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German Pages 182 Year 2010
Reutlinger Theologische Studien Herausgegeben von Achim Härtner, Michael Nausner und Christoph Raedel in Verbindung mit der Theologischen Hochschule Reutlingen und der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland
Band 5
Holger Eschmann/Achim Härtner (Hrsg.) Glaube bildet Bildung als Thema von Theologie und Kirche
Inh. Dr. Reinhilde Ruprecht e.K.
Umschlagabbildung © Achim Härtner
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National bibliografie; detaillierte Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Eine eBook-Ausgabe ist erhältlich unter DOI 10.2364/7844097028. © Edition Ruprecht Inh. Dr. R. Ruprecht e.K., Postfach 17 16, 37007 Göttingen – 2010 www.edition-ruprecht.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhebergesetzes bedarf der vorherigen schriftlichen Zustimmung des Verlags. Diese ist auch erforderlich bei einer Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke nach § 52a UrhG. Layout und Satz: mm interaktiv, Dortmund Umschlaggestaltung: klartext GmbH, Göttingen Druck: Digital Print Group, Nürnberg ISBN: 978-3-7675-7125-9
Inhalt Vorwort ............................................................................................... 7 Achim Härtner/Holger Eschmann Einleitung: Glaube bildet – bildet Glaube?................................................ 8 Teil I Evangelische Bildungsverantwortung in Geschichte und Gegenwart .......15 Walter Klaiber „… bis Christus in euch Gestalt gewinnt“ Bibelarbeit zu Galater 4, 12–20 .............................................................. 17 Friedrich Schweitzer Bildungsverantwortung in der postsäkularen Gesellschaft Was evangelische Erwachsenenbildung im 21. Jahrhundert für die „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ bedeuten kann ............ 28 Achim Härtner Bildungsverantwortung in freikirchlicher Perspektive am Beispiel des Methodismus in England und Deutschland .................... 40 Wolfgang Ruhnow Bereit zur Rechenschaft Predigt zu 1. Petrus 3, 15 ....................................................................... 51 Teil II Aspekte ganzheitlicher Bildung in theologischer Perspektive ..................59 Cornelia Trick Jesusnachfolge als Grenzerfahrung Bibelarbeit zu 2. Korinther 4, 7–12 ........................................................ 61 Siegfried Zimmer Bildung und Erziehung des Herzens ...................................................... 67 Christof Voigt Zwischen Passivität und Aktivität Response zum Beitrag von Siegfried Zimmer ......................................... 85
Inhalt
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Jürgen van Oorschot Bildungs-Momente Alttestamentliche Anmerkungen anhand der Rede von „Frau Weisheit“ 88 Jörg Barthel Erfahrung und Offenbarung Response zum Beitrag von Jürgen van Oorschot .................................. 104 Theo Sundermeier Den Fremden verstehen Lernen in interkulturellen Begegnungen .............................................. 108 Holger Eschmann Auch „fremder“ Glaube bildet Response zum Beitrag von Theo Sundermeier ..................................... 119 Teil III Hermeneutische und bildungspraktische Herausforderungen in der Postmoderne .......................................................................... 123 Ina Praetorius „… lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ Bibelarbeit zu Matthäus 28, 18b–20 ..................................................... 125 Clive Marsh Schleiermacher – ein Methodist? Christliche Bildung vor der Herausforderung der Postmoderne ............ 133 Michael Nausner Christus in der Welt erkennen? Response zum Beitrag von Clive Marsh ............................................... 148 Clive Marsh Methodische Interdisziplinarität und Medienkompetenz Replik zu Michael Nausner: Christus in der Welt erkennen? ................ 154 Paul W. Chilcote Contemporary Theological Education in the Wesleyan Spirit................ 157 Autorinnen und Autoren ......................................................................... 174 Personenregister ...................................................................................... 177 Sachregister ............................................................................................. 179
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Inhalt
Vorwort Die Begriffe Glaube und Bildung gehören zusammen und stehen in einer fruchtbaren Spannung zueinander. Wer Bildung ganzheitlich versteht, wird die Frage nach Religion und Glaube des Menschen bewusst mit einbeziehen. Verantworteter christlicher Glaube geht stets mit Verstehens- und Lernprozessen einher. Im Umgang mit biblischen Texten und mit der christlichen Tradition, im Leben der Kirchengemeinde und in der Mitgestaltung der Gesellschaft geschieht jedoch mehr als Lernen und Verstehen, nämlich die Bildung des Herzens und des Lebens in der Nachfolge Jesu Christi. Der vorliegende Sammelband fasst – neben ergänzenden grundlegenden Beiträgen – die Bibelarbeiten und Vorträge des internationalen Symposiums zusammen, das im Oktober 2008 an der Theologischen Hochschule Reutlingen zum Thema stattfand. Die Beiträge wurden überarbeitet, grundsätzlich aber in ihrem spezifischen Charakter belassen. In ihnen spiegeln sich verschiedene kirchliche Traditionen und unterschiedliche Zugangswege zum Thema Glaube und Bildung wider. So gibt es Beiträge aus der Perspektive der wissenschaftlichen Theologie und Pädagogik wie auch der pastoralen Gemeindepraxis und der institutionellen kirchlichen Bildungsarbeit. Entsprechend richtet sich das Buch an eine breite Leserschaft. Ein herzlicher Dank gilt der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland, der Theologischen Hochschule Reutlingen und dem Schweizer Freundeskreis der Hochschule für die Gewährung großzügiger Druckkostenzuschüsse.
Holger Eschmann/Achim Härtner Reutlingen, im August 2010
Vorwort
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Einleitung Glaube bildet – bildet Glaube? „Bildung“ ist seit geraumer Zeit wieder ein Thema des gesellschaftlichen Diskurses. Was ist damit gemeint? Bildung ist zunächst ein Kernbegriff der Erziehungswissenschaft und Pädagogik, welcher zugleich einen Prozess („sich bilden“) als auch dessen Ergebnis 1 („gebildet werden, gebildet sein“) bezeichnet. Über die Fachdisziplinen hinaus ist Bildung ein breit diskutiertes Thema in Öffentlichkeit (Politik, Ökonomie etc.) und Wissenschaft (Sozialwissenschaft, Philosophie, Theologie etc.). Je nach Perspektive und Leitinteresse sind unterschiedliche Dinge gemeint: Bildung ist ein traditionsreicher und vielschichtiger Begriff, der sich einer einheitlichen Definition entzieht. Seine Verwendung in der Alltagssprache ist vielfach verkürzt und einseitig auf den Zusammenhang mit Schule, Ausbildung, Studium und Beruf ausgerichtet. So verstanden geht es bei Bildung um den Erwerb von Wissen, den geistigen Besitz eines „Bildungskanons“ und die Weitergabe von „Bildungsgütern“. Unverkürzt und mehrdimensional verstanden meint Bildung weit mehr als dies, sie „umfasst den ganzen Menschen mit seinen kognitiven, emotionalen, sozialen und handlungsorientierten Fähigkeiten“.2 Der Philosoph und Schriftsteller Peter Bieri anwortet auf die Frage Wie wäre es, gebildet zu sein? folgendermaßen: Bildung ist etwas, das Menschen mit sich und für sich machen: Man bildet sich. Ausbilden können uns andere, bilden kann sich jeder nur selbst. Eine Ausbildung durchlaufen wir mit dem Ziel, etwas zu können. Wenn wir uns dagegen bilden, arbeiten wir daran, etwas zu werden – wir streben danach, auf eine bestimmte Art und Weise in der Welt zu sein.3
Von Bildung ist häufig die Rede, wenn Grundlagen, Ziele und Ansprüche der Erziehungswissenschaft beziehungsweise Pädagogik als Ganzer beschrieben
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Zu Geschichte und Bedeutungswandel des Bildungsbegriffs vgl. Art. „Bildsamkeit/ Bildung“ von Dietrich Benner/Friedhelm Brüggen, in: Dietrich Benner/Jürgen Oelkers (Hg.), Historisches Wörterbuch der Pädagogik, Studienausgabe, Weinheim 2010, 174– 215 sowie Andreas Dörpinghaus/Andreas Poenitsch/Lothar Wigger, Einführung in die Theorie der Bildung, 3. Aufl., Darmstadt 2009. Reinhold Boschki, Einführung in die Religionspädagogik. Darmstadt 2008, 77. Peter Bieri, Bildung beginnt mit Neugierde, in: ZEITonline Leben-Magazin, 02.08.2007, 1.
Einleitung
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werden sollen. In jüngerer Zeit wird vermehrt betont, dass Bildung nicht nur als Gegenstand dieser Disziplinen mit ihren Fragen und Problemen zu verstehen sei, sondern dass in der und durch die Beschäftigung mit Bildungsfragen zugleich Bildung stattfindet, also prägende und verändernde Bezüge zur eigenen 5 Lebensführung und -gestaltung erwachsen. Gemeinsam ist den meisten neuzeitlichen abendländischen Bildungsverständnissen, dass es ihnen – in Anlehnung an Wilhelm von Humboldt – um ein reflektiertes Verhältnis des Individuums (1) zu sich selbst, (2) zu den Mitmenschen und (3) zur Mitwelt als Ganzer geht. Der Sinn von Bildung liegt in der Gewinnung und Gestaltung von Identität und Handlungsmöglichkeiten angesichts der Herausforderungen der Zeit. Mit einem Verständnis von Bildung als Entwicklung des Selbst-, Fremd- und Weltverständnisses geht eine Subjektorientierung einher: Bildung ist ein dynamisches und umfassendes Geschehen, Bildung der Person, Persönlichkeitsbildung. Damit ist auch eine lebensgeschichtliche Dimension angesprochen: Bildung geschieht im individuellen Lebenslauf und schließt die zeitlich-räumlichen Dimensionen Vergangenheit (woher komme ich?), Gegenwart (was prägt mich?) und Zukunft (wo will ich hin?) ein. Bildung ist demzufolge als reflexiv und kritisch zu verstehen und zielt – im Sinne der Aufklärung – auf eine gedankliche Eigenständigkeit hin, welche nun nicht rein geistig bleibt, sondern lebensprägend und verändernd wirkt. Bildung schließt aber auch die selbstkritische Einsicht in die historische Zufälligkeit des eigenen Lebens und damit auch die Relativität des betreffenden gesellschaftlichen, kulturellen und weltanschaulichen Umfeldes ein: Der Bildungsprozess besteht darin, zur Kenntnis zu nehmen, dass man in anderen Teilen der Erde und in anderen Gesellschaften über Gut und Böse anders denkt und empfindet; dass auch unserer moralischen Identität historische Zufälligkeit anhaftet. Bildung bricht mit der Vorstellung der Absolutheit und ist deshalb subversiv und gefährlich, was Weltanschauung und Ideologie angeht. Man könnte vielleicht sagen: Nur wer die historische Zufälligkeit seiner kulturellen und moralischen Identität kennt und anerkennt, ist richtig erwachsen geworden. […] Wenn ich in diesem Sinne gebildet bin, habe ich eine bestimmte Art von Neugierde: wissen zu wollen, wie es gewesen wäre, in einer anderen Sprache, Gegend und Zeit, auch in einem anderen Klima aufzuwachsen; wie es wäre, in einem anderen Beruf, einer anderen sozialen Schicht zu Hause zu sein. […] Der Gebildete ist ei4 5
Vgl. Iris Bosold/Peter Kliemann, „Ach, Sie unterrichten Religion?“ Stuttgart/München 2003, 10. Vgl. Dörpinghaus u.a., a.a.O., 9.
Glaube bildet – bildet Glaube?
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ner, der ein möglichst breites und tiefes Verständnis der vielen Möglichkei6 ten hat, ein menschliches Leben zu leben.
Die hier genannten Aspekte berühren nun auch Aspekte religiöser Bildung, um die es in diesem Band vornehmlich geht. Es wird davon ausgegangen, dass ein unauflösbarer Zusammenhang zwischen religiöser Praxis und Bildung besteht, kurz gesagt, dass Glaube bildet. Damit wird der Überzeugung Ausdruck gegeben, dass die religiöse Dimension unverzichtbar für ein angemessenes Verständnis von Bildung ist. Diese Auffassung ist wiederholt bestritten worden und muss daher in öffentlichen Diskurs immer wieder neu plausibel gemacht werden. Unzweifelhaft hat der klassische deutsche Bildungsbegriff auch in der Theologie seine Wurzeln, vor allem im biblischen Gedanken der Gottebenbildlichkeit (imago Dei), wie er später im Verständnis des Mystikers Meister Eckhart ausgeprägt wurde.7 Ebenso begründet Johann Amos Comenius seine Bildungslehre in der Gottebenbildlichkeit des Menschen und richtet sie auf das Reich Gottes hin aus: Es ist der im Licht Gottes gebildete Mensch, durch den Gott seine Schöpfung 8 erhält und vollendet. Auch in der Theologie und Pädagogik John Wesleys spielt der Gedanke der Gottebenbildlichkeit eine zentrale Rolle. Er versteht den Menschen als denjenigen, der die Liebe Gottes empfangen und den übrigen Geschöpfen widerspiegeln kann. Die imago Dei ist nicht Leistung oder innewohnender Besitz des Menschen, sondern besteht in einer lebendigen Bezie9 hung zu Gott, die dessen Gnadenhandeln erweckt und schenkt. Im 20. Jahrhundert nimmt interessanterweise sowohl die theologische Kritik des Bildungsbegriffs beim Gedanken der Gottebenbildlichkeit ihren Ausgangspunkt (Karl Barth, Emil Brunner u.a.), als auch die Bemühungen um seine Wiedergewinnung für die Theologie (Wolfhart Pannenberg u.a.). In der gegenwärtigen theologischen Diskussion ist daher nach dem inneren Zusammenhang von Glaube und Bildung zu fragen und bei der dem Menschen durch die Schöpfung verliehenen personalen Würde anzusetzen. Wie verhält sich der Glaube, der doch Geschenk Gottes und nicht menschliches Werk ist, zur Bildung, die mithin als menschliches Bestreben gilt?
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Bieri, a.a.O, 2. Vgl. Peter Biehl, Die Gottebenbildlichkeit des Menschen und das Problem der Bildung, in: Peter Biehl/Karl Ernst Nipkow, Bildung und Bildungspolitik in theologischer Perspektive, Münster ²2005, 9f. Vgl. Hans Schilling, Bildung als Gottebenbildlichkeit. Eine motivgeschichtliche Studie zum Bildungsbegriff, Freiburg 1961 sowie Biehl, a.a.O., 26f. Vgl.Theodor Runyon, Die neue Schöpfung. John Wesleys Theologie für heute, Göttingen 2005, 17–31.
Einleitung
Auf diese und andere Fragen im Kontext religiöser Bildung versuchen die einzelnen Beiträge dieses Bandes eine Antwort zu geben. Sie erfassen den wechselseitigen Bezug zwischen Glaube und Bildung je auf eigene Weise und spitzen ihn auf einen bestimmten Fragehorizont hin zu. An den Anfang des ersten Buchteils ist eine Bibelarbeit von Walter Klaiber zu Galater 4, 12–20 gestellt. In ihr wird der paulinische Gedanke „bis Christus Gestalt gewinnt in euch“ als Weg der Heiligung und Bildung des Herzens entfaltet, eine Bildung, die sichtbare und erfahrbare Konsequenzen mit sich bringt – bis in die Gegenwart hinein. Der Beitrag von Friedrich Schweitzer beschreibt evangelische Bildungsverantwortung in der reformatorischen Tradition und unter Bezug auf Friedrich Schleiermacher. Schweitzer arbeitet zwei Grundlinien heraus, die auch in „postsäkularer Zeit“ Bedeutung haben: religiöse und ethische Bildung in evangelischer Perspektive. Dabei geht er auf heute drängende Themen ein wie das Zusammenleben von Angehörigen mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeit, die Zulässigkeit des therapeutischen Klonens und das Bemühen um Frieden und Gerechtigkeit in einer globalen Welt. Achim Härtner zeigt in seinem Beitrag auf, dass Bildung auch ein zentrales Thema freikirchlicher Theologie und Praxis ist. Dabei geht es einerseits um Bildung des Einzelnen, verstanden als geistliches Wachstum in der Heiligung, und andererseits um die Begründung und Wahrnehmung eines öffentlichen Bildungsauftrags in der Gesellschaft. Dies wird am Beispiel des Methodismus in England und Deutschland aufgezeigt. In der Eröffnungspredigt der Theologischen Woche zu 1. Petrus 3,15 reflektiert Wolfgang Ruhnow grundlegend und zugleich kontextbezogen die Verantwortung der Christen und Christinnen, über die christliche Hoffnung in Wort und Tat Rechenschaft abzulegen. Dabei weist er besonders auf die existenzielle Dimension hin, die dieses Zeugnis jenseits von Besserwisserei und Belehrung glaubhaft macht. Cornelia Trick beschreibt in einer Bibelarbeit zu 2. Korinther 4, 7–12 den menschlichen Bildungsprozess aus christlicher Perspektive als Einübung auf das Ziel hin, der Bestimmung als Ebenbild Gottes zu entsprechen, das seine biblische Konkretion im Leben, Wirken und Leiden Jesu Christi erfahren hat. Der Beitrag von Siegfried Zimmer arbeitet die Bedeutung des Herzens in phänomenologischer, menschheitsgeschichtlicher und theologischer Bedeutung heraus. Damit gewinnt sein Nachdenken über Bildung auch eine somatische Dimension. Die Bildung und Erziehung des Herzens verortet Zimmer schöpfungstheologisch: „Der Grund für das Bewegtsein unseres Herzens liegt darin, dass der Schöpfer aller Wirklichkeit dieser Wirklichkeit ein Ziel gesetzt hat.“
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In seiner Response auf den Beitrag Zimmers unterstreicht Christof Voigt den Ansatzspunkt der Bildung bei der Personmitte des Menschen, weist dann aber auf den Unterschied zwischen Bildung und Erziehung hin und fragt kritisch an, ob das Zusammenspiel von Aktivität und Passivität des Menschen im Bildungsprozess bei Zimmer angemessen dargestellt ist. Der Alttestamentler Jürgen van Oorschot wählt mit dem Ausgangspunkt seiner Überlegungen zu Bildung und Erziehung bei der Weisheit Israels – und nicht bei der Ebenbildlichkeit Gottes – einen originellen Zugang zum Thema. Dadurch wird es ihm möglich, herkömmliche Gegensätze von passiven oder aktiven Momenten der menschlichen Bildung, von Offenbarung oder Erfahrung, aufzubrechen und zu einer Gesamtschau zu vereinen, die auch bildungspolitische Konsequenzen aufzeigt. In der Response zu diesem Beitrag greift Jörg Barthel den Gesprächsfaden auf und weist neben der Notwendigkeit von Bildungsspielräumen angesichts der heutigen Quantifizierung und Ökonomisierung der Bildungsprozesse auf die grundlegende Rolle der biblisch vielfach belegbaren Rezeptivität im Prozess der Persönlichkeitsbildung hin: „Wir können uns nur selbst bilden, weil wir immer schon gebildet werden.“ Bildungsprozesse, die aus der Begegnung mit dem Fremden erwachsen, beschreibt der Missions- und Religionswissenschaftler Theo Sundermeier. Eindrücklich plädiert er für eine teilnehmende Beobachtung, ja sogar teilnehmende Erfahrung im Umgang mit dem Anderen, die sich auf das Fremde einlässt, ohne es zu vereinnahmen und ohne dabei die Wahrheitsfrage im wechselseitigen Zeugnis auszuklammern. Bei der Frage des Zeugnisses gegenüber Menschen anderer Religionen setzt die Response von Holger Eschmann an. Er unterstreicht den Gedanken, dass Mission – entgegen manch landläufigem Verständnis – gerade auch für den christlichen Missionar und die Kirche im Hören auf die Anderen zum Bildungsimpuls werden kann. (Selbst-)Kritisch fragt er zurück, wie auf diesem Hintergrund die soteriologische Sprache des Paulus und der methodistischen Tradition zu verstehen und eventuell umzuformen ist. In ihrer Bibelarbeit zum sogenannten Missionsbefehl in Matthäus 28 geht Ina Praetorius von drei unterschiedlichen Übersetzungen der Textstelle aus und entwickelt aus der dabei gewonnen Einsicht in die kulturelle Bedingtheit jeder Übersetzung eine die patriarchalen Strukturen überwindende Hermeneutik, die sowohl „die Kenntnis der Schrift“, als auch „die Urteilskraft der Liebe“ einbezieht. In origineller Weise vergleicht der englische Laientheologe Clive Marsh in seinem Beitrag zwei bedeutende Väter evangelischer Theologie und Frömmigkeit – Friedrich Schleiermacher und John Wesley – und versucht, deren
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Einleitung
Denken für die postmoderne religiöse Erfahrung und Praxis fruchtbar zu machen. Dabei ist es ihm ein Anliegen, die Christuspräsenz nicht nur in kirchlichen Kontexten zu behaupten, sondern ihr gerade auch in weltlichen Räumen nachzuspüren und „Respekt für das Geschene in der sogenannten säkularen Welt (zu) entwickeln (d.h. dafür, was Gott schon in der Welt wirkt)“. Auf dem Hintergrund dieser Überlegungen entwickelte sich ein Schriftwechsel zwischen Clive Marsh und Michael Nausner, der ebenfalls in diesem Band dokumentiert ist. Nausners Antwort an Marsh greift vor allem die Frage der Unterscheidbarkeit von Erfahrungen Christi innerhalb und außerhalb der Kirche und deren Bedeutung für das kirchliche Selbstverständnis und die theologische Ausbildung auf. Marsh respondiert darauf mit dem erneuten Verweis darauf, dass in Zeiten des fortschreitenden Pluralismus’ zunehmend nichtkirchliche Orte entstehen werden, an denen „Glaubensentwicklung“ statfinden wird. Um dies wahrzunehmen und sich darauf vorzubereiten, sollten in der theologischen Ausbildung vermehrt interdisziplinäre und erfahrungsbezogene Methoden und Medien der Populärkultur, wie beispielsweise der Film, Verwendung finden. Im Aufsatz von Paul W. Chilcote wird der Fokus auf die Aufgabe und Praxis theologischer Bildung und Ausbildung im weltweiten Methodismus gelenkt. Auf dem Hintergrund problematischer Entwicklungen in seinem nordamerikanischen kirchlichen und akademischen Kontext spricht sich der Autor für eine Synthese aus Fachstudium (Paradigma: Wissenschaft) und relationaler, transformativer theologischer Bildung (Paradigma: paideia) aus. Im vorliegenden Band erscheint der Aufsatz im amerikanischen Original; eine deutschsprachige Übersetzung ist bereits erschienen.10
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Zeitgemäße theologische Ausbildung im Geiste Wesleys, in: Ulrike Schuler (Hg.), Glaubenswege – Bildungswege. 150 Jahre theologische Ausbildung im deutschsprachigen Methodismus Europas, Reutlingen 2008, 143–165.
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Teil I Evangelische Bildungsverantwortung in Geschichte und Gegenwart
„… bis Christus in euch Gestalt gewinnt“ Bibelarbeit zu Galater 4, 12–20 Walter Klaiber Die Urchristenheit setzte nicht auf Bildung in unserem Sinn. Die ersten Christen waren davon überzeugt, dass die entscheidende Veränderung eines Lebens von Gott her geschieht und auf Seiten der Menschen durch Umkehr, Glaube und Taufe vollzogen wird. „Ist jemand in Christus‘‘ – so schreibt Paulus in 2. Korinther 5, 17 – „so ist er (so ist sie) eine neue Kreatur‘‘, also neue Schöpfung aus Gottes Hand. Damit ist schon etwas von der neuen Welt Gottes Wirklichkeit geworden – wie wäre da noch „Bildung“ nötig? Allerdings zeigt die ganze Paränese des Paulus, also die Art, wie er die Gemeinden ermuntert und ermahnt, diese Wirklichkeit nun auch zu leben, dass das einfache Schema einst und jetzt, beziehungsweise total verloren – ein völlig neuer Mensch, in der Praxis doch nicht ganz so funktioniert. Auch Christen müssen immer wieder neu ermutigt und angeleitet werden, sich das, was für ihr Leben grundsätzlich gilt, Schritt für Schritt zu Eigen zu machen und in praktisches Verhalten und Handeln umzusetzen. Ich bin gebeten worden, einen Text, der in diese Richtung führt, auszulegen und daraufhin zu befragen, inwiefern hier schon Ansätze christlicher Bildungsarbeit zu erkennen sind. Wie wir gleich erkennen werden, führt uns gerade dieser Text keineswegs in eine ruhige Phase urchristlicher Gemeindearbeit, in der man sich nun endlich erste Gedanken über die Gründung eines Bildungswerkes oder eines Theologischen Seminars für den Bund paulinischer Missionsgemeinden hätte machen können. Ganz im Gegenteil: Der Abschnitt aus dem Galaterbrief führt uns in die persönlichste und emotionalste Phase der Auseinandersetzung des Paulus mit seinen galatischen Gemeinden angesichts deren Offenheit für die Propagierung des Gesetzes durch gewisse „Nachmissionare“ in Galatien. Ich lese Galater 4, 12–20 in einer eigenen Übersetzung: 12
Werdet wie ich, denn ich wurde wie ihr, Brüder und Schwestern, ich bitte euch! Ihr habt mir doch früher kein Unrecht getan! 13Ich wisst vielmehr, dass ich euch das erste 14 Mal das Evangelium auf Grund einer körperlichen Schwäche verkündet habe, und trotz der Versuchung, die mein körperlicher Zustand für euch darstellte, habt ihr mich nicht verachtet und auch nicht (vor mir) ausgespuckt, sondern wie einen Boten Gottes
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habt ihr mich aufgenommen, ja genauso wie Christus selber. 15Wo sind jetzt eure guten Wünsche? Denn ich stelle euch das Zeugnis aus: Wenn es möglich gewesen wäre, hättet ihr euch die Augen ausgerissen und sie mir gegeben! 16Bin ich also euer Feind geworden, weil ich euch die Wahrheit sage? 17Diese Leute werben auf keine gute Weise um euch. Im Gegenteil: Sie wollen euch isolieren, damit ihr sie dann umwerben sollt. 18Sicher: Es tut gut im Guten umworben zu werden, (wenn es denn) immer (geschieht) und nicht nur, wenn ich bei euch bin! 19Meine Kinder, um die ich wieder die Schmerzen einer Geburt erleide, bis Christus in euch Gestalt gewinnt: 20Ich wollte, ich könnte jetzt bei euch sein und könnte ganz anders mit euch reden, denn ich weiß wirklich nicht mehr weiter mit euch!
Wir spüren es: Paulus schreibt in tiefer Erregung und Trauer darüber, dass die Christen in Galatien dabei sind, die Grundlage des Evangeliums zu verlassen, das er ihnen gepredigt hatte. In den Gemeinden waren judenchristliche Lehrer aufgetaucht, die sagten: Was Paulus euch gesagt hat, mag für den Anfang gut und hilfreich gewesen sein. Aber es genügt nicht. Wer wirklich zu dem Bund gehören will, den Gott mit Abraham und seinen Nachkommen geschlossen hat und an dem verheißenen Segen teilhaben will, der muss auch das Zeichen dieses Bundes, die Beschneidung, übernehmen, den Sabbat halten, die wichtigsten Reinheits- und Speisegebote befolgen und so deutlich machen, dass er wirklich zu Gottes Volk gehört. Offensichtlich haben diese Lehrer das so eindrucksvoll vorgetragen und aus der Heiligen Schrift belegt, dass viele der galatischen Christen in Gefahr waren, ihnen zu folgen. Es gibt ja eine interessante zeitgenössische Parallele zu diesem Vorgang, von der Josephus berichtet. Die königliche Familie des kleinen Fürstentums Adiabene wurde durch einen reisenden Kaufmann davon überzeugt, dass der Gott Israels der einzig wahre Gott sei. An ihn zu glauben und ihn allein zu verehren, das genüge, um zu ihm zu gehören. Doch ein Gesetzeslehrer, der die Familie einige Zeit später aufsuchte, überzeugte sie, dass man zum Volk Gottes nur gehören könne, wenn man sich beschneiden lasse; was der Kronprinz dann auch tat und so ganz offiziell zum Judentum übertrat (Ant XX, 34–48).
Paulus aber sah in diesem Schritt einen Verrat am Evangelium. Entscheidend wäre dann nicht mehr das, was Gott in Jesus Christus zum Heil für alle Menschen getan hat, sondern das, was der Mensch tut, der sich beschneiden lässt und das Gesetz befolgt. Warum er das so sieht, das hat Paulus in den vorangegangenen Kapiteln in scharfer theologischer Argumentation dargelegt. In unserem Abschnitt tritt an deren Stelle die ganz persönliche Auseinandersetzung des Paulus mit dem Phänomen des menschlichen Verhaltens der Galater. Das gibt dem Text teilweise den Charakter eines halbierten Gesprächs und macht ihn für uns stellenweise schwer verständlich.
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Aber auch hier fehlt die theologische Argumentation nicht. Schon der erste Halbsatz: „Werdet wie ich!“ weist auf einen wichtigen Grundsatz der paulinischen Gemeindepädagogik. In anderen Briefen liest sich das ein wenig anders, kommt aber sinngemäß auf das Gleiche hinaus. „Folgt meinem Beispiel‘‘, sagt Paulus in 1. Korinther 4, 16 (wörtlich: „Werdet meine Nachahmer‘‘). Das klingt für uns befremdlich, obwohl eine Vorbildpädagogik immer noch Befürworter findet. Aber sich selbst als Vorbild hinzustellen, gilt uns als problematisch. Bei Paulus steckt aber noch ein anderer Gedanke dahinter, den er in 1. Korinther 11, 1 ausspricht: „Folgt meinem Beispiel nach, wie ich dem Beispiel Christi.‘‘ Das Vorbild des Apostels ist also nur eine Hilfskonstruktion, die dazu anleitet, den Blick auf das eigentliche Vorbild, nämlich Christus zu richten. An ihm orientiert sich christliches Leben, selbst wenn das immer auch die Vermittlung durch menschliche Vorbilder braucht. Ganz im Klartext formuliert Epheser 5, 1 den Gedanken: „So folgt nun Gottes Beispiel als seine geliebten Kinder und lebt in der Liebe, wie auch Christus uns geliebt hat.‘‘ Jesu Weg ist der Grund, der uns trägt, aber auch das Beispiel, das uns den rechten Weg führt. Allerdings nimmt die Aufforderung: „Werdet wie ich!‘‘ in Galater 4 noch einmal eine ganz andere Wendung. Hier lautet die Begründung nämlich: „Denn ich wurde wie ihr.‘‘ Was Paulus damit meint, ergibt sich aus dem Zusammenhang. Paulus ist den Menschen in Galatien, die ohne das jüdische Gesetz lebten, aber damit auch weit weg von dem Gott Israels waren, wie einer geworden, der selbst ohne das Gesetz lebt, um ihnen den einzigen und wahren Gott ganz nahe zu bringen (1. Korinther 9, 19). Er hat damit bewusst die Grenze, die Juden und Nichtjuden trennt, überschritten und hat die Botschaft von Gottes rettendem Handeln für alle Menschen in das Leben der Galater getragen. Weil er aber nicht nur irgendein Gesetzloser wie viele andere auch war, sondern von Gottes Liebe in Jesus Christus gehalten und getragen wurde, darum haben die Menschen in Galatien erkannt: In der Botschaft des Paulus begegnet uns Gott, der uns das wahre Leben schenkt. Aber wie war es da möglich, dass sie sich jetzt der Predigt des Gesetzes zuwandten? Darum die herzliche und sehr persönliche Bitte des Paulus an die Christen in Galatien: Brüder und Schwestern, ich bitte euch, werdet wie ich, geht mit mir weiter den Weg ohne das Gesetz, weg vom Vertrauen auf das eigene Tun oder auf die äußeren Identitätsmerkmale der Zugehörigkeit zu Gottes Volk; geht mit mir den Weg hin zum Vertrauen allein auf Jesus Christus und auf Gottes Liebe, so wie wir ihn am Anfang miteinander gegangen sind. Paulus wird von der Erinnerung an diese erste Begegnung mit den Galatern innerlich ergriffen. Damals – so sagt er (der Aorist des Verbs verweist auf
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eine vergangene Erfahrung) – „damals habt ihr mir kein Unrecht getan, mir kein Leid zugefügt‘‘; oder vielleicht muss man auch übersetzen: „damals habt ihr mich in keiner Weise ins Unrecht gesetzt‘‘. Und dann folgen sehr konkrete Erinnerungen an die erste Begegnung mit den Menschen in Galatien. Dass Paulus überhaupt in dieser abgelegenen Gegend des römischen Reiches das Evangelium verkündet hat, hing damit zusammen, dass er wegen körperlicher Schwäche, also wohl wegen einer Erkrankung, dort längere Zeit Station machen musste. In der Apostelgeschichte lesen wir an der vermutlichen Parallelstelle in 16, 6: „Sie zogen weiter durch Phrygien und das galatische Land, da es ihnen vom heiligen Geist verwehrt wurde, das Wort in der Provinz Asia zu verkündigen.‘‘ (Die Fachleute erkennen daran, dass ich weiterhin der nordgalatischen Hypothese anhänge, die Galatien in der Landschaft Galatien in der Gegend von Ankyra lokalisiert.) Was also im Rückblick als Wirken des Geistes gedeutet wird, kann in der Situation durchaus als schwere körperliche Behinderung erscheinen! Jedenfalls hat Paulus trotz dieser Krankheit oder Schwäche das Evangelium an Menschen seiner Umgebung weitergegeben. Und es geschah das, was für Paulus immer wieder neu zum eigentlichen Wunder und zum Beweis des Geistes und der Kraft wurde: Obwohl für die Galater die Versuchung nahe lag, die Verkündigung göttlichen Heils durch einen reiseunfähigen Kranken zu verspotten und zu verachten, haben sie das nicht getan. Sie haben auch nicht voll Verachtung und Ekel oder zur Abwehr des Krankheitsdämons vor ihm ausgespuckt, sondern ihn mit seiner Botschaft wie einen Boten Gottes (vielleicht darf man auch übersetzen: „wie einen Engel Gottes‘‘) aufgenommen, ja sogar genauso wie Jesus Christus selbst. An dem kranken Paulus wurde Jesu Wort wahr: „Wer euch aufnimmt, der nimmt mich auf‘‘ (Matthäus 10, 40), und zwar gerade deshalb, weil die Menschen in Galatien in seinen Worten die Botschaft Jesu wahrnahmen. (Paulus berichtet in 1. Thessalonicher 2, 11–13 dankbar von einem ähnlichen Wunder, als der in Philippi ausgepeitschte Apostel nach Thessalonich kam und er Menschen begegnete, die seine Worte nicht als Menschenwort, sondern als Gotteswort aufnahmen.) Verwundert und verwundet fragt Paulus: „Wo sind nun eure Glückwünsche und Seligpreisungen von damals geblieben?‘‘ (V. 15). Die genaue Bedeutung dieser Frage ist unklar. Wir wissen nicht sicher, ob Paulus daran erinnert, wie die Galater den Apostel dafür selig gepriesen haben, dass er ihnen das Evangelium gebracht hat, oder daran, wie sie sich selbst beglückwünscht haben, dass diese Botschaft zu ihnen gekommen ist. Jedenfalls steckt in der Frage die Erinnerung an eine dankbare Freude, von der nichts geblieben zu sein scheint. Damals – so erinnert sich Paulus – damals hätten die Galater sogar, wenn das möglich gewesen wäre, ihm ihre Augen gespendet. Ob das ein Hinweis auf
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eine Augenkrankheit des Paulus ist, für die damals eine Organspende noch nicht möglich war, oder ein geläufiges Bild dafür, dass die Galater auch ihr kostbarstes Gut, ihr Augenlicht, für Paulus dran gesetzt hätten, muss offen bleiben und ist für die Auslegung auch nicht entscheidend. So herrlich dieser Anfang war, jetzt scheint Paulus ihr Feind geworden zu sein, „weil (oder obwohl) er ihnen die Wahrheit sagt‘‘ (V. 16). Die Wahrheit sagen bedeutet in unserem Zusammenhang wohl nicht nur, dass Paulus die Galater kompromisslos auf die Gefahr hinweist, in die sie sich durch ihr Verhalten begeben. Die Wahrheit, von der Paulus spricht, ist und bleibt die Wahrheit des Evangeliums. Es ist die Wahrheit der Rechtfertigung allein aus Glauben. Es ist die Wahrheit des Evangeliums, für die sich Paulus in Jerusalem eingesetzt hat, damit sie gerade auch für die Christen in Galatien erhalten bleibe (Galater 2, 5). Es ist die Wahrheit, die die galatischen Christen selbst als befreiende und rettende Botschaft erfahren haben, und es ist die Wahrheit, die sie jetzt verleugnen wollen und deren Verkündigung durch Paulus ihnen auf einmal problematisch oder gar schädlich erscheint. Ist er also ihr Feind geworden? In den nächsten Sätzen in V. 17 und 18 verschiebt Paulus die Thematik etwas. Das ist die Stelle, an der wir seine Argumentation am wenigsten nachvollziehen können, weil wir die dahinter liegenden Fragen und Vorwürfe nicht kennen. Vielleicht haben die galatischen Gemeinden Paulus wissen lassen, das Eindrucksvolle an der Arbeit der neuen Lehrer sei, mit welchem Eifer sie sich um die Christen in Galatien kümmern und wie dringlich sie darum werben, dass sie den guten Anfang, den sie im Glauben gemacht haben durch den Gehorsam gegenüber dem Gesetz vollenden. Paulus aber unterstellt diesen Leuten, dass sie dies aus unlauteren Motiven tun. Sie wollen die galatischen Gemeinden von den anderen paulinischen Missionsgemeinden isolieren (wörtlich: ausschließen), um so die geistliche Herrschaft über sie zu gewinnen und sich dann selber umwerben und dienen lassen. Ob das in diesem Fall zutrifft oder Paulus ihnen Unrecht tut, wissen wir nicht. Dass die Entwicklung bei solchen „Nachmissionen“ nicht selten in diese Richtung geht, lässt sich aber kaum übersehen. Paulus illustriert, was er damit meint, an sich selbst: Es ist schön umworben zu werden, wenn es im Guten, also mit lauteren Motiven geschieht, und – so ist zwischen den Zeilen zu lesen – auch ich habe das bei euch genossen. Aber wirklich gut ist solche Zuwendung nur, wenn sie verlässlich ist, und nicht nur gezeigt wird, wenn ich bei euch bin. Der größte Eifer wird unglaubwürdig, wenn es ansonsten heißt: Aus den Augen aus dem Sinn. Dann aber bricht die ganze Sorge und der ganze Schmerz des Apostels angesichts der Bedrohung der Existenz seiner geistlichen Kinder aus ihm heraus, wenn er schreibt: „Meine Kinder, um die ich wieder die Schmerzen einer Geburt
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erleide, bis Christus in euch Gestalt gewinnt!‘‘ (V. 19). Paulus bezeichnet sich ja 1 nicht selten als „Vater“ der von ihm gegründeten Gemeinden. Gelegentlich aber, wenn er die innere Verbundenheit und seine besondere Fürsorge betonen will, kann auch den Vergleich mit der Rolle einer Mutter aufgreifen (1. Thessalonicher 2,7). Als sie zum Glauben kamen, sind die galatischen Christen neu geboren worden. Und all die Mühe, die Sorgen und die Ängste, die Paulus in der Begleitung dieses Prozesses erlebt hat, waren für ihn so etwas wie Wehen, wie Schmerzen, die eine Geburt begleiten; es tut weh, wird aber doch getragen und ertragen durch die Hoffnung und die Freude, dass durch sie neues Leben entsteht. (Es ist interessant, dass im Englischen das Wort to labor, mit dem das griechische Verb κοπιᾶν übersetzt wird und das Paulus dazu verwendet, seine missionarische Arbeit und Mühe zu kennzeichnen, auch Wehen haben bedeutet.) Aber nun ist für Paulus die paradoxe Situation eingetreten, dass er diese Sorgen, Ängste, Gebete und Schmerzen um das neu gewonnene Leben der galatischen Gemeinden ein zweites Mal durchleiden und durchstehen muss, in der Hoffnung, dass er ihnen dadurch erneut dazu helfen kann, das Licht der Liebe Gottes zu erblicken und neues Leben zu empfangen. Als Ziel dieses schmerzlichen Prozesses nennt Paulus: „bis Christus in euch Gestalt gewinnt‘‘, das heißt bis ihr Leben erneut nach Christi Bild gestaltet und geformt, gebildet und gefestigt ist. Damit sind wir im Zentrum dieses Abschnitts und auch bei dem Stichwort angekommen, auf das es in unserem Zusammenhang ankommt. Bevor wir aber weiter darüber nachdenken, noch der Hinweis auf ein nicht unwichtiges Detail. Das griechische ἐν ὑμῖν, das wir zunächst einmal mit „in euch‘‘ wiedergegeben haben, kann verschiedene Bedeutungen haben. Es kann, wie es meist übersetzt wird, bedeuten „in euch‘‘, was in der evangelischen Exegese zu manchen Spekulationen über den mystischen Charakter dieser Erfahrung geführt hat. Es kann aber auch übersetzt werden „bis Christus an euch Gestalt gewinnt‘‘. Damit würden sehr viel deutlicher die konkreten, sichtbaren Auswirkungen dieses Vorgangs unterstrichen. Die Wendung kann aber genauso gut „unter euch‘‘ oder „bei euch‘‘ bedeuten, was vor allem – aber nicht nur – katholische Exegeten dazu veranlasst, zu betonen, es gehe hier um einen eminent ekklesiologischen Vorgang. Die Gemeinde muss neu als „Gestalt Christi‘‘ geboren werden. Wahrscheinlich meint Paulus alle genannten Dimensionen. Wir aber, die wir von der evangelischen Auslegungstradition geprägt sind,
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Vgl. 1. Korinther 4, 15; 1. Thessalonicher 2, 11f; Philemon 10.
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werden gut daran tun, auch die beiden anderen Möglichkeiten vor Augen zu haben. Damit aber kommen wir zur eigentlichen Sachaussage: In den galatischen Christen und in ihrer Gemeinschaft muss Christus erneut Gestalt gewinnen. Was heißt das? Ich versuche, die gemeinte Sache zu umschreiben. Die Wirklichkeit des Christus soll das Leben der Christen und ihre Gemeinschaft so gestalten und formen, dass sie ganz von ihr bestimmt ist. Die Wirklichkeit des Christus aber ist die Wirklichkeit der voraussetzungslosen Gnade und der bedingungslosen Liebe Gottes. Dass sie bestimmend und prägend für das Leben der Einzelnen und der Gemeinschaft wird, ist zunächst einmal ein Geschenk. Dieses Geschenk hatten die galatischen Christen schon empfangen und setzen es jetzt leichtfertig aufs Spiel. Dass Paulus deswegen erneut die Wehen für ihre Neugeburt durchleidet, hängt eben damit zusammen, dass neues Leben nicht durch eine kräftige apostolische Mahnung wiedererweckt werden kann, sondern geboren werden muss. Wenn wir von hier und der besonderen Situation in Galatien ausgehend einmal das Ganze der paulinischen Theologie einbeziehen, dann stoßen wir auf zwei unterschiedliche, aber eng miteinander verbundenen Aussagelinien. Die erste sagt: Die Christusförmigkeit des neuen Lebens ist reines Geschenk. Paulus verwendet, um das auszudrücken, zwei verschiedene Bilder. Das erste der beiden Bilder steht der Bildsprache unseres Textes sehr nahe. In 2. Korinther 3, 18 sagt Paulus in Zusammenhang mit dem Mosemidrasch, der erklärt, warum Mose sein Gesicht bedecken musste, wenn er aus der Begegnung mit Gott kam: „Wir aber schauen alle mit aufgedecktem Antlitz die Herrlichkeit des Herrn wie in einem Spiegel und werden so verwandelt in sein Bild, von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, wie der Herr des Geistes es wirkt.‘‘ Luther übersetzt: „wir werden verklärt in sein Bild‘‘. Das aber führt auf die falsche Fährte. Es geht bei dem μεταμορφοῦσθαι um echte Verwandlung, um die Metamorphose in die wahre Gestalt unseres Lebens (Die Züricher Bibel übersetzt: „und werden verwandelt in die Gestalt, die er schon hat‘‘). Wir werden neu gestaltet in das Bild Christi und damit in das Ebenbild Gottes. Damit findet unser Leben zu seiner ursprünglichen Bestimmung. Christus wird in uns und unter uns wahrer Mensch und gerade so haben wir Anteil an Gottes Herrlichkeit, an seinem Gott-Sein. Das andere Bild verwendet Paulus in Galater 3, 27: „alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen‘‘. Dieses Bild ist uns etwas fremd. Aber anders als bei uns, wo das „Kleider machen Leute“ einen negativen Beigeschmack hat, ist in der Antike ein neues Kleid ein wichtiges Symbol für eine neue Existenz. Das gilt für das Festkleid des verlorenen Sohnes ebenso wie für
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die weißen Kleider der Erlösten in der Offenbarung des Johannes. Das Bild vom Kleid betont gerade den Geschenkcharakter dieser neuen Existenz. Wir müssen uns nicht selber profilieren; unsere neue Identität wird uns verliehen wie ein Ehrenkleid. Dass Christen durch Glaube und Taufe Christus angezogen haben, heißt also, das nun die Christuswirklichkeit ihr Leben um und um und durch und durch bestimmt. Das Bild des Kleides erlaubt es aber auch von einer neuen Identität zu sprechen, die unsere bisherige Identität nicht einfach auslöscht oder verdrängt, sondern sie mit dieser neuen Wirklichkeit überkleidet, ihr damit eine neue Gestalt gibt, eben die Gestalt, die ganz von Gottes Liebe geformt und geprägt ist. Interessanterweise kann Paulus auch die zweite Aussagelinie mit diesen beiden Bildern verbinden. So z.B. wenn er in Römer 12, 1 sagt: „Fügt euch nicht ins Schema dieser Welt, sondern verwandelt euch durch die Erneuerung eures Sinnes, dass ihr zu prüfen vermögt, was der Wille Gottes ist.‘‘ Man könnte hier statt des „verwandelt euch‘‘ oder „verändert euch‘‘ auch übersetzen: „lasst euch verwandeln.‘‘ Das ändert nichts an der Grundaussage, dass hier die Metamorphose, das μεταμορφοῦσθαι, ein bleibender Prozess ist. Sollte wie angedeutet das μεταμορφοῦσθε tatsächlich ein Imperativ Passiv sein, so würde das darauf hinweisen: Auch diesen Prozess vollziehen wir nicht aus eigener Kraft, sondern lassen ihn an uns geschehen. Aber das nimmt uns doch hinein in das Geschehen, lässt uns eben gerade nicht passiv bleiben, sondern beteiligt uns daran, ohne dass der Prozess zu unserem eigenen Werk würde. Vollzogen wird diese Veränderung durch die Erneuerung des νοῦς, also unseres Denkens, unseres Sinnes. Auch im Blick auf diesen Gedanken kann Paulus an anderer Stelle sagen: Wir haben den νοῦς Christi. Aber diesen Sinn Christi, diese Ausrichtung unseres Denkens nach seinem Bild gilt es immer wieder neu zu bewähren und zu erneuern. Ganz ähnlich kann Paulus diese zweite Aussagelinie auch mit dem anderen Bild formulieren, von dem wir sprachen. In Römer 13, 13f warnt Paulus die Christen vor einem ausschweifenden Leben und fährt dann fort, indem er die Alternative aufzeigt: „…sondern zieht den Herrn Jesus Christus an.‘‘ Dabei sieht Paulus zweifellos seine Adressaten in Rom als getaufte Christen an und sicher gilt auch für sie, dass sie, als sie getauft wurden, „Christus angezogen haben‘‘. Und doch mahnt er sie: „den Herrn Jesus Christus anzuziehen‘‘, sich also immer wieder neu der Wirklichkeit bewusst zu werden, die ihr Leben prägt, und jede einzelne Entscheidung davon bestimmen zu lassen. Das ist offensichtlich ein lebenslanger Prozess und nicht nur ein Notprogramm für Christen, die dabei sind, ihr neues Leben mit Christus durch Übernahme der Gesetzesgerechtigkeit aufs Spiel zu setzen.
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Diese Perspektive wird dann in den späteren Paulusbriefen weitergeführt und verdeutlicht. So heißt es in Kolosser 3, 9ff: Ihr habt doch den alten Menschen mit all seinem Tun abgelegt und den neuen Menschen angezogen, der zur Erkenntnis erneuert wird nach dem Bild seines Schöpfers. […] So bekleidet euch nun als von Gott auserwählte Heilige und Geliebte mit innigem Erbarmen, Güte, Demut, Sanftmut und Geduld!
Und in Epheser 4, 23 lesen wir: Legt den alten Menschen ab, der in Verblendung und Begierde zugrunde geht, ändert euer früheres Leben und erneuert euren Geist und Sinn! Zieht den neuen Menschen an, der nach dem Bild Gottes geschaffen ist in wahrer Gerechtigkeit und Heiligkeit.
Es gilt also, sich die für uns von Gott geschaffene Identität Schritt für Schritt anzueignen und sie in den unterschiedlichen Herausforderungen zu leben. Die beiden Linien paulinischer Theologie widersprechen sich nun aber keineswegs. Man kann sie aufeinander beziehen, und zwar nicht nur in der geläufigen Rede vom Indikativ des Glaubens dem der Imperativ der Liebe folgt, sondern gerade indem man das Bild von der Geburt in einer Weise auslegt, die John Wesley gerne angewandt hat. Ein neugeborenes Kind hat alle Organe, die auch ein erwachsener Mensch besitzt. Manches mag noch nicht voll entwickelt sein; aber grundsätzlich ist alles vorhanden. Allerdings müssen die verschiedenen Organe noch wachsen, sich entwickeln und vieles von ihren Fähigkeiten muss im praktischen Gebrauch erst eingeübt werden. Dazu braucht ein Kind auch Hilfe von außen. Aber das Entscheidende tut das Kind selbst: Es will sitzen, es möchte gehen, selber essen, und – wie ein Pädagoge einmal sagte – welche Methode auch immer man anwendet, am Ende des ersten Schuljahres können fast alle Kinder lesen und schreiben. Das heißt in der Sache: Christen sind neu geboren. Alles, was sie zum Leben mit Gott und in der Nachfolge Jesu brauchen, ist ihnen im Glauben geschenkt. Aber auch das muss wachsen, sich entfalten und eingeübt werden. Das Entscheidende für unser Leben ist geschehen und muss doch Schritt für Schritt verwirklicht werden. Auch das vollzieht sich im Glauben. Und darum kann man aus dieser Perspektive sagen: Der Glaube bildet. Er formt unser Leben nach dem Bild Christi. Geistliche Bildung, spiritual formation, in diesem Sinne ist nichts anderes als Heiligung. In Christus sind wir geheiligt, wir gehören in die Gemeinschaft mit Gott, sind von seinem Wesen geprägt; aber genau das setzen wir im Prozess der Heiligung in unser Verhalten und Handeln um. Es ist interessant, dass John Wesley in seiner Schrift Die Kennzeichen eines Methodisten gerade dort, wo er sagt, dass das, was er als Kennzeichen eines Me-
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thodisten ausgegeben hat, auch die Merkmale jedes wahren Christen sind, auf Aussagen aus dem Motivkreis aufgreift, der uns hier beschäftigt. Von jedem wahren Christen gilt: „Seine Seele ist erneuert nach dem Ebenbild Gottes in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit, und weil er gesinnt ist, wie Jesus 2 Christus auch war, so wandelt er, wie Jesus Christus gewandelt ist.“ Sein Leben nach dem Bild Christi zu gestalten, das unter uns und in uns durch die Verkündigung und durch den Glauben Gestalt gewonnen hat, das ist die Herzensbildung der Heiligung. Aber nun müssen wir doch noch einmal auf unseren Text zurück kommen. Denn wenn wir genau hinsehen, merken wir, dass Paulus noch einmal etwas anderes, sehr viel krisenhafteres meint als das, was wir von den Motiven her, die er benutzt entwickelt haben. Er sieht die Gefahr, dass bei den Christen in Galatien das, was durch Glaube und Taufe an ihnen geschehen ist, dass sie nämlich Christus angezogen haben und in sein Bild verwandelt wurden, zerstört wird. Der Harnisch des Gesetzes droht das Christuskleid zu zerreißen. Paulus versucht, das zu verhindern. Er bangt um die neue Existenz der Galater. Er leidet an ihrem Weg und ringt mit ihnen darum, dass die Christuswirklichkeit, die Verkörperung der Liebe Gottes, erneut in ihnen Gestalt gewinnt und ihr Leben gestaltet. Aber das ist nicht einfach christliche Bildungsarbeit, die das Wachstum und die Entfaltung dessen, was Gottes Gnade in das Leben von Menschen gelegt hat, fördert und begleitet. Das ist theologische Krisenseelsorge, geistliche Mäeutik (Hebammenkunst), die von der Hoffnung getragen und motiviert ist, dass Gott auch inmitten theologischer Gefährdung neues Leben schafft und zur Welt bringt. Wie das geschieht oder gar gelingt, das lässt sich schwer durch ein theologisches Lehrbuch vermitteln. Selbst ein apostolischer Brief kommt hier an die Grenze seiner Möglichkeiten. Paulus wünscht sich, selbst in Galatien sein und seine Stimme verändern zu können, sprich ganz anders mit den Christen dort reden zu können, nämlich so, wie es die Situation erfordert, wenn man sich persönlich begegnet. Denn so sagt der Apostel: „ich weiß wirklich nicht mehr weiter mit euch‘‘ (V. 20). Das griechische Wort, das er dabei verwendet (ἀποροῦμαι) findet sich auch in dem Fremdwort Aporie, Ratlosigkeit. Ratlosigkeit gehört nicht zu den theologischen Tugenden, die wir preisen. Und doch kann es sein, dass sich der Glaube in der Aporie der Sorge um andere ganz neu für die Hoffnung und das
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John Wesley, Die Kennzeichen eines Methodisten, bearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Manfred Marquardt, Stuttgart 1996 (BGEmK 11, 1981), 17.
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Vertrauen auf Gott öffnet und so unser Leben mit Gott und für andere in ganz neuer, vertiefter Weise gestaltet und bildet. Das bleibt nicht das letzte Wort des Paulus in dieser Sache. Er wird noch zweieinhalb Kapitel lang Argumente vorbringen, die die Galater bewegen sollen, wieder zur Freiheit des Evangeliums zurückzufinden. Aber vielleicht sagt er gerade an unserer Stelle, wo er eigentlich mit seinem Latein (oder Griechisch) zu Ende ist, etwas sehr Entscheidendes. Grundlegend für die Bildung des Glaubens ist, dass wir in unserem Leben Raum dafür geben, dass Christus und die Wirklichkeit der Liebe Gottes, die er verkörpert, in uns und an uns und unter uns Gestalt gewinnt und unser Denken und Handeln bestimmt und so auch für andere sichtbar und erfahrbar wird.3
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Zur Ausarbeitung benützte Literatur (in Auswahl): Jürgen Becker, Der Brief an die Galater, NTD 8/1, Göttingen 1998; Hans Dieter Betz, Der Galaterbrief. München 1980; Dieter Lührmann, Der Brief an die Galater. ZBK.NT 7, Zürich 1978; Franz Mußner, Der Galaterbrief. HThK.NT IX, Freiburg-Basel-Wien 1974; Joachim Rohde, Der Brief des Paulus an die Galater. ThHK.NT 9, Berlin 1989; Johannes M. Nützel, Art. μεταμορφόω – metamorphoo, EWNT II, 1981, 1021f; John Wesley, Die Kennzeichen eines Methodisten, bearbeitet und mit einem Nachwort versehen von Manfred Marquardt, Stuttgart 1996 (BGEmK 11, 1981).
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Bildungsverantwortung in der postsäkularen Gesellschaft Was evangelische Erwachsenenbildung im 21. Jahrhundert für die „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ bedeuten kann1 Friedrich Schweitzer Das Thema konfrontiert gleich mit einer ganzen Reihe von Fragen. Was bedeutet evangelische Bildungsverantwortung, und in welchem Sinne kann man heute von einer postsäkularen Gesellschaft sprechen? Wer ist mit den „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ gemeint? Und welche Aufgaben und Möglichkeiten ergeben sich bei all dem für die evangelische Erwachsenenbildung? Ich möchte im Folgenden zunächst klären, was evangelische Bildungsverantwortung bedeutet. In einem zweiten Schritt soll es um die „Verächter der Religion“ gehen, also um die Situation von Religion und Bildung in einer säkularen Gesellschaft. Im dritten und letzten Schritt stelle ich die Aufgaben und Möglichkeiten von evangelischer Bildung und Erwachsenenbildung in einer postsäkularen Gesellschaft ins Zentrum. 1. Evangelische Bildungsverantwortung – oder: Warum braucht der Protestantismus Bildung? Bekanntlich kann die Reformation als eine Bildungsbewegung verstanden werden. Den Reformatoren, allen voran Martin Luther selbst, aber ebenso Philipp Melanchthon und, beispielsweise in Württemberg, Johannes Brenz, stand von Anfang an vor Augen, dass eine Reform der Kirche ohne Bildungsreform nicht zu erreichen war. Schon frühe Programmschriften der Reformation wie etwa die Schrift an den Adel Deutscher Nation von 1520 enthalten deshalb Forderungen an die Schule, vor allem hinsichtlich einer biblischen Unterweisung, 1
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Der vorliegende Text wurde in einer ersten Fassung bei der Jubiläumsveranstaltung: 30 Jahre Erwachsenenbildung Hospitalhof Stuttgart im Januar 2010 vorgetragen. Für den Druck wurde der Text überarbeitet und erweitert.
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aber auch im Blick auf das Bildungswesen im Ganzen. Luther und Melanchthon haben darüber hinaus eine ganze Reihe von Schulschriften verfasst, in denen sie den Ratsherren, also der weltlichen Obrigkeit bzw., wie man heute formulieren würde: dem Staat oder der Regierung, aber auch den Eltern die Notwendigkeit 2 vor Augen stellen, christliche Schulen aufzurichten und zu erhalten. Die Reformatoren sahen sich also faktisch als mitverantwortlich für die Bildung in der Gesellschaft an und nahmen ihre Bildungsverantwortung auch aktiv und öffentlich wahr. Sie waren nicht nur selbst lehrend tätig, sondern beteiligten sich, wie man in unserer Zeit sagen würde, an der Bildungspolitik. Dabei handelt es sich nicht nur um eine historische Gegebenheit – ein Stück Geschichte sozusagen, um das wir uns heute nicht mehr kümmern müssten. Vielmehr begegnen wir hier einem inneren Zusammenhang von Bildung und Glaube, der für das reformatorische Glaubensverständnis bezeichnend ist.3 Es ist nämlich genau dieses Verständnis von Glaube, wodurch Bildung erforderlich wird. Der christliche Glaube ist nicht einfach ein unbestimmtes Gefühl und auch keine Ekstase, die den Menschen plötzlich überfiele. Der Glaube ist vielmehr eine Beziehung zu Gott in Jesus Christus. Er setzt damit die Vertrautheit mit diesem Gott voraus, so wie sie nur aus der biblischen Überlieferung erwachsen kann. Gefordert wird ein verständiger Glaube – Luther spricht in dieser Hinsicht, etwa in der Vorrede zum Kleinen Katechismus, vom „Verstand“ oder Verstehen des Glaubens – sowie ein Glaube, der über sich selbst „Rechenschaft zu geben“ vermag, so Johannes Calvin.4 Kennzeichnend für das reformatorische Verständnis ist dabei, dass der Zusammenhang von Glaube und Bildung für jeden einzelnen realisiert werden soll. Es genügt nach diesem Verständnis eben nicht, wenn allein die Kirche und ihre Priester über das rechte Verständnis des Glaubens verfügen. Der Glaube betrifft vielmehr stets die Beziehung zwischen Gott und dem einzel2
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Die entsprechenden Texte sind leicht zu greifen bei Karl Ernst Nipkow/Friedrich Schweitzer (Hg.), Religionspädagogik. Texte zur evangelischen Erziehungs- und Bildungsverantwortung seit der Reformation. Bd. 1: Von Luther bis Schleiermacher (ThB 84), München 1991, 45ff. Vgl. dazu mein Verständnis von religiöser Bildung und Religionspädagogik, das sich auf eine reformatorische Position stützt: Friedrich Schweitzer, Religionspädagogik, Gütersloh 2006. In dieselbe Richtung geht jetzt die Stellungnahme: Kirche und Bildung. Herausforderungen, Grundsätze und Perspektiven evangelischer Bildungsverantwortung und kirchlichen Bildungshandelns. Eine Orientierungshilfe des Rates der EKD, Gütersloh 2009, bes. 31ff, an der ich im Rahmen der Bildungskammer der EKD als Autor beteiligt war. Vgl. dazu Reinhold Hedtke, Erziehung durch die Kirche bei Calvin. Der Unterweisungsund Erziehungsauftrag der Kirche und seine anthropologischen und theologischen Grundlagen (PF 39), Heidelberg 1969, 83ff.
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nen Menschen. Einen stellvertretenden Glauben der Kirche, der diesen Glauben des einzelnen Menschen ersetzt, kann es so gesehen nicht geben. Dies folgt unmittelbar aus dem evangelischen Verständnis von Rechtfertigung durch den Glauben, in dem sich niemand durch andere vertreten lassen kann. Jeder Mensch steht selber vor Gott – und muss vor ihm bestehen. Am klarsten hat dies Luther in einer seiner vielleicht berühmtesten Predigt beschrieben – der Predigt am Sonntag Invokavit im Jahre 1522: Wir sind allesamt zu dem Tod gefordert, und keiner wird für den andern sterben, sondern jeder in eigener Person für sich mit dem Tod kämpfen. In die Ohren können wir wohl schreien, aber ein jeder muss für sich selbst geschickt sein in der Zeit des Todes: Ich werde dann nicht bei dir sein noch du bei mir. Hierin muss jedermann die Hauptstücke, die einen Christen angehen, genau wissen und gerüstet sein.5
Wenn hier von jedem Menschen – „ein jeder“ – die Rede ist, schließt dies, historisch bemerkenswert, für die Reformatoren ausdrücklich auch die Mädchen ein. Bildung sollte keineswegs nur den Jungen offen stehen. Ebenfalls bereits 1520 spricht Luther von einer „Mädchenschule, darinnen täglich die Mägdlein 6 eine Stunde das Evangelium hörten, es wäre deutsch oder lateinisch“. Besonders in den Schriften über die Schule hebt Luther noch ein weiteres Anliegen hervor, das ebenfalls von bleibender Bedeutung für ein Verständnis evangelischer Bildungsverantwortung ist. Mit großem Nachdruck setzt Luther sich hier ein für eine Bildung, die „Frieden und Recht“ – pax et iustitia – gewährleisten soll. Frieden und Recht sind demnach das übergreifende Ziel aller Bildung. Dabei wird an das Gelingen des gesellschaftlichen Zusammenlebens gedacht, so wie Luther auch in der Einleitung zum Kleinen Katechismus darauf hinweist, die Menschen könnten hier das „Stadtrecht“ lernen. Heute würden wir an dieser Stelle wohl von ethischer Erziehung oder Wertebildung sprechen. Auch dabei handelt es sich für Luther nicht um eine säkulare Angelegenheit. Ein geordnetes Gemeinwesen ist für ihn als Ausdruck von Gottes Willen und Wirken in der Welt zu verstehen. Bildung für Frieden und Recht ist deshalb aber nicht weniger aus dem Glauben begründet als ein biblischer Unterricht. In beiden Fällen geht es darum, durch Bildung dem Willen Gottes in der Welt zu entsprechen. Was ergibt sich daraus? Was ist unter evangelischer Bildungsverantwortung zu verstehen? Ganz offenbar geht es um zwei Grundmotive: Zum einen 5 6
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Hier zitiert nach: Martin Luther, Ausgewählte Schriften, hg. v. K. Bornkamm/G. Ebeling, Bd. 1, Frankfurt/M. 1982, 271. Zitiert nach Nipkow/Schweitzer, a.a.O., 45.
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geht es um eine Bildung im Glauben und für den Glauben – jeder und jede Einzelne soll in Stand gesetzt werden, sich selbst über diesen Glauben aus der Heiligen Schrift zu informieren und diesen Glauben zu verstehen. Damit verbunden ist eine Vision von Kirche als Gemeinschaft religiös urteilsfähiger Menschen, so wie Luther ja gefordert hat, dass eine christliche Gemeinde und also auch ein jeder Christ – im Stand sein müsse, „alle Lehre zu beurteilen“, 7 d.h. in Fragen des Glaubens selbständig zu urteilen und Auskunft zu geben. Verbunden mit dieser Bildung im Glauben ist als zweites die ethische Bildung für Frieden und Recht oder Gerechtigkeit. Dies zeigt an, dass die evangelische Bildungsverantwortung weit über den Raum der Kirche hinausreichen soll, indem sie dazu beiträgt, dass das Zusammenleben in der Gesellschaft gelingt. Heute würden wir an dieser Stelle etwa von einer Bildung für Gemeinsinn und Solidarität, für Respekt und Toleranz, für Empathie und Gerechtigkeit sprechen. Eine Theorie der evangelischen bzw. kirchlichen Bildungsverantwortung, die sich auf unsere Gegenwart bezieht, verdanken wir insbesondere Karl Ernst Nipkow. Auch er bezieht diese Verantwortung ausdrücklich auf „Gemeinde, Schule und Gesellschaft“, also auf einen weiten Horizont, der über die Kirche hinausgeht.8 Die Reformation war eine Bildungsbewegung, und sie führte dazu, dass Bildung in hohem Maße für die Kirche bedeutsam wurde. Dabei muss man sich bewusst machen, dass Kirche und Staat damals noch nicht von einander getrennt waren. So konnte auch von der staatlichen Schule sowie von allen staatlichen Bildungsbemühungen ein Beitrag zu einer ausdrücklich christlichen oder sogar kirchlichen Bildung erwartet werden. Aber dies gilt so eben nur bis zur Aufklärungszeit oder bis zum Eintreten eines Säkularisierungsdenkens, dem wir uns nun zuwenden müssen. 2. Evangelische Bildungsverantwortung im Kreuzfeuer der Kritik: säkulare statt religiöse Bildung Die vor allem mit der Reformation gestiftete Verbindung zwischen Bildung und Kirche oder Glaube geriet vor allem in der Zeit der Aufklärung unter scharfe Kritik. Bildungsphilosophen wie Jean-Jacques Rousseau plädierten für religiöse 7
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Vgl. seine Schrift von 1523: Dass eine christliche Versammlung oder Gemeinde Recht und Macht habe, alle Lehre zu beurteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen, in: Ausgewählte Schriften, a.a.O., Bd. 5, 7–18. Vgl. Karl Ernst Nipkow, Bildung als Lebensbegleitung und Erneuerung. Kirchliche Bildungsverantwortung in Gemeinde, Schule und Gesellschaft, Gütersloh 1990.
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Freiheit in der Bildung, was häufig als Freiheit von Religion in der Bildung verstanden wurde. Auch Rousseau selbst hatte ja in seinem Erziehungsroman Emile (1762, IV. Buch) das Ideal einer Bildung ohne Religion vertreten, zumindest im Blick auf die Kindheit. Erst die Jugendlichen oder die Erwachsenen sollten frei darüber entscheiden, welcher Religion sie angehören wollen. Noch viel mehr wirkten sich allerdings die gesellschaftlichen Umbrüche der Moderne auf die Bildung aus. Vor allem mit der Industrialisierung kamen neue Erwartungen an das Bildungswesen auf. Man brauchte nun Arbeitskräfte, die im Stande waren, die neuen, zumindest zum Teil anspruchsvollen Aufgaben im Rahmen industrieller Fertigung zu übernehmen. Erstes Ziel von Bildung und Schule sollte deshalb die Vermittlung von Fertigkeiten sein, wie sie die industrielle Gesellschaft brauchte. Mit all dem trat die Bedeutung von Glaube oder Religion für die unter dem Aspekt ihrer gesellschaftlichen Brauchbarkeit und also utilitaristisch aufgefassten Bildung immer mehr in den Hintergrund, und – auch aus anderen Gründen – wurde die Kirche als Autorität für Bildung grundlegend in Frage gestellt. Daran denkt Friedrich Schleiermacher, wenn er 1799 seine Reden an die „Gebildeten unter den Verächtern der Religion“ veröffentlicht. Und er hofft, zwar vielleicht nicht alle „Verächter“ überzeugen zu können, aber doch wohl wenigstens diejenigen, deren Bildung sie zur kritischen Reflexion eines platten Aufklärungsdenkens befähigte. An diese Schrift erinnert der Titel meines Beitrags aus guten Gründen, weil Schleiermacher sich wie kein anderer mit den Herausforderungen einer säkularen Gesellschaft und einer säkularen Bildung auseinander gesetzt hat. Dabei erneuert er beides – unter den Voraussetzungen von Aufklärung und Säkularität –, sowohl die religiöse Bildung wie auch die ethische Bildung. Gegen religiöse Bildung schien den „Verächtern“, also den modernen Menschen und Philosophen oder Pädagogen, vor allem die Vernunft zu sprechen. Bildung brauche an erster Stelle Wissenschaft und daneben eine rationale Ethik, aber eben keine Religion. Wo Religion war, da soll nun die Vernunft eintreten – so lässt sich dieses Anliegen der „Verächter“ zuspitzen. Gegen diese Auffassung macht Schleiermacher geltend, dass Menschsein nicht im Erkennen und Handeln aufgehen könne. Beides sei unverzichtbar, aber der Bezug auf Transzendenz und auf das Göttliche werde dadurch keineswegs überflüssig. Heute würde man sagen: Alle Wissenschaft kann keine Antwort geben auf die Frage nach dem Sinn und Ziel unseres Daseins. Menschen wollen nicht nur Wissen, sie brauchen auch die Antworten des Glaubens, um wirklich im vollen Sinne Mensch sein zu können. Deshalb, so Schleiermacher wei-
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ter, besitze auch die religiöse Bildung ein bleibendes Recht – als freie Äuße9 rung der menschlichen „Anlage“ zur Religion, wie er es nennt. Religion sei kein Ausdruck kirchlicher Zwänge oder kirchlicher Bevormundung, sondern ein grundlegender Bestandteil des Menschseins, bei dem jeder selbst herausfinden muss, welchem Glauben er folgen will. Religiöse Bildung ist deshalb Bildung in Freiheit, und evangelische Bildungsverantwortung ein Plädoyer für Religionsfreiheit auch im Bildungswesen. Bei dieser ersten Antwort an die säkularen „Verächter“ der Religion schien es Schleiermacher nicht wichtig, auch von der ethischen Bildung zu handeln. Später, als Professor in Berlin, hat Schleiermacher dann deutlicher gesehen, dass die Entwicklung der Gesellschaft und des Bildungswesens immer mehr darauf hinauslief, Bildung nur noch mit der Vermittlung von Fertigkeiten gleichzusetzen. Eben dies entsprach dem Bedarf und den gesellschaftlichen Anforderungen, wie man sie damals – freilich verengend – verstand und wie man sie auch noch heute immer wieder verstehen will. Auf der Strecke bleibt dabei aber die Aufgabe einer ethischen Bildung, die Schleiermacher deshalb nun umso deutlicher einforderte. Aufgabe der Bildung sei immer beides, die Ausbildung von Fertigkeiten, aber auch die Ausbildung von Gesinnung, wie er es in seinen Vorlesungen über Pädagogik von 1826 nannte.10 Mit Gesinnung bezeichnet er das, was wir heute als ethische Erziehung oder als Wertebildung beschreiben. Dem christlichen Glauben ordnet er dabei eine ganz besondere Aufgabe zu: Vom christlichen Glauben sollte ein ethisches Verständnis der Zusammengehörigkeit aller Menschen in der Gesellschaft ausgehen – ein grundlegender Gemeinsinn, ein Verständnis 11 von Solidarität, Gerechtigkeit und prosozialer Haltungen. Als Grundlage einer solchen Gesinnungsbildung sei der Glaube besser geeignet als alle anderen Formen des gesellschaftlichen Zusammenlebens. Denn während es in der Gesellschaft immer verschiedene Gruppen und Gruppierungen und also Abgrenzungen oder Spaltungen gibt, komme im christlichen Glauben die Zusammengehörigkeit der ganzen Menschheit zum Ausdruck. Alle Menschen, so könnten wir das heute formulieren, sind Geschöpfe des einen Gottes, alle Grenzen, die von Menschen aufgerichtet werden, sind deshalb relativ. Bei Schleiermacher und vielen anderen, die ihm nachgefolgt sind, haben die Einwände eines säkularen Bildungsdenkens Antworten gefunden, auf die wir uns bis heute berufen. Umfassende Bildung muss auch Religion ein9 10 11
Insbesondere in der dritten Rede, in der es um die Bildung zur Religion geht. Friedrich Schleiermacher, Pädagogische Schriften, hg. v. T. Schulze/E. Weniger. Bd. 1: Die Vorlesungen aus dem Jahre 1826, Düsseldorf/München ²1966, bes. 150ff. Ebd., 155.
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schließen und offen sein für Transzendenz. Nicht zu übersehen ist dabei allerdings, dass die evangelische Bildungsverantwortung trotzdem und ebenfalls bis heute genau den Einwänden begegnet, die wir uns klargemacht haben: Vernunft mache den Glauben überflüssig, und die Gesellschaft brauche etwas anderes als religiöse Werte. Vor allem in den letzten Jahren scheint sich die Situation allerdings erneut zu verändern. Darauf verweist die Rede von einer „postsäkularen Gesellschaft“, auf die wir nun eingehen müssen. Verbinden sich dabei auch neue Aufgaben und Möglichkeiten für die evangelische Bildungsverantwortung? 3. Evangelische Bildungsverantwortung in einer postsäkularen Gesellschaft. Neue Möglichkeiten und Aufgaben Die Rede von einer postsäkularen Gesellschaft, von einer Gesellschaft also, die das Säkularisierungsdenken hinter sich gelassen hat und die nicht mehr damit rechnet, dass Religion mehr und mehr ihren Einfluss verlieren wird, diese Rede hat verschiedene Ursprünge. Ganz allgemein hängt sie eng zusammen mit der sogenannten Wiederkehr der Religionen, die im Weltmaßstab vor allem an den wachsenden Einfluss und die Sichtbarkeit des Islam denken lässt. Dabei geht es keineswegs nur um eine Wertschätzung von Religion, sondern diese Wiederkehr der Religionen verweist auch auf den 11. September 2001 als trauriges Symbol für einen Konflikt zwischen den Kulturen und eben auch zwischen den Religionen. Weithin wird deshalb bei Religion an den Fundamentalismus gedacht sowie an dessen für das Zusammenleben in Gesellschaft und Welt abträgliche Folgen. Große Aufmerksamkeit hat aber auch die Friedenspreisrede des Philosophen Jürgen Habermas im Jahre 2001 gefunden, die dem Thema „Glauben und Wissen“ gewidmet war.12 Habermas stellt dort die Diagnose einer postsäkularen Gesellschaft, in der es neue Möglichkeiten für Religion in der Gesellschaft gebe, die auch im Blick auf Bildung von großem Interesse sind. Dass es gerade Jürgen Habermas war, der nun von einer postsäkularen Gesellschaft spricht, ist bemerkenswert. Denn dieser Philosoph gehörte bis dahin ebenfalls zu den Vertretern eines Säkularisierungsdenkens, die mit voller Überzeugung davon ausgehen, dass die Bedeutung von Religion mehr und mehr schwinde.
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Vgl. Jürgen Habermas, Glauben und Wissen. Friedenspreis des Deutschen Buchhandels 2001, Frankfurt/M. 2002.
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Jetzt hingegen sieht Habermas eine bleibende Bedeutung von Religion, die 13 auch vom säkularen Denken respektiert werden müsse. Andere Soziologen wie Hans Joas haben allerdings kritisch zurückgefragt, 14 ob der Begriff des „Postsäkularen“ überhaupt zutreffend sei. Denn wer von einer „postsäkularen“ Gesellschaft spreche, der nehme ja an, dass es so etwas wie eine säkulare Gesellschaft, also eine Gesellschaft ohne Religion, tatsächlich gegeben habe. Dem gegenüber verweist Joas darauf, dass Religion ihren Einfluss auch in der Vergangenheit nie wirklich verloren habe, so dass es heute eher um ein neues Bewusstwerden der Bedeutung von Religion gehe. Übereinstimmung besteht aber darüber, dass Religion eine wichtige Rolle für die Zukunft unserer Gesellschaft spielen kann und spielen soll, dass dies aber nur dann möglich sein wird, wenn Religion und ihre Vertreter, also auch etwa im Bereich der Erwachsenenbildung, bereit sind, sich auf die Herausforderungen in der modernen und globalen Gesellschaft einzulassen. Solche Herausforderungen beziehen sich 1. auf die Spannung zwischen Glauben und Wissen, 2. auf das Zusammenleben von Menschen mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeit und 3. auf die unbewältigten Fragen der Ethik, wie sie durch moderne Technologien etwa im Bereich der Genetik oder durch die ökonomische Entwicklung im Blick auf die Globalisierung aufgeworfen werden. Meine These ist nun, dass sich die evangelische Erwachsenenbildung auf genau diese Bereiche beziehen muss und dass ihr Zukunftspotential für Kirche und Gesellschaft darin liegt, die sinnstiftende und ethisch klärende Kraft des Glaubens in diesen Zusammenhängen zum Tragen zu bringen. Die drei ausgewählten Bereiche sind nicht erschöpfend gemeint – evangelische Erwachsenenbildung muss sich auch in Zukunft einem weit gespannten Themenspektrum stellen. Ohne Zweifel markieren die genannten Themen aber zentrale Herausforderungen für die Erwachsenenbildung. Zu allen drei Bereichen nun einige weitere Überlegungen und Beispiele. Zunächst zum Verhältnis von Glauben und Wissen. Die Kontroversen darüber haben sich in den letzten Jahren in für viele überraschender Weise um das Thema „Schöpfung oder Evolution?“ gedreht. Auf der einen Seite stand die Kampagne für einen neuen Atheismus, auf der anderen Seite der Einsatz für den Kreationismus. Die Busse mit der Aufschrift „Es gibt (mit an Sicherheit 13
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Besonders deutlich kommt dies in den Gesprächen zwischen Jürgen Habermas und Joseph Ratzinger zum Ausdruck, vgl. Jürgen Habermas/Johannes Ratzinger, Dialektik der Säkularisierung. Über Vernunft und Religion, Freiburg u.a. 2005. Vgl. Hans Joas, Braucht der Mensch Religion? Über Erfahrungen der Selbsttranszendenz, Freiburg 2004, bes. 122ff („Religion post-säkular? Zu einer Begriffsprägung von Jürgen Habermas“).
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grenzender Wahrscheinlichkeit) keinen Gott‘‘ wurden durch die ganze Welt geschickt. Manche christliche Gemeinschaften nahmen dies zum Anlass, eigene Busse hinterher fahren zu lassen mit der Fortsetzung: „Und wenn es ihn doch gibt?‘‘ Viel härter war jedoch die Auseinandersetzung um die Schule, die von Äußerungen der damaligen hessischen Kultusministerin Karin Wolff ausgelöst wurde. Sie hatte dafür plädiert, dass im Biologieunterricht nicht nur die Evolutionstheorie gelehrt, sondern auch christliche Schöpfungsvorstellungen aufgenommen werden sollten. In der sich anschließenden Kontroverse zeigte sich bald, wie weit fundamentalistische Haltungen auch in Deutschland verbreitet sind – auf der einen Seite ein Biblizismus, der den biblischen Schöpfungsglauben als einen historischen Bericht verstehen möchte, und auf der anderen Seite eine ideologisch überhöhte evolutionistische Weltanschauung, für die es nur auf die Naturwissenschaft ankommen kann. Übersehen wurde, auch und gerade in vielen Medienberichten, dass der christliche Schöpfungsglaube kein historischer Bericht sein will und keine wissenschaftliche Theorie, sondern dass es hier um das Lob Gottes geht, so wie es vielleicht am deutlichsten in den Schöpfungspsalmen zum Ausdruck kommt: „Herr, wie sind deine Werke so groß und viel! Du hast sie alle weise geordnet, und die Erde ist voll deiner Güter“, heißt es in Psalm 104. Aus biblisch-theologischer Sicht ist deshalb eine kreationistische Auslegung von Schöpfungsglauben als historischem Bericht gerade abzulehnen. Genauso abzulehnen ist aber auch die Überhöhung der Evolutionstheorie zu einer Weltanschauung. Wissenschaftliche Theorien bleiben nur so lange Wissenschaft, als sie um ihre eigenen Grenzen und um ihre eigene Fehlbarkeit wissen.15 Der Streit über „Schöpfung oder Evolution“ ist insofern überflüssig. Schöpfungsglaube und Evolutionstheorie schließen sich gegenseitig keineswegs aus. Der Streit zeigt aber exemplarisch, wie wichtig eine christliche Bildung in einer Gesellschaft ist, die weithin von Wissenschaft und wissenschaftlichen Sichtweisen geprägt wird. Man kann dies auch in die These fassen: Die im christlichen Glauben mögliche Sinnfindung und der Glaube als Quelle von Lebenskraft erschließen sich nur, wenn Menschen sich im Spannungsfeld zwischen Glauben und Wissen zurecht finden. Die schon von den Reformatoren als Ziel von Bildung angestrebte religiöse Urteilsfähigkeit und Mündigkeit gewinnt dadurch einen zusätzlichen Sinn. Sie ist nicht nur auch heute unerlässlich für eine evangelische Kirche als 15
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Stellvertretend verwiesen sei auf: Weltentstehung, Evolutionstheorie und Schöpfungsglaube in der Schule. Eine Orientierungshilfe des Rates der EKD (EKD-Texte 94), Hannover 2008.
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Kirche mündiger Menschen, sie ist genauso unerlässlich für das Leben in einer Gesellschaft jenseits fundamentalistischer Verhärtungen. Evangelische Erwachsenenbildung hat deshalb die Aufgabe, den christlichen Glauben so auszulegen, dass er auch vor den Herausforderungen der Wissenschaft standhält. Zu den Herausforderungen, die sich heute unabweisbar stellen, gehört immer mehr auch die Frage des Zusammenlebens von Angehörigen mit unterschiedlicher Religionszugehörigkeit. Gesprochen wird hier von einer Bildung zu Verständigung und Dialog, zu Pluralitätsfähigkeit und Toleranz. Eine solche Bildung beginnt mit dem Kennenlernen anderer Religionen. Angesichts von vier Millionen Muslimen in Deutschland kann keine Bildung mehr als vollständig angesehen werden, die nicht auch eine Kenntnis und ein gewisses Vertrautsein mit nicht-christlichen Religionen einschließt. Viele Erwachsene sind dafür weder durch den Religionsunterricht der Schule noch durch den Konfirmandenunterricht der Kirche vorbereitet. In dieser Hinsicht kommt der Erwachsenenbildung eine wichtige Nachholaufgabe zu. Sie muss Versäumnisse aus früherer Zeit ausgleichen. Über die bloße Kenntnis anderer Religionen reichen dabei Ziele des Dialogs und der Toleranz noch einmal deutlich hinaus. Wie viel hier umstritten ist, hat vor kurzem etwa der Volksentscheid über die Zulässigkeit von Minaretten in der Schweiz vor Augen geführt. Viele nicht nur in der Schweiz fragen sich beispielsweise, wie es möglich sein soll, einerseits immer engere wirtschaftliche Partnerschaften mit islamischen Ländern aufzubauen und andererseits den Islam und seine Äußerungsformen, in diesem Falle in der Architektur, nachhaltig abzulehnen, zumindest im eigenen Land. Für jeden Einzelnen stellt sich mit der Präsenz unterschiedlicher Religionen in Deutschland aber auch die persönliche Glaubensfrage. Um es aus christlicher Perspektive zu formulieren: Was heißt es, in einer religiös pluralen Gesellschaft Christ zu sein? Ist es nur Zufall, wenn wir zum Beispiel in evangelische Familien hineingeboren und deshalb zu Christen geworden sind? Gibt es Gründe dafür, nicht Muslim zu werden? Aus meiner Sicht muss der Katechismus der evangelischen Kirche in dieser Hinsicht deutlich erweitert werden. Das Leben in einer pluralen Gesellschaft setzt interreligiöse Dialog- und Urteilsfähigkeit voraus. Dieses Thema besaß in der Reformationszeit, als Luther seinen Katechismus entwickelte, keine vergleichbare Dringlichkeit. Soweit andere Religionen damals im Blick waren, wurden sie unter im Vergleich zu heute ganz anderen Voraussetzungen thematisiert. Insofern ist es leicht zu erklären, warum Luthers Katechismus gerade in dieser Hinsicht als ergänzungsbedürftig einzuschätzen ist. Mit sehr weitreichenden Herausforderungen haben wir es in der Gegenwart auch in ethischer Hinsicht zu tun. Der Streit über die Zulässigkeit des therapeu-
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tischen Klonens und der Forschung dazu spaltet nicht nur die Politik, sondern auch die Kirchen. Sprechen die einen davon, dass es schon immer eine Pflicht von Christen gewesen sei, neue medizinische Therapiemöglichkeiten möglichst vielen Menschen zu Gute kommen zu lassen, so weisen andere darauf hin, dass ein therapeutisches Klonen nichts anderes bedeute als das Töten von Embryonen. Für die allermeisten Menschen aber ist dabei gar nicht wirklich klar, worum es eigentlich geht. Was genau geschieht beim therapeutischen Klonen? Welche Therapien sind wirklich möglich? Und was bedeutet der Begriff „Stammzellen“ genau? Auch in diesem Falle kommt der Erwachsenenbildung eine wichtige Aufgabe der Information und der Klärung zu, wenn die Menschen in unserer Gesellschaft in Stand gesetzt werden sollen, ihre Verantwortung als Christen wahrzunehmen. Anders, aber nicht weniger kompliziert stellen sich die Fragen im Blick auf Frieden und Gerechtigkeit in einer globalen Welt. Erschüttert nehmen wir wahr, dass die Welt auch nach dem Ende des Kalten Krieges keineswegs friedlicher geworden ist. Jedes Jahr werden zahlreiche Kriege begonnen und fordern Menschenleben in großer Zahl. Von gerechten Verhältnissen sind wir weit entfernt, insbesondere im Weltmaßstab. Der Hunger gehört neben die unversorgten Krankheiten, für die es zum Teil doch längst Therapien gibt, zu den alltäglichen Lebensumständen vor allem in Afrika, aber auch in Asien und in Lateinamerika. Viele Menschen möchten angesichts solcher ungelöster Probleme am liebsten einfach resignieren. Was sollen einzelne Menschen schon erreichen können, wenn Probleme doch nur noch im Weltmaßstab angegangen werden können? Hier begegnen wir weiteren Aufgaben der evangelischen Erwachsenenbildung. Denn für den Glauben kann es eine solche Resignation nicht geben. Wenn wir bekennen, dass wir an Gott den Schöpfer des Himmels und der Erde glauben, dann bedeutet dies ja auch, dass wir die Welt nicht verloren geben. Die Hoffnung der Christen auf Gott nimmt alle einzelnen in die Verantwortung – nicht damit wir die Welt erlösen, aber doch so, dass wir uns mit dem Unrecht und dem Leiden in der Welt nicht abfinden. An die Schöpfung zu glauben und die Welt als Gottes Schöpfung zu sehen bedeutet ja immer auch, dass wir daran einen Maßstab für unser Handeln finden. Und wenn wir tatsächlich in einer postsäkularen Gesellschaft leben, dann schließt dies ein, dass auch der Beitrag der Religion zur Lösung dieser Probleme neu gefragt ist.
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4. Evangelische Bildungsverantwortung: Tradition mit neuen Chancen Am Ende halte ich fest, dass die beiden Spuren der evangelischen Bildungsverantwortung, wie sie sich seit der Reformation beobachten lassen, auch in Zukunft bedeutsam bleiben: religiöse Bildung einerseits und ethische Bildung andererseits. Was sich in unserer Gegenwart verändert hat, kann vor allem mit dem Begriff der Pluralität gefasst werden. Dies bedeutet, dass wir nicht mehr einfach von einer Gesellschaft ausgehen können, in der das Christentum allein das Wertefundament bildet. Die Stimme des christlichen Glaubens muss sich vielmehr einbringen in das Konzert verschiedener Stimmen, und sie muss ihre Überzeugungskraft angesichts anderer Möglichkeiten unter Beweis stellen. Teil dieser veränderten Situation ist nicht zuletzt die Frage einer interreligiösen Verständigung, die als epochale Herausforderung unserer Zeit bezeichnet werden kann. Anders formuliert stehen wir vor der Aufgabe, die christliche und evangelische Tradition unter veränderten Voraussetzungen neu plausibel zu machen. Die Chancen dafür stehen jedoch nicht schlecht: Mit einem Verschwinden von Religion rechnet heute ernsthaft niemand mehr. Erwartet wird nicht eine immer stärker säkularisierte Gesellschaft, sondern eben eine Pluralität von Religionen. Den Religionen werden nun, beispielsweise in der Philosophie, auch wichtige Impulse für die Wertebildung zugetraut. Sie gelten als Ressourcen, auf die die Gesellschaft angesichts ungelöster Zukunftsprobleme angewiesen bleibt. Genau dies aber erfordert von den Religionen Verständigungsbereitschaft, sowie die Fähigkeit, sich in die Diskussionen in der Gesellschaft einzubringen. Für den christlichen Glauben gesprochen: Dieser Glaube muss fähig werden, seine Möglichkeiten der Sinnfindung, sein Verständnis von Frieden und Gerechtigkeit, sein Menschenbild in einer Weise zu artikulieren, die auch für Nicht-Christen verständlich und einsichtig werden kann. Genau an diesem Punkt wird Bildung für den Glauben in neuer Weise wichtig. Bildung, insbesondere auch Erwachsenenbildung, kann und soll Menschen in Stand setzen, als Christen in einer zwar nicht religionslossäkularen, aber doch pluralen und keineswegs allein christlichen Gesellschaft die eigenen Anliegen und Einsichten zum Tragen zu bringen. Noch einmal zugespitzt: Bildung, nicht nur von Kindern und Jugendlichen, sondern lebenslange Bildung in einem umfassenden Sinne gehört zu den Zukunftsressourcen für die Kirche ebenso wie für die Gesellschaft.
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Bildungsverantwortung in freikirchlicher Perspektive am Beispiel des Methodismus in England und Deutschland Achim Härtner Der Beitrag von Friedrich Schweitzer reflektiert Begründung und Praxis evangelischer Bildungsverantwortung vor allem aus einer landeskirchlichen Sichtweise heraus. Wie wurde der Bildungsgedanke im Raum der evangelischen Freikirchen aufgenommen, begründet und verwirklicht? Dieser Frage soll am Beispiel des Methodismus in England und Deutschland nachgegangen werden. 1. Bildungsverantwortung bei John Wesley und im frühen Methodismus Sein Leben lang interessierte sich John Wesley auch für pädagogische Fragestel1 lungen. Der Gedanke der Gottebenbildlichkeit spielt nicht nur in seiner Theologie, sondern auch in seiner Pädagogik eine zentrale Rolle: „Die Erneuerung der Schöpfung und der Geschöpfe durch die Erneuerung des Menschen nach 2 dem Bild Gottes ist nach Wesley das Zentrum des Christentums“. Seiner Auffassung nach liegt die imago Dei nicht im Menschen selbst, sondern einzig in der lebendigen Beziehung zu Gott begründet, die dessen Gnadenhandeln im Men3 schen ermöglicht und bewirkt. In seiner Predigt „Die Wiedergeburt“ beschreibt Wesley sein Verständnis des image of God am prägnantesten. Durch die Wiedergeburt, die den Menschen aus der Verlorenheit seines „natürlichen Zustandes“ befreit, öffnet Gott ihm Augen, Ohren, Herz und Verstand für seine
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In manchen Auffassungen, etwa was Methode und Strenge in der Erziehung von Kindern anbelangt, blieb Wesley ein Kind seiner Zeit. Rousseaus Erziehungsroman Emile (1762) beurteilte er kurzerhand als „das inhaltsleerste, dümmste, unüberlegteste Zeug, das je von einem selbsteingebildeten Ungläubigen verfasst wurde“. Vgl. A Thought on the Manner of Educating Children, in: The Works of John Wesley, 3rd Ed. by Th. Jackson, London 1829–31/1872; repr. Grand Rapids 1978, Vol. XIII, 474–477, Zitat 474, eigene Übersetzung. Theodor Runyon, Die neue Schöpfung. John Wesleys Theologie für heute, Göttingen 2005, 12. Vgl. Runyon, a.a.O., 17–31.
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Schöpfung, seine Liebe in Christus, das Wirken des Heiligen Geistes im tägli4 chen Leben. Wer so in Christus neu geboren wird, in dem wird auch das Ebenbild Christi erneuert: die Liebe zur Welt wird verwandelt in die Liebe zu Gott, Stolz in Demut, Heftigkeit in Sanftmut, Hass, Neid und Bosheit in ernsthafte, zarte und uneigennützige Liebe zu allen Menschen. Das Ebenbild Gottes, d.h. die ganze Gesinnung Christi, wird seinem Herzen eingeprägt. Jetzt kann die Heiligung beginnen.5
Die beschriebene Auffassung steht allerdings in Spannung zu der sonst von Wesley vertretenen Theologie der vorlaufenden Gnade, die auch im Sünder wirkt und ihren Anknüpfungspunkt bei dessen Geschaffensein von Gott findet. In der gegenwärtigen kritischen Auseinandersetzung mit Wesleys Theologie wird deshalb von einer schöpfungsbedingten Gottesbezogenheit des Menschen ausgegangen. Es wird betont, dass der von Gott geschaffene Mensch seine Ebenbildlichkeit nicht zu zerstören oder verlieren vermag, und dass erst von daher sinnvoll von Entfremdung und Widerspruch bei uneingeschränkter Verantwortlichkeit des Menschen Gott gegenüber gesprochen werden kann.6 In dieser Sichtweise wird zugleich die von Gott allen Menschen zugesprochene Würde als Geschöpf und Person hervorgehoben, die für Wesleys pädagogisches Denken und Handeln von entscheidender Bedeutung ist. Das Bewusstsein des unendlichen Werts jedes einzelnen Menschen in den Augen Gottes ist es, das Wesley antreibt in seinem unablässigen Mühen „schriftgemäße Heiligung über die Lande zu verbreiten“. Im Zeichen einer Erneuerung des Bildes Gottes im Menschen auf Christus, das wahre Bild Gottes hin, stehen bei Wesley auch alle Bemühungen im Zusammenhang mit Erziehung und Bildung, von denen im Folgenden die Rede ist. Zur Zeit des Aufkommens der methodistischen Erweckungsbewegung Englands in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts7 lag im Zuge der Industrialisierung ein enormer Bildungsbedarf vor, insbesondere in den benachteiligten Bevölkerungsschichten der Arbeiterschaft. Manfred Marquardt stellt in seinem Buch Praxis und Prinzipien der Sozialethik John Wesleys eindrücklich dar, wie die Brüder Wesley schon früh auf die Bildungsmisere ihrer Zeit eingingen und nach 4 5
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Predigt 45 „Die Wiedergeburt“, in: John Wesley: Die 53 Lehrpredigten, Stuttgart1991, 857–873. Walter Klaiber/Manfred Marquardt: Gelebte Gnade, Grundriss einer Theologie der Evangelisch-methodistischen Kirche, Göttingen ²2006, 113–114 mit Bezug auf die genannte Predigt. Klaiber/Marquardt, a.a.O., 115f. Vgl. Richard P. Heitzenrater, John Wesley und der frühe Methodismus, Göttingen 2007
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Abhilfe suchten. Im Laufe ihres Lebens und Wirkens stießen John Wesley und seine Gefolgsleute eine Vielzahl von Bildungsinitiativen an, von denen hier nur die wichtigsten erwähnt werden können. Bereits bei den Oxforder Methodisten um 1730 wurde die Unterrichtung armer Kinder in den Arbeitshäusern, in Wohnungen, Kapellen und Heimen zu einer Selbstverständlichkeit. Sie betonten als theologische Begründung zum einen die gelebte Nächstenliebe und zum anderen die Nachahmung des 9 Beispiels Christi („der ist umhergezogen und hat Gutes getan“, Apg. 10,38). In Kingswood bei Bristol wurden 1739 eigene Räumlichkeiten bereitgestellt, die groß genug waren, um darin Schüler aller Altersgruppen zu unterrichten – Er10 wachsene eingeschlossen. Hier wurden vor allem, wenn auch nicht ausschließlich Kinder aus ärmeren Familien unterrichtet. Die von Wesley (nach Plänen George Whitefields) gegründete Kingswood School war vergleichbar mit anderen Wohlfahrtsschulen (Charity schools), von denen es in den frühindustriellen Ballungszentren manche gab. Auch wenn zunächst allgemein humanitäre Gründe hinter Wesleys Einsatz für die Schule standen, war es ihm stets wichtig, dass besonders den Menschen aus ärmeren Schichten, welche im klassenbewussten England des 18. Jahrhunderts auf der untersten Stufe der sozialen Leiter standen, ihr unendlicher Wert vor Gott bewusst gemacht wurde.11 Christus war auch für sie gestorben, die Liebe und Zuwendung Gottes galt auch und gerade ihnen. Das Bewusstsein, dass das Bild Gottes auch in ihnen erneuert werden konnte, gab ihnen die Würde und den Wert zurück, die sie ihrem oft rauen Alltag missen mussten. Wesley sammelte die Menschen in Gemeinschaften (societies) und wies sie an, sich selbst zu organisieren in Klassen (classes) und Banden 12 (bands). In diesen Gemeinschaften ging die Auseinandersetzung mit lebenspraktischen Dingen mit religiöser Bildung und dem Streben nach Heiligung des Lebens einher. Die Menschen damals verdankten diesem Zusammenspiel oftmals nicht nur geistlichen Gewinn, sondern auch einen sozialen Aufstieg 13 ihrer Familien. Die Bedeutung dieser neu entstandenen sozialen Netzwerke gegenseitiger Fürsorge für die ärmere Bevölkerung Englands im 18. Jahrhundert, besonders in den Städten, war enorm. 8 9 10 11 12 13
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Manfred Marquardt, Praxis und Prinzipien der Sozialethik John Wesleys (Reutlinger Theologische Studien 3), 3., überarbeitete Aufl., Göttingen 2008, bes. 59–79. Vgl. Heitzenrater, a.a.O., 152f. Vgl. Marquardt, a.a.O., 69f. Vgl. Runyon, a.a.O., 206. Vgl. Runyon, a.a.O., 207. „Es liegt natürlich eine gewisse Ironie darin, dass diese Aktionsbereitschaft die Armen zu Bürgern des Mittelstands, zu Gliedern der aufkommenden Bourgeoisie, werden ließ.“ Runyon, a.a.O., 209.
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Wesleys Einsatz für Kinder und Verarmte ging weit über Freundschaft und Verkündigung hinaus. Er suchte sich ihrer Bedürfnisse ganzheitlich anzunehmen. Er sorgte für Bildung, eröffnete kostenlose Gesundheitseinrichtungen, errichtete eine Nähgenossenschaft für arme Frauen, eine Leihagentur, wandte sich gegen die Sklaverei, besuchte die Gefangenen und kümmerte sich um verurteilte Übeltäter. Der Methodismus des 18. Jahrhunderts war eine Bewegung der Armen, von den Armen für die Armen; und Wesley erachtete Wohlstand als die ernsthafteste Bedrohung der fortdauernden Lebenskraft und Glaubenstreue der methodistischen Bewegung.14 15
Wie bedeutsam Wesley die (erzieherische) Arbeit unter den Armen zeitlebens war, wird in den Worten deutlich, die er Jahrzehnte später niederschrieb: „Und gewiss wurden in keinem Zeitalter und keiner Nation seit den Aposteln jene Worte herausragender erfüllt, als es dieser Tage geschieht: ‚Den Armen wird das 16 Evangelium gepredigt‘“. Wie provozierend dieser Ansatz wirken konnte, und in welch krassem Gegensatz zum damals üblichen bürgerlichen Bildungsverständnis er stand, macht ein Ausschnitt aus einem Brief deutlich, in dem die Herzogin von Buckingham an die Methodistin Gräfin Huntingdon schrieb: Ich danke eurer Ladyschaft für die Information bezüglich der methodistischen Prediger. Ihre Lehren sind höchst widerwärtig und in hohem Maße getränkt mit Unverschämtheit und Respektlosigkeit den feineren Leuten gegenüber, denn sie versuchen, alle Rangunterschiede aufzuheben und alle Unterschiede zu beseitigen. Es ist ungeheuerlich, dass unsereinem gesagt wird, man habe ein ebenso sündiges Herz wie das gemeine Gesindel, das auf der Erde herumkrabbelt. Das ist äußerst ungehörig und beleidigend, und ich kann mich nur wundern, wie eure Ladyschaft Geschmack an irgend welchen Anschauungen finden kann, die so gar nicht zu einem hohen Stand und guter Bildung passen.17
Durch eine christliche Erziehung in Kingswood sollten die Kinder und Jugendlichen für eine bessere Zukunft vorbereitet und ausgebildet werden. Wesley suchte die Lehrkräfte persönlich aus und kümmerte sich über lange Jahre bis in die Details um Lehrplan, Mahlzeiten und was sonst für den Betrieb nötig war. Die gesamten Kosten wurden durch freiwillige Spenden gedeckt. In
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Kinder und Armut. Eine Initiative der Bischöfe, EmK forum 12, Stuttgart 1998, 11. Vgl. Theodore W. Jennings, Good News to the Poor. John Wesley’s Evangelical Economics, Nashville 1990. Zitat der deutschen Übersetzung in: Kinder und Armut, a.a.O., 10. Zitiert in: Runyon, a.a.O., 207.
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späteren Jahren entwickelte sich die Kingswood School zu einer Schule mit hohem Anspruch und Ansehen. Die Fächerliste ist beeindruckend: Lesen, Schreiben, Rechnen, Französisch, Latein, Griechisch, Hebräisch, Rhetorik, Geografie, Chronologie, Geschichte, Logik, Ethik, Physik, Algebra, Musik. Für die Englischklassen und die vier anderen Sprachen schrieb und veröffentlichte Wesley Grammatikbücher. Bereits in der ersten Klasse, wo die Schüler sechs bis zehn Jahre alt waren, wurden Sprachen unterrichtet, und die Schüler übersetzten in beide Richtungen, zum Beispiel Werke wie die Instructions for Children und Praelectiones Pueriles. In der dritten Klasse wurden Augustinus‘ Bekenntnisse gelesen, in der vierte Cäsar. Die siebte Klasse war die höchste, und hier erwartete man von den Schülern, dass sie Homers Ilias aus dem Kopf zitieren, griechische Verse dichten und die hebräische Bibel 18 lesen konnten.
Auch die Entstehung der Sonntagsschul-Bewegung ist im Zusammenhang mit dem methodistischen Aufbruch in England zu sehen. Sabbatschulen, in denen 19 man das Lesen in der Bibel lernte, gab es bereits vor den Sonntagsschulen. Die Initiativen der Methodistin Hannah Ball (1869) können als Wegbereiter des später durch den anglikanischen Zeitungsverlegers Robert Raikes in kur20 zer Zeit weit verbreiteten Sonntagsschulwesens gelten. Ein Jahr nach der von ihm initiierten Gründung der „London Society for the Establishment of Sunday Schools“ (1785) konnten bereits 20.000 englische Kinder regelmäßig 21 in Sonntagsschulen unterrichtet werden. John Wesley und die „Leute, die man Methodisten nennt“ hatten in ihren Bemühungen um (religiöse) Bildung in Kirche und Gesellschaft nicht allein 22 23 Kinder bzw. Familien im Blick, ein weiteres Augenmerk lag auf dem, was wir heute Erwachsenbildung nennen. Wesley zielte in seinem diesbezüglichen Wirken auf religiöse Mündigkeit, Selbstbestimmung und Verantwortungsbewusstsein des Einzelnen hin. Zugleich hatte er dezidierte Auffassungen be18 19 20
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Heitzenrater, a.a.O., 203 mit Bezug auf die Wiedereröffnung der Kingswood School im Jahr 1748 und den überarbeiteten Lehrplan. Vgl. Runyon, a.a.O., 207. Vgl. Oliver Kliss, Art. Sonntagsschule, in: TRE 31 (2000), 472–476; Karl Heinz Voigt: Internationale Sonntagsschule und deutscher Kindergottesdienst. Kirche – Konfession – Religion Bd. 52, Göttingen 2007, bes. 17–22. Marquardt, a.a.O., 66. Vgl. Predigt 95 “Über die Erziehung von Kindern”, in: The Works of John Wesley, a.a.O., Vol. VII, 86–98. Vgl. Predigt 94 „Über Religion in der Familie“, in: The Works of John Wesley, a.a.O., Vol. VII, 76–86.
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züglich Bildungsinhalten und Lerndisziplin, auf deren Einhaltung er beharrte. Seinen Laienpredigern stellte Wesley mit der 50-bändigen „Christian Library“ eine Art Reader’s Digest der für ihn wichtigsten geistig-religiösen Schriften aus Geschichte und Gegenwart zur Verfügung. Seine „Lehrpredigten“ waren nichts anderes als theologische Kompendien zu Grundfragen christlichen Glaubens und Lebens, eine Pflichtlektüre und Richtschur für alle, die in der methodistischen Bewegung Verantwortung übernahmen. Mit der Herausgabe der populären Monatszeitschrift „Arminian Magazine“ zwischen den Jahren 1778 und 1787 gelang es Wesley, eine breite Öffentlichkeit anzusprechen. Als theologisch-pädagogische Grundlage aller bis hierher genannten frühmethodistischen Bildungsinitiativen, sei es im privaten, familiären, gemeindlichen oder öffentlichen Raum, verstand Wesley „Gottes Absicht in der Verwandlung der Gegenwart, in der Heilung und Heiligung seiner Schöpfung. Gott tritt in das Leben dieser Welt ein, um sein Geschöpf nach dem Bild Gottes und die Schöpfung nach dem Willen Gottes zu erneuern.“24 Ende des 19. Jahrhunderts mühte sich John Scott Lidgett (1854–1953) unermüdlich darum, im Londoner Armenviertel Bermondsey ein „settlement“, eine Art Studienzentrum vor Ort aufzubauen, um Benachteiligten Chancen auf Bildung und sozialen Aufstieg zu geben. In einem Gebäude neben der Kirche, das eine Bibliothek und mehrere Versammlungssäle beherbergte, wurden Bildungskurse und Diskussionsveranstaltungen durchgeführt, in denen auf der Basis des christlichen Glaubens methodistischer Prägung nach Auswegen aus der damaligen sozialen Misere gesucht wurde. Sein Vorschlag, dass möglichst in jeder Ortsgemeinde ein solches Gemeindebildungswerk aufgebaut werden sollte, wurde zwar nur vereinzelt aufgegriffen, kann aber dennoch als ein Beispiel für die freikirchliche Wahrnehmung eines öffentlichen Bildungsauftrags gelten. Seine sozialen und politischen Ideen versuchte Ligett während seiner Zeit als Abgeordneter im „London County Council“ (1905–28) zu verwirklichen.25 Er gilt als einer der wichtigsten Vertreter des Methodismus in England seit dessen Bestehen. Bis heute sieht sich der englische Methodismus mit einem umfassenden und weltverändernden Bildungsauftrag betraut: I believe that Methodism is at heart an evangelical missionary movement. It wants to share Jesus Christ as Saviour and Lord, humbly and clearly, in both word and deed. It aspires to follow the leading of the Spirit, and live 24 25
Runyon, a.a.O., 184. Vgl. Hartmut Lohmann, Art. Lidgett, John Scott, in: BBKL, Band V, Herzberg 1993, 27–29.
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out an attractive and challenging personal and social holiness for today. It has a dirty fingernail spirituality and deep in its bones desires to be used by God to change the world for good.26
2. Bildungsverantwortung in der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland am Beispiel der Erwachsenenbildung 27
In Deutschland gehen die Anfänge der Freikirchen zum Teil bis vor die Reformationszeit zurück, die meisten von ihnen entstanden um die Mitte des 19. Jahrhunderts zur Zeit der Erweckungsbewegung, darunter auch die Vorgän28 gerkirchen der heutigen Evangelisch-methodistische Kirche (EmK). Rechtlich und organisatorisch vertreten die Freikirchen dem Staat gegenüber die Prinzipien der Selbstfinanzierung und Selbstverwaltung. In der „Gründerzeit“ konzentrierten sich die beginnenden methodistischen Bildungsinitiativen zunächst auf den Raum der Gemeinden, etwa in 29 den Bereichen Sonntagsschularbeit, Jungschararbeit und Jugendarbeit. Wie die genannten Zweige standen auch weitere enstehende Aufgabenbereiche wie der Frauendienst (seit 1887) oder die Diakoniewerke (seit 1874) im Zeichen der Mission, die schon von ihrer Sache her über den (frei)kirchlichen „Tellerrand“ hinaus zu blicken hatte. Aus der theologischen Überzeugung heraus, dass Heiligung immer auch soziale Heiligung (social holiness) einschließt, entwickelte sich – im Licht bestehender gesellschaftlicher Herausforderungen – ein zunehmendes Bewusstsein für einen weiter gehenden, öffentlichen Bildungsund Mitgestaltungsauftrag der methodistischen Bewegung in die Gesellschaft hinein.30 Aus einer Vielzahl unterschiedlichster Impulse, mancher bescheidener Versuche, Rückschläge eingeschlossen, konnten im Laufe der Zeit doch 26
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Martyn Atkins, President of the Conference in 2007–08 and General Secretary/Secretary of the Methodist Church of Great Britain, Handbook for Candidates 2011 (unveröffentlicht). Vgl. Patrick Streiff, Der Methodismus in Europa im 19. Und 20. Jahrhundert, EmK Geschichte Monografien Bd. 50, Stuttgart 2003 und Ders. (Hg.), Der europäische Methodismus um die Wende vom 19. Und 20. Jahrhundert, EmK Geschichte Monografien Bd. 52, Stuttgart 2005. Wesleyanische Methodistenkirche (1831), Bischöfliche Methodistenkirche (1849), Evangelische Gemeinschaft (1850), Vereinigte Brüder in Christo (1869). 1968 entstand im deutschsprachigen Raum die Evangelisch-methodistischen Kirche (weltweit: United Methodist Church). Vgl. Voigt, a.a.O., bes. 27–41 und 55–75. Die genannten Bereiche sind heute im Kinderwerk (www.emk-kinderwerk) und Jugendwerk (emk-jugend.de) institutionell verfasst und in ihren Angeboten weit ausdifferenziert. Vgl. Klaiber/Marquardt, a.a.O., 331ff.
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eine ganze Reihe von aussichtsreichen Arbeitszweigen kirchlicher Bildungsarbeit entwickelt werden, deren öffentliche Reichweite freilich nicht überschätzt werden darf. Im Zuge der Kirchenvereinigung zwischen Bischöflicher Methodistenkirche und Evangelischer Gemeinschaft (1968) und der späteren Wiedervereinigung der beiden deutschen Zentralkonferenzen der EmK (1992) konnte man an vielen Stellen die Kräfte bündeln und die Arbeitszweige neu aufstellen, was zu einem weiter ausdifferenzierten und stärker strukturierten Bildungsangebot führte, das – im Rahmen der bestehenden Möglichkeiten – immer stärker professionalisiert und institutionalisiert wurde. Dies kann an dieser Stelle nur an einem Beispiel aufgezeigt werden; dafür wähle ich den Bereich Erwachsenenbildung aus.31 Kirchliche Erwachsenenbildung geschieht in der Evangelisch-methodistischen Kirche zunächst auf Gemeinde- und Bezirks- und Regionalebene (Hauskreise, Eltern-Kind-Arbeit, öffentliche Vorträge, Konzerte, spezielle Bildungsangebote nach inner- und außerkirchlichen Erfordernissen vor Ort). Überregional gibt es – neben kircheninternen Schulungen für bestimmte Aufgabenfelder – vielfältige öffentliche Bildungsangebote von Einrichtungen wie dem Bildungswerk, dem Frauenwerk, dem Männerwerk, der EmKSeniorenarbeit und dem Freizeit-Referat (Bildungsreisen).32 Sozialen und ethischen Belangen in Kirche und Gesellschaft wenden sich neben den Diakonie33 und Sozialwerken insbesondere das Forum Sozialdiakonische Ethik sowie die Fachgruppe (bundesweit) und die Arbeitsgruppen (Konferenzebene) für Ge34 rechtigkeit, Frieden, Bewahrung der Schöpfung (GFS) zu. Die Arbeit an Fragen und Projekten internationaler kirchlicher Zusammenarbeit wird besonders im Bereich der EmK-Weltmission (öffentliche Bildungsprojekte in aller Welt) vorangetrieben. Fragestellungen im Zusammenhang mit Gemeindeentwicklung 31
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Zur Bildungsarbeit mit Kindern und Jugendlichen siehe: www.emk-kinderwerk und emk-jugend.de. Zur Arbeit mit Teenagern im Kirchlichen Unterricht vgl. Achim Härtner, Jugend zwischen Skepsis und Vertrauen. Herausforderungen und Chancen kirchlicher Jugendarbeit am Beispiel des Kirchlichen Unterrichts in der Evangelischmethodistischen Kirche, in: Theologie für die Praxis 35 (2009), Heft 1, S. 19–41. Die genannten Einrichtungen informieren über ihre Arbeit und deren Hintergründe auf folgenden Websites: www.emk-bildung.de; www.emk-frauen.de; www.emk-maenner.de; www.seniorenarbeit.de; www.emk-freizeiten.de. Die Diakoniewerke der EmK sind im Verband evangelisch-methodistischer Diakoniewerke (EmD) organisiert. In Verbindung mit den Diakonie- und Sozialwerken geschieht auch die fest in der methodistischen Tradition verwurzelte Suchtkrankenhilfe (www.emk-sucht.de), die in einem ganz umfassenden Sinne Bildungsarbeit darstellt. Siehe www.emk-sozialforum.de und www.emk-gfs.de. Vgl. Lothar Elsner/Ulrich Jahreiß (Hg.), Das Soziale Bekenntnis der Evangelisch-methodistischen Kirche. Geschichte – aktuelle Bedeutung – Impulse für die Gemeinde, Göttingen 2008.
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und Evangelisation sind im Evangelisationswerk angesiedelt, gehören sachlich daher eher in den Bereich Schulung. Die EmK in Deutschland unterhält ein Medienwerk (Zeitschriften, Buchpublikationen, Internetarbeit, Öffentlichkeitsarbeit) und eine Hörfunkagentur, radio m (Bildungsbeiträge im öffentlich35 rechtlichen und privaten Rundfunk). In allen Jährlichen Konferenzen gibt es Kirchenmusikalische Arbeitskreise die mit den freikirchlichen Verbänden der Singund Bläserchöre (Christlicher Sängerbund, Bund Christlicher Posaunenchöre in 36 Deutschland) in Verbindung stehen. Die staatlich anerkannte Theologische Hochschule der EmK in Reutlingen (gegr. 1858/1877) trägt mit ihren vielfältigen Angeboten und wissenschaftlichen Publikationen zur Wahrnehmung ei37 nes öffentlichen Bildungsauftrags der Kirche bei. Durch die konnexionale Struktur der Evangelisch-methodistischen Kirche/United Methodist Church bestehen in allen genannten Arbeitsfeldern auch Kontakte ins eurpäische und 38 außereuropäische Ausland. Alle Bemühungen in den genannten Aufgaben39 feldern haben das Anliegen gemeinsam, den Glauben ins Leben zu tragen. Eine besondere Verantwortung für die Erwachsenenbildung liegt beim Bildungswerk, auf das abschließend etwas näher eingegangen werden soll. Im Jahr 1977 wurde die Arbeitsgemeinschaft Erwachsenenbildung (AGEB) der Evangelisch-methodistischen Kirche in Westdeutschland ins Leben gerufen. Sie bildete das Forum für Austausch und punktuelle Kooperation zwischen verschiedenen Arbeitsbereichen (z.B. Männerwerk und Frauendienst). Dabei wurde sie durch Fachkommissionen und Kooperationen sowie regionale Bildungswerke (Erwachsenenbildung Nord, Bildungswerk Süd und später Bildungswerk Ost) unterstützt. 2005 wurde ein bundesweites Bildungswerk gegründet mit dem Auftrag, die Erwachsenenbildung in der EmK zu fördern, Aus- und Weiterbildungen für Ehrenamtliche anzubieten und überregional allgemeinbildende Veranstaltungen für Erwachsene durchzuführen. Welches Verständnis eines freikirchlichen Bildungsauftrags hinter dieser Arbeit steht, lässt sich am besten an diesbezüglichen Aussagen der geltenden Kirchenordnung (2005) zeigen: Die Stärkung der Persönlichkeit, die Entfaltung der intellektuellen, geistlichen, seelischen und sozialen Fähigkeiten eines Menschen, seine zunehmende Verwurzelung im christlichen Glauben und die Orientierung in 35 36 37 38 39
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Siehe www.medienwerk.de; www.radio-m.de. Siehe www.cs-vsg.de; www.bcpd.de. Siehe www.th-reutlingen.de; www.emk-studiengemeinschaft.de. Beispiele: www.emk.at; www.emk-schweiz.ch; www.umc.org. Vgl. Rosemarie Wenner: Den Glauben ins Leben tragen. EmK forum 34, Frankfurt 2008.
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Bezug auf seine aktuelle Lebenswelt sind Anliegen, die in der methodistischen Theologie mit dem Begriff Heiligung markiert sind. Die zunehmende Unübersichtlichkeit aller Lebensbereiche, das vielfältige Angebot an Sinnvermittlern und die immer weiter fortschreitende Ausdifferenzierung, Individualisierung und Fragmentierung der Gesellschaft verlangen nach einem kirchlichen Angebot, das Raum gibt für Besinnung, gemeinsames Lernen und für das offene Gespräch. Gestaltgebende Impulse sucht die Erwachsenenbildung der Kirche im Evangelium, in Schrift und Tradition, Vernunft und Erfahrung. Sie nimmt Bezug auf die in der Kirche erarbeiteten Grundsatzdokumente wie die Sozialen Grundsätze. Kirchliche Erwachsenbildung in der Evangelisch-methodistischen Kirche möchte Frauen und Männer aller Schichten, Einstellungen und Lebenswelten erreichen, auch aus den entkirchlichten Milieus. Die Erwachsenenbildung stellt sich den aktuellen politischen, sozialen und ethischen Herausforderungen. Im Kontext theologischer und diakonischer Einsichten sucht sie nach konkreten Antworten und Handlungsmustern auf Fragen der persönlichen Lebensgestaltung und der Lösung gesellschaftlicher Probleme. […] Kirchliche Erwachsenbildung geschieht dialogisch. Sie entwickelt und pflegt eine Kultur des offenenGesprächs auch über Fragen und Zweifel des eigenen Glaubens und hilft so zur Verständigung und einem friedlichen Zusammenleben mit Menschen anderer religiöser und weltanschaulicher Ausrichtung. Sie ist im Dialog mit ökumenischen Partnern und gesellschaftlichen Gruppen wie Gewerkschaften und Unternehmerverbänden. Diese auf Dialog hin angelegte Offenheit fördert die Fähigkeit, vom eigenen Glauben verständlich zu reden und stärkt Menschen in ihrer missiona40 rischen Existenz.
Im letzten Abschnitt wird die Einbindung freikirchlicher Angebote in den weiteren Verbund von Bildungsanbietern benannt. Ein Beispiel aus der ökumenischen Zusammenarbeit in der Kirchlichen Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenen- und Familienbildung in Baden-Württemberg (KILAG) zeigt, dass man bezüglich der öffentlichen Grundausrichtung einer an biblisch fundierten Werten orientierten Bildung auf gemeinsamer Basis steht: Als Träger kirchlicher Erwachsenenbildung gehen wir in unserem Selbstverständnis von zwei Grundlagen aus:
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Verfassung, Lehre und Ordnung der Evangelisch-methodistischen Kirche in Deutschland VI.22.3, Frankfurt/M. 2005, 238.
Bildungsverantwortung in freikirchlicher Perspektive
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Christinnen und Christen haben von Jesus Christus her den Auftrag, die Welt mitzugestalten. Unsere Verpflichtung ist es, orientiert am christlichjüdischen Menschenbild, gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Es gehört mit zur Aufgabe des demokratischen Staates, die Bürgerinnen und Bürger in ihrem Recht auf freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen. Durch unser Bildungsangebot wirken wir an dieser öffentlichen 41 Aufgabe mit.
Fazit: Auch ein nur flüchtiger Blick in die Geschichte des Methodismus in England und Deutschland lässt erkennen, wie umfassend John Wesley und seine Erweckungsbewegung das Anliegen von Erziehung und Bildung verstanden haben und wie wichtig sie es nahmen. Wesleys unablässiges Drängen, dass der christliche Bildungsauftrag nicht auf Gemeinde und Kirche verengt bezogen werden darf, sondern stets der Öffentlichkeit im Allgemeinen und den Benachteiligten im Besonderen gelten soll, verdient heute neu Gehör. Die Evangelisch-methodistische Kirche ist im deutschsprachigen Raum weithin zu einer Mittelstandskirche geworden. Wird sie die in ihrer Tradition eingestiftete vorrangige Verantwortung für die Armen im 21. Jahrhundert weiter tragen und lebendig erhalten?42
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Kirchliche Landesarbeitsgemeinschaft für Erwachsenen- und Familienbildung in BadenWürttemberg (KILAG), siehe http://www.elk-wue.de/arbeitsfelder/bildung /erwachsenenbildung/kilag/ 3.8.2010. Vgl. Jörg Rieger, Remember the Poor. The Challenge to Theology in the Twenty-First Century, Harrisburg 1998 und Ders., No Rising Tide. Theology, Economics, and The Future, Minneapolis 2009.
Achim Härtner
Bereit zur Rechenschaft Predigt zu 1. Petrus 3, 15 Wolfgang Ruhnow Liebe Gemeinde, meine Aufgabe heute Abend ist zu predigen. Es geht dabei nicht um die erbauliche Eröffnung einer wissenschaftlichen Tagung, sondern um die „viva vox evangelii“ – die lebendige Stimme des Evangeliums –, damit Glaube geweckt werde und wachse, damit es unter Gottes Zuspruch und Herausforderung deutlich werde: Das ist sein Wille und sein Auftrag und vor allem, damit erkennbar werde, wie wir seinem Auftrag entsprechen können. Mit der viva vox evangelii ist es dabei so wie mit einem Fest oder mit dem Schlaf: Man kann sich darauf vorbereiten und man sollte dies sehr gründlich tun. Die Sache selbst ist ein Geschenk. Um dieses Geschenk lasst uns jetzt bitten. Hören wir auf 1. Petrus 3, 13–16: 13
Und wer ist's, der euch schaden könnte, wenn ihr dem Guten nacheifert? 14Und wenn ihr auch leidet um der Gerechtigkeit willen, so seid ihr doch selig. Fürchtet euch nicht vor ihrem Drohen und erschreckt nicht; 15heiligt aber den Herrn Christus in euren Herzen. Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Re16 chenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist, und das mit Sanftmut und Gottesfurcht, und habt ein gutes Gewissen, damit die, die euch verleumden, zuschanden werden, wenn sie euren guten Wandel in Christus schmähen.
Der zentrale Vers lautet: „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.‘‘ Ich gliedere die Predigt nach den Hauptwörtern des Textes: die Hoffnung in mir (2), bereit zur Verantwortung (3). Voran stelle ich (1) eine Annäherung an den Text unter den Leitworten „seid allezeit bereit“, der Schluss meiner Predigt (4) steht unter dem Stichwort „das Leben“, in ihm werde ich erzählen. 1. „Seid allezeit bereit“ – eine Annäherung an den Text 1. Petrus 3, 15 ist eine biblische Aussage mit einer spannenden, weit gefächerten Wirkungsgeschichte, die nicht beschränkt bleibt auf den angenehm temperierten Raum innerhalb der Kirchenmauern.Wenn ich jetzt von der Kanzel unter Verwendung der biblischen Worte rufe: „Seid bereit!“, so bin
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ich sehr gespannt, wer sich durch die Antwort „Immer bereit!“ als Mensch mit ostdeutscher Vergangenheit outet. Der Gruß der Jungen Pioniere „Seid bereit – Immer bereit“, wurde über 40 Jahre hinweg am Beginn unzähliger Schulstunden im entleerten Ritual jeden sinnvollen Inhalts beraubt. Jene, die dies immer und immer wieder erlebt haben, müssen aufpassen, dass diese Erfahrung ihnen nicht jeden Zugang zu unserem Bibeltext verbaut. Die Worte „Seid bereit – Immer bereit“ mussten zur leeren Hülle entarten, weil sie räuberisch herausgelöst worden waren aus dem tragenden Grund ihrer ursprünglichen Verwurzelung, dem Glauben an Jesus Christus. Ähnliches geschieht immer wieder, heute vielleicht nur raffinierter. Im anderen Teil Deutschlands dagegen verbinden sich mit diesem Leitwort „immer bereit für Christus“ prägende Eindrücke aus der Jungscharzeit. Vielleicht summen eben Einige innerlich die Melodie des Jungscharliedes, dessen Refrain in diese Worte einmündet. Unser Text enthält noch viel mehr. Er ist die biblische Belegstelle für eine wichtige Disziplin der Theologie, um die es gerade auch in dieser Woche geht: Was wir mit „Verantwortung“ übersetzen, heißt im Urtext ἀπολογία und meint Reflexion und Verteidigung des christlichen Glaubens mit Mittel logischer Argumentation – heute nötiger als je! 1. Petrus 3 wird zeigen, dass wir schlecht beraten sind, wenn wir uns in die Waffenrüstung der Verteidigung Gottes begeben, um etwa gegen Buddhafiguren beim FC Bayern und für Kruzifixe in den Schulstuben zu kämpfen. Gott hat unsere Verteidigung nicht nötig. Allerdings sollten wir uns nicht zu Getriebenen der Fragestellungen unserer Zeit machen lassen und nur noch reagieren auf Denk- und Lebensvoraussetzungen, die uns andere vorgeben.Ich habe bei „google“ die Formel „immer bereit“ eingegeben und bekam eine wunderschöne Kollektion von Bezügen offeriert. Neben den Jungen Pionieren aus DDR-Zeiten und dem Verweis auf die Christlichen Pfadfinder gab es Angebote aus dem Geschäftsfeld von Frau Beate Uhse, einen Text aus dem Musical „König der Löwen“, einen anderen aus „Tanz der Vampire“ und den Hinweis auf „Stand-by-Schaltungen“ bei diversen elektrischen Geräten. All dies läuft auf irgendeine Weise als „Zweites Programm“ in unseren Köpfen mit. Betrachtet man sich unseren kurzen Predigttext hinsichtlich seiner Wörter und deren Anordnung (Syntax), so fällt mir etwas auf: Einerseits stellt uns der Text mit den absoluten Begriffen „jederzeit“, „immer“ und „gegenüber jedem“ vor eine nahezu unerfüllbare Herausforderung und zieht mit den gleichen Wörtern einen atemberaubend weiten Horizont. Merkwürdig weit und unbestimmt sind dagegen die tragenden Begriffe: „Hoffnung“, das bedeutet zunächst einmal Alles oder Nichts. Noch schöner wird es mit dem Wort, das
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Luther mit „Rechenschaft“ übersetzt, womit die Auskunft über unsere Hoffnung gemeint ist. Hier steht schlicht und einfach „Logos“, „das Wort“ und wir haben offenbar zu entscheiden, was im Bedeutungsspektrum „Wort, Sprache, Rede, Erzählung, Aussage, Ausspruch, Frage, Gerücht, Rechenschaft, Predigt, Lehre, Ruf, Sinn“, wohl hier gemeint sei. Mir scheint diese Unschärfe gewollt zu sein und das hat offenbar mit der Sache zu tun: Angefragt und herausgefordert zur Rechenschaft sind nicht Erkenntnisse oder zeitlose Einsichten, sondern Personen. Deshalb ist die Antwort auf diese Anfragen in Personen zu finden: in Christus und mit ihm verbunden in uns. Das heißt: Es geht 1. Petrus 3, 15 um einen existenziellen Vorgang, zu dem zwar eine intensive intellektuelle Bemühung gehört, der darin aber nicht aufgeht. Die intellektuelle Bemühung scheint mir in unserer Kirche gegenwärtig eher unterentwickelt. Damit richtet sich die Frage an mich: Was ist der Grund deiner Hoffnung und wie kannst du davon Rechenschaft geben? Also: „Seid bereit zur Rechenschaft gegenüber jedem, der fragt!“ Fragt uns jemand? Warum fragt uns denn keiner? Gebe ich Anlass zu dieser Frage? Bin ich bereit zur Verantwortung? War ich bereit zur Verantwortung? – Eher nicht und mit Herzklopfen, als ich im Alter von 12 Jahren von der Geschichtslehrerin herausfordert wurde: „Ruhnow, du gehst doch in die Kirche, nun sag mal etwas zu den Kreuzzügen, zur Inquisition und zur Hexenverbrennung“. Und plötzlich hatte ich als 12-jähriger vor der grinsenden Klasse gerade zu stehen für die Abgründe der Kirchengeschichte – eine pädagogische Höchstleistung der von mir heiß gehassten Lehrerin. War ich bereit, als ich im Kollegenkreis oder in der Gaststätte überlegte, ob ich den Mut finde, vor der Mahlzeit demonstrativ die Hände zu falten? Bin ich bereit, wenn ich bis heute darauf verzichte, auf mein Autoheck einen Fisch zu pappen? In alledem rückt mir dieser Text auf den Leib und ich spüre hinter den Worten den, der hier spricht. 2. Die Hoffnung in mir Was ist der Inhalt und der tragende Grund meines Lebens? Davon müssen wir reden lernen – vielleicht ganz neu und sehr viel anders als bisher. Wir sind dabei gut beraten, uns den weiten Horizont des Predigttextes zu Eigen zu machen, nicht nur in der Überzeugung: „Alle brauchen Christus – und ich habe ihn“, sondern vor allem im Hören und Wahrnehmen weit über die Grenzen der Kirche hinaus.
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Von Ingrid Betancourt, der kolumbianischen Politikerin, die jahrelang im Urwald gefangen war, las ich in einem unserer Wochenmagazine ein Interview. Darin antwortete sie auf die Frage, woher sie die Kraft nahm, dies alles zu überstehen: „Von Gott. Der Glaube an Gott ist da das Einzige, was einen 1 davon abhält, seine Würde zu verlieren“ . Solche Sätze an solchem Platz sind mehr wert, als einhundert Predigten aus dem Mund derer, bei denen man Antworten dieser Art von Amts wegen nicht anders erwartet. Was ist meine Hoffnung? Der 1. Petrusbrief hat darauf eine klare Antwort. Wir finden sie in dem Lobpreis, der in Kapitel 1 den gesamten Brief eröffnet: „Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Aufstehung Jesu Christi von den Toten.‘‘ Monumentale Worte, ein sprachlicher Fremdkörper inmitten des Geredes unserer Zeit – und wohl schon immer. Wir können vom Glauben und der Hoffnung reden wie wir wollen. Wir können die Sache philosophisch reflektieren und didaktisch mundgerecht machen, wir können nach Anknüpfungspunkten suchen ohne Ende – wenn wir nicht in der Lage sind, mit unseren Worten und unserer Existenz auszudrücken, was es für uns bedeutet, durch Gottes große Barmherzigkeit wiedergeboren zu sein zu lebendiger Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten, gehen wir am Eigentlichen vorbei und haben bestenfalls moralischen Appell, erfahrungsgesättigte Lebensberatung oder konfessionsideologische Propaganda weiter zu geben. All dies können andere besser.2 Eberhard Tiefensee, ein katholischer Theologe aus Erfurt hat am Ende einer Analyse über die religiöse Situation im Osten unseres Landes festgestellt: „Die Christen erweisen sich häufig als religiös genauso sprachlos wie Nichtchristen. Viele können nicht einmal ihren Kindern verständlich machen, was 3 der Kern ihres Lebens ist.“ Dies führt mich zu einem Anliegen, das mir im Zusammenhang mit unserem Predigtext außerordentlich wichtig ist: Christlicher Glaube muss seinem Wesen nach verantwortet und begründet werden. Zweifel und Rückfragen sind unabdingbar. Wer sich dem nicht in aller Ernsthaftigkeit stellt, taugt bestenfalls zum Sektenprediger, zum frommen Ideologen oder bleibt autistisch in der eigenen frommen Erfahrung gefangen. Eine Erkenntnis lässt sich quer durch die Bibel nachweisen: Der biblische Glaube kennt und benennt seine eigene Infragestellung. 1 2 3
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Stern Nr. 29, 2008, S. 44. Die Formulierungen sind teilweise entnommen aus: Andreas Malessa, „Predigen in der Postmoderne“, abrufbar unter http://www.ekir.de/missionale/index.php?id=130. Eberhard Tiefensee, Auf der Suche nach den Suchenden. Areligiosität in den neuen Bundesländern als Herausforderung und Chance, in: ThG 49 (2006), 224–233, hier: 233.
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Das Osterzeugnis von der Auferstehung Jesu Christi – Grund unserer Hoffnung – trägt in sich seine Infragestellung durch die Gegner und die Jünger selbst. Die großen Sätze des Glaubens und Vertrauens sind immer Endpunkte eines Weges und nicht dessen Ausgangspunkt. Der Weg durch den Zweifel hindurch kann nicht lässig übersprungen werden: Das Buch Hiob benötigt mehr als vierzig Kapitel hin zu dem rätselhaften Satz: „... nun hat mein Auge dich gesehen‘‘ (42, 5). Psalm 73 formuliert das große Bekenntnis „Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde‘‘ (V. 25) erst, nachdem der Beter bekannt hat „fast wäre ich gestrauchelt mit meinen Füßen‘‘ (V. 2). Der Gotteskämpfer Elia feiert seinen Sieg über 450 Baalsprofeten mit dem Sturz in die Depression und dem Wunsch zu sterben unter einem Wacholderstrauch (1. Könige 19). Ich propagiere mit der Einladung, den Grund unserer Hoffnung nicht gegenüber Anfragen und Zweifeln abzuschotten, nicht den Angriff auf den kindlichen Glauben. Ich treibe keine intellektuelle Spielerei, die mit der Relativität aller Dinge kokettiert –im Gegenteil. Ich bezeuge vielmehr: Dass wir lebendige Hoffnung haben können, die uns trägt, von Angst und Leistungsdruck befreit, ist gegen allen Augenschein das große Wunder. Wir sollten aus Liebe zu den Menschen alles aufs Spiel setzen, auch unseren bisherigen Glauben, damit andere dieses Wunder erfahren können. Damit sind wir in guten Gesellschaft: Paulus, der sogar auf die eigenen Seligkeit verzichten wollte, um die Angehörigen seines Volkes zu retten (Römer 9, 3), Jesus am Kreuz, der die unvorstellbare Tiefe der Gottferne durchlitten hat: „Mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen!‘‘ (Matthäus 27, 46 nach Psalm 22,2). Meine persönliche Erfahrung ist, dass die Gründung und Festigung meines Glaubens durch Anfechtung hindurch geschah und immer noch geschieht. Weil Christus durch die tiefsten Tiefen gegangen ist, vertraue ich darauf, dass mögliche kommende Anfechtungen, deren Dimension ich noch gar nicht absehen kann, von ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen aufgehoben und verwandelt werden können. Das ist der Grund meiner Hoffnung. 3. Bereit zur Verantwortung – mit Sanftmut und Gottesfurcht, und indem ihr Christus Herr sein lasst in euren Herzen Seid bereit zur Verantwortung, „mit Sanftmut und Gottesfurcht“ (1. Petrus 3, 16), und indem ihr „den Herrn Christus heiligt in euren Herzen‘‘ (V. 15a). Ich sprach eben von der Herausforderung, unsere Hoffnung anfragen und anfechten zu lassen aus einem Grund, der in der Sache selbst liegt und der in der Bibel so breit bezeugt ist, dass man nicht darüber hinweg gehen sollte. Die Empfänger des 1. Petrusbriefes standen nicht vor der Frage, ob sie ihren Glauben anfechten lassen
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oder nicht. Sie lebten im Fokus planmäßiger Verfolgung unter Kaiser Domitian ca. 90 Jahre nach Christi Geburt. Domitian hatte sich ein System paranoider Machterhaltung aufgebaut und den göttlichen Kaiserkult auf die Spitze getrieben. Wer sich weigerte, den Kaiser als Gott zu verehren, geriet in höchste Gefahr. Die krankhafte Machtgier Domitians brachte Ausprägungen hervor, die ein wenig an das heutige System in Nordkorea erinnern. Papageien waren abgerichtet, ständig „Ave Cäsar“ zu krächzen. Mitglieder der kaiserlichen Familie wurden aus Machtgründen liquidiert. Leute, die in dieser Zeit, einen anderen Herr sein ließen in ihrem Herzen, passten nicht ins System. Wie kann man da Zeugnis von der Hoffnung geben? Muss man sich nicht mit allem wappnen, um das Überleben zu sichern? Umso mehr erstaunt es, dass die Aussagen, die den Kern unseres Predigtextes rahmen, so ganz anders klingen: „Sanftmut, EhrFurcht‘‘ (V. 16), „Christus Herr sein lassen (wörtlich: heilig halten) im Herzen‘‘ (V 15a). Normalerweise gibt es als Reaktion auf die Gefährdung des Glaubens drei Möglichkeiten: erstens den Widerstand mit zelotischem Eifer, zweitens den Rückzug ins Ghetto und drittens die konformistische Anpassung. Nun sagt zwar Vers 13, dass die Christen „Zeloten des Guten“ seien, aber die Richtung, in die der Text mit seiner Mahnung zu Sanftmut und Ehrfurcht und vor allem mit dem Hinweis auf Christus weist, ist doch wohl von anderer Art. Es gibt eine fromme Weise, immer recht zu haben, in deren Dunstkreis mir die Luft wegbleibt. Christus war nach dem Zeugnis der Schrift unbeirrbar im Guten gegenüber der Welt – gleichgültig, was ihm geschah. Dies ist der Ansatz: unbeirrbar im Guten gegenüber der Welt. Was dies bedeutet, habe ich zum Beispiel gelernt am Gleichnis von der Liebe des Vaters gegenüber seinen beiden Söhnen. Der Vater läuft ständig seinen Söhnen entgegen oder hinterher und bittet und wirbt und lädt ein – unbeirrbar. Dies bringt eine eigene Weise der Kommunikation hervor. 2. Korinther 5 nennt unsere Aufgabe: „Bitten an Christi statt‘‘. Bitten! Vielleicht erklärt das den gar nicht kämpferischen, vielmehr gelassenlebenspraktischen Grundton des 1. Petrusbriefes. Friedrich Schleiermacher gibt unserem Predigttext in seiner Praktischen Theologie einen sehr bedeutsamen Platz in einem Kapitel mit seltsamer Überschrift: „Die Kunst des geselligen Betragens“. Er entfaltet an diesem Platz das Modell einer Kommunikationskultur, in der nicht agitiert wird oder mit schlagenden Argumenten überzeugt, in der der Zeuge des Glaubens und der Hoffnung nicht dominant auftritt, vielmehr mit Partnern sich auf den Weg macht – in großer Aufmerksamkeit („Immer bereit!“), mit Takt, mit Einfüh-
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lung, zugewandt, frei von Angst, frei vom Zwang der Selbstdarstellung. Für mich scheint in diesen Worten das Bild Jesu auf. Ich glaube, wir hätten auf dieser Strecke viel zu lernen. Übrigens weiß ich nicht so genau, ob 1. Petrus 3, 15 eine missionarische Zielrichtung hat. Mir klingt das eher sehr zweckfrei. Die Früchte werden dem Handeln Gottes überlassen. Nicht zuletzt deshalb möchte ich zum Schluss etwas erzählen und stelle es unter die Überschrift: 4. Das Leben In den Jahren 1977 bis 1985 lebten wir als Familie in Zwickau in einem großen Mietshaus mit insgesamt 9 Familien. Unser Einzug als Pastorenfamilie war spürbar für die Leute eine spannende Sache – so etwas hatte es offenbar vorher dort noch nicht gegeben. Dieses Haus war in der Vielfalt seiner Mieterschaft wie ein Abbild der Gesellschaft. Da gab es die würdige Witwe des Zwickauer Stadtarchivars mit einer geistig behinderten Tochter.Wir wohnten im Erdgeschoss, neben uns der Hausverwalter mit seiner Familie. Er hatte eine recht seltsame Vorstellung von Ordnung und Disziplin. Sehr bald wurden wir gewarnt: „Passen sie auf, der ist bei der Stasi“. Später gaben wir gerade ihm sehr bewusst während unseres Urlaubs den Schlüssel zur Wohnung, damit er unsere Blumen gießt. Es gab ein Puppenspielerehepaar, eine allein stehende Frau mit halbwüchsigen Kindern, die als Kellnerin im übelsten Lokal Zwickaus arbeitete. Mehrmals lag sie morgens, bevor unsere Kinder in die Schule gingen, sturzbetrunken vor unserer Tür. Es gab eine gutbürgerliche Familie, der Mann Uhrmachermeister. Ein älterer Mann, Alkoholiker, fand den Mut uns anzusprechen nur, wenn er einigen Alkohol intus hatte. Eines Tages sagte er: „Du bist bei der Stasi. Du bist mal da, du bist mal weg (ich war als Jugendsekretär oft unterwegs), du hast das Auto vor der Tür stehen. Er beruhigte sich erst, als ich ihm meinen Ausweis zeigte. In diesem Haus lebten wir. Wir suchten uns an die überzogenen Ordnungsvorstellungen unseres Hausverwalters zu halten. Ich half ihm, wenn die Abwasserleitungen verstopft waren und ertrug sein Knurren über die „Schlampen in diesem Haus“. Immer mehr Leute baten meine Frau, ihre Ost- und Westpäckchen entgegen zu nehmen, wenn sie außer Haus waren. Ich beteiligte mich an der erfolglosen Reanimation einen Mitbewohners, der einen Herzinfarkt erlitten hatte. Er gehörte keiner Kirche an. Anschließend wurde ich gebeten, ihn zu beerdigen. Ich fuhr eine junge Frau, deren Mann bei der Armee war, zur Geburt ins Krankenhaus. Dort wurde ich gefragt: 4
Vgl. Isolde Karle, Der Pfarrberuf als Profession, 2. Auflage, Gütersloh 2001,108 ff.
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„Sind sie der Vater?“ Umgekehrt, war ich bei diversen Platzwunden meiner Töchter nie zu Hause und meine Frau erfuhr bei Notfällen immer freundliche Unterstützung von der „ungläubigen“ Nachbarschaft. Ich breche hier ab, es gäbe ungleich mehr zu erzählen. Als wir auszogen, sagte jemand: „Jetzt ziehen die einzigen vernünftigen Leute aus“. Warum erzähle ich das? Nicht, um von mir zu reden, sondern von einer Situation, in der 1. Petrus 3, 15 für uns außerordentlich lebendig war. Ich habe niemand aus diesem Haus zum Glied der Evangelisch-methodistischen Kirche machen können – kommt es darauf an? Vielleicht kommt es manchmal zuerst darauf an, selbst überzogenen Hausordnungen Folge zu leisten ... Ich glaube, es kommt darauf an, Christus in unseren Herzen Herr sein zu lassen, durch die große Barmherzigkeit Gottes sich verändern zu lassen, in Christi Kreuz und Auferstehung seine Hoffnung zu gründen und im Übrigen bereit zu sein, hellwach, ohne Furcht, den Menschen zugewandt zu bleiben, weil Christus unbeirrbar war im Guten gegenüber der Welt. Von dieser Unbeirrbarkeit Christi leben wir alle. Amen.
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Teil II Aspekte ganzheitlicher Bildung in theologischer Perspektive
Jesusnachfolge als Grenzerfahrung Bibelarbeit zu 2. Korinther 4, 7–12 Cornelia Trick „Glaube bildet“ – wenn wir die beiden genannten Pole Glaube und Bildung betrachten, fällt ihr Bezug zueinander auf. Der Bildungsbegriff, wie wir ihn in der deutschen Sprache benutzen, hängt eng mit dem Begriff der Gottebenbildlichkeit des Menschen zusammen: „Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn‘‘ (Genesis 1, 27). Die Gottebenbildlichkeit ist nach reformatorischem Verständnis die Bestimmung, in die wir 1 hineinwachsen sollen. Wenn wir von Bildung reden, wird es darum gehen, in das von Gott gemeinte Bild des Menschen, in das Bild Jesu Christi, dem Ebenbild Gottes, hineinzuwachsen. Der Mensch wird geboren, um wiedergeboren zu werden (Johannes 3), er ist auf Bildung angelegt, die ihn letztlich Gott ähnlich werden lässt bis zur Vollendung in Ewigkeit. Durch diese Aufgabe der Bildung als Heranwachsen des wiedergeborenen Menschen kommt Unruhe ins Leben. Grenzen wollen verschoben werden, Horizonte werden neu entdeckt, das Ziel motiviert zu immer neuen Wegen und bringt auch Umwege mit sich. Doch steht die biblische Gewissheit: Das Ziel ist erreichbar, nicht durch eigenes Können, aber durch die Liebe Gottes, der seine Kinder ans Ziel bringen wird. So verstanden ist Bildung durch Gottes Geist Rettung aus der Gottferne, Öffnung für Gott und seinen Willen. Das Leben ist eine Pilgerreise, ein Hineinwachsen in die vollendete Gottebenbildlichkeit im Reich Gottes.2 Der gewählte Bibeltext kann uns anleiten, wieder einen Schritt auf das Ziel hin zu tun, uns bilden zu lassen in das Bild, das Gott von uns hat. Bildung geschieht hier nicht aus eigenem Antrieb des Menschen, sondern ist Geschenk Gottes, der uns dazu befähigt, uns bilden und formen zu lassen. So ist Bildung im strengen Sinne „Erleuchtung“, dass wir zum Ersten unserem Ziel von Gott her näher kommen, und zum Zweiten, dass durch uns andere „Erleuchtung“ erfahren.
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Vgl. Gerd Theißen, Zur Bibel motivieren, Gütersloh 2003, 28ff. Vgl. John Bunyan, The Pilgrim’s Progress, (1678/84), New York 2003.
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1. Das Vorwort – Gottes Licht setzt in Gang 6
Denn Gott, der sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass durch uns entstünde die Erleuchtung zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi.
Zwei Gotteslichter werden nebeneinander gestellt: zum einen das Licht, das Gott schuf, um in das Chaos und die Dunkelheit der Erde sein Licht zu bringen, das Leben bedeutet, und zum anderen bringt Gott Licht ins Verborgene, in den Tresor des Herzens. Das Glaubenslicht entzündet die Erkenntnis, dass Gott in Jesus Christus mich meint, sich zu mir als einzelne Person begibt, in meine Dunkelheit hinein scheinen will. Sein Ziel ist es, dass ich in seinem Licht ihm entgegen leben kann. Gottes Schöpfung im Großen kann sich so in einem kleinen Menschenleben nachvollziehen. Wie die Welt nicht zur Dunkelheit bestimmt war, so auch der Mensch nicht zur dunklen, orientierungslosen Existenz ohne Lebensperspektive. Kein menschliches Können schafft dieses Lebenslicht, sondern die Tat Gottes, der erleuchtet und die Bildung des erleuchteten Herzens in Gang setzt. So ist das Vorwort zu dem auszulegenden Abschnitt aus dem zweiten Brief an die Korinther die Überschrift für alles Weitere. Gott setzt in Gang: konsekutiv, dass wir Jesus Christus erkennen als Erlöser, der den Weg zu Gott frei macht, und final, damit wir unserer Umwelt Licht sein können, sie mit dem Licht des Erlösers anstecken.3 2. Die Bildungsreise des Christen 7
Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, damit die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. 8Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängsti9 gen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. 10 Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, damit auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. 11Denn wir, die wir leben, werden immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, damit auch das Leben Jesu offenbar werde an unserm sterbli12 chen Fleisch. So ist nun der Tod mächtig in uns, aber das Leben in euch.
Paulus redet von sich im Plural. Er trägt nicht seine Autobiographie vor, sondern schildert die christliche Existenz, wie sie sich auch in seinem Leben abbildet. Er versteht diese Darstellung als Werbung, als Angebot an die Ko-
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Vgl. 2. Korinther 2, 14: „Ich danke Gott, dass er seine rettende Botschaft von Jesus Christus durch mich (sc. Paulus) wie einen Wohlgeruch ausbreitet.”
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rinther und nun auch an uns heute, in das „Wir“ mit einzustimmen. Dabei vereinnahmt Paulus seine Leser nicht und spricht sie mit „ihr“ an. Bildung wird in unserem Textabschnitt als Jesusnachfolge beschrieben. Das Licht wird entzündet, um das Angesicht Jesu zu sehen. Es gibt Orientierung auf dem Weg, der nur in Verbindung mit Jesus zu Gott führt. Wie dieses Erleuchten aussieht, zeichnet Paulus nun in einem präziseren Bild. Das Licht kommt ins Herz nicht wie in einen abgeschlossenen, nahezu unzerstörbaren Tresor, der seine wertvollen Geheimnisse strengstens verwahrt und nur von wenigen geöffnet werden kann. Gottes Licht kommt in einen Tonkrug. Gott begibt sich in ein Menschenleben hinein, das charakterisiert wird als Tongefäß, das – nach oben offen ist, jeder und jede kann etwas daraus entnehmen, – billige Massenware ist, das keine besonderen Auszeichnungen mitbringt, – zerbrechlich ist, denn ein einziger Stoß genügt, um es unbrauchbar zu machen. Hier schildert Paulus Erfahrungen in den Tiefen, in den Dunkelheiten des Lebens: das eigene Leben nicht im Griff zu haben, Scheitern, SchuldigWerden, an Begrenzungen zu stoßen, die nicht überwindbar sind, Krankheiten zu erleiden. Damit einher gehen Erfahrungen der Entfremdung von Gott und die wachsende Sehnsucht nach Heil und Heilung, Versöhnung und neuer Integrität. Wir wären gerne wie Tresore, mit einem Schatz im Herzen, äußerlich unzerstörbar, innerlich unendlich reich und selbst bestimmend, wem und wann wir die Tresortür öffnen. Aber die Realität holt uns ein. Wir sind und bleiben zerbrechliche Gefäße, wie Paulus sie mit Tonkrügen vergleicht, jederzeit bedroht, ohne besondere Auszeichnungen, und meistens schon angeschlagen durch schmerzliche Einwirkungen aller Art. In dieses ungeschützte Leben hinein kommt Gottes Licht. Es macht dreierlei deutlich: 1. Es kommt nicht primär auf mein eigenes Leben an, auf meine Schale und wie ich mich nach außen hin unzerstörbar gebe, sondern auf das Licht, das in mir leuchtet. Gottes Kraft ist nicht gleichzusetzen mit meiner Energie. Gottes Antrieb ist nicht zu verwechseln mit meinem Ehrgeiz. Gottes Thema für mein Leben ist nicht deckungsgleich mit meinen Themen. 2. Je mehr von meinem Tonkrug abbröckelt, je mehr Sauerstoff bekommt das Licht, die Flamme wird größer und scheint heller. Ich muss nicht in meine eigene Stärke investieren, denn sie dämpft das Licht, sie hindert Gottes Geist, durch mich in die Umgebung zu strahlen. Ich kann mich
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Aufgaben widmen, ohne ständig Rücksicht auf mich selbst nehmen zu müssen. Gottes Gegenwart in meinem Leben wird glaubwürdiger, je mehr ich ihn mein Leben bestimmen lasse. 3. Nach der Übersetzung der Gute-Nachricht-Bibel heißt es interpretierend in Vers 7: „Es soll deutlich sichtbar sein, dass das Übermaß an Kraft von Gott kommt und nicht aus mir selbst.‘‘ Es geht offensichtlich um die Werbung für Christus, um die finale Erleuchtung des Herzens, damit andere auf dieses Licht aufmerksam werden. Das Licht ist nicht für das eigene Tresörchen entzündet, um es dort zu hüten, sondern um es in die Welt scheinen zu lassen. So ist für die eigene Person Transparenz zur Weitergabe des Lichts nötig. Eigene Bruchstellen sind nicht länger persönliche Katastrophen, sondern Chancen für das Licht, sich auszubreiten. 3. Bruchstellen im Leben Paulus entfaltet einen Katalog von Leiden, von Bruchstellen, durch die Gottes Licht scheinen kann: bedrängt, aber nicht erdrückt, verfolgt, aber Gott lässt nicht im Stich, niedergeworfen, aber ich komme wieder auf die Beine. Leiden wird ganz eng mit der Person verbunden. Das griechische Verb περιφερεῖν steht für das Tragen von Wundmalen am Körper oder das Austragen eines Kindes im Mutterleib. Das „Sterben Jesu“ vollzieht sich am eigenen Körper, ist nicht ein einmaliges Geschehen wie die Taufe nach Römer 6, sondern ist allmähliches Absterben des Alten, damit Neues werden kann. Und es ist Leiden „um Jesu willen“. Das Leiden hört auf, wenn die Verbindung zu Jesus gekappt wird. Leiden, wie es hier beschrieben ist, hat eine über die alltägliche persönliche Leiderfahrung hinaus gehende Dimension. Es ist nicht durch das Risiko „Leben“ allgemein hervorgerufen, sondern geschieht in der aktiven Jesusnachfolge. Wie können wir uns selbst in diese Aussage einbringen, heute, in einem freiheitlichen Land, jenseits von Christenverfolgung und Ausgrenzung aufgrund des Glaubens an Jesus Christus? Wir können uns vielleicht behutsam annähern. Statt gleich vollmundig vom Leiden um Jesu willen zu sprechen, ist es vielleicht ehrlicher, vom Leben mit Jesus zu reden. Auch die Jünger, die mit Jesus zogen, lebten erstmal ein paar Jahre mit Jesus, bevor sie mit dem Leiden konfrontiert wurden. Das Leben mit Jesus war wichtige Vorbereitung und „Bildungsreise“ für das spätere Leiden. Sollte es uns da anders gehen? Auch unser Leben mit Jesus führt zu Bruchstellen: Die Liebe zu Jesus kollidiert mit anderen Interessen. Die Liebe zum Nächsten widerspricht den eigenen Egoismen. Mit Jesus zu leben, führt zu Prioritätendiskussionen darüber, was wirklich zählt und wichtig ist im Alltag, führt zu Anfragen an
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Berufs- und Partnerwahl. Die Liebe zu Jesus ruft zur Verbindlichkeit und deckt bloßes Eventhopping kritisch auf. Diese alltäglichen, durch die Lebensgemeinschaft mit Jesus Christus hervorgerufenen Bruchstellen lassen Licht in die Öffentlichkeit durchscheinen. Sie sind Zeugnis und Auftrag, wie ihn Jesus nach Matthäus 5, 13–16 und 28, 18–20 formuliert: „Ihr seid Salz der Erde, ihr seid Licht der Welt – gehet hin!‘‘ Die Bruchstellen führen nicht zum Zerbrechen, sondern zum Leben. So zeigen sie im Leben des Völkerapostels, wie durch sie Gottes Licht in die heidnische Umwelt hineinleuchten konnte, und vielerorts neue Gemeinden entstanden. Durch das Selbstzeugnis des Apostels wuchsen die Gemeinden. Sie lernten, Jesus zu vertrauen, der nicht zerbrechen lässt. Sie machten die Erfahrung von innerer Kraft, die am Leben erhält. Sie erkannten als Sinn und Ziel ihres Daseins, in Jesus hinein gebildet zu werden. Paulus öffnet den Blick für eine neue Interpretation des Leidens und Lebens für Jesus: Leiden wird nicht als Prüfung verstanden, die nur bestehen kann, wer dieses bis zum Schluss geduldig erträgt, wie die Apokalyptiker Leiden deuteten. Paulus deutet Leiden hier als wirksames Zeugnis für die Welt: „Gottes Kraft ist in den Schwachen mächtig‘‘ (2. Korinther 12, 9). 4. Das Bildungsziel Gottes Im ganzen Abschnitt wird viermal auf Jesus hingewiesen, ohne den sonst von Paulus hinzugesetzten Titel Christus. Paulus bringt damit die engste Vertrautheit mit Jesus zum Ausdruck, den er besonders im Leiden kennen gelernt hat. Er ist dem Bildungsziel Gottes, Jesus Christus ähnlich zu werden, sehr nahe gekommen. Das Leben und Leiden mit ihm und für ihn hat ihn mit Jesus zusammengeschweißt. In der engsten Beziehung des Gebets als Keimzelle der Gotteserfahrung offenbarte sich ihm Jesus als Freund, als Retter, als Heiland, als Fürsprecher. Bildung, wie Gott sie uns angedeihen lassen möchte, geschieht durch die Jesus-Beziehung und Jesus-Prägung. Sie befähigt uns auch dazu, das Bildungsziel Gottes anderen Menschen zu vermitteln. Die Worte des Paulus in 1. Korinther 4 ermutigen zu einem zeugnishaften, durchscheinenden Lebensstil, an dem sichtbar wird, wie die Beziehung zu Jesus Christus das Leben beeinflusst, Entscheidungen berührt, Wege markiert. Sie ermutigen zu einem persönlichen Gebetsleben, das sich möglichst eng an Jesus bindet und im alltäglichen Leben diese Beziehung pflegt, um im Ernstfall des Leidens um Jesu willen Vertrauen zu ihm zu haben. Sie ermutigen dazu, auch in den Krisenzeiten das Lob Gottes nicht verstummen zu lassen, weil gerade dort seine Kraft für andere viel sichtbarer wird, wo wir selbst nicht mehr können.
Jesusnachfolge als Grenzerfahrung
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Leben mit Jesus ist ständige Bildung auf das Ziel hin, unserer Bestimmung als Ebenbild Gottes gerecht zu werden. Wir können diesen geistlichen Bildungsweg als Einübung verstehen, die uns stark macht, auch im Leiden nicht von Jesus zu lassen, auf ihn zu hören, ihm zu gehorchen und ihm zu folgen. Denn es geht nicht zuerst um uns, sondern darum, dass Gott die Finsternis dieser Welt durchdringt und erleuchtet – durch Jesus, das Licht der Welt.
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Bildung und Erziehung des Herzens
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Siegfried Zimmer Vorbemerkungen „Bildung und Erziehung des Herzens“ – das ist ein Thema mit besonderer Ausstrahlung. Für Menschen, die im Bereich Bildung und Erziehung tätig sind, kann es eigentlich kein wichtigeres Thema geben. In dem Thema sind drei Substantive: Bildung, Erziehung und Herz. Das Wort „Herz“ ist dabei das Wichtigste. Nur wenn wir uns darüber verständigen können, was wir mit Herz meinen, hat es Sinn zu fragen, ob und gegebenenfalls wie wir es erziehen können. Das Thema lautet nicht: „Bildung und Erziehung der Persönlichkeit“. Natürlich wäre damit etwas sehr Ähnliches gemeint. Es ist aber kein Zufall, dass in der Formulierung des Themas kein Fachbegriff gewählt worden ist, sondern ein Symbolbegriff. Ich werde mich deshalb zunächst dem Herzen widmen, um von da aus einen spezifischen Zugang zu Grundfragen der Erziehung zu gewinnen. Herz ist ein Grundsymbol, das nur dem Grundsymbol Licht vergleichbar ist. Diesem Thema ist es angemessen, wenn wir zunächst einmal versuchen, uns der Tragweite dessen bewusst zu werden, worüber wir reden. In einem ersten Schritt soll es um die geschichtliche Dimension des Themas gehen. 1. Die geschichtliche Dimension des Themas „Herz“ Für die Menschen war das Herz seit frühester Zeit etwas Besonderes. Der vermutlich älteste Beleg dafür ist eine Höhlenzeichnung in Spanien, die etwa 15.000 Jahre alt ist. Sie zeigt die Körperumrisse eines Elefanten und innerhalb seiner Umrisse ein großes Herz. Bereits in den ersten Schriftfunden kommt eine hervorgehobene Rolle des Herzens zum Ausdruck. In der vermutlich ältesten erhaltenen Dichtung, dem sumerischen Epos von Ischkar und Erischkegal (3. Jt. v. Chr.) geht es insbesondere auch um die Regungen des Herzens. Der älteste erhaltene medizinische Text, der ägyptische Papyrus Ebers (2. Jt. v. Chr.) betont, dass ein Arzt vor allem über die Tätigkeit des Herzens Bescheid wissen muss. 1
Tonbandnachschrift, der Vortragscharakter wurde beibehalten. Eine gekürzte Fassung des Beitrags mit dem Titel „Erziehung des Herzens“ erschien in Brennpunkt Gemeinde 57 (2004), 130–135.
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Bleiben wir noch etwas bei Ägypten. Es war die älteste und führende Kulturmacht des Orients, die auch auf den gesamten Mittelmeerraum einen großen Einfluss hatte. Für die Ägypter war das Herz von zentraler Bedeutung. Sie konnten sich das für sie so wichtige Weiterleben nach dem Tod ohne Herz nicht vorstellen. Das Herz war der Sitz von Verstand, Wille und Gefühl, der Speicher der Lebenserfahrungen, der Ort des Lebensgeheimnisses und der Lebensbilanz. Nach dem Tod wird das Herz des Menschen auf einer speziellen Waage gewogen. Nur wenn es sich als schwer genug herausstellt – angefüllt mit guten Taten –, wird der Tote von den Gottheiten der Totenwelt empfangen. Bei der Einbalsamierung der Pharaonen wurden sämtliche Eingeweide und Organe aus dem Leichnam entfernt. An den Ort des Herzens jedoch legte man einen steinernen „Herzskarabäus“. Der Skarabäus ist ein Käfer, den die Ägypter als Symbol des Lebens und der Unsterblichkeit verehrten. Ihrer Meinung nach hat dieser Käfer ein besonderes Verhältnis zur Sonne. Unter anderem deshalb, weil der Skarabäus unverzüglich aus dem Sand krabbelt, sobald die Sonne aufgeht. Die Sonne wiederum stand bei den Ägyptern und bei vielen anderen Völkern (beispielsweise den Azteken) in einer besondern Beziehung zum Herzen. Aus folgendem Grund: In der Außenwelt ist die lebensspendende Größe die Sonne. In der Innenwelt ist die lebensspendende Größe das Herz. Das Herz ist also die „innere Sonne“. In allen Hochkulturen spielt das Herz eine hervorgehobene Rolle, auch in der Bibel. Die Bibel intensiviert sogar noch die Rolle des Herzens. Keiner der Begriffe, mit denen die Bibel den Menschen kennzeichnet, verwendet sie so oft wie das Wort „Herz“ (hebr. leb/lebab). Das alttestamentliche Hebräisch hat kein eigenes Wort für „Gewissen“. Deshalb nimmt das Wort „Herz“ – wie auch im Ägyptischen – diese Bedeutung mit in sich auf. In der Bibel ist das Herz Inbegriff und Wurzel von Gefühl, Wille und Verstand, Ausdruck der Lebensbedürfnisse und des Lebensverlangens, die zentrierende Mitte des Menschen, in der sich sein Verhältnis zu Gott ereignet. Und vermittelt durch die Bibel blieb es in der europäischen Kultur- und Religionsgeschichte bei dieser herausragenden Rolle des Herzens durch das Mittelalter und die Neuzeit hindurch bis heute. Es gibt in den europäischen Sprachen – und sicher nicht nur in ihnen – kaum ein Substantiv, das in so vielen Sprachverbindungen vorkommt, wie das Wort Herz. Es gibt eine Reihe von Substantivbildungen mit dem Wort Herz: Herzenswunsch, Herzensbildung, Herzblatt, Herzenssache, Herzensgrund, Herzeleid, Herzlichkeit, Herzlosigkeit, nach Herzenslust, das Herzstück einer Sache u.a. Viele Adjektive werden aus diesem Wort gebildet: barmherzig, engherzig, großherzig, herzlich, herzig, herzensgut, herzhaft, herzerweichend, herzergreifend, herzerquickend, herzerfrischend, herzallerliebst, herzlos und andere mehr. Noch zahlreicher sind die Adjektive, die man mit diesem Wort
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verbinden kann: Das Herz ist kalt, warm, heiß, großzügig, weit, eng, stolz, treu, treulos, traurig, fröhlich, groß, klein, weich, gütig, hart, steinern, steinhart. Am zahlreichsten sind die Verben, die sich auf das Herz beziehen lassen: Das Herz kann schlagen, pochen, klopfen, hämmern, rasen, flattern, stillstehen, versagen, brechen, zerspringen, schmachten, zittern, jubeln, höher schlagen, hüpfen. Sehr bezeichnend sind die vielen metaphorischen Redewendungen für die „Sprache des Herzens“: Das Herz kann bluten, entflammen, sich verstricken, sich einem im Leibe umdrehen, im Leibe lachen, aber auch in die Hose rutschen. Man kann „viel Herz“ haben. Jemand kann einem ans Herz wachsen oder am Herzen liegen. Man kann das Herz ausschütten, erobern, gewinnen und verlieren. Man kann sein Herz für jemand oder etwas entdecken, sein Herz an etwas oder jemand hängen, jemand an sein Herz drücken, in sein Herz schließen, es verschenken, auf der Zunge tragen, am rechten Fleck haben, seinem Herzen Luft machen, ihm einen Stoß geben, sich etwas zu Herzen nehmen, etwas auf dem Herzen haben, jemand im Herzen tragen, ein Kind unter dem Herzen tragen, jemand ins Herz sehen, etwas nicht über das Herz bringen, Zwietracht in die Herzen säen, einen Stein vom Herzen fallen hören, etwas mit halbem oder von ganzem Herzen tun, mit allen Fasern des Herzens tun, jemand eine Sache ans Herz legen, jemand das Herz schwer machen, ihn aus dem Herzen reißen. Ein Anderer kann mir aus dem Herzen sprechen. Etwas kann mir zu Herzen gehen. Man kann sich ein Herz fassen, etwas im Herzen bewegen, sein Herz in beide Hände nehmen. Unüberschaubar groß ist die Zahl der Sprichwörter und Aphorismen. Ich nenne nur drei: „Wes das Herz voll ist, von dem geht der Mund über“ (Lutherbibel). „Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt“ (Blaise Pascal). „Man sieht nur mit dem Herzen gut“ (Saint Exupéry). In vielen Sagen und Märchen spielt das Herz eine wichtige Rolle. Große Schriftsteller haben sich durch die Jahrhunderte mit dem Herz beschäftigt. Aus neuerer Zeit nenne ich stellvertretend: Edgar Ellen Poe The Tell Tale Heart (Das verräterische Herz) und Peter Härtling: Herzwand. Das Herz wurde allerdings auch oft zum Opfer von leeren Phrasen und zum beliebten Thema der Trivialliteratur. Man spekulierte nicht ohne Grund darauf, dass die Ausstrahlungskraft dieses Wortes ein großes Publikum anziehen wird. Von den frühen Phasen der menschlichen Geschichte an, bis in unsere Gegenwart, haben die Menschen in erstaunlicher Übereinstimmung – trotz unterschiedlicher Kulturen und Religionen – das menschliche Leben und Selbstverständnis im Herzen konzentriert. Hinter kaum einem anderen Tatbestand der Kultur- und Religionsgeschichte steht eine solche Breite und ein solches Ausmaß an menschlicher Erfahrung.
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2. Die Funktion des Herzens in medizinischer Sicht Kann die moderne Medizin die Rolle bestätigen, die das Herz in der Kultur- und Religionsgeschichte spielt? Die Antwort auf diese Frage ist für die Theologie und Pädagogik wichtig. Symbole haben einen notwendigen Bezug zur gegenständlich-materiellen Realität. Ohne Bezug zu den anfassbaren Bäumen gibt es kein Symbol „Baum“, ohne Bezug zum Körperteil Hand kein Symbol „Hand“. Es gibt fünf medizinische Hinweise darauf, dass das Herz gegenüber allen anderen Organen einen einzigartigen Rang hat, auch gegenüber dem Gehirn (unbeschadet der enormen Bedeutung des Gehirns): 1. Das Herz versorgt alle anderen Organe mit dem lebensnotwendigen Blut, auch das Gehirn, auch sich selbst. Es schlägt pro Jahr etwa 42 Millionen Mal, im Laufe eines Lebens durchschnittlich drei Milliarden Mal. Jeden Tag bringt das Herz eine Energiemenge auf, die ausreicht, um ein volles Weinfass auf einen 200 Meter hohen Turm zu befördern. 2. Die Herzbewegung ist die einzige Körperbewegung, die wir zwar bewusst wahrnehmen, aber trotzdem nicht willentlich steuern können. Wir können sie nur indirekt beeinflussen, über Veränderungen unseres Gesamtzustands (indem wir Walken, Joggen, Tanzen usw.), nicht aber durch einen direkten Willensentschluss. 3. Das Herz ist in erstaunlicher Weise relativ selbständig gegenüber dem Gesamtorganismus. Es hat zum einen ein besonderes Muskelgewebe. Dieses Muskelgewebe ist weder quer- noch längsgestreift – alle unsere sonstigen Muskeln sind entweder das Eine oder das Andere – und darum immun gegen Wundstarrkrampf. Und das Herz hat zum anderen ein eigenes Reizleitungssystem. Deshalb ist es zum großen Teil unabhängig vom zentralen Nervensystem. Das zentrale Nervensystem kann das Herz nur zusätzlich (modulierend) beeinflussen, nicht aber grundlegend. Das Herz setzt sich aus Gründen in Bewegung, die großenteils in ihm selbst liegen. Es ist fast so etwas wie ein eigenes kleines Lebewesen. Das Herz kann ohne Gehirn tätig sein, aber das Gehirn nicht ohne Herz. 4. Das Herz ist keineswegs nur ein Pumporgan, sondern auch ein ausgleichendes Organ mit einer eigenen Wahrnehmungsfähigkeit. Es hat in allen vier Kammern eigene Rezeptoren. Durch deren Wahrnehmung kann das Herz auf Veränderung im Gesamtzustand des Organismus rasch und elastisch reagieren, kann ausbalancieren und Übergänge schaffen. Das Herz gleicht aus zwischen sauerstoffreichem und -armen Blut, zwischen Atmung und Stoffwechsel, zwischen Ruhephasen und An-
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strengungsphasen, zwischen dem sympathischen und dem parasympathischen Nervensystem. Und gerade weil das Herz eine eigene Wahrnehmung hat und auf Veränderungen sensibel reagiert, kann es – wie kein anderes Organ – zum erlebbaren Spiegelbild unseres Gesamtzustands werden. 5. Das Herz hat die Fähigkeit zur Rhythmusbildung. Dieser Rhythmus hat drei Aspekte: a) Der Herzrhythmus erzeugt im Blutkreislauf Druckwellen. Diese Wellen spüren wir im Puls. Das Blut strömt nicht gleichmäßig wie ein Fluss. Untersuchungen haben ergeben, dass Gewebe und Organe, die mit gleichmäßig fließenden Blut versorgt werden, nicht so lebens- und überlebensfähig sind, wie Gewebe und Organe, die mit der gleichen Menge pulsierenden Bluts versorgt werden. Die Druckwelle hat belebende Kraft. Unser Leben hat pulsierenden Charakter. b) Der Herzrhythmus hat eine bestimmte Frequenz. An dieser Frequenz orientiert sich unser gesamtes Leben, zum Beispiel der Atem. Er strebt danach, in ein ganzzahliges Verhältnis zum Herzschlag zu bekommen (meist 4:1 oder 3:1). Unsere Augen und Ohren nehmen Bild- und Tonfolgen dann am profiliertesten auf, wenn die Intervalldauer zwischen 0,6 und 0,8 Sekunden liegt, dem Intervall der Herzschläge. Auch unser Gefühl für „schnell“ und „langsam“ orientiert sich unbewusst am Herz. Was sich schneller bewegt als das Herz, empfinden wir als schnell, was sich langsamer bewegt als langsam. Das gilt sowohl für unseren Schritt als auch für das Tempo in der Musik. Das Normaltempo „andante“ (schreitend) wird auf dem Metronom mit 66 Schlägen eingestellt; eine Minute ist in 60 Sekunden unterteilt. c) Der Herzrhythmus hat eine zweipolige Struktur. Er bewegt sich in einem Zweitakt: Systole und Diastole, Kontraktion und Erschlaffung, Blutausstoß und Bluteinstrom, betont und unbetont, Hebung und Senkung. Wohl aus diesem Grund wurde der Zweiertakt zum Grundtakt der Musik. Daher hat wohl auch die Hebung und Senkung, das Betont und Unbetont in Lyrik und Poesie eine so fundamentale Bedeutung. Der polare Charakter des Herzrhythmus steht möglicherweise auch in einer tiefen Beziehung zum polaren Charakter unserer Gefühlswelt und unseres Begehrens: anziehend – abstoßend, sympathisch – unsympathisch, langweilig – interessant, gut – schlecht, fröhlich – traurig, ängstlich – mutig. Vielleicht steht die polare Struktur des Herzrhythmus sogar in einer tiefen Affinität zur polaren Struktur der Wirklichkeit überhaupt: innen – außen, hell –
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dunkel, oben – unten, positiv – negativ, Mann – Frau, Yin – Yang, Himmel – Erde. Am Ende dieses Kapitels soll eine lebensgeschichtliche „Erinnerung“ stehen: Als wir noch geborgen in der „Geburtshöhle“ unserer Mutter lagen, hörten wir etwa ab der 17. Woche ein rhythmisches Geräusch, die Herztöne der Mutter. Sie werden von den großen Blutgefäßen und dem Knochensystem weitergeleitet. Die großen Beckenschaufeln der Mutter wirken dabei wie ein Schalltrichter: zwischen 60 und 90 Mal in der Minute (je nachdem, mit was die Mutter beschäftigt ist), über 4.000 Mal in der Stunde, etwa 100.000 Mal am Tag, durchschnittlich 27–28 Millionen Mal bis zu unserer Geburt. Keines der anderen Geräusche der mütterlichen Innen- und Außenwelt, die ein Embryo wahrnehmen kann, kommt an Dauerwirkung an diese Grundakustik heran. Die Herztöne der Mutter wurden für uns zum Rhythmus des Lebens, schon bevor wir das Licht der Welt erblickten. Wann werden wir jemals empirisch feststellen können, was diese Töne für unser Leben, unsere Wahrnehmung und unsere Zuversicht bedeuten? 3. Zur Phänomenologie des Herzens Als Drittes möchte ich auf unsere Selbsterfahrung mit dem Herz zu sprechen kommen. Was erfahren wir, wenn wir unser Herz wahrnehmen? Die rhythmische Tätigkeit des Herzens sagt etwas aus über uns und über das Leben. Sie ist eine grundlegende Äußerung des Lebens, ein Grundgeschehen des Lebens. Von den frühen Zeiten an, haben die Menschen die Tätigkeit des Herzens als eine Art Botschaft empfunden, als „Sprache des Herzens“. Sie haben ihr seelisches Erleben in Analogie zur leiblichen Erfahrung des Herzens gedeutet. Was besagen diese „Klopfzeichen“, die wir hören können und spüren, die immer und ohne Unterbrechung da sind? Ihre Botschaft ist von elementarer und hintergründiger Schlichtheit. Jeder Mensch kann sie empfangen: Durch das Schlagen des Herzens erfährt der Mensch sich einerseits als unaustauschbares Individuum, andererseits als Teil einer großen Lebensgemeinschaft. Meine Herztöne gehören zu mir und zu niemand Anderem. Andererseits haben alle anderen Menschen und auch die Tiere ebenfalls „ihr“ Herz. Das verbindet uns alle in tiefer Weise. Wir erleben uns als leibhaftig. Unser Leib hat eine Sinneswahrnehmung nach innen und nach außen. Weil wir Leib sind, leben wir stets gleichzeitig in einem Verhältnis zu uns selbst und zur Welt um uns. Das Herz reagiert auf Reize. Es ist ein erregbares Organ.
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Wir spüren eine Mitte. Unser Leben ist zentriert und dadurch eine Ganzheit. Diese Mitte ist kein ruhiger Ort, sondern ein bewegter Ort. Unsere Mitte ist ein Geschehen. Leben ist Bewegung. Über die Bewegung in unserer Mitte können wir nicht verfügen. Nicht ich klopfe. Es klopft in mir. Ich habe dieses Klopfen nicht in Gang gesetzt und kann es nicht abstellen. Ich bin dieser Bewegung nicht mächtig. Das, was in mir geschieht, ist nicht mein Werk. Wir sind diesem Grundgeschehen gegenüber nicht selbständig, sondern von ihm abhängig. Wir müssen aber über dieses Geschehen auch gar nicht verfügen, sondern wir können uns von ihm tragen lassen. Die Lebensbewegung in unserer Mitte verpufft nicht plan- und richtungslos. Sie hat eine Richtung, eine Intention. Sie ist zielgerichtet. Das Geschehen in unserer Mitte hat ein Profil, eine polare Gestalt. Diese Gestalt bleibt stabil. Sie ist verlässlich. Das Leben ist gestalthaft und braucht Pole. Mit den Schlägen unseres Herzens erleben wir Zeit. Von einem Schlag zum nächsten vergeht Zeit. Der Abstand zwischen den Schlägen ist ein zeitlicher Abstand. Wir leben in der Zeit. Wir sind zeitliche Wesen. Wir können uns der Zeit nicht entziehen, nicht aus der Zeit hinausgehen. Wir leben von Schlag zu Schlag. Mit den Schlägen unseres Herzens spüren wir die Endlichkeit unseres Daseins. Wir ahnen: da verbraucht sich etwas. Das hält nicht ewig. Diese Schläge werden einmal aufhören. 4. Die Personmitte in biblischer Sicht Im Folgenden geht es um die christliche Sicht des Herzens als Zentrum des Menschen. Diese Sicht ergibt sich – in den entscheidenden Gesichtspunkten – nicht einfach aus den geschichtlichen, medizinischen und phänomenologischen Befunden. Sie basiert vielmehr ihrem eigenen Verständnis nach auf einer Offenbarung, auf der biblischen Offenbarung. Diese Offenbarung widerspricht den bisherigen Befunden nicht. Sie steht auch nicht zusammenhangslos „neben“ ihnen und mindert nicht deren Wert. Im Gegenteil: Sie passt zu diesen Befunden und deckt ihre Hintergründe und Wurzeln auf. Aufgrund der biblischen Offenbarung sehen wir unsere Erfahrungen in einem neuen Licht und Zusammenhang. Die bisher genannten Phänomene des Herzens sind in der biblischen Offenbarung gut aufgehoben. Nach dieser ist das entscheidende Merkmal unserer Personmitte, dass sie kein ruhiger Ort ist, sondern ein unentwegt bewegter Ort. Dieses Bewegtsein bzw. Bewegtwerden unserer Personmitte – also von uns selbst – bezeichnet die Bibel als ein „Begehren“, „Verlangen“ und „Ausschauhalten nach“, als ein „Hungern“, „Dürsten“, „Schmachten“, „Verschmachten“, „Geängstigt-
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werden“. Das Bewegtsein unseres Herzens können wir weder hervorrufen noch beenden. Es sitzt tiefer als unser Wille und unser Verstand. Es bewirkt, dass wir immer schon in grundlegender Weise voreingenommen sind, vor jedem Willensentschluss und in jeder Tätigkeit des Verstandes. Unser Verstand und unsere Vernunft arbeiten nicht unabhängig von diesem Bewegtsein und insofern zu keinem Zeitpunkt „neutral“. Nicht wir bewegen unsere Mitte, sondern wir sind in allem unseren Tun und Denken immer schon Bewegte. Auch unsere „Motivation“ ist nicht der Grund dieses Bewegtseins, sondern bereits dessen Folge. Diesbezüglich besteht eine erstaunliche Analogie zur leiblichen Erfahrung unseres Herzens. Diese Analogie gilt auch für die weiteren Gesichtspunkte: Nach biblischer Sicht ist das Bewegtsein unserer Personmitte nicht diffus und richtungslos, sondern stets gerichtet, bezogen auf etwas, auf ein Ziel. Es ist ein Trachten-nach, ein Aussein-auf, ein Suchen, Streben, Sehnen. Wir Menschen sind ausgereckt-nach, gespannt-auf. Wir können nicht nicht begehren. Deshalb hat unser Leben immer wieder irgendeine Art von Spannung, einen Spannungsbogen und insofern eine pulsierende und „impuls“-ierende Energie. Unser Begehren hat zwei Pole: einerseits das, was uns reizt, anzieht, lockt, interessiert, positiv erregt und andererseits das, was uns abstößt, nicht reizt, kalt lässt, langweilt oder negativ erregt. Unser Begehren ist stets ausgerichtet auf reizvolle Ziele. Es meldet diese reizvollen Ziele dem Willen und der sagt spontan: „Das will ich.“ An den Verstand gibt unser Begehren den Auftrag: „Denk mal darüber nach, wie ich diesem reizvollen Ziel näherkommen kann und wie ich unangenehme Hindernisse vermeiden kann.“ Die biblische Offenbarung besagt also: Unser Herz ist deshalb ein unentwegt bewegter Ort, weil wir Begehrende sind. So hat uns der Schöpfer geschaffen. Das nichtaufhebbare Begehren unseres Herzens ist immer mit Gefühlen verbunden, ist gefühlsbetont, ja, im Grunde müssen wir sagen: Das Begehren ist ein Gefühl! Es gibt kein gefühlloses Begehren. Wie unser Begehren, so sind unsere Gefühle stets mit einer „Stimmung“ verbunden, sind „gefärbt“ und „getönt“. Daran zeigt sich, dass sie eine deutliche Tendenz und Richtung haben. Jedes Gefühl hat eine Intention. Deshalb rufen unsere Gefühle Ziele hervor. Auch unsere Erinnerungen und Erwartungen, aus denen sich unsere Lebensorientierung ergibt, sind stets emotional eingefärbt. Es gibt keine Erinnerung und keine Erwartung (keine Phantasie) ohne Gefühl. Der Verstand kann keine Ziele suchen, setzen und finden. Er kann nur Ziele, die ihm vorgesetzt werden, prüfen und analysieren, einer Tauglichkeitskontrolle unterziehen. Manchmal muss der Verstand dann dem Gefühl eine kritische Rückmeldung geben: „Du täuschst dich da. Du versprichst dir davon zuviel.“ Solche Rückmeldungen ändern aber nichts daran, dass unser Verstand auf Zielsetzungen angewiesen
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bleibt, die unser Lebensgefühl ihm vorlegt. Das Gleiche gilt für den Willen. Wie der Verstand, so hat auch der Wille nur eine sehr begrenzte Macht über unsere Gefühle. Ich kann mich nicht willentlich dazu entschließen, begeistert zu sein. Ich kann mich nur aus Begeisterung zu etwas entschließen. Ich kann mich nicht dazu entschließen, jemand gern zu haben. Sondern weil ich jemand gern habe, entschließe ich mich zu etwas. Leider hat ein sehr weit verbreitetes Defizit in der älteren und gerade auch in der neueren Philosophie- und Wissenschaftsgeschichte das Gefühl bei weitem unterschätzt. Das Gefühl sei unzuverlässig und störe den Menschen nur beim Denken. Als ob unser „Selbstbewusstsein“, unser „Selbst“, oder „Ich“ oder unsere „Identität“ nur aus Denken und Selbstreflexion bestünde! Unser Denken ist vielmehr eingebettet in unser Fühlen und empfängt von hier seine Ausrichtung. Es gab Philosophen, die das Gefühl auf der Ebene von Zahnschmerzen angesiedelt haben, in ihm also lediglich das Produkt chemisch-körperlicher Vorgänge gesehen haben. Wenn wir uns an der biblischen Offenbarung orientieren wollen, dann müssen wir es lernen, unsere Gefühlswelt – unser Lebensgefühl – als das Grundmerkmal unseres „Ich“, unseres „Selbst“, unseres „Selbstbewusstseins“ und unserer „Identität“ zu würdigen. Das gilt zumindest dann, wenn man mit diesen Begriffen die Personmitte des Menschen meint. Und ich frage mich: Was soll man denn sonst damit meinen? Die Personmitte ist nach biblischer Offenbarung dadurch gekennzeichnet, dass sie bewegt wird. Und dieses Bewegtsein steht dem Gefühl näher als dem Willen und dem Verstand. Unsere Personmitte ist voller Emotionen (Sehnsucht, Hoffnung, Freude, Begeisterung, Sorge, Angst, Verzweiflung). Zu dieser Personmitte gehört auch die Dynamik des Unbewussten. Auch dort spielen sich – wie unsere Träume zeigen – dramatische emotionale Vorgänge ab. Sigmund Freud hat sinngemäß gesagt: In den Kellerräumen unserer Seele, da heulen die Hunde. Unsere Personmitte ist nicht der Ort des ruhigen Strömens und des gefühlsneutralen Denkens, sondern ein leidenschaftlich bewegter, ekstatischer Ort. Bleibt uns als letzte, aber entscheidende Frage: Woher kommt dieses Begehren und damit das Bewegtsein unseres Herzens? Was ist der Grund? Um was geht es? Falls die biblische Botschaft sich diesen Fragen nicht stellen und uns eine Antwort versagen würde, hätte sie die Bezeichnung „Offenbarung“ nur sehr bedingt verdient. Aber die Bibel gibt darauf eine klare, bestimmte Antwort. Der Grund für das Bewegtsein unseres Herzens liegt darin, dass der Schöpfer aller Wirklichkeit dieser Wirklichkeit ein Ziel gesetzt hat. Die gesamte Wirklichkeit ist ausgerichtet, ist intentional und deshalb auch das Leben des Menschen. Gott ist nicht nur der Schöpfer und der Erlöser, sondern auch der Vollender. Er wirkt der Vollendung entgegen, seinem Kommen, dem Advent, dem Schauen von Angesicht zu Angesicht, wenn er sein wird „Alles in Allem‘‘
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(1. Korinther 12, 58), wenn das Leid, das Böse, der Tod und die Tränen nicht mehr sein werden, sondern nur noch seine Gegenwart. Unser Leben hat ein Ziel, eine Bestimmung, die Gott der Schöpfer gesetzt hat. Wir sind berufen. Unsere Personmitte ist ausgerichtet auf diese Bestimmung und Berufung. Es verlangt uns nach dieser Erfüllung des Daseins „mit allen Fasern des Herzens“. Letztlich werden wir bewegt von Gottes schöpferischer Zielsetzung. Deshalb spricht die Bibel von Gottes schöpferischem Geist als einer bewegenden Kraft. Das hebräische Wort für Geist heißt „ruach“. Es bedeutet „Wind“ und „Atem“ im Sinne von „bewegter Luft“. Wie der Wind – dieses „himmlische Kind“ – alles bewegt was er erfasst, so sind wir von Gottes Geist bewegt und erfasst und so bewegen wir uns dem Ziel der Schöpfung entgegen. „Die vom Geist Gottes bewegt werden, sind seine Kinder‘‘ (Römer 8, 14). „Weißt du nicht, dass Gottes Güte dich zur Umkehr bewegt‘‘ (Römer 2, 4)? Die Sünde besteht nach biblischer Auffassung darin, dass der Mensch die Bewegtheit seines Daseins in seine eigene Regie nehmen will, hin zu einem Ziel, das er sich selber setzt und von dem er meint, dass es besser sei, als das von Gott gesetzte. Vertrauen aber heißt, sich vom Grundgeschehen des Lebens tragen lassen. Es ist die Bestimmung der Schöpfung, dass sie von Gott bewegt wird zu dem von ihm gesetzten Ziel. Diese Bestimmung gilt auch für den Menschen, denn er ist Teil der Schöpfung. Doch der Mensch hat im großen Zusammenhang der Schöpfung eine spezifische Bestimmung und Berufung, die gerade ihm als Mensch gilt. Der Mensch ist dasjenige Wesen der Schöpfung, das die Bestimmung der Schöpfung und die Bestimmung seines eigenen Lebens ausdrücklich bejahen kann, sich an ihr freuen, von ihr begeistert sein kann. Der Mensch kann und soll die Bestimmung der Wirklichkeit und seiner selbst feiern. Die lustvolle Passivität des Sich-von-Gott-bewegen-lassens, aus der heraus wir kreativ und aktiv werden, ist die Berufung unseres Lebens. 5. Folgerungen für die Erziehung In diesem Kapitel soll es darum gehen, die grundsätzlichen und entscheidenden Folgerungen zu formulieren, die sich meiner Überzeugung nach aus der biblischen Sicht des Herzens für die Erziehung ergeben. Alles Zweitrangige muss demgegenüber zurücktreten und bleibt unerwähnt. Meines Erachtens ergeben sich aus dem biblischen Befund drei Folgerungen, man könnte auch sagen: drei Leitziele oder drei Aufgabenstellungen. Ich formuliere die drei Folgerungen nicht als Leitziele wörtlich aus – um Engführungen zu vermeiden –, sondern nenne in den drei Überschriften dieses Kapitels nur Stichwörter. Diese Stichwörter benennen die Bereiche beziehungsweise Dimensionen, auf die es ankommt. Es handelt sich bei den folgenden drei Leitzielen nicht nur um
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Herausforderungen für Kinder und Jugendliche, sondern ebenso – ich möchte sagen: mindestens ebenso – für die Erwachsenen, für die Erzieherinnen und Erzieher. a) Daseinsneugierde Es gibt ein Urphänomen des Lebens, das jeder Mensch kennt – in allen Zeiten, Kulturen und Religionen – und das für den Lebensstil und das Lebensgefühl des Menschen von enormer Bedeutung ist. Ich halte dieses Urphänomen auch im Blick auf die Erziehung, insbesondere im Blick auf die „Erziehung des Herzens“, für entscheidend. Es ist der Unterschied zwischen langweilig und interessant. Wann immer wir können, wenden wir uns vom Langweiligen ab und dem Interessanten zu. Unser Herz reagiert prompt auf diesen Unterschied. Dieser Unterschied wird in allem geschichtlichen Wandel erhalten bleiben. In ihm meldet sich das Geheimnis des Lebens. Was ist das Langweilige am Langweiligen und was ist das Interessante am Interessanten? Die Langeweile ist ein Gefühl der Traurigkeit, der Leere. Der Mensch spürt: Es fehlt etwas. In der Langeweile ist der Mensch traurig darüber, dass er von nichts fasziniert ist. Deshalb ist die Langeweile ein wichtiger anthropologischer Hinweis. Nur dem Menschen kann es in diesem spezifischen Sinn langweilig sein. Die Langeweile, die jeder Mensch negativ empfindet, lehrt uns etwas Entscheidendes über den Menschen: Der Mensch will fasziniert sein! Er liegt sozusagen ständig („von Berufs wegen“) auf der Lauer, ob vielleicht etwas kommt, was ihn faszinieren könnte. Er hält danach Ausschau und hofft darauf. „Faszination“ ist dabei nur ein anderes Wort für „sehr interessant“. Es ist die Steigerungsform und Intensivform von interessant und damit das genaue Gegenteil von Langeweile. Das Interessante ist ein Erlebnis der Nähe, ein Intimerlebnis der Wirklichkeit. Ich bin nahe an der Wirklichkeit dran. Das Begehren unseres Herzens richtet sich auf diese Erfahrung. Wir können zwar verneinen, dass die Welt gerecht oder vernünftig ist, aber wir können nicht in Abrede stellen, dass sie interessant ist. Ich möchte die Merkmale der Faszinationserfahrung im Einzelnen nennen, obwohl sie aufs Engste zusammenhängen: In der Faszination fühle ich mich von etwas angezogen und insofern bewegt. Ich bin hingerissen und erregt bis in die Personmitte. Das Herz schlägt anders. Der Atem stockt. Man kann nicht „cool“ oder neutral fasziniert sein. Was mich anzieht, entzieht sich mir gleichzeitig. Es bleibt mir fremd und unbegreiflich. Was ich durchschaue, kann mich nicht faszinieren. Ich kann es auch nicht in Besitz nehmen und darüber verfügen (man denke beispielsweise an: die Liebe, die Genialität eines Virtuosen, die Fremdheit eines Tieres usw.) Mann und Frau ziehen sich dort körperlich am stärksten an, wo sie sich am
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Fremdesten sind. Interessant sind Beziehungen, bei denen mit zunehmender Nähe auch das Fremde bleibt – vielleicht sogar mit zunehmender Nähe eher noch größer wird! So ist es zumindest bei Gott: Je näher ich ihm komme, desto geheimnisvoller wird er. Ich kann die Faszinationserfahrung nicht willentlich erzeugen. Ich bin in dieser Erfahrung passiv, ganz Empfangender und gerade so voll da. Nicht ich ergreife, ich werde ergriffen. Ich bin perplex. Ich kann zwar zur EigerNordwand fahren, mich unten an die Wand stellen und hinaufschauen. Aber dann ist es diese Wand, die mich fasziniert. Wir können noch so große Aktivisten sein, in der Faszination selbst macht ein Anderes, ein Anderer, etwas mit mir. Die Faszinationserfahrung ist etwas Besonderes, Außergewöhnliches. Gerade das hilft mir, das Banale und Alltägliche auszuhalten. Wir brauchen das Außergewöhnliche, um im Gewöhnlichen nicht abzustumpfen. Ohne Höhepunkte würde der Alltag uns kaputt machen. Wir sind berufen zu staunen. Die Faszinationserfahrung kommt immer von Außen und zieht mich aus mir heraus (Luther: „ponit nos extra nos“). Der Mensch will mehr als mit sich selbst beschäftigt sein. Der neurotische Mensch ist der zu sehr mit sich selbst beschäftigte, zu sehr „verselbstete“ Mensch. In der Faszination bin ich selbstvergessen und gerade so ganz bei mir. Die Faszination öffnet mich. Nie ist der Mensch so offen, wie in der Faszination. Er ist in dieser Erfahrung das Gegenteil eines verschlossenen, bornierten Menschen. Tiefe Faszinationserfahrungen machen uns dankbar. Erfahrungen dieser Art sind erfüllend und erzeugen ein positives Lebensgrundgefühl: „Dass ich das erleben darf!“ Ohne solche positiven Erfahrungen kommt es leicht zur „Rache des ungelebten Lebens“ (H. v. Hentig). Dann holt man sich seine Lusterlebnisse in Sadismus und Schikane. Meine Faszinationserfahrungen sind immer nur ein Ausschnitt. Die Wirklichkeit hat mehr zu bieten, als ich in meinen räumlichen, zeitlichen und psychischen Grenzen aufnehmen kann. Die Faszinationserfahrung hat eine sowohl orientierende als auch oft eine in Beschlag nehmende (besitzergreifende) Kraft. Ich widme ihr entsprechend Aufmerksamkeit, Interesse und Zeit. Als eine Unergründlichkeitserfahrung ist die Faszination eine Transzendenzerfahrung „mitten im Leben“ (D. Bonhoeffer). Das Verblüffende an der Faszinationserfahrung ist, dass sie sich auf alles beziehen kann, was es gibt: auf die Natur, die Tierwelt, auf Musik, Kunst, Wissenschaft, Technik, vor allem auch auf Begegnungen mit Menschen. Alles, was ist, kann faszinieren. Es gibt keine Zeit in der Geschichte und keine Region auf der Erde, von der man von vornherein sagen könnte: Sie lohnt nicht der Beschäfti-
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gung, da gibt es sowieso nichts, was mich faszinieren könnte. Warum ist das so? Weil alles, was ist, geschaffen ist. In der Faszination spüre ich das Geschaffensein der Wirklichkeit. Deshalb ist nach biblischer Auffassung der Mensch in der Faszination vom Schöpfer dieser Dinge fasziniert. Faszinationserfahrungen sind „Streicheleinheiten“ des Schöpfers, in denen er uns zu spüren gibt, wie ergreifend das ist, was er geschaffen hat und welche Ausstrahlung von ihm selbst in der Schöpfung steckt. Religionswissenschaftlich spricht alles dafür, dass die Faszinationserfahrung zumindest einer der wichtigsten Entstehungsgründe der Religionen ist, wenn nicht sogar der wichtigste. Darin zeigt sich nochmals der herausragende anthropologische Rang dieser Erfahrung. Phänomenologisch gesehen – im Blick auf die Erfahrungsqualität – handelt es sich bei der Faszination um nichts anderes als um die Heiligkeitserfahrung! Was mich fasziniert, wird mir heilig. Hinter der heiligen Sonne, dem heiligen Mond, den heiligen Bergen, Bächen, Tieren, Orten und Zeiten stecken Faszinationserfahrungen. Die Bibel konzentriert alle Heiligkeitserfahrung auf Gott. Nicht mehr das Heilige, sondern der Heilige steht im Mittelpunkt. „Heilig, heilig, heilig ist Jahwe. Die ganze Wirklichkeit ist voll von seiner Herrlichkeit‘‘ (Jesaja 6, 3). Von ihm kommt alle Faszination her. Wenn die Kirche und die Pädagogik nicht den positiven Rang der Faszinationserfahrungen zurückerobern, wird sie die Herzen der Kinder und Jugendlichen nicht erreichen. Allerdings müssen wir bei den Faszinationserfahrungen auch unbedingt kritisch werten und unterscheiden. Das Herz des Menschen kann von allem Möglichen fasziniert sein: von Karriere, Geld, Macht, Gewalt und Grausamkeit. Die Sünde kann die Faszination verkehren, pervertieren und in eine falsche Richtung lenken. In biblischer Sicht ist nur diejenige Faszination als Heiligkeitserfahrung zu interpretieren, die uns näher zu Gott bringt. Faszinationserfahrungen, die uns von Gott wegführen sind eine Gestalt der Sünde. Dennoch habe ich bewusst einer positiven Sicht der Faszination den Vorzug gegeben. Die Pädagogik darf den grundlegenden Rang dieser Erfahrung nicht unterschätzen, nur weil vor allem die Unterhaltungsbranche und die Werbung ständig mit diesen Elementen arbeiten und für sich (wirtschaftlich) nutzen. Nur wenn es gelingt, die positive Funktion der Faszination religionspädagogisch und pädagogisch angemessen zu würdigen, werden wir die Herzen der Kinder und Jugendlichen erreichen. Der Missbrauch der Faszination ist kein grundsätzliches Argument gegen den richtigen Gebrauch. Warnungen und Vorsicht wegen der Gefahr des Missbrauchs haben ihr Recht, sind aber für eine Erziehung des Herzens zu wenig. Wichtiger ist es, gute Ansätze und Beispiele zu praktizieren. „Es ist besser ein Licht anzuzünden, als über die
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Finsternis zu schimpfen.“ Dieses chinesische Sprichwort gilt gerade auch für die Pädagogik und Religionspädagogik. Diese Hinweise auf den Stellenwert der Faszination missverstehen die Kirche keineswegs als Teil der Unterhaltungsbranche und wollen keine Pfarrerin und keinen Pastor unter erhöhten Erwartungsdruck setzen. Es geht nicht darum, „mehr zu bieten“ und in eine Konkurrenz mit den Medien zu treten. Es geht um das bewusste Wertschätzen der genannten Dinge, das sichere Wissen und Gespür um ihren Rang, um eine Bestätigung und ein Bestärken der Jugendlichen in ihrem Ausschauhalten nach dem Leben. Das können spontane Randbemerkungen in einem Gespräch sein, ein zustimmendes Kopfnicken, ein geplanter oder ungeplanter Gedankenaustausch. Es gehört zu den Begebenheiten, die Jugendliche nicht so schnell vergessen, wenn ein Pfarrer und eine Pastorin sich einmal stärker als sonst öffnet, Position bezieht und ihr eigenes Lebensgefühl zu erkennen gibt. Darüber hinaus hat das Vorgetragene eine natürliche Nähe zu allen Formen des „entdeckenden Lernens“, die dem Erkundungsdrang des Kindes und Jugendlichen entgegenkommen und Staunen auslösen. Insgesamt wird es bei aller Herzensbildung darauf ankommen, gezielt das Lebensinteresse und die Erwartung an das Leben zu stärken. In keinem der Berufe, die Menschen wählen werden, kommt es nur auf Sachkompetenz an, sondern in einem hohen Maß auch auf das Lebensinteresse, mit dem sie sich ihrer Aufgabe widmen werden. Für das Gelingen einer christlichen Erziehung des Herzens wird es entscheidend darauf ankommen, dass wir Religion und Abenteuer, Gott und Faszination in eine „natürliche“ Verbindung bringen. Heutige junge Menschen brauchen die sachliche Information und die Grundhaltung von Erwachsenen, durch die ihnen klar werden kann, dass ihre tiefsten Lebensinteressen im Glauben an Gott einen zentralen Platz haben und gewürdigt werden. „Adventura“ kommt von „Advent“. Adventlich lebt der Mensch, der offen ist für das Kommende und Neue, der Ausschau hält, ausgereckt ist, ausgerichtet, bewegt von den Verheißungen Gottes. Eine solche Adventura-Existenz halte ich für die beste Vorraussetzung einer Erziehung des Herzens. Martin Luther hat einmal gesagt: „Christen erkennt man an ihrer dankbaren Grundeinstellung“. Und aus einem dankbaren Lebensgrundgefühl heraus ergeben sich ganz andere ethische Möglichkeiten als bei einem undankbaren, verbitterten und enttäuschten Lebensgrundgefühl. Eine liebevolle Wahrnehmung der Wirklichkeit ist nur aus einer dankbaren Grundhaltung heraus möglich. Die wichtigste erfahrbare Seite an Gott für die Erziehung des Herzens lautet: Gott ist bewunderungswürdig (verehrungswürdig). Das ist das Eingangstor zu allem anderen.
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b) Daseinsgewissheit Ich muss wieder bei einem Ur-Phänomen des Lebens einsetzen. Am Anfang unseres Lebens stand eine intensive Erfahrung von Sinn. Unser Leben begann nicht in der Fremde, sondern an einem geschützten und vertrauten Ort: in der Wiege, in den Armen der Eltern, an der Brust der Mutter. Das lächelnde Gesicht, das über unserer Wiege auftaucht, die Hand, die uns die Flasche in den Mund schiebt, die Hände, die die Windeln auswechseln, die Stimme die uns in den Schlaf singt: das waren die ersten Erlebnisse, die wir mit dem Leben gemacht haben. Von diesem Start kommen wir her. Das Kleinkind erlebt täglich, wie es den großen Wesen um sich herum ausgeliefert ist. Es spürt: Wenn diese Wesen mir schaden wollten, könnte ich keinen Widerstand leisten. Sie könnten mich umbringen. Doch wenn diese Wesen sich über mich beugen, mich anlächeln und anträllern, dann spüre ich: Ich darf leben. Die Wesen, die wir erst allmählich als unsere Eltern begreifen lernten, ließen uns nicht achtlos in einer Zimmerecke liegen. Sie tolerierten unser Dasein nicht nur, sie umsorgten es. Ihr Interesse signalisierte mir: Ich bin für sie wichtig. Ein Kleinkind weiß noch nicht, für wie wichtig es sich selbst halten soll. Aber es erlebt, wie wichtig es für die Eltern ist. Diese Bedeutung hätte es sich nicht selbst geben können. Sondern weil unser Leben bedeutungsvoll war für andere, wurde es bedeutungsvoll für uns selbst. Wir fühlten uns wichtig, weil wir das „Liebesobjekt“ anderer waren. Weil wir angelächelt wurden, lernten wir zurückzulächeln. Damit haben sich zwei wichtige Einsichten ergeben: Zum einen verdankt der Mensch sein Urvertrauen und damit sein ganzes späteres Leben einer Beziehung. Nahrung, Sauerstoff und ein Dach über dem Kopf genügen nicht. Ohne die Reaktion der Eltern auf mich hätte ich nicht erkennen können, dass mein Leben von Bedeutung ist. Wie wichtig und willkommen ich bin, kann ich mir nicht selbst sagen. Ich kann es nur in den Augen anderer ablesen. Nur ein anderer kann mir sagen, wie wichtig ich bin. Zum anderen: Die erste Sinnerfahrung musste ich nicht erwerben, sondern bekam ich geschenkt. Die Zuneigung der Eltern war nicht das Ergebnis der Anstrengung oder der Qualifikation der Säuglinge. Wir waren wichtig, einfach weil wir da waren. Wir mussten diese Zuneigung auch nicht bezahlen. Wir wussten noch nicht, was Geld ist. Das Wichtigste, was das Leben am Anfang gab, hat es umsonst gegeben oder überhaupt nicht. Die Sinnerfahrung der frühen Kindheit war die erste Lebensordnung, die wir kennen lernten. Deshalb war für uns die Welt in Ordnung. Hier kamen wir auf den Geschmack am Leben. Und dieser Geschmack blieb auf unserer Zunge. Wir können ihn nicht wieder vergessen.
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Doch unwiederbringlich wachsen wir aus der Kindheit heraus. Im Existenzkampf der Erwachsenengesellschaft, auf den die Schule hinführen muss, dominieren andere Regeln als in der frühen Kindheit. Dadurch ergeben sich Veränderungen im Lebensgrundgefühl. In der Gesellschaft werden wir in einem anderen Maß nach unseren Fähigkeiten und Leistungen beurteilt als in der Kindheit. Die in der Gesellschaft praktizierte Menschenkenntnis ist eine beurteilende Menschenkenntnis. Die Wertschätzung und Anerkennung, die ich brauche, hängt ab von meinen Fähigkeiten, Qualitäten und Qualifikationen. Ich finde nicht schon Anerkennung einfach weil ich da bin. Wo käme man da hin? Ich muss mir die Anerkennung erst erwerben. Insofern leben wir in einer Erwerbsgesellschaft. Wer weniger Qualifikationen und Qualitäten vorweisen kann, hat nicht mehr den gleichen Markt. Wir leben in einer Tauschgesellschaft. Hast du etwas zu bieten, bekommst du entsprechend Anerkennung. Die Beziehungen der Menschen in den Industriestaaten werden zunehmend vom Nutzen bestimmt, den sie füreinander haben. In immer stärker verwalteten, technokratischen und zweckrationalisierten Gesellschaften wird dieser Trend weiter zunehmen. Der Mensch wird ein Mittel zum Zweck. Er wird zum Ding, zum „Menschenmaterial“. Wichtig ist weniger meine einmalige Person als meine Funktion. Dadurch werde ich prinzipiell austauschbar. Die Firma sucht einen Bilanzbuchhalter. Ob das Peter Schulze oder Hugo Maier ist, tut wenig zur Sache. Hauptsache, er versteht sein Geschäft. Wir haben in der Erwerbsgesellschaft nur die Unersetzbarkeit eines Werkzeugs. Sobald es mehrere gleich gute Werkzeuge gibt, bin ich ersetzbar. Die Erfahrung echter Freundschaft und Liebe sind deshalb so wichtig, weil sie uns an die Grunderfahrung der Kindheit erinnert, an sie anknüpft und von ähnlicher Qualität ist. Bei allen verschiedenen Motiven, die in solchen Beziehungen mit eine Rolle spielen, gibt es doch wieder die Erfahrung: Ich bin wichtig, einfach weil ich da bin. Jetzt zählt wieder in erster Linie meine einmalige und unaustauschbare Person und nicht meine prinzipiell ersetzbare Funktion. In biblischer Sicht sind die Erfahrungen der Kindheit, der Freundschaft und Liebe Vorgeschmack und Hinweis auf die Erfahrung Gottes. Bei ihm gilt das Gesetz der Beurteilung nicht mehr. Er ist das Ende dieses Gesetzes. Seine Menschenkenntnis ist keine taxierende. Wir brauchen uns vor ihm nicht zu qualifizieren, nicht „himmelreif“ zu schuften. Er stellt keine Kosten-NutzenRechnung auf. Ihm sind wir wichtig, einfach weil wir da sind. Er liebt mich, auch wenn ich sein Feind bin. Denn wir leben alle aus der Feindesliebe Gottes. Das schafft Geborgenheit. Das ist entscheidend in Erziehung und Bildung. Dass wir bei den Menschen um uns herum – und bei uns selbst – von der Gewissheit ausgehen: Ich bin wichtig, einfach weil ich da bin. Das garantiert Gott.
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c) Daseinsgestaltung: Das Leben ist uns nicht nur gegeben. Es ist uns auch aufgegeben. Es ist Gabe und Aufgabe. Das Leben ist auch eine große Herausforderung. Es ist für den Menschen wichtig und beglückend, die wesentlichen Herausforderungen seines Lebens zu erkennen und annehmen zu können. Die grundlegende anthropologische Funktion der Lebensherausforderung beziehungsweise des Lebensauftrags kommt in beiden biblischen Schöpfungsberichten zum Ausdruck: „Jahwe Gott nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, damit er ihn bebaue und bewahre‘‘ (Genesis 2, 15; vgl. auch den Lebensauftrag in Genesis 1, 28f). Der Mensch will sich Aufgaben stellen. Er will sich bewähren. Wenn das gelingt, entsteht in ihm eine tiefe Zufriedenheit und Genugtuung. Ein Lebensstil des Sichtreibenlassens und Sichgehenlassens macht niemanden glücklich. Der Mensch will gestalten. Freilich muss sich der Mensch auch in bestimmten Zeiten zerstreuen, amüsieren, ablenken und unterhalten lassen. Aber das ständige Sichvergnügen schafft auf Dauer keine tiefere Lebenszufriedenheit und kein Lebensglück. Das Gestalten ist etwas Tieferes, Wertvolleres. Im Herausforderungscharakter des Lebens geht es um Mehr und um Umfassenderes als „nur“ um die (berufliche) Arbeit im engeren Sinn. Letztere ist aber ein wesentlicher Teilbereich. Deshalb trifft Arbeitslosigkeit den Menschen in der Regel auf sehr empfindliche Weise. Unsere Lebensaufgabe ist es – biblisch gesehen –, den Schalom mitzugestalten. Der biblische Begriff Schalom ist umfassender angelegt als das bei uns vorherrschende Verständnis des Begriffs Frieden. Schalom meint das Ernstnehmen der grundlegenden Bedürfnisse aller Menschen, meint die volle Teilnahme aller Menschen am gesellschaftlichen, kulturellen, wirtschaftlichen und religiösen Leben. Den Schalom gestalten heißt diejenigen Kräfte achten und stärken, die das (gemeinsame) Leben fördern und heißt sich gegen jene Kräfte stemmen, die das Leben verletzen und zerstören. Unsere Lebensherausforderung ist es, daran mitzuwirken, dass sich das Leben entfalten kann, dass Menschen ihren Weg finden und zufrieden sein können, dem Leben wieder aufzuhelfen, wo es verletzt, missachtet und gedemütigt wurde. Von zentraler Bedeutung sind dabei das Trösten, das Ermutigen, das Anteilnehmen, das Verzeihen, das Ringen um Gerechtigkeit, das Integrieren der Ausgegrenzten und Abgewerteten, die Verbundenheit mit allen Lebewesen, die Achtung der Erde als unser aller Heimat. Luther sagte sinngemäß: Das Trostamt ist das wichtigste Amt der Christen. Wie geistlich ihr seid, das merkt ihr daran, wie gut ihr trösten könnt. Gott schenkt uns nicht nur alles Entscheidende zum Leben, er will auch etwas von uns. Er will, dass wir den Schalom mitgestalten. Gott ist nicht nur bewunderungswürdig und vertrauenswürdig. Er ist auch nachahmenswürdig. Wie
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er mit Fronarbeitern, Fremden, Tagelöhnern, Witwen und Waisen umgeht, zeigt uns die Richtung an, die wir gehen sollen. Jesu Umgang mit den Armen, Kindern, Frauen, Sündern und Kranken zeigt uns den Weg. Diesen Willen Gottes wertzuschätzen, sich ihm verpflichtet zu fühlen, ist die Berufung unseres Lebens. Der Wille Gottes ist das Gute, das Leben, unsere Nahrung. Erst mit diesem dritten Leitziel einer Erziehung und Bildung des Herzens kommen die Ethik und die Moral ins Spiel. Wichtiger als die Ethik ist das, was wir als Geschenk empfangen. Wichtiger als die Frage, was wir tun, sind die beiden Fragen: Von was bist du ergriffen? Von was bist du getragen? Aber die Frage nach unserem Tun und Gestalten gehört als dritte Frage zu den drei großen Themen einer Erziehung des Herzens. Ohne diese dritte Dimension pervertieren die beiden ersten Dimensionen in Richtung Narzissmus, Bequemlichkeit und Teilnahmslosigkeit. Schlusszusammenfassung Das sind die drei entscheidenden Konsequenzen aus der Wahrnehmung des Herzens als der Personmitte: Daseinsneugierde fördern und stärken, sich von der im Glauben an Gott wurzelnden Daseinsgewissheit tragen lassen und als Daseinsgestaltung das Doppelgebot der Liebe (Matthäus 22, 37–40) zu leben suchen. All dies hängt zusammen. Wer Gott nicht bewundert und verehrt, der wird auch ethisch dürftig handeln. Eine liebevolle Wahrnehmung der Wirklichkeit kann man nur aus der Dankbarkeit heraus entwickeln. Wir brauchen den engen Bezug vom Eros der Faszination zur Agape, die an den Anderen denkt und vom Anderen her denkt. Ohne Agape bleibt alles andere ein tönendes Erz. Ohne Agape bleibt nichts (1. Korinther 13, 1ff).
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Zwischen Passivität und Aktivität Response zum Beitrag von Siegfried Zimmer Christof Voigt In vier von fünf Punkten seines Vortrages „Bildung und Erziehung des Herzens“ behandelt Siegfried Zimmer das Herz. Dazu führt er kulturgeschichtliche, biologische und lebensweltliche Aspekte zum Stichwort „Herz“ auf. Er schließt diesen ersten Vortragsteil mit Beobachtungen zur Personmitte aus biblischer Sicht. In den aufgeführten Dimensionen versteht er das Herz als das Zentrum des Menschen, das bewegt wird – nicht aus sich selbst, sondern von einem anderen. Dieses passive Bewegtwerden der Personmitte des Menschen sei allem anderen, insbesondere dem Willen und dem Verstand, vorgeordnet, letztlich sei es ein Gefühl – und damit weithin unterschätzt. Dass die vielschichtige Betrachtung des Herzens in einem Vortrag mit den Titelbegriffen „Bildung und Erziehung“ einen solchen Umfang annimmt, dürfte – mit vollem Recht – der Absicht geschuldet sein, Bildung und Erziehung abzuheben und grundsätzlich zu unterscheiden von einer Schulbildung, die nicht auf den Menschen im ganzen, sondern auf einzelne Fertigkeiten abzielt, wie es z.B. die Leibeserziehung bzw. -ertüchtigung oder das Büffeln lateinischer Vokabellisten tun. Im zweiten Teil des Vortrages zieht Zimmer in seinem fünften und letzten Punkt aus der Betrachtung des Herzens die Folgerungen für die Erziehung unter den drei entscheidenden Stichworten: Daseinsneugierde, Daseinsgewissheit und Daseinsgestaltung. Dass auch in diesem Teil von Bildung und Erziehung explizit kaum die Rede ist, ist verständlich und löblich insofern, als diese (Mode-)Worte von aller Welt im Munde geführt werden und die Sache damit vielfach zerredet wird. Dass allerdings – außerhalb des Titels – „Bildung“ gar nicht weiter erwähnt und auch von „Erziehung“ nicht begrifflich unterschieden wird, das leuchtet mir nicht ein. Erziehung lässt doch sehr an Zucht und Tucht denken (vgl. „ziehen, züchten, züchtigen“: Wer zieht wen, warum und zu was hin? Und vgl. „tüchtig, taugen, Tugend“: Wer soll zu was ertüchtigt, tauglich gemacht werden?). Entscheidende Aspekte von Bildung und wesentliche Unterschiede zu Erziehung lassen sich leicht aus der Beachtung des Wortes selbst gewinnen:
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Das Substantiv Bildung ist zurückzuführen auf das reflexive Verb „sich bilden“. „Bilden ist sich bilden“ (Hartmut von Hentig). Bilden heißt, ein Bild, eine Form, eine Gestalt geben. Dies leistet in entscheidendem Sinn ein Mensch an sich und für sich selbst. Das lässt sich leicht an kleinen Kindern und gebildeten Erwachsenen verifizieren, die sich bilden. Keinesfalls ist Bildung ohne den Menschen oder gar gegen ihn zu erreichen. Ein solches transitives Verhältnis lässt eher an Erziehung, Unterrichtung, gar Abrichtung oder Konditionierung und wohl auch Ausbildung denken (wobei nicht ausgeschlossen ist, dass auch darin Momente von Bildung liegen mögen). Selbst der „Pädagoge“ ist im ursprünglichen Sinn des Wortes ein Sklave, der nichts anderes tut, als das Kind (pais) zur Schule und zurück zu führen (agoge). Nach wessen Bilde bildet sich der Mensch? Nach welchem Menschenbild? Oder bildet er sich nach dem Bilde Gottes? Das ist im Blick auf Bildung eine Kernfrage, denn auch hier gilt: „Du sollst dir kein Bildnis machen“ – nach Max Frisch vor allem nicht vom Menschen! Gibt es also überhaupt ein Urbild (eidos), dem der Mensch sich nachbilden sollte, oder sind allein Ab- oder Trugbilder (Ikonen und Idole) zur Verfügung, und das Bild entsteht erst im Sich-Bilden? Bildung ist ein Prozess. Deshalb ist die Rede von Bildungszielen kritisch zu beleuchten. Sind am Ende Tauglichkeiten für die Gesellschaft und deren Erfordernisse gemeint? Ein Ziel von Bildung könnte sein, ein Mensch von Bildung zu werden. Dies ist aber bestenfalls ein Zwischenziel, denn ein Gebildeter bildet sich unaufhörlich weiter. Der gebildete Mensch hat Interesse daran, „wie die Welt aus anderen Augen aussieht“, das „Fremde ist ihm eine Bereicherung“ (Robert Spaemann). Schließlich geschieht Bildung durch Arbeit an einem Stoff. Was das für ein Stoff zu sein habe, ist – zu Recht – Gegenstand von Auseinandersetzungen. Sicher kann das Sich-Bilden an großen Stoffen der klassischen Bildungstradition (welche sind das?) geschehen, andererseits dürfen primäre Erfahrungen und eigene Praxis nicht fehlen; und diese Dimensionen sollten dann noch ineinander greifen. Nach diesen Beobachtungen ergibt sich vor allem eine Frage an den Vortrag: Ist das Zusammenspiel von Passivität und Aktivität ausgewogen dargestellt? Siegfried Zimmer gibt der Passivität (dem Bewegtsein bzw. Bewegtwerden des Herzens) ein ganz deutliches Übergewicht; im Blick auf Aktivität (Aufgabe, Ethik, Moral) wird im letzten Absatz nur mehr angedeutet, dass sie in die Waagschale geworfen werden sollte. Dieser Unausgewogenheit entspricht, dass das Gefühl (passiv) gegenüber dem Willen und dem Verstand (aktiv) eine starke Aufwertung erfährt, ja gegenüber diesen wohl das Übergewicht haben soll. Darin, dass „der Mensch die Bewegtheit [Passivität] seines Daseins in seine ei-
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gene Regie nehmen will [Aktivität]“, bestehe nach biblischer Auffassung die Sünde. Dem ist sicher zuzustimmen. Aber was soll diese Aussage im Blick auf Bildung und Erziehung, gerade auch Bildung und Erziehung des Herzens? Die Beschreibung des Menschen als homo faber (der Mensch ist seines eigenen Glückes Schmied) trifft – so schlicht, wie sie ist – nicht zu, aber darum ist sie auch nicht einfach falsch. Bildung ist Sich-Bilden und damit Aktivität, vermutlich sogar ganz außerordentliche Aktivität, weil sie sich auf den aktiv sich Bildenden zurückbezieht (reflexiv ist). Zur Gegenüberstellung von Langeweile und Interesse stelle ich zwei Fragen: (1) Ist nicht denkbar und sogar zu beobachten, dass allerlei Interesseweckendes die Langeweile verdrängt, ohne sie zu überwinden, während aus der Langeweile bedeutsames Interesse erwachsen kann? Mit anderen Worten: Sind Langeweile und Interesse nicht aufeinander bezogen, ja aufeinander angewiesen? (2) Im Blick auf das Interesse scheint mir eine normative Größe vonnöten (so wie Zimmer sie beim Faszinosum andeutet). Eine Norm für das „wirklich Interessante“ wird kaum zu begründen sein, aber nicht alles, was einen der Langeweile entkommen lässt, ist deshalb per se interessant – jedenfalls nicht im Blick auf Bildung. Der Gebildete kann als einer verstanden werden, der in der ödesten Langeweile ohne äußeren Reiz etwas mit sich anzufangen weiß. Und das setzt ein Interesse an etwas voraus, das mehr ist als reizvolle Unterhaltung. Nota bene: Wenn alles mein Interesse wecken will, scheint mir Langeweile eine eigene Bedeutung zu gewinnen. Ich fasse meine Fragen bildhaft zusammen: Das Herz, das gebildet werden bzw. sich bilden soll, liegt zwischen Bauch (Gefühl) und Kopf (Verstand), und es liegt zwischen Kopf (Wille) und Hand (Aktivität). Wem steht es näher?
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Bildungs-Momente Alttestamentliche Anmerkungen anhand der Rede von „Frau Weisheit“ Jürgen van Oorschot I Bildung anlässlich des 150-jährigen Jubiläums einer theologischen Ausbildung zum Thema einer Tagung zu machen, kann angesichts der gegenwärtigen Debatten eine programmatische Aussage sein. Zugleich steht jeder, der heute über Bildung spricht, in der Gefahr wohlfeiler Allgemeinplätze. Wie oft haben wir es schon gehört, dass sich an der Bildung die Zukunft unserer Gesellschaft und unseres Wohlstands entscheidet. Aber lassen Sie es mich persönlich sagen: Wer, wie Sie in dieser Theologischen Hochschule oder wie ich ab kommenden Montag am Theologischen Fachbereich der Universität Erlangen, für konkrete Berufe auszubilden hat und dazu Theologinnen und Theologen heranbildet, der kommt mit allgemeinen Beschwörungen oder Reformaktionismus nicht wirklich weiter. Er braucht vor allem eine Vorstellung von dem, was Ausbildung und Bildung im Kern ist und in welcher Beziehung beides in seinen konkreten Bereichen zueinander steht. Nun haben Sie zu diesem Vortrag keinen Bildungstheoretiker oder Pädagogen eingeladen, sondern einen Alttestamentler. Der könnte innerhalb des Rahmenthemas dieser Tagung von der Heranbildung des Menschen zum Bild Gottes anhand von Genesis 1 reden, also von Bildung im Rahmen einer alttestamentlichen Schöpfungstheologie. Da Sie diesen Zugang jedoch im Zweifel von den theologischen Leitgedanken des Bildungsverständnisses der Evangelisch-methodistischen Kirche her kennen, möchte ich einen anderen Akzent setzen. Wir werden einen Blick auf die alttestamentliche Weisheit werfen und anhand von Proverbia (Prv) 1–9 nach dem Potenzial dieser frühjüdischen Konzeption für unsere theologischen und pädagogischen Debatten fragen: Bildungsmomente.
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II Nun liegt es nahe, beim Thema Bildung auf die Weisheit des Alten Orients 1 und diejenige des Alten Testaments zu sprechen zu kommen. Verbindet doch der hebräische Begriff der chokmah, was in unserer Sprache in so unterschiedlichen Worten wie Wissen, praktische Fertigkeit, Klugheit oder Ur2 teilskraft ausgesagt wird. Dahinter stehen recht basale Zusammenhänge. Erfahrung und Sachverstand befördern das Leben des Einzelnen sowie der Gemeinschaft. Wer entsprechend über handwerkliche, seelische oder intellektuelle Fähigkeiten verfügt, den nennt das Alte Testament einen weisen Mann (Kohelet 12, 9–11) oder eine weise Frau (2. Samuel 14, 2; 20, 16.22). Diese Art lebenspraktischer Erfahrungsweisheit findet sich in allen Kulturen 3 des Vorderen Orients, und nicht allein dort. Fasst man Weisheit mit Ger4 hard von Rad als „eine ganz elementare Form der Lebensbemächtigung“ , so lässt sie sich nicht auf Berufs- oder Standesweisheit in den Kreisen von Hof und Tempel eingrenzen. Neben der Bildungs- und Kunstweisheit eines sich sukzessive etablierenden Königtums des 1. Jahrtausends v.Chr. gab es in Israel und Juda immer auch eine Sippen- oder Volksweisheit. Ausbildung zum Schreiber, wobei die jungen Männer mit Grundtexten ihrer Kultur und ihrer Religion in Berührung kamen, sowie die Erziehung der heranwachsenden Frauen durch Mütter und Großmütter und der Männer durch die Väter und Großväter – dies sind die selbstverständlichen Orte, an denen Weisheit erworben wird. Dabei kommen uns aus den Worten der Weisheit Israels eine große Offenheit und ein erwartungsvoller Optimismus entgegen. Es lohnt sich in dieser Welt zu leben. Man darf getrost neugierig sein auf das, was der jeweilige Tag für einen bereithält. Wenn man nur mit offenen Augen durchs Leben geht und nicht arrogant die Ohren vor jedem guten Rat verschließt, dann gewinnt man nach und nach Durchblicke. Man erlangt sowohl den nötigen Sachverstand in den praktischen Fragen des Alltags als auch die tie1
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Als schöne Einführung vgl. James L. Crenshaw, Old Testament Wisdom: An Introduction, Atlanta 1981. Zur frühjüdischen Literatur vgl. exemplarisch Frank Ueberschaer, Weisheit aus der Begegnung. Bildung nach dem Buch Ben Sira (BZAW 379), Berlin und New York 2007. Darüber informieren die einschlägigen Lexikonartikel Willi Schottroff, Artikel jd‘, ThWAT I, Sp. 682–701, und Jan Bergmann/G. Johannes Botterweck, Artikel jada‘, THAT III, Sp.479–512. Aleida Assmann, Weisheit (Archäologie der literarischen Kommunikation 3), München 1991, und Frank Ueberschaer, a.a.O., 61–87. Gerhard von Rad, Theologie des Alten Testament I, München 41962, 433.
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fere Einsicht. Beides nennen die Alten Weisheit. Und diese Weisheit erschließt sich mitten im alltäglichen Geschäft. Prv 8, 1–11 führt sie in entsprechender Weise ein. Auf den Höhen, am Weg, wo die Straßen sich kreuzen (V. 1), findet man sie genauso wie an den Stadttoren, an denen jeder vorbeikommt (V. 2). Dort auf den Straßen lässt die Weisheit auch ihre Mahnung hören – und der ist ein Narr, der ihr Rufen überhört: Durchblick und praktische Fertigkeit sowie die Lebenserfahrung und die Urteilskraft, aus dem dies erwächst, sind keine Geheimwissenschaft. Sie ist nicht die Sache von Experten, weil doch alles so kompliziert ist und am Ende nur die verwirrenden Meinungen der Fachleute gegeneinander stehen. Die alten Sprüche enthalten eher andere Botschaften: Trau dir ein Urteil zu! Sei neugierig! Mach deine Erfahrungen! Hör auf den Rat anderer! Hier begegnet uns ein Interesse an der Welt, ein Wissens- und Erfahrungsdurst: Der Erwerb von Erkenntnis ist besser als Gold und Erwerb von Einsicht wertvoller als Silber. (Prv 16, 16) Tiefes Wasser ist das Planen im Herzen des Menschen, aber ein einsichtsvoller Mensch schöpft es. (Prv 20, 5) Habe Umgang mit Weisen, so wirst du weise. (Prv 13, 20a)
III Nun vollzieht sich in der Traditionsgeschichte des Alten Testaments eine spannende Entwicklung. Ab dem 5. Jahrhundert v.Chr. und d.h. mit dem sich nach und nach etablierenden Judentum zeigt sich ein deutlicher Einfluss der Weisheit auf verschiedenste Bereiche der frühjüdischen Literatur und Religion. So gehaltvolle Psalmen wie Ps 39 oder 90 und ganze Psalmensammlungen wie die Korachpsalmen sind ohne weisheitliches Denken nicht vorstellbar. Unter dem Einfluss der Weisheit entwickelt sich die Prophetie zur Apokalyptik; ohne letztere ist das Neue Testament nicht denkbar. Und im 2. Jahrhundert v.Chr. schafft Ben Sira eine grandiose Synthese von Weisheit und Tora, die Erfahrung und Offenbarung zusammen bindet. Sirach 24 ist dafür ein beredtes Beispiel. In den Zusammenhang dieser Durchdringung des alttestamentlichen Glaubens und Schrifttums mit weisheitlichen Gedanken und Impulsen gehört nun auch die Gestalt der Frau Weisheit im Buch der Sprüche. Sie tritt uns in Kap. 1–9 als eine Frau entgegen, die sich selbst vorstellt und uns immer wieder direkt anspricht. Ich möchte ihnen nun zwei exemplarische
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Texte aus diesem Bereich vorstellen. Anschließend möchte ich mit Ihnen danach fragen, welche Konsequenzen sich daraus theologisch und für die Fragen nach der Bildung ziehen lassen. Aber hören wir zunächst auf die erste Rede der Weisheit in Prv 1, 20–33: (Die) Weisheit ruft laut auf der Gasse, auf den Plätzen erhebt sie ihre Stimme. An der Ecke der lauten Orte ruft sie, an den Öffnungen der Stadttore spricht sie ihre Worte: „Wie lange noch, ihr Unerfahrenen, liebt ihr die Einfalt, haben die Frechen Gefallen an ihrer Frechheit und hassen die Dummen die Erkenntnis? Kehrt ihr zurück zu meiner Mahnung, siehe, (dann) werde ich für euch meinen Geist überquellen lassen; ich werde euch meine Worte erkennen lassen. Weil ich rief und ihr euch geweigert habt, ich meine Hand ausstreckte und niemand aufmerkte, ihr nicht beachtet habt all meinen Rat, und meine Mahnung nicht wolltet, (darum) werde ich mich über euer Unglück freuen, werde spotten, wenn euer Unheil kommt. Wenn wie Verderben euer Unheil kommt, und euer Unglück wie ein Sturmwind naht; wenn über euch Not und Bedrängnis kommen, dann werden sie mich rufen, aber ich werde nicht antworten; sie werden nach mir suchen, aber sie werden mich nicht finden. Da sie (die) Erkenntnis hassten und die Furcht JHWHs nicht erwählten, nicht wollten meinen Rat, all meine Mahnung verschmähten, werden sie essen von der Frucht ihres Weges und sich sättigen an ihren (eigenen) Ratschlägen. Denn die Abtrünnigkeit der Unerfahrenen tötet sie, und die Sorglosigkeit der Dummen vernichtet sie. Wer aber auf mich hört, wohnt in Sicherheit und lebt in Ruhe vor verderbendem Unheil.“
Auftritt und Botschaft der Frau Weisheit sind gleichermaßen ungewöhnlich. Mitten in der Stadt, auf den engen Gassen und auf dem Platz am Tor ruft sie. In der lärmenden Geschäftigkeit einer orientalischen Stadt finden wir sie
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und nicht in der Zurückgezogenheit einer Schreiberschule nahe des Tempels oder des Palastes. Sie will da gehört werden, wo das alltägliche Leben stattfindet. Und dabei ist sie nicht die erste in Israel, die solche Orte aufsucht. Schon die Propheten werden uns so geschildert, etwa ein Jeremia (Jeremia 11, 6; 7, 2; 26, 2; 17, 19f; 22, 2–6). Wenn sie im Weiteren zur Umkehr ruft und für den Fall, dass man sie nicht ernst nimmt und ihr nicht zuhört, den Menschen Unheil ansagt – dies zeigt, dass hier die Weisheit eine altbekannte Rolle übernimmt, nämlich die der Propheten. Wie in den zahlreichen Büchern, die seit dem 6. Jahrhundert v.Chr. in Juda von den Propheten mehr und mehr zu lesen sind, redet sie den Menschen ins Gewissen. Dabei kann sie ganz, wie es sonst Gott selbst tut, ihr Schweigen in Aussicht stellen. Das Schlimmste, was die Menschen zu erwarten haben, ist eine ausbleibende Antwort. Sie rufen und keiner reagiert. Wenn wie Verderben euer Unheil kommt, und euer Unglück wie ein Sturmwind naht; wenn über euch Not und Bedrängnis kommen, dann werden sie mich rufen, aber ich werde nicht antworten; sie werden nach mir suchen, aber sie werden mich nicht finden. (Prv 1, 27–28)
Wenn Gott derart verstummt, ist Zeit des Gerichts, wie man in Jesaja 50, 2; 66, 4 oder 65, 12 (Psalm 22, 3) nachlesen kann. Dass sich darin ein unerfüllt bleibendes Liebesverhältnis ausdrückt, macht der Seitenblick auf das Hohelied der Liebe, auf Hoheslied 5, 6b deutlich: „Ich suchte ihn, aber ich fand ihn nicht; ich rief ihn an, aber er antwortete nicht.“
Worauf alles abzielt, das erfahren wir am Schluss der Rede: Wer aber auf mich hört, wohnt in Sicherheit und lebt in Ruhe vor verderbendem Unheil.
Wie man gut daran tut, auf eine Lehrerin zu hören, um vor einer Prüfung nicht die entscheidenden Hinweise zu verpassen, so gilt es angesichts der realen Lebensprüfungen, die jeden Tag bevorstehen können, auf Frau Weisheit genau zu achten. Wer dies tut, wird ohne Gefahr und in Sicherheit leben, ganz wie es Israel wiederholt als Verheißung in Wendungen in Aussicht gestellt wurde, die in deuteronomistischer (dtr), also in der auf das Deuteronomium zurückgehenden Tradition begegnen (Deuternomium 33, 12.28; Jeremia 23, 6; 33, 16; Psalm 16, 9).
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Mit gleicher Zielsetzung tritt die Weisheit noch einmal am Ende der Einheit in Kap. 9 auf. Nun finden wir sie als Hausbesitzerin und Gastgeberin. Aber hören Sie selbst: (Die) Weisheit hat ihr Haus gebaut; sie hat ihre sieben Säulen herausgehauen. Sie hat ihr Schlachtvieh geschlachtet, sie hat ihren Wein gemischt; auch hat sie ihren Tisch bereitet. Sie hat ihre Mägde geschickt; sie ruft herbei auf den gewölbten Höhen der Stadt: „Wer ein Unerfahrener ist, biege hierher ab!“ Wem es an Verstand mangelt, zu dem spricht sie: „Kommt, nährt euch von meiner Nahrung und trinkt vom Wein, den ich gemischt habe! Verlasst die Unerfahrenen und lebt und wandelt auf dem Weg der Einsicht!“ (Prv 9, 1–6)
Nun wird nicht drohend auf die Konsequenzen hingewiesen, die jemand zu erwarten hat, der die weisheitliche Belehrung überhört; vielmehr wirbt hier eine spendable Gastgeberin. Sie hat ein stattliches Haus gebaut und aufwendig ein Festmahl vorbereitet. Wer wird sich da nicht einladen lassen! Und dann durchbricht die Rede das gewählte Bild und kommt auf die Sache selbst zu sprechen: Kommen sollen vor allem die Unerfahrenen, die der Einsicht bedürfen. Sie sollen auf das große Bankett kommen, denn um eine solch besondere Feier handelt es sich, wenn Wein gereicht und ein Rind geschlachtet wird. Vom Aufbau des Sprüchebuches her liegt es nahe, diese fulminante Einladung auch als Lektürehinweis zu verstehen. Am Ende der einleitenden Kap. 1–9 gibt Frau Weisheit die Richtung an. Ihr Haus ist errichtet und wer immer will, kann hier ein gehaltvolles und festliches Leben finden. Bedingung ist allein: Er muss in Richtung Weisheit abbiegen und sich auf ihre Wege einlassen. Fassen wir diesen Auftritt der Frau Weisheit noch einmal zusammen, so ist zweifelsfrei festzuhalten, dass uns in Gestalt dieser Figur eine Mittlerin vorgestellt wird. Ganz aus der Nähe Gottes selbst kommend – hier wäre eigentlich ausführlich über Kap. 8 zu handeln, in dem uns die Frau Weisheit spielend vor Gott präsentiert wird, während dieser inspiriert von ihr die Welt erschafft5 – ganz in Gottes Nähe also und im Gewand der alten Propheten erscheint sie. 5
Gerlinde Baumann, Die Weisheitsgestalt in Proverbien 1–9 (FAT 16), Tübingen 1996, und Jürgen van Oorschot, Grenzen der Erkenntnis als Quellen der Erkenntnis – ein alttestamentlicher Beitrag zu Weisheit und Wissenschaft, in: ThLZ 132 (2007), 1277–1292.
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IV Was vermittelt sie uns? Teilt sie uns eher etwas von Gott mit, wie Hartmut Gese es annimmt, oder legt sie die Ordnungen und Sinnzusammenhänge der Welt offen, wie nicht minder prominent Gerhard von Rad in seinem 6 wunderschönen Buch zur Weisheit behauptet? In diesen Alternativen bewegt sich die wissenschaftliche Debatte. Wir werden gleich theologisch zu fragen haben, ob dies wirklich eine Alternative ist. Befragen wir aber zunächst Prv 1–9 selbst, ob diese Kapitel uns in dieser Frage Auskunft geben: Zunächst gilt es festzuhalten, dass in diesen Kapiteln die Gottesfurcht gleich an zwei Stellen als Ausgangspunkt der Weisheit vorgestellt wird. Anfang/Ausgangspunkt der Weisheit ist die Gottesfurcht 7 und Erkenntnis des Heiligen ist Einsicht. (Prv 9,10)
Gott als Gott anzuerkennen – dies wird damit zum Fundament von Lebensklugheit und Erkenntnisgewinn. Das Gottesverhältnis ist in dieser Konzeption Ausgangssetzung, Apriori von Wissen und Wissenschaft. Nun behauptet Anette Schellenberg unter Verweis auf Prv 2, 5f, dass das Gottesverhältnis zugleich wiederum Ergebnis aller Erkenntnisbemühung ist. „JHWH ist es, der Weisheit und Erkenntnis gibt. Damit ist klar, warum alle Weisheits- und Erkenntnissuche letztlich zu Gott führen muss (V. 5), die ‚JHWH-Furcht‘ in 1, 7 und 9, 10 aber gleichzeitig auch als ‚Anfang der Weisheit‘ bezeichnet werden kann.“8 Wozu führt Erkenntnis? Exakt auf diese Frage will Kap. 2 des Sprüchebuches Auskunft geben, wenn es fünf Auswirkungen der Weisheitsbemühung anspricht. Eine davon hält V. 5a fest: „Dann verstehst du die Furcht JHWHs und findest Erkenntnis Gottes.‘‘ Die Formulierung legt nun jedoch die Frage nahe, ob der Akzent nicht doch ein anderer ist, als Schellenberg annimmt. Soll Erkenntnis wieder zu Gott führen, also Frömmigkeit und Gottesbeziehung stärken oder geht es in dieser Aussage nicht eher um ein Verstehen und Einsehen? Gedanklich klar wird das Apriori, die Ausgangssetzung, in ihrer Bedeutung dem Wissenden erschlossen sein. Die vorliegende Sentenz ist für eine Deutung in dieser 6
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In der Weisheitsgestalt offenbare sich die Schöpfungsordnung selbst. „Dieses weltimmanente Etwas, das die Texte ‚Weisheit‘ nennen, können wir nur umschreiben.“ – Weisheit in Israel, Neukirchen-Vluyn 1985, 204. Vgl. Prv 1, 7. Annette Schellenberg, Erkenntnis als Problem. Qohelet und die alttestamentliche Diskussion um das menschliche Erkennen (OBO 188), Freiburg/CH und Göttingen 2002, 220.
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Weise offen, ohne dass man allein aus dieser Stelle heraus entscheiden könnte, ob !yBi (bin) und t[;D: (da'at) hier eher als gedankliches Erfassen oder in einem umfänglicheren Sinn als Beziehung zu Gott verstanden werden sollen. Die damit zur Entscheidung stehende Frage ist nicht unwichtig für das Verständnis der Konzeption. Worauf zielt Erkenntnissuche und Bildungsbemühung im Sinn der redaktionellen Ergänzer, die Prv 1–9 einem älteren 9 Sprüchebuch als Einleitung vorangestellt haben? Ist sie ausschließlich eine Funktion des Gottesverhältnisses oder kommt ihr auf der Basis einer Anerkenntnis Gottes eine eigene Bedeutung zu? Vor wem oder was steht der Wissensdurstige am Ende – vor Gott oder vor der Weisheit? Wenden wir uns mit dieser Frage einer inhaltlichen Skizze des Weisheitsmodells zu, das die Ergänzer der Zwischenstücke in Prv 1–9, also u.a. die Verfasser der Ich-Reden von Frau Weisheit mit ihrer Darstellung der personifizierten Weisheit einer skeptischen Gottesfurcht entgegenhalten. Sie fügen neben den beiden schon vorgestellten Abschnitten und mit Kap. 8 markante Texte in Form von Lehrreden ein, die eine klare textpragmatische Ausrichtung haben: die Erziehung und Bildung junger Männer. Die weisheitlich meist vorausgesetzte Erziehungssituation wird in Prv 1–9 auch ausdrücklich angesprochen, was diese Reden vom älteren Gut des Sprüchebuches unterscheidet. Sie transportieren dabei eine doppelte Botschaft für ihre Leser: Gott gibt Weisheit. Der Mensch muss nach ihr streben. Diese „Doppelstruktur“10 wird in den Abschnitten zur personifizierten Weisheit nun weitergehend interpretiert. Besehen wir uns die Art dieser Fortentwicklung anhand des prominenten Abschnitts in Prv 8, 22–31. In ihm tritt die als Frau gezeichnete Weisheit auf und führt sich als erstes Geschöpf Gottes ein. Vor allem Anderen entstand sie und war so anwesend, als Gott die Welt schuf. Diese Präsenz wird nun noch weitergehend bestimmt: Als er die Fundamente der Erde feststeckte, da war ich neben ihm als Schoßkind, und ich war Vergnügen Tag für Tag, spielend vor ihm die ganze Zeit, spielend auf seinem Erdkreis und mein Vergnügen (war/ist es) bei den Menschen (zu sein). (Prv 8, 29b–31)
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Zu den Fragen der Entstehung des Buches vgl. Markus Witte, in: Jan Christian Gertz (Hg.), Grundinformation Altes Testament, Göttingen 2006, §14, 422–434. Schellenberg, a.a.O., 223, spricht an dieser Stelle von einer „Doppelstruktur“.
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Zweierlei möchte ich mit Blick auf das Verhältnis der Weisheit zu Gott und zu den Menschen in dieser Konzeption hervorheben. Der Abschnitt stellt zum einen explizit eine Parallelität zwischen Gott und den Menschen her. So wie die Weisheit während der urzeitlichen Erschaffung der Welt Tag für Tag Vergnügen war und vor Gott spielte, so war und ist sie es bei den Menschen. Letztere Formulierung ist aufgrund der nominalen Konstruktion zeitlich unbestimmt, woraus sich die temporale Offenheit von der Urzeit hin zur Jetzt-Zeit ergibt. Zum anderen – und dies ist aus der Textpragmatik zu schließen – impliziert der Abschnitt eine weitere Parallelität: So wie die Weisheit vor Gott anwesend war, als er schöpferisch handelte, so soll sie auch beim Menschen anwesend sein, wenn er handelt. Denn damit wäre der pragmatische Sinn all der Einleitungssentenzen erreicht: der belehrte junge Mann, der weise agiert und redet. Genau diesen Zielpunkt benennt nun auch der Abschluss des 8. Kapitels, also die Verse, die im direkten Anschluss auf das gerade Gehörte folgen. Glücklich ist der Mensch, der auf mich hört, und glücklich, die meine Wege beachten, indem sie achtgeben auf meine Türen Tag für Tag, indem sie die Pfosten meiner Türöffnungen bewachen. Er erhält Wohlgefallen von JHWH her. Aber wer mich verfehlt, der tut sich selbst Gewalt an. (Prv 8, 34.32b.35f)11
Schon der Makarismus macht auf die Nähe dieser Aussage zu Ps 1 und dessen Toratheologie aufmerksam. Auch die Wegmetaphorik verbindet diese 12 Stelle mit der entsprechenden Schicht des Psalters. Solche Parallelität bereitet die spätere Identifizierung von Weisheit und Tora vor, wie wir sie dann im Sirachbuch finden. Schon hier ist nun Weisheit eine ethische und religiöse Größe. Sie dient der angemessenen und richtigen Lebensführung und steuert das Gottesverhältnis. An der Stellung zur Weisheit nämlich – und diese Zuspitzung überrascht dann doch – entscheidet sich die Stellung 13 JHWHs zum Menschen. Sein „Wohlgefallen“ erhält derjenige, der die Weisheit achtet. Gerlinde Baumann schreibt zu dieser Stelle: „In Prov 8, 32–36 spricht die Weisheit mit einer Vollmacht, die sonst nur JHWH für 11
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Zur Versumstellung vgl. ausführlich Rolf Schäfer, Die Poesie der Weisen. Dichotomie als Grundstruktur der Lehr- und Weisheitsgedichte in Proverbien 1–9 (WMANT 77), Neukirchen-Vluyn 1999, 224–227. Vgl. etwa Psalm 1, 1f und 119, 1f – dazu Baumann, a.a.O., 156f. Neben einer kultischen Verwendung dient der Begriff vor allem zur Kennzeichnung zwischenmenschlicher Verhältnisse oder – anlog – des Verhältnisses zwischen Gott und Israel bzw. einzelnen Frommen.
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sich in Anspruch nimmt.“ Weisheit wird damit zum Dreh- und Angelpunkt von Ethos und Gottesverhältnis, indem sie sowohl Zugang als auch Inhalt zu beidem steuert. Lassen sie mich daraus vier Schlussfolgerungen ziehen: 1. In der skizzierten weisheitlichen Replik auf die skeptische Gottesfurcht gibt es kein direktes Gegenüber von Gott und Mensch, sondern nur 15 dasjenige von Mensch und Weisheit. 2. Die mit der metaphorischen Einkleidung dieser personifizierten Weisheit gemeinte Sache erschließt sich beim Blick auf den Kontext, nämlich auf die Funktion von Prv 1–9 als einer Einleitung zur vorliegenden Erfahrungsweisheit sowie parallel aus der Textpragmatik: Der Mensch soll analog zu Gott inspiriert durch die Weisheit handeln. 3. Die Weisheit steuert den Zugang zum Ethos und zu Gott und spiegelt zugleich den Inhalt des Ethos. In dieser Weise ist die Weisheit nun Gegenüber und Grenze des Menschen. 4. In der Konsequenz bedeutet dies, dass der Mensch als derjenige, der sich um Wissen und Erkenntnis mühen soll, selbst Grenze dieser Konzeption ist. Auf der Ebene der Bildsprache ist es die Gestalt der Weisheit, die dem Menschen erschließend oder verweigernd entgegentritt. War in den weisheitlichen Schriften Kohelets oder des Hiobbuches Gott die Grenze, ist es nun die Weisheit selbst, mit der es der Mensch zu tun bekommt. Ohne Bild gesprochen, ist der nach Erkenntnis suchende Mensch auf sich selbst verwiesen. Er hört, sieht und nimmt anderweitig wahr – oder eben nicht. Er deutet, versteht und erschließt sich Wirklichkeit – oder eben nicht. Wenn es ihm gelingt, dann ist auch Gott mit seinem Wohlwollen an seiner Seite – und wenn nicht?16 Der Erkenntnisoptimismus dieser Konzeption erfordert zugleich einen anthropologischen Optimismus. Fehlt einer von beiden, dann verlieren die ins Zentrum gerückte Weisheitsgestalt ihren Glanz und ihr Rufen und Agieren seine Überzeugungskraft. 14 15
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Baumann, a.a.O.,171. Von der Weisheit als einer Eigenschaft Gottes kann man in dieser Konzeption nur sprechen, wenn man mit Martin Neher, Wesen und Wirken der Weisheit in der Sapientia Salomonis (BZAW 333), Berlin und New York 2004, 49, das spezifische Aussageprofil von Prv 8 durch den älteren, umgebenden Kontext nivelliert. Die Grundstruktur dieser Konzeption hat eine Parallele in Luthers Ausführungen zu Römer 3,5, in denen er Gott und den Glauben des Menschen in ein entsprechendes Verhältnis bringt. Dies lässt sich auf die kurze Formel bringen: Den Gott, den du glaubst, hast du auch. – Vgl. Carl Heinz Ratschow, Von den Wandlungen Gottes, in: Ders., Von den Wandlungen Gottes, Berlin und New York 1986, 117–139.
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Deutlich ist damit, in welch starker Stellung uns die Weisheit in diesen Abschnitten des Sprüchebuches begegnet. Über sie vermittelt sich Ethik und Gottesverhältnis. V Nicht minder spannend ist die Frage, wie sich uns die Weisheit vermittelt. Viele der Aussagen, die wir dazu in den besehenen Texten finden, verwenden metaphorische, bildhafte Aussageformen, die noch einmal darauf befragt werden müssen, welche Sachaussage denn hier gemacht werden soll. Das Hören auf die Frau Weisheit – wie und in welchen Vorgängen vollzieht es sich? Beantwortet man die Frage aus der nachfolgenden Traditionsgeschichte des Judentums und nachfolgend auch des Christentums heraus, so lässt sich eine Linie herausheben, die zumindest den Protestantismus und das aus ihm heraus erwachsene Freikirchentum bis heute geprägt hat. Die mit der Tora, den Weisungen Gottes gleichgesetzte Weisheit, vermittelt sich durch das Hören. Nach dem Ende des frühen Judentums durch die römische Zerstörung des Zweiten Tempels in Jerusalem im Jahr 70 n.Chr. dominiert fortan die jüdische Gruppierung des schriftgelehrten Pharisäismus. Damit erfolgt die Identifikation von Tora und Weisheit, geschichtlich gesehen, auf Kosten der traditionellen Erfahrungsweisheit. Den Zugang zu Weisheit und Gebot eröffnet nunmehr die heilige Schrift, konkret die schriftgelehrte Auslegung derselben. Die aus dieser Weichenstellung im Judentum und im Christentum erwachsene Tradition hört auf die Schrift, will sie Gott und Welt verstehen. Welches Licht fällt auf diese Tradition von unseren Texten her – von Frau Weisheit her? – so möchte ich nun mit Ihnen gemeinsam fragen. Dazu will ich vier Thesen präsentieren, die zugleich eine Ausweitung der bisherigen Überlegungen auf das Rahmenthema dieser Tagung wagen. VI These 1 Die Figur der Weisheit in Prv 1–9 verbindet die Dimension von Erziehung und Bildung und damit das passive Moment der Rezeption von Erfahrung und Tradition einerseits mit dem aktiven und produktiven Moment der Konstruktion von Einsicht und der Selbstbildung andererseits.
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Die Aussagen des Sprüchebuches verbinden in ihren ersten neun Kapiteln scheinbar widersprüchliche Bestimmungen. So wird Weisheit einerseits elementar als aus der Beziehung des Kindes bzw. des Heranwachsenden zu seinen Eltern verstanden. So wie jeder Mensch seine körperliche Existenz seinem Vater und seiner Mutter verdankt, so gilt dies analog auch für seine kulturelle Einführung ins Leben. In der Sprache der Sprüche heißt dies: Bewahre, mein Sohn, das Gebot seines Vaters, und gibt die Tora deiner Mutter nicht auf! (Prv 6, 20).
Zum einen entspricht dem als weise und d.h. lebenskluge Haltung die Rezeptivität. Auf Weisheit und Gebot gilt es zu hören (Prv 5, 1 und 3, 1). Zum anderen kann dieselbe Einführung ins Sprüchebuch beredt das aktive Bemühen des Menschen einfordern. In immer neuen Anläufen wirbt sie darum, dass er sich um Einsicht und um den Erwerb von Fertigkeiten bemüht. So nahe liegend wie ihm ein Zugewinn an Besitz und Reichtum ist, so nahe liegend soll ihm die Mühe um Verstehen und Handlungsgewinn sein (Prv 3, 13–15). Besieht man sich die vorliegenden Abschnitte in Prv 1–9 insgesamt, so wird man sagen können, dass von Sirach 24 her gesehen mit diesen Reden ein Schritt in Richtung einer Verbindung von Erfahrungswissen und Tora, von Weisheit als elementarem Gut aller Menschen vermittelt durch ihr primäres Lebensumfeld und Weisheit in Gestalt geoffenbarter Weisung am Sinai vorliegt. Entsprechend finden wir die Weisheitsfigur in Prv 8, 22ff mit Zügen ausgestattet, die sonst nur Gott eignen, und zugleich als Bezugsfigur eingeführt, an der sich Lebenserfolg wie Gottesbeziehung entscheiden. These 2 Folgt man der Grundstruktur, dann stellt sich für die Konzeption von Ausbildung und Bildung damit die Aufgabe, die Momente von Erziehung, Wissensvermittlung einerseits und Bildung, Selbstbildung andererseits in ein angemessenes Verhältnis zu bringen. Auf keines dieser Momente kann verzichtet werden. Oft sind Debatten um Bildung und Ausbildung durch vordergründige Gegensätze gekennzeichnet. Geht es in Bildungs- und Ausbildungsprozessen um Wissensvermittlung oder um die Prägung von Persönlichkeiten? Soll dabei der Akzent auf die Erziehung durch andere oder auf die Selbstbildung gelegt werden? Diese und andere Oppositionen lösen sich rasch auf, wenn man beginnt, nach dem Alter, den mitgebrachten Voraussetzungen der Beteiligten, nach der jeweiligen Zielstellung der Aus- oder Weiterbildung,
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kurzum nach dem Beitrag zu fragen, den dieser Prozess oder jener Bildungs- bzw. Ausbildungsgang leisten kann und soll. Solchen differenzierenden Fragen verschließen sich Beteiligte häufig nur dann, wenn ihre Interessenlage es ihnen nahe legt oder wenn eine Weltanschauung oder Ideologie ihnen die Feder führt. Ansonsten lässt sich etwa Erziehung nicht ohne Selbstbildung denken und umgekehrt. Wenn in diesen Tagen landauf landab neue Grund-, Aufbau- und Ergänzungsstudiengänge mitsamt ihren Bauelementen, den Modulen, konzipiert werden, sollten sich die Verantwortlichen selbst nicht unterfordern. Es kann, wie die Hochschulrektorenkonferenz am 22. April 2008 meinte, als neuen Reformschritt aus der Taufe heben zu müssen, in Studienprozessen nicht allein um Wissensvermittlung gehen. Auch wenn man das Wortungetüm „studierendenzentrierte(n) Lehrstrategien“17 dazu nicht bräuchte, entdeckt die Versammlung der Rektoren und Präsidenten deutscher Universitäten und Fachhochschulen 2008 etwas neu, was in der Tat eine gute Ausbildung ausmacht: Sie vermittelt nicht nur Wissen und Fertigkeiten, sondern prägt eine Person und aktiviert deren Potenziale, fordert sie und befördert ihre Möglichkeiten. Es bedürfte nicht der politisch motivierten Emphase solcher Stellungnahmen, die eigene Innovationsfähigkeit durch eine Negativzeichnung des vermeintlich Traditionellen hervorheben will, um das Gewicht beider Momente zu unterstreichen: „Lehrstrategien und -konzepte müssen heute durchgängig darauf ausgerichtet sein, die Studierenden als selbständige, eigenverantwortliche Lerner anzusprechen und herauszufordern. Diese studierendenzentrierten Lehrmethoden und -strategien erweisen sich – so der heutige Stand der Unterrichtsforschung – als wesentlich effektiver als traditionelle Formen der Wissensvermittlung.“18 Hier erfolgt wohl weniger der Verweis auf etwas Neues als vielmehr die Wiederentdeckung von Einsichten, die schon hinter den schlichten Empfehlungen eines Schleiermacher und Humboldt an den Preußischen König zur Neugründung der Berliner Universität standen. Die heutige Herausforderung besteht nun vor allem darin, unter den verschärften Bedingungen eines durch Module elementarisierten, schulähnlichen und segmentierten Studierens Prozesse der Eigenverantwortlichkeit, der Wahrnehmung größerer Zusammenhänge zu initiieren und dafür die Freiräume zu erkämpfen, die erst die Zeit für eigene Neugier und manchmal herausfordernde Persönlichkeitsprozesse schaffen. Dass dies 17
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Für eine Reform der Lehre in den Hochschulen, Stellungnahme der Mitgliederversammlung der HRK vom 22.4.2008, Überschrift zu Pkt. 1: http://www.hrk.de/109_4298.php? datum=3.%20Mitgliederversammlung%20am%2022.%20April%202008 – 13.6.09. Ebd. – Pkt.1 (1).
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auch die Herausforderung an den neuen Theologischen Fachhochschulen ist, brauche ich an diesem Ort nicht näher auszuführen. Zu fragen ist allerdings, was die jeweils Beteiligten wollen. Diese Frage steigt manchmal bei einem Lehrenden im Gegenüber zu den Studierenden auf. Wie viel Eigenständigkeit ist gewollt und wie viele Vorgaben und Elementarisierungen werden gewünscht? Die individuellen Antworten fallen ganz offensichtlich verschieden aus. Auch die Entscheidungsträger, welche die strukturellen Vorgaben einer Ausbildung zu verantworten haben, müssen so angefragt werden. Was wollen sie – etwa an dieser Theologischen Ausbildungsstätte? Geht es allein um eine Berufsausbildung und/oder dabei auch immer um eine „Menschen- und Christen-Bildung“? Welches Pastorinnen- und Pastorenbild steht hinter den Ausbildungsgängen? In der Pastoraltheologie gibt es dazu lang anhaltende Debatten. These 3 Bildung braucht Spiel-Räume des Gesprächs, des Austausches, Räume der Neugier und Anerkennung sowie des wertschätzenden Umgangs miteinander. Die Weisheit stellt sich in Prv 8 als spielende junge Frau vor Gott und Menschen dar. Ist dies nur eine schöne Einkleidung, eine anrührende Metapher oder kann diese Rede etwas für die Sache von Ausbildung und Bildung bedeuten? Wie steht es, weiter gefragt, um das Spielen in Wissenschaft und Forschung an einer Fachhochschule wie der hiesigen? Gibt es einen Raum zum Spiel mit Denk- und Handlungsmöglichkeiten; einen Raum, um neue Gedanken und Handlungsoptionen hervorzubringen und auszuprobieren? Sicher werden Sie sagen, dass exakt darin doch kreative Forschung – jedenfalls in vielen Bereichen – besteht. Und doch: Sind die Räume unseres Forschens und Lehrens in ausreichendem Maße Spielräume? Zum Spiel, wie es Kinder praktizieren,19 gehört der geschützte Raum, der durch zu verantwor
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Eine Zusammenfassung der psychisch relevanten Aspekte des kindlichen Spiels liefert Rolf Oerter, Zur Psychologie des Spiels, Psychologie & Gesellschaftskritik 31 (4), 2007. Danach gibt es in diesem Zusammenhang vier relevante Aspekte: die Handlung um der Handlung willen, der Wechsel des Realitätsbezugs, die Wiederholung und das Ritual sowie der Gegenstandsbezug. Spielen ist immer Realitätsbezogen (Freud: Wunscherfüllung und Katharsis; Wygotski: Realisation unrealisierbarer Wünsche; Piaget: Assimilation als Gegenwehr). Anders als in den exegetischen Darstellungen von Baumann und Schellenberg gibt es demnach kein zweckfreies Spielen. Der romantisierende Traum einer spielenden Rückkehr des Erwachsenen zum Kind-Sein ist somit weder psychologisch noch theologisch zu begründen.
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tende Spielregeln bestimmt Handlungssicherheit, aber eben auch das fantasiereiche und kreative Ausprobieren ermöglicht. In dieser umgrenzten, darin aber freigegebenen Weise ist es ein ernstes Spielen. Ein Scheitern im Spiel bleibt außerhalb der abgesteckten Spielräume ohne Folgen, auch wenn das Spiel selbst nicht folgenlos sein mag. Darüber hinaus ereignet sich im Spiel beides – Steigerung und Reduktion von Komplexität. Die Weisheit spielt. Wie steht es um das Spielen in Wissenschaft und Forschung? Die Weisheit ist nach Prv 8 Vergnügen – coram Deo und coram hominibus. Wie steht es um das Vergnügen in der Wissenschaft? Darf es Freude oder gar Lust machen? Wer eine solche Frage einer Zeit wie den unsrigen stellt, muss befürchten, dass der gesammelte Zorn der gremien-, reform- und evaluationsgequälten Kolleginnen und Kollegen in spöttischem Lächeln oder in Sarkasmus auf ihn herniederkommt. Ähnlich dürfte es Ihnen hier im Vorfeld neuer Re-Akkreditierungsarbeit gehen. Und doch finde ich nicht nur in forschungsgeschichtlichen Darstellungen früherer Jahrhunderte, dass wissenschaftliches Forschen und Lehren Vergnügen machte. Die Weisheit spricht: Es macht mir Freude, Lust, Vergnügen, neugierig zu sein, zu fragen, mir Rat zu holen, den Blick eines anderen einzunehmen, weiter zu fragen und weiter zu forschen. Es macht Freude und Lust, etwas herauszufinden, zu widerlegen, sich zitiert und vielleicht sogar bestätigt zu sehen. Und es macht Freude, Lust und Vergnügen, davon lehrend andere anzustecken, ihnen diese Neugier, diese Unzufriedenheit mit den alten, ungenügenden Antworten in den Kopf zu setzen und die Entdeckerfreude eines Wissensdurstigen dazu. Wie steht es um die passio, um die Leidenschaft zur Sache, mit der wir umgehen – noch einmal hinschauen, noch einmal besser verstehen wollen? Ganz bei der Sache zu sein und so zugleich ganz bei sich zu sein. Spielend, vergnüglich ist die Weisheit in Prv 8 ein Gegenüber zu dem kreativ tätigen Gott und ein Gegenüber zu den Menschen. Nicht allein in einer alttestamentlich-biblischen Anthropologie kommt der Mensch als ein zoon politicon, als ein relationales Wesen in den Blick. Was bedeutet diese wesenhafte Bezogenheit auf ein Gegenüber für Wissen und Wissenschaft, für Erkenntnisgewinn, Wandel im Verstehen und die Qualität all dessen? „Es ist nicht gut – förderlich – schön, dass der Forscher allein ist“ – so könnte man in Abwandlung eines bekannten Zitats aus der Genesis20 sagen. Die Weisheit von Gott und Menschen illustriert dies auf ihre Weise. Wissen 20
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In Genesis 2, 18ff geht es ursprünglich um die Sozialität des Menschen, dargestellt an der Geschlechterbeziehung. Erst die sekundäre Ergänzung von Genesis 2, 24 macht daraus eine Eheätiologie.
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und Verstehen – so sagt dieses Bild – braucht den Anderen, muss ihn als Korrektiv und Ergänzung wollen, angelockt und zugleich herausgefordert durch anderes Wissen und abweichende Erkenntnis und dabei Lernender und Mitstreiter, Kommilitone. Was befördert Wissen und Verstehen? Es sind dies Räume des Gesprächs, des Austausches, Räume der Neugier und Anerkennung, des wertschätzenden Umgangs miteinander. These 4 Theologisch verbindet die Weisheitsgestalt in Prv 1–9 zwei Dimensionen, die häufig gegeneinander in Position gebraucht werden: Erfahrung und Offenbarung, Tradition und Schrift, natürliche Theologie und Offenbarungstheologie. So findet sich in der jüdischen Bibel, im Alten Testament, ein 5. Mosebuch (Deuteronomium), das die Tora als Gabe Gottes an sein Volk Israel vorstellt, vermittelt durch Mose. Alle Weisungen haben daher in der Gesetzgebung Gottes am Berg Horeb (Sinai) ihren Platz. Daneben kann die ältere Weisheit alles Lebensnotwendige aus menschlicher Klugheit und Erfahrung und deren Weitergabe herleiten. Prv 1–9 spitzen diese Linie, wie wir gesehen haben, noch einmal zu, wenn sie die Figur der Weisheit zu der entscheidenden Mittlerin von Leben und Heil machen. Erst die spätere Traditionsgeschichte präferiert dabei die Seite von Tora und heiliger Schrift. Der Blick auf Prv 1– 9 selbst bietet somit die Chance, jenseits dieser auch im 20. Jahrhundert vielfach gegeneinander debattierten Zugriffe, beide Momente für die Theologie zum Zuge kommen zu lassen. So stecken in diesem Abschnitt nicht nur Impulse für ein heutiges Nachdenken über Bildung, sondern zugleich Anregungen für heutiges theologisches Denken.
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Erfahrung und Offenbarung Response zum Beitrag von Jürgen van Oorschot Jörg Barthel Ich beginne meine Response auf den anregenden Vortrag von Jürgen van Oorschot mit Unterstreichungen, die bei der Rekapitulation des Gehörten helfen mögen, und schließe einige weitergehende Assoziationen an. Zunächst die Unterstreichungen: 1. Weisheit (hebr. chokmah) im Sinne des Alten Testaments ist ein umfassender Begriff nicht nur für den Sachverstand im Detail, sondern auch für die erfahrungsgesättigte Fähigkeit zur Bewältigung des Lebens in seinen verschiedenen Sphären, wie sie in familiärer Erziehung und höfischer Bildung vermittelt wird. Die Idee weisheitlicher Bildung ist getragen von einem ungeheuren Erkenntnisoptimismus, der das Vertrauen in die Erkenntnisfähigkeit des Menschen und die Erkennbarkeit der Welt ebenso einschließt wie das Vertrauen in die Fähigkeit zur gelingenden Praxis. 2. In nachexilischer Zeit kommt es zu einer immer stärkeren Durchdringung der verschiedenen alttestamentlichen Traditionsströme mit weisheitlichen Gedanken, u.a. bahnt sich die Synthese von Tora und Weisheit an, die dann bei Jesus Sirach ausdrücklich vollzogen wird. In diesem Zusammenhang steht die Personifikation der Weisheit in der Gestalt der Frau Weisheit in Proverbia (Prv) 1–9: Wie einst die Propheten so erscheint hier die Weisheit öffentlich, auf den Plätzen und Straßen der Stadt, als Mittlerin des Gotteswillens und lädt die Unerfahrenen und Einfältigen zur Annahme von Erkenntnis und Einsicht ein. Damit verbunden ist die Drohung der Vernichtung derer, die diese Einladung ausschlagen, vor allem aber das Versprechen von Lebensgewinn für diejenigen, die ihren Ruf hören. 3. Als solche vermittelt die Weisheit eine Einsicht, die in der Gottesfurcht ihren Anfang und Ausgangspunkt hat, sie präsentiert sich aber zugleich selbst als Ziel und Grenze menschlicher Erkenntnis. Diese Doppelstruktur zeigt sich auch in Prv 8, 22ff: Als personifizierte Schöpfungsidee Gottes tritt die Weisheit einerseits vermittelnd zwischen Gott und Mensch, andererseits aber will sie nun auch den Menschen, konkret: den jungen
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Mann und Schüler, in seinem schöpferischen Handeln leiten und begleiten. Sie hat also religiöse und zugleich ethische Funktion. 4. Appelliert die Weisheit in Prv 1–9 an das Hören des Wortes und die auf eigene Erfahrung gegründete Einsicht gleichermaßen, so verschiebt sich der Akzent in einem Traditionsstrom, der von der Identifikation von Weisheit und Tora (Sirach 24) über die pharisäische Privilegierung der Schrift und Schriftauslegung als Zugang zur Weisheit bis zur protestantischen Theologie des Wortes reicht, immer stärker auf die Begegnung im Wort der Schrift, das auf Hören aus ist. 5. Die abschließenden Thesen formulieren einige Konsequenzen dieser weisheitlichen „Bildungs-Momente“ für die aktuelle Bildungsdebatte und das Selbstverständnis von Theologie. Sie betreffen das Verhältnis der rezeptiven und der produktiven Momente von Erziehung und Bildung (Thesen 1–2), die konstitutive Bedeutung von Spielräumen für gelingende Bildungsprozesse (These 3) und die Verbindung von Erfahrung und Offenbarung, Tradition und Schrift in theologischer Reflexion (These 4). Ich schließe einige weiterführende Fragen und Anmerkungen an, die Gesprächsfäden aufgreifen und zur Diskussion einladen möchten: 1. Die erste Frage betrifft den Erkenntnisoptimismus der Weisheit: Indem die Weisheit sich selbst als Ziel und Grenze menschlicher Wirklichkeitserschließung präsentiert, wirft sie den Menschen zugleich auf seine eigene Fähigkeit zum Verstehen und zur Erkenntnis zurück. Welchen Beitrag leisten die weisheitliche Tradition im Besonderen und die biblische Tradition im Allgemeinen angesichts der Krise dieses Erkenntnisoptimismus’ und des stets drohenden Umschlags von Szientismus in Irrationalismus, der das neuzeitliche Projekt Aufklärung wie ein Schatten begleitet? Im Sinne einer Aufklärung über die Aufklärung wäre hier von den prinzipiellen Grenzen vernünftiger Welterkenntnis und Weltbemächtigung zu reden, aber auch vom Aspekt des Vertrauens, wenn man so will: des Glaubens, der jeder Form von Wissen und Wissenschaft zugrunde liegt – auch und gerade dort, wo Wissenschaft sich der Einsicht in ihre außerwissenschaftlichen Gründe verweigert und sich selbst in den Rang eines Glaubenssystems erhebt. 2. Die Weisheit, so hörten wir, verbindet die rezeptiven Momente von Erziehung und Wissensvermittlung einerseits mit den produktiven Momenten von Bildung und Selbstbildung andererseits und regt so dazu an, beide in aktuellen Bildungsprozessen in ein angemessenes Verhältnis zu setzen (Thesen 1–2). Dazu drei Assoziationen:
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a) Lassen sich Wissensvermittlung, Erziehung und Bildung, Selbstbildung in der vorgestellten Weise mit Rezeptivität und Produktivität in Verbindung bringen? Wäre nicht eher die grundlegende Dimension der Rezeptivität in jedem Prozess wirklicher Persönlichkeitsbildung (wieder) zu entdecken? Der Schweizer Philosoph Peter Bieri hat im Blick auf die aktuelle Bildungsdiskussion kürzlich prägnant formuliert: „Ausbilden können uns andere, bilden kann sich nur jeder selbst“. Im Sinne der alttestamentlichen Weisheit wäre demgegenüber wohl eher zu sagen: „Wir können uns nur selbst bilden, weil wir immer schon gebildet werden“. b) Dessen ungeachtet ist die Frage nach einer angemessenen Balance von Wissensvermittlung, Ausbildung einerseits und Persönlichkeitsbildung andererseits für die Struktur theologischer Ausbildung hochgradig relevant. Zur Debatte steht hier nicht nur der allgemein beklagte Trend zur Quantifizierung und Ökonomisierung von Bildungsprozessen in der jüngsten Phase der Bildungspolitik, sondern auch die traditionelle Reduktion von Bildung auf Ausbildung, die sich gerade im freikirchlichen Kontext bis hinein in den Sprachgebrauch verfolgen lässt: Verstehen wir uns wirklich nur als „Ausbildungsstätte“ oder nicht auch als Stätte theologischer Bildung? c) Gerade in Anbetracht der immer wieder beschworenen und auch von Studierenden eingeklagten „Praxisrelevanz“ des Theologiestudiums ist der Hinweis auf die notwendigen Spielräume für Gespräch, Denken und Forschen besonders wertvoll und wichtig: Wer von vornherein auf das Resultat fixiert ist, wird nie zu spielen beginnen und die Freude am Spiel erleben. Die unauflösliche Verschränkung von Erkenntnis („Theorie“) und Lebenskunst („Praxis“) in der alttestamentlichen Weisheit fordert zur Kritik nicht nur an einer praxisblinden Theoretisierung, sondern ebenso an einer praxisfixierten Verzweckung theologischer Bildung heraus. 3. Meine letzte Anmerkung betrifft die Korrelation von Erfahrung und Offenbarung (These 4): Wir haben während dieser Tagung einige Vorträge gehört, die in grandioser Einseitigkeit bei der Erfahrungsseite dieser Korrelation angesetzt haben. Das mag im Sinne der Korrektur eines „Offenbarungspositivismus“ (Dietrich Bonhoeffer) durchaus angebracht sein (auch wenn mir die Theologie aufs Ganze gesehen heute eher im Fahrwasser eines neuen Kulturprotestantismus zu segeln scheint). In jedem Fall bleibt zu fragen: Welche Anstöße bietet uns die biblische Weisheitstradition, von Offenbarung im Sinne der Selbsterschließung Gottes in einer Weise zu reden, die nicht erfahrungsblind ist, aber zugleich
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die alle menschliche Erfahrung und Lebensklugheit an ihre Grenze und in ihre Krise führende Qualität der Botschaft von Gottes Kommen ernst nimmt? Paul Ricoeur hat in diesem Zusammenhang gelegentlich auf hyperbolische und paradoxe Sentenzen hingewiesen, die eingespielte Erwartungssicherheiten dekonstruieren, indem sie Weisheitszuwachs im Weisheitsverzicht, Lebensgewinn im Lebensverlust, Gelingen im Scheitern versprechen. Ähnlich wie die Gleichnisse Jesu in narrativer Form treiben solche Sätze das weisheitliche Welt- und Erfahrungswissen an eine Grenze, an der die alle Erfahrung umstürzende Dimension des Gottesreiches aufscheint. Erfahrung und Erfahrungswissen werden dabei nicht negiert, aber sie werden ins Licht einer neuen „Erfahrung mit der Erfahrung“ (Eberhard Jüngel) gerückt.
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Den Fremden verstehen Lernen in interkulturellen Begegnungen Theo Sundermeier Vor Jahren fragte mich ein Missionar, der erst vor kurzem in sein Arbeitsgebiet gekommen war, welchen Rat ich ihm geben würde. Ich gab ihm drei Ratschläge: „1. Lerne zuzuhören, 2. Lerne zuzuhören; 3. Lerne zuzuhören.“ Ich selbst habe das in meiner elfjährigen Tätigkeit in Afrika auch lernen müssen. Zuhören ist die Voraussetzung für das Erlernen einer fremden Sprache. Zuhören ist die Voraussetzung für das Verstehen einer fremden Kultur. Zuhören ist die Voraussetzung fürs Lehren, für die Seelsorge und das Predigen. Nein, wir können das nicht von Haus aus. Theologen, die sich der Wortkompetenz rühmen, neigen allemal dazu, vorschnell und verallgemeinernd dem anderen ins Wort zu fallen. Mir hat ein Rat der großartigen südafrikanischen Kulturanthropologin aus Kapstadt, Monica Wilson, seinerzeit sehr geholfen. „Sie sind noch jung“, sagte sie, „Ihnen wird man viel sagen, um Sie zu belehren. Mir sagt kein Afrikaner mehr etwas, denn ich bin eine ältere Frau. Auf mich hört man, aber mich belehrt man nicht mehr“. So geschah es denn auch. Die Mbanderu in Namibia nannten mich „Dr. Kanatje“, „Dr. Kind“ (ich war damals 30 Jahre alt) und drückten damit Achtung aus, aber zugleich auch wussten sie, dass sie mich in ihrer Sprache, Kultur und traditionalen Religion unterrichten mussten. Ein langer Prozess des Hörens und Lernens begann, der mich bis heute begleitet. Er ist die Antwort auf die Frage, ob man die andere, fremde Kultur und damit fremde Menschen verstehen kann. Für unsere Gesellschaft, für die Kirchen und für die Religionen bei uns und weltweit ist das eine essentielle Anfrage, die beantwortet werden muss. Dabei geht es nicht an erster Stelle um Erweiterung unseres Wissens, um kulturelle „Bereicherung“ – wie die MultiKultis uns gern vorschwärmen - sondern um gelingendes Zusammenleben. Die „Konvivenz“, das habe ich in Afrika und Lateinamerika gelernt, erfordert Respekt voreinander. Nur so kann sie gelingen. Sie ruht auf drei Pfeilern: Wir
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lernen voneinander, wir helfen einander und wir feiern zusammen das Leben, 1 das Gott uns geschenkt hat. Diesem einen Aspekt von dem, was ich gelernt habe, wenden wir uns nun zu, der Aufgabe: „Den Fremden verstehen“. I.
Was heißt Fremdsein?
Die kleine Tochter eines Missionars, die in Westafrika aufgewachsen war, sah in Deutschland, wo ihr Vater sich zum Heimaturlaub aufhielt, auf einem Bahnhof Afrikaner. Sie fasste ihren Vater an die Hand und rief: „Schau mal, Papa, da sind Menschen!“ Diese kleine Szene fasst brennspiegelgleich die Probleme zusammen, um die es im Verhältnis von Vertraut- und Fremdsein geht. Dem Mädchen waren von ihrer ersten Kindheit an Afrikaner vertraut, ihr Aussehen, ihr Wesen, ihr Umgang miteinander, ihre Sozialität. Afrikaner repräsentierten für sie die vertraute Welt ihrer Kindheit, riefen das Gefühl von Heimat hervor, das sie in dem Wort „Menschen“ zum Ausdruck brachte und darin Vertrautheit und Zugehörigkeit miteinander verband. Es muss nicht überraschen, dass sie keine Distinktion zu ihren Eltern benennt, die ja anders aussehen. Ihre Eltern und die afrikanischen Menschen machen zusammen das aus, was sie mit diesem Wort ausdrücken will: zu Hause sein! Auch wenn man das Beispiel nicht überinterpretieren darf, es lassen sich dennoch einige Aspekte aufzeigen, die für unser Thema relevant sind. Im Moment des Vertrauten schwingt immer die Kehrseite mit, die des Fremden. Fremd – vertraut, erst in ihrer Zuordnung sagen die Begriffe aus, worum es geht. Sie beschreiben keine objektiven Tatbestände. Sie markieren Grenzen. Fremd ist uns, was sich vom Vertrauten absetzt oder ihm entgegensteht, wie umgekehrt das Vertraute durch Gewohnheit und Nähe bestimmt wird. Im Mittelhochdeutschen bezeichnet der Begriff Fremdheit das aus der Ferne Kommende (vgl. engl. from). Fremd ist das, was nicht zum nahen, bekannten Wohnkreis gehört, sondern von außen hereinkommt. Fremd ist jedoch nicht einfach das, was fern ist. Der „Bewohner des Sirius“, sagt Georg Simmel in seiner berühmten Definition, geht mich nichts an.2 Er ist mir auch 1 2
Vgl. Theo Sundermeier, Konvivenz und Differenz, Erlangen 1995, 43–75; Ders., Religionen, Religiosität und christlicher Glaube. Eine Studie, Gütersloh 1991², 121ff. Georg Simmel, „Exkurs über den Fremden“, in: Ders., Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung, Leipzig 1908, 685–691. „Denn das Fremdsein ist natürlich eine ganz positive Beziehung, eine besondere Wechselwirkungsform; die Bewohner des Sirius sind uns nicht eigentlich fremd – dies wenigstens nicht in dem soziologisch
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nicht fremd, denn er ist mir unbekannt. Fremd ist der mir nahe Fremde, der Nächste, der aus der Ferne kommt. „Fremd“ ist also ein relationaler Begriff. Er bestimmt sich durch die Relation zu dem ihm Entgegengesetzten. Ein subjektives Element ist ihm inhärent. Ohne diese Subjektivität ist Fremdes nicht zu bestimmen. Wir können fünf Ebenen unterscheiden, auf denen sich das Fremde im Gegenüber zum Vertrauten manifestiert und eindrücklich wird. 1. Das Mädchen hat das Vertraute spontan an der Hautfarbe und Physiognomie der Afrikaner festgemacht. Es reagiert damit auf die elementarste Fremdheits- beziehungsweise Vertrautheitserfahrung. Ähnlichkeit, Gleichheit beschreiben Vertrautes. Die andere Hautfarbe signalisiert Differenz. Das hat zunächst nichts mit Rassismus zu tun, sondern damit, dass unsere Gesellschaften ursprünglich homogen waren. Wo die Homogenität aufgelöst wird, werden Ängste wach, weil die Fremdheitserfahrung sich am Erscheinungsbild festmacht. Es ist die Erscheinung, die sich einprägt und die Fremdheit bewusst macht. 2. Die Fremdheitserfahrung wird verschärft durch den Oralsinn. Gerüche trennen noch schärfer als das Erscheinungsbild. Würden in den Horrorfilmen auf dem Bildschirm Verwesungsgerüche mitgeliefert, würde diese Art von Filmen schnell aus den TV-Programmen verschwinden. Das Auge kann ich schließen, ich kann wegsehen, ich kann mich an den Anblick des Fremden gewöhnen. Der Oralsinn aber steigert die Differenz. Er ist das Organ der Internalisierung schlechthin. Das mag damit zusammenhängen, dass die Geruchsnerven unmittelbar mit dem zentralen Nervensystem verbunden sind und Fremdes als Gefahr signalisieren. Das hat aber auch seinen Grund darin, dass der Körpergeruch das Unmittelbarste einer Person ist und sie von jeder anderen unterscheidet. Das Kind nimmt den Geruch der Mutter als allererstes wahr, wenn es noch nicht sehen kann. Hier lernt es zu unterscheiden, was gut ist und was nicht zu ihm gehört. Gerüche prägen sich ein und bleiben haften, selbst wenn der Geruch vergangen ist. 3. Auch der Klang ruft auf der emotionalen Ebene Fremdheit hervor, während er auf der Phänomenebene eine Brückenfunktion hat. Klänge schließen Wohllaut und Dissonanzen ein. Dissonanzen können aufgelöst und in „Konsonanzen“ überführt werden, so dass aus Missbehagen ein Wohlbefinden wird. Während fremde Gerüche Abwehrreaktionen in Betracht kommenden Sinne des Wortes –, sondern sie existieren überhaupt nicht für uns, sie stehen jenseits von Fern und Nah.“ (686).
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hervorrufen, zwingt der fremde Klang zum schärferen Zuhören. Erst wenn die Dissonanz nicht aufhört, folgt sekundär die Abwehr, doch auch Gewöhnung ist eine mögliche Folge. 4. Der Klang, als Träger von fremder Sprache ruft Unverständnis hervor, Befremden, aber nicht Feindschaft, nicht Ekel wie der Geruchssinn. Eher wird Neugier geweckt, die fremde Sprache zu verstehen. Gelingt dieser Schritt nicht, schlägt die Neugier in Gleichgültigkeit um, eine Haltung, die jederzeit wieder zur Neugier, Wissbegierde und damit zur Zuwendung zum anderen führen kann. Hier wird ein weiteres Element von Fremdheit erkennbar. Die fremde Sprache ist mir objektiv fremd, wenn ich sie nicht gelernt habe. Sprache dient der Kommunikation, sie will verstanden werden. Man muss sich bemühen, die fremde Sprache zu lernen oder sich auf eine dritte, gemeinsame Sprachebene begeben, wenn man mit dem Fremden kommunizieren will, die Zeichenebene. Mit Blicken, Gesten kann Verstehen gelingen, wie gebrochen das auch immer sein mag. Dabei wird vorausgesetzt, dass es einen gemeinsamen Grundstock von gemeinsamen Zeichen gibt, die Kommunikation ermöglichen. Diese Gemeinsamkeit ist von der Überzeugung getragen, dass das Zusammenleben von Menschen überall die gleiche oder zumindest eine ähnliche Struktur hat. Wir unterstellen Gemeinsames, weil wir verstehen und kommunizieren wollen. Diese Grundhaltung ist auch im Kreis von Bekanntem und in der Familie notwendig: Man kann nur miteinander leben und kommunizieren, wenn die vorgegebene und gelebte Gemeinsamkeit nicht ständig überprüft werden muss oder in Frage gestellt wird. Aber kann diese Gemeinsamkeit in der Begegnung mit Fremden wirklich vorausgesetzt werden? 5. Damit haben wir eine fünfte Ebene der Bestimmung von Fremd- und Vertrautsein erreicht, die soziale Ordnung. Die „heimatliche“ Ordnung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht der steten neuen Vergewisserung bedarf. Nun ist zumal den Abendländern meist nicht bewusst, welch begrenzte Gültigkeit unser unhinterfragtes, implizites soziales Wissen hat. Das gilt besonders in einer Zeit, da wir gewöhnt sind, global zu denken und unserer eigenen Lebenswelt universale Gültigkeit zuzusprechen, zumal kapitalistische Wirtschaft und die Naturwissenschaft Weltgeltung haben und die Welt bis in die fernste hinterdörflerische Lebenswelt hinein bestimmen. Umso tiefer ist der Schock zu erleben, wenn das bei uns Selbstverständliche nicht mehr selbstverständlich ist und schon im privaten Bereich, beim Nachbarn, beim ausländischen Mitschüler keine Gültigkeit besitzt. Wenn auf diese Weise das
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Selbstverständliche in seiner Gültigkeit unterminiert und das, was bisher als „normal“ und richtig, als schön, sympathisch und gut angesehen wird, in seiner Bedeutung eingegrenzt, ja, in Frage gestellt wird, dann steht mehr als das eigene ästhetische und ethische Regelwissen auf dem Spiel. Dann scheint die Kultur als ganze, auch die persönliche und soziale Identität bedroht zu sein. Das weckt Ängste und ruft feindliche Reaktionen hervor. Es ist nicht nötig, das dichte Gewebe der sozialen Beziehung so zu entflechten, dass alle Bereiche, in denen Fremdheitserfahrung das Selbstwertgefühl des Menschen bedrohen kann, zur Sprache kommen, sondern jener Bereich soll gesondert herausgegriffen werden, der im Zentrum der Kultur angesiedelt ist, ja gelegentlich als ihr Kitt angesehen wird, die Religion. In der Begegnung der Religionen spiegeln sich in konzentrierter Form die Probleme wider, die in der interkulturellen Begegnung zutage treten, vielleicht noch schärfer, schmerzender und aggressiver, weil in der Religion das Herz des Menschen berührt wird. So umstritten die sprachliche Ableitung des Wortes religio ist, sachlich trifft sie durchaus die Sache: Religion ist „Bindung“, sie bindet das Herz des Menschen, sie formt sein Leben, bestimmt seine Ethik und beeinflusst seine Ästhetik. Bindung heißt nicht nur Bindung an Gott, sondern traditionellerweise auch an die Gesellschaft und durch die Gesellschaft rückwirkend an die Religion selbst. Die Individualisierung und Subjektivierung von Religion, wie wir sie erleben, ist eine Erscheinung der Neuzeit und in mancher Hinsicht im christlichen Glauben selbst begründet. An den Stammesreligionen, die noch immer so etwas wie die „Basisreligiosität“ aller Religionen bilden, kann gesehen werden, wie eng Religion und Gesellschaft ursprünglich zusammengehören und sich gegenseitig beeinflussen. Sie legen den way of life der Menschen fest und untersagen andere Lebensentwürfe. Sie binden den Menschen nach innen und richten Grenzen nach außen und gegen andere auf. Das heißt, sie bieten dem Menschen Heimat, geben ihm Weisung, bieten Lebenshilfe und fangen ihn in Krisenzeiten in einem Netz seelischer und ritueller Hilfe auf, so dass er in einer Gemeinschaft die Krisen überwinden kann. Zugleich sie stoßen den aus, der den religiösen und gesellschaftlichen Grundkonsens verlässt. Die Weltreligionen verfestigen diese Grundstruktur kognitiv, indem sie den Gläubigen an ein Bekenntnis binden, dem Wahrheit zugesprochen wird und das Wahrheit aussagt. Mit dem Bekenntnis zu dieser einen Wahrheit werden andere Wahrheiten virtuell und tatsächlich zur Unwahrheit degradiert. Die Differenz zwischen vertraut und fremd wird durch die Begegnung der Religionen vertieft und zementiert. Weil zum Beispiel die Teilnahme am Gottesdienst dem Andersgläubigen nicht erlaubt ist, bleiben ihm der Lebens-
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stil des anderen, sein ethisches Verhalten, seine weltanschaulichen Überzeugungen letztlich fremd und unzugänglich. Die Trennungswände sind dicht. Das, was verbinden sollte, die Religion, bewirkt die Trennung. Ihre Zeichen und Symbole, die den Zusammenhalt nach innen verstärken, sondern zugleich aus. Das Kreuz auf einem Haus schließt den Moslem aus, weil er nicht zur Kirche gehört. Umgekehrt weiß der Christ, dass der Ruf des Muezzins nicht ihm gilt, sondern den Muslimen. Auf Universitätsgeländen in Afrika mussten dichte Bäume zwischen der Kirche und der Moschee gepflanzt werden, weil „der Halbmond durch den Anblick des Kreuzes beleidigt wird“. Die religiösen Symbole werden zu Trennungszeichen. Sie schaffen sich ihre eigenen Welten, den eigenen Raum, das eigene Beziehungsfeld, das dem dazu Gehörenden Vertrauen einflößt, aber dem anderen signalisieren, dass er nicht dazugehört und hier in der Fremde ist und im „Elend“, wie das mittelalterliche Wort für Ferne und Fremde heißt! Ob dagegen die Religion auch verbindende Elemente hervorbringen kann, um Fremdes in Vertrautheit zu verändern, dem wollen wir im Folgenden nachgehen. Doch zunächst müssen wir fragen, wie man bei uns bisher dem Fremden begegnet ist. Wir fassen die Begegnungsweisen modellhaft zusammen. II. Begegnung mit dem Fremden Wir können drei grundlegende Begegnungsweisen unterscheiden. 1. Das Alteritätsmodell. Der Fremde ist der Feind. Das eigene Wohngebiet, das Land, auf dem der Stamm wohnt, ist Heimat, ist Schutzzone, die Sicherheit gewährt. Außerhalb des eigenen Territoriums ist Feindesland. Wer dort einem fremden Menschen begegnet, muss ihn als potentiellen Feind betrachten. Im Unbehausten ist der Mensch des Menschen Wolf. Bei den vorislamischen Arabern galt der Rechtsgrundsatz: Jemanden in der Wüste zu töten, ist kein Mord. Da der Feind außerhalb stets auch potentieller Sklave war, nannten die Ashanti alle Menschen, die nördlich von ihnen wohnten (im Süden ist das Meer) „Sklaven“. Wie tief sich diese Grundeinstellung in unserer Kultur bis in die Gegenwart durchgehalten hat, wird an Hegel deutlich, der die Begegnung mit dem anderen schlechthin als Kampf zwischen Herrn und Knecht definiert. Sieg oder Niederlage, Unterwerfung oder Unterworfenwerden und die nationale und staatliche Identität verlieren, dieses Freund-Feind-Denken bestimmte in hohem Maße das Verhältnis der abendländischen Staaten untereinander bis in das 19. Jahrhundert hinein (siehe Hegel).
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2. Das Händlermodell. Eine Ausnahme von dieser grundsätzlichen Feindschaft dem Fremden gegenüber haben zu allen Zeiten und in allen Gesellschaften die Händler gebildet. Sie werden als Ergänzung, gleichsam als Ressource angesehen. Den Händler braucht man. Man braucht ihn als Fremden, denn er soll die Dinge zum Verkauf anbieten, die im eigenen Lande nicht produziert und eingeführt werden müssen. Der fremde Händler wird akzeptiert, aber nur partiell integriert. Ihm werden bestimmte Wohngebiete zugewiesen (im Mittelalter und in der Moderne ist dies die Ursache für Ghettobildungen). Er hat nur begrenzte Rechte. Er darf zum Beispiel keine einheimischen Frauen heiraten. Dieses Verbot soll verhindern, dass einige einheimische Familien bevorzugt behandelt werden und der Händler aus Familienloyalität sie anders bedient als die übrige Gemeinschaft. Die Exterritorialität sichert die Verlässlichkeit seines Handels. Könige und Fürsten, ebenso der Papst, hielten sich Leibgarden, oft auch Richter, die aus eben diesem Grunde Fremde sein und bleiben mussten. Da sie keine Bindungen zu den Einheimischen haben, ist ihre Loyalität zum Fürsten groß. Er garantiert ihren Schutz. Die Ghettosituation wird dabei in Kauf genommen, von beiden Seiten. Dass die Fremden in Zeiten der Unruhe und Gefahr schnell zu Sündenböcken abgestempelt werden und der Unmut der Bevölkerung sich gegen sie richtet, zeigt die latente Gefahr, in der sie leben. Diese Form funktionsbedingter partieller Einordnung besteht bei uns bis heute. Niemand stört sich in Deutschland an einer japanischen „Kolonie“ in Düsseldorf, solange die Japaner ihren Sonderstatus beachten und ihre Bindung nach Japan nicht aufgeben. Ebenso wären die Türken weiterhin als „Gastarbeiter“ willkommen, würden sie ihre Orientierung zur Türkei beibehalten und dorthin zurückkehren. Als „Gäste“ sind sie willkommen, doch permanentes Wohnrecht, das andere Rechte zur Folge hat, die man einfordert, stößt auf Ablehnung. Der fremde Händler, der zum Einheimischen werden will, verliert das Wohlwollen, das ihm bis dahin entgegengebracht wurde. Er wird zum Konkurrenten und büßt seinen Sonderstatus ein. Was ihn bis dahin attraktiv machte, der Handel mit fremden Gütern und seine Fremdheit, werden nun als Bedrohung empfunden. 3. Das Gleichheitsmodell. Eine dritte Begegnungsform negiert die Differenzen. Sie ist in der Überzeugung begründet, dass alle Menschen gleich sind, gleich denken, gleich handeln und letztlich auch die gleichen ethischen Wertvorstellungen haben oder haben sollten. Auch in der Psychologie wird diese Vorstellung vertreten: Das Fremde als solches gibt es nicht, es ist immer nur das verdrängte Eigene. Fremdenhass gilt als ver-
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drängter oder projizierter Selbsthass. Diese Haltung suggeriert eine grenzenlose Toleranz. Da sie jedoch darauf basiert, dass das Fremde keine echte Alterität besitzt, sondern nur Spiegelung des Eigenen ist, stößt die Toleranz an ihre Grenzen, sobald diese Grundannahme in Frage gestellt wird und sich das Fremde als tief Differentes erweist. Findet in diesem Modell der Begegnung mit dem Fremden eine Einebnung der Differenzen statt? Das ist meistens der Fall, doch vielfach entstehen Mischungen, wie an der New Age-Weltanschauung gesehen werden kann. Auf dem Gebiet der Religion ist ein künstlicher, synthetischer Synkretismus erkennbar, dessen Konturen und innere Logik selten einsichtig sind. Beliebigkeit herrscht vor. Die anderen Religionen dienen dem eigenen Entwurf und werden je nach Umständen wie ein Selbstbedienungsladen gebraucht, oder als Abstellplatz, wenn man einer Sache überdrüssig ist oder meint, sie nicht mehr nötig zu haben, weil sie ihren Dienst getan hat. III. Hermeneutische Stufen Welche methodischen Konsequenzen ziehen wir aus unseren Überlegungen für eine interreligiöse Hermeneutik? 1. Alles Verstehen beginnt damit, dass ich die andere Religion wirklich als andere, fremde Religion wahrnehme und respektiere. Alle psychologischen Anstrengungen, wie sie neuerdings en vogue sind, die das Fremde als das mir Eigene und nur Verdrängte ansehen, haben hier keinen Platz. Auf der ersten Stufe der Annäherung an die andere Religion und Kultur muss deren Alterität wahrgenommen und beachtet werden. Der erste Schritt erfordert Distanz. Es geht hier um eine sachliche Wahrnehmung und Beschreibung der Phänomene. So wie man in der kunstgeschichtlichen Interpretation Wert darauf legt, zuerst den Bildgegenstand so objektiv wie möglich zu erfassen, also urteils- und vorurteilsfrei, so müssen wir uns zuerst jeden Urteils enthalten. 2. Auf der zweiten Stufe der hermeneutischen Annäherung an die fremde Religion gilt es eben dies nachzuholen. Die aus der Distanz genau wahrgenommenen und erfassten Phänomene müssen auf der zweiten Ebene (der Zeichenebene) in ihrem eigenen, besonderen Kontext beschrieben werden. Das kann nur durch eine teilnehmende Beobachtung geschehen, eine methodische Forderung, die in der ethnologischen Forschung heute zur Selbstverständlichkeit geworden ist, aber auch für die religionswissenschaftliche Erfassung der fremden Religionen und Kultur zur conditio sine qua non erhoben werden muss. Wer tiefer in eine andere
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Religion und Kultur eindringen will, muss an ihren Riten teilnehmen, denn Riten sind die Architektur einer Religion. Ihre Zeichen müssen wahrgenommen werden, wiederum so objektiv wie möglich, aber nun doch auch mit Sympathie und dem Willen, von der Zeichenebene immer tiefer in die der Symbolik einzudringen. 3. Die Symbolik einer Religion, ihrer Riten, ihrer Lehren, ihrer Vergemeinschaftungspraxis muss auf der dritten, der Symbolebene begriffen werden. Das ist nur möglich, wenn man sich auf die andere Religion einlässt und sich ihrer Faszination aussetzt – jedenfalls für einen Moment. Nun geht es nicht mehr nur um teilnehmende Beobachtung, sondern um „teilnehmende Erfahrung”. Der Bereich des Erlebens ist auf dieser Stufe angesprochen. Die Textinterpretation gehört ebenfalls dazu. Jetzt dürfen, ja, müssen Vergleiche gezogen werden. Durch vergleichende Textinterpretation erschließen sich die Symbole, und durch den Vergleich, der Analogie und Differenz festhält, werden sie versteh- und rezipierbar, wird Kommunikation möglich. Auf dieser dritten Stufe geht es um den Sinn. Hier muss das Ganze der Religion erfasst und ihre innere Logik erschlossen werden, und zwar von innen heraus. Die andere Religion wird, soweit irgend möglich, aus der Perspektive des anderen wahrgenommen. Dass sich hier Grenzen ergeben, ist unumstritten. Doch zu früh zu resignieren, hieße, den Verstehensprozess vorzeitig abzubrechen. Allerdings ist die Perspektive der anderen nicht das einzige gültige Kriterium, wie wir aus der Ethnologie, aber auch durch die Semiotik wissen. Es kann nicht allein darum gehen, wie es lange Zeit Ziel der Textinterpretation war, die Intention des Textes mit den Augen des Autors zu erfassen. Die betroffenen Mitglieder einer Ethnie sind nicht die einzigen authentischen Interpreten ihrer rituellen Begehungen. Der Vergleich kann Dimensionen der Symbolik erschließen, die den Teilnehmern nicht bewusst sind und aus dem Vergessen neu hervorgeholt werden müssen.3 4. Während mit dieser dritten Stufe die rein religionswissenschaftliche Erfassung einer anderen Religion zum Abschluss kommt, müssen wir eine vierte Stufe betreten, die Relevanzebene. Hier trennen sich die Wege der interkulturellen und der interreligiösen Hermeneutik! Die interkulturelle fordert auf dieser Ebene die Tugend des Respektes und ihr Ziel ist es, das Zusammenleben der unterschiedlichen Kulturen und der von ih3
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Ähnlich Peter Antes, ”Theologie und Religionswissenschaft. Methodische Anmerkungen zu Nähe und Distanz.” In: Wege der Theologie: an der Schwelle zum 3. Jahrtausend (FS Hans Waldenfels), Paderborn 1996, 313–324, ebd. 315.
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nen geprägten Menschen zu ermöglichen, wobei jeder er selbst bleiben kann und dennoch bereit ist, von den anderen zu lernen und im Zu4 sammenleben der Menschen Hilfe zu leisten. In der interreligiösen Hermeneutik geht es auf der Relevanzebene um etwas anderes. Der eigentliche Wendepunkt des Verstehens beginnt nämlich erst hier, wenn die andere Religion, auf die ich mich mit Sympathie und Empathie eingelassen habe, mir zur Versuchung wird. Das hat schon vor langer Zeit der Hamburger Missionswissenschaftler Walter Freytag als Kriterium des Verstehens der anderen Religion angeführt. Auf dieser Ebene ist die eigene bisherige religiöse Existenz in Frage gestellt und herausgefordert. In der interkulturellen Hermeneutik geht es an dieser Stelle um ästhetische und um ethische Fragen, die die gemeinsame Lebensbewältigung betreffen, hier dagegen wird die Wahrheitsfrage gestellt. Alles, was meinen Glauben bestimmt, steht auf dem Prüfstand. Jetzt wird die andere Religion zum Anruf, zur Anfrage an den eigenen Glauben, zum Aufruf, sich zu entscheiden, wohin man gehört. Nun könnte man fragen, ob der Bogen der Hermeneutik nicht überspannt wird, wenn solche Forderungen an sie gestellt werden. Nichtchristliche Religionen erwarten in der interreligiösen Begegnung solch einen Schritt nicht, noch ermutigen sie dazu. Im Gegenteil, die limitische Funktion religiöser Symbole besteht gerade darin, die Anhänger der eigenen Religion vor dem Fremden zu bewahren und sie vor ungewünschter Beeinflussung zu schützen und den Austausch zu erschweren, wie man besonders beim Islam sehen kann. Hier stoßen wir auf eine Besonderheit der christlichen Religion. Weil sie ihrem Wesen nach missionarisch ist, lässt sie sich von der Liebe leiten. Liebe aber will verstehen. Sie kann nicht anders. Sie muss sich auf den anderen einlassen, auch wenn sie sich dabei riskiert. Und noch etwas anderes gilt, worauf Carl Heinz Ratschow zu Recht hingewiesen hat: Der christliche Glaube ist wesentlich angefochtener Glaube.5 Angesichts der unerforschlichen Wirklichkeit Gottes und angesichts der undurchschaubaren Wirklichkeit unserer Lebenswelt und der anderen Religionen ist christlicher Glaube immer angefoch6 tener Glaube. Das macht seine Verletzlichkeit, seine Verwundbarkeit aus. Aber wir dürfen darin auch seine Stärke sehen. Zum Wesen des christlichen 4 5 6
Das habe ich in meiner interkulturellen Hermeneutik Den Fremden verstehen, Göttingen 1996, 155ff und 183ff, ausführlich dargestellt. Carl Heinz Ratschow, Der angefochtene Glaube, Gütersloh 51983. Vgl. Hans Jochen Margull, Verwundbarkeit. Bemerkungen zum Dialog, in: EvTh 1974, 410–420.
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Glaubens gehört seine kenotische Struktur (Phil 2). Er muss sich entäußern, will er er selbst sein, und sich bis zum äußersten auf den fremden Menschen und seine Religion einlassen. Mit Paulus zu sprechen, den Juden ein Jude und den „Gesetzlosen wie ein Gesetzloser“, also den „Heiden ein Heide“ werden (1. Korinther 9, 20). Hier ist der Grund dafür zu finden, warum es ausgerechnet Missionare waren, die die verstehende Religionsforschung so weit vorangetrieben haben und die anderen Religionen von innen heraus zu verstehen suchten und sie so darstellten, dass den Lesern ihrer Berichte gelegentlich Zweifel kamen, ob man angesichts der Schönheit und Tiefe der beschriebenen Religion überhaupt noch als Missionar auftreten könne. Es geht in der Mission, in der Begegnung der Kirche mit anderen Religionen, nicht um die Begegnung von einer überlegenen mit einer minderwertigen Religion, sondern um Wahrheit. Die Beantwortung der Wahrheitsfrage jedoch kann nur im Horizont des Verstehens geschehen. Den Raum des Verstehens zu schaffen, dem dient die interreligiöse Hermeneutik und ermöglicht damit, dass der Dialog und das wechselseitige Zeugnis von der Wahrheit, die man glaubt und die das eigene Leben bestimmt, rein und lauter geschieht, so dass in der Begegnung, mit Rudolf Otto zu sprechen, nicht „politische Systeme, nicht wirtschaftliche Gruppen, nicht soziale Interessen, ... gegeneinander aufstehen“, sondern endlich „Geist auf Geist, Ideal auf Ideal, Erlebnis auf Erlebnis trifft, es jeder ohne Hülle sagen muss, was er Tiefstes, was Echtes hat, und ob er was hat“.7
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Rudolf Otto, Vishnu-Narayana. Texte zur indiche Gottesmystik I, Jena 1917, 155.
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Auch „fremder“ Glaube bildet Response zum Beitrag von Theo Sundermeier Holger Eschmann Zunächst einmal ganz herzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Sie haben das Thema unserer Tagung in einen weiten Zusammenhang gestellt – ein Zusammenhang, der noch einmal eine andere für unsere weltweite Evangelischmethodistische Kirche wichtige Perspektive eröffnet. „Glaube bildet“ steht über dieser Theologischen Woche. Glaube bildet, das heißt nach dem von Ihnen Gesagten, dass auch der Glaube in anderen Religionen und Weltanschauungen bildet – und zwar nicht nur mein andersgläubiges Gegenüber in seiner Religion. In der Begegnung mit dem fremden Menschen bildet der Glaube des anderen auch mich als Christen. Wenn es in der Mission, in der Begegnung der Kirche mit anderen Religionen um Wahrheit im Horizont des Verstehens geht, dann ist Mission Bildungsimpuls gerade auch für den christlichen Missionar und die christliche Missionarin und damit auch für die Kirche. Ich möchte in meiner kurzen Antwort auf das Gehörte einige Aussagen noch einmal unterstreichen und auch Fragen zum weitergehenden Verstehen stellen. Spricht man in unserer Gesellschaft mit Menschen, die nur wenig Bezug zur Kirche und zum christlichen Glauben haben, über Mission, wird man häufig zu hören bekommen: Mission ist, wenn Christen in die weite Welt reisen, um ihre Botschaft, die sie dogmatisch fertig im Gepäck mitgenommen haben, mehr oder weniger massiv an den Mann und an die Frau zu bringen versuchen. In Unkenntnis der Missionsgeschichte kann man ihnen wohl auch nicht vorwerfen, dass sie die christliche Mission häufig von ihren unseligen Auswüchsen her wahrnehmen. Interessant ist aber nun, dass wir häufig theologisch ganz ähnliche Antworten bekommen, wenn wir Personen fragen, die – wie die Kirchensoziologie sie bezeichnet – zu den ganz hochverbundenen Christen und Christinnen gehören. Auch hier begegnet zuweilen die Anschauung, dass Mission ein deutliches Gefälle habe. Missionare bringen die erlösende Botschaft zu den Menschen, die ohne sie verloren sind. Und das Ganze wird wie eine religiöse Einbahnstraße verstanden, denn die einen haben die Wahrheit und die anderen müssen sie erst noch erhalten und erkennen. Eine Umkehr dieses Vorgangs wäre undenkbar.
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Demgegenüber haben mich Ihre Ausführungen überzeugt, dass Mission mit gegenseitigem Verstehen zu tun hat, mit dem guten Hören aufeinander, mit Achtung voreinander und dem Lernen voneinander und dass Mission – in diesem Sinne verstanden – zu einem gelingenden Zusammenleben in multireligiösen Kontexten beitragen kann. Ich fand weiter sehr einleuchtend, wie differenziert Sie über das „Fremdsein“ gesprochen haben. Sie haben es nicht postmodern als schicke, bereichernde Alternative verharmlost oder psychologisch als meine eigene Projektion aufgelöst. Beides würde ja das Fremde als von mir Unterschiedenes nicht wirklich ernst nehmen und es würde mich als Referenzrahmen für die Deutung absolut setzen. Schließlich möchte ich unterstreichen, was Sie zur teilnehmenden Beobachtung und auch teilnehmenden Erfahrung gesagt haben. Wahre, Herz und Verstand umfassende Bildung geschieht nicht da, wo ich aus ängstlicher oder scheinbar überlegener Distanz heraus das Fremde und den Fremden nur mit meinen Maßstäben messe und beurteile und dabei häufig nur mitgebrachte VorUrteile konserviere. Bildung, die über das immer schon Gewusste hinausgeht, lässt sich teilnehmend ein auf das Gegenüber und seine oder ihre alternative Sicht der Dinge. Sie versucht – so gut dies geht –, Gott und die Welt mit den Augen der anderen wahrzunehmen. Eine Frage bewegt mich aber doch angesichts des letzten Teil Ihres Vortrags. Hier sind Sie über das Motiv der teilnehmenden Beobachtung und Erfahrung noch hinausgegangen und haben von einem Unterschied zwischen interkultureller und interreligiöser Hermeneutik gesprochen. Geht es aus Sicht der interkulturellen Hermeneutik um die Tugend des Respekts, wird in der interreligiösen Hermeneutik die Wahrheitsfrage gestellt. Und hier sprechen Sie nun von einer Besonderheit der christlichen Religion, die sich in der Begegnung mit dem Anderen selbst riskiert, weil sie sich von der Liebe leiten lässt, die Liebe, die – schon nach dem Apostel Paulus – nicht das Ihre sucht (1. Korinther 13, 5). Mission wird von Ihnen als das vorbehaltlose Sich-Einlassen auf den fremden Menschen und seine Religion beschrieben, gewissermaßen ohne Rücksicht auf Verluste, weil in der Gewissheit, dass ein Aufgeben vertrauter, lieb gewonnener Positionen um der Wahrheit willen gar keinen Verlust bedeutet. Sie zitieren in diesem Zusammenhang 1. Korinther 9, 20, wo Paulus davon spricht, den Juden ein Jude und den Heiden ein Heide zu werden. Und hier setzt nun meine Frage ein: Diese Passage von 1. Korinther 9, 19–23, in der die von Ihnen zitierten Worte vorkommen, hat in jedem der Verse einen Zielpunkt. Paulus macht sich zum Knecht jedermanns und wird den Juden ein Jude und den Heiden eine Heide, damit er sie „gewinnt“: „Denn obwohl ich frei bin von
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jedermann‘‘, schreibt er, „habe ich mich doch jedermann zum Knecht gemacht, damit ich möglichst viele gewinne. […] Ich bin allen alles geworden, damit ich auf alle Weise einige rette.’’ Der Begründer der methodistischen Missionsbewegung, John Wesley, schreibt in den Regeln für seine Mitarbeiter: Du hast nichts anderes zu tun, als Seelen zu retten ... Es ist nicht deine Aufgabe, so und so oft zu predigen und dich um diese oder jene Gemeinschaft zu kümmern, sondern so viele Seelen zu retten, als du vermagst, so viele Sünder zur Reue zu bringen, als es dir möglich ist und sie dann mit deiner ganzen Kraft aufzubauen in jener Heiligkeit, ohne die niemand den Herrn sehen kann.1
Auch hier wird dieser Zielpunkt deutlich. Offensichtlich gehen Paulus wie Wesley davon aus, dass es „verlorene“ Menschen gibt, die es zu gewinnen und zu retten gilt. Können wir bei dem von Ihnen skizzierten Missionsverständnis, noch von verlorenen Menschen sprechen, die zu retten sind? Oder müssen wir andere Vorstellungen und Worte finden, die besser geeignet sind, das Heilshandeln Gottes in der christlichen Mission auszusagen? Ich stelle diese Frage, weil ich sie im Gespräch mit Menschen aus unseren Kirchengemeinden immer wieder höre. Und ich frage noch weiter: Müssten wir uns vielleicht selbst immer wieder auch zu diesen Verlorenen rechnen, die in der Begegnung mit Menschen anderer Religionen Heilserfahrungen – weil Wahrheitserfahrungen – machen?
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„You have nothing to do but to save souls ... It is not your business to preach so many times, and to take care oft this or that society; but to save as many souls as you can; to bring as many sinners as you possibly can to repentance, and with all your power to build them up in that holiness without which they cannot see the Lord.“ (Minutes of Several Conversations between Mr. Wesley and Others (1744–1789), in: The Works of John Wesley, 3rd Ed. by Th. Jackson, Grand Rapids 1984, Vol. VIII, 310; deutsche Übersetzung in: John Wesley, Konferenzgespräche über Lehre und Ordnung. Methodistische Studientexte, hrsg. vom Studienprogramm Graz/Weiern, Graz o.J., 57.
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Teil III Hermeneutische und bildungspraktische Herausforderungen in der Postmoderne
„… lehrt sie halten alles, was ich euch befohlen habe“ Bibelarbeit zu Matthäus 28, 18b–20 Ina Praetorius 1. Das Schöne an sehr bekannten Bibelstellen ist, dass man sie auswendig hersagen kann. Zumindest, wenn man anständig kirchlich sozialisiert ist. Der sogenannte „Missionsbefehl“ aus dem 28. Kapitel des Matthäusevangeliums gehört zu den sehr bekannten Bibelstellen: 18b
Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 19Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker: taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes 20und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.
Das war die Version der Lutherbibel, die ich im Jahr 1970 zur Konfirmation geschenkt bekommen habe. Es ist schön, einen Bibeltext auswendig hersagen zu können. Das schafft ein Gefühl von Beheimatung. 1 Und Heimat brauchen wir alle, ob wir es wahrhaben wollen oder nicht. Muttersprache schafft Heimat. Und die Bibelübersetzung Martin Luthers ist für meine deutsche Muttersprache prägend geworden wie kaum ein anderes Buch. Tatsächlich: Ich höre in mir die Stimme meiner Mutter, wenn ich diesen Text lese. Meine Mutter war zwar nie besonders kirchentreu. Im Gegenteil: Sie ist ziemlich kritisch ihrer württembergischen evangelischen Kirche gegenüber eingestellt. Gegen das, was sie „Frömmelei“ nennt, ist sie noch heute, mit zweiundneunzig Jahren, allergisch. Aufgewachsen im Dunstkreis des Pietismus, kennt sie aber viele biblische und kirchliche Texte auswendig, seit ihrer Kindheit. Und sie liebt diese Texte, wie ich inzwischen auch. 2. Das Problem mit sehr bekannten Bibelstellen ist, dass man immer schon weiß, was drinsteht. Man weiß sogar mehr als drinsteht. Zum Beispiel
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Vgl. dazu: Arbeitstitel: Heimat. Eine Reise, Schweizer Frauensynode 2007 in Luzern, Luzern 2007. http://www.frauenkirche-zentralschweiz.ch/assets/pdf/HeimatRede.pdf.
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weiß man, dass es sich bei diesen paar Sätzen ganz am Ende des ersten Evangeliums um den „Missionsbefehl“ handelt. Mission? Befehl? Der Begriff „Missionsbefehl“ hat sich als Losungswort bewährt: Einer sagt dieses Wort, und die Gemeinde der Kennerinnen und Kenner weiß: gemeint ist Matthäus (Mt) 28, 18–20. Aber ist dieser Text wirklich ein Befehl zu missionieren? Zumindest sollten wir uns darüber verständigen, was wir meinen, wenn wir „Mission“ und „Befehl“ sagen. Für solche Verständigungsprozesse ist es gut, dass die Bibel immer mal wieder neu übersetzt wird. Zum Beispiel haben wir inzwischen eine „Neue Zürcher Bibel‘‘2. Wenn ich hier Mt 28, 18–20 aufschlage, finde ich als Überschrift nicht „Missionsbefehl“, sondern „Der Auftrag des Auferstandenen“. Und der vertraute Text hört sich so an: 18b
Mir ist alle Macht gegeben im Himmel und auf Erden. 19Geht nun hin und macht alle Völker zu Jüngern: Tauft sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes 20und lehrt sie alles halten, was ich euch geboten habe. Und seid gewiss: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende..
Die Neue Zürcher Bibel will unser Heimatgefühl nicht stören. Das ist freundlich. Immerhin hat sie ein paar Wörter ersetzt, gegen die viele Leute mit guten Gründen allergisch sind, so wie meine Mutter gegen das allergisch ist, was sie „Frömmelei“ nennt. Der Begriff „Mission“ in der Überschrift ist ganz weggefallen. Statt „Befehl“ heißt es „Auftrag“, statt „befohlen“ „geboten“, und die „Gewalt“ ist durch die „Macht“ ersetzt. Außerdem haben die Übersetzer zur Kenntnis genommen, dass wir heute Imperative wie „gehet“ oder „machet“ als altmodisch empfinden. Wir sagen „geht“ oder „macht“. Das altertümliche „und siehe“, das eigentlich nur in der Bibel und vor allem in der Jesus-Sprache vorkommt, ist weggefallen. Es heißt jetzt: „Seid gewiss ...“. Die Schweizer gelten als Meister des Kompromisses, und manchmal sind sie es auch. 3. Und dann gibt es noch die „Bibel in gerechter Sprache“ (BigS)3. In ihr sind die gewohnten Zwischentitel ganz verschwunden. In der Einleitung heißt es dazu: Wir haben darauf verzichtet, der Übersetzung interpretierende und gliedernde Zwischenüberschriften beizufügen, obwohl es reizvoll gewesen wäre, jeweils eine Lesehilfe mitzuliefern. Aber solche frei erfundenen Zwischenüberschriften werden von den Leserinnen und Lesern häufig als
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Neue Zürcher Bibel, Zürich 2007. Ulrike Bail u.a. (Hg.), Bibel in gerechter Sprache, Gütersloh 2006.
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Bestandteil des Textes wahrgenommen. In den zu übersetzenden bibli4 schen Büchern gibt es keine Zwischenüberschriften.
Ich kenne viele Menschen, für die es ein echtes Aha-Erlebnis war zu erfahren, dass die Zwischentitel in den üblichen Bibelausgaben von den jeweiligen Übersetzern, also zum Beispiel von Martin Luther „frei erfunden“ sind. Dass es in der Bibel in gerechter Sprache keine solchen Zwischentitel mehr gibt, ist textgerecht, erschwert aber die Orientierung, vor allem für Nichtfachleute. Denn Nichttheologinnen und -theologen haben zwar in ihren Bücherregalen oft eine Bibel, aber daneben meistens keine Konkordanz stehen. Ist solche Orientierungslosigkeit gut oder schlecht? Die Übersetzerinnen und Übersetzer der BigS sagen, dass es „reizvoll“ gewesen wäre, den Bibelleserinnen und -lesern „Lesehilfen“ zu geben, sprich: theologische Leitplanken zu setzen, die sich vielleicht später einmal – in ein paar hundert Jahren – zu neuen Losungswörtern und zu einem neuen Heimatgefühl entwickeln könnten. Sie haben zugunsten der Treue zum Original und der Eigenständigkeit der Leserinnen und Leser auf die üblichen theologischen Lenkungsmaßnahmen verzichtet. Das stört das Heimatgefühl empfindlich – und gibt uns zu denken. Wenn die BigS nun nicht auf Zwischentitel verzichtet hätte, was hätte Luise Schottroff, die Übersetzerin des Matthäusevangeliums, dann wohl über den Text geschrieben, der einmal „Missionsbefehl“ hieß? Ermahnung zur Toratreue? Verallgemeinerung des Liebesgebotes? Das Mysterium jesuanischer Politik? Vermittlung des Evangeliums in die weite Welt? 4. Und wie hat Luise Schottroff Mt 28, 18b–20 übersetzt? So: 18b
Gott hat mir alle Macht im Himmel und auf der Erde gegeben. Macht euch auf den Weg und lasst alle Völker mitlernen. 19Taucht sie ein in den Namen Gottes, Vater und Mutter für alle, des Sohnes und der heiligen Geistkraft. 20Und lehrt sie, alles, was ich euch aufgetragen habe, zu tun. Und seht: Ich bin alle Tage bei euch, bis Zeit und Welt vollendet sind.
Wenn ich mich in dieser Übersetzung zurechtfinden oder sogar beheimaten will, dann bleibt mir nichts anderes übrig als: Nachdenken. Warum heißt es nicht mehr „Mir ist gegeben‘‘, sondern „Gott hat mir ... gegeben‘‘? Als Theologin habe ich die Möglichkeit, im novum testamentum 4
A.a.O., 14.
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graece, dem sogenannten Nestle-Aland nachzuschauen, wie die Stelle auf Griechisch heißt. Hier steht das Wort, das „gegeben“ heißt, im Passiv. Warum hat Luise Schottroff es wohl aktiv, mit dem Subjekt „Gott“ übersetzt? Die Freundinnen und Freunde Jesu sollen nicht mehr „lehren“, sondern „alle Völker mitlernen lassen‘‘. Was bedeutet das? Was mir an dieser Übersetzung gefällt, ist, dass auch die Lehrbeauftragten als Lernende erscheinen. Wir sind also hier alle gemeinsam unterwegs zur Wahrheit. Und was ist gemeint, wenn statt von „Taufe“ vom „Eintauchen in den Namen Gottes‘‘ die Rede ist? Wenn ich „Taufe“ höre, dann sehe ich vor meinem inneren Auge ein beruhigend vertrautes Bild: einen Säugling auf dem Arm seiner Mutter, dem ein Talarträger ein paar Tropfen Wasser auf die Stirn träufelt. Verstanden! Was aber ist gemeint, wenn alle Völker in den Namen Gottes eingetaucht werden sollen? Im Übrigen gibt es inzwischen viele Menschen, die beim Stichwort „Taufe“ keineswegs dieses vertraute Bild sehen und das entsprechende Heimatgefühl empfinden. Denn kirchliche Riten sind vielen fremd geworden. Vielleicht geht diesen Leuten aber bei der Vorstellung, sie würden „in den Namen Gottes eingetaucht“ ein Licht auf? Statt „taufet sie auf den Namen Gottes des Vaters ...‘‘ steht da „taucht sie ein in den Namen Gottes, Vater und Mutter für alle ...‘‘. Und der „heilige Geist“ ist zur „heiligen Geistkraft“ geworden. Da dreht sich die Sache für mich unversehens um. Denn die Worte „Gott Vater und Mutter“ und „Geistkraft“ vermitteln mir das Heimatgefühl, das ich in den traditionellen Bibelübersetzungen schmerzlich vermisse, seit ich angefangen habe, patriarchatskritisch zu denken. Und das ist schon dreißig Jahre her. Diese neue, andere Art Heimatgefühl beim Lesen eines Bibeltextes zu empfinden, ist für mich eine große Freude. Hier habe ich die Arbeit des Nachdenkens nämlich schon geleistet, und jetzt empfange ich gewissermaßen den Lohn dafür: Wie schön! Ich fühle mich zuhause in meiner neuen Bibel! Bei Luther und Zwingli sollen die Völker „gelehrt“ werden, Befehle oder Gebote zu „halten“. Was ist mit diesem „Halten“ eigentlich gemeint? Was bedeutet es in meinem Alltag, ein „Gebot zu halten“? In der BigS heißt es: Die Völker sollen lernen, „zu tun, ... was ich euch aufgetragen habe‘‘. Aha, es geht ums Tun. Da scheint eher meine Aktivität als mein festhaltender Gehorsam gefragt zu sein.
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Nestle-Aland, Novum testamentum graece, 27. Aufl., Stuttgart 1993.
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„Bis an der Welt Ende‘‘ – diese Wendung finden auch Germanisten, die die Kirche längst abgeschrieben haben, wunderschön. Aber warum eigentlich? Weil das hohe Alter von fünfhundert Jahren den Worten Würde verleiht, Patina sozusagen? Weil wir diese Wortverbindung „bis an der Welt Ende‘‘ schon zu hören bekamen, als wir selbst noch nicht sprechen konnten? Oder etwa weil wir verstehen, was gemeint ist? Luise Schottroff übersetzt: „Bis Zeit und Welt vollendet sind‘‘. Geht es, wenn im Griechischen ἕως τῆς συντελείας steht, um ein beliebiges „Ende der Welt“ oder um göttliche „Vollendung“? – Nachdenken! Die Bibel in gerechter Sprache vermittelt also, abgesehen von dem mir inzwischen vertrauten „Gott Vater und Mutter“ nicht dasselbe vertraute Gefühl wie die Lutherbibel oder die Neue Zürcher Bibel. Sie irritiert, stolpert und lässt stolpern. Ist das gut oder schlecht? 5. Wie die meisten oder sogar alle Menschen schätze und brauche ich das Gefühl der Beheimatung. Und dieses Gefühl entsteht wohl vor allem in der frühen Kindheit. Aber mit Ernst Bloch bin ich der Meinung, dass man in der Heimat, die mir und „allen in die Kindheit scheint“6 nicht einfach bleiben kann. Zumindest nicht, ohne sein Erwachsensein aufs Spiel zu setzen. Bloch beschreibt die zweite, die erarbeitete, erstrittene Heimat zwar in einer Sprache, die uns heute ein bisschen pathetisch vorkommt. Seine Sprache passt nicht in postpatriarchale Zeit, obwohl auch dieses Deutsch mir etwas wie Heimatgefühl vermittelt Die wirkliche Genesis ist nicht am Anfang, sondern am Ende, und sie beginnt erst anzufangen, wenn Gesellschaft und Dasein radikal werden, das heißt sich an der Wurzel fassen. Die Wurzel der Geschichte aber ist der arbeitende, schaffende, die Gegebenheiten umbildende und überholende Mensch. Hat er sich erfasst und das Seine ohne Entäußerung und Entfremdung in realer Demokratie begründet, so entsteht in der Welt etwas, das allen in die Kindheit scheint und worin noch niemand war: Heimat.7
Ja, so redeten wir damals, in den siebziger Jahren. Ich drücke, was Ernst Bloch meint, etwas weniger geschwollen aus, und siehe da, er gibt uns einen wichtigen Hinweis: Die Heimatgefühle, die wir aus der Kindheit, zum Beispiel aus längst vergangenen Tauf- und Weihnachtsfeiern mitbringen, sind zwar schön, aber kein sicherer Boden für erwachsenes Zusammenleben. Diese Erkenntnis gilt auch für den Umgang mit den Hei6 7
Ernst Bloch, Das Prinzip Hoffnung. Dritter Band, Frankfurt a.M. 1978 (orig. 1959), 1628. Ebd.
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ligen Schriften. Und deshalb ist es ein Segen, dass es nicht nur die Neue Zürcher Bibel, sondern auch die Bibel in gerechter Sprache gibt, die sich nicht auf sanfte Anpassungen an den heutigen Sprachgebrauch beschränkt, sondern der ganzen Bibelsache neu, postpatriarchal auf den Grund geht: Was will uns die Bibel denn eigentlich mitteilen? Was meint Matthäus, wenn er Jesus sagen lässt: 18b
Macht euch auf den Weg und lasst alle Völker mitlernen. 19Taucht sie ein in den Namen Gottes, Vater und Mutter für alle, des Sohnes und der heiligen Geistkraft. 20 Und lehrt sie, alles, was ich euch aufgetragen habe, zu tun. Und seht: Ich bin alle Tage bei euch, bis Zeit und Welt vollendet sind.
Was hat uns Jesus denn aufgetragen? Was sollen wir tun? Wie sollen wir leben? Ich finde es befreiend, über solche Fragen noch einmal ganz von vorne nachzudenken. Diesseits fixer Ideen davon, was recht und anständig ist, was Frauen, was Männer, was Kinder tun dürfen, wie die Bibel sich anhören muss, wie eine Familie oder ein Staat oder eine Kirche vorschriftsmäßig funktionieren. Solche Vorstellungen sind doch alle längst zu Recht erschüttert, durch menschliches Versagen in zahllosen Kriegen, durch den Holocaust, durch Kolonialismus und Postkolonialismus, durch die ökologische Frage, interkulturelle Begegnungen, die Patriarchatskritik ... – Und die Bibel ist nun eben nicht das Buch, das uns in die gefühlten Sicherheiten unserer Kindheit zurück geleitet. Nein, bestimmt nicht. Was also hat Jesus uns aufgetragen? Was werden wir tun? Wie wollen wir leben? 6. Ich habe den Auftrag des Wanderpredigers Jesus von Nazaret so verstanden: Es gibt etwas, das in jeder einzelnen Situation in die Mitte gehört. Und das ist die Liebe. Im 22. Kapitel des Matthäusevangeliums steht eine kurze Geschichte, in der ein gelehrter Mann Jesus nach dem höchsten Gebot fragt: 35
... ein Toragelehrter befragte ihn, um ihn auf die Probe zu stellen: 36„Lehrer, wel37 ches Gebot in der Tora ist das größte?“ Er sagte zu ihm: „Du sollst Adonaj, deinen Gott, von ganzem Herzen, mit deinem ganzen Leben und mit deinem ganzen Verstand lieben. 38Dies ist das große und erste Gebot. 39Und das zweite ist ihm gleich: Du sollst deine Nächsten lieben wie dich selbst. 40An diesen beiden Geboten hängt die ganze Tora und die Prophetie.“
Dass die Liebe in die Mitte von allem gehört, hat auch Paulus verstanden. Sonst hätte er nicht das berühmte dreizehnte Kapitel des ersten Korintherbriefes geschrieben. Und der Kirchenvater Augustin hat es auch verstanden. Sonst hätte er nicht den ebenso berühmten wie anstößigen kurzen Satz geschrieben (Predigt VI zum 1. Johannesbrief): ama et fac quod vis (liebe und tu, was du willst).
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Wenn ich liebe, kann ich also tun, was ich will. Heißt das, Jesus habe die Weisung Gottes, die Tora, durch die Liebe ersetzt? Nein, das kann nicht stimmen. Denn in der Bergpredigt (Mt 5) hat er ausdrücklich bekräftigt: 17
Denkt nicht, ich sei gekommen, die Tora und die prophetischen Schriften außer Kraft zu setzen! Ich bin nicht gekommen, sie außer Kraft zu setzen, sondern sie zu erfüllen. 18Wahrhaftig, ich sage euch: Bevor Himmel und Erde vergehen, wird von der Tora nicht der kleinste Buchstabe und kein einziges Häkchen vergehen, bis alles getan wird ...
Was nun? Soll ich tun, was ich will, oder soll ich die Gebote halten? Das Entscheidende an der Botschaft Jesu ist, dass sie nicht die Tora, sondern diesen scheinbaren Widerspruch auflöst. Denn zu lieben, Gott, mich selbst, die Welt, meine Mitgeschöpfe zu lieben, heißt: die Weisheit meiner Vorfahrinnen und Vorfahren durch mein Denken und Tun immer neu geistesgegenwärtig auslegen. Im Wort „Geistesgegenwart“ steckt die „Gegenwart“. In jedem unverwechselbaren und unwiederholbaren Hier und Jetzt kann ich verstehen, was Gott, die lebendige Geistkraft will. Dazu gehört beides: die Kenntnis der Schrift und die Urteilskraft der Liebe. Dass beides untrennbar zusammengehört, ist das offenbare Geheimnis der Botschaft Jesu. Sich in die Weisung Gottes und in die Liebe einzuüben, ist dasselbe. Denn „Gott ist Liebe‘‘ (1. Johannes 4, 8) Im vergangenen Frühjahr war ich ein paar Monate in Kinshasa. Dort habe ich die Welt von einer anderen Seite kennen gelernt. Und ich habe ein wunderbares Buch gelesen. Es heißt Songhai. Quand l’Afrique relève la tête und stammt von dem nigerianischen Dominikaner Godfrey Nzamujo. Nzamujo berichtet in diesem Buch über die Agrarkooperative „Songhai“ in Benin, und er schreibt dabei schöne, wahre Sätze über die Liebe, die er täglich neu in die Mitte seiner Arbeit in dieser Kooperative stellt. Einer davon lautet: Zu lieben bedeutet nicht, der Wirklichkeit mit Engelsgeduld oder scheinheiligem Lächeln zu begegnen. Die Liebe ist fordernd und kritisch. Ihre Nahrung ist nicht Nettigkeit oder weltgewandtes Auftreten. Sie will eine wirkliche Beziehung zu anderen, die wirklich da sind. Liebe kann erst existieren, wenn ich Lügen und oberflächliche Gefälligkeiten verabschiedet habe und meine eigene Originalität nicht mehr hinter der Nachahmung anderer verstecke. Es geht darum, bis an die Grenzen der Empörung zu lieben, sich aufzuregen über die Sackgassen, in die ein Teil der Menschheit geraten ist. Es geht darum, bis in die wirklichen Herausforderungen hinein zu lieben. Nicht weil ich der Messias bin oder ein Übermensch, sondern
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einfach weil ich jemand bin, der sich leidenschaftlich für das menschliche 8 Abenteuer begeistert: ein menschliches Wesen.
7. Und genau diese wirkliche kritische Liebe ist es, die mich dazu befreit, postpatriarchal, das heißt unter Einschluss der gesamten feministischen Bibelkritik, an die biblische Tradition anzuknüpfen. Ich werde weiterhin mit Leuten streiten, die behaupten, Gott bejahe die zweigeteilte Weltordnung des Patriarchats, die Unterordnung von Frauen oder AusländerInnen. Es war notwendig und es wird auch weiterhin notwendig sein, das biblische Patriarchat zu kritisieren. Ich akzeptiere nicht, dass im Dekalog die Frauen zum Besitz von Männern gezählt werden (Exodus 20, 17). Aber es ist ja auch gar nicht möglich, solche Gesetze unmodifiziert in die Gegenwart zu transportieren. Ich muss sie übersetzen, ob ich will oder nicht, das heißt: in kritischer Liebe verstehen, was gemeint ist, wenn es heißt: Giere nicht nach dem, was zu deinem Mitmenschen gehört ... (Exodus 20, 17a)
Auch was in meinen Kochbüchern steht, befolge ich ja nicht Wort für Wort, sondern ich schaue, was im Garten wächst und was noch im Kühlschrank vorrätig ist, und dann kreiere ich mit Lust und Liebe, mit Hilfe meiner Kochkenntnisse und des vertrauten Buches etwas Neues, das hoffentlich allen schmeckt und bekommt und das in genau dieser Zusammensetzung noch nie vorher auf unserem Esstisch stand. Genau in diesem Sinne ist auch die Bibel ein Rezeptbuch: ein Gesprächs- und Lernprozess, der täglich neue überraschende Taten in Gang setzt. 18b
Macht euch auf den Weg und lasst alle Völker mitlernen. 19Taucht sie ein in den Namen Gottes, Vater und Mutter für alle, des Sohnes und der heiligen Geistkraft. 20 Und lehrt sie, alles, was ich euch aufgetragen habe, zu tun. Und seht: Ich bin alle Tage bei euch, bis Zeit und Welt vollendet sind.
„In den Namen Gottes eingetaucht werden‘‘, das bedeutet: in die Liebe eingetaucht werden: die Liebe zur Welt, zur Tradition und zu meiner unverwechselbaren Gegenwart. Beides, die Weisheit meiner Vorfahrinnen und Vorfahren und die unverwechselbaren Herausforderungen meines Lebens jeden Tag neu zusammen zu bringen, so, dass etwas entsteht, das allen schmeckt und bekommt und das in genau dieser Zusammensetzung noch nie da war. Das ist es, was Jesus mir aufgetragen hat. 8
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Godfrey Nzamujo, Songhai. Quand l’Afrique relève la tête, Paris 2006, 28, eigene Übersetzung.
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Schleiermacher – ein Methodist? Christliche Bildung vor der Herausforderung der Postmoderne Clive Marsh Gleich zu Beginn muss ich eine grundsätzliche, historisch-biographische Bemerkung machen: Schleiermacher war natürlich kein Methodist. Dann muss ich aber erklären, warum es trotzdem wichtig ist, Schleiermacher und den Methodismus zusammenzubringen, und wie diese Nebeneinanderstellung für unsere heutige Arbeit als christliche Pfarrer, Pastorinnen und Erzieher fruchtbar sein kann. Im Titel bezeichne ich die Gegenwart als „postmodern“. Ich werde weiter unten diese Bezeichnung näher definieren. Hier am Anfang brauche ich nur dies anzumerken: Ob wir uns nun über die Bestimmung des Wortes postmodern einig sind oder nicht oder ob wir zustimmen, dass wir unser Zeitalter als postmodern bezeichnen sollten oder nicht, in jedem Fall wird unsere Gegenwart von vielen als postmodern beschrieben. Es lohnt sich zu untersuchen, weshalb das so ist. Ich werde in vier Schritten vorgehen. Erstens erkläre ich, was es bedeutet, Schleiermacher und den Methodismus zusammenzubringen. Zweitens werde ich christologische Überlegungen einbringen, durch die ein gegenwärtiges Verständnis der Bildung des Menschen deutlich gemacht werden soll. Drittens werde ich in einem darauf aufbauenden Teil zu zeigen versuchen, warum es sich lohnt, meinen Vorschlag genau zu bedenken, denn mir scheint, dass er für das heutige christliche und allgemeinmenschliche Nachdenken und Handeln nicht nur hilfreich, sondern wesentlich sein kann. Ich schließe viertens mit vier praktischen Vorschlägen für eine Reform theologischer Bildung im weitesten Sinne. I.
Schleiermacher – ein Methodist?
In seinem 1996 erschienenen Buch Telling the Story: Gospel, Mission and Culture schreibt der englische Theologe und Religionssoziologe Andrew Walker: Jonathan Edwards und John Wesley waren Erben des Pietismus des 16. Jahrhundert, der die Bedeutung der Emotionen, der Gewissheit des Heils und des selbstbewussten Gottesbewusstseins betont hat ... Die Betonung der adäquaten Gefühle durch die Erweckungsbewegungen bezieht
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sich auch auf die Bedeutung des Individuums ... Man kann wohl auch sagen, dass der deutsche Pietismus in seiner wesleyanischen Art eine anthropozentrische Wende mit sich gebracht hat – vom transzendentalen Gott des Puritanismus zum immanenten Gott der religiösen Erfahrung. John Wesleys berühmter Spruch „mein Herz wurde seltsam erwärmt“ fällt uns an dieser Stelle ein.1
Wie für alle Historiker und Historikerinnen ist auch für Walker die Verbindung zwischen dem Pietismus und Wesley offensichtlich. John Wesley war deutlich vom Pietismus beeinflusst, als er seinen Beitrag zur Entwicklung der methodistischen Bewegung geleistet hat – gleichgültig, wie er sich dann weiter entwickelte und wo die anderen Wurzeln seiner Gedanken und seiner Praxis liegen. Wesley war in seinem Interesse an der Religion des Herzens ganz klar Pietist. Ob dieses Interesse zum Individualismus und zum Verlust der Transzendenz führte, wie Walker meint, ist allerdings hinterfragbar. Auffällig ist, was Walker zu Schleiermacher sagt. Er macht zunächst eine Reihe positiver Bemerkungen zum Einfluss der Erweckungsbewegungen im 18. Jahrhundert. Da Jonathan Edwards und John Wesley zutiefst in der Tradition der Kirche verwurzelt waren, versuchten sie nicht, mit ihrer Herkunft zu brechen und etwas völlig Anderes anzufangen. Zweitens förderten die Erweckungen, dass Christen die Tradition mit Leben füllten, und nicht nur davon sprachen. Drittens war die Herzensreligion nicht nur ein individualistisches, psychologisches Phänomen. Der psychologische Aspekt war vielmehr Beweis eines wirklich gottgegebenen inneren Lebens. Die Erweckungen haben, viertens, auch die Massen, die Ungebildeten erreicht. Sie haben erneut Aufmerksamkeit auf die Bedeutung der mündlichen Tradition gelenkt, was in einer bereichernden Praxis des gemeinschaftlichen Geschichtenerzählens erkennbar wurde. Und schließlich – obgleich sich dies im 19. Jahrhundert etwas veränderte – konnten die Erweckungensbewegungen ursprünglich dem bürgerlichen Säkularismus widerstehen. Mitten in seinem dritten positiven Punkt fügt Walker eine Kritik an Schleiermacher ein. Die Gefühlsreligion sei eben nicht nur ein individualistisches, psychologisches Phänomen gewesen. Deswegen sei Edwards nicht mit Schleiermacher zu vergleichen. Schleiermacher, meint Walker, „hatte die Tendenz, die Gemütsbewegungen dazu zu nutzen, die dogmatische Wahrheit des Evangeliums zu vermeiden“.2 Edwards und Wesley werden 1 2
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Andrew Walker, Telling the Story. Gospel, Mission and Culture, London 1996, 63. A.a.O., 65.
Clive Marsh
also im Großen und Ganzen von Walker positiv beurteilt. Schleiermacher dagegen ist verdächtig. Nachdem er sich für die Erweckungsbewegungen ausgesprochen hat, äußert Walker allerdings auch im Blick auf Wesley einen Verdacht: „Auch bei Wesley, der ja immer seinen eigenen geistlichen Puls fühlen wollte, sieht man Anzeichen dafür, dass er vor allem mit sich selbst 3 und seiner Erfahrung beschäftigt war.“ Walker meint, dass Wesley, indem er das Moment der Erfahrung zum dreibeinigen Hocker von Richard Hooker (d.h. zu Schrift, Tradition, Vernunft) hinzugefügt hat, auch den Methodisten Probleme bereitet habe. Wegen dieser Hinzufügung der Erfahrung weise der Methodismus weniger Respekt für Schrift und Tradition auf. Deswegen konnte er auch zu leicht eine Verbindung mit der liberalen Frömmigkeit eingehen, in der die Vernunft überbetont werde. Zum Abschluss sagt Walker: Das ist also die Ironie der christlichen Geschichte im Zeitalter der Bildung. Einerseits hat Schleiermacher als Pietist und Erfahrungstheologe die Haupttradition des Christentums auf den langen liberalen Weg der Amnesie des Evangeliums geführt, weil er die Verbindung zwischen Erfahrung und geoffenbarter Wahrheit zerbrochen hat. Andererseits hat die Erweckungsbewegung, obgleich sie formal auf einer Verpflichtung zur Offenbarung beruht, die Tendenz gehabt, die Offenbarung, wie sie in der großen christlichen Geschichte gegründet ist, durch die Gefühlsreligion zu überwinden.4
Im Grunde entspricht das ganze Kapitel diesem Zitat. Ich behaupte, dass Walker hier ein Körnchen Wahrheit ausspricht, aber auch nur ein Körnchen. Viel stärker ist er hier im Irrtum. Die Gründe für meine Einwände gegen ihn sollen fruchtbare Einblicke für die gegenwärtige Situation bieten. Ich möchte im Gegensatz zu Walker zeigen, dass Wesleys und Schleiermachers gemeinsamer Respekt für die christliche Tradition einige scharfsinnige Herausforderungen für heute anbietet. Denn beide widmeten ihre Aufmerksamkeit der Gefühlsreligion im weiteren Sinne, und der Widerstand beider galt dem Individualismus im Christentum. Ich möchte vor allem zeigen, dass Schleiermacher als Systematiker Wesley und die Methodisten viel zu lehren hat. Hätte ich mehr Raum, dann würde ich auch zeigen wollen, dass der Methodismus Schleiermacher und seinen Tendenzen zur bürgerlichen und schließlich kirchenfixierten liberalen Theologie etwas zu lehren vermag. Das muss an anderer Stelle unter3 4
A.a.O., 73. A.a.O., 74.
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sucht und erklärt werden. Mein Hauptanliegen ist jetzt, Walkers Auffassung zu korrigieren. II. Eine Christologie der christlichen Bildung Um zu zeigen, was Schleiermacher uns lehren kann, möchte ich im Folgenden im Dialog mit ihm eine aktuelle Christologie der christlichen Bildung entwickeln. Ich will fragen, wie ein christliches Verständnis der Präsenz Christi in der heutigen Welt unser Verständnis der Bildung des Menschen zu beeinflussen vermag. Ich bin dabei nicht an einem Verständnis der christlichen Bildung interessiert, das von der Welt isoliert ist, d.h. das irgendwie erfunden ist, als ob es außerhalb der heutigen Gesellschaft und der täglichen Beziehungen existiert, in denen wir ja alle stehen. Mein Anliegen ist erstens zu fragen, wo und in welcher Form Christus heute erkennbar ist, und zweitens zu untersuchen, wie die Antwort auf diese Frage von der menschlichen Erfahrung Christi beeinflusst wird. Die zweite Frage ist natürlich gefährlich. Überhaupt von einer Erfahrung Christi zu reden, setzt voraus, dass man eine Ahnung hat, was man sucht. Man könnte ja behaupten, dass die Christologie in Wirklichkeit von der Erfahrung kaum beeinflusst wird. Nun gibt es natürlich eine gewisse Kenntnis über die Christologie in der christlichen Tradition. Doch ich denke, dass die Tradition uns letztlich nur Hinweise darauf geben kann, wer und wo Christus ist. Sie kann uns nicht alles über ihn sagen. Auch wenn wir aus der Tradition genug für unser Heil übermittelt bekommen, wie könnte es sein, dass wir alles über Christus wissen, wenn Gott sich selbst in Christus immer noch in der Welt offenbart? Die Erfahrung und Untersuchung der Frage, was es heißt, Mensch zu sein, hängt also für den Gläubigen eng mit der Aufgabe zusammen, Christus neu zu entdecken. Diese enge Verbindung zwischen Christologie und Anthropologie belebt die Aufgabe der praktischen Theologie. Wir müssen nun einige Schritte vornehmen, die uns zeigen werden, wie die christozentrische Methode, die Schleiermacher in seiner Theologie benutzt, von seinen pietistischen Wurzeln abhängt, wie sie der methodistischen Praxis ähnelt und wie sie auf das heutige christliche Denken und Verhalten einwirkt. Der erste Schritt ist die Einsicht, dass das Werk Christi als Erlöser im Grunde uns in die „Gemeinschaft seiner Tätigkeit und seines Lebens“ auf-
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nimmt. Martin Redeker hat zu Recht angemerkt, dass die Christologie Schleiermachers nicht mit historischer Forschung beginnt, sondern mit der 6 unmittelbaren existentiellen Erfahrung der Offenbarung in Christus. Diese richtige Beobachtung betrifft aber nicht nur die Christologie. Sie bezieht sich auch auf Schleiermachers Gesamtverständnis der christlichen Erfahrung. Für Schleiermacher gibt es keine angemessene Auslegung der Christo7 logie, die nicht auch existenzbezogen ist. Und gleichzeitig kann er keine Auslegung der christlichen Erfahrung akzeptieren, die nicht fundamental 8 christologisch ist. Das Aufnehmen jener, die Christus folgen, in die „Gemeinschaft seiner 9 Tätigkeit und seines Lebens“ ist eine gemeinschaftliche Erfahrung. Sie befähigt die, die an der Gemeinschaft Christi teilhaben, sich selbst eines Gottesbewusstseins in ihrem eigenen Leben zu erfreuen. Dieses Gottesbewusstsein hängt nun aber mit der Teilhabe an einer Gemeinschaft derer ab, die die 10 Erlösung erfahren haben. Es ist keine Privatsache. Es gehört mit der Teilnahme an einer Gemeinschaft von Menschen zusammen, die schon wissen, was es heißt, Vergebung zu empfangen und selbst zu vergeben, und die deshalb bereits zum Teil die „Seligkeit“ erfahren, die die Zugehörigkeit in der erlösten Gemeinschaft mit sich bringt. Das Aufgenommensein in das Wirken des Erlösers heißt, dass eine Gemeinde oder Gemeinschaft gebildet wird, und die Entwicklung – also die Bildung – der Person geschieht innerhalb dieses inter-persönlichen Kontexts, in dem Christus erfahren wird.11 Individuen werden in ihrer Individualität inter-persönlich und nicht getrennt voneinander gebildet. Menschen können also nur nach voller Menschheit streben, wenn sie wissen, was es heißt, in Christus zu leben. Das aber weiß man nur durch die Erfahrung der lebendigen Gemeinschaft mit Christus. Diese lebendige Gemeinschaft wird durch interpersonelle Beziehungen erfahrbar. Die schlechthinnige Abhängigkeit von Gott spiegelt sich in der gegenseitigen Abhängigkeit von anderen Gläubigen wider.
5 6 7 8 9 10 11
Friedrich Schleiermacher, Der christliche Glaube 2, Berlin 1960 [1830], §100 und §107. Vgl. Clive Marsh, Christ in Focus. Radical Christocentrism in Christian Theology, Canterbury 2005, 84; F. Schleiermacher, Der christliche Glaube 2, §91. Christliche Glaubenssätze sind Auffassungen der christlich frommen Gemütszustände in der Rede dargestellt (Der christliche Glaube 1, §15 und §19). Vgl. Der christliche Glaube 1, §14. A.a.O., §6, §24.4; Der christliche Glaube 2, §87, §141. A.a.O., §100. A.a.O., §§106–110.
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Hier ist eine einfache, aber auch bemerkenswerte Beobachtung zu machen. In Schleiermachers Werk haben wir eine Bezeichnung des christlichen Lebens, wie sie evangelikale Christen und Christinnen häufig äußern: Der christliche Glaube ist von einer persönlichen Christuserfahrung abhängig. Es ist überraschend, dass man diese Betonung in der Theologie Friedrich Schleiermachers findet, des sogenannten Vaters der modernen liberalen Theologie. Dies muss uns aber nicht überraschen, denn schon Walker hatte ja mit Recht erkannt, dass Edwards, Wesley und Schleiermacher unter den Überschriften von Pietismus und Erweckung zusammengebracht werden können. Die Unterschiede zwischen dem vorherrschenden evangelikalen Verständnis einer persönlichen Erfahrung von Christus und Schleiermachers Auffassung sollten aber erwähnt werden. Schleiermacher betont die existenzielle Dimension des Glaubens. Indem er aber die gemeinsame Erfahrung von Christus – oder vielleicht noch besser: die Erfahrung von Christus mitten in den interpersonellen Beziehungen – als gemeinschaftliches Phänomen betrachtet, geht er eigenartigerweise in eine katholische Richtung.12 Und hier gibt es einen weiteren Beweis für die Verbindung zwischen Schleiermacher und dem Methodismus, nämlich die methodistische Betonung der „Klassen“ und „Banden“. Ich behaupte natürlich keine direkte kausale Verbindung. Ich merke nur an, dass die pietistischen Wurzeln hier noch einmal deutlich werden und ich biete damit auch ein Gegenargument gegen die Auffassung, dass Pietisten immer Individualisten seien. Schleiermacher zeigt also, wie – christologisch gesehen – ein Mensch in vollkommener Weise gebildet wird. Vollkommen menschlich zu sein, bedeutet, Gottes bewusst zu sein. Ein Gottesbewusstsein zu haben, heißt, dass man an der Gemeinschaft Christi partizipiert, weil Christus die Möglichkeit bietet, ein Gottesbewusstsein zu haben. Dieses Bewusstsein fordert die Notwendigkeit, mit anderen verbunden zu sein. In dieser stark komprimierten Beschreibung des christlichen Lebens spricht Schleiermacher zur gleichen Zeit sowohl von der christlichen als auch von der allgemeinmenschlichen Bildung. Wer aber ist das „Wir“, von dem er spricht? Wenn Schleiermacher anmerkt, dass die Tätigkeit des Erlösers „uns in diese Gemeinschaft seiner Tätigkeit und seines Lebens aufnimmt“, wer ist damit gemeint, und wo und 12
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Schleiermachers berühmte, aber auch irreführende Beschreibung des Unterschieds zwischen dem Katholizismus und dem Protestantismus (Der christliche Glaube I, §24) sollte hier erwähnt werden: „... der Protestantismus macht das Verhältnis des Einzelnen zur Kirche von seinem Verhältnis zu Christo abhängig, der Katholizismus macht umgekehrt das Verhältnis zu Christo von seinem Verhältnis zur Kirche abhängig.“
Clive Marsh
wie geschieht dieses Aufnehmen? Ich glaube, dass Schleiermacher in seinem Denken kirchenbezogener ist, als er selbst meinte, oder als es für uns heute 13 möglich ist. Schleiermacher hatte gläubige Christen und Christinnen im 14 Blick. Das „Wir“, das er erwähnt, sind Menschen, die schon wissen, dass sie in der Gemeinde der Erlösten sind. Es ist verständlich, weshalb er so argumentiert. Wie die meisten Theologen in der Geschichte des Christentums entwickelt Schleiermacher seine Theologie – trotzt der „Reden an die Gebildeten 15 unter den Verächtern der Religion“ – in einer Zeit, in der das Christentum kulturell noch beherrschend war. Heute müssen wir aber weiter denken. Im postmodernen Zeitalter müssen wir fragen, wie die Bildung des Menschen in Christus Bedeutung haben kann sowohl für die, die innerhalb der Gemeinschaft der Glaubenden stehen, als auch für die, die in ähnlichen menschlichen Gemeinschaften leben, durch die das, was Christen die Präsenz Christi nennen, erkennbar wird. Unsere Aufgabe ist also nicht einfach, das allgemeine tägliche Leben christologisch zu deuten oder zu beschreiben. Das tun wir ohnehin. Unsere Aufgabe ist vielmehr, durch dieses Unternehmen die Qualität der menschlichen Beziehungen zu verändern, indem die Präsenz Christi – das bedeutet: die Anwesenheit Gottes selbst – mitten in diesen menschlichen Beziehungen erkennbar wird. Es ist bemerkenswert, dass Schleiermachers Theologie mit ihren pietistischen Wurzeln hier überhaupt hilfreich sein kann. Mein Ziel ist es, seine Theologie und vor allem seine Christologie auf eine Weise weiterzuführen, die noch stärker säkularisiert ist, als er es selbst vielleicht wagen würde oder wagen wollte. Meiner Meinung nach ist es aber sowohl notwendig, dies zu tun, als auch im positiven Sinne konsequent, weil es der Richtung seines Denkens entspricht. Säkularisiert meint hier natürlich nicht, der Religion gleichgültig gegenüber zu sein, sondern nur, dass die Religion in der Welt keine privilegierte Stellung mehr besitzt und ihre Rolle verteidigen und geltend machen muss.16 13 14 15 16
Vgl. Marsh, a.a.O., 100.102. Vgl. Der christliche Glaube 1, §2 (auch §11). Friedrich Schleiermacher, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren Verächtern (1799), Berlin 2001. Schleiermacher ist oft vorgeworfen worden, dass er eine große und gefährliche Wende in der Theologie gebracht habe, nämlich die Wende zum menschlichen Subjekt. Ich glaube nicht, dass dieser Vorwurf haltbar ist, jedenfalls nicht in einem bestimmten Sinne. Es geht dabei vor allem um Schleiermachers Analyse des sogenannten „Gottesbewusstseins“ und des – wie er sagt – „schlechthinnigen Abhängigkeitsgefühls“ (Der Christliche Glaube I, §§4–5). Ein weiterer Aspekt ist Schleiermachers Betonung des interpersöhnlichen
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III. Der Bezug auf den postmodernen Kontext Ich komme nun zum kreativ-konstruktiven Teil des Referats. Unsere Aufgabe ist es, die Bildung der heutigen Christen und Christinnen im westlichen Kontext zu untersuchen. Wenn wir Wesley und Schleiermacher folgen wollen, dann gilt es zunächst anzuerkennen, dass die Begegnung mit Christus vor allem in einem gemeinschaftlichen Kontext stattfindet. Es ist nicht unwichtig, den Einfluss des sozialen Ortes auf die Aufgabe, Theologie zu treiben, in den Blick zu nehmen. Erlauben Sie mir bitte an dieser Stelle von mir selbst zu sprechen: Ich spreche und schreibe als ein sogenannter „Laie“. Ich bin Laienprediger in der Methodistischen Kirche in Großbritannien, bin also nicht Pfarrer. Ich leite nicht die Feier des Abendmahls. Ich bin nicht als Seelsorger einer Gemeinde eingesetzt. Es wird wenig Theologie außerhalb der akademischen Welt von Laientheologen geschrieben. Das bedeutet auch, dass nur sehr wenig kirchen- oder praxisbezogene Theologie von Laien geschrieben wird. Der erfahrungsmäßige Ausgangspunkt für die meisten Theologen ist also ein anderer, als die Erfahrung der Mehrheit der Christen (Arbeiterpriester hatten dies natürlich längst bemerkt). Ich erwähne dies nur, weil manche Rezensenten meiner Bücher über Christologie, deren Hauptthesen ich in diesem Referat zusammenfasse, die Meinung ausgesprochen haben, dass es günstiger wäre, wenn ich ordiniert wäre. Günstig deshalb, weil ich dann eine andere Lebenserfahrung hätte. Ich würde zum Beispiel besser sehen können, wie das Abendmahl in einer bestimmten Weise zentral für die christliche Praxis ist. Deswegen würde ich dann auch innerhalb der Christologie eine größere Bedeutung der Kirche anerkennen. Ich muss gleich sagen: Ich möchte nicht die Bedeutung des Abendmahls unterschätzen. Ich will nur sagen, dass meine eigene Theologie zu einem großen Teil nicht dort anfängt. Und diese Erfahrung teile ich mit vielen, sogar mit den meisten Christen und Christinnen. Unsere Aufgabe ist Kontextes, in dem die Präsenz Christi entdeckt und erfahren wird. Diese beiden Seiten – die Analyse des Gottesbewusstseins und die eigentümliche Theorie von Christi Präsenz – sind der subjektive und der objektive Pol, die man beide braucht, um zu verstehen, was die Teilhabe an Christus für Schleiermacher heißt. Man kann zwar verstehen, warum Schleiermachers Gegner einseitig den subjektiven Pol betont haben, wonach er in seinem Werk den Glauben wegpsychologisiert habe. Wenn man seine Theologie aber ad bonam partem betrachtet, dann wird es möglich, in konstruktiver Weise auf Schleiermachers anthropologische Einsichten zurückzugehen, um besser zu verstehen, wie er Christologie und Anthropologie in wechselseitiger Beziehung verstanden hat. Dadurch sieht man auch, wie seine Gedanken für die heutige Untersuchung der Bildung des Menschen hilfreich sein können. Sein Christozentrismus bleibt methodologisch wichtig.
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also, die Herausforderungen von Wesley und Schleiermacher aufzunehmen, wo wir – und die meisten Christen und Christinnen im Westen – eigentlich stehen. Was heißt es, Gott in Christus zu erkennen und ihm zu begegnen inmitten der vielen sozialen Zusammenhänge, in denen wir leben? Das ist seit Jahren die theologische Aufgabe, die ich mir gestellt habe. Wir müssen von der Charakterisierung unseres Zeitalters und unserer Kultur als postmodern ausgehen. Sonst wird christliche Theologie und Praxis unverständlich. Die Postmoderne kann auf viele verschiedene Weisen verstanden werden. Sie bedeutet aber mindestens Folgendes: Es besteht der radikale Verdacht gegenüber den großen Erzählungen, das heißt gegen alle Erzählungen, die auf irgendeine Weise behaupten, die Wahrheit zu besitzen. Das Lokale wird betont, das Unmittelbare, das konkret hier Vorhandene, das, was in der Nähe ist, hier und jetzt. Sowohl der Pluralismus, als auch der Individualismus ist allgemein anerkannt. Es besteht die Bereitschaft, über das rein Rationale hinauszuschauen. Ob wir es wollen oder nicht, diese Aspekte des heutigen Lebens kennzeichnen den kulturellen Kontext, in dem wir leben und in dem Christen und Christinnen gebildet werden. Einige dieser Aspekte sind für die christliche Theologie natürlich förderlich. Die Betonung der Lokalität passt mit der Aussage gut zusammen, dass alle Theologien kontextbezogen sind. Die Annahme des Pluralismus braucht nicht zu heißen, dass „alles möglich ist“. Pluralismus kann eine rein beschreibende Bezeichnung sein und muss keine ideologische Absicht haben. Er erinnert Christen und Christinnen an die Vielfältigkeit der christlichen Theologien und daran, dass das Christentum seinen Ort unter den Weltreligionen hat. Die Bereitschaft, über das rein Rationale hinauszuschauen, ist theologisch natürlich besonders willkommen. Die Religion hat es immer gewusst, dass man diesem Pfad folgen muss, um der menschlichen Erfahrung in ihrer Gesamtheit gerecht zu werden. Die christliche Theologie und Praxis bekommen aber große Schwierigkeiten, wenn man den postmodernen Verdacht gegenüber den „großen Erzählungen“ bedenkt und wenn man sich des Ausmaßes bewusst wird, den der Individualismus heute hat. Die Wahrheit mag wohl heute schwieriger zu finden sein, aber sie muss gesucht werden. Und Gesellschaften werden kaum überleben können, wenn der Individualismus unbegrenzt ist. Die Wiederentdeckung der christlichen Theologie und Praxis in der postmodernen Welt fordert also die vorsichtige Navigation durch jene Aspekte der Postmoderne, die annehmbar scheinen, und jene, die höchst problematisch sind.
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Hier kann die Untersuchung von Wesley und Schleiermacher helfen. Der Pietismus stellt der heutigen Theologie die Frage, wir christliche Bildung aussieht, wenn wir sie durch die Linse einer gemeinschaftlichen Christologie betrachten. „Gemeinschaftliche Christologie“ heißt, Christus innerhalb der täglichen menschlichen Beziehungen zu finden. Christus ist dort wirklich anwesend und strebt danach, sich erkennbar zu machen, indem Menschen eine gewisse Gestalt der menschlichen Beziehungen entdecken, genießen und pflegen. Ähnlich wie Bonhoeffer müssen wir die sozialen Formen suchen, in denen Christus offenbar wird. Aber anders als Bonhoeffer werden wir weniger zur sozialen Form Kirche tendieren. Zwar hat er Kirche radikal verstanden, und vor allem in seiner Ethik werden seine Einsichten in diesem Bereich weitergeführt. Dennoch müssen wir darüber hinaus denken. Zwar nehmen wir Bonhoeffers berühmtes Diktum auf: „Christus als Gemeinde existierend“.17 Aber menschliche Gemeinschaften, von denen wir erwarten, dass Christus in ihnen anwesend ist, werden nicht auf den Raum der Kirche beschränkt sein. In meiner Arbeit über viele Jahre – sie ist in den beiden Werken Christ in Focus und Christ in Practice niedergeschrieben und erschienen – untersuchte ich bestimmte soziale Lebensformen in christologischer Perspektive. Natürlich ist darunter auch die Kirche. Ich habe Christus aber auch im Familienleben, in Arbeitszusammenhängen, in pädagogischen Kontexten und in Freundschaften gesucht. In solchen Kontexten, also überall, wo die Bildung des Menschen sich ereignet, meine ich, werden wir Christus finden. Wir müssen also genau sehen und überlegen, wie unser Christusverständnis von der menschlichen Erfahrung des Beziehungsaufbaus und der Personenbildung beeinflusst wird. Man wird sogar sagen müssen: Christus ist Gemeinschaft einer gewissen Art, genau wie die Kirche Leib Christi ist.18 Die theologische Aufgabe besteht darin, die Art der Gemeinschaft zu beschreiben, in der Christus anwesend ist und die Formen der menschlichen Beziehungen, die Christus bildet. Dies müssen wir tun, ohne die Rolle der Kirche zu unterschätzen und ohne den Eindruck zu erwecken, dass die Kirche als eine der 17
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Vgl. Dietrich Bonhoeffer, Sanctorum Communio (DBW Bd. 1), München 1986, diskutiert in: Clive Marsh, Christ in Practice. A Christology of Everyday Life, London 2006, Kapitel 1, bes. 5–7. In meiner Arbeit habe ich von Etienne Wengers Buch Communities of Practice, Cambridge 1998, viel gelernt. Wenger ist kein Theologe, aber sein Werk aus dem Bereich der Sozialpsychologie ist hier sehr hilfreich. Vgl. Marsh, Christ in Practice, Kapitel 4.
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sozialen Formen, in denen Christus offenbar wird, anderen sozialen Formen der Christusgegenwart notwendigerweise überlegen ist. Was für Beziehungen sind damit gemeint? Es ist hier nicht genügend Raum, um die Charakterisierung solcher Beziehungen ausführlich darzulegen. In Kapitel 2 von Christ in Practice habe ich das in größerem Umfang getan, zusammen mit Überlegungen über die biblische Basis dieser Gedanken. Ich kann hier diese Charakterisierungen nur zusammenfassen. Zehn Zeichen der Präsenz Christus habe ich folgendermaßen beschrieben: Christus ist präsent, 1. wo Menschen unschuldig oder für eine gerechte Sache leiden. Hier wird betont, dass Gott in Christus der Begleiter aller Leidenden ist. Die Anerkennung der Anwesenheit Gottes bedeutet nicht, dass das Leiden tragbar wird. Aber das Bewusstsein, dass Gott einem Leidenden beisteht und dies durch die Solidarität anderer mit diesem Leidenden bewiesen wird, ist die Art der Anwesenheit Christi; 2. wo Solidarität mit den Misshandelten gezeigt wird. Die Solidarität Gottes mit denen, die den Leidenden und Misshandelten beistehen, ist Zeichen der Anwesenheit Gottes. Richtig verstanden ist es kein christlicher Masochismus, sondern die Folge des gefährlichen Weges, für andere zu leben; 3. wo es Vergebung gibt. Gott in Christus ist dort, wo Menschen einander vergeben und eine zerbrochene Beziehung wiederherstellen; 4. wo Menschen eine Umgestaltung im Leben erfahren. Normalerweise wird eine Umgestaltung positiv gesehen – eine Bekehrung, eine Ehe, eine neue Arbeitsstelle, die Ankunft eines Kindes. Eine Umgestaltung könnte aber auch negativ sein: der Tod, eine Krankheit. Hier wird Gott als Begleiter von Menschen in wichtigen Übergangszeiten während ihres Lebens wahrgenommen; 5. wenn Menschen ihre Identität entdecken. Man soll ja im postmodernen Zeitalter nicht vom Entdecken der Identität sprechen, weil die Identität angeblich nur konstruiert werden kann. Ich tue es trotzdem, weil es immer eine Vorgegebenheit der menschlichen Identität gibt, sogar wenn man selbst durch eigene Wahl dazu beiträgt. In dieser Suche nach persönlicher Authentizität und mitten in den Beziehungen, durch die diese Authentizität sich entwickelt, ist Gott in Christus anwesend; 6. wo die Wahrheit ausgesprochen wird. Dieser Punkt bezieht sich auf den prophetischen Zug in der Botschaft Jesu und im Christentum. Jesus spricht die Wahrheit. Aber die Wahrheit wird sogar schon in den Evangelien auch von anderen in ihrem Dialog mit Jesus ausgesprochen. Deshalb kann man die Anwesenheit Christi in ehrlichen Beziehungen entde-
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cken, wie sie sich häufig in tiefen Freundschaften und in Familien entwickeln; 7. wo dem Missbrauch der Macht widerstanden wird. Hier geht es um gerechte Beziehungen. Beziehungen sind nicht automatisch gute Beziehungen. In Christus zu leben, heißt, nach gerechten Beziehungen zu streben und an dem Kampf gegen Unrecht in menschlichen Beziehungen teilzunehmen; 8. wo die Kreativität blüht. Wo die scheinbar verschwenderische Großzügigkeit der Frau, die Parfum über Jesu Füße gießt (Markus 14, 3–5), sich im täglichen Leben widerspiegelt, kann dies ein Zeichen der Präsenz Christi sein. Diese Erzählung aus den Evangelien kann als Ansporn gelten, die Rolle der Kunst und die Gespräche darüber im christologisch interpretierten Leben zu bedenken; 9. wenn Menschen es ablehnen, vom Wohlstand abhängig zu sein. Neben dem Überfluss des künstlerischen Lebens ist auch das Motiv der Einfachheit und Askese in den Evangelien zu betrachten. Hier geht es um die Feindschaft gegen Gier und in Beschlag nehmenden Reichtum. Auch dies gehört zur Teilhabe an Christus; 10. bei gemeinsamen Mahlzeiten. Hier ist natürlich nicht jede Nahrungsaufnahme gemeint, sondern die Gelegenheiten, bei denen viele der oben angeführten Kennzeichen der Präsenz Christi deutlich werden, etwa beim zusammen Essen mit Freunden, mit der Familie oder mit Mitarbeitenden oder Studierenden. Darin wird die Bedeutung des gemeinschaftlichen Essens für Jesu Wirken, die in den Evangelien offensichtlich ist, in der Gegenwart widergespiegelt. Diese zehn Kennzeichen können vielleicht als eine Art Liste für diejenigen dienen, die versuchen, Nachfolge Jesu heute zu praktizieren. Viele der Aussagen beziehen sich allerdings auf Ereignisse, die menschlich nicht einfach machbar sind. Einige dieser Zeichen der Präsenz Christi sind Geschenke oder benötigen zumindest etwas, das über die menschliche Tätigkeit hinausreicht (z.B. positive Umgestaltung, Vergebung, Kreativität). Es ist nicht die menschliche Tätigkeit allein, die hier das Ergebnis hervorbringt. Die Präsenz Christi kann nicht fabriziert oder manipuliert werden. Zudem muss man auch bedenken, dass diese Liste als eine Art Gesamtgestaltung zu betrachten ist, als Gestaltung einer Seinsweise, und nicht als Liste einzelner Taten. Diese Zeichen der Präsenz Christi, wie sie in den verschiedenen Formen menschlichen Verhaltens vorkommen, müssen nebeneinander gestellt werden. Familien, Freundschaften, Arbeitsgemeinschaften oder Ausbildungsformen verschiedener Art sind Kontexte, in denen und durch die
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Christus in der Welt anwesend ist. Durch die Untersuchung solcher Kontexte und der Beziehungen, die sich dort in aller seelsorgerlichen Komplexität entwickeln, lernt man mehr über Gott und was Gott in Christus in der Welt wirkt. Und die Kirche? Die Kirche bleibt eine soziale Form Christi. Ihre primäre Funktion ist aber nicht, die über allen anderen Formen bestimmende Sozialform Christi zu sein (ist denn der Christus in der Arbeitswelt nicht derselbe Christus, dem man auch in der Kirche begegnet?). Die Kirche hat vor allem die Verantwortung, die Jesustradition weiterzutragen, durch die die Präsenz und das Werk Christi in der Welt überhaupt erst erkennbar werden. Dieses Verfahren ist eine radikale und säkulare Einführung in christliche Bildung. Ich widerspreche damit denen, die im britischen Methodismus für eine Wiederaufnahme der wesleyanischen Klassen (class meetings) plädieren, wie sie in der Vergangenheit veranstaltet wurden. Eine solche Strategie wäre letztlich ekklesiozentrisch, also kirchenfixiert, und müsste scheitern. Obgleich solche Gruppen in Privathäusern stattfinden, sind die Interessen und Forderungen des täglichen Lebens dort oft kaum spürbar. Der Glaube wird also in einem falschen Sinn „unweltlich“. Wir brauchen keine Rückkehr zu einer Gesellschaft, in der die Kirche deshalb die vornehmliche Form der Gegenwart Christi ist, weil sie sozial und politisch beherrschend ist. Selbstverständlich brauchen wir aber eine theologische Begründung für die Bedeutung der Kirche. Die Kirche hat Zeugin Jesu Christi zu sein. In der christlichen Bildung steht die Kirche dann aber neben anderen sozialen Formen Christi. Wir benötigen zudem eine angemessenere theologische Bildung. Natürlich wollen und sollen nicht alle Christen und Christinnen Theologie studieren. Wir müssen aber das theologische Nachdenken als eine wichtige Dimension der christlichen Bildung auf breiter Ebene fördern. Nur dann wird es für Christen möglich sein, im täglichen Leben die Präsenz Christi zu erkennen und zu beschreiben. IV. Schlussbemerkung Zum Abschluss biete ich vier ganz praktische Vorschläge an. 1. Wir benötigen eine bessere Kenntnis der Jesustradition. Damit meine ich nicht nur, dass Menschen die neutestamentlichen Evangelien besser kennenlernen. Das meine ich auch; es gehört zum Christsein, dass Christen einander helfen, die heilige Schrift besser zu verstehen. Es genüg nicht, wenn wir lediglich mehr Wissen über Jesus anhäufen. Vielmehr geht es um den rechten Gebrauch der Jesustradition, d.h. dass man die Jesustraditi-
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on kennt, um zu entdecken und anzuerkennen, wo Christus in der Welt heute präsent ist. Es ist ein hermeneutisches Verfahren, das die Bibel nutzt, um die heutige Selbstoffenbarung Gottes in Christus zu erkennen. 2. Respekt für das Geschehen in der sogenannten säkularen Welt entwickeln (d.h. dafür, was Gott schon in der Welt wirkt). Dies könnte natürlich zu einer zu optimistischen Betrachtung des täglichen Lebens führen. Nicht alles im Leben ist gut. Dass Gott die Welt geschaffen hat, heißt nicht, dass alles in der Welt gut bleibt oder Gott gefällt. Das Familienleben ist nicht immer positiv; für manche ist es unerträglich. Die Arbeitswelt ist manchmal ungerecht und erstickt die menschliche Entwicklung. Die Ausbildung bildet nicht in jedem Fall. Dennoch ist Gott tätig mitten in diesen komplexen menschlichen Beziehungen und Kontexten. Dass Gott in der Welt präsent ist und wirkt, hängt damit zusammen, dass Gott die Welt liebt und sich um sie kümmert. In Christus ist Gott anwesend. Es gehört zur christlichen Verantwortung, diese Anwesenheit Gottes in Christus auszudrücken. Es wäre falsch zu sagen, dass Christen Gott in eine Situation hineinbringen. Wenn Gott in einer Situation erkennbar wird, war er zuvor schon dort. Christen haben die Aufgabe, die Anwesenheit Gottes in Christus in der Welt zu artikulieren. 3. Die Entwicklung von Kontexten fördern, innerhalb derer Menschen in theologischer Perspektive über das Leben nachdenken können. Wo kann dieses Artikulieren der Anwesenheit Gottes in Christus gelernt werden? In der Kirche oder in Gruppen, die der Kirche angehören, wäre eine zu einfache Antwort. Keineswegs will ich die wichtige Rolle von Kleingruppen unterschätzen. Wichtig ist mir, dass die Theologie sowohl in religiösen Kontexten als auch im öffentlichen Raum betrieben werden muss. Bildung und Theologie gehören zusammen. Das heißt, dass die Theologie in vielen verschiedenen Kontexten beginnen und weitergeführt werden kann.19 4. Christliche Nachfolge sollte heißen, nachdenkliche Praktiker (reflective practitioners) des Glaubens zu werden. Christen werden Selbstvertrauen in der Theologie aufbauen können, indem sie sich innerhalb und außer19
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Hier verweise ich auf mein Buch Theology Goes to the Movies. An Introduction to Critical Christian Thinking, London 2007. Christen und Christinnen sind Kinobesucher and wollen Filme diskutieren. Weil die Diskussion mit der Erfahrung des Kinobesuchs zusammengehört, bedeutet das, dass die Diskussionen über Filme (oder Bücher, Musik, Theater, Fernsehsendungen) wichtige Anknüpfungspunkte für theologische Untersuchungen sein können. Das gilt es einzuüben.
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halb der Kirche als nachdenkliche Praktiker entwickeln. Christen sollen ermächtigt werden, das ganze Leben (z.B. die sozialen Kontexte, die Arbeitswelt, die Gewohnheiten beim Konsum der Medien) in theologischer Perspektive zu betrachten. Dies ist keine einfache Sache und braucht Unterstützung und Ressourcen. Es braucht Aufmerksamkeit nicht nur auf das Denken über den Glauben, sondern auch auf emotionale, ästhetische und ethische Dimensionen des menschlichen Lebens. Das hat eine dringende Priorität für die Kirche von heute, denn es handelt sich hierbei um die Vorbereitung von Christen und Christinnen, ihren Glauben in der Welt zu leben. Diese vier Vorschläge sind zugegebenermaßen sehr optimistisch. Die Konsequenzen, die diese Vorschläge nach sich ziehen, sind umfassend. Sie ergeben sich aber aus den Tendenzen der theologischen Entwürfe von Wesley und Schleiermacher und zwar deshalb, weil diese auf der Erfahrung Christi in einem gemeinschaftlichen Kontext aufbauen. Ich kann jetzt also Andrew Walker eine weitere Antwort geben. Die pietistische Linie, die er untersucht hat, führt nicht notwendigerweise zum Anthropozentrismus. Durch Wesley und vor allem Schleiermacher hat die Theologie zwar eine wichtige anthropologische Wende vollzogen, aber nur, damit durch menschliche Erfahrung Christus besser entdeckt werden kann. Dieser Christus ist der Gott, der das Beste für die Menschheit will, wenn wir nur in unserer Erfahrung für ihn offen sind.
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Christus in der Welt erkennen? Response zum Beitrag von Clive Marsh Michael Nausner Als ich den Titel für Clive Marshs Vortrag Schleiermacher --- ein Methodist? hörte, ging sofort meine Phantasie mit mir durch, und ich fragte mich, ob Clive Marsh geheime Informationen aufgestöbert hat, nach denen der junge Mann Friedrich Schleiermacher in den späten 1780er-Jahren eine bisher nicht bekannt gewordene Reise über den Ärmelkanal unternommen hatte, um noch vom altersschwachen John Wesley gesegnet und beauftragt zu werden. Hat der in jungen Jahren so entscheidend vom Herrnhuter Peter Böhler beeinflusste John Wesley, für den der Glaube so wesentlich eine Herzensangelegenheit war, tatsächlich dem „Herrnhuter höherer Ordnung“, wie Schleiermacher sich selbst bezeichnete, Impulse für seine Überzeugung vom Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit von Gott gegeben? Oder hat gar der alte Wesley, der als theologischer Lehrer in Oxford seine Karriere begann, dem adoleszenten Schleiermacher Einsichten von seiner Überzeugung bezüglich der Wichtigkeit kontinuierlicher theologischer Weiterbildung und ihrer praktischen Bedeutung vermittelt? Wie aufregend wäre nicht die Einsicht in solche direkte Verbindungen gewesen! Was für Konsequenzen hätten sie nicht gehabt für unser Verständnis christlicher Bildung aus methodistischer Perspektive! Ich muss jedoch gestehen, dass sich meine Enttäuschung darüber, dass Clive Marsh nicht mit solch spektakulären historischen Enthüllungen zu uns gekommen ist, in Grenzen hält. Denn was er uns über die Verbindung zwischen Schleiermacher und der methodistischen Tradition zu sagen hat, ist spannend und herausfordernd auch ohne eine direkte historische Korrelation. Es scheint mir hier auf eine selten bedachte Verbindung hingewiesen zu werden, die für ein konstruktives Weiterdenken der methodistischen Tradition mindestens ebenso ertragreich sein könnte wie die viel häufiger hergestellte Verbindung zwischen John Wesley und Karl Barth. Marsh setzt bei seiner Gegenüberstellung von Schleiermacher und Wesley bei Andrew Walker an. Walker schlägt eine Brücke zwischen wesleyanischer Erweckung und Schleiermachers Betonung des inneren Gefühls und kommt zu dem Schluss,
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Michael Nausner
dass letztlich Schleiermachers Erfahrungsreligion und die Erweckungsbewegung denselben Fehler machen, nämlich Erfahrung und offenbarte Wahrheit voneinander zu trennen. Genau dieser barthianischen Kritik Wesleys und Schleiermachers widersetzt sich Marsh und betont, dass beiden Theologen die Zusammenschau von Tradition und Herzensreligion wichtig war und dass sich beide einem christlichen Individualismus widersetzten. I.
Christozentrik und Erfahrung in Gemeinschaft
Marsh sieht also die Parallelen zwischen Wesley und Schleiermacher auf eine andere Weise als Walker und geht dabei von der gemeinschaftsbezogenen Christologie Schleiermachers aus. Nicht in der Erforschung der historischen Fakten des Lebens Jesu, sondern in der existenziellen Teilhabe an der Gemeinschaft seiner Tätigkeit und seines Lebens hier und jetzt wurzelt die Herausbildung einer christlichen Identität. Auf den Punkt gebracht heißt das, dass ein Gottesbewusstsein aus der Teilhabe an einer Lebensgemeinschaft erwächst, dass also die christliche Persönlichkeitsbildung durch und durch gemeinschaftlich ist. Im Interpersonalen wird Christus erlebbar. Hier scheinen in der Tat Wesley und Schleiermacher aus derselben pietistischen Quelle zu trinken. Der Vater der liberalen Theologie würde also durchaus der oft ausgesprochenen pietistischen Erwartung einer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus zustimmen, allerdings nie in Isolation von anderen, sondern als eine zutiefst gemeinschaftliche Angelegenheit. In Paragraph sechs seiner Glaubenslehre hört sich das so an: „Das fromme Selbstbewusstsein wird wie jedes wesentliche Element der menschlichen Natur in seiner Entwicklung notwendig auch Gemeinschaft.“ Die theologische Zusammengehörigkeit von innerer Christus-Erfahrung und sozialer Vernetzung wird von methodistischer Seite oft mit Wesleys Betonung untermauert, dass es so etwas wie „einsame Religion“ nicht gibt. Im Vorwort zu „Hymns and Sacred Poems“ schreibt er: „Die frohe Botschaft von Christus kennt keine andere Religion als die soziale; keine Heiligung als die soziale Heiligung.“ Nun macht uns Marsh auf einen wichtigen kontextuellen Umstand aufmerksam, nämlich denjenigen, dass Schleiermacher, auch wenn er sich in seinen Reden zunächst an die Gebildeten unter den Verächtern der Religion wendet, dennoch in einer Zeit der kulturellen Dominanz des Christentums schrieb. Von einer solchen kulturellen Dominanz des Christentums kann in unseren postmodernen Zeiten nicht mehr die Rede sein. Dennoch ist für Marsh Schleiermacher in allerhöchstem Grade relevant für unsere postmodernen Zeiten, nämlich genau dann, wenn wir ihn nicht in einem verkürzten Sinne als Theologen des Subjektes und des Subjektivismus verste-
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hen. Vielmehr geht es nach Marshs Verständnis bei Schleiermacher vor allem um das Zwischenmenschliche, in dem sich Christus erweist. Zu diesem Zwischenmenschlichen gehören allerdings nicht nur die christliche Gemeinschaft, also die Kirche, sondern menschliche Gemeinschaft im weiteren Sinne. II. Abendmahl als Bindeglied der Gemeinschaften? Allerdings bleibt uns Marsh eine differenzierte Antwort darauf schuldig, wie sich kirchliche und andere menschliche Gemeinschaft als Ort der ChristusErfahrung möglicherweise auch unterscheiden bzw. gegenseitig erhellend zueinander verhalten. Es leuchtet mir ein, dass sein Status als LaienTheologe für sein Projekt eines Erkennens Christi in der Welt, für seine Theologie im öffentlichen Raum, eine Bedeutung hat. Aber muss diese Verortung in der Welt in Kontrast zur gemeinschaftlichen Christologie des Abendmahls gestellt werden, das ja kein den Ordinierten vorbehaltenes Mahl ist? Was soll mit der Betonung erreicht werden, dass das Abendmahl zwar wichtig ist, Marshs Theologie jedoch nicht dort anfängt? Wird hier nicht eine Möglichkeit ungenutzt gelassen, das Abendmahl in seiner Brückenfunktion zwischen kirchlichen und anderen Gemeinschaften hervorzuheben? Denn ist das Abendmahl nicht auch ein Ort der Persönlichkeitsbildung, eine Gemeinschaft der Praxis (community of practice), in der Heilung, Versöhnung und nicht zuletzt Gerechtigkeit erlebt und praktiziert werden, und zwar untrennbar von den anderen Gemeinschaften, an denen die Abendmahl feiernde Gemeinschaft unweigerlich teilhat? Karl Barths Vorwurf, Schleiermacher reduziere Theologie auf Anthropologie widersetzt sich Marsh entschieden, indem er darauf hinweist, dass es bei Schleiermachers Betonung der Erfahrung eben nicht um etwas rein Innerliches, individuell Menschliches geht, sondern um die Erfahrung von etwas, nämlich die Erfahrung Christi in der Gemeinschaft. Was den sozialen Kontext dieser kommunalen Erfahrung Christi betrifft, meint Marsh, dass wir Schleiermacher sein bürgerliches Umfeld letztlich nicht vorwerfen können. Schleiermacher korrelierte sein Verständnis von Gott in Christus mit den vielfältigen Erfahrungen einer bürgerlichen Gesellschaft. In dieser Hinsicht wirkt die methodistische Tradition als ein wichtiges Korrektiv, insofern als sie kontinuierlich die Erfahrung der sozial Ausgegrenzten, der Armen, der Gefangenen und der Flüchtlinge als Ort der Erfahrung Christi identifiziert. Entscheidend bleibt hingegen die gemeinsame Betonung Schleiermachers und Wesleys, dass auch der säkulare Kontext sozialen Lebens als der Ort für die Erfahrung Gottes in Christus ver-
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standen wird. Auf die Möglichkeit der Gotteserfahrung in allen Lebensbereichen hat Wesley zum Beispiel in seiner dritten Predigt zur Bergpredigt Jesu hingewiesen, in der er davon spricht, dass die, die reinen Herzens sind, alles von Gott erfüllt sehen und Gott als Schöpfer im Spiegel jedes Geschöpfes sehen. III. Gemeinsam nach der Gegenwart Christi in einer pluralistischen Welt suchen Die radikale Herausforderung, mit der uns Marsh abschließend konfrontiert, ist diejenige, in unserer postmodernen und pluralistischen Zeit offen zu sein für die Gemeinschaftsformen, in denen Christus in der Welt anwesend ist. In postmodernen Zeiten (Skepsis gegenüber großen Erzählungen, Pluralismus, Individualismus, Offenheit für das, was über das Rationale hinausgeht) gilt es von Neuem in der Welt nach Christi Gegenwart zu suchen, die immer über die Kirche als soziale Gemeinschaft hinausgeht. Denn die Gegenwart Christi kann nicht produziert werden, auch von der Kirche nicht. Marsh sieht deshalb die Kirche zwar als die Trägerin der Christus-Tradition. Gerade als solche ist sie aber auch dazu berufen, die Gegenwart und das Wirken Christi in der Welt zu erkunden. Damit ist ein Plädoyer verbunden, ein besseres Verständnis dafür zu entwickeln, wie die Kirche in einer pluralistischen Gesellschaft als Gemeinschaft gemeinsam mit anderen Gemeinschaften in Beziehung treten und Frucht bringen kann. Anknüpfend an Marsh könnte man hier theologisch die grundlegende Weltzugewandtheit methodistischen Lebens noch expliziter mit der Lehre von der zuvorkommenden Gnade begründen und in der heutigen, interkulturellen und interreligiösen Zeit nach ihrer Relevanz für die Begegnung und das Zusammenleben mit anderen Religionen fragen. IV. Die Welt lesen und interpretieren – öffentliche Räume für theologische Reflexion schaffen Die vierfache (konsekutiv anmutende) Aufgabenstellung für eine ganzheitliche christliche Bildung, die uns Marsh mit auf den Weg gibt, würde ich mit eigenen Worten wie folgt wiedergeben: Es beginnt mit dem hermeneutischen Verfahren des Lesens der Welt, um die Anwesenheit Christi zu identifizieren, setzt mit dem Artikulieren dieser Anwesenheit fort, geht dann weiter mit der Schaffung von öffentlichen Räumen (ohne Grenzziehung zwischen christlichen und anderen Gemeinschaften) zum gemeinsamen theologischen Reflektieren des Lebens. Das Bildungsziel schließlich ist das Hervortreten
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von Christen und Christinnen als inner- und außerkirchlich kompetente nachdenkliche Praktikerinnen und Praktiker. Marshs radikale Christozentrik à la Schleiermacher wurzelt in der Überzeugung, dass Christus sich in vielen menschlichen Erfahrungen zeigt, was ein oftmals verengter christlicher Blick nicht mehr wahrzunehmen vermag. Dennoch versteht Marsh seinen Ansatz ganzheitlicher christlicher Bildung nicht als eine anthropozentrische Angelegenheit (das ist der Vorwurf Walkers), wohl aber als anthropologisch, insofern sich Christus durch menschliche Erfahrung erkennen lassen will. V. Erfahrung – Pluralismus – Bildung (Christian Formation) Zum kritischen Weiterdenken von Clive Marshs wesleyanisch-schleiermacherischem Konzept christlicher Bildung will ich drei Fragekomplexe skizzieren: 1. Erfahrung – Marshs radikale säkulare Christologie betont die Bedeutung der Erfahrung des Wirkens Christi in der Welt. Ist die Unterscheidung zwischen der Erfahrung Christi innerhalb und außerhalb der Kirche dann nicht mehr relevant? Gehen uns nicht die Kriterien zur Beurteilung der Erfahrung von Christi Wirken verloren, wenn wir davon ausgehen, dass Christus in der Welt um uns herum genauso wirkt wie in unserer Gemeinschaft? Kann am Ende jede menschliche Erfahrung letztlich als Erfahrung des lebendigen Christus interpretiert werden? 2. Pluralismus – Marshs Beschreibung christlicher Bildung scheint im Pluralismus kein Problem zu sehen. So stellt er sich dezidiert gegen den Aufruf der Traditionalisten, zurückzukehren zu den gemeinschaftlichen Formen der frühen methodistischen Bewegung, die noch in die Zeit der Dominanz des Christentums fiel. Ist es also so, dass wir als Methodisten im Pluralismus eine Chance sehen können, neue Formen von Gemeinschaft zu entdecken? Sollten wir als Christen und Methodisten den gesellschaftlichen Pluralismus kritisch bejahen und in ihm sogar Analogien zum „schöpferischen Pluralismus des Geistes“ sehen, wie es Michael Welker einmal ausgedrückt hat? Reicht es jedoch für ein kirchliches Selbstverständnis, auf die Anwesenheit Christi in der Pluralität gesellschaftlichen Lebens achtzuhaben, wie es Clive Marsh in seiner Aufzählung der zehn Zeichen der Präsenz Christi versucht? 3. Bildung (Christian Formation) – Offen bleibt in Marshs Ansatz nach meinem Dafürhalten, wie sich in einer ganzheitlichen christlichen Bildung biblische Verankerung und theologische Tradition in Beziehung setzen lassen zu den Dynamiken einer postmodernen und pluralistischen Ge-
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sellschaft. Wie konkret würde sich eine Bejahung des gesellschaftlichen Pluralismus auf eine Bildungssituation wie die einer theologischen Hochschule auswirken? Auch wenn es klar ist, dass es Marsh um mehr geht als um die Bildung von Theologinnen und Theologen, so sind doch letztere Multiplikatorinnen und Multiplikatoren eines christlichen Bildungsideals, und es würde sich wohl lohnen, die konkreten Ansätze Wesleys bezüglich der Ausbildung der ersten Prediger mit Schleiermachers Vorstellung eines angemessenen Theologiestudiums zu vergleichen.
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Methodische Interdisziplinarität und Medienkompetenz Replik zu Michael Nausner: Christus in der Welt erkennen? Clive Marsh In einer kurzen Replik zu Michael Nausners Response zu meinem Vortrag möchte ich drei Punkte hervorheben: 1. Das Kriterium für die Identifizierung der Gegenwart Gottes in Christus kommt nach meinem Dafürhalten aus den Evangelien des Neuen Testaments. In ihnen können wir eine spezielle (narrative) Beschreibung menschlicher Aktivität „lesen“, in der wir die Gegenwart Christi erkennen können. Ich möchte natürlich nicht sagen, dass alles Christus ist oder dass alle menschlichen Beziehungen Zeichen Christi sind. Seit den 1970er-Jahren nähert sich die liberale Theologie zugegebenermaßen bisweilen einer solchen Behauptung an. Aber das war wohl eher theologische Bequemlichkeit, auch wenn das, was beabsichtigt wurde, lobenswert ist (es war nämlich eine Antwort auf den Ekklesiozentrismus, der aus der Panik über die galoppierende Säkularisierung entsprang). Meine Identifizierung von zehn Merkmalen der Anwesenheit Christi in der Welt hingegen ist ein Versuch, ein bisher fehlendes theologisches Kriterium zu finden, das man auch praktisch anwenden kann. 2. Ich meine nicht, dass der Pluralismus keine Probleme mit sich bringt. Aber ich glaube, wir sollten nicht übertrieben Angst davor haben. Viele Blumen können blühen. Methodisten, andere Christen, Menschen anderen Glaubens und Menschen ohne Glauben können zweifellos neue Formen menschlicher Gemeinschaft entdecken und entwickeln. Diese werden natürlich nicht alle die Form von Kirchen haben oder auch nur kirchenähnlich sein. Christen werden sich natürlich in Kirchen organisieren, d.h. in Orten und Kontexten, in denen christliche Quellen bewusst gewürdigt, durchdacht und genutzt werden zur Entwicklung christlicher Gemeinschaften. Aber auch andere Formen menschlicher Gemeinschaft werden entstehen, nicht nur christliche. In diesen wird auch Theologie betrieben und „Glaubensentwicklung“ stattfinden. In solchen Kontexten braucht es Mut, Christ und damit bereit zu sein, christliche Ideen und Einsichten in die Öffentlichkeit zu tragen, denn
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Widerstand dagegen ist wahrscheinlich. Da braucht es Einfallsreichtum und Kreativität. Aber inmitten solcher gemeinschaftlicher Kontexte kann echtes Vertrauen wachsen – über unüberwindbar scheinende Grenzen hinweg – und es können sich überraschende Allianzen bilden. Ein solches Vertrauen entsteht vermutlich eher in der Begegnung von Angesicht zu Angesicht. Aber Allianzen beginnen bzw. werden fortgeführt auch in virtuellen Gemeinschaften (Internetforen, Blogs, Chatrooms etc). 3. Die Frage aber bleibt, wie wir in solchen Kontexten unsere traditionellen Ressourcen gebrauchen und wie wir auf die Herausforderungen der Zeit in der theologischen Bildung (im weitesten Sinne) reagieren. Einige Vorschläge dazu: a) Interdisziplinäre Zugangsweisen in den biblischen Fächern, in der Systematischen Theologie und in der Kirchengeschichte sind von entscheidender Bedeutung. Dabei meine ich nicht nur die Verwendung von sozialwissenschaftlichen Einsichten in der Bibelexegese oder Philosophie in der Systematik. Das geschieht ohnehin. Aber all das bleibt leicht zu intellektuell und zu abstrakt. Ich denke hier an eine noch herausforderndere Art der Interdisziplinarität: zum Beispiel an den Gebrauch des Films – nicht nur, um zu illustrieren, was man bereits weiß, sondern für das Durcharbeiten der Konsequenzen dessen, wie Filme auf den Menschen wirken. Was bedeutet es – in Kirche und Gesellschaft – wenn Menschen ihr Wissen über Jesus und die Evangelien aus Filmen beziehen? Diese Frage verdient es, ausführlich und kritisch bedacht und für die Arbeit in Biblischen Studien, Pastoraltheologie und Homiletik fruchtbar gemacht zu werden. b) Zum Gebrauch von erfahrungsbezogenen Methoden im Unterricht und beim Lernen muss ermutigt werden – nicht nur in der praktischen Theologie und in Praktika. Gefühle haben auf uns Menschen einen großen Einfluss und spielen daher eine wichtige Rolle im Lernprozess. Sicherlich, erfahrungsbezogenes Lernen kann gefährlich sein! Gruppen können leicht in Richtung Therapiegruppe abdriften (oder Einzelne in einer Gruppe können versuchen, die Gruppe in diese Richtung zu steuern). Es ist oft angenehmer, über sich selbst zu sprechen, anstatt über die vorgegebene Sache selbst. Aber weil in der Theologie „die Sache“ immer mit Gott und lernenden Menschen zu tun hat (ob sie jetzt die Bibel, die Tradition, die Kirchengeschichte oder anderes studieren), ist es falsch, die Er-
Methodische Interdisziplinarität und Medienkompetenz
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fahrungsbezogenheit theologischer Bildung und Erziehung zu vernachlässigen. c) Praktika sollten in Studium und Ausbildung stärker berücksichtigt werden. Praktische Erfahrungen des täglichen Lebens, verbunden mit kontinuierlicher kritisch-reflexive Arbeit während der Praktika, sind unverzichtbar für eine effektive theologische Bildung und für die eigene Glaubensentwicklung. Wenn Praktika nicht möglich sind, dann sind Kontexte wichtig, in denen über das tägliche Leben reflektiert werden kann. Zu wenig Theologie geschieht im „wirklichen Leben“. Theologie kann auch nicht zuerst „gelernt“ und dann „angewandt“ werden. Die kontinuierliche Wechselbeziehung zwischen Tradition (und Wissen über die Tradition) und gelebter Erfahrung muss explizit werden, sie muss betont und geprüft und schließlich umgesetzt werden im christlichen Leben. Die bewusste Teilnahme an der Reflexion über diese Wechselwirkung – wie auch immer die Reflexion initiiert wird – ist entscheidend für die Bildung von Christen zu „reflektierten Praktikerinnen und Praktikern“. d) Schließlich braucht theologische Erziehung und Bildung mehr Medienkompetenz. Spiritualität und christliches Glaubenswachstum – aber auch das Glaubenswachstum in anderen Religionen und bei religiös Ungewissen – geschieht heute sicherlich im (manchmal kreativen, manchmal kritischen) Dialog mit den Medien, mit der Populärkultur und den Künsten. Das bedeutet, dass Christen darüber reflektieren müssen, was sie bereits tun in ihrem Gebrauch der Medien und Künste. Sie müssen kompetent werden in ihrem Umgang mit Medien, Künsten und mit der Populärkultur, die sie umgibt. Nicht alles ist gut; aber es ist auch nicht alles schlecht. Die Frage der Kriterien (ästhetische, theologische oder andere), aufgrund welcher man Urteile fällt, ist selbst Teil der heutigen theologischen Aufgabe. Ich empfehle also eine Art von Medienkompetenz-Kurs (media literacy), und zwar möglichst früh in jeder theologischen (Aus-) Bildung.
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Paul W. Chilcote Noting the difference between what we say and what we do, students learn that medicine is a profession in which you say one thing and do another.2
Concerned deeply about the way physicians are formed, Thomas Inui, a prominent pediatric palliative care specialist, directs our attention to the “monkey see, monkey do” realities of the educational process and the power of the way we interact with one another in the learning process. In similar fashion, reflecting upon the intimate relationship between teacher and student, a medical resident pleads: The way you treat me as a student will set the tone for how I treat patients. So if you want me to take a personal interest in my patients and to treat patients as partners, the most powerful thing you can do is to treat me the same way.3
The salient concerns of “contemporary theological education in the Wesleyan spirit” relate closely to these of observations raised about the medical school classroom. The exchange of “medicine” with “Christian ministry” and “patients” with “parishioners” in these statements reveals a parallel dynamic in theological education today. The subtitle of the article on “relational learning” from which these quotations are drawn could be found just as easily in a theological journal with only slight alteration, “Transformative Education and the Culture of Theological Education” (rather than medicine). Genuine education in any discipline is always transformative, not simply informative and intimate, not detached. This anecdotal glimpse into medical education illustrates well the 1
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Eine deutschsprachige Übersetzung dieses Beitrags ist erschienen: Zeitgemäße theologische Ausbildung im Geiste Wesleys, in: Ulrike Schuler (Hg.), Glaubenswege – Bildungswege. 150 Jahre theologische Ausbildung im deutschsprachigen Methodismus Europas, Reutlingen 2008, 143–165. Thomas S. Inui, A Flag in the Wind: Educating for Professionalism in Medicine, Washington: Association of American Medical Colleges, 2003, 16, cited in David M. Browning and Mildred Z. Solomon, Relational Learning in Pediatric Palliative Care: Transformative Education and the Culture of Medicine, Child and Adolescent Psychiatric Clinics of North America 15 (2006): 795. Jodi Skiles, Teaching Professionalism: A Medical Student’s Opinion, in: The Clinical Teacher 2, 2 (2005): 66, cited in Browning and Solomon, Relational Learning, 795–6.
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central theme of this essay: theological education in the Wesleyan spirit transforms individuals and communities as they are formed for mission in the world. In our journey to this ultimate conclusion, I propose a number of deliberate steps in an effort to navigate our way through some fairly complicated territory. First, we need some clarity about the state of the discourse concerning theological education today. More has been written in the last quarter century on this topic than in the two centuries following the birth of the Wesleys. Following this survey, I will attempt to point out what I consider to be some of the most critical points of learning and how these might interface with what I am calling the “Wesleyan spirit.” After suggesting how best to exploit the Wesleys’ vision, I identify several of their most relevant contributions to the contemporary dialogue. 1. Contemporary Developments in Theological Education For our purposes here, I am using the term “theological education” in a broad sense, referring essentially to all those practices and activities of theological seminaries and divinity schools.4 For a quarter century now, a so-called “theological education debate” has raged, particularly in the United States, with wideranging implications. There can be no question that the collapse of Christendom in the Western world has fuelled a growing literature about theological education. The logic is rather tight. Maxie Dunnam, former President of Asbury Theological Seminary, was fond of saying, “as the seminary goes, so goes the pastor; as the pastor goes, so goes the local congregation; as the local congre5 gation goes, so goes the whole church.” Barbara Wheeler states the problem in a more sophisticated way: One of the major contributions of the recent literature on theological education has been to ... demonstrate that the structure of studies and its prominent features are historically rooted patterns that can be questioned and 4
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Barbara G. Wheeler and Edward Farley, editors of Shifting Boundaries: Contextual Approaches to the Structure of Theological Education, Louisville: Westminster/John Knox Press, 1991, use this understanding to frame their contributors’ conversation around contextuality and structure. It is a widely accepted and fairly uncontested definition. Despite the fact that delivery systems for theological education vary greatly – spanning from university-based divinity schools to internet-based distance learning programs to free-standing seminariesI – will use the term “seminary” throughout as a generic term referring to all such institutions and programs. Maxie D. Dunnam, An Enclave of Resistance, in: A Thoughtful Faith: Cultivating Thinking Theologically, ed. Maxie D. Dunnam and Steve G. W. Moore, Franklin, Tennessee: Providence House Publishers, 2005, 6.
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that are in some ways so antiquated and inappropriate that they demand 6 critical assessment and change to meet new historical conditions.
The primary impetus for this debate, therefore, was the simple realization that something was wrong with the way theological education was being done. While there has been a fair amount of consensus around the diagnosis of the problem, most of the debate revolves around the various prescriptions that have been offered for the recovery of health. Examining both the diagnosis and prescription sides of these conversations will undergird my observations concerning the interface of theological education and the Wesleyan spirit. 2. Diagnosing the Problem We could spend a lot of time bemoaning the failures of theological education in our time, but that is not my intent or interest. As an historian I am more interested about how we got into the situation in which we find ourselves today. The first pitfall into which many seminaries have fallen is the bifurcation of theory and practice. Throughout the course of the 20th century, seminaries tended to organize their curricula around so-called “classical disciplines” (biblical, historical, and theological studies) and “practical” or “pastoral disciplines,” the purpose of the latter being to apply the theory of academic study to the realities of actual practice. It is now widely agreed that this kind of division is no longer tenable, although these categories remain firmly entrenched in virtually all seminary curricula. Maxie Dunnam observes: When we talk about pastoral ministry, especially, we may need to focus on formation and craft, rather than on theory and practice. This would in no way diminish the need for “concentrations” and particular academic disciplines. Rather, the need is for more intentional integration and valuing of the whole task of equipping persons for ministry.7
A second pitfall is the separation of theological education from its ecclesial base. th Over the course of the 20 century theological seminaries found themselves increasingly distanced from the communities of faith they were called to serve. A personal anecdote illustrates this disjunction well and may even echo experiences that many of you have had. Upon learning that I was going to Duke Divinity School to prepare for the ministry, a grocery clerk admonished me boldly, 6 7
Wheeler and Farley, Shifting Boundaries, 13. Maxie D. Dunnam, The Seminary: Kingdom Demonstration and Training Plot – Equipping the Whole People of God, in: Presidential Whitepaper, Asbury Theological Seminary, May 6, 2002.
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“Make sure that you don’t lose your faith at the cemetery, I mean seminary.” “Theological schools, if their mission is to teach, train, and equip persons for ministry in the Church,” maintains Dunnam, “lose their way if they fail to keep 8 a clear vision of the Church.” Many theological institutions lost sight of the church, or even positioned themselves intentionally against the church, in the th second half of the 20 century. A third pitfall is the clergy-centered, institutional paradigm of theological education. With the elevation of the concept of “professionalization” in ministry, seminaries expended increasing amounts of energy on preparing candidates for life in the institution as opposed to ministry in the world. The primary danger in these developments was the production of technicians who mastered systems, but were unable to think and act theologically. Moreover, the clerical orientation of the educational process deepened the chasm between the laity and clergy, mitigating an active vision of the ministry of all believers in the life of the church. The consequence was the creation of passive communities of faith focused on their own needs to whom ministry was done by professionals, and a professional leadership trained to maintain the institution or to answer questions no one at the grassroots of the church was asking. 3. Prescribing a Solution Edward Farley’s Theologia of 1983 functioned as a clarion call to the serious reexamination of theological education and opened the floodgates for intensive discussion and publication on this topic.9 Farley argued that theological education is fragmented because the reigning academic model abstracted the objects of knowledge from their concrete settings and emphasized individual clerical functions over paideia, i.e., a process of holistic formation. In his view, theologi8 9
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Dunnam, Enclave of Resistance, 6. Edward Farley, Theologia: The Fragmentation and Unity of Theological Education, Philadelphia: Fortress Press, 1983. He continued this discussion in The Fragility of Knowledge: Theological Education in the Church and the University, Philadelphia: Fortress Press, 1988. For surveys of these developments from various perspectives, see L. N. Rhodes and N. D. Richardson, Mending Severed Connections: Theological Education for Communal Transformation, San Francisco: San Francisco Network Ministries, 1991, 22–45; Wheeler and Farley, Shifting Boundaries, 7–33; and David Kelsey, Between Athens and Berlin: The Theological Education Debate, Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans, 1993. The contributors to Shifting Boundaries broached the issue of contextuality as it relates to theological education in a dynamic way for the first time. Space does not permit the exploration of these contextual issues in this essay. On this protracted conversation, see Alice Frazer Evans, Robert A. Evans, and David A. Roozen, eds., The Globalization of Theological Education, Maryknoll, NY: Orbis Books, 1993.
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cal education consists in five basic dimensions: the life-situation of the believer, leadership in the church, theological inquiry or scholarship, appraisal of the ec10 clesial tradition, and attentiveness to the contemporary context. Farley advocates a two-fold prescription for theological education involving both a return to a less abstract, more intuitive and practical, theological wisdom (what he calls theologia) and a more intentional cultivation of the spirit, mind, and character of 11 students so as to form a Christ-centered disposition (what he calls habitus). The next important contribution to the conversation that Farley initiated came with the publication of David Kelsey’s two books To Understand God Truly 12 and Between Athens and Berlin in the early 1990s. In both works he formulates a typology that has become commonplace, using the terms “Athens” and “Ber13 lin” to represent two normative types or poles of theological education. By “Athens” he means a vision of theological education (based upon the classical model) in which the primary goal is the transformation of the individual, the formation of character, and the cultivation of excellence. Knowing God, in this model, takes precedence over knowing about God. He employs the term “Berlin” to describe the second pole because it derives, not from antiquity, but from the approach to education under Prussian reform that elevated the principles of the Enlightenment in development of research universities. Rather than personal transformation, theological education based upon this model seeks to train the student in the protocols of rigorous inquiry in order to discern theory that can be applied in practical ways. This model envisages theological education as ministerial training, conformed to the canons of scientific study, rather than spiritual formation. In the Athens model “formation” means personal transformation; in the Berlin model “formation” means ministerial training. While it is too simplistic to associate the former model with the church and the latter model with the academy, this typology does help to explain some of the tension between church and academy that has manifest itself in institutional life. 10
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For a variation on the theme of theological education as paideia, see: The Mud Flower Collective, God’s Fierce Whimsy: Christian Feminism and Theological Education, New York: Pilgrim Press, 1985, and Rhodes and Richardson, Mending Severed Connections. For a further development of these themes, see: Richard Neuhaus, ed., Theological Education and Moral Formation, Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans, 1992. David Kelsey, To Understand God Truly: What’s Theological About a Theological School?, Louisville: Westminster/John Knox Press, 1992 and: Between Athens and Berlin, 1993. Robert Banks re-defines the “Athens” pole as the “classical model” and the “Berlin” pole as the “vocational model”, in: Reenvisioning Theological Education: Exploring a Missional Alternative to Current Models, Grand Rapids: Wm. B. Eerdmans, 1999.
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One might expect a synthetic approach to emerge in the face of these antithetical views, and Kelsey himself provides guidance in that direction. According to Robert Banks: Kelsey’s approach seeks to gather up vital elements of both paideia and Wissenschaft in a new way. In his terms, the seminary is a kind of “crossroads hamlet” somewhere between Athens and Berlin, though facing more towards the latter. It is one with paideia in viewing theology as a set of capacities directed to knowing God truly, but it is one with Wissenschaft in endorsing the role and rigor of academic disciplines in this process.14
While appreciative of Kelsey’s delineation of the issues, his attempt to hold the two poles together fails, according to Banks, because it lacks a cohesive principle. He contends that to address the problem now endemic to theological education, one must look at what the Bible has to say about ministerial formation. When this study is taken seriously, mission, he argues, appears as both the pur15 pose and the context for this dynamic process of formation. Reenvisioning theological education around this missional center, Banks advocates a process very different from that which generally takes place in most seminaries today. His primary criticism of contemporary models is that they artificially separate the disciples from the very activities for which they are being prepared. His twofold prescription advocates that theological education should take place in the context of “in service” ministry activities that provide for the intellectual, spiritual, and practical concerns as part of a seamless whole, and that formation should take place in partnership with an experienced mentor who offers his or her whole self to those being prepared for ministry. Banks describes this vision as the “Jerusalem” model. The turn of the millennium brought a new round of publications, but none of them really advance the previous discussions about models and types or ameliorate the seemingly perennial divide between church and academy. They do add texture and color to the emerging portrait, however, by viewing theological education through different lenses. Most important among them, perhaps, are two collections of essays. To Teach, To Delight, and To Move focuses conversation about theological education in a post-Christian world through the lens of rhe-
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R. Banks, Reenvisioning Theological Education, 53. A theological education consultation, held in Rio de Janeiro, Brazil, in conjunction with the World Methodist Conference of 1996 arrived at some of the same conclusions, published in a study document entitled Methodist Tradition of Theological Inquiry in Mission and Evangelism, Nashville: General Board of Higher Education and Ministry, 1996.
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torical studies. The contributors to this volume identify four primary tasks of theological education, namely, communication, confession, discernment, and testimony. The underlying theme of the volume is “theological education as persuasion.” Another resource, Educating Clergy, as its subtitle suggests, interfaces 17 the concept of teaching practices with pastoral imagination. Leaning strongly in the direction of a paideitic model, it emphasizes the formation of pastoral, priestly, and rabbinic imagination through the pedagogies of interpretation, formation, contextualization, and performance. The central questions we are left to ponder in the face of these developments are: How are we to navigate our way between the church/academy, paideia/ Wissenschaft divide? Where do we locate ourselves in relation to Athens, Berlin, and Jerusalem? The Wesleyan heritage, I believe, offers some clues. So we turn to an exploration of developments within the Methodist tradition and the Wesleyan spirit. 4. The Wesleyan Spirit In earliest Methodism, theological education developed within the context of the Society structure. Mentoring characterized the training of Wesley’s itinerant preachers as they received instruction, often directly from him, in one-on-one, person-to-person relationships. Much of this formation took place through correspondence and intermittent personal interviews.18 The New Room in Bristol was actually designed in such a way that Wesley could observe the preachers from his quarters above so as to provide feedback following their services of worship. There were occasions when junior colleagues “shadowed” Wesley in his itinerant ministry. It is important to remember, however, that as leader of a network of Societies within the Church of England, Wesley presupposed the education already provided for the Anglican priesthood through numerous 19 schools and two universities. While the vast majority of travelling preachers in his movement never received a university education, Richard Heitzenrater observes: 16 17 18
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David S. Cunningham, ed., To Teach, To Delight, and To Move: Theological Education in a Post-Christian World, Eugene, OR: Cascade Books, 2004. Charles R. Foster et al, Educating Clergy: Teaching Practices and Pastoral Imagination, San Francisco: Jossey-Bass, 2006. See my discussion of how Wesley guided the early women preachers through such a process, in John Wesley and the Women Preachers of Early Methodism, Metuchen, NJ: Scarecrow Press, 1991. See Glenn T. Miller, Piety and Intellect: The Aims and Purposes of Ante-Bellum Theological Education, Atlanta: Scholars Press, 1990, 405.
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Wesley’s rules for the Methodist preachers correlate very closely to Wesley’s expectations for the clergy of the Church of England – certainly not on matters of priestly character, but certainly on matters of what might be called more generally ‘ministerial character’, which would be at the heart of leadership.20
One of the sources for Wesley’s ideas concerning theological education is his 21 treatise entitled An Address to the Clergy. The first section outlines his principles. He enumerates seven acquired gifts or bodies of knowledge that complement requisite natural endowments. These gifts include a wide range of what might be described as discourses today, including such disciplines as biblical, historical, 22 theological, and cultural studies. This is Wissenschaft, pure and simple. But throughout the corpus of his writings related to ministry, Wesley focuses consistently upon the intentions, affections, and practices of the person who exercises this high office. In this treatise, although he spends much less time talking about the “gifts of grace” than the natural and acquired gifts necessary for ministry, he leaves no doubt as to which is the most important: But all these things, however great they may be in themselves, are little in comparison of those that follow. For what are all other gifts, whether natural or acquired, when compared to the grace of God? And how ought this to animate and govern the whole intention, affection, and practice of a Minister of Christ!23
This paideia --- the cultivation of grace-filled dispositions appropriate to Christian character and ministry – he considered to be absolutely essential.
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Richard P. Heitzenrater, “Take Thou Authority”: Ministerial Leadership in the Wesleyan Heritage, private paper, 4. See also his chapter on “Wesley and Education” in: Methodism and Education: From Roots to Fulfillment, ed. Sharon J. Hels, Nashville: General Board of Higher Education and Ministry, 2000, 1–14. Thomas Jackson, ed., The Works of John Wesley, 14 vols., London: Wesleyan Methodist Book Room, 1872, 10:480–500. Compare this with Wesley’s “Female Course of Study,” published in the Arminian Magazine in 1780, of which I have written about elsewhere: “The full title of this curriculum is both humorous and revealing: ‘intended for those who have a good understanding and much leisure.’ I should say so! It demanded five or six hours a day over a term of three to five years. About a third of the time was to be spent on the Bible, using Wesley’s own Explanatory Notes as a guide. Wesley recommended thirty-five works in all. They covered subjects from mathematics to poetry and from grammar to metaphysics. The course, he trusted, would provide ‘knowledge enough for any reasonable Christian’” (Paul W. Chilcote, Recapturing the Wesleys’ Vision: An Introduction to the Faith of John and Charles Wesley [Downers Grove, IL: InterVarsity Press, 2004], 76). Jackson, Works of John Wesley, 10:486.
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What happened to theological education after Wesley is a question that begs for contextual studies in the many settings around the world in which Methodist mission led to established communities of faith. That is impossible here. Permit me, though, just a few paragraphs concerning the developments in my own North American context and in very recent years in The United Methodist Church to bring the story of theological education in that context somewhat up 24 to date. Suffice it to say that two distinct spheres came into play with the establishment of formal centers of theological education in my part of the world, as might well be expected, the church and the academy. Gerald McCulloh suggests that “a major characteristic of Methodist seminary education has been the affinity of its theological schools for universities and other higher education insti25 tutions. The first three theological schools, now Boston University School of Theology, Garrett-Evangelical Theological Seminary, and Drew University Theological School were all established in a university context. Throughout the course of the th 19 century the church carefully monitored and controlled most of these institutions. Up to 1912, in fact, approval of faculty appointments to the seminaries 26 th was still the prerogative of the bishops. During the course of the 20 century, however, the organic relationship of the seminary to both church and academy weakened with each school developing its own particular modus operandi in relation to the church which it was called to serve and the academy in which it was increasingly entrenched. The direction that these relationships took depended upon a number of factors, including location, constituency, faculty, and theological orientation. th In the last decade of the 20 century, out of concern about whether its institutions were serving the church in the most faithful and effective way, the Association of United Methodist Theological Schools took stock of its program of theological education. The final report of this study, Agenda 21: United Methodist Ministry for a New Century, reflected the perceptions and suggestions drawn from 27 over 400 hours of discussion during 1994 and 1995. From the heritage of United Methodism it affirmed the unique value of connectionalism, the importance of inclusive diversity, the integral nature of personal and social holiness, the standards of seminary training, and the increasing importance of ecumenical 24
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The most important study of these developments remains Gerald O. McCulloh, Ministerial Education in the American Methodist Movement, Nashville: United Methodist Board of Higher Education and Ministry, 1980. McCulloh, Ministerial Education, 83. Thomas Trotter, Forward, in: Ibid., xii. Agenda 21: United Methodist Ministry for a New Century. A Project of the Association of United Methodist Theological Schools, Nashville: General Board of Higher Education and Ministry, 1995.
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and inter-faith dialogue. In an effort to reconnect the seminary more faithfully to the life of the church, it recommended greater church involvement of faculty, emphasized the necessity of integrated learning, and suggested the initiation of lay training programs. The concluding section of the document, in which the seminaries listen to and respond to the church, identified the recovery of holistic theological education and the reclamation of a United Methodist ethos as primary concerns at the end of the millennium. In the opening years of this century, in response to this earlier work, but given the continuing absence of a clearly identified and articulated vision for leadership and theological education, the General Board of Higher Education and Ministry of The United Methodist Church (GBHEM) commissioned a special task force to develop a foundation document for guidance in these areas. A Wesleyan Vision for Theological Education and Leadership Formation for the 21st Cen28 tury prescribes a way forward in the midst of this crisis. Confirming many of the same conclusions of the earlier study, the distinctive feature of the report is the way the document roots theological education in the larger mission of God in the world. “Evaluation of the effectiveness of particular expressions of the church (including the seminary),” the authors claim, “requires a standard of measurement – the defining task of the church. The consistent witness of Christian Scripture is that this task is derived from and participates in God’s redemp29 tive mission in the world.” Theological education plays a major role in articulating this vision and enhancing the effectiveness of this defining task. Wesleyan wisdom concerning this mission revolves around the importance of doctrine, discipline, and self-denial, especially as they are studied and practiced in the con30 text of intentional communities. In its effort to be faithful to this task, so maintains the report, six particular challenges confront us today: the need for quality leaders, a coherent sense of identity that embraces diversity, formation of the whole church, a coherent theological understanding of ordination, renewed connections between church and seminary, and economic resources to sustain 31 the work. What Wesleyan principles and practices related to theological formation can we extrapolate from this brief narrative of theological education in the Wesleyan spirit? How can we creatively appropriate these insights for the present with integrity? I have formulated these insights within the larger conceptional frame28 29 30 31
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A Wesleyan Vision for Theological Education and Leadership Formation for the 21st Century, Nashville: General Board of Higher Education and Ministry, 2003. Ibid., 3. Ibid., 4–8. Ibid. 9–14.
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work of formation (or paideia) and illustrate each with a stanza of a Charles Wesley hymn. These salient themes include intentional formation for mission, inspirational formation of the whole people of God, and integral formation for transformation. 5. Intentional Formation for Mission The familiar words of a Charles Wesley hymn declare an important principle constitutive of the Wesleyan spirit: To serve the present age, My calling to fulfil; O may it all my powers engage To do my Master’s will.32
The ambiance of many Wesley hymns elicits a profoundly missiological vision of Christian community and engagement with the dominion of God in the world. The Wesleys firmly believed that God was raising up the Methodists for the task of resuscitating a missional church, to share the way of Jesus through its various ministries in the world. As I have said elsewhere in previous discussions about this aspect of the Wesleyan vision: It is not too much to say that all three concepts taken together – church, evangelism and mission – defined early Methodism. And so the Wesleys pressed the question, what is the essential calling of the church? Their conclusion was that the central purpose of the church is mission – God’s mission. The church is not called to live for itself but to live for others. It is called, like Christ, to give itself for the life of the world. It is not so much 33 that the church has a mission or ministries; rather, the church is mission.
It follows that the primary purpose of theological education in the Wesleyan spirit is to form leaders for the church’s mission in the world – to learn how to participate in the missio Dei and invite others to embrace God’s dominion. The Wesleyan Vision for Theological Education articulates this foundational principle with great clarity:
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Charles Wesley, Short Hymns on Select Passages of the Holy Scriptures, 2 vols., Bristol: Farley, 1762, 1:58; the second half of stanza one, Hymn 188. Chilcote, Recapturing the Wesleys’ Vision, 94.
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The church participates in God’s redemptive mission in the world ... by faithfully cultivating ... holistic evangelism and spiritual formation, as well as by witnessing to God’s desire for Shalom in the whole of creation.34
Maxie Dunnam explores the original meaning of the word “seminary” in an effort to resurrect this missional vision. The English word “seminary” comes from the Latin seminarium, meaning “seed plot.” Dunnam describes the seminary, therefore, as a “kingdom demonstration and training plot” in which the dimensions of Christian community that are absolutely necessary to the church’s mission are practiced and explored. Among these dimensions, he includes prayer and worship, reconciliation and servant leadership, at-homeness in a diverse, multicultural world, and “a renewed perception of the Church as the whole people of God and ministry belonging to the whole people of God.”35 Bishop Ken Carder advocates a “connectional” view of the seminary as a manifestation 36 of the church and an instrument of the church in mission. Stephen Mott’s vision of the seminary as “a society of the church” within which mission defines 37 its character moves theological education in the same direction.” Even David Kelsey recognized the centrality of this spirit in the “Methodist type” of relating the seminary to the church. “The school is constituted,” he observes, “by the fact that it consists of a cadre of persons called by the larger church to a mission 38 in the world.” As we have seen, conceiving theological education as a dimension of mission is not unique to our Wesleyan heritage. Robert Banks’s “Jerusalem” model that reenvisions theological education with mission at its heart has much to commend, and it certainly resonates with everything we have discovered in the Wesleyan spirit. Martin Kähler’s well-known dictum that “mission is the mother of theology” has been invoked by many as they seek to resituate theo39 logical education upon a missional foundation. Nothing could be more patently Wesleyan, and only time will adjudicate the verity of Banks’s convictions:
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A Wesleyan Vision for Theological Education, 3. Dunnam, The Seminary, 4. Kenneth L. Carder, A UMC Prognosis: Naming the Diseases and the Cures, in: Circuit Rider 17, 7 (1993), 7–9. Stephen C. Mott, The Seminary as a Society of the Church: Seminaries and the Church in United Methodist Ecclesiology, in: Journal of the Wesleyan Theological Society 37, 2 (Fall 2002), 7–31. Kelsey, To Understand God Truly, 55. See the incisive discussion of this theme in Orlando Costas, Theological Education and Mission, in: New Alternatives in Theological Education, ed. C. René Padilla, Oxford: Regnum Books, 1988, 5–24.
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Theological education has three main goals, namely, preparing lay leaders to help in the educational ministry of the church; preparing ministers of the ’Word and sacraments’ to equip the whole people of God, develop leaders for mission, and help the church articulate its faith; and producing teachers of ministers and ‘doctors’ of the faith. Only by maintaining its close links with mission will it remain relevant to changing circumstances, and hold true to the missionary impulse that gave rise to the church and theology.40
Reconceiving the theological curriculum and encyclopedia through the lens of mission, in other words, will enable the community of faith to rediscover its true vocation in the world. Theological education in the Wesleyan spirit will revolve intentionally around mission. 6. Inspirational Formation of the Whole People of God It is impossible to talk about mission without reference to the whole people of God. Wesley intimately related his rediscovery of a missional church with the celebration of the gifts that all people bring into the community of faith. In his redemption hymn, “All praise to our redeeming Lord,” Charles Wesley roots this vision in the image of the body of Christ described in the Letter to the Ephesians. He celebrates the fact that both the unity of the family of God and the giftedness of each individual are based upon God’s gracious activity in and among all people. He bids us build each other up; And, gathered into one, To our high calling’s glorious hope We hand in hand go on. The gift which he on one bestows, We all delight to prove, The grace through every vessel flows In purest streams of love.41
The grace and the gifts unite the community of faith in a process of restoration. The glorious hope of the high calling into which we are summoned is that in Christ we become one. Everyone is called; everyone is gifted for this purpose; God excludes no one from this privilege and this task. Everyone has the capacity 40 41
Banks, Reenvisioning Theological Education, 132; his distillation of the vision of Orlando Costas, Theological Education and Mission, 9–11. Charles Wesley, Hymns for those that seek, and those that have Redemption in the Blood of Jesus Christ, London: Strahan, 1747, Hymn 32.2–3.
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to become an instrument through which God’s love flows for the purpose of reconciliation and healing. The Methodist Societies functioned, therefore, as spiritual incubators in which men, women, and children were encouraged to discover, use, and nurture their unique gifts for mission and ministry. With their bands and classes – intentional communities for spiritual growth and discernment – and their holistic vision of the Christian life involving both works of piety and works of mercy, the Societies provided an environment conducive to the empowerment of all persons, regardless of rank or status.42 These various networks also functioned as support systems for those who engaged in evangelistic and missional activities in the life of their communities. It is not too much to claim that the structures of early Methodism functioned as centers of theological education for all of the Wesleys’ followers. On the basis of this heritage, Ken Howcroft extrapolates an important principle for the contemporary church: Theological education ... is a set of first-order activities for all Christians. They should each undertake them in the way that is appropriate for them, and should do so to the limit of their abilities. Theological education in the future must therefore be for the whole people of God, and not just pay lipservice to that. If we assume that theological education is primarily aimed at the ordained and that others are only able to pick up the crumbs under the table if they are lucky enough to be under the table, we are getting it wrong.43
The neglect of the whole people of God in the educational task may be the most critical mistake of our recent past. For us to take the whole people of God seriously calls, as Maxie Dunnam has acknowledged, “a more deliberate partnership with local congregations, judicatories, para-church organizations, and the 44 vast array of Kingdom missional expressions in the world.” It is very difficult to predict the trajectory of theological education for the whole people of God into the future, but I think there are some helpful models that come primarily from Christian communities in the non-Western world. Among them, none holds more promise, I believe, than Theological Education by Extension (TEE). This movement rediscovered a more organic “in-ministry formation” model in an 42
43
44
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See, for example, my discussion of this dynamic with regard to the empowerment of women in the early Methodist movement; Paul W. Chilcote, She Offered Them Christ: The Legacy of Women Preachers in Early Methodism, Nashville: Abingdon Press, 1993. Kenneth G. Howcroft, To Serve the Present Age: The Church and the Future of Theological Education, Plenary address, 12th Oxford Institute of Methodist Theological Studies, August 16, 2007, 2. Dunnam, The Seminary, 7.
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effort to hold being, knowing, and doing together in Third World settings that 45 tended to be much more holistic in their vision and way of life. The person-toperson, mentor/apprentice dynamic of this model reminds us in striking ways of theological education under the Wesleys in the earliest years of the revival. Theological education in the Wesleyan spirit will inspire the discovery and development of the gifts that the Spirit has given to the whole people of God so that all might participate in the missio Dei in the world. 7. Integral Formation for Transformation Transformation takes place when “all of who you are” encounters “the fullness of God in Christ.” This central conviction of the Wesleys implies nothing less than a holistic approach to theological education – an integral process of formation characterized by continuous growth in grace and knowledge. Serving as a theological educator in an African context challenged me to consider the implications of teaching for transformation in ways I had never conceived before. In their three volume handbook entitled “Training for Transformation’’, Anne Hope and Sally Timmel claim that “development, liberation and transformation are all aspects of the same process. It is not a marginal activity. It is at the core of all creative human living.”46 In a recent volume on theological education, given the opportunity to reflect more fully on my own experiences, I offered the following observation: While this vision of education is ancient, Paulo Freire, in his landmark study Pedagogy of the Oppressed, resurrected the simple idea that learning is not about the passive reception of information, but is meant to awaken and develop the ability for creative intelligence. At the core of his concept of transformative education is the ‚theory of dialogical action.’ To put it all rather simply, education is meant to be a process of liberation ‘from the inside out,’ not an external and authoritarian imposition of ideas or values that can easily misshape the human spirit. Theological education, using this paradigm, is a process of self-discovery, liberation, and formation from the 45
46
Works on TEE abound, but see in particular the works of F. Ross Kinsler; The Extension Movement in Theological Education, William Cary Library Publications, 1978, Trialogue: Alternatives in Theological Education, Auburn Theological Seminary, 1978, Ministry by the People: Theological Education by Extension, Maryknoll, NY: Orbis Books, 1983, and Opting for Change: A Handbook in Evaluating and Planning for TEE, William Cary Library Publications, 1991, and Padilla, Alternatives in Theological Education. Anne Hope and Sally Timmel, Training for Transformation: A Handbook for Community Workers, 3 vols., Gweru, Zimbabwe: Mambo Press, 1984, 3.
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inside out; it is a process that permits the Spirit of God to transform men 47 and women and discover their true identity as the children of God.
The inadequacy of the “banking method” of education, as Freire called it, is evident when applied to the multifaceted didactic sphere of theological education. The competency of pastors, for example, depends upon their ability to apply knowledge to a diverse range of real life settings, all within a larger and much more complex nexus of relationships. The development of pastoral expertise necessarily entails a highly contextual process. It requires the accumulation and integration of a wide repertoire of learning experiences, most of which are situated in relationships with parishioners, families, colleagues, and teachers. As a former colleague of mine once put it, “all this is learned painstakingly, one human encounter at a time.” The consequence of such transformative and emancipatory learning, however, is the acquisition of true self-knowledge, habituated empathy, and ownership of a traditioned heritage. In my book, Recapturing the Wesleys’ Vision, in a major section devoted to the exploration of discipline (or paideia), I devote one chapter to the conjunction of heart and head—of eruditio et religio (knowledge and piety). I link this particular integral vision with a Wesley hymn well-known in Methodist academic circles: Unite the pair so long disjoined, Knowledge and vital piety: Learning and holiness combined, And truth and love, let all men see In those whom up to thee we give, Thine, wholly thine, to die and live.48
Reflecting upon this lyrical text, I wrote: “the Wesleys were firmly convinced that devotion apart from learning is rootless, that knowledge devoid of piety is 49 bankrupt.” Here is a potent synthesis of paideia and Wissenschaft well worth emulating in theological education today. And all of this, it is helpful to remember, was directed toward God’s mission in the life of the world. Theological education in this mode, therefore, necessarily involves the mastery of “information” and the discipline of “formation,” which together lead to the serendipity of “transformation.” Paideia, conceived in this larger sense, forms character, abilities, and thought, informs mind, praxis, and contemplation, and transforms values, 47 48 49
172
Paul W. Chilcote, The Fullness of Learning, in: Dunnam, A Thoughtful Faith, 99. Hymns for Children, Bristol: Farley, 1763, 36, Hymn 40; stanza five from the hymn “At the Opening of a School in Kingswood.” Chilcote, Recapturing the Wesleys’ Vision, 69.
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people, and communities. “Theological education,” Ken Howcroft explains, “must be a transformative process both for the corporate Church and for individuals, a process that involves interlinked aspects of learning, training, and for51 mation.” Theological education in the Wesleyan spirit will integrate sound learning and vital piety in processes of formation that enable God’s presence to transform the lives of the faithful. The constitutive elements of this Wesleyan spirit, linked to words like commitment, community, contextuality, and compassion, provide a compass by which to plot the course ahead. The values that animate this vision point to an understanding of theological education in which relationships in life and ministry, connectedness with others, the richness of diversity, attentiveness to context, theological balance, and self-giving love form the core of a missional curriculum leading all to more abundant life.52 Theological education in the Wesleyan spirit will transform individuals and communities as they are formed for God’s mission in the world.
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52
See Costas, Theological Education and Mission, 8. Howcroft, To Serve the Present Age, 2. He uses the Wesleyan concept of “discipleship” to describe this holistic process: “Discipleship has to be a key component of theological education. It involves interlinked aspects of learning (mathein) and following (akolouthein) not only for individuals but also for the corporate body of the Church as it becomes and acts as the body of Christ. Individually and corporately we have to be nurtured into being both a learning people and a people who follow Jesus and speak and act in his name” (2). In an essay entitled “Thinking Theologically, Thinking Biblically,” Howard Snyder uses the terms logical, analogical, and psychological to describe a similar trilogy related to human thought processes. The logical thinker articulates theology through propositions; the analogical theologian through story and parable; and the intuitive thinker through myth and allegory (Dunnam, A Thoughtful Faith, 51–68). See Chilcote,The Fullness of Learning, 101.
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Autorinnen und Autoren Jörg Barthel, geboren 1958; Prof. Dr. theol.; Professor für Altes Testament und Rektor an der Theologischen Hochschule Reutlingen; Forschungsund Arbeitsschwerpunkte: Alttestamentliche Prophetie (bes. Jesaja), Psalmen, Schöpfungsglaube und Naturwissenschaften, Theologie und Hermeneutik des Kanons; wichtigste Veröffentlichungen: Prophetenwort und Geschichte. Die Jesajaüberlieferung in Jes 6–8 und 28–31, Tübingen 1997; Die kanonhermeneutische Debatte seit Gerhard von Rad. Anmerkungen zu neueren Entwürfen, in: Bernd Janowski (Hg.), Vom Lesen und Verstehen der christlichen Bibel, Neukirchen-Vluyn 2007, S. 1–26. Paul W. Chilcote, geboren 1954; Prof. Dr. theol.; Professor of Historical Theology and Wesleyan Studies in Ashland Theological Seminary, Ohio; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: John und Charles Wesley, Wesleyan practices, Methodist women; wichtigste Veröffentlichungen: Recapturing the Wesleys' Vision. An Introduction to the Faith of John and Charles Wesley, Westmond IL 2004; Praying in the Wesleyan Spirit. 52 Prayers for Today, Nashville TN 2001; The Wesleyan Tradition. A Paradigm for Renewal, Nashville TN 2002. Holger Eschmann, geboren 1957; Prof. Dr. theol.; Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Hochschule Reutlingen; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Homiletik, Poimenik, Liturgik, Pastoraltheologie; wichtigste Veröffentlichungen: Theologie der Seelsorge. Grundlagen – Konkretionen – Perspektiven, Neukirchen-Vluyn 22002; Predigen lernen. Ein Lehrbuch für die Praxis (zus. mit Achim Härtner), Göttingen/Darm2 stadt 2008; Freikirche – Landeskirche. Historische Alternative – Gemeinsame Zukunft? (hrsg. mit Jürgen Moltmann und Ulrike Schuler), Neukirchen-Vluyn 2008. Achim Härtner, geboren 1960; Prof., M.A. in Religious Communication; Professor für Praktische Theologie an der Theologischen Hochschule Reutlingen (Stiftungslehrstuhl E.-Stanley-Jones Chair of Evangelism); Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Gemeindepädagogik, Gemeindeaufbau/Evangelistik, Diakoniewissenschaft, Homiletik; wichtigste Veröffentlichungen: Predigen lernen. Ein Lehrbuch für die Praxis (zus. mit Holger 2 Eschmann), Göttingen/Darmstadt 2008; Unterwegs ins Leben. Arbeitshilfe für den Kirchlichen Unterricht in der Evangelisch-methodistischen Kirche, Frankfurt/M. 2006.
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Autorinnen und Autoren
Walter Klaiber, geboren 1940; Dr. theol.; Bischof der Evangelisch-methodistischen Kirche im Ruhestand mit reger Vortragstätigkeit; Forschungsund Arbeitsschwerpunkte: Erarbeitung und Herausgabe von allgemeinverständlichen neutestamentlichen Kommentaren auf der Grundlage wissenschaftlicher Exegese; wichtigste Veröffentlichungen: Der Römerbrief, in: Die Botschaft des Neuen Testaments, Neukirchen-Vluyn 2009; Schöpfung. Urgeschichte und Gegenwart, Göttingen 2005; Gelebte Gnade. Grundriss einer Theologie der Evangelisch-methodistischen Kirche (zus. mit Manfred Marquardt), Göttingen 22006. Clive Marsh, geboren 1959; Dr. theol.; Director of Learning and Teaching, Institute of Lifelong Learning, University of Leicester; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Theology and the Arts, Culture and Education; wichtigste Veröffentlichungen: Christianity in a Post-Atheist Age, Canterbury 2002; Christ in Practice. A Christology of Everyday Life, London 2006; Theology Goes to the Movies. An Introduction to Critical Christian Thinking, London 2007. Michael Nausner, geboren 1965; Prof. Dr. theol.; Professor für Systematische Theologie an der Theologischen Hochschule Reutlingen; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Methodistische Ekklesiologie, Postkoloniale Theorie und Theologie, Theologie und Kultur, Die Rolle der Erfahrung in der Theologie; wichtigste Veröffentlichungen: Postcolonial Theologies. Divinity and Empire (zus. mit Catherine Keller u. Mayra Rivera), St. Louis MO 2004; Subjects In-between. A Theological Boundary Hermeneutics, Madison NJ 2005; Kirchliches Leben in methodistischer Tradition. Perspektiven aus drei Kontinenten (Hrsg.), Göttingen 2010. Jürgen van Oorschot, geboren 1957; Prof. Dr. theol.; Professor für Altes Testament an der Friedrich-Alexander-Unversität Erlangen-Nürnberg; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: alttestamentliche Anthropologie, Weisheit und Wissenskultur, kulturelle und literarische Transformationsprozesse; wichtigste Veröffentlichungen: Von Babel zum Zion, Berlin/New York 1993; Das babylonische Exil – eine Konzeption im Alten Testament, in der Historiographie und in der Kulturbegegnung des 6. Jh. v. Chr., in: Friedrich Schweitzer (Hg.), Kommunikation über Grenzen, Gütersloh 2009, 233– 251. Ina Praetorius, geboren 1956; Dr. theol.; freie Autorin und Referentin; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Postpatriarchale Theologie, Ethik; Spiritualität; wichtigste Veröffentlichungen: Handeln aus der Fülle. Postpatriarchale Ethik in biblischer Tradition, Gütersloh 2005; Gott dazwischen. Eine
Autorinnen und Autoren
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unfertige Theologie, Ostfildern 2008; Weit über Gleichberechtigung hinaus. Das Wissen der Frauenbewegung fruchtbar machen, Rüsselsheim 2009. Wolfgang Ruhnow, geboren 1944; Pastor i.R.; langjährige Tätigkeit als Gemeindepastor, Jugendsekretär, Dozent für Altes Testament am Theologischen Seminar Bad Klosterlausnitz und Superintendent; wichtigste Veröffentlichungen: Bibelarbeit zu Kohelet 2, 12–26, in: Manfred Marquardt (Hg.), „Theologie in skeptischer Zeit“, Stuttgart 1997, 95–122. Friedrich Schweitzer, geboren 1954; Prof. Dr. rer. soc.; Prof. für Religionspädagogik und Praktische Theologie an der Evangelisch-theologischen Fakultät der Eberhard Karls Universität Tübingen; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Religiöse Erziehung und Bildung, Religionspädagogik als Wissenschaft, Konfirmandenarbeit; wichtigste Veröffentlichungen: Religionspädagogik, Gütersloh 2006; Pädagogik und Religion. Eine Einführung, Stuttgart 2003; Das Recht des Kindes auf Religion. Ermutigungen für Eltern und Erzieher, Gütersloh 22005. Theo Sundermeier, geboren 1935; Prof. Dr. theol.; Prof. emer. für Religionswissenschaft und Missionswissenschaft an der theologischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität in Heidelberg; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Afrikanische und Japanische Religionen, Missionstheologie, Christliche Kunst weltweit; wichtigste Veröffentlichungen: Nur gemeinsam können wir leben. Das Menschenbild schwarzafrikanischer Religionen, Gütersloh 1988; Mission – Geschenk der Freiheit. Bausteine für eine Theologie der Mission, Frankfurt 2005; Religion: Was ist das? Religionswissenschaft im theologischen Kontext. Ein Studienbuch, Frankfurt 2007. Cornelia Trick, geboren 1962; Theologin; langjährige Tätigkeit als Pastorin der Evangelisch-methodistischen Kirche; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Gemeindearbeit und -aufbau. Christof Voigt, geboren 1963; Prof. M.A.; Professor für Philosophie und biblische Sprachen an der Theologischen Hochschule Reutlingen; Forschungs- und Arbeitsschwerpunkte: Denken des Glaubens, Sprache des Glaubens; wichtigste Veröffentlichungen: Wörterbuch Latein für Philosophie und Theologie (zus. mit Manfred Marquardt), Göttingen/Darmstadt 2009; Mitarbeit an Übersetzungen der Basisbibel, hrsg. von der Deutschen Bibelgesellschaft, Stuttgart 2010.
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Autorinnen und Autoren
Register Personenregister Antes, Peter 116 Assmann, Aleida 89 Atkins, Martyn 46 Augustinus, Aurelius 130 Bail, Ulrike 126 Ball, Hannah 44 Banks, Robert 161f, 168f Barth, Karl10, 148, 150 Barthel, Jörg 12 Baumann, Gerlinde 93, 97 Becker, Jürgen 27 Benner, Dietrich 8 Bergmann, Jan 89 Betancourt, Ingrid 54 Betz, Hans Dieter 27 Biehl, Peter 10 Bieri, Peter 8, 10 Bloch, Ernst 129 Böhler, Peter 148 Bonhoeffer, Dietrich 78, 142 Bornkamm, Karin 30 Boschki, Reinhold 8 Bosold, Iris 9 Botterweck, G. Johannes 89 Brenz, Johannes 28 Browning, David M. 157 Brüggen, Friedhelm 8 Brunner, Emil 10 Bunyan, John 61 Calvin, Johannes 29 Carder, Kenneth L. 168 Chilcote, Paul W. 13, 163f, 167, 170, 172 Comenius, Johann Amos 10 Crenshaw, James L. 89 Cunningham, David S. 163 Dörpinghaus, Andreas 8f Dunnam, Maxie D. 158–160, 168, 170 Ebeling, Gerhard 30 Edwards, Jonathan 133f, 138
Elsner, Lothar 47 Ernst, Karl 10 Eschmann, Holger 12 Evans, Robert A. 160 Farley, Edward 158–160 Foster, Charles R. 163 Frazer Evans, Alice 160 Freire, Paulo 171 Freud, Sigmund 101 Gertz, Jan Christian 95 Habermas, Jürgen 34f Härtner, Achim 11, 47 Hedtke, Reinhold 29 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 113 Heitzenrater, Richard P. 41f, 44, 164 Hels, Sharon J. 164 Hooker, Richard 135 Hope, Anne 171 Howcroft, Kenneth G. 170 Inui, Thomas 157 Jackson, Thomas 40, 121, 164 Jahreiß, Ulrich 47 Jennings, Theodore W. 43 Joas, Hans 35 Josephus, Flavius 18 Jüngel, Eberhard 107 Kähler, Martin 16 Karle, Isolde 57 Kelsey, David 160–162, 168 Kinsler, F. Ross 171 Klaiber, Walter 11, 41, 46 Kliemann, Peter 9 Kliss, Oliver 44 Lidgett, John Scott 45 Lohmann, Hartmut 45 Lührmann, Dieter 27 Luther, Martin 23, 28–31, 37, 53, 78, 80 Malessa, Andreas 54 Margull, Hans Jochen 117
Personenregister
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Marquardt, Manfred 26f, 41f, 44, 46 Marsh, Clive 12f, 137, 139, 142, 148– 152 McCulloh, Gerald O. 165 Melanchthon, Philipp 28f Miller, Glenn T. 163 Moore, Steve G. W. 158 Mott, Stephen 168 Mußner, Franz 27 Nausner, Michael 13, 154 Neuhaus, Richard 161 Nipkow, Karl Ernst 29–31 Nützel, Johannes M. 27 Nzamujo, Godfrey 131f Oelkers, Jürgen 8 Oerter, Rolf 101 Ooschot, Jürgen van 12, 104 Otto, Rudolf 118 Pannenberg, Wolfhart 10 Pascal, Blaise 69 Piaget, Jean 101 Poe, Edgar Allen 69 Poenitsch, Andreas 8 Praetorius, Ina 12 Ratschow, Carl Heinz 97, 117 Ratzinger, Joseph 35 Redeker, Martin 137 Rhodes, Lynn N. 161 Richardson, Nancy D. 161 Rieger, Jörg 50 Rohde, Joachim 27 Roozen, David A. 160 Rousseau, Jean-Jacques 31 Ruhnow, Wolfgang 11 Runyon, Theodor 10, 40, 42–45 Saint Exupéry, Antoine 69 Schäfer, Rolf 96 Schellenberg, Annette 94f Schilling, Hans 10
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Register
Schleiermacher, Friedrich 11f, 29, 32f, 56, 133–140, 142, 147–150, 152 Schottroff, Luise 127 Schottroff, Willy 89 Schuler, Ulrike13, 157 Schulze, Theodor 33 Schweitzer, Friedrich 11, 29f, 40 Simmel, Georg 109 Skiles, Jodi 157 Solomon, Mildred Z. 157 Streiff, Patrick 46 Sundermeier, Theo 12, 109 Theißen, Gerd 61 Tiefensee, Eberhard 54 Timmel, Sally 171 Trick, Cornelia 11 Trotter, Thomas 165 Ueberschaer, Frank 89 Voigt, Christof 12, 46 Voigt, Karl Heinz 44 Hentig, Hartmut von 78, 86 Humboldt, Wilhelm von 9 Rad, Gerhard von 89 Walker, Andrew 133–136, 147, 149 Wenger, Etienne 142 Weniger, Erich 33 Wenner, Rosemarie 48 Wesley, Charles 167, 169 Wesley, John 10, 12f, 25–27, 40–46, 50, 121, 133–135, 138, 142, 147–151, 153, 157–159, 161, 163–166, 168, 171f Wheeler, Barbara G. 158–160 Wigger, Lothar 8 Wilson, Monica 108 Witte, Markus 95 Zimmer, Siegfried 11, 85
Sachregister Abendmahl 140, 150 Anthropologie 29, 77, 79, 83, 102, 108, 136, 140, 147, 150, 152 Arme, Armut 42f, 45, 50, 84, 150 Aufklärung 9, 31f, 105 Autorität 32 Begegnung 12, 19f, 23, 78, 105, 108, 111–115, 117, 119–121, 140, 151, 155 Bekehrung 143 Bibel 23, 44, 52, 54f, 61, 64, 68f, 73, 75f, 79, 103, 125–130, 132, 146, 155 Bildungsbegriff 10, 61 Bildungsverantwortung 11, 28–34, 39f, 46 Bildungsverständnis 9, 43, 88 Christentum 39f, 98, 135, 139, 141, 143, 149f Diakoniewerk 46f Dialog 37, 49, 118, 136, 143, 156, 158, 166, 171 Elementarisierung 101 Eltern 29, 47, 81, 99, 109 Entfremdung 41, 63, 129 Entscheidung 24, 65, 95 Entwicklung 9, 13, 21, 33, 35, 90, 95, 134, 137, 146, 149, 154, 156 Erfahrung 12f, 20, 22, 49, 52, 54f, 61, 63–65, 68, 72–74, 77–79, 82, 86, 89f, 97–99, 103–107, 110, 116, 120f, 134–138, 140–142, 147, 149–152, 155 Erlebnis 77, 118, 127 Erlösung 137 Erneuerung 24, 40f Erwachsenenbildung 28, 35, 37–39, 46–49 Erzieher(innen) 77, 133 Erziehung 11f, 30, 32f, 41, 43, 50, 67, 76f, 79f, 82, 84f, 86f, 89, 95, 98, 99f, 104–106, 156
Erziehungswissenschaft 8 Ethik 32, 35, 41f, 44, 47 Evangelisation 48 Evangelium 17f, 20f, 27, 30, 43, 49, 51, 125–127, 130, 134f Familie 18, 37, 42, 44, 49, 56f, 111, 114, 130, 142, 144, 146, 172 Faszination 77–80, 84, 116 Feier, Fest 51, 93, 129, 140 Freiheit 27, 32f, 64 Frieden 11, 30f, 38f, 47, 83 Gebet 22, 65 Gebot 18, 84, 98f, 127f, 130f Gehorsam 21, 128 Gemeinde 7, 17f, 21f, 31, 45–47, 50, 65, 121, 137, 139f, 142 Gemeindeentwicklung 47 Gemeindepädagogik 19 Gemeinschaft 23, 25, 31, 36, 42, 47, 65, 72, 89, 112, 114, 121, 136– 139, 142, 144, 149–152, 154f Gerechtigkeit 11, 24–26, 31, 33, 38f, 47, 51, 83, 150 Geschichte 29, 44f, 50f, 53, 68–70, 75, 78, 90, 98, 103, 119, 129f, 135, 139, 155 Gesetz 17–19, 21, 24, 26, 82, 103, 118, 132 Gesellschaft 9, 11, 28–39, 44, 46f, 49f, 55, 57, 82f, 86, 88, 108, 110, 112, 114, 119, 129, 136, 141, 146, 150–152, 155 Gespräch 12, 18, 49, 80, 101, 103, 105f, 121, 132, 144 Gewissen 51, 68, 92 Glaubensentwicklung 13, 154, 156 Globalisierung 35 Gnade 10, 23, 26, 40f, 151 Gott 10f, 13, 17–20, 22–27, 29f, 33, 36, 38, 40, 42, 45, 51f, 54–58, 61–66, 68, 75f, 78–80, 82–84, 86, 88, 92–99, 101–104, 106f, 109,
Sachregister
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112, 117, 120f, 127f, 130–134, 136–139, 143, 145f, 148–150, 155 Gottebenbildlichkeit 10, 40, 61 Gottesdienst 44, 112 Heiliger Geist 20,23, 41, 61, 63, 76, 91, 125–129, 130–132, 152 Heiligung 11, 25f, 41f, 45f, 49, 149 Hermeneutik 12, 115–118, 120 Herz 7, 11, 40f, 43, 51, 55–58, 62– 64, 67–77, 79f, 84–87, 90, 112, 120, 130, 134, 148, 151 Hochschule, Universität 48, 88, 100f, 113, 153 Individualisierung, Individuum 9, 49, 72, 112, 134f, 137f, 141, 149, 151, 158, 161, 169, 173 Interdisziplinarität 154f Interkulturalität 108, 112, 116f, 120, 130, 151 Islam 34, 37, 113, 117 Jesus Christus 11, 13, 17–20, 22–27, 29, 41f, 45, 50–56, 58, 62–66, 130–132, 136–152, 154f, 167, 169, 173 Jugendliche 32, 39, 43, 47, 77, 79f Katechismus 29, 30, 37 Kinder, Kindheit 18f, 21, 25, 32, 39, 42–44, 47, 54, 57, 61, 64, 69, 76f, 79–82, 84, 86, 95, 99, 101, 108– 110, 125, 129f, 143 Kirche 12f, 28–32, 35, 37–39, 44– 51, 53, 57f, 79f, 88, 98, 108, 113, 118f, 121, 125, 129f, 134, 140, 142, 145–147, 150–152, 154f Kommunikation 56, 111, 116 Kirchlicher Unterricht 37, 47 Kultur 9, 13, 34, 49, 56, 68–70, 77, 89, 108, 112f, 115f, 141, 149, 156 Laien 45, 140, 150 Lernen, Lernprozess 7, 30, 44f, 49, 53, 56f, 65, 75, 80f, 100, 103, 108–111, 117, 120, 127f, 130–132, 145f, 155f
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Register
Liebe 10, 12, 19, 22–27, 41f, 55f, 61, 64f, 77, 81f, 84, 92, 117, 120, 127, 130–132 Medien 13, 36, 48, 80, 147, 156 Medienkompetenz 154, 156 Methodismus 11–13, 25, 40–50, 58, 88, 119, 121, 133–136, 138, 140, 145, 148–152, 154, 163–168, 170, 172 Mission, Missionar 12, 17, 21f, 45– 49, 57, 108f, 117, 118–122, 125, 127, 133, 158, 160, 162, 165–170, 172f Moderne 32, 35, 70, 114, 138 Nachfolge 7, 25, 61, 63f, 114, 144, 146 Natur, Naturwissenschaft 36, 78, 111, 149, 165 Offenbarung 12, 24, 73–75, 90, 103–106, 135, 137, 146 Ökumene 49 Ordnung 49, 57, 81, 94, 111, 121, 132, 148 Pädagogik 7f, 10, 19, 30, 40, 70, 79f Paideia 13, 160–164, 167, 172 Person, Personalität 9f, 12, 30, 41, 53, 62, 64, 73–77, 82, 84f, 100, 104, 110, 119, 137, 142, 149, 159f, 163f, 168, 170f Phantasie 74, 148 Politik 8, 29, 38, 106, 127 Postmoderne 13, 54, 133, 139–141, 143, 149, 151, 153 Predigt 11, 19, 30, 40, 45, 51, 54, 130, 151 Protestantismus 28, 98, 106, 138 Recht 30f, 33, 46, 50, 113, 114, 117 Rechtfertigung 21, 30 Reformation 28f, 31, 37, 39, 46 Religion(en) 7, 11f, 28, 32–35, 37– 39, 68–70, 77, 79f, 89f, 108, 112f, 115–121, 133–135, 139, 141, 149, 151, 156 Religionpädagogik 8, 29, 80
Religionsunterricht 37 Rituale, Riten 52, 101, 116, 128 Schöpfung 10, 17, 35f, 38, 40f, 45, 47, 62, 76, 79, 83, 88, 94, 194 Schule 8, 28–32, 36f, 42, 44, 48, 57, 82, 86, 88, 92, 100f, 153 Seele 26, 75, 121 Seelsorge 26, 108, 140, 145 Sinn, Sinnfindung 9, 17, 21, 24f, 32, 35f, 39, 49, 53, 65, 67, 81, 94, 110f, 116 Sonntagsschule 44 Spiritualität 25, 46, 156, 161f, 168, 170 Sprache 8f, 12, 23, 44, 53, 61, 68f, 72, 89, 97, 99, 108, 111f, 125– 127, 129f Staat 29, 31, 46, 50, 82, 113, 130 Studium, Student 8, 13, 100f, 106, 144f, 153, 155f, 158f, 163f Subjekt, Subjektivität 9, 110, 128, 150 Sünde, Sünder 41, 76, 79, 84, 87, 121 Symbol 23, 34, 67f, 70, 113, 116f Taufe 17, 24, 26, 64, 100, 128 Theologie 7f, 10–12, 23, 25, 40f, 47, 49, 52, 56, 70, 88f, 96, 101, 103, 105f, 116, 135f, 138–142, 145– 147, 149f, 153–156
Tradition 7, 11f, 22, 39, 47, 49f, 90, 92, 98, 100, 103–106, 132, 134– 136, 145f, 148–153, 155f, 161– 163 Unterricht 30, 36, 42, 86, 100, 155 Verantwortung 11, 31, 38, 44f, 48, 50–53, 55, 145f Vernunft 32, 34f, 49, 74, 135 Verständigung 37, 39, 49, 126 Vertrauen 19, 27, 47, 55, 65, 76, 81, 104f, 113, 155 Vorbild 19 Wahrnehmung 11, 45, 48, 70–72, 80, 84, 100, 115 Weiterbildung 48, 99, 148 Welt 8f, 11, 13, 17, 24, 26, 30, 34, 36, 38, 41, 45, 47, 49f, 56, 58, 62, 64–66, 72, 77, 81, 86, 89f, 93–96, 98, 104f, 107, 109, 111, 113, 117, 119f, 125–127, 129–132, 136, 139–141, 145–148, 150–152, 154 Weltanschauung 9, 36, 100, 115, 119 Werte 30, 33f, 39, 41f, 49, 73, 114 Wiedergeburt 40f Wirklichkeit 11, 17, 23f, 26f, 71, 75– 80, 84, 97, 105, 117, 131, 136 Wissenschaft(en) 8, 13, 32, 36f, 75, 78, 93f, 101f, 105, 161–164
Sachregister
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