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German Pages [220]
V&R
Meinen Eltern Ingeborg und Karl-Heinz Schröder und meinen Doktoreltern Annegrete und Gerhard Sauter
CAROLINE SCHRÖDER
Glaubenswahrnehmung und Selbsterkenntnis Jonathan Edwards' theologia experimentalis
VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN
Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Wolfhart Pannenberg und Reinhard Slenczka Band 81
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufrahme Schröder, Caroline: Glaube nswahrnehmung und Selbsterkenntnis: Jonathan Edwards' theologia experimen talis / Caroline Schröder. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1998 (Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie; Bd. 81) ISBN 3-525-56288-8
© 1998 Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen. Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Druck und Bindung: Hubert & Co., Göttingen.
Vorwort
„Jonathan Edwards - der amerikanische Schleiermacher" — mit dieser Charakterisierung könnte man Edwards einer deutschen Leserschaft vorstellen. Dafür spricht, daß der Erweckungstheologe seine Auffassung der Theologie aus der Beobachtung der Frömmigkeit entwickelte, so daß man an eine anthropologische Begründung der Glaubenslehre denken könnte. Diese Beobachtung führte ihn zu psychologischen Einsichten und Interessen, denen Schleiermachers vergleichbar. Wie bei diesem hat sich sein Glaube durch Erlebnisse tiefer innerer Wandlungen geformt, was durch Kennworte wie „Bekehrung" und „pietistische Prägung" nur unzureichend, wenn nicht gar irreführend umschrieben wäre. Seine theologischen und philosophischen Interessen waren weitgespannt, sie nahmen viele Bereiche der Kultur seiner Zeit in den Blick. Er hat sich enzyklopädisch geäußert und dem Bildungswesen an der amerikanischen Ostküste entscheidende Impulse gegeben. Er war Prediger, Seelsorger, akademischer Lehrer. Zwar hat er sich weniger als Schleiermacher als Bildungsreformer einen Namen gemacht, doch fiel auch seine relativ kurze Wirkungszeit in eine Epoche, in der tragende theologische Traditionen umgeformt werden mußten, damit sie den geistigen Herausforderungen der Zeit und den Gestaltungsaufgaben in Kirche und Bildungswesen entsprechen konnten. Wie Schleiermacher stand Edwards an einem Schnittpunkt von konfessioneller Religion und Aufklärung. Vor allem aber seine Wirkungsgeschichte läßt in ihrer weitverzweigten Vielfalt und mit ihrer bis heute ungebrochenen Ausstrahlung an diejenige Schleiermachers denken. Edwards ist aus dem Erscheinungsbild nordamerikanischer Frömmigkeitsgeschichte, Religionsphilosophie und -psychologie nicht mehr wegzudenken, und für Kontroversen um Frömmigkeit und Rationalität in den USA bleibt er eine maßgebende Gestalt, auf die sich nach wie vor viele in Zustimmung und Widerspruch berufen, weil sie einen Orientierungspunkt für die eigene Positionsbestimmung bildet. Doch warum kommt niemand auf den Gedanken, Friedrich Schleiermacher den zwei, drei Generationen jüngeren — den deutschen Edwards zu nennen? Edwards' Wirkungsbereich war zweifellos begrenzter als der Schleiermachers, die Bedingungen zur Aufnahme und Weitergabe seiner Gedanken waren im Neuengland seiner Zeit naturgemäß völlig andere als im Preußen unter dem Eindruck der Französischen Revolution, im Wirbel des napoleonischen Imperialismus und unter den Nachwehen der Freiheitskriege. Aber wäre Edwards' unablässiges Bemühen, in das Geheimnis des menschlichen Willens einzudringen und Gottes Urteil über ihn zu erschließen, wären die Aporien, in die Edwards dabei geriet und die er theologisch so genau wie möglich zu formulieren ver5
suchte, wäre seine Frage nach Gottes Vorsehung, die sich nicht empirisch abbilden läßt, aber doch ihre Spuren hinterläßt: wäre dies alles nicht lehrreich für ähnliche Wege und Holzwege, die Schleiermacher und viele ihm nachfolgend beschritten haben? Und nicht nur dies: Die Wirkungsgeschichte Edwards' — etwa über die Religionspsychologie von William James (1842-1910), um nur ein Beispiel zu nennen — auf Europa sollte nicht unterschätzt werden. Wer die geistigen Auseinandersetzungen in den Vereinigten Staaten mit ihren globalen Auswirkungen recht einschätzen möchte, wird an Jonathan Edwards nicht vorübergehen können. Darum möchte diese Untersuchung mit einigen Grundgedanken der Theologie Jonathan Edwards', mit ihrer Spiegelung in der nordamerikanischen Kulturgeschichte, mit ihren methodischen Problemen und ihren Einsichten, vor allem auch mit der Denkform und sprachlichen Gestaltung einer Wahrnehmung des Menschen jenseits von Empirismus und Dogmatismus bekannt machen. Ein Vergleich mit anderen Konzeptionen oder gar mit dem Werk Schleiermachers würde allerdings den Rahmen einer Werkanalyse weit überschreiten. Da ich auch auf Edwards' Biographie nur am Rand eingehen kann, sei zuvor sein Lebenslauf wenigstens skizziert: Edwards wurde am 5. Oktober 1703 in East Windsor, Connecticut, geboren. Seine theologische Ausbildung erhielt er in Yale (1716-1720), wo er auch als Tutor tätig war. 1727 verließ Edwards seine aima mater und wurde seinem Großvater, dem Pfarrer Solomon Stoddard in Northampton, Massachusetts, zur Seite gestellt. Im selben Jahr heiratete er Sarah Pierrepont, mit der er elf Kinder haben sollte. Als Solomon Stoddard 1729 starb, trat Edwards dessen Nachfolge an. In Northampton wurde Edwards in die First Gnat Awakening verwickelt. Hier entstanden seine erweckungs-freundlichen Schriften, und hier bemühte er sich, das geistliche Leben seiner Gemeinde vor der Erosionsgefahr zu bewahren, die ihr durch gefährliche Strömungen der Erweckungsbewegung drohte. So sah er sich in zunehmendem Maße genötigt, Stellung zu beziehen — eine Situation, die das Verhältnis zu seiner Northamptoner Gemeinde zusehends belastete. Gegen Ende der 40er Jahre war dieses Verhältais so zerrüttet, daß Edwards schließlich aus seinem Amt endassen wurde (1750). Die letzten Jahre seines Lebens (1751— 1757) verbrachte er im westlichen Grenzland von Massachusetts, wo er eine kleine Gemeinde und Missionsstation versorgte und seine wichtigsten theologischen und philosophischen Schriften verfaßte. Gegen Ende des Jahres 1757 näherte sich sein Leben wiederum einer Wende, als er zum Präsidenten des jungen Colleges von New Jersey in Princeton gewählt wurde. Nach einigem Zögern nahm Edwards die Wahl an. Doch am 22. März 1758, wenige Wochen nach seiner Amtseinführung, starb er unerwartet an den Folgen einer Pockenschutzimpfung. Auf Jonathan Edwards stieß ich zuerst als Austauschstudentin an der Divinity School der Duke University in Durham (North Carolina), USA im Studienjahr 1990/91. Seine Schriften habe ich mit der Frage gelesen, ob und wie die reformatorische Rechtfertigungslehre, wie ich sie in Deutschland studiert hatte, in 6
der evangelischen Theologie Nordamerikas aufscheint: in einem „Protestantismus ohne Reformation" - wie Dietrich Bonhoeffer die lange Zeit dominierende Religion nordamerikanischer Kultur genannt hat. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland beschäftigte ich mich dann mit weiteren Auffassungen theologischer Anthropologie. Im Frühjahr 1994 konnte ich das Quellenstudium in Durham und bei kurzen Aufenthalten in Princeton (New Jersey) und an der Yale University in New Haven vertiefen. Das Princeton Theological Seminary ermöglichte mir für den Herbst 1994 ein weiteres Studiensemester, in dem ich an einem Kurs bei Professor Dr. Sang Hyun Lee, einem Kenner der Religionsphilosophie Edwards', teilnahm. Anläßlich der Präsentation der jüngsten Bände der Yale Edition konnte ich im November 1994 mit einigen Edwards-Experten und -Expertinnen sprechen, u.a. mit Thomas A. Schafer, dem Herausgeber der „Miscellanies", Mary Ava Chamberlain, Kenneth P. Minkema und Harry S. Stout. Aus diesen Gesprächen und durch weitere Korrespondenzen, vor allem mit Allen C. Guelzo, habe ich wichtige Informationen und weiterführende Anregungen empfangen. Dafür wie für die Förderung in Princeton durch President Professor Thomas W. Gillespie und Professor Sang Hyun Lee danke ich herzlich. Die vorliegende Untersuchung wurde im Sommer-Semester 1995 von der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Rheinischen Friedrich-WilhelmsUniversität Bonn als Dissertation angenommen. Gutachter waren Prof. Dr. Gerhard Sauter und Prof. Dr. Karl-Heinz zur Mühlen. Mein Dank gilt der Studienstiftung des deutschen Volkes für die langjährige Förderung während meines Studiums und meiner Promotionszeit — vor allem für die Unterstützung meiner Auslandssemester. Ich danke den Herausgebern der Reihe „Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie", Prof. Dr. Wolfhart Pannenberg und Prof. Dr. Reinhard Slenczka, für die freundliche Aufnahme dieser -Arbeit. Der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität und der Evangelischen Kirche im Rheinland seien herzlich gedankt für die Gewährung eines großzügigen Druckkostenzuschusses. Frau Renate Hartog danke ich für die aufmerksame Korrektur der Druckvorlage, und Frau Reinhilde Ruprecht für ihre Geduld und aufmunternden Worte während des Korrekturvorgangs. Mein besonderer Dank gilt Arno Stetten, der in dieser Zeit immer zur Stelle war, um mir zahlreiche Probleme abzunehmen, die durch Computertechnik entstehen und durch Computertechnik lösbar sind — wenn man sich auskennt. Mein theologischer Lehrer und Doktorvater, Gerhard Sauter, hat diese Arbeit angeregt und begleitet. Für die Gelegenheit, von ihm zu lernen, bin ich zutiefst dankbar - vor allem, was es heißt, hoffnungsvoll von Gott zu reden, und daß Menschen Theologie zum Leben brauchen können. Mein Dank gilt ihm und seiner Frau, Annegrete Sauter, auch für den regen Austausch über den weiten kulturellen Kontext der nordamerikanischen Theologie. Schließlich möchte ich meinen Eltern danken — für die liebevolle Unterstützung meines Studiums und meiner Arbeit in so vieler Hinsicht.
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Die Erfahrung, gestärkt zu werden von Menschen, mit denen ich mich seit Jahren tief verbunden fühle, hat mich dazu bewegt, diese Arbeit meinen Eltern und meinen Doktoreltern zu widmen. Als Zeichen meiner „affections". Siegburg, 18. Dezember 1996
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Inhalt
1.
„Die Pfeile des Todes fliegen unbemerkt"
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2.
Der „Hellfire"-Prediger im Lichte der Forschungsgeschichte 2.1. Der „Neuengland-Melchisedek" grüßt Amerika 2.2. Edwards' philosophischer Hintergrund 2.2.1. Edwards und Locke - ein problematisches Verhältnis 2.2.2. Edwards zwischen Watts und Leibniz: Gott zwischen Freiheit und Notwendigkeit 2.2.3. Edwards als ästhetischer Realist der ontologische Horizont der Anthropologie 2.2.3.1. Das Bewußtsein - der anthropologische Kem der Wirklichkeit 2.2.3.2. Die Vorstellungskraft 2.3. Erweckungstheologie als Mut zur Erscheinung 2.3.1. Edwards' theologische Existenz: die Kirche als Kontext seiner Theologie 2.3.2. Die Theologie der Sichtbarkeit und das Problem der Relativität 2.4. Die Aporie einer Verständigung über den Glauben und der Versuch, sie zu umschreiben
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3.
Edwards' Religionskritik: „Mit keinem Wort sprach ich von inneren Gefühlen!" 3.1. Der „Sitz im Leben" der Selbsterkenntnis: das Abendmahl 3.2. Gegen die Auflösung der Zeichen 3.3. Die Religionskritik als Kritik der Affekte 3.3.1. Die Konstituenzien der Religionskritik 3.3.1.1. Natur und Gnade: die übernatürliche Regeneration der menschlichen Natur 3.3.1.2 Die Evidenz der Schönheit Gottes 3.3.2. „Affekte im Gespräch" ein problematischer Gesprächsgegenstand 3.3.2.1. Die unausweichliche Affiziertheit des Menschen 3.3.2.2. Die Unverfügbarkeit der Affekte 3.4. Recht und Grenze der Selbsterkenntnis
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87 89 95 98 102 104 106 108 110 115 119
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4.
5.
6.
7.
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John Lockes „Essay Concerning Human Understanding" im Verhältnis zu Edwards' religiöser Erkenntnistheorie 4.1. Der menschliche Geist zwischen Freiheit und Notwendigkeit 4.2. Sprache als das schwächste Glied im Erkenntnisprozeß 4.3. Der Blick auf das Externe als Ursprung und Grenze menschlicher Erkenntnis Variationen zum Thema des Externen 4.4. Die Attraktivität der empiristischen Erkenntnistheorie fur Edwards' Erweckungstheologie Die fundamentale Einigung des Menschen in seinem Willen 5.1. Die arminianische Alternative: die Auflösung von Sein und Erkennen 5.2. Der kleine Anfang der Freiheit: Körperbeherrschung statt Willensbeherrschung 5.3. Die Demaskierung des Willenskonfliktes 5.3.1. Moralische Notwendigkeit: die Identität des Willens mit sich selbst 5.3.2. Die Einheit von Wille und Vernunft im Augenblick der Entscheidung 5.4. Die wollende Wahrnehmung zwischen Disposition und Motiv 5.5. Die Verneinung des Willens: Freiheit als Indifferenz 5.6. Anstöße: Die „Ganzheidichkeit", die den Menschen in die Krise treibt die Konfrontation mit dem ganzen Willen Gottes Die Krise: Der Mensch zwischen Mittellosigkeit und Aktivismus 6.1. Die Verkündigung: die schwindelerregende Konfrontation mit der eigenen Lage 6.2. Die moralischen Möglichkeiten des natürlichen Menschen Der Mensch jenseits seiner moralischen Möglichkeiten: Rechtfertigung allein aus Glauben 7.1. Francois Turrettini: die Komplexität des Glaubens 7.2. Von Solomon Stoddard zu Jonathan Edwards, oder: von der Selbsterkenntnis als unabsehbarem Prozeß zum epochalen Anfang des Glaubens 7.3. Die Rechtfertigungspredigt: die Einheit des Handelns Gottes und die Einheit des Menschen vor Gott
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127 139 142 144 148 150 151 153 155 158
161
166 170 175
190 194
195 199
7.3.1.
8.
Eine fragwürdige Entspannung der Krise: Rechtfertigung als „acceptance" und „manifestation" die Kongruenz von „außen" und „innen"
Conclusio: Fragen, die sich nicht erledigen lassen
Literaturverzeichnis
202 205 211
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1. „Die Pfeile des Todes fliegen unbemerkt"
In der Kleinstadt Stockbridge im westlichen Massachusetts laufen ein paar Fäden der amerikanischen Geschichte zusammen. Hier gibt es ein Norman Rockwell Museum und ein Shakerdorf, in dem einst die Angehörigen einer religiösen Gemeinschaft lebten, auf Ehe und Fortpflanzung verzichteten, allmählich ausstarben und dem amerikanischen Bewußtsein heute nur noch als Stifter einer renommierten Möbelkultur präsent sind. Und schließlich steht da noch im Untergeschoß der öffentlichen Leihbücherei der sechseckige Tisch von Jonathan Edwards, eine sog. „Lazy Susan", auf deren schräger, drehbarer Auflage man aufgeschlagene Bücher piazieren und so handlich und bequem zur Lektüre bereithalten konnte. Ein paar Schritte weiter, auf der anderen Straßenseite, erinnert das „Mission House" an die Zeit, als Neuengland noch englisches Kolonialgebiet und Stockbridge ein Grenzposten war, der die „Western Frontier" markierte. In diesem ehemaligen Grenzland lebte Jonathan Edwards (1703-1758) sechs Jahre lang mit seiner Familie als Pfarrer einer kleinen Gemeinde von weißen Siedlern und als Missionar einer Gruppe von Houssatonic-Indianern, deren Sprache er kaum verstand und zu denen er nur über einen Übersetzer predigen konnte. In Stockbridge stieß seine Theologie auf die „Wilderness". Hier legte er in einem Brief an die Trustees des Colleges von New Jersey, der heutigen Princeton University, seine Unzulänglichkeiten und Bedenken offen, die ihn zögern ließen, die Aufgaben eines College-Präsidenten zu übernehmen. Robert Lowell zitiert Edwards' selbstkritische Einwände in einem Gedicht, in dem es heißt1: „I love you faded, old, exiled and afraid to leave your last flock, a dozen Houssatonic Indian children; afraid to leave all your writing, writing, writing, denying the Freedom of the Will. You were afraid to be president of Princeton, and wrote: ,My deffects are well known;
1
Ich zitiere aus Lowells Gedicht ,J.E. in Western Massachusetts", in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, New York 1969,253-256, hier 256.
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I have a constitution peculiarly unhappy: flaccid solids, vapid, sizzy, scarse fluids, causing a childish weakness, a low tide of spirits. I am contemptible, stiff and dull. Why should I leave behind my delight and entertainment, those studies that have swallowed up my mind?"' 2 Edwards' Lebensgeschichte ist, wie uns Perry Miller belehrt, die Geschichte eines Geistes, dessen Leidenschaft das Denken und dessen Medium die Theologie war. 3 Regelmäßig ritt er aus, u m seine Gedanken zu sammeln, und bei seiner Rückkehr fand sich die Ansammlung dieser Gedanken als rasch heruntergeschriebene Notizen über seinen Mantel verteilt, w o er sie hingeheftet hatte, weil sie ihm zu wichtig waren, um verloren zu gehen. In Stockbridge erlebte er seine produktivste Zeit: hier verfaßte er Freedom of the Will4, Nature of True Virtue und End for which God created the World 5 und zuletzt Original Sin 6 , eine in zumindest
2 Vgl. Edwards' Brief vom 19. Oktober 1757: „The chief difficulty in my mind ... are these two: First my own defects, unfitting me for such an undertaking, many of which are generally known; besides other, which my own heart is conscious to. — I have a constitution in many respects peculiarly unhappy, attended with flaccid solids, vapid sizzy and scarse fluids and a low tide of spirits; often occasioning a kind of childish weakness and contemptibleness of speech, presence and demeanor, with a disagreeable dulness and stiffness, much unfitting me for conversation, but more especially for the government of a College. ... The other thing is this; that my engaging in this business, will not well consist, with those views, and that course of employ in my study, which have long engaged, and swallowed up my mind, and been the chief entertainment and delight of my life." S. Hopkins, The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E., in: D. Levin (ed.), J E.: A Profile, 1-86, hier: 75. 3 „The real life of Jonathan Edwards was the life of his mind." So beginnt P. Millers Edwards-Biographie, ein Meilenstein der Edwards-Forschung in diesem Jahrhundert. Edwards sei „unendlich mehr als ein Theologe" gewesen: „He was one of America's five or six major artists, who happened to work with ideas instead of with poems or novels. He was much more a psychologist and a poet than a logician, and though he devoted his genius to topics derived from the body of divinity - the will, virtue, sin - he treated them in the manner of the very finest speculators, in the manner of Augustine, Aquinas, and Pascal, as problems not of dogma but of life." P. Miller, J. E., New York 1949, xiff. 4 „A careful and strict Enquiry into The modern prevailing Notions of That Freedom of Will, Which is supposed to be essential To Moral Agency, Vertue and Vice, Reward and Punishment, Praise and Blame" (Boston 1754), in: YE1,129-439. 5 „Two Dissertations, I. Concerning the End for which God created the World. II. The Nature of True Virtue" (Boston 1765), in: YE8, 405-627. 6 „The Great Christian Doctrine of Original Sin defended; Evidences of it's Truth produced, And Arguments to the Contrary answered" (Boston 1758), in: YE3, 107-437.
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einem Punkte originelle Verteidigung der klassischen Sündenlehre.7 Hier wollte er sein theologisches Hauptwerk schreiben, eine summa theologica, „A Rational Account of the Main Doctrines of the Christian Religion Attempted" 8 . Die Übernahme der Präsidentschaft des jungen Colleges in der Nachfolge seines kürzlich verstorbenen Schwiegersohnes Aaron Burr, sen. sollte seine Pläne durchkreuzen. Im Januar 1758 verließ er Stockbridge, um am 16. Februar in Princeton sein neues Amt anzutreten. Wenige Wochen später, am 22. März, starb er an den Folgen einer Pockenschutzimpfung. Die Schriften, die er für das Publikum der Öffentlichkeit verfaßt hatte, waren ausnahmslos Gelegenheitsschriften, veranlaßt und geprägt von bestimmten, meist polemischen Absichten. Sein früher und plötzlicher Tod hindert uns daran, ihn als einen mehr systematischen Geist wahrzunehmen, der Gedanken in gelassener Unabhängigkeit von drängenden Fragen der Zeit und ohne den unruhigen Blick auf wirkliche oder mögliche Einwände einer Opposition entwickeln konnte. Denn dazu blieb keine Zeit mehr. Auch in seinem Pfarramt hatte Edwards kaum Muße zu forschen - so wie er in seiner Jugend stundenlang auf dem Rücken lag und „fliegende" Spinnen beobachtete, um sie danach detailliert zu beschreiben.' In seinem frühen Aufsatz über die fliegenden Spinnen erweist sich Edwards als naturwissenschaftliches Talent, aus dem manches hätte werden können, hätte er sich nicht dafür entschieden, in die Fußstapfen seines Vaters Timothy Edwards und seines Großvaters Solomon Stoddard zu treten und Pfarrer zu werden. 10 Entgegen älteren Biographien, die den noch nicht Dreizehnjährigen für den Verfasser des Aufsatzes halten11, datiert man „Of Insects" heute auf die Zeit zwischen 1719 und 1720.12 Edwards wäre dann also bereits in seinem letzten Studienjahr in Yale und etwa siebzehn Jahre alt gewesen. Am 31. Oktober 1723 schickt er seine Beobachtungen an einen einflußreichen Bekannten seines Vaters, den Richter Paul Dudley von Massachusetts. Eine Reaktion bleibt aber aus. In seinem kurzen Essay zeigt sich Edwards von der Fortbewegung der Waldspinnen beeindruckt, die „von Baum zu Baum marschieren" und dabei erhebliche Entfernungen überbrücken. Er beschreibt, wie man gegen Ende August oder 7 Edwards' Originalität besteht in seinem Verständnis persönlicher Identität, die nicht von der Kontinuität des individuellen menschlichen Bewußtseins, sondern von einer Entscheidung Gottes abhängt. Vgl. YE3, 397ff. 8 Vgl. M.X. Lesser, J.E., Boston 1988,19. 9 Ola E. Winslow zeichnet das Bild des jungen Edwards als eines naturverbundenen, hochintelligenten und religiös bewegten Einzelgängers, der ganze Nachmittage seiner Kindheit mit scheinbarem Nichtstun verbrachte: „... he lay on his back, apparently idle, but his mind and eye intent on the life of the fields." O.E. Winslow, J.E., New York 1940, 43. Die Sympathie des jungen Edwards fur die Natur sei, so ein älterer Edwards-Biograph, auch dem erwachsenen, oft einsamen Theologen wichtig geblieben: „Though he had abandoned the study of natural science when he turned to theology, his days were still bound together by natural piety." A.V.G. Allen, J.E., Boston 1 8 8 9 , 1 3 1 f . I Zu Edwards' geistiger Entwicklung, den Möglichkeiten und Grensçn seiner naturwissenschaftlichen Begabung vgl. W.E. Anderson, Editor's Introduction, in: Y E 6 , 1 - 1 4 3 . II So O.E. Winslow, J.E., 41. 12 YE6, 8, 147-151. Anderson weist daraufhin, wie problematisch die Datierung von Edwards' privaten Manuskripten ist. Inzwischen wird nur noch Edwards' Brief an seine Schwester Mary vom Mai 1716 in die Zeit vor Begjnn seiner Studienjahre in Yale datiert. W.E. Andersons, Editor's Introduction, in: YE6, 5.
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Anfang September bei einem Waldspa2Íergang an einem taufeuchten Morgen „hunderte von Geweben" sehen kann, auf die sich der Tau gelegt hat, so daß sie in der Sonne leuchten. Gelegentlich waren es „Unmengen kleiner, glänzender Gewebe und glitzernder Fäden von großer Länge und in solcher Höhe", daß es aussah, als seien sie „mit einem Ende am Himmel festgesteckt", nur daß sie in ständiger Bewegung waren. Oft sei am anderen Ende dieser Gewebe eine Spinne erschienen, die sich mithilfe dieser Fäden durch die Luft treiben ließ, als würde sie „segeln" oder „schwimmen". „Ich fand diese Erscheinung so schön und überraschend, daß ich mich bemühen wollte, meine diesbezügliche Neugier zu befriedigen." Also widmete sich der junge Edwards der Aufgabe herauszufinden, wie die flügellosen Spinnen „fliegen" können und wie sie ihr seltsames Fortbewegungsmittel, das Netzwerk von Baum zu Baum, zustande bringen. 13 Der besondere Charme dieses Manuskripts besteht wohl darin, daß man immer noch das Staunen nachfühlen kann, mit dem Edwards auf ein natürliches Phänomen stößt und wie er sich entschließt, dem Geheimnis dieses Phänomens auf den Grund zu kommen. 14 Im Laufe einer sorgfältigen Untersuchung und Darstellung entdeckt er Zusammenhänge, die unmerklich, doch unwiderstehlich über sich hinausweisen. Die liebevolle, geradezu zärtliche Beschreibung der zumeist geringgeschätzten Kreaturen zeugt von einer selbstvergessenen Haltung, die sich Zeit nimmt und wie zufallig in der „natürlichen" von einer „moralischen" Ordnung überrascht wird. 15 So wird die Beschreibung transparent, ohne sich mit einem moralisierenden Urteil verbinden zu müssen. Auch wenn Edwards sein Interesse an naturwissenschaftlicher Beobachtung und philosophischer Spekulation seiner theologischen Orientierung unterordnet, drückt sich in diesem Interesse zumindest die Bereitschaft aus, den sinnlich wahrnehmbaren, nichtsdestoweniger subtilen Dingen nachzugehen, sie als „Bilder und Schatten des Göttlichen" 16 zu betrachten, und zugleich das Göttliche nicht für sich zu ergründen, sondern im Zusammenhang einer Natur, die dem geduldigen und geneigten Betrachter immer über mehr Aufschluß zu geben bereit ist, als nur über unmittelbare funktionale Zusammenhänge. Natürliche Erscheinungen beginnen zu sprechen, und was sie sagen, erstaunt ihren Zuhörer, denn sie erzählen von einem Gott, der nicht nur das Notwendige tut, sondern darüber hinaus fur „pleasure and recreation" auch seiner am wenigsten geachteten Geschöpfe sorgt 17 und der in diese freie, schöpfe13
insects, in: YE6,154f. Im Vergleich mit seinen späteren Schriften erscheint insects geradezu als Intermezzo, das sich einer Auseinandersetzung mit naturwissenschaftlicher Literatur während seiner College-Zeit verdankt. Der rote Faden seines Verhältnisses zur Natur ist dagegen nicht die systematische Beobachtung und experimentell kontrollierte Forschung sondern eine typologische Lesart, die Edwards bereits in seiner Kindheit erworben hat. Vgl. W.E. Anderson, Editor's Introduction, in: YA6, 6f. 15 Dies ist eine für den späteren Theologen grundlegende Unterscheidung. Vg}. vor allem Nature of True Virtue, in: YE8, 539-627. 16 Vgl. Edwards' Typologie in: ISDT sowie in: YE11. Vgl. auch J. Knight, Learning the Language of God: J.E. and the Typology of Nature, in: William and Mary Quaterly, 48 (1991), 531-551. 17 „We hence see the exuberant goodness of the Creator, who hath not only provided for all the necessities, but also for the pleasure and recreation of all sorts of creatures, and even the insects and those that are most despicable." Insects, in: YE6,158. 14
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rische Sorge auch diejenigen einschließt, die auf der Suche nach wärmeren Gefilden unweigerlich und in Scharen in den Tod ziehen: „Und das Gleiche gilt für alle anderen Arten fliegender Insekten, denn zu jener Jahreszeit sind der Boden, die Bäume und Häuser, die Orte, wo sie sich im Sommer aufhalten, ziemlich kühl. Sie verlassen sie, wenn die Sonne schön warm scheint, und steigen auf in die Luft und breiten ihre Flügel zur Sonne aus. Und so fliegen sie aus keinem anderen Grund, als zu ihrem Behagen und Trost. Sie nehmen es auf sich, den Weg zu ziehen, von dem sie meinen, daß sie ihn am leichtesten ziehen können, und wohin es dem Wind gefällt. ... Als ich ein Junge war, ... sah ich Unmengen von ihnen, wie sie nach Südosten flogen und dachte damals, sie seien auf dem Weg in ein wärmeres Land. So daß ohne Zweifel fast alle Arten der in der Luft lebenden Insekten - und auch die Spinnen, die von ihnen leben und aus ihnen bestehen - am Ende des Jahres ins Meer gefegt und geweht und im Ozean begraben werden. Sie hinterlassen nichts als ihre Eier für eine neue Generation im folgenden Jahr." 18 Bemerkenswert ist, wie Edwards seine Darstellung der Insekten und Spinnen beschließt — eine Darstellung, die so gleichnishaft wirkt, daß sich der Gedanke an die Menschheit, die zwischen Himmel und Erde mit den besten Absichten ihrem Abgrund ahnungslos entgegeneilt, fast zwingend nahelegt. 19 Edwards jedoch stellt lakonisch das biologische Gleichgewicht fest - und beläßt es dabei. Vom Menschen ist hier nicht die Rede. Es hat etwas zutiefst Erschreckendes, wie Gott voller Freude am Detail seiner Schöpfung - Jahr für Jahr Leben hervorbringt, um es Jahr für Jahr immer nach demselben Muster seinem Untergang entgegenfliegen zu lassen. Und für die, die nicht fliegen können, tüftelt Gott die faszinierende Methode der fliegenden und vernetzten Fäden aus, so daß auch sie ihrem Schicksal nicht entgehen können und auch ihre Zahl unter dem Strich des Generationswechsels unverändert erhalten bleibt. 20 Immer wieder setzt das Leben neu an, um immer wieder dort zu enden, wo es eine ihm selbst verborgene Ordnung Generationen zuvor bereits hinverschlagen 18 ,,And the same indeed holds true of all other sorts of flying insects, for at that time of year the ground, trees and houses, the places of their residence in summer, being pretty chill, they leave 'em whenever the sun shines pretty warm, and mount up into the air and expand their wings to the sun. And so, flying for nothing but their ease and comfort, they suffer themselves to go that way that they find they can go with greatest ease, and so wheresoever the wind pleases. ... when I was a boy, I ... beheld abundance of them, all flying southeast, which I then thought were going to a warm country. So that, without any doubt, almost all manner of aerial insects, and also spiders which live upon them and are made up of them, are at the end of the year swept and wafted into the sea and buried in the ocean, and leave nothing behind them but their eggs for a new stock the next year." A.a.O., 160f. 19 Vgl. David Wilsons Analyse dieses literarischen Genres: „Apparently the flying and ballooning spider has served western man as a reminder of the marvellous extremes in the great chain of being and of the equally instructive brotherhood of man and spider within that chain." D.S. Wilson, The Flying Spider, in: W.J. Scheick, Critical Essays on J.E., Boston 1980, 205-216, hier: 212. 20 „Admire also the Creator in so nicely and mathematically adjusting their multiplying nature, that notwithstanding their destruction by this means and the multitudes that are eaten by birds, that they do not decrease and so, little by little, come to nothing and in so adjusting their destruction to their multiplication that they do neither increase, but taking one year with another, there is always just an equal number of them." Insects, in: YE6,161.
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hat - in den Tod, der den Kreis schließt. Edwards scheint die Trostlosigkeit dieser v o n G o t t hervorgerufenen, m o n o t o n e n Ordnung gar nicht zur Kenntnis zu nehmen. Jedenfalls macht er bei dem L o b des Schöpfers halt. Seine Ordnungen sind in sich schlüssig und auf wenig tröstliche Weise ästhetisch. Sie w e r f e n Fragen auf, die sie nicht beantworten können. Für den Erweckungsprediger aber, der Gottes Z o r n und G o t t e s G n a d e zur Sprache bringen muß, gehören Kontemplationen in der A r t v o n Insects ohnehin weitgehend der Vergangenheit an. Sie stehen ihm allenfalls als Erinnerungen an seine Kindheit in East Windsor, Connecticut, v o r Augen. Hier wurde er am 5. O k t o b e r 1 7 0 3 als fünftes K i n d v o n Timothy und Esther Edwards, geb. Stoddard geboren, und hier wuchs er im elterlichen Pfarrhaus als einziger Sohn unter zehn Schwestern auf. Hier zog er mit Nachbarskindern umher, baute sich eine Hütte zu zurückgezogenem G e b e t und experimentierte mit Bekehrungserfahrungen. 2 1 Zwischen seiner Kindheit und seinem plötzlichen T o d als Präsident des Colleges v o n N e w Jersey liegen bewegte Jahre voller theologischer Auseinandersetzungen und persönlicher Animositäten, ein Leben, dem man w o h l mit gewissem Recht den Nimbus des Tragischen angedichtet hat. 22 Die Schwierigkeiten, die sein Leben begleiten sollten, zeichnen sich bereits ab, als er 1 7 1 6 sein Elternhaus verläßt, u m in Yale zu studieren, das 1 7 0 1 , zwei Jahre v o r seiner Geburt, als konservative Alternative zu Harvard gegründet w o r d e n war 2 3 und selbst noch in den Kinderschuhen steckte. Man war sich nicht einig, in welcher Stadt sich die Schule endgültig niederlassen sollte, 24 und Edwards war
21 So Edwards in seiner „Personal Narrative" (1739), die erstmals von S. Hopkins in „The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E." (Boston 1765) veröffentlicht wurde, in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, 24-39, hier: 24. Hinter seinem Elternhaus, so informiert uns Winslow, war dichter Wald: „Wildemess": Einsamkeit und keine Spur einer sich um den Menschen und seine Belange drehenden Welt. Die Bedeutung dieser Isolation fur Edwards' geistige Entwicklung wird jedoch unterschiedlich beurteilt. Bestritten wird sie vor allem von Norman Fiering (s.u. Kapitel 2). Winslow dagegen: „In many ways he was fortunate, not only for what he missed but for what he gained by such isolation. No wonder the beauty and majesty of nature stamped themselves unforgettably on his early thought. In such a setting nature would have been the most important daily fact to a sensitive child. With a horizon in all four directions he could hardly have escaped impressions of a spacious world: a world of meadows, unending forests, the river, a world of ever changing beauty, not a world of man's making. Even today, standing on the slight eminence which marks the site of the Edwards parsonage, the virgin forests gone and the meadows turned into tobacco fields, one still has a sense of spaciousness and isolation amounting almost to loneliness." O.E. Winslow, J.E., 39. 22 So sieht z.B. P. Gay in Edwards eine „amerikanische Tragödie": .Jonathan Edwards was the greatest tragic hero - I suspect, the only tragic hero - that American Calvinism produced. ... What made Edwards a tragic hero was this ruthlessly intelligent search for the meaning of Puritanism, pursued without regard to the cost.... Edwards' tragedy was personal, but it was not wholly private. It participated in, and ... illuminates a larger tragedy: the failure of the Puritan errand in America. ... Puritan theology was crisis theology, but no civilization ... can long sustain the tension of continuous crisis." P. Gay, J.E. An American Tragedy, in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, New York 1969, 231251, hier 243ff. 23 „Yale was conservative before she was born. The reason for its founding was to conserve and to revive the ways of the fathers." R.H. Bainton, Yale and the Ministry. A history of education for the Christian Ministry at Yale from the founding in 1701, New York 1957, 1. 24 Zur Diskussion standen Saybrook, Wethersfield und schließlich der Ort, der das Rennen machte: New Haven.
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einer der vierzehn Schüler, die bei seinem begabten Cousin Elisha Williams in Wethersfield lernten. Edwards absolvierte sein Studium 1720. Im folgenden Jahr hatte man sich auf New Haven als dem endgültigen O r t des Colleges geeinigt. Edwards blieb, um sein Studium der Theologie zu vertiefen. In die Zeit der frühen 20er Jahre fällt die Abfassung seiner ersten spekulativen Versuche. Dazu gehören schwer datierbare Manuskripte, die zum Teil über einen längeren Zeitraum entstanden: „Natural Philosophy", „Notes on Scriptures", „Notes on the A p o calypse", „The Mind" sowie die ersten Eintragungen seiner berühmten „Miscellanies" 25 . 1722 war Yale in aller Munde, als der Präsident des Colleges, Timothy Cutler, und zwei seiner Tutoren, darunter Samuel Johnson, der Gründer der späteren Columbia University in New York, ihre Konversion zur anglikanischen Kirche bekanntgaben - ein Skandal, über den sich Neuengland kaum beruhigen konnte und der den Fortbestand der Schule erneut gefährdete. In Verdacht geriet auch die Bibliothek Jeremiah Dummers, die 1 7 1 4 dem College als Stiftung zugefallen war. Aus ihren Büchern hatten Cutler und Johnson zitiert, so daß man ihr unterstellte, häretische Neigungen zu fördern. 2 6 Edwards jedoch betreute 1 7 2 2 eine kleine presbyterianische Gemeinde in New York, und so blieb ihm der unmittelbare Eindruck jener Wirren erspart, in der sich seine aima mater derzeit befand. Erst am 21. Mai 1724 übernahm er in Yale das A m t eines Tutors, und mit der Wahrnehmung seiner neuen Aufgaben wurde ihm klar, daß „diese Welt niemals eine andere sein wird" 27 . Trotz der Selbstzweifel, die ihn im Hinblick auf seine instabile religiöse Erfahrung immer wieder plagten 28 , trotz seiner angeschla-
25 T.A. Schafer, Herausgeber der privaten Au (Zeichnungen, in denen sich Edwards mit dem Stift in der Hand in theologische Probleme zu vertiefen pflegte, schreibt in der Einleitung zu diesem lange erwarteten und 1994 erschienenen Band der Yale-Edition: „Although other Puritan pastors in colonial New England kept theological notebooks or intellectual diaries, none surpasses that of Edwards in length, breadth of content, or depth of thought. Edwards made his first entry in the ,Miscellanies' in 1722 and regularly added to the series throughout his ministry. By the time he had made his final entries in the last year of his life it had grown to nine large volumes plus a separate index, which Edwards called the .Table'. For thirty-five years these notebooks trace the intellectual development and maturation of one of America's foremost theologians, providing valuable insights into his mind and spirit." T.A. Schäfer, Editor's Introduction, in: YE13, 1-111, hier: 1. Der besagte Band enthält über 540 Eintragungen des frühen Edwards aus der Zeit zwischen 1722-1731. 26 Die Stiftung enthielt aber insgesamt eher ausgewogenes Material, das sowohl aus angjikanischem als auch aus puritanischem Lager kam. Außerdem fanden sich darunter Bücher, die nichts mit konfessionellen Streitfragen zu tun hatten, wie John Lockes „An Essay Concerning Human Understanding" und Isaac Newtons „Principia and Optice". Vgl. A.S. Pratt, The Books Sent From England by Jeremiah Dummer to Yale College, in: Papers in Honor of Andrew Keogji. Librarian of Yale University by the Staff of the Library, New Haven 1938, 7-44. 27 „Saturday Night, June 6. This week has been a remarkable week with me with respect to despondencies, fears, perplexities, multitudes of cares and distraction of mind; being the week I came hither to New Haven, in order to entrance upon the office of Tutor of the College. I have now abundant reason to be convinced of the troublesomeness and vexation of the world, and that it never will be another kind of world." S. Hopkins, The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E., in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, 21. 28 In Edwards' Tagebuch kann man eine „Litanei des Selbstzweifels" finden. So jedenfalls M.X. Lesser, J.E., 6. Lesser zitiert eine Eintragung vom 18. Dezember 1722, in der Edwards die Authentizität seiner religiösen Erfahrung bezweifelt: „1. Because I cannot speak so fully to my experience of that preparatory work, of which divines speak: - 2. I do not remember that I experienced regenera-
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genen Gesundheit und einer ihn zuweilen belastenden Teilnahme an der Leitung des Colleges gibt es auch Lichtblicke. Zunächst sind da seine „Resolutions" 29 , in denen er Punkt für Punkt seine Entschlossenheit ausdrückt, die Zeit seines Lebens nicht zu vergeuden, sondern auszuschöpfen: „Entschlossen, mit all meiner K r a f t zu leben, solange ich lebe" 30 — dies kann geradezu als die Devise verstanden werden, nach der Edwards sein lieben gestaltet. Selbstkontrolle und Willensstärke zeigt er u.a. da, w o er der schwachen Konstitution seines Körpers mit äußerster Disziplin begegnet. Er beginnt sein Tageswerk an Sommertagen um vier Uhr morgens und erlaubt sich im Winter, eine Stunde länger zu schlafen. Täglich verbringt er dreizehn Stunden in seinem Studierzimmer. 31 D o c h immer wieder werden ihn Krankheiten zu längeren Unterbrechungen zwingen. Die Entschlossenheit, mit der Edwards sein Leben in die Hand nimmt, ist bemerkenswert für jemanden, der später einmal alle seine intellektuellen Möglichkeiten in Bewegung setzen wird, um die Freiheit des Willens als Absurdität darzustellen. Immer wieder fällt auf, wie unvermittelt und spannungsvoll Edwards' eigene systematische A n strengung neben seinem Abhängigkeitsbewußtsein G o t t gegenüber stehen bleibt. 32 So klingt der Grundton seiner Theologie bereits in seinen frühen „Resolutions" an. Alles ist da: die ganzheidiche Konzentration auf „Gottes Ehre", auf die alle Lebensäußerungen ausgerichtet werden 3 3 ; die gründliche Ursachenforschung, mit der das Böse auf seinen Ursprung zurückverfolgt und aus dem eige-
tion, exactly in those steps, in which divines say it is generally wrought: - 3. I do not feel the christian graces sensibly enough, particularly faith. I fear they are only such hypocritical outside affections, which wicked men may feel, as well as others. They do not seem to be sufficiently inward, full, sincere and hearty. They do not seem so substantial, and so wrought out in my very nature, as I could wish." Ebd. Aufgrund solcher Selbsterfahrung entwickelt Edwards eine skeptische Haltung dem Bekehrungsmethodismus gegenüber. 25 „Between the time of his going to New York and his settlement at Northampton, he formed a number of resolutions, and committed them to writing: the particular time, and special occasion of his making of them, he has noted in his Diary which he then kept; as well as many other observations and rules, which related to his own exercises and conduct. And these resolutions, together with the things noted in his Diary, may justly be considered as the foundation and plan of his whole life...", S. Hopkins, The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E., in: D. Levin (ed.), J.E.: A Pro He, 7. 30 „6. Resolved, To live with all my might, while I do live." A.a.O., 8. 31 „He used himself to rise by four or between four and five in the morning. Though he was of a tender and delicate constitution, yet few students are capable of close application more hours in a day than he. He commonly spent thirteen hours every day in his study." A.a.O., 40. So die einleitenden Sätze seiner „resolutions": „Being sensible that I am unable to do any thing without God's help, I do humbly intreat Him by His grace to enable me to keep these resolutions, so far as they are agreeable to His will, for Christ's sake. Remember to read over these resolutions once a week." A.a.O., 7. Vg}. die Tagebucheintragung vom 2. Januar 1723: „Dull. I find by experience, that let me make resolutions, and do what I will, with never so many inventions, it is all nothing, and to no purpose at all, without the motions of the Spirit of God. ... There is no dependence upon myself. It is to no purpose to resolve, except we depend on the grace of God; for if it were not for His mere grace, one might be a very good man one day, and a very wicked one the next." A.a.O., 11. 33 „4. Resolved, Never to do any manner of thing whether in soul or body, less or more, but what tends to the glory of God; nor be, nor suffer it, if I can avoid it." A.a.O., 8.
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nen Leben hinausgetrieben werden soll34; das Ringen um eine Intensivierung der religiösen Erfahrung in überschaubaren Zeiträumen35; die Offenheit, mit der diese Erfahrung Gott gegenüber darlegt werden soll36; das Erschrecken vor der Möglichkeit, Zeit zu vergeuden, sowie die Abscheu vor einem Leben, das sich im Rückblick als vertan erweist37 - und: die Orientierung an einer Wirklichkeit, als habe erste bereits gesehen?* Es gibt aber auch Lichtblicke anderer Art. Denn was er tatsächlich bereits mit eigenen, menschlichen Augen sieht, und zwar im Alter von zwanzig Jahren, ist Sarah Pierrepont. Sie ist die dreizehnjährige Tochter eines der Gründer seines Colleges. Edwards verliebt sich in sie und wartet. Vier Jahre nach ihrer ersten Begegnung39, am 28. Juli 1727, heiraten sie. Mit Sarah wird Jonathan dreißig Jahre lang verbunden sein. Sie werden drei Söhne und acht Töchter haben. Sie ist die Person, deren religiöse Erfahrungen er 1743 in seiner erweckungstheologischen Schrift „Some Thoughts Concerning the present Revival of Religion In NewEngland" beschreibt, ohne ihren Namen zu nennen.40 1726 wird Edwards die rechte Hand seines berühmten und mächtigen Großvaters, des Pfarrers von Northampton in Massachusetts und „Papstes" einer ganzen Gegend: Solomon Stoddard (1643-1729). Dieser hatte über die Grenzen seiner Gemeinde hinaus nicht nur den sog. „Half-Way Covenant" durchgesetzt, sondern auch darauf verzichtet, von seinen Gemeindegliedern vor der Teilnahme am Abendmahl ein öffentliches Bekenntnis über den Empfang der heiligenden Gnade zu verlangen. Erforderlich war gewissermaßen nur noch Glaube als notitia historiae, als intellektuelle Kenntisnahme des christlichen Lehrgutes. Umstritten ist, ob Stoddard durch die Weiterfuhrung des „Half-Way-Covenants" die Bedingungen der Kirchenzugehörigkeit zugunsten einer Stärkung der Gemeinde dem pfarramtlichen Seelsorger gegenüber entschärft hat.41 Jedenfalls hat er auf diesem 34 „24. Resolved, Whenever I do any conspicuously evil action, to trace it back, till I come to the original cause; and then both carefully endeavor to do so no more, and to fight and pray with all my might against the original of it." A.a.O., 8. 3 „30. Resolved, To strive to my utmost every week to be brought higher in religion, and to a higher exercise of grace, than I was the week before." A.a.O., 8f. „65. Resolved, Very much to exercise myself in this all my life long, viz. with the greatest openness I am capable of, to declare my ways to God, and lay open my soul to him." A.a.O., 10. 37 „5. Resolved, Never to lose one moment of time; but improve it the most profitable way I possibly can." A.a.O., 8. „52. I frequently hear persons in old age say how they would live, if they were to live their lives over again: Resolved, that I will live just so as I can think I shall whish I had done, supposing I live to old age." A.a.O., 10. 8 „55. Resolved, To endeavor to my utmost to act as I can think I should do, if I had already seen the happiness of heaven, and hell torments." Ebd. 39 Woraufhin Edwards seinen Eindruck in solche Worte faßte, wie er sie später zur Beschreibung seiner Bekehrung gebrauchte - „a language compounded in love". M.X. Lesser, J.E., 7. 40 Boston 1743, in: YE4, 289-530, hier 331ff. Some Thoughts Concerning the Revival gehört zu den Schriften, in denen Edwards als Vertreter der „new lights" die Erweckungsbewegung gegen die „old lights", die konservative, erweckungsfeindliche Kirchlichkeit, verteidigte, die besonders in Boston angesiedelt war. Sein bekanntester Gegner in dieser Zeit wurde Charles Chauncy (1705-1787) mit „Seasonable Thoughts on the State of Religion in New England" (September 1743). Vgl. C.C. Goen, Editor's Introduction, in: Y E 4 , 1 - 9 5 , hier 62ff. 41 P. Miller warnt davor, diese Entschärfung als Demokratisierung zu verstehen. Genau das Gegenteil sei der Fall: Solomon Stoddard sei die Kräftigung der klerikalen Macht in einem Maße gelun-
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Wege ein seit geraumer Zeit virulentes Problem des puritanischen Kirchenverständnisses einer vorübergehenden, wenn auch letztlich unbefriedigenden Lösung zugeführt. Dies war für Edwards die größte Hypothek, die er von seinem Großvater übernahm — neben all den Erwartungen, die man dem „Thronfolger" aufbürdete. Die von Stoddard eingeleitete Revision der kongregationalistischen Ekklesiologie und ihrer Grundbegriffe sollte sich gleichsam als Zeitbombe erweisen, die dreiundzwanzig Jahre lang in Northampton tickte, um schließlich in dem Augenblick zu explodieren, als Stoddards Enkel zur Besinnung kam und die zur anerkannten Gewohnheit gewordenen Neuerungen des Großvaters rückgängig machen wollte.42 Bei dem „Half-Way-Covenant" handelt es sich um den Versuch, die für die kongregationalistische Ekklesiologie so charakteristische Frage nach den Bedingungen der Kirchenzugehörigkeit zu beantworten. Die „Cambridge-Platform" (1648) hatte dafür eine „profession of faith" gefordert: volle Zugehörigkeit sollte nur denen gewährt werden, die ein solches Bekenntnis ablegen konnten, denn nur sie entsprachen den Bedingungen des Bundesschlusses und konnten ihn daher für sich persönlich in Anspruch nehmen („to own the covenant"). Da nur die Kinder der Gemeindeglieder zur Säuglingstaufe zugelassen waren, traten Probleme auf, als eine Generation heranwuchs, die zwar getauft, aber weitgehend nicht in der Lage war, ihren persönlichen Glauben etwa in einem Erfahrungsbericht zu äußern. Was sollte mit ihnen und vor allem mit ihren Kindern geschehen? Seit 1662 setzte sich das Verständnis durch, die getauften, aber noch nicht zum Glauben bekehrten Christen und Christinnen als Angehörige des „HalfWay-Covenant" — als Menschen auf dem Weg in die Kirche — anzuerkennen. Damit verband sich die Praxis, junge Eltern zwar noch von der Abendmahlsgemeinschaft auszunehmen, ihre Kinder aber zur Taufe zuzulassen. Die sich in diesem Zusammenhang immer wieder aufdrängenden Fragen betrafen den Charakter und die Erfordernisse einer öffentlichen „profession" oder „relation of faith", sowie das Verhältnis von „covenant of redemption" und „covenant of grace". „Covenant of redemption" bezeichnet die innertrinitarische Übereinkunft Gottes im Hinblick auf das in Christus für den Menschen erwirkte Heil zur Bereitstellung der Heilsmittel in der Kirche. Der „covenant of grace" dagegen erfordert den Glauben als Bedingung, durch den der bzw. die einzelne in die Gemeinschaft mit Christus tritt und so von den Leistungen des „covenant of redemption" erst gen, von dem etwa sein Gegner, Increase Mather in Boston, nur träumen konnte. P. Miller, J.E., 11. Vgl. D.D. Hall, Editor's Introduction, in: YE12,1-90, hier 2ff, P.J. Tracy, J.E., Pastor: Religion and Society in Eighteenth-Century Northampton, New York 1979. Anders z.B.: C.C. Goen, Editor's Introduction, in: Y E 4 , 1 5 ff. 42 Es gibt aber noch andere Gründe dafür, daß Edwards in Northampton zur persona non grata wurde: erstens gab es Streitigkeiten über ein festes Gehalt, die sich über mehrere Jahre hinzogen, und zweitens einen Vorfall, bei dem junge Leute seiner Gemeinde unter dem Verdacht standen, ein pornographisches Buch gelesen und verbreitet zu haben. Edwards entschloß sich, der Sache nachzugehen und verlas eine Liste mit Namen, die keinen Unterschied zwischen Verdächtigen und Zeugen machte. Es stellte sich heraus, daß Sprößlinge aus fast allen und vor allem aus den festen Familien des Ortes darunter waren, und die Spannung zwischen Gemeinde und Pfarrer erhöhte sich merklich aufgrund seines unsensiblen Vorgehens in dieser peinlichen Angelegenheit. Vgl. T.H. Johnson, J.E. and the „Young Folks' Bible", in: New England Quaterly 5 (1932), 37-54.
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wirklich profitieren kann. Im Bund der Gnade und im Bund der Erlösung stehen sich gewissermaßen die „subjektive" und die „objektive" Seite des Handelns Gottes für den Menschen gegenüber. Glaube wird als die persönliche Aneignung des Heilswerkes Gottes in Christus verstanden - was zu Problemen führt, sobald sich diese Aneignung ausweisen muß. Die Frage: „Was soll in der .relation of faith' bekannt werden?" verbindet sich mit der Frage: „Wie bzw. unter welchen Bedingungen soll dieses Bekenntnis stattfinden?" Die Frage nach dem Wesen des Glaubens wirft das Thema der theologischen Anthropologie auf: wie verhält sich die Erkenntnis des Glaubens zu den verschiedenen Funktionen des menschlichen Geistes und zu anderen Dimensionen menschlicher Erfahrung? Ist es möglich, von Stationen religiöser Erfahrung so zu reden, daß sich eine Wegbeschreibung erheben läßt, durch die Menschen zum Glauben und damit in die Gemeinschaft der „visible saints" hingeführt werden können? Vor dem Hintergrund dieser pastoralen und religionspsychologischen Bemühungen kann die Erweckungsbewegung als Versuch verstanden werden, den gordischen Knoten mit einem Schlag aufzulösen bzw. einen theologisch umstrittenen Weg radikal abzukürzen. Edwards' Auseinandersetzung mit dem Ertrag der Erweckungen, seine differenzierte Haltung auch ihren fragwürdigeren Erscheinungen gegenüber entspricht der Einsicht, daß man sich im Blick auf das Wesen und den Gegenstand des Glaubens wohl eher um Kriterien als um Stationen der Erfahrung kümmern müsse. Daher gibt es für ihn letztlich weder einen kurzen noch einen langen Weg von einer „half-way"- zu einer vollständigen Heilsaneignung. Ausgeschlossen ist aber auch das niedrigschwellige Angebot eines Glaubensverständnisses, das die Nachfrage durch die Reduktion des Glaubens auf bzw. durch seine Integrierbarkeit in solche Akte und Erfahrungen erhöht, die grundsätzlich und nachweisbar allen Menschen offenstehen. Was aber ist seine Alternative? Die Näherbestimmung des persönlichen Glaubenszeugnisses war schon seit der sog. „Antinomismus"-Krise ein Problem. 1638 wurde Anne Hutchinson (1591— 1643) bezichtigt, antinomistische Ansichten zu verbreiten. Ihr wurde der Prozeß gemacht, und sie wurde von Massachusetts nach Rhode Island verbannt. Die von der puritanischen Orthodoxie abweichende Position Hutchinsons läßt sich in drei Punkten umreißen: 1. die Bekehrung, das Geburtsdatum wahren Glaubens, löscht die natürlichen Vermögen der menschlichen Seele aus, 2. der Heilige Geist übernimmt alle Funktionen, die vormals der menschliche Geist innehatte, 3. die Bekehrten unterstehen nicht mehr dem Gesetz Gottes. Um sich von Hutchinson abzugrenzen, legte die puritanische Theologie nun gesteigerten Wert darauf, daß dem Menschen in allen Abschnitten seiner Glaubensgeschichte die Menschlichkeit erhalten bleibt.43 Das Interesse an einer „visible sainthood" signalisiert nichts anderes als das Unbehagen, das man angesichts der jederzeit drohenden Gefahr antinomistischer und enthusiastischer Ideen empfand. 44 Aus der Perspektive einer 43
„The God of the Puritans did not destroy the humanness of humanity, he met with people, conversed with them, illuminated them. In conversion the human soul was elevated, not obliterated." J.William/T. Youngs, The Congregationalists, New York/Westport/London 1990,43. 44 „The Puritan emphasis on visible sainthood thus helped establish a kind of Congregational .middle way' between the extremes of the Anglican emphasis on works and the Antinominian emphasis on grace." A.a.O., 44.
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Hutchinson und ihrer Sympathisanten und Sympathisantinnen mußte dagegen die gegnerische Position als moralistische, legalistische und einseitig rationalistische Verdünnung des geistlichen Lebens erscheinen. So witterten manche, wenn sich in Seelsorge und Verkündigung der Schwerpunkt auf den Gebrauch der Heilsmittel, die Werke und die Bekehrung als Illumination der Vernunft legte, die andere Gefahr: den sog. „Arminianismus". Dieser hatte freilich mit Jakob Arminius (1560—1609) nicht mehr viel zu tun.45 Auch Edwards kümmerte sich wenig um seinen historischen Ursprung. E r war vielmehr an der Konstruktion eines nicht spezifisch theologischen Arguments interessiert, für das er recht unterschiedliche theologische Positionen mit dem eher anachronistischen Begriff „Arminianismus" zusammenfaßte. 46 1731 wurde Edwards eingeladen, in Boston die „Thursday-Lecture" zu halten. Seine Predigt „ G o d Glorified in the Work of Redemption, By the Greatness of Man's Dependence upon Him, in the Whole of it" 47 wurde seine erste Veröffendichung. Hier setzte er mit dem Thema an, das seine ganze theologische Arbeit wie ein roter Faden durchziehen sollte: Gottes Souveränität, die durch keine menschliche Anstrengung - weder des Handelns noch des Denkens — in eine Balance gebracht werden kann. Hier hielt Edwards vor einem mit der puritanischen Bundestheologie vertrauten Publikum an Gottes Unmittelbarkeit fest, von der die Wirksamkeit der media salutis abhängt. 48 Und hier zeichnete sich bereits sein „Realismus" ab: „Glaube ist ein vernünftiger Sinn für das, was wirklich ist im Werk der Erlösung". 4 9 Die Entscheidungen, die er in den folgenden Jahren in der Auseinandersetzung mit der antinomistischen und arminianischen Gefahr treffen mußte, sollten nicht einfach von einer Option für die voluntaristische Psychologie der augustinischen Traditionslinie, sondern gerade von seiner Berufung auf einen grundlegenden Sinn für das Wirkliche geprägt sein. 45 „During the seventeenth and eighteenth centuries many English and American divines, who could claim no direct dependence upon the Dutch theologian's work, were stigmatized as Arminians because of the general tendency of their thougjit. This multiplicity of indigenous varieties of Arminianism is testimony to the dialectical relationship between orthodoxy and heresy within the Calvinist tradition." M.A. Chamberlain, The Theology of Cruelty: A New Look at the Rise of Arminianism in Eighteenth-Century New England, in: H T R 85:3 (1992), 335-356, hier 342. 46 „Probably no single individual held all of the arguments for free will that Edwards opposed, nor was there a self-conscious ,Arm im an' group based on the criterion of free will alone." N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, Chapel Hill 1981,293. Allen Guelzo macht darauf aufmerksam, daß diese Strategie taktisch nicht sehr klug gewählt war, da Edwards' Kritik dadurch keine wirklichen Adressaten hatte: „... he wanted to leave it for dead, and so he herded the entire spectrum of Arminian libertarianism far enough out on the Epicurean limb that he could saw them all o f f at once. And that, of course, only subverted his intentions, since the mild indeterminist, not recognizing himself on Edwards's pages, would simply walk away wondering what all the fuss was about." A.C. Guelzo, Edwards on the Will. A Century of American Theological Debate, Middletown 1989, 73.
Boston 1731, in: SWJE, 45-64. „And though means are made use of in conferring grace on men's souls, yet it is of G o d that we have these means of grace, and it is G o d that makes them effectual. ... Their success depends entirely and absolutely on the immediate blessing and influence of G o d . " A.a.O., 49. 49 „Faith is a sensibleness of what is real in the work of redemption; and as we do really wholly depend on God, so the soul that believes doth entirely depend on G o d for all salvation, in its own sense and act." A.a.O., 63. 47
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Dies gilt es zu beachten, wenn wir in Edwards den engagierten Vertreter und kompetenten Verteidiger der ersten großen amerikanischen Erweckungsbewegung sehen, der sich zwar selbst als Verfechter der „goldenen Mitte" verstand, aber eher dem enthusiastischen als dem arminianischen Feindbild zugeordnet wird. Die ganzheitliche, aber tatsächlich eher voluntaristische als intellektualistische Psychologie, die Identifikation des Willens mit den Affekten, die Identifikation der Affekte mit „Religion" und die Identifikation von Religion und Ethik 50 , die typologische Wahrnehmung der Natur als Behausung und Reflexion der moralischen und geistlichen Weltordnung, die Substanzlosigkeit der Welt und des Menschen vor einem Gott, der alles in allem ist und alles, was gewesen ist und sein wird, als Emanation seiner selbst konstituiert und zugleich als Manifestation seiner selbst ad extra einholt51, der immer wieder durchscheinende Hang zur Mystik52 - dies alles sind Merkmale einer monistischen Theologie, für die es Gründe genug gibt, Gottes Handeln am Menschen in gewisser Weise zu internalisieren, d.h. das Gegenstandspaar der wichtigsten aller möglichen Erkenntnis, nämlich Gott und sich selbst, unmittelbar spürbar und erfahrbar zu machen. Aber eben dies ist nur möglich durch einen Glauben, der über sich selbst hinausweist, der darum weiß, daß er sich einer Wirklichkeit verdankt, die außerhalb seiner selbst steht und wahrgenommen werden will. Also eben durch einen Glauben, der so etwas wie die Lichtempfindlichkeit für das ist, was wirklich ist in Gottes Erlösungswerk. Denn authentische religiöse Erfahrung ist für Edwards eine verinnerlichende Auseinandersetzung mit dem Externen, die ihren Grund in der Verherrlichung Gottes durch die Veröffentlichung seines Wesens hat. Das Ziel, für das Gott die Welt erschuf, die Glorifizierung seiner selbst, erfordert Augen, die sehen, und Herzen, die sich freuen können, erfordert die wahrnehmende und liebende Kreatur, das Andere Gottes, erfordert - angesichts der faktischen Korruptheit
50 Vgl. „A Treatise Concerning Religious Affections, In Three Parts" (Boston 1746), in: YE2, 8 4 461, sowie Nature of True Virtue. Edwards identifiziert, was er andererseits nachdrücklich unterscheidet. Rechtes Handeln gründet in rechter Wahrnehmung, und diese ist nur dem Glauben möglich. Zugleich zeigt die Erfahrung, daß Menschen auch ohne Glaubenswahrnehmung zu einer täuschend echten Imitation rechten Handelns fähig sind. 51 In Endfor which God created the Worid rekurriert Edwards auf das Motiv der Emanation. Vgl. YE8, 405-536. 52 Vgl. die Worte, mit denen Edwards die religiöse Erfahrung seiner Frau beschreibt: „... that the soul in the meantime has been as it were perfectly overwhelmed, and swallowed up with light and love and a sweet solace, rest and joy of soul, that was altogether unspeakable; and more than once continuing for five or six hours together, without any interruption, in that clear and lively view or sense of the infinite beauty and amiableness of Christ's person, and the heavenly sweetness of his excellent and transcendent love; so that (to use the person's own expressions) the soul remained in a kind of heavenly Elysium, and did as it were swim in the rays of Christ's love, like a little mote swimming in the beams of the sun, or streams of his light that come in at a window; and the heart was swallowed up in a kind of glow of Christ's love, coming down from Christ's heart in heaven, as a constant stream of sweet light, at the same time the soul all flowing out in love to him; so that there seemed to be a constant flowing and reflowing from heart to heart." Some Thoughts Concerning the Ravivai, in: YE4, 332.
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des Menschen — eine Heilsgeschichte53, in der aus Bösem schließlich Gutes und in der das Böse in seiner Herrschaft, in seiner Gewalt über die Schöpfung eingedämmt, an seinen ewigen Ort und in seine unüberschreitbaren Schranken verwiesen wird. So kann sich eine in die Gemeinschaft mit Gott ewig hineinwachsende, gerettete Schöpfung ewig daran freuen — an der irreversiblen Einschränkung des Bösen und dem Kontrastreichtum Gottes, der in der schrecklichen Wahrheit, die er über das Böse bringt, seine Sanftheit und Gnade, seine Zärtlichkeit gegenüber den Seinigen erweist.54 Edwards ist gewissermaßen Rationalist, sofern er einer Ordnung vertraut, die kohärent ist und Sinn ergibt, in der jedes Detail seinen Ort hat und nichts, auch nicht das unscheinbarste Atom, verloren geht. Edwards ist Rationalist, sofern er sich der Autorität der Offenbarung beugt - weil es vernünftig ist, sich der Autorität der Offenbarung zu beugen. Er ist Rationalist, wenn er das Wesen der Religion nicht in der Vernunft oder im Sozialverhalten, sondern im Willen und in den Affekten sieht — weil es vernünftig ist, das Wesen der Religion dort und sonst nirgends zu suchen. Für ihn gehört die Liebe zu Gott um Gottes willen zu den Merkmalen wahrer religiöser Erfahrung. Doch obwohl Gottesliebe Priorität vor menschlicher Selbstliebe hat, versucht Edwards in seinen berüchtigten Höllenpredigten, seine Adressaten genau dort zu packen: bei ihrer Selbsdiebe, bei ihrem auf die Spitze zu treibenden Widerwillen gegen Gott und gegen sich selbst, bei ihrer ausbaufähigen Angst vor einer zeidich unbegrenzten und unvorstellbar schmerzhaften Vernichtung. Spätere Generationen werden Edwards' Rhetorik geschmacklos finden - und zugleich faszinierend genug, um sich mit dieser Seite des Erweckungstheologen zu begnügen. Dieser aber würde die Verletzung des religiösen Empfindens kaum als Einwand gegen die wirkliche Bedrohung gelten lassen, die dem Menschen in gepredigter Anschaulichkeit vor der Zeit so zu Leibe rücken kann, daß er keinen Ausweg mehr hat als nur die Umkehr. So sieht sich Edwards im Streit um Bedeutung und Bedeutungslosigkeit von Erweckung und Erfahrung nicht durch die Störung eines irritierten religiösen Geschmacks beunruhigt, sondern von einer Überlebensfrage des Menschen getroffen. 1734 hatte Edwards erstmalig im erweckungserprobten Northampton 55 Erfolg als Förderer religiöser Erfahrungen. Unter seiner Führung erreichten sie ihren Höhepunkt im Frühjahr 1735, um gegen Ende desselben Jahres jedoch wieder abzuflauen. Verschiedene Versionen eines Berichtes, den Edwards auf die Bitte 53 „A History Of the Work of Redemption. Containing, The Outlines of a Body of Divinity, In a Method entirely new" (Edinburgh 1774), in: YE9,113-528. Dies ist die zweite von drei bedeutenden Predigtreihen, die Edwards in Northampton während seines Engagements fur die Erweckungsbewegung gehalten hatte. Die ersten beiden - „Charity and its Fruits Or, Christian Love As Manifested In the Heart and Life" (London 1852, in: YE8, 129-397), gepredigt 1738 zu 1 Kor 13, und Histoty of the Work of Redemption, gepredigt 1739 zu Jes 51,8, - wurden postum veröffentlicht. Die dritte Predigtreihe, Retigous Affections, 1742/1743 zu 1 Petr 1,8 gehalten, brachte Edwards 1746 selbst zur Veröffentlichung. 54 Vgl. beispielsweise die Predigt „The End of the Wicked contemplated by the Rigjiteous or, The Torments of the Wicked in Hell, no Occasion of Grief to the Saints in Heaven", in: WPE8, IV, 503522. 55 Bereits zu Stoddards Amtszeit gab es verschiedene „Ernten": 1679, 1683, 1690, 1712 und 1718.
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seiner Amtskollegen über die Erweckungserscheinungen in seiner Gemeinde und ihrer Umgebung schrieb,56 wurden in den beiden darauffolgenden Jahren in Boston und London veröffentlicht und auch in Schottland, den Niederlanden und Deutschland57 gelesen. In einem zur ersten Auflage von „A Faithful Narrative" verfaßten Vorwort zitieren Isaac Watts und John Guyse einen Brief vom 19. März 1737, in dem Edwards schildert, wie eines Tages über der zum Gottesdienst versammelten Gemeinde - kurz nach Beginn der Predigt - die vollbesetzte Galerie der baufälligen Kirche zusammenbricht und die schreiende Menge unter sich begräbt. Es stellt sich aber bald heraus, daß niemand ernsthaft zu Schaden gekommen und kein Knochen gebrochen ist. Die Gemeinde von Northampton kommt mit leichten Verletzungen und einem Schrecken davon. Bemerkenswert ist, wie die Beinahe-Katastrophe sogleich als Fingerzeig göttlicher Vorsehung wahrgenommen wird, obwohl Edwards - und sicherlich jederman in Northampton - wußte, daß das alte Gebäude längst nicht mehr auf sicheren Füßen stand und sozusagen auch ohne Gott irgendwann hätte zusammenbrechen müssen. Edwards' Brief zeigt, wie ein völlig erklärbarer, ja, voraussehbarer Vorfall - mit dem offenbar aber wider jede architektonische Vernunft niemand gerechnet hatte - zur direkten Anrede Gottes wird. Die Botschaft ist nicht: „Ihr seid es ja selber schuld, daß ihr euer neues ,Meetinghouse' nicht längst fertiggestellt habt und euch immer noch in diesem morschen Schuppen treffen mußtet!"58 Die Botschaft, die Edwards hört, ist eine andere: „Ihr seid ja selber schuld, daß euer religiöser Eifer eure kurzlebigen Erweckungserfahrungen nicht überdauert hat und daß ich so zu euch sprechen mußte! Nehmt nun das Glück im Unglück wahr und erkennt die unvorhergesehene und wunderbare Errettung, die euch mitten in einem durchaus vorhersehbaren und selbstverschuldeten Unglück zuteil geworden ist. Seht, daß ihr unverhofft Zeit habt und nutzt sie als Gelegenheit zur Umkehr. Denn sie kann euch jederzeit entzogen werden!" Der Zusammenhang, in dem Watts und Guyse Edwards' Brief veröffentlichen, ist die Mahnung vor geistlicher Lethargie und zugleich die dankbare Erinnerung an einen Gott, der gerade die Seinen immer wieder zur Besinnung ruft — und sei es durch drastische Maß56 ,/i Faithful Narrative of The Surprising Work of God In the Conversion of Many Hundred Souls in Northampton, and the Neighboring Towns and Villages of the County of Hampshire, in the Province of the Massachusetts-Bay in New-England" (Boston 1738), in: YE4, 99-211. 57 „Glaubwürdige Nachricht/ von dem herrlichen/ Wercke Gottes,/ Welches sich/ In Bekehrung vieler hundert/ Seelen zu Northampton und an/ andern Orten in Neu-England/ geaeussert hat,/ Wie solche/ von einem deselbstigen Lehrer, vermittels/ eines Herrn D. Collmann in Boston erlassenen/ Briefes, mitgeteilt, und von Herrn D. Watts/ und D. Guysen voriges Jahr zu London in/ Englischer Sprache herausgegeben/ worden,/ Nunmehro mit einer kurtzen Einlei-/ tungin die Geschichte der Christlichen Ge-/ meinden in obgedachten Americanischen/ Landen, und einigen Anmer-/ ckungen versehen,/ von/ Johann Adam Steinmetz,/ Koen. Preuss. Consistorial-Rath, General-Superint. im Hertzog-/ thum Magdeburg, und Abt zu Berga./ Magdeburg gedruckt bey Christ. Leberecht Fabem,/ Koenigl. Preuss. privil. Buchdr. 1738." T.H. Johnson, The Printed Writings of J.E., 1703-1758: A Bibliography, Princeton 1940, 7. 58 Edwards beginnt seine Schilderung mit dem Eingeständnis: „Our meetinghouse is old and decayed" und beschreibt dann detailliert die statischen Unzulänglichkeiten, die zu dem Unglück fuhren mußten - als habe er zuvor ausreichend Zeit gehabt, diese genau und im Zusammenhang mit den klimatischen Verhältnissen zu beobachten .Faithful Narrative, in: YE4, 134f.
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nahmen wie den Einsturz einer Kirche, ein Erdbeben, militärische Auseinandersetzungen oder ähnliches, bei denen es Todesfälle gibt, aber auch immer wieder Überlebende, die die Handschrift der Providenz als Illustration der prekären Situation lesen können, in der sich Menschen vor Gott befinden. Wer diese Situation einmal zu Gesicht bekommen hat, darf sie nie wieder aus den Augen und dem Gedächtnis verlieren. Genau dies ist aber leider nur zu oft der Fall. Es ist immer wieder zu beobachten, daß Menschen aus ihrer gegenwärtigen Sorglosigkeit und Unsensibilität aufgeschreckt werden, ohne daß es ihr Leben wirklich, d.h. dauerhaft verändert. In der Regel läßt das Interesse spürbar nach, sobald die Gefahr vorüber ist. Dies wissen jedenfalls die Herausgeber der Faithful Narrative·59 In Northampton ist es das Gewicht der herunterstürzenden Galerie, der unaufhaltsame Sturz einer nicht mehr tragfähigen Struktur, eines Gewichtes, dem die darunter Sitzenden nichts hätten entgegensetzen können,60 welches das Gewicht der Sünde in Erinnerung ruft, das den Menschen unweigerlich in die Tiefe zieht wenn da nicht Gottes Gnade wäre wie ein Widerstand, der, nicht aus natürlichen Gegebenheiten ableitbar, dennoch da ist, um das Unvermeidliche eine wunderbare Zeitspanne lang aufzuhalten. Was Edwards zu sagen hat, beschränkt sich nicht auf Spinnen61 - aber Spinnen sind das erste Wunder, das er entdeckt und liebevoll beschreibt. In seiner Jugend trat er mit dieser Entdeckung an Richter Paul Dudley heran und Schloß seinen Brief mit den Worten: „Entschuldigen Sie bitte, wenn ich gedacht habe, es könnte Ihnen zumindest eine Gelegenheit geben, bessere Beobachtungen an diesen wunderbaren Tieren zu machen, die es wert sein sollten, der gelehrten Welt mitgeteilt zu werden. Von ihren gjitzemden Geweben scheint so viel von der Weisheit des Schöpfers."62 In seiner am 8. Juli 1741 in Enfield, Connecticut, gehaltenen Predigt „Sinners in the Hands of an Angry God"63 schlägt Edwards einen anderen Ton an und veranschaulicht mit dem Bild einer über der Höllengrube baumelnden Spinne die Bedrohung, die den unbekehrten Sünder von allen Seiten umgibt. Die Wahrnehmung der Bedrohung verschärft sich im Augenblick der Erkenntnis, daß Gott 59 „It is worthy also of our further notice that when many profane sinners and formal professors of religion have been affrighted out of their present carelessness and stupidity by some astonishing terrors approaching them, those religious appearances have not been so durable, nor the real change of heart so thoroughly effected: many of these sort of sudden converts have dropped their religious concerns in a great measure when their fears of the threatening calamity are vanished." A.a.O., 133f. 60 „The preservation seems to be most wonderful with respect to the women and children that were in the middle ally (aisle) under the gallery, where it came down first and with greatest force, and where was nothing to break the force of the falling weight." A.a.O., 136. 61 „There was more to him than spiders", stellt Lesser in seinem abschließenden Kapitel „Misrepresentations Corrected" fest. M.X. Lesser, J.E., 124. 62 „Pardon me if I thought it might at least give you occasion to make better observations on these wondrous animals, that should be worthy of communicating to the learned world, from whose glistening webs so much of the wisdom of the Creator shines." Insects, in: YE6,169. 63 In: SWJE, 96-113.
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dem Menschen zugleich Feind und Retter ist. Edwards zwingt in dieser berühmtesten amerikanischen Predigt seine hörende Gemeinde in die beängstigende Perspektive, in der sie sich mitten im Tod vom Leben gehalten sieht. Er drängt sie, sich im beklemmenden Gegenüber zu Gott zu finden, in dem alles, was ist, seinen Grund hat, den einigen Grund, den es je haben kann. Gott ist der Feind, der dein Leben wie einen überspannten, zerreißbaren, ja, im Zerreißen begriffenen Faden zwischen den Fingerspitzen hält - weit von sich weg und das Gesicht vor Abscheu abgewandt. Und so wie Gott die Gegenwart des Sünders kaum ertragen kann, wie sie ihm ästhetisch zuwider ist, so möchte ihn die Erde am liebsten von sich geben. Feindschaft Gottes und der Elemente - der Mensch hat keine Verbündeten, keinen wirklich tragenden Lebensraum. Geist und Natur sind seine Gegner, und nur der Abgrund steht auf seiner Seite, zieht ihn magisch an, oder. vielmehr wie die Schwerkraft einen schwergewichtigen Körper: „Deine Bosheit macht dich schwer wie Blei, so daß du dich nach unten neigst mit großem Gewicht und Druck der Hölle entgegen; wenn Gott dich lassen würde, du würdest sofort hinabsinken und schnell nach unten gleiten und in die bodenlose Kluft tauchen, und deine gesunde Verfassung, deine eigene Sorgfalt und Klugheit, deine beste Planung und all deine Gerechtigkeit hätten nicht mehr Einfluß darauf, dich zu stützen und dich vor der Hölle zu bewahren, als das Netz einer Spinne einen stürzenden Felsen stoppen kann." 64 Was Edwards zu sagen hat, beschränkt sich tatsächlich nicht auf Spinnen aber diese sind es, die ihn auch aus ästhetischen Gründen faszinieren und denen er sich mehr als zwanzig Jahre nach der Niederschrift seiner jugendlichen Beobachtungen wieder zuwendet. Was ist so besonders an ihnen, daß sie seine Aufmerksamkeit wiederholt in Beschlag nehmen? „As a boy, you built a booth in a swamp for prayer; lying on your back, you saw the spiders fly, basking at their ease, swimming from tree to tree so high, they seemed tacked to the sky. You knew they would die."65 Lowells Verse bringen Edwards' Wahrnehmung dieser gleichnishaften Tiere treffend zum Ausdruck. Was er sieht, sind keine Spinnen, sondern das schöne und traurige Schauspiel von Menschen, die in ihrem verhängnisvollen Höhenflug zwischen Himmel und Abgrund bei allem, was sie erreichen können — und das ist 64 „Your wickedness makes you as it were heavy as lead, and to tend downwards with great weight and pressure towards hell; and if God should let you go, you would immediately sink and swiftly descend and plunge into the bottomless gulf, and your healthy constitution, and your own care and prudence, and best contrivance, and all your righteousness, would have no more influence to uphold you and keep you out o f hell, than a spider's web would have to stop a falling rock." A.a.O., 104. 65 R. Lowell, J.E. in Western Massachusetts, in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, 254f.
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gerade in Edwards' Augen eine ganze Menge 66 — das Prinzip der Selbstzerstörung in sich tragen und so mit ihm verwachsen sind, daß Gott dem nichts hinzufugen muß: „... sie sind anfallig, von selbst zu fallen, ohne durch die Hand eines anderen umgeworfen zu werden; wie der, der auf rutschigem Boden steht oder geht, nichts braucht außer seines eigenen Gewichtes, daß es ihn niederwirft."67 Dem Menschen ist die Hölle keine in Aussicht gestellte Strafe, sondern nächste und greifbarste Realität, das, was ihm anhaftet und sich nicht abschütteln läßt. Und nur seine unerklärliche Blindheit erlaubt ihm, die Gefahr zu ignorieren; und nur Gottes souveräne Entscheidung läßt ihn in dieser Blindheit und Gefahr weiterleben. „In der Seele der bösen Menschen herrschen jene Prinzipien der Hölle, die sich hier und jetzt entzünden und zum Höllenfeuer entflammen würden", wenn Gott sie nicht hier und jetzt und jeden weiteren Augenblick, den wir leben dürfen, daran hindern würde. 68 Menschen werden sich selbst zur schlimmsten Bedrohung - und ahnen es nicht einmal: Die Pfeile des Todes fliegen unbemerkt am heilichten Tag. 65 Edwards' homiletisches und seelsorgliches Ziel ist es, sie sichtbar zu machen. 70 Seiner Predigt konnte die Gemeinde in Enfield schwerlich standhalten — erschrocken, gebrochen, verzweifelt und die Gefahr deutlicher vor Augen als jemals das Maß der eigenen falschen, auf guten Absichten und halbherzigen Vorsätzen gebauten Sicherheit, blieb ihr nichts anderes übrig, als sich zu bekehren. Dabei zählt Edwards nicht eigentlich zu den typischen Erweckungspredigern wie George Whitefield oder James Davenport, die durch charismatisches oder einfach nur dramatisches Auftreten auch dem Widerstandsfähigsten in der Menschenmenge das Geld aus der Tasche zogen. 71 Edwards' Wirksamkeit liegt in der ern66 In Nature of True Virtue demaskiert Edwards das, was als Tugend erscheint und so Menschen über die Reichweite ihrer moralischen Möglichkeiten hinwegtäuscht. 67 „... they are liable to fall of themselves, without being thrown down by the hand of another; as he that stands or walks on slippery ground needs nothing but his own weigjit to throw him down." Sinners in the Hands of an Angry God, in: SWJE, 97. 68 „There are in the souls of wicked men those hellish principles reigning, that would presently kindle and flame out into hell-fire, if it were not for God's restraints." A.a.O., 100. 69 „The arrows of death fly unseen at noonday, the sharpest sight cannot discern them." A.a.O., 101. 70 „Edwards looked out upon his world and what he saw there was not beautiful. ... Edwards was an artist for his people, he was the reporter and the critic who caused them to focus on the larger world. His sermons were designed to terrify. They were for his time what Picasso's .Guernica' is for ours. They are Eisenstein's films of war and revolution, they are the photographs of police dogs and sheriffs deputies in Alabama, or the television report of American soldiers setting fire to the straw huts of Asian peasants. The earth over which we walk is no less rotten than it was for those who were in the hearing of Jonathan Edwards that unforgettable day in Enfield, Connecticut." J. Carse, J.E. and the Visibility of God, New York 1967,161. 71 Benjamin Franklin erzählt, wie er einmal bei einer Predigt seines Freundes, des Erweckungspredigers George Whitefield, zugegen war. Mit ihm verband ihn aber Geschäftliches mehr als ein Interesse an Religion. „I happened soon after to attend one of his Sermons, in the Course of which I perceived he intended to finish with a Collection, and I silently resolved he should get nothing from me. I had in my Pocket a Handful of Copper Money, three or four silver Dollars, and five Pistoles in
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sten Gelassenheit seines Vortrags, im Verzicht auf dramatische Tönung und G e stik72 und v o r allem darin, daß er als Person ganz und gar hinter seiner Botschaft zurücktritt, daß er in der Lage ist, seine Gemeinde mit dem unwiderstehlichen Bedürfnis zu entlassen, sich über die Sache, nicht über den Prediger zu unterhalten 73 . Seine Predigten sind in der Regel sorgfaltig gegliedert, und in diesen verzweigten Gliederungen kreist er die Sache, um die es geht, ein, ohne sie auf den Punkt zu bringen. Er fächert Probleme auf, ohne sie zu lösen, und bleibt in seinen Predigten bei den Personen und Metaphern der Bibel, ohne seine Rhetorik durch die vielleicht plastischeren, seinen Adressaten näher stehenden Alltagserfahrungen anzureichern. So wird die Predigt zur Zusammenschau der Gegenwart mit den biblischen Geschichten der Vergangenheit. 74 Bei allem ist Edwards der Realist, der die Menschen aus ihrer hartnäckigen Indifferenz der Religion gegenüber wecken will, indem er ihnen die Realität der Ewigkeit vor Augen malt und ans Herz legt. Er will ihnen die Illusion nehmen, nicht sterben zu müssen, die Illusion, nach der alles menschliche Leben manchmal mehr, manchmal weniger reibungslos zu funktionieren scheint. A u f jeden Fall aber liegt die Wirkung der Predigt nicht in den Gebärden des Predigers und in der zur Schau gestellten Intensität seines Vortrags, sondern eher in der Dramatik der W o r t e und eigentlich nicht einmal dort, sondern in den den Worten korrespondierenden Ideen, die, festverbunden mit ihnen, doch nicht aus ihnen hervorgehen - d.h. letztlich im Geist, der wirkt, w o er will. Gold. As he proceeded I began to soften, and concluded to give the Coppers. Another Stroke of his Oratory made me asham'd of that, and determin'd me to give the Silver; and he finish'd so admirably, that I emptyd my Pocket wholly into the Collector's Dish, Gold and all. At this Sermon there was also one of our Qub, who being of my Sentiments respecting the Building in Georgia [Whitefield plante die Gründung eines Waisenhauses in Georgia, dessen Lokalisierung Franklin fur unzweckmäßig hielt], and suspecting a Collection might be intended, had by Precaution emptied his Pockets before he came from home; towards the Conclusion of the Discourse, however, he felt a strong Desire to give, and apply"d to a Neighbour who stood near him to borrow some Money for the Purpose. The Application was unfortunately to perhaps the only Man in the Company who had the firmness not to be affected by the Preacher. His Answer was, At any other time, Friend Hopkinson, I would lend to thee freely; but not now; for thee seems to be out of thy right Senses." LW. Labaree/R-L. Ketchman/H.C. Boatfield/H.H. Fineman (eds.), The Autobiography of Benjamin Franklin, New Haven 1964,177f. 72 „His words often discovered a great degree of inward fervor, without much noise or external emotion, and fell with great weight on the minds of his hearers. He made but little motion of his head or hands in the desk, but spake so as to discover the motion of his own heart, which tended in the most natural and effectual manner to move and affect others." S. Hopkins, The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E., in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, 48. 73 „People went away from Whitefield's preaching talking about ,the great Mr. Whitefield'. They went away from the Enfield sermon crying, ,What must I do to be saved?' Not even the sermon as a sermon, but only the truth it proclaimed, was the final impression." O.E. Winslow, J. E., 130. 74 „His figures of speech were almost strictly scriptural. When he needed briars and brambles, pastures and water brooks, a cloud the size of a man's hand, the high places of the forest, he took them from David and the Prophets and the Evangelists, as though he had never had a farm boyhood of his own, and had not every year of his life spent weeks in lonely horseback journeys through woods, breathtaking in their spring and autumn beauty. As a part of his own daily devotions, he was accustomed to going to the woods which bordered Northampton, tethering his horse and walking alone in meditation; yet so far as the thoughts he brought back had need to cloak themselves in images, he took them from the Bible, seldom from his own observations." A.a.O., 139f.
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Edwards kann predigen, ohne Lärm zu machen. In Enfield trägt er, den Blick unverwandt auf das Glockenseil gerichtet, eine Predigt vor, die er ganz unverhohlen abliest, und das zu einer Zeit, wo es Mode geworden war, auswendig gehaltene Predigten als besonders geistgewirkt zu betrachten. Auch hier unterscheidet er sich von seinem Großvater. 75 Aber Edwards erreicht sein Publikum durch die sich gegenseitig forcierendenen Illustrationen der dem Augenschein zumeist verborgenen, aber unleugbaren Tatsache, daß das Leben der meisten Menschen nicht nur äußerst gefährdet, sondern sub specie aeternitatis bereits verloren ist. Der Mensch ist verloren, und er ist der einzige, der es noch nicht weiß, der letzte, der es merkt - widerwillig geduldet von seiner geschöpflichen Umwelt, die im Unterschied zu ihm längst erkannt hat, wie es um ihn steht: „Wäre es anders bestellt um Gottes souveränen Willen, die Erde würde dich nicht einen Augenblick ertragen. Denn du bist ihr eine Bürde. Die Schöpfung ächzt unter dir. Die Schöpfung ist der Knechtschaft deiner Verderbtheit unterworfen - nicht freiwillig. Die Sonne scheint nicht freiwillig auf dich, um dir Licht zu geben, damit du der Sünde und dem Teufel dienst. Die Erde gibt dir ihren Ertrag nicht freiwillig, damit du deine Begierden befriedigst; sie ist auch nicht freiwillig der Schauplatz deiner Bosheit. Die Luft dient dir nicht freiwillig zum Atmen, damit die Flamme des Lebens in deinen Organen erhalten bleibt, während du dein Leben damit verbringst, den Feinden Gottes zu dienen. Gottes Geschöpfe sind gut, und sie sind gemacht, damit der Mensch Gott mit ihnen dient, und so lassen sie sich nicht freiwillig zu einem anderen Zweck gebrauchen, und sie stöhnen, wenn sie mißbraucht werden für Zwecke, die ihrer Natur und ihrem Zweck so völlig gegensätzlich sind. Und die Welt würde dich ausspucken, wäre da nicht die souveräne Hand dessen, der sie in Hoffnung unterworfen hat." 76 Als Edwards in Enfield diese Worte spricht, ist sein Onkel Joseph Hawley bereits seit sechs Jahren tot. Vielleicht waren es ähnlich beunruhigende Worte, die ihn am 1. Juni 1735, gegen Ende der Northamptoner Erweckungen, dazu getrie-
75 „Solomon Stoddard had always preached from memory, and had felt so strongjy that this was the only way to preach that he had once inveighed in print against ,The Defects of Ministers' who did otherwise. ... [Edwards,] in the very presence of Solomon Stoddard, read his entire sermon." A.a.O., 131. S. Hopkins bemerkt jedoch: „... yet he was far from thinking this the best way of preaching in general; and looked upon his using his notes so much as he did, (as) a deficiency and infirmity.... It appeared to him that preaching wholly without notes, agreeable to the custom in most Protestant countries, and what seems evidently to have been the manner of the apostles and primitive ministers of the gospel, was by far the most natural way, and had the greatest tendency on the whole, to answer the end of preaching." S. Hopkins, The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E., in: D. Levin (ed.), J.E.: A Proffle, 48. 76 „Were it not that so is the sovereign pleasure of God, the earth would not bear you one moment; for you are a burden to it; the creation groans with you; the creature is made subject to the bondage of your corruption, not willingly; the sun does not willingly shine upon you to give you light to serve sin and Satan; the earth does not willingly yield her increase to satisfy your lusts; nor is it willingly a stage for your wickedness to be acted upon; the air does not willingly serve you for breath to maintain the flame of life in your vitals, while you spend your life in the service of God's enemies. God's creatures are good, and were made for men to serve God with, and do not willingly subserve to any other purpose, and groan when they are abused to purposes so directly contrary to their nature and end. And the world would spew you out, were it not for the sovereign hand of him who hath subjected it in hope." Sinners in the Hands of an Angry God, in: SWJE, 104f.
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ben hatten, sich die Kehle durchzuschneiden. 77 E s gab gewiß immer wieder Menschen, die aus Edwards' Mahnungen nur Drohung, nur Vernichtung hörten, und die, wenn sie nichts mehr als den Abgrund sahen, bereit waren, sich dort hineinzustürzen. „Die Zeit wird knapp und will genutzt werden" - war der Grundton der Erweckungspredigten, 78 aber die Zeit, die bleibt - so klang es einigen in den Ohren — bleibt nur für die, die sich bekehren, und dafür bedarf es nicht der Zeit eines langen Lebens oder bestimmter Anstrengungen, sondern nur des Augenblicks, jenem Quentchen Zeit, das ein souveräner G o t t braucht, um das Herz des Sünders zu sich zu bekehren. Für alle übrigen ist die Zeit als Lebensraum wirklicher, neuer Möglichkeiten nur eine optische Täuschung — und reiche sie auch bis ans Ende von Menschheit und Geschichte, bis an die Grenzen der Vorstellungskraft. „Für alle übrigen", „für die meisten Menschen" - dies ist das Fragment der Edwards'schen Erweckungspredigt, an dem Menschen wie Joseph Hawley hängen blieben. Über diese Stelle konnten sie nicht hinausblicken, und hier ordneten sie sich selbst ein. Sie griffen nach diesen Worten wie nach einem Urteil, das endlich die wie auch immer geartete Eindeutigkeit brachte. Hier konnten sie, wenn auch sonst nirgends in ihrer geisdichen Lebensgeschichte, ein Datum setzen, an dem nicht mehr zu rütteln war. Nun gilt es zu bedenken, daß der puritanischen Frömmigkeit kaum etwas so wichtig war wie das skrupulöse Abhorchen und die oft unablässige Vergegenwärtigung der eigenen geistlichen Lebensgeschichte. V o r diesem Hintergrund ist der schlimmste Verdacht, der einen Menschen befallen kann, der, daß es eine solche Lebensgeschichte für mich nicht gibt bzw. daß ich geistlich tot bin - oder, was wohl dasselbe heißt, daß sich keine Daten finden lassen, mit deren Hilfe ich meine geistliche Autobiographie gewinnen und an denen ich mich rückblickend festhalten kann. D e r Rückblick ist außerordentlich wichtig, denn die Erinnerung frischt empfangene Eindrücke wieder auf, ja, kopiert sie getreu und läßt sie auf diese Art erneut Wirklichkeit werden. Daher auch Edwards' Entscheidung, seine die Erweckungen von 1734 auslösenden Predigten — deren erste die Rechtfertigungslehre entfaltete - zu veröffendichen und so eine kollektive Erinnerung und produktive Vergegenwärtigung der vergangenen Eindrücke anzuregen. 79 Solche
77 Edwards schreibt zwei Tage später: „My Uncle Hawley, the last Sabbath-day morning (June 1), laid violent hands on himself, and put an end to his life, by cutting his own throat. He had been for a considerable time greatly concerned about the condition o f his soul; till, by the ordering o f a sovereign providence he was suffered to fall into deep melancholy, a distemper that the family are very prone to; he was much overpowered by it; the devil took the advantage and drove him into despairing thoughts." Y E 4 , 109. Joseph Hawleys gleichnamiger Sohn wird später in die unangenehme Geschichte der Entlassung Edwards' aus seiner Northamptoner Gemeinde verwickelt sein. 78 VgJ. die Predigten „The Preciousness o f Time, and the Importance o f Redeeming It", in: W P E 8 , V, 5 4 1 - 5 5 3 , und „Procrastination, or the Sin and Folly o f Depending on Future Time", a.a.O., 5 5 4 - 5 7 4 . 7 9 „Happy would it be for us, and an unspeakable mercy o f heaven, if God should bless what is here printed, so to revive the memory o f the past great work o f God amongst us, and the lively impressions and sense o f divine things that persons then had on their minds, and to cause us to lament our declensions, so that the same work might renewedly break forth and go on amongst usi" „Five Discourses on Various Important Subjects, Nearly concerning the great Affair o f the Soul's Eternal Salvation" (Boston 1738), in: W P E , I, 6 2 0 - 6 8 9 , hier: 621.
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Anregungen haben aber nur dann Aussicht auf Erfolg, wenn der Prediger weiß, wovon er spricht, d.h. wenn er auf eigene Erfahrung zurückgreifen kann. U m die Darstellung seiner perönlichen Schatzkiste religiöser Erfahrung bemüht sich Edwards 1737 in seiner „Personal Narrative": Im Alter von 34 Jahren schildert er seine Bekehrung rückblickend als Begabung mit einem neuen Sinn, durch den die ganze Welt ein anderes Aussehen gewinnt. 80 E r erinnert sich, wie ihm lange Zeit die calvinistische Erwählungslehre so unangenehm war wie die einschüchternden Drohgebärden eines Unwetters. 81 Aber im Laufe der Zeit entwickelte er eine „freudige Überzeugung" 8 2 von Gottes Souveränität. Sein Sinneswandel entsteht in der Begegnung mit einzelnen Schriftzitaten 83 , die ihm in seiner täglichen Bibellektüre von Zeit zu Zeit eigentümlich isoliert und wirkungsvoll entgegentreten. Andererseits äußert sich dieser Sinneswandel in einem veränderten Blick auf natürliche Phänomene. Edwards fühlt sich „durchstrahlt" von einem neuen Sinn für Gottes Herrlichkeit, 84 die er nun im harmonischen Miteinander augenscheinlicher Gegensätze entdeckt. 85 Natürlich können ihn von nun an weder Blitz noch D o n nergrollen schrecken. 86 Als ihm dieser Sinneswandel widerfahrt, ist Edwards gerade siebzehnjährig.
80 „The appearance of every thing was altered; there seem'd to be, as it were, a calm, sweet cast, or appearance of divine glory, in almost every thing." S. Hopkins, The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E., in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, 27. 81 „I used to be a person uncommonly terrified with thunder: and it used to strike me with terror, when I saw a thunder-storm rising." A.a.O., 28. 82 „I have often since, not only had a conviction, but a delightful conviction. The doctrine of God's sovereignty has very often appeared, an exceeding pleasant, bright and sweet doctrine to me: and absolute sovereignty is what I love to ascribe to God." A.a.O., 26. 83 Edwards erwähnt 1 Tim 1,17; Hid 2,1 und Ps 119, 28. A.a.O., 26ff. 84 >rAs I read the words, there came into my soul, and was as it were diffused thro' it, a sense of the glory of the Divine Being; a new sense, quite different from any thing I ever experienced before." A.a.O., 26. 85 „And as I was walking there, and looked up on the sky and clouds; there came into my mind, a sweet sense of the glorious majesty and grace of God, that I know not how to express. I seemed to see them both in a sweet conjunction: majesty and meekness join'd together: it was a sweet and gentle, and holy majesty, and also a majestic meekness; an awful sweetness; a high, and great, and holy gentleness." A.a.O., 27. 86 „And scarce any thing among all the works of nature, was so sweet to me as thunder and lightning. ... I felt God at the first appearance of a thunder-storm. And used to take the opportunity at such times to fix myself to view the clouds, and see the lightnings play, and hear the majestic and awful voice of God's thunder: which often times was exceeding entertaining, leading me to sweet contemplations of my great and gjorious God." A.a.O., 28. Hier drängt sich ein Vergleich zweier unterschiedlicher Zeitgenossen auf „The role of lightning as a symbol and subject for study illuminates the contrasting approaches Edwards and Franklin took when exploring the natural world. Thunderstorms terrified young Edwards until he accepted the sovereignty of God. ... Franklin, by contrast, was popularly known as the man who snatched lightning from the heavens. ... The scientist-iconoclast seemed as proud to announce that lightning was not a production from heaven as he was to acknowledge that his lightning rod protected high places (where Edwards said pride dwells) from the supposed wrath of God! Franklin completely reversed Edwards's imagery." E.E. Dunn, )rA Wall Between Them Up to Heaven": J.E. and Benjamin Franklin, in: B.B. Oberg/H.S. Stout, Benjamin Franklin, J.E., and the Representation of American Culture, New York/Oxford 1993, 5874, hier: 64.
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Genauso alt ist seine Tochter Jerusha, als sie am 14. Februar 1748 an einer Tuberkuloseinfektion stirbt. Sie folgt ihrem Verlobten, dem 29jährigen David Brainerd, der am 9. Oktober 1747 an derselben Krankheit im Hause ihrer Familie gestorben war und Edwards auf dem Sterbebett das Versprechen abgenommen hatte, sich um die Veröffentlichung seiner Tagebuchaufzeichnungen zu kümmern.87 Für Edwards ist Brainerd ein Heiliger der Gegenwart, jemand, der sich an Christus als seinem höchsten Gut orientiert hatte und dessen Lebensgeschichte in der Lage ist, dem Willen anderer Menschen auf die Sprünge zu helfen. Wie Edwards' Erweckungspredigten entspricht die Predigt, die er zur Beerdigung von David Brainerd hielt88, der grundlegenden Überzeugung, daß „das ganze Leben eines Menschen, Vergangenheit und Zukunft, der Macht seines gegenwärtigen Willens unterliegt"89. Ein Augenblick entscheidet über die Zeitspanne, in der sich der Mensch erfährt. Edwards tritt als leiser Beobachter auf, der die Erweckungserscheinungen seiner Gemeinde in Northampton wie die Ergebnisse einer Laboruntersuchung beschreibt, um aus ihnen eine Morphologie des Glaubens zu gewinnen. Die Bedeutung, die er der Bekehrungserfahrung einräumt, läßt gelegentlich vergessen, daß er sich gegen jeglichen Methodismus wendet, der Gottes Handeln so festlegt, daß Menschen zu der Annahme verleitet werden, sich auf die Beobachtung bestimmter, klar umrissener Schritte beschränken zu können. Dennoch bezieht sich Gottes Handeln auf Menschen. Gott berührt sie in ihrer Menschlichkeit. Gott teilt sich ihnen mit, und diese Selbstmitteilung trifft nicht eine bewußtlose Substanz, sondern ein persönliches Bewußtsein. Daher muß sie in diesem Bewußtsein Spuren hinterlassen. Diese Spuren bringen menschliche Selbsterkenntnis auf den Weg. Die Neuwerdung des Menschen verdankt sich ausschließlich der Selbstmitteilung Gottes, und mit dieser Neuwerdung ist eine Selbsterkenntnis verbunden, in der Menschen Ruhe finden, ohne sich bei sich selbst beruhigen zu können. Religiöse Selbsterkenntnis und Selbstvergewisserung wird immer im Schatten bzw. im Licht — der Gotteserkenntnis stehen.90 Nur so kann der Mensch seine 87 „An Account of the Life of the Late Reverend Mr. David Brainerd, Minister of the Gospel, Missionary to the Indians, from the honorable Society in Scotland, for the Propagation of Christian Knowledge, and Pastor of a Church of Christian Indians in New Jersey" (Boston, 1749), in: YE7. 88 „True Saints, when absent from the Body, are present with the Lord" (Boston 1747). 89 „While he is convinced of man's mountainous sinfulness, he is also saying that a man's entire life, both past and future, lies under the power of his present will. All of a man's debts for things past, and all of a man's responsibilities for things to come, are fully within the power of his present will to discharge. What lies behind these sermons, therefore, is Edwards' profound respect for both the importance and power of the human will." J. Carse, J.E. and the Visibility of God, 158. Carse hält diese Beanspruchung des Willens für typisch amerikanisch: „For in these sermons are combined what Americans elsewhere are wont to celebrate in the worldliness of their civilization: a hardminded appraisal of the nature of things as they are, and a sturdy confidence that by an act of the will all things are alterable." A.a.O., 160f. , 0 „The sweetest joys and deligjits I have experienced, have not been those that have arisen from a hope of my own good estate; but in a direct view of the gjorious things of the gospel. When I enjoy this sweetness, it seems to carry me above the thoughts of my own safe estate. It seems at such times a loss that I cannot bear, to take o f f my eye from the gjorious, pleasant object I behold without me, to turn my eye in upon myself, and my own good estate." S. Hopkins, The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E., in: D. Levin (ed.),J.E.: A Profile, 35.
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Erfahrungsnot überhaupt ertragen, ohne an ihr zu verzweifeln — zumal es wahrscheinlich ist, daß Menschen den entscheidenden Augenblick ihrer Neuwerdung nicht bemerken oder falsch interpretieren. Wenn sie zu glauben beginnen, erkennen sie zumeist den Beginn ihres Glaubens nicht unmittelbar — jedenfalls nicht so, wie man es von Menschen erwarten könnte, denen immer wieder die Aufgabe einer definitiven Selbsterkenntnis gestellt ist. Der Augenblick, der über Leben und Tod entscheidet, kann Menschen trotz ihrer Aufmerksamkeit oder aus lauter Unachtsamkeit entgehen. Im Licht seiner eigenen Glaubenserfahrung muß für Edwards die mit einer datierbaren Bekehrung verbundene unmittelbare Selbstgewißheit jedenfalls an Bedeutung verlieren.91 Doch Edwards sieht die Menschlichkeit des Menschen im menschlichen Willen auf die Spitze getrieben. Er mag den Gedanken einer methodischen Annäherung an den Glauben ablehnen, und seine Bemühung, Glaubenserfahrung von ihrem Gegenstand her zu bestimmen, indiziert, daß er sich der Unterscheidung von Glaube und Erfahrung, auch von Glaube und außergewöhnlicher Erfahrung bewußt war. Dennoch wird er beides nicht trennen können. Menschen, die sich im Umfeld des Glaubens bewegen, werden in ihrer intro- und retrospektiven Selbstanalyse immer zur Erfahrung bzw. zum Eingeständnis ihrer Erfahrungsarmut genötigt, wie sie sich jederzeit mit der unerfüllbaren Forderung eines von ihnen zu leistenden Willensaktes konfrontiert sehen, von dem alle Hoffnung, alle wirkliche Veränderung abhängt. Glaube als Bestimmtheit des Willens zu verstehen, kann dazu führen, einen athletischen Kraftakt zu beschwören, der in mehrerer Hinsicht unrealistisch ist: 1. als einziger Klimmzug, mit dem sich der Mensch über alles hinaufzuschwingen vermag, was ihn zuvor bestimmt hat; und 2. als unerträglicher Anspruch und als Belastung, die er ein Leben lang unterschätzt, sofern er meint, sich selbst in seinem Willen bestimmen zu können und bestimmen zu müssen. Davon gehen Menschen aber unweigerlich aus, denn „Wille" ist nichts anderes als die Dimension menschlicher Erfahrung, in der Menschen ihre Spontaneität haben und so die sich in der Zeit entfaltende Identität mit sich selbst. Gerade angesichts der Identifizierung des Menschen mit seinem Willen und mit der unmöglichen Möglichkeit eines neuen Willensaktes wird die Aussagekraft der Erfahrung problematisch. Denn der Beginn des Glaubens entzieht sich ihr, wie sich der einzelne Willensakt der Erfahrung entzieht - obwohl sich Menschen nirgends intensiver erfahren als in den Bewegungen ihres Willens. Aber letztlich 91 Edwards erinnert sich, daß er seine neugewonnene Glaubenserkenntnis nicht mit einem besonderen Wirken Gottes in Verbindung brachte. „But never could give an account, how, or by what means, I was thus convinced; not in the least imagining, in the time of it, nor a long time after, that there was any extraordinary influence of God's spirit in it.... But it never came into my thought, that there was any thing spiritual, or of a saving nature in this." A.a.O., 25f. P. Miller weist auf Edwards' Schwierigkeiten hin, einen überzeugenden Hinweis auf seine Neuwerdung zu finden. „He had owned his baptismal covenant in 1722 and been taken into the communion, and he would refer to this as ,my first covenant', but in all honesty he could not find, even then, when his affections were most raised, such a conversion as conformed to .those particular steps, wherein the people of New England, and anciently the Dissenters of Old England, used to experience it'. ... By 1725 he faced the realization: whatever he now was, for better or worse, he would remain; .whether I am now converted or not, I am so settled in the state I am in, that I shall go on it all my life'." P. Miller, J.E., 207f.
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reduziert sich das Sein oder Nichtsein des Menschen auf einen Augenblick, der so folgenreich er ist - dennoch im Verborgenen bleibt: er läßt sich nicht fixieren, sondern nur indirekt erschließen. Indirekt aber muß er erschlossen werden. So erweist sich Edwards' Einschätzung religiöser Erfahrung immer wieder als höchst spannungsvoll. Er sieht das Wesen der Religion im Gefühl, oder besser: in den Affekten. Doch seine Beobachtungen verraten nichts als äußerste emotionale Zurückhaltung. Grundsätzlich bleibt für ihn das Herz eines anderen Menschen immer ein Geheimnis, und daher kann er einfach nur beschreiben: aus einer Distanz, die eingesteht, daß sie kaum tiefer blickt als an die Oberfläche, die Menschen einander in der Mitteilung gerade derjenigen Erfahrungen bieten, mit denen sie sich am stärksten identifizieren. Trotz dieser unverbesserlichen Oberflächlichkeit menschlicher Fremdwahrnehmung forderte Edwards diese fragwürdige Prüfung der Oberfläche, und zwar zweimal und auf je verschiedene Weise: Zunächst in „An Humble Inquiry into the Rules of the Word of God, Concerning the Qualifications Requisite to a Complete Standing and Full Communion in the Visible Christian Church" 92 , und dann in Freedom of the Will. In Humble Inquiry grenzt sich Edwards von der Ekklesiologie seines Großvaters Solomon Stoddard ab und vertritt eine Position, die schließlich zu seiner Entlassung aus Northampton fuhrt. In Freedom of the Will, der letzten Schrift, deren Veröffentlichung er erlebt, entfaltet Edwards eine Willenspsychologie, wie sie seinem theologischen Urteil entspricht — ein Unternehmen, in dem man so etwas wie Prolegomena zu seiner geplanten systematischen Kampfschrift gegen die arminianische Aushöhlung des Evangeliums sehen kann.93 Freedom of the Will bildet nicht zufällig den Auftakt einer nie ausgeführten theologischen Gesamtdarstellung, in der etwas von der „Textur und Harmonie des Ganzen" aufleuchten sollte. Sie ermöglicht den Blick auf den atomaren Augenblick des Willensaktes, der die Vorstellungskraft genauso sprengt und die Maßstäbe theologischer Anthropologie genauso setzt wie jener ausholende Sinn für das Sein im allgemeinen, den Edwards in einer anderen Spätschrift, The Nature of True Virtue, einführt, um mit seiner Hilfe die natürliche Kurzsichtigkeit des unerlösten Menschen aufzudecken. In beiden Schriften sieht Edwards ein Urteil über Boston 1749, in: Y E 1 2 , 1 6 7 - 3 2 5 . Im eingangs erwähnten Brief an die Trustees des Colleges von New Jersey heißt es: „I have already published something on one o f the main points in dispute between the Arminians and Calvin-, ists: and have it in view ... in like manner to consider all the other controverted points, and have done much towards a preparation for it - But besides these, I have had on my mind and heart... a great work, which I call a History of the Work of Redemption, a Body o f Divinity in an entire new method, being thrown into the form o f an history, considering the affair o f Christian theology, as the whole o f it, in each part, stands in reference to the great work o f redemption by Jesus Christ; which I suppose is to be the grand design, o f all God's designs, and the summum and ultimum o f all the divine operations and decrees; particularly considering all parts o f the grand scheme in their historical order. ... This history will be carried on with regard to all three worlds, heaven, earth and hell: considering the connected, successive events and alterations, in each so far as the Scriptures give any light; introducing all parts o f divinity in that order which is most scriptural and most natural: which is a method which appears to me the most beautiful and entertaining, wherein every divine doctrine, will appear to greatest advantage in the brightest ligjit, in the most striking manner, showing the admirable contexture and harmony o f the whole." S. Hopkins, The Life and Character o f the Late Reverend Mr. J . E . , in: D. Levin (ed.), J . E . : A Profile, 76f. 92
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menschliche Erfahrung gesprochen, das sich nicht menschlicher Erfahrung verdankt, aber immer mit ihr in produktive Konfrontation gerät. Unter diesem Vorzeichen findet der theologische Umgang mit Erfahrung statt. So kann Edwards nicht mit der Empirie beginnen - diese ist immer Zeugnis der Selbstliebe, die nicht über ihren Schatten springen kann und von der es keinen Weg zum „Wesen wahrer Tugend", zur liebenden Wahrnehmung des letztlich auf Gott verweisenden und nur in diesem Verweis gehaltenen Seins gibt. Edwards' eigentümlicher Realismus findet Anhalt entweder im „Atom" oder im „Universum"94 — also in zwei Konstrukten, deren jeweiliger Bezugspunkt der Sinneswahrnehmung verborgen bleibt, weil er - wie die unsichtbaren Pfeile des Todes - nur „gesehen" wird, wenn sich zuvor etwas anderes gezeigt und mitgeteilt hat — eine Wirklichkeit, zu der Menschen keinen Zugriff haben: Gott selbst. Die realistische Wahrnehmung des Unsichtbaren ist lebenswichtig, und durch sie und in der ihr entsprechenden Liebe zu Gott wird das Leben zur Vorbereitung auf den Tod. Spiritualität heißt, daß der Mensch allzeit bereit ist zu sterben. Edwards' Theologie läßt diese Auffassung menschlichen Lebens immer wieder durchblicken. Ist sie aber reduzierbar auf ein Gottesbild und auf ein Lebensgefuhl, von dem wir längst zu weit entfernt sind, um es uns überhaupt vorstellen zu können?95 Schließlich ist die Aussicht darauf, daß wir sehen werden, die einzige Zukunft, die für Edwards von Interesse ist. „Wir werden sehen!" So lautet auch seine Abschiedsbotschaft an seine Gemeinde in Northampton, ist doch zu erwarten, daß sich Pfarrer und Gemeinde einmal wieder gegenüberstehen. 96 Ähnlich Beunruhigendes wußte Edwards bereits zehn Jahre zuvor der Gemeinde in Enfield zu sagen: „Wie viele", heißt es gegen Ende seiner berühmtesten Predigt, „werden sich dieser Rede in der Hölle erinnern!" Und es wäre ein Wunder, wenn sich nicht einige der hier Anwesenden erschreckend bald dort einfänden — bevor dieses Jahr zu Ende ist, ja, bevor der nächste Morgen anbricht!97
94 Edwards' frühe Beschäftigung mit den „Atomen", mit dem, was sich nicht weiter reduzieren läßt, liest sich wie eine Art „Gottesbeweis". „Of Atoms", in: YE6, 208-218. 95 So sieht O.E. Winslow Edwards in einen geschichtlichen Kontext eingebettet, der von einem bestimmten Lebensgefuhl durchwirkt war: „Children of Jonathan Edwards' generation, who were not sons and daughters of ministers, were made to live in the ever present consciousness of death. Every Sunday might be the last. Every parting was for eternity. Newspaper accounts of accident were invariably framed to suggest that no one dare boast himself of tomorrow. It was as though life were indeed lived in the formula of the Middle Ages: ,What is this our life but a march toward death?' Children might as well leam it early as late. The chance legend REMEMBER YOU WAS BORN TO DIE surviving as a child's copy on the flyleaf of an old almanac, and painstakingly scrawled nine times down the page, was no morbid reflection. It was merely the inevitable truth brougjit home afresh with each new onslaught of pestilence or other disaster, bom of isolation and man's impotence." O.E. Winslow, J.E., 48. 96 Edwards schließt seine Abschiedspredigt zu 2 Kor 1,14 mit den Worten: „And let us all remember, and never forget our future solemn meeting on that great day of the Lord; the day of infallible decision, and of the everlasting and unalterable sentence. AMEN." „A Farewell Sermon", in: SWJE, 134-155, hier: 155. 97 „There is reason to think, that there are many in this congregation now hearing this discourse, that will actually be the subjects of this very misery to all eternity. We know not who they are, or in what seats they sit, or what thoughts they now have. ... If we knew who it was, what an awful sight would it be to see such a personl... But alas! Instead of one, how many is it likely will remember this
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Für den Erweckungsprediger gab es keinen Grund, die Pfeile, die einem unentwegt um die Ohren sausen, weiterhin zu ignorieren. V o r allem aber war es höchste Zeit, sie zu sehen!
discourse in hell! And it would be a wonder, if some that are now present should not be in hell in a very short time, before this year is out. And it would be no wonder if some persons, that now sit here in some seats of this meeting-house in health, and quiet and secure, should be there before tomorrow morning." Sinners in the Hands of an Angy God, in: SWJE, 113. 39
2. Der „Hellfire"-Prediger im Lichte der Forschungsgeschichte
„Was bekommen Menschen zu sehen, wenn sie glauben? Was müssen sie sehen, wenn sie vor Gott bestehen wollen?" Diese drängende Frage des Erweckungspredigers und Seelsorgers ist die treibende Kraft für eine Theologie, die sich zu bestimmten Anlässen genötigt sieht, das Wort zu ergreifen und Stellung zu beziehen. Sie ist zugleich das innere Moment der Unruhe sowie der Vorsicht, durch die diese Theologie daran gehindert wird, zu einem im letzten konsistenten Ganzen zu werden, als könne die sprachliche Gestalt - oder irgendeine Gestalt - abbilden, was sie als kohärentes Ganzes im Blick hat. In diesem Kapitel möchte ich der Frage nachgehen, wie das in Edwards' Theologie und Religionspsychologie immer wieder anklingende Thema der besonderen Wahrnehmung des Glaubens in der Rezeptions- und Forschungsgeschichte zur Sprache kommt. Angesichts der Vielfalt seiner Äußerungen hat man auch eine Anzahl anderer Aspekte an Edwards' theologischen und philosophischen Bemühungen wahrgenommen, die mehr oder weniger mit dem hier behandelten Thema in Zusammenhang stehen, oft aber anderen Gewichtungen und Interessen entsprechen. Im folgenden werde ich diese weitverzweigte Diskussion in ihren Grundzügen darstellen, um im Gespräch mit ihr eine heuristische Ordnung zu finden, in der bestimmte, sachlich miteinander verbundene, zugleich aber offene Fragen in einer Weise zugespitzt und adressiert werden können, die in der sich anschließenden Einzelanalyse eine systematisch-theologische Auseinandersetzung mit den zentralen Themen der Edwards'schen Theologie ermöglichen wird. Die offenen Fragen, das sei schon hier angedeutet, berühren einander in dem von der Forschung wenig beachteten Umstand, daß Edwards an der Schnittstelle von reformatorischer Rechtfertigungslehre und amerikanischem Pragmatismus steht. Diese Lokalisierung bildet den Horizont meines eigenen Versuches, Edwards' Umrisse in die Karte der theologie- und philosophiegeschichtlichen Landschaft einzuzeichnen, in der es immer wieder Probleme gibt, die weit über den Ort ihrer jeweiligen Einordnung hinausweisen. Mit welchem Edwards bekommen wir es aber zu tun? Ist er der „christliche Rationalist" oder der „durch und durch vorkritische biblische Gelehrte"? 1 Ist er vorrangig der engagierte Erweckungsprediger oder der distanzierte Religionspsychologe? Begegnen wir ihm in seinen Veröffentlichungen, oder hält er sich in
1 Oder beides? Vgl. den Titel von John Gerstners voluminöser Edwards-Darstellung: J.H. Gerstner, The Rational Biblical Theology of J.E., In Three Volumes, Powhatan/Odando 1991ÉE Die ersten beiden Bände sind 1991 und 1992 erschienen.
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seinen privaten Manuskripten versteckt?2 Repräsentiert er den Puritanismus Neuenglands, oder ist er ein „einzigartiges Original", das sich gegen eine geradlinige Einordnung in seine theologische Tradition sträubt? David Laurence gibt zu Bedenken, daß sich hinter dem Eigennamen „Jonathan Edwards" kein kohärentes Werk, sondern eine heterogene Ansammlung von Aufzeichnungen, Predigten und Abhandlungen verbirgt - „a tangled diversity about which we come to feel less than confident that it all springs from a single, self-identical center" 3 . Der Eindruck, Edwards sei eine komplexe Persönlichkeit, mag zwei Gründe haben: Erstens gibt es offensichtlich verschiedene Zugangsweisen zu dem geschichtlichen Phänomen „Edwards" bzw. zu seinem Gedankengebäude, das, aus verschiedenen Materialien gemauert und gezimmert, immer wieder einladend gewirkt hat auf Zeitgenossen und spätere Generationen, die sich diesem Gedankengebäude aus verschiedenen Richtungen und eben auch mit recht unterschiedlichen Absichten genähert haben. Zweitens steht Edwards' Theologie in unleugbarem Verhältnis zu seiner theologischen Existenz, so daß die Situationen, in die hinein zu sprechen er sich im Laufe seines Lebens genötigt sah, ihn als Gelegenheitstheologen in Erscheinung treten lassen — ganz so, als habe er sich immer wieder neu und von verschiedenen Seiten derselben Mitte nähern wollen, die er immer nur fast, nie ganz hinreichend und erschöpfend zur Sprache bringen kann. So erscheint Edwards als schillernde Figur, zu der man auf recht unterschiedliche Weise Zugang suchen kann. Die Rezeption Edwards' hat sich entsprechend grundsätzlich drei verschiedener Einordnungsstrategien bedient: 1. einer genetischen, die nach literarisch belegbaren Abhängigkeitsverhältnissen fragt, 2. einer systematischen, die an einer Darstellung dessen interessiert ist, was er zu denken gegeben hat und gleichzeitig berücksichtigt, wie er das zu denken gegeben hat, was ihm theologisch bedeutungsvoll erschien, und 3. einer heuristischen, die sich darum bemüht, den Entdeckungszusammenhang seiner religionsphilosophischen Voraussetzungen und seiner theologischen Existenz aufzuspüren. 2 Edwards umgibt ein Geheimnis, das die Fachwelt seit Generationen fasziniert. Die Frage nach dem verborgenen, unheimlich-heimlichen Zentrum des „öffentlichen Theologen" durchzieht P. Millers Edwards-Biographie. Dort heißt es: „One hardly knows, therefore, whether the cryptic element in Edwards' writing is deliberate artistry ... or a psychic inhibition (to use his own phrase, a moral inability) that kept him from ... the communication o f ideas with the same clearness in which they lay in the mind. We are not sure whether we have to deal with a pathological secretiveness or an inherent inexpressibility in the thought itself. ... There is a gift held back, some esoteric divination that the listener must make for himself. Edwards' writing is an immense cryptogram, the passionate oratory of the revival no less than the hard reasoning of the treatise on the will." P. Miller, J.E., 50£ Man hoffte, dem Geheimnis durch die Entschlüsselung des unveröffentlichten Materials, besonders der „Miscellanies", auf die Spur zu kommen. „Over the years, there has been speculation concerning the nature of Edwards' unpublished manuscripts and the relation between their content and his published views. The delay of over two centuries in the publication of the .Miscellanies' and other manuscripts known (or at least believed) to exist has continued to pique curiosity about their contents and even generate suspicion that there may be a skeleton in the closet. For example, rumors flew in the nineteenth century about a treatise on the Trinity being held back because o f supposed doctrinal indiscretions of Edwards." T.A. Schäfer, Editor's Introduction, in: YE13, 6. VgJ. A.V.G. Allen, J.E., 338-376. 3 D. Laurence, J . E . as a Figure in Literary History, in: N.O. Hatch/H. S. Stout (eds.), J . E . and the American Experience, New Y o r k / O x f o r d 1988, 226-245, hier: 226.
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Zu unterscheiden von der Bemühung, sich an Edwards' Denken heranzutasten, aber oft mit dieser verbunden, sind die tatsächlichen oder nur gewünschten frömmigkeitsgeschichtlichen Wirkungen, die Edwards auf spätere Generationen ausgeübt hat bzw. die man sich gelegentlich noch von ihm verspricht. So hat man ihn im Verhältnis zur späteren Geschichte der jungen Republik gesehen, zu Amerikas Literatur- und Kulturgeschichte im weiteren, zur amerikanischen Kirchenund Religionsgeschichte im engeren Sinne, und wird auch bei einer solchen Einordnung diese oder jene Absicht verfolgt haben, aus der sich dann bestimmte Wahrnehmungen und Schlüsse ergeben. Welche politischen Implikationen kann man beispielsweise Edwards' Theologie entnehmen? War er überhaupt ein politischer Denker?4 War er der Wegbereiter der Revolution und Demokratie oder der konservative Aristokrat, der die hierarchische Gliederung der Gesellschaft in klar bestimmte Stände als gottgewollte Ordnung ansah? Hat sein Interesse an persönlicher Erfahrung die sozial Minderpriviligierten mündig gemacht und den politischen Autoritäten gegenüber gestärkt, oder hat es den einzelnen so sehr auf sich selbst fixiert, daß jedes Engagement in der Welt gleichgültig erscheinen mußte? Hat seine Kritik scheinbarer anhand der Kriterien wahrer Tugend eine Horizonterweiterung bewirkt, die einzelne auf eine größere Gemeinschaft verpflichtet, als ihre alltägliche Sorge um Familie und um überschaubare soziale Umfelder ihnen aufbürdet? Oder läuft diese Kritik auf die Auflösung aller organischen Lebenszusammenhänge hinaus, da diese - so sehr sie sich auch ausdehnen und erweitern lassen — immer unzureichend sind, nämlich im Vergleich mit der unauslotbaren Tiefe, bzw. der unfaßbaren Weite wahrer Gemeinschaft, die eben nur dann wahr ist, wenn sie sich vom trinitarischen Gott her bestimmt und gehalten weiß?5 4 Richard A.S. Hall (The Neglected Northampton Texts of J.E.: E. on Society and Politics, Lewiston 1990), schließt sich der revisionistischen Ansicht an — vertreten beispielsweise durch Alan Heimert (Religion and the American Mind. From the Great Awakening to the Revolution, Cambridge 1966), derzufolge in Edwards' Ftömmigkeitsverständnis ein sozialer Aktivismus sowie die Rudimente einer politischen Theologie angelegt sind. Anders sehen es Sidney E. Mead (The Old Religion in the Brave New World. Reflections on the Relation between Christendom and the Republic, Berkeley/Los Angeles/London 1977), P.Y. De Jong ( H e Covenant Idea in New England Theology, 1620-1847, Grand Rapids 1945) und Ernest S. Bates. Dieser meint, Edwards bewege sich „back and forth between the two poles of the individual and the universal, and in neglecting the intermediate stages of social activity he facilitated the withdrawal of religion into the limited field of individual conduct to concern itself above all with the subjective conscience", R S . Bates, American Faith. Its Religjous, Political, and Economic Foundations, New York 1940, 208. Auch Gerald R. McDermott bedenkt die politischen Implikationen der Theologie Edwards' (One Holy and Happy Society. The Public Theology of J.E., University Park 1992). 5 Späteren Theologen scheint Edwards zu hoch zu greifen und so zum Spielverderber zu werden, der den natürlichen Beziehungen des Menschen Gewalt antut So schreibt Edwards A Park im Jahre 1839: „We need and crave a theology, as sacred and spiritual as his, and moreover one that we can take with us into theflower-garden,and to the top of some goodly hill, and in a sail over a tasteful lake, and into the saloons of music, and to the galleries of the painter and the sculptor, and to the repasts of social joy, and to all those humanizing scenes where virtue holds her sway not merely as that generic and abstract duty of a .love to being in general', but also as the more familiar grace of a love to some beings in particular." E.A. Park, The Duties of a Theologian, in: American Biblical Repository 11,4 (1840), 374. Kritisiert worden ist Edwards wegen seiner Tendenz zum Individualismus, zur Isolation der Person vor Gott, die ihren familiären und natürlichen Relationen entfremdet
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Ist Edwards als exponierte Figur der Erweckungsbewegung Begründer einer Revival-Tradition, die, immer wieder aufbrechend und abflauend, recht verschiedene, aber letztlich ähnlich motivierte frömmigkeitsgeschichtliche Wirkungen erzielt hat?6 Ist er der „fiery Puritan", dessen Denken sich ganz auf Elemente seiner reformierten Tradition reduzieren läßt, der im Verhältnis zur filigranen Bundestheologie seiner Zeitgenossen auf Neuerungen kam, die seiner Zeit doch nur einen kleinen Schritt voraus waren? Oder ist er der Künder einer neuen Zeit, Rezipient und Repräsentant der Aufklärung, dessen Interesse an Philosophie nur mühsam in Schranken gehalten wurde - durch Konvention und die Provinzialität seiner „wilderness" - oder durch den stets rückwärtsgewandten Blick seiner theologischen Existenz?
2.1. Der „Neuengland-Melchisedek" grüßt Amerika Das zwiespältige, ja gestörte Verhältnis zwischen Edwards und Amerika zeichnet sich in der Rezeption von Freedom of the Will ab. So sehr Edwards in den hundert Jahren nach seinem Tod gerade durch diese Schrift auch im Gespräch blieb, so sehr sahen sich offenbar spätere Generationen gezwungen, zu einem anderen Verständnis von Freiheit und Verantwortung des Menschen im Verhältnis zu Gott zu gelangen. Entsprechend fand der gedankliche Anschluß an Edwards oft nicht ohne gravierende Umbiegungen und Eingriffe statt. Diese sehen nur auf den ersten Blick wie harmlose Akzentverschiebungen aus, erweisen sich aber bei
wird. So Horace Bushnell: „The attention he had bestowed on the will gave a still more intense form of individualism, probably to his teachings. ... It makes nothing of the family, and the church, and the organic powers God has constituted as vehicles of grace. It takes every man as if he had existed alone, presumes that he is unreconciled to God until he has undergone some sudden and explosive experience, in adult years, or after the age of reason; demands that experience, and only when it is reached, allows the subject to be an heir of life." H. Bushnell, An Argument for „Discourses on Christian Nurture", Hartford 1847,14f£ VgJ. Donald Weber, The Recovery ofJ.E., in: N.O. Hatch/ H.S. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 50-70. 6 Es drängt sich beispielsweise ein Vergleich mit Vertretern der zweiten großen Erweckungsbewegung (Ende des 18./1. Hälfte des 19. Jh.) auf (Charles G. Frnney, 1792-1875) oder mit dem Frömmigkeitstypus, der sich in den Verfechtern der „New Divinity'-TTieologie abzeichnete. Der Begriff „New Divinity" faßt Edwards' unmittelbare Nachfolger zusammen, die sich seiner Theologie verpflichtet sahen, sie aber weiterführten und gelegentlich bis zur Unkenntlichkeit veränderten. Hier sind vor allem Joseph Bellamy (1719-1790), Samuel Hopkins (1721-1803), Jonathan Edwards, jr. (1745-1801) und Nathanael Emmons (1745-1840) zu nennen. Vgl. William Breitenbach, Piety and Moralismi E. and the New Divinity, in: N.O. Hatch/H.S. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 177—204. Interessant ist auch die Annäherung der Edwards-Rezipienten an die methodistische Holiness-Bewegung, die ihren Ausdruck in dem missionarischen Aktivismus des 19.Jh. fand. Eine bedeutende Vertreterin der „Holiness-Bewegung" war Phoebe Palmer (18071874): sie behauptete die Möglichkeit einer „entire sanctification" und förderte in ihren einflußreichen „Tuesday-meetings" in New York eine dieser Möglichkeit entsprechende Frömmigkeit. Zu Edwards und dem Methodismus: R. E. Brantley, The Common Ground of Wesley and E., in: HTR 83:3 (1990), 271-303. 43
näherem Hinsehen als äußerst folgenreich. Die Wirkungsgeschichte von Freedom of the Will zeigt jedenfalls, daß man Edwards, so wie er war, nicht stehen lassen konnte. „So, far a considerably long period of time, Edwards's massive exposition of ,that freedom of will' has been treated as a kind of cultural oxymoron, without father, without mother, without genealogy, a New England Melchizedek greeting a bewildered American Abraham with sacrifices which secretely terrify him." 7 Gegen Ende des 19.Jh. wurde Edwards nahezu zum Fossil, von dem man theologisch nichts mehr zu erwarten hatte. „Alle behandelten Edwards als eine bedeutungsvolle Gestalt. Niemand schenkte seiner Theologie Aufmerksamkeit", beobachtet Mark A. Noll. Edwards war längst jemand, der der Gegenwart nichts mehr zu sagen hatte, und wenn, dann nur im Korsett einer Sprache, die er selbst nicht verstanden hätte.8 So versteht beispielsweise Alexander V.G. Allen Edwards nicht nur als Vorboten eines modifizierten Calvinismus, sondern auch der transzendentalistischen Bewegung, die sich in den 30er Jahren des 19. Jh. in Boston und Concord, Massachusetts gebildet hatte.9 Obwohl Edwards' Gottesverständnis wie ein „böser Traum" nachwirke, in dem der Mensch durch die Angst, die ihn besetzt hält, geradezu seine Menschlichkeit verliert,10 habe der Erweckungstheologe den Boden bereitetet für eine Anthropologie, die die Unmittelbarkeit des Menschen zu Gott im Gottesbewußtsein begründet sieht.11 A.C. Guelzo, E. on the Will, 2. „Edwards lived in a world which assumed the existence of God pretty much as defined by the Protestant reformers, which assumed that the Bible could provide authoritative teaching for all, which assumed that theological discussion deserved a prominent place in the culture, and which assumed that sophisticated intellectual labors were compatible with piety. Some of these assumptions weakened in the hundred years after Edwards's death.... None of them, however, survived in intellectual circles at the end of the nineteenth century. In spite of Edwards's efforts, which had helped keep alive the agenda of that earlier world, his questions were no longer those of America's dominant intellectuals. H i s did not mean that the cultural arbiters had lost their respect for Edwards. Some very learned people even held to a Calvinism similar to his. Yet even for these ones Edwards had become a fossil. ... All treated Edwards as a major figure. None paid attention to his theology. ... But the vast majority of those who paid attention to Edwards treated him as a person without a word for the present, or translated his contribution into terms which Edwards would not have understood." Mark A. Noll, J.E. and Nineteenth-Century Theology, in: N.O. Hatch/H.S. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 260-287, hier: 276f. 5 „It is not too much to say that he is the forerunner of the later New England transcendentalism quite as truly as the author of a modified Calvinism." A.V.G. Allen, J.E., 388. Als Vertreter und Vertreterinnen des Neuengland-Transzendentalismus gelten u.a.: Amos Bronson Aleott (17991888), Ralph Waldo Emerson (1803-1882), Orestes Augustus Brownson (1803-1876), William Henry Channing (1810-1884), Margaret Fuller (1810-1850), Ellen Sturgis Hooper (1812-1848), Henry David Thoreau (1817-1862) und Caroline Sturgis Tappan (1818-1888). VgJ. P. Miller, From E. to Emerson, in: ders., Errand into the Wildemess, Cambridge/London 1956 (Nachdruck 1984), 184-203. 10 „The great wrong which Edwards did, which haunts us as an evil dream throughout his writings, was to assert God at the expense of humanity. Where man should be, there is only a fearful void." A.V.G. Allen, J.E., 388. 11 „All who accept the truth, that divine things are known to be divine because humanity is endowed with the gift of direct vision into divinity, are accepting what Edwards proclaimed, what 7
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Durch Zuordnungen zu bestimmten Traditionslinien versuchte man, die Bedrohung zu entschärfen, die Edwards für ein Amerika darstellte, das sich zunehmend von seiner puritanischen Vergangenheit emanzipierte. Ist aber der „dunkle Strom des Calvinismus" - und damit meint man in der Regel die Verherrlichung Gottes auf Kosten des Menschen - wirklich nur der europäische Nebenfluß der breiteren amerikanischen Kulturgeschichte, der Edwards, den Extremisten unter seinen Repräsentanten, als nicht eigentlich amerikanisch ausweist?12 Mit Edwards, dem Calvinisten, dem Streiter für Gott und gegen menschlichere Gefühle, kamen spätere Generationen nicht mehr zurecht. Man konnte geradezu von Glück sagen, daß sich noch andere Seiten an ihm finden ließen. So bemerkt Joseph A. Conforti, daß Life of David Brainerd mehr Aufmerksamkeit verdient hätte, da es im 19. Jh. Edwards' populärste und einflußreichste Schrift war. Der Beliebtheitsgrad der geistlichen Tagebuchaufzeichnungen seines Beinahe-Schwiegersohnes zeigt, daß Edwards weitgehend gar nicht mehr als calvinistischer Theologe gelesen wurde.13 Entsprechend bestehe, so heißt es, Edwards' wirkungsvollster Beitrag zur evangelikalen Tradition Amerikas darin, wahre Tugend als desinteressierte Benevolenz bestimmt zu haben - eine Charakterisierung, die geneigt ist, die Haltung persönlicher Selbstverleugnung und eines öffentlichkeitswirksamen Aktivismus zu fördern. Edwards' Theologie wurde zu einer Vision progressiver Heiligung, und es ist kein Zufall, daß ausgerechnet methodistische Theologen dem Unterschied zwischen Edwards und der evangelikalen Bewegung kaum nennenswerte Bedeutung zumaßen.14 Im Unterschied zu den evangelikalen Predigern des 19. Jh. bestreitet Edwards die Möglichkeit einer geistlichen und sittlichen Perfektion der Glaubenden in dieser Welt. Dennoch wird seine Religionskritik von einer Aussicht auf bessere Zeiten geleitet, die er im
constitutes the positive feature of his theology. ... These and such as these, in whom the God-consciousness is supreme, are the true continuators of the work of Jonathan Edwards." A.a.O., 388£ Allen sieht hier eine gewisse Nähe zu Schleiermacher, weist aber auf den wichtigen perspektivischen Unterschied hin: „Edwards does not seek to show that an instinct of dependence is rooted in the soul, forming an essential element in the human consciousness, or that its development is important to a complete human culture. He looks at his subject 6 o m the divine point of view, not fiom the human. Human dependence is both true and desirable, because it tends to humiliate man and to promote the glory of God." A.a.O., 57f. 12 „But the dark stream of Calvinism is but a tributary to the flood of American culture; Edwards merely carried to its extreme a tendency brought from Europe; in spite of his patriotism he was not truly an American." H.B. Parkes, J.E. The Fiery Puritan, New York 1930, 254. 13 Edwards wurde von evangelikalen Theologen rezipiert, die sich weniger mit Orignal Sin oder Fnedorn of the Will, als mit Li,fe of David Brainerd, Faithful Narrative, Ritigous Affections und History of the Work of Redemption beschäftigten. Das Edwards-Bild veränderte sich durch diese selektive Wahrnehmung. Er war von Interesse, wo immer er von Bekehrungserfahrungen und Benevolenz sprach und sofern er millennialistische Erwartungen unterstützte. J.A. Conforti, J.E.'s Most Popular Work: „The Life of David Brainerd" and Nineteenth-Century Evangelical Culture, in: ChH 54 (1985), 188201, hier 199f. 14 „Many nineteenth-century evangelicals, however, were not restrained by this ,vein of Calvinism' from advocating doctrines of moral perfection. Methodists, for instance, found that only a slightly selective reading of the Life of Brainerd was needed to make Edwards' thought support an evangelical doctrine of moral perfection." A.a.O., 200.
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Vorwort zu Religious Affections bekennt.15 Das Ausmaß, in dem Life of Datad Brainerd auf die evangelikale Bewegung Amerikas wirkte, kann als Indiz dafür angesehen werden, daß Edwards' Theologie insgesamt viel eher geeignet ist, Impulse zum sozialen Engagement und zur religiösen Reform als zu einer mystizistischen Kultivierung der erfahrenen Gottunmittelbarkeit zu geben. 16 Während im 18. Jh. der Hang zu einer sentimentaleren Theologie einem optimistischeren Menschen- und Geschichtsverständnis entsprach, ist es inzwischen längst üblich geworden, den Menschen mit der harten Wirklichkeit eines Gottes zu konfrontieren, „der sowohl richtet als auch vergibt". Die Wiederentdeckung augustinischer und calvinistischer Traditionseiemen te durch die Neoorthodoxie wird von einer grundsätzlichen Infragestellung des „allzu leichten Gewissens" abendländischer Provenienz begleitet. Die Entlarvung unserer religiösen Gefühle als Selbstglorifizierung, Gruppenegoismus, Arroganz und Unsensibilität für das, was außerhalb unser selbst steht und uns doch erst konstituiert, geschieht beispielsweise durch die ungeliebte Lehre von der Prädestination, die uns auf unsere „prekäre Lage in der Gegenwart eines Gottes" aufmerksam macht, „dessen Wille nicht auf unsere Zwecke reduziert werden kann" 17 .
15 „Not that it is to be supposed that it will always be so: for though there never will, in this world, be an entire purity, either in particular saints, in a perfect freedom &om mixtures o f corruption; or in the church o f God, without any mixture o f hypocrites with saints, and counterfeit religion, and felse appearances o f grace, with true religion and real holiness: yet, 'tis evident, that there will come a time o f much greater purity in the church o f God, than has been in ages past ... And one great reason o f it will be, that at that time, God will give much greater light to his people, to distinguish between true religion and its counterfeits." Ríügous Afftcüons, in: Y E 2 , 8 6 . 16 „An analysis o f the Life's influence, for example, supports the position o f those historians who have stressed the Edwardsian contribution to religious reform and Christian activism, as opposed to that o f scholars who have emphasized that Edwards's thought promoted quietism, even mysticism, and the cultivation o f interior spiritual life." J.A. Conforti, J.E.'s Most Popular Work: „Hie Life o f David Brainerd" and Nineteenth-Century Evangelical Culture, in: ChH 54 (1985), 200. Conforti gibt allerdings zu bedenken, daß Edwards' Wirkungsgeschichte nicht ohne Zweideutigkeiten geblieben ist: E r begeisterte junge Leute für ein Missionswerk, das sich in erster Linie als geistliche Kraftprobe verstand: die Selbstlosigkeit des persönlichen Einsatzes mußte sich in Extremsituationen immer wieder bestätigen. So aber orientierte sich das Interesse der Missionare weniger am Wohl anderer Menschen, die man für den Glauben gewinnen wollte, als an der eigenen Person, die ihre uneigennützige Motivation in aufreibendem Aktivismus bewähren mußte. Dadurch war sie aber unverhältnismäßig stark mit sich selbst und der Fieberkurve ihrer Heiligung beschäftigt! (Ebd.) Auch Norman Fiering meint, daß Edwards den Innenaspekten des Menschseins den entscheidenden Vorzug gibt Seine Ethik sei entschieden anti-utilitär. „Yet Edwards did not intend to equaU the external with the internal, for the proposition is not reversible. It is by no means exceeding absurd for a person with a wicked heart to exhibit in his actions what appears to everyone to be the fruit o f universal holiness. In short, the entire meaning and value o f Christian practice is derived from the inward condition or habitude o f the soul, not from any autonomous or independent criteria, such as promoting the general welfare.... Edwards explicitely denied that outward Christian practice could ever completely exhaust, encompass, or express the fullness o f the inward condition o f holiness. At most, good works can be only a sigi or a minor part o f the whole; the whole is itself grounded in love to being in general, not in benevolence to man or any other practical exercises." N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 353. 17 C. Cherry, The Theology o f J . E . A Reappraisal, Bloomington/Indianapolis 1966 (Nachdruck 1990), 5f.
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Nachdem uns also der Optimismus vergangener Zeiten abhanden gekommen ist, mag Edwards' Theologie uns zu einem alternativen Wirklichkeitsverständnis verhelfen, indem sie uns die Mittel und das Vokabular in die Hand gibt, den „tragischen Sinn des Lebens" zu entdecken und auszudrücken. Den Durchbruch eines postmodernen Geistes, der sich skeptisch und naturalistisch der Fremdheit der Welt ausgesetzt sieht, kündigt in den 30er Jahren bereits Joseph Haroutunian an.18 H. Richard Niebuhr würdigt Edwards als eine Figur der Erweckungsbewegung, die in dem Triumph der amerikanischen Demokratie und im Erwachen eines nationalen Selbstbewußtseins als einer nationalen Bekehrungserfahrung kulminierte.19 Was Edwards' Theologie aber nach wie vor aktuell erscheinen läßt, sei die Haltung seiner Zeitgenossen, denen Edwards offenbar vorhält, „zu kleine Vorstellungen von einem zu kleinen Gott zu haben"20. Die unveröffentlichte Predigt „The Anachronism of Jonathan Edwards", die Niebuhr 1958 in der „First Church of Christ" in Northampton zu Edwards' 200. Todestag hält, liest Donald Weber als Niebuhrs eigene Version von Sinners in the Hands of an Angry God.21 Der Unterschied bestehe allein darin, daß Niebuhr die Erweckungserscheinungen seiner eigenen Zeit nicht als Erweckungen des Glaubens und der Hoffnung, sondern als Erweckungen der Sehnsucht nach Glauben und der Hoffnung auf Hoffnung sieht und im Rahmen dieser hoffnungsvollen Sehnsucht nach einer Regeneration der Sprache Ausschau hält.22 Anregungen von Edwards' Erweckungstheologie für eine Revision von Religion und Frömmigkeit in Amerika erwartet auch John Smith in seiner Einleitung zu Reägious Affections. Vielversprechend seien Edwards' Entdeckung und Beschreibung einer distinkt religiösen Dimension des Lebens, seine Ansicht, daß Vernunft im Zusammenhang mit den unmittelbaren Erfahrungen des einzelnen operiert, und nicht zuletzt sein beharrliches Insistieren darauf, daß Frömmigkeit zwar allein im Verhältnis des einzelnen zu Gott begründet ist und nicht anders begründet werden kann, sich aber einer rationalen Befragung entlang bestimmter Kriterien 18 „If the humanitarianism of Charming is modern, a post-modern mind is already in the making. Its spirit is as yet skeptical and .naturalistic'. It believes itself to be in an alien world. In order to become religious, it must become reconciled with God." J. Haroutunian, Piety Versus Moralism. The Passing of the New England Theology, New York 1932, xxv. 19 H.R. Niebuhr, The Kingdom of God in America, New York 1937,126. 20 .„What was wrong with believers and unbelievers' in Edwards's age, Niebuhr wrote in 1955, in a sentence inflected with the characteristic Niebuhrian rhythm and tone, ,was that they had little ideas about a little God'." D. Weber, The Recovery of J.E., in: N.O. Hatch/H.S. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 64. 21 Ebd. 22 „.The religious revival we are said to have had in recent years has been, so fer as I can see, less a revival of feith in God and hope for glory than a revival of desire fiar faith and a hope for hope.' In its place Niebuhr looked forward to what he called a .resymbolization' of God's .message' — a new language of faith and spirit that, like its historical antecedents, the Reformation and the Great Awakening, would issue in .pregnant words', .new words' of a divinely appointed prophetic era. The current times did not seem to augur well for such a moment of kairos : .unless the human spirit is revived within itself, Niebuhr warned at the end of his career, advances in space technology or cold war rapproachement would avail not, .nothing very important for mankind will happen'." A.a.O., 65f.
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aussetzen darf und aussetzen muß. Angesichts dieses Religionsverständnisses geraten gegenwärtig vorherrschende Konzeptionen ins Wanken — beispielsweise die, die Religion als Moral mit emotionalen Untertönen versteht und diese von einer Vernunft geschieden sieht, die, auf eine „abstractive intelligence" reduziert, nur noch hinreicht „for expressing what is so true in general that it can have no bearing upon the life of the unique individual in particular"23. Man mißverstehe Edwards also, wenn man ihn am Anfang einer Traditionslinie sieht, die Religion und die sie begründende Glaubenserkenntnis emotionalisiert, privatisiert und gegen eine vernünftige Gesprächsfuhrung immunisiert.24 Morton White bestreitet jedoch, daß sich Edwards in Religious Affections in derselben Weise wie in Freedom of the Will einer unabhängigen und unvoreingenommenen Prüfung durch die Vernunft stellt. Die Argumentationsweise unterscheide sich in beiden Schriften erheblich. Während es Edwards in seiner Schrift über die Willensfreiheit gelingt, die moralische Verantwortung des aus Notwendigkeit sündigenden Menschen auch der „natürlichen" Vernunft plausibel zu machen, leuchtet der „übernatürliche" Sinn nur denen ein, die substantiell an ihm teilhaben. Es gibt also eine Vernunft, die allen Menschen vernünftig erscheint, und eine andere, die nur den Wiedergeborenen zugänglich ist.25 Smith meint jedoch, daß Edwards - so sehr er auch die dem Glauben eigene Erkenntnis mit der affektiven Natur des Menschen verbunden sieht — nichtsdestoweniger darauf bestehe, daß sich Affekte weder aus sich selbst heraus erklären noch durch ihre Intensität ausweisen: „Affections do not test themselves and there can be, so to speak, no affectionate testing of affections."26 Worum es Edwards sowie letztlich jeder Erweckungsreligion gehe, sei der personale Charakter des Glaubens. Edwards weiß darum, daß Konventionalismus der Tod der Religion ist — „each individual must confront the issues and make the decision for himself; there is no faith by proxy".27 Edwards' Theologie ist ein Plädoyer für die Vernunft des Glaubens, der gerade da, wo ihm auf höchstpersönliche Weise bestimmte Wahrnehmungen zuteil werden, genötigt ist, Rechenschaft über seine Wahrnehmung abzulegen. In vernehmender und vernünftiger Weise wird der Glaube Stellung beziehen. Robert Jenson sieht Edwards als einen Streiter gegen den Nihilismus der Moderne, die die Welt zur besinnungslosen Apparatur verkümmern läßt. Edwards' 23 J.E
Smith, Editor's Introduction, in: YE2,1-83, hier: 45. Auf eine solche Immunisierung der Glaubenserkenntnis liefe die von David Lyttle vertretene These hinaus, Edwards sähe die Erkenntnislage des Wiedergeborenen durch die Ausrüstung mit einem „sechsten Sinn" begründet. D.J. Lyttle, J.E.' Symbolic Structure of Experience, Ph.D. Diss. Pennsylvania State University 1965; ders., The Sixth Sense of J.E., in: CQR 167 (1966), 50-59. 25 M. White, Sience and Sentiment in America. Philosophical Thought from J. E. to John Dewey, New York 1972, 53. „Because of his strong logical and scientific predilections, Edwards was very anxious not to be accused of being what Locke called an Enthusiast, or someone who did not give understanding its due in religion. He was very eager to steer a course between the lunacy of extreme evangelical religion and what he called formalism, yet it is clear that once Edwards expanded the understanding to the point where it had a sixth sense or,inlet' - to use Locke's word - it was a very diffennt understanding, and the spiritual knowledge that Edwards regarded as the foundation of true religion was a very special kind of knowledge." A.a.O., 51. J.E. Smith, Editor's Introduction, in: YE2.1-89, hier: 48. 27 A.a.O., 49. 24
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Theologie nimmt sich dann wie der Einspruch gegen die Kapitulation vor einem toten Universum aus, eine Kapitulation, die sich gleichermaßen in liberalen und konservativen Haltungen ausspricht. Edwards sei außerdem, so Jenson, ein Kritiker des amerikanischen „Kulturdogmas von der Fairneß" und einer Religion, die Glaube als Therapie versteht und zur Suche nach Selbstverwirklichung motiviert. Dieses Verständnis unterstütze das Auseinanderdriften von Politik und Religion, Privatsphäre und Öffentlichkeit und biete in der Nachfolge Solomon Stoddards und als Wiederaufbereiterin des „Half-Way-Covenant" allen, die mit der bürgerlichen Moral konform gehen, ohne Umschweife Einlaß in die kirchliche Gemeinschaft, um erst dann — möglicherweise — auf eine Konversion hinzuarbeiten. Die Schwachstelle der amerikanischen Gesellschaft sieht Jenson in einem unzureichenden Verständnis menschlicher Gemeinschaft. So begreift der Liberalismus den Menschen als austauschbares und irreduzibles Atom im ökonomischen und politischen Weltraum, als statistische, quantifizierbare Einheit - durchsichtig, beschreibbar, und genauso berechenbar „individuell" wie jedes beliebige andere Atom dieses glasklaren Sozialapparates, das prinzipiell egalitär funktioniert und in dem eine sich dennoch ausbildende hierarchische Struktur damit begründet wird, daß jeder erreichte Status die notwendige Folge eigener Leistungen darstellt.28 Mit diesem Verständnis von Individuum und Gesellschaft werde sich weder Edwards' Vision einer harmonisch gegliederten Gemeinschaft vertragen, noch die provokative, ja geradezu unerträgliche Ausweitung des so unvermeidlich beschränkten sozialen Horizontes menschlichen Handelns, die Edwards in Nature of True Virtue betreibt. Beunruhigend würde zudem Edwards' Infragestellung der uns geläufigen Unterscheidung von Individuum und Gemeinschaft wirken sowie seine Diagnose der Krankheit einer Gesellschaft, die Freiheit als Freiheit von der Gemeinschaft versteht.29 Edwards dagegen repräsentiere eine Version der Aufklärung, die mehr zu bieten hat als eine jeden Gemeinschaftssinn zersetzende Sicht der Dinge, nach der Personen träge Körper sind, die im Raum der Öffentlichkeit miteinander Kontakt aufnehmen und einander in Bewegung setzen.30 Freiheit als Partizipation am politischen Entscheidungsprozeß einerseits oder als Freiheit von der Gemeinschaft und ihrer gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Skala ihrer Werte, also als Spielraum von Möglichkeiten, die ich mir selbst einräume, andererseits — dies sind antagonistische Konzeptionen von Freiheit, die bestenfalls nebeneinander, nie wirklich miteinander bestehen können - besonders da, wo Politik mechani-
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R.W. Jenson, America's Theologian. A Recommendation of J.E., New York/Oxford 1988,
142.
25 „Orignal sin attacks the rigid distinction of individuality from community, as well as the great liberal program of human self-perfecting Freedom of the Will diagnoses in advance the pathology of any society in which freedom becomes freedomfrom community." A.a.O., 143. 0 „America's communal entity has been undone by the practiced supposition that we can be free only by treating one another and regarding ourselves as inerbai masses, bouncing merely causally against each other in public space. But this intrinsically preposterous metaphysics does not necessarily follow from the Enlightenment's vision of freedom." A.a.O., 153.
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siert wird und nur noch die Bedingungen zu schaffen hat, nach denen Freiheit außerhalb ihres eigenen Wirkungskreises, im Privaten, realisiert werden kann.31 Eine Wurzel des Übels sieht Jenson in der puritanischen Tradition selbst, die bereits ein „Kompendium ungelöster Spannungen" sei — nämlich zwischen einem Gott der Nähe und einem Gott der Ferne bzw. zwischen Gott ohne Jesus Christus und Jesus Christus ohne Gott. Wo sich aber die Christologie geschlagen gibt, entstehe ein Protestantismus ohne Reformation bzw. es bilden sich unter bestimmten politischen Voraussetzungen sozusagen zwei nationale „Religionen": die nun völlig immunisierte Religion der „rationalen" ökonomischen Ordnung und die Bandbreite privater Heilsveranstaltungen, denen alles gestattet ist - außer einen Unterschied im öffentlichen Leben oder hinsichtlich des unantastbaren Verhältnisses dieser beiden „Religionen" zu bewirken.32 Die Verhältnisbestimmung zwischen Religion und Öffentlichkeit bzw. die Selbstfindung der Kirche in einer sozialen Umgebung, in der alle Religionen gleichermaßen zu Sekten werden, ist jedoch eine christologische Aufgabe, die sich nicht davon abbringen lassen darf, nach dem Gott zu fragen, den sie bekennt. Was Edwards christologisch erreicht habe und was für die systematische Theologie in Amerika von Bedeutung sei, sei ein „alexandrinisches" Verständnis der Gegenseitigkeit Gottes und Jesu Christi, zu dem Edwards durch den Rekurs auf puritanische Tradition, durch seine Version der Pneumatologie und durch eine über Lockes Auffassung hinausgehende Sicht der Person gekommen sei. In der gewagten Synthese von Calvinismus und Aufklärung sieht Jenson den Impuls für einen Neuanfang theologischen Denkens im amerikanischen Kontext.33 Ähnlich wie Jenson hat bereits James Carse Edwards als eine Gestalt verstanden, an der sich in bestimmten Hinsichten geradezu eine Hoffnung für Amerika bilden kann. Als „Prediger der Sichtbarkeit Gottes"34 unterscheide sich Edwards beispielsweise von seinem Großvater Solomon Stoddard und dessen Geistesverwandten, die den Glauben und die ihm eigenen Gegenstände vor allem durch „Unsichtbarkeit" und „Privatheit" charakterisiert sehen. Für Edwards dagegen ist die dem Glauben eigene Wahrnehmung kein Privatbesitz des einzelnen. Was Menschen in ihrem Verhältnis zu Gott auf zutiefst persönliche Weise widerfahrt, ist von allgemeinem Interesse. Im Blick darauf, daß dem Glaubenden eine neue Welt aufgeht, ist Glaube ein kosmologisches Ereignis und nicht bloß der relative 31 A.a.O., 154fE Jenson meint, Edwards überwinde die hoffnungslose Diskrepanz von Öffentlichkeit und Privatsphäre durch eine Anthropologie, in der die beiden Vermögen der menschlichen Psyche, Wille und Vernunft, miteinander vermittelt werden. " A.a.O., 114f. 33 „The modern situation of the church within the larger community, pioneered by and exacerbated in America, compels us both to affirm our new social position as one sect among many and to assert the God of our gospel as the one true God who creates and rules all, in whose obedience alone the public world can be rigfit with itself This labor is a christological labor." A.a.O., 119. „Edwards' daring must be the model for all: what we must find how to say is that the Jesus who was born, taught, worked, died and rose is himself ,one of the Trinity', that God is not God without him. And it may be that Edwards' peculiar Calvinist and Enlightened way of conceiving this, by die doctrine of the Spirit and by a super-Lockean doctrine of personality, is the rigjit way for an American speculation." A.a.O., 122. 34 J. Carse, J.E. and the Visibility of God, 113.
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und zweifelhafte Erkenntnisgewinn vereinzelter mit sich selbst und ihrer Innerlichkeit allein bleibender Menschen. Eine Theologie, die sich immer wieder um eine Rückbindung ihres auf vielfältige Weise geforderten Redens an die Wahrnehmung nicht ihres privaten, sondern eben des christlichen, in der kirchlichen Gemeinschaft gestalteten Glaubens bemüht, wird immer wieder Aussagen machen, die in einer frag-würdigen Weise assertorisch sind. Denn Glaube ist Glaube an etwas Bestimmtes, und als solcher enthält er die Verpflichtung des Wahrnehmenden auf das, was er wahrnimmt, sowie die Verpflichtung denen gegenüber, denen der Wahrnehmende seine Sicht mitteilen muß. Wenn „Sichtbarkeit" das zentrale Thema der Theologie Edwards' ist, dann läßt sich verstehen, warum man sich immer wieder zu Edwards als dem Prototypen des „öffentlichen Theologen" hinwandte. Als Advokat und Kritiker der die Kolonien erschütternden Erweckungsbewegung habe Edwards — so meint Conrad Cherry - Modellcharakter für die Gestaltung des immer wieder problematischen Verhältnisses von Kirche und Kultur. Denn auch wenn sich die Zeiten geändert haben und man schwerlich auf einen „Edwards redivivus" hoffen mag, brauchen wir - so leitet Cherry seine Darstellung der Theologie Edwards' ein eine Theologie, die sich sowohl gegen den Rückzug der „Liberalen" in die unverbindliche wissenschaftliche Spezialisierung als auch gegen den beschränkten Horizont der „Evangelikaien" zur Wehr zu setzen versteht. 35 Es ist immer wieder erstaunlich, mit welchen Begründungen man eine Auseinandersetzung mit Edwards' Theologie rechtfertigt. So ist Edwards für John Gerstner der Theologe schlechthin, nämlich die längst überfallige Antwort auf Karl Barth, den „bösen Buben" der Theologiegeschichte, der — als einziger auf weiter Flur und noch nicht einmal konsequent - das konstruktive Verhältnis von Vernunft und Offenbarung bestritten habe. 36 Ein Vergleich Edwards' mit allen möglichen anderen Theologen geschieht nicht ohne den unüberhörbaren Unterton: „Was die können, konnte Edwards schon lange, nur viel besser!" So wird der Eindruck erweckt, als müsse man sich, um Theologie zu betreiben, mit sonst niemandem mehr beschäftigen — außer vielleicht noch mit der Bibel. Die Edwards-Rezeption in Amerika bietet zum Teil recht widersprüchige Lobeshymnen. So unterscheiden sich Jensons und Gerstners Hagiographien u.a. darin, daß Jenson in Edwards einen „Barth vor Barth" sieht37, während Gerstner C. Cherry, The Theology of J.E., xxv. „Unlike Karl Barth who believed that that which is philosophical is not Christian and that which is Christian is not philosophical, the Bible, the church in general and Edwards, very particularly, saw a perfect harmony. If this be so, Edwards is in harmony with the main historic position. ... I conclude with a gjance at our own era to see where the church is. If she is more with Barth than with Edwards she is at odds with herself and Edwards may be a necessary corrective." J.H. Gerstner, The Rational Biblical Theology of J.E., I, 35. 37 „In Europe, a long and circuitous history was needed before in the work of Kad Barth the functions were reversed, so that the critique of religion appeared as the gospel's own activity, as God's assault on antecedent religion, on that self-assertion which presumes to be justified otherwise than by faith.... American theology once had an enormous advantage: it started from the point Barth reached, by the gift of one preacher. That we lost our start, and have not participated in the latter European movements, is what makes us .Protestants without Reformation'." R.W. Jenson, America's Theologian, 63. 35 36
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Edwards heranzieht, um ihn gegen Barth ins Feld zu fuhren. Bei solch gegensätzlichen Lesarten drängt sich der Verdacht auf, man wolle mit Hilfe der Theologie Edwards' alles „Fremde" unschädlich machen. Ein Edwards-Fundamentalismus, der den Erweckungstheologen der Kolonialzeit geradezu zur Heilsgestalt stilisiert38, verbindet sich mit einem besonderen Interesse für das bodenständig Amerikanische — was immer das sein mag. Auch das hat Tradition. Schon William Harder Squires'39 Zeitschrift „The Edwardean" stellt den Versuch dar, Edwards als den Vertreter und Erwecker einer „native philosophy" ins amerikanische Bewußtsein zu rufen, das sich schon viel zu lange mit fremden — atheistischen und pessimistischen — Einflüssen, besonders aus Deutschland, beschäftigt habe.40 Die Rezeption der Theologie Edwards' scheint also ein problematisches Selbstverständnis amerikanischer Theologie sowie die Empfindlichkeit eines Verhältnisses — zwischen amerikanischer und deutscher Theologie — zu indizieren. Selten wird bei solchen Einordnungen wirklich entfaltet, worin die besondere Leistung der Theologie Edwards' besteht — außer vielleicht in einem Konglomerat verschiedener theologischer und philosophischer Zugangsweisen, die man für gewöhnlich mit anderen Namensschildern versieht. Wenn es jedoch nicht gelingt nachzuzeichnen, inwiefern Edwards seiner theologischen „Sache" in seinen verschiedenen Schriften nahegekommen ist, nützt es wohl auch nicht, stattdessen ein ganzes Heer gewichtiger Namen zu zitieren, die sich in der ein oder anderen Form einmal über Edwards geäußert haben, als sei er die Sonne am theologischen Himmel, auf deren Aufgang man immer noch wartet. 41
38 In „An Outline of the Theology of J.E." interpretiert J. Gerstner Edwards' Entlassung aus Northampton, seine Zeit in Stockbridge und seine Berufung nach Princeton als seinen „Tod", sein „Begräbnis" und seine „Auferstehung". J.H. Gerstner, The Rational Biblical Theology of J.E, I, 568. 39 Squires promovierte 1901 bei Wilhelm Wundt in Leipzig über Edwards' Willenslehre. Er macht seinem Arger darüber Luft, daß Edwards' Schrift über die Willensfreiheit von deutschen Philosophen überhaupt nicht zur Kenntnis genommen wurde und sich nur Immanuel Fichte einmal zu einer anerkennenden Bemerkung zu Naturi of Trae Virtue hinreißen ließ. W.H. Squires (ed.), Tile Edwardean. A Quaterly Devoted to the History of Thought in America. A Reprint of the original Edition with an Introduction by Richard Hall, Lewiston/Queenston/Lampeter 1991, 48f. 40 „But this Quaterly will emphasize everything American, and recognize the feet that in our native thinker we have a system of philosophy of a particular cast that should be cultivated independently." A.a.O., 2. „Current American thought is suffering 6om its borrowed products. The European systems are fascinating, but they are radically opposed to the fundamental thought of our native philosophy which is profoundly religious; for it points and leads Godward. The speculations of Edwards, the most original our country has produced, are saturated with the spirit of devout religious aspiration. We need to come back to our own American point of view in order to cultivate a native philosophy. We can never adjust ourselves to the German mode of thinking and be natural·" A.a.O., 33f. 41 Eine Aneinanderreihung von Laudationen findet sich bei J.H. Gerstner, The Rational Biblical Theology of J.E., I, 34.
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2.2. Edwards' philosophischer Hintergrund 2.2.1. Edwards und Locke - ein problematisches Verhältnis Ein Name, auf den man in der Literatur zu Edwards immer wieder stößt, ist der Perry Millers. Dieser hat sich besonders durch seine Studien zum Neuengland-Puritanismus hervorgetan.42 Seine bahnbrechende Edwards-Biographie war nur ein Exkurs, der aber in den 50er Jahren dieses Jahrhunderts zu einer Renaissance der Edwards-Forschung beitrug.43 Seine irritierende und Aufmerksamkeit erregende These ist, daß Edwards, der im Laufe der Zeit nur noch als Verfasser glühender Höllenpredigten wahrgenommen wurde, tatsächlich Künder und Vertreter einer neuen Zeit war, der zwar im Gewand der Vergangenheit auftrat, sich aber nicht bei ihr behaften läßt. Diese These beruht auf der Voraussetzung, daß sich der für das koloniale Amerika charakteristische Protestantismus calvinistisch-puritanischer Prägung antithetisch zu den modernen Entdeckungen der Aufklärung verhält. Miller sieht offenbar einerseits den religiösen Obskurantismus, der traditioneller Lehre anhaftet, durch die Gestalt Johannes Calvins repräsentiert, während er andererseits John Locke zu der Symbolfigur der Moderne stilisiert.44 Indem Edwards die Einheit des Menschen in seinem Willen behauptet, unterscheide er sich von Calvin. Dieser folge noch der scholastischen Vermögenspsychologie, deren wesentlicher Aspekt die zeitliche Aufeinanderfolge unterscheidbarer Akte ist: „The essential point of the distinction is the temporal sequence: the will must wait until the reason ,shall have pronounced'." 45 Edwards hält demgegenüber daran fest, daß kein Mensch, weder der natürliche noch der wiedergeborene, in der Lage ist, seinen Willen zu setzen, d.h. aus sich selbst heraus nach 42 Perry Miller (1905-1963) war „Cabot Professor of American Literature" in Harvard und Mitglied des „Institute for Advanced Study" in Princeton (1955-1954). Seine wichtigsten Bücher sind neben seiner Edwards-Biographie: „Orthodoxy in Massachusetts" (1933), „Hie New England Mind: The Seventeenth Century" (1939), „The New England Mind: From Colony to Province" (1954), „Errand into the Wilderness" (1956), „The American Puritans" (1956) und „Hie Legal Mind in America: From Independence to the Civil War" (1962). 43 Sydney Ahlstrom beschließt sein Kapitel ,J.E. and the Renewal of New England Theology" mit den Worten: „The mid-twentieth century has already seen a renaissance of Edwards scholarship, and the signs of the times point to its continuance." S.E. Ahlstrom, A Religious History of the American People, New Haven 1972, 313. 44 Edwards' Modernität ist freilich umstritten. „Far from being the first modem American, therefore, he was the last medieval American — at least among the intellectuals." P. Gay, J.E. An American Tragedy, in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, 250. „Miller seems to have made of Locke a symbol of modernity, just as in The New 'England Mind he used Calvin as a symbol of authoritarian and obscurantist theology. In neither case is the picture accurate." N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 37 Anm. 61. 45 P. Miüer, J.E., 252f.
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Maßgabe einer isolierbaren Vernunft zu wollen. Er wird sich niemals von den Affekten, von Sinneseindrücken, von der Unmittelbarkeit und Unwiderstehlichkeit seiner voluntativen Erfahrung bzw. von Neigungen, die ihm immer mindestens einen Schritt voraus sind, befreien können — auch nicht durch einen voroder zwischengeschalteten Akt der Vernunft. Das, meint Miller, sei Edwards' Hinwendung zur Moderne, darin zeigt sich seine Trennung von Calvin. Bei dieser Einordnung besteht die optische Täuschung darin, daß man die Vielfalt möglicher Einflüsse ausblendet und Edwards zu einem Einzelkämpfer inmitten der nordamerikanischen Wildnis macht, der er nie gewesen sei.46 Diese beschränkte Sicht führe dazu, daß man die Geschichte seiner intellektuellen Entwicklung in einer Weise erzählt, als habe er - zwischen den Zeiten stehend - so unter dem Eindruck von Lockes „Essay Concerning Human Understanding" gestanden, daß er nur noch auf die Sprache, nicht aber auf die Sache seiner puritanischen Tradition rekurrieren konnte. Bei dieser Darstellung gewinne man den Eindruck, als stießen in Edwards zwei geistige „Welten" aufeinander - bezeichnenderweise Welten, mit denen sich amerikanische Geisteswissenschaft immer noch auseinandersetzen muß. So habe sich Edwards anstrengen müssen, seine unorthodoxen mystischen und pantheistischen Ambitionen in Schach zu halten - aber die in seinen Schriften immer wiederkehrende Lichtmetaphorik verrate seine heimlichen und nur mühsam kontrollierten Neigungen. Für Perry Miller steht jedenfalls fest, daß es Edwards nur dank einer enormen Willenskraft bzw. einer im voraus getroffenen Entscheidung innerhalb der Grenzen des überlieferten Calvinismus hält, während er nicht umhin kann, die verstaubten Formen mit neuem, pulsierenden Leben zu füllen. Miller stilisiert Edwards zu dem Entdecker einer neuen, dynamischen Welt, die von Gottes gleichsam überschwappender Gegenwart und von ekstatischer Freude durchflutet wird, einer Kosmologie, in der sich alles dem Willen und der lichten Schönheit Gottes hinzugeben hat und die das strenge Kalkül der Bostoner Rationalisten als recht leblos erscheinen läßt.47 46 „Edwards has been too often pictured as an isolated mental giant, nourished only by the nearmiraculous circumstance of his early exposure to Locke and Newton. Instead he ought to be seen in the larger context of the Atlantic intellectual community in the first half of the eighteenth century." N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 13f. 47 „... Edwards was particularly careful to hold in check the mystical and pantheistical tendencies of his teaching because he himself was so apt to become a mystic and a pantheist The imagery in which a great thinker expresses his sense of thing? is often more revealing than his explicit contentions, and Edwards betrays the nature of his insight when he uses as the symbol of God's relation to the world the metaphor that has perennially been invoked by mystics, the metaphor of light and of the sun.... Holding himself by brute will power within the forms of ancient Calvinism, he filled those forms with a new and throbbing spirit Beneath the dogmas of the old theology he discovered a different cosmos from that of the seventeenth century, a dynamic wodd, filled with the presence of God, quickened with divine life, pervaded with joy and ecstasy. With this insight he turned to combat the rationalism of Boston, to argue that man cannot live by Newtonian schemes and mathematical calculations, but only by surrender to the will of God, by reflecting back the beauty of God as a jewel gives back the light of the sun. But another result of Edwards's doctrine, one which he would denounce to the nethermost circle of Hell but which is implicit in the texture, if not in the logic, of his thought, could very easily be what we have called mysticism or pantheism, or both." P. Miller, From E. to Emerson, in: ders., Errand into the Wilderness, 195. Zu den Bostoner Rationalisten
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Die Vermutung einer Affinität zwischen Edwards' Erfahrungstheologie 48 und Lockes Empirismus drängt sich bei der Lektüre von Religious Affections auf, w o Edwards den für Lockes Erkenntnistheorie fundamentalen Terminus „simple idea" gebraucht — wohlgemerkt, ohne sich ausdrücklich auf den britischen Aufklärer zu beziehen. 49 Nun bestreitet Norman Fiering aber mit Recht, daß bereits die Verwendung des Terminus „Idee" den Einfluß Lockes indiziert,50 und außerdem liegt es nahe, auch für die Konsolidierung des Edwards'schen Idealismus einen anderen Ursprung zu vermuten als seine Locke-Lektüre. 51 Fiering lenkt die Aufmerksamkeit vor allem auf auffallende Parallelen zwischen Malebranche und Edwards. 52 So seien sich beide über die unmittelbare, erhaltende Präsenz Gottes in seiner Schöpfung, die harmonische Ordnung der Welt und ihre fundamentale Einsehbarkeit für den Menschen einig. Beide seien ihrer jeweiligen dogmatischen Tradition verpflichtet und betrieben eine Philosophie, die als kritisches und explikatives Unternehmen den offenbarten Absichten Gottes nachgeht und deren Ziel nicht eine abstrakte, neutrale „Wahrheit" ist, sondern - weil eine solche für beide ohnehin undenkbar ist - eine Wahrheit, die sich am Kriterium der Kongruenz mit den Ideen Gottes zu messen hat.53 Besonders begehörten Increase (1639-1723) und Cotton Mather (1663-1728) sowie die „old limits", die Gegner der Erweckungsbewegung. 48 John E. Smith macht darauf aufmerksam, daß Edwards gar nicht von „religiöser Erfahrung", sondern von „experimental" bzw. „experiential religion" und von „heart religion" gesprochen hat J.E. Smith, J.E.: Puritan, Preacher, Philosopher, London 1992, 56 Anm. 17. 45 YE2, 205f. Anlaß zum selben Urteil hat die vielzitierte Stelle in Samuel Hopkins' Edwards-Biographie gegeben: „In his second year at college, and thirteenth of his age, he read Locke on the human understanding, with great delight and profit ... Taking that book into his hand, upon some occasion, not long before his death, he said to some of his select friends, who were then with him, that he was beyond expression entertained and pleased with it, when he read it in his youth at college; that he was as much engaged, and had more satisfaction and pleasure in studying it, than the most greedy miser in gathering up handfuls of silver and gold from some new discovered treasure." S. Hopkins, The Life and Character of the Late Reverend Mr. J.E., in: D. Levin (ed.), J.E.: A Profile, 5f. 50 Fiering erinnert daran, daß bereits Descartes die Diskussion der „Idee" eingeleitet hat; an dieser haben sich u.a. Nicolas Malebranche (1638-1715) und Antoine Amauld (1612-1694) literarisch beteiligt. Außerdem decke sich Edwards1 Verwendung des Begriffe nicht mit der Lockes. N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 37. 51 Edwards' Entwicklung sei mit der George Berkeleys (1685-1753) vergleichbar. Daher ist in Erwägung zu ziehen, ob sich diese Entwicklung nicht auf dieselben Einflüsse zurückfuhren läßt Im Hinblick auf Berkeley habe man die gängige Annahme einer Abhängigkeit von Locke inzwischen modifiziert und Malebranche und Pierre Bayle (1647-1706) ab Bezugspunkte seines Denkens bedacht. Entsprechend möchte Fiering eine ausgewogenere Edwards-Interpretation anregen. A.a.O., 39f. 52 Vgl. A.V.G. Allens Beobachtung: „In his treatment of excellence Edwards appears as in agreement with Plato's conception of God as the idea of the good. Hiere is also in his tone a still stronger reminder of Spinoza, - the doctrine of the one substance, of which the universe is the manifestation. In some respects also he approximates in these Notes on the Mind to the famous doctrine of Malebranche that we see all things in God; as when it is emphatically asserted that ,the universe exists only in the mind of God'." A.V.G. Allen, J.E., l l f . 53 „TRUTH, in general, may be defined, after the most strict and metaphysical manner, The consistency and agreement of our ideas, with the ideas of God ... Truth, as to external things, is the consistency of our ideas with those ideas, or that train and series of ideas, that are raised in our minds, according to God's stated order and law." L. Howard (ed.), „The Mind" of J.E. A Reconstructed Text, 55
merkenswert sei die Malebranche und Edwards gemeinsame Ansicht, daß sich die Daten der religiösen Erfahrung mit allen anderen Daten menschlicher Erfahrung auf einer Ebene befinden und daß daher erstere nicht weniger als letztere legitime Gegenstände rationaler, gewisser und intersubjektiv gültiger Erkenntnis sind. Dies sei nun freilich der entscheidende Unterschied zu Locke, dessen Forderung, die philosophische Forschung auf Logik und Erkenntnistheorie zu beschränken, auf die Isolation der Theologie hinausläuft. Dagegen liegt Edwards und Malbranche daran, durch die Integration religiöser Erfahrung in die psychologischen Voraussetzungen menschlicher Erkenntnis der Urteilskraft des Glaubens den Rücken gegen eine ihre Unabhängigkeit und Unantastbarkeit erklärende Vernunft zu stärken.54 Im Kontext dieser Beobachtungen rückt Fiering Edwards aus dem Schatten Lockes in den weiteren Zusammenhang der „Republic of Letters", in der ein nicht auf singulare Figuren reduzierbares geistiges Klima eine mehrschichtige Stellungnahme zu den drängenden Fragen der Moralphilosophie und ihren Grenzen erforderlich machte und formen konnte. Es ist Fiering wichtiger, Edwards' Abhängigkeit von einem beschreibbaren intellektuellen Milieu darzustellen, als Abhängigkeiten von individuellen Einflüssen aufzuspüren. Dieses Milieu ist bestimmt durch regen Briefwechsel, Zirkulation von Zeitschriften und privater Buchausleihe.55 In dem Ideenaustausch, der zwischen England, Frankreich und Holland stattfindet, war Neuengland miteinbezogen. Entsprechend verzeichne man Edwards, wenn man ihn als Sprachrohr der amerikanischen Wildnis darstellt56 — oder als ein Genie, das sich in der Beschränkung auf Locke und durch die Schärfe seines eigenen Denkens gegen ein kulturelles und intellektuelles Vakuum behaupten mußte. Daß sich Edwards in seinem Aufsatz über die fliegenden Spinnen eines geläufigen Genres bedient,57 unterstützt Fierings These, Berkeley/Los Angeles 1963, 51. Vgl. Malebranche: „Auf diese Weise hängen unsere Seelen in jeder Hinsicht von Gott ab. Denn ebenso wie er sie den Schmerz, das Vergnügen und alle anderen Empfindungen durch die Stiftung der natürlichen Verbindung zwischen ihnen und unserem Körper, die nichts anderes als sein Beschluß und sein allgemeiner Wille ist, empfinden läßt ebenso läßt er sie durch die natürliche Verbindung, die er auch zwischen dem Willen des Menschen und der Vorstellung der in der Unermeßlichkeit des göttlichen Seins enthaltenen Ideen gestiftet hat, alles erkennen, was sie erkennen, und diese natürliche Verbindung ist gleichfalls nur sein allgemeiner Wille." N. Malebranche, Von der Erforschung der Wahrheit, 3. Buch (PhB 272), Hamburg 1968, 66. 54 N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 51. 55 Fiering sieht in Edwards zwar nicht den einsamen Streiter, aber immerhin den Gipfel der frühen amerikanischen Moralphilosophie. Die Epoche, in der Edwards' Gedanken wurzeln, beginnt Fierings Urteil zufolge 1675 mit Malebranches „De la recherche de la vérité" (1694 erscheinen zwei voneinander unabhängige englische Übersetzungen) und reicht bis 1711, markiert durch die Erscheinung von Anthony Ashley Coopers (Graf von Shaftesbury, 1671-1713) „Characteristics of Men, Manners, Opinions, Times". Innerhalb dieser Wendezeit seien Locke und Newton nicht in der Weise dominant gewesen, wie es später gerne dargestellt wird. A.a.O., 14f. 56 „I am ready to say that the Great Awakening was the point at which the wildemess took over the task of defining the objectives of the Puritan errand. I am the more prepared to say this because Jonathan Edwards was a child of the wilderness as well as of Puritanism." P. Miller, J.E. and the Great Awakening, in: ders., Errand into the Wildemess, 153-166, hier: 153. 51 „Instead, Jonathan Edwards' .Flying Spider' is one specimen only, albeit a felicitous and precocious one, of a well-established genre of whose existence Edwards was probably aware, for his essay was composed in response to a request from England for just such .observations' as he
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daß sich Edwards in einem durchaus kosmopolitischen Milieu entwickelte: provinzielle Isolation wird nur selten spürbar.58 So bildet die Auseinandersetzung um den moralphilosophischen Unterricht in Harvard für Fiering geradezu den „Mikrokosmos" eines Umbruchs, von dem die westeuropäische Ethik insgesamt betroffen war.59 Dieser Umbruch hing u.a. damit zusammen, daß die traditionelle Rolle von Aristoteles' Nikomachischer Ethik seit der Reformationszeit erschüttert war. Nach 1680 müsse man von einer „neuen Moralphilosophie" reden, zu deren Charakteristiken die cartesische Betonung einer neuen axiomatischen Methode zählte. Dazu gesellt sich ein religiöses Interesse am ganzen Menschen. Der „innere Mensch" mit seinen Trieben, Affekten, Leidenschaften und Neigungen wird von katholischen und protestantischen Pietisten, von Anhängern und Gegnern Hobbes' und Descartes' gleichermaßen studiert, und so besticht die Zeit zwischen 1649 und 175960 durch erheblichen psychologischen Erkenntnisgewinn. Bis zur Mitte des 18.Jh. hatte sich das Verhältnis von Gefühl und Vernunft zum drängendsten Problem der moralphilosophischen Diskussion entwickelt. Der Neoaugustinismus der Jansenisten61 und Puritaner bedenkt mit dem moralischen Status der Selbstliebe und der Möglichkeit desinteressierten Handelns zugleich das Konzept der „original depravity", der totalen und durchgreifenden Verderbtheit der menschlichen Natur. Interesse erregt im 18. Jh. außerdem die Willensproblematik.62 Diese wird nicht nur im Zusammenhang mit theologischen Vorgaben (Prädestinationslehre), sondern nunmehr auch mit einer ausfuhrlichen Analyse der menschlichen Natur und unter Berücksichtigung der moralischen Subjektivität und der Verantwortlichkeit des Menschen diskutiert. Dazu tritt eine modifizierte Analyse des Gewissens und die Erhebung der „Benevolenz" zum moralischen Kriterium. -Als Edwards seine letzte Apologie der Erweckungsbewegung, Reügious Affections, verfaßt, war er offenbar mit der benevolistischen Schule noch nicht gänzlich vertraut. Erst nach 1747 las er Hutchesons „Inquiry"63. Hutcheson beschreibt den penned and his essay shows marked similarities to earlier examples of the genre." D.S. Wilson, Hie Flying Spider, in: W.J. Scheick (ed.), Critical Essays on J.E., 205. Allein den Umstand, daß Edwards die Kritik Samuel Qarkes (1675-1729) an Anthony Collins (1676-1729) nicht bekannt war, deutet Fiering als Beleg fur seine gelegentlich provinzielle Abgeschiedenheit. N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 280. 59 A.a.O., 3-7. Vgl. ders., Moral Philosophy at Seventeenth-Century Harvard: A Discipline in Transition, Chapel Hill 1981. 60 1649 ist das Erscheinungsjahr von René Descartes' (1596-1650) „Les passions de l'âme"; 1759 erscheint Adam Smiths (1723-1790) „The Theory of Moral Sentiments". 61 Nach Cornelius Jansenius (1585-1638), der mit seiner theologischen Streitschrift „ A u g u s t i n u s seu doctrina Sancti Augustini de humanae naturae sanitate, aegritudine, medicina adversus pelagianos et massilienses" (1640) eine Reform der katholischen Kirche durch Rückkehr zur augus tinischen Sünden- und Gnadenlehre und gegen den Voluntarismus des Jesuiten Molina zu fördern beabsichtigte. 62 Bereits Edwards' Vater Timothy hatte sich 1694 in seiner Master-quaestio mit der Frage beschäftigt: „Whether indifference is the essence of free will?" N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 23. 63 Francis Hutcheson (1694—1747) verfaßte )r An Inquiry into the Original of Our Ideas of Beauty and Virtue" (1725) und ist Mitbegründer der „moral-sense"-Tradition der angelsächsischen praktischen Philosophie.
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Moralsinn als eine natürliche Veranlagung zu unmittelbarer, unwillkürlicher und unwiderstehlicher Erkenntnis des Guten. Im Moralsinn bricht gewissermaßen der Gegensatz von Natur und Vernunft auf: Was der Vernunft erst über lange Zeit gelingt, ist der Natur bereits als „Moralsinn" eingestiftet und daher ad hoc möglich. Der Benevolismus verbindet sich mit einer Ablehnung der theologischen Rede vom Jüngsten Gericht. So besteht Shaftesbury64 darauf, daß Gott, Welt und menschliche Natur durch und durch gut sind, und fordert die Religion auf, auf eine rhetorische Taktik zu verzichten, die „die Zukunft auf den Trümmern der Tugend aufbaut" 65 . Eine Eschatologie, die sich darin erschöpft, künftige Möglichkeiten von Lohn und Strafe in Aussicht zu stellen, sei für die Förderung moralischen Verhaltens völlig untauglich. Der Sinn für Gottes vergeltende Gerechtigkeit kann dem Menschen nur aufgehen, wenn er sich in ein psychologisches Prinzip verwandelt. Edwards Anthropologie des Wiedergeborenen entspricht auch dieser Entwicklung. Dank dieser Entwicklung ist Moralphilosophie nun längst mehr als eine akademische Disziplin. Der oft adhortative Stil läßt sie geradezu zur Moralpredigt werden. Charakteristisch ist das Miteinander von deskriptiven und präskriptiven Elementen sowie ein ausgeprägtes Sendungsbewußtsein angesichts kollabierender Autoritäten, dem die Auffassung zugrunde liegt, die Entdeckung des Willens Gottes sei unabhängig von traditionellen Quellen möglich, da man von der Beschreibung zu assertorischen Aussagen über den Menschen gelangen könne. Uneinigkeit besteht aber zwischen den Moralphilosophen des 18.Jh., die ihr Unterfangen als Ersatz für die Theologie sehen, und den protestantischen Reformern des 17. Jh. (William Ames, Peter van Mastricht), in deren Tradition Edwards steht und die eine Moralphilosophie im Unterschied zu Moraltheologie („supernatural ethics") für überflüssig halten. Vom Standpunkt höchster Wahrheit gesehen verfechten die Moralphilosophen letztlich nur eine Tugend, deren Schein trügt. Demgegenüber setzt Edwards Tugend mit Heiligkeit gleich, d.h. mit dem Zustand des durch die Gnade Wiedergeborenen. Entsprechend ist der von der Moralphilosophie in Anspruch genommene Gegenstand eigentlich Gegenstand der Moraltheologie. Anders als seine pietistischen Vorgänger setzt sich Edwards aber mit den Ansichten und Einsichten des psychologischen Optimismus seiner Zeit extensiv auseinander. Exkurs: Eine mue Sicht des Menschen— Edwards und die i/ermögenspsychologic Hinsichtlich seines Willensbegriffs habe Edwards - so heißt es - mehr von der protestantischen Scholastik des 17 Jh. als von John Lockes Essay gelernt. Im 17.Jh zeigt Harvard drei Varianten dieser Scholastik: die thomistisch-intellektualistische, die scholastisch-voluntaristische und die augustinisch-voluntaristische Schule.66 Die Vertreter dieser drei Positionen bemühen sich um eine ganzheitliche Sicht der menschlichen Psyche. 64 In: „The Moralists, a Philosophical Rhapsody, being a Recital of certain Conversations on Natural and Moral Subjects" (London 1705). 45 N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 226f. 66 Zum folgenden siehe a.a.O., 262-271.
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Bedeutsam sind vor allem die Unterschiede zwischen den beiden Spielarten einer voluntaristischen Psychologie. Der scholastisch-voluntaristischen Position zufolge bedeuten die Vorgaben der Vernunft wie andere interne Zwänge (Instinkte, Triebe) eine Beschneidung der für die Konstitution des moralischen Subjekts vorauszusetzenden Willensfreiheit. Willensfreiheit ist die Freiheit von allen, dem Willensakt vorausgehenden Einflüssen externer und interner Art. Paradebeispiel der Polemik gegen die intellektualistische Begründung von Entscheidungsakten in einem rational geklärten Willen ist Buridans Esel,67 der sich zwischen zwei völlig gleichen Heuballen in gleicher Entfernung nicht entscheiden kann, weil er keinen vernünftigen Grund sieht, eine Entscheidung zu treffen - als „Intellektualist" könne er aber nur aufgrund eines bestimmten, objektiv gegebenen und einsehbaren Grundes eine Entscheidung treffen. Der scholastisch-voluntuntaristischen Position liegt die Auffassung zugrunde, menschliches Verhalten sei durch den Umstand geprägt, daß der Mensch als Geschöpf Gottes sein Glück nur in Gott als seinem höchsten Gut finden kann. Der Mensch wendet sich, ob er will oder nicht, allen anderen möglichen Gegenständen seines Begehrens immer nur als begrenzten Werten zu, die letztlich nicht glücklich machen und ihn daher freigeben. Er verhält sich dem Universum seiner Gegenstände gegenüber grundsätzlich gleichgültig. Er ist also immer in der Situation des Esels, der Entscheidungen treffen muß, obwohl die Dinge, für bzw. gegen die er sich entscheidet, letztlich belanglos sind - aber sie sind eben gleichermaßen belanglos. Die conditio humana ist daher mit dem angeborenen Wissen von Gott die Freiheit der Indifferenz.68 Uneinigkeit in der scholastisch-voluntaristischen Position besteht hinsichtlich der Frage, ob der Wille nur die „Freiheit der Ausübung" hat oder auch die „Freiheit der Spezifizierung". Ist er also nur frei zu handeln oder nicht zu handeln, oder ist er überdies in der Lage, die Vorgaben des Intellekts zu überspringen und sich mit den möglichen Gegenständen seiner Wahl selbst zu versorgen? Wenn man dem Willen auch die Freiheit der Spezifizierung einräumt, schreibt man ihm zumindest ein gewisses Maß an kognitiver Begabung zu.69 Auch die augustinisch-voluntaristische Position bestreitet die Abhängigkeit des Willens vom letzten Diktat der Vernunft. Der Wille ist mehr „Leidender" als „Handelnder", sofern er entweder den angeborenen oder den eingegossenen Neigungen der Seele folgt. Der Wille wird hier gerne mit den Leidenschaften und den Affekten identifiziert, besonders mit der Liebe, die durch das sie motivierende Objekt qualifiziert wird. Hier stehen prinzipiell nur zwei zur Auswahl: das Selbst oder Gott - und so wie es nur zwei Möglichkeiten der Willensorientierung gibt, gibt es auch nur zwei Arten von Menschen — die, die sich an Gott halten und die, die zuerst und zuletzt nur sich selbst im Blick haben. Der Wille bzw. das Herz des Menschen bewegt sich unvermeidlich in einem Entweder/Oder, das alle seine Regungen und Anstrengungen überschattet. Man versichert allerdings gleichzeitig daß der
Nach Jean Buridan (um 1295-1358), Nominalist und Logiker in Paris. Für die Selbstbestimmung eines indifferenten Willens spricht sich Francisco Suárez (1548-1617) in seinen „Disputationes metaphysicae" (1597) aus. 65 Edwards habe es sich offenbar leisten können, den Nerv der Religion im menschlichen Willen zu lokalisieren, da er in diesen kognitive Funktionen „hineinschmuggelte". „Edwards could afford to abandon the understanding to his opponents because he had managed to smuggle cognitive functions into the heart and will. Since the saint's new sense of heart is a new taste or relish for the excellency of divine thing?, gracious affections always carry with them an apprehension of the truth and divinity of divine things relished. Love must involve a recognition of loveliness, for there can be no love where no loveliness is seen." W. Breitenbach, Piety and Moralism: E. and the New Divinity, in: N.O. Hatch/H.S. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 200, Anm. 18. 67
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Mensch einen besonderen Grad der Freiheit erreichen kann, nämlich aufgrund des Gehorsams gegen Gottes Gebot und in Einklang mit dem Willen Gottes. Dies ist die Freiheit von der Sünde, oft verstanden als Freiheit von der unverhältnismäßigen Lust an „materiellen" Dingen. In diesem Freiheitsverständnis spricht sich weniger das Interesse an der Freiheit als Voraussetzung moralischen Handelns aus als vielmehr an einer Freiheit, die das Ergebnis einer Herzensänderung darstellt. In der Abhängigkeit des Willens von der Gnade Gottes liegt dieser Auffassung zufolge - paradoxerweise die einzige Freiheit, die es wert ist, so zu heißen.70 So behauptet man hier die Komplementarität, nicht den Gegensatz von Freiheit und Notwendigkeit. Die Fähigkeit zum Sündigen, die freie Wahl auch des Bösen, ist entsprechend immer eine Beschneidung, keine Implikation oder Bedingung der Freiheit. Jesu Freiheit von der Sünde, seine Unfähigkeit zu sündigen, wird dagegen als vollkommene und wahre Freiheit verstanden. Daher insistiert man geradezu auf einer sachlich erforderlichen Verbindung von Freiheit und Notwendigkeit bzw. von Freiheit und Frömmigkeit, in der das moralische Subjekt immer so auftritt, als könne es nicht anders handeln. Die Gemeinsamkeit dieser Auffassung mit der der Intellektualisten besteht bemerkenswerterweise darin, daß für beide ein sich selbst bestimmender, kausal ungebundener Wille keineswegs schon Voraussetzung für die moralische Bewertbarkeit menschlichen Handelns ist. Die absolute Willensfreiheit der scholastisch-voluntaristischen Position wird von den anderen beiden Richtungen abgelehnt, als unlogisch, gottlos, unwahr und - überflüssig!
2.2.2. Edwards zwischen Watts und Leibniz: Gott zwischen Freiheit und Notwendigkeit Fiering zählt Edwards mit J o h n Norris (1657-1711), Bischof Berkeley (1685— 1753) und Malebranche der Gruppe der sogenannten kontinentalen Schule zu, die Louis Loeb als „theozentrische Metaphysiker" bezeichnet hatte 71 , da sie die Determination allen Geschehens durch Gott behaupteten und der Materie die Möglichkeiten absprachen, selbständig wirksam zu sein. Die wichtigsten Ingredienzien der Edwards'schen Metaphysik lassen sich daher - so Fiering — wie folgt bestimmen: 1.) als kompromißloses Festhalten an Gottes absoluter Souveränität, was zu einer Bestreitung des Zufalls bzw. indifferenter Spielräume von Möglichkeiten fuhrt. 2.) als Rede von der kontinuierlichen Erhaltung der Welt, in der Gottes unverzichtbare Mitwirkung an allem Geschehen zum Ausdruck kommt. 3.) als Neigung zu teleologischen Erklärungen. Daß alles Sein und Geschehen letztlich von Gott her geschieht, daß es auf ein bestimmtes Ziel hin geschieht. 4.) als Adaption neoplatonischer Typologie. 70 Vertreter der augustiirisch-voluntaristischen Position ist Theophilus Gale (1628-1678), dessen „Court of the Gentiles" (1677) für Edwards' Rtligous Affections eine nicht unbedeutende Rolle spielt Vgf. J.E Smith, Editor's Introduction, in: YE2, 70£ Fiering bemerkt „Gale's compendious work attempted to do many things, but two of its most important functions were to bring Cornelius Jansen's Augustinus to the attention of English readers and to attack Pelagianism." N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 270. 71 N.S. Fiering, The Rationalist Foundations of J.E.'s Metaphysics, in: N.O. Hatch/RS. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 73—101, hier 77.
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5.) als Ablehnung der cartesischen Anschauung, das Wesen der Materie bestehe in der Ausdehnung. Damit verbindet sich eine heftige Opposition gegen materialistische Theorien. Es sei jedenfalls irreführend, Edwards von Locke und dem englischen Empirismus her zu verstehen und ihn dem kontinentalen Rationalismus entgegenzusetzen. In Edwards' Idealismus bzw. Immaterialismus, seiner okkasionalistischen Theorie der Kausalität, seinem Verständnis intuitiv gewisser geistlicher und moralischer Erkenntnis (Herzenssinn), seiner Sicht der durch unveränderliche Gesetze harmonisch geordneten Welt, seinem psychologischen Determinismus sieht Fiering markante Elemente, die nicht von Lockes Essay abhängig sind.72 So ist sowohl Malebranche als auch Edwards daran gelegen, die künstliche Unterscheidung von Natur und Gnade zugunsten letzterer aufzuheben: Natur und Gnade stehen zueinander nicht im Verhältnis der Antithese, sondern gegenseitiger Durchdringung. Nur aufgrund anthropomorpher Rhetorik werden mechanistische Erklärungen gefährlich, denn Gnade erscheint dann als intellektuell unerträglicher Ausnahmezustand, der die Regeln der Natur hintergeht. Dabei ist die kontinuierliche Existenz aller Dinge bereits ein fortgesetztes Wunder, Wirkung der Gnade Gottes, seines erhaltenden Willens, der sich seinerseits nicht anthropomorph beschreiben läßt.73 In Mise. 1263 thematisiert Edwards das Verhältnis von Natur und Gnade sowie von Gottes „Willen" und seiner „Weisheit", wobei es offenbar keine scharfe Entgegensetzung als vielmehr einen graduellen Unterschied von Gottes ungebundenem und regelmäßigem Handeln in der Welt gibt. „Denn von den beiden Arten göttlichen Wirkens, nämlich derjenigen, die ungebunden und derjenigen, die durch festgelegte Gesetze begrenzt ist, ist die erste, die ungebundene, die primäre und die Grundlage der anderen und das, worauf alles göttliche Wirken schließlich hinauslaufen muß und wovon alle Geschehnisse und alle göttlichen Wirkungen hauptsächlich abhängen. ... Wenn ich von einer ungebundenen Handlung spreche, meine ich nicht eine willkürliche im Gegensatz zu einer Handlung unter der Leitung der Weisheit, sondern nur im Gegensatz zu einer Handlung, die gebunden und begrenzt ist durch jene festen Einrichtungen und Gesetze, die gewöhnlich die Naturgesetze genannt werden."74 72
A.a.O., 78. Ist Edwards' Verzicht auf Anthropomorphismen konsequent? In Nature of True Virtue schreibt er. „... that we have not... any other way to conceive of anything which other persons act or suffer ... but by recalling and exciting the ideas of what we ourselves are conscious of in the acts, passions, sensations, volitions, etc. which we have found in our own minds; and by putting the ideas which we obtain by this means in the place of another, or as it were substituting ourselves in their place. ... And this is the only way that we come to be capable of having ideas of any perception or act even of the Godhead. We never could have any notion what understanding or volition, love or hatred are, either in created spirits or in God, if we had never experienced what understanding and volition, love and hatred are in our own minds. Knowing what they are by consciousness, we can add degrees, and deny limits, and remove changeableness and other imperfections, and ascribe them to God. Which is the only way we come to be capable of conceiving of anything in the Deity." Nature of True Virtue, in: YE8, 591 f. 74 „For of the two kinds of divine operation, viz., that which is arbitrary and that which is limited by fixed laws, the former, viz., arbitrary, is the first and foundation of the other and that which all divine operation must finally be resolved into, and which all events and divine effects whatsoever 73
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Ähnlich wie Malebranche, Clarke und Shaftesbury siedelt auch Edwards die Welt Gottes zwischen Freiheit („arbitrariness") und Notwendigkeit an. 75 Die menschliche Vernunft kann die Schöpfung und die sie konstituierenden Naturgesetze nicht ohne Rekurs auf Erfahrung vorwegnehmen. In diesem Sinne läßt sich die Welt nicht vor-denken. Andererseits setzen die fixierten Gesetze den von uns nicht einsehbaren Interventionen Gottes eine von ihm selbst ursprünglich gewählte Grenze. So ist der willkürliche Akt Gottes der notwendige Ursprung seines notwendigen, d.h. an fixierte Regeln gebundenen Handelns, und „je näher wir an Gott herankommen, desto weniger werden wir die Dinge nach allgemeinen Gesetzmäßigkeiten geregelt finden, so daß die Freiheit des ersten Grundes und Lenkers mehr und mehr sichtbar wird. Denn er kann nicht als souveräner Herrscher der Welt, als Gott über alles, gesehen werden, es sei denn, indem man ihn als frei und ungebunden erkennt."76 Fiering geht jedoch so weit, Edwards zum rationalistischsten aller Puritaner zu erklären, denn die Gesetzmäßigkeiten, nach denen Edwards' Gott seine Ordnung schafft und erhält, sind jenseits des bloß Vertraglichen - sie sind der Ausdruck des inhärent Richtigen.77 Edwards ist offenbar daran gelegen, Gottes persönliches Engagement in der Welt mit den die Welt strukturierenden universalen Gesetzmäßigkeiten zu vermitteln. In einer Abhandlung über die Natur des menschlichen Geistes beabsich-
primarily depend upon.... When I speak o f arbitrary operation, I don't mean arbitrary in opposition to an operation directed by wisdom, but only in opposition to an operation confined to, and limited by, those fixed establishments and laws commonly called the laws o f nature." PJE, 185f. 75 Auch fur Samuel Qarke (,Λ Demonstration o f the Being and Attributes o f God", 1705) und Shaftesbury („The Moralists", s.o.) steht der Gott der Weisheit und Güte zu seiner Schöpfung im Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit. Okkasionalismus und Cartesianismus ergänzen einander in der Lehre von der „creatio continua". Gott regiert nach allgemeinen Prinzipien, die die Optimierung des Guten zugunsten des Ganzen intendieren. In einer hierarchisch gegliederten Ordnung kann daher einzelnes untergeordneter Natur nach solchen Prinzipien „geopfert" werden. Die Schönheit und Ordnung der Gnade Gottes wird im Hinblick auf das Ganze ansichtig nicht in Einzelfallen und durch sprunghafte Machterweise. N.S. Fiering J . K ' s Moral Thought and Its British Context, 93-104. 76 „... the nearer we come to God the less and less we should find that things are governed by general laws, and that the arbitrariness o f the supreme cause and governor should be more and more seen. For He is not seen to be the sovereign ruler o f the universe, or God over all, any otherwise than He is seen to be arbitrary." PJE, 192f. 77 „If Edwards is properly designated a Puritan, in his theology he was the most rationalist o f the Puritans, for the laws by which Edwards's God governs are beyond even the contractual or covenantal; they are the exspression o f what is inherently right. In the operations o f grace, as in all o f His actions, God is o f course absolutely free, in the sense that His laws are unconditioned; but He acts in a context that He Himself has predetermined will be far 6 o m capricious. God's supernatural interventions in the world, like the processes o f higher mathematics, are recondite, esoteric, and subtle, but they are not irrational or arbitrary. Except in the rarest o f rare cases - such as the original creation o f matter out o f nothing - God operates by fixed, self-consistent, and orderly principles." N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 343.
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tigt er zu entfalten, inwiefern die „Naturgesetze" die Permanenz des geschaffenen Seins konstituieren - sowohl der körperlichen als auch der geistigen Dinge.78 Entsprechend stelle, so hebt Fiering hervor, Edwards' reife Theologie Gott wie den Regenten einer konstituellen Monarchie dar: Das Gesetz, das den Menschen mit Gottes Willen konfrontiert, und das Gott in seinem heilvollen Handeln am Menschen nicht aus dem Blick verliert, ist unveränderlich und verlangt alles, was es verlangt. Die Gesetzmäßigkeiten, nach denen sich Gottes Wirken vollzieht, sind der Ausdruck eines unbeugsamen Willens; aber sofern sich Gottes Wille in ihnen Ausdruck verschafft, ist er gerade nicht „willkürlich", sondern fixiert und wenn auch begrenzt — einsehbar. Daß beispielsweise Gottes Rechtfertigung des Sünders für Edwards nicht das nachsichtige Hinwegsehen über unvollkommenen Gehorsam oder die nachträgliche Abmilderung des ursprünglichen Gotteswillens ist; daß sich der Glaubende gerade in der Gemeinschaft mit Christus in die bleibende Konfrontation mit Gottes ganzem Willen gestellt sieht; daß andererseits der Heilige Geist auch da wirkt, wo er dem menschlichen Willen einen Sinn für das natürlich Gute eingibt, so wie Illumination als Sensibilisierung für die Wirklichkeit Gottes in gewissem Sinne die Fortsetzung dieser allgemeinen Wirksamkeit des Geistes Gottes - der „common grace" - ist: dies alles zeigt, daß es Edwards darauf ankommt, Gottes Handeln in seiner Einheit und so auch in seiner Rationalität darzustellen.79 Wie Gottes Handeln Souveränität und Regelmäßigkeit in sich vereint, so bildet auch die Geschichte, in der der Mensch seinen Platz hat, das wechselnde Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit ab. Am Anfang, in der Schöpfung der Materie, war das Maximum der Freiheit. Diesem Anfang wird das Ende entsprechen, denn auch im Geist des Menschen dominiert die Freiheit, sofern sich der Mensch erstens weder auf festgelegte Verhaltensmuster noch soziologisch reduzieren läßt, und sofern sich zweitens in der besonderen Gegenwart des Heiligen Geistes Freiheit in Übereinstimmung mit „moralischer Notwendigkeit" ereignet. Am Anfang und am Ende steht die volle Freiheit, so daß die gegenwärtig vorherrschende Notwendigkeit begrenzt ist. Die Geschichte der Welt erscheint dann als eine große Parabel, in der die Ereignisse,* die sich schematisch und invariabel wiederholen, auf Gottes außergewöhnliches Handeln zugehen. Gegenwärtig jedoch halten Naturgesetze Gott und seine Schöpfung zueinander auf Distanz. Der Mensch bildet die Ausnahme: Er steht Gott näher, da er erstens nicht völlig an den monotonen Zwang der Naturgesetze gebunden ist, und da er zweitens in der 78 „36. The manifest analogy between the nature of the human soul and the nature of other things: How laws of nature take place alike. How it is laws, that constitute all permanent being in created things, both corporeal and spiritual." „The Natural History of the Mental World, or of the internal world: being a Particular Inquiry into the Nature of the Human Mind, with respect to both its Faculties - the Understanding and the Will - and its various Instincts and Active and Passive Powers", in: YE6, 386-393, hier 391. James Hoopes macht darauf aufmerksam, daß Edwards noch bis in die 50er Jahre an diesem Projekt gearbeitet hatte. Das vollendete Manuskript wäre der Beweis dafür gewesen, wie sehr Edwards' moralpsychologische Verteidigung theologischer Traditionen von seiner idealistischen Metaphysik abhängt. J. Hoopes, Calvinism and Consciousness from E. to Beecher, in: N.O. Hatch/H.S. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 205-225, hier: 224f Anm. 21. 79 „But all his reflection had a single and radical goal: to work out how all ,the work of God is but one. Tis... but... one scheme, one contrivance'." K W . Jenson, America's Theologian, 102.
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Bekehrungserfahrung der totalen Abhängigkeit von Gottes souveräner Geistesgegenwart maximaler Freiheit so nahe sein kann wie der Gemeinschaft mit dem sich trinitarisch äußernden G o t t der eschatologischen Heilszeit. Denn Gottes Freiheit wie die Freiheit des Menschen erreichen ihren Höhepunkt da, w o G o t t den Menschen ins Verhältnis zu sich setzt. Dabei ist Gottes Wille im Hinblick auf die Etablierung geistlicher Beziehungen weitgehend unerkennbar, und zwar nicht weil er „unpräzise" wäre, sondern weil sein Handeln sich den groben Mitteln naturwissenschaftlicher Forschung und menschlichen Kalkulierens entziehen. Für Edwards ist Gottes Freiheit weder irrational noch auf Momente außerhalb seines Willens reduzibel. G o t t begegnet dem Menschen in den Gesetzen der Natur nicht weniger als in der Religion, d.h. dort, w o er den Willen des Menschen unmittelbar, höchstpersönlich und geradezu physisch erfaßt. G o t t ist der Welt heute nicht weniger unmittelbar gegenwärtig als zu Beginn der Schöpfung, nur daß seine Gegenwart die F o r m naturgesetzlicher Regelung selten überschreitet Außerdem sieht Edwards Gottes unbegrenzte schöpferische Freiheit dadurch begrenzt, daß sie zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen wäre, Häßliches schön und Schönes häßlich zu schaffen. Entsprechend ist die Sensibilität des Wiedergeborenen für die Schönheit des Göttlichen nicht eine von G o t t willkürlich eingestiftete Begabung etwa in dem Sinne, daß „if he had pleased he might have given a contrary sense and determination o f mind, which would have agreed as well with the necessary nature o f things" 81 . D e r geistliche Sinn („spiritual sense") ist weder eine subjektive Erfahrung noch eine persönliche Inspiration, sondern die äußerst realistische F o r m der Wahrnehmung, die sich an die
80 Die Konfrontation des Menschen mit Gottes Gnade wird gelegentlich als „physisch" bezeichnet, um das, was hier mit dem Menschen geschieht, gegen eine Willensbildung durch die Mittel des moralischen Diskurses abzugrenzen. Bei Petrus van Mastricht heißt es zur geistgewirkten Wedergeburt „Tertiò rtgeneraüo, seu regenerandi actus. Non moralis utique, offerendo, & invitando occupato, quemadmodum vocatio; sed physicus vitam spiritualem potenter introducens ... quod regeneratio occupetur circa spiritualiter mortuos, ut ipsis vitam adducat Eph.II.I.5.6. quaenam autem operatio moralis, docendo, offerendo, suadendo, circa mortuum occupati, cum ratione, possit?" Petrus van Mastricht, Theoretico-practica theologia. Editio nova. Trajecti ad Rhenum et Amstelodami 1725 (1714), 660 (Cap. 3, IX). In einer engjischsprachigen Übersetzung ist der Abschnitt „De Redimendorum Regeneratione" in New Haven unter dem Titel „A Treatise on Regeneration" mit einem Anhang „containing Extracts from many celebrated Divines of the reformed Church, upon the same Subject" erschienen (Erscheinungsjahr und Herausgeber unbekannt). In einer Anmerkung zu der offenbar kontroversen Verwendung des Begriffe „physisch" im Zusammenhang mit dem Neuwerden des Menschen vor Gott heißt es: „They use the word simply in opposition to moraL Now a moral operation is the effecting of something by moral suasion or by the laying of arguments and inducements before the mind: but these, however great and strong attended with never so much light in the understanding our author supposes, will not effect regeneration: but supposes there is a positive, immediate act of the divine spirit upon the soul, infusing a new principle of spiritual and divine life; whereby the soul is enabled, or qualified to exercise its natural powers and faculties in a spiritual manner.... But, tho' the generality of the reformed call the regenerating act of God a physical operation; yet I no where find, that they call the change that is wrought in man thereby, a physical change. The immediate term or effect of regeneration according to Van Mastricht is ... grace, spiritual life, &c. which is a moral change in man, or a change of the moral state of his mind; tho' wrought by a physical operation. Nor is there any thing absurd in this, that the operation should be physical; and yet the effect moraL" Treatise on Regeneration, 18. 81 Nature of True Virtue, in: YE8, 620.
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Natur der Dinge hält und ihr auf den Grund kommt. Er ist ein integrativer Teil der komplexen Gesetzmäßigkeiten, durch die sich Gott zu sich selbst sowie zu seiner Welt verhält. Ebenso entspricht der natürliche Sinn für das rechte Handeln („moral sense") als Parallelerscheinung des geistlichen Sinns fixierten Beziehungen, auch wenn er in seiner intellektualistischen Verengung nur begrenzt wirksam ist - d.h. wenn er den Willen, der das Verhalten des Menschen steuert, nicht wirklich und dauerhaft binden kann. Beide Wahrnehmungsweisen jedoch, der geistliche nicht weniger als der natürliche Sinn, belegen Fierings Auffassung zufolge, daß Edwards kein Voluntarist, sondern Rationalist ist. Gottes Handeln ereignet sich innerhalb einer notwendigen Vernunftordnung. Das vertrage sich durchaus mit dem Umstand, daß Edwards' Psychologie des Wiedergeborenen dem Gefühl eine ausschlaggebende Rolle zuerkennt.82 In der Einleitung zu Freedom of the Will überlegt Paul Ramsey, wo Edwards im Verhältnis zu Gottfried Wilhelm Leibniz (1646-1716) und Isaac Watts (16741748) anzusiedeln wäre, teilt er doch mit Leibniz das Prinzip des hinreichenden Grundes und der Identität des Ununterscheidbaren83: Da Gott niemals ohne Grund handelt, gibt es keine zwei völlig identischen Dinge in der Welt,84 und alles, was ist, ist in seiner Partikularität von unschätzbarer Bedeutung. Es steht immer im Verhältnis zum Ganzen. Doch trotz seiner Nähe zu Leibniz, könne Edwards nicht so weit gehen, die faktische Welt als beste aller Möglichen zu bezeichnen.85 Als Voluntarist wäre Isaac Watts viel eher als Edwards der Traditionslinie „Nominalismus — Reformation", also einer Theologie zuzuordnen, deren Zentrum die „Freiheit des Wortes Gottes" ist. Bedingung dieser Freiheit ist, daß es eine unabsehbare Menge von Dingen und Handlungsmöglichkeiten gibt, die an sich völlig indifferent sind und die ihren jeweiligen besonderen Charakter erst und ausschließlich durch einen Willensakt ex nihilo erhalten.86 So richtet sich Watts' zentrales Interesse auf die Wahrnehmung der radikalen Kontingenz, der unüberbietbaren Abhängigkeit alles Seienden von einem Willensakt Gottes - eine Sichtweise, der sich Edwards zumindest in seiner Enfield-Predigt annähert. Dennoch 82 „In the realm of grace, human conceptions of reason and logic do not prevail, although they do in all natural relations." N.S. Fiering, J.E.'s Moral Thought and Its British Context, 345f, Aran. 50. 83 „Thus in replying to Watts, Edwards gains the victory by an eloquent and masterful statement of the principles of sußäent reason and the identity of indiscernibles, which may be compared to the views of Leibniz in his Theodicy and in his lengthy correspondence with Samuel Clarke." P. Ramsey, Editor's Introduction, in: YE1, 1-133, hier: 114. Edwards steht offenbar dem Rationalismus Leibniz' näher als dem Voluntarismus von Isaac Watts'. 84 A.a.O., 115. 85 ,Λ world over which God rules is no doubt a good world, even the best world; but it is not to be termed the best of aU. possible worlds, nor on the other hand are we to say it is not the best that might have been chosen of all the possibilities. It is simply God's world in the whole of it" A.a.O., 117. 86 Watts steht offenbar in der Tradition derer, die auf Gottes Freiheit insistierten und damit dem Gedanken einer Bindung Gottes an „Zweitursachen" entgegentraten. Zweifellos sei das „innere Motiv" seines Denkens die von der Reformation geförderte Frömmigkeit, die bereit war, jederzeit zum Ausdruck zu bringen, daß Gottes Wort nicht gebunden ist „This is his concern when he insists that there are a great many things .perfectly indifferent' to God which yet he may choose to enact" A.a.O., 100.
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erkennt Watts anders als Edwards einen Spielraum von indifferenten Möglichkeiten, von „Adiaphora" an.87 Er hält es für absurd, sämtlichen Willensäußerungen Gottes das Gewicht eines prävoluntativen Einblicks in die Ordnung der Dinge beizumessen. Edwards' Antwort auf Watts würde dagegen lauten: Nur weil aus der Perspektive des Menschen keinerlei Unterschied in den Gegenständen göttlichen Erwählungshandelns zu erkennen ist, heißt das doch nicht, daß Gott nicht bestimmte Unterschiede wahrnimmt, die mehr seinen eigenen Zwecken und Zielen entsprechen als den Qualitäten, die den Gegenständen seiner Wahl inhärent sind. Nur weil uns die Gründe für Gottes Handeln nicht einsichtig sind, muß dieses doch nicht grundlos sein, d.h. objektiver Indifferenz entspringen.88 Ähnlich wie David Hume (1711-1776) versteht Edwards „Kausalität" als die invariable Verbindung von Geschehnissen ohne einen bestimmten produktiven Einfluß.89 Jedoch ist der beobachtbare Zusammenhang verschiedener Veränderungen für Edwards mehr als ein hypothetisches Postulat, insofern er Gottes ordnendes und geordnetes Denken abbildet und daher eine zuverlässige, „notwendige" Korrelation darstellt. Eine Ubersicht über das komplexe Beziehungsgeflecht solcher Korrelationen mag menschliche Wahrnehmungskapazitäten überfordern, würde aber — wäre sie möglich - zu der Entdeckung der „Harmonie aller innerzeitlichen Ereignisse im musikalischen Geist Gottes" fuhren. Hier hat jedes Ereignis seinen notwendigen Ort, indem Gott „mit begründeter Gewißheit weiß, warum es so geschieht, wie es geschieht"90. Einen anderen Zug als die Bindung des Handelns Gottes an die durch und durch strukturierte Rationalität der einmal gegebenen Weltordnung meint dagegen Perry Miller erkennen zu können. In Endfor which God cnated the World zeige sich Gott als der Schöpfer, der den Schöpfungsakt wie ein Künstler vollbringt - „without any A.a.O., 103. Ramsey bemerkt schließlich doch eine Annäherung zwischen Edwards und Watts: „Of course, no man as an object can merit God's favor rather than another nor ougjit he to think that the grace bestowed on him is fit and properly belongs to him. Yet God, in being conversant about acts to be done, may be supposed to find in some actions a .natural fitness' to answer some wise design of his own ... Thus God's own act, which is the proper and immediate object of his volition, may always be from some prevailing motive according to the wisest and best design; and yet men who are objects of his fevor in these acts may have in themselves no more fitness than others who are not How far does this differ from Watts' view that the will of God, by and of itselfj as a free and sovereign power, determines itself in its choice, and as it were makes that which is objectively indifferent so far more agreeable and good to himself by his own choice and determination? Perhaps only in that Edwards enters more into the heart of the divine decision and gives an analysis of the act of choice itself." A.a.O., 106f. 89 „The word [„cause"] is often used in so restrained a sense as to signify only that which has a positive efficiency or influence to produce a thing, or bring it to pass. But there are many things which have no such positive productive influence; which yet are causes in that respect, that they have truly the nature of a ground or reason why some things are, rather than others; or why they are as they are, rather than otherwise." Fnedom of tbt Will, in: YE1, 180. Vgl Misc. 29 („Decrees'): „I acknowledge, to say God decrees a thing .because', is an improper way of speaking but not more improper than all our other ways of speaking about God. God decrees the latter event because of the former, no more than he decrees the former because of the latter.... TTius all the decrees of God are harmonious; and this is all that can be said for or against absolute or conditional decrees." YE13, 216f. 90 R.W. Jenson, America's Theologian, 163. 87
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ulterior object in view, neither for His glory nor for His power, but for the pure joy of self-expression, as an artist creates beauty for the love of beauty"91. Die Frage ist aber, so verteidigt Fiering Edwards' Tendenz zum Rationalismus, ob wir Gott in bizarrer Konfusion suchen wollen und schließlich, wenn wir mehr und mehr auf die Harmonie und Konstanz des Ganzen stoßen, zu Atheisten werden müssen. Was aber geschieht andererseits, wenn wir das Gegenteil entdekken, nämlich eine zusammenhanglose Welt, die aus den Fugen gerät und sich den Regeln menschlicher Vernunft nicht mehr fügen will? Muß man nicht viel eher fragen, ob die schwankenden Erfahrungen von Rationalität und Irrationalität, von Zusammenhängendem und Fragmentarischem überhaupt geeignet sind, unsere Rede von Gott zu begründen, zu erschüttern oder nur anzutasten? Es ist eine beachtliche Leistung puritanischer Theologie, Menschen gegenüber allen möglichen Katastrophen zu festigen. Diese werden ja trotz des Schreckens, den sie verbreiten, nie ohne Bezug auf Gottes Willen gesehen.' 2 Dennoch sei nachdrücklich an die Frage erinnert, die Henry May an die Theologen unter den Edwards-Forschern stellt, nämlich ob es nicht widersprüchlich ist, von Gott als dem Ganz Anderen und Transzendenten zu reden und andererseits sein Wesen und seine Absichten detalliert zu analysieren.93 Das Problem, das in der Frage nach dem Verhältnis von Gottes Freiheit und Notwendigkeit zur Sprache kommt, ist die Frage nach der Einheit von Gottes Handeln, die gerade da auf dem Spiel steht, wo man sich genötigt sieht, dem Gegenüber von Natur und Gnade entsprechend eine Anthropologie des Wiedergeborenen von einer Anthropologie des natürlichen Menschen abzugrenzen.
01 P. Miller, From E. to Emerson, in: ders., Errand into the Wilderness, 194. Weiter heißt es: „God does not need a world or the worship of man; He is perfect in Himself If He bothers to create, it is out of the fullness of His own nature, the overflowing virtue that is in Him.... Edwaids invested his God with the sublime egotism of a very great artist. God created by the laws of His own nature, with no thought of doing good fiar anybody or fiar mankind, with no didactic purpose, for no other reason but the joy of creativeness." A.a.O., 194f. 92 „Puritanism provided a new order, a world view in which nothing not even the worst catastrophe, could come to pass except by God's ordering of events. ... Puritanism offered not merely an alternative vision of the exterior world, but the prospect of an inner order, an inner discipline that could sustain a man in spite of all the vicissitudes of life, and, if necessary, in the fece of any government." A.C. Guelzo, E. on the Will, 17f. 93 „As for his theology, I am certainly not qualified to criticize it, but hope the theologians will tell me whether there is or is not a contradiction between believing, on the one hand, in a God that is both wholly other and wholly transcendent, and on the other hand, analyzing in detail his nature and intentions." H.F. May, J.E. and America, in: N.O. Hatch/H.S. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 19-33, hier 31.
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2.2.3. Edwards als ästhetischer Realist - der ontologische Horizont der Anthropologie 2.2.3.1 Das Bewußtsein — der anthropologische Kern der Wirklichkeit „Aber intelligente Wesen sind das Bewußtsein der Welt; daher muß das Ziel ihrer Schöpfung sein, daß sie Gottes Güte empfangen, daß sie also selig werden. Das folgt auch aus dem Wesen der Seligkeit, das ja in der Wahrnehmung moralischer Schönheit [„excellency"] besteht; denn intelligente Wesen sind als Bewußtsein des Universums geschaffen, damit sie wahrnehmen, was Gott ist und was Gott tut. Dies kann nichts anderes heißen, als die moralische Schönheit dessen wahrzunehmen, was er ist und tut. Ja, er ist nichts als moralische Schönheit; und alles, was er tut, ist nichts als schön."94 Da Wirklichkeit per definitionem eine Gemeinschaft des Geistes ist, in der sich gegenseitige Übereinstimmung ereignet, ist der Mensch als das Bewußtsein der Schöpfung das eigentlich Seiende, das, substantieller als die Materie, seine Substantialität in Gott hat und sich in der Welt der Körper als dem Raum und Garanten der Pluralität und Intersubjektivität zueinander verhält und Einstimmung und Übereinstimmung vollziehen kann. Nicht nur ist Wirklichkeit grundsätzlich nur da gegeben, wo sie wahrgenommen wird, auch der Mensch ist nur da wirklich, wo er sich seiner selbst und der ihn umgebenden Wirklichkeit bewußt wird. Nun ist dieses Bewußtsein aber nicht primär Erkennen und Verstehen, sondern, da der „Sinn des Herzens" der anthropologische Kern der Wirklichkeit ist, Wollen; und in seinem Wollen wird der Mensch wiederum ausschließlich durch das Bewußtsein motiviert.95 Der Mensch ist der Religion fähig, sofern er sich seiner selbst bewußt ist.'6 James Hoopes verweist auf die Naivität der Edwards'schen Psychologie, in der jede Handlung unmittelbare Folge und Ausdruck einer Idee ist, die sich präzise beschreiben läßt und die der Selbstreflexion zugänglich ist, in der menschliches 54 „But intelligent beings are the consciousness of the world; the end, therefore, of their creation must necessarily be that they may receive the goodness of God, that is, that they may be happy. It appears also from the nature of happiness, which is the perception of excellency, for intelligent beings are created to be the consciousness of the universe, that they may perceive what God is and does. This can be nothing else but to perceive the excellency of what he is and does. Yea, he is nothing but excellency, and all that he does, nothing but excellent" Misc. 87, „Happiness", in: YE13, 252. 95 „Nothing can induce or invite the mind to will or act anything, any further than it is perceived, or is some way or other in the mind's view; for what is wholly unperceived, and perfectly out of the mind's view, can't affect the mind at all. "Tis most evident, that nothing is in the mind, or reaches it, or takes any hold of it, any otherwise than as it is perceived or thought of" Freedom of the Will, in: YE1, 142. 96 „The main difference between men and beasts is that men are capable of reflecting upon what passes in their own minds; beasts have nothing but direct consciousness. Men are capable of viewing what is in themselves contemplatively. Man was made for spiritual exercises and enjoyments, and therefore is made capable by reflection to behold and contemplate spiritual things. Hence it arises that man is capable of religion ."Mind, in: YE6, 332-393, hier. 374.
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Handeln also als die ungebrochene und unzweideutige „Verlängerung" des im entscheidenden Augenblick konfliktlos geeinten Bewußtseins erscheint.97 Der philosophische Hintergrund seines Denkens 98 versetzt Edwards in die Lage, die menschliche Psyche als organische Einheit von Herz und Verstand wahrzunehmen und die Dichotomie zwischen Gott und Natur bzw. dem Menschen und der Welt, die er bewohnt, aufzuheben. Zumindest inmitten seiner Bekehrungserfahrung erlebt sich der Mensch nicht mehr als distanzierter Beobachter, sondern als Element oder Teilnehmer der Schöpfung. 99 Dagegen hat der Sünder eine verkürzte und beschränkte Sicht der Dinge - er bleibt bei dem physikalischen, mechanischen Aspekt der Wirklichkeit hängen und stößt nicht zum Wesen, zur eigentlichen Ordnung der Dinge vor: der Identität von Gottes offenbartem Gesetz und den Gesetzmäßigkeiten der Natur. Nur der Wiedergeborene sieht und reflektiert alle Farben des Spektrums, nämlich auch die geistlichen Aspekte der Natur. 100 Daher ist für Edwards der Geist - zunächst Gottes Geist, dann aber auch der Mensch, dessen geistliche Existenz auf Gottes Geistesgegenwart beruht - das substantielle Zentrum der Welt. Entsprechend versteht Loewinsohn Edwards' Variante der platonischen Metaphysik als eine Synthese von platonischer, calvinistischer, Locke'scher und vor allem Newton'scher Gedanken. Gerade als synthetischer Denker bleibe Edwards von Interesse. 101 Als synthetischer Denker erweist sich Edwards da, wo er mit Hilfe metaphysisch-teleologischer Überlegungen den Grundartikel der „Westminster Confession" zu einer Ontologie modifiziert, in der das Sein auf irreversible Art vom Bewußtsein abhängig ist.102 Ohne wahrnehmende Intelligenz und die Einstimmung des Willens gäbe es weder Grund noch Anlaß, von Zwecken oder von Sinn 97 „Yet even on this level o f theological and psychological theory, Edwards seems naive as to the conflicting impulses and tangled motivations o f human beings, especially in his insistence that the cause o f every human action is a conscious idea describable in a single phrase - the greatest apparent good." J. Hoopes, Calvinism and Consciousness from E . to Beecher, in: N.O. H a t c h / H . S . Stout (eds.), J . E . and the American Experience, 206. 98 Ron Loewinsohn bemerkt, daß man bedauerlicherweise dem Einfluß von Newtons „Opticks" auf Edwards' Theologe wenig Aufmerksamkeit schenkte: „Newton's influence on Edwards has never been questioned, but it is usually discussed only by those who comment on Edwards' scientific writings, and these commentators ... have usually focused on the Principia. T o my knowledge, the influence o f the Opticks on Edwards' theology has not been adequately discussed." R. Loewinsohn, J . E . ' Opticks: Images and Metaphors in Some o f His Major Works, in: Early American literature 8 (1973), 2 1 - 3 2 , hier 26f.
" A.a.O., 29f. 100 „There is only one order o f reality, God's revealed law and the law o f nature agree. But sinners see only the physical, mechanical aspect o f reality, as if they saw only by the light o f selected c o l o n o f the spectrum. The saints perceive and reflect the whole o f ligjit, and thus see the spiritual aspect as well." A.a.O., 31. 101 „It is Platonism, yes, but a Platonism that has been subsumed into a system that, for all its faults, is splendidly coherent. And that coherence was achieved through a synthesis o f Calvin, Plato, Locke, and especially o f Newtonian physics and optics. It is a pity that Jonathan Edwards was so thoroughly forgotten so soon after his death. The eighteenth century could have used his unifications o f head with heart, o f God with nature, and o f man with the world he dwells in. Our own century can use those unicifations, too." Ebd. 102 N.S. Fiering, H i e Rationalist Foundations o f J.E.'s Metaphysics, in: N.O. H a t c h / H . S . Stout (eds.), J . E . and the American Experience, 81f.
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zu reden. Wenn man aber aus theologischen Gründen nicht darauf verzichten kann, Zwecke zu behaupten und „sinnvoll" zu denken, muß man das Bewußtsein als grundlegende und notwendige Gegebenheit anerkennen. Auch Sang Hyun Lee schätzt Edwards vor allem wegen seiner Bemühung um eine „wahrhaft moderne Konzeption der Welt"103. So sieht er in Edwards' Ontologie, seiner „dispositional conception of the essence of things", den Eckstein seiner philosophischen Theologie, deren Rekonstruktion uns in die Lage versetzt, seine Schriften in ihrer systematischen Einheit wahrzunehmen.104 Edwards' Erkenntnistheorie beruhe auf dem Vertrauen in den realen Zusammenhang von Wahrnehmung und Wirklichkeit, denn obwohl der Geist als Vorstellungskraft weit über die unmittelbaren Daten der Sinneserfahrung hinausgreift, sind die Produkte seiner Kreativität nicht bloß „Einbildung" und „Phantasmen", sondern die Explikation und Realisierung „objektiv" gegebener Relationen.105 Bezeichnend für Edwards' Kosmologie sei die wechselseitige Abhängigkeit von Natur und Geist. Die „egalitäre Note" in Edwards' Kosmologie besteht darin, daß er die Materie und den mit Intelligenz, Absicht und Kreativität ausgestatteten Menschen nach ähnlichen Gesetzmäßigkeiten strukturiert sieht.106 „Dispositions" und „habits" sind sozusagen die „Naturgesetze" menschlichen Erkennens und Verhaltens. Die Heiligung des menschlichen Geistes verstehe Edwards als Transformation der Person durch Erkenntnis. Wenn das ganzheitliche Leben der menschlichen Person die „Wiederholung" wahrgenommener Schönheit ist, dann wird die Person im Vollzug ihrer Wahrnehmung gleichsam selbst in eine einfache Idee, in einen gleichnishaften Lichtkörper verwandelt.107 Dabei besteht die ontologische Produktivität des Vorstellungsvermögens darin, daß sich die menschliche Person in ihr verwirklicht.108 Als Wiederholung der Schönheit Gottes hat die erneuerte Wahrnehmung des Menschen ihren Grund in Gottes schöpferischem Sein, das sich nicht in seinem jeweiligen Handeln erschöpft. Als Disposition ist auch Gottes Verhältnis zum 103 „In this way, Edwards tries to bring together into a coherent conception the traditional concern with permanence, mechanical and empirical science's insistence upon the primacy of the laws of motion and of observable phenomena, and the Cambridge Platonists' stress upon teleology. And in working out such a perspective, Edwards makes a firm move toward a truly modem conception of the universe." S.H. Lee, The Philosophical Theology of J.E., Princeton 1988,12. 104 A.a.O., 67. 105 „The imaginative activity, conceived of as the function of the mind's habit, exerts its own creativity in setting sense ideas into the relational patterns that are larger than immediately perceived, and yet in that very creativity the imagination is only making mentally explicit the relational potentialities inherent in the ideas themselves." A.a.O., 156. 106 A.a.O., 74. 107 „The whole person is really the channel or power through which a beautiful relation is actively repeated; the perceiver becomes, in effect, a simple idea of beauty. The perceiver becomes an action, a lightsome body' or ,the image of God's own knowledge of himself." A.a.O., 159. „It is not that a person fully exists and then imagines, knows, and loves; it is rather that a person is real as a system of habits and is brought to full actuality or existence througji the exercise of those habits. And it is through the mind's imaginative activity that those habits are exercised. For this reason, the imagination completes the actuality of a person. Hie imagination is ontologically productive." A.a.O., 165.
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Menschen darauf angelegt, sich unendlich zu multiplizieren, immer neu wiederholt zu werden. Als aktuelle und dispositionelle Wirklichkeit ist Gott bereit, unendlich über sich hinauszuwachsen. Das Habituskonzept hilft Edwards auszudrücken, daß und wie Gott zugleich in sich vollkommen und auf schöpferische Weise expansiv ist.109 2.2.3.2. Die Vorstellungskraft Edwards, der Okkasionalist, kennt weder Zwischenräume noch Zwischenzeiten, nur das unmittelbare Gegenüber von Gott und Mensch, die eine Geistgemeinschaft bilden, welche als öffentliche Wirklichkeit zwar noch nicht greifbar, aber gewisser Gegenstand christlicher Hoffnung ist. Diesem Gegenüber wird alles zum Material: über sich hinausweisend, mehrdeutig und zweckdienlich. Vor diesem Gegenüber kann sich kein Materialismus, kein Mechanismus, keine von Gott unabhängige Substanz behaupten. Dem Seienden, das mit Wahrnehmung und Willen begabt ist und dem es bestimmt ist, unendlich in die Gemeinschaft mit und Abhängigkeit von Gott hineinzuwachsen, wird die Welt zum Gleichnis. Alles, was der Mensch zu seinem ewigen Aufstieg zu Gott braucht, ist ein umstrukturierter Wille. Wilson Kimnach bemerkt, daß Edwards in Divine and Supernatural Light™ die Überzeugung ausdrückt, daß der menschliche Geist an einem „idealen Kosmos im Geist Gottes" partizipiert und daher in der Lage ist, geistliche Dinge als Eindrücke zu erfahren, die seinen natürlichen Sinnen unzugänglich sind. Kimnach beobachtet hier eine „easy and logical union of idealism and sensationalism".111 Auch wenn Edwards die Vorstellungskraft zunächst in einem negativen, vorromantischen Sinn versteht, nämlich als den Hang des Menschen, sich täuschen zu lassen, könne man behaupten, daß er in seinen homiletischen Texten um eine größere imaginative Leistung seiner selbst und seiner Adressaten Der Glaube erweist sich als Erkenntnisprinzip, als Anregung der Vorstellungskraft, die der Relationen und Zusammenhänge gewahr wird und deren ästhetische Perspektive Gott als Zentrum erkennt und alles andere ihm zuordnet. Sie erhält 109 „Now, God remains essentially a disposition even while this disposition ii eternally in its full exercise. Thus, God whose actuality is primordial and eternal would still be tending toward further exertions of his diposition and thus toward repeated actualizations. God would still be tending toward further relationships of knowing and loving in a truly beautiful manner. The fully actual God, therefore, is inherently inclined to enlarge, increase, and multiply his own self through a multiplication of beautiful relations. God can add beauty to beauty and being to being. Not that God's being is still in the process of becoming, but God's primordial and eternally completed actuality can be still tending toward an expansion of relationships." A.a.O., 184f. 110 , Λ Divine and Supernatural Light, Immediately imparted to the Soul by the Spirit of God, Shown to be both a Scriptural, and Rational Doctrine; In a Sermon Preach'd at Northampton, And Published at the Desire of some of the Hearers" (Boston 1734), in: SWJE, 65-88. 111 W.H. Kimnach, J.E.'s Pursuit of Reality, in: N.O. Hatch/KS. Stout (eds.), J.E. and the American Experience, 102-117, hier 108. 112 „... Edwards rather consistently reserves the word .imagination' for self-deceptive mental activities, in the manner of pre-Romantic writers generally. Still, in our post-Romantic idiom it would be appropriate to say that he is demanding higher imaginative effort of himself." A.a.O., 107.
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ihren Eindruck von Gott auf den normalen und alltäglichen Kanälen sensorischer Erfahrung - aber unverhofft! - und bedarf dieses Eindruckes, um sämtliche Daten ihrer normalen und alltäglichen Erfahrung neu zu ordnen und sich mit ihnen neu einrichten zu können. So werden in der von der heiligenden Gegenwart des Geistes Gottes umgestalteten Vorstellungskraft alle menschlichen Akte des Erkennens und Liebens Akte der Gottesliebe und der Gotteserkenntnis.113 So wirkt die Gnade „im Kontext der durch Erfahrung gewonnenen Ideen". Die irreduzible Idee des Glaubens wird nicht einer „tabula rasa", sondern einem Geist gegeben, der bereits durch Sinneswahrnehumg und Reflexion seine eigene Prägung gewonnen hat und in der Konkretion dieser Prägung weiterhin bestehen bleibt.114 Die Assoziation von Ideen, aus der das „Weltbild", die „Vision" von Wirklichkeit resultiert, rührt daher, daß Ideen einander hervorrufen. Die Vorstellungskraft phantasiert nicht, sondern zeichnet nach und realisiert, was in den kleinsten Einheiten der Erfahrung und in der dieser Erfahrung zugrunde liegenden Wirklichkeit bereits angelegt ist und auf seine Erfüllung, auf sein Erkannt-Werden wartet.115 Die Kreativität des Geistes abstrahiert nicht von den Daten konkreter Sinneserfahrung, sondern lotet deren Beziehungsreichtum aus.116 Habituelle Imagination kann nicht anders, als die Struktur der Sinneseindrücke aufzuspüren, indem sie den Relationen nachgeht und dementsprechend wahrnimmt, Stellung bezieht und zum Handeln drängt. So ist es der Habitus und die von ihm gestaltete Vorstellungskraft und nicht die diskursiv verfahrende Vernunft, die in der Lage ist, die Relationalität der über die Sinneseindrücke vernommenen Wirklichkeit aufzuspüren.117 Gottes Herausgehen in die Schöpfung und der Herzenssinn des Menschen gehören zusammen wie Licht und Auge: 113
S.H. Lee, The Philosophical Theology of J.E., 144. Er zitiert Misc. 821, „Self-love": , Λ natural (man) may love others, but 'tis some way or other as appendages and appurtenances to himself; but a spiritual man loves others as of God, or in God, or some way related to Him." PJE, 240f. 14 „Yet since the light or new idea of grace has its seat in the mind of man, and since that mind is not empty but is full of ideas derived from experience, grace operates in the context of the experientially derived ideas. Although the knowledge °f faith is not reducible to the mechanics of natural sense experience, yet the mind that . k n o w s ' in the knowledge of faith is not a tabularafaupon which the simple idea is imprinted; it is a mind formed by sense experience and reflection." C Cherry, The Theology of J.E, 49. 115 „All ideas, then, suppose one another and tend to be mutually related. Therefore, when the mind is actively placing its ideas into a relational context larger than what is immediately given in sensation, it is not making any relations ex nihilo but is actualizing in consciousness the relational possibilities inherent whithin the ideas themselves." S.H. Lee, Hie Philosophical Theology of J.E., 134. 116 „The mind does not move away from the ideas of sensation toward higher levels of universality or abstraction but rather stays with them when it is experiencing the relations of those ideas.... Any mysticism of the sort that would abrogate the essential place of time and history in cognition is fundamentally incompatible with Edwards' conception of the imagination." A.a.O., 131. 117 JrAs the conception of the structure of reality moves from the realm of intelligible forms and abstract ideas to the realm of the relations among particulars, the locus of the rational power in the human self also shifts from rationation to imagination. As a person imagines, so will she or he perceive, understand, love, and act." A.a.O., 133.
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„The overflowing fullness of God's glory unites with the sense of it in the redeemed heart. Emanation and participation are indivisible. Being is available only through participan in true Being, just as light is real only in its being seen." 118 Der fundamentale Wirklichkeitsbezug der Glaubenswahrnehmung besteht darin, daß die so Sehenden die Kohährenz ihrer Wahrnehmung nicht schaffen, sondern entdecken. Die Vorstellungskraft geht der Welt nach: der Mensch ist im Blick auf seine Wahrnehmung nicht produktiv.119
2.3. Erweckungstheologie als Mut zur Erscheinung 2.3.1. Edwards' theologische Existenz: die Kirche als Kontext seiner Theologie Für Edwards ist der „Kern der Religion" die religiöse Erfahrung des einzelnen120, da Religion im wesentlichen in bestimmten Erfahrungen besteht, Erfahrungen aber - so sehr sie in Kontexte eingebunden sind - immer primär Sache des einzelnen sind und der einzelne den Ausdruck seiner selbst vor allem im Sinn seines Herzens lokalisiert. Die „wesentliche Privatheit" des Herzenssinnes121 wird zum Problem, wenn Edwards die Verborgenheit des Herzens122 zwar zugibt, es aber nicht bei ihr bewenden läßt. Seine kritische Haltung exzessiven Erweckungserscheinungen gegenüber äußert sich zunächst in dem Bundesschluß, den er am 16. März 1742 seiner Gemeinde aufdrängt. So bahnt sich bereits acht Jahre vor seiner Entlassung aus der Northamptoner Gemeinde, vier Jahre vor der Veröffentlichung von Reägious Affections, die Störung im Verhältnis zu seiner Gemeinde an. Kurz nach seiner Rückkehr von einer Erweckungstournee durch benachbarte Gemeinden, nachdem er seine Gemeinde unter der Obhut eines Vertreters wieder einmal, und zwar nach längerer Durststrecke, im Rausch der Erweckung antrifft, beginnt er, H.P. Simonson, J.E.: Theologian of the Heart, Grand Rapids 1974,154. Simonson hält einen Vergleich mit dem Neothomisten Jacques Maritain für angebracht „It is in the prior experience of the redeemed heart that Edwards believed all the sources of imagination come together, and the first obligation of anyone who claims to envision the wonder of the invisible world is to affirm this original integration, the gift of grace. Jacques Maritain gives a remarkable account of the process. This total integrity Maritain calls .repose', the sense that comes to the soul when it is in .spiritual contact' with itself It is, he says, a state of .refreshment and peace superior to any feeling'. The human soul dies but to live again ,in exaltation and enthusiasm'. The invigorated and vivified mind .enters a happy activity, so easy that everything seems to be given it at once, and, as it were, from the outside. In reality everything was there, kept in the shade, hidden in the spirit and in the blood, all that which will be manifested in operation was already there, but we knew it not. We knew neither how to discover nor how to use it, before having gained new forces in those tranquil depths'." A.a.O., 80f. 120 A.a.O., 57. 121 A.a.O., 62. 122 A.a.O., 63. 118
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gewisse Ansichten und Einstellungen zu revidieren, nach denen er fünfzehn Jahre lang sein Amt gefuhrt hatte. Er beginnt, die Glieder seiner Gemeinde in die Pflicht zu nehmen, ihre Erfahrungen in geordneter Weise auszusprechen und sie einer verbindlichen Prüfung auszusetzen - Kriterien gemäß, die diesen Erfahrungen selbst nicht inhärent sind. Als Voraussetzung für die Zulassung zum Abendmahl gefordert ist auf einmal wieder ein persönliches Glaubensbekenntnis. Mit dieser Forderung stößt Edwards auf Befremden und schließlich auf vehementen Widerspruch. Denn es scheint beinahe, als habe er sich all die Jahre lang versteckt gehalten, und so erhitzen sich die Gemüter in Northampton und Umgebung. Was ist geschehen? Nach puritanischer Ekklesiologie gibt es keine „unsichtbare Kirche" ohne „sichtbare Kirche". Die Kirche als Gemeinschaft „sichtbarer Heiliger" (d.h. derjenigen, die ein Bekenntnis ihres Glaubens abgelegt haben) entspricht der Zuversicht, daß man in der Lage ist, sich der Wirklichkeit der „unsichtbaren Kirche" wie einem Ideal oder einer Sollbestimmung anzunähern. Natürlich räumten auch die Kongregationalisten ein, daß dem Menschen trotz seiner Bemühung um Unterscheidungen das letzte Wort vorenthalten bleibt — nur Gott nebt, was vor den Augen des Menschen unsichtbar ist. Aber indem Menschen bereit sind, ihren Glauben zu bekennen, zeigen sie, daß der Glaube keine Privatsache und die Verborgenheit des Inneren keine Entschuldigung dafür sein darf, sich vernünftiger — und das heißt immer: gemeinsamer - Kommunikation zu entziehen und sich auf den Reichtum der eigenen Erfahrung zu beschränken. Der Bekehrte ist in der Kirche, d.h. er steht nicht allein vor Gott, gerade nicht im Glauben. Die Kirche muß gemeinsam prüfen, und diese Prüfung funktioniert nur, wenn sie in Autorität geschieht, d.h. wenn sie sich trotz ihrer Vorläufigkeit und Unzulänglichkeit als verbindlich versteht.123 „Sichtbar" heißt, den Mut zu haben, sich selbst als „heilig" zu bekennen. Ich muß das, was mir selbst als mein „Inneres" in problematischer Weise anschaulich ist, als Realität anerkennen und nach außen kehren. Ich muß es in Worten und vor allem im Handeln in Relation bringen. Ich bekenne und drücke damit die Bereitschaft oder besser die Zuversicht aus, daß ich mich in meinen Äußerungen nicht widersprechen werden. - Was für eine Zumutung de-
123 In der Cambridge Platform (1648) heißt es: „The things which are requisite to be found in all church members, are, Repentance from sin, and faith in Jesus Christ ... ÏTie weakest measure of faith is to be accepted in those that desire to be admitted into the church: because weak christians if sincere, have the substance of that faith, repentance and holiness which is required in church members: and such have most need of the ordinances for their confirmation and growth in grace." J.H. Leith (ed.), Creeds of the Churches. A Reader in Christian Doctrine From the Bible to the Present, Louisville 1982 (3. Auflage), 394f Von Ausnahmefallen abgesehen, wird erwartet, daß diejenigen, die Einlaß in die Kirche suchen, ihren Glauben persönlich bekennen, „that they make their relations, and confessions personally with their own mouth, as David professeth of himself'. Denn ein „persönliches und öffentliches Bekenntnis", ein „declaring of God's manner of working upon the soul, is both lawful, expedient, and useful, in sundry respects, and upon sundry grounds", a.a.O., 395. Das englische Wort fur den nach kongregationalistischem Kirchenverständnis unverzichtbaren Erfahrungsbericht ist „confession" oder „relation": Letzteres ist ein Wort mit doppelter Bedeutung. Es kann „an existing connection; a significant association between or among things", aber auch „the act of relating, narrating, or telling; narration" bedeuten. H e Random House Dictionary of the English Language, New York 1987 (2. Auflage), 1626.
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nen gegenüber, die gerade angesichts ihrer intensiven Erfahrungen „Feuer und Flamme" waren und die meinten, sie wären unzweideutig am Ziel und daher die Achse, um die sich nun alles dreht - vielleicht noch ein Beispiel für andere, aber selbst schon „gerettet". „Nein!" unterbricht Edwards diesen enthusiastischen Solipsismus. Konsistenz ist gefragt, denn Erfahrung allein gilt nichts. Die Authentizität religiöser Erfahrung schließt die Bereitschaft ein, an der Inkonsistenz zu leiden, sie als solche überhaupt erst anzuerkennen!124 In gewissem Sinne hatte Edwards einfach eine längst überfallige theologische Entscheidung getroffen. Das Dilemma der puritanischen Religionspsychologie und Homiletik hatte nämlich zu einer Doppelzüngigkeit unter den geistlichen Amtsträgern125 geführt: Einerseits bedienten sie sich im Ringen um die wahre Kirche, um die Identifizierung der „sichtbaren Heiligen", einer Rhetorik der Bekehrung. Andererseits insistierten sie auf dem Nutzen der Heilsmittel, der „objektiven oder externen Zeichen" und waren eher bereit, „Heuchler" in die kirchliche Gemeinschaft aufzunehmen, als „wahre Christen" auszuschließen. Auf der einen Seite werden die Predigthörer dazu angehalten, sich entweder hier oder dort anzusiedeln - die beiden Seiten der Menschheit md ja bereits geschieden. Die Erfahrung des Glaubenden - und ihre theoretische Beschreibung zeigt jedoch, daß der Prozeß der Heiligung einen „cycle of repentance, cleansing, and renewal"126 bildet. Angesichts dieses Widerspruchs wird die Heilsgewißheit zum Problem. Die Pfarrer, die „Seelenärzte", wissen keinen anderen Rat, als die Heiligung, „the practice of godly duties"127, als Hinweis auf die Lage des Menschen vor Gott in den Mittelpunkt ihrer Analyse zu stellen und so einem praktischen Syllogismus das Wort zu reden. Das impliziert auch, daß sich die Heiligen von den Heuchlern nicht mehr unterscheiden lassen, sofern nämlich die äußeren Werke der Heiligen, die Zeichen, leicht und überzeugend imitiert werden können. Sprache und Handeln, beides Äußerungen des Glaubens verlieren ihre Aussagekraft. Sie bezeugen nichts mehr. Solomon Stoddard sah in der Interpretation des Abendmahls als Besiegelung eines bereits begonnenen Heiligungsprozesses ein Hindernis für seine um ihre Heilsgewißheit besorgten Gemeindeglieder. Anders als viele seiner Amtskollegen fand er keine akzeptable Lösung darin, die Standards persönlicher Glaubenserfahrung zu senken und seiner Gemeinde zu predigen, es reiche bereits das geringste Maß oder eine mehr oder weniger wahrscheinliche Hoffnung auf den heilswirksamen Glauben aus, um sich selbst als bekehrt und vom Geschehen der Heiligung erfaßt erkennen zu können. Einige Geistliche gingen so weit, die persönli124 Die Realität des neuen Menschen mag unscheinbar sein, aber sie verträgt sich nicht mit dem, was sie „hinter sich" gelassen hat „The word of God abides in the heart of a regenerate person as a holy seed, a Divine principle there, though it may be but as a seed, a small thing. The seed is a very small part of the plant, and is its first principle. It may be in the heart as a grain of mustard-seed, may be hid, and seem to be in a great measure buried in the earth. But yet it is inconsistent with wickedness. The smallest degrees and first principles of a Divine and holy nature and disposition are inconsistent with a state of sin; whence it is said ,he cannot sin'." Trtaäsi on Gract, in: SUW, 19-56, hier 24. 125 D.D. Hall, Editor's Introduction, in: YE12,35. 126 A.a.O., 33. 127 A.a.O., 34.
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che Heilsungewißheit als „ein Zeichen geistlicher Gesundheit"128 zu lesen. Stoddard sah darin eine noch größere Gefahr: Der Glaube würde mehr und mehr zu einer unscheinbaren, ja unwesentlichen Angelegenheit, zu einer Erfahrung ohne Erfahrung, zu einer Worthülse. Als engagierter Erweckungsprediger konnte Stoddard diesen Degenerationsprozeß nicht hinnehmen. Daher empfahl er die Aufhebung jener Zuordnungen, die man im „Half-Way-Covenant" im Hinblick auf Taufe und Abendmahl getroffen hatte und wies so den Gedanken zurück, Menschen seien in der Lage und im Rahmen ihrer kirchlichen Gemeinschaft verpflichtet, eine auch nur vorläufige Unterscheidung zwischen Sündern und Heiligen zu treffen. Letztlich geht damit auch die Vorstellung über Bord, daß Menschen entweder ganz von den Verstehensbedingungen des „natürlichen Menschen" oder ganz von den Verstehensbedingungen des „Wiedergeborenen" geprägt sind — und diese Vorstellung ist ja die Grundlage einer Bekehrungsrhetorik, derzufolge der Gebrauch der Heilsmittel grundsätzlich begrenzt ist und nur funktionieren kann, wenn er der Erwartung Raum gibt, daß eine erfolgreiche Kommunikation von jenseits ihrer eigenen Möglichkeiten unvermittelt geschehen wird. Für Stoddard ist das für die „visible sainthood" erforderliche Mindestmaß persönlichen Glaubens das Bekenntnis eines „historischen" Glaubens, nämlich die intellektuelle Zustimmung zu bestimmten Glaubenssätzen. Weder fur Stoddard noch für Edwards' Onkel, William Williams, ist die Kirche im Besitz sicherer Kriterien, um Bekehrungserfahrungen zu identifizieren. Gleichzeitig strengte man sowohl die Predigt als auch Taufe und Abendmahl als Mittel zur Intensivierung persönlicher Glaubenserfahrung an. Läßt sich aber die Rede von spezifischer religiöser Erfahrung überhaupt noch erhalten, wenn man im selben Atemzug zugibt, daß sich diese Erfahrung nicht ausweisen kann? Edwards wird in Reägious Affections darauf bestehen, daß die Regeln und Zeichen wahrer religiöser Affekte unfehlbar sind: Der Kirche sind in der Tat Kriterien der Unterscheidung gegeben, auf die sie nicht verzichten darf. Das Urteil der Kirche über diejenigen, die ihr zugehören oder von ihr ausgeschlossen werden, ist fehlbar - aber nicht aufgrund mangelhafter Kriterien, sondern wegen der fast immer getrübten, unzulänglichen Wahrnehmung: sofern auch die „Heiligen" die vollkommenen Zeichen der „Heiligkeit" nicht in vollkommener Weise besitzen, sofern ihre Erfahrung immer wieder von Rückschlägen und Ausrutschern („backsliding") durchsetzt ist, bekommen sie weder die Schönheit Gottes und seines Heilshandelns noch den wirklichen Charakter ihrer eigenen gestalthaften Gemeinschaft ungetrübt und ohne wiederholte Bildstörungen zu sehen. Edwards' Versuch, Unterscheidungsmerkmale authentischer religiöser Erfahrung aufzuzeigen, ist jedoch als gescheitert angesehen worden. In diesem Schei-
128 A.a.O., 40. Vgl. William/Youngs' Bemerkung zu einem Grundzug der puritanischen Frömmigkeit: „Since Puritans were never certain when they would feel themselves near to God, they made a virtue of the longing for grace. ,A sure siga of grace is to see no grace, and to see it with grief, wrote Samuel Garke. /The greatest part of a Christians' grace', said Tilomas Shepard, Jies in mourning for the want of it'." J. William./T. Youngs, The Congregationalists, 40.
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tern erkannte man ein Indiz dafür, daß dem Menschen grundsätzlich nur die Zuflucht ins „Sichtbare" bleibt. 129 Eine Sicht ohne Bildstörung, vor allem hinsichtlich der eigenen Heilsgewißheit, fordern
dagegen die „new lights" der Erweckungsbewegung: „Visible saint" sei
nur, wer für sich selbst eine „füll assurance" behaupten kann. Für die „new lights" wird die unmittelbare Selbstgewißheit zum Erkenntnisprinzip, dem alles unterworfen wird - d.h. ich erkenne unmittelbar und irrtumslos, wie es um mich und um andere Menschen vor G o t t steht. 130 Kontrovers verhandelt wird die Frage, ob Menschen das Recht und die Fähigkeit haben, die religiöse Erfahrung sichtbarer Christen zu identifizieren und auf dieser Grundlage die Heiligen von den Heuchlern zu sondern, so daß sich zwei besondere
soziale
Gruppen
herausbilden.
Denn
das
hieße
anzunehmen,
Menschen seien berechtigt, innerhalb der sichtbaren Kirche eine zweite sichtbare Kirche zu schaffen. Dagegen versteht Edwards „visible Christians" als Angehörige üner sozialen Gemeinschaft,
die
einander
im
Lichte
einer
„public
charily"
annehmen
können. 1 3 1 Von dieser eher vorsichtigen Ekklesiologie, die der Haltung seines Großvaters angenähert ist, wird sich Edwards später entfernen. Seine Einstellung religiöser Erfahrung gegenüber erweist sich als äußerst differenziert. Reügious Affections wäre gar nicht entstanden, hätte er das Wagnis einer Unterscheidung zwischen wahren und scheinbaren Christen nach wie vor für unsachgemäß oder unmöglich gehalten. 132 Bemerkenswert ist jedoch Edwards' zunehmendes Miß-
125 So William James: „In der Geschichte der christlichen Mystik war das Problem stets schwer zu lösen, zwischen solchen Botschaften und Erfahrungen, die wirklich göttliche Wunder waren, und anderen zu unterscheiden, wie sie der Teufel in seiner Bösartigkeit betrügerisch nachahmen kann, um so die religiöse Persönlichkeit zweimal so stark wie zuvor an die Hölle zu binden. Dies verlangte allen Scharfsinn und alle Erfahrung der besten Führer des Gewissens. Am Ende gelangt man zu unserem empirizistischen Kriterium: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, nicht an ihren Wurzeln. Jonathan Edwards' Tnatise on Ríügeus Affections ist eine detaillierte Ausarbeitung dieser Illese. Die Wurzln der Tugend eines Menschen sind für uns unzugänglich. Keinerlei äußeres Anzeichen kommt als untrügjicher Beweis der Gnade in Betracht. Unser Handeln ist das einzige sichere Zeugnis - sogar für uns selber - , daß wir in Wahrheit Christen sind." W. James, Die Vielfalt religiöser Erfahrung, Darmstadt 1979, 29f. 130 D.D. Hall, Editor's Introduction, in: YE12,47. 131 „To suppose that men have ability and right to determine the state of the souls of visible Christians, and so to make an open separation between saints and hypocrites, that true saints may be of one visible company and hypocrites of another, separated by a partition that men make, carries in it an inconsistency: fiar it supposes that God has given men power to make another visible church within his visible church; for by visible Christians, or those that are of God's visible church, can be understood nothing else than that company that are Christians or saints, visibly str, Le. that have a right to be received as such in the eye of a public charity. None can have (the) right to exclude any one of this visible church, but in the way of that regular ecclesiastical proceeding, which God has established in his visible church." „Distinguishing Marks Of a Work of the Spirit of God. Applied to that uncommon Operation that has lately appeared on the Minds of many of the People of this Land: With a particular Consideration of the extraordinary Circumstances with which this Work is attended" (Boston 1741), in: YE4, 286f. 132 „There he took up the question of sincerity as judged by .Christian practice' and the evangelical dictum that, despite the many difficulties in the way, the godly could be differentiated from the profane." D.D. Hall, Editor's Introduction, in: YE12, 57.
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trauen gegenüber Erfahrungsberichten.133 Bezeichnend ist bereits Edwards' Einstellung zu seinem eigenen Erfahrungsbericht. Nachdem er jahrelang die Spuren der Wirklichkeit in seinen diversen Bekehrungserfahrungen gesucht und entziffert hatte, bemerkt er schließlich, daß er jetzt wohl den Stand erreicht hat, an dem sich nicht mehr viel ändern wird. Wäre er jetzt nicht zuversichtlich, daß es eine vitale, wenn auch nicht aufzuklärende Verbindung von Wirklichkeit und Erscheinung gibt, eine Verbindung, die die Gestalt werdende und sich wieder auflösende Erscheinung trägt und am Leben erhält, dann müßte er wohl an sich selbst und an Gott verzweifeln. Ohne diese Verbindung wäre alles bedeutungslos. Das, wonach er Ausschau hält, die ihn konstituierende Bekehrung, gäbe es so wenig wie den „Gegenstand" dieser Kehrtwendung: Es gäbe nichts worauf sich der Blick des Glaubenden richten könnte, nichts Wirkliches, was der Mensch im Glauben wahrzunehmen hätte. Vielleicht ist es dieser Abgrund des Nihilismus, den Edwards ahnt, nachdem er lange Zeit stillschweigend dem Stoddard'schen Weg gefolgt ist: Es gebe nichts jenseits unserer spärlichen Erfahrungen — und daher keinen Grund, sie zu bekennen und miteinander zu prüfen, keinen Grund Unterscheidungen zu treffen. Im Glauben wie in allen anderen Lebensbezügen würden Menschen eine ihnen fast tröstliche Gemeinsamkeit darin finden, daß sie sich die wie auch immer beschaffene erforderliche Erfahrung selbst schaffen, einreden, einander vorbehaltlos und kritiklos gewähren können - weil ein Gott, von dem man glaubt, daß es ihn nicht gibt, von überall her und auf alle möglichen Arten erreicht werden kann.
2.3.2. Die Theologie der Sichtbarkeit und das Problem der Relativität Eine durch James Carse vertretene Interpretationslinie betont, daß Edwards nicht eigentlich einen praktischen Immaterialismus oder Idealismus vertritt, obwohl er in der Tat alles, was ist, in Gottes Geist begründet sieht. Hingegen bestehe er darauf, daß es nicht nur erlaubt, sondern sogar notwendig sei, auf die alte, gewohnte Weise über die Dinge zu sprechen, als wären sie „außerhalb" des Geistes, als wäre „Materie" tatsächlich das, was sie zu sein scheint. Erstens taucht im All-
133 „Historians of religion in early New England have frequently assumed that Edwards wanted to restore the requirement of a relation of spiritual experience. ... But as Edwards strenuously insisted in his letter of May 1750 to Peter dark, he did not specify the procedure of a relation. The Humble Inquiry is infused with a distrust of narratives of spiritual experience, a distrust rooted in his longstanding discontent with the traditional vocabulary of stages as well as in his disenchantment with the New Lights. He turned, therefore, to the traditional alternative, the act of profession. The two model professions he published in Misrepresentations Cometed seem remarkably benign. What they do not adequately convey are three crucial aspects of the process of admission: first Edwards' insistence, voiced at great length in these treatises, that candidates declare that they possess .true godliness'; second, and closely related, that anyone making a profession do so .heartily', which is to say, do so on the basis of an .inward assent' that saving grace alone made possible; and third, that those embarking on this process seek the counsel of a minister skilled in differentiating the sincere from the hypocritical. During that encounter, candidates were undoubtedly expected to describe the work of grace." A.a.O., 61f.
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tag die Frage nach der Natur der Dinge gar nicht auf134, und zweitens kann man nur im Vertrauen auf den gewohnten Gebrauch der - Dinge außerhalb des Geistes voraussetzenden - Sprache die Vereinzelung überwinden und Bedeutung öffentlich, d.h. anderen zugänglich machen. Edwards halte Lockes Substanzbegriff jedenfalls nicht nur für sachlich falsch, sondern außerdem für überflüssig. Das dem Menschen zuhandene Kriterium der Wahrheit sei nach Edwards nicht das, was „wirklich ist", sondern das, was in Erscheinung tritt. Im Hinblick auf die Natur religiöser Erfahrung hieße das, daß der Mensch auf das angewiesen ist, was ihm in seinem Leben begegnet — „Gott" ist folglich nicht eine neue Kategorie der Erfahrung, eine Sinnsphäre, die dem einzelnen in einer privaten Beziehung offensteht.135 Authentische religiöse Erfahrung erweist sich gerade darin, daß sie sich mit dem Stoff begnügt, aus dem menschliche Erfahrung normalerweise gemacht ist: aus dem, was in den abgebrochenen Geschichten der uns nahestehenden Menschen fragmentarische Gestalt findet.136 Die vertrauensvolle Hinwendung zur Erscheinung unterstützt Edwards durch seine abweisende Haltung gegenüber einer mechanistischen Erklärung der Willensbewegungen und der Sittlichkeit. Der Mensch in seinem Willen ist der nicht kausal reduzierbare Teilnehmer am nicht fixierbaren Geschichtsverlauf. Dem Umstand aber, daß hier alles im Fluß ist, entspricht die Notwendigkeit, sich an das, was erscheint, zu halten. Schließlich ist das „Ding an sich" — das, was „wirklich" ist, ohne wahrgenommen zu werden - irrelevant. Was außerhalb unseres Gesichtskreises ist, wirkt sich auf unseren Geist nicht aus.137 Wohin der Mensch seinen Blick richtet, ist der Ort, an dem er im Akt der Wahrnehmung verweilt. Hier lokalisiert Edwards das Motiv, das die Willensbewegungen des Menschen gerade dadurch erklärt, daß es darauf verzichtet, sie in etwas anderes hinein- und damit aus der Welt hinauszuerklären. Nur durch diesen Verzicht bewahre die motivierte — nicht „verursachte" — Sittlichkeit ihre Sichtbarkeit und der Mensch seine „Geschichtlichkeit".138 Ein praxisrelevantes Wirklichkeitsverständnis, das sich an Sichtbarem orientiert, das hier sein Maß und seine Grenze hat, sei schließlich das, was Edwards und John Winthrop (1588-1649) gemeinsam haben: Beide verstünden die Kirche als Vorhut einer idealen Gesellschaft. In ihr sollen die Normen gelebt werden, denen 134 „No farmer in East Windsor would have paused to settle any doubts he might have had as to whether the stones forced up by the frost were real or ideal. They were just plain stones, as any fool could see." J. Carse, J.E. and the Visibility of God, 40. 135 „If we can use the word ,God' at all meaningfully, it is not because we have some private relationship with a distant being which no other person can see, but because there is some obvious basis of agreement for the use of the word within a certain human community." A.a.O., 44. 136 „He is saying that our relationship with God, and our knowledge of him, is made up out of the stuff of life. God comes to us not out of the sublime machinations of an unseeable and eternal universe, but out of the confused, unfinished histories of persons we know by name and sigjit and touch. From this point on, all of Edwards' talk about God had to do with the way men were to live with one another." Ebd. 137 „That which falls outside our view, therefore, has no effect on our mind." A.a.O., 58. 138 „It is Edwards' design to put man squarely back into the dimensions of history." A.a.O., 62.
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die Gesellschaft nur folgen kann, wenn sie in der Gemeinschaft der „visible saints" in Erscheinung treten. So müsse die Kirche für die Welt zum Hinweis auf das „größte in Erscheinung tretende Gut" werden.139 Daher sei Edwards auch als Prediger der Vertreter einer radikalen Diesseitig- und „Jetztzeitigkeit".140 Die Drohgebärden des Erweckungspredigers sind nichts anderes als Hinweise auf gegenwärtige und tatsächlich mehr schlecht als recht verschleierte Tendenzen, die früher oder später zu Katastrophen fuhren — auch wenn Menschen noch so sehr daran gewöhnt sind, sie zu übersehen und zu leugnen. Carses Konzentration auf die Rolle, die die Erscheinung in Edwards' Erfahrungstheologie spielt, mag einen anderen wichtigen Aspekt in Edwards' Denken vernachlässigen, nämlich sein Gespür dafür, daß das „Herz" verborgen bleibt, sich dem sehenden Zugriff des ständig manipulationsbereiten Menschen entzieht und doch - vor Gott - den eigentlichen, wenn auch nicht ausschließlichen Kern unserer Wirklichkeit bildet.141 Diesem Aspekt wendet sich Richard Bell zu.142 Religiöse Erfahrungen als ein Geschehen in der Privatssphäre des einzelnen bleiben grundsätzlich jedem Blick von außen verborgen. Die Qualität innerer Erfahrungen erweise sich aber in der äußeren und für andere sichtbaren Praxis des Menschen, und Reflexion gebe dem eigenen Gewissen Aufschluß über das Verhältnis von Praxis und Innerlichkeit, die diese aus sich entläßt. So kann ein Urteil über die Aufrichtigkeit des Verhaltens und über das Maß der Übereinstimmung von Sein und Schein gewagt werden. Eine Spannung bestehe aber zwischen der religiösen Erfahrung und unserer Fähigkeit, diese zu verstehen und zu vermitteln. Es bedürfe eines „grammatikalischen Hintergrundes": Um zu verstehen, sind wir auf die Traditionen angewiesen, die auf unsere persönliche Erfahrung erst das nötige Licht werfen. Der Zwang zur Öffentlichkeit beruht daher auf der Komplementarität von Kontemplativem und Praktischem - kann beides zur Deckung gebracht werden,
135 In Winthrops berühmter Predigt „A Model of Christian Charity" (1630) heißt es: „... wee must be knitt together in this worke as one man, wee must entertaine each other in brotherly Affeccion, ... allwayes haveing before our eyes our Commission and Community in the worke, our Community as members of the same body, ... for wee must Consider that wee shall be as a Gtty upon a Hill, the eies of all people are uppon us; soe that if wee shall deale falsely with our god in this worke wee have undertaken and soe cause him to withdrawe his present help from us, wee shall be made a story and a by-word through the world." E.S. Morgan (ed.), Puritan Political Ideas, Indianapolis 1965, 92f. 140 J. Carse, J.E. and the Visibility of God, 16Z VgJ. a.a.O., 155: „Edwards' appeal is not to the fancy, but to the will. He is not giving us a world that will exist if only we can take our attention from the immediately given; he is giving us a world in which we will exist if we fail to heed the true nature of the immediately given. Edwards is giving us a world which our present wills surely will create if they persist in the spiritual languor. Look where you are now, he is saying. Not then, but NOW!" 141 Diese Einseitigkeit äußert sich beispielsweise da, wo Carse bei seiner Edwaids-Darstellung zu dem Schluß kommt, das Übel, das uns in unserem Leben trifft, sei nicht eigentlich kontingent, sondern widerfahre uns so, wie wir es verdienen. „What befalls us in this life comes not by accident, but by desert. Our relation to evil is not properly to be described in terms of passive victimization, but rather in terms of the intending will; not in terms of what happens to us, but in terms of what we actually do." A.a.O., 80. 142 R.H. Bell, On Trusting One's Own Heart Scepticism in J. E. and Soren Kierkegaard, in: History of European Ideas 1 2 / 1 (1990), 105-116.
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dann ist die Gewißheit des Urteils, daß es sich hierbei um authentische Erfahrung handelt, so groß, daß sie mit gutem Gewissen behauptet werden kann. Daher ist das zwölfte Zeichen religiöser Affekte, das Handeln, für das Wachstum in der Erkenntnis des Glaubens unerläßlich.143
2.4. Die Aporie einer Verständigung über den Glauben und der Versuch, sie zu umschreiben „Wie läßt sich über Glauben reden? Wie läßt sich Glauben darstellen? Wie läßt sich Glauben vermitteln, und wie verhält sich die unmögliche Möglichkeit einer Darstellung und Vermittlung des Glaubens zu den ihm eigenen Gegenständen, zu dem, was er selbst - im Unterschied zu und im Zusammenhang mit allen Funktionen und Möglichkeiten des menschlichen Geistes - wahrnimmt, worauf er sich richtet und wovon er lebt?" Den aporetischen Charakter dieses kommunikationstheoretischen Problems drückt Edwards dadurch aus, daß er immer wieder neu ansetzt, zu ganz unterschiedlichen Darstellungen desselben Problems gelangt und in subtiler terminologischer Differenzierung Identifikationen vornimmt, die ihn einerseits so schwer lesbar machen, die andererseits aber zeigen, wie sehr die einzelnen heuristischen Anfahrtswege zusammengehören. Die Einigung von Herz und Verstand liegt in der Unmittelbarkeit der Sinneseindrücke bzw. in der Unmittelbarkeit des Menschen zu etwas, was den Sinneseindrücken bedrohlich nahekommt. Daher Edwards' ständige Bemühung um Abgrenzung der Glaubenserkenntnis von den äußeren Impressionen der Vorstellungskraft. Der Gegenstand des Glaubens — nicht zu verwechseln mit den Gegenständen, über die uns unsere natürlichen Sinnesorgane informieren — rückt uns zu Leibe. Er tritt uns nahe und wird in mancher Hinsicht den Erfahrungen zum Verwechseln ähnlich, die wir alltäglich haben oder durch außerordentliche Manipulationen hervorrufen können. Hier liegt die Wurzel des religiösen Sprachproblems. Das Neue, das wir erfahren, fügt uns weder neue, adäquate Worte noch ein neues Vermögen hinzu. Wie können wir auf einmal in der Lage sein, zu wissen, was wir wollen, bzw. zu wollen, was wir wissen? Wie können wir uns der fundamentalen Einigung mit uns selbst, mit der Menschheit, ihrer Unheilsgeschichte und mit Gottes Heilshandeln in Christus überhaupt stellen? Das ist die Gabe einer quasi-sinnlichen bzw. unseren Sinnenseindrücken in irgendeiner Weise vergleichbaren Wahrnehmung, die sich von nun an nicht mehr an Zweitrangigem orientiert, sondern zu dem vorstößt - und sei es fragmentarisch, in sich immer wieder verschließenden Durchblicken - , was uns als Ganzes niemals ganz vor Augen steht. 143
„Why spiritual knowledge is increased only by the practice of virtue and holiness. For we cannot have the idea without the adapted disposition of mind, and the more suitable the disposition the more clear and intense the idea; but the more we practice, the more is the disposition increased." Misc. 123, „Spiritual Sig^t", in: YE13, 287. 81
Denn es gibt nicht nur die Integrität und Einheit des Selbst, sondern tatsächlich auch „notional knowledge", also Erkenntnis, die nicht zupackt, die das Selbst nicht in seinen Tiefen erfaßt, sondern es mitunter als heterogenes Gebilde loser Funktionen erscheinen läßt, so daß wir überhaupt auf den Gedanken kommen, von Vermögen zu sprechen. Sogar Edwards findet keinen anderen Ausweg, als weiterhin die alten Unterscheidungen der psychischen Vermögen zu treffen.144 Es drängt sich immer wieder der Eindruck auf, als wären wir indifferente Zuschauer, neutrale Beobachter, die, ohne sich selbst ins Spiel zu bringen, einer Szene gegenüberstehen und so agieren können, als würden sie weder die inszenierten Relationen noch ihr Verhältnis zu ihnen wirklich affizieren. Wir meinen tatsächlich, es gebe eine Vielzahl psychischer Funktionen, die grundsätzlich in der Lage sind, unabhängig voneinander zu operieren. Indem Edwards die Möglichkeit der „notional knowledge" zuläßt, ja, auf sie angewiesen ist, um geistliche Erkenntnis gegen sie abzugrenzen - gesteht er zu, daß seine Anthropologie der Einheit, die keinen Zwischenraum und keine Zwischenzeit mehr zuläßt, nicht das ist, was Menschen gemeinhin erfahren. Daß sie sie nicht erfahren, gereicht ihnen zur Entschuldigung und zur Einklagung jener illusorischen Freiheit der Indifferenz, die den ihres Erachtens notwendigen Neuanfang menschlicher Verantwortlichkeit gewährt. Edwards' Psychologie der Einigung und Ganzheitlichkeit will an die Erfahrung des Menschen herankommen, ist aber nicht aus ihr begründbar. Diejenigen, die Edwards als „experiential theologian" lasen, schrieben der Erfahrung mehr Autorität zu als Edwards selbst es tat. Edwards gelangt zu seiner Psychologie aus theologischen Gründen — also mehr von seinen puritanischen Vorgängern geleitet als von Locke. Kein Wunder, daß sich die Theologie nach Edwards wieder unter Berufung auf den „common sense" - der Unterscheidung verschiedener Vermögen bediente: das ist es, wovon menschliche Erfahrung zeugt! Die Person ist keine „Serie atomistischer Ereignisse", sondern gestaltet sich in der Zeit durch habituelle Willensbildung. Andererseits kann — so Edwards - der Willen immer nur in einem Augenblick wahrgenommen werden. Daraus entsteht aber ein folgenschweres Problem: Der Mensch im Fluß ist ein Geheimnis, das sich nicht durchschauen läßt. Seine Bewegungen lassen sich höchstens künstlich einfrieren. Das scheint aber notwendig zu sein, drängt es ihn doch zur Sichtbarwerdung dessen, was ihm kaum selbst begreifbar ist. „Phänomene" sind die aus pragmatischen Gründen notwendigen Ablichtungen dieser komplexen und letztlich undurchschaubaren Bewegungen. Phänomene sind das, was durch Reflexion, nicht durch unmittelbare Erfahrung zum Stillstand gebracht werden kann. Die Reduktion auf einen Augenblick zur Inblicknahme eines einzelnen Phänomens zeichnet Umrisse ein, wo es eigentlich nur Ubergänge gibt.
144 In seinem Projekt Natural History of the Mmtal World beschäftigt Edwards immer noch das Problem, daß es zwischen „pleasure and pain and ideas" bzw. zwischen „the understanding and the will" einen großen Unterschied gibt (YE6, 387). Andererseits bemerkt er, daß dieser Unterschied ofenbar im biblischen Zeugnis keine Rolle spielt „How the Scriptures are ignorant of the philosophic distinction of the understanding and the will, and how the sense of the heart is there called knowledge and understanding." A.a.O., 389.
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Edwards' Anthropologie ist Beispiel einer von verschiedenen Seiten immer wieder neu begonnenen Bemühung um sachgemäße Beschreibung einer Spannung, die jedes menschliche Leben — das „natürliche" und das „wiedergeborene" - auszeichnet und die durch verschiedene Umstände bestimmt wird: 1. Der Mensch ist „in der Natur". Seine Sinnhaftigkeit ist der Schatten, den er nicht abstoßen kann. Auch „Gott" ist in dem zu finden, was ihm zu Leibe rückt. Aber in dieser beunruhigenden Nähe bleibt Gott verborgen. 2. Die Rede von Gottes Unmittelbarkeit fuhrt zu einer kritischen Inblicknahme der Zweitursachen und fordert die vorbehaltlose Einstimmung in die völlige Abhängigkeit des Menschen von Gott. Hier zerbricht jede Kohärenzerfahrung. Was aber nimmt der Mensch - „natürlich" oder „wiedergeboren" - davon wahr? Wird ihm das Auseinanderbrechen der Kohärenz jemals ansichtig? Bleibt nicht auch der Wiedergeborene „in der Natur", disponiert und geneigt, eingebunden in seine Vorgeschichte und Nachgeschichte? Kann der Bruch der Kohärenz jemals zu einem Element einer konsistenten Geschichte werden? Die Erneuerung des Menschen vor Gott ist das Aufblitzen einer ganzheitlichen Erkenntnis, an der man sich nur festhalten kann, indem man sich an dem festhält, was in dieser Erkenntnis kurzfristig erhellt wird. Mit Perry Millers Worten: „... the superior principle, without which man remains man but is predestined to the treadmill of history, in Edwards' thinking is not a principle' at all, but an insight, a perception of harmony and consent, a subjective vision of fiali disinterestedness, the new simple idea that forms the vision."145 Die einzige Haltung, die diesem „Prinzip" - das keines ist - entspricht, ist nicht der Verzicht, sondern die Infragestellung bzw. das Infragegestellt-Werden jeder Haltung, indem der Mensch, der nichts lernen kann, lernt, dem Externen nachzugehen, ohne es einzufangen - und ohne dies als Scheitern zu verstehen oder aus der Not eine Tugend zu machen! Was bleibt, ist das Ringen um das Externe, um das, was wirklich außerhalb steht — außerhalb des Dargestellten und Darstellbaren. Wie können wir es erreichen, beschreiben? Oder erreicht es uns? „Wenn daher ein Mensch nur zu einem vernünftigen Urteil kommt, daß etwas schön und liebenswert ist, er aber keinerlei Gespür für die Schönheit hat, und wenn er zugleich nicht meint, daß es am besten für ihn sei, dann wird er diesen Gegenstand niemals wählen. Wenn er jedoch in einem starken Maße dessen Schönheit empfindet, ist es möglich, daß er ihn will, obwohl er meint, es sei nicht am besten für ihn."144 Dies ist der Versuch einer psychologischen Aufhebung des Solipsismus: Nur wenn dem Menschen die sinnliche Nähe der Schönheit eines wahrgenommenen Gegenstandes fehlt, ist sein Eigennutz dominierendes Kriterium seiner Entschei145
P. Miller, J.E., 275f. „Therefore, If a man has only a rational judgment that a thing is beautiful and lovely, without any sensibileness of the beauty, and at the same time don't think it best for himself he will never choose it. Though, if he be sensible of the beauty of it to a strong degree, he may will it though he thinks 'tis not best for himself." PJE, 1578. 14