Glaube und Werk bei Luther: Zugleich als Beitrag zur Wesensbestimmung des Gottesdienstes [Reprint 2019 ed.] 9783111551807, 9783111182339


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German Pages 64 Year 1926

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Vorwort
Inhaltsverzeichnis
1. Teil. Die Begründung des „guten Werkes"
2. Teil: Der Inhalt des „guten Werkes"
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Glaube und Werk bei Luther: Zugleich als Beitrag zur Wesensbestimmung des Gottesdienstes [Reprint 2019 ed.]
 9783111551807, 9783111182339

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Glaube und Werk bei Luther Zugleich als Beitrag zur Wesensbestimmung des Gottesdienstes

von

Gustav Mensching

V e r l a g v o n A l f r e d T ö p e l m a n n in G i e ß e n 1926

Quas doctrinas o utinam nostro saeculo digne appenderent christiani populi pastores et redores! Quis enim potest prae* dicare, nisi sit apostolus? Quis autem est apostolus, nisi qui verbnm Dei apportai? Quis autem potest verbum Dei appor= tare, nisi qui Deum audierit? Luther,

Galater-Kommentar

von

1519

Älle Rechíe vorbehalten

v o n Miinchow'sche Universitäts-Druckerei Otto Kindt in Gießen

Vorwort Diese Schrift wendet sich in erster Linie an Pfarrer und Religionslehrer in der Absicht, die Grundgedanken der Theologie Luthers, die im Mittelpunkte der theologischen Diskussion der Gegenwart stehen, in Kürze darzustellen. Von den zu diesem Zwecke verwandten Schriften Luthers ist vor allen anderen der Galaterkommentar von 1535 zu nennen, der als die vielleicht reichste und reifste Schrift Luthers eine weitgehendere Beachtung verdient, als er bisher gefunden hat. Darum verbinden wir mit dieser Schrift zugleich die Absicht, einzuführen in die Lektüre des Galaterkommentars. Er ist lateinisch geschrieben und sollte auch in seiner lateinischen Fassung gelesen werden. Eine freie Übersetzung erschien vor kurzem in der Calwer Vereinsbuchhandlung Stuttgart. Endlich ist den ohne jede Beziehung zur gottesdienstlichen Praxis vorgetragenen Untersuchungen in Kapitel 11 eine kurze Abhandlung über die gottesdienstlichen Konsequenzen der dargestellten Glaubensgedanken Luthers angefügt. Es sollte, wie auch Paul Althaus in einem Vortrag sagt, dahin kommen, daß die theologische Bewegung, die auf eine Wiedererweckung der Lutherischen Theologie hinzielt, und die liturgische Bewegung, die dem Gottesdienste neues Leben zurückgewinnen will, nicht mehr nebeneinander herlaufen, sondern in engste Beziehung zueinander treten. Denn nur von Luther aus ist evangelischer Gottesdienst wahrhaft zu beleben. Als ein bescheidener Beitrag zu dieser Aufgabe möchte auch diese Schrift angesehen sein. M a r b u r g , im Juni 1926. Gustav Mensching.

Inhaltsverzeichnis.

Inhaltsverzeichnis Seite

1. Teil: Die Begründung des „guten W e r k e s "

7—27

Kap. 1: (Einleitung) Das mögliche Verhältnis von Religion und Sittlichkeit 1. Die Selbständigkeit des Sittlichen neben dem Religiösen (7) — 2. Die Dienstbarkeit des Sittlichen gegenüber religiösen W e r t e n (8) — 3. Die finale Beziehung von Religion und S i t t lichkeit (9) — 1. Die kausale Beziehung von Religion und S i t t lichkeit (10) — 5. Das Verständnis des Themas (10) Kap. 2 : Der Glaube als Grund des „guten W e r k e s " 1. Das überweltliche W e s e n des Glaubens (11) — 2. Die sittliche Differenz des Glaubens (12) — 3. Der Glaube als T r i e b kraft sittlicher Handlungen (11) — 4. Geist und Glaube und ihre Beziehungen zur sittlichen Handlung (16) a) Glaube und Geist b) Geisterfüllung als renovatio cordis c) Die Gottbezogenheit des W e r k e s als sein W e r t — 5. Das Zeugnis des Gewissens (17) — 6. Die Bedeutung des Zweifels und die SelbstgewiBheit des T ä t e r s (18)

11

Kap. 3 : Gott als Grund des „guten W e r k e s "

.

19

1. Die Autonomie des Glaubens (19) a) Die Freiheit als „Möglichkeit" des guten W e r k e s b) Glaube als Ursprung dieser Freiheit c) Gott im Glauben gebietend — 2. Der „Wille" und die „Ehre" Gottes als Grund der sittlichen Handlung (22) Kap. 4 : Der Gedanke der Nachahmung als Grund religiöser Sittlichkeit

24

7

1. Die Nachahmung des sittlichen Beispiels Christi (21) a) Der gesetzliche Sinn des Gebotes der Nachfolge b) Die gesetzliche Stellung zu Christus c) Die religiöse W e r t l o s i g keit dieser Stellung — 2. Die „Bekleidung mit Christus" (25) — 3. Die Idee des „Christus" für die andern (26) 2. Teil: Der Inhalt des „guien W e r k e s "

27—64

Kap. 5 : Die evangelische Idee des Natürlichen 1. Das Grunderlebnis der „ira dei" (27) a) Die Rede Gottes zur Seele als erste Voraussetzung b) Der Zorn Gottes über die Sünde ais Normwidrigkeit c) Der Zorn über die Sünde im Sinne des Natürlichen und Naturentstandenen — 2. Das W e s e n des „peccatum originale" (29) — 3. Die Stellung zur außerchristlichen Sittlichkeit (31) — 4. Das inhaltliche M o ment des Neuen in dem „neuen Gehorsam" (32) Kap. 6 : Der evangelische Sinn des Gesetzes 1. Die katholische Huffassung (33) — 2. Der doppelte Sinn des Gesetzes bei Luther (34) — 3. Die doppelte Stellung zur Erfüllbarkeit des Gesetzes (35)

5

27

¿5

Inhaltsverzeichnis. Seite

Kap. 7: Der Glaube als Inhalt des „guten Werkes" . . . . 36 1. Der Glaube als Erfüllung des Gesetzes (36) a) Der Glaube als Werk in den Werken b) Der Glaube als eigentlicher Sinn aller Gebote c) Die Erfüllung des Gesetzes vor allen Werken d) Die Rechtfertigung — 2. Die Heiligung des Werkes durch Glauben (39) a) Die eigentümliche geforderte Bestimmtheit an den Werken b) Der Glaube als Heiligung der Werke c) Der Wertcharakter des Werkes d) Die Möglichkeit der Sünde — 3. Die Identität der Materie der neuen und der alten Sittlichkeit (40) Kap. 8: Der Gedanke des sittlichen Fortschritts 41 1. Die Unmöglichkeit fortschreitender Rechtfertigung (41) — 2. Die katholische Idee der Vervollkommnung (41) — 3. Die grenzenlose .Möglichkeit sittlichen Fortschritts auf dem Boden erlangter iustitia (42) — 4. Die fortschreitende Stärkung und Vertiefung des Glaubens (43) — 5. Das Verhältnis des alten und des neuen Lebens im Gerechtfertigten (43) Kap. 9: Der Wert der äußeren Werke 45 1. Die Iustitia rationis (45) — 2. Die Grenzen des Gesetzes, sein Recht und seine Würde (45) — 3. Der Wertunterschied der Werke (47) — 4. Die Stärkung des Glaubens durch äußere Werke (48) Kap. 10: Die Materie des „guten Werkes" 49 1. Die Hufhebung einer sittlichen Provinz im Leben (49) a) Die Leugnung einer sittlichen Materie an sich b) Die Aufhebung der Möglichkeit des sittlidien Adiaphorons — Luthers Stellung zu Welt und Beruf c) Der Glaube als sittlich differenzierendes Moment — 2. Die Nächstenliebe (51) a) Der übernatürliche Sinn der Nächstenliebe b) Das Hervorgehen der Nächstenliebe aus dem Glauben — 3. Der Dekalog (53) a) Das erste Gebot — Der Glaube b) Das zweite Gebot — Die Heiligung des Namens c) Das dritte Gebot — Der rechte Gottesdienst d) Das vierte Gebot — Der sorgende Vater e) Das sechste Gebot — Glaube als Hilfskraft gegen die Triebe des Fleisches f) Das siebte Gebot — Der sorgende Vater als Voraussetzung seiner Erfüllung — 4. Das Gebet (57) a) Der Glaube als Voraussetzung b) Der übernatürliche Segen des Gebetes c) Der Zweifel im glaubenlosen Gebet d) Die typisch evangelische Haltung im Gebet e) Das Gebet als Übung des ersten Gebotes — 5. Die Stellung zum Schicksal (58) — 6. B e gleitende Momente (59) a) Die Freudigkeit b) Die Gewißheit Kap. 11: Gottesdienstliche Konsequenzen 1. Gottesdienstliche Konsequenzen aus der Überweltlichkeit des Glaubens (60) — 2. Äus der Lehre vom Glauben als sittlicher Triebkraft (61) — 3. Aus der Lehre von der heiliegenden Kraft des Glaubens (62) — 4. Aus der Lehre von Gott als dem Grund des Guten Werkes (62) — 5. Aus der Idee der Nachahmung (63) — 6. Aus Luthers Auffassung vom Gebet (63) — 7, Aus der Lehre vom Natürlichen und dem Wert der äußeren Werke (64).

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1. Das mögliche Verhältnis von Religion und Sittlichkeit.

I. Teil.

Die Begründung des „guten Werkes". K a p i t e l 1 (Einleitung).

Das mögliche Verhältnis von Religion und Sittlichkeit. 1. Die Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Werk .bei Luther ist letzten Endes die Frage nach dem bei Luther vorliegenden Verhältnis von religiösem Leben und sittlichem Verhalten. Es wird zu zeigen sein, daß die Eigenart der Beziehung beider Momente zueinander sowohl nach der formalen wie auch vor allem nach der inhaltlichen Seite das Entscheidende bei Luther ist. Um die Fragestellung und die Bedeutung der lutherschen Antwort recht zu verstehen und keinen Doppelsinn des Ausdrucks aufkommen zu lassen, ist es zuvor nötig, sich über die möglichen Beziehungsarten von Religion und Sittlichkeit klar zu werden und die entsprechenden Begriffe zu definieren. Die erste Möglichkeit der Beziehung von Religion und Sittlichkeit liegt in der völligen Selbständigkeit des Sittlichen neben dem Religiösen im Sinne absoluter Beziehungslosigkeit. So ergibt sich die Idee einer rein weltlichen Ethik, aufgebaut auf dem Gedanken der selbständigen Würde und Autonomie des Sittlichen 1 . In dieser Auffassung liegt naturgemäß eine eigene Definition des Sittlichen. Sittlichkeit: eine nadi rein innerweltlich entspringenden Gesetzen normierte Gesinnung und ein dar1 Daß aber diese Reden seltsam sind, und mich etliche einen Ketzer darob schelten, geschieht darum, daß sie der blinden Vernunft •oder heidnischer Kunst gefolget, den Glauben gesetzt haben nicht über, sondern neben andere Tugend und ihm ein eigen Werk geben, abgesondert von allen Werken der anderen Tugend. Luther, Sermon von den guten Werken. Weimarer Ausgabe (W. R.) 6,206.

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1. Das mögliche Verhältnis von Religion und Sittlichkeit.

aus entspringendes Verhalten den Mitmenschen und sich selbst gegenüber. An keiner Stelle taucht die Notwendigkeit des Eingreifens Gottes in den sittlichen Prozeß auf. Denn die Inhalte dieser Sittlichkeit stammen aus der Vernunft und die Kraft ihrer Erfüllung aus dem menschlichen Willen. Es handelt sich,, um mit Luther zu sprechen, um eine Sittlichkeit „coram hominibus" Alle Verfeinerung dieser Sittlichkeit nach innen bleibt in d e r s e l b e n E b e n e der Diesseitigkeit wie jene iustitia des. ,,bonus vir". 2. Die zweite Möglichkeit ist die Dienstbarkeit des Sittlichen gegenüber religiösen Werten und Zwecken. Religiöse Ideen und Ziele wie Heiligkeit, Heil, Gerechtigkeit, Seligkeit, ewiges Leben usw., verständlich nur vom Standpunkt religiösen Lebens aus, werden eingespannt in das Schema von Verdienst und Lohn. Auf diese Weise wird die Sittlichkeit ihrer Selbständigkeit, ihres eigenen Sinnes und ihrer ungehemmten eigengesetzlichen Entwicklung beraubt. Denn alle Sittlichkeit hat für diese Auffassung Wert und Sinn allein i m D i e n s t jener religiösen Ziele. So ergibt sich eine Sittlichkeit, die einerseits in beständiger Unsicherheit jenen religiösen Werten gegenüber lebt 2 , und die andererseits nur relative Bedeutung hat, so 1

Primum est criminale, id est manifeste malum, quod etiam potestas saecularis punit ut furtum, homicidium, incendium, sacrilegium etc. . . . Iustitia huic contraria est ilia species iustitiaa, . . . qua fit, ut coram hominibus bonus vir sit et aceusari non possit, e v a datque poenas legis, consequaturque promissa temporalia legis. Luther, De triplici iustitia 1518. W . fi. 2,43. 2 Si propter nostra opera daretur remissio peccatorum, quando sciremus earn nos consecutos esse, quando reperit opus conscientia territa quod statuerei ad placandam iram Dei suffi:ere. Apologie 20, Müller, Symbolische Bücher S.221. Nunquam autem tantum operum potest invenire, ut conscientiam reddat pacatam, sed semper desiderai plura, imo in illis ipsis, quae fecit, invenit peccata. Ideo conscientia ipsius nunquam potest reddi certa, sed necesse est eum semper dubitare, et sic sentire. Tu non recte sacrificasti, non recte orasti, omisisti aliquid, hoc vel illud peccatum commisisti. Luther, Kommentar zum Galaierbrief 1535 cap. 5 , 3 W . A. 102 S. 16 Opera exeg. lat. Eri. voi. 12:2,303. Gal. Kom. cap. 5,3: Ideo quo magis studet lege et operibus.

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1. Das mögliche Verhältnis von Religion und Sittlichkeit.

l a n g e j e n e W e r t e n o c h nicht v e r w i r k l i c h t sind.

In d i e s e m Z u -

s a m m e n h a n g b e d e u t e t Sittlichkeit e i n e durch r e l i g i ö s e Z w e c k g e d a n k e n n o r m i e r t e u n d m o t i v i e r t e H a l t u n g Gott u n d d e n M e n schen gegenüber. 3. D i e dritte M ö g l i c h k e i t liegt in der f i n a l e n v o n R e l i g i o n u n d Sittlichkeit.

Beziehung

D i e s e Art ist g r u n d s ä t z l i c h der

e r s t e n v e r w a n d t . B e s t i m m e n d sind rein p r o f a n e G e d a n k e n w e l t licher Z w e c k m ä ß i g k e i t , R e l i g i o n aber w i r d als Fiktion zur E r reichung sittlicher Z w e c k e g e l t e n g e l a s s e n . g i o n in ihrer V e r s t e l l u n g s -

S o steht die Reli-

u n d G e f ü h l s w e l t im D i e n s t e

der

Sittlichkeit. D a s M o m e n t d e s R e l i g i ö s e n in dieser A r t v o n S i t t lichkeit liegt darin, d a ß G o t t ( z u m e i s t als n ü t z l i c h e Fiktion) als. Gesetzgeber

u n d strafender Richter

z u m M o t i v der

Sittlich-

keit w i r d , w o b e i der l e g e n d ä r g ö t t l i c h e U r s p r u n g d e s

Sitten-

g e s e t z e s z w e c k s h ö h e r e r A u t o r i s i e r u n g der sittlichen

Gebote

betont wird

Hier ist Sittlichkeit ein i n n e r e s u n d ä u ß e r e s V e r -

consulere conscientiae hoc magis reddit eam incertam et c o n f u s a n e Rogentur omnes monachi, qui serio laborant acquirere pacem c o n scientiae suis traditionibus, an certo statuere possini suum vitae genus Deo piacere, ac propter illud sa in gratia ess» coram Deo. Si fateri voiunt veritatem respondebunt: ego quidem inculpate vivo et summa diligentia observo ordinem meum sed certo affirmare n o n possum, an ista mea oboedientia Deo placeat, nec ne. W . Ä. tO» S. 16. E. Ä. 2,303. 1 Hie sciendum est duplicem esse legis usum. Älter civilis est. Deus ordinavi! civiles, imo omnes leges ad cohercendas t r a n s g r e s s i o nes. E r g o omnis lex lata est ad impedienda peccata. E r g o lex, cum cohercet peccata, iustificat? Nihil minus. Quod enim non occido, non committo adulterium, furtum non facio, quod ab aliis paccatis a b stineo, non voiens aut virtu.is a m o r e facio, sed gladium et c a r n i iicem metuo . . . . E r g o cohercio a peccatis non est iustitia, sed potius significaiio iniustitiae . . . . Primus ergo intellectus et usus legum est cohercere impios . . . . Älter legis usus est Theologicus seu Spiritualis, qui valet ad a u g e n d a s transgressiones. Et is m a x i m e quaeritur in lege Mosi, ut per eam crescat et multiplicetur peccatum, praesertim in conscientia. De hoc Paulus magnifice disputat ad Roma. 7. Itaque verum officium et principalis ac proprius usus legis est, quod revelat homini suum peccatum, caecitatem, miseriam, impietatem, ignorantiam, odium, contemptum Dei, mortem, internum,, indicium et commeritam iram apud Deum. Gal. Kom. 3,19, W f l x 179 ff. EÄ 2, 60 f.

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1. Das mögliche Verhältnis von Religion und Sittlichkeit.

halten nach Vernunftgesetzen, die ä u ß e r l i c h im Sinne der Sanktionierung und Legitimierung mit Gott verbunden sind. 4. Als letzte Möglichkeit besteht die k a u s a 1 e Beziehung von Religion und Sittlichkeit. Wir versuchen, da in dieser Formel das evangelische Verständnis der Sache gegeben ist, zu definieren: Religion ist die seelische Erfahrung einer unirdischen Wirklichkeit in der Fülle wechselweis möglicher Beziehungen. Sittlichkeit aber ist die mit der mehr oder minder innerlich gemachten Erfahrung eines fordernden Wertes kausal verbundene innere und äußere Haltung eines Menschen Gott, den Mitmenschen und sich selbst gegenüber. Damit ist gesagt: a) Das eigentlich Sittliche ist weder nur eine Erfahrung, noch ein bloß gebotenes Verhalten, b) sondern das Eigentümliche liegt in der kausalen Verbindung von Erfahrung und Verhalten, c) Die Betonung der mehr oder minder innerlichen Erfahrung ermöglicht den hernach zu konstatierenden Unterschied zwischen natürlicher und religiöser Sittlichkeit. Religion und Sittlichkeit unterscheiden sich nicht durch ihre Objekte 1 , sondern durch die Ärt der Stellungnahme, die sie in den Menschen wecken, d) Die Idee des „Wertes" charakterisiert den Inhalt jener Erfahrung und der daraus entspringenden Haltung, denn Erfahrung und Haltung — das vor allem wird hernach zu zeigen sein — haben denselben Inhalt, was nur möglich ist, wenn der Inhalt ein Wert ist. 5. Von hier aus versuchen wir zum Verständnis des Themas zu kommen. Nach unserer Definition ist der „Grund" des „guten Werkes" jene Erfahrung eines Wertes, dessen eigene Problematik bei Luther aufzuzeigen ist. Wünsch z. B. spricht davon, daß der Inhalt der Erfahrung Gott als Wert sei 2 . Thieme macht bestimmte „Glaubensüberzeugungen" als Grund der „nova 1 Vergl. Wünsch, Glaubenserfahrung und sittliche Tat bei Luther 1924, S. 7: Dabei unterscheiden sie (Religion und Sittlichkeit) sich grundsätzlich: das eine ist Erfahrung eines Objektiven als Forderung, das andere Erfahrung eines Objektiven als tief Beeindruckenden, audi als Gnade und Geschenk. Das eine wendet sich an den Willen, das andere an das Gemüt. 2 S. Wünsch, a. a. 0 . Seite 26.

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2. Der Glaube als Grund des guten Werkes.

oboedientia" namhaft 1 . Wir verstehen in unserer Darstellung im ersten Teile den Glauben als religiöse Kraft, gesehen unter dem Gesichtspunkt, daß sie Werke kausal bedingt, und zwar Werke in einem spezifisch neuen Sinne. Im zweiten Teil wird von dem Inhalt der nova oboedientia, dem Werke selbst, zu reden sein. Das wäre nach unserer Definition eine Haltung, kausal durch jene vorhergegangene Erfahrung bedingt. Hier wird es dann darauf ankommen, von der Idee des „neuen" Werkes aus den eigentlichen Sinn dieser Haltung zu erfassen. Hier wird dann abermals der Glaube auftauchen, nun nicht mehr unter dem Gesichtspunkt der causa efficiens der Werke, sondern unter der Idee des letzten Sinnes der gebotenen Werke selbst, als ihre eigene Modalität, und damit als eigentlicher Inhalt der nova oboedientia hinter den natürlich auch zu erörternden materialen Inhalten. K a p i t e l 2.

Der Glaube als Grund des „guten Werkes". 1. Wenn wir vom Grunde der neuen Sittlichkeit sprechen, ist es nötig, zuvor klar zu unterscheiden zwischen zwei verschiedenen Arten des Begriffes „Grund". Wir unterscheiden zwischen der causa realis und der causa finalis. Unter der causa realis verstehen wir die gewissermaßen hinter der Handlung liegende, treibende Ursache. Unter der causa finalis dagegen stellen wir uns den jenseits der Handlung liegenden, von ihrem Inhalt verschiedenen in der vorgestellten Absicht des Subjekts antizipierten, die Handlung motivierenden Zweck vor. Wir sprechen zunächst von der causa realis der neuen Sittlichkeit 1

S. Thieme. Der Glaube als sittliche Triebkraft. Leipzig 1895 S. 103 und S. 96: „Diese durch und durch erneuernde Tätigkeit übt aber der Glaube dadurch aus, daß er Uberzeugung ist . . . Die Erfassung seiner neuen Glaubensüberzeugung von der Gerechtigkeit Gottes nennt der Reformator seine Wiedergeburt, nicht ohne den starken Reflex des Vorgangs im Gemüt hervorzuheben." S. 97: „Wenn nun das Licht, die Vernunft, der alte Dünkel in ein neues Licht verändert ist, so muß ihm denn auch folgen und verändert werden das ganze Leben und alle Kräfte". Siehe auch S.98 u.99.

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2. Der Glaube als Grund des guten Werkes. und verstehen darunter zunächst den Glauben, insofern er Triebkraft der sittlichen Handlung ist. 2. Der Glaube ist nach Luthers Meinung die Kraft, von der die neue Sittlichkeit lebt. Wir versuchen das W e s e n des Glaubens in diesem Zusammenhang zu entwickeln lediglich unter der Idee des „Grundes" der Sittlichkeit. Es wurde oben bereits angedeutet, daß wir ihm im zweiten Teile noch einmal unter anderem Gesichtspunkte in seiner Bedeutung für die Sittlichkeit als Tat begegnen werden. Der Glaube ist nach Luthers Auffassung eine „res supra n a l u r a m " D i e Idee des Glaubens ist für Luthers religiöse Vorstellungswelt der Zentralbegriff 2 . Dieser Glaube ist ein Ergreifen und Vertrauen Gottes, ein innerliches Zustimmen zu Gott und Christus 3 . Christus ist der Inhalt des Glaubens 4 . Ja, gelegentlich erscheint Christus, wodurch das überweltliche W e s e n des Glaubens in aller Deutlichkeit zu Tage tritt, als Subjekt des Glaubens selber 5 . In diesem Zusammenhang tritt g e 1

Homines sani facile indicare possunt illam fidem, quae credit nos a Deo respici, nobis ignosci nos exaudiri, rem esse supra naturam, nam humanus animus per se nihil tale de Deo statuit. Apologie 3 Müller S. 139. 2 Nam in corde meo iste unus regnat articulus, scilicet, fides Christi; ex quo, per quem et in quem omnes meae diu noctuque fluunt et fluunt theologicae cogitationes. Gal. Kom. W. A. 40, S. 33. E. fl. 1,3. 3 Ilia fides, quae iustificat, non est tantum notitia historiae sed est assentiri promissioni Dei . . . est velle et accipere oblatam promissionem remissionis peccatorum et iustificationis . . . fides est Xa-psia quae accipit a Deo oblata beneficia; iustitia legis est Xa-psia quae offert Deo nostra merita. Äpologie 4 Müller 95 f. " Sic fides, ut dixi, apprehendit et involvit Christum filium Dei pro nobis traditum, ut Paulus hic docet. Quo apprehenso per fidem habemus iustitiam et vitam. Gal. Kom. cap. 2,20. W. fl. ^ S. 297. E. fl. 1,259. 5 . . . imo non obiectum, sed, ut ita dicam, in ipsa fide Christus adest . . . in istis tenebris Christus fide apprehensus sedet, Deus quem ad modum in Sinai et in templo sedebat in medio tenebrarum. Gal. Kom. cap. 2,16. W. fl. IOJ S. 228 f. E. fl. 1,191.

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2. Der Glaube als Grund des guten Werkes. legentlich die Idee der Einwohnung Christi auf 1 . Dieser Glaube ist somit ein gotterfülltes inneres S e i n 2 . W o h e r kommt dieser Glaube? — Nicht aus dem Kreatürlichen, aus eigener Kraft und weltlichem Verdienst. E r ist von oben allem oben

her3.

Der

Glaube

Kreatürlichen ist, geschenkt 4 .

ist,

da

er

der volle Gegensatz zu

selbst übernatürlich, und darum von

Der Glaube ist kein Tun, sondern ein E r -

1 Nam vetus colonus Moses cedere et alio migrare débet, cum novus hospes Christus in novam domum venit, ut solus in ea habitet. Gal. Korn. cap. 2,18. W . Ä. 40t S. 262. E. R. 1,222 f. Ubi is est, ibi lex, peccatum, ira, mors non habent locum, sed adest mera gratia, iustitia, laetitia, vita, mera filialis fiducia erga placatum, faventem et propitium^atrem. Gal. Kom. cap. 2,18. W . R . 1 0 L S. 262. E. R. 1,223. 2 Facile quidem dixeris, evangelium nihil aliud esse, quam revelationem filii Dei, quam cognitionem Jesu Christi, non esse revelationem legis; sed in agone conscientiae et in ipsa praxi hoc certo statuere est difficile etiam exercitatissimis. Gal. Kom. cap. 1,16. W. R. 40 L S. 141. E. Ä. 1,113. 3 Also ein Geschenk Gottes. Dieses Geschenk erfolgt durch Vermittlung des „Wortes": Gal. Kom. cap. 1,12. W . R.40i S. 130. E. R. 1, 101. Sicut autem per verbum fidem donat, ita deineeps per verbum exercet, äuget, confirmât et perficit eam. — Im „Worte" ist der „Geist" das erweckende und offenbarende Prinzip: Hoc genus doetrinae quod révélât filium Dei, non discitur, non docetur, non indicatur ulla sapientia hominum nec per ipsam legem, sed per Deum revelatur, Primum externo verbo, deinde intus per spiritum. G. K. 1,16. W . R. 4Û! S. 142. E. R. 1,113 f. — Das rechte Hören des Wortes aber ist selbst eine religiöse Funktion, die nicht aus natürlichen Kräften möglich ist: Gal. Kom. cap. 3 , 2 W. R. 40i S. 345 E. R. 1,311: Statim dicitur solo auditu fidei aeeipi Spiritum, sed non tarn facile auditur, capitur, creditur et retinetur, ac dicitur. — Den Vorgang des religiösen Hörens des „Wortes" umschreibt Luther treffend in folgender Weise: Paulus significanter voeavit auditum f i d e i . . . Hoc est, tale verbum, quod tu audiens credas, ut verbum non solum sit vox mea, sed audiatur a te et penetret In cor et a te credatur; tunc vere est auditus fidei, per quem aeeipis spiritum sanetum. Gal. Kom. cap. 3 , 2 W . R. 40 t S. 345 E. R. 1,312. 1 Fragest du aber, wo der Glaube und Zuversicht möge gefunden werden, oder herkommen, das ist freilich das nötigste zu wissen. Zum ersten ohne Zweifel kommt er nicht aus deinen Werken noch Verdienst, sondern allein aus Jesu Christo umsonst versprochen und gegeben. Sermon v. d. guten Werken. W . R. 6, 216. Verum autem evangelium est, quod opera aut Caritas non sint

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2. Der Glaube als Grund des guten Werkes.

leiden 1 . Jedoch trotz dieser zuletzt betonten Passivität liegt in dem Glauben gerade die Triebkraft der sittlichen Handlung. Zunächst ist der Glaube zu schützen gegen den Vorwurf sittlicher Indifferenz. Der Glaube Luthers ist keine bloß g e dankliche Konstruktion, wäre er das, dann wäre allerdings sein Einfluß auf das sittliche Leben gering oder jedenfalls nicht mit Notwendigkeit nachzuweisen. Der Glaube ist göttliches Geschenk und darum selbst nova vita 2 . Wesentlich also ist die absolute N o t w e n d i g k e i t der Beziehung von Glaube und sittlichem Leben. Es handelt sich nicht um eine bloße M ö g l i c h k e i t , sondern um eine fast naturgesetzliche Notwendigkeit. Auch gegen ein bloß rationales Fürwahrhalten ist unter dem Gesichtspunkt der sittlichen Indifferenz der Glaube zu verwahren: er ist nicht nur und nie wesentlich notitia historiae 3 . 3. Der so im allgemeinen charakterisierte Glaube ist, da er wesentlich regeneratio cordis ist, und als solcher den Spiritus sanetus in das Herz bringt, Triebkraft der sittlichen Tat. Der Glaube ist wahre göttlich gewirkte Buße, eine innerliche conversio ad deum, ihm m ü s s e n darum W e r k e folgen. An der Tatsache, daß W e r k e folgen, erkennt man, ob der Glaube echt ornatus seu perfectio fidei, sed quod fides per se est donum Dei et opus divinum in corde, quod ideo iustificat, quia apprehendit ipsum Christum salvatorem. Luther, Gal. Kom. cap. 2 , 4 . W . Ä. IOJ S. 164. E . A. 1,134. 1 Ibi enim nihil operamur aut reddimus Deo, sed tantum recipimus, et patimur alium operantem in nobis, scilicet Deum. Gal. Kom.

W.Ä.40i S. 41. E. fl. 1,14.

Cum autem de tali fide loquamur, quae non et otiosa cogitatio sed quae a morte liberat et novam vitam in cordibus parit et est opus Spiritus Sancti: non stat cum peccato mortali sed tantisper dum adest bonos fructus parit. Apologie 4 Müller 98. 2

3 Ädmonentur etiam homines quod hie nomen fidei non significat tantum historiae notitiam, qualis est impiis et diabolo, sed significet fidem, quae credit non tantum historiam, sed etiam effectum historiae, videlicet hunc articulum, remissionem peccatorum, quod videlicet per Christum habeamus gratiam, iustitiam et remissionem peccatorum. Confessio Aug. 20, Müller 45 f.

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2. Der Glaube als Grund des guten Werkes. ist 1 . Die Idee des „fructus" taucht hier zur Charakterisierung des Verhältnisses auf. Folgende Momente sind in diesem Bilde für unsere Frage zu unterscheiden: a) es liegt eine Art naturgesetzlicher Zusammenhang vor zwischen Glaube und Werk, b) Die Kraft der Handlung stammt aus der Wurzel, die sinngemäß in das Übernatürliche reicht, c) Das Werk ist das Ende, nicht der Anfang. Wahrer Glaube ist nach Luthers Vorstellung nicht undankbar g e g e n Gott und verachtet nicht mehr die Gebote Gottes, w a s zuvor eine Notwendigkeit w a r 2 . Der Glaube ist, w i e der immer wiederkehrende Ausdruck lautet, der „Werkmeister" sittlicher Handlungen 3 . Um zu zeigen, w i e Luther sich die Bedeutung des Glaubens in diesem Zusammenhang denkt, sei auf Luthers Erklärung des 7. Gebotes hingewiesen. Es wird hernach bei der Behandlung der Materie der Sittlichkeit genauer davon zu sprechen sein 4 . Der 1

Nos dicimus, quod poenitentiam hoc est conversionem seu regenerationem boni fructus, bona opera in omni vita sequi debeant. Nec potest esse vera conversio aut vera contritio, ubi non sequuntur mortificationes carnis et boni fructus. Veri terrores, veri dolores animi non patiuntur, corpus indulgere voluptatibus. Hpol. 6 Müller 191. 2 . . . et vera fides non est ingrata Deo, nec contemnit mandata Dei. Denique nulla est interior poenitentia, nisi foris pariat etiam castigationes carnis. Äpol. 6 Müller 191. 3 Bisher haben wir gehört das erste Stück christlicher Lehre und darinnen gesehen alles, was Gott von uns will getan und gelassen haben. Darauf folgt nun billig der Glaube, der uns vorlegt alles, was wir von Gott empfangen müssen und aufs kürzeste zu reden, ihn ganz und gar erkennen lehret, welches eben dazu dienen soll, daß wir dasselbige tun können, so wir laut der zehn Gebot tun sollen, denn sie sind so hoch gestellet, daß aller Menschen Vermögen viel zu gering und schwach ist, dieselbigen zu halten. Darum ist dies Stück ja so nötig, als jenes zu lernen, daß man wisse, wie man dazu komme, woher und wodurch solche Kraft zu nehmen sei. Denn so wir könnten aus eigenen Kräften die zehn Gebote halten, wie sie zu halten sind, bedürften wir nichts weiter weder Glauben noch Vater unser. Großer Katech. W. fl. 30,182. 1

Fürwahr in diesem (7.) Gebot mag man am klarsten merken, wie alle guten Werke müssen im Glauben gehen und geschehen. Denn hier empfindet ein jeglicher fest gewiß, daß des Geizes Ursache ist

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2. Der Glaube als Grund des guten Werkes.

Glaube ist der „Treiber" des guten Werkes auf Grund der religiösen Erfahrung des sorgenden Vaters. Wichtig ist, daß keine bloße Überzeugung genügt, um die Milde zu einem guten Werke zu machen. Erforderlich ist ein wirkliches Begegnen mit Gott, der für die Seele sorgt. Erst auf dieser Grundlage ist dasselbe äußere Werk ein „gutes", d. h. ein religiöses Werk. 4. Deutlicher noch wird das kausale Verhältnis von Glauben und sittlichem Leben von der Idee des Spiritus sanetus aus gesehen. Wir lesen in der Confessio: „Tantum fide apprehenditur remissio peccatorum ac gratis. Et quia per fidem aceipitur Spiritus Sanetus, iam corda renovantur et induunt novos affectus, ut parere bona opera possint . . . . Nam humanae vires sine Spiritu Sanctu plenae sunt impiis affectibus et sunt imbecilliores, quam ut bona opera possint efficere c o r a m d e o . . . . Talis est imbecillitas hominis cum est sine fide et sine Spiritu saneto et tantum humanis viribus gubernat" 1 . Dieses Wort ist voll wesentlicher Einsichten in den inneren Zusammenhang von Glauben und sittlichem Leben. a) Durch den Glauben wird jenes übernatürliche Wunderwesen, das pneuma hagion, empfangen, der Geist aber ist eine zu Taten und Werken treibende Kraft (Rom. 8,14) -. b) Unter der Geisterfüllung versteht man eine renovatio cordis und diese stellt sich dar als der Empfang der „novi affectus". Deutlicher kann nicht gesagt werden 1. daß diese Prozesse zunächst keine Angelegenheit des Willens, sondern des innersten Wesenskernes, dessen, was ideogrammatisch mit „Herz" bezeichnet ist, sind, daß 2. das Neue ein Übernatürliches, eine res supra naturam ist, und daß in diesem Prozeß Mißtrauen, der Müdigkeit Ursache aber ist der Glaube, denn darum, daß er Gott trauet, ist er mild und zweifelt nicht, er habe immer g e nug . . . Wie nun in diesem Gebot der Glaube der Werkmeister und Treiber ist des guten Werkes der Müdigkeit, also ist es auch in allen anderen Geboten und ohne solchen Glauben ist die Müdigkeit nichts nütze, sondern mehr ein unachtsam Verschüttung des Geldes. Sermon von den guten Werken W . Ä.2,275. 1 Confessio 20 Müller S. 46. 2 Vergl. Meister Eckeharts Lehre vom „inneren Werk" Predigten ed. Büttner 1919. 2,69 ff.

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2. Der Glaube als Grund des guten Werkes. der Geisterfüllung durch Glauben u n m i t t e l b a r e Beziehung e n zur sittlichen Tat liegen in der Form der novi affectus, der neugearteten Antriebe sittlichen Handelns. c) Ferner ist hinzuweisen auf die Formulierung „bona opera coram deo". Das Moment der Güte der Werke stammt nicht aus dem Gebot, auch nicht aus der Übereinstimmung von Gesinnung, Wille und Tat mit ihm, sondern aus dem Supranaturalen, dem Spiritus sanctus. Das zeigt das „coram deo", denn darin spricht sich aus die notwendige Gottbezogenheit der Werke als Grund ihrer Geltung vor Gott. 5. Die hier vorgetragene Lehre vom Glauben erfährt für Luther ihre Bestätigung in dem innersten Zeugnis des Gew i s s e n s 1 . Dieses Gewissen ist für Luthers Auffassung keinesw e g s nur eine nach sittlichen Begriffen richtende Urteilskraft 3 . Die consolatio des Gewissens liegt in jenen übernatürlichen religiösen Momenten, die das Evangelium anbietet. Wäre das Gewissen nur eine auf Handlung und Gebot bezogene Urteilskraft, dann wäre ihr mit jener supranaturalen consolatio nicht geholfen. Dieses „gute Gewissen" ist das religiös bewegte Ge1 Idem et nos hodie cogimur fateri, convicti testimonio propriae conscientiae, scilicet Spiritum non dari per Legem, sed per auditura fidei. Gal. Korn. cap. 3, 2. W. Ä. S. 311. E. Ä. 1,207. Quanquam autem haec doctrina contemnitur ab iraperitis, tarnen «xperiuntur piae ac pavidae conscientiae plurimum eam consolationis afferre, quia conscientiae non possunt reddi tranquillae per ulla opera, sed tantum fide, cum certo statuunt quod propter Christum habeant placatum Deum. Confessio 20 Müller S. 15. Sieh da, alle dieselben Werke gehen außerhalb dem Glauben. Darum seien sie nichts und ganz tot. Denn wie ihr Gewissen gegen Colt stehet und glaube.', so seien die Werke auch, die daraus geschehen. Nun ist da kein Glaube, kein gut Gewissen zu Gott, darum so ist den Werken der Kopf ab und all ihr Leben und Güte nichts. Sermon v. d. g. Werken. W. H. 6,205. 2 Vergleiche hierzu Gogartens Äußerung: „Was heißt denn das, daß Gott allein der Wahrhaftige ist und die Menschen verlogen (so formuliert Hirsch diese Erkenntnis)? Ist denn die Gewalt dieser Wahrheit da schon durchgebrochen, wo einer sie in seinem Gewissen bejaht? Oder steht das Gewissen nicht mit unter ihrem Urteilsspruch?" Z w i s c h e n d e n Z e i t e n : 1923, Heft II, S. 15.

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2

2. Der Glaube als Grund des guten Werkes.

müt selbst. Damit ist aufs neue der enge Zusammenhang von sittlichem Leben und religiöser Erfahrung erwiesen. 6. Ein weiteres charakterisierendes Moment für das Verhältnis von Glaube und Werk ist die Idee des „Zweifels" und die Betonung der Selbstgewißheit des Täters. Wenn jener oben bezeichnete Zusammenhang von Tat und Glauben besteht, dann ist es erklärlich, daß der Zweifel an der jeweiligen Gottgefälligkeit der einzelnen Handlung von vornherein der Beweis irreligiöser und ungläubiger Haltung Gott gegenüber ist 1 . Zweifel bedeutet uneins sein mit Gott, d. h. Unterbrechung der Unmittelbarkeit der Beziehung, die der Glaube hergestellt hatte, das Eindringen der Reflexion über Wert und Sinn des Werkes. Wir erkennen ferner die nahe Beziehung von Werk und Glaube daran, daß hier die Stellung zu Gott kontrolliert wird an der eigenen inneren Haltung der eigenen sittlichen Tat gegenüber. Damit hängt ein zweites zusammen, nämlich das Auftreten des Zweckgedankens im Hinblick auf das Werk. W o dies nahe unmittelbare Glaubensverhältnis zu Gott gelöst wird, tritt neben dem Zweifel an dem göttlichen Wert des eigenen Werkes die Reflexion über seine Zweckmäßigkeit im Dienste des Gnadenerwerbs auf. Jede Zweckmäßigkeit war in diesem Sinne zuvor selbstverständlich ausgeschlossen, nun tritt sie auf und kehrt das Verhältnis um. Denn der Gedanke des Gnadenerwerbs als. Zweckgesichtspunkt zur Beurteilung des Werkes kann nur auftauchen, wo die Unmittelbarkeit des Glaubens an Gott aufgehoben wird, und der fundamentale Unterschied von Natürlichem und Übernatürlichem, von dem hernach ausführlich zu. reden sein wird, vergessen wurde 2 . 1 Wo aber ein Zweifel ist, da sucht sichs, welches am besten sei, da hebt sich der Unterschied der Werke auszumalen, womit er möge Huld erwerben, und geht dennoch zu mit schwerem Herzen und großer Unlust und ist gleichsam gefangen, mehr denn halb verzweifelt, und wird oft zum Narren darob . . . Der mit Gott nicht eins ist oder zweifelt daran, der hebt an, suchet und sorget, wie er doch wolle genug tun und mit viel Werken Gott bewegen. Sermon W. Ä. 6,207. 2

Apologie 20 Müller S.221.

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3. Gott als Grund des guten Werkes.

Demgegenüber gilt es zu betonen, daß, wo der Glaube echt und lebendig ist, die Folge eine beglückende Selbstgewißheit des Täters ist seiner eigenen Handlung gegenüber 1 . Dabei sind folgende Momente zu unterscheiden: a) Diese Gewißheit liegt im gottgläubigen Herzen, nicht in der spekulierenden Vernunft. b) Jeder kann diese Gewißheit der Gottwohlgefälligkeit und des sittlichen Wertes seiner Handlung selbst haben. Darin liegt die entschiedene Ablehnung aller heteronomen Kasuistik. c) In dieser Betonung der sittlichen Selbstgewißheit liegt in keiner Weise die Gefahr eines willkürlichen Subjektivismus. Denn Glaube, der in diesem Falle die sittliche Urteilskraft ist, ist für Luther keine subjektive, sondern eine eminent objektive Größe. d) Wiederum erkennen wir, daß der Glaube der W e r t charakter auch des dinglich-Wertlosen ist. e) Endlich begegnet uns schon hier der hernach genauer zu erörternde Gedanke des gleichmäßigen Wertes der Werke, sofern sie fideliter facta sind.

Kapitel

3.

Gott als Grund des „guten Werkes". 1. Letzten Endes ist Gott Grund der sittlichen Handlung. Das war soeben gezeigt, denn im Grunde war Gott selbst treibende Kraft im Glauben und heiligen Geiste. Nun erhebt sich die große Frage der Heteronomie, und damit lernen wir eine neue Seite am Wesen des Glaubens als sittlicher Triebkraft kennen. 1 Hier kann nun ein jeglicher selbst merken und fühlen, wann er Gutes und nicht Gutes tut. Denn findet er sein Herz in der Z u v e r sicht, daß es Gott gefalle, so ist das W e r k gut, wenn es auch so gering wäre, als einen Strohhalm aufheben, ist die Zuversicht nicht da, oder zweifelt daran, so ist das W e r k nicht gut, ob es schon alle Toten auferwecket und sich der Mensch verbrennen ließe. Das lehret St. Paulus Rö. 14: Alles w a s nicht aus oder in Glauben g e schieht, das ist Sünde. Sermon W . Ä. 6,206.

19

2*

3. Gott als Grund des guten Werkes.

Der Glaube ist nach der Auffassung der Reformatoren keiner Vorschrift bedürftig, welche W e r k e zu tun, und welche zu lassen s i n d A u c h darin liegt ein neues Moment der neuen Sittlichkeit, daß sie die bloß heteronome Verknüpfung von Gott und Sittlichkeit ablehnt. Denn bei solcher bloß äußeren Verknüpfung fehlt notwendig jene glaubensmäßige Verbundenheit mit Gott, die die motivierende Voraussetzung der wirklichen Erfüllung des Gebotes ist. Ein Christ tut nach Luthers W o r t „was ihm vor kommt". In diesem W o r t spricht sich das instinktsichere Wissen des von Gottes Geist Getriebenen um das, w a s sittlich notwendig ist, aus. Die W e r k e sind dem Christen freigestellt, der Glaube aber ist der innere Zwang zum Werk, der auch freiwillig die W e r k e übernimmt, die der Nächste, der noch nicht glaubt, versäumt 2 . Wir finden hier bereits einen Hinweis auf die bei Luther so überaus wichtige sittlich religiöse Beziehung zu dem Nächsten: freiwillige Dienstbarkeit aus zwingendem Glauben. Man kann geradezu von einer Autonomie des Glaubens r e d e n 3 : „Dem Gerechten (das ist dem Gläubigen) ist kein Gesetz gelegt, sondern solche tuen freiwillig, was sie wissen und mögen, allein angesehen in fester Zuversicht, daß Gottes Gefallen und Huld über sie schwebt in allen Dingen. Die anderen wollen solcher Freiheit mißbrauchen, sich falschlich darauf verlassen und faul werden . . . . Die Freiheit des Glaubens gibt nicht Urlaub zu Sünden, wird sie auch nicht decken, sondern gibt Urlaub, allerlei W e r k zu tun." W i r versuchen uns klar zu machen, was dieses W o r t für unsere Frage zu sagen hat. 1 Daraus denn weiter folgt, daß ein Christenmensch in diesem Glauben lebend nicht bedarf eines Lehrers guter Werke, sondern, was ihm vorkommt, das tut er, und es ist alles wohlgetan. Sermon W . fl. 6, 207. 2 Hier sehen wir, daß alle W e r k e und Dinge frei seien einem Christen durch seinen Glauben, und er doch, weil die anderen noch nicht glauben, mit ihnen trägt und hält, daß er nicht schuldig ist. Und das tut er aus Freiheit, denn er gewiß ist, es gefalle Gott also wohl und tut es gerne, nimmts an. W i e ein ander frei Werk, das ihn ohne sein Erwählen auf die Hand stoßet. Sermon W . fl. 6,211. 3

Sermon W . fl. 6 , 2 1 3 .

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3. Gott als Grund des guten Werkes.

a) Es handelt sich um eine positive Freiheit, um die freie Möglichkeit zu wahrhaftiger und vor Gott gültiger Sittlichkeit. Damit ist zweierlei gesagt: einerseits ist die entsprechende negative Freiheit die Freiheit von der Verpflichtung zu Werken im Dienste zu erwerbender Gnade. Hier lag ein heteronomer Zwang vor, noch dazu auf Grund des Mißverständnisses religiöser W e r t e und Verhältnisse. Andererseits aber positiv eine Freiheit zur Tat im Sinne einer nun erst im Glauben von Gott geschenkten Möglichkeit zu Handlungen, die vor Gott gelten und nicht unter das Gericht fallen. b) Die Freiheit ist nicht reine Willkür, denn sie ist keine Freiheit des Willens, sondern eine Freiheit des Glaubens. Das bedeutet, daß der Glaube jene eben bezeichnete negative und positive Freiheit verleiht, denn daß negativ jener heilsgesetzliche Zwang bestand, beruhte auf dem Fehlen des Glaubens, der alle diese irreligiösen Spekulationen zunichte gemacht hätte. Und daß positiv die Möglichkeit sittlicher Handlungen coram deo nicht gegeben war, lag ebenfalls an dem fehlenden Glauben, der, wie wir sahen, der Grund der nova oboedientia ist. c) S o ist Gott also ausgeschaltet, wenn von der Autonomie des Glaubens die Rede ist? Gerade das aber ist das Entscheidende für die neue Art des Gehorsams gegen Gott, daß man ihn als Gesetzgeber entthront hat, nicht um sein forderndes Gesetz in seinen Willen aufzunehmen, sondern um ihn selbst als zwingende Kraft, als fordernden Gesetzgeber und als erfüllenden gnädigen Vater ganz innig sich zu verbinden. S o bleibt Gott der er war, und behält die Funktionen, die er von Ewigkeit übte, und keines seiner Gesetze wird außer Kraft g e setzt, aber Gott naht sich dem Menschen im Glauben und führt ihn selbst zur Erkenntnis dessen, was gut und böse ist und hilft ihm selbst durch novi affectus, demgemäß zu wandeln. S o bleibt Gott Ursprung und Grund der Sittlichkeit nur in einem neuen eigentlich religiösen Sinne, im Sinne einer nova o b o e dientia. An dieser Stelle sei auf Thiemes Auffassung hingewiesen. Für ihn werden sittliche Handlungen zu religiösen durch den

21

3. Gott als Grund des guten W e r k e s .

„Grundwillen des Christen, alles zur Ehre Gottes zu t u n " 1 . W a s an dieser Formulierung auszusetzen ist, ist der rationalistisch moralistische Klang in der Betonung des Willens des Menschen. Nicht der Wille des Menschen entscheidet über den religiösen W e r t einer Handlung, sondern jene innere Motivation aus Gott selbst 2 . 2. Gott ist Grund der Handlung sowohl durch Vermittlung des Glaubens, wovon die Rede war, als auch unmittelbar. Des öfteren werden die sittlichen Handlungen, ihre Notwendigkeit und ihr Wert, abgeleitet aus der Ehrfurcht vor dem Willen Gottes 3 . Die „voluntas dei" ist Ausdruck für die Anerkennung des „Ganz anderen" als Motiv der Sittlichkeit. Die Betonung des Willens Gottes als Grund der Sittlichkeit bedeutet die Ausschließung a) des eigenen Willens und seiner Kraft b) des eigenen Nutzens und aller damit zusammenhängenden eigensüchtigen Heilsspekulationen, c) aller weltlichen Zweckmäßigkeit, d) des Wertes des Gebotenen an sich als bestimmenden Grundes der Handlung 4 . Man könnte von hier aus unter 1 Äuch die rein sittlichen Betätigungen sind eine Ärt Gottesdienst, sofern sie von dem freilich virtuellen, d. h. derzeit nicht e r lebten, unbewußt gewordenen Grundwillen des Christen getragen sind, alles zur E h r e Gottes zu tun. Thieme S. 36, stehe such S. 46. 2 Thieme 86, 87, 103, 96, 97—99, 214, 217, Wünsch S . 14, 19 f., 12 f., 26 f. 3 Praeterea docent nostri, quod necesse sit bona opera facere, non ut confidamus per ea gratiam mereri, sed propter voluntatem Dei. Confessio 20 Müller S . 4 6 . 4 In diesem Zusammenhange sei darauf aufmerksam gemacht, daß dieser „Wille Gottes" für Luther eben der Wille zu unserem Heil ist. Darin sieht Luther den Unterschied zwischen heidnischer und christlicher Gotteserkenntnis, daß die Christen außer um das D a s e i n Gottes auch um seine G e s i n n u n g den Menschen gegenüber wissen, d. h. um den „deus pro nobis". S o sagt er im Gal. Kom. cap. 4, 8. W . Ä. 40, S.608. E . R. 2 , 1 9 1 : Duplex est cognitio Dei, Generalis et propria. Generalem habent omnes homines, scilicet, quod deus sit, quod creaverit coelum et terram, quod sit iustus, quod puniat impios etc. Sed quid Deus de nobis cogitet, quid dare et facere velit, ut a peccatis et morte liberemur et salvi fiamus . . . Homines non noverunt. — Und in der Confessio heißt e s : Iam qui seit se per Christum habere propitium Patrem is vere novit Deum, seit se ei curae esse, invocat eum, denique non est sine Deo sicut gentes. Conf. XX. Müller S . 46.

22

3. Gott als Grund des guten Werkes. Bezugnahme

auf

die

zu

Anfang

des

vorigen

Kapitels

ge-

machte Unterscheidung zwischen causa finalis und causa realis sagen, daß in gewissem Sinne letztlich und entscheidend eine c a u s a finalis der sittlichen Handlung nicht besteht.

Alles sitt-

liche Handeln wird allein von innen her durch causae reales hervorgetrieben,

ohne Gedanken an eine selbständige inner-

weltliche Zweckmäßigkeit.

W i r werden indessen sehen,

daß

z w a r die F r a g e nach einer causa finalis für Luther nie entscheidend ist, daß aber durchaus auch gelegentlich diese F r a g e ihm wichtig wird. Neben der voluntas dei ist es die gloria dei, um derentwillen sittliche Handlungen nötig s i n d 1 .

All unser sittliches Tun, das

1 Ceterum nos saepe iam testati sumus, quod poenitentia debeat bonos fructus parere, et qui sint boni fructus docent mandata, videilicet invocatio, gratiarum actio, confessio evangelii, docere evangelium, obedire parentibus et magistratibus, servire vocationi, non occidere, non retinere odia, sed esse placabilem, dare egentibus, quantum pro facultatibus possumus, non scotari, non moechari, sed coercere et refrenare, castigare carnem non propter compensationem poenae aeternae, sed ne obtemperet diabolo, ne offendat Spiritum sanctum, item vera dicere. Hi fructus habent praecepta Dei et propter gloriam et mandatum Dei fieri debent habent et praemia. flpol. 6 Müller 200. Hlso wird denn der heilige Name Gottes durch unseren verfluchten Namen, eigen Wohlgefallen und Ehrsuchen unnütz angenommen und verunehrt, der allein sollte geehrt werden, welche Sünde schwerer ist vor Gott, denn Totschlag und Ehebruch, aber seine Bosheit sieht man nicht sowohl, als des Totschlages um seiner Subtiligkeit willen, denn sie nicht im groben Fleisch, sondern im Geist vollbracht wird. Sermon W . fl. 6, 220. Was hülfe es doch, so der Mensch allerlei Gutes täte, zu Rom und zu allen heiligen Stätten liefe, allerlei Äblaß erwürbe, alle Kirchen und Stifte baute, wo er hie schuldig erfunden würde in dem Namen und Ehre Gottes, daß er dieselbe geschwiegen und verlassen hätte, sein Gut, Ehre, Gunst und Freund größer geachtet denn die Wahrheit (die Gottes Namen und Ehre selber ist). Sermon W . A. 6,227. Wir suchen jetzt, wie man recht gute Werke tun solle, und die dazu geneigt sind, bedürfen fürwahr nicht, daß sie mit Furcht der Schande und Liebe der Ehre getrieben werden, sondern sie haben und sollen haben ein höher und viel edler Treiben, das ist Gottes Gebot, Gottes Furcht, Gottes Wohlgefallen und ihr Glaube und Liebe zu Gott. Sermon W . Ä. 6, 221.

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Der Gedanke der Nachahmung als Grund religiöser Sittlichkeit.

möglich ist erst durch Gott, soll geschehen wiederum zur Verherrlichung seines Namens. S o liegt Anfang und Ende der Sittlichkeit, ihr Grund und ihr Sinn, in Gott.

K a p i t e l 4.

Der Gedanke der Nachahmung als Grund religiöser Sittlichkeit. 1. Ein neues Moment der Begründung der Sittlichkeit liegt in der Nachahmung des sittlichen Beispiels. Christus selbst bringt in seinem Erdenleben eine Fülle hoher sittlicher Tugengenden zur Erscheinung: Geduld, Milde, Liebe, Mäßigkeit. Der überwältigende Eindruck sittlicher Tugenden weckt Nacheiferung und setzt so sittliches Streben in B e w e g u n g 1 : „Induere Christum dupliciter intelligitur, Legaliter et Evangelice. Legaliter Roma. 13. „Induamini dominum Jesum Christum", Hoc est, Imitemini exemplum et virtutes Christi, Facite et patimini ea, quae ipse fecit et passus e s t . . . . Videmus autem in Christo summam patientiam, summem lenitatem, charitatem et admirabilem in ómnibus rebus moderationem. Hunc ornatum Christi induere, id est, has eius virtutes imitari debemus. Sic alios etiam sanetos imitari possumus." In diesen Worten sind folgende Momente enthalten. a) Diese Art der Begründung sittlichen Verhaltens gehört für Luther unter die Kategorie der bloßen Gesetzlichkeit. Hier liegt allein der Befehl der Nachfolge vor ohne innere Motivation, noch auch ohne daß die Möglichkeit der Nadifolge aufgezeigt wäre. Diese rein äußerliche Sittlichkeit wird keineswegs verworfen, sie ist nötig, aber sie ist nicht eigentlich religiöse Nachfolge. b) Wesentlich also ist, daß man auch zu Christus eine gesetzliche Stellung einnehmen kann. Bestimmend für die alttestamentliche Gesetzesfrömmigkeit ist die Idee der äußeren Nachahmung, mithin eine nur lose äußerliche Verbindung mit Gott, die allein in der Anerkennung und Befolgung des von 1

Gaiater Kom. cap. 3 , 2 7 . W.Ä. 401 S. 540. E. H. 2,126.

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4. Der Gedanke der Nachahmung a!s Grund religiöser Sittlichkeit.

ihm ergangenen Gebotes besteht, wobei die Gottwohlgefälligkeit des Werkes gemessen wird an dem Grade der Kongruenz von W e r k und Gebot. Die vollkommene Deckung von Beispiel und Nachahmung würde bei dieser Betrachtungsweise die höchstmögliche Gottesnähe bezeichnen. Die neutestamentliche Frömmigkeit steht zu dieser Betrachtungsweise im Gegensatz, aber sie steht dennoch selbst, wie Luthers W o r t zeigt, stets in Gefahr, in diese Haltung äußerer Gesetzlichkeit auch Christus gegenüber zu verfallen. c) Luthers Meinung ist nun die, daß diese Nachahmung des Beispiels von W e r t und Wichtigkeit allein insofern ist, als wir dadurch dem Nächsten dienen und ihm ein nachahmenswertes Beispiel g e b e n 1 . Aber: „so können wir auch allen andern Heiligen nacheifern." Das bedeutet, daß für Luther diese Art des Verhaltens nicht unter den Begriff der eigentlichen Sittlichkeit gehört. Denn wir kommen durch solche Nachahmung keinen Schritt näher an Gott heran. Und das ist für Luther das Kriterium christlicher Sittlichkeit, daß sie in und aus unmittelbarer Gottesnähe erfolgt. Diese Haltung der äußeren Nachahmung bedeutet eine Gleichstellung Christi mit allen natürlich irdischen Heiligen, wofern man in ihm nichts sieht als ein nachahmenswertes Beispiel. Selbst die Kongruenz von Beispiel und Nachahmung würde nach Luthers Auffassung von Gott gleichweit entfernt sein, wie das volle Gegenteil zu jenem Beispiel. Christus tritt erst dann heraus aus der Reihe „tugendhafter" Gestalten, wenn eine andere Art der Beziehung zu ihm angeknüpft wird, aus der dann eine andere Art der Nachahmung und der Angleichung an ihn und sein W e s e n folgt. 2. Diese andere Art „Induere vero Christum nativitatis et creationis ipso Christo, hoc est,

der Beziehung ist der Glaube an ihn: Evangelice non est imitationis, sed novae, Quod videlicet ego induor ipsius innocentia, iustitia, sapientia,

Et in hoc imitatur exemplum Christi et conformis fit imagini eius. Nam et hoc ipsum Christus requirit, ut sicut ipse omnia fecit pro nobis, non quaerens quae sua sunt sed tantum modo quae nostra, et in hoc obedientissimus fuit deo patri ita vult, ut et nos idem exemplum ad proximos exhibeamus. W . Ä. 2,147. 1

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4. Der Gedanke der Nachahmung als Grund religiöser Sittlichkeit.

potentia, salute, vita, spiritu e t c . " 1 . Nun wird auch die Angleichung an ihn aus der Sphäre des Willens in die des innersten Wesens verlegt, aus der Sphäre der aktuellen Tat in die des Seins als Voraussetzung der Tat, aus der Sphäre der rein moralischen W e r t e : Milde, Liebe, Geduld usw. in die der rein religiösen Wesensprädikate: Unschuld, Gerechtigkeit, Heil, Geist, Leben usw. — ja, es heißt nun, daß die Nachahmung identisch ist mit einer Bekleidung mit Christus selbst. Von hier aus bekommt der Mensch erst den Blick für den W e r t jener erstgenannten Tugenden im Leben Jesu. Hier erst erkennt er, daß ihr W e r t größer noch ist, als es der äußeren moralischen Betrachtung scheinen wollte, die nur die gesetzmäßige Handlung sah. Denn nun erkennt man den inneren Zusammenhang von Tat und Wesen, einen Zusammenhang, der allein für den religiösen Blick des mit „Christus Bekleideten" erkennbar wird und ihm selbst für sein eigenes Leben als Notwendigkeit und Möglichkeit nunmehr deutlich vor die Seele tritt. 3. Aus dieser innerlichen Ängleichung an Christus folgt dann mit Notwendigkeit das Bestreben, diesem gnädigen Gott sich dankbar zu erzeigen und an dem Nächsten zu vergelten, w a s Gott an ihm getan h a t 2 . An dieser Stelle tritt, wie wir sehen, der Gedanke des Dienstes gegen den Nächsten als eine Art causa finalis auf, j e doch als solche zuvor motiviert durch die causa realis der unmittelbar sich äußernden Dankbarkeit. Dieser Dienst gegen den Nächsten, der hier in die Form gefaßt wird, daß jeder dem anderen ein Christus werden soll, hat selber nicht nur moralischen Sinn, sondern religiösen. S o wenig wie Christus für uns darin seine wesentliche Bedeutung hat, daß er moralisches S. 540. E. fl. 2,127. 1 Gal. Kom. cap. 3, 27, W . Ä. 2 Darum soll sein (des Christen) Meinung in allen Werken frei und nur dahin gerichtet sein, daß er anderen Leuten damit diene und nütze sei . . . so will ich solchem Vater, der mich mit seinen überschwenglichen Gütern also gesegnet überschüttet hat, wiederum frei fröhlich und umsonst tun, w a s ihm gefällt und gegen meinen Nächsten auch werden ein Christus, wie Christus mir geworden ist. Freiheit W . fl.7,35.

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5. Die evangelische Idee des Natürlichen.

Beispiel ist, sondern darin, daß er uns zum Glauben leitet, so wenig soll unser Dienst an dem Nächsten nur moralisches Beispiel sein. Wir sollen die charakteristische Funktion des Christus an den Nächsten üben, eben die, sie zum Glauben zu führen 1 .

II. Teil.

Der Inhalt des „guten Werkes". K a p i t e l 5.

Die evangelische Idee des Natürlichen. 1. Das erste, wovon auszugehen ist, ohne das kein Verständnis dessen möglich ist, was hier als eigentlicher Inhalt des „guten Werkes" darzustellen ist, ist die reformatorische Auffassung des Natürlichen in seiner ausschließenden Gegensätzlichkeit zum Übernatürlichen 2 . a) Die Notwendigkeit einer nova oboedientia, ihr W e sen und ihr Gegensatz zu dem alten Leben ist nach Luthers Meinung einzusehen erst auf dem Boden bereits erfolgter Berührung mit Gott: „Welche (Predigt) soll sein und ist also getan, daß du hörest deinen Gott zu dir reden, wie alle dein Leben und Werk nichts sein vor Gott, sondern müssest mit 1

Vergl. Thieme S. 218 und 270: Der Glaube an die von Gott empfangenen Wohltaten treibt den dadurch warmherzigen und fröhlichen Christen, sie an die Bedürftigen weiterzugeben. S. auch S. 279. 2 Die folgenden Ausführungen berühren sich weithin mit dem, was, soviel ich sehe, der Kern der Theologie Karl Barths und Friedrich Gogartens ist. Verwiesen sei auf Barth: Römerbrief 1923, S. 63, S. 11 und 18 und a. 0 . Hier ist m. E. die Stelle, w o von verschiedenen Ausgangspunkten Rudolf Otto und Karl Barth zusammengehen. Denn Ottos Gedanken über das „Ganz andere", seine Lehre vom „zweiten Sollen" (im Sinne der g e f o r d e r t e n sittlichen und religiösen Haltung des Menschen, die unerfüllbar ist) und die Idee der „Verlorenheit" berühren sich unmittelbar mit Barth. Otto, Aufsätze d. Numinose betreffend. Gotha 1923.

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5. Die evangelische Idee des Natürlichen.

alle dem, das in dir ist, ewiglich sterben. Welches, so du recht glaubst, wie du schuldig bist, so mußt du an dir selbst verzweifeln und bekennen, daß wahr sei der Spruch Mose: O Israel, in dir ist nichts, denn dein Sterben, allein aber in mir steht deine Hülfe" 1 . Also ist keine Buße und Bekehrung, kein sittlicher Zusammenbruch möglich und sinnvoll vor dieser Berührung mit Gott in der angegebenen Weise. Gott muß irgendwie in den Gesichtskreis des Menschen treten, erst auf dieser Voraussetzung beruht evangelisches Glaubensleben. b) Der Inhalt nun dieser Begegnung mit Gott ist sein „Zorn", die „ira dei". „Nam donec humanus animus otiosus est, nec sentit iram aut iudicium Dei fingere potest, quod velil; Deum diligere, quod velit propter Deum benefacere" 2 . Und im Galaterkommentar schreibt Luther: „Docemus enim omnes homines esse impios, liberum arbitrium, vires humanas, sapientiam, iustitiam, omnem religionem voluntariam et quiequid est optimum in mundo damnamus; summa, nihil omnino in nobis esse dieimus, quod vaieat ad promerendam gratiam ac remissionem peccatorum" 3 . Dieser „Zorn" beruht auf der bei uns sich findenden Sünde und das Gesetz Gottes bedeutet unter diesem Gesichtspunkt die Offenbarung jenes Zornes: „Officium ergo legis proprium est nos ducere ex Tabernaculis nostris, id est, ex pace et fiducia nostri, et constituere nos in conspectum Dei et revelare nobis iram D e i " O h n e Frage bedeutet „Sünde" Normwidrigkeit. Doch hinter dieser Auffassung liegt noch eine andere umfassendere Idee der Sünde 5 . c) Die tiefere Einsicht in den Grund des Zornes Gottes erkennt, daß Gott alles Natürliche und Naturentstandene ver1

Freiheit W . R. 7,22. Apologie 4, Müller 88. 3 Gal. Kom. cap. 1,10. W . R. 401 S. 120. E. R. 1,92. 4 Gal. Kom. cap. 2,17. W . H. 401 S. 259. E. Ä. 1, 219. 6 Vergl. Barths Auffassung: Römerbrief S. 18: „der , Z o r n G o t t e s ' ist das Gericht, unter dem wir stehen, sofern wir den Richter nicht lieben. Das Nein, das uns entgegengestellt ist, sofern wir es nicht bejahen. Der immer und überall angemeldete Protest gegen das D a - S e i n und S o - S e i n der Welt, sofern wir ihn uns nicht zu eigen machen." 2

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5. Die evangelische Idee des Natürlichen.

urteilt: „Non enim corpus, partem hominis, sed totum homincm tarn animam quam corpus scriptura voce carnis signat et quoties cum spiritu confertur significat optimas naturae humanae ac praestantissimas virtutes citra Spiritum sanctum . . . Carnis fructus est tarn speciosa illa Socratis aut Catonis virtus quam Caesaris parricida. Tarn carnis fructus sunt speciosissimae Pauli virtutes, quibus praeditus erat, priusquam Christum agnosset, quam Clodiana adulteria" 1 . Und Luther schreibt im Sermon von den guten Werken: „Sieh, also aus Barmherzigkeit und Gnaden Gottes nicht aus ihrer Natur sind die Werke ohne Schuld vergeben und gut um des Glaubens willen, der sich auf dieselbe Barmherzigkeit verläßt. Also müssen wir der Werke halben uns fürchten, aber der Gnade Gottes halben trösten" W a s hier erlebt wird, ist der absolute Gegensatz Gottes zu allem Hiesigen 3 . Auf dem Erlebnis dieses Urgegensatzes ist die gesamte Heilsidee Luthers und seine Lehre vom Inhalt der nova oboedientia aufgebaut. 2. Von hier aus ergibt sich eine Reihe wichtiger Konsequenzen. Zunächst die Einsicht in das Wesen des peccatum originale. Wenn jene Kluft zwischen Gott und Mensch besteht, dann ist Anfang und Grund aller Sünde eben die Betonung des Irdischen dem Unirdischen gegenüber: „Anfang aller Sünde ist von Gott v/eichen und ihm nicht trauen" 4 . Der W e g zur Kreatur im Gegensatz zum Kreator ist die Grundsünde. Und nun ist es so, daß diese Tatsache, Kreatur zu sein und ihr zu vertrauen, uns anhaftet, sobald wir als Wesen auf dieser Welt existieren. Der letzte Grund aller Sünde ist darum ein Tatbestand, ein Sein, das vorgefunden wird. Darum redet Luther von einem peccatum e s s e n t i a 1 e und natale 5 . Dieses Sein ohne Gott ist das verderbende Moment an aller vorgläubigen 1

Melanchthon, Loci communes ed. Plitt 1864, S. 128. Sermon W . fl. 6, 215 f. 3 D. h. zu a'lem „Fleiseh": Quidquid ergo Optimum ac praestantissimum in homine, Paulus vocat Carnem, scilicet summam sapientiam rationis et ipsam iustitiam legis. Gal. Korn. cap. 3,3. W . fl. S. 347. E. H. 1, 313 f. 4 Freiheit W . Ä. 7, 33. 5 W . Ä. 2, Hl. 2

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5. Die evangelische Idee des Natürlichen.

Sittlichkeit: „Hoc est peccatum, quod facit priorem iustitiam esse nihil et malam et maledictam" 1 . Dieser Gegensatz ist vom Natürlichen aus schlechterdings unüberwindbar und darum fehlt aller natürlichen Sittlichkeit, auch wenn sie ihren konkreten Inhalten nach mit der religiösen Sittlichkeit übereinstimmt, der eigentliche Inhalt. Denn was hier erfordert wird, ist, wie wir noch sehen werden, eine inhaltliche Bestimmtheit des Werkes: „Id peccatum (originale, natale) est incurabile viribus hominis, nec aliquid hic valet liberum arbitrium" 2 . Schon von hier aus ist einzusehen, daß das, woran es hier mangelt, wiederum ein essentiale und natale, eine res supra naturam sein muß, wenn anders Sittlichkeit religiöse Sittlichkeit werden soll. Damit zusammen hängt, was oben bereits als Normwidrigkeit erkannt wurde: die aktuelle Sünde, das peccatum actuaie. Auch sie ist mehr als bloße Normwidrigkeit, sie beruht zutiefst auf jenem, fast möchte man sagen, ontologischen Grundtatbestand: „Tertium peccatum est actuaie, quod est fruetus originalis. Haec sunt iam propria peccata omnia scilicet opera, quae faeimus, etiam iustitiae priores ante fidem" 3 . Aus diesen Gedanken ist auch die Auffassung Luthers von Gottes Stellung zur Sünde verständlich. Gott ist Feind allein der Sünde, die im Beharren in jener ontologischen Gegensätzlichkeit und in der damit zusammenhängenden Behauptung des kreatürlichen Eigenwillens besteht: „Nicht also, lieber Mensch, willst du von Sünden gesund werden, mußt du nicht von Gott dich entziehen, sondern viel tröstlicher zu ihm laufen und ihn bitten . . . Gott ist den Sündern nicht feind, denn allein den Ungläubigen. Das ist, die ihre Sünde nicht erkennen, klagen, noch Hülfe dafür bei Gott suchen, sondern durch ihre eigene Vermessenheit sich selbst vor ihm reinigen, seiner Gnaden nicht bedürfen wollen und ihn nicht lassen einen Gott sein, der jedermann gibt und nichts dafür nimmt" 4 . Das Sündhafte an dieser Haltung ist, daß in ihr die Gesinnung der fiducia, die, wie wir sehen werden, das einzige Band ist, das die Menschen mit Gott verbindet, gerade auf den ausschließenden Gegenpol 1 4

W. fl. 2,11. 2 W. Ä. 2,11. Sermon W. fl. 6,237.

3

30

W. fl. 2,15.

5. Die evangelische Idee des

Natürlichen.

Gottes, nämlich auf die Kreatur und die ihr entstammenden W e r k e übertragen wird. Das liegt in den Worten der Apologie, wenn es von dem rechten Glauben heißt: „Haec fides non affert ad Deum f i d u c i a m p r o p r i o r u m m e r i t o r u m , sed tantum fiduciam promissionis seu promissae misericordiae in Christo" 3. Von diesen Erwägungen aus wird Luthers Stellung zur außerchristlichen Sittlichkeit verständlich. Die Tatsache heidnischer Sittlichkeit gemessen an den Begriffen der Moral ist nicht zu leugnen und wird auch von Luther nicht geleugn e t 2 . Dennoch übt Luther eine vernichtende Kritik an ihr. Er zweifelt nicht die edle Gesinnung und den guten Willen an, aus denen die heidnische Sittlichkeit entspringen. Es gibt außerhalb des Christentums durchaus das, was Luther „Tugend" nennt . D i e s e Tugend aber ist für ihn nichts mehr als die K o n gruenz der Gesinnung mit der Forderung des Gebotes 3 . Die Kritik setzt nicht ein bei der Gesinnung, sondern bei der religiösen Haltung, die für Luther unlöslich mit der sittlichen verbunden ist. Auf Grund jenes besprochenen Urgegensatzes von Natur und Übernatur fällt Luther sein Urteil über die außerchristliche Sittlichkeit: E s fehle ihr jene eigene Selbstverurteilung vor Gott. Für Luther ist zunächst keine Sittlichkeit denkbar,, ohne sofort die Beziehung zu Gott in Gedanken herzustellen. Alle Sittlichkeit tritt ihrem Inhalt und ihrem W e r t e nach für Luther sogleich unter den Gesichtspunkt des Heils. Daher ist der Mangel an Erkenntnis des absoluten Gegensatzes alles E i g e Äpologie 4, Müller 94. Vergl. dazu die Kontroverse Gogarten-Holl: H o l l , Gesam. Aufsätze 1. Luther S. 215. — G o g a r t e n , Ethik des Gewissens oder Ethik der Gnade. „Zwischen den Zeiten" 1923, S. 11. 3 Possunt autem opera legis fieri aut ante iustificationem aut post iustificationem. Änte iustificationem multi boni viri etiam inter gentiles, quales sunt Xenophon, flristides, Fabius, Cicero, Pomponius. Ätticus etc. praestiterunt legem et fecerunt egregia opera. Cicero m o r tem fortiter perpessus est in causa iusta et bona . . . Constantia autem et Veritas sunt optimae virtutes ac pulcherrima opera legis,, et tarnen per ea non sunt iustificati. Gal. Kom. cap. 2 , 1 6 . W . Ä. 4 0 r S. 219. E . fl. 1,182 f. 1

2

31

5. Die evangelische Idee des Natürlichen.

nen zu dem heiligen Gott, den Luther in der außerchristlichen Sittlichkeit glaubt feststellen zu können, entscheidend für seine Verurteilung aller heidnischen Sittlichkeiten: „Älso ists um alle Abgötterei getan, denn sie stehet nicht allein darin, daß man ein Bild aufrichtet und anbetet, sondern vornehmlich im Herzen, welches anderswohin gaffet, Hilfe und Trost suchet bei den Kreaturen, Heiligen oder Teufeln und sich Gottes nicht annimmt" 1 . Wir kommen zu der entscheidenden Frage, deren Antwort in den vorhergehenden Ausführungen negativ bereits enthalten war: was ist für den Inhalt einer christlichen nova oboedientia nötig, worin muß das Moment des Neuen liegen? Wir hören, was die Apologie an der katholischen Lehre vom „habitus" zu kritisieren hat: „Exiguum tarnen est, quod huic habitui tribuunt, quia fingunt actus voluntatis ante habitum illum et post illum habitum e i u s d e m s p e c i e i e s s e . Fingunt voluntatem posse diligere Deum, sed habitus ille tarnen exstimulat, ut idem faciat 1 i b e n t i u s" 2 . Für uns ist dieses wichtig, daß getadelt wird, daß die actus voluntatis nach Empfang jenes neuen inneren habitus „eiusdem speciei" seien. Schon von Natur ist Gottesliebe möglich, darum bedeutet der Empfang dieses neuen Habitus keinen prinzipiellen Bruch mit dem alten Leben, nur ein „libentius facere" ist die Folge. Das Neue dieser Art neuer Gerechtigkeit ist mithin nur eine Fortsetzung des natürlichen sittlichen Lebens, nur in gesteigerter Bereitwilligkeit. Von hier aus ist nun deutlich, worin inhaltlich das Neue nach evangelischer Auffassung bestehen muß. Wir haben gesehen, daß der Glaube eine neugeartete Motivation, eine neue sittlich treibende Kraft bedeutete. Wir haben aber noch nicht in Betracht gezogen, daß der Glaube selbst nicht bloß im Dienst der von ihm selbst verschiedenen Werke steht, sondern daß er selbst den eigentlich bestimmenden Inhalt der gebotenen Werke bildet. Das Neue der neuen Sittlichkeit besteht nicht nur in einer neuen Motivation der an sich sonst inhaltlich gleichbleibenden Werke, sondern vor allem kommt es darauf an, daß an den Werken eine eigentümlich neue Bestimmtheit 1

Gr. Katech. W . R. 30,135.

2

32

Apologie 4, Müller S. 89.

6. Der evangelische Sinn des Gesetzes.

wahrgenommen wird, die vom bloß moralischen Standpunkt aus nicht erkannt werden kann. Die Werke müssen selber auf die Seite Gottes gehören. Darum ist es nötig, in diesem zweiten Teil, der von dem Inhalt der nova oboedientia redet, den Glauben zu behandeln unter dem Gesichtspunkt, daß er für die inhaltliche Bestimmtheit des Werkes von entscheidender Bedeutung ist. Um klar zu erkennen, um was es sich handelt, ist auszugehen von einer Darstellung dessen, was nach evangelischer Auffassung der eigentliche Sinn des Gesetzes ist. Denn der Inhalt des Gesetzes muß in irgendeiner Weise auch der Inhalt der nova oboedientia sein, vorausgesetzt, daß das Gesetz im evangelischen Sinne verstanden wird.

K a p i t e l 6.

Der evangelische Sinn des Gesetzes. 1. Es war gelegentlich schon die Rede von der katholischen Auffassung des Gesetzes, die das Gesetz in den Dienst religiöser Werte stellte. Danach hat das Gesetz nur e i n e n Sinn, nämlich seine moralische Forderung durchzusetzen, um religiöse Werte zu verdienen. An dieser Auffassung des Gesetzes übt Luther eine entschiedene Kritik: a) Erste Bedingung des Eintritts des Übernatürlichen in unser natürliches Leben ist für Luther nicht die Anspannung, sondern die Aufhebung der natürlichen Kräfte des Willens und des Verstandes: „Dies ist das höchst und erst Werk Gottes in uns und die beste Übung, unsere Werke nachzulassen, Vernunft und Willen müßig gehen, feiern und sich Gott befehlen in allen Dingen" 1 . b) Sodann wird getadelt die notwendigerweise auftretende Heilsunsicherheit: „Quo magis aliquis studet lege aut operibus consulere conscientiae, hoc magis reddit eam incertam et confusam" 2 . 1 2

Sermon W. Ä. 6, 245. Gal. Koni. cap. 5,3. W. Ä. 102 S. 16. E. Ä. 2,303.

33

3

6. Der evangelische Sinn des Gesetzes.

c) Endlich bedeutet die Gesetzesfrömmigkeit eine Verkünstelung des Verhältnisses zu Gott: „Itaque non pugnamus contra papatum hodie palam impium et sceleratum, sed contra speciosissimos ejus sanetos, qui putant se angelicam vitam agere, dum somniant se non solum praeeepta Dei, sed etiam Consilia Christi et opera non debita seu supererogationis servare" 1 . 2. Dieser Auffassung von dem einfachen Sinn des Gesetzes steht die evangelische gegenüber, die einen doppelten Sinn des Gesetzes kennt: „Hic sciendum est duplicem esse legis usum. Älter civilis est. deus ordinavit civiles, imo omnes leges ad cohercendas transgressiones. Ergo omnis lex lata est ad impedienda peccata. Ergo lex, cum cohercet peccata iustificat? Nihil minus. Quod enim non occido, non committo adulterium, furtum non facio, quod ab aliis peccatis abstineo, non volens aut virtutis amore facio, sed gladium et carnificem metuo . . . Primus ergo intellectus et usus legum est cohercere impios . . . Alter legis usus est Theologicus seu Spiritualis, qui valet ad augendas transgressiones . . . Itaque verum officium et principalis ac proprius usus legis est quod revelat homini suum peccatum, caecitatem, miseriam, impietatem, ignorantiam, odium, contemtum Dei, mortem, infernum, iudicium et commeritam iram apud Deum" 2 . Auf der einen Seite also steht der weltlich moralische Sinn des Gesetzes mit seinem konkreten Inhalt, auf der anderen Seite der religiöse Sinn, der negativ in der Aufzeigung religiöser Unwerte besteht 3 . Dieser negativen religiösen Bedeutung entspricht nun der positive Sinn des Gesetzes: „Decalogus autem requirit non solum ex'.erna opera civilia, quae ratio utcunque efficere potest, sed etiam requirit alia longe supra rationem posita, scilicet vere timere Deum, vere dil'gere Deum, vere invocare Deum, vere statuere, quod Deus exaudiat et exspectare auxilium Dei in morte, in omnibus afflic1

Gal. Kom. cap. 4,30. W . Ä.40i S.687. E. fl.2,284. Gal. Kom. cap. 3,19. W . Ä. 401 S. 481. E. H. 2,60 ff. 3 Non enim moraliter, sed Theologice et fideüter sunt opera inspicienda. Sit ergo in Theologia fides perpetuo divinitas operum et sic perfusa per opera, ut divinitas per humanitatem in Christo. G.K. 3,10. W . fl.40j.417. E.H. 1,384. 2

34

6. Der evangelische Sinn des Gesetzes.

tionibus" 1 . Die iustitia rationis wird unterschieden von einer anderen, deren Inhalt alia longe supra rationem posita ist. Dies ist die zweite inhaltliche Forderung des Gesetzes: Vere timere, vere diligere deum usw. Auf einen Generalnenner gebracht ist sonach der entscheidende Inhalt des Gesetzes der Glaube. 3. Diesen Erwägungen entsprechend gibt es eine doppelte Stellung zur inhaltlichen Erfüllbarkeit der gesetzlichen Forderung: „Daraus merke selber, wie weit voneinander sind das erste Gebot nur mit äußerlichen Werken und mit innerlichem Vertrauen erfüllen . . . Wohlan so gebe an, wer da will fromm sein und guter W e r k e werden und übe sich selbst in allem Leben und Werken zu allen Zeiten an diesem Glauben, lerne stetiglich alles tun und lassen in solcher Zuversicht, so wird er finden, wieviel er zu schaffen hat und wie gar alle Dinge im Glauben liegen" 2 . Erfüllbar sind die Gebote, insofern sie betrachtet werden als Vernunftgesetz, das auch bei den Heiden von Natur her vorgefunden wird. Die Erfüllung so gearteter Gebote ist die oben dargestellte Tugend. Tugend ist Kongruenz von Gesinnung und Tat mit der rationalen Forderung des Gesetzes. Hier ist Erfüllung möglich in der Form fortschreitender Annäherung an die Norm bis zu völliger Deckung. Unerfüllbar aber ist d a s s e l b e Gesetz, wenn es verstanden wird als göttliches Gesetz mit göttlichem S i n n 3 . Der konkrete Inhalt verändert sich seiner Materie nach nicht, gleichwohl wird auch der konkrete Inhalt in seiner Bestimmtheit geändert durch das Vorhandensein des eigentlichen Inhaltes des Gesetzes, nämlich des Glaubens. Diese Forderung des Gesetzes ist, da sie Übernatürliches verlangt, unerfüllbar, und keine M ö g lichkeit g r a d w e i s e n Fortschrittes ist hier gegeben. Äpo'.ogie % Müller 87 f. Sermon W . H. 6, 212. 3 Implendo legem non implemus, nisi prius sine nostro opere et merito justificati simus per iustitiam christianam. Gal. Kom. W . R. lOx S. 46. E . R. 1,18. — L e x enim requirit perfectam oboedientiam erga Deum et damnat eos, qui hanc non praestant. Certum autem est, quod nemo hanc perfectam oboedientiam legis praestet aut praestare possit, quam tarnen Deus praestari vult. Gal. Kom. cap. 2 , 1 7 . W . R. 101 S.257. E. R. 1, 217. 1 2

35

3'

7. Der Glaube als Inhalt des guten Werkes. Kapitel

7.

Der Glaube als Inhalt des „guten Werkes". 1. W e n n man sagt, der Glaube sei die Erfüllung des Gesetzes, so kann das einen doppelten Sinn haben, es kann g e meint sein die Tätigkeit des Erfüllens.

In diesem S i n n e w a r

zuvor davon die Rede, daß der Glaube die sittliche T a t erst e r mögliche.

Andererseits aber kann unter Erfüllung das W e r k

selbst verstanden sein als Inhalt jenes erfüllenden Aktes. von ist hier die Rede.

Da-

Der Glaube ist nicht nur als treibende

Kraft von W e r t , sondern auch als eine Kraft, die der Leistung eine eigene Bestimmtheit verleiht: „Dieser Glaube, Treue, Zuversicht des Herzens gründlich, ist wahrhaftige Erfüllung des ersten Gebotes, ohne welchen sie kein W e r k ist, das diesem Gebot möge genug tun. Und wie dies Gebot das allererst höchst best ist, aus welchem die andern alle fließen, in ihm gehen und ihm gerichtet und gemäßigt werden.

Also ist auch sein W e r k

(das ist der Glaube oder Zuversicht zu Gottes Hulden zu aller Zeit) das allererst, höchstbeste, aus welchem alle anderen fließen, gehen, bleiben, gericht und gemäßigt werden

müssen"1.

a) Der Glaube selbst erscheint als W e r k , jedoch nicht als W e r k n e b e n anderen W e r k e n , sondern ü b e r allen W e r k e n : „Daß aber diese Reden seltsam sind

und mich etliche einen

Ketzer darob schelten, geschieht darum, daß sie der blinden Vernunft oder heidnischer Kunst gefolget, den Glauben gesetzt haben, nicht über, sondern neben andere Tugend und ihm ein Eigenwerk geben, abgesondert von allen W e r k e n der anderen Tugend, so er doch allein a l l e

anderen

Werke

ver-

g ü t e t , angenehm und würdig macht, da mit, daß er Gott trauet und nicht zweifelt, es sei vor ihm alles wohlgetan, w a s der Mensch t u t " 2 . Der Glaube ist somit die eigentliche Erfüllung aller G e b o t e : „Der Glaube ist das, darum er gerecht vor Gott geachtet wird. S t e h e t denn die Gerechtigkeit im Glauben, so ists klar, daß er allein alle Gebote erfüllt und ihre W e r k e rechtfertig m a c h t " 3 . Darin ist ausgesprochen, w a s noch besonders zu betonen sein 1 3

Sermon W. A. 6,209 f. Sermon W . Ä. 6, 211.

2

Sermon W. fl. 6,206.

36

7. Der Glaube als Inhalt des guten Werkes.

wird, daß hier der Glaube nicht als Kraft der Erfüllung, sondern als Sinn der Erfüllung in Frage kommt. Der innerste Wille des Gesetzes zielt mithin in erster Linie nicht auf das Werk, das er gebietet, sondern auf das „Heil" dessen, der es tun soll. Kein Werk erreicht Gott denn allein der Glaube 1 . Aber auch der Glaube ist kein Werk, das aus sich einen Wert vor Gott hätte: „Fides non ideo iustificat, aut salvat, quia ipsa sit opus per sese dignum, sed tantum quia aeeipit misericordiam promissam" 2 . b) Der Glaube ist nun aber nicht nur das geforderte Werk des ersten oder der ersten drei Gebote, sondern in derselben Weise sieht Luther den eigentlichen Sinn auch der anderen Gebote im Glauben: „Also soll nun das erste Gebot leuchten und seinen Glanz geben in die anderen alle . . . als nämlich im anderen Gebot, daß man Gott fürchtet und seines Namens nicht mißbrauche, zu fluchen, lügen, trügen und anderer Verführung oder Büberei, sondern recht und wohl brauche mit Anrufen, Beten, Loben und Danken aus Liebe und Vertrauen treiben und zwingen, daß man sein Wort nicht verachte, sondern lerne, gerne höre, heilig halte und ehre, danach weiter durch die folgenden Gebote gegen den Nächsten, auch also alles aus Kraft des ersten Gebotes . . . Also siehest du, wie das erste Gebot das Haupt und Quellborn ist, so durch die andern alle gehet und wiederum alle sich zurückziehen und hangen in diesem, daß End und Anfang alles ineinander geknüpft und gebunden ist" 3 . Und an einer anderen Stelle heißt es in der Apologie, daß opera externa zwar ohne Christus möglich seien, daß aber der eigentliche Sinn des göttlichen Gesezes die „afiectus cordis erga deum" seien 4 . 1

Mit keinem anderen Werk mag man Gott erlangen oder verlieren, denn allein mit Glauben oder Unglauben, mit Trauen oder Zweifeln, der anderen Werk reichet keins nicht bis zu Gott. Sermon W.Ä.6,217. 2 Rpologie Müller 96. 3 Gr. Kat. W. fl. 30,181. 4 Quamquam igitur civilia opera, hoc est, externa opera legis sine Christo et sine Spiritu saneto aliqua ex parte fieri possint, tarnen apparet ex his, quae diximus illa, quae sunt proprie legis divinae, hoc

37

7. Der Glaube als Inhalt des guten

Werkes.

c) Mithin geschieht die Erfüllung v o r allen Werken und darum abgesehen auch von den Werken, die jener Erfüllung folgen werden: „Wenn man ehret die Gebote mit Werken zu erfüllen, so die Erfüllung v o r allen Werken durch den Glauben muß geschehen sein und die Werke folgen nach der Erfüllung" 1 . Das heißt also, daß der Glaube nicht etwa bloß darum die Erfüllung des Gesetzes ist, weil durch ihn im oben dargestellten Sinne kausal die erfüllenden Werke folgen. Der Glaube selbst ist der eigentliche Sinn des Gesetzes. d) Endlich ist in diesem Zusammenhang der Begriff der Vergebung einzuführen. Damit greifen wir zurück auf das im Kapitel 5 Gesagte. Es war davon die Rede, daß jene Idee des Natürlichen im Gegensatz zum Übernatürlichen die Grundlage der nova oboedientia bildet. Worauf es vom Inhalt aus gesehen vor allem ankommt, ist, daß aktuell jene unüberbrückbare Kluft zwischen dem Natürlichen und dem Übernatürlichen überwunden wird. Das heißt, daß das Werk als solches Wesenszüge trägt, die es vor Gott gültig machen. Oder anders ausgedrückt: „Vergebung" ist nötig für die Sünde 2 . Und nun ist es nach Luthers Auffassung so, daß jener motivierende Glaube zugleich auch der h e i l i g e n d e und rechtfertigende Glaube ist, der seine Wesensbestimmtheit an das von ihm gewirkte Werk vererbt, so sehr dies auch als opus weniger ist, als es scheint, es ist „gutes", „heiliges" Werk: „Daß du aber aus dir und von dir, das ist aus deinem Verderben kommen mögest, so setzt er dir vor seinen lieben Sohn Jesum Christum und läßt dir durch sein lebendiges tröstliches Wort sagen: du sollst in denselben mit festem Glauben dich ergeben und frisch in ihn vertrauen. So est, affectus cordis erga Deum, qui praeeipiuntur in prima tabula non posse fieri sine Spiritu saneto. Apologie 3, Müller 110. 1 Freiheit W . fl. 7, 26. 2 Worum es sich handelt ist allein der religiösen Erkenntnis b e greiflich: Ratio non videt magnitudinem huius rei, quae in spiritu considerata amplissima et infinita est. Nemo enim nec verbis nec cogitatione consequi potest, quantum donum sit habere loco legis, peccati, mortis, irati Dei Remissionem peccatorum, iustitiam et vi tarn aeternam ac perpetuo propicium et faventem Deum. Gal. Kom. cap. 5,1. W . H. S. 6. E. Ä. 2,291.

38

7. Der Glaube als Inhalt des guten

Werkes.

sollen dir um desselbigen Glaubens willen alle deine Sünden vergeben, alle dein Verderben überwunden sein und du gerecht, wahrhaftig, befriedet, fromm und alle Gebote erfüllet sein von allen Dingen frei sein" 1 . Der Glaube ist causa realis der Vergebung, er überwindet die Sünde sowohl im Sinne der Normwidrigkeit, als auch im Sinne des „Verderbens", das im naturhaft Gegebenen liegt. Alle Gebote sind erfüllt inhaltlich und abgesehen von der wirklichen Erfüllung, die aus demselben Glauben (fides efficax), wie gezeigt wurde, folgen wird. 2. Dieser Gedanke der Heiligung des Werkes als wesentliches Inhaltsmoment der nova oboedientia sei im folgenden noch nach einigen Seiten hin näher charakterisiert. a) W a s an den Werken gefordert ist, ist eine eigentümliche Bestimmtheit, die im vollen Gegensatze steht zu allem menschlich Natürlichen: „Also hilft es die Seele nichts, ob der Leib heilige Kleider anlegt, wie die Priester und Geistlichen tun, auch nicht ob er in den Kirchen und heiligen Stätten sei. Auch nicht, ob er mit heiligen Dingen umgehe. Auch nicht, o b er lieblich bete, faste, walle und alle guten Werke tue, die durch und in dem Leibe geschehen möchten ewiglich. Es muß noch alles etwas anderes sein, das der Seele bringe und gebe Frommheit und Freiheit" 2 . Gefordert ist „Frommheit", oder wie die Ursache dieser Frommheit genauer genannt wird: Glaube: ,,Requirit igitur fidem etiam in bonis operibus, ut credamus nos placere Deo propter Christum, nec opera ipsa per se digna «sse, quae placeant" 3 . b) Von diesem Glauben empfangen die Werke ihre „Gutheit" wie ein Lehen: „Das erste und höchste, alleredelste gute Werk ist der Glaube . . . denn in diesem Werke müssen alle Werke gehen und ihrer Gutheit Einfluß gleich wie ein Lehen von ihm empfangen" 4 . Das erste Gebot als die ausdrückliche Forderung des Glaubens soll seinen Glanz geben in die anderen Gebote und ihre Werke: „ W o ein solches Herz gegen Gott ist, das hat dieses und alle anderen Gebote erfüllt" 5 . 1 3 6

Freiheit W . Ä. 7, 22. 2 Freiheit W . Ä. 7,21. Apologie 3, Müller 118. 4 Sermon W . Ä. 6, 204. Gr. Kat. W . fl. 30,180.

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7. Der Glaube als Inhalt des guten Werkes. c) Der W e . t : h a - a k f e : des W e r k e s richte! sich somit danach, ob diese innige Zuversicht zu Gott vorhanden ist als Brücke zu ihm: „Hie; kann ein jeglicher selbst merken und fühlen, w a n n er Gutes und nicht Gutes tut. Denn findet er sein Herz in der Zuversicht, daß es Gott gefalle, so ist auch das W e r k gut» wann es auch so gering w ä r e als einen Strohhalm aufheben, ist die Zuversicht nicht da oder zweifelt daran, so ist

das

W e r k nicht gut, o b es schon alle T o t e n auferweckt und sich der Mensch verbrennen

ließe"1.

d) Ist dieser Glaube vorhanden, so ist die Möglichkeit der S ü n d e von vornherein

ausgeschlossen:

„Wer

aus Gott

boren ist (das ist wer glaubt und Gott trauet), nicht und k a n n

nicht s ü n d i g e n " 2 .

der

ge-

sündiget

W i r werden hernach da-

von zu reden haben, wie Luther sich das Verhältnis des alten und neuen L e b e n s denkt. Der tiefste Sinn der nova oboedientia. ist somit die „Entprofanisierung" des natürlichen W e r k e s , ein Vorgang keineswegs zunächst moralischer Art, sondern zutiefst eine religiöse Angelegenheit der Seele,

„ein Vorgang in

der

S p h ä r e des Gemütes und innersten W e s e n s , der mit einer sittlichen Umwandlung zunächst nichts zu tun h a t " 3 . 3. Endlich sei noch ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die n o v a oboedientia keineswegs in einer neuen

inhaltlichen

Gesetzgebung besteht. Die Materie der neuen Sittlichkeit ändert sich gegenüber der, die von jeher nach Luthers Meinung b e kannt war, in keiner W e i s e .

Nach Luthers Auffassung sind

die zehn Gebote auch außerhalb des Christentums in aller M e n schen Herzen geschrieben: „Die zehn Gebote sind auch s o n s t in aller Menschen Herzen geschrieben, den Glauben aber kann keine

menschliche

Klugheit

begreifen

heiligen Geiste gelehrt w e r d e n " 4 .

und

muß

allein

vom

Das Neue ist der rational

nicht begreifbare und aus natürlichen Kräften nicht e r w e c k b a r e Glaube.

Und z w a r wie wir sahen, in doppeltem S i n n e :

als

belebende, erneuernde, erfüllende Triebkraft und auf der anderen S e i t e als heiligende übernatürliche M a c h t

in und an den

Werken. Sermon W. Ä. 6,206. » Wünsch a . a . O . 2 4 f .

1

2 4

Sermon W. fl. 6,206. Gr. Kat. W. fl.30,192; Wünsch S.69.

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8. Der Gedanke des sittlichen Fortschritts.

K a p i t e l 8.

Der Gedanke des sittlichen Fortsdiritts. 1. W i e verhält es sich mit der Möglichkeit sittlicher Vervollkommnung bei dem dargestellten Tatbestand? Ist sittliche Vervollkommnung, ist sittlicher Fortschritt möglich? Die Antwort ist nicht so leicht zu geben. Zunächst ist festzustellen, daß die Erfüllung des Gesetzes zu unterscheiden ist von konkretem Fortschritt sittlicher Vollendung. Jene eigentliche innere Erfüllung, von der die Rede war, und die ohne Beziehung zu Gott für Luther undenkbar ist, kennt keinen Fortschritt im eigentlichen Sinne. Denn was wäre Fortschritt? Eine gradweise Annäherung nicht an die Norm, sondern, da ja Supranaturales und die iustitia die Erfüllung bilden, an Gott. Dieser Übergang aus dem Natürlichen in das Übernatürliche ist für Luther undenkbar 1 . Die Erfüllung in diesem eigentlichen Sinne erfolgt „in einem Augenblicke" und dann ganz und vollkommen: „Haec est iustitia infinita et omnia peccata in momento absorbens" 2 . a) Das Moment der Unbegrenztheit ist das Zeichen der Übernatur, die allein jene Erfüllung im inhaltlichen Sinne bedeutet, b) Der Ausdruck „omnia peccata" zeigt, daß die Erfüllung vollkommen ist. c) Die Formulierung „in momento absorbens" beweist, daß die sofortige Vollendung gegeben ist mit dem Empfang göttlichen Glaubens, heiligen Geistes, kurz, mit dem Überkommen der iustitia. Mit einem Schlage ist der Mensch in eine andere Sphäre gehoben, aus dem Natürlichen ins Übernatürliche. Der W e r t der Werke, von dem wir noch zu sprechen haben, ist zunächst völlig gleichgültig, es kommt allein an auf diesen vielleicht ganz geringen und schwachen Funken göttlichen Lebens in der S e e l e 3 . 2. Die Auffassung, die Luther bekämpfte, war anderer M e i nung. Alles sittliche Bemühen stand im Dienste zu erwerben1 E s hieße das eben Gott n e b e n die Dinge und Kräfte dieser Welt stellen, wogegen Barth sich mit besonderer Leidenschaft wehrt als gegen die E h r f u r c h t s l o s i g k e i t , über die das G e r i c h t Gottes ergeht (Römerbrief S. 19). 2 W . H. 2,146. 3 Sermon W . Ä. 6,206.

41

8. Der Gedanke des sittlichen Fortschritts.

der iustitia. Daher nahm es seine Antriebe. Daher bekam es seinen Sinn. Für katholische Werkgerechtigkeit — das liegt in der Idee der Sache — ist es durchaus möglich und notwendig, von sittlicher Vervollkommnung zu reden. Denn die sittliche Vollendung und der Empfang der iustitia fallen hier zusammen. So ergibt sich eine gradweis fortschreitende Inbesitznahme der iustitia vor Gott. Der sittliche Fortschritt ist zugleich Fortschritt der Heiligung und Rechtfertigung. Was folgt daraus grundsätzlich? a) Die Begrenzung sittlichen Strebens durch ein religiöses Ziel. W o die Gerechtigkeit erreicht ist, hört notwendig das sittliche Bemühen auf, das allein im Dienste zu erwerbender Gerechtigkeit seinen Sinn hatte. b) Andererseits ist, wo sittliche Vollkommenheit und Gerechtigkeit vor Gott auf die angegebene Art verbunden sind, das religiöse Ziel in eine unerreichbar ungewisse Ferne gerückt, da sittliche Vollendung eben eine „ewige Aufgabe" ist, wenn anders man nicht Höhe und Würde sittlichen Lebens opfert. 3. Und nun die andere Seite. Sprachen wir zunächst davon, daß Fortschritt für evangelische Auffassung undenkbar sei im Sinne fortschreitender Rechtfertigung, so ist nun zu betonen, daß die Luthersche Auffassung gerade die grenzenlosesten Möglichkeiten sittlicher Vollendung eröffnet, da ja alles Werk erfolgt auf dem Boden bereits erlangter iustitia und darum seinen selbständigen Zielen und Werten leben kann, ungebunden an religiöse Interessen. Die sittliche Vervollkommnung besteht für evangelische Auffassung in dem notwendig einsetzenden Kampf zwischen dem Geist und dem noch unheiligen und widerstrebenden „Fleisch": „Et ita Christus expellit Adam de die in diem magis et magis secundum quod crescit illa fides et cognitio Christi. Non enim tota simul infunditur, sed ineipit, proficit et perficitur tandem in fine per mortem" 1 ). Die Aufgabe der „castigatio carnis" wird immer aufs neue von Luther eingeschärft. In diese Formel faßt sich alles 1

W . Ä.2,116.

42

8. Der Gedanke des sittlichen Fortschritts.

zusammen, was an sittlicher Selbstzucht und Vervollkommnung gefordert ist, wovon hernach noch genauer zu reden sein wird. All das erfolgend auf dem Boden geschenkter iustitia in Glaube und Geist 1 . Möglich und notwendig ist ferner eine fortschreitende Vertiefung und Stärkung des Glaubens: „Solche W e r k e aber und Leiden sollen im Glauben und guter Zuversicht göttlicher Huld geschehen, auf daß, wie gesagt ist, alle W e r k e im ersten Gebot und Glauben bleiben und der Glaube sich in denselben übe und stärke, um welches willen alle anderen Gebote und W e r k e gesetzt s i n d " 2 . S o sehr also der Glaube, jene übernatürliche Macht, dem Wachstum unterworfen ist und der Vertiefung bedarf, so wenig ist damit eine größere Annäherung an Gott gegeben. Die iustitia ist empfangen. Der große Schritt aus der Sphäre des Natürlichen in die des Übernatürlichen ist erfolgt, als der erste schwache Funke göttlichen Lebens in die Seele fiel. Dieser Funke soll zur hell lodernden Flamme werden und den Menschen selbst immer mehr durchdringen, an dem Gnadenverhältnis zu Gott wird dadurch nichts geändert oder gebessert. 5. Fragen wir zusammenfassend nach dem Verhältnis des alten und neuen Lebens in dem Menschen, so läßt sich diese Frage am besten mit Luthers eigenen Worten beantworten: „Sum quidem peccator secundum praesentem vitam et eius iustitiam, ut filius Ädae, ubi accusat me lex, regnat mors, et devorabit me, sed supra hanc vitam habeo aliam iustitiam, aliam vitam quae est Christus, filius Dei, qui nescit peccatum et mortem, sed est iustitia et vita aeterna . . . Ita utrumque manet dum hic vivimus." „Gratia non sie transformat pios, ut statim per omnia reddat novos et perfectos, sed relinquuntur adhuc in piis reliquiae veteris vi Iii naturalis. Ut iracundus natura, si convertitur ad Christum, etiamsi mitigetur per gratiam, et Spiritussanetus imbuat cor ipsius, ut fiat clementior, tarnen ipsum Vitium in carne non plane exstinguitur . . . . manent in ipsis 1 s

Wünsch S. 38 f.; 42. Sermon W . Ä. 6, 249.

43

8. Der Gedanke des sittlichen Fortschritts. reliquiae istius duritiei" 1 .

Dabei sind folgende M o m e n t e von

Bedeutung: a) Das alte und das neue Leben bleiben als solche n e b e n einander bestehen. b) Und zwar bleibt die Sünde „nach dem gegenwärtigen L e b e n " , das heißt, die iustitia, von der die Rede war, ist keine iustitia effectiva, oder doch wenigstens nicht in erster Linie. Die Gerechtigkeit, die dem W e r k e anhaftet, liegt in einer a n d e ren Ebene, als die sichtbare T a t und die moralische

Sünde2.

c) Dennoch ist innerlich mit dem Glaubenden auch effektiv etwas vorgegangen.

Er ist durch die Gnade nicht völlig v e r -

wandelt, aber wir haben oben darzustellen versucht, daß der Glaube eine treibende Kraft ist, die auch effektiv rein moralisch gesehen gute oder doch bessere W e r k e als zuvor hervorbringt. d) Dennoch sind diese moralisch vielleicht sehr unvollkommenen W e r k e „heilig".

„ S a n c t i igitur sunt omnes,

quotquot

credunt in Christum, sive masculi, sive foeminae, sive servi, sive liberi etc. sint, non ex suis operibus, sed Dei, quae fide aeeipiunt, ut sunt Verbum, Sacramenta, Christi passio, mors, resurrectio, victoria, Spiritus sancti missio etc. In summa, Sancti sunt sanctitate passiva, non a c t i v a " 3 . Das w a r ja die inhaltliche Bedeutung des Glaubens, neben seiner formalen als Triebkraft, daß alles, w a s im Glauben g e schieht, ob es gleich moralisch unvollkommen ist, vor Gott d a rum doch „heilig" ist. Gal. Kom. W. R. S. 48. E. R. 1,19 f.; cap. 3,1. W . R. 40, S. 312. E. R. 1,275. — Sic homo Christianus simul iustus et peccator. Sanctus, prophanus, inimicus et filius Dei est. Gal. Kom. cap. 3, 6. W . R. 40x S. 368; E. R. 1,335. 2 Vgl. Barth, Römerbrief S. 128: „Kein Einswerden von Gott und Mensch findet statt, keine Äufhebung der Todeslinie . . . Es bleibt der Mensch Mensch und Gott Gott. Es bleibt die Notwendigkeit des Glaubens." > Gal. Kom. cap. 5,19. W. R. 40i S. 103; E. R. 3,34. — Impossibile est frater, te sic fieri iustum in hac vita, ut corpus tuum sit lucidum sine maculis velut sol, sed habes adhuc rugas et maculas, et tarnen S a n c t u s es. Gal. Kom. cap. 3,6. W. A. ^ S.369; E. fl. 1,336. 1

44

9. Der Wert der äußeren Werke.

K a p i t e l 9.

Der Wert der äußeren Werke. 1. Wir besinnen uns in Kürze noch einmal auf den Wert der opera externa, von deren inhaltlicher Bestimmtheit wir in dem folgenden Abschnitt ausführlich zu reden haben. Luther spricht gelegentlich von der iustitia rationis, die ihren eigenen weltlichen Sinn hat, abgesehen von aller iustitia vor Gott. Diese Sittlichkeit, die für Luther im eigentlichen Sinne keinen Anspruch auf diesen Namen hat, hat ihren Sinn, ihre causa finalis, in weltlicher Zweckmäßigkeit. Sie wird gefordert und ist zu erfüllen rein um des Gebotes willen. „Nos autem de iustitia rationis sie sentimus, quod Deus requirat eam, et quod propter mandatum Dei necessario sint facienda honesta opera, quae Decalogus praeeipit . . . Vult enim deus coerceri carnales illa civili diseiplina et ad hanc conservandam dedit leges, litteras, doctrinam, magistratus, poenas. Et potest hanc iustitiam utcunque ratio suis viribus efficere, quamquam saepe vincitur imbecillitate naturali et impellente diabolo ad manifesta flagitia" l . Diese Gesetze kann die menschliche Kraft erfüllen. Das heißt, für die Erfüllung dieser Art von Geboten besteht die grundsätzliche Möglichkeit der Erfüllung, da kein übernatürlicher Inhalt gefordert wird, für den von vornherein die Möglichkeit der Erfüllung ausgeschlossen wäre. Wenn dennoch die Erfüllung der iustitia rationis zu wünschen übrig läßt, so liegt das an rein menschlichen Mängeln und Schwächen. Dann reicht die g r u n d s ä t z l i c h zur Erfüllung befähigte Kraft zur Vollendung dieser opera honesta nicht aus. 2. In diesen Zusammenhang gehört auch Luthers Beurteilung des Gesetzes, insofern es nicht hineingreift in die eigentlich religiösen Beziehungen der Seele zu Gott. Die Grenzen des Gesetzes als solchen, rein als Vernunftgesetz betrachtet, liegen im „Fleisch". Hier allein hat das Gesetz das Bereich seiner Geltung und Herrschaft. Will es diese Grenzen überschreiten und in das Gewissen eindringen, dann ist es in seine Schranken zurückzuweisen: „Diximus autem supra, quod lex in 1

Apologie 4, Müller 91.

45

9. Der Wert der äußeren Werke. Christiano non debeat excedere limites suos, sed tantum habere dominium in carnem quae et ei subiecta sit et sub ea maneat. Hoc ubi fit, consistit lex intra limites suos. Si vero vult ascendere in conscientiam, et ibi dominari, vide ut tum sis bonus dialecticus et recte dividas, neque plus tribuas legi, quam ei tribuendum est." . . . „Lex manebit extra coelum, hoc est, extra cor vel conscientiam, E contra libertas Evangelica maneat extra terram, hoc est, extra corpus et membra ipsius." . . . „Debemus extra conscientiam, facere e x ea (lege) Deum, in conscientia vero est vere diabolus, quia in minima t e n t a t o n e non potest erigere et consolari conscientiam, imo plane diversum facit, terrei et contristai eam et a fiducia iustitiae, vitae et omnis boni rapit" 1 . Wir sehen also auch hier wieder die doppelte Betrachtung des Gesetzes. Hier hat das Gesetz seinen Sinn allein im Natürlichen und ist darum gut und zu erfüllen. Es gibt also, um das zusammenfassend festzustellen, für Luthers Auffassung drei verschiedene Arten des Tuns: das natürliche Tun, das moralisch normierte Handeln und das religiöse W e r k : „Quare aliud est facere in natura, aliud in Philosophia, aliud in Theologia. In natura primum oportet esse arborem, deinde fruetum. In morali Philosophia facere est: habere bonam voluntatem et rectam rationem operandi; ibique consistunt Philosophi. Hinc Theologia dieimus moralem Philosophiam non habere in objecto et causa finali Deum, Quia Aristoteles, Sadducaeus, vel homo civiliter bonus, vocat hoc rectam rationem et bonam voluntatem, si quaerat communem utilitatem Reipublicae, tranquillitatem et honestatem. altius non assurgit Philosophus vel legislator, non cogitai per rectam rationem etc. consequi remissionem peccatorum et vitam aeternam, ut Sophista aut Monachus. Ideo Gentiiis Philosophus Ionge melior est tali Iusticiario, manet enim intra limites suos, habens tantum rationem honestatis et tranquillitatis publicae, non miscens humanis divina. Hoc Sophista non facit; imaginatur enim Deum spectare suam bonam intentionem et opera. Ideo miscet divinis humana, polluitque nomen Dei . . . Itaque oportet nos altius ascendere in Theologia, cum 1 Gal. Kom. W . A . 4 0 i S . 5 0 ; E. Ä. 1,22. — cap. 2,14. W. A.40i S. 208; E. A. 1,173. — cap. 4,3. W. A. 401 S. 558; E. A. 2,145.

46

9. Der Wert der äußeren Werke. vocabulo Faciendi, ut plane novum fiat . . .

E r g o facere in

T h e o l o g i a necessario pracrcquirit ipsam f i d e m " 1 . D a in diesem W o r t e Luthers aus dem Galaterkommentar von 1 5 3 5 alle bisher behandelten M o m e n t e enthalten sind, stellen wir sie an der Hand dieser Formulierungen noch einmal kurz nebeneinander: a) Das natürliche Tun erfolgt nach den immanenten setzen der Natur selbst, es ist unnormiertes W a c h s e n

Ge-

(arbor-

fruetus). b) Das moralische Tun ist hiervon unterschieden dadurch, daß es unter Gesetzen erfolgt, die aus einer anderen S p h ä r e stammen als der naturgegebenen, aus der an sich auch zur Erde gehörenden

S p h ä r e des Willens und des Verstandes

praerequirit bonam voluntatem et rectam rationem

(facere

operandi).

c) Das religiöse Empfinden tadelt an dieser Art Tun, daß Gott als treibende Kraft dabei nicht vorkommt als eigentlicher Sinn der Handlung. d) Dennoch ist der Standpunkt der reinen Moral wertvoller als der Standpunkt der „ S o p h i s t e n " , d. h. derer, die moralisches Bemühen in den Dienst religiöser W e r t e stellen. Denn hier liegt eine Vermischung von Göttlichem und Menschlichem vor, mithin eine Verkennung jenes Urgegensatzes von Natürlichem und Übernatürlichem. e) Gott meint nicht in erster Linie die bona intentio des Handelnden, sondern verlangt ein vollkommenes Novum, n ä m lich den Glauben. 3. Endlich ist noch ein W o r t zu sagen über die Aufhebung des Wertunterschiedes der opera externa, insofern sie aus Glauben und in Glauben geschehen. Die W e r k e , von denen im Z u sammenhang der iustitia rationis gesprochen wurde, bemessen ihren W e r t natürlich nach ihrer Zweckdienlichkeit. Die W e r k e aber, die „im Glauben g e h e n " , unterliegen einer doppelten B e urteilung.

Auf der einen S e i t e ist der in den W e r k e n als in-

haltliches

Moment

lebendige

Glaube

die nivellierende

Kraft.

Die W e r k e sind untereinander gegen Gott gerechnet von gleichem W e r t e : „In diesem Glauben werden alle W e r k e gleich, 1

Gal. Kom. cap. 3,10. W . R . 1 0 , S. 410 ff; E. A. 1,377.

47

9. Der Wert der äußeren Werke. und ist eins wie das andere,

fällt

ab aller Unterschied

der

W e r k e , sie seien groß, klein, kurz, lang, viel oder wenig. Denn nicht die W e r k e ihretwegen,, sondern von des Glaubens wegen angenehm sind, welcher einig ohne allen Unterschied in allen und jeglichen W e r k e n ist, wirkt und lebet, wieviel und unterschiedlich sie immer s e i e n " 1 .

Das ist nach dem oben über die

Möglichkeit des Fortschrittes Gesagten die notwendige Folge. An dem W e r t der W e r k e v o r Gott wird nichts geändert durch höhere

Vollendung.

Alle

weltlich

irdischen

Zweckgesichts-

punkte und moralischen M a ß s t ä b e scheiden für diese Beurteilung völlig aus. Denn sie gehören auf die Seite des Natürlichen und begründen darum vor Gott keinen Unterschied. Auf der anderen Seite aber werden die W e r k e nach G e sichtspunkten der vernünftigen Zweckmäßigkeit und ihrer Übereinstimmung mit dem Gesetz gemessen und beurteilt. Und hier ergibt sich dann allerdings die Möglichkeit des Unterschiedes des einen W e r k e s von dem anderen: „Und wiewohl ich droben gesagt und auch w a h r ist, daß kein Unterschied ist unter den W e r k e n , w o der Glaube ist, so ists doch zu verstehen, wenn sie gegen den Glauben und sein W e r k geachtet werden, aber sie untereinander zu messen, ist ein Unterschied und eines höher denn das a n d e r e " 2 . 4. Ein letzter Gesichtspunkt zur Beurteilung des W e r t e s der W e r k e ist noch zu nennen. Nach Luthers Auffassung bedeuten die W e r k e zugleich eine Übung und S t ä r k u n g des Glaubens, von deren Notwendigkeit oben die Rede w a r : „ W o er (Gott) es (das Gebot) allein täte, so wären seine Gebote uns vergebens gesetzt, dieweil niemand Ursache hätte, sich zu üben in den großen W e r k e n derselben Gebote, würde auch niemand versuchen, ob er Gott und seinen Namen für das höchste Gut achtet und um seinetwillen alles zusetzt." Und Thieme schreibt über die Bedeutung des guten W e r k e s für den Handelnden:

„Wir

hörten Luther viele Erfolge und Vorteile der guten W e r k e für den Handelnden rühmen: sie verschaffen ihm ein gutes wissen der W e l t gegenüber,

sie mildern die Strafen,

Ge-

sie ver-

dienen zeitlichen Lohn, sie mehren den Glauben und seine Hei1

Sermon, W. Ä.6,206.

2

Sermon, W . Ä . 6 , 2 1 7 .

48

10. Die Materie des guten Werkes.

ligung und erhalten insofern seine Seligkeit und erwerben ihm seinen Herrlichkeitsgrad. Aber als Zwecke, die bei (religiösen) und altruistischen Handlungen mit erstrebt werden dürften, treten diese Effekte in Luthers Theorie nicht auf" 1 . So sind die Werke zugleich auch von rückwirkender Kraft für den Handelnden selbst.

K a p i t e l 10.

Die Materie des „guten Werkes". 1. Wir sahen, der eigentlich erfüllende Inhalt der Sittlichkeit ist der übernatürliche Glaube. Davon zu unterscheiden ist die Materie der Sittlichkeit, an der sich die religiös sittliche Haltung übt. Ehe wir die einzelnen konkreten Inhalte be.spre:hen, haben wir einen wichtigen grundsätzlichen Gedanken zu erörtern. Das ist der Gedanke, den man die Überwindung der Materialethik nennen könnte, und der zugleich in engster Verbindung mit Luthers Berufsidee steht. Für Luther gibt es keine sittliche Materie an sich: „Fragst du, ob sie das auch gut Werk achten, wann sie arbeiten ihr Handwerk, gehen, stehen, essen, trinken, schlafen und allerlei Werk tun zu des Leibes Nahrung oder gemeinen Nutzen, und ob sie glauben, daß Gott ein Wohlgefallen darinnen über sie hab, so wirst du finden, daß sie nein sagen, und die guten Werke so enge spannen, daß sie nur in der Kirche beten, fasten und Almosen geben, die andern achten sie als vergebens, daran Gott nichts gelegen sei und also durch den verdammten Unglauben, Gott seine Dienste, dem alles dienet, was in Glauben geschehen, geredet, gedacht werden mag, verkürzen und geringem" 2 . Bei diesem Gedanken sind nun folgende Momente zu unterscheiden: a) Es gibt keine geistlich sittliche Provinz im Leben des Menschen, der ein Heiligkeitscharakter an sich innewohnte, von dem her dann diese sittliche Heiligkeit auch auf den Menschen 1 2

Sermon, W. A. 6, 227 f.; Thieme S.212. Sermon, W. Ä. 6,205.

49

4

10. Die Materie des guten Werkes.

überginge. Von hier aus ergäbe sich auf der einen Seite die Erkenntnis, daß alles Materiale zunächst einmal sittliches Adiaphoron sei. Kein Ding, keine Handlung ist an sich sittlicher Beurteilung vor anderen unterworfen. b) Dann aber ergibt sich sogleich, daß dieser Gedanke Luthers gerade die Möglichkeit des Ädiaphorons aufhebt. Alle Dinge sind sittlich different. Alle Dinge und Handlungen des Lebens können Materie der Sittlichkeit in gleicher Weise w e r den 1 . Nichts ist an sich schon heilig oder unheilig, alles aber wird Materie der Sittlichkeit im religiösen Sinne. Es bedarf darum keines Klosterlebens, das nach katholischer Auffassung größere Möglichkeiten religiös-sittlicher Betätigungen bie'e. Das ganze Leben des Menschen und vor allen Dingen jede Art von Beruf ist unmittelbar fähig in gleicher Weise Gott wohlgefällig zu sein 2 . Diese positive Stellung Luthers zum weltlichen Beruf und zum Leben in der Welt leuchtet an dieser Stelle unmittelbar ein und sie ist zugleich von entscheidender Bedeutung für das gesamte Glaubensleben Luthers, das, wie wir sahen, aufgebaut war auf jenem ausschließenden Urgegensatz von Gott, und Welt, das nun aber auf dieser Grundlage wiederum freudig in die Welt zurückführt und die Pflichten und Aufgaben der Welt selbst als Gottesdienst empfinden kann. Es ist dabei von Interesse, den Vergleich mit dem Katholizismus, den Luther selbst in dem oben angegebenen Worte zieht, noch etwas weiter durchzuführen. Wir sahen, daß die katholische Auffassung als Grundlage des Glaubensprozesses keineswegs eine radikale Verurteilung der Welt vornimmt, wie Luther das getan hat. Die katholische Lehre nimmt zunächst durchaus weltliches Tun und Vermögen in Dienst für ihre religiösen Werte. Dann aber endet dieser W e g immer und notwendig damit, daß man die Welt, deren Dienst man zunächst sich gefallen ließ, voll Abscheu von sich stößt. Bei Luther ist es genau umgekehrt. Er verurteilt zunächst im Gedanken an Gott alles Weltliche Tun. Nachdem dann aber das Verhältnis der Seele zu Gott in rechter evangelischer Weise durch übernatürliche. 1 2

Vergl. Mensching, Das Heilige im Leben. Tübingen 1925. Siehe Gal. Kom. Argumentum.

50

10. Die Materie des guten Werkes. Gnade geordnet ist, kehrt der Christ in die W e l t zurück, und zwar

nicht

in

eine

abgegrenzte

heilige

Provinz,

nicht

in

den weltfernen Frieden des Klostergartens, sondern mitten in den alltäglichen Beruf: „Hanc (iustitiam) cum intus habeo, descendo de coelo . . . prodeo foras in aliud Regnum et facio b o n a opera"1. c) Das sittlich Neutrale wird zur Materie

der Sittlichkeit

dadurch, daß alles im Glauben geschieht. Dabei bestehen w i e der zwei Möglichkeiten.

Einerseits gibt es T a t e n „ a u s

Glau-

b e n " — d. h. T a t e n , auf die sich der Glaube mit Bewußtsein richtet, um seiner selbst willen, als Ausfluß seiner selbst, wie Almosen etc. Und andererseits die T a t e n des täglichen B e r u f s lebens, die „im Glauben" geschehen, d. h. W e r k e und Handlungen, die von bewußt Glaubenden getan werden und darum geheiligt werden durch den Glauben, wie davon oben die Rede war2. 2. Die all

Sittlichkeit bestimmende Haltung, sofern sie sich

auf den Nächsten richtet, ist die Nächstenliebe.

Wir

stellen

sie voran, um hernach die konkreten Gebote, von denen sich die erste Tafel bekanntlich auf Gott bezieht, im Zusammenhang zu behandeln. a) Die Nächstenliebe ist ohne F r a g e für Luther eine durch Glauben aufs Unmittelbarste

bedingte

und

„Aus dem allen folgt der Beschluß, daß ein

geheiligte

Kraft:

Christenmensch

lebt nicht in ihm selbst, sondern in Christo und seinem Nächsten, in Christo durch den Glauben, im Nächsten durch die Liebe. Durch den Glauben fährt er über sich in Gott, aus Gott fährt er wieder unter sich durch die Liebe und bleibt in Gott und göttlicher

Liebe"3.

Ein

Christenmensch



darin

liegt

wieder jene Grundvoraussetzung evangelischen Glaubenslebens ausgesprochen — hat den Schwerpunkt seiner Existenz nicht mehr, wie es im natürlichen Menschen ist, in sich selbst, s o n dern im Übernatürlichen, in Gott.

Das Übernatürliche ist sein

Lebensgrund. Der Glaube ist die Verbindung mit diesem Über1 Gal. Kom. W . fl. S. 51; E. Ä. 1,23. Vergl. Thieme S. 84; S. 75 f. 3 Freiheit W. Ä. 7,38.

2

51



10. Die Materie des guten Werkes.

natürlichen. Aber erst, wenn der Mensch auf diese Weise in Gott gewesen ist, kann er den W e g zum Nächsten gehen. Die Nächstenliebe ist nach Luther möglich nur auf dem Umweg über Gott. Diese Tatsache, daß die Liebe zu dem Nächsten erst in Gott entsteht, gibt ihr ihren eigenen übernatürlichen Charakter, der sie von allem bloß moralischen Altruismus unterscheidet. b) An einzelnen Momenten, die das Hervorgehen der Nächstenliebe aus dem Gottesglauben deutlicher machen können, hat Thieme in seinem Buche „Die sittliche Triebkraft des Glaubens" vor allem folgende namhaft gemacht, die von uns schon gelegentlich der Idee der Nachahmung angedeutet wurden. Das eigentlich höchste Ziel, das sich unmittelbar mit dem eigenen Gottesglauben verbindet, ist der Gedanke, den Nächsten zu der gleichen Gottesliebe zu führen und zu derselben „Lust am Herren": „Ist es denn möglich, daß der Glaube, während er doch fortfährt, mit Gott in einem solchen Empfangen sittlicher Kraft zu verkehren, auch wahrhaftige, d. h. den Nächsten selbst meinende, suchende Nächstenliebe zustande bringt? Ich bestreite, daß das Interesse des Glaubens einzig auf den Verkehr mit Gott geht, auch die Nächstenliebe, die Liebe zu heißen verdient, ist eine Regung des Glaubens." „Nächstenliebe, deren Ziel ist, daß der Nächste Gott von ganzem Herzen, von ganzer Seele und von ganzem Gemüte liebt, ist Gottesliebe" 1 . Es ist der Gedanke des „Christus für die anderen", von dem wir schon an anderer Stelle gesprochen haben 2 . Sodann aber kommt das aus dem Empfang der Gnadengaben Gottes unmittelbar entspringende Verlangen in Betracht, die Wohltaten Gottes an den Nächsten zu vergelten. Das liefe hinaus auf die schon erwähnte Nachahmung des selbsterlebten Werkes Gottes an den Brüdern: „Der Glaube an die von Gott empfangenen Wohltaten treibt den dadurdi warmherzigen und fröhlidien Christen, sie an die Bedürftigen weiterzugeben" 3. An dieser Stelle sind noch zwei andere Momente zu nen1

Thieme S. 21.

2 Siehe S. 26.

52

3

Thieme S.270.

10. Die Materie des guten Werkes. nen, die Thieme hervorhebt.

E r stellt f e s t 1 , daß der Glaube

zugleich in Betracht komme als Hilfskraft zur Unterstützung der natürlichen Nächstenliebe im Kampfe gegen die natürliche Selbstliebe. Ja, sogar als Hilfskraft zu naturentstandenen guten Werken2.

Und endlich wird nach Thieme sogar die natürliche

Selbstliebe durch den Glauben in B e w e g u n g gesetzt, um sittliche Handlungen zu e r z e u g e n 3 .

E s scheint zumindest in den

letzten beiden Momenten, daß Thieme das alles Natürliche im W e r d e g a n g des „ g u t e n " W e r k e s grundsätzlich

ausschließende

W e s e n des Glaubens nicht genügend betont habe, wenn für ihn n a t ü r l i c h e Selbstliebe zusammen mit dem Glauben b e stehen, ja sogar von ihm in B e w e g u n g gesetzt werden kann. 3. W i r greifen nun die wesentlichsten Gebote des D e k a logs heraus, um an ihnen zu zeigen, wie Luther die konkreten sittlichen Inhalte behandelt. a) B e i der Betrachtung des ersten und wichtigsten

Ge-

botes behandelt Luther ganz ausführlich als eigentlichen Inhalt des Gebotes den Glauben, dessen W e s e n , wie oben ausführlich gezeigt wurde, in der Abkehr von der

Selbstbehauptung

vor Gott besteht: „Darum lasset uns das erste Gebot w o h l lernen, daß wir sehen,

wie Gott keine Vermessenheiit,

noch

Vertrauen auf einig ander Ding leiden will und nichts höheres von uns fordert, denn ein herzlich Zuversicht alles G u t e n " 4 . Dieses erste Gebot ist, wie wir bereits zu zeigen versuchten, der Sinn all der folgenden

Gebote5.

b) Das zweite Gebot handelt von der Heiligung des Namens Gottes.

E s ist einleuchtend, daß „Heiligung" eine B e -

stimmtheit unserer S e e l e angesichts des an sich und ohne unsere Zustimmung heiligen Namens Gottes ist.

Solche Bestimmtheit

aber verleiht der Glaube: „Daß wir Gottes Namen ehren und nicht unnötig brauchen sollen, welches gleich wie alle anderen W e r k e o h n e den Glauben nicht geschehen mag, geschieht es aber o h n e ihn, so ists ein lauter Gleißen und S c h e i n " 6 . auf

es

ankommt,

ist

das

„gründliche"

Loben

Thieme S. 86. 2 Thieme S. 87. 3 Thieme S. 103. * Gr. Katech. W. fl. 30,139. 5 Sermon W. Ä. 6,249. « Sermon W . fl. 6,217.

1

53

Wor-

Gottes,

im

10. Die Materie des guten Werkes.

Grunde der Seele aber wirkt allein der Glaube: „Gottes Namen zu nennen und seine Ehre aufs Papier und an die Wände zu schreiben, ist leicht geschehen, aber ihn gründlich loben und gebenedeien in seinen Wohltaten und Anrufen tröstlich in allen Anstößen, das sind fürwahr die allerseltensten höchsten Werke nächst dem Glauben" 1 . Endlich gilt es an diesem Gebot zu betonen, daß die Heiligung des göttlichen Namens zugleich negativ die Abwendung des Menschen von aller eigenen natürlichen Ehre verlangt: „Drum ist das andere Werk dieses Gebotes, sich hüten, fliehen und meiden alle zeitliche Ehre und Lob und ja nicht suchen seinen Namen, Gerücht und groß Geschrei, daß jedermann von ihm singe und sag" 2 . c) Das dritte Gebot spricht von dem rechten Gottesdienst. Dabei ist folgendes zu unterscheiden: 1. Gottesdienst ist keine äußere Angelegenheit, die an sich irgend einen Wert besäße: „Nun wohlan, geschehen diese Dinge (singen, lesen, orgeln, meßhalten usw.) mit solchem Glauben, daß wir dafür halten, es gefalle Gott alles wohl, so sind sie löblich nicht ihrer Tugend, sondern ihres Glaubens wegen, dem alle Werke gleich gelten, wie gesagt ist. Zweifeln wir aber daran, oder haltens nicht dafür, daß Gott uns hold sei, in uns Gefallen hab, oder vei/messen uns allererst durch und nach den Werken zu gefallen ihm, so ists lauter Trügerei auswendig Gott geehrt, inwendig sich selbst für einen Abgott gesetzt" 3 . „Also sehen wir der Messen unzählig viele und wissen nicht, ob es dies sei oder das, gerad als wäre es sonst ein gemein gut Werk für sich selbst" 4 . „Diese alle suchen nicht mehr in den Festen denn das Werk an ihm selbst, wenn sie es getan haben, meinen sie, es sei wohlgetan" 5 . Nötig ist, daß das „Herz" dabei beteiligt ist: „Es geht fast also zu, daß man meinet, es sei genug geschehen, wenn wir die Messe mit den Augen sehen, die Predigten mit den Ohren gehöret, das Gebet mit dem Munde gesprochen haben und gehen so äußerlich oben hin. Denken nicht, daß wir etwas aus der Messe ins Herze empfangen, et1 3 5

Sermon W. Ä. 6,219. Sermon W.Ä.6,211. Sermon W. Ä. 6,245.

2

Sermon W. H. 6,220. * Sermon W.H.6,231.

54

10. Die Materie des guten Werkes.

was aus der Predigt lernen und behalten, etwas mit dem Gebet suchen, begehren und gewarten . . . In der Messe ist not, daß wir so mit dem Herzen dabei sind, dann sind wir aber dabei, wenn wir Glauben im Herzen üben" 1 . Auch ist der Sonntag nicht an sich heilig, sondern er wird es erst durch unser Verhalten: „Den Feiertag heiligen heißt soviel als heilig halten. W a s ist denn heilig halten? Nichts anderes denn heilige Wort, Werke und Leben führen. Denn der Tag bedarf für sich selbst keines Heiligens mehr, denn er ist an ihm selbst heilig geschaffen. Gott will aber haben, daß er dir heilig sei. Also wird er deinethalben heilig und unheilig, so du heilige oder unheilige Werke daran treibest . . . . Welche Stunde man nun Gottes Wort handelt, predigt, hört, lieset und bedenket, so wird dadurch Person, Tag und Werk geheiligt, nicht des äußerlichen Werkes halben, sondern des Wortes halben, so uns zu Heiligen macht" 2 . 2. Luther beschreibt die für den rechten Gottesdienst nötige innere Einstellung genauer: der gesegneten Feier muß auf der Seite des Menschen ein wirkliches Heilsverlangen vorhergehen: „Derhalben soll und kann niemand fruchtbarlich bei der Messe sein, er sei denn in Betrübnis und Begierden göttlicher Gnaden und seiner Sünden gerne los wäre . . . Wenn nun dieser Glaube recht gehet, so muß das Herz von dem Testament fröhlich werden und in Gottes Liebe erwärmen und erschmelzen" 3 . Nur auf wirkliches Heilsverlangen antwortet das Evangelium, das auch nur dann seinen Charakter als frohe Botschaft beweisen kann. 3. Endlich weist Luther darauf hin, daß der Sonntag der sinnenfällige Ausdruck der gläubigen Haltung überhaupt sei, denn sein Sinn sei der, daß der Mensdi auf sein eigen Werk verzichte und Gott allein in sich wirken lasse: „Die geistliche Feier, die Gott in diesem Gebot vornehmlich meint, ist, daß wir nicht allein die Arbeit und H a n d w e r k lassen anstehen, sondern vielmehr, daß wir allein Gott in uns wirken lassen und wir nichts eigenes wirken in unseren Kräften" 4 . Diese erste Tafel ist für Luther stets die wichtigste gewesen, denn sie hat den Glauben zum ausdrücklichen Inhalt, 1 3

Sermon W. Ä. 6, 230. 2 Gr. Katech. W. Ä. 30,144,145. Sermon W. R. 6,230 f. i Sermon W. Ä. 6,244.

55

10. Die Materie des guten Werkes.

indessen zeigt Luther, daß für den Menschen diese erste Tafel eben auch in der zweiten lebendig sein soll. d) Wir greifen nun einzelne Gebote aus dieser zweiten Tafel heraus. Zunächst das vierte. Luther spricht in diesem Zusammenhange von der Kindererziehung, die allein im Glauben geschehen müsse: „Wie nun gesagt ist in den anderen Geboten, daß sie sollen im Hauptwerk gehen, also auch hier soll niemand achten, daß seine Zucht und Lehre in den Kindern an ihm selbst genugsam sei. Es sei denn geschehen in Zuversicht göttlicher Huld, daß der Mensch nicht daran zweifelt, er gefalle Gott wohl in den Werken und laß ihm solche Werke nicht anders sein, denn eine Vermahnung und Übung seines Glaubens in Gott zu trauen und Gutes zu ihm und gnädigen Willen versehen, ohne welchen Glauben kein Werk lebt, gut, angenehm ist, denn viel Heiden haben ihre Kinder hübsch erzogen, aber ist alles verloren um des Unglaubens" 1 . Luther erkennt, daß allein der im lebendigen Glauben verankerte Kindesgehorsam Eltern gegenüber wertvoll und dauerhaft ist: „Das wäre auch die rechte Weise, Kinder recht zu ziehen, weil man sie mit Gutem und Lust kann gewöhnen. Denn was man allein mit Ruten und Schlägen soll zwingen, da wird keine gute Art aus, und wenn mans weit bringt, so bleiben sie doch nicht länger fromm, denn die Rute auf dem Nacken liegt. Aber hier wurzelt es im Herzen, daß man sich mehr vor Gott denn vor der Rute und Knüttel fürchtet" 2 . e) Für das sechste Gebot betont Luther in gleicher Weise die Bedeutung des Glaubens als Hilfskraft gegen die Triebe und Begierden des Fleisches: „In diesem Werk hilft sehr ein guter, starker Glaube . . . Denn wer also lebt, daß er sich aller Gnaden gegen Gott versieht, dem gefällt die geistliche Reinigkeit wohl, darum vermag er soviel leichter der fleischlichen Unreinigkeit widerstehen" 3 . f) Das siebte Gebot ist nach Luthers Auffassung nur erfüllbar in seinem positiven Sinn, wenn man das gewisse Vertrauen gefunden hat zu dem sorgenden Vater im Himmel. Nur 1 3

Sermon W . Ä. 6,255. Sermon W . Ä. 6,269.

2

Gr. Katech. W. fl. 30,143.

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10. Die Materie des guten Werkes.

aus diesem Wissen fließt wahre Milde und rechte Wohltätigkeit und die grundsätzliche Abkehr von der Werthaltung von Geld und Gut: „Dieses Werk lehret von ihm selbst der Glaube, denn so das Herz sich göttlicher Huld versieht und sich darauf verläßt, wie ists möglich, daß er selbst sollte geizig und sorgfältig sein. Er muß ohne allen Zweifel gewiß sein, daß sich Gott sein annehme, darum klebet er an keinem Gelde" 1 . Dasselbe gilt von dem achten Gebot 2 . 4. Eine Sonderstellung nimmt das Gebet ein, das auch unter die Kategorie der sittlichen Materie gehört. a) Grundvoraussetzung wirklichen Gebetes ist für Luther der Glaube: „Da liegt die Macht an, daß wir auch lernen, Amen dazu zu sagen, das ist, nicht zweifeln, daß es (das Gebet) gewißlich erhöret wird, sei und geschehen werde. Denn es ist nicht anders denn eines ungezweifelten Glaubens Wort, der da nicht auf Abenteuer betet, sondern weiß, daß Gott nicht lügt, weil ers verheißen hat zu geben." „Ihr bittet viel und euch wird nichts, darum, daß ihr nicht r e c h t bittet, denn wo dieser Glaube und Zuversicht im Gebet nicht ist, da ist das Gebet tot und nichts mehr denn eine schwere Mühe und Arbeit, für welche, so etwas gegeben wird, ists doch nichts anders denn zeitlicher Nutzen ohn alle Güter und Hülfe der Seelen, ja zu großem Schaden und Verblendung der Seelen" s . Es kann somit keineswegs jeder ohne weiteres beten, und nicht jede Wendung der Gedanken zu Gott ist Gebet. W o dieser Glaube fehlt, wird das Gebet zum Werk, das an sich wertvoll zu sein beansprucht: „Das sei das erste und nötigste Stück, daß alle unsere Gebete sich gründen und stehen sollen auf Gottes Gehorsam, nicht angesehen unsere Person, wir seien Sünder oder fromm, würdig oder unwürdig" K b) Eine weitere wichtige Folge hat das glaubenslose Gebet: wo ihm wirklich Erhörung in äußerlichem Sinne gegeben wird, da fehlt der übernatürliche Segen für die Seele, der bei aller zeitlichen Gabe das eigentlich Gemeinte ist 5 . 1 3 4

Sermon W. H. 6, 272. 2 Sermon W. fl. 6,275. Gr. Katech. W.A.30,211. Sermon W.Ä.6,233. Gr. Katech. W. Ä. 30,195. » Sermon W. Ä. 6,233.

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10. Die Materie des guten Werkes.

c) Sodann ist zu beobachten, daß bei einem glaubenslosen Gebet immer der Zweifel lebendig ist, wie es möglich sein soll, daß dem unwürdigen Menschen Erhörung von Gott geschenkt werden könnte. Diese Haltung beweist, daß der vertrauende Glaube fehlt, der Gott und nicht die eigene Würdigkeit ansieht: „ W o nun solcher Glaube nicht ist, da kann auch kein recht Gebet sein. Darum ists ein schädlicher Wahn deren, die also beten, daß sie nicht dürfen von Herzen ja dazu sagen und gewißlich schließen, daß Gott erhöret, sondern bleiben in dem Zweifel und sagen, wie sollt ich so kühn sein und rühmen, daß Gott mein Gebet erhöre, bin ich doch ein armer Sünder usw. Das macht, daß sie nicht auf Gottes Verheißung, sondern auf ihr W e i k und eigene Würdigkeit sehen, damit sie Gott verachten und Lügen strafen" 1 . d) Im Gebet, das im rechten Glauben geschieht, soll das typische Wesen evangelischen Christentums sich aussprechen, das darin liegt, daß der Glaube gewissermaßen immer in der Schwebe sich befinden soll, in der stets bewußten und stets auf das leichteste verlierbaren Mitte zwischen zwei unevangelischen Extremen, nämlich zwischen intellektuellem, glaubenslosem Zweifel auf der einen und mechanischer Gebetsmagie auf der anderen Seite: „Welche nicht glauben, daß sie erhört werden, die sündigen auf die linke Seite wider dies Gebot und treten zu sehr davon mit dem Unglauben, welche aber ihm ein Ziel setzen, die sündigen auf die rechte Seite und treten zu nahe hinzu mit Gottversuchen" 2 . e) Endlich gilt somit vom Gebet, was von der zweiten Tafel des Gesetzes galt, daß es nichts anderes sein soll, als eine Übung des ersten Gebotes 3 . 5. Ausführlich spricht Luther von unserer Stellung zum Schicksal, zu Leid und Unglück. Äuch hier ist es der Glaube, um des willen nach Luthers Auffassung alles Ungemach über die Menschen kommt, sie sollen feste Zuversicht behalten in allem Leid: „Aber welche Gott in solchem Leiden trauen, und eine feste Zuversicht gegen ihn behalten, daß er über sie ein 1 2

Gr. Katecb. W.Ä.30,211. Sermon W. Ä. 6,233. 3 Sermon W. Ä. 6,233.

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10. Die Materie des guten Werkes.

Wohlgefallen habe, denselben sind die Leiden und Widerwärtigkeiten eitel köstlich Verdienst und die edelsten Güter, die niemand schätzen mag, denn der Glaube und die Zuversicht machens köstlich vor Gott" 1 . Geduld und Friede sollen bei jenen einkehren, die das Leid im Glauben tragen, ja — Gott selbst will gegenwärtig sein, bei denen, die solches tun: „Er schickt Leiden und Unfrieden zu, auf daß er lehre uns Geduld und Fried haben. Er heißt sterben, auf daß er lebendig mache, solange bis der Mensch durch Übung so friedsam und still werde, daß er nicht bewegt werde, es gehe ihm wohl oder übel, er sterbe oder lebe, er werde geehrt oder geschändet. Da wohnt dann G o t t s e l b s t allein, da sind nimmer Mensdienwerke" 2. 6. Von Bedeutung und wert, noch einmal ausdrücklich zum Schluß hervorgehoben zu werden, sind nun noch zwei begleitende Momente, die in der neuen Sittlichkeit bei Luther als Grundklang ständig wiederkehren. a) Das ist einerseits das Moment der hilaritas, der Freudigkeit, mit der alle Werke der neuen Sittlichkeit getan werden sollen und, wo der Glaube vorhanden ist, auch getan werden: „. . . so will ich solchem Vater, der mich mit seinen überschwänglichen Gütern also überschüttet hat, wiederum frei, f r ö h 1 i c h und umsonst tun, w a s ihm gefällt und gegen meinen Nächsten auch werden ein Christus, wie Christus mir geworden ist" 3). b) Und nun auf der anderen Seite nahe mit diesem verwandt, fast könnte man sagen, sein innerlicher Grund: das Moment der sicheren Selbstgewißheit in den Werken, Gott zu gefallen mit dem, was man tut aus dem Zwange des Herzens: „Sprichst du aber, wie mag ich mich gewiß versehen, daß alle meine Werke Gott gefällig sind, so ich doch zuweilen f a l l e . . . Antwort: diese Frage zeigt an, daß du noch den Glauben achtest wie ein ander Werk und nicht über alle Werke setzest. Denn eben darum ist er das höchste Werk, das er auch bleibet und tilget dieselben täglichen Sünden damit, daß er nicht zweifelt, Gott sei dir so günstig, daß er solchem täglichen Fall und der Gebrechlichkeit durch die Finger sieht" \ 1 3

Sermon W. Ä. 6,208. Freiheit W. Ä. 7,35.

2 4

Sermon W. Ä. 6,218. Sermon W. Ä. 6,215.

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11. Gottesdienstliche

Kapitel

Konsequenzen.

11.

Gottesdienstlidie Konsequenzen. Die Grundfragen des evangelischen Glaubens, von deren wichtigsten unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses von Glaube und Werk im Vorhergehenden gehandelt wurde, sind durchaus nicht in erster Linie ein Änliegen des Einzelnen, sie gehen vielmehr zunächst die Gemeinde an. Darum haben diese reformatorischen Grundgedanken unmittelbare Beziehung zum Gottesdienst der Gemeinde, als der Veranstaltung, da evangelisches Glaubensleben in voller Unmittelbarkeit aufblühen soll. Innerhalb der liturgischen Bewegung unserer Tage gerät man mehr und mehr in die Gefahr, vor der Fülle der Formen, die man aus historischen oder ästhetischen Gründen aus der Vergangenheit neu gewinnt oder nach eigenem Belieben dem „ B e dürfnis der Gegenwart" entsprechend neu gestaltet, Grund und Inhalt all dieser Formen zu vergessen. Es fehlt das letzte Kriterium, daran die Gültigkeit und Berechtigung der kultischen Form allein gemessen werden kann. Das heißt, anders ausgedrückt, die liturgische Bewegung hat sich zu besinnen auf ihre evangelischen Voraussetzungen, von denen aus sie allein ein Recht hat, und die ihrerseits aller schrankenlosen subjektiven Willkür ihre Grenze setzen. Der Zusammenhang des evangelischen Glaubenslebens und seiner Eigenart mit Form und Wesen des evangelischen Gottesdienstes muß neu erkannt w e r den. Die Notwendigkeit dieser Aufgabe wird je und dann bereits erkannt l . W i r haben an anderer Stelle versucht, zunächst nur andeutungsweise zu dieser Selbstbesinnung der liturgischen Bewegung beizutragen 2 . Diese Schrift hat zunächst andere Aufgaben, es sei indessen erlaubt, in Kürze aus den ohne jede B e ziehung zur kultischen Praxis dargestellten Glaubensgedanken Luthers eine Reihe gottesdienstlicher Konsequenzen zu ziehen. 1. W i r haben in den ersten Abschnitten vom W e s e n des G l a u b e n s gesprochen, insofern es charakterisiert ist durch 1 Gölz, Monatschrift f. Gottesdienst u. kirdil. Kunst 1925 S. 83. Ällwohn, Theolog. Blätter 1926 Sp. 125 ff. 2 Mensching, Die liturgische Bewegung in der evangelischen Kirche, ihre Formen und ihre Probleme. Tübingen 1925.

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11. Gottesdienstliche

Konsequenzen.

die Prädikate: Überweltlichkeit, fiducia, Einwohnung Christi, Geschenk Gottes 1 . Aus diesen Erörterungen ergeben sich wichtige Folgerungen für die gottesdienstliche Praxis. Wenn es richtig ist, daß die Voraussetzung des gottesdienstlichen Handelns die glaubende Gemeinde ist, die zu sprechen fähig ist: „Ich glaube, Herr, hilf meinem Unglauben" (ein Wort, das die immer wiederkehrende Situation der gottesdienstlich versammelten Gemeinde treffend wiedergibt), dann folgt aus dem Wesen des Glaubens, daß nicht w i r im Gottesdienst handeln, sondern grundlegend allein G o t t selbst. Das gilt in erster Linie für die Predigt. Wir dürfen unserer Predigt nicht Ziele und Absichten überordnen, um diese durch jene zu verwirklichen 2 . Es hieße Gott selbst nicht ernst nehmen, wollte man der Predigt gemäß der pädagogischen Predigtauffassung erzieherische Absichten überordnen 3 . Wirkung der Predigt muß der Glaube sein. Darum kann das weckende und belebende Moment in unserer Predigt nicht unser Werk sein, sonst wäre es auch der Glaube. Es muß darum von der Predigt jenes dieser Schrift vorangestellte Lutherwort gelten: „Quis potest praedicare, nisi sit apostolus? Quis autem est apostolus, nisi qui verbum Dei apportat? Quis autem potest verbum Dei apportare, nisi qui Deum audierit?" 4 Das Hören Gottes selber ist die Bedingung glaubenweckender Predigt und nicht die bloß menschliche Konstruktion religiöser Gedanken oder die Vermittlung moralischer Willensimpulse und Zielsetzungen. 2. Es ist weiter vom Glauben als sittlicher Triebkraft gesprochen worden 6 . Es wurde Wert gelegt auf das rein kausale Verhältnis von Glaube und Werk. Auch daraus ergibt sich eine Lehre für die Gestaltung des Gottesdienstes, insonderheit der Predigt. Die gottesdienstliche Verkündigung steht stets in Gefahr, das kausale Verhältnis von Glaube und Werk in ein finales zu verwandeln. Das heißt, wir sind leicht geneigt, das religiöse 1

Seite 12 f. Vergl. zu diesen Fragen: F e z e r , Das Wort Gottes und die Predigt. Stuttgart 1925. * Vergi. S. 13 über die Bedeutung des „Wortes". 4 Gal. Kom. 1519 E. A. opp. exeget. XII. Bd. III S. 144. 6 Seite 14 ff. 8

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11. Gottesdienstliche Konsequenzen. Leben darum als W e r t darzustellen, weil es einleuchtende sittliche Konsequenzen zeitigt, wenn es echt ist. Das bedeutet d a s kausale Verhältnis in ein finales verwandeln. Auf der anderen S e i t e aber ist folgendes zu beachten: im evangelischen Recht.

Gottesdienst

hat

keine

„absolute"

M o r a l ein

Sittliche Verkündigung hat im Gottesdienst in engster

Beziehung zum Glaubensleben zu stehen. Diese Beziehung ist unter allen Umständen herzustellen.

W i e denn ja auch

die

moralischen Anweisungen in den Paulinischen Briefen allemal erfolgen unter der Voraussetzung des christlichen Glaubens der Gemeinde.

Die Aufgabe der Predigt ist die renovatio cordis,

als deren notwendige Folge die renovatio voluntatis eintreten wird. 3. Endlich lernten wir den Glauben als heiligende Kraft in und an den W e r k e n k e n n e n 1 . Verbindung g a n z deutlich. sache

sittlichen W a n d e l s ,

Hier ist die gottesdienstliche

Der Glaube ist nicht nur die U r er

erhöht

und

heiligt

das

ganze

Leben. Der Unterschied von bloß sittlichem und heiligem Leben muß uns klar werden.

E s muß begriffen werden, worin d a s

eigentümliche in aller Sittlichkeit nicht vorkommende M o m e n t der sanetitas des Glaubenden besteht, von der Luther, wie wir hörten, r e d e t 2 . W i r kennen, das ergibt sich o h n e weiteres von hier aus, keine vor anderen Lebensgebieten durch größere Heiligkeit und Gottesnähe ausgezeichnete gottesdienstliche Provinz im Leben.

Gottes Gegenwart in W o r t und Glaube heiligt die

gottesdienstliche Handlung. Das hier geheiligte Leben aber soll zugleich das fortdauernde Leben des Alltags sein, und keine h e i ligende Kirchenatmosphäre kann den allein heiligenden persönlichen Glauben stellvertretend ersetzen. 4 . Letzten Endes ist, wie gezeigt w u r d e 3 , Gott selbst B e dingung

und Grund

des guten W e r k e s .

Irgendwie ist Gott

gegenwärtig, w o sein W o r t Glauben weckend ergeht, und w o dieser Glaube selbst die Menschen in eine andere Wirklichkeit erhebt. Diese T a t s a c h e der Gottesgegenwart beginnt langsam auch unsere Auffassung vom Gottesdienst zu b e e i n f l u s s e n B i s Seite 36 ff. ' Seite M ff. »Seite 19. * Siehe: Mensdiing, Lit. Bewegung usw. § 7 S. 27 f. 1

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11. Gottesdienstliche

Konsequenzen.

her (d. h. in völliger Verkennung der reformatorischen Gottesdienstauffassung) wußten wir von unseren Gefühlen und Gemütszuständen oder von religiösen Gedanken und weltanschaulichen Einstellungen als dem Inhalt des Gottesdienstes zu sagen, uns fehlte indessen das Gefühl für die richtende und rettende Gegenwart Gottes selbst auch im reinen Predigtgottesdienst ohne ausdrückliches Sakrament. Von Luther aus wacht das Empfinden für die aller Subjektivität des Predigers gänzlich enthobene objektive Gegenwart Gottes im Gottesdienst der Gemeinde wieder auf. 5. Die oben behandelte Idee der Nachahmung 1 lenkt den Blick auf eine Spezialfrage der Gestaltung der gottesdienstlichen Verkündigung von Jesus. Es hat sich in einer Zeit, der der intuitive Blick für das eigentlich Religiöse in der Erscheinung Jesu abhanden gekommen ist, eingebürgert, in Predigt und Unterricht Jesus als das nachahmenswerte Beispiel großer sittlicher Tugenden hinzustellen, ganz im Sinne des ersten Teiles des oben zitierten Lutherwortes 2 . W i r müssen indessen unterscheiden zwischen moralischen und religiösen W e s e n s prädikaten. Das heißt, es muß uns gelingen durch das Verständnis, das der Glaube verleiht, in Jesu Wesenskern vorzudringen bis zu jener eigentümlichen letzten Wirklichkeit, aus der er lebte, und von der aus sein Leben, Tun und Lehren erst religiös sinnvoll wird. Es kommt an auf eine Aneignung Christi selbst, d. h. dessen, worin er zutiefst der Christus ist, oder wie Luther es nennt, auf die „Bekleidung mit Christus". 6. Wichtig für die Wesenserkenntnis des evangelischen Gottesdienstes sind weiterhin Luthers Gedanken über das G e b e t 3 . Luther spricht von dem Glauben als der unerläßlichen Voraussetzung des christlichen Gebetes. Das gläubige Gebet richtet sich letzten Endes immer auf Übernatürliches. Die eigentlich tiefste Gebetserhörung kann darum nur dem aus verstehendem Glauben geborenen Gebet widerfahren. Denn nur der Glaube vermag die Erfüllung der Bitte um die „Güter und Hilfe der S e e l e " 4 , wie Luther den letzten Gebetsinhalt formuliert, zu erkennen. Darum muß notwendig das Vaterunser den Höhe1

Seite 24 ff.

1

Seite 21.

' Seite 57.

63

1

Seite 57.

11. Gottesdienstliche

Konsequenzen.

punkt des Gebetsteiles des Gottesdienstes bilden, denn das Vaterunser ist deshalb das „Mustergebet", weil es in allen seinen Bitten, auch in der Bitte um das tägliche Brot, letzten Endes gerichtet ist auf nichts anderes denn auf das Heil der Seele, mithin auf das Übernatürliche 1 . 7. Endlich zwei Bemerkungen über den Wert des Gottesdienstes als menschlicher Handlung. Luthers Urteil über alles Natürliche und Naturentstandene 2 trifft auch den Gottesdienst nach seiner formalen menschlichen Seite. Alles menschliche liturgische Handeln als solches bleibt aus sich immer in der Ebene der Diesseitigkeit. Die Heiligung der Liturgie erfolgt allemal durch Gott selbst, der sich zu unserem Gebet und zu seinem durch uns verkündeten Worte bekennen muß. Auf der anderen Seite folgt aus Luthers Gedanken über den Wert der äußeren Werke 3 , zu denen auch das gottesdienstliche Handeln gehört, wie Luther selbst an anderer Stelle sagt 4 , daß kein prinzipieller Unterschied zwischen weltlichem Werk und gottesdienstlicher Handlung hinsichtlich ihres W e r t e s vor Gott bestehen kann. Diese andeutenden Ausführungen sollten nur das eine zeigen: unserer liturgischen Bewegung ist nicht damit gedient, wenn man sich unter dem fragwürdigen Gesichtspunkt der „Bereicherung" unserer evangelischen Gottesdienste um eine größtmögliche Formenfülle bemüht. Es muß erkannt werden, daß eine neue d. h. die alte reformatorische Grundhaltung zum Kultus selbst gewonnen werden muß. Mit einer bloßen Bereicherung des formenarmen Gottesdienstes werden v/ir mehr schaden als nützen, wenn nicht die Ebene der hergebrachten Kultbetrachtung verlassen wird und man sich nicht entschließt, vom Boden des evangelischen Glaubens aus dem Kultus selbst anders gegenüberzutreten. Es geht im Gottesdienst um nichts geringeres als um Gott selbst. 1 Vergl. meinen Äufsatz: „Das Vater-Unser im Gottesdienst" M o natschrift f. Gottesdienst u. kirchl. Kunst 1926 Heft 7. 2 3 1 Seite 21 ff. Seite 45. Seite 49.

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