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German Pages 16 [17] Year 2016
Glaube und Lernen Einzelkapitel - Martin Luthers Katechismen: Themenheft
Impulse für die Praxis
Martin Luthers Katechismen Probleme – Potentiale – Impulse Martin Rothgangel Schon seit nahezu vier Jahrzehnten herrscht in religionspädagogischer Theorie und Praxis ein weitgehendes Schweigen gegenüber den Katechismen Martin Luthers. Abgesehen von vereinzelten Ausnahmen, darunter drei 1 2 praktische Arbeitshilfen , haben sich neben Wolfgang Grünberg , Christoph 3 4 Bizer und Ingrid Schoberth nur wenige ReligionspädagogInnen eingehender mit dem Kleinen Katechismus (im Folgenden: KK) auseinandergesetzt. Deshalb wird in einem ersten Schritt danach gefragt, welche Probleme zum gegenwärtigen Schweigen hinsichtlich des KK geführt haben. Im Anschluss daran werden gleichermaßen Potentiale des KK herausgearbeitet. Probleme wie Potentiale sind eine entscheidende Voraussetzung dafür, um Impulse für eine gegenwärtige, religionspädagogisch verantwortete Katechismuserstellung geben zu können. 1
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Schmidt, L. (Hg.), Hören und lernen. Ein Arbeits- und Lesebuch zum Kleinen Katechismus Luthers. Gütersloh 1984; Denk mal nach … mit Luther: der kleine Katechismus – heute gesagt. Hg. v. der Kirchenkanzlei der EKU, Gütersloh 1989; Schoberth, I., Religionsunterricht mit Luthers Katechismus. Sekundarstufe I, Göttingen 2006. Grünberg, W., Lernen im Rhythmus des Alltags. Luthers Kleiner Katechismus nach 451 Jahren. Anmerkungen zu einem theologisch-pädagogischen Konzept, in: Pastoraltheologie 70 (1981), 258–274; O. Meyer/W. Grünberg, Auf dem Weg zu einem Katechismus für Jugendliche, in: Wissenschaft und Praxis in Kirche und Gesellschaft 65 (1976), 422–435; W. Grünberg: Bildung und Frömmigkeit. Zur Geschichte der Handbücher – unter besonderer Berücksichtigung von Luthers Enchiridion von 1529, in: Pastoraltheologie 73 (1984), 354–367. Vgl. bes. Bizer, C., Luthers Kleiner Katechismus, im Blick auf den Konfirmandenunterricht aufs Neue gelesen, in: Dressler, B./Klie, Th./Mork, C. (Hg.), Konfirmandenunterricht. Didaktik und Inszenierung, Hannover 2001, 88–130. Vgl. v.a. Schoberth, I., Glauben-lernen. Grundlegung einer katechetischen Theologie, Stuttgart 1998.
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DOI 10.2364/3846999776
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Probleme
1.1 Historische Fehlurteile Luthers Luther ging davon aus, dass der Dekalog seit der frühen Christenheit eine zentrale Rolle spielte. Dementsprechend ordnet er den Dekalog den Hauptstücken zu und nicht das Gebot der Nächsten- und Gottesliebe. Demgegenüber ist jedoch festzustellen, dass der Dekalog erst im Verlauf des 13. Jahrhunderts im Kontext der Beichtpraxis populär wurde. Auch in einem weiteren Punkt liegt Luther aus der Perspektive heutiger theologischer Forschung historisch nicht richtig: Er ist der Ansicht, dass sich der Text des Credos seit den Kirchenvätern nicht mehr geändert hätte und hebt dessen unveränderte Textgestalt hervor. Aus didaktischer wie theologischer Perspektive ist es jedoch bemerkenswert, dass das Credo nicht einfach in fertiger Gestalt vorgelegen hat. Beginnend mit unterschiedlichen Formulierungen innerhalb neutestamentlicher Gemeinden über das römische Taufsymbol weist dieses eine relativ lange und vielfältige Genese auf. Damit gewinnt theologisch der Entstehungsprozess an Gewicht gegenüber dem feststehenden Endprodukt sowie didaktisch der Lernprozess im Vergleich zum Memorieren des Endprodukts. 1.2 Soziologische Relativierung als Kehrseite der Lebensrelevanz Der nächste Problempunkt hinsichtlich einer heutigen Rezeption ist unmittelbar mit einer Stärke des KK verbunden. Der KK ist nicht nur ein Lehr6 und Lernbuch, sondern gerade auch ein Lebensbuch. Daraus resultiert nach H.-J. Fraas eine problematische Kehrseite: „Mit dem Anspruch eines Lebensbuchs gerät der KK in die Gefahr, soziologisch relativiert zu werden. Tatsächlich ist er auf einen bestimmten Lebenskreis, ein bestimmtes patriarchalisches Familienbild zugeschnitten, wie das im 16. Jh. nicht anders erwartet werden kann. Die Sicht wird aber noch enger und damit problematischer durch K. Bornhäusers Beobachtung, dass dieser Patriarchalismus eine spezifisch bäuerliche Prägung habe. Bornhäuser bezeichnet den KK als ‚Volks- und Bauern5
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Die Ausführungen dieses Teils sind eine gekürzte und aktualisierte Version von Rothgangel, M., Luthers Kleiner Katechismus – Probleme der Unterweisung, in: Dennerlein, N./Grünwaldt, K./Rothgangel, M.: Die Gegenwartsbedeutung der Katechismen Martin Luthers, Gütersloh 2005, 36–56. In diesem Sinne sucht C. Bizer, a.a.O., vom Anhang des KK her dessen Relevanz zu erweisen.
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büchlein‘, ein ‚Buch für das Dorf, für das sächsische Bauerndorf zu Luthers Tagen‘. Es ist offensichtlich, dass besonders im 1. Artikel der Hausvater als wohlhabender Bauer vorgestellt ist, dass ländliche Verhältnisse und, was schwerer wiegt, ein gewisser Besitz vorausgesetzt werden.“7
Befremdend und beredt zugleich sind die Konsequenzen, die Bornhäuser daraus zieht. Seines Erachtens müssen derartige bäuerliche Verhältnisse wieder hergestellt werden, wenn der KK seine Bedeutung behalten soll: „Man hat wohl gesagt, weil der Kleine Katechismus Luthers so ganz auf ländliche Verhältnisse eingestellt sei, während die Mehrzahl der Deutschen in Städten wohne, müsse man neben ihm einen Stadtkatechismus schaffen, der die Verhältnisse der Stadt berücksichtige. Aber man versuche es einmal, einen christlichen Katechismus zu schreiben, der auf die Wohnungsverhältnisse von Tausenden von Bewohnern unserer Großund Weltstädte zutrifft. Man wird den Versuch bald aufgeben. Denn es ist nicht möglich. Nicht Luthers Katechismus ist zu ändern oder gar zu beseitigen, sondern Verhältnisse sind zu schaffen, für die er wieder paßt oder doch wenigstens, wenn auch durch einige Vermittlung hindurch, verständlich und anwendbar gemacht werden kann.“8
Natürlich spiegeln Bornhäusers Präferenzen für das deutsche Bauernhaus deutlich Anschauungen wieder, wie sie zur Abfassungszeit seiner Publikation um 1933 populär waren. Ungeachtet dessen tritt mit diesem pointierten Beispiel der zweifellos bestehende Zusammenhang von Lebensform einerseits und Inhalt des Kleinen Katechismus andererseits deutlich hervor. Damit wird in aller Radikalität die Frage aufgeworfen, ob und inwiefern der KK für die völlig veränderten Lebensformen im 21. Jahrundert relevant ist und welche Konsequenzen daraus für eine Revision zu ziehen sind. 1.3 Strafmaßnahmen und ‚einheitliche‘ Lebensform Luther hatte sehr ‚handfeste‘ Vorstellungen davon, wie Obrigkeit und Eltern ihre Macht in rechter Weise auszuüben hätten. Dies wird in der Vorrede zum KK an dem Punkt deutlich, wo Luther auf diejenigen eingeht, die nicht lernen wollen. Ohne mögliche andere Motive, wie eine Abneigung gegen das Memorieren, in Betracht zu ziehen, setzt Luther diese Unlust am Lernen 7 8
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Fraas, H.-J., Katechismustradition. Luthers kleiner Katechismus in Kirche und Schule (Arbeiten zur Pastoraltheologie 7), Göttingen 1971, 24. Bornhäuser, K., Der Ursinn des Kleinen Katechismus Dr. Martin Luthers, Gütersloh 1933, 167 (Hervorhebung im Original).
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mit Unlust am Christentum gleich. Er fordert drastische Konsequenzen: Solche Personen sollen „nicht zum Sakrament zugelassen werden, kein Kind aus der Taufe heben, auch kein Stück der christlichen Freiheit in Anspruch nehmen, sondern einfach den Papst und seinen Beamten, dazu dem Teufel 10 selbst überlassen bleiben.“ Damit aber nicht genug: „Dazu sollen ihnen die Eltern und Hausherren Essen und Trinken versagen und sie anzeigen, dass der Fürst solche hohen Leute aus dem Land jagen möge usw. Denn obwohl man niemand zum Glauben zwingen kann oder soll, so soll man doch die Leute dahin weisen und bringen, dass sie wissen, was Recht und Unrecht ist dort, wo sie wohnen, sich nähren und leben wollen. Denn wer in einer Stadt wohnen will, der soll das Stadtrecht kennen und halten, dass er für sich in Anspruch nehmen will, gleichgültig, ob er glaubt oder im Herzen ein Schalk oder Spitzbube ist.“11
Mit diesen Ausführungen wird deutlich, dass Luther für den KK zumindest dem äußeren Verhalten nach eine einheitliche, christlich geprägte Lebensweise voraussetzt. Um diese Einheitlichkeit, diese konfessionelle Homogenität zu erhalten, empfiehlt er sogar für Nicht-Lernwillige die Ausweisung aus dem jeweiligen Ort. Dieser gesellschaftliche Hintergrund für das Lernen des KK bildet eine Lebensform, die gegenwärtigen Umständen – zugespitzt formuliert – diametral entgegengesetzt ist. Die von Luther geforderte Ausweisung von Personen, die den Katechismus nicht lernen wollen, ist unter den heutigen gesellschaftlichen Vorzeichen von ,Individualisierung‘ und ,Pluralisierung‘ reiner Anachronismus und widerstreitet schlicht der Religionsfreiheit. Vor diesem Hintergrund lautet vergleichbar zum obigen Punkt eine entscheidende und komplexe Frage, welche Konsequenzen aus diesen unhintergehbaren, pluralisierten Lebensformen des 21. Jahrhunderts für eine Revision des Kleinen Katechismus abzuleiten sind. 1.4 Memorierverfahren und ‚einheitlicher‘ Katechismusinhalt Eine methodische Problematik wurde schon früh moniert: das Auswendiglernen. Dabei ist zu bedenken, dass Luthers erschreckende Erfahrungen während der Visitation dazu geführt haben, dass er seine Arbeit am Großen Katechis9
Meyer, J., Historischer Kommentar zu Luthers Kleinem Katechismus, Gütersloh 1929, 136. 10 Vorrede KK, in: BSLK 501–507, daraus sprachlich modernisiert die folgenden Zitate. 11 Vorrede KK.
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mus unterbrach, um daneben noch eine memorierbare Form zu verfassen. Letzteres wird umso verständlicher, wenn man bedenkt, dass man sich im Vergleich zu heute eine gänzlich andere Bildungssituation vorstellen muss: Die 12 Analphabetenquote um 1520 lag bei ca. 90 % der Bevölkerung. Die Katechismuspredigten, die der Große Katechismus enthält, wurden aufgrund der Visitationserlebnisse also durch eine „Zusammenstellung knapper memorier13 barer Formulierungen“ ergänzt, damit diese von großen Teilen der Bevölkerung rezipiert werden können. Zu diesem Zweck war es nach Luthers Ansicht ganz wesentlich, dass immer die gleiche Textform verwendet wird. Luther 14 begründet diese Forderung psychologisch und historisch. Unterschiedliche Textfassungen und Erklärungen sind zwar geeignet für gelehrte und verständige Menschen, anders ist es jedoch bei dem – wie Luther schreibt – „junge(n) 15 und alber(n) Volk“ . Diese Kinder und Ungebildeten muss man mit einer ganz bestimmten Textversion unterrichten. Gleichwohl hatte Luther insofern kein stupides Memorieren im Sinn, als er den Katechismus aufs Engste mit dem alltäglichen und kirchlichen Leben verwoben sah. Anschaulich ist bei W. Grünberg beschrieben, wie sich unter dem Vorsitz des Hausvaters in der Hausgemeinschaft ein Katechismuslernen 16 im Rhythmus des Alltags vollzogen haben könnte. Darüber hinaus setzte Luther bei seinen Adressaten das Erleben z.B. von Katechismuspredigten voraus. Diese Bedingungen sind gegenwärtig in ganz verschiedener Hinsicht nicht mehr gegeben. Bei alledem besteht auch kein Ausweg dahingehend, dass man das Memorieren durch eine ‚moderne Pädagogik‘ ersetzt und allein die pädagogischen Momente von Luther beibehält, die man als weiterführend erachtet, wie z.B. seine Verzahnung von Lehre und Leben. Man würde dabei gewissermaßen auf halbem Wege stehen bleiben: Die jetzt vorliegende Textgestalt der Erklärungen ist wie gesagt auch dadurch bedingt, dass Luther den KK speziell zum Auswendiglernen verfasste. Dies ist ihm, mit der ihm eigenen Sprachgenialität, vorzüglich gelungen. Hätte Luther aber moderne LehrLernmethoden oder gar die digitalen Möglichkeiten von heute gekannt, 12 Vgl. Grünberg, Bildung und Frömmigkeit, 357. 13 Meyer, a.a.O., 125. 14 Vgl. Meyer, a.a.O., 133. Historisch versucht Luther sein Anliegen durch die Behauptung zu unterstreichen, dass auch die Kirchenväter der alten Kirche die Hauptstücke alle auf eine Weise gebraucht hätten, ohne diese zu verändern. Die Problematik dieses Argumentes wurde bereits oben erwähnt. 15 Vorrede KK. 16 Grünberg, W., Lernen im Rhythmus des Alltags, 266ff.
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dann würden seine Erklärungen im KK kaum eine für das Memorieren angepasste Textgestalt besitzen. 1.5 Problematische Wirkungsgeschichte Die genannten Problempunkte sind keineswegs nur theoretischer Natur, vielmehr zeigen exemplarisch ausgewählte Aspekte aus der Wirkungsgeschichte, dass diese in der katechetischen Praxis zu verschiedenen Zeiten immer wieder hervortraten. Obwohl die Katechismen Luthers den Status von Bekenntnisschriften erhielten und allein dieser Vorgang eine sehr hohe Wertschätzung zum Ausdruck bringt, setzten schon Ende des 16. Jahrhunderts Klagen über das Memorieren des KK ein. Eugen Paul weist u.a. auf 17 die katholisch wie evangelisch verbreiteten Katechismusschwänke hin, die das bei Katechismus-Examinationen „zutagetretende Wissens- und Interessensgefälle zwischen Fragendem und Befragtem [demonstrieren], so z.B., wenn ein Bauer dem nach der Zahl der Sakramente fragenden Jesuiten antwortet, dass wisse er genauso wenig, wie der Jesuit wisse, wie viele Zinken die Egge habe. Oder, wenn ein Bauer, der im Beichtstuhl das Vaterunser hersagen soll, dem Priester antwortet, wenn er das lernen solle, dann müsse der Beichtvater auch lernen, wie man einen Strohhut flechte; oder er gibt gar die Antwort: nicht er, sondern der Beichtvater werde für das ,Vaterunserkennen‘ bezahlt: Alltagswissen hier (Pfarrer/Theologe) und dort (Bauer)! Solche Schwänke signalisieren demnach beträchtliche Verständigungsprobleme, denen ge18 nauer nachzugehen wäre.“
Dieses ‚Auf und Ab‘ in der Wertschätzung des KK setzte sich fort, wie durch einen kurzen Blick auf Aufklärung sowie Restauration dargelegt werden kann: Die Diskussion in der Aufklärung drehte sich entscheidend um die ‚Maieutik‘, die sokratische Gesprächsführung. Dementsprechend wurde insbesondere das Auswendiglernen im Katechismusunterricht kritisch hinterfragt. Im Zuge der restaurativen Tendenzen, nach der gescheiterten März-Revolution, gelangte auch der KK zu neuem Ansehen. So bestand „das äußere Ergebnis der Restauration […] darin, dass seit etwa 1850 in allen lutherischen Landeskirchen der KK wieder in seine alten Rechte ein19 gesetzt“ war. 17 Paul, E., Geschichte der christlichen Erziehung, Bd. 2, Freiburg 1995, bes. 66–86, 163– 176. 18 Ebd., 176 (ohne die Hervorhebung im Original). 19 Fraas, a.a.O., 195.
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Jedoch wurde in den letzten beiden Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts erneut eine deutliche ‚Katechismusnot‘ empfunden. So stellt Friedrich Sattig im Jahre 1897 Theorie und Praxis des Katechismusunterrichts in Schlesien prinzipiell in Frage: „Die Katechismusstunde wurde zur ödesten Stunde, recht dazu angetan, den Jungen allen Geschmack an der Religion zu verleiden. Eingepaukte Definitionen wurden hergebetet, Sprüche als Belegstellen gedankenlos aufgesagt, nur der Verstand, nicht das Herz in Anspruch genommen und drum die persönlich wie religiös wertvollsten Gedanken mit derselben kalten Objektivität von den Schülern wiedergegeben wie etwa die Teile des Alpensystems oder die Nebenflüsse der Donau. Geht dann der Junge aus der Schule, so glaubt er das alles zu können; das hat er ja alles gründlich eingepaukt bekommen und wörtlich herbeten müssen. Mit dem Christentum ist er fertig. Und es zeugt eigentlich nur von einem im Grunde recht gesunden Geschmack und Sinn, wenn er mit diesem 20 Christentum fertig sein will.“
Dementsprechend bündeln sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Anfragen an den KK. Die Argumente sind nicht unbedingt neu, sondern „seit der 21 Aufklärung, teilweise schon seit der Reformorthodoxie geläufig.“ Durch die Rezeption historisch-kritischer Forschung sowie psychologischer und pädagogischer Erkenntnisse wirkt diese Diskussion jedoch „gezielter, geball22 ter, formierter“ . Ungeachtet der genannten Kritikpunkte verständigten sich gegen Ende des Kaiserreiches die ReligionslehrerInnen mehrheitlich darauf, den Katechismus in der Schule zu belassen. Ernüchternd ist allerdings, dass „schließlich allein das Argument eine Rolle [spielt], dass der 23 Katechismus ein aktuell nicht zu ersetzendes religiöses Dokument sei.“ 20 Roggenkamp-Kaufmann, A., Religionspädagogik als "Praktische Theologie". Zur Entstehung der Religionspädagogik in Kaiserreich und Weimarer Republik (Arbeiten zur Praktischen Theologie 20), Leipzig 2001, 498f Anm. 98 (Hervorhebung im Original). 21 Fraas, a.a.O., 234. 22 Fraas, a.a.O., 235. 23 Roggenkamp-Kaufmann, a.a.O., 513. Bemerkenswert ist, dass in einer jüngeren Rezension ein vergleichbares Resümee gezogen wird: „Die evangelische Christenheit hat sich dem lutherischen Kleinen Katechismus weithin entfremdet. Theologiestudenten, Theologen, Pfarrer finden vielfach keinen Zugang mehr zu ihm. Nicht nur Konfirmanden tun sich schwer mit seiner Sprachform. Dennoch bleibt er bis auf weiteres unentbehrlich. Es gibt bisher keinen wirklich überzeugenden Versuch der Neugestaltung eines evangelischen Katechismus von der Knappheit und Qualität des kleinen lutherischen auf dem theologischen und didaktischen Niveau unserer Zeit.“ (Schmutzler, S., Rez.: Schmidt, L. (Hg.), Hören und lernen. Ein Arbeits- und Lesebuch zum Kleinen Katechismus Luthers. Gütersloh 1984, in: EvErz 41 (1989), 358–360, hier. 358).
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Grundsätzlich stellt sich an diesem Punkt die Frage, ob „es nicht gegen Luthers Absicht [ist], wenn eine Interpretationshilfe ihrerseits interpretationsbedürftig geworden ist und nun mit großem Kraftaufwand tradiert wer24 den muss.“ Schließlich wollte Luther „mit seinen Katechismen dem biblischen Wort dienen, wollte es den Menschen seiner Zeit konzentriert und 25 fundamental nahe bringen.“ Ein vorerst letzter breitenwirksamer Versuch, den KK zu beleben, kann im 20. Jahrhundert im Rahmen der Evangelischen Unterweisung gesehen werden – ein Versuch dessen Scheitern allerspätestens Ende der 1960er Jahre besiegelt war. Damit schließt sich der Kreis zu der eingangs getroffenen Feststellung, dass seit geraumer Zeit ein weitgehendes religionspädagogisches Schweigen gegenüber dem KK vorherrscht. 2.
Potentiale
Trotz des ‚Auf und Ab‘ über Jahrhunderte hinweg sind m.E. die genannten Probleme zu gravierend, um sich im 21. Jahrhundert für Religionsunterricht und Konfirmandenarbeit eine erneute Konjunktur des KK nach den Jahrzehnten des Schweigens wünschen zu können. Ungeachtet dessen sollte man nicht vorschnell den KK ad acta legen, sondern gleichermaßen dessen Potential wahrnehmen, weil man daraus für einen heutigen ‚Elementarkate26 chismus‘ in transfomierter Gestalt lernen kann. 2.1 Konzentration auf das Elementare Zu Recht wird eine beachtliche Leistung Luthers darin gesehen, dass er mit dem KK im Vergleich zur mittelalterlichen Tradition eine konsequente Stoffreduktion vorgenommen hat. So entfallen z.B. die ‚unevangelischen‘ Sakramente, die Sündengattungen und nach einigem Zögern auch das Ave 27 Maria. Seine Intention kann dementsprechend darin gesehen werden, dass er die in der alten Kirche vorherrschenden Lehrstücke in den Mittelpunkt stellen und die aus dem Mittelalter resultierende Stofffülle beseitigen möch24 Winkler, E., Luther und die gegenwärtige Katechetik, in: Die Christenlehre 32 (1979), 291–299, hier: 293. 25 Ebd. 26 Hier handelt es sich um einen Arbeitstitel, wie er gegenwärtig im Katechismusausschuss der VELKD verwendet wird. Alternativ wird im vorliegenden Beitrag auch von ‚Basics christlichen Glaubens‘ gesprochen. 27 Vgl. Fraas, a.a.O., 15.
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te. Ein Punkt wird in diesem Zusammenhang m.E. nicht ausreichend gewürdigt: Die von Luther ‚wiederentdeckte‘ Rechtfertigungslehre erhält von ihm keinen ausdrücklichen Platz im KK, sondern prägt den KK implizit. Das ist alles andere als selbstverständlich und unterstreicht, wie gezielt Luther die Stoffreduktion vornahm. Mit guten Gründen wird von H.-J. Fraas bis hin zu I. Schoberth die Nähe von Luthers KK zu didaktischen Elementarisierungsstrategien gesehen 29 und erörtert. Die von Luther für seine Zeit so brillant durchgeführte Elementarisierung stellt eine bleibende Aufgabe dar. Ähnlich konsequent wie von Luther selbst sind dabei die jeweiligen Adressaten und ihre Lebenswelt zu bedenken. Angesichts der zunehmenden Pluralisierung stellt sich jedoch die Frage, ob die Erstellung eines einzigen Kleinen Katechismus ausreichend ist oder wie man anderweitig diese Herausforderung produktiv aufgreifen 30 kann. 2.2 Outputorientierung und ‚Basics‘ christlichen Glaubens Angesichts der religionspädagogisch ambivalenten Diskussion um Bildungsstandards, Kompetenzen, Evaluationen usw. ist es interessant zu sehen, dass Luther bei den Kirchenvisitationen offensichtlich bestimmte ‚Outputs‘ erwartete und davon enttäuscht die Abfassung des Großen Katechismus unterbrach um den KK zu schreiben. Es geht mit der Hervorhebung dieses Punkts keineswegs darum, religiöse Bildung auf überprüfbare oder gar memorierbare Inhalte zu reduzieren. Gleichwohl ist es umgekehrt von mündigen Christinnen und Christen erwartbar, dass sie bestimmte ‚Basics‘ des christlichen Glaubens kennen, verstehen, kommunizieren und gestalten können. Von daher wäre es wünschenswert, dass erstens eine Verständigung über sogenannte ‚Minimalstandards‘ christlichen Glaubens erfolgt, wohlwissend, dass es sich hier nur um den operationalisierbaren Teilbereich handelt und gerade das grundlegende Beziehungsgeschehen zwischen Gott und Mensch ein unverfügbares Werk des Heiligen Geistes ist. Zweitens wäre bezogen auf diese Minimalstandards ein ‚Kerncurriculum‘ festzulegen, in dem vergleichbar zum Kleinen Katechismus diese ‚Basics‘ christlichen Glaubens enthalten sind. Die grundsätzliche Unverfügbarkeit des Glaubens28 Vgl. ebd., 14. 29 Vgl. Fraas, a.a.O., 318ff; Schoberth, a.a.O., 139ff. 30 Angeregt durch mündliche Beiträge von Manfred Pirner sei plakativ festgehalten, dass gegenwärtige kirchliche Bildungsarbeit eher im Sinne Melanchthons gebildete ,ZEITLeserInnen‘ im Blick hat, nicht aber im Sinne von Luthers KK auch ,BILD-LeserInnen‘.
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geschehens sowie auch die Prozesshaftigkeit von Bildung sollte nicht dazu führen, dass man jegliche ‚Wegbereitung‘ (Dietrich Bonhoeffer) unterlässt und keine grundlegende Wegmarkierungen vergleichbar zu Luthers Kleinem Katechismus setzt. 2.3 Interdependenz von Form und Inhalt Schon seit Jahrzehnten wird mit guten Gründen das Memorieren nicht mehr wie in früheren Zeiten als eine vorherrschende Lernmethode praktiziert. Dabei ist dessen relativer Wert durchaus anzuerkennen und ist Memorieren auch im Rahmen religiöser Bildung in einem eingeschränkten Ausmaß sinnvoll. Richtet man seinen Blick auf einen für die Gegenwart zu entwickelnden ‚Elementarkatechismus‘, dann sind in jedem Fall gegenwärtige Lehr-Lernmethoden (wie z.B. das prozessorientierte Lernen) grundlegend. Der entscheidende Punkt ist jedoch an dieser Stelle ein anderer: Zu Luthers Zeiten war das Memorieren aufgrund der hohen Analphabetenquote eine naheliegende und verbreitete pädagogische Option. Vor diesem Hintergrund stellt es eine beachtliche Leistung Luthers dar, dass er eine für das Memorieren geeignete Textfassung erstellt. Gleiches gilt es auch gegenwärtig zu leisten: ‚Basics‘ christlichen Glaubens sind je nach favorisierter Methode oder bevorzugtem Medium (z.B. Handyapp) passend zu gestalten, es ist wie beim KK auf eine Stimmigkeit zwischen Form und Inhalt zu achten. 2.4 Passung zwischen Text und Lebenswelt Es wurde deutlich, dass Luther bei der Abfassung des KK auf vielfältige Weise die gesellschaftlichen Lebensumstände seiner Zeit im Blick hatte und allein aufgrund der völlig veränderten heutigen Lebenswelt grundlegende Änderungen des KK notwendig sind. Weil die Abfassung eines ‚zeitlos‘ gültigen KK nicht möglich ist und mangels Adressatenbezug unzureichend wäre, ist vergleichbar zum KK ein auf die gegenwärtige Lebenswelt bezogener ‚Elementarkatechismus‘ zu verfassen. Letztlich besteht das Potential des KK sowohl im konsequenten Bezug auf die damalige Lebenswelt, als auch durch die Einbindung in den Tagesablauf, wodurch er geradezu als ein ‚Lebensbuch‘ konzipiert ist. Der Lebensweltbezug ist jedoch leichter gefordert als realisiert: Moderne Gesellschaften sind u.a. durch die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen, durch Pluralisierung und Individualisierung bestimmt. Der Lebensweltbezug ist damit ungleich schwieriger zu realisieren als zu Luthers Zeiten. Gleichwohl ist
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zu beachten: Auch die spätmittelalterliche bzw. frühneuzeitliche Gesellschaft war alles andere als homogen und keineswegs nur durch Hausvater und ländliche Verhältnisse bestimmt. Kurz gesagt: Luther hat den Lebensweltbezug in exemplarischer Hinsicht vorgenommen. Auch in dieser Hinsicht kann sich ein ‚moderner Elementarkatechismus‘ am KK orientieren. 2.5 Existenzbewegung Ein weiterer Punkt wurde u.a. von Notger Slenczka differenziert herausgearbeitet: Er begründet die Reihenfolge der ersten drei Hauptstücke (Dekalog, Credo, Vaterunser) damit, dass Luther auf diese Weise eine Existenzbe31 wegung bei den RezipientInnen des KK anstrebt. Letzteres zeigt sich m.E. auch im Detail, wenn man etwa Luthers berühmte Auslegung des 1. Artikels im Credo bedenkt, wo es heißt: „Ich glaube, dass mich Gott geschaffen hat ...“. Diese persönlich wie existenziell ausgerichteten Erläuterungen im KK sind keineswegs zufällig. Sie verdanken sich auch dem Umstand, dass Luthers Fastenpredigten und Katechismuspredigten als Vorlagen für seinen 32 KK dienten. Auch dieser Punkt lässt sich im Rahmen eines ‚Elementarkatechismus‘ keineswegs leicht realisieren. Insbesondere stellt sich die Frage nach der Adressatenorientierung: Sind z.B. primär Jugendliche im Blick oder allgemein ‚mündige‘ Christinnen und Christen? Sollen primär ‚kirchenferne‘ oder ‚kerngemeindliche‘ Christinnen und Christen angesprochen werden? Mit welcher Textgattung (z.B. Dialog, Erzählung) oder mit welchem Medium kann diese Existenzbewegung gegenwärtig ausgelöst werden? 3.
Impulse
Zahlreiche Versuche sind bislang gescheitert, ein vergleichbares Werk wie Martin Luthers Katechismus zu schaffen. Auch die folgenden Überlegungen sind bewusst nur als ‚Impulse‘ formuliert und wollen primär zum Weiterdenken in dieser Hinsicht in Anbetracht der bevorstehenden Reformationsfeiern 2017 anregen.
31 Vgl. Slenczka, N., Zur Theologie des Kleinen Katechismus Martin Luthers, in: Dennerlein, N./Grünwaldt, K./Rothgangel, M.: Die Gegenwartsbedeutung der Katechismen Martin Luthers, Gütersloh 2005, 9–35, bes. 12 u.ö. 32 Vgl. Slenczka, a.a.O., 12–14, 23.
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3.1 Konzeptionelle Grundgedanken Der Katechismus ist inzwischen vom Religionsbuch an öffentlichen Schulen abgelöst worden, ebenso wie die Katechetik als wissenschaftliche Disziplin von der Religionspädagogik an Universitäten. Dem Wortsinn nach leitet sich Katechismus von dem griechischen Wort ‚katechein‘ (= unterrichten) ab, was wortwörtlich übersetzt ‚von oben herab‘ (= kata) ‚schallen‘ bzw. ‚tönen‘ (= echein) bedeutet. Dieses ‚herrschaftliche‘ Gefälle kann durch das Frage-Antwort-Schema vieler Katechismen noch verstärkt werden: Auf eine Frage, die in der Regel keineswegs eine echte SchülerInnenfrage ist, wird gewissermaßen eine ‚fertige‘ Antwort gegeben. Diese Problematik hat bereits bei der ersten Auflage des Evangelischen Erwachsenenkatechismus (EEK) aus dem Jahr 1975 zu einer grundlegenden Revision des Aufbaus geführt, weil diese nach dem Schema „Einstieg – Information – Reflexion – Konkretion“ konzipiert wurden, was eine Kor33 rektur am herkömmlichen deduktiven Ansatz darstellt. In der jüngsten 8. Auflage des EEK findet sich der religionspädagogische etablierte Dreischritt „Wahrnehmung – Orientierung – Gestaltung“. Der erste Schritt der Wahrnehmung gibt demnach nicht einfach eine Frage vor, vielmehr motiviert der Wahrnehmungsschritt auch zu eigenem Nachfragen. Der Orientierungsteil setzt keineswegs eine(!) feststehende Antwort vor, vielmehr stellt er Informationen und Argumente als Deutungsangebote zur Verfügung. Schließlich geht es im Rahmen des Gestaltungsteils darum, welche Konsequenzen daraus u.a. auch für die eigene Lebensgestaltung in Betracht gezogen werden können. Bei alledem versagt sowohl die jüngste Ausgabe des EEK mit 1020 Seiten als auch der aus dem EEK entwickelte „Kleine Evangelische Erwachsenenkatechismus“ (KEEK) mit 304 Seiten bei der Aufgabe der Elementarisierung. Bereits seit geraumer Zeit setzt sich der Katechismusausschuss der VELKD mit der konzeptionellen Grundlegung und der Abfassung eines sogenannten ‚Elementarkatechismus‘ (= Arbeitstitel) auseinander. Dabei wurde neben früheren Impulsreferaten von Bernd Schröder und Manfred Pirner auch Christian Grethleins Ansatz bei der ‚Kommunikation des Evangeliums‘ intensiv diskutiert und gleichfalls wurde der Blick auf vergleichbare jüngere 34 Publikationen gerichtet. Des weiteren spielen die Erfahrungen bei der 33 Vgl. Meyer/Grünberg, a.a.O., 424. 34 Ein Überblick vergleichbarer Werke findet sich bei R. Leonhardt, Christliche Identität in postsäkularer Ziet. Die Rückkehr der Religion im Spiegel neuerer Einführungen in den christlichen Glauben, in: ThLZ 133 (2008), 123–142.
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Überarbeitung des EEK sowie des KEEK eine nicht zu unterschätzende Rolle und last but not least die theologische Auseinandersetzung mit Luthers Katechismen. Eine zentrale und wegweisende Entscheidung für einen ‚Elementarkatechismus‘ besteht in der Auswahl der Inhalte sowie dem Gliederungsprinzip. Favorisiert wird nach längeren Überlegungen gegenwärtig ein Schema, das sich einerseits am Lebenslauf sowie andererseits an kirchlichen Feiern und Festtagen orientiert. Auf diese Weise werden auf insgesamt ca. 80 Seiten voraussichtlich 17 Abschnitte entfaltet. Anhand der inhaltlichen Konkretionen der einzelnen Abschnitte wird sich zeigen, ob und inwieweit sich diese konzeptionellen Grundgedanken bewähren. Die einzelnen Abschnitte sollen mit dem Dreischritt „öffnen – verdichten – öffnen“ so dargelegt werden, dass diese Grunderfahrungen existentiell ansprechen. Dabei orientiert sich dieser Dreischritt zwar an „Wahrnehmung – Orientierung – Gestaltung“ aus dem EEK, er ist aber etwas flexibler gefasst. Entsprechend der obigen Überlegungen besteht eine wesentliche Intention darin, dass nicht einfach eine ‚fertige‘ Antwort am Ende steht, sondern eher ein persönlicher Prozess hervorgerufen wird. 3.2 Eine exemplarische Konkretion: „Was (vom Leben) bleibt?“ Nachstehend findet sich ein erster vorläufiger Entwurf des Abschnitts „Was (vom Leben) bleibt?“ für den ‚Elementarkatechismus‘. Er orientiert sich am Schema „öffnen – verdichten – öffnen“ und folgt in etwa den Vorgaben bezüglich Umfang. Zentrale Themen dieses Abschnitts sind die Auseinandersetzung mit der Frage „Was darf ich hoffen?“ sowie „Bestattung“. Entsprechend der obigen Überlegungen ist insbesondere darauf zu achten, dass keine distanzierende Information ‚über‘ diese Thematik dominiert, sondern eine ‚Existenzbewegung‘ ausgelöst wird. Zieht man diesbezüglich Martin Luthers Kleinen Katechismus zu Rate, dann zeigt sich allerdings, dass Luther in dieser Hinsicht den Schöpfungsartikel viel persönlicher zu formulieren vermochte, als etwa seine Ausführungen zur Auferstehung und zum ewigen Leben. Gleichwohl zeigt sich auch an den folgenden Ausführungen, dass es leichter ist zu kritisieren, als konstruktiv eine Alternative zu setzen. Öffnen Alle Menschen sind sterblich. Dieser Satz ist zweifellos wahr und doch ist er unbegreiflich. Obwohl jeder Mensch weiß, dass seine Lebenszeit begrenzt ist, bleibt uns der Tod fremd. Moderne Medizin und moderne Pflege drängen den Tod zunehmend aus dem Alltag zurück. Er ist zum Altersphäno-
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men geworden und findet in Institutionen wie Krankenhaus und Pflegeheim statt. Auf diese Weise ist er noch unbegreiflicher geworden als in früheren Jahrhunderten. (vgl. EEK) „Warum musste mein Tier/meine Oma sterben?“, „Muss ich auch sterben?“, „Warum muss man sterben?“, „Wo sind die Menschen, die gestorben sind?“, „Gibt es ein Leben nach dem Tod?“, „Ist mit dem Tod alles aus?“ (Kinderfragen)35 Denn es geht dem Menschen wie dem Tier: wie dies stirbt, so stirbt auch er, und sie haben alle einen Lebensatem, und der Mensch hat nichts voraus vor dem Tier; denn es ist alles eitel. Es fährt alles an einen Ort. Es ist alles aus Staub geworden und wird wieder zu Staub. Wer weiß, ob der Lebensatem der Menschen aufwärts fahre und der Lebensatem des Tiers hinab unter die Erde fahre? So sah ich denn, dass nichts Besseres ist, als dass ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit; denn das ist sein Teil. Denn wer will ihn dahin bringen, dass er sehe, was nach ihm geschehen wird? (Pred 3,19-22) Verdichten Bestattungsrituale sind ein fester Bestandteil in den verschiedensten Religionen und Kulturen. Sie stellen eine Hilfe für die Trauerbewältigung dar. Die Möglichkeiten, den Abschied und die Bestattung von Familienangehörigen und Freunden zu gestalten, sind in jüngerer Zeit individueller und vielfältiger geworden. Neben Erdbestattungen ist die Einäscherung mit der Beisetzung der Urne auf dem Friedhof verbreitet, darüber hinaus nehmen auch weitere alternative Formen zu (z.B. FriedWald). Wie wird im Rahmen einer evangelischen Trauerfeier auf die Trauer, Ängste und Gefühle der Angehörigen und Freunde eingegangen? Wir können dies bei dem Gottesdienst erfahren, der zur Bestattung in der Kirche oder Friedhofskapelle gefeiert wird. Die Musik, Gebete, biblischen Lesungen und Lieder dieses Gottesdienstes erinnern uns zum einen an unsere eigene Vergänglichkeit und helfen, unsere Trauer und Klage vor Gott zum Ausdruck zu bringen: „Mein Gott, mein Gott, warum hast Du mich verlassen“ (Mk 15,34; Ps 22,2). Zum anderen wird uns die in Tod und Auferstehung von Jesus Christus begründete Hoffnung auf die Auferstehung 35 Scherer, G., Umgang mit Tod, Sterben und Trauer. Kinder beschäftigen sich mit existentiellen Fragen, in: http://religion.bildung-rp.de/fileadmin/_migrated/content_uploads/04Tod-Online-mit_Arbeitsblaettern.pdf (Zugriff 25.3.2015).
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von den Toten, auf ein ewiges Leben, zugesprochen. In der Beerdigungsansprache wird das zu Ende gegangene Leben als die einmalige Geschichte Gottes mit diesem Menschen beschrieben und gedeutet. Beim dreimaligen Erdwurf am Grab nennt der Pfarrer/die Pfarrerin nochmals den Namen des Toten und übergibt ihn in die gnädige Hand Gottes mit segnenden Worten. Wenn zum Abschluss alle Anwesenden diesen Erdwurf fortsetzen, beteiligen sie sich am gemeinsamen Begraben des/der Vestorbenen. Somit ist die Bestattung auch ein Erweis der Liebe und Achtung gegenüber der/dem Verstorbenen. Die Bestattung stellt einen Beginn der Trauerarbeit dar. Keineswegs sind damit alle Zweifel und Fragen nach dem Warum behoben. Diese benötigen ihre Zeit. Vergeblich suchen wir beweisbare Antworten, warum der Tod uns geliebte Menschen und Tiere entreißt und was nach dem Tod kommt. Bei solchen Fragen können wir begrenzte Menschen uns nur vertrauensvoll in den Bereich der Hoffnung begeben. Die Sprache der Hoffnung kommt in der Bibel sowie in der christlichen Tradition vielfältig zum Ausdruck, sie kann die Grenzen dieser Welt und des Todes überschreiten. Die christliche Hoffnung stellt dabei keine billige Vertröstung auf ein Jenseits dar und hat keineswegs nur den Menschen, sondern die ganze Schöpfung im Blick. Ein Beispiel unter vielen ist das Gedicht und Kirchenlied von Kurt Marti „Der Himmel, der ist“ (EG 153). Öffnen Allmächtiger und barmherziger Gott, wir trauern um (Name). Er/sie wird uns sehr fehlen. Aber wir geben (Name) in deine Hand und wissen ihn/sie in deiner Liebe geborgen. Wir haben Angst vor dem Tod. Tröste uns in unserem Leid. Tröste uns, wenn wir selber einmal sterben müssen. Denn du hältst uns und lässt uns nicht fallen, was auch geschehen mag. Amen (Gebet von Hinterbliebenen) Denn ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Gewalten der Höhe oder Tiefe noch irgendeine andere Kreatur können uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn. (Röm 8,38-39)
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In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht. Ich bin einsam, aber du verlässt mich nicht. Ich bin kleinmütig, aber bei Dir ist Hilfe. Ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden. In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist die Geduld. Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den Weg für mich. (Dietrich Bonhoeffer)
Abstract For nearly four decades now, widespread silence with regard to Martin Luther’s Catechisms has been prevalent in the theory and practice of religious education. Apart from occasional exceptions, there is scarcely any extensive engagement with the Small Catechism. The present contribution asks first which problems have lead to the present silence with regard to the Small Catechism. Subsequently, the Small Catechism’s potentials are worked out. Problems and potentials alike are a decisive presupposition for giving impulses for the construction of a catechism which is contemporary and responsible in terms of religious education.
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