den Weg gebrachte Einrichtung ständiger politischer und militärischer Strukturen wurde formell beschlossen. Geschaffen werden sollte das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) für die politische Kontrolle und strategische Leitung sämtlicher ESVP-Aktivitäten, der EU-Militärausschuss als höchstes militärisches Gremium und der EU-Militärstab als beratendes Organ für die militärischen Aspekte des EU-Krisenmanagements. Auch in Bezug auf die Ratsformationen wurden in Hinblick auf die neu gesteckten Ziele in der EU-Außen- und Sicherheitspolitik einige Neuerungen eingeführt. Um eine Einbindung der Verteidigungsminister in sämtliche Ratsbeschlüsse mit sicherheits- und verteidigungspolitischen Bezügen zu garantieren, sollten diese zu ausgewählten Anlässen künftig gemeinsam mit dem Rat für Allgemeine Angelegenheiten tagen. Außerdem wurden auf dem Gipfel in Helsinki erste grundlegende Entscheidungen darüber getroffen, in welcher Form sich Drittstaaten an EU-Krisenmanagement-Operationen beteiligen können. Demnach sollte es sämtlichen EU-Beitritts-Kandidaten, aber auch Russland, der Ukraine und einer Reihe anderer Staaten offen stehen, sich auf Einladung des Rates an EU-geführten Einsätzen zur Krisen- und Konfliktbewältigung zu beteiligen. Die Beschlüsse von Köln und Helsinki stellen wichtige Meilensteine in der Entwicklung einer europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik dar. Besonders charakteristisch für diese ersten Monate der ESVP-Entwicklung war der dezidiert militärische Fokus sämtlicher Beschlüsse und Maßnahmen. Dies geschah wohl vor allem unter den unmittelbaren Eindrücken, die die Erfahrungen am Balkan zunächst im europäischen Bewusstsein hinterlassen hatten. Es war nämlich vor allem die militärische Macht- und Handlungsunfähigkeit der EU und ihrer Mitgliedstaaten, die angesichts des Kosovo-Krieges auf ganz besonders 31

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dramatische Weise zutage getreten war. Die Tatsache, dass die EU auf die Hilfe der NATO und der USA angewiesen war, um diesen europäischen Konflikt zu befrieden, hat letztendlich Rufe nach autonomen militärischen Fähigkeiten laut werden lassen. Darüber hinaus kam den militärischen Fragen ungleich größeres mediales Interesse zu, was vor allem darin begründet liegt, dass hier ein Politikbereich zur EU-Angelegenheit erklärt worden war, der die Souveränität der Mitgliedstaaten betrifft wie kein anderer. Bedenken hinsichtlich einer schwelenden Militarisierung des an sich friedlichen europäischen Integrationsprojektes heizten die öffentliche Debatte zusätzlich an, was dem noch jungen Politikfeld zumindest einen hohen Bekanntheitsgrad einbrachte. Dass die EU-KrisenmanagementPolitik weitaus mehr umfassen sollte als den klassischen militärischen Bereich, ging in dieser frühen Phase der Entwicklung oftmals noch unter. Es ist jedoch klar anzumerken, dass die ESVP von Anfang an sowohl eine zivile als auch eine militärische Komponente haben sollte. In Helsinki wurden – was in historischen Darstellungen häufig nicht angemerkt wird – auch einige wichtige Schritte in der Entwicklung des zivilen Bereichs der ESVP getan. Der Europäische Rat beschloss einen Aktionsplan, der den darauf folgenden Prozess der Fähigkeitsentwicklung anleiten sollte. Zu den zentralen Zielsetzungen zählten die Verbesserung der Reaktionsfähigkeit und der Synergie zwischen den zivilen Krisenbewältigungsinstrumentarien der Mitgliedstaaten, der EU bzw. der EG und anderen internationalen und Nicht-RegierungsOrganisationen, die Stärkung der Fähigkeiten für die Planung und Durchführung autonomer EU-Operationen im zivilen Bereich und die Verbesserung der Kohärenz der zivilen Aspekte der ESVP mit anderen sicherheitsrelevanten Politikbereichen, insbesondere jenen innerhalb der ersten Säule und des Zuständigkeitsbereichs der Europäischen Kommission. Auch institutionelle Maßnahmen wurden schon sehr bald getroffen. Im Frühjahr 2000 wurde ein Ausschuss für die zivilen Aspekte des EU-Krisenmanagements (CIVCOM) eingesetzt, der seinem militärischen Gegenstück, dem Militärausschuss, entsprechend sämtliche nicht-militärischen Komponenten der ESVP inhaltlich und strategisch koordinieren sollte und auch den Fähigkeitsentwicklungsprozess in den verschiedenen zivilen Bereichen überblicken und leiten sollte. Einige konkretere Weichenstellungen für die Fähigkeitsentwicklung im zivilen Bereich erfolgten auf dem Europäischen Rat in Feira im Juni 2000. Es wurden vier Bereiche festgelegt, in denen mit besonderer Priorität am Aufbau eigenständiger EU-Fähigkeiten gearbeitet werden sollte. Polizei, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, Zivilverwaltung und Katastrophenschutz wurden als Sparten des Krisenmanagements definiert, in denen international besonderer Handlungsbedarf bestehe und gleichzeitig auch das Potenzial vorhanden schien, im Rahmen der ESVP einen zusätzlichen Nutzeffekt erzielen zu können. Die zivilen Planziele (Civilian Headline Goals) wurden daraufhin für jeden dieser Prioritätsbereiche einzeln definiert. Als polizeiliches Planziel wurde festgelegt, dass die Mitglied32

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staaten bis 2003 rund 5 000 Polizeibeamte für internationale Missionen verfügbar machen sollten, wobei 1 000 Personen binnen 30 Tagen abrufbar sein sollten. Das Planziel für 2003 im Bereich der Rechtsstaatlichkeit wurde auf 200 Experten aus verschiedenen juristischen Bereichen festgesetzt (Richter, Staatsanwälte, Vollzugsbeamte). Für den Bereich Zivilverwaltung wurden zunächst keine absoluten Zahlen genannt, aber der Aufbau eines Expertenpools anvisiert, aus dem Personal für die verschiedenen Bereiche geschöpft werden könnten (Sozialdienste, Finanzexperten, Wahlrechtsexperten, Verwaltungsspezialisten, Amtsärzte u.s.w.). Als Planziel für den Katastrophenschutz galt der Aufbau von zwei bis drei operativen Einheiten von je zehn Personen für die Koordination und Lagebeurteilung, die im Katastrophenfall binnen weniger Stunden abrufbar sein sollten. Außerdem sollte ein Expertenpool von 100 Personen aufgebaut werden, der gemäß den spezifischen Anforderungen in jedem Krisenfall Kapazitäten zur Verfügung stellt, die ebenso schnell verfügbar gemacht werden können. Zusätzlich sollten kurzfristig verfügbare Zivilschutzteams im Ausmaß von 2 000 Personen aufgebaut werden. Damit wurde für den zivilen Bereich ein nicht weniger anspruchsvolles Entwicklungsziel für 2003 angesetzt.

4.4. Der Aufbau ziviler und militärischer Fähigkeiten Die Anfangsphase des Fähigkeitsentwicklungsprozesses war sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich von einer besonderen Dynamik gekennzeichnet. Nachdem in Helsinki und Feira Planziele für die verschiedenen Bereiche des EU-Krisenmanagements festgelegt worden waren, wurden diese in weiterer intensiver Planung neu bewertet und konkretisiert. Die militärischen Fähigkeitsziele wurden im sogenannten „Helsinki Force Catalogue“ kategorisiert und aufgeschlüsselt, was für die praktische Umsetzung unumgänglich war. Für jeden Teilbereich, den die neuen EU-Fähigkeiten umfassen sollten, wurden technische Kriterien definiert und Richtlinien zur Qualitätsprüfung angeführt. Ein Großteil der Eckdaten und Kategorien wurden dabei direkt von NATO-Standards übernommen, die bereits im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden zum Einsatz gekommen waren, um die Fähigkeitsentwicklung in den Reihen der NATOBeitrittsanwärter voranzutreiben. Trotz dieser konzeptionellen Vorarbeiten im militärischen Bereich zeigten sich die besonders raschen Fortschritte aber dann doch im weniger umstrittenen und technisch auch weitaus weniger aufwändigen zivilen Bereich. Hier war der konkreten Entwicklungsplanung eine umfassende Bestandsaufnahme darüber vorausgegangen, über welche Fähigkeiten die Mitgliedstaaten bereits im nationalen Rahmen verfügten. Es ging dabei nicht primär um die Erhebung quantitativer Kapazitäten, sondern vor allem um die Identifizierung sogenannter Nischenqualifikationen, also spezieller Fähigkeiten, über die bestimmte Mitgliedstaaten 33

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verfügen und welche sie der Union für das gemeinsame Krisenmanagement bereitstellen könnten. In vielen Fällen handelte es sich insbesondere um das Know-How, das sich einzelne Mitgliedstaaten aufgrund konkreter Einsatzerfahrungen im nationalen Bereich angeeignet hatten. Anders als im militärischen Bereich konnte die Union zudem auf die Erfahrung in anderen relevanten Politikbereichen der EU, wie etwa der humanitären Hilfe oder der Entwicklungszusammenarbeit, zurückgreifen. Noch bevor der Fähigkeitsbedarf in den einzelnen Bereichen näher ausformuliert wurde, gab es daher eine eingehende Erhebung bereits bestehender gemeinschaftlicher Strukturen und Kapazitäten. Zahlreiche daraus erworbene Erkenntnisse sind auch in den Planungsprozess eingeflossen, der schließlich zur Festlegung der konkreten Planziele in den einzelnen zivilen Prioritätsbereichen führte. Trotz der unterschiedlichen Rahmenbedingungen folgte die Fähigkeitsentwicklung im zivilen und im militärischen Bereich einem ähnlichen formalen Arbeitsmuster. Auf die Ausarbeitung von generischen Planungsszenarien folgte die Erstellung von detaillierten Anforderungskatalogen entsprechend einer globalen Bedarfsanalyse. Daraufhin gab es sogenannte Nennungsaufrufe (calls for contributions), also formelle Aufforderungen an die Mitgliedstaaten, Kapazitäten in den jeweiligen Kategorien bekanntzugeben. Die tatsächliche Einmeldung durch die Mitgliedstaaten erfolgte im Rahmen von Geberkonferenzen (Capability Commitment Conferences), die für den zivilen und den militärischen Bereich zu unterschiedlichen Zeitpunkten angesetzt wurden. Mit diesem Schritt verließ man erstmals die rein konzeptionelle Ebene in der Fähigkeitsentwicklung. Die mitgliedstaatlichen Beiträge erfolgen für alle Bereiche des EU-Krisenmanagements auf freiwilliger Basis. Tatsächliche Einmeldungen binden den betreffenden Mitgliedstaat zwar noch nicht soweit, dass Fähigkeiten im Krisenfall auch tatsächlich bereitgestellt werden müssen, jede Meldung gilt jedoch zumindest aufgrund ihrer politischen Verbindlichkeit als formelle Verpflichtung. Die beitragenden Staaten werden allerdings nicht nur dazu angehalten, zum Planziel in quantitativer Hinsicht beizutragen, sondern sind darüber hinaus auch dazu verpflichtet, ihre Fähigkeiten durch langfristig angelegte Bemühungen auch laufend auf neuesten Stand zu bringen und damit einsetzbar zu halten. Auch müssen sie aktiv am weiteren Planungsprozess teilnehmen und nach ihren Möglichkeiten sämtliche Maßnahmen zur Erreichung der Planziele mittragen. Die Ergebnisse der Bestandsaufnahme auf den Konferenzen wurden schließlich einer eingehenden Prüfung unterzogen, wobei notwendige Zusatzinformationen technischer oder organisatorischer Natur von den verantwortlichen Stellen in den Mitgliedstaaten eingeholt wurden. Die Ergebnisse der Beitragskonferenzen im zivilen Bereich waren zumindest in quantitativer Hinsicht überwältigend. Bereits bei der ersten Konferenz dieser Art im Mai 2002 wurden gleich mehrere Teilbereiche des Planzielkatalogs um ein Vielfaches übertroffen. Unmittelbar danach erkannte man aber auch die 34

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Problematik der bisherigen Verfahrensform und entschloss sich, die Planziele für wietere Beitragskonferenzen weiter zu präzisieren und vor allem stichhaltigere qualitative Kriterien für die Einmeldung zu erarbeiten. Im militärischen Bereich hingegen waren die Anforderungskataloge von Beginn an sehr detailliert. Nach der ersten Beitragskonferenz Ende 2002 wurde zunächst der sogenannte Helsinki Fortschrittskatalog (Helsinki Progress Catalogue) verfasst, der als Grundlage für den Planungsprozess dienen sollte. Weitere Arbeiten widmeten sich der Revision der mitgliedstaatlichen Beiträge und einer dementsprechenden Identifikation spezifischer Fähigkeitslücken. Die geltenden NATO-Kriterienkataloge boten ein sehr effizientes System für die detaillierte Auswertung der Ergebnisse und eine entsprechende Anpassung der Bedarfsanalyse. Demnach wurden die größten Fähigkeitslücken in den Bereichen militärische Führung, Aufklärung und im strategischen Luft- und Seetransport identifiziert. Darüber hinaus wurde eine Verbesserung bestimmter operativer Schlüsselkompetenzen eingefordert, wie etwa Durchhaltefähigkeit, Mobilität, Interoperabilität und Verlegefähigkeit. Zur Beseitigung der vorhandenen materiellen Defizite wurde ein Aktionsplan für die Fähigkeitsentwicklung zusammengestellt, im Rahmen dessen die einzelnen Schwachstellen gezielt und in sogenannten Panels gebündelt abgearbeitet werden können. Während die Fähigkeitslücken im militärischen Bereich also kategorisch ausgewiesen waren, verlief der Bewertungsprozess im zivilen Bereich weitaus informeller. In Ermangelung streng kategorisierter oder auch kategorisierbarer Anforderungskataloge war der Prozess hier langfristig auch dynamischer und in der Ausrichtung offener. In den letzten Jahren wurde das Spektrum an notwendigen zivilen Fähigkeiten schrittweise erweitert, wobei es weniger um quantitative Aspekte ging als um eine funktionelle Erweiterung des Handlungsrahmens in möglichen künftigen Krisenmanagement-Operationen. Im zivilen Rahmen der ESVP werden immer wieder neue Prioritätsbereiche hinzugenommen, wie zuletzt etwa im Falle der Überwachungsaufgaben (monitoring), der Entwaffnung und der Unterstützung bei regionalen Demobilisierungs- und Reintegrationsprozessen. Darüber hinaus werden im Zuständigkeitsbereich der Europäischen Kommission, der sogenannten ersten Säule, auch Maßnahmen unternommen, um das Zusammenspiel zwischen den zivilen Instrumenten der ESVP und den vorhandenen Kapazitäten im gemeinschaftlichen Bereich zu verbessern. Der militärische Bereich bleibt von derartigen Entwicklungen häufig allein aus praktischen Gründen abgesondert. Auch schreitet der Fähigkeitsentwicklungsprozess im militärischen Bereich nunmehr seit einigen Jahren nur sehr langsam voran. Der Grund dafür liegt einerseits in der Schwerfälligkeit der strukturellen Transformationsprozesse, die für eine Modernisierung der mitgliedstaatlichen Streitkräfte vonnöten sind und andererseits in den weitaus längeren Entwicklungsphasen, denen sämtliche Neuerungen im militärisch-technischen Bereich unterliegen. Obwohl die Gründe dafür also gewissermaßen auf der Hand 35

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liegen, ist anzumerken, dass es bislang nicht zum Vorteil für die ESVP insgesamt war, dass die Fähigkeitsentwicklungsprozesse im zivilen und militärischen Bereich so streng abgeschieden voneinander stattgefunden haben. In dieser Hinsicht zeigt sich jedoch insbesondere in den letzten Jahren ein gewisser Lerneffekt in der zivil-militärischen Fähigkeitsentwicklungsplanung. Militärische Fähigkeiten und Kapazitäten müssen im Sinne einer umfassenden Bedarfsanalyse im Kontext des zivilen Leistungsprofils bewertet werden. Umgekehrt kann auch der zivile Bereich davon profitieren, Fähigkeiten mit Blick darauf einzuordnen, ob sie auch in Kombination mit militärischen Mitteln und Kapazitäten verwertbar sind, um sie gegebenenfalls in eine bestimmte Richtung weiterzuentwickeln. Nicht zuletzt liegt darin auch das besondere Potenzial eines breiten zivilmilitärischen Handlungsspektrums, wie es der EU heute zur Verfügung steht. Die Fähigkeitsentwicklung als technische und organisatorische Aufgabe muss unabhängig von den ohnehin verschiedenen Voraussetzungen im zivilen und im militärischen Bereich immer als offener Prozess angesehen werden. Ebenso muss das gegenwärtige Leistungsprofil der EU mit Blick auf vorhandene Potenziale bewertet werden und nicht rein auf Basis bereits abrufbarer Mittel und Kapazitäten. Dieser Gedanke war es auch, der hinter der selbstsicheren, aber scheinbar verfrühten „Erklärung der Operationalität“, also der Einsatzbereitschaft und Einsatzfähigkeit der ESVP im Dezember 2001, stand. Auf dem Europäischen Rat von Laeken unterzeichneten die EU-Mitgliedstaaten eine Deklaration, die in erster Linie vermitteln sollte, dass die Union sich nicht nur dem Aufbau autonomer Fähigkeiten für die Krisen- und Konfliktbewältigung verschrieben hatte, sondern auch dazu bereit war, diese international zum Einsatz zu bringen. Der Zeitpunkt und Stil der Erklärung ist in erster Linie im Kontext der Terroranschläge vom 11. September 2001 zu sehen. Die möglichst rasche Einsetzbarkeit des operativen Instrumentariums der ESVP war auch unmittelbar nach den Ereignissen in den USA auf einer Sondersitzung des Europäischen Rates als vorrangiges Ziel genannt worden. Unabhängig von diesen situativen Zusammenhängen enthielt die Erklärung jedoch auch eine Schlüsselaussage, die für die gesamte weitere Entwicklung der ESVP Gültigkeit hat: der Aufbau von Fähigkeiten ist als dynamischer und offener Prozess angelegt, wobei durchaus auch Lernphasen mit einkalkuliert sind. Die Durchführung erster Operationen sollte demnach auch schon vor der Beseitigung sämtlicher Fähigkeitslücken erfolgen und zwar sobald grundlegende Voraussetzungen für einen operativen Einsatz gegeben sind. Die praktische Erfahrung aus bereits absolvierten Operationen und Übungen kann wiederum in den Planungsprozess für die künftige Weiterentwicklung der Fähigkeiten einfließen. Diese pragmatische Herangehensweise war vor allem in den ersten Jahren maßgeblich bei der Implementierung der ESVP. Die EU hat in einigen Fällen tatsächlich auch Operationen unternommen, in denen ein Mehr an militärischer oder ganz allgemein operativer Leistungsfähigkeit zumindest nicht geschadet hätte. Dieser „learning by doing“-Ansatz hat der 36

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EU im Zuge der ersten Operationen sehr viel Kritik eingebracht, weil in vielen Fällen von punktuellem Versagen in einer konkreten Krisensituation unmittelbar auf das Leistungspotenzial der EU insgesamt oder sogar ihre Eignung als internationaler Krisenmanager geschlossen wurde. Es wurde auch kritisiert, dass sämtliche abgeschlossenen Operationen von offizieller Seite als „Erfolge“ verbucht wurden, obwohl es sowohl in der Planungs- und Vorbereitungsphase als auch bei der Durchführung zum Teil grobe Mängel gegeben hatte. Die EU konnte in der praktischen Umsetzung der ESVP auf keinerlei operative Erfahrung zurückgreifen. Zudem waren die institutionellen Akteure, die mit der Implementierung der neuen Krisenmanagement-Politik beauftragt wurden, ihrem strukturellen Ursprung nach für ganz andere Aufgaben bestimmt und mussten erst schrittweise an die neuen Herausforderungen angepasst werden. Von Beginn an ganz besonders davon betroffen war etwa das Generalsekretariat des Rates, das seit der Gründung der ESVP den grundlegenden Wandel von einem Konferenzbüro zu einem komplexen Expertenapparat mit maßgeblichen Kompetenzen in der Durchführung sämtlicher ESVP-Aktivitäten vollziehen musste. Trotz fortbestehender Fähigkeitslücken vor allem im militärischen Bereich hat sich die EU im Rahmen der ESVP innerhalb sehr kurzer Zeit ein bemerkenswertes Spektrum an institutionellen und operativen Kompetenzen angeeignet und diese auch bereits effektiv zum Einsatz gebracht. Insgesamt kann das operative Leistungspotenzial der EU weder rein am bisherigen operativen Erfolg gemessen werden noch an der Erfüllung oder vielmehr Nicht-Erfüllung bestimmter quantitativer oder technischer Kriterien. Die Aneignung von autonomen Fähigkeiten für die Krisen- und Konfliktbewältigung ist nach wie vor ein offener Prozess. Urteile über den allgemeinen Erfolg oder Misserfolg der ESVP als politisches Projekt wären daher in jedem Fall verfrüht.

4.5. Die vertraglichen Entwicklungen: Nizza Seit der Begründung der ESVP als neue sicherheits- und verteidigungspolitische Komponente der GASP hat sich das Politikfeld mit großer Geschwindigkeit weiterentwickelt. Bezeichnend für den gesamten Verlauf erscheint dabei, dass die Umsetzung der ESVP-Krisenmanagement-Politik größtenteils unabhängig von den vertraglichen Entwicklungen vorangetrieben wurde. Der Amsterdamer Vertrag hatte insgesamt keine besonders günstige rechtliche Ausgangssituation für die Umsetzung einer autonomen EU-Krisenmanagement-Politik geschaffen. Einige zentrale Fragen, die schon seit 1992 diskutiert worden waren, konnten auch im Rahmen der Regierungskonferenz von 1996/7 keiner dauerhaften Lösung zugeführt werden. Wohl unter dem Eindruck der dramatischen Geschehnisse am Balkan wurden die neuen Bestrebungen im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich daher zunächst abseits einer primärrechtlichen Rege37

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lung verfolgt. Erst als auf den Treffen des Europäischen Rates in Köln und Helsinki bereits wesentliche Weichenstellungen für den Aufbau und die Weiterentwicklung der ESVP vorgenommen worden waren, begannen im Laufe des Jahres 2000 auch Diskussionen über eine Vertragsrevision. Die institutionellen Rahmenbedingungen für die praktische Umsetzung der ESVP wurden im Großen und Ganzen außerhalb des Rahmens der Verträge reglementiert. Es gab dabei auch nur einige wenige Aspekte, die wirklich Gegenstand für eine Änderung der Verträge gewesen wären. Ein wichtiges Beispiel dafür war etwa die veränderte Rolle der WEU, die entgegen ursprünglichen Vorhaben und nicht zuletzt entgegen den Inhalten des geltenden Amsterdamer Vertrages doch nicht als Rahmen für eine europäische Sicherheits- und Verteidigungsidentität innerhalb der NATO herangezogen werden sollte. In der Entwicklung nach 1999 hatte sich vielmehr abgezeichnet, dass die EU sämtliche Kernfunktionen der WEU übernehmen und sich dadurch außerhalb des NATO-Rahmens als eigenständiger Partner konstituieren würde. Die rechtlichen Bestimmungen dazu wurden in den sogenannten Vertrag von Nizza, den zweiten Revisionsvertrag seit der Gründung der EU, aufgenommen. Der Vertrag wurde im Dezember 2000 auf dem Europäischen Rat von Nizza beschlossen und im Februar 2001 von den Staats- und Regierungschefs unterzeichnet. Obwohl der Vertrag selbst für die ESVP einige wesentliche Veränderungen gegenüber dem Amsterdamer Vertrag mit sich brachte, entwickelte sich das neue Politikfeld auch unabhängig des tatsächlichen Inkrafttretens des Vertrages in großen Zügen weiter. Die institutionellen Strukturen der ESVP, das PSK, das Militärkomitee und der Militärstab, waren auf Basis einfacher Beschlüsse geschaffen worden und wurden daher im Vertrag von Nizza lediglich rückwirkend rechtlich verankert. Als er im Februar 2003 schließlich in Kraft trat, hatten die zuvor geschaffenen Organe der ESVP bereits längst ihre Arbeit aufgenommen. Insgesamt brachte der Vertrag von Nizza ebenso wie bereits zuvor der Vertrag von Amsterdam keine bahnbrechenden Neuerungen für die ESVP, die etwa die rechtlichen Grundvoraussetzungen für ihre praktische Umsetzung maßgeblich begünstigt oder verändert hätten. Kleinere Anpassungen gab es im Bereich der Abstimmungsverfahren innerhalb der GASP. Hier wurde das Prinzip der qualitativen Mehrheit auf Beschlüsse zur Ernennung von Sonderbeauftragten erweitert. Des Weiteren beinhaltete der Vertrag eine Änderung in Hinblick auf die Möglichkeit einer „verstärkten Zusammenarbeit“ zwischen einzelnen Mitgliedstaaten. Im Amsterdamer Vertrag war dieses Instrument für den Geltungsbereich der Europäischen Gemeinschaften und für die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit eingeführt worden; nunmehr wurde es zum Teil auf ausgewählte Bereiche der GASP ausgeweitet. Die verstärkte Zusammenarbeit sollte demnach bei der Durchführung gemeinsamer Aktionen oder der Umsetzung gemeinsamer Standpunkte möglich sein. Die Anwendung auf Fragen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen blieb allerdings ausgeschlossen. 38

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Eine weitere Angelegenheit, die im Kontext der Vertragsrevision neu diskutiert wurde, war das Verhältnis zwischen der EU und der NATO. Nachdem die WEU nun vollständig in die EU integriert werden sollte, stellte sich die Frage nach der rechtlichen und institutionellen Grundlage für eine weitere Zusammenarbeit zwischen dem Bündnis und der EU. Der folgende Abschnitt bietet eine kurze Einführung in die Thematik der sogenannten „Berlin-Plus“-Dauervereinbarungen zwischen EU und NATO.

4.6. Die „Berlin-Plus“-Dauervereinbarungen zwischen EU und NATO Die allgemeine Debatte um eine Neudefinition der institutionellen Beziehungen zwischen EU und NATO begann im Grunde genommen schon unmittelbar nach Gründung der EU und der Schaffung einer eigenen Außen- und Sicherheitspolitik für die Union. Darüber, dass das Verhältnis von Kooperation, Komplementarität und Transparenz gekennzeichnet sein sollte, war man sich bereits Anfang der Neunziger Jahre einig. Nach Ende des Kalten Krieges brach nicht nur für die EG ein neues politisches Zeitalter an, auch die NATO hatte sich unter dem Eindruck der sich verändernden globalen Rahmenbedingungen strategisch neu ausgerichtet. Insgesamt traten in dieser Zeit eine ganze Reihe neuer Aspekte in das Verhältnis zwischen den beiden Organisationen. Als sich im Rahmen der Union Bestrebungen in Richtung einer eigenen EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik abzeichneten, gab es in NATO-Kreisen zunächst eine starke Fokussierung auf die WEU und ihr institutionelles Potential, der EU dabei als operativer Arm zu dienen. Diese Idee wurde in der Folge zunächst auch in den Vertrag von Amsterdam übernommen. Der WEU wurde die Funktion zugewiesen, der EU als organisatorischer Rahmen, also gewissermaßen als Durchführungsorganisation für die Umsetzung ihrer autonomen Operationen zu dienen. Dies alles sollte sich zumindest aus der Sicht der NATO in Form einer „europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität“ (ESVI) innerhalb der Allianz abspielen. Auch wenn das Arbeitsverhältnis zwischen der WEU und der EU letztendlich auf ganz andere Weise ausgestaltet wurde und sich die ESVP klar außerhalb des NATORahmens entwickelte, stand dennoch zu keinem Zeitpunkt außer Frage, dass die NATO und die EU auch weiterhin in Sicherheitsfragen eng kooperieren würden. Nicht zuletzt bauen viele europäische Staaten in ihrer Verteidigung bis heute auf die im Rahmen der NATO geltende kollektive Beistandspflicht, also auf die Pflicht aller Mitglieder, bei Angriffen auf das Territorium der Allianz uneingeschränkte militärische Unterstützung zu leisten. 1996 wurden im NATO-Rahmen die sogenannten Berliner Beschlüsse getroffen, die sich unter anderem mit dem Thema beschäftigten, auf welche Weise die WEU künftig Zugriff auf NATO-Mittel haben und auf welche Verfahren sich die praktische Kooperation zwischen den beiden Organisationen stützen sollte. 39

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Nachdem sich Ende der Neunziger Jahre abgezeichnet hatte, dass die EU die WEU gänzlich absorbieren würde, um der NATO schließlich selbst als eigenständiger Partner gegenüber zu stehen, begannen die Diskussionen über eine Neuauflage dieser Beschlüsse. Auf Basis der Berliner Einigung von 1996 sollten neue Dauervereinbarungen mit der EU geschlossen werden. Die offiziellen Verhandlungen dazu begannen Ende des Jahres 2001, nachdem die Mitgliedstaaten auf dem Europäischen Rat von Nizza der NATO ein sehr ausführliches Verhandlungsangebot vorgelegt hatten. Ziel für die EU sollte es sein, mit der NATO gemeinsame Mechanismen zu etablieren die eine ständige gegenseitige Konsultation ermöglichen würden. Für Krisenfälle, in denen sich die EU-Mitgliedstaaten für ein Aktivwerden im Rahmen der ESVP entscheiden, die NATO hingegen selbst nicht beteiligt ist, sollten konkrete Modalitäten ausverhandelt werden, die es der Union ermöglichen, auf Mittel und Fähigkeiten der NATO zurückzugreifen. Dabei ging es insbesondere um die Verfügbarkeit von NATOPlanungs- und Kommandostrukturen, also um die Infrastruktur und die Kapazitäten, die notwendig sind, um eine Operation strategisch zu planen und umzusetzen. Darüber hinaus sollte die EU auch Zugriff auf bestimmtes militärisches Gerät bekommen, über das ihre Mitgliedstaaten selbst nicht verfügen. Dies betrifft vor allem den Bereich des strategischen Luft- und Seetransports, aber auch bestimmte Führungs- und Überwachungssysteme. Im Gegensatz zur NATO verfügte die EU nicht über permanente Kommandostrukturen, wie sie für die Durchführung einer militärischen Operation notwendig waren. Um die im Rahmen der ESVP aufgebauten Fähigkeiten also auch zum Einsatz bringen zu können, war die EU zumindest zu diesem Zeitpunkt auf eine derartige Vereinbarung mit der NATO angewiesen. Trotz aller Dringlichkeit kam es allerdings relativ spät zu einer tatsächlichen Einigung in diesen Fragen. Grund für die Verzögerungen war die ablehnende Haltung der Türkei, die sich als NATO-Mitglied gegen das sogenannte „Berlin-Plus“-Paket aussprach. Hauptanstoß für das türkische Veto waren dabei die beschränkten Mitspracherechte von Nicht-EU-Mitgliedern bei möglichen künftigen ESVP-Operationen, bei denen auf NATO-Mittel zurückgegriffen wird. Eine wesentliche Rolle spielte dabei auch die Tatsache, dass die geltenden Regelungen dem historischen Rivalen der Türkei – nämlich Griechenland – als EU-Mitgliedstaat weitaus mehr Rechte einräumte. Vor diesem Hintergrund wurde die Weiterentwicklung der militärischen Komponente der ESVP über mehrere Monate hinweg gelähmt. Angesichts des anhaltenden türkischen Widerstands gegen die Vereinbarungen äußerte der Hohe Vertreter der GASP, Javier Solana, schließlich auch den Verdacht, die Türkei wolle die Angelegenheit möglicherweise als Druckmittel im Beitrittsprozess verwenden. Zwar konnte das Kooperationsverhältnis zwischen EU und NATO in der Zwischenzeit auf praktischer Ebene weitergeführt werden, etwa im Rahmen der ESVP-Fähigkeitsentwicklung durch den Rückgriff auf NATO-Standards und 40

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Expertise – der Weg zu einer vertraglichen Absicherung blieb allerdings weiterhin versperrt. Erst im Dezember 2002 gelang es, die Türkei durch strategische und politische Zugeständnisse im Rahmen der Beitrittsverhandlungen zum Einlenken zu bewegen und damit innerhalb der NATO den notwendigen Konsens herbeizuführen. Der endgültige Beschluss über die „Berlin-Plus“ Dauervereinbarungen fiel schlussendlich am 17. März 2003 und damit nur wenige Tage vor Beginn der ersten militärischen Operation im Rahmen der ESVP: „Concordia“ in der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien.

4.7. Erste Operationen, Irak-Krise und Europäische Sicherheitsstrategie Nachdem die Einsatzbereitschaft der ESVP bereits 2001 formell deklariert worden war, begann die EU schließlich 2003, auch erste Praxistests zu absolvieren. Die ersten Operationen im Rahmen der ESVP fanden bezeichnenderweise am Westbalkan statt, also in jener Region, die durch ihre krisenhafte Entwicklung ursprünglich die Gründung der ESVP erst in Gang gebracht hatte. Den Anfang machte im Januar 2003 die EU-Polizeimission (EUPM) in Bosnien und Herzegowina als erste Operation im Rahmen des zivilen Krisenmanagements der EU. Darauf folgte die erste militärische Operation der EU, die Operation „Concordia“ in der ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien, mit Start im März desselben Jahres. Die Durchführung der Operation „Concordia“ erfolgte unter Rückgriff auf NATO-Mittel – insbesondere deren Kommandostrukturen – und war insofern die erste Funktionsprobe für die „Berlin-Plus“ Dauervereinbarungen. Die erste autonome EU-Militäroperation „Artemis“ in der Demokratischen Republik Kongo wurde ebenfalls 2003 initiiert. Im Unterschied zu „Concordia“ stützte sich die EU dabei zwar nicht auf eigene Kommandostrukturen, konnte aber unter Rückgriff auf nationale Kapazitäten Frankreichs dennoch eine autonome Operation durchführen. Die Verwendung französischer Planungs- und Führungsstrukturen erfolgte auf Basis des sogenannten „nationalen Rahmenkonzepts“ (Framework Nation Concept), das es der EU in jenen Fällen, in denen kein Rückgriff auf NATO-Mittel erfolgt und auch keine EU-eigenen Kapazitäten zur Verfügung stehen, ermöglicht, ein mitgliedstaatliches Hauptquartier zu aktivieren und für die Durchführung der Mission heranzuziehen. Dieses Modell zählt bis heute zu einer der wichtigsten Handlungsoptionen falls die EU beschließt, eine militärische Operation im Alleingang, also ohne Rückgriff auf die NATO, durchzuführen. Obwohl sich in den folgenden Monaten durchaus schon operative Erfolge einstellten, unternahm die EU ihre ersten Gehversuche in diesem Bereich doch zu einem strategisch denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn am 20. März 2003 begannen die USA mit ihrer Offensive gegen den Irak. Die folgenden Kontroversen über die internationale Rechtmäßigkeit dieses Krieges und die Zusammen41

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setzung der sogenannten „Koalition der Willigen“ (coalition of the willing), also einer Allianz von Staaten, die bereit waren, die USA zu unterstützen, führten zu einer tiefen internen Spaltung der EU. Die Uneinigkeit über den Irak-Krieg wirkte sich vor allem auf die Glaubwürdigkeit der EU als eigenständiger sicherheitspolitischer Akteur aus, und das eben zu einem Zeitpunkt, in dem im Rahmen der ESVP soeben erste operative Erfahrungen gesammelt werden sollten. Dabei erinnerte das Grundmuster hinter den politischen Zerwürfnissen an jene alteuropäischer Großmachtpolitik. Das Verhalten der einzelnen Mitgliedstaaten schien sich einzig und allein nach nationalen Interessen zu richten. Das Prinzip der aktiven und vorbehaltslosen Loyalität und Solidarität, wie es der EU-Vertrag für sämtliche sicherheits- und verteidigungspolitischen Angelegenheiten schließlich bereits vorschrieb, fand überhaupt keine Berücksichtigung. Für die ESVP brachte die nunmehrige Situation zumindest eine wichtige Erkenntnis: die Entwicklung einer eigenständigen Sicherheits- und Verteidigungspolitik für die EU konnte sich nicht wie bisher allein auf den Aufbau operativer Fähigkeiten beschränken. Es musste auch ein strategischer Rahmen für deren Einsatz definiert werden, um die Rahmenbedingungen für ein gemeinsames Vorgehen im tatsächlichen Krisenfall zu schaffen. Die Handlungsunfähigkeit der EU angesichts der Kosovo-Krise 1999 konnte noch primär auf fehlende Mittel und Instrumente zurückgeführt werden, während eine einheitliche Linie und der politische Wille durchaus gegeben waren. Im Falle der Irak-Krise ging es hingegen zu keinem Zeitpunkt der Debatte um die mögliche Unzulänglichkeit der EU in militärischer Hinsicht. Die Handlungsunfähigkeit der EU war jetzt vielmehr politisch bedingt und betraf damit die Legitimität und den Mehrwert einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik an sich. In dieser Situation wurden die Mitgliedstaaten mit der Tatsache konfrontiert, dass der Aufbau von Fähigkeiten allein nicht den Erfolg der ESVP bringen konnte, sondern dass auch ein Mindestmaß an strategischer und politischer Geschlossenheit notwendig war, um das sicherheitspolitische Potenzial der EU auch wirklich ausschöpfen zu können. Vor eben diesem Hintergrund ist auch der noch im selben Jahr unternommene Versuch zu sehen, die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Union auf eine gemeinsame konzeptuelle Grundlage zu stellen. Auf die tiefgreifende Krise rund um den Irak-Krieg folgte also ein neuerlicher großer Entwicklungsschritt in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU: die Einigung der Mitgliedstaaten auf eine gemeinsame Europäische Sicherheitsstrategie (ESS). Die ESS wurde im Dezember 2003 im Rahmen des Europäischen Rates unter dem Titel „Ein sicheres Europa in einer besseren Welt“ präsentiert und von allen Mitgliedstaaten einstimmig angenommen. Damit war erstmals ein strategischer Rahmen für die operativen Tätigkeiten im Rahmen der ESVP geschaffen worden. Die Mitgliedstaaten hatten sich erstmals offiziell über die Einschätzung der wesentlichen globalen Herausforderungen geeinigt, die im Rahmen der ESVP 42

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sowie ganz allgemein in den Außenbeziehungen der EU besondere Berücksichtigung finden sollten. Die strategischen Rahmenvorgaben der ESS bezogen sich also nicht ausschließlich auf das operative Krisenmanagement im Rahmen der ESVP, sondern auch auf die globale strategische Positionierung der EU. Auch wurden erstmals allgemeine strategische Ziele definiert und die spezifischen politischen Anforderungen besprochen, die für deren Erreichung von Relevanz sein würden. Obwohl die ESS insgesamt als wichtige Errungenschaft für die ESVP und die EU insgesamt gewertet werden konnte, wurde schon unmittelbar nach deren Veröffentlichung scharfe Kritik laut. Es wurde kritisiert, dass die ESS zwar die politischen Anforderungen für die Erreichung ihrer Ziele definiert habe, dass die Mitgliedstaaten allerdings davor zurückgeschreckt seien, auch konkrete militärische Handlungsoptionen zu nennen. Damit erfülle die ESS insgesamt nicht den Zweck einer echten „Strategie“. Die ESS fand in der Tat keine klaren Worte für die Instrumente, die für die Erreichung der genannten strategischen Ziele eingesetzt werden sollten. Auch enthielt sie keine klar formulierten Interessen, sondern hielt sich vielmehr mit der Umschreibung von „Zielen“ und „Absichten“ auf. Die ESS blieb in vielen zentralen Aspekten sehr vage und ließ durch globale Formulierungen insgesamt auch sehr viel Spielraum für Interpretationen. Dementsprechend gestaltete sich auch der Implementierungsprozess, soweit angesichts der losen Zusammenhänge betreffender Entwicklungen überhaupt von „Implementierung“ im engeren Sinne gesprochen werden kann. Einige Entwicklungen in verschiedenen Teilbereichen der ESVP können rückblickend durchaus als Maßnahmen zur Umsetzung der ESS gesehen werden. Einen Aktionsplan für die Umsetzung der einzelnen Punkte hatte es im Rahmen der ESS jedenfalls nicht gegeben. Kritiker wiesen in der Folge oft darauf hin, dass auf das allgemeine Strategiepapier eine Reihe von Teilstrategien hätte folgen müssen, um den Implementierungsprozess gezielter und effizienter zu gestalten und die allgemeinen strategischen Vorgaben sukzessive in praktische Maßnahmen umzusetzen. All dieser Kritik zum Trotz, hat die ESS in ihrer ursprünglichen Form im Laufe der Zeit doch auch den Status eines Schlüsseldokuments für die allgemeine Entwicklungsgeschichte der ESVP erlangt. Sämtliche Beschlüsse im außen- und sicherheitspolitischen Bereich haben seitdem Bezug auf die ESS genommen. Wenn das Papier also auch keine konkreten Handlungsanweisungen bot, so entfaltete es doch seine Wirkung zumindest als politisches Statement der EU an die globale Staatengemeinschaft. Die ESS dient darüber hinaus aber auch als wichtige Referenz im innereuropäischen Dialog. Diskussionen rund um eine Konkretisierung oder Neuauflage der ESS gab es in Fachkreisen schon relative lange Zeit, bevor es sich 2008 die deutsche und die französische Ratspräsidentschaft zur Aufgabe machten, die Strategieentwicklung im Rahmen der EU voranzutreiben. Ergebnis dieses Prozesses war allerdings nicht etwa eine Neuauflage oder auch nur eine substanzielle Weiterentwicklung 43

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der ESS von 2003, sondern die Vorlage eines Berichts über die bisherige Implemetierung der Strategie. 2

4.8. Der Verfassungsvertrag und seine Bedeutung für die ESVP Die Ernüchterung über den mageren Kompromiss, der mit dem Vertrag von Nizza gefunden worden war, bewog die Staats- und Regierungschefs relativ bald nach der Unterzeichnung des Vertrages, über eine weitere Revision nachzudenken. Diese sollte nach den Erfahrungen von Amsterdam und Nizza von weitaus grundlegender Natur sein, um die vertraglichen Rahmenbedingungen für die EU auf eine gänzlich neue Basis zu stellen. Kernfragen in sämtlichen Politikbereichen, die im Zuge der letzten beiden Vertragsrevisionen nicht ausreichend Berücksichtigung gefunden hatten, sollten nun systematisch analysiert und aufgearbeitet werden. Für die Erledigung dieser schwierigen und umfassenden Aufgabe wurde ein Konvent eingesetzt, also ein Kollegium bestehend aus Vertretern der mitgliedstaatlichen Regierungen und Parlamente, des Europäischen Parlaments, der Europäischen Kommission, der Beitrittsländer und -kandidaten sowie Beobachter vom Ausschuss der Regionen, vom Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Europäischen Sozialpartnern. In einem groß angelegten Brainstorming-Prozess sollten neue Lösungen für die Zukunft Europas entwickelt werden, um diese schließlich in eine europäische Verfassung einfließen lassen zu können. Das Unternehmen war sehr ambitioniert, die Konventsverhandlungen zumindest aus organisatorischer Sicht eine Meisterleistung. Im Februar 2002 nahm der Verfassungskonvent mit seinen elf Arbeitsgruppen seine Arbeit auf. Bis zum Abschluss der Verhandlungen im Juli 2003 fanden im Rahmen des Konvents hunderte Expertensitzungen statt. Das Dokumentenarchiv der Konventsverwaltung zählte über 12 000 Sitzungsprotokolle in acht verschiedenen Amtssprachen der Union. Zu den zentralen Zielsetzungen des Konvents zählten eine allgemeine Vereinfachung der vertraglichen Grundlagen, die Reform der EU-Institutionen mit Blick auf die bevorstehende große Erweiterungsrunde von 2004 und eine klarere Abgrenzung von Kompetenzen zwischen den Mitgliedstaaten und der Gemeinschaft bzw. der Union. Am 29. Oktober 2004 erfolgte in Rom die Unterzeichnung des „Vertrages über eine Verfassung für Europa“. Bezeichnenderweise war man zu diesem Zeitpunkt bereits davon abgegangen, den Vertrag als „europäische Verfassung“ zu bezeichnen. Man beugte sich damit der öffentlichen Skepsis gegenüber den vertraglichen Neuerungen und nahm Rücksicht auf die allseits geäußerte Angst vieler Unionsbürger, der Vertrag würde das Ende der nationalstaatlichen Souveränität ihrer Mitglieder herbeiführen. Was ursprünglich als 2

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Zur Weiterentwicklung der ESS siehe den Beitrag von Fabian Breuer im vorliegenden Band.

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Stärke des neuen Vertrages gedacht war – sein geschlossener Charakter als verfassungsrechtliches Gesamtwerk, das das fragmentarische Vertragswerk der Vergangenheit ablösen sollte – wurde nun zum Inbild bürgerlicher Skepsis. Für viele Beobachter und Kritiker schien ebenfalls klar, dass das öffentliche Gut einer „Verfassung“ Nationalstaaten vorbehalten bleiben müsste. Letztendlich waren die Kompromisse, die in diesem Zusammenhang eingegangen werden mussten, auch schon der Anfang vom Ende. Was sich zuvor bereits in medialen Stimmungen abgezeichnet hatte, wurde mit dem Negativausgang der Verfassungsreferenden in Frankreich und den Niederlanden Mitte 2005 Realität. Während einige Mitgliedstaaten sich dazu entschlossen, die nationalen Ratifikationsverfahren trotzdem fortzusetzen, entschieden sich andere dazu, den Prozess zunächst auf Eis zu legen. Für die Verfassungsgegner war es ein Moment des Triumphs, für die Befürworter ein Schock, der allerdings nicht allzu unerwartet kam. Dass die Verfassungsidee nicht so umgesetzt werden könnte wie ursprünglich zu Beginn des Konvents geplant, wurde schon sehr früh im Zuge der Sachverhandlungen klar. Vertreter einiger Mitgliedstaaten verwiesen schon früh auf die Problematik der Öffentlichkeitswirkung, die die Ausrufung einer „europäischen Verfassung“ in manchen nationalen Zusammenhängen haben könnte. Tatsächlich wurden damit verbundene Emotionen in einigen Mitgliedstaaten von politischen Eliten dazu missbraucht, auf innenpolitischer Ebene Stimmung gegen die europäische Mitgliedschaft zu machen. In der Endphase des europäischen Konvents sank die EU in der Gunst der Öffentlichkeit in vielen Mitgliedstaaten auf ein historisches Tief. Mit beeinflusst wurde diese negative Grundstimmung unter anderem von der Kontroverse rund um einen möglichen Beitritt der Türkei sowie die stark emotionalisierten Debatten über die potenziellen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen der damals unmittelbar bevorstehenden Osterweiterung. Insgesamt schien weder die Zeitplanung noch der vonseiten der EU eingeschlagene Stil in der Öffentlichkeitspolitik die Stimmung des Augenblicks zu treffen. Dabei hatte die bloße Abhaltung des Konvents in vielen Politikbereichen bereits entscheidende Veränderungen auf den Weg gebracht. Die Systematik und Intensität, mit der langjährige Problemthemen nun angegangen worden waren, löste in den Verhandlungen eine konstruktive und außerordentlich lösungsorientierte Eigendynamik aus. Innerhalb weniger Monate wurde eine lange Liste an klassischen Problemen in großteils sehr sachlichen Diskussionen abgearbeitet, welche im Rahmen der vorangehenden herkömmlichen Vertragsrevisionen oft gar nicht erst zur Sprache gebracht werden konnten. Das kollektive Brainstorming hatte schon allein als Interaktion bedeutende integrative Effekte. Darüber hinaus konnten in dieser Formation besonders durchdachte Lösungen erarbeitet werden, ohne dabei in erster Linie Rücksicht auf vorhandene Vertragsstrukturen nehmen zu müssen. Im Gegensatz zu den Regierungskonferenzen in Amsterdam und Nizza sollten schließlich keine reinen Vertragsänderungen ausgearbeitet 45

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werden, es ging um die Entwicklung einer „Verfassung für Europa“, einer vertraglichen Grundlage, die sämtliche Eigenheiten der erweiterten Union auf möglichst ideale Weise handhaben und reglementieren sollte. Die Nachwirkungen des Konvents zeigen sich nicht zuletzt im Umfang der Vertragsbestimmungen, die quasi unverändert in den daraufhin ausverhandelten Reformvertrag übernommen wurden. Zumindest für den Bereich der Sicherheitspolitik gilt, dass im Vertrag von Lissabon kaum weit reichende Abweichungen zum Verfassungsvertrag zu finden sind.

4.9. Der Vertrag von Lissabon: Durchbruch oder Kompromiss? Der am 1. Dezember 2009 in Kraft getretene Reformvertrag oder „Vertrag von Lissabon“ bringt für die sicherheits- und verteidigungspolitische Weiterentwicklung der EU einige grundlegende Änderungen mit sich. Zum einen erfolgte die Umbenennung der vormaligen ESVP in die GSVP, also die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Damit sollte der weiterhin bestehenden und ausgeprägten Integrationsbereitschaft zumindest einiger Mitgliedstaaten Ausdruck verliehen und Geschlossenheit signalisiert werden. Auch inhaltlich ändert sich für die ESVP/GSVP einiges. Zu den wichtigsten institutionellen Neuerungen zählt die Einsetzung eines auf zweieinhalb Jahre ernannten Präsidenten für den Rat. Bislang rotierte die Präsidentschaft gemeinsam mit dem Vorsitz, was sich insgesamt nicht sehr positiv auf dessen Kontinuität und Effizienz auswirkte. Hier sind Synergieeffekte zu erwarten, wenn die konkreten Auswirkungen dieser institutionellen Neuerung auch derzeit noch nicht abzusehen sind. Eine weitere wichtige institutionelle Neuerung ist die neu gestaltete Funktion des Hohen Vertreters/der Hohen Vertreterin, der/die nunmehr nicht mehr in Personalunion mit dem Generalsekretär des Rates agiert, sondern gleichzeitig einen der Vizepräsidenten der Kommission stellt. Durch dieses „double-hatting“ zwischen Rat und Kommission soll die interne Geschlossenheit zwischen den beiden Institutionen, die sogenannte „interpillare Kohärenz“, gefördert werden. Der Hohe Vertreter ist damit nicht mehr nur Sinnbild der intergouvernementalen GASP und ESVP/GSVP, sondern steht gleichzeitig für den gemeinschaftlichen, integrativen Bereich der Außenpolitiken der Kommission. Auch wenn diese Form der Doppelbesetzung sicherlich einiges an Integrationspotenzial mit sich bringt, so muss sich erst zeigen, wie sich die 2009 ernannte Hohe Vertreterin Catherine Ashton auch in diesem Sinne durchsetzen können wird. Als dritte und zugleich vielleicht auch am Weitesten reichende Neuerung gilt die Einrichtung eines gemeinsamen diplomatischen Dienstes (European External Action Service/EEAS) für die EU, der dem Hohen Vertreter/der Hohen Vertreterin beigestellt werden soll. Auch hier steht im Vordergrund, dass mitgliedstaatliche und ge46

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meinschaftliche Kapazitäten näher zusammen geführt werden sollen. Zum Zeitpunkt der Fertigstellung des vorliegenden Bandes war die endgültige Struktur des EEAS zwar noch nicht offengelegt, es ist allerdings davon auszugehen, dass das weltweite Netzwerk an externen Vetretungen der Kommission die Grundlage für das neue gemeinsame diplomatische System der EU-Mitgliedstaaten bilden wird. 3

5. Akteure im internationalen Krisenmanagement Die EU hat sich in den vergangenen Jahren in großen Zügen zu einem eigenständigen sicherheitspolitischen Akteur mit globaler Reichweite entwickelt. Viele Kritiker verweisen nach wie vor mit Nachdruck auf die vorwiegend militärischen Fähigkeitslücken und stellen die Kapazitäten der EU, im Sinne globaler Sicherheit einen wirklich maßgeblichen Beitrag zu leisten, offen in Frage. Dennoch kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass die EU seit dem Jahre 2003 in den unterschiedlichsten Regionen der Welt vermehrt und geschlossen als Akteur in Krisensituationen aufgetreten ist. Mittlerweile gibt es unter der Ägide der Union laufende und abgeschlossene Operationen in Bosnien, der ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien, der Demokratischen Republik Kongo, in Georgien, dem Sudan, Irak, Indonesien und in Somalia. Wenn die operativen Erfolge im Einzelnen auch strittig sind, so ist die EU – und mit ihr das europäische Integrationsprojekt an sich – mit diesen internationalen Aktivitäten in eine Entwicklungsphase getreten, die über viele Jahre und Jahrzehnte nicht zu erwarten war. Bezeichnenderweise haben sich die Mitgliedstaaten der EU dazu entschlossen, umfassende zivile und militärische Fähigkeiten aufzubauen, um diese in Krisensituationen außerhalb des Unionsgebietes wirksam und nachhaltig zum Einsatz zu bringen. Während die EU in den wenigen Jahren seit Beginn der operativen Aktivitäten zwar noch kein lückenloses und einwandfrei einsatz- und konkurrenzfähiges Leistungsprofil entwickeln konnte, so ist doch zumindest der mittelfristige Entwicklungsanspruch auf ein globales sicherheitspolitisches Wirken erkennbar. Die EU begibt sich damit in ein bereits dicht besetztes Feld mit internationalen und globalen Akteuren, die auf die Politik der globalen Friedenssicherung Einfluss nehmen möchten bzw. diese entscheidend mitzubestimmen versuchen. Die NATO hat sich in den vergangenen Jahren strategisch neu definiert und im globalen Zusammenspiel sicherheitspolitischer Akteure neu positioniert. Es drängt sich somit zumindest die Frage auf, welchen besonderen Nutzen ein Aktivwer3

Für eine weiterführende Analyse des Vertrages von Lissabon siehe den Beitrag von Nicole Alecu de Flers in vorliegendem Band.

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den der Union in diesem Politikbereich bringen könnte. Braucht die Welt tatsächlich einen weiteren Großakteur, der im Falle einer Krise für Intervention bereit steht?

6. Instrumente 6.1. Das umfassende Instrumentarium der EU Dieses Kapitel setzt sich mit den Instrumenten auseinander, die der EU zur Bewältigung von Krisen und Konflikten zur Verfügung stehen. Es ist dabei besonders zu betonen, dass die EU bereits vor der Begründung ihrer eigenen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in Form der ESVP und auch vor dem Aufbau operativer ziviler und militärischer Fähigkeiten über Mittel und Wege verfügte, vorbeugend, vermittelnd oder stabilisierend auf Krisen und Konflikte einzuwirken. Zwar bilden die Kapazitäten der EU, Operationen in den verschiedensten Regionen der Welt durchführen zu können, heute den Kern der EU-Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik. Das Leistungspotenzial der EU in diesem wichtigen Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik geht allerdings weit über den operativen Bereich hinaus. Hintergrund dieser Tatsache ist die ursprüngliche Bestimmung der EU/EG, als primär wirtschaftspolitisches Integrationsprojekt. Obwohl die außen- und sicherheitspolitischen Belange der Mitgliedstaaten traditionell außerhalb des Gemeinschaftsrahmens gehandhabt wurden, war Sicherheit doch von Anfang an ein zentrales Thema. Unter dem Eindruck der beiden Weltkriege kam der stabilisierenden Wirkung wirtschaftlicher Zusammenarbeit eine wichtige Rolle in der nachhaltigen Befriedung des europäischen Kontinents zu. Die EG war nicht nur ein aufstrebender Wirtschaftsblock, sondern insbesondere auch eine Stabilitätszone mit Vorbildwirkung und immenser politischer Attraktivität. Aus dieser globalen Stellung erwuchsen der Gemeinschaft eine Reihe von Möglichkeiten, gezielt auf das Verhalten und damit auf die weitere politische Entwicklung von Drittstaaten einzuwirken, sei es durch die positive Sogwirkung der EG als Werte- und Solidargemeinschaft oder durch verschiedene Formen der aktiven wirtschaftspolitischen Einflussnahme. Diese Instrumente hatten dabei immer auch sicherheitspolitische Relevanz. Auf Basis ihrer wirtschaftlichen Macht konnte die Gemeinschaft präventive Maßnahmen setzen oder auf die Entwicklung von Krisen und Konflikten einwirken. Die globale Stellung der EG als Wirtschaftsmacht brachte ihren Mitgliedstaaten auch größeres diplomatisches Ansehen, was der Kooperation im Rahmen der EPZ zugute kam, aber auch die Einflusskraft der Gemeinschaft insgesamt erhöhte. Ihre außerordentliche wirtschaftspolitische und diplomatische Hebelkraft konnte die EU bis heute beibehalten bzw. diese durch die Osterweiterung weiter 48

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ausbauen. Mit der Schaffung der ESVP und dem Aufbau eines eigenen operativen Instrumentariums hat die EU ihr Leistungsspektrum um eine entscheidende Komponente erweitert. Durch die Aneignung ziviler und militärischer Fähigkeiten zur Bewältigung von Krisen und Konflikten in verschiedenen Krisenregionen in Europa, Asien und Afrika hat die EU als regionaler und zunehmend auch globaler „Krisenmanager“ fundamental an Bedeutung gewonnen. Die besondere Qualität der EU als sicherheitspolitischer Akteur „der eigenen Art“ (sui generis) baut jedoch ganz wesentlich auf jenes Handlungspotenzial, das ihr im gemeinschaftlichen Rahmen schon seit Jahrzehnten zur Verfügung steht. Die neuen operativen Fähigkeiten der EU fügen sich ein in das traditionelle wirtschaftspolitische und diplomatische Spektrum der Gemeinschaft und ihrer Mitgliedstaaten und verschaffen der Union dadurch ein besonders vielseitiges sicherheitspolitisches Profil. Durch die Kombination aus strukturellen, diplomatischen und operativen Kapazitäten verfügt die EU nunmehr über eine Bandbreite an Instrumenten, die den Umfang, die Ganzheitlichkeit und das strategische Potenzial anderer vergleichbarer Organisationen, wie etwa der NATO, OSZE oder VN, bei Weitem übertrifft. Die EU reflektiert durch diese Vielseitigkeit auch die Idee wirklich umfassender Sicherheitspolitik. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts hat sich in der Krisen- und Konfliktbewältigung ein ganzheitlicher Ansatz bewährt, bei dem Konflikten etwa nicht nur mit militärischen Mitteln begegnet wird, sondern auch flankierende strukturelle Maßnahmen zur Anwendung kommen, um eine langfristige Stabilisierung einer ganzen betroffenen Region zu erzielen. Durch den Einsatz des gesamten zur Verfügung stehenden Spektrums an strukturellen, politischen und operativen Instrumenten können alle Dimensionen einer Krise – wirtschaftliche, gesellschaftliche, infrastrukturelle – gleichsam Berücksichtigung finden. Die EU bringt für diese Form des ganzheitlichen Krisenmanagements die besten Voraussetzungen mit, auch wenn die praktische Umsetzung einer derartig anspruchsvollen Konzeption von Sicherheitspolitik eine große Herausforderung darstellt. Im Folgenden werden die strukturellen und diplomatischen Instrumente besprochen, die der EU im Rahmen der ersten und zweiten Säule zur Verfügung stehen. Es ist wichtig darauf hinzuweisen, dass die EU auch abseits der ESVP über eine ganze Reihe von Instrumenten verfügt, die sie zur Bewältigung von Krisen und Konflikten einsetzen kann. 6.2. Die strukturellen und diplomatischen Instrumente der EU 6.2.1. Aussicht auf Mitgliedschaft Bedingt durch die politische und wirtschaftliche Attraktivität der EU gilt die Aussicht auf den Beitritt als durchaus mächtiges politisches Instrument, das das 49

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Verhalten von Drittstaaten entscheidend beeinflussen kann. Erste historische Beispiele für die erfolgreiche Anwendung dieses Instruments war die Demokratisierung Griechenlands, Spaniens und Portugals im Rahmen ihrer Annäherung an das europäische Integrationsprojekt. Die Aufnahme in die EG – und heute in die EU – ist an die Erfüllung bestimmter Kriterien gebunden. Die sogenannten Kopenhagener Kriterien setzen sich aus wirtschaftlichen und politischen Komponenten zusammen. Von besonderer sicherheitspolitischer Relevanz sind die Verpflichtungen, die die Beitrittsanwärter in Bezug auf die Wahrung der Menschen- und Minderheitsrechte und die Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingehen müssen. Damit ist es der EU möglich, Einfluss auf die normative Entwicklung von Staaten zu nehmen, die Interesse an einer Mitgliedschaft haben. Die geforderte Annäherung an die Grundsätze und Werte der europäischen Integrationsgemeinschaft bringt in diesen Staaten wichtige Reformprozesse auf den Weg, was oft die langfristige Entwicklung ganzer Regionen begünstigt. Die Union leistet dabei technische und finanzielle Hilfe, um die Beitrittsanwärter bei der Erreichung bestimmter Mindeststandards zu unterstützen. Seit dem Inkrafttreten des Amsterdamer Vertrages wurde dieses Instrument in breiterem Stil und mit verstärkt politischer Ausrichtung angewandt. Als besonders eindrucksvolles Beispiel gilt hier die erfolgreiche politische Transformation in Mittel- und Osteuropa nach 1989, die 2004 in einer großen Erweiterungsrunde gipfelte. Die positive Wirkung, die eine Beitrittsperspektive auf den jeweiligen Staat haben kann, ist bis heute unbestritten. In den letzten Jahren kam es allerdings immer häufiger zu Debatten hinsichtlich der Aufnahmefähigkeit der Union und den möglichen Grenzen der Erweiterung. Obwohl sich die Aufnahme neuer Mitglieder insgesamt politisch bewährt hatte, wurden Bedenken hinsichtlich einer drohenden Überdehnung der Union laut. Wie viele Mitgliedstaaten würde die EU noch aufnehmen können, ohne mittelfristig an Handlungs- und Funktionsfähigkeit zu verlieren? In dieser Hinsicht besonders kontrovers diskutiert wurde zuletzt ein möglicher Beitritt der Türkei. Aufgrund der geostrategischen Brisanz stellt die Türkei in sicherheitspolitischer Hinsicht gewissermaßen einen Sonderfall dar. Zwar ist zu erwarten, dass die Eröffnung einer klaren Beitrittsperspektive nach innen einen ebenso präventiven, stabilisierenden und transformatorischen Effekt haben würde wie in anderen Fällen. Die geographische Lage der Türkei inmitten der Krisenregion Nahost würde allerdings auch eine Reihe von Risiken und Gefahren direkt an die EU-Außengrenzen bringen. Durchaus anders gestaltet sich die Situation in Bezug auf die Staaten am Westbalkan. Im regionalen Stabilisierungsprozess nimmt die Aussicht auf eine EU-Mitgliedschaft einen zentralen Stellenwert ein. Bei der Heranführung an die Union haben die Staaten am Westbalkan zwar noch einige wesentliche Hürden zu überwinden, deren mittelfristige Aufnahme in die EU ist aber zumindest als eine der wesentlichen Zielsetzungen in der weiteren Entwicklung der Region 50

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festgeschrieben. Die Beitrittsperspektive als politisches Instrument wird künftig wohl an Bedeutung verlieren, weil keine größeren Erweitungsrunden über bestehende Kandidaten hinaus zu erwarten sind. Der grundsätzliche Mechanismus, auf den der bisherige Erfolg dieses Instruments gebaut hat, wurde allerdings im Rahmen anderer Politiken der Union bereits fortgeschrieben. Ein wichtiges Beispiel ist hier die Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP), die sich auf dasselbe Wirkungsprinzip, das Prinzip der Konditionalität, stützt, sich allerdings an Staaten ohne mittelfristige Beitrittsperspektive richtet. 4 Als Verhandlungsobjekt und Anreiz für eine politische Annäherung gilt hier nicht die Mitgliedschaft, sondern eine Reihe sonstiger Begünstigungen oder die teilweise Integration in bestimmte Bereiche der europäischen Zusammenarbeit. Die Grundlage für das Funktionieren einer solchen Annäherung an benachbarte Staaten ist wie im Falle der Beitrittsperspektive die allgemeine Attraktivität der EU als wirtschaftlicher und politischer Partner und die entsprechende Hebelwirkung, die für die EU daraus erwächst. 6.2.2. Vertragliche Beziehungen und politischer Dialog Die EU verfügt über verschiedene Möglichkeiten, um mit Drittstaaten in vertragliche Beziehungen zu treten. Unter anderem gibt es die Möglichkeit der Kooperation, der Vereinbarung, der Partnerschaft oder der Assoziierung, wobei letzteres ein besonders enges vertragliches Verhältnis mit sich bringt. Im Falle einer Krise können diese unterschiedlichen Formen vertraglicher Beziehungen zu strategischen Zwecken eingesetzt werden, also um einen der beteiligten Drittstaaten in seiner politischen Haltung zu beeinflussen. Dies geschieht entweder auf positive Weise, also durch Eröffnen der Aussicht auf Kooperation oder auf negative Weise, etwa durch die Verschiebung von Vertragsabschlüssen oder die Suspension von Verhandlungen. Die Vielfalt von Abkommensformen ermöglicht es der EU, ihre vertraglichen Beziehungen entsprechend der jeweiligen Situation zu gestalten und diese auf die spezifischen Gegebenheiten in einem Staat oder einer Region abzustimmen. Jede Vertragsform setzt bestimmte Bedingungen voraus und unterliegt außerdem einer Reihe von spezifischen Klauseln und Zusatzbestimmungen. Von besonderer Bedeutung für die Prävention und Bewältigung von Krisen durch vertragliche Beziehungen ist wiederum das Prinzip der Konditionalität, also der Bindung des (künftigen) Vertragspartners an bestimmte Auflagen. So kann die Umsetzung vertraglicher Vereinbarungen, z.B. die Auszahlung von Hilfsmitteln, von der Erfüllung bestimmter politischer Bedingungen und Aufla4

Die ENP-Staaten sind: Algerien, Armenien, Aserbaidschan, Weißrussland, Ägypten, Georgien, Israel, Jordanien, Libanon, Libyen, Moldawien, Marokko, die Palestinensergebiete, Syrien, Tunesien und die Ukraine.

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gen abhängig gemacht werden, um das Verhalten des betreffenden Staates in eine bestimmte Richtung zu lenken. Diese Form der negativen Konditionalisierung in vertraglichen Beziehungen kommt vor allem im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit besonders häufig zur Anwendung. Es werden bestimmte Rahmenbedingungen, wie z.B. die Wahrung der Menschenrechte, vorgegeben, deren Nichterfüllung allenfalls zu einer vorübergehenden oder dauerhaften Zahlungsunterbrechung führen kann. Bilaterale Verträge und Abkommen bilden eine wichtige Grundlage für den politischen Dialog mit Drittstaaten. Der Dialog mit anderen Staaten spielt oft eine entscheidende Rolle bei der Vorbeugung und Bewältigung internationaler Krisen, weshalb insgesamt oft auch von „präventiver Diplomatie“ (preventive diplomacy) gesprochen wird. Die EU und ihre Mitgliedstaaten unterhalten ein dichtes globales Netz an diplomatischen Beziehungen. Die regelmäßige Pflege bilateraler Kontakte ermöglicht es der Union, rechtzeitig Gespräche über potenzielle Sicherheitsrisiken, wie z.B. die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen oder ökologische Gefahren zu führen und damit langfristig auch ein Vertrauensverhältnis aufzubauen. Die Einbindung instabiler Staaten in das diplomatische Netzwerk der internationalen Gemeinschaft eröffnet der EU die Möglichkeit, deren Verhalten im Zusammenhang mit einer Krise gezielt zu beeinflussen und bei Bedarf Koalitionen zu bilden, die den politischen Verlauf in einer bestimmten Region insgesamt begünstigen. Neben Abkommen und bilateralen Verträgen kann politischer Dialog auch auf Grund von Erklärungen, Demarchen oder informellen diplomatischen Kontakten erfolgen, die entweder durch einzelne Mitgliedstaaten, die Präsidentschaft oder den Hohen Vertreter initiiert und gepflegt werden. Auch EU-Sonderbeauftragten kommt in dieser Hinsicht eine wichtige Präventivfunktion zu, zumal sie in der betreffenden Region persönliche Netzwerke aufbauen können, die vertrauensbildend wirken. Zudem können sie eine Vermittlerrolle zwischen zwei Streitparteien einnehmen und damit den Konfliktverlauf mediativ beeinflussen. 6.2.3. Kooperationsprogramme und Finanzhilfe Kooperationsprogramme werden von der EU unter anderem als vertrauensbildende Maßnahme und zur Stabilisierung eines Staates oder einer Region eingesetzt. Zu nennen sind hier insbesondere regionale Unterstützungsprogramme wie TACIS für Osteuropa and Zentralasien, CARDS für Südosteuropa, MEDA für den Mittelmeerraum, ALA für Asien und Lateinamerika und PHARE, ISPA und SAPARD, die als Heranführungsprogramme für Mittel- und Osteuropa eingesetzt wurden. 5 Im Rahmen dieser Programme hat die EU bislang unter anderem 5

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Technical Assistance to the Commonwealth of Indepedent States (TACIS), Community Assistance for Reconstruction, Devleopment and Stabilization (CARDS), Mésures

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Maßnahmen zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und Korruptionsbekämpfung, zur Reform von Streit- und Polizeikräften, Vorhaben im Bildungsbereich, zur gesellschaftlichen Bewusstseinsbildung und zur Stärkung der Zivilgesellschaft finanziert. Neben der Möglichkeit, diese Instrumente positiv und proaktiv zum Einsatz zu bringen, kann die EU ihre Finanzhilfe-Maßnahmen auch indirekt als Mittel der Krisenbewältigung und Prävention einsetzen, indem entsprechende Leistungen z.B. vom Einlenken der Konfliktparteien in einer Streitfrage abhängig gemacht werden. Im Falle von Verstößen gegen die Menschenrechte oder sonstigen Zwischenfällen kann die Finanzhilfe vorübergehend ausgesetzt werden. Die Auszahlung von Mitteln kann ständig und entsprechend der politischen und sicherheitspolitischen Gesamtlage in einer Region gesteuert werden. Außerdem gibt es im Rahmen der Gemeinschaft, also der ersten Säule, Finanzhilfe-Maßnahmen mit verschiedenen thematischen Ausrichtungen, die in Ergänzung zu den diversen regionalen Programmen betrieben werden. Zu nennen ist hier insbesondere die Europäische Initiative für Demokratie und Menschenrechte (European Initiative for Democracy and Human Rights/EIDHR), mit der seit 1994 verschiedene Budgetlinien der EG zur Förderung der Menschenrechte und Grundfreiheiten gebündelt werden. Die Maßnahmen im Rahmen dieser Initiative umfassen Themenbereiche wie die Stärkung der Demokratisierung, des verantwortungsvollen Regierens (good governance) und der Rechtsstaatlichkeit einschließlich Maßnahmen im Zusammenhang mit der rechtmäßigen Durchführung von Wahlen, der Stärkung der Zivilgesellschaft, Abschaffung der Todesstrafe und der Bekämpfung von Folter, Rassismus und der Diskriminierung von Minderheiten. Dieses Programm ist beispielhaft für den ganzheitlichen Charakter von EU-Themenprogrammen. Dabei tritt die EU nicht immer als direkter finanzieller Unterstützer auf, sondern fördert mitunter auch Initiativen zur Koordination zwischen Gebern oder nicht-finanzielle Unterstützungsmaßnahmen in den Bereichen Ausbildung, Beratung und Beobachtung (monitoring). Sie greift dabei zumeist auf die Kapazitäten von Nichtregierungsorganisationen und anderen Akteuren der lokalen Zivilgesellschaft zurück und wird über ihre Strukturen nur indirekt tätig. Als wichtige Kontaktstellen für regionale und thematische Programme dienen weltweit über 130 Auslandsvertretungen der Europäischen Kommission. Die Delegationen in den Vertretungen leisten Hilfestellung bei der Umsetzung von Maßnahmen im jeweiligen Land und bieten Infrastruktur, Ortskenntnisse und nicht zuletzt ein breites Netzwerk an Kontakten zu regionalen Akteuren und Vertretern der lokalen Zivilgesellschaft.

d’Accompagnement (MEDA – Euro-Mediterranean Partnership), Asia and Latin America (ALA), Poland and Hungary: Assistance for Restructuring their Economies (PHARE), Instrument for Structural Policies for Pre-Accession (ISPA) und Special Assistance Programme for Agriculture and Rural Development (SAPARD).

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6.2.4. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe Die Entwicklungszusammenarbeit (EZA) bildet nicht nur einen der Kernbereiche der gemeinschaftlichen Außenpolitik, sondern auch eine wichtige Sparte in der Präventionspolitik der EU. Die sicherheitspolitische Überlegung liegt dabei in der Bekämpfung einiger häufiger Kernursachen gewaltsamer Konflikte und damit in erster Linie bei der Bekämpfung von Hunger und Armut. Hinter dem Bestreben, eine stabilere, friedlichere und gerechtere Welt zu schaffen, stehen neben wirtschaftlichen, humanitären und sozialen Anliegen auch politische Erwägungen. Die Konsolidierung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie die Wahrung der Menschenrechte und Grundfreiheiten sind wichtige Grundvoraussetzungen für eine dauerhaft friedliche Entwicklung in einem Land und der umliegenden Region. Die EU stellt gemeinsam mit ihren Mitgliedstaaten den insgesamt größten Teil (55-60% in den letzten zehn Jahren) an der weltweit geleisteten Wirtschafts- und Entwicklungshilfe. Die institutionellen Zuständigkeiten sind dabei auf die Gemeinschaft – vertreten durch die Europäische Kommission – und die Mitgliedstaaten aufgeteilt. Die Europäische Kommission agiert gewissermaßen als „28. Geber“, übernimmt jedoch auch die Rolle der zentralen Koordinierungsinstanz für die gesamteuropäischen Beiträge in diesem Bereich. Neben der Entwicklungszusammenarbeit spielt auch die humanitäre Hilfe eine zentrale Rolle in der weltweiten Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik der EU. Sie verfügt in diesem Bereich über drei Hauptinstrumente: die Soforthilfe, die Nahrungsmittelhilfe sowie die Flüchtlingshilfe. Der Schutz von Menschenleben, die als Folge von Naturkatastrophen, Kriegen und Bürgerkriegen in Bedrohung geraten sind, steht im Vordergrund sämtlicher Bemühungen, die die EU in diesem Zusammenhang unternimmt. Die Umsetzung der Maßnahmen erfolgt in der Regel in Form kurzfristig angelegter Nothilfeprogramme, die jedoch nicht von der EU selbst durchgeführt werden, sondern in enger Kooperation mit Partnern aus der lokalen Zivilgesellschaft, anderen internationalen Organisationen oder spezialisierten Nichtregierungsorganisationen. Die EU unterhält diesbezügliche Rahmenverträge mit weltweit über 200 Partnerorganisationen, wie etwa der UNO, dem Internationalen Roten Kreuz, der Weltgesundheitsorganisation und einer Vielzahl kleinerer Organisationen. Die EU tritt in erster Linie in der Rolle des Gebers und Koordinators auf und finanziert unter anderem Hilfsmaßnahmen für Flüchtlinge und Binnenvertriebene, Hilfsgütertransporte, kurzfristige Instandsetzungs- und Wiederaufbaumaßnahmen sowie Maßnahmen zur Minenräumung, Minenwarnung und zur Vorbeugung weiterer unerwünschter Folgen. Abseits der humanitären Wirkung nehmen derartige Bemühungen einen positiven Einfluss auf die sicherheitspolitische Entwicklung in der betroffenen Region und stellen damit ein faktisch wirksames Instrument zur Prävention und Stabilisierung dar. 54

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Eines der wichtigsten Anliegen der EU in diesem Bereich war es zuletzt, die Nachhaltigkeit der Maßnahmen allgemein zu verbessern und den Übergang zwischen Sofortmaßnahmen und Langzeitprogrammen in der regionalen Kooperation und Entwicklungszusammenarbeit zu verbessern. Eine weitere wichtige Herausforderung stellt die sinnvolle Verknüpfung von entwicklungspolitischen Programmen und humanitären Maßnahmen mit handelspolitischen Aktivitäten und regional ausgerichteten Förderinitiativen dar. 6.2.5. Förderung regionaler Integration Das beste Beispiel dafür, wie regionale Integration zum Instrument für Krisenund Konfliktbewältigung werden kann, ist wohl die EU selbst. Westeuropa hat sich im Rahmen des europäischen Integrationsprozesses zu einer Stabilitätszone entwickelt, in der zwischenstaatliche Konflikte der Vergangenheit angehören. Die starke wirtschaftliche und zunehmend auch politische Vernetzung zwischen den Mitgliedstaaten hat den Kontinent offenbar nachhaltig befriedet. Auch die politische Transformation der post-sowjetischen Staaten in Mittel- und Osteuropa wurde durch deren Integration in die EU maßgeblich vorangetrieben. Auch über den europäischen Kontinent hinaus fördert und unterstützt die EU Bestrebungen nach regionaler Integration. Die Erfahrung der eigenen Erfolgsgeschichte spielt dabei eine wesentliche Rolle. Wirtschaftliche Zusammenarbeit und schrittweise politische Annäherung gelten bis heute als wirksame Instrumente für die langfristige Sicherung von Frieden und Stabilität in einer Region. Regionale Integrationsprojekte dienen dem Abbau politischer Spannungen, steigern die wirtschaftlicher Produktivität und wirken zudem vertrauensbildend. Während die EU zahlreiche internationale Kooperationsprojekte finanziell unterstützt, wie z.B. die Economic Community of West African States (ECOWAS) in Form von technischer Hilfe und partnerschaftlicher Zusammenarbeit, gehen einige Initiativen direkt von der EU selbst aus. Ein wichtiges Beispiel ist hier etwa die EuroMediterrane Partnerschaft oder der Stabilitätspakt für Südosteuropa. Die EU hat darüber hinaus die Möglichkeit, sich an regionalen Integrationsprojekten selbst zu beteiligen, wie etwa am ASEAN Regional Forum (ARF), in dem die EU durch die Troika, also den Ratsvorsitzenden, den Hohen Vertreter und den Kommissionspräsidenten vertreten wird. 6.2.6. Handelspolitische Instrumente Als größte Handelsmacht der Welt steht der EU nicht zuletzt auch eine Reihe handelspolitischer Instrumente zur Verfügung. Man spricht im Zusammenhang mit sicherheitspolitischen Aspekten auch von „strategischer Handelspolitik“. Eines der zentralen Instrumente ist jenes des präferentiellen Marktzugangs. Die EU kann durch die Erteilung, Verweigerung oder das verbindliche Angebot 55

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marktpolitischer Sonderrechte politische Verhaltensweisen von Staaten oder ganzen Regionen beeinflussen oder steuern. Allein die Aussicht auf Zugang zum europäischen Markt gilt als mächtiger Anreiz, der für politische Absichten instrumentalisiert werden kann. Dabei geht es primär nicht um die Projektion von Macht, sondern vielmehr um eine indirekte politische Einflussnahme im Sinne westlicher Werte und Grundansichten. Insgesamt kann der Marktzugang auf zwei verschiedene Arten reguliert werden: tarifär, also durch die Einhebung von Zöllen, die Vergabe von Exportsubventionen oder die Bestimmung von Kontingenten für bestimmte Produkte, oder nicht-tarifär, beispielsweise durch das Festlegen von Qualitätsstandards, die Erteilung von Kennzeichnungspflichten oder die Androhung von Strafzöllen bei Nichterfüllung. Sanktionen in Form von Wirtschaftsembargos stellen eine Sonderform der tarifären Maßnahmen dar. Dabei wird wirtschaftlicher Druck auf einen bestimmten Staat oder eine Staatengruppe ausgeübt, um eine Änderung des politischen Verhaltens herbeizuführen. Je nach Ausmaß der Handelsbeschränkungen spricht man von einem Totalembargo oder einem Teilembargo, etwa für bestimmte Produktsparten wie Waffen, Mineralien oder Treibstoff. In den meisten Fällen dienen diese Maßnahmen der Umsetzung einer entsprechenden UN-Resolution, in einigen Fällen trifft die EU jedoch auch autonome Entscheidungen. Der EU stehen darüber hinaus auch handelspolitische Instrumente spezifischeren Charakters zu Verfügung, wie z.B. die Verhängung eines Ausfuhrverbots für Gerät, das zur internen Repression oder für terroristische Zwecke genutzt werden könnte, das Einfrieren von Auslandsguthaben, das Verbot der Einräumung von Krediten sowie allgemeine oder spezifische Investitionsverbote. Diese Bündel an wirtschaftspolitischen Instrumenten, dessen Umsetzung vorwiegend dem Kompetenzbereich der ersten Säule, also der Europäischen Kommission zufällt, bildet eine der wichtigsten Komponenten im zivilen Spektrum der EU-Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik.

7. Institutionen, Strukturen und Prozesse In den ersten Jahren des Bestehens der ESVP drehte sich sehr viel um das Thema Fähigkeitsentwicklung. Insbesondere der Aufbau militärischer Kapazitäten zog großes mediales Interesse auf sich. Auch die vertraglichen Änderungen rund um den Vertrag von Nizza wurden noch sehr ausführlich diskutiert. Die institutionellen Entwicklungen im ESVP-Bereich hingegen vollzogen sich weitgehend abseits der öffentlichen Debatte. Bezeichnend für den institutionellen Entwicklungsprozess insgesamt war, dass die zunächst spärlichen Strukturen über Jahre hinweg schrittweise zu einem komplexen institutionellen Apparat ausgebaut wurden, im Rahmen dessen zahlreiche Akteure miteinander koordiniert werden mussten. Unmittelbar nach Gründung der ESVP mit den Beschlüssen von Köln 56

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und Helsinki im Jahre 1999 wurden für die Umsetzung der neuen Vorhaben einige neue Gremien geschaffen. Das bereits bestehende „Politische Komitee“ wurde in ein „Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee“ umgewandelt, es wurde ein EU-Militärausschuss (EU Military Committee/EUMC) eingerichtet und diesem wiederum wurde ein EU-Militärstab (EU Military Staff/EUMS) beigestellt. Anfang 2000 folgte die Einrichtung eines Ausschusses für die zivilen Aspekte des EU-Krisenmanagements (Committee for the Civilian Aspects of Crisis Management/CIVCOM). Die so geschaffene Grundstruktur blieb in den ersten Monaten in dieser Form erhalten und wurde nur wenig modifiziert. Solange im Rahmen der ESVP noch keine Operationen durchgeführt wurden, waren die neu geschaffenen Organe vor allem mit der Durchführung und Planung des Fähigkeitsentwicklungsprozesses im zivilen und im militärischen Bereich betraut. Ihr Aufgabenspektrum veränderte und erweiterte sich durch die Aufnahme der operativen Tätigkeiten im Rahmen der ESVP allerdings grundlegend. Überhaupt wurden die institutionellen Strukturen, die die EU-Krisenmanagement-Politik in die operative Praxis umsetzen sollten, mit zunehmender Erfahrung aus laufenden und abgeschlossenen Operationen immer weiter ausdifferenziert und damit schrittweise näher an die zentralen Herausforderungen internationaler Krisenmanagement-Einsätze herangeführt. Vor allem die ersten EU-Operationen mussten dabei zunächst auf Basis unausgereifter und zum Teil wenig funktioneller Strukturen durchgeführt werden. Der institutionelle Unterbau wurde zwar ständig weiterentwickelt, in vielen Fällen war beim zuständigen Personal jedoch insbesondere in den ersten Jahren sehr viel Improvisationstalent gefragt. Die EU und damit allen voran ihre Institutionen und Bediensteten, konnten zu Beginn der operativen Phase auf keinerlei Erfahrungen zurückgreifen. Zwar hatte man vor allem in der Planung der ersten Operationen Experten aus anderen Organisationen zu Rate gezogen. Die praktische Umsetzung und die Aufrechterhaltung immer komplexer werdender institutioneller Prozesse während das Arbeitsaufkommen mit jeder neuen Operation weiter zunahm, stellte den gesamten institutionellen Apparat aber dann doch vor sehr große Herausforderungen. Mit Zunahme der Operationen stieg insbesondere der Druck auf das institutionelle Umfeld des Hohen Vertreters und Generalsekretärs der EU. Das Ratssekretariat hat in den vergangenen Jahren sicherlich die größten strukturellen Veränderungen erfahren. Obwohl seit der Schaffung der ESVP erst wenige Jahre vergangen sind, erweist es sich schon jetzt als sehr schwierig, sämtliche institutionellen Entwicklungsschritte chronologisch aber auch inhaltlich nachzuvollziehen. Viele Änderungen erfolgten auf Basis interner Umstrukturierungsprozesse und sind daher oft nur spärlich dokumentiert. Das spricht für die pragmatische Herangehensweise, die die ESVP-Entwicklungsgeschichte bisher insgesamt gekennzeichnet hat. Für rigorose Planung und vorausschauendes Strukturmanagement waren ganz einfach auch nicht die Rahmenbedingungen gegeben. Die im Rahmen der ESVP 57

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angestrebten politischen Vorhaben mussten möglichst rasch zur Umsetzung kommen, um die Glaubwürdigkeit dieses politischen Unternehmens zu wahren, aber auch um das globale Image der EU nach den Erfahrungen der Neunziger Jahre wieder zu heben. Die institutionelle Weiterentwicklung der ESVP ist bis heute ein sehr dynamischer Prozess geblieben. Es werden ständig strukturelle Anpassungen vorgenommen, wodurch es selbst für Experten zur Herausforderung geworden ist, diese auch laufend zu verfolgen und nachzuvollziehen. Im Rahmen dieses Kapitels geht es daher auch weniger um eine detaillierte chronologische Darstellung der betreffenden Entwicklungen als um die Vermittlung eines gewissen Grundverständnisses über die Institutionen, Strukturen und Prozesse, die hinter der Krisenmanagement-Politik der EU stehen. Das folgende Schaubild soll einen Eindruck über den Umfang und Aufbau des Institutionengefüges vermitteln und dabei helfen, die im Folgenden näher beschriebenen Organe und Gremien zunächst zumindest räumlich zuzuordnen. Abbildung: Institutionelle Struktur der ESVP/GSVP 6

Europäischer Rat Rat

entscheidend

COREPER

unterstützend

GS/HV

PSK

Generalsekretariat Policy Unit

CM PD

CP CC

PMG EU MS

CIVCOM

EUMC

Lagezentrum beratend

6

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Quelle: eigene Darstellung.

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7.1. Der Europäische Rat Der Europäische Rat setzt sich aus den Staats- und Regierungschefs (sowie bis zum Vertrag von Lissabon, den Außenministern) der EU-Mitgliedstaaten zusammen und nimmt im Rahmen der GASP-Entscheidungsstrukturen den höchsten Rang ein, ist aber an der Rechtssetzung selbst nicht beteiligt. Er versammelt sich üblicherweise viermal jährlich, wobei sämtliche Politikbereiche der EU diskutiert werden. In Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik kommt dem Europäischen Rat eine besonders wichtige Rolle zu. Auf ihren Treffen legen die Vertreter der Mitgliedstaaten Leitlinien für die GASP fest und geben die grundlegenden Zielvorstellungen für die Weiterentwicklung des Politikfeldes vor. Damit sind die Beschlüsse des Europäischen Rates auch maßgeblich für die ESVP und die Krisenmanagement-Politik der EU. Der Europäische Rat ist auch jene Instanz, die für Beschlüsse über gemeinsame Strategien zuständig ist. Gemeinsame Strategien werden in Bereichen beschlossen, in denen die EUMitgliedstaaten gemeinsame Interessen verfolgen. Während der Europäische Rat die Zielvorgaben festlegt, ist der Rat der EU mit der Beschlussfassung und Durchführung betraut.

7.2. Der Rat der Europäischen Union Der Rat der EU (auch „Ministerrat“) ist das zentrale Entscheidungsorgan der EU und damit auch für sämtliche außen- und sicherheitspolitische Angelegenheiten, die die Union betreffen. Der Vorsitz (die „Präsidentschaft“) über den Rat wechselte ursprünglich im Halbjahresabstand zwischen den Mitgliedstaaten, wobei der jeweilige Regierungschef bzw. Außenminister für diese Zeit zum Ratspräsidenten wurde. Seit 2007 wird die Präsidentschaft von je drei Mitgliedstaaten über eine Zeitspanne von 18 Monaten zusammen durchgeführt, wobei formal immer noch jeweils ein Staat den Vorsitz innehat. Der Rat ist selbst ein in sich geschlossenes Organ, tagt jedoch in neun verschiedenen Formationen, wobei die Mitgliedstaaten je nach Politikfeld durch die Minister des jeweiligen Ressorts vertreten werden (z.B. durch den Justizminister im Rat für Justiz und Inneres). Der Rat spielt also auch für sämtliche anderen Politikbereiche der EU eine wesentliche Rolle. Von besonderer Bedeutung für die ESVP ist jene Ratsformation, die in erster Linie die Außenminister der Mitgliedstaaten zusammenführt: der „Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen“ (RAA/AB). Je nach Gegenstand der jeweiligen Diskussion können die Mitgliedstaaten zusätzlich auch ihre Minister für Europäische Angelegenheiten, Verteidigung, Entwicklung oder Handel in diese Formation entsenden. Im ESVP-Kontext hat es sich in den letzten Jahren bewährt, sowohl die Minister für Europäische Angelegenheiten als 59

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auch die Verteidigungsminister der Mitgliedstaaten in ESVP-relevante Entscheidungen einzubeziehen. Der europäische Reformvertrag (auch „Vertrag von Lissabon“) sieht eine formale Trennung dieser Formation vor, wobei es insbesondere einen eigenen Rat für Auswärtige Angelegenheiten geben soll, der unabhängig vom Rat für Allgemeine Angelegenheiten tagt. Darüber hinaus wurde ein Ratspräsident als permanenter Posten eingesetzt. Zwar werden die Mitgliedstaaten weiterhin im Rotationsprinzip den Vorsitz führen, zusätzlich wird jedoch ein auf 2,5 Jahre ernannter Präsident für Kontinuität sorgen.

7.3. Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV) Der Ausschuss der Ständigen Vertreter (AStV/COREPER) dient dem Rat der EU als vorbereitende und unterstützende Instanz, hat dabei allerdings durchaus auch maßgeblichen politischen Einfluss. Der AstV bereitet sämtliche Ratssitzungen vor und erhält dabei wiederum inhaltliche Unterstützung durch spezielle Arbeitsgruppen des Rates. Der Ausschuss setzt sich aus den ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten zusammen, also jenen Botschaftern, die in Brüssel die Vertretungen ihres Mitgliedstaates bei der EU leiten und ihren jeweiligen Stellvertretern. Diese verhandeln im Rahmen des Ausschusses auf Weisung ihrer Regierungen über bevorstehende Ratsbeschlüsse, diskutieren Problemfälle, in denen Kompromisse eingegangen werden oder Zugeständnisse gemacht werden müssen, um vorab eine Einigung herbeizuführen. Der AStV tagt in zwei unterschiedlichen Formationen: Die Stellvertreterformation AstV I beschäftigt sich vorwiegend mit den Bereichen Energie, Arbeitsmarktpolitik, Telekommunikation, Umwelt, Forschung und Verkehr. Der AStV II hingegen tagt auf der Ebene der ständigen Vertreter und setzt sich im Besonderen mit politisch sensiblen Fragen wie auch Angelegenheiten der Außen- und Sicherheitspolitik auseinander. Vor allem im ESVP-Bereich hat sich in den letzten Jahren allerdings ein Trend dahingehend entwickelt, dass viele inhaltliche Entscheidungen schon ausverhandelt werden, bevor sie die Ebene des AStV erreichen, nämlich auf der Ebene der Arbeitsgruppen des Rates. Daher kommt es mittlerweile eher selten vor, dass sicherheitspolitische Angelegenheiten im AStV noch inhaltlich diskutiert werden.

7.4. Der Hohe Vertreter der GASP und Generalsekretär der EU Das Amt des Hohen Vertreters der GASP war das erste Organ, das nach der Gründung der Union für die Umsetzung einer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik eingesetzt wurde. Von maßgeblicher Bedeutung für viele der folgenden Entwicklungen im Rahmen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik war die Besetzung des Postens mit Javier Solana, einem spanischen Diplomaten, der 60

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bis zu diesem Zeitpunkt unter anderem als NATO-Generalsekretär gedient hatte. Sein Naheverhältnis zur NATO, das sich vermeintlich in seiner politischen Haltung als Hoher Vertreter niederschlug, hat ihm innerhalb der EU oftmals Kritik eingebracht. Dabei konnte Solana aber durchaus auf wichtige Erfahrungen bauen, die ihm bei seiner neuen Herausforderung sicherlich von Nutzen waren. Experten haben in der Vergangenheit wiederholt darauf hingewiesen, dass Solana sich innerhalb des Generalsekretariates eine der NATO sehr ähnliche Struktur aufbauen ließ, wobei er von Beginn an auf klassische Elemente eines Militärbündnisses setzte, wie etwa die Einrichtung eines Lagezentrums und einer seinem Kabinett direkt beigeordneten Frühwarneinheit. In Sachfragen schien sich Solana aber dennoch voll und ganz den Anliegen der EU verschrieben zu haben. Eine etwaige Vorbelastung durch seine NATO-Vergangenheit zeigte sich insbesondere nicht im Zusammenhang mit den Verhandlungen rund um die „BerlinPlus“-Dauervereinbarungen zwischen EU und NATO. Solana argumentierte hier durchwegs im Sinne einer Stärkung der Position der EU, konnte damit allerdings auch nur eine Kompromisslösung erreichen. Dem Hohen Vertreter kommt im Rahmen der GASP und der ESVP eine Reihe wichtiger Funktionen zu. Gemeinsam mit dem jeweiligen Ratspräsidenten und dem Kommissionspräsidenten vertritt er als Teil der sogenannten „Troika“ die Union nach außen. Der Hohe Vertreter unterstützt und berät den Vorsitz führenden Mitgliedstaat bei der Umsetzung seiner Aufgaben im Rahmen der Präsidentschaft und gibt dabei immer wieder entscheidende Impulse, die in die Prioritätensetzung oder auch direkt in Beschlüsse einfließen. Sein Einfluss zeigte sich etwa im Zusammenhang mit der Entstehung der Europäischen Sicherheitsstrategie. Mit Ausnahme einiger kleinerer Korrekturen wurde ein von Solana verfasster Entwurf quasi wortwörtlich von den Mitgliedstaaten als gemeinsames Papier übernommen. Solana hat im Laufe seiner Amtszeit als Hoher Vertreter sicherlich GASPund ESVP-Geschichte geschrieben und sich – innerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens – laufend mehr politisches Gewicht verschafft. Von vielen Kritikern mit Skepsis betrachtet, zeigte der Erfolg, mit dem Solana seine Aufgabe erfüllte aber auch ganz klar den Nutzen, den eine direkte Außenvertretung der EU insgesamt bringen konnte. Der Ausbau seines Postens in Richtung eines EUAußenministers hatte im Rahmen der Verfassungsdebatte allerdings große Kontroversen ausgelöst. Einige Mitgliedstaaten, darunter insbesondere Großbritannien, sprachen sich insgesamt gegen die Bezeichnung eines neuen aufgewerteten Hohen Vertreters als „Außenminister“ aus. Der Beschluss, den Posten insgesamt mit mehr Kompetenzen auszustatten, fand sich dann jedoch im Reformvertrag fast unverändert wieder. Der „Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ wird künftig auch einer der Vizepräsidenten der Europäischen Kommission sein und den Vorsitz im Rat für Auswärtige Angelegenheiten führen. Außerdem soll dem 61

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Hohen Vertreter ein eigenes diplomatisches Netzwerk, ein Europäischer Auswärtiger Dienst, beigestellt werden, der über seine Delegationen die Union nach außen vertreten und den Hohen Vertreter gleichzeitig mit wichtigen Informationen aus den verschiedensten Regionen der Welt versorgen soll. Dabei fällt die vormalige Doppelfunktion als Generalsekretär des Rates. Dieser Posten wird sich künftig wieder auf die administrativen Funktionen des Sekretariates konzentrieren und in Bezug auf die außen- und sicherheitspolitischen Belange der Union keine tragende Rolle mehr spielen. Durch die Bestellung von Catherine Ashton zur ersten Hohen Vertreterin nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist eine grundsätzliche Wende in der Bedeutung der Funktion des Hohen Vertreters zu erwarten. Ashton fehlt einerseits die institutionelle Nähe zur NATO, andererseits ist anzunehmen, dass ihre Amtshandlungen stark von ihrer Doppelfunktion in der Kommission beeinflusst werden, was einerseits zu mehr Kohärenz im außen- und sicherheitspolitischen Handeln der EU beitragen könnte, andererseits aber auch Konflikpotential in sich birgt. 7.5. Das Generalsekretariat des Rates Die traditionelle Kernaufgabe des Generalsekretariates – kurz auch Ratssekretariat genannt – ist es, den Rat und die Ratspräsidentschaft organisatorisch zu unterstützen und zwar durch klassische administrative Dienste wie Konferenzmanagement, Logistik, Übersetzung, Terminkoordinierung, Arbeitsplanung, Berichterstattung, juristische Beratung, Erstellen von Tagesordnungen, Information und Infrastrukturmanagement. Seit der Schaffung des Amtes des Hohen Vertreters der GASP in Personalunion mit dem Generalsekretär Solana hat sich das institutionelle Umfeld des Sekretariats jedoch maßgeblich gewandelt. Zwar nahm ein bestimmter Kern der Belegschaft nach wie vor die klassischen Sekretariatsaufgaben wahr, darüber hinaus hatte sich jedoch eine stark ausdifferenzierte Expertenstruktur ausgebildet, die den Hohen Vertreter und Generalsekretär, insbesondere aber auch den jeweiligen Ratsvorsitz, mit einer Vielzahl von Zusatzdiensten unterstützte. Nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon und der formalen Trennung der beiden Funktionen Generalsekretär und Hoher Vertreter sind auch hier weit gehende Änderungen zu erwarten. Das Ratssekretariat gliedert sich derzeit in acht Abteilungen, sogenannte Generaldirektionen (Directorate General/DG). Die Generaldirektion A hat vor allem allgemein administrative Funktionen inne und ist für die Koordinierung der Generaldirektionen untereinander verantwortlich. Die Generaldirektion F übernimmt den Pressedienst sowie Kommunikation und Protokoll. Den übrigen Generaldirektionen sind bestimmte thematische Zuständigkeitsbereiche zugewiesen. Von besonderer Bedeutung für die ESVP ist die Generaldirektion E, die für Außenwirtschaftsbeziehungen und politisch-militärische Fragen zuständig ist (siehe Punkt 7.8.). 62

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7.6. Die Politikplanungs- und Frühwarneinheit (Politischer Stab/Policy Unit) Die sogenannte „Policy Unit“ oder „Politikplanungs- und Frühwarneinheit“ wurde im Oktober 1999 innerhalb des Ratssekretariates eingerichtet. Sie sollte zu einer allgemeinen Effizienzsteigerung des außenpolitischen Handelns der EU beitragen und in erster Linie den Hohen Vertreter bei der Erfüllung seiner Kernaufgaben unterstützen. Organisatorisch gesehen war die Einheit bislang Teil des Kabinetts des Generalsekretärs und damit des Büros des Hohen Vertreters Javier Solana. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon und der formellen Trennung der beiden Ämter bleibt die Einheit der neuen Hohen Vertreterin, Catherine Ashton, beigeordnet, wird aber zum Teil umstrukturiert bzw. vom Kerngeschäft des Sekretariates gelöst. Die Policy Unit setzte sich bislang aus abgeordneten Beamten der Mitgliedstaaten und Vertragsbediensteten des Rates zusammen. Die Beschaffenheit der Einheit war zu Zeiten Javier Solanas stark auf die Bedürfnisse seiner Doppelfunktion zugeschnitten, was sich nach den jüngsten institutionellen Reformen in der nächsten Zeit entsprechend ändern wird. Zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Bandes bestand die Policy Unit aus unterschiedlichen Task Forces, die sich aus geographischen und thematischen Schwerpunkten ergeben: • Mittelmeer/Barcelona-Prozess – Naher Osten, • Afrika, • Osteuropa und Zentralasien, • Asien, • Westbalkan und Mitteleuropa, • Horizontale Themen: Sicherheit, Konfliktprävention, Menschenrechte. Die Aufgabe der Einheit besteht vor allem darin, die internationalen Entwicklungen zu beobachten und den Hohen Vertreter/die Hohe Vertreterin in Bezug auf neue Krisensituationen und die Handlungsmöglichkeiten der EU zu beraten. Im Vordergrund der Lagebeurteilungen steht die Abschätzung dessen, ob die Interessen der EU insgesamt betroffen sind und daher Bedarf für ein gemeinsames Vorgehen besteht. Die Einheit verfasst im Auftrag des Rates, des Hohen Vertreters/der Hohen Vertreterin oder auf Eigeninitiative Positionspapiere, die dem Hohen Vertreter/der Hohen Vertreterin als Grundlage für seine/ihre Stellungnahmen gegenüber dem Rat dienen. Ihr kommt daher eine wichtige Rolle bei der Ausformulierung politischer Beschlüsse zu. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass die Funktion der langfristigen Politikplanung, wie sie ursprünglich für die Einheit vorgesehen war, in der Praxis weitaus weniger in Anspruch genommen wird als deren Frühwarnkapazitäten. Die Mitarbeiter der Policy Unit sind in der Regel mehr mit der Abwicklung des Tagesgeschäfts beschäftigt als mit der Ausarbeitung von strategischen Programmen. Die Politikplanungs- und Frühwarneinheit verfügt über ein eigenes Lagezentrum (SitCen, siehe Punkt 7.7.), das 63

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die Aufarbeitung relevanter Informationen aus verschiedenen Beobachtungsräumen sicherstellt.

7.7. Das (Gemeinsame) Lagezentrum (SitCen) Auch das Gemeinsame Lagezentrum (Joint Situation Centre/SitCen) war bislang direkt dem Kabinett des Hohen Vertreters und Generalsekretärs untergeordnet und stand dabei in ständiger Verbindung mit der Politikplanungs- und Frühwarneinheit. Es wurde im November 1999 eingerichtet und nahm – vorerst noch in Form eines Interim-Organs – im März 2000 seine Arbeit auf. Die Struktur und Ausrichtung dieses EU-Organs basiert im Wesentlichen auf seinem historischen Vorläufer, dem Lagezentrum der WEU, das 1996 im Rahmen der Wiederbelebung des Bündnisses eingerichtet worden war. Im Laufe des Jahres 2000 wurde das Lagezentrum vorübergehend mit dem neu geschaffenen EU-Militärstab zusammengelegt und daher kurzfristig auch als „Gemeinsames Lagezentrum“ (Joint Situation Centre) bezeichnet. 7 Seit 2002 ist das Lagezentrum strukturell unabhängig, steht allerdings nach wie vor in engem Arbeitskontakt mit dem EUMilitärstab. Die zentrale Aufgabe des SitCen liegt in der Überwachung der internationalen sicherheitspolitischen Lage im Hinblick auf Entwicklungen und Situationen, die die Interessen der EU betreffen könnten. Regionale Konfliktherde, Terrorismus und Proliferation von Massenvernichtungswaffen bilden die zentralen Referenzbereiche dieser Überwachungstätigkeit. Das Lagezentrum arbeitet dabei ausschließlich auf analytischer Ebene, führt also selbst keine Aufklärungsoperationen durch. Das SitCen ist seit dem Beginn der EUPM in Bosnien und Herzegowina am 1. Januar 2003 rund um die Uhr besetzt und versucht, eine möglichst umfassende Überwachung der internationalen Lage zu gewährleisten. 8 Das Lagezentrum erhält seine Arbeitsvorgaben in erster Linie vom Hohen Vertreter für die GASP bzw. seit Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages von der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik – Catherine Ashton. 7

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Die Bezeichnung „Gemeinsames Lagezentrum“ (Joint Situation Centre) ist zum Teil heute noch in Verwendung, allerdings nicht, um auf die Doppelzuordnung hinzuweisen, sondern um auf die gemeinsame europäische Ausrichtung des Zentrums hervorzuheben. „Henry Kissinger stellte seinerzeit die Frage, wen er anrufen sollte, wenn er mit der Union sprechen wolle. In der Union gibt es nunmehr eine solche Persönlichkeit – Javier Solana – und im Lagezentrum des Politischen Stabes einen rund um die Uhr besetzten Telefondienst (Telefon +32 2 285 5000), bei dem Kissingers Nachfolger jetzt anrufen können.“ Heusgen, Christoph: Der Mister GASP und die Strategieplanungs- und Frühwarneinheit. In: Hummer, Waldemar (Hrsg.): Rechtsfragen in der Anwendung des Amsterdamer Vertrages. Wien 2001, S. 161-166, hier S. 166. Christoph Heusgen war von 1999 bis Ende des Jahres 2005 Direktor des Politischen Stabes.

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Diese wiederum entnimmt ihre Informationen unter anderem den Stellungnahmen des PSK. Das Lagezentrum unterstützt das PSK aber auch direkt durch die Bereitstellung relevanter Informationen. Die Stellungnahmen und Berichte des Lagezentrums haben großen Einfluss auf die weitere Beschlussfolge und die Arbeit in den Fachgremien des Rates, insbesondere des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK), des Militärausschusses (EUMC) und des Komitees für die zivilen Angelegenheiten des Krisenmanagements der EU (CIVCOM), denen das SitCen ebenfalls zuarbeitet. Das Lagezentrum ist über das PSK, das heißt durch die Teilnahme eines Kommissionsvertreters an den PSKSitzungen, auch indirekt mit der Europäischen Kommission verbunden. Das Europäische Parlament kann zwar mit dem Rat Beratungen über die Arbeit des Lagezentrums führen, hat darüber hinaus allerdings keinerlei institutionalisierte Beteiligungs- und Informationsrechte. Das SitCen stützt sich bei seiner Arbeit im Wesentlichen auf Informationen der Mitgliedstaaten in Form von diplomatischer Berichterstattung und Berichten nationaler Nachrichtendienste. Es ist damit auf die Kooperationsbereitschaft der Mitgliedstaaten und ihrer Nachrichtendienste angewiesen (bottom-up-Transfer). Die Pflicht der Mitgliedstaaten, das Ratssekretariat nach Möglichkeit auch mit Informationen “vertraulicher“ Art zu versorgen, wurde in einer Erklärung im Anhang des Amsterdamer Vertrages festgeschrieben. Die Tatsache, dass den Mitgliedstaaten selbst die Erwägung obliegt, welche Informationen als vertraulich eingestuft werden, hat einen lückenlosen Informationsfluss bis heute unmöglich gemacht. Wirklich sensible Informationen sind von den Transfermechanismen bislang meist ausgeschlossen. In Reaktion auf die Anschläge von Madrid im März 2004 kam es zu einer öffentlichen Debatte über die Möglichkeit, das Lagezentrum zur Zentrale eines gemeinsamen Europäischen Nachrichtendienstes auszubauen. 9 Das Ergebnis war allerdings bescheidener: im Rahmen des „Haager Programms zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der EU“ (November 2004) wurde – als Kompromiss – eine Ausweitung der Kompetenzen des Lagezentrums für den Bereich Terrorismus vorgenommen. 10 Infolge dieses Beschlusses wurde auch die interne 9

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Vereinzelte mitgliedstaatliche Impulse zum Aufbau gemeinsamer nachrichtendienstlicher Strukturen gab es schon nach den Anschlägen vom 11. September 2001. Einige Mitgliedstaaten (darunter Deutschland, Frankreich, Italien, die Niederlande, Spanien, Schweden und Großbritannien) haben ab Anfang des Jahres 2002 zusätzliche Aufklärungsexperten an das SitCen sekundiert und vermehrt sensible Informationen ihrer Auslandsnachrichtendienste zur Verfügung gestellt. Vgl. Examination of Witness: William Shapcott, Director of the Situation Centre and Special Adviser to Javier Solana examined. 3 November 2004. In: House of Lords/European Union Committee. 5th Report of Session 2004-5. March 2005, S. 55. Haager Programm zur Stärkung von Freiheit, Sicherheit und Recht in der Europäischen Union. In: Mitteilungen Amtsblatt der EU, 3. März 2005 (2005/C 53/01, Abs. 2.2).

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Struktur des Lagezentrums modifiziert. Im Sinne der neuen Aufgabenzuteilung wurde eine zivile Zelle mit nachrichtendienstlichen Kapazitäten eingerichtet, die sogenannte Civilian Intelligence Cell (CIC), die sich bis heute mit der Lagebeurteilung im Bereich des Terrorismus und der inneren Sicherheit beschäftigt. Daneben verfügt das Lagezentrum über eine Communication Unit, die sich mit Sicherheitsfragen im Bereich Kommunikation auseinandersetzt und zudem das Communications Centre (ComCen) des Rates betreibt. Die dritte organisatorische Einheit des Lagezentrums ist die General Operations Unit (GOU), welche ganzheitliche operative Unterstützung durch die Lagebeurteilung in den übrigen Bereichen leistet. Das Lagezentrum verfügt nach wie vor nicht über ein unmittelbares Zugriffsrecht auf die Informationen der nationalen Nachrichtendienste. Außerdem bleiben dem SitCen auch die polizeilichen Informationen aus den Mitgliedstaaten vorenthalten, die bislang nur Europol vorliegen. Die EU-Politik stößt damit an die Grenzen der nationalen Souveränitätsansprüche der Mitgliedstaaten. Die Einrichtung des Lagezentrums und seine Weiterentwicklung in den darauf folgenden Jahren hat allerdings dennoch zur Optimierung der Frühwarnfähigkeit der EU beigetragen und damit auch zur Verbesserung der Entscheidungsgrundlagen für die Einleitung ziviler oder militärischer Maßnahmen. Es ist davon auszugehen, dass das SitCen nach der Berufung von Catherine Ashton zur Hohen Vertreterin seine Kernaufgaben weiterführen wird. Allerdings wird das Lagezentrum ebenso an die neuen institutionellen Voraussetzungen angepasst und insbesondere aus dem Naheverhältnis gelöst werden, das bislang zum Generalsekretariat des Rates bestand.

7.8. Die DG E des Generalsekretariates Die Generaldirektion E des Generalsekretariates (Außenwirtschaftsbeziehungen und politisch-militärische Angelegenheiten) hat innerhalb der ESVP-Strukturen eine ganze Reihe wichtiger Funktionen. Sie gliedert sich in verschiedene Referate und Direktionen, die bestimmten Themenbereichen zugeordnet sind. Für die ESVP von ganz besonderer Bedeutung sind die Direktion VIII (Verteidigungsfragen), die für sämtliche militärische Angelegenheiten im ESVP-Bereich zuständig ist, und die Direktion IX (Zivile Konfliktbewältigung), die die nichtmilitärische Komponente der ESVP abdeckt. Beide Direktionen beschäftigen sich in ihrem jeweiligen Zuständigkeitsbereich mit politischen, strategischen und horizontalen Angelegenheiten des Krisenmanagements. Die beiden Direktionen haben eine Schlüsselfunktion im Fähigkeitsentwicklungsprozess und übernehmen darüber hinaus für ihren jeweiligen inhaltlichen Zuständigkeitsbereich zum Teil Aufgaben in der organisatorischen Abwicklung von KrisenmanagementEinsätzen sowie im ESVP-Trainingsbetrieb. Vor allem im Bereich Personalver66

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waltung und -entwicklung kommt den beiden Direktionen diesbezüglich eine wichtige administrative Rolle zu. Auch die Revision und Bewertung von Operationen liegt im Zuständigkeitsbereich der DG E des Generalsekretariates. Die Direktionen VIII und IX erstellen sogenannte „lessons learned“-Berichte, in denen besonders positive und negative Erfahrungen aus dem Übungsbetrieb oder von den Operationen erfasst und kategorisiert werden. Diese bilden eine wichtige Grundlage für weitere strategische Entscheidungen und nicht zuletzt auch für die weitere Fähigkeitsentwicklung. Darüber hinaus sind die beiden Direktionen für die inhaltliche Umsetzung neuer Beschlüsse in anstehenden oder laufenden Operationen zuständig. Anhand der vom Rat beschlossenen Rahmenkonzepte, etwa bezüglich der Zusammenarbeit zwischen zivilen und militärischen Komponenten, betreiben die Direktionen sogenanntes „Mainstreaming“ – sie sorgen also für die Anwendung der neuen konzeptionellen Grundsätze in sämtlichen operativen Aktivitäten, indem sie diese in anwendbare Handlungsleitlinien übersetzen und an die Planungseinheiten weitergeben. Die Funktionsweise und Grundstruktur der DG E, vor allem aber ihre Position innerhalb der ESVP-Strukturen, war in der Vergangenheit oft Gegenstand interner Debatten. Je mehr Operationen im Rahmen der ESVP eingeleitet wurden, desto breiter wurde das Spektrum an Zuständigkeiten für die beiden Direktionen. Vor allem die DG E IX litt unter dem Druck, immer mehr Aufgaben im Zusammenhang mit laufenden Operationen übernehmen zu müssen, während der Umfang an Routineaufgaben im Bereich der Fähigkeitsentwicklung, Training und Planung nicht abnahm. Grund dafür waren die schwach ausgebildeten Planungsund Kontrollstrukturen der zivilen Seite, die nur ein Ausweichen auf die Kapazitäten des Generalsekretariates als möglichen Ausweg erscheinen ließen. Diese Umstände änderten sich, als 2007 nach langjähriger Diskussion ein ziviler Planungsstab (Civilian Planning and Conduct Capacity/CPCC, siehe Punkt 7.17.) eingesetzt wurde, der die DG E IX nun zumindest bei operativen Angelegenheiten entlasten konnte. Ende 2008 begann schließlich auch die strukturelle Umgestaltung der verbleibenden DG E IX und ihrem militärischen Pendant, der DG E VIII. Die beiden Direktionen wurden zu einer neuen zivil-militärischen Einheit zusammengeführt, dem Krisenmanagement- und Planungsdirektorat (KMPD/ Crisis Management and Planning Directorate/CMPD, siehe Punkt 7.9.).

7.9. Das Krisenmanagement und Planungsdirektorat (CMPD) Seit Ende 2008 wird innerhalb des Generalsekretariats des Rates eine grundlegende Umstrukturierung vollzogen. Für die ESVP von besonderer Bedeutung waren dabei die Pläne zur Neugestaltung der Generaldirektion für Außenwirtschaftsbeziehungen und politisch-militärische Angelegenheiten (DG E, siehe oben). Eine im Laufe des ersten Halbjahres 2009 konkretisierte umfassende 67

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Reform der DG E sah unter anderem vor, dass die ihr untergeordneten Direktionen für Verteidigungsfragen (VIII) und Zivile Konfliktbewältigung (IX) zu einem integriert zivil-militärischen Krisenmanagement- und Planungsdirektorat (KMPD) zusammengelegt werden. Insgesamt umfasst dieses neue Direktorat allerdings weitaus mehr als nur die Summe der Kapazitäten der beiden vormals getrennten Sparten. Hintergrund der Umstrukturierung ist eine generelle Umschichtung der organisatorischen Kapazitäten, die in Zusammenhang mit der operativen Umsetzung von Krisenmanagement-Maßnahmen im Rahmen der ESVP stehen. Durch die Reform wird einerseits dem allseits präsenten Konzept eines integrierten bzw. umfassenden Sicherheitsansatz Rechnung getragen. Die zivile und die militärische Komponente werden organisatorisch näher zusammengeführt und im Rahmen einer integrierten Struktur gehandhabt. Andererseits kehrt die Belegschaft der ehemaligen beiden Direktorate zu einer Reihe von Kernaufgaben zurück, während Aufgaben zur operativen Abwicklung von Missionen in die neu geschaffenen Planungsstrukturen ausgelagert werden. Die Einrichtung des CMPD stellt insofern eine logische Ergänzung zum vorher geschaffenen zivilen Planungsstab (CPCC) dar.

7.10. Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee Das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK/COPS) gilt als Angelpunkt für sämtliche institutionellen Prozesse im ESVP-Bereich und ist eines der wenigen Gremien, das in den Verträgen verankert ist. Im Jahre 2000 wurde es neben dem EU-Militärausschuss und dem EU-Militärstab als eines der ersten Organe der damals noch sehr jungen ESVP geschaffen. 11 Sein Arbeitsmandat in Bezug auf die ESVP liegt in der politischen Kontrolle und strategischen Leitung von EU-Operationen. Darüber hinaus übernimmt das PSK aber auch eine wichtige Unterstützungsfunktion für den Rat. Das PSK beobachtet globale Entwicklungen mit Blick auf Herausforderungen, die die Sicherheit der EU betreffen. Auf Anfrage oder aus eigener Initiative erstellt das PSK für den Rat Stellungnahmen zu bestimmten sicherheitspolitischen Belangen und nimmt damit oft entscheidenden Einfluss auf die konkrete Ausgestaltung neuer politischer Lö11

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Das PSK hatte einen strukturellen Vorläufer und zwar in Form des Political Committee (PoCo) im Rahmen der EPZ, welche später im Zuge des Vertrages von Amsterdam in die GASP übergeführt wurde. Das PoCo wurde zunächst in die Strukturen der EU übernommen und behielt seine Kernaufgaben als Gremium für die vorbereitende Beratung zu außenpolitischen Fragen. Mit der Schaffung der ESVP wurde der Zuständigkeitsbereich des Komitees auf sicherheitspolitischer Fragen ausgeweitet. Zudem wurde die Tagungsfrequenz erhöht und das Komitee enger an die Kernstruktur der GASP herangeführt. Vgl. Duke, Simon: The Linchpin COPS. EIPA Working Paper 2005/W/05. Maastricht 2005.

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sungsansätze. Außerdem überwacht das PSK auch die Durchführung bereits vereinbarter Politiken und gibt diesbezüglich Stellungnahmen ab. Innerhalb der ESVP-Strukturen steht das PSK über der Ebene jener beiden Gremien, die sich jeweils mit den zivilen bzw. den militärischen Angelegenheiten auseinandersetzen, also über dem Ausschuss für die zivilen Aspekte des Krisenmanagements (CIVCOM) und dem EU-Militärausschuss (EUMC). Das CIVCOM und der EUMC arbeiten dem PSK in ihren Zuständigkeitsbereichen zu. Alle Ergebnisse sämtlicher GASP-Arbeitsgruppen laufen im PSK zusammen. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Politisch-Militärische Gruppe (PMG) und die Beratergruppe für Außenbeziehungen (Relex). Das PSK kann mit Angelegenheiten, die auf der Arbeitsgruppenebene keiner Lösung zugeführt werden konnten, direkt befasst werden und hat dadurch eine wichtige Rolle in der Ausgestaltung bestimmter Politiken. In den meisten Fällen erfolgt die inhaltliche Lösung spezifischer Fragen jedoch innerhalb der Arbeitsgruppen, wo auch das notwendige technische Fachwissen vorhanden ist. Das PSK tritt in zwei unterschiedlichen Formationen zusammen. Die Stellvertreterformation setzt sich aus hochrangigen Diplomaten der ständigen Vertretungen der Mitgliedstaaten, Vertretern der Kommission und einem Vertreter des Militärausschusses zusammen und tagt in der Regel zweimal wöchentlich in Brüssel. Sie ist mit dem Tagesgeschäft des PSK betraut, stellt die institutionelle Verbindung zwischen dem Hohen Vertreter und den Arbeitsgruppen dar und übernimmt dahingehend vor allem Routineaufgaben etwa im Zusammenhang mit der Abwicklung von Krisenmanagement-Einsätzen. In den meisten Fällen ist diese Formation gemeint, wenn auf das PSK verwiesen wird. Die sogenannte „Hauptstadtformation“ des PSK besteht aus den politischen Direktoren der Mitgliedstaaten, die sich wiederum nur vier- bis achtmal pro Jahr treffen. Gegenstand dieser Tagungen sind dann Angelegenheiten eher grundlegender Natur und beziehen sich auf Orientierungsfragen im GASP-Bereich.

7.11. Die Politisch-Militärische Gruppe Die Politisch-Militärische Gruppe (PMG) ist eine der vielen Arbeitsgruppen des Rates, jedoch für den gesamten ESVP-Bereich von besonderer Bedeutung. Sie arbeitet vor allem technische Details zu Querschnittsthemen aus, die Gegenstand eines Ratsbeschlusses werden sollen. Damit leistet die Gruppe vor allem wichtige Vorarbeiten für das PSK, das wiederum die Umsetzung betreffender Bestimmungen handhabt. Historisch gesehen hatte die PMG einen Vorläufer im Rahmen der Strukturen der WEU. Insgesamt gilt die Gruppe als eines jener organisatorischen Kernelemente, das für die bisherige strukturelle Gestaltung der ESVP so charakteristisch ist. Die Gruppe setzt sich aus diplomatischen Vertretern und/oder Stabsoffizieren der Mitgliedstaaten zusammen sowie aus Mitarbeitern 69

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der mitgliedstaatlichen Verteidigungsministerien. Je nach Gegenstand der Diskussionen tagt die Gruppe in verschiedenen Formationen, etwa unter Einbindung von Ausblidungs-, Logistik- oder Übungsexperten.

7.12. Der EU-Militärausschuss Der EU-Militärausschuss (EU Military Committee/EUMC) ist das zentrale und höchste Organ der militärischen Komponente der ESVP. Der Ausschuss wurde im Jahre 2000 gemeinsam mit dem ihm beigeordneten EU-Militärstab (EU Military Staff/EUMS, siehe Punkt 7.13.) geschaffen. Der Ausschuss setzt sich aus den Generalstabschefs der Mitgliedstaaten oder aus deren militärischen Delegierten zusammen – tritt also in zwei unterschiedlichen Formationen in Erscheinung. Der Vorsitzende des Militärausschusses wird vom Rat auf Empfehlung der Generalstabschefs der Mitgliedstaaten auf eine Amtszeit von drei Jahren ernannt. Dieser vertritt den Ausschuss im PSK und im Rat und bildet eine direkte Verbindung zum Militärstab. Der EUMC berät den Hohen Vertreter und das PSK in sämtlichen Fragen mit militärischem Bezug und hat damit oft entscheidenden Einfluss auf die Ausgestaltung entsprechender Rahmen-dokumente. Seine Zuständigkeitsbereiche umfassen: • Risikoberurteilung aus militärischer Sicht, • militärische Aspekte der Politischen Kontrolle und Strategischen Leitung von Krisenmanagement-Einsätzen (PSK-Kernaufgabe), • Einschätzung von Kosten für Operationen und Übungen, • Ausarbeitung, Beurteilung und Überprüfung der militärischen Implikationen von strategischen Zielsetzungen, • Angelegenheiten, die die militärischen Beziehungen mit Drittländern und anderen internationalen Organisationen betreffen. Dem EUMC obliegt die militärische Leitung sämtlicher EU-Maßnahmen im Krisenfall. Der EUMC wird in seinen Aufgaben von dem ihm beigeordneten EU-Militärstab (EUMS, siehe 7.13.) unterstützt. Auf Ersuchen des PSK erteilt der EUMC dem Generaldirektor des EUMS Grundsatzanweisungen zur Ausarbeitung militärstrategischer Optionen. Diese werden dem EUMC in der Folge zur Beurteilung und weiteren Bearbeitung vorgelegt. Die daraus resultierenden militärischen Empfehlungen werden – auf Basis der Ausarbeitungen des EUMS – vom EUMC an das PSK weitergegeben. Sobald der Rat sich auf eine der vorgelegten militärstrategischen Optionen geeinigt hat, liegt es in der Verantwortung des EUMC, entsprechende Planungsanweisungen an den militärischen Leiter der jeweiligen Operation zu geben, welcher auf dieser Basis seinerseits einen Entwurf für einen Operationsplan ausarbeitet. Der EUMC erteilt dem PSK Ratschläge und Empfehlungen hinsichtlich der Eignung und militärstrategischen 70

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Implikationen des Operationsplans und stützt sich auf entsprechende Ausarbeitungen des EUMS. Der EUMC berät das PSK auch in Bezug auf die etwaige Beendigung oder Verlängerung einer Operation. Der EUMC überwacht darüber hinaus die Umsetzung des militärischen Mandats und die Durchführung operativer Maßnahmen und steht dabei in ständigem Kontakt mit dem PSK. Die operative Verantwortung verbleibt allerdings beim Befehlshaber der Operation. In Hinblick auf die Arbeitsbeziehungen mit der zivilen Komponente der ESVP war der EUMC bislang vor allem an die strukturellen Grundvoraussetzungen gebunden, die in den ersten Jahren der ESVP-Entwicklung geschaffen worden waren. Institutionell gesehen steht der EUMC auf derselben Ebene wie der Ausschuss für die zivilen Aspekte des Krisenmanagements (CIVCOM). Im Unterschied zum CIVCOM verfügte der EUMC allerdings seit jeher über einen ihm beigeordneten Stab an beratenden Mitarbeitern – eine strukturelle Komponente, die der zivilen Seite bis vor Kurzem fehlte, nun allerdings in Form des zivilen Planungs- und Durchführungsstab (CPCC, siehe Punkt 7.17.) im Aufbau begriffen ist.

7.13. Der EU-Militärstab Der Militärstab der EU (EU Military Staff/EUMC) ist dem EU-Militärausschuss (EUMC) beigeordnet und unterstützt diesen in seinen Aufgaben. Er versorgt die militärische und politische Führung der ESVP mit militärischer Expertise und arbeitet militärstrategische Optionen für Krisenfälle aus, in denen operative Maßnahmen durch die EU erwogen werden. Der Militärstab gibt auf Anweisung des PSK oder des Hohen Vertreters Beurteilungen und Empfehlungen darüber ab, ob und in welcher Form sich die EU als militärischer Akteur in einer bestimmten Situation einbringen kann und welche militärstrategischen Implikationen sich daraus für die EU ergeben. Während des Verlaufs einer ESVPOperation liefert der Stab Einschätzungen über operative Rahmenbedingungen, gibt Lagebeurteilungen und laufend Empfehlungen ab für die Planung weiterer Schritte bzw. für die Verlängerung oder Beendigung einer Operation. Der Stab setzt sich aus abgeordnetem Militärpersonal der Mitgliedstaaten zusammen. Die Stabsoffiziere des EUMS stützen sich in ihrer Arbeit auf Informationen der mitgliedstaatlichen Nachrichtendienste und auf andere verfügbare Quellen. Der EUMS ist das strukturelle Bindeglied zwischen dem EUMC und den der EU zur Verfügung stehenden militärischen Fähigkeiten. Ihm obliegen die Überwachung, die Beurteilung und die Abgabe von Empfehlungen hinsichtlich der Streitkräfte und Fähigkeiten, die die Mitgliedstaaten der EU zur Verfügung stellen. In dieser Hinsicht arbeitet der EUMS sehr eng mit der Verteidigungsagentur (EVA/European Defence Agency/EDA) der EU zusammen. Seit 2004 verfügt der EUMS über eine zivil-militärische Zelle (CivMil Cell, siehe 71

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7.14.) und in deren Rahmen über ein Operationszentrum, das unter der Zuständigkeit des EUMS und auf Beschluss des Rates zu einem operativen Hauptquartier ausgebaut werden kann, das die EU dazu befähigt, eine eigenständige militärische Operation zu planen und durchzuführen.

7.14. Die zivil-militärische Zelle (CivMil Cell) und das Operationszentrum Der Einrichtung einer Zivil-Militärischen Zelle im EU-Militärstab Ende des Jahres 2003 ging eine heftige Grundsatzdebatte zwischen den EU-Mitgliedstaaten voran. Gegenstand der Auseinandersetzungen war eines der wohl kontroversiellsten Themen in der institutionellen Entwicklung der ESVP: die Einrichtung eigener Führungs- und Kontrollstrukturen für die EU, welche sie dazu befähigen würden, autonome Operationen ohne Rückgriff auf NATO-Mittel und Kapazitäten zu planen und durchzuführen. Auf Initiative Frankreichs sprachen sich im April 2003 Belgien, Deutschland und Luxemburg auf dem sogenannten „Pralinengipfel“ 12 für die Errichtung eines solchen eigenständigen und von den Strukturen der NATO unabhängigen Hauptquartiers für die operative Planung und Durchführung von ESVP-Operationen aus. Sie stießen damit auf heftige Ablehnung bei Mitgliedstaaten mit einer stark transatlantisch geprägten, d.h. NATO-nahen Sicherheits- und Verteidigungstradition, allen voran Großbritannien, Italien und die Niederlande. Die Schaffung der Zelle in ihrer Form und Bestimmung muss angesichts dieses ungelösten Konflikts zwischen den Mitgliedstaaten als Kompromisslösung betrachtet werden, was auch einen Großteil der funktionalen und strukturellen Defizite dieses Organs erklärt. Die zivil-militärische Zelle (Civil-Military Cell/CivMil Cell) wurde Anfang 2004 als Frühwarnungs- und Lagebeurteilungskapazität innerhalb des EU-Militärstabes eingerichtet. Die Aufgabe der Zelle während des Verlaufs einer Operation sollte es sein, den EU-Militärausschuss und das CIVCOM bei der strategischen Planung und Durchführung zu unterstützen. Dass die Zelle nunmehr zivilmilitärischen Charakter hat und damit umso mehr keinem operativen militärischen Hauptquartier nach französischem Modell entspricht, ist Teil der Kompromisslösung. Zwar wurde seitens der Befürworter argumentiert, dass ein um12

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Diese Initiative wurde von Kritikern als „Pralinengipfel“ (Chocolate Summit) charakterisiert, um einerseits die mitgliedstaatlichen Hauptakteure zu titulieren (allesamt Schokolade produzierende Nationen), andererseits aber auch, um die Eigenheit der Maßnahme an sich hervorzuheben. Frankreich, Belgien, Deutschland und Luxemburg präsentierten ihren Vorschlag im Alleingang und ohne den Versuch der Konsensfindung im EU-Rahmen. Zudem erfolgte der Vorstoß der vier Mitgliedstaaten in einer international ohnehin schon schwierigen Situation – zu Beginn des Irak-Krieges und angesichts der internen Spaltung der EU in Kriegsgegner und Befürworter.

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fassender zivil-militärischer Ansatz den aktuellen strategischen Herausforderungen gerecht würde, vor dem Hintergrund der vorangehenden politischen Auseinandersetzungen schien jedoch von Anfang an klar, dass dies auch ein Entscheidung gegen stärkere militärische Strukturen war. 13 Der zivil-militärische Charakter der Zelle wurde in der Vergangenheit oft als entscheidender Schritt in die richtige Richtung angesehen, um die ESVP-Strukturen endlich einer umfassenden, holistischen Ausrichtung zuzuführen. Tatsächlich arbeiten innerhalb der Zelle zivile (vor allem aus dem polizeilichen Bereich) und militärische Planer Seite an Seite. Auch 1-2 Vertreter der Europäischen Kommission sind ständig in die laufenden Arbeiten eingebunden. Dennoch ist anzumerken, dass die Zelle durch ihre Ansiedelung beim EU-Militärstab eine starke militärische Prägung hat, die sich auch auf ihre Analyseprodukte und Arbeitsweise auswirkt. Die Zelle sollte bis zu einem gewissen Grad auch fehlende Planungskapazitäten im zivilen Bereich ausgleichen und vor allem das CIVCOM in seiner planerischen Funktion unterstützen. Die vor kurzem erfolgte Reformierung der zivilen Planungsstrukturen und die Einrichtung eines zivilen Planungs- und Durchführungsstabes (CPCC, siehe 7.17.) zeigen jedoch, dass dies keine dauerhafte Lösung war. Zur operativen Planung und Durchführung von Operationen standen den Mitgliedstaaten zum Zeitpunkt der Einrichtung der CivMil Cell zwei organisatorische Möglichkeiten zur Verfügung: • die Ausstattung eines nationalen operativen Hauptquartiers (OHQ) auf Basis des sogenannten Framework Nation Concept (mit Unterstützung der zivil-militärischen Zelle) 14 oder • der Rückgriff auf NATO-Planungskapazitäten auf der Grundlage der Berlin-Plus Vereinbarungen. In beiden Fällen kommen also keine EU-eigenen Strukturen zum Einsatz, sondern es erfolgt ein Rückgriff auf bestehende Strukturen auf nationaler Ebene oder im Rahmen von Kooperationsabkommen mit der NATO. Seit 2007 verfügt die EU über eine dritte Option. Die zivil-militärische Zelle wurde mit einem 13

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Der zivil-militärische Charakter der Zelle war gleichzeitig auch Argument für einen Mehrwert gegenüber den bereits vorhandenen (und ausschließlich militärischen) Planungskapazitäten der NATO. Die Gegner EU-eigener Planungsstrukturen hatten stets betont, dass die entsprechenden Kapazitäten der EU niemals eine Duplizierung jener im Rahmen der NATO verfügbaren Strukturen darstellen dürften. Sollten der EU neue Fähigkeiten zugeordnet werden, so nur im Rahmen einer Ergänzung bereits vorhandener Mittel. Derzeit erfüllen 5 Mitgliedstaaten die Voraussetzungen für die Bereitstellung eines solchen Hauptquartiers: das französische OHQ in Mont Valérien, Paris; das britische OHQ in Northwood; das deutsche OHQ in Potsdam, Berlin; das italienische OHQ in Rom und das griechische OHQ in Larissa. 2003 wurde die Operation ARTEMIS im Kongo über das französische OHQ abgewickelt. EUFOR Kongo hingegen wird vom deutschen OHQ aus geführt.

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Carmen Gebhard

Operationszentrum (Operations Centre/OpCen) ausgestattet, das im Bedarfsfall innerhalb kurzer Zeit zu einem voll funktionsfähigen EU-OHQ ausgebaut werden kann. Insgesamt handelt es sich beim OpCen also nicht um eine vollwertige Stand-by-Kapazität im Sinne nationaler Hauptquartiere. Auch diese sehr eigenwillige und fachlich umstrittene Lösung muss wohl als Ergebnis eines politischen Kompromisses angesehen werden. Denn auch nach der Schaffung des OpCen verfügt die EU nicht über voll funktionsfähige militärische Planungsund Führungsstrukturen.

7.15. Das Komitee für die zivilen Aspekte des Krisenmanagements Das Komitee für die zivilen Aspekte des Krisenmanagements (CIVCOM) wurde im Mai 2000, also einige Monate nach der Einrichtung des EU-Militärausschusses und des EU-Militärstabes, geschaffen. Es setzt sich aus mittelrangigen diplomatischen Vertretern (in der Regel Botschaftsräten) der Mitgliedstaaten, einem rechtlichen Berater der Kommission und nach Bedarf auch aus Experten des Ratssekretariates zusammen und tagt je nach Arbeitsaufkommen mehrmals wöchentlich in Brüssel. Insgesamt bildet das CIVCOM die allgemeine Kompetenzzentrale für sämtliche nicht-militärischen Angelegenheiten des Krisenmanagements. Es bildet das zivile Pendant zum EU-Militärausschuss und ist somit höchstrangiges beratendes Gremium für diesen bestimmten Bereich. Institutionell gesehen untersteht das CIVCOM zwar in erster Linie dem AStV, die Arbeitsbeziehungen zum PSK spielen in der täglichen Praxis allerdings eine größere Rolle. Das Aufgabenspektrum des CIVCOM hat sich im Laufe der Zeit stetig erweitert. Zunächst war es mit sämtlichen konzeptionellen Arbeiten in Zusammenhang mit der zivilen Fähigkeitsentwicklung betraut. Dazu zählten unter anderem die Identifizierung von Prioritätsbereichen, die Festlegung der zivilen Planziele, die Erarbeitung konkreter Ziele und Leitlinien für den Einsatz der zivilen Fähigkeiten und die Koordinierung und Überwachung der Umsetzung der betreffenden Aktionspläne. Das CIVCOM behielt auch nach Abschluss der ersten Planungsphase eine zentrale Rolle im Bereich der Fähigkeitsentwicklung. Ein wichtiger Arbeitsauftrag besteht bis heute in der Prüfung und Bewertung von Möglichkeiten zur Bündelung mitgliedstaatlicher Fähigkeiten und zur Einbindung von Drittstaaten in den Fähigkeitsentwicklungsprozess der ESVP. Seine Schlüsselfunktion als Kompetenzzentrale für zivile Angelegenheiten erfüllt das CIVCOM vor allem durch die Beschaffung von einschlägigen Informationen und relevantem Praxiswissen, etwa durch die Abhaltung von Fachkonferenzen und Expertentagungen. Auf Basis umfangreicher Beratungen und der Pflege kooperativer Kontakte mit Experten anderer internationaler Organisationen und Nichtregierungsorganisationen bringt das CIVCOM wichtige inhaltliche und konzeptionelle Impulse ein, wie z.B. in den Bereichen Rekrutierung und 74

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

Ausbildung, Ausrüstung, Beschaffung oder Versorgung. Neben seinen Funktionen im Bereich der Fähigkeitsentwicklung bildet das CIVCOM auch allgemein die zentrale Arbeitseinheit für sämtliche nicht-militärische Fragen. Es versorgt andere Gremien des Rates mit Expertisen, konsulativen Beiträgen, Machbarkeits- und Rentabilitätsstudien und steht insbesondere dem PSK und dem jeweiligen Ratsvorsitz mit einschlägiger Beratung, Information, Empfehlungen und Stellungnahmen zur Verfügung. Im Rahmen ziviler Operationen oder Operationen mit zivilen Komponenten übernimmt das CIVCOM eine zentrale Rolle bei der Rekrutierung und Entsendung mitgliedstaatlichen Personals in das betreffende Krisengebiet: ihm obliegt die Koordinierung zwischen den involvierten nationalen Kontaktstellen, z.B. in den Innenministerien der Mitgliedstaaten. Das CIVCOM ist auch dazu verpflichtet, das Ratssekretariat bei der Aufrechterhaltung säulenübergreifender Kommunikation und Transparenz zu unterstützen und einen aktiven Beitrag zum Informationsfluss zwischen Rat und Kommission zu leisten. Dadurch soll in Krisengebieten, in denen sowohl gemeinschaftliche als auch ESVP-Instrumente zum Einsatz kommen, die Kohärenz im Sinne gemeinsamer Zielsetzungen verbessert werden. Eine wichtige Funktion kommt dem CIVCOM schließlich auch im Bereich der Evaluierung von Operationen zu. Die Erfahrungen und Lehren (lessons learned), die aus dem Verlauf und dem Ergebnis einer Mission gezogen werden, werden für den Rat in Form von Stellungnahmen und Empfehlungen aufgearbeitet und dienen in der Folge als wichtiger Anhaltspunkt für die Weiterentwicklung der zivilen Fähigkeiten. In diesem Zusammenhang findet ein reger Austausch zwischen dem CIVCOM und der DG E IX des Generalsekretariates statt, die für die organisatorische Umsetzung der entsprechenden Planungsempfehlungen Sorge trägt. Damit ist das CIVCOM in jeder Phase der nichtmilitärischen EUKrisenbewältigung – vom Aufbau der Fähigkeiten bis hin zu deren praktischem Einsatz und deren Weiterentwicklung – maßgeblich beteiligt. Das Arbeitsspektrum des CIVCOM hat sich im Laufe der ESVP-Entwicklung wie bei kaum einem anderen Fachgremium der ESVP laufend erweitert, was nicht nur für die Mitglieder des Komitees selbst, sondern auch für das ganze institutionelle Umfeld eine große Herausforderung darstellte. Nicht zuletzt stand das CIVCOM gerade während der ersten Operationen an vorderster Front, als die institutionellen Schwachstellen der noch jungen ESVP durch Er-findergeist und Improvisationstalent kompensiert werden mussten. Ein Großteil der Arbeitsabläufe und interinstitutionellen Verfahren ergaben sich erst im Laufe des tatsächlichen Geschehens. Zumal der Rat im Bereich der ESVP noch nicht über bewährte Strukturen und Mechanismen verfügte, musste das CIVCOM viele Entscheidungen, vor allem bei der Abwicklung und Durchführung spezifischer operativer Handlungen, situationsbedingt und ad hoc treffen. Auch heute muss im Bereich des zivilen Krisenmanagements noch sehr oft spontan gehandelt werden. Das liegt zum Teil an der Natur ziviler Operationen 75

Carmen Gebhard

selbst: mit Ausnahme von Polizeioperationen ist es bei den meisten Missionen schwierig, Parallelen zu ziehen und direkt auf die Erfahrung bereits abgeschlossener Operationen zu bauen. Zudem wurde das zivile Handlungsspektrum der ESVP in der Vergangenheit auch immer wieder auf neue Bereiche ausgeweitet (z.B. auf Überwachungsmissionen/Monitoring und Maßnahmen im Bereich der Sicherheitssektorreform), sodass dafür immer wieder erst neue Methoden und Herangehensweisen entwickelt und etabliert werden mussten. Ein weiterer Grund sind die von jeher eher schwach ausgebildeten institutionellen Strukturen, die mit der Umsetzung der zivilen Operationen betraut sind. Im Vergleich zur militärischen Sparte der ESVP und zum militärischen Pendant des CIVCOM – dem Militärausschuss – musste das CIVCOM im Laufe der Jahre ein ständig wachsendes Arbeitspensum auf sich nehmen und dabei vor allem Schwächen im administrativen Unterbau des Ratssekretariates ausgleichen. Gleichzeitig musste die Direktion für zivile Krisenbewältigung des Ratssekretariates (DG E IX) Aufgaben übernehmen, die außerhalb ihres eigentlichen Zuständigkeitsbereiches lagen. Was der zivilen Seite über die ersten Jahre hinweg fehlte, war ein institutionelles Gegenstück zum EU-Militärstab. Es wurde zunächst versucht, diesen Mangel an Kapazitäten durch eine Aufstockung des Personals und der Expertise in der DG E IX zu kompensieren, z.B. durch die Einrichtung des Polizeistabs und durch die Schaffung einer Planungs- und Einsatzunterstützungseinheit. Erst Mitte 2007 wurden die Planungskapazitäten aus dem Generalsekretariat herausgelöst, um eine eigenständige, dem Militärstab vergleichbare Struktur zu schaffen – den heutigen Zivilen Planungs- und Durchführungsstab (siehe Punkt 7.17.). Diese Reform zielte auf eine Entlastung des CIVCOM in sämtlichen Angelegenheiten, die in direktem Zusammenhang mit dem operativen Tagesgeschehen in den Einsätzen stehen. Dadurch ist es dem CIVCOM heute möglich, sich wieder mehr auf seine Kernaufgaben im konzeptionellen Bereich zu konzentrieren.

7.16. Der Polizeistab des Generalsekretariates Der Aufbau polizeilicher Kapazitäten galt im zivilen Fähigkeitsentwicklungsprozess der ESVP schon sehr früh als oberste Priorität. In diesem Kontext ist auch die Einrichtung des EU-Polizeistabes im Jahre 2001 zu sehen. Besetzt mit hochrangigen und erfahrenen Polizeioffizieren aus den Mitgliedstaaten wurde die Einheit zunächst als beratendes Organ direkt dem Hohen Vertreter und Generalsekretär unterstellt. Der Polizeistab sollte sich mit sämtlichen Angelegenheiten beschäftigen, die die polizeilichen Aspekte des EU-Krisenmanagements betreffen und übernahm insofern zunächst eine zentrale Rolle bei der Entwicklung polizeilicher Fähigkeiten. Der Polizeistab wurde dann mit der strategischen Planung und Vorbereitung der EU-Polizeimission „Concordia“ betraut, die Anfang 2003 als erste EU-Operation überhaupt an den Start ging. Ab diesem Zeitpunkt 76

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

zählte es auch zu den Aufgaben des Polizeistabes, sämtliche laufenden Einsätze, die eine polizeiliche Komponente hatten, zu leiten, zu koordinieren, zu überwachen, Lagebeurteilungen vorzunehmen und bei Bedarf planerische Korrekturen vorzunehmen. Sofern es die Gegebenheiten im Einsatzgebiet erforderten, konnte der Polizeistab beim Rat Empfehlungen für einen Abbruch, eine Modifikation oder eine Verlängerung der betreffenden Operation abgeben. Der Polizeistab hat im Laufe der ESVP-Entwicklung auch zunehmend Planungsaufgaben für andere zivile Bereiche übernommen, was vor allem daran lag, dass es im Bereich Planung und Einsatzunterstützung im zivilen Krisenmanagement seit jeher nur sehr schwach ausgebildete Strukturen gab. Dieses Problem wurde über Jahre hinweg diskutiert und schließlich erst spät einer langfristigen Lösung zugeführt. Im Rahmen von allgemeinen Umstrukturierungen wurden die personellen Kapazitäten der Polizeieinheit 2007 in einen neuen, alle Teilbereiche des nicht-militärischen Krisenmanagements umfassenden Zivilen Planungs- und Durchführungsstab (Civilian Planning and Conduct Capacity/CPCC) integriert.

7.17. Der Zivile Planungs- und Durchführungsstab (CPCC) Die institutionelle Ausgestaltung und Weiterentwicklung der zivilen ESVP wurde lange Zeit erheblich vernachlässigt. Trotz der zunehmenden Anzahl gleichzeitig laufender ziviler Missionen liefen die entsprechenden strukturellen Anpassungsmaßnahmen nur schleppend an. Erst 2007 wurde mit dem zivilen Planungsund Durchführungsstab (Civilian Planning and Conduct Capacity/CPCC) der zivilen Seite eine institutionelle Kapazität beigestellt, die dem operativen Aufkommen gewissermaßen Rechnung trägt. Aus struktureller Sicht bildet das CPCC das zivile Pendant zum EUMS, arbeitet seinerseits aber nicht dem EUMC zu, sondern dem CIVCOM. Grundsätzlich obliegt dem CPCC die operative Führung sämtlicher ziviler Missionen im ESVP-Rahmen. Damit übernimmt es im Grunde die Kernfunktionen eines zivilen OHQ. Als offizielle Bezeichnung setzte sich dennoch jene der zivilen Planungskapazität oder des Planungsstabes durch, zumal sich ansonsten wieder die sensible Frage eines eigenständigen militärischen OHQ stellen würde. Das CPCC steht in engem Arbeitskontakt mit dem CIVCOM, dem Hohen Vertreter, dem PSK, der Ratspräsidentschaft und der Europäischen Kommission. Sämtliche Fragen, die die operative Abwicklung ziviler Missionen betreffen, fallen in den Zuständigkeitsbereich des CPCC. Der Direktor des CPCC – derzeit Kees Klompenhouwer, ein niederländischer Diplomat – ist gleichzeitig EU Civilian Operations Commander. Bei der strategischen Planung und Durchführung ziviler Operationen unterliegt er den Weisungen des Hohen Vertreters und der politischen Kontrolle und strategischen Führung des PSK. Sein Stab setzt sich aus Mitarbeitern des Rates und der Kommission sowie aus mitgliedstaatlichen 77

Carmen Gebhard

Experten (seconded national experts) zusammen. Ein Großteil des Personals wurde vom vormaligen Polizeistab des Rates übernommen, welcher heute vollständig in die Strukturen des CPCC integriert ist. Die Umgestaltung des Ratssekretariates und die Einrichtung des CMPD als integrierte zivil-militärische Struktur innerhalb des Ratssekretariates sind als logische Fortführung zur Schaffung des CPCC zu sehen. Insgesamt wurde durch diese Reformschritte eine gewisse Balance in die organisatorische Struktur der ESVP gebracht, nachdem diese zuvor ein starkes militärisches Übergewicht aufgewiesen hatte.

7.18. Die Europäische Kommission Die Europäische Kommission (EK) besteht als Institution unabhängig von den Mitgliedstaaten, wird jedoch von den Regierungen der Mitgliedstaaten eingesetzt. Sie besteht derzeit aus einem Kollegium von 27 Kommissaren. Obwohl jeder Mitgliedstaat je einen Kommissar entsendet, agiert dieser nicht in Vertretung des jeweiligen Staates. Jeder Kommissar verfolgt in seinem Zuständigkeitsbereich ausschließlich die Interessen der Union. Die EK gilt als sogenanntes „supranationales“ Organ der EU, agiert also über der zwischenstaatlichen Ebene. Dabei stehen für die Europäische Kommission die Interessen der Mitgliedstaaten und ihrer Bürger im Vordergrund. Ihre zentrale Aufgabe ist es, die Einhaltung der vertragsrechtlichen Grundlagen der EU zu überwachen, weshalb sie oft auch als „Hüterin der Verträge“ bezeichnet wird. In den meisten Politikbereichen der EU-Gesetzgebung verfügt die Europäische Kommission über ein exklusives Initiativrecht, d.h. das alleinige Recht, Gesetzesentwürfe zum Beschluss vorzulegen. Im Bereich der GASP, der traditionellerweise und nach wie vor von den Mitgliedstaaten bestimmt wird, teilt sich die Kommission dieses Recht mit den Mitgliedstaaten. Für die außen- und sicherheitspolitischen Belange der EU sind neben dem Kommissar für Außenbeziehungen und die europäische Nachbarschaftspolitik insbesondere der Kommissar für Erweiterung, der Kommissar für Entwicklung und Humanitäre Hilfe und der Kommissar für Handel zuständig. Die Europäische Kommission spielt im Bereich der Krisen- und Konfliktbewältigung in zweierlei Hinsicht eine wichtige Rolle. Einerseits verfügt sie selbst innerhalb des gemeinschaftlichen Rahmens der ersten Säule über eine Reihe von Instrumenten zur Bewältigung von Krisen und Konflikten und kann auf eine jahrzehntelange Tradition struktureller Außenpolitik unter anderem in Form von regionaler Zusammenarbeit, Humanitärer Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Maßnahmen zur Stärkung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit aufbauen. Andererseits wird die Europäische Kommission auch in sämtliche Angelegenheiten der GASP und ESVP mit einbezogen – sie ist „assoziiert“. Vertreter der Kommission sind in sämtlichen Arbeitsgruppen und Organisationseinheiten des Rates 78

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

vertreten, was säulenübergreifende Transparenz und Koordinierung fördern soll. In den meisten Fällen handelt es sich dabei um Rechtsexperten, die laufende Verhandlungen und Beschlüsse aus der Sicht der Kommission bewerten und auf eventuelle Kompetenzüberschreitungen oder -überlappungen achten. Diese ständige Assoziierung der Kommission in GASP-Angelegenheiten war in der Vergangenheit häufig Gegenstand von Debatten über die Förderung säulenübergreifender Kohärenz in Sicherheitsfragen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Synergieeffekte durch dieses formelle Beteiligungsrecht beschränkt blieben.

7.19. ECHO Das EU-Büro für Humantäre Hilfe (European Humanitarian Aid Office/ECHO) wurde im Jahre 1992 im Zusammenhang mit einer allgemeinen Reform des gemeinschaftlichen Bereichs der Externen Hilfe eingerichtet. Durch das neu geschaffene Amt sollte eine zentralisierte Verwaltung und damit eine effiziente Durchführung humanitärer Hilfsprogramme ermöglicht werden. ECHO ist der Generaldirektion für Entwicklung und Humanitäre Hilfe unterstellt und betreibt vor allem Programme aus Mitteln des Gemeinschaftshaushaltes und des Europäischen Entwicklungsfonds. Es arbeitet im Wesentlichen mit kleineren Feldeinheiten, die selbst die Lageeinschätzung in Krisenregionen vornehmen und in der Folge Fürsorge- und Notmaßnahmen einleiten. Es handelt sich dabei in erster Linie um Soforthilfe, aber auch um Maßnahmen zur Prävention, Stabilisierung und zum Wiederaufbau. Wichtige Kernbereiche im Mandat von ECHO sind die Ausbildung von Einsatzpersonal, die öffentliche Thematisierung humanitärer Problematiken sowie die Kooperation mit anderen internationalen Organisationen. Die Implementierung der ECHO-Maßnahmen erfolgt durch Auslagerung (outsourcing) an Partnerorganisationen und nicht wie im Falle der ESVP durch EU-eigenes Personal, was unter anderem dazu führt, dass diese Art von Maßnahmen weniger sichtbar für die Öffentlichkeit sind. Von entscheidender Bedeutung für die Handhabung humanitärer Krisenfälle ist die Tatsache, dass ECHO über ausgelagerte Budgetlinien verfügen kann. ECHO-Maßnahmen sind von den üblichen Beschlussfassungs- und Finanzierungsmechanismen der Gemeinschaft ausgenommen, was ein rasches und flexibles Eingreifen möglich macht.

7.20. Das Europäische Amt für Zusammenarbeit (EuropeAid) EuropeAid ist eine der Generaldirektionen der Europäischen Kommission, die für die langfristige Bewältigung und strukturelle Prävention von Krisen und Konflikten von besonderer Bedeutung ist. EuropeAid wurde 2001 im Rahmen grundlegender Reformen der Kommission gegründet, um die Umsetzung der 79

Carmen Gebhard

Entwicklungshilfeprogramme der EU zu rationalisieren und damit effizienter zu gestalten. Geleitet wird das Amt vom Kommissar für Außenbeziehungen, es arbeitet allerdings eng mit dem Kommissar für Entwicklung und humanitäre Hilfe zusammen. Der Generaldirektor von EuropeAid ist für die Verwaltung der Außenhilfeinstrumente der EU zuständig. Diese werden sowohl aus dem EUBudget als auch aus dem Europäischen Entwicklungsfonds finanziert.

8. EU-Krisenmanagement-Operationen 2003-2009 Seit der Grundlegung der ESVP/GSVP Ende der Neunziger Jahre waren die operativen Fähigkeiten der EU häufig Gegenstand von Kritik. Vor allem die militärische Komponente des EU-Instrumentariums zur Krisen- und Konfliktbewältigung wird auch heute noch vielerseits als unzureichend ausgebildet oder sogar als handlungsunfähig angesehen. Ein Blick auf die Liste an zivilen und militärischen Operationen, die bislang im Rahmen der ESVP/GSVP initiiert bzw. abgeschlossen wurden, zeigt jedoch, dass sich die EU bereits ein ziemlich breites Spektrum an Instrumenten für operatives Krisenmanagement angeeignet hat. Seit 2003 wurden im Rahmen der ESVP/GSVP 24 Operationen durchgeführt, wovon insgesamt elf erfolgreich zum Abschluss gebracht werden konnten. 15 Aus dem Spektrum an Operationen wird ersichtlich, dass sich die EU in den letzten Jahren vor allem auf den zivilen Bereich konzentriert hat: 14 der bisherigen Operationen hatten ausschließlich zivilen Charakter, sechs Operationen waren/sind militärisch und drei weitere hatten/haben sowohl zivile als auch militärische Komponenten. Eine operative Landkarte zeigt, dass die EU bislang Operationen auf drei verschiedenen Kontinenten durchgeführt hat, davon sechs am Westbalkan, zwei am Südkaukasus, eine in Afghanistan, eine im Irak, neun in Afrika und eine in Indonesien. Die Zahl der bisherigen Operationen ist mit 24 bereits so groß geworden, dass eine Gruppierung in geographische Einsatzbereiche notwendig ist, um die Zahl an verschiedenen Einsätzen zu überblicken. Die folgende Gegenüberstellung soll einen Eindruck über Umfang und Verteilung der Operationen vermitteln.

15

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Es gibt in der Fachliteratur Diskussionen darüber, wie sich operativer Erfolg messen bzw. beurteilen lässt und wie die bisherigen operativen Leistungen der EU dahingehend bewertet werden können. Der EU wurde bislang in den unterschiedlichsten Zusammenhängen operatives Versagen nachgesagt, unter anderem mit Verweis auf die vermeintlich mangelnde Nachhaltigkeit der Maßnahmen, organisatorische Unregelmäßigkeiten und Probleme bei der Planung und Vorbereitung. In diesem konkreten Zusammenhang wird „Erfolg“ mit der Erfüllung des für die jeweilige Operation festgelegten Mandats gleichgesetzt, was im Übrigen auch der Argumentationsweise der EU entspricht.

Grundlagen Europäischer Sicherheitspolitik

Tabelle: ESVP/GSVP-Operationen 2003-2009 Mission

Zielstaat

Zeitraum

Charakter

Stärke

Afrika ARTEMIS AMIS II EUSEC EUPOL Kinshasa EUFOR Kongo EUPOL Kongo EU SSR EUFOR Tschad EUNAVFOR Atalanta EUTM

DR Kongo Sudan/Darfur DR Kongo DR Kongo DR Kongo DR Kongo Guinea Bissau Tschad Somalia

2003 2005-6 2005-heute 2005-7 2006 2007-heute 2008-heute 2008-9 2008-heute

mil. zivil-mil. zivil-mil. zivil mil. zivil zivil-mil. mil. mil.

1 800 51 40 30 2 300 60 39 3 700 1 500

Somalia

geplant 2010

zivil

N/A

EUBAM Rafah EUPOL COPPS EUJUST LEX

Palestinenserg. Palestinenserg. Irak

zivil zivil zivil

26 75 45

Concordia EUPM EUFOR Althea EUPOL Proxima EUPAT EULEX Kosovo

FYROM Bosnien-Herzegowina Bosnien-Herzegowina FYROM FYROM Kosovo

mil. zivil mil. zivil zivil zivil

N/A 271 1 920 N/A 30 3 200

EUBAM EUJUST Themis EUMM

Moldawien/Ukraine Georgien Georgien

2005-heute 2004-5 2008-

zivil zivil zivil

200 14 388

2005-6 2007-heute

zivil zivil

N/A 457

Mittlerer Osten 2005-heute 2006-heute 2005-heute

Westbalkan 2003 2003-heute 2004-heute 2004-5 2006 2008-heute

Kaukasus

Asien Aceh MM EUPOL

Indonesien Afghanistan

Grundsätzlich ist nicht nur anzumerken, dass sich das Einsatzspektrum der ESVP/GSVP bislang großteils auf den zivilen Bereich konzentriert, sondern dass ganz allgemein eher das untere Spektrum der Petersberg-Aufgaben vertreten ist. Mit einer maximalen Truppenstärke von rund 3 700 Mann in einer militärischen 81

Carmen Gebhard

Operation (EUFOR Tschad) bleibt die EU auch weit unter den quantitativen Maßstäben (60 000 Mann), die schon für 2003 anvisiert worden waren.

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Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

Walter Feichtinger

1. Einleitung Die Meinungen darüber gehen auseinander, ob die EU mittelfristig, also etwa um 2020, zu den „Großen“ und zu jenen Mächten gehören wird, die über die globale Ordnung und die Macht- und Ressourcenverteilung bestimmen sowie ihre Wertvorstellungen durchsetzen werden. Die wirtschaftlichen Daten sprechen zwar eindeutig dafür, die Bevölkerungsentwicklung und die politische Handlungsfähigkeit allerdings eher dagegen. Dass nur eine geschlossene EU in der Lage sein wird, die anstehenden Probleme und zukünftigen Herausforderungen zu bewältigen, steht für Viele außer Streit – in manchen politischen Diskussionen auf nationaler Ebene wird jedoch häufig der Eindruck erweckt, dass diese Erkenntnis noch nicht überall Einzug gehalten hat. Dabei ist es aus Sicht jedes Europäers keinesfalls unerheblich, ob europäische Werte- und Ordnungsvorstellungen bei der Gestaltung der Weltordnung des 21. Jahrhunderts noch bestimmend sein können, denn es geht schließlich um die Zukunft, um die Lebens- und Arbeitswelt der nächsten Generationen. EUropas Beitrag zum internationalen Krisenmanagement und zum weltweiten Frieden ist dabei sowohl Indikator für den Stand der Vertiefung als auch für die Sichtbarkeit und Handlungsfähigkeit der EU nach außen. Bei einer Untersuchung der möglichen zukünftigen Rolle der EU landet jeder Analytiker binnen Kurzem bei der Frage nach ihren Interessen und politischen Zielsetzungen. Denn das Handeln ist in der Regel von Intentionen bestimmt und vom Willen und den Fähigkeiten, diese zu realisieren. Im Falle der EU stellt sich daher zunächst die Frage, wie es um die politischen und strategischen Interessen bestellt ist und ob sie als Akteur fähig und bereit ist, geschlossen in Erscheinung zu treten. Im vorliegenden Beitrag werden daher zuerst allgemeine Überlegungen zur Bedeutung und Besonderheit strategischer Interessen angestellt und die Verhaltensweisen von Akteuren in einfacher Weise strukturiert. Im Anschluss daran geht es darum, die Besonderheiten der EU als kohärenter Akteur zu erfassen und zu fragen, in welchen Bereichen übergeordnete Interessen von Bedeutung sein können und wie sich die aktuelle Situation darstellt. Am Beispiel der gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik werden diese Überlegungen dann weiter ausgeführt, um letztlich in einem abschließenden Resümee die Relevanz und Verwirklichungschancen europäischer strategischer Interessen zu beurteilen. 85

Walter Feichtinger

2. Ziele und strategische Interessen – Antrieb und Gerüst politischen Handelns 2.1. Strategische Interessen im Allgemeinen Folgt man den gängigen politikwissenschaftlichen Theorien, so leiten sich strategische Interessen in der Politik von den langfristigen Zielsetzungen einer politischen Gemeinschaft, sei es eine Gruppe, ein Staat oder eine Staatengemeinschaft, ab. Die Festlegung von Gesamtstrategien sowie von Strategien in einzelnen Bereichen (Teilstrategien) erfolgt daher zur Realisierung der Zielsetzungen. Strategien können dabei entweder direkt (z.B. anhand von Dokumenten) oder auch indirekt (z.B. anhand von Aussagen von politischen Repräsentanten oder anhand der Interpretation bestimmter Aktivitäten oder Verhaltensweisen) dargelegt und nachvollzogen werden. Im Idealfall enthalten sie auch Angaben über die Dringlichkeiten unterschiedlicher Bereiche. Ein übergeordnetes Ziel aller politischen Gemeinschaften besteht in der Regel in der Herstellung von Sicherheit für die jeweilige Gruppe. In weiterer Folge geht es um ein geregeltes, friedliches Zusammenleben, um Interessensausgleich und um den Erhalt oder die Stärkung der eigenen Position gegenüber anderen „Konkurrenten“, also um Macht und Machtverteilung. Wer der Frage nach den strategischen Interessen eines politischen Akteurs nachgeht, sollte daher mit der Frage nach dessen politischen Zielen beginnen. Dies setzt allerdings voraus, dass der jeweilige Akteur sich seiner Zielsetzungen bewusst ist und seine Strategien stringent danach ausrichtet. Das klingt etwas eigentümlich, ist es aber nicht, denn nur selten sind die strategischen Interessen eines Staates klar definiert. Der Begriff „Strategische Interessen“ ist dabei etwas irreführend, denn eigentlich geht es um politische Interessen und Ziele, die durch die Festlegung und Umsetzung von Strategien erreicht werden sollen. Strategische Interessen sind demnach Interessen, die sich an einem langfristigen Ziel orientieren und für dessen Erreichung maßgeblich sind. Im idealtypischen Fall werden sie in einer Gesamt- und in mehreren Teilstrategien festgelegt. Diese Vorstellungen können allerdings nur dann realisiert werden, wenn die erforderlichen Mittel bereitgestellt und konsequent wie zielgerichtet eingesetzt werden. In der Praxis zeigt sich allerdings relativ häufig, dass politische Zielsetzungen und Interessen nur sehr vage formuliert sind. Entsprechend „beliebig“ erfolgt dann auch die Zuteilung der Mittel. Unklar formulierte Zielsetzungen sind somit zwar keine gute Grundlage für die Entwicklung klarer strategischer Konzepte, sie stellen allerdings ein „politisches Schlupfloch“ dar, um entweder unmissverständliche, verbindliche Aussagen und Entscheidungen vermeiden zu können oder die erforderlichen Mittel nicht (in vollem Umfang) bereitstellen zu müssen. Dieses Verhalten ist generell in vielen Politikfeldern (z.B. Bildung, Gesundheit, Soziales), im Besonderen 86

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

aber im Bereich der Sicherheitspolitik festzustellen. Außerdem gilt es in manchen Staaten politisch als unklug oder nicht korrekt, seine Zielsetzungen, etwa im Bereich der Außenpolitik, klar zu formulieren und kundzumachen. So ruft beispielsweise die von den USA geübte Praxis, die in regelmäßigen Abständen überarbeitete Verteidigungsplanung (Quadrennium Defense Review) oder die aktuelle Version der Sicherheitsstrategie öffentlich zu verbreiten, in denen sie auf ihre globale Vormachtstellung pocht, immer wieder Kritiker auf den Plan. Dabei handelt es sich vermutlich um eine Vorgangsweise, die nur wenige Fragen offen lässt und die die USA sicherheitspolitisch berechenbarer erscheinen lässt als andere Staaten, die ein Geheimnis um ihre eigentlichen Absichten und Verteidigungsausgaben machen. Als einfache Regel kann daher gelten, dass die klare Formulierung politischer Zielsetzungen die wichtigste Voraussetzung für eine stringente Politik und die Entwicklung der zu ihrer Realisierung erforderlichen Strategien darstellt. Zur Umsetzung bedarf es aber neben der Mittel auch einer entsprechenden politischen Entscheidungsstärke. In autoritären oder autokratischen Systemen stellt dies aufgrund der Machtkonzentration und der systembedingten Schwäche der Opposition häufig ein geringeres Problem dar als in gefestigten Demokratien, in Systemen mit wechselnden Regierungen und starken oppositionellen Kräften. In solchen fällt zwar die Formulierung politischer Ziele zu Beginn einer Regierungsperiode noch relativ leicht, allerdings gerät deren weitere Umsetzung und die nachhaltige Bereitstellung der erforderlichen Ressourcen über einen Regierungswechsel hinaus zur großen Herausforderung. Bei grundlegenden Fragen kommt daher einem parteiübergreifenden Konsens außergewöhnlich hohe Bedeutung zu, um ein Mindestmaß an Nachhaltigkeit und Kontinuität zu erzielen. Je heterogener eine politische Gesellschaft ist, desto wichtiger wird dieser gruppenübergreifende Grundkonsens. Die EU stellt in diesem Zusammenhang ein Extrembeispiel einer äußerst zersplitterten politischen Gemeinschaft dar. Ihre Handlungsfähigkeit hängt daher nicht nur davon ab, welche Kompromisse und Interessensausgleiche zwischen den zahlreichen Gruppen erzielt werden können – viel entscheidender ist und wird sein, welche gemeinsamen, übergeordneten Vorstellungen und Interessen bestehen, die den erforderlichen Grundkonsens und damit die Geschlossenheit und Kohäsion für strategisches Handeln bewirken können.

2.2. Die Grundvoraussetzungen und Hintergründe für gemeinsames Handeln Gemeinsames Agieren kann auf Dauer nur auf Basis gemeinsamer politischer Zielsetzungen und Interessen erfolgen. Diese können in unterschiedlichen Bereichen wie Wirtschaft oder Kultur bestehen, doch je mehr Gemeinsamkeiten existieren, desto größer ist auch der Zusammenhalt. Die Venusberg-Gruppe unter87

Walter Feichtinger

scheidet in diesem Zusammenhang zwischen vitalen (vital), bedeutenden (essential) und allgemeinen (general or milieu interests) Interessen. 1 Es liegt dabei in der Natur der Sache, dass vitale Interessen mehr Geschlossenheit und Kohäsion erzeugen als etwa allgemein-übergeordnete, die zwar für die meisten Betroffenen verständlich und nachvollziehbar sind und meist auch rhetorisch mitgetragen werden, aber weder eine politische noch eine moralische Überzeugungswirkung, die in Handlungszwang mündet, bewirken können. Kohäsion innerhalb von Staaten oder von Staatengemeinschaften entsteht häufig, wenn sie sich gleichen Gefahren ausgesetzt sehen. Externer Druck oder Bedrohung ist daher in der Regel ein starkes Motiv für gemeinsames Handeln. 2 Die Gründung von Verteidigungsallianzen wie etwa der NATO und deren über Jahrzehnte erkennbarer starker innerer Zusammenhalt sind ein gutes Beispiel für die Ausformung gemeinsamer vitaler oder existenzieller Interessen. Der von USPräsident George W. Bush 2001 ausgerufene weltweite Krieg gegen den Terrorismus war dagegen beispielsweise nicht geeignet, auf Dauer eine entschlossene Allianz zu bilden. Ökonomische Erfordernisse wie die Sicherstellung der Energieversorgung oder der Verfügbarkeit von Rohstoffen können ebenfalls eine starke Bindekraft erzeugen, allerdings ist dabei zu bedenken, dass im Falle von Staatengemeinschaften auch Konkurrenzsituationen zwischen den einzelnen Mitgliedern entstehen können. Wirtschaftsbündnisse haben daher vermutlich nur eine begrenzte Bindekraft, es sei denn, die Kooperation ist von vitaler Bedeutung. Ein anderer Bereich ist aus staatlicher Sicht die Gestaltung der geopolitischen Ordnung. Dabei dreht es sich primär darum, welche Rolle und Macht einzelnen Staaten und internationalen Regierungsorganisationen zukommen soll oder wie eine Machtbalance hergestellt werden kann. Als historische Erfahrung kann dabei gelten, dass Akteure über eine „kritische Masse“ verfügen müssen, um eine entsprechende Gestaltungsmacht entwickeln zu können. Oder wie es der bekannte deutsche Analytiker Werner Weidenfeld bezeichnet – sie müssen über „Deutungshoheit“ verfügen. 3 Die Gestaltung der geopolitischen Verhältnisse kann dabei sowohl ein allgemein-übergeordnetes als auch ein vitales Interesse darstellen. In Zeiten einer gefestigten Ordnung, in der die Positionen der maßgeblichen Akteure statisch erscheinen und kein großer Veränderungsdrang besteht, wird es sich daher qualitativ betrachtet eher um ein allgemeinübergeordnetes Interesse handeln, während in Zeiten großer Umbrüche die Posi1 2 3

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Vgl. The Venusberg Group: Beyond 2010. European Grand Strategy in a Global Age. Guetersloh, July 2007, S. 6-17. Vgl. Chang, Fu-Chang: Autonomie und Allianz. EU statt NATO für die Europäische Sicherheit? Baden-Baden 2009, S. 41. Werner Weidenfeld bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Europäischen Forum Alpbach 2009.

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

tionierung und das Durchsetzungsvermögen existenzielle Züge annehmen können.

2.3. Die Grundmuster politischen Verhaltens Grundsätzlich kann bei der Beurteilung des politischen Verhaltens eines Akteurs von drei Mustern ausgegangen werden: von einem proaktiven, einem reaktiven und einem defensiven. Ein Beispiel für proaktives Verhalten: Die USA versuchen spätestens seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die ideologische, politische und ökonomische Weltordnung nach ihren Vorstellungen und Überzeugungen zu gestalten. Sie traten und treten dabei mehr oder weniger offensiv für Demokratie, Achtung der Menschrechte und freie Marktwirtschaft ein. Washington macht seit 1989 kein Hehl daraus, dass es sich in einer einzigartigen Führungsposition sieht, diese Vorrangstellung gegenüber aufkommenden Mächten behalten möchte und bereit ist, dafür aktiv, im Extremfall auch mit militärischen Mitteln, einzutreten. 4 Der Vorteil des proaktiven Agierens besteht darin, dass damit eine große Deutungshoheit (die vorherrschende Sicht zu Ereignissen, Situationen oder Entwicklungen) verbunden ist und das Gesetz des Handelns gegenüber anderen Akteuren oder Konkurrenten bestimmt werden kann. Dieses Vorgehen kann auch als präventives Verhalten eingestuft werden, das darauf abzielt, reaktive Positionen zu vermeiden. Es funktioniert allerdings nur solange über den politischen Willen eines Landes oder einer internationalen Organisation wie beispielsweise der UNO weder innerhalb noch außerhalb Zweifel aufkommen und keine Diskrepanz zwischen politischer Rhetorik und realem Handeln besteht. Voraussetzung dafür sind die entsprechenden Mittel, die im Bedarfsfall entschlossen eingesetzt werden müssen („Hard-Power-Ansatz“). In der Regel sind das politisch-diplomatisches Engagement sowie ökonomische und militärische Mittel. Die große Herausforderung bei diesem Verhaltensmuster besteht darin, beständig in proaktives Agieren zu investieren und nicht an Schwung und Glaubwürdigkeit zu verlieren, weil dies von Beobachtern und Konkurrenten rasch als Schwäche ausgelegt werden könnte. Angesichts aktueller und zukünftiger globaler Herausforderungen wie den Folgen des Klimawandels, begrenzter Verfügbarkeit insbesondere fossiler Ressourcen und enormer demographischer Veränderungen stellt sich aber immer mehr die Frage nach der Gestaltungs- und Überzeugungskraft bei staatsübergreifenden Problemstellungen. Politischer Handlungswille und die bewusste Einnahme einer Vorreiterrolle könnten in diesen Fällen etwa wesentlich bedeutsamer werden als militärische Kapazitäten („Soft-Power-Ansatz“). Entscheidend 4

Siehe dazu allgemein die Sicherheitsstrategie der USA 2002 und 2006.

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für proaktives Handeln bleiben aber ein klarer politischer Wille und die Verfügbarkeit adäquater Mittel, um ihn gegebenenfalls auch durchsetzen zu können. Bei einem reaktiven Verhalten wird entweder bewusst oder zwangsläufig, etwa infolge begrenzter Möglichkeiten, auf diese a priori-Gestaltungsrolle verzichtet und man begnügt sich damit, die aktuellen und aufkommenden Herausforderungen bestmöglich allein oder notfalls im Verbund mit anderen zu bewältigen. So versucht beispielsweise China, seinen politischen Aufstieg zur Weltmacht ökonomisch zu untermauern und das internationale System in seiner bestehenden Form für sich zu nutzen. Gegen ein Festsetzen der USA in Zentralasien wehrt es sich gemeinsam mit Russland in der dafür gegründeten ShanghaiOrganisation für Zusammenarbeit. Es sichert sich seinen enormen Energie- und Rohstoffbedarf durch den systematischen Aufbau umfangreicher Handelsbeziehungen mit afrikanischen, südamerikanischen und zentralasiatischen Staaten, ohne dabei besondere normativ-ideologische Ansprüche zu stellen. Die Einhaltung von Menschrechten oder demokratischen Grundregeln unterliegt dabei ganz klar und bewusst dem Dogma, dass Staatsinteressen den Individualinteressen übergeordnet sind. 5 Das reaktive Verhaltensmuster entsteht somit aus einer Staatsphilosophie, die vereinfacht ausgedrückt das Überleben des Staates durch eine friedliche Anpassung an die realen Verhältnisse gewährleisten soll. Ein proaktives Element kann darin gesehen werden, dass dem gesamten Handeln ein sehr langfristiger Horizont zugrunde liegt. Ökonomische Überlegungen dominieren die Außenpolitik Pekings, politische Überzeugungskraft gegenüber anderen Akteuren entsteht primär aus wirtschaftlicher Stärke, v.a. dann, wenn China armen Staaten rasch und unbürokratisch unter die Arme greift. 6 Auch in Umweltbelangen agiert China eher reaktiv, allerdings mit dem Unterschied, dass Änderungen rasch und konsequent durchgezogen werden können. China befindet sich aber mittelfristig betrachtet bereits auf bestem Wege, ein proaktiver Akteur zu werden, der auch militärische Mittel einsetzen kann, sofern es seine politischen Zielsetzungen erfordern. Manche Analytiker sehen daher China als die einzige Macht, die zu einem „hard-power balancing“ gegenüber den USA fähig sein wird. 7

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Auf die besondere Bedeutung von Staatsinteressen in Chinas Politik verwies auch Liselotte Odgaard, Professorin am Royal Danish Defence College, in ihrem Vortrag zu Chinas Grenzpolitik im Rahmen der Jahrestagung der International Society of Military Sciences am 25.11.2009 in Amsterdam. So hat z.B. China beim China-Afrika-Forum im November 2009 Afrikas Staaten weitere Kredite im Umfang von 10 Mrd. USD und Entschuldungen zugesagt. Der Standard, 9. November 2009, S. 10. Vgl. Hjordal, Magnus: Countering U.S. Supremacy in New Ways: Chinas Hard Balancing Strategy. Präsentation anlässlich der Jahrestagung der International Society of Military Sciences am 25.11.2009 in Amsterdam.

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

Ein Beispiel für eine defensive Position ist das Verhalten Russlands seit Ende der 1990er Jahre. So versucht Moskau zwar angestrengt, seinen ehemaligen Supermachtstatus wieder zu erlangen und seinen Einfluss im Raum der ehemaligen Sowjetunion aufrecht zu erhalten. 8 In der politischen Realität befinden sich die Kreml-Mächtigen aber in einer Position, die weniger von Gestaltungskraft als von Verhinderungspotenzial geprägt ist. Demnach gestaltet sich Moskaus politisches Engagement in ungelösten Konflikten wie etwa im Südkaukasus und in Südosteuropa oder sein Handeln in Bezug auf das iranische Atomprogramm als wenig lösungsorientiert. Es geht vielmehr darum, die eigene Position zu stärken und die Verhandlungsmacht des oder der Anderen, häufig ist die USA davon betroffen, zu schwächen. Traditionelles Macht- und Einflussdenken in strategischen Kategorien der ehemaligen Sowjetunion bestimmt daher auch Russlands heftige Ablehnung einer NATO-Erweiterung um Staaten in seinem „nahen Ausland.“ Umweltprobleme wie auch der absehbare erhebliche Bevölkerungsschwund in Russland, mit denen sich die Kremlführung konfrontiert sieht, spielen bei diesem Verhaltensmuster eine untergeordnete Rolle, denn die defensive Orientierung ist in hohem Maße von militärischen Überlegungen geprägt. So ist Moskau beispielsweise bestrebt, seine veraltete Armee radikal zu reformieren und stützt sich stark auf seine Rolle als einzige strategische Atommacht, die den USA in diesem Bereich Paroli bieten kann, ab. Das einzig „kreative“ Element in der Politik Moskaus besteht in der Energiepolitik, durch die Russland Druck ausüben kann, und wo es versucht, durch gezielte Einkaufspolitik etwa in nordafrikanischen Gasförder- und Lieferprojekten die Abhängigkeit Europas zu erhöhen. Letztlich befindet sich aber Russland im Allgemeinen eindeutig in einer defensiven Position und weigert sich, seinen de facto-Abstieg zur Regionalmacht zur Kenntnis zu nehmen. Bei einem Vergleich der drei Verhaltensformen wird klar, dass ein proaktives Engagement das Herausforderndste ist. Es verlangt nicht nur eine klare Vorstellung des Akteurs von der politischen Zielsetzung, sondern auch einen starken politischen Willen, diesen in die Realität umzusetzen und die erheblichen Mittel und Ressourcen dafür nachhaltig bereit zu stellen. Dieser Ansatz kann daher als „politikgetrieben“ bezeichnet werden, da die Impulse von einer starken politischen Führung ausgehen. Eine reaktive und defensive Politik kann in der Regel als „ereignisgetrieben“ eingestuft werden. Es handelt zwar die Politik, aber zumeist in Reaktion auf ein Ereignis oder eine Entwicklung. Die gesellschaftliche Akzeptanz von politischen Maßnahmen scheint bei reaktiven und defensiven Verhaltensweisen eher gegeben zu sein als bei einem proaktiven Vorgehen von Regierungen. Dies gilt insbesondere in Sicherheitsbelan8

Ackeret, Markus: Der Hegemon mit dem Holzhammer? In: Integration in der GUS. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 3/2010, Wien, S. 7-20.

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gen und beim Einsatz von Streitkräften, wo Verteidigungsaufgaben auf dem oder im Umfeld des eigenen Territoriums üblicherweise wesentlich größere Zustimmung finden als ein Engagement im fernen Ausland und auf Basis unklarer, für viele Bürger nicht nachvollziehbarer Zielsetzungen. In demokratischen Systemen kommt noch dazu, dass die Wähler von diesen Zielsetzungen zu überzeugen sind, um ihre Zustimmung auch auf Dauer zu erhalten. Die politische Überzeugungsarbeit nach innen kann daher zur größten Herausforderung werden. Eine Einschätzung des Verhaltens der EU zeigt, dass sie in vielen Politikfeldern reaktiv agiert. Dieses Muster wird noch dadurch verstärkt, dass infolge der aufwändigen Diskussions- und Entscheidungsabläufe starke Verzögerungen auftreten. Der damalige Oberbürgermeister von Khartum (Sudan) hatte das im Rahmen eines Gesprächs mit dem Autor über internationale Kooperationen und Infrastrukturprojekte Anfang 2008 wie folgt auf den Punkt gebracht: „Während die EU noch diskutiert, hat China bereits den Vertrag unterzeichnet und mit dem Bau begonnen.“ Ein proaktives Vorgehen kann der EU im Bereich der globalen Ordnungspolitik, beim Klimaschutz und bei der Einhaltung der Menschenrechte attestiert werden.

3. Die EU und strategische Interessen „Like it or not, Europe is and must have the capability and capacities to protect its political and economic interests. This includes an ability to influence the strategic choices of other actors, primarily through economic and diplomatic action, but also on occasions through credible military coercion if no other solution can be found.” 9

Ist das wirklich so klar, wie es die Experten der Venusberg-Gruppe in ihrer Studie schon 2007 darstellten? Führt tatsächlich kein Weg an einem geschlossen agierenden und entschlossen auftretenden EUropa vorbei? Oder ist es eher immer noch die Meinung einiger Experten und Politiker, die an der Realität und Skepsis der europäischen Wählerschaft vorbei argumentieren? In vielen Zukunftsstudien mit einem Zeithorizont von 2020 bis 2030 ist es nicht so eindeutig, dass die EU trotz ihrer Wirtschaftskraft tatsächlich zu jenen großen Akteuren gehören wird, die die zukünftigen Entwicklungen weltweit bestimmen werden. 10 Als „Fixstarter“ finden sich dagegen die USA, China, Indien und häufig auch Brasilien. Russland wird immer häufiger nur mehr der Status einer Regional9 10

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Siehe The Venusberg Group: Beyond 2010. European Grand Strategy in a Global Age. Guetersloh, July 2007. Vgl. in diesem Zusammenhang stellvertretend für viele Skeptiker und Kritiker Walter Laqueur mit seinem Werk „Die letzten Tage von Europa. Ein Kontinent verändert sein Gesicht.“ (Berlin 2008), wo er zum Schluss kommt, dass es aufgrund zu unterschiedlicher Interessen eine GASP kaum und eine ESVP gar nicht geben wird. (S.8).

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

macht zugeschrieben. Ob sich die EU zum Kreis der Mächtigen zählen kann wird auch in hohem Maße davon abhängen, wie stark übergeordnete europäische Interessen entwickelt und zur Basis verstärkter gemeinsamer Anstrengungen werden können. Der ehemalige österreichische Vizekanzler und Koordinator des EU-Stabilitätspakts für Südosteuropa, Erhard Busek, seit längerem Präsident des Europäischen Forum Alpbach, meint dazu lakonisch: „Nur die EU entscheidet darüber, ob sie ein globaler Akteur sein wird oder nicht.“ 11 Das würde einem politikgetriebenen Ansatz entsprechen, der aus politischer Überzeugung innerhalb der EU entsteht. Darüber hinaus stellt sich aber schon die Frage, ob nicht auch exogene Faktoren, also ein starker Druck von außen, zu einem „ereignisgetriebenen“ Zusammenrücken der EU-Mitglieder und einer stärkeren Vergemeinschaftung der Politik führen könnte.

3.1. Zur Interessenslage der EU und ihrer Mitglieder Aus der Entstehungsgeschichte der EU ist klar erkennbar, dass die nationalen Interessen ihrer Mitglieder in hohem Maße identisch waren und ohne weitere Ambitionen EU-Interessen gleichgestellt wurden. Der Vorteil lag dabei darin, dass diese originär nationalen Interessen im Rahmen der EG/EU einfacher und zweckmäßiger verwirklicht werden konnten. In den Anfängen der EG/EU ging es um das „Friedensprojekt Europa“, durch das – primär durch wirtschaftliche Verflechtungen – Katastrophen wie der Erste und Zweite Weltkrieg in Zukunft verhindert werden sollten. Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 kam dieser Gedanke noch einmal massiv zum Tragen, als es um die friedliche Transformation und politische wie wirtschaftliche Integration Südost- und Osteuropas ging. Dabei sollte aus der Friedenszone auch eine „Wohlfahrtszone“ werden, die sich auf das enorme Wirtschaftspotenzial der europäischen Staaten abstützen konnte. Dass durch dieses Wachsen die EU auch als Akteur im internationalen Rahmen erheblich an Bedeutung gewann, war wohl Vielen gar nicht so bewusst. Es wurde wohl eher als eine Begleiterscheinung wahrgenommen, die neben Vorteilen auch Herausforderungen und Pflichten mit sich brachte. Übergeordnete Interessen, die nur auf der besonderen Stärke, Position und spezifischen Rolle der EU beruhen, waren daher bis vor Kurzem noch von eher untergeordneter Bedeutung. Sie stellen auch weiterhin für manche ein Tabuthema dar, da vor allem größere EU-Mitglieder fürchten, durch „europäische Interessen“ an nationalem Einfluss oder Bedeutung zu verlieren. Dessen ungeachtet wird die EU heute von anderen Groß-, Klein- und Mittelmächten als potenter 11

Gespräch mit dem Autor im Herbst 2009.

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Akteur wahrgenommen und tritt auch als solcher in Erscheinung. Dabei liegt es auf der Hand, dass der „Innenorientierung“ (Erweiterung und Vertiefung der EU) eine adäquate „Außenorientierung“ (globale Positionierung und Rolle) folgen muss, will die EU nicht hinter ihren eigenen und externen Erwartungen und Möglichkeiten zurückbleiben. Europäische Interessen, die mehr sind als die Summe oder die Schnittmenge nationaler Interessen, wurden aber bislang nur vage angedacht oder diskutiert. Sie finden zwar in amtlichen Papieren wie der EU-Sicherheitsstrategie aus 2003 oder in diversen anderen Strategiepapieren Erwähnung, die Qualität und Präzisierung hat aber nicht jene Ausformung, die nötig wäre, einen konkreten politischen Willen und Handlungsvorgaben abzuleiten. So stellen Annegret Bendiek und Heinz Kramer in ihrer Studie über die EU als globaler Akteur fest: „Die zahlreichen interregionalen und bilateralen Außenbeziehungen lassen aber in der Praxis selten klare und langfristige Ziele und Prioritäten erkennen.“ 12 Sie bemängeln vor allem, dass Strategien auf sehr globale Ziele wie „Frieden und auf demokratische Grundwerte gestützte Stabilität, einen auf nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung gegründeten Wohlstand oder die internationale Zusammenarbeit bei der Bewältigung globaler Herausforderungen“ ausgerichtet seien. Diesen deklaratorischen Aussagen fehle jedoch die Konkretisierung oder tatsächliche Umsetzung etwa in den Strategien und Politiken gegenüber anderen Regionen. 13 Könnte diese Unschärfe aber nicht auch Absicht sein und jenes erwähnte „politische Schlupfloch“ sichern, das die EU benötigt, um einerseits interne Spannungen hintanzuhalten, zu hohe Erwartungen zu unterbinden und Anfeindungen zu vermeiden und andererseits dennoch präsent zu sein? Diese Überlegung wirft zwei Fragen auf: erstens, wie ist die EU als Akteur im internationalen Vergleich einzustufen und zweitens, welche übergeordneten Ziele und strategischen Interessen sind erkennbar, die bereits als Grundlage für das außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Handeln der EU dienen oder hinkünftig dienen könnten?

3.2. Der Akteur EU im internationalen Vergleich Die EU hat die Besonderheit, dass sie als Staatengemeinschaft im Vergleich zu anderen Akteuren nicht von vornherein über jene innere Kohäsion und eine gemeinsame Geschichte ihrer Mitglieder und Teilregionen verfügt wie die USA, Russland oder China. Neben dem Gestaltungswillen nach außen kommt im Falle der EU daher der Überzeugungskraft nach innen noch wesentlich stärkere Be12 13

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Bendiek, Annegret/Kramer, Heinz: Die EU als globaler Akteur. Unklare „Strategien“, diffuses Leitbild. SWP Studie S12, April 2009, Berlin, S. 9. Ebd., S. 9-10.

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

deutung zu als in anderen Staaten. Als systemimmanente Probleme bei der Entwicklung EU-politischer Zielsetzungen sind anzusprechen • die unterschiedlichen Denkhorizonte der Mitgliedstaaten, • deren unterschiedliche (kriegs)historische Erfahrungen, • die unterschiedlichen (sicherheitspolitischen) Gefahreneinschätzungen, • nationaler Egozentrismus, • divergierende Vorstellungen von der Rolle der EU und • die NATO als etablierte Sicherheitsorganisation. Zu den Punkten im Einzelnen: Die Größe und das Potenzial der EU erfordern zwangsläufig einen globalen Denk- und Aktionsansatz, der aber nur bei wenigen ihrer Mitgliedstaaten über Tradition verfügt. Das Dogma von „Think Big“ ist zwar somit relativ einfach zu erklären, überfordert aber im Alltag doch viele politische und gesellschaftliche Akteure, insbesondere in kleineren Staaten. Bislang gab es auch für den Großteil der europäischen Politiker keine Notwendigkeit, sich mit globalen Fragestellungen intensiv zu beschäftigen oder die Bevölkerung gar in diese Überlegungen und Entscheidungen miteinzubeziehen. Es ist daher kein Wunder, dass lokale Themen weiterhin dominieren und wenig Platz lassen für übergeordnete Problemstellungen. Untermauert wird diese Auffassung durch Beobachtungen in den Wahlkämpfen zu EU-Gremien, wo in der Regel ausschließlich nationale Anliegen thematisiert werden. Negative (kriegs)historische Erfahrungen wiederum führen dazu, dass „Großmachtdenken“ eher unbeliebt und verpönt ist und man sich lieber mit einer nationalen Nabelschau zufrieden gibt. Dies ist insbesondere am Einsatz militärischer Mittel, im Konkreten an der Beteiligung europäischer Staaten am internationalen Krisenmanagement, zu erkennen. Während Einsätze zur Friedenssicherung und zum Wiederaufbau nach bewaffneten Konflikten in der Regel große Unterstützung in Politik und Gesellschaft finden, werden Kampfeinsätze zur Stabilisierung oder zur Trennung von Konfliktparteien in den meisten EU-Staaten abgelehnt. Die harte Erkenntnis und das mühsame Eingeständnis Deutschlands, sich in Afghanistan nicht nur im Wiederaufbau, sondern zumindest phasenweise auch im Krieg zu befinden, gab davon Ende 2009 ein starkes Zeugnis. Diese tendenziell ablehnende Einstellung der EU-Mitglieder zu robusten und gefährlichen Militäreinsätzen, die nicht der unmittelbaren Verteidigung des Heimatlandes dienen, ist vermutlich mit Ausnahme von Frankreich und Großbritannien weit verbreitet und stellt eher die Regel als die Ausnahme dar. Darüber hinaus machen es die unterschiedlichen nationalen und regionalen Gefahreneinschätzungen innerhalb der EU schwer, zu einer allgemein akzeptierten und fairen Kosten- und Lastenteilung zu kommen. So haben die Mittelmeeranrainerstaaten nur wenig Verständnis für die Ängste der östlichen EU-Länder, die sich vor einem wiedererstarkten Russland fürchten, während sie wiederum Migrantenströme aus dem afrikanischen Raum als größte Bedrohung empfinden. 95

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Zusätzlich stellt sich nach Jahrzehnten der massiven Förderung unterentwickelter EU-Regionen angesichts angespannter Staatsbudgets und sinkender Wirtschaftskraft in „reichen“ EU-Ländern zunehmend die Frage nach der Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit der bisherigen Umverteilungspolitik. Das Friedensprojekt hatte schon immer einen Preis – das Wohlfahrtsprojekt einer mittlerweile deutlich vergrößerten EU hat einen noch viel höheren. Nationaler Egoismus und Egozentrismus bzw. Nationalismus münden dabei manchmal in der Frage, ob die EU ihren Entwicklungs- und Handlungsspielraum nicht bereits ausgeschöpft hat. Wenn z.B. ein Zusammenarbeitsabkommen zwischen der EU und Russland massiv verzögert wird, weil Polen als Vorsitzland diese Position schamlos ausnützt, um rein nationale Interessen durchzusetzen, dann spricht das Bände. Ähnlich das Verhalten des tschechischen Präsidenten Vaclav Klaus im Herbst 2009, als er bis zuletzt das Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon blockierte, um nationale oder vielleicht gar nur persönliche Interessen zufrieden zu stellen. Auch Irland, das über Jahrzehnte überdurchschnittlich von seiner EU-Mitgliedschaft profitiert hat, stellte lange Zeit nationale Befindlichkeiten über gemeinsame Interessen und brachte die EU in eine äußerst kritische Situation. Alleingänge und Vorbehalte der „Großen“, allen voran Großbritannien und Frankreich, gehören ebenfalls in diese Kategorie EU-spezifischer Probleme. Als vorletzter Punkt ist noch auf den besonderen Umstand hinzuweisen, dass das „politische Projekt EU“ über keine klaren Vorstellungen von seinem Endzustand verfügt. Das ist vermutlich auch nicht möglich und wahrscheinlich gut so, da es sich um einen politischen Prozess mit unzähligen Variablen und Fragezeichen handelt. Ein definierter Endstatus würde zwar Klarheit schaffen, aber auch die Möglichkeit einer offenen Diskussion über die Weiterentwicklung massiv beschränken. Während sich daher vor allem kleinere Staaten eine möglichst starke EU wünschen, mit der und durch die sie ihre politischen Zielsetzungen verwirklichen können, betrachten sie andere manchmal noch immer als Bühne und Instrument zur Durchsetzung ihrer nationalen Interessen. Zu guter Letzt bleibt noch zu erwähnen, dass das vermutlich stärkste Bindeglied, die Sicherheit, primär nicht in der EU, sondern in der NATO beheimatet ist. Bei allen Anstrengungen, Sicherheitspolitik innerhalb der EU als gemeinsames Interesse zu etablieren und zu verankern, fehlt doch bei den Bürgern bislang das Gefühl, dass die EU wesentlich zur gemeinsamen Sicherheit und damit zur Abdeckung eines gesamtgesellschaftlichen Grundbedürfnisses beitragen oder dieses sogar autonom erfüllen kann. Die EU ist daher im Vergleich zu nationalen Großmächten bei der Entwicklung und Ausformulierung des politischen Willens und der politischen Zielsetzungen deutlich benachteiligt. Ob sie dabei nun eine „normative Macht“ darstellt, die versucht, ihre Werte und Normen zugunsten des internationalen Systems weiterzuverbreiten, ob sie als „kollektiver Hegemon“ gesehen wird, der versucht, ein stabiles und kooperatives Umfeld zu schaffen, um dann in optima96

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

ler Weise seine politischen und ökonomischen Interessen zu verfolgen oder ob sie als „Zivilmacht“ gilt, deren wesentliches Merkmal nicht der Besitz oder Einsatz von Waffen ist, sondern die Ausrichtung des außen- und sicherheitspolitischen Handelns nach bestimmten inhaltlichen Kriterien, ist dabei von untergeordneter Bedeutung. 14 Denn Konsensbildung und Entscheidungsfindung sind wesentlich erschwert, die Lösung besteht in Kompromissen, die häufig den Anforderungen nicht (voll) gerecht werden können. Daran wird auch der Vertrag von Lissabon nur wenig ändern. So ist die EU in der Regel gezwungen, auf die Veränderungen in der Welt und die geopolitischen Herausforderungen zu reagieren, sie kann nur in Ausnahmenfällen eine proaktive Rolle spielen. Allerdings dürfte dieser reaktive Zugang nicht dazu taugen, die EU zu einem handlungsfähigen globalen Akteur zu machen, wie der EU-Befürworter und ihr wohlmeinender Kritiker Jolyon Howorth, Jean Monnet Professor ad personam, immer wieder festhält. 15

3.3. Politische Ziele und strategische Interessen der EU Wie ist es nun um die gemeinsamen politischen Ziele und strategischen Interessen der EU bestellt, die als Grundlage gemeinsamen Denkens, Auftretens und Handelns dienen sollten? Bendiek und Kramer haben dazu ausgeführt, dass die in offiziellen Dokumenten nachvollziehbaren „Globalziele“ sehr vage sind und sich keine konkreten Ableitungen treffen lassen. Johann Frank vom Büro für Sicherheitspolitik im österreichischen Verteidigungsministerium dagegen hat die Überlegungen der Venusberg-Gruppe weitergeführt und sieht im Bereich der Sicherheit sowohl vitale als auch bedeutende und allgemeine Interessen. Er weist dabei besonders darauf hin, dass europäische Interessen „mehr“ und somit qualitativ anders beschaffen sein müssen als dass sie nur die Summe der Interessen einzelner Mitgliedstaaten darstellen. 16 Durch das breite Sicherheitsverständnis, das der EU-Sicherheitsstrategie von 2003 zugrunde liegt („umfassende Sicherheit“), stellen die sicherheitspolitischen Interessen de facto einen Querschnitt über alle Politikfelder dar und können daher als repräsentativ für die Einschätzung europäischer Interessen gelten. Als vitale Interessen nennt Frank 14

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Vergleiche dazu die Ausführungen zur Akteursrolle von Bendiek und Kramer unter der Überschrift „What is the Nature of the Beast?“ Bendiek, Annegret/Kramer, Heinz: Die EU als globaler Akteur. Unklare „Strategien“, diffuses Leitbild. SWP Studie S12, April 2009, Berlin, S. 16-21. Howorth, Jolyon: The Case for an EU Grand Strategy. In: Egmont Papers 27, January 2009, S. 15-23. Frank, Johann: Die Entwicklung der Sicherheitsstrategie der Europäischen Union. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 7/2009 Wien, S. 35-38.

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• • • • • •

die Sicherstellung einer führenden Rolle der EU in Fragen der globalen Sicherheit, das Durchsetzen der eigenen Präferenzen gegenüber neuen aufstrebenden geopolitischen Akteuren (wie Indien oder China), die Sicherstellung von Energiesicherheit und den gesicherten Zugang zu strategischen Ressourcen, den Kampf gegen Verbrechen und Terrorismus [...], die Verhinderung der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, die Unterbindung nuklearer Ambitionen von Drittstaaten und die Verhinderung von und Vorbereitung auf Pandemien.

Als bedeutende Interessen, die für die Überlebensfähigkeit der EU nicht direkt und unmittelbar entscheidend sind, führt er an: • die Stabilisierung des südlichen Krisenbogens von Nordafrika über den Nahen und Mittleren Osten bis Zentralasien, • die Vertretung europäischer Interessen in Afrika [...] und • die Sicherstellung der ökologischen Grundlagen und Überlebensfähigkeit. Als allgemeine Interessen wertet er • die Gewährleistung der Sicherheit und Grundrechte des Individuums (Human Security) gegen massive Menschrechtsverletzungen sowie • die Bewältigung von Naturkatastrophen. 17 Diese strategische Einschätzung der objektiven Erfordernisse, die in der Realität ineinander verschwimmen und auch als politische Zielsetzungen gelten könnten, ist aus analytischer Sicht zweifellos zu bestätigen. Angesichts der bisher angeführten EU-internen Besonderheiten und Problemlagen ist allerdings kritisch zu hinterfragen, ob und welche Konsequenzen diese Einschätzungen auf politisches Handeln haben können. Ein erster Blick auf alle Ziele zeigt, dass es sich mit Ausnahme der Energiesicherheit und Terrorbedrohung um rein „politisch-rationale“ Ziele handelt, deren Realisierung starken politischen Antriebs bedarf. Externer Druck als zweiter möglicher Antrieb scheint in allen Bereichen zumindest bislang für die meisten Politiker, Bürgerinnen und Bürger in den EUStaaten nicht in dem Ausmaß gegeben zu sein, dass sie auf ein gemeinsames, d.h. EU-bestimmtes Handeln, drängen würden. Dabei darf neben der rationalen Qualität von Zielen und Interessen aber deren emotionale Komponente nicht übersehen werden, die sich häufig als Stolperstein erweist. Es stellt sich somit die Frage der Überzeugungskraft nach innen, die dazu führen soll, nationale Vorbehalte zu überwinden und gemeinsamem Agieren zum Durchbruch zu verhelfen. Dabei kann von den Prinzipien einer nutzenorientier17

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Ebd., S. 35-37.

Europäische Interessen – Motor und Hemmschuh zugleich

ten Verhaltensweise ausgegangen werden – je größer und plausibler der Nutzen für den Einzelnen und die Gruppe ist, desto größer wird die Zustimmung und Unterstützung ausfallen. Im europäischen Rahmen stehen dabei die Nationalstaaten und die EU in direkter Konkurrenz, verteidigungspolitisch kommt noch die „Konkurrenz“ zwischen EU und NATO dazu. Die Frage nach übergeordneten europäischen Interessen verlangt daher auch plausible Auskunft darüber, was die EU zum Nutzen möglichst vieler EU-Bürger besser kann als die einzelnen Staaten, oder was die EU zu leisten vermag, was nationale Regierungen nicht können. Bestes Beispiel für diese Überlegung ist der Imagegewinn der EU im Zuge der Finanz- und Bankenkrise 2008/09. Selbst den größten EU-Skeptikern und Gegnern wurde dabei klar, dass die schlimmsten Folgen nur durch die EU und die Einheitswährung EURO abgewendet werden konnten. Kein Staat hätte die Krise für sich allein bewältigen können. Interessant ist dabei das zeitverzögerte Zusammentreffen zweier maßgeblicher Faktoren: Während die Einführung des EURO als klarer politischer Willensakt und somit politikgetrieben erfolgte, so ist die Krise als Druck von außen zu werten, das politische Handeln war daher ereignisgetrieben.

4. Resümee und Ausblick 4.1. Europäisches Bewusstsein noch schwach ausgeprägt Wie das Beispiel der Finanz- und Bankenkrise zeigte, können Ereignisse überraschend und unvorhergesehen eintreten. Es hat sich erwiesen, dass eine „kritische“ politische und ökonomische Masse erforderlich sein kann, um in krisenhaften Situationen bestehen zu können. Wie das Beispiel zusätzlich deutlich machte, bestand das Erfolgsrezept der EU im Zusammenspiel von vorausschauender, gestaltender Politik und geschlossenem Handeln. In der europäischen Öffentlichkeit ist damit ein gewisses Interesse und Verständnis für europäische Belange entstanden, und es sind Ansätze einer kollektiven Bewusstseinsbildung zu erkennen. Das kann beispielsweise am Abstimmungsverhalten Irlands im zweiten Urnengang zum Vertrag von Lissabon und am plötzlichen Interesse Islands an einer möglichst raschen EU-Mitgliedschaft nachvollzogen werden. Kollektives Nachdenken darüber, ob die EU auch in anderen Bereichen im Vergleich zu einzelnen Mitgliedstaaten „das bessere Angebot“ darstellen kann, steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Den bisher genannten Interessen fehlt die Überzeugungskraft. Es wäre von Vorteil, wenn die EU-Gremien in Verbindung mit den neuen Möglichkeiten, die der Vertrag von Lissabon nach seiner abgeschlossenen Ratifizierung bietet, ihre politischen Anstrengungen zur Bewusstseinsbildung innerhalb der Union erhöhen und auf den Mehrwert konkret 99

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hinweisen würden, ohne dabei die Möglichkeiten und Aufgaben der Mitgliedstaaten gering zu schätzen oder unnötig zu schmälern. Die unzähligen negativen, teils obskuren Beispiele einer nach innen gerichteten EU-Politik (Stichwort „Gurkenkrümmung“) sollten dabei primär durch eine positive Wahrnehmung aktiver Außenpolitik abgelöst werden.

4.2. Erstaunliche Fortschritte zu verzeichnen Trotz aller Hindernisse und Hemmnisse ist es der EU gelungen, in verschiedenen Politikfeldern übergeordnete europäische Interessen zu thematisieren und in Ansätzen auch zu etablieren. Neben dem gemeinsamen Wirtschaftsraum steht z.B. das Friedensprojekt Europa außer Zweifel, was ja bereits zu erheblichen Konsequenzen führte. Die umfangreichen Stabilisierungs- und Integrationsmaßnahmen mit erheblichem wirtschaftlichem und politischem Aufwand im Raum des ehemaligen Jugoslawien sind ein Ergebnis davon. Sie können noch als Bestandteil der EU-Innenorientierung im Rahmen der Erweiterungs- und Integrationsbestrebungen gelten. Im Zuge der steigenden Außenorientierung sind insbesondere die verstärkten Bemühungen, durch politisches Engagement und zahlreiche zivile Missionen und militärische Operationen die Zone der Stabilität um Europa sukzessive zu erweitern, das Engagement in Afrika und die Anstrengungen zur Verbesserung des Klimaschutzes hervorzuheben. Gerade der Beitrag der EU zum internationalen Krisenmanagement, der de facto innerhalb weniger Jahre aus dem Nichts entstanden ist, bedarf hier besonders positiver Erwähnung. Bereits bei den bisherigen Aktivitäten und Maßnahmen war klar ersichtlich, dass sie nur durchgesetzt werden können, wenn die EU geschlossen auftritt. Der „Mehrwert“ der EU wird dabei für Beobachter immer deutlicher, aber noch nicht in ausreichendem Maße für die Allgemeinheit. In den meisten Fällen handelt es sich noch um „gemeinsame Interessen“, also Interessen, die in allen EU-Staaten gleichermaßen vorherrschen. Im Falle der sich neu herausbildenden globalen Ordnung stellt sich die Situation etwas anders dar. Die EU vertritt seit 2003 den Ansatz eines effektiven Multilateralismus, der auf starke internationale Organisationen – allen voran die UNO – und eine hohe Kooperationsbereitschaft aller staatlichen und nichtstaatlichen Akteure setzt, um die anstehenden Herausforderungen gemeinsam lösen und für Frieden und Sicherheit sorgen zu können. Ganz abgesehen davon, dass andere Mächte wie China und Russland, aber auch die USA, diesem Konzept eher skeptisch gegenüber stehen und mehr auf ihre eigene Stärke vertrauen, wird dieser Ansatz auch zu einer EU-internen Herausforderung, weil er u.a. auch die Frage nach der Repräsentanz der EU in internationalen Organisationen aufwirft. Was bislang nur hinter vorgehaltener Hand diskutiert wurde, kann im Falle geänderter Zusammensetzungen oder Stimmrechte in globalen Foren wie z.B. 100

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dem UN-Sicherheitsrat noch zu heftigen Diskussionen darüber führen, ob europäischen oder nationalen Interessen der Vorrang einzuräumen ist. Eine Frage von entscheidender Bedeutung kann dabei sein, ob eine Stimme, die im Namen von 500 Millionen Menschen und der stärksten Wirtschaftsmacht der Welt erhoben wird, manchmal stärker sein und mehr bewirken kann als drei oder mehr Stimmen, die national artikuliert werden.

4.3. Politikfelder mit Gewinnpotenzial Wagt man einen Ausblick über die weitere Ausformung und Verankerung europäischer Interessen, so kommen unverzüglich folgende Politikfelder in den Sinn, die diesbezüglich über erhebliches Potenzial verfügen: Wirtschafts- und Energiepolitik, Umweltpolitik, Sicherheitspolitik und globale Ordnungspolitik. Trotz manch laut vorgetragener Forderungen dürfte Sozialpolitik hingegen nicht in diesen Bereich fallen. Der Sinn und Nutzen einer gemeinsamen Wirtschafts-, Finanz- und Währungspolitik wurde bereits unter Beweis gestellt. Diese Bereiche sollten auch hinkünftig außer Zweifel stehen und als Beispiel einer europäischen Interessenspolitik gelten. Die zu Jahresbeginn 2009 kurzfristig eingestellten russischen Gaslieferungen über die Ukraine nach Europa führten der EU und ihren Mitgliedern drastisch ihre einseitige Abhängigkeit vor Augen. Die Sicherheit der Versorgung mit Ressourcen und Energieträgern wurde daher zu einem vorrangigen Ziel der EU. Diese Absicht stellt zwar per se noch kein übergeordnetes EUAnliegen dar, da natürlich jeder Staat daran größtes Eigeninteresse hat. Der besondere Unterschied besteht aber in der Einsicht, dass nur eine geschlossen auftretende EU über jenes politische Gewicht und jene kritische Masse verfügt, die in Krisensituationen von Nöten sein kann. Nationale Sonderwege sind dabei zwar nicht ausgeschlossen, sie dürfen aber die EU-Position nicht konterkarieren und somit schwächen. Die Energiepolitik kann daher in Zukunft noch stärker als bisher als Indikator für die Geschlossenheit der EU herangezogen werden. Dass Fortschritte in Umweltbelangen und beim Klimaschutz nur durch größtmögliche Geschlossenheit zu erzielen sein werden, ist mittlerweile den meisten Beteiligten klar geworden. Umweltpolitik ist zweifellos ein Feld, das über ideologische und staatliche Grenzen hinweg ein starkes Mobilisierungs- und Identifikationspotenzial hat. Es könnte sich daher im Extremfall auch gegenüber partiellen nationalen Interessen durchsetzen und zu einem übergeordneten Ziel vieler EU-Bürger werden, die in der Lage sind, Handlungsdruck auf die Politik zu erzeugen. Der Bereich der Sicherheit stellt ein ambivalentes Feld dar. So unterliegt die EU keinen klassischen konventionellen Bedrohungen, die außerdem für das Gros der EU-Staaten in die NATO-Zuständigkeit fallen würden. Ein klassischer Fak101

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tor für die Entwicklung eines Gemeinschaftsgefühls und gemeinsamer übergeordneter Ziele fällt somit – zumindest derzeit noch – weg. Subkonventionelle Szenarien dagegen, zu denen auch Terrorismus zählt, stellen neue grenzüberschreitende Herausforderungen dar, die im Rahmen der gegenseitigen Solidarität in die Kompetenz und Verantwortung der EU fallen. Hier besteht also Potenzial, einen Gemeinschaftsgedanken entlang gemeinsamer und übergeordneter Sicherheitsinteressen zu entwickeln und in der Öffentlichkeit zu verankern. Ähnlich verhält es sich mit Aufgaben im Rahmen des internationalen Krisenmanagements. Auch hier liegt es auf der Hand, dass gemeinsames Handeln auch im Sinne einer Risiko- und Lastenteilung die einzig vernünftige Möglichkeit darstellt. Man kann also davon ausgehen, dass Frieden und Sicherheit in Europa und auf der ganzen Welt ein starkes übergeordnetes Ziel darstellen kann. Fügt man nun zwei Tatsachen zusammen, nämlich dass erstens kein Staat mehr alleine für seine Sicherheit sorgen kann und zweitens gerade auf Streitkräften ein enormer Spar- und Veränderungsdruck lastet, so entsteht beinahe zwangsläufig der Gedanke, in diesem Bereich gesamteuropäische Ansätze zu verfolgen. Der Gewinn an Handlungspotenzial und die erzielbaren Synergieeffekte wären enorm. Der Integrationsgedanke würde eine neue Qualität erhalten und die Außenwirkung und Sichtbarkeit der EU wäre in höchstem Maße gegeben. Die mögliche Bandbreite einer zunehmend „europäisierten“ Sicherheit erscheint beeindruckend. Sie könnte von einer Konzentration im Rüstungs- und Beschaffungswesen über eine gesamteuropäische Luftraumüberwachung, allenfalls einem europäischen Raketenabwehrsystem, einem europäischen Beitrag zu Friede und Sicherheit weltweit sowie zur maritimen und Weltraumsicherheit und letztlich auch bis zu einer gemeinsamen Nuklearkomponente reichen. Gemeinsame Sicherheit könnte daher nach der gemeinsamen Währung zu einem starken Signal und Ausdruck übergeordneter europäischer Interessen werden, die aus einem politischen Antrieb heraus entsteht. Natürlich hätte das in enger Abstimmung mit der NATO zu erfolgen, um ein Sicherheitsdefizit zu vermeiden und keine Partner zu vergrämen. Letztlich geht es aber um die optimale Nutzung von Ressourcen zur Erfüllung eines politischen Zwecks und bestimmter inhaltlicher Zielsetzungen. Die EU steht vor der doppelten Herausforderung, sich einerseits als Akteur zu festigen und andererseits seine Position in einer sich neu formierenden internationalen Ordnung zu finden und zu behaupten. Für beide Fälle erscheint die Festlegung europäischer Interessen nicht nur notwendig, sondern auch sehr zweckmäßig zu sein. Je größer der externe Druck dabei wird und selbst größere EUStaaten alleine keine ausreichenden Problemlösungen mehr bieten können, desto stärker werden europäische Interessen an Aufmerksamkeit und Bedeutung gewinnen. Politischer Antrieb allein lässt dagegen keine wesentlichen Veränderungen erwarten, so vehement er auch manchmal eingefordert wird. Er ist dagegen 102

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unerlässlich, um jene politischen und institutionellen Rahmenbedingungen zu schaffen, die es ermöglichen, auf steigenden Handlungsdruck zu reagieren und die Herausforderungen zu bewältigen. Europäische strategische Interessen, die sich zwar grundsätzlich am Gemeinwohl aller Beteiligten orientieren, in der Regel aber einem größeren Anspruch folgen und im Extremfall sogar über nationale Interessen zu stellen sind, werden dabei unverändert Thema auch kontroversieller Auseinandersetzungen bleiben. Eine substanzielle Veränderung im Verhalten der EU und ihrer Mitglieder im Zugang zu europäischen Interessen ist aber in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, es sei denn, dass sich plötzlich externer Druck und somit Handlungszwang aufbaut. Daran wird auch der anlässlich des Europatags 2009 verkündete Appell der letzten EU-Kommissarin für Außenbeziehungen, Benita Ferrero Waldner, nichts ändern, die meinte: „Hören wir auf mit dem Ländermatch“. 18

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Ferrero-Waldner zum Europatag: „Hören wir auf mit dem Ländermatch“. APA 0185 AI 20090509 1417, 9. Mai 2009..

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Die Strategischen Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU

Die Strategischen Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU

Fabian Breuer*

1. Einleitung Den Ausgangspunkt für vorliegenden Band bildet die Besonderheit der EU als Krisenmanager und internationaler sicherheitspolitischer Akteur „der eigenen Art“ (sui generis). In dieses Verständnis passen sich die strategischen Grundlagen der europäischen Integration im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich sowie die Beschaffenheit der EU als strategischer Akteur nahtlos ein. Im Gegensatz zu Nationalstaaten wird gerade in diesem Bereich die Besonderheit der EU als sicherheitspolitischer Akteur deutlich. Während die meisten Staaten im Laufe ihrer Geschichte ein strategisches Grundverständnis und eine strategische Doktrin entwickeln konnten, hat die Union ihre Außen- und Sicherheitspolitik zunächst ohne eine entsprechende Grundlage und Kultur aufgebaut. Erst 2003, nachdem die institutionelle Entwicklung der ESVP bereits recht weit fortgeschritten war und die ersten operativen Einsätze stattgefunden hatten, hat die Union mit der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) 1 dazu angesetzt, sich eine solche Grundlage zu schaffen. Die Verabschiedung der ESS hat weit reichende internationale Reaktionen hervorgerufen. Die EU hat damit erstmals in ihrer Geschichte in einem strategischen Dokument ihre Ziele als sicherheitspolitischer Akteur auf der Weltbühne formuliert und festgelegt. Als wichtigstes Dokument für die strategischen Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU bildet die ESS den Ausgangspunkt und Analyserahmen für dieses Kapitel. Die ESS wurde im Dezember 2008 durch einen „Bericht über die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie“ erweitert. 2 Die ESS und dieser Bericht stellen bislang die strategische Grundlage für alles außen- und sicherheitspolitische Handeln der EU dar. Dennoch stellt sich die Frage, inwieweit diese Grundlage ausreicht, um die Außen- und Sicher-

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Der Autor möchte der Compagnia di San Paolo, dem Riksbankens Jubileumsfond und vor allem der Volkswagen-Stiftung danken, die mit ihrem „European Foreign and Security Studies“-Programm die Forschung zu diesem Kapitel ermöglicht haben. Europäischer Rat: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie. Brüssel, 12. Dezember 2003. Ebd.

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heitspolitik der EU als strategisch begründet zu bezeichnen oder um gar von einer europäischen „Strategie“ im eigentlichen Sinne zu sprechen. Dieses Kapitel hat zum Ziel, diese grundlegenden Fragen zu beantworten, in die strategischen Grundlagen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik einzuführen und diese kritisch zu beleuchten. Das Kapitel wird zeigen, dass die Union in zunehmenden Maße Politik auf einer strategischen Basis ausübt, aber dass sie noch nicht in der Lage ist, als vollwertiger strategischer Akteur im klassischen Sinne zu agieren, und dass man bei der ESS nicht von einer „Strategie“ im klassischen Sinne sprechen kann. Allerdings wird argumentiert, dass genau dies von der Union auch nicht zu erwarten ist. Als internationale Organisation, die sich durch ihren sui generis Charakter auszeichnet und die für eine ganz eigene Art globalen Handelns steht, eignet sich die EU nicht für direkte Vergleiche mit klassisch nationalstaatlichen Konzepten. Auch wenn in der politischen und akademischen Diskussion die Schwächen der ESS und der EU als strategischer Akteur oftmals zurecht in den Vordergrund gestellt werden, wird dieses Kapitel zeigen, dass die Union zwar nicht über eine Strategie im genuinen Sinne verfügt, dass sie sich aber sehr wohl die notwendigen strategischen Grundlagen geschaffen hat, um als strategischer Akteur auf der internationalen Bühne effektiv zu handeln. Dadurch, dass die EU, bereits über die ESS und andere Dokumente und außen- und sicherheitspolitische Erklärungen sowie über die entsprechenden Institutionen und Instrumente verfügt, ist die EU faktisch bereits ein globaler strategischer Akteur – aber ein strategischer Akteur ohne eine klassische Strategie. Für die EU ist eine solche aus heutiger Sicht jedoch weder möglich noch notwendig. Stattdessen beruht die Außen- und Sicherheitspolitik der EU als sui generis Akteur auf einer ganz eigenen strategischen Grundlage, die ihrer charakteristischen Logik und ihren spezifischen Zielen entspricht und die nicht auf einer klassischen Strategie, sondern auf einem ganzheitlichen sicherheitsund außenpolitischen Ansatz und einer sich immer weiter entwickelnden europäischen strategischen Kultur fußt. Das Kapitel ist folgendermaßen strukturiert: Im ersten Teil werden die Begriffe der „Strategie“ und das Konzept der „strategischen Kultur“ kurz erläutert und in Hinblick auf die EU beleuchtet. Der zweite Teil befasst sich mit der ESS und ihrer Weiterentwicklung als vorrangige strategische Grundlage der EU. Der dritte Teil bewertet die EU als „strategischen Akteur mit strategischer Kultur statt klassischer Strategie.“

2. Strategie und strategische Kultur Da wir uns hier mit den strategischen Grundlagen der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik befassen, lohnt es sich, zunächst den Begriff „Strategie“ genauer zu beleuchten. Sowohl in der Wissenschaft wie auch im alltäglichen 106

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Sprachgebrauch wird der Begriff sehr häufig, allerdings in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. Das Wort Strategie leitet sich vom altgriechischen strategós, („Feldherr“ beziehungsweise „Kommandant“) ab. Meyers Lexikon definiert Strategie als „Entwurf und die Durchführung eines Gesamtkonzeptes, nach dem der Handelnde [in der Auseinandersetzung mit anderen] ein bestimmtes Ziel zu erreichen sucht …“. 3 Neben dieser allgemeinen Erklärung wird der Begriff seit dem 18. Jahrhundert vor allem mit Bezug auf Kriegsführung verwendet. In diesem Zusammenhang ist auch die bekannte Definition von Liddell Hart einzuordnen, der Strategie als „the art of distributing and applying military means to fulfill the ends of policy“ 4 bezeichnete. Diese Definition, die als das klassische Verständnis von Strategie bezeichnet werden kann und bis zum Ende des Kalten Krieges auch in der Politikwissenschaft vorherrschend war, engt den Begriff jedoch zu sehr auf das Militärische ein. Nach heutigem Verständnis und vor allem für das analytische Vorhaben dieses Kapitels reicht der Begriff viel weiter und beschreibt vielmehr ein politisches Gesamtkonzept. In diesem Sinne bezeichnet die Greenwood Encyclopaedia of International Relations Strategie wie folgt: „A grand plan designed to obtain an ultimate military or political goal, by whatever means – political, economic, military or diplomatic […]. Strategy in this, its fullest sense refers to the art and science of using the largest-scale capabilities of a nation to secure its defence, advance its foreign policy goals, or win its wars, by the best possible means“. 5

Diese Definition liegt nahe am Konzept der grand strategy, das Gray als „purposeful employment of all instruments of power available to a security community” 6 beschreibt. Diese Loslösung von einem ausschließlich militärisch geprägten und eher für Nationalstaaten geeigneten Verständnis von Strategie erlaubt es, die strategischen Grundlagen der EU als Staatenbund zu beleuchten. Das vorliegende Kapitel versteht die strategischen Grundlagen bzw. die Strategie der EU als „a policy-making tool which, on the basis of the values and interests of the EU, outlines the long-term overall policy objectives to be achieved and the basic categories of instruments to be applied to that end. It serves as a reference framework for day-to-day policymaking in a rapidly evolving and increasingly complex international environment and it 3 4 5

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Meyers Enzyklopädisches Lexikon, 9. Auflage. Mannheim 1978, S. 663. Liddell Hart, Basil H.: Strategy. New York 1967, S. 335. „Ein ‘grand plan’, der dazu dient, ein endgültiges politisches oder militärisches Ziel zu erreichen, egal ob mit politischen, wirtschaftlichen, militärischen oder diplomatischen Mitteln […]. Eine Strategie in diesem umfassendsten Sinne, nimmt Bezug auf die Kunst und Wissenschaft der allumfassenden Nutzung der Ressourcen einer Nation, um ihre Verteidigung und ihre außenpolitischen Ziele zu sichern oder ihre Kriege durch die bestmöglichen Mittel zu gewinnen.“ (eigene Übersetzung). Gray, Colin: War, Peace and International Relations – An Introduction to Strategic History. London/New York 2007, S. 283.

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guides the definition of the means – i.e. the civilian and military capabilities – that need to be developed”. 7

Nach diesem breiteren Verständnis geht eine Strategie weit über ein operationelles Dokument hinaus und ist ein viel umfassenderes Konzept, das sich mit Außenpolitik in der Breite befasst. 8 Dies entspricht einer grand strategy mit Leitlinien für die europäische Außen- und Sicherheitspolitik, die basierend auf Interessen und Werten die mittel- und langfristigen außenpolitischen Ziele der Union vorgeben und definieren, welche Instrumente zur Erreichung dieser Ziele zur Verfügung stehen. Es geht dabei um eine Strategie als Grundlage für das außen- und sicherheitspolitische Handeln der EU als globaler Akteur. Neben dem Begriff der Strategie soll hier einleitend auch das Konzept der strategischen Kultur vorgestellt werden, das für die kritische Einschätzung der strategischen Grundlagen der EU von besonderer Bedeutung ist. Das Konzept der strategischen Kultur folgt grundsätzlich einem kulturellen Ansatz, der den Einfluss von geschichtlichen Erfahrungen, Werten und Normen in den strategischen Entscheidungen von Staaten betont. Der Begriff der „strategic culture“, der vor allem in der heutigen Forschung über die sicherheits- und verteidigungspolitische Komponente der EU eine Renaissance erlebt, geht ursprünglich auf verschiedene Autoren zurück, die sich mit strategischen Studien zu Zeiten des Kalten Krieges befasst haben. 9 Snyder definiert strategische Kultur dabei als „the sum total of ideas, conditional emotional responses and patterns of habitual behaviour that members of a national strategic community have acquired through instruction and imitation and share with each other” 10 und unterstreicht den Einfluss von Ideen und politischer Kultur sowie der nationalen Geschichte auf strategische Entscheidungen von Staaten. Während die meisten traditionellen Arbeiten zu strategischer Kultur sich ganz wie klassische Strategiestudien mit der Analyse von Nationalstaaten befassen, wurde der Begriff in den letzten Jahren 7

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„Ein politisches Werkzeug, das auf Basis der Werte und Interessen der EU, die langfristigen und grundlegenden Politikziele, die erreicht werden sollen und die grundlegenden Instrumente die dazu eingesetzt werden sollen, benennt. Dieses Werkzeug dient als Referenz in der täglichen Politikgestaltung in einem sich schnell entwickelnden und zunehmend komplexen internationalen System und es leitet die Definition der Mittel, das heißt militärische oder zivile Fähigkeiten, die entwickelt werden müssen.“ (eigene Übersetzung). Biscop, Sven: The European Security Strategy. A Global Agenda for Positive Power. Aldershot 2005, S. 1. Hervorhebungen im Original. Für eine detaillierte Ausführung über dieses moderne Verständnis von Strategie, siehe Gray, Colin: Modern Strategy. New York 1999. Eine gelungene Reflektion des allgemeinen Begriffes Strategie sowie der militärischen Strategie findet sich außerdem in Wedin, Lars: The EU as Military Strategic Actor. In: Engelbrekt, Kjell/Hallenberg, Jan: The European Union and Strategy. An Emerging Actor. Lodon 2008. Siehe z.B. Snyder, Jack: The Soviet Strategic Culture: Implications for Limited Nuclear Options. Santa Monica 1977. Ebd., S. 4.

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zunehmend im Zusammenhang mit der Entwicklung der EU hin zu einem globalen außen- und sicherheitspolitischen Akteur verwendet. In der ESS wird sogar explizit die Entstehung einer strategischen Kultur gefordert: „Wir müssen eine Strategiekultur entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen fördert.“ 11 Bevor im Folgenden die ESS näher beleuchtet und untersucht wird, inwieweit diese zur Entwicklung einer strategischen Kultur für die EU beitragen und eine zunehmend solide strategische Grundlage für das Handeln der EU darstellen kann, soll eine Arbeitsdefinition diese Begriffs ausgearbeitet werden. Eine recht einfache Definition wählen Cornish und Edwards, die die strategische Kultur der EU schlichtweg als „politisches und institutionelles Vertrauen sowie Prozesse zur Anwendung militärischer Gewalt, gekoppelt mit einer externen Anerkennung der EU als legitimer Akteur auf der internationalen Bühne“ 12 definieren. Eine weitaus präzisiere Definition stellt Martinsen vor, wonach strategische Kultur „die Ideen, Erwartungen und Verhaltensmuster, die von Akteuren im Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik geteilt werden”, 13 umfasst. Diese Auffassung von strategischer Kultur liegt nahe an dem, was als Grundlage für dieses Kapitel herangezogen werden soll. Demnach wird strategische Kultur verstanden als „socially transmitted, identity-derived norms, ideas and patterns of behaviour that are shared among a broad majority of actors and social groups within a given security community, which help to shape a ranked set of options for a community’s pursuit of security and defence goals”. 14

3. Die Europäische Sicherheitsstrategie Das wichtigste Dokument, das die außenpolitischen Ziele der Union benennt und die Instrumente zur Erreichung dieser Ziele behandelt, ist wie bereits erwähnt die 11 12

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ESS, S. 11. Hervorhebung durch den Autor. Eigene Übersetzung, Originaltext: „political and institutional confidence and processes to deploy military force, coupled with external recognition of the EU as a legitimate actor in the international sphere”, Cornish, Paul/Edwards, Geoffrey: Beyond the EU/NATO Dichotomy: The Beginnings of a European Strategic Culture. In: International Affairs, 3/2005, S. 802. Eigene Übersetzung, Originaltext: „the ideas, expectations and patterns of behaviour that are shared across the actors involved in the process surrounding European security and defence politics“ Martinsen, Per M.: The European Security and Defence Policy – A Strategic Culture in the Making? Paper prepared for the ECPR Conference, Section 17 Europe and Global Security, Marburg, 18-21 September 2003. Meyer, Christoph: Convergence Towards a European Strategic Culture? A Constructivist Framework for Explaining Changing Norms. In: European Journal of International Relations, 4/2005, S. 528.

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Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) und der ergänzende Bericht über die Umsetzung derselben. Die ESS wurde 2003 verabschiedet und kann durchaus als bahnbrechendes Dokument bezeichnet werden. Zum ersten Mal in ihrer Entwicklungsgeschichte hat die EU mit der ESS eine gemeinsame Lageeinschätzung des internationalen Systems vorgelegt und strategische Ziele explizit formuliert. Damit wurde versucht, der außen- und sicherheitspolitischen Entwicklung der EU und vor allem ihren globalen Zielen ein klareres und ein strategisches Gesicht zu geben. Neben der ESS gibt es noch andere Dokumente, Erklärungen und Projekte strategischen Inhalts, die bei der Analyse der strategischen Grundlage der EU ebenfalls von Belang sind. Beispielsweise die „Strategie der EU gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen“ 15 oder die „Strategie der EU zur Terrorismusbekämpfung“. 16 Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang unter anderem die Grundlagendokumente zur zivilen und militärischen Fähigkeitsentwicklung sowie Rahmendokumente zur operativen Umsetzung von EU Krisenmanagementeinsätzen. 17 Darüber hinaus sind verschiedene ESVP-Institutionen (EUMS, PSK, EDA) in dieser Hinsicht von Belang, die vor allem mit Bezug auf ESVP-Operationen, mit strategischer Planung und Analysen beschäftigt sind. 18 Insgesamt stellen diese und weitere Akteure, Institutionen und Dokumente neben der ESS die strategische Grundlage der EU dar. Das Entscheidende an der ESS und dem ihr folgenden Bericht über ihre Umsetzung ist jedoch, dass damit erstmals ein grundlegendes und zusammenfassendes politisches Dokument vorgestellt wurde, das eine europäische Analyse des internationalen Systems und der europäischen Ziele auf der internationalen Bühne sowie die Benennung möglicher Instrumente zur Erreichung dieser Ziele beinhaltet. Während die strategischen Grundlagen der EU bis dahin nur einzeln und stückweise präsent waren, führt die ESS die verschiedenen Dimensionen und Stränge der Außen- und Sicherheitspolitik der Union zusammen.

3.1. Inhalt der ESS und der Bericht zur Umsetzung Bevor wir uns näher mit den eigentlichen Inhalten der ESS beschäftigen ist es unerlässlich, auf den Zusammenhang und die Begleitumstände einzugehen, in

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Europäischer Rat: Strategie der EU gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen. Brüssel, 12. Dezember 2003. Ebd. Wie vor allem das Helsinki Headline Goal, das Headline Goal 2010, das Civilian Headline Goal 2008 und 2010 sowie das Crisis Management Concept. Vgl. Wedin: EU as Military Strategic Actor, S. 44 ff.

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denen das Dokument geschrieben und veröffentlicht wurde. 19 Angesichts der politischen Umwälzungen durch das Ende des Kalten Krieges, den ersten Irakkrieg und durch die Konflikte im ehemaligen Jugoslawien wurde die Notwendigkeit eines gemeinsamen strategischen Auftretens der EU auf der internationalen Bühne immer deutlicher. Mit der Entwicklung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der ESVP ab 1992 stellte sich die EU dieser neuen Herausforderung. Die politischen und institutionellen Entwicklungen in diesem Bereich wurden jedoch von einem strategischen Vakuum begleitet. Es wurde immer deutlicher, dass eine Definition gemeinsamer Ziele und Interessen und eine damit verbundene Bedrohungsanalyse erforderlich waren. Die Terroranschläge in den USA vom 11. September 2001, die Verabschiedung einer neuen US-amerikanischen Sicherheitsstrategie und die schwerwiegenden Differenzen zwischen den europäischen Regierungen hinsichtlich des Irakkrieges im Jahre 2003 machten diese Notwendigkeit weiter deutlich. Im Mai 2003 beauftragten die Außenminister der EU-Mitgliedstaaten bei einem informellen Treffen in Rhodos den Hohen Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, Javier Solana, eine Sicherheitsstrategie auszuarbeiten. Solana stellte daraufhin einen ersten Entwurf der ESS auf dem Europäischen Rat in Thessaloniki im Juni 2003 vor. Im Dezember 2003 nahm der Europäische Rat diesen Entwurf nach einigen geringfügigen Änderungen an. Die ESS besteht aus drei Kapiteln und hat zum Ziel, das außen- und sicherheitspolitische Handeln der EU auf eine gemeinsame Basis zu stellen, um so dem Anspruch nach mehr globaler Verantwortung gerecht zu werden. In der ESS stellt die EU einen umfassenden Sicherheitsbegriff vor, benennt die aus ihrer Sicht vorrangigen Gefahren und Risiken des internationalen Systems und stellt die zur Verfügung stehenden Mittel und Instrumente im Bereich der Konfliktprävention und des Krisenmanagements vor. 20 Der in der ESS angewandte umfassende Sicherheitsbegriff hebt hervor, dass neben klassischen Elementen der Außen- und Sicherheitspolitik auch wirtschaftspolitische, innenpolitische, völkerrechtliche, entwicklungspolitische sowie soziale und ökologische Elemente von großer Bedeutung im aktuellen und sich verändernden internationalen Umfeld sind. Das erste Kapitel der ESS mit dem Titel „Das Sicherheitsumfeld: Globale Herausforderungen und Hauptbedrohungen“ identifiziert den internationalen Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, scheiternde Staaten und organisierte Kriminalität als wichtigste globale Herausforderungen und Bedrohungen. Auf Basis der identifizierten Bedrohun19 20

Für eine gelungene Beleuchtung der politischen und historischen Umstände, die zur Entwicklung der ESS führten, siehe Biscop (2005), Kapitel 1. Für weitere Details zu den Inhalten der ESS und deren Analyse, siehe Biscop: The European Security Strategy.

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gen werden im zweiten Kapitel unter dem Titel „Strategische Ziele“ drei strategische Zielsetzungen genannt. Das erste Ziel ist die Abwehr von Bedrohungen. Die ESS hebt hervor, dass das aus der Ära des Kalten Krieges bekannte Konzept der konventionellen Territorialverteidigung überholt ist und dass bei den neuen und dynamischeren Bedrohungen „die erste Verteidigungslinie oftmals im Ausland“ liegen kann. 21 Darüber hinaus ist „keine der Bedrohungen rein militärischer Natur und kann auch nicht mit rein militärischen Mitteln bewältigt werden“, 22 weswegen die Bedrohungen nach einer Kombination von Instrumenten verlangen. Nur durch diesen kombinierten Ansatz und durch die präventive Anwendung aller zur Verfügung stehenden Instrumente kann sich die EU demnach den neuen Bedrohungen erfolgreich stellen. Das zweite strategische Ziel, das in der ESS genannt wird, ist eine aktive Nachbarschaftspolitik und die damit verbundene Stärkung der Sicherheit in der Nachbarschaft. Diese allgemeine Zielsetzung beinhaltet die Vermeidung neuer Trennlinien und die Unterstützung demokratischer Entwicklungen. Als wichtige Regionen einer europäischen Nachbarschaftspolitik werden dabei der Balkan, die arabische Region und der Kaukasus genannt. Das dritte strategische Ziel spricht von einer „Weltordnung auf der Grundlage eines wirksamen Multilateralismus“. Dieser hebt hervor, dass kein Staat in der Lage ist, die globalen Probleme alleine zu handhaben und unterstreicht die Bedeutung der Vereinten Nationen und deren Charta sowie weiterer internationaler Organisationen wie NATO, OSZE und WTO (Welthandelsorganisation) als Grundlage und Handlungsarenen eines wirksamen multilateralen Systems. Im dritten Kapitel der ESS geht es unter dem Titel „Auswirkungen auf die europäische Politik“ um Maßnahmen für eine effektive und handlungsfähige Außenund Sicherheitspolitik der Union und die Zusammenarbeit mit Partnern. Dabei wird hervorgehoben, dass die EU bereits viele Fortschritte auf dem Weg zu einer kohärenten Außenpolitik und einer wirksamen Krisenbewältigungspolitik gemacht hat, dass diese aber „noch aktiver, kohärenter und handlungsfähiger sein“ 23 bzw. werden muss. Die Ziele der EU sollen durch ein aktiveres außenpolitisches Handeln und eine Kombination aus verschiedenen Maßnahmen im politischen, diplomatischen, militärischen und zivilen sowie handels- und entwicklungspolitischen Bereich zur Konfliktverhütung und Krisenbewältigung erreicht werden. Insgesamt bildet das Ziel „eine Strategie-Kultur [zu] entwickeln, die ein frühzeitiges, rasches und wenn nötig robustes Eingreifen fördert“ die Grundlage für die ESS. 24 Das An21 22 23 24

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ESS, S. 7. Ebd. Ebd., S. 11. Ebd.

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wenden militärischer Gewalt als ultima ratio und die Weiterentwicklung und bessere Nutzung der zivilen und militärischen Fähigkeiten der EU werden hier explizit genannt. 25 Um die Handlungsfähigkeit der Union im Krisenfall zu erhöhen, sollen außerdem effektive europäische Verteidigungsstrukturen aufgebaut und gemeinsame Bedrohungsanalysen vorgenommen werden. Zudem wird die Bedeutung der Kombination ziviler und militärischer Mittel unterstrichen. Darüber hinaus soll eine Reihe „strategischer Partnerschaften“ bei der Erreichung der formulierten strategischen Ziele helfen. Hier wird der Kooperation mit den USA eine besondere Stellung eingeräumt: „die transatlantischen Beziehungen sind unersetzlich“ – so das Dokument im Wortlaut. 26 Außerdem werden explizit strategische Partnerschaften mit Russland, Japan, China, Kanada und Indien angestrebt. Bevor wir die Inhalte der ESS bewerten, soll hier noch die Weiterentwicklung der ESS als Rahmendokument beleuchtet werden. Javier Solana erhielt im Dezember 2007 von den Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten den Auftrag, die bisherige Umsetzung der ESS zu analysieren und diese gegebenenfalls zu verbessern. 27 Ein Jahr später stellte Solana ein 12-seitiges Dokument, den „Bericht zur Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie – Sicherheit schaffen in einer Welt im Wandel“, vor. Schon am Anfang des Dokuments wird die weiterhin bestehende Gültigkeit der ESS hervorgehoben. Der Bericht hält sich darüber hinaus auch weitgehend an die Struktur und die Inhalte der ESS. Der Bericht besteht ebenfalls aus drei Hauptteilen und der erste Teil („Globale Herausforderungen und Hauptbedrohungen“) befasst sich wie die ESS mit der Nennung und Einschätzung aktueller globaler Bedrohungen. Zu den bereits in der ESS genannten Bedrohungen werden die Sicherheit im Internet, die Sicherheit der Energieversorgung und der Klimawandel als wesentliche globale Herausforderungen ergänzt. Außerdem wird die Notwendigkeit einer verbesserten Analyse- und Frühwarnmöglichkeit unterstrichen, um die Konfliktpräventionsund Krisenbewältigungsfähigkeiten der Union zu verbessern. Der zweite Teil („Schaffung von Stabilität innerhalb und außerhalb von Europa“) befasst sich 25

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„Damit wir unsere Streitkräfte zu flexibleren, mobilen Einsatzkräften umgestalten und in die Lage versetzen können, sich den neuen Bedrohungen zu stellen, müssen die Mittel für die Verteidigung aufgestockt und effektiver genutzt werden“; ESS, S. 12. Ebd., S. 13. „Vor dem Hintergrund sämtlicher Entwicklungen seit der Annahme der Strategie, insbesondere der bei den ESVP-Missionen gesammelten Erfahrungen, ersucht der Europäische Rat den Generalsekretär/Hohen Vertreter, die Umsetzung der Strategie unter voller Beteiligung der Kommission und in enger Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten zu prüfen und Elemente zur Verbesserung ihrer Umsetzung und gegebenenfalls zu ihrer Ergänzung vorzuschlagen, die dann vom Europäischen Rat im Dezember 2008 anzunehmen wären.“. Tagung des Europäischen Rates vom 14. Dezember 2007; Schlussfolgerungen des Vorsitzes, 14. Februar 2008.

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mit der Nachbarschaftspolitik der EU und unterstreicht den Zusammenhang zwischen Sicherheits- und Entwicklungspolitik. Im dritten Teil („Europa in einer sich wandelnden Welt“) werden die Politiken und Instrumente beleuchtet, die der EU zur Verfügung stehen, um auf das sich wandelnde Sicherheitsumfeld reagieren zu können und die europäischen Ziele zu erreichen. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die besondere Betonung der ESVP, deren Erfolg als „integraler Bestandteil“ der GASP genannt und in der Verbesserung der europäischen Krisenreaktionsfähigkeit in den Vordergrund gestellt wird. In diesem Zusammenhang wird gefordert, die militärische Prioritätensetzung und Befehlsstrukturen sowie die Kombination ziviler und militärischer Expertise zu verbessern. Außerdem werden wiederum die Bedeutung von Partnerschaften und das Streben nach einem wirksamen multilateralen Handlungssystem bestätigt.

3.2. Bewertung Wie kann man nun die ESS und ihre Weiterentwicklung 28 bewerten und was bedeutet sie als strategische Grundlage für die außen- und sicherheitspolitischen Aktionen und Ambitionen der EU? Ist sie lediglich eine vage und unverbindliche Sammlung allgemeiner Absichtsbekundungen, oder ist sie eine ausreichende strategische Basis, die Interessen und verfügbare Instrumente klar genug benennt und die sicherheitspolitische Richtung der Union vorgibt? Bevor diese Fragen im Detail beantwortet werden, muss grundsätzlich positiv hervorgehoben werden, dass sich die EU mit der ESS erstmals einen strategischen Rahmen gegeben hat, in den ihre Außen- und Sicherheitspolitik eingebettet ist. Dies ist an und für sich bereits eine der größten Errungenschaften der ESS. Alleine die Tatsache, dass es gelungen ist, die verschiedensten nationalen Positionen zu integrieren und die Mitgliedstaaten auf ein solches gemeinsames Dokument einzuschwören, ist von immenser Bedeutung für die Gesamtentwicklung der EU als globaler Akteur. Bis zur Verabschiedung der ESS schien die Formulierung einer umfassenden Strategie für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU politisch nur schwerlich möglich.29 Sowohl innerhalb der EU als auch seitens anderer internationaler Akteure kann die ESS nunmehr nur noch schwerlich ignoriert werden. Immerhin haben die Staatsoberhäupter von 25 28

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Die beiden Dokumente werden im Folgenden als zusammenhängend betrachtet; sprich wenn von der ESS die Rede ist, dann wird damit in der Regel Bezug auf beide Dokumente genommen. Es sei allerdings darauf hingewiesen, dass die ESS ein politisches, rechtlich nicht bindendes Dokument ist. Im Grunde handelt es sich bei der Strategie lediglich um eine Erklärung des Europäischen Rates, die rechtlich weniger Gewicht hat als beispielsweise eine „Gemeinsame Strategie“.

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bzw. 27 Ländern, „mit über 450 Millionen Einwohnern, die ein Viertel des Bruttosozialprodukts (BSP) weltweit erwirtschaften“, 30 gemeinsam ein Dokument verabschiedet, in dem außenpolitische Vorgaben gemacht und maßgebliche sicherheitspolitische Richtungsentscheidungen getroffen werden. Die ESS ist ein Dokument, in dem die EU ihren Anspruch, ein „globaler Akteur“ zu sein und ihre Bereitschaft, „Verantwortung für die globale Sicherheit und für eine bessere Welt mit zu tragen“, 31 hervorhebt. An der ESS wurde vor allem kritisiert, dass die Strategie zu vage und eine bloße Zustandsbeschreibung der internationalen Lage ist. Die Kritiken in diesem Zusammenhang gingen zum Teil sogar soweit, dass von der ESS als einer Sammlung von „Plattitüden“ gesprochen wurde. 32 Tatsächlich lassen viele Formulierungen in der ESS viel Raum für Interpretationen und müssen erst in konkrete Politiken und Handlungsanweisungen umgesetzt werden. Problematisch ist vor allem, dass der Grundton der Strategie und die allgemeinen Zielvorgaben sowie das grundlegende Verständnis des internationalen Rahmenbedingungen klar sind, dass dabei jedoch einige Bereiche zu vage benannt und vor allem die konkreten Instrumente und Mittel, die zur Erreichung einzelner Ziele eingesetzt werden können, nicht klar definiert werden. 33 Dies erschwert die Umsetzung der Strategie in praktische politische Handlungen. Eine der größten Einschränkungen ist sicherlich die Tatsache, dass die ESS die Frage nach klaren Bedingungen für die Anwendung militärischer Gewalt unbeantwortet lässt. Zwar macht sie deutlich, dass militärische Gewalt nur als letztes Mittel und nur in Zusammenhang mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrates anzuwenden ist, aber auch hier besteht viel interpretatorischer Spielraum. Es ist nicht wirklich klar, zu welchen politischen Zielen und für die Erreichung welcher europäischer Interessen tatsächlich militärische Gewalt angewendet würde. Darüber hinaus ist zu kritisieren, dass einige relevante Bereiche ausgespart sind, dass wiederum andere Bereiche nur unzureichend behandelt werden und dass die Strategie im Allgemeinen sehr kurz gehalten wurde. 34 30 31 32

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Europäischer Rat: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Europäische Sicherheitsstrategie. Brüssel, 12. Dezember 2003, S. 1. Ebd. Vgl. Hyde-Price, Adrian: A Neurotic ‚Centaur’. The Limitations of the EU as Strategic Actor. In: Engelbrekt, Kjell/Hallenberg, Jan: The European Union and Strategy. An Emerging Actor. London 2008, S. 154 und S. 162. Diese Kritik reiht sich jedoch in die allgemeine Ablehnung des Autors der europäischen Integration im außen- und sicherheitspolitischen Bereich ein. Dort, wo die Strategie der EU zu vage bleibt und klare Entscheidungen und Formulierungen fehlen, liegt das in den meisten Fällen an der Uneinigkeit zwischen den Mitgliedstaaten und an der Verschiedenheit ihrer Interessen. Tatsächlich ist die ESS auch hinsichtlich der Dokumentlänge eher kurz. Zum Vergleich: die aktuelle Fassung der nationalen Sicherheitsstrategie der USA umfasst knapp 50 Seiten, die britische Sicherheitsstrategie rund 60 Seiten.

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Neben diesen allgemeinen Punkten hat es auch fundamentalere Kritik an der ESS gegeben. Toje beispielsweise unterstreicht, dass die Europäische Sicherheitsstrategie gar keine Strategie ist. 35 Bezieht man sich bei der Bewertung der ESS auf einen sehr traditionellen und in vielerlei Hinsicht veralteten StrategieBegriff, so kann diesem Vorwurf durchaus ein gewisser Gehalt beigeordnet werden. Diese Sichtweise wird vor allem vom strategischen Denken realistischer Ansätze geprägt ist und konzentriert sich auf die erfolgreiche und effiziente Anwendung militärischer Gewalt zur Erreichung bestimmter strategischer Ziele. Die EU folgt allerdings einem ganzheitlichen Sicherheitsbegriff und versucht damit, den komplexen Herausforderungen der globalen Sicherheitslandschaft gerecht zu werden. Folgt man dem Konzept umfassender Sicherheit, dann ist die ESS zweifelsfrei ein Dokument mit großer strategischer Bedeutung, das als Grundlagendokument und als Referenzpunkt für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU herangezogen werden kann. Die ESS richtet sich ausdrücklich nach einem solchen umfassenden Sicherheitsbegriff, der nicht militärisch-strategisch, sondern außenpolitisch-strategisch geprägt ist. 36 Ob dies nun ausreicht, um die ESS als „Strategie“ bezeichnen zu können oder ob die ESS nach wie vor nur als strategisches Konzept oder eine strategische Grundlage angesehen werden kann, hat eher semantische als wirkliche politische Bedeutung. 37 Jedenfalls kann und soll es aus heutiger Sicht nicht das vorrangige Ziel der EU sein, eine Strategie im klassischen Sinne zu entwickeln. Dies bleibt Nationalstaaten überlassen und ist nicht Sache der EU, zumal diese auch kein globaler „Akteur“ im klassischen Sinne ist oder sein kann. Die ESS kann jedoch sicherlich als Strategie der eigenen Art für die Außen- und Sicherheitspolitik der EU als globaler Akteur der eigenen Art bezeichnet werden. Dabei stellt die ESS keine grundlegend neue Orientierung vor, sondern bündelt bereits vorher bestehende Grundsätze europäischer Außen- und Sicherheitspolitik und verleiht diesen einen gemeinsamen Rahmen. Die politische Bedeutung einer solchen Zusammenfassung von Zielsetzungen in einem Dokument sollte nicht unterschätzt werden. Wo ein solches Rahmenpapier erst einmal be35

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Toje, Asle: The 2003 European Union Security Strategy: A Critical Appraisal. In: European Foreign Affairs Review, 10/2005, S. 120-121. Toje verweist dabei darauf, dass eine Strategie in traditionellem Sinn „is expected to define actual goals and set up priorities to achieve policy objectives“ und dass sie „should describe which means can be used, and under what conditions, to fulfil that specific purpose”. Nichtsdestotrotz würde es der Außen- und Sicherheitspolitik und dem Verständnis der EU als internationaler Akteur wie bereits erwähnt gut tun, wenn zu gegebener Zeit auch eine militärische Doktrin bzw. ein mehr operationelles Konzept kodifiziert würde, das klar macht, in welcher Form und unter welchen Umständen militärische Gewalt zum Einsatz kommen soll. So gesteht Toje der ESS zu ein strategisches Konzept zu sein, aber eben keine Strategie. Vgl. Toje: The 2003 European Union Security Strategy, S. 120.

Die Strategischen Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU

steht, bietet es einen ständigen Bezugspunkt für zukünftige Entscheidungen – und zwar sowohl innerhalb der EU als auch für deren Partner. Die ESS gibt der weiteren Entwicklung der GASP eine klare Richtung vor. Der Logik und den logischen Begrenzungen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU entsprechend ist die ESS nicht zu detailliert und definiert lediglich die unstrittige Konsenslinie. Damit gibt sie die gemeinsame Richtung vor, lässt aber zugleich allen EU-Mitgliedstaaten den erforderlichen Freiraum für nationale Positionen. Für eine effektive europäische Außen- und Sicherheitspolitik ist dies absolut notwendig. Trotz aller Schwächen und definitorischen Unklarheiten ist die ESS ein innovatives und grundlegendes strategisches Dokument. Nicht zuletzt wird ein eigener strategischer Sicherheitsbegriff für die EU vorgegeben und damit ein Referenzrahmen für die weitere Entwicklung grundlegender Einzelstrategien zur Umsetzung der allgemeinen Ziele. Außerdem hat die Ausarbeitung der ESS zu mehr Kohärenz in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik beigetragen und eine Basis für strategische Beziehungen zu anderen Regionen und Organisationen geschaffen. Die Strategie bezieht sich auf alle Bereiche der EU und basiert auf einer ganzheitlichen Herangehensweise, die alle außenpolitischen Agenden der EU, von der Handels-, Entwicklungs-, und Migrationspolitik über die Diplomatie bis hin zu militärischen Optionen einschließt. Sie führt die verschiedenen Bestandteile der EU-Außen- und Sicherheitspolitik zusammen und leistet somit einen essentiellen Beitrag zu einem eigenen europäischen Ansatz. Markant ist in dieser Hinsicht die besondere und wiederholte Hervorhebung langfristiger Konfliktprävention sowie der Entwicklung von Partnerschaften und effektivem Multilateralismus zur Stabilisierung des internationalen Systems. Die ESS ist ein umfassendes, wenn auch zum Teil ambivalentes, strategisches Konzept, das definitorisch auch einer Strategie nach dem vorgestellten weiteren Strategie-Begriff entspricht. Während viele Kritiker in dieser thematischen Breite eine Schwäche der ESS sehen, bin ich der Ansicht, dass genau diese umfassende Perspektive, die Biscop als „strong foreign policy acquis“ 38 bezeichnet, eine Stärke der ESS darstellt. Zudem entspricht dieser ganzheitliche Ansatz nicht nur dem zurzeit vorherrschenden Sicherheitsbegriff in einer globalisierten Welt, sondern auch dem Charakter der EU und ihrer Außenpolitik.

4. Ein strategischer Akteur mit strategischer Kultur statt einer klassischen Strategie Zusammengefasst lässt sich also sagen, dass die ESS keine Strategie im klassischen Sinne ist (und sein kann), dass sie aber zweifelsfrei ein strategisches Kon38

Biscop, Sven: The ESS in Context. In: Biscop, Sven/Anderson, Jan Joel (Hrsg.): The EU and the European Security Strategy. Forging a Global Europe. New York 2008, S. 19.

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zept mit einer weit reichenden und ambitionierten Agenda ist, auf deren Basis die EU ihrer Verantwortung und ihren Zielen als internationaler Akteur gerecht werden kann. Was bedeutet diese Feststellung jedoch für den noch in der Entwicklung befindlichen strategischen Akteur EU und ihre strategische Position? Der letzte Teil dieses Kapitels wird versuchen, diese Frage zu beantworten und darzustellen, wie auf Basis der ESS eine europäische strategische Kultur entstehen kann. Es stellt sich zunächst die Frage, inwieweit internationale Organisationen im Allgemeinen und die EU im Besonderen als strategische Akteure angesehen werden können. Hier scheint von entscheidender Bedeutung, klassische Vorstellungen und Konzepte, die in erster Linie mit Blick auf Nationalstaaten entwickelt worden sind, nicht direkt auf die EU anzuwenden. Die EU hat weder die Absicht, noch bringt sie die organisatorischen und politischen Voraussetzungen mit, ein einheitlicher strategischer oder militärischer Akteur im Sinne eines klassischen Nationalstaates zu werden. Die EU ist laut zahlreichen Analysen in den Internationalen Beziehungen per definitionem kein traditioneller beziehungsweise klassischer Akteur, sondern ist als sui generis power zu verstehen. 39 Einwände wie die von Rynning, dass die EU sich darauf konzentrieren solle, ein erfolgreiches Friedensprojekt zu sein und dass sie sich aus wirklichen strategischen Angelegenheiten heraushalten sollte – „zu behaupten, die EU könne etwas tun, wozu sie nicht geschaffen ist, kann die Union zerstören” und „die EU verfügt einfach nicht über das, was vonnöten ist, um ein traditioneller strategischer Akteur zu sein” 40 – erscheinen daher nicht angebracht, nicht zuletzt weil die EU bereits heute mehr als eine bloße Zivilmacht ist, die nur soft power zur Verfügung hat. Diese sui generis power EU hat sich mit der ESS ein strategisches Konzept gegeben, das danach strebt zu handeln, bevor Auseinandersetzungen zum Gegenstand militärischer Ausienandersetzung werden. Dieses Ziel präventiver Politik, das Streben nach effektivem Multilateralismus, die Hervorhebung verschiedener Instrumente und Wege zur Erlangung globaler Stabilität und der damit verbundene umfassende Sicherheitsbegriff prägen die EU als strategischer Akteur und ihren eigenen Ansatz. Gemäß dem einleitend vorgestellten breiteren Verständnis des Begriffes Strategie wird die EU als globaler Akteur verstanden, dessen Handlungspotential weit über den militärischen Bereich hinausgeht. Klassische Definitionen von Strategie sind nicht dazu geeignet, die Qualität der EU als strategischer Akteur im heutigen internationalen System zu bewerten. Die EU 39 40

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Vgl. Gnesotto, Nicole: European Strategy as a Model. ISS Newsletter Nr. 9, Paris 2004, S. 1-4. Eigene Übersetzung, Originaltext: „To pretend that the EU can do something it is not designed to do could undo the Union“ und „the EU simply does not have what it takes to become a traditional strategic actor.“ Rynning (2005), S. 45 und S. 49.

Die Strategischen Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU

kann vielmehr als ein moderner strategischer Akteur charakterisiert werden. 41 Wichtig ist in diesem Zusammenhang zudem, dass der Aspekt des internationalen Krisenmanagements den Kern sämtlicher militärischer Operationen der EU darstellt. Dies entspricht einer der sicherheitspolitischen Hauptcharakteristiken der EU. Es geht dabei um eine ganz andere Auffassung von sicherheitspolitischem Handeln, das sich nicht mehr auf klassische kriegerische Auseinandersetzungen und damit verbundene Strategien konzentriert. Derartige Konzepte waren in der Vergangenheit eher für Nationalstaaten von Belang, wobei zu betonen ist, dass sich auch für diese die Grundvoraussetzungen für moderne Krisenbewältigungspolitik geändert haben. Mit diesem Fokus auf Krisenmanagement, präventive Politik und Multilateralismus hat die EU also einen politischen Rahmen geschaffen, der alle ihre außenpolitischen Agenden und Instrumente zusammenführt. Die ESS fungiert für internationale Entscheidungsträger als wichtige Referenz und Leitlinie für ihre außen- und sicherheitspolitischen Handlungen. Seit ihrer Verabschiedung ist die ESS in relevanten Diskursen innerhalb der EU allseits präsent. Sämtliche Entscheidungen mit außen- und sicherheitspolitischem Bezug enthalten Verweise auf das Papier. 42 Damit trägt die ESS zur Entwicklung einer europäischen strategischen Kultur bei. Zugleich beeinflusst diese entstehende strategische Kultur die Weiterentwicklung der strategischen Grundlagen und ihre Anwendung. Durch die zunehmende strategische Orientierung und die steigende Zahl an abgeschlossenen und laufenden ESVP-Operationen sowie durch ein immer dichter werdendes Netzwerk relevanter europäischer und internationaler Akteure in den verschiedenen Bereichen der GASP und ESVP wird diese strategische Kultur zunehmend gefestigt. Dies ist ein kontinuierlicher und wechselseitiger Prozess. Die im Reformvertrag vorgesehenen Änderungen der gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU werden hier einen weiteren wichtigen Beitrag leisten, vor allem durch die neue Rolle des EU-„Außenministers“ und des im Aufbau befindlichen europäischen diplomatischen Dienstes. Die ESS unterstützt die Entwicklung einer europäischen strategischen Kultur unter anderem dadurch, dass sie als Referenzrahmen zur Entstehung einer gemeinsamen Identität in strategischen und sicherheitspolitischen Fragen und der Festigung geteilter Normen, Wertvorstellungen und Ideen über die Ziele und Grenzen einer gemeinsamen Sicherheitspolitik beiträgt. Durch diesen Prozess wird es zunehmend selbstverständlicher, dass die EU einen wichtigen Rahmen 41

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Engelbrekt weist zurecht darauf hin, dass die EU nach Standards klassischer Autoren wie Machiavelli und Clausewitz sicher nicht die Ansprüche eines strategischen Akteurs erfüllt. Engelbrekt, Kjell: Machiavelli and the Making of a European Security and Defence Strategy. In: Engelbrekt, Kjell/Hallenberg, Jan: The European Union and Strategy. An Emerging Actor. London 2008, S. 15. Vgl. Biscop, Sven/Anderson, Jan Joel (Hrsg.): The EU and the European Security Strategy. Forging a Global Europe. New York 2008.

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für internationale sicherheitspolitische Fragen bieten kann. Neben der allgemeinen Bedeutung der strategischen Grundlagen, die sich die EU mit der ESS geschaffen hat, hat auch die enge Vernetzung zwischen der Präsidentschaft, den sicherheitspolitischen Gremien der EU, den Ministerien der Mitgliedstaaten und vor allem auch des Stabes und des gesamten Umfeldes des Hohen Repräsentanten Javier Solana großen Einfluss auf die Formulierung konvergierender Ideen und Agenden in der europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Dies entspricht der Definition einer entstehenden europäischen strategischer Kultur. Vor allem die Kombination aus zivilen und militärischen Komponenten und die Anwendung eines eigenen umfassenden Sicherheitsansatzes geben der EU die notwendige inhaltliche Anleitung für ein wirkungsvolles und lösungsorientiertes Problemverständnis. Die Institutionalisierung, die entstehenden Narrative und die praktischen Einsätze der ESVP führen zu einer Konvergenz der strategischen Kulturen der einzelnen Mitgliedstaaten und zur Entstehung einer „brüsselisierten“ strategischen Kultur der EU. 43 Diese vielschichtige Entwicklung lässt die EU zu einem strategischen Akteur ohne klassische Strategie, aber mit eigener strategischer Kultur werden.

5. Schlussfolgerungen und Ausblick Dieses Kapitel hat gezeigt, dass die EU mit der ESS als Kerndokument über eine ausreichende strategische Grundlage verfügt, um als strategischer Akteur zu gelten und als solcher aktiv zu werden. Dabei ist es nur von relativer Relevanz, ob man die ESS nun im klassischen Sinne als Strategie oder nur als strategisches Konzept definiert. Die ESS ist ein strategisches Rahmendokument und eine Strategie im modernen Sinne, die einerseits dem Charakter der EU entspricht und ihre Vorzüge als umfassender Akteur in der Vordergrund stellt, die aber auch den spezifischen Herausforderungen des heutigen sicherheitspolitischen Umfeldes Rechnung trägt. In der ESS wird eine grundlegende Darstellung der Rolle geboten, die die EU in der Welt spielen kann, und die ESS bietet eine Basis, auf der die EU diese Rolle strategisch entwickeln kann. Bei der Analyse und der Bewertung der strategischen Grundlagen der EU darf nicht vergessen werden, dass die EU sich als strategischer Akteur noch in der Entwicklung befindet. Die ESS ist ein wichtiger Bestandteil eines Entwicklungsprozesses, der noch nicht abgeschlossen ist und der auch keinen klaren Endpunkt hat. Die GASP besteht institutionell gesehen erst seit 16, die ESVP seit zehn Jahren. Erst 2003 hat die EU begonnen, auch operative Handlungen im Bereich 43

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Vgl. Breuer, Fabian: Die Konstruktion, die Institutionalisierung und das Entscheidungssystem der ESVP. Florenz 2006.

Die Strategischen Grundlagen der Außen- und Sicherheitspolitik der EU

des internationalen Krisenmanagements zu setzen. Innerhalb weniger Jahre hat eine eindrucksvolle Ausdifferenzierung des institutionellen Apparates stattgefunden, der für die Planung und Durchführung von EU-Einsätzen zuständig ist. Die von Javier Solana vor allem zu Beginn des Integrationsprozesses in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik mehrfach vorgenommene Bewertung, die EU habe sich in diesem Bereich „mit Lichtgeschwindigkeit“ weiterentwickelt, hat damit durchaus einen gewissen Realitätsbezug. Angesichts des Ausmaßes an internen politischen Veränderungen in den letzten Jahren besteht durchaus Grund zur Annahme, dass sich die EU mittelfristig auch weiter in die klassischen Bereiche strategischen Handelns, wie die Anwendung oder Androhung militärischer Gewalt, vorwagen wird. Von zentraler Bedeutung ist dabei die Fortentwicklung und Festigung der europäischen strategischen Kultur, die durch die ESS, die außen- und sicherheitspolitischen Institutionen und Akteure und die ESVPOperationen der EU vorangetrieben wird. Zugleich sorgt diese sich weiterbildende strategische Kultur auch für eine Weiterentwicklung der dokumentierten strategischen Grundlagen. Nur mit einer immer klarer werdenden und detaillierter formulierten Strategie und mit einer sich fortentwickelnden strategischen Kultur, wird die EU in der Lage sein, ihre Rolle als internationaler strategischer Akteur zu erfüllen und die Welt zu beeinflussen. Nicht zuletzt erscheint es allerdings auch unerlässlich, darauf hinzuweisen, dass die EU als strategischer Akteur immer gewissen Einschränkungen unterliegen wird. Als Bund von 27 autonomen Nationalstaaten, die alle eigene strategische Interessen und zum Teil auch divergierende strategische Ziele haben, ist die Entstehung einer einheitlichen Strategie, die einem nationalstaatlichen Standard entspricht, nicht möglich. Die EU kann nicht mit denselben Maßstäben gemessen werden wie Nationalstaaten und klassische globale Akteure. Auch eine Außenund Sicherheitspolitik, die solchen Standards entspricht, werden wir aller Voraussicht nach mittelfristig nicht erleben. Die Messlatte sollte hier allerdings auch nicht zu hoch gelegt werden und die EU und die Kommentatoren ihrer Außenund Sicherheitspolitik sollten sich mit einer bescheideneren bzw. den Umständen entsprechenden Vorstellung einer gemeinsamen Strategie begnügen, die die zusammengefassten strategischen Grundlagen ihrer Mitgliedstaaten umfasst. 44 Eine vorrangige Herausforderung besteht darin, die ESS als strategische Grundlage weiterhin in der Praxis anzuwenden und als ständigen Referenzrahmen in den Diskursen und Handlungen der europäischen wie auch nationalen Akteure und Institutionen zu verankern. Dabei muss vor allem geklärt werden, mit welchen Instrumenten und auf Basis welcher Handlungsgrundsätze die EU 44

Eigene Übersetzung, Originaltext „…the more modest version of this idea, outlining an EU security and defence strategy that augments and transcends those of individual member states, is perhaps a more attractive and practical notion”. Engelbrekt: The Making of a Security and Defence Policy, S. 18-19.

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Fabian Breuer

international handeln will. Dies gilt vor allem hinsichtlich der Frage militärischer Gewaltanwendung. Als grand strategy muss die ESS langfristig mit verbesserten Analyse- und Frühwarnmöglichkeiten und einer konkreten militärischen Strategie untermauert werden. Es muss klar definiert werden, auf welche Weise und mit welchen Mitteln die strategischen Ziele der EU erreicht werden sollen. Die „weichen“ Außenpolitiken der EU, wie die Handels-, Entwicklungs- und Migrationspolitik, müssen auf überzeugende Weise mit klassischer ‚harter’ Sicherheitspolitik verbunden werden. Dazu ist es erforderlich, die bereits grundsätzlich festgelegten Ziele möglichst strukturiert und hierarchisch in die GASP und ESVP einzubetten. Dies bringt auch die Notwendigkeit mit sich, mittelfristige und grundlegende Ziele klarer zu formulieren, die Gestalt der GASP und ESVP im Detail zu definieren und deutlichen politischen Willen darüber zu äußern, wozu die EU in militärischer Sicht fähig sein soll. Entscheidungen im Zusammenhang mit klassischen militärischen Einsätzen und Interventionen und sicherheitspolitische Grundsatzfragen, welche die Souveränität der Nationalstaaten im Kern berühren, wie zum Beispiel die Frage nach dem Für und Wider einer militärischen Intervention im Irak, werden letztendlich immer in den Händen der Mitgliedstaaten bleiben. In den Bereichen jedoch, in denen die EU ihren Anspruch, als globaler internationaler Akteur zu entscheiden und zu handeln, bereits erhoben und unter Beweis gestellt hat, bleibt ihre Bedeutung unumstritten und wird in Zukunft noch weiter wachsen. Die EU hat bereits damit begonnen, sich ihre Eigenheit als strategischer Akteur der besonderen Art zum Vorteil zu machen und sich damit auch eine Vorbildfunktion gesichert.

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Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

Nicole Alecu de Flers

1. Einleitung Dieses Kapitel befasst sich mit der Entwicklung der vertraglichen Grundlagen des operativen Krisenmanagements, das die EU im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) betreibt. Die ESVP ist primärrechtlich gesehen Teil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP), die 1992 mit dem Vertrag über die Europäische Union, dem sogenannten Vertrag von Maastricht, als Zweite Säule der EU eingerichtet wurde. In den darauffolgenden Vertragsrevisionen von Amsterdam (1997) und Nizza (2000) hat sich an dieser grundlegenden rechtlichen Zuordnung nichts geändert. Da Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik politisch äußerst sensible Bereiche darstellen, sind die Mitgliedstaaten hier bislang vergleichsweise wenig gewillt gewesen, konkrete Kompetenzen der EU zu übertragen. Aus diesem Grund wurden sicherheits- und verteidigungspolitische Aspekte bisher auch nur in sehr beschränktem Maße in die Verträge der EU aufgenommen. Die besondere Sensibilität der militärischen Aspekte der ESVP führte dazu, dass vor allem rechtliche Beschränkungen und Klauseln bezüglich der Verbindlichkeit für die Mitgliedstaaten Eingang in die Verträge fanden. Eine ausdrückliche primärrechtliche Verankerung des EU-Krisenmanagements einschließlich sämtlicher ziviler und militärischer Aspekte hat es bis vor kurzem nicht gegeben. Dies hat sich mit Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon – des sogenannten EU-Reformvertrages – insofern verändert, als dass die operative Dimension der GASP im Rahmen der ESVP erstmals einen eigenen Abschnitt mit „Bestimmungen über die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ (Artikel 42-46 EUV/Lissabon) erhält. 1 Im ersten Teil dieses Kapitels wird die Evolution jener sicherheits- und verteidigungspolitischen Zielsetzungen nachgezeichnet, die seit Gründung der EU 1992 mit dem Vertrag von Maastricht primärrechtlich explizit verankert sind und damit den rechtlichen Handlungsrahmen für das operative Handeln der EU im Rahmen der ESVP darstellen. Der zweite Teil behandelt die Frage, inwiefern der Aufbau von operativen Kapazitäten, die Durchführung von KrisenmanagementOperationen und die Einrichtung neuer Institutionen für das EU-Krisenmanage1

Die ESVP wird nach dem Vertrag von Lissabon außerdem in die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) umbenannt.

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ment mit Änderungen des Primärrechts der EU einhergegangen sind bzw. im Vertrag von Lissabon Niederschlag gefunden haben. Der dritte Teil präsentiert schließlich einige Schlussfolgerungen und eine allgemeine Bewertung.

2. Der Handlungsrahmen des EU-Krisenmanagements seit Maastricht Der grundlegende rechtliche Handlungsrahmen für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik und damit für das operative Krisenmanagement der EU fand sich bis zum Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon im Dezember 2009 im Artikel 17 des Vertrages von Nizza wieder. An der Entwicklung über verschiedene Reformschritte hinweg lässt sich gut die allgemeine Evolution der ESVP nachzeichnen. Dabei ist insbesondere von Interesse, welchen Grundsätzen und Zielen die EU im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich verpflichtet ist, wie konkret diese formuliert werden, wie diesbezügliche Entscheidungen getroffen sowie umgesetzt werden sollen und wie das Verhältnis zu den nationalen Politiken der EU-Mitgliedstaaten sowie zur NATO geregelt wird.

2.1. Vertrag von Maastricht Im Vertrag über die Europäische Union (EUV), der am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnet wurde, wurde erstmals eine vertragsrechtliche Grundlage für das Krisenmanagement der EU geschaffen. Im Rahmen der neu eingeführten „Bestimmungen über die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ (Titel V) wurde auch eine umfassende sicherheits- und verteidigungspolitische Komponente explizit in die Zielsetzungen aufgenommen. So lautete Artikel J.4 Absatz 1 EUV/Maastricht: „Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik umfasst sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Europäischen Union betreffen, wozu auf längere Sicht auch die Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu gegebener Zeit zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte.“

Besonders bemerkenswert ist, dass ausdrücklich alle – d. h. auch militärische – Aspekte der Sicherheit in den Anwendungsbereich dieser gemeinsamen Politik einbezogen wurden, während die Europäische Politische Zusammenarbeit (EPZ) – die institutionelle Vorläuferin der GASP – gemäß der 1987 in Kraft getretenen Einheitlichen Europäischen Akte noch auf „politische und wirtschaftliche Aspekte der Sicherheit“ (Artikel 30 Absatz 6.a) Einheitliche Europäische Akte beschränkt worden war. Die Bedeutung des Maastrichter Vertrages bestand demnach in der grundsätzlichen vertraglichen Einführung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik. Allerdings war der Inhalt dieser Politik zu diesem Zeitpunkt zwischen den Mitglied124

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

staaten noch heftig umstritten, weshalb ihre konkrete Umsetzung lediglich auf unbestimmte Zeit in Aussicht gestellt wurde. 2 Insofern wurden im Vertrag von Maastricht Verteidigungsfragen nur in indirekter und gemäßigter Form adressiert, 3 so dass die neue verteidigungspolitische Rechtsgrundlage zu einer „unklaren Kompromissformel“ wurde. 4 Neben den gerade erörterten Formulierungen wurden in Artikel J.4 Absatz 2 EUV/Maastricht außerdem „Entscheidungen und Aktionen der Union, die verteidigungspolitische Bezüge haben“, erwähnt. Diese Maßnahmen betreffen „Aktionen, die im Einzelfall in den Bereich der Verteidigungspolitik hineinreichen, ohne sie umfassend in Angriff zu nehmen“, 5 und mit denen der Weg zur Entwicklung der gemeinsamen Verteidigungspolitik vorbereitet werden kann. 6 Da zu diesem Zeitpunkt zwischen den EU-Staaten jedoch noch keine gemeinsamen sicherheitspolitischen Konzeptionen existierten und es noch zu schwierig war, die militärische Dimension von Sicherheit innerhalb des EU-Rahmens zu diskutieren, wurde der Westeuropäischen Union (WEU) die Funktion eines Diskussionsforums für Fragen mit verteidigungspolitischen Bezügen zugewiesen. In Artikel J.4 Absatz 2 EUV/Maastricht wurde die WEU als ein „integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union“ bezeichnet. Zudem konnte die WEU ersucht werden, die Entscheidungen und Aktionen der Union, die verteidigungspolitische Bezüge haben, nicht nur auszuarbeiten, sondern auch durchzuführen. Einige Beobachter haben dies positiv bewertet, da den EU-Mitgliedstaaten somit auch schon vor der formellen Einführung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik die Möglichkeit eröffnet wurde, als „operativer“ oder „bewaffneter Arm“ der EU tätig zu werden und praktische „verteidigungspolitische“ Erfahrungen zu gewinnen. 7 Dahingegen haben andere kritisiert, dass der EU somit eine operative Handlungsunfähigkeit verordnet wurde, da diese Konstruktion zu äußerst komplizierten und schwerfälligen Entscheidungsprozessen führe und die WEU zudem nur über geringe militärische Kapazitäten und Fähigkeiten verfüge. 8

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Dietrich, Sascha: Die rechtlichen Grundlagen der Verteidigungspolitik der Europäischen Union. In: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, 66/2006, S. 663-697, hier S. 670f. Zwaan, Jaap W. de: Foreign Policy and Defence Cooperation in the European Union: Legal Foundations. In: Blockmans, Steven (Hrsg.). The European Union and Crisis Management. Policy and Legal Aspects. Den Haag 2008, S. 17-36, hier S. 24. Kielmansegg, Sebastian Graf: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen der Europäischen Union. In: Europarecht, 2/2006, S. 182-200, hier S. 183. Ebd., S. 187. Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 672. Ebd. Kielmansegg: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen, S. 183.

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Was das Verhältnis zu den nationalen Politiken der EU-Mitgliedstaaten und zur NATO betrifft, wurde in Artikel J.4 Absatz 4 EUV/Maastricht klargestellt, dass die Politik der Union „nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten [berührt]“. Diese sogenannte „irische Klausel“ ist eine klare Bezugnahme auf den ‚neutralen’ Status einer Reihe von Mitgliedstaaten – zunächst Irland, später auch Finnland, Schweden, Österreich und Malta – im Verteidigungsbereich. 9 Die Bedenken dieser Staaten, die EU in ein Militärbündnis zu verwandeln, werden in dieser Klausel reflektiert. 10 In diesem Unterabsatz wurde außerdem festgehalten, dass die Politik der Union „die Verpflichtungen einiger Mitgliedstaaten aus dem Nordatlantikvertrag [achtet] und […] vereinbar [ist] mit der in jenem Rahmen festgelegten gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“. Diese ausdrücklich eingeforderte Vereinbarkeit der Verteidigungsdimension der EU mit der NATO muss vor dem Hintergrund gesehen werden, dass „atlantisch“ orientierte EU-Mitgliedstaaten, vor allem Großbritannien, eine Schwächung der NATO vermeiden wollten. Vor diesem Hintergrund wurde das „politische Konkurrenzverhältnis“ zwischen den Verteidigungspolitiken von EU und NATO in Artikel J.4 Absatz 4 EUV/Maastricht eindeutig zugunsten der NATO gelöst: 11 Indem die Vorschrift nicht von einer Gleichrangigkeit beider Politiken ausgeht, sondern fordert, dass die Verteidigungspolitik der EU mit der in der NATO festgelegten Politik vereinbar ist, impliziert sie einen Vorrang sämtlicher sicherheits- und verteidigungspolitischer Tätigkeiten der NATO und geht somit über eine bloße Harmonisierungsformel hinaus. Dieser „sicherheitspolitische Primat“ der NATO wurde in der Folge auch bei der Entwicklung der ESVP berücksichtigt. 12

2.2. Vertrag von Amsterdam Im Vergleich zu Artikel J.4 Absatz 1 EUV, der in Maastricht beschlossen worden war, war die entsprechende Formulierung in Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 EUV/Amsterdam etwas konkreter: „Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik umfasst sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Union betreffen, wozu auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik im Sinne des Unterabsatzes 2 gehört, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte, falls der Europäische Rat dies beschließt. Er empfiehlt in diesem

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Zwaan: Foreign Policy, S. 24. Kielmansegg: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen, S. 190. Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 680. Ebd., S. 687.

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

Fall den Mitgliedstaaten, einen solchen Beschluss gemäß ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen anzunehmen.“

Indem Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 EUV seit Amsterdam von einer „schrittweisen Festlegung“ sprach, wurde der Prozesscharakter der Verwirklichung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik stärker betont. Nichtsdestotrotz stellte die Formulierung in Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 EUV/Amsterdam – anders als die Maastrichter Fassung – klar, dass verteidigungspolitische Fragen bereits in den Rahmen der Zuständigkeiten der EU fallen und nicht erst ein fernes Ziel des Vertrages sind. 13 Wenn und soweit in der Union der politische Wille vorhanden ist, ihre verteidigungspolitische Kompetenz wahrzunehmen, könne sie dies durch Beschlüsse innerhalb des GASP-Systems realisieren und bedürfe dafür keiner Vertragsänderung. 14 Anders sah es mit Blick auf eine gemeinsame Verteidigung aus: In dieser Hinsicht implizierte Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 EUV/Amsterdam durch die dort enthaltene „Evolutivklausel“, dass eine gemeinsame Verteidigung (noch) nicht zu den Kompetenzen der EU gehört und ihre zukünftige Einbeziehung durch ein spezielles Verfahren lediglich eine Entwicklungsoption darstellt. 15 Dieses Verfahren ist gegenüber der normalen Vertragsänderung vereinfacht, da ein schlichter Beschluss des Europäischen Rates an die Stelle der Regierungskonferenz tritt und die vorherigen Anhörungen des Europäischen Parlaments und der Kommission entfallen. Es wurde jedoch hervorgehoben, dass, falls eine gemeinsame Verteidigung durch den Europäischen Rat beschlossen werden sollte, dies außerdem die Zustimmung jedes einzelnen Mitgliedstaates voraussetzt. 16 Die Beziehung zwischen EU und WEU wurde durch den Vertrag von Amsterdam gestärkt: Die WEU wurde nicht nur als ein „integraler Bestandteil der Entwicklung der Europäischen Union“ bezeichnet; Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 2 EUV/Amsterdam legte auch fest, dass die WEU der Union den Zugang zu einer operativen Kapazität eröffnet und sie bei der Entwicklung der gemeinsamen Verteidigungspolitik konzeptionell unterstützt. Die WEU wurde somit sowohl auf der Arbeitsebene als auch auf politischer Ebene enger mit der EU verflochten. 17 Artikel 17 Absatz 1 Unterabsatz 2 EUV/Amsterdam hielt fest, dass die Union „engere institutionelle Beziehungen zur WEU im Hinblick auf die Möglichkeit einer Integration der WEU in die Union“ fördert. Dennoch wurde die WEU, trotz eines entsprechenden französischen Vorschlags, nicht ganz in die EU integriert. 13 14 15 16 17

Ebd., S. 674. Kielmansegg: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen, S. 186. Ebd. Zwaan: Foreign Policy, S. 25. Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 677.

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Außerdem entsann man sich – wie im Falle des Vertrages von Maastricht – des neutralen Charakters der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten sowie der NATO-Mitgliedschaft einer anderen Gruppe von Mitgliedstaaten, was in der entsprechenden Formulierung in Artikel 17 Absatz 1 zum Ausdruck kam, dass „[d]ie Politik der Union […] nicht den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten [berührt und] […] die Verpflichtungen einiger Mitgliedstaaten, die ihre gemeinsame Verteidigung in der Nordatlantikorganisation (NATO) verwirklicht sehen, aus dem Nordatlantikvertrag [achtet].” Was die operativen Fähigkeiten betrifft, so wurde mit der Aufnahme der sogenannten „Petersberg“-Aufgaben in Artikel 17 Absatz 2 EUV/Amsterdam eine wesentliche Grundlage für das Krisenmanagement der EU geschaffen. Dort heißt es: „Die Fragen, auf die in diesem Artikel Bezug genommen wird, schließen humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen ein.“ Auch wenn die Aufzählung ausdrücklich nicht abschließend ist, zeigte die Kodifikation der Petersberg-Aufgaben, deren Anfänge in der Erklärung des Ministerrats der WEU vom 19. Juni 1992 liegen, dass die Verteidigungspolitik der EU die ganze Bandbreite von Einsätzen zur Krisenbewältigung und Konfliktprävention umfassen soll, vor allem auch Aufgaben des militärischen Krisenmanagements, das somit eine explizite Rechtsgrundlage erhält. 18 Die Aufnahme der Petersberg-Aufgaben in den EUV muss vor allem vor dem Hintergrund jener Lektionen gesehen werden, die im Zusammenhang der Konflikte im ehemaligen Jugoslawien und besonders der Krise in Bosnien-Herzegowina gelernt wurden. Damals wurde klar, dass eine glaubwürdige und leistungsfähige EU-Sicherheitsund Verteidigungspolitik sowohl „weiche“ als auch „harte“ Sicherheitsdimensionen umfassen müsse. 19 Die Petersberg-Aufgaben stellten fortan die rechtliche Grundlage für die Entwicklung und Nutzung verschiedener KrisenmanagementInstrumente sowie der relevanten Institutionen dar, die für die Führung der wachsenden Zahl von Operationen verantwortlich sind.

2.3. Vertrag von Nizza Weitere Entwicklungen auf dem Balkan, vor allem der Kosovo-Konflikt, strichen Ende der 1990er Jahre abermals die Schwächen der EU im zivilen und militärischen Krisenmanagement hervor. Nachdem insbesondere Großbritannien 18 19

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Ebd., S. 675. Duke, Simon: Peculiarities in the Institutionalisation of CFSP and ESDP. In: Blockmans, Steven (Hrsg.): The European Union and Crisis Management. Policy and Legal Aspects. Den Haag 2008, S. 75-105, hier S. 76.

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

eine Rolle der EU im Verteidigungsbereich lange Zeit abgelehnt hatte, einigte sich der britische Premierminister Tony Blair in einem Treffen mit dem französischen Präsidenten Jacques Chirac in St. Malo im Dezember 1998 darauf, dass „die Union über eine autonome Handlungsfähigkeit verfügen [soll], die sich auf glaubwürdige militärische Kräfte stützt, mit der Möglichkeit, sie einzusetzen, und mit der Bereitschaft, dies zu tun, um auf internationale Krisen zu reagieren“. 20 Durch diesen britisch-französischen Schulterschluss war erstmals die Uneinigkeit zwischen den beiden großen Mitgliedstaaten bereinigt worden, ob die EU nun sicherheitspolitische Agenden verfolgen solle oder nicht. Im Juni 1999 fasste der Europäische Rat in Köln den Beschluss, die EU mit zivilen und militärischen Kapazitäten zur Krisenbewältigung auszustatten. Es erfolgten weitere Konkretisierungen der Ziele und Aufgaben des EU-Krisenmanagements durch die Schlussfolgerungen der Europäischen Räte in Helsinki (Dezember 1999), Lissabon (März 2000) und Santa Maria da Feira (Juni 2000). Infolgedessen stellte sich zunehmend die Frage nach der Notwendigkeit einer primärrechtlichen Anpassung und entsprechenden Änderung des Unionsvertrages. Eine gewisse Kodifikation der in den Jahren 1999 und 2000 gefassten Beschlüsse des Europäischen Rates wurde in der Streichung der Bezüge auf die WEU in Artikel 17 Absatz 1 EUV und der damit endgültigen Übertragung der Krisenbewältigungsfunktion und operativen Kapazitäten der WEU auf die Union gesehen. 21 Der Absatz über die Inanspruchnahme der WEU für die Ausarbeitung und Durchführung von verteidigungspolitischen Entscheidungen und Aktionen ist im EUV in der Fassung von Nizza nicht mehr zu finden. Stattdessen erlaubt Artikel 17 EUV/Nizza es der EU, Entscheidungen mit „verteidigungspolitischen Bezügen“ im Sinne der Petersberg-Aufgaben selbst umzusetzen. Somit wurden die Grundlagen für ein eigenständiges Krisenmanagement der EU geschaffen, was Dietrich zufolge einer „Emanzipation“ der EU gleichkommt. 22 Ansonsten wurden Charakter und Umfang der gemeinsamen Verteidigungspolitik durch den Vertrag von Nizza und auch der wesentliche Inhalt von Artikel 17 Absatz 1 EUV jedoch nicht verändert, so dass dieser nun lautete: „Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik umfasst sämtliche Fragen, welche die Sicherheit der Union betreffen, wozu auch die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik gehört, die zu einer gemeinsamen Verteidigung führen könnte, falls der Europäische Rat dies beschließt. Er empfiehlt in diesem Fall den Mitgliedstaaten, einen solchen Beschluss gemäß ihren verfassungsrechtlichen Bestimmungen anzunehmen.“

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Joint Declaration on European Defence, Saint Malo, France, 3.-4. Dezember 1998; Eigene Übersetzung. Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 679. Ebd. Die WEU beendete folglich ihre operativen Tätigkeiten im Laufe des Jahres 2000 und übertrug ihre Planungseinrichtungen zum Teil an die EU.

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Dies hat auch Anlass zu weitaus kritischeren Einschätzungen gegeben; so kommentiert beispielsweise Kielmansegg, dass „[d]ie kopernikanische Wende der EU von einer Zivil- und Wirtschaftsmacht zum verteidigungspolitischen Akteur [...] gewissermaßen zwischen den Zeilen des Unionsvertrages vollzogen [wurde].“ 23

2.4. Vertrag von Lissabon Durch den Vertrag von Lissabon wird der frühere Artikel 17 EUV/Nizza in Form der Artikel 42 und 43 EUV/Lissabon beträchtlich erweitert und verändert. Hier werden zunächst jene Absätze genauer betrachtet, die Themen des früheren Artikels 17 EUV aufgreifen. Absätze, die demgegenüber völlige Neuerungen darstellen und den Aufbau von Kapazitäten und Institutionen betreffen, werden im darauffolgenden Abschnitt behandelt werden. Dabei fällt auch an dieser Stelle zunächst auf, dass in den Bestimmungen des Vertrages von Lissabon explizit von einer Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik die Rede ist, so dass in Artikel 42 Absatz 2 EUV/Lissabon der Verweis auf die weiter gefasste Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik im Vergleich zum früheren Artikel 17 EUV entfällt. Zudem wird nicht mehr davon ausgegangen, dass es zu einer gemeinsamen Verteidigung kommen könnte, falls der Europäische Rat dies beschließt, sondern sobald der Europäische Rat dies – allerdings unter der ausdrücklichen Erfordernis der Einstimmigkeit – beschlossen hat. Die entsprechende Passage in Artikel 42 Absatz 2 EUV/Lissabon lautet nun: „Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik umfasst die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik der Union. Diese führt zu einer gemeinsamen Verteidigung, sobald der Europäische Rat dies einstimmig beschlossen hat. Er empfiehlt in diesem Fall den Mitgliedstaaten, einen Beschluss in diesem Sinne im Einklang mit ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften zu erlassen.“

Die Klausel zur Achtung des neutralen Charakters der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten sowie der NATO-Mitgliedschaft einer anderen Gruppe von Mitgliedstaaten wurde im Wortlaut des früheren Artikels 17 EUV übernommen. Dahingegen werden die Petersberg-Aufgaben in Artikel 43 Absatz 1 EUV/Lissabon im Sinne eines Konzepts umfassender Sicherheit aktualisiert und erweitert. Als weitere Aufgaben werden gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten genannt. Außerdem wird festgehalten, dass „mit allen 23

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Kielmansegg: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen, S. 184.

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

diesen Missionen […] zur Bekämpfung des Terrorismus beigetragen werden [kann]“, was die besondere Priorität, die die Bekämpfung des internationalen Terrorismus für die EU-Mitgliedstaaten nun auch im Zusammenhang der GASP hat, verdeutlicht. 24

3. Die außervertragliche Dynamik des EU-Krisenmanagements Dieser Abschnitt befasst sich mit der Frage, inwiefern die Entwicklung des EUKrisenmanagements mit Blick auf den Aufbau von Kapazitäten, auf die Einrichtung neuer politischer, ziviler und militärischer Strukturen sowie auf Möglichkeiten der gegenseitigen (zivilen und militärischen) Hilfeleistung unter den EUMitgliedstaaten mit Änderungen des Primärrechts der EU einhergegangen ist bzw. im Vertrag von Lissabon Niederschlag gefunden hat. Dabei ist insbesondere auch von Interesse, welche Prinzipien in den primärrechtlichen Grundlagen sowie der außervertraglichen Entwicklung des EU-Krisenmanagements zum Tragen kommen.

3.1. Aufbau von Kapazitäten und Durchführung von Operationen Nachdem sich vor allem unter dem Eindruck des Kosovo-Krieges seitens der EU-Mitgliedstaaten der Wunsch gefestigt hatte, die europäische Handlungsfähigkeit zu stärken, wurde der Aufbau militärischer Fähigkeiten und einer operativen Infrastruktur ab 1999 vorangetrieben. Um die EU in die Lage zu versetzen, eigenständiges Krisenmanagement im Sinne der Petersberg-Aufgaben realisieren zu können, wurde schon Ende 1999 das „Helsinki Headline Goal“, also das Planziel zum Aufbau einer „Schnellen Europäischen Eingreiftruppe“ (European Rapid Reaction Force) bis 2003 beschlossen. Mittlerweile wurde es von einem zweiten Planziel, dem Headline Goal 2010, abgelöst. Die damit einhergehende Wandlung der EU von einem rein zivilen zu einem ansatzweise verteidigungspolitischen Akteur, die jahrzehntelang umstritten gewesen war, geschah jedoch weitgehend ohne Änderung des Unionsvertrages und vollzog sich im Wesentlichen auf außervertraglicher Basis, nämlich unter Einsatz von Sekundärakten im GASP-Rahmen. 25 Die Mitgliedstaaten haben sich in verschiedenen Schlussfolge-

24 25

Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 693. Kielmansegg: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen, S. 184; Ondarza, Nicolai von: Die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Schatten der Ungewissheit. Bestandsaufnahme und Optionen nach dem irischen Nein zum Lissabonner Vertrag. SWP-Studien, 27/2008, Berlin, S. 8.

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rungen des Europäischen Rates und in politischen Erklärungen dazu verpflichtet, zum Aufbau eigener Streitkräfte für die EU beizutragen. 26 Der Aufbau und Einsatz von operativen Kapazitäten für die EU-Krisenmanagement-Politik ist in Hinblick auf die Souveränität der EU-Mitgliedstaaten eine heikle Angelegenheit. Ohne eine ausdrückliche Entscheidung der Mitgliedstaaten unter Beachtung der verfassungsmäßigen Beteiligungsrechte ihrer Parlamente ist hier kein gemeinsames Handeln möglich. 27 Dementsprechend beruht die gemeinsame Verteidigungspolitik auf dem Freiwilligkeitsprinzip, das eines der maßgeblichen Kennzeichen der gemeinsamen Verteidigungspolitik im Sinne des Artikels 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 EUV darstellt. Dieses Prinzip besagt, dass die Beiträge der Mitgliedstaaten zum europäischen Streitkräftereservoir sowie die Beteiligung an EU-Operationen an sich freiwillig sind, und die Union keine sekundärrechtlichen Verpflichtungen dieser Art begründen kann und auch keine rechtliche Verfügungsgewalt über die Streitkräfte der Mitgliedstaaten besitzt. 28 Dahingegen ist die Zuweisung und Bereithaltung nationaler Kontingente für EU-Einsätze, die nur ein lockeres Organisationsmuster bilden und die nationale Souveränität unangetastet lassen, zulässig. 29 Die Schnelle Europäische Eingreiftruppe hat beispielsweise diesen Kriterien insofern entsprochen, als dass der sogenannte Streitkräftekatalog ihre Zusammensetzung aus nationalen Fähigkeiten und Kontingenten regelte, wobei es sich nur um einen Pool potentiell zur Verfügung stehender nationaler Streitkräfte handelte. 30 Auch Artikel 42 Absatz 3 Satz 1 EUV/Lissabon stellt klar, dass die EU zur Durchführung von Krisenmanagement-Aufgaben nicht auf eigene Einsatzkapazitäten zurückgreifen kann, sondern auf Fähigkeiten der Mitgliedstaaten angewiesen ist. Dies kann im Sinne einer primärrechtlichen Normierung interpretiert werden, dass die Beteiligung an EU-Missionen freiwillig erfolgt und die Hoheit der EU-Mitgliedstaaten hinsichtlich ihrer zivilen und militärischen Einsatzkapazitäten unberührt bleibt. 31 Um auch explizit eine Möglichkeit zu schaffen, die operativen Fähigkeiten der EU durch gemeinsame Anstrengungen zu verbessern, sieht der Vertrag von Lissabon erstmals Bestimmungen zur sogenannten ständigen strukturierten Zusam26

27 28 29 30 31

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So beispielsweise in Anlage I der Anlage VI „Erklärung des Allgemeinen Rates über die Bereitstellung militärischer Fähigkeiten“ der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rats am 7.-9. Dezember 2000 in Nizza. Kielmansegg: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen, S. 191. Ebd., S. 197. Ebd. Ebd., S. 197f. Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 692. Interessanterweise würde gleichzeitig in Artikel 42 Absatz 3 Satz 3 EUV/Lissabon erstmals eine primärrechtliche Grundlage für die Verpflichtung der Mitgliedstaaten geschaffen werden, ihre militärischen Fähigkeiten schrittweise zu verbessern.

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

menarbeit (Artikel 42 Absatz 6 und Artikel 46 EUV/Lissabon) vor, welche von Beginn an besonders kontrovers diskutiert wurden. 32 Während diese ständige strukturierte Zusammenarbeit von einigen als eine potenzielle Duplizierung von Integrations- und Entwicklungsbestrebungen im Rahmen der NATO gesehen wurde, wurde sie von anderen als Durchbruch auf dem Weg zu verstärkten und besseren Kapazitäten der EU gepriesen. 33 Das Verfahren der ständigen strukturierten Zusammenarbeit erlaubt „im Hinblick auf Missionen mit höchsten Anforderungen“ die Einrichtung einer Kerngruppe von Mitgliedstaaten. Es ist allerdings essentiell, dass es bei der ständigen strukturierten Zusammenarbeit nicht direkt um Operationen geht und sie keine bindende Verpflichtung zur Entsendung von Truppen oder mit Bezug auf gegenseitige Verteidigung enthält. Zwei Voraussetzungen werden für die Teilnahme an der ständigen strukturierten Zusammenarbeit genannt: Die teilnehmenden Staaten müssen im Bereich ihrer militärischen Fähigkeiten über einen qualitativ anspruchsvollen Entwicklungsstand verfügen und sich zu verbindlicheren militärischen Vereinbarungen verpflichten, die in einem Protokoll (Nr. 10) festgelegt wurden. Bemerkenswert scheint außerdem, dass die Entscheidung zur Schaffung einer ständigen strukturierten Zusammenarbeit vom Rat mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden kann. Ansonsten sind viele der Bestimmungen zur ständigen strukturierten Zusammenarbeit jedoch vage gehalten und es bleiben Fragen offen mit Blick auf die Eintrittskriterien, die anfänglichen Teilnehmer und die Endziele. Schließlich trägt der Vertrag von Lissabon auch der Tatsache Rechnung, dass nicht alle Mitgliedstaaten in jedem Fall gewillt und fähig sind, an einer konkreten Krisenbewältigungsmaßnahme teilzunehmen. Dementsprechend ist in Artikel 42 Absatz 5 und Artikel 44 EUV/Lissabon vorgesehen, dass der Rat auf der Basis eines Konsens aller Mitgliedstaaten die Ausführung einer bestimmten operativen Aufgabe einer Gruppe von Mitgliedstaaten übertragen kann.

3.2. Neue politische, zivile und militärische Institutionen Auch die Einrichtung neuer Gremien im Sinne des Aufbaus einer operativen Infrastruktur erfolgte hauptsächlich durch Sekundärrechtsakte des Rates der EU, teilweise als Arbeitsgruppen des Rates, teilweise als selbstständige EU-Einrich32

33

Nachdem der Vertrag von Nizza die ESVP noch von der verstärkten Zusammenarbeit ausgeschlossen hatte, würde im Vertrag von Lissabon außerdem die verstärkte Zusammenarbeit einer Gruppe von neun oder mehr Mitgliedstaaten nun auch im sicherheitspolitischen Bereich ermöglicht, obgleich diese zunächst durch eine einstimmige Ratsentscheidung beschlossen werden muss. Mölling, Christian: ESDP After Lisbon: More Coherent and Capable? CSS Analyses in Security Policy, 28/2008, Zürich, S. 2.

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tungen. 34 Eine Ausnahme stellt das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) dar, das aus dem Politischen Komitee hervorgegangen ist und durch den Vertrag von Nizza im EU-Vertrag verankert wurde. Gemäß Artikel 25 EUV/ Nizza verfolgt es die internationale Lage in den Bereichen der GASP, trägt durch an den Rat gerichtete Stellungnahmen zur Festlegung der betreffenden Politiken bei und überwacht die Durchführung bereits vereinbarter Politiken. Zudem nimmt es die politische Kontrolle und strategische Leitung von Operationen zur Krisenbewältigung wahr und kann vom Rat für den Zweck und die Dauer einer Operation ermächtigt werden, geeignete Beschlüsse hinsichtlich der politischen Kontrolle und strategischen Leitung einer bestimmten Operation zu fassen. 35 Bei allen militärischen Fragen wird das PSK durch den Militärausschuss der EU (EUMC) beraten und unterstützt, der sich aus den Generalstabschefs der EUStaaten zusammensetzt, die von ihren militärischen Delegierten vertreten werden. Der EUMC ist das höchste militärische Gremium im Rahmen des Rats der EU und nimmt die militärische Leitung aller militärischen Aktivitäten der EU wahr. 36 Der EUMC wird wiederum durch den Militärstab der EU (EUMS) unterstützt, der aus Militärpersonal der Mitgliedstaaten besteht, das in das Generalsekretariat der EU entsandt wird. 37 Die Aufgaben des EUMS umfassen Frühwarnung, die Beurteilung potenzieller Krisen sowie strategische Planung von Krisenbewältigungsoperationen. Außerdem fungiert es als Bindeglied zwischen dem EUMC und den der EU zur Verfügung stehenden Streitkräften. 38 Eine zivil-militärische Zelle unterstützt den EUMS seit 2004 und nimmt beispielsweise die strategische Planung wahr, wenn eine gemeinsame zivil-militärische Reaktion auf eine Krise erforderlich ist. Dies ermöglicht es dem EUMS, insbesondere im Hinblick auf gemeinsame zivil-militärische Operationen rasch ein Operationszentrum zu errichten, wenn der Rat kein nationales Hauptquartier bestimmt hat. Parallel zum Militärausschuss wird das PSK außerdem von einem Ausschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung (CIVCOM) beraten, der als Arbeitsgruppe des Rates eingerichtet wurde 39 und sich aus Vertretern der Mitgliedstaaten zusammensetzt. Aufgabe des CIVCOM ist es, das PSK in Bezug auf die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung mit Informationen zu versorgen, zu beraten und Empfehlungen abzugeben. Daneben wurde im September 2007 ein Stab für die Planung und Durchführung ziviler Operationen (CPCC) im Rahmen des Ratssekretariats eingesetzt, der – unter der politischen Kontrolle und strategischen Leitung des PSK und der 34 35 36 37 38 39

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Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 685. Siehe auch Ratsbeschluss 2001/78/GASP. Siehe auch Ratsbeschluss 2001/79/GASP. Siehe auch Ratsbeschluss 2001/80/GASP. Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 684. Siehe auch Ratsbeschluss 2000/354/GASP.

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

generellen Vollmacht des Hohen Vertreters – für die Planung und Durchführung von zivilen Missionen im Rahmen der ESVP und die Implementation aller verbundenen Aufgaben zuständig ist. Zudem wurde die EU Anfang 2007 mit einer zentral in Brüssel verfügbaren Führungsoption auf operativer Ebene in Form eines EU Operations Centre ausgestattet, das für begrenzte militärische oder größere zivil-militärische Operationen der EU als Operations Headquarters (OHQ) fungieren soll. Dieses EU Operations Centre stellt allerdings kein permanentes Hauptquartier dar; es gibt lediglich einen dauerhaft bestehenden Kern, der Teil der zivil-militärischen Planungs- und Führungszelle im EU-Militärstab ist (siehe unten) und im Bedarfsfall durch nationale Verstärkungen zu einem Operations Centre mit 90 Personen anwachsen kann. Der Rat konnte den Militärausschuss, den Militärstab und den Ausschuss für die nichtmilitärischen Aspekte der Krisenbewältigung auf Grundlage von Artikel 28 Absatz 1 EUV in Verbindung mit Artikel 207 EGV und Artikel 19 Absatz 2 der Geschäftsordnung des Rates als Arbeitsgruppen des Rats mit „beratender Funktion“ einsetzen. 40 Im Vergleich dazu nehmen die EU-Agenturen im Rahmen der ESVP, nämlich das Satellitenzentrum der Europäischen Union (EUSC) und das Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien (EUISS), die die EU Anfang des Jahres 2002 von der WEU übernommen hat, sowie die Europäische Verteidigungsagentur (EVA), die im Juli 2004 eingerichtet wurde, im System der EU-Institutionen eine selbstständige Stellung ein, da sie über eine eigene Rechtspersönlichkeit verfügen. Sie sind somit keine Unterorgane des Generalsekretariats des Rates und konnten daher auch nicht auf Grundlage von Artikel 207 Absatz 2 Satz 3 EGV eingerichtet werden. 41 Stattdessen hat der Rat diese selbstständigen EUAgenturen auf Grundlage von Gemeinsamen Aktionen nach Artikel 14 EUV für einzelne Aufgabenbereiche eingesetzt. Die EVA wurde durch eine Gemeinsame Aktion eingerichtet, nachdem ihre Schaffung bereits im Rahmen der Debatten über eine Europäische Verfassung intensiv diskutiert worden war und der Verfassungsvertrag die Errichtung einer europäischen „Agentur für die Bereiche Entwicklung der Verteidigungsfähigkeiten, Forschung, Beschaffung und Rüstung“ vorgesehen hatte (Artikel I-41 (3) Vertrag über eine Verfassung für Europa). Durch Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon erfolgte eine primärrechtliche Verankerung der EVA (Artikel 42 Absatz 3 und Artikel 45 EUV/Lissabon), die kurz gesagt dem Ziel dienen soll, die militärischen Fähigkeiten der Mitgliedstaaten zu verbessern und zu rationalisieren. Deren Einrichtung entspricht insgesamt der Intention, die schrittweise Festlegung einer gemeinsamen Verteidigungspolitik durch die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten im Bereich Rüstung zu unterstützen. 40 41

Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 685. Ebd.

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Ebenso wie kein Aufbau integrierter Streitkräfte vorgesehen war, stand der Aufbau integrierter militärischer Strukturen bei den bisherigen Vertragsrevisionen nicht zur Diskussion. Sie wurden dementsprechend in Artikel 17 EUV/Nizza nicht angesprochen und hätten die Änderung des Unionsvertrages im normalen Verfahren nach Artikel 48 EUV vorausgesetzt. 42 Der Aufbau integrierter Streitkräfte und militärischer Strukturen der EU würde das sogenannte „Rückgriffsprinzip“ aufheben, das ein weiteres maßgebliches Kennzeichen der gemeinsamen Verteidigungspolitik im Sinne des Artikels 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 EUV darstellt. Dieses Prinzip besagt, dass die EU mangels Kompetenz zum Aufbau eigener Streitkräfte und militärischer Strukturen bei Bedarf auf Ressourcen ihrer Mitgliedstaaten oder der NATO zurückgreifen muss. 43 Der in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion immer wieder zu vernehmende Vorschlag, ein eigenes militärisches Hauptquartier für die EU einzurichten, würde einen Verstoß gegen das Rückgriffsprinzip darstellen. In diesem Sinne hätte auch die Erweiterung des EU-Militärstabs um eine zivil-militärische Planungs- und Führungszelle genau genommen nicht ohne Änderung des Unionsvertrages erfolgen dürfen. 44 Auch wenn diese Zelle nur für kleine zivil-militärische Operationen als Planungs- und Führungsstab des EU-Oberbefehlshabers dienen soll, stellt sie doch die embryonale Form eines integrierten militärischen Hauptquartiers dar. Da unterhalb dieser Schwelle eine militärische Organisationsstruktur jedoch zulässig ist, konnten militärpolitische Gremien, die den Entscheidungsträgern militärischen Sachverstand und Analyse- und Planungsfähigkeiten liefern sowie die Streitkräftestrukturen verwalten, ohne Änderung des Unionsvertrages eingerichtet werden. 45

3.3. Die Nutzung ziviler und militärischer Mittel innerhalb des EU-Territoriums Die (punktuelle) Aufhebung des Freiwilligkeitsprinzips scheint im Rahmen der bislang gültigen Bestimmungen jedoch möglich, wenn es um Elemente einer gemeinsamen Verteidigung geht, die über den Weg der bereits erwähnten Evolutivklausel eingeführt werden können. Dies wäre für die Einführung einer allgemeingültigen Beistandsklausel der Fall. Nachdem bereits der Europäische Konvent unter dem Titel einer engeren Zusammenarbeit die Einführung einer Beistandsklausel für Mitgliedstaaten empfohlen hatte, die gewillt sind, eine spezielle Erklärung im Anhang des Verfassungsvertrages zu unterzeichnen, wurde im Verfassungsvertrag und später im 42 43 44 45

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Kielmansegg: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen, S. 194. Ebd., S. 192. Ebd., S. 199. Ebd., S. 197.

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

Vertrag von Lissabon auch im Vertragstext selbst eine Beistandsklausel eingeführt. Die in Artikel 42 Absatz 7 EUV/Lissabon enthaltene Klausel verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, einem Mitgliedstaat, der Opfer eines bewaffneten Angriffs auf seinem Hoheitsgebiet wird, „alle in ihrer Macht stehende Hilfe und Unterstützung“ zu bieten. Dies beinhaltet zwar implizit die Möglichkeit militärischer Hilfe, diese wird jedoch nicht explizit hervorgehoben. 46 Die Einführung einer derartigen Beistandsklausel kann der gemeinsamen Verteidigung im Sinne des Artikels 17 Absatz 1 Unterabsatz 1 EUV zugeordnet werden, die zwar nicht in den gegenwärtigen Kompetenzbereich der Union fällt, für die aber die Evolutivklausel in Betracht kommt und die somit durch ein vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren eingeführt werden kann. Da es sich um eine horizontale Verpflichtung zwischen den Mitgliedstaaten handeln würde, kann davon ausgegangen werden, dass die Einführung einer allgemeingültigen Beistandsklausel nicht den organisatorischen Unterbau der Union verändern und sich auch nicht auf das gesamte Gefüge der Union auswirken würde, wie es beispielsweise beim Aufbau integrierter Streitkräfte oder Kommandostrukturen der Union der Fall wäre, weil für diese die Evolutivklausel nicht in Betracht kommt. 47 Da während der Regierungskonferenz 2003/2004 einige Mitgliedstaaten entsprechende Bedenken geäußert hatten, wurde zudem spezifiziert, dass die gegenseitige Verteidigung den besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten unberührt lässt, und dass diese Verpflichtung im Einklang mit den Verpflichtungen im Rahmen der NATO sein sollte, die für ihre Mitgliedstaaten weiterhin das Fundament ihrer kollektiven Verteidigung bleiben würde. Schließlich enthält Artikel 222 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union eine Solidaritätsklausel, die vorsieht, dass die EU alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel, einschließlich der ihr von den Mitgliedstaaten bereitgestellten militärischen Mittel, mobilisieren soll, wenn ein Mitgliedstaat von einem Terroranschlag, einer Naturkatastrophe oder einer vom Menschen verursachten Katastrophe betroffen ist. 48 Somit gibt es signifikante Überschneidungen mit der ESVP/GSVP, obwohl die Solidaritätsklausel nicht im Abschnitt über die „Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik“ im EU-Vertrag enthalten ist. Die Beistands- und Solidaritätsklausel decken zusammen das gesamte Spekt46

47 48

Algieri, Franco/Bauer, Thomas. Die Festschreibung mitgliedstaatlicher Macht: GASP und GSVP im Vertragswerk von Lissabon. In: Weidenfeld, Werner (Hrsg.). Lissabon in der Analyse. Der Reformvertrag der Europäischen Union. Baden-Baden 2008, S. 125156, hier S. 150. Von Bedeutung ist ferner, dass es im Vertrag von Lissabon heißt, dass die Mitgliedstaaten ihre Hilfe „schulden“, während der Text des Verfassungsentwurfs noch gelautet hatte, dass die Mitgliedstaaten ihre Hilfe bereitstellen „müssen“. Kielmansegg: Die verteidigungspolitischen Kompetenzen, S. 193f. Daraus ergibt sich jedoch kein Automatismus, sondern die politischen Organe des betroffenen Staates müssen die Unterstützung ersuchen, woraufhin eine Absprache der Mitgliedstaaten im Rat erfolgt.

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rum der Szenarien ab, die es erfordern können, dass die EU-Mitgliedstaaten sich gegenseitig Hilfe leisten, und bieten eine rechtliche Basis für die Nutzung ziviler und militärischer Mittel innerhalb des EU-Territoriums, auf Ersuchen eines einzelnen Mitgliedstaates und mit der Zustimmung der EU.49

4. Schlussfolgerungen und allgemeine Bewertung Auch wenn die relevanten Bestimmungen in der nunmehr gültigen Fassung des Vertrages über die Europäische Union (Lissabon) nach wie vor nicht sehr ausführlich sind, lässt sich eine allmähliche Entwicklung in diesem Bereich erkennen. Die Arrangements betreffend das Krisenmanagement und die gemeinsame Verteidigungspolitik der EU sind im Laufe der Jahre zunehmend konkret und operativ geworden. Es zeigt sich auch in diesem Bereich eine Tendenz, die in der europäischen Rechtsentwicklung häufig zu beobachten ist: 50 In einem ersten Schritt wird in einem bestimmten Politikbereich eine zwischenstaatliche Zusammenarbeit vorgedacht, wobei sie aber noch nicht unmittelbar eingeführt und ihr Ergebnis noch offen gelassen wird; vielmehr wird es in diesem Stadium politischen Gremien überlassen, diese zwischenstaatliche Zusammenarbeit im Detail zu erarbeiten. Erst in einem zweiten Schritt und anhand der auf diesem Weg gewonnenen Erfahrungen wird der rechtliche Rahmen der Zusammenarbeit im Primärrecht der EU kodifiziert. Im Vertrag von Lissabon erfolgt eine weitere Kodifikation der Grundsätze der GSVP und eine deutliche Erweiterung der primärrechtlichen Regelungen des Krisenmanage-ments und der gemeinsamen Verteidigungspolitik der EU. Während die allgemeinen Bestimmungen zum Handlungsrahmen der GSVP im Grundsatz beibehalten werden, erhält die GSVP im Vertrag von Lissabon bezüglich operativer Maßnahmen und den Aufbau von militärischen Fähigkeiten eine signifikant ausgeweitete Präsenz. Damit eröffnen sich in diesem Bereich auf primärrechtlicher Grundlage weit reichende neue Aktions- und Kooperationsmöglichkeiten. 51 Es sollte jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass sich mit Blick auf das EUKrisenmanagement auch eine strukturelle Problematik ergibt. Während das Krisenmanagement der EU hauptsächlich unter dem Dach der ESVP stattfindet, fallen bestimmte zivile Krisenmanagement-Maßnahmen in den Rahmen der „Ersten Säule“ der EU. Abgrenzungsprobleme ergeben sich insbesondere dort, wo zivile ESVP-Krisenmanagement-Operationen in Institution-Building und Konfliktprävention übergehen. Auch hinsichtlich kurzfristiger Aktionen unter Nutzung von zivilen Maßnahmen in Reaktion auf eine akute Krise gibt es eine 49 50 51

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Mölling: ESDP After Lisbon, S. 2. Dietrich: Die rechtlichen Grundlagen, S. 695. Ondarza: Die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 19.

Vertragliche Grundlagen des EU-Krisenmanagements

Grauzone des zivilen Krisenmanagements. 52 Die Koordination zwischen Maßnahmen der ESVP und Programmen der Kommission gestaltet sich mitunter schwierig und es mangelt dem EU-Krisenmanagement an Kohärenz. Dies soll mit dem Vertrag von Lissabon wenigstens teilweise behoben werden, indem der Hohe Vertreter der Union für Außen- und Sicherheitspolitik mit einem „Doppelhut“ aus Ratsvorsitz und Kommissionsvizepräsidentschaft ausgestattet und ihm eine zentrale Rolle als Träger des Kohärenzprinzips in der GASP/GSVP zugewiesen wird. 53 Schließlich gilt auch nach wie vor, dass die Vertragsbestimmungen nicht den politischen Willen der Mitgliedstaaten ersetzen. So überrascht es nicht, dass der Vertrag von Lissabon gleich zu Beginn festhält, dass „die nationale Sicherheit […] weiterhin in die alleinige Verantwortung der einzelnen Mitgliedstaaten [fällt]“ (Artikel 4 EUV/Lissabon).

52

53

Hoffmeister, Frank. Inter-Pillar Coherence in the European Union’s Civilian Crisis Management. In: Blockmans, Steven (Hrsg.). The European Union and Crisis Management. Policy and Legal Aspects. Den Haag 2008, S. 157-180. Ondarza: Die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik, S. 16f.

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Die Fähigkeiten der EU

Die Fähigkeiten der EU

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1. Die Fähigkeit zum gemeinsamen strategischen Ansatz 1.1. Die vertraglichen Rahmenbedingungen Der EU-Vertrag in der Fassung von Nizza gab in Hinblick auf die außen- und sicherheitspolitische Rolle der EU grundsätzliche Zielsetzungen vor: In Artikel 11 EUV war die Rede von der Wahrung des Friedens und der Stärkung der internationalen Sicherheit und davon, dass die diesbezügliche internationale Zusammenarbeit gefördert werden sollte. Ebenso sollte die europäische Außenpolitik der Entwicklung und Stärkung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit sowie der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten dienen. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) sollte ein Schlüsselinstrument dafür sein, die europäische Außenpolitik in diesem Sinne umzusetzen. Was die Ausgestaltung der ESVP betrifft, so nannte der Vertrag von Nizza lediglich Arten möglicher Operationen (Art. 17(2) EUV idF von Nizza): humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen. Dieser ursprüngliche Rahmen entwickelte sich schlussendlich jedoch in eine leicht andere Richtung als zu diesem Zeitpunkt gedacht. Wenn bei der Entstehung des Vertrages von Nizza noch vor allem die militärische Komponente der ESVP im Vordergrund gestanden war, so wurden diese Zielsetzungen später noch um eine zivile Komponente ergänzt. Heute ist die Mehrzahl der Operationen im Rahmen der ESVP ziviler Natur und der kombinierte Einsatz von zivilen und militärischen Mitteln hat sich zu einem Markenzeichen der EU entwickelt. Richter, Staatsanwälte und Polizisten gehören nun ebenso zum Einsatzspektrum der ESVP wie Soldaten, die Frieden sichern oder ihr Wissen in Form von Ausbildungsmissionen weitergeben. Der im Dezember 2009 in Kraft getretene Vertrag von Lissabon trägt diesen Entwicklungen bereits Rechnung, indem er in Art. 42 (ex Art. 17) explizit auf eine auf zivile und militärische Mittel gestützte Operationsfähigkeit der EU verweist. Auch die Liste der möglichen Arten von Operationen wurde um neue Aspekte erweitert (Art. 43 EUV): dazu zählen nunmehr gemeinsame Abrüs*

Der Inhalt dieses Kapitels steht in alleiniger Verantwortung des Autors und stellt in keiner Weise die offizielle Position des Ratsekretariat dar.

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tungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens sowie Kampfeinsätze im Rahmen der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen und Operationen zur Stabilisierung der Lage nach Konflikten. Mit all diesen Einsatzformen kann zudem zur Bekämpfung von Terrorismus beigetragen werden, unter anderem auch durch die Unterstützung von Drittländern bei der Bekämpfung des Terrorismus in deren Hoheitsgebiet. Diese im Vergleich zum Vertrag von Nizza ausführlichere Auflistung kommt nicht von ungefähr. Sie spiegelt die reale Entwicklung wider, die die ESVP – nun GSVP (Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik) 1 – in den letzten Jahren genommen hat.

1.2. Die Sicherheitsstrategie Die Entwicklung der ESVP wurde von Beginn an von der Frage begleitet, nach welchen strategischen Kriterien das operative Instrumentarium der EU eingesetzt werden sollte. Diese Frage stellte sich auch für die Entwicklung militärischer und ziviler Fähigkeiten. Nach welchen Kriterien sollten diese weiterentwickelt werden? Auch wenn sie nicht Antworten auf all diese Fragen geben kann, so stellt die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) doch einen Meilenstein in der konzeptuellen Entwicklung der ESVP dar. Zum ersten Mal in der Geschichte der EU definierten die Mitgliedstaaten gemeinsame strategische Interessen und Bedrohungsszenarien und einigten sich damit auf einen Handlungsrahmen für eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Der Zeitpunkt der Entstehung der ESS ist dabei von besonderer Bedeutung. Nur wenige Wochen nachdem die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Mitgliedstaaten in aller Öffentlichkeit am Irak-Krieg gescheitert war, erhielt Javier Solana beim informellen Außenministertreffen auf Kostellorizo (Rhodos) den Auftrag, ein europäisches Sicherheitskonzept auszuarbeiten. Er legte dem Europäischen Rat im Juni 2003 einen Entwurf dazu vor. Dieser wurde in der Folge zu einer Sicherheitsstrategie weiterentwickelt, welche schließlich im Dezember 2003 vom Rat angenommen wurde. Im Rahmen dieses Kapitels soll keine umfassende Analyse der ESS vorgenommen, sondern insbesondere auf jene Elemente des Dokuments eingegangen werden, die für die Entwicklung operativer Fähigkeiten im Rahmen der ESVP von besonderer Bedeutung sind. Die ESS analysierte das Sicherheitsumfeld, in dem sich die Union bewegt, listete die Hauptbedrohungen – Terrorismus, Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte und schei1

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In diesem Kapitel, das sich fast zur Gänze auf den Zeitraum vor dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabonn bezieht, wird der Begriff ESVP verwendet.

Die Fähigkeiten der EU

ternde Staaten sowie Organisierte Kriminalität – auf und legte grundlegende strategische Zielsetzungen zu deren Bekämpfung fest. Neben der Abwehr der Bedrohungen selbst sollte sich die EU auf die Stärkung der Sicherheit in der europäischen Nachbarschaft und auf das Streben nach einer Weltordnung auf der Grundlage eines wirksamen Multilateralismus konzentrieren. Im Abschnitt „Auswirkungen auf die europäische Politik“ werden drei Handlungsaufforderungen gegeben: Aktiver, handlungsfähiger und kohärenter müsse die EU werden (more active, more capable and more coherent) und auch die Zusammenarbeit mit Partnern solle intensiviert werden. Dieser Abschnitt diente bei der folgenden Weiterentwicklung der Fähigkeiten als Leitfaden, da er konkreter als andere Dokumente zuvor Zielsetzungen definierte: • Entwicklung einer Strategiekultur, die ein frühzeitiges, rasches und – wenn nötig – robustes Eingreifen fördert; • Durchführung mehrerer Operationen gleichzeitig. Mehrwert der EU: Kombination von zivilen und militärischen Mitteln; • Erweiterung des Spektrums der Operationen: gemeinsame Operationen zur Entwaffnung von Konfliktparteien, Unterstützung von Drittländern bei der Terrorismusbekämpfung und im Sicherheitssektorbereich; • Forderung nach gemeinsam genutzten Mitteln, Verringerung von Duplizierungen und dadurch Senkung der Gemeinkosten. Kaum ein anderes Dokument hat sich als Referenzdokument so behaupten können wie die ESS. Sei es bei der Entwicklung der militärischen und zivilen Planziele 2010, bei der Entwicklung der Konzepte im Bereich Sicherheitssektorreform oder im Bereich Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung (Disarmament, Demobilization and Reintegration/DDR), oder bei den Gemeinsamen Aktionen, mit denen ESVP-Operationen beschlossen wurden – der Verweis darauf, dass angedachte Handlungen der Zielsetzung der ESS entsprechen, darf mittlerweile nicht mehr fehlen.

1.3. Der Umsetzungsbericht zur Sicherheitsstrategie Als im Jahr 2007 der französische Präsident Sarkozy und der schwedische Außenminister Bildt die Debatte um eine neue oder aktualisierte europäische Sicherheitsstrategie entfachten, rief dies unter den meisten anderen Mitgliedstaaten keine besondere Begeisterung hervor. Wozu ein Dokument zur Debatte stellen, das wie kaum ein anderes für das Gemeinsame und Verbindende der Mitgliedstaaten stand? Schließlich einigte man sich im Dezember 2007 auf ein kompliziert formuliertes Mandat an Solana, wonach er bis Dezember 2008 die Umsetzung der Sicherheitsstrategie einer Prüfung unterziehen und allenfalls Verbesse143

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rungsvorschläge unterbreiten sollte. Damit wollte die EU ihre strategische Basis rechtzeitig vor dem Inkrafttreten des Lissabon-Vertrages – damals erwartet für den 1. Januar 2009 – aufgefrischt haben. Der Umsetzungsbericht wurde im Laufe des Jahres 2008 erarbeitet und vor allem von zwei Entwicklungen beeinflusst. Zunächst lehnte die irische Bevölkerung in einem Referendum den Lissabon-Vertrag ab und brachte damit die Vorbereitung der außen- und sicherheitspolitischen Aspekte des Lissabon-Vertrages zum Stillstand. Zum anderen stand der Sommer 2008 im Schatten des GeorgienKonfliktes und des angespannten Verhältnisses des Westens mit Russland. Dies führte dazu, dass die ESVP-Ambitionen der französischen Präsidentschaft im 2. Halbjahr 2008 merklich bescheidener angelegt wurden als zunächst angedacht. Zudem beherrschte die Bedrohung durch Russland, der sich vor allem östliche Mitgliedstaaten der EU ausgesetzt meinten, den sicherheits-politischen Diskurs für eine ganze Weile. Nichtsdestotrotz gelang es, den Umsetzungsbericht („Sicherheit schaffen in einer Welt im Wandel“) im Dezember 2008 wie vorgesehen vorzulegen. 2 Der Europäische Rat begrüßte den Bericht und teilte dessen Analyse, die sich wie folgt zusammenfassen lässt: Die Bedrohungen und Herausforderungen, die die ESS 2003 analysiert hatte, seien zutreffend und die EU habe seitdem eine Reihe von Maßnahmen zu deren Bewältigung unternommen. Allerdings bleibe die Umsetzung der ESS weiterhin unvollständig und müsse daher vorangetrieben werden. Drei Handlungsbereiche wurden vorgegeben: Stärkung der ESVP samt ihrer Strukturen („A. Ein wirksameres und leistungsfähigeres Europa“); aktive Politik im Nachbarschaftsraum, nicht zuletzt im Lichte des Georgien-Konflikts („B. Ein größeres Engagement gegenüber unseren Nachbarn“) und Anerkennung der wachsenden Rolle der „rising powers“ („C. Partnerschaften für einen wirksamen Multilateralismus“). Zudem habe sich das sicherheitspolitische Umfeld insofern verändert, als nun die Auswirkungen des Klimawandels, die Frage der Energiesicherheit, Cybersicherheit und Piraterie größere Bedeutung hätten und dementsprechend Maßnahmen zu ergreifen seien. An dieser Stelle soll vor allem auf die die ESVP-Fähigkeiten betreffenden Stellen eingegangen werden. Der Bericht geht hier getrennt auf den zivilen und den militärischen Bereich ein. Für die zivile Seite fordert er: • geschultes Personal mit vielfältigen Kompetenzen und Sachkenntnissen, • schnelle Verlegbarkeit und Einsatz über längeren Zeitraum, • volle Interoperabilität zwischen den nationalen Kontingenten, • Entwicklung nationaler Strategien durch die Mitgliedstaaten (inkl. Haushaltsplanung und Beschaffung), • effizientere Bereitstellung und Beschaffung von Ausrüstung. 2

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Vgl. , zuletzt abgerufen am 07.01.2010.

Die Fähigkeiten der EU

Im militärischen Bereich werden folgende Aspekte hervorgehoben: • weitere Anstrengungen hinsichtlich Vereinbarungen über Lastenteilung, • weitere Anstrengungen bei den Schlüsselfähigkeiten wie strategischer Lufttransport, Hubschrauber, weltraumgestützte Mittel und • eine europaweite wettbewerbsfähige und robuste Verteidigungsindustrie und stärkere Investitionen in Forschung und Entwicklung (führende Rolle der EU Verteidigungsagentur). Der ESS-Umsetzungsbericht verweist in diesem Zusammenhang explizit auf die „Erklärung über die Verstärkung der Fähigkeiten“, die beim selben Europäischen Rat angenommen wurde (siehe unten).

2. Die Fähigkeit zur gemeinsamen strategischen Planung 2.1. Entwicklung der Strukturen Die Rolle des Ratssekretariats (RS) wird oft mit der der Europäischen Kommission in der Gemeinschaftspolitik verglichen, wenn es um die Rolle des Initiators und Antreibers innerhalb der GASP und ESVP geht. In der Tat ist die dynamische Entwicklung der ESVP kaum denkbar ohne die Rolle der beiden Direktorate für ziviles und militärisches Krisenmanagement in der Generaldirektion E des RS (DG for External Relations and Politico-Military Affairs/DG E). Die Direktorate 8 und 9, zuständig für militärisches bzw. ziviles Krisenmanagement, sind ganz bewusst in die GASP-Strukturen eingebaut und nicht eigenständige Einheiten. Damit sollte unterstrichen werden, dass die ESVP der operative Teil der GASP ist. Diese beiden Einheiten sind mit den regionalen und thematischen Abteilungen der Policy Unit 3 und der DG E eng verknüpft und arbeiten eng mit dem EU-Militärstab und dem Situationszentrum zusammen. Doch so wie sich die ESVP weiterentwickelte und angesichts der jährlich steigenden Zahl an Operationen gab es innerhalb des RS sowie innerhalb der Mitgliedstaaten Lernprozesse, die zur Schaffung zusätzlicher Strukturen führten. Dies geschah nicht zuletzt auch auf Betreiben der besonders ESVP-freundlichen Länder, die permanente operationelle Strukturen anstrebten: So kam es zur Entstehung der zivil-militärischen Zelle im EU-Militärstab (2005) und – damit verbunden – der Möglichkeit der Aktivierung eines EU-Operationszentrums (2007), zur Schaffung eines permanenten zivilen Hauptquartiers, des Civilian Planning 3

Die Policy Unit war mit dem Vertrag von Amsterdam (Erklärung Nr. 6) eingerichtet worden, um dem neugeschaffenen Posten eines Hohen Vertreters für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Ein Diplomat pro Mitgliedstaat sorgt zudem für die nötige Verbindung in die jeweilige Hauptstadt.

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and Conduct Capacity/CPCC, und schließlich zur Entscheidung über ein zivilmilitärisches Krisenmanagent-Planungsdirektorat (Crisis Management Planning Directorate/CMPD) im Rahmen der DG E (2009). 2.1.1. Die zivil-militärische Zelle 2003 war nicht nur das Jahr des Irak-Kriegs und der ESS gewesen, sondern auch des sogenannten „Pralinen-Gipfels“, bei dem Frankreich, Deutschland, Belgien und Luxemburg u.a. ein permanentes militärisches Hauptquartier forderten. Nach langen Verhandlungen zwischen den beiden Hauptinteressierten – Frankreich, Großbritannien sowie Deutschland – kam es schließlich im Dezember 2003 zum Kompromiss: Im Rahmen des EU-Militärstabs (EUMS) sollte eine zivil-militärische Zelle eingerichtet werden, um auf strategischer Ebene eine kohärente zivilmilitärische Planung zu ermöglichen. Diese Zelle nahm im Juni 2005 schließlich ihre Arbeit auf und besteht aus militärischen und zivilen Planern. Leiter der Zelle ist ein Militär, die Stellvertretung erfolgt durch einen Zivilisten. Ein Teil der Zelle ist auch für die eventuelle Aktivierung eines Operationszentrums zuständig. Falls die EU keines der fünf nationalen Hauptquartiere (in Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien und Griechenland) oder SHAPE (NATO) einsetzen will, könnte sie auf einstimmigen Beschluss hin das Operationszentrum für autonome EU-Operationen in der Größenordnung von Operation „Artemis“ (2003, DR Kongo) – als mit einer Stärke von bis zu 1 800 Mann – aktivieren. Kritikpunkt an der Zelle war von Anfang an ihre Eingliederung in den EUMS. Aus der Sicht vieler ziviler Krisenmanagementexperten sollte nicht-militärisches Krisenmanagement ausschließlich unter zivilem Kommando stehen. Dass der Generaldirektor des EUMS gleichzeitig oberster Chef der Zelle ist, wurde von Beginn an mit Misstrauen gesehen. Aus diesem Grund konnte die Zelle mit Ausnahme der Vorbereitung der Aceh Monitoring Mission (AMM) und der Operation EUFOR RD Congo die ihr zugedachte Rolle nie ganz erfüllen. Auch nach erfolgter Einbindung der Zelle in die strategische Planung, wie etwa bei EUFOR DR Kongo, wurde diese in der Folge von der Durchführung der Operation ausgeschlossen. Nach Identifizierung eines Hauptquartiers – in genanntem Fall Potsdam – übernahm dieses die operative Planung in vollem Umfang. Der Bruch zwischen der strategischen und der operativen Planungsebene führte zu Kompetenzverlusten und wirkte sich außerdem negativ auf die Zeitplanung aus. Aus diesem Grunde wurde vereinbart, die strategische Planungsfähigkeit im EUMS im Gegenzug zu stärken. Eine permanente operative Planungsfähigkeit war politisch nicht durchsetzbar, weshalb sich die Änderungen auf leichte personelle Aufstockungen und die Restrukturierung des EUMS im Bereich Planung beschränkten. 146

Die Fähigkeiten der EU

2.1.2. Das permanente zivile Hauptquartier (CPCC) Während die Frage der militärischen Fähigkeitsentwicklung vor allem im EUMilitärkomitee und der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) erfolgt, ist die DGE 9 – in Kooperation mit dem CPCC – für die Weiterentwicklung der zivilen Fähigkeiten zuständig. Ursprünglich war DGE 9 ja zudem auch für Planung und Durchführung von zivilen Missionen zuständig. Allerdings stieg angesichts der wachsenden Zahl an zivilen Operationen der Druck, Planung und Durchführung und die damit verbundenen Verantwortungen zu trennen. Anlässlich des informellen Treffens der Staats- und Regierungschefs in Hampton Court im Oktober 2005 wurde Solana beauftragt, die Krisenmanagementstrukturen im RS zu verbessern. Seinen Vorschlägen gemäß nahm 2007 das CPCC seine Arbeiten auf. Der Direktor des CPCC ist gleichzeitig Operationskommandant für zivile Operationen. 2.1.3. Das zivil-militärische Planungsdirektorat (CMPD) Eine weitere Veränderung der RS-Strukturen ist zwar politisch beschlossene Sache, harrt aber noch der vollen Umsetzung. Um die integrierte zivil-militärische strategische Planung weiter zu stärken, einigte man sich im Dezember 2008 auf die Schaffung eines zivil-militärischen Planungsdirektorats, dem sogenannten CMPD. Zweck war die Bündelung der bestehenden Strukturen mittels Verschmelzung der Direktorate 8 und 9. Der Leiter des CMPD ist ein stellvertretender Generaldirektor im Rahmen der DG E. 4 Der stellvertretende Leiter wiederum ist der Leiter der zivil-militärischen Zelle aus dem EUMS. Das CMPD wurde am 1. Februar 2010 informell ins Leben gerufen.

2.2. Die Krisenmanagementverfahren Die Planungsabläufe für ESVP-Mission sind relativ flexibel gestaltet und richten sich nach den ESVP-Krisenmanagementverfahren, 5 die im März 2003 von der Politisch-Militärischen Gruppe (PMG) ausgearbeitet und vom Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) zur Kenntnis genommen wurden. Dieses als „living document“ bezeichnete Dokument beschreibt, welche Schritte gesetzt werden können, um eine Operation in die Wege zu leiten.

4 5

Die bisherige Leiterin der DGE 8 wurde Ende 2009 zur Leiterin des CMPD bestellt. Suggestions for procedures for coherent, comprehensive EU crisis management (Dok. 11127/03 vom 3. Juli 2003).

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Kernakteure sind hier die im vorigen Abschnitt genannten RS-Stellen und die Ratsgremien, in denen die Mitgliedstaaten vertreten sind. Allen voran sind dabei das PSK und die ihm zuarbeitenden Komitees und Arbeitsgruppen zu nennen: Der EU-Militärausschuss (EU Military Committee/EUMC), die PMG für die politisch-militärischen Aspekte und das zivile Krisenmanagementkomitee (CivCom). Während das EUMC aus Vertretern der Generalstabschefs besteht, also mittel- bis hochrangigen Generälen, sind die Vertreter im CivCom großteils Diplomaten oder Vertreter aus den Innen- und Justizministerien. Die PMG setzt sich aus Diplomaten oder Experten aus den Verteidigungsministerien zusammen und war in der Vergangenheit vor allem für die Ausarbeitung von diversen Konzepten, die Schlussfolgerungen des Rates zur ESVP und die ESVP-Präsidentschaftsberichte zuständig. Stellt sich die Frage eines möglichen Aktivwerdens der EU im ESVP-Kontext und stellt das PSK fest, dass eine EU-Maßnahme angebracht ist, wird das RS vom PSK beauftragt, in einer ersten Phase Optionenpapiere oder gleich ein Krisenmanagement-Konzept (Crisis Management Concept/CMC) auszuarbeiten. Je nach Charakter der Operation (zivil oder militärisch) wird dann entweder unter Federführung von DGE 8 oder 9 (heute: CMPD) ein Crisis Response Coordination Team (CRCT) eingerichtet: Dabei handelt es sich um eine ad hoc Arbeitsgruppe, die aus RS-Vertretern (Situationszentrum, EUMS, CPCC, Presseabteilung usw.) zusammengesetzt ist und zudem meistens auch Kommissionsvertreter einschließt. Ebenfalls eingebunden sind die regionalen und thematischen Experten aus DGE/Policy Unit und oft auch die Mitarbeiter aus den Büros der EUSonderbeauftragten. Das CRCT ist verantwortlich für die Ausarbeitung des CMC. Dieses wird dann dem PSK vorgelegt und von diesem an den Ministerrat weitergeleitet (oft versehen mit Empfehlungen für bestimmte Handlungsoptionen). Nachdem der Rat das CMC angenommen hat, beginnt die dritte Phase des Planungsprozesses: Im Falle von militärischen Operationen wird das EUMC beauftragt, strategische Optionen auszuarbeiten und die Suche nach Operationskommandant und Operationshauptquartier beginnt. Doch abgesehen von diesem formellen Vorgehen ist meist schon vorher absehbar, welches Land die Führung übernehmen könnte bzw. dazu bereit ist. Im Fall von EUFOR Tschad/CAR etwa wollte Frankreich diese Rolle nicht wieder zur Gänze übernehmen und erstmals kamen Operationskommandant (Irland) und Hauptquartier (Frankreich) nicht aus dem selben Land. Diese Frage ist bei zivilen Missionen leichter zu lösen: Operationskommandant ist automatisch der Direktor des CPCC. Der Missionsleiter (Head of Mission) ist meist leichter zu finden, da nicht wie bei militärischen Operationen damit auch die Kostenfrage verbunden ist. Kosten für zivile ESVPMissionen werden – mit Ausnahme der Gehälter des entsandten Personals – aus dem GASP-Budget getragen.

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Die Fähigkeiten der EU

Bereits von Beginn des Planungsprozesses an steht die Frage der verfügbaren Fähigkeiten im Vordergrund. Informell konsultieren die Präsidentschaft und das RS meistens mit interessierten Mitgliedstaaten, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden können. Sobald geklärt ist, wer (bei militärischen Operationen) Operationskommandant wird und welches Hauptquartier zur Verfügung gestellt wird, beschließt der Rat eine Gemeinsame Aktion, die eben diese Informationen sowie die wahrscheinlichen Kosten der Operation enthält. Ab diesem Moment übernehmen der Operationskommandant und das Hauptquartier die operative Planung, erstellen das Operationskonzept und rufen eine sogenannte „Force Generation“-Konferenz ein. Solche Konferenzen werden sooft einberufen, bis ausreichend Personal und Mittel seitens der Mitgliedstaaten verfügbar gemacht werden konnten. Manchmal finden solche Konferenzen auch während laufender Operationen statt, und zwar, falls Mitgliedstaaten ihre Beteiligung ändern oder beenden wollen. Nächster Schritt ist die Ausarbeitung des Operationsplans. Dieser wird gemeinsam mit der Stellungnahme des EUMC dem Rat vorgelegt und von diesem genehmigt. Bei zivilen Missionen legt das CPCC gleich nach Annahme des CMC das Operationskonzept vor. Im Gegensatz zu den militärischen Operationen wird dieses im CivCom ausgearbeitet („gedrafted“), bevor es vom PSK angenommen wird. Gleiches gilt für den Operationsplan, der vom Missionsleiter vorgelegt wird.

3. Menschen und Material – operationelle Fähigkeiten Losgelöst von den Operationen, auf einer rein theoretischen Ebene, findet die Verfolgung der zivilen und militärischen Planziele statt: Wie eingangs festgehalten, war die Schaffung gemeinsamer Prozesse in der Fähigkeitsplanung eine der Grundideen der ESVP. Im Spannungsfeld einer alle Mitgliedstaaten einbeziehenden Fähigkeitsentwicklung einerseits und den beiden Antreibern Frankreich und Großbritannien andererseits entwickelte sich nach und nach ein institutionalisierter Prozess, der zunächst vor allem die Stärkung der militärischen Fähigkeiten zum Ziel hatte. Der Prozess zur Stärkung der zivilen Fähigkeiten wurde zunächst mit weniger Elan betrieben und orientierte sich in der Folge am Vorbild des militärischen Prozesses. Beachtenswert ist, dass bei der Entstehung der ESVP der höchste politische Wille die treibende Kraft war. Gemeint ist die Aufmerksamkeit, die die Staatsund Regierungschefs im Rahmen des Europäischen Rates der Entwicklung der ESVP schenkten. Das hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht mehr wirklich wiederholt. ESVP-Operationen oder die Frage der Fähigkeiten ist kein Thema mehr, das innerhalb der EU auf dieser Ebene diskutiert wird. Wohl werden ESVP-Erklärungen oder ESVP-Berichte dem Europäischen Rat vorgelegt und es 149

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finden sich in seinen Schlussfolgerungen Absätze zur ESVP. Doch echte Diskussionen zu diesem Thema gibt es kaum. Und darunter leidet insbesondere die Frage der Fähigkeitsentwicklung, der politische – „von oben kommende“ – Impulse nur gut tun würden. Ebenso wie die Teilnahme an ESVP-Operationen erfolgt auch die Fähigkeitsentwicklung auf freiwilliger Basis. Die Mitgliedstaaten melden nur ein, bieten nur an und versprechen nur das, was sie wollen. Nicht unbedingt das, was sie haben. Anders formuliert: Wenn der politische Wille nicht gegeben ist, helfen keine theoretisch verfügbaren Mittel oder Kapazitäten.

3.1. Prozess der Entwicklung der Militärischen Fähigkeiten 3.1.1. Das Helsinki Headline Goal Im Dezember 1999 beschloss der Europäische Rat in Helsinki das nach diesem Treffen benannte, mittlerweile bereits legendäre, Helsinki Planziel. Bis 2003 sollte die EU in der Lage sein, die in Art. 17 EU-Vertrag (idF von Nizza) festgelegten Aufgaben militärischer Natur umsetzen zu können („Petersberg-Aufgaben“). Zu diesem Zweck sollten die Mitgliedstaaten auf freiwilliger Basis 60 000 Mann entsenden können. Innerhalb von 60 Tagen sollte diese Truppe voll einsetzbar sein und mindestens ein Jahr im Einsatz verbleiben können, was eine entsprechende Reserve mit einbezieht. In der Tat konnten die Mitgliedstaaten dieses Versprechen an sich selbst einlösen, da sie anlässlich des Rates Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen im Mai 2003, erklärten, dass die EU nun die operative Fähigkeiten im gesamten Bereich der Petersberg-Aufgaben habe, allerdings mit Einschränkungen, denn es hieß auch, dass diese Fähigkeiten durch anerkannte Mängel (shortfalls) beeinträchtigt blieben. 3.1.2. Das Headline Goal 2010 – ein neuer Anlauf Diese zu beseitigen und zudem ambitionierter zu handeln, war sodann die erklärte Aufgabe eines neuen Planziels, dem Planziel 2010, 6 das im Mai 2004 angenommen wurde. Wegbereiter oder Auslöser dieses neuen Planziels war die wenige Monate zuvor angenommene ESS. Diese hatte die im EU-Vertrag (nicht erschöpfend) aufgelisteten Petersberg-Aufgaben um weitere Arten von Aktivitäten bzw. Einsätze ergänzt: gemeinsame Entwaffnungsoperationen, Unterstützung von Drittstaaten bei der Terrorismusbekämpfung sowie Sicherheitssektorreform.

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Headline Goal 2010 (Dok. 6309/6/04 REV 6 vom 4. Mai 2005).

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Zudem arbeitete man zu diesem Zeitpunkt an der Entwicklung eines neuen Konzepts schnell einsetzbarer Kampftruppen, den sogenannten Battle Groups. 7 Jeweils zwei solcher multinationaler Battle Groups stehen pro Semester zur Verfügung und können innerhalb weniger Tage einsatzbereit gemacht werden. Diese seit 2007 einsatzbereiten Gefechtsverbände wurden allerdings noch nie eingesetzt. Mehrmals wurde ihr Einsatz in Erwägung gezogen (2006 im Kongo; 2007 im Tschad), sie wurden allerdings für die jeweilige Situation als nicht geeignet erachtet. 3.1.3. Der Mechanismus zur Fähigkeitenentwicklung Was nun folgte war ein aus dem 2003 festgelegten Capability Development Mechanism 8 (zu deutsch: Mechanismus zur Fähigkeitsentwicklung) abgeleiteter Prozess der Identifizierung der benötigten Fähigkeiten (Bedarfskatalog, 2005), der darauf folgenden Einmeldung derselben durch die Mitgliedstaaten (Streitkräftekatalog, 2006) und schließlich der Gegenüberstellung von Bedarf und Angebot (Fortschrittsbericht, 2007). Der Bedarfskatalog: Fünf illustrative Szenarien 9 stellen dabei die Basis für die Bedarfserhebung dar: • Trennung der Parteien mit Streitkräften, • Stabilisierung, Wiederaufbau und militärische Beratung von Drittstaaten, • Konfliktprävention, • Evakuierungsoperationen, • Unterstützung von humanitären Einsätzen. Auf Basis dieser fünf Szenarien wurden militärische Optionen entwickelt, wie mit den beschriebenen Situationen umgegangen werden könnte. Dies wiederum führte zu einer detaillierten Auflistung der benötigten Fähigkeiten und zur weiter spezifizierenden Definition generischer Streitkräfteeinheiten, um klar angeben zu können, welche Arten von Einheiten für die jeweiligen Szenarien notwendig waren. Somit entstand ein nicht nur quantitativ eindeutig bestimmbarer Bedarfskatalog, sondern auch ein qualitativer Maßstab – eine Neuerung im Vergleich zum Entwicklungsprozess, der dem Planziel 2003 zugrunde lag. Der Streitkräftekatalog: Auf Basis eines Planziel-Fragenkatalogs und auch eines „clarification dialogue“ zwischen EU-Militärstab und den Mitgliedstaaten meldeten in der nächsten Phase letztere ihre Beiträge ein. Ein eigenes Überprüfungshandbuch wurde dabei den Mitgliedstaaten in die Hand gegeben, damit sie 7 8 9

Council of the EU: Factsheet – EU Battlegroups. July 2009. Defining the EU Capability Development Mechanism (CDM) (Doc. 6805/03 vom 26. Februar 2003). Council of the EU: Background Note – Military Capabilities, August 2009.

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ihre eigenen Beiträge qualitativ überprüfen konnten. 10 Ergebnis war 2006 der Streitkräftekatalog, in dem die geballte politisch-militärische Bereitschaft der Mitgliedstaaten schwarz auf weiß zusammengefasst war. Doch die eigentliche Probe – der Beweis, dass diese Einmeldungen reichen, um die politischen Zielvorgaben des Headline Goals auch militärisch umzusetzen – sollte erst noch kommen. Der Fortschrittskatalog: Im November 2007 nahm der Rat schließlich den sogenannten Fortschrittskatalog an. Der Name ist nicht unbedingt gut getroffen, wenn man bedenkt, dass durchaus noch Mängel feststellbar waren. Der Fortschrittskatalog verglich die Anforderungen mit den eingemeldeten Fähigkeiten der Mitgliedstaaten und bewertete demnach die Fähigkeiten der EU, die militärischen Anforderungen des Planziels 2010 nach Vorgabe der ESS zu erfüllen. Der Katalog enthält Empfehlungen an die Mitgliedstaaten, wie die festgestellten Mängel – Defizite bei einem Drittel der im Bedarfskatalog angeführten Fähigkeiten – zu beheben wären. 3.1.4. Plan zur Fähigkeitenentwicklung (Capability Development Plan) War der vorhin beschriebene Prozess vor allem beim EU-Militärstab und dem Militärkomitee angesiedelt gewesen, so entstand mit der 2004 gegründeten Europäischen Verteidigungsagentur (European Defence Agency/EDA) ein neuer Akteur bei der Entwicklung operativer Fähigkeiten. Mit ihren Aufgabenfeldern Fähigkeitsentwicklung, Rüstung und Beschaffung sollte die EDA die Mitgliedstaaten zu einer engeren Zusammenarbeit bewegen. So war sie auch gemeinsam mit dem EUMC an der Entwicklung des Capability Development Plan beteiligt. 11 Dieser sollte die Lehren aus dem „Planziel 2010“-Prozess, die wahrscheinlich 2025 benötigten Fähigkeiten, die aktuellen oder angekündigten Programme der Mitgliedstaaten sowie die Lehren aus den ESVP-Operationen zusammenbringen. 12 Die Beschaffungs- und Rüstungsprogramme sind ja sehr langfristig ausgerichtet und um auch tatsächlich Wirkung auf die nationalen Programme entfalten zu können, wurde ein langfristiger Ansatz gewählt. 3.2. Prozess der Entwicklung der zivilen Fähigkeiten 3.2.1. Aktionsprioritäten für das zivile Krisenmanagement Während beim militärischen Krisenmanagement dem Material neben den Soldaten entscheidende Bedeutung zukommt, geht es beim zivilen Krisenmanagement 10 11 12

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Vgl. ebd. Vgl. Background Note – Capability Development Plan (8 July 2008). Council of the EU: Background Note – Military Capabilities, August 2009.

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vor allem um das Personal. Und zwar um Personal, zu dessen Tradition – mit Ausnahme der Polizei – es nicht unbedingt gehört, in Auslandseinsätze geschickt zu werden. Nicht parallel, sondern erst ein halbes Jahr nach der Zielsetzung des Militärischen Planziels 2003, einigte sich der (informelle) Europäische Rat im Jahre 2000 in Feira auf die prioritären Bereiche Polizei (5 000), Rechtsstaatlichkeit (300), Zivilverwaltung und Zivilschutz (2 000), in denen Fähigkeiten zu entwickeln waren. Überaschenderweise wurden die damals gesetzten Zielsetzungen nicht nur erreicht, sondern übertroffen: Bei der sogenannten Civilian Capability Commitment Conference 2004 meldeten die MS mehr als die geforderten Fähigkeiten ein: Mehr als 5 000 Polizisten wurden eingemeldet, 631 Richter, Staatsanwälte und Justizwachebeamte, und 565 Experten für Zivilverwaltung und ca. 5 000 Zivilschutzexperten. 13 Beim Europäischen Rat im Dezember 2004 kam noch eine Kategorie dazu: Beobachtungsmissionen als Mittel der Konfliktprävention. Für diesen Bereich nominierten die Mitgliedstaaten 505 Experten. 3.2.2. Das Zivile Planziel 2008 Nach Annahme eines Aktionsplans im Juni 2004 wurde im Dezember 2004 das Zivile Planziel 2008 angenommen. 14 Erst jetzt erfolgte die systematische Angleichung der zivilen an die militärische Methodologie: Illustrative Szenarien wurden erarbeitet und dementsprechend detaillierte Listen von benötigtem Personal erstellt. Zwei zusätzliche Schwerpunktfelder kamen hinzu: Beobachtungsmissionen und die Unterstützung der Sonderbeauftragten der Europäischen Union. Mehrere Missionen sollten parallel durchgeführt werden können und manche Szenarien sahen die Entsendung von größeren Missionen vor. Die Interoperabilität zwischen den entsendeten Experten und Gerät sollte verbessert werden, nicht zuletzt durch entsprechende Ausbildung. Auch sollten das Beschaffungswesen und die technische Ausrüstung verbessert werden. Schnell einsetzbare Teams, die sogenannten Civilian Response Teams, sollten geschaffen werden. 6 050 Polizisten, 939 Richter, Staatsanwälte und Justizwachebeamte, 745 Administrationsexperten sowie 2 177 Zivilschutzexperten wurden beim Abschluss des Prozesses im November 2007 eingemeldet. 15 All diese Zahlen garantieren natürlich weder die tatsächliche Bereitschaft der Mitgliedstaaten, ihr Personal bereit zu stellen, noch deren tatsächliche Verfügbarkeit oder Eignung für die jeweilige Mission und sind daher mit Vorsicht zu genießen. 13 14 15

Council of the EU: Factsheet – The Civilian Aspects of Crisis Management, August 2009. Ziviles Planziel 2008 Dok. 15863/04. Guide: European Security and Defense Policy (ESDP), edition novembre 2008 (Hrsg.: Französische Vertretung beim Politischen- und Sicherheitspolitischen Komitee).

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3.2.3. Das Zivile Planziel 2010 Im November 2007 beschlossen die Außenminister der Mitgliedstaaten ein neues Planziel für ziviles Krisenmanagement. 16 Im Mittelpunkt des Zivilen Planziels 2010, das erweitert wurde, um auch Fragen von Ausrüstung und Beschaffung zu berücksichtigen, steht das Streben nach Synergien zwischen der zivilen und der militärischen ESVP, den Gemeinschaftsaktivitäten und den Instrumenten der dritten Säule. Darüber hinaus sollen Gender- und Menschenrechtsaspekte verstärkt beachtet werden, die Zusammenarbeit mit Drittstaaten und NichtRegierungsorganisationen verstärkt werden und Lessons Learned aus den zivilen ESVP-Missionen besser berücksichtigt werden. Seitdem wurde ein neues Szenario (Sicherheitssektorreform) erarbeitet und die Bedarfslisten dementsprechend erneuert.

3.3. Erklärung über die Verstärkung der Fähigkeiten (Dezember 2008) Die Weiterentwicklung der ESVP war von Anfang an eines der Hauptziele der französischen EU-Präsidentschaft. Nachdem man ambitionierte Pläne aufgrund des irischen Nein zum Lissabon-Vertrag hatte aufgeben müssen (u.a. in Bezug auf die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit), konzentrierte sich die französische Präsidentschaft auf Erklärungen der Verteidigungsminister im November 2008, bei bestimmten Projekten zusammenzuarbeiten, und vor allem auf die Erklärung über die Verstärkung der Fähigkeiten, die im Dezember 2009 von den Staats- und Regierungschefs angenommen wurde. Die Erklärung hält fest, dass die EU im Rahmen der festgelegten Zielvorgaben (60 Tage/60 000 Mann; Planziele 2010) fähig sein sollte, parallel folgende Operation zu planen und durchzuführen: 17 • zwei Operationen zur Stabilisierung und zum Wiederaufbau mit einer entsprechenden zivilen Komponente, die mindestens zwei Jahre lang mit bis zu 10 000 Mann im Einsatz gehalten werden kann; • zwei zeitlich befristete Krisenreaktionsoperationen insbesondere unter Einsatz der Battle Groups; • eine Operation zur Evakuierung europäischer Staatsbürger (in weniger als zehn Tagen); • eine Mission zur Überwachung/Abriegelung des See- oder Luftraums; • eine bis zu 90 Tage dauernde zivil-militärische Operation zur Leistung humanitärer Hilfe; 16 17

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Neues Ziviles Planziel 2010 (Dok. 14823/07). Schlussfolgerungen des Vorsitzes: Europäischer Rat Dezember 2008 (Annex 2).

Die Fähigkeiten der EU



ein Dutzend ziviler Missionen unterschiedlichen Formats, einschließlich einer größeren Mission (mit eventuell bis zu 3 000 Experten), die mehrere Jahre andauern könnte.

Leider enthält diese Absichtserklärung aber keine Frist, bis zu der die EU in der Lage sein will, parallel all diese Operationen durchzuführen. Betrachtet man beispielsweise die zivilen Missionen so ist die Zielsetzung nicht wirlich neu.

4. Schlusskommentar: Ausblick auf den Lissabon-Vertrag Ausblick deshalb, weil der Vertrag von Lissabon zum Zeitpunkt des Entstehens dieses Kapitels erst seit wenigen Wochen in Kraft getreten war. Für den Bereich Fähigkeiten enthält er zweifellos sehr wertvolle Elemente. Dazu zählen: • die explizite Verpflichtung der Mitgliedstaaten, ihre militärischen Fähigkeiten zu verbessern; • die Ständige Strukturierte Zusammenarbeit, an der sich nur die Mitgliedstaaten beteiligen können, die höhere Kriterien erfüllen (u.a. Teilnahme an den Battle Groups und der Europäischen Verteidigungsagentur.); • die Verankerung der Europäischen Verteidigungsagentur im Vertrag, samt starker Rolle bei der Beurteilung der Fähigkeiten der Mitgliedstaaten; • eine prominente Rolle in diesem Bereich für die Hohe Vertreterin für Außen- und Sicherheitspolitik. Neben der Schaffung eines Europäischen Auswärtigen Dienstes, in dem aus heutiger Sicht auch die ESVP-Strukturen des RS untergebracht sein werden, sind diese Vorkehrungen der „peer pressure“ ein Schritt in die richtige Richtung. Die Frage wird aber sein, wie groß das Verlangen der finanziell schwächeren Mitgliedstaaten an einer vollen Teilnahme an der Ständigen Strukturierten Zusammenarbeit wirklich sein wird. Andererseits ist aber denkbar, dass gerade die finanziellen Nöte die Staaten zwingen könnten, noch kooperativer nach Synergien zu suchen und gemeinsam Kosten zu übernehmen. Dann wäre ein wichtiges Ziel erreicht: Dass die EU insgesamt effizientere, kostengünstigere und glaubhaftere Sicherheitspolitik betreibt.

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Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

Thomas Bauer

1. Einleitung „In the light of shared common values and strategic interests, NATO and the EU are working side by side in key crisis management operations and will continue to do so. We recognise the value that a stronger and more capable European defence brings, providing capabilities to address the common challenges both NATO and the EU face. We therefore support mutually reinforcing efforts to this end.“ 1

Im Gegensatz zu den euphorischen Gipfelerklärungen der letzten Jahre, in denen die gute Kooperation zwischen dem Nordatlantischen Vertragsbündnis (NATO) und der Europäischen Union (EU) immer wieder hoch gehalten wurde, mischen sich seit geraumer Zeit merklich kritischere Töne in die Debatte um das transatlantische Verhältnis. Ein Hauptargument für die fehlende Effizienz und Nachhaltigkeit des Kooperationsverhältnisses tritt dabei sehr häufig in den Vordergrund. Die ablehnende Haltung der Türkei als NATO-Vollmitglied verhindere eine formalisierte Kooperation, wie sie eigentlich im Rahmen der „BerlinPlus“-Erklärung aus dem Jahr 1996 vorgesehen ist. Alles, was seitdem an Zusammenarbeit im operationellen Bereich möglich ist, muss über andere Mechanismen implementiert und gesteuert werden. Dieses Erklärungsmuster greift jedoch zu kurz. Außerdem wird es oft eher als Ablenkungsmanöver verwendet, um von den eigentlichen, tieferliegenden Problemen abzulenken. Dadurch bleiben tiefer gehende Debatten über die substantiellen Defizite sowie jene strukturellen und inhaltlichen Spannungen, die das Kooperationsverhältnis zwischen beiden Organisationen scheinbar in eine Sackgasse geführt haben, außen vor. Neben den kritischen Stimmen innerhalb der NATO, die der EU das strategische Profil und die militärische Effizienz zur Beteiligung an KrisenmanagementOperationen absprechen, finden sich weitere offene Fragen im Verhältnis der USA zu Europa und der EU sowie auf Seiten der Europäer hinsichtlich deren Bereitschaft, die USA und deren Rolle innerhalb der Allianz weiterhin als dominanten Faktor für die strategische Identität Europas anzuerkennen. Dieses Kapitel kann dabei nur einen Teil der Gesamtproblemlage behandeln. Es soll aber dazu beitragen, die herausragende Rolle der Mitgliedstaaten und deren Bereitschaft, auch eigene Mittel und Ressourcen für die Erarbeitung und Umsetzung 1

NATO Bucharest Summit Declaration, 3. April 2008.

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Thomas Bauer

eines sicherheits- und verteidigungspolitischen Profils für Europa bereitzustellen, als Kern der Akteurs- und Politikanalyse zu verdeutlichen.

2. Die Schwachstellen im transatlantischen Verhältnis Ein erstes Problem ergibt sich bereits bei der Definition des Untersuchungsraums. Die NATO unterhält im engeren Sinne keine Beziehungen zur EU als Organisation. Vielmehr muss sie sich mit der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) als einem Bestandteil des zusammengesetzten sicherheitspolitischen Profils der EU auseinandersetzen. Von europäischer Seite wurde in der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) 2003 auf die Bedeutung der transatlantischen Partnerschaft verwiesen: „Die transatlantischen Beziehungen zählen zu den tragenden Elementen des internationalen Systems. Dies ist nicht nur im beiderseitigen Interesse, sondern stärkt auch die internationale Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit. Die NATO ist ein besonderer Ausdruck dieser Beziehungen.“ 2 Neben einer strategischen Partnerschaft mit den USA wird hierbei auch explizit eine strategische Partnerschaft der EU mit der NATO angesprochen. Die eigentlichen Arbeitsbeziehungen finden jedoch im Verhältnis zwischen ESVP und NATO statt. Dieses leicht verwirrende Zusammenspiel aus transatlantischer Partnerschaft zwischen der EU und den USA, der ESVPNATO-Kooperation sowie dem Verhältnis der individuellen europäischen Staaten zu den USA führt zu einer teilweise unübersichtlichen Gemengelage und Vielfalt an Interessen und politischen Bestrebungen, die sich im günstigsten Fall gegenseitig ergänzen oder unterstützen, die in der Praxis jedoch auch kompetitive oder gar konträre Wechselwirkungen erzeugen können. Auch im operationellen Bereich finden sich Zeichen für das problembehaftete Verhältnis zwischen EU und NATO. Ein Beispiel für die Komplexität der Problemlage ist der Kosovo, in dem EU und NATO nebeneinander aber nicht miteinander agieren, obwohl die Situation vor Ort dies dringend erfordern würde. Auf den ersten Blick scheint die Aufgabenverteilung zwischen NATO und EU im Kosovo klar geregelt zu sein. Auf der einen Seite operieren NATO-Truppen im Rahmen der KFOR-Mission auf Basis der UN-Resolution 1244. Ihre Aufgabe ist es, für öffentliche Ordnung im Land zu sorgen, um somit die Grundvoraussetzungen für eine stabile Entwicklung zu gewährleisten. Das besondere an der Mission ist die Tatsache, dass sich selbst die serbische Minderheit im Kosovo von den NATO-Soldaten beschützt fühlt, auch wenn im Rahmen der Unabhän-

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Ein sicheres Europa in einer besseren Welt – Europäische Sicherheitsstrategie vom 12. Dezember 2003, Brüssel, S. 9.

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

gigkeitserklärung des Kosovo erneut Spannungen im Verhältnis zur NATO aufgetreten waren. Auf der anderen Seite operiert auch die EU im Kosovo im Rahmen der bisher größten zivilen Mission im Rahmen der ESVP, der Rechtsstaatlichkeitsmission EULEX. Ihre Aufgabe ist die Unterstützung beim Aufbau staatlicher Strukturen in dem von Krieg und ethnischen Unruhen zerrütteten Land. Etwa 1 800 Polizeiund Verwaltungsbeamte, Zollkräfte, Richter und Staatsanwälte versuchen zusammen mit etwa 900 lokalen Mitarbeitern das Land von der um sich greifenden Korruption und organisierten Kriminalität zu befreien und die notwendigen Strafverfolgungssysteme aufzubauen. Auch die Verfolgung und Ergreifung von Kriegsverbrechern gehören zu ihren Aufgaben. Die EU beruft sich ebenfalls auf die UN-Resolution 1244, jedoch lehnen die Serben im Land die Mission ab, weil sie sich aus ihrer Sicht auf eine illegitime Grundlage bezieht. Die serbische Minderheit verweist – ebenso wie die russische Regierung – auf die Unrechtmäßigkeit des Kosovo-Einsatzes der NATO im Jahr 1999 und damit aller sich daraus ergebenden Folgeoperationen. Ungeachtet der Frage der Rechtmäßigkeit ergibt sich jedoch beim Einsatz vor Ort ein viel zentraleres Problem. EU und NATO schaffen es nicht, eine formalisierte Zusammenarbeit in diesem Land zu bewerkstelligen. Haupthindernis ist dabei die Türkei, die einer gemeinsamen Lösung konsequent im Wege steht. Hintergrund für den türkischen Standpunkt sind die Bemühungen Ankaras, sich seinen Einfluss auf die NATO-Dimension der strategischen Identität Europas zu bewahren, solange die EU-Dimension aufgrund der fehlenden Mitgliedschaft nicht greifen kann. Hinzu kommen langwierige Konflikte mit dem Nachbarn und EU-Vollmitglied Griechenland, wobei es in erster Linie um den historischen Zypern-Konflikt geht. Eine Zustimmung der Türkei zu einer formalisierten Kooperation über Rückgriff auf die „Berlin-Plus“-Vereinbarungen könnte die Türkei, so die Befürchtung der türkischen Führung, bei der Ausgestaltung einer neuen strategischen Identität des europäischen Kontinents für das 21. Jahrhundert ins Abseits manövrieren. Wie wichtig Ankara diese Einflussnahme ist, hat man zuletzt im Vorfeld des NATO-Jubiläumsgipfels 2009 in Strassburg und Kehl beobachten können. Die Zustimmung der Türkei zum neuen NATO-Generalsekretär Rasmussen konnte erst durch bestimmte politische Zugeständnisse durch einzelne NATOMitgliedstaaten erfolgen. Die Zusage des ehemaligen dänischen Regierungschefs zur Schließung eines kurdischen Radiosenders erwirkte schließlich ein Einlenken der Türkei. Diese Zusage wurde innerhalb der Türkei als Beleg für die strategische Bedeutung des Landes gewertet. Die Türkei wollte damit klarstellen, dass die NATO als Organisation, aber auch die USA und die westeuropäischen Staaten ohne die Zustimmung Ankaras keine gemeinsame Politik vorantreiben können. Diesen Anspruch hatte die Türkei auch zuvor schon in verschiedenen Zusammenhängen verdeutlicht. 2003 etwa verweigerte die türkische Regierung die 159

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Transitrechte für die Verlegung einer US-Division an die Grenze zum Nordirak und machte sich so ihre geostrategische Position zum Vorteil. Im Fall Kosovo mussten sich EU und NATO wegen der kontinuierlichen Verweigerungshaltung der Türkei auf informelle Kooperationsstrukturen berufen. Eine Zustimmung der Türkei zu einem offiziellen Kooperationsmechanismus wäre nur unter bestimmten politischen Voraussetzungen möglich gewesen, was wiederum den Gehalt der Partnerschaft relativiert hätte. Das informelle Arrangement brachte jedoch vor allem im operationellen Bereich eine Reihe von Schwierigkeiten mit sich. Bisher wurde versucht, fehlende Koordinationsmechanismen durch die Nutzung indirekter Synergieeffekte – vor allem in der Personalpolitik – auszugleichen. Der Leiter von EULEX etwa, der französische General i.R. Yves de Kermabon, war 2004/2005 bereits Kommandeur der KFORTruppen im Kosovo und brachte damit wichtige Erfahrungswerte in die EUMission ein. Auch sonst wurden oft ganze Einheiten direkt von der KFOR an die EU-Mission übertragen. Bestimmte Probleme in Zusammenhang mit der Zusammenarbeitsfähigkeit der beiden Organisationen blieben jedoch bestehen und konnten auf Basis der informellen Strukturen langfristig keiner Lösung zugeführt werden. Bezeichnend für die schwierigen Arbeitsbedingungen zwischen den beiden Organisationen ist auch, dass das aktuellste Dokument über die Zusammenarbeit, das im öffentlichen Archiv des Rates der EU zur Verfügung gestellt wird, vom Dezember 2003 stammt. 3 Im Gegensatz dazu bieten NATO-Quellen noch Informationen über die regelmäßigen Treffen der Allianz mit dem Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee (PSK) der EU. An einem Symposium zur 10jährigen Unterzeichnung der „Berlin-Plus“-Erklärung im NATO Defence College in Rom im Jahr 2006 erschien außer einem Mitarbeiter der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) kein Vertreter der EU, weder vom Generalsekretariat des Rates noch vom Militärausschuss der EU (EUMC). 4 Neben den institutionellen Schwierigkeiten bei der Zusammenarbeit von EU und NATO gibt es auch ein nicht zu unterschätzendes Konkurrenzverhältnis zwischen den beiden Organisationen hinsichtlich des Rückgriffs auf mitgliedstaatliche Ressourcen. Beide Organisationen bemühen sich um die Verteidigungsbudgets ihrer jeweiligen Mitgliedstaaten, was bei der Tatsache, dass 21 EU-Mitgliedstaaten auch in der NATO vertreten sind, oft zu erheblichen Spannungen führt. Außerdem gibt es auch Debatten über die regionale Zuständigkeit der beiden Organisationen. 2005 gab es eine Auseinandersetzung darüber, wer die Operation der Afrikanischen Union im Sudan unterstützen sollte, da beide 3 4

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Document of EU-NATO Consultation, Planning and Operations, December 2003. , abgerufen am 04.06.2009. Olshausen, Klaus: Wo bleibt die Zusammenarbeit zwischen NATO und Europäischer Union? In: Europäische Sicherheit, 3/2007, S. 48.

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

Seiten seit vielen Jahren dort eigene Missionen durchführen. In einigen Fällen behinderten sich die Mitgliedstaaten beider Organisationen auch gegenseitig, wie etwa bei der Beschaffung von dringend benötigten C-17 Transportmaschinen für die NATO, die von Frankreich verzögert wurde und zwar auf Basis von Partikularinteressen. Tomas Valasek vom Center for European Reforms (CER) in London kommt daher auch zu einer äußerst ernüchterten Bewertung des Kooperationsverhältnisses: „NATO and the EU make very poor friends“. 5 Die Gründe hierfür liegen sowohl in der NATO selbst, als auch in der diffusen strategischen Identität Europas mit NATO, EU, WEU und OSZE als Bezugspunkte, sowie in der widersprüchlichen Haltung der USA gegenüber der Gründung einer genuin europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Diese Schwachstellen sollen im Folgenden kurz einzeln besprochen werden.

2.1. Schwachstelle NATO Auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs der NATO-Mitgliedstaaten beim Jubiläumsgipfel 2009 in Kehl und Straßburg wurden nicht nur die Aufnahme zweier neuer Mitglieder und die Rückkehr Frankreichs in die integrierte Kommandostruktur der Allianz gefeiert. Es wurde auch angeregt, eine Debatte über ein neues strategisches Konzept für das Bündnis zu führen. Bei diesem Vorhaben steht vor allem die Wiederbelebung der strategischen Tiefe und der strategischen Relevanz der NATO im Mittelpunkt, da seit der Erklärung des Bündnisfalls in Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 eine schleichende politische Marginalisierung der NATO stattgefunden hat. Dafür gibt es eine Reihe von Ursachen. Das Bündnis sieht sich heftiger Kritik ausgesetzt, zum einen seitens der europäischen Öffentlichkeit, deren Mehrheit eine Beendigung des ISAF-Einsatzes in Afghanistan fordert. Zum anderen gibt es aber auch innerhalb des Bündnisses Spannungen und Interessensgegensätze, die auf den alljährlichen NATO-Gipfeltreffen immer häufiger offen ausgetragen werden. Zu den wichtigsten Streitthemen gehören die künftige Kooperation mit Russland, die Frage der Erweiterung des Bündnisses sowie das weitere Vorgehen in Afghanistan. Gerade die osteuropäischen Länder sehen in der NATO noch immer eine zentrale Sicherheitsgarantie gegenüber den potenziellen Bestre-bungen eines zuletzt wieder erstarkten und selbstbewussten Russlands. Direkt verbunden mit dieser defensiven Haltung gegenüber Russland ist die Unterstützung der baltischen und mitteleuropäischen NATO-Mitgliedstaaten für 5

Valasek, Tomas: France, NATO and European Defence. CER Policy Brief, Mai 2008, S. 1.

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eine Aufnahme weiterer osteuropäischer Staaten in das Bündnis, wie etwa der Ukraine oder Georgien. Das Ziel dieser Staaten ist es, eine Pufferzone zu Russland aufzubauen, um so Distanz und dadurch mehr Sicherheit zu erlangen. Diesen Forderungen stehen vor allem westeuropäische Staaten wie Frankreich und Deutschland skeptisch gegenüber, da sie auf eine konstruktive und nachhaltige Einbindung Moskaus in die internationale Gemeinschaft und die Bewältigung regionaler wie globaler Herausforderungen setzen. Beim Thema Raketenabwehr verläuft der Bruch innerhalb des Bündnisses entlang derselben Konfliktlinien. Mit der durch die Aufnahme Kroatiens und Albaniens nun auf 28 Mitgliedstaaten weiter ausgebauten Interessenheterogenität innerhalb der Allianz dürfte auch beim Thema Afghanistan die Einigung auf eine von allen getragene Kompromisslösung noch schwieriger werden. Vor dem Hintergrund dieser Spannungen, die durch unterschiedliche Interpretationen und Deutungsmuster noch weiter verschärft werden, wurde nun zuletzt die Erarbeitung eines neuen strategischen Konzepts in Auftrag gegeben. Tatsächlich ist zehn Jahre nach dem Gipfel von Washington 1999 eine strategische Anpassung notwendig. Die Frage bleibt jedoch, wie sich ein neues strategisches Konzept im Verhältnis zu den Bemühungen um eine eigene strategische Identität für die EU auswirken wird. Mit der Rückkehr Frankreichs in die integrierte Kommandostruktur dürfte auch eine Stärkung der europäischen Säule innerhalb des Bündnisses einhergehen. Die Frage ist nun, wie dieses europäische Selbstbewusstsein in die Praxis umgesetzt werden kann. Dabei sei jedoch daran erinnert, dass Zweifel an der politischen wie militärischen Effektivität sowie an der strategischen Identität des Bündnisses nicht neu sind. Vielmehr begleiten sie dessen Entwicklung seit der Gründung vor 60 Jahren. Die Einigung auf Zielrichtung und Prioritätensetzung innerhalb einer sicherheits- und verteidigungspolitischen Kooperation für Westeuropa waren schon beim Vertrag von Dünkirchen (1947) oder dem Brüsseler Vertrag (1948) nicht ohne vorherigen Interessensausgleich zu erreichen. Erst mit dem NATOVertrag von 1949 und der damit verbundenen Einbindung der USA in eine breitere transatlantische Vertragsorganisation bekamen die Bemühungen um eine Sicherung von Frieden und Stabilität in Europa eine strategische Richtung. Der Strategiewechsel von massiver Vergeltung hin zum Konzept der „flexible response“ war ebenso von heftigen internen Debatten begleitet wie die im HarmelBericht von 1967 begründete grundsätzliche Dialogbereitschaft des Westens gegenüber Staaten des Warschauer Pakts. Ihren deutlichsten Ausdruck fanden diese Zerwürfnisse im Ausstieg Frankreichs aus der integrierten Militärstruktur der NATO im Jahre 1966. Auch der NATO-Doppelbeschluss von 1979 kam erst nach intensiven Gesprächen des damaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt mit US-Präsident Jimmy Carter zustande. Die Diskussionen über eine strategische Neuausrichtung der NATO nach 1990, die Debatte über „out-of-area“-Einsätze des Bündnisses und schließlich die Rolle des transatlantischen Bündnisses bei 162

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

der Bekämpfung von transnationalem Terrorismus nach den Anschlägen vom 11. September 2001 reihten sich in eine Serie kontinuierlichen Ringens innerhalb der Allianz um die richtige Antwort auf die Herausforderungen der jeweiligen Gegenwart. Der Einfluss der europäischen Bündnispartner auf die weitere Entwicklung der NATO war dabei immer ein zentraler Bestandteil der Diskussionen. Diese Auflistung soll vor allem eines verdeutlichen. Im Verhältnis der NATO zur ESVP ist es nicht primär die EU, die durch die Kooperation mit der NATO einem kontinuierlichen Transformationsdruck ausgesetzt ist, sondern die NATO selbst. Diese Feststellung ist deshalb so wichtig, weil es in den letzten Jahren eine starke Tendenz dahin gegeben hat, der EU und dem lahmenden Verfassungsprozess die Schuld an einer fehlenden strategischen Identität Europas zu geben. Der Zweifel am Einsatz in Afghanistan und die internen Zerwürfnisse rund um die Frage der NATO-Erweiterung in den unmittelbaren Nachbarschaftsraum Russlands haben jedoch verdeutlicht, dass ohne einen grundlegenden Wandel innerhalb der NATO auf weitere Sicht keine Verbesserung im Verhältnis zur ESVP erarbeitet werden kann. Diese Transformation hat jedoch nicht in erster Linie auf der strukturellen oder institutionellen Ebene zu erfolgen. Vielmehr muss sie problemorientiert angegangen werden: „But instead of looking at the specific technical, political, financial, or military details of the various issues, NATO should first concentrate on the barriers that limit potential effects of measures at hand. Changes cannot be forced through institutional changes or the focus on NATO structures and command posts, but are rather promoted through dialogue between the relevant internal and external partners.” 6

Die Rückkehr Frankreichs in die militärische Struktur der Allianz hat eine zusätzliche Aufgabe für die NATO mit sich gebracht. Denn ohne Paris als Vertreterin einer rein europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität im EURahmen gilt es nun die neutralen Staaten in Europa im Rahmen eines tragfähigen Gesamtansatzes in eine engere Kooperation mit der NATO einzubinden. Denn Lücken oder schwarze Felder auf der europäischen NATO-Karte werden nicht zu mehr Legitimation bei Fragen einer zukünftigen Osterweiterung führen, geschweige denn Moskau von seinem Versuch abbringen, die europäischen Staaten untereinander in Streit zu verwickeln, um damit das Bündnis an seiner Westgrenze zu schwächen.

2.2. Schwachstelle Europa „There is today a tendency among large swathes of Europeans to view the United States, U.S. policies, or U.S. power in an increasingly negative light. This fact, more than any 6

Bauer, Thomas: NATO is Dead – Long live NATO! CAPerspectives 2/2009, München, S. 2.

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changes about to take place in the White House, will shape the transatlantic relationship for years to come.“ 7

Die Reaktionen aus den europäischen Hauptstädten auf die Wahl Obamas zeugen von der Hoffnung vieler Staaten, nach zahlreichen Alleingängen der USA und inhaltlichen wie konzeptionellen Zerwürfnissen in Folge des Global War on Terror nun wieder ein stabiles Fundament an gemeinsamen Zielen aufbauen zu können. Dabei konnte jedoch bereits im Verlauf des Jahres 2008 ein gewichtiges Problem für die zukünftige Zusammenarbeit beobachtet werden. Die Europäer verhielten sich sehr passiv und schienen eine Initative Washingtons abzuwarten, anstatt selbst die Basis für ein neues transatlantisches Verhältnis zu schaffen. Dabei wäre es wichtig gewesen, sich auf europäischer Seite über eine gemeinsame Agenda zu verständigen und diese selbstbewusst vom neuen US-Präsidenten einzufordern. Einige wichtige Impulse kamen aus der Wissenschaft und von Seiten europäischer think tanks. Zahlreiche Briefing Papers, Zukunftsvisionen und Agenda-Entwürfe für die Zeit nach November 2008 wurden veröffentlicht. Die politische Führung in Europa hat diese Entwürfe aber weder im Vorfeld der Wahlen noch in den Monaten nach Amtsantritt Barack Obamas im Weißen Haus aufgegriffen. Die Diskrepanz zwischen den notwendigen Entscheidungen auf transatlantischer Ebene und den politisch machbaren bzw. vertretbaren Zugeständnissen auf europäischer Seite ist erheblich. Daraus ergibt sich ein weiteres Problem für die zukünftige Kooperation zwischen EU und NATO. Es hat in den vergangenen Jahren entscheidende Veränderungen im globalen Sicherheitsumfeld gegeben. Zahlreiche Sicherheitsrisiken und Problemfaktoren gehen dabei von Regionen außerhalb Europas aus. Sollte die NATO in diesem Zusammenhang eine Rolle spielen wollen, so erfordert diese transatlantische Herangehensweise eine gleichberechtigte Partnerschaft zwischen der EU und den USA: Es besteht Grund zur Annahme, dass ein zu passives Verhalten der Europäer in diesem Zusammenhang die globale Rolle der EU insgesamt schwächen könnte und im Gegenzug dazu die USA weiter stärken würde. Ebenso könnten sich die USA weiter dazu veranlasst fühlen, bilaterale Kommunikationswege der Allianz vorzuziehen und direkt mit Regierungen in Problemregionen in Kontakt zu treten. Die Unfähigkeit der Europäer, ihrer eigenen internen Agenda mit dem Vertrag von Lissabon eine feste vertragliche Grundlage zu schaffen, zeugt von der verblassenden politischen Strahlkraft der EU. Im schlimmsten Fall könnte dies zu einer Marginalisierung Europas als Kontinent führen. Politische Akteure in den Hauptstädten der EU-Mitgliedstaaten verweisen häufig auf innenpolitische Probleme oder Ereignisse, wie etwa bevorstehende Wahlen, um Verzögerungen oder zurückhaltende Beteiligungen im Bereich des sicherheitspolitischen Enga7

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Cox, Michael: Europe’s Enduring Anti-Americanism. In: Current History, May 2008, S. 231-235, hier S. 231.

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

gements zu rechtfertigen. Bei 28 Mitgliedstaaten ist es jedoch kaum zu erwarten, dass es einmal einen Moment geben wird, in dem nicht eine Wahl oder eine interne Krise zu überstehen sind. Die Strahlkraft der EU als Integrationsprojekt entsteht aus mehr als nur der Summe ihrer Einzelteile. Dieses Potenzial unter Verweis auf nationalstaatliche Unpässlichkeit zu gefährden unterminiert nicht nur die europäische Idee, es schwächt auch das Ansehen Europas in der Welt, sowohl auf Seiten potenzieller strategischer Partner wie den USA aber auch auf Seiten der emerging powers, für die Europa aufgrund der fehlenden machtpolitischen Dimension damit uninteressant wird. Eine einheitliche europäische Position scheiterte bislang meistens an zu großen Differenzen zwischen den Interessen der europäischen Bündnispartner. Will die EU künftig auf Augenhöhe mit dem US-amerikanischen Präsidenten verhandeln, ist es nötig, sich auf einige zentrale Eckpunkte einer gemeinsamen Politik gegenüber und mit den USA zu einigen und diese konsequent innerhalb der NATO umzusetzen. Letzteres erweist sich aber wegen der zunehmenden Heterogenität innerhalb des Bündnisses als schwierig. Die wirklich großen Impulse für weitere Integrationsschritte werden daher vor allem in anderen Konstellationen vorangetrieben. So wurde beispielsweise eine neue gemeinsame Linie im Umgang mit dem Iran auf dem G-8 Gipfel 2009 in L’Aquila verkündet und nicht im Rahmen der NATO. Auch der Durchbruch bei den Gesprächen mit Russland über ein Nachfolgeabkommen für den START-I Vertrag wurde auf bilateraler Ebene zwischen den USA und Russland erreicht, obwohl die hierfür nötige Zustimmung Washingtons, auch das umstrittene Raketenabwehrsystem in Osteuropa in die Verhandlungen mit aufzunehmen, die Interessen vieler NATO-Mitgliedstaaten berührt. Europa wird auch künftig von einem fundamentalen Spannungsverhältnis geprägt sein, basierend auf der zunehmenden Bedeutung der nationalen Partikularinteressen in einem Verbund von bald 28 Staaten. Da gibt es auf der einen Seite die nationalen Regierungen, die über ihren Souveränitätsbereich wachen und Kompetenzen nur zögerlich abgeben. Auf der anderen Seite existiert bei allen Beteiligten das Bewusstsein über die Notwendigkeit weiterer Anpassungen und eines gemeinsamen Vorgehens. Wichtig ist dabei die Erkenntnis, dass multinationale Institutionen und Organisationen wie die EU oder die NATO gegenüber nationalen Alleingängen ein immenses zusätzliches Potenzial besitzen. Deswegen ist es wichtig die Frage zu stellen, womit das europäische Integrationsprojekt neu belebt werden kann. Dies wird aller Wahrscheinlichkeit nach nicht durch bürokratische und detailverliebte Mammutverträge zu erreichen sein und auch nicht durch einen technokratischen Minimalkonsens im Rahmen neuer strategischer Konzepte. Vielmehr gilt es Überzeugung zu entwickeln, die nach innen wie nach außen von der strategischen Relevanz Europas innerhalb eines revitalisierten Bündnisses mit den USA kündet. Wichtig ist hierbei auch die Frage der Legitimität. Denn bei aller berechtigten Konzentration auf effektive Strukturen 165

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und Kooperationsabkommen gilt es auch, die Unterstützung seitens der europäischen Öffentlichkeit zu gewinnen. Diese kann nur durch mehr Transparenz, Nachvollziehbarkeit und auf die öffentliche Meinung bezogene Rückkopplungseffekte der Entscheidungsprozesse entwickelt werden. Diese Art von Modernisierungsdruck war zuletzt mit dem Fall der Berliner Mauer gegeben. In Westeuropa bedeutete dies die Überwindung der Eurosklerose mit der Vollendung des Binnenmarktes und den Sprung in das digitale Zeitalter. Im Osten vollzog sich eine sukzessive Öffnung gegenüber der internationalen Staatenwelt, die Pluralisierung der Lebenswelten sowie eine tief greifende gesellschaftliche Differenzierung. Die zwei deutlichsten Merkmale dieser Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Einheit waren die Schaffung des Euro als gemeinsame Währung sowie die Osterweiterungen von NATO und EU. Um sich im Umfeld der neuen Herausforderungen behaupten zu können, muss Europa heute mehr denn je als Risikogemeinschaft wahrgenommen und daher als Strategiegemeinschaft organisiert werden. Diese gilt es auch in die NATO einfließen zu lassen, so dass sich daraus eine transatlantische Strategiegemeinschaft ergeben kann. Gemeinsame Bedrohungen und Risiken verlangen nach gemeinsamen Lösungsstrategien. Die Strahlkraft einer strategischen Identität Europas ist hierfür eine unabdingbare Voraussetzung. Die Bewältigung all dieser Herausforderungen erfordert die Klärung einiger grundlegender konzeptioneller Fragen. Europa benötigt bei der Suche nach seiner Rolle im transatlantischen Kooperationsrahmen Orientierung und einen Konsens über eine tragende Idee. Europa braucht daher eine neue perspektivische Klarheit. Nötig sind Initiativen führungsfähiger und führungswilliger Mitgliedstaaten. Ziel muss es sein, innovative Impulse zur Bewältigung der Herausforderungen zu geben, denen die Europäer und Amerikaner heute gegenüberstehen, ohne die grundlegenden Prinzipien der 1949 gegründeten Allianz aus den Augen zu verlieren. Wichtig hierbei ist, dass den Worten auch Taten folgen müssen. Denn in Europa ist in den letzten Jahren ein überbordender Missbrauch des Begriffs Strategie zu beobachten. Von der Europäischen Sicherheitsstrategie über strategische Partnerschaften bis hin zu Strategien gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen scheint nichts und niemand vor einer nur rudimentär ausgeprägten strategischen Perspektive der EU sicher zu sein. Das Problem ist jedoch, dass die meisten dieser Ansätze mit Strategien nichts gemeinsam haben, da sie weder eine Gegenüberstellung von Mitteln und Zielen beinhalten, noch eine Hierarchisierung der empfohlenen Maßnahmen vornehmen. Der Versuch, über Strategiepapiere, die im engeren Sinne gar keine sind, die strategische Lücke zu den USA zu schließen, kann, wenn die entsprechenden Ressourcen zur Umsetzung ausbleiben, zu einer nachhaltigen Schwächung des transatlantischen Verhältnisses führen, was mittelfristig schwerwiegendere Folgen haben könnte als das NichtVerhältnis zu Zeiten von Georg W. Bush. 166

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

2.3. Schwachstelle USA Das Problem einer fehlenden Grundlage für das Verhältnis der EU zu den USA wirkt sich massiv auf das Verhältnis zwischen der NATO und der EU aus. Zwar wurde mit der 1995 verabschiedeten New Transatlantic Agenda eine Art Basisdokument vereinbart, jedoch erweist sich diese für den alltäglichen Gebrauch als wenig hilfreich: „We share a common strategic vision of Europe’s future security. Together, we have charted a course for ensuring continuing peace in Europe into the next century. We are committed to the construction of a new European security architecture in which the North Atlantic Treaty Organisation, the European Union, the Western European Union, the Organisation for Security and Cooperation in Europe and the Council of Europe have complementary and mutually reinforcing roles to play.“ 8

Doch wie dieses Zusammenspiel der unterschiedlichen Sicherheitsakteure und Institutionen genau aussehen soll, und was dies für spezifische Arbeits- oder Problemfelder, wie etwa die Frage der Erweiterung von EU und NATO gegen den Willen Russlands, bedeutet, ist nicht geklärt. Viele sehen daher in einer fehlenden Vereinbarung zwischen Washington und Brüssel eines der zentralen Defizite im transatlantischen Verhältnis. Das zweite Defizit ist die ungeklärte Frage, inwiefern die USA auch noch im 21. Jahrhundert ihre Rolle des primus inter pares wahrnehmen können bzw. sollen. Bereits im Jahr 2000 waren Überlegungen seitens der USA hinsichtlich eines gemeinsamen European Security and Defense Planning System vorgebracht worden, dem alle EU und NATOMitgliedstaaten hätten angehören sollen. Dies hätte den USA jedoch einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Planungen der ESVP gegeben, was basierend auf den berechtigten Zweifeln in Paris oder Rom ob eines ähnlichen Mitspracherechts in Washington zu einer deutlichen Machtverschiebung im transatlantischen Verhältnis geführt hätte. Zudem dürfte den Europäern nicht daran gelegen sein, auf Dauer die Rolle des Straßenkehrers zu übernehmen. Die letzten Jahre haben gezeigt, dass das teilweise übereilte Vorgehen der USA häufig zu langwierigen und kostspieligen PostConflict-Management Operationen führt, zu deren Bewältigung häufig die Europäer herangezogen werden. Diesem sehr eindimensionalen Verständnis von burden-sharing steht man in den europäischen Hauptstädten eher skeptisch gegenüber. Gleichzeitig hat sich in Washington eine eigene Vorstellung von effektivem Multilateralismus entwickelt, dessen Effizienz vor allem an der Größe der Schnittmenge mit US-Interessen gemessen wird. Da sich Washington auch unter Barack Obama weiterhin vorbehält, sich als Partner jene Akteure auszusuchen, die zur Umsetzung eines möglichst großen Anteils US-amerikanischer Interessen geeignet scheinen, entwickelt sich zwischen der europäischen Deutung des ef8

Auszug aus der New Transatlantic Agenda vom 3. Dezember 1995.

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fektiven Multilateralismus und der US-Version des competitive multilateralism ein nicht zu überbrückender Widerspruch, der jede Kooperation in Zukunft auf eine harte Probe stellen wird. Ohne eine neue, umfassende Klärung des Verhältnisses der USA zur EU scheint eine Lösung des problembelasteten Verhältnisses zwischen NATO und ESVP kaum möglich. Grundlage für die Neuausrichtung der Beziehungen ist eine Vergewisserung der spezifischen Ausgangslage beider Partner. Die USA stecken in einer tiefen Vertrauenskrise, was sie als internationaler Akteur schwächt: Die US-Wirtschaft wird seit Beginn der Finanzkrise von zahlreichen Schockwellen erfasst, die sich mittlerweile empfindlich auf die Realwirtschaft und den Arbeitsmarkt ausgewirkt haben. Das Gesundheitssystem ist chronisch überlastet und sichert nur einen Bruchteil der US-Bevölkerung ab. Außenpolitisch haben die Vereinigten Staaten mit den Stabilisierungsmaßnahmen in Afghanistan und im Irak sowie mit den Foltervorwürfen und dem System Guantánamo massiv zu kämpfen. Die grüne Revolution, die das Land aus dem Zeitalter ungebremster Energieverschwendung in die Realität knapper Ressourcen katapultieren soll, kommt sehr spät und wird das Land finanziell noch mehr belasten. Gleichzeitig hat das Ansehen der USA in der internationalen Staatengemeinschaft aufgrund des unilateralen Vorgehens im Fall des Irak stark gelitten. Die aktive Behinderung des internationalen Strafgerichtshofs, dem die USA bisher nicht beigetreten sind, die einseitige Aufkündigung oder Unterminierung von Rüstungskontrollverträgen, aber auch die Verweigerungshaltung bei internationalen Vereinbarungen wie dem Kyoto-Protokoll oder dem Vertrag über das Verbot von Streumunition haben den USA und ihrem Status als Ordnungsmacht und westliche Vorzeigedemokratie massiven Schaden zugefügt. Sowohl aus interner als auch externer Perspektive befindet sich das Land derzeit in einer defensiven Position. Zwar hat Barack Obama mit seinen Vorstößen in Richtung einer neuen Klimaschutzpolitik und eines neuen Dialogs mit Moskau über die nukleare Abrüstung die ersten Kritiker verstummen lassen und die Erwartungen der vor allem in Europa euphorischen Öffentlichkeit nach einem Neuanfang in der internationalen Politik erfüllen können, doch die bevorstehenden mid-term elections im Herbst 2010 könnten zu einer unfreiwilligen Abkehr dieser weltoffenen Politik führen, vor allem wenn es den demokratischen Kongressabgeordneten um die Wiederwahl geht, bei der die Lage auf dem lokalen Arbeitsmarkt und die inneramerikanische Wirtschaftsentwicklung von größerer Bedeutung sind als ein möglicher Erfolg im Dialog mit Teheran oder beim gemeinsamen Klimaschutzabkommen mit den Europäern. In seiner Antrittsrede skizzierte Obama die Eckpunkte seines politischen Programms. Dabei signalisierte er eine veränderte Grundhaltung, die ein kooperativeres Vorgehen mit Blick auf die internationalen Partner und einen hohen Stellenwert der Diplomatie impliziert. Deutliche Signale in diese Richtung gab der Präsident durch den bereits am ersten Tag seiner Amtszeit gegebenen Erlass zur 168

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

Schließung von Guantánamo und das Angebot zu einem umfassenden Dialog mit der muslimischen Welt. Europa bietet sich in dieser Situation des Neuanfangs die Chance, mit eigenen Impulsen und Ideen die transatlantischen Beziehungen zu gestalten. Aber das Fenster für derartige Vorstöße ist jeweils nur kurz geöffnet. Diese kurze Zeitspanne muss von beiden Seiten gezielt vorbereitet, mit Nachdruck angegangen und für langfristige Lösungsansätze bei der Bewältigung der drängenden globalen Probleme genutzt werden. Es wird daher neben der Erstellung einer europäischen Agenda auch viel von der Freiheit des US-Präsidenten abhängen, wirklich auf europäische Interessen einzugehen. Diese Freiheit hängt vor allem von der Haltung der Abgeordneten im US-Kongress und der US-amerikanischen Bevölkerung ab.

3. Ausblick – Den Wandel gestalten „It must be possible for NATO and the EU to have a better structured political relationship; for instance with monthly NAC-PSC meetings on pre-agreed topics, informal bimonthly transatlantic lunches or dinners at Ambassadorial level, or regular visits to NATO by senior EU officials involved in issues of common concern, and vice-versa.“ 9

Die Bühne der internationalen Beziehungen war in den vergangenen Monaten Schauplatz vieler dramatischer Entwicklungen. Die Fragilität des internationalen Ordnungssystems wird durch zahlreiche Krisen und Konflikte offen zu Tage geführt. Der immer noch weltweit und transnational agierende Terrorismus, internationale Kriminalität, die globale Kredit- und Finanzkrise, die sich mittlerweile bis zur Realwirtschaft durchgeschlagen hat, ungebremste Migrationsbewegungen, Klimakatastrophen, Ressourcenverknappung und die unveränderte Gefahr konventioneller wie atomarer Proliferation sind Herausforderungen, die nicht an den Grenzen von Nationalstaaten halt machen, sondern ganze Regionen und Staatengruppen gleichzeitig betreffen. Erhebliche Anstrengungen sind notwendig, um die vielschichtigen und komplexen Konfliktkonstellationen, seien sie wirtschaftlicher, politischer oder ethnischer Art, effizient und nachhaltig zu lösen. Kein Staat und auch keine Organisation kann diese Aufgaben im Alleingang bewältigen. Vielmehr ist ein stabiler und verlässlicher multilateraler Rahmen notwendig, der dazu beiträgt, auf der Grundlage gemeinsamer Werte und Interessen langfristige Strategien zu entwerfen. Trotz der offenkundigen Verschiebung der globalen Kräfte in Richtung pazifischer Raum bietet die transatlanti9

Aus einer Rede von NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer bei einer Tagung über die Beziehungen zwischen EU und NATO, 7. Juli 2008.

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sche Partnerschaft nach wie vor ein stabiles Fundament für nachhaltige Kooperation. Die gemeinsamen Erfahrungen aus dem Zeitalter des Ost-West-Konflikts haben über die Jahre ein starkes gegenseitiges Vertrauen entstehen lassen, das die Grundlage für die Bewältigung gemeinsamer Probleme bildet. Dies sollte dennoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die unterschiedlichen Entwicklungen und Ereignisse auf der internationalen Ebene, das Aufkommen neuer mächtiger Akteure wie China, Indien oder Brasilien sowie Verschiebungen bei den jeweiligen Interessenskomplexen und Prioritäten die Überlebensfähigkeit und strategische Tiefe der transatlantischen Beziehungen immer wieder unter Druck setzen. Zwei Pole definieren die zukünftige Entwicklung der NATO-ESVP-Beziehungen. Zum einen die klare Hoffnung, dass sich durch die Entwicklung kontinuierlicher Arbeitsbeziehungen und die Vertiefung des strategischen Dialogs auf höchster politischer Ebene die Möglichkeiten zur Intensivierung der Beziehungen im Sinne der New Transatlantic Agenda ergeben. Hierfür hat der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy bereits im Herbst 2007 einen Vorschlag eingebracht, der zu einem besseren gegenseitigen Verständnis beider Organisationen führen soll. Programm und Berichte der sechsmonatigen Ratspräsidentschaft sollten im Nordatlantikrat und den relevanten Agenturen der Allianz vorgestellt werden. Ebenso sollte der NATO-Generalsekretär regelmäßig zu den Sitzungen des Politischen und Sicherheitspolitischen Komitees (PSK) der EU eingeladen werden. Zwischen der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) und dem Allied Command für Transformation (ACT) in Norfolk sollen zudem engere Arbeitsbeziehungen eingeführt werden. 10 Dieser letzte Aspekt könnte durch die Besetzung des ACT mit einem französischen General nach der Rückkehr Frankreichs in die militärischen Strukturen der NATO neu aufgegriffen werden. Zum anderen darf jedoch die Bedeutung gemeinsamer Deutungsmuster nicht unterschätzt werden. Hierbei gibt es sowohl die Kluft im innereuropäischen Verhältnis zwischen den russlandfeindlichen Kräften in Osteuropa und den für den Dialog offeneren Westeuropäern. Aber auch die USA müssen sich bewusst werden, dass sich eine gemeinsame Kooperationsbasis nur über gemeinsame Deutungsmuster ergeben kann. Doch genau an diesem unbedingten Willen der Europäer zur Kooperation zweifelt man auf US-amerikanischer Seite. In Washington wird befürchtet, dass nach dem Applaus und den Glückwünschen für Obama und die USA die substantielle Unterstützung ausbleiben könnte. Thomas Friedman hat in einem Beitrag im International Herald Tribune vor der Amtseinführung Obamas aufgrund dieser Skepsis einen direkten Appell an die Europäer gerichtet:

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European Diplomacy and Defence, No. 68 vom 11. Oktober 2007, S. 1.

Verhältnis der EU zur NATO – Die transatlantische Frage

„If you want Obama to succeed, though, don’t just show us the love, show us the money. Show us the troops. Show us the diplomatic effort. Show us the economic partnership. Show us something more than a fresh smile. Because freedom is not free and your excuse for doing less than you could is leaving town in January.“ 11

Hinter diesem Aufruf verbirgt sich die Sorge um das Aufkommen einer ernsten Gefahr für die Zukunft der transatlantischen Beziehungen. Denn sollte sich herausstellen, dass die Europäer aus US-amerikanischer Perspektive nicht die geeigneten Partner sind für die Bewältigung der anstehenden Aufgaben, dann dürfte das Verhältnis auf lange Sicht beschädigt bleiben und Wirtschafts- und Handelsfragen die einzigen Themen für weitere Gespräche darstellen. Dies hätte auch Auswirkungen auf das Verhältnis Europas zu den aufstrebenden Schwellenländern, für die neben den wirtschaftspolitischen Anreizen Europas immer auch deren strategische Bindung an die USA von Bedeutung war: „Europeans and Americans, in terms of values and interests, may well be as close as two seperate continents can have any reasonalbe expectation of finding themselves. Nevertheless, it seems that without a pressing reason for Europeans to doubt their basic security, the war on terror (or any other issue) will not provide the basis for the sort of self-denying coordination of policy to which the latter half of the twentieth century made us accustomed.“ 12

Transatlantische Sicherheitspartnerschaft und europäische Sicherheitsidentität sind zwei Seiten derselben Medaille. Es gilt daher, die Bemühungen „zu einer verstärkten Zusammenarbeit von EU und NATO aus der deklaratorischen Ebene in praktische Arbeit auf der strategischen, operativen und taktischen Ebene in den diplomatischen, militärischen und nicht-militärischen Wirkungsbereichen“ umzusetzen. 13 Dahinter muss mehr stehen als nur die Frage einer weiteren Unterstützung für den NATO-Einsatz in Afghanistan. Es geht um die Abwehr einer schleichenden Marginalisierung Europas im Verhältnis zur den Gestaltungskräften der Globalisierung.

11 12 13

Friedman, Thomas: Love is not Enough – Show Us the Money. Message to the World. In: The Herald Tribune, 12 November 2008, S. 11A. Cox, Michael: Europe’s Enduring Anti-Americanism. In: Current History, May 2008, S. 231-235 (233). Olshausen, Klaus: Wo bleibt die Zusammenarbeit zwischen NATO und Europäischer Union? In: Europäische Sicherheit, 3/2007, S. 51.

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Multilateralismus und multilateralte Kooperation als Grundlagen der EU-Außenpolitik

Multilateralismus und multilaterale Kooperation als Grundlagen der EU-Außenpolitik

Franco Algieri Wird der Blick auf die Häufigkeit von Gipfeltreffen und das Zusammentreffen von Staaten im Rahmen internationaler Organisationen und multilateraler Foren gerichtet, so zeigt sich ein zunehmender Aktionismus. Ob es sich um Fragen regionaler oder globaler Sicherheit, der Klimapolitik oder um die Gestaltung von Finanz- und Wirtschaftsbeziehungen handelt, die erste Dekade des 21. Jahrhunderts war in quantitativer Hinsicht sicherlich nicht durch das Fehlen gemeinsamer und auf Öffentlichkeitswirksamkeit ausgerichteter Ereignisse geprägt. Doch wenn nach deren Wirksamkeit und Nachhaltigkeit gefragt wird, so ergibt sich eine eher nüchterne Bilanz. Besteht möglicherweise „die Illusion von der einen Welt“? 1 Trifft die Erkenntnis von John J. Mearsheimer zu, der mit Blick auf das nach dem Ende des Kalten Krieges zunehmende westliche Interesse an Institutionen als Stabilitätsfaktoren Mitte der 1990er Jahre argumentierte, dass Institutionen nur einen minimalen Einfluss auf das Verhalten von Staaten ausüben? 2 Oder liegt die Herausforderung für Multilateralisten darin, neue Kooperationsformen zu finden? „Like-minded states have no choice but to work together, inventing a new diplomacy that integrates all aspects of their hard and soft power, to deliver on shared interests rather than national ones.“ 3 Im Folgenden wird der Blick auf den Akteur Europäische Union (EU) und dessen Verhältnis zum Multilateralismus gerichtet. Dabei wird zunächst gefragt, welches globale Ordnungsprinzip im beginnenden 21. Jahrhundert zu erkennen ist. Dem folgt zweitens die Thematisierung des wirksamen Multilateralismus im Rahmen europäischer Außenpolitik. Exkursiv schließt sich drittens eine Betrachtung zur EU als Akteur im multilateralen Forum Vereinte Nationen an. Abschließend werden Einschränkungen und Perspektiven des Multilateralismus für die EU skizziert.

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Fischermann, Thomas/Pinzler, Petra: Die Illusion von der einen Welt. In: Die Zeit, 30.12.2009, S. 21f. Mearsheimer, John J: The False Promise of International Institutions. In: International Security, Vol. 19, No. 3, Winter 1994/95, S. 5-49. Evans, Alex/Steven, David: Shooting the Rapids. Multilateralism and Global Risks. Paper presented to heads of state at the Progressive Governance Summit, 5 April 2008, S. 15.

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1. Welche Welt? Multipolar und Multilateral? Mit der Überwindung der Ost-West-Antagonie stellte sich ab 1989/90 die Frage, welches globale Ordnungsmodell sich nunmehr manifestieren würde. Eine eindeutige Antwort hierauf lässt sich auch zwei Jahrzehnte später nicht finden. 4 Am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts zeigen sich alte und neue Merkmale der post-bipolaren Zeitphase. 5 Hinzu kommen im Zuge der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise ökonomische Fragen von geostrategischer Relevanz. Die ordnungspolitischen Schwächen der USA und anderer westlicher Staaten wirken sich auf die Debatte um eine globale Ordnungsstruktur aus. Sollte eine Verschiebung wirtschaftlicher Macht von Europa und den USA nach Asien eintreten, wird damit einhergehend eine politische Neugewichtung in den internationalen Beziehungen unausweichlich. Weitere Themen, die auf den Agenden von Staaten, internationalen Organisationen und Nichtregierungs-organisationen eine zentrale Position eingenommen haben, sind die Klima- und Energiepolitik. Während ideologisch bedingte Konflikte der Vergangenheit angehören, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass künftige Konflikte sich beispielsweise um den Zugang zu Rohstoffen und die Sicherung der Energieversorgung drehen werden. Der Besitz von bzw. der Zugang zu entsprechenden Ressourcen und Energiereserven bringt Veränderungen der Machtkonstellationen in den internationalen Beziehungen mit sich. Für bislang bestimmende Akteure der internationalen Politik können sich aus den Veränderungen des internationalen Umfelds weitreichende Konsequenzen ergeben. Die USA werden weiterhin (noch) als führende Macht verstanden, die über diplomatische, wirtschaftliche sowie militärische Kapazitäten verfügt, um die internationale Kooperation entscheidend zu beeinflussen. Auch wird die Aufrechterhaltung internationaler Stabilität weiterhin in einen engen Zusammenhang mit US-amerikanischer Ordnungsmacht gesetzt. Doch es sind auch einschränkende Faktoren festzustellen: Ein wieder erstarkendes Wirtschaftswachstum in China und Indien kann zu einem Rückgang der ökonomischen Macht der USA führen. Des Weiteren schwindet die Attraktivität des Westens und speziell der USA als Förderer von Demokratie und Frieden, insbesondere in der Wahrnehmung weniger entwickelter Länder. Außerdem wird in einer Konstellation

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Hierzu umfassend Rittberger, Volker/Kruck, Andreas/Romund, Anne: Grundzüge der Weltpolitik. Theorie und Empirie des Weltregierens. Wiesbaden 2010. Hierzu beispielsweise Grant, Charles: Winners and Losers in the New Geopolitics. Centre For European Reform, Bulletin, Issue 66, London 2009. Und Hacke, Christian: Weichzeichnung der Weltlage. Herausforderungen an eine neue Außenpolitik. KonradAdenauer Stiftung, Die Politische Meinung, Nr. 476, 2009, S. 17-22.

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transnationaler Gefährdungen die Wirkung einer unipolaren, auf die Führungsrolle der USA zentrierten Strategie in Frage gestellt. 6 Vor diesem Hintergrund ist die Auseinandersetzung mit einem multipolaren Ordnungsmodell zu sehen. Die Beschäftigung mit der Multipolarität war in den außenpolitischen Überlegungen der USA und der EU lange Zeit keineswegs ähnlich deutlich erkennbar wie beispielsweise in der Außenpolitik Chinas. Am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts kann jedoch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Thema festgestellt werden. Aus amerikanischer Perspektive wird in einer multipolaren Ordnung, geprägt von Staaten und nichtstaatlichen Akteuren, mit einem Machtverlust der USA gerechnet, doch gleichzeitig sollen die USA gegenüber anderen Mächten eine herausgehobene Stellung haben: „The United States will have a greater impact on how the international system evolves over the next 15-20 years than any other international actor, but will have less power in a multipolar world than it has enjoyed for many decades. […] A world of relatively few conflicts with other major powers would smooth the way toward development of a multipolar system in which the US is “first” among equals. In the end, events will shape the parameters of US foreign policy”. 7

Auf Europa blickend wird dessen Rolle eher skeptisch betrachtet und insbesondere im sicherheitspolitischen Bereich sieht der National Intelligence Council nur eine begrenzte globale Reichweite europäischer Politik: „Europe will face difficult domestic challenges that could constrain its ability to play a larger global role, especially in the security realm“. 8 Diese Einschränkung europäischer Macht kann in einen ursächlichen Zusammenhang mit dem sich über mehrere Jahre hinziehenden und von Rückschlägen gekennzeichneten Reformprozess 9 sowie einem damit einhergehenden Verlust an internationalen Gestaltungsmöglichkeiten gebracht werden. Die Diskrepanz außenpolitischer Interessen der Mitgliedstaaten sowie die Beschränkungen im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) bleiben bestehen, was wiederum Konsequenzen für die Beziehungen der EU zu anderen globalen Akteuren hat; von zunehmendem Interesse sind dabei die sogenannten BRICs (Brasilien, Russland, Indien, China).

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Zur zeitlichen Begrenzung von Unipolarität siehe Christopher Layne, 2006: The Unipolar Illusion Revisited. The Coming End of the United States’ Unipolar Moment. In: International Security, Vol. 31: Issue 2, S. 7-41. National Intelligence Council: Global Trends 2025. A Transformed World. Washington D.C., 2008, S. 93. National Intelligence Council 2008, S. 94. Möller, Almut: Neun Jahre Reformprozess. Zur Relevanz der Geschichte des Vertrages von Lissabon. AIES Fokus, 9, 2009.

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Es ist noch unklar, wie genau ein multipolares System letztendlich gekennzeichnet sein könnte. In der europäischen Debatte um die Rolle der EU in einer multipolaren Welt findet sich hierzu kein Konsens. Ein globales Ordnungsmodell, das durch eine konfrontative Polarität gekennzeichnet wäre, wird abgelehnt. Ein multipolares System, in dem jedoch das Prinzip des Multilateralismus vorherrscht, könnte die Unterstützung der EU finden. 10 In diesem Kontext sind konzeptionelle Überlegungen zu sehen, die eine Verbindung von Multilateralismus und Multipolarität herstellen. Die Multilateralisierung der Multipolarität („multilateralising multipolarity“) 11 ist eine neue Beschreibung für ein bereits länger bekanntes Handlungsprinzip: globale und wichtige regionale Akteure werden in einem strategischen Kooperationsrahmen zusammengeführt, um gemeinsam zu handeln. Giovanni Grevi nutzt die Bezeichnung „interpolare Welt“ und stellt damit eine begriffliche Verbindung von Interdependenz und Multipolarität her: „Interpolarity [...] captures the shifting balance of power and the ensuing geopolitical tensions while highlighting the fact that the prosperity and security of all the major powers are interconnected as never before“. 12 In diesem Modell wird einer potenziellen Konfrontation großer Mächte, wie dies aus einer rein multipolaren Ordnung resultieren könnte, durch die Kooperation in einem multilateralen Rahmen entgegengewirkt. Kooperation in einer multipolaren und gleichzeitig stark interdependenten Situation wird als „strategisches Interesse“ der wichtigsten Mächte gesehen. Grevi beschreibt die EU als Akteur, dessen Politiken und Instrumente ein interpolares Modell fördern. Doch einschränkend verweist er darauf, dass dies zu erreichen dadurch erschwert wird, dass die EU eine Phase der Schwäche durchläuft. Grundsätzlich bleibt festzustellen, dass sowohl für die EU wie auch andere globale Akteure die multilateralen Formen und Foren der Kooperation als weiterhin notwendig angesehen werden.

2. Effektiver Multilateralismus als Grundprinzip der EU-Außenpolitik Das Bekenntnis zum effektiven Multilateralismus durchzieht die Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Klärungsbedarf besteht dahingehend, wie dieser Begriff zu interpretieren ist. Multilateralismus ist eine Handlungsform zur Gestaltung und Regelung internationaler Beziehungen. Unipolari10 11

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Grant, Charles/Valasek, Tomas: Preparing for the Multipolar World. European Foreign and Security Policy in 2020. Center for European Reform, London 2007, S. 3. De Vasconcelos, Alvaro: Introduction. 2020 Defence Beyond the Transatlantic Paradigm. In: De Vasconcelos, Alvaro (Hrsg.): What Ambitions for European Defence in 2020? Paris, Institute for Security Studies, 2009, S. 11-22, hier S. 18. Grevi, Giovanni: The Interpolar World. A New Scenario. ISS Occasional Paper, No. 79, Juni 2009, S. 9.

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tät und Multipolarität sind systemische Bezeichnungen für die internationale Ordnung. Unilateralismus und Multilateralismus können in einem unipolaren wie auch in einem multipolaren System als Handlungsformen angewendet werden. Multilateral zu handeln bedeutet, ausgehandelte Regeln in institutionalisierten Foren mit mehreren unterschiedlichen Akteuren zu pflegen. Fulvio Attinà nennt fünf Charakteristika des Multilateralismus: 13 • Multilateralismus basiert auf allgemeinen Prinzipien. • Multilateralismus kann das Verhalten und die Interessen von Staaten beeinflussen. • Multilateralismus kann hegemoniales Verhalten von Staaten einschränken. • Die Institutionalisierung von Multilateralismus verdeutlicht sich in internationalen Organisationen und rechtlichen Regimen. • Ergänzende Verhaltenspraktiken zum Multilateralismus sind zu beachten, wie beispielsweise Minilateralismus, d. h. kollektives Handeln einer kleinen Gruppe von Staaten, die ihr Handeln im Interesse der Staatengemeinschaft sehen. Wie Multilateralismus und multilaterales Handeln als Grundprinzip der Außenpolitik der EU konzeptionell zu verorten sind, lässt sich aus der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS), die von den Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember 2003 angenommen wurde, erschließen. Die ESS 14 basiert auf der Grundannahme, dass „kein Land in der Lage ist, die komplexen Probleme der heutigen Zeit im Alleingang zu lösen“. Sie spannt einen weiten Bogen hinsichtlich des Zusammenhangs interner und externer Sicherheitsaspekte, in dem unterschiedliche Themen wie Armut oder Energiesicherheit aufgegriffen werden. Als Hauptbedrohungen nennt die ESS den Terrorismus, die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, regionale Konflikte, das Scheitern von Staaten und die organisierte Kriminalität. „Bei einer Summierung dieser verschiedenen Elemente – extrem gewaltbereite Terroristen, Verfügbarkeit von Massenvernichtungswaffen, organisierte Kriminalität, Schwächung staatlicher Systeme und Privatisierung der Gewalt – ist es durchaus vorstellbar, dass Europa einer sehr ernsten Bedrohung ausgesetzt sein könnte.“

Vor dem Hintergrund dieser Konstellationsanalyse werden drei strategische Ziele genannt, die die EU verfolgt. Erstes Ziel ist die Abwehr von Bedrohungen, aufbauend auf bereits bestehenden Maßnahmen der EU wie beispielsweise in Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 oder die Nicht13 14

Attinà, Fulvio: Managing Globalisation. EU’s Effective Multilateralism. Jean Monnet Working Papers in Comparative and International Politics, No. 65, Catania 2008, S. 4-6. Europäische Sicherheitsstrategie: Ein sicheres Europa in einer besseren Welt. Brüssel, 12. Dezember 2003.

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verbreitungspolitik. Hierbei wird die Vielschichtigkeit des Themas Sicherheit und der globale Ansatz europäischer Außenpolitik verdeutlicht: „Im Zeitalter der Globalisierung können ferne Bedrohungen ebenso ein Grund zur Besorgnis sein wie näher gelegene. [...] Die erste Verteidigungslinie wird oftmals im Ausland liegen. Die neuen Bedrohungen sind dynamischer Art. [...] Konflikten und Bedrohungen kann nicht früh genug vorgebeugt werden.“

Um in solch einer Vielschichtigkeit erfolgreich zu handeln, in der „keine der neuen Bedrohungen rein militärischer Natur“ ist, können diese Bedrohungen „auch nicht mit rein militärischen Mitteln bewältigt werden. Jede dieser Bedrohungen erfordert eine Kombination von Instrumenten.“ Hier kommt die Europäische Sicherheitsstrategie bereits zu dem Schluss, dass die EU aufgrund ihrer Erfahrungen mit ziviler Konfliktbewältigung und dem Einsatz wirtschaftlicher Instrumente „besonders gut gerüstet ist, um auf solche komplexen Situationen zu reagieren“. Zweites Ziel ist die Stärkung der Sicherheit der Nachbarschaft der EU. Dies bezieht sich auf Staaten und Regionen östlich der EU und im Mittelmeer. Auf erstere Region blickend sieht es die EU nicht als ihr Interesse an, „dass durch die Erweiterung neue Trennungslinien in Europa entstehen. Wir müssen die Vorteile wirtschaftlicher und politischer Zusammenarbeit auf unsere östlichen Nachbarn ausweiten und uns zugleich mit den politischen Problemen dieser Länder befassen.“ Mit Blick auf die Mittelmeerregion wird die Lösung des arabisch-israelischen Konflikts als eine „strategische Priorität“ der EU bezeichnet. Als drittes Ziel will die EU zu einer Weltordnung auf Grundlage des wirksamen Multilateralismus beitragen. Besondere Bedeutung wird der Zusammenarbeit der EU mit den Vereinten Nationen (VN), der Welthandelsorganisation (WTO), der NATO und regionalen Organisationen beigemessen. 15 Ausführlich widmet sich die ESS in diesem Zusammenhang der Bedeutung und der Unterstützung verantwortungsvoller Staatsführung. Sowohl auf regionaler wie internationaler Ebene handelt die EU im Rahmen ihrer Außenpolitik einem multilateralen Ansatz folgend. Sei dies beispielsweise die Kooperation mit Staaten der Mittelmeerregion (Euro-Mediterranean Partnership), die transatlantische Zusammenarbeit in der NATO, die Regelung internationaler Handelsbeziehungen im Kontext der WTO oder der Prozess der euroasiatischen Kooperation im Asia Europe Meeting (ASEM). Die Europäische Sicherheitsstrategie unterstreicht diese Ansätze, die in der Tradition europäischer Außenpolitik stehen, und ermöglicht es, Schwerpunkte zu setzen: „Wir leben in einer Welt mit neuen Gefahren, aber auch mit neuen Chancen. Die Europäische Union besitzt das Potenzial, einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der Bedrohungen wie auch zur Nutzung der Chancen zu leisten. Eine aktive und handlungsfähige Euro15

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Auf Europa bezogen betrifft dies die OSZE und den Europarat, in Asien die Vereinigung Südostasiatischer Staaten (ASEAN), in Südamerika MERCOSUR und in Afrika die Afrikanische Union.

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päische Union könnte Einfluss im Weltmaßstab ausüben. Damit würde sie zu einem wirksamen multilateralen System beitragen, das zu einer Welt führt, die gerechter, sicherer und stärker geeint ist.“

Als eine primäre Konsequenz der bereits erwähnten Tatsache, dass keinem Staat alleine die Bewältigung vielschichtiger Herausforderungen möglich sei, wird in der Europäischen Sicherheitsstrategie die Notwendigkeit der internationalen Zusammenarbeit betont. Neben den multilateralen Foren wird auf die Partnerschaft mit einigen wichtigen Akteuren eingegangen. Die transatlantischen Beziehungen werden als „unersetzlich“ bezeichnet: „In gemeinsamem Handeln können die Europäische Union und die Vereinigten Staaten eine mächtige Kraft zum Wohl der Welt sein.“ Diese Hervorhebung ist vor dem Hintergrund der im Verlauf des Irak-Konflikts sehr schwierigen transatlantischen Beziehungen einzuordnen. Als weitere strategische Partner der EU werden neben Kanada auch Japan, China und Indien in der ESS genannt. Für die Bestimmung der Reichweite europäischer Außenpolitik gibt die ESS keine geografischen Einschränkungen vor. Die erste Evaluierung der Europäischen Sicherheitsstrategie in Form eines Berichtes über die Umsetzung der ESS mit dem Titel „Sicherheit schaffen in einer Welt in Wandel“ bestätigt die Relevanz und Gültigkeit der Strategie von 2003 in ihrem umfassenden Ansatz. 16 Dadurch wird schon von Beginn an klargestellt, dass es sich, vor dem Hintergrund von Wandlungsprozessen auf globaler Ebene, lediglich um eine Bestätigung und teilweise Präzisierung der bestehenden Strategie handelt. Folglich werden der kooperative Ansatz europäischer Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik einschließlich der damit einhergehenden Nutzung einer Vielzahl vorhandener Instrumente zur Ausgestaltung dieser Politiken bestätigt. Bezüglich einer „wirksameren multi-lateralen Weltordnung“ wird die Notwendigkeit der strategischen Partnerschaften und der Stärkung multilateraler Foren wiederholt. Als wichtigster Partner werden die USA genannt und bemerkenswert ist die Gleichsetzung der EU und der USA als „eindrucksvolle Streiter für das Gute in der Welt“. Die Bedeutung Russlands für die EU wird weiterhin als hoch eingeordnet, gleichwohl zeigt sich eine gewisse kritische Distanz. Hinsichtlich der Rolle anderer weltpolitischer Akteure wird den USA eine deutlich stärkere Bedeutung beigemessen und an die US-Administration unter Präsident Barack Obama werden hohe Erwartungen gestellt. Angesichts der teilweise schwierigen Phasen, die die transatlantischen Beziehungen während der Regierungszeit des amerikanischen Präsidenten George W. Bush durchliefen, und der unterschiedlichen sicherheitspolitischen Herausforderungen, denen die EU und die USA begegnen wollen, stellt sich nun die Frage, ob eine Abstim16

Rat der Europäischen Union: Bericht über die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie. Sicherheit schaffen in einer Welt im Wandel. 17204/08, Brüssel 10.12.2008.

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mung der strategischen Konzepte möglich ist. Thomas Jäger verweist auf den Zusammenhang zwischen transatlantischem Verhältnis, Gestaltung der Weltordnung und Relevanz der Strategiedebatte. 17 Darüber hinaus kann argumentiert werden, dass diese Fokussierung der EU auf die USA ein Eingeständnis der Mitgliedstaaten der Union darstellt und zwar dahingehend, dass es ihnen bislang nicht gelungen ist, auf supranationaler Ebene ausreichende Macht zur wirkungsvollen Gestaltung der internationalen Politik zu entwickeln. Hinterfragt werden muss, ob sich für die EU eine derart privilegierte Partnerschaftsbeziehung mit den USA als hilfreich erweist und die Beziehungen zu anderen Weltmächten hierbei geringer gewertet werden können. Charles Grant hat die Bedeutung der Zusammenarbeit der USA und der EU mit anderen Akteuren wie folgt beschrieben: „The US and the EU will need to work with every power, including those that are not particularly democratic.“ 18 Um das Konzept der strategischen Partnerschaften weiter zu verdichten, müsste die EU mit den jeweiligen Partnerstaaten eine intensive Analyse übereinstimmender und ähnlicher Interessen durchführen und diese dann in einen gemeinsamen konzeptionellen Ansatz führen. Des Weiteren müsste bestimmt werden, was letztendlich der Mehrwert einer strategischen Partnerschaft für die EU einerseits und den Partner andererseits ist und sein soll. Strategische Partner müssen nicht ausschließlich Staaten sein. Ebenso sind internationale Organisationen und Nichtregierungsorganisationen als strategische Partner zu beachten und folglich müssten entsprechende Bestimmungen der Interessengemeinsamkeiten vorgenommen werden. Neben den strategischen Partnern wird im Implementierungsbericht auf die Rolle multilateraler Foren verwiesen. Wenn die EU mehr globalen Einfluss nehmen und als gestaltender Akteur wirken will, so muss dies also über multilaterale Foren geschehen: „Das internationale System, das nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffen wurde, ist Druck an mehreren Fronten ausgesetzt. Die Vertretung in den internationalen Institutionen wird in Frage gestellt. Es ist erforderlich, die Legitimität und Wirksamkeit zu verbessern und die Beschlussfassung in multilateralen Foren effizienter zu gestalten. Das bedeutet, Beschlüsse müssen verstärkt gemeinsam gefasst werden und anderen muss eine größere Teilhabe ermöglicht werden. Angesichts gemeinsamer Probleme gibt es keine Alternative zu gemeinsamen Lösungen.“

Angesichts der beschriebenen Feststellungen in der Europäischen Sicherheitsstrategie und dem Implementierungsbericht soll abschließend die Begrifflichkeit „wirksamer Multilateralismus“ thematisiert werden. Der übergeordnete Orientie-

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Jäger, Thomas: Ordnung, Bedrohung, Identität. Grundlagen außenpolitischer Strategien. In: Jäger, Thomas/Höse, Alexander /Oppermann, Kai (Hrsg.): Die Sicherheitsstrategien Europas und der USA. Transatlantische Entwürfe für eine Weltordnungspolitik. BadenBaden 2005, S. 9-26. Grant, Charles/Valasek, Tomas: Preparing for the Multipolar World, S. 36.

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rungsbegriff in der Europäischen Sicherheitsstrategie ist „wirksamer Multilateralismus“ (effective multilateralism). Sicherlich kann gefragt werden, wieso das Attribut „wirksam“ von Nöten ist, erschiene es doch wenig sinnvoll, wenn sich die EU einerseits für Multilateralismus als Ordnungsprinzip entscheidet, dieser aber anderseits keine Wirkung zeigen würde. Die Begrifflichkeit lässt sich auf die Debatte zur Reform der VN zurückführen, in deren Zusammenhang das Ziel formuliert wird, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts effektiv zu begegnen. 19 Die Europäische Sicherheitsstrategie bietet keine Definition für den Begriff, doch ist der Zusammenhang mit der Rolle der VN unverkennbar ausgedrückt: „Wir sind der Wahrung und Weiterentwicklung des Völkerrechts verpflichtet. Die Charta der Vereinten Nationen bildet den grundlegenden Rahmen für die internationalen Beziehungen. Dem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen obliegt die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Die Stärkung der Vereinten Nationen und ihre Ausstattung mit den zur Erfüllung ihrer Aufgaben und für ein effizientes Handeln erforderlichen Mitteln ist für Europa ein vorrangiges Ziel.“

Wenn die Aufrechterhaltung des Multilateralismus durch die EU diesen zu einer Art öffentlichem Gut im internationalen Kontext macht, stellt sich die Frage, 20 welche Bedeutung der Multilateralismus für die globale Ordnungsdebatte hat. Sven Biscop und Valérie Arnould verstehen effektiven Multilateralismus als ein effektives System von „global governance“. 21 In solch einem System soll den Individuen der Zugang zu globalen öffentlichen Gütern („global public goods“) möglich sein. Zu diesen zählen • die physische Sicherheit, • eine politische Ordnung, die politische Partizipation ermöglicht und die Menschenrechte und Gleichheit aller garantiert, • eine offene und inklusive Wirtschaftsordnung, die allen Wohlstand gewährt, • ein soziales auf das Wohl des Individuums ausgerichtetes Umfeld. 22

19

20 21

22

Weiterführend Eide, Espen Barth (Hrsg.): Effective Multilateralism. Europe, Regional Security and a Revitalised UN. Global Europe, Nr. 1, 2004. Winkelmann, Ingo: Effektiver Multilateralismus. In: Dicke, Klaus/Fröhlich, Manuel (Hrsg.): Wege multilateraler Diplomatie. Politik, Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen im UNSystem. Baden-Baden 2005, S. 93-112. De Vasconcelos, Alvaro (Hrsg.): The European Security Strategy 2003-2008. Building on Common Interests. ISS Report, No. 5, Paris 2009, S. 20. Biscop, Sven/Arnould, Valérie: Global Public Goods. An Integrative Agenda for EU External Action. In: Eide, Espen Barth (Hrsg.): Effective Multilateralism. Europe, Regional Security and a Revitalised UN. The Foreign Policy Center, London 2004, S. 22-31, hier S. 22. Biscop, Sven: Security and Development. A Positive Agenda for a Global EU-UN Partnership. In: Chaillot Paper, No. 75, 2005, S. 17-30, hier S. 18.

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Ingo Winkelmann differenziert die Anwendung des Begriffs „effektiver Multilateralismus“ einerseits hinsichtlich der VN und andererseits hinsichtlich der EU: Hinsichtlich der VN betrifft dies die Bemühungen, „(alle) ihre Mitgliedstaaten überzeugen zu wollen, dass sie für die neuen Herausforderungen gerüstet sind bzw. sich rüsten können. Daneben stehen die Anstrengungen der Europäischen Union, die effektiven Multilateralismus zu einem wichtigen Pfeiler ihrer Sicherheitsstrategie erklärt und ihn stärken will. Im ersten Fall ist effektiver Multilateralismus sozusagen Selbstzweck, im zweiten Fall wird die Forderung mit der Bemühung verbunden, der im Aufbau befindlichen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU in einem dramatisch veränderten sicherheitspolitischen Umfeld Konturen zu verschaffen“. 23

Wenn also Multilateralismus als ein von der EU gefördertes Gut mit globaler Reichweite verstanden wird, dann ist in diesem Sinne die Union als fördernder Akteur einer Weltordnung zu sehen, „die auf einer verstärkten multilateralen Zusammenarbeit und einer verantwortungsvollen Weltordnungspolitik beruht“ (Art. 21(h) EUV). Damit eröffnet sich für manche Staaten, die sich selbst aus unterschiedlichen Gründen auf internationaler Ebene weniger stark exponieren wollen oder können die Gelegenheit, durch das Mitwirken an einer dem Multilateralismus verpflichteten europäischen Außenpolitik neue Gestaltungsmöglichkeiten im internationalen Kontext zu erlangen.

3. Exkurs: Die EU und die Vereinten Nationen Wie bereits ersichtlich geworden ist, bildet das Mitwirken der EU in multilateralen Foren einen Eckpfeiler ihres außenpolitischen Handelns. Das systemisch übergeordnete Forum besteht in Gestalt der VN und diese sind für die europäische Außenpolitik der zentrale Referenzpunkt. Die EU-27 tragen mit über 38% der Beiträge zum Budget der VN bei und liegen dabei vor den USA (22%) und Japan (16,6%). Unter den Mitgliedstaaten der EU war Mitte 2008 Deutschland mit 8,5% der größte Beitragszahler, gefolgt von Großbritannien (6,6%), Frankreich (6,3%) und Italien (5%). Von den Beiträgen der Europäischen Kommission im Jahr 2006 zu den Aktivitäten der VN entfielen 2% auf Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Menschenrechte und von internationalen Standards, 6% auf Krisenprävention und -nachsorge und 22% auf die Stärkung von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, nachhaltigem Management kultureller Entwicklung und der Umwelt. 24 23

24

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Winkelmann, Ingo: Effektiver Multilateralismus. In: Dicke, Klaus/Föhlich, Klaus (Hrsg.): Wege multilateraler Diplomatie. Politik, Handlungsmöglichkeiten und Entscheidungsstrukturen im UN-System. Baden-Baden 2005, S. 93-112, hier S. 94. United Nations System in Brussels: Improving Lives. Results from the Partnership of the United Nations and the European Commission in 2006. Brussels 2007.

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Tabelle1: Beiträge der EU-Mitgliedstaaten zum Budget der VN, in Prozent 25 Belgien

1,102

Niederlande

1,873

Bulgarien

0,020

Österreich

0,887

Dänemark

0,739

Polen

0,501

Deutschland

8,577

Portugal

0,527

Estland

0,016

Rumänien

0,070

Finnland

0,564

Schweden

1,071

Frankreich

6,301

Slowakei

0,063

Griechenland

0,596

Slowenien

0,096

Irland

0,445

Spanien

2,968

Italien

5,079

Tschechische Republik

0,281

Lettland

0,018

Ungarn

0,244

Litauen

0,031

Vereinigtes Königreich

6,642

Luxemburg

0,085

Zypern

0,044

Malta

0,017

EU-27 gesamt

38,857

Aus Artikel 19 EUV ergibt sich für die Mitgliedstaaten der EU die Verpflichtung zur Koordination ihres Handelns im Rahmen internationaler Organisationen und Konferenzen. Für die ständigen VN-Sicherheitsratsmitglieder Frankreich und Großbritannien sowie die im Sicherheitsrat nicht ständig vertretenen EUMitgliedstaaten besteht ein Abstimmungsgebot. Des Weiteren sind von ihnen die nicht im Sicherheitsrat vertretenen Mitgliedstaaten der EU zu unterrichten. Die Themenpalette, mit der sich die EU im Kontext der VN beschäftigt ist umfassend und bezieht sich auf die drei Hauptbereiche Frieden und Sicherheit, nachhaltige Entwicklung und Menschenrechte. In den ersten Bereich fallen unter anderem die Krisenprävention, Peacekeeping und Peacebuilding, die Bekämpfung des Terrorismus, Abrüstung, Rüstungskontrolle und die Nichtweiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen. Die Abstimmung, Ausarbeitung und Festlegung der Politik der EU gegenüber den VN finden in einem institutionalisierten und auf verschiedenen Ebenen gelagerten Beziehungsgeflecht statt. 26 25 26

Quelle: United Nations Secretariat. Status of contributions as at 31 August 2008, Annex II. New York, 31. August 2008. Knudsen, Morten: The EU, the UN and Effective Multilateralism. The Case of UN Reform. In: The Institute for European Studies, 2008. , abgerufen am 07.03.2009, S. 4-7.

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Franco Algieri

Doch wie die Entwicklung der EU, so ist auch die Entwicklung der VN von einer andauernden Reformdiskussion geprägt. Angesichts der Bedeutung der VN, der Koordinationsdichte zwischen der EU und den VN sowie der grundsätzlichen ordnungspolitischen Ausrichtung der EU und der VN an einem multilateralen System erscheint es sinnvoll, die jeweiligen Reformschritte in ein gegenseitig förderliches Verhältnis zu setzen. 27 Für beide Akteure sind die Erkenntnisse der jeweiligen Erfahrungen mit multilateralen Mechanismen von gegenseitigem Nutzen. 28 Dennoch sind immer wieder Schwächen dieses multilateralen Rahmens zu finden. Als beispielhaft für den Widerspruch zur Forderung nach gemeinsamen Standpunkten der EU-Mitgliedstaaten in internationalen Konferenzen erwies sich die Haltung der EU-Mitgliedstaaten gegenüber China im Rahmen der früheren Menschenrechtskonferenz der VN. 29 Mehrfach konnten sich die Mitgliedstaaten der EU nicht auf eine gemeinsame Position einigen und es zeigte sich eine enge Verknüpfung zwischen den ökonomischen Interessen und den politischen Positionen einzelner europäischer Staaten. China wusste dies im eigenen Interesse zu nutzen und so gelang es der Volksrepublik immer wieder, die Mitgliedstaaten der EU in der Menschenrechtskommission der VN zu spalten. Durch die Einflussnahme Chinas auf einzelne Staaten war der internationalen Gemeinschaft „faktisch jeder Weg versperrt, mit den Mitteln des Völkerrechts gegen die VR China vorzugehen“ 30 das Verhalten der EU-Mitgliedstaaten hatte hierzu nicht unerheblich beigetragen. Bereits 2003 hatte die Europäische Kommission umfassende Verbesserungsvorschläge vorgelegt. 31 Diese bezogen sich unter anderem auf die Funktionsweise einzelner Einheiten in Rat und Kommission sowie auf die Aufgabenteilung zwischen den Akteuren der EU. Wenn diese Optimierung gelinge, könne die EU „innerhalb der VN einen effektiveren Beitrag zur Weltordnungspolitik leisten.“ 32 Ob sich die Wirksamkeit entsprechender Maßnahmen dadurch verbessert, dass nun der Vertrag von Lissabon die Verantwortung für die Koordination mitgliedstaatlichen Handelns in internationalen Organisationen und im Rahmen interna27 28 29 30

31

32

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Biscop, Sven: Security and Development. A Positive Agenda for a Global EU-UN Partnership. In: Chaillot Paper, No. 75, 2005, S. 17-30, hier S. 29. Degrand-Guillaud, Anne: Actors and mechanisms of EU coordination at the UN. In: European Foreign Affairs Review, Vol. 14: Issue 3, 2009, S. 405-430. Die Menschenrechtskommission (Commission on Human Rights) wurde 2006 durch den Menschenrechtsrat (Human Rights Council) ersetzt. Schubert, Gunter: China und die Menschenrechte. Zu den Möglichkeiten und Grenzen eines kritischen Dialogs. In: Auslandsinformationen, Nr. 4, Konrad Adenauer Stiftung, Sankt Augustin 1997, S. 50-63, hier S. 61. Kommission der Europäischen Gemeinschaften, KOM (2003) 526 endgültig: Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament. Die Europäische Union und die Vereinten Nationen – ein Plädoyer für den Multilateralismus. Brüssel, 10.9.2003. Ebd., S. 27.

Multilateralismus und multilateralte Kooperation als Grundlagen der EU-Außenpolitik

tionaler Konferenzen dem Hohen Vertreter überträgt (Art. 34 EUV), der in seiner Doppelfunktion sowohl dem Rat als auch der Kommission zugeordnet wird, bleibt abzuwarten.

4. Einschränkungen und Perspektiven des Multilateralismus für die EU Weder die ordnungspolitische Konzeption der USA noch jene der EU können als universal geltend anerkannt werden und keine hat sich bislang als geeignet erwiesen, den Herausforderungen eines fehlenden Ordnungsmodells im 21. Jahrhundert umfassend zu begegnen. 33 In diesem Zustand mangelnder Orientierungspunkte hat Richard Haass vor den Gefahren einer nichtpolaren Unordnung gewarnt: „The increasingly nonpolar world will have mostly negative consequences for the United States – and for much of the rest of the world as well“. 34 Gleichwohl können die unterschiedlichen Akteure, die auf die Entwicklung der Welt im 21. Jahrhundert Einfluss nehmen, ihre Interessen und Strategien nicht ohne die Berücksichtigung der Interessenlagen des jeweils anderen umsetzen. Was zur Debatte steht, ist nicht die grundsätzliche Infragestellung des Multilateralismus, sondern vielmehr dessen Effektivierung durch Reform. Thomas Wright nennt folgendes Reformprinzip: „[...] reform of international institutions should bring about more effective international cooperation on critical challenges in a way that does not inadvertently worsen tensions with other states.“ 35 Das Reformziel ist eine Stärkung der internationalen Kooperation: „The ultimate goal of reform is to enhance international cooperation to meet threats and challenges that can only be met multilaterally. Every reform embraced, every policy adopted, every institution created must serve that goal.“ 36 In diesem Sinne fordert auch Manuel Lafont Rapnouil eine Reform, die zu einer Effektivierung von global governance beiträgt: „Part of the solution for better global governance is a more diversified system, where each institution can impose checks and balances on others, more than a rationalized structure. [...] in lieu of further integration, it would rather be necessary to achieve better coopera-

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Smith, Michael: The European Union and International Order. European and Global Dimensions. In: European Foreign Affairs Review, Vol. 12: Issue 4, 2007, S. 437-456, hier S. 454f. Haass, Richard N.: The Age of Nonpolarity. What Will Follow US Dominance. In: Foreign Affairs, May/June 2008, S. 44-56, hier S. 51. Wright, Thomas: Toward Effective Multilateralism. Why Bigger May not be Better. In: The Washington Quarterly, Vol. 32: No. 3, July 2009, S. 163-180, hier S. 164. Ebd., S. 178.

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Franco Algieri

tion and coordination, greater balance between institutions, and enhanced articulation between each level and scale of multilateral action.“ 37

Wird auf die Bedeutung geblickt, die seitens der EU dem Multilateralismus beigemessen wird, und ebenso auf die Nutzung multilateraler Kooperationsformen als Bestandteil des außenpolitischen Handelns der EU, so kann festgestellt werden, dass die EU als ein wesentlicher Akteur zur Förderung einer multilateralen Weltordnung bezeichnet werden kann. Dass Reformbedarf sowohl hinsichtlich der multilateralen Foren wie auch der Anwendung des Multilateralismus besteht, wird erkannt und dies findet in den entsprechenden konzeptionellen Ausarbeitungen, insbesondere der Europäischen Kommission, seinen Niederschlag. In diesem Zusammenhang wird auch darauf verwiesen, dass nichtstaatliche Organisationen mehr Einfluss auf multilaterale Einrichtungen und nationale Regierungen gewinnen. Dennoch sind einem allzu idealisierenden mulilateralen Weltbild, das aus der Sprachnutzung in offiziellen Dokumenten der EU abgeleitet werden könnte, aus verschiedenen Gründen Grenzen gesetzt. Die in multilateralen Foren beteiligten Staaten bringen unterschiedliche Erfahrungen in den Prozess der Ausgestaltung von global governance mit ein und damit verbinden sich unterschiedliche Erwartungen. Während beispielsweise den USA Erfahrungen hinsichtlich einer Führungsrolle und der damit verbundenen Verantwortung zuerkannt werden, wird auf Indien blickend eine gewisse Zurückhaltung hinsichtlich der mit dem anwachsenden globalen Einfluss verbundenen Verantwortlichkeit gesehen. Obwohl beide Staaten einem allzu starken System von „global governance“ teilweise skeptisch gegenüberstehen, wird der Zwang zur globalen Kooperation unausweichlich. 38 Des Weiteren gehen die ordnungspolitischen Vorstellungen bislang prägender Mächte (EU und USA) einerseits und neuer Mächte (beispielsweise China, Indien, Brasilien oder Südafrika) anderseits erkennbar auseinander: „Weder die amerikanischen noch die europäischen Vorstellungen von der Ordnung der Welt passen so recht zum Denken dieser neu aufstrebenden Mächte [...] Ganz offensichtlich sind die Europäer und vor allem die Deutschen mit ihrem Glauben an den Segen der Integration und an den Aufbau gemeinsamer internationaler Institutionen und Verträge ziemlich allein.“ 39

Sind der multilateralen Welt, wie sie aus einer EU-Perspektive gesehen wird, also Grenzen gesetzt, da andere Akteure dies nicht mittragen? Zum einen wird es 37 38

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Rapnouil, Manuel Lafont: A European View on the Future of Multilateralism. In: The Washington Quarterly, Vol. 32: No. 3, July 2009, S. 181-196, hier S. 193. Hierzu ausführlich Schaffer, Teresita C.: The United States, India and Global Governance. Can they Work Together? In: The Washington Quarterly, Vol. 32, No. 3, July 2009, S. 71-87. Fischermann, Thomas/Pinzler, Petra: Die Illusion von der einen Welt. In: Die Zeit, 30. Dezember 2009, S. 21f.

Multilateralismus und multilateralte Kooperation als Grundlagen der EU-Außenpolitik

aufgrund der beschriebenen Gegensätzlichkeiten für die EU nicht einfach sein, eine rasche (was angesichts der drängenden globalen Herausforderungen notwendig wäre) und entsprechend starke Unterstützung für den Multilateralismus zu finden. Zum anderen bietet sich der EU aber eine Möglichkeit, die aufstrebenden Mächte, die sich schrittweise in multilaterale Foren integrieren, dabei zu unterstützen, die damit verbundene Verantwortung zu entwickeln wie auch die entsprechenden Handlungsverpflichtungen zu übernehmen. Wenn die Staaten, die dem europäischen Multilateralismusansatz bislang kritisch gegenüberstehen, aus der Kooperation mit der EU jedoch Nutzen für sich selbst ziehen, dann kann dies dazu führen, dass Gegensätzlichkeiten schrittweise überwunden werden.

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Umsetzung der EU-Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik am Beispiel Österreich

Umsetzung der EU-Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik aus der Sicht einzelner Mitgliedstaaten am Beispiel Österreich

Nikolaus Rottenberger Die EU bildet in Fragen der Sicherheit derzeit einen hochaggregierten bilateralen Kooperationsverbund, dessen langfristiges Ziel in der Schaffung von eigenständigen Instrumenten, Verfahren und Strukturen zur Aktionsfähigkeit im Bereich des zivilen und militärischen Krisenmanagements liegt. Jedoch besitzt die Union im Bereich des Krisenmanagements in sehr limitiertem Maße eigene Kräfte und bleibt damit auf absehbare Zeit auf die Bereitstellung von Kapazitäten der Mitgliedstaaten angewiesen. Gemeinsame Aktionen, insbesondere für militärische Operationen, erfolgen entsprechend dem derzeit gültigen EU-Recht nach gemeinsamen vorbereitenden Beratungen im Politischen und Sicherheitspolitischen Komitee und auf Beschluss des Rates für Auswärtige Angelegenheiten mit Einstimmigkeit bei möglicher Stimmenthaltung. Das Angebot und die Bereitstellung dieser Kräfte unterliegen nach wie vor ausschließlich nationaler Verantwortung. 1 In dieser allgemein bekannten Voraussetzung von Operationen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP/GSVP) liegt der Kern des Problems der mangelnden Handlungsfähigkeit der Union. Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon wird zwar die 3-Säulen-Struktur in manchen Bereichen abgeschwächt, aber nicht das Dilemma des Fehlens eines gemeinsamen Willens zur raschen Reaktion auf Krisen und Konflikte behoben. Wie in der letzten größeren EU-Krisenmanagementoperation European Force (EUFOR) Tschad und Zentralafrikanische Republik offensichtlich wurde, wird der Wille zur Reaktion, beziehungsweise zur wirkungsvollen Prävention, vom mangelnden Wille zur Bereitstellung notwendiger Kapazitäten beeinträchtigt.

1. Österreichische Außen- und Sicherheitspolitik Die „dynamische“ Interpretation der Neutralität sowie die aktive Beteiligung an internationalen friedensunterstützenden Missionen stellen zwei wesentliche Kontinuitäten österreichischer Außen- und Sicherheitspolitik dar. Die Neutralität wurde von österreichischen Bundesregierungen und Parlamenten überwiegend 1

Dieser Text gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder, welche nicht notwendigerweise der Auffassung des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport (BMLVS) entspricht.

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Nikolaus Rottenberger

militärisch und nicht ideologisch oder wirtschaftlich ausgelegt. Die sogenannte „Kernneutralität“ wird in Österreich verstanden als freiwillige Absenz von Militärbündnissen, Nichtteilnahme an Kriegen und keine Stationierungen von ausländischen Truppen auf österreichischem Staatsgebiet. 2 Andererseits wurde Österreich unmittelbar nach seiner Wiedererlangung der Unabhängigkeit Vollmitglied der Vereinten Nationen (VN) und nahm ab 1960 an friedensunterstützenden Operationen der VN und ab 1995 der NATO und EU teil. Dies hat weniger mit der Neutralität als mit dem Verständnis von aktiver Außen- und Sicherheitspolitik zu tun. Durch die Teilnahme an friedensunterstützenden Einsätzen sollte die Position Österreichs in internationalen Organisationen gestärkt werden. Österreich wurde 1995 gemeinsam mit den ebenfalls „neutralen“ VN-Mitgliedern Schweden und Finnland Mitglied der EU. Seitdem wird verschiedentlich von einer Europäisierung der österreichischen Außen- und Sicherheitspolitik gesprochen. 3 Untersuchungen der Regierungsprogramme der österreichischen Bundesregierungen der letzten Legislaturperioden legen eine schrittweise Vertiefung des „europäischen Gedankens“ in der Planung von Regierungshandeln nahe. Konsequent wird eine volle Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der ESVP/GSVP vorgesehen. In der Beteiligung an der militärischen Entwicklung von Kapazitäten der ESVP ist das österreichische Engagement proportional zufriedenstellend. Tatsächlich kommt dies im operativen Bereich der ESVP eher dort zum Tragen, wo nationale österreichische Interessen und Ziele mit europäischen Zielsetzungen übereinstimmen. Insbesondere in Südosteuropa findet diesbezüglich eine Deckung von nationalen und europäischen Interessen statt, dies schlägt sich im verstärkten Auslandsengagement des Österreichischen Bundesheeres (ÖBH) in diesem Raum nieder. Die Beteiligung Österreichs an friedensunterstützenden Missionen der EU in Afrika und am Kaukasus ist hingegen punktuell und proportional zu anderen EU-Mitgliedstaaten geringer. Ein österreichisches Engagement im Rahmen der ESVP muss im Zusammenhang mit der weiteren außenpolitischen Zielsetzung Österreichs, insbesondere in der Zusammenarbeit mit den VN gesehen werden. Die Zusammenarbeit Österreichs mit der NATO beschränkt sich auf die Partnerschaft für den Frieden (PfP). Jedoch beteiligte sich Österreich verschiedentlich an NATO-geführten Krisenmanagementoperationen, so bei IFOR und SFOR in Bosnien-Herzegowina, KFOR im Kosovo und ISAF in Afghanistan. Dennoch ist eine vertiefte Zusammenarbeit mit der NATO oder ein NATO-Beitritt bis auf weiteres aus innenpolitischen Gründen auszuschließen. 2 3

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Vgl. Thun-Hohenstein, Christoph/Cede, Franz/Hafner, Gerhard: Europarecht, Wien, 2005, S. 250f. Vgl. Pfarr, Dietmar: Die Europäisierung der österreichischen Sicherheitspolitik (2007). , abgerufen am 09.08.2009.

Umsetzung der EU-Krisen- und Konfliktbewältigungspolitik am Beispiel Österreich

2. Rechtliche Dimension Österreich ist der EU 1995 als neutraler Staat beigetreten. 4 Zum damaligen Zeitpunkt war dies rechtlich unproblematisch, da zwischen dem EU-Recht zu jener Zeit und den Kernelementen der österreichischen Neutralität kein Widerspruch bestand. 5 Die Verpflichtung Österreichs zur umfassenden Mitwirkung im Rahmen der GASP auf Basis des Titels V des EU-Vertrages wurde in der österreichischen Verfassung in Art. 23f verankert. Mit dem Amsterdamer Vertrag wurde in Art. 23f auch die ausdrückliche Mitwirkung Österreichs an den PetersbergAufgaben (bisher Art. 17 Abs. 2 des EU-Vertrages) abgesichert. Es besteht daher verfassungsrechtlich die Möglichkeit, neben friedenserhaltenden Einsätzen, auch ohne entsprechenden Beschluss des VN-Sicherheitsrates an Kampfeinsätzen bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen im Rahmen der GASP teilzunehmen. Diese gesetzliche Möglichkeit, die immer wieder in Österreich thematisiert wird, steht im Gegensatz zur Gepflogenheit österreichischer Regierungen und des Nationalrates, Einsätze des ÖBH ausschließlich auf Basis eines Mandates des VN-Sicherheitsrates zu beschließen. Eine Änderung dieser Gepflogenheit ist auf lange Sicht aus vielfältigen innenpolitischen Gründen auszuschließen. 6

3. Der Vertrag von Lissabon und seine Auswirkungen Mit dem Vertrag von Lissabon sind weiterhin alle Entscheidungen in militärischen Angelegenheiten vom Rat einstimmig zu beschließen.7 Das diesbezügliche Initiativrecht liegt bei der neuen Hohen Vertreterin für die GASP, die zugleich auch stellvertretende Kommissionspräsidentin und somit Mitglied der Kommission ist, und bei den Mitgliedstaaten. Damit bleibt für kleinere EU-Mitgliedstaaten die Möglichkeit erhalten, Einfluss zu nehmen. Ferner ist nunmehr eine „Ständige Strukturierte Zusammenarbeit“ möglich. 8 Um an diesen Formen verstärkter Zusammenarbeit teilnehmen zu können, sind vom Mitgliedstaat besondere Kriterien zu erfüllen, beispielsweise die Teilnahme an der Europäischen Verteidigungsagentur oder an den EU-Battle Groups. Ob 4 5 6

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Vgl. Gemeinsame Erklärung Nr. 1 in der Schlussakte zum Beitrittsvertrag. Vgl. Thun-Hohenstein, Christoph/Cede, Franz/Hafner, Gerhard: Europarecht, Wien, 2005, S. 250f. Während der Erstellung dieses Artikels unterstützt keine österreichische Partei innerhalb oder außerhalb des Nationalrates ein diesbezügliches Vorgehen Österreichs im Falle einer Blockade des UNO-Sicherheitsrates und eines eigenständigen Vorgehens der EU im Falle z.B. einer möglichen humanitären Intervention. Vgl. Art. 42 (4) EUV. Vgl. Art. 42 (6) EUV.

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hier aber eher eine exklusive oder inklusive Entwicklung verfolgt wird, muss von kleineren Mitgliedstaaten erst genau beobachtet werden. Insbesondere die Teilnahme an EU-Battle Groups erhöht den Druck auf die Mitgliedstaaten, aktiv am militärischen EU-Krisenmanagement teilzunehmen. Österreich versteht die GASP/GSVP jedoch weiterhin als zwischenstaatliches Instrument, das heißt, dass jeder EU-Mitgliedstaat auch in weiterer Folge die Entscheidungen betreffend der Teilnahme an Operationen autonom treffen wird. Die Ausweitung des Aufgabenkatalogs der GSVP auf Aufgaben, die über klassische militärische Einsätze hinausgehen, wie z.B. Rüstungskontrolle, Militärberatung aber auch Terrorismusbekämpfung, deckt sich mit dem österreichischen Verständnis eines umfassenden Sicherheitsansatzes. 9 Es wird noch zu prüfen sein, ob die neuen zusätzlichen Aufgaben auch entsprechende Fähigkeiten erfordern. Die Einführung einer „Beistandsgarantie“ nach Art. 51 der VN-Charta ist ohne Auswirkung auf den „besonderen Charakter der Sicherheits- und Verteidigungspolitik bestimmter Mitgliedstaaten.“ 10 Die „Solidaritätsklausel“, die die Verpflichtung des einzelnen Mitgliedstaates konkretisiert, andere Mitgliedstaaten im Falle eines terroristischen Angriffs, einer Naturkatastrophe oder einer von Menschen verursachten Katastrophe, gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln, zu unterstützen, wurde von Österreich positiv aufgenommen. 11

4. Österreichs militärische Beteiligung an der ESVP Die Beteiligung Österreichs an der ESVP/GSVP basiert auf politisch-strategischen Vorgaben, die sich insbesondere bei der Einbindung des ÖBH neben den gesetzlichen Grundlagen und den jeweiligen Regierungsprogramme, auf die Sicherheits- und Verteidigungsdoktrin von 2001, die Empfehlungen der Bundesheer-Reformkommission von 2004 und die Teilstrategie Verteidigungspolitik von 2005 berufen. 12 Diese Vorgaben haben verbindlichen Charakter. In allen Vorgaben ist eine Beteiligung Österreichs im Rahmen des internationalen Krisenmanagements, insbesondere der ESVP festgelegt. Im Zuge der laufenden Streitkräftereform soll das ÖBH in den nächsten Jahren basierend auf Vorgaben der EU und NATO-Qualitätskriterien erhöhte Fähigkeiten zur Aufgabenerfüllung und flexible Strukturen hinsichtlich einer effizienten multinationalen Zusammenarbeit in friedensunterstützenden Missionen ent9 10 11 12

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Vgl. Art. 43 (1) EUV. Vgl. Art. 42 (7) EUV. Vgl. Art. 222 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Die Empfehlungen der Bundesheerreformkommission wurden im Juni 2004 abgegeben, daraufhin wurden diese im Nationalen Sicherheitsrat 2005 angenommen und von der Bundesregierung 2005 beschlossen.

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wickeln. Als Ziel dazu werden die Führung einer multinationalen Brigade angestrebt, der permanente Einsatz von bis zu zwei Bataillonen in Krisenräumen sowie der kurzfristige Einsatz von Kräften mit speziellen Fähigkeiten. 13 Diese Planungen sehen insbesondere den Einsatz im Rahmen der EU vor, aber auch im Rahmen der VN und der NATO/PfP. Je nach außenpolitischer Zielsetzung kann damit die eine oder andere internationale Friedensoperation unterstützt werden. 14 Diese nationalen Entwicklungen sind eng mit der Beteiligung Österreichs am Streitkräfteentwicklungsprozess im Rahmen der ESVP zu sehen. Auf Basis der Beschlüsse von Helsinki wurde die Entwicklung der Fähigkeiten der EU, sowohl quantitativ als auch qualitativ, für 2003 und später für 2010 festgeschrieben. Österreich hat in diesem Entwicklungsprozess Elemente für die Führung einer Brigade und u.a. zwei Bataillone für zukünftige Krisenmanagementoperationen eingemeldet. 15 Mit der Erstellung des EU „Military Rapid Response Concepts“ 2003 erklärten die EU-Mitgliedstaaten ihre Absicht, rasch verfügbare Mittel und Kräfte bereitzustellen. Die Umsetzung erfolgte mit der Entwicklung des EU Battlegroup Concept. In Österreich wurde eine Mitwirkung 2004 beschlossen, und die konkreten Beteiligungen an je einer EU-Battle Group unter niederländischer Führung im ersten Halbjahr 2011 mit kompaniestarken Kräften und im zweiten Halbjahr 2012 unter deutscher Führung mit signifikantem Anteil angekündigt. 16 Zu einem Einsatz der Krisenreaktionskräfte der EU, insbesondere der schnell verfügbaren Kräfte, der Battle Groups, kam es aufgrund mangelnden Willens der EU-Mitgliedstaaten bis dato noch nicht. Obwohl machbar, wie z.B. im Rahmen des EU-Einsatzes im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik 2008/2009, wurde aus politischen Gründen der ad-hoc-Zusammenstellung von Streitkräften der EU-Mitgliedstaaten der Vorzug gegeben.

5. Österreichs Beteiligung an militärischen ESVP-Operationen Österreich beteiligt sich seit 1960 weltweit an friedensunterstützenden und friedenserhaltenden Operationen sowie an Maßnahmen der humanitären Hilfe und 13 14

15 16

Zum Ambitionsniveau Österreichs in der ESVP vgl. BMLV, Weißbuch 2006, Wien 2007, S. 52f. Die Beteiligung erfolgt dabei, wie bei anderen Staaten auch, nach dem Prinzip „single set of forces“ für verschiedene internationale Organisationen – also dem Vermeiden von Parallelstrukturen. Vgl. BMLV, Weißbuch 2004, Wien 2005, S. 91f. Zur Zeit der Erstellung dieses Artikels gibt es über die Art und Stärke der österreichischen Beteiligungen noch keine endgültige politische Entscheidung. Vgl. Sandtner, Berthold: Was kann die EU ab 2010 militärisch leisten? (2009). , abgerufen am 10.9.2009.

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der Katastrophenhilfe. Bisher haben mehr als 80 000 Soldaten und Soldatinnen an mehr als 70 Missionen teilgenommen. Die österreichischen Kräfte wurden sowohl der VN, der OSZE, der Westeuropäischen Union (WEU), als auch der EU und der NATO zur Verfügung gestellt. In diesem Zeitraum von 50 Jahren sind mehr als 50 österreichische Soldaten bei Auslandseinsätzen ums Leben gekommen. Das Schwergewicht der Einsätze lag bis Anfang der neunziger Jahre des 20. Jahrhunderts im Nahen und Mittleren Osten. Seit Mitte der neunziger Jahre wurde Südosteuropa zum Schwergewichtsraum, wobei der afrikanische und kaukasische Raum zusehends an Bedeutung gewinnt. Die österreichischen Streitkräfte decken das gesamte Spektrum der internationalen friedensunterstützenden Einsätze ab. Beginnend mit klassischem VN-Peacekeeping in den 1960er Jahren nach Kapitel VI der VN-Charta, nimmt das ÖBH seit 1996 auch an friedensschaffenden Einsätzen nach Kapitel VII der VN-Charta, wie z.B. in BosnienHerzegowina, Albanien, Kosovo, Afghanistan oder in Mazedonien, teil. Ein weiterer Teil des Einsatzspektrums sind Militärbeobachter in den diversen Einsatzräumen, ebenso Beteiligungen an internationalen humanitären Einsätzen wie etwa im Iran, Algerien, Türkei, Zypern, Indonesien oder Sri Lanka. 17 Die Anzahl der Operationen, an denen sich das Österreichische Bundesheer beteiligt, ist kontinuierlich gestiegen. Waren es in den 60er Jahren und Anfang der 70er Jahre durchschnittlich vier bis sechs Einsätze, so stieg diese Zahl im Jahr 2000 auf 18 Einsätze. Bis Januar 2010 hat das ÖBH an insgesamt 12 verschiedenen Missionen mit ständig rund 1 000 Soldaten teilgenommen. Neben den im Folgenden behandelten Beteiligungen im EU-Rahmen nahm und nimmt Österreich mit je einem Kontingent an internationalen Operationen im Kosovo (KFOR) und im israelisch-syrischen Grenzgebiet (UNDOF) teil. Fernen werden je ein Stabselement auf Zypern (UNFICYP) und in Afghanistan (ISAF) sowie Experten und Beobachter in diversen anderen Missionen eingesetzt. Diese laufende Beteiligung an friedensunterstützenden Missionen stellt im internationalen Vergleich einen durchaus adäquaten Beitrag im Rahmen des internationalen Krisenmanagements dar.

6. Österreich und die Einsätze im Rahmen der EU 6.1. ECMM/EUMM Ein Vorläufer der heutigen ESVP-Missionen war die EU Monitoring Mission (EUMM), die 1991 am Beginn der Sezessionskonflikte von der Europäischen 17

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Vgl. dazu Urrisk, Rolf M.: Die Einsätze des österreichischen Bundesheeres im In- und Ausland von 1955-2001. Graz 2002 und Schmidl, Erwin A.: Going International. Graz 2005.

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Kommission aufgestellt wurde. 18 Der Einsatzraum umfasste anfangs alle Staaten des ehemaligen Jugoslawien und Albanien, zeitweise auch Teile Ungarns und Bulgariens. Die Mission hatte die Aufgabe, die politische, militärische, humanitäre und wirtschaftliche Situation zu beobachten, in FYROM und Albanien die militärische Situation und die Einhaltung der Menschenrechte. Eine Besonderheit dieser Mission war der umfassende Sicherheitsansatz und die Zusammensetzung aus Diplomaten und Militärs. Darüber hinaus haben auch Nicht-EUMitgliedstaaten an der Mission teilgenommen. 19 Durchschnittlich waren fünf Monitore aus Österreich im Einsatz, während des ersten österreichischen EURatsvorsitzes 1998 wurde die Mission von einem Österreicher geleitet und mit ca. 70 Österreichern verstärkt. 20 Die Mission wurde 2007 beendet.

6.2. EUFOR „Concordia“ Im März 2003 begann die erste militärische ESVP-Operation mit der Aufgabe, die Stabilität in der ehemaligen jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien zu sichern, um die Umsetzung der VN-Resolution 1371 zu gewährleisten. Österreich beteiligte sich mit zehn Soldaten, insbesondere zur Kampfmittelbeseitigung bis Ende 2003. 21

6.3. EUFOR „Artemis“ Unter französischer Führung begann im Juni 2003 die ESVP-Operation EUFOR Artemis in der Demokratischen Republik Kongo. Die Operation sollte die Sicherheitslage in der kongolesischen Provinz Ituri bis zur Übergabe an die Kräfte der VN-Mission MONUC (Mission de l’Organisation des Nations Unies en Republique Democratique du Congo) im September 2003 gewährleisten. Österreich beteiligte sich mit drei Soldaten von Juni 2003 bis zum Operationsende im September 2003. 22

18

19 20 21 22

Daher die ursprüngliche Bezeichnung European Commission Monitoring Mission (ECMM). Vgl. ECCM website , abgerufen am 13.9.2009. Tschechische Republik, Norwegen, Polen und die Slowakei. Vgl. BMLV, Weißbuch 2004, Wien 2005, S. 194. Vgl. ebd., S. 201. Vgl. ebd., S. 201.

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6.4. EUFOR „Althea“ Die EU übernahm im Dezember 2004 den bisherigen NATO-geführten SFOREinsatz in Bosnien und Herzegowina. Die Operation wurde in EUFOR Althea umbenannt und war größer und komplexer als bisherige ESVP-Einsätze. Die Aufgaben blieben unverändert die Sicherung des Friedens und die Verhinderung von Feindseligkeiten unter den verschiedenen Entitäten. Die permanente militärische Anwesenheit soll zu einer sicheren und stabilen Entwicklung beitragen, die weitere Einrichtung ziviler Organisationen ermöglichen und zu einer dauerhaften Konsolidierung des Friedens – letztlich auch ohne internationale Militärpräsenz – führen. Die österreichische Beteiligung schwankte seit der Transformation der Operation von 300 Soldaten 2006 zu derzeit rund 200 Soldaten. Eine kurzfristige Aufstockung im Jahr 2010 ist vorgesehen. Derzeit führt ein österreichischer Generalmajor als COMEUFOR die EU-Operation. Die Operation EUFOR Althea soll 2010 stark reduziert werden und von exekutiven Aufgaben zu einer beratenden Funktion übergehen. Österreich stellt darüber hinaus eine Kompanie mit bis zu 230 Soldaten für die geführten operativen Reservekräfte (ORF). Das ORF-Bataillon kann vom Kommandanten der EUFOR „Althea“ oder der KFOR rasch angefordert werden, um die militärische Präsenz im Einsatzraum zu erhöhen. Ansonsten sind die Kräfte des ORF-Bataillons nicht im Einsatzraum sondern in ihren „Heimatgarnisonen“ verfügbar. 23

6.5. AMM (Aceh Monitoring Mission) Von September 2005 bis Dezember 2006 wurde die EU-Beobachtermission unter Beteiligung von ASEAN-Staaten in der Krisenprovinz Aceh in Indonesien durchgeführt, die die Umsetzung des Friedensabkommens zwischen der Regierung Indonesiens und den Separatisten kontrollierte. Die Kernaufgaben waren u.a. die Übernahme und Zerstörung der Waffen der „Bewegung Freies Aceh“ (GAM/Gerakan Aceh Merdeka), die Freilassung inhaftierter GAM-Aktivisten und die Wiedereingliederung von GAM-Kämpfern in die Zivilgesellschaft, sowie die Kontrolle des Abzuges indonesischer Einheiten. Österreich beteiligte sich mit einem Offizier. 24

23 24

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Vgl. BMLVS, Weißbuch 2008, Wien 2009, S. 73f. Vgl. BMLV, Weißbuch 2004, Wien 2005, S. 201 und BMLV, Weißbuch 2006, Wien 2007, S. 25.

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6.6. AMIS II (African Union Mission in Sudan) Zur Unterstützung der Operation AMIS II der Afrikanischen Union (AU) in der Provinz Darfur im Sudan führte die EU von Juli 2005 bis Dezember 2007 eine Mission durch, die die AU im militärischen und polizeilichen Bereich unterstützte. Österreich beteiligte sich an der Mission durch Entsendung eines Rechtsberaters in das Hauptquartier von AMIS II in Addis Abeba in Äthiopien von März 2005 bis Dezember 2007. 25

6.7. EUSEC RD Congo Im Rahmen der Reform des Sicherheitssektors in der Demokratischen Republik Kongo führt die EU seit Juni 2005 eine Beratungs- und Unterstützungsmission durch. Die politische Integration der verschiedenen regionalen Gruppierungen und die Unterstützung bei Umstrukturierung und Wiederaufbau einer demokratisch kontrollierten kongolesischen Armee sind die Hauptaufgaben der Mission. Seit August 2007 beteiligt sich Österreich mit zwei Offizieren an der Mission. 26

6.8. EUFOR RD Congo Zur Unterstützung der VN-geführten MONUC beschloss die EU im April 2006 eine EU-geführte Militäroperation im Rahmen einer gemeinsamen Aktion. Diese trug durch vorgeschobene Kräfte in der Demokratischen Republik Kongo und Reservekräfte außerhalb des Einsatzraumes zur Stabilität während des Wahlprozesses im Jahr 2006 bei. Die Hilfestellung erfolgte indirekt durch Unterstützung der kongolesischen Armee und Polizei sowie direkt durch Truppenentsendung zur Unterstützung von MONUC. Österreich beteiligte sich mit fünf Offizieren an EUFOR RD Congo. Die Mission endete mit November 2006. 27

6.9. EUFOR TCHAD/RCA Die EU-Operation im Tschad und der Zentralafrikanischen Republik wurde zur Überbrückung bis zum Eintreffen einer nachfolgenden Mission der VN beschlossen. Damit wurde eine sichere Zone in der von verschiedenen Milizen und 25 26 27

Vgl. BMLVS, Weißbuch 2008, Wien 2009 , S. 77. Vgl. ebd., S. 76. Vgl. BMLV, Weißbuch 2006, Wien 2007, S. 25.

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Räuberbanden bedrohten Grenzregion hergestellt, um die Betreuung der bis zu 400 000 Flüchtlinge durch internationale Hilfsorganisationen zu gewährleisten. Österreich beteiligte sich mit rund 160 Soldaten, insbesondere Spezialeinsatzkräften, ab Februar 2008. Im März 2009 wurde Mission EUFOR durch die VNgeführte Mission MINURCAT (Mission in the Central African Republic and Tchad) abgelöst.

7. Mögliche weitere Entwicklung des Krisenmanagements im Rahmen der ESVP Mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon ist zu erwarten, dass sich mittelfristig auch das Spektrum der ehemaligen Petersbergaufgaben erweitert (Beobachtermissionen, Sicherheitssektorreform, Rüstungskontrolle und Wiederaufbau nach Konflikten etc.). Diese erweiterten Aufgaben wirken sich für kleinere Mitgliedstaaten sowohl auf die Weiterentwicklung der Streitkräfte als auch auf das sicherheitspolitische Engagement der Staaten innerhalb der EU und die konkrete Beteiligung bei Operationen aus. Im Bereich sogenannter „klassischer militärischer Krisenmanagementmaßnahmen” ist die Union derzeit in den Missionen EU NAVFOR „Atalanta“ und EUFOR „Althea“ engagiert. Voraussichtlich wird EUFOR „Althea“ mittelfristig als Mission mit exekutivem Mandat nicht mehr weiter bestehen und im Laufe von 2010 in eine Unterstützungsmission transformiert. Aufgrund der Bedeutung Südosteuropas für Österreich wird eine weitere quantitative stärkere Beteiligung wahrscheinlich, insbesondere da der COMEUFOR durch Österreich gestellt wird. Die EU wird im Rahmen des internationalen Krisenmanagements langfristig eine zunehmend aktivere Rolle spielen müssen, um als ernsthafter Akteur wahrgenommen zu werden. Diese hat sowohl zivile, militärische als auch gemischte Missionen bzw. Operationen zu umfassen. Das damit abzudeckende Fähigkeitsspektrum wird durch die neuen Aufgaben im Vertrag von Lissabon erweitert. Trotzdem wird ein effektiveres militärisches Krisenmanagement der EU von einigen größeren EU-Mitgliedstaaten wenig unterstützt, womit die EU an den unteren Rand des klassischen militärischen Krisenmanagements gedrückt wird. Das Eingehen neuer internationaler Verpflichtungen der EU durch qualitativ und quantitativ herausfordernde militärische Operationen mit exekutivem Mandat ist kurzfristig wenig wahrscheinlich. Eine international bedeutendere Rolle der EU wird jedoch derzeit neben dem fehlenden Willen einiger größerer EU-Staaten auch durch das Engagement verschiedener Mitgliedstaaten bei der Operation ISAF in Afghanistan gehemmt. Österreich wird sich gemäß seiner sicherheitspolitischen Ausrichtung an der EU an den laufenden bzw. zukünftigen Operationen, die im erweiterten Fähig198

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keitsspektrum Erfahrungsgewinn versprechen, beteiligen. Da Österreichs sicherheitspolitische Ausrichtung auch zukünftig neben dem Wirken im Rahmen der VN primär durch die Mitwirkung an der GASP bzw. ESVP festgelegt ist, sind konkrete Beteiligungen an ESVP-Operationen sicher.

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Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

Carmen Gebhard* Die Art und Weise, wie zivile und militärische Komponenten miteinander interagieren bzw. wie sie sich strategisch ergänzen können, ist in den letzten Jahren zu einem der Kernthemen in der internationalen Krisen- und Konfliktbewältigung geworden. Zivil-militärische Koordinierung ist zwar an sich keine EUspezifische Angelegenheit, durch ihre Beschaffenheit als umfassender Krisenmanager bietet die Union jedoch eine breite Anwendungsfläche für Konzepte sogenannter „integrierter“ Sicherheit, also für ein Sicherheitsverständnis, das kein rein militärisches ist, sondern andere Instrumente aus verschiedenen zivilen Politikbereichen mit einbezieht. Aus der Sicht umfassender Sicherheitspolitik sind militärisch-operative Fähigkeiten nur ein kleiner Teilbereich eines idealerweise weitaus differenzierteren Leistungsspektrums, das neben politischen, diplomatischen und strukturellen Instrumenten auch Kapazitäten für nicht-militärische Operationen umfasst. Die EU hat diesen umfassenden Ansatz zum Grundprinzip ihres außen- und sicherheitspolitischen Handelns erhoben und damit auf die strategischen Anforderungen reagiert, die sich nach Ende des Kalten Krieges allmählich abgezeichnet hatten.

1. Neue sicherheithallospolitische Rahmenbedingungen Nach 1989 hat sich neben den bestehenden konventionellen Bedrohungen eine Reihe anderer, neuer Risiken entwickelt. Dazu zählen neben regionalen und ethnischen Konflikten, transnationalem Terrorismus, Piraterie und der Proliferation von Massenvernichtungswaffen vor allem Migration, organisierte Kriminalität und die von zerfallenden Staaten und ihren Gesellschaften ausgehenden destabilisierenden Effekte. Zwar sind nicht alle diese Bedrohungsformen erst nach Ende des Kalten Krieges entstanden, ihre Erscheinungsform hat sich allerdings merkbar gewandelt. An sich geläufige Bedrohungsformen wie organisierte Kriminalität oder Menschenhandel treten heute oft in Zusammenhang mit ethnischen Konflikten auf oder in Regionen, die durch Krieg und politische Instabili*

Die Autorin bedankt sich bei der Compagnia di San Paolo, dem Riksbankens Jubileumsfond und vor allem der Volkswagen-Stiftung, die mit ihrem „European Foreign and Security Studies“-Programm die Forschung zu diesem Kapitel unterstützt haben.

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tät ohnehin schon gezeichnet sind. Kriminelle und terroristische Netzwerke machen sich die anarchischen Zustände in Kriegs- und Krisengebieten zum Vorteil und agieren von dort aus in der gesamten umliegenden Region bzw. unter Umständen sogar weltweit. Die Öffnung der Grenzen, die Internationalisierung von Handels- und Investitionsströmen und die Revolution in der Kommunikationstechnologie sind dem Wohlstand und der Mobilität der Europäer zwar zugute gekommen, haben die westlichen Gesellschaften aber auch anfälliger und verletzbarer gemacht. Letztlich profitieren auch gewaltbereite Gruppierungen weltweit von den Auswirkungen der Globalisierung und machen sich die neuen Handlungs- und Einflussmöglichkeiten zunutze. Die strukturelle Beschaffenheit von kriminellen und terroristischen Akteuren hat sich dabei auf grundlegende Art verändert. Sie sind flexibler, mobiler und wandlungsfähiger und dadurch geographisch kaum noch lokalisierbar. Für die EU und jeden einzelnen ihrer Mitgliedstaaten können Gefahren entstehen, die unter Umständen von einem Krisenherd fernab des europäischen Kontinents ausgehen oder aber aus der Mitte der eigenen Gesellschaften kommen. Das Bewusstsein der internationalen Gemeinschaft über diese neue Dynamik ist in den letzten Jahren ständig gewachsen, nicht zuletzt unter dem Eindruck einer Reihe dramatischer Ereignisse, wie den Anschlägen in den USA vom 11. September 2001, jenen in Madrid im März 2004 und in London im Juli 2005. Die Demontage des Gewaltmonopols in Krisengebieten begünstigt die Privatisierung von Gewalt. Potenzielle Aggressoren sind zunehmend nicht-staatlicher Natur und bedienen sich für die Erreichung ihrer kriminellen oder terroristischen Ziele einer Vielfalt unkonventioneller Methoden. Ihre Offensive beruht nicht vordergründig auf Waffengewalt, sondern auf dem Einsatz von atypischen Instrumenten, also Maßnahmen, die darauf abzielen, die Wirtschaft, die Gesellschaft oder die öffentliche Ordnung eines Staates oder ganzer Staatengruppen zu beeinträchtigen. Die potenzielle Angriffsfläche ist dadurch weitaus größer als bei konventionellen Bedrohungen. Angriffe können sämtliche Sektoren eines gesellschaftlichen Ordnungssystems betreffen, wodurch deren Abwehr zur horizontalen Herausforderung wird und die institutionellen Akteure mehrerer Politikfelder gleichzeitig fordert.

2. Das Konzept umfassender Sicherheit Es gibt mittlerweile einen international breiten Konsens darüber, dass sich die Rahmenbedingungen für Sicherheitspolitik in den letzten Jahren in eine Richtung entwickelt haben, die ein grundlegendes Umdenken absolut notwendig macht. Diese Neuorientierung betrifft sowohl die praktische Ebene der Operationsführung als auch die politisch-strategische Entscheidungs- und Handlungsebene. 202

Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

Sicherheit ist heute in erster Linie keine nationale Angelegenheit mehr, sondern kann in den meisten Fällen nur mehr auf Basis multilateraler Kooperationen erreicht werden. Darüber hinaus sind die meisten Bedrohungen nicht mehr mit rein militärischen Mitteln zu bewältigen, sondern machen weiter gefasste Lösungsansätze notwendig. Die herkömmlichen Parameter für effiziente und erfolgreiche Landesverteidigung sind weitgehend nicht mehr anwendbar. So ist etwa eine sicherheitspolitische Fokussierung auf die unmittelbare Nahregion eines Staates oder einer Staatengruppe nicht mehr sinnvoll, da geographische Entfernungen nicht mehr über das Risiko und die strategische Tragweite einer Bedrohung entscheiden. Ebenso sind konventionelle zwischenstaatliche Kriege und Angriffskriege auf das eigene staatliche Territorium kein geeigneter Anhaltspunkt mehr für die Konzipierung sicherheits- und verteidigungspolitischer Lösungsansätze und die entsprechende Fähigkeitsplanung. Durch die spezifische Beschaffenheit der neuen Bedrohungsformen ist in der Verteidigung nicht nur der Nationalstaat in den Hintergrund getreten, auch die klassische Arbeitsteilung zwischen den Ressorts, etwa zwischen dem Außen-, Verteidigungs- und Innenministerium, musste neu überdacht werden. Sicherheit betrifft heute nicht nur den Verteidigungsbereich, sondern auch andere Politikfelder. Aus diesem Grund schwinden zumindest auf konzeptioneller Ebene nicht nur die Grenzen zwischen innerer und äußerer Sicherheit, es treten auch neue Politikfelder in den Vordergrund. Umwelt, Energie und Migration sind heute unter Umständen ebenso sicherheitsrelevante Bereiche wie Polizei und Militär und müssen demzufolge in sämtliche strategischen Überlegungen mit einbezogen werden. Um den realen sicherheitspolitischen Anforderungen gerecht zu werden, mussten die nationalen Verteidigungsapparate in den letzten Jahren ihr Leistungsprofil einer umfassenden Neukonzipierung unterziehen. Ein Großteil der Planungsprinzipien klassischer Landesverteidigung ist dabei neuen Struktur- und Lösungsansätzen gewichen. Durch die Beteiligung an multinationalen Kooperationen, wie insbesondere der EU-Krisenmanagement-Politik, ist unter anderem die Herausforderung gewachsen, die konventionellen militärischen Fähigkeiten in ein erweitertes Spektrum sicherheitspolitischer Instrumente einzubringen. Die ESVP/GSVP stellt heute gleichsam die Herausforderung wie den Rahmen für die Umsetzung dieser Veränderungen im militärischen Bereich. Während jeder Mitgliedstaat für sich einen rigorosen Transformationsprozess durchlaufen muss, um zu gemeinsamen Fähigkeitszielen beizutragen, ist es Angelegenheit der Union insgesamt, die notwendigen institutionellen und strukturellen Voraussetzungen für den operativen Einsatz dieser neuen Fähigkeiten zu schaffen und sie auch mit dem übrigen Instrumentarium in Einklang zu bringen. Die EU-Mitgliedstaaten haben sich im Rahmen der GASP und ESVP/GSVP von Beginn an einer umfassenden Sicherheitskonzeption verschrieben und ihre Politik in den vergangenen Jahren dezidiert danach ausgerichtet. Der Fähigkeitsentwicklungsprozess im Rahmen der ESVP/GSVP folgt seit jeher der überge203

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ordneten Zielsetzung, operative Maßnahmen über den gesamten Konfliktzyklus hinweg zu ermöglichen und so ein möglichst breites zivil-militärisches Instrumentarium bereitzustellen. „All diese Maßnahmen werden zur Unterstützung der GASP getroffen, und sie werden die umfassende Rolle der Union in ihren Außenbeziehungen stärken und erweitern. Durch die Förderung und Konzertierung des militärischen und nichtmilitärischen Krisenreaktionsinstrumentariums wird die Union in die Lage versetzt, auf die gesamte Palette der Möglichkeiten, die von diplomatischen Aktivitäten, Humanitärer Hilfe und wirtschaftlichen Maßnahmen bis hin zu nichtmilitärischen Polizeieinsätzen und militärischen Operationen zur Krisenbewältigung reicht, zurückzugreifen.“ 1

Dieser beim Europäischen Rat von Helsinki im Dezember 1999 formulierte Grundgedanke steht hinter sämtlichen Bemühungen um die Entwicklung operativer ziviler und militärischer Fähigkeiten im Rahmen der ESVP. Von besonderer Bedeutung für den Ansatz der EU insgesamt ist das frühe Bekenntnis zum Konzept umfassender Sicherheit. Erst der konzertierte Einsatz sämtlicher, der EU zur Verfügung stehender Instrumente wird es der Union ermöglichen, ihr volles sicherheitspolitisches Potenzial real umzusetzen. Die im Rahmen der ESVP/GSVP entstehenden Fähigkeiten werden dabei als Ergänzung zu dem bereits vorhandenen politischen, wirtschaftlichen und diplomatischen Instrumentarium angesehen. Die Aufnahme operativer Maßnahmen im Rahmen der ESVP/GSVP hat zwar die EU als Institution verändert, im Grunde wurde ihre Bestimmung und ihr sicherheitspolitisches Leistungsprofil aber nicht umdefiniert, sondern lediglich durch neue Elemente ergänzt. Schon bevor die Union mit dem Aufbau militärischer Fähigkeiten begonnen hatte, war sie ein sicherheitspolitischer Akteur. Schließlich bilden die strukturellen Kapazitäten, über die die Union in den Bereichen Außenhandel, Entwicklungszusammenarbeit, regionale Kooperation und Humanitäre Hilfe verfügt, bis heute den Kern ihres Status in der internationalen Gemeinschaft. Als weltweit größter Handelsblock ist die EU – und zuvor die EG – seit jeher ein Machtzentrum. Die Aneignung operativer Instrumente im Rahmen der ESVP/GSVP ist insofern ein logischer Schritt in ihrer Gesamtentwicklung als politisches Projekt.

3. Zivil-militärische Koordinierung als Antwort auf neue Herausforderungen Um das umfassende sicherheitspolitische Potenzial der EU auch vollständig ausschöpfen zu können, müssen sämtliche ihr zur Verfügung stehenden Mittel und Instrumente auf effiziente und abgestimmte Weise zum Einsatz gebracht 1

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Schlussfolgerungen des Vorsitzes. Europäischer Rat in Helsinki (10. und 11. Dezember 1999). 300/1999, Punkt 28 und Anlage 2 zu Anlage IV.

Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

werden. Die konzeptionelle Antwort auf diese Herausforderung im EU-Rahmen, die „zivil-militärische Koordinierung“, ist dabei zumindest ihrer Bezeichnung nach manchmal etwas irreführend. Tatsächlich wurde in den letzten Jahren innerhalb der EU ein ganzes Bündel an Koordinierungsaspekten unter dem Schlagwort „zivil-militärische Koordinierung“ diskutiert, obwohl es zum Teil auch um zivil-zivile Koordinierung ging, etwa zwischen entwicklungspolitischen Langzeitmaßnahmen und zivilen Operationen. Ziel des umfassenden Ansatzes und damit der zivil-militärischen Koordinierung ist es nicht nur, zivile und militärische Komponenten miteinander zu verbinden, sondern es geht ganz allgemein um die sinnvolle Zusammenführung aller verfügbaren Instrumente in ein gesamtheitliches Leistungsspektrum. Für jede Krise soll eine maßgeschneiderte Paketlösung verfügbar gemacht werden können, die je nach Bedarf diplomatische Maßnahmen, operative Elemente – ziviler oder militärischer Natur – und strukturelle Langzeitmaßnahmen umfasst. Durch die Aneignung der Fähigkeit, wirtschaftliche, diplomatische und operative Instrumente konzertiert einzusetzen, wird es der EU nicht nur möglich, auf sämtliche Dimensionen eines Konfliktes einzuwirken. Die EU erlangt dadurch auch die Kompetenz, in allen Phasen eines Konflikts eine Schlüsselrolle einnehmen zu können und zwar von der Prävention über die Beilegung bis hin zur Nachbearbeitung und dem Wiederaufbau. Das Bestreben der EU-Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik einem umfassenden Sicherheitsansatz zu folgen, ist dabei aber nicht nur als freie strategische Entscheidung anzusehen, sondern auch als Sachzwang, der sich aus der neuen internationalen Bedrohungslage ergibt. Die Notwendigkeit, alle Komponenten ihres Fähigkeitsspektrums auf institutioneller, strategischer und operativer Ebene zusammenzuführen, ergibt sich nämlich schon aus der Natur der Krisen und der Bedrohungen, mit denen sich die EU und ihre Mitgliedstaaten konfrontiert sehen.

4. Konzeptionelle Unklarheiten Es hat in der Vergangenheit auch in Fachkreisen immer wieder für Verwirrung gesorgt, dass innerhalb der EU nahezu alle Koordinierungsfragen im Krisenmanagement als Angelegenheit der „Zivil-Militärischen Koordinierung“ (CivilMilitary Coordination/CMCO) abgehandelt werden, auch wenn sich diese zum Teil gar nicht auf zivil-militärische Schnittstellen beziehen. Auch die Koordinierung zwischen Maßnahmen der Kommission etwa im Bereich der regionalen Integration oder der Humanitären Hilfe und den zivilen Operationen im ESVP/GSVP-Bereich wird laut dem CMCO-Konzept der EU als Sache der „zivil-militärischen Koordinierung“ angesehen. Die Bezeichnung ist also in sich schon sehr mißverständlich. Darüber hinaus herrscht aber auch immer wieder Unklarheit über die Abgrenzung zwischen der „zivil-militärischen Koordinie205

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rung“, wie sie die EU im Rahmen von CMCO betreibt, und anderen Konzepten, die sich mit dem zivil-militärischen Zusammenspiel im Krisenmanagement befassen. Dem zivil-militärischen Verhältnis kommt auf allen Ebenen und in den meisten sicherheitspolitischen Belangen eine sehr wichtige Rolle zu, was wiederum dazu führt, dass es „zivil-militärische“ Konzepte in den unterschiedlichsten Zusammenhängen gibt. Ganz allgemein ist zu beachten, dass sich die Idee „Zivil-Militärischer Koordinierung“ im EU-Bereich in erster Linie auf die politisch-strategische und institutionelle Ebene bezieht, also auf die strategische Gewichtung und das funktionelle Verhältnis zwischen den verschiedenen Instrumenten der EU (zivilen und militärischen, strukturellen und operativen) und die Art und Weise, wie ihr Zusammenspiel organisatorisch und institutionell umgesetzt wird. Es geht bei CMCO also vorrangig um grundlegende politisch-strategische und konzeptionelle Angelegenheiten, die nicht direkt in Zusammenhang mit dem operativen Tagesgeschehen in Krisenmanagement-Missionen stehen. Diese operativ-taktische Ebene ist hingegen der Hauptgegenstand eines anderen „zivil-militärischen“ Konzepts, nämlich jenem der „Zivil-Militärischen Zusammenarbeit“ (ZMZ/ Civil-Military Cooperation/CIMIC). ZMZ/CIMIC bezieht sich auf das Zusammenspiel von zivilen und militärischen Komponenten im Einsatzraum. Viele Staaten haben traditionell ihre eigenen nationalen Konzepte für zivil-militärische Zusammenarbeit und haben diese in den vergangenen Jahren modernisiert und den neuen strategischen Rahmenbedingungen angepasst. Die allgemeine Bedeutung des zivil-militärischen Zusammenspiels ist in sicherheitspolitischen Kreisen seit einigen Jahren Dauerthema – sowohl auf nationaler als auch auf EU-Ebene. Umso wichtiger ist es geworden, eine strukturierte Debatte über die verschiedenen Teilaspekte des zivil-militärischen Zusammenwirkens zu führen und vor allem in der Diskussion klare konzeptionelle Grenzen zu ziehen. „Zivil-Militärische Koordinierung“ (CMCO) ist nicht gleich „ZivilMilitärische Zusammenarbeit“ (CIMIC). Leider hat auch die außerordentliche Präsenz des Themas keine konzeptionellen und terminologischen Unklarheiten verhindern können. Gerade die rasche inhaltliche Erweiterung des CMCOKonzepts hat wohl dazu geführt, dass der Begriff zwar selbst in den Mitgliedstaaten in den fachlichen Sprachgebrauch aufgenommen wurde, dessen detaillierte inhaltliche Belegung und vor allem dessen Abgrenzung zu bestehenden zivil-militärischen Konzepten über die lebendige Sachdebatte hinweg jedoch vernachlässigt wurde. Im Folgenden wird zunächst die Bedeutung von CIMIC diskutiert, um eine klare Abgrenzung von CMCO und den damit verbundenen politischen und institutionellen Fragen zu ermöglichen.

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Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

4.1. CIMIC – Zivil-militärisches Zusammenspiel auf operativ-taktischer Ebene Konzepte „Zivil-Militärischer Zusammenarbeit“ umfassen in der Regel sämtliche Interaktionen, die zwischen militärischen und nicht-militärischen Akteuren auf operativ-taktischer Ebene erfolgen. Der Gegenstand zivil-militärischer Zusammenarbeit ist also vorwiegend das konkrete Geschehen im Einsatzraum, während die strategische Ebene nur in Bezug auf die gezielte Einsetzung von CIMIC-Elementen von Relevanz ist. CIMIC kann sich sowohl auf den nationalen Rahmen klassischer Landesverteidigung als auch auf das zivil-militärische Verhältnis im Rahmen von internationalen Krisenmanagement-Einsätzen beziehen. Man unterscheidet hier zwischen „Zivil-Militärischer Zusammenarbeit/ Inland“ (ZMZ/I) und „Zivil-Militärischer Zusammenarbeit/Ausland“ (ZMZ/A). CIMIC ist in der Tradition vieler Mitgliedstaaten ein Kernelement umfassender Landesverteidigung. Darüber hinaus erlangte CIMIC im Zuge der Weiterentwicklung der ESVP und auch der strategischen Neuausrichtung der NATO neue Aktualität. Die veränderte Bedrohungslage, das Aufkommen neuer Konfliktformen und -konstellationen und nicht zuletzt der Anspruch der Staatengemeinschaft, Sicherheit durch multinationale Kooperationen zu gewährleisten, haben das Zusammenspiel zwischen zivilen und militärischen Akteuren im Einsatzraum in den Mittelpunkt der sicherheits- und verteidigungspolitischen Debatte gerückt. Nicht zuletzt in der Fähigkeitsentwicklung gelten CIMIC-Kompetenzen als eine der angestrebten Schlüsselqualifikationen in der Streitkräftetransformation. ZMZ/I, also Zivil-Militärische Zusammenarbeit im nationalen Kontext, dreht sich primär um die Beziehungen zwischen den Streitkräften eines Staates und seinen zivilen Behörden bzw. den verschiedenen Akteuren in der Zivilgesellschaft. In der Regel sind alle militärischen Dienststellen in die Erfüllung der damit zusammenhängenden Aufgaben eingebunden. Die Bedeutung von ZMZ/I hat sich durch die Veränderung der allgemeinen Bedrohungslage ebenso gewandelt. Ursprünglich ging es bei ZMZ/I im Sinne umfassender Landesverteidigung vor allem um die Stützung militärischer Kernaufgaben durch die Einbindung und die enge Zusammenarbeit mit den zivilen Strukturen auf staatlicher und zivilgesellschaftlicher Ebene. Aufgrund des Fehlens unmittelbarer konventioneller Bedrohungen konzentriert sich ZMZ/I heute jedoch in den meisten europäischen Staaten auf die Bereiche Katastrophenhilfe, Bevölkerungsschutz, Kampfmittelbeseitigung und Infrastruktur. Durch die steigende Anzahl multinationaler Operationen im Bereich Krisenund Konfliktbewältigung ist die Bedeutung der zivil-militärischen Zusammenarbeit bei Auslandseinsätzen (ZMZ/A) in vielen europäischen Staaten gestiegen. Seitdem hat sich für ZMZ/A auch im deutschsprachigen Raum vermehrt die Bezeichnung CIMIC durchgesetzt. Wie bereits erwähnt, gibt es oft Unklarheiten bei der Verwendung des CIMIC-Begriffs und zwar vor allem bei der Abgren207

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zung zu anderen Konzepten, die sich auf das Verhältnis zwischen zivilen und militärischen Akteuren beziehen. In vereinzelten Zusammenhängen ist mitunter auch die Bezeichnung „Zivil-Militärische Beziehungen“ (Civil-Military Relations/CIMIR) geläufig. CIMIR wird zum Teil synonym zu CIMIC verwendet, oder aber es wird als umfassenderes, dem Begriff CIMIC konzeptionell übergeordnetes Konzept angesehen. Es gibt keine international gültige und verbindliche Definition der Funktionen und Aufgaben von CIMIC. Die meisten europäischen Staaten verfügen auch über eigene nationale CIMIC-Doktrinen. In groben Zügen sind diese Konzepte mittlerweile aber alle sehr ähnlich und weichen nur in Hinblick auf begriffliche Feinheiten und interessensbedingte Schwerpunktsetzungen voneinander ab. Militärische Einheiten sind bei multinationalen Einsätzen mit Rahmenbedingungen konfrontiert, die kaum noch mit den Umständen traditioneller Kriegsführung vergleichbar sind. Neben der Beschaffenheit der Konflikte hat sich auch die Motivationsgrundlage für militärische Einsätze gewandelt. Der Einsatz militärischer Mittel ist heute oft Teil einer umfassenderen Befriedungs- und Stabilisierungsstrategie für eine ganze Region. Krisenmanagement-Operationen sind nur mehr in den seltensten Fällen rein militärischer Natur. Meistens werden militärische Einheiten auch für Funktionen herangezogen, die nicht eindeutig dem klassischen militärischen Bereich zugeordnet werden können. In einem komplexen Einsatzumfeld wächst die Bedeutung des Verhältnisses zu anderen, nicht militärischen Akteuren. Oft ist das optimale Zusammenspiel zwischen der zivilen und der militärischen Seite ausschlaggebend für den Gesamterfolg einer Operation. CIMIC ist im Zuge der Veränderungen in der globalen Sicherheitslandschaft der letzten Jahre zur Kernfrage für multinationale Krisenmanagement-Operationen geworden. Insgesamt lässt sich CIMIC bzw. ZMZ/A wie folgt definieren: „CIMIC ist die Bezeichnung für die Gemeinsamkeit der Mittel und Maßnahmen, welche die Beziehung zwischen militärischen Kommandanten internationaler bzw. multinationaler Kräfte und nationalen zivilen und militärischen Behörden und Dienststellen sowie der Zivilbevölkerung in einem Gebiet unterstützen, in dem militärische Kräfte bereits eingesetzt sind oder einen Einsatz planen. CIMIC kann auch die Zusammenarbeit mit nichtstaatlichen oder internationalen Stellen und Organisationen einschließen.“ 2

Bei CIMIC in Auslandseinsätzen geht es also um sämtliche Interaktionen, die an den verschiedenen zivil-militärischen Schnittstellen in einem Krisengebiet erfolgen. Gemeint sind hier insbesondere Schnittstellen zwischen den multinationalen militärischen Einheiten und den verschiedenen zivilen Akteuren im Einsatzgebiet. An diesen Schnittstellen werden zivil-militärische Kontakte (Civil-Military Liasons/CML) mit lokalen Polizeibehörden, der Ziviladministration und den verschiedenen Akteuren der örtlichen Zivilgesellschaft (Bürgerinitiati2

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Moitzi, Peter: Handbook. CIMIC Grundlagen der unteren taktischen Führungsebene. Zentrum Internationale Kooperation (ZIK). Graz 2003, S. 6.

Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

ven, Vereine usw.) oder auch mit anderen in der jeweiligen Region tätigen internationalen Organisationen und Nichtregierungsorganisationen unterhalten.

CIMIC-Schnittstellen

multinationale militärische Einheiten (z.B. EU, NATO)

CIMIC

Abbildung: CIMIC-Schnittstellen bei Auslandseinsätzen 3

lokale Polizei und Administration lokale Zivilgesellschaft internationale Organisationen und NGOs in der Region (lokale militärische Einheiten)

CIMIC-Maßnahmen können einer geplanten militärischen Operation vorangehen und/oder eine laufende Mission begleiten und unterstützen. Dabei versucht man, sich bestimmte zivil-militärische Wirkungsprinzipien zunutze zu machen. Maßnahmen zur Unterstützung der Bevölkerung werden etwa als Beitrag zur Erreichung eines militärstrategischen Einsatzziels durchgeführt, z.B. Wiederaufbau der Infrastruktur oder Förderung der Demokratie im Sinne einer nachhaltigen Stabilisierung einer Region. Darüber hinaus können im Einsatzraum verfügbare zivile Ressourcen dazu verwendet werden, die Erreichung des militärischen Einsatzziels zu begünstigen (sogenanntes Facilitating). Dies schließt Maßnahmen ein, die der Force Protection, also dem Schutz der multinationalen Truppen im Einsatzgebiet dienen. Die militärischen Einheiten können subsidiär auch zivile Aufgaben übernehmen, z.B. in der Verwaltung, der militärische Einsatzcharakter bleibt dabei aber grundsätzlich erhalten. Subsidiarität bedeutet in diesem Fall, dass keine Unterstützungsmaßnahmen übernommen werden, die aus verschiedenen Gründen nicht von externen zivilen Akteuren übernommen werden können. CIMIC-Maßnahmen erstrecken sich über die gesamte Phase der Vorbereitung, Durchführung und Nachbearbeitung. Die Ausführung einer bestimmten CIMIC-Maßnahme kann in jeder Phase des Krisenmanagement-Zyklus, auf jeder militärischen Ebene und in der jeweils angemessenen Intensität ausgeführt werden. CIMIC hat im NATO-Kontext eine Rolle gespielt, noch bevor die Allianz mit Beginn der Neunziger Jahre damit anfing, sich strategisch neu auszurichten und in der Folge auch Krisenmanagement-Einsätze außerhalb des Vertragsgebietes – 3

Quelle: eigene Darstellung.

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sogenannte „Out of Area“-Einsätze – durchzuführen. CIMIC bezog sich zunächst auf das Verhältnis zwischen NATO-Einheiten und den zivilen Behörden einer Host Nation im Falle einer klassischen Artikel-V-Aktion. 4 Die NATO hat im Zuge ihrer strategischen Neuausrichtung und der Annahme eines „Neuen Strategischen Konzepts“ neue Aufgaben übernommen und sich dabei insbesondere auf das internationale Krisenmanagement konzentriert. Der Einsatz von NATOMitteln im Kosovo-Krieg 1999 war ein wichtiger Schritt im Rahmen dieser Entwicklung. Die Operation im Kosovo hatte auch maßgeblichen Einfluss auf die Haltung der NATO gegenüber dem Thema zivil-militärischer Zusammenarbeit. Die Erfahrungen am Westbalkan führten mit Ende der Neunziger Jahre zu einer intensiven CIMIC-Debatte innerhalb der Allianz. Die komplexe Multidimensionalität der Balkan-Kriege hatte die Problematik, gleichzeitig aber auch die Bedeutung von CIMIC für den Gesamterfolg einer Mission deutlich gemacht. Durch die Ausformulierung des bis zu diesem Zeitpunkt sehr allgemein gehaltenen Begriffs in Form einer einheitlichen militärischen Doktrin hat die Allianz auf internationaler Ebene ganz wesentlich zur terminologischen und konzeptionellen Präzisierung von CIMIC beigetragen. CIMIC wurde für den NATO-Rahmen wie folgt definiert: „CIMIC ist die Koordinierung und Kooperation – in Unterstützung der Mission – zwischen dem NATO-Kommandanten und zivilen Akteuren einschließlich der Bevölkerung vor Ort, den lokalen Behörden und internationalen, nationalen und NichtregierungsOrganisationen und Agenturen.“ 5

Der Vorläufer einer einheitlichen CIMIC-Doktrin für die EU hingegen ist zwischen 1998 und 1999 im Rahmen der Westeuropäischen Union (WEU) entstanden. 6 Das WEU-Konzept wurde in der Folge mehrmals modifiziert, bis im März 2002 schließlich ein gemeinsames CIMIC-Konzept für EU-KrisenmanagementOperationen angenommen wurde. Aufgrund der weitgehenden Überlappungen in der Mitgliederstruktur von Allianz und Union und der strategisch und konzeptionell starken Ausrichtung der ESVP an der NATO war es naheliegend, dass dieses EU-Konzept nicht wesentlich von der NATO-Doktrin abweichen würde. Die CIMIC-Definition wurde tatsächlich fast deckungsgleich von der NATO übernommen: „CIMIC ist die Koordinierung und Kooperation – in Unterstützung der Mission – zwischen den militärischen Komponenten von EU-geführten Krisenmanagement-Operationen 4

5 6

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Der Artikel V des Nordatlantik-Vertrages schreibt eine gegenseitige Beistandspflicht für alle NATO-Mitglieder vor. Sollte es zum Angriff auf einen der Bündnispartner kommen, so sind alle übrigen Mitglieder dazu verpflichtet, ihm mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zur Seite zu stehen. Fälle, in denen der Artikel V zum Tragen kommt, werden auch als „Bündnisfall“ bezeichnet. Der bislang einzige Bündnisfall in der Geschichte der NATO wurde 2001 infolge der Terroranschläge vom 11. September 2001 ausgerufen. Deutsche Übersetzung, Allied Joint Publication (AJP) No. 9, NATO. Für Originalbezug siehe WEU Dokument Nr. WEU C(99) 207.

Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

und zivilen Akteuren (außerhalb der EU) einschließlich der Bevölkerung vor Ort, den lokalen Behörden und internationalen, nationalen und Nichtregierungs-Organisationen und Agenturen.“ 7

In einigen Aspekten wurden im EU-Konzept Zusätze formuliert, die sich auf die spezifischen Anforderungen und Rahmenbedingungen von CIMIC-Maßnahmen im Rahmen von EU-Einsätzen beziehen, wie etwa spezifische Regelungen für die Einbindung beteiligter Drittstaaten. Grundsätzlich finden sich im EUKonzept jedoch alle wesentlichen Inhalte der entsprechenden NATO-Doktrin wieder. Im ESVP/GSVP-Kontext ist die fortschreitende Institutionalisierung von CIMIC als Teil der Implementierung der Europäischen Sicherheitsstrategie (ESS) anzusehen. Der darin festgeschriebene Begriff der „umfassenden Sicherheit“ spielt in sämtlichen Überlegungen zur Verbesserung von CIMIC eine zentrale Rolle. Durch die Optimierung des Zusammenspiels zwischen zivilen und militärischen Akteuren kann der Nutzen der zur Verfügung stehenden und zumeist knappen operativen Ressourcen optimiert werden. Die Qualität der Beziehungen zwischen den Einsatzkräften der EU und den zivilen Akteuren im jeweiligen Einsatzgebiet wird unter anderem als entscheidend für den Erfolg, die Effektivität und die Nachhaltigkeit der EU-Operationen angesehen und damit auch für die Glaubwürdigkeit der EU als Krisenmanager. Das Thema Glaubwürdigkeit kommt abgesehen von einzelnen operativen Erfolgen aber insbesondere auf der strategischen Ebene zum Tragen. Ein geschlossenes Auftreten der EU unter koordinierter Anwendung des ihr zur Verfügung stehenden Instrumentariums ist Gegenstand des Konzepts Zivil-Militärischer Koordinierung (CMCO).

4.2. CMCO und institutionelles Zusammenwirken auf strategischer Ebene Während CIMIC in verschiedenen nationalen Zusammenhängen geläufig ist und sowohl von der NATO als auch von der EU im Rahmen von multinationalen Einsätzen praktiziert wird, bezieht sich CMCO einzig auf den spezifischen Kontext der EU und ihrer Außen- und Sicherheitspolitik. Im Unterschied zur NATO und OSZE verfügt die EU über ein umfassendes Instrumentarium zur Konfliktund Krisenbewältigung, das strukturelle und politische Instrumente ebenso einschließt wie operative zivile und militärische Fähigkeiten. Daraus erwächst der EU als Krisenmanager einerseits ein Mehrwert gegenüber anderen Organisationen, die Koordinierung dieser Vielzahl von Instrumenten im spezifischen Krisenfall oder in Bezug auf eine ausgewählte Krisenregion stellt allerdings auch eine große strukturelle und strategische Herausforderung dar. Der Grund dafür 7

CIMIC-Konzept für EU-geführte Krisenmanagement-Operationen, Doc 7106/2002.

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liegt einerseits darin, dass im Rahmen der EU nach wie vor die Mitgliedstaaten das Sagen in den meisten außen- und sicherheitspolitischen Angelegenheiten haben und Kompromisse oft nur schwer zu finden sind. Andererseits liegt die Schwierigkeit einer umfassenden Krisenmanagement-Politik auch in der charakteristischen institutionellen Zusammensetzung der EU-Außenpolitik und ihren verschiedenen sicherheitspolitischen Komponenten. Auf diese spezifischen institutionellen Herausforderungen bezieht sich das Konzept CMCO.

5. Die Mehrdimensionalität der EU-Außenbeziehungen Die außenpolitischen Agenden der EU teilen sich seit jeher in einen gemeinschaftlichen, supranationalen Strang unter der Anleitung der Europäischen Kommission und in einen mitgliedstaatlichen, inter-gouvernementalen Strang, in dem die Mitgliedstaaten über den Rat nach wie vor die meisten Kompetenzen innehaben. In Bezug auf das europäische Integrationsprojekt haben die gemeinschaftlichen Außenpolitiken, insbesondere aber die Außenhandelspolitik der EU (und vormals EG), die längste Tradition. Auch humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit sind klassische gemeinschaftliche Bereiche, in denen die Mitgliedstaaten schon früh Kompetenzen an die supranationale Ebene abgetreten haben. In diesen Bereichen tritt die EU auch wirklich schon seit längerem als geschlossener Akteur auf. Ganz anders verhält es sich mit den klassischen Bereichen der Außenpolitik, weiten Teilen der Diplomatie und insbesondere der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Hier haben die Mitgliedstaaten lange Zeit nur außerhalb des gemeinschaftlichen Rahmens in Form der Europäischen Politischen Zusammenarbeit (EPZ) kooperiert. Später wurde die EPZ im Rahmen der Gründung der EU in den Unionsrahmen übergeführt, der zwischenstaatliche Charakter des Politikbereichs jedoch beibehalten. Bei der Umsetzung einer umfassenden Sicherheitspolitik kommen die Nachteile dieser Mehrdimensionalität der EU-Außenpolitik ganz besonders zum Tragen. Angesichts komplexer sicherheitspolitischer Herausforderungen gilt es zunehmend, Kohärenz zwischen den beiden Strängen herzustellen, also ein konzertiertes und lösungsorientiertes Zusammenspiel zu gewährleisten. Die Herausforderung liegt also nicht nur darin, die Positionen der Mitgliedstaaten zu harmonisieren, sondern darüber hinaus auch darin, die internen Beziehungen zwischen den Institutionen zu optimieren. Ein besonderes Spannungsverhältnis gibt es seit jeher zwischen der Europäischen Kommission und dem Rat der EU. Hier treten Konflikte zwischen der supranationalen, gemeinschaftlichen Ebene und den Mitgliedstaaten offen zutage. Bis heute ist die Trennung der beiden außenpolitischen Stränge der EU in jener Säulenstruktur festgeschrieben, die 1992 mit dem Vertrag von Maastricht

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Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

eingerichtet wurde. 8 Zwar wurde im Zusammenhang mit dem Vertrag von Lissabon von der Auflösung dieser Säulenstruktur gesprochen, aus rechtlicher Sicht bleiben jedoch auch nach dem Inkrafttreten des neuen Reformvertrages die Grundlagen der pillaren Struktur erhalten. Das außenpolitische Handeln der EU verteilt sich nach wie vor in unterschiedlichem Ausmaß auf drei Säulen: 9 • die Erste Säule, die sämtliche handels- und entwicklungspolitischen Aktivitäten aber auch eine Reihe von Instrumenten zur strukturellen Prävention und Krisenbewältigung umfasst; • die Zweite Säule, also die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) einschließlich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP/heute GSVP) und den dazugehörigen operativen zivilmilitärischen Fähigkeiten und • die Dritte Säule, die Polizeiliche und Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (PJZS), die in einigen ausgewählten Bereichen auch sicherheitsund verteidigungspolitische Relevanz hat und ebenso vorwiegend zwischenstaatlich reguliert ist. Die Säulen unterscheiden sich traditionell in rechtlicher und organisatorischer Hinsicht und weisen einen unterschiedlichen Grad an Zusammenarbeit, also eine unterschiedliche Integrationstiefe auf. Die gemeinschaftliche Erste Säule ist supranational organisiert, d.h. die Mitgliedstaaten haben hier nur noch beschränkte Entscheidungssouveränität und stattdessen stehen die gemeinschaftlichen Organe – insbesondere die Europäische Kommission – im Vordergrund. Die Zweite und die Dritte Säule sind hingegen intergouvernemental, also zwischenstaatlich organisiert. Es werden zwar auch hier gemeinsame Entscheidungen getroffen, die Souveränität verbleibt aber vor allem im Bereich der GASP und in sämtlichen Angelegenheiten mit sicherheits- und verteidigungspolitischem Bezug weitgehend bei den Mitgliedstaaten. Der institutionelle Hauptakteur der Zweiten und Dritten Säule auf europäischer Ebene ist bis heute der Rat der EU, also ein intergouvernemental zusammengesetzter Körper, der in den meisten sicherheits- und verteidigungsbezogenen Fällen nach Einstimmigkeitsprinzip beschließt. 8 9

Siehe dazu auch die Ausführungen im Grundlagenteil des vorliegenden Bandes. Zwar sieht der Vertrag einige Instrumente und Neuerungen vor, die der Zusammenführung vor allem des supranationalen Bereichs mit dem intergouvernementalen Bereich der Außenpolitik vor, es belibt jedoch dabei, dass die GASP mit fundamnetal anderen Entscheidungsmechanismen operiert als die sogenannte „erste Säule“. Einige Bereich der sogenannten „dritten Säule“ wurden in den letzten Jahren in den gemeinschaftlichen Bereich integriert. Der Kern mitgliedstaatlicher Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres bleibt allerdings auch nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon vor allem intergouvernemental organisiert. In Bezug auf die Herausforderung zivil-militärischer und zivil-ziviler Koordinierung macht es durchaus immer noch Sinn von Säulen zu sprechen.

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Nach diesen Strukturen hat sich sich bislang auch die spezifische Zusammensetzung des Instrumentariums, das die Union in einem bestimmten Krisenfall oder in einer Region zum Einsatz bringt, gerichtet. Der Beschluss, die Vorbereitung, Finanzierung und der praktische Einsatz der verschiedenen Instrumente unterliegen in den einzelnen Handlungsbereichen zum Teil vollkommen unterschiedlichen Verfahren und institutionellen Rahmenbedingungen. Demzufolge geht es bei der Optimierung des zivil-militärischen Zusammenspiels nicht nur um den operativen Bereich der ESVP/GSVP, sondern vor allem auch um die strukturellen Instrumente der Ersten Säule und wie diese mit anderen Komponenten der Krisen- und Konfliktbewältigung vereinbart werden können. Die Gemeinschaft verfügt im Rahmen der Ersten Säule über eine Reihe von Instrumenten für die Vorbeugung und Bewältigung von Krisen und Konflikten, die es mit den neueren Instrumenten der ESVP/GSVP abzustimmen gilt.

6. Die interpillare und die intrapillare Dimension von CMCO Seit der Schaffung der ESVP als eigenständiger EU-Politikbereich für Sicherheits- und Verteidigungsfragen wurden operative Instrumente für EUKrisenmanagement-Einsätze aufgebaut. Diese umfassen zum einen militärische Fähigkeiten zur Durchführung sämtlicher Aufgaben des sogenannten PetersbergSpektrums, zum anderen aber auch operative Fähigkeiten für ziviles Krisenmanagement in den Kernbereichen Polizei, Rechtsstaatlichkeit, Zivilverwaltung, Bevölkerungsschutz, Sicherheitssektorreform, Monitoring, Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration. Politisch problematisch ist insbesondere die inhaltliche Nähe zwischen dem operativen Krisenmanagement mit nicht-militärischen Mitteln und den gemeinschaftlichen Maßnahmen zur Prävention und Bewältigung von Krisen und Konflikten. Dieses Spannungsfeld wird in der Fachdebatte oft als Problematik der „Zivil-Zivilen Koordinierung“ angesprochen und bildet insgesamt eine der Kernfragen der EU-internen CMCO-Diskussion. Vor allem in den frühen Jahren der ESVP-Entwicklung ist es in der Folge zu Auseinandersetzungen bezüglich der institutionellen Zuständigkeit zwischen Kommission und Rat bzw. den Mitgliedstaaten gekommen. Zum Teil hat die Europäische Kommission in Reaktion auf die politische Weiterentwicklung im sicherheitspolitischen Bereich damit begonnen, ihre Politiken defensiv, also in Abgrenzung von der neu entstehenden ESVP, zu formulieren. Im Vergleich dazu ist das Verhältnis zwischen den militärischen Komponenten der ESVP/GSVP und der Ersten Säule durch die klare funktionelle Abgrenzbarkeit politisch zwar weniger belastet, die Koordinierung auf institutioneller Ebene stellt aber dennoch eine komplexe Herausforderung dar. Die Dritte Säule steht mit wenigen Ausnahmen (z.B. im Bereich polizeiliche Zusammenarbeit in internationalen Einsätzen) noch eher im Hintergrund der Koordinierungsdebatte, 214

Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

wodurch sich diese also vor allem auf das Spannungsverhältnis zwischen Kommission und Rat bzw. zwischen den zivilen und den militärischen Aspekten der ESVP/GSVP bezieht. Die Koordinierung zwischen den Säulen wird als „interpillar“ und die Koordinierung innerhalb der ESVP/GSVP als „intrapillar“ bezeichnet, wobei die vorrangigen Herausforderungen in jeweils unterschiedlichen Bereichen liegen. Angelegenheiten der sogenannten „inter-pillaren Kohärenz“, also der Koordinierung zwischen den Säulen, beziehen sich zumeist sehr stark auf die strategische Ebene, wo es unter anderem zu Konflikten über die funktionelle Rollenverteilung und institutionelle Zuständigkeit kommen kann. Diese spiegeln sich dann auch in der praktischen Zusammenarbeit zwischen den Institutionen wieder. „Intrapillare Kohärenz“ hingegen spielt sich stärker – wenn auch nicht ausschließlich – auf der tagespolitischen und organisatorischen Ebene ab, wobei praktischere Fragen wie etwa die Zusammenarbeitsfähigkeit zwischen militärischem und zivilem Personal auf Brüsseler Ebene zur Debatte stehen. Abbildung: Struktur des EU-Instrumentariums 10 zivil gemeinschaftliches Instrumentarium

EUROPÄISCHE KOMMISSION

z.B. Humanitäre Hilfe Außenhandel Entwicklungszusammenarbeit

militärisch Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) z.B. präventive Diplomatie politischer Dialog Rat der EU nicht-militärische Fähigkeiten zur Planung und Durchführung von KrisenmanagementOperationen

CPCC

GSVP operativ

CIVCOM

PSK

militärische Fähigkeiten zur Planung und Durchführung von KrisenmanagementOperationen

EUMC

EUMS

Die Abbildung macht die allgemeine institutionelle Zersplitterung des zur Verfügung stehenden Instrumentariums der EU deutlich. Die Tatsache, dass die einzelnen Säulen eine unterschiedliche institutionelle Funktionsweise und Beschaffenheit aufweisen, erschwert das Zusammenwirken der verschiedenen außenpolitischen Dimensionen der Union und ist damit auch der Synergie beim 10

Quelle: eigene Darstellung.

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Carmen Gebhard

Einsatz des vorhandenen Instrumentenspektrums abträglich. Um den Mehrwert dieses vielfältigen EU-Krisenmanagement-Instrumentariums glaubwürdig und nachhaltig in die Praxis umzusetzen, sind erhebliche Bemühungen um eine Verbesserung der Koordinierung notwendig. Das Zusammenspiel der unterschiedlichen institutionellen Akteure muss möglichst transparent, ausgewogen und effizient gestaltet werden, sodass die EU gegenüber externen Akteuren, Partnern und Aggressoren als kohärent handelnde und in sich geschlossene Einheit auftreten kann, der es gelingt, ihre wirtschaftliche und politische Macht und Position auch in sicherheitspolitischen Fragen unter Beweis zu stellen. Als Reaktion auf diese Herausforderung hat es in den vergangenen Jahren Bemühungen zur Entwicklung eines internen Koordinierungsansatzes gegeben. Im Laufe der Zeit haben sich die Schwerpunkte in der Debatte zwar immer wieder verlagert, die zivil-militärische und zivil-zivile Koordinierung des EU-Krisenmanagement-Instrumentariums hat die gesamte ESVP-Entwicklung jedoch von Beginn an begleitet. Ein konkretes Mandat für die konzeptionelle Ausarbeitung eines EU-Ansatzes für CMCO erfolgte im Rahmen der schwedischen Ratspräsidentschaft im ersten Halbjahr 2001. 2003 legten die Europäische Kommission und das Generalsekretariat des Rates ein gemeinsames CMCO-Rahmendokument vor, das bis heute die Grundlage für sämtliche Implementierungsschritte in diese Richtung darstellt. Es ist insgesamt als dynamisches Konzept und „Living Document“ anzusehen, das laufend revisioniert und ausgebaut wird. Der Gegenstand von CMCO-Maßnahmen wurde in dem Dokument wie folgt definiert: „CMCO im Kontext der GASP/ESVP bezieht sich auf die Notwendigkeit, das Handeln sämtlicher institutioneller Akteure zu koordinieren, die in die Planung, Vorbereitung und Durchführung der EU-Reaktion auf eine Krise involviert sind.“ 11 Diese Formulierung zeigt schon, dass sich CMCO auf eine Vielzahl von unterschiedlichen institutionellen Schnittstellen innerhalb der EU bezieht und sich keineswegs – wie oft irrtümlich angenommen – einzig und allein auf die Koordinierung zwischen den zivilen und militärischen Aspekten der ESVP/GSVP, also auf das genannte „intrapillare“, das säuleninterne zivil-militärische Verhältnis beschränkt. Es geht bei CMCO sehr wohl auch um die wesentlich umfassendere Herausforderung säulenübergreifender („interpillarer“) Kohärenz. Insgesamt ergeben sich aus CMCO-Perspektive folgende relevante Schnittstellen: • im Bereich des säuleninternen Zusammenspiels zwischen der zivilen und der militärischen Dimension der ESVP/GSVP, • im Verhältnis zwischen den zivilen Akteuren und Instrumenten der Ersten Säule und dem operativen Instrumentarium der Zweiten Säule,

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Gemeinsames CMCO-Rahmendokument der Europäischen Kommission und des Generalsekretariats des Rates, Doc 14457/2003.

Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

• •

zwischen den zivilen Akteuren in der Ersten und in der Zweiten Säule (GASP) und zwischen den zivilen Akteuren der Ersten Säule und den militärischen Komponenten der Zweiten Säule.

Gegenstand von CMCO sind sämtliche Vorgänge, Entscheidungen und Maßnahmen der verschiedenen institutionellen Akteure im Rahmen einer EU-Reaktion auf einen Konflikt oder eine absehbare Bedrohung, und zwar in Bezug auf alle Phasen des Konfliktbewältigungszyklus: Vorbeugung, Planung, Vorbereitung, Durchführung und Nachbearbeitung. CMCO umfasst zum Teil auch Fragen, die das zivil-militärische Zusammenwirken im Einsatzraum betreffen, ist aber selbst in diesem spezifischen Zusammenhang nicht mit CIMIC gleichzusetzen. CMCO ist ein politisches Konzept. Die verbesserte Koordinierung der EUinternen Akteure soll positiv auf die Außenwirkung der EU als Krisenmanager ausstrahlen und dabei den Einsatz gemeinschaftlicher und mitgliedstaatlicher Instrumente effizienter gestalten.

7. CMCO als eine „Kultur der Koordinierung“ Die CMCO-Debatte wurde seit 2003 ganz wesentlich von einzelnen Initiativen vorwiegend kleinerer Mitgliedstaaten vorangetrieben. Gerade Österreich und Finnland haben sich mit Unterstützung Großbritanniens darum bemüht, die Weiterentwicklung des CMCO-Ansatzes systematisch voranzutreiben. Es gab eine Reihe konzeptioneller Arbeiten, die in informellem Rahmen Eingang in die institutionelle Planung und Organisation Eingang gefunden haben. Insgesamt ist die CMCO-Entwicklung bislang von einem gewissen ad-hoc-Charakter geprägt. Dies liegt unter anderem daran, dass sämtliche EU-Krisenmanagement-Operationen bislang unter sehr unterschiedlichen Rahmenbedingungen durchgeführt wurden. Es gibt insgesamt nur vereinzelte Parallelen zwischen den Operationen, die allgemeine Rückschlüsse auf den optimalen Verlauf eines Einsatzes zuließen. Bei Operationen in unterschiedlichen Regionen und unter variierender Zusammensetzung der Gesamtbedrohungslage kommt gezwungenermaßen immer eine andere Kombination aus operativen und strukturellen Maßnahmen zum Einsatz. Dies erschwert nicht nur den rückblickenden Vergleich zwischen den einzelnen Operationen und eine dementsprechende Bewertung der inter-institutionellen Abläufe, sondern auch die Vorbereitung auf die strukturellen Anforderungen in künftigen Krisenfällen. Die Konzipierung von Verbesserungsstrategien im CMCO-Bereich ist davon massiv betroffen. Die konzeptionellen Grenzen einer detaillierteren CMCO-Strategie wurden daher auch relativ schnell erkannt. Um die Koordinierung zwischen allen involvierten institutionellen Akteuren zu optimieren, konnte der Schwerpunkt der Bemühungen nicht auf der Ausarbeitung 217

Carmen Gebhard

rigider organisatorischer Ablaufmodelle liegen. Es musste vielmehr einer „Kultur der Koordinierung“ (culture of coordination) entwickelt werden, die für sämtliche involvierten Akteure als Grundlage ihres Handelns innerhalb der EUStrukturen herangezogen wird. Nur so würde die notwendige Flexibilität für die spezifischen Anforderungen im einzelnen Krisenfall gewahrt bleiben. Die Umsetzung einer solchen Kultur der Koordinierung muss durchgehend und ohne Beschränkung auf die verschiedenen Phasen des klassischen Konfliktbewältigungszyklus – Planung, Durchführung, Nachbearbeitung – erfolgen. Die Koordinierung zwischen allen beteiligten Akteuren spielt auch in der sogenannten „routine phase“, also im Zuge laufender Arbeiten zur Überwachung und Früherkennung von Krisen und Konflikten eine Rolle. Gerade in Bezug darauf wird deutlich, dass CMCO keine rein zivil-militärische Angelegenheit ist. Bei der Frühwarnung kommt etwa dem globalen Netz an Delegationen, über das die EU im Rahmen des gemeinschaftlichen Instrumentariums verfügt, eine besondere säulenübergreifende Funktion zu. Die Delegationen der Europäischen Kommission wurden in Reformen zuletzt entscheidend aufgewertet und sind nun beispielweise maßgeblich an der Erstellung von Strategiepapieren, sogenannten „Country Strategy Papers“ beteiligt. Sie agieren dabei innerhalb des Kompetenzbereiches der Europäischen Kommission, liefern allerdings Berichte und Analysen, die auch für die einschlägigen Akteure im Bereich der Zweiten Säule und insbesondere der ESVP/GSVP als Entscheidungsgrundlage herangezogen werden können.

8. Aktuelle Debatte und Ausblick Von einigen Kritikern wurde der Vorschlag zum Aufbau einer „Kultur der Koordinierung“ als Niederlage und als gescheiterter Versuch gewertet, die grundsätzliche Idee von CMCO zu entsprechenden konkreten Implementierungsmaßnahmen weiterzuentwickeln. Tatsächlich wurde nach 2003 und mit zunehmender operativer Erfahrung zusehends vom ursprünglichen Ansatz abgegangen, ein umfassendes Rahmenkonzept vorzugeben und anzuwenden. Derartige Bemühungen hatten sich in Bezug auf die Anforderungen dynamischer Krisen- und Konfliktbewältigung unter komplexen Rahmenbedingungen als ungeeignet erwiesen. Erste Versuche, organisatorische Abläufe zu regulieren und inter-institutionelle Verhältnisse zu formalisieren, wurden in der Folge sehr rasch fallengelassen. Verschiedene institutionelle Reformschritte sowohl im Bereich der Europäischen Kommission als auch innerhalb der ESVP/GSVP-Strukturen zeugen jedoch davon, dass die grundsätzliche Idee hinter CMCO weiterhin zur Anwendung kommt bzw. als Richtwert für die strukturelle Weiterentwicklung des EU-Krisenmanagement-Instrumentariums dient. Es ist dabei wenig überraschend, dass die Forschritte in der ESVP/GSVP-internen Koordinierung schnel218

Das zivil-militärische Zusammenspiel im internationalen Krisenmanagement der EU

ler voranschreiten als zwischen den Säulen. Die zivil-militärische Koordinierung im operativen Krisenmanagement hat sich mit der laufenden Erfahrung in den Einsätzen verbessert und wurde vor allem durch Sachzwänge im institutionellen Tagesgeschäft vorangetrieben. Besonders dynamisch war hier zuletzt vor allem die Entwicklung im Bereich der Planungsstrukturen. Seit 2007 wurde vor allem der zivile Planungsapparat der ESVP/GSVP aufgestockt und näher an die militärischen Strukturen herangeführt. Seit Ende 2008 wird auch das Generalsekretariat des Rates in den betreffenden Bereichen umstrukturiert, um eine verbesserte zivil-militärische Koordinierung zu ermöglichen. Zwischen den Säulen, also insbesondere zwischen der Europäischen Kommission und den Ratsstrukturen, hat es zuletzt vor allem informelle Anpassungen gegeben. Zumal hier grundlegende Kompetenzfragen zur Debatte stehen, sind in Bezug auf dieses Spannungsverhältnis auch mittelfristig keine großen Veränderungen zu erwarten. Die im Reformvertrag vorgesehenen institutionellen Reformen zielen zwar darauf ab, die Zweiteilung der EU-Außenbeziehungen etwas abzumildern und die Säulen formell aufzulösen, der Grundsatzkonflikt zwischen supranationaler und mitgliedstaatlicher Zuständigkeit in bestimmten Fragen der Sicherheitspolitik bleibt allerdings wohl auch weiterhin bestehen. Dennoch wäre es überzogen, von einer Pattstellung oder offenen Konfrontation zu sprechen. Während vor allem die Europäische Kommission der ESVP in den frühen Jahren wenig Sympathie entgegen gebracht hat, hat sich mittlerweile auf beiden Seiten eine pragmatischere Herangehensweise durchgesetzt. Kommissions- und Ratsstrukturen interagieren im organisatorischen Tagesgeschäft und finden dabei zumeist lösungsorientierte Formen der Zusammenarbeit. Es scheint hier vorerst zumindest ein Status der friedlichen Koexistenz erreicht zu sein, der der Konzeption einer „Kultur der Koordinierung“ schon sehr nahe kommt.

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Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

Ernst Schmid und Peter Hazdra Die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) der EU wurde 1993 mit dem Vertrag von Maastricht geschaffen und mit der Einführung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP, heute GSVP) im Jahr 1999 erweitert. In den folgenden Jahren wurde die EU institutionell an die Anforderungen dieses neuen politischen Aufgabenfeldes angepasst, mit dem Ziel, zivile und militärische Operationen im internationalen Krisenmanagement durchzuführen. Der intergovernmentale, also zwischenstaatliche Charakter der sogenannten „zweiten Säule“ spiegelt sich dabei in gewisser Weise, wie aus der folgenden Darstellung ersichtlich werden soll, auch in den Finanzierungsmechanismen wider. Das Krisenmanagement der EU ist nicht beschränkt auf Aktionen des Rates im Rahmen der GASP. Es können auch jene Maßnahmen der auswärtigen Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit der Europäischen Kommission (EK) zum Einsatz kommen, welche zur Bekämpfung politischer Instabilität und Milderung der Auswirkungen von bewaffneten Konflikten oder Naturkatastrophen in Drittländern geeignet erscheinen. Das breite Spektrum an Instrumenten erlaubt es der EU grundsätzlich, eine umfassende und kohärente „Außen- und Sicherheitspolitik“ zu gestalten. Die Finanzierungsquellen und -verfahren der einzelnen Instrumente sind jedoch höchst divergent. 1 Die folgende Darstellung bezieht sich auf die Rechtslage und Kommissionsgliederung vor dem In-Kraft-Treten des Vertrages von Lissabon am 1. Dezember 2009. In Detailbereichen mögen sich danach Änderungen ergeben, doch wird eine genaue Analyse erst zu einem späteren Zeitpunkt möglich sein.

1. Krisenmanagement der Zweiten Säule Über Jahrhunderte war der Einsatz von Streitkräften eine rein nationale Angelegenheit. Verschiedene Formen einer gemeinsamen Haftung, die gegenseitige Ge1

Es gibt weitere Instrumente, denen oft ganz entscheidende Bedeutung im Krisenmanagement zukommt, wie etwa politischer Druck, handelspolitische Maßnahmen und die Verhängung von Sanktionen. Diese Maßnahmen werden im vorliegenden Artikel, weil aus dem Blickwinkel der Finanzierung weniger aussagekräftig, nicht behandelt.

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Ernst Schmid und Peter Hazdra

stellung von Personal und Material sowie Kriegskredite können nicht als „Vorläufer“ gemeinsamer Finanzierung betrachtet werden. 2 Erst mit der Organisation von Staaten in internationalen Organisationen, die sich die Wahrung des Friedens als Ziel gesetzt haben, eröffnete sich die Möglichkeit, die Kosten für zivile und militärische Operationen, an denen sich mehrere Staaten beteiligen, zumindest teilweise auf eine breitere, auch über die konkret teilnehmenden Staaten hinausgehende Basis zu stellen. Die nationale Entscheidung zur Teilnahme an einer Mission der EU folgt wohl zumeist politischen Interessen; die finanziellen Aspekte sind dabei ein zwar wesentliches, aber nicht allein ausschlaggebendes Element. 3 Es scheint dabei nicht ausgeschlossen, dass die Regierungen und Parlamente, je nach nationaler Ausgestaltung der einschlägigen verfassungsrechtlichen Vorgaben, in Zeiten erhöhter Ausgaben bei sinkenden Einnahmen 4 auch dem finanziellen Aspekt einer Mission noch höhere Aufmerksamkeit zukommen lassen.

1.1. Finanzierung von Maßnahmen der UNO und der NATO Neben der EU sind im Wesentlichen die Vereinten Nationen (UNO) und die NATO mit zivilen Missionen bzw. militärischen Operationen im internationalen Krisenmanagement tätig. 5 Die ersten für das Thema relevanten Operationen fanden im Rahmen der UNO statt. Diese führten aufgrund der Weigerung einiger Staaten, sich an den Kosten für die Aufstellung der Mission UNEF I (United Nations Emergency Force) 1956 zu beteiligen, erstmals ein Sonderkonto, also einen eigenen Haushalt für einen Friedenseinsatz zusätzlich zum ordentlichen Haushalt ein. 6 Für dieses ad-hoc-Arrangement wurde ein eigener Beitragsschlüssel festgelegt, wonach jedem Mitgliedstaat ein bestimmter Anteil der jährlichen Kosten zugeordnet wurde. Es handelte sich dabei um einen doppelten Kompromiss, der zur Finanzierung einer Mission (UNEF I) gedacht war, dann aber bis

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5 6

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Bendiek, Annegret/Bringmann, Oliver: ATHENA und die Finanzierung der militärischen ESVP, SWP Diskussionspapier 05/2008, S. 3. Björkdahl, Annika/Strömvik, Maria: EU Crisis Management Operations. ESDP bodies and decision-making procedures, DIIS Report 2008:8, S. 23 f. Siehe beispielsweise „Kommission bewertet verbleibende Stabilitäts- und Konvergenzprogramme und leitet Defizitverfahren gegen Litauen, Malta, Polen, Rumänien und Ungarn ein“, IP/09/990 vom 24. Juni 2009. Auf historisch bedeutsame Missionen des Völkerbundes sowie aktuelle Operationen bzw. Missionen beispielsweise der OSZE und der GUS soll hier nicht eingegangen werden. Schlesinger, Thomas: Finanzierung und Finanzkrisen der Vereinten Nationen. In: Cede, Franz/Sucharipa-Behrmann, Lilly (Hrsg.): Die Vereinten Nationen. Recht und Praxis. Wien 1999, S. 267- 281, hier S. 268.

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

2000 in Geltung blieb. 7 Erst in diesem Jahr beschloss die Generalversammlung eine neue Methode zur Verteilung der Beiträge mit zehn verschiedenen Beitragsstufen, die sogenannte Peacekeeping Assessment Scale. 8 Seit 1. Juli 2001 übernimmt die Gruppe A (die fünf permanenten Mitglieder des Sicherheitsrats) als Ausdruck ihrer besonderen politischen Verantwortlichkeit für Friedensoperationen die Abschläge der Gruppen C bis J, während die Gruppe B (Industriestaaten) dem Beitragsschlüssel zum ordentlichen Haushalt entsprechend veranlagt wird. Diese Form der Beitragsbemessung kommt jedoch nur bei Peacekeeping-Missionen zur Anwendung. Für politische Missionen wird zwar ebenfalls ein eigenes Konto eröffnet, die Finanzierung ist aber aus dem regulären Budget der Vereinten Nationen sichergestellt. Zur Unterscheidung zwischen den beiden Operationstypen dienen im Wesentlichen die Beteiligung von Militär bei PeacekeepingMissionen und dessen Fehlen bei politischen Missionen, die jeweilige Verantwortlichkeit des Department of Peacekeeping Operations oder des Department of Political Affairs und – mit Abstrichen – das autorisierende Organ der UNO (Kompetenz des Sicherheitsrats für beide Arten von Missionen, der Generalversammlung nur für politische). 9 In der Praxis wird zwischen dem truppenstellenden Staat und der UNO ein Memorandum of Understanding geschlossen, das neben Fragen der Bereitstellung von Truppen und Material auch die Kostenrückerstattung regelt. Dabei wird regelmäßig vereinbart, dass die Kosten zunächst vom Truppensteller getragen und von der UNO rückerstattet werden. 10 Darin unterscheidet sich, wie hier noch gezeigt wird, das Finanzierungsmodell der UNO grundsätzlich von jenem der NATO und der EU. Die NATO hat zwar zwei Budgets, die im Prinzip dem ordentlichen Haushalt der UNO entsprechen. Diese finanzieren beispielsweise den NATO International Staff, laufende Kosten des Hauptquartiers und Öffentlichkeitsarbeit (ziviles Budget) sowie die Kommandostruktur, die Überwachungsgflugzeuge AWACS und Krisenreaktionsoperationen (militärisches Budget). Grundsätzlich gilt jedoch das Prinzip „costs lie where they fall“, das heißt, die Staaten tragen ihre Kosten für Personal und Material bzw. Ausrüstung selbst. Gewisse Ausnahmen bestehen lediglich bei größeren Missionen. So werden die operativen Kosten, die sich aus

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Kocks, Alexander: The Financing of UN Peace Operations – An Analysis from a Global Public Good Perspective, INEF Report Heft 77, Institut für Entwicklung und Frieden der Universität Duisburg-Essen/Campus Duisburg, 2005, S. 37 (Kocks, Financing). GV Res. 55/235 vom 23. Dezember 2000. Siehe Kocks: Financing, S. 58 f. Sucharipa-Behrmann, Lilly: Die friedenserhaltenden Operationen der Vereinten Nationen. In: Cede, Franz/Sucharipa-Behrmann, Lilly (Hrsg.): Die Vereinten Nationen. Recht und Praxis. Wien 1999, S. 85-98, hier S. 93.

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der NATO-Kommandostruktur für KFOR (Kosovo Force) ergeben, aus dem militärischen Budget unterstützt. 11 Seit der Operation IFOR 1995 werden Kosten, die nicht einer spezifischen Nation zurechenbar sind („costs not attributable to a specific nation“), wie Hauptquartierelemente, Kosten zur Behebung von Mängeln in der strategischen Kommunikation und wesentliche strategische Infrastruktur, gemeinsam finanziert. Seit Oktober 2005 werden darunter auch missionskritische Unterstützungsleistungen verstanden („critical theatre-level enabling capabilities“), etwa medizinische Versorgungseinrichtungen, Flughäfen und Häfen, Überwachung und Aufklärung und Treibstofflagerung. Die gemeinsame Finanzierung umfasst dabei sowohl die Kosten vor Ort als auch den Transport. 12

1.2. Die Finanzierung von EU-Krisenmanagementoperationen 1.2.1. Grundsätzliches zum Budget der EU Grundsätzlich werden das zivile Krisenmanagement im Rahmen der GASP sowie alle Aktivitäten der „ersten Säule“ aus dem regulären Budget der EU bestritten. 13 Daher zunächst einige grundlegende Fakten zum Zustandekommen des Budgets und seiner Umsetzung: Das Budget der EU wird jährlich beschlossen und muss den in der „Financial Regulation“ festgelegten Kriterien entsprechen. 14 Als ersten Schritt bei der Erstellung des Haushaltes schließen Parlament, Kommission und Rat ein „interinstitutionelles Abkommen“ (Interinstitutional Agreement), das einen für mehrere (derzeit sieben) Jahre gültigen Finanzrahmen (Financial Framework) einschließt, der Obergrenzen für jeden Politikbereich festlegt. Auf diesem Interinstitutional Agreement basierend erstellt die Kommission für jedes Jahr einen Budgetvorschlag. In der Folge beschließt das EU-Parlament unter Mitwirkung des Rates das jährliche Budget der EU. Der laufende Finanzrahmen umfasst die Jahre 2007-13 und begrenzt die Höhe der Ausgaben unter der Rubrik „Die EU als globaler Akteur“ (ohne den Europäischen Entwick11 12 13 14

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Missiroli, Antonio: Euros for ESDP: Financing EU Operations, Occasional Paper no. 45, European Union Institute for Security Studies, 2003, S. 19. Vortrag des NATO Office of Resources, NATO Resource Management (NATO Unclassified), Dokument bei den Autoren. Eine Ausnahme bildet der Europäische Entwicklungsfonds (EDF), dazu unten. Diese vom Rat auf der Grundlage von Art. 279 des EG-Vertrages erlassene EU-Verordnung (Council Regulation No. 1605/2002 vom 25. Juni 2002) regelt die Grundsätze des EU-Budgets und seiner Umsetzung. Die Bestimmungen werden durch die Implementing Rules der EK konkretisiert.

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

lungsfond) mit knapp 49,5 Milliarden Euro, was 5,7% der gesamten Ausgaben der Gemeinschaft entspricht. 15 1.2.2. Vertragliche Grundlagen Der Vertrag über die Europäische Union (EUV) sieht eine grundsätzliche Unterscheidung zwischen Verwaltungsausgaben und operativen Ausgaben vor. Den Organen unter Titel V des EUV (Bestimmungen über die Gemeinsame Außenund Sicherheitspolitik) entstehende Verwaltungsausgaben gehen zulasten des Haushalts der Europäischen Gemeinschaften. 16 Das Gleiche gilt grundsätzlich für die operativen Ausgaben der GASP, jedoch mit der Einschränkung, dass Ausgaben aufgrund von Maßnahmen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen ausdrücklich ausgenommen sind. 17 Für letztere sowie bei einer entsprechend anders lautenden einstimmigen Entscheidung des Rates werden die Kosten grundsätzlich gemeinsam (common costs) durch die Mitgliedstaaten getragen, und zwar gemäß dem Bruttosozialprodukt-Schlüssel. Die restlichen Kosten sind, wie in der NATO, nach dem Grundsatz „die Kosten werden dort getragen, wo sie anfallen“ von den jeweiligen Staaten zu tragen. Staaten, die sich nicht aktiv an einer Operation beteiligen, tragen also grundsätzlich nur ihren Anteil an den gemeinsamen Kosten; diesen aber auch dann, wenn sie sich bei der Abstimmung der Stimme enthalten. Verbindet ein Staat seine Stimmenthaltung mit einer entsprechenden förmlichen Erklärung, ist er nicht verpflichtet, den betreffenden Beschluss durchzuführen und, sofern es sich um militärische oder verteidigungspolitische Maßnahmen handelt, zu dessen Finanzierung beizutragen. 18 Auf sämtliche Ausgaben, die zu Lasten des Gemeinschaftshaushalts gehen, also auch für zivile Missionen, findet das Haushaltsverfahren der Gemeinschaft Anwendung. Für militärische Operationen wurde ein eigener Finanzierungsmechanismus („Athena“) entwickelt, der 2004 in Kraft trat. Als Unterscheidungskriterien zwischen den beiden Operationsformen dienen, anders als bei den VN, nicht die entscheidenden Organe (in beiden Fällen der Rat der EU), sondern Elemente wie die „zivile Natur der Ziele der Mission“, eine zivile Befehlskette und das Fehlen eines Mandats zur Anwendung von Gewalt. 19 15

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Interinstitutional Agreement on Budgetary Discipline and Sound Financial Management vom 17. Mai 2006. Der Finanzrahmen findet sich im Anhang dieses Dokuments. Es wurde bisher zwei Mal abgeändert. Art. 28 Abs. 2 EUV. Darunter fallen u.a. Gehälter und Reisekosten von Bediensteten der EK und des Ratssekretariats. Art. 28 Abs. 3 EUV. Art. 28 Abs. 3 2. UA EUV. Letter from Rt Hon Douglas Alexander MP, Minister for Europe, Foreign and Commonwealth Office to the Chairman, 17 May 2005, betreffend die Mission EUSEC RD Congo, über , abgerufen am 12.11.2009.

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Die benötigte Qualifikation des Personals und die konkrete Art der Aufgaben allein sind nicht ausschlaggebend. So verfügten Mitarbeiter der Aceh Monitoring Mission vielfach über einen militärischen Hintergrund. Erschwert wird die strikte Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Missionen durch zunehmend „zivil-militärisch“ ausgerichtete Zielsetzungen und entsprechende Operationsführung.

1.3. Zivile Missionen 1.3.1. Finanzieller Umfang, Struktur und Budgetlinien Die GASP wird im Gesamthaushaltsplan der EU unter dem Titel 19, der den Politikbereich „Außenbeziehungen“ finanziell abbildet, budgetiert. Folgende Bereiche sind von Kapitel „19 03 – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik“ u.a. umfasst: Monitoring und Umsetzung von Friedens- und Sicherheitsprozessen, Konfliktlösung und andere Stabilisierungsmaßnahmen, Polizeimissionen, Sofortmaßnahmen, vorbereitende und Folgemaßnahmen und Sonderbeauftragte. Das GASP-Budget wurde im Laufe der Jahre beträchtlich erhöht. Betrug es 2005 noch ca. 62,2 Millionen Euro, stieg es 2007 auf ca. 159,5 Millionen und betrug 2009 242,75 Millionen Euro. Für 2010 ist eine leichte Erhöhung auf rund 280,9 Millionen Euro vorgesehen, was einem Zuwachs von ca. 15% entspricht. 20 Der größte Teil entfällt dabei auf die ESVP-Missionen im Kosovo, in Afghanistan und in der Demokratischen Republik Kongo. 21 Die Ansätze in den beiden dafür hauptsächlich vorgesehenen Artikeln (Konfliktlösung und andere Stabilisierungsmaßnahmen sowie Polizeimissionen) umfassen gemeinsam 195,4 Millionen Euro. Nach Schätzungen des Generalsekretariats des Rates beträgt das Gesamtbudget der laufenden Missionen (mehrjährige Verpflichtungen) 534,5 Millionen Euro. 22 Grundsätzlich tragen bei zivilen Krisenmanagementoperationen die Mitgliedstaaten die bei einer Sekundierung von Personal anfallenden Kosten wie Gehälter und spezifische Zulagen. Die übrigen Kosten, beispielsweise für die Ausstat20

21 22

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Es handelt sich dabei um die Verpflichtungsermächtigungen gemäß Gesamthaushaltsplan 2009 bzw. Vorentwurf für 2010. Diese und folgende Zahlenangaben zum EU-Haushalt stammen, sofern nicht anders angegeben, vom Internetportal der EK, , abgerufen am 14.10.2009; Stand: 15. August 2009. Auszugleichen wären allenfalls die vom Rat beschlossenen Reduktionen gegenüber dem Vorentwurf des Gesamthaushaltsplans; EU Dok. 11792/09 vom 10. Juli 2009. Eine aktuelle Übersicht der laufenden zivilen Missionen bietet etwa European Security Review 49, Juli 2009. Antwort auf die schriftliche Anfrage von Hans-Peter Martin an den Rat, Dok. E-5747/08 vom 26. Jänner 2009.

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

tung und den Betrieb des Hauptquartiers, sowie die Tagesgebühren des eingesetzten Personals gehen zu Lasten des GASP-Budgets. 23 1.3.2. „Anschubfinanzierung“ Für 2009 sind etwas mehr als drei Millionen Euro, für 2010 sogar 4,85 Millionen für die Vorbereitung von Missionen veranschlagt. Diese Mittel sind für die exante-Evaluierung und Analyse, eine rasche Bereitstellung von Personal und ersten Ressourcen, aber auch eine allenfalls notwendige Sicherheitsausbildung für das beteiligte Personal vorgesehen. 24

1.4. Militärische Missionen Schon 2002 hatte der Rat ein Dokument zur „Finanzierung der EU-geführten Krisenbewältigungsoperationen mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen“ angenommen. 25 Darin wurden als Zielsetzungen für die Finanzierungsmodalitäten ein rascher und effizienter Prozess der Truppengestellung, Kosteneffizienz und militärische Wirksamkeit bei einem möglichst geringen finanziellen Aufwand definiert. Grundsätzlich sollten Mehrkosten für Hauptquartiere von EU-geführten Operationen und Kosten, die zur Unterstützung der Kräfte (nach deren Verlegung an den Einsatzort) insgesamt anfallen, gemeinsam finanziert werden. Klargestellt wurde gleichzeitig, dass weder militärische Mittel und Fähigkeiten noch Fähigkeitsdefizite, die während der Truppengestellung auftreten, gemeinsam finanziert würden. Ein Jahr später beschloss die EU, bis spätestens 1. März 2004 einen ständigen Finanzierungsmechanismus einzurichten, der für die Finanzierung der gemeinsamen Kosten aller künftigen Militäroperationen der Union zuständig sein sollte. Schließlich nahm der Rat am 23. Februar 2004 den Beschluss über einen Mechanismus zur Verwaltung der Finanzierung der gemeinsamen Kosten der Operationen der EU mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen an. 26 23

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Hajnoczi, Thomas: Instrumente und Ressourcen des zivilen Krisenmanagements in der 2. Säule. In: Feichtinger, Walter/Gebhard, Carmen: EU als Krisenmanager. Herausforderungen, Akteure, Instrumente. Schriftenreihe der Landesverteidigungsakademie 9/2006, S. 109-118, hier S. 115. Erläuterungen zum Gesamthaushaltsplan 2009, Artikel 19 03 05. EU Dok. 10155/02 vom 18. Juni 2002. Beschluss 2004/197/GASP des Rates, ABl. L 63 vom 28. Februar 2004; geltende Fassung gemäß Beschluss 2008/975/GASP des Rats vom 18. Dezember 2008 über einen Mechanismus zur Verwaltung der Finanzierung der gemeinsamen Kosten der Operationen der Europäischen Union mit militärischen oder verteidigungspolitischen Bezügen (Athena), ABl. L 345 vom 23. Dezember 2008 (Athena-Beschluss).

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Für die beiden ersten militärischen Operationen der EU in Mazedonien und der Demokratischen Republik Kongo (EUFOR „Concordia“ und EUFOR „Artemis“) waren noch, unter großem zeitlichem Druck, jeweils eigene, ad-hocFinanzierungsmechanismen geschaffen worden. 27 Die folgenden Missionen, beginnend mit EUFOR „Althea“ in Bosnien-Herzegowina, konnten bereits unter dem Athena-Mechanismus abgewickelt werden. Die gemeinsamen Kosten und damit das jeweilige Budget variieren abhängig von den gerade laufenden Operationen. Im Jahr 2006 waren circa 71,8 Millionen Euro veranschlagt. 28 Im darauffolgenden Jahr betrug das Budget rund 35,2 Millionen Euro (und 11,1 Millionen Euro für frühzeitige Finanzierung), 29 2008 rund 149,7 Millionen Euro (davon grob 120 Millionen Euro für EUFOR Tchad/RCA und 11,5 Millionen Euro frühzeitige Finanzierung). Aktuell beträgt das Budget 52,3 Millionen Euro (und 11,9 Millionen Euro frühzeitige Finanzierung), davon 18,1 Millionen Euro für EUFOR Tchad/RCA, 24,4 Millionen Euro für EUFOR „Althea“ und 8,4 Millionen Euro für „Atalanta“. 30 1.4.1. Die Struktur von Athena Athena ist funktional rechts- und geschäftsfähig; der Mechanismus genießt gewisse Vorrechte und Privilegien. 31 Die zentralen Organe des Mechanismus sind der Sonderausschuss, der Administrator und der Operationskommandant. Der Sonderausschuss setzt sich aus nationalen Vertretern der teilnehmenden Mitgliedstaaten zusammen, die gemeinsam unter dem Vorsitz der jeweiligen Präsidentschaft die Aufsicht über die Verwaltung des Athena-Mechanismus wahrnehmen. 32 In einem Großteil der Staaten erfolgt die Budgetierung über die Verteidigungsministerien, die auch im Sonderausschuss vertreten sind. 33 Vertreter 27

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Missiroli, Antonio: Financing ESDP – The Operational Dimension. In: Ehrhart, HansGeorg/Schmitt, Burkard (Hrsg.): Die Sicherheitspolitik der EU im Werden. Bedrohungen, Aktivitäten, Fähigkeiten. Baden-Baden 2004, S. 245-258, hier S. 252. Titel 1 „Allgemeiner Teil“: 1,8 Mio., Titel 2 „Übung CME 06“: 58 000, Titel 3 „Operation ALTHEA“: 45,2 Mio., Titel 5 „Militärische Unterstützungsaktion für AMIS II“: 1,5 Mio., Titel 8 „EUFOR RD Congo“: 23,2 Mio.; gesondert ausgewiesen Titel 4 „Frühzeitige Finanzierung“: 10,6 Mio. (Beträge gerundet in Euro). Athena Dok. 684/06 vom 7. November 2006. Bearbeitungsstand August 2009. Athena Dok. 539/07 vom 19. Juli 2007. Verpflichtungsermächtigungen gem. Athena Dok. 748/09 vom 15. Juli 2009. Beschluss der im Rat der Europäischen Union vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 28. April 2004 betreffend die Vorrechte und Immunitäten von Athena (2004/582/EG). Dänemark ist aufgrund seines „Opt-out“ aus dem Verteidigungsbereich nicht im Sonderausschuss vertreten. Zu den Ausnahmen zählen etwa Österreich und Polen, bei denen die Beiträge für Athena aus den Außen- bzw. Europaministerien stammen.

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

der EK und von beitragenden Drittstaaten sowie die Operationskommandanten können an den Sitzungen des Ausschusses teilnehmen, sind jedoch nicht stimmberechtigt. Der Verwalter („Administrator“) ist der Koordinator der Finanzierung von militärischen EU-Operationen und die „Drehscheibe“ zwischen Sonderausschuss, nationalen Verwaltungen sowie internationalen Partnern. Durch seine Positionierung im Ratssekretariat sorgt er auch für die notwendige Vernetzung innerhalb des Rates und mit der Europäischen Kommission. Seine Aufgaben umfassen u.a. die Erstellung des Haushaltsplans und dessen Durchführung (sofern nicht der Operationskommandant verantwortlich ist), den Abschluss von Verwaltungsvereinbarungen und die Einhaltung der einschlägigen Bestimmungen. Der Operationskommandant setzt sämtliche Maßnahmen, die aus seiner Sicht zur Ausführung der gemeinsam finanzierten Ausgaben zweckdienlich sind. Er kann dabei im Namen von Athena Verträge schließen und Bankkonten eröffnen. Weitere Organe in der Verwaltung und Gebarungsprüfung sind ein Rechnungsführer, das sechsköpfige Rechnungsprüfungskollegium und ein interner Rechnungsprüfer. 34 Für die Vorbereitung von Überprüfungen des Mechanismus und die Erstellung des Referenzbetrages einer Mission ist die Gruppe der Referenten für Außenbeziehungen (RELEX) zuständig, wobei der Administrator beratend tätig wird. 1.4.2. Durch ATHENA verwaltete Kosten Die gemeinsamen Kosten werden von den Mitgliedstaaten nach einem BNPSchlüssel getragen. 35 Umfasst sind vier Kategorien: • gemeinsame Kosten, die von Athena unabhängig vom Zeitpunkt ihres Entstehens übernommen werden, • gemeinsame operative Kosten in Bezug auf die Vorbereitungsphase einer Operation, • gemeinsame operative Kosten in Bezug auf die aktive Phase einer Operation und • gemeinsame operative Kosten im Rahmen der endgültigen Abwicklung einer Operation. 36 Für die gemeinsamen Kosten von Übungen gelten ähnliche Bestimmungen. Im Falle einer militärischen Unterstützungsaktion für einen Drittstaat oder eine Drittorganisation gelten die unten für die aktive Phase angeführten Grundsätze. 34

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Österreich ist seit 2008 durch einen Bediensteten des Rechnungshofs im Rechnungsprüfungskollegium vertreten. Siehe Bericht des Rechnungshofs Bund 2008/13 vom 22. Dezember 2008, S. 217. Siehe Anhang. Siehe Art. 15 und die Anhänge I bis IV zum Athena-Beschluss.

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Die erste Kategorie umfasst Positionen wie Dienstreisekosten, die dem Befehlshaber einer Operation mit der Abschlussrechnung entstehen können, Schadenersatzzahlungen und Bank- sowie Rechnungsprüfungskosten. In der Vorbereitungsphase sind anfallende Mehrkosten für Sondierungs- und Erkundungsmissionen, also Transport, Unterbringung, Zahlungen an lokales Unterstützungspersonal (etwa Sprachmittler) und Kosten für medizinische Notevakuierungen umfasst. Die aktive Phase läuft von der Ernennung des Operationskommandanten, die üblicherweise mit der die Mission einsetzenden Gemeinsamen Aktion erfolgt, bis zur Beendigung der Tätigkeit des Hauptquartiers für die Operationsführung (Operation Headquarters/OHQ). Hinsichtlich dieser Phase, die naturgemäß den Großteil der gemeinsamen Kosten verursacht, sind drei Unterkategorien zu unterscheiden, die seit Bestehen des Mechanismus sukzessive erweitert wurden: Zum einen übernimmt Athena immer die Mehrkosten für Hauptquartiere auf militärstrategischer und operativer Ebene (OHQ und Force Headquarters/FHQ) sowie von Streitkraftkomponenten. Erfasst werden dabei im Wesentlichen Transporte, Verwaltungsaufwendungen, zusätzliches Zivilpersonal, Öffentlichkeitsarbeit und Repräsentationskosten. Weiters werden Mehrkosten für die Unterstützung der Einsatzkräfte insgesamt (notwendige Infrastruktur, Erkennungszeichen, bestimmte medizinische Dienste und Informationsgewinnung) gemeinsam finanziert. Außerdem fallen gewisse Leistungen, Mittel und Fähigkeiten der NATO, eines Staates oder internationaler Organisationen für eine EU-Operation in diese Kategorie. Auf Ersuchen des Kommandanten der EU-Operation können mit Zustimmung des Sonderausschusses auch Kasernen und Unterkünfte, unbedingt erforderliche Zusatzausrüstung, weitergehende medizinische Dienste und andere kritische Fähigkeiten im Einsatzgebiet (etwa Minenräumung oder Lagerung und Delaborierung von eingesammelten Waffen und Munition) von Athena übernommen werden. Lediglich auf Beschluss des Rates werden Transportkosten von Einsatzkräften (Verlegung und Rückführung) und multinationale Task Force-Hauptquartiere von Athena getragen. Schließlich werden bestimmte Kosten bei der Abwicklung einer Operation (Lagerung von Ausrüstung, Endbestimmung von Infrastruktur, Erstellen der Abschlussrechnung) gemeinsam finanziert. Auch durch den Mechanismus verwaltet, jedoch nicht gemeinsam finanziert, können die sogenannten „nation-borne costs“ werden, sofern der Sonderausschuss dies beschließt. 37 Es handelt sich dabei beispielsweise um Ausgaben für unterstützende Dienstleistungen, Wäscherei- und Campservices sowie Betriebsmittel, deren gemeinsame Beschaffung und Abrechnung für alle beteiligten Staa-

37

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Art. 28 Athena-Beschluss.

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

ten wirtschaftlicher ist. Die Kostentragung erfolgt aber durch die jeweiligen Staaten nach deren tatsächlichem Verbrauch. 38 1.4.3. „Anschubfinanzierung“ Als Ergebnis der laufenden Überprüfung des Mechanismus wurde der nunmehrige Artikel 26 („Frühzeitige Finanzierung“) eingefügt, mit dem sichergestellt wird, dass entsprechende Mittel in der Anfangsphase einer Mission vorhanden sind. Mehrere Staaten haben für diesen „start-up fund“ im Voraus Beiträge eingezahlt, die anderen 39 sind verpflichtet, kurzfristig binnen fünf Tagen ab Abruf ihre Beiträge zu zahlen.

1.5. Einschätzung Aufgrund der unterschiedlichen Finanzierungsweise von zivilen und militärischen Krisenmanagementmaßnahmen ist eine gemeinsame Beurteilung kaum möglich. Im zivilen Bereich ist die allgemeine Haushaltsordnung der EU maßgeblich. Von besonderer Bedeutung ist die finanzielle Ausstattung der einzelnen Budgetansätze, um einen geordneten Verbrauch gewährleisten zu können. Während die Verwendung von Geldern aus dem Haushalt der EU der parlamentarischen „Aufsicht“ untersteht, entzieht sich der militärische Bereich dieser Kontrolle und folgt überdies eigenen Finanzvorschriften. Der Beschluss zur Errichtung von Athena sieht eine regelmäßige Überprüfung des Mechanismus vor. 40 Damit wird in regelmäßigen Zeitabständen bzw. nach Operationen sichergestellt, dass die gesammelten Erfahrungen für die Zukunft umgesetzt und nutzbar gemacht werden. Der Mechanismus hat sich, auch aufgrund seiner laufenden Anpassung, durchaus bewährt. Einer der zentralen Vorteile besteht darin, dass er betragsmäßig nicht fixiert ist, also flexibel reagiert werden kann. Wenn zwischen den teilnehmenden Staaten im Sonderausschuss Einvernehmen erzielt wird, sind Anpassungen auch während eines Finanzjahres jederzeit möglich. Kritisiert wird jedoch, dass die „Lastenverteilung“ ungerecht sei. 41 Jene Staaten, die Truppen 38 39 40 41

In gewissen Fällen können die Regelungen von diesem Grundsatz abweichen. Trinkwasser wurde etwa bei der Operation EUFOR Tschad/ZAR pauschal pro Kopf abgerechnet. Darunter aufgrund nationaler haushaltsrechtlicher Bestimmungen Österreich und Deutschland. Art. 44 Athena-Beschluss. Siehe z.B. Interview mit Karl von Wogau, „Wir brauchen eine intensive Debatte über die Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik“, Europäische Sicherheit 4/2009, S. 38.

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stellen, werden dadurch zusätzlich belastet. Dieses Argument kann nur bedingt dadurch entkräftet werden, dass so wenigstens ein Teil der gemeinsamen Kosten selbst von jenen, die sich nicht an einer Operation beteiligen, solidarisch mitgetragen wird. Lediglich provisorisch gelöst ist die Frage der Finanzierung von Einsätzen der „EU Battle Groups“. Bei diesen Gefechtsverbänden, die ständig bereitgehalten werden für Einsätze innerhalb kürzester Zeit, fallen schon in der Vorbereitungsund jeweils sechs Monate dauernden Bereitschaftsphase erhebliche Kosten für die truppenstellenden Staaten an. Die bei einem bislang noch nicht praktizierten Einsatz entstehenden Kosten wären jedoch, gerade wegen der Kurzfristigkeit, noch ungleich höher. Der Rat hat daher in einer wiederholt verlängerten politischen Selbstverpflichtung erklärt, dass diese „als gemeinsame operative Mehrkosten für die Mitgliedstaaten“ gemeinsam unter Athena finanziert würden, „wenn strategischer Lufttransport für die kurzfristige Verlegung von Gefechtsverbänden gemäß dem Gefechtsverbände-Konzept bereitgestellt wird“. 42 Aus demokratiepolitischer Sicht kann generell die mangelnde Einbindung des Europäischen Parlaments in die Beschlussfassung im Bereich der zweiten Säule kritisiert werden. Vor allem die militärischen Operationen entziehen sich der parlamentarischen Kontrolle auf europäischer Ebene. Das EP hat sich auch wiederholt in diesem Sinn geäußert und „langfristig [gefordert], den Athena-Mechanismus dem GASP-Haushalt zu übertragen, gleichzeitig jedoch die durch Athena ermöglichte Flexibilität zu bewahren.“ 43 Bis dahin verbleibt dieser Bereich in der alleinigen parlamentarischen Kontrolle auf nationaler Ebene. Dazu muss aber erwähnt werden, dass die gemeinsam finanzierten Kosten üblicherweise weniger als 10% der Gesamtkosten einer Operation betragen. 44 Der aus dem Prinzip „costs lie where they fall“ resultierende „Löwenanteil“ fiele somit ohnehin nicht in die Zuständigkeit des EP. 45 Unter diesem Gesichtspunkt wäre ein möglicher Ansatz, sich bei der gemeinsamen Finanzierung einer „Vollkostenrechnung“ anzunähern. Beispielsweise könnten die in der EU-Streitkräfteplanung verwendeten „Referenzeinheiten“ („reference units“) ihren finanziellen Aufwand betreffend bewertet werden. Die 42 43

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EU Dok. 16636/06 vom 13. Dezember 2006. Eine neuerliche Verlängerung dieser Erklärung um zwei Jahre wurde Ende 2009 beschlossen. Vgl. etwa Entschließung des EP vom 5. Juni 2008 zur Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie und der ESVP (2008/2003(INI)), Abs. 46; in diesem Sinne wohl auch das Synchronized Armed Forces Europe (SAFE)-Konzept. Fox, Liam: The case for financial reform of both NATO and the ESDP, Europe’s world, Spring 2009; EU Council Secretariat, Financing of ESDP operations, June 2007. Allerdings dürfte die parlamentarische Einflussnahme bzw. Kontrolle auf nationaler Ebene nicht sehr intensiv sein; vgl. Assembly of Western European Union, The financing of external operations: the role of national parliaments, Dok. A/1984 vom 5. Dezember 2007.

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

ermittelten Beträge könnten dann als Basis für eine Kostenrefundierung nach dem Modell der UNO dienen. Die mitunter beträchtlichen Verlegekosten wiederum könnten, dem Modell der Erklärung zu den Battle Groups folgend, gesondert mit Pauschalbeträgen abgedeckt werden.

2. Das Krisenmanagement der Europäischen Kommission 2.1. Instrumente und Grundsätze der Außenwirksamkeit der Kommission Die Außenhilfeprogramme der Europäischen Kommission (EK) haben ihre Rechtsgrundlage im Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGVertrag), insbesondere in Art. 177 (Entwicklungszusammenarbeit) sowie in Art. 181a (andere Kooperation in wirtschaftlicher, finanzieller und technischer Hinsicht). 46 Die Vielzahl der zuvor bestehenden Instrumente im Bereich Außenwirksamkeit der EU wurde reduziert. Im Folgenden sollen die wichtigsten Instrumente aufgezählt werden, wobei sich die Dotierung auf den laufenden siebenjährigen Finanzrahmen bezieht: • Instrument für Entwicklungszusammenarbeit (Development Cooperation Instrument/DCI): 47 16,9 Milliarden Euro; • Instrument für Europäische Nachbarschaft und Partnerschaft (für die EUNachbarstaaten im Mittelmeerraum und die GUS-Staaten mit Ausnahme der zentralasiatischen Staaten) (European Neighbourhood and Partnership Instrument/ENPI): 11,2 Milliarden Euro; • Instrument für Heranführungshilfe (für Beitrittskandidaten) (Instrument for Pre-Accession/IPA): 11,5 Milliarden Euro; • Stabilitätsinstrument (Instrument for Stability/IfS): 2,1 Milliarden Euro; • Europäisches Instrument für Demokratie und Menschenrechte (European Instrument for Democracy and Human Rights/EIDHR): 1,1 Milliarden Euro; • Instrument für Humanitäre Hilfe (Humanitarian Aid): 5,6 Milliarden Euro; • Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) (mit Ausnahme der militärischen Maßnahmen): 1,7 Milliarden Euro. 48

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Manche Instrumente (IfS, EIDHR) beziehen sich auf beide Rechtgrundlagen. Humanitäre Hilfe wird aus Art. 179 abgeleitet. Das DCI ist das Entwicklungszusammenarbeitsinstrument für jene Regionen, die nicht durch andere geografische Instrumente wie IPA, ENPI oder EDF abgedeckt sind (47 Staaten Asiens, Lateinamerikas sowie Südafrika). Während über die Verwendung dieser Mittel der Rat entscheidet, obliegt die Verwaltung dieses Budgets der EK. Siehe dazu die Abschnitte 1.2.1. und 2.2 in diesem Kapitel.

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Weiters bestehen andere Instrumente, die auch, aber nicht ausschließlich Außenwirkung haben, wie insbesondere der Zivilschutzmechanismus (Civil Protection Mechanism/CPM). Aus historischen Gründen 49 nicht im Gemeinschaftsbudget 50 enthalten ist der Europäische Entwicklungsfonds (EDF) für die afrikanischen, karibischen und pazifischen Staaten (AKP) und Überseeterritorien der EU-Staaten. Der Vorschlag der Kommission, den EDF in den Finanzrahmen einzubeziehen, stieß bei Rat und Parlament auf Ablehnung. Der laufende 10. EDF ist mit 22,6 Mrd. Euro für die Jahre 2008-2013 dotiert und beruht auf dem modifizierten Cotonou-Abkommen. Der Fond finanziert gemäß einer Entscheidung des AKP-EU Ministerrats auch die „African Peace Facility“, die vor allem zur finanziellen Unterstützung afrikanischer Friedensoperationen dient. Er wird durch Direktbeiträge der Mitgliedstaaten finanziert. Die Beitragssätze sind andere als im Fall des Gesamthaushaltsplans und werden ausgehandelt. Das Verwaltungspersonal des EDF wird allerdings aus dem Kommissionsbudget bezahlt. Während der Einsatzbereich von DCI, ENPI, IPA und EDF geografisch eingegrenzt ist, decken die anderen Instrumente global einen bestimmten Themenbereich ab. Die einzelnen Finanzinstrumente werden in der Regel durch EUVerordnungen („Regulations“) des EP und des Rates geschaffen, in der auch die möglichen Verwendungszwecke genau festgelegt sind. 51 Welche der in der „Financial Regulation“ 52 definierten Verfahren bei Projektauswahl bzw. -management anzuwenden sind, ist in der EU-Verordnung für jedes Instrument festgelegt. Der typische Ablauf bei Kooperationsprogrammen ist der Folgende: Zunächst muss die grobe Ausrichtung des jeweiligen Instruments von der zuständigen Generaldirektion in Brüssel (z.B. für DCI, IfS, EIDHR u.a. die Generaldirektion für Außenbeziehungen (RELEX), für den EDF die Generaldirektion für Entwicklung, für das ENPI die Generaldirektion für Erweiterung) in einem Strategiepapier („Strategy Paper“) festgelegt werden. 53 Dieses wird dann in für mehrere Jahre gültige Indicative Programmes herunter49

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Der erste EDF wurde 1959, als die Europäische Gemeinschaft noch rein wirtschaftliche Zielsetzungen verfolgte, als Entwicklungshilfeinstrument für die französischen und britischen Kolonien in Afrika geschaffen. Danach wurde der Zuständigkeitsbereich ausgeweitet. Heute deckt der EDF 79 Staaten und Überseeterritorien ab. Grundsätzliche Anmerkungen zum Budget der EU finden sich im Abschnitt 1.2.1 dieses Kapitels. Das diesbezügliche Verfahren ist im EG-Vertrag (Art. 252) festgeschrieben. Eine Ausnahme bildet das Zivilschutzinstrument („Civil Protection Financial Instrument“), welches auf Grund von Artikel 308 des EG-Vertrages (dieser normiert den Fall, dass der EUVertrag keine Kompetenz der EK zur Erreichung eines Gemeinschaftsziels vorsieht) durch eine Entscheidung des Rates eingerichtet wurde. Vgl. Fußnote 14. Diese Strategiepapiere können entweder thematisch oder länder- bzw. regionsspezifisch sein. Sie werden in der Regel für die Dauer des finanziellen Rahmenabkommens erstellt.

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

gebrochen, auf denen wiederum die jährlichen Aktionsprogramme (Annual Action Programmes) beruhen, welche entweder von der Generaldirektion EuropeAid 54 oder von der zuständigen Delegation der Europäischen Kommission (nach Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon: Delegation der EU) im Drittland ausgearbeitet werden. 55 Alle diese Dokumente enthalten auch die entsprechenden Budgetansätze. Die erwähnten Aktionsprogramme bestehen aus den sogenannten Action Fiches, welche die Detailplanung der im betreffenden Jahr vorgesehenen Maßnahmen enthalten. Die Strategiepapiere und jährlichen Aktionsprogramme müssen dem Kollegium der Kommissare zur Genehmigung vorgelegt werden. In die Entscheidungsfindungsprozesse der Kommission ist der Rat – in Form von sogenannten Managementkomitees („Komitologie“) – sowie das EP eingebunden. Bevor die EK finanzielle Verpflichtungen eingehen kann, bedarf es immer einer Finanzierungsentscheidung (Financing Decision) des Kollegiums der Kommissare. Wenn die jährlichen Aktionsprogramme bestimmten Formalkriterien entsprechen, gelten sie als Finanzierungsentscheidungen, andernfalls muss (wie bei den nicht der Programmierung unterliegenden Instrumenten) eine spezielle Finanzierungsentscheidung eingeholt werden. Auf Grundlage der Finanzierungsentscheidung der Kommission können dann die Verträge zur Durchführung der Projekte mit Partnerorganisationen unterzeichnet werden, 56 was in aller Regel ein relativ kompliziertes Ausschreibungsverfahren voraussetzt. 57 Welche Arten von Organisationen (z.B. lokale oder internationale NGOs, zwischenstaatliche oder internationale Organisationen, staatliche Institutionen des Gastlandes etc.) als Partner in Betracht kommen, ist ebenfalls in der EU-Verordnung, welche das betreffende Instrument etabliert, festgelegt. Die Verwaltung der Programme (Vertragsabschluss, Monitoring, Zahlungen etc.) wird entweder direkt von Brüssel aus (durch die Generaldirektion EuropeAid) oder, was zunehmend der Fall ist, „dekonzentriert“ durch eine der 130 Delegationen der EK in Drittstaaten wahrgenommen. Aufgrund der beschriebenen Verfahrensvorschriften beträgt die Zeitspanne von der Feststellung des Bedarfs bis zum Beginn der Umsetzung eines Pro54

55

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Die Generaldirektion EuropeAid (auch unter der Bezeichnung AIDCO bekannt) verwaltet nicht nur die meisten Außenhilfeprogramme der EU, sie befasst sich auch mit Programmierung und Qualitätskontrolle. Von der verpflichtenden Vorlage jährlicher Aktionsprogramme ausgenommen sind gemäß Art 110 der Financial Regulation nur Maßnahmen des Krisenmanagements und der humanitären Hilfe, da diese besonders rasch auf nicht vorhersehbare Krisensituationen reagieren müssen. Als Vertragstypen kommen vor allem Zuschüsse (Grants) an Partnerorganisationen (Implementing Partners) und Dienstleistungsverträge mit Service Providern in Frage. Die betreffenden Regelungen finden sich in der Financial Regulation sowie den sie präzisierenden Implementing Rules. Vgl. dazu Fußnote 14.

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gramms vor Ort im Regelfall mindestens eineinhalb Jahre. Aus diesem Grunde sind die meisten Außeninstrumente der EK eher dazu geeignet, längerfristig die tieferen Ursachen eines Konfliktes zu bearbeiten als unmittelbar auf eine Krisensituation zu reagieren.

2.2. Schnittstellen zwischen erster und zweiter Säule Eine offensichtliche Schnittstelle zwischen dem zivilen Krisenmanagement der zweiten Säule und der EK besteht darin, dass über die Verwendung der Mittel aus dem GASP-Budget selbstverständlich der Rat entscheidet, die Verwaltung dieses Budgets jedoch gem. Artikel 28 EU-Vertrag der Kommission obliegt (diese Verpflichtung wird von RELEX A/3 wahrgenommen). Die Kommission wirkt daher auch bei der Planung von Missionen mit und stellt über das direkte Vertragsverhältnis zum jeweiligen Missionschef die begleitende Kontrolle sicher. Darüber hinaus bestehen aber auch Graubereiche bei den Kompetenzen: In manchen Tätigkeitsbereichen (z.B. Klein- und Leichtwaffenkontrolle, Sicherheitssektorreform, Management von Grenzen, Rechtsstaatlichkeit) weisen die Programme der EK in Aufgabenstellung und Struktur oft starke Ähnlichkeiten mit Missionen des zivilen Krisenmanagements der zweiten Säule auf. Es gibt hier keine ganz eindeutige Trennung der Zuständigkeiten der beiden EU-Institutionen. Eine Unterstützung kann rechtlich sowohl durch Instrumente der EK als auch durch GASP/ESVP Missionen erfolgen. Dies hat auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem bahnbrechenden Urteil bestätigt. 58 In diesem Urteil hat der Gerichtshof aber zugleich auch Kriterien für die Zuordnung einer Maßnahme zur ersten oder zur zweiten Säule festgelegt: Wenn das Ziel Entwicklung, allgemeine Rechtsstaatlichkeit, Stärkung von Institutionen ist, so ist die EK zuständig. Wenn hingegen das primäre Ziel ein sicherheitspolitisches ist (Interventionen in gescheiterten Staaten, Aufbau von Institutionen von Grund auf, militärische Intervention), dann bildet die GASP/ESVP die geeignete rechtliche Grundlage. Trotz zahlreicher inhaltlicher Ähnlichkeiten weisen Programme und Missionen der ersten und Missionen der zweiten Säule prinzipielle Unterschiede in organisatorischer Hinsicht auf: Ein Hauptunterschied ist, dass die EK niemals exekutive Aufgaben wahrnehmen kann. 59 Ein weiterer Unterschied von Programmen und Missionen der ersten zu Einsätzen der zweiten Säule ist, dass die Experten nicht von den Mitgliedstaaten sekundiert werden können, sondern von 58 59

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EuGH Urteil vom 20. Mai 2008 im Fall C-91/05 (ECOWAS). In der Praxis haben freilich auch fast alle Programme des zivilen Krisenmanagements der zweiten Säule mit Ausnahme der EULEX Kosovo keine exekutiven Befugnisse erhalten.

Die Finanzierung der Krisenmanagementmaßnahmen der Europäischen Union

der EK bezahlt werden müssen. Zu diesem Zweck muss die EK einen „Service Provider“ oder „Implementing Partner“ (z.B. IOM, UNDP, GTZ) zwischenschalten. An dieser Stelle erscheint ein Exkurs zur Verwendung des Terminus „Mission“ angebracht. Neben den stets als „Missionen“ bezeichneten Maßnahmen des zivilen Krisenmanagements des Rates (dagegen laufen militärische Interventionen unter dem Titel „Operationen“) und den Wahlbeobachtungsmissionen werden auch Programme der EK gelegentlich als „Mission“ bezeichnet. Zwar gibt es keine rechtliche Definition von „Mission“, doch wird die Bezeichnung in der Praxis oft dann verwendet, wenn von den EU-Mitgliedstaaten nominierte Experten eingesetzt werden. Sie indiziert darüber hinaus eine eher politische, über rein „technische“ Hilfe hinausgehende Intervention der Kommission. Die Bezeichnung als Mission ist allerdings kein geeignetes Merkmal, um ein Programm der Kommission als Maßnahme der raschen Reaktion auf eine Krise zu erkennen: Oft bedürfen gerade diese Programme einer besonders langen Vorbereitungszeit. Außerdem hängt die Verwendung oder Nichtverwendung dieses Ausdrucks oft von politischen Befindlichkeiten seitens des Gaststaates ab. 60 Die Benennung eines Programms der EK hat jedenfalls keinerlei Auswirkungen auf die Finanzierungsmodalitäten.

2.3. Möglichkeiten der EK zur raschen Reaktion auf Krisen Wie erwähnt sind die meisten EK-Instrumente der Außenbeziehungen aufgrund langwieriger Planungs- und Entscheidungsverfahren zur raschen Reaktion auf auftretende Krisen ungeeignet. Für schnellere Reaktionsmöglichkeiten in Krisenfällen stehen der Kommission insbesondere folgende Instrumente zur Verfügung: 1) Das Instrument für Humanitäre Hilfe, 61 wofür die Generaldirektion für Humanitäre Hilfe (ECHO) zuständig ist. Die Mittel der Humanitären Hilfe können zur Linderung menschlichen Leids sowohl bei Naturkatastrophen als auch bei von Menschen verursachten Katastrophen eingesetzt werden. Die Finanzmittel für ECHO kommen einerseits aus dem regulären EG-Budget, andererseits aus 60

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In der Vergangenheit ist es z.B. gelegentlich vorgekommen, dass Gaststaaten die Verwendung des Terminus „Mission“ abgelehnt haben. Diese Programme wurden dann entweder als „Office“, „Team“ oder eben als „Programm“ bezeichnet. Typische Beispiele für EK-Programme, die als „Mission“ bezeichnet wurden, sind: Einige der Zollmissionen am Balkan, die Polizeimission in Albanien (PAMECA), die Justizmission in Albanien (EURALIUS), die Grenzmission in Moldawien/Ukraine (EUBAM) und natürlich die zahlreichen EU-Wahlbeobachtungsmissionen (dazu unten). Council Regulation (EC) No 1257/96 of 20 June 1996.

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dem Europäischen Entwicklungsfonds (für Hilfe an AKP-Staaten). Die Kommission wendet für beide Finanzierungsformen die gleichen Prinzipien und Richtlinien an. ECHO implementiert Programme nicht selbst, sondern arbeitet mit über 200 Partnerorganisationen (NGOs, UN-Agenturen, Internationalen Organisationen, Rotkreuzbewegung etc.). Ein Schlüssel zur Wirksamkeit der humanitären Hilfe ist, dass sie rasch zur Verfügung steht. Da Katastrophen nicht vorhersehbar sind, wurden Ausnahmebestimmungen zu der Financial Regulation und den Implementing Rules geschaffen, die der Kommission die Ausschüttung beträchtlicher Mittel innerhalb weniger Tage ermöglichen. Trotz der raschen Reaktionsmöglichkeit muss sich die humanitäre Hilfe der Kommission immer an den humanitären Prinzipien (Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit) orientieren und daher per definitionem unpolitisch sein. Sie eignet sich daher nicht als Mittel des Krisenmanagements. 2) Der Zivilschutzmechanismus (Civil Protection Mechanism/CPM) der EU hat unter anderem den Zweck, im Falle von Katastrophen sowohl innerhalb der Union als auch in Drittstaaten durch Kooperation der EU-Mitgliedstaaten rasch benötigte Hilfsgüter, Hilfsteams (z.B. Such- und Rettungsteams, Feuerbekämpfungsteams, Sanitätspersonal etc.) bzw. Experten in den verschiedensten Bereichen zur Verfügung zu stellen. Die Zivilschutzexperten werden von ihrem jeweiligen Entsendestaat bezahlt, zur Verfügung gestellte Hilfsgüter gehen ebenfalls auf Kosten des Geberstaates. Das Zivilschutzinstrument (Civil Protection Financial Instrument) 62 ermöglicht es der EK unter anderem, die Arbeit der Zivilschutzexperten aus den EU-Mitgliedstaaten 63 zu koordinieren und sie logistisch und durch Finanzierung von Transportmitteln zu unterstützen. Zu diesem Zweck hat die Kommission in der Generaldirektion für Umwelt das Monitoring and Information Centre (MIC) eingerichtet, das rund um die Uhr bereitsteht, um im Anlassfall die Mitgliedstaaten über aufgetretene Katastrophen und die benötigte Hilfe zu informieren und dann die verschiedenen Hilfsangebote zu koordinieren. Mitgliedstaaten, welche um finanzielle Unterstützung für den Transport ihres Personals bzw. ihrer Hilfsgüter angesucht haben, müssen mindestens die Hälfte davon (innerhalb von 180 Tagen) wieder zurückzahlen. Das Gesamtbudget des „Civil Protection Financial Instrument“ beträgt 189,8 Millionen Euro für 2007-13. Jährlich stehen 20 Millionen Euro für Maßnahmen innerhalb der EU und 8 Millionen Euro für Maßnahmen in Drittländern zur Verfügung. Das Instrument bedarf zwar einer Programmierung in jenen Bereichen, wo Zuschüsse oder Beschaffungsverträge vergeben werden (z.B. für Trainings, Erhöhung der Reaktionsbereitschaft oder Vorbeugung), doch die Entsendung 62 63

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Council Decision of 5 March 2007 (2007/162(EC, Euratom)). Außer den EU-Staaten beteiligen sich auch Liechtenstein, Norwegen, die Schweiz und Kroatien am CPM.

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von Experten entzieht sich naturgemäß der Programmierung und erfolgt auf adhoc-Basis. Da jedoch Zivilschutzexperten in aller Regel zur Bekämpfung von Naturkatastrophen oder technischen Katastrophen eingesetzt werden, sind auch sie kein Mittel des (politischen) Krisenmanagements im engeren Sinn. Sowohl ECHO als auch der CPM können übrigens im Bedarfsfall auf militärische Ressourcen der EU-Mitgliedstaaten zurückgreifen. 64 3) Relativ neu ist das „Instrument for Stability“ (IfS), 65 dessen Kurzzeitkomponente, 66 für die der Großteil des Budgets vorgesehen ist, eine rasche, politisch wirksame Reaktion der EK auf nicht vorhersehbare krisenhafte Entwicklungen ermöglichen soll. Daher wurden die Abläufe für diese Kurzzeitkomponente vereinfacht: es gibt (wie bei der humanitären Hilfe) keine Strategiepapiere und Multiannual Indicative Programs, und die Programme der Kurzzeitkomponente (bis zu einer Höhe von 20 Millionen Euro und einer Dauer von 18 Monaten) unterliegen nicht der Komitologie, müssen also nicht formal vom Rat genehmigt werden. Die Kommission muss den Rat lediglich über geplante Vorhaben informieren, was in monatlichen, von RELEX A erstellten Informationsnoten an das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK) geschieht. Das IfS ermöglicht eine breite Palette von Maßnahmen, 67 im Wesentlichen sind nur militärische Maßnahmen und humanitäre Hilfe ausgeschlossen. Die Kurzzeitprogramme des IfS werden nicht von AIDCO verwaltet, sondern von RELEX A/2. Darüber hinaus ist auch das Verfahren zum Abschluss von Verträgen mit den durchführenden Partnern (Implementing Partners) stark abgekürzt: Es muss keine Ausschreibung erfolgen, die Vergabe von Zuschüssen kann freihändig an eine geeignete Organisation erfolgen. Weiters ist auch die sonst obligatorische Kofinanzierung von mindestens 10% der Gesamtkosten eines Programms aus anderen Quellen nicht erforderlich. Ähnliche Erleichterungen bestehen auch für Dienstleistungsverträge. Im Idealfall kann somit ein IfS-Programm innerhalb weniger Wochen nach dem Entstehen einer Krise beginnen. Eine weitere Erleichterung bilden die sogenannten Fazilitäten (Facilities). Dabei entscheidet die Kommission, eine bestimmte Summe für spezifische The64 65 66

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Diesbezüglich haben das Ratssekretariat bzw. der Militärstab Konzepte ausgearbeitet. Regulation (EC) No 1717/2006 of the European Parliament and of the Council of 15 November 2006. Daneben beinhaltet das IfS auch Langzeitkomponenten, für die insgesamt maximal 27% des Gesamtbudgets aufgewendet werden dürfen. Diese Langzeitkomponenten kommen nicht in akuten Krisensituationen zum Einsatz. Darunter fallen z.B. Aktivitäten im Bereich der Bekämpfung von transregionalen Bedrohungen (wie z.B. organisierte Kriminalität), der Proliferation von Massenvernichtungswaffen, aber auch Aktivitäten im Bereich Krisenprävention. Für diese Langzeitkomponenten des IfS gelten freilich die normalen, in der Financial Regulation festgelegten Planungs-, Genehmigungs- und Verwaltungsabläufe der Kommission. Eine demonstrative Aufzählung findet sich in Art. 3(2) der IfS-Verordnung.

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menbereiche zur Verfügung zu stellen, die typischerweise in Krisensituationen die rasche Umsetzung bestimmter Maßnahmen erfordern. Zu diesen Themenbereichen zählen insbesondere Politikberatung und Vermittlung sowie Transitional Justice nach einem Konflikt. Die bereitgestellten Mittel können dann von der Generaldirektion RELEX zur Finanzierung kleinerer Programme abgerufen werden, ohne dass eine formale Finanzierungsentscheidung der gesamten Kommission nötig ist. Das Budget des IfS wächst in den Jahren 2007-2013 kontinuierlich an und wird im Jahre 2013 an die 450 Millionen Euro betragen. 68 4) Schließlich soll noch auf das European Instrument for Democracy and Human Rights (EIDHR) 69 hingewiesen werden. Dieses zielt primär auf Maßnahmen ab, mit denen die Beachtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Drittstaaten gefördert werden soll. Es unterliegt zwar der Programmierung, doch besteht eine Reserve von derzeit 8 Millionen Euro jährlich, die für spezielle Maßnahmen als Antwort auf unvorhergesehene bzw. außergewöhnliche Umstände vorgesehen sind. Von besonderer Bedeutung sind die vom EIDHR finanzierten Wahlbeobachtungsmissionen der EU. Diese sind zwar kein direktes Krisenmanagementinstrument, können aber relativ rasch als komplementäre Maßnahme zu anderen Operationen, Missionen oder Programmen der Union eingesetzt werden. 70 Für Wahlbeobachtungsmissionen sollen im Durchschnitt maximal 25% des EIDHR-Budgets aufgewendet werden. 71 Der Ablauf bei Entsendung von Wahlbeobachtungsmissionen ist folgender: Nachdem basierend auf den Ergebnissen einer Erkundungsmission die Entscheidung, eine Wahlbeobachtungsmission zu entsenden, gefallen ist, wählt die EK zunächst einen Implementing Partner oder Service Provider aus, der dann für die Logistik und verwaltungstechnische Abwicklung der Mission verantwortlich zeichnet. Danach wählt die Europäische Kommission (RELEX B/1 in Kooperation mit dem AIDCO sowie dem zuständigen RELEX-Landesbearbeiter) das Kernteam von Experten (Core Team) aus den Bewerbungen, die nach einem entsprechenden Aufruf eingegangen sind, aus. Langzeit- und Kurzzeitbeobachter hingegen werden aus den von den Mitgliedstaaten – und gelegentlich auch aus

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Für die Jahre 2008-2010 wurden vom ursprünglich vorgesehenen Budget freilich durch eine Änderung des Interinstitutional Agreement, insgesamt 200 Mio. Euro für die neu geschaffene Food Facility abgezweigt, welche die negativen Auswirkungen der steigenden Nahrungsmittelpreise in Entwicklungsländern mildern sollen. Regulation (EC) No 1889/2006 of the European Parliament and of the Council of 20 December 2006. In den jährlichen Aktionsprogrammen muss nicht vorab festgelegt werden, in welchen Staaten Wahlen beobachtet werden sollen. Überdies können Wahlbeobachtungsmissionen erforderlichenfalls auch aus den erwähnten Reservemitteln für unvorhergesehene Umstände finanziert werden. Vgl. EIDHR-Strategiepapier 2007-2010.

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Drittstaaten wie Norwegen oder der Schweiz – nominierten Personen ausgewählt. Das Kernteam von Experten erhält ein Gehalt, während die Beobachter nur ein Taggeld in der von der EK für das jeweilige Land festgelegten Höhe erhalten. Diese Gelder werden durch den Service Provider ausgezahlt, der mit den genannten Personengruppen Dienstverträge abschließt. Die Kosten einer Wahlbeobachtungsmission hängen von der Anzahl der Beobachter, der Dauer der Mission sowie den konkreten logistischen und Sicherheitserfordernissen ab. Im Durchschnitt sind für eine Mission mit 120 Beobachtern etwa 2,5 Mio. Euro zu veranschlagen. Die EK strebt an, jährlich 10 bis 12 Wahlbeobachtungsmissionen zu entsenden.

3. Abschließende Bemerkung Diese Abhandlung über die Finanzierung des Krisenmanagements der EU erlaubt zwar keine grundlegende Bewertung der Handlungsfähigkeit der EU in diesem Bereich, im Umkehrschluss lässt sich aus den unterschiedlichen finanziellen Zuständigkeiten jedoch ableiten, dass ein hoher Koordinierungsaufwand notwendig ist, um die Vielfalt der zur Verfügung stehenden Instrumente zu einem kohärenten Ansatz zusammen zu führen. Aus finanzieller Sicht sollte es tunlichst das Ziel sein, in einem umfassenden Ansatz ein möglichst wirksames Außenhandeln zu ermöglichen. Dabei gilt es, abhängig von den gewählten Instrumenten eigenständige nationale Beschlussfassungen neben den EU-Abläufen zu berücksichtigen und institutionenübergreifend koordinierend tätig zu sein. Genaue Kenntnis der verfügbaren Mittel und der maßgeblichen Entscheidungsträger ist mit ein wesentlicher Faktor für gelungenes Krisenmanagement. Die „Kunst“ besteht letztlich nicht nur darin, aus den möglichen Maßnahmen die jeweils passendste auszuwählen bzw. die operativ optimale Kombination verschiedener Maßnahmen zu finden, sondern auch, die in den verschiedenen Bereichen zur Verfügung stehenden budgetären Mittel möglichst effizient einzusetzen bzw. zu kombinieren.

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Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends aus bisherigen Einsätzen

Sammi Sandawi*

1. Einleitung Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP) erscheint vielen Beobachtern mittlerweile als ein fest etablierter – ja, nicht mehr wegzudenkender – Handlungsbereich der Europäischen Union (EU), welcher mit Inkrafttreten des Lissaboner Vertrages in Gestalt der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) sicherlich neue Dynamik erfahren wird. Trotz der unbestrittenen Erfolgsgeschichte beim Aufbau von sicherheitspolitischen Institutionen, der Entwicklung von einsatzbezogenen Prozeduren und Verfahrensweisen sowie der Etablierung ziviler und militärischer Fähigkeitsprozesse darf nicht übersehen werden, dass es sich bei der ESVP/GSVP auch weiterhin um ein junges und in vielen Bereichen wenig praxiserprobtes Politikfeld der EU handelt, in welchem die eigentliche operative Feuerprobe, die kurzfristige Entsendung militärischer Kampfverbände zum Zwecke des robusten Krisenreaktionseinsatzes, erst noch zu bestehen sein wird. Rein quantitativ betrachtet vermag die EU allerdings bereits heute auf eine beachtliche Anzahl von zivilen und militärischen Einsätzen zu blicken, obwohl die ESVP erst im Jahr 2003 nach einem vierjährigen Strukturentwicklungs- und Planungsvorlauf mit dem Start der EU-Polizeimission in Bosnien-Herzegowina die Schwelle hin zu einem tatsächlich operativ tätigen Sicherheitsakteur überschritten hat. Sieben Jahre später hat die EU bereits elf von insgesamt 24 bislang initiierten ESVP-Missionen abgeschlossen: • fünf hiervon in Afrika (Artemis, EUFOR RD Congo und EUPOL Kinshasa in der Demokratischen Republik Kongo, EUFOR in Tschad/RCA, EUUnterstützung für AMIS/AMISOM), • vier auf dem Westbalkan (Concordia, EUPOL Proxima und EUPAT in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien sowie EUPT Kosovo), • eine im Kaukasus (EUJUST „Themis“ in Georgien) und • eine in Südostasien (Aceh Monitoring Mission in Indonesien). *

Der Autor bedankt sich bei der Compagnia di San Paolo, dem Riksbankens Jubileumsfond und vor allem der Volkswagen-Stiftung, die mit ihrem „European Foreign and Security Studies“-Programm die Forschung zu diesem Kapitel unterstützt haben.

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Die 13 derzeit laufenden ESVP-Missionen (hiervon zwei militärische, zwei zivil-militärische sowie neun zivile) verteilen sich auf die folgenden Regionen: • vier in Afrika (EUSEC RD Congo und EUPOL RD Congo in der Demokratischen Republik Kongo, in der EU SSR Guinea-Bissau, „Atalanta“/ EU NAVFOR vor der Küste Somalias), • drei auf dem Westbalkan (EUPM und „Althea“ in Bosnien und Herzegowina, EULEX Kosovo), • drei im Nahen Osten (EUPOL COPPS in Palästina, EUJUST LEX im Irak, EU BAM Rafah), • eine Mission an der Grenze zwischen der Republik Moldau und der Ukraine, • eine in Zentralasien (EUPOL Afghanistan) sowie • eine am Kaukasus (EUMM Georgien). Zudem ist anerkennend festzustellen, dass trotz ihrer vergleichsweise jungen Geschichte im Feld der operativen Sicherheits- und Verteidigungspolitik bereits heute eine explizit auf die EU ausgerichtete „Nachfrage“ nach deren aktivem zivilen und militärischen Sicherheitsengagement zu verzeichnen ist, was die Union innerhalb kürzester Zeit zu einer etablierten Krisenmanagementinstitution hat heranreifen lassen. Die offensichtlichsten Faktoren für die Attraktivität der operativen ESVP liegen dabei in der vergleichsweise hohen politischen Glaubwürdigkeit und Neutralität europäischer Institutionen und Vertreter sowie insbesondere in der mit der EU assoziierten finanziellen und wirtschaftlichen Potenz. Zugleich mag jedoch auch die Tatsache eine Rolle spielen, dass die EU als hybrider zivil-militärischer Akteur im Gegensatz zu „traditionellen“ Sicherheitsakteuren eine wesentlich stärkere strukturelle Befähigung aufweist, den sich zusehends dem klassischen Konfliktspektrum entziehenden internationalen Krisenmanagementaufgaben zu begegnen. Die Einzigartigkeit der politischen, wirtschaftlichen und operativen Instrumentarienbreite ermöglicht der EU somit, im Grundsatz den gewandelten sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart bedarfsorientiert und umfassend Rechnung zu tragen, wenngleich in Hinblick auf die qualitativen und quantitativen Kapazitäten als auch auf die zivilmilitärische Osmose unzweifelhaft weiter dringender Ausbaubedarf besteht. Mit der gestiegenen Nachfrage sowie dem mit jedem neuen Einsatz gewachsenen Selbstbewusstsein der europäischen Seite wurde die seit der Frühphase der Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) klar erkennbare Konzentration auf den Westbalkan als das wichtigste geographischen Anwendungsgebiet europäischer Sicherheitsbemühungen aufgegeben und in der Praxis durch eine zunehmend globaler ausgerichtete Perspektive ersetzt. So ist die EU mittlerweile auf drei Kontinenten aktiv im Einsatz und hat neben dem südosteuropäischen Krisenraum mit Afrika sowie dem Nahen Osten seit 2003 zwei weitere operative Schwerpunkte herausgebildet. 246

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

Dieser Beitrag versucht, die operative Seite der ESVP vor dem Hintergrund der nunmehr siebenjährigen Erfahrung in ihren Entwicklungstendenzen näher zu erfassen. Zunächst soll durch den Blick auf die laufenden bzw. abgeschlossenen Einsätze der EU eine vorläufige Bestandsaufnahme in Bezug auf das bisherige operative Engagement ermöglicht sowie erste erkennbare Muster des europäischen Krisenmanagementprofils offengelegt werden. Hierauf aufbauend folgt in einem zweiten Abschnitt die detaillierte Analyse der bisher hervorgetretenen Tendenzen der ‚ESVP im Einsatz‘, welche zugleich auch strukturelle Stärken und Defizite des europäischen Engagements sichtbar werden lassen. Der Beitrag schließt mit einem zusammenfassenden, durchaus skeptischen Ausblick, der die Spannungen zwischen Anspruch und Wirklichkeit der ESVP/GSVP im Hinblick auf die sich abzeichnenden weiteren Entwicklungsschritte innerhalb des umrissenen Untersuchungsfelds problematisiert und wachsende Glaubwürdigkeitslücken der EU als Sicherheitsakteur aufzeigt.

2. Die operative Seite der ESVP im Überblick (2003-2009) Mit ihren Einsätzen in Bosnien-Herzegowina, Mazedonien sowie der Demokratischen Republik Kongo trat die EU 2003 nach vierjähriger Entwicklungszeit der ESVP in eine neue – von da an operative – Phase ihres internationalen Krisenmanagements ein. Den Anfang machte hierbei die bis heute laufende Polizeimission in Bosnien-Herzegowina (EUPM), die seit Januar 2003 in dem Balkanland maßgeblich zur Unterstützung der lokalen Polizeiausbildung beigetragen hat und sich seit der im Januar 2006 vollzogenen Neufassung der Missionsaufgaben verstärkt auch der Bekämpfung der weiterhin grassierenden Organisierten Kriminalität zuwendet. 1 Bereits drei Monate nach dem offiziellen Startschuss der operativen Phase der ESVP folgte mit der Übernahme der zuvor von der NATO geführten Operation „Essential Harvest“ im März 2003 der erste militärische Einsatz der EU, in welchem rund 400 Soldaten den begonnenen Stabilisierungsprozess in der Ehemaligen Jugoslawischen Republik Mazedonien (FYROM) absichern helfen sollten (Operation „Concordia“). Darüber hinaus setzte die EU noch im selben Jahr durch ihr unmittelbar friedenserzwingendes Militärengagement in der ostkongolesischen Unruheprovinz Ituri (Operation „Artemis“) demonstrativ ein Signal, dass sie – als sich neu formierender Sicherheitsakteur – nicht nur prinzipiell fähig ist, dem selbst gestellten Anspruch der im EU-Vertrag verankerten ‚Peters-

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EU (2005): Council Joint Action 2005/824/CFSP, 24 November 2005, on the European Union Police Mission (EUPM) in Bosnia and Herzegovina (BiH).

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berg-Aufgaben‘ 2 nachzukommen und jenseits ziviler Instrumente und friedenserhaltender Maßnahmen im oberen militärischen Eskalationsbereich aktiv zu werden, sondern darüber hinaus ebenfalls den klaren Handlungswillen besitzt, zukünftig auch außerhalb ihres unmittelbaren geografischen Einfluss- sowie geopolitischen Interessensbereichs zu intervenieren. Dennoch bildete der Westbalkan – insbesondere in der operativen ESVPLatenzperiode – aufgrund seiner geographischen Nähe sowie des dort weiterhin latent vorhandenen Krisenpotenzials den Mittelpunkt des europäischen Handlungsfokus. Schließlich waren es gerade die sich dort ereignenden verheerenden Kriegsgeschehnisse, welche die Herausbildung einer operativen europäischen Verteidigungskomponente überhaupt erst politisch möglich machten. Die EUStaaten trugen in Folge ihrer allzu deutlich hervorgetretenen militärischen Handlungsunfähigkeit eine unzweifelhafte Mitschuld an den Geschehnissen in der Region. 3 So etablierte die EU neben der zivilen Polizeimission „Proxima“, die sich nahtlos an das vorangegangene europäische Militärengagement in FYROM mit dem Ziel anschloss, die lokalen Polizeikräfte bei der Entwicklung europäischer Standards zu unterstützen, 4 ebenfalls die Operation EUFOR „Althea“ in Bosnien-Herzegowina, in dessen Rahmen die EU die zuvor seitens der NATO wahrgenommenen Stabilisierungsaufgaben der SFOR-Mission übernahm. Mit einst bis zu 7 000 Soldaten sowie unter Rückgriff auf NATO-Fähigkeiten („Berlin-Plus“) leistet die EU in diesem Zusammenhang seit Dezember 2004 einen militärischen Beitrag zur Stabilisierung des Balkanlandes, der über längere Zeit den Höhepunkt des operativen Engagements der Union bildete. Seit 2007 wurde die EUFOR „Althea“ schrittweise auf weniger als 2 000 Soldaten reduziert und grundlegend umstrukturiert. Im Gegensatz zu EUFOR „Althea“, konnte die EU am 9. Dezember 2008 lediglich gegen erhebliche Widerstände aus Moskau, Belgrad aber auch aus der UNO-Zentrale in New York die Einsatzbereitschaft ihrer bisher größten und wichtigsten Zivilmission im Kosovo erklären, wenngleich zwischen den EUStaaten die Uneinigkeit über den grundsätzlichen rechtlichen Status der von 2

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Demnach umfasst das ursprüngliche operative Spektrum der EU im Krisenmanagementbereich sowohl „humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen“ (Art. 17, Abs. 2 EUV). Vgl. hierzu die Petersberg-Erklärung von 1992. In: Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, Nr. 68: PetersbergErklärung der WEU vom 19. Juni 1992, Bonn. Vgl. Jopp, Mathias/Diedrichs, Udo: Learning from Failure – The Evolution of the EU’s Foreign, Security and Defence Policy in the Course of the Yugoslav Crisis. In: Kühnhardt, Ludger (ed.): European Crises 1945-2005: Challenge and Response in European Integration. Oxford 2006. Die zum 14. Dezember 2005 ausgelaufene Polizeimission „Proxima“ wurde bis zum 15. Juni 2006 durch ein dreißigköpfiges Police Advisory Team (EUPAT) ersetzt, was den Abschluss der EVSP-Missionen in FYROM markiert.

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

Serbien abtrünnigen Provinz bis heute fortbesteht. Statt der ursprünglichen Intention der EU, wonach die ESVP-Rechtsstaatsmission EULEX Kosovo, nach einem kurzen Transitionsprozess die seit 1999 laufende UN-Mission im Kosovo (UNMIK) im Bereich Polizei und Justiz komplett ersetzen sollte, zog sich die Stafettenübergabe der UNO auf die EU wegen der nicht vollständig geklärten Anerkennungsfrage und politischen Widerständen seitens der UN über mehrere Monate hin (ursprünglich war der 15. Juni 2008 vorgesehen). Sie endete schließlich mit einem zweifelhaften Kompromiss, wonach nun beide Missionen UNMIK und EULEX parallel zur NATO-Mission KFOR bis auf weiteres im Kosovo ihrer Arbeit nachgehen sollen. Mittlerweile besteht die Mission aus rund 1 856 internationalen Experten (davon 1 379 Polizisten) und kann im Bedarfsfall auf 2 210 erhöht werden. Vorbereitet wurde der Einsatz durch das zwei Jahre zuvor entsandte EU-Planungsteam (EUPT Kosovo). Trotz der Hoffnung, dass durch die Entsendung der EU-Kräfte auch ein Professionalisierungsschub im kosovarischen Polizei- und Justizbereich erfolgen wird, bleibt vorläufig offen, ob die EULEX-Mission eine durchgreifende und nachhaltige Bekämpfung von Korruption und Organisierter Kriminalität in dem von Armut und Perspektivlosigkeit gebeutelten Land erzielen kann. Erste gravierende Vorfälle lassen Zweifel daran aufkommen. 5 Jenseits des Westbalkan ist Georgien zunehmend wichtiges Einsatzgebiet, wo die EU bereits im Sommer 2004 ihre erste Rechtsstaatsmission (EUJUST „Themis“) initiierte. Diese verfolgte das Ziel, die georgischen Justizorgane bei der Erreichung internationaler und europäischer Rechtsstandards zu unterstützen und insbesondere die Reform des Strafjustizwesens durch die Beratung seitens der für ein Jahr entsandten Richter, Staatsanwälte und Rechtsexperten zu unterstützen. Nach der Georgienkrise 2008 und anfänglichen Unstimmigkeiten mit Russland übernahm die EU zudem die Beobachtermission in Georgien (EUMM Georgia). Der Einsatz war dabei Teil des von der französischen EU-Ratspräsidentschaft mit den Konfliktparteien ausgehandelten Sechs-Punkte-Plans, welcher die politische Grundlage für die seit dem 1. Oktober 2008 entsandte zivile ESVP-Mission bildet. Die rund 200 EU-Beobachter unter Leitung des deutschen Botschafters Hansjörg Haber haben seither die Aufgabe, den Waffenstillstand in den Pufferzonen zwischen der Kaukasusrepublik Georgien und den abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien zu überwachen, durch Präsenz und Patrouillen erneute bewaffnete Auseinander-setzungen angesichts der weiterhin 5

So sorgte insbesondere das auf DVD festgehaltene Geständnis eines ehemaligen UCKKämpfers für Aufsehen, wonach dieser unter den Augen der Internationalen Gemeinschaft im Kosovo über Jahre hinweg zahlreiche Auftragsmorde für den illegalen Geheimdienst der Regierungspartei PDK verübte. Selbst nach dem Bekanntwerden sah EULEX über Wochen keinen Grund zur Festnahme. Siehe Roser, Thomas: Haben sich Kosovos Regierende an die Macht gemordet? In: Die Welt, 3. Dezember 2009.

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instabilen Lage weniger wahrscheinlich zu machen und etwaige Zwischenfälle als neutrale Kraft zu untersuchen. Neben Georgien komplettiert die voraussichtlich bis Dezember 2009 andauernde Grenzkontrollmission in Moldau (EUBAM Moldova/Ukraine) das bisherige Einsatzspektrum der EU auf europäischem Boden. In Afrika trat die EU insbesondere in der Demokratischen Republik Kongo auf den Plan, wo sie auf Ersuchen der UNO ihre erste friedenserzwingende Maßnahme exerzierte und zwischen Juni und September 2003 mit rund 2 200 vorwiegend französischen Einsatzkräften um die Provinzhauptstadt Bunia einen cordon sanitaire zum Schutz der Zivilbevölkerung vor Rebellenübergriffen legte (Operation „Artemis“). 6 Ein weiteres Mal entsandte die EU fast 2 500 europäische Soldaten im Rahmen der Operation EUFOR RD Congo, um zwischen Juli und November 2006 einen sicheren und geordneten Ablauf der kongolesischen Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu gewährleisten und mittels eines offensiv angelegten Präsenzkonzepts (show of force) potenzielle Aufrührer in der Region um Kinshasa abzuschrecken. Parallel zu den militärischen Einsätzen entsandte die EU zum Jahresbeginn 2005 eine dreißigköpfige Einheit von Polizeioffizieren in die Landeshauptstadt (EUPOL Kinshasa), um die lokalen Behörden bei der Aufstellung einer „Integrated Police Unit“ zu unterstützen. 7 Unter dem Namen EUSEC RD Congo läuft zudem seit dem 8. Juni 2005 eine ESVPMission zur Reform des Sicherheitssektors (SSR) zum Zwecke der Beratung und Unterstützung hochrangiger kongolesischer Führungskräfte in SSR-Fragen sowie zum Aufbau eines funktionsfähigen Besoldungswesens für die lokalen Soldaten. 8 Im Rahmen der Gemeinsamen Aktion zur Unterstützung der Mission der Afrikanischen Union (AU) in Sudan/Darfur (AMIS) führt die EU keinen eigenständigen ESVP-Einsatz durch, sondern eine „zivil-militärische Unterstützungsaktion“, welche die Entsendung von Zivilpolizisten und militärischen Stabsoffizieren zur Ausbildung von Kräften der AU, logistische Hilfe und Koordinierung der von den EU-Mitgliedstaaten gestellten Lufttransportunterstützung vorsah. Zusätzlich zu diesen ESVP-Beiträgen stellte die EU eine substanzielle finanzielle 6

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8

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Vgl. Rat der Europäischen Union: Gemeinsame Aktion des Rates 2003/423/GASP vom 5. Juni 2003 und Beschluss 2003/432/GASP vom12. Juni 2003 über die militärische Operation der Europäischen Union in der Demokratischen Republik Kongo. In: Amtsblatt der Europäischen Union (L 143), S. 50 und (L 147), S. 42. Vgl. Rat der Europäischen Union: Gemeinsame Aktion 2004/847/GASP des Rats vom 9. Dezember 2004 zur Polizeimission der Europäischen Union in Kinshasa (DRK) betreffend die Integrierte Polizeieinheit (EUPOL „Kinshasa“). In: Amtsblatt der Europäischen Union (L 367), S. 30-34. Siehe etwa: Pauwels, Natalie: EUPOL ‘Kinshasa’: Testing EU Co-ordination, Coherence and Commitment to Africa, European Security Review, No. 25, March 2005. Council Joint Action 2005/355/CFSP on the European Union mission to provide advice and assistance for security sector reform in the Democratic Republic of the Congo (DRC). In: Official Journal of the European Union (L 112), S. 20-23.

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

Unterstützung zur Durchführung der AU-Mission bereit. 9 Diese Gemeinsame Aktion wurde am 23. April 2007 geändert, um die zusätzliche EU-Unterstützung zu Planung und Aufbau der AU-Mission in Somalia (AMISOM) zu ermöglichen. Ebenfalls in dieser Region erfolgte das militärische Engagement der EU im Rahmen der Überbrückungsoperation EUFOR Tschad/RCA, die auf Basis der UNSC-Resolution 1778 seit dem 28. Januar 2008 zur Stabilisierung der an die sudanesische Krisenprovinz Darfur angrenzenden Gebiete beitragen sollte. Aufgabe war es, mit rund 3 700 Soldaten Maßnahmen zur humanitären Hilfe zu sichern und Flüchtlinge und Binnenvertriebene sowie Personal, Ausrüstung und Einrichtungen der UNO zu schützen. Die ehemalige Kolonialmacht des Tschads, Frankreich, stellte dabei den Großteil der EU-Truppen sowie den Force Commander, wohingegen der irische Generalleutnant Patrick Nash die Gesamtverantwortung als Operation Commander im OHQ Mont Valérien trug. Die Übergabe der Verantwortung der EU an die United Nations Mission in the Central African Republic and Chad (MINURCAT) erfolgte am 15. März 2009. Nach Guinea-Bissau entsandte die EU 19 zivile und militärische Sicherheitssektorreform-Experten (EU SSR Guinea-Bissau), dessen anspruchsvolle Aufgabe es ist, lokale Autoritäten zu beraten und zu unterstützen, um so zur Schaffung der notwendigen Rahmenbedingungen für die Implementierung der nationalen Sicherheitssektorreform-Strategie (NSS) beizutragen. 10 Die Aufgabe der Umsetzung von Guinea Bissaus NSS umfasst die Modernisierung des gesamten Spektrums des Sicherheitssektors: von den Streitkräften über die Polizei bis hin zur Justiz. Dies vollzieht sich im Kontext einer äußerst instabilen Sicherheitslage, die u.a. durch eine korrupte Staatsführung, eine schwach ausgeprägte Zivilgesellschaft, florierenden Drogenhandel, illegale Einwanderung und eine katastrophale infrastrukturelle Lage geprägt ist. Die geringe Präsenz der EU wird daher bestenfalls einen begrenzten Einfluss auf die weitere Entwicklung haben, auch wenn damit bezweckt wird, die Arbeit der Europäischen Kommission (Instrument for Stability, Europäischer Entwicklungsfonds) zu ergänzen. Darüber hinaus startete die EU auf Basis zweier UN-Resolutionen (UNSC 1816 und 1838) am 8. Dezember 2008 und als Reaktion auf die zunehmenden Übergriffe von Piraten auf zivile Handelsschiffe vor der Küste Somalias die rund 1 200 Personen umfassende Operation „Atalanta“ (EU NAVFOR Somalia). Sechs Fregatten und drei Marineflugzeuge überwachen seither das Gebiet vor der somalischen Küste. Dieser erste maritime Einsatz der EU wurde im Mai 9

10

So finanzierte die EU bisher einen Betrag von etwa 400 Millionen EUR aus dem 9. Europäischen Entwicklungsfonds der EU-Kommission, der Friedensfazilität für Afrika und bilateralen Beiträgen der Mitgliedstaaten. Vgl. Council of the European Union, Council Joint Action 2008/112/CFSP of 12 February 2008 on the European Union Mission in Support of Security Sector Reform in the Republic of Guinea-Bissau (EU SSR Guinea Bissau).

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2009 auf das gesamte Gebiet des Golfs von Aden ausgedehnt. Zu Beginn der Operation gab es dabei divergente Auslegungen der Einsatzregeln bei der Gefangennahme von Seeräubern und deren Festsetzung oder Freilassung (wie es z.B. die Bundeswehr nach deren Entwaffnung machte). Ein im März 2009 ausgehandelter Auslieferungsvertrag der EU mit Kenia (was auch noch mit Tansania und den Seychellen angestrebt wird) ermöglicht es, festgenommene Piraten an die kenianischen Behörden zu übergeben. Der langfristige Erfolg von „Atalanta“ ist allerdings offen, weil der Kampf gegen die grassierende Piraterie am Horn von Afrika nach Ansicht von Experten auch landseitig gegen die mächtigen Hintermänner geführt werden müsste. Auf längere Sicht gilt es zudem, jenen zahlreichen Fischern in der Region wieder eine ökonomische Perspektive zu geben, die sich nach dem Zerfall Somalias sowie der daraufhin einsetzenden illegalen Überfischung der somalischen Hoheitsgewässer seitens ausländischer Trawler-Flotten aus schierer Existenznot den kriminellen Drahtziehern andienten. Weitaus kleiner im Umfang, wenngleich im Einzelfall durchaus auch mit erheblichen Sicherheitsrisiken verknüpft ist das Engagement der EU im Nahen und Mittleren Osten. Neben der EU-Polizeimission in den Palästinensischen Gebieten (EUPOL COPPS), welche seit 1. Januar 2006 ihre Arbeit aufgenommen hat, wurde bereits im November 2005 eine EU „Border Assistance Mission at Rafah Crossing Point in the Palestinian Territories“ (EU BAM Rafah) installiert, welche die Sicherung des kleinen Grenzverkehrs zur ägyptischen Sinai-Halbinsel übernehmen sollte. 11 Mit dem Sieg der Hamas bei den palästinensischen Wahlen im Januar 2006 und der rapiden Verschlechterung der Sicherheitslage im GazaStreifen war der Grenzübergang Rafah allerdings nur unregelmäßig geöffnet – zuletzt im Juni 2007. Zwar wird grundsätzlich die Einsatzfähigkeit der Mission aufrechterhalten, doch bleibt EU BAM Rafah bis zur Wiedereröffnung des Grenzübergangs lediglich auf „Stand-by“. Darüber hinaus wurde im Jahr 2005 eine integrierte EU „Rule of Law Mission for Iraq“ (EUJUST LEX) begonnen, in dessen Rahmen bis heute rund 2 500 hochrangige irakische Justizbeamte innerhalb der EU ausgebildet wurden. Dabei ist festzustellen, dass EUJUST LEX bis heute das einzige integrierte (Polizei, Strafverfolgung und Justiz) Good Governance-Programm für den Irak darstellt. Gemäß dem Beschluss des PSK vom 26. März 2009 wurde die EUJUST LEX-Mission vorerst bis 30. Juni 2010 verlängert und schließt nun auch eine Pilotphase für Aktivitäten im Irak selber ein. In Asien konnte bereits im September 2005 der erste „Disarmament, Demobilisation & Reintegration“ (DDR)-Einsatz der EU in der ehemaligen indonesischen Bürgerkriegsregion Aceh zu einem erfolgreichen Ende gebracht werden, 11

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Vgl. Pirozzi, Nicoletta: The New EU Engagement for the Maintenance of Security in the Middle East: Border Assistance and Police Reform in the Palestinian Territories, in European Security Review, No. 28, February 2006.

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

wo es in Folge der verheerenden Tsunami-Katastrophe im Dezember 2004 zu einem politischen Neuanfang zwischen der nach Unabhängigkeit strebenden Rebellenbewegung GAM und der Regierung in Jakarta kam. Aufgabe der rund 250 unbewaffneten, jedoch vorwiegend dem Militär entstammenden Einsatzkräfte der Aceh Monitoring Mission (AMM) war dabei, die Entwaffnung der GAM zu überwachen und die Zerstörung von deren Waffen sicherzustellen. Die AMM wurde als beispielhaft für die Zusammenführung ziviler und militärischer Elemente der Krisenbewältigung angesehen. Zugleich belegt der Verlauf der Mission die hohe Glaubwürdigkeit der EU im Vergleich zu anderen Organisationen. Ein operatives Engagement anderer Sicherheitsakteure und insbesondere der Vereinten Nationen kam aufgrund starker Vorbehalte seitens der ehemaligen Konfliktparteien nicht zustande. Lediglich die EU wurde als neutraler Prozessbegleiter akzeptiert. In deutlichem Kontrast hierzu steht hingegen die Mission EUPOL Afghanistan, die in einem überaus hostilen Umfeld initiiert wurde und nunmehr durchgeführt wird. Die EU-Polizeimission wurde offiziell seit dem 17. Juni 2007 mit einem Führungsstab (Mission-HQ) in Kabul in Dienst gestellt und besitzt das landesweite Mandat, die „Afghan National Police“ (ANP) durch rund 400 (zuvor 160) Polizisten und Experten auszubilden, zu beraten und zu überwachen. 12 Der Start der zivilen Polizeimission wurde dabei von dem schwersten Terroranschlag seit dem Sturz der Taliban begleitet, dem 35 afghanische Polizeirekruten zum Opfer fielen. Dieser muss als das bisher klarste Signal gegen das globale operative Engagement der EU in der Geschichte der ESVP verstanden werden. Die einst unter deutscher Leitung stehende EU-Mission war vorerst auf drei Jahre angelegt. Sie repräsentierte eine Europäisierung zuvor national getragener Lasten im Rahmen der Arbeit des „German Police Project Office“ (GPPO). Seit Missionsstart reißen jedoch die Klagen über die schlechte Ausrüstung der Mission, die nie erreichte Zielzahl an entsandten Polizeikräften sowie die viel zu geringe tatsächliche Ausbildungstätigkeit nicht ab. Bis heute sind erst etwas mehr als 200 europäische Polizisten vor Ort, wobei 14 der 20 beteiligten Länder nicht einmal jeweils zehn Beamte entsandten. Selbst bei 400 Ausbildern würde die Ausbildungskapazität bei weitem nicht ausreichen, um die afghanische Polizei in den 366 Distrikten des Landes auch nur ansatzweise angemessen aus- und weiterzubilden. So haben die USA längst die Konsequenzen gezogen und rund 2 500 eigene Ausbilder für den afghanischen Polizeiaufbau entsandt. 13 12

13

Vgl. Rat der Europäischen Union: Gemeinsame Aktion betreffend die Polizeimission der Europäischen Union in Afghanistan (EUPOL Afghanistan), Dok. 9248/07, Brüssel, 25. Mai 2007. Auch: Winkler, Peter: Polizei-Mission der EU in Afghanistan – Ausbildung und Betreuung des einheimischen Korps im Vordergrund. In: Neue Zürcher Zeitung, 30. Mai 2007. Vgl. Böge, Friederike: Zivile Polizei oder Paramilitärs? In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. März 2009.

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3. Zehn Tendenzen der operativen ESVP Ein Blick auf die skizzierten Einsätze 14 macht deutlich, dass es die EU innerhalb weniger Jahre geschafft hat, den Nimbus der ökonomisch führenden, jedoch sicherheitspolitisch marginalisierten Union abzustreifen. Zugleich hat sie durch ihre ersten operativen Gehversuche im Rahmen der ESVP weltweit Beachtung und Anerkennung erfahren. So konnten zwei wesentliche strategische Ziele der EU, nämlich die Etablierung einer autonomen sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsfähigkeit sowie die weltweite Profilierung der EU als sicherheitspolitischer Akteur, weitestgehend erreicht werden. Dies ist als großer Erfolg der bisherigen Aktivitäten zu verbuchen, wenngleich insbesondere bei komplexeren militärischen Operationen Defizite fortbestehen und somit die bisherigen Fortschritte nicht überbewertet werden sollten. Uneingeschränkt positiv gilt es hingegen festzuhalten, dass sich das operative Engagement der EU nur wenig von der fortdauernden europäischen Lethargie in Zusammenhang mit der mittlerweile überwundenen „Verfassungskrise“ hat beeindrucken lassen und die allgemeine ESVP-Entwicklung im Gegensatz zu anderen EU-Politikfeldern wenig von ihrer anfänglichen Dynamik einbüßte. Auf Grundlage der ersten Operationen lassen sich dabei für den Betrachtungszeitraum 1/2003 bis 12/2009 die folgenden zehn operativen Tendenzen herausarbeiten, die – teils gesteuert, teils situativ erzwungen – schon heute das neuartige Akteursprofil der EU im Bereich des internationalen Krisenmanagements unterstreichen und erste Extrapolationen in Bezug auf die Weiterentwicklung der operativen Seite der zukünftigen GSVP erlauben.

3.1. Globalisierung des operativen Einsatzraums Die EU hat sich im Laufe der Jahre und angesichts zunehmender operativer Erfahrungen über den ursprünglichen geographischen Fokussierung der ESVP auf den europäischen Kontinent hinausgewagt, ihren Aktionsraum sukzessive erweitert und ihr sicherheitspolitisches Handlungsspektrum um globale Einsatzelemente ausgebaut. Zwar bildet der Balkanraum (zuletzt unterstrichen durch den Start der Mission EULEX Kosovo) auch weiterhin den qualitativ wie quantitativ bedeutendsten Wirkungsraum der ESVP. Insbesondere Afrika aber auch der Nahe Osten stellen jedoch zunehmend Schlüsselregionen der weiteren operativen ESVP/GSVP-Entwicklung dar.

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Eine laufend aktualisiere Übersicht findet sich auf den Seiten des Rates der EU unter: , abgerufen am 12.12. 2009.

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3.2. Ausweitung des einsatzbezogenen Aufgabenspektrums Neben der geographischen Öffnung des operativen Einsatzraums ist ebenso eine Erweiterung des sicherheitsbezogenen Aufgabenspektrums zu verzeichnen, welches sich bereits jetzt als überaus vielfältig darstellt. Insbesondere im zivilen Bereich, wo neben Polizei-, Rechtstaats- und Grenzkontrollmissionen zunehmend auch Aufgaben aus dem Bereich der Sicherheitssektorreform (SSR) sowie der aktiven Unterstützung von „Disarmament, Demobilisation & Reintegration“ (DDR) hinzutreten, wird die wachsende Handlungsbreite der ESVP deutlich. Wie keine andere internationale Organisation ist die EU angesichts dieser breiten Aufstellung potenziell befähigt, dem sogenannten umfassenden Sicherheitsansatz, welcher zunehmend zum Grundprinzip internationaler Einsätze avanciert ist, gerecht zu werden.

3.3. Konzentration auf unteres Petersberg-Spektrum Die bisherige Einsatzwirklichkeit reflektiert nur einen begrenzten Teil des (Selbst-)Anspruchs, den die EU einst für die ESVP definiert hat. Dies spiegelt sich nicht nur in der quantitativen Relation von zivilen Missionen zu militärischen Operationen wider, sondern wird insbesondere auch anhand der vor allem im unteren Eskalationsspektrum anzusiedelnden militärischen Operationen deutlich. Darüber hinaus bewegen sich alle bisherigen Einsätze in einem überschaubaren quantitativen Rahmen, wobei die größte Militäroperation (EUFOR „Althea“) 15 zugleich unter Rückgriff auf NATO-Fähigkeiten erfolgte. So bleiben vorläufig Zweifel an der tatsächlichen autonomen Handlungsfähigkeit der ESVP in Konflikten höherer Intensität, welche unter anderem einen breiteren Personalansatz erfordern. Die bisher einzige autonome und zugleich friedenserzwingende Maßnahme der EU (Operation „Artemis“) gelang weitgehend nur unter der Regie des französischen Verteidigungsministeriums sowie durch die durch Frankreich entsandten Truppen.

3.4. Zunehmende zivil-militärische Integration Keineswegs eindeutig ist in Zusammenhang mit ESVP-Einsätzen hingegen die Zuweisung der übernommenen Aufgaben an zivile bzw. militärische Akteure. So lässt sich als weitere wesentliche Tendenz der ESVP herausstellen, dass sich die einsatzbezogenen Aktivitäten in wachsendem Umfang dem klassischen Ver15

Rund 7 000 Soldaten im Dezember 2004, mittlerweile auf 2 000 reduziert.

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ständnis von zivilen Missionen und militärischen Operationen entziehen. Beispielhaft hierfür ist etwa die maßgeblich durch Militärs durchgeführte (zivile) Entwaffnungsmission in Aceh oder die ausdrücklich als zivil-militärische Unterstützungsaktion deklarierten Aktivitäten der EU im Sudan und in Somalia. Sollte dieser Trend anhalten, wächst insbesondere bei größeren zivil-militärischen Einsatzkontingenten zukünftig nicht nur der koordinatorische Handlungsdruck innerhalb der EU, sondern angesichts der unterschiedlichen Finanzierungsmodalitäten auch der Bedarf zur Neuordnung der Arrangements für einsatzbezogene Kostenaufteilung. Die Zusammenlegung der sich mit zivilen bzw. militärischen Missionen innerhalb des Generalsekretariats des Rates beschäftigenden Bereiche DG E VIII und DG E IX kann gewiss helfen, eine größere Kohärenz bei der Planung und Durchführung von Operationen zu erzielen, auch wenn die tatsächliche Umsetzung angesichts unterschiedlicher „Einsatzkulturen“ sowie divergenter Finanzierungsmechanismen für zivile und militärische Einsätze eine fortwährende Herausforderung bleiben wird.

3.5. Zunehmende Verzahnung von Aktivitäten in der ersten und zweiten Säule Parallel zur zivil-militärischen Osmose wächst auch der Grad der intra-institutionellen Verzahnung zwischen der Europäischen Kommission und dem Rat der EU. Ein erster Schritt war dabei der vollzogene Aufbau der Zivil-Militärischen Zelle innerhalb des EU-Militärstabs, welcher ebenfalls Kommissionsbeamte angehören, sowie das partielle Ineinandergreifen auf operativer Ebene. So kam es etwa im Nachgang der ersten EU-Militäroperation „Concordia“, welcher die zivile Polizeimission „Proxima“ folgte, im Dezember 2005 zur Einsetzung eines „Police Advisory Teams“ (EUPAT), welches in einem Zeitraum von sechs Monaten die Übernahme der verbleibenden Aufgaben durch die EU-Kommission vorbereitete. Seit dem 16. Juni 2006 wurde daraufhin ein auf Polizeifragen spezialisiertes Team aus Kommissionsmitarbeitern in Mazedonien aktiv in den Stab des EU-Sonderbeauftragten integriert, was auch die zunehmend fließenden Übergänge im Rahmen eines zivil-militärischen Einsatzkontinuums unterstreicht. Ein weiteres Beispiel bietet EUPOL RD Congo/EUPOL Kinshasa, wo über den Bereich der Polizei hinaus die EU-Kommission mittlerweile auch – was die Reform der kongolesischen Justiz anbelangt – einen direkten Beitrag zur Erfüllung des Auftrages der ESVP-Mission leistet.

3.6. Wachsende Bedeutung des EU-Sonderbeauftragten Eine zunehmende Vernetzung von Aufgaben und Akteuren ist in ihrer Tendenz auch innerhalb der zweiten Säule zu beobachten. So kommt den im Rahmen der 256

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

GASP weltweit entsandten EU-Sonderbeauftragten (EUSRs) sowohl hinsichtlich ihrer finanziellen Ausstattung als auch hinsichtlich ihres Kompetenzrahmens im zunehmenden Maße eine aktive Rolle im Rahmen operativer Maßnahmen zu. Entscheidend ist hierbei nicht nur die herausgehobene Koordinierungsfunktion der EUSRs, sondern auch die einsatzbezogene Ansiedlung von mit Sicherheitsaufgaben betrautem Personal innerhalb der Büros der Ständigen Vertreter. Beispielhaft hierfür ist die andauernde Grenzkontrollmissionen in Moldau (EUBAM Moldova/Ukraine), die zugleich Beleg für die zunehmende Komplexität der institutionellen Verortung operativer Maßnahmen ist. So wird die Mission – die rechtlich auf Basis eines Memorandums of Understanding (MoU) zwischen der EU-Kommission sowie den Regierungen von Moldau und der Ukraine zustande gekommen ist – zwar im Rahmen eines Kommissionsprojekts (Technical Assistance to the Commonwealth of Independent States/TACIS) durchgeführt, jedoch maßgeblich seitens eines verstärkten EUSR-Teams flankiert. Das Personal des sich überwiegend aus sekundierten Experten der EU-Mitgliedstaaten zusammensetzenden „Border Team of the EUSR for the Republic of Moldova“ stellt somit eine direkte Verbindung zur GASP dar und kann nur im erweiterten Sinne als Maßnahme der ESVP betrachtet werden. Auch im Falle der von der EU durchgeführten zivil-militärischen Unterstützungsmission im Sudan wurde der lokale EUSR durch ein Team von politischen, polizeilichen und militärischen Beratern verstärkt, die teilweise in dezentralisierten Büros operativ eingesetzt werden sollen (Addis Abeba, Khartoum, Darfur und Südsudan), was diese Tendenz nochmals unterstreicht.

3.7. Multinationalität und hoher Beteiligungsgrad von Nicht-EU-Staaten ESVP-Einsätze sind zumeist dadurch gekennzeichnet, dass eine relativ geringe Gesamtstärke von einer relativ großen Zahl von teilnehmenden Staaten bereitgestellt wird. Die multinationale Personalstruktur der militärischen Hauptquartiere erhöht dabei die politische Legitimität des Einsatzes und bietet (insbesondere auf militärstrategischer Ebene) für alle Mitgliedstaaten eine sehr attraktive Möglichkeit, sich – auch ohne Bereitstellung von Truppen – an der Planung und Durchführung der Operation zu beteiligen. 16 Die Beteiligung an einem Einsatz ist dabei gerade für kleinere Staaten ein attraktives Forum zur Selbstdarstellung und Berichterstattung in den Medien (Show the Flag Policy). Diese Tendenz steht dabei solange nicht im Spannungsverhältnis zur einsatzbezogenen Effektivität und Effizienz, wie die Prozesse der Kräftegenerierung bzw. Personalgestellung 16

Beteiligung EU-Mitgliedstaaten an militärischen Operationen: Artemis (13), Concordia (23), Althea (24), EUFOR RD Congo (21).

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nicht zu stark aus rein politischen Gründen instrumentalisiert werden, was nicht im Interesse der Mitgliedstaaten wäre. 17 In unmittelbarem Zusammenhang mit dem vorangegangenen Punkt steht auch der hohe Beteiligungsgrad von Nicht-EU-Staaten an ESVP-Einsätzen. War es ein zentrales ausformuliertes Anliegen der EU, durch die Schaffung der ESVP eine explizit autonome europäische Krisenreaktionsfähigkeit herauszubilden, hatte dies keineswegs zur Folge, dass die bisherigen EU-Einsätze ausschließlich durch Mitgliedstaaten der EU getragen werden. Vielmehr lässt sich sowohl bei militärischen als auch bei zivilen Einsätzen ein hoher Beteiligungsgrad von Drittstaaten feststellen. Als regelmäßige Partizipanten sind hierbei nicht nur NATO-Partner wie die Türkei, Norwegen und Kanada besonders bereit sich zu engagieren, sondern auch – in Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatzraum – eine Vielzahl regionaler Partner- und Anrainerstaaten. Hintergrund ist hierbei die Erhöhung der lokalen Akzeptanz der ESVP-Einsätze. Diese Tendenz ist generell von den EU-Mitgliedstaaten erwünscht, da sie auch den Vorteil einer Erhöhung der politischen Legitimität sowie einer breiteren Lastenteilung bei der Gestellung von Personal bzw. Fähigkeiten mitbringt.

3.8. Unzureichende zivile und militärische Exit-Strategien Hinsichtlich der Dauer von Operationen ergibt sich ein differenziertes Bild in Abhängigkeit vom jeweiligen Einsatztyp. So bergen vor allem zivile Missionen in exponierten Krisenregionen aufgrund der naturgemäßen Breite von Aufgaben ein hohes strukturelles „Mission Creep“-Risiko, 18 da sich eine spürbare Lageverbesserung in Bezug auf die geschulterten Herausforderungen zumeist erst in einem mittel- bis langfristigen Zeitrahmen vollzieht. Da der für zivile EUMissionen praktizierte Personalrekrutierungs- und Personalrotationsansatz jedoch für ein eher kurzzeitiges Engagement ausgelegt ist, stößt die effektive Missionserfüllung, insbesondere bei ermittlungsintensiven Polizeimissionen, schnell an ihre Grenzen. In scharfem Kontrast zu zivilen Missionen drängt die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten bei der Planung und Durchführung von militärischen Operationen 17

18

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So betrug z.B. die Gesamtstärke der EUFOR RD Congo Ende September 2006 2 370 Soldaten. 2 080 dieser Truppen wurden von Frankreich (1 090), Deutschland (730), Polen (130) und Spanien (130) gestellt. Die übrigen 290 Soldaten verteilten sich auf nicht weniger als 19 Mitgliedstaaten. Siehe Center on International Cooperation (2007): Annual Review of Global Peace Operations 2007. London, S. 379. „Mission Creep“ bezeichnet das qualitative und/oder quantitative Ausufern einer Mission über ihren ursprünglichen Auftrag hinaus. Mission Creep ist zumeist Resultat einer unzureichenden Missionsplanung bzw. zu ambitionierter und/oder politisch vorgegebener Einsatzziele.

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

hingegen auf die klare Einhaltung eines überschaubaren Einsatzzeitraums. Wie die Debatte im Vorfeld von EUFOR RD Congo belegt, kommt es dabei bisweilen sogar zu einer politischen Fixierung des Abzugszeitpunktes, die allerdings bei der Beendigung der Operation im Hinblick auf militärische Planungserfordernisse problematisch werden kann.

3.9. Erhöhung des finanziellen Bedarfs für ESVP-Einsätze Parallel zur qualitativen und quantitativen Ausweitung des operativen Handlungsrahmens der ESVP wuchs in der Vergangenheit zwangsläufig auch der finanzielle Bedarf zur Deckung der benötigten Einsatzkosten rapide an und befindet sich in seiner Tendenz weiter im Anstieg. Insbesondere bei zivilen Missionen, 19 die unmittelbar über den gemeinschaftlich verwalteten GASP-Haushalt finanziert werden, stellt sich dieser Umstand als zunehmende Herausforderung dar. Spätestens mit dem Beginn der ersten europäischen Planungen zur Übernahme der UN-Mission im Kosovo, welche mittlerweile die mit Abstand größte und komplexeste zivile ESVP-Maßnahme darstellt, ist überdeutlich geworden, dass der finanzielle Rahmen in keinster Weise ausreichen würde, den neuen Ansprüchen und Aufgaben adäquat Rechnung zu tragen. So generiert die EULEX-Kosovo-Mission mit mehr als 150 Mio. Euro jährlich einen wesentlich höheren Finanzbedarf, als alle bisher laufenden zivilen ESVP-Aktivitäten im GASP-Haushalt zusammen.

3.10. Latente Spannungen zwischen der EU und den Vereinten Nationen Generell hat sich in den letzten Jahren eine immer engere Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen auf dem Gebiet des Krisenmanagements entwickelt. Insbesondere die Aktivitäten in Afrika sind dabei zu einem wichtigen Testfall für das Miteinander beider Organisationen geworden. Positiv ist dabei hervorzuheben, dass es der EU grundsätzlich möglich ist, die beiden in der Gemeinsamen 19

Wegen Vielfalt und Komplexität der verschiedenen Instrumente und Mechanismen zur Finanzierung von ESVP-Einsätzen ist es schwierig einen abschließenden Vergleich zwischen zivilen Missionen und militärischen Operationen zu ziehen. Der in den Gemeinsamen Aktionen eingetragene Finanzrahmen für eine militärische Operation ist lediglich eine Einschätzung, die sich auf den relativ geringen Anteil der sogenannten „gemeinsamen Kosten“ bezieht (z.B. für die EU-Hauptquartiere mit Anwendung des Athena-Mechanismus). Unabhängig davon wird aber im Endeffekt die Masse der Kosten einer militärischen Operation durch den viel kleineren Kreis der Mitgliedstaaten, die ihre Truppenteile auf freiwilliger Basis in das Einsatzgebiet entsenden, national getragen (nach dem Prinzip „Costs lie where they fall“).

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EU-UN-Erklärung von 2003 skizzierten Modelle zu verwirklichen. Einerseits das „Bridging-Modell“, das ähnlich der Operation Artemis, einen raschen Eingriff der EU für einen kurzen Zeitraum und mit einem klar definierten Endpunkt vorsieht, etwa um der UN die nötige Zeit zu geben, eine eigene Operation zu starten. Andererseits das „Stand-by-Modell“, in welcher eine EU-Truppe als vorübergehende Verstärkung für eine bereits laufende UN-Mission vor Ort fungiert, wie dies beispielsweise im Rahmen der EUFOR RD Congo der Fall war. Allerdings ist auch festzuhalten, dass die EU im Oktober 2008 eine Anfrage der UN abgelehnt hat, bei der Bewältigung der humanitären Krise in der kongolesischen Provinz Kivu durch die Entsendung einer EU-Truppe beizustehen. Die Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten, insbesondere Deutschland, Großbritannien und Frankreich, verweigerten den Rückgriff auf die zwei bereitstehenden EUBattlegroups, was nicht nur bei UN-Vertretern Zweifel an der aufrichtigen Bereitschaft der EU in Bezug auf ihr proklamiertes Ziel eines stärkeren Engagements in Afrika nährte. Darüber hinaus ist zu beobachten, dass New York die EU in Folge ihres wachsenden internationalen Sicherheitsengagements nicht nur als Entlastung, sondern zunehmend auch als Konkurrenz auf dem Feld des internationalen Krisenmanagements wahrnimmt. Gerade das Vorgehen der großen EU-Staaten in der Kosovo-Frage (sowohl Mandatierung als auch Implementierung von EULEX Kosovo) hat sich durchaus negativ auf das bilaterale Verhältnis ausgewirkt, sodass allen voran UN-Generalsekretär Ban Ki-moon die EU zeitweise erheblich ausbremste, was wiederum zu einer mehrmonatigen Verzögerung beim Aufbau der EU-Mission führte. Versucht man die vorangegangenen Entwicklungstendenzen zusammenzufassen, lässt sich feststellen, dass die „ESVP im Einsatz“ bereits eine beachtliche Entwicklung durchlaufen hat. Gemessen an der reinen Quantität, Vielfältigkeit und geographischen Reichweite der bisherigen operativen ESVP-Maßnahmen lässt sich unzweifelhaft ein positives Bild zeichnen. So merkte etwa auch der langjährige Hohe Vertreter für die GASP, Javier Solana, selbstbewusst an: „Combined, these operations represent a significant engagement by the EU on the key stability challenges […] And where we have acted we have succeeded. We have helped governments take forward their peace processes and we have helped make those processes more sustainable by strengthening their institutions. Most of all, although much remains to be done […] we have improved the lives of people and given them hope.”20

Allerdings machen die aufgezeigten Tendenzen ebenso deutlich, dass die bisherigen Entwicklungen auch erhebliche Probleme aufwerfen, die dringend angegangen werden müssen, wenn die EU und ihre Mitgliedstaaten den selbstgestell20

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Address by Javier Solana at the European Security and Defence Policy Conference: From Cologne to Berlin and Beyond – Operations, Institutions and Capabilities, Berlin 29 January, 2007, Dok. S027/07.

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

ten Ansprüchen gerecht werden wollen. So wirft der genaue Blick auf die bisherigen operativen Aktivitäten insbesondere Fragen in Bezug auf die jeweilige Nachhaltigkeit des Engagements der EU auf, sowie in Bezug auf den tatsächlichen strategischen Nutzen und die faktische Handlungsfähigkeit der EU als Akteur.

4. Mit der GSVP zu neuen Ufern?! Der Versuch eines Ausblicks Obwohl durchaus Skepsis angebracht ist, wenn es darum geht, die einst große Euphorie der frühen Jahre der ESVP in die Zukunft hinüberzuretten, und es weiterhin fraglich ist, ob es den EU-Mitgliedstaaten gelingen wird, in den kommenden Jahren eine ähnlich positive und dynamische Entwicklung in diesem Feld aufrechtzuerhalten, belegen die vorangegangenen Ausführungen doch eindrucksvoll, wie es die EU innerhalb weniger Jahren geschafft hat, ihren außenund sicherheitspolitischen Handlungsrahmen durch die Einbeziehung operativer – sowohl ziviler, militärischer als auch zivil-militärischer – Elemente erheblich zu erweitern und darüber hinaus als zunehmend global agierender Sicherheitsakteur Glaubwürdigkeit und politisches Gewicht zu akkumulieren. Mit der fortbestehenden quantitativen und qualitativen Begrenztheit der Einsätze bleibt aber vorerst der Widerspruch zwischen den zunehmend selbstbewusst artikulierten Ambitionen eines aufstrebenden Weltakteurs auf der einen Seite und den zur Verfügung gestellten Ressourcen (vor allem bei zivilen Missionen) auf der anderen Seite noch auf absehbare Zeit bestehen. Trotz der „geography is still important“-Feststellung wird in der gemeisamen EU-Bedrohungsanalyse, welche der Europäischen Sicherheitsstrategie von 2003 zugrundeliegt, sehr deutlich, dass den gegenwärtigen Herausforderungen und Risiken mehrheitlich keine eindeutigen geographischen Grenzen mehr gesetzt sind. Über den unmittelbaren Entstehungsraum hinaus sind diese vielmehr als tendenziell „ausufernd“ sowie untereinander interdependent zu erachten. Da die EU aber nicht über die notwendigen Mittel sowie den dazugehörigen notwendigen politischen Willen verfügt, den Herausforderungen in all ihrer Breite zu begegnen, wird auf absehbare Zeit der Druck auf die politische Führung der EU sowie die Entscheidungsträger in den Mitgliedstaaten zunehmen, stärker als bisher eine Definition geostrategischer Prioritäten vorzunehmen. Bisher ist bei Entscheidungsprozessen in Zusammenhang mit EU-Einsätzen eine weitgehend astrategische, auf ad-hoc-Überlegungen gestützte Willensbildung zu konstatieren, was über kurz oder lang den Sicherheitsinteressen der EU zuwider laufen wird. Ohne ein priorisiertes geostrategisches Handlungsrational droht das potenzielle Einsatzfeld der ESVP/GSVP immer weiter auszufasern. Galt der Balkan in den Anfangsjahren noch als klarer operativer Fixpunkt der ESVP, erfuhr insbesondere Afrika aber auch der Nahe Osten wachsende Bedeu261

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tung als Einsatzregion. Allerdings wird die EU weder in Afrika noch im Nahen Osten zu einer tatsächlich maßgeblichen Einflussgröße heranwachsen, solange die aufgezeigten Einschränkungen des Engagements nicht konsequent überwunden werden. Die Union bleibt in diesem Feld nur solange auf der öffentlich perzipierten Erfolgsspur, wie ihre Anwesenheit und Tätigkeit in weitgehender Deckungsgleichheit mit den Interessen der tatsächlich einflussreichen Kräfte steht. Die teils zögerliche Haltung, die die EU im Rahmen ihrer Einsätze auf dem Balkan und insbesondere im Kosovo an den Tag legt, lässt selbst hier daran zweifeln, dass die EU über eine nachhaltige Steuerungswirkung verfügt. Im Hinblick auf die institutionelle Struktur der ESVP scheint es klar, dass die EU noch deutlicher als bisher ihre innere Kohärenz stärken und eine bessere Koordinierung ihrer unterschiedlichen sicherheitspolitischen Instrumente realisieren muss. Auch wenn die Union bereits heute unbestreitbar der am breitesten aufgestellte Sicherheitsakteur zur Umsetzung des vielbeschworenen umfassenden Sicherheitsansatzes ist, befindet sich die EU lediglich am Beginn einer längeren, in ihren letztendlichen Ausformungen weiterhin vagen sicherheitspolitischen Neustrukturierung. Inwieweit die Notwendigkeit zur Ausgestaltung des in Kraft getretenen Vertrags von Lissabon hierbei tatsächlich neue Chancen eröffnet, bleibt vorerst abzuwarten. Allerdings lassen die schwachen Personalentscheidungen für die Besetzung der zentralen Positionen der zukünftigen Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, des EU-Ratspräsidenten sowie der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, Zweifel an dem ernsthaften Bestreben der Mitgliedstaaten aufkommen, die GSVP zu einem robusten Instrument Europäischer Außen- und Sicherheitspolitik zu machen. Auf der Ebene der Planungs- und Führungsfähigkeit hält der Vertrag von Lissabon das Versprechen einer umfassenden Umstrukturierung sowie die weitgehende Überwindung der pfeilerbezogenen institutionellen Architektur bereit, was bei Realisierung nicht nur eine verstärkte zivil-militärische Synergie in allen GSVP-bezogenen Handlungsfeldern ermöglicht, sondern geradezu einen Meilenstein bei der Herstellung größerer Kohärenz bedeuten würde. Ein erster wichtiger Schritt in diese Richtung ist die Umstrukturierung des EU-Ratssekretariats und die Zusammenführung der Generaldirektionsbereiche DG E VIII (Defence Issues) und DG E IX (Civilian Crisis Management) in das neu geschaffene Crisis Management Planning Directorate (CMPD), welches einen ersten Ansatz dafür darstellt, dass sich innerhalb der Ratsstrukturen eine allmähliche Annäherung zwischen den zivilen und militärischen Funktionen und Fähigkeiten abzeichnet. 21 Die zukünftige Rolle der im Brüsseler Militärstab angesiedelten zivil-militärischen Zelle bleibt allerdings weiterhin umstritten. Auch wenn mit dem Erreichen der vollen Einsatzfähigkeit der Operationszentrale der zivil-militärischen Zelle 21

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Vgl. Blair, Stephanie: Towards Integration? Unifying Military and Civilian ESDP Operations, European Security Review, No. 44, May 2009.

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

eine dritte Führungsvariante für EU-Einsätze realisiert wurde, 22 konnte trotz des Aufbaus einer „Civilian Planning and Conduct Capacity“ (CPCC) und der Schaffung des CMPD seitens der EU bisher keine umfassende zivil-militärische Struktur für die Planung und Durchführung von Einsätzen etabliert werden. Das oft ins Gespräch gebrachte permanente und umfassend zivil-militärisch aufgestellte EU-Hauptquartier in Brüssel, welches zur Planung und Führung aller EUEinsätze in der Lage ist, bleibt insbesondere in Folge politischer Bedenken und Duplizierungsbefürchtungen in Bezug auf die NATO und deren Fähigkeiten (SHAPE) vorerst unrealisiert. Auch wird an diesem Beispiel deutlich, dass der „Institutionenstreit“ zwischen der NATO und der EU auch nach der Reintegration Frankreichs in die Allianz weiterhin im Schwelen begriffen ist, wenngleich dieser nicht mehr so öffentlich ausgetragen wird wie in der Frühphase der ESVP. Ungeachtet der strukturellen und institutionellen Friktionen mahnt der Blick auf die Limitiertheit bisheriger Einsätze als auch auf die teilweise widerläufigen Interessen, die einzelne europäische Staaten mit der operativen Weiterentwicklung der ESVP/GSVP verfolgen, zur Vorsicht. Vor allem die Tatsache, dass es bisher in keinem Einsatz zu ernsten Zwischenfällen gekommen ist, nährt eine trügerische Selbstsicherheit, die umso mehr erschüttert werden könnte, sobald es wirklich einmal zu massiven Problemen innerhalb eines Einsatzgebietes kommen könnte. Insbesondere für die militärischen Operationen gilt es festzustellen, dass die EU bei keinem ihrer Einsätze bisher mit größeren unvorhergesehenen Entwicklungen konfrontiert war und zu keinem Zeitpunkt ein ernster Testfall für schnelle Entscheidungsfindung (etwa in Folge massiver Angriffe auf EU-Kräfte) eingetreten ist. So kam es bisher lediglich in sehr eingeschränkter Weise zu kritischen Situationen, 23 was wenig Aufschluss über das tatsächlich erreichte Maß an eigener Krisenreaktionsfähigkeit gibt. In politischer Hinsicht ist es daher bis auf 22

23

Die erste Option ist die Nutzung eines der fünf nationalen OHQs die der EU zur Verfügung stehen. Dabei handelt es sich um das französische Centre de Planification et de Conduite des Opérations (CPCO) in Paris, das britische Permanent Joint Headquarters (PJHQ) in Northwood, das italienische Commando Operativo di Vertice Interforze (COI) in Rom, das deutsche Einsatzführungskommando der Bundeswehr (EinsFüKdo) in Potsdam sowie das griechische Operations Headquarters in Larissa. Die zweite Option ist die Nutzung des NATO-Headquarters SHAPE über die bilaterale Dauervereinbarung „Berlin Plus“. Beispielhaft ist hier etwa der Beschuss europäischer Kräfte durch kongolesische Kindersoldaten während der Operation Artemis im Jahr 2003 sowie der Einsatz in Zusammenhang mit den Kämpfen zwischen Unterstützern der Rivalen um das Amt des Präsidenten in der Demokratischen Republik Kongo, Kabila und Bemba, während der Operation EUFOR RD Congo im August 2006. Im Zuge dieser Auseinandersetzungen wurden einsatzbereite Truppenteile in kürzester Zeit in einer mit MONUC koordinierten Operation eingesetzt, was gemeinsam mit der raschen Verstärkung durch ca. 400 Soldaten dazu beitrug, die angespannte Situation unter Kontrolle zu bringen und eine weitere Eskalation zu verhindern.

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weiteres ungewiss, wie belastungsfähig die ESVP/GSVP im Einsatz wirklich ist. In diesem Zusammenhang stellt insbesondere die Kosovo-Mission aufgrund der hohen mit ihr verbundenen Verantwortung für die regionale Entwicklung, der geographischen Nähe zur EU sowie der bisher dort investierten Finanzmittel einen Lackmustest für die EU dar. Eine besondere Brisanz erhält die Mission zudem durch die teils hohe, teils überzogene Erwartungshaltung breiter kosovarischer Bevölkerungsteile, die zuvor seitens internationaler Kräfte genährt wurde. Ähnliches, wenn auch in abgeschwächter Form gilt für die weitere Entwicklung der EU-Polizeimission in Afghanistan, wo die zunehmend angespannte Situation vor Ort nicht nur eine wachsende Hypothek auf die erfolgreiche Missionserfüllung bildet, sondern die EU auch dazu gezwungen wird, einen Großteil ihres Einsatzetats statt in die Ausbildung afghanischer Polizisten in Selbstschutzmaßnahmen zu investieren. So gilt es warnend festzustellen, dass ein öffentliches Ruchbarwerden der tatsächlichen operativen Situation in einigen Einsätzen jenseits der interessengelenkten Brüsseler Darstellungen durchaus das Potenzial besitzt, die ESVP/GSVP nachdrücklich in Misskredit zu bringen. Darüber hinaus verfügten bis zum jetzigen Zeitpunkt alle ESVP-Einsätze über eine vergleichsweise lange Vorlaufzeit, in welcher eine ausgedehnte politische und militärische Abstimmung erfolgen konnte und die ausreichend Raum bot, Mandatsfragen abschließend zu klären, die multinationale Zusammensetzung der Einsatzkräfte zu organisieren sowie die Einsatzplanungen detailliert durchzuführen. Ob die Entscheidungsfindung und Entsendung etwaiger Kontingente unter zugespitzten Krisenbedingungen auch relativ reibungslos funktioniert, bleibt offen. In operativer Hinsicht zeichnet sich ein potentielles Dilemma ab: der bisherige Erfolg schafft Erwartungen, die die EU nur erfüllen kann, wenn sie höhere Risiken als bisher akzeptiert. Dem steht entgegen, dass ein Rückschlag im Einsatz politisch verheerend wäre. Auch in Hinblick auf bisher EU-seitig etablierte Krisenmanagementinstrumente besteht Grund zur Kritik. Zu nennen sind hierbei insbesondere die seit 2005 einsatzfähigen, doch bisher nicht zum Einsatz gebrachten EU-Battlegroups (EUBG), bei welchen der politische Zwang zur öffentlichen Erfolgsdemonstration zunehmend spürbar wird. Zwar spiegelt die „use it or lose it“Debatte nicht wider, dass die EUBG einst als „EU-Feuerwehr“ aufgestellt wurden, doch lässt sich dessen ungeachtet nicht auf Dauer seriös begründen, dass erhebliche Fähigkeits- und Ausrüstungslücken im konkreten EU-Einsatz existieren und zeitgleich erhebliche Kapazitäten im Rahmen der Battlegroups auf „stand-by“ gebunden werden. Anzeichen, dass die EUBG dasselbe Schicksal ereilt wie die weitgehend kaltgestellte NATO Response Force (NRF), existieren bereits und drücken sich insbesondere im spürbaren Zurückfahren von vorbereitenden Übungen der Kampfverbände aus. Daneben sind die EU-Battlegroups Ausdruck einer zunehmend problematischen Priorisierung bei der Wahl der notwendigen Instrumente durch die EU. So 264

Die Vermessung der ESVP/GSVP: Erfahrungen, Lehren und Trends

wurde ungeachtet des augenscheinlichen Bedarfs seitens der politischen Führung in der Vergangenheit statt auf die Stärkung der Nachhaltigkeit des europäischen Sicherheitsengagements zu lange auf prestigeträchtige Strukturen zur schnellen militärischen Krisenreaktion gesetzt. Insbesondere in der Frage der Verfügbarkeit robuster sowie verlege- und durchhaltefähiger EU-Polizeikräfte, welche (unabhängig von der bisherigen Mandatierung) den Kernbedarf in nahezu allen EU-Einsätzen ausmacht, wurden bisher nur wenig Fortschritte erzielt. Einsatzfähige Strukturen, die sich vor Ort längerfristig mit den Konfliktwurzeln befassen, fehlen nahezu gänzlich. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass sich trotz der erstaunlichen Dynamik des EU-Engagements bei der internationalen Krisenbewältigung doch der Eindruck verstärkt, dass einige operative Defizite und Fähigkeitslücken im zivilen wie im militärischen Bereich nicht nur der jungen Existenz der ESVP, sondern auch strukturellen Problemen zuzuweisen sind und vorerst fortexistieren werden. Hierzu zählen althergebrachte Spannungen zwischen dem Gemeinschaftsbereich und den intergouvernementalen Strukturen der GASP, die unterschiedliche Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Fortentwicklung und Straffung der Brüsseler Strukturen, die nach wie vor weitgehend fragmentierten nationalen Rüstungsmärkte und Beschaffungsstrukturen sowie große Unterschiede bei den finanziellen und politischen Möglichkeiten der Mitgliedstaaten. Zudem gilt es insbesondere bei einigen Einsätzen in Afrika festzustellen, dass aufgrund der postkolonialen kriminellen bzw. korrupten Machtstrukturen wenig Aussicht auf wirkliche Veränderung besteht, was wiederum Zweifel an der Motivation für den Einsatz aufkommen lässt und sich mittelfristig kontraproduktiv auf die ESVP/ GSVP auswirken könnte. Es ist deshalb eine große Aufgabe für die EU, die auszugestaltende GSVP und nachsorgende Sicherheitsmaßnahmen mit der Entwicklungspolitik in ein Gesamtkonzept zu gießen und sich stärker auf Langzeiteffekte des eigenen operativen Handelns zu fokussieren.

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Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte – Der nächste Schritt nach SAFE und ECPC

Jochen Rehrl

1. Einleitung Die EU braucht keine Europäische Armee. Was der Union wirklich fehlt, um dem umfassenden zivil-militärischen Krisenmanagementansatz gerecht zu werden, sind Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte (ESFS). Diese Kräfte müssen sich klar vom gegenwärtigen Denken und Planen von Streitkräften abheben, integriert arbeiten, modulartig aufgebaut sein und für alle EU-Aufgaben zum Einsatz gebracht werden können. In diesem Sinne sind die Konzepte wie das „Europäische Zivile Friedenskorps (European Civilian Peace Corps/ECPC)“ oder „Synchronized Armed Forces Europe (SAFE)“ ein Schritt in die richtige Richtung. Sie müssen aber zusammengeführt werden, um schlussendlich die Aufgabe einer „Speerspitze“ bzw. „Friedenspfeife“ einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU wahrnehmen zu können. 1

2. Geschichtlicher Rückblick Die Forderung nach einer Europäischen Armee ist nicht neu. Wenn man Historiker fragt, dann werden oft Beispiele angeführt, die auf die Napoleonische Zeit zurückreichen. Fokussiert man sich auf die europäische Einigungsgeschichte, so findet man die ersten Gedanken in der Idee einer „Europäischen Verteidigungsgemeinschaft“ (EVG) mit „Europäischen Verteidigungsstreitkräften.“ Diese Idee, welche mit der Entstehung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) einherging, sah vor, dass die beteiligten Staaten gemeinsam Verteidigungsanstrengungen unternehmen würden. Am Ende der Entwicklung sollte eine supranationale Armee („Europäische Verteidigungsstreitkräfte“) stehen. Die Absicherung der territorialen Sicherheit sollte durch eine Beistandsgarantie erfolgen, welche als Anlassfall die „bewaffnete Aggression“ festschrieb. Der Begriff „Aggression“ wurde in diesem Vertragswerk (EGV) bewusst gewählt, weil man weiter als die anderen Organisationen (NATO, WEU) gehen wollte. Die 1

Dieser Text gibt die persönliche Meinung des Verfassers wieder, welche nicht notwendigerweise der Auffassung des Bundesministeriums für Landesverteidigung und Sport (BMLVS) entspricht.

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Konformität mit der Satzung der Vereinten Nationen sollte dadurch sichergestellt werden, indem man die Auswirkungen einer solchen bewaffneten Aggression mit den Auswirkungen eines bewaffneten Angriffs gleichsetzte. 2 Doch welche hehren Ziele durch die EVG auch verfolgt wurden, letztendlich scheiterte diese Idee 1954 an der fehlenden Zustimmung der französischen Nationalversammlung. Zudem wurde zu dieser Zeit kein Gedanke an zivil-militärische Synergien, Arbeitsteilung oder Strukturen verschwendet. Auch den Verteidigungsbündnissen WEU, NATO oder Warschauer Pakt (WAPA) war ein zivilmilitärischer Ansatz fremd. Der jüngste Vorstoß in Richtung einer Europäisierung des Militärs entstammt einer deutschen Initiative. Während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft und im Rahmen der „50-Jahr-Feier Römische Verträge“ ventilierte Bundeskanzlerin Merkel Anfang 2007 die Idee zur Schaffung einer Europäischen Armee. Unterstützt wurde dieser Vorschlag von der SPD, die in einem Positionspapier konkrete Vorschläge zur Umsetzung vorlegte. 3 Gemäß diesem Papier sollte auf bestehende Kooperationsmodelle (u.a. Eurokorps, EUROMARFOR, EUROFOR) gebaut werden, indem diese in einer europäischen Struktur zusammengeführt werden. Das Papier enthielt außerdem ein klares Bekenntnis zur Errichtung europäischer Streitkräfte. „Wir wollen [...] in Europa die Initiative ergreifen, den Weg zu einer europäischen Armee zu beschreiten. Deutschland lebt mit seinen Nachbarn seit Jahrzehnten in Frieden, viele sind mit uns gemeinsam Mitglied der NATO und der EU. Wir sind bereit, in einen Prozess einzutreten, an dessen Ende wir unsere nationalen Armeen in eine supranationale Armee, eine europäische Armee einfügen.“ 4

Es blieb zunächst bei diesem Vorschlag, der insgesamt nur wenig mediales Interesse auf sich zog. 5

3. Bereits bestehende Konzepte und Ideen Das Europäische Parlament (EP) kann in sicherheitspolitischen Fragen als „Querdenker“ bzw. „Vordenker“ unter den europäischen Institutionen bezeichnet 2

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4 5

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Kapitel I Artikel 2 § 3 EVG: „Jede bewaffnete Aggression gegen irgendeinen der Mitgliedstaaten in Europa oder gegen die Europäischen Verteidigungsstreitkräfte wird als ein Angriff gegen alle Mitgliedstaaten angesehen.“ Vertrag über die Gründung einer europäischen Verteidigungsgemeinschaft vom 27. Mai 1952. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD): Auf dem Weg zu einer Europäischen Armee. Positionspapier der Arbeitsgruppen Sicherheitspolitik und Angelegenheiten der Europäischen Union. 27. März 2007. Ebd. S. 8-9. Siehe z.B. Sturm, Daniel Friedrich: Merkel will „gemeinsame europäische Armee“. In: Welt Online, 23. März 2007.

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

werden. Grund dafür ist unter anderem, dass das Parlament in der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) nur sehr beschränkte Mitspracherechte und noch weniger Pflichten hat. In einem Entschluss vom Februar 2009 bekräftigte das EP, dass die Umsetzung der Konzepte „Europäisches Ziviles Friedenskorps“ (ECPC) und „Synchronized Armed Forces Europe“ (SAFE) vorangetrieben werden sollen. 6 Diese von „Politikdenkern“ (EP) entwickelten Vorschläge müssen allerdings noch von den „Politikmachern“ (Europäischer Rat und Rat der EU) angenommen werden. Kritisch betrachtet fehlt dem Vorschlag des EP vor allem eines: der umfassende zivil-militärische Ansatz. Das EP hält in seinem Entwurf an der strikten Trennung zwischen Militär und zivilen Kräften fest. Ja mehr noch, es verstärkt diese Trennung, in dem es SAFE rein militärisch und in enger Anbindung an die NATO ansiedelt. Das Europäische Zivile Friedenskorps soll ebenso unabhängig und trennbar vom Militär installiert werden. Trotzdem könnten beide Modelle als Zwischenglied für ein größeres Ganzes dienen, nämlich für die Entwicklung von Europäischen Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräften.

3.1. Europäisches Ziviles Friedenskorps (ECPC) Die Idee des Europäischen Zivilen Friedenskorps (European Civil Peace Corps/ ECPC) geht auf einen Entschluss des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 1995 zurück. 7 Obwohl vom Namen her ähnlich unterscheidet sich das ECPC grundlegend vom „US Peace Corps“ (USPC). Im Hintergrund des USPC arbeitet eine gewaltige Struktur, die jedes Jahr eine große Anzahl an jungen und großteils unerfahrenen Freiwilligen in fast alle Teile der Welt entsendet. Im Jahr 2004 wurden z.B. 7 733 Freiwillige mit einem Durchschnittsalter von 28 Jahren entsandt. Das Auswahl- und Rekrutierungsbüro (aufgeteilt in 11 Büros, die über das ganze Land verteilt sind) verfügt über ein jährliches Budget von über 15 Millionen US Dollar. Mit dem europäischen Friedenskorps will man hingegen professionelle und erfahrene zivile Experten für Krisenmanagement-Einsätze der EU ansprechen, die rasch und unbürokratisch in Regionen entsandt werden können, um dort den Ausbruch von Gewalt zu verhindern (Krisen- und Konfliktpräventi6

7

Siehe Wogau, Karl von: Europäische Sicherheitsstrategie und ESVP. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 2009 zu der Europäischen Sicherheitsstrategie und der ESVP (2008/2202(INI)). Im sogenannten „Bourlanges/Martin Report“, welcher am 17. Mai 1995 vom Europäischen Parlament zur Vorbereitung auf die Regierungskonferenz zur Revision des Maastricht Vertrags angenommen wurde, wird zum Thema folgendes ausgeführt: „… a first step towards a contribution to conflict prevention could be the establishment of a European Civil Peace Corps (including conscientious objectors) with training of monitors, mediators and specialists in conflict prevention.“

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on). Dazu sollte einerseits ein Verwaltungsapparat aufgebaut werden, der den Rekrutierungsprozess und die Ausbildung abwickelt; andererseits sollte ein Pool an Fachkräften geschaffen werden, aus dem im Bedarfsfall zivile Experten zur Verfügung gestellt werden können. 8 Auf Initiative der Europaabgeordneten Alexander Langer und Ernst Gülcher wurden einige Gedanken zu ECPC formuliert und zur Diskussion gestellt. 9 Angetrieben wurde der Prozess durch die markanten Fehlleistungen der EU und ihrer Mitgliedstaaten bei der Bewältigung des Zerfallsprozesses im ehemaligen Jugoslawien (1991-1999). Die Etablierung der „European Community Monitoring Mission“ (ECMM ) und das Scheitern der von der OSZE geführten „Kosovo Verification Mission“ (KVM) zeigten die Mängel der ersten Überlegungen auf. Basierend auf einem weiteren Bericht eines Europäischen Parlamentsabgeordneten, dem „Lagendijk Report“, 10 wurde das Konzept weiterentwickelt und schlussendlich im Jahr 2004 einer Machbarkeitsstudie unterzogen. 11 In dieser Studie werden Aufgabenfelder wie Mediation, Aufbau von Rechtsstaatlichkeit sowie zivile Verwaltung, Wiederaufbau, Entwicklung einer Zivilgesellschaft, Politikberatung auf höchster Ebene und Demobilisierung, Entwaffnung und Reintegration (Demobilisation, Disarmament and Reintegration/DDR) für das „European Civil Peace Corps“ angesprochen.

3.2. Synchronized Armed Forces Europe (SAFE) Das SAFE-Konzept geht auf die Idee des ehemaligen Europäischen Parlamentspräsidenten Hans-Gert Pöttering aus dem Jahr 2008 zurück. 12 Bei der Berliner Sicherheitskonferenz im November 2008 stellte er das Konzept zum ersten Mal einer breiten Öffentlichkeit vor. 13 Im Februar 2009 fanden die Überlegungen 8 9 10 11

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Siehe Truger, Arno: ECPC – Europ. Ziviles Friedenskorps. In: Friedensforum. Juli 1996: 4-5, S. 31-32. Vgl. Robert, Pierre/Vilby, Knud/Aiolfi, Luca/Otto, Ralf: Feasibility Study on the European Civil Peace Corps (ECPC). Final Report. Channel Research. Ohain 2005. European Parliament Resolution on the Commission Communication on Conflict Prevention. A5-0394/2001. Gourlay, Catriona: Feasibility Study on the European Civil Peace Corps. Projektstudie des Berghof Forschungszentrums für konstruktive Konfliktbearbeitung und ISIS (international security information service). March 2004. Pöttering, Hans-Gert: Neue Entwicklungen und Ansätze für ein Europa der Verteidigung. Rede von Honorarprofessor Dr. Hans-Gert Pöttering, MdEP, Präsident des Europäischen Parlaments, anlässlich der Siebenten Berliner Sicherheitskonferenz über „A Roadmap for a Security and Defence Union – Political Initiatives and Procurement“. Berlin 2008. Europäische Vision. Hans-Gert Pöttering sieht in einer EU-Armee das Fernziel der Sicherheits- und Verteidigungspolitik. In: Aktuell. Zeitung für die Bundeswehr 46/2008. S. 5.

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

Eingang in den Entschluss über die „Europäische Sicherheitsstrategie und ESVP“. 14 SAFE sieht sich selbst als Zwischenschritt zu einer Europäischen Armee. Mit diesem Zwischenschritt soll es auch Staaten, die einer Europäischen Armee noch kritisch gegenüberstehen, möglich sein, erste Erfahrungen zu sammeln und auf freiwilliger Basis und in selbst gewähltem Ausmaß mitzuarbeiten, was einem sogenannten „Opt-In Modell“ entspricht. Ziel ist es, der EU interoperable und rasch einsetzbare Kräfte zur Verfügung zu stellen, die jederzeit das gesamte Spektrum der GSVP-Aufgaben bewältigen können. Zusätzlich zu diesem höheren Ziel der Fähigkeitsentwicklung soll auch der Integrationsprozess der Streitkräfte vorangetrieben werden. Die Diskussion um einen einheitlichen europäischen Soldatenstatus soll durch dieses Konzept angefacht werden. Dabei geht es nicht nur um die Etablierung von gemeinsamen Standards für Training und Ausbildung; es geht auch darum, die Rechte und Pflichten von Soldaten zu europäisieren. Zu guter Letzt soll es jedem europäischen Bürger ermöglicht werden, in jeder beliebigen nationalen europäischen Armee Militärdienst zu leisten. 15 Die Verfechter des Konzepts „Synchronised Armed Forces Europe“ betonen, dass SAFE nur ein Zwischenmodell darstellt, ähnlich wie es auch das SPD-Positionspapier von sich behauptet. Das Endziel lautet auch hier: die Errichtung einer „Europäischen Armee/Europa-Armee /EU-Armee“.

4. Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte Obwohl beide Konzepte in die richtige Richtung weisen, nämlich in Richtung Europa, müssen auch die Schwachpunkte beider Modelle offen angesprochen werden: Zum Einen sind beide Modelle strikt voneinander getrennt, auch wenn sie in einer Entschließung des EP gemeinsam genannt werden. 16 Zum Anderen wurden beide Modelle vom Parlament lanciert, obwohl das EP derzeit noch über

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16

Europäische Sicherheitsstrategie und ESVP. Entschließung des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 2009 zu der Europäischen Sicherheitsstrategie und der ESVP (2008/ 2202(INI)). Siehe Pöttering, Hans-Gert: Synchronized Armed Forces Europe (SAFE). Neue Entwicklungen und Ansätze für ein Europa der Verteidigung. In: Österreichische Militärische Zeitschrift (ÖMZ) 3/2009, S. 277-282. „44. fordert die Weiterentwicklung der Partnerschaft für Friedensbildung zu einem Europäischen Zivilen Friedenskorps.“ und „51. befürwortet die dynamische Weiterentwicklung der Zusammenarbeit nationaler Streitkräfte hin zu einer immer engeren Synchronisierung; schlägt vor, diesem Prozess und den Streitkräften den Namen SAFE ‚Synchronized Armed Forces Europe’ zu geben.“ Entschließung „Die Europäische Sicherheitsstrategie und ESVP“ des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 2009.

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wenig Mitsprache- und noch weniger Gestaltungsmöglichkeiten im Bereich der GSVP verfügt. Es stellt sich die Frage, ob es wirklich neuer Konzepte bedarf oder ob bestehende Konzepte einfach konkreter umgesetzt werden müssen. Die Antwort ist relativ einfach und geht von den Schwachstellen der Konzepte „Synchronized Armed Forces Europe“ und „European Civil Peace Corps“ aus: Die Entwicklung hat gezeigt, dass eine strikte Trennung zwischen Armee, Polizei und zivilen Kräften im Bereich Sicherheit, und insbesondere für Krisenmanagement nicht geeignet ist. Aktuelle globale Herausforderungen machen supranationales Denken und eine gemeinsame Souveränitätswahrnehmung dringend notwendig. In Zeiten komplexer sicherheitspolitischer Problemstellungen sind nationale Vorbehalte und eine rein staatlich fokussierte und ressortorientierte Denkweise nicht mehr angebracht. Darüber hinaus müssen umfassende Lösungsansätze entwickelt und verfolgt werden. Praktische Erfahrungen haben gezeigt, dass komplexe Krisen- und Konfliktsituationen heutzutage nicht mehr durch rein militärische Mittel gelöst werden können; 17 ebenso wie manchmal rein zivile Missionen an fehlender Robustheit und Durchsetzungsfähigkeit scheitern. Wie das Beispiel der EU-Mission EUJUST „Themis“ in Georgien gezeigt hat, wird es auch in Zukunft Bedarf an rein zivilen Unterstützungsmissionen geben. Dennoch ist erfolgreiches und glaubwürdiges Krisenmanagement dauerhaft nur durch den Rückgriff auf sämtliche verfügbare Möglichkeiten und Mittel möglich. 18 Die Antwort der europäischen Staaten auf die heutigen Anforderungen muss eine gemeinsame und supranationale sein: der Aufbau Europäischer Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte (ESFS).

4.1. Die Aufgaben Das Betätigungsfeld für solche Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte wird im EU-Reformvertrag, dem sogenannten Vertrag von Lissabon, 19 relativ plakativ, dafür aber einprägsam umschrieben. Der im Vertrag enthaltene GSVPAufgabenkatalog führt neben den bereits 1992 formulierten „Petersberg-Aufga17

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Vgl. Giegerich, Bastian/Orlianges, Charles/Sandawi, Sammi: Operative Tendenzen der ESVP. In: Algieri, Franco/Lang, Sibylle/Staack, Michael (Hrsg): Militärische Aspekte der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Lichte der deutschen EURatspräsidentschaft. Bremen 2008, S. 25-45, hier S. 32. Vgl. Rehrl, Jochen: Die Wirksamkeit von EU-Einsätzen. Eine Bestandsaufnahme des ESVP-Engagements nach 10 Jahren. In: Hauser, Gunther u.a. (Hrsg.): Zielsetzung und Wirksamkeit von Auslandseinsätzen. Schriftenreihe des Wissenschaftlichen Forums für Internationale Sicherheit e.V. (WIFIS). Band 28. Bremen 2009. S. 53-66. Siehe Lieb, Julia/Maurer, Andreas: Der Vertrag von Lissabon. Kurzkommentar. Diskussionspapier. Stiftung Wissenschaft und Politik. Berlin 2009, S. 52-55.

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

ben“ 20 zusätzlich die Bereiche Abrüstung, Militärberatung und Terrorismusbekämpfung an. 21 In der Literatur findet man manchmal noch den Begriff „Petersberg Plus“-Aufgaben zur Beschreibung der neuen GSVP-Aufgaben. Der Ausdruck ist jedoch in dreifacher Hinsicht falsch gewählt, denn erstens wurden die Aufgaben 1992 als militärische Aufgaben für das Militärbündnis WEU definiert, zweitens haben die GSVP-Aufgaben im EU-Vertrag (EUV) im Grund genommen keinen Bezug zum Konferenzort Petersberg bei Bonn und drittens hat der Umfang des GSVP-Aufgabenkatalogs im Vergleich zu den erwähnten Petersberg-Aufgaben eine ganz andere, nämlich zivil-militärische Dimension. Deshalb sollte man den Begriff „GSVP-Aufgaben“ bzw. „GSVP-Aufgabenkatalog“ verwenden, wenn man das Aufgabenspektrum des Art. 43 (1) EUV beschreiben möchte. 22 Zusätzlich zum GSVP-Aufgabenkatalog findet man im Vertrag eine Beistandsgarantie, die angelehnt an eine ähnliche Formulierung im Europäischen Verfassungsvertrag die „bewaffnete Aggression“ durch einen Drittstaat als Anlassfall nimmt und sich auf den Schutz des Hoheitsgebietes der EU-Mitgliedstaaten bezieht. Dies schließt sämtliche überseeischen Gebiete ein und stellt damit eine sehr umfassende Form der Beistandsgarantie dar. Sie ist geographisch weiter gefasst als vergleichbare Passagen im WEU- und NATO-Vertrag. 23 Und in der Solidaritätsklausel wird der Einsatz aller Mittel sowohl der EU selbst als auch ihrer Mitgliedstaaten zur Terrorismusabwehr, zur Terrorismusbekämpfung sowie zur Beseitigung der Folgen von Naturkatastrophen und von Menschen verursachten Katastrophen in Aussicht gestellt. 24

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Die vom WEU-Ministerrat in Petersberg (Konferenzort bei Bonn) entwickelten Aufgaben wurden 1997 in den EU-Vertrag von Amsterdam inkorporiert. Dort heißt es im Artikel J.7 Abs. 2: „Die Fragen, auf die in diesem Artikel Bezug genommen wird, schließen humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, friedenserhaltende Aufgaben sowie Kampfeinsätze bei der Krisenbewältigung einschließlich friedensschaffender Maßnahmen ein.“ Vertrag von Amsterdam zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte. Amtsblatt Nr. C340 vom 10. November 1997. Siehe Ondarza, Nicolai von: Die EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik im Schatten der Ungewissheit. Bestandsaufnahme und Optionen nach dem irischen Nein zum Lissabonner Vertrag. SWP-Studie. Berlin 2008, S. 19-20. Vgl. Rehrl, Jochen: Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Die ESVP im Vertrag von Lissabon. In: Pucher, Johann/Frank, Johann (Hrsg.): Sicherheit und Strategie 2010. Das strategische Profil der Europäischen Union. Wien 2010, S. 73-98, hier S. 77. Den Vergleich der verschiedenen, aber fast gleichlautenden Passagen findet man bei Rehrl, Jochen: Die Beistandsgarantie im EU-Reformvertrag. In: Der Soldat 9/2008, S 2. Der Vergleich umfasst EU, NATO und WEU und betrifft die Felder Auslöser der Beistandsgarantie, Anwendungsgebiet und Umfang des Beistands. Siehe Rehrl, Jochen: Beistandsgarantie und Solidaritätsklausel. In: Zeitschrift für Öffentliches Recht (ZÖR) 60/2005, S. 31-53.

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Der neue GSVP-Aufgabenkatalog, die Beistandsgarantie und die Solidaritätsklausel bieten genügend Basis, um mit den Planungen für Sicherheits-, Friedensund Stabilisierungskräfte beginnen zu können. Zu diskutieren bleibt noch, inwieweit diese Kräfte auch für Inlandsaufgaben (Heimatschutzaufgaben) herangezogen werden können, abgesehen von den Fällen der Terrorismusbekämpfung und Terrorismusabwehr gemäß Solidaritätsklausel.

4.2. Die Gliederung Es steht außer Frage, dass Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte über eine militärische Komponente verfügen müssen. Diese müsste rasch verfügbar und modern ausgestattet sein. Grundsätzlich wäre einer supranationalen Struktur gegenüber einer zwischenstaatlichen der Vorzug zu geben. Supranationalität könnte für Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte sogar der Schlüssel zum Erfolg sein. Denn nur in einer supranationalen Struktur kann verhindert werden, dass nationale Befindlichkeiten oder Vorbehalte in letzter Konsequenz zum Scheitern eines Einsatzes führen. Darüber hinaus scheint es wichtig, dass die meisten EU-Mitgliedstaaten bereits jetzt ihre Armeen nicht mehr zur direkten Umsetzung nationaler Interessen verwenden, sprich als ein Exekutivorgan ihrer Außenpolitik, sondern ihre Streitkräfte einem größeren Ganzen (EU, UNO, NATO) zur Verfügung stellen. Es stellt sich die Frage, warum diese militärischen Fähigkeiten auf nationaler Ebene bereitgestellt werden und nicht sofort an dieses „größere Ganze“ transferiert werden, wo doch die nationale Interessensdurchsetzung mit militärischer Gewalt in der heutigen Zeit eigentlich ausgedient hat bzw. haben sollte. 25 Gleichzeitig ist kein einziger europäischer Staat mehr in der Lage, sein Territorium alleine, also ohne Rückgriff auf Alliierte oder Partner, militärisch zu verteidigen. 26 Zudem müssten, und hier kommt der umfassende Krisenmanagementansatz zur Geltung, sowohl Polizeikräfte wie auch zivile Hilfskräfte eingebunden werden. Dabei sollte ihnen jedoch keine reine Hilfsfunktion zugewiesen werden, sondern eine den militärischen Elementen ebenbürtige. Der Grund dafür ist, dass in komplexen Krisensituationen zivile und militärische Anteile auf gleiche Weise zum Erfolg oder Misserfolg einer Mission beitragen. Die internationalen Polizeikräfte könnten auf dem Nukleus der „European Gendarmerie Force“ (EGF) 25

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Siehe dazu Holm, Hans-Henrik/Sorensen, Georg: Whose World Order? Uneven Globalization and the End of the Cold War. San Francisco/Oxford 1995, S. 187-206; und Cooper, Robert: The Breaking of Nations. New York 2003. Vgl. Howorth, Jolyon: The European Security Strategy and Military Capacity. The First Significant Steps. In: Biscop, Sven/Andersson, Jan Joel (Hrsg.): The European Union and the European Security Strategy. Forging a Global Europe. London/New York 2008, S. 81-102.

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

aufbauen. Dieses 2006 gegründete europäische Element setzt sich derzeit aus nationalen Einmeldungen aus sechs EU-Mitgliedstaaten zusammen, 27 wobei vor allem militärisch organisierte Polizeieinheiten wie z.B. die italienischen Carabinieri oder die französische Gendarmerie beteiligt sind. Das zentrale Problem in Zusammenhang mit der Bereitstellung von polizeilichem und zivilem Personal für internationale Einsätze ist der ständige Bedarf an diesen Einheiten im Inland. Ein Polizist, der sich für eine Mission bereitstellt, fehlt auf seinem Posten in Berlin, Wien oder Paris. Die zivile Sparte verfügt nicht über Kräfte, die in Friedenszeiten in Kasernen bereit stehen, ständig trainieren und im Anlassfall aktiviert werden können. Für zivile Elemente herrscht immer Einsatz. Soldaten stehen auf Abruf für Krisen bereit und haben mit Ausnahme der Aus- und Weiterbildung sowie Assistenzleistung für andere Körperschaften keine Routine-/Einsatzfunktion in Friedenszeiten. Auch das ist ein Argument dafür, zivile Kräfte in ein umfassendes System von Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräften zu integrieren, um rasch Kontingente zur Krisen- und Konfliktbewältigung zusammenstellen und entsenden zu können. Die zivilen Kräfte sollen neben Experten für verschiedene administrative Aufgaben (z.B. Finanzen, Gesundheit, Soziales, Inneres) auch Hilfs- und Rettungskräfte umfassen, die im Bedarfsfall rasch entsendet werden können. Deshalb wäre es sinnvoll, auch kleinere Feuerwehreinheiten und ähnlich dem Technischen Hilfswerk in Deutschland ausgestattete Unterstützungselemente einzuplanen. Abbildung: Gliederung der ESFS (Quelle: eigene Darstellung)

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Frankreich, Italien, Niederlande, Spanien, Rumänien und Portugal.

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Insgesamt ergibt sich daraus, dass Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte in drei Säulen gegliedert sein sollten. • 1. Säule: Militärische Fähigkeiten; • 2. Säule: Zivile Fähigkeiten; • 3. Säule: Einsatzorganisation, die sich aus Modulen der ersten und zweiten Säule zusammensetzt und das gesamte In- und Auslandsengagement der EU abdeckt. 4.2.1. Die erste Säule: Militärische Fähigkeiten In dieser Säule findet sich die Idee einer Europäischen Armee wieder, allerdings nicht wie im SPD-Positionspapier angedacht als Zusammenschluss von bereits bestehenden multinationalen Kooperationsmodellen (z.B. Eurocorps, Euromarfor, Eurofor), sondern in Form einer supranational organisierten Europäischen Armee, in der die Soldaten unter der Europaflagge dienen würden. Dem könnte entgegen gehalten werden, dass dafür geschlossenes europäisches Denken, eine europäische Sicherheitskultur 28 und eine europäische Identität fehlen, für die Europäer mit Waffen einstehen würden. Das mag stimmen und es wäre erstrebenswert, dass europäische Werte in unserer Gesellschaft dermaßen verankert sind, dass jeder ohne auch nur einen Augenblick zu zögern für Europa – in letzter Konsequenz auch mit Waffengewalt – einstehen würde. Allerdings bestehen aus praktischer Sicht auch andere Wege, um eine solche Denkweise (europäische Sicherheitskultur) schrittweise aufzubauen. Beim Militär wird dieser Aufbau mit einem systemimmanenten „esprit de corps“ vereinfacht. Dieser europäische Korpsgeist kann nötigenfalls auch unter Zuhilfenahme von finanziellen Anreizen unterstützt werden. Falls es trotzdem zu wenige Europäer geben sollte, die sich für diesen Beruf entscheiden, könnte in Anlehnung an das französische 29 oder US-amerikanische Modell 30 auch Bürgern von Drittstaaten der Dienst in der Europäischen Armee offengestellt werden. Als Anreiz könnte am Ende der Dienstzeit entweder die EU-Bürgerschaft stehen oder zumindest ein erleichterter Zugang zu den damit verbundenen Rechten. Insofern sollte die Per-

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Siehe u.a. Rehrl, Jochen/Terpetschnig, Irene: Europäische Sicherheitskultur – Auch eine Frage der Ausbildung. In: Truppendienst 4/2006, S. 330-334. Ein Fremdenlegionär kann nach drei Jahren die französische Staatsbürgerschaft erwerben. Faktisch bleibt er aber so lange Ausländer, bis er mindestens die in seinem Vertrag verlangten fünf Jahre Dienst geleistet hat. Siehe die offizielle Homepage der Fremdenlegion unter , abgerufen am 13.12.2009. Wenn man drei Jahre Dienst in der U.S. Army versehen hat oder an Kampfeinsätzen für die U.S. Army beteiligt war, kann man unabhängig von seiner aktuellen Staatsbürgerschaft und den gültigen „US residency requirements“ um die US-Staatsbürgerschaft ansuchen.

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

sonalbewirtschaftung, insbesondere die Personalbereitstellung die geringste Herausforderung darstellen. 4.2.2. Die zweite Säule: Zivile Fähigkeiten Die Trennung in eine zivile und eine militärische Säule macht in diesem Bereich durchaus Sinn, da Aus-, Fort- und Weiterbildung speziell auf taktischer Ebene aufgrund der verschiedenen Aufgabenstellungen getrennt durchgeführt werden müssen. Das zivil-militärische Zusammenführen der Elemente wäre auf operativer und strategischer Ebene anzustreben, grundsätzlich jedoch so früh wie möglich. In dieser zweiten Säule sollten alle erdenklichen zivilen Fähigkeiten, sowohl personell als auch materiell, abgebildet sein. Neben Polizisten, Feuerwehrleuten, Sanitätern, Ärzten und anderen Experten wäre auch ein Pool an Diplomaten und Führungskräften zu schaffen, der für ESVP-Einsätze sofort und ohne Einschränkungen zur Verfügung steht. Hier könnte es bereits zu einer Verschmelzung der Säulenstruktur kommen, wenn es z.B. um Mediziner, Politische Berater oder Rechtsberater geht. Alle Personen, die in den Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräften ihren Dienst versehen, sollten hauptamtlich in diesen Kräften arbeiten, um eventuelle zeitliche, regionale oder thematische Hindernisse von vornherein zu beseitigen. Zwischen den Einsätzen könnten die Experten der zivilen Fähigkeitssäule in nationalen oder europäischen Administrationen (z.B. Ratssekretariat, Kommission) dienen, Fortbildungen absolvieren, für interne Schulungen herangezogen werden oder Urlaubstage abbauen. Für den Pool an Diplomaten und Führungskräften wäre eine Teilverpflichtung anzustreben, wobei das Personal entweder direkt aus den EU-Institutionen kommt und somit keinen nationalen Entsenderestriktionen unterliegt, oder von den EU-Mitgliedstaaten verpflichtend den Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräften prioritär zugeordnet wird. In beiden Fällen müsste sichergestellt werden, dass das Personal auf Knopfdruck bereitsteht, egal wohin die Mission geht. Durch den Vertrag von Lissabon ist ein gemeinsamer europäischer auswärtiger Dienst (European External Action Service) für die EU errichtet worden. 31 Sobald dieser diplomatische Dienst vollständig etabliert ist, sollte vorwiegend aus diesem Pool rekrutiert werden.

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Vgl. Crowe, Brian: The European External Action Service. A Roadmap for Success. Chatham House – Royal Institute of International Affairs. London 2008.

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4.2.3. Die dritte Säule: Einsatzorganisation Die dritte Säule hat keine fixe Struktur, sondern setzt sich anlass- und bedarfsorientiert aus Elementen/Modulen der ersten und zweiten Säule zusammen. In dieser Säule soll die Einsatzorganisation beheimatet sein, sprich missions- und operationsbezogene Kräfte, wie etwa rein zivile Elemente für Brandkatastrophen oder zur Unterstützung der zivilen Verwaltung bei Reformen, zivil-militärische Elemente für Krisenmanagement, Rüstungskontrolle und Security-Sector-Reform (SSR) oder rein militärische Elemente für den Aufbau von Streitkräften (Militärberatung) oder zur Überwachung eines Waffenstillstandsabkommens (klassisches Peace-Keeping). Die Idee, die dieser Säule zugrunde liegt, ist in der flexiblen und raschen Umsetzung von politischen Vorgaben zu finden. Die Einsatzorganisation soll in der Lage sein, innerhalb von wenigen Tagen, eventuell auch binnen weniger Stunden passendes Personal und Material zusammenzuführen und in den Einsatz zu verbringen. Dazu benötigt es uneingeschränkten Zugriff auf Ressourcen der ersten und zweiten Säule sowie Transportkapazitäten, die eine rasche Verlegung erst möglich machen. In dieser Säule wäre auch ein Element für Übungen und Lessons-Identified/ Learned anzusiedeln. Ebenso sollte das missions- bzw. operationsspezifische Training bereits in der dritten Säule abgewickelt werden. Ein zivil-militärisches „Force Integration Training“ (FIT) würde das Zusammenwirken aller Fähigkeiten der EU für einen Einsatz gewährleisten.

4.3. Das Führungselement Um die Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte nicht zu einem Papiertiger verkommen zu lassen, ist es wichtig, ein Planungs- und Führungselement mit einer stimmigen und pragmatischen Befehlskette und Kommandostruktur auszustatten. Dabei handelt es sich jedoch um ein kontroverses Thema. GSVP-Experten ist die vor einigen Jahren geführte Diskussion um ein europäisches Hauptquartier (Stichwort Tervuren) noch in guter Erinnerung. Damals forderten die Regierungschefs von Belgien, Luxemburg, Frankreich und Deutschland die Etablierung eines solchen Kommandos. 32 Die Belgier erklärten sich bereit, das in 32

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Neben der Forderung eines Hauptquartiers zur Planung und Führung von militärischen Operationen (vergleichbar mit NATO/SHAPE) wurde auch die Idee einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsunion (ESVU) ventiliert. Obwohl der Gipfel vom 29. April 2003 belächelt und von manchen Kritikern mit dem spöttischen Beinamen „Pralinengipfel“ bedacht wurde, muss man nach einigen Jahren feststellen, dass die meisten Forderungen bis heute umgesetzt wurden. Unter anderem war der Gipfel auch die Geburtsstun-

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

Brüssel-Nähe beheimatete Schloss in Tervuren zur Verfügung zu stellen. Die Briten lehnten in einer Reflexbewegung all diese Überlegungen ab, ohne die Vorteile einer solchen Variante bis ans Ende durchgedacht zu haben. 33 Da jedoch ein solches Vorhaben in der zwischenstaatlichen Struktur der GASP ohne Konsens nicht durchzusetzen ist, begnügte man sich nach einer kurzen Reflexionsphase mit der Einrichtung einer kleinen Operationszelle innerhalb des EUMilitärstabs, die ihre ursprüngliche Bestimmung zwar nie erfüllte, trotzdem aber als Grundstein für ein europäisches militärisches Operationszentrum (OHQ) gesehen werden konnte. Während der französischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2008 wurde der nächste Vorstoß unternommen, zumindest eine gemeinsame Planungszelle innerhalb der EU-Strukturen zu etablieren. In der Zwischenzeit wurden bereits das o.a. Operationszentrum, eine zivil-militärische Zelle im EU-Militärstab sowie ein ziviles Hauptquartier (Civilian Planning and Conduct Capacity/CPCC) im EU-Ratssekretariat errichtet. 34 Die internen Herausforderungen und die künstliche Trennung zwischen Militärs auf der einen und Zivilisten auf der anderen Seite führten dazu, dass Frankreich die Verschmelzung von zwei Generaldirektoraten (DG E VIII und DG E IX) im EU-Ratssekretariat und dem CPCC vorschlug – und zur allgemeinen Überraschung mit diesem Vorschlag durchkam. 35 Das mit dem Vertrag von Lissabon etablierte „Crisis Management and Planning Directorate“ (CMPD) ist das Ergebnis dieses jahrelangen Prozesses; aber mit Sicherheit noch nicht der Schlussstrich. Denn ein Manko bei allen bisher durchgeführten Operationen und Missionen war vor allem die schleppende Bestellung eines Hauptquartiers („Brüssel bestellt das Hauptquartier“), die wiederum zu einer schleppenden Befüllung desselben („die EU-Mitgliedstaaten senden Experten in das Hauptquartier) führte. Zu guter Letzt kam es dann auch noch zu Verzögerungen aufgrund des mangelnden Teamgeists in den großteils bunt zusammengewürfelten Hauptquartieren, dabei insbesondere zu „Sprachwirrwarr“ und verschiedenen Auffassungsunterschieden zwischen EU- und NATO-Mitarbeitern. Insofern wird man die „Tervuren-Idee“,

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de des Europäischen Sicherheits- und Verteidigungskollegs, welches im Jahr 2005 durch eine „Gemeinsame Aktion“ beschlossen wurde. Der damalige britische Ministerpräsident Tony Blair lenkte ein halbe Jahr später beim deutsch-britischen Gipfel in Berlin ein und forderte ebenfalls eine Stärkung der ESVP. Siehe Prange, Sven: Auch die Briten wollen eine starke ESVP. , abgerufen am 13.12.2009. Zur genauen Aufgabenstellung dieser Zelle siehe Abschnitt 7.17. im Grundlagenteil des vorliegenden Bandes. Solana, Javier: Proposal for a Crisis Management and Planning Directorate. Brussels, 25 November 2008. Dieser Vorschlag wurde durch die französische Ratspräsidentschaft erarbeitet, jedoch aus Gründen der Objektivität über das EU-Ratssekretariat zur Verteilung gebracht.

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also die Schaffung eines operationellen Hauptquartiers, in der einen oder anderen Form noch einmal diskutieren müssen. Das Hauptquartier für die Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte muss auf jeden Fall zivil-militärisch organisiert sein und über einen permanenten Stab verfügen. Einige Posten könnten für die Auffüllung durch Drittelemente, d.h. durch Experten aus den EU-Hauptstädten oder aus Drittstaaten, die sich an der Operation oder Mission beteiligen, vorgesehen werden. Diese Überlegung erübrigt sich jedoch, sollte der Gedanke der Supranationalität siegen; denn dann würde es – nach Ablauf einer gewissen Übergangsphase – keine nationalen Armeen mehr geben, deshalb auch keine nationalen Experten, die einen substantiellen Beitrag für ein Hauptquartier leisten könnten. In diesem Endstadium wäre das Hauptquartier supranational aus Experten der Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte zusammengesetzt. Selbst Spezialfunktionen wie jene von Rechtsexperten oder politischen Beratern sollten permanent im Führungselement abgebildet sein. Ebenso schwierig wird die Aufgabe zu bewältigen sein, die verschiedenen nationalen Nachrichtendienste unter einen gemeinsamen Hut zu bringen. Es sollte aber unstrittig sein, dass zu einer Europäischen Sicherheitskultur auch eine europäische Bedrohungswahrnehmung zählt. Und diese kann nur durch eine gemeinsame Bedrohungsanalyse gewährleistet werden. Insofern braucht man auf europäischer Ebene ein nachrichtendienstliches Element, welches ein Produkt erstellt, das allen EU-Mitgliedstaaten zur Verfügung steht. Die Handlungsableitungen sollen für alle EU-Mitgliedstaaten aufgrund derselben Vorgaben getroffen werden. Mit der Etablierung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAS) 36 geht man genau in diese Richtung. Denn mit den rund 150 diplomatischen EU-Vertretungen in der Welt wird man weniger auf die Informationen aus den EU-Hauptstädten angewiesen sein, sondern wird als EU von einem Informationsempfänger zu einem Informationslieferanten für die EU-Mitgliedstaaten. Kein Nationalstaat wird quantitäts- und qualitätsmäßig mit den diplomatischen Vertretungen der EU konkurrieren können.

4.4. Die Ausbildung Doch zurück zum Führungselement: Im Führungselement sollte die Fähigkeit bestehen, Einsätze zu planen, zu führen und die Nachhaltigkeit in Bezug auf Personal und Material sicherstellen zu können. Zu einer gediegenen Vorberei36

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Vgl. The European External Action Service. Swedish Presidency Report to the European Council on the European External Action Service (EEAS), 23 October 2009 (public).

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

tung zählt auch die Ausbildung des Personals. Und diese Ausbildung sollte sich in eine Basis- und eine Einsatzausbildung gliedern, wobei der Lessons-Identified/ -Learned-Prozess speziell bei der Einsatzausbildung eine besondere Rolle spielen muss. Gleichzeitig wäre großes Augenmerk auf die Ausbildung der eingesetzten Kräfte („mission specific training/pre-mission training“) zu legen. Die Basisausbildung sowie etwaige Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen wären unter Rückgriff auf die erste und zweite Säule abzuwickeln, sofern noch keine zivil-militärische Zusammenschau für das Erreichen des Ausbildungszieles von Nöten ist. Falls ein zivil-militärischer Aspekt behandelt werden muss, wären die Ausbildungsexperten beider Säulen gefordert. Allerdings muss auf jeder Ebene sichergestellt werden, dass das übergeordnete Ziel nicht aus den Augen verloren wird. 37 Natürlich muss bei einer Europäisierung des Militärs (und des Diplomatischen Korps) auch die Ausbildung europäisiert werden. Beim Militär hat man mit dem französischen Präsidentschaftsprojekt „Erasmus-Militär“ 38 einen ersten Impuls zur Vereinheitlichung der Grundausbildung für Offiziere gesetzt. Weitere Schritte müssen die gesamte Offiziersausbildung inklusive Ausbildung für den Generalstab umfassen. Das Gleiche gilt für den diplomatischen Bereich, wo es mit dem „Europäischen Diplomatischen Programm“ (EDP) ebenso einen Ansatz zur Europäisierung gibt, das Programm selbst jedoch eher zur Vertiefung, sprich Weiterbildung, als zur Grundausbildung herangezogen wird. Für diese Vorhaben und für die Ausbildung auf dem Gebiet GASP/GSVP könnte ein modifiziertes Europäisches Sicherheits- und Verteidigungskolleg (ESVK/ESDC) als Schlüsselinstitution verwendet werden, 39 sofern man sich auf die Ausweitung des Ausbildungs- und Trainingsbereiches von rein strategischer Ausbildung auch auf operative und taktische Ausbildung einigen kann. Hier könnte man eine European Security School andenken, welche nationale Ausbildungsstätten zusammenführt und auch selbst Kurse für die operative/taktische 37

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Vgl. Rehrl, Jochen: Der Beitrag des Ausbildungssektors zur Etablierung einer europäischen Sicherheitskultur. In: Pucher, Johann/Frank, Johann (Hrsg): Sicherheit und Strategie 2010. Wien 2010. S. 339-351. Der Begriff „Erasmus-Militär“ wurde offiziell durch den langen Ausdruck „Europäische Initiative zum Austausch junger Offiziere nach dem Erasmus-Modell“ ersetzt. Als Begründung wurde angeführt, dass das Erasmus-Programm der Europäischen Kommission bereits mit bestimmten Kriterien (u.a. Kommissionsfinanzierung) verbunden ist, welche beim „Erasmus-Militär“ nicht erfüllt werden. Trotzdem hat sich in der täglichen Arbeit der viel kürzere Ausdruck „Erasmus-Militär“ etabliert. Siehe u.a. Lieb, Julia/Ondarza, Nicolai von: Future Perspectives of the European Security and Defence College. Paper by Julia Lieb and Nicolai von Ondarza. Meeting of the Subcommittee on Security and Defence of the European Parliament. Brussels 2008; Rehrl, Jochen: Status and Perspectives of Training and Education within the EU’s concept. In: Theresianische Militärakademie: Armis et Litteris. Band 20. Europeanization of Officer Training. International Symposium 2008. S. 81-89.

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Ebene anbietet. Auf polizeilicher Ebene gibt es bereits eine vergleichbare Institution, nämlich CEPOL (Europäische Polizeiakademie in Bramshill, Großbritannien). 40 Eine derartige Ausweitung ist aber im Besonderen bei der militärischen Ausbildung von Nöten, da aufgrund der Supranationalität und der damit einhergehenden Auflösung von nationalen Kapazitäten die nationale Verantwortung im Bereich Training wegfallen wird. 41 Bei der operativen und taktischen Ausbildung im zivilen und zivil-militärischen Bereich müssten unbedingt die vielen Nicht-Regierungsorganisationen eingebunden werden, die bereits jetzt einen wesentlichen Beitrag für ein erfolgreiches EU-Krisen-management leisten. 42

4.5. Der räumliche Aspekt Ein viel gehörtes Argument, warum Europäische Kräfte nicht funktionieren können, verweist auf nationale Vorbehalte in Bezug auf den Verlust der eigenen Krisenmanagementfähigkeit. In Österreich wird das Bundesheer z.B. nach Unwetterkatastrophen, sei es Sturmschäden oder Überschwemmungen, zum „consequence management“ eingesetzt. Wer sollte in Zukunft diese Aufgabe wahrnehmen, wenn es keine nationalen Soldaten mehr geben sollte? Noch aktueller ist der Einsatz des Bundesheeres im Hinterland der ehemaligen EU-Schengengrenze zu Ungarn und der Slowakei zur „Bekämpfung der Kriminalität.“ 43 Dass jedoch die Kriminalitätsbekämpfung niemals Aufgabe des Militärs sein darf, sollte sich jedermann bewusst sein. Falls die bestehenden Polizeikapazitäten

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Siehe , abgerufen am 13.12.2009. Diese „Sicherheitsschule“ sollte sowohl zivile wie auch militärische taktische bis operative Trainingskurse anbieten. Insofern wäre eine Vernetzung mit der „European Group on Training“ bzw. deren Nachfolgeorganisation anzudenken. Der Grundsatz „national responsibility“ im Bereich Training entwickelte sich in den vergangenen Jahren immer mehr zu einem Hemmschuh für die Weiterentwicklung des GSVP-Ausbildungsbereichs. Speziell große und EU-kritische Staaten, welche selbständig viele Felder der Ausbildung abdecken konnten, versagten den kleineren Staaten, gemeinsam auf europäischer Ebene Ausbildungsgänge durchzuführen. Erst durch eine vertiefte Diskussion über die Weiterentwicklungsmöglichkeiten des Europäischen Sicherheitsund Verteidigungskollegs konnte dieser „Widerstand“ überwunden, jedoch noch nicht ganz beseitigt werden. Vgl. Rehrl, Jochen/Terpetschnig, Irene: Promoting a Shared Security Culture. In: ESDP Newsletter 2/2006. S. 11-12. Derzeit sind viele dieser Trainingsakteure im Nicht-Regierungsbereich in der sogenannten „European Group on Training“ (EGT) organisiert, die jedoch keine offizielle EUAgentur ist und insofern keinen direkten Zugriff auf Entscheidungsträger hat wie auch vice versa. Siehe , abgerufen am 13.12.2009. Siehe Red.: Präventiv gegen Kriminalität. Bundeskanzler Faymann und Minister Darabos besuchten Assistenzsoldaten. In: Der Soldat 11/2009, S. 14.

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

nicht ausreichen sollten, dann muss diese Fähigkeit aufgebaut, aber nicht durch den Rückgriff auf Militär kompensiert werden. Die Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte wären in ganz Europa zu dislozieren. Diese Dislozierung der Kräfte könnte auch dazu verwendet werden, dass unter bestimmten Kriterien der betreffende EU-Mitgliedstaat weiterhin auf diese Kräfte zugreifen kann. Vorstellbar wäre, dass die EU über ein bestimmtes Gebiet den „Notstand“ erklären muss und sich dann die nationalen (Bundes-) Staatsorgane auf Hilfe der EU-Kräfte verlassen, eventuell auf diese sogar direkt zugreifen können. Bei der Dislozierung der Kräfte wäre allerdings darauf zu achten, dass es nicht zur Bildung rein nationaler Verbände kommen soll. Die Kräfte sollen eine gemeinsame Einsatzsprache haben, die im Dienst immer und überall anzuwenden ist. Ebenso sollten mögliche nationale Rivalitäten zwischen Verbänden gleich von Anfang an verunmöglicht werden. Speziell in der Führungsstruktur dieser Einheiten wäre auf eine gute „Durchmischung“ zu achten, wobei der Kommandant selbst durchaus aus dem Land kommen kann (vielleicht sogar kommen sollte), in dem der Verband stationiert ist.

4.6. Die materielle Ausstattung Dieser Bereich ist vermutlich einer der Strittigsten, weil erstens die Wirtschaft und somit viel Geld damit verbunden ist und zweitens bereits getätigte Investitionen der EU-Mitgliedstaaten durch Überführen in ein größeres Ganzes in der einen oder anderen Form abgegolten werden müssten (z.B. Flugzeuge, Schiffe, Satelliten). Unstrittig sollte sein, dass die Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte modern, schlagkräftig und verlegefähig ausgestattet sein sollten. Für diesen Punkt wäre insbesondere ein Betätigungsfeld der Europäischen Verteidigungsagentur (EVA/EDA) gegeben. Synergien mit anderen Organisationen (UNO, OSZE) wären anzudenken, speziell bei der Anschaffung von zivilen bzw. zivilmilitärischen Mitteln wie z.B. Fahrzeugen. Jedoch müsste dafür das Mandat der EVA geändert werden, um auch für zivile Fähigkeiten planen und koordinieren zu können. Derzeit umfasst das Mandat nur militärische Rüstungsgüter. Größtes Augenmerk sollte auf die Verlegefähigkeit gelegt werden. Ein Angriff auf Europa ist eher unwahrscheinlich. 44 Deshalb wäre vor allem für den

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Auch Algieri sieht die möglichen Konflikte in der Nachbarschaft oder weiter entfernt. „The EU has always been, is and will remain to be confronted with conflicts in its neighbourhood as well as in regions further away.” Algieri, Franco: The New Security Context of the European Union. In: Theresianische Militärakademie: Armis et Litteris.

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Einsatz außerhalb der EU zu planen. Dieses Szenario findet sich auch in den GSVP-Aufgaben wieder. Auch große Investitionen im Bereich der strategischen Verlegefähigkeit, sei es zur See oder in der Luft, sollte für ein geeintes Europa keine allzu große Herausforderung darstellen. Nachdem Europa’s sicherheitspolitische Ambitionen mit anderen Schwergewichten ausgestattet ist wie vergleichsweise die Sicherheistpolitik der USA, wären die Investitionskosten nur ein Bruchteil davon. Es sollte auch kein Problem sein, europäische Flugzeugträger anzuschaffen, um einer Mission/Operation auch die nötige Luftkapazität zu geben, die selbstverständlich sowohl zivil wie auch militärisch genützt werden könnte. 45 Warum sollte ein Flugzeugträger eine rein militärische Fähigkeit darstellen? Auch bei zivilen Katastophen könnte die benötigte Luftunterstützung – insbesondere Helikopter – durch europäische Flugzeugträger bereitgestellt werden. Ähnlich verhält es sich mit „Kommandoschiffen“. Mit dem vorerst zivilen GALILEO System 46 ist ein erster Schritt in die richtige Richtung vollzogen worden. Und zu Recht fordert das EP, 47 dass dieses Satellitensystem auch für militärische Zwecke verwendet werden soll. 48

4.7. Die Finanzierung Am Ende sollte auch der finanzielle Aspekt angesprochen werden. Derzeit wird zwischen zivilen Missionen und militärischen Operationen unterschieden. Zivile Missionen werden aus dem GASP-Budget (Gemeinschaftshaushalt) gedeckt, während militärische Operationen über den sogenannten Athena-Mechanismus

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Band 20. Europeanization of Officer Training. International Symposium 2008. S. 53-61, hier S. 54. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen die Studien von IISS, Keohane und Witney, welche in Richtung “pooling and sharing” argumentieren, allerdings keinen umfassenden sondern militärischen Fokus haben (Ausnahme Witney, der auch eine „European Civilian Reserve Force“ fordert). Siehe Keohane, Daniel/Valasek, Tomas: Willing and able? EU defence in 2020. Centre for European Reform (CER). London 2008; International Institute for Strategic Studies: European Military Capabilities – Building Armed Forces for Modern Operations. London 2008; Witney, Nick: Re-energising Europe’s Security and Defence Policy. European Council on Foreign Relations. London 2008. Siehe , abgerufen am 12.12.2009. Pkt 50 der Entschließung „Die Europäische Sicherheitsstrategie und ESVP“ des Europäischen Parlaments vom 19. Februar 2009 lautet: „50. erachtet es als notwendig, die Nutzung von Galileo und GMES (weltweite Umwelt- und Sicherheitsüberwachung) Systemen für Sicherheits- und Verteidigungszwecke zu ermöglichen.“ Das US-System GPS und das russische System GLONASS werden bereits militärisch genutzt. In beiden Staaten ist es sogar möglich, aus Gründen der nationalen Sicherheit die zivile Komponente lahm zu legen. Vgl. , abgerufen am 12.12.2009.

Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte

abgerechnet werden. 49 Bei Europäischen Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräften sollte die Finanzierung generell über das Gemeinschaftsbudget laufen, sowohl was Personal-, Material- als auch Einsatzkosten betrifft. Dabei können verschiedene Töpfe aus den Bereichen Sicherheit und Entwicklung zusammengefasst werden und somit Verwaltungseinsparungen erzielt werden. Zudem würden durch den schrittweisen Wegfall der nationalen Verteidigungskräfte Kapazitäten freigesetzt, die zumindest partiell der EU zur Verfügung gestellt werden sollten. 50 In Summe sollte sich nach ein paar Jahren, nämlich nachdem die supranationale Organisation greift und nationale Anstrengungen auf ein Minimum reduziert wurden, eventuell sogar ganz aufgelöst wurden, Einsparungen ergeben, die vorwiegend eine Entlastung der nationalen Budgets nach sich ziehen würden.

5. Schlussbemerkungen Für manche mögen diese Ausführungen nach Science Fiction klingen; für andere nach einem Traum, der niemals in Erfüllung gehen wird. Für einige kann die Vision von Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräften auch ein Alptraum sein, der sich nicht erfüllen darf oder soll. Doch für Europäer sollte das Ziel, möglichst viele Politikbereiche unter einen Hut zu bringen, nicht bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik enden. 51 Deshalb ist auch der Name „Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte“ sinnvoll, der dem Diskussionswandel von Verteidigungsthemen hin zu Sicherheitsthemen Rechnung trägt. Zudem werden mit Frieden und Stabilisierung zwei Aufgabenthemen angesprochen, die jeder Krisenmanagementmission zugrunde liegen: eine Situation zu stabilisieren und Frieden zu schaffen, zu implementieren und zu erhalten.

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Siehe das Kapitel von Schmid und Hazdra in vorliegendem Band. Ebenso Bendiek, Annegret/Bringmann, Oliver: ATHENA und die Finanzierung der militärischen ESVP. Diskussionspapier. Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Berlin 2008. Bei der Aceh Monitoring Mission (AMM) einigte man sich nicht zuletzt wegen dem finanziellen Aspekt auf eine zivile EU-Mission, obwohl der Großteil des entsendeten Personals einen militärischen Hintergrund aufwies. „… Wie bereits früher festgestellt, wird der Grad der Integration sehr stark vom politischen Willen der Entscheidungsträger abhängen. Aber auch plötzlich eintretende Ereignisse – wie z.B. die Terroranschläge in New York (2001), Madrid (2004) und London (2005) – können einen enormen Impuls und beschleunigenden Faktor für die europäische Integration bedeuten.“ Rehrl, Jochen: Mehrheitsentscheidung – Europäische Armee – Gemeinsame Verteidigung. Entwicklungstendenzen der ESVP. In: ÖMZ 6/2007, S. 655664, hier S. 663. Die Wirtschafts- und Finanzkrise könnte für die Etablierung der Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte ein solcher Impuls sein.

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Jochen Rehrl

Andere Visionen, wo man anfangs auch der Meinung war, dass sie keine Umsetzungschancen hätten, wurden letztendlich doch umgesetzt – so z.B. die Einführung des Euro oder der Aufbau einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik für die EU. Mit der Wirtschafts- und Finanzkrise ist jetzt vielleicht sogar eine Möglichkeit entstanden, den Gedanken zumindest weiterzuentwickeln. Guy Verhofstadt argumentiert in seiner Studie zur Finanz- und Wirtschaftskrise am Ende: „If it wishes to play a role in tomorrow’s multipolar world and survive the ‘new age of empires’, its only option is to take a bold and decisive new step in the integration process. Seen in this light, the current financial crisis is not a disaster but rather a golden opportunity for the future. What is needed now is for our political leaders to overcome their cold feet and take the plunge.“ 52

Und der Sprung ins kalte Wasser könnte durch die Etablierung von Europäischen Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräften (ESFS) gemacht werden. Die Entscheidung zugunsten von ESFS könnte dadurch erleichtert werden, dass die Vorteile einer solchen Lösung klar überwiegen. Denn erstens könnten nationale Administrationen verschlankt und zweitens nationale Rüstungsbemühungen effektiv europäisiert werden – alles in allem Möglichkeiten mit gewaltigem Einsparungspotenzial. Die Idee einer Zusammenlegung der europäischen Krisenmanagementfähigkeiten in Form Europäischer Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte (ESFS) schafft zusätzlich die Möglichkeit, Synergien zu nutzen, den Handlungsspielraum der EU zu erweitern, das nationale Gewicht durch gemeinsame Souveränitätsausübung zu stärken, aktiver in der Krisenprävention tätig zu werden und zu guter Letzt viel Geld zu sparen, das für andere Investitionen oder zum Schuldenabbau zur Verfügung stehen würde.

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Verhofstadt, Guy: The Financial Crisis: Three Ways Out for Europe. BertelsmannStiftung. Gütersloh 2008, S. 11.

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

GSVP 2025 Zukunftsszenarien und mögliche Ableitungen für die Sicherheitsund Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

Bernhard Richter

1. Grundlagen Welche Entwicklung wird die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) mittelfristig durchlaufen? Diese brennende Frage stellen sich Wissenschaftler, Politiker und strategische Planer nicht nur in Europa. In der wissenschaftlichen Literatur füllt dieses Thema mittlerweile ganze Bibliotheken und jeder Experte und Entscheidungsträger hat natürlich sein eigenes gedankliches Modell dazu. Die Frage der Entwicklung der GSVP hängt sehr stark mit der Entwicklung der EU im Gesamten und der weiteren Entwicklung des internationalen Umfeldes zusammen. Auch für die EU-Mitgliedstaaten ergeben sich sehr weitreichende, langfristig wirkende Fragen. Welche Strukturen und Fähigkeiten sollen die zu entwickelnden Sicherheitsarchitekturen und damit verbunden die Streitkräfte erhalten? Diese Frage enthält die zentralen Eckpunkte, aus denen sich die Strukturen und Ausstattung ableiten lassen. Die politischen Entscheidungsträger und Planer müssen auf politisch-strategischer Ebene eine Vorstellung von den bevorstehenden Herausforderungen haben, um die staatlichen Instrumente zukunftstauglich auszurichten. Dies trifft – wie schon erwähnt – auf den staatlich gelenkten Sicherheitssektor und die Streitkräfteentwicklung im besonderen Maße zu. Vor allem im sicherheitspolitischen Bereich ist die Notwendigkeit einer langfristigen zukunftsrobusten Strategie offensichtlich, da Streitkräfte und andere Einsatzorganisationen einen relativ langen Planungshorizont benötigen – nicht zuletzt deshalb, weil Streitkräfte Großgerät mit langen Lebensdauerspannen (30-40 Jahre) betreiben. Grundlage jeder strategischen Entscheidung (Beschaffungsvorhaben, Strukturentscheidungen, Standortentscheidungen, Definition von Aufgaben und Fähigkeiten usw.) sollten Informationen über zukünftige Entwicklungen sein. Die strategischen Planer und die politischen Entscheidungsträger müssen in der Lage sein, die Entwicklungen verschiedener Einflussfaktoren richtig einzuschätzen und daraus zukunftsfähige Konsequenzen für die jeweilige Organisation zu ziehen. In einer Zeit der Umbrüche und Umwälzungen jedoch, wo z. B. die Globalisierung mit ihrer ungeheuren Dynamik alle Lebensbereiche erfasst und auch für 287

Bernhard Richter

gewaltige Veränderungen in der Sicherheitspolitik verantwortlich ist, wird es immer schwieriger, sich auf die Zukunft vorzubereiten. Es stellt sich daher die Frage, wie angesichts der Komplexität und Dynamik der Gegenwart Planungsgrundlagen geschaffen werden können, um zukunftsfähige Strategien zu entwickeln. 1 Sowohl in der Wirtschaft als auch in der öffentlichen Verwaltung ist eine herkömmliche strategische Planung auf Basis der „wahrscheinlichsten“ Grundtendenzen der interessierenden Größen noch immer sehr verbreitet. An dieser Stelle muss betont werden, dass diese oft vertretene Schlussfolgerung in komplexen und dynamischen Umfeldern wie jenem der Sicherheitspolitik nicht angemessen ist. Graf ist der Ansicht, dass sich die Wahrscheinlichkeitstheorie nur für die Entwicklung eines bekannten, in der Vergangenheit liegenden Erfahrungsbereiches anwenden lässt. Es ist daher unmöglich, Erkenntnisse, die aus einer Vergangenheitsanalyse gewonnen wurden, auf die unbekannte Zukunft zu übertragen, denn dies würde bedeuten, dass die Zukunft genau wie die Vergangenheit beschaffen wäre. 2 Es ist jedoch eine Tatsache, dass es keine Wissenschaftsdisziplin gibt, die es uns erlaubt, die Zukunft deterministisch vorauszusagen. Somit ergeben sich zwei Denkansätze: entweder an traditioneller strategischer Planung festzuhalten oder von einer weitgehend offenen Zukunftsentwicklung auszugehen. Auf einer gedachten Geraden mit den Endpunkten „(angebliche) Gewissheit“ und „völlige Ungewissheit“ gibt es einen Bereich „begrenzter Ungewissheit“. In diesem Bereich lässt sich die Zukunft zwar nicht voraussagen, wohl aber vorausdenken. 3 Eine Methode, die sich in den letzten Jahren als das zentrale Element im Umgang mit Ungewissheit und Komplexität herauskristallisiert hat, ist Denken in Szenarien, um mögliche Zukunftsentwicklungen vorauszudenken. Szenarien sind im Wesentlichen systematisch erstellte „alternative Zukunftsbilder komplexer Systeme.“ 4 Für Fink et al. ist jedoch ein „Denken in Szenarien“ und „Handeln auf Basis von Szenarien“ wichtiger als das bloße mechanische Erstellen von Szenarien. 5 Im Folgenden werden einige mögliche Szenarien für die weitere Entwicklung der GSVP in den nächsten zehn bis 15 Jahren diskutiert und mit Blick auf aktuelle Herausforderungen bewertet. 1

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Vgl. Richter, Bernhard: Langfristige globale strategische Entwicklungen und ihre Auswirkung auf die sicherheitspolitische Ausrichtung der EU und ihr Einfluss auf die Streitkräfte. München 2008, S. 5-6. Vgl. Graf, Hans Georg: In die Zukunft führen. Strategieentwicklung mit Szenarien. Chur 2003, S. 32. Vgl. Fink, Alexander/Schlake, Oliver/Siebe, Andreas: Erfolg durch Szenario-Management. Prinzip und Werkzeuge der strategischen Vorausschau. Frankfurt 2002, S. 12. Ebd., S. 21. Siehe Fink, Alexander/Schlake, Oliver/Siebe, Andreas: Erfolg durch Szenario-Management. Prinzip und Werkzeuge der strategischen Vorausschau. Frankfurt 2002.

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

2. Szenarien der EU und der GSVP 6 2.1. Szenario 1: Imperium Europa Im Jahr 2025 ist insbesondere aufgrund der wirtschaftlichen Entwicklungen (in Verbindung mit demografischen und militärischen Entwicklungen) eine multipolare Weltordnung entstanden. Die Pole dieser Weltordnung sind die EU, Russland, China und Indien, die annähernd dieselbe Machtfülle und globale Reichweite haben. Um diese Pole haben sich Regionalverbände gebildet. Das Fehlen effektiver Global-Governance-Strukturen sowie der starke wirtschaftliche Wettbewerb und die zunehmende Konkurrenz um strategische Ressourcen führen im Jahr 2025 zu einer Weltordnung mit stark konfrontativer Ausprägung zwischen diesen Regionalverbänden. Zwischen diesen Regionalverbänden kommt es zu einer Anwendung stark protektionistischer Maßnahmen und zu einer deutlichen Abbremsung der Globalisierung, deren bisherige Folgen und Entwicklungen jedoch nicht mehr umkehrbar sind. Zwischen den Großmächten und ihren Regionalverbänden herrscht Kalter Krieg, und es werden hochgerüstete Militärpotenziale erhalten. Zwischenstaatliche und interpolare Kriege werden vermieden, jedoch sind starke Spannungen zwischen den Polen der multipolaren Weltordnung vorhanden, die sich vor allem in Form von Stellvertreterkriegen in Afrika und Zentralasien entladen. Seit 2020 steigt jedoch auch die Gefahr, dass große zwischenstaatliche Kriege zwischen den Großmächten entstehen. Die Praxis der Stellvertreterkriege und die völlig fehlenden globalen Governance-Strukturen hatten zur Folge, dass jene Regionen, die bisher nicht in die Globalisierung eingebunden waren, zunehmend marginalisiert wurden. Die Folge war ein starkes Ansteigen von religiösem Fundamentalismus, insbesondere des politischen Islams. Die starke Zunahme dieser Entwicklungen führte zu einer verstärkten Bildung transnationaler Terrornetzwerke und zu einem kontinuierlichen Anstieg von terroristischer Gewalt, sowohl quantitativ als auch qualitativ. Eine substanzielle Reform der UNO wurde bis heute verabsäumt. Jedoch konnten China und Russland ihre Macht im UN-Sicherheitsrat (UNSR) ausweiten und so ist die Machtverteilung im UNSR zu Gunsten der asiatischen Staaten, wobei 6

Diese Szenarien wurden teilweise auf Basis von Schlüsselfaktoren entwickelt (siehe Anhang), die für die Dissertation des Autors „Das Konzept Denken in Szenarien als Methode der sicherheitspolitischen Analyse“ (Universität Wien, noch nicht veröffentlicht) entwickelt und in eine umfangreiche Einflussfaktoren-Zukunftsprojektionsdatenbank eingefügt wurden. Aus diesem Grund wurden diese Szenarien teilweise auf der Basis gleicher Einflussfaktoren entwickelt und stellen in Teilen eine Weiterentwicklung dieser Szenarien dar. Aufgrund der Verknüpfung mit anderen neu entwickelten Faktoren und der Verwendung eines anderen Verfahrens der Szenarioerstellung führt der vorliegende Einflussfaktorenkatalog auch zu abweichenden Szenarien.

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zunehmend eine Kooperation von Indien und China und gelegentlich auch Russland gegenüber „dem Westen“ beobachtet werden kann. Aufgrund einer andauernden, tief greifenden Rezession und festgesetzten außenpolitischen Misserfolgen betreiben die USA seit 2015 eine Politik des Isolationismus. Die US-amerikanischen Streitkräfte wurden nahezu überall abgezogen, nur in Japan wurden marginale Marinekräfte belassen. Die USA haben sich 2020 ebenfalls aus der NATO mit allen Kräften zurückgezogen, haben jedoch gemeinsame Fähigkeiten, wie z. B. AWACS, aufrechterhalten. Die NATO ist weitgehend europäisiert. Alle EU-Mitgliedstaaten sind mittlerweile Mitglieder der NATO. Die Allianz ist funktionell und politisch dennoch eindeutig der gemeinsamen europäischen Verteidigungspolitik untergeordnet und dient mehr oder weniger als Forum für die politische Abstimmung mit den USA und Kanada. Da diese Entwicklungen seit ca. 2015 erkennbar waren, waren die EUMitgliedstaaten in den vorangehenden Jahren immer mehr gezwungen, ihre nationalen Vorbehalte aufzugeben. Auch die Bevölkerung erkannte, dass in der sich entwickelnden multipolaren Weltordnung nur eine starke EU die Zukunft und Prosperität des europäischen Kontinents aufrechterhalten kann. Aufgrund der Isolationspolitik der USA musste die EU auch immer mehr selbst für ihre Sicherheit und die Durchsetzung ihrer strategischen Interessen sorgen. Aufgrund des zunehmend härteren globalen ökonomischen Wettbewerbs und des steigenden sicherheitspolitischen Drucks traten immer mehr europäische Staaten der EU bei. Die EU wurde 2014 um Island, Norwegen, die Schweiz und 2020 um Serbien und Bosnien-Herzegowina erweitert. Die dynamischen Umfeldentwicklungen verdeutlichten die Notwendigkeit tief greifender Reformen. Aufgrund der äußeren ökonomischen und sicherheitspolitischen Herausforderungen waren die Mitgliedstaaten – insbesondere seit dem Rückzug der USA – zu weitreichenden Reformen bereit, auch unter weitgehendem Verzicht auf nationale Interessen. 2016 wurde eine „echte“ EU-Verfassung beschlossen, die unter anderem ein klar definiertes Institutionen- und Ordnungsmodell und damit ein transparentes Kompetenzgefüge sowie ein steuerfinanziertes Ressourcenmodell umfasst. Es besteht eine klare Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative. Die Exekutivgewalt liegt bei der Kommission, wobei der Kommissionspräsident direkt durch das Volk in gesamteuropäischen Wahlen gewählt wird. Auch der Ratspräsident wird direkt vom Volk gewählt. Die ersten Wahlen fanden 2018 und 2020 statt. Die legislative Gewalt liegt beim Europäischen Parlament. Infolgedessen wurde beginnend mit 2015 und abschließend mit 2020 immer mehr Souveränität an die EU-Zentralorgane übertragen. Die EU war ab diesem Zeitpunkt eine politische Union und ein Bundesstaat. Aufgrund der relativen Macht und der hohen demokratischen Legitimität der Brüsseler Zentralorgane ist eine langfristig angelegte strategische Politik möglich, die stark von Politikinhal290

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

ten vorangetrieben wird („policydriven“) und weniger von regionalen und weltpolitischen Ereignissen („eventdriven“). Das Wirtschaftswachstum in der EU ist relativ hoch, und so konnte für die europäische Bevölkerung eine vergleichsweise hohe Lebensqualität in den meisten Ländern der Union erreicht werden. Die Arbeitslosigkeit ist relativ gering, der Wohlstand ist ausreichend verteilt, um den sozialen Frieden zu erhalten, der Umweltschutz hat eine hohe Bedeutung und das soziale und ökologische Bewusstsein ist stark ausgeprägt. Die EU schaffte eine nachhaltige Reform des Arbeitsmarktes und der Sozialpolitik. Das Verhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern gestaltet sich weitgehend kooperativ. Die EU ist auch sicherheitspolitisch und militärisch ein globaler Akteur, der seine strategischen Interessen durch- und umsetzt, sie ist seit 2020 eine vollständige Verteidigungsunion. Diese umfasst die kollektive Verteidigung, die das Nuklearpotenzial Frankreichs und Großbritanniens inkorporiert. Die EU führt globale militärische Interventionen unter Einsatz aller militärischen Mittel durch. Sie verfügt dazu über eine voll integrierte europäische Armee. Die Integration der nationalen Streitkräfte zu einer EU-Armee erfolgte schrittweise unter der Koordination der Europäischen Verteidigungsagentur und ging mit einer Vereinheitlichung des Rüstungsmarktes einher.

Übersicht: Woran ist Szenario 1 zu erkennen? • Entwicklung in Richtung einer multipolaren Weltordnung verbunden mit der Fähigkeit zur globalen Machtprojektion durch China und Indien. Auch die Entwicklung anderer relevanter Pole ist möglich, z. B. Russland, Brasilien. • Klar erkennbare Tendenzen von politischem Regionalismus und Regionalisierung. Dabei werden vor allem ökonomische und/oder politische Verdichtungsprozesse innerhalb von Regionen um die zu erwartenden Großmächte zu beobachten sein. • Stark protektionistische Maßnahmen innerhalb dieser Regionalverbände, lassen einerseits auf eine multipolare Weltordnung und andererseits auf die Entwicklung einer konfrontativen Ausprägung derselben schließen. • Rückzug der USA auf ihren Kontinent im Sinne einer Isolationspolitik, Verlegung des strategischen Schwerpunktes der USA z. B. in den Westpazifik, ein deutliches Desinteresse an der NATO und eine substanzielle Schwächung derselben. • Erheblich gesteigerte Reformbemühungen seitens der EU, die sich insbesondere in einer Reform des Institutionenmodells, der Finanzierung der EU und der Einführung einer echten Verfassung in der EU ausdrückt.

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Für diese EU-Armee wurden ein europäisches Verteidigungsministerium, ein europäischer Generalstab und ein Oberkommando für die Streitkräfte geschaffen. Diese Armee ist als Berufsarmee konzipiert, welche über eine europaweite Rekrutierungsbasis verfügt und auch die Ausbildung der Offiziere und Unteroffiziere auf gemeinsame Ausbildungsstätten zusammengefasst hat. Die Streitkräfte sind in erster Linie als Expeditionsstreitkräfte mit einem starken maritimen Element ausgelegt. Die Verantwortung für die Reservekräfte, in erster Linie zur Sicherstellung der Wiederaufwuchsfähigkeit für Territorialverteidigungskräfte zur Verstärkung der aktiven Elemente, war bis 2022 in der Verantwortung der Nationalstaaten, wird jedoch seit diesem Zeitpunkt ebenfalls auf die EU-Ebene verlagert. Risiken und Chancen von Szenario 1: Die Gefahr großer zwischenstaatlicher Kriege ist latent vorhanden. Eine direkte militärische Bedrohung Europas ist möglich. Es besteht ein hohes Risiko durch strategischen Terrorismus, der über transnationale Terrornetzwerke agiert. Auch besteht die Gefahr interner terroristischer Anschläge, insbesondere durch militante Elemente der muslimischen Diaspora. Es gibt Anschläge auf kritische Infrastrukturen. Ressourcenkonflikte (bzw. Zugang zu Ressourcen). Die Aufgabe der nationalstaatlichen Souveränität und damit der Verlust der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten schreiten voran. Auch besteht vor allem für Kleinstaaten eine erhöhte Gefahr, in einer vergemeinschafteten EU von den größeren Staaten dominiert zu werden. Ein Europa als Bundesstaat (Vereinigte Staaten von Europa) bietet jedoch auch erhebliche Chancen, die eigene Sicherheit und damit die Sicherung des Überlebens des Gemeinwesens zu erhöhen. Auch ist von erheblichen Synergieeffekten und Effizienzsteigerungen innerhalb der Sicherheitsarchitektur auszugehen, ebenso wie von der Entwicklung eines gemeinsamen, einheitlichen Rüstungsmarktes zur Erzielung der notwendigen Synergieeffekte einer sich entwickelnden europäischen Verteidigungsunion.

2.2. Szenario 2: Zivilmacht Europa Die Weltordnung 2025 ist quasi unipolar ausgeprägt. Die USA behielten sowohl wirtschaftlich und militärisch als auch technologisch die Vorherrschaft. China und Indien haben sich zwar zu Regionalmächten entwickelt, konnten jedoch aufgrund interner Strukturprobleme keine globale Projektionsfähigkeit entwickeln. Aufgrund der außenpolitischen und militärischen Misserfolge im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts initiierten die USA den sogenannten „gelenkten Multilateralismus.“ Die multilateralen Foren haben eine relativ hohe Problemlösungskapazität. Die USA sind jedoch die treibende Kraft in nahezu all diesen multilateralen Foren und Global Governance Strukturen, was jedoch aufgrund der sehr kooperativen Politik von den meisten Staaten und Regionalverbänden weitestgehend akzeptiert wird. Das strategische Interesse der USA verbleibt 292

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

schwergewichtmäßig in Europa und das transatlantische Verhältnis ist von relativ hohem gegenseitigen Vertrauen und Kooperation geprägt. Die Globalisierung ist vom Niveau 2010 rasch vorangeschritten, und es haben sich um die Großmächte USA, EU, Russland, Indien und China regionale Verbünde gebildet, wobei jedoch ein eindeutiges Machtgefälle von den USA zu den anderen Großmächten feststellbar ist. Funktionierende Global-GovernanceStrukturen regeln kooperative (Handels-)Beziehungen zwischen den einzelnen Regionalverbänden. Die schwächeren Staaten abseits dieser Machtblöcke (vor allem Afrika, Naher und Mittlerer Osten) sind nicht in die Globalisierung eingebunden und werden zunehmend ökonomisch marginalisiert. Dies hat zur Folge, dass die Anzahl der Failed States zunimmt, was ab 2015 zu einem starken Anstieg des transnationalen Terrorismus führt. Vor allem radikal islamistische Terrornetzwerke finden in diesen gescheiterten oder scheiternden Staaten ideale Räume, um ihre Anschläge insbesondere in den USA und der EU vorzubereiten. Der UNO gelang eine substanzielle Reform, das Vetorecht im UNSR wurde auf Indien, Brasilien und Australien ausgeweitet. Auch die EU bekam 2016 einen eigenen ständigen Sitz im UNSR, jedoch bis 2020 zusätzlich zu Frankreich und Großbritannien, die ab diesem Jahr ihre Sitze verloren und durch die EU vertreten wurden. Die Machtverteilung im Sicherheitsrat ist aufgrund des kooperativen Verhaltens der USA global sehr ausgewogen. In der NATO hat sich aufgrund der starken Integration der EU ein „europäischer Pfeiler“ gebildet. Ab 2015 waren alle EU-Mitgliedstaaten NATO-Mitglieder und es ist eine sehr kooperative „Arbeitsteilung“ zwischen der amerikanischen und der europäischen Säule der NATO zu erkennen. Die Entwicklung neuer Regionalmächte, insbesondere Chinas und Indiens, machte auch den politischen Eliten in Europa grundsätzlich klar, dass nur eine starke, mächtige EU den Wohlstand und die Stabilität für eine Weiterentwicklung der Alten Welt gewährleisten kann. Vor allem der zunehmenden Gefahr des transnationalen strategischen Terrorismus konnte nur durch einen gemeinsamen Ansatz in der EU begegnet werden. Aber auch der ökonomische Wettbewerb der rasch fortschreitenden Globalisierung erfordert mehr Kohärenz als bisher. Die EU wurde stark erweitert. 2014 traten Island, Norwegen und die Schweiz und 2020 die Staaten des Balkans der EU bei. Um im globalen Wettbewerb bestehen zu können, rückte, beginnend mit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008, die EU politisch immer enger zusammen. Alle Politikbereiche (Wirtschafts-, Innen-, Sozialpolitik etc.) wurden auf die EU übertragen. Die einzige Ausnahme ist die Verteidigungspolitik, deren Übertragung an Brüssel vor allem am Widerstand Großbritanniens scheiterte. 2012 wurde der Vertrag von Lissabon auf eine EU-Verfassung erweitert, ein transparentes Kompetenzgefüge geschaffen und auch die Steuerhoheit teilweise auf die Brüsseler Zentralorgane übertragen. Für alle vergemeinschafteten Politikfelder ist die Gewaltenteilung sehr gut ausgeprägt. Es besteht eine klare Abgrenzung zwischen Exekutive, Legislative 293

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und Judikative. Die Exekutivgewalt liegt bei der Kommission, wobei der Kommissionspräsident direkt durch das Volk in gesamteuropäischen Wahlen gewählt wird. Auch der Ratspräsident wird direkt vom Volk gewählt. Die ersten Wahlen fanden 2018 und 2020 statt. Die legislative Gewalt liegt beim Europäischen Parlament. Die Koordinierung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik wurde dem Europäischen Militär- und Verteidigungsrat (European Military and Defence Council/EMDC) übertragen, die dem Rat untersteht. Aufgrund der hohen demokratischen Legitimität der Brüsseler Zentralorgane werden die Interessen der Mitgliedstaaten – auch im Bereich der GSVP – und der EU gut abgestimmt. Jedoch sind diese Integrationserfolge über einen relativ langen Zeitraum gewachsen und die stetigen Reformen wurden meist im Konsens erreicht. Aus diesem Grund konnte eine Reihe von Reformen nur sehr schleppend umgesetzt werden. Aufgrund der strukturellen Probleme (z. B. Überalterung, hohe Sozialausgaben etc.) ist das Wirtschaftswachstum nur gering. Der Wohlstand und der Lebensstandard sind gesunken, da die Steuerlast zur Erhaltung des Wohlfahrtsstaates und für Aufwendungen im Bereich Sicherheit sehr hochist. Auch herrscht in der EU ein sehr stark ausgeprägtes soziales und ökologisches Bewusstsein als Gegenbewegung zu jenen Strukturen, die vom wirtschaftlichen Rationalismus geprägt sind. Die strategische Ausrichtung der EU ist gekennzeichnet von einer sogenannten „Strategie im Kleinformat“. Da die teils divergierenden Interessen der Mitgliedstaaten von den Brüsseler Zentralorganen im Sinne einer kosmopolitischen EU sehr stark berücksichtigt werden, ist die Möglichkeit einer längerfristigen strategischen Ausrichtung beeinträchtigt. Es ist zwar eine gemeinsame Strategie vorhanden, diese wird jedoch sehr oft unterlaufen, da zu viele unterschiedliche Interessen unter einen Hut zu bringen sind. Die EU ist vor allem ökonomisch ein globaler Akteur und eine Zivilmacht. Die GASP und die GSVP haben eine starke zivile Ausprägung. Bei militärischen Interventionen hat sich die EU auf die Durchführung von globalen Krisenmanagementoperationen beschränkt, die in einem zivil-militärischen Wirkungsverbund durchgeführt werden. Das Schwergewicht liegt dabei auf einem längerfristigen, stabilisierenden Nation-Building-Prozess. Reformen des Sicherheitssektors sowie Rüstungskontrolle u. ä. haben einen sehr hohen Stellenwert in der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Auch die Aufgaben der Inneren Sicherheit wurden im EMDC gebündelt. Eigenständiges, proaktives globales Engagement wird nicht angestrebt (auch nicht von den USA). Wenn notwendig, erfolgt dies durch eine Koalition der Willigen und Fähigen in Kooperation mit den USA. Die EU unterhält supranationale Streitkräfte in der Stärke von insgesamt 160 000 Soldaten und die notwendigen Marine- und Luftwaffenkräfte. Diese Kräfte sind nur mit Freiwilligen befüllt, die sich aus der gesamten EU rekrutie294

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

ren, eine gemeinsame Sprache sprechen und gemeinsame Ausbildungsgänge durchlaufen. Diese Streitkräfteelemente unterstehen dem EMDC, sind voll transformiert und als Expeditionsstreitkräfte ausgelegt. Die Entwicklung dieser Streitkräfteelemente erfolgte evolutionär, d. h. es wurden ab 2014 beginnend Integrationsschritte begonnen, die in erster Linie über eine Rollenspezialisierung und Zusammenlegung von Kapazitäten erreicht wurde. Diese Kräfte umfassen auch strategischen Transport und Aufklärung. Über eine eigene nukleare Abschreckungskapazität verfügt die EU nicht, sie verlässt sich hierbei stillschweigend auf die Potenziale von Frankreich und Großbritannien im Rahmen der Beistandsklausel der EU-Verfassung. Eine kollektive Verteidigung und die Integration der nationalen Armeen der EU-Mitgliedstaaten konnte noch nicht realisiert werden. Heimatschutz-Aufgaben wurden jedoch im europäischen Verbund koordiniert und vernetzt, allerdings weiterhin unter nationaler Souveränität. Übersicht: Woran ist Szenario 2 zu erkennen? • Keine Entwicklung zu einer multipolaren Weltordnung. Jene Akteure, von denen gegenwärtig erwartet wird, zu globalen Akteuren aufzusteigen (insbesondere China und Indien), gelingt es nicht, globale Projektionsfähigkeit zu erlangen. • Die USA verzeichnen eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung und können in allen relevanten Bereichen (z.B. wirtschaftlich, militärisch) die Vormachtstellung behalten. • Es ist eine starke Unterstützung multilateraler Foren und Internationaler Organisationen durch die USA erkennbar. • Stark kooperatives und konsensbereites Verhalten der USA. Wo immer möglich versuchen die USA ihre Ziele auf politischem und diplomatischem Weg unter Einbindung von Partnern und Global-Governance-Strukturen zu erreichen. • Fortsetzung der EU-Erweiterung. • Stetige, aber relativ schleppende Integrationsbemühungen und -erfolge. Chancen und Risiken von Szenario 2: Hohes Risiko eines strategischen Terrorismus durch transnationale Terrornetzwerke. Auch Gefahr durch internen Terrorismus, insbesondere durch militante Elemente der muslimischen Diaspora. Die Gefahr sozialer Spannungen ist aufgrund der solidarischen, werteorientierten Grundausrichtung der Gesellschaft mit weniger „Wohlstandsanspruch“ signifikant gesunken.

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Trotz der nicht vollständigen Integration der Verteidigungspolitik sind erhebliche Synergieeffekte durch die Teilintegration von Streitkräfteelementen möglich. Die Entwicklung eines gemeinsamen, einheitlichen Rüstungsmarktes zur Erzielung der notwendigen Synergieeffekte einer sich entwickelnden europäischen Verteidigungsunion ist auch in diesem Szenario möglich und wahrscheinlich.

2.3. Szenario 3: Kerneuropa Die Weltordnung 2025 ist nahezu ausschließlich durch die USA als Imperium geprägt. Die USA konnten in den vorangegangenen Jahren eine äußerst dynamische Wirtschaftsentwicklung vorweisen. Die USA haben den Multilateralismus aufgegeben und nutzen multilaterale Foren (wie die UNO) nur dazu, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Macht- und ordnungspolitische Interessen werden durch die USA meist unilateral mit wechselnden Allianzen verfolgt. Die anderen Mächte wie die EU, Russland, China und Indien versuchen eine Gleichgewichtspolitik mit teilweise wechselnden strategischen Partnern. Die USA haben ihr strategisches Interesse weg von Europa in den Westpazifik verlagert und eine verstärkte Zusammenarbeit mit Japan und Australien sowie Korea ins Leben gerufen. Die USA nehmen die EU nicht als gleichberechtigten Partner wahr. Die Globalisierung ist rasch fortgeschritten und es erfolgt eine immer stärkere Liberalisierung des Waren-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehrs und das Aufheben sämtlicher Handelsschranken. Politische Entscheidungen sind 2025 nahezu vollständig dem ökonomischen Rational unterworfen. Umweltschutz bzw. Lebensqualität spielt weltweit eine geringe Rolle. Die rasche und ungehemmte Globalisierung hatte verheerende Folgen für die ökonomisch schwachen Akteure, die nicht in den Weltmarkt eingebunden waren. Diese wurden völlig marginalisiert. Ganze Gebiete und Gesellschaften in Subsahara-Afrika und im Nahen und Mittleren Osten sind davon betroffen. Der starke ökonomische Wettbewerb und die Ressourcenkonkurrenz haben die Gefahr zwischenstaatlicher Kriege signifikant ansteigen lassen, trotz der sehr hohen Vernetzung der Wirtschaftssysteme und Gesellschaften. Vor allem in den marginalisierten Gesellschaften Subsahara-Afrikas, Nordafrikas, des Nahen und Mittleren Ostens (südlicher Krisenbogen) steigt die Wut auf die reichen Staaten, vor allem des Westens. In den Industriestaaten „des Nordens“ kommt es regelmäßig zu Anschlägen mit teilweise sehr hohen Opferzahlen. Vermehrt richten sich die Terroranschläge auf kritische Infrastrukturen, die durch die starke Vernetzung zu enorm hohen materiellen Schäden und Angst und Unsicherheit bei den Bevölkerungen der betroffenen Länder führen. 296

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

Die UNO hat eine Institutionenreform verabsäumt. Vor allem die aufstrebenden geopolitischen Akteure wie Indien, Japan und Brasilien konnten ihren Einfluss in der UNO nicht erhöhen. Vor allem die völlig unilaterale Politik der USA und der zunehmende Widerstand der aufstrebenden Volkswirtschaften in Asien haben die UNO in die völlige Bedeutungslosigkeit sinken lassen. Die NATO wurde zu einer leeren Hülle, genau wie die WEU im vorigen Jahrhundert. Es werden zwar noch begrenzt Operationen unter dem Kommando der NATO durchgeführt, sie erfolgen jedoch in erster Linie auf der Basis von adhoc-Koalitionen. Trotz dieser Entwicklungen und des äußeren ökonomischen und sicherheitspolitischen Drucks konnte kein Konsens über zukünftige Entwicklungen der EU gefunden werden. Trotz der sehr dynamischen Umfeldentwicklungen und der starken Notwendigkeit von Reformen konnte keinerlei Bereitschaft zu institutionellen Reformen innerhalb der EU festgestellt werden, und nahezu alle zentralen Politikfelder (Sozialpolitik, Innenpolitik, Verteidigungspolitik) verblieben in der Souveränität der Mitgliedstaaten. Immer mehr wurde die Tendenz zu einer differenzierten Mitgliedschaft sichtbar. Ein Europa der „unterschiedlichen Geschwindigkeiten“ wurde Wirklichkeit. Aufgrund der fehlenden institutionellen Reformen kann innerhalb der EU auch keine langfristige strategische Politik durchgeführt werden. Schon die Erstellung einer tragfähigen Strategie, die diesen Namen auch verdient, scheiterte an der nationalen Interessenspolitik der Mitgliedstaaten. Die gesamte Politik – und dabei insbesondere die Sicherheits- und Verteidigungspolitik – ist geprägt durch mehr oder weniger unkoordinierte ad-hoc-Entscheidungen. Die Vorteile des gemeinsamen Binnenmarktes (gemeinsame Währung, grenzenloser Waren- und Personenverkehr etc.) werden jedoch weiterhin als sehr positiv empfunden und auch durch alle Mitgliedstaaten unterstützt. Das Wirtschaftswachstum in der EU als „erweiterter Freihandelszone“ ist relativ hoch. Jedoch wird dieses hohe Wirtschaftswachstum auf Kosten der Lebensqualität der Menschen in Europa erkauft. Vor allem nach der Wirtschaftskrise von 20082011 kam es zu signifikanten Reallohnverlusten bei den Arbeitnehmern. Durch den starken Wettbewerb im Zuge der Globalisierung konnten auch die hohen Sozialstandards der meisten EU-Mitgliedstaaten nicht mehr aufrechterhalten werden. Im Jahr 2025 gibt es tiefe soziale Einschnitte und eine vermehrte Privatisierung sozialer Dienstleistungen. Die Bedeutung der Gewerkschaften im Jahr 2025 ist mehr oder weniger symbolischer Natur. Im EU-Rahmen war seit 2015 nahezu kein globales strategisches Handeln mehr möglich. Zu groß waren die nationalen Vorbehalte. Die EU war im Rahmen der GASP und der GSVP nur mehr in ihrem unmittelbaren strategischen Vorfeld sicherheitspolitisch präsent. Augrund der Erkenntnis, dass eine außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Kooperation im EU-Rahmen nicht möglich ist, beschloss 2017 eine Gruppe von Staaten auf Basis eines gemeinsamen Sicherheits- und Militärbündnisses ihre Außen- und Sicherheitspolitik außerhalb 297

Bernhard Richter

des EU-Rahmens (und somit der EU-Verträge) auf intergouvernmentaler Basis zu gestalten. Zu diesen Staaten gehörten Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Schweden, Finnland, Polen und die Niederlande. Die Aufgaben dieses Bündnisses reichen von Aufgaben der inneren Sicherheit (Homeland Security) über Territorialverteidigung bis hin zu globaler Expeditionskriegsführung. Die restliche EU ist mehr oder weniger eine etwas vertiefte Freihandelszone mit einer gemeinsamen Währung. Zwar bringen die restlichen EU-Staaten ihre nationalen Streitkräfte immer wieder in gemeinsame Missionen ein, jedoch erfolgt dies auf rein freiwilliger Basis. Dabei werden vor allem Stabilisierungsoperationen im unteren Spektrum mit stark zivil-militärischem Charakter unterstützt.

Übersicht: Woran ist Szenario 3 zu erkennen? • Keine Entwicklung zu einer multipolaren Weltordnung. Jene Akteure, von denen gegenwärtig erwartet wird, zu globalen Akteuren aufzusteigen (insbesondere China und Indien), gelingt es nicht, globale Projektionsfähigkeit zu erlangen. • Die USA verzeichnen eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung und können in allen relevanten Bereich (wirtschaftlich, militärisch) die Vormachtstellung behalten. • Rückzug der USA aus Europa und der NATO. • Unilaterales Vorgehen der USA. • Rasches Fortschreiten der Globalisierung; erkennbar durch zunehmend stärkere Liberalisierung des Waren-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehrs, weitere Aufhebung von Handelsschranken. • Keinerlei Reformbereitschaft, -bemühungen und -erfolge in der EU erkennbar. • Zunehmend gemeinsames sicherheitspolitisches Handeln von EU-Mitgliedstaaten im Rahmen von Koalitionen der Willigen und Fähigen außerhalb der ESVP-Strukturen (ev. gemeinsam mit den USA).

Risiken und Chancen von Szenario 3: Die Gefahr großer zwischenstaatlicher Kriege ist latent vorhanden. Hohes Risiko eines strategischen Terrorismus durch transnationale Terrornetzwerke. Auch besteht Gefahr durch internen Terrorismus, insbesondere durch militante Elemente der muslimischen Diaspora. Anschläge auf kritische Infrastrukturen. Für Kleinstaaten besteht die Gefahr, dass in diesem Kerneuropa nur große und mächtige EU-Mitgliedstaaten kooperieren und kleinere Mitgliedstaaten davon ausgeschlossen bleiben, da sie nicht über die notwendigen und gewünschten Fähigkeiten verfügen. Innerhalb des Kerns der „sicherheitspolitischen Avantgarde“ bestehen wiederum große Chancen, die 298

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

Sicherheit für das eigene Gemeinwesen und somit die strategische Handlungsfreiheit zu erhöhen.

2.4. Szenario 4: Der Niedergang der Alten Welt Die Weltordnung 2025 ist nahezu ausschließlich durch die USA als Imperium geprägt. Die USA konnten eine äußerst dynamische Wirtschaftsentwicklung vorweisen. Sie haben den Multilateralismus aufgegeben und nutzen multilaterale Foren (wie die UNO) nur dazu, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. Macht- und ordnungspolitische Interessen werden durch die USA meist unilateral mit wechselnden Allianzen verfolgt. Die anderen Mächte wie die EU, Russland, China und Indien versuchen eine Gleichgewichtspolitik mit teilweise wechselnden strategischen Partnern. Die USA haben ihr strategisches Schwergewicht zwar immer noch in Europa und Eurasien, haben aber mit 2015 beginnend ihre Position im Westpazifik verstärkt und ihre Partnerschaft mit Japan, Australien sowie Korea vertieft. Die Globalisierung ist rasch fortgeschritten und es erfolgte eine immer stärkere Liberalisierung des Waren-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehrs und das Aufheben sämtlicher Handelsschranken. Politische Entscheidungen sind 2025 nahezu vollständig dem ökonomischen Rational unterworfen. Umweltschutz bzw. Lebensqualität spielt weltweit nur eine geringe Rolle. Die rasche und ungehemmte Globalisierung führte zu einer erheblichen sozioökonomischen Marginalisierung jener Staaten und Gesellschaften, die nicht in den Weltmarkt eingebunden waren. Die Verarmung ganzer Gebiete und Gesellschaften in SubsaharaAfrika und im Nahen und Mittleren Osten war die Folge. Innerhalb dieser Gesellschaften wurde in den letzten Jahren eine verstärkte Ablehnung und antagonistische Haltung gegenüber den reichen Gesellschaften, die von der Globalisierung profitiert haben, erkennbar. Immer öfter werden durch transnationale Terrornetzwerke, die vor allem Failed States in den marginalisierten Regionen als Rückzugsräume nutzen, Anschläge gegen kritische Infrastrukturen und große Menschenansammlungen durchgeführt. Die Gefahr zwischenstaatlicher Kriege ist signifikant gesunken, da die hohe Vernetzung der Gesellschaften und die starke Konkurrenz am Weltmarkt große Kriege als nicht mehr leistbar erscheinen lassen. In den Vereinten Nationen wurde 2018 eine umfangreiche Institutionenreform durchgeführt. Das Vetorecht und die ständigen Mitglieder im Sicherheitsrat wurden um Indien, Japan, Brasilien und Australien erweitert. Da die USA die UNO jedoch ausschließlich zur Umsetzung der eigenen Interessen benützen, und auch genügend Einfluss gegenüber den eigenen Verbündeten geltend machen können, bleibt die UNO aus der Sicht der Anderen ein Werkzeug des Westens. Vor allem China und Indien blockieren zunehmend die Handlungsmöglichkeiten des UNSR. Die NATO bleibt von den USA dominiert. Vor allem die europäi299

Bernhard Richter

schen NATO-Staaten konzentrieren sich seit dem Niedergang der GSVP sicherheitspolitisch völlig auf die NATO. Insbesondere die strategischen Kapazitäten (Raketenabwehr, strategische Aufklärung) werden durch die USA in die Allianz eingebracht. Aufgrund der starken Auswirkungen der Globalisierung und der zunehmenden Ressourcenkonkurrenz wurden die unterschiedlichen nationalstaatlichen Interessen in der EU immer größer, es konnte keinerlei gemeinsames, kohärentes Handeln der Mitgliedstaaten mehr erzielt werden. Es zeigt sich eine zunehmende Handlungsunfähigkeit der EU. Dies wurde vor allem an der Tatsache deutlich, dass keinerlei Kompetenzen nach Brüssel verlagert wurden, im Gegenteil. Ab 2018 wurden immer mehr bereits vergemeinschaftete Politikbereiche und Kompetenzen von der europäischen Ebene wieder zu den Mitgliedstaaten rücktransferiert. Die Europäische Außen- und Sicherheitspolitik und die europäische Innenpolitik waren spätestens mit 2020 gescheitert. Die völlig ohnmächtigen EU-Institutionen waren nicht mehr in der Lage, dem Zerfallsprozess der EU entgegenzuwirken. Auch der Euro wurde 2023 abgeschafft und die nationalen Währungen wieder eingeführt, letztlich wurde die EU mit 2024 offiziell aufgelöst. Aufgrund der Auflösung konnten die europäischen Volkswirtschaften auch nicht mehr im harten, globalisierten System des „Survival of the fittest“ ohne jegliche Handelsschranken und Ordnungssysteme mithalten. Das Wirtschaftswachstum ist ab 2015 stark gesunken und im Jahr 2025 im globalen Vergleich sehr niedrig. Deutliche Indikatoren für die schlechte wirtschaftliche Situation sind die hohe Arbeitslosigkeit und ein deutlich sinkendes Realeinkommen der Arbeitnehmer ab 2015. Auch die sozialen Standards und Errungenschaften der meisten europäischen Länder konnten nicht mehr aufrechterhalten werden und wurden sukzessive zurückgenommen. Die EU spielt weder politisch noch wirtschaftlich eine Rolle, die GASP und GSVP bestehen zwar formal, sind aber nur noch eine bedeutungslose Hülle. Als sich das Scheitern der GSVP ab 2018 abzeichnete, verlagerten die europäischen NATO-Staaten ihre Kapazitäten auf die NATO. Auch die neutralen und blockfreien Staaten sind – mit Ausnahme Österreichs – der NATO beigetreten. Der wirtschaftliche Rückfall der europäischen Staaten hat jedoch auch große Auswirkungen auf die Streitkräfteentwicklung innerhalb der NATO, denn es wird für die europäischen Staaten immer schwieriger, vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Niedergangs und der – de facto – Abschaffung der Wohlfahrtsstaaten, hohe Ausgaben für Streitkräfte zu legitimieren. Der technologische Rückstand der europäischen NATO-Mitglieder wird somit immer größer. Nur Großbritannien und Frankreich verfügen in manchen Bereichen über moderne Kapazitäten, aber auch für sie wird es zunehmend schwieriger, diese zu erhalten. Trotzdem ist die NATO 2025 das einzige global wirksame Sicherheits- und Militärbündnis, das auch über ausreichende Kapazitäten verfügt. 300

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

Übersicht: Woran ist Szenario 4 zu erkennen? • Keine Entwicklung zu einer multipolaren Weltordnung. Jene Akteure, von denen gegenwärtig erwartet wird, zu globalen Akteuren aufzusteigen (insbesondere China und Indien), gelingt es nicht, globale Projektionsfähigkeit zu erlangen. • Die USA verzeichnen eine dynamische wirtschaftliche Entwicklung und können in allen relevanten Bereichen (wirtschaftlich, militärisch) die Vormachtstellung behalten. • Verbleib der USA in der NATO. • Strategisches Interesse der USA zumindest teilweise in Europa. • Unilaterales Vorgehen der USA. • Rasches Fortschreiten der Globalisierung; Erkennbar durch zunehmend stärkere Liberalisierung des Waren-, Kapital- und Arbeitskräfteverkehrs, weitere Aufhebung von Handelsschranken. • Kein kohärentes gemeinsames Handeln mehr durch die EU. • EU-Institutionen verlieren stark an Legitimität und werden völlig bedeutungslos.

Risiken und Chancen von Szenario 4: Hohes Risiko eines strategischen Terrorismus transnationale Terrornetzwerke. Auch Gefahr durch internen Terrorismus, insbesondere durch militante Elemente der muslimischen Diaspora. Hohes Risiko von sozialen Spannungen und innenpolitischer Destabilisierung aufgrund der sozioökonomischen Destabilisierung von weiten Teilen der europäischen Bevölkerungen. Den neuen, meist transnationalen Bedrohungen, die vermehrt multinationales Handeln erfordern, kann auf nationalstaatlicher Ebene nicht adäquat begegnet werden. Für einzelne Nationalstaaten ist es nicht möglich, moderne Streitkräfte zu erhalten, die über die notwendigen Fähigkeiten verfügen, den zukünftigen Herausforderungen angemessen zu begegnen. Die europäischen Nationalstaaten werden weder wirtschaftlich noch machtpolitisch in der Lage sein, in der globalisierten Weltordnung des 21. Jahrhunderts zu bestehen. Sie werden damit auch den notwendigen Wohlstand und die erforderliche Sicherheit nicht gewährleisten können.

3. Auswirkungsanalyse Nach der Szenarioerstellung und der Analyse der zentralen Szenarioindikatoren sowie der Analyse der Risiken und Chancen sollen an dieser Stelle die Auswirkungen der Szenarien auf die GSVP und auf die sicherheits- und verteidigungs301

Bernhard Richter

politischen Handlungsoptionen von Kleinstaaten betrachtet werden. Die Betrachtung der Handlungsoptionen von Kleinstaaten kann dabei nur relativ allgemein erfolgen. Diese Analyse wird auf Basis von alternativen Entwicklungsmöglichkeiten von Streitkräften vorgenommen. Diese alternativen Entwicklungsmöglichkeiten könnten wiederum Szenarien darstellen, sogenannte interne Lenkungsszenarien. Eine solche Entwicklung komplexer interner Lenkungsszenarien konnte an dieser Stelle nicht durchgeführt werden, da dies den Umfang dieses Aufsatzes erheblich sprengen würde. Den Überlegungen hinsichtlich der sicherheits- und verteidigungspolitischen Handlungsoptionen von Kleinstaaten innerhalb der EU wurden folgende allgemeine Entwicklungsmöglichkeiten für deren Streitkräfte zugrunde gelegt: • Streitkräfte, die das gesamte Einsatz- und Konfliktspektrum abdecken; • Streitkräfte, die auf Kampfeinsätze mit hohem Risiko spezialisiert sind und global eingesetzt werden können (Expeditionsstreitkräfte); • Streitkräfte für Stabilisierung, Wiederaufbau und Staatsbildung nach bewaffneten Konflikten; • Streitkräfte für klassische Territorialverteidigung; • Streitkräfte, die auf bestimmte Erfordernisse spezialisiert sind (rollenspezialisierte Streitkräfte: Pioniere, Sanitätselemente, Hubschrauber, Drohnenüberwachung etc.); • Streitkräfte, die in einen gesamtstaatlichen Verbund vernetzter Sicherheit eingebettet sind (Streitkräfte für den Heimatschutz).

3.1. Auswirkungen Szenario 1 – Imperium Europa

Auswirkungen auf GSVP

GSVP muss selbst Kapazitäten für Kampfeinsätze mit höchstem Risiko verfügbar halten Fokus der Fähigkeitsentwicklung auf Kampfeinsätze mit höchstem Risiko Entwicklung strategischer Kapazitäten Signifikante Erhöhung der Mittel für Sicherheit und Verteidigung GSVP als vollständige Verteidigungsunion inklusive kollektiver Verteidigung

302

Auswirkungen auf Kleinstaaten Aufgabe der nationalen Souveränität Erhöhung der finanziellen Aufwendungen für Verteidigungspolitik Schrittweise Integration der eigenen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in jene der EU

Verteidigungspolitische Handlungsoptionen von Kleinstaaten in der EU Streitkräfte für das gesamte Konflikt- und Einsatzspektrum Expeditionsstreitkräfte Rollenspezialisierte Streitkräfte Streitkräfte für den Heimatschutz

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

Schrittweise (top-down) gesteuerte Integrationsmodelle

3.2. Auswirkungen von Szenario 2 – Zivilmacht Europa

Auswirkungen auf GSVP

EU kein autonomer sicherheitspolitischer Akteur Strategische Erzwingungsoperationen nur gemeinsam mit USA oder NATO Kein oder nur sehr beschränkter Aufbau strategischer Kapazitäten möglich Abhängigkeit von den USA bleibt bestehen

Auswirkungen auf Kleinstaaten Erhöhung der finanziellen Aufwändungen für Verteidigungspolitik (supranationale Streitkräfteelemente müssen zusätzlich finanziert werden) Schrittweise Integration der eigenen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in jene der EU

Fokus auf Stabilisierungsoperationen, Wiederaufbau und Nation Building

Fähigkeitsentwicklung: Fokus liegt auf Kräften für langfristige Stabilisierung und Nation Building (SSR, 7 DDR, 8 Wiederaufbau etc.)

Arbeitsteilung zwischen USA/NATO und EU sowohl funktional als auch geografisch

Stärkere Betonung der zivilen Komponente im Krisenmanagement

7

8

Verteidigungspolitische Handlungsoptionen von Kleinstaaten in der EU Streitkräfte für Stabilisierung, Wiederaufbau und Nation-Building Streitkräfte für klassische Territorialverteidigung Rollenspezialisierte Streitkräfte Streitkräfte für den Heimatschutz

SSR = Security Sector Reform; SSR ist ein umfassendes Konzept zur Reform des staatlichen Sicherheitssektors, wenn dieser nicht effektiv und nach rechtsstaatlichen Prinzipien Sicherheit für den Staat und seine Bevölkerung gewährleisten kann. DDR = Disarmament, Demobilization and Reintegration; Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung in das Zivilleben von früheren Soldaten und Kämpfern nach bewaffneten Konflikten.

303

Bernhard Richter

3.3. Auswirkungen von Szenario 3 – Kerneuropa

Auswirkungen auf GSVP

EU kein autonomer sicherheitspolitischer Akteur Strategische Erzwingungsoperationen nur gemeinsam mit USA Kein oder nur sehr beschränkter Aufbau strategischer Kapazitäten möglich Abhängigkeit von den USA bleibt Gesamt-EU beschränkt sich auf Stabilisierungsoperationen unterer Intensität (Bsp.: Kosovo, Bosnien etc.) und Wiederaufbaumissionen mit stark ziviler Ausprägung Kerngruppe von Staaten führt mit Schwergewicht strategische Erzwingungsoperationen und High-EndKriegsoperationen durch Hohe Aufwendungen für Sicherheit und Verteidigung können schwer legitimiert werden Negative Auswirkungen auf Streitkräftetransformation wegen des niedrigen Investitionsspielraums für Ausstattung Keine Strukturen kollektiver Verteidigung Arbeitsteilung zwischen USA/NATO und Kerngruppe sowohl funktional als auch geografisch Ev. Aufbau anderer sicherheitspolitischer Kooperationen zur Ausbalancierung der USA

304

Auswirkungen auf Kleinstaaten Wenn Kleinstaaten an der Kerngruppe teilnehmen wollen, müssen sie relevante Fähigkeiten und Kapazitäten einbringen. Erhöhung der Ausgaben für Sicherheit und Verteidigung notwendig bei einer Teilnahme an Kerngruppe Bei Teilnahme an Kerngruppe ist Beteiligung an risikoreichen Kampfeinsätzen sehr wahrscheinlich

Verteidigungspolitische Handlungsoptionen von Kleinstaaten in der EU Streitkräfte für das gesamte Konflikt- und Einsatzspektrum Expeditionsstreitkräfte Streitkräfte für klassische Territorialverteidigung Rollenspezialisierte Streitkräfte Streitkräfte für den Heimatschutz

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

3.4. Auswirkungen von Szenario 4 – Niedergang der Alten Welt

Auswirkungen auf GSVP Handlungsunfähigkeit und Bedeutungslosigkeit der GSVP Völlige Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik(en) Internationale Operationen, strategische Erzwingung und Krisenmanagementoperationen nur im Rahmen von Koalitionen von Willigen und Fähigen gemeinsam mit USA/NATO Völlige sicherheitspolitische Abhängigkeit von den USA

Auswirkungen auf Kleinstaaten Sicherheits- und Verteidigungspolitik vollständig in nationaler Souveränität Hoher Mittelaufwand für Verteidigung, da keine Synergieeffekte möglich

Verteidigungspolitische Handlungsoptionen von Kleinstaaten in der EU Streitkräfte für Stabilisierung, Wiederaufbau und NationBuilding Streitkräfte für klassische Territorialverteidigung Streitkräfte für den Heimatschutz

Neuen Bedrohungen kann nicht adäquat begegnet werden Für Kleinstaaten unmöglich, moderne Streitkräfte für das gesamte Konflikt- und Einsatzspektrum aufrechtzuerhalten

4. Ableitung der strategischen Ausrichtung Auf Basis der oben dargelegten Auswirkungsmatrix können Ableitungen für eine längerfristige Streitkräfteentwicklung getroffen werden. Diese Ableitungen können für „Kleinstaaten in der EU“ an dieser Stelle nur sehr allgemein getroffen werden, denn die strategische Ausgangslage, die verfügbaren Ressourcen und letztendlich das politische Ambitionsniveau sind zu unterschiedlich. Grundsätzlich können jedoch zwei Grundmuster szenariobasierter Strategien identifiziert werden: 9 • (Umfeld)fokussierte Strategie: basiert lediglich auf einem Umfeldszenario, • (Umfeld)robuste Strategie: Basiert auf mehreren Umfeldszenarien (eventuell auf der Gesamtheit der Umfeldszenarien).

9

Vgl. Fink et al.: Erfolg durch Szenario-Management. Prinzip und Werkzeuge der strategischen Vorausschau. Frankfurt 2002, S. 151. Und Kiesel, Jochen: Szenario-Management als Instrument zur Geschäftsfeldplanung. Marburg 2001, S. 71-89.

305

Bernhard Richter

Fokussierte Strategien haben den Vorteil, dass der Mittel- und Ressourceneinsatz auf ein Szenario hin optimiert wird. Daher sind fokussierte Strategien eher ressourcenschonend. Jedoch besteht die Gefahr, dass sich das Umfeld anders entwickelt als angenommen. Robuste Strategien geben mehr strategische Flexibilität, erfordern in der Regel jedoch deutlich höheren Ressourceneinsatz als fokussierte Strategien, da die eigenen Handlungsmöglichkeiten auf mehrere Szenarien hin optimiert werden müssen. Kleinstaaten werden im sicherheitspolitischen Kontext eher robuste Strategien wählen, da sie meist nicht die Mittel und Möglichkeiten haben, um im Falle einer Systemänderung kurzfristig ihre Sicherheitsarchitektur umzubauen und anzupassen. Daher müssen sie ihre strategische Ausrichtung so gestalten, dass allen alternativen Zukünften möglichst adäquat begegnet werden kann. Dazu können zwei oder mehr Handlungsoptionen sinnvoll kombiniert werden (mehrspurige robuste Strategie). Im vorliegenden Beispiel bietet sich daher folgende Vorgangsweise an: 1. Identifizierung von Handlungsmöglichkeiten, die in allen Szenarien Erfolg versprechend sind. Dies wäre hier: Streitkräfte für den Heimatschutz. 2. Identifizierung von Handlungsmöglichkeiten, die in den meisten Szenarien vorkommen. Dies wäre hier: Rollenspezialisierte Streitkräfte. 3. Identifizierung von Eventualstrategien zur Absicherung gegen wenig wahrscheinliche Zukunftsentwicklungen: Dies wäre hier das Szenario 4 „Niedergang der Alten Welt“. Eine zweckmäßige Eventualstrategie wäre dabei die Sicherstellung der Wiederaufwuchsfähigkeit der Streitkräfte für klassische Territorialverteidigung. Die hier vorgestellte strategische Ausrichtung soll jedoch nur als Beispiel zur Veranschaulichung dienen. Wie schon erwähnt wird sich eine „Zusammenstellung“ der strategischen Ausrichtung an spezifischen Parametern der unterschiedlichen Kleinstaaten in der EU orientieren.

5. Schlussfolgerung Szenarien haben sich in den letzten Jahren zunehmend als ein zentrales Instrument der Zukunftsforschung und der Langfristplanung etabliert. Szenarien ermöglichen zwar nicht, die Zukunft vorauszusagen, jedoch alternative mögliche Zukünfte vorauszudenken. Es soll an dieser Stelle betont werden, dass Szenarien nicht die Wahrheit und keine exakte Zukunftsbeschreibung sind. Sie sind vielmehr Modelle, mit denen

306

GSVP 2025 – Zukunftsszenarien für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik von Kleinstaaten

wir uns den Herausforderungen der Zukunft nähern können. 10 Keines der in diesem Aufsatz erarbeiteten Szenarien wird genau so eintreffen, wie es beschrieben wurde. Die Brauchbarkeit von Szenarien wird eben nicht daran gemessen, wie exakt sie eintreten, sondern wie gut sie als Orientierung zur Entscheidungsunterstützung dienen. Auch muss angemerkt werden, dass Szenarien nicht objektiv sind, sondern immer gruppensubjektive komplexe Zukunftsbilder darstellen. Die Erstellung und Verwendung von Szenarien folgen keinen mechanistisch erstellten „Vorschriften“. Das Erstellen von Szenarien sowie deren Anwendung im strategischen Planungsprozess (Szenariotransfer) ist ein hoch kreativer Prozess, bei dem es keine „Kochrezepte“ und strikte Handlungsanweisungen gibt, wie man von den Szenarien zur Entscheidung kommt. Vielmehr ist die Planung mit Szenarien ein sehr flexibles Konzept, das viel Freiraum für strategischen Dialog und strategische Diskussion lässt. Szenarien sind auch keine Strategien und stellen auch keine Entscheidungen dar. Vielmehr sind Szenarien Denkwerkzeuge, um zu besseren Informationen über die Zukunft zu gelangen und letztendlich zu besseren Strategien zu kommen. Szenarien führen zu robusteren Strategien und Entscheidungen, auf denen wiederum konkrete Pläne aufsetzen. 11 Die Verwendung von Szenarien zur Analyse und zur langfristigen Planung zeigt den Entscheidungsträgern viele verborgene Entwicklungen, Chancen, Risiken und Möglichkeiten auf, die bei der (oft impliziten) Konzentration auf ein „mentales Modell“ nicht realisiert werden. Auch können die identifizierten eigenen Handlungsmöglichkeiten vor dem Hintergrund der Szenarien (als Testumgebung) auf ihre Zukunftsfähigkeit überprüft werden und so (umfeldrobuste) Optionen (oder eine Kombination von verschiedenen Optionen) abgeleitet werden, die in allen möglichen Zukunftsentwicklungen Erfolg versprechend sind.

10

11

Vgl. Richter, Bernhard: Langfristige globale strategische Entwicklungen und ihre Auswirkung auf die sicherheitspolitische Ausrichtung der EU und ihr Einfluss auf die Streitkräfte. München 2008, S. 116. Fink, Alexander: Szenariomanagement. Intensiv-Workshop. Veranstaltung vom 14. Mai 2009. Paderborn. Veranstalter: Scenario Managment International AG.

307

Bernhard Richter

308

Anhang

Anhang

Anhang zum Beitrag Schmid/Hazdra Bruttosozialprodukt-Schlüssel (gem. Athena Dok. 499 vom 23. April 2009)

Member State

GNI Scale 2009 in percentage

Member State

GNI Scale 2009 in percentage

Belgium

2,818800

Luxemburg

0,245593

Bulgaria

0,287482

Hungary

0,823876

Czech Republic

1,176385

Malta

0,045407

Germany

20,243906

Netherlands

4,783116

Estonia

0,140664

Austria

2,289255

Ireland

1,336871

Poland

2,972254

Greece

1,995162

Portugal

1,305175

Spain

8,693058

Romania

1,130915

France

15,897546

Slovenia

0,297627

Italy

12,640974

Slovakia

0,517512

Cyprus

0,135955

Finland

1,559610

Latvia

0,197948

Sweden

2,830026

Lithuania

0,268484

United Kingdom

15,366398

Total 26 Member States

100,00

309

Anhang

Anhang zum Beitrag Richter 1. Der Prozess der Szenarienerstellung 1 Schritt 1: Welche Schlüsselfaktoren bestimmen das Szenariofeld Zunächst wird das definierte Szenariofeld systematisch gegliedert. Anschließend werden die einzelnen Einflussbereiche durch konkrete Einflussfaktoren beschrieben. Im Rahmen einer Vernetzungsanalyse 2 wird das kybernetische Verhalten der einzelnen Faktoren überprüft und analysiert. Dabei wird ermittelt: Was sind die relevanten Hebelkräfte? Mit welchen Faktoren lässt sich die Systemdynamik sinnvoll ausdrücken? Mit welchen Faktoren lässt sich das Systemverhalten am besten beschreiben? Basierend auf dieser Analyse werden anschließend die entscheidenden Systemknotenpunkte in Form von Schlüsselfaktoren ausgewählt.

Schritt 2: Wie könnten sich die Schlüsselfaktoren entwickeln Hier werden für jeden Schlüsselfaktor mögliche zukünftige Zustände ermittelt und beschrieben. Diese Beschreibung kann aufgrund quantitativer Werte oder qualitativ eindimensional erfolgen. In diesem Aufsatz wurde eine zweidimensionale Ableitung der Zukunftsprojektionen vorgenommen.

Schritt 3: Wie lassen sich die einzelnen Projektionen miteinander verknüpfen? Die Szenariobildung beginnt mit der Verknüpfung der einzelnen Zukunftsprojektionen. Diese Szenariobündelung kann mittels modellgestützter Methoden (mittels spezieller Softwaretools) oder intuitiv erfolgen. In diesem Aufsatz wurde ein intuitiv/deduktives Verfahren der Szenariobildung – konkret die morphologische Analyse – angewandt, um den Zukunftsraum bestmöglich abzubilden.

1 2

310

Vgl. Fink, Alexander/Siebe, Andreas/Schlake, Oliver (2000): Wie Sie mit Szenarien die Zukunft vorausdenken. In: Harvard Business Manager, H. Heft 2, I. Quartal 2000, S. 5-6. Mehr Information über die Vernetzungsanalyse s. Vester 2007, S. 226-231, Wilms 2006, S. 51-52, Fink, Siebe 2006, S. 166-176.

Anhang

Schritt 4: Welche Kräfte wirken innerhalb und zwischen den Szenarien? Abschließend werden die einzelnen Szenarien sowie die Zusammenhänge im Zukunftsraum analysiert. So werden charakteristische Elemente der einzelnen Szenarien identifiziert. Abbildung: Prozess der Szenarienerstellung 3

Wie Szenarien entwickelt werden ... A I

C B SF Organisation

D II

A

IV

B SF

III

C

Schlüsselfaktoren Schlüsselfaktoren

Zukunftsprojektionen Zukunftsprojektionen

Szenarien Szenarien

Zukunftsraum Zukunftsraum

Welches sind Welches sind die treibenden die treibenden Kräfte im Kräfte im Szenariofeld? Szenariofeld?

Wie könnten sich die Wie könnten sich die Schlüsselfaktoren Schlüsselfaktoren in der Zukunft in der Zukunft entwickeln? entwickeln?

Welche zukünftigen Welche zukünftigen Entwicklungen des Entwicklungen des Szenariofeldes Szenariofeldes sind denkbar? sind denkbar?

Wie hängen die  Wie hängen die  Szenarien zusammen  Szenarien zusammen  und welche Kräfte  und welche Kräfte  wirken dort? wirken dort?

2. Szenarioentwicklung „Welche GSVP in 2025“ Schritt 1: Szenariofeldanalyse In einem Brainstorming-Verfahren wurde eine Reihe von für das Szenariofeld „GSVP Entwicklung im Rahmen der EU-Entwicklung“ relevanten Einflussfaktoren ermittelt. Mit diesen Einflussfaktoren wurde eine Vernetzungsanalyse durchgeführt, um das kybernetische Verhalten der einzelnen Einflussfaktoren zu er3

Angelehnt an Fink, Alexander (14.05.2009): Szenariomanagement. Intensiv Workshop. Veranstaltung vom 14.05.2009. Paderborn. Veranstalter: Scenario Managment International AG.

311

Anhang

mitteln und damit zentrale Systemknotenpunkte zu identifizieren. Damit wurden 14 relevante Schlüsselfaktoren ermittelt. Diese Schlüsselfaktoren sind: • Globalisierung; • Wirtschaftliche Entwicklung; • EU-Integration; • Institutionen- und Ordnungsmodell; • Reform; • Effizienz des politischen Systems; • GASP-Entwicklung; • GSVP-Entwicklung; • Streitkräfteentwicklung; • Relevanz von Bedrohungen; • Entwicklung USA; • Bedeutung NATO; • Entwicklung Vereinte Nationen; • Geopolitische Makroentwicklungen.

Schritt 2: Entwicklung der Zukunftsprojektionen Anschließend wurden für diese Schlüsselfaktoren anhand von zwei oder mehr Dimensionen gebildet. Die Dimensionen sind Merkmale, anhand deren sich die Relevanten (die wichtigsten oder unsichersten) möglichst weitgehend beschreiben lassen. Die Entwicklung der Zukunftsoptionen erfolgte analog zum Verfahren der Szenariobildung der intuitiven Logik, und es handelt sich bei diesen Zukunftsprojektionen, die mit dieser Methode erstellt wurden um „kleine Szenarien“, dann im nächsten Schritt zu komplexen Zukunftsbildern verknüpft werden.

Schritt 3: Verknüpfung der Zukunftsprojektionen zu komplexen Zukunftsbildern Wie schon erwähnt, wurden die vorliegenden Szenarien mit dem Verfahren der morphologischen Analyse zu komplexen Zukunftsbildern verknüpft. Dazu wird aus den Schlüsselfaktoren und den Zukunftsprojektionen eine morphologische Matrix erstellt. Dann wird deduktiv ein spezifisches Szenariothema gesetzt und in einer intuitiven Vorgehensweise wird dieses Szenariothema mit den restlichen Schlüsselfaktoren angereichert.

312

Anhang

3. Faktorenausprägung der Szenarien GSVP 2025 Schlüsselfaktor

Imperium Europa

Zivilmacht Europa

1 Globalisierung

1 D: Verlangsamte Globalisierung

1 B: Globalisierte Regionen

2 Wirtschaftliche Entwicklung

2 B: Nachhaltiges Wachstum

1 D: Solidarische Gesellschaft

3 EU-Integration

3 A: All inclusive

3E: All inclusive mit Ausnahmen

4 Institutionen- und Ordnungsmodell

4 A: EU-Regierung

4 B: Kosmopolitische EU

5 Reform

5 B: Dynamische Fortentwicklung im Konsens

5D: langsame stetige Entwicklung

6 Effizienz des politischen Systems

6 B: Strategische Politik

6 D: Strategie im Kleinformat

7 GASP-Entwicklung

7 B: Strategische Erzwingung

7 A: Zivilmacht

8 GSVP-Entwicklung

8 B: Europäische Verteidigungsunion

8 A: Europäisches Krisenmanagement

9 Streitkräfteentwicklung

9 A: Europäische Armee

9 B: Teilintegration der Streitkräfte

10 Relevanz von Bedrohungen

10 B: Eine Welt des Krieges

10 A: Globaler Terrorismus

11 Entwicklung USA

11 E: Das Ende der Imperialzeit

11 A: Zivilmacht USA

12 Bedeutung NATO

12 D: Europäische NATO

12 B: Diversifizierte NATO

13 Entwicklung VN

13 D: Mehr Macht dem Osten

13 B: Das Weltparlament

14 Geopolitische Makroentwicklungen

14 B: Konfrontative Multipolarität

14 C: Der freundliche Hegemon

313

Anhang

Der Niedergang der alten Welt

Schlüsselfaktor

Kerneuropa

1 Globalisierung

1 C: Die Welt der Sieger

1C: Die Welt der Sieger

2 Wirtschaftliche Entwicklung

2 A: Sieg der Märkte

2 C: Stagnation & Krise

3 EU-Integration

3 B: Differenzierte Integration

3 D: Scheitern der Integration

4 Institutionen- und Ordnungsmodell

4 D: Monnet’sche EU

4 E: Handlungsunfähigkeit der Institutionen

5 Reform

5A: Krise

5 A: Krise

6 Effizienz des politischen Systems

6 A: Ad-hocEntscheidungen

6 C: Orientierungslosigkeit

7 GASP-Entwicklung

7 D: Regionaler Akteur

7 C: Renationalisierung

8 GSVP-Entwicklung

8 D: Koalition der Willigen

8 E: Renationalisierung

9 Streitkräfteentwicklung

9 D: Bündnisstreitkräfte

9 C: Nationale Streitkräfte

10 Relevanz von Bedrohungen

10 B: Eine Welt des Krieges

10 A: Globaler Terrorismus

11 Entwicklung USA

11 B: Imperium USA

11 B: Imperium USA

12 Bedeutung NATO

12 C: Leere Hauptquartiere

12 E: US-NATO

13 Entwicklung VN

13 E: Bedeutungslosigkeit der UN

13 A: Dominanz des Westens

14 Geopolitische Makroentwicklungen

14 A: US-dominiertes unipolares System

14 A: US-dominiertes unipolares System

314

Abkürzungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

ACT AKP ALA AMIS II AMM ANP ARF ASEAN ASEM AStV/COREPER AWACS BMLV BRICs CARDS CDM CER CIC CIMIC CIMIR CIVCOM CMCO CML CMPD ComCen COMEUFOR CPCC DCI DDR DG DG E ECHO ECMM ECOWAS ECPC

Allied Command für Transformation Afrikanische, karibische und pazifische Staaten Asia and Latin America African Union Mission in Sudan Aceh Monitoring Mission Afghan National Police“ ASEAN Regional Forum Association of South East Asian Nations Asia Europe Meeting Ausschuss der Ständigen Vertreter Airborne Warning and Control System Bundesministerium für Landesverteidigung Brasilien, Russland, Indien, China Community Assistance for Reconstruction, Devleopment and Stabilization Capability Development Mechanism Center for European Reforms Civilian Intelligence Cell Civil-Military Cooperation Civil-Military Relations Committee for the Civilian Aspects of Crisis Management/ Ausschuss für die zivilen Aspekte des Krisenmanagements Civil-Military Coordination Civil-Military Liasons Crisis Management Planning Directorate Communications Centre Commander EU Force Civilan Planning and Conduct Capacity/Ziviler Planungsstab Defence Capabilities Initiative Disarmament, Demobilisation & Reintegration Directorate General/Generaldirektion DG for External Relations and Politico-Military Affairs European Humanitarian Aid Office European Community Monitoring Mission Economic Community Of West African States European Civilian Peace Corps 315

Abkürzungsverzeichnis

EDA/EVA EEA EEAS EG EGKS EIDHR EK ENP ENPI EP EPZ ESFS ESS ESVI ESVP ETA EU EU BAM EUBG EUFOR EUISS EUMC EUMM EUMS EUPAT EURATOM EUSC EUSR EUV EWG bzw. EG EZA FHQ FIT FYROM GAM GASP GPPO GSVP GTZ GUS 316

European Defence Agency/Europäische Verteidigungsagentur Einheitlichen Europäischen Akte European External Action Service Europäische Gemeinschaften Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl European Instrument for Democracy and Human Rights Europäische Kommission European Neighbourhood Policy/Europäische Nachbarschaftspolitik European Neighbourhood and Partnership Instrument Europäische Parlament Europäische Politische Zusammenarbeit Europäische Sicherheits-, Friedens- und Stabilisierungskräfte European Security Strategy/Europäische Sicherheitsstrategie Europäischen Sicherheits- und Verteidigungsidentität Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik Euskadi Ta Askatasuna/Baskenland und Freiheit Europäische Union EU Border Assistance Mission EU-Battlegroups European Force Institut der Europäischen Union für Sicherheitsstudien EU Military Committee/EU-Militärausschuss EU Monitoring Mission EU Military Staff/EU-Militärstab Police Advisory Teams Europäische Atomgemeinschaft Satellitenzentrum der Europäischen Union EU Special Representative/EU-Sonderbeauftragter Vertrag über die Europäische Union/EU-Vertrag Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Entwicklungszusammenarbeit Force Headquarters Force Integration Training Former Yugoslav Republic of Macedonia Gerakan Aceh Merdeka/Bewegung Freies Aceh Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik German Police Project Office“ Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit Gemeinschaft Unabhängiger Staaten

Abkürzungsverzeichnis

HoM Hrsg. idF IOM IPU IRA ISAF ISPA KFOR KMPD KVM MEDA MINURCAT MONUC MoU NATO NAVFOR NGO NRF ÖBH OHQ OpCen ORF OSZE PARP PARP PfP PHARE PJHQ PMG PSK RAA/AB Relex RS SAFE SAPARD SitCen

Head of Mission/Missionsleiter Herausgeber in der Fassung International Organization for Migration Integrated Police Unit/Integrierte Polizeieinheit Irish Republican Army International Security Assistance Force Instrument for Structural Policies for Pre-Accession Kosovo Force Krisenmanagement- und Planungsdirektorat Kosovo Verification Mission Mésures d’Accompagnement United Nations Mission in the Central African Republic and Chad Mission de l’Organisation des Nations Unies en Republique Democratique du Congo Memorandums of Understanding Nordatlantische Vertragsorganisation Naval Force Non-Governmental Organization/NichtRegierungsorganisation NATO Response Force Österreichischen Bundesheeres Operations Headquarters Operations Centre/Operationszentrum Operational Reserve Force/operative Reservekräfte Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Planning and Review Process Planning and Review Process Partnership for Peace/Partnerschaft für den Frieden Poland and Hungary: Assistance for Restructuring their Economies Permanent Joint Headquarters Politisch-Militärische Gruppe Politisches und Sicherheitspolitisches Komitee Rat für Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen Beratergruppe für Außenbeziehungen Ratssekretariats Synchronized Armed Forces Europe Special Assistance Programme for Agriculture and Rural Development Joint Situation Centre/Gemeinsames Lagezentrum 317

Abkürzungsverzeichnis

SPD SSR TACIS UNDOF UNDP UNEF I UNFICYP UNO/VN UNSR USA USPC WAPA WEU WTO ZMZ ZMZ/A ZMZ/I ZSJI

318

Sozialdemokratische Partei Deutschlands Security Sector Reform/Sicherheitssektorreform Technical Assistance to the Commonwealth of Indepedent States United Nations Disengagement Observer Force United Nations Development Programme United Nations Emergency Force United Nations Peacekeeping Force in Cyprus United Nations Organization/Vereinte Nationen UN-Sicherheitsrat United States of America US Peace Corps Warschauer Pakt Western European Union/Westeuropäische Union World Trade Organization/Welthandelsorganisation Zivil-Militärische Zusammenarbeit Zivil-Militärische Zusammenarbeit Ausland Zivil-Militärische Zusammenarbeit Inland Zusammenarbeit in den Bereichen Justiz und Inneres

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Autoren und Herausgeber

Autoren und Herausgeber

Nicole Alecu de Flers, Studium der Politikwissenschaft und European Studies in London, München, Berlin und Wien, 2003 Abschluss als Diplom-Politologin und 2008 Promotion zur Dr. phil. Seit 2008 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für europäische Integrationsforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Seit 2005 externe Lehrbauftragte an den Universitäten Wien und Salzburg. Von 2004 bis 2007 Scholarin und Junior Researcher am Institut für Höhere Studien in Wien und von 2005 bis 2007 Teilnehmerin des internationalen Forschungs- und Ausbildungsprogramms European Foreign and Security Policy Studies der drei Stiftungen Volkswagen-Stiftung, Compagnia di San Paolo und Riksbankens Jubileumsfond. Gastforschungsaufenthalte in Dublin und Singapur. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Europäische Außen- und Sicherheitspolitik, Europäisierung nationaler Außenpolitik sowie inter-regionale Beziehungen. Franco Algieri, geb. 1961; 1992-1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Politik (IEP) in Bonn; 1994-2008 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für angewandte Politikforschung (CAP) in München; seit 2008 Forschungsdirektor des Austria Instituts für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES) in Maria Enzersdorf bei Wien; 1995-2007 Lehrbeauftragter am Geschwister-Scholl-Institut für Politikwissenschaft der Universität München; seit 2007 Lehrbeauftragter am Institut für Politikwissenschaft der Universität Tübingen; 2000 Ernennung zum Gastprofessor an der School of International Studies und zum Fellow am Center for European Studies der Renmin University of China in Peking; seine Forschungs- und Publikationsschwerpunkte liegen im Bereich der Entwicklung der europäischen Integration, der Außen-, Sicherheitsund Verteidigungspolitik der EU, der EU als globaler Akteur sowie der Beziehungen EU-Asien. Thomas Bauer, Jahrgang 1975; 1994 bis 1997 Angehöriger der Bundeswehr, trägt den Dienstgrad eines Leutnant der Reserve; 1997 bis 2002 Studium der Geschichts- und Politikwissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität in München; bis 2009 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centrum für angewandte Politikforschung (C.A.P) in München; Freier Mitarbeiter beim ReportVerlag in Bonn mit regelmäßigen Beiträgen für die Zeitschrift „Strategie und Technik“ sowie den den „Online-Dienst Wehrwirtschaft“; Zahlreiche Beiträge in Sammelbänden und Fachbüchern zu den Themen Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Rüstungspolitik, Entwicklung von Streitkräften sowie den Transat327

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lantischen Beziehungen; Mitglied im Freundeskreis des Bayerischen ArmeeMuseums sowie des Fördervereins Bayerische Landesfestung Ingolstadt. Fabian Breuer, Jahrgang 1977; 1996 bis 1999 Studium der Politik- und Rechtswissenschaften an der Technischen Universität Dresden; 1999-2002 Studium der Internationalen Beziehungen an der Universität Amsterdam; 2002-2006 Promotion zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik am Europäischen Hochschulinstitut in Florenz; 2007 und 2008 Project Associate am Global Public Policy Institute in Berlin; 2008 und 2009 Stipendiat des European Foreign and Security Studies Progamme; Projektmanagement des EU-Profilers und Beteiligung am European Union Democracy Observatory. Michael Dóczy, Jahrgang 1972; Studium der Politikwissenschaften und Geschichte. 1998 bis 2000 EU-Koordination im Bundeskanzleramt, Wien. Seit 2000 Mitarbeiter im österreichischen Außenministerium: 2000 bis 2001 Abteilung für EU-Grundsatzfragen; 2002 Österreichische Botschaft Madrid; 2002 bis 2003 Assistent des Politischen Direktors und des Europäischen Korrespondenten, Wien; 2003 bis 2007 Österreichische Vertretung bei der EU, Brüssel: stv. Vertreter im Politischen- und Sicherheitspolitischen Komitee der EU; österreichischer Vertreter in der Politisch-Militärischen Arbeitsgruppe und 2006 Vorsitzender dieser Arbeitsgruppe während der österreichischen EU-Präsidentschaft. Seit 2007 österreichischer Vertreter in der Policy Unit des Hohen Vertreters der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (bis November 2009: Javier Solana; seit Dezember 2009 steht die Policy Unit der Hohen Vertreterin Catherine Ashton zur Verfügung). Arbeitsgebiete: institutionelle Fragen, Koordination und Public Diplomacy; 2008 Koordinator des Berichts über die Umsetzung der Europäischen Sicherheitsstrategie. Walter Feichtinger, Jahrgang 1956; 1976 bis 1979 Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt; 1979 bis 1998 Verwendung als Panzeroffizier; 1993 bis 1998 Kommandant des Panzerbataillons 10; Studium der Politikwissenschaft und Publizistik; 1998 bis 2001 stellvertretender Leiter des Instituts für Friedenssicherung an der Landesverteidigungsakademie in Wien mit dem Spezialgebiet Kriegsbildforschung; 2001 bis 2002 sicherheits- und verteidigungspolitischer Berater im Bundeskanzleramt; seit Mitte 2002 Leiter des Instituts für Friedenssicherung und Konfliktmanagement; 2002 Promotion zum Dr. phil.; zahlreiche Publikationen, Vorträge und Medienauftritte zu sicherheitspolitischen Themen und Aspekten des internationalen Konfliktmanagements. Carmen Gebhard, Jahrgang 1980; Studium der Politikwissenschaften und Geschichte an den Universitäten Wien und Stockholm, 2004 Mag. phil. und 2007 Dr. phil der Vergleichenden Politikwissenschaft. Seit 2005 assoziierte Projekt328

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mitarbeiterin am Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie. Von 2005 bis 2006 Forscherin am Austria Institut für Europa- und Sicherheitspolitik (AIES), von 2006 bis 2007 Research Fellow am European Institute of Public Administration (EIPA) in Maastricht und von 2007 bis 2010 Postdoctoral Research Fellow am Institut für Höhere Studien in Wien. Seit 2008 ist Carmen Gebhard auch Doctoral Candidate in Security Studies an der National Defence University in Budapest. Gastforschungsaufenthalte umfassen Brüssel, Cambridge und Nottingham. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, internationales Krisenmanagement und institutionelle Koordinierung im Bereich Außenpolitik. Peter Hazdra, Jahrgang 1959; Studium der Rechtswissenschaften, Ethnologie und Politikwissenschaft; Milizoffizier des österreichischen Bundesheeres; über zehn Jahre Einsatzerfahrung in verschiedenen Friedensmissionen internationaler Organisationen (UN, EU, OSZE, NATO), u.a. als Militär-, Menschenrechts- und Wahlbeobachter, Koordinator für humanitäre Hilfe und Sicherheitsbeauftragter; 1998-2008 als Forscher im Institut für Friedenssicherung und Konfliktmanagement der Landesverteidigungsakademie in Wien; Universitätslektor an der Universität Wien; zahlreiche Publikationen; seit Dezember 2008 Krisenreaktionsplaner der Europäischen Union für die Regionen Südostasien und Pazifik in der EU-Delegation in Bangkok. Jochen Rehrl, Jahrgang 1970; 1989 bis 1990 Milizoffiziersausbildung; 1990 bis 2000 Studium der Rechtswissenschaften, Politikwissenschaft, Publizistik, Internationale Beziehungen und Wirtschaftswissenschaften an den Universitäten Salzburg und Wien sowie an der Diplomatischen Akademie; 1996 Mag. iur., 1998 Mag. phil., 1999 Dr. iur., 2000 Master of Advanced International Studies; 2000 bis 2001 Auslandseinsatz im Kosovo (AUCON3/KFOR); 2001 bis 2004 Referent in der Abteilung Militärpolitik des BMLV; 2004 bis 2007 Politischer Berater an der Militärvertretung Brüssel; 2007 bis 2008 Referent in der Policy Unit des Generalsekretariats des Rates in Brüssel; seit 2008 Referatsleiter für Verteidigungpolitik in der Direktion für Sicherheitspolitik des BMLVS; Absolvent des Europäischen Sicherheits- und Verteidigungskollegs, des NATO Defence College und der Academia Diplomatica Europaea; mehrere Publikationen und Vorträge zum Thema Sicherheits- und Verteidigungspolitik mit Schwerpunkt EU; Mitglied des Wiener Journalistenclubs. Nikolaus Rottenberger, Jahrgang 1970, 1991 bis 1994 Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt; 1994 bis 2001 Verwendung als Fernmeldeoffizier; Einsätze bei ECMM/EUMM in Bosnien-Herzegowina und bei KFOR im Kosovo; 2000 bis 2002 Studium der Internationalen Beziehungen an der Webster University und am Regent’s College London; 2001 Verwendungen im Bundes329

Autoren und Herausgeber

kanzleramt und im britischen Unterhaus als sicherheitspolitischer Experte; 2002 bis 2004 Studium der Politikwissenschaft; 2006 bis 2007 Postgraduales Studium an der Diplomatischen Akademie; seit 2002 sicherheits- und verteidigungspolitischer Berater im Kabinett des Verteidigungsministers; derzeit Doctoral Candidate in Security Studies an der National Defence University in Budapest und Dissertationsstudium Politikwissenschaft und Geschichte; Mitglied im Kuratorium des Europäischen Forum Alpbachs; Lehrtätigkeit u.a. an der Webster University, der Theresianischen Militärakademie und der Landesverteidigungsakademie; diverse Publikationen zu sicherheitspolitischen Themen. Sammi Sandawi, Jahrgang 1975; Studium der Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität zu Berlin, Abschluss 2003 als Diplompolitologe; seit 2003 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Politik (IEP) in Berlin. Dort war Sammi Sandawi bidlang Leiter mehrerer sicherheitsbezogener Studienprojekte für das Bundesministerium der Verteidigung, das Auswärtige Amt sowie das Bundesministerium für Landesverteidigung, Wien. Seit April 2008 arbeitet er als politischer Berater im Zentrum für Transformation der Bundeswehr (ZTransfBw) in Strausberg. Neben Fragen der Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheitsarchitektur zählen insbesondere die Vernetzte Sicherheit, die Transformation westlicher Streitkräfte sowie die Transnationale Organisierte Kriminalität zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Er ist Mitglied im European Foreign and Security Policy Studies (EFSPS)-Programm der Volkswagenstiftung. Ernst Schmid, Jahrgang 1974; Ausbildung zum Milizoffizier; Studium der Rechtswissenschaften in Salzburg und Clermont-Ferrand; Gerichtspraktikum 2000/01; Postgraduate-Abschluss International Law in Rotterdam 2002; ab 2002 Referent Rechtliche Angelegenheiten im Generalstab des BMLV; 2005 Rechtsberater der Afrikanischen Union für die Friedensmission in Darfur; Referent in der Projektgruppe für die EU-Präsidentschaft 2006; 2006 Promotion zum Dr. iur.; seit 2007 Legal Officer an der österreichischen Militärvertretung Brüssel.

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