Eschatologische Öffentlichkeit: Öffentlichkeit der Kirche und Politische Theologie im Werk von Erik Peterson 9783525563717, 9783647563718, 352556371X

Erik Peterson – Denker, Kritiker und Schlüsselfigur der Theologie und Geistesgeschichte des 20. Jahrhunderts

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German Pages 282 [281] Year 2012

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Eschatologische Öffentlichkeit: Öffentlichkeit der Kirche und Politische Theologie im Werk von Erik Peterson
 9783525563717, 9783647563718, 352556371X

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Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie

Herausgegeben von Christine Axt-Piscalar und Gunther Wenz Band 134

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Roger Mielke

Eschatologische Öffentlichkeit Öffentlichkeit der Kirche und Politische Theologie im Werk von Erik Peterson

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-525-56371-7 ISBN 978-3-647-56371-8 (E-Book)  2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen/ Vandenhoeck & Ruprecht LLC, Bristol, CT, U.S.A. www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Printed in Germany. Druck und Bindung: a Hubert & Co, Göttingen Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

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Danksagung Die Gestalt Erik Petersons hat mich durch viele Jahre begleitet. Zum ersten Mal bin ich Peterson begegnet im zweiten Studiensemester, in einer Übung bei Prof. Dr. Jürgen Fangmeier an der Kirchlichen Hochschule Wuppertal. Dort wurde Petersons Aufsatz „Was ist Theologie?“ im Kontext der frühen Theologie Karl Barths gelesen. Viel später dann stieß ich im Regal der theologischen Neuerscheinungen in einer Kölner Buchhandlung auf den gerade erschienen ersten Band der neuen Ausgabe der „Ausgewählten Schriften“, die „Theologischen Traktate“. Damals fand ich dort als junger Pfarrer in der rheinischen Kirche manche Frage gestellt, die mich im Blick auf das Sein der Kirche und den gerade begonnenen Dienst in ihr bewegte und bedrängte. Aus diesem Denkprozess eines (solidarischen) Leidens an der Kirche ist alle weitere Beschäftigung mit Peterson erwachsen und so letztlich auch die hier vorgelegte Arbeit. Danken möchte ich den Weggefährten und Begleitern. Herr Pfr. em. Dr. Karl-Adolf Bauer war mir in seiner Zeit als Rektor des Pastoralkollegs der Evangelischen Kirche im Rheinland und auch danach ein Vorbild als Pastor und Theologe und ein väterlicher Freund. Ohne ihn wäre diese Arbeit nicht zustande gekommen. Den Gesprächen mit ihm, seiner Leidenschaft und Ernsthaftigkeit, auch seinem mitunter grimmigen Humor verdanke ich unverzichtbare Impulse für meine „theologische Existenz“. Ich danke ihm besonders, dass er diese Arbeit Korrektur gelesen hat. Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer des Jahres 2009 fertig gestellt und im Wintermester 2009/2010 von der Theologischen Fakultät der Ernst-MoritzArndt-Universität Greifswald als Dissertation angenommen. Für die Drucklegung wurde sie durchgesehen und geringfügig überarbeitet. Herzlichen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Heinrich Assel, der mit großer Geduld und in vielen ermutigenden Gesprächen das Entstehen dieser Arbeit begleitet und sie in einem Erstgutachten beurteilt hat. Im Kreise seiner zunächst Koblenzer, dann Greifswalder Sozietät durfte ich das Projekt vorstellen und in ausgesprochen freundlicher und förderlicher Weise diskutieren. Herrn Prof. Dr. Stefan Beyerle (Greifswald) danke ich für das Zweitgutachten und Herrn Prof. Dr. Reinhard von Bendemann (Kiel) für das zusätzliche Gutachten, das die Expertise des Neutestamentlers in das Bewertungsverfahren einbrachte. Herr Professor Dr. Gunther Wenz und Frau Prof. Dr. Christine AxtPiscalar waren dankenswerter Weise bereit, die Arbeit in die Reihe der „Forschungen zur Systematischen und ökumenischen Theologie“ aufzunehmen. Besonderen Dank richte ich an Frau Dr. Barbara Nichtweiß (Mainz) für ihre Unterstützung durch mehr als freundliches Interesse, durch Material, das sie

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Danksagung

mir zur Verfügung stellte, durch beharrliches Nachfragen und viele einzelne Diskussionsanregungen. Ihre Arbeit an der Erschließung des Lebenswerkes von Erik Peterson und ihre Detailkenntnis bis in entlegenste Gebiete waren mir Inspiration und Vorbild. Ich bedanke mich sehr herzlich bei Herrn Prof. Dr. Karl Kardinal Lehmann (Mainz) für die Förderung der Arbeit und die Vermittlung eines großzügigen Druckkostenzuschusses, der erst den Druck dieser Arbeit ermöglicht hat. Im Pfarramt wissenschaftliche Theologie zu betreiben, hat auch immer Folgen für die Menschen, mit denen wir in Gemeinschaft leben. Ich danke meiner lieben Frau Susanne, meinen Kindern Marie, Lorenz und Paul-Gerhard für ihre Geduld über viele Jahre hinweg. Meine Eltern haben mir neben allem andern auch die Liebe zum Wort Gottes mit ins Leben gegeben. Dafür schulde ich ihnen mehr, als ich hier ausdrücken kann. Mein lieber Vater konnte das Entstehen dieser Arbeit nicht mehr begleiten. Ich gedenke seiner mit großer Dankbarkeit. Nicht zuletzt möchte ich auch der Evangelischen Kirchengemeinde Bendorf einen Dank abstatten, ihren Presbyterinnen und Presbytern, den Schwestern und Brüdern auf dem Weg mit Christus. Sie haben mir, wo es nötig war, die Freiheit zur wissenschaftlichen Arbeit gegeben und an Altar und Kanzel mit mir gemeinsam von der Gegenwart Christi gelebt. Bendorf/Rh., Ostern 2012

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Roger Mielke

Inhalt 1. Fragestellung und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Zur Fragestellung: Die Öffentlichkeit der Kirche – Kirche als Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Erik Peterson: biographische Skizze . . . . . . . . . . . 1.1.2 Die gesellschaftstheoretische Dimension . . . . . . . . 1.1.3 Erik Peterson und eine Theorie der Öffentlichkeit . . . 1.1.4 Jürgen Habermas und der „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Zum Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Zu Methode und Textgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Öffentlichkeitsdiskurse: Zum Horizont eines theologischen Begriffes von Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Gesellschaftliche Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . 2.2 Jürgen Habermas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Peterson im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Niklas Luhmann und seine Theorie der Öffentlichkeit 2.5 Paradoxe Modernitätsverstärkung . . . . . . . . . . .

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3. „Konkrete Theologie“: Zur Rhetorik der Präsentifikation . . . 3.1 Theologischer Stil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Stil – theologisch und literaturwissenschaftlich . . . 3.2. Zum Textmaterial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 „Was ist Theologie?“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 „Zeuge der Wahrheit“ und weitere . . . . . . . . . . 3.3. Rhetorik der Präsenzerzeugung . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Argumentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Evidenz als Programmbegriff . . . . . . . . . . . . 3.4 Kierkegaard und die Methode der „indirekten Mitteilung“ 3.4.1 Antipersuasive Rhetorik . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Die „indirekte Mitteilung“ bei Peterson . . . . . . . 3.4.3 Textrhetorik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Peterson im Kontext der 1920er Jahre . . . . . . . . . . . 3.5.1 H.U. Gumbrecht „Diesseits der Hermeneutik“ . . . 3.5.2 Peterson und die „antihistoristische Revolution“ . . 3.5.3 H. Lethen „Verhaltenslehren der Kälte“ . . . . . . . 3.5.4 H. Plessner „Grenzen der Gemeinschaft“ . . . . . . 3.5.5 Zur Möglichkeit von Theologie . . . . . . . . . . . 3.6 Resümee dieses Abschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Inhalt

4. Macht und Mächte: Politische Theologie in apokalyptischem Horizont . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Politische Öffentlichkeit und kirchliche Öffentlichkeit . . . . 4.2 Der kirchliche Öffentlichkeitsbegriff: Genese einer Fragestellung: Briefwechsel mit Harnack . . . . . . . . . . . 4.3 Das politisch-theologische Problem und die politische Form 4.3.1 Peterson und Schmitt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Politische Einheitsbildung: Das Bezugsproblem Carl Schmitts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Zum Thema der Öffentlichkeit bei Carl Schmitt: ein Gang durch die Hauptschriften . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Der „positive Rechtsanspruch Gottes“: Zum Bezugsproblem der Theologie Erik Petersons . . . . . . 4.3.5 Erik Peterson als politischer Theologe . . . . . . . . . . 4.3.6 Metaphysik der Macht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.7 Politische Theologie der Öffentlichkeit im Vollzug: Der Hochland-Aufsatz über die „Gegenwärtige Lage der protestantischen Kirche“ (1933/34) . . . . . . . . . . . 5. Kirche als Öffentlichkeit: Ekklesiologie der Öffentlichkeit bei Erik Peterson . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Praxisformen der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die „Zweideutigkeit“ der Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Apostel und Kirche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4 Widerspruch der „Dialektischen Theologie“ . . . . . . . . . . 5.5 „Radical Orthodoxy“ und die Kritik der Säkularität . . . . . 6. Die Liturgie als Ort kirchlicher Öffentlichkeit . . . . . . . . . . 6.1 Das Buch „Von den Engeln“ von 1935 . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Vorlesungen zur Offenbarung des Johannes . . . . . . . 6.3 Abendmahlstheologische Aspekte in den Vorlesungen zum 1. Korintherbrief und zum Johannesevangelium . . . . . . 6.4 Zum gegenwärtigen liturgietheologischen Horizont . . . . .

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7. Erik Peterson: Ekklesiologie für eine ökumenische Kirche der Zukunft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Literatur . . . . . . . Erik Peterson . . Carl Schmitt . . . Sekundärliteratur

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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

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1. Fragestellung und Verfahren 1.1 Zur Fragestellung: Die Öffentlichkeit der Kirche – Kirche als Öffentlichkeit Die vorliegende Arbeit fragt nach der Öffentlichkeit der Kirche. Sie stellt diese Frage im Modus der historischen Untersuchung von Texten des Theologen Erik Peterson, die im Zeitraum zwischen 1925 und 1955 entstanden sind. Petersons These zur Öffentlichkeit der Kirche lautet sehr kurz gefasst: Es gibt einen „spezifisch kirchliche(n) Öffentlichkeitsbegriff“1 und dessen Spezifikum liegt darin, dass die Öffentlichkeit der Kirche die Öffentlichkeit des Gottesdienstes ist. Die Kirche tritt im irdischen Gottesdienst hinzu zum himmlischen Gottesdienst vor dem Thron Gottes und ist so vereinigt mit den Engeln und dem ganzen Kosmos, der ganzen sichtbaren und unsichtbaren Kreatur. Hier gewinnt die Kirche ihre spezifische Öffentlichkeit. Die Absicht der Untersuchung ist aber nicht in erster Linie historisch. Die historische Nachfrage dient einem systematischen Interesse: Der Frage nach einem theologischen Begriff der Öffentlichkeit der Kirche in gegenwärtiger Verantwortung. Die Arbeiten Erik Petersons sind für diese Frage von besonderer Bedeutung. In Petersons Werk nimmt der Begriff der Öffentlichkeit eine systematische Schlüsselstellung ein und wirkt als ein untergründiger Leitbegriff, der Peterson über mehr als drei Jahrzehnte lang beschäftigte. In diesem Begriff der Öffentlichkeit der Kirche schürzen sich bei Erik Peterson zahlreiche Diskursfäden der Ideengeschichte der Moderne zum Knoten einer Problemkonstellation, die in vielem bis heute noch maßgeblich ist: es geht um Fragen der Politischen Theologie, wie sie mit dem Namen Carl Schmitt verbunden ist; es geht um das Selbstverständnis der Moderne in Bezug auf das Geschichtsbild der christlichen Tradition und um die Geltung des christlichen Bekenntnisses in der Konfrontation mit politischem Totalitarismus und die Position der Kirche in der liberalen Demokratie; es geht um Erfahrungen der Präsenz Gottes in der Moderne und es geht um literarische und rhetorische Inszenierungen dieser Präsenz. In all dem ist Erik Peterson bis heute ein bedeutsamer Gesprächspartner, dessen kritisches Potential vor allem in der evangelischen Theologie noch lange nicht ausreichend gewürdigt ist – auch wenn man seit der großen Mo1 Peterson, E., AS 1, 186, Briefwechsel mit Harnack. Die Schriften Erik Petersons werden, soweit sie nach der Ausgabe der Ausgewählten Schriften zitiert werden, mit dem Sigel AS, der Band- und Seitenangabe und ggf. dem genaueren Titel der einzelnen Arbeit angeführt.

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Fragestellung und Verfahren

nographie „Erik Peterson. Neue Sicht auf Leben und Werk“ (1992) von Barbara Nichtweiß2 und der sich daran anschließenden Herausgabe der „Ausgewählten Schriften“3 von einer Renaissance der Theologie Petersons sprechen kann. Allerdings hat sich diese Wiederentdeckung noch nicht in einem verstärkten Interesse der evangelischen Theologie an Peterson niedergeschlagen, trotz der Mitarbeit namhafter evangelischer Neutestamentler an der Edition der exegetischen Vorlesungen Petersons4.

1.1.1 Erik Peterson: biographische Skizze Erik Peterson wurde am 7. Juni 1890 in Hamburg geboren. Er studierte von 1910 bis 1914 evangelische Theologie, um ab 1915 in Göttingen zu wirken – zunächst als Inspektor des Theologischen Stifts und später, nach seiner 1920 erfolgten Promotion und Habilitation, als Privatdozent für Kirchengeschichte und Christliche Archäologie. Peterson galt seit seiner erst 1926 veröffentlichten Dissertation und Habilitationsschrift „Heis Theos“ als ausgezeichneter Fachmann für antike Religionsgeschichte und Alte Kirche. Die Arbeit an „Heis Theos“ mit der Betonung der rechtlichen Bedeutung der liturgischen Akklamationen begründete seine Beziehung zu Carl Schmitt, dem er bis zum Bruch ihrer Beziehung im Jahr 1938 eng verbunden blieb. Peterson stand in seiner Göttinger Zeit in regem Austausch mit Karl Barth, publizierte auch in „Zwischen den Zeiten“ und stand so der Schule der Dialektischen Theologie zeitweise nahe – allerdings in durchaus kritischer Verbundenheit. Mit gezielten Provokationen, etwa seinem Aufsatz „Was ist Theologie?“5 von 1925 und dem kurzen Traktat „Die Kirche“ von 19296, suchte er kritische Distanz zum Protestantismus seiner Zeit. Im Jahr 1924 wechselte Peterson auf einen Lehrstuhl für Neues Testament und Geschichte der Alten Kirche nach Bonn. Sein theologischer Weg führte ihn in immer schärferen Widerspruch zur evangelischen Theologie und Kirche, so dass er 1929 seine Lehrtätigkeit in der evangelisch-theologischen Fakultät beendete und als Honorarprofessor in die Philosophische Fakultät wechselte. An Weihnachten 1930 konvertierte Peterson zum römischen Katholizismus. Seinen Lebensmittelpunkt hatte er bald darauf in Rom. Dort fand er allerdings nach seiner Eheschließung nur schwer ein Auskommen. Er nahm kleine Lehraufträge wahr, war zu Vortragstätigkeit auch immer wieder in Deutschland, wo er kritisch gegen den Nationalsozialismus Stellung bezog. Er wurde später Extraordinarius am Päpstlichen Institut für Christliche Ar2 Nichtweiß, Peterson, im Folgenden zit. als Nichtweiß, mit Seitenangabe. 3 Peterson, Ausgewählte Schriften, Würzburg 1991 ff. 4 Zu nennen sind hier v. a. Reinhard von Bendemann als Bearbeiter der Vorlesungen zum Lukasevangelium, AS 5, und Ferdinand Hahn im Band mit den Vorlesungen zum Römerbrief, AS 6. 5 AS 1, 1 – 24. 6 AS 1, 245 – 257.

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chäologie. Die dort geplante Berufung auf ein Ordinariat wurde nicht realisiert. Peterson starb im Jahr 1960 während eines Deutschlandaufenthaltes in seiner Vaterstadt Hamburg. Er ist als Wanderer zwischen den Konfessionen, als scharfsinniger Intellektueller und hellsichtiger Kommentator der geistigen Situation seiner Zeit eine der bedeutenden und provozierenden Gestalten der Theologiegeschichte des 20. Jahrhunderts – und in seiner Erschließungskraft auch für aktuelle Problemstellungen noch lange nicht ausreichend gewürdigt. Am Leitfaden seiner lebenslangen Arbeiten zum Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit wollen wir heute, am Beginn der 21. Jahrhunderts, nahezu ein Jahrhundert nach dem Beginn des Denkweges von Erik Peterson, nach einem theologischen Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit fragen.

1.1.2 Die gesellschaftstheoretische Dimension Die Frage nach der Öffentlichkeit der Kirche begegnet freilich heute eher als Problem kirchlicher Praxis denn als Gegenstand systematisch-theologischer Reflexion. Gefragt wird etwa: Was kann, darf, muss die Kirche tun, um Öffentlichkeit zu „genießen“? Wie kann sie aus dem Schattendasein, aus der Randstellung innerhalb der medienorientierten „Erlebnisgesellschaft“ hinaus in das Licht der Öffentlichkeit treten? Wie kann die Kirche sich in ihren „Public Relations“ von professionellen Öffentlichkeits-„arbeitern“ aus Zeitung, Rundfunk, Fernsehen beraten lassen, um ihr im öffentlichen Raum vermeintlich zu wenig wahrgenommenes Tun öffentlicher zu gestalten und zu inszenieren. Es scheint so zu sein: Unter den Bedingungen der pluralistischen Gesellschaft erscheint Kirche als semantische Subkultur, die ihre Themen in der medial formierten Öffentlichkeit nachrichtenwertkompatibel inszenieren muss, um Öffentlichkeit in der Form von Wahrnehmung durch ein Publikum zu genießen. Öffentlichkeit gerät als durch „Öffentlichkeitsarbeit“ herzustellende in den Blick. Allerdings gilt: wenn die Kirche diese Mechanismen medialer Öffentlichkeit als Horizont ihrer Praxis unhinterfragt akzeptiert, dann ist ihre genuine Gestalt von Öffentlichkeit schon bedroht. Denn eigentlich, so sagen wir mit Peterson, ist die Öffentlichkeit der Kirche schon da, sie ist gegeben und nicht erst herzustellen. Dies zu explizieren ist Aufgabe dogmatischer Ekklesiologie: die spezifische Gestalt kirchlicher Öffentlichkeit theologisch auf den Begriff zu bringen und fruchtbar zu machen für eine dem Grund der Kirche angemessene kirchliche Praxis. Die hier vorgelegte Arbeit möchte den Beitrag Erik Petersons zu einem Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit aufzeigen. Sie geht dem Thema der kirchlichen Öffentlichkeit in der theologischen Lebensarbeit von Erik Peterson nach und erwartet von diesem Durchgang Hinweise für eine gegenwärtig

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Fragestellung und Verfahren

zu verantwortende theologische Thematisierung von kirchlicher Öffentlichkeit. So muss es um einen theologischen Begriff von Öffentlichkeit gehen. Dies ist etwas anderes als ein gesellschaftstheoretisches Konzept von Öffentlichkeit, wie es nicht selten als begrifflicher Import in theologischer Theoriebildung begegnet – und allzu oft bleibt beides nur beziehungslos neben einander stehen. Wir fragen hier : Gibt es einen originär theologischen Begriff des Öffentlichen, der nicht einfach abhängig bleibt von den außertheologischen Setzungen politischer und gesellschaftlicher Instanzen, auf die sich Theologie nur noch reagierend zu beziehen hätte? Deutlich ist, dass diese Frage nicht neutral und gleichsam unabhängig von Interessen gestellt werden kann. Im Modus theologischer Reflexion fragt die Kirche nach der ihr eigenen Öffentlichkeit. Dies geschieht unter den Bedingungen der Moderne, in denen die Öffentlichkeit von „Religion“7 durchaus prekär geworden ist – sowohl in der Sozialgestalt der Kirche wie auch in der Reflexionsform der Theologie. Öffentlichkeit meint unter diesen Bedingungen die Präsenz von Kirche und Theologie im Raum der Gesellschaft. Erläuterungsbedürftig ist allerdings bei dieser Rede von „Gesellschaft“, in welcher Weise von Gesellschaft gesprochen wird, welche begrifflichen Ressourcen in Anspruch genommen werden, um Gesellschaft zu thematisieren. Leitend für den Blick dieser Untersuchung auf die plurale Gesellschaft der europäischen Moderne ist eine differenzierungstheoretische Perspektive, die wir in Anwendung auf unser Thema der kirchlichen Öffentlichkeit für besonders fruchtbar und erschließungskräftig halten. Wir reden von einer gesellschaftlichen Wirklichkeit, die von funktionaler Ausdifferenzierung8 geprägt ist. Dies meint eine Ausdifferenzierung verschiedener gesellschaftlicher Teilbereiche, die sich durch ihre jeweiligen Funktionen für die Gesellschaft unterscheiden. Diese teilbereiche operieren ihrerseits nach jeweils spezifischen, unterschiedenen Funktionsbedingungen9. Wenn wir einmal diese grundsätzlichen Vorgaben der Theorie funktio7 Zur vorläufigen terminologischen Klärung: „Religion“ wird hier und im Folgenden als gesellschaftstheoretischer Begriff verwendet. Der Religionsbegriff wird also immer dort verwendet, wo von der soziologisch beschreibbaren Gestalt gesellschaftlich gelebter Glaubenspraxis die Rede ist. „Glaube“ und „Praxis des Glaubens“ werden dort gebraucht, wo die Selbstthematisierung des Religiösen in Hinsicht auf seine Praxisformen und Vollzüge vorliegt. „Kirche“ ist die Selbstthematisierung des Glaubens in Hinsicht auf seine institutionelle Gestalt, die gleichwohl die vorinstitutionellen, eben originär theologischen, Bedingungen der Institutionalität begrifflich präsent hält. „Theologie“ ist in diesem Kontext zunächst die kirchlich eingebettete Reflexionstheorie des Glaubens auf die den Glaubensvollzügen zugrunde liegenden Bedingungen. Die Beziehung auf einen theologisch gefüllten Religionsbegriff ist hier zunächst noch nicht im Blick. 8 Wir bewegen uns hier in der Terminologie der strukturfunktionalen Gesellschaftstheorie Niklas Luhmanns. Weiter unten werden die Leitannahmen dieses Diskurses noch eigens zu thematisieren sein. Wir beziehen uns im Wesentlichen auf: Luhmann, Realität der Massenmedien; ders., Gesellschaft der Gesellschaft, hier bes.: Die Massenmedien und ihre Selektion von Selbstbeschreibungen, 1096 ff. 9 Siehe als Überblick: Schimank, Theorien.

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naler Differenzierung betrachten, dann lässt sich mit Luhmann Öffentlichkeit in dieser Perspektive beschreiben als ein eigenständiger gesellschaftlicher Funktionsbereich, dessen Funktion es ist, Informationen über die jeweiligen Grenzen eines Funktionsbereiches hinaus an andere Funktionsbereiche weiterzugeben. Über Öffentlichkeit werden beispielsweise ökonomische Informationen an das politische Teilsystem der Gesellschaft weitergegeben, oder juristische Entscheidungen an das ökonomische Subsystem. Jedes Teilsystem selbst, etwa das Rechtssystem, das System politischer Willensbildung und Herrschaftsausübung oder das Erziehungssystem, gehorcht zunächst einmal nur seiner eigenen Funktionslogik, der Logik von Ausbildung, Machtausübung, Setzung rechtlicher Rahmenbedingungen etc. Diese eigenständigen Arten der Operation sind nur schwach aufeinander abgestimmt, Luhmann spricht von einem „loose coupling“. Sie tendieren dazu, die jeweils eigene Perspektive absolut zu setzen, ohne Rücksicht auf andere Funktionsbereiche. Daher ist es nötig, die verschiedenen Perspektiven der Teilbereiche für einander durchlässig zu machen, also: Informationen über Teilsystemgrenzen hinaus bereit zu stellen, um angemessen auf Irritationen, auf Vorgänge im Bereich der je eigenen Umwelt reagieren zu können – denn nichts anderes als „Umwelt“ sind die verschiedenen Funktionsbereiche der Gesellschaft in soziologisch adaptierter systemtheoretischer Perspektive füreinander. Die Teilsysteme selbst sind nach Luhmann „operativ geschlossen“. Das Insgesamt dieser die Teilsystemgrenzen überschreitenden Informationen verdichtet sich dann zu einem eigenen gesellschaftlichen Funktionsbereich mit dem einzigen Zweck, Informationen über Systemgrenzen hinaus zur Verfügung zu stellen. Diesen „Raum“, seine Funktionsbedingungen, seine Institutionen, seine Codes und Programme nennen wir „gesellschaftliche Öffentlichkeit“. Was in diesem Raum nun erscheint an Institutionen und Sachgehalten, wird nach der Funktionslogik dieses besonderen Teilsystems, des Systems gesellschaftlicher Öffentlichkeit, modelliert. Es hat seinen eigenen Zugriff und seine eigene Art, „Wirklichkeit“ zu erzeugen. Diese „Konstruktion von Realität“ ist eine spezifisch andere als in anderen Funktionsbereichen – die Politik hat eine andere Sicht der Wirklichkeit als die Wirtschaft, die Wissenschaft wiederum eine andere als die Religion. Ebenso fallen nun signifikant auseinander die Weisen, wie sich die einzelnen Teilsysteme selbst beobachten und beschreiben, und wie sie nach außen hin im Raum der gesellschaftlichen Öffentlichkeit begegnen. Selbstthematisierung der gesellschaftlichen Funktionsbereiche einerseits und Präsentation im öffentlichen Raum, bzw. im Plural der öffentlichen Räume, der Öffentlichkeiten, andererseits, fallen auseinander – teilweise in dramatischem Ausmaß. Haben die gesellschaftlichen Teilbereiche ihre jeweils eigenen Reflexionsformen entwickelt, in denen sie die Komplexität ihrer jeweiligen Funktionsbedingungen in angemessener Weise intern abzubilden versuchen, so arbeitet gesellschaftliche Öffentlichkeit, insbesondere in der Gestalt der Massenmedien, mit einer Komplexitätsreduktion, mit radikalen

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Fragestellung und Verfahren

Vereinfachungen. Die Vereinfachung greift umso stärker zu, je größer die Reichweite der jeweiligen Publizität ist: das Fernsehen oder das Massenblatt zeichnen andere Bilder von Politik oder Religion als etwa die sektorale Teilöffentlichkeit einer politikwissenschaftlichen oder theologischen Fachzeitschrift. Was bedeutet dies nun für die Selbstthematisierung von Religion in Kirche und Theologie? Man kann sagen: Kirche ist unter den Bedingungen der Moderne in der steten Versuchung, die Präsentationsformen und Funktionsbedingungen gesellschaftlicher Öffentlichkeit für sich selbst zu übernehmen. Das heißt, dass diese Bedingungen nicht nur als unvermeidbarer Kontext kirchlichen Handelns und der darauf bezogenen theologischen Reflexion wahrgenommen werden, sondern dass sie vielmehr selbst zu Leitannahmen werden, auf die sich und an denen sich die Kirche ausrichtet. Die öffentliche Plausibilität und kommunikative Anschlussfähigkeit der originären Praxisformen des Glaubens nimmt dann in dem Maße ab, in dem sie nicht oder nicht mehr in den Kategorien öffentlicher Aufmerksamkeitserregung artikulierbar sind. Damit wird dann auch die theologische Reflexion restringiert und verliert ihre handlungssteuernde Kompetenz. Das Ergebnis kann paradox sein: die Kirche sucht über öffentlichkeitskonforme Selbstpräsentation die Präsenz im öffentlichen Raum, um die eigene Relevanz plausibel zu halten oder um neue Plausibilität zu erzeugen. Sie macht allerdings die Erfahrung, dass öffentliche Wahrnehmung wie alle Wahrnehmung überhaupt über Differenz läuft. Eben diese Differenz, das Anders-Sein, das alle Wahrnehmung überhaupt steuert, kommt abhanden, wenn die öffentlichkeitskonformen und nachrichtenwertkompatiblen Aspekte die kirchliche Selbstpräsentation dominieren. Kirche wird öffentlich wahrgenommen, aber nicht mehr als Kirche, in dem, was ihre Identität und Unterscheidbarkeit ausmacht. Es ist offensichtlich nicht so leicht möglich, geistliche Kommunikation des Evangeliums zu übersetzen in die Präsentationsformen der Massenmedien, welche die gesellschaftliche Öffentlichkeit dominieren. Wortverkündigung, Feier der Sakramente, Gebet sind den medialen Inszenierungstechniken gegenüber in der Regel spröde. Diese Einschätzung hindert nicht, dass je und dann der öffentliche Aufmerksamkeitspegel auf kirchliche Handlungen empfindlich reagiert. Wir erinnern uns an das Jahr 2005, als das Sterben Johannes Pauls II., die Neuwahl des Papstes und der römisch-katholische Weltjugendtag ein gewaltiges mediales Interesse auf sich zogen. Diese Ereignisse waren in mancher Hinsicht schon von vornherein medienkompatibel inszeniert, sind ihrerseits auch durchaus schöpferisch gewesen darin, symbolische Vollzüge zu entwickeln, die in der Bildersprache des Fernsehens für Milliarden hin und her in der Welt nachvollziehbar waren, auch wenn Zuschauer den interpretatorischen Horizont christlicher Praxis nicht teilten10. 10 Heinrich Assel hat auf ein besonders eindrückliches Beispiel hingewiesen: das aufgeschlagene Evangeliar auf dem Sarg Johannes Pauls II. Ein Vollzug, der in keinem liturgischen Formular

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Zur Fragestellung

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Unter modernen Bedingungen und unter Nutzung der avanciertesten technischen Übermittlungsmöglichkeiten war hier eine vormoderne, eine archaische Publizität des Liturgischen wahrzunehmen. In den Interpretationskategorien, die Jürgen Habermas Ende der 1950er Jahre entwickelt hatte11, kann man es so deuten: die massenmediale Publizität zehrt von der vormodernen Substanz der „repräsentativen Öffentlichkeit“. Massenmedien tendieren immer dazu, die politische Öffentlichkeit des rationalen Diskurses, der konfligierenden und diskursiv zu vermittelnden Geltungsansprüche, hinter sich zu lassen, in Regressionen zu verfallen und neue Mythen zu produzieren: seien es die Ikonen der Popkultur, die liturgischen Travestien der Sportfeste – oder eben so, dass das Älteste zum Neuesten wird in der Inszenierung religiöser Autorität. Diesen Zusammenhängen wird im Weiteren noch intensiver nachzugehen sein. Festzuhalten wäre an dieser Stelle vor allem die folgende Fragestellung: Wenn im Raum öffentlicher Inszenierung und öffentlicher Wahrnehmung der religiöse, geistliche, in theologischer Selbstthematisierung zu explizierende Charakter der Praxisformen des Glaubens nicht oder nur schwer mit kommuniziert werden kann, was bedeutet dies für die Öffentlichkeit von Religion als Religion überhaupt? Bedeutet es, im Binnenraum religiöser Vollzüge zu verbleiben, bedeutet es gar Arkandisziplin zu wahren, oder zumindest defensiv zu akzeptieren, nur noch semantische Subkultur zu sein? Oder wäre in der theologischen Selbstauslegung der Praxisformen des Glaubens eine Öffentlichkeit namhaft zu machen, die sich nicht einfach den Kategorien gesellschaftlicher Öffentlichkeit fügt, sondern Differenz benennt, ohne doch auf den Anspruch auf Öffentlichkeit zu verzichten. Diese Differenz von kirchlicher, theologischer, „religiöser“ Öffentlichkeit und gesellschaftlicher Öffentlichkeit wäre in doppelter Hinsicht zur Geltung zu bringen. Es ist einmal die selbstbewusste Differenz, die die Gläubigen für die Praxisformen des Glaubens behaupten und lebensweltlich bewähren gegen jede Zumutung, nur dem in säkulare Kategorien Übersetzbaren12 öffentliche Relevanz zuzubilligen. Es ist zum anderen aber auch der Respekt vor den Differenzierungsleistungen der Moderne, eine Achtung vor der Ausdifferenzierung und relativen Autonomie der gesellschaftlichen Teilbereiche. Ist ein theologischer Begriff von Öffentlichkeit der Kirche (der Religion in den Praxisformen ihrer Institutionalisierung als Kirche) möglich, der einerseits die faktische gesellschaftliche Partikularität von Kirche akzeptiert, andererseits aber die universale Reichweite und den Wahrheitsanspruch der Glauauftaucht, also für diesen einmaligen Fall schöpferisch neu entwickelt wurde. Sehr elementar, also ohne großen Interpretationsaufwand intuitiv zu verstehen, gleichwohl von den damit eröffneten Bezügen her ungemein komplex. Vgl. dazu Assel, Leiden des Papstes. 11 Siehe Habermas, Strukturwandel. 12 So lautete ja die Ermunterung von Jürgen Habermas in der Friedenspreisrede von 2001. Vgl. Habermas, Glauben und Wissen.

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Fragestellung und Verfahren

bensaussagen ernst nimmt? In die Richtung eines solchen Begriffes zielt die vorliegende Arbeit.

1.1.3 Erik Peterson und eine Theorie der Öffentlichkeit Diese Untersuchung möchte zum Zwecke dieser Begriffsarbeit in die Schule Erik Petersons gehen, der in exemplarischer Weise den „Begriff einer spezifisch kirchlichen Öffentlichkeit“13 auszubilden versuchte. In der Epochenzäsur nach dem Ersten Weltkrieg bedachte Peterson die kirchlichen und theologischen Krisensymptome seiner Zeit, die er als Öffentlichkeitsverlust besonders der evangelischen Kirche und Theologie deutete. Seine theologische Arbeit erfolgte zunächst in Tuchfühlung zum Neuaufbruch der Dialektischen Theologie, später dann verfolgte er einen sehr charakteristischen eigenen Weg, der ihn zur Konversion und damit zum römischen Katholizismus führte. Immer aber blieb dies ein wesentliches Leitthema: Wie kann die Kirche die ihr eigene Öffentlichkeit erkennen, theologisch benennen und dann auch, in der Konsequenz, gesellschaftlich zur Geltung bringen? Peterson blieb, zumal nach seiner Konversion, in der evangelischen Kirche eine nahezu vergessene Randfigur. Die Erschließungskraft seines Werkes wird erst heute neu entdeckt und Peterson wird gewürdigt als ein bedeutender theologischer Kopf, der in eminenter Weise die Theologie an den Problemkonstellationen der Moderne ausrichtete. Petersons Denken ist in seiner Substanz kämpferisch antimodern, aber in jener paradoxen Antimodernität, die nur unter den Bedingungen der Moderne möglich ist. Indem Peterson aus den vormodernen Quellen des Christentums schöpft, besonders aus Liturgie und Dogma der Alten Kirche, benennt er präzise die Aporien der Moderne und macht darin die Differenzkraft des authentisch Christlichen namhaft. Der Totalisierung des Politischen in den Diskursen der 1920er und 30er Jahre setzte Peterson die Differenz des Christlichen, der Kirche, der Theologie entgegen – und dies alles aus dem engen Problembezug, der sich auch daraus ergab, dass Peterson mit einem der intellektuellen Protagonisten der 20er Jahre, mit dem Juristen Carl Schmitt, nicht nur persönlich eng verbunden war, sondern diesem auch wesentliche politisch-theologische Kategorien verdankte, die er in den entscheidenden Auseinandersetzungen der 30er Jahre dann gegen Schmitt und gegen die Totalisierung des Politischen und die daraus folgende Mediatisierung des Religiösen wandte. In diesen Auseinandersetzungen wollte Peterson die originäre Öffentlichkeit der Kirche und der Theologie bleibend zur Geltung bringen. Diese Problemkonstellation ist es auch, die es uns als fruchtbar erscheinen lässt, Peterson im Kontext der Öffentlichkeitsdiskurse des 20. Jahrhunderts zu lesen. 13 AS 1, 186, Briefwechsel mit Adolf Harnack.

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Zur Fragestellung

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1.1.4 Jürgen Habermas und der „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ Die gesellschaftstheoretische Behandlung des Öffentlichkeitsbegriffes in den soziologischen, politischen, aber auch den theologischen Diskursen wurde seit Ende der 1950er Jahre sehr wesentlich durch Jürgen Habermas’ Studie „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ geprägt. Habermas zeichnete eine Genealogie des Aufstiegs und des Verfalls der politischen Öffentlichkeit und leitete darin die liberale Demokratie aus der vormodernen „repräsentativen Öffentlichkeit“ ab. Diese historische Perspektive nimmt Habermas von Carl Schmitt auf14. Damit sind wir theoriegeschichtlich an dem Ort, wo Peterson in den 20er Jahren sein Konzept der kirchlichen Öffentlichkeit ebenfalls in Schmittschen Kategorien entwickelt. Habermas’ große Analyse wurde als geschichtliche Konstruktion in den letzten Jahren einer intensiven Kritik unterzogen und erscheint empirisch in mancher Hinsicht heute nicht mehr haltbar. Die kategorialen Grundentscheidungen aber und die Leitthese bleiben nach wie vor erschließungskräftig: dass die diskursive politische Öffentlichkeit der liberalen Demokratie bedroht sei durch die antidiskursiven Öffentlichkeitsformen, die in den Massenmedien in verwandelter Gestalt vormoderne Muster repräsentativer Öffentlichkeit verbreiten. In diesem Horizont verdient die Stimme Petersons neu gehört zu werden. Sie bringt die originäre Form der kirchlichen Öffentlichkeit theologisch auf den Begriff und kann darin deutlich machen, dass eine gesellschaftliche und politische Öffentlichkeit die Öffentlichkeit der Kirche braucht, um sich selbst vor ihrer eigenen Schließung und Totalisierung zu schützen. Die Liturgie der Kirche, das der Liturgie entspringende und nur im liturgischen Kontext zu verstehende Dogma, das Zeugnis und die Agape der Gemeinde Jesu Christi sind nach Peterson Praxisformen des Glaubens, die das Gesellschaftliche und das Politische vor der Selbsttotalisierung schützen. Die Kirche und die Theologie sind es sich selbst und dem Gemeinwesen, in dem sie leben, schuldig, in den Praxisformen dieser ihrer eigenen Öffentlichkeit zu leben und diese Praxisformen zu reflektieren. Dies wird nicht der Fall sein, wenn sich Kirche und Theologie an die Kategorien gesellschaftlicher Öffentlichkeit ausliefern und darin die ihnen eigene Öffentlichkeit verlieren. An die Stelle des Dogmas, das die Identität Gottes benennt, werden dann die unausgewiesenen Dogmata gesellschaftlicher und politischer Faktizitäten treten, an die Stelle der Liturgie die „antiliturgischen Liturgien“15 der medialen Spektakel, an die Stelle des Zeugnisses der Märtyrer die faden Selbstoffenbarungen der „Scheinwerferprivatheit“16. 14 Siehe Habermas, Strukturwandel, besonders: 61 – 63. 15 Pickstock, Liturgy, Art and Politics, 169 f. 16 Habermas, ebd., 247.

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Fragestellung und Verfahren

Insofern ist die Frage nach der kirchlichen Öffentlichkeit zwar eine zunächst innertheologische Problemstellung, darin aber von einer eminenten politischen Bedeutsamkeit. Im Horizont dieser Fragestellungen scheint uns ein Rückgriff auf die theologische Arbeit Petersons möglich, geboten und plausibel. Es fällt auf, wie groß das Problempotential der Theologie der 1920er Jahre bis heute noch ist, wie vieles noch unabgegolten und unausgeschöpft ist und so noch eingreifen kann in unsere gegenwärtigen Fragen. Vielleicht war es unter den Bedingungen der Epochenzäsur, auf der Grenze zwischen der neuen Welt der pluralistischen Demokratie und der alten Welt des Staatskirchentums, den letzten Ausläufern einer 1500 Jahre alten Tradition christlicher Monarchie, möglich, den Wandel näher zu beobachten und intensiver zu beschreiben als dies heute im Zuge einer ungeheuer forcierten Pluralisierung möglich erscheint.

1.2 Zum Verfahren Unsere Untersuchung soll folgendermaßen verfahren: Im zweiten Kapitel unserer Arbeit wird es darum gehen prominente Öffentlichkeitsdiskurse aufzunehmen und auf unsere Fragestellung der kirchlichen Öffentlichkeit und des theologischen Öffentlichkeitsbegriffes zuzuspitzen. Jürgen Habermas und Niklas Luhmann werden hier unsere maßgeblichen Gesprächspartner sein. Aus dieser Rezeption der Öffentlichkeitsdiskurse wollen wir die Leitgesichtspunkte gewinnen für die Art, wie dann Peterson den kirchlichen, theologischen Öffentlichkeitsbegriff fasst: Öffentlichkeit ergibt sich aus Präsenz im Raum gesellschaftlicher Öffentlichkeit, Öffentlichkeit ergibt sich aus der politischen Auseinandersetzung in der Frage nach der Macht, diese Präsenz zu gewinnen in den politisch-theologischen Konfliktkonstellationen. Und spezifische Öffentlichkeit ergibt sich aus den differenten Praxisformen, in welchen Präsenz artikuliert wird und in politisch-gesellschaftliche Auseinandersetzungen eingespeist wird. Im Anschluss wollen wir Peterson in den solcherart konturierten Horizont unserer Frage nach der Öffentlichkeit hineinstellen. Die erste Frage wird, im dritten Kapitel, die nach der Präsenz sein: Petersons Arbeiten eignet eine besondere Form der Präsentifikation, die diesen Arbeiten ihre innere Spannung gibt. Sie beschreiben nicht nur auf der Theorieebene Erfahrungen der Präsenz Gottes in Liturgie, Zeugnis und Agape. Diesen Arbeiten eignet auch eine bestimmte Rhetorizität, in welcher Präsenz inszeniert wird. Eine wichtige Rolle spielt dabei, dass eine Reihe von Arbeiten Petersons ursprünglich Vorträge waren oder, im Rahmen der Gesamtausgabe inzwischen verfügbar, der akademischen Vorlesungstätigkeit entwachsen sind. Es gibt bemerkenswerte Zeugnisse, die diese besondere Art der Prä-

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Zum Verfahren

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senzerfahrung im Hören der Vorträge Petersons belegen: etwa, dass ein akademisches Auditorium nach einem Vortrag Petersons über die Akklamationen der Apokalypse ein Christkönigslied anstimmt, also selber zu Akklamation übergeht. Wir fragen: Welche Form von Öffentlichkeit verbirgt sich in diesem Modus akademischer Theologie, die offensichtlich je und dann die reflexive Distanz zu ihrem Gegenstand verlässt hat und selbst kerygmatisch und akklamatorisch wird? Auf der Gegenstandsebene haben Petersons Arbeiten dann viel mit diesen Orten der Präsenz zu tun. Die privilegierten Orte der Präsenz, privilegierte Orte der spezifisch kirchlichen Öffentlichkeit sind für Peterson zum ersten die Liturgie und in ihrer Mitte das Sakrament, der Gottesdienst der Kirche im Zusammenspiel von irdischem Gottesdienst der Ekklesia und Liturgie der himmlischen Polis vor dem Thron Gottes, zum zweiten das Zeugnis des Märtyrers, des „Zeugen der Wahrheit“ in Konfrontation mit den Vertretern der (totalen) politischen Macht, und zum dritten das Liebeshandeln, die diakonische Agape der christlichen Gemeinde. Leitourgia, Martyria, Diakonia sind die Orte öffentlicher Präsenz, auf die sich die Theologie zu beziehen hat, die sie aber nicht herzustellen braucht, weil sie schon gegeben sind, wo immer überhaupt Kirche ist. Die zweite Frage wird, im vierten Kapitel, die nach den Konfliktkonstellationen sein, in denen Öffentlichkeit gewonnen wird. Es geht hier um die politische Theologie der Öffentlichkeit und um den eschatologischen, den apokalyptischen Horizont, in den Peterson seinen Begriff der Öffentlichkeit einzeichnet, es geht um Macht17und es geht um die Mächte, die Agonalität der Mächte, die Präsenz im öffentlichen Raum suchen und selbst um die maßgebliche Form von Öffentlichkeit streiten. Wer hat die Macht, Öffentlichkeit im Sinne von Präsenz zu gewähren oder zu entziehen? Petersons Reflexionen zur Öffentlichkeit der Kirche begannen in den 20er Jahren nach dem Verlust der staatskirchenrechtlichen Privilegierung der Kirchen. Peterson sah hier vor allem für die evangelische Kirche eine schwerwiegende Bedrohung ihres Kircheseins überhaupt. Peterson diagnostizierte eine politische Marginalisierung der Kirche, die er dezidiert modernitätskritisch als ideologische Frucht des politischen Liberalismus sah, der sich in der Theologie des Neuprotestantismus bis in den Innenraum der Kirche hinein fortsetze. Von hier aus sollte Peterson später eine konsequente Linie ziehen zur Totalisierung des Politischen mit eindeutig antichristlichen Vorzeichen im Nationalsozialismus. Nationalsozialismus als Konsequenz des Liberalismus – dies ist eine für uns ungewohnte Interpretationslinie, wie sie bei konservativen Gegnern des Nationalsozialismus nicht selten begegnete. So zeichnet Peterson seinen kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff ein in eine apokalyptische Geschichtstheologie, eine Äonentheologie, in der er die Kirche als quasi-politische Form des in Christus angebrochenen neuen Äon den 17 „Macht“ wird hier zunächst im Sinne Luhmanns verstanden als Möglichkeit, Verhaltenserwartungen asymmetrisch durchzusetzen. Dazu: Baraldi, Macht, in: ders., GLU, 113 – 115.

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Fragestellung und Verfahren

politischen Gebilden des alten vergangenen Äon entgegenstellt. Die Zeit zwischen Pfingsten und der Wiederkunft Christi ist in dieser Konzeption eine „agonale“ Zeit, in der sich die Ordnung des neuen Äon in beständigem Kampf mit den Mächten der vergehenden Weltzeit befindet – wobei die „Mächte“ hier durchaus mit dämonologischen Konnotationen besetzt sind. Die exemplarische altkirchliche Konfliktsituation zwischen römischem Imperator und dem Kyrios Jesus Christus ist nach Peterson Präfiguration einer jeden Auseinandersetzung mit staatlicher Macht, die sich nicht ausdrücklich der Herrschaft Christi unterordnet. Das Martyrium, das Blutzeugnis der „Zeugen der Wahrheit“, ist die exemplarische Öffentlichkeitsform dieser heilsgeschichtlichen Zwischenzeit. Von dieser agonalen Grundstruktur aus beschreibt Peterson eine Ekklesiologie des Konflikts und der Differenz mit strikt antimoderner Ausrichtung. Wir werden dies als eine Form von „Politischer Theologie“ beschreiben, die Peterson im berühmten „Monotheismus“–Aufsatz aus dem Jahr 1935 im Falle seines langjährigen Gesprächspartners Carl Schmitt so grundsätzlich für erledigt erklärt und scharf abgeurteilt hatte18. Die dritte Frage des Öffentlichkeitsbegriffes zielt auf die differenten „Praxisformen“ des kirchlichen Öffentlichkeitsbegriffes. Diese Praxis, so sagten wir, vollzieht sich in der Liturgie, im Zeugnis und in der Agape. Auf diese grundlegende Praxis verweist alles weitere Tun der Kirche, in dieser Praxis hat sie ihr Sein, ihre Identität, die gegründet ist in der Selbstvergegenwärtigung Gottes. An dieser Stelle soll im fünften Kapitel Petersons Ekklesiologie als Reflexion auf die Praxisformen kirchlicher Öffentlichkeit betrachtet werden. Im Anschluss daran werden wir uns im sechsten Kapitel Petersons Theologie der Liturgie und besonders seiner Deutung des eucharistischen Sakraments zuwenden. Hier geht es um die Liturgie der Kirche und die Feier des Sakraments als Teilhabe am himmlischen Kultus in der Öffentlichkeit der himmlischen Ekklesia vor dem Thron Gottes. Wir können diese einführenden Überlegungen vorläufig so zusammenfassen: Die Öffentlichkeit der Kirche lebt von der Präsenz Gottes und von der Erfahrung dieser Präsenz in Liturgie, Martyrium und Diakonie. Diese konkrete Selbstvergegenwärtigung Gottes übersteigt und begrenzt alle immanente, geschichtliche Wirklichkeit. Diese Öffentlichkeit ist immer umstritten, sie steht in einem Agon gegen die Mächte des vergangen-vergehenden alten Äon und sie findet ihre eigene Sozialgestalt, ihre quasipolitische Form, in der Ekklesia, der Ratsversammlung der Polis des neuen Äon. Diese Öffentlichkeit artikuliert sich in Dogma und verbindlicher kirchlicher Lehre. Diese vorläufige Bestimmung des kirchlichen Öffentlichkeitsbegriffes wird im Weiteren in der Interpretation von zentralen Texten des Petersonschen Werkes schärfere Konturen gewinnen und en detail auszuarbeiten sein. In der kurzen Schlussbetrachtung der Arbeit wird es darum gehen, diesen kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff Petersons auf die Möglichkeiten einer 18 AS 1, 58 f., Monotheismus.

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Zu Methode und Textgrundlage

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künftigen ökumenischen Ekklesiologie zu beziehen. Peterson selbst hat ja die theologischen Positionen der 1920er Jahre in einer sehr schmerzhaften Konfrontation mit dem Protestantismus seiner Zeit bezogen, in einer Konfrontation, die für ihn mit der Konversion zur römisch-katholischen Kirche im Jahr 1930 eine persönliche Lösung erfuhr, ohne dass er doch damit dieser inneren Spannung seiner theologischen Arbeit entkommen wäre. In seinen eindrücklichsten Arbeiten blieb Peterson der Denker auf der Grenze, auf der Suche nach Katholizität, dabei aber doch den konfessionellen Konstellationen zutiefst verpflichtet und letztlich auch verhaftet. Diese Innenspannung ist eine bemerkenswerte Stärke seines Denkens. Können wir Peterson als einen Denker für eine ökumenische Kirche der Zukunft in Anspruch nehmen, als einen Differenzdenker mit tiefem Blick für Agonalität, für Konflikte – und doch einem eschatologisch inspirierten Blick über alle Konflikte hinaus? Peterson hat entscheidende Einsichten formuliert, wie kirchliche Öffentlichkeit unter den Bedingungen der funktional ausdifferenzierten Gesellschaft der Moderne theologisch zu begreifen ist jenseits der (Schein-)Alternative von bloßer Affirmation und abstrakter Negation. In diesem Sinne ist Petersons Begriff der Öffentlichkeit der Kirche als eine modernitätsadäquate Antwort auf gesellschaftlichen Pluralismus zu verstehen. Dabei werden, was kein Wunder ist, die Lösungsversuche Petersons nicht einfach bestätigt, sondern wir versuchen, die ihnen innewohnende Aporie auf den Begriff zu bringen: dass Peterson mit dem spezifisch kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff die Kirche als Institution und Praxisform der Differenz markiert und darin in einer antimodernen Wendung das Prinzip der Moderne, nämlich funktionale Differenzierung, bestätigt.

1.3 Zu Methode und Textgrundlage Von der Methode her ist unsere Untersuchung systematisch angelegt. Sie sucht die begrifflichen Grundentscheidungen Petersons auf, wird dabei aber auch, wo es sich sachlich nahe legt, historisch-genetisch das geschichtliche Werden von Petersons Positionen nachzeichnen. Immer wieder wird Peterson dabei in die Konfliktlinien seiner Zeit eingezeichnet. Die meisten seiner Positionen sind intensiv polemisch grundiert und erschließen sich erst vor dem Hintergrund dieser Konflikte. In der anderen Richtung wird Peterson durchgehend bezogen auf gegenwärtige Diskurslinien, in denen die Problemstellungen seiner Theologie mutatis mutandis weiter bearbeitet werden. Dabei wird sich einiges vom Problemüberschuss der Theologie der 1920er Jahre zeigen, die theologische Fragen gestellt hat, die bis heute den theologischen Diskurs bewegen. Besonders die Politische Theologie des „berüchtigten“ Carl Schmitt genießt ja bis heute eine ungebrochene Aufmerksamkeit und ist Gegenstand intensiver wissenschaftlicher und publizistischer Debatten. In unserem Zu-

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Fragestellung und Verfahren

sammenhang wird Jacob Taubes’ Rekonstruktion „messianischer“ politischer Theologie19 ebenso eine Rolle spielen wie Giorgio Agambens umstrittener Versuch die Aktualität paulinischen – in Agambens Kategorien gesprochen: „messianischen“ – Denkens von der politischen Linken aus aufzuweisen20. In diese Diskussionen gilt es Erik Peterson mit seinem besonderen Profil neu einzuzeichnen. Als Gesprächspartner werden wir immer wieder Theologinnen und Theologen aus dem angelsächsischen Bereich heranziehen. Besonders die Theologinnen und Theologen der Radical Orthodoxy Schule (Pickstock, Milbank, Cavanaugh) zeigen ähnliche Problemkonstellationen. Sie warten bis heute noch auf eine breitere Rezeption in der deutschsprachigen Theologie. Ein wichtiger Gesprächspartner aus der englischsprachigen politischen Theologie (politisch) liberaler Prägung wird Oliver O’Donovan sein. Für die Bearbeitung und die Zitation der Texte Petersons können wir die seit 1991 begonnene Edition der Ausgewählten Schriften verwenden. Das größte systematische Gewicht haben die von Peterson selbst veröffentlichten Texte, die aber nur zwei relativ schmale Bände füllen: Die „Theologischen Traktate“, als Zusammenstellung von Arbeiten der 1920er und 30er Jahre im Jahr 1951 erschienen und jetzt als Bd. 1 der Ausgewählten Schriften zugänglich; und die 1956 publizierten „Theologischen Marginalien“ mit Texten der 1940er und 1950er Jahre, jetzt erweitert als Bd. 2 der Ausgewählten Schriften. Die Textgenera beider Bände sind sehr unterschiedlich: es sind teilweise Aufsätze zur dogmatischen Theologie und andere Aufsätze, die methodisch am ehesten der Disziplin Kirchengeschichte zuzuordnen sind, aber durchgehend mit sehr weitreichenden material-dogmatischen Implikationen aufgeladen sind. Wir finden Schriftauslegungen im engeren Sinne, essayistische Texte und Aphorismen. Monographische Arbeiten hat Peterson selbst mit Ausnahme seiner Habilitationsschrift „Heis Theos“ von 1926 gar nicht vorgelegt. Das Projekt der Ausgewählten Schriften hat seit 1994 sukzessive eine Reihe der großen exegetischen Vorlesungen von Erik Peterson zugänglich gemacht: zum Lukasevangelium, zum Johannesevangelium, zum Römerbrief, zum 1. Korintherbrief, zur Offenbarung des Johannes. Diese Vorlesungen hat Peterson selbst nicht für die Publikation bestimmt – mit Ausnahme eines projektierten Kommentars zur Apokalypse, an dem Peterson von 1936 bis 1938 gearbeitet hat. Diese Vorlesungen pointieren das Bild der theologischen Arbeit Petersons, ohne den Eindruck der von ihm selbst publizierten Arbeiten grundsätzlich zu verändern. Man kann in vielen Fällen verfolgen, wie Petersons Urteile aus seiner exegetischen Vorlesungstätigkeit heraus gewachsen sind, wie auch diese Vorlesungen selbst durchgehend über die im engeren Sinne exegetische Arbeit hinausgehen und beständig in Glossen, Randbemerkungen und Exkursen dogmatische und kirchenpolitische Themen und allgemeinere Fragen des zeitgenössischen geis19 Taubes, Paulus, vgl. dazu jetzt Lilla. 20 Agamben, Zeit.

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Zu Methode und Textgrundlage

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tigen Lebens aufgreifen. Insgesamt ergibt sich daraus das durchaus geschlossene Bild einer theologischen Existenz, die in großer Kontinuität die in den 1920er Jahren formulierten Probleme bearbeitet, auch über die politischen und biographischen Brüche hinweg. Bemerkenswert ist aber, wie sich die spezifische Spannung der Texte Petersons aus den Problemkonstellationen der 20er Jahre und aus seinem Gegenüber zur liberalen protestantischen Theologie und zur evangelischen Kirche seiner Zeit ergab. Diese Spannung reichte bis in die polemischen Konstellationen der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Auch hier zehren Petersons Urteile vom Problembewusstsein der 20er Jahre. Petersons Konversion und sein Leben in Rom nach 1933, seine Suche nach einem neuen Arbeitsfeld in der römisch-katholischen Kirche haben diese sehr deutsch geprägten Zusammenhänge langsam verändert und darin auch Petersons Publikationstätigkeit verändert. Neben kleineren auf italienisch veröffentlichten Texten, die weiter systematischtheologische Fragestellungen behandeln, verschiebt sich der Schwerpunkt von Petersons Arbeit, entsprechend seiner zunächst sehr prekären institutionellen Anbindung an das Päpstliche Institut für christliche Archäologie, ganz in den Bereich von historischen Studien zur Alten Kirche. Der im Jahr 1959 auf deutsch veröffentlichte Band „Frühkirche, Judentum und Gnosis“21 gibt einen Eindruck vom nachgerade hermetischen Charakter dieser Texte, die nur für ein Fachpublikum bestimmt waren, dort allerdings einen bleibenden Eindruck von der großen Gelehrtenpersönlichkeit Petersons hinterließen. Seit dem Jahr 2009 liegt der in zwei voluminöse Bände aufgeteilte Band 9 der Ausgewählten Schriften vor, der vor allem umfangreiches Material aus den kirchengeschichtlichen Vorlesungen Petersons bietet und in aufschlussreichen Briefwechseln, u. a. mit Karl Barth, Theodor Haecker und Hans Urs von Balthasar Petersons Konversion und seine Beheimatung in der römischen Kirche scharf profiliert. Als Separatdruck aus Anlass der Peterson Gedenktage des Jahres 2010, des 120. Geburtstages und des 50. Todestages, haben Barbara Nichtweiß und Hans-Ulrich Weidemann die systematisch hoch bedeutsamen Studien Petersons zum Ekklesia–Polis Problem veröffentlicht. Im Kontext der Ausgewählten Werke steht noch eine Reihe von Texten aus, die unserem Gegenstand des theologischen Begriffes der Öffentlichkeit noch deutlichere Konturen verleihen dürften.22 Diese Texte können in der hier vorgelegten Arbeit nicht verwendet werden. Wenn wir allerdings betrachten, welche Beziehungen bestehen zwischen den von Peterson selbst publizierten Texten und seinen jetzt schon im Rahmen der Ausgewählten Schriften vorliegenden unveröffentlichten Vorlesungen, dann erwarten wir, dass auch die künftig zu edierenden und zu publizierenden Arbeiten kaum Grundsätzliches am jetzt bestehenden Bild verändern werden. Daher haben wir uns dafür 21 Peterson, Frühkirche. 22 Dies betrifft v. a. die Veröffentlichung des Briefwechsels zwischen Peterson und Schmitt.

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Fragestellung und Verfahren

entschieden, für unsere Arbeit nur die gedruckten Schriften Petersons heranzuziehen. Wir können dabei zurückgreifen auf die große Monographie von Barbara Nichtweiß, „Erik Peterson. Neue Sicht auf Leben und Werk“ von 1992. Nichtweiß hat für die künftige Peterson-Forschung umfangreiches Material vorgelegt. Als Herausgeberin der Ausgewählten Schriften hat sie Petersons in Turin liegenden Nachlass untersucht und in ihre Monographie einen Großteil der ungedruckten Quellen, der Vorlesungen, Notizen und Briefe eingearbeitet. Auf diese großartige und gründliche Arbeit werden wir uns durchgehend dankbar beziehen. Unser Schwerpunkt wird sein, einen Beitrag zu der noch ausstehenden systematischen Würdigung des großen Lebenswerkes von Erik Peterson vorzulegen. Dabei wird es auch darum gehen müssen, Erik Peterson als evangelischen Theologen und als ökumenischen Denker zu würdigen. Unser Gang durch die Texte Petersons wird dann auch zu klären haben, ob und wie die Lebensarbeit Erik Petersons ein Beitrag ist für die Gestalt einer ökumenischen Kirche der Zukunft und ihre besondere Öffentlichkeit.

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2. Öffentlichkeitsdiskurse: Zum Horizont eines theologischen Begriffes von Öffentlichkeit 2.1 Gesellschaftliche Öffentlichkeit Jeder theologische Begriff von Öffentlichkeit zehrt auch von gesellschaftstheoretischen Überlegungen im Hintergrund der theologischen Arbeit und bezieht sich in seinem propositionalen Gehalt auf ein diskursives Umfeld, das vom Nachdenken über Öffentlichkeit im politischen und gesellschaftlichen Verwendungsbereich geprägt ist. So gilt es, dass jede Frage nach einem theologischen Begriff von Öffentlichkeit diesen begrifflichen Rahmen benennen und sich selbst in ein ausdrückliches Verhältnis dazu setzen muss. Die prominenten Öffentlichkeitsdiskurse des 20. Jahrhunderts sind dabei zum einen deskriptiv ausgerichtet: auf eine Genealogie, eine Struktur- und Funktionsanalyse gesellschaftlicher und politischer Öffentlichkeit. Zum anderen aber sind sie normativ ausgerichtet auf die Fragestellung, wie es möglich sei und bleibe, dass qua Öffentlichkeit die Ausübung von Macht im rationalen Diskurs konsensuell begrenzt werden kann. Gesellschaftliche Öffentlichkeit bezeichnet dabei den weiteren, den umfassenden Horizont, an dem alle gesellschaftlichen Teilsysteme auf jeweils unterschiedliche Art partizipieren. Politische Öffentlichkeit ist ein, und in historischer Perspektive der entscheidende, Teilbereich, in dem es um die Ausübung von Macht und Herrschaft geht. Die weitere und die engere Perspektive begrenzen einander : Nach der Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft im 18. Jahrhundert soll Gesellschaft die Politik durch den rationalen Diskurs begrenzen und auf vernünftigen Konsens festlegen, während Politik Rahmenbedingungen unausweichlicher Machtausübung mit setzt und sich darin Spielräume der Gestaltung offen halten möchte. Ob Politik und das politische Teilsystem der Gesellschaft heute noch die Schlüsselrolle für gesellschaftliche Öffentlichkeit innehat oder ob diese Schlüsselrolle an das ökonomische Subsystem übergegangen ist und darin gesellschaftliche Öffentlichkeit auch deformiert ist – darum wird gestritten. Diesem neuzeitlichen Orientierungshorizont gegenüber erscheint Erik Petersons Fassung des Begriffes der kirchlichen Öffentlichkeit zunächst als regressiv. Seine These ist: Die Öffentlichkeit der Kirche wird nicht „hergestellt“, ist nicht Gegenstand theologisch-reflexiver und kirchlich-pragmatischer Bemühungen, nicht Ergebnis institutioneller Anpassung an die Strukturen gesellschaftlicher Öffentlichkeit einer neuzeitlich pluralistischen Ge-

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Öffentlichkeitsdiskurse

sellschaft. Die Öffentlichkeit der Kirche wird nicht hergestellt, sie ist vielmehr gegeben. Sie ist nach Peterson dort gegeben, wo sich die Kirche im Gottesdienst vor dem Thron Gottes versammelt und dort vereinigt ist mit den Vollendeten und mit der unsichtbaren Kreatur, mit den Engeln als dem himmlischen Hofstaat der Herrschaft Gottes. Wenn hier, nach der These Petersons, die „eigentliche“ Öffentlichkeit der Kirche liegt, so impliziert diese These auch eine Antithese von erheblichem systematischem Gewicht. Die Öffentlichkeit der Kirche liegt dann nicht in ihrer Nähe zu den Instanzen politischer Herrschaft, ihrer Teilhabe an der Legitimation politischer Macht. Ihre Öffentlichkeit liegt auch nicht in ihrer Wahrnehmbarkeit durch ein gesellschaftliches Publikum, ihrer Präsenz in den Kommunikationsmedien, besonders nicht, unter den Bedingungen der medial formierten pluralistischen Gesellschaft, an ihrer Präsenz in den Massenmedien. Schon in der ersten Wahrnehmung eignet also der These Petersons ein intensiver polemischer Gehalt. Dies wird noch deutlicher, wenn wir berücksichtigen, dass Petersons These einen demokratietheoretischen Zentralbegriff ins Visier nimmt. Über die Öffentlichkeit der Kirche zu reden – das heißt auch, über politische und gesellschaftliche Öffentlichkeit überhaupt zu reden, dazu theologisch zu reden und damit Position zu beziehen im politischen Streit um Öffentlichkeit, mithin also eine Aussage „politischer Theologie“ zu fällen. Um die polemische und die konstruktive Signatur von Petersons theologischem Öffentlichkeitsbegriff nachvollziehen zu können, ist es wichtig, diesen demokratietheoretischen Horizont der emphatischen neuzeitlichen Rede von „Öffentlichkeit“ ausdrücklich zu machen, um dann Petersons Position in diesem Rahmen verdeutlichen zu können. Die Literatur zu diesem Gegenstand ist aus soziologischer, politikwissenschaftlicher, literaturwissenschaftlicher und auch theologischer Sicht inzwischen unüberschaubar. Wir werden uns daher beschränken und Öffentlichkeitsdiskurse im Wesentlichen anhand von zwei einflussreichen gesellschaftstheoretischen Positionen referieren, mit Bezug auf Jürgen Habermas und Niklas Luhmann

2.2 Jürgen Habermas Der theoriegeschichtlich maßgebliche „Klassiker“ für einen gesellschaftstheoretischen Zugriff auf den Öffentlichkeitsbegriff ist dabei Jürgen Habermas’, ursprünglich als Marburger Habilitationsschrift vorgelegte, Studie über den „Strukturwandel der Öffentlichkeit“1. An diesem Leitfaden2 wollen wir die Konturen neuzeitlicher Öffentlichkeit (und Öffentlichkeiten) nachzeichnen. 1 Habermas, Strukturwandel. 2 Habermas ist für die mangelnde empirische Unterfütterung seines Konzeptes vielfach kritisiert worden. Die Konstruktion von Idealtypen von Öffentlichkeit im Sinne Max Webers ist allerdings

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Wir sprachen vom Begriff der Öffentlichkeit als einem demokratietheoretischen Leitbegriff und in der Tat gewinnt der Begriff der Öffentlichkeit sein systematisches Gewicht im Kontext einer politischen Theorie der demokratisch verfassten Gesellschaft. Hier gilt: die institutionelle Gestaltung und faktische Ausübung politischer Macht bedarf der Legitimation vor dem Forum der Öffentlichkeit. Im Prozess der Moderne schiebt sich zwischen die alten Institutionen des Oikos und der Polis, des „privaten“ Hauses und des „öffentlichen“ Gemeinwesens, die bürgerliche Gesellschaft3. Dort, wo Staat und Gesellschaft auseinander treten, dort kommt der Öffentlichkeit die Aufgabe der Vermittlung des Unterschiedenen zu. Politische Herrschaft bedarf der gesellschaftlichen Legitimation, sie muss anerkannte Herrschaft sein, sie bedarf der einsehbaren Gründe. Das Forum der Legitimation ist die Öffentlichkeit der bürgerlichen Gesellschaft. In der Öffentlichkeit setzt sich Vernunft durch. Öffentlichkeit heißt hier idealtypisch: die prüfende Rede und Gegenrede der öffentlichen Debatte. Hier setzt sich kraft rationaler Argumentation das Vernünftige durch. Ist die bürgerliche Gesellschaft einerseits der Raum, in dem sich die partikularen Einzelinteressen artikulieren, ist die bürgerliche Gesellschaft also untrennbar verbunden mit der Ökonomie des Marktes, so gilt doch in der klassischen politiktheoretischen Selbstbeschreibung der bürgerlichen Gesellschaft4, dass in der Öffentlichkeit der Partikularität der Einzelinteressen die Universalität der Vernunft entgegen gesetzt wird. So eignet dem Begriff der Öffentlichkeit zugleich mit seinem empirischen Anspruch, die historische Genese der bürgerlichen Gesellschaft in ihrer demokratischen Verfasstheit zu beschreiben, auch ein emphatischer normativer Gehalt. Öffentlichkeit ist immer wieder die noch herzustellende Öffentlichkeit. Und gerade im Vergleich mit der idealtypisch gezeichneten Öffentlichkeit einer der Aufklärung verpflichteten Demokratietheorie erscheint die empirische politische Wirklichkeit als defizitär. Ein gegenwartsdiagnostischer Blick in heuristischer Perspektive durchaus berechtigt. So kann man sagen, dass zwar manche historische Züge in der Genealogie des Öffentlichkeitsbegriffes inzwischen genauer gesehen werden, dass aber das Gesamtbild, wie Habermas es zeichnet, nichts von seiner Plausibilität verloren hat. 3 Vgl. in Hegels Rechtsphilosophie die Genese der bürgerlichen Gesellschaft als differentia specifica der Moderne: „Die bürgerliche Gesellschaft ist die Differenz, welche zwischen die Familie und den Staat tritt, wenn auch die Ausbildung derselben später als die des Staates erfolgt; denn als die Differenz setzt sie den Staat voraus, den sie als Selbständiges vor sich haben muss, um zu bestehen. Die Schöpfung der bürgerlichen Gesellschaft gehört übrigens der modernen Welt an, welche allen Bestimmungen der Idee erst ihr Recht widerfahren lässt.“ Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, Frankfurt/M. 1970 (Theorie-Werkausgabe Bd.7), §182, Zusatz, 339, zit. nach Lienemann, Gesellschaft, in: Kirche, 56. 4 Etwa in Kants Traktat „Zum ewigen Frieden“, dazu W. Lienemann zusammenfassend: „Publizität ist insofern das formale Prinzip, welches die Übereinstimmung von Politik und Recht beziehungsweise Sittlichkeit und Freiheit ermöglicht und insofern auch den sachlichen Zusammenhang von Tugend- und Rechtslehre trägt. Öffentlichkeit ist das Formalprinzip der Kritik und steht damit in kontradiktorischem Gegensatz zum Verständnis des Staates als eines Eigentums des oder der Regierenden.“ Lienemann, ebd., 64.

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deutet die empirischen ebenso wie die normativen Aspekte des Öffentlichkeitsbegriffes vor dem Hintergrund ideologischer Gefährdungen von Öffentlichkeit. In „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ schreibt Habermas vor dem Hintergrund dieser grundsätzlichen Bedeutsamkeit des Öffentlichkeitsbegriffes eine historisch-genetische Betrachtung des Aufstiegs und des Zerfalls der politischen Öffentlichkeit des bürgerlichen Zeitalters. Das pragmatische Interesse Habermas’ liegt darin, den normativen Sinn der politischen Willensbildung im öffentlichen Diskurs zu retten gegen die Okkupation des Diskurses durch manipulative Publizität, wie sie in seiner Diagnose durch die von großen Interessenapparaten gesteuerten Massenmedien erfolgt. Theoriegeschichtlich außerordentlich erfolgreich war Habermas’ Unterscheidung von drei Typen von Öffentlichkeit. Habermas spricht von repräsentativer Öffentlichkeit, von bürgerlicher Öffentlichkeit, von sozialstaatlicher Öffentlichkeit. In methodischer Hinsicht entwirft Habermas hier Idealtypen im Sinne Max Webers5. Das historische Material wird verdichtet und typisiert, um in heuristischer Absicht klar konturierte, aber eben auch abstrahierte Begriffe zu gewinnen. Den Typus der bürgerlichen Öffentlichkeit differenziert Habermas einerseits gegen den Typus der repräsentativen Öffentlichkeit, aus dem heraus sich bürgerliche Öffentlichkeit erst im Zuge einer Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft entwickelt habe. Die Gesellschaft des christlichen Mittelalters sei eine solche repräsentative Öffentlichkeit gewesen, sie habe keine Öffentlichkeit als einen eigens ausdifferenzierten Teilbereich gekannt. Öffentlichkeit begegnet dort als „Aura feudaler Autorität“6, als „Statusmerkmal“7 der das Ganze repräsentierenden Funktionsträger des Personenverbandsstaates. Im Zuge der sozialstrukturellen Veränderungen der frühen Neuzeit kommt es zur Unterscheidung von Staat und Gesellschaft und damit zur Ausdifferenzierung der Gesellschaft und des politischen Subsystems. Erst diese Trennung der Bereiche ermöglicht die Unterscheidung des Öffentlichen und des Privaten. Die ökonomische Unabhängigkeit in der beginnenden Marktgesellschaft, damit auch die Ausdifferenzierung des ökonomischen Subsystems, Privateigentum und die Intimität der bürgerlichen Kleinfamilie als Schutzraum des Privaten machen es erst möglich, dass sich diejenigen, die über die ökonomische Unabhängigkeit verfügen, als Privatleute und somit zum „Publikum“ versammeln. Politische Öffentlichkeit entsteht als „Sphäre der zum Publikum versammelten Privatleute“8. Neben der Ausdifferenzierung des ökonomischen Teilsystems der Gesellschaft und der – primär segmentären, nicht funktionalen – Ausdifferenzierung des Systems der bürgerlichen Kleinfamilie spielt in diesem Prozess auch die Ausdifferenzierung eines kul5 6 7 8

Vgl. Weber, 4; 10 u. ö. Habermas, ebd., 62. Ebd. Ebd., 65.

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turellen Subsystems eine entscheidende Rolle. Das politische Bewusstsein entwickelt sich nach Habermas aus dem literarischen Räsonnement, aus der literarischen Öffentlichkeit des 18. Jahrhunderts, die, sozialgeschichtlich innovativ, mit periodisch erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften zuerst einen Raum öffentlicher Kommunikation anbot9. Hier zuerst, im sozialen Feld dieses literarischen Räsonnement wurde nach Habermas der absoluten Herrschaft das Gesetz des Vernünftigen entgegen gestellt, das seine Legitimität aus dem rationalen Diskurs des öffentlichen Publikums bezieht. Damit erhebt das räsonnierende Publikum den Anspruch, zur Rationalisierung von Herrschaft überhaupt beizutragen. So liegt das Selbstverständnis bürgerlicher Öffentlichkeit gerade darin, dem Hobbesschen „Auctoritas, non veritas facit legem“, dem Inbegriff des aus den konfessionellen Bürgerkriegen hervorgegangenen Absolutismus, ein Verständnis von politischer Herrschaft entgegenzusetzen, das auf vernünftiger Übereinkunft gründet und darin auctoritas in ratio überführt10 Dieses Modell politischer Öffentlichkeit war deutlich an die ökonomischen Verhältnisse der frühen bürgerlichen Gesellschaft und ihre Klassengegensätze gebunden: An Öffentlichkeit zu partizipieren konnte sich nur derjenige leisten, der über ökonomische Unabhängigkeit verfügte. Doch entwickelten die naturrechtlich fundierten universalistischen politischen Theorien der Aufklärung ein diese ökonomischen Klassenschranken übergreifendes demokratisches Potential, das nachhaltige Antriebskräfte für politische Veränderungen bereitstellte. Wo das politische Denken seinen Ausgang nimmt von einer „Naturbasis des Rechtszustandes“11, der Menschen als freie und gleiche Individuen verbindet, dort werden politische Energien frei gesetzt, die diese Naturbasis nicht nur als transzendentale Bedingung der Möglichkeit des Politischen verstehen wollen, sondern in gleicher Weise für die Gestaltung politischer Praxis zu realisieren trachten. So reagiert die politische Theorie des 19. Jahrhunderts auf die der bürgerlichen Gesellschaft innewohnenden Klassenkonflikte. Als konservative, als restaurativ-reaktionäre oder als revolutionäre Theorie setzte sie eine jeweils entsprechende politische Praxis aus sich heraus. Damit zerbrach die Plausibilität der Legitimation politischer Praxis durch das vernünftige Räsonnement der öffentlichen Meinung. Die bürgerliche Gesellschaft erkennt sich selbst als Klassengesellschaft, die Öffentlichkeit nur als weitgehend elitäre Fiktion schaffen kann, die darauf gründet, dass die ökonomisch abhängigen Klassen exkludiert bleiben. Marx beanspruchte dann, das bürgerliche Bewusstsein überhaupt als Ideologie zu entlarven, indem er das Private zum Gegenstand seines revolutionären Angriff machte, 9 Vgl. dazu: Schiewe, 140 – 144. 10 Habermas, ebd., 153: „Diese (scil. politische Öffentlichkeit) soll voluntas in eine ratio überführen, die sich in der öffentlichen Konkurrenz der privaten Argumente als der Konsensus über das im allgemeinen Interesse praktisch Notwendige herstellt.“ 11 Habermas, ebd., 194 f.

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eben jenes Private, das als Privateigentum ja nach bürgerlichem Selbstverständnis die ökonomische Basis des von ihm unterschiedenen Öffentlichen sein sollte. So ist nach Habermas in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts jene historische Zäsur zu markieren, in welcher der Verfall der politischen Öffentlichkeit beginnt, der schließlich einhundert Jahre später in der Öffentlichkeit der sozialstaatlichen Massendemokratie zur Selbstaufhebung der politischen Öffentlichkeit geführt hat. In diesem langfristigen Prozess wird der Staat zum Interventionsstaat. Er greift reglementierend und korrigierend in das „private“ Arrangement der ökonomischen Interessen ein, wo die ökonomisch basierten Konflikte nicht mehr auf der Basis sich ausgleichender Privatinteressen geregelt werden können. Dabei kommt es allerdings dazu, dass der Staat selbst durch die gesellschaftlichen Interessengruppen okkupiert wird: „Erst diese Dialektik einer mit fortschreitender Verstaatlichung der Gesellschaft sich gleichzeitig durchsetzenden Vergesellschaftung des Staates zerstört allmählich die Basis der bürgerlichen Öffentlichkeit – die Trennung von Staat und Gesellschaft.“12 Nach Habermas entsteht hier ein eigentümlicher Zwischenbereich, eine „repolitisierte Sozialsphäre“13, die den Zerfall der Öffentlichkeit und den Verlust ihrer politischen Funktion anzeigt. Der Bereich des Öffentlichen dehnt sich immer weiter aus in das ursprünglich Private hinein. Damit verliert die Öffentlichkeit ihre kritische Kraft, sie steht nicht mehr für die Durchsetzung von Rationalität. Die Öffentlichkeit der Massendemokratie gerät Mitte des 20. Jahrhunderts in die Hände der politischen und ökonomischen Interessengruppen, denen sie als Medium sozialer Beeinflussung dient: „Die Öffentlichkeit übernimmt Funktionen der Werbung. Je mehr sie als Medium politischer und ökonomischer Beeinflussung eingesetzt werden kann, umso unpolitischer wird sie im Ganzen und dem Schein nach privatisiert.“14 Für Habermas dient Öffentlichkeit nun nicht mehr der Vermittlung von Staat und Gesellschaft, sie wird vielmehr Beute konkurrierender Privatinteressen. Am Beginn der politischen Öffentlichkeit stand im 18. Jahrhundert der literarische Zirkel, in dem sich ein elitäres kulturräsonnierendes Publikum sammelte. In der sozialstaatlichen Massendemokratie des 20. Jahrhunderts stehen an dieser Stelle die ein passives Konsumverhalten evozierenden Massenmedien, durch die öffentlich formierte Verhaltensmuster in den einst gehegten Raum der Familie eindringen können15. In seinem Vorwort zur Neuauflage von „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ aus dem Jahr 1990 resümiert Habermas aus dem Abstand von mehr als dreißig 12 13 14 15

Ebd., 226. Ebd., 267. Ebd. Ebd., 247. Habermas spricht in einer avant la lettre an die gegenwärtigen Talkshows erinnernden Formulierung von der „Scheinwerferprivatheit“.

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Jahren die theoretische Fortentwicklung seines Ansatzes. Habermas bekräftigt hier noch einmal die „demokratietheoretische Perspektive“16 als die leitende Fragestellung seiner Untersuchung, für welche die Legitimität der Demokratie am „kritischen Prozess öffentlicher Kommunikation“17 hängt: „Die sozialstaatlichen Massendemokratien dürfen sich, ihrem normativen Selbstverständnis zufolge, nur solange in einer Kontinuität mit den Grundsätzen des liberalen Rechtsstaates sehen, wie sie das Gebot einer politisch fungierenden Öffentlichkeit ernst nehmen.“18 Eine durch die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts aufgeklärte politische Theorie kann allerdings nicht mehr damit rechnen, dass sich das vernünftige Allgemeine aus dem Pluralismus der Interessen gleichsam von selbst ergeben werde. Dieser Einsicht, so Habermas selbst, sei seine Arbeit am Ende der 50er Jahre noch nicht gewachsen gewesen. So suchte Habermas in den 1960er und 70er Jahren eine „Tieferlegung“ der normativen Grundlagen der Demokratietheorie, die hinter die ökonomischen und ausdrücklich politischen Prozesse in die kommunikativen Vollzüge der Alltagspraxis zurückzugehen habe. Dieser Weg Habermas‘ fand seinen Ertrag in der groß angelegten “Theorie des kommunikativen Handelns“19. Habermas nimmt hier das differenzierungstheoretische Paradigma einer systemtheoretisch angelegten Sozialtheorie auf. Er tut dies aus der Einschätzung heraus, dass eine funktional ausdifferenzierte Gesellschaft nicht mehr in einer theoretischen Einheitskonzeption zu beschreiben sei. Habermas spricht von den systemisch integrierten Handlungsbereichen einer Gesellschaft, denen er die kommunikativ integrierten Handlungsbereiche der „Lebenswelt“ gegenüber stellt. In diesem Theoriedesign sind Wirtschaft und Staat, die mit den Steuerungsmedien Geld und Macht prozessieren, die systemisch integrierten Bereiche. Auf der anderen Seite stehen die Privatsphäre der Kleinfamilie und die Kommunikationsnetze der Öffentlichkeit für die lebensweltlich grundierten, kommunikativ verfassten Teilbereiche der Gesellschaft20. Im derart skizzierten theoretischen Rahmen gewinnt die These vom Zerfall der politischen Öffentlichkeit noch einmal schärfere Konturen: Zerfall der Öffentlichkeit in Form „bürokratischer Austrocknung“21 ist dort zu beobachten, wo „die funktionalen Imperative hochgradig formalisierter Handlungsbereiche auf Privatsphäre und Öffentlichkeit, d. h. auf primär kommunikativ vergesellschaftete Sphären der Lebenswelt durchgreifen“22 Ein solcher Durchgriff bezeichnet „die Schwelle, an der die Mediatisierung der Lebenswelt in eine Kolonisierung durchschlägt“23, wo funktionale Formierung und instrumen16 17 18 19 20 21 22 23

Ebd., 33. Ebd. Ebd. Habermas, Theorie. Ebd., 470 f. Ebd., 477. Ebd. Ebd., 471.

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telle Rationalisierung als Inbegriffe des Prozesses der Moderne destruktiv werden und die „Lebenswelt“, aus der heraus Modernisierung ja zu allererst freigesetzt wurde, zerstören. Gegen genau diese destruktiven Tendenzen reklamiert Habermas „die demokratische Eindämmung der kolonialisierenden Übergriffe der Systemimperative auf lebensweltliche Bereiche“24. Im Vorwort zur Neuauflage von „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ nimmt Habermas diese Überlegungen seines Hauptwerkes auf und spitzt sie noch einmal demokratietheoretisch zu. Die früheren Überlegungen in „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ waren in einen Appell gemündet, die Organisationen und Verbände, die „die Zerfallsgestalt bürgerlicher Öffentlichkeit“25 dominieren, von innen heraus durch einen „kritischen Prozess öffentlicher Kommunikation“26 zu verändern. Im Jahr 1990 möchte Habermas auf die Möglichkeiten einer „nicht-organisierten Öffentlichkeit“ setzen, auf eine Form von Öffentlichkeit, die durch lebensweltlich eingebundene politische Kommunikation einwirkt auf administrative Prozesse und diesen lebensweltliche Energien zuführt. Dabei erwartet Habermas entscheidende Beiträge von den intermediären Institutionen der Zivilgesellschaft: von Kirchen, Bürgerinitiativen, Akademien etc., die für ihn „Institutionalisierungen von Trägern einer nichtvermachteten politischen Öffentlichkeit“27 sind. Eine politische Öffentlichkeit der Zukunft wird nach Habermas’ Einschätzung nur funktionsfähig sein, wenn sie eingebunden ist in lebensweltliche Praxisformen, die von unverstellten kulturellen Traditionen zehren: „Eine politisch fungierende Öffentlichkeit braucht nicht nur die Garantien rechtsstaatlicher Institutionen, sie ist auch auf das Entgegenkommen von kulturellen Überlieferungen und Sozialisationsmustern, auf die politische Kultur einer an Freiheit gewöhnten Bevölkerung angewiesen.“28 In der bekannten Rede zur Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels29 aus dem Jahre 2001, wenige Wochen nach dem Attentat auf das World Trade Center in New York, führte Habermas diese Gedanken noch weiter in Richtung auf eine Hochschätzung auch des humanen Gehaltes der religiösen Überlieferungen, in denen seiner Einschätzung nach ein noch unerschlossener Kern von Rationalität „verborgen“ sei, auf den auch eine sich in ihrer politischen Ordnung programmatisch als säkular verstehende Gesellschaft nicht verzichten könne. Seitdem hat Habermas auf die öffentliche Bedeutsamkeit dieser „Rationalitätsreserven“ immer wieder hingewiesen und bemerkt, dass die religiösen Sprachgehalte auf „kooperative Übersetzungsleistungen angewiesen“30 seien, die nicht nur den religiösen Bürgern vor dem 24 25 26 27 28 29 30

Ebd. Habermas, Strukturwandel, 337. Ebd., 338. Ebd., 45. Ebd. Habermas, Glauben und Wissen. Habermas, Religion.

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Peterson im Kontext

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Forum der säkularen Vernunft abverlangt seien, sondern ebenso die Hör- und Verständigungsbereitschaft der säkularen Bürger eines demokratischen Gemeinwesens fordern: „Religiöse Überlieferungen scheinen, auch wenn sie sich einstweilen als das intransparente Andere der Vernunft präsentieren, sogar auf eine intensivere Weise gegenwärtig geblieben zu sein als die Metaphysik. Es wäre unvernünftig, apriori den Gedanken von der Hand zu weisen, dass die Weltreligionen – als das einzige überlebende Element aus den fremd gewordenen Kulturen der Alten Reiche – innerhalb des differenzierten Gehäuses der Moderne einen Platz behaupten, weil ihr kognitiver Gehalt noch nicht abgegolten ist. Jedenfalls ist nicht auszuschließen, dass sie semantische Potentiale mit sich führen, die eine inspirierende Kraft für die ganze Gesellschaft entfalten, sobald sie ihre profanen Wahrheitsgehalte preisgeben.“31

2.3 Peterson im Kontext Mit dieser kurzen Skizze der Habermas’schen Konzeption politischer und gesellschaftlicher Öffentlichkeit haben wir einen Kontext umrissen, in welchem wir unsere Interpretation von Erik Petersons Begriff der Öffentlichkeit positionieren können. Habermas konzipiert seine Untersuchung von Aufstieg und Verfall der politischen Öffentlichkeit im Kontext einer Krisenwahrnehmung. Die politische Öffentlichkeit hat nach Habermas den ihr eigenen Typus von Rationalität verloren. Dieser Rationalitätstypus war nur funktionsfähig vor dem Hintergrund der Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft, vor dem Hintergrund auch der weitgehenden Unabhängigkeit der Organisation politischer Herrschaft von Privatinteressen, wie sie im Raum der Gesellschaft artikuliert werden. Wo die gesellschaftlichen Interessengruppen das politische System manipulieren und mit massenmedialen Beeinflussungsmechanismen zur bloßen Fassade degenerieren lassen, dort verliert die Demokratie als „sozialstaatliche Massendemokratie“ insgesamt ihre Legitimation. In dieser Gedankenführung von Habermas begegnet ein Topos von Kritik der parlamentarischen Demokratie, wie er schon zu Beginn der Weimarer De31 Ebd., 149. Von entscheidender Bedeutung für die Freilegung dieses „semantischen Gehaltes“ wäre aber die Frage, ob er nicht gerade in dem liegt, was eben unübersetzbar ist, also nur in religiöser Sprache öffentlich artikuliert werden kann und lebensweltlich nur durch eine wie auch immer verdünnte religiöse Durchdringung der säkularen Sprache gegeben ist. Überhaupt erscheint die klare Distinktion zwischen „säkularer“ und „religiöser“ Semantik nur schwer durchführbar angesichts eines wirkungsgeschichtlichen Bewusstseins, das sich immerhin im Horizont von Texten und Erfahrungen bewegt, die ausdrücklich nicht ohne die religiöse Dimension auskommen. Habermas betont denn auch nur, dass die „agnostisch bleibende Philosophie“ den „opaken Kern der religiösen Erfahrung“ „bestenfalls umkreist“, dass „dieser Kern“ selbst „dem diskursiven Denken“ aber „abgründig fremd“ bleibe (Ebd. 150).

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mokratie von Carl Schmitt formuliert worden war32 und dann sowohl auf dem rechten wie auf dem linken Flügel des politischen Spektrums weiter gepflegt wurde. Habermas repräsentiert hier einen Flügel der Rezeption von Schmitts Parlamentarismuskritik: den Flügel, der die Ausdifferenzierung von Staat und Gesellschaft entschieden bejaht, weiter forcieren möchte und darin erwartet, dass aus den lebensweltlich eingebundenen, „zivilgesellschaftlichen“, intermediären Institutionen der Gesellschaft die Kräfte entspringen, die dem Politischen neue Legitimität verleihen könnten33. Schmitt selbst steht in der Tradition des Etatismus der klassischen deutschen Staatslehre des 19. Jahrhunderts, die den Staat als die allgemeine Verwirklichungsgestalt des sittlichen Prinzips von gesellschaftlichen Interessengruppen freihalten wollte. Erik Peterson sehen wir in seinem Konzept der kirchlichen Öffentlichkeit gerade ebenso geprägt von einem tiefen Misstrauen gegen die Interessengruppen und Kräfte einer pluralistischen Gesellschaft. Und so supendiert Petersons Konzept der kirchlichen Öffentlichkeit die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft letztlich. Peterson bezieht die Kirche ganz auf das Gegenüber der politischen Herrschaft.

2.4 Niklas Luhmann und seine Theorie der Öffentlichkeit Im Kontext seiner strukturfunktionalen Gesellschaftstheorie hat Niklas Luhmann an verschiedenen Stellen ein Konzept von Öffentlichkeit bzw. Öffentlichkeiten thematisiert34. Im Hintergrund seiner Überlegungen steht ein differenzierungstheoretisches Konzept der modernen Gesellschaft35, die als funktional differenzierte Gesellschaft beschrieben wird. In dieser Perspektive besteht die moderne Gesellschaft aus einem Nebeneinander verschiedener funktional spezialisierter Subsysteme. Jedes dieser Teilsysteme nimmt besondere Aufgaben für die Reproduktion der Gesellschaft wahr. Im Verständnis Luhmanns ist es nicht so, dass sich ein nach wie vor bestehendes gesellschaftliches Ganzes nur in eine unterschiedliche Anzahl aufeinander bezogener Subsysteme dekomponiert, die als spezialisierte Teile nebeneinander stehen. Vielmehr gibt es nicht nur eine einzige gesellschaftliche Wirklichkeit, sondern die funktionale Differenzierung ist wirklich Ausdifferenzierung, das 32 Schmitt, Geistesgeschichtliche Lage. 33 Zur Problematik des Begriffes der „Zivilgesellschaft“, die darin liegt, dass vom politischen Prozess nicht legitimierte und keiner rechtsstaatlichen und demokratischen Kontrolle unterliegende mächtige Organisationen das gesellschaftliche Leben formieren vgl., besonders im Blick auf die Rolle von NGOs (Non-Governemental-Organizations) in Transformationsgesellschaften, Lienemann, Ebd., 79. 34 Besonders: Luhmann, Realität; und: ders., Gesellschaft, 1096 ff. 35 Ich schließe mich hier eng an an die Darstellung von Schimank an: Schimank, Theorien; und ders., Volkmann, Differenzierung.

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Niklas Luhmann und seine Theorie der Öffentlichkeit

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heißt die Emergenz von zunächst unabhängig agierenden Teilsystemen, von denen jedes eine irreduzible „,globale Zugriffsweise‘ auf die Welt“36 hat. Diese besonderen Zugangsweisen, die nach Luhmanns epistemologischem Konstruktivismus auch Prinzipien von teilsystemspezifischen Wirklichkeitskonstruktionen sind, verdichten sich zur „Form jeweils hochgradig spezialisierter, selbstreferentiell angelegter binärer Codes“37, die als Totalitäten auf ihre Umwelten zugreifen: „Diese (…) nicht wie bei einer Arbeitsteilung säuberlich aufeinander abgestimmten Leitdifferenzen gesellschaftlicher Kommunikation konstituieren keine überschneidungsfreien Zuständigkeitsbereiche, sondern eine polykontexturale Gesellschaft. Jedes Ereignis in der modernen Gesellschaft (…) hat eine Mehrzahl gesellschaftliche relevanter sinnhafter Deutungen, je nachdem im Kontext welcher Leitdifferenz es betrachtet wird.“38 In einer derartigen „polykontexturalen Gesellschaft“ hat nun das System massenmedialer Öffentlichkeit die Aufgabe, Informationen über die Teilsystemgrenzen hinweg zur Verfügung zu stellen. Allerdings stellt es diese „Informationen“ nicht in neutraler Form zur Verfügung, sondern formt sie nach der ihm eigenen Funktionslogik, nämlich nach dem Nachrichtenwert, nach dem binären Code Aufmerksamkeit/Diffusion. Damit haben die massenmedialen Wirklichkeitskonstruktionen zwar die Aufgabe, in den jeweiligen funktionsspezifischen Teilsystemen Informationen über die Umwelt der Systeme zur Verfügung zu stellen, die es möglich machen, dass die Systeme auf Irritationen reagieren können, allerdings müssen die Subsysteme die medial formierten Informationen für ihren eigenen Wirklichkeitszugriff aufbereiten und ihrer eigenen Funktionslogik anpassen. Damit verdoppelt sich das Problem, denn die Teilsysteme brauchen dazu wiederum Informationen darüber, wie die medial bereit gestellten Informationen von den von ihnen benötigten und ihren Verarbeitungsmöglichkeiten entsprechenden Informationen abweichen und wie sie entsprechend aufbereitet werden müssen. Innerhalb der Teilsysteme werden für diese Aufgabe spezifische Kapazitäten zur Verfügung gestellt, so dass sich eine Pluralisierung von Öffentlichkeiten ergibt. Unter den Bedingungen einer funktional differenzierten Gesellschaft ist es nicht möglich, von der Öffentlichkeit zu sprechen. Vielmehr existiert eine Vielzahl von Öffentlichkeiten, ja man kann sagen, dass jedes relevante gesellschaftliche Teilsystem, das einen eigenen Code und somit eine eigene Weise der Wirklichkeitskonstruktion und eine eigene Weise des Weltzugriffs entwickelt hat, auch eine eigene Form von Öffentlichkeit konstituiert, in welcher das Teilsystem sich selbst beobachtet und die Beobachterperspektive wiederum im eigenen Prozessieren abbildet. Für die Möglichkeit einer normativ fungierenden politischen Öffentlichkeit im

36 Schimank, Volkmann, ebd., 9. 37 Ebd. 38 Ebd.

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Singular, wie sie Habermas ursprünglich entwickelt hatte, setzt diese Differenzierungslogik im Sinne Luhmanns enge Grenzen. Daher kommen gegenwärtig eher empirisch als theoretisch angelegte Untersuchungen auch zu dem Schluss: „So besteht Öffentlichkeit heute aus von den Medien bereit gestellten Informationen zu von ihnen gesetzten Themen und einem entsprechenden Kommunikationsangebot für ein disperses Publikum.“39 Und: „Politische Öffentlichkeit – sofern man diesen Begriff heute überhaupt noch verwenden will – ist folglich kein Akt der Politik, die in den Medien Themen setzen und diskutieren würde, sondern ein Produkt der medialen Konstruktion politischer Wirklichkeiten, die für vermittlungswürdig gehalten werden.“40 Ein theologischer Begriff kirchlicher Öffentlichkeit wird diese differenzierungstheoretisch beschriebenen Perspektiven beachten. Er wird sensibel zu sein haben für die Formierungsleistungen massenmedialer Öffentlichkeit und wird den eigenen Weltzugang hinsichtlich seiner besonderen „Funktionslogik“ zu beachten haben. Das heißt, dass ein theologischer Begriff kirchlicher Öffentlichkeit sich seiner eigenen Theologizität bewusst ist und sich darüber klar ist, dass er seine theologische Binnenperspektive nicht wird verlassen können. Gleichzeitig ist jedoch nicht aus dem Blick zu verlieren, dass auch das Religionssystem als funktional ausdifferenziertes Teilsystem der Gesellschaft spezifische strukturelle Kopplungen mit anderen Teilsystemen aufweist, indem es einerseits Leistungen für diese Systeme bereitstellt, andererseits aber auch „negative Externalitäten“41, also „Nebenwirkungen“, an andere Teilsysteme weitergibt. Deutlich ist und es wird weiter an der Arbeit mit den Texten Petersons auszuweisen sein, dass Peterson seinen emphatischen Begriff kirchlicher Öffentlichkeit auf genau diesen Differenzierungsvorgang von Gesellschaft und Staat und auf den Prozess der Entkoppelung von Religion und Politik bezieht42 mit dem Versuch, die Dominanz teilsystemfremder Öffentlichkeitskonzepte im Bereich des Religionssystems zu unterlaufen. So wendet Peterson sich vor allem gegen die liberale protestantische 39 Schiewe, 278. 40 Ebd., 279. 41 Schimank, Volkmann, ebd., 13. Vgl. dort auch 35 f. den Versuch, eine Typologie teilsystemischer Interdependenzen auszuarbeiten. Für den Bereich eines kirchlichen Öffentlichkeitsbegriffes könnte eine solche Externalität darin bestehen, dass die teilsystemspezifische Semantik in einer Weise totalisiert wird, dass sie ihrerseits in politische Aktion umgesetzt wird und andere gesellschaftliche Teilsysteme zu dominieren versucht. In einer Zeit des Wiederkehrens apokalyptischer Interpretationsschemata im politischen Bereich und eines erstarkenden religiösen Fundamentalismus in allen großen Weltreligionen sind solche Gefahren zwar für das kirchliche Christentum in Deutschland nicht die nächstliegenden, gleichwohl aber in Inhalt und Methode theologischer Arbeit zu bedenken. 42 Wir müssen betonen, dass wir die differenzierungstheoretische Lesart Petersons auf einer analytischen Ebene vornehmen, die natürlich der Selbstthematisierung Petersons ganz fremd ist, gleichwohl aber ihre Leistungsfähigkeit an den Texten unter Beweis stellen soll.

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Paradoxe Modernitätsverstärkung

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Theologie der Generation seiner theologischen Lehrer, gegen den Kulturprotestantismus, dem er vorwirft, Muster gesellschaftlicher Öffentlichkeit so zur Geltung zu bringen, dass darin das Spezifikum des „religiösen“ Öffentlichkeitstypus verloren geht. Peterson agiert an dieser Stelle zum Zwecke der Selbstbeschreibung des Vollzugs theologischer Arbeit im Horizont der kirchlichen Organisation43 mit einer Totalisierung der Innenperspektive eines kirchlichen Öffentlichkeitsbegriffes. Nicht die gesellschaftliche Öffentlichkeit im Kontext kultureller Beschreibungsmuster, zu Petersons Zeiten erst in den Anfängen massenmedial geprägt, stellt die „eigentliche“ Öffentlichkeit der Kirche dar, sondern Öffentlichkeit ergibt sich aus dem zentralen Vollzug kirchlicher Identität, aus der Feier des Gottesdienstes.

2.5 Paradoxe Modernitätsverstärkung Wenn es Öffentlichkeit nach Luhmann immer mit dem Beobachten zu tun hat, es in ihr um das Beobachten und das Beobachtet-Werden geht, dann ergibt sich in den Überlegungen Petersons eine Paradoxie, die eigens zu entfalten ist. In Bezug auf die politische Herkunfts- und Verwendungsgeschichte des Terminus Öffentlichkeit liegt hier eine massive Äquivokation vor. Wenn Peterson von der liturgischen Feier der Kirche vor dem Thron Gottes, vom Zeugnis des Märtyrers im Kampf der Äonen als der „eigentlichen“ Öffentlichkeit der Kirche spricht, dann benennt er etwas als Öffentlichkeit, was ja nicht eigentlich „öffentlich“, im Sinne von „allgemeiner Beobachtung zugänglich“, ist44. Vielmehr ist es so, dass Peterson die spezifische Öffentlichkeit der Kirche zurückführt auf Praxisformen, die in ihrem Kern ein Beobachtet-Werden ausmachen, eine – in paradoxer Formulierung – passive Praxis. In der Öffentlichkeit der Liturgie geht es nicht darum, wie im originär politischen Kontext, die Legitimität von Herrschaft zu prüfen. Vielmehr geschieht eine Konfrontation mit bestehender Herrschaft, mit der Herrschaft Gottes, der seiner Kirche im Gottesdienst und im Zeugnis des Märtyrers als der Herr begegnet. Diese Konstellation entspricht der religionssoziologischen Grund43 Wichtig ist hier, sich die unterschiedlichen Ebenen von Differenzierung vor Augen zu halten (vgl. Schimank, Volkmann, ebd., 7 f.): wir unterscheiden auf der Mikroebene die Differenzierung von Rollen, auf der Mesoebene die Differenzierung von Organisationen, auf der Makroebene die Differenzierunng von gesellschaftlichen Teilsystemen. Peterson reklamiert Differenzierung auf allen drei Ebenen: die spezifische Rolle des Theologen, die er in traditionalistischer Camouflage als segmentäre, nicht-funktionale Differenzierungsform, als „Stand“, interpretiert; die spezifische Organisation der Kirche; das spezifische Teilsystem Religion. 44 In ähnlicher Ausrichtung spricht Ingolf Dalferth von einer „Öffentlichkeit vor Gott“, die „als Sein coram deo die letztlich maßgebliche Öffentlichkeit ist, die auch die gesellschaftlichen Öffentlichkeiten als Integral aller anderen Öffentlichkeiten umfasst“. Vgl. Dalferth, Beobachter, 55 Anm. 54.

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Öffentlichkeitsdiskurse

bestimmung Luhmanns: „Sinnformen werden dann als religiös erlebt, wenn ihr Sinn zurückverweist auf die Einheit der Differenz von beobachtbar und unbeobachtbar und dafür eine Form findet.“45 Was wir bei Peterson sehen, können wir dann als eine paradoxe Modernitätsverstärkung bezeichnen. Material argumentiert Peterson radikal modernitätskritisch, versucht er, argumentativ die Unterscheidung von Staat und Gesellschaft zu suspendieren und Religion nicht auf gesellschaftliche Differenzierung zu beziehen, sondern auf politische Herrschaft. Formal aber affirmiert Peterson die funktionale Ausdifferenzierung eines weitgehend autonomen religiösen Subsystems und zentriert er seine Argumentation auf die Codes einer autonomen religiösen Praxis. Peterson argumentiert in starken Formen für Präsenz von Theologie in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen und er gibt seinem Denken eine durchaus wirksame publizistische Form, die aber auf Differenz abstellt und mit einer Vielfalt von Öffentlichkeiten rechnet, die nicht konsensuell aufeinander bezogen sind, sondern sich gegenseitig in ihrer Autonomie und in ihrem Recht bestreiten. In diesem Sinne ist Petersons Denken Ausweis einer Theologie der Öffentlichkeit, die gleichzeitig öffentliche Theologie ist. Peterson argumentiert gegen eine Totalisierung des Politischen, die dem Politischen Dominanz über das „Religiöse“ zubilligt und das Religionssystem politisch „kolonialisiert“. Peterson entwirft eine politische Theologie in einem eschatologisch-apokalyptischen Horizont, die die Superiorität des Poltischen radikal bestreitet, Autonomie des „Religiösen“ also dezidiert behauptet. Und schließlich markiert Peterson die Praxisformen der Differenz, in denen der eigenständige Weltzugriff des Religiösen und seine spezifische Art der Konstruktion von Wirklichkeit vollzogen werden. In diesem Profil wird deutlich, wie Peterson einen modernitätskritischen Begriff kirchlicher Öffentlichkeit denkt – gegen die Moderne, unter den Bedingungen der Moderne, und gleichzeitig modernitätsverstärkend.

45 Luhmann, Religion, 35. Hier ist auch wichtig: die Markierung der „primären Leistung“ von Religion, „Realität zu konstituieren, indem sie etwas für Beobachtung bereit stellt, was nicht unter diese Kategorie fällt.“ Ebd., 59 f. In der Terminologie Luhmanns ist es so, dass Religion die Welt des Beobachtbaren überhaupt erst konstituiert, indem sie das Unbeobachtbare vom Beobachtbaren unterscheidet und diese Unterscheidung wiederum in den Horizont des beobachtenden Systems einführt.

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3. „Konkrete Theologie“: Zur Rhetorik der Präsentifikation 3.1 Theologischer Stil Petersons Denken umkreiste seit den frühen zwanziger Jahren den „spezifisch kirchlichen (den kosmisch-religiösen) Öffentlichkeitsbegriff“1. Die Frage nach der Öffentlichkeit begegnet hier also im Bereich der Gegenstandsbestimmungen der theologischen Arbeit Petersons. Gleichzeitig eignet auch Petersons eigenem theologischen Denken eine besondere Form von Öffentlichkeit, seine Theologie ist öffentliche Theologie in einem durchaus markanten Sinne. Sie wurde in der akademischen Öffentlichkeit vertreten, stand im theologischen Diskurs seiner Zeit an einer Stelle, die öffentlich wahrgenommen wurde und intensiv verknüpft war mit dem Verständnis kirchlicher Öffentlichkeit. Der Vollzug theologischer Existenz und theologischer Arbeit steht so in einem erläuterungsbedürftigen Verhältnis zum Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit, ja, er begegnet durchaus als eine Form, in der dieser Begriff konkret wird: die „öffentlich“ vollzogene und wahrgenommene Theologie ist Gegenstand ihres eigenen Begriffes. Dies ist zu explizieren. Über Jahrzehnte hinweg waren die Arbeiten Petersons nur äußerst mangelhaft rezipiert. Einige Texte der 20er Jahre, wie „Was ist Theologie?“, spielten eine Rolle in der Frage nach der Genese der Theologie Karl Barths2. Der Monotheismus–Aufsatz von 19353 hatte seinen Ort in der Auseinandersetzung um Carl Schmitt und die Politische Theologie4. Die exegetischen und patristischen Studien aus „Frühkirche, Judentum und Gnosis“5 fanden schmale, aber durchaus kontinuierliche Beachtung in der einschlägigen Fachdiskussion. Erst mit der durch Kardinal Lehmann angestoßenen und begleiteten Monographie von Barbara Nichtweiß begann so etwas wie eine Peterson-Renaissance, die mit Beginn und Fortschritt der 1994 begonnenen Gesamtausgabe dazu geführt hat, die Texte Petersons neu wahrzunehmen und in ihrem außergewöhnlichen Profil zu würdigen. Und in der Tat sind es diese 1 2 3 4

AS 1, 186, Briefwechsel mit Harnack. Jüngel, Dialektik, 127 – 179. AS 1, 32 – 82, Monotheismus. Von „Politischer Theologie“ wird im folgenden dann die Rede sein, wenn terminologisch festgelegt die Position Carl Schmitts und ihr nahe stehende Begriffsbildungen gemeint sind, von „politischer Theologie“, wenn mehr im allgemeinen Sinne von der politischen Dimension der Theologie die Rede ist. 5 Peterson, Frühkirche.

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Texte, in denen sich eine eigentümliche Art des theologischen Stils ausspricht. Was macht die Faszination gerade dieser Texte aus? Zum einen geht es dabei um die inhaltliche Qualität der Texte selbst, um ihren propositionalen Gehalt und um die vielfältigen Problembezüge, die weit über die Ursprungssituation und den unmittelbaren Kontext hinausreichen. Dies aber erklärt nicht in jeder Hinsicht die Wirkung der Texte auf die damaligen und heutigen Leserinnen und Leser. Daher ist auch das andere zu beachten: Nicht nur die inhaltliche Qualität der Texte, sondern auch ihre Textualität selbst, die Textoberfläche, die eigentümliche rhetorische Physiognomie der Texte, die über die inhaltliche Bestimmtheit hinaus auch ihre argumentative Qualität ausmacht. Dabei bemerken wir, wie diese Texte in der Lektüre eine eigene Performativität besitzen, eine Präsentifikation des in ihnen Ausgesprochenen, die für wissenschaftliche theologische Literatur eher ungewöhnlich ist. Wenn Jacob Taubes Peterson als „bedeutenden Stilisten“6 bezeichnet, meint dies ja mehr als eine elegante Sprachgestalt der Texte Petersons. Es bezeichnet genau diese den Texten Petersons eigene Performativität, ihre Kraft zur Präsentifikation. Seit den genauen editorischen Bemerkungen der Herausgeber der exegetischen Bände in der Peterson-Gesamtausgabe können wir besser verfolgen, woher Peterson den materialen Gehalt seiner Arbeiten bezogen hat. Wir stoßen auf manche Einflüsse, auf inhaltliche Anleihen insbesondere bei der konservativen Exegese des 19. Jh., die eine in mancher Hinsicht durchaus konventionelle Arbeitsweise Petersons belegen.7 Die Besonderheit des Stilisten Peterson wird also nicht ausschließlich auf der Ebene des Sachgehalts seiner Arbeiten liegen: in dem, was Peterson sagt; sondern auch, in der Art, wie er es sagt, eben in dem, was ich die besondere argumentative und rhetorische Physiognomie der Arbeiten Petersons nennen möchte.

3.1.1 Stil – theologisch und literaturwissenschaftlich Was ist nun gemeint mit dem Begriff eines „theologischen Stils“? Der klassische Stilbegriff der rhetorischen Tradition ging davon aus, dass der Stil nicht die Inhaltsebene der Rede oder des Textes betreffe, sondern etwas dem Inhalt der Rede Nachgeordnetes, dass sich Stil also nicht in erster Linie als semantische Besonderheit, sondern mehr in syntaktischer und pragmatischer Hinsicht beschreiben lasse, als eine besondere Auswahl von Redeweisen und eine bestimmte Weise, eine angestrebte Wirkung beim Rezipienten zu erreichen. Die literaturwissenschaftliche Stiltheorie sucht die besonderen textuellen Selektionen eines Autors (warum drückt er sich so aus, wie er es tut, und nicht anders) ebenso 6 In: Taubes, Ad Carl Schmitt, 40. 7 Vgl. die Einleitung von R. von Bendemann zu den Vorlesungen zum Lukas-Evangelium, AS 5 XXXIIff.

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zu berücksichtigen, wie die Wirkung bestimmter Stilelemente auf den Rezipienten/ Leser.8 Manfred Frank meint, dass über „Stil“ grundsätzlich nicht in universalisierungsfähigen Termini geredet werden kann und schreibt pointiert: „Von keinem Stil lässt sich ein Begriff geben.“ Denn: „Der Stil (ist) die individuelle Art und Weise, wie der Autor seine eigentümlich Sicht der Welt zum Ausdruck bringt. Sie widerspricht nicht den Regeln der Syntax, ist aus ihnen aber auch nicht abzuleiten.“9 In diesem Sinne könne also eine Stiltheorie nicht etwa verfolgen, wie allgemeine Regeln im Vorgang des Schreibens individualisiert werden, und so in erster Linie auf stilistische Typisierungen aus sein. Vielmehr sei Aufgabe der Stiltheorie die Art einer unverwechselbar individuellen Sinnerschließung aufzusuchen, und zu verfolgen, wie diese Sinnerschließung in literarischer Kommunikation sozial etabliert, also letztlich verständlich wird. Frank sieht darin eine „generelle Bedeutungstheorie impliziert“10. Diese besagt nicht etwa, „daß die auf der Ebene der Struktur ausdifferenzierten und in den Rang von Typen erhobenen Sprachzeichen außerdem noch auf der Ebene der konkreten Rede individuell gefärbt werden. Sie geht viel weiter und behauptet, daß die universellen Bedeutungen der sprachlichen Typen in der individuellen Ausdifferenzierung des Stils entspringen.“11 Fassen wir die Aufgabe einer theologischen Stilistik von diesem Vorschlag her, gewinnt sie eine erhebliche Bedeutung dafür, das jeweils Neue in Zeiten theologischer Aufbrüche zu verstehen und zu bewerten – gerade auch in Beziehung auf die Selbstthematisierungen theologischer Arbeit im Werk der einzelnen Autoren. Manfred Frank selbst weist hin auf die Genealogie seiner Überlegungen zum Stil aus der Ästhetik der Frühromantik, wo die „SinnfindungsInitiativen des individuellen Stils“12 darin gründen, dass das Selbstbewusstsein sich nicht transparent ist, dass im schöpferischen Prozess etwas zum Austrag kommt, das sich selbst entzogen bleibt. Auf Peterson bezogen legen sich einige Folgerungen nahe: Die antiexistentielle Selbstbeschreibung, das antisubjektivistische Pathos Petersons, seine Ablehnung theologischer „Schriftstellerei“13 steht in der tiefen Zweideutigkeit, selbst existentiell grundiert zu sein, in subjektiver „Entscheidung“ zu wurzeln und „Schriftstellerei“ zu sein. Friedrich Gogarten hatte in seiner Rezension von Petersons „Was ist Theologie?“ seinen Finger genau in diese Wunde gelegt: dass Petersons „freibeuterischer Katholizismus“ eben Journalismus sei und „daß auch Peterson ein Schriftsteller ist, der sich in theologicis versucht“14. Peterson fühlte sich von dieser Polemik getroffen und verweigerte gar eine Replik in den „Theologischen Blättern“15. Peterson versuchte sich aus dieser Dialektik zu befreien, indem er den Anschluss an eine objektive Metaphysik suchte und so die subjektiven Spuren seiner theologischen Arbeit zu tilgen meinte. In seinem Aufsatz „Das Problem der Bibelauslegung im 8 9 10 11 12 13 14 15

Dazu: Spillner, 234 – 256. Frank, Stil, 11. Ebd., 56. Ebd. Ebd. Vgl. AS 9/1, 318 f., Forderung einer Theologie des Glaubens. Gogarten, 82. Dazu Nichtweiß, 593 f.

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Pietismus des 18. Jahrhunderts“16 kommt Peterson am Beispiel Hamanns auf den Stil zu sprechen. In einem Zusammenhang, der auf die „Leibhaftigkeit des Schriftwortes“17 zielt, schreibt Peterson: „Man kann doch in einem gewissen Umfange einen Autor danach beurteilen, wie er schreibt. Hamann aber hat niemals wie ein Platoniker geschrieben, …“.18 Peterson meint mit dem Diktum „nicht wie ein Platoniker“, dass Hamann nicht so rede „als ob er ein Philosoph wäre, dem alles Vergängliche zum Gleichnis geworden ist“19, also nicht eine sprachliche Darstellung von Bedeutung vollziehe, auf die das Seiende als Zeichen verweise. Hamann rede vielmehr in einer „bündigen Kürze“, „abgehackt“, „Schlag auf Schlag“20. In diesem Stil nun liege „etwas von jener großartigen Kürze, die in der Tatsache liegt, daß Gott redet (dazu die Anmerkung: „Wenn Gott redet, dann bringt er den Menschen zum Schweigen, das drückt sich in einer ganz bestimmten sprachlichen Form aus.“) und nicht etwa, daß der Mensch die Natur, die Geschichte und endlich den Logos als Wort erfasst.“21 Kann man sagen, dass Peterson hier auch auf seinen eigenen Stil reflektiert, der zwar in Anspruch nimmt, theologisch zu argumentieren, aber an den entscheidenden Stellen das genus diskursiver Argumentation verlässt und deiktisch wird, auf Verifikation/ Evidenz/Sich-selbst-Zeigen der Wirklichkeit Gottes nur noch hin-zeigt? Diese Eigentümlichkeit des theologischen Stils bemerkten schon Zeitgenossen wie Barth, der von der „abgerissenen zufälligen Form“ und von einer „Glossolalie ohne Dolmetschung“22 sprach. Zum theologischen Stil würde dann eben auch gehören, zu erkennen, wo die Grenze der Argumentation liegt und nur noch auf das verwiesen werden kann, was aller Argumentation voraus liegt, selbst aber nicht argumentativ eingeholt werden kann. Von dem mit Peterson freundschaftlich verbundene Germanisten Paul Adams stammen einige Bemerkungen zum „eigentümlichen Stil“23 Petersons: „Ihr Stil unterscheidet sich von jeglichem Stil, den man heute in Deutschland lesen kann. (…) Sie haben auch keinen sensuellen Stil (ich meine nicht Luther) oder intellectuellen wie das 18. Jahrhundert, auch keinen rationalen wie Thomas Aquinas. Ich weiß keinen Vergleich wie – seien Sie mir nicht böse – die Kirchenväter. Es ist ein spiritueller Stil. Er ist gewissermaßen von den Dingen unberührt und leuchtet doch in die conkreten Dinge, ruhig und sicher und aufhellend, unnachahmlich das Wesen langsam und schnell enthüllend. Sie haben aber verschiedene Stile. (…) Sehnsucht, Polemik und Wissenschaftsstil erreichen nicht die Höhe und Tiefe, die Ihnen manchmal vergönnt ist.“24

16 17 18 19 20 21 22

AS 9/1, 209 – 223 (1924). Ebd., 216. Ebd., 218. Ebd. Ebd. Ebd. Nichtweiß, 519. Der Brief Karl Barths an Peterson vom 25. 10. 1928 jetzt in AS 9/1, 270 – 272, zit. 271. 23 Nichtweiß, Zeit ist aus den Fugen, 72. Ich danke Frau Barbara Nichtweiß für den freundlichen Hinweis auf diese Stelle. 24 Ebd.

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Für eine theologische Stilistik wäre es allerdings nicht ratsam, den „logos“, den propositionalen Gehalt eines theologischen Textes von seiner textuellen Oberfläche zu trennen. Der theologische Stil wird sich wohl auch daran ausweisen, welche Argumente überhaupt als diskursfähig eingeschätzt werden und wie propositionaler Gehalt und textuelle Gestalt zirkulieren. Diese Frage ist entscheidend für den Wissenschaftsbegriff theologischer Theoriebildung, in den Elemente einer genuin theologischen Stilistik und einer spezifisch theologischen Argumentationstheorie erst noch zu integrieren wären. Eine theologische Stilistik ist also ein noch wenig erschlossenes Feld und gerade die Texte Petersons legen es nahe über den theologischen Stil nachzudenken25. In der Perspektive des Autors: über die Art, wie Peterson als theologischer Autor seine Texte formt im pragmatischen Kontext des wissenschaftlichen Diskurses und der kirchlichen Öffentlichkeit. Welche Gestaltungsmöglichkeiten er auswählt und wie er seine Argumente formt und zusammenfügt. In der Perspektive des Rezipienten: welche Wirkungen mit bestimmten stilistischen Eigentümlichkeiten erzielt werden. Petersons Texte sind hier ergiebig und wir wollen uns dem Spezifikum seiner Texte annähern, indem wir an einigen Beispielen Textoberfläche, argumentativen Gehalt und Wirkung auf Rezipienten miteinander in Beziehung setzen. Wir wählen dazu Texte aus unterschiedlichen Perioden des Schaffens Petersons mit ebenso unterschiedener Textpragmatik.

3.2. Zum Textmaterial 3.2.1 „Was ist Theologie?“ Einen ersten Blick werfen wir auf die Wirkung des berühmten Vortrages „Was ist Theologie?“ aus dem Jahr 1925. Der Text wurde ursprünglich im Frühjahr 1925 als Vortrag konzipiert und erschien26 erst im nach hinein, aber doch zeitnah, im Juli 1925, als selbständige Veröffentlichung. 1926 erfolgte eine Neuauflage im 2. und 3. Tausend. Die Arbeit war also durchaus ein publizistischer Erfolg. Der Vortrag war auf Einladung der Bonner Theologenschaft erfolgt und Barbara Nichtweiß zitiert Petersons briefliche Mitteilung an Karl Barth: „Der Vortrag hat Skandal und Sensation hervorgerufen. Mit Scharren und Trampeln wurde er vor einem Publikum, das zu gleichen Hälften aus Katholiken und Protestanten bestand, zu Ende geführt.“27 Auffallend ist hier der durchschimmernde Unterton eines stillen Triumphes. Peterson kokettiert gleichsam mit dem Skandal, den sein Vortrag hervorgerufen hat: keine dis25 Vgl. dazu die Hinweise von Gerhard Sauter über die Rolle literarisch dargestellter Gottes- und Selbsterkenntnis für die theologische Theoriebildung in: Sauter, Theologie, bes. 34 – 47. 26 Vgl. dazu Nichtweiß, 514 f. 27 Brief Petersons an Barth vom 23. 06. 1925, AS 9/1, 221.

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tanziert „bürgerliche“ Wissenschaft, sondern eine erregende, eine Distanzen überschreitende Form des Denkens artikuliert sich hier, die Tumulte induziert, die sonst eher dem politischen Bereich zugerechnet werden, und hier in der Tat den Stil politischer Auseinandersetzungen in der Weimarer Zeit prägten. Mit dieser antibürgerlichen Wendung, dieser avantgardistischen Wirkung des theologischen Denkens, scheint Peterson nicht unzufrieden – und seine Selbstinszenierung als Bohemien und Außenseiter im akademischen Milieu28, wie sie für seine Bonner Professorenzeit so prägnant geschildert wird, scheint dem zu entsprechen. Diese Koketterie nimmt die briefliche Äußerung an Barth ja auf. Kunstvoll und durchaus inszeniert die Doppelung: „Skandal und Sensation“, „Scharren und Trampeln“, die diese Art der Wirkung einer „öffentlichen Theologie“ beschreiben. Peterson selbst beurteilte „Was ist Theologie?“ als „das beste, was ich bisher gemacht habe“29. Man fragt sich, in welcher Beziehung diese Selbsteinschätzung der Qualität seiner Arbeit und die unmittelbare Reaktion seiner Zuhörer zueinander stehen? Nun ist es sicher so, dass „Was ist Theologie?“ eine ganze Reihe von kalkulierten Provokationen enthält, die einen „Skandal“ von vornherein nicht unwahrscheinlich machten. Barth sprach von Petersons Arbeiten als von „glänzenden und in jeder Beziehung unverschämten Pamphleten“30 und erkannte hier einen der Entgegnung und der Auseinandersetzung würdigen Gesprächspartner. Diese Form der Reaktion auf „Unverschämtheiten“ und das „Scharren und Trampeln“ sind gleichwohl im Zusammenhang zu sehen. Das eine ist die Reaktionsform des wissenschaftlichen Diskurses, bei aller Distanz doch auch emotional nicht unbeteiligt. Das andere ist die Reaktion auf die Präsentifikation des Vortrages, eine Reaktion auf die theologische Rhetorik des Petersonschen Vortrages, der eben nicht strategisch angelegt war auf Persuasion und Einverständnis, sondern strategisch als Polemik inszeniert war. Auf diese besondere polemische Rhetorik der Abgrenzung wird noch zurückzukommen sein. Wir finden sie in vielen bedeutenden Texten Petersons wieder. Peterson war sich seiner Rolle als Außenseiter im akademischen Milieu im Allgemeinen und im Kontext der Bonner evangelisch-theologischen Fakultät im Besonderen nur allzu bewusst. Dies war ein Status, unter dem er litt, den er aber andererseits durch die Art seiner theologischen Argumentation noch verstärkte. Was macht die „glänzende Unverschämtheit“ dieses Textes aus und was unterscheidet die „glänzende Unverschämtheit“ von anderen Unverschämtheiten? Unverschämt ist der Ton polemischer Verschärfung bei gleichzeitiger äußerster Abbreviatur. Diese Verschärfung hat also ihre Sachebene, sie äußert 28 Nichtweiß, 722 ff. Zu diesem Eindruck passen auch die Erinnerungen des nachmaligen rheinischen Superintendenten Wilhelm Engel aus seiner Bonner Studienzeit, abgedruckt in: AS 9/2, 507 – 509. Ich danke Karl-Adolf Bauer für diesen Hinweis. 29 Brief Petersons an Barth vom 23. 06. 1925, ebd., dazu auch Nichtweiß, 515. 30 Brief Barths an Bultmann vom 25. 09. 1925, AS 9/2, 227.

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sich argumentativ zentral in der Achse des Petersonschen Gedankens, im Gefälle von der Inkarnation über das Dogma hin zur leiblichen Inanspruchnahme des Menschen durch die Offenbarung Gottes – all dies zusammengefasst in Petersons emphatisch verwendeter polemischer Leitkategorie der „Konkretion“, die der „Abstraktion“ idealistischer Denkfiguren in der Theologie entgegengehalten wird. Eine Kernstelle im Zusammenhang des Textes, an der sich viel Widerspruch gegen Peterson aufgebaut hat: „Theologie gibt es nur in der Zeit zwischen Christi erster und zweiter Ankunft. Das schließt weiter in sich, daß, so gewiß wie Christus bei seiner Ankunft einen Leib angenommen hat, um konkret in die Menschenwelt einzugehen, so konkret nun auch die Offenbarung Gottes den Menschen ,auf den Leib gerückt ist‘. Der objektive und konkrete Ausdruck aber dafür, daß Gott in der Menschwerdung den Menschen auf den Leib gerückt ist, ist das Dogma. Es ist so sehr der adäquate Ausdruck für diesen Sachverhalt, daß jede Wendung gegen das Dogma, wie sie etwa der Ketzer unternimmt, sinnvollerweise auch eine am Leibe des Ketzers vorgenommene Bestrafung im Gefolge hat.“31

Deutlich ist, dass Peterson wissenschaftsethische Grenzen überschreitet, indem er die „am Leibe des Ketzers vorgenommene Bestrafung“ als „adäquate(n) Ausdruck“ für die Unantastbarkeit des Dogmas nicht nur historisch interpretiert, sondern auch gegenwärtig einzufordern scheint. Im wissenschaftlichen Diskurs hat Peterson sich damit selbst marginalisiert, und „Scharren und Trampeln“ erscheinen als durchaus angemessene Form der Replik. Barbara Nichtweiß, die Herausgeberin der „Theologischen Traktate“, spricht, Peterson gleichsam in Schutz nehmend, in ihrer Einführung von „überzogenen Formulierungen“ und „wenigen fragwürdigen Überspitzungen“32. Aber diese Einschätzung löst den Konnex zwischen sachlicher Argumentation und polemischer Rhetorik, die in unserem Text eine unauflösliche Verbindung eingehen und gerade darin den besonderen theologischen Stil Petersons, die Physiognomie seines Textes ausmachen. Eine „konkrete Theologie“ so sagt Peterson, „rückt auf den Leib“33. Bei ihrem ersten Auftreten stellt Peterson diese umgangssprachliche Redewendung noch in Anfüh31 AS 1, 13. Für die theologischen Zeitgenossen lag gerade in dieser Provokation natürlich ein dankbar genutzter Ansatz für Anti-Polemik, siehe z. B. Gogartens Reaktion, der sein kurzes Referat der Thesen Petersons in diese Aussage Petersons einmünden lässt, um, ausgehend von dieser offenkundigen Absurdität den Gegner ironisierend zu erledigen: die Polizei werde ihn, Peterson, schon vor den Konsequenzen seiner eigenen Theologie bewahren. Siehe: Gogarten, Theologie, 243 f. 32 Nichtweiß, in: AS 1, XIII. 33 Vgl. Nichtweiß’ Beobachtung in Bezug auf Petersons zur Drucklegung bestimmte Auslegung der Apokalypse: „Peterson zieht vielfach alle Register der Rhetorik, um die prophetische Botschaft des Apokalyptikers seiner künftigen Leserschaft ganz unmittelbar ,auf den Leib rücken‘ zu lassen.“, in: AS 4, XXIX.

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rungszeichen. Später im Text fallen diese typographischen Markierungen der argumentativen Grenzüberschreitung weg und die argumentativen Reflexionsbegriffe der theologischen Sprache verdichten sich derart leibhaftig, dass sie selbst „inkarnieren“ und dem Hörer und Leser „auf den Leib rücken“. Dies ist, meine ich, keineswegs ein argumentativer lapsus, für den man Peterson heute in Schutz nehmen müsste, sondern ein Beispiel für eine Strategie rhetorischer Präsentifikation, die sich je und dann zum Angriff auf den Hörer und Leser zuspitzt, um dann wieder umstandslos in subtile Distinktionen überzugehen. Petersons Forderung einer „konkreten“ Theologie exemplifiziert sich in solchem Zugriff, der den Rezipienten selbst aus der Distanz der Reflexion in den Raum der Präsenz hineinzwingt. Für die Rezeption der Thesen Petersons im wissenschaftlichen Diskurs war dies sicherlich eine bedeutende Erschwernis. Im mainstream der evangelischen Theologie wurde Peterson totgeschwiegen, man verweigerte sich derartigen Zumutungen der Präsentifikation. Und nur, wo, wie im Falle Karl Barths, besondere persönliche und inhaltliche Affinitäten bestanden34, wo man ähnliche Angriffstendenzen im theologischen Stil pflegte, war man in der Lage sich der polemischen Präsentifikation seinerseits in kalkulierter Form auszusetzen.

3.2.2 „Zeuge der Wahrheit“ und weitere Wir kommen damit zu einem zweiten Beispiel rhetorischer Auslegung der Apokalypse. Noch in seiner Bonner Zeit hielt er zweimal eine exegetische Vorlesung über die Offenbarung: in den Jahren 1926/27 und 1929. Schon diese Auslegungen markierten das politisch-theologische Problem, das Peterson in den kommenden Jahren kontinuierlich weiter ausarbeiten und zusehends schärfer konturieren sollte: die Frage nach dem „eschatologischen, kosmischpolitischen Öffentlichkeitsbegriff in Verbindung mit dem ,Zeugnis‘ (der Martyria) der dazu berufenen Christen in der Nachfolge des ,wahren Zeugen‘ Jesus Christus selbst“35. Der pragmatische Kontext der Auslegungen Petersons veränderte sich in dieser Zeit allerdings radikal. Nicht mehr das Katheder der Bonner evangelisch-theologischen Fakultät, von dem Peterson als Theologieprofessor zu lehren hatte, war der Ort seiner Theologie. Peterson sprach in den Jahren 1934 bis 1936 in freier Vortragstätigkeit als römisch-katholischer Privatgelehrter, der gleichsam als Exilierter aus Rom zu Vortragsreisen in die deutschsprachigen Länder aufbrach. Die Texte liegen jetzt im Band 4 der Ausgewählten Schriften vor, wo neben den Apokalypse–Vorlesungen unveröffentlichte Texte und Vortragsmanuskripte zusam34 Auch im Gestus dessen, was E. Jüngel bei Barth „Provozierende Theologie“ genannt hat. Jüngel, Provozierende Theologie, 41 – 55. 35 Nichtweiß, AS 4, XXVI. Vgl. jetzt zu Begriff und Gestalt des Märtyrers bei Peterson die Arbeit von Robben.

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mengetragen sind. Die entscheidenden Gedanken sind versammelt in der noch 1937 veröffentlichen Arbeit „Zeuge der Wahrheit“, die nach dem Urteil von Frithard Scholz für Peterson so etwas wie „die Summe seiner Theologie“36 bedeutete. Die politische Rahmenbedingung für all diese Texte war nun nicht mehr die Weimarer Demokratie, sondern der totalitäre nationalsozialistische Staat, dem „Christus als König“37 oder in deutlicherer Antithese noch „Christus als Imperator“38 gegenüber gestellt wurde. So waren auch die Hörer nicht mehr ein akademisch distanziertes Publikum, dem Peterson in thetischer Verschärfung „auf den Leib zu rücken“ trachtete, sondern Angehörige katholischer Akademikerverbände, bei denen Peterson eine nach anfänglichen Sondierungen des Jahres 1933 nunmehr deutliche Distanz zum nationalsozialistischen Regime erwarten durfte39. 1934 und 1936 sprach Peterson in Heidelberg vor einem derartigen Auditorium. Peterson notierte in einem Brief an seine Frau nach Rom: „Diese katholischen Akademiker sind gut; sie müssen etwas für ihren Glauben opfern.“40 Bei solcher Hörerschaft durfte Peterson mit ganz anderem Einverständnis rechnen als im Bonner akademischen Milieu. Dem entsprechend wird die Polemik externalisiert – gegen den nationalsozialistischen Staat, und gegen „die liberale protestantische Geschichtsschreibung“41. Die Rede gewinnt identitätsstiftende Kraft für die kopräsenten Zuhörer des katholischen Binnenmilieus, und ganz charakteristisch und bedeutsam für unsere Frage nach der Kraft der Präsentifikation ist eine Erinnerung, die ein Zuhörer der Heidelberger Vorträge 24 Jahre später in einem Brief an Peterson wiedergibt42 : „Meine Frau erinnert sich noch lebhaft daran, wie sie, hingerissen von dem Schlussbild des Vortrags, ein Christkönigs-Lied anstimmte und die Hörerschaft damit spontan mitriss.“ Gemeint ist hier ein Vortrag des Jahres 1936 mit dem Titel „Der Geist des Urchristentums nach der Geheimen Offenbarung“43. Dieser Text ist nicht in den Ausgewählten Schriften publiziert, aber aus den oben genannten thematisch eng verwandten Texten können wir erschließen, worum es in dem „Schlussbild“ ging. „In den Visionen ist das eschatologische Präsentwerden Christi gleichsam vorweggenommen.“44 Und: „Wenn Apostel und Märtyrer zugleich mit dem königlichen Hohepriester priesterlich opfern, um königlich zu herrschen, dann kann es geschehen, daß das eschato36 37 38 39 40 41 42 43 44

Scholz, 145. AS 4, 127 – 138, Christus als König. AS 1, 83 – 91. Vgl. zum Zusammenhang die Einführung in den Bd. 4 der Ausgewählten Schriften Petersons: Löser, AS 4, IX-XX. Ebd., XII, Übersetzung aus dem Italienischen. AS 1, 95. Von W. Löser mitgeteilt in AS 4, XVII, Anm. 21. Ursprünglich erschienen im „Hochland“ 33 (1935/36), 1 – 10, später in „Zeuge der Wahrheit“ verwendet. Vgl. die aktualisierte Bibliographie Petersons in AS 9/2, 667. AS 4, 136, Christus als König.

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logische Präsentwerden Christi in den Gesichten der Zeugen gleichsam vorweggenommen wird und der himmlische Menschensohn in Analogie zu dem Imperator gesehen wird. Dann wird es begreiflich, daß Christus nicht nur als König der zukünftigen Welt in Hymnen gepriesen wird, sondern daß ihm auch in den Akklamationen der Kirche Majestät und Macht schon jetzt übertragen wird“45.

Hier sind wir an dem Punkt der Vorträge, wo die Akklamation, die Anrufung Christi als des Kyrios, aus dem Gegenstandsbereich theologischer Reflexion in den Vollzug hinüber gleitet – und dann konsequent von den Hörern in einem Christkönigslied aufgenommen wird. Der zuletzt genannte Text leitet dann auch auf der inhaltlich argumentativen Ebene weiter zu den privilegierten „Orten“ der Präsenz und der rhetorischen Evidenz46 : Zeugnis/Martyria und eucharistisches Mahl. Peterson setzt fort, „daß das geschichtliche und politische Weltbild dieses Äons, (…), im blutigen Krieg der Märtyrer überwunden wird, daß das eucharistische Mahl, das die Kirche feiert nicht nur ein Mysterium ist, sondern auch schon etwas von dem eschatologischen Mahl an sich hat, das der Herr bei seiner Wiederkunft mit den Seinen begehen wird (Luk. 19,30).“47

Der im engeren Sinne argumentativen Struktur dieser „Orte der Präsenz“ werden wir weiter unten zu folgen haben. Hier wollen wir nach der rhetorischen Inszenierung der Präsenz des Eschaton im Mahl fragen und versuchen diese rhetorische Inszenierung noch genauer zu verstehen. In Petersons Apokalypse–Auslegung nehmen die sinnlichen Präsenzeffekte einen bedeutenden Raum ein. Peterson bemüht sich, die innere Spannung der Visionen und Auditionen in der Auslegung zu bewahren. Zu den Bildern der Apokalypse in ihrer visuellen Dramatik bemerkt Peterson48 : „Die ganze Szene ist wirklich gesehen und nicht etwa ausgedacht.“ Zur Christus-Vision des Eingangskapitel der Apk bemerkt Peterson, dass hier nicht etwas Konstruiertes, sekundär Montiertes vor Augen liege, sondern vielmehr eine geschaute Realität: „Johannes hat in der Beschreibung VV. 13 – 15 beständig auf alttestamentliche Wendungen zurückgegriffen, aber er hat nun nicht einfach ein Mosaik von Schriftzitaten hergestellt, vielmehr steht ihm eine neue Gesamtanschauung von dem Menschensohn–Ähnlichen vor Augen, die er dann mit alttestamentlichen Wendungen zu schildern versucht.“49

Eine ähnliche Bedeutung tragen die akustischen Präsenzeffekte, die laute Stimme, die Posaunen. Peterson bemerkt: 45 46 47 48 49

AS 1, 91, Christus als Imperator. Zum erläuterungsbedürftigen Begriff der „rhetorischen Evidenz“ s. u. Kap. 3.3.2. AS 1, 91. AS 4, 97, hier zu Apk 8,5, Hervorhebung von Peterson. Ebd.

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Rhetorik der Präsenzerzeugung

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„Es ist interessant, daß das Erste, was berichtet wird, nicht auf ein Sehen, sondern auf ein Hören zurückgeht. Eine gewaltige Stimme, die wie eine Posaune tönt, wird vernehmbar, der prophetische Charakter der ,Enthüllung‘ wird darin deutlich. (…) Die Stimme tönt laut wie eine Posaune, das besagt: Die ,Worte der Prophetie‘ sind für die Öffentlichkeit bestimmt, denn eine Stimme, die laut wie eine Posaune dröhnt, gibt eine für die Öffentlichkeit bestimmte Weisung.“50

Was in den Vorlesungen zwar mit allen „Register(n) der Rhetorik“51 veranschaulicht wird, aber letztlich doch dem Duktus akademischer Rede verpflichtet bleibt, wird in den Vorträgen der 30er Jahre stärker existentiell verdichtet. Dazu bietet „Zeuge der Wahrheit“ reiches Material, aus dem hier nur zur Ergänzung des oben zum Visuellen und Akustischen Angeführten noch die haptische Präsentifikation ausgewählt werden soll. An einer Stelle seines Textes geht Peterson den Gründen nach, warum die Apokalypse in der Kirche auf weiten Strecken ihrer Geschichte ein so fremdes, dunkles, unverständliches Buch geblieben sei, „warum man sich vor der Berührung mit diesem Buch scheut.“52 Peterson flicht hier die „Erzählung eines Kindheitserlebnisses“53 ein und beschreibt das „tremendum“, das ihn als Jungen auf Großvaters Dachboden bei der Lektüre vom Auszug der apokalyptischen Reiter in Kapitel 6 der Apokalypse ergriff und ihn „voller Schrecken aus der Dachkammer“ flüchten ließ. Dies war seine, Petersons, Berührung durch das „gefährliche“ Buch, das nach Petersons Urteil je und dann auch die Kirche wieder berühren werde: „Die Berührung der Kirche mit dieser Schrift – wie mit jeweils anderen Büchern der Bibel – hat ihre von Gott gewollte Zeit und Stunde.“ Und es liegt auf der Hand, dass für Peterson die Auseinandersetzung mit dem politischen Totalitarismus in den Jahren 1934 – 1936 ein solcher Kairos der Berührung war, in den das theologische Denken einzuweisen hatte.

3.3. Rhetorik der Präsenzerzeugung Nach dieser Durchsicht durch einige Beispiele der rhetorischen Präsentifikation bei Peterson soll nun eine Interpretation dieses Materials mit Blick auf den theologischen Stil Petersons, auf seine Strategien der Präsentifikation erfolgen. In einem ersten Durchgang sollen dazu in stärker systematischem Zugriff Kategorien der Rhetorik in Anspruch genommen werden. In einem zweiten Durchgang werden wir eine umfassendere Kontextualisierung Petersons im Umfeld der 1920er Jahre anstreben. In allem soll es darum gehen, 50 51 52 53

AS 4,158. So das schon oben wiedergegebene Urteil von Nichtweiß. AS 1, 105, Zeuge der Wahrheit. Ebd.

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Petersons Begriff der „kirchlichen Öffentlichkeit“ zurück zu binden an einen spezifisch öffentlichen Charakter, einen präsentifizierenden Charakter seines theologischen Denkens. 3.3.1 Argumentation Im Terminus der „Präsentifikation“ versuchten wir namhaft zu machen, wie die Theologie das „auf den Leib rücken“ der Offenbarung in der Inkarnation weiterdenkt. Peterson schreibt: „Die Theologie ist der konkrete Vollzug dessen, daß der Logos Gottes konkret von Gott geredet hat, so daß es also konkrete Offenbarung, konkreten Glauben und konkreten Gehorsam gibt.“54

Im Kontext des akademischen Diskurses des Jahres 1925 macht Peterson dieses „auf den Leib rücken“ vor allem in polemisch zugespitzter Form deutlich, in Abgrenzung und Provokation, in einer Form, die wir mit einem Terminus von Tim Hagemann, „antipersuasive Rhetorik“55 nennen wollen. Die Vorträge der Jahre 1934/36 sind demgegenüber stärker persuasiv geformt, bewegen sich also eher im Bereich dessen, was die klassische Rhetorik reflektiert: nämlich Einverständnis beim Rezipienten herzustellen. Mit diesen Überlegungen bewegen wir uns in Betrachtung des theologischen Stils auf der Grenze zwischen dem Sachgehalt theologischer Argumentation und der rhetorischen, strategischen Formung. Allerdings steht damit der hier in Anspruch genommene Rhetorik–Begriff selbst zur Diskussion. Ein modernes Verständnis von Rhetorik, wie es exemplarisch etwa Cham Perelman vertritt, zielt nicht nur auf eine Rhetorik der Figuren ab, die auf eine „emotionale Überzeugungsherstellung“56 abzielt, sondern entwirft sich selbst als Argumentationstheorie. In dieser Linie dürfen wir also den Sachgehalt der Petersonschen Argumentation und seine im engeren Sinne rhetorisch-figurative Darstellung nicht auseinander reißen. Peterson selbst nimmt ja für seinen Theologiebegriff in Anspruch, dass er argumentativ angelegt sei. Geradezu definitorisch schreibt er : „Die Theologie ist die in Formen konkreter Argumentation sich vollziehende Fortsetzung dessen, daß sich die Logos-Offenbarung ins Dogma hinein ausgeprägt hat.“57 54 AS 1, 13. 55 Vgl. Hagemann. Das Programm der „antipersuasiven Rhetorik“ und die innere Verwendung Petersons mit Kierkegaard werden wir weiter unten behandeln. 56 Ueding, Steinbrink, 173; auch: Perelmann. 57 AS 1, 13; auch 9: „Es gibt keine Theologie, zu der es nicht wesentlich gehört, daß in ihr argumentiert wird.“ Die inhaltliche Bestimmung des Dogmas bleibt in diesem Zusammenhang vage. Peterson verweist auf das Vorgegebensein der Inkarnation, im Hintergrund steht das altkirchliche Dogma in seiner Doppelgestalt als trinitarisches und christologisches Dogma. In „Was ist Theologie?“ expliziert Peterson die formale Seite des Dogmas als Verpflichtungsgrund für verbindlichen Gehorsam.

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Was meint „Argumentation“ hier und wie verhält sich der Sachgehalt der Argumentation zu ihrer sprachlichen Formung als Argumentation, die bei Peterson die rein sachliche Ebene, in aristotelischer Terminologie: den logos, immer wieder signifikant überspringt hin auf pathos und ethos58 ? Peterson redet von „konkreter Argumentation“ und meint damit ihren Charakter als „Fortsetzung“59 – Fortsetzung nämlich des sachlichen Gefälles von der inkarnatorischen Offenbarung zum Dogma. Die Offenbarung und das Dogma argumentieren nicht, sie sind gesetzt. Argumentation bezieht sich auf dieses Gegebene als auf ihren Sachgrund, und nur indem sie diesen Sachgrund voraussetzt und zur Geltung bringt, ist sie konkret. Argumentation bezeichnet hier zumindest implizit auch einen Raum größerer Variabilität, der sich daraus ergibt, dass zumindest verschiedene Argumente gewählt werden können, bezeichnet damit zumindest die „Entscheidung“60, in der der argumentierende Theologe an der „Entscheidung“ der Kirche partizipiert, und nur in dieser institutionellen Rückbindung überhaupt Theologe ist: in einem „Amt“ und in der soziologischen Verfasstheit und Verleiblichung eines „Standes“61. Der Vollzug theologischer Arbeit ist derart immer an eine soziale Ordnung gebunden, steht selbst im Ordo der Kirche und bezieht von daher seine Autorität.62 Der Charakter der Theologie als „Argumentation“ wird von Peterson also entschieden antisubjektivistisch gefüllt. Die theologische Argumentation geht vom Gegebenen aus, das macht ihre Konkretion, Peterson

58 Vgl. zu dieser Trias von logos, pathos, ethos, von Sachgehalt, Emotion und Handlungsanweisung: Ueding, Steinbrink, ebd., 276. 59 AS 1, 13 60 Dieser quasi dezisionistische Charakter, der auch den Kirchenbegriff Petersons begründet, wird uns weiter unten zu beschäftigen haben. Hier nur folgendes Zitat: „Denn wahre Kirche ist nur da, wo beides sich findet: die Legitimität, in Rechtsnachfolge ,der Zwölfe‘, die sich unmittelbar vom Herrn herleitet, und ein Glaube, der, wie bei den ,zwölf Aposteln‘, genötigt ist, auf Grund des Heiligen Geistes selbständige Entscheidungen zu treffen. Keines dieser beiden Merkmale darf fehlen, weder die rechtliche Legitimität noch die pneumatische Freiheit. (…) Ich bin daher der Meinung, daß eine Kirche ohne apostolisches Kirchenrecht und ohne die Fähigkeit, dogmatische Entscheidungen zu fällen, überhaupt als Kirche nicht angesprochen werden kann.“, AS 1, 152, Kirche aus Juden und Heiden. 61 Dazu siehe: AS 1, 16: „Deshalb aber, weil im Dogma jeder Mensch konkret getroffen ist, deshalb gibt es nun auch die Theologie, die das Dogma in einer ganz konkreten Weise voraussetzt. In einer so leibhaftigen Weise, daß es Theologen und Theologie in Form eines Standes und theologische Wissenschaft in Form eines Faches gibt.“ 62 Perelman erläutert die argumentationstheoretische Implikation dieser hier ekklesiologisch gefassten These: „Jedes Argument setzt gedanklichen Austausch voraus, den die sozialen und politischen Institutionen befördern oder behindern können.“ Perelman, ebd., 20. Für die Kirche bedeutet dies, dass erst auf dem Boden des gemeinsam Vorausgesetzten überhaupt theologisch argumentiert werden kann. Wo dieses gemeinsame dogmatische Fundament auch innerhalb der Kirche aufgegeben wird, muss die Verständigungsbasis für die Argumentation auf anderem Wege hergestellt werden. Dies sind in der Regel ebenfalls dogmatische Voraussetzungen, nur dass sie aus einer Sphäre außerhalb des kirchlichen Dogmas gewonnen werden und in die theologische Kommunikation importiert werden.

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kann auch sagen: den „realistische(n) Charakter theologischer Erkenntnis“63, aus, und ist damit ihr Differenzkriterium von einer als „abstrakt“ aufgefassten Theologie. Diesen Vorwurf, abstrakte Theologie zu treiben, macht Peterson gegen Bultmann geltend, dessen Aufsatz „Welchen Sinn hat es von Gott zu reden?“64 Anlass der Polemik von „Was ist Theologie?“ war. Abstrakt ist im Sinne dieses Vorwurfs von Peterson eine Theologie, die sich als Dialektik entwirft und sich darin dem Konkretum der Offenbarung entzieht. Wo die Dialektik das Offenbarsein der Offenbarung durch den Selbstentzug der Offenbarung konterkariert, entschwindet ihr das Vorgegebensein der Inkarnation, damit auch das Dogma. Die Theologie erliegt der Gefahr, zum subjektiven Vollzug zu werden, dem der Anker in der Wirklichkeit verloren gegangen ist. Paradoxerweise wird Theologie im Urteil Petersons, gerade indem sie more dialectico vermeintlich die Freiheit und Ehre Gottes zur Geltung zu bringen beansprucht, zum subjektiven Geschäft. Wenn die Theologie vergisst, dass ihre Autorität abgeleitete Autorität65 ist, und auf der konkret gegebenen Autorität der Propheten und der Autorität Christi aufruht, setzt sie die subjektive Autorität des Theologen an die Stelle der vorgegebenen Autorität – und darin tritt das „menschliche Dogmatisieren“66 an die Stelle des Dogmas. Theologie lebt so einerseits von der spezifischen Gegebenheit, von der Präsenz des in Inkarnation/Offenbarung und Dogma Vorgegebenen – andererseits aber ist sie erst dadurch ermöglicht, dass Theologie in einer heilsgeschichtlichen Zwischenzeit lokalisiert wird, in der Zeit zwischen Himmelfahrt und der Wiederkunft Christi, in einer Zeit der Absenz also. Das Konkretum der Präsenz, so können wir weiterdenken, ist einerseits die spezifische Vorgabe und die Ermächtigung der Theologie. Die heilsgeschichtliche Absenz, die Erhöhung Christi zur Rechten des Vaters ist andererseits die Nötigung zur Argumentation, die von Präsenz herkommt und wieder zu Präsenz führen soll. Was im argumentierenden Gestus dieser Theologie geschieht, ist genau das, was Perelman für eine argumentationstheoretische Rhetorik den Vorgang der Präsenzerzeugung nennt. Wichtig ist in rhetorischer Analyse: die Argumentation ist vom Beweis zu unterscheiden. Der Beweis leitet eine Konklusion in formaler Korrektheit von geltenden Prämissen ab67 und versucht damit, Gewissheit zu erreichen. Ar63 AS 1, 6. 64 Bultmann, R., Welchen Sinn. 65 „Theologie gibt es nur unter der Voraussetzung der Autorität der Propheten und der Autorität Christi – mit anderen Worten, die in der Theologie sich manifestierende Autorität ist abgeleitete Autorität.“, AS 1, 11. 66 AS 1, 15. 67 Perelmann, ebd. „Was unterscheidet die Argumentation von einer formal korrekten Beweisführung? Vor allem sollen die in einer Beweisführung verwendeten Zeichen von jeder Mehrdeutigkeit freigehalten sein. Dagegen erfolgt die Argumentation in einer natürlichen Sprache, aus der die Mehrdeutigkeit nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann. Die korrekte

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gumentiert wird aber nach Perelman nur dort, wo keine Gewissheit herrscht, Argumentation rechnet mit „umstrittener Gewißheit“68 – und muss sich in diesem „Streit“ artikulieren und bewähren. Ein prominentes Mittel in diesem Streit um Gewißheit ist die Auswahl spezifischer, auf ein jeweiliges Auditorium abgestimmter Argumente aus dem Horizont des insgesamt Möglichen69. Diese spezifische Auswahl gewinnt Präsenz für ein Bewusstsein, „wirkt unmittelbar auf unser Empfinden“70, wie Perelman betont. In dieser Evokation von Präsenz verschlingen sich Rhetorik und Argumentation, Darstellungsebene und Sachebene – und eben diese nicht auflösbare Verschlingung macht Peterson zu dem Stilisten, der er ist.

3.3.2 Evidenz als Programmbegriff Auf der Sachebene zehrt die argumentative Präsentifikation in der Theologie Petersons ihrerseits von Präsenzen, die nicht erst argumentativ herzustellen sind, sondern auf die sich das Argumentieren seinerseits beziehen kann. Es gibt für Peterson so etwas wie Orte der Evidenz, an denen ein „Sich-SelbstZeigen“ der Wahrheit geschieht, die nur aufgewiesen können in einem deiktischen Vollzug71. Sie können letztlich argumentativ nicht plausibel gemacht werden, sondern nur in ihrem Charakter als Voraussetzungen aller weiteren Aussagen namhaft gemacht werden. Von ihnen zehrt selbst das Dogma und erst recht die das Dogma argumentativ weiterdenkende Theologie. Ein solcher Ort der Evidenz ist für Peterson die Martyria des Zeugen der

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Beweisführung folgt Regeln, die in formalen Systemen präzisiert sind. (…) Da das Ziel einer Argumentation nicht darin besteht, die Folgen aus bestimmten Prämissen abzuleiten, sondern die Übereinstimmung eines Publikums mit den Thesen, die man seiner Zustimmung unterbreitet hervorzurufen oder zu verstärken, verläuft sie niemals im Leeren. Sie setzt in der Tat einen geistigen Kontakt zwischen dem Redner und seinem Publikum voraus: eine Rede muss gehört, ein Buch muss gelesen werden, um etwas zu bewirken.“ Ebd.: „Eine Argumentation kann keine Gewissheit verschaffen, und gegen Gewißheit läßt sich nicht argumentieren. Wer von Gewißheit ausgeht, kann sie bei seinen Gesprächspartnern als ebenso gegeben voraussetzen: nur bei umstrittener Gewißheit kommt Argumentation ins Spiel.“ Ebd., 42: „Jede Argumentation enthält eine vorgängige Auswahl, eine Selektion der Tatsachen und Werte, ihre besondere Darstellung in einer bestimmten Sprache und mit einem Nachdruck, der der beigemessenen Bedeutung entspricht. Wahl der Elemente, Wahl einer Beschreibungsund Darstellungsart, Werturteil oder Gewichtung, all diese Elemente gelten umso begründeter als Entscheidung, je offensichtlicher eine andere Wahl, eine andere Darstellung oder ein anderes Werturteil ihnen entgegengestellt werden kann.“ Ebd., 43. Vgl. die Bemerkung von U. Hebekus mit Blick auf den Monotheismus-Traktat, wo Hebekus gerade die argumentativ entscheidenden Stellen am Ende des Traktats aus dem Gewebe der Verweise und historischen Belege herausgenommen sieht. Seine These: „An die Stelle des zitatgesättigten und quellengestützten historischen Erzählens tritt in Petersons Text hier ein lapidares, nahezu gestisches Zeigen“. Hebekus, 107.

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Wahrheit, das Blutzeugnis in besonderer Weise, als Ort, wo apokalypsis, Entbergung der Wahrheit geschieht. In der Martyria zeigen sich drei Wirklichkeiten: 1. die Wirklichkeit des Königs Jesus Christus, des erhöhten und thronenden Menschensohnes; 2. die Wirklichkeit des zum Zeugnis bestimmten Menschen, der an Leiden und Herrlichkeit Christi teilhat; und 3. die Wirklichkeit des Bösen, des Widersachers Gottes, des Antichrist, der sich in dämonischer Weise manifestiert in den Inhabern der sich totalisierenden politischen Gewalt72. Der andere privilegierte Ort der Wahrheit ist für Peterson die Feier der Liturgie, in der irdische Wirklichkeit der sichtbaren Kirche und himmlische Wirklichkeit des Gottesdienstes vor dem Thron Gottes zusammenfinden, und hier besonders der Vollzug des Sakraments, im „sakramentalen Kommen des Gottesreiches“73. Der dritte, bei Peterson allerdings bei weitem nicht so ausgeführte Ort74 ist das Liebeshandeln, die Agape der Gemeinde, in der „der öffentliche Charakter der Herrschaft Christi … transparent“75 wird. Nicht zufällig begegnet uns hier die Trias von „Leitourgia, Martyria, Diakonia“, wie sie etwa zeitgleich mit den frühen Arbeiten Petersons in der Theologie der Berneuchener formuliert wurde und von dort als Programmformel weithin wirksam wurde. Wir fragen aber an dieser Stelle zunächst weiter, wie wir diese Voraussetzungen des Vollzugs von Theologie bei Peterson verstehen können. Inwieweit geschieht an diesen „Orten“ so etwas wie „Evidenz“, also ein Sich-SelbstZeigen der Wahrheit in Konkretion? Barbara Nichtweiß hat auf die Nähe Petersons zum philosophischen Programm der Phänomenologie hingewiesen und ausführlich die persönlichen Verbindungen Petersons zu den verschiedenen Gruppen phänomenologischer Philosophen aufgezeigt76. In diesem 72 Peterson zum Ganzen besonders in: AS 1, 108 – 111, Zeuge der Wahrheit. 73 Siehe Petersons spätes Diktum aus dem Fragment des Jahres 1954/55: „Im sakramentalen Kommen des Gottesreiches ist die Möglichkeit der historischen Dialektik endgültig aufgehoben. Es ist die Aufgabe der Kirche, durch das Sakrament das Historische in das Eschatologische aufzulösen. Die Aufhebung des ,Historischen‘ ist also nicht ein Akt der Gnosis, sondern der im Sakrament sich realisierenden Menschwerdung Gottes.“, AS 2, 146, Fragmente. 74 Dass die Agape als Ort der Evidenz eine theoretische Randstellung innehat, entspricht vielleicht der von den Begriffen Carl Schmitts dominierten Sichtweise Petersons: die Agonalität, der politisch-theologische Begriff der „Feindschaft“ steht im Fokus des Interesses. Schmitts Ontologisierung der „Feindschaft“ zum Grundbegriff des Politischen steht hier im Hintergrund und wird von Peterson in einer bestimmten politisch-theologischen Lesart der Apokalyptik angeeignet. Dem wird in der Analyse des politisch-theologischen Problems nachzugehen sein. Einstweilen sei hier nur mit K.M. Kodalle dies markiert: „eine politische Theorie der Freundschaft als Strategie des befriedeten (nicht erledigten!) Antagonismus wäre dann das Desiderat jeglicher Theorie, die das politische Phänomen der Feindschaft radikal reflexiv durchdringen will.“ Kodalle, Politik als Macht und Mythos, 32 f. 75 In der Auslegung der Offenbarung, AS 4, 166. 76 Nichtweiß, 340 – 382.

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Kontext könnte der Evidenzbegriff als philosophischer Programmbegriff gelesen werden. Das ist jedoch bei Peterson nicht in ausgeführter Weise der Fall. Wir wissen, dass er die phänomenologische Einstellung und das phänomenologische Methodenrepertoire dankbar angenommen und aufgegriffen hat als eine philosophische Ermöglichung, von der Offenbarung realistisch zu denken und zu reden, als Ermöglichung einer erneuerten Metaphysik. In diesem Sinne hat Peterson sich auch in seinem Nachruf auf Scheler geäußert77. Peterson würdigt Scheler als denjenigen, der „in seiner Generation“ „am stärksten das religiöse Bewußtsein der Epoche geweckt“ habe78 und nennt als Zeitgenossen dieser Epoche die liberalen Leitgestalten Rathenau, Troeltsch, Weber, Sombart. Scheler habe auf diese Weise gewirkt, indem er „mit Hilfe der Phänomenologie Werte ,wieder entdeckte‘, die der bürgerliche Liberalismus des 19. Jahrhunderts überwunden zu haben glaubte“ (ebd.). Darin liege einerseits, „zugespitzt ausgedrückt“ ein „angewandter Historismus“ (ebd.), der dem Denken der bürgerlichen Epoche zutiefst verpflichtet geblieben sei, andererseits jedoch das Gespür des genuinen Metaphysikers für „geistige Tatbestände“ (ebd.) jenseits der liberalen Kategorien. Ohne die „eigentlich christlichen und katholischen (die dogmatischen) Wahrheiten“ erreichen zu können, habe Scheler „für viele auch den Anstoß für die Rückkehr zum katholischen Glauben gegeben“ (ebd.). Peterson wendet diese Würdigung dann sofort zu einer Polemik gegen die evangelische Theologie seiner Zeit: „Die evangelische Theologie der Gegenwart hat die Phänomenologie als krypto-katholische Philosophie abgelehnt. Bestimmend dafür ist nicht nur die Entwicklung der Theologie gewesen, die von Ritschl bis Gogarten, in ermüdend simplifizierender Weise die Verbindung jeglicher Metaphysik mit der Theologie bekämpfte, sondern mehr noch die Auflösung alles Substantiellen in die reine Aktualität, sei es im Kirchen- sei es im Sakraments-Begriff, womit in praxi die Kirche doch nur an die Innere Mission und das Sakrament an die aktuelle Diskussion ausgeliefert wurde.“ (ebd.) Höchst bezeichnend und aufschlussreich sind diese Antithesen, die Peterson hier gebraucht: Substantielles–Aktualität, Kirche–Innere Mission, Sakrament–Diskussion. Er stellt gegeneinander das ontologisch formulierte eigentlich und bleibend Realitätshaltige und das durch bloß subjektive Vollzüge je und dann zu Realisierende; die Kirche in ihrem gestifteten Vorgegeben-Sein gegen die durch „Innere Mission“ allererst „herzustellende“ Kirche, wie es einem aktivistischen Zeitalter entspreche – und: das Sakrament als objektiv gegebene Größe gegen die Diskussion, die als Zentralritual der Demokratie diesen Raum des Entschiedenseins gar nicht erreiche. Gerade in der letzten Antithese merken wir wiederum deutlich den Einfluss von Carl Schmitt, und stellen fest, wie sich die Grundbegriffe bis in Petersons letzte Lebensjahre durchhalten. Dort begegnet uns immer noch und wieder diese Antithese von Sakrament und „historischer Dialektik“79. 77 Peterson, E., Zum Gedächtnis von Max Scheler, jetzt auch in AS 9/1, 559 – 561. 78 AS 9/1, 560. 79 Vgl. das Fragment V in AS 2, 146.

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Dass Peterson die Intentionen der Phänomenologie zumindest Husserls verschiebt, ist sehr deutlich. Der emphatisch auch von Peterson aufgenommene Grundzug der Phänomenologie, das „zu den Sachen selbst“, war ja im phänomenologischen Programm Husserls gleichzeitig und in erster Linie die Frage nach den „originären Gegebenheitsweisen“ der Gegenstände im Bewusstsein und Husserls Arbeit galt in seinen subtilen „Konstitutionsanalysen“ weithin der transzendentalen Fragestellung nach der Konstitution von Gegenständlichkeit und letztlich der Konstitution des „Universalhorizonts ,Welt‘“, innerhalb dessen die Gegenständlichkeit aller Einzelgegenstände erst zustande kommt. An diesen Fragestellungen und ihren Fortentwicklungen hat sich der Schülerkreis Husserls schon früh getrennt und viele dieser Schüler wollten Husserls transzendentaler Wendung der Phänomenologie nach dem Ersten Weltkrieg nicht folgen. Allerdings urteilt Klaus Held: „Auch die Phänomenologie zehrt in ihrem Sinngehalt vom ursprünglichen ,leibhaften‘ Erscheinen dessen, worüber sie Aussagen macht.“80. Die phänomenologische Sehweise lebt ja „von der Korrelation von objektivem Gegenstand und originärer subjektiver Gegebenheitsweise“ (ebd. 16), von einem ursprünglichen Zueinander von Noema und Noesis, wobei gerade im Begriff der Originarität eine normative Implikation steckt. Jeder Erkenntnisgegenstand ist in der Haltung natürlichen Erkennens zunächst nur in Abschattungen, perspektivisch, gegeben und der Erkenntnisakt strebt dahin, des Gegenstandes in seiner Fülle ansichtig zu werden, die vorschnelle Perspektivität also zu verlassen und den Gegenstand in seiner „originären Gegebenheit“ im Raum seiner Verweisungen und Ermöglichungen zu sehen. Evidenz liegt dann vor, wenn durch Rückschritt hinter den Alltagsverstand in eidetischer Reduktion die Originarität der Gegebenheitsweise eines Gegenstandes erreicht ist. Held urteilt: „Evidenz wird so zum Leitbild philosophischer Erkenntnis, aber deswegen, weil solche Erkenntnis selbst unter dem Gesetz der Angewiesenheit und Verwiesenheit jeglichen Erlebens auf Originarität steht. Das Erscheinen der Welt in Gegebenheitsweisen ist in diesem Sinne auf Evidenz gegründet.“ (ebd.) Evidenz ist in diesem Sinne auf ein Sich-Zeigen im Raum angewiesen und bleibt an Wahrnehmung gebunden und jegliche Deskription kann nur von einer originär gegebenen Anschauung ausgehen, um den Erkenntnisgegenstand in der Fülle und Dichte seiner Gegebenheit einsichtig zu machen. Damit wird der phänomenologischen Sehweise freilich ein beträchtliches Gewicht aufgeladen. Hans Blumenberg weist darauf hin, wie Husserl selbst von „intentionalen Unendlichkeiten“ sprach, die sich daraus ergeben, dass jede Gegebenheitsweise eines Dinges „uns in Unendlichkeiten der Erfahrung hineinzieht, daß jede noch so weitgespannte Erfahrungsmannigfaltigkeit noch nähere und neue Dingbestimmungen offenläßt; und so in infinitum“81. Blumenberg fragt, ob Evidenz als Leitbild von Erkenntnis in diesem Sinne überhaupt sinnvollerweise Gegenstand theoretischer Bemühung sein 80 Held, 17 81 Zit. nach Blumenberg, Lebenswelt, 40.

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kann: Die „Idee einer überall endgültig erreichbaren Evidenz hat sich in eine komplizierte Pluralität von Evidenzen aufgespalten, und von der adäquaten Evidenz bleibt offen, ob sie nicht prinzipiell im Unendlichen liegt‘“. (ebd., 41) Husserl schreibt im Jahr 1929 in Auseinandersetzung mit dem Psychologismus zur Evidenz: „Evidenz bezeichnet (…) die intentionale Leistung der Selbstgebung. Genauer gesprochen ist sie die allgemeine ausgezeichnete Gestalt der ,Intentionalität‘, des ,Bewußtseins von etwas‘, in der das in ihr bewußte Gegenständliche in der Weise des Selbsterfaßten, Selbstgesehenen, des bewußtseinsmäßigen Bei-ihm-selbst-Seins bewußt ist.“82

Der Begriff der Evidenz ist allerdings noch von einer anderen Seite her theoriegeschichtlich bedeutsam und bietet sich von daher an für eine Analyse der Präsentifikationsstrategien Petersons. Von Hause aus ist der Begriff der „Evidenz“ ein rhetorischer Begriff und bezeichnet hier alle rednerischen Verfahren, die den Redegegenstand hinsichtlich Phantasie und Affekt steigern83 und ihn damit vor Augen stellen, allerdings: „Augenscheinlichkeit wird fingiert, wo Augenschein real gerade fehlt.“84. Der Zusammenhang dieser rhetorischen Evidenz mit dem phänomenologischen Begriff der Evidenz ist, worauf Hans Blumenberg hingewiesen hat, durchaus eindrücklich. Erkenntnis ist auf das Sich-Selbst-Geben des Erkenntnisgegenstandes aus, darauf, dass er in seiner Gegenständlichkeit unverstellt aufleuchtet – darin liege Evidenz. Evidenz in diesem Sinne bleibt aber unendliche Aufgabe, von der fraglich bleibt, ob sie für irgendeinen Erkenntnisgegenstand jemals erreicht sei. Und an diese Stelle, im Zwischenraum und in der Zwischenzeit85, tritt, so Blumenberg die Rhetorik ein: „Rhetorik schafft Institutionen, wo Evidenzen fehlen.“86 Und: „Alles, was diesseits der Evidenz übrig bleibt, ist Rhetorik.“87 Wissenschaft kann den Mangel an Evidenz verkraften und sich mit dem Vorläufigen als Zwischenstufe im Progress wachsender Gewissheit abfinden. Die Praxis des Menschen in der Polis kann das nicht: „Der entscheidende Unterschied besteht in der Dimension der Zeit; Wissenschaft kann warten oder steht unter der Konvention es zu können, während Rhetorik den 82 Husserl, 236. 83 Kemmann, vgl., Rapp, 133: „In der Figur der ,Evidenz‘ sind all diejenigen sprachlichen Figuren versammelt, die der Redner einsetzen konnte, um die Repräsentationsfunktion des Zeichens mit Hilfe eines zusätzlichen (kompensatorischen) energetischen Potentials semiotisch zu stabilisieren und zu verstärken. (…) Die sprachlichen Evidenz-Figuren dynamisieren das zeichentheoretische Problem der Repräsentation einer res, indem sie dazu parallel die Perspektive auf die gesteigerte Präsenz des Zeichens (und damit seiner energetischen Möglichkeiten) lenken.“ 84 Kemmann, ebd., 39. 85 Dieses „Zwischen“-Sein teilt die rhetorische Evidenz strukturell mit dem Begriff des Dogmas bei Peterson: das Dogma hat seinen Ort vor der endgültigen und abschließenden Evidenz der eschatologischen Apokalypsis des Christus. In der Zwischenzeit zwischen Himmelfahrt und Parusie ist die Kirche Institution sakramentaler und dogmatischer „Evidenz“. 86 Blumenberg, Annäherung, 110. 87 Ebd., 111.

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Handlungszwang des Mängelwesens als konstitutives Situationselement voraussetzt – wenn sie nicht mehr ornatus einer Wahrheit sein kann.“88

In ähnlicher Weise bemerken wir in Petersons theologischem Stil Elemente rhetorischer Plausibilitätssteigerung, eine argumentative Präsentifikation des Erkenntnis-„gegenstandes“ der Theologie unter den Bedingungen seiner heilsgeschichtlichen Absenz: Christus ist abwesend, erhöht zur Rechten des Vaters. Er ist präsent in den sakramentalen Zeichen und delegiert seine herrscherliche potestas an die Kirche, die ermächtigt ist zur dogmatischen Entscheidung89. Dieser rhetorische Anteil der Theologie wird in dem Maße bedeutsamer bei Peterson, als er eingezeichnet ist in eine sich durchhaltende polemische Konstellation.

3.4 Kierkegaard und die Methode der „indirekten Mitteilung“ 3.4.1 Antipersuasive Rhetorik Gerade diese polemische Konstellation macht die Besonderheit der theologischen Rhetorik Petersons aus: sie ist keine Rhetorik der Überredung, keine strategische Kommunikation, die darauf ausgerichtet ist, Schwellen der Zustimmung niedrig zu halten, um so Einverständnis zu ermöglichen. Sie trägt vielmehr im Gegenteil ihre abweisende, ihre provozierende Außenseite zur Schau – dies aber als bewusste Formung, eben nicht als Rhetorik der Überredung, sondern als „antipersuasive Rhetorik“90, als nicht-überredende Rhetorik. Den Begriff der „antipersuasiven Rhetorik“ prägte Tim Hagemann im Blick auf Kierkegaard und dessen Projekt der „indirekten Mitteilung“ des Glaubens. Kierkegaard nun war für Peterson ein entscheidender Orientierungspunkt. Auch in dieser rhetorischen Formung seines Denkens und Schreibens hat Peterson von Kierkegaard gelernt. Barbara Nichtweiss widmet den thematischen Details dieser Verbindungslinie von Kierkegaard zu Peterson eine eingehende Untersuchung, die uns in ihren Einzelheiten an dieser Stelle nicht zu beschäftigen braucht.91 Wir wollen vielmehr der Spur der „antipersuasiven Rhetorik“ von Kierkegaard her in das Werk Petersons hinein nachgehen. Peterson selbst spricht in seiner Eintragung in das Bonner „Album profes88 Ebd., 113. 89 Peterson spricht in der Vorlesung zur Offenbarung vom „innere(n) Zusammenhang zwischen Eschatologie einerseits und Sakrament und Charisma andererseits“, AS 4, 14. 90 Vgl. Hagemann. 91 Vgl. Nichtweiß, 99 – 122.

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Kierkegaard und die „indirekte Mitteilung“

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sorum“ von 1924 von Kierkegaard als seinem „geistigen Mentor“92. Fast ein Vierteljahrhundert nach diesem Eintrag gibt Peterson in dem kleinen Aufsatz „Kierkegaard und der Protestantismus“93 erneut Rechenschaft über die Bedeutung Kierkegaards für seinen Weg. Hatte Peterson in „Was ist Theologie?“ im Jahre 1925 die sich auf Kierkegaard berufende Dialektik der „Dialektischen Theologie“ für den Raum der Theologie abgelehnt als eine Redeweise, die sich der Konkretion entziehen zu können meine und sich dem Ernst der ein für allemal geschehenen Offenbarung nicht stelle, so greift er 1947 die Methode der „indirekten Mitteilung“ positiv würdigend auf – diesmal in einer anderen polemischen Frontstellung. Die Begriffe Kierkegaards seien positiviert und zu einem philosophischen und theologischen „Existentialismus“ trivialisiert worden, sie seien von einer „indirekten Mitteilung“ zu einer „direkten Mitteilung“94 geworden. Im Eingangsteil des Aufsatzes wird so dem Dialektiker der „indirekten Mitteilung“ Reverenz gewährt, während im weiteren Verlauf des Gedankenganges Kierkegaard als Gewährsmann für „Realität“ im emphatischen Sinne des Wortes in Anspruch genommen wird, als Bürge gegen den „Nominalismus der orthodoxen lutherischen Theologie“95. „Realität“ im strengsten Sinne liegt für den von Peterson ausgelegten Kierkegaard in der Existenz des Einzelnen im „Ausnahmezustand“, im konkreten Ruf Christi aus dem „Allgemeinen“ heraus und hinein in die Gleichzeitigkeit mit Christus – letztlich in der personalen Verwirklichungsgestalt der Nachfolge Christi im „Heiligen“ und im Märtyrer96. Scheint diese Gedankenverbindung in ihrer Verknüpfung von „indirekter Mitteilung“ und emphatischer Inanspruchnahme von „Realität“ zunächst in sich widersprüchlich und scheint sie auch früheren Ausführungen Petersons zu widersprechen, so erklärt sich doch gerade von der „indirekten Mitteilung“ und der ihr entsprechenden „antipersuasiven Rhetorik“ her, was gemeint ist. Hagemann zeigt in seiner Untersuchung über Kierkegaards Rhetorik, wie die „indirekte Mitteilung“ bei Kierkegaard in einer zweifachen Gestalt begegnet: Zum einen als „Doppelreflexion“97, in welcher der „Mitteiler“ verschwindet hinter der bewusst zwei- oder mehrdeutigen Mitteilung98. Zum anderen als „dialektische Reduplikation“, in welcher in einem letztlich christologischen 92 93 94 95 96 97

Nichtweiss, 99. Zum Zusammenhang der Fragestellung jetzt: Bartels, 315 – 341. AS 2, 56 – 62. Ebd., 56. Ebd., 57. Ebd., 59. Hagemann, 44 f. Zur „indirekten Mitteilung“ bei Kierkegaard als Auftrag an die Theologie immer noch grundlegend: Diem, Hinterlassenschaft. 98 Kierkegaard, zit. nach Hagemann, 44: „Die Kunst besteht dann gerade darin, sich selbst, den Mitteiler, zu einem Niemand, rein objektiv, zu machen, und dann unablässig qualitative Gegensätze in Einheit zu setzen. Das ist es, was einige Pseudonyme die Doppelreflexion der Mitteilung zu nennen pflegen.“

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Denkmodell der Mitteiler die Gestalt gewordene Mitteilung in persona ist – ohne sich hinter positivierter, vergegenständlichter „Wahrheit“ verschanzen zu können99. Damit wird aber der „Mitteiler“ erst zur „indirekten Mitteilung“, die ihrerseits in eine personale Verwirklichung hineinruft und nicht auf den „Mitteiler“ bezogen bleibt. Hagemann fasst zusammen: „Das Ziel der dargestellten Methoden ist es, die Mitteilung einer oberflächlichen Aneignung zu entziehen: Sie dürfen jedoch nicht zur totalen Verhüllung des Mitzuteilenden führen, sonst handelt es sich weder um direkte noch um indirekte Mitteilung, weil gar keine Mitteilung stattfindet.“100

Hinter der verwehrten Möglichkeit einer oberflächlichen Aneignung scheint nun aber die Verpflichtung zur eigentlichen, zur authentischen Mitteilung auf, zur Existenzmitteilung, die nicht auf handhabbare, objektivierte Wahrheit aus ist, sondern sich in existentieller Gleichgestaltung realisiert. Dem entspricht nun die „antipersuasive Rhetorik“ der indirekten Mitteilung. Kierkegaards rhetorischer Grundgedanke ist, nach Hagemann, „die Suspension der Überzeugungsabsicht des christlichen Redners“101, die sich im Vollzug der christlichen Beredsamkeit darin zeigt, dass der Redner darauf verzichtet eine deutliche Handlungsaufforderung, eine conclusio an den rhetorisch ja herausgehobenen Schluss seiner Rede zu stellen – auf der Ebene der rhetorischen Präsentifikationsstrategien: indem der Redner auf eine Affektsteigerung in der peroratio verzichtet.

3.4.2 Die „indirekte Mitteilung“ bei Peterson So weit zu Kierkegaards Methode der „indirekten Mitteilung“. Wir fragen nun: Können wir in Petersons Texten eine solche Methode der „indirekten Mitteilung“ im Sinne Kierkegaards beobachten? Wenn wir diese Frage zu beantworten suchen, müssen wir zunächst noch einmal den Unterschied der Textgenera und des pragmatischen Kontextes der Texte Kierkegaards einerseits und Petersons andererseits festhalten. Peterson sah sich nicht als „religiöser Schriftsteller“. Diese Selbstbeschreibung lehnte er ja, wie mehrfach betont, geradezu wütend ab. Er war Theologe von „Stand“ und wollte reden mit der Autorität des theologischen Lehrers – obzwar vor seiner Konversion einer Kirche angehörend, die seinem Urteil nach diese Autorität aufgrund ihrer unklaren dogmatischen Basis beständig desavouierte. Kierkegaard fand seine Rolle als religiöser Schriftsteller102 gerade im Zusammenhang mit dem 99 Kierkegaard, zit. nach Hagemann, 49: „Alle Mitteilung betreffs dessen zu existieren verlangt einen Mitteiler; der Mitteiler ist nämlich die Reduplikation der Mitteilung, zu existieren in dem, was man versteht, heißt zu reduplizieren.“ 100 Hagemann, 50. 101 Ebd., 75.

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Problem der Existenzmitteilung, die nicht durch direkte Mitteilung einer Wahrheit, sondern nur durch personale Aneignung, durch den Sprung in die Gleichzeitigkeit mit Christus, gelingen könne. Diese Intention weist der Theologe Peterson zunächst ab. Er ist ja, indem er dogmatisch redet, in scheinbar schneidender Weise undialektisch-direkt in seiner Mitteilung. Das Dogma ist Index der Abwesenheit und verweist auf die Orte der Anwesenheit, der Selbstpräsentifikation Gottes. Der Sinn des Dogmas ist nicht Existenzmitteilung durch zustimmende Anerkenntnis einer objektivierten Wahrheit. Der Sinn des Dogmas liegt nach Peterson in der Verlängerung der Inkarnation in den Raum der Kirche hinein. Dort erst, im Raum der Kirche, gibt es die Praxis, in der so etwas wie „Aneignung“ möglich ist: in der Liturgie und in der Nachfolge Christi bis hin zum Martyrium. In dieser Sichtweise ist das Dogma also „indirekte Mitteilung“. Es führt an den Ort, wo Apokalypsis geschieht, Offenbarung des erhöhten Menschensohnes in Liturgie und Martyrium. Darin nun kommen beide Aspekte der „indirekten Mitteilung“ zu ihrem Recht. Als „Doppelreflexion“, in welcher der Mitteiler hinter seiner Mitteilung ganz verschwindet und in seiner Subjektivität belanglos wird. Und als „dialektische Reduplikation“, in der der Adressat der Mitteilung hinein gezogen wird in eine personal vollzogene Aneignung der Mitteilung, in die Gleichzeitigkeit mit Christus. In dieser Weise bestimmt das Programm der „antipersuasiven Rhetorik“ Petersons Texte auf formaler wie auf inhaltlicher Ebene, auf der Ebene der Textrhetorik, wie auf der Ebene des Sachgehalts. Hagemann weist darauf hin, dass in Kierkegaards Begriff der indirekten Mitteilung „elenktische“ und „maieutische“ Bedeutungsaspekte ineinander liegen. Destruktion von existentieller Fehlhaltung und die Hinführung zur personalen Aneignung sind miteinander verknüpft. Eben diese Bedeutungsaspekte finden wir in Petersons Texten wieder : in ihrer intensiven Polemik einerseits und in ihrer Einweisung in die Vollzüge der Selbstpräsentifikation Gottes. An dieser Stelle ist auch Stellung zu nehmen zu der Frage, ob Peterson sich selbst über diese formalen und inhaltlichen Berührungen mit Kierkegaard hinaus als „anderer Kierkegaard“ gesehen habe, ja gar selbst in Konsequenz der Kierkegaardschen Polemik als „Zeuge der Wahrheit“. Dass dies die Selbsteinschätzung Petersons gewesen sei, war die These von Frithard Scholz aus dem Jahre 1978: „Peterson verfolgt den Weg Kierkegaards, und zwar auch dort, wo dieser ihn gar nicht vorausgegangen ist; er verläßt eine zur religiösen Schriftstellerei verkommene

102 Hagemann weist darauf hin, dass dies in gleicher Weise für das pseudonyme Werk wie für das nicht-pseudonyme „erbauliche“ Werk Kierkegaard gelte, so dass nicht etwa die indirekte Mitteilung auf das pseudonyme Werk zu beschränken sei, während das erbauliche Werk der Reden und Predigten nun als direkte Mitteilung gelten könne. Ebd., 57 ff.

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,Theologie‘ und wird zu einem Theologen des Dogmas; so wird er, indem er dies tut, zu einem Zeugen der Wahrheit.“103

Neben den durchaus aufschlussreichen biographischen Parallelen sieht Scholz vor allem eine verwandelnde Aneignung der Grundbegriffe Kierkegaards bei Peterson, die im Vollzug der Konversion Peterson zu ihrem Ziel komme. Scholz nennt die Begriffe Gleichzeitigkeit, Augenblick, Ernst. Jeder dieser Begriffe sei für Peterson zu einem Schlüsselbegriff seines Werkes geworden, und zwar derart, dass Peterson „Kierkegaards Begriffe durch Thomas treibt“104, Kierkegaards Philosophie der existentiellen Subjektivität also in den objektiven Ordnungsrahmen der „Seinsmetaphysik vorneuzeitlicher Schulmetaphysik“105 hineinstellt. Petersons Anspruch sei dabei, dass allein so die unverbindliche Rede des religiösen Schriftstellers konkret werde: „Leibhaftigkeit der Offenbarung Gottes und ihre fortdauernde Präsenz in Kirche, Dogma und Sakrament ist also das fundamentum in re von Petersons Programm konkreter Theologie.“106 Konkrete Theologie ist also in der Interpretation Scholz’ leibhafte, in den Ordnungen des Seins gegründete Theologie, die ihre soziale Verortung im Leib Christi, in der Kirche, findet: die Hochschätzung der mystischen Theologie und die Kritik der Totalisierung des Politischen entsprechen einander in der Zuordnung zu dieser spezifischen Leibhaftigkeit. An dieser Leibhaftigkeit bricht sich auch jeder Versuch den Anspruch der Herrschaft Christi und der Herren dieser, nämlich der politischen, Welt versöhnend miteinander zu vermitteln. Es bleibt für Peterson nur ein schroffes Entweder-Oder, wie es Kierkegaard so programmatisch formulierte, ohne es doch in der konkreten Leibhaftigkeit der Kirche finden zu können. Scholz resümiert: „Ihren Grund und ihre schärfste Zuspitzung hat diese exklusive Alternative in dem eigentümlichen Verhältnis von Differenz und Konkurrenz, das zwischen Kirche und politischer Ordnung besteht.“107 Der Wahrheitsanspruch der Kirche kann der politischen Macht gegenüber nur im Leiden vertreten werden, das letztlich, in kreuzestheologische und eschatologische Kategorien gefasst, ein Gleichgestaltetwerden mit Christus ist. Und in eben diesem Ernst, in dieser Gleichzeitigkeit mit Christus im Leiden weise sich der „Zeuge der Wahrheit“ aus. Bemerkenswert ist, wie Peterson Figuren der Diskontinuität und der Kontinuität miteinander vermittelt: die schroffen Antithesen von historischer Dialektik und sie überbietender sakramentaler Präsenz, von Christus und Cäsar einerseits und andererseits die Hochschätzung der Seinsordnung und seine Absicht „die Heilsordnung und die ontologische Ordnung zu verknüpfen“, von der Peterson in einem Brief des 103 104 105 106 107

Scholz, 122. Ebd., 139. Ebd. Ebd., 140. Ebd., 144.

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Jahres 1936 an Jacques Maritain schreibt108. Sakrament und Martyrium sind einerseits das Diskontinuierliche, das die Plausibilitätszusammenhänge dieser Welt zerbricht, sie sind andererseits eingezeichnet in ein ontologisches Kontinuum der Seinsstufen, in dem sich Leiblichkeit und Leibhaftigkeit durchhalten. Patristisch inspirierter Platonismus und eine durch Kierkegaard vermittelte spezifische Modernität des „Plötzlichen“ des „Diskontinuierlichen“ durchdringen einander. Karl Heinz Bohrer hat darauf aufmerksam gemacht, wie die Ästhetik der Romantik dieses Moment des Diskontinuierlichen thematisiert hatte, das dann in der ästhetischen Avantgarde des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts zum Signum der autonomen Kunst der Moderne geworden sei. In die Vorgeschichte dieser ästhetischen Moderne ordnet Bohrer auch Kierkegaard ein109. Auf diese Zusammenhänge wird zurückzukommen sein bei einer Analyse des Geschichtsverständnisses von Peterson, die sich auch seiner Kritik der Romantik zuwenden wird und dabei vielfach die Nähe zu Carl Schmitt finden wird.110 In ähnlicher Weise nimmt die neuere französische Phänomenologie etwa bei Jean-Luc Marion die Kategorien des Plötzlichen und des Diskontinuierlichen auf, um von der ästhetischen Erfahrung her Metaphysik zu ermöglichen.

Die Zusammenhänge, die Scholz aufweist, sind zweifelsohne zentral für das Verständnis Petersons. Im Ganzen gesehen hat aber Nichtweiß doch recht, wenn sie auf die kategoriale Differenz hinweist, die für Peterson zwischen dem „Stand“ des Theologen und dem Charisma des Märtyrers liegt111. Bezogen auf unseren Begriff der Öffentlichkeit müssen wir diese gleiche Differenz namhaft machen: die eigentlich eschatologische Öffentlichkeit erreicht der Märtyrer, in dessen Martyrium die Öffentlichkeit Christi offenbart wird, Apokalypsis geschieht. „Zeuge der Wahrheit“ in diesem gefüllten Sinne ist der Theologe von Stand nicht. Sein Amt ist es, vom Dogma ausgehend im Raum der Kirche argumentierend auf Martyrium und Liturgie zu weisen, so dass im Modus begrifflicher, argumentierender Rede „konkrete Autorität und konkreter Gehorsam laut werden“112. 3.4.3 Textrhetorik Struktur bildend und für Petersons Theologie von bleibender Bedeutung auch in späteren Lebensphasen blieb Petersons Gegenüber zur neuprotestantischen Theologie der Generation seiner akademischen Lehrer. Ihr warf er vor, nur intellektualistische Verdünnung der eigentlichen leibhaften Präsenzen zu sein, 108 AS 4, 255. 109 Vgl. Bohrer, Kritik, dort besonders der Kierkegaard-Abschnitt: Kierkegaards Analyse des ästhetischen Bewußtseins, 72 ff. 110 Dazu auch Bohrer, Ebd., 284 ff. 111 Nichtweiß, 193 – 198, wobei für Peterson auch gilt: „Theologia ist ein Charisma.“ (in einem Brief an Anselm Stolz, Nichtweiß, 199, Anm. 264), aber ein in Art und Rang vom Martyrium unterschiedenes Charisma. 112 AS 1, 6, Was ist Theologie?

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letztlich nur von der deutenden Leistung der religiösen Subjektivität zu leben. Vor dieser polemischen Folie sieht sich Peterson veranlasst, seinen Texten diese besondere Dichte der Präsentifikation mitzugeben. Peterson gestaltete bewusst die Textrhetorik und arbeitete nach den vorliegenden Zeugnissen als akademischer Lehrer nicht mit der Körperpräsenz des Redners. Mehrere Hörer seiner akademischen Vorlesungen betonen ausdrücklich Petersons faden Vortragsstil. Auch Petersons streng ausgearbeitete Vorlesungsmanuskripte zeigen einen Redner, der im Wesentlichen fertige Texte vom Blatt ablas113. Selbst in der ausgedünnten Präsenzform des Textmediums aber bewahren die Texte Petersons ihre überraschenden Zugriffe, die sich den Evidenzstrategien verdanken, die neben der im engeren Sinne argumentativen Rationalität auch noch emotionale und imaginative Faktoren in den Vollzug theologischen Denkens einspeisen. Bleiben die Texte dabei theologische Wissenschaft im Sinne akzeptierter und rechenschaftsfähiger formaler und materialer Standards oder brechen sie aus der Eigenlogik des Mediums „theologischer Text“ aus? Von den Zeitgenossen wurde das sehr unterschiedlich wahrgenommen. Deutlich war dabei, dass Peterson die historisch-kritischen methodischen Standards, wie sie aus der liberalen Theologie heraus formuliert waren, grundsätzlich nicht teilte, obschon er gerade als Historiker brillant und innovativ arbeitete und das philologische Rüstzeug des Exegeten meisterhaft beherrschte, wie auch in der Rezension seiner im engeren Sinne historischen Arbeiten allgemein anerkannt wurde. Petersons dezisionistischer Sprung in eine objektive Metaphysik und ein hierauf beruhendes Verständnis des Dogmas waren aber Quelle von Irritationen in der evangelischen Theologenzunft, und zwar so sehr, dass man Petersons dogmatische Ansätze und Aufsätze ignorierte oder ironisierte. Allerdings: Ich meine, dass das betont antiexistentielle, objektivistische Pathos Petersons sehr existentiell gelesen werden muss. Indiz dafür ist eben der Aufwand an präsentifizierender Rhetorik, den Peterson treiben muss, um seine metaphyisch-dogmatische Konstruktion zu plausibilisieren. Ihr fehlt das „Entspannte“, gleichsam wissenschaftstheoretisch Selbstverständliche, des klassisch-metaphysischen Theologietypus. Ich möchte in dieser polemischen Verflechtung Petersons in die theologische Diskurskultur seiner Zeit die der Theologieform Petersons eigene Gestalt von

113 Moderne Rhetorik betont auch die besonderen Bedingungen textueller Kommunikation, wo der Körper zur Präsenzerzeugung ausfällt, vgl. Knape, 104 f.: „Der Orator muss bei der Textarbeit, sei es im verbalen oder im nonverbalen Bereich, ganz besondere Kompetenzen entwickeln, um der medialen Präsenzentfremdung Herr zu werden. Seine ganze persuasive Kraft muss sich auf die Strukturierung von Text verlagern. (…) Aus der korporalen Präsenz muss eine intellektuelle Präsenz im Text werden. (…) Freilich bedarf es großer Vertextungskompetenz, um diese Art rhetorischer Suggestibilität ausschließlich auf Textebene zu erzeugen und die persuasive Inszenierung ganz in den Text zu verlegen.“

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Peterson im Kontext der 1920er Jahre

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Intertextualität sehen, aus der sich diese spezifische Form der energetischen „Aufladung“114 ergeben kann, die Petersons Texte auszeichnet.

3.5 Peterson im Kontext der 1920er Jahre Wenn wir Peterson derart von seinen Präsentifaktionsstrategien her verstehen wollen, begeben wir uns auf ein theoretisches Feld, das gegenwärtig neu vermessen und erschlossen wird – und zwar in erster Linie von literaturwissenschaftlicher Seite aus. Wir wollen zwei für unsere Interpretation wesentliche Ansätze heranziehen: in einem ersten Durchgang die Überlegungen von Hans-Ulrich Gumbrecht zu einem „Diesseits der Hermeneutik“115. In einem zweiten Durchgang Helmut Lethens Interpretation der „Neuen Sachlichkeit“ der 1920er Jahre als “Verhaltenslehren der Kälte“116.

3.5.1 H.U. Gumbrecht „Diesseits der Hermeneutik“ Gumbrecht analysiert in „Diesseits der Hermeneutik“ die gegenwärtige Suche nach einer vor aller Interpretation liegenden Erfahrung von Präsenz, die in Leiblichkeit und Sinnenhaftigkeit gegründet ist. Es geht ihm dabei um das nicht sprachlich und interpretativ vermittelte Aufscheinen von Präsenz, das allen Akten der Interpretation voraus liege, auf das sich jede Interpretation, als letztlich subjektiv vollzogene Sinnzuschreibung noch beziehen müsse. 114 Das energetische Potential literarischer Texte zu untersuchen, ist der Ansatzpunkt der literaturwissenschaftlichen Schule des New Historicism. Stephen Greenblatt versteht in diesem Paradigma literarische Texte gundlegend als Formen der „Zirkulation sozialer Energie“ (Greenblatt). In Texten sind nach Greenblatt gesellschaftliche Lebensformen kodiert, mit denen jeweils spezifische diskursive Praktiken verbunden sind, die Produktion und Rezeption von Texten sehr weitgehend beeinflussen, ohne im Einzelnen ganz bewusst zu sein. In einem Text verkörpern sich die energetischen Konstellationen eines bestimmten diskursiven Umfeldes, ohne dass der Text nahtlos verrechenbar wird mit seinen Entstehungsbedingungen. Greenblatt spricht von der Verknüpfung stabilisierender und destabilisierender, „zentripetaler“ und „zentrifugaler“ Faktoren (ebd., 11) im Gesamt eines Textes und davon, wie ein Text das Ensemble seines diskursiven Rahmens gleichzeitig bestätigt und transzendiert und darin selbst zu einem energetischen Faktor kultureller Symbolisierungen wird, der das sozial Anerkannte und Erwartbare sprengen kann, festgelegte Zeichenkomplexe erweitert. Dieses Paradigma des New Historicism kann helfen das energetische Potential der Texte Petersons besser zu verstehen: die Art, wie Peterson unter den Diskursbedingungen der evangelischen Theologie der 1920er Jahre sich innerhalb dieses Diskurses artikuliert, ihn aber gleichzeitig aufsprengt, so dass die zunehmende Marginalisierung seiner Position (als dogmatischer Theologe, nicht als Historiker) schließlich zu einer Grenzziehung wird. Dieser komplexen agonalen, polemischen Situation ist das energetische Potential seiner Texte geschuldet. 115 Gumbrecht. 116 Lethen.

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Gumbrechts Überlegungen greifen dabei weit aus und zeichnen eine Genealogie der Moderne auf, die ihre entscheidende frühneuzeitliche Schaltstelle besitzt in der Durchsetzung der cartesianischen Metaphysik, in der radikalen Scheidung von Subjekt und Objekt, von res cogitans und res extensa. Diese Dichotomie führt in der Interpretation von Gumbrecht zu einem grundlegenden Verlust des Weltbezuges. Das Subjekt als geistiges Wesen wird gelöst aus seiner Verflochtenheit in eine Welt, in welcher es vormals seine Stellung im Kosmos des Seienden hatte. Diese Welt tritt dem Subjekt nunmehr als ausgedehnte Materialität entgegen, die nur durch subjektive Vollzüge mit Sinn gefüllt werden kann. Das Subjekt wirft der Welt ein Ordnungsnetz von subjektgenerierten Begriffen über, und nur dasjenige, was derart vom erkennenden Subjekt ausgewiesen werden kann, gewinnt epistemologische Dignität, kann als „Wissen im eigentlichen Sinne des Wortes anerkannt werden und vor den Maßstäben dieser cartesianischen Rationalität bestehen“117. Das erkennende Subjekt wird damit von aller Körperlichkeit abstrahiert und diese Körperlosigkeit wird zu einem entscheidenden Moment moderner Epistemologie. Wichtig ist nun, dass sich dieser epochale Übergang zur frühen Neuzeit vollzog im Kontext und im antithetischen Gegenüber zu einer Kultur, die in ihrem Zentrum durch ein Präsenzritual bestimmt war. Die mittelalterliche christliche Zivilisation hatte ihre Mitte im liturgischen Vollzug, in der Feier der Messe: Leib und Blut Christi in „realer Präsenz“ unter den Zeichengestalten von Brot und Wein, körperlich und räumlich gegenwärtig und in ebendieser Weise auch körperlich affizierend und die Körper der kopräesent feiernden Gläubigen in Anspruch nehmend. In den abendmahlstheologischen Kontroversen der Reformation wurde genau dieser Vollzug zum Problem und sie sind nach Gumbrecht ein erster Ausdruck der Veränderungen hin zum cartesianischen Paradigma. Erst im Akt der interpretativen Sinnzuschreibung und durch eine komplexe Neudefinition der ontologischen Grundbegriffe der Sakramententheologie konnte die Gegenwart Christi in den eucharistischen Gaben bestimmt werden118. In diesem Prozess der Neudefinition verlor das Abendmahl seine Stellung als Zentralritual der abendländischen Zivilisation. An seine Stelle trat als neues Zentralritual der cartesianischen Zivilisation das politische Parlament, in dem sich die neue Rationalität des „produzierten“ Wissens im Widerstreit aller Einzelinteressen konsensuell formulieren konnte. Diese klassische Idee der politischen Öffentlichkeit lebte vom Optimismus, dass es gelingen könnte, durch enzyklopädische Ausweitung und Ordnung des gesicherten Wissensbestandes zu einer dem Menschen angemessenen, gut geordneten Gestalt des 117 Gumbrecht, ebd., 46. 118 Deutlich ist hier, dass Gumbrecht im Interesse einer typisierenden Vereinfachung seiner Argumentation der Abendmahlstheologie Luthers nicht gerecht wird. Gumbrecht nimmt hier die zwinglianische Abendmahlslehre für das „typisch“ Reformatorische.

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Peterson im Kontext der 1920er Jahre

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gemeinsamen Lebens durchdringen zu können. Erst in der Philosophie Kants, die Gumbrecht in der Fluchtlinie seiner Interpretation als „Höhepunkt des Aufklärungsdenkens und als Symptom des Beginns der Zersetzung der die Aufklärung fundierenden Erkenntnistheorie“119 versteht, wurde unübersehbar deutlich, dass die epistemologische Reichweite des menschlichen Wissens in eine kritische Distanz zum Bestand der Objekte geraten war. An diesem Kulminationspunkt der neuzeitlichen Denkbewegung beobachtet Gumbrecht, wie auch das ausgeschlossene Andere, nämlich „die Weltaneignung durch den menschlichen Körper, – d. h. durch die menschlichen Sinne – nun ebenfalls wieder als epistemologische Option in Erscheinung trat“120, in den materialistischen Philosophien der französischen Denker des späten 18. Jh. und ihren literarischen Gestaltwerdungen. Michel Foucault ist dieser Bewegung in seinem bekannten Diktum von der „crise de la reprsentation“121 gefolgt. Diese Doppelgestalt von rationalistischer Weltaneignung durch Interpretation und vernunftkritischer Sinnlichkeit sollte die Moderne künftig in vielfältigen Gestalten prägen. Gumbrecht folgt in seiner Interpretation nun den epistemologischen Umbrüchen des 19. Jahrhunderts, die auf die Inkonsistenz der cartesianischen Metaphysik reagierten. In Aufnahme von Überlegungen Foucaults und Luhmanns sieht Gumbrecht die epistemologische Signatur des 19. Jahrhunderts in der Entdeckung der grundsätzlichen Perspektivität alles Wissens. In der Luhmannschen Figur des „Beobachters zweiter Ordnung“ thematisiert Gumbrecht, wie sich der optimistische Gestus des weltordnenden Denkens der frühen Neuzeit relativiert. Der „Beobachter zweiter Ordnung“ entdeckt, wie er selbst an seinen Standpunkt des Beobachtens gebunden bleibt und wie diese Perspektivität des Beobachtens alle Illusionen eines standpunktunabhängigen Denkens und Wissens kontaminiert. Damit wird die Frage nach der Körperlichkeit und Sinnlichkeit des Beobachters neu virulent und es bleibt die unaufgelöste „Frage einer möglichen Kompatibilität zwischen der Weltaneignung durch Begriffe (die ich hier ,Erfahrung‘ nenne) und der Weltbeobachtung durch die Sinne (,Wahrnehmung‘).“122 Die Geschichtsphilosophie vor allem Hegels, aber auch die evolutionistischen Naturphilosophien liest Gumbrecht in diesem Rahmen als einen Versuch die Multiperspektivität des Wissens in eine narrative Sequenz hinein aufzulösen, um so die epistemologischen Spannungen mit einem einheitlichen Vernunftkonzept zu versöhnen. Diese Versuche konnten die Spannungen zwischen „Erfahrung“ und „Wahrnehmung“ letztlich nicht lösen. Auf wissenschaftsorganisatorischer Ebene kam es am Beginn des 20. Jahrhunderts zur Institutionalisierung eines Lösungsversuches, als die Ausdifferenzierung der „Geisteswissenschaften“ 119 120 121 122

Gumbrecht, ebd., 53. Ebd., 55. Vgl. Foucault . Gumbrecht, ebd., 57.

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das hermeneutische Paradigma der Interpretation institutionell privilegierte und die Dimension der sinnlichen Wahrnehmung zunächst aus den akademischen Diskursen verbannt wurde und den literarischen und philosophischen Randsiedlern überlassen blieb.123 Gumbrecht liest vor allem die frühe Phänomenologie als einen radikalen Versuch, ausschließlich die Introspektion des erkennenden Subjekts als Quelle und Gegenstand wissenschaftlicher Erkenntnis auszuzeichnen und damit sinnliche und körperbezogene Wahrnehmung epistemologisch zu suspendieren. Damit kommt die Phänomenologie als Vorläuferin der modernen Konstruktivismen ganz auf der Seite dieses „Erfahrungs-Paradigmas“ zu stehen.124 Gerade aber die 1920er Jahre waren aber nun auch die Zeit, in welcher dem drohenden „Verlust des Weltbezuges“125 entschiedene Reaktionen entgegengestellt wurden. Gumbrecht hat dem Denken der „konservativen Revolution“ an anderer Stelle eine eindringliche Analyse gewidmet126 und geht hier in „Diesseits der Hermeneutik“ vor allem auf Heideggers Begriff des „In-der-Welt-Seins“ ein127. Bis zu diesem Punkt geht Gumbrechts Genealogie eines Begriffes von Präsenz, der seinen Ort „Diesseits der Hermeneutik“ und ihrer Sinn zuschreibenden Interpretationsverfahren hat. Die systematischen Konsequenzen aus dieser Interpretation werden uns weiter zu beschäftigen haben. Hier wollen wir zunächst markieren, dass wir damit auch an der historischen Stelle angelangt sind, an der Petersons „Präsentifikationsstrategien“ ihren Ort haben.

3.5.2 Peterson und die „antihistoristische Revolution“ Ohne Zweifel findet Peterson seinen Platz innerhalb der „antihistoristischen Revolution“128 der 1920er Jahre, in der Absage an das Gefühl, der geschichtlichen Relativität und Bedingtheit ausgeliefert zu sein und alle tragenden 123 Ebd., 61 f. 124 Ob damit der Phänomenologie letztlich Recht getan wird, kann hier nur als Frage festgehalten werden. Gerade Husserls Überlegungen zum Evidenzbegriff gehen von der körperlichen Präsenz des Erkenntnisgegenstandes und dem leibhaften Affiziertsein des erkennenden Subjekts aus. Diesen Aspekt der Überlegungen Husserls konnte Heidegger aufnehmen. Auch Petersons Rezeption der Phänomenologie wurde eher von hier aus als vom radikalen Cartesianismus inspiriert. 125 Ebd. 65. 126 Gumbrecht, 1926, 492 – 546: „In-den-Welten-von-1926-sein. Martin Heidegger, Hans-Friedrich Blunck, Carl van Vechten“. 127 Seine These: „Entgegen dem cartesianischen Paradigma bejaht Heidegger von neuem die körperliche Substantialität und die räumlichen Dimensionen des menschlichen Daseins, und er beginnt mit der Entfaltung der Vorstellung von einem ,Sich-entbergen-des-Seins‘ (in diesem Zusammenhang bezieht sich das Wort ,Sein‘ stets auf etwas Substantielles), und diese Vorstellung soll den auf eine Bedeutung oder eine Idee verweisenden metaphysischen Begriff der ,Wahrheit‘ ersetzen.“, Gumbrecht, 85. 128 Siehe Graf, „antihistoristische Revolution“. Auch: Nowak, Die „antihistoristische Revolution“. Vgl. zu dieser geistesgeschichtlichen Kontextualisierung Petersons auch die aus eigenem Er-

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Peterson im Kontext der 1920er Jahre

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Begriffe verloren zu haben. Die Wendung Petersons gegen den Geschichtsbegriff des Historismus, seine Auseinandersetzung mit dem, was er selbst „Liberalismus“ nannte, und seine entschiedene Option für ein apokalyptisches Geschichtsverständnis wird uns weiter unten zu beschäftigen haben. Aber festzuhalten bleibt an dieser Stelle, dass in Konsequenz von Petersons Widerspruch gegen den „moderne(n) Begriff des ,Geschichtlichen‘“129 die räumlichen Kategorien seines Denkens eine erhebliche Aufwertung erfahren. „Präsentifikation“ heißt in diesem Sinne immer ein räumliches, leiblich affizierendes Erscheinen im Hier und Jetzt, welches die Konzentration auf das geschichtliche Gewordensein seiner Vermittlungsgestalten relativiert. Diese räumlichen Kategorien dominieren auch in Petersons Interpretationsrahmen für das Geschehen der Liturgie, die er von der Beziehung zwischen himmlischem und irdischem Gottesdienst her versteht. Auch hier geht es nicht in erster Linie um eine Überwindung der historischen Distanz durch aktualisierende Reformulierung des Kerygma, sondern um die sakramentale Selbstvergegenwärtigung Gottes, die den irdischen Gottesdienst transparent macht für die unzeitliche, überzeitliche Gegenwart des himmlischen Kultus. Es geht letztlich um Epiphanie. Diese epiphanische Dimension bricht auch auf in Petersons Deutung des Martyriums. Im Blutzeugnis geschieht Apokalypsis im dreifachen Sinne: Offenbarung des Menschen in seiner eigentlichen Bestimmung, nämlich ein vom Kreuz Christi Gezeichneter zu sein130, Offenbarung „der dämonischen Macht, die im Kosmos herrscht“131 und die im Hintergrund der sich totalisierenden politischen Macht steht – und eben apokalypsis Christou, „ein Offenbarwerden Jesu Christi aus dem Mysteriums der ersten Ankunft in die Publizität seines zweiten Kommens“132. Dies alles am Ort des Schmerzes! Die epiphanische Dimension der Liturgie liegt in der Gegenwart des „himmlische(n) König(s)“133.

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130 131 132 133

leben geschöpften kurzen Beiträge von Alois Dempf: Dempf, Petersons Rolle; ders., Fortschrittliche Intelligenz. AS 4, 245, Politik und Theologie: „Es ist kein Zufall, dass der moderne Begriff des ,Geschichtlichen‘, der zur Voraussetzung hat, dass man die gelebte geschichtliche Kontinuität verloren hat, in dem Augenblick in der so genannten ,Romantik‘ einsetzt, wo das Imperium Romanum und damit die Kontinuität des christlichen Äons in der geschichtlichen Welt sich endgültig auflöst. Aus diesem modernen Geschichtsbegriff heraus, der nicht mehr weiß, dass Christus am Ende der Zeiten gestorben ist, werden nicht nur – ironischer Weise – die ,historischen Einwände gegen den christlichen Glauben erhoben, sondern wird auch das ganze Leben, von der geringsten geistigen Leistung bis zur größten politischen Aktion, so gelebt, als ob es keinen historischen Sinnzusammenhang gibt. Und es gibt ja auch keinen mehr, wenn man das christlich-eschatologische Geschichtsbild ablehnt.“ Auch ebd., 247: „Potentiell ist die Weltgeschichte zu Ende.“ AS 1, 109, Zeuge der Wahrheit. Ebd. Ebd., 107. AS 1, 223, Von den Engeln.

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„Wie der Kaiser, der in Begleitung seiner Leibwache erscheint, die Öffentlichkeit seiner politischen Herrschaft zum Ausdruck bringt, so bringt Christus, der von der Leibwache seiner Engel begleitet, in der heiligen Messe gegenwärtig ist, die Öffentlichkeit seiner religiös-politischen Herrschaft zum Ausdruck.“134

Bei Peterson changieren eine anabatische und eine katabatische Auffassung dieser Präsentifikation. Nahezu austauschbar erscheint es, wenn einerseits gesagt wird, dass die Kirche zum himmlischen Kultus hinzutritt, also gleichsam in die himmlische Wirklichkeit hineintritt, dort „präsentifiziert“ wird – oder ob es so ausgedrückt wird, dass der erhöhte Christus in die Wirklichkeit der irdischen Kirche eintritt. Es handelt sich sozusagen um ein Realitätskontinuum, die transparente Wirklichkeit des neuen Äon. Diese sakramentale Selbstvergegenwärtigung Gottes ist selbst leiblich und sie affiziert auch leiblich, sie verbleibt nicht in der Innerlichkeit der religiösen Subjektivität, der „Innerlichkeit der Seelen“135, wie Peterson dies polemisch der neuprotestantischen Theologie entgegenhält, sondern sie nimmt leiblich in Anspruch bis hin zu Gehorsam und Martyrium. In all dem unternimmt es Peterson, gegen die von ihm pejorativ so genannte bloße „Innerlichkeit“, von einer „Sphäre der Realität“ zu sprechen, die das authentisch Christliche sei: eine Emphase auf der leibhaften Präsenz gegen „Glaubensinnerlichkeit und Erlebnisfrömmigkeit“136. Sein Anspruch ist: dies ist eigentliche Wirklichkeit gegenüber der virtuell verdünnten Wirklichkeit der neuprotestantisch gefassten Innerlichkeit. Auch damit wird ein Leitmotiv der „antihistoristischen Revolution“ angeschlagen. Mit Blick auf Friedrich Gogarten drückt Kurt Nowak dieses Leitmotiv folgendermaßen aus: „Stattdessen (nämlich statt sich auf das „neuzeitliche Subjektivitäts- und Freiheitsverständnis“ einzulassen, Anm. d. Verf.) wurden andere, angeblich wirklichere Wirklichkeiten proklamiert.“137 Immerhin bleibt angesichts dieser Kritik festzuhalten, dass der in Anspruch genommene Begriff von „Wirklichkeit“ durchaus strittig ist. Die politisch-theologische Kritik an der „antihistoristischen Revolution“, die mit Blick auf das katastrophische Ende der Weimarer Republik so plausibel ist, ist dem Wirklichkeitsbegriff der his134 Ebd. 135 AS 4, 225, Das Kreuz siegt. 136 Ebd., 227. Dort auch: „Es ist kein Kunststück, das Christentum in die Innerlichkeit zu verlegen, dort, wo es als private Herzensreligion und persönliche Überzeugtheit, als Erlebnisglaube oder als von Herz zu Herz gehende pietistische Seelenkommunität lebt – dort ist es für den Einzelnen ungefährlich und für den Staat und die Welt unbedenklich. Aber das ist doch ein minderer Grad von Realität, in dem solch ein Christentum lebt. Der eschatologische Glaube kennt einen höheren Realitätsgrad: jene Realität, in der es das Kreuz Christi und die Leibhaftigkeit des Auferstandenen und den Glauben an unseren eigenen Auferstehungsleib gibt; jene Realität, in der es eine leibhaftige Kirche und nicht bloß eine innerliche Kirche gibt, eine leibhaftige Kirche, die der Leib des Herrn ist, und wo es Verfolgungen der Glieder dieses Leibes gibt und nicht bloß theologische Dispute und Diskussionen.“ 137 Ebd., 166.

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torisch-kritischen Methode verpflichtet, wie er von Troeltsch in der klassischen Trias von „Kritik, Korrelation, Analogie“ formuliert wurde. Dieser Begriff ist komplementär zur neuzeitlichen Naturwissenschaft. Gegen „die positivistische oder nominalistische Reduktion des Wirklichkeitsbegriffes“138 richtet sich Peterson nun explizit und hält ihr vor, wesentliche Bereiche von „Realität“ gar nicht mehr in den Blick zu bekommen. Petersons emphatisches Beharren darauf, dass transzendente Realität „geschaut“ werde, dass die apokalyptischen Visionen nicht „ausgedacht“, konstruiert seien, sprengt den positivistischen Wirklichkeitsbegriff auf, ohne doch im strengen Sinne am Maßstab wissenschaftlicher Rationalität ausweisbar zu sein. Das Instrumentarium der Phänomenologie, ihre spezifische Sehweise, schien Peterson, wie vielen seiner Zeitgenossen, am ehesten geeignet zu sein, einen begrifflichen Rahmen bereit zu stellen, innerhalb dessen diese erweiterte Wirklichkeit kategorial zu erfassen sei. Die zeitgenössische Literaturwissenschaft hat sich dem hier zur Rede stehenden Problem mit Theorien zum Vorgang der Fiktionalisierung genähert. H. R. Jauß unterscheidet in seiner Rezeptionsästhetik139 primäre und sekundäre Mechanismen der Fiktionalisierung. Auf der primären Ebene artikulieren fiktionale Texte individuelle oder kollektive Erwartungshorizonte, die der Perspektivierung von Fakten dienen. In diese primären Mechanismen werden die sekundären (darstellenden) Mechanismen der Fiktionalisierung als Werkzeuge der Literatur eingezeichnet, um die gegebenen Erwartungshorizonte aufzubrechen und damit den Raum des Möglichen zu erweitern und so schließlich „Wirklichkeit“ zu gewinnen.140 In der literaturwissenschaftlichen Außenperspektive kann derart plausibel werden, wie die Behauptung einer „wirklicheren Wirklichkeit“ in der Tat zu einem „Wirklichkeitsgewinn“ führen kann, wobei mit der liturgischen Praxis im Hintergrund des Textes ein pragmatischer Kontext steht, in welchem diese Wirklichkeit vorausgesetzt wird: die Schau der himmlischen Liturgie ist die implizite Voraussetzung der liturgischen Praxis, wie umgekehrt diese Praxis die unterstellte Wirklichkeit stabilisiert und plausibilisiert.

Nowaks skeptischer Blick auf die antiliberale Formung des theologischen Diskurses der 20er Jahre unterstreicht das gleichsam Konstruierte dieser „Proklamationen“, die oftmals nur dezisionistisch gesetzt wurden, ohne sich an neuzeitlicher Lebenswirklichkeit und ihrem unbequemen Pluralismus ausweisen zu lassen. Dieser Aspekt ist in der Tat auch auffällig in den Präsentifikationsstrategien Petersons. Nowak zitiert das „drastische Wort“141, mit dem Hermann Lübbe die kulturellen Diskurse der 20er Jahre resümiert: „Die Exaltation gibt den Ton an“142. Dieses „Exaltierte“ ist auch bei Peterson auffällig: der bewusst auf Provokation und Konflikt gestimmte Ton seiner Arbeiten. Petersons Präsentifika138 139 140 141 142

Deuser, 153. Jauß. Vgl. Biti. Nowak, 167. Zit. bei Nowak mit Bezug auf: Weimar, 289.

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tionen sind mitunter auf geradezu verzweifelte Weise konstruiert. Sie wirken wie Beschwörungen, die eine überwältigende Erfahrung von Absenz kompensieren wollen. Gerade deswegen scheint Peterson immer wieder zu versuchen, seine Präsentifikationen pragmatisch zu gründen – eben im liturgischen Handeln der Kirche und je länger desto mehr in der Einsicht, dass in der Auseinandersetzung mit dem totalen Staat die Stunde der Märtyrer wieder geschlagen habe. Zu fragen wäre auch, ob Petersons Arbeiten der 20er Jahre von eigener liturgischer Erfahrung zehren, oder ob sie ihrerseits literarische Konstruktionen sind, gewonnen eben in der Interpretation patristischer und anderer vorneuzeitlicher Texte. Vielleicht ist Petersons liturgische Theologie in all ihrer Reserve gegenüber dem Protestantismus der 20er Jahre aus einer selbst nur gelegentlichen gottesdienstlichen Praxis formuliert. Darin wird noch einmal der kompensatorische Charakter zumindest der frühen Texte Petersons bis in die dreißiger Jahre hinein deutlich. Die Kraft der Texte Petersons liegt in der Polemik gegen die historistische Interpretationskultur der neuprotestantischen Theologie, die den Glaubensvollzug nach Petersons Ansicht in die Innerlichkeit verlegt. Glaube wird so zu einem Deutungsverhalten, „Religion“ zu einer Deutungskultur143 und gerade dagegen protestiert Peterson im Namen der Präsenz des erhöhten Christus. Der Neuprotestantismus kommt in diesem Gegenüber als kompensatorische Interpretationspraxis zu stehen, die erst dann plausibel wird, wenn die Präsenzerfahrung schwindet. An der Leerstelle, die Peterson im sakramentalen Zentrum des christlichen Glaubens ausmacht, lagert sich dann eine wuchernde Interpretationspraxis an, die umso mehr überhand nimmt, wie sie nicht mehr von Präsenz her gefüllt und auch korrigiert werden kann. Allein – auch bei Peterson ist es zunächst ein Interpretationsvollzug, der ihm zum Impuls wird, nach intensiverer Präsenz zu suchen, die dann allerdings für ihn nicht mehr im Kontext evangelischen Christentums lebbar schien und seine Konversion anbahnte.

143 Was gerade in gegenwärtigen Debattenlagen wieder hoch aktuell ist. Vgl. Graf, Wiederkehr, 207: „Religion repräsentiert jene Deutungskultur, in der die riskanten Erfahrungen der Kontingenz individuellen Lebens sinnhaft gedeutet und in Notwendigkeit überführt werden können.“ Graf hat in breit angelegten historischen Studien immer wieder die Aktualität des neuprotestantischen Religions- und Theologieverständnisses vertreten. In historischer Perspektive, auch um die Konturen der Debattenlage der 20er Jahre nachzuvollziehen: Graf, Kulturprotestantismus. Dort findet sich auch Instruktives über den Verband der Vereine katholischer Akademiker, auf dessen Jahrestagungen Petersons Arbeiten der 1930er Jahre vielfach vorgetragen wurden. Graf schildert den Grundton dieses Verbandes als den eines „Pathos von Autorität und Kulturhegemonie“ (ebd., 235) Viele Motive kehren wieder in der gegenwärtigen Debatte um ein mögliches Verständnis von Theologie als Kulturwissenschaft, vgl. in historischer und systematischer Perspektive: Nüssel.

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3.5.3 H. Lethen „Verhaltenslehren der Kälte“ Eine weitere Verstehenshilfe, die uns dazu anleitet, Peterson im Umfeld der 20er Jahre zu kontextualisieren, entnehme ich der Arbeit von Helmut Lethen, der von den „Verhaltenslehren der Kälte“ spricht, mit denen die Autoren der „Neuen Sachlichkeit“ in den 20er Jahren auf den Verlust des optimistischen Humanitarismus im Ersten Weltkrieg reagierten. Diese Verhaltenslehren der Kälte nehmen nach Lethen Abschied vom subjektivistischen Authentizitätsdenken, das in expressivem Gestus die eigenen Überzeugungen, moralischen Haltungen und Hoffnungen im öffentlichen Raum artikuliert. Lethens These lautet: „Wenn stabile Außenhalte der Konvention wegfallen, Diffusion der vertrauten Abgrenzungen, Rollen und Fronten gefürchtet wird, antwortet die symbolische Ordnung mit einem klirrenden Schematismus, der allen Gestalten auf dem Feld des Sozialen Konturen verleiht.“144

Die protestantisch geprägte „Schuldkultur“ der Innerlichkeit wird nach Lethen ersetzt durch den Rückgriff auf archaische Formen der „Schamkultur“ in ganz modernen Gewändern, in „Masken“, die das bedrohte „Authentische“ schützen, verbergen und eine klare Distinktion von Innen und Außen, Zugehörigem und Fremden erlauben. Lethen resümiert: „der Schritt in die entlastende Institution bot sich folglich an.“145 So ist in den Diskursen der 1920er Jahre eine außerordentlich starke positionelle Polarisierung zu beobachten. Klassifikationen, Zugehörigkeiten, geschlossene ideologische Blöcke werden wichtig. Lethen spricht von einem „Furor des Rasterns“146. Auf soziale Desorganisation reagieren Kunst, Literatur, Philosophie mit dem Versuch, klare Fronten zu schaffen und in diesen Frontstellungen die Ausgesetztheit und Schutzlosigkeit des Individuums zu kompensieren. Das in Weltanschauungen und Klassifikationen „gepanzerte Ich“, die „kalte persona“147, steht aber nur komplementär zu seinem Gegenbild, zum Bild der „Kreatur“, die dem Schmerz und der Vernichtung ausgesetzt ist, geprägt von den Materialschlachten des großen Krieges und in Erwartung noch größerer Bedrohungen148. Die Angst wird aus der „kalten persona“ externalisiert und kehrt dann doch in der Gestalt der „Kreatur“ wieder in das gespaltene Menschenbild zurück, um sich in gleicher Weise literarisch wie lebensweltlich zu manifestieren. Lethen sieht die Künste auf diese Situation in entsprechend paradoxer 144 145 146 147 148

Lethen, 12. Ebd., 37. Ebd., 43. Ebd., 53 ff. Giorgio Agamben hat dieses Doppelantlitz der Moderne ebenso in den Diskursen der 20er Jahre lokalisiert und seine Spuren über die Konzentrationslager bis in die Gegenwart hinein verfolgt, vgl. Agamben, Homo Sacer.

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Weise antworten. Der Gestus der „neuen Sachlichkeit“ ist einmal derjenige einer Affirmation der industriellen Lebenswelt, einer bewussten Übernahme funktionaler Formensprache und kühler Nüchternheit. Zum anderen aber wird diese Sachlichkeit in einer „Logik der Überbietung“ so vorangetrieben, „bis zur Grenze tödlicher Starre“, so dass einsichtig werden kann, wie die Verhaltenslehre der „kalten persona“ unlebbar wird. Die „kalte persona“ als Typus ist gleichwohl erst als Widerpart eines bestimmten Typus der Expression entworfen, gegen eine Sehnsucht nach authentischer Gemeinschaft und Selbstpreisgabe, wie sie in den 20er Jahren in den bündischen Idealen und den Ideen der völkischen Bewegungen einen so tief gehenden Einfluss auf das politische und kulturelle Leben hatte. Lethen schreibt: „Es sind zugleich Entwürfe eines ,Lebensstils‘, in dem sich das Verhalten als Expression reflektiert und die Ausdrucksdimension der Gestalt sich im Verhalten erfüllen soll.“149. Erik Peterson kultivierte in seiner dogmatischen Argumentationsstrategie dieses „Pathos der Distanz“ (Stefan Dückers). Er gab sich betont antiexistentiell und bemerkt geradezu programmatisch: „Der Dogmatiker kann nur das Dogma voraussetzen, aber er kann es nicht erzeugen. Er kann es nicht bloß darum nicht erzeugen, weil es Dogma sinnvoll nur als Lehre einer Kirche gibt, sondern weil alles, was er sagen kann, auch gar nicht im Existentiellen gründet, weil der Dogmatiker doch wesenhaft nur ,Professor‘ – und damit wesentlich unexistentiell – bleibt.“150. Im Dogma gehe es nach Peterson nicht um die Expression gläubiger Erfahrung oder theologischer Reflexion, sondern um etwas, „was geglaubt werden muss“151, und deswegen „starr“ ist, in jener „Starre, die von dem Begriff der Offenbarung nun einmal unabtrennbar ist.“152. Ein typisches Beispiel für Petersons polemische Strategien der Argumentation, wie er hier den Vorwurf von Paul Althaus, er rede vom Dogma in „grotesker Erstarrung“153 so aufnimmt, dass er ihn überbietet und provozierend auf die Spitze treibt. An einer Stelle wie dieser merkt man aber gleichzeitig, dass die betonte Antiexistentialität Camouflage ist eines überaus existentiellen Glutkernes theologischen Denkens und Lebens. Dogmatische Kälte und apokalyptische Hitze, liturgische und zeugnishafte Präsentifikation und polemische Techniken der Distanzierung entsprechen einander. In diesem Sinne trifft Lethens oben zitiertes Wort vom „Lebensstil, in dem sich das Verhalten als Expression reflektiert“ durchaus auf Peterson zu: Petersons betonte Anti-Existentialität und AntiExpressivität verdichtet sich zu einer Physiognomie höchster Expressivität.

149 150 151 152 153

Lethen, 43. AS 9/1, 318 f. Forderung einer Theologie des Glaubens. Ebd., 319. Ebd., 320. Ebd.

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3.5.4 H. Plessner „Grenzen der Gemeinschaft“ Als Paradigma für einen Text, der zu einer Lebens- und Verhaltenslehre wird, interpretiert Lethen die 1924 erschienene Schrift von Helmuth Plessner „Die Grenzen der Gemeinschaft. Eine Kritik des sozialen Radikalismus“154. Plessner, Jahrgang 1891, gehörte derselben Generation an wie Peterson. Sein Buch erschien bemerkenswerter Weise 1924, also ein Jahr vor „Was ist Theologie?“, im gleichen Verlag wie Petersons Schrift, im Verlag von Friedrich Cohen in Bonn155. Plessner diagnostiziert in Deutschland ein politisches und kulturelles Klima, in welchem nach dem verlorenen Krieg und den krisenhaft erfahrenen Ambivalenzen der Moderne ein außerordentlich starkes Bedürfnis nach dem herrschte, was Tönnies eine Generation zuvor „Gemeinschaft“ genannt hatte und als organische Seinsverbundenheit von „Gesellschaft“ als vermeintlich bloß funktionaler und äußerlicher Verknüpfung des sozialen Lebens unterschieden hatte156. Gerade dieses starke Bedürfnis nach Homogenität war aber nun Quelle der einander bekämpfenden Positionen, deren jede sich selbst absolut stellte. Das Klima der Zeit stand fortwährend im Umschlag zum Bürgerkrieg. Plessner fragte nun nach den zivilisatorischen Mechanismen, “Techniken zur Regulierung der Distanzen“, die es ermöglichen, dass Individuen humanen Abstand voneinander halten. Plessner definiert Gesellschaft geradezu als die Öffentlichkeit, die Raum gibt für „lebensspendende Grenzziehungen“157. Öffentlichkeit ist für ihn der Raum des Nicht-Authentischen, in dem Distanz geübt wird, die allein erst das Zusammenleben in einer Gesellschaft ermöglicht. Im gesellschaftlichen Raum bedarf der Mensch der Masken, die sein Inneres schützen und unverfügbar machen gegenüber dem Zugriff der Gemeinschaft. Die Masken machen sichtbar und unsichtbar zugleich. Sie ermöglichen die Übernahme von Funktionen als „Rollen“ und, wo die Öffentlichkeit zum „Kampfplatz“158 wird, verwandeln sich die Masken gar in „Rüstungen“159 : „Ohne irreale Kompensation einer Form in die Öffentlichkeit zu gehen, ist ein großes Wagnis. Mit dieser irrealen Kompensation maskiert sich jedoch der Mensch, er 154 Plessner. 155 Im Verlag Friedrich Cohen war zu dieser Zeit Vittorio Klostermann als Lektor tätig. Dort wurden ein anspruchsvoller Stil und ein sehr distinguiertes geistiges Klima gepflegt, das weniger von positioneller Homogenität als vielmehr vom Rang der Autoren und einer antiegalitären Ausrichtung geprägt war. Autoren des kleinen, aber erlesenen Programms waren beispielsweise Martin Heidegger, Karl Mannheim, Walter F. Otto, Max Scheler. Dazu siehe: Blasche. 156 Vgl. Tönnies. 157 Plessner, ebd., 78. 158 Ebd., 82. 159 Ebd.

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verzichtet auf sein Beachtet- und Geachtetwerden als Individualität, um wenigstens in einem stellvertretenden Sinne, in einer besonderen Funktion, repräsentativ zu wirken und geachtet zu sein.“160

Den Gemeinschaftsideologien stellt Plessner eine „Kultur der Distanz“161 gegenüber, die zivilisatorischen Takt mit einer Achtung vor der Andersartigkeit des anderen verbindet. Öffentlichkeit ist für ihn der Raum, der dort erst entstehen kann, wo die Ansprüche der Gemeinschaft pluralisiert und relativiert werden. Diese zivilisatorischen „Techniken zur Regulierung der Distanzen“162 setzen auch eine Distanz des Individuums von den eigenen Ansprüchen voraus, eine Distanz zu der eigenen Phantasie, in einer unentstellten Gemeinschaft, die totale Identifikation ermöglicht, aufgehen zu können. Denn, so sagt Plessner : „In nichts kann der Mensch seine Freiheit reiner beweisen als in der Distanz zu sich selbst“163. Plessner analysiert auch die mannigfachen Amalgamierungen zwischen den politischen Ideologien und einer sozialutopisch buchstabierten Lesart der christlichen Tradition. Er hält die untergründigen Verwandtschaften fest: „Industrialismus ist die Verkehrsform, Expressionismus die Kunst, sozialer Radikalismus die Ethik der Taktlosigkeit.“164 Zum Zusammenhang von entfesselter Sachlichkeit und abstrakter Innerlichkeit ist bei Plessner zu lesen: „Materialistisches Menschenbild, Entseelung und Entgeistung des Leibes, Deklassierung der natürlichen Erscheinung und ihrer schlichten Wirklichkeitsmaße, Outrierung infolgedessen der von den körperlichen Grenzlinien losgerissenen Innerlichkeit, Purismus, Rigorismus und Weltfeindlichkeit der sittlichen Prinzipien, Sittengesetzfanatismus und Eindeutigkeitsverehrung, pharisäische Pathetik der unbedingten Echtheit im Ausdruck und ausschließliches Geltenlassen der Schrankenlosigkeit – alles Symptome der gleichen Geisteshaltung des gehetzten und nichts so sehr als die Unwesentlichkeit verachtenden Maschinenmenschen.“165

Viele dieser Motive, die Plessner anspricht, finden wir in nur leicht abgewandelter Form bei Peterson wieder. Für Peterson ist die Liturgie nicht Ausdruckshandeln religiöser Subjektivität, noch Selbstdarstellung kirchlicher Gemeinschaft, sondern vielmehr das Taktvolle, die schrittweise Annäherung an das Zusammentreffen von himmlischer Öffentlichkeit und irdischer Festversammlung. In diesem Vollzug geht es zugleich um Grenzüberschreitung und um die Wahrung von Distanz166. 160 161 162 163 164 165 166

Ebd. Lethen, ebd., 43. Ebd., 78. Plessner, ebd., 84. Ebd., 110. Ebd. Der politisch-theologischen Frage wird nachzugehen sein, wie sich diese Distanzkultur verhält zum Enthusiasmus der Akklamation, in dem die Bürgerversammlung der himmlischen Polis enthusiastisch zum repräsentativen Kollektivkörper verschmilzt. Institutionalität und En-

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Zur Grenzüberschreitung und der Dialektik von Näherung und Distanzierung siehe auch Petersons Schilderung in „Von den Engeln“: Indem der Mensch im Lobgesang dem Engel ähnlich wird, bleibt er, je höher er steigt, nur immer tiefer an seine Geschöpflichkeit gebunden und in den Raum der irdischen Kirche eingewiesen: „Wie seltsam, daß der Mensch in der Seinsordnung seiner metaphysischen Wurzeln die Kreatürlichkeit und Niedrigkeit seines Wesens dadurch zum Ausdruck zu bringen vermag, daß er zu steigen beginnt, dem Cherub und Seraph sich zugesellt und dann in der Vereinigung (sic!) mit ihnen doch nichts anderes sagen kann, als daß er gar nichts ist und daß er nur als ein Lobgesang vor Gott da ist.“167

Der vom Sündenfall entstellte Körper bedarf der Bedeckung durch „das Kleid aus den Blättern des unfruchtbaren Feigenbaumes, die Gewänder aus den Fellen toter Tiere, die unsere Sterblichkeit versinnbildlichen, das gefärbte Kleid der Eitelkeit, das Gewand der Verführlichkeit und Begier“168. Aber auch der durch die Taufe erneuerte Mensch darf nicht nackt, also nicht in der Authentizität seines natürlichen Seins, vor dem Thron Gottes erscheinen, so sehr die Nacktheit Zeichen des Entkleidetwerden im Tode ist. Vor dem Thron Gottes erscheinen die Vollendeten in den weißen Kleidern der Taufe und der Glorie Christi. Es ist einleuchtend, dass diese Frage des Gewandes nur von Belang ist, wenn die Leiblichkeit des Menschen so bedeutsam ist, dass sie eschatologische Dignität gewinnt.169 Die Präsenz des Leibes, als gefallener und zu überwindender Leib, deutet voraus auf den vollendeten Leib, bleibt aber gerade so konkrete Präsenz. Allerdings gibt es für Peterson die Durchbrechung der Distanzverhältnisse, das Abtun der Masken, die das gesellschaftlich-distanzierte Leben bestimmen. Es gibt sie in der Situation des Zeugnisses, des Martyriums, und der im Martyrium stattfindenden Apokalypsis. Im Zugriff der totalen politischen Gewalt auf den nach politischen Maßstäben schutzlosen Leib des „Zeugen der Wahrheit“ geschieht eine mehrfache Demaskierung: wenn der totalisierte Staat, also der Staat, der selbst religiöse Würde und Verehrung für sich in Anspruch nimmt, „in der staatlichen Publizität eines öffentlichen Gerichtsverfahrens“170 die Hand an den Märtyrer legt, dann „wird auch die Glorie Christi offenbar und in einer der staatlichen Öffentlichkeit analogen Weise

167 168 169

170

thusiasmus sind hier keine Gegensätze, sondern vielmehr komplementäre Erscheinungsformen der einen, pneumatischen und eschatologischen, Wirklichkeit. Vgl. dazu Petersons Auslegung des Proömium der Apokalypse: AS 4, 14 f., auch: Hebekus. AS 1, 227. AS 2, 14, Theologie des Kleides, auch: ebd., 20 – 27, Theologie der Kleidung. Umgekehrt gilt: „Seitdem Christus Priester und König ist, ist also die irdische Macht ihres dämonischen Charakters entkleidet“ (AS 1, 125, Zeuge der Wahrheit), die entmächtigten „Mächte und Gewalten“ werden in einem Triumphzug öffentlich in ihrer Nacktheit und Nichtigkeit vorgeführt – während der Apostel, gerade wo er leidet, in seiner „Rolle“, als Apostel, erscheint – als ein „theatron“ für Kosmos, Engel und Menschen (1. Kor 4,9, vgl. Petersons Auslegung des 1. Kor, AS 7, 144 f.). AS 1, 107, Zeuge der Wahrheit.

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,offenbar‘“171. Peterson führt hier den Bericht der Apostelgeschichte über das Martyrium des Stephanus an, über dem sich im Moment seines Leidens der Himmel öffnet, damit der Märtyrer den zur Rechten des Vaters thronenden Menschensohn erblicke. Mit der Offenbarung des Menschensohnes in seiner Glorie wird aber auch ganz grundsätzlich das Sein des Menschen überhaupt offenbar. In der Offenbarung wird von der Siegelung der Auserwählten (Kap. 7) geredet und davon, wie die Anhänger des Antichristen mit einem Brandmal gezeichnet werden. Peterson resümiert: „Der Gedanke ist klar : Angesichts des Offenbarwerdens Jesu Christi gibt es keine Unkenntlichkeit des Menschen mehr. Alle Menschen sind gezeichnet, entweder mit dem Siegel Christi oder mit dem Brandmal des Antichristen.“172 Damit ist nun aber noch ein Drittes gegeben: „Das ,Offenbarwerden‘ der dämonischen Macht, die im Kosmos herrscht“173. Unter den Bedingungen gesellschaftlicher Öffentlichkeit wird das Selbst also verhüllt bleiben, um erst in der eschatologischen Situation in seiner Authentizität enthüllt zu werden: in der Schar der Vollendeten vor dem Thron Gottes oder im Verfallensein an den Antichristen. Diese eschatologische Situation wird sich aber auch einstellen, wenn die dämonische Macht des totalisierten Politischen ihre Hülle abstreift, die gesellschaftliche Distanz überwindet und auf den nackten Leib des Märtyrers zugreift. In Peterson Texten der 20er und frühen 30er Jahren ist dieser „Ausnahmezustand“, der die rechtlichen Verfahren der bürgerlichen Distanzkultur suspendiert, atmosphärisch immer präsent. „Persona“ und „Kreatur“, um die Begriffe von Lethen zu gebrauchen, werden ständig ineinander gespiegelt, um sich zu einem „chronischen Alarmzustand“ der Bedrohung zu verdichten. Helmuth Lethen zeichnet die Spuren der „kalten persona“ in der neusachlichen Literatur der 20er Jahre nach: im blanken Zynismus eines Carl Schmitt, in der heroischen Überbietung der Kältetendenzen im Typus des „Arbeiters“ bei Ernst Jünger, in den Phantasien der Selbstauslöschung in Brechts „Handorakel für Städtebewohner“ oder Serners „Handbrevier für Hochstapler“. Die Literatur wird für Lethen zur „Verhaltenslehre der Kälte“. Können wir auch Petersons Theologie und seinen Weg zum Katholizismus als eine solche „Verhaltenslehre“ als einen „Lebensversuch zwischen den Kriegen“ verstehen? Aus der protestantischen Authentizitätskultur herkommend liest Peterson die Zeichen der Zeit. Er sieht, wie sich das Politische totalisiert, er sieht den Zugriff auf das nackte Leben am Horizont heraufziehen. Der gesteigerten Präsenz des Politischen stellt er die liturgische Verhaltenslehre entgegen, die sakramentale Präsentifikation. Der Raum der gesellschaftlichen Öffentlichkeit, der Masken und Rollen schwindet, wo das Poli171 Ebd. 172 Ebd., 109, Kursivierung R.M. 173 Ebd.

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tische zugreift. Aber genau in dieser Krisis der Öffentlichkeit angesichts des „sozialen Radikalimus“, gegen den Plessner sein Plädoyer für die Distanzkultur in Stellung bringt, wird die größere Öffentlichkeit des Menschensohnes offenbar, der das Politische seiner Macht entkleidet und eine letzte Distanz gegenüber dem Zugriff ermöglicht – in einer radikalen Identifikation des Gekreuzigten, Auferstandenen und Erhöhten mit dem leidenden „Zeugen der Wahrheit“ – „Pathos der Distanz“ und gewährte Nähe zugleich. Die Praxisform, die dem Zerfall der politischen Praxis entspricht, ist die liturgische und im Kern sakramentale Praxis. In der Teilhabe an der sakramentalen Selbstpräsentifikation Christi allein ist es möglich, die Distanz aufrecht zu erhalten, die das Politische daran hindert zum Totalen zu werden und darin die ihm eingestiftete dämonische Potenz zu realisieren. Auch insofern zehrt gesellschaftliche Öffentlichkeit von liturgischer Praxis. Mit diesem Distanzprofil stellt sich Peterson dem Enthusiasmus der Gemeinschaft entgegen, der insbesondere die protestantische politische Theologie der 20er Jahre prägte, und der dann bei Gestalten wie Emanuel Hirsch und Wilhelm Stapel in die furchtbaren Affirmationen der nationalsozialistischen „Bewegung“ einmündete. Heinrich Assel hat auf diesen Differenzpunkt zwischen der „Politischen Theologie“ Carl Schmitts und derjenigen Hirschs hingewiesen174. Hirsch selbst sah den entscheidenden Übergangpunkt von Theologie und Rechtslehre gerade im Konzept der „Gemeinschaft“, der sich der Einzelne im Selbstopfer der Autonomie verschreibt, um darin seine Freiheit zugleich zu überwinden und zum Ziel zu bringen. Diese Form „politischer Christologie“ mit ihrer Pointe in der Figur des „Selbstopfers“ versteht sich selbst nicht als konservativ-dogmatische Form, sondern als konsequente Vollendung des Freiheitspathos der Moderne. Petersons antimodernes Pathos konnte an solchen Figuren die Plausibilität der antimodernen Option einüben und daran auch die Interpretation anschließen, dass der nationalsozialistische Totalitarismus nur die folgerichtigste Selbstvollendung eines relativistischen und skeptizistischen Liberalismus sei.

3.5.5 Zur Möglichkeit von Theologie Ich möchte an dieser Stelle noch einmal zurückkehren zu Gumbrechts systematischer Interpretation und möchte versuchen daran einige Überlegungen anzuschließen, um die besonderen Konturen des Theologiebegriffes bei Peterson deutlicher zu zeichnen. Gumbrecht weist darauf hin, wie sehr die institutionelle Ausdifferenzierung der Geisteswissenschaften seit dem Ende des 19. Jahrhunderts abhängig war vom Siegeszug des Paradigmas der Interpretation und der methodischen Zentralstellung der Hermeneutik. Ich denke, dass diese Beobachtung durchaus auch auf die methodische Formung und das 174 Assel, Politische Theologie, 73.

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materiale Selbstverständnis der Theologie als Wissenschaft übertragbar ist. Kann man sagen, dass die Historisierung der Theologie, ihre Umstellung vom dogmatischen Paradigma auf geschichtliche Fragestellungen und damit auch die Historisierung ihrer eigenen normativen Basis im Kontext der von Gumbrecht aufgewiesenen größeren ideen- und theoriegeschichtlichen Umstellung zu verorten ist? Dass damit auch die Gegenbewegung der „antihistoristischen Revolution“ auf dem positionellen Kampfplatz erschien, auf dem sich die Selbstbeschreibung der theologischen Wissenschaft in den 20er Jahren vollzog? Gerhard Sauter hat darauf hingewiesen, wie sich in der Hermeneutisierung der Theologie des 20. Jahrhunderts der Wegfall ihrer eigenen lebensweltlich verankerten Institutionen des Verstehens widerspiegelt.175 An die Stelle der Präsenzerfahrungen sind die Texte getreten, an die Stelle der Institutionen, in deren Kontext Präsenzen begegnen konnten, erfahrbar und lebbar waren, sind textuelle Rekonstruktionen ehemals lebensweltlicher Zusammenhänge getreten, die selbst aber nur virtuell bleiben können, während das ihnen zugrunde liegende basale Erfahrungsmaterial sich immer weiter entfernt und museal wird. In diesem Zusammenhang wird Petersons Insistieren auf den Präsentifikationen176, auf der konkreten Leiblichkeit, auf der ekklesialen Institutionalität als unhintergehbarer Voraussetzung von Theologie plausibel177. Allerdings doch auch im Sinne fast verzweifelter Beschwörungen, solange er selbst nicht den „Schritt in die entlastende Institution“178, den Schritt der Konversion zum römischen Katholizismus, gegangen war. Ob Peterson, nachdem er diesen Schritt gegangen war, die lebensweltlich grundierte Institution des Verstehens wirklich gefunden hat, bleibt eine Frage, deren Antwort noch nicht ausgemacht ist. Wo Peterson über die kritischen Analysen hinaus konstruktiv wird und so etwas wie erneuerte Institutionen des Verstehens in Form einer katholischen Volkskultur zu beschreiben versucht, wird eine rückwärts gewandte Sozialromantik nur allzu 175 Sauter, Hermeneutisches und analytisches Denken, 153: „Die Überlieferungen, an denen sich dieses Verstehen entzündet, waren bisher eingebettet in das soziale Leben, das durch Institutionen (Kirche, Staat, Recht) gebildet und geregelt wird. Doch nun versucht sich das Verstehen gegenüber diesen Institutionen allmählich zu verselbständigen, indem nicht mehr auf die sozialen Träger von Überlieferungen geblickt wird, sondern auf die Autoren von Texten. (…) Damit verändert sich aber auch die Hermeneutik als Umgang mit der Überlieferung ganz wesentlich. (…). An die Stelle der institutionengebundenen Traditionen tritt die Überlieferung selbst.“ 176 An dieser Stelle soll zumindest kurz angemerkt werden, dass Karl Barths Protest gegen die „Hermeneutisierung“ der Theologie (im oben beschriebenen Sinne) im Kulturprotestantismus in den frühen 20er Jahren den entgegen gesetzten Weg einschlug, nämlich den Weg zunächst die Absenz Gottes stark zu machen, die Selbstdistanzierung Gottes von einer Welt, die ihn mit einer bestimmten kulturellen Formation gleichsetzen wollte. Die von Bruce McCormack ausgemachte „Realdialektik von göttlicher Verhüllung und Enthüllung im Offenbarungsgeschehen“ hat ihren Akzent auf der Verhüllung. (McCormack). 177 Vgl. in kritischer Aufnahme von Peterson und Schlier: Ervens. 178 Lethen, 37.

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Peterson im Kontext der 1920er Jahre

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deutlich.179 Wenn Peterson eine katholische Volkskultur mit der Sammlung des „Volkes“ um den Altar herum beschwört, die Verknüpfung des ganzen „Seins“ dieses Volkes samt „Acker und Landschaft, Werkzeug und Vieh“ mit dem Altar betont180, dann war dergleichen doch wohl 1933 schon ein Anachronismus.

Gumbrechts Genealogie der Geisteswissenschaft und die oben vorgeschlagene Verflechtung der Theologie in diese Genealogie machen auch deutlich, dass die Theologie so oder so dem Sog des Kompensatorischen nicht wird entrinnen können. Es war und ist eine der grundlegenden Denkfiguren von Joachim Ritter und der an ihn anschließenden Schule, dass die Funktion der Geisteswissenschaften unter den Bedingungen der Moderne eine kompensatorische ist. Die Moderne hat die Bindungen zu ihren geschichtlichen Herkunftswelten gekappt, sie hat alle traditionalen Geltungen gleichsam reflexiv eingeklammert. Odo Marquard hat immer wieder darauf hingewiesen, wie schon Versachlichung und Innerlichkeit kompensatorisch zusammengehören, wie der mehr und mehr sich versachlichenden Welt eine freigesetzte Innerlichkeit dialektisch entspricht181. Der komplementäre Zusammenhang von Sachlichkeit und Innerlichkeit lag nach diesen Überlegungen schon dem kulturprotestantischen Widerpart Petersons zugrunde. Eine Theologie der Innerlichkeit war die modernitätsadäquate Antwort des 19. Jahrhunderts auf die Antagonismen der Moderne – bis in den großen Krisen, in denen das „lange 19. Jahrhundert“ zu seinem Abschluss kam, deutlich wurde, dass das Gewicht zu groß war, das auf der Subjektivität lastete, nämlich die in eine widersprüchliche Pluralität auseinander fallende Welt zusammenhalten und integrieren zu können. Und so kam es zum Versuch, eine Kompensation der Kompensation denken und in „Lebensversuche“ umsetzen zu wollen: eine „neue Sachlichkeit“ zu reklamieren, um der Innerlichkeit zu entrinnen. Nach dem Verlust der lebensweltlichen Institutionen des Verstehens sollte der geschichtliche Sinn, sollte das methodische Instrumentarium der Hermeneutik die lebensweltliche Leerstelle auffüllen, aber das, was zu verstehen gibt, entgleitet nur immer weiter – wenn es nicht im Modus sinnlicher Erfahrung, leibhaft gebunden, dem Verstehen neu appräsentiert werden kann182. Wenn 179 Vgl. Peterson, AS 9/1, 644 f., Neueste Entwicklung. 180 Ebd., 645. 181 Die Denkfigur begegnet in Marquards Aufsätzen allenthalben. Hier nur eine Stelle, die für unseren Zusammenhang besonders prägnant ist: „Die Versachlichung der Welt entschädigt sich durch die Genese der Innerlichkeit. Zur Entzauberung der Wirklichkeit gehört als Kompensation die Entwicklung der Subjektivität als Stätte einer ausgleichenden – der ästhetischen – Faszination. Wo die Vernunft zur Kontrollvernunft der Experimente und Formeln sich konzentriert und das nicht Experimentable dabei notwendigerweise ausklammern muß, entstehen nicht nur die exakten Naturwissenschaften, sondern auch – als gegenläufige Entschädigung, als Kompensation – der historische Sinn, der dasjenige geltend macht, was die Experimentalvernunft nicht erschließen kann: angesichts der Experimentalwelt ist er – kompensatorisch – der Agent der Lebenswelt.“, Marquard, 80. 182 Das in der Literatur der Moderne wirkungsmächtigste Bild für ein solches nicht-textuelles, nicht-interpretatives Verstehen, das dann allerdings vielschichtige Interpretationsprozesse

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sich die Geisteswissenschaften vom interpretativen Paradigma emanzipieren wollen, sei es, so Gumbrecht, ihre Aufgabe, „Begriffe für das Nichtbegriffliche“183 zu finden, einerseits eine Beschreibungssprache, um die vortheoretischen und vorinterpretativen Erlebnisse von Präsenz184 in den wissenschaftlichen Diskurs einzuspeisen, andererseits so etwas wie „praktische“ Anweisungen, Gumbrecht spricht von „deiktischen Gesten“185, also bloßen Hinweisen, um die Begegnung mit „geistiger Komplexität“186 zu ermöglichen. Es ginge in der zweiten Hinsicht darum, „Momente der Intensität zu beschwören und spürbar zu machen“187. Gumbrecht redet hier als Hochschullehrer von den didaktischen Aufgaben und Möglichkeiten, Studenten einzuweisen in den Raum ästhetischer Erfahrung. Sehr stark, und dem didaktischen Interesse an Wiederholbarkeit und Rechenschaftstfähigkeit eigentlich zuwiderlaufend, betont Gumbrecht die Unverfügbarkeit ästhetischen Präsenzerlebens188, das als Epiphanie ein diskontinuierliches, „insulares“ Aufleuchten der Präsenz ist. Mit einer aufschlussreichen und gleichwohl respektvollen Spitze gegen die Theologie betont Gumbrecht, dass „die Präsenz zumindest unter heutigen Verhältnissen – und insofern anders als die ,Realpräsenz‘ der mittelalterlichen Theologie – kein Bestandteil einer permanenten Situation werden kann (Diese Gewißheit beruht nicht auf begrifflichen Deduktionen, sondern ist eine beinahe ,praktische‘ Gewißheit, die in erster Linie auf Erfahrung basiert). Die Präsenz kann niemals etwas sein, woran wir uns sozusagen festhalten könnten.“189

Genau dieses letztere wird natürlich theologisch genau zu behaupten sein, sofern wir Präsenz sakramental zu denken haben, also von der Selbstbindung Gottes an das sakramentale Geschehen, wie es Peterson zum Kern seines theologischen Programms macht. Dabei kann es allerdings nicht um eine Verdinglichung des Sakraments in dem Sinne gehen, dass mit seinen Vollzügen, als missverstandenes ex opere operato, die Präsenz Gottes in die Hand des liturgisch Amtierenden gelegt wird. Präsenz ist gerade theologisch immer als Selbst-Präsentifikation Gottes zu verstehen, der in seiner Präsentifikation souverän und doch verlässlich bleibt. Gumbrecht selbst bemerkt seine „bedenkliche“ und für einen zeitgenös-

183 184 185 186 187 188 189

und unabschließbare Verweisungszusammenhänge eröffnet, ist Prousts Initatitionserlebnis, dem über den Geschmack von Brioche und Lindenblütentee die verloren gegangene Zeit gleichsam sakramental wieder präsent wird. Gumbrecht, 163. Gumbrecht spricht von drei Präsenzformen: „Epiphanie/Präsentifikation/Deixis“, Ebd., 111. Ebd., 115. Ebd. Ebd., 118. Erleben – um deutlich zu machen, dass für Gumbrecht „Erfahrung“ immer schon ungleich stärker interpretativ kontaminiert ist. Ebd., 117.

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Resümee

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sischen Geisteswissenschaftler seiner eigenen Einschätzung nach fast „geschmacklose“ Nähe zur Theologie, in die er sich argumentativ begeben hat. Theologische Gesprächspartnerin oder theologischer Widerpart ist für ihn Catherine Pickstock, die in Cambridge forschende und lehrende Schülerin von John Milbank. Den für ihn entscheidenden Differenzpunkt zur Radical Orthodoxy–Schule, der er sich in vielem durchaus verbunden weiß, findet Gumbrecht darin, dass er selbst kein Sensorium für das habe, was die Theologen „liturgische Praxis“ nennen und damit die Suchbewegung meinen, die sich auf die Präsenz des „beyond being“ in Gewährung und Entzug richtet. Gumbrecht erkennt, dass dieser Vorbehalt weniger in theoretischen Grenzziehungen liegt, als vielmehr in dem, was Quelle der theoretischen Bewegung ist, nämlich in einer geteilten oder nicht geteilten Praxis, in der das Aufscheinen von Präsenz geschieht. Den Argumenten von Catherine Pickstock wird im Folgenden noch eigens nachzugehen sein. Hier sei nur schon so viel bemerkt, dass liturgische Praxis für die Theologinnen und Theologen der Radical Orthodoxy–Schule genau diese Doppelbewegung ist, die sich der Verdinglichung und Selbstermächtigung entzieht: von Identität und Verwandlung, von Nähe und Distanz, Annäherung und Entzug190, die das vereinzelte Seiende hineinzieht in die umfassende Partizipation/Methexis an der alles übersteigenden Wirklichkeit Gottes. Ohne dass der Name Petersons in diesen Zusammenhängen genannt wird, liegt es auf der Hand, dass aus einer Kontinuität der Bezugsprobleme heraus, die Gumbrecht in den 20er Jahren kulminieren sieht, die Anliegen Petersons in gegenwärtigen Diskursen begegnen.

3.6 Resümee dieses Abschnitts Diesen Abschnitt unserer Untersuchung abschließend fragen wir nach dem Ertrag unserer Untersuchung von Petersons Präsentifikationsstrategien für den theologischen Begriff der Öffentlichkeit. Ausgangspunkt der Überlegungen war die These, dass der von Peterson namhaft gemachte „spezifisch kirchliche (der kosmisch-religiöse) Öffentlichkeitsbegriff“191 selbst eine besondere Form von Öffentlichkeit in der theologischen Arbeit fordern würde, eine „öffentliche Theologie“, die in Form und Inhalt auf den „Öffentlichkeitscharakter“ der Kirche hinzuweisen hätte und an diesem Öffentlichkeitscharakter teil hätte. Wir sahen, dass Peterson material die dogmatische Bindung der Theologie hervorhebt, indem er Theologie entwirft aus dem inneren Gefälle von inkar190 Dazu Pickstock, After Writing; dort v. a. die Interpretation der römischen Messe in Teil II des Buches “The impossible Liturgy”. 191 AS 1, 186, Briefwechsel mit Harnack.

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natorischer Offenbarung hin zum „gegebenen“192 Dogma und zur argumentativen Fortsetzung des Dogmas. In den Arbeiten seiner evangelischen Zeit macht Peterson dieses Gefälle immer wieder kritisch-polemisch gegen Theologie und Kirche seiner Zeit geltend, bis hin zum Abschluss dieser Lebensphase im Harnack–Briefwechsel von 1928, den Peterson erst nach seiner Konversion in der Zeitschrift „Hochland“ publiziert mit dem Zusatz eines „Epilogs“, der auch so etwas wie eine abschließende Nachschrift zur Möglichkeit oder Unmöglichkeit evangelischer Theologie und Kirche ist. In diesem „Epilog“ bestreitet Peterson „prinzipiell“, dass eine gegenstandsbezogene kontroverstheologische Auseinandersetzung zwischen Protestantismus und Katholizismus überhaupt möglich sei, weil die evangelische Kirche diesen Öffentlichkeitscharakter mit dem Wegfall des landesherrlichen Kirchenregiments schon zur Gänze verloren habe193. Mit der Konversion Petersons ändert sich, so fanden wir, die polemische Ausrichtung. Sie wendet sich gegen den heraufziehenden und schließlich sich durchsetzenden totalitären Staat. Petersons Präsentifikationsstrategien verlassen die Bedingungen des akademischen Diskurses, sie werden existentieller, die Polemik wird externalisiert gegen den äußeren Feind und Theologie gewinnt ein inneres Gefälle zur Situation des Zeugnisses – so sehr, dass der theologische Vortrag über Akklamation umschlagen kann in den Vollzug von Akklamation. Bedienen sich die Texte Petersons einer von Kierkegaard inspirierten „antipersuasiven Rhetorik“ der indirekten Mitteilung, so kommt diese Mitteilungsform in diesen Vollzügen zu ihrem originären Ziel: nämlich existentielle Aneignung zu ermöglichen, die erst jenseits des theologischen Diskurses beginnt. Hier zeigt sich, wie sehr Peterson seine Theologie bewusst formt und „inszeniert“, auf Wirkung hin anlegt. Diese „öffentliche Theologie“ artikuliert rhetorische Evidenzen und verweist auf die originären Präsenzerfahrungen in der primären Praxis der Kirche: in der Praxis von Liturgie und Zeugnis. Diese Praxis ist nicht adäquat abbildbar in theologischer Argumentation. Präsenz Christi in Liturgie und Zeugnis ist „Apokalypsis“, Selbstvergegenwärtigung des dreieinigen Gottes, die die Kontinuitäten der Immanenz unterbricht und doch das leibhafte Sein des Geschöpfes in sich aufnimmt und übersteigt. Es bleibt die Frage: ist mit dieser rhetorischen Präsentifikation und Inszenierung der Raum seriöser Theologie, also einer Theologie, die sich ihrer wissenschaftlichen Standards gewiss bleibt, verlassen? Liegt hier eine bedenkliche Grenzüberschreitung hin zum Kerygmatischen vor, eine Homiletisierung der Theologie, die gerade den Modus kritischer Distanz aufgibt, der Reflexion erst ermöglicht? Rückt damit, bei aller polemischen Schärfe Petersons gegenüber journalistischen Degenerationen, Theologie nicht gerade ins feuilletonistische Zwielicht? Man wird urteilen können, dass diese kalkulier192 AS 1, 16, Was ist Theologie? 193 AS 1, 189, Briefwechsel mit Harnack.

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Resümee

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ten Grenzüberschreitungen bei Peterson einerseits ausgeglichen bleiben durch das Ausmaß einer außerordentlichen historischen Gelehrsamkeit, aus welcher heraus wie durch ein Rankenwerk die überraschende Pointe mit der Schärfe der dogmatischen Distinktion springt, dass andererseits diese Theologie bewusst den Raum der Kirche aufsucht, um sich von dort ihre Verbindlichkeiten vorgeben zu lassen. Dogmatische Kälte und rhetorische Hitze scheinen sich hier zu entsprechen. Bei aller antihistoristischen Positionierung und antisubjektivistischen Verschärfung entgeht Peterson allerdings der inneren Dialektik der Dezision nicht: die Dezision gegen die Subjektivität bleibt doch eine subjektive Dezision, in sehr individuellem Stil artikulierte „Sinnfindungs-Initiative“194 eines theologischen Außenseiters und Einzelgängers, der nicht selten mit der provozierenden Schärfe seiner Thesen kokettierte. Diese Eigentümlichkeit eines theologischen Stils macht den Reiz der Arbeiten Petersons bis heute aus, bleibt allerdings auch ihre Grenze. Von Peterson wird dies zu lernen sein: dass ein theologischer Öffentlichkeitsbegriff auf ein agonales Potential, auf eine bewusst artikulierte offensive Differenzfähigkeit nicht wird verzichten können. Nur eine „angriffslustige“, eben eine provozierende Theologie wird auf die Präsenz Gottes verweisen können, bis dahin, dass sie je und dann diese Präsenz zu evozieren vermag, indem sie in den Raum der Liturgie einweist und an den Ort des Zeugnisses führt. Dies aber ist und bleibt eine Grenzbestimmung theologischer Arbeit, die Peterson in den Auseinandersetzungen mit dem politischen Totalitarismus zu bewähren hatte. In der Pragmatik gegenwärtiger Theologie, zumindest der europäischen und deutschsprachigen Theologie, scheinen diese Bestimmungen allerdings nicht mehr oder noch nicht wieder vorzukommen. Ein theologischer Öffentlichkeitsbegriff in der pluralen Gesellschaft mit ihren gegenwärtig sich abzeichnenden Konfliktfeldern wird allerdings mit ihnen zu rechnen haben.

194 Frank, Stil, 57.

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4. Macht und Mächte: Politische Theologie in apokalyptischem Horizont 4.1 Politische Öffentlichkeit und kirchliche Öffentlichkeit Es ist offensichtlich, dass der Begriff der Öffentlichkeit nicht in erster Linie deskriptiv gewonnen wird, also nicht nur aus einer Analyse des Gegebenen in politischen oder soziologischen Kategorien entwickelt werden kann. Dies gilt für Petersons Entwurf des kirchlichen Öffentlichkeitsbegriffes ebenso wie für jeden politischen und gesellschaftlichen Öffentlichkeitsbegriff. Im Öffentlichkeitsbegriff schwingen jeweils starke normative Anteile mit. Der Öffentlichkeitsbegriff hat seinen Ort in einer jeweils spezifischen politischen Praxis, aus welcher er entspringt und auf welche er normativ bezogen ist. Dies berührt die Grundidee eines politischen Öffentlichkeitsbegriffes, der seine pragmatische Basis im gesellschaftlich eingebundenen Prozess politischer Willensbildung hat. Und es betrifft in ähnlicher Weise einen kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff. Dieser hat seinen Ort in der liturgischen Praxis der Kirche. Im politischen Öffentlichkeitsbegriff geht es um den Anspruch, dass sich im öffentlichen politischen Diskurs die Vernunft selbst durchsetzt und letztlich alle widervernünftigen Herrschaftsformen einer zersetzenden Kritik unterzieht. Die vom Staat unterschiedene pluralistische Gesellschaft ist der Ort, an dem über das Politische entschieden wird, wo verschiedene Geltungsansprüche gesellschaftlicher Akteure aufeinander stoßen und diskursiv einer Klärung und einem Konsens entgegen geführt werden, der als inneres telos schon allen gesellschaftlichen Verständigungsprozessen zugrunde liegt. Im Gottesdienst der Kirche kommt dagegen der Rechtsanspruch Gottes auf sein Volk zur Geltung. Diesem Rechtsanspruch akklamiert die Ekklesia, die Ratsversammlung der himmlischen Stadt. Sie widerspricht damit allen Zumutungen, den politischen Raum diesem Herrschaftsanspruch Gottes zu entziehen. Damit wird deutlich, dass wir uns auch in der Frage des kirchlichen Öffentlichkeitsbegriffes, wie im Falle eines konkurrierenden politischen Öffentlichkeitsbegriffs, im politischen Raum bewegen, in welchem in Frage steht, wer legitime politische Macht besitzt und seine Ansprüche durchsetzen kann. In der Verhältnisbestimmung zwischen dem politischen Öffentlichkeitsbegriff und dem kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff, oder, in der Formulierung Petersons, zwischen dem „staatlichen“ und dem „spezifisch kirchlichen

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(kosmisch-religiösen) Öffentlichkeitsbegriff“1 stellt sich das politisch-theologische Problem. Wir können das politisch-theologische Problem auch beschreiben als die Frage nach Legitimation von Herrschaft, nach der Begrenzung von politischer Gewalt und letztlich nach der Beziehung von „Herrschaft und Heil“2, wie Jan Assmann das Thema „politischer Theologie“ prägnant formulierte. Im Selbstverständnis der Moderne bedeutet der emphatischnormative Gebrauch der Kategorie der Öffentlichkeit, dass sich Formen legitimer Machtausübung aus der diskursiven Selbstdurchsetzung der Vernunft ergeben und keiner Legitimation von außerhalb des politischen Verfahrens bedürftig seien, dass vielmehr jede Inanspruchnahme einer der Vernunft vorgegebenen Ordnung einen grundsätzlichen Angriff darstelle auf die „Sphäre öffentlicher, ungezwungener Meinungs- und Willensbildung der Mitglieder einer demokratischen politischen Gemeinschaft über die Regelung der öffentlichen Angelegenheiten.“3 Diese liberale Fassung des politischen Öffentlichkeitsbegriffes muss jeden Anspruch einer nicht der Selbstbesinnung der Vernunft entspringenden religiösen Ordnung zurückweisen und dieses Religiöse aus der Sphäre des Öffentlichen verdrängen und der entgegen gesetzten Sphäre des Privaten zuweisen. In dieser Sicht sind Herrschaft und Heil einander antitypisch entgegengesetzt. Diesem Selbstverständnis des klassischen liberalen Öffentlichkeitsbegriffes setzt Peterson seine Rede von der spezifisch kirchlichen Öffentlichkeit entgegen. Peterson verfolgt dabei mehrere Intentionen. Zum einen entgrenzt der kirchliche Öffentlichkeitsbegriff das Feld des Politischen: das Politische ist kein autonomer Wirklichkeitsbereich, sondern betrifft jeden Bereich des sozialen Lebens. Zum anderen begrenzt Peterson die Formen religiöser Legitimation des Politischen: Legitimation politischer Praxis ist streng auszurichten am normativen Maßstab der Herrschaft Christi. Es gibt nach Peterson eine Form von Öffentlichkeit, die nicht an die diskursive Selbstdurchsetzung der Vernunft gebunden ist und über die Institutionen der politischen Willensbildung hinausreicht. Die Herrschaft Gottes über die himmlische Polis und die Partizipation der Ekklesia an dieser Herrschaft übersteigt als letzter Horizont alle partikularen Öffentlichkeiten und bleibt gleichwohl auf die partikularen politischen Öffentlichkeiten bezogen, die in ihren Herrschaftsansprüchen begrenzt werden. Zum anderen aber bleibt dieser religiöse Öffentlichkeitsbegriff gleichsam auf der Innenseite der Religion verankert, artikuliert sich in der liturgischen Praxis, und wird so seinerseits davor bewahrt, sich selbst als politische Form zu totalisieren: die Herrschaft Gottes begrenzt jede Form politischer Herr1 AS 1, 186. 2 Assman, dort definitorisch: „Politische Theologie hat es mit den wechselvollen Beziehungen zwischen politischer Gemeinschaft und religiöser Ordnung, kurz zwischen Herrschaft und Heil zu tun.“ Ebd., 15. 3 Peters, 59.

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schaft und lässt sich nicht als „politische Theologie“ zur bloßen religiösen Legitimation politischer Herrschaft missbrauchen – so die berühmte Pointe des Monotheismus–Traktats. Mit der Begriffsbildung Petersons ist also das politisch-theologische Problem angesprochen und einer deutlich konturierten Lösung entgegen geführt, die in den großen ideologischen Kontroversen des 20. Jahrhunderts einen markanten Platz einnimmt. Carl Schmitt sah sich noch im Jahre 1970, lange nach Petersons Tod und 35 Jahre nach der Erstveröffentlichung des Monotheismus-Traktats, genötigt, auf die Herausforderung Petersons zu antworten4. Schmitt unterstellt Peterson hier, mit dem Monotheismus-Traktat den Anspruch erhoben zu haben, jede Politische Theologie „erledigt“ zu haben, damit also einer unpolitischen, einer „reinen“5 Theologie das Wort zu reden. Diese Kontroverse wird noch genauer zu betrachten sein. An dieser Stelle kann es nur darum gehen, zu verdeutlichen, dass die spezifische Form der „Politischen Theologie“ Petersons darin liegt, der Totalisierung des Politischen entgegenzutreten und das Politische selbst einzuzeichnen in einen geschichtstheologischen Rahmen, der letztlich apokalyptisch qualifiziert ist. Diese Theologie Petersons ist mithin alles andere als unpolitisch, vielmehr in hohem und nicht „ungefährlichem“ Maß selbst eine politische Theologie. Dieser geschichtstheologische Rahmen, seine inhaltliche Füllung und die geschichtlichen Bedingungen dieser „Politischen Theologie“ sollen im Folgenden nachgezeichnet werden. Ein erster Durchgang wird sich auf den Briefwechsel mit Adolf von Harnack beziehen. Der Briefwechsel selbst stammt aus dem Jahr 1928, wurde aber erst im Jahr 1932/33 in der katholischen Zeitschrift „Hochland“ veröffentlicht und von Peterson durch einen systematisch bedeutsamen Epilog kommentiert. Erst im Epilog des Jahres 1932 nennt Peterson „den spezifisch kirchlichen (den kosmisch-religiösen) Öffentlichkeitsbegriff“ in Abhebung vom „staatlichen“ Öffentlichkeitsbegriff. Im Briefwechsel des Jahres 1928 können wir allerdings trennscharf die Genese der Fragestellung beobachten, die Peterson dahin geführt hat, überhaupt einen eigenständigen Begriff des Öffentlichen zu entwickeln. Die Art, wie Peterson theologische Zeitgenossenschaft und exegetische Arbeit an den biblischen Quellen verschränkt, macht das eigentümlich Profil seiner Begriffsbildung aus: scharfe und kritische Wahrnehmung der Lage der evangelischen Kirchen einerseits und exegetische Rekonstruktion der urchristlichen Apokalyptik finden im Öffentlichkeitsbegriff zueinander. In einem zweiten Durchgang soll es um das politisch-theologische Problem gehen. Es ist offenkundig, dass Peterson den Begriffen Carl Schmitts zutiefst verpflichtet ist. Barbara Nichtweiß war die erste, die diese Zusammenhänge aus den zum großen Teil noch unveröffentlichten Quellen heraus erarbeitet und in einer ganzen Reihe von Studien systematisch erschlossen hat. Auch im Denken Schmitts spielt die Frage nach der Öffentlichkeit eine 4 Schmitt, Politische Theologie II. 5 Ebd., 86 f.

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prominente Rolle. Schmitt rühmte am römischen Katholizismus gerade die „Kraft zur Repräsentation“6, zur öffentlichen Darstellung der Idee, auch der politischen Idee, die im Raum des Öffentlichen „Gestaltung, Figur und sichtbares Symbol“7 wird. Alle politische Wirklichkeit zehrt nach Schmitt von dieser Kraft zur Repräsentation, die in der technisch-ökonomischen dominierten Moderne zu verkümmern drohe. An dieser Fähigkeit zur Repräsentation macht sich konsequenterweise auch der Widerspruch gegen die Kirche fest, der „Anti-römische Affekt“8, von dem Schmitt spricht. In ähnlichem Sinne behauptet Peterson für die Kirche eine genuin politische Form. Wo allerdings Schmitt in den 30er Jahre in seiner Liaison mit dem Nationalsozialismus die Kraft zur Repräsentation auf „Staat, Volk, Bewegung“ zu transferieren suchte und in seinem Hobbes-Buch des Jahres 1937 der Kirche jede eigenständige und öffentliche Rolle im Gegenüber zum neuzeitlichen Staat absprach, da suchte Peterson gerade von der besonderen politischen Verfasstheit der Kirche her dem Übergriff des totalisierten Politischen auf die Kirche zu wehren. Dieser nahen und gleichwohl widerspruchsvollen Beziehung zwischen Schmitt und Peterson wird nachzugehen sein. In diesem Kapitel soll der kirchliche Öffentlichkeitsbegriff Petersons auch als spezifische Form „politischer Theologie“ entwickelt werden, die einen Begriff des Politischen entwirft, in welchem die Raum- und die Zeitdimension eine besondere Rolle spielen. Wir werden die apokalyptische Geschichtstheorie interpretieren, die Peterson als Rahmen seines Denkens entwirft. Die Öffentlichkeit der Kirche steht nach Peterson in einer agonal strukturierten Wirklichkeit, in einem Gegeneinander der Mächte. Apokalyptisches Geschichtsdenken und die realistische sakramentale Ontologie entsprechen einander im Denken Petersons. Von diesem Geschichtsbegriff her grenzt sich Peterson scharf gegen das Geschichtsdenken des 19. Jahrhunderts ab, gegen Historismus und Evolutionismus und ihre theologischen Ausprägungen im Denken des Neuprotestantismus. Auch hier werden wir wieder dem polemischen Profil Carl Schmitts begegnen. Schmitt wurde genau dies zum Vorwurf gemacht, dass er die apokalyptische Grundstruktur seines politisch-theologischen Denkens in einen Entwurf des politischen Prozesses einbringe und so den „Begriff des Politischen“ einseitig vom Konflikt und von der Feindschaft her denke. Es wird zu prüfen sein, inwieweit dieser Vorwurf auch gegen Peterson erhoben werden könnte.

6 Schmitt, Römischer Katholizismus, 32. 7 Ebd., 37. 8 Ebd., 5.

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Macht und Mächte

4.2 Der kirchliche Öffentlichkeitsbegriff: Genese einer Fragestellung: Briefwechsel mit Harnack Am deutlichsten wird das Öffentlichkeitsproblem bei Peterson in den Arbeiten der Jahre 1936 – 38 behandelt. Die Auslegung der ersten zehn Kapitel der Apokalypse von 1936/379 und die Schrift „Der Zeuge der Wahrheit“ von 1937 bringen das Anliegen des kirchlichen Öffentlichkeitsbegriffes in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus scharf zur Geltung. Allerdings bewegt nicht erst die Frontstellung gegen den totalitären Staat Peterson dazu, dem Öffentlichkeitsbegriff eine systematische Schlüsselstellung zuzuweisen. Schon in den 20er Jahren entwickelt Peterson den betonten Öffentlichkeitsbegriff als dezidiert liberalismuskritische Position im Gegenüber zur Theologie des Kulturprotestantismus. Die Genese dieser Fragestellung, ihre schrittweise Verdeutlichung und ihre schließlich scharfe Profilierung, sozusagen die semantische Eskalation, können wir in den Arbeiten Petersons seit Mitte der 20er Jahre gut verfolgen. Gleich zwei Schritte dieser Entwicklung können wir nachvollziehen im „Briefwechsel mit Adolf Harnack“, den Peterson 1932/33 in der katholischen Zeitschrift Hochland veröffentlichte10 : den ersten Schritt geht Peterson, wenn er die Situation der evangelischen Kirche nach dem Ende der alten Monarchie, also nach dem Verlust der staatsrechtlich herausgehobenen Position des Protestantismus, als eine Situation des Öffentlichkeitsverlustes beschreibt.11 Den zweiten Schritt vollzieht Peterson, wenn er diese Wertung systematisch in zwei alternative Öffentlichkeitsbegriffe auseinander legt: den staatlichen und den alternativen kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff12. Im Briefwechsel selbst, im Jahre 1928, wird der Ausgangspunkt der Frage nach der Öffentlichkeit bei Peterson deutlich: Es ist die ekklesiologisch reflektierte Enttäuschung über den „Öffentlichkeitsverlust“ der evangelischen Kirche. Den Übergang vom faktischen Staatskirchensystem des Kaiserreiches zur „Körperschaft“ im Kontext der Weimarer Demokratie beschreibt Peterson als einen Verlust von Öffentlichkeit. Und doch bildet dieser staatskirchenrechtliche Vorgang nur die Außenseite dessen, was Peterson als einen inneren Erosionsprozess der protestantischen Kirche und Theologie versteht, nämlich den schlichten Verzicht auf eine Form von „dogmatischer Autorität“. Peterson sieht die Notwendigkeit, diese „Autorität“ neu zu suchen, nachdem die Berufung auf die Heilige Schrift als Legitimationsgrundlage, das, was Petersons 9 10 11 12

AS 4, 139 – 222. AS 1, 175 – 194. Vgl. die eindringliche Interpretation des Briefwechsels bei Bauer, 401 f. „Die protestantische Landes-,Kirche‘ hat nur zwei Möglichkeiten ,öffentlich‘ zu werden. Sie kann entweder den staatlichen oder den spezifisch kirchlichen [den kosmisch-religiösen] Öffentlichkeitsbegriff für sich in Anspruch nehmen.“, ebd., 186.

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den „altprotestantischen Biblizismus“ nennt, durch die neuzeitliche Bibelkritik zerfallen sei. Wo die Kirche die dogmatische Autorität grundsätzlich ablehnt, verliert sie nach Peterson die Möglichkeit zur Stellungnahme, zum „Standpunkt“, verliert sie die Möglichkeit identifizierbar, unterscheidbar und in diesem Sinne öffentlich zu sein. Noch in einem anderen Sinne geht es im Briefwechsel um eine exemplarische Öffentlichkeit. Hier liegt uns eine Rechenschaft Petersons für seine Konversion vor. Allerdings nicht als eine private confessio, sondern in einer Form, die Peterson selbst wohl für die allein öffentlichkeitsfähige hielt: Als eine dogmatische Rechenschaft, in der die persönlichen Motive ganz eingewoben sind in argumentative Zusammenhänge und die subjektiven Anteile nur je und dann – dann allerdings kräftig – aufblitzen im genus der Polemik13. Mit den in den 20er Jahren gewonnenen begrifflichen Mitteln kann Peterson dann 1936 – 38 die eigentümliche Lage der Kirche angesichts des totalen Staates theologisch als ein Problem der Öffentlichkeit beschreiben. Provozierend für unsere heutige Wahrnehmung ist sicher vor allem die These, dass die Tendenz eines liberalen Politikverständnisses und eines liberalen Gesellschaftsbegriffes zur Privatisierung von Religion für Peterson im Totalitarismus des nationalsozialistischen Staates kulminiert – dann aber paradoxerweise in ihr Gegenteil umschlägt: Die vollständig privatisierte Religion hört auf privat zu sein, vielmehr ordnet der totale Staat Religion und Kirche vollkommen in seinen Herrschaftsapparat ein, erklärt sie damit zu einer Sache von öffentlichem Interesse qua negatione. Dieses Vorgehen schafft allerdings Märtyrer, die gerade dort, wo die staatliche Gewalt in Verurteilung und Hinrichtung zu triumphieren scheint, eine neue Öffentlichkeit gewinnen, die sowohl staatlich-politische Bedeutung wie auch religiöse Qualität besitzt: Im Martyrium „offenbaren“ sich die Wirklichkeit des Staates einerseits und die Wirklichkeit Christi und der der Seinen andererseits. Diese argumentative Linie Petersons gilt es hier, im Briefwechsel mit Adolf von Harnack14, in ihrer Genese aufzuweisen. Der eigentliche Briefwechsel zwischen Peterson und Harnack lag zum Zeitpunkt der Veröffentlichung im „Hochland“ schon mehr als vier Jahre zurück. Harnack war am 10. Juni 1930 verstorben. An den Briefwechsel, der über einen Zeitraum von weniger als einem Monat drei Briefe Harnacks und zwei Briefe Petersons umfasst, schloss Peterson aus der Distanz von vier Jahren einen bedeutsamen, den Umfang der Briefe insgesamt übertreffenden, 13 Nur die Fußnote 10 (Ebd., 193) gibt tiefere Aufschluss über die persönlichen Gründe, die Peterson zur Konversion geführt haben: „Psychologisch gesehen, haben der Pietismus und Kierkegaard vielleicht den entscheidenden Anstoß zur Rückkehr zum katholischen Glauben gegeben, aber letzthin führen alle Wege des Protestantismus nach Rom.“ Peterson nimmt hier Karl Barth gegen Georg Wobbermin in Schutz, der behauptet hatte, dass Barth für Petersons Konversion verantwortlich sei. 14 Ist es Zufall, dass es bei Peterson „Adolf Harnack“ heißt, also das Adelsprädikat „von“ Harnack weggefallen ist, obwohl die Briefe mit „v. Harnack“ unterzeichnet sind? Vgl. AS 1, 277.

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„Epilog“ an, der das Gespräch mit Harnack systematisch aufnimmt und fortsetzt. In einigen kurzen Einleitungssätzen der Publikation im „Hochland“ rekapituliert Peterson den Anlass des Briefwechsels. Dieser nahm seinen Ausgang von einer Abhandlung Harnacks in den Sitzungsberichten der Berliner Akademie der Wissenschaften mit dem Titel „Das Alte Testament in den Paulinischen Briefen und in den Paulinischen Gemeinden“ aus dem Jahr 1928. In dieser Abhandlung hatte Harnack geltend gemacht, dass das Alte Testament in den paulinischen Gemeinden nur vermittelt durch den Maßstab der apostolischen Lehre rezipiert worden sei. Peterson antwortete Harnack auf die Zusendung der Abhandlung und setzte hinzu, dass damit „das katholische Prinzip zum Ausdruck gebracht“15 sei, das die Heilige Schrift im Kontext der Lehrtradition lese und deute. Im Briefwechsel ist dann als erstes Schreiben eine kurze Replik von Harnack wiedergegeben. Harnack schreibt dass, „formal“ betrachtet, das katholische Traditionsprinzip gegenüber dem altprotestantischen Schriftprinzip wohl das überlegene sei, dass aber „material“ die Bindung an die neutestamentlichen Schriften die „besten Quellen“ privilegiere16. Harnack behauptet also nicht eine systematisch, etwa durch eine „Inspirationslehre“, abzusichernde Vorrangstellung der kanonischen Schriften. Vielmehr ergebe sich deren Überlegenheit gegenüber der „Tradition“ und ihren teilweise willkürlichen Entstellungen aus der Geschichte selbst. Harnack argumentiert hier wie im weiteren ganz als „Historiker“. Petersons Entgegnung verkennt hier doch, dass Harnacks Position ganz schlüssig ist, wenn er bemerkt: „Wenn ich Sie recht verstanden habe, so handelt es sich darum, dass Sie als Dogmatiker (=formal) den katholischen Standpunkt billigen, ihn als Historiker (=material) dagegen ablehnen.“17 Peterson wittert hier das Problem einer „doppelten Wahrheit“, einer Differenz zwischen dogmatischem und historischem Denken, die sich wechselseitig gegeneinander immunisieren. Harnack ging es aber gerade gegen die doppelten Instanzen von Geschichte und Autorität um das in sich geschlossene Kontinuum des Historischen, das eine dem historischen Prozess externe Dezision, „die Gartenschere des Lehramts“18 wie Harnack ironisch schreibt, nicht vertrage. Peterson führt eine Reihe von Beispielen an, mit denen er seinen Vorwurf, dass Harnack sich einer „doppelten Betrachtungsweise“ bediene, zu belegen versucht. Die Beispiele Petersons haben ihre Pointe darin, dass sich für die Historiker „katholische“ Positionen als Ergebnisse historischer Forschung ergeben, während die traditionell protestantische dogmatische Position dieses Ergebnis nicht anerkennt. Als derartige Forschungsge15 16 17 18

AS 1, 177. Ebd. Ebd., 178. Ebd., 177.

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genstände führt Peterson an: Herrenmahl als Gedächtnismahl oder als Opfermahl, Kirchenrecht oder charismatische Freiheit, apostolische Sukzession oder Verzicht auf Übertragung eines Amtscharisma. In all diesen Fällen klaffen „katholische„ , also historische, Rekonstruktion und „protestantisches“, also dogmatisches, Vor-Urteil auseinander. In Petersons Argumentation fällt allerdings auf, dass alle diese Streitfragen sich nicht durch eine externe Instanz klären lassen. Sie sind und bleiben historische Fragen, die sich zwar der Relativität des historischen Urteilens nicht entwinden lassen, jedoch in den Grenzen dieser Relativität einer Klärung entgegen geführt werden können, womit allerdings die Frage ihrer dogmatischen Normativität noch nicht entschieden ist. Petersons Votum für die „dogmatische Stellungnahme“ leitet sich nicht aus der Frage ab, wie historische Probleme mehr oder weniger gut geklärt werden könnten. Vielmehr geht es Peterson um die Entscheidung gegenwärtiger Streitpunkte, es geht ihm um die „Wirksamkeit der Kirche“19, die daran hängt, dass die Kirche einen „Standpunkt“ einnehmen kann: „Ich bin so oft von Medizinern, Juristen, Nationalökonomen und Politikern nach der Stellung der evangelischen Kirche zu Fragen der betreffenden Sachgebiete angegangen worden. Ich habe immer wieder feststellen müssen, dass die evangelische Kirche zu den betreffenden Fragen keine Stellung nehmen konnte, weil ihr infolge des Fehlens einer dogmatischen Grundlage ein ,Standpunkt‘ nicht möglich war. Übrig blieb nur die Unverbindlichkeit einer allgemeinen moralischen Paränese …“20.

Peterson sucht also nach einem „Standpunkt“, der nicht „unverbindlich“ bleibt. Die erstrebte Verbindlichkeit eines solchen Standpunktes hätte sich daran auszuweisen, dass er profundere Ansprüche zu stellen hätte als nur moralische Appelle. Was stattdessen? Vielleicht einen direkten mit Wahrheitsansprüchen gedeckten Durchgriff in die Dimension des Handelns? Peterson fährt an der oben zitierten Stelle fort: „Das sehe ich deutlich, dass sich die evangelische Kirche damit um jeden Einfluß bringt, ja daß sie sich selber damit aufgibt. Die Kirche hört auf eine ,öffentliche‘ Größe zu sein, wenn sie auf eine dogmatische Stellungnahme verzichtet.“ Hier sind wir nun an dem Punkt, wo die Kategorie des „Öffentlichen“ im Briefwechsel zum ersten Mal begegnet. Öffentlich ist für Peterson das, was wirksam ist, was Einfluss geltend machen kann. Wirksam ist aber nur das, was einen klar konturierten Standpunkt ausweisen kann, was nur über eine Stel19 Ein thetischer Satz wie „Aber ohne jede dogmatische Autorität kann es keine Kirche – und was schlimmer ist – keine Wirksamkeit der Kirche mehr geben.“ (Ebd., 178) stellt einem ja die Frage, wie er gemeint sei. Wenn es keine Kirche gäbe, könnte es ja auch keine Wirksamkeit der Kirche geben. Insofern wäre es doch „schlimmer“, wenn es keine Kirche gäbe als wenn die existierende Kirche nicht wirksam wäre. Festzuhalten ist hier sicher, dass die Bestimmung der Kirche ihre Wirksamkeit ist und dass eine Existenz der Kirche ohne Wirksamkeit diese Existenz in ihrer Legitimität radikal in Frage stellt. 20 Ebd.

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lungnahme, das heißt eine begründete Entscheidung im Einzelfall, möglich ist. Diese aber ist wiederum nur möglich dort, wo eine Autorität vorhanden ist, eine personale oder formale Instanz, die legitimiert ist, Entscheidungen zu fällen. Wo das formale Prinzip des alten Protestantismus, das absolute Schriftprinzip, im Feuer der historischen Kritik hingefallen ist, und auch die personale Instanz des landesherrlichen Kirchenregiments als „dogmatische(s) Supplement“ in Fortfall gekommen ist, sind dem Protestantismus nach Petersons Urteil alle Glieder der Kette auseinander gefallen: ohne Autorität keine Entscheidung, ohne Entscheidung kein Standpunkt, ohne Standpunkt keine Wirksamkeit, ohne Wirksamkeit keine Öffentlichkeit, ohne Öffentlichkeit aber ist es überhaupt nicht mehr möglich von der Existenz einer „Kirche“ zu sprechen: „Eine protestantische Kirche (…) gibt es (…) nicht mehr.“21 Diese „enthymematische“22 Argumentationskette, ist für Peterson ganz typisch. Im Zusammenhang des Jahres 1928 hängt der Öffentlichkeitsbegriff noch ganz an den soziologischen und politischen Kategorien der Einflussnahme in politischen und gesellschaftlich relevanten Fragen. Diese Kategorien wird Peterson in den folgenden Jahren sehr wesentlich vertiefen. Harnacks Antwort vom 28. Juni 28 zielt ganz auf das Problem der „Autorität“ ab, das Peterson selbst ja als entscheidend für die Frage der Öffentlichkeit bezeichnet hatte. „Religiöse Gemeinschaft“ im Sinne Harnacks kommt nur zustande ohne „eine absolute formale Autorität“, wie sie dem Kirchesein des römischen Katholizismus zugrunde liege. „Kirche“ in diesem Sinne wie der römische Katholizismus ist der Protestantismus für Harnack in der Tat nicht. Als „wirkliche religiöse Gemeinschaft“ komme er „ausschließlich“ zu Stande „durch das Erfahrungs- und Glaubenszeugnis erweckter Personen, das Resonanz und Licht in andern Personen hervorruft.“23 Konsequent nimmt Harnack diesen erfahrungszentrierten Individualismus auch für die Theologie in Anspruch, die er wiederum ironisierend als „pädagogische Katechismuslehre“ charakterisiert – den prinzipialisierenden Erwägungen Petersons über die „große“ gesellschaftliche Öffentlichkeit also den ironischen Diminutiv des Katechetischen entgegenhaltend. Auch hier seien bei allen individuellen Sonderformen der protestantischen Universitätsdogmatik die „große(n) gemeinsame(n) Erfahrungen“ als ein Einheitsband im Gegen21 Ebd. 191. Damit sind wir bei einer These angelangt, die im gegenwärtigen ökumenischen Gespräch zwischen der römischen Kirche und den evangelischen Kirchen berüchtigt ist: dass nämlich die evangelischen Kirchen in Wahrheit keine Kirchen seien, weil ihr gemessen am Kirchenbegriff der römisch-katholischen Theologie wesentliche Merkmale des Kircheseins fehlen. Harnack bemerkte dazu im Jahr 1928 lapidar : „Der Protestantismus muß rund bekennen, daß er eine Kirche wie die katholische nicht sein will und nicht sein kann, daß er alle formalen Autoritäten ablehnt, und daß er ausschließlich auf den Eindruck rechnet, welchen die Botschaft von Gott und dem Vater Jesu Christi und unserem Vater hervorruft.“ Ebd., 179. 22 „Enthymema“, Steigerung durch Schlussfolgerung, heißt diese Argumentationsfigur in der Terminologie der klassischen Rhetorik: eine argumentative Eskalation durch eine Steigerungskette, vgl. Ueding, Steinbrink, 272 – 274. 23 Alle Zitate ebd., 179.

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über zum Katholizismus wirksam. Öffentlichkeit kommt nach den Ausführungen Harnacks also dort zustande, wo einzelne „erweckte Personen“ ohne die Maßgabe formaler und institutioneller Autoritäten im öffentlichen Raum präsent sind – also gleichsam als personale Autoritäten im Gegensatz zu den von Harnack pejorativ als „formal“ bezeichneten Autoritäten. Diese erweckten Individuen assoziieren sich dann erst zu einer „religiösen Gemeinschaft“, die auf solche formalen Autoritäten verzichten kann. Die hier vorgetragene Ekklesiologie ist es, die Peterson zu dem Widerspruch herausfordert, den er in seinem Brief vom 1. Juli 1928 formuliert. Er hält Harnack entgegen: „Luther wollte nicht ein großes Konventikel, sondern eine Kirche schaffen. Was Sie fordern, ist eine Heimkehr zum Independentismus als der wahren Konsequenz der Reformation.“24 Peterson geht in seiner Einlassung den politischen und sozialen Konsequenzen des „Kirchenproblem(s)“25 nach und bleibt damit zunächst auf der Linie, die Öffentlichkeit der Kirche im politischen und gesellschaftlichen Kontext zu bedenken. Interessant ist, wie Peterson hier durchaus die von ihm sonst ganz kritisch bewertete nationale Frage ins Spiel bringt. So nämlich, dass er ausführt, wie die zu erwartende denominationelle Zersplitterung des deutschen Protestantismus die deutsche Position zwischen angelsächsischem Individualismus und sowjetisch-russischem Kollektivismus noch weiter schwächen werde. Wie Peterson für den politischen Protestantismus nur die Erwartung übrig hatte, dass dieser sich „notwendig zersetzen muß“, so erwartete er auch für die evangelische Kirche nichts anderes als „Zersetzung“. Im politischen Feld wohl, so kann man interpretieren, die „Zersetzung“ Deutschlands zwischen „Amerika und Rußland“, zwischen Liberalismus und Kommunismus, zwischen Individualismus und totalitärem Kollektivismus; für die evangelische Kirche dann den Zerfall zwischen den eigenen „independentistischen“ Anteilen und den Restbeständen der alten katholischen Elemente. Harnacks letzter Brief vom 7. Juli 1928 pointiert noch einmal die ekklesiologische Frage, die hier zur Debatte steht. Die „Kirche“ – „im Sinne der alten Geltung des Wortes“, wie Harnack sagt – kann es nicht mehr geben. Es gibt nur noch „Gemeinschaft“. Kirche als „formale Autorität“ wäre nur wieder zu beleben in der Form des römischen Katholizismus oder im Versuch des altprotestantischen „absoluten Biblizismus“. Beide Möglichkeiten sieht Harnack als „Auswege“ verschlossen, „weil sie zu unserer geschichtlichen Erkenntnis in Widerspruch stehen“26. An diese Stelle kann nur „die aufklärende und subjektiv-religiöse Linie des Protestantismus“27 treten, wie sie die eine Seite des reformatorischen Erbes repräsentiert, nämlich diejenige Seite, die

24 25 26 27

Ebd., 180. Ebd., 181. Ebd., 182. Ebd.

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durch den „lebendigen Glauben“28 Luthers markiert wird. Auf der anderen Seite steht dann nach Harnack schon bei Luther ein „halbe(r) Biblizismus“29, eben die andere, nicht mehr lebensfähige, Hälfte des reformatorischen Erbes. In der Verlängerung der „subjektiv-religiösen Linie“ liege die Zukunft der religiösen Gemeinschaft als einer „reinen Gesinnungsgemeinschaft“, der wiederum eine Theologie zu entsprechen hätte, die einerseits „Katechismuslehre“ ist in der Bindung an eine spezifische aber durchaus kontingente kirchliche Tradition, anderseits aber eine undogmatische „freie christliche Religionsphilosophie“ als Begründungsdisziplin voraussetzt, eine „,Christliche‘ Metahistorie“30, die „durch geschichtliche Nachweisung und ethische und philosophische Überlegung die Grundgedanken des Evangeliums in ein helles und überzeugendes Licht“31 stellt. Der eigentliche Briefwechsel zwischen Harnack und Peterson endet an dieser Stelle. Vier Jahre später resümiert Peterson das Gespräch mit Harnack in einem „Epilog“ und fokussiert es auch noch einmal schärfer im Blick auf die innerevangelischen Diskussionen dieser Jahre auf den Öffentlichkeitsbegriff. Peterson beginnt mit der Beobachtung, dass der Grundansatz des liberalen Protestantismus in der evangelischen Theologie der 1920er Jahre nicht unwidersprochen geblieben ist, dass vielmehr von zwei Seiten aus der Tendenz zur Individualisierung und Privatisierung des Glaubens Versuche zu einem Neusatz entgegengestellt wurden. Repräsentiert Harnack die „aufklärende und subjektiv-religiöse Linie des Protestantismus“, so suchte die theologische Bewegung die 20er Jahre Anschluss bei der „objektiv-religiösen Linie“, die die im alten Protestantismus eingeschmolzenen katholischen Elemente bewusst zu bewahren suchte. Der Neuansatz vollzog sich nach der Einschätzung Petersons in der Theologie und in der Kirche gleichermaßen, aber doch unverbunden nebeneinander. Dies kann geschehen, weil Kirche und Theologie im Protestantismus prinzipiell unabhängig voneinander sind. Es gibt keine „dogmatische Lehrautorität in der Kirche“, deswegen kann es keine Theologie geben, die in Bindung an das Dogma der Kirche „Dogmatik“ treibt. Daher sei protestantische Theologie „immer mehr oder weniger eine private Angelegenheit der Theologieprofessoren“32. Der Privatisierung des Glaubens entsprechen nach Peterson auf der Seite der Kirche eine Ekklesiologie der religiösen Gemeinschaft erweckter Einzelner und auf der Ebene des Theologiebegriffs eine individuell zu verantwortende Rekonstruktion der christlichen Tradition in mehr theoretischer Absicht („freie christliche Religionsphilosophie“) oder in mehr praktischer Ausrichtung auf das Leben der religiösen Gemeinschaft („Katechismusleh28 29 30 31 32

Ebd. Ebd. Ebd., 183. Ebd. Ebd., 185.

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re“). Mit Schärfe beurteilt Peterson den Versuch Barths, die Dimension des Dogmas und des Dogmatischen wiederzugewinnen, ebenso wie den Versuch Dibelius’, nach dem Ende des Staatskirchentums einer institutionell selbständigen Kirche das Selbstbewusstsein zu geben, jetzt erst eigentlich im „Jahrhundert der Kirche“33 zu leben. In Petersons Auslegung geht es in beiden Versuchen, dem „theologischen“ wie dem „kirchlichen“ um den“ Öffentlichkeitscharakter“ der Kirche: „Während Dibelius die Tendenz hat, durch verstärkte Aktivität den Öffentlichkeitscharakter der Kirche zu erweisen, will Barth durch eine Rückkehr zu Dogma und Dogmatik den Öffentlichkeitscharakter der protestantischen Theologie dartun.“34 Peterson schließt seine Bewertung dieser Versuche unmittelbar an: „Beider Versuche scheinen mir von vornherein aussichtslos zu sein. Keine noch so große Aktivität kann den Öffentlichkeitscharakter der Kirche erweisen, wenn sie ihn nicht von vornherein schon hat.“ Die Kirche „hat“ aber den Charakter des Öffentlichen nur, wenn sie entweder politisch-staatliche Öffentlichkeit besitzt oder „den spezifisch kirchlichen (den kosmisch-religiösen) Öffentlichkeitsbegriff für sich in Anspruch nimmt“35. Wie Peterson diesen „kosmisch-religiösen“ Öffentlichkeitsbegriff genauer verstehen möchte, bleibt hier noch ganz offen und erschließt sich nur ansatzweise qua negatione, wenn Peterson auf die staatsrechtlichen Bedingungen der kirchlichen Öffentlichkeit in der Epoche des Staatskirchentums reflektiert. Die in der Weimarer Reichsverfassung gesicherte und bis heute fort bestehende Anerkennung der Kirchen als Körperschaften oder „Religionsgesellschaften des öffentlichen Rechts“ lässt Peterson nur als ganz defiziente Form von Öffentlichkeit gelten36, weil sie nur an formale rechtliche Voraussetzungen geknüpft wird und damit allen Religionsgemeinschaften zukommt – ohne Blick auf die materialen, inhaltlichen Qualifikationen der jeweiligen Institutionalität. Peterson schreibt: „Harnack hatte ein Wissen darum, daß die protestantische Kirche nach dem Fortfall des landesherrlichen Episkopats, respektive der christlichen ,Obrigkeit‘, eine ,öffentliche Größe‘ als ,Kirche‘ ,dogmatisch‘ nicht mehr sein kann.“37 Interessant ist in dieser Einlassung 33 34 35 36

Dibelius. AS 1, 186. Ebd. Allerdings bestimmt gerade das neuere kanonische Recht die Kirche körperschaftlich als „societas perfecta“ und leitet daraus die Eigenständigkeit der Kirche im Gegenüber zu Staat und Gesellschaft ab, auch ihre Vollmacht zur Rechtssetzung. Vermutlich hätte Peterson auch hier den Einfluss aufklärerischer Rechtstheorien ausgemacht, vgl. dazu Honecker, 729. 37 AS 1, 186. Aufschlussreich ist, wie Peterson hier das die Rechtsgestalt der Kirche beeinflussende geschichtliche Faktum, dass das landesherrliche Kirchenregiment an sein Ende gekommen war, mit einer dogmatischen Wertung verbindet: die Kirche ist „dogmatisch“ keine öffentliche Größe mehr. Sie ist es wohl noch faktisch als Verband im säkularen Staat, aber nicht mehr aufgrund einer Verklammerung von Dogma und Recht. Die Peterson eigentümliche Verhältnisbestimmung von Dogma und Recht im Sein der Kirche und der darin sich ausdrückende Rechtsbegriff wird weiter unten zu behandeln sein.

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Petersons die Verhältnisbestimmung zwischen politischen und theologischen bzw. „dogmatischen“ Kategorien: das politische Geschehen des Wegfalls der „christlichen Obrigkeit“ berührt das Sein der Kirche, nicht nur die politischen Rahmenbedingungen, hat also damit dogmatische Qualität. Peterson hält fest: „Mit dem Ende des landesherrlichen Episkopats und der Einführung der neuen Verfassung der evangelischen Landeskirche in Deutschland ist der öffentliche Charakter der protestantischen Kirche und der protestantischen Theologie prinzipiell ausgelöscht.“ Dies bedeutet nach Peterson, „daß sich die ontologische Basis des Protestantismus geändert hat.“38 „Kirchliche Öffentlichkeit“ meint also in diesem Kontext, dass die Kirche am öffentlichen Recht des politischen Gemeinwesens partizipiert, das als solches nicht religiös neutral ist, sondern die Religion seiner Einwohner mit rechtlich verbindlicher Autorität regelt und auch in dogmatischer Hinsicht, im „ius in sacra“, regelnde und entscheidende Kompetenzen hat. An einer solchen Autorität hängt das Kirchesein der Kirche – sei diese Autorität eine im eigentlichen Sinne kirchliche Autorität in Form der Lehr- und Entscheidungsgewalt besitzenden Bischöfe, sei es das Notrecht des christlichen Landesherrn, der über die kirchliche Lehre innerhalb seines konfessionell geschlossenen Territoriums wacht. In all dem unterscheiden sich die Landeskirchen sowohl des alten Reiches wie auch noch des 19. Jahrhunderts vom Verständnis der Kirche als einem „religiösen Freiwilligkeitsverband“, der kein Kirchenrecht im eigentlichen Sinne mehr kennt, sondern sein Leben nach vereinsrechtlichen Grundsätzen regelt. Die reformatorischen Kirchen hatten jene eigentümliche öffentliche Rechtsform nach den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens und des Westfälischen Friedens in ihrer Gestalt als konfessionell geordnete Territorialkirchen, die das alte bischöfliche Recht im Summepiskopat des Landesherrn weiterführten, während nach der Einschätzung Petersons die katholische Kirche in ihrer überkommenen bischöflichen Verfassung den „eigentümlich kirchlichen Öffentlichkeitscharakter“39 auch über die politischen Veränderungen nach 1815 und vor allem über das Jahr 1918 hinaus bewahren konnte. Der Protestantismus hatte nach Peterson noch teil an diesem gemeinsamen Raum der Öffentlichkeit, insofern er ein „Bewußtsein von seiner wesensmäßigen, von seiner dialektischen Verbundenheit mit der Mutterkirche“40 hatte und dieser „Mutterkirche“ verbunden blieb sowohl in den Formen des alten Reiches, des „Einen christlich-römischen Reiches deutscher Nation“41 wie auch in der „gemeinsamen dogmatischen Basis mit der alten Kirche“. Wo diese Verbundenheit ganz aufgelöst ist, erlischt auch die selbst im 38 39 40 41

Ebd., 189. Ebd. Ebd., 188. Die Art, wie Peterson mit seinem Bezug auf das alte Reich ein apokalyptisches Denkmuster in eigentümlich „konstantinischer“ Wendung aufnimmt, wird weiter unten eingehender betrachtet.

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Widerspruch noch lebendige Teilhabe an der kirchlichen Öffentlichkeit, wie sie nach Peterson der katholischen Kirche eigentümlich ist. Wenn die rechtliche Gestalt der Kirche von der politischen Öffentlichkeit getrennt wird, ist der Weg der Kirche in die Privatheit der „religiösen Gemeinschaft“ im Sinne Harnacks unausweichlich. Dann ist, in der Interpretation Petersons, die Kirche ganz in die Formen des liberalen Ordnungsvorstellungen verpflichteten Gemeinwesens eingegangen. Von dieser „Auflösung der gemeinsamen dogmatischen Basis“ her deutet Peterson dann auch „ein gut Teil der Entwicklung der protestantischen Kirche und der protestantischen Theologie in der Neuzeit“42 als „Versuch“, „den von staatlicher Seite her bedrohten Öffentlichkeitscharakter von Kirche und Theologie aus anderen Voraussetzungen her wieder zu entwickeln.“43 Peterson markiert hier, gleichsam als Dekadenzgeschichte des Protestantismus, sehr holzschnittartig drei solcher „Auswege“, auf denen der Protestantismus im 19. Jahrhundert sein dogmatisches Öffentlichkeitsdefizit zu kompensieren versuchte: Vernunft, Erfahrung, Tun. Peterson führt als ersten den Ausweg über die Vernunft an, die rationale philosophische Rekonstruktion der „allgemeinen Vernunftwahrheiten“44, wie sie Peterson in der lebenslangen Gegnerschaft zu den Denkfiguren des deutschen Idealismus und seiner historistischen Nachfolger am Werke sah. Der zweite Ausweg sei jener über die „mystische Erfahrung“, in die „säkularisierte Mystik“ einer gemüthaften Frömmigkeit. Der dritte Ausweg ist der über die „Tat“, eine ethische Rekonstruktion des Christlichen, wie Peterson sie als Antriebsfeder sieht in den „Werke(n) der Nächstenliebe, der äußeren und inneren Mission, des Gustav-Adolf-Vereins und anderen Organisationen“45. Alle drei „Auswege“ führen in der Lesart Petersons nicht zu dem Ziel, die verlorene Öffentlichkeit wieder zu gewinnen. Sie stehen nicht nur im „Gegensatz“ zu dem „ursprünglichen Ansatz evangelischen Kirchentums und evangelischer Theologie“46, sondern führen jeweils wieder hinein in die direkte Begegnung mit dem Katholizismus: Harnacks Historismus führt die dogmatische Tradition vor Augen und tendiert von sich aus zu einer Hochschätzung des katholischen Traditionsbegriffes, vermeidet es allerdings daraus die theologischen Konsequenzen zu ziehen; die Gemütsfrömmigkeit des Pietismus stellt die Frage nach der Habitualisierung der Gnade jenseits einer bloß forensisch verstandenen Rechtfertigung47 und weist damit in die Richtung der römisch-katholischen Gnadenlehre; die diakonischen und missionarischen Werke stellen ihrerseits das prekäre Verhältnis von Glauben und Werken in Frage und schließen als Sozialformen, z. B. in der Gestalt evange42 43 44 45 46 47

Ebd., 189. Ebd. Ebd., dort auch die folgenden Zitate. Ebd., 190. Ebd., 189. Vgl. dazu auch: AS 2, 52 – 55, Existentialismus und protestantische Theologie.

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lischer Diakonissen, wieder an die Gemeinschaftsformen der römisch-katholischen Orden an. Diesen gesamten Argumentationsgang resümiert Peterson dann in folgendem Urteil: „Eine protestantische Kirche, mit der sich die katholische Kirche auseinandersetzen könnte, gibt es, wie uns scheint, in Deutschland nach der Auflösung des konfessionellen Territoriums und dem Verzicht auf den christlichen Staat nicht mehr.“48

Peterson meint hier offensichtlich eine theologische, eine dogmatische „Auseinandersetzung“ als Streit um die Wahrheit des Kirchseins. Eine solche Auseinandersetzung scheint nur möglich zu sein, wo beide Seiten der Auseinandersetzung den Charakter öffentlicher Größen haben. Wo die evangelische Seite diesen Öffentlichkeitscharakter verloren hat, muss sich die Auseinandersetzung auf andere Felder verschieben: sie erscheint dann als politische Auseinandersetzung in der Camouflage des „Kulturkampfes“, der mit den ideologischen Versatzstücken des „konfessionellen Territoriums“ oder des „christlichen Staates“ arbeitet, die von den politischen Kräften nur vorgeschoben werden, um den genuin politischen Kampf um die Macht auszutragen. Aufschlussreich ist hier, wie Peterson ganz am Ende seiner Überlegungen den neuen Gedanken der „Auseinandersetzung“ einführt, der vorher gar nicht in seinem Blick gelegen hatte. Welche Bedeutung hat der Begriff der möglichen oder unmöglichen „Auseinandersetzung“ zwischen katholischer Kirche und „Protestantismus“ für den Öffentlichkeitsbegriff ? Wir halten fest: Nur zwischen gleichrangigen öffentlichen Größen ist für Peterson eine solche Form der Auseinandersetzung möglich. Wo auf der einen Seite eine öffentliche Größe wie der Katholizismus steht und auf der anderen Seite ein Geflecht von privatisierten Theologien oder kirchenpolitischen Ansprüchen, ist keine „dogmatische“, im engeren Sinne theologische, Auseinandersetzung möglich, sondern nur noch ein „Kulturkampf“. Ist aber, so fragen wir, diese Kategorie der „Auseinandersetzung“ eigentlich eine im theologischen Horizont mögliche und sinnvolle Denkfigur, oder nutzt Peterson selbst hier schon eine politische Kategorie, die er dem Dogma unterschiebt? Diese Frage stellt sich nicht nur vom Ende seiner Überlegungen her, sondern sie ist schon an die Ausgangsbeobachtungen zu stellen. Peterson fragte im Gespräch mit Harnack nach der „Wirksamkeit“ der Kirche, nach ihrem „Standpunkt“ im Gespräch mit „Medizinern, Juristen, Nationalökonomen und Politikern“. Auch wenn die Kirche dogmatisch redet, wird sie das in Bezug auf die genannten Sachgebiete nur tun können, wenn sie sich in den Streit der Meinungen in der Arena des Öffentlichen begibt und sich damit grundsätzlich auf die Bedingungen der pluralistischen Gesellschaft einlässt. Auch die „Auseinandersetzung“ mit dem konfessionellen Gegenüber wäre ja eine Auseinandersetzung im Modus des argumentierenden Gesprächs zwi48 AS 1, 191.

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schen zwei grundsätzlich gleichen Gesprächspartnern, bliebe darin aber dem Horizont der liberalen Öffentlichkeit zutiefst verpflichtet. Versuchen wir ansatzweise das positiv zu fassen, was Peterson nur polemisch als Öffentlichkeitsverlust des Protestantismus zeichnet, so gelangen wir in gleicher Weise zu genuin politischen Kategorien. Der von Peterson reklamierte kirchliche Öffentlichkeitsbegriff impliziert das Moment der Autorität und das Moment der Repräsentation: öffentlich ist die Kirche, wenn sie „dogmatische Autorität“ in Anspruch nimmt, also inappelable Entscheidungen treffen kann, die in der Autorität Gottes selbst legitimiert sind. Und öffentlich ist die Kirche, wenn sie in Vertretung der Autorität Gottes für das Insgesamt der Gläubigen reden kann, also „repräsentativ“ reden kann. Wenn Autorität und Repräsentation konstitutiv für die Öffentlichkeit der Kirche sind und die Kirche damit in die Lage gesetzt wird, einen „Standpunkt“ zu beziehen, finden wir sämtliche Begriffe wieder, die Carl Schmitt als genuin „politische Formprinzipien“49 bestimmt. Dies ist wichtig für uns, wenn wir die Genese der Fragestellung Petersons im Blick halten möchten. Peterson konstruiert den Begriff der „kirchlichen Öffentlichkeit“ zunächst in politischen Kategorien und auch das „Dogmatische“ wird ihm unter der Hand zu einem Begriff in der Gedankenreihe politischer Legitimität unter den Bedingungen einer liberalen, pluralistischen Gesellschaft. Dies gilt auch, wenn festzuhalten ist, dass für Peterson diese Öffentlichkeit innerkirchlich nicht im offenen Diskurs der verschiedenen „Standpunkte“ entsteht, sondern in der Souveränität und Autorität dessen, der den Diskurs beendet, indem er eine „dogmatische Entscheidung“ trifft50. Worauf möchte Peterson nun in positiver Hinsicht, jenseits der Polemiken, hinaus? Eine Rückkehr zum landesherrlichen Kirchenregiment mit seiner der Kirche geborgten Legitimität kam ja auch für Peterson nicht in Frage. Peterson bleibt hier ganz vage: es kann für ihn nur darum gehen, mit „Geduld und Gebet“51 eine dogmatische Selbstbesinnung der evangelischen Kirche zu erhoffen, die an die verloren gegangenen Voraussetzungen des alten Protestantismus anschließen könnte und letztlich den Protestantismus in die römischen Bahnen zurücklenken würde. Barths Weg hatte Peterson als „Theologie ohne Kirche“ bewertet und Dibelius’ kirchenpraktische Besinnung als „Kirche ohne Theologie“. Hier fand Peterson letztlich keine weiterführenden Lösungen des Problems. Das ganze Feld des „kosmisch-religiösen Öffentlichkeitsbegriffes“ bleibt in der Argumentation des Harnack–Briefwechsels allerdings offen. Die politischen Kategorien do49 Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, bes. 75 zum Begriff der Autorität, für Schmitt synonym mit Macht; und 204 – 216 zum Begriff der Repräsentation. Die Trias Autorität, Publizität, Repräsentation begegnet systematisch zentral in: Schmitt, geistesgeschichtliche Lage. 50 Peterson bestimmt die Instanz, die zur Entscheidung befugt ist, hier nicht näher. Der Frage wird im ekklesiologischen Abschnitt unserer Arbeit nachzugehen sein. Entscheidend ist hier die Antithese der repräsentativen Autorität gegenüber einer Theologie, die nur „eine private Angelegenheit der Theologieprofessoren“ (AS 1, 187) ist, ohne die Autorität der Kirche. 51 AS 1, 192.

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minieren und tendieren in Richtung eines politischen Dezisionismus, der in den Folgejahren der Korrektur und Ergänzung bedurfte durch liturgische und martyrologische Kategorien.

4.3 Das politisch-theologische Problem und die politische Form 4.3.1 Peterson und Schmitt Im Harnack–Briefwechsel stellt Peterson den kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff dem staatlich-politischen Öffentlichkeitsbegriff gegenüber. Er spricht hier von zwei unterschiedenen und in dieser Unterscheidung gleichwohl aufeinander bezogenen Öffentlichkeiten. Damit ergibt sich die Aufgabe der Verhältnisbestimmung zwischen „Herrschaft und Heil“ (Assmann) zwischen dem Politischen52 und dem Evangelium von Jesus Christus. Mit dieser Aufgabe stehen wir im Bereich des politisch-theologischen Problems. Allgemein betrachtet sind verschiedene Verhältnisbestimmungen zwischen Herrschaft und Heil möglich. Die erste Möglichkeit ist ein Verhältnis wechselseitiger Legitimation von politischer Herrschaft und Heil. In der einen Richtung kann dies so aussehen, dass politische Herrschaft begründet wird in einem religiös bestimmten, sakralen Weltbild. In die andere Richtung gedacht verleihen bestimmte Bedürfnisse des politischen Lebens einer spezifisch institutionalisierten Religion eine besondere Autorität. Die zweite Möglichkeit ist die der Antithese: Politische Herrschaft und Religion, bzw. das Evangelium von Jesus Christus artikulieren einander ausschließende Herrschaftsansprüche, die in den jeweils anderen Bereich hinein ausgreifen und diesem die Eigenständigkeit oder sogar das Existenzrecht bestreiten. Und die dritte Möglichkeit ist schließlich eine gegenseitige Neutralität, die ein Nebeneinander nicht als problematisch empfindet. Deutlich ist, dass Peterson von der zweiten Möglichkeit her argumentiert: politische Herrschaft und das Evangelium von Jesus Christus stehen als jeweils spezifische und das Ganze des Lebens umfassende Herrschaftsansprüche in einem einander ausschließenden Verhältnis. Das Evangelium von Jesus Christus artikuliert in seinem sachlichen Zentrum einen politischen Anspruch in politischer Symbolik: es ist das Kerygma von der Thronbesteigung Jesu Christi, von seiner Erhöhung zur Rechten des Vaters, der dem Sohn die Herrschaft übertragen hat. Von diesem Anspruch her wird für Peterson alles Politische normiert und wird alle politische Herrschaft begrenzt und relativiert. 52 Das Politische wird hier verstanden als die durch institutionalisierte Herrschaft vermittelte Praxis des gemeinsamen Lebens.

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So kommt für Petersons politische Theologie vor allem die Differenzfigur in Betracht, definiert er das Politische doch wesentlich agonal, nämlich als die Sphäre, in welcher Geltungsansprüche aufeinanderprallen und nicht diskursiv, sondern durch Ausübung von Macht entschieden werden. Petersons dezidiert antiliberale politische Theologie hat für prozedurale Regelungen, für die diskursiven Verfahren des neuzeitlichen Liberalismus keinen theoretischen Ort. Peterson denkt das Politische vom Konflikt her, in dem sich die jeweils stärkere Macht durchsetzt. Auch das Freiheitspathos des Liberalismus und die politische Partizipation im Sinne der repräsentativen Demokratie kommen für Peterson nicht in Betracht und die prekäre Balance von Freiheit und Ordnung als Grundproblem des Politischen findet in seiner politischen Theologie ebenso wenig Bearbeitung wie die dem Liberalismus zugrunde liegende Differenzierung von Staat und Gesellschaft. An dieser Stelle ist eine terminologische Zwischenbemerkung einzufügen: Verschiedentlich wurde zur bewussten Abgrenzung vom legitimatorischen Projekt einer „politischen Theologie“ die Verwendung des alternativen Begriffes „Theopolitik“ vorgeschlagen53. Martin Buber hatte ihn in der „theopolitischen Stunde“ zu Beginn der 1930er Jahre formuliert, gerade um deutlich zu machen, dass die jüdische Berufung auf das „Königtum Gottes“ jegliche Vergötzung der immanenten politischen Macht unmöglich mache. Christoph Schmidt arbeitet die Zusammenhänge bei Buber heraus und bezieht sich dabei auf Petersons Römerbrief–Vorlesung, wo dieser bewusst umbesetzte Begriff des „Theopolitischen“ schon begegne54. An der von Schmidt angeführten Stelle ist davon die Rede, dass „dem theologisch-politischen Akt der Thronbesteigung Christi ein theologisch-politischer Charakter im Apostolatsbegriff entsprechen muß.“55 Demgegenüber steht das römische Reich, „dessen politischer Bestand mit der politisch-theologischen Überzeugung verknüpft ist, daß Jupiter im Himmel thront.“56 Schmidt folgert aus der Umstellung der Wortbestandteile „politisch“ und „theologisch“ eine terminologische Umbesetzung. In unseren Überlegungen hier halten wir daran fest, auch Petersons Einlassungen „politischtheologisch“ zu deuten und Petersons „politische Theologie“ zu untersuchen, die in Anknüpfung, aber eben auch bewusstem Kontrast zur Lehre Schmitts formuliert wurde.

Peterson rekurriert immer wieder auf eine juristische Figur, von der aus die Rechtmäßigkeit (Legitimität der Grundordnung und Legalität des davon abgeleiteten positiven Rechts) einer politischen Ordnung geprüft wird. Ob die politische Ordnung sich selbst begrenzen und den „Rechtsanspruch Gottes“

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Assel, Worüber man noch nicht reden kann, 181 f.; Schmidt, 205 – 225. Schmidt, ebd., 205. AS 6,15. Ebd.

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zur Geltung bringen kann oder ob sie diese Grenzen überschreitet und sich selbst sakralisiert57. Petersons Beziehung zu Carl Schmitt war seit Beginn der 1920er Jahre eine enge Verbindung eines gegenseitigen Gebens und Nehmens. Schmitt rezipierte intensiv Petersons Untersuchungen zur Akklamation im spätantiken Umfeld und umgekehrt ließ sich Peterson sehr weitgehend auf die Grundbegriffe von Schmitts staatsrechtlichen Untersuchungen ein. Mit Schmitts entschiedener Parteinahme für den Nationalsozialismus und seinem Versuch, den Dreiklang von „Staat, Volk, Bewegung“ in eine juristische Form zu fassen, war die Beziehung zwischen beiden allerdings an den Rand des offenen Bruches angelangt. Mit Schmitts Hobbes–Buch des Jahres 193858 war für Peterson deutlich geworden, dass Schmitt trotz seiner inzwischen erfolgten Marginalisierung durch das nationalsozialistische Herrschaftssystem die Totalisierung des Politischen begrifflich konsequent durchgeführt hatte und in dieser Konsequenz auch die „potestas indirecta“ der Kirche als spezifische Ausübung politischer Macht durch die Kirche verabschiedet hatte. Peterson führt gegen Schmitt in frontalem Angriff ins Feld, dass „die Polemik gegen die potestas indirecta (…) nur dann einen Sinn (hat), wenn man darauf verzichtet, ein Christ zu sein und sich für das Heidentum entschieden hat.“59 Die biographischen Details, von Barbara Nichtweiß mustergültig aufbereitet, müssen uns hier nicht weiter interessieren. Uns kann es nur darum gehen, den Spuren der Begriffe Carl Schmitts in Petersons politischer Theologie nachzugehen und darin deutlich zu machen, im welchem Ausmaß Peterson in seiner Fassung des theologischen Öffentlichkeitsbegriffes den Grundentscheidungen Carl Schmitts verpflichtet blieb und wie der nicht minder entscheidende Differenzpunkt zwischen beiden zu bestimmen ist. Carl Schmitt gehört bekanntlich zu den schillerndsten intellektuellen Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts. Seine Wirkungsgeschichte ist enorm, die Literatur unübersehbar. Die Ansätze zur Interpretation seines Werkes sind schon in sich außerordentlich vielfältig, so dass wir uns im Interesse unserer Aufgabenstellung resolut beschränken müssen. Unsere Interpretation soll ihren Ausgang nehmen im Moment der Trennung zwischen Peterson und Schmitt. Diese Trennung erkennen wir in der Reaktion Petersons auf Schmitts Buch zum „Leviathan“ des Thomas Hobbes 57 Von dieser immanenten Sakralisierung her deutet Peterson in Begriffen der Weberschen Herrschaftssoziologie den römischen Prinzipat: wo „sich die politische Ordnung der Polis aufgelöst“ hat, die Institutionen einer rechtlich geordneten Herrschaft hinfällig geworden sind, dort triumphiert die „aktuelle Person des Trägers der politischen Gewalt“, der charismatische Herrscher, der im Kaiserbild zur „sakramentalen Repräsentation“ der herrscherlichen Gewalt wird. (AS 4, 11). Dieser Text aus dem Jahr 1934 liest die politische Lage in Deutschland nach den Röhm-Morden vor dem Hintergrund der antiken Konstellationen. Das ist sehr aufschlussreich für Petersons politisch-theologisches Verfahren. 58 Schmitt, Leviathan. 59 Nichtweiß, 735.

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als vollzogen. Wir werden sehen, wie es in dieser Stellungnahme zentral um das Problem der „Öffentlichkeit“ und um die Unterscheidung zwischen „öffentlich“ und „privat“ geht. Das Thema der Öffentlichkeit begegnet hier als ein Aspekt des umfassenderen politisch-theologischen Problems. Barbara Nichtweiß urteilt über den Stellenwert der politisch-theologischen Frage für Peterson: „Petersons Denken war und blieb in einem hohen Maße und ganz explizit immer politischtheologisch.“60 Nach Nichtweiß „ist die politisch-theologische Frage eine durchgängige Perspektive fast aller“ Arbeiten Petersons61. Dem ist zuzustimmen und hinzuzufügen: In dieser Frage hat Peterson von Schmitt wesentliche Urteile übernommen und doch war es gerade die politisch-theologische Frage, über der es zum Bruch kam. Worin war sich Peterson mit Schmitt einig? So fragen wir und wollen die einzelnen Verbindungslinien hier zunächst nur thetisch benennen, um sie im Folgenden detailliert zu entfalten. Die tiefste Einigkeit zwischen Peterson und Schmitt seit ihren ersten Kontakten in den frühen 20er Jahren bestand darin, dass Politik und Religion bzw. Theologie nicht als zwei autonome, ausdifferenzierte Bereiche einfach beziehungslos geschieden werden können. Beide gehen aus von einer tief angelegten Strukturanalogie zwischen politischen und theologischen Begriffen, die auf eine ebenso tiefe Verbundenheit in der Wirklichkeit verweisen, auf die die politischen ebenso wie die theologischen Begriffe verweisen. Diese Strukturanalogie ist nach beider Überzeugung darin gegründet, dass ein strukturelles Entsprechungsverhältnis besteht zwischen den metaphysischen Grundüberzeugungen einer Epoche und der Gestalt ihrer politischen Institutionen62. Notorisch geworden ist Schmitts These: „Alle prägnanten Begriffe der modernen Staatslehre sind säkularisierte theologische Begriffe.“63 Schmitt leitet in seiner „Politischen Theologie“ daraus die Aufgabe einer politischtheologischen Begriffssoziologie ab, die diese Entsprechungsverhältnisse systematisch betrachtet und die im Kern einer politischen Ordnung verborgenen metaphysischen Grundentscheidungen aufsucht – im Sinne der jeweiligen ontologischen Konzeption der Wirklichkeit im ganzen und insbesondere im Sinne der anthropologischen Basisannahmen. Entsprechend sieht Peterson eine grundlegende Übereinstimmung zwi60 Nichtweiß, politische Theologie, 378. Diesem Urteil schließen sich neuere Arbeiten durchgängig an und betonen, dass es nicht angängig ist, Peterson in der Fluchtlinie des MonotheismusAufsatzes als Anwalt der Trennung von Politik und Religion/Theologie zu sehen, wie Carl Schmitt dies in Politische Theologie II versucht. Dazu auch die an der Universität Laval/ Kanada publizierten Arbeiten: Souletie; Tenaillon; Bourdin. 61 Ebd. 62 Schmitt, Politische Theologie, 59: „Das metaphysische Bild, das sich ein bestimmtes Zeitalter von der Welt macht, hat dieselbe Struktur wie das, was ihr als Form ihrer politischen Organisation ohne weiteres einleuchtet.“ 63 Ebd. 49.

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schen „metaphysischer Ordnung“, „politischer Ordnung“ und „intellektueller Ordnung“64 : Die politische Ordnung ruht auf einer „letzte(n) metaphysische (n) Orientierung“65 und bestimmt dadurch auch das „Denken“ der in dieser Ordnung lebenden Menschen. Im Kontext seiner Auslegung der Offenbarung formuliert Peterson: „…ist doch das Denken der Menschen von dem hic et nunc einer politischen Ordnung niemals unabhängig, sondern steht entweder unter der Macht des Antichristen oder unter der Macht Christi.“66 Und programmatisch: „Das Denken wird durch die politische Ordnung bestimmt.“67 Auch hier knüpft Peterson an Schmitt an, der vom „existentiellen“ Charakter der „wesentlichen Vorstellungen der geistigen Sphäre des Menschen“68 spricht. Von dieser Metaphysik der Macht her erschließt sich auch die Bedeutung des Begriffes der Öffentlichkeit. Durchgehend polemisiert Peterson gegen die Privatisierung des Religiösen, gegen die Verdrängung aus dem Raum der Öffentlichkeit, die ihr Fundament habe in der liberalen Dissoziation des Politischen vom Religiösen und in dem Versuch beides, das Politische und das Religiöse, wiederum unter dem Primat des Ökonomischen und Technischen zu neutralisieren. Auch hier erkennen wir wieder die Beziehungen dieser Urteile zum Denken Schmitts, der von der liberal geprägten Moderne geradezu als von einem „Zeitalter der Neutralisierungen und Entpolitisierungen“69 spricht. Öffentlichkeit im gefüllten Sinne des Wortes ist nach Schmitt nur dort möglich, wo das Politische in seiner Unentrinnbarkeit gewürdigt wird und wo die private Existenz der Bürger als Marktteilnehmer in das Licht des Politischen gehoben wird70. Eine solche Öffentlichkeit liegt dort vor, wo ein wacher Sinn für Repräsentation besteht, für die öffentliche „Darstellung“ der politischen Idee, der „politischen Einheit eines Volkes“71. Nach Schmitt ist nicht jedes Sein und nicht jede politische Idee repräsentationsfähig. Repräsentation hat zu ihrem Gegenstand stets eine „gesteigerte Art Sein“72. Und so definiert Schmitt: „Repräsentation ist kein normativer Vorgang, kein Verfahren und keine Prozedur, sondern etwas Existentielles. Repräsentation heißt, ein unsichtbares Sein durch ein öffentlich anwesendes Sein sichtbar zu machen und zu vergegenwärtigen. Die Dialektik des Begriffes liegt darin, dass das Un-

64 65 66 67 68

69 70 71 72

Diese Trias in AS 1, 111, Zeuge der Wahrheit. Ebd., 112. Ebd., 111. Ebd. Schmitt, Begriff des Politischen, 84: „Alle Begriff der geistigen Sphäre, einschließlich des Begriffes Geist, sind in sich pluralistisch und nur aus der konkreten politischen Existenz heraus zu verstehen.“ Zur Problematik der verschiedenen Fassungen des Textes von 1927, 1932 und 1933 vgl. Meier, Lehre, 56 ff., und: ders., Carl Schmitt, 25 ff. Schmitt, ebd. 79. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, 244 f. Ebd., 207. Ebd., 210.

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sichtbare als abwesend vorausgesetzt und doch gleichzeitig anwesend gemacht wird.“73 Mit liberalismuskritischer Spitze bedeutet dies, dass nach Schmitt alle emphatische Inanspruchnahme von Öffentlichkeit durch den Liberalismus nicht darüber hinweg täuschen kann, dass dort nichts mehr im eigentlichen Sinne öffentlich sein kann, wo die prägende Kraft der metaphysischen Grundlagen des Politischen geleugnet wird und die politische Praxis zum „Verfahren“ und zur „Prozedur“ neutralisiert wird. Allerdings hat Schmitt auch in dieser Anti-Metaphysik des Politischen eine Form von Metaphysik zu entlarven versucht und hat sie in ihrer konsequentesten Form zurückgeführt auf den anthropologischen Optimismus und die grundsätzliche Absage an jede wie auch immer geartete Form von Machtausübung durch den anarchistischen Sozialismus, wie er in der exemplarischen Gestalt Bakunins verkörpert ist.74 Hier finden wir auch die negativen, die kritischen Grundbegriffe von Petersons eschatologischem Öffentlichkeitsbegriff wieder : seine Kritik an der Privatisierung, sein Beharren auf dem repräsentativen Wesen der Kirche und ihrer Ämter und sein Verständnis des politischen Charakters der Liturgie als sichtbarer Darstellung des Zusammenklangs von sichtbarer und unsichtbarer Welt. So weit unsere einführende Skizze, die die nächstliegenden Verbindungslinien zwischen Peterson und Schmitt aufzeigen möchte. Bei all diesen grundlegenden Beziehungen müssen wir darauf hinweisen, dass Schmitt und Peterson in ihrem Denken doch ganz unterschiedliche Bezugsprobleme haben, ganz differente pragmatische Einbindungen ihres jeweiligen Denkens als konvertierter Theologe auf der Suche nach einem Lebensort einerseits und als Jurist mit besonderer politischer Verantwortung andererseits. Dazu wollen wir beginnen mit einer kurzen Besinnung auf verschiedene Möglichkeiten, das „politisch-theologische Problem“ zu interpretieren. Gerade wenn wir die Wirkung von Schmitt auf die Grundbegriffe Petersons betrachten, ist es angemessen, sich die verschiedenen Ansätze zur Interpretation des Werkes von Schmitt zu vergegenwärtigen. Ein wichtiger Interpretationsfaden deutet Schmitts Denken im Ganzen als Versuch, den theologischen oder auch mythologischen Kern einer jeden Politik namhaft zu machen. Am einflussreichsten sind in den vergangenen zwanzig Jahren die Arbeiten von Heinrich Meier gewesen, der Schmitts Denken vom Begriff der Erbsünde her zu dechiffrieren unternimmt. Die Verfallenheit an die Sünde drücke sich in der prinzipiellen Agonalität des 73 Ebd., 209. Hasso Hofmann hat darauf hingewiesen, wie einseitig dieser für Schmitt zentrale politische Formbegriff der Repräsentation gedacht ist: „Dieser Begriff ist abgezogen von der Papstkirche und der absoluten Monarchie. Den genossenschaftlichen und den konziliaristischen Repräsentationsbegriff kennt Schmitt nicht.“ Hofmann, Legitimität, XXXIV. 74 Dieser diabolisierten Gestalt Bakunins und ihrer gegenrevolutionären Pendants hat Schmitt immer wieder seine Aufmerksamkeit gewidmet: z. B. Schmitt, Begriff, 79 ff.; und: ders., Donoso, 80 ff.

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Politischen aus, in der Bestimmung des Politischen durch die Intensität seinsmäßiger Gegensätze, durch Feindschaft75. Dagegen plädiert Hasso Hofmann für eine rechts- und staatstheoretische, stärker juristisch orientierte Lesart Schmitts. Er unterscheidet vier grundlegende begriffliche Bestimmungen der „Politischen Theologie“76 : 1. „eine spezielle Begriffsgeschichte“, „welche die Herkunft politischstaatsrechtlicher Begriffe aus der Theologie und die daraus folgende Strukturgleichheit oder Strukturähnlichkeit politisch-staatsrechtlicher und theologischer Begriffe nachweist.“77 Auf dieser Ebene habe Peterson dann seinen trinitätstheologischen Widerspruch in „Der Monotheismus als politisches Problem“ formuliert. Im Rückblick auf sein Lebenswerk in „Politische Theologie II“ unternehme Schmitt dann eine Selbstdeutung, die den Anspruch der eigenen Theorie ganz auf diese begriffsgeschichtliche Ebene reduziere und darin den Widerspruch Petersons so ins Leere laufen lassen möchte als eine theologische Kompetenzüberschreitung. Dahinter verbergen sich aber nach Hofmann tiefere Ebenen, die in der ausdrücklichen Benennung als politische „Theologie“ zum Ausdruck kommen. 2. So artikuliert sich die „Politische Theologie“ des Jahres 1934 programmatisch als „Lehre von der Souveränität“, von der gelte: „Die Souveränitätslehre als Basis der Rechtslehre hat ihren Geltungsgrund in der göttlichen Inkarnation und ist insofern Theologie.“78 3. Schmitt selbst konstatiert: „Die Epoche der Staatlichkeit geht jetzt zu Ende. Darüber ist kein Wort mehr zu verlieren.“79. Danach aber ist Politische Theologie nicht mehr nur eine Lehre von der staatlichen Souveränität, die allezeit aufruhen muss auf einem letztlich göttlichen Souveränitätskonzept. Sie wird vielmehr zur grundsätzlichen „Kritik aller rein diesseitigen kollektiven Daseinsentwürfe innerweltlicher Erlösungsreligionen auf ihren theologischen Ursprung und metaphysischen Kern hin.“80. Damit werden wir nun der Politische Theologie in ihrer basalen Gestalt und Funktion im Werk Schmitts ansichtig: Politische Theologie fungiert nämlich als eine „Theologie und Metaphysik der Politik“, die eine „Theologie der Erbsünde“81 als anthropologische Basiskategorie des Politischen behauptet, so Hofmann in ausdrücklicher Berufung auf Meier. Mit dieser Einschätzung nun wird es möglich, Schmitt selbst als Häretiker 75 76 77 78 79

Meier, Lehre, und: ders., Carl Schmitt. Hofmann, ebd., XXXV-XL. Ebd., XXXV. Ebd., XXXVII. Schmitt, Begriff des Politischen, 10; im Vorwort zur Neuausgabe von 1963, aber in vollkommener sachlicher Übereinstimmung mit dem im Leviathan von 1938 erreichten Stand seines Denkens nach der Desillusionierung durch den Nationalsozialismus. Vgl. dazu auch: Schönberger. 80 Hofmann, ebd., XXXVII. 81 Ebd., XXXVIII.

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zu sehen, seine zwar apokryphe, aber gleichwohl programmatische Selbstbeschreibung der „eigentlich katholische(n) Verschärfung“82 häresiologisch zu erledigen. So kann Barbara Nichtweiß in ihrer Interpretation des Katholizismus Schmitts „im Horizont der Theologie Petersons“ zum Schluss kommen, dass Schmitt nicht viel mehr als eine „katholisierende(…) Privatmythologie“83 zu bieten habe. Wo man Schmitt an der inhaltlichen Vollgestalt des Evangeliums von Jesus Christus misst, bleibt ein solches Urteil unausweichlich. Die theologische Qualifikation der Politischen Theologie bleibt defizitär, sie ist viel mehr politisch als theologisch, ist beschränkt auf die geschöpfliche Wirklichkeit des durch die Sünde entstellten Menschen, dem die Ordnungsmacht des staatlich oder nachstaatlich gedachten „Katechon“ entgegengestellt werden muss. Dort wird man mit Peterson gegen Carl Schmitt die theologische Seite der Politischen Theologie stark machen müssen. Gleichwohl müssen wir uns an dieser Stelle die ganz unterschiedlichen Bezugsprobleme im Denken Schmitts und Petersons vor Augen führen – gerade um die unterschiedlichen Profilierungen bei allen gegenseitigen Einflussnahmen zu verdeutlichen.

4.3.2 Politische Einheitsbildung: Das Bezugsproblem Carl Schmitts Was ist das maßgebliche Bezugsproblem für Schmitt? Mit dieser Frage begeben wir uns in das Dickicht der unterschiedlichen Schmitt-Interpretationen. Hofmann interpretiert die „Politische Philosophie“ Schmitts gerade im Widerspruch gegen das wuchernde Interesse an der „politischen Theologie“ im juristischen, im staatsrechtlichen Kontext. Das entscheidende Bezugsproblem Schmitts, seine „Sache“, sieht Hofmann im „Problem der Bildung, Wahrung und Repräsentation politischer Einheit in einer und über einer sich schier unbegrenzt ausdifferenzierenden polyzentrischen Gesellschaft.“84 Ganz entsprechend schrieb Hofmann schon 1964 im Einleitungsteil seiner Arbeit, dass Schmitts „Entwicklung von einem ganz bestimmten Thema beherrscht wird: von der Frage nämlich nach der Legitimation öffentlicher Macht.“85 Im Methodenstreit der Staatsrechtslehre der Weimarer Zeit vertrat Schmitt die entschieden antipositivistische Position86. Im Gegenüber zur rechtspositivistischen Schule Hans Kelsens suchte Schmitt nach dem politischen Fundament 82 Aus dem Jahr 1948, in: Schmitt, Glossarium, 17. 83 Nichtweiß, Apokalyptische Verfassungslehren, 63: „Wer sich zu Christus privat verhält – und tut Schmitt mit seiner katholisierenden Privatmythologie etwas anderes? – leugnet laut Peterson den Öffentlichkeitsanspruch der eschatologischen Herrschaft Jesu Christi.“ 84 Hofmann, ebd., XV. Die Bemerkung findet sich in der Einleitung zur 4. Aufl. seines Buches von 2001. 85 Ebd., 11. 86 Dazu vgl. Stolleis.

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von Legitimität gegenüber einem Rechtsverständnis der bloßen Legalität, das die politischen Fragestellungen konsequent aus dem juristischen Theorierahmen heraus halten wollte. Gegenüber einer „Reinen Rechtslehre“87, die das Recht in seiner bloßen normativen Formalität betrachtet, geht es Schmitt gerade um die vorrechtlichen, nämlich politischen, Geltungsgründe des Rechts und er möchte hier die Legitimität der Legalität namhaft machen88. Schmitt fragt: Wie ist eine politischen Einheitsbildung möglich, die dem geltenden Recht ihren Grund schafft? Gerade zu diesem Zweck sucht Schmitt die konkreten, „existentiellen“, historischen Bedingungen einer konkreten Rechtsform auf. Die konkreten Bedingungen, unter denen Schmitt nach „Legitimität“ fragte, waren die Bedingungen der Weimarer Republik, also eines sich mehr und mehr pluralisierenden, dem Zugriff ganz unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen unterliegenden Gemeinwesens. Aus der Revolution des Jahres 1918, also einem Legitimitätsbruch, hervorgegangen, suchte die Weimarer Republik eine Gestalt von Staatlichkeit, in der die divergierenden Grundimpulse der gesellschaftlichen Gruppen eine doch immer prekär bleibende politische Einheitsbildung ermöglichen sollten. Angesichts dieser Zentrifugalkräfte fragte Schmitt: Wie ist Ordnung möglich? Damit sind wir an dem systematischen Ort, wo sich die staatrechtliche Fragestellung erweitert zum politisch-theologischen Problem. Unter den verschiedenen Schmitt–Interpreten hat Jacob Taubes am deutlichsten auf diesen Punkt aufmerksam gemacht, wenn er in einem pointierten Wort Schmitt als „Apokalyptiker der Gegenrevolution“89 bezeichnet. Taubes sieht in Schmitts Werk eben diese Frage als zentral: Wie ist Ordnung möglich unter den Bedingungen endlicher Zeit, in der politische Gegensätze die Gestalt agonaler Feindschaften annehmen? Wie kann der sich totalisierende Agon als Bedingung politischer Praxis illusionslos akzeptiert werden, aber doch in der Form derart „gehegt“ und prozedural umfriedet werden, dass seine für die politische Form zerstörerische Kraft gezügelt werden kann? An dieser Stelle schlägt die politische Fragestellung um in ein apokalyptisches Schema: in ein Widereinander absoluter Größen, das den Pluralismus von Interessengruppen radikal reduziert auf die Zweiheit von Erhaltung und Dissoziation, von Ordnung und Unordnung. Günter Meuter hat Schmitts Denken am Leitbegriff des „Katechon“ interpretiert90. Der „Katechon“ ist nach 2. Thess 2,7 die rätselhafte Gestalt, die das „Geheimnis der Bosheit“ jetzt noch, d. h. unter den Bedingungen der endlichen, der zu Ende gehenden Zeit aufhält, um Ordnung aufrecht zu erhalten bis zur Wiederkunft Christi und der Heraufkunft der vollendeten Herrschaft Gottes. War in der mittelalterlichen Geschichtstheologie der Kaiser dieser 87 88 89 90

Kelsen. Siehe dazu: Hofmann, Einführung, 14 – 16. Taubes, Carl Schmitt, 18. Meuter.

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Katechon91, so ist es für den Schmitt der 20er Jahre ein starker, jenseits der gesellschaftlichen Konflikte stehender Staat. Dieser konsequente Etatismus Schmitts wurde allerdings theoretisch erst abschließend formuliert, als nach Schmitts Ansicht das Zeitalter des Staates schon vorbei war. Der „große Leviathan“ war im Urteil Schmitts von der totalen „Bewegung“ aufgesogen, geschlachtet, und von seinen Feinden verzehrt worden92. Aber damit greifen wir vor. Wir fragen an dieser Stelle noch einmal: Wie ist Ordnung möglich im Sinne der politischen Einheitsbildung? Nach Schmitts Ansicht muss das bloße Legalitätsprinzip angesichts der einander widerstreitenden Parteien scheitern. Nicht durch die Faktizität bloßer Rechtsgeltung kann die Ordnung gegen ihre Feinde verteidigt werden. Politische Ordnung braucht nach Schmitt die politische Idee, ja den politischen Mythos mit seiner absolut verpflichtenden und mobilisierenden Macht. Zwei Schriften des Jahres 1923 drücken dies in jeweils unterschiedlich perspektivierter Weise aus. Im Essay „Römischer Katholizismus und politische Form“ fasst Schmitt den Gedanken in positiver, konstruktiver Form auf: „Kein politisches System kann mit bloßer Technik der Machtbehauptung auch nur eine Generation überdauern. Zum Politischen gehört die Idee, weil es keine Politik gibt ohne Autorität und keine Autorität ohne ein Ethos der Überzeugung.“93

Nach Schmitt ist die „politische Idee“ das innere organisierende Prinzip der Politik94, weil sich von hier aus die politische Einheitsbildung vollzieht, die eine disparate Masse von Menschen zu einem Gemeinwesen verbindet. Allein eine Autorität, die Überzeugung findet, schafft Gefolgschaft95. Gerade die römische Kirche hat – oder vielmehr : ist nach Schmitt – eine „politische Form“, weil sie von einem „Ethos der Überzeugung“ getragen wird, das eine repräsentative, die tiefsten Quellen der Macht zur Darstellung bringende Gestalt gefunden hat. Anders, nämlich kritisch-polemisch, drückt Schmitt den Gedanken in „Die 91 92 93 94

Vgl. den staufischen Ludus de Antichristo. Schmitt, Leviathan, ebd., 118. Schmitt, Katholizismus, ebd., 28. Hugo Ball schrieb schon 1924 über Schmitt: „Er ist Ideologe mit seltener Überzeugung.“ Und weiter über „den Ideologen“ schlechthin: „Er gruppiert alle Lebenstatsachen, gruppiert seine ganze Erfahrung um die eine Grundüberzeugung, daß Ideen das Leben beherrschen; daß das Leben niemals nach seinen Bedingungen, sondern nur nach freien, unbedingten, ja bedingenden Einsichten, eben nach Ideen, geordnet und aufgebaut werden kann.“ Ball, Politische Theologie, 101. 95 Die „,Relation von Schutz und Gehorsam‘“ macht nach dem zustimmenden Votum Schmitts den „Angelpunkt der Staatskonstruktion des Hobbes“ aus. So in Schmitt,Leviathan, ebd., 113 u. ö. Nun ist das Interesse der Privatleute, Schutz zu genießen, als Antrieb zur Konstruktion des Leviathan sicher etwas anderes als die „politische Idee“. Die politische Idee kann gerade dort als Ideologie mobilisierend eintreten, wo der Staat nicht mehr zu schützen vermag, vielmehr den Einzelnen im Interesse der Idee radikaler Schutzlosigkeit aussetzt.

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geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ aus. Schmitts These ist hier, dass der Parlamentarismus, der im 19. Jh. machtvolle Institutionen des Kampfes gegen die Monarchie entwickelt hatte, mit dem Fall seines Gegners auch die eigene politische Idee verloren hat. Die liberalen Grundideen der Öffentlichkeit und der Gewaltenteilung entsprechen nicht mehr der Wirklichkeit des parlamentarischen Lebens, in dem sich die Parteien als Agenturen der Machtverteilung längst an die Stelle der rationalen Diskussion gesetzt haben96. Einem derart geschwächten Parlamentarismus gegenüber stehen die revolutionären Bewegungen, die in ihren ideologischen Fundamenten ungleich virulenter sind. Ihnen wohnt ein tiefer, metaphysisch grundgelegter Widerspruch gegen „jede Art systematischer Einheit“97 überhaupt inne. Den klarsten Ausdruck gewinnt diese metaphysische Grundhaltung nach Schmitt bei den anarchistischen Theoretikern wie Bakunin und Proudhon, die einerseits dem rationalistischen Duktus der hegelschen Geschichtsphilosophie verpflichtet sind, andererseits aber im schärfsten Widerspruch zu diesem „absoluten Rationalismus“ eine irrationalistische „Theorie des Mythos“ formuliert haben, die zu „unmittelbarer aktiver Entscheidung“98 drängt. Im Hintergrund des geschichtlichen Bewegungsgesetzes liegt die ideologische Selbstermächtigung der revolutionären Masse, die angetrieben wird von dem, was sie glaubt. „In unmittelbarer Intuition schafft eine begeisterte Masse das mythische Bild, das ihre Energie vorwärts treibt und ihr sowohl die Kraft zum Martyrium wie den Mut zur Gewaltanwendung gibt.“99 In George Sorel sieht Schmitt den entscheidenden Theoretiker dieses politischen Mythus. Wir wissen heute, wie prägend Sorel, der ja erst ein Jahr vor den Veröffentlichungen Schmitts gestorben war (1922), auf der Linken wie auf der Rechten gewirkt hat: als Inspirationsfigur des revolutionären Syndikalismus wie des italienischen Faschismus und der französischen Rechten100. Sorel erblickte, und Schmitt stimmt ihm darin zu, im sozialistischen Industrieproletariat den eigentlichen und gültigen Träger eines kampfkräftigen und entscheidungsmächtigen politischen Mythos, weil allein dieser Mythos die Kraft habe zur politischen Entscheidung zu mobilisieren101. 96 Schmitts Fazit: „Sind Öffentlichkeit und Diskussion in der tatsächlichen Wirklichkeit des parlamentarischen Betriebes zu einer leeren und nichtigen Formalität geworden, so hat auch das Parlament, wie es sich im 19. Jahrhundert entwickelt hat, seine bisherige Grundlage und seinen Sinn verloren.“ in: Schmitt, geistesgeschichtliche Lage, 63. 97 Ebd., 79. 98 Ebd., 80. 99 Ebd. 100 Vgl. zur ideengeschichtlichen Verortung von Sorel das Nachwort von George Lichtheim in: Sorel, 355 – 393. 101 „… die Schöpfung eines politischen oder historischen Mythus entspringt politischer Aktivität, und das Gewebe von Beweisgründen, auf welches auch er nicht verzichten kann, ist Emanation einer politischen Energie. Nur im wirklichen Krieg entsteht ein Mythus.“ Schmitt, Politische Romantik, 225.

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Schmitt schließt daraus: „Die Theorie vom Mythus ist der stärkste Ausdruck dafür, daß der relative Rationalismus des parlamentarischen Denkens seine Evidenz verloren hat. Wenn anarchistische Autoren aus Feindschaft gegen Autorität und Einheit die Bedeutung des Mythischen entdeckten, so haben sie doch, ohne es zu wollen, an der Grundlage einer neuen Autorität, eines neuen Gefühls für Ordnung, Disziplin und Hierarchie mitgearbeitet.“102

Allerdings sieht Schmitt die „ideelle Gefahr derartiger Irrationalitäten“103. Sie tendieren zu einem beziehungslosen Gegeneinander unterschiedlicher Mythen: „Für die politische Theologie ist das Polytheismus, wie jeder Mythos polytheistisch ist.“104 Wo die Politik von einem solchen mythischen Agon geprägt ist, wird die „politische Einheitsbildung“ geradezu unmöglich. So mündet der Gedankengang in ein durchaus resignatives Urteil ein: „Das Zeitalter der Diskussion“ ist nach Schmitt an sein Ende gekommen. Was aber kann dann kommen? Um die politische Einheit zu formen, bedarf es des „Ethos der Überzeugung“. Wo dieses Ethos in der Gestalt des politischen Mythos die Massen zu Gefolgschaft und Gewalt mobilisiert, wird aber die politische Einheit geradezu unmöglich. Schmitt selbst ging seinen etatistischen Weg zunächst weiter, vielleicht wider besseres Wissen: der starke Staat sollte die Extreme auseinander halten und unter die Ordnung zwingen. Die Agonalität sollte externalisiert werden als Kampf gegen den äußeren Feind, der um so entschiedener die im homogenen Staat zusammen gespannten Gruppen einigen sollte – dies ist die Grundthese von „Der Begriff des Politischen“. Selbst die „totale Mobilisierung“ in Gestalt der nationalsozialistischen „Bewegung“ sollte mit ihrer Dynamik noch die politische Einheitsbildung voranbringen105. Erst die Eigendynamik der nationalsozialistischen Herrschaft, die allen rechtlichen Hegungsansprüchen Schmitts Hohn sprach, führte Schmitt dazu, diese Versuche zu verabschieden oder doch sehr weitgehend zu relativieren. Es erschien ihm nicht mehr möglich, die revolutionäre ebenso wie die gegenrevolutionäre Dynamik in einer Konzeption der starken gegen den äußeren Feind positionierten politischen Einheit einzugrenzen – dies war Schmitts Einschätzung vom „Fehlschlag“ des „politischen Symbols“ des Leviathan. Der Leviathan ist geschlachtet und von seinen Feinden verzehrt – auch das Ende des politischen Mythos hat mythische Qualität. Man hat Schmitt den Vorwurf gemacht, dass dieses Programm einer politischen Mythologie inhaltlich vollkommen indifferent sei und der reinen irrationalen Dezision offen stehe. Das Mythische werde nicht inhaltlich quali102 103 104 105

Ebd., 89. Ebd. Ebd. Schmitt, Staat, Bewegung, Volk.

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fiziert, sondern finde seine Legitimation darin und insoweit, als es Kräfte in der politischen Auseinandersetzung mobilisiert106. Das Politische braucht den Mythos zur Mobilisierung großer sozialer Energien, genauso wie umgekehrt der Mythos nicht konstruiert werden kann, sondern erst zum „Bild“ wird aus geschichtlichen Erfahrungen heraus. Der Mythos wird zum Vehikel der Macht und es erscheint geradezu als Pflicht, die politische Praxis mythisch aufzuladen, um im Kampf der Mächte bestehen zu können. In der Schmitt–Interpretation spielt die esoterische, unter der Oberfläche der Texte Schmitts verborgene, theologische Tiefendimension eine wichtige Rolle. H. Meier hat den theologischen „Mythos“ der Erbsünde zur Schlüsselkategorie seiner Schmitt-Lektüre erhoben. Groh und Nichtweiß haben sich dem prinzipiell angeschlossen und von daher die dogmatische Defizienz der Katholizität Schmitts aufgewiesen, in der die ganze Dimension der Gnade fehle. Dem politischen Intensitätskriterium der Freund-Feind Dissioziation fehle die Hochschätzung des Friedens und der Freundschaft – gerade als formgebende Prinzipien eines christlich verstandenen Politischen. Auf das Ganze der Texte gesehen ist dies sicher richtig. Allein, es gibt auch wenige esoterische Hinweise, die vielleicht in eine andere Richtung weisen und mit der wohl belegten gnostischen Grundeinstellung Schmitts nicht ganz auszuschöpfen sind. Ich denke v. a. an die Schlussbemerkung aus „Der Begriff des Politischen“: „Denn das Leben kämpft nicht mit dem Tod und der Geist nicht mit der Geistlosigkeit. Geist kämpft gegen Geist, Leben gegen Leben, und aus der Kraft eines integren Wissens entsteht die Ordnung der menschlichen Dinge. Ab integro nascitur ordo.“107 Auch wenn diese Stelle teilweise gnostisch-dualistisch108 aus dem Begriffspaar integritascorruptio heraus zu verstehen ist, scheint auch eine soteriologische Lesart möglich. Das „integre Wissen“, so kann man schließen, ergibt sich aus einem Raum jenseits des politischen Agon. Die Freund-Feind Dissoziation des Politischen ergibt sich aus dem status corruptionis des gefallenen Menschen. Dieser status corruptionis ist als konkrete geschichtliche Bedingung des Politischen unsentimental zu akzeptieren. Es gibt jedoch, und dies ist ja die vermisste andere Hälfte der Katholizität Schmitts, ebenso eine Integrität des Menschen, die protologisch und eschatologisch geltend zu machen ist, einen status integritatis, der nur von der Versöhnung und vom Frieden her zu denken ist. Jeder politische ordo kann letztlich nur aus dieser Integrität heraus wachsen. Leo Strauß hat Schmitt in seiner bedeutenden Rezension des „Begriffs des Politi106 So Kodalle, 93: „In diesem Gleichgültigwerden aller Inhalte enthüllt sich (…) die Formalisierung des Inhalts. Indiziert ist damit ein qualitativer Sprung in der Entwicklung neuzeitlicher politischer Theologie, die sich nun als im Kern selbst instrumentell darbietet. Sie droht infolgedessen von der bloß technisch-pragmatisch verstandenen Struktur politischer Praxis und Machtbildung absorbiert zu werden (…). Belangvoll für die Realitätsbezogenheit eines politischen Mythos ist einzig und allein der Glaube der Massen.“ Politische Theologie wird nun nach Kodalle, ebd., 94, „bar jeglichen auch nur partiell-rationalen Wahrheitskriteriums“. 107 Schmitt, Begriff, 95. 108 Dazu: Groh, v. a. 159.284.

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schen“ vorgeworfen, dass Schmitt in seiner Liberalismus–Kritik ganz dem Horizont des Liberalismus verpflichtet geblieben sei, indem er seine Begriffe als polemische Begriffe entwickele, also auf die liberale Praxis des Meinungsstreites zurückgehe. Von dieser Schmitt-Kritik her erscheint Strauß der Rückgriff auf den status integritatis als ein Prinzipienbruch.109 Man könnte auch anders herum lesen: Mit dem Appell an das „integre Wissen“ verlässt Schmitt die Arena des liberal verstandenen Politischen und macht das eigentlich Theologische namhaft, das sich esoterisch im Hintergrund seiner Argumentation findet. Die entscheidende Schwäche des Liberalismus im 20. Jahrhundert besteht nach Schmitt darin, dass der Liberalismus nicht mehr an einem „Mythos“ partizipiere und dass seine Praxis nicht mehr fähig sei, ein mythisches Bild dort zu evozieren, wo die Kraft rationaler Diskussion als die Grundidee des Parlaments unglaubwürdig geworden sei. Klaus M. Kodalle hat seine Schmitt–Interpretation am Beginn der 70er Jahre110 als eine Kritik dieses mythischen Kerns des Politischen bei Schmitt angelegt und als entscheidendes Defizit in Schmitts Gedankenführung identifiziert, dass das moderne Grundmoment freier Subjektivität bei Schmitt nur als seinerseits quasimythische Kategorie des occasionalistisch assoziierenden ungebundenen romantischen „Ich“ desavouiert werde. Politische Einheitsbildung könne gerade unter den von Schmitt so scharf analysierten Bedingungen realer Machtkonfrontation nur durch zivilgesellschaftliche Institutionen freier Subjektivität zustande kommen. Kodalles protestantischer Schmitt-Kritik entspricht dann spiegelbildlich die katholische Schmitt-Kritik, die auf die theologischen Defizite Schmitts hinweist, um die Legitimität seines Katholizismus in Zweifel zu ziehen. Barbara Nichtweiß’ Diktum von der „katholisierenden Privatmythologie“ Schmitts wurde schon zitiert. In ähnliche Richtung argumentiert auch die Arbeit von Ruth Groh „Arbeit an der Heillosigkeit der Welt. Zur politisch-theologischen Mythologie und Anthropologie Carl Schmitts“111. Sie kommt zu dem Schluss „den Gedanken der Katholizität Schmitts verabschieden“112 zu müssen, weil Schmitt in dezidierter Weise der dogmatischen Tradition der Kirche widerspreche. Heinrich Meier dagegen sieht gerade in der Konsequenz, mit der Schmitt die Lehre von der Erbsünde zum Fundament seiner Entscheidung für die Ordnungsbedürftigkeit der politischen Dinge macht, die eigentliche und authentische Gestalt der christlichen Substanz der Lehre Carl Schmitts. Was Meier freilich mit der Intention verbindet, im Gefolge Leo Strauß’ überhaupt auf die Unvereinbarkeit von politischer Philosophie und politischer Theologie abzuheben.113 Ich glaube allerdings, dass Taubes’ wohl im Recht war, wenn er, ohne Sympathien für den politischen Standort Schmitts und seine katastrophalen Entgleisungen, doch den apokalyptischen Kern im Bezugsproblem von 109 110 111 112 113

Strauß, 124 f. Kodalle, ebd. Groh, Arbeit. Ebd., 239. Vgl. die Schlusssätze von Meiers Studie: Meier, Lehre, 257 – 263.

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Schmitts Denken aufweist: Wie ist Ordnung möglich in einer Welt, deren Ordnung in der befristeten Zeit dem beständigen Zerfall unterworfen sind? Taubes schrieb: „Carl Schmitt denkt apokalyptisch, aber von oben her, von den Gewalten; ich denke von unten her. Uns beiden gemeinsam aber ist jene Erfahrung von Zeit und Geschichte als Frist, als Galgenfrist. Das ist ursprünglich auch eine christliche Erfahrung von Geschichte.“114

Von dieser Einschätzung her sagt Taubes lakonisch: „Ich halte Schmitt für einen profunden katholischen Denker.“115 Schmitts Bezugsproblem, so sagten wir, ist die Ordnung, die katechontisch aufrechterhalten wird unter den Bedingungen der Sünde. Diese Fragestellung macht die besondere theologische Profilierung seiner politischen Theologie aus. Es macht auch den Punkt aus, an dem der Gegensatz zwischen Peterson und Schmitt ausbrach. Es ist ohne weiteres möglich die Selbstbeschreibung Taubes auch für Peterson in Anspruch zu nehmen: Peterson ein Apokalyptiker, aber nicht im Horizont der Frage nach der Erhaltung der politischen Ordnung, sondern im Horizont der Selbstdurchsetzung Gottes in der Geschichte.

4.3.3 Zum Thema der Öffentlichkeit bei Carl Schmitt: ein Gang durch die Hauptschriften 4.3.3.1 „Römischer Katholizismus und politische Form“ „Es gibt einen anti-römischen Affekt.“116 Mit diesem berühmten ersten Satz beginnt Schmitt seinen schmalen Essay „Römischer Katholizismus und politische Form“. Mit diesem Beginn schon wird die Frage nach der besonderen politischen Form der katholischen Kirche in einen polemischen Zusammenhang gestellt. Die Form setzt Differenz und an dieser Differenz macht sich die Polemik der Gegner so fest, dass die Form mehr ist als äußere Gestalt eines in ihr aufgehobenen Gehaltes. Der Widerspruch der Gegner richtet sich nach Schmitt gerade gegen diese spezifische Formqualität des Katholizismus: Es ist die Kraft, den „Universalismus“117 des römischen Imperiums aufzunehmen und fortzusetzen und ebenso in diesen Universalismus eine „complexio oppositorum“118 hineinzuweben, in welcher die größten Gegensätze zu einer spannungsvollen Einheit zusammen finden und so ihren Ort haben. Das Ziel 114 115 116 117 118

Taubes, Carl Schmitt, 22. Taubes, ebd., 61. Zum Ganzen auch: ders., Politische Theologie. Schmitt, Römischer Katholizismus. Ebd., 9. Ebd., 11.

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der politischen actio also, die Bildung der politischen Einheit, ist in der Kirche nach Schmitt exemplarisch verwirklicht. Darin ist sie selbst Exempel des Politischen. Woher bezieht die Kirche ihre Möglichkeiten der Einheitsbildung, die gerade angesichts der zentrifugalen Kräfte der pluralistischen Demokratien so beeindrucken? Schmitt antwortet: „Diese formale Eigenart des römischen Katholizismus beruht auf der strengen Durchführung des Prinzips der Repräsentation“119. Diese „Kraft zur Repräsentation“120 ist nach Schmitt nun die spezifische Rationalität der Kirche, die in ihrem Menschenmaß, ihrer „Humanität“121 dem „ökonomisch–technischen Rationalismus“ der Moderne auf das äußerste entgegengesetzt ist. Für die Kirche gilt: „Sie repräsentiert die civitas humana, sie stellt in jedem Augenblick den geschichtlichen Zusammenhang mit der Menschwerdung und dem Kreuzesopfer Christi dar, sie repräsentiert Christus selbst, persönlich, den in geschichtlicher Wirklichkeit Mensch gewordenen Gott. Im Repräsentativen liegt ihre Überlegenheit über ein Zeitalter ökonomischen Denkens.“122 Die Repräsentation bringt nach Schmitt ein unsichtbares Sein zur sichtbaren Darstellung, belässt aber dieses Dargestellte in seiner transzendenten Qualität, während nach Schmitt das Verfahren der ökonomisch-technischen Rationalität gerade darauf zielt, auch das Ideelle, auch den Begriff, zum Bestandteil des manipulativen Zugriffs auf die „Materie“ zu machen und sich derart zu einem System rein immanenter Zwecke zu verfestigen. Die Repräsentation dagegen agiert jenseits der strengen Sachlichkeit des „ökonomisch-technischen Denkens“ wesentlich in personalen Kategorien. Das Repräsentative hat seine Würde und seinen „Wert“ in der Teilhabe am Repräsentierten. Und es verleiht auch dem Forum, vor dem repräsentiert wird, gerade diese gleiche personale Dignität123. Darin wird deutlich, dass im Repräsentativen die „politische Idee“ lebt, die auf öffentlich Darstellung zielt: Die Repräsentation zehrt von der Öffentlichkeit und sie zielt auf Öffentlichkeit. Dagegen ist nach Schmitt die der ökonomisch–technischen Rationalität entsprechende politische Praxis eine solche, die der spezifischen Öffentlichkeit der Repräsentation geradezu entgegengesetzt ist. Das Ökonomische ist wesentlich privat: Privateigentum von Privatleuten, die ihre privaten Interessen öffentlich artikulieren und darin die „öffentliche Meinung“ bilden. „Nichts in diesem System ist repräsentativ, alles 119 Ebd., 14. Hasso Hofmann hat die Ansicht vertreten, dass Schmitt diesen für ihn so zentralen politischen Formbegriff der Repräsentation einseitig von der besonderen Gestalt der Papstkirche nach dem Vaticanum I abgezogen und damit frühere und andere Konzeptionen von Repräsentation nicht berücksichtigt habe. In der Begriffsgeschichte der „Repräsentation“ liegen nach Hofmann auch konziliare und kollegiale Varianten bereit, die eine sehr anders geartete Formung von „Öffentlichkeit“ erlaubten, darin aber dem Interesse Schmitts an einem starken, autoritären, souveränitätszentrierten Repräsentationsbegriff zuwiderliefen. Vgl. Hofmann, Repräsentation. 120 Ebd., 32. 121 Ebd., 24. 122 Ebd., 32. 123 Ebd., 36.

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ist Privatsache.“124 So hat sich die hergebrachte Wertung nach Schmitt in der „modernen europäischen Gesellschaft“ geradezu umgekehrt: Das Private hat die Würde des Unantastbaren und Heiligen gewonnen, während die Religion zur Privatsache erklärt wurde. Daher gilt: „Wenn das Religiöse das Private ist, so ist infolgedessen auch umgekehrt das Private religiös geheiligt.“125 Dagegen will Schmitt festhalten: „Im Gegensatz zu der liberalen Fundamentierung auf dem Privaten ist die juristische Formierung der katholischen Kirche publizistisch.“126 Die Kirche hat Öffentlichkeit, insofern sie ein repräsentatives Sein hat, eine sichtbare Form, die gerade in der „juristischen Eigenart“ des Katholizismus eine charakteristische Ausformung hat, aber doch über die juristische Form hinausgeht, weil die Kirche „etwas anderes und mehr repräsentiert als die weltliche Jurisprudenz, nämlich nicht nur die Idee der Gerechtigkeit, sondern auch die Person Christi.“127 Von dieser „Person“ aus, die nach Schmitt ungleich konkreter ist als eine bloße „Idee“, wird der Katholizismus „gleichberechtigte Partei mit dem Staat“ und hat die Vollmacht „neues Recht (zu) schaffen“128. Bemerkenswert ist hier im Umkehrschluss Schmitts, dass auch der Staat im Gegenüber zur Kirche nur „Partei“ ist, vielmehr gar erst eigentlich „Partei“, weil er nämlich auf das eigene Territorium beschränkt ist, während die Kirche einen übernationalen, universalen Anspruch hat. Wird Schmitt später, im Jahr 1938, im „Leviathan“, der Kirche sogar das Recht absprechen, als „potestas indirecta“ im staatlichen Machtgefüge zu handeln, so scheint er hier sogar eine „potestas directa“, eine direkt Recht setzende und exekutierende Gewalt der Kirche zu legitimieren. Schmitt führt hier ausdrücklich den Souveränitätsbegriff ein und spricht von der „Macht zur Entscheidung, wer souverän ist“129. So konzediert er der Kirche auch ein „Ethos (…) der eigenen Macht“, das abgeleitet sei von dem „regierenden, herrschenden, siegenden Christus“: „Ihr (scil. der Kirche) Anspruch auf Ruhm und Ehre beruht im eminenten Sinne auf dem Gedanken der Repräsentation.“130 Gegen diese Darstellung der „eigenen Macht“ richtete sich nach Schmitt immer auch ein innerchristlicher Widerspruch: „Daß sie Christus nicht als einen Privatmann und das Christentum nicht als Privatsache und reine Innerlichkeit auffaßt, sondern zu einer sichtbaren Institution gestaltet, das ist der große Verrat, den man der römischen Kirche zum Vorwurf macht.“131 124 125 126 127 128 129 130 131

Ebd., 47. Ebd., 48. Ebd., 49. Ebd., 50. Ebd. Ebd., 51 f. Ebd., 52. Ebd., 53 f.

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Hier sind wir wiederum am systematischen Kern der Entgegensetzung des Öffentlichen und Privaten, wie wir sie als ständig begegnendes Motiv auch bei Peterson finden. Das dem Öffentlichen entgegengesetzte Private ist die Essenz des Liberalismus, der seinen politischen Entwurf mit dem Privateigentum und der Selbstverfügung des Individuums beginnen lässt.

4.3.3.2 „Der Begriff des Politischen“ Wo diese Idee das Politische dominiert, wird es als Politisches nach Schmitts Ansicht eigentlich aufgelöst: Die Repräsentation der politischen Idee im durch den Liberalismus geformten Staat wird genauso verblassen wie die Repräsentation der Person Christi in einer subjektivierten Religion und in einer individualisierten Kirche. Die Moderne ist in Schmitts Urteilen geradezu als das Zeitalter der „Neutralisierungen und Entpolitisierungen“132 aufgefasst, wogegen nach Schmitts notorischer Definition das „Kriterium“133 des Politischen die Dissoziation zwischen dem Eigenen und dem Anderen, zwischen „Freund und Feind“ ist. Das ökonomisch–technische Denken, das Schmitt mit dem Liberalismus assoziiert, sucht aus dem politischen Gegensatz in die vermeintlich neutrale Sphäre des technischen Sachverstandes auszuweichen. Mit diesem Ausweichen verschwindet nach Schmitt aber auch die Öffentlichkeit, weil Öffentlichkeit davon lebt, dass eine jeweils für ein Zeitalter und für ein geistiges „Zentralgebiet“ „typische Erscheinung des Repräsentanten der Geistigkeit und der Publizität“134 auch im Zentrum der intellektuellen Auseinandersetzungen und der politischen Aktion steht. Der ökonomische oder technische Experte ist nach Schmitt kein solcher Repräsentant mehr. Technik und Ökonomie seien nicht repräsentationsfähig135 und damit nicht „öffentlich“, sondern werden immer nur in Dienst genommen von jeweils anderen Mächten. Diese Bemächtigung des Neutralen für von anderen Sachgebieten gesetzte Zwecke bleibt nach Schmitt nicht aus, weil sie in der aggressiven Natur des Menschen angelegt ist und daher prinzipiell auch bejaht werden muss, wenn sie sich nicht unter dem ideologischen Schutz der Neutralisierungen um so zerstörerischer geltend machen soll. Daher bejaht Schmitt das Politische und damit das „Öffentliche“ intensiv, weil nur das in der Repräsentation öffentliche Politische Gegenstand sowohl der offenen, eben politischen Auseinandersetzung, wie auch der rechtlichen Hegung werden kann, wogegen das scheinbar neutralisierte Politische umso 132 133 134 135

Schmitt, Begriff des Politischen, 79 – 95. Ebd., 26. Ebd., 86. „Denn mit der Technik war die geistige Neutralität beim geistigen Nichts angelangt. Nachdem man erst von der Religion und der Theologie, dann von der Metaphysik und dem Staat abstrahiert hatte, schien jetzt von allem Kulturellen überhaupt abstrahiert zu werden und die Neutralität des kulturellen Todes erreicht.“, Ebd., 92.

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intensiver auf die Durchsetzung der eigenen, „privaten“ Interessen aus ist, eine Durchsetzung, die sich moralisch aufladen kann und gerade im Namen der Moral nach Schmitts Urteil bis zur Vernichtung des Feindes gesteigert sein kann136. Zum Begriff des Öffentlichen gehört für Schmitt neben der öffentlichen repräsentativen Darstellung der – eigenen – politischen Einheit eben auch der öffentliche Feind: „Feind ist also nicht der Konkurrent oder der Gegner im allgemeinen. Feind ist auch nicht der private Gegner, den man unter Antipathiegefühlen haßt. Feind ist nur eine wenigstens eventuell, d. h. der realen Möglichkeit nach kämpfende Gesamtheit, die einer ebensolchen Gesamtheit gegenübersteht. Feind ist nur der öffentliche Feind, weil alles, was auf eine solche Gesamtheit von Menschen, insbesondere auf ein ganzes Volk Bezug hat, dadurch öffentlich wird.“137 Überall wo diese potentielle Intensität der gegenseitigen seinsmäßigen Bestreitung geleugnet wird, wird nach Schmitt auch das Politische geleugnet und mit ihm das Öffentliche. Überall dagegen, wo akzeptiert wird, dass „jeder religiöse, moralische, ökonomische, ethnische oder andere Gegensatz (…) stark genug ist, die Menschen nach Freund und Feind effektiv zu gruppieren“138, dort ist auch das Politische gegenwärtig und dort ist Öffentlichkeit möglich.

4.3.3.3 „Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus“ Allerdings hat der Liberalismus nach Schmitt ursprünglich einen echten und starken Öffentlichkeitsbegriff. Für den echten, von liberalen Prinzipien getragene Parlamentarismus, gilt sogar : „Die Öffentlichkeit bekommt einen absoluten Wert“139. Das Parlament war im politischen Entwurf des klassischen Liberalismus der Ort der rationalen Diskussion, Ort der Kontrolle von Machtausübung, wo sich die Wahrheit kraft der besseren Argumente durchsetzen wird: „Was die durch Öffentlichkeit und Diskussion garantierte Balance eigentlich bewirken sollte, war nicht weniger als Wahrheit und Gerechtigkeit selbst. Durch Öffentlichkeit und Diskussion allein glaubte man die bloß tatsächliche Macht und 136 Im Hintergrund dieser Wertungen steht bekanntlich Schmitts Kampf gegen den Versailler Vertrag, wo Schmitt genau diese Tendenz am Werke sah, Deutschland nicht als besiegten Feind politisch zu behandeln, sondern im Namen einer moralisch definierten Humanitarismus als Feind der Menschheit moralisch zu ächten. In der Interpretation Schmitts ist oft darauf hingewiesen wurden, wie elastisch Schmitt seine Begriffe handhabt, um sie seinem polemischen Zweck in einer bestimmten Diskussionslage jeweils anzupassen. 137 Ebd., 29. 138 Ebd. 139 Schmitt, geistesgeschichtliche Lage, 48.

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Gewalt – für liberal-rechtsstaatliches Denken das an sich Böse (…) – überwinden und den Sieg des Rechts über die Macht herbeiführen zu können.“140

Neben das Prinzip der Öffentlichkeit tritt dann das Prinzip der Teilung und Balancierung der Gewalten, in dem sich ein Gleichgewicht der gegenseitigen Kontrolle der politischen Instanzen herstellt. Nach Schmitt hat der „gegenwärtige“ Parlamentarismus der 1920er Jahre allerdings gerade diese Öffentlichkeit, und damit seine überzeugende Macht, „den Glauben an das Parlament“141 verloren. Die politische Praxis des Parlamentarismus ist für Schmitt zur Abgleichung des Einflusses von „privaten“, ökonomisch definierten, Interessengruppen verkommen. Alle wesentlichen Entscheidungen finden hinter den verschlossenen Türen der Fraktionsversammlungen statt und das Parlament dient nur als Staffage für längst schon gefallene Entscheidungen, die von anonym bleibenden Interessengruppen formuliert werden, ohne doch öffentlich verantwortet werden zu müssen. Eine neue Öffentlichkeit kann nach Schmitt nur dort entstehen, wo ein „politischer Mythos“ die Kraft hat, „Glauben“ zu erwecken und zur politischen Willensbildung zu mobilisieren. Freilich sieht Schmitt selbst die Gefahren eines solchen Mythos: „Die ideelle Gefahr derartiger Irrationalitäten ist groß. Letzte, wenigstens in einigen Resten noch bestehende Zusammengehörigkeiten werden aufgehoben in dem Pluralismus einer unabsehbaren Zahl von Mythen. Für die politische Theologie ist das Polytheismus, wie jeder Mythus polytheistisch ist.“142 Wenige Jahre später sollte Schmitt selbst für einen gewichtigen Zeitabschnitt dem gefährlichsten aller politischen Mythen des 20. Jahrhunderts erliegen, dem Mythos, der am effektivsten das „Bild des Feindes malen“143 und die Massen mobilisieren konnte. 4.3.3.4 „Verfassungslehre“ In seiner „Verfassungslehre“ aus dem Jahr 1928 vertieft Schmitt diesen Zusammenhang von Repräsentation und Öffentlichkeit. Schmitt spricht von „zwei Prinzipien politischer Form (Identität und Repräsentation)“144. Als politische Formprinzipien sind sie auf die politische Einheit eines – darin schon vorausgesetzten – Volkes bezogen und damit zu unterscheiden von den „bürgerlich-rechtsstaatlichen“ Prinzipien, mit denen sie im Aufbau eines modernen Verfassungsstaates einen nicht spannungsfreien Verbund eingehen. Sein systematisches Anliegen fasst Schmitt folgendermaßen zusammen: „Der Staat beruht als politische Einheit auf einer Verbindung von zwei entgegengesetzten Gestaltungsprinzipien, dem Prinzip der Identität (nämlich des 140 141 142 143 144

Ebd., 61. Ebd., 13. Ebd., 89. Ebd., 88 f. Schmitt, Verfassungslehre, 204.

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anwesenden Volkes mit sich selbst als einer politischen Einheit, wenn es kraft eigenen politischen Bewußtseins und nationalen Willens die Fähigkeit hat, Freund und Feind zu unterscheiden), und dem Prinzip der Repräsentation, kraft dessen die politische Einheit durch die Regierung dargestellt wird.“145 Dabei gilt nach Schmitt, dass „Repräsentation“ und „Identität“ als politische Formprinzipien einander entgegengesetzt sind: das mit sich identische Volk, im Idealfall in einer Volksversammlung zur Entscheidungsfindung präsent, bedarf nicht der Repräsentation, die eben auch das „Nichtdemokratische“146 enthält: „Nur wer regiert, hat teil an der Repräsentation.“ In der Repräsentation tritt einem Volk die eigene politische Einheit als objektive Größe entgegen, die mehr ist als die „demokratische“ Summe der Einzelwillen. Regierung ist so mehr als „Verwaltung und Geschäftsbesorgung“, sie stellt das „geistige Prinzip der politischen Existenz“ dar147. „Publizität und Personalität“148, öffentliche Darstellung und personale Darstellung machen für Schmitt das Wesen der Repräsentation aus. Das Subjekt der in der Repräsentation dargestellten politischen Einheit ist das „Volk“, das im „Staat“ zur Einheit seiner politischen Existenz kommt. Darin ist es nach Schmitt auf „Öffentlichkeit“ angewiesen149. Diese Öffentlichkeit erscheint paradigmatisch dort, wo das Volk zur Volksversammlung zusammentritt. Das so kopräsente Volk findet die ihm entsprechende politische actio in der „Akklamation“150. Die paradigmatische Gestalt dieser Art politischer Öffentlichkeit erkennen wir in der „Ekklesia“, der Bürgerversammlung der antiken Stadtstaaten.151 Und nur vor dem Hintergrund dieser Öffentlichkeitsform wird deutlich, wie sehr die modernen demokratischen Staaten ihre Öffentlichkeit verloren haben: „Die konsequente Durchführung der geheimen Einzelwahl und Einzelwahl verwandelt den Staatsbürger, den citoyen, also die spezifisch demokratische, d. h. politische Figur, in einen Privatmann, der aus der Sphäre des Privaten heraus (…) eine Privatmeinung äußert und seine Stimme abgibt.“152 145 146 147 148 149

Ebd., 214. Ebd., 218. Ebd., 212. Ebd., 214. „Volk ist ein Begriff, der nur in der Sphäre der Öffentlichkeit existent wird. Das Volk erscheint nur in der Öffentlichkeit, es bewirkt überhaupt erst die Öffentlichkeit. Volk und Öffentlichkeit bestehen zusammen; kein Volk ohne Öffentlichkeit und keine Öffentlichkeit ohne Volk.“ Ebd., 243. 150 Ebd. 151 Ebd. Schmitt hatte hier, insbesondere in der Frage der Bedeutung der „Akklamation“, Ergebnisse Petersons aus dessen Habilitationsschrift „Heiz Theos“ übernommen und mit verhängnisvollen Folgen in die aktuellen politischen Zusammenhänge der Weimarer Republik übernommen.Vgl. Hebekus, Akklamation, 97 f. Zum Ekklesia-Polis Komplex bei Peterson jetzt: Peterson, Ekklesia. Dort auch: Nichtweiß, Kirchenbegriff, mit detaillierten Nachweisen zur Genealogie des Ekklesia-Konzepts bei Peterson. 152 Ebd., 245.

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Hier sehen wir Schmitts beständigen Widerspruch gegen die liberale „Entpolitisierung“ des Parlamentarismus wiederkehren. Stand die liberale Öffentlichkeit am Beginn des politischen Weges der Moderne, so endet nach Schmitts Urteil diese konsequent durchgeführte Form der diskursiven Öffentlichkeit in ihrer eigenen Aufhebung, sprich: in der Artikulation der jeweils privaten Interessen. Die Öffentlichkeit wandert aus den Prozessen der politischen Willensbildung aus und wird zur „öffentlichen Meinung“, die jenseits der politischen Arena ihren Ort hat: „Die öffentliche Meinung ist die moderne Art der Akklamation.“153 Diese Akklamation ist nun nicht mehr prozedural eingehegt, sie findet jenseits der parlamentarischen Verfahren statt. Schmitt sieht die Gefahr, dass hier der Manipulation durch die medialen Apparate und durch anonyme Interessengruppen Tür und Tor geöffnet ist, meint aber : „Solange die demokratische Gleichartigkeit der Substanz noch vorhanden ist und das Volk politisches Bewußtsein hat, d. h. Freund und Feind unterscheiden kann, ist die Gefahr nicht groß. Entfallen jene substanziellen Voraussetzungen der Demokratie, so hilft keine Organisation und keine gesetzliche Normierung.“154

Im Hintergrund des Politischen steht für Schmitt also immer eine kulturelle Atmosphäre wesentlicher Homogenität, die gerade für die Demokratie als Voraussetzung entscheidend ist, während ein Staatswesen, das von einem starken Begriff der Repräsentation her organisiert ist und eine starke Regierung hat, auch „mit einem Minimum von Homogenität des Volkes auskommen“155 könnte. Die präliberale „repräsentative Öffentlichkeit“ und die postliberale Öffentlichkeit der „öffentlichen Meinung“ unterscheiden sich nach Schmitt also gerade in diesem unterschiedlichen Ausmaß, wie sie auf die vorpolitischen Gegebenheiten einer quasi-ontischen Homogenität angewiesen sind. In diesen Sätzen sehen wir Schmitt auf dem Wege, der ihn wenige Jahre später am Ende des Weimarer Präsidialregimes in die Arme der hochgradig konstruierten „Homogenität“ der völkischen „Bewegung“ geführt hat. Habermas hat drei Jahrzehnte später gerade hier angeknüpft und in „Strukturwandel der Öffentlichkeit“ die auch in den Analysen Schmitts angelegten anderen Möglichkeiten ausgeführt: dass nämlich die gemeinwohlorientierten nichtstaatlichen Verbände das Potential haben, die „öffentliche Meinung“ den ökonomischen Interessengruppen zu entwinden und im Sinne des Gemeinwohls zu rekonstruieren.

153 Ebd., 246. 154 Ebd., 247. 155 Ebd., 215.

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4.3.3.5 „Der Leviathan“ Schmitts Rolle als „Kronjurist“ des Dritten Reiches ist vielfach beschrieben worden. Sollte er im Jahre 1933 neben der karriereträchtigen Prätension, im Zentrum des politischen Geschehens beteiligt zu sein, auch politische Hoffnungen gehegt haben, dabei mitzuwirken, die nationalsozialistische „Bewegung“ rechtlich in den Aufbau eines starken Staates einbinden zu können, so musste er dies bald als Illusion erkennen. Gerade dass Schmitt das „Politische“ als das „Totale“ proklamierte und es im „totalen Staat“ realisiert wissen wollte, machte ihn den Männern der an rechtlichen Hegungen vollkommen uninteressierten „Bewegung“ suspekt156. Im Jahr 1938 war Schmitt von allen öffentlichen Ämtern im nationalsozialistischen Staat entbunden und auf sein Amt als Hochschullehrer beschränkt. Auch theoretisch war er zu der Einschätzung gekommen, dass die Zeit des starken Staates als politischer Einheit abgelaufen sei. Und so ist sein „Leviathan“ eine Genealogie des Zerfalls der politischen Einheit, die von innen heraus durch die Mächte der Privatisierung zerstört wird, deren vorläufig letzte und gewalttätigste Gestalt die „Bewegung“ ist, in der eine partikulare Interessengruppe sich totalisiert und in der totalen Mobilmachung sich selbst und den Staat, den sie okkupiert, in den Zerfall treibt. Schmitt sucht den Ursprung dieses Zerfalls schon in der Konzeption von Thomas Hobbes selbst, der das mythische Bild des Leviathan im Zeitalter der konfessionellen Bürgerkriege in Anspruch nahm, um den Naturzustand des Kampfes aller gegen alle zu überwinden. Der Leviathan, der sterbliche Gott des alles umfassenden Staates, ist für Hobbes der einzige Garant des Friedens, indem sich die schutzbedürftigen Einzelnen freiwillig ihrer Freiheit begeben, um in einem geordneten Gemeinwesen zusammenzuleben, das seinen Grund als christlicher Staat hat in dem basalen Bekenntnis, „that Jesus is the Christ“. Der Leviathan kann den konfessionellen Zwist nur überwinden, indem er Religion und Politik zu einer Einheit verbindet157, die für das öffentliche Leben eine nicht in Frage zu stellende Verbindlichkeit hat, weil nur so „der öffentliche Friede und das Recht der souveränen Gewalt“158 gewahrt werden können. Weil Hobbes aber von der naturrechtlich vorgegebenen Freiheit und Selbstverfügbarkeit des Einzelnen ausgeht, seiner geschöpfliche Antriebskraft zur conservatio sui, die für ihn gerade der Grund des Politischen ist, konzediert er auch den grundsätzlichen Gewissensvorbehalt des Individuums, aufgrund dessen man Hobbes auch als Ahnherren des Liberalismus interpretieren kann: Hobbes unterscheidet die öffentliche confessio „Jesus is the 156 Vgl. zum ganzen Zusammenhang das instruktive Nachwort von Günter Maschke im „Leviathan“: Maschke, bes. 183 – 194. 157 Schmitt, ebd., 84. 158 Ebd., 88.

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Christ“ von der privaten fides des Einzelnen und pflanzt damit nach Schmitt den „Todeskeim“159 in seine Staatskonzeption: die „Trennung von Innen und Außen, von öffentlich und privat“160. Hier sieht Schmitt schon die eigentliche argumentative Umbesetzung vorgenommen, die sich bald der Konzeption des Hobbes bemächtigen sollte: „In dem Augenblick, in dem die Unterscheidung von Innen und Außen anerkannt wird, ist die Überlegenheit des Innerlichen über das Äußerliche und damit die des Privaten über das Öffentliche im Kern bereits entschiedene Sache. Eine öffentliche Macht und Gewalt mag noch so restlos und nachdrücklich anerkannt und noch so loyal respektiert werden, als eine nur öffentliche und nur äußerliche Macht ist sie hohl und von innen her bereits entseelt.“161

So sieht Schmitt den Staat im Prozess der Moderne immer weitergehend sich entsubstantialisieren: einer Positivierung des Staates zum gut geordneten „Mechanismus“162 der Gesetzgebung und Wohlfahrt folgte in Schmitts Urteil ein bloß „positivistisches Legalitätssystem“163 und diesem schließlich die vollkommene Neutralisierung als Instrument der gesellschaftlichen Interessengruppen. Hier schließen sich in Schmitts Diagnose in gewisser Hinsicht die Kreise. Die Ursprungssituation, gegen die Hobbes den Leviathan aufbot, kehrt wieder : ging es Hobbes darum, die konfessionellen Bürgerkriegsparteien zu pazifizieren und in eine staatliche Einheit zu zwingen, so gilt nach Schmitt gegenwärtig: „Die alten Gegner, die ,indirekten‘ Gewalten von Kirche und Interessenorganisationen, sind in diesem Jahrhundert in moderner Gestalt als politische Parteien, Gewerkschaften, soziale Verbände, mit einem Wort als ,Mächte der Gesellschaft‘ wiedererschienen.“164

Ihnen wirft Schmitt vor, zwar indirekt Herrschaft auszuüben, jedoch keine Verantwortung dafür zu tragen, diese vielmehr an die immer schwächer werdende Gewalt des Staates zu delegieren. Damit lösen sie, die „indirekten Mächte“, die „rationale staatliche Macht“165 überhaupt auf, die in erster Linie darauf beruht, „die volle politische Gefahrübernahme und in diesem Sinne die Verantwortung für Schutz und Sicherheit der Staatsunterworfenen“166 zu tragen. Wo diese Relation von Schutz und Gehorsam fällt, „hört auch der Staat selber auf und jede Gehorsamspflicht 159 160 161 162 163 164 165 166

Ebd., 86. Ebd., 91. Ebd., 94. Ebd., 99. Ebd., 100. Ebd., 116. Ebd., 113. Ebd.

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entfällt“167 So ist der Naturzustand der schrankenlosen Aggression wiederhergestellt. Und es gilt nach Schmitt, dass gerade die Emphase der individuellen Freiheit, dazu geführt habe, die Institutionen zu zerstören, die Garantie dieser Freiheit waren: „Der Leviathan im Sinne des Mythos vom Staat als der ,großen Maschine‘ zerbrach an der Unterscheidung von Staat und individueller Freiheit, in einem Zeitalter, in dem die Organisationen dieser individuellen Freiheit nur noch die Messer waren, mit denen antiindividualistische Mächte den Leviathan zerschnitten und sein Fleisch unter sich verteilten.“168

Günter Maschke liest in seiner Interpretation Schmitts jedenfalls so: „Hitler ist also der Endpunkt und zugleich der endgültige Bankrott einer hier ganz anders als bei Horkheimer und Adorno gedeuteten Aufklärung, um deren ,Dialektik‘ es auch Schmitt geht. Der Hobbes’sche Staat löst sich über Toleranz, Neutralisierung und bloße Legalität – also über Prozesse einer Entleerung substantieller Gehalte – auf in die totalitäre Bewegung.“169

Diese Schmittsche Lesart der „Dialektik der Aufklärung“ bewertete Peterson im günstigsten Falle als „Ambiguität“ der Position Schmitts, dem er zu Recht vorwarf, eine klare Stellungnahme gegen den Nationalsozialismus zu scheuen.170 Deutlich ist jedenfalls, dass es auch hier letztlich um das Verhältnis des „Privaten“ zum „Öffentlichen“ geht und Peterson den begrifflichen Unterscheidungen Schmitts zutiefst verpflichtet ist.

4.3.4 Der „positive Rechtsanspruch Gottes“: Zum Bezugsproblem der Theologie Erik Petersons Mit Taubes wollen wir die entscheidende Differenz zwischen Schmitt und Peterson in ihrem unterschiedlichen Verhältnis zum ordnungsbedürftigen Politischen sehen. Für Schmitt, den – in den Worten von Taubes – „Apokalyptiker der Gegenrevolution“, liegt alles daran, die politische Einheit vor dem Zerfall zu schützen, ihre Konstitution immer wieder durch die gründende Leistung des Rechts zu ermöglichen. Die apokalyptischen Gegenspieler sind 167 168 169 170

Ebd. Ebd., 118. Maschke, „Leviathan“, 219 f. Vgl. dazu Nichtweiß, 735, Anm. 119 mit der auf einer Postkarte geschriebenen Erwiderung an Schmitt vom 13. 08. 1938: „…die Polemik gegen die potestas indirecta hat nur dann einen Sinn, wenn man darauf verzichtet, ein Christ zu sein und sich für das Heidentum entschieden hat.“ Zum Zerbruch der Freundschaft zwischen Peterson und Schmitt „an dem Problem der politischen ,Theologie‘“ (so die briefliche Einschätzung von Schmitt aus dem Jahr 1963) vgl. Nichtweiß, Verfassungslehren, 42.

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für Schmitt die satanischen Mächte der dissoziativen Moderne, personifiziert in einer Gestalt wie Bakunin, der prinzipiell alle Autorität ablehnt – allerdings selbst der Mythisierung des Politischen die Türe öffnet und damit auch den Ordnungsmächten den entscheidenden Weg gewiesen hat, auf dem „katechontisch“ die politische Einheit erhalten und die Ordnung „gerettet“ werden kann, indem die Ordnungsmächte selbst die ambivalente Gewalt des politischen Mythos mobilisieren. Taubes charakterisiert diese Gestalt des Denkens als „ von oben her, von den Gewalten“ und meint damit ein Denken vom Bezugspunkt der gegebenen und herzustellenden politischen Einheit her, von der „Macht“ her. Die Macht steht für den Apokalyptiker immer im Zwielicht der biblischen Bestimmung als „Mächte und Gewalten“, die zwar Gott untertan sind, gleichwohl aber in der Entzweiung des Widerspruchs stehen können (vgl. Röm 8,38 vs. Kol 1,16). Eine der literarisch wirkmächtigsten Gestalten dieses „von oben her“ ist Dostojewskis „Großinquisitor“, mit dem sich Schmitt Zeit seines Lebens beschäftigte, um zu dem Schluss zu kommen, dass – so im Bericht von Taubes über ein Gespräch mit Carl Schmitt – „der ,Großinquisitor‘ schlechthin recht hat gegenüber all den schwärmerischen Zügen einer jesuanischen Frömmigkeit“171. 4.3.4.1 „Der Himmel des Garnisonspfarrers“ Peterson bringt nun gerade das Gegenteil einer totalisierten politischen Einheit zur Geltung: im politischen Raum denkt er von den Märtyrern aus, von denen, die dem Anspruch des Imperiums auf Einheit zuwider laufen, die dem kultifizierten Politischen zum Opfer fallen. Und dies nicht nur in der historischen Perspektive der Auslegung urchristlicher Apokalyptik. Petersons kurzer dichterischer Text „Der Himmel des Garnisonspfarrers“ von 1919 ist eine kunstvolle Replik auf den „Großinquisitor“. Peterson glossiert hier das Urteil eines Kriegsgerichts über einen Soldaten, der im Jahr 1916 einen Gottesdienst durch den Zwischenruf „Du sollst nicht töten“ gestört hatte, zu drei Jahren Gefängnis verurteilt wurde und nach zwei Jahren in Haft gestorben war. Peterson lässt Jesus an der Himmelstür zu dem Soldaten sprechen: „Begreife es doch: die eine Hälfte heißt: Du sollst nicht töten. Die andere Hälfte aber heißt: Du darfst töten, um Geld und Gut zu verteilen – zumal wenn Du selber keines 171 Taubes, Carl Schmitt, 15. In „Römischer Katholizismus und politische Form“ hatte Schmitt schon gegen Dostojewski den Vorwurf gerichtet nur „mit großer Gewalt seinen eigenen, potentiellen Atheismus in die römische Kirche projiziert“ zu haben. Schmitt, Römischer Katholizismus, 54. Entsprechend ging es wohl für Schmitt darum, wie er es selbst als Anliegen von Hobbes beschreibt das Christentum zu „ent-anarchisieren“. Schmitt, Glossarium, 243, vgl. dazu Nichtweiß, Apokalyptische Verfassungslehren, 46. Das Christentum sollte von seinen herrschaftskritischen Impulsen gereinigt werden, um so seine dissoziative Wirkung auf die politische Einheitsbildung zu schwächen.

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hast. Berufe dich doch nicht auf die Bibel. Man muß sie richtig verstehen. Man muss sie so verstehen, wie Staats- und Militärbeamte sie verstehen und auf der Kanzel auslegen. (…) Ich habe nicht den Armen, sondern den Reichen selig gepriesen, nicht den Friedfertigen, sondern, der die meisten Kanonen und die besten Giftgase hat. Ich habe nie etwas für die Barmherzigkeit übrig gehabt, sondern war immer der Meinung, daß in dem Leben, das ihr auf der Welt zu führen habt, Unbarmherzigkeit die beste Barmherzigkeit ist.“172

Schließlich führt Jesus den Soldaten auf den Berg (vgl. Mt 4), um ihm die „Fortschritte“ zu zeigen: „Wir haben die große Kluft, die zwischen Himmel und Erde war, zuschütten lassen, (…) Siehe, jetzt sind alle im Himmel, alle in der Hölle!“173 Auf dem Berg der Versuchung aber enthüllt sich dieser vermeintliche Jesus als Satan, der sich „in den Sohn Gottes verstellt hatte“ und auf den Schrei des Soldaten „Satan, hebe dich weg von mir!“ zerrinnt sein ganzes „Blendwerk“174.

4.3.4.2 Das Evangelium von der Thronbesteigung Christi In dieser Darstellung wird deutlich, wie sehr für Peterson das Evangelium von der Thronbesteigung Christi eine, wie Peterson in der Auslegung von Röm 13 schreibt, „Revolution im Himmel“ darstellt, der auch eine „Revolution im Politisch-Staatlichen korrespondieren“175 müsse. Auch der Kaiser hat seine Exousia im christlichen Verständnis nur als rechenschaftspflichtige Macht von dem dreieinigen Gott verliehen bekommen. Christus ist der eigentliche „Imperator“176, von dem aus alle irdische Macht abgeleitet ist. Der Anspruch des erhöhten Christus ist ein Herrschaftsanspruch, der als „ein positiver Rechtsanspruch Gottes (…) aus dem Leib Christi heraus jeden von uns konkret trifft.“177 Der „Rechtsanspruch Gottes“ ist insofern im juristischen Sinne „positiv“, als er nicht diskursiv begründet werden muss, sondern in der „Souveränität“ Gottes, in der „Entscheidung“ Gottes schlechthin gesetzt ist, als ein absoluter Anfang der Geltung. Hier sehen wir, wie Peterson die Kategorien Schmitts aufnimmt178, in ihrer Wertung aber in ihr Gegenteil verkehrt, indem „Souveränität“ und „Entscheidung“ nicht zur Legitimation der Recht setzenden Macht des Staates eingesetzt werden, sondern gerade um diese Souveränität in einer totalisierten politischen Sphäre zu bestreiten. Mit dem Evangelium von 172 173 174 175 176 177 178

AS 2, 50, Der Himmel des Garnisonspfarrers. Ebd., 51. Ebd. AS 6, 342, Brief an die Römer. AS 1, 83 – 92, Christus als Imperator. AS 1, 13 f., Was ist Theologie? Der berühmte erste Satz in Schmitts „Politische Theologie“: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“, in: Schmitt, Politische Theologie.

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der Thronbesteigung Christi ist das totalisierte Politische zerbrochen. Der „neue Äon“179 löst die Zeit des Politischen ab.

4.3.4.3 Fragment V Peterson widmet dieser „Überwindung“ des Politischen einen bedeutenden Text, ein geschichtstheologisches „Fragment“180, das 1954/55 im „Hochland“ veröffentlicht wurde. Das Politische begegnet hier als das „Historische“. Das Historische weist zwei Merkmale auf : das Merkmal der „blutigen Opfer“, die nach dem Ende des Opferkultes in den kriegerischen Auseinandersetzungen der Staaten weiterleben, und das Merkmal des „Geldes“, das in den neuen Tempeln der Banken selbst sakrale Qualität gewonnen hat. Inbegriff des „Historischen“ ist nach Peterson die „Dialektik von Geld und Opfer“. Diese Dialektik aber ist nach Peterson durch das eschatologische Selbstopfer des Gekreuzigten und Auferstandenen überwunden. Seither gilt: „Wie die Weltreiche der Völker seit dem eschatologischen Opfer in der politischen Ordnung nicht mehr ,gerettet‘ werden können, so kann auch die ,Wirtschaftsordnung‘ der Juden in der Verknüpfung von Tempel und Geld nicht gewahrt werden.“181 Macht und Geld sind „metaphysisches arcanum des Herrn ,dieses Äons‘“182. Und nur „dieser Äon“, die in Christus vergangene und jetzt noch vergehende Weltzeit ist von der Agonalität des Politischen, von der Dialektik des Historischen geprägt. Der Agon prägt nur die vergehende Zeit, die Zeit zwischen der Erhöhung Christi und seiner endgültigen Apokalypsis. In dieser Zeit gibt es den Kampf, den „Konflikt von Staat und Kirche“183, nur in dieser Zeit gibt es das Opfer der Märtyrer, die doch in ihrem Zeugnis schon am Frieden Christi partizipieren184. So gehört die Kirche selbst beiden status, beiden Ordnungen an : der Ordnung des historischen und politischen Agon und der Ordnung des göttlichen Friedens: „Es ist die Aufgabe der Kirche, durch das Sakrament das Historische in das Eschatologische aufzulösen. Die Aufhebung des ,Historischen‘ ist nicht ein Akt der Gnosis (scil. im Sinne einer dialektischen Philosophie der Geschichte), sondern der im Sakrament sich 179 AS 6, 58, Brief an die Römer : Das Evangelium ist „die frohe Botschaft von der Thronbesteigung Christi, die Kunde von dem Ende eines alten und dem Beginn eines neuen Äons“. 180 AS 2, 143 – 146, Fragmente. 181 Ebd., 145. 182 Ebd. 183 AS 6, 344, Der Brief an die Römer. 184 So Peterson in Auslegung von Phil 4,7: „Wer nicht im Kampfe liegt, kann auch nichts von dem Frieden Gottes wissen. Je konkreter der Kampf ist – und das gilt von den Märtyrern und Heiligen –, desto konkreter ist auch die Erfahrung des Friedens Gottes.“ AS 2, 89, Apostel und Zeuge Christi.

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realisierenden Menschwerdung Gottes.“185 Die Kirche hat also ihren politischen Auftrag darin, im Zentrum ihres kultischen Handelns die Herrschaft Christi zur Darstellung zu bringen und darin die Linie zu vollenden, die sich von der Inkarnation, über Kreuz, Auferstehung und Erhöhung bis zum Sakrament durchzieht. In diesem Sinne erklärt sich auch die Doppelgestalt von Petersons Geschichtstheorie: zum einen die „platonische“, essentialistische Linie des metaphysischen Realismus, wie sie in Petersons Sakramentenlehre und Kulttheorie begegnet; und zum anderen die voluntaristische, existentialistische Linie eines sehr modernen Dezisionismus, der sich um die von Carl Schmitt inspirierten Begriffe wie „Souveränität“, „positiver Rechtsanspruch“ und „Entscheidung“ gruppiert. Beides ist zurückzuführen auf die unterschiedlichen Zeitformen, auf die sich Peterson bezieht: Die essentialistische Linie auf die Teilhabe an der in Christi Thronbesteigung schon vollzogenen Vollendung, an der Ewigkeit der Herrschaft Gottes; die existentialistische Linie auf die agonale Zeit des apokalyptischen Kampfes der Mächte unter den Bedingungen der vergehenden Welt. Beides macht sich auch bemerkbar in Petersons Begriff der eschatologischen Öffentlichkeit: sie ist die schon gegebene Öffentlichkeit des himmlischen Kultes und in gleicher Weise die noch umstrittene Öffentlichkeit im Agon der Mächte und Gewalten.

4.3.5 Erik Peterson als politischer Theologe Im folgenden Abschnitt wollen wir diese grundlegende Bestimmung des Bezugsproblems der Politischen Theologie bei Peterson aufnehmen und von dort aus einige der zentralen Texte Petersons interpretieren. Wir resümieren: Das Evangelium ist die „öffentlich-rechtliche“186 Proklamation der Thronbesteigung des Kyrios Jesus Christus187. Mit dieser Thronbesteigung Christi beginnt der neue Äon, der die verlaufende Zeit in grundsätzlicher Weise beendet und damit auch die Legitimität der Ordnungsstrukturen des alten Äon zerbricht. Der im Evangelium öffentlich proklamierte Rechtsanspruch und Herrschaftsanspruch Gottes stellt alles immanente politische Handeln unter den „eschatologischen Vorbehalt“188, ob dieses 185 AS 2, 146, Fragmente. 186 AS 6, 135 f., Brief an die Römer. 187 Ebd., 13: „Gemeint ist, daß Christus mit seiner Thronbesteigung als Sohn Gottes manifest geworden ist. Mit diesem Akt der Thronbesteigung beginnt ein neuer Äon, und damit ist dann – so füge ich hinzu – auch die wesentliche Voraussetzung für den Bestand dessen, was man Kirche nennt, geschaffen. (…) Evangelium ist für ihn (scil. Paulus) wirklich noch Kunde von der Thronbesteigung Christ (…). Das Evangelium bezieht sich für ihn wirklich noch auf einen kosmisch-eschatologischen Vorgang …“ Peterson spricht auch vom „staatsrechtlichen Akt der Thronbesteigung Christi“, Ebd., 14. 188 Dazu Anglet, Vorbehalt. Der „eschatologische Vorbehalt“ beschreibt nicht nur das Feld der

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Handeln der Herrschaft Gottes angemessen sei. Die „Dialektik des Historischen“ ist gebrochen, die politischen Antriebskräfte von „Geld und Opfer“, von wirtschaftlichem Handeln und politischer Gewalt sind „im sakramentalen Kommen des Gottesreiches (…) endgültig aufgehoben.“189 Damit endet auch die Möglichkeit der Totalisierung und Kultifizierung des Politischen. Gerade diese grundsätzliche Überwindung des totalisierten Politischen führt allerdings zum „eschatologischen Agon“ zwischen den Mächten und Gewalten des alten Äon und dem Herren des neuen Äon190, der sich vor allem am Leib der Märtyrer vollzieht. 4.3.5.1 Der Begriff des Politischen Der Begriff der „Politischen Theologie“ begegnet bei Peterson nicht als Selbstbezeichnung für den eigenen Weg, Politisches und Theologisches in Beziehung zu setzen191. Sicher hängt diese terminologische Zurückhaltung damit zusammen, dass Peterson den Begriff der „Politischen Theologie“ bei Carl Schmitt nicht nur als begriffssoziologisches Projekt kennen gelernt hatte, das die strukturellen Analogien zwischen theologischen und politischen Ordnungsvorstellungen zu analysieren unternahm. Vielmehr versteht Peterson eine „Politische Theologie“ im Sinne Schmitts als einen Legitimationsdiskurs und unterstellt dem Begriff eine grundsätzlich Tendenz zu einer theologischen Legitimation politischer Herrschaft. Dieses Urteil verdichtet sich in der berühmten Sentenz der Schlussanmerkung des Aufsatzes „Der Monotheismus als politisches Problem“. Im Jahr 1935 resümiert Peterson hier im Gewand einer gelehrten historischen Abhandlung die Versuche, der nationalsozialistischen Herrschaft juristische und theologische Legitimität zu verleihen: „Wir haben hier den Versuch gemacht, an einem konkreten Beispiel die theologische Unmöglichkeit einer ,politischen Theologie‘ zu erweisen.“192 Das trinitarische Dogma der Alten Kirche

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Politischen Ethik, sondern betrifft die grundsätzliche apokalyptische Zeitbestimmung zwischen Christi erstem Kommen im Mysterium der Erniedrigung und dem nochg erwarteten zweiten Kommen in der Herrlichkeit der Offenbarung, die erst eigentlich hier „Apokalypsis“ ist. AS 2, 146, Fragmente. AS 2, 84, Apostel und Zeuge Christi. Über den „Agon“ der apokalyptischen Reiter in Offb 6: „Es handelt sich also nicht nur um eine Agonalität im griechischen Sinne, die den Bestand dieser Welt unangetastet läßt, sondern um einen eschatologischen Agon, der sich in der ,Agonie vollendet.“ Nur fast beiläufig im Harnack-Briefwechsel, AS 1, 191, Anm. 19. Dort in dem Sinne gebraucht, dass die politischen Kräfte sich der konfessionellen Positionen im ideologischen Sinne bedienen, um ihre jeweiligen Interessen auf dem Rücken des Religiösen durchzusetzen. AS 1, 81, Anm. 168. Zu beachten ist, dass Peterson auch hier das „politische“ klein schreibt, sich also der terminologischen Verdichtung zu einer „Politischen Theologie“ widersetzen möchte, vermutlich um so deutlich zu machen, dass es sich hier in seinen Augen um eine unsachgemäße politische Okkupation der Theologie handelt.

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gestattet es nach Peterson nicht, den irdischen Herrscher als direkte Repräsentation des himmlischen Herrschers zu verstehen. Schon die altkirchliche Auseinandersetzung zwischen Arianern und nizänischer Orthodoxie versteht Peterson als eine Auseinandersetzung um die theologische Legitimität der politischen Repräsentation. Die „theologische Unmöglichkeit“ der „politischen Theologie“ liegt eben darin, dass Theologie dort zur Legitimation politischer Herrschaft missbraucht wird, wo der christliche Kaiser als Abbild der Monarchia des einen Gottes verstanden wird: „Doch die Lehre von der göttlichen Monarchie mußte am trinitarischen Dogma und die Interpretation der Pax Augusta an der christlichen Eschatologie scheitern. Damit ist nicht nur theologisch der Monotheismus als politisches Problem erledigt und der christliche Glaube aus der Verkettung mit dem Imperium Romanum befreit worden, sondern auch grundsätzlich der Bruch mit jeder ,politischen Theologie‘ vollzogen, die die christliche Verkündigung zur Rechtfertigung einer politischen Situation mißbraucht.“193

Wo „politische Theologie“ in diesem von Peterson intendierten Sinne zur Legitimationsfigur wird, dort hört sie auf, christliche Theologie zu sein und fällt nach Peterson zurück auf den Stand der „politischen Theologie der Heiden“194. Trotz dieser terminologischen Zurückhaltung ist Petersons Theologie nichts weniger als unpolitisch. Sie artikuliert vielmehr eine spezifisch kritische Wechselwirkung zwischen Theologischem und Politischem, die sich der direkten Repräsentationsfähigkeit des Politischen für das Theologische widersetzt. In der Auslegung von Römer 12 schreibt Peterson: „Das Interesse an der Politik beginnt bei dem Christen an einer anderen Stelle als bei dem Nichtchristen. Der Zugang zu ihr eröffnet sich vom Eschatologischen aus, von diesem Infragestellen einer 1nous_a, die vom %qwym toO jºslou to}tou garantiert wird. Damit wird das Politische als etwas Absolutes innerhalb der natürlichen und historischen Ordnung zerstört; es wird nur an den kritischen Punkten eigentlich noch Gegenstand des Interesses, an diesen kritischen Punkten, die dann notwendig zugleich auch den Konflikt von Staat und Kirche heraufführen.“195

Das Politische kann nach der Thronbesteigung Christi nicht mehr als autonome Größe, als etwas „Absolutes“ fortbestehen.196 Hatte Schmitt im Jahr 1933 das Politische als „das Totale“ apostrophiert197, 193 194 195 196 197

Ebd., 58 f. Ebd. AS 6, 343 f. Vgl. auch Nichtweiß, Verfassungslehren, 43. Schmitt, Politische Theologie, 7 (in der „Vorbemerkung zur zweiten Ausgabe“): „Freilich stellt in der protestantischen Theologie eine andere, angeblich unpolitische Lehre Gott in derselben Weise als das ,Ganz Andere‘ hin, wie für den ihr zugehörigen politischen Liberalismus Staat und Politik das ,Ganz Andere‘ sind. Inzwischen haben wir das Politische als das Totale erkannt

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so ist diese Totalität nur dort möglich, wo der Sieg Christi über Mächte und Gewalten geleugnet wird. In diesem Sinne ist ein Verständnis des Politischen als des „Totalen“, im Sinne des alles Entscheidenden, alle anderen Teilbereiche des Wirklichen auf sich hin Relativierenden, gleich bedeutend mit der Totalisierung der Immanenz. Genau diesen Vorwurf macht Peterson dann später in der Reaktion auf Schmitts Leviathan–Buch gegen Schmitt geltend – und zwar Trotz Schmitts beständig wiederholter ausdrücklicher Polemik gegen eine Tyrannis der Immanenz198. Peterson kann das Politische nur als etwas Relatives verstehen, relativ nämlich auf die Thronbesteigung Christi, die aller prätendierten „Autonomie“ des Politischen ein Ende bereitet. Über die Apokalypsis des Menschensohnes, seine Wiederkunft auf den Wolken am Ende der Zeit (nach Apk 1,7) schreibt Peterson: „Es handelt sich darum, dass Glorie und Macht der Autonomie der politischen Sphäre entrissen und dem übertragen werden, dem allein Majestät und Macht gebühren. Erst in diesem ,abgeleiteten‘, das heißt von Gott abgeleiteten Sinne gibt es dann auch Majestät und Macht in der politischen Sphäre für den Christen.“199

Schmitt dagegen streitet für die Autonomie des Politischen im Sinne seiner Maßgeblichkeit. Nach Schmitts Anspruch geht es in diesem Streit darum, das Politische als „conditio humana“, als Bedingung eines ernsthaften Lebens überhaupt davor zu bewahren, vom Technisch-Ökonomischen aufgesogen zu werden. Für Schmitt ist die Frage nach der Autonomie des Politischen eine anthropologische Grundfrage nach dem Mensch-Sein des Menschen, das davon abhängig ist, das eigene So-Sein im Widerspruch gegen die existentielle Bestreitung durch anderes So-Sein verteidigen zu müssen. Die Möglichkeit der Feindschaft ist der Ausweis des Politischen. In diesem Existential der Selbstbehauptung200 der politischen Einheit liege der Kern des Politischen: die Fähigkeit zur Feindschaft als existentiellem, nicht moralischem, Gegensatz. und wissen infolgedessen auch, daß die Entscheidung darüber, ob etwas unpolitisch ist, immer eine politische Entscheidung bedeutet, gleichgültig, wer sie trifft und mit welchen Beweisgründen sie sich umkleidet. Das gilt auch für die Frage, ob eine bestimmte Theologie politische oder unpolitische Theologie ist.“ Die Schlagworte vom „Ganz Anderen“ richten sich bekanntermaßen gegen die Dialektische Theologie Barths, die interessanterweise schon hier als Komplementärerscheinung zum politischen Liberalismus gesehen wird. 198 Z.B. Schmitt, Begriff des Politischen, 92 f.: „Mit der Technik war die geistige Neutralität beim geistigen Nichts angelangt. Nachdem man erst von der Religion und der Theologie, dann von der Metaphysik und dem Staat abstrahiert hatte, schien jetzt von allem Kulturellen überhaupt abstrahiert zu werden und die Neutralität des kulturellen Todes erreicht.“ 199 AS 4, 154, Anm. 19. 200 Zur voraussetzungsreichen spezifisch modernen Genealogie der Figur der Selbstbehauptung als conservatio sui vgl. Spaemann, bes. 28. Wie sich diese Figur der conservatio sui zum „Machtparadigma“ verdichtet und inwieweit sich auch Peterson innerhalb der Schwerkraft dieses Paradigmas bewegt, soll weiter unten in Anknüpfung an John Milbank diskutiert werden.

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Gerade diesen Begründungszusammenhang des Politischen bestreitet Peterson. Er sieht Schmitt in den Jahren nach 1933 konsequent auf dem Weg der Totalisierung der staatlichen politischen Einheit, die jeden Anspruch des Evangeliums auf Relativierung der Selbstdurchsetzung politischer Herrschaft zurückweist als eine Gefährdung des Politischen. Der Endpunkt dieser argumentativen Linie im Denken Schmitts ist im „Leviathan“ erreicht, wo Schmitt die Kirche unter die dissoziativen intermediären Kräfte zählt, die die Friedensordnung des starken Staates untergraben haben, um ihn am Ende an die zerstörerische Dynamik der „Bewegungen“ auszuliefern. Im starken Staat des „Leviathan“ darf es keine Relativierung der politischen Einheit als Friedensordnung geben. Hobbes hatte seinen Entwurf ja gerade den zerstörerischen konfessionellen Bürgerkriegen seiner Zeit entgegengesetzt. Findet Peterson den Inbegriff des Evangeliums in der vollzogenen Thronbesteigung Christi, so wählt er hier bewusst ein „Bild“, das der politischen Dimension entnommen ist, ein Bild das dem Machtparadigma201, verpflichtet ist, gerade darin aber dieses Machtparadigma politischer Herrschaft relativiert.202 Diese Relativierung des Politischen auf die spezifische Herrschaft Christi hin kommt schon früher bei Peterson zum Tragen, wenn er das Evangelium als einen „Rechtsanspruch“ Gottes bezeichnet. Die göttliche Souveränität ist in diesem Sinne rechtlich gebundene Souveränität, eine Souveränität, die nicht auf Selbstdurchsetzung im Sinne der Machtsteigerung angelegt ist, sondern die sich den eigenen, göttlichen, Akten der Rechtssetzung verpflichtet weiß: „Das Evangelium ist ja keine frohe Botschaft, die sich ,an alle‘ richtet – wie unterschiede es sich da noch von dem kommunistischen Manifest? –, sondern es ist ein positiver Rechtsanspruch Gottes, der aus dem Leibe Christi heraus einen jeden von uns konkret trifft, und zwar jure divino.“203

Gerade weil das Evangelium in seinem Kern Botschaft von der Thronbesteigung Christi und Proklamation dieser Herrschaft ist, konfrontiert es die Hörer der Botschaft nicht mit der nackten Macht eine politischen Herrschaft, sondern es konfrontiert mit dem Rechtsanspruch Gottes, der nach Röm 1,17 seine Gerechtigkeit offenbart: „In der Botschaft von der Thronbesteigung Christi wird die ,Gerechtigkeit Gottes‘ enthüllt, das heißt aber, daß die ,Gerechtigkeit Gottes‘ vorher verborgen war, was immer nun auch dem eqacc]kiom voraus201 „Machtparadigma“ hier mit einem vorläufigen Verständnis des Politischen, das vom Konflikt und der Möglichkeit der Selbstdurchsetzung her entwickelt ist und nicht von der Kooperation. 202 Peterson in Auslegung von Apk 1,6: Ihm, nämlich Christus, sei die Macht und die Herrlichkeit: „Es ist ohne weiteres klar, dass die Begriffe ,Herrlichkeit‘ und ,Macht‘ hier Begriffe sind, die aus der politischen Sphäre auf den ,Herrscher der Könige der Erde‘ übertragen worden sind. Der Glanz der politischen Herrschaft, alles das, was wir ,Majestät‘ nennen, wird im eigentlichen Sinne des Wortes auf Christus ,übertragen‘.“, AS 4, 152 f. 203 AS 1, 13 f., Was ist Theologie?

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ging, es sei Judentum oder Heidentum.“204 Immer wieder begegnet in diesen Zusammenhängen die Polemik Petersons gegen die „lutherische“ Rechtfertigungslehre, der er vorwirft, genau diese politisch-theologischen und „öffentlich-rechtlichen“205 Zusammenhänge zu ignorieren und das Geschehen der „Rechtfertigung“ zu einer subjektiven Erfahrung, oder gar einem Erlebnis, existentialisiert206 und gleichsam privatisiert zu haben: „Das Evangelium bezieht sich für ihn (scil. auf Paulus) wirklich noch auf einen kosmischeschatologischen Vorgang und nicht auf die Regelung der privaten Beziehungen zwischen Gott und Mensch“207. Peterson betont von seinem Konzept der Äonen-Theologie her die „StatusÄnderung“ im Übergang vom alten zum neuen Äon, eine Status-Änderung, die ontologischen, seinshaften Charakter habe, sich gleichwohl aber nicht am „empirischen Menschen“ ausweisen lasse, vielmehr ihren Grund in der Herrschaft Christi habe, die mit Kreuz, Auferstehung und Erhöhung Christi angebrochen ist: „Eqacc]kiom heißt, wie ich immer wiederhole, Botschaft von der Thronbesteigung Christi. Das bedeutet Ende des alten und Anfang des neuen Äons. Das bedeutet, dass an Stelle eines alten status ein neuer status getreten ist, daß nicht mehr die "laqt¸a, sondern die dijaios¼mg heoO regiert. Jeder, der nun an Christus glaubt, der ist als einer, der aus der Schuldhaft des alten Äons losgekauft ist, nunmehr nicht ein Sklave jener "laqt¸a, die einen ganzen Äon gequält hat, sondern er ist von der "laqt¸a befreit und damit nun auch faktisch gerecht geworden.“208

Für uns ist es an dieser Stelle wichtig, die Verklammerung von Macht und Recht in der öffentlichen Botschaft des Evangeliums zu betonen. Das Evangelium gilt nicht in erster Linie einem Individuum in seiner jeweiligen religiösen Subjektivität. Es gilt vielmehr dem der Macht der Sünde unterworfenen Kosmos, für den in der Thronbesteigung Christi ein neuer Äon angebrochen ist. Der Einzelne hat Zugang zu diesem neuen Machtbereich, in dem die dikaiosyne theou anstelle der adikia des Menschen herrscht, durch die sakramentale Vermittlung der Taufe: „Wenn wir durch die Taufe in das Reich eingehen, das heißt in den von Christus inaugurierten neuen Äon gelangen, dann werden wir auch gerecht. Wir empfangen also die Rechtfertigung in der Taufe, in der sakramentalen Gnade, durch die uns die

204 AS 6, 25, Römerbrief. 205 Ebd., öfter auf 134 f. 206 Peterson spricht polemisch von der „existentiellen Wichtigtuerei“ (Ebd., 93), so dass „nur einfach an die Stelle des jüdischen Pharisäismus ein christlichen Pharisäismus getreten“ sei, der wiederum nur zu einem Anlass des Sich-Rühmens geworden sei. 207 Ebd., 13. 208 AS 6, 84 f.

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Gnade des Loskaufs vermittelt wird, durch die wir aus dem status des alten Äons in den status des neuen Äons übertreten.“209

Hier verklammert Peterson seine apokalyptische Rekonstruktion der paulinischen Rechtfertigungslehre mit der Polemik gegen die seinem Urteil nach privatisierende Fehldeutung der reformatorischen Theologie und seinen spezifischen Öffentlichkeitsbegriff. Dazu ein längerer Zusammenhang aus der Römerbriefvorlesung: „Der sachliche Charakter unserer Zugehörigkeit zu Christus kann bei der augenblicklich herrschenden, einseitig personalistischen Deutung des christlichen Glaubens nicht nachdrücklich genug betont werden. Wir stehen zu Christus in einem Rechtsverhältnis, im Rechtsverhältnis des Eigentums. Dieses Rechtsverhältnis gilt für unser Leben wie für unser Sterben. Wir leben kein eigenes Leben und keinen eigenen Tod. Wir sind niemals reine Privatmenschen, denn als Rechtseigentum Christi sind wir etwas wie Gegenstände des öffentlichen Rechts geworden; denn Christus hat natürlich keinen privaten Besitz und kein privates Eigentum, sondern er hat als Herr des neuen Äons nur öffentliches Eigentum. Als öffentliches Eigentum Christi kommt unserem Leben und Sterben darum auch Öffentlichkeit zu. Die Privatexistenz ist das Ideal des Heidentums, das Ideal derer, die keinen Kyrios haben. In dieser Tatsache, daß wir öffentliches Eigentum Christi sind, gründet es, daß ein Christ unmöglich außerhalb der Kirche sein kann; denn öffentliches Eigentum des Kyrios sein, bedeutet eben Zugehörigkeit zur Kirche.“210

Interessant ist zu sehen, wie Peterson, wenn er mit der Konstruktion des „öffentlichen Eigentums“ grundsätzlich vom Begriff des Eigentums ausgeht, nur mühsam die Konsequenz vermeiden kann, auch von Christus her ein privatisiertes Eigentumsverhältnis des Kyrios zu den Seinen anzunehmen. Der Eigentumsbegriff ist natürlich neuzeitlich-individualistisch kontaminiert und legt privatistische Konsequenzen nahe, die Peterson hier eigens argumentativ entkräften möchte. Dahinter steckt aber noch mehr als dieser erste Zugriff erahnen lässt, nämlich wiederum die Aporie des Machtparadigmas, das die neuzeitliche Denkfigur der Selbstbehauptung und Selbstermächtigung, die sich im Begriff des „Privateigentums“ verdichtet, auch in den Gottesbegriff hinein projiziert, um von dort aus mit zwar antiliberaler Stoßrichtung, aber doch selbst in den Bahnen des Liberalismus zu argumentieren. Petersons Strategie geht nun dahin, die öffentliche Stoßrichtung des Evangeliums stark zu machen, es gleichwohl aber als geordnete, nicht beliebige, an Recht und Gerechtigkeit gebundene Macht zu verstehen, die nicht sich selbst, sondern das Recht, die dikaiosyne theou durchsetzt. In Auslegung der Adam-Christus Typologie von Röm 5 betont Peterson ganz symmetrisch auch den öffentlichen Charakter der Schuld Adams: „Nun ist das aber gerade das Charakteristische, daß sich der 209 Ebd., 85. 210 Ebd., 357.

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Fall Adams in der Öffentlichkeit abspielt, das heißt vor den Augen Gottes, der Engel und aller Kreatur, und daß erst nach dem Fall Adam aus der Öffentlichkeit flieht.“211 Wo die Sünde des Einen öffentlich geworden ist, wird auch die Gerechtigkeit des Anderen öffentlich und setzt sich fort in der öffentlichen Proklamation der Überwindung der Sünde Adams, in der öffentlichen Botschaft des Evangeliums. Peterson resümiert diesen ganzen Abschnitt: „Man darf nicht übersehen, daß es sich um eine öffentliche Schuld handelt, die Adam eingegangen ist, nicht um eine private Verpflichtung, und daß diese Schuld öffentlich-rechtlich und nicht privatrechtlich von Christus getilgt worden ist.“212 Für Peterson gibt es dieses rechtlich gebundene Politische als einen eigenständigen Wirklichkeitsbereich. Er spricht wiederholt von der politischen „Sphäre“213. Was zeichnet diese Sphäre aus? Das Politische begegnet nach Peterson dort, wo Herrschaft ist, wo „Macht“214 ausgeübt wird. Und: das „Politische“ ist immer eine Form von Ordnung215, also auch ein geistiges Prinzip, aus dem heraus Ordnung überhaupt möglich wird. Mit diesen Bestimmungen hält sich Peterson durchaus konventionell an eine Bestimmung des Politischen von seinem Objektbereich her. Schmitts berühmte Bestimmung des Politischen, die nicht von einem Objektbereich her argumentiert, sondern von der „Intensität“216 einer Dissoziation her, das „Intensitätskriterium“ des Politischen, wird hier von Peterson zunächst nicht aufgenommen, spielt aber im Begriff des Häretikers eine weiter unten noch näher zu bestimmende theologische Rolle. Peterson gewinnt nun seinen Begriff des Politischen nicht in erster Linie von systematischen Erwägungen aus, sondern er gewinnt ihn aus einer spezifischen geschichtlichen Situation, nämlich aus der dem frühen Christentum zeitgenössischen Verfassung der politischen Institutionen Roms. Peterson bezieht seinen Begriff des Politischen aus der Krisis des Politischen im Übergang von der römischen Republik zum Prinzipat. Es ist wichtig, diesen Zusammenhang für Petersons Begriff des Politischen zu bemerken, denn dieser Begriff des Politischen ist schon aus dem Konflikt heraus geboren, aus dem Konflikt der frühen christlichen Gemeinden mit einer Staatlichkeit des römischen Imperiums, welches die nüchterne Beschränkung der herge211 Ebd., 134. 212 Ebd., 136 Peterson schließt eine antiprotestantische Polemik an: „Der Protestantismus der Neuzeit hat mit dem zunehmenden Verlust des Kirchenbegriffs auch das Verständnis für den öffentlich-rechtlichen Charakter der Schuld Adams eingebüßt.“ 213 AS 4, 8 f., in der Einführung zur Auslegung der Apokalypse aus dem Jahr 1934. 214 Ebd. 215 Der ganze Zusammenhang um die „Metaphysik der Macht“ in „Der Zeuge der Wahrheit“, AS 1, bes. 111 f. 216 „Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als eine erschöpfende Definition oder Inhaltsangabe.“, Schmitt, Begriff des Politischen, 26.

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brachten Institutionen des Politischen aufgegeben hatte zugunsten einer Kultifizierung des Politischen, das in sich selbst den Imperator zum Träger von Heil machte. Sehr deutlich ist, dass Peterson diesen politisch-theologischen Konflikt zwischen heidnischem Imperium und christlicher Kirche im Kontext der Kultifizierung des Politischen durch die nationalsozialistische Herrschaft gelesen hat. Im Jahr 1934, zur Zeit des frühen Höhepunktes der religionspolitischen Auseinandersetzungen zwischen Staat und Kirche im nationalsozialistischen Deutschland, hatte Peterson in Heidelberg vor einer Zuhörerschaft von katholischen Akademikerverbänden eine Vortragsreihe über die Apokalypse zu halten. Diese Vorlesungsreihe begann Peterson mit einer Beschreibung genau dieser Krise der politischen Institutionen des römischen Reiches im „Kaiserkult“. An den Anfang stellt Peterson die These: „Die Offenbarung des heiligen Johannes ist eine Auseinandersetzung mit einer bestimmten Form der politischen Herrschaft.“217 Dort, wo politische Herrschaft „mit einem religiösen Anspruch auftritt“218, wird die Opposition für die Christen unausweichlich. „Was war nun der Kaiserkult?“ fragt Peterson weiter und verweist darauf, dass dieser „Kaiserkult“ dem politischen Temperament der politischen Klasse Roms eigentlich zutiefst widersprach. Die Proskynese als „politische Geste“ des Sich-Niederwerfens vor einem „dominus“ kommt der Selbstaufhebung des „freien Bürgertums“ des Patriziats gleich. Die politische Kultur der Griechen hat diesen Topos der Ablehnung des orientalischen Gottkönigtums an die römische Zivilisation überliefert, die ein Doppeltes mit den Griechen teilte: „erstens die Abneigung gehen eine bestimmte Form der politischen Geste und zweitens die Verwerfung der politischen Repräsentation überhaupt.“219 Von der politischen Mentalität Roms her war der Kaiserkult also etwas Unwahrscheinliches, das sich nur einem spezifischen „politisch-technischen Problem“ verdankte, nämlich der Krise der Institutionen der Polis in der Zeit der „Massenherrschaft“, einer Situation also, in der große Mengen von Entwurzelten und „wirtschaftlich Ausgegliederten“ von den Institutionen der Polis nicht mehr in die politische Teilhabe mit einbezogen werden konnten. Dagegen: „Solange es die Polis gab, gab es gegliederte und übersehbare Herrschaft, damit aber auch die Möglichkeit, die politische Macht zu verteilen, d. h. politisch gesprochen, Demokratie.“220 Trotz dieser Phänomene der „Massenherrschaft“ wurde die demokratische Fassade Roms aufrechterhalten, obwohl die Macht faktisch monarchische Qualität angenommen hatte und in den Händen des princeps konzentriert war. Über die Konsequenzen dieser Konstruktion schreibt Peterson: „Da diese ungeheure Machtakkumulation sich nun begrifflich nicht in der ihr eigenen 217 218 219 220

AS 4, 7. Ebd. Ebd., 8. Ebd., 9.

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politischen Ordnung ausdrücken konnte – das hätte eine offene Proklamierung des Königtums erfordert, so fand sie in einer anderen als der politischen Ordnung ihren Ausdruck, nämlich in der religiösen.221 Nicht die alten Eliten sind nun die Träger dieser Verschiebung, sondern „die niederen Schichten und die Provinzialen“222. Weitere Verschiebungen innerhalb des Gefüges der Herrschaftsausübung schließen sich nach Peterson hier an: die Institutionen der Polis werden bedeutungslos, das „Staatlich-Institutionelle“ verschiebt sich in „die Dynamik der politischen Aktion“. Dies wirkt sich wiederum aus auf die „religiöse Sphäre“: der an die politischen Institutionen gebundene Staatskult geht auf die „Person des Monarchen“ über : „der aktuelle Träger der politischen Gewalt (wird) auch zum aktuellen Empfänger der religiösen Verehrung“, die institutionell gebundene „auctoritas“ politischer Herrschaft wird zur personalen „potestas“223. Der „aktuelle Träger politischer Gewalt“ bringt seine Aktualität in „Präsenz und Leibhaftigkeit“ zum Ausdruck: politische Herrschaft tendiert zur bildhaften Anschaulichkeit, sie verdichtet sich im Kaiserbild, dem kultische Verehrung, Proskynese darzubringen ist. Und es gilt: von der Präsenz des Kaisers hängen Glück und Wohlergehen des Gemeinwesens ab; umgekehrt: wer sich dieser Präsenz und ihrer kultischen Verehrung entzieht, wird zum Staatsfeind, der selbst Verantwortung dafür trägt, die politische Tyche zum Bösen zu wenden. Die kaiserliche Macht tendiert zur „sakramentalen Repräsentation“ und sie verwandelt sich in den „Mythus“. So gilt nach Peterson: „in dieser phantastischen Konzeption eines Führertums durch den aktuellen Träger der politischen Gewalt gründet dann die Möglichkeit, seine Herrschaft zu mythologisieren.“224 Peterson resümiert: „Die Eschatologie der Apokalypse ist das christliche Gegenbild zum Gottkaisermythus des heidnisch-astrologischen Schicksalsglaubens.“225 So weit an dieser Stelle die Argumentation Petersons226. Über die historische Plausibilität der Überlegungen Petersons ist an dieser Stelle nicht zu urteilen.227 Wichtiger ist es uns hier, hinzuweisen auf die Art, wie Peterson den Gegenstand historischer Wahrnehmung konstruiert, nämlich als eine dem antiken Befund spiegelbildlich entsprechende Kritik an nationalsozialistischen Herrschaftsformen und die darin implizierte Wendung gegen die Moderne, als deren konsequente Vollendung Peterson den Nationalsozialismus deutet. Die sozialgeschichtlichen Veränderungsmuster der Moderne ent221 222 223 224 225 226

Ebd., 8. Ebd. Alle Zit. ebd., 9. Ebd., 11. Ebd. Das analytische Instrumentarium Petersons ist dabei teilweise der Herrschaftssoziologie Max Webers entnommen, besonders Webers Ausführungen über charismatische Herrschaft, siehe: Weber, bes. 654 – 687. 227 Vgl. dazu: Söding.

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sprechen im Blick Petersons denen der Antike: ökonomische Entwurzelung, Krise der politischen Institutionen bis zur Handlungsunfähigkeit, demokratische Fassade und plebiszitäre Legitimität, Umbesetzung zur personalen potestas, die „Dynamik der politischen Aktion“ in der nationalsozialistischen Massenbewegung, die Kleinbürger und die ökonomisch Deklassierten als Träger der Bewegung, die Kultifizierung und sakramentale Allgegenwärtigkeit des nationalsozialistischen Führerkultes, die Ausdünnung der „Staatsgötter“ in Gestalt der staatskirchlichen Traditionen, Hitlers Berufung auf die „Vorsehung“ als Analogon zum antiken Fortuna/Tyche-Glauben, die sekundäre, völkische Mythologisierung der Herrschaft Hitlers (Der Mythos des 20. Jahrhunderts228). Als Subtext lesen wir in all dem auch eine kritische Auseinandersetzung mit Carl Schmitt. Schmitt betonte ja die Notwendigkeit des politischen Mythos, die mobilisierende Kraft des Glaubens an die Gründe einer politischen Ordnung überhaupt und die existentiellen Wurzeln dieses Mythos in der FreundFeind Dissioziation. Peterson hält dagegen, dass die Mythologisierung von Herrschaft dazu führt, dass das Politische seiner eigentlichen Signatur beraubt wird: „die politische Ordnung der Polis“ löst sich auf, die politische Partizipation degeneriert und wird zur „sakramentalen Repräsentation“ des nunmehr mit religiöser Autorität ausgestatteten Machthabers und so verwandelt sich „die an die Tyche des Kaisers gebundene politisch-geschichtliche Wirksamkeit in den Mythus.“229 In dieser Sicht ist der Mythos nicht notwendige Antriebskraft der Politik, die der ideologischen Legitimation bedarf, um Menschen durch eine politische Idee zu binden und zu mobilisieren, sondern umgekehrt ist der politische Mythos eine Verfallsform des Religiösen, die auf dem Zerfall der Ordnung beruht, sich als Ordnungssurrogat plausibilisiert, die Restbestände der politischen Institutionen verzehrt und so im Effekt auch die „politisch-geschichtliche Wirksamkeit“ des politischen Machthabers aus ihren institutionellen und rechtlichen Einbindungen löst. Peterson hat also schon im Jahr 1934 die Konsequenzen „dieser phantastischen Konzeption eines Führertums“ geahnt und vor der Folie der Apokalypse so dargestellt, dass seine Zuhörer gewiss verstanden, was gemeint war. Peterson legt der antiken griechischen Ablehnung des orientalischen Gottkaisertums zwei grundlegende politische Einsichten zugrunde: „Erstens die Abneigung gegen eine bestimmte Form der politischen Geste und zweitens die Verwerfung der politischen Repräsentation überhaupt.“230 Genau diese doppelte Ablehnung, so Peterson, aktualisiert sich auch im Widerspruch der frühen christlichen Gemeinden gegen den Kaiserkult. Das ist unmittelbar einsichtig: wo Christus den Thron bestiegen hat, werden die

228 Vgl. zu den mythischen Fiktionen nationalsozialistischer Politik: Frank, Mythus. 229 Alle Zit. AS 4, 11. 230 AS 4, 8.

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Throne dieser Welt zutiefst fragwürdig und haben selbst keinen Anspruch auf eine irgendwie geartete Verehrung/Proskynese. Nach Schmitt ist die moderne Verfassung als eine „Verbindung und Mischung bürgerlich-rechtsstaatlicher Prinzipien mit politischen Formprinzipien“231 zu verstehen, wobei „Identität und Repräsentation“232 die beiden, einander entgegengesetzten, politischen Formprinzipien seien: Identität als bruchlose Übereinstimmung „des jeweils vorhandenen Volkes mit sich selbst als politischer Einheit“, in seiner „unmittelbaren Gegebenheit“233 und Repräsentation als „das entgegengesetzte Prinzip“, weil das Volk niemals als unmittelbarer Entscheidungsträger der politischen Gewalt präsent ist, sondern immer der persönlichen Repräsentation durch den oder die Herrscher und Regierenden bedarf. Die Repräsentation ist also für Schmitt in Abhebung von den bürgerlich rechtsstaatlichen Formelementen des staatlichen Lebens das eigentlich politische Prinzip. Gerade an dieser Stelle widerspricht Peterson und behauptet, dass die Repräsentation das eigentlich Politische zum Verschwinden bringe, weil sie erst von der Schwächung der politischen Institutionen ihre besondere Bedeutung beziehe, dann aber unweigerlich ebendiese politischen Institutionen weiter aushöhle und delegitimiere, weil sie die politische Macht mythologisiert und kultifiziert. Peterson markiert hier eine spezifische Paradoxie des Politischen: wo das Politische total wird, sich im „politischen Formpinzip“ der Repräsentation verdichtet, dort hört es auf, politisch zu sein, dort wird es religiös und reklamiert kultische Verehrung. Aus politischer Repräsentation wird sakramentale Präsenz und die politischen und theologischen Bedeutungsnuancen, die im Begriff der Repräsentation mitschwingen, gehen changierend in einander über. Nach Schmitt verdichtet sich das Politische in der Repräsentation, es will „Verkörperung“234, es braucht das Bild, es gerinnt zum Mythos. Nach Peterson hebt sich das Politische gerade darin selbst auf. Um als Politisches in seinen Grenzen erhalten zu werden, bedarf es der politischen Institution und des Widerstandes gegen die personale Repräsentation, es bedarf des Widerspruchs gegen die „Konstruktion, die das Politische als Verkörperung denkt“235. So ist nach Peterson weder ein argumentativer noch ein praktischer Durchgriff von der Herrschaft Christi auf die politische Herrschaft der irdischen Machthaber möglich. Uwe Hebekus deutet in seiner oben zitierten 231 232 233 234

Schmitt, Verfassungslehre, 216. Ebd., 204. Ebd., 205. Hebekus, 106; dort im Zusammenhang: „Dies scheint mir die Pointe von Petersons Bindung der Ekklesiologie an die Liturgie zu sein: es gibt ihr zufolge kein theologisches Argument für eine Konstruktion, welche das Politische als Verkörperung denkt, auch dann nicht, wenn, wie bei Schmitt, der Körper als ein abwesender, aber dennoch irdischer gesetzt und so das Politische zum Akt einer permanenten Purifikation wird.“ 235 Ebd.

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Studie zur „Akklamation bei Kantorowicz, Peterson und Schmitt“ die Zusammenhänge zwischen Peterson und Schmitt als eine Folge von Übertragungen und Rückübertragungen zwischen Theologischem und Politischem. Peterson habe die urchristliche ekklesia als politische Größe verstanden, die die politischen Handlungsmuster der Ratsversammlung der griechischen Polis übernommen habe, und Peterson habe von daher die liturgischen Vollzüge als Rechtsakte begriffen und in juristischer Terminologie analysiert. Die liturgischen Akklamationen, mit denen die ekklesia den Kyrios Iesous anruft sind Rechtsakte, ebenso wie später die Akklamationen, mit denen das Kirchenvolk, der laos, der Wahl eines Bischofs zustimmt. In diesen Rechtsakten stehen nun aber „Enthusiasmus und Recht“ in engster Verbindung: der Rechtsakt selbst wird erst unter Inspiration und Beistand des Heiligen Geistes kräftig und wirksam236. So gilt: „Die kultische Akklamation ist dabei gerade nicht Artikulation von Glaubensinhalten, sondern hat ihre Funktion allein in ihrer Performanz, indem sie nichts anderes ist als die Anerkennung und Bekräftigung der Herrschaftsverhältnisse im himmlischen Jerusalem.“237

Diese besondere Verbindung von „Enthusiasmus und Recht“ habe Schmitt nun seinem Begriff des Politischen implementiert und so diesem Begriff schon in seiner grundlegenden Prägung den Zug zu „Homogenität“, zu „substantieller Gleichheit“ mit gegeben, damit also der „Verkörperung“ und der Bildwerdung des Politischen Vorschub geleistet, indem er die ursprünglich kultische Denkfigur aus der Verknüpfung mit der Liturgie und der Eschatologie herauslöste und auf den politischen Akt hin verdichtete. Aus dieser Verknüpfung von „Enthusiasmus und Recht“ heraus habe Schmitt dann in den Jahren 1933/34 die politische Dynamik der nationalsozialistischen „Bewegung“ unterstützen können, die in der völkischen Homogenität den entscheidenden politischen Mythos und im Führer das entscheidende „Bild“ politischer Herrschaft gefunden habe. Aufschlussreich ist, wie Petersons Abwehr dieser Form Politischer Theologie modernitätskritisch und zugleich modernitätsverstärkend argumentiert. Peterson beschreibt den Prozess der Moderne einerseits als einen Prozess des Zerfalls der politischen Institutionen, der Entschränkung und schließlichen kultischen Totalisierung von Herrschaft. Andererseits aber sind auch Petersons implizite Leitbilder des Politischen durchaus der politischen Ideengeschichte der Moderne verpflichtet: institutionelle Gebundenheit des Politischen, Rechtsstaatlichkeit, Beschränkung der Dynamik politischer Bewegung, Balance der politischen Kräfte. All dies gehört in den Bestand politischer Ideen des Liberalismus in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, der seinen Begriff des Politischen schon im Konflikt mit den revolutionären 236 Ebd., 100. 237 Ebd.

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Massenbewegungen neu zu definieren hatte. Vor diesem Hintergrund wird auch die kritische Bewertung der Idee der politischen Repräsentation überhaupt verständlich. Hatte Schmitt sein Bild der repräsentativen Öffentlichkeit letztlich von der Öffentlichkeit der römischen Kirche abstrahiert und auf das Feld des Politischen übertragen, so widersetzt sich Peterson genau dieser Übertragung: repräsentative Öffentlichkeit ist die Öffentlichkeit der Kirche und nur der Kirche, denn sie allein repräsentiert in ihrem Sein und in ihrem Urteilen den abwesend-anwesenden Kyrios Jesus Christus, während staatliche Herrschaft streng institutionell gehegt sein soll und sich den Ansprüchen des Repräsentativen gerade widersetzen muss, um das Politische als Politisches zu bewahren. Die repräsentative Öffentlichkeit der Kirche schützt die politische Herrschaft geradezu davor, sich selbst als repräsentativ misszuverstehen und sich damit an den politischen Mythos auszuliefern. Unter diesem Blickwinkel erscheint wiederum die schon öfter bemerkte Paradoxie in der Argumentation Petersons: sein Denken einerseits in die Bahnen einer Fundamentalkritik der Moderne zu lenken, andererseits aber substantiell modernitätsverstärkend zu wirken mit der Stärkung der jeweiligen Autonomie des Religiösen und des Politischen. 4.3.5.2 Oliver O’Donovan: Petersons Problemstellungen weiter gedacht Peterson hat seinen Begriff des Politischen in der Auseinandersetzung mit dem Totalitarismus seiner Zeit gewonnen. Ist also mit dem Zerfall der Totalitarismen, mit dem Ende des „Zeitalters der Ideologien“ (K.D. Bracher) auch das kritische Potential dieses Widerspruches gegen die Idee der politischen Repräsentation erschöpft? Die herrschaftskritische Grundstruktur der neutestamentlichen Texte und der Tradition der urchristlichen Apokalyptik insbesondere ist in den Argumentationslinien der Politischen Theologie seit den 1960er Jahren immer wieder geltend gemacht worden und gegen politische Herrschaft überhaupt gewendet worden. Politische Theologie dieser Generation war nicht mehr legitimierende Theologie, die zur Stützung von politischer Herrschaft eingesetzt wurde. Sie verstand sich vielmehr als eine im emphatischen Sinne kritische Theologie, die gegen jede Form von politischer Autorität geltend gemacht wurde und sich in ihren Spitzen zu einer Theologie der Revolution verdichten konnte. In diesen Spitzenformulierungen lieferte sich die in diesem Sinne politische Theologie dann allerdings wiederum an bestimmte „Verkörperungen“ des Politischen aus, wiederum an Bilder, die sich zum suggestiven politischen Mythos verdichteten und – im Sinne Petersons – die Herrschaft des Kyrios Jesus verstellen konnten. Wie die politische Theologie im direkten argumentativen Durchgriff von der göttlichen Monarchia auf die irdische Monarchia Herrschaft legitimierte, so kann eine revolutionäre politische Theologie zur Legitimation der kontinuierlichen Delegitimation werden und damit zur Legitimation revolutionärer Praxis, die

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faktisch nur allzu bald wieder umschlagen kann und historisch ja auch umgeschlagen ist, in die Affirmation verfestigter totalitärer Herrschaft – nun eben im Namen der Revolution. Petersons Verdikt, dass durch das altkirchliche trinitarische Dogma „grundsätzlich der Bruch mit jeder ,politischen Theologie‘ vollzogen (wurde), die die christliche Verkündigung zur Rechtfertigung einer politischen Situation mißbraucht“238 muss gerade auch hier ansetzen, wo politische Theologie sich programmatisch gegen jede Form von Autorität wendet. Was bleibt dann aber übrig vom Impuls Petersons? In der neueren Diskussion um die politische Theologie hat Oliver O’Donovan Positionen formuliert, die die Linie Petersons unter den Bedingungen nach dem Ende der Totalitarismen fort schreiben. O’Donovan macht geltend, dass die besondere Art von Repräsentation unter den Bedingungen der Moderne die mediale Öffentlichkeit ist: „,Publicity‘ is the name we give to the most distinctively modern form of representation …“239 Politische Repräsentation in der Moderne ist prekär geworden: verlässliche Handlungsmuster und Rollenverständnisse für die politischen Akteure sind verschwunden und in einer überwältigenden Fülle der globalen Diffusion von Informationen und Bildern scheint die moderne westliche Zivilisation ihr Stabilitätsdefizit kompensieren und ihre politischen Eliten mit Legitimität ausstatten zu wollen: „It would seem that modern society perceives itself as affected by a kind of social numbness, an incapacity to receive and respond, which demands a hectoring and overheated style of communications as an antidote. The feverish generation of words and images indicates the disappearance of certain stable and solid points of ideological reference that an earlier society could count on. The intense reinforcement of simple stereotypes is a response to a crisis of social representation.“240

Die moderne Gesellschaft reagiert nach O’Donovan mit einem dreifachen Versuch diesen „Referenz“–Verlust zu kompensieren: Zum einen mit funktionaler Spezialisierung und Diversifizierung von Kompetenzen, so dass die Nötigungen zum „öffentlichen“ Handeln immer geringer werden, weil möglichst viel von „Spezialisten“ entschieden wird, bevor noch politisch entschieden werden muss. Zum zweiten wirken die medialen Stereotypen als Ersatz für die Anerkennungsurteile, die in vormodernen Gesellschaften im moralischen Gesetz verankert waren, das dem faktischen Konsens der Gesellschaft vorgegeben verstanden wurde. Zum dritten wirkt die mediale Publizität als Legitimationszufuhr für Regierende, deren Amtsgeschäfte immer dem schnellen Wechsel der Wahlperioden unterworfen sind und die daher auf

238 AS 1, 59, Monotheismus als politisches Problem. 239 O’Donovan, Common Objects, 49. 240 Ebd., 65 f.

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unmittelbar einleuchtende mediale Präsentation ihrer Regierungstätigkeit angewiesen sind: „Like giant pandas, always eating to keep alive, and so knowing no difference between acquiring and expanding energy, the insatiable electoral mouth of the body politic requires a proliferation of communicated symbols. So, too, does the degeneration of democratic theory into naive populism. The illusion that rulers can be seen not as representatives but as delegates of the people can be sustained only by unremitting legitimating exercises of publicity, Which means that representation itself becomes the dominant issue of modern politics, and displaces the true goal of political structures, which is the enactment of justice.“241

O’Donovan deutet von dieser Grundlage aus den Konflikt des Westens mit dem islamischen Terrorismus als einen Konflikt um die universalisierende Wirkung der medial erzeugten Plausibilitäten, denen sich eine Kultur widersetzt, die ihren Ursprung in der Bildlosigkeit hat, die aber gerade in diesem Konflikt ihrerseits auf die Globalisierung der Bilder setzt und sich sämtliche Möglichkeiten moderner Kommunikation zunutze macht. Politische Theologie darf nach O’Donovan nicht nur der Tendenz zu autoritären Herrschaftsformen widersprechen, sondern muss die nachgerade verzweifelten Versuche zur medialen Konstruktion von Legitimität namhaft machen, die im Zentrum des Projekts der Moderne verborgen liegen. Die redundante Bilderflut ist ein Indiz dafür, dass die gültigen Bilder geschwunden sind und die Surrogate rein durch ihre Quantität Suggestionen von Legitimität liefern. Als politisch-theologisches Exerzitium hätte von hier aus nach O’Donovan eine „critique of social self-projection“242 anzusetzen: „The sociological thrust to self-imaging, then, is the root problem, whether expressed in authoritarian forms, or, as in late-modern liberal society, in intensified forms of communication. If theology in liberal society simply joins the liberal hue and cry against conspiracies of power-holders it evades the real critique by displacing it.“243

O’Donovan spricht hier, ohne Peterson zu erwähnen, vielleicht auch ohne ihn zu kennen, genau die Versuchung an, welcher Peterson die Kirche in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ausgesetzt sah: die Mechanismen moderner Öffentlichkeit zu übernehmen, in liberaler oder totalitär entstellter Form, und darin die Substanz des Evangeliums zu verlieren244. Die neutestamentlichen Zeugen stehen mit ihrer Stimme nach O’Donovan sehr grundsätzlich gegen die soziale Selbstprojektion, die in der politischen Repräsen241 242 243 244

Ebd., 67. Ebd. Ebd. „That it (scil. the church) might be stripped of its true representation, overwhelmed by the alien image, is a danger which the church must at all times take seriously, especially when it is in an exploratory mood, seeking, quite properly, appropriate cultural entrees for the commendation of the gospel.“, Ebd., 71.

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tation stattfindet, gegen die Bilder, die sich eine Gesellschaft von sich selbst gestaltet im Design ihrer politischen Institutionen. Wo liegt der eigentliche Auftrag der Kirche in dieser Lage? Es ist ein Auftrag zu „alertness, patience, worship“245, zu einer „iconic discipline“246. So steht die Kirche in einer Gesellschaft, die sich in der Form ihrer Selbstprojektionen sakralisiert, für eine eschatologisch gebundene Säkularität: „Secularity is a stance of patience in the face of plurality, made sense of by eschatological hope“247. Der Widerstand gegen das politische Bild, gegen die Sehnsucht nach repräsentativer Verkörperung des Politischen ist der Kirche von ihrem Ursprung her zutiefst eingezeichnet und mit diesem Widerstand auch das Wissen, „that the appearance of the universal kingdom must call forth a false universal, an image that would lay immediate claim upon the world’s loyalty.“248 Die Widerstandskräfte wachsen der Kirche aus der Liturgie zu, aus der Einübung in die politische Praxis des Gottesdienstes, die gleichzeitig eine Praxis der Relativierung der innerweltlichen Herrschaftsansprüche ist. Gerade das Zeugnis des Johannes von Patmos zeigt für O’Donovan die Kraft einer solchen Praxis. In der Prophetie der Apokalypse „the community is seen only in worship, united before the throne of heaven with saints and martyrs of all ages, praising God’s judgements that have been revealed. (…) Worship is the true posture of the represented, allowing the only representative image to rule over all images.“

Genauso wie die Anhänger des Antichrist tragen diejenigen, die vor Gottes Thron stehen, ein Zeichen auf der Stirn, das sie erkennbar macht – sie sind selbst angestrahlt von der Herrlichkeit Gottes, in einer „apparent passivity“. Von ihrer „community“ gilt: „Not by creating images, but being itself a true reflecting image, it serves the victory of the representative.“249 Oliver O’Donovan sollte deswegen hier ausführlicher zu Wort kommen, weil in seiner Arbeit deutlich wird, welche aktuelle Erschließungskraft in Petersons apokalyptisch geprägter politischer Theologie liegt und wie sie in gegenwärtigen Problemkonstellationen weiter gedacht werden kann. Schon Peterson selbst verband den politisch-theologischen Widerspruch gegen den Totalitarismus mit einer ebenso grundsätzlichen Kritik an der in liberalen Kategorien gedachten politisch-gesellschaftlichen Öffentlichkeit der Moderne: Totalitarismuskritik und Liberalismuskritik gehören für ihn zusammen. Die Kirche als politische Gemeinschaft und ihre liturgische Praxis ist der pragmatische Ort eines Widerstandspotentials, das letztlich der Gesellschaft dient, der es widerspricht. 245 246 247 248 249

Ebd., 70. Ebd., 71. Ebd., 69. Ebd., 70. Alle zuletzt genannten Zitate: Ebd., 71 f.

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4.3.5.3 Das Politische als „passio“ Gerade von dieser zeitgenössischen Reformulierung der politisch-theologischen Kategorien Petersons bei O’Donovan wird allerdings eine spezifische Bestimmung im Begriff des Politischen bei Peterson deutlich. O’Donovan spricht von der Passivität der Kirche, die gerade ihre eigentliche aktive Kraft sei250, er bemerkt von der Auslegung der Apokalypse her die „apparently quietist dispositions“251. Und genau dies wird man auch zu Peterson sagen müssen: sein Begriff des Politischen ist von der passio her gewonnen, nicht von der actio her, die doch das eigentliche Feld des Politischen als einer spezifischen Handlungsform ist. Der entscheidende Repräsentant des Politischen ist für Peterson der Märtyrer, an dem sich die Macht des Imperators bricht, weil in ihm die überlegene Herrschaft des Lammes auf dem Thron aufleuchtet und darin das Wesen der totalen politischen Macht offenbarend erhellt wird. In das geschlachtete Lamm, als Sinnbild des leidenden Gekreuzigten, und der „Löwe aus Juda“, als Sinnbild der davidischen Königswürde. Schlachtopfer und Raubtier, Leiden und Sieg gehören zusammen in diesem „Bild“ des erhöhten Christus, das sich doch eigentlich jeder konkreten Anschaulichkeit entzieht und in seinen beiden Bildebenen dasjenige zusammenfügt, das begrifflich nicht zusammen finden kann. Die Passion und der Sieg Christi setzen das Leiden und den eschatologischen Triumph des Märtyrers in ein Entsprechungsverhältnis. Und mit dem im Leiden errungenen Sieg Christi wird eine neue politische Wirklichkeit geschaffen: nämlich die neue Polis und ein neues Volk von Erlösten. Die Antwort der Kirche ist der Hymnus, das Siegeslied252, ein „eschatologischer Hymnus“, ein „Hymnus des neuen Äon“253. Im Kult partizipiert die Kirche am Sieg Christi. In der sakramentalen Partizipation am zerbrochenen und erhöhten Leib Christi ist die „Möglichkeit der historischen Dialektik“254 beendet. In der Akklamation der Ekklesia, der Ratsversammlung der himmlischen Polis geschieht politische Partizipation und damit das, was Carl Schmitt als zentrale Funktion des politischen Mythos benannte: „politische Einheitsbildung“, Leibwerdung der Kirche. So Peterson in Auslegung von Apk 1,6: „Die Macht als der zentrale Bestandteil des politischen Lebens wird Christus gleichsam zugeschoben, denn in diesen Akklamationen wird ,Herrlichkeit‘ und ,Macht‘ in einer ganz realen Weise ,übertragen‘, wird der Übergang aus dem alten

250 „Its (scil. the church’s) apparent passivity is an active power in the designs of saving providence.“ Ebd., 72. 251 Ebd., 71. 252 Dazu Peterson im Engelbuch: AS 1, 204. 253 Ebd. 254 AS 2, 146, Fragmente.

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Äon mit dem ,heidnischen‘ Verhaftetsein in ,Stämmen, Völkern und Nationen‘ in den neuen Äon der Königsherrschaft Gottes wirklich vollzogen.“255

Wir fragen: Wie ist hier politische Praxis näher bestimmt? Sakramentale Partizipation, liturgische Doxologie und Akklamation bleiben als Vollzüge politischer Praxis. Wie ist es aber um die ganz alltägliche Pragmatik des politischen Handelns bestellt? Die politische Praxis selbst in der Perspektive der politischen Akteure liegt nicht im Blick der Überlegungen Petersons. Insofern entsprechen sich spiegelbildlich auf der einen Seite ein Begriff des Politischen, der das Politische letztlich in statu corruptionis vom Machtparadigma her versteht und damit von der actio der Selbstdurchsetzung, die immer etwas vom illegitimen Aufstand gegen die Herrschaft Christi hat, und auf der anderen Seite ein theologisches Verständnis des legitim Politischen, das von der passio des Märtyrers her gedacht ist. Letztlich wird damit das Politische, soweit es diesseits der eschatologischen Grenzbestimmungen sich abspielt, gleichgültig – und dies sieht Peterson auch als Konsequenz des eschatologischen Ansatzes der urchristlichen Verkündigung, wenn er in Auslegung von Römer 13 schreibt: „Die Erörterung des eigentlichen Sinns der paulinischen Aussagen in Röm 13 ist darum lehrreich, weil wir ihnen entnehmen, daß auch eine so abstrakte Formulierung, daß jede exousia von Gott sei, letztlich doch einen konkreten Sinn hat, nämlich die Gleichgültigkeit gegenüber der politischen Sphäre zu bekunden, weil die Eschatologie das wesentliche Interesse beansprucht.“256

Von diesem Standpunkt aus kommt die Kirche als ein politischer Akteur in den Blick, der mit überlegenem Recht, mit dem Recht des „neuen Äon“ in das Politische eingreift, das seine Signatur noch vom alten Äon, von der vergehenden Welt her empfängt. „Die Kirche kann keine Politik treiben, sie kann immer nur in die Politik eingreifen. Vom Standpunkt einer Politik, die den Staat und das politische Handeln nur von der immanenten Seite her betrachtet, ist das Handeln der Kirche immer nur ein Eingriff in einen fremden Bereich. Aber gerade darin bekundet sich nun die eigentliche Würde der Kirche, denn damit drückt sie ja aus, daß ihr politisches Handeln nicht vom alten, sondern vom neuen Äon her bestimmt ist. Gerade in solchen Wendungen wie ,Eingriff‘, ,Übergriff‘ kommt der transzendental-eschatologische Sinn der Kirchenpolitik zum Ausdruck.“257

Nicht weiter erklärungsbedürftig ist, dass damit von einer Autonomie des Politischen zwar nicht gesprochen werden kann, dass aber das Politische als ein relativ in sich geschlossener Wirklichkeitsbereich gesehen wird, in den die „Kirche“ nicht als Akteur eingreift, der sich den besonderen Bedingungen 255 AS 4, 153, Offenbarung. 256 AS 6, 344, Römerbrief. 257 Ebd.

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dieses Wirklichkeitsbereiches akkomodieren würde, sondern dass das Handeln der Kirche, wo es politisch wird, immer die Diskontinuität ausdrückt, in der der neue Äon zum alten Äon steht. Deutlich ist allerdings auch, dass aus dieser „Gleichgültigkeit“ heraus keine Beziehung aufgebaut werden kann zur Praxis politischer Partizipation, wie sie eine moderne pluralistische Demokratie prägt. Oliver O’Donovan zeigt, wie aus den gleichen Kategorien, wie Peterson sie benutzt, sehr andere und konkrete Konsequenzen gezogen werden können für eine Politik, die sich auf die „Bonds of Imperfection“258, auf die Bedingungen der gefallenen menschlichen Natur und der vergehenden Zeit einlässt.

4.3.5.4 Feindschaft: das „Intensitätskriterium“ des Politischen Noch eine weitere Querverbindung zum „Begriff des Politischen“ bei Carl Schmitt gilt es zu ziehen. Sie betrifft die berüchtigte Bedeutung der „Feindschaft“ für Schmitt und Petersons Aufnahme dieses „Intensitätskriteriums“ des Politischen. Für Schmitt gründet die unausweichliche, existentielle Realität des Politischen in der konflikthaften Verfassung des sozialen Lebens. Wo es potentiell möglich ist, dass einer den anderen in seinem So-Sein bestreitet, dort verwandelt sich nach Schmitt jeder Gegensatz, sei er ökonomisch, moralisch, religiös, wie auch immer, in einen politischen Gegensatz. So definiert Schmitt in dem bekannten Satz: „Die spezifisch politische Unterscheidung, auf welche sich die politischen Handlungen und Motive zurückführen lassen, ist die Unterscheidung von Freund und Feind. Sie gibt eine Begriffsbestimmung im Sinne eines Kriteriums, nicht als erschöpfende Definition oder Inhaltsangabe.“259

Die Unterscheidung von Freund und Feind gewinnt ihre definitorische Schärfe nach Schmitt von ihrem äußersten Extrem her, nämlich von der Bedrohung der physischen Existenz: Politik ist dort, wo soziale Verbände und politische Einheiten bereit sind, für die „eigene, seinsmäßige Art von Leben“260 zu kämpfen und zu sterben. Wo die konflikthafte Art des sozialen Lebens diese „Intensität“ erreicht, dort befinden wir uns nach Schmitt auf dem Feld des Politischen. Peterson nimmt diese Bestimmung in zweifacher Hinsicht auf. Er rekonstruiert damit zum einen den theologischen Gegensatz als politischen Gegensatz und verdeutlicht daran zum anderen, wie sehr die Kirche eine politische Größe ist und wie das Evangelium einen öffentlichen Anspruch im politischen Raum haben soll. 258 O’Donovan, Bonds. 259 Schmitt, Begriff des Politischen, 26. 260 Ebd., 27.

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In der einen Hinsicht wandelt sich der theologische Gegensatz zwischen dem römischen Imperator und dem Kyrios Jesus Christus in einen politischen Gegensatz, der – in der Terminologie Schmitts – die jeweils andere „eigene, seinsmäßige Art von Leben“ bestreitet. Der Gegensatz von Christus und Imperator ist ein ontologischer Gegensatz, er beruht auf Seinsweisen, die einander ausschließen und einander deswegen bestreiten müssen bis zur physischen Vernichtung. In Auslegung des Bildes aus Apk 1,16, des Schwertes, das aus dem Mund des Menschensohnes im Himmel hervorgeht, spricht Peterson von dieser Feindschaft: „Dieses Schwert aber, das aus dem Munde des Menschensohnes geht, ist das euangelion. Man soll dieses Schwert nicht immer moralisch umdeuten und auf die trennende Macht des Logos beziehen, man soll viel eher dabei an das Schwert denken, das dem Paulus den Kopf abschlug, das die Christen verfolgte, das Feindschaft setzte zwischen den Christen und den Römern, zwischen den Christen und den Juden, zwischen den Christen und den Gnostikern.“261

Weil es sich hier um Feindschaft handelt, ist der Gegensatz ein politischer, und so wird auch der erhöhte Menschensohn mit den Insignien politischer Macht ausgestattet und seinerseits als legitimer Imperator dem Pseudo-Imperator des römischen Kaiserkultes entgegengesetzt. Peterson arbeitet diesen Gegensatz an den patristischen Texten mit besonderer Schärfe heraus in seinem Aufsatz „Christus als Imperator“262. Er schließt dort mit den Worten: „So wird denn die in den Märtyrern streitende Kirche Christus als den Imperator sehen, um in der Überwindung einer Welt, die in den Juden ohne König ist und in den Heiden nur den Cäsar hat, den König der kommenden Welt zu erwarten.“263

Von Seiten des heidnischen Staates antwortete man auf diese inhaltliche Füllung des christlichen Glaubens mit Verfolgung, einmal konsequent, ein anderes Mal inkonsequent – aber immer mit der Möglichkeit zur physischen Auslöschung der Christen. Von der Seite der frühen Christen war diese Feindschaft in sich so differenziert, dass man die Ordnungsfunktion des Staates anerkannte, sich aber dem Prinzip der ins kultische übergreifenden politischen Repräsentation verweigerte. So erklärt sich die Differenz zwischen den ganz quietistisch anmutenden Weisungen etwa aus Röm 13 oder 1. Tim 2,1.2 einerseits und andererseits den von Gewalt erfüllten apokalyptischen Bildern vom Fall Rom-Babylons in Apk 17 – 19. Will man die Unterscheidung von Carl Schmitt zwischen rechtsstaatlichen und im engeren Sinne politischen Bestandteilen einer Verfassung264 auf diese unterschiedlichen Wertungen der „Obrigkeit“ im urchristlichen und altkirchlichen Urteilen anwenden, so kann 261 262 263 264

AS 6, 15, Römer. AS 1, 83 – 92. AS 1, 91. Vgl. Schmitt, Verfassungslehre, 125 f.

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man sagen, dass die Recht setzende und durchsetzende Funktion des Staates durchgängig anerkannt wird und sich der Widerspruch zur politischen Idee und Wirklichkeit des römischen Imperium an dem politischen Prinzip der Repräsentation festmachte. Noch in einer anderen Hinsicht wird das politische Kriterium der Dissoziation von Freund und Feind von Peterson aufgenommen, und zwar im Binnenverhältnis der Kirche, wo der „Häretiker“, der Irrlehrer, nach Peterson als „Feind“ zu identifizieren ist. Nach Peterson ist die Herrschaft Christi öffentliche Herrschaft, Herrschaft in der „Öffentlichkeit des Politischen“265. Diese Öffentlichkeit, die in der Enthüllung/Apokalypsis Christi mit gegeben ist, enthüllt auch denjenigen, der der Herrschaft Christi widerspricht, indem er ihrer inhaltlichen Bestimmtheit widerspricht durch häretische Werke (Apk 2,6) und häretische Lehre (Apk 2,14). Im Licht der Öffentlichkeit des Christus wird auch der Häretiker enthüllt als derjenige, der er ist. Die Kirche soll die Häretiker „hassen“ (Apk 2,6). „Zur Durchsetzung des öffentlichen Herrschaftsanspruchs Christi gehört, dass die Kirche die Häretiker hasst, die auch der königliche Hohepriester hasst. Die Häretiker sind Feinde der Herrschaft Christi, als solche werden sie von Christus und der Kirche verabscheut. Häretiker sind Menschen, die, im Licht des Öffentlichkeitsanspruchs Christi stehend, als Feinde seines Reiches enthüllt werden.“266 Noch einmal eigentümlich anders nimmt Peterson die Beziehung der „Feindschaft“ in seiner Auslegung der lukanischen Feldrede in den Blick. Das Gebot der Feindesliebe267 hat nach Peterson seinen Ort im „Ausnahmezustand“268 der eschatologischen Zeit. Erst mit dem Auftreten Christi gibt es die Signatur der eschatologischen Feindschaft, die charakteristisch unterschieden ist von den „natürlichen“ Feindschaftsverhältnissen der politischen Welt. Geht Schmitts Bestimmung der existentiellen Differenz auf die Ermöglichung des Kampfes und bestimmt sie den Kampf als Naturzustand, so betont Peterson, dass erst mit der Feindschaft von Christus und Antichrist die eschatologische Feindschaft beginnen kann, und zwar in dem paradoxen Sinne, dass gilt: „Erst die Feindesliebe erzeugt den Feind, erst die gute Tat gebärt den Hass, erst das Segnen erzeugt das Fluchen, erst das Beten schafft die Bedrückung.“269 Die eschatologische Fenindschaft wird entschieden nicht durch Kampf, sondern durch „Liebe, Wohltat, Segen, Gebet“, die die eigentlichen „Kampfmittel“270 sind.

Im Hintergrund stehen die Bestimmungen Schmitts, die aber noch einmal charakteristisch verändert werden. Schmitt betont, dass der Feind im politi265 266 267 268 269 270

AS 4, 161. Ebd., 166. AS 5, 238.242. Dazu Nichtweiß, Verfassungslehren, 47 – 49. Ebd., 238. Ebd., 242 Ebd.

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schen Sinne „nur der öffentliche Feind“271 ist. Schmitt macht gerade dieses Argument der Unterscheidung von politischem und „privatem“ Feind stark, um den besonderen und begrenzten Charakter des Politischen von den moralischen Verwerfungen des Feindes zu unterscheiden, die er den alliierten Siegermächten des 1. Weltkrieges Deutschland gegenüber vorwarf. In Aufnahme von Apk 2,6 geht es aber für Peterson gerade um diesen „Hass“ gegen die Häretiker – übrigens in Überbietung des biblischen Textes, der die Gemeinde in Ephesus auffordert, die „Werke der Nikolaiten“ zu „hassen“, und darin doch wohl Person und Werk zu unterscheiden lehrt. In der Auslegung von Apk 2,14 spitzt Peterson dieses Argument dann liberalismuskritisch zu, wieder in Aufnahme und Verschiebung der Kategorien Schmitts: Ist die Herrschaft Christi eine öffentliche Herrschaft, so kann der häretische Widerspruch gegen diese Öffentlichkeit nur in einer „Privatisierung“ bestehen: Häretiker sind solche, „die in der Privatisierung des christlichen Lebens, in der Herabwürdigung der christlichen Wahrheit zu einer bloßen ,Auffassung‘, die Öffentlichkeit des Herrschaftswillens Christi gefährden.“272 Hier gilt nach Peterson: Auch „das bloße Gewährenlassen von Häretikern, der Verzicht auf Polemik gegen sie, stellt schon eine Gefährdung der Öffentlichkeit des Herrschaftswillens Christi dar. Darum droht nun der Menschensohn, dass er die Polemik gegen sie, das heißt den ,Krieg‘ ,mit dem Schwert seines Mundes‘ führen werde.“273

Aufschlussreich ist hier, wie Peterson in einem bewussten Anachronismus seine eigene Rolle als Polemiker und die Leidenschaft seiner Polemik aus dem Bibeltext heraus- oder in ihn hineinliest. Das Manuskript „Offenbarung Jesu Christi“ entstand in den Jahren 1934 – 37/38 und war zur Veröffentlichung als exegetischer Kommentar gedacht.274 Deutlich steht hier die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus im Hintergrund der Lektüre der Apokalypse. Gerade aber in Zusammenhängen wie dem oben wiedergegebenen ist zu erkennen, wie Peterson den politischen Totalitarismus als Frucht des Liberalismus deutet, der die substantiellen Wahrheitsansprüche des Evangeliums „privatisiert“ und so die normativen Leerstellen öffnet, in die der politische Totalitarismus einfließen und seine zerstörerische Kraft entfalten kann. Negativfolie ist auch, wie in den Texten der 20er Jahre, die liberale protestantische Theologie, der Peterson vorwirft, das Evangelium in eine Vielzahl „privater Auffassungen“ umgedeutet zu haben. Hatte Peterson noch 1925 in „Was ist Theologie?“ davon gesprochen, dass die Theologie ihrem Wesen nach Argu271 „Feind ist nur der öffentliche Feind, weil alles, was auf eine solche Gesamtheit von Menschen, insbesondere auf ein ganzes Volk Bezug hat, dadurch öffentlich wird. Feind ist hostis, nicht inimicus im weiteren Sinne … (…) Den Feind im politischen Sinne braucht man nicht persönlich zu hassen …“ Schmitt, Begriff des Politischen, 29 f. 272 AS 4, 170. 273 Ebd. 274 Zur Geschichte dieses Textes siehe Löser, Entstehung, bes. XVIIff.

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mentation sei275, so bleibt hier fast nur noch die „Polemik“ übrig. Wenn wir diese Veränderung selbst noch einmal politisch-theologisch lesen, macht sich bei Peterson ein fast vollkommener Verzicht auf die diskursive politische Praxis geltend. Immerhin gilt es zu konzedieren, dass die Textform selbst Zeugin der Ohnmacht ist – bis in die Tatsache hinein, dass diese Texte, die so emphatisch von der Öffentlichkeit reden, nicht publiziert werden konnten.

4.3.5.5 Der Raum des Politischen Die vorangegangenen Überlegungen haben zu zeigen versucht, wie Peterson selbst in den Bahnen Politischer Theologie argumentiert und einen impliziten, spezifischen Begriff des Politischen entwickelt, ohne diesen Begriff selbst ausdrücklich in seinen Bestimmungen vorzustellen und argumentativ auszuweisen. In vielem ist Carl Schmitt der bedeutendste Gesprächspartner und wir erkennen die Linie der Auseinandersetzung Petersons mit diesem großen Gegenüber durchgehend wieder – gerade wo Peterson Schmitt material widerspricht, im Spezifikum seiner Bestimmung des Politischen aber doch den kategorialen Grundentscheidungen Schmitts verpflichtet bleibt. Wir wollen nun der begrifflichen Ausdifferenzierung des Politischen bei Peterson weiter folgen und das Politische zunächst in seiner besonderen kategorialen Beziehung zu Raum und Zeit betrachten. Das Politische ist für Peterson auch an die Struktur bestimmter Räume gebunden. Es gibt einen Raum oder besser : mehrere Räume des Politischen, in denen die Praxis des Politischen stattfindet. Diesen Zusammenhang gilt es nun zu explizieren. Wir führen zunächst einige Grundbegriffe ein, die Peterson für den Raum des Politischen verwendet. Der Raum des Politischen ist zunächst der imperiale Raum, der politische Raum des römischen Imperiums, in dem der Herrschaftsanspruch des Imperators artikuliert und durchgesetzt wird. Diesem imperialen Raum der politischen Herrschaft und Öffentlichkeit entspricht als weitester Horizont der kosmische, universale Raum des Christus-Pantokrator, der die Schranken der empirischen Wirklichkeit überschreitet und ein Raum sui generis ist. Abgeleitet vom imperialen Raum sind die Räume, in denen der Herrschaftsanspruch des römischen Imperators und der Herrschaftsanspruch des Christus Pantokrator zusammenstoßen: zum einen der Gerichtssaal, die Basilika, exemplarisch der Gerichtsaal des Pilatus, in dem Jesus verurteilt wird, und zum anderen die Arena, in der die Märtyrer ihr Blutzeugnis ablegen. Basilika und Arena sind Räume, die von einer Körpererfahrung her strukturiert sind, sie sind Räume, in denen das Imperium den Zugriff auf den schutzlosen Leib des Märtyrers vollzieht. In diesem Sinne sind Basilika und 275 Vgl. AS 1, 9, Was ist Theologie?: „Es gibt keine Theologie, zu der es nicht wesentlich gehört, dass in ihr argumentiert wird.“

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Arena Räume des Schmerzes, aber auch Räume, an denen die Erfahrung des Schmerzes durch die Präsentifikation des erhöhten Menschensohnes gebrochen wird und sich der imperiale Raum gleichsam zur Transzendenz hin öffnet. Damit sind wir bei einer weiteren Grundbestimmung des Raumes des Politischen angelangt: es ist für Peterson der kultische Raum, der Raum der Öffnung, der Diskontinuität der empirischen Wirklichkeit. Wobei gleichzeitig gilt: gerade in diesem kultischen Raum vollzieht sich dann eine Ordnungserfahrung, die aller Räumlichkeit eine neue Struktur und Ausrichtung gibt und damit auch die Wirklichkeit im Ganzen verändert: alles ist ausgerichtet auf den Thron Gottes, auf die Präsenz des geschlachteten Lammes im Zentrum der Wirklichkeit. Und von dort ordnen sich die unterschiedlichen Räume in einer hierarchischen metaphysischen Stufenfolge zu einer Gesamtordnung der Wirklichkeitsbereiche, in die dann auch die empirische Welt der Menschen eingeordnet ist. Vor diesem Hintergrund wird dann aber auch deutlich, welche Raumerfahrungen dieses Politische im Sinne Petersons nicht prägen: nicht die Agora als liberale Austauschsphäre macht für Peterson das Politische aus – sei es in ihrer antiken Gestalt als Zentrum der Polis–Kultur sei es in ihrer modernen Gestalt als mediale Öffentlichkeit oder Ort des parlamentarischen Diskurses. Die Polis spielt nur eine Rolle als Himmelsstadt, deren irdischer Teil die Kirche als Ekklesia ist, als Volksversammlung der himmlischen Polis, die in der Liturgie dem Kyrios die Akklamation darbringt. In diesem Sinne gewinnt auch die Himmelsstadt über die irdische Ekklesia eine die Räume organisierende und gliedernde Funktion: indem nämlich in der späteren Erstreckung des christlichen Äon jedes Kirchengebäude zu einer „Heterotopie“ wird und die Himmelsstadt inmitten der „vergehenden Welt“ repräsentiert.276

Das Bekenntnis zum Kyrios Jesus Christus ist nach Peterson dem Anspruch des römischen Imperators bewusst entgegengesetzt. Damit gewinnt es auch seine Plausibilität im Gegenüber zur imperialen Macht des römischen Reiches: „Das Zeugnis, das der König, der in diese Welt gekommen ist, ablegt, ist ein öffentliches Zeugnis (1. Tim 6,13). Als solches setzt es die politische Öffentlichkeit des Imperium Romanum voraus.“277 Für Peterson verdichtet sich der Zusammenstoß des königlichen Anspruchs Jesu mit dem römischen Imperium in der Verurteilung Jesu durch Pilatus: „Nicht zufällig ist also der Name des Pontius Pilatus in das Credo der Kirche gekommen. Es ist nicht geschehen, um eine historische Erinnerung festzuhalten, sondern um für alle Zeit einen geschichtssymbolischen Vorgang für die zu fixieren, die sich durch ihre Taufe öffentlich zu Christus bekennen, diesen Vorgang nämlich, 276 Angewendet auf Petersons Auslegung der biblischen Quellen ist diese Überlegung natürlich ein Anachronismus. 277 AS 1, 121, Zeuge der Wahrheit.

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dass das Zeugnis von dem Königtum, das nicht aus dieser Welt ist, von den politischen Gewalten dieses Äons verworfen worden ist, (…). Wenn der heilige Paulus im ersten Korintherbrief von der im Mysterium verborgenen Weisheit Gottes spricht, die keiner der Herrscher dieses Äons bekannt habe (…), so spielt er auf die Situation Christi vor Pilatus an, in der Jesus von dem Königreiche, das nicht aus dieser Welt ist, als Zeuge auftritt, die göttliche Weisheit aber von denen, die in diesem Äon die politische Gewalt innehaben, nicht erkannt wird, und so der König des kommenden Äons, der ,Kyrios der Glorie‘ von ihnen dem Tode am Kreuz ausgeliefert wird (1. Kor 2,8).“278

In dieser paradigmatischen Konfrontation zwischen Jesus und Pilatus stehen einander die beiden entscheidenden Mächte gegenüber : die irdische Macht des alten Äon und die transzendente Macht des neuen Äon. In der räumlichen Konfrontation begegnen sich so auch zwei Zeiten, die miteinander im Kampf liegen. Der Ort dieses Kampfes ist der Leib Christi. In jedem Zugriff des imperialen Staates auf einen christlichen Märtyrer wiederholt sich diese Konfiguration, deren Ort die Basilika, der Gerichtssaal, ist und die Richtstätte, die Arena279. Der Anspruch des Gottkaisers enthüllt sich im Kaiserkult auch als ein leibgebundener Anspruch: es geht ihm um kultische Verehrung, die sich verdichtet in der Proskynese vor dem kaiserlichen Kultbild. Von dieser kultischen Präsenz des Kaisers werden auch die politischen Räume des Imperiums organisiert: „Die Leibhaftigkeit des Gottkaisers drückt sich darin aus, dass alles, womit er in Berührung kommt, in die göttliche Sphäre erhoben wird. Das Haus, in dem er wohnt, wird zum Tempel, der Audienzsaal wird zur Kultstätte …“280.

Eine weitere topologische Qualifikation macht Peterson in der Auslegung der Apokalypse namhaft: der Ort des kultifizierten Politischen ist die Großstadt als Kapitale, auf die hin alle politische Wirklichkeit ausgerichtet ist. Peterson beschreibt in der Auslegung von Apk 1,15 das Palatinische Septizonium in Rom als Ort kaiserlicher Machtrepräsentation, und, an einer politisch-theologisch besonders aufschlussreichen Stelle, den Zeusaltar in Pergamon, den „Thron des Satans“ von Apk 2,13. In der Auslegung des Jahres 1934 fügt Peterson ein: „Im Übrigen ist ja bekannt, dass dieser Altar heute in Berlin ist.“ Der katholische Theologe Yves Congar281 berichtet als Zeuge dieser Vorlesung, wie allen Zuhörern Petersons deutlich war, dass Petersons Auslegung ganz 278 Ebd. 279 Wie Peterson Richtsaal und Hinrichtungsstätte als Orte des Politischen im Zugriff auf den Leib benennt, so hat in jüngster Zeit Giorgio Agamben das Konzentrationslager des 20. Jahrhunderts als den exemplarischen Ort zu beschreiben versucht, an dem der moderne Staat seine politische Identität durch radikale Exklusion des „nackten Menschen“ zu konstruieren versucht. Auch hier : das Lager als Ort des Schmerzes. Vgl. Agamben, Homo sacer, dort v. a. 175 ff., „Das Lager als nomos der Moderne“. 280 AS 4, 10, Offenbarung. 281 AS 4, 44 und XIIIf.

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transparent war für die aktuellen Konfigurationen der nationalsozialistischen Macht. Die Großstadt mit ihrer Prägung durch die dem Nationalsozialismus anheim gefallenen politisierten Massen wird hier als der imperiale Raum gesehen, in dem sich die gebundene politische auctoritas aufgelöst hat zugunsten der kultifizierten potestas des Gottkaisers, der selbst satanisch geworden ist. Als christliches Gegenbild der Großstadt hat Peterson an anderer Stelle eine romantisierende agrarische Idylle gezeichnet, auch dies in einem polemischen Zusammenhang 1933/34: „Wir müssen auch zeigen, daß für uns Volk etwas ist, das seine Formung durch die Kirche erhält (…) daß die Weihen, die wir dem Brot und dem Salz, dem Werkzeug und den Feldern, dem Vieh und dem Menschen geben, im Dienste dieses Volkstumsgedankens stehen, wonach kein Volk in sich selber und in seiner eigenen Natur zu stehen vermag, wenn es nicht durch die Gnade in seinem Sein über sich selber herausgehoben wird, wenn es nicht vor dem Altar Gottes steht.“282

Einem dämonisierten Blick auf das Zentrum entspricht hier eine agrarische Idylle der Peripherie.283 So scharf Petersons dekonstruierender Blick war, wenn er die räumliche Verfasstheit des Politischen in ihrer dämonischen Entstellung beschrieb, so schematisch reaktionär erscheint doch seine Alternative, wenn er selbst konstruktiv wird. Dem imperialen politischen Raum entspricht nun aber in genauer Weise bei Peterson ein transzendenter Raum des Politischen, der sich in der Konfrontation zwischen dem dämonischen Imperium und der Herrschaft Christi öffnet. Wo der Märtyrer leidet, dort offenbart sich Christus als der erhöhte Menschensohn: „Wo nun der Sinn des Leidens mit Christus öffentlich wird, nämlich in der staatlichen Publizität eines öffentlichen Gerichtsverfahrens – und das ist eine wesentliche Voraussetzung für den Begriff des Märtyrers – , da wird auch die Glorie Christi öffentlich und in einer der staatlichen Öffentlichkeit analogen Weise ,offenbar‘.“284

Als neutestamentliche Belege führt Peterson das Martyrium des Stephanus an (Apg 7,56), über dem sich der Himmel zur Schau des Menschensohnes öffnet, und die Schau des königlichen und priesterlichen Menschensohnes durch den Seher Johannes. Im Martyrium, im Leiden mit Christus, vollzieht sich die conformitas mit Christus, das Ihm-Gleichgestaltet-Werden, das die Augen öffnet für die transzendente Realität der politischen Herrschaft Christi. Analog zum Herrschaftsraum des römischen Imperators öffnet sich ein geordneter und „orientierter“ imperialer Raum. Im Zentrum dieses Raumes 282 AS 9/1, 644, neueste Entwicklung. 283 Als kulturwissenschaftliche Perspektive auf den Gegensatz von Zentrum und Peripherie in der Raumwahrnehmung vgl.: Assmann, 160 ff. 284 AS 1, 108, Zeuge der Wahrheit.

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steht der Thron Gottes, auf den hin die apokalyptischen Visionen im Eingangsteil der Apk ausgerichtet sind. „Der ,Zeuge‘, der sieht, ,was danach geschehen soll‘, schaut zuerst Gottes Thron. Am Thron Gottes, der fest gegründet ist, findet er gleichsam seinen Halt. In all den Wechselfällen dieses Äons, die um so reicher sind, als diese Welt sich ihrem Ende zuneigt, ist die Tatsache, dass Gott einen Thron hat, dass Er in seiner Herrschaft unerschütterlich ist, erste und letzte Orientierungsmöglichkeit.“285

Wo also die politische Welt in ihrer legitimen Ordnung, in der auctoritas der politischen Institutionen, auseinander gefallen ist und vom Altar des Satans in dämonisch entstellter Weise strukturiert wird, dort offenbart sich im Moment des leiblichen Zugriffs auf den Märtyrer eine überlegene und unzerstörbare Ordnung, die ihre Mitte in der Wirklichkeit Gottes hat, auf die hin alle anderen Wirklichkeitsbereiche ausgerichtet sind: die vier Thronwesen, die 24 Ältesten, die Schar der Märtyrer, die sich im Grenzenlosen verlierende Zahl der Engel, sie umgeben in konzentrischen Kreisen diese Mitte der Wirklichkeit, an der die Kirche kultisch partizipiert – mit nun durch den Märtyrer geöffneten Augen. Interessant ist Petersons Formulierung, dass „in dem Märtyrer“ der „Heilige Geist“ so etwas wie eine „Übersetzung“ vollzieht: der Geist „,übersetzt‘“, „wenn man so sagen darf, in dem Märtyrer die sakramentale Verbindung und den Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Christus in die Schau des in der Glorie thronenden ,Menschensohnes‘.“286 Der Anspruch, den Peterson hier formuliert, ist erheblich: Sakrament und Glaube werden im Martyrium überstiegen auf das Schauen hin – und dies wiederum wirkt zurück auf die Feier der Kirche, die die Liturgie vollzieht in dem vom Märtyrer geöffneten Raum und darin an der allem Zerfall überlegenen Ordnung der himmlischen Wirklichkeit partizipiert: „Inmitten des Thrones Gottes steht das ,am Ende der Zeiten‘ geopferte Lamm als das Zentrum aller Kreatur, der Gott aufsitzt, und inmitten der Presbyter steht es als der Mittelpunkt der himmlischen sowohl wie der irdischen Kirche.“287 Indem diese Ordnung offenbart wird, geschieht Offenbarung der gesamten geschichtlichen Ordnungszusammenhänge: der Märtyrer wird offenbar als „Zeuge der Wahrheit“, der Kosmos wird offenbar samt der „dämonischen Macht, die im Kosmos herrscht.“288 Damit wird die Ontologie der in sich geschlossenen Welt mitsamt der in ihr wirksamen räumlichen und zeitlichen Orientierungsfaktoren zerbrochen und ein neues Wirklichkeitsverständnis mit neuer räumlicher und zeitlicher Orientierung wirksam, eine „Counter-Ontology“289, die die empi-

285 286 287 288 289

AS 4, 184, Offenbarung des Johannes. Ebd., 160. Ebd., 191. AS 1, 109, Zeuge der Wahrheit. Milbank, Theology, 381.

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rische Wirklichkeit übersteigt und sie gerade in ihrer dämonischen Immanenz verständlich macht. Für Peterson hat diese himmlische Topologie entscheidende Bedeutung. In ihr begegnen sich die beiden Bewegungsrichtungen seines Denkens: die eine Linie, die die Diskontinuität betont, das Zerbrechen in sich geschlossener, immanenter Räume und Zeiten; nennen wir sie die epiphanische Linie. Und die andere Linie, die die Kontinuität, den geistlichen Aufstieg im mystischen Lobpreis und in der liturgischen Feier betont; nennen wir sie die ekstatische Linie. Die Epiphanie des erhöhten Menschensohnes ermöglicht die Ekstase als geistliche Bewegungsrichtung des Transzendierens und umgekehrt streckt sich die Ekstase der Christus-Gleichförmigkeit entgegen, in der sich Christus in der Gestalt des Märtyrers in seiner Präsenz gewährt: „der Mensch existiert immer nur so, dass er über sich selbst hinausgeht und sich somit dem Engel oder dem Dämon nähert.“290 Um diese Zusammenhänge auszudrücken, kann man die räumlichen Kategorien nicht vermeiden. „Präsenz“ des erhöhten Menschensohnes meint auch seine Souveränität, Räume in Anspruch zu nehmen. Darin ist die liturgische Theologie politisch und ästhetisch zugleich: Geschaut wird die Epiphanie des Menschensohnes in seinem öffentlichen, politischen Machtanspruch. Dieser Machtanspruch nimmt eben darin auch Räume in Anspruch und strukturiert und orientiert sie neu. In seiner ästhetischen Theorie der Präsentifikation weist H.U. Gumbrecht von ganz anderen theoretischen Zusammenhängen herkommend doch genau auf diese Zusammenhänge hin uns gibt uns damit wichtige Hinweise: „Indem wir uns auf die Erörterung des Epiphaniecharakters des ästhetischen Erlebens zurückbeziehen und die Beobachtung in Anspruch nehmen, Epiphanie impliziere immer das Auftreten einer Substanz, insbesondere das Auftreten einer augenscheinlich aus dem Nichts kommenden Substanz, können wir in der Tat festsetzen, daß es ohne einen Moment von Gewalt keine Epiphanie und infolgedessen kein wirklich ästhetisches Erleben geben kann, denn ohne das Ereignis der Raumbesetzung durch eine Substanz gibt es keinen Moment der Intensität.“291

Gleiches gilt auch von der Präsentifikation des Menschensohnes am Leib des Märtyrers: Im Zugriff der politischen Gewalt auf den Leib des Märtyrers offenbart sich die höhere, auch politische Gewalt Christi. Mit ihrer Offenbarung öffnen sich auch neue politische Räume: die auf den Thron Gottes zentrierte himmlische Wirklichkeit, die sich der politischen Gewalt des Imperiums entgegenstellt.292 In der liturgischen Feier partizipiert die irdische 290 AS 1, 228, Von den Engeln. 291 Gumbrecht, 135. 292 Noch einmal eigens wäre an dieser Stelle zu problematisieren, wie weit sich Peterson hier in den Bahnen des neuzeitlichen Machtparadigmas bewegt, das er strukturell beibehält, aber christlich reformuliert, indem er an die Stelle des souveränen weltlichen Herrschers den souveränen Gott setzt, der aber ebenso in Kategorien der Selbstdurchsetzung gedacht wird, wie es dem politischen Denken der Moderne entspricht.

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Kirche an der himmlischen Topologie. Insofern ist die Liturgie „Raumbesetzung“ der Wirklichkeit Gottes in der empirischen Wirklichkeit, die epiphanisch geöffnet wird und sich ekstatisch übersteigt auf die Räume vor dem Thron Gottes hin. Von diesen Zusammenhängen her ergibt sich noch einmal ein vertiefter Blick auf Petersons phänomenologisch inspirierte Arbeitsweise: Ihm geht es um das Schauen, um „Anschauung“, gerade dort, wo „das Historische in das Eschatologische“ hinein „aufgelöst“293 wird. Die Dialektik des Historischen, wie sie im schon mehrfach zitierten Fragment V beschrieben wird, lässt sich erzählen. Aber mit der Thronbesteigung Christi ist die Dialektik des Historischen prinzipiell aufgehoben. Die Geschichte und mit ihr die Erzählung ist prinzipiell „gleichgültig“ geworden, mit der Christianisierung des Imperium Romanum ist das letzte der vier Weltreiche gekommen. Peterson bemerkt zur Geschichtstheologie der Kirchenväter : „Das Römische Reich hält das Kommen des Antichrists auf; wenn es zusammenbricht, dann stehen wir in der Endzeit. Die Idee, die dahinter steht, ist doch wohl diese, dass es mit und nach der Inkarnation keine weltgeschichtlichen Perioden mehr geben kann – wie sie durch die vier Weltreiche symbolisiert werden; potentiell ist die Weltgeschichte zu Ende, darum kann alles, was geschichtlich noch da ist, nur als Geschichte Roms interpretiert werden, daher der Begriff der translatio imperii usw.“294

Zu dieser Konstruktion bemerkt Peterson selbst wertend: „Das relative Recht dieser Betrachtungsweise ist wohl zuzugeben.“295 Bei Peterson selbst begegnet im Hintergrund seiner Texte immer wieder diese Zeitbestimmung: mit dem Ende des alten Reiches, des römisch-deutschen Reiches, ist „die Kontinuität des christlichen Äons in der geschichtlichen Welt (…) endgültig auf(ge) löst.“296 Damit „stehen wir in der Endzeit“297. Diese Zeitbestimmung bedeutet auch: die Zeit staut sich, die christliche Geschichte lässt sich nicht mehr weiter erzählen. Die Zeit als Gliederungs- und Orientierungsprinzip wird problematisch, die zeitlichen Kategorien des christlichen „narrative“ geraten in die Krise. In der Topologie der Texte Petersons erkennen wir eine Möglichkeit mit dieser Krise umzugehen. Die apokalyptisch bestimmte Geschichtstheologie wird entzeitlicht und stattdessen verräumlicht298, die topologischen Bestimmungen treten an die Stelle der temporalen. Die zerfallende Zeit streckt sich in 293 294 295 296 297 298

AS 2, Fragmente. AS 4, 247, Translatio Imperii. Ebd. Ebd., 245, Politik und Theologie (zwischen 1932 und 1935/36). Ebd., 247, Translatio Imperii. Vgl. Schlögel, 49: „Man kann Geschichten erzählen, die sich entfalten, sich entwickeln, einen Anfang haben und ein Ende. Aber man kann einen Raum nicht erzählen, sondern nur zur Anschauung bringen. Ortsbeschreibung muß dem Nebeneinander entsprechen, nicht dem Nacheinander.“

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der Gestalt des apokalyptischen Theologen aus nach der ewigen, statischen Ordnung der himmlischen Wirklichkeit. Der Mächtekampf am Leib des Märtyrers mündet ein in ein Bleiben am Ort der Ruhe vor dem Thron Gottes.

4.3.5.6 Die Zeit des Politischen Das Politische hat seinen Raum und es hat seine Zeit. Die Zeit des Politischen ist eine spezifische Zeit. Sie hat Teil an der diskontinuierlichen Struktur, die wir an Petersons Überlegungen zum Begriff des Politischen und zum Raum des Politischen aufgewiesen haben. Im Kontext seiner Bonner exegetischen Vorlesungen aus den Jahren 1927 und 1929299 legt Peterson Joh 7,6 in Richtung auf diese Zeit des Politischen aus. In Joh 7,6 sagt Jesus zu seinen Brüdern „Meine Zeit ist noch nicht da, eure Zeit ist aber immerfort bereit.“ Peterson deutet diesen Vers nicht so, wie er „meistens“300 interpretiert wird, nämlich als einen Verweis auf die Todesstunde Jesu. Vielmehr erblickt er hier eine Konfrontation des spezifisch messianischen Anspruches Jesu mit der von seinen Brüdern artikulierten gängigen „jüdischen Messiaserwartung“301: „In der jüdischen Messiaserwartung deckt sich die Publizität des Politischen mit der Offenbarung der messianischen Herrlichkeit. Der Augenblick der Offenbarung der messianischen Herrlichkeit ist nur die höchste Steigerung politischer Publizität. Die Herrlichkeitsoffenbarung des Menschensohnes steht dagegen zu der politischen Öffentlichkeit in vollkommenem Gegensatz. Sie vollzieht sich in der Verborgenheit eines schmachvollen Todes und im Augenblick des Triumphes der religiösen und politischen Gewalten. Und doch vollzieht sie sich ja auch in der Öffentlichkeit. Jesus wird in Jerusalem und nicht in Galiläa gekreuzigt. Er wird auf dem Hügel von Golgatha und nicht auf dem Hof eines Gerichtsgebäudes nach einem öffentlichen Gerichtsverfahren hingerichtet.“302

In diesem Sinne deutet Peterson die Bedeutung der Öffentlichkeit für Jesus: „Es wird jetzt deutlich, in welchem Sinne Jesus die Öffentlichkeit des Politischen braucht. Er gebraucht sie, um sich davon abzuheben. (…) Er brauchte Jerusalem, wie man einen Gegner braucht.“303 Im Prozess und in der Hinrichtung Jesu stoßen also politische Publizität und die messianische Publizität Jesu zusammen. 299 Zu diesen Vorlesungen siehe die Einleitung von Nichtweiß in: AS 3, XVIIff., Johannesevangelium. 300 Ebd., 277. 301 Ebd. 302 Ebd., 277 f. 303 Ebd.

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Damit wird „alle politische Macht getroffen – sowohl die politische Macht des römischen Imperiums in ihrem Vertreter Pilatus als auch die religiös-politische Macht des Judentums in ihren Vertretern Herodes und Kaiphas. Darüber hinaus wird noch das ganze jüdische Messiasideal, der Tempel und die heilige Stadt und diese Form von religiös-politischer Publizität getroffen“304.

So enthüllt sich im Tode Jesu nach Peterson auch die spezifische Zeitbestimmung der Zeit des Politischen: die Zeit des Politischen ist die verlaufende Zeit, die in sich geschlossene Zeit, die Zeit, die nach Joh 7,6 „immerfort bereit“ ist, weil sie im wesentlichen sich gleich bleibt. Dies gilt nicht nur im Agon von „Geld und Opfer“305, die die „konkrete historische Dialektik“306 ausmachen, es gilt auch für die höchsten religiösen Möglichkeiten: „Die Religion des Volkes, die Religion des Tempels, der Messiasglaube; es gilt für Jüdisches und Heidnisches gleichermaßen: Jesus sagt zu seinen Brüdern ,meine Zeit ist noch nicht da. Eure Zeit aber ist immerfort bereit‘. Wir verstehen jetzt den Sinn dieser Worte. Die Brüder Jesu stammen aus der Zeit und mit den Brüdern Jesu wir, die wir ihre Brüder sind. Unsere Zeit ist immerfort bereit. Denn wir gehören zur Zeit, und die Zeit gehört zu uns. Und zu der Zeit gehört nun auch das Politische.“307 Das Politische gehört also zu der agonalen, zu der in sich geschlossenen Welt, zu der Welt, in der sich über der beständigen Auseinandersetzung um die Macht nichts ändert. John Milbank hat vorgeschlagen, die Sozialtheorie und die politische Theorie der Moderne auf ein solches post-nietzscheanisches quasi-mythisches Wirklichkeitsverständnis hin zu dekonstruieren: „Moreover, the question has now arisen for social theory as to whether Nietzschean suspicion is the final and truly non-metphysical mode of secular reason, or else itself embodies an ontology of power and conflict which is simply another mythos, a kind of reinvented paganism.“308 Peterson unterstellt ein derartiges Machtparadigma, also eine Ontologie der Selbstermächtigung, dem Politischen schlechthin. Die Frage ist, ob seine Charakterisierung der Herrschaft Christi in ihrem Zusammenstoß mit der politischen Herrschaft im Bann dieses Machtparadigmas bleibt. Im Tode Christi stößt der „neue Äon“ mit der politischen Herrschaft zusammen und überwindet die historische Dialektik des Politischen. Darin ist der Herrschaftsanspruch Christi selbst politisch, obwohl er nicht in der politischen Aktion, sondern in der Passion durchgesetzt wird. Eine tiefe Zweideutigkeit bleibt hier bestehen: die politischen Entzweiung, das Politische als Konflikt bleibt die sich durchhaltende Struktur – und damit hält sich das agonale Politische als Rahmenkonzept durch. Selbst die eschatologische Agape wird diesem agonalen 304 305 306 307 308

Ebd., 279. AS 2, 145, Fragmente. Ebd., 144. AS 3, 279. Milbank, Theology and Social Theory, 2.

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Grundansatz eingeordnet, wie wir in der Betrachtung von Petersons Auslegung des Gebotes der Feindesliebe in der lukanischen Feldrede gesehen haben.309

Zur politischen Macht gehört die uniform ablaufende Zeit, die „ewige Wiederkehr des Gleichen“ (Nietzsche): „Herrschaft und Dauer – das sind zusammengehörige Begriffe. Erst vom Kreuz Christi aus gesehen werden dann die Machthaber der Weltzeit (…) zu Machthabern dieser Weltzeit (…). Erst so wird der immanente Ewigkeitsanspruch einer aus der Zeit stammenden Herrschaft zerstört.“310

Die politische Herrschaft also „ist“ in der Gleichförmigkeit der Zeit. Für die Stunde des Menschensohnes aber gilt nach Peterson, dass sie „kommt“: „Wir fragen jetzt: Wann ist denn für den Menschensohn, für den die Zeit nicht bereit ist, die Stunde gekommen? Die Antwort kann nur lauten. Dann, wenn sich der AQ_m mit der Zeit trifft, wenn er sich mit der zu der Zeit gehörigen politischen Öffentlichkeit trifft, wenn der falsche Äon dieser Welt durch den neuen, den wahren Äon abgelöst wird. Wenn Jesus nach Jerusalem geht, dann bricht der neue, der wahre, der einzige Äon herein. (…) Was vorher im Glanz des Öffentlichen stand, es schwindet dahin.“311

In der Todesstunde Jesu also, im Kairos seines Sterbens, zerbricht der neue Äon den Chronos der politischen Zeit. Dies ist die „Stunde“: „Nur einmal bricht die Ewigkeit herein, nur einmal kann es diese konkrete Berührung der Zeit mit der Ewigkeit, des Menschen mit Gott geben, in der Kosmos, Zeit und Mensch zerbricht und untergeht.“312 Die qualitas der politischen Zeit ist, dass sich alles gleich bleibt im ständigen Gegeneinander der Machtansprüche. Die Zeit des Politischen ist in diesem „Sein“, während die Zeit des Menschensohnes im „Kommen“ ist, in einer Dynamik der Bewegung auf die Enthüllung des Geheimnisses hin. In der Auslegung der Offenbarung weist Peterson auf die Gottesprädikationen des Briefeingangs nach Apk 1,4 hin: „Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da ist und der da war und der da kommt.“ Gott ist der, der kommt: „b 1qwºlemor löst die Starrheit eines rein ontologischen Ewigkeitsbegriffes in das Personal-Ontologische auf. Die Formulierung ist äußerst lehrreich. Sie zeigt, dass wir in der Offenbarung des Johannes mit der Verbindung eines ontologischen und eines eschatologischen Ewigkeitsbegriffes zu rechnen haben.“313

Die Zeit des Politischen wird also in der Deutung Petersons durch die eschatologische Dynamik des Kommens Christi im neuen Äon überwunden. 309 310 311 312 313

AS 5, 238 – 242. AS 3, 280. Ebd., 280 f. Ebd., 281. AS 4, 23, Offenbarung.

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Im Kreuzestod Jesu in der Gestalt des Mysteriums, in der absconditas des Leidens Christi und seiner Märtyrer, Peterson spricht vom „Mysterium“314, und dann in der Hoffnung auf die Vollendung, auf die endgültige Apokalypsis Jesu Christi am Ende der Zeiten. Die Zeit des Politischen ist also bei Peterson grundsätzlich und zwar mit Tod, Auferstehung und Thronbesteigung Christi überwunden und abgelöst von der „eschatologischen Zeit“. Wie die Zeit des Politischen die Zeit der politischen Herrscher und des jüdischen Messianismus war, so ist die eschatologische Zeit die Zeit der Kirche: „Die Zeit der Kirche aber ist die eschatologische Zeit, die mit der Berufung der Heiden zum Volk Gottes angebrochen ist.“315Von diesem Konzept der eschatologischen Zeit her kann Peterson die Zeit zwischen Pfingsten und der Wiederkunft Christi nur als befristete Zeit deuten, als Zeit, die zwar von der Überwindung des Politischen schon gezeichnet ist, die jedoch noch auf die endgültige Apokalypsis wartet. Diese Zeit ist einerseits Zeit des Kampfes zwischen der „dämonischen Macht“ und „der Macht Christi“ und andererseits doch Zeit der charismatischen und sakramentalen Präsenz Christi. Mit dem Sieg und der Thronbesteigung Christi beginnt der neue Äon, der sich dann auch mit der Christianisierung des Imperium Romanum in die politische Realität der Geschichte hinein fortsetzt. In einem nächsten Interpretationsschritt wollen wir uns nun einer weiteren Zeitbestimmung des Politischen bei Peterson zuwenden. Im Zentrum soll dabei ein Text stehen, den Peterson selbst nicht veröffentlicht hat und der nun im Band 4 der Ausgewählten Schriften zugänglich ist. Eigentlich ist er in der jetzt vorliegenden Gestalt eine Kompilation zweier fast identischer Texte, die die Herausgeber Barbara Nichtweiß und Werner Löser den Jahren 1932 bis 1935/36 zuordnen: „Politik und Theologie: Der liberale Nationalstaat des 19. Jahrhunderts und die Theologie.“316 Dieser Text ist als eine Reflexion Petersons auf die ideengeschichtlichen Zusammenhänge seiner apokalyptisch geprägten Theologie zu verstehen: eine apokalyptische Zeitansage, die vom eschatologischen christlichen Geschichtsbild Petersons aus den Liberalismus und Historismus des 19. Jahrhunderts, also die Generation seiner theologischen Lehrer und den liberalen Protestantismus insbesondere, kritisiert. In dieser antihistoristischen Polemik Petersons spricht sich ein grundlegendes 314 Zum doppelten Offenbarungsbegriff bei Peterson, zur Differenz von Mysterium als Offenbarung in Kreuz und Leiden und Apokalypsis als Offenbarung des erhöhten Menschensohnes und am Ende der Zeiten vgl. Anglet, Ende der Zeit, 133 – 136. Peterson spricht vom „Mysterium der ersten Ankunft“ Jesu Christi und von der „Publizität seines zweiten Kommens“, in: AS 1, 107, Zeuge der Wahrheit. Die homogenisierende Rede von „der Offenbarung“ im Singular der Emphase wäre von Petersons apokalyptischen Zeitbestimmungen her dringend zu hinterfragen. 315 AS 1, 156, Kirche aus Juden und Heiden. 316 Vgl. AS 4, 238 – 246, Politik und Theologie. Einige thematisch verwandte kleinere, ebenfalls unveröffentlichte, Arbeiten, Notizen und Briefe Petersons sind diesem Text beigegeben.

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Problem der eschatologischen Geschichtstheologie Petersons aus. Hat mit dem Tod, der Auferstehung und der Thronbesteigung Christi der neue Äon begonnen, so ist alle verbleibende Zeit nur noch befristete Zeit: „Potentiell ist die Weltgeschichte zu Ende“317. Die Geschichte ist zu Ende und geht doch weiter : als Folge der Ereignisse und als Folge von Versuchen, die geschichtliche Faktizität deutend zu verstehen. Das von der neuzeitlichen Exegese den neutestamentlichen Schriften untergeschobene Problem der „Parusieverzögerung“ zeigt sich in Petersons Urteil als ein kategoriales Problem des Geschichtsdenkens der Moderne: Mit der Zeitdehnung werden die eschatologischen Kategorien in ihrer Erschließungskraft schwächer. Es wird schwieriger, das christliche Geschichtskontinuum als Metanarrativ aufrecht zu erhalten – zumal wenn die geschichtlichen Institutionen des christlichen Geschichtsbildes verschwinden. Im Jahr 1806 endet das alte „römische Reich“, zuletzt nur noch als ein Anachronismus wahrgenommen und in seiner institutionellen Kraft lange schon ausgezehrt.318 Wie kann das christliche Geschichtsbild der „eschatologischen Zeit“ nach dem Ende dieses politisch-theologischen Sinnzusammenhanges noch erschließungskräftig sein? In einem Brief an Philipp Dessauer aus der Zeit um 1935/36 fragt Peterson selbst: „In welchem Sinne kann man sagen: Das Kreuz hat gesiegt und es wird siegen?“319 Mit dieser Frage ist nach Peterson eng verknüpft „die Frage nach der Geschichtlichkeit der Kirche“320, auf die ja die Geschichtsphilosophien des 19. Jahrhunderts und der Historismus als ihr Erbe eine Antwort sein wollten. Die Apokalyptik Petersons und mit ihr ein ganzer theologischer Interpretationsstrang wollten diese historistische Lösung des Problems nicht akzeptieren. Dies wird im Folgenden zu skizzieren sein. Hier aber zunächst die Antwort Petersons. Petersons Deutung geht aus von der heilsgeschichtlichen Wertung des römischen Reiches. Das Imperium Romanum ist das vierte und letzte der vier Weltreiche der Weissagung Daniels nach Dan 7. So haben es die Kirchenväter gesehen und diese Geschichtsdeutung blieb präsent bis in die Neuzeit hinein. Jedes Reich musste sich in diesem christlichen Geschichtsbild als Nachfolger des Imperium Romanum verstehen. „Das römische Reich hält das Kommen des Antichrists auf; wenn es zusammenbricht, dann stehen wir in der Endzeit. Die Idee, die dahinter steht, ist doch wohl diese, dass es mit und nach der Inkarnation keine weltgeschichtlichen Perioden mehr 317 Ebd., 247 Translatio Imperii. 318 Die katholische so genannte „Reichstheologie“ ebenso wie die evangelischen Versuche die DEK als eine einheitliche deutsche „Reichskirche“ zu verstehen, suchten in den Jahren 1933/34 die Legitimität der alten Reichsidee für aktuelle politisch-theologische Positionierungen zu verwenden. Faktisch lieferte man sich damit an die nationalsozialistische Okkupation der Reichsidee aus. Peterson verwarf beide Versuche entschieden und scharf. Dazu: Nichtweiß, 763 – 775. 319 AS 4, 247. 320 Ebd.

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geben kann – wie sie durch die vier Weltreiche symbolisiert werden; potentiell ist die Weltgeschichte zu Ende, darum kann alles, was geschichtlich noch da ist, nur als Geschichte Roms interpretiert werden (…).“321

Alle bisherige Zeit post Christum bis in das 19. Jh. hinein verstand sich im Kontext dieses christlichen Geschichtsbildes, welches den entscheidenden „historischen Sinnzusammenhang“322 vermittelte. Mit der Auflösung des alten Reiches ist dieses Kontinuum nun zerbrochen, an seine Stelle ist nach Peterson der Versuch des Liberalismus getreten, die christliche Geschichtsdeutung zu entpolitisieren und damit zu privatisieren. Das eschatologische Geschichtsbild hatte nach Peterson eine direkte politische Bedeutung und war nur deshalb in der Lage, auch Gestalt bildend in die Geschichte einzugreifen.323 Wenn der Liberalismus in Petersons Interpretation die Trennung von Theologie und Politik behauptete, war dies nur ein Versuch, dieses christliche Geschichtskontinuum zu durchbrechen, das Konzept der eschatologischen Zeit überhaupt zu negieren und damit die christlichen Glaubensgehalte insgesamt ihres politischen und öffentlichen Anspruchs zu berauben: „Der Liberalismus, der behauptete, dass Theologie und Politik nichts miteinander zu tun hätten, war derselbe Liberalismus, der in der Politik Staat und Kirche voneinander trennte und für den in der Theologie die Zugehörigkeit zum Leib Christi nur eine persönliche Ansichtssache und das christliche Dogma nur ein bloß subjektives Meinen war.“324

Diese „Privatisierung des Glaubens“ entstellte und entsubstantialisierte dann in Petersons Deutung „alle Teile der Dogmatik“. Im Umkehrschluss folgert Peterson aus diesem Angriff des Liberalismus auf das Dogma: „Die Lehre von der Trinität, vom Gottmenschen, vom Heiligen Geist, von der Kirche, vom Dogma, vom Heilswerk usw. – alle diese Lehren müssen über den bloß individuellen und subjektiven Bereich des Menschen hinausgehen und in eine Öffentlichkeitssphäre reichen, die sich mit der Öffentlichkeitssphäre des politischen Lebens berührt, so dass sie dem Privatisierungsstreben des politischen Liberalismus im Wege steht – so sehr im Wege steht, dass eben eine Umdeutung aller dieser theologischen Begriffe versucht werden musste.“325 321 Ebd. 322 Ebd., 245. 323 „Ein Sieg über Sünde, Tod und böse Geister – jeder Sieg in der religiösen Sphäre – wird irgendwann einmal auch zu einem Sieg in der politischen Ordnung werden. Das Kreuz, an dem Christus und die Märtyrer hängen, wird zum Labarum des siegreichen Constantinos.“ Ebd., 248. Petersons Urteil über Konstantin ist komplex. Peterson markiert realistisch das politische Kalkül Konstantins mit der Proklamation des Christentums als Staatsreligion (Ebd. 228 f.) und tritt den Versuchen einer legitimierenden politischen Theologie entgegen, erkennt andererseits aber an: „Das Kreuz siegt“ – auch durch das politische Kalkül eines einzelnen Machthabers hindurch. Insofern ist es nicht möglich, Peterson einseitig für eine antikonstantinische Position in Anspruch zu nehmen, wie dies im Interpretationsstrang der linken politischen Theologie versucht wurde. 324 AS 4, 239. 325 Ebd., 239 f.

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An die Stelle des christlich-eschatologischen Geschichtsbildes sollten die liberalen Begriffe treten, die ihrerseits als Gesamtdeutung die politische Wirklichkeit prägen sollten: an die Stelle des „Reiches“ trat der Nationalstaat und mit ihm das Konzept der „Einheit der Sprache“326 und „die Ideen der Französischen Revolution“327, deren Essenz nach Peterson ein abstrakter Humanismus der „Menschen“ an sich und der „Menschheit“ ist. Die Polemik Petersons berührt sich hier eng mit dem antiuniversalistischen Affekt Schmitts: „,Menschheit‘ ist ein besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expansionen und in ihrer ethisch-humanitären Form ein spezifisches Vehikel des ökonomischen Imperialismus. Hierfür gilt mit einer naheliegenden Modifikation ein von Proudhon geprägtes Wort. Wer Menschheit sagt, will betrügen.“328 Schmitt verficht den agonalen Pluralismus des Politischen, dem der Nationalstaat als politischen Einheit die gegebene Institution des Politischen in der Moderne ist. Im Namen dieses Pluralismus bekämpft er den humanitären Universalismus, dem er unterstellt, die jeweils eigenen Machtinteressen unter dem ethischen Deckmantel nur um so wuchtiger durchsetzen zu wollen, indem der „Feind“ zum Verbrecher gegen die Menschheit stilisiert werde. Schmitt folgert: „Menschheit ist kein politischer Begriff, ihm entspricht auch keine politische Einheit oder Gemeinschaft und kein Status.“ (ebd.) Diese polemische Figur Schmitts wendet Peterson in verschiedene Stoßrichtungen: Mit Schmitt gegen den aufklärerischen liberalen Universalismus, aber nun auch anders als Schmitt im Namen des „Universalismus“ des christlich-eschatologischen Geschichtsbildes gegen den Nationalstaat. Mit Schmitt verbindet Peterson auch die Polemik gegen die Romantiker und das von ihnen ausgehende historistische Geschichtsdenken. Diese Fronten sind mehrfach verschränkt. Denn aus dem Umkreis der Romantiker entsprang auch das politische Denken der Restauration und damit eine antihistoristische Bewegung. Und auch die Genese des Nationalstaates musste man nicht nur als eine Konsequenz des liberalen Universalismus der Volkssouveränität und der Menschenrechte, sondern man konnte die Nation auch genuin konservativ als Plädoyer für geschichtliche Differenzierung und Heterogenität lesen. Peterson schaltet diese Seite der historischen Komplexitäten konsequent aus seiner Polemik aus. Petersons antiliberale Polemik spricht sich weiter aus in seinen radikal kulturkritischen Fragmenten der 50er Jahre, wo moderne Technik und kapitalistische Ökonomie als Inbegriff des Satanischen gezeichnet werden: die liberale Austauschsphäre wird hier dekonstruiert als Ort der Fortsetzung des mythischen Agon unter den Bedingungen der Moderne.

Über diese geistigen Grundlagen des modernen liberalen Nationalstaates urteilt Peterson lapidar : „Die Voraussetzungen, die zur Konstituierung der modernen Nationalstaaten geführt haben, stehen im Gegensatz zu allem, was 326 Ebd., 240. 327 Ebd. 328 Schmitt, Begriff des Politischen, 55.

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christliche Theologie und Dogmatik zu erwarten hat“329. Der Nationalstaat ist nur möglich unter der Voraussetzung der Leugnung „des historisch-eschatologischen Weltbildes der Christenheit“330. Der Beginn der nationalstaatlichen Ära ist nach Peterson nun auch gekennzeichnet durch den „moderne(n) Begriff des ,Geschichtlichen‘“331. Das historische Denken der „so genannten ,Romantik‘“332 erhebt sich in eben jenem geschichtlichen Zeitraum, in dem „man die gelebte geschichtliche Kontinuität verloren hat“333. Die politische Theologie des alten Reiches war dem christlichen Geschichtsbild verpflichtet, welches den Zusammenhang (narrative) bildete, der die geschichtliche Kontinuität überhaupt erzählbar machte. Ohne diesen Zusammenhang fällt die Geschichte auseinander in ein disparates Nebeneinander von Faktizitäten: es „wird auch das ganze Leben, von der geringsten geistigen Leistung bis zur größten politischen Aktion, so gelebt, als ob es keinen historischen Sinnzusammenhang gibt. Und es gibt ja auch keinen mehr, wenn man das christlicheschatologische Geschichtsbild ablehnt!“334 Peterson stellt sich hier auf die Seite der katholischen Denker der Restauration des 19. Jahrhunderts, die die politischen Auseinandersetzungen ihrer Zeit in apokalyptischen Kategorien interpretierten335. So sehen wir Peterson in der Genealogie der unterschiedlichen Reaktionsmuster336 verortet, die der konsequenten Historisierung im Denken des 19. Jh. zu begegnen versuchten. Die Geschichtsphilosophien waren ein solcher Versuch: die Fortschreibung der Hegelschen Geschichtsphilosophie in rechtshegelianisch-legitimistischer oder linkshegelianisch-marxistischer Provenienz. Der beginnende naturwissenschaftliche Evolutionismus war ein weiterer Versuch, und ebenso Nietzsches Projekt, das historische Denken überhaupt zu überwinden in der Feier der ewigen Wiederkehr des Gleichen. Die Reaktivierung apokalyptischer Denkfiguren aus der Tradition des „historisch-eschatologischen Weltbildes der Christenheit“337 war eine weitere Variante im Streben danach, die historische Komplexität zu durchdringen und damit eine Antwort auf die Krise des 329 330 331 332 333 334 335

AS 4, 244 f. Ebd., 245. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Schmitt, Donoso Corts, 75: „Seine (scil. Donoso Corts’) Bedeutung für die Geschichte der gegenrevolutionären Theorie liegt darin, daß er die legitimistische Argumentation aufgibt und nicht mehr eine Staatsphilosophie der Restauration, sondern eine Theorie der Diktatur aufstellt. Hier steigert er seine Antithetik zu einem Bild des letzten Endkampfes zwischen Atheismus und Christentum, zwischen dem ungläubigen Sozialismus und den Resten einer christlich-europäischen Gesellschaftsordnung. Hier wird er in seinen Schriften apokalyptisch und eschatologisch.“ Im Umfeld von Denkern wie Donoso Corts und De Maistre gilt: „Hier wird die Frage gestellt, ob der christliche Äon zu Ende ist oder nicht.“ (ebd., 93). Aus liberaler Perspektive dazu: Berlin. 336 Dazu vgl. Löwith, Von Hegel zu Nietzsche. 337 AS 4, 245.

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19. Jahrhunderts zu geben, die ihre schärfsten Auswirkungen ja erst nach der europäischen Katastrophe des 1. Weltkrieges fand. Wo der christliche Geschichtsdenker im Einbruch der messianischen Zeit die historische Dialektik von Macht und Geld durchbrochen sah, reihte er sich ein in die weiter oben schon beschriebene antihistoristische Front.338

4.3.5.7 Apokalyptische Diskurse Mit der Aktivierung apokalyptischer Denkfiguren steht Peterson also in einer Diskursformation, die auf die Krise der Denk- und Lebensformen des 19. Jahrhunderts reagiert. Dieser Diskursformation eignet auch eine spezifisch politische Zeitbestimmung und eine von dort her rührende Bestimmung der politischen Öffentlichkeit. Der Literaturwissenschaftler Jürgen Brokoff hat der „Apokalypse in der Weimarer Republik“339 eine eindringliche Untersuchung gewidmet Er möchte die „Apokalypse“ als eine distinkte „Redeform“340 der literarischen, philosophischen und politischen Diskurse der Weimarer Zeit verstehen. Wir wollen dieser Spur folgen, um die besondere Signatur des Apokalyptischen in Petersons Werk verfolgen zu können – gerade in Unterscheidung von den literarischen Apokalypsen der Zwischenkriegszeit. Die Redeform der Apokalyptik im Sinne Brokoffs nimmt aus der biblischen Offenbarung des Johannes die grundlegende apokalyptische Textstruktur auf: „die Vernichtung der Differenz von Transzendenz und Immanenz zugunsten der Herrschaft Gottes.“341 Die Apokalypse meldet diese Unterscheidung als in der apokalyptischen Schau vollzogen und besetzt doch selbst den „narrative (n) Raum“342 zwischen der apokalyptischen Zeitansage und dem Zeitpunkt der Vernichtung des Kosmos. Der apokalyptische Text ermächtigt so sein eigenes Reden und negiert alles andere Reden: „Das Ende der weltlichen Sprache ist gekommen.“343 Darin entzieht sich der apokalyptische Text seiner eigenen Relativierung als 338 Was F.W. Graf mit Blick auf die jüdischen Denker der klassischen literarischen Moderne beschreibt, lässt sich sinngleich auch auf den christlichen Apokalyptiker übertragen: „Um der Stärkung jüdischer Identität willen mußten sie eine Hermeneutik der Traditionsaneignung entwickeln, die eine radikale Kritik an historistischen Denkformen – mit ihrer distanzierenden, relativierenden Vergleichgültigung von religiösen Vergangenheitsbeständen – einschloß und auf eine existentiell unmittelbare Vergegenwärtigung des nur prima facie Vergangenen hinauslief.“ Graf, Alter Geist, 168. 339 Brokoff. 340 „Es geht um die Analyse einer Redeform. Nicht ein außerhalb des Textes stattfindender Untergang und Neubeginn, auch nicht eine außerhalb des Textes möglicherweise vorhandene Erwartung von Untergang und Neubeginn, sondern die Art und Weise, wie im Text von Untergang und Neubeginn die Rede ist, steht im Blickpunkt des Interesses.“ Ebd., 9. 341 Ebd., 22. 342 Ebd. 343 Ebd., 23.

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Text, er ist selbst absoluter Text, Stimme Gottes. Es gibt „keine Reflexivität des Textes“.344 Der Text selbst fällt zusammen mit dem „reine(n) und rigorose(n) Vollzug der Entscheidung“.345 So gilt nach Brokoff: „Wahrheit und Gewalt sind in der Johannesoffenbarung also jeweils durch eine auffallende Doppelstruktur gekennzeichnet. Der Anspruch des Textes, die transzendente Wahrheit zu sehen, vermischt sich mit dem Anspruch, selbst die transzendente Wahrheit zu sein. Aus dieser paradoxen Vermischung ergibt sich die skizzierte apokalyptische Sprechsituation. Und die Gewalt des dargestellten Geschehens verbindet sich mit der Gewalt der Darstellung selbst. Aus dieser paradoxen Verbindung ergibt sich die skizzierte apokalyptische Entscheidungsstruktur. Zugleich sind Wahrheit und Gewalt selbst auf unlösliche Weise miteinander verknüpft: Dem Wahrheitsanspruch folgt die Ermächtigung zu Gewalt und Vernichtung auf dem Fuße, wie in umgekehrter Perspektive Gewalt und Vernichtung im Namen der Wahrheit vollzogen werden.“346

Indem also der apokalyptische Text sich selbst zur allein noch möglichen Rede angesichts des Endes aller Dinge stilisiert, bringt er alles andere Reden zum Schweigen. So folgert Brokoff: „Das Ziel des apokalyptischen Textes ist die Installierung eines diskursiven Regimes, in dem allein er selbst noch zu sprechen vermag.“347 Das diskursive Regime des apokalyptischen Textes mündet ein in das Schweigen, in eine „Regression in die Nichtsprachlichkeit“348. Der apokalyptische Text ist der „letzte“ Text und auch er hebt sich im Moment seiner Performanz auf in das reine, differenzlose Schweigen. Diese apokalyptische Textstruktur verfolgt Brokoff in der Interpretation von Schlüsseltexten der Zwischenkriegszeit, in denen das apokalyptische Muster in den Bereich des Politischen übertragen wird, an Texten von Schmitt, Benjamin, Jünger und Hitler. Und in jeder Lektüre ergibt sich, dass die verbale Gewalt der apokalyptischen Rede stets dazu tendiert, selbst als politische Gewalt in die Aktion umgesetzt zu werden. Die Apokalypse setzt sich um in die politische Aktion und sie qualifiziert die Zeit des Politischen als die Zeit, in der das Alte weichen muss um eines radikal Erneuerten willen. Darin zeigt die literarische Inanspruchnahme der Apokalypse ihre spezifische Modernität. Nach Brokoff ist sie „in den meisten Fällen mit einer radikalisierten Form der Epochenkritik verbunden“349. Welcher Befund ergibt sich nun, wenn wir die apokalyptisch inspirierten Texte Petersons mit Hilfe dieses literaturwissenschaftlichen Modells der apokalyptischen Redeform lesen? Wir müssen, um diese Frage zu beantworten, im Sinne Brokoffs unterscheiden zwischen den materialen Gehalten des 344 345 346 347 348 349

Ebd. Ebd., 22. Ebd., 24. Ebd., 28. Ebd., 162. Ebd.

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eschatologischen Geschichtsbildes und seiner formalen Qualität als Redeform. Deutlich ist: der Sachgehalt der apokalyptischen Rede ist für Peterson mehr als eine „Redeform“, vielmehr in der phänomenologischen Sehweise mit einem emphatischen Realitätsanspruch versehen. Wenn wir auf unsere Überlegungen zur rhetorischen Präsentifikation im Werk Petersons zurückgreifen, fällt uns sofort eine bestimmte Nähe Petersons zu der von Brokoff beschriebenen apokalyptischen Redeweise auf: die polemische Grundstruktur der Theologie Petersons, die den Gegner zum Schweigen bringen will350, die bewusste Ablehnung der diskursiven Sphäre auch im Vollzug theologischen Denkens und Argumentierens, die thetische und in den Spitzenformulierungen bloß noch „deiktische“ Art der dogmatischen Rede, und insbesondere die Verknüpfung von Wahrheit und Gewalt, wie sie in der Bedeutung des Martyriums bei Peterson begegnet – artikuliert in einer Sprache von Gewalt und Schmerz. Andererseits ist zu bemerken, wie diese apokalyptische Redeform bei Peterson gerade von den materialen „dogmatischen“ Gehalten der biblischneutestamentlichen Apokalyptik durchbrochen wird. Die Sprache der Gewalt und das Machtparadigma haben ihren Ort in der heilsgeschichtlichen Zwischenzeit zwischen Pfingsten und der Wiederkunft Christi: diese Zeit ist Zeit des Mächtekampfes, der Konfrontation zwischen neuem und altem Äon, zwischen historischer Dialektik und deren eschatologischer Aufhebung, zwischen Christus und dem Antichrist.351 Diese Zeit ist die Zeit des Dogmas, der Argumentation, der Dezision – die Zeit der Gewalt. Aber zugleich ist diese Zeit ja auch geprägt von dem spannungsvollen Ineinander von Absenz und Präsenz. Die Absenz des erhöhten Kyrios Christos entspricht zugleich seiner Präsenz als Herr der Geschichte und als Herr der Kirche, der Martyrium, Liturgie und Agape als Orte seiner epiphanischen Präsenz gestiftet hat. Dies macht dann auch die Besonderheit von Petersons Begriff des Apokalyptischen aus: die Apokalypsis Jesu Christi ist nicht nur Negation der Geschichte von dem ihr bevorstehenden Ende her352, sondern inmitten der Geschichte gibt es das 350 Die schon besprochenen Belege: Die Rolle des Häretikers bei Peterson, der zu „hassen“ ist, vgl. AS 4, 166, Offenbarung, und der bei Leibe zu bestrafen ist, AS 1, 13. 351 Reinhard von Bendemann hat in seinen ausführlichen einführenden Bemerkungen zur Edition der Vorlesungen Petersons zum Lukas-Evangelium auf den hochgradig konstruktiven und synthetisierenden Charakter von Petersons Interpretation der urchristlichen Apokalyptik hingewiesen. Von dogmatischen Interessen geleitet und im Licht patristischer Exegese synthetisiere Peterson Versatzstücke sehr unterschiedlicher literarischer Traditionen um zu einem konstruiert konsistenten Begriff des Zwei-Äonen Schemas zu gelangen, an dem dann alle Einzelexegesen ausgerichtet werden. Schon der zeitgenössische Forschungsstand der 1920er Jahre hätte ein solches Vorgehen verboten. Material ist dem Vorwurf von Bendemanns vermutlich beizupflichten. Allerdings liegt die exegetische Angemessenheit der Begriffsbildungen Petersons auf dem komplexen Feld der neutestamentlichen und frühjüdischen Apokalyptik nicht im Gegenstandsbereich unserer Untersuchung. Vgl. AS 5, LXXVIff. 352 So Gerhard Sauter in der Interpretation der jüdischen Apokalyptik: „Entscheidend ist also

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pneumatische Charisma der Apokalypsis: eschatologische und pneumatische Bedeutung von Apokalypsis sind eng miteinander verknüpft: „In diesem doppelten Sprachgebrauch kommt nun eine bestimmte Eigenart des urchristlichen Glaubens zum Ausdruck: die Parallelität von Eschatologie und Pneumabesitz. Es gibt eine in der Parusie Christi sich vollziehende apokalypsis, und es gibt schon jetzt eine den Charismatikern zugängliche apokalypsis. Derselbe Parallelismus, der sich in der Zuordnung von Eschatologie und Sakrament ausspricht, kommt auch in der Zuordnung von eschatologischer und charismatischer apokalypsis zum Ausdruck. Es ist daher nicht richtig, wenn man behauptet hat, der Pneumabegriff löse die Eschatologie auf. Er tut das an sich ebenso wenig wie das Sakrament. Beide Begriffe – Sakrament und Pneuma – sind im Gegenteil im Urchristentum so konzipiert, dass sie ohne die Eschatologie und ohne Bezugnahme auf dieselbe gar nicht richtig definiert werden können. Nur wo dieser innere Zusammenhang zwischen Eschatologie einerseits und Sakrament und Charisma andererseits erkannt ist, wird man auch der Eigenart der christlichen Eschatologie gegenüber der jüdischen und mohammedanischen Eschatologie gerecht.“353 Die „Eigenart der christlichen Eschatologie“ liegt für Peterson also in diesem spannungsvollen Ineinander von sakramentaler und pneumatischer Präsenz354 und der Absenz des erhöhten Christus, die auf die Hoffnung der endgültigen Apokalypsis ausgerichtet ist. Insofern mündet die apokalyptische Redeform bei Peterson nicht in der Selbstermächtigung der apokalyptischen Rede, die sich selbst mit dem Reden Gottes identifiziert und damit alle weltliche Differenz zum Schweigen bringt. Vielmehr lebt die apokalyptische Redeform von einer authentischen Präsenz, von der liturgischen Feier, vom Lobpreis der Engel, in welchen die irdische Kirche einstimmt355. Und diese Verankerung der apo(…), dass die Erlösung für ,diese‘ Welt eine Katastrophe sein muss, destruktiven Charakter zeigt, dass Geschichte und Erlösung inkongruent sind und bleiben! Deswegen muss und kann von der Welt als Geschichte in toto gesprochen werden, weil die göttliche Welt ihr total gegenübersteht, weil beide einander ausschließen; nur deshalb wird die Geschichte von ihrem Ende her als Ganze überschaubar, weil sie vom kommenden Äon abgelöst werden wird.“ Sauter, Zukunft und Verheißung, 241. Und: „,Apokalyptisch‘ wäre also insbesondere die Neigung, die Geschichte zu verselbständigen und dabei doch von einer schon existenten, aber nur in der Offenbarung präsenten Heilswirklichkeit zu sprechen.“ Ebd., 248. 353 AS 4, 14., Offenbarung 354 In diesem Sinne wäre auch die Peterson-Interpretation Reinhard Hütters zu korrigieren, der in Konzentration auf die Lektüre von „Was ist Theologie?“ bemerkt: „Es ist merkwürdig, dass in Petersons Verschränkung von Inkarnation, Kirche und Dogma in keinster Weise pneumatologisch argumentiert wird. Vielmehr versteht er Dogma entlang einer sakramentalen Logik neben der Eucharistie als die zweite, durch die kirchliche Lehrgewalt vermittelte Verlängerung der Inkarnation. Dies hat zur Folge, dass auch die Kirche von ihm in keinster Weise pneumatologisch vom ,Creator Spiritus‘, sondern in direkter und unmittelbarer Fortsetzung vom inkarnierten und auferstandenen Christus her gedacht wird.“ Hütter, Praktik, 138. Zur pneumatologischen Bestimmung der Kirche wäre von den inzwischen publizierten exegetischen Vorlesungen Petersons her mehr zu sagen. 355 Weiterführend hier wiederum Gerhard Sauter, ausgehend von der christologisch bestimmten

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kalyptischen Redeform hindert sie daran, das „diskursive Regime“ zur Selbstermächtigung auszubauen. Nicht die abstrakte Entscheidung und deren gewaltsame Durchsetzung ist das Zentrum der Argumentation Petersons, sondern vielmehr das heilsame Entschiedensein, die vollzogene Entscheidung Gottes für die Welt in Jesus Christus, nicht gegen die Welt – das also, was Heinrich Schlier in bewusster Nachfolge Petersons „Das bleibend Katholische“356 genannt hat. Von Peterson her lässt sich sagen: Die Zeit des Politischen ist an ihr Ende gekommen, auch wenn der Chronos, die verlaufende Zeit, weitergeht und in ein disparates Gegeneinander von Faktizitäten auseinander gefallen ist. Konsistenz gewinnt die verlaufende Zeit nur dort, wo sie von der Herrschaft des Kyrios Jesus Christus her „gelesen“ wird: allein der „Löwe aus dem Stamm Juda“ (Apk 5,5) kann das Buch der Geschichte öffnen und das „Rätsel der Geschichte“357 lösen. Die Welt ist nur in Christus „lesbar“. Die Öffentlichkeit des Christus zerbricht die Öffentlichkeit des Politischen: „Die Illusion einer politischen Herrschaft also, die an das künftige Reich des ,geschlachteten Lammes‘ nicht glauben kann, weil sie sich auf dem Boden dieser Erde für gesichert hält, muss zerstieben vor einer Erschütterung, die durch den ganzen Kosmos geht und die nur noch die letzte Hoffnung eingibt, diese Erde, die in ihren

Prolepse der neutestamentlichen Apokalyptik: „Die Apologie der Hoffnung muss sich an dieser Stelle bewusst sein, dass nicht nur das richtige Verständnis, sondern auch die rechte Praxis der hymnischen Antizipation allein im Gebet der Hoffnung geschehen und ausgetragen werden kann. Dieses Gebet wird nicht zur Interiorisation verhelfen, sondern gerade den Blick öffnen: für die Zusage Gottes an die unerlöste und ihm widersprechende Welt.“ Sauter, Zukunft und Verheißung, 267 f. Gegen die utopische Lesart, die die biblische Apokalyptik als Ermächtigung zum revolutionären politischen Handeln begreift, richtet Sauter die Einsicht, dass „hier aber nur die Interiorisation der Erfüllung im frommen Selbstbewusstsein vollkommen“ sei. Ebd. 268. Ernst Käsemann hat die Linie Petersons entschieden fortgeführt, für die urchristliche Apokalyptik das den ganzen Kosmos umspannende Erlösungswerk Christi zu reklamieren und damit jeder Beschränkung auf einen Heilsindividualismus, auf die „Interiorisation“ der Hoffnung zu widersprechen. Vgl. Käsemann, Anfänge. Und ders., Thema. 356 Schlier, Das bleibend Katholische, 300: „Der Glaube weiß, daß der ewige und allmächtige Gott sich für die Welt (…) endgültig entschieden hat in Jesus Christus und daß in ihm und seiner Geschichte alles ein für alle mal konkret entschieden ist. (…) Die Entscheidung, wiewohl sie einging in alle Dialektik der Geschichte ging in ihr nicht auf, sondern durchbrach als entschiedene Entscheidung alle Dialektik. (…) mit und in dieser konkreten Entscheidung Gottes in Jesus Christus bis in die Dialektik der Geschichte hinein ist alle ihre Dialektik zu Ende und das entschieden End-Gültige beginnt.“ 357 Vgl. die Auslegung des „Schicksalsbuches“ von Apk 5 ff. in AS 4, 68: „Wir versuchen wohl das Buch zu öffnen. Wir versuchen es, indem wir das Rätsel der Geschichte in der politischen Entscheidung zu lösen und im Geheimnis der geschichtlichen Größe zu enträtseln suchen. Doch öffnen wir damit nicht das Buch, denn wir fassen ja nur Teile, nur Zeitabschnitte, nur diskontinuierliche Einzelheiten ohne einen letzten Sinn, aber nicht das Ganze jenes Buches, das der allein kennt, ,der da ist und der da war und der da kommt.‘“

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Bergen und Felsen so unerschütterlich schien, möge in ihrem Zusammensturz die verbergen, welche auf ihr zu herrschen keine Möglichkeit mehr haben.“358

4.3.6 Metaphysik der Macht Wir sahen, wie Peterson den Begriff des Politischen aus der Krisis des Politischen gewann, aus der Selbstüberschreitung des Politischen im Zuge seiner Totalisierung und Kultifizierung. Im Zusammenstoß mit diesem kultifizierten Politischen gewinnt das Evangelium seinerseits die politische Qualität, die der Botschaft von der Thronbesteigung Christi angemessen ist. Und so sahen wir, wie der Begriff des Politischen konkret wird, indem er Raum und Zeit bestimmt und darin genau diese konflikthafte Struktur des Politischen widerspiegelt: Diskontinuität im Zusammenstoß der Zeiten und Räume, des imperialen Raumes mit dem kultischen Raum, Zusammenstoß von Chronos und Äon. Immer wieder sind wir im Zuge unserer Analysen bei Peterson auf Begriffe gestoßen, die das Politische vom Konflikt her und von der Selbstdurchsetzung im Konflikt her denken. Wir haben dabei die Frage gestellt, ob und inwiefern Peterson hier einer modernen Konstruktion des Politischen anhängt, die, in den Worten von John Milbank, das Politische „as a field of pure power“359 versteht, als Arena der Selbstbehauptung und Selbstdurchsetzung. Wir fragen: Wie weit ist Peterson diesem Machtparadigma in seinem Denken verpflichtet? Wir wollen nun zwei Textzusammenhänge bei Peterson, in denen der Begriff der Macht im Zentrum steht, besonders betrachten und Petersons Begriff der politischen Macht dann mit den entsprechenden Überlegungen von John Milbank konfrontieren. Der erste Text ist die Auslegung der Versuchung Jesu in der Wüste (Lk 4,1 – 13) in Petersons Bonner Vorlesung zum Lukas-Evangelium aus den Jahren 1925/26 und 1928.360 Der zweite Text ist ein Abschnitt aus „Zeuge der Wahrheit“ von 1937.

4.3.6.1 Lukas 4: die Versuchung Jesu In Lk 4,5.6 führt der Teufel Jesus auf einen hohen Berg, zeigt ihm die „Reiche der Welt“ und verspricht, Jesus die „Macht“ und ihre „Herrlichkeit“ zu geben, wenn Jesus ihn anbete. Diese im Kontext der Evangelienerzählung zweite Versuchung „nimmt die Macht zu ihrem Ausgangspunkt“, und zwar „die Macht in ihrer repräsentativsten Form als staatliche Macht“361. Macht und 358 Ebd., 203. 359 Milbank, Theology and Social Theory, 10. 360 AS 5, dort die ausführlichen editorischen Vorbemerkungen des Herausgebers Reinhard von Bendemann, XVII-CV. 361 Ebd., 131 f.

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Repräsentation gehören also nach Peterson zusammen. Sie verdichten sich in der Gestalt staatlicher Herrschaft. Mit dieser Macht ist der Teufel vertraut, denn er ist der, dem die Macht über die Reiche dieser Welt „übergeben“ ist (Lk 4,6). Der Teufel hat nach Peterson eine innere Beziehung zur Macht: „Warum redet der Teufel so? Warum kann er so reden? Doch nur, weil alle Macht und Größe zum Teufel hin tendiert.“362 Dies will Peterson nicht in einem „moralischen“ Sinn verstanden wissen, sondern in einem „metaphysischen“ Sinne. Von Macht ist also nicht nur im Sinn menschlicher Praxis zu reden, die gut oder schlecht geordnet werden kann, sondern Macht selbst ist ein „metaphysisches“ Phänomen, betrifft die Seinsverfassung der Wirklichkeit im Ganzen: „Alle wirklich Macht hat Wurzeln in einer metaphysischen Tiefe.“363 Die politische Wirklichkeit der Macht zehrt von einer Teilhabe an transzendenter Realität. In der apokalyptischen Ontologie Petersons: entweder Teilhabe an der Wirklichkeit Gottes oder an der ontologischen Nichtigkeit des Bösen. Macht ist Wesensteilhabe, Methexis, und damit in unserem Zusammenhang Teilhabe am Nichtigen, das seinerseits vernichtet: der Teufel schöpft „seine ganze Kraft und Stärke ja gerade aus diesem Nichts“364. So unterscheidet Peterson Macht je nach der Quelle, an der sie partizipiert: „Es gibt echte Macht und unechte Macht, wie es echtes Wunder und unechtes Wunder gibt. Das unechte Wunder ist die Zauberhandlung des Antichristen, und die unechte Macht ist die Macht, die der Teufel verleiht, die Macht, die aus der Anbetung des Bösen entsteht, aus dem Glauben an die Macht des Teufels.“

Der Mensch partizipiert also an diesem Nichtigen auf kultische Weise, durch Anbetung. Er lässt sich blenden durch Macht–Erweise, die doch nur die „substantiellen“ Wunder des Christus nachahmen und dämonisch entstellen. Der „Antichrist“ zaubert, wo Christus Wunder tut: „Dass der Antichrist nur zaubern kann, gehört (…) zur Wesenskonstitution des Antichristen“. Der Antichrist als Werkzeug des Teufels, als entstellter Machthaber, hat keine ontologische Originalität, er kann nur imitieren. „Die Neuzeit hat die Wunder Christi geleugnet, aber sie hat die Zauberhandlungen des Antichristen bejaht, sie hat die Nächstenliebe verworfen, aber die Humanität des Feindes Christi begeistert gepriesen.“365 In diese Linie gehört auch Petersons Technik– und Ökonomiekritik hinein. Die Technik gehört zu den nachgeahmten Wundern des Antichristen. So in einem Brief an Eduard Rosenbaum von 1957: „Die ganze Aufhebung der Natur durch die Technik statt durch die Übernatur, wie sie einst in der christlichen Eschatologie verkündet wurde, hat für den Theologen etwas Beunruhigendes. Hier handelt es sich (…) um die ,Wunder‘ des Antichristen, die in der 362 363 364 365

Ebd., 132. Ebd. Ebd., 134. Ebd., 129.

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technischen Nachäffung der Wunder Gottes besteht.“366 Mit solchen steht Peterson natürlich der konservativen Kulturkritik seiner Zeit nahe. Zu beachten ist jedoch, dass hier nicht eine gesuchte und erträumte Archaik im Hintergrund seiner Argumentation steht, sondern eine antimodern gewendete christliche Eschatologie, die sich ebenso der Reaktivierung der agonalen Mythen in den Weg stellte.

Die Macht Jesu, an der sich die Versuchung der irdischen Macht bricht, hat andere Quellen. Dies wird darin deutlich, dass Jesus sich unter das Wort der Schrift stellt, wenn er Lk 4,8 dem Teufel mit einem Zitat aus Dt 6,13 antwortet, seine Macht ist „ihm von Gott verliehene Macht“367, in der Jesus nach Peterson sein Sein als Sohn Gottes, als wahrer Gott und wahrer Mensch, bewährt. So bleibt alle von Gott verliehene Macht abkünftige Macht, die sich nicht von ihrer Quelle emanzipieren und totalisieren kann. Sie bleibt legitime Macht nur in ihrer Relation auf Gott hin: „Niemals kann Macht und Herrlichkeit Christi und seiner Kirche dasselbe bedeuten, denselben Sinncharakter haben wie Macht und Herrlichkeit der Königreiche der Welt. Kirche und Christus können ihre Macht und Herrlichkeit stets nur von Gott empfangen; wenn es anders wäre, hörten sie auf Kirche und Christus zu sein.“368

Von diesem Grundgedanken der metaphysischen Abkünftigkeit der Macht geht Peterson dann noch einen Schritt weiter, indem er wiederum eine antiliberale und antidemokratische Polemik anschließt. Gut kann man hier Petersons argumentatives Verfahren der Zuspitzung und Verschärfung studieren. Ausgangspunkt der Argumentation ist die o. a. These, dass „unechte Macht“ diejenige sei, „die aus der Anbetung des Bösen“ sich herleitet. Diese These spitzt Peterson zu zur weitergehenden These, dass „wir mit der Ausschaltung Gottes in den Fragen der staatlichen Ordnung nicht etwa zu einem neutralen Zustand gelangt sind – denn wo man Gottes Namen ausschaltet, hört die Neutralität auf –, sondern dass dann eben der Teufels an die Stelle Gottes getreten ist.“369 In zwei Richtungen führt Peterson die argumentative Eskalation dann weiter : zum einen in einer Polemik gegen das demokratische Prinzip der „pinzipielle(n) Identität von Regierenden und Regierten“370, das jede legitime Form von „Unter- und Überordnung“371 beseitige und zum anderen in eine Polemik gegen die Autonomie der verschiedenen gesellschaftlichen Subsysteme von Religion, Wirtschaft und Politik: „Jener Satz, dass Staat und Wirt366 367 368 369 370

AS 4, 264. AS 5, 133. Ebd., 134. Ebd. Ebd. Peterson setzt hier die Demokratie mit dem Prinzip der „Identität“ gleich, das andere Formprinzip der Demokratie, das Prinzip der Repräsentation (vgl. Schmitt, Verfassungslehre, 204 f.) hatte Peterson ja politisch schon für illegitim erklärt und als legitimes Formprinzip nur der Kirche aufgestellt. 371 Ebd.

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schaftsleben in sich geschlossene und autonome Größen seien, er stellt theologisch angesehen die Auslieferung von Staat und Wirtschaft an den Teufel dar.“372 Zu diesem Punkt der antidemokratischen Polemik wäre auch zu vergleichen: „Die Demokratisierung der kirchlichen Verfassung, die in allen landeskirchlichen Verfassungen jetzt durchgeführt ist, zerstört den Begriff des Kirchenvolkes genau ebenso, wie die politische Demokratie den Begriff des Volkes überhaupt zerstört. Wo nämlich die Regierenden sich mit dem Volk identifizieren und das Volk mit den Regierenden, da gibt es eben kein Volk mehr. Da sind in der Kirche alle zu Priestern geworden oder im Staat alle zu Königen. Nun wäre es ja, weiß Gott, etwas Großes, wenn dieser Zustand erst erreicht wäre, den wir alle mit dem Jüngsten Tag erwarten. Aber vor dem Jüngsten Tage daran gehen, diesen Zustand zu verwirklichen, das heißt eine unerträgliche Situation herbeiführen, und diese unerträgliche Situation ist es, unter der wir alle leiden.“373 Die Vorlesung zum 1. Korintherbrief wurde im Sommersemester 1926 und im Wintersemester 1928/29374 gehalten. Deutlich ist in diesem Zusammenhang die antiprotestantische Stoßrichtung, die in den Schriften der 1920er Jahre dominierte

Interessant ist es, hier die innere Fluchtlinie von Petersons Argumentation zu verfolgen. Ausgehend von dem Satz, dass die politische Macht, die kultische Verehrung fordert, unechte und letztlich satanische Macht ist, kommt Peterson zu diesen antidemokratischen Spitzensätzen, die die ganze innere Problematik einer vom Religiösen ausgehenden Macht verdecken. Der Prozess der Moderne, der aus den konfessionellen Bürgerkriegen zur neuzeitlichen Konzeption des weltanschaulich neutralen Staates geführt hat, bleibt bei Peterson außer Betracht. Auch die Frage, welche politische Form positiv dem von Gott gesetzten Ordnungsrahmen entsprechen würde, wird nicht bedacht.375 Die Wendung „Metaphysik der Macht“ zeigt, dass die konfliktuale Struktur des Politischen bei Peterson nicht nur auf der Handlungsebene der politischen Praxis festgemacht wird. Im agonalen Konflikt des Politischen wird ein tiefer liegender Konflikt ausgetragen: Gott und Teufel liegen im Streit und mit ihnen diejenigen Personen oder Größen, denen die Macht verliehen ist, Christus und der Antichrist. In der apokalyptischen Figur des Antichrist verdichtet sich im 372 373 374 375

Ebd., 135. AS 7, 169, 1. Korintherbrief. AS 7, 23. Ob von der eschatologischen Konzeption Petersons ein konstruktiver Begriff des Politischen überhaupt möglich ist, ist eine offene Frage. Peterson selbst hat uns nur wenige Hinweise gegeben. Zu 1. Kor 1,30 f. Bemerkt er : „Es ist also nicht so, dass anstelle der Weisheit die Torheit, anstelle der Macht die Schwäche, anstelle der sozialen Ordnung die Anarchie getreten wäre, sondern in Christus baut sich nun eine neue Welt positiver Werte auf.“ AS 7, 91 Man möchte Peterson fragen: welche „positiven Werte“ und wie bestimmen sie die Praxis des Politischen?

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Feld der politischen Ordnung der satanische Widerspruch gegen die Herrschaft Gottes. Zwischen Christus und Antichrist gibt es nur das schroffe Entweder-Oder der Dezision. In einer Figur radikaler Komplexitätsreduktion des Politischen stellt sich, jenseits aller möglicherweise vermittelnden Instanzen, die reine Frage nach dem Inhaber der Macht. Im Kontext des apokalyptischen Weltbildes begegnet bei Peterson, wie wir schon mehrfach festgestellt haben, ein dämonologischer Realismus, für den Gestalten wie der Antichrist oder der falsche Prophet aus dem Abgrund, „leibhaftige“ Realitäten darstellen. Zwar stehen sie symbolisch für Strukturen der Wirklichkeit überhaupt, doch weisen sie auch auf eine „leibhaftige“ Begegnungsform der dämonischen Wirklichkeit. „Dass die Dämonen für die heutige Theologie meist nur noch eine historische oder psychopathologische Kategorie sind, beweist einzig, dass dem christlichen Glauben vielfach auch der Heilige Geist in seiner leibhaftigen Fülle verloren gegangen ist. Wo keine Dämonen mehr ausgetrieben werden, wo nicht mehr mit dem Teufel gekämpft wird, da mag der christliche Glaube in Riten und Worten, Moral und Wahrheiten noch leben, die leibhaftige Nähe des Heiligen Geistes ist darüber verloren gegangen.“376

4.3.6.2 „Zeuge der Wahrheit“ Nach dem zweiten hier genauer zu besprechenden Text aus „Zeuge der Wahrheit“ wird genau diese dualistische Signatur des Politischen erst dort öffentlich, „offenbar“, wo auch Christus als „,dem Herrn‘ eine ,Öffentlichkeit‘ nach Analogie der politischen Öffentlichkeit zukommt.“377 Dort wird auch das Politische mitsamt seines umfassenden Kontextes offenbar. Die Menschen werden offenbar hinsichtlich ihrer Zugehörigkeit zu einem bestimmten Machtbereich (Offb 13,16): „Alle Menschen sind gezeichnet, entweder mit dem Siegel Christi oder mit dem Brandmal des Antichristen.“378. In Offb 12 wird im Kampf zwischen dem Erzengel Michael und dem Drachen der Kosmos enthüllt als Ort des politischen Streites um die Macht. Und nach dem Fall des Drachens auf die Erde wird die dämonische Macht in der politischen Sphäre offenbar (Offb 13): ein Tier steigt aus dem Meer, der Antichrist, und ein Tier steigt aus den Abgründen der Erde auf, der falsche Prophet, nach Peterson: „wenn man so sagen darf: der Theologe des Antichrist“379. Sehend für diese dämonischen Realitäten ist der Märtyrer, der auch die Offenbarung des Menschensohnes empfangen hat. Ihm liegt es nun offen vor Augen, dass erst mit dem Anbruch der Herrschaft Christi auch der „falsche Prophet“ offenbar wird. Seine Zeit und sein Auftreten sind dialektisch gebunden an die Zeit und 376 377 378 379

Vgl. AS 5, 126 (zu Lk 4,1). AS 1, 108, Zeuge der Wahrheit. Ebd., 109. Ebd.

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das Auftreten Christi. Peterson widmet diesem Zug des „für den Märtyrer“380 besonderes Augenmerk. Nur für den christologisch qualifizierten Sinn des Märtyrers öffnet sich diese „Erkenntnis“. Wie es keine neutrale Macht gibt, so gibt es auch seit Anbruch der Herrschaft Christi kein „,reines Erkennen‘“381 mehr. Das Erkennen ist abhängig vom Machtbereich, in dem sich der Erkennende aufhält; ein Erkennen von Christus her oder ein Erkennen vom Satan her : „Es ist von hier auch begreiflich, daß der Märtyrer, der in Analogie zu Christus offenbar geworden ist, auch für die Erscheinung der Häretikers ein scharfes Auge hat.“ Erst im Gefolge des nach Christus auftretenden falschen Propheten ist nach Peterson die Häresie als wissender, dämonisch inspirierter Widerspruch gegen Christus möglich. Der Irrlehrer ist für Peterson nicht „unter der Voraussetzung eines ganz abstrakten, zeitlosen Wissenschaftsbegriffes der Vertreter einer anderen Meinung“, sondern steht nach Peterson „im Dienste einer dämonischen Macht“.382 Das Erkennen und das Denken sind so nach Peterson keine neutralen Größen, sondern das „Bewusstsein“ ist zutiefst vom „Sein“ der politischen Ordnung bestimmt383, und diese politische Ordnung ist der Ort des Antichrist: „Der Antichrist selber treibt weder Philosophie noch Theologie, ist er doch eine Größe, die der politischen Welt angehört, dazu gesetzt Krieg zu führen gegen das ,Lamm‘ und gegen ,die Heiligen‘.“384 Der Antichrist ist eine politische Größe und als eine solche ist seine Handlungsform der Krieg. Der Krieg ist die Essenz des Politischen als Agon um die Macht, die ihrerseits wieder nur die Fähigkeit zu agonalen Selbstdurchsetzung ist, also die mythische stasis, als ewiger um sich selbst kreisender Konflikt. So gilt, dass „das Denken der Menschen von dem hic et nunc einer politischen Ordnung niemals unabhängig (ist), sondern (…) entweder unter der Macht des Antichristen oder unter der Macht Christi“385 steht. Peterson sieht auch die Häresie „immer mit einer politischen Ordnung antichristlichen Gepräges in innerem Zusammenhang.“386 Die dämonische Macht des Widerspruchs gegen die Ordnung Gottes zieht sich nach Peterson durch die gesamte hierarchische Ordnung der Seinsbereiche. „Der Kosmos (…) wird durch den Drachen, das Tier und das andere Tier symbolisiert, das heißt durch den Teufel, den Antichristus und den falschen Propheten. Alle drei werden angesichts der Offenbarung Christi für den Märtyrer sichtbar. Der Teufel

380 381 382 383 384 385 386

Ebd., 110. Ebd. Ebd. Ebd., 111: „Das Denken wird durch die politische Ordnung bestimmt.“ Ebd. Ebd. Ebd.

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in der metaphysischen Ordnung, der Antichrist in der politischen Ordnung und der falsche Prophet in der intellektuellen Ordnung.“387

Angesichts dieses bis in die Tiefen der Wirklichkeit hineinreichenden Kampfes der Mächte gibt es keine politische Neutralität: Es gibt „in der Zeit des Martyriums in der politischen Ordnung nicht mehr die Möglichkeit eines auf den Begriff der bloßen Neutralität aufgebauten politischen Handelns. Angesichts des Offenbarwerdens Jesu Christi muß auch die Sphäre des Politischen offenbar werden.“388

Die offenbar gewordene Sphäre des Politischen aber stellt die Machtfrage explizit: „Wer wird sie haben? Die kosmische Kraft Satans, der sie dem Antichristen überläßt, oder aber Gott, der die Macht seinem Sohn gegeben hat?“389 Die politische Ordnung tendiert dazu, diese Frage zu verschleiern. Die Hure Babylon in Apk 17 steht für Peterson als die Versuchung zu Rausch und Taumel, wie Peterson sie im politischen Pluralismus der Moderne triumphieren sieht, den er im metaphysischen Pluralismus des mythischen Agon390 begründet sieht: „Denn das Offenbarwerden Christi macht für den Märtyrer auch die in der falschen politischen Orientierung ruhende metaphysische Orientierungslosigkeit sichtbar, steht doch das Politische, das in der Welt des Pluralismus sein Wirkungsfeld hat, immer in der Versuchung, die letzte metaphysische Orientierung zu verlieren und in der Welt des Pluralistischen seine Götter zu suchen. (…) Der Pluralismus der politischen Welt, der sich in der Zeit des Offenbarwerdens bis zum metaphysischen Realismus steigern kann, ist zu einem Rausch geworden, der alle Völker der Erde trunken macht.“391

In dieser politisch-theologischen Auslegung der Apokalypse ist noch einmal an den seinerzeit aktuellen politischen Subtext zu erinnern, den wir hier untergründig wirksam finden. Die Anbetung der totalisierten politischen Macht im Nationalsozialismus ergibt sich für Peterson aus einem prinzipiellen Pluralismus des Politischen, das auf die metaphysische Orientierungslosigkeit 387 388 389 390

Ebd. Ebd., 112. Ebd. In einigen Notizen, die von den Herausgebern auf das Jahr 1940 datiert werden, expliziert Peterson diesen Zusammenhang von „politische(m) Mythus“ und „metaphysische(r) Tyrannis: „Das Selbstverfügungsrecht des Teufels als rapina aufgefasst. (…) Die rapina-Auffassung des Teufels ist die mythologische (Herrschaft des Zeus). Damit ist aber der Kern des Mythischen überhaupt getroffen, denn mythisches Denken hat eine metaphysische Tyrannis zur Voraussetzung. Der politische Mythus (Sorel, Rosenberg) ist daher immer Mythus und Tyrannis. (…) Phil 2,6 – 11 ist der Haupttext gegen den Mythus. Die humilitas Christi ist ,entwaffnend‘ (im eigentlichen Sinne). (…) Die mythische Möglichkeit in der göttlichen Sphäre ist überwunden worden, und damit die Möglichkeit, Anarchie und Polyarchie in Gott zu verlegen.“ AS 4, 257 f., Fürst dieser Welt. 391 Ebd., 112 f.

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mit der Anbetung der dämonischen Macht antwortet. Der liberale Pluralismus, der nach Peterson mit der Säkularisierung und Neutralisierung der politischen Macht beginnt, endet mit der dämonischen Kultifizierung der isolierten und usurpierten Macht. Aus dem Pluralismus der Mächte wird vom Teufel eine partikulare Größe in Dienst genommen und gegen die Herrschaft Christi in Stellung gebracht. In diesem Kampf der Mächte ist nun mit der Thronbesteigung Christi und dem Offenbarwerden des Menschensohnes der Sieg errungen. Und doch geht es im Sieg Christi nicht um glatte Übernahme des Machtparadigmas. Es geht vielmehr für die „Heiligen“ um die Ohnmacht der Macht oder um die Macht der Ohmacht, denn die Stunde der Offenbarung Jesu Christi ist in der Auslegung Petersons, die „Stunde der ,Trübsal‘“392, die Zeit des Leidens mit Christus: es gilt, „daß alles Leid eschatologisches Leid, in Gleichförmigkeit mit dem Leiden Christi erlittenes Leid ist und daß daher auch die Herrlichkeit Christi dem gewiß ist, der mit Christus gelitten hat.“393

4.3.6.3 „The field of pure Power“: Peterson und das Machtparadigma Von diesem Befund bei Peterson her wollen wir noch einmal fragen, in welcher Beziehung das Theologische in seiner politischen Dimension und das Machtparadigma zueinander stehen. Dies ist nicht in erster Linie eine Frage von rein historischem Interesse. Die Frage nach der Autonomie des Politischen und die Frage nach einem theologischen Rahmenkonzept des Politischen sind vielmehr von ganz aktuellem Rang, wenn heute die Frage nach der politischen Bedeutsamkeit oder sogar Gefahr des Religiösen gestellt wird. Die Frage ist, ob Petersons Konzeption des Politischen und seine Fassung der kirchlichen Öffentlichkeit einen Rahmen anbieten, der uns eine erschließungskräftige und anschlussfähige Thematisierung des politisch-theologischen Problems erlaubt. Liegt uns bei Peterson ein alternatives Paradigma des Politischen und des Öffentlichen vor oder ist es so, dass Peterson den Machtdiskurs der Moderne unter Beibehaltung der kategorialen Grundentscheidungen nur reformuliert? Den Anschluss an diese Diskurse wollen wir gewinnen mit einigen Überlegungen zur „politischen Theologie“ bei John Milbank. John Milbank hat in seiner großen Studie über die Genese der modernen Sozialtheorie394 die These vertreten, dass erst in der frühen Neuzeit das Politische als ein eigener, vom „Geistlichen“ unterschiedener, Gegenstandsbereich theoretisch und praktisch emergiert ist. Die moderne Theologie habe ihrerseits die Autonomie der „secular reason“ akzeptiert und sich derart auf ein 392 Ebd., 113. 393 Ebd., 114. 394 Milbank, Theology and Social Theory.

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Trennungsparadigma eingelassen, das ihre eigene Universalität untergraben und die Idee der Säkularität als „metanarrative“ in Geltung gesetzt habe. Darin habe die Theologie den Anspruch aufgegeben, dass der christlichen Glauben ursprünglich „instituted an entirely different economy of power and knowledge“395. Diesen ursprünglichen Zusammenhang von Macht und Wissen beschreibt Milbank in augustinischer Terminologie. Er habe seinen Ort in der Kirche als „city of God“: „The non-antagonistic, peaceful mode of life of the city of God is grounded in a particular, historical and ,mythical‘ narrative, and in an ontology which explicates the beliefs implicit in this narrative. It is in fact the ontological priority of peace over conflict (…) that is the principle undergirding Augustines critique. However this principle is firmly anchored in a narrative, a practice, and a dogmatical faith, not in universal reason.“396

Die „universal reason“ der Neuzeit erweist sich vor diesem Hintergrund der christlichen Tradition ihrerseits als eine Partikularität, die auf dem mythischen Bild des Politischen als ewigem Agon beruht. Und dieser Agon bezieht sich auf einen Begriff des Politischen „as the space of ,pure power‘“397. Der theoretische Angelpunkt in dieser neuzeitlichen Konstruktion des Politischen ist nach Milbank schon in der nominalistischen Philosophie des späten Mittelalters wirksam, wo das dominium des Menschen „is no longer essentially related to divine rational illumination, or ethics, but is a sheer ,self occupation‘ or ,self-possession‘.“398 Diese individualisierte, auf Verfügungsgewalt und Selbstbesitz ausgerichtete Lesart des adamitischen dominium terrae stehe im Hintergrund des säkular verstandenen Politischen und auch die Theologie der Neuzeit habe diese Trennung des säkularen Politischen vom Geistlichen akzeptiert und sekundär diese Denkformen des Politischen in ihre eigene dogmatische und ethische Substanz importiert, wo sie Gotteslehre und politische Ethik im Modell der Macht reformuliert habe und damit aus ihrer Verknüpfung mit einer Lebensform herausgelöst habe. Milbank unternimmt mit seinem Projekt einer „Radical Orthodoxy“ den Versuch, die im Prozess der Moderne aufgegebenen Sinngehalte der christlichen Tradition unter den radikal pluralistischen Bedingungen der Postmoderne zu reformulieren ohne zu einer bloßen Repristination der christlichen Tradition zu kommen. Eine solche Theologie „turns to the Church fathers, and indeed goes beyond them, in seeking to elaborate a Christian logos, or a reason that bears the marks of the incarnation and pentecost. At the same time it seeks to define a Christian Sittlichkeit, a moral practice embedded in the historical emergence of a new, and unique 395 396 397 398

Ebd., 10. Ebd., 390. Ebd., 12. Ebd., 13.

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community. Both tasks, indeed are in turn situated in the re-narration of Christian emergence, a story which only constitutes itself as a story by re-narrating previous stories, both of past history, and of the relation of creation to Godhead.“399

An die Stelle einer theologischen Selbstauslieferung an das Machtparadigma in der Übernahme säkularer Denkformen geht es nach Milbank also darum, einen christlichen Logos wieder zu finden, der auf den Begründungsgestus einer universalen Vernunft verzichtet, aber an der geschichtlich vermittelten Selbstkundgabe Gottes in der Menschwerdung des Logos und in der Ausgießung des Heiligen Geistes partizipiert und selbst zu einer ekklesial gestalteten Lebensform wird, die im „narrative“ der christlichen story ihre Identität findet. Auf diese Weise unternimmt es Milbank, das Politische in der Lebensform der Kirche jenseits des Machtparadigmas zu reformulieren. Milbank kodiert dazu die sich durchsetzende Macht Gottes theologisch, d. h. als die sich durchsetzende leidende Liebe, an der die Kirche in der eucharistischen Praxis teilhat400. Im Vergleich mit dieser aktuellen Konzeption, das Politische von seiner Überwindung her zu denken, geht Peterson viel stärker vom Konflikt aus und von der Praxis des Politischen in einer gefallenen Welt. Wohl ist für Peterson die historische Dialektik sakramental aufgehoben. Aber der Ort der eucharistischen Praxis ist der Zusammenstoß von neuem Äon und der vergehenden Zeit des Politischen. Wo bei Milbank die platonische Figur der Teilhabe dominiert, kreuzen sich bei Peterson am paradigmatischen Ort des Martyriums die beiden Linien: die dezisionistisch-existentialistische Linie des Martyriums und die partizipatorisch-essentialistische Linie der eucharistischen Praxis. Die Kirche ist der Ort, wo sie zusammentreffen. Die Kirche ist einerseits politische Größe mit der Vollmacht zur „Entscheidung“, und sie ist andererseits der Ort der pneumatischen Präsenz des Kyrios Jesus Christus: Ort der Realisierung des neuen Äon noch unter den Bedingungen des schon überwundenen alten Äon401, zwischen der ersten und der zweiten Ankunft Christi. Bei Peterson hat so der Konflikt seinen systematischen Ort im Inneren der Theologie, bei Milbank ist der Konflikt externalisiert und wird zum Kenn399 Ebd., 381. Milbank fügt Ebd. neben den beiden hier im Zitat wieder gegebenen Aufgaben noch zwei weitere theoretische Aufgaben an, auf die wir hier nicht weiter eingehen können: 1. „The articulation of a ,counter-ontology‘“, weil alle anderen kulturellen Systeme, die nicht ausdrücklich am göttlichen Logos partizipieren, von einem impliziten Nihilismus bedroht seien. Und 2. eine „,counter-history‘“ „under the aspect of ecclesiastical self-critique“, die nicht davon absieht, „how, for the most part, the Church failed to bring about salvation“. 400 Vgl. dazu das Bild der eucharistischen Praxis als „an earthly practice of peace and reconciliation“ bei Cavanaugh, City, 197, unter der Abschnittsüberschrift „Toward eucharistic anarchism“ (Ebd., 195). 401 Vgl. AS 1, 252 f. „Denn wahre Kirche ist nur da, wo beides sich findet: die Legitimität, in Rechtsnachfolge ,der Zwölfe‘, die sich unmittelbar vom Herrn herleitet, und ein Glaube, der, wie bei ,den zwölf Aposteln‘ genötigt ist, auf Grund des Heiligen Geistes selbständige Entscheidungen zu treffen. Keines dieser beiden Merkmale darf fehlen, weder die rechtliche Legitimität noch die pneumatische Freiheit.“

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zeichen eines autonomen Politischen, das als Säkulares ganz mythische Züge aufweist. Petersons politische Theologie spricht selbst die Sprache der Gewalt, auch wo sie die Macht Christi von der Ohmacht der passio her bestimmt. Die „Doppelkodierung“ der Macht durch Recht, Liebe und Gnade bleibt bei Peterson zwar im Horizont seines theologischen Denkens, aber sie bestimmt nicht die semantische Gestalt seiner Theologie, die vielmehr von Verschärfung, Zuspitzung und vom Ausschluss der Alternativen bestimmt ist. 4.3.7 Politische Theologie der Öffentlichkeit im Vollzug: Der Hochland-Aufsatz über die „Gegenwärtige Lage der protestantischen Kirche“ (1933/34) Unser Gang durch das Thema der Politischen Theologie bei Erik Peterson hatte mit Petersons Briefwechsel mit Adolf von Harnack begonnen. Dort hatten wir die Genese von Peterson Konzept der „kirchlichen Öffentlichkeit“ verfolgt: im Briefwechsel des Jahres 1928 und im Epilog aus dem Jahr 1932.402 Peterson hatte dort die Geschichte des Protestantismus geschrieben als eine Geschichte des Öffentlichkeitsverlustes und des Versuchs, an die Stelle der verlorenen Öffentlichkeit verschiedene Surrogate zu setzen: Vernunft, Erfahrung, Tat. Peterson hatte diesen Briefwechsel in der katholischen Zeitschrift „Hochland“ veröffentlicht und dort erschien dann auch ziemlich genau ein Jahr nach der Veröffentlichung des Harnack-Briefwechsels, im Herbst 1933, ein zweiteiliger Aufsatz über „Die neueste Entwicklung der protestantischen Kirche in Deutschland“403 Hier können wir beobachten, wie Peterson sein analytisches Instrumentarium im konkreten Falle der Auseinandersetzung zwischen nationalsozialistischem Staat und evangelischer Kirche anwendet. Peterson selbst schreibt zur Beziehung zwischen Harnack-Briefwechsel und dem Aufsatz über „Die neueste Entwicklung …“: „Was damals als theoretische Möglichkeit gesehen wurde, ist inzwischen politische Realität geworden.“404 Peterson schildert in dem ersten Teil des Aufsatzes ausführlich die Auseinandersetzung um die Kirchenverfassung des deutschen Protestantismus: den Zugriff der nationalsozialistischen Kirchenpartei der „Deutschen Christen“ auf die kirchlichen Strukturen und den Versuch, eine einheitliche „Deutsche Evangelische Kirche“ unter der Führung eines Reichsbischofs zu schaffen405. Im zweiten Teil des Aufsatzes unternimmt es Peterson dann, die „letzten Vorgänge in der protestantischen Kirche Deutschlands“ in ihrer „theologischen Bedeutung“406 zu werten. Die Spitze seiner theologischen 402 403 404 405

AS 1, 177 – 194. AS 9/1, 610 – 645, neueste Entwicklung. Ebd., 610. Die geschichtlichen Details der vielfach beschriebenen Auseinandersetzungen müssen uns hier nicht beschäftigen (dazu siehe u. a.: Scholder, bes. 401 – 699). 406 AS 9/1, 627.

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Deutung liegt in der These, dass es in der Bildung einer evangelischen Reichskirche darum gegangen sei, „die protestantische Kirche ,öffentlich‘ zu machen und die Begriffe der gegenwärtigen politischen Öffentlichkeit auf eine Sphäre zu übertragen, die mehr sein soll als der bloße Verwaltungskörper eines landesfürstlichen Territorialstaats“407 In Petersons Lesart war es also das Thema des Jahres 1933, wie die evangelische Kirche ihre Öffentlichkeit wieder gewinnen könne, die sie nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments verloren hatte. Im Jahr zuvor hatte Peterson geschrieben, dass es „nur zwei Möglichkeiten gebe ,öffentlich‘ zu werden“. Die „protestantische Landes,Kirche‘“ könne nur „entweder den staatlichen oder des spezifisch kirchlichen (den kosmisch-religiösen) Öffentlichkeitsbegriff für sich in Anspruch nehmen.“408 Im Sommer des Jahres 1933 sei es nun, sagt Peterson, zur Entscheidung gekommen. So gab es nicht mehr nur die von ihm aufgewiesene „theoretische Möglichkeit“, sondern die „politische Realität“, dass die evangelische Kirche ihre Öffentlichkeit über den Import der politischen Prinzipien des Führerstaates zurück zu gewinnen suche. Peterson sucht diese These auf zwei wesentlichen Feldern der Auseinandersetzung zu belegen: zum einen in der Frage des Theologie- und Kirchenbegriffes, wie er in der Auseinandersetzung zwischen den „legitimen“ landeskirchlichen Strukturen und der Glaubensbewegung der Deutschen Christen zur Debatte steht; und zum anderen in der Frage des Bischofsamtes. Im Blick auf Auseinandersetzungen des Frühjahrs 1933 zwischen Vertretern der „Deutschen Christen“ (DC) und Kirchenmännern wie Generalsuperintendent Dibelius und dem Präsidenten des Oberkirchenrates der Altpreußischen Union Kapler um die weitere Selbständigkeit der evangelischen Kirche im nationalsozialistischen Staat urteilte Peterson, dass hier nicht eine theologische Auseinandersetzung mit theologischen Argumenten stattfinde, sondern dass vielmehr ein Konflikt aus dem politischen Leben des Staates und der Parteien im Inneren der Kirche und mit theologisch maskierten politischen Zielsetzungen fortgesetzt werde: „Es war ein zwischen den Deutschnationalen – Dibelius war ein eifriger Parteigänger Hugenbergs – und den Nationalsozialisten auf dem Boden der protestantischen Kirche ausgebrochener politischer Kampf und keine theologische Diskussion.“409 Aber gerade weil es um eine originär politische Auseinandersetzung gegangen sei, habe es sich um die Frage nach der Kirche und ihrer Selbständigkeit gehandelt, habe also ein politischer Konflikt eine theologische Dimension gewonnen, die letztlich nur mit theologischen Argumenten geklärt werden könne. Diese Ebene der Auseinandersetzung habe man aber über dem politischen Ressentiment gar nicht erreicht. Es gelte zu sehen, „daß hinter diesem politischen Gegensatz zweier politischer Gruppen zugleich auch ein Gegensatz zweier 407 Ebd., 641. 408 AS 1, 186, Briefwechsel mit Harnack. 409 AS 9/1, 612.

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verschiedener Kirchenbegriffe und zweier verschiedener Theologien stand.“410 Wichtig ist es, hier noch einmal eine für Peterson gerade in polemischen Kontexten typische Argumentationsstrategie wahrzunehmen: Hinter einem als theologisch auftretenden Gegensatz sucht er die pragmatisch-politische Ebene auf, diese jedoch rekonstruiert er wiederum theologisch, nun aber in seinen eigenen theologischen Kategorien. Der Konflikt zwischen Dibelius und den DC um die Beziehung zwischen Staat und Kirche sei trotz aller geistlichen Beredsamkeit kein theologischer, sondern ein politischer Konflikt, dieser politische Konflikt allerdings gehe zurück auf zwei verschiedene „Kirchenbegriffe“ und zwei verschiedene „Theologien“ – die Peterson wiederum in ihren Grundentscheidungen dogmatisch dekonstruiert und ihnen seine Sicht der Dinge entgegen hält. Peterson führt dies in doppelter Frontstellung durch: einmal gegenüber dem alten Kirchenregiment, zum anderen gegen die DC. Das „Kirchenregiment“ repräsentierte nach Peterson „jene Beamtenschaft, die in dem landesfürstlichen Kirchentum des Protestantismus seit Jahrhunderten mit der Verwaltung der Kirche beauftragt war.“411 Die Kirche sei hier „zu einer Religionsgesellschaft degradiert“, die im Grunde genommen nur verwaltet werden musste. Diese Kirche brauchte keine Theologie mehr : „Sie konnte aber nur verwaltet werden, weil es in ihr nichts zu entscheiden gab. (…) Dogmatische Entscheidungen waren – bei dem notwendigen Fehlen einer dogmatischen Lehrautorität – garnicht denkbar.“412 Dieses Fehlen jeder Theologie machte den Konsistorialapparat im Jahr 1933 nach Petersons Urteil auch so wehrlos. Man verlegte sich gegenüber den Ansprüchen der DC „auf das Verhandeln“413 und man hoffte so auf diplomatischem Wege den Bestand der Kirche halten zu können. Damit hatte sich das Kirchenregiment als Fortsetzung der alten Konsistorialbürokratie des landesherrlichen Kirchenregiments erwiesen und sich damit einem Handlungsmuster verpflichtet, dessen politische Voraussetzungen verschwunden waren seit sich der „Sinnzusammenhang zwischen Konfession und Territorium“414 aufgelöst hatte. So war die konsistorial verwaltete Kirche nicht in der Lage mit dem „Einbruch des neuen Staates“415 fertig zu werden, ihr fehlten dazu schlicht die theologischen Kategorien, um die Konfrontation verstehen zu können. Der Weg „von der alten protestantischen Territorialkirche zu der neuen ,Reichskirche‘“416 konnte ja nicht als eine organische Fortentwicklung der bisherigen 410 411 412 413 414 415 416

Ebd., 629. Ebd. Ebd., 630. Ebd., 631 – in Aufnahme einer Wendung von Hanns Rückert. Ebd., 630. Ebd., 631. Ebd., 631.

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ekklesiologischen Prinzipien gelingen, sondern er bedurfte in der Tat einer „Entscheidung“, die jedoch als dogmatische, also im eigentlichen Sinne theologische Entscheidung, nicht gefällt werden konnte. An der Stelle einer genuin theologischen Erkenntnis konnte man für eine neue Gestalt von Kirche dann nur ein alternatives, „neues theologisches Erkenntnisprinzip“417 einführen und man argumentierte von den unterschiedlichen kirchenpolitischen Flügeln her im Jahre 1933 mit der vermeintlich offenbarenden und verpflichtenden Kraft der geschichtlichen Stunde, eines „deutschen“ Kairos418. Petersons Polemik gegen die DC nimmt genau dies in den Blick: wie unter dem Eindruck des vermeintlichen Kairos die dogmatisch wehrlos gewordene, weil nur noch verwaltete, Kirche an ein ganz anderes Koordinatensystem von nunmehr politischen Urteilen ausgeliefert wird, das die theologische Substanz vollkommen auflöst. Peterson macht seinen Befund an einigen Einzelbeobachtungen fest. Der vormalige Königsberger Wehrkreispfarrer und nationalsozialistische „Reichsbischof“ Ludwig Müller (seit 27. 09. 1933) hatte in einer Rede gefordert, dass die Kirche sich nach der nationalsozialistischen Machtübernahme als eine „Kameradschaft des Glaubens“ verstehen solle. Peterson bemerkt dazu: „Die sprachliche Divergenz ist lehrreich, denn sie zeigt, daß, während in der Kirche des ständisch verfaßten Staates der Begriff des ,Bruders‘ nur als eine transzendente Einigung an sich getrennter Stände noch gedacht werden konnte, jetzt das politische Einheitsgefühl des Volkes in der ,Reichskirche‘ dazu geführt hat, den transzendenten Begriff des ,Bruders‘ durch den politischen Begriff des ,Kameraden‘ zu ersetzen.“419

Aus der übernatürlichen Ordnung der Kirche, der die Geschwisterlichkeit in Christus eingestiftet ist, wird eine in der romantisierenden Semantik des Kriegserlebnisses beschworene horizontale Aggregation, wobei sicher bestritten werden kann, ob der Begriff des „Kameraden“ an sich überhaupt ein politischer Begriff ist. Aber Peterson kommt es hier auf den grundlegenden Vorgang an, wie in der sich zeitgemäß gebenden Sprache des DC-Mannes, das „volksmissionarische“420 Anliegen einer verständlichen Sprache dazu führt, die prätendierte „natürliche“ Ordnung des Völkischen zu verabsolutieren und darüber die „Sprache der christlichen Offenbarung“421 ganz zu verlieren. 417 Ebd. 418 Peterson führt hier Arbeiten von Hanns Rückert und Emanuel Hirsch an, aber auch Karl Barths berühmte Replik in „Theologische Existenz heute!“. Der eigentümliche Reiz der Lagebeurteilung Petersons liegt ja darin, dass sie gleichsam in einem Interim verfasst wurden zwischen dem Zugriff der DC auf die kirchlichen Strukturen und der Bildung der Bekennenden Kirche. Manches von dem, was Peterson hier als Defizit des Protestantismus feststellt, wurde in der Theologie der Bekennenden Kirche aufgenommen, allerdings doch wohl ohne auf Dauer im Raum der evangelischen Kirchen neu Gestalt bildend zu wirken. Vgl. dazu: Bauer. 419 Ebd., 633. 420 Ebd. 421 Ebd., 634.

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Peterson sieht darin der Kirche die zentrale Frage gestellt, „ob die Kirche aus dem Ethos des Heiligen Geistes oder aus dem politischen Ethos der Nationalsozialistischen Partei heraus zu reden und ihre sprachlichen Formulierungen zu gewinnen hat.“422 Wo der geschichtliche Bestand eines Volkes normativ wird für die Verkündigung der Kirche, dort vergisst man nach Peterson, dass natürliche und übernatürliche Ordnung, Erhaltungsordnung und Gnadenordnung, Volk und Gemeinde, Wort Gottes und Sprache des Volkes immer unterschieden bleiben. „,Wort Gottes‘ im christlichen Sinne ist nicht etwas, was in der Sprache eines Volkes gefunden und aus der Sprache heraus gesagt werden kann, sondern was in die Sprache von oben hinein gesenkt wird, was Gott sozusagen gegen die Sprache eines Volkes in die Sprache hineingesprochen hat.“423

Die Sprache des Glaubens und die Sprache eines Volkes fallen so niemals zusammen, sondern das Pfingstwunder steht nach Peterson gerade dafür, dass das Wort Gottes die natürliche Sprache transzendiert und zerbricht – und erst sozusagen sekundär wieder in Gebrauch nimmt, ohne mit ihr jemals identisch zu werden. Den gleichen Vorgang der Übertragung politischer Begriffe der nationalsozialistischen Bewegung in den Raum der Kirche beobachtet Peterson in der Frage des evangelischen Bischofsamtes. Im Sommer 1933 war es unter dem Druck der neuen politischen Verhältnisse zu einer überstürzten Reform der Kirchenverfassung gekommen. Es bildete sich die Deutsche Evangelische Kirche (DEK) als Reichskirche mit einem Reichsbischof – zunächst Friedrich von Bodelschwingh. Dieses Bischofsamt sei, so Peterson, nicht „aus theologischer bzw. dogmatischer Überlegung“424 heraus gestaltet, sondern vielmehr durch eine „Übertragung der Rechtsbegriffe des nationalsozialistischen Staates in die protestantische Kirche“425, so dass der evangelische Bischof als ein Kirchen-„Führer“ zu sehen wäre. Wobei Peterson seine eigenen Kategorien noch einmal von der Herrschaftssoziologie Max Webers her zurecht rückt, wenn er sagt, dass der Führerbegriff nicht so sehr ein juristischer („staatsrechtliche[r])“ Begriff, sondern vielmehr ein politischer bzw. „,charismatischer‘“426 Begriff sei. Einem derart verstandenen Bischof habe man aber nun das Eigentliche seines Bischofsamtes genommen, wenn er nicht die Autorität hat „über den Glauben der Kirche zu wachen“427. Allein in diesem Sinne, im Blick auf die Vollmacht, dogmatische Entscheidungen zu fällen“428, könnte man dann ja auch in einem gefüllten Sinne von „Führer“ sprechen, während 422 423 424 425 426 427 428

Ebd. Ebd., 635. Ebd., 638. Ebd., 639. Ebd. Ebd., 638. Ebd., 640.

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Macht und Mächte

die bloße Kompetenz, dass der Bischof „in Fragen der kirchlichen Verwaltung selbständig entscheidet“429, ganz in den Bahnen des herkömmlichen staatlichen Verwaltungsrechts gedacht ist, worin sich zeigt, dass es mit dem Anspruch einer wirklichen Neugestaltung der kirchlichen Verfassung aus politischen Prinzipien nicht weit her sei. So urteilt Peterson: „Wenn er (scil. der Bischof, R.M.) dagegen ,Führer‘ ist in einer Sphäre, die der Kirche ebenso zugeordnet ist, wie die politische Sphäre dem Staat zugeordnet ist, dann muß man ihm auch die Möglichkeit, dogmatische Entscheidungen zu fällen, geben. Denn die Sphäre der dogmatischen Entscheidungen ist in der Kirche die Analogie zu der Sphäre der politischen Entscheidungen im Staat.“430

Wenn man aber dem Bischof die Möglichkeit einräumte zu dieser Art von Entscheidung, wäre man bei der „Rolle eines Papstes in der Reichskirche“ angelangt. Diese Konsequenz sei dann nach Peterson auch durchaus gesehen worden und so verweist Peterson auf den völkischen Theologen und Publizisten Wilhelm Stapel, der konsequenterweise gefordert hatte, dass der Bischof kein Theologe sein, sondern vielmehr ein „Hausvater“431 sein solle. An diese Forderung schließt Peterson die charakteristische ironische Replik an: „… womit denn der ganze unter dem Eindruck der politischen Umwälzung gemachte Versuch, die protestantisch Kirche ,öffentlich‘ zu machen und die Begriffe der gegenwärtigen politischen Öffentlichkeit auf eine Kirche zu übertragen, die mehr sein soll als der bloße Verwaltungskörper eines landeskirchlichen Territorialstaats, wieder in der ,herzlichen Hausväterlichkeit‘ (Stapel), d. h. in der Idylle der protestantischen Familie geendet hätte.“432

Der Aufbruch in die politische Öffentlichkeit endete so nach Peterson wiederum notwendigerweise in der protestantischen Aporie der „Privatisierung“ und des Öffentlichkeitsverlustes. Wo man die rechtliche Eigenständigkeit der Kirche, ihr „apostolisches Recht“ und damit überhaupt ihr „spezifisches Kirchenrecht“433, ablehnt, wo ihr Recht auf dogmatische Entscheidung zurückgewiesen wird, dort ist die Kirche konsequent aus dem öffentlichen, dem politischen Raum zurückgedrängt und auf die der politischen Wirklichkeit komplementäre private Sphäre reduziert. Ein entscheidendes Gewicht kommt nach Peterson dabei der Einsicht in die Qualität der dogmatischen Entscheidung zu: „Die Sphäre der dogmatischen Entscheidungen ist in der Kirche die Analogie zu der Sphäre der politischen Entscheidungen im Staat.“434 Diese Analogie ist etwas näher zu betrachten435. 429 430 431 432 433 434 435

Ebd. Ebd. Ebd., 641. Ebd. Ebd., 639. Ebd., 638 f. Auf die theologie- und philosophiegeschichtlichen Implikationen des Entscheidungsbegriffes

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Das politisch-theologische Problem

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Im Staat gibt es nach Peterson eine Sphäre der politischen Entscheidungen, in der Kirche eine Sphäre der dogmatischen Entscheidung. Weder Staat noch Kirche sind jeweils mit der „Sphäre“ politischer bzw. dogmatischer Entscheidung identisch. Die Intensionen sowohl des Begriffes des Staates als auch des Begriffes der Kirche umfassen noch andere Bestimmungen als diejenige der Entscheidung. Und doch ist genau dies, dass nämlich im Staat und in der Kirche jeweils „Entscheidungen“ fallen, das Analogon, das die Analogate verbindet. In ihrem Sachbereich macht die Entscheidung die Sachmitte des jeweiligen Gebietes aus: der Staat ist politische Größe dadurch, dass dort Entscheidungen gefällt werden. Die Entscheidung ist wesentliche Bestimmung des Politischen. Die Kirche ist darin theologisch bestimmt, dass es in ihr das Dogma als Ergebnis einer Entscheidung gibt. Die politische Entscheidung ist Sache des Souveräns, des Inhabers der Regierungsgewalt. Und die dogmatische Entscheidung – wessen Sache ist sie? Sie ist einerseits Sache der in der „Logos-Offenbarung“436 getroffenen vorgängigen Entscheidung Gottes, und sie ist andererseits Sache der in legitimer Rechtsnachfolge zu „den Zwölfen“ sich befindenden Kirche437. In beiden Sachbereichen verbindet das Faktum der Entscheidung genau dies, dass sich der Vollzug der Entscheidung nicht von selbst ergibt. Im Feld der Politik ergibt sich die politische Entscheidung nicht aus Expertenwissen oder aus der Selbstdurchsetzung der Vernunft. Vielmehr bedarf es eines Entscheidungsträgers, der Argumente abwägt und unter Bedingungen knapper Zeit und einer endlichen Vernunft und Freiheit eine Entscheidung fällt. So bedarf es in der Kirche des personalen Trägers der kirchlichen Gewalt, im aktuellen Diskussionszusammenhanges bei Peterson: des Bischofs, der die Autorität zur dogmatischen Entscheidung innehat. An dieser Stelle erkennen wir die Verklammerung dieser Konzeption von „Entscheidung“ in politischer und theologischer Hinsicht mit einer zugehörigen Konzeption von Öffentlichkeit. Der Öffentlichkeitsbegriff des klassischen Liberalismus sah in der politischen Öffentlichkeit den Ort, an dem sich im Austausch rationaler Argumente die Vernunft selbst durchsetzt. In der Selbstdurchsetzung der Vernunft kann im äußersten Falle nur noch das sich als vernünftig Imponierende im Akt der Entscheidung anerkannt werden. Diesem liberalen Begriff von politischer Öffentlichkeit würde eine kirchliche Öffentlichkeit entsprechen, in welcher die Selbstdurchsetzung des Heiligen Geistes den Akt der dogmatischen Entscheidung überflüssig macht und damit ist hier nicht einzugehen, vgl. dazu: Herms, Entscheidung, bes. Abschn. 2.1, 695 – 700, wo Kierkegaard und seine Wirkungsgeschichte in der Theologie bes. der 1920er Jahre behandelt wird. 436 AS 1, 13, Was ist Theologie? 437 AS 1, 252, Die Kirche: „Denn wahre Kirche ist nur da, wo beides sich findet: die Legitimität, in Rechtsnachfolge ,der Zwölfe‘, die sich unmittelbar vom Herrn herleitet, und ein Glaube, der wie bei ,den zwölf Aposteln‘ genötigt ist, aufgrund des Heiligen Geistes selbständige Entscheidungen zu treffen.“

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Macht und Mächte

auch den Träger der dogmatischen Autorität438. Peterson formulierte seine These über die Analogie von politischer und dogmatischer Entscheidung im Herbst des Jahres 1933. Die folgenden Jahre sollten deutlich machen, dass eine Rückbesinnung auf das Wesen kirchlicher Öffentlichkeit, auf die Notwendigkeit dogmatischer Entscheidung und auf die Bedeutung synodaler Formen von kirchlicher Öffentlichkeit auch für die evangelische Kirche anstand.439

438 Dies war die Position von Rudolph Sohm, vgl. Sohm. 439 Vgl. Bauer, 418, und die dort genannten Arbeiten: Gloege, dort Satz IV.1 der Naumburger Erklärung „Von der Kirchengewalt“ der schlesischen Bekenntnissynode von 1936: „Allein die Kirche hat das Gebot und die Verheißung, Lehre und Irrlehrer zu scheiden.“ Ebd., 263; und: Benckert. Bauer weist zu Recht auf das unerledigte Anliegen Bonhoeffers hin, die Wahrheit des Evangeliums in ihrer ekklesiologischen Dimension zu verstehen. Aus der Situation des Kirchenkampfes verschärfte Bonhoeffer diese Frage noch einmal deutlich in Hinsicht auf die Möglichkeit evangelischer Kirche überhaupt. Aus einem Brief an Eberhard Bethge vom 09. 09. 1940: „Ich bin mir ganz klar geworden, dass der Kampf um das Kirchenregiment in der Tat die aus der Geschichte der Kirche notwendig hervorgegangene Frage nach der Möglichkeit evangelischer Kirche für uns ist. Es ist die Frage, ob nach der Trennung von der päpstlichen und der weltlichen Autorität in der Kirche eine Autorität aufgerichtet werden kann, die allein vom Wort und Bekenntnis her begründet ist. Ist solche Autorität nicht möglich, dann ist die letzte Möglichkeit evangelischer Kirche vorbei; dann gibt es wirklich nur Rückkehr nach Rom oder unter die Staatskirche oder den Weg in die Vereinzelung, in den ,Protest‘ des echten Protestantismus gegen falsche Autoritäten.“ Bonhoeffer, Brief, 485. Den Hinweis auf diesen Text verdanke ich Karl-Adolf Bauer.

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5. Kirche als Öffentlichkeit: Ekklesiologie der Öffentlichkeit bei Erik Peterson 5.1 Praxisformen der Öffentlichkeit In zwei Durchgängen sind wir bislang den Überlegungen Petersons zum Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit gefolgt. Im ersten Durchgang haben wir beobachtet, wie Peterson seine Theologie als öffentliche Theologie in rhetorischer Präsentifikation entwickelt. In der Art der theologischen Arbeit kommt zum Ausdruck, dass Theologie ein öffentlicher Vollzug ist. In der polemischen Inszenierung weist die Theologie nicht nur hin auf Orte der Präsenz des Kyrios Jesus Christus, auf Sakrament und Zeugnis, vielmehr wird die Theologie selbst zum Ort der Präsentifikation der Wirklichkeit Gottes: sie markiert Differenz, entfaltet ihr Angriffspotential auf eine in sich geschlossene Säkularität und buchstabiert so auf ihre eigene, nämlich argumentierende, Weise, was es um das Evangelium im Ganzen ist: nämlich Anbruch der Herrschaft Christi, Ende des alten Äon und Beginn des neuen Äon. Im zweiten Durchgang ging es um die explizite und mehr noch um die implizite politische Theologie Petersons, wie sie im Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit zur Geltung kommt. Das Politische als Feld des Agon ist für Peterson prinzipiell mit der Thronbesteigung Christi überwunden, die in sich geschlossene Welt des politischen Konflikts ist aufgebrochen. Allerdings wird diese prinzipielle Überwindung des Politischen in der Zeit zwischen Pfingsten und der Wiederkunft Christi nur im Zusammenstoß von altem und neuem Äon vollzogen. Raum und Zeit des Politischen bleiben als Raum und Zeit des öffentlichen Konfliktes zwischen dem politischen Imperium und dem Regnum Christi, zwischen Chronos/altem Äon und neuem Äon qualifiziert. Wir fanden, dass sich in dieser Bestimmung der politischen Verfasstheit des Evangeliums die Figur des Konfliktes und das Machtparadigma des Politischen durchhalten und die Semantik des Öffentlichen bei Peterson nachhaltig bestimmen. In einem dritten Durchgang gilt es nun die Ekklesiologie der Öffentlichkeit bei Peterson zu entfalten und darin die „Kirche als Öffentlichkeit“1 genauer zu bestimmen. Öffentlichkeit hat für Peterson, wie wir sahen im Gefolge von Carl Schmitt, immer eine politische Qualität. In der Öffentlichkeit kommt, so hatten wir 1 Dies eine Formulierung von Hütter, Praktik, bes. 233 – 236 „Kirche und Öffentlichkeit – oder Kirche als Öffentlichkeit“.

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Kirche als Öffentlichkeit

festgestellt, die politische Bestimmtheit einer Lebensform zur Darstellung. In der Öffentlichkeit geschieht „Repräsentation“, d. h. Darstellung der vorpolitischen Quellen des Politischen im Raume des potentiellen oder aktuellen Konfliktes.2 In diesem Sinne ist die Kirche für Peterson politische und damit öffentliche Größe sui generis, ja der eigentliche und legitime Ort politischer Repräsentation. Die Kirche ist nicht dadurch eine politische Größe, dass ihr der Staat den Status einer Körperschaft verleiht und ihr dadurch im Gefüge des Gemeinwesens einen bestimmten Platz innerhalb der grundsätzlich vorgegebenen politischen Form zuweist.3 Wir sahen, wie die Idee der Repräsentation im Bereich staatlicher Herrschaft nach Peterson immer wieder dahin tendiert, das Politische zu totalisieren und darin kultische Würde, „Anbetung“, Proskynese, auf sich zu ziehen. In der Kirche als politischer Größe ist die Anbetung auf das rechte Ziel bezogen, in ihr geschieht Repräsentation auf die einzig angemessene Weise, nämlich so, dass die Herrschaft Christi als Quelle aller legitimen Macht im Zentrum der Anbetung der Kirche steht und von dort her jede irdische Macht nur noch in abgeleiteter und gebrochener Weise Anerkennung findet. Die Kirche ist aber politische Größe auch in jenem anderen Sinne, in welchem das Politische nicht nur von der Repräsentation der legitimen und anerkannten Quelle der Macht her gedacht wird, sondern in welchem das Politische vom Streit um die Macht her bestimmt wird. In der Kirche und an der Kirche kommt die konflikthafte Verfasstheit des Politischen zum Austrag. In der Kirche und an ihr geschieht der „Zusammenstoß“ von altem und neuem Äon, von Chronos und messianischer Zeit, von Imperium und Herrschaft Christi. Die Kirche ist der Ort, wo dieser Konflikt zur Darstellung kommt und doch gleichzeitig schon überwunden ist. Auch an der Verfasstheit der Kirche als politischer Größe erscheint also der „eschatologische Vorbehalt“, den Peterson für den neutestamentlichen Offenbarungsbegriff so eindrücklich betont hat. Wie die erste Offenbarung Christi in der Verhüllung des Mysteriums auf die künftige zweite Offenbarung Christi in Herrlichkeit verweist – und erst hier im strengen Sinne von „Apokalypsis“ zu reden ist4, so gilt vom

2 D.h. die Einheit eines Volkes (Schmitt, Verfassungslehre, 205) und „das geistige Prinzip der politischen Existenz“ (Ebd., 212), bis hin zu den transzendenten Quellen der Macht, wie sie in einer sich auf die Königsherrschaft Gottes beziehenden Monarchie in Anspruch genommen werden. 3 Cavanaugh weist darauf hin, wie sich in der Praxis der Anerkennung der Kirche als Körperschaft durch den Staat gerade die Aberkennung des eigenständigen politischen Status der Kirche als „body politic“ verbirgt. Der Hinweis zielt auf „the use of Roman law on the Continent to arrogate to the state the sole privilege of recognizing the existence of lesser associations; such associations become endowed with a purely ,fictitious‘ personality, a nomen juris given from the center by royal fiat rather than developed organically.“ Cavanaugh, City, 192. 4 Vgl. AS 7, 141: „Unterscheidung von mysterion und apokalypsis Christi, von erster und zweiter Ankunft Christi“.

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Praxisformen der Öffentlichkeit

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Sein der Kirche, dass hier, im „sakramentalen Kommen des Gottesreiches“5, die Herrschaft Christi ganz präsent ist und doch andererseits in äußerster Weise bestritten bleibt, weil hier der Zusammenstoß mit den Mächten des alten Äons geschieht. Im Sein der Kirche hängen Präsenz und Repräsentation zusammen: Präsenz Christi unter den Bedingungen seiner Absenz in der heilsgeschichtlichen Zwischenzeit. In den Praxisformen der Kirche kommen Präsenz und Konflikt gleichermaßen zur Darstellung. Diese Praxisformen6 sind gleichzeitig auch die entscheidenden Orte, an denen die Öffentlichkeit der Kirche gegeben ist: Liturgie, Zeugnis und Agape/Liebe. In der Feier der Liturgie wird die Relation der Kirche zur Herrschaft Christi realisiert, dort geschieht reale Partizipation an der Wirklichkeit Gottes. Das Zeugnis des Märtyrers betrifft die Relation der Kirche zu den Mächten der vergehenden Welt. Der Zugriff des Imperiums auf den Leib des Märtyrers ist auch der Zugriff der politischen Macht auf den Leib Christi – gleichwie im Kreuzestod Christi die politischen Machthaber auf den Leib Jesu zugegriffen haben, um ihn zu zerbrechen7. Das Martyrium ist aber nach Peterson auch eine besondere Geistesgabe, ein Charisma8, in dem sich Präsenz Christi ereignet – gerade dort, wo der Märtyrer dem Zerbrechen Jesu gleichgestaltet wird. Schließlich spricht Peterson in der Auslegung des Sendschreibens an die Gemeinde zu Ephesus in Apk 2,1 – 7 von der Öffentlichkeit der Liebe: „In der Liebe kommt der öffentliche Charakter der Herrschaft Christi am vollkommensten zum Ausdruck. Es genügt also nicht, missionarischen Eifer zu haben, es genügt nicht, den wahren Glauben zu haben, es genügt nicht Hoffnung zu haben. Erst in der Liebe vollendet sich die Herrschaft Christi.“9

Die Öffentlichkeit der Kirche wird so in den drei grundlegenden Praxisformen der Kirche in jeweils unterschiedlicher Relationalität dargestellt: in der Relation nach „oben“ in der Öffentlichkeit des gemeinsamen Gottesdienstes von himmlischer und irdischer Kirche vor dem Thron Gottes; in der Relation nach „außen“ im Zeugnis vor den Machthabern dieses Äons; in der Relation nach „innen“ in der Agape der Kirche. In der Trias dieser Praxisformen wird die Öffentlichkeit der Kirche nicht etwa hergestellt, sondern ist Öffentlichkeit 5 Vgl. das schon mehrfach zitierte Fragment V, in: AS 2, 146: „Im sakramentalen Kommen des Gottesreiches ist die Möglichkeit der historischen Dialektik endgültig aufgehoben.“ 6 Wir verwenden den Terminus „Praxisform(en)“ in Anknüpfung an die Rede Hütters von den „kirchlichen Kernpraktiken“. Hütter bezeichnet als „Kernpraktiken“ der Kirche solche, die dem christologischen Grund und dem soteriologischen Telos der Kirche angemessen sind. Hütter schließt sich hier an Luthers „Von den Konziliis und Kirchen“ an und nennt: das gepredigte Gotteswort, Taufe, Herrenmahl, Amt der Schlüssel, Ordination und Ämter, öffentliche Praktiken: Gebet, Gotteslob, Unterricht, Leidensnachfolge, vgl. Hütter, Praktik, 176 f. 7 Vgl. dazu Petersons Auslegung von 1. Kor 11,17 – 34, bes. AS 7, 272 f. Dazu die Interpretation von Anglet, Kreuz und Kairos, bes. 44 f. 8 AS 1, 99 f., Zeuge der Wahrheit. 9 AS 4, 165, Offenbarung.

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vielmehr gegeben: der Kirche von der Wirklichkeit Gottes her vorgegeben und doch nur in actu da, im Vollzug von Liturgie, Zeugnis und Agape. In dieser Öffentlichkeit steht die Kirche in der Gegenwart Gottes, hier ereignet sich Selbstpräsentifikation Gottes: reale Teilhabe am Sein Gottes, der Kirche vorgegeben; und zugleich geschieht „Enthüllung“, öffentliche Wahrnehmung: „Wo nun aber der Sinn des Leidens mit Christus öffentlich wird, nämlich in der staatlichen Publizität eines öffentlichen Gerichtsverfahrens (…), da wird auch die Glorie Christi öffentlich in einer der staatlichen Öffentlichkeit analogen Weise ,offenbar‘.“10

Auf das komplexe Ineinander von Verhüllung und Enthüllung in dieser Öffentlichkeit macht Peterson, typografisch häufig durch die Verwendung von Anführungszeichen aufmerksam: „,offenbar‘“. Bedeutsam ist auch, dass er hier von einer „Analogie“ spricht. Die Öffentlichkeit Christi, wie sie in der Schau des Sehers Johannes geschildert wird, ist versehen mit den Insignien der politischen Macht des römischen Imperium – und doch liegt hier keine Identifikation, sondern nur eine „Analogie“ vor, denn die Herrschaft Christi ist anders als die politische Herrschaft des Imperators. Sie ist eine Herrschaft, ein „Sieg“11, der durch das Leiden Christi und im Gleichgestaltetwerden mit dem Leiden Christi errungen wird. Darin ist, so fanden wir, bei aller Inanspruchnahme der symbolischen Sprache der politischen Repräsentation, das „Machtparadigma“ radikal in Frage gestellt und eine neue Gestalt von Öffentlichkeit in den Raum des Politischen eingetreten. In der Liturgie geschieht Partizipation an der Quelle dieser Öffentlichkeit, im Zeugnis stößt diese neue Öffentlichkeit zusammen mit den Öffentlichkeitsansprüchen der politischen Welt, in der Agape realisiert sich die Überwindung des konflikthaften Politischen in einer neuen Lebensform des Friedens mit Gott und des Friedens in den personalen Beziehungen innerhalb des Leibes Christi.

5.2 Die „Zweideutigkeit“ der Kirche Wenn die Kirche in dieser Weise der Ort des Zusammenstoßes von altem und neuem Äon, von differenten politischen Ordnungen und differenten Öffentlichkeitsformen ist, so macht sich dieses Sein an der Übergangsstelle auch in einer tiefen „Zweideutigkeit“12 bemerkbar. Peterson spricht von dieser „Zweideutigkeit“ in dem kurzen, aber systematisch hoch bedeutsamen 10 AS 1, 107 f, auch 108: „Das ,Offenbarwerden‘ Jesu Christi in der ,Glorie‘ bedeutet, daß ,dem Herrn‘ eine ,Öffentlichkeit‘ nach Analogie der politischen Öffentlichkeit zukommt.“ 11 Ebd., 115 „Denn auf eines kommt es nach dem Urteil des Märytrers im Leben an: zu siegen, mit Christus zu siegen.“ 12 AS 1, 254, Die Kirche.

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Die „Zweideutigkeit“ der Kirche

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Traktat „Die Kirche“ aus dem Jahr 1929. Wir skizzieren zunächst den Argumentationszusammenhang, in dem die Rede von der „Zweideutigkeit“ der Kirche begegnet. Peterson nimmt seinen Ausgang bei der „bekannte(n) Sentenz von Loisy : ,Jsus annonÅait le royaume, et c’est l’glise qui est venu.‘“13 Die Kirche ist nicht das Reich Gottes. Und warum nicht? – fragt Peterson weiter und antwortet „Weil die Juden als Volk nicht an den Menschensohn geglaubt haben.“14 Daraus ergeben sich nach Peterson zwei Konsequenzen, die er in Form von zwei Thesen festhält: 1. „Kirche gibt es nur unter der Voraussetzung, daß die Juden als das von Gott erwählte Volk nicht an den Herrn gläubig geworden sind. Zum Begriff der Kirche gehört, dass sie wesentlich Heidenkirche ist.“15 Und die zweite These: „Kirche gibt es nur unter der Voraussetzung, daß das Kommen Christi nicht unmittelbar bevor steht.“16 Die Botschaft Jesu ist nach Peterson „konkret eschatologisch“ gewesen, und zwar „auf die Juden bezogen eschatologisch“17. Mit dem Werden der Kirche als einer heidenchristlich dominierten Größe ändert sich auch diese konkrete Eschatologie, sie wird zur Lehre der Kirche „von den letzten Dingen“. Die Zeit dehnt sich, eine Zwischenzeit bis zur Wiederkunft Jesu tut sich auf und in dieser Zwischenzeit, in der man das unmittelbare Kommen Jesu nicht mehr erwartet, lebt die Kirche. Damit ändert sich auch ihre Verkündigung: die eschatologischen Begriffe werden allegorisiert und moralisiert. Gegen jede Interpretation der „Parusieverzögerung“ als Grundproblem des Urchristentums möchte Peterson aber festhalten: „Es kann nicht nachdrücklich genug betont werden, daß dies keine Verfälschung der ursprünglichen Botschaft Jesu darstellt, sondern nur eine notwendige Folge ist, wenn man mit der Verkündigung des Evangeliums von den Juden zu den Heiden geht.“18 Die „neue Entscheidung zugunsten der Kirche“19 ist nach Peterson in dem Moment gefallen, als „die Zwölfe“ sich nicht mehr im Kontext der konkreten „judenchristlichen Eschatologie“ als die Repräsentanten der zwölf Stämme Israels betrachteten, sondern sich zu den Heiden gesandt wussten als die „zwölf Apostel“: „,Die Zwölfe‘ gehören zum messianischen Reich, die ,zwölf Apostel‘ aber gehören zur Kirche.“20 Und weiter hält Peterson fest: „Das Problem der Kirche ist in diesem einen entscheidenden Faktum beschlossen, daß ,die Zwölfe‘ mit ,den zwölf Aposteln‘ identisch sind.“21 Aus den Repräsentanten der zwölf Stämme Israels für die messianische Zeit sind die Gesandten für die Heidenwelt geworden. Dieser 13 14 15 16 17 18 19 20 21

Ebd., 247. Ebd. Ebd. Ebd., 248. Ebd. Ebd., 248 f. Ebd. Ebd., 251. Ebd.

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missionarische Weg über Israel hinaus in die Heidenwelt war nach Peterson eine unter Leitung des Heiligen Geistes gefällte „Entscheidung“. Damit war aus der messianischen Gemeinschaft der Jünger Jesu die Kirche geworden. Und bis heute kommt die Kirche nach Peterson nicht über die Nötigung hinaus, immer wieder in eigener Entscheidung die Entscheidung der Zwölfe nachzuvollziehen: „Wir sind genau an dieselbe Stelle gebannt, wo auch ,die Zwölfe‘ ihre Entscheidung treffen mussten. (…) In dieser Entscheidung ,der Zwölfe‘ gründet, ich wiederhole es noch einmal, die Kirche, sowohl historisch wie theologisch angesehen, und darum kann nur dieses die Aufgabe der Kirche sein, die Entscheidung ,der Zwölfe‘ in allen späteren Situationen der Kirche festzuhalten und zu wiederholen.“22

Mit dem Vollzug der „Entscheidung“ ist auch der Weg der Kirche in die Institutionalität vorgegeben, denn die „Entscheidung“ wird konkret dort getroffen, wo das „Kirchenrecht“ und damit die Ämter entstehen und auch „dogmatische Entscheidungen“ gefällt werden: „Denn wahre Kirche ist nur da, wo beides sich findet: die Legitimität, in Rechtsnachfolge ,der Zwölfe‘, die sich unmittelbar vom Herrn herleitet, und ein Glaube, der, wie bei ,den zwölf Aposteln‘ genötigt ist, auf Grund des Heiligen Geistes selbständige Entscheidungen zu treffen. Keines dieser beiden Merkmale darf fehlen, weder die rechtliche Legitimität noch die pneumatische Freiheit“23.

Mit der „Entscheidung“ wird die Kirche eine sichtbare Größe, wird sie politisch und partizipiert am irdischen Raum der Entscheidung. Charisma und Institution sind hier für Peterson kein Gegensatz, vielmehr gewinnt die Kirche ihre Sichtbarkeit und Institutionalität gerade durch die Inanspruchnahme des Charismas, der „aus dem Heiligen Geist stammenden Freiheit“24. Das Charisma bleibt so nicht einfach dem Gründungsakt25 der Kirche vorbehalten, um alsbald institutionell zu gerinnen, sondern es muss bleibende Quelle der Institution sein, die gerade in ihrer rechtlichen Gestalt und in der dogmatischen Bestimmung ihrer Lehre auf das immer erneuerte Charisma angewiesen ist.26 22 23 24 25

Ebd., 252 f. Ebd., 252. Ebd., 253. Walter Benjamin hatte in „Zur Kritik der Gewalt“ (in: ders., Angelus Novus, 42 – 66) auf die dezisionistische Quelle jeder Rechtsform hingewiesen, die gerade im ursprünglichen Akt der Rechtssetzung immer mit der Gewalt von Begründung und Durchsetzung beginnen muss und diesen Ursprung in der Gewalt niemals los wird. Die „mythische Gewalt“ amalgamiert nach Benjamin diesem Ursprungsakt ständig die Rechtsdurchsetzung einer absolut auftretenden Macht, während die „göttliche Gewalt“ diesen Umlauf von Recht und Gewalt beendet und eine „neues geschichtliches Zeitalter“ begründet. Petersons sakramentale Aufhebung der historischen Dialektik ist Benjamins politisch-theologischer Hoffnung auf die neue Wirklichkeit setzende Revolution analog. Dem Vergleich beider Konzeptionen dient die groß angelegte Studie von Kurt Anglet, Messianität und Geschichte. 26 In den Kategorien der Herrschaftssoziologie Max Webers, auf die Peterson an verschiedenen

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Die „Zweideutigkeit“ der Kirche

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Damit kehrt sich für Peterson das klassische evangelische Theologoumenon der Unterscheidung von sichtbarer und unsichtbarer Kirche um: „Nicht die unsichtbare Kirche ist ein Gegenstand des Glaubens, sondern die sichtbare Kirche, sie, die gezwungen ist, wie die zwölf Apostel, auch heute noch – auf Grund des Heiligen Geistes – Entscheidungen zu fällen und Glaube gegenüber diesen Entscheidungen zu fordern.“27

Die sichtbare Kirche allein hat „apostolisches Kirchenrecht“, sie hat Ämter, sie hat „die Fähigkeit dogmatische Entscheidungen zu fällen“, darin liegt nach Peterson ihre Identität als Kirche. Wenn sie diese „Freiheit“ nicht hätte, dann könnte sie „überhaupt als Kirche nicht angesprochen werden“28, denn sie würde sich jenem Schritt in die geschichtliche Wirklichkeit der Heidenwelt widersetzen. Damit verlöre sie ihren politischen Charakter – und damit konsequent ihre Öffentlichkeit. Bemerkenswert ist, wie Peterson hier, die Kategorien Kierkegaards, die Kategorien von Entscheidung, Sprung, Gleichzeitigkeit und Wiederholung, in die politisch-theologische Richtung lenkt, um so gerade für die institutionelle Gestalt von Kirche die „pneumatische Freiheit“ in Anspruch zu nehmen, die zwar nicht unabhängig von der „Legitimität“, der „Rechtsnachfolge“, existiert, wohl aber weit darüber hinausreicht. Peterson kommt nahe an den Punkt, dass die „Entscheidung“ als solche, in ihrer formalen Qualität als Entscheidung, die wesentliche Kategorie wird und die inhaltliche Qualifizierung der dogmatischen oder rechtlichen Entscheidung ganz ausfällt. Dann ginge es in erster Linie um das Dogma als Entscheidung. Gleichwohl ist festzuhalten, dass Peterson das Dogma nicht als „Dezision“ in dem Sinne versteht, dass es nur auf sich steht und nicht, um den juristischen Gegenbegriff zu verwenden, „normativ“ rückgebunden ist. Entscheidend ist der pneumatologische Zusammenhang, in dem Peterson im Kirchentraktat die Rede von der „Entscheidung“ verankert: „Kirche gibt es nur unter der Voraussetzung, daß die zwölf Apostel im Heiligen Geist berufen sind und aus dem Heiligen Geiste heraus die Entscheidung, zu den Heiden zu gehen, getroffen haben.“29 Dazu passt auch die Rede von der pneumatologisch zu beschreibenden „Konstituierung“ der Kirche aus der Einführung in die Vorlesung „Geschichte der Alten Kirche“ aus dem Bonner Sommersemester 1928: „Die Konstituierungsform der Kirche ist wesentlich durch das Stellen Bezug nimmt, kann charismatische Herrschaft nicht auf Dauer gestellt werden. Es kommt zu einer „Veralltäglichung des Charismas“, das alsbald in den Typus rationaler oder in traditionaler Herrschaft überführt wird (vgl. Weber, 283 für die Religionssoziologie und 681 ff. für die „Versachlichung“ der charismatischen Herrschaft). Für die Kirche nimmt Peterson an, dass Charisma, rationaler Rechtscharakter und die traditionale Form des Dogmas miteinander bestehen können. 27 AS 1, 252. 28 Ebd. 29 AS 1, 250.

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Kirche als Öffentlichkeit

Dasein einer spezifischen Offenbarungs (Heils-) Geschichte bestimmt, die ihrerseits nicht historisch, sondern nur dogmatisch begriffen werden kann.“30 Hier geht es Peterson um eine Antithese zur Rede von der Instituierung bzw. der Institutionalität der Kirche, die für ihn zu eng an bloß organisatorischen Denkfiguren ausgerichtet ist. „Von hier aus wird nun deutlich, warum ich von der Konstituierungsweise der Kirche und nicht von ihrer ,institutio‘ rede. Ich möchte damit zum Ausdruck bringen, dass wir die Frage nach dem Ursprung der Kirche von der dogmatischen und nicht von der juristischen Seite her aufzurollen haben. Die dogmatischen Fragen aber gibt es nur im Bereich der von mir so genannten theologisch bestimmten Geschichte. Dass sich die Kirche geschichtlich konstituiert, das ist also ein dogmatisches und nicht wieder ein historisches Problem.“ Die Rede von der Konstituierung hat ihrerseits wieder juristische Implikationen, insofern sie auf den „pouvoir constituante“, die „verfassungsgebende Gewalt“ verweist. Konstituierung meint in diesem Sinne bei Schmitt: „…der politische Wille, dessen Macht oder Autorität imstande ist, die konkrete Gesamtentscheidung über Art und Form der eigenen politischen Existenz zu treffen.“31 Konstituierung wäre also in diesem Sinne der sehr viel grundlegendere Begriff, in welchem es um das „Dass-Sein“ der Kirche ginge, bei der Instituierung um das „Was-Sein“ innerhalb eines „konstitutionell“ vorgegebenen Rahmens. Die Konstituierung kann nur pneumatologisch beschrieben werden. Sie kann nicht in sich selbst stehen, sondern bleibt immer an den Beistand des Heiligen Geistes gebunden. So ist auch das Dogma niemals davon losgelöste, abstrakte „Entscheidung“, die den Aposteln zum eigenen Gutdünken übertragen wäre. Vielmehr gilt: „Wenn es aber legitim ist, dass es eine kirchenrechtliche Gewalt gibt, dann ist es auch legitim, dass es ein Dogma in der Kirche gibt. Freilich ist die rechtliche Gewalt den Aposteln nur so gegeben, dass ihnen zugleich auch – nach der Auffahrt Christi in den Himmel – als Ersatz für den nicht mehr gegenwärtigen Christus der Heilige Geist, der Tröster, gegeben worden ist. (…) Zum Begriff des Kirchenrechts gehört, dass es an den Heiligen Geist als den Vertreter Jesu gebunden ist.“32

Wenn hier vom Amt der Kirche die Rede ist, scheint es in erster Linie nicht um das Amt als „Dienst“ zu gehen, das in einer dem Evangelium inhaltlich entsprechenden Weise auszuüben wäre, sondern eher um das Amt als personale Institution von Entscheidungsgewalt. Offenkundig ist, dass wir hier ganz nahe bei der Schmitts Kategorie der Souveränität bei sind. Nur ein Schritt noch wäre es von hier zu der Feststellung, dass die Kirche die „pneumatische Freiheit“ nicht nur für ihre Entscheidung beanspruchen könne, sondern dass die Kirche in ihrer Entscheidung „souverän“ sei. In Petersons Begriff der Ekklesia als Ratsversammlung der Himmelsstadt ist hier allerdings die entscheidende Sicherung eingebaut, die die Fluchtlinie der Kategorien Schmitts unterbricht. In der Auslegung des 1. Korintherbriefes schreibt Peterson zu 1. Kor 1,2: 30 Peterson, Ekklesia, 90. 31 Schmitt, Verfassungslehre, 75. 32 So in der Einleitung zur Vorlesung „Dogmengeschichte des Altertums“ Bonn Wintersemester 1928/29, AS 9/1, 195.

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„Dass die ,Ekklesia Gottes‘ auch in Korinth ist, hängt damit zusammen, dass Gottes Volksversammlung, das heißt die von Gott berufene Versammlung des Volkes Gottes, das Korrelat zu der Himmelsstadt ist. Das himmlische Jerusalem fordert, dass auf der ganzen Erde eine Volksversammlung von Gott einberufen wird.“33

Diese Ekklesia ist nach Peterson eine „Institution, die wesentlich nur da ist, wenn sie zusammentritt und sich ihren Funktionen nach betätigt. Das heißt mit anderen Worten: die ekklesia tou theou, die von Gott einberufene Versammlung, ist nur dann real da, wenn sie zum Kultus sich versammelt.“34

Diese Bestimmung definiert die institutionelle Gestalt der Kirche gerade vom Akt her, genauer vom kultischen Akt. Damit nimmt Peterson durchaus die klassische evangelische Ekklesiologie von Wort und Sakrament auf, um sie aber in einem weiteren Schritt noch einmal in staatsrechtlichen Kategorien zu interpretieren. In der Auslegung der Bestrafung des Blutschänders in 1. Kor 5,1 – 5 macht Peterson auf diese Quellen in der rechtlichen Verfassung der antiken Ekklesia aufmerksam: „Die hier zum Ausdruck gelangende kirchenrechtliche Ordnung, die auf dem consensus des Volkes zu den Rechtsakten ruht, die ein Apostel bzw. ein Nachfolger des Apostels vornimmt, ist natürlich gar keine Neuschöpfung des Urchristentums, sondern beruht auf der Übertragung staatsrechtlicher Begriffe in das Kirchenrecht.“35

Die Ekklesia ist auch darin eine politische Größe, dass sie in den politischen Praxisformen ihrer Zeit agiert, wenn sie ihre politische Identität in der Akklamation zu den Entscheidungen des Apostels oder des Bischofs ausspricht. Die Ekklesia selbst ist nach Peterson nicht „souverän“: „Vorausgesetzt ist das Vorhandensein von übergeordneten Instanzen wie Aposteln und Bischöfen. Bei diesen liegt die eigentliche Gewalt. Sie handeln aber nicht diktatorisch, sondern im Einverständnis mit dem Volk.“36 Die Analogie zwischen Kirche 33 34 35 36

AS 7, 28, 1. Korintherbrief. Ebd., 29. Ebd., 166 f. Ebd., 168. Peterson holt von hier aus zu einer kräftigen Polemik gegen die „Demokratisierung der kirchlichen Verfassung“ zu Beginn der Weimarer Zeit. Seine These: „Wo dagegen das Volk souverän geworden ist, mag es sich dabei nun um die kirchliche oder um die profane Ekklesia handeln, da hat in Wahrheit das Volk aufgehört zu existieren, da bleibt im besten Falle nur das Beamtentum noch erhalten. Das ist die Situation, die für den heutigen Staat gilt, sie gilt nur allzu sehr in analoger Weise auch für die Kirche.“ (Ebd., 169 f.) Werden von dieser Auffassung die antidemokratischen Vorurteile und die antimoderne Polemik Petersons einmal abgezogen, bleibt als systematische crux seiner Ausführungen immer noch ein verhängnisvoll unterbestimmtes Verhältnis zwischen Repräsentation und Partizipation im Leben der Ekklesia. In der Geschichte der synodalen Kirchenverfassungen ist ja der Weg von der Selbstbesinnung der Kirche auf eine ihr angemessene kirchliche Ordnung hin zu einer aktiven Partizipation der Gemeinde gut zu verfolgen. Damit ist allerdings die Frage nach einer theologisch legitimen

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und politischer Sphäre darf nicht in neuzeitlichen Kategorien so ausgelegt werden, als ob es in der Kirche so etwas wie die „Volkssouveränität“ gäbe. Die Ekklesia ist nach Peterson nicht souverän, auch wenn ihr von ihrem Ursprung her die politische Form der „Entscheidung“ eingezeichnet ist und sie damit „Macht“ hat: in der Beschlussformel des Aposteldekrets (Act 15,28) identifiziert Peterson diese Macht ebenso wie in den liturgischen Vollzügen der Handauflegung bei Amtsübertragung. „Die eschatologische Macht der auf zwölf Stühlen thronenden Apostel muß freilich bei der Transposition in die Kirche der Heiden in eine neue Form der Exousia sich wandeln. Damit hört jedoch der Anspruch auf Herrschaft nicht auf.“37

So liegt die „Zweideutigkeit“ der Kirche darin, dass in ihr die politische Sphäre von Konflikt und Entscheidung zusammenstößt mit jener Dimension, die jenseits des Vollzugs der Entscheidung liegt und von einem Schon-Entschieden-Sein38 ausgeht. Die Kirche ist nach Peterson „kein eindeutiges religionspolitisches Gebilde“, aber auch kein „rein spirituelles Gebilde“. Vielmehr gilt: „Die Zweideutigkeit, die der Kirche anhaftet, erklärt sich aus dem Ineinander von Reich und Kirche.“39 In der verlaufenden Zeit kann die Kirche diese Zweideutigkeit nach Petersons Einsicht nicht überwinden, wohl aber muss sie die eschatologische Perspektive der Eindeutigkeit im Blick behalten und sich in die geschichtliche Bewegung, die „Entwicklung“40, hineinstellen, die auf dem Weg der Kirche durch die Heidenwelt auf die Berufung von „ganz Israel“ zielt. Im Zusammenhang dieses kleinen Aufsatzes über „Die Kirche“ macht Peterson die Einsicht in die „Zweideutigkeit“ der Kirche sehr stark. Hier redet er inhaltlich gefüllt von einem dialektischen Begriff der Kirche, der die Grundentscheidungen auch der evangelischen Ekklesiologie aufnimmt, problematisiert und verwandelt. Diese dialektische Spannung hat Peterson in seinem Kirchenbegriff in gewisser Hinsicht abgeschwächt. Cum grano salis lässt sich sagen, dass Petersons Weg in den römischen Katholizismus hinein auch ein Weg zu einem weniger dialektischen Kirchenbegriff ist, eine Suche nach stärkerer Eindeutigkeit. Einer Eindeutigkeit allerdings, von der Peterson im Kirchentraktat selbst bemerkt, dass sie nur eschatologische Gabe sein könne. Einen Aspekt dieser von Peterson dogmatisch und dann auch ekklesiolo-

37 38 39 40

Autorität und der Lehrgewalt einer Synode noch nicht beantwortet. Dass die Kirche keine „Demokratie“ ist in dem Sinne, dass in ihr das „Kirchenvolk“ souverän wäre, dürfte auf der Hand liegen. Peterson hat die Problematik synodaler Entscheidungen nur im Blick auf das reformierte Kirchenrecht kurz gestreift: AS 9/1, 194. AS 1, 253, Die Kirche. vgl. Schlier, Das bleibend Katholische, 299 f. AS 1, 254. Ebd. Eine der wenigen Stellen, wo Peterson den für ihn geschichtsphilosophisch kontaminierten Begriff der Entwicklung in terminologischer Emphase verwendet.

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gisch angestrebten Abschwächung der Dialektik wollen wir nun betrachten. Es geht dabei um Petersons Bestimmung des Apostel–Begriffes. In Petersons Begriff des Apostels drückt sich wie im Kirchenbegriff die Zweideutigkeit von politisch-rechtlicher41 und charismatischer Ordnung aus. Die Kirche ist apostolische Kirche und daher ist die Zeit der Kirche die Zeit bis zur Wiederkunft Christi, in der die Apostel mit Christus herrschen42. In dieser Zwischenzeit haben die Apostel und ihre legitimen „apostolischen“ Nachfolger einerseits die Vollmacht zu Rechtssetzung und Rechtsprechung, andererseits verkörpern sie in ihrem Amt auch die pneumatische Ordnung der Charismen. Peterson weist in seiner Auslegung des Philipperbriefes aus dem Jahr 1938 besonders auf die seiner Auffassung nach schon neutestamentliche und damit ursprüngliche Verbindung von Apostelamt und Charisma des Martyriums: „Kirchenrecht ist Apostelrecht und darf ebenso einen Anspruch an uns stellen wie die charismatische Wirksamkeit des Apostels, der in seinem Opferdienst für den Glauben der Gnade des Martyriums gewürdigt worden ist.“43

Die besondere Autorität der Apostel gründet in der eschatologischen Bestimmung der Zeit der Kirche als Zwischenzeit zwischen erstem und zweitem Kommen Christi. Die Zwischenzeit ist die Zeit der Repräsentation in doppelter Hinsicht: zum einen als politische Repräsentation und andererseits – eng damit zusammenhängend – auch in der Hinsicht, in der das Sakrament durch Repräsentation vermittelte Präsenz ist. Repräsentation bedeutet in diesem Zusammenhang nun, dass einerseits zwischen dem Repräsentierten und dem Repräsentierenden unterschieden wird – die Apostel sind nicht Christus, Brot und Wein repräsentieren den zerbrochenen Leib Christi – dass aber andererseits im Verhältnis der Repräsentation eine engste, eine substantielle Verbindung zwischen Repräsentiertem und Repräsentierendem aufgestellt wird. Die Apostel sind in diesem Sinne Repräsentanten der eschatologischen Öffentlichkeit des neuen Äon44, sie sind die „Herolde“45, die die Thronbesteigung Christi und den Anbruch des neuen Äon öffentlich verkünden – und diese Öffentlichkeit ist die politische Öffentlichkeit des Imperium Romanum. Die Apostel sind Repräsentanten des neuen Äon vor den Herrscher des alten Äon, in ihrer Zwölfzahl Repräsentanten des neuen Gottesvolkes vor den Völkern 41 Zu betonen ist hier, dass für Peterson das Politische und das Rechtliche ganz nah beieinander liegen. Peterson denkt hier das Recht nicht von einem bestehenden in sich geschlossenen Legalitätssystem her, sondern mit Schmitt von der Entscheidung, insbesondere von der Autorität der Rechtssetzung her, an deren Beginn nicht wiederum Recht, sondern vielmehr Macht steht – allerdings keine „souveräne“ Macht, sondern im „Rechtsanspruch“ (AS 1, 13) Gottes begründete und begründende Macht. 42 AS 7, 141: „Die Herrschaft der Apostel mit Christus gilt für die Zeit bis zum Kommen Christi.“ 43 AS 2, 78, Apostel und Zeuge Christi. 44 AS 7, 8 f., 1. Korinther. 45 AS 6, 14, Römer.

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der natürlichen Ordnungen. Sie sind aber auch Repräsentanten Christi gegenüber dem Volk Gottes und damit in der eschatologischen Zwischenzeit „Stellvertreter Christi“, sie haben apostolische Autorität in der Kirche und von ihnen her leitet sich nach Peterson in „apostolischer Sukzession“ die apostolische Autorität der Kirche her.46

5.3 Apostel und Kirche Inhaber des Apostelamtes sind die „Zwölf“, die in der Sendung zu den Heiden die „zwölf Apostel“ werden. In eminentem Sinne ist Kephas/Petrus Apostel. Das Apostolat der Zwölfe ist nun in einem anderen Sinne Apostolat als dasjenige des Paulus. Wenn wir die Ausführungen Petersons über die Zweideutigkeit der Kirche aufnehmen, können wir sagen, dass das Apostolat der Zwölfe „eindeutig“ ist, während Peterson von Paulus als dem „Apostel der Ausnahme“ spricht, in dessen Gestalt sich das „Zweideutige“ der Kirche personal verdichtet. Von den Zwölfen ist nur im Sinne einer „Vielzahl der Apostel die Rede“47, sie werden nach Peterson nicht in ihrer Individualität gesehen. Ihre Legitimität ist niemals bestritten worden, sie sind nicht als Personen von ihrer Identität als Apostel zu unterscheiden, ihrem „Apostolatsbegriff“ fehlt alles „Rollen- und Gestalthafte“48. Anders sieht Peterson nun Paulus: seine Legitimität als Apostel ist nicht in der gemeinschaftlichen Berufung durch Jesus fundiert. Er ist als Einzelner berufen und darum auch in seiner Individualität von Bedeutung. Er musste immer wieder um die Legitimität seines besonderen Apostolats kämpfen. Paulus ist nach Peterson „nicht Apostel in einem repräsentativen, sondern in einem existentiellen Sinne“49, nicht „in einem substantiell repräsentativen Sinne“50. So sehr die „zwölf Apostel“ mit ihrem Apostolat identisch sind, so sehr ist das Apostolat für Paulus Gegenstand der Reflexion. Er ist nach Peterson als Individuum von seiner „Rolle“ als Apostel unterschieden, daher kann er sich nach Peterson selbst in seinem Sein und Tun als Apostel beobachten, beschreiben und dann auch problematisieren. Peterson geht auf diesen auch für den Kirchenbegriff hoch bedeutsamen Zusammenhang in der Auslegung von 1. Kor 4,9b ein. Peterson übersetzt diesen Vers: „Denn ein Spektakel sind wir geworden für Kosmos, Engel und Menschen.“51 In der „Rolle“ eines Gladiators, der im Triumphzug eines Siegers 46 AS 7, 134, 1. Korinther : „Die Idee der apostolischen Sukzession kann man nur ablehnen, wenn man in den Aposteln keine Stellvertreter Christi sieht.“ 47 AS 7, 10. 48 Ebd., 150. 49 Ebd., 12. 50 Ebd., 11. 51 Ebd., 144.

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einher geführt wird, sieht Paulus nach Peterson sich selbst. Paulus begreift sich damit als den prototypisch „Unglücklichen“, der, selbst gebunden, den Blicken einer feindlichen Öffentlichkeit ausgesetzt ist: „Man sieht einen Unglücklichen, der unter den Blicken der Zuschauer leidet.“52 Die Quelle dieses Unglücks ist nun nicht etwa, dass „Kosmos, Engel und Menschen“ den gebundenen und leidenden Apostel betrachten, sondern dass sich der Apostel selbst dabei sieht, wie er betrachtet wird. Peterson resümiert: „Der Vers zeigt die Brechung des Selbstbewusstseins des Apostels durch die Reflexion.“53 Diese interpretierende Wendung Petersons ist aufschlussreich. Die Reflexion ist für Peterson die Quelle der Selbstdistanzierung und darin die Quelle des unglücklichen Bewusstseins. Der reflexive Beobachter ist der prototypische Unglückliche, der Entzweite; er, der sich selbst dabei beobachtet, wie er beobachtet wird. Der „legitime“ Apostel hat dieses „Leiden“ der Reflexion nicht, er ist identisch mit seiner Rolle. Auch der legitime Apostel ist Märtyrer, d. h. auch er wird im Triumphzug in die Arena geführt, wird von den Mächten beobachtet, aber : er beobachtet sich dabei nicht selbst. Wenn wir überhaupt sagen können, dass er „beobachtet“, dann wäre von der Stephanuserzählung her zu sagen, dass der Märtyrer vom erhöhten Menschensohn angeschaut wird und dann: dass der Blick des Märtyrers sich auf die externe Wirklichkeit Jesu richtet, die ihm in der Schau gewährt wird. Die Reflexion löst diese Sicht auf die Wirklichkeit auf, wie sie überhaupt nach Peterson „alles“54 auflöst und den aller substantiellen Bindungen entkleideten „Beobachter“ in die Melancholie fallen lässt. Auf den Kirchenbegriff übertragen markiert diese Denkbewegung Petersons genau die Wendung weniger dialektischen und weniger reflexiven Kirchenbegriff. Wir bemerken die verständlicherweise tiefe Sehnsucht nach einer nicht durch Reflexion angegriffenen, unmittelbar in der Schau der Wirklichkeit Christi verankerten Gestalt von Kirche. Peterson sucht nach einem Begriff von Kirche, der den Problemen der „Zweideutigkeit“ auszuweichen in der Lage ist. Die Zweideutigkeit entspringt ja daraus, dass nicht nur dogmatische „Entscheidung“ vollzogen wird, sondern die Entscheidung auch reflexiv, in Bindung an die historische Kontingenz und unter Einbeziehung einer partizipativen Praxis von Kirche, eingebettet ist. Petersons Antihistorismus und seine Absage an die idealistisch geprägten Denkfiguren seiner theologischen Lehrergeneration wirken sich so mittelbar in Petersons Kirchenbegriff und in seiner Ekklesiologie aus. Der Raum der Reflexion ist ja, transponiert von der psychologischen Ebene des apostolischen Selbstbewusstseins auf die kirchliche Praxis, die Austauschsphäre, die diskursive Sphäre, in der das, was ist, auch anders sein könnte. Historismus, also Kontingenzbewusstsein, und partizipative Praxis über die „Akklamation“ hinaus stehen für Peterson unter 52 Ebd., 147. 53 Ebd., 146. 54 AS 2, 149, Neue Fragmente.

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dem Verdikt der beobachtenden Selbstdistanzierung. Seine Suche gilt einem starken, nicht reflexiven Realismus – in den theologisch-dogmatischen Grundlagen wie auf der Ebene des Kirchenbegriffes. Ebenfalls in den Kategorien des „Theatron“ formulierte Schmitt seine im Jahr 1956 erschienene Rechtfertigungsschrift „Hamlet oder Hekuba. Der Einbruch der Zeit in das Spiel“55. Dort erscheint Hamlet als der „durch Reflexionen gehemmte Melancholiker“, der sich den Anforderungen der politischen Konfrontation mit dem Mörder seines Vaters entziehen will, um in das Spiel zu flüchten. Der biographische Hintergrund für Schmitts Traktat liegt wohl darin, dass er seine Parteinahme für den Nationalsozialismus im Jahr 1933 als einen Versuch gewertet wissen will, sich der „Tragik“ der geschichtlichen Wirklichkeit zu stellen, den „Einbruch der Zeit“ nicht zu übersehen – wohl wissend sich dabei schuldig zu machen. Schmitt nimmt für sich in Anspruch, nicht den Ausweg in das Spiel und in die Kontemplation, also die Betrachtung des Spiels genommen zu haben. Darüber ist hier nicht zu urteilen. Für unseren Zusammenhang bemerkenswert ist die Art, wie Schmitt den Zusammenhang von tragischem Spiel und geschichtlicher Wirklichkeit bestimmt: „Die gemeinsame Öffentlichkeit, die bei jeder Theateraufführung den Dichter, die Sprecher und die Zuschauer umfaßt, beruht bei der Tragödie nicht auf gemeinsam anerkannten Sprach- und Spielregeln, sondern auf der lebendigen Erfahrung einer gemeinsamen geschichtlichen Wirklichkeit.“56 Dem tragischen Zusammenstoß von unvereinbaren Prinzipien, dem Austrag dieser Spannung im tragischen Protagonisten, der darin untergeht, liegt nach Schmitt nicht eine ästhetische Konstruktion zugrunde, sondern geteilte geschichtliche Erfahrung – wobei für ihn in der eigentlichen Tragödie kein versöhnendes Prinzip, keine Synthese, hinter der geschichtlichen Agonalität liegt. Diese Denkfigur des tragischen Zusammenstoßes zweier wirklichkeitgesättigter Prinzipien können wir auch in Petersons Konzeption des Apostels und Märtyrers beobachten: am Leib des Märtyrers kommt der Zugriff der Äonen zum Austrag, in der geschichtlichen Realität, die als eschatologische Zeitbestimmung auch noch unsere Wirklichkeit ist – allerdings christlich bestimmt durch die Vision des thronenden Menschensohnes. Nur durch den Tod des Märtyrers hindurch gibt es „Synthese“ und Versöhnung. Petersons Auslegung von 1. Kor 4,9 sucht jeden Gedanken einer ästhetisierenden Distanznahme aus dem Agon zu bannen: keine historisierende Kontemplation und keine gebrochene Rollenidentität ist möglich. Diese Linie von Kierkegaard zu Schmitt, in der wir auch Peterson verorten können, ist keineswegs von nur antiquarischem Interesse. Christoph Menke hat sie aufgenommen in „Die Gegenwart der Tragödie. Versuch über Urteil und Spiel“57. Seine These ist, dass das tragische Spiel die geschichtliche Wirklichkeit nicht „ironisiere“, und damit als Wirklichkeit auflöse, sondern dass Tragik und Spiel nicht ohne einander sein können, dass erst das Spiel Erfahrung des Tragischen möglich 55 Schmitt, Hamlet. 56 Ebd., 47. 57 Menke.

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mache und damit für das Urteil und das Handeln im „Einbruch der Zeit“ vorbereite. Diese These könnte für ein Verständnis der Liturgie bedeutsam sein.

Petersons Kirchenbegriff ebenso wie sein Theologiebegriff können so immer wieder eine Tendenz zu einer identitären, undialektischen Gestalt zeigen und den dialektischen Ansatz dementieren, der sich aus dem „eschatologischen Vorbehalt“ ergeben müsste. Auch Petersons Begriff von Öffentlichkeit wird durch diese Frontstellung geprägt. Das Theatron/Spektakel ist die defiziente Form von Öffentlichkeit, in der der Märtyrer den Mächten des alten Äon vorgeführt wird und sich selbst in dieser Öffentlichkeit sieht. Allein für diese Öffentlichkeitsform rechnet Peterson mit dem Vollzug von Reflexion. Die eigentliche Öffentlichkeit der Kirche ist aber für ihn eine nichtreflexive Form von Öffentlichkeit. Ihre Vollzugsform ist die Akklamation, in der das Politische nicht dem Diskurs unterworfen ist. Die politische Idee der Repräsentation hat für Peterson in der Kirche alle Formen diskursiver Partizipation aufgesogen, denn Partizipation hätte es immer mit Mechanismen reflexiver Distanz zu tun: Distanz zum eigenen Geworden-Sein, zur eigenen Kontingenz, Distanz zur eigenen Rolle und Gestalt. In einem Exkurs zur Auslegung von 1, Kor 4,9 kommt Peterson auf den Begriff des Apostels bei Kierkegaard zu sprechen58. Er macht Kierkegaard gerade dies zum Vorwurf, dass er59 die Gestalt des Apostels ganz von der „Rolle“ her denke, die der Apostel als ein „Auserwählter“ zu übernehmen habe, die ihm aber wesentlich extern bleibe – bei Kierkegaard im Unterschied zum „Genie“, das mit seiner „Rolle“ identisch sei. Kierkegaard habe dabei seine in romantischen Kategorien gedachte Auslegung des Apostolats des Paulus zur Norm erhoben. Gerade aber weil Paulus der Apostel der Ausnahme60 sei, könne sein Apostolat keine Norm begründen und jeder Versuch die Kirche auf seine singuläre Gestalt zu gründen, müsse fehlschlagen, wo nicht das „legitime“ Apostolat des Petrus und der „Zwölfe“ als Norm vorgegeben sei.

58 Petersons Vorlesung zum 1. Kor wurde zur Zeit der Kierkegaard-Renaissance in Kirche und literarisch-philosophischer Welt gehalten, vgl. dazu die Einleitung von H.U. Weidemann in AS 7, bes. XVIf. Wie tief Peterson selbst Kierkegaard verpflichtet ist, haben wir weiter oben besprochen. 59 Kierkegaard, Unterschied. 60 Peterson wirft Kierkegaard vor, dass sein Apostelbegriff nur „ein unechter Begriff der Ausnahme“ sei, unecht, weil er „nur eine romantische Abstraktion, aber keine theologische Kategorie“ sei (AS 7, 150 f.). Im Hintergrund steht hier die Kritik Schmitts am „Occasionalismus“ der „politischen Romantik“, der Vorwurf, dass die Romantiker jede ernsthafte politische Bindung in die Spiegelungen der romantischen Subjektivität auslösten und dadurch das Politische zu einer ewigen Diskussion degeneriere (Schmitt, Politische Romantik). 20 Jahre nach den Vorlesungen zum 1. Korintherbrief nimmt Peterson Kierkegaard umgekehrt als Kronzeugen in Anspruch für den letztlich „katholischen“ Sprung aus der bürgerlichen Allgemeinheit in die „Realität“ der Existenz vor Gott, für eine „durch eine Entscheidung“ vollzogene „Form der Existenz außerhalb des Allgemeinen“. AS 2, 59, Kierkegaard.

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5.4 Widerspruch der „Dialektischen Theologie“ Mit dem Bemühen, im Begriff des Apostels Charisma und Institution zu verbinden, sucht Peterson die vom eschatologischen Rahmenkonzept dem Kirchenbegriff her vorgegebene „Zweideutigkeit“ zu unterlaufen und eine stärker vereindeutigte und undialektische Bestimmung des Kirchenbegriffs zu finden.61 Gerade an dieser Intention Petersons, undialektisch und „konkret“ von der Kirche und ihrer Autorität zu reden, setzte schon früh der Widerspruch gegen Peterson ein und es ist bezeichnend, dass dieser Widerspruch zunächst ein Widerspruch gegen seine Ekklesiologie war. In „Zwischen den Zeiten“, dem Publikationsorgan der Dialektischen Theologie, in dem Peterson selbst in den Jahren 1924/25 veröffentlicht hatte, erschienen als Reaktion auf „Was ist Theologie?“ im Jahr 1926 zwei markante Erwiderungen von den prominentesten Sprechern der Dialektischen Theologie, von Karl Barth und Rudolf Bultmann62. In beiden Aufsätzen geht es zentral um die Bedeutung der „Dialektik“: in Barths Aufsatz „Kirche und Theologie“ um einen dialektischen Begriff von Kirche, in Bultmanns Arbeit „Die Frage der ,dialektischen‘ Theologie um die epistemologische und methodologische Bedeutung der Dialektik für die Dogmatik. Wir wollen an dieser Stelle die Kritik Barths am Kirchenbegriff Petersons genauer betrachten. Barth fragt in „Kirche und Theologie“ mit Peterson und durchaus in Zustimmung zu Petersons Fragerichtung: wie ist die „konkrete Autorität“ der Kirche zu verstehen, die zu einem „konkreten Gehorsam“63 führt? Barth konzediert nun, dass Theologie in der Tat dort, wo die Kirche selbst in ihrer Mitte eine Unklarheit über die in ihr geltende Lehre hat, nur eine „private, zufällige, unmaßgebliche Antwort“64 auf die Frage nach dem Dogma als dem schlechthin Bindenden kirchlicher Verkündigung sein kann: 61 Heinrich Assel interpretiert den christlichen Gottesdienst im Sinne Petersons auf eine dieser „Zwischenexistenz“ der Kirche angemessene Weise. Die Kirche unterscheidet ihren Kult vom Kult im himmlischen Jerusalem: „Nicht im christlichen Kult, sondern nur im Kult der Engel des himmlischen Jerusalem wird dieses Ereignis (scil. dass der Name Gottes, ,sein Name der einzige‘ sein wird) adäquat repräsentiert. Dort wird der göttliche Name genannt, nicht hier. Die Funktion der Engel im christlichen Kult ist präzise diejenige einer dritten Größe. Diese dritte Größe übergreift die bipolare Konfrontation von jüdischem und christlichem Kult, die Logik von Substitution und Erfüllung. Der Topos von den himmlischen Hierarchien, vom Kult der Engel, konstruiert eine noch verdeckte Transzendenz. Er formuliert einen kritischen Vorbehalt.“ Assel, Worüber man, 190. Kann man das Changieren der Ekklesiologie und Liturgietheologie Petersons in dieser Weise angemessen aufheben? Mir scheint, dass Peterson in seinen Spitzenaussagen ein eher identitäres Verständnis von Kirche und Kult ausdrücken kann: die Kirche vollzieht die himmlische Liturgie mit, die Engel nehmen teil am irdischen Kultus, dessen Grenzen damit aufgehoben werden. 62 Barth, K., Kirche und Theologie. Bultmann, Frage der „dialektischen“ Theologie. 63 Barth, K., Kirche und Theologie, 21. 64 Ebd.

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„Eine sehr wesentliche Bedingung des Elends unserer heutigen Theologie besteht darin, daß wir, indem wir Theologie treiben, keine Kirche hinter uns haben, die den Mut besitzt, uns unzweideutig zu sagen: das und das ist, soweit wir mitzureden haben, Dogma in concretissimo.“65

Barth interpretiert Peterson dahin gehend, dass dieser behaupte, die Autorität der Kirche gründe darin, dass der Kirche von ihrem Herrn nach seiner Himmelfahrt seine, Jesu Christi, eigene Autorität übertragen worden sei. Und hier setzt Barth seinen Widerspruch an: „Himmelfahrt bedeutet nicht nur, wie Peterson es darstellt, die Übertragung stellvertretender sekundärer Gewalt an die Kirche, sondern auch den Abschied des eigentlichen primären Gewalthabers, das Sichtbarwerden der der Kirche gesetzten eschatologischen Grenze.“66

Die „primäre“ Autorität bleibt nach Barth der auferstandene Christus, der der Kirche nur eine „zeitliche, relative, formelle Autorität“ anvertraut. Die Kirche und mit ihr die Theologie haben also „zwischen Christi unmittelbarer und seiner der Kirche verliehenen mittelbaren Autorität (…) zu unterscheiden.“67 Diese mittelbare Autorität der Kirche ist nur die Autorität des „Offenbarungszeugnisses“, so dass im Wort der Kirche, beglaubigt durch den Heiligen Geist, je und je im Vollzug der Verkündigung „Vergegenwärtigung der Offenbarung“68 geschieht. Daher muss nach Barth die Theologie prinzipiell dialektisch reden, und damit muss die Kirche, in deren Raum theologische Arbeit vollzogen wird, von sich selbst einen dialektischen Begriff haben. Theologie ist dann „ein Bilden prinzipiell unvollständiger Gedanken und Sätze, unter denen jede Antwort auch wieder Frage ist und die alle miteinander über sich selbst hinausweisen auf die erfüllende unaussprechliche Wirklichkeit des göttlichen Sprechens.“69 Die Theologie kann nach Barth nicht die Synthese bilden zwischen den beiden Seiten der theologischen Aussage, die sich um die Kopula „und“ gruppieren. Sie kann aus „Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit“ der Kirche kein undialektisches Drittes bilden, das die Spannung zwischen Schöpfer und Geschöpf, die Bedeutung des „unendlichen qualitativen Unterschiedes von Gott und Mensch“70 relativiert, um die Souveränität Gottes der irdischen Kirche gleichsam zu inkorporieren. Vor diesem Hintergrund kann der Gehorsam fordernde Auftrag der Kirche nur sein, dem Geschehen der Vergegenwärtigung der Offenbarung zu dienen, indem das Wort gepredigt und 65 66 67 68 69 70

Ebd., 22. Ebd., 26. Ebd., 27. Ebd., 28. Ebd., 32. Ebd., 33.

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gehört wird, die Sakramente gefeiert und genossen werden, indem in der Kirche „Buße“, „Dankbarkeit“, „Gebet“71 lebendig sind. So gilt es nach Barth für die Kirche, „sich an der Verheißung genügen zu lassen, ihrer Grenze bewußt zu sein, ihres Herrn zu warten und nicht selber den Herrn zu spielen.“72 Genau dies ist dann der Vorwurf Barths gegen Peterson: diese Grenze zugunsten einer Selbstautorisierung der Kirche zu überschreiten, die „mittelbare“ Autorität der Kirche von der „unmittelbaren“ Autorität Christi nicht mehr in der sachlich gebotenen Weise zu unterscheiden.73 Bemerkenswert ist, dass sowohl Barth als auch Peterson für sich in Anspruch nehmen, eschatologisch zu argumentieren. Barth schärft die eschatologische zu beachtende Grenzziehung ein, Peterson die gerade vom Anbruch des neuen Äon her gegebene besondere Autorität der Kirche. Bei beiden ist die Figur von Absenz, Präsenz und Repräsentation auf jeweils eigentümliche Weise verschlungen: bei Barth in der Tradition des Extra-Calvinisticum unter Betonung der Absenz Christi, bei Peterson unter dem Vorzeichen der sakramentalen Präsenz des erhöhten Christus. Beiden haben auch die die Verwendung echt temporaler Kategorien in den eschatologischen Argumentationsfiguren stark abgeschwächt. Im Falle Barths ist schon seit langem bemerkt worden, wie sehr die neukantianische Epistemologie seine dialektischen Denkfiguren bestimmt74. Für Peterson wäre zu sagen, dass Peterson selbst nicht die ekklesiologischen Konsequenzen aus dem von ihm so stark reklamierten „eschatologischen Vorbehalt“ zieht und daher seine Theologie immer wieder dazu neigt, die Autorität Christi direkt als die Autorität der Kirche in Anspruch zu nehmen. Barth selbst hat den Einspruch Petersons wie kein zweiter evangelischer Theologe in den 1920er Jahren ernst genommen und als einen entscheidenden Impuls für die Ausarbeitung seiner Dogmatik als einer Kirchlichen Dogmatik verwertet75. Petersons Impulse aus der gemeinsamen Zeit in Göttingen in den 71 Ebd., 36. 72 Ebd., 35. 73 Vgl. die Intentionen Barths in der Auseinandersetzung mit Peterson zusammenfassend Herms: „Die Betonung, daß die dem Theologen gegenwärtige Wirklichkeit der Kirche Autorität besitzt gerade und nur in Beziehung auf die Autorität der Offenbarung selbst und somit von der letzteren ebensowohl unterschieden wie an ihr teilhabend, schließt zwei entscheidende Abgrenzungen ein: nach links die Abgrenzung gegen alle schwärmerische Verneinung der Gebundenheit an und durch die kirchliche Situation als eine, die den Theologen und sein Theologietreiben durch die ihr eigene Autorität (…) verpflichtet; und nach rechts gegen jede Identifikation der Autorität der gegenwärtigen Situation des Zeugnisamtes der Kirche mit der Autorität der Offenbarung selbst“. Herms, Entdeckung, 164. 74 Vgl. McCormack, 28. Dort auch der Verweis auf die grundlegende Arbeit von Lohmann, Neukantianismus. Vgl. auch Hütters Einsicht: „Die Unvollständigkeit der theologischen Sätze ist dann nicht von einem epistemologisch ausgelegten eschatologischen Vorbehalt zu verstehen und in der Form der Dialektik einzuholen, sondern von der Unabgeschlossenheit des Heilswerkes Gottes und der damit verbundenen Wirklichkeit des konkreten Widerspruchs gegen Gottes Heilshandeln her.“ Hütter, Praktik, 155. 75 Zum biographischen Hintergrund dieses Ernstnehmens vgl. Nichtweiß, 499 – 567.

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Jahren 1922 bis 1925 wurden für Barth noch einmal drängender nach seinem Wechsel nach Münster im Oktober 1925, wo Barth einem sehr eindrücklichen Katholizismus begegnete, dem gegenüber er einen protestantischen Standpunkt neu zu definieren hatte. Reinhard Hütter hat diese Begegnung Barths mit dem römischen Katholizismus zum Gegenstand von Überlegungen zur Verhältnisbestimmung von Protestantismus und Katholizismus gemacht, die uns helfen können das Spezifikum des Kirchenbegriffes bei Peterson besser zu verstehen76. Hütter nimmt hauptsächlich Bezug auf eine Arbeit Barths aus der Münsteraner Zeit: „Der römische Katholizismus als Frage an die protestantische Kirche“77. Barth formuliert dort die erste ganz grundlegende Herausforderung der evangelischen Kirche durch den Katholizismus: „Die protestantische Kirche ist durch den römischen Katholizismus erstens gefragt, ob und inwiefern sie Kirche ist.“78 Barth wendet diese Frage in seinen Überlegungen zunächst in die Richtung einer protestantischen Selbstkritik, wenn er die neuprotestantische Fassung des Kirchenbegriffes als eine Funktion religiöser Subjektivität markiert und in dieser Antithese eine größere Nähe der Reformatoren zum Kirchenbegriff der römisch-katholischen Tradition sieht als zu den neuprotestantischen Theologien. Den Reformatoren sei es „um das sichtbare Tun einer sichtbaren Kirche gegangen“79. Die andere Herausforderung liegt nach Barth aber in der Frage an die „protestantische Kirche“, „ob und inwiefern sie eine protestantische Kirche ist“80, eine Kirche des Wortes, in welcher „die unaufhebbare Subjektivität Gottes, seine Freiheit allen Mitteln gegenüber, die Einzigartigkeit seiner Autorität, so gut das durch Kategorien menschlichen Denkens geschehen kann, bezeichnet und sichergestellt ist.“81 Diese doppelte Frage nach dem Sein von Kirche überhaupt und nach ihrer besonderen Gestalt als protestantische Kirche macht es notwendig die ekklesiologische Reflexion einerseits auf die sichtbare Kirche auszurichten und zu fragen, in welchem Maße die vorfindlichen protestantischen Kirchen der reformatorischen Grundeinsicht noch entsprechen, andererseits aber gerade diese sichtbare Gestalt von Kirche wiederum dem Feuer der Kritik auszusetzen, wo diese Kirche selbst der Versuchung nachgibt, ihre eigene Autorität mit der Autorität Gottes zu verwechseln. Reinhard Hütter interpretiert diese doppelte Frage Barths dahin, dass bei Barth letztlich das kritische Moment dominiere und Barth so einen „,genuine Protestantism‘ as a critical principle“82 konstruiere. Diesem „Protestantis76 Hütter, ,Dialectical Catholicity‘. 77 Barth, römische Katholizismus. Hütter zitiert Barth nach der englischen Übersetzung in: Barth, K., Theology and the Church. Shorter Writings 1920 – 1928, London 1962. 78 Barth, ebd., 316. 79 Ebd., 325. 80 Ebd., 329. 81 Ebd., 332. 82 Hütter, ,Dialectical Catholicity‘, 146.

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mus“ als einem nur mehr „kritischen Prinzip“ gerät unter der Hand auch der Anspruch wahre, katholische Kirche zu sein aus dem Blick, er kann nur noch „dialectical catholicity“ sein: „,Genuine Protestantism‘ as a critical principle practices in its ,dialectical catholicity‘ the distinction between the Church’s identity resting in God’s reconciling activity in Christ and the difference of human witness to this very acitity.“83

So ist in der Interpretation Hütters für Barth das ekklesial eingebundene menschliche Zeugnis immer fundamental zu unterscheiden vom Wirken des Heiligen Geistes: „The one true Church can only exist as an event in which, due to the Holy Spirit’s action, the human witness fully coincides with its referent, God’s graceful election of Christ. Yet this event occurs under the conditions of time only ,je und je‘. Only eschatologically in the full consummation of all will the Church coincide perpetually with its referent.“84

So stehen also für Barth die je aktuelle Gestalt von Kirche und das je aktuelle Zeugnis immer unter dem Vorbehalt der Notwendigkeit, vom aktuellen Wirken des Heiligen Geistes beglaubigt – oder dementiert zu werden. Dies führt dazu, so interpretiert Hütter, weiter, dass dieser Protestantismus als „kritisches Prinzip“ immer in Distanz bleibt zu seinen ekklesialen Verkörperungen, zwar immer kritisch bezogen bleibt auf vorfindliche Gestalten der Kirche, aber nicht selbst konstruktiv wird im Aufbau der Kirche:„The deep problem now is that Barth’s ,genuine Protestantism‘ cannot really exist in an eccesially embodied form.“85 Das kritische Prinzip bleibt „abstract from each concrete ecclesial body.“86 Diesem nicht „verkörperten“ Protestantismus als einer bloß „dialektischen Katholizität“ setzt Hütter eine „concrete catholicity“ entgegen, die er als sichtbare, vorfindliche Verwirklichungsgestalt von Kirche versteht, als „a way of life, i. e., a distinct set of practices interwoven with normative beliefs, concretely and distinct embodied.“87 In dieser Replik Hütters wird eigentlich der ekklesiologische Diskurs der 1920er Jahre in unseren zeitgenössischen Kontext hinein fortgesetzt und wir merken etwas vom Problemüberschuss dieser Theologie der 20er Jahre. Das theologische Pathos Petersons hatte damals die Fragen formuliert, die weiter darauf warten, von einer evangelischen Ekklesiologie beantwortet zu werden. Hütter nimmt hier aus der Barth–Peterson Kontroverse und ihrer publizistischen Fortsetzung in Barths Vorträgen und Aufsätzen auf genuine Weise das Anliegen Petersons auf. 83 84 85 86 87

Ebd. Ebd. Ebd., 147. Ebd. Ebd.

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Im Hintergrund dieser Analyse Hütters steht seine Rede von der „Kirche als Öffentlichkeit“, wie er sie in seiner 1997 publizierten Habilitationsschrift „Theologie als kirchliche Praktik“88 entfaltet hatte. Hütter spricht dort davon, dass die Kirche eine distinkte Form von Öffentlichkeit in sich selbst ist. Die Kirche hat Öffentlichkeit, weil sie Öffentlichkeit ist. Und sie ist Öffentlichkeit, weil sie als Lebensform ein Ensemble von Praxisformen, von „Praktiken“ hat, die sie als Ort des gemeinsamen Lebens auszeichnen. Hütter redet von „Kernpraktiken“89, die das Sein der Kirche konstituieren und doch als Handlungsvollzüge selbst von „pathischer“ Art sind, so nämlich, dass die Kirche in ihnen das Handeln des Heiligen Geistes an sich selbst erfährt und darin als Kirche zu allererst konstituiert wird. Das „Pathos“ des Heiligen Geistes ist in Hütters Analyse darin gleichzeitig „Poiesis“, schöpferisches Wirken. Das Wirken des Heiligen Geistes stiftet eine Polis90, einen Ort gemeinsamen Lebens, an dem distinkte Praktiken vollzogen werden, die dadurch qualifiziert sind, dass sie ein „soteriologisches telos“ haben. Von Luthers reifer Ekklesiologie, wie sie in „Von den Konziliis und Kirchen“ (1539) entwickelt ist, gewinnt Hütter seine Beschreibung der „Kernpraktiken“91: 1. das gepredigte Wort, 2. Taufe, 3. Abendmahl, 4. Schlüsselgewalt/ Gemeindezucht, 5. Ordination und Ämter, 6. Gebet, Lob Gottes, Dank, Unterricht, 7. Nachfolge im Leiden. Hütter schreibt: „Die ökonomische Mission des Heiligen Geistes, sein soteriologisches Werk der Heiligung und Erneuerung wird durch diese sieben Vollzüge vollbracht“92. Die Kirche als besondere, distinkte Öffentlichkeit wird durch dieses besondere soteriologische telos und die in ihm gegebenen „Praktiken“ qualifiziert, genau so wie jede der verschiedenen anderen Öffentlichkeiten der Gesellschaft durch ein ihr immanentes telos und spezifische „Praktiken“ unterscheidbar wird. Zur Öffentlichkeit der Kirche gehört nun nach Hütter auch, und gerade hier wird Peterson für ihn wichtig, dass es in ihr doctrina evangelii gibt, kirchliche Lehre93 und auf sie bezugnehmende theologische Lehre mit dem Sinn der „Bewahrung des soteriologischen Telos der kirchlichen Kernpraktiken“94. Bezogen auf die Auseinandersetzung zwischen Peterson und Barth versucht 88 Hütter, Praktik. 89 Ebd., 56 – 61 und 175 ff. 90 Hütter weist freilich darauf hin, dass die Kirche Polis und Oikos in einem ist. Sie ist distinkte Öffentlichkeitsform mit politischer Qualität, und sie ist auch Oikos, „Haushalt“ Gottes: „…reklamiert man für die distinkte Öffentlichkeit von Kirche die Logik der Polis, so muß in einem Atemzug damit zugleich ein wesentlicher Aspekt der Logik des Oikos reklamiert werden, nämlich der des irreversiblen Bezugssystems, in dem Verhältnisse zueinander nicht zur freien Disposition stehen, sondern festgelegt sind“ (Ebd., 227). In den Worten Petersons: Die Kirche als Polis ist nicht souverän, ihr Herr sitzt auf dem himmlischen Thron. 91 Ebd., 176. 92 Ebd., 177. 93 Material bestimmt bei Hütter als „Gesamtheit von Schriftkanon, altkirchlichen trinitarischen und christologischen Dogmen und den Bekenntnisschriften“. Ebd., 197. 94 Ebd., 184.

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Hütter damit, die Ansprüche beider Konzeptionen zur Geltung zu bringen, indem er einerseits die materiale Verbindlichkeit des Dogmas der Kirche betont, andererseits aber das Dogma wiederum rückbindet an die eschatologisch ausgerichtete „Poiesis des Heiligen Geistes“ und ihm damit den dezisionistischen Charakter nimmt. Wenn Hütter allerdings in der Alternative von Kirche als „Institution“ und Kirche als „Ereignis“ Peterson ganz für den institutionellen Pol in Anspruch nimmt und von „völliger Einklammerung des Heiligen Geistes“95 bei Peterson spricht, können wir nach unserem Durchgang durch die Texte Petersons dieses Urteil als verfehlt betrachten. Hütters Rede von der Kirche als Polis bezieht sich auf den kommunitaristischen Diskurs, wie er etwa bei Stanley Hauerwas ekklesiologisch fruchtbar gemacht worden ist.96 Die Kirche wird hier verstanden als distinkte Öffentlichkeitsform, die dem hegemonialen Druck des neuzeitlichen Öffentlichkeitsbegriffes des politischen Liberalismus entgegen gesetzt wird. In ähnlicher Weise kann die Radical Orthodoxy Schule, etwa Cavanaugh oder Pickstock von der Kirche als Polis in eucharistischer Communio sprechen97, als Räume und Zeiten übergreifende Sozialform versöhnter Differenz. Die Sensibilität dieser theologischen Schulen gegenüber dem Polis-Ekklesia Komplex nimmt sicher authentische Impulse Petersons mit auf. Petersons Position in der Verhältnisbestimmung von himmlischer Gottesstadt und irdischer Ekklesia hat ihre Pointe jedoch gerade darin, die Differenz beider deutlich zu machen, um gerade hier den „eschatologischen Vorbehalt“ anzusetzen. Der Blick auf die unlängst neu edierten Texte zum Ekklesia-Polis Zusammenhang hat dies noch einmal sehr deutlich gemacht. Nur ein Beispiel aus einem Vortragsmanuskript der Bonner Zeit: „Es wird Ihnen aufgefallen sein, dass ich zwischen der Himmelsstadt und der Ekklesia streng scheide. Das hat einen bestimmten Sinn. Die Ekklesia ist zur einen Hälfte auf der Erde, die andere Hälfte, zu der die Engel und Seligen gehören, ist zwar im Himmel, aber die Stadt Gottes selber ist doch noch im Himmel. Erst am Ende der Tage sieht der Seher von Patmos die Himmelsstadt sich auf der Erde niederlassen. In dieser räumlichen Trennung von Polis und Ekklesia, in dieser räumlichen Trennung, die durch den Gegensatz von Himmel und Erde bezeichnet wird, kommt nun auch der eschatologische Vorbehalt zur Geltung. Denn diese räumliche Spanne ist zugleich auch Ausdruck für die zeitliche Spanne, die noch zwischen Christi erster und zweiter Ankunft liegt.“98

Hütter nimmt einen wichtigen Diskursstrang ökumenischer Theologie auf: den einer trinitarisch strukturierten communio-Ekklesiologie, in welcher das Sein von Kirche als Anteilhabe am trinitarischen Communio-Sein Gottes99 ausgelegt wird. In diesem trinitarischen Rahmen wird es dann auch sinnvoll, 95 Ebd., 147. 96 Hauerwas. Dort mit einer eigenständigen Bearbeitung der Differenz von „Political Theology“ und „Theological Politics“ – mit Bezug auf die Studie von Rasmusson. 97 Cavanaugh, City ; Pickstock, Liturgy. 98 Peterson, Ekklesia, 43 f. 99 Vgl. Hütter, Praktik, 158 ff.

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all die Elemente ekklesiologisch zur Geltung zu bringen, die die gegenseitige Partizipation der trinitarischen Personen aneinander thematisieren. Partizipation an der Fülle des dreieinigen Lebens Gottes, in das die Kirche durch den Sohn im Geist mit hinein genommen ist100. Für die westliche Christenheit wurde diese Communio-Ekklesiologie mit ihrer starken Betonung partizipatorischer Elemente erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wirkmächtig, als die Notwendigkeit gesehen wurde, eine politische Theologie der pluralistischen Demokratie zu entwickeln. Peterson hat diese theologischen Möglichkeiten, die durchaus in der Fluchtlinie seiner Betonung des Dogmas gelegen hätten, noch nicht sehen können. An dieser Stelle kann Hütter zeigen, wie wesentliche Einsichten Petersons im Kontext heutiger politischer und ekklesialer Wirklichkeit verwandelt aufgenommen und fruchtbar gemacht werden können.

5.5 „Radical Orthodoxy“ und die Kritik der Säkularität Noch einer weiteren Linie gegenwärtiger politischer Theologie und Ekklesiologie wollen wir von den Grundentscheidungen Petersons her nachgehen. Sie betrifft die Frage nach der Verhältnisbestimmung der der Kirche inhärenten politischen Dimension und dem Begriff des Politischen, wie er mit dem säkularen Staat verbunden ist. Wir waren auf einen doppelten Befund gestoßen: zum einen ist Peterson einem vom Konflikt her entworfenen Verständnis des Politischen verpflichtet, wie es als Säkularisierungsprodukt dem neuzeitlichen Verständnis des Politischen entspricht, zum anderen aber denkt Peterson diesen Konflikt als eine streng eschatologisch bestimmte Relation, die theologisch eng verknüpft ist mit dem apokalyptischen Rahmenkonzept urchristlicher Theologie. So ist Peterson in der Lage, die Kirche als den Ort zu bestimmen, an dem der Zusammenstoß von altem und neuem Äon stattfindet, und dies einzuzeichnen in den Konflikt zwischen den totalitären Ideologien des 20. Jahrhunderts und der Kirche. Die Theologie des Konflikts tritt in der Communio-Ekklesiologie zurück. Diese ist als politische Theologie entworfen für die pluralistischen liberalen Gesellschaften des Westens, in denen die Kirche als zivilgesellschaftlicher Akteur im Rahmen eines grundsätzlich vorgegebenen gesellschaftlichen Konsensus lebt und bei allem Pluralismus noch ein relativ homogenes Gemeinwesen existiert. Unter diesen Bedingungen erscheint eine Theologie des Konflikts als ein Element, das bestehende 100 Robert W. Jenson, dem Hütter selbst in vielem verpflichtet ist, schreibt dazu: „The second person of the Trinity is eschatologically a communal reality that includes and creates community. The entry of redeemed humanity into the life of God does not transform God from a Trinity into a multiplicity, because we enter only as those in whom the Son invests himself and with whom he identifies himself. But the investment and identification are real: the Son truly is not without his disciples, also not as an identity of God.“ Jenson, 415.

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Ungleichheiten eher verschärft, das eher Dissoziation als Integration fördert. Wenn die Kirche hier auf die dissoziativen Kräfte des Evangeliums, auf Grenzziehung setzt, dann sieht sie sich, auch vor dem Hintergrund eines von der militanten Spielart des Islam geprägten Bildes von Religion, allzu schnell der Frage ausgesetzt: „Wieviel Religion verträgt Deutschland?“101 Unter diesen Rahmenbedingungen liegt es näher, die „Grenzen“ der Kirche, ihre distinkte Lebensform, ihr Differenzbewusstsein nicht so stark zu betonen. Hütter formulierte unter Einsicht in die Problematik dieser Unterbestimmung von Differenz: „Als Öffentlichkeit des Heiligen Geistes ist Kirche nicht durch ,Grenzen‘, sondern durch eine Mitte konstituiert, die sich in den Kernpraktiken ,Raum‘ und ,Zeit‘ schafft und die in der doctrina verbindlich ausgesagt wird: diese Mitte ist ganz und gar christologisch bestimmt und markiert in dieser Bestimmung allerdings auch eine Grenze, um die die Kirche nicht umhinkommt.“102

Einer derartigen Formulierung merkt man an, dass sie davor bewahren möchte, die Differenz als Grenzbestimmung zu stark zu betonen. Andererseits führt gerade die Rede von der Kirche als distinkter Öffentlichkeit mit eigenen Praxisformen/Praktiken dazu, nach dem Ort der Kirche im Ganzen einer sich säkular definierenden Gesellschaft und eines weltanschaulich neutralen Staates zu fragen. Je stärker dabei das politische Gemeinwesen sich selbst als normative Größe begreift, welche die divergenten gesellschaftlichen („Interessen-“)Gruppen auf einen auch materialen Konsens verpflichten möchte, desto deutlicher stehen wir wieder einer Situation nahe, wie sie Peterson in den 1920er Jahren vor Augen hatte und in seinen Arbeiten bedenkt: einer Versuchung für die Kirche, sich als Religionsgesellschaft nahtlos in den politischen Rahmen des Staates einzupassen und darin bestimmte „Funktionen“ zu erfüllen. Dann steht der theologische Rahmen, in dem sich die Kirche selbst beschreibt, zur Disposition: die Kirche kann sich nicht mehr als eschatologische Größe beschreiben103, sie muss ihr Dogma und ihre Lehre nach politischen Kompatibilitäten ausrichten. Peterson erinnert die Kirche an ihr Differenzbewusstsein und daran, dass ihr Rahmen nicht der Rahmen des Staates sein kann, der ihr bestimmte Einflusssphären und bestimmte zivilgesellschaftliche, privatisierte Organisationsformen zuweist. Peterson erinnert die Kirche daran, dass sie Ort des Zusammenstoßes ist und er verweist doch auf einen Ort, der eschatologisch 101 Schieder. 102 Hütter, Praktik, 229, und die dazugehörige Anmerkung 77. 103 Vgl. Brunner, P., 208: „Die Abblendung des eschatologischen Horizontes unseres menschlichen Daseins gehört zu den finstersten Verdunkelungen, die über die Christenheit gekommen sind. Wo diese eschatologischen Horizonte unseres Daseins zugedeckt werden, kann das Wesen der Kirche und insonderheit ihre Sichtbarkeit nicht verstanden werden. Denn die Kirche ist selbst (…) eine eschatologisch-soteriologische Größe.“

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jenseits des Zusammenstoßes gefunden werden kann und sakramental schon jetzt realisiert ist. Wenn W.T. Cavanaugh im Kontext der Radical-Orthodoxy Schule und in großer Nähe zu Milbank von der Eucharistie als „earthly practice of peace and reconciliation“104 spricht und darin die große politische Vision der Kirche unterstreicht, dann geschieht dies nur vor dem Hintergrund dessen, dass der neuzeitliche Staat sich als die eigentlich verbindende, die „katholische“ Größe versteht: „The underlying assumption is that it is not the church, but the nation-state that is ,catholic‘; the church, in so far as it is a political actor, is a particular association of civil society that is encompassed by the larger universal political sphere of the nationstate. Theologically speaking, this is a grave error.“105

In der Perspektive dieses von Cavanaugh benannten Irrtums liegt die Einsicht, dass dem Staat eben eine differente „Soteriologie“, eine „state-soteriology“ zugrunde liegt, die darauf zielt, die Merkmale der Katholizität der Kirche aufzusaugen und zu verzehren. Die Globalisierung ist in dieser Sicht nicht eine Einschränkung und Entmächtigung des Staates, sondern vielmehr „the logical extension of the state project’s subsumption of the local under the universal.“106 In dieser „state-soteriology“ geht es nach Cavanaugh darum, dass die Unterwerfungsmacht des Staates durchgesetzt wird, jene Macht, in welcher sich der Individualismus des Selbstbesitzes und der Universalismus des „impersonal and centralized state“107 spiegelbildlich entsprechen – unter Ausschaltung jener Instanzen, die nach der Logik von Universalismus und Individualismus nurmehr Zwischengrößen sind und sich dem Durchgriff der Macht widersetzen. Folgt man dieser Genealogie des modernen Staates, und es ist kein Zweifel, dass dies nahe an den liberalismuskritischen Gedanken Petersons liegt, dann wird es ganz plausibel, das Differenz– und Distinktionsmoment im Sein der Kirche zu verstärken und dann gerade im Widerspruch zur Logik der „statesoteriology“ von der politischen Kraft der eucharistischen Gemeinschaft zu reden und ein Bild von Kirche zu entwerfen, dass den harmonischen Zusammenklang des Differenten betont – jenseits der agonalen Sphäre des säkularen, bzw. „heidnischen“108 Politischen. 104 105 106 107

Cavanaugh, City, 197. Cavanaugh, Church, 404. Ders., City, Ebd., 193. Ebd., 192, dazu auch die schneidende Sentenz. „The dominance of state soteriology has made it perfectly reasonable to drop cluster bombs on ,foreign‘ villages, and perfectly unreasonable to dispute ,religious‘ matters in public.“ Ebd., 194. 108 Zum neuen Heidentum der Postmoderne schreibt Milbank: „The latter’s (scil. the postmodern dualism) self-proclaimed paganism is a kind of deconstructed paganism, for the real pagans were always hoping to subordinate the admitted conflictual diversitiy of the gods to a harmonious order ; an open celebration to the finality of the agon was only latent.“ Milbank,

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John Milbank spricht in Anknüpfung an Augustin in einer Metapher aus dem Feld der Musik, vom „concentus musicus“: „For Christianity, true community means the freedom of people and groups to be different, not just to be functions of a fixed consenus, yet at the same time it totally refuses indifference; a peaceful, united, secure community implies absolute consensus, and yet, where difference is acknowledged, this is no agreement in an idea, or something once and for all achieved, but a consensus that is only in and through the inter-relations of community itself, and a consensus that moves and ,changes‘: a concentus musicus.“109

In diesem Gedanken Milbanks schwingen keine apokalyptischen Töne mehr mit. Der Konflikt, der Zusammenprall zischen Kirche und dem totalen Politischen ist in der Ontologie der Partizipation ausgeblendet. Differenz ist externalisiert auf eine politische Realität, die seltsam entrückt bleibt. Daher hat die Kirche bei Milbank keine „Exklusion“110 nötig, sie ist die Realität der Liebe, „substantive peace“, daher gilt: „Christianity should not draw boundaries, and the church is that paradox: a nomad city.“111 Cavanaugh denkt im Vergleich zu diesen Ausführungen von Milbank stärker von der politischen Frontstellung zwischen „state-soteriology“ und der eucharistischen Praxis der Kirche: „If it is true that the modern state is but a false copy of the Body of Christ, then it is obvious that state power is the last thing the Church should want. (…) Fortunately, in the making of the Body of Christ, Christians participate in a practice which envisions a proper ,anarchy‘, not in the sense that it proposes chaos, but in that it challenges the false order of the state.“112

In diesem klaren Gegenüber, das sich den Festlegungen des säkularen Staates bewusst widersetzt, existiert die Kirche als eine distinkte Lebensform, in der Versöhnung und Frieden zeichenhaft realisiert sind und doch nur auf die eschatologische Erfüllung und Vollendung verweisen. Gerade in ihren Kernpraktiken ist diese Lebensform sichtbar, ist sie „Verkörperung“, ist es, wie es in einer glücklichen Formulierung von Cavanaugh heißt, ihre Aufgabe, „to discern in each concrete circumstance how best to embody the politics of the

109 110 111 112

Augustinism, 230. Was im vorchristlichen Heidentum nur latent war, ist nach Milbank für den postmodernen Dualismus manifest: Agonalität um ihrer selbst willen und ohne Hoffnung auf Versöhnung. Milbank, 228. Ebd., 229. Ebd. Cavanaugh, City, 194. Setzte Schmitt auf die “Entanarchisierung” des Christentums, um es den Anforderungen der politischen Einheitsbildung kompatibel zu machen, so geht es hier umgekehrt darum, das anarchische Potential des christlichen Glaubens zu wahren gegenüber dem Absolutismus der dominanten gesellschaftlichen Teilsysteme.

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cross in a suffering world.“113 Die Kirche kann dies nur, wenn sie in sich selbst „body politic“ ist, aber als body politic bleibt sie geprägt durch die „Politik des Kreuzes“, die sicher stellt, dass sie sich, obschon eschatologische Größe, nicht mit dem Eschaton verwechselt.

113 Cavanaugh, Church.

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6. Die Liturgie als Ort kirchlicher Öffentlichkeit Die Kirche ist nach Peterson selbst Öffentlichkeit, sie ist eine politische Größe mit einer nur ihr spezifischen Form von Öffentlichkeit, unterschieden von anderen Öffentlichkeitsformen, die mit jeweils differenten politischen Größen verknüpft sind. Die Öffentlichkeit der Kirche ist unterschieden von der politischen Wirklichkeit des Staates, unterschieden von der politischen Wirklichkeit der Gesellschaft – und doch bleibend auf diese anderen politischen Größen und ihre jeweils unterschiedenen Öffentlichkeitsformen bezogen. Die Öffentlichkeit der Kirche realisiert sich in ihrem Binnenverhältnis als „Liebe“, sie realisiert sich im Außenverhältnis, dort wo alter und neuer Äon zusammenstoßen, als „Zeugnis“. Und die Öffentlichkeit der Kirche realisiert sich markant im Gottesdienst der Kirche. Hier, in der liturgischen Feier, steht die Kirche vor dem Thron Gottes, ist sie bezogen auf Seine Herrschaft, ist sie mit einbezogen in den Kult der Engel. In der Partizipation an diesem Kult im himmlischen Heiligtum gewinnt die Kirche überhaupt erst ihr Sein: als irdische Volksversammlung der himmlischen Stadt. Die Kirche wird konstituiert durch die participatio an der himmlischen Feier : so die These Petersons.1 Diesen Zusammenhang wollen wir jetzt im Werk Petersons verfolgen. Dazu soll in einem ersten Durchgang der 1935 erschienene große Aufsatz „Von den Engeln“ interpretiert werden. Im Anschluss werden einige liturgietheologische Aspekte aus den Auslegungen der Apokalypse diskutiert. In einem weiteren Abschnitt sollen Petersons Ausführungen zur Abendmahlstheologie in den Auslegungen von 1. Kor 11 und Joh 6 betrachtet werden. Wir werden durchgehend versuchen, Petersons Positionen in Beziehung zu setzen zu aktuellen Gesprächsfäden an der Schnittstelle zwischen politischer Theologie und Liturgietheologie.

6.1 Das Buch „Von den Engeln“ von 1935 Die Kirche ist für Peterson politische Größe, weil sie in sich selbst den Charakter einer Polis hat. Dieser Charakter ist allerdings nicht unproblematisch und nicht eindeutig. Die Kirche ist nämlich eine Polis im Zwischenzustand, sie hat ihr Sein „zwischen der irdischen und der himmlischen Polis“2. Es ist so, dass „die Kirche das irdische Jerusalem und seinen Tempel verlassen hat und 1 Dazu: Nichtweiß, „… die liturgische Funktion meines Herzens“. 2 AS 1, 197, Von den Engeln.

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Das Buch „Von den Engeln“ von 1935

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sich auf der Wanderschaft nach dem himmlischen Jerusalem und seinem Tempel befindet“3. Zum Charakter der Kirche als Ekklesia gehört es, dass, wie die profane Polis ihre Volksversammlung mit der Befugnis zum Vollzug von Rechtsakten hat, als Volksversammlung/Ekklesia der himmlischen Stadt subsistiert, in welcher das Volk zusammenkommt, um den Akt der „politischen“ Entscheidung zu vollziehen. Hier gilt nach Peterson, dass die Kulthandlungen der Ekklesia der Himmelsstadt den Rechtsakten der profanen Ekklesia entsprechen und profane und sakrale Institution einander „in analoger Weise“4 entsprechen. Für die Beziehung der Kirche zum himmlischen Jerusalem ist es nach Peterson „deutlich, daß es die Sakramente, beziehungsweise der Kult sind, durch die das himmlische Jerusalem und die Ekklesia miteinander verknüpft sind.“5 In den Sakramenten also vollzieht sich die Verbindung von himmlischer Polis und irdischer Ekklesia. Diese Verbindung ist nun als eine doppelte zu denken: „entweder als eine Teilnahme der Engel am irdischen Kult, oder umgekehrt“ eine Teilnahme der irdischen Kirche „an dem Kult, der Gott im Himmel von den Engeln dargebracht wird“6. Beide möglichen Bewegungsrichtungen der Teilhabe untersucht Peterson. Er fragt, ob es im „Zeugnis der Heiligen Schrift und der kirchlichen Tradition“ Belege gibt für die Vorstellungen, dass die Kirche am himmlischen Gottesdienst teilnimmt und dafür, dass die Engel am Gottesdienst der irdischen Kirche partizipieren. In der Auslegung der Kapitel 4 und 5 der Apokalypse behandelt Peterson die himmlische Liturgie vor dem Thron Gottes. Dieser Abschnitt der Offenbarung des Johannes nimmt sich nach Petersons Interpretation in der dramatischen Schilderung der eschatologischen Ereignisse wie ein retardierendes Moment aus, und hat doch die entscheidende Funktion, den ab Kapitel 7 dargestellten Gang der endzeitlichen Ereignisse zurück zu binden an die unveränderliche Wirklichkeit Gottes, wie sie im himmlischen Gottesdienst nach Apk 4 und 5 angeschaut wird. In diesem Sinne sind die Kapitel 4 und 5 nach Peterson „Ausdruck der theologischen Tatsache, daß alles eschatologische Weltgeschehen in Gottes ewiger Welt gründet“7. Der ewige Gottesdienst in der himmlischen Welt und der apokalyptische Agon der vergehenden Welt stehen also in einer engen Beziehung: „In allem Leiden dieser Weltzeit, in allen Veränderungen und dämonischen Kämpfen innerhalb dieses Äons bleibt ewig und unbeweglich jener Kult, den Engel dem Ewigen erweisen und an dem die irdische Kirche teilhat.“8 Zielpunkt aller Vorgänge in der himmlischen Welt ist 3 Ebd., 198. 4 Ebd. Auffallend ist hier, wie vorsichtig Peterson diese Analogie einführt: „Man könnte vielleicht sagen, daß …“ und dass ihm an dieser Stelle seiner Argumentation daran liegt, „die Unterscheidung von Himmelsstadt und Ekklesia zum Ausdruck“ zu bringen. Ebd. 5 Ebd. 6 Ebd., 199. 7 Ebd., 200. 8 Ebd.

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der unaufhörliche Lobpreis, wie er seine Spitze im Dreimal-Heilig-Ruf der vier Lebewesen um den Thron Gottes hat. Genau hier, wo die innere Mitte des himmlischen Kultes liegt, sieht Peterson nun den Ort, wo sich der himmlische Lobpreis öffnet auf die Partizipation der irdischen Kirche hin. Die ewige Welt Gottes ist in Petersons Interpretation nicht statisch und in sich geschlossen, sondern sie ist geöffnet für die irdische Welt durch „Gottes Manifestation in Schöpfung und Erlösung“9 : Die vier Wesen bringen Gott dar „,Preis, Ehre und Danksagung‘“ und sie ehren Gott als den „,der da war und der da ist und der da kommt‘“10. Nach Peterson verweist die Danksagung/ Eucharistia auf Gottes Schöpfungs- und Erlösungswerk. Ebenso bricht der Ausdruck „der da kommt“ den „onologische(n) Ewigkeitsbegriff“ auf und dynamisiert ihn. Hier liegt nach Peterson „die Möglichkeit der Verbindung der himmlischen mit der irdischen Liturgie“11 und so wird der Ruf der vier Wesen von den 24 Ältesten aufgenommen, die als „Repräsentanten des geistigen Israel, das heißt der Kirche“12 ihren Platz ebenfalls um den Thron Gottes herum haben. Im Zentrum aller Wirklichkeit also sind in Petersons Interpretation schon himmlischer und irdischer Kult, vollendetes Gottesvolk und Kirche miteinander verknüpft und in die engste mögliche Verbindung gebracht. Steht der ewige Lobpreis Gottes im Zentrum des himmlischen Kultus, so werden auch die sprachlich-literarischen Formen dieses Lobpreises wichtig: Akklamation, Doxologie und Hymnus. Gerade in diesen Formen zeigt sich nach Peterson die tiefe politisch-theologische Prägung des himmlisch-irdischen Kultus. Die 24 Ältesten sind königliche und priesterliche Repräsentanten des Gottesvolkes: selbst herrschaftlich-königlichen Charakters bringen sie dem König aller Könige vor seinem Thron die Huldigung in Form der Proskynese und der Akklamation dar. Insofern sie Priester sind, bringen sie Gott die Huldigung als Doxologie und Hymnus dar. Die Abgrenzung der unterschiedlichen Gattungen und ihre Verbindung mit den Ämtern von Priester und König scheint Peterson wichtig zu sein, obwohl er sie nicht scharf durchführen kann. Die Akklamation trägt stärker das politisch-theologische Gepräge des Lobpreises um der herrscherlichen Würde willen, der Hymnus nimmt dagegen mehr die Würde und die Werke des Schöpfers in den Blick. Und doch ist der Hymnus wiederum in seiner Spitze nach Peterson ein „,Siegeshymnus‘ (Epinikion)“13, welcher den Sieg Christi preist. Denn: „Der ,Sieg‘ des Lammes begründet eine neue Polis.“14 Der Hymnus ist so ein „,letzter‘, eschatologischer Hymnus“, er ist der „Hymnus des neuen Äon“, der alle partikularen, nationalen Hymnen, die die 9 10 11 12 13 14

Ebd., 201. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 204. Ebd.

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Siege in der agonalen politischen Welt preisen, überwindet. Peterson zitiert diese „,neue Ode‘“ aus Apk 5,9: „,Würdig ist das geschlachtete Lamm, zu nehmen Kraft und Reichtum und Weisheit und Stärke und Ehre und Herrlichkeit und Segen.‘“15 Doch ist nach Peterson auch dieser Siegeshymnus „nicht eigentlich ein Hymnus, sondern eine akklamationsartige Doxologie. Für einen Hymnus fehlt der eigentliche prädikative Inhalt.“16 Der Sieger, der hier gepriesen wird, ist als geschlachtetes Lamm nicht einfach ein Sieger, wie er in der politischen Sphäre gängigerweise gepriesen wird, sondern er ist „im Gegensatz zu den Raubtieren, die nach dem Daniel-Buche die Weltreiche symbolisieren“ das geopferte Lamm, das gerade in seinem Opfer die Herrschaft ein für alle Mal erringt und damit zugleich alle Herrschaft transzendiert. An dieser Stelle der Sequenz „Akklamation–Doxologie–Hymnus–Ode“ überschreitet der Lobpreis in der Interpretation Petersons noch einmal alle Grenzen. Peterson spricht vom „eschatologische(n) Hineinziehen des Kosmos in das Gotteslob“17. Am Ende dieser in weiteste Dimension ausgreifenden Schilderung des himmlischen Gottesdienstes steht dann wiederum die Konzentration: die Rückkehr in den engsten Kreis um den Thron Gottes, das Amen der Thronengel und die wortlose Proskynese der Ältesten. In einem zweiten Durchgang nach der Sichtung des Schriftzeugnisses untersucht Peterson Stücke der kirchlichen Tradition auf die Vorstellung der Teilhabe am himmlischen Gottesdienst hin. Er wendet sich dem DreimalHeilig-Ruf zu. Grundlage ist hier für ihn das Dreimal-Heilig aus der alexandrinischen Markus-Anaphora.18 Peterson stellt fest, wie die hinter dem Sanctus stehende Berufungsvision des Propheten Jesaja in ihrer christlichen Rezeption nicht mehr den Jerusalemer Tempel als Schauplatz hat. Das Sanctus ist gleichsam in den Himmel ausgewandert. Das in der christlichen Liturgie verwendete Sanctus hat seinen Ort im himmlischen Jerusalem, es ist eingefügt in Zusammenhänge von kosmischer Reichweite mit Blick auf die gesamte reich gegliederte Hierarchie der himmlischen Heerscharen. Diese Verschiebung fort vom Jerusalemer Tempel und hin zum himmlischen Thron Gottes ist dort konsequent, wo christologisch ausgesagt wird, dass der Ort der Herrlichkeit Gottes der in den Himmel erhöhte Leib des Christus ist. So erschallt also das Sanctus der Engel im Himmel und es gilt: „Aus dem himmlischen Jerusalem aber (…) tönt der Ruf der Engel in die irdische Ekklesia der Christen, die sich der Himmelsstadt genähert haben, hinüber, so daß dann auch die Kirche in das Dreimal-Heilig der Engel einfällt.“19 Deutlich 15 16 17 18

Ebd., 205. Ebd. Ebd. Die Markus-Anaphora kann hier durchaus auch für die westlichen Liturgien stehen, die ja ebenfalls, wenn auch in weniger ausgeführter Form, das Sanctus in den eucharistischen Liturgien kennen. 19 AS 1, 209.

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ist in diesem Zusammenhang Petersons Argumentationsstrategie, die himmlische Gottesdienstversammlung und die irdische Kirche wohl begrifflich zu differenzieren, sie aber andererseits so eng zusammen zu binden, dass dem Gottesdienst der Kirche abgesehen von seiner Partizipation am himmlischen Kultus keine eigene Qualität zukommt. Was die irdische Liturgie ist, das ist sie nur in ihrer Partizipation am und in ihrer Abkünftigkeit vom himmlischen Kultus. Das innere Gefälle der Aussagen Petersons kann dann an einigen Punkten aber die Distinktionen überspringen und in seinen Spitzenaussagen zu identifikatorischen Bestimmungen kommen, etwa: „Weil also die ,Herrlichkeit Gottes‘ nicht mehr im Tempel zu Jerusalem da ist, sondern in der Kirche Christi, wenn sie sich im Gottesdienst zusammen mit den Engeln im Himmel versammelt …“20. War gerade noch der erhöhte Leib Jesu Ort der Herrlichkeit Gottes, ist es nun die Kirche als Leib Christi unter Ausscheidung der christologischen Bestimmungen. So wird also durch die Identifikation von himmlischer und irdischer Liturgie der irdische Gottesdienst so eng an die himmlische Liturgie heran geführt, dass die Grenzen zwischen himmlischem Urbild und kirchlichem Abbild nahezu verschwimmen und Peterson den dialektischen Grundansatz, der die Kirche von ihrer Wanderschaft zwischen irdischem und himmlischem Jerusalem her versteht, nicht durchhalten kann. Peterson fügt die Liturgie in den kosmischen Rahmen ein: „Der Lobpreis der Menschen kommt erst zum Lobpreis der Engel hinzu, das besagt, daß der Mensch in der Liturgie nur in einem kosmischen Ganzen gesehen wird und daß er nur aus diesem kosmischen Ganzen heraus handelt.“21 In diesem kosmischen Ganzen wird der Mensch in der Liturgie verortet und nach Peterson ist die Liturgie auch der einzige und damit schlechthin privilegierte Ort, wo der Mensch die agonale Sphäre der vergehenden Zeit, die Sphäre von Konflikt und Entscheidung transzendieren kann, um seinen Platz in einem den ganzen Kosmos umspannenden Gesamtzusammenhang einzunehmen, wo deutlich wird, „daß die Liturgie der Kirche sich in eine große Ordnung eingliedert“. Diese „große Ordnung“ stammt nach Peterson aus „jenem göttlichen Ordnungswillen, der den erlösten Menschen als zehnten ordo den neun ordines angelorum einordnet“22. Dieser „Ordnungswille“ hat nach der einen Seite hin wiederum politischtheologische Bedeutsamkeit, indem die Kirche in ihrer politischen qualitas selbst nur ein Element in einem umfassenden Ordnungszusammenhang ist und selbst eingegliedert ist in durchaus politisch zu verstehende Hierarchien: „Wie der Kaiser, der in Begleitung seiner Leibwache erscheint, die Öffentlichkeit seiner politischen Herrschaft zum Ausdruck bringt, so bringt Christus, der, von der

20 Ebd. 21 Ebd., 228. 22 Ebd., 213.

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Leibwache seiner Engel begleitet in der heiligen Messe gegenwärtig ist, die Öffentlichkeit seiner religiös-politischen Herrschaft zum Ausdruck.“23

An dieser Stelle begegnen wir den exegetischen Zusammenhängen, die Peterson im Harnack-Briefwechsel vom kirchlichen Öffentlichkeitsbegriff als einem „kosmisch-religiösen Öffentlichkeitsbegriff“24 haben sprechen lassen. Wo die Engel gegenwärtig sind, befinden wir uns nach Peterson in der politischen Sphäre von Herrschaft, Macht und Dienst, in welche die Kirche mit hineingezogen ist. Es ist die repräsentative Dimension öffentlicher Machtdarstellung, die sehr wohl zu unterscheiden ist von einer juridischen Definition der Kirche, die nach Peterson nur abkünftig sein kann von der grundlegenden politischen Bestimmung. So sagt Peterson: „Das alte Christentum kennt nicht eigentlich den Begriff der Kirche als einer juristischen Person. Die Kirche ist da, wenn sie zusammentritt, sei es zu Kulthandlungen, sei es zu Konzilsbeschlüssen. Immer aber ist das Zusammentreten der Ekklesia von dem Erscheinen jener Engel begleitet, die, aus der Himmelsstadt kommend, der Kirche ihren Charakter als einer öffentlichen Größe verleihen.“25

Bemerkenswert ist in diesem zuletzt angeführten Zitat, wie Peterson zunächst aktualistisch beginnt: „Kirche ist da, wo sie zusammentritt“. Das könnte man ganz „protestantisch“ lesen: das Sein der Kirche liegt in ihrem aktualen Konstituiert-Werden durch Wort und Sakrament. Peterson liest es aber gegen den Strich, indem er diesen liturgischen Aktualismus gerade bezieht auf das unwandelbare Sein Gottes, das im „Erscheinen“ der Engel zur Darstellung kommt. Peterson Angelogie als politisch-theologisches Schlüsselkonzept verbindet also die objektive Metaphysik einer kosmischen Ordnung mit der Dynamik der politischen Welt, in welcher die Engel Gottes Herrschaft zur Darstellung bringen. Akt und Sein sind hier untrennbar verbunden. So kann Peterson auch davon sprechen, dass das Sein der Engel26 reinster Akt sei, reines „Verströmen im Lobpreis“27. Dem katabatischen „Erscheinen“ der Engel in der Liturgie entspricht umgekehrt auch der anabatische Akt des Aufsteigens von

23 24 25 26

Ebd., 223. AS 1, 186. Ebd. Peterson selbst versucht differenzierter von der Wirklichkeit der Engel zu reden: „Es gibt ja zweifellos ganz verschiedene Wesenheiten, die als Engel bezeichnet werden.“ Ebd., 225. 27 Ebd. 226. Der schöne, ironisch gefärbte Zusammenhang: „Es geht nicht darum, daß aus einer nach Analogie des menschlichen Seins gedachten Engelwelt ein Teil der Engel ausgewählt und mit der Aufgabe betraut wird, dem Herrgott etwas vorzusingen. Das ist in der Tat eine unerträgliche Vorstellung, und der Wunsch so etwas eine ganze Ewigkeit zu tun, nicht ohne weiteres begreiflich. (…) Bei diesen Engeln handelt es sich darum, daß sie reine Geister sind in diesem Gesang, in diesem Hymnus, in diesem Lobpreis.“

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Seiten der irdischen Kirche: „Im Lobpreis der heiligen Messe also ist der Ursprung des mystischen Lebens der Kirche zu suchen.“28 Insbesondere in den Mönchen, in denjenigen, die ihr Leben ganz dem Lobpreis verschreiben, geschieht dieser metaphysische Überstieg, der nach Peterson eine Erhöhung des menschlichen Seins in Richtung auf das Sein der Engel zum Ziel hat. Der Mönch hat, insofern er im Lobpreis lebt, teil am Sein der Engel. Dies, so interpretiert Peterson den altkirchlichen Mönchsvater Evagrius Ponticus, ist die „mystische Gnosis“29, die „Gnosis der heiligen Trinität“30, die eine „höhere Seinsform des Menschen“31 voraussetzt. Die systematische Funktion der Angelogie ist für Peterson also, den Menschen in der Stufenordnung des Seienden einerseits zu positionieren, ihn nicht in einer metaphysischen Einsamkeit und Abstraktion zu belassen, ihn aber andererseits so zu positionieren, dass sein Sein gleichsam dynamisiert wird in die Ausrichtung auf eine Teilhabe an der ewigen Welt Gottes. Dem Herniedersteigen und „Erscheinen“ der Engel im Gottesdienst entspricht die nur noch ontologisch zu beschreibende Dynamisierung des kreatürlichen Seins des Menschen, der im Lobpreis transformiert wird in die „engelgleiche“ Existenzform, indem er in der „Praxis“ der Engel steht, im ewigen Lobpreis. Peterson eignet sich hier auf eine sehr eigenständige und doch zeittypische Weise32 Traditionsgut der altkirchlichen und orthodoxen Theologie an und bringt es gleichzeitig in Stellung gegen die nach seinem Urteil „nominalistische“ protestantische Theologie seiner Zeit. Das Engelbuch des Jahres 1935 zitiert hier im Wesentlichen unverändert Gedanken, die Peterson schon 1925 publiziert hatte. Damals, in „Der Lobgesang der Engel und der mystische Lobpreis“33, war es im Umkreis der Diskussionen um die „Dialektische Theologie“ für Peterson darum gegangen, seine Vorstellungen einer dogmatischen Theologie zur Geltung zu bringen. Etwa zeitgleich zu „Was ist Theologie“ veröffentlichte Peterson also den ersten Engelaufsatz, um über den Ansatz der Dialektischen Theologie hinaus ontologisch gefüllter sprechen zu können. Wenn die kurzen, schneidenden Thesen von „Was ist Theologie?“ nicht in der Luft hängen sollten, stand Peterson vor der Notwendigkeit, sie zurückzubinden in eine Praxisform der Kirche, von der aus die dogmatische Dezision plausibel werden könnte. Die „Theologia“ der Kirchenväter, als Vollendung der geistlichen „Gnosis“, ist nach Peterson selbst eine solche 28 29 30 31 32

Ebd., 225. Ebd. Ebd. Ebd., 224. In diesen Jahren veröffentlichte der zu dieser Zeit eng mit Carl Schmitt verbundene Hugo Ball sein ekstatisches Bekenntnis zum orthodoxen Christentum: Ball, Byzantinisches Christentum. Ebenfalls in diese Zeit (1925) fällt die Gründung der Benediktinerabtei Chevetogne, die das Leben mit der östlichen Liturgie für die westliche Kirche erschließen wollte. 33 AS 2, 101 – 114; auch Zur Theorie der Mystik, in: AS 9/1, 277 – 295, dazu die Arbeit von Dückers, Pathos.

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Praxisform. Theologia ist in ihrem Kern Gotteslob, nicht also in erster Linie diskursive, argumentierende und darin „dogmatische“ Gottesrede. Vielmehr ist „Theologia“ für Gestalten wie Evagrius Ponticus oder Diadochus von Photike, die Peterson hier eigens anführt, eine Praxis des Gotteslobes, die Anteil hat am Lobgesang der Engel. Petersons Bemühen war es, in dieser „Theorie der Mystik“ das „mystische“ Gotteslob nicht theologisch vom Glaubensakt her zu konzeptualisieren – und damit dem Verdikt der Dialektiker über das „religiöse Erlebnis“ verfallen zu lassen34. Die Betonung der Aktstruktur des Glaubens, im Unterschied zum propositionalen Gehalt des Glaubens, war ja auch das Konzept, mit dem die liberale protestantische Theologie ihren Widerspruch gegen die metaphysische Tradition der Dogmatik artikuliert hatte (Ritschl, Herrmann). Diese Intention, einem aktualistischen Verständnis des Glaubenvollzugs zu widersprechen, ist der Grund, warum Peterson auf die Differenz von religiöser Ordnung und metaphysischer Ordnung und von religiöser Erfahrung und metaphysischer Erfahrung so großen Wert legt35, damit aber auch eine terminologische Fixierung vollzieht, die der katholischen Theologie seiner Zeit ebenso fremd ist wie der geistlichen Tradition36. In einer für Peterson typischen terminologischen Wendung münzt er sein Plädoyer dafür, dass die Theologie auf die klassische Metaphysik der Seinsstufen und der Seinsordnung zurückgreifen müsse, in eine Anklage an die Dialektiker um. Ihnen schreibt er in „Was ist Theologie?“ noch ins Stammbuch, dass sie auf keinen Fall dialektisch von Gott reden dürften – damit der Gottesbegriff nicht in Abstraktionen abgleite. Und ihnen schärft er hier ein, dass sie vielmehr viel dialektischer vom Glauben reden müssten – damit der Begriff des Glaubens nicht zu einer abstrakten Größe degeneriere: „Es ist seit dem Neukantianismus üblich geworden – und der Neukantianismus steht nicht nur hinter Ritschl und seinen Schülern, sondern auch noch hinter Barth und Gogarten – daß von dem Glauben in einer reichlich undialektischen Weise geredet wird. Die Furcht, daß eine Metaphysik jemals Gegenstand des Glaubens werden könnte, hat dazu geführt, daß man den Glauben in einer so abstrakten Weise von aller Welt des Seins losgelöst hat, daß er fast wie der moderne Funktionsbegriff nur noch über den Dingen schwebt …“37

Den Menschen derart einzubetten in die metaphysische Struktur der Wirklichkeit, dies heißt nach Peterson, auch erst das Besondere und Unterscheidende des Glaubensaktes zur Geltung zu bringen, der den Menschen auf das Nicht-Sichtbare jenseits aller seinshaften Bindungen bezieht, was aber erst 34 Vgl. Brunner, E. 35 AS 2, 107, Lobgesang der Engel. 36 Vgl. dazu Dückers, ebd., 145, Anm. 251, der die ziemlich ratlose Reaktion des katholischen Theologen und Mystik-Spezialisten Georg Koepgen schildert. 37 Peterson, E., Ebd.

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verstanden und ganz gewürdigt werden kann, wenn auch die kosmische Einbindung des Menschen in das den ganzen Kosmos umspannende Erlösungswerk bleibendes Thema der Theologie ist. In einer Terminologie, die an Bonhoeffers Gedanken in den Fragmenten zur Ethik erinnert, spricht Peterson von der dialektischen Spannung des Letzten und des Vorletzten: „Wir dürfen uns doch nicht einbilden, es sei uns gestattet, dieses Letzte jemals in anders als in einer lebendigen dialektischen Spannung gegenüber dem Vorletzten zu besitzen.“38 Erst wenn die Einbindung des Menschen in die Welt des „Vorletzten“ wirklich ernst genommen werde, so Peterson, kann auch die Relationalität des Glaubens auf die transzendente Wirklichkeit Gottes anerkannt werden: „Das heißt nicht glauben, sich durch die Dialektik in eine Welt treiben lassen, wo es kein Sein mehr gibt, wo alles Anschauliche beseitigt und alle Grenzen aufgelöst sind.“39 Diese Betonung der seinshafte Einbettung des Menschen war etwas, das Peterson in eine doppelte Spannung brachte, in einen ebenso starken Widerspruch zur theologischen Tradition seiner Vätergeneration wie zu den Theologen der „Wort-Gottes-Theologie“, die ja bei aller Kritik am neuprotestantischen theologischen Programm, doch die neukantianischen Prämissen in den 20er Jahren weithin teilten. Der Widerspruch gegen Peterson von dieser Seite war einhellig und wurde zuerst von Heinrich Schlier ausgedrückt, dessen erste wissenschaftliche Veröffentlichung in „Zwischen den Zeiten“ 1925 eine Rezension von Petersons Engelaufsatz des gleichen Jahres war40 : „Ich kann diese Ausführungen nur als eine spekulativ gefundene Erkenntnis des Seins verstehen.“41 Ganz von den Voraussetzungen seiner Begegnung mit Karl Barth geprägt, und doch fasziniert durch Petersons Gelehrsamkeit und kritische Angriffslust42 bringt Schlier hier scharf den qualitativen Unterschied zwischen Schöpfer und Geschöpf zur Geltung, der es unmöglich mache in einer bloß quantitativen Abstufung von einer ontologisch zu beschreibenden Erhöhung des menschlichen Seins zum Sein Gottes hin zu sprechen.43 Peterson dagegen formulierte sein entscheidendes Anlie-

38 AS 2, 108. 39 Ebd. Auch 109 f.: „Wer in dieser Weise das Letzte isoliert, wer in dieser Weise den Glauben aus allen Ordnungen und metaphysischen Zusammenhängen löst, den Glauben, der doch seinen eigentlichen Sinn nicht aus diesen Zusammenhängen, sondern allein aus Gott hat, und der dann doch nur Glaube ist, wenn diese Zusammenhänge nicht übersehen werden, wer in dieser Weise undialektisch abstrahiert und isoliert, was doch niemals abstrakt, sondern nur in einer lebendigen Dialektik da ist, der hat in seinem Bemühen, das Letzte in seiner Reinheit zu wahren, das Letzte doch wieder nur zum Vorletzten gemacht. (…) Um des Glaubens willen, um Christi willen, muß auch vom Engel und nicht bloß vom Menschen geredet werden, denn der Engel ist etwas, was zum Menschen gehört …“. 40 Vgl. dazu von Bendemann, 114 – 127. 41 Schlier, Bemerkung , 410. 42 Schlier widmete Peterson einen sehr persönlichen Nachruf: Schlier, Peterson. 43 Schlier, Bemerkung, 413.

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gen, das schon den ersten Engelaufsatz prägte und von daher auch das Engelbuch von 1935 bestimmt, in einem Brief an Jacques Maritain von 1936 so: „Die Religion des Menschen ohne Kosmos wird im Psychologischen ihren Halt suchen und, von dort wieder ausgetrieben (durch Psychoanalyse und simple Erfahrung), ohne Heimat umherirren. (…) Ich habe mein Engelbuch schon mit dieser Absicht geschrieben, die Heilsordnung und die ontologische Ordnung zu verknüpfen. Es gibt wirklich katholische Theologen, die in ihren Kritiken meines Buches dies getadelt haben, die sich mit einer (im Grunde ,abstrakten‘) ,Heilsordnung‘ begnügen wollen, als ob sie Ritschl’sche Theologen wären.“44

In der Liturgie geschieht also nach Peterson gerade dies, dass die kosmische Einbettung des Menschen und die den ganzen Kosmos umspannende Weite von „Gottes Manifestation in Schöpfung und Erlösung“45 in der distinkten Praxisform des Gotteslobes nicht nur thematisiert, sondern geradezu vollzogen wird, indem Menschen und Engel zum Lobpreis Gottes zusammentreten. Was in der Schrift des Jahres 1925 noch ganz auf die Konfliktkonstellation um die „Dialektische Theologie“ bezogen war, gewinnt im Jahr 1935 viel unmittelbarer politisch-theologische Qualität. Wenn das Politische ganz im Sein Gottes verankert ist und in der ontologisch zu beschreibenden Ausrichtung der sichtbaren und unsichtbaren Kreatur auf die Herrschaft Gottes hin seine innere Mitte hat, dann ist das Politische auf dieser Begründungsebene jeder Dezision entzogen. Hier ist keine Entscheidung über Definition und Praxis des Politischen notwendig, sondern die umfassende Ordnung des Seins ist die Sphäre des „Entschieden-Seins“, in dem das ethische Sollen und seine politische Realisierung ganz aus der ontologischen Verfassung der Seinsstufen abgeleitet sind. Petersons Liturgietheologie gebraucht ihre metaphysische Fundierung, um das Politische als das Agonale zu transzendieren hinein in einen Raum ewiger Ruhe. Dem entspricht die weiter oben angestellte Beobachtung, dass in der Beschreibung des himmlischen Gottesdienstes und in den politischen Kategorien, die Peterson zu seiner Deutung verwendet, die temporalen Bestimmungen weitgehend zurücktreten und den topologischen Bestimmungen Platz machen46. In der Liturgie tritt die Partizipation am himmlischen Lobpreis, die Ausrichtung auf den Thron Gottes an die Stelle der agonalen Bestimmung des „Zeugnisses“ im Konflikt der Äonen. Paradox wird man also formulieren müssen: die Liturgie ist darin politische Praxis, dass sie das Politische als das Agonale transzendiert und schon an der eschatologischen Vollendung teilhat. Die Öffentlichkeit der Liturgie ist die himmlische und die kosmische Öffentlichkeit, die jenseits der Sphäre des agonalen Poli44 AS 4, 255. 45 AS 1, 201, Von den Engeln. 46 Peterson spricht in der Auslegung von Apk 5,9 von „der dem himmlischen Kultus eigentümlichen Zeitlosigkeit“. AS 4, 73.

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Liturgie als Ort kirchlicher Öffentlichkeit

tischen liegt und darin das Politische heilsam relativiert, begrenzt und transzendiert.

6.2 Die Vorlesungen zur Offenbarung des Johannes Peterson Engelbuch von 1935 ist sicher seine bedeutendste und eingehendste Äußerung zum Verständnis der Liturgie als Ort der politischen Öffentlichkeit der Kirche. Die Analyse der Texte aus Offenbarung 4 und 5 steht dort im Mittelpunkt der Argumentation. Im Hintergrund dieses Textes steht aber die ausführliche und langjährige Arbeit Petersons an der Apokalypse in seinen Vorlesungen und weiteren Vorträgen. Im Folgenden wollen wir eine Reihe von bedeutsamen Passagen heranziehen und interpretieren und so das Bild des Engelbuches ergänzen und vertiefen. Wir wollen unsere Interpretation beginnen mit einer geradezu definitorischen Bemerkung von Peterson in seiner Auslegung der „Offenbarung Jesu Christi“ von 1936/3747: „Der Kultus der Kirche ist eschatologischer Kultus, insofern er in dem Augenblick einsetzt, da das Lamm die Buchrolle in die Hand nimmt, um das Schicksal von Mensch und Welt aufzurollen. Und er ist weiter öffentlicher Kultus, insofern er an die Öffnung der Buchrolle gebunden ist, die als ein Enthüllen und Offenbarwerden auch für den Kultus der Kirche den Begriff der Öffentlichkeit fordert. Und er ist endlich ein kosmischer Kultus, insofern an ihm die höchsten Repräsentanten der Schöpfung, die heiligen Engel mit teilnehmen.“48 Peterson schreibt diese Sätze zu Offb 5,7.8: „Und es (das Lamm) kam und nahm das Buch aus der rechten Hand dessen, der auf dem Thron saß. Und als es das Buch nahm, da fielen die vier Gestalten und die vierundzwanzig Ältesten nieder vor dem Lamm, und ein jeder hatte eine Harfe und goldene Schalen voll Räucherwerk, das sind die Gebete der Heiligen, und sie sangen ein neues Lied.“

In der Schau des himmlischen Gottesdienstes ist dies der Moment, in dem das geschlachtete Lamm, Christus, der „mitten zwischen dem Thron und den vier Gestalten und mitten unter den Ältesten“ (Apk 5,6) steht, aus der Hand Gottes, der auf den Thron sitzt, das siebenfach versiegelte Buch empfängt. Peterson deutet diesen Vorgang als Akt der Institution: „Christus empfängt nicht nur, sondern er kommt und nimmt aus der Hand Gottes, was niemand außer ihm zu nehmen vermag. Indem er aber die Rolle empfängt, ist er zugleich von dem, 47 Dieser Text war zur Veröffentlichung als exegetischer Kommentar zur Offenbarung gedacht. Der Herausgeber im corpus der Ausgewählten Schriften, Werner Löser, zitiert einen am 15. Mai 1936 während der Arbeit an diesem Kommentar abgefassten Brief von Peterson an Carl Schmitt: „Sie wissen, ich lege jetzt die Apokalypse aus. Ich mache den Versuch, den Begriff der Öffentlichkeit der Kirche theologisch zu entwickeln.“ Löser, Einführung, AS 4, XIX. 48 AS 4, 192 f.

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Die Vorlesungen zur Offenbarung

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der auf dem Thron sitzt, instituiert, das Schicksal der Welt und des Menschen zu entrollen.“49 Mit dem gleichsam staatsrechtlichen Akt der Institution Christi zum Kyrios beginnt nach Apk 4 und 5 der himmlische Gottesdienst. Durch die 24 Presbyter, von Peterson als Repräsentanten des endzeitlichen Gottesvolkes gedeutet, ist die „irdische Kirche“ von vornherein „in den Lobpreis der himmlischen mit hineingezogen“50. So ist der Gottesdienst der Kirche für Peterson nicht eine menschliche Handlungsform, die auf die Institution Christi zum Kyrios nur mit menschlichen Ausdrucks- und Darstellungsmöglichkeiten reagiert, vielmehr gilt nach Peterson, dass „der Kult der Kirche niemals etwas bloß Abgeleitetes und Sekundäres (ist), sondern etwas, was zu der Offenbarung Jesu Christi notwendig hinzugehört“51. Der Gottesdienst der Kirche, „das Lied der Kirche“, „die ,neue Ode‘“52 ist in diesem Sinne eschatologischer Lobpreis, direkt verankert im Lobpreis der Himmlischen vor dem Thron Gottes: „Denn die Übergabe der Buchrolle an das Lamm stellt eine Instituierung Christi dar, in der die Schöpfung eines königlichen und priesterlichen Geschlechts auf Erden mit enthalten ist. Unter dem universalen Reichssymbol des geschlachteten Lammes sammelt sich ein neues Volk.“53

Wiederum ist hier Petersons Bemühen deutlich, die himmlische „Kirche“ und irdische Kirche, himmlischen Lobpreis und irdischen Lobpreis, himmlische Hierarchie und irdische Hierarchie in ein Verhältnis möglichst ungebrochener Kontinuitäten zu stellen. Bedeutsam in Petersons Interpretation ist hier die Buchrolle, die in die Hände Christi übergeben wird. Peterson versteht sie zum einen von einer staatsrechtlichen Analogie her, von der „Bestallung eines Beamten durch Überreichung eines kaiserlichen Diploms, des codicillus.“54 Mit Überreichung der Buchrolle ist Christus in diesem Sinne instituiert. Die Buchrolle ist aber auch das „Schicksalsbuch Gottes“, in dem der Gang der eschatologischen Ereignisse verzeichnet ist und in welchem sich insofern das Rätsel des Historischen überhaupt verbirgt. Mit der Öffnung des Buches, mit dem Brechen der Siegel wird die „letzte Frage nach Mensch und Welt“55 beantwortet und darin der eschatologische Plan Gottes entborgen. Das Rätsel der Geschichte wird nicht durch die Faktizität der politischen Entscheidung enthüllt, es ist überhaupt keiner der Geschichte immanenten Lösung zugänglich, sondern wird nur vom Sieg Christi her aufgelöst und damit auch öffentlich: „Nicht das historische Schicksal des Menschen, das im 49 50 51 52 53 54 55

Ebd. Ebd. Ebd., 193. Ebd. Ebd. Ebd., 189. Ebd., 190.

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Sieg in der politischen Sphäre sein Zentrum hat, enträtselt das Schicksalsbuch, sondern der Sieg des ,Löwen aus Juda‘, der alle Siege in der bloß politischen Ordnung transzendiert, weil er als der Auferstandene, über Tod und Hölle triumphierend, zugleich in der metaphysischen Ordnung gesiegt hat.“56 Indem die Buchrolle in den Händen Christi entrollt wird, verliert das Politische sein „metaphysisches arcanum“57 und wird öffentlich. Grund dieser Öffentlichkeit ist nach Peterson das Offenbarwerden Christi als des Kyrios und das in seine Hand gelegte eschatologische Gerichtshandeln Gottes – vom Seher Johannes geschaut, im Gottesdienst der Kirche verkündet und gefeiert. Peterson deutet in diesem Zusammenhang auch die öffentliche Verlesung der Sendschreiben der Apokalypse im Gottesdienst der Ortsgemeinden: „Dieses ,Offenbarwerden‘ fordert eine Publizität, die literarisch durch das Buch und theologisch durch die Verlesung des Buches im Gottesdienst der Ekklesia gewährleistet wird. (…) Die Enthüllung Jesu Christi, die dem Märtyrer zuteil wird, fordert also die Öffentlichkeit des heiligen Buches in dem öffentlichen Kultus der gesamten, der katholischen Kirche für sich.“58

Petersons Argumentation lässt hier die verschiedenen Bedeutungsebenen der „Buchrolle“ ineinander fließen: die Buchrolle ist hier zum einen das jeweilige Sendschreiben, das im Gottesdienst der Orts-Ekklesia verlesen werden soll, dann das Gesamt des „heiligen Buches“ und schließlich der eschatologische Geschichtsplan Gottes, wie er Christus zur Entsiegelung und Exekution überantwortet wird. Die gottesdienstliche Handlung der “Schriftlesung“ wird in diesem Kontext gedeutet als Teilhabe an den eschatologischen Ereignissen selbst, deren Exekution nicht von ihrem Offenbarwerden zu trennen ist, vielmehr : deren Offenbarwerden wesentlich zu ihrer Exekution dazugehört. Dies meint Peterson doch wohl mit der Einlassung, dass der „Kult der Kirche niemals etwas bloß Abgeleitetes“ sei, „sondern etwas, was zu der Offenbarung Jesu Christi notwendig hinzugehört“59. Dieses „hinzugehören“ müssen wir dann im Sinne Petersons interpretieren als: der Kult ist ein notwendiger Teil der Offenbarung Jesu Christi, und: im Kult handelt nicht eigentlich die irdische Kirche, sondern Christus selbst. Damit ist Peterson die Ebene des Gottesdienstes als menschlicher Handlung, die Ritualität der Liturgie ganz abhanden gekommen – aus seinem Interesse heraus, die Liturgie der irdischen Kirche möglichst bruchlos nahe an den himmlischen Gottesdienst heranzuführen. Peterson argumentatives Profil ergibt sich wieder dort, wo die These durchscheint, gegen die er sich mit seinen Zuspitzungen wendet.

56 57 58 59

Ebd. AS 2, 145. AS 4, 158, Offenbarung. Ebd., 193.

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In den Vorlesungen von 1926/27 und 1929 ist dies noch deutlicher als in den späteren Texten, wenn wir etwa lesen: „In diesem Sinne ist der Kult niemals etwas bloß Abgeleitetes, Akzidentelles oder Sekundäres, er gehört vielmehr, zunächst als himmlischer und danach – damit sich vereinigend – als irdischer Kult, zu den Ereignissen des göttlichen Handelns ebenso hinzu, wie Engel und Geister zu Gott selber hinzugehören. Es ist Rationalismus zu meinen, es gäbe so etwas wie ein religiöses Erlebnis, um das dann erst nachträglich ein Kult willkürlich herumgebaut würde. Nein, das Handeln Gottes hat ein notwendiges telos im Kult …“60.

Im Hintergrund der Antithese Petersons steht hier sehr deutlich eine neuprotestantische Gottesdiensttheorie, die, auf Schleiermachers Verständnis des Gottesdienstes als „darstellendes Handeln“ zurückgehend, den Gottesdienst als menschliche Antwort auf das religiöse Erlebnis begreifen wollte61. In dieser Frage stand Peterson sicher gemeinsam mit Barth in einer Frontstellung gegen den Neuprotestantismus. Deutlich wird in den Texten zur Apokalypse, wie Peterson den Zusammenhang von Gottesdienst, von ihm hier betont „Kult“ genannt, und Öffentlichkeit der Kirche sieht. Im Gottesdienst wird die Thronbesteigung Christi proklamiert und in der „Öffentlichkeit des heiligen Buches“, das im Gottesdienst gelesen wird, hat die Kirche teil an der Öffentlichkeit der Offenbarung Christi und an der Öffentlichkeit der eschatologischen Ereignisse. Daher gilt für Peterson: die Liturgie ist der privilegierte Ort der Öffentlichkeit der Kirche.

6.3 Abendmahlstheologische Aspekte in den Vorlesungen zum 1. Korintherbrief und zum Johannesevangelium Gingen die letzten Überlegungen auf die Bedeutung des Wortes, als gesprochenes Wort in der gottesdienstlichen Lesung oder als gesungenes Wort in der Akklamation und im Lobpreis, so ist doch für Peterson klar, dass im Zentrum der Liturgie das Altarsakrament steht. Dem Abendmahl kommt eine herausgehobene Bedeutung auch für die Öffentlichkeit der Kirche zu. Dies aber nun in einer Form, die anders ist als die Öffentlichkeit des Lobpreises der Kirche in der Gemeinschaft mit den Engeln, wie wir sie in Petersons Engelbuch gefunden und interpretiert haben. Die Bedeutung der Eucharistie steht in gewisser Hinsicht komplementär zur Deutung der Liturgie im Engelbuch. Ging es im Engelbuch darum, die große Linie metaphysischer Kontinuität, die kosmische Einbettung der Liturgie in den die gesamte Schöpfung durchzie60 Ebd., 74. 61 Vgl. Stroh.

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henden Lobpreis aufzuweisen, so geht es in den Texten Petersons zur Eucharistie darum, die Figuren der Diskontinuität zur Geltung zu bringen. Die Zeit des Abendmahls wie überhaupt die Zeit der Sakramente ist nicht die zeitlose Ewigkeit des himmlischen Gottesdienstes, sondern vielmehr die heilsgeschichtliche Zwischenzeit: „Es ist nun wichtig, dass auch das Sakrament des Abendmahles ebenso wie das Taufsakrament eine Grenze am Tag der Wiederkunft Christi hat. Beide Sakramente gelten nur für die Zeit zwischen Tod und Auferstehung Christi und seiner Wiederkehr. Daraus ergibt sich nun zweierlei: Dass – erstens – der Sinn der Abendmahlsfeier weder aus dem Leben Jesu, genauer gesprochen: aus der letzten Mahlzeit Jesu mit seinen Jüngern heraus, noch – zweitens – aus dem Zustand der eschatologischen Vollendung heraus gedeutet werden darf, sondern aus diesem eigentümlichen Zwischenzustand heraus, in dem es überhaupt allein Sakramente (…) gibt.“62

Peterson spricht auch von der „eschatologische(n) Limitierung der Abendmahlsfeier“63. Die Zeit des Abendmahls ist also für Peterson die heilsgeschichtliche Zwischenzeit, es ist die Zeit der Kirche und damit auch die Zeit des Dogmas. So bestehen zwischen Petersons Begriff des Abendmahls einerseits und Petersons Ekklesiologie und dem Begriff des Dogmas andererseits enge Querverbindungen. Dazu später mehr. Hier geht es uns zunächst um die Positionierung des Sakraments in der „Zwischenzeit“. Diese heilsgeschichtliche Zwischenzeit, in der das Abendmahl seine Zeit hat, ist ja für Peterson die agonale Zeit der Auseinandersetzung zwischen den Mächten des alten Äon und der Herrschaft Christi im neuen Äon. In Bezug auf das Abendmahl gilt hier für Peterson: „Im Augenblick, wo der Leib Christi zerbrochen und sein Blut vergossen ist, beginnt die neue diatheke und (…) beginnt auch der neue Äon.“64 Wenn wir über die besondere Öffentlichkeitsform des Abendmahls nachdenken, bemerken wir eine Akzentverschiebung gegenüber dem ganz auf die politische Figur der (legitimen!) Repräsentation ausgerichteten Duktus des Engelbuches und Petersons abendmahlstheologischen Aussagen. Die ganze Fülle der agonalen Bestimmungen kehrt hier wieder. Wir nehmen die Figuren der Diskontinuität wahr, das Insistieren auf Materialität, auf Anschaulichkeit, auf Leiblichkeit und nicht zuletzt auch die Bedeutung der dogmatischen Dezision – alles Signaturen der agonalen Zwischenzeit. Auf die besondere Öffentlichkeit des Abendmahls in dieser eschatologischen Spannung und Vorläufigkeit nimmt Peterson Bezug in der Auslegung von Offb 3,20. Dort, im letzten der sieben Sendschreiben, wird der Gemeinde von Laodizea zugesprochen, dass Christus bei ihr eintreten werde, um mit ihr das Abendmahl zu essen. Dazu schreibt Peterson: „Im Mahl ist Christus seiner Kirche nahe, in der Abendmahlzeit der heiligen Eucharistie, die einmal in das 62 AS 7, 265, 1. Korinther. 63 Ebd., 266. 64 Ebd., 263.

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große eschatologische Mahl einmünden wird, wenn die Kirche im Reich Christi an seinem Tisch essen und trinken wird. Weil Christus in dem Mahl nahe ist, zu dem nur Bettler und Blinde geladen sind, darum manifestiert sich in dem Mahl, das Christus mit der Kirche begeht, auch der Wille zu der Öffentlichkeit seiner Herrschaft, die das eschatologische Mahl zum Ausdruck bringen wird.“65 Der zentrale Vollzug der Liturgie, die Feier der Eucharistie, ist also ausgerichtet auf „die Öffentlichkeit seiner Herrschaft“ – allerdings erst in eschatologischer Spannung, als Verweis auf die künftige Öffentlichkeit des großen Festmahles. Indem Christus seiner Kirche, die das Mahl feiert, jetzt schon nahe ist, wird die Kirche bezogen auf diese eschatologische Vollendung. Die Öffentlichkeit der Kirche partizipiert jetzt schon an der universalen Öffentlichkeit des großen eschatologischen Festmahles. Noch in einem anderen Sinne spricht Peterson von der Öffentlichkeit des Mahles: das Mahl wird nach 1. Kor 10,17 dann gefeiert, wenn die Ekklesia zusammenkommt, und es wird, nach Petersons Interpretation von Offb 1,10, an der kyriake hemera, am Herrentag, gefeiert. In beiden Wendungen erblickt Peterson wieder staatsrechtliche Konnotationen und eine Betonung der „öffentlich-rechtlichen Form einer Versammlung des Volkes Gottes“66. Die Ekklesia unterscheidet sich von der privatrechtlich verfassten Zusammenkunft eines Mysterienkultes, sie hat öffentlich-rechtliche, sie hat staatsrechtliche Qualität. Im Hintergrund steht hier Petersons Auseinandersetzung mit der Mysterientheologie Odo Casels, der von der religionsgeschichtlichen Erforschung des Hellenismus her das Altarsakrament von den „privaten“ Mysterienfeiern her verstehen wollte. Peterson weist diese Deutung verschiedentlich energisch zurück. Deutlich der Abschnitt in „Die Kirche“ (1929): „Der Kult, den sie (scil. die Kirche) feiert, ist ein öffentlicher Kult und keine Mysterienfeier, und er ist eine pflichtgemäße öffentliche Leistung, eine leitourgia, und nicht eine vom freiwilligen Ermessen abhängende Initiation. In dem öffentlich-rechtlichen Charakter des christlichen Gottesdienstes spiegelt sich wider, daß die Kirche politischen Gebilden wie Reich und polis weit näher steht als den Freiwilligkeitsverbänden und Vereinen.“67 Dazu auch: „Was unterscheidet denn ein Sakrament von der Mysterienfeier? Daß im Sakrament etwas geschieht und vollzogen wird, während in der Mysterienfeier nicht in diesem Sinne etwas geschieht und vollzogen wird, sondern der Mensch von sich aus in phantasievoller Mimesis die Schicksale der Kultgottheit miterlebt und als moralische Kraft erfährt. Hier sieht man dann aber deutlich, daß das Sakrament der Taufe eben wesentlich kein Miterleben mit den Schicksalen Christi ist, kein Nachziehen der durch Christi Sterben, Begräbnis und Auferstehung vorgezeichneten Linien darstellt, sondern daß hier ein faktischer Vollzug vorliegt, durch den wir nicht erlebnismäßig, sondern real der Sünde ge65 AS 4, 182, Offenbarung. 66 AS 7, 236, 1. Korinther. 67 AS 1, 253.

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storben sind …“.68 Diese Auseinandersetzung zwischen Peterson und Casel hatte im übrigen auch eine politisch-theologische Note, weil Maria Laach, die Abtei, in welche Odo Casel 1905 als junger Mönch eingetreten war, sich 1933 als entschiedener Vorposten einer katholischen „Reichstheologie“ hervortat und für einen Ausgleich zwischen Nationalsozialismus und Katholizismus eintrat. Dem hat Peterson energisch widersprochen.69

Peterson deutet die „kyriake hemera“ als einen „dem Kyrios gehöriger Tag“, in einem analogen Sinne wie die Antike nach Peterson bestimmte Monatstage als etwa dem Augustus zugehörige Tage kannte. An diesem „Augustustag“70 war eine öffentliche Leistung, etwa eine Steuer, zu erbringen. Und in genau diesem Sinne bringt nach Peterson die Ekklesia dem Kyrios an dem ihm zugehörigen Tage eine Leitourgia, eine öffentliche Leistung, dar, die dem privaten Belieben entzogen ist. In der Fluchtlinie dieser uns ja schon gut bekannten Interpretationsgrundsätze liegt es nun, dass Peterson auch energisch Stellung bezieht in den exegetischen Auseinandersetzungen der 20er Jahre um die religionsgeschichtliche Herleitung des Abendmahls. Wesentliches Gegenüber ist hier Hans Lietzmann, der das Abendmahl im Kontext eines „privaten“ Liebesmahles, einer Agapefeier, verstehen wollte71. Petersons Argumentationsstrategie, die neutestamentlichen Begriffe von ihrem antiken öffentlich-rechtlichen Kontext her zu verstehen, begegnet auch hier wieder. Und von hier aus reklamiert Peterson die für das Abendmahl spezifische Öffentlichkeit. Abendmahlstheologisch fruchtbar sind besonders jene Stellen, an denen sich bei Peterson die platonisch-essentialistische Linie der Interpretation und die dezisionistisch-existentialistische Linie kreuzen. Die in staatsrechtlichen Analogien zu beschreibende Öffentlichkeit des Abendmahls findet ja, wie gesagt, in der eschatologischen Zwischenzeit statt. Das Sakrament steht somit als Zeichen der Vollendung in der Zeit des Agon zwischen altem und neuem Äon. So deutet Peterson das Sakrament in seiner Sinnmitte weder von der Vollendung her (als Teilhabe am himmlischen Soma Christi, als materia coelestis72), noch von der Stiftung her, vom letzten Mahl73 : „Die Worte sind gar AS 6, 185 f., Römer. Dazu: Nichtweiß, 414 – 426. AS 7, 241. Lietzmann. Zu dieser Frage schreibt Peterson in Auslegung von Joh 6,63, dem locus classicus zwinglianischer Abendmahlslehre: „Nicht der Mensch Jesus, sondern der ,Menschgewordene‘, der Herabgestiegene und Emporgestiegene, der in dieser Doppelbewegung Vorhandene, ist die eigentliche eucharistische Speise.“ AS 3, 261. „Pneuma“ ist in dieser Auslegung Jesus als der Menschgewordene und Erhöhte, der seine Menschheit nicht preisgibt, sondern der Inkarnierte auch bleibt in statu exaltationis. 73 AS 7, 269: „Das heißt die Worte ,Dies ist mein Leib, und dies ist mein Blut‘ sind formuliert unter der Voraussetzung, dass Jesus gestorben ist, und unter der Voraussetzung, dass es jetzt dieses Sakrament gibt. Sie sind aus der Situation des letzten Mahles Jesu, aus dieser Situation, dass er faktisch damals noch gar nicht gestorben ist, ja aus seinem ganzen Leben heraus überhaupt nicht begreiflich.“ Allerdings gilt dies in erster Linie von der textlich fassbaren Gestalt der

68 69 70 71 72

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nicht aus dem Leben Jesu zu begreifen, sondern nur von rückwärts, von seinem Tode aus. Sie setzen nicht voraus, dass er sterben wird, sondern dass er gestorben ist.“74 Im Abendmahl geht es dann „um ein Essen und Trinken seines gebrochenen Leibes und seines vergossenen Blutes.“75 Peterson widerspricht hier einem theologischen Personalismus, der von den neuzeitlichen Denkvoraussetzungen her das Abendmahl nur mehr als eine „Beziehung geistiger Akte zu Christus gelten lassen“76 will. Peterson sieht diesen neuzeitlichen „Spiritualismus“ als geschichtliche Größe schon in den abendmahlstheologischen Auseinandersetzungen der Reformationszeit am Werke und sieht im insisitierenden „est“ Luthers in Marburg dessen eigentliche „Größe“77. Im Abendmahl wird nach Peterson der zerbrochene Leib und das vom Leib getrennte Blut Christi empfangen: „Es ist wichtig, dass sich die Person Jesu in diese Elemente: Leib und Blut zerlegt, die nun durch die beiden Bestandteile der Materie: Brot und Wein versinnbildlicht wird. Das, was man den Naturalismus der Abendmahlslehre nennt, hängt eben damit zusammen, dass die Personeinheit Jesu durch den Tod zerschlagen wird, so dass nur noch ein gebrochener Leib und vergossenes Blut da ist, die in ihrer Materialität durch die materiellen Elemente Brot und Wein widergespiegelt werden können.“78 An diesem Zerlegen und Auseinanderbrechen wird nun nach Peterson auch jeder theologische Personalismus zuschanden, der das Sakrament von der synthetisierenden Leistung des gläubigen Subjekts betrachten möchte. Wie die personale Einheit Christi „zerbricht“ und in Leib und Blut „zerfällt“79 und nur in dieser zerfallenen Zweiheit ausgeteilt und empfangen werden kann, so gelingt es auch dem glaubenden Subjekt nicht mehr, diese Zweiheit, diesen Zerbruch zu synthetisieren: „Der Leib und das Blut des Herrn, die unter Brot und Wein empfangen werden, können nicht mehr von unserer Personeinheit empfangen und von einem geistigen Akt getroffen werden, sondern sie können nur mit dem Mund genossen und – um mit

74 75 76 77 78 79

Abendmahlsfeier. Für die Abendmahlsfeier als Sonntagsfeier gilt nach Peterson: „Das historische und theologische Problem liegt meines Erachtens in der Frage beschlossen: Wie kommt es, dass die Gedächtnisfeier des Todes Jesu zugleich auch die Feier seiner Auferstehung ist? Die Abendmahlshandlung muss von Anfang an nicht nur eine Beziehung zum Tode Jesu gehabt haben, sondern auch zu seiner Auferstehung und zum Hereinbrechen des neuen Äons.“ Ebd., 257. Ebd., 270. Ebd. Ebd., 275. Ebd., 273. Ebd., 270. Ebd., 272.

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Luther zu reden – mit den Zähnen zermahlen werden. Hier findet auch der Akt des Glaubens seine Grenze.“80

Nur von dieser zerbrochenen Materialität des Gekreuzigten her ergibt sich für Peterson ein Zugang zur Wirklichkeit, die dem synthetisierenden Zugriff des glaubenden und denkenden Subjekts immer wieder in Bruchstücke zerfallen muss. Allein das Zerbrochene stiftet in paradoxer Weise Einheit – nämlich vom Kreuz Christi her, von dem her der neue Äon angebrochen ist: „Ich behaupte daher, dass nur da, wo substantiell Leib und Blut Christi sakramental empfangen werden, auch die Realität des Kreuzes wirklich festgehalten wird. (…) Das ist (…) das Einzigartige am Sakrament des Abendmahls, dass es über alle geistigen Beziehungen, die von uns ausgehen, hinaus nun noch eine ganz andere, eine viel engere und zugleich realere Beziehung zum Kreuz Christi herstellt. Sie ist in demselben Augenblick vorhanden, in dem wir im Abendmahl Leib und Blut Christi wahrhaft und wirklich empfangen und in dieser ungeistigen, ja für alle frommen Pharisäer grob sinnlichen Weise die Elemente in uns aufnehmen, in die sich Christus bei seinem Tod aufgelöst hat.“81

Die Materialität der sakramentalen Substanzen setzt Peterson den Kategorien der Moderne entgegen, der „Tendenz, den Substanzbegriff aus dem Leben zu eliminieren und dafür irgendeinen Dynamismus und Personalismus oder Funktionsbegriff u. a. einzusetzen“82. Diese sehr schematische kulturkritische Antithese bringt Peterson dann polemisch durchaus treffsicher in Stellung gegen die reformierte Abendmahlslehre, die er als Prototyp des Denkens der Moderne begreift83 : „Jener Spiritualismus hat es verschuldet, dass, seitdem die Substanzen aus dem Abendmahl verschwunden sind, auch fortschreitend und immer schlimmer werdend, von einer Generation zur anderen, nicht nur die Substanz Christi, sondern alles Substanzhafte aus dem Leben zu weichen begann, bis dann am Ende nur noch die leere Dynamik übrig blieb.“84

Der synthetisierenden Subjektivität entgleitet nach dem Urteil Petersons zunächst die Materialität und dann die Wirklichkeit im Ganzen. Denen aber, die 80 Ebd., Peterson unterscheidet hier sehr genau: nicht der Glaube findet hier seine Grenze, sondern der „Akt des Glaubens“, also der Glaube insofern er sich auf seine eigene Aktstruktur bezieht. 81 Ebd., 273. 82 Ebd., 272. Ernst Cassirer hatte 1910 seine berühmte Schrift „Substanzbegriff und Funktionsbegriff“ veröffentlicht und darin Substanz und Funktion als zwei paradigmatische Begriffe für den Weltzugang der alten Metaphysik und denjenigen der neuzeitlichen Naturwissenschaft begriffen. Das Verfahren der neuzeitlichen Naturwissenschaft sei es, in einer mathematischen Beschreibungssprache lediglich Relationen zwischen den Erfahrungsgegenständen festzustellen. 83 Offenkundig ist hier die Nähe Petersons zu der Genealogie der Moderne, wie sie Gumbrecht in „Diesseits der Hermeneutik“ erzählt. 84 AS 7, 273.

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den zerbrochenen Leib und das vergossene Blut des Christus empfangen, erschließt sich von dort her die Einheit der Welt, durch den eschatologischen Agon hindurch, in Raum und Zeit. In seiner Auslegung von Johannes 6 zieht Peterson diese sakramententheologischen Linien weiter aus in den Begriff der Kirche und in den Begriff des Dogmas hinein. In beiden Linien erkennen wir Gedanken Petersons wieder, die an anderen Stellen unserer Untersuchungen schon ausführlicher dargestellt worden sind und daher hier nur kurz in den sakramententheologischen und liturgietheologischen Kontext gestellt werden sollen. In Joh 6,56 übersetzt Peterson die Worte des johanneischen Jesus „Wer mein Fleisch verzehrt und mein Blut trinkt, bleibt in mir, und ich in ihm.“ Von diesem „Bleiben in Christus“ aus versteht Peterson das Sein in der Kirche: Es ist ein „physisch-organischer Zusammenhang (…), der eben durch die Sakramente – Taufe und Abendmahl – hergestellt wird.“85 Von diesem sakramentalen „Realismus“86 aus konstatiert Peterson dann folgerichtig: „Jede Auflösung im Sakramentsbegriff hat notwendig auch eine Auflösung im Kirchenbegriff zur Folge und umgekehrt: Wo Kirche nicht mehr Leib Christi ist, da wird im Abendmahl auch nicht mehr der wahre Leib des Herrn empfangen. Man mag an der Realpräsenz Christi im Abendmahl Anstoß nehmen, doch man wundere sich nicht, wenn dann auch der Kirchenbegriff sich auflöst. Nicht zufällig hat sich auf reformiertem Boden zuerst der Kirchenbegriff aufgelöst; das war einfach die Folgeerscheinung der reformierten Abendmahlslehre. Wo man das Gedächtnis der Herrn nur noch als symbolisches Erinnerungsessen begeht, da ist keine Kirche mehr, sondern nur noch eine Kongregation mit einer Vereinsfeierlichkeit.“87

Wir kennen diesen Ton polemischer Zuspitzung, die rhetorische Figuration, bei Peterson und so nimmt Peterson auch in diesem Zusammenhang wieder die „Konkretionsrhetorik“ auf, den Vorwurf an die protestantische Theologie seiner Zeit, leibfeindlichen, unanschaulichen Abstraktionen sich zu ergeben. Emphatisch nimmt Peterson dann für seine eigene Position „Realismus im Sinne der Heiligen Schrift“88 in Anspruch: „Da ist von Geburt die Rede, von Fleisch und Blut die Rede, von Essen und Trinken die Rede, aber nicht von all den lächerlichen Phantasmagorien, mit denen sich die Theologie heute zu beschäftigen pflegt. (…) Die Heilige Schrift redet eine ganz andere Sprache. Sie spricht vom Essen und Trinken und Kauen, vom Fleisch und Blut des Menschensohnes und weist uns damit immer wieder auf eine ganz reale und (…) anschauliche Sphäre. Das ist die Welt, wo es Christentum gibt, wo der Altar steht und wo Fleisch und Blut zum Essen und Trinken gegeben wird. Das ist der Wirklichkeitskern, um den alles andere herum wächst, das Dogma 85 86 87 88

AS 3, 255, Johannesevangelium. Ebd., 250. Ebd., 256 f. Ebd., 250.

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sowohl wie die existentielle Lebenshaltung des Theologen und Heiligen. Es gibt keine Nachfolge Christi, die sich selber von der Kommunion mit dem Fleisch und dem Blut des Menschensohnes dispensieren könnte.“89 Anschaulichkeit, Leiblichkeit, Wirklichkeit – all diese Leitbegriffe bringt Peterson in Stellung und von ihnen aus nimmt er dann weiter Leben und Lehre der Kirche in den Blick. Petersons Anspruch ist es, von diesem „Wirklichkeitskern“ aus Nachfolge und Dogma zu verstehen: „Nachfolge“ als „existentielle Lebenshaltung des Theologen“ nimmt hier, in der sakramentalen Teilhabe an Leib und Blut Jesu, ihren Ausgang. Und ebenso nimmt das Dogma hier seinen Ausgang. Beide, Dogma und Nachfolge, werden nicht verstanden vom „Glaubensakt“ aus und von aktual-subjektiven Vollzügen etwa der „imitatio Christi“ her90, sondern von der „realen Präsenz“ des Abwesenden, des erhöhten Christus. Von diesem Modell sakramentaler, leiblicher, „konkreter“ Präsenz her versteht Peterson dann auch das Dogma: „Das Dogma gehört zum euangelion des Logos ebenso hinzu, wie die Eucharistie zur Fleischwerdung des Logos hinzugehört. Wie die Eucharistie nicht bloße Erinnerung an einen Vergangenen und an ein Ereignis der Vergangenheit ist, sondern wie sich Fleischwerdung und Tod des Menschensohnes realiter in der Eucharistie fortsetzen, so ist auch das Dogma der Kirche nicht Lehre, die vom Evangelium des Logos losgelöst ist, vielmehr setzt sich im Dogma das Evangelium Christi realiter fort.“91 Die Anlage dieser Argumentation Petersons, hier in den Vorlesungen zum Johannesevangelium von 1927/29, ist uns schon vertraut aus unserer Interpretation von „Was ist Theologie?“ von 1925. Vor dem Hintergrund unserer inzwischen angestellten interpretatorischen Schritte fällt auf, wie Peterson auch in der Behandlung des Dogmas die platonisch-essentialistische und die dezisionistisch-existentialistische Linie nebeneinander stellt. Zum einen kommt das Dogma als Gegenstand von Entscheidung in Betracht, als eine Entscheidung, die der Kirche in pneumatischer Vollmacht anvertraut ist. Zum anderen aber legt die Analogisierung des Dogma mit dem Sakrament ja nahe, dass es gerade kein Gegenstand von Entscheidung sein kann, sich vielmehr in der Fluchtlinie der Inkarnation gleichsam von selbst ergibt, wo Christus als der Menschgewordene und Erhöhte auch der Christus praesens, der Gegenwärtige ist. In der Interpretation von Johannes 6 spielt die Entscheidungsdimension in Bezug auf das Dogma keine Rolle, das Dogma wird von der Präsenz her gedacht, ja von der „Realpräsenz“.92 Der Begriff der „Realpräsenz“, eigentlich ein abendmahlstheologischer Reflexionsbegriff der Neuzeit, erhält bei Peterson ein außerordentlich starkes 89 90 91 92

Ebd., 250. Vgl. dazu Mielke, Worte. Vgl. dazu Anglet, Kreuz, 60. AS 3, 251. Ebd.

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konstruktives Gewicht. Peterson konstatiert: „Fällt die Realpräesenz, dann fällt auch das Dogma.“93 Alles Gewicht liegt darauf, die dem Glaubensakt vorangehende Wirklichkeit der sakramentalen Gegenwart Christi zu behaupten und von daher auch das Dogma aus dem Bereich der menschlichen Setzungen, der Historisierungen und Subjektivierungen heraus zu halten: „Nur wenn das Dogma nicht menschliche Lehre ist, sondern die Fortsetzung des Evangeliums, nur wenn es da ist unter der Voraussetzung der Realpräsenz Christi und nur aus dieser Voraussetzung heraus konzipiert ist, nur dann hat es einen Anspruch auf unseren Glauben und unseren Gehorsam. Wenn aber das Dogma in Beziehung zum Fleisch und Blut des Menschensohnes steht, dann dürfen wir uns ihm nicht entziehen. Dann käme eine Leugnung des Dogmas einer Verleugnung des Menschensohnes gleich.“94

Mit dieser Analogie zwischen Sakrament und Dogma setzt Peterson argumentativ auf die Figur der Kontinuität: von der Menschwerdung über das Sakrament bis zum Dogma geht eine bruchlose Linie von „Realität“, die es unmöglich macht dem Dogma auszuweichen. Wird demgegenüber der Entscheidungsaspekt am Dogma95 betont, geht es um die Figur der Diskontinuität: mit der Entscheidung der Kirche beginnt etwas Neues, das nur pneumatologisch beschrieben werden kann, nämlich als Ermächtigung der Kirche zur Entscheidung durch die erneuernde Kraft des Geistes, der Kontinuitäten zerbricht. Auffällig ist, wie Peterson je nach Zusammenhang und je nach polemischer Ausrichtung seiner Argumentation beide Figuren nebeneinander stellt. Die Kontinuitätslinie wird betont, wo Peterson ein ontologisch gegründetes Widerlager gegen die Subjektivierungen und Historisierungen der Moderne benötigt. Die Diskontinuitätslinie gebraucht Peterson, um, ausgehend vom „Ausnahmezustand“ der ersten Generation der Kirche, die – in der Terminologie Max Webers gesprochen – nur „charismatisch“ zu begründende Legitimität kirchlicher Rechtssetzung der „bürokratischen“ Ausrichtung des neuzeitlichen Protestantismus entgegenzusetzen. Beide Linien sind sachlich nur schwer in Deckung zu bringen, sie stehen eher in der polemischen Ausrichtung der Theologie Petersons nebeneinander und werden argumentationsstrategisch je nach Bedarf eingesetzt96. Wo Pet93 Ebd. 94 Ebd., 252. Die Anspielung an Mt 10,33par im letzten Satz macht deutlich, wie zugespitzt Peterson hier argumentiert: das Leugnen des Dogmas hat die letzte soteriologische Konsequenz, dem eschtologischen Urteilsspruch des Menschensohnes zu verfallen. 95 Vgl. AS 1, 252 f.: „die Fähigkeit dogmatische Entscheidungen zu fällen“ gründet in der „Entscheidung“ Jerusalem zu verlassen und zu den Heiden zu gehen – und darin eben Kirche zu sein und nicht „Reich“. 96 In „Was ist Theologie?“ wird deutlich, dass auch die „Kontinuitätslinie“ ihre Ausprägung nur gewinnt vor dem Hintergrun, dass die „Logosoffenbarung“, in deren „Elongatur“ die Theologie liegt (AS 1, 3), das diskontinuierliche Ereignis schlechthin ist. Im Vergleich dazu sind „Exegese“

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erson sein Konzept der Öffentlichkeit allerdings exemplarisch an der Liturgie erläutert, wird deutlich, wie sehr beide Linien aufeinander bezogen sind: die Liturgie ist der Ort des jeder Entscheidung schlechthin Vorgegebenen, sie ist der Ort, an dem Christus sakramental präsent ist, der Ort, an dem sich der Kosmos zusammenschließt im Lobpreis Gottes. In diesem Sinne hatten wir in unserer Interpretation die Liturgie bei Peterson als „Ort der Evidenz“ qualifiziert, als Ort, an dem sich Gott selbst in seiner Wirklichkeit gibt. Dies ist der Grund, warum die Liturgie auch für Petersons Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit von so ausschlaggebender Bedeutung ist: In der Liturgie steht die Verfassung der Wirklichkeit im ganzen offen, in ihrer Ausrichtung auf den Thron Gottes im Zentrum des Kosmos, in der Verflochtenheit aller Kreatur in das Ganze des kreatürlichen Zusammenhangs, in der Relativierung der agonalen Historie auf das Jenseits aller Agonalität hin. Im Vollzug der Liturgie ist all dies mit gesetzt und Liturgieanalyse, wie Peterson sie z. B. im Engelbuch durchführt, bringt diese Voraussetzungen der liturgischen Praxis auf den theologischen Begriff. Weil in der Liturgie die Wirklichkeit im Ganzen in der Praxis der Kirche aufscheint, leitet sich alle Öffentlichkeit von diesem Offenstehen im umfassenden Sinne ab. Angemessen kann dies nach Peterson nur in ontologischen Kategorien beschrieben werden. Im Dogma spricht die Kirche diese Präsenz Christi im Sakrament und im liturgischen Vollzug aus. Die Kirche kommt von der Begegnung mit der Wirklichkeit Gottes her und sie bringt diese Wirklichkeit im Dogma zur Sprache97. Mit diesem Sprechen hat die Kirche allerdings den Raum der agonalen Wirklichkeit betreten, den Raum von Rede und Gegenrede, damit auch den diskursiven Raum. In diesen Raum tritt Peterson mit der Eindeutigkeit des Dogmas ein, und wo die Liturgie noch ganz vom „Entschiedensein“ (Schlier) lebt, also von der schon vollzogenen Entscheidung her, wird nun erneut der Vollzug von Entscheidung nötig. Mit der ontologischen Sprache des Dogmas umgeht Peterson nun den Raum diskursiver Verständigung, von Rede und Gegenrede, und nimmt die Eindeutigkeit der Wirklichkeit Gottes, die Eindeutigkeit des Christus praesens, auch für das Reden der Kirche im Dogma in Anspruch. Gleichzeitig aber werden die Spuren verwischt, die das Dogma selbst als menschliches Reden ausweisen – kontaminiert vom historischen Prozess und geprägt von allen Auseinandersetzungen, in deren Kontext die dogmatischen Grundentscheidungen gefallen sind. Peterson bindet die Dezision zurück an die Wirklichkeit Gottes, verleugnet aber dadurch ihren eigentlichen Charakter als Dezision, ihre Begrenzung und Kontingenz. Das Dogma wird so zur identitären Rede. Kirche und Wirklichund „Predigt nur die gradlinige Fortsetzung alttestamentlichen Prophetentums“ (Ebd., 12), also Ausdruck der Kontinuität der Kategorien des Alten Bundes. Auch das platonisch artikulierte „Partizipieren an dem göttlichen Logos“ (Ebd., 7) ist nur möglich vor dem Hintergrund der „Plötzlichkeit“ der Inkarnation. 97 Vgl. Mielke, Identität. Auch: Ervens.

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Abendmahlstheologische Aspekte

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keit Gottes werden identifiziert, das Dogma gewinnt gleichsam selbst göttliche Autorität. Die diskursive Öffentlichkeit wird aufgesogen von der liturgischen Öffentlichkeit vor dem Thron Gottes. Bei aller Betonung der Dezision verdeckt Peterson gerade hier, im Zentrum seiner Argumentation, den vermittelten Charakter der Dezision. Die Entscheidung hat ja immer zwei Seiten, sie könnte immer auch anders sein und gerade in ihrem Charakter als Entscheidung kann sie nicht ausweisen, warum sie so und nicht anders gefallen ist. Wir könnten nur diskursiv nachverfolgen, warum die Entscheidung so und nicht anders gefallen ist. Aber gerade der Weg in den Diskurs wird von Peterson bewusst versperrt. Peterson kann die Lücke vom schon ergangenen Reden Gottes und „Reden von Gott“98 zur dogmatischen Entscheidung nur noch mit einer pneumatologischen Chiffre mehr beschwören als beschreiben: „ein Glaube, der, wie bei ,den zwölf Aposteln‘, genötigt ist, auf Grund des Heiligen Geistes selbständige Entscheidungen zu treffen.“99 In dieser Spannung zwischen „auf Grund des Heiligen Geistes“ und „selbständig“ liegt das Problem. Wie können Kontinuität und Diskontinuität, wie die essentialistische Figur der „Teilhabe“ und die existentialistische Figur der „Dezision“ miteinander in Beziehung stehen. In der dezisionistischen Konstruktion Petersons wird gerade dieses Anders-Sein-Können der Entscheidung ausgeschlossen, indem eine Autorität aufgeboten wird, die den diskursiven Raum verschließt und die Spuren der Kontingenz verwischt werden. In Petersons Konzeption der Öffentlichkeit kehrt genau diese unaufgelöste, diese nicht klar markierte, vielmehr verwischte Spannung wieder. Öffentlichkeit hat die Kirche nach Peterson in ihrer Liturgie, in welcher die Kirche an der Herrschaft Gottes partizipiert in der sakramentalen Repräsentation, der spezifischen, sakramentalen Gegenwart des Abwesenden. Öffentlichkeit hat die Kirche in ihrem Zeugnis, in dem die Herrschaft Gottes und die Mächte des alten Äon zusammenstoßen. Öffentlichkeit hat die Kirche in der Agape der Heiligen, wenn das durch die Kerzenleuchter im himmlischen Heiligtum symbolisierte Licht von den Werken der Gemeinde ausstrahlt und für die Öffentlichkeit der Herrschaft Christi zeugt100. Liturgie, Zeugnis und Agape sind für Peterson die privilegierten Orte der Evidenz, an denen die Herrschaft Christi öffentlich ist. In unseren Überlegungen zur rhetorischen Präsentifikation im Denken Petersons fanden wir, wie Peterson zwar einerseits Theologie als argumentativen Vollzug definiert, aber andererseits an die Stelle diskursiver Argumentation rhetorische Strategien setzt, die nicht mehr argumentieren, sondern sich nur noch des deiktischen Gestus bedienen, nur 98 AS 1, 9 f. „Wir dürfen Eines doch nie vergessen, daß es nämlich ein wirkliches Reden ,von‘ Gott sinnvollerweise nur bei Christus gibt.“ – nämlich ein Reden, das aus dem Sein des ewigen Wortes beim Vater entspringt. 99 AS 1, 252, Die Kirche. 100 Vgl. Petersons Auslegung von Apk 2,1 – 7 in AS 4, 165 f.

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noch „zeigen“. Dies können wir am oben aufgewiesenen Zusammenhang von Sakrament und Dogma gut nachvollziehen. Von diesem so gefassten Sakramentsbegriff leitet Peterson dann sekundär den Begriff des Dogmas ab, den er eigentlich in seiner Definition des Sakraments schon vorausgesetzt hat. Für den Begriff der Öffentlichkeit heißt dies, dass er unter Absehung aller diskursiven Aspekte einen einseitig doktrinalen Charakter gewinnt, so aber die Liturgie als Ort schon gegebener Öffentlichkeit gar nicht mehr ausweisen, sondern nur noch behaupten kann. Peterson hätte ja die Möglichkeit offen gestanden, die Liturgie in ihrer Ritualität auch als Ort gemeinschaftlicher actio des Gottesvolkes zu verstehen und so die Aspekte vermittelnder Praxis in seinen Begriff der Öffentlichkeit einzubeziehen. Gerade die politisch-theologische Lesart der Liturgie hätte dies gestattet. Unter Umständen hat die Auseinandersetzung mit Casel um den Mysteriencharakter der Liturgie Peterson daran gehindert, diese Perspektive einzunehmen. Petersons Betonung von konkreter Leiblichkeit, von Materialität, seine Sicht auf die politisch-theologischen Konnotationen der liturgischen Vollzüge hat in seiner Theologie eigentlich alle begrifflichen Materialien bereit gestellt, um die erst in der gegenwärtigen Liturgietheologie wieder neu gestellten Probleme der Bedeutung der Ritualität der Liturgie im Spannungsfeld von Anthropologie und Theologie/Christologie/Pneumatologie zu bearbeiten. Die Argumentation Peterson bewegt sich ja im Horizont dieser ganz gegenwärtigen Problemmarkierungen. Es ist so, dass die Liturgie (neben Zeugnis und Agape) der pragmatische Kontext ist, in dem alles dogmatisch nur affirmativ Behauptete als Realitätsannahme im Hintergrund steht. Das ganze Zeichensystem der Liturgie setzt diese Wirklichkeit voraus und setzt sie als gegebene Realität im Vollzug der liturgischen actio, vielmehr : empfängt sie als Selbstvergegenwärtigung Gottes in der Fülle seiner den ganzen sichtbaren und unsichtbaren Kosmos umspannenden Wirklichkeit. Das „Gloria“ und das „Sanctus“ der Liturgie sind ja plausibel nur unter der Annahme, dass die Kirche mit den Engeln zusammen vor den Thron Gottes tritt, und dass die Wirklichkeit dieses Vor-den-Thron-Gottes-Treten nicht unabhängig vom liturgischen Vollzug zu denken ist. Peterson schrieb, wie schon oben zitiert, dass „der Kult der Kirche niemals etwas bloß Abgeleitetes und Sekundäres“ sei, „sondern etwas, was zu der Offenbarung Jesu Christi notwendig hinzugehört“101. Das heißt, dass die Liturgie als Zeichenensemble nicht einfach Zeichen für eine von ihr selbst unterschiedene und nur jenseits von ihr liegende Sache sein kann, sondern dass zum Begriff der kosmischen Öffentlichkeit der Liturgie mit der Realität der unsichtbaren Welt auch die irdische Realität der kirchlichen Liturgie hinzugehört und erst in diesem „gemeinsamen“ Vollzug die Wirklichkeit im Ganzen sich gibt als Wirklichkeit Gottes und unverkürzte Wirklichkeit des Geschöpflichen. In dieser Perspektive gewinnen Petersons 101 AS 4, 193.

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Gedanken eine eindringlichen Plausibilität: Liturgie ist hier so etwas wie eine Erfahrungsenklave, in der die disparaten Fragmente des Empirischen zusammengefasst werden zur Wirklichkeit und damit zur Wahrheit des Geschöpflichen, das eingebettet ist in die großen Bezüge, die ihr Zentrum im Thron Gottes haben. Wo wird diese Realität anschaulich? Sie wird performativ anschaulich dort, wo die Kirche die Liturgie feiert und wo dieses ganze Wirklichkeitsverständnis einerseits vorausgesetzt werden kann, andererseits aber im Lobpreis, im Aussprechen und Hören des Evangeliums, in Feier und Empfang des Sakraments vollzogen und erfahren werden kann. In diesem Sinne ist die Liturgie Ort der Plausibilisierung der apokalyptischen Ontologie, Quelle des Dogmas und Prüfstein dogmatischer, das heißt diskursiv argumentierender und nicht nur dezisionistisch behauptender Theologie. Die Liturgieinterpretation Petersons weist auf alle diese Zusammenhänge hin ohne sie zu explizieren. Sie ist an genau der Stelle, wo sie hätte diskursiv argumentieren müssen, in die Dezision abgebogen.

6.4 Zum gegenwärtigen liturgietheologischen Horizont In diesem Abschnitt sollen Petersons Überlegungen nun auf einige gegenwärtige Diskurslinien bezogen werden, die die spezifische Öffentlichkeit der Liturgie und des Gottesdienstes betonen und die Bedeutsamkeit der gottesdienstlichen Öffentlichkeit für die gesellschaftlich-politische Öffentlichkeit der Moderne explizieren. Dabei kommt bei verschiedenen Autoren in den Blick, dass der Liturgie selbst eine politische Dimension innewohnt, indem sie als eigenständige und differente politische Praxis auf die politischen Praxisformen des Gemeinwesens bezogen ist, sie aufnimmt und korrigiert. In unterschiedlichem Ausmaß werden wir feststellen, wie Petersons Fragestellungen auch losgelöst vom politischen Profil der Konfrontationen in den 1920er und 30er Jahren in aktuellen Fragestellungen wiederkehren. Bernd Wannenwetsch schreibt definitorisch: „The church as a political entity finds its constitutive and restitutive act in worship, which is the central praxis of the ,fellow citizens of the saints‘.“102 Der Gottesdienst war für die ersten Christen, die Jesus Christus als Kosmokrator, als Herrn und König, verehrten, auch die Quelle einer neuen politischen Praxis, die die strikte Trennung zwischen der privaten Sphäre des oikos und der öffentlichen Sphäre der polis aufhob: „The ,new humanity‘ (Eph 4,13) of the church of Jews and genitles significantly employs both the language of the household and that of the polis, establishing a kind of ,political household‘ or ,household polis‘.“103 102 Wannenwetsch, Liturgy, 76. 103 Ebd., 77.

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Die Besonderheit dieser neuen politischen Identität sei gewesen, dass sie in der Lage war die Exklusionen der antiken Polis zu überwinden und ein Bürgerrecht zu schaffen, das ohne Exklusionen auskam: „a new concept of political identity (…) maintained and safeguarded not through exclusivity and exclusion but through full participation of all those who were once ,noncitizens‘, strangers and resident aliens (paroikoi).“104 Diese neue Praxis speiste sich nach Wannenwetsch aus zwei Quellen: aus der einen Quelle des ursprünglich öffentlichen jüdischen Synagogengottesdienstes und aus der anderen Quelle der in den Häusern stattfindenden Versammlungen mit Abendmahlsfeiern. Beide Traditionen zusammen vereinigten sich zur einen liturgischen Praxis des öffentlichen Gottesdienstes der Christenheit. Untergraben wurde diese öffentliche Praxis aber gerade durch den Triumph des Christentums im politischen Raum, der mit der Erhebung zur römischen Staatsreligion begann und seitdem bis in die Moderne hinein den politischen Charakter des „konstantinischen“ Christentums ausmachte, das mehr und mehr zu einer Legitimationspraxis für ein entfesseltes politisches System wurde, das den christlichen Gottesdienst zunehmend seiner politischen Qualität beraubte, die öffentliche politische Praxis der Liturgie entleerte und so den Gottesdienst marginalisierte bis er in der Moderne konsequent zur Privatsache degradiert wurde. Wannenwetsch rekonstruiert die historische Linie dieser Entwicklung und macht auf diesem Wege die wesentlichen Bedrohungen der öffentlichen Qualität des Gottesdienstes namhaft. Er unterscheidet innere Bedrohung und äußere Bedrohung. Die innere Bedrohung der Öffentlichkeit des Gottesdienstes erblickt Wannenwetsch zum einen in der Versuchung den Gottesdienst primär in der privaten Hausversammlung zu verankern und nicht in der synaxis der Ekklesia, die sich öffentlich zum Gottesdienst versammelt – auch wenn dies in einem Privathaushalt geschehen sollte. Die andere innere Bedrohung sieht Wannenwetsch – im Anschluss an die schon 1945 publizierten Beobachtungen des anglikanischen Benediktiners Gregory Dix – aus dem Inneren der christlichen Gesellschaft des Mittelalters aufsteigen: mit dem Verlust der in den frühen Gemeinden gegliederten Ämter zugunsten der Konzentration auf den monarchischen Episkopat gerät überhaupt die Beteiligung des gesamten Volkes Gottes an der Liturgie in den Hintergrund. Die wichtigste Veränderung auf liturgischem Gebiet ist nach Wannenwetsch das Schwinden des Offertoriums105, desjenigen Teils der Liturgie, in welchem ursprünglich eine Vielfalt von Gaben an den Tisch des Herrn gebracht wurde, um teilweise in der Eucharistie als Dankopfer dargebracht zu werden, teilweise aber auch um schlicht gesegnet zu werden und dann vom Altar aus an die Bedürftigen der Gemeinde und der Stadt verteilt zu werden. Das Offertorium machte in dieser Hinsicht die Einbettung der Liturgie in die 104 Ebd., 78. 105 Ebd., 80 f.

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Gesamtzusammenhänge des öffentlichen Lebens klar und sein Schwinden verdeutlicht die über einen jahrhundertelangen Prozess sich hinziehende Ausdifferenzierung eines autonomen gesellschaftlichen Subsystems der Religion, das von der politisch-gesellschaftlichen Zirkulation des öffentlichen Lebens unterschieden wird. Die andere, die äußere Bedrohung sieht Wannenwetsch in der Rolle des neuzeitlichen Staates, sich selbst als politische Größe absolut zu setzen und sich damit als Super-Öffentlichkeit zu begreifen, von der aus betrachtet alle anderen Formen von Öffentlichkeit nurmehr abkünftig sein können. Auch dies ist in dem langen theologischen und politischen Diskurs um Gestalt und Bedeutung der „zwei Gewalten“ vorbereitet und schließlich zum normativen Selbstverständnis des modernen Staates geworden: das gesellschaftliche Subsystem der Religion nach seiner Verträglichkeit mit dem Selbstverständnis des demokratisch verfassten Gemeinwesens zu beurteilen und von daher Öffentlichkeit zuzuteilen oder zu entziehen. Dieser von Wannenwetsch gebotene historische Überblick ist mit Petersons Analysen und seiner Betonung der eigenständigen politischen Qualität der Kirche und der kirchlichen Öffentlichkeit ohne weiteres kompatibel. An anderer Stelle geht Wannenwetsch über diese summarische Darstellung in bedeutsamer Weise hinaus. In „Gottesdienst als Lebensform – Ethik für Christenbürger“106, seiner 1997 veröffentlichten Habilitationsschrift, verweist er darauf, dass die Antithese von kirchlich-liturgischer und staatlich-politischer Öffentlichkeit heute nicht mehr der entscheidende Gegensatz sei. Vielmehr geriere sich die „Gesellschaft“ als „Supersystem“ mit dem „Totalanspruch“107 der übergreifenden Integration aller subsystemisch verfassten Lebensformen. Damit ist die „Gesellschaft“ als Totalitätsfigur selbst schon nicht mehr politisch, sie ist diesseits und jenseits des Politischen zugleich. Wannenwetsch bezieht sich in seiner Analyse auf die politische Theorie von Hannah Arendt, die die „moderne Gesellschaft“ zu begreifen versucht als eine Dominanz „privater“ Interessensartikulationen, die in den öffentlichen Raum drängen und dort als Interessen durchgesetzt werden, die nicht mehr mit dem Ideal des politischen als des gemeinsamen Lebens zu vermitteln seien.108 Auch „Religion“ ist in diesem gesellschaftlichen Deutungsrahmen immer schon funktional auf Gesellschaft bezogen, ist nur verstehbar (kulturhermeneutisch) in diesem Bezug auf eine schon vorausgesetzte Totalität. Auch der Gottesdienst erscheint dann als mediatisiert auf diesen gesellschaftlichen Funktionszusammenhang hin. Dagegen insistiert Wannenwetsch auf der Eigenständigkeit der gottesdienstlich geprägten „Lebensform“ der Christen, die in sich selbst schon eine Sozialform ist, die ihre Legitimität nicht durch gesellschaftliche Passgenauigkeit, sondern durch die alle gesellschaft106 Wannenwetsch, Gottesdienst. 107 Ebd., 210. 108 Vgl. Ebd., 211.

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lichen Funktionszusammenhänge übersteigende Beziehung auf das vorgängige Handeln Gottes und seine pneumatische Realisierung im Gottesdienst der Gemeinde erhält. Wannenwetsch stellt die – rhetorische – Frage: „Liegt die ethische Identität im funktionalen Bezug auf die Gesellschaft oder im durchgängigen Bezug auf die christliche ,story‘, welche die christliche Identität interpretiert?“109 Dieser Bezug auf die christliche „story“, auf die biblisch begründete und vom Hören auf die Heilige Schrift fortgesetzte Interpretationspraxis der christlichen Lebensform ist der Inbegriff der Widerständigkeit der politischen Praxis des Evangeliums, die sich allen gesellschaftlichen Totalansprüchen verweigert. Hier liegt, der liturgischen Quelle der christlichen Lebensform entspringend, der Ursprung einer Differenzkultur, die sich gleichwohl nicht in einem beziehungslosen, abstrakten Widerspruch gegen gesellschaftliche Öffentlichkeit erschöpft, sondern, aus ihrer Widerständigkeit heraus, die sich verschließende gesellschaftliche Praxis aufbrechen kann. Die aus dem Gottesdienst entspringende „performative“ und „homologe“110 ethische Identität der Christenheit artikuliert sich in der Gesellschaft: „Zu ihr gehört eine Performanz, in der die christliche Lebensweise in aller Pluriformität doch homolog zu sein vermag, sofern sie sich als biographische Interpretation der im Gottesdienst eingeübten Rolle in der einen Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen versteht.“111

In der Vielfalt individueller Weisen des Hörens und Empfangens, des Interpretierens und Handelns bleibt dabei gleichwohl der Bezug auf die „story“ Gottes mit seinem Volk konstitutiv. So wie diese „story“ sprachlich artikuliert ist, aber weit über bloßes Sprechen hinausgeht und sich als Lebensform verdichtet, so ist auch der politische Ertrag der gottesdienstlichen Praxis nicht zuletzt ein sprachlicher, der sich dem Politischen einstiftet. Hat die moderne Gesellschaft einen ihr immanenten Hang zur Rhetorik der Selbsterschaffung112, so wird die vom Gottesdienst geprägte Sprache gerade hier ein Selbstverständnis von Geschöpflichkeit ausdrücken: „Indem die Einübung der Sprache der Geschöpflichkeit und Nächstenschaft im Gottesdienst zur Sprachkritik an der Rhetorik der Gesellschaft befähigt, erweist sie dieser einen heilsgeschichtlichen Dienst.“113 Dieser „Dienst“ drückt sich wiederum als „Differenzkultur“ aus, indem die Sprache der christlichen „story“ der Sprache der gesellschaftlichen „Selbsterschaffung“ eine Außenperspektive entgegensetzt, die die gesellschaftliche Rhetorik begrenzt und alternative Sprachmöglichkeiten aufgreift. Christen kommen vom Gottesdienst her, in dem das

109 110 111 112 113

Ebd., 217. Ebd., 223. Ebd., 223 f. Ebd., 229, mit Bezug auf Rorty. Ebd., 230.

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gültige Wort Gottes assertorisch und affirmativ zugesprochen wird und sie tragen diese Praxis des Wortes in den politischen Raum hinein: „Ihren spezifisch politischen, durch die Erfahrung des Gottesdienstes geprägten, Beitrag leisten Christen, wenn sie als solche Menschen öffentlich reden und handeln, die gelernt haben, der Macht des Wortes zu vertrauen anstatt auf die Wirkung von Parolen – als Menschen, die im friedfertigen Hören und Reden geübt sind.“114

So kann nach Wannenwetsch vom Gottesdienst her im politischen Raum die „Mißtrauenshermeneutik“ durchbrochen werden und „die christliche Praxis der Vergebung als eine politische Tugend ersten Ranges“115 entdeckt werden. Aufschlussreich ist hier vor allem, wie Wannenwetsch den Gottesdienst als Integral der „christlichen Lebensform“ interpretiert: eingebettet in eine gemeinschaftliche Praxis, die gleichwohl der individuellen Differenzierung des Lebens „in der Welt“ allen nötigen Raum gibt und so die liturgische Quelle der christlichen Lebensform auf die Bedingungen der pluralistischen Gesellschaft beziehen kann. Für diesen Bezug hatte Peterson bekanntlich kein Sensorium. Er differenziert nicht zwischen politischer und gesellschaftlicher Totalität, und dort, wo er es tut, wie in den aphoristischen Texten der 50er Jahre, dort gleitet Peterson allzu schnell in gängige Muster von Kulturkritik und Antimodernität ab. Gleichwohl bleibt die Frage, wie die Widerständigkeit der liturgischen Öffentlichkeit gegenüber dem „Supersystem“ Gesellschaft und seinen Ansprüchen auf Totalintegration gewahrt werden kann. Und es bleibt die Frage, ob nicht die apokalyptischen Kategorien Petersons einen bleibend wichtigen Aspekt dieser Differenz ausdrücken. Ist ein bleibender Widerstand gegen die Einpassung der Kirche und des Gottesdienstes in gesellschaftliche Legitimationszusammenhänge möglich ohne diesen starken Begriff einer ontologischen Superiorität der liturgischen Wirklichkeit, die an der „realeren“ Realität Gottes partizipiert und dadurch im Konflikt der Öffentlichkeit präsent gehalten wird? Wo in Wannenwetschs Konzept die „christliche story“ als Sprachund Interpretationspraxis der vielgestaltigen Gemeinde Jesu steht, dort steht bei Peterson in dezisionistischer Materialität das Sakrament, in dem der Anbruch des neuen Äon „Evidenz“116 gewinnt. Die apokalyptische Sprachform hatte in den politisch-theologischen Auseinandersetzungen der 1930er Jahre die Kraft, die materiale Komplexität der Konflikte zu reduzieren auf ein binäres Schema: alter – neuer Äon, bleibende Wirklichkeit Gottes – verge114 Ebd., 275. 115 Ebd., 295. 116 Die phänomenologisch inspirierte Figur der Evidenz spielt auch in der neueren römischkatholischen Liturgietheologie eine Rolle in der Reflexion auf das Zueinander von Erfahrung und Deutung im Geschehen der Liturgie. Vgl. Grillo, dort 212 aus dem einschlägigen italienischen Diskurs das Zitat von P. Sequeri: „Die Liturgie ist nicht die Kirche. Aber sie ist die symbolische Evidenz der Kirche, die auf ihren Anfang und ihre Bestimmung zurückgeführt wird.“

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hende Welt, Dialektik des Historischen – Evidenz und Eindeutigkeit des Sakraments. Dieses Schema hat Peterson besonders virtuos konstruiert und gebraucht, aber es war nicht nur ihm eigentümlich. Er teilte es vielmehr mit vielen seiner theologischen Zeitgenossen, die – unabhängig von konfessionellen Positionen – die apokalyptische Figur als Ermächtigung zu einer theologischen Selbstbehauptung unter den Bedingungen der Agonalität verwandten. In diesen Jahren entstanden im Umfeld der Bekennenden Kirche etwa die inhaltlichen Konturen der Liturgietheologie117 von Peter Brunner ebenso wie einschlägige Arbeiten von Heinrich Schlier118 und Alfred de Quervain119. In all diesen Entwürfen spielt der eschatologische Horizont der Frage nach der Öffentlichkeit des Gottesdienstes eine Rolle, die er in dem auf pluralistische Bedingungen ausgerichteten Konzept von Bernd Wannenwetsch nicht mehr haben kann. Dieser eschatologische Horizont bringt starke Spannungen in das Gefüge von Kirche und Welt, gewaltsame Komplexitätsreduktionen, er äußert sich in den auch bei Peterson geschilderten rhetorischen Stilisierungen und Inszenierungen. Gleichwohl bleibt die Frage, ob sich eine Interpretation der öffentlichen Qualität des Gottesdienstes und ein von dort her abgeleiteter Begriff kirchlicher Öffentlichkeit dieser Spannung entziehen darf. Gewiss führt diese Spannung und ihre binäre Codierung bei Peterson dazu, dass er sich nur schwer auf pluralistische Bedingungen des Politischen beziehen kann, vielmehr das apokalyptische Schema als einen Universalschlüssel verwendet, der ihn für Differenzierungen weitgehend blind macht. Es ist auch für unseren gegenwärtigen Kontext des Fragens nicht von der Hand zu weisen, dass heute apokalyptische Interpretationsschemata mit politisch-theologischer Brisanz im Umlauf sind, die sich nicht, wie Petersons Frontstellung gegen den Nationalsozialismus, gegen eine totalitäre Diktatur richten, sondern im Namen sehr modern inszenierter pseudo-traditionaler Religionsformen gegen die Verfassung der pluralistischen Gesellschaften des Westens überhaupt120 kämpfen. Aber wir halten trotzdem die Frage für unausweichlich, wenn wir nicht eine sehr grundsätzliche Depotenzierung des Evangeliums von der Thronbesteigung Christi in Kauf nehmen wollen: Ist es möglich, einerseits die eschatologische Spannung zu wahren und damit einen wachen Blick für die gesellschaftlich-politische Agonalität, in die die Kirche unter historisch immer wieder wechselnden Bedingungen, aber in doch grundsätzlich gleicher Weise, hineingestellt ist – und andererseits und gleichzeitig eine Differenzkultur im 117 118 119 120

Brunner, P., Verantwortung. Schlier, Antichrist. Quervain, Buße. Vgl. zum Zusammenhang apokalyptischer Geschichtstheologien und aktueller Gewaltszenarien am Beispiel der schiitischen iranischen Revolution: Kippenberg, bes. die Abschnitte V.4: Apokalyptik: Die Zuspitzung der Konflikte und V.5 Gewalt: Rituelle Tötungsszenarien, 164 – 183.

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Sein und im Handeln der Kirche zu praktizieren, die sinnvoll und konstruktiv und wohl auch, wo es angängig ist, affirmativ auf die politischen Bedingungen der pluralistischen Gesellschaft bezogen ist? Ist nicht diese Frage besonders dringend angesichts der doch blassen Schlussbestimmungen, die Wannenwetsch als Ertrag seiner eindringenden Untersuchungen bietet, wenn er sagt, dass die Christen in der Politik dafür stehen, “der Macht des Wortes zu vertrauen anstatt auf die Wirkung von Parolen“121? Ob allerdings mehr zu sagen möglich ist, wird davon abhängen, ob und wie der Gottesdienst als Quelle der Evidenz der Herrschaft Gottes erfahrbar ist. Wannenwetsch spricht vom „Gottesdienst als Lebensform“ und meint damit zwar mehr als den liturgischen Gottesdienst mit Wort und Sakrament, aber doch den Lebensgottesdienst, wie er dem liturgischen Gottesdienst entspringt122. Peterson denkt den Gottesdienst nicht als Ausdruckshandeln einer gläubigen Subjektivität, er denkt ihn nicht primär als Deutungsaktivität, als Interpretationsgeschehen, er denkt den Gottesdienst vielmehr von einer starken Form von Präsenz her, als Selbstvergegenwärtigung Gottes, die die Verschlossenheit der Immanenz aufbricht und kosmische Zusammenhänge erfahrbar macht. Damit berührt sich seine Fragestellung mit Impulsen, die in gegenwärtigen Diskursen aus dem Kontext der „Radical Orthodoxy“-Schule kommen. Wir beziehen uns auf zwei Arbeiten von Catherine Pickstock und fragen dabei zunächst nach der besonderen Art von liturgischer Präsentifikation, die Pickstock in ihren Arbeiten namhaft macht. Hier werden wir, ohne ausdrückliche Anknüpfung an Peterson eine große innere Nähe zu dessen Anliegen sehen. Wir betrachten zunächst einen Zusammenhang aus Pickstocks Studie „After Writing“123. Wir sagten, dass Petersons Rede von der Liturgie als Ort von Evidenz nur plausibel wird, wenn sie gestützt wird von einer starken Präsentifikation, wenn Liturgie – bei aller Problematik, die der Begriff der „Erfahrung“124 mit sich bringt – ein Ort der Erfahrung dieser Präsenz ist, ein Ort, an dem die Herrschaft des Kyrios Jesus Christus in der Mitte seiner Kirche dem versammelten Gottesvolk präsent und erfahrbar ist und in ihrer kosmischen Reichweite gesehen wird. Petersons apokalyptisches Schema steht ein für diese starke Präsenz und Peterson inszeniert diese Präsenz auch in der Rhetorik seiner Texte. Was allerdings, so fragen wir, geschieht mit dem Subjekt, das sich in diese Präsenz hinein begibt? Peterson behandelt diese Frage nicht explizit, weist er doch den Zugang über die Subjektivität, wie ihn seine neuprotes121 Wannenwetsch, Gottesdienst, 275. 122 Siehe programmatisch: „Christliche Ethik erkennt sich dann als politische Ethik, wenn sie die gottesdienstliche Formierung der Gemeinde als einer Öffentlichkeit sui generis bedenkt: die durch das ,Gesetz des Geistes‘ (Röm 8,2) bestimmte Lebensform. (…) Als Leib des auferstandenen Herrn ist die Gemeinde die Präsenzform der eschatologischen ,Polis‘ in der Welt.“ Wannenwetsch, ebd., 15. 123 Pickstock, After Writing. 124 Vgl. Herms, Erfahrung II.; ders., Erfahrung IV.

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tantischen Lehrer ausgeprägt hatten, gerade polemisch zurück.125 Und doch bleibt die Frage, wie hat das Subjekt teil an dieser liturgischen Präsenz? – wenn denn die Petersonsche Liturgietheologie nicht nur eine „gedachte“ Theologie ist, sondern eine selbst aus der liturgischen Feier geschöpfte und ihre Erfahrung auslegende ist. Dieser Frage nach der Identität des „liturgischen Selbst“ geht Catherine Pickstock in ihrer Interpretation der alten römischen Messliturgie nach. In ihrer Lektüre weist Pickstock auf die den römischen Ritus prägenden ständigen Unterbrechungen und Rückschritte hin, auf das wiederholte Neuansetzen des liturgischen Vollzugs, das der Linearität neuzeitlichen Denkens so sehr entgegengesetzt ist, dass die liturgischen Reformen des 20. Jahrhunderts gerade diese Brüche im Interesse einer Straffung der inneren Logik des Gottesdienstablaufs zu beseitigen versuchten. Pickstock hebt nun hervor, dass gerade diese inneren Brüche des Ritus eine schnelle Unterordnung des liturgischen Geschehens unter die Bedürfnisse rationaler Folgerichtigkeit verhindern und ein Gefühl der Distanz erzeugen, das gerade in seinen retardierenden Momenten das liturgische Selbst gleichzeitig auf die Nähe und den Selbstentzug Gottes ausrichtet: „In contrast to the purified asyndetic ,advance‘ of secular discourse structure and its claim to apprehend the real without encumbrance, the liturgical stammer bespeaks its admission of distance between itself and the transcendent ,real‘. It is this very admission of distance which permits a genuine proximity with God.“126

Wo das säkulare Bewusstsein sich in einer berechenbaren, der universalen mathesis unterworfenen Welt einrichtet und nur den diesem epistemologischen Ideal entsprechenden Sachverhalten den Status der Realität zumisst, lässt das liturgische Subjekt die Brüche und qualitativen Unterschiede in der Welt stehen. Es fürchtet sich nicht davor zu „stammeln“, weil es weiß, dass sich in diesem Stammeln Gottes Nähe als qualifizierte Distanz zu den Selbstentwürfen des Subjekts gewährt. Darin erfährt sich das liturgische Subjekt nicht einfach als mit sich identisch, sondern als „identifiziertes Subjekt“, das in der liturgischen actio doch gleichzeitig in tiefster Passivität durch ein Handeln Gottes konstituiert wird. Das „identified liturgical subject“ steht bei Pickstock dem „ironical secular 125 In seinen Reflexionen über das „unglückliche Bewusstsein“ des Apostels legt Peterson allerdings nahe, dass er eine Form von Erfahrung einerseits voraussetzt und andererseits sucht, die keine Distanz, vor allem keine Distanz der Selbstbeobachtung zulässt. Dem würde eine Gestalt liturgischer Erfahrung entsprechen, die ganz im liturgischen Vollzug aufgeht. So wie die Cherubim und Seraphim (AS 1, 226, Von den Engeln) nicht himmlische Wesen sind und außerdem noch Gott loben, so ist die liturgische Geschöpflichkeit in ihrer Spitze eine solche, in der die Identität des an der Liturgie teilhabenden Menschen von dieser Teilhabe ausgemacht wird. Wenn Peterson das Leben der Mönche in der Anbetung nahe an die Seinsweise der Engel heran rückt, scheint er eine solche Konsequenz nahe zu legen. 126 Pickstock, Ebd., 178.

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subject“ gegenüber, das in seinen Entwürfen des Herrschaftswissens zwar ein Netz selbst erzeugter Begriffe über die Welt spannt, darin aber eben diese Welt und damit gleichzeitig sich selbst verliert – eben zum „ironischen“ Subjekt wird, dem alle Realität unter der Hand zerfällt.127 Das liturgische Subjekt (oder das liturgische Selbst) wird konstituiert, indem es sprechend schweigt, oder besser in seinem liturgischen Sprechen die Leerstelle markiert, die durch die Präsenz, die Nähe des fernen Gottes aufgefüllt wird. Pickstock spricht hier von der „apostrophic voice“128 der Liturgie. Pickstock bezieht sich auf die klassische rhetorische Figur der Apostrophe, von der sie sagt: „Apostrophe (…) is a rhetorical figure used to signify vocative adress to an absent, dead, or wholly other person, idea or object.“129 Im liturgischen Zusammenhang begegnet die Figur der Apostrophe nach Pickstock in den liturgischen Invokationen130, die Gott um Beistand bitten oder Ihn schlicht anrufen, ohne in der Logik der Liturgie eine kommunikativ einsichtige besondere Funktion einzunehmen. Von diesen Anrufungen gilt nach Pickstock: „It instantiates a sensual calling which, without instrumental purpose, represents the dislodging of language from diurnal orders of reasoning. The apostrophic voice calls in order to be calling, or in the hope of a further calling, and is thus situated within an expectant and passionate order of language“131.

Die Apostrophe steht also nach Pickstock für genau jene Mitte zwischen Aktivität und Passivität, in der sich das liturgische Subjekt als „gift“, als Geschenk empfängt, das zwischen den postmodernen Extremen des „ironischen“ Entgleitens des Selbst und der „absolute self-identity“132, der starren Selbstbehauptung, die angemessene Rede von personaler Identität darstellt, „a 127 In einer gewagten Interpretation der grammatischen Medialformen der griechischen Verben spricht Pickstock hier davon, dass dieses liturgische Selbst „middle voiced“ ist, gleichzeitig aktiv und passiv : „He (scil. the liturgical self) is not purely active since his liturgical performances are prescribed and made possible by divine forces. But nor is he wholly passive since his active and creative subjectivity is necessary to mediate those forces. Indeed he is a characteristically representative subject, not first and foremost his own self, self-directive and selfgoverned, but first of all only constituted as a subject by his symbolic, mediating and chanelling role. In this way, the self is to begin with distanced from himself, constituted by a certain kind of openness, since he never fulfils his role, which nonetheless defines him. However this is not the randomly indeterminate openness of the postmodern subject which is a perpetually ironised and not really inhabited self. To the contrary, the liturgical subject sees himself as having achieved a certain measure of true identity, while what remains indeterminate in his character can be regarded as the ever-open promise of further consistent development which is nonetheless not to be anticipated in advance.” Pickstock, Liturgy, 161. 128 Pickstock, After Writing, 192. 129 Ebd., 193. 130 Pickstock nennt als Beispiele Wendungen des alten römischen Messordinariums wie „Iudica me, Deus, et discerne causam meam“ und „Emitte lucem tuam“ oder „Confiteor tibi in cithara, Deus Deus meus“., vgl. ebd. 131 Ebd. 132 Ebd., 198.

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non-ironic, non indeterminate subjectivity“133. Personale Identität ist also hier in gleicher Weise gegründet in Gewährung und Entzug der Präsenz Gottes. Das liturgische Selbst empfängt sich nur vermittelt durch die eucharistische Gabe, die es am Altar darbringt als Dankopfer und damit stellvertretend für das Ganze des eigenen Lebens. Nur über den Entzug, über das Opfer, empfängt sich dann das Selbst, und indem es sich empfängt, empfängt es gleichzeitig die Welt der Dinge zurück, die damit, nach der eucharistischen Ontologie, nicht mehr schlicht Gegebenes/“given“ und damit Manipulierbares sind, sondern ebenso „gift“, anvertrautes Gut, das in der Tiefe der göttlichen Trandzendenz in seinem Realitätsgehalt verbürgt ist. Und so kommt Pickstock zu dem Schluss: „In this way, objectivity is grounded in transcendent subjectivity, and liturgical truth is understood not to involve primarily the clear apprehension of a mastered object, but rather a prior seizure of the subject by an overwhelming subjectivity. But since even absence can be adressed and itself makes an adress, however obscurly, the flow of signifying and unmasterable objects is meaningful, and permits us a specific place or identity within that flow. The liturgical use of apostrophe insinuates, against the modern and postmodern, a non-ironic, identifiable subject.“134

Von diesem Konzept einer postmodernen eucharistischen Ontologie her, die in den Sprechakten der Liturgie gegründet ist, wird umso deutlicher, wie Petersons Versuch, der Moderne durch den Salto in die prämoderne Metaphysik zu widerstehen, heute so nicht wiederholt werden kann, vielmehr das gleiche Anliegen unter veränderten Bedingungen mit veränderten Mitteln neu artikuliert werden muss, aber auch artikuliert werden kann. Wenn wir in der Interpretation von Petersons Sakramententheologie seinen Verdacht gegen die Moderne zitiert haben, der Peterson unterstellt, alles Substantielle in eine „leere Dynamik“135 aufgelöst zu haben, so sehen wir, wie Pickstock in der doppelten Antithese gegen Moderne und die Postmoderne eines Derrida, die entsprechende Frage erörtert: wie kann im leeren „flux“, in dem das Selbst entgleitet und mit ihm die Dinge, die Erfahrung von Präsenz geschehen, eine Erfahrung, die das Selbst in der Wirklichkeit Gottes verankert ohne es überzudeterminieren. Ausgehend von dieser in der liturgischen Evidenz verankerten Grunderfahrung aus stellt sich auch für Pickstock erneut die Frage der Öffentlichkeit, und sie kann zeigen, wie mit der Liturgie ein politisch-theologischer Anspruch und eine spezifische Öffentlichkeit verbunden sind. In ihrem Aufsatz „Liturgy, Art and Politics“136 positioniert Pickstock die Liturgie zwischen dem „imaginären“ Raum der Kunst einerseits und andererseits der Politik als dem 133 134 135 136

Ebd., 197. Ebd., 198. AS 7, 273, 1. Korinther. Ebd.

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machtbasierten Prozessieren mit dem jeweils Gegebenen. Nur die Liturgie hat nach Pickstock die Kraft, zwischen beiden zu vermitteln, und einerseits die Kunst davor zu bewahren, zur bloß noch kompensatorischen imaginären Gegenwelt zu werden, und andererseits die Politik davor zu bewahren, zur reinen Durchsetzung von Gewalt zu depravieren. Mit Bezug auf die Stadt der Magnesier in Platos „Nomoi“ sagt Pickstock, dass jede Kultur in ihrer Tiefe liturgisch angelegt sei. Der Rahmen des rein instrumentellen, funktionalen Agierens wird ständig überstiegen auf etwas hin, das als absoluter Wert inszeniert und gefeiert wird: „To say that human life has a fundamentally ritual or liturgical character is a way of recognising this: a way of indicating that the most realistic actions with a pragmatic and functional character nonetheless also exceed themselves by indicating the unquestioned and transcendent, which is the horizon within which they operate.“137

Die liturgische Dimension ist in jeder Gesellschaft nach Pickstock immer schon in Anspruch genommen, es gibt keine Gesellschaft ohne die Dimension des Liturgischen, weil jede Gesellschaft eine gemeinschaftliche Praxis hat, in der sie sich auf das bezieht, was jenseits ihrer selbst liegt, auf irgendeine Form von Bedeutung als Referenz auf ein jenseits ihrer Praxis Liegendes, diese Praxis Überschreitendes. In den Gesellschaften der Moderne allerdings hat sich an die Stelle der authentischen Liturgien eine „anti-liturgy liturgy“, ein „pseudo-liturgical order“138, ja „a kind of parody of the liturgical“139 gesetzt. Einem in sich geschlossenen Kapitalismus, dem eine Welt beziehungslos nebeneinander stehender Fakten entspricht, steht das in abstraktem Widerspruch verharrende Ästhetische entgegen, das sich nicht mehr zu einer geteilten Lebensform verdichten kann. Die pure Identität des Faktischen und die ästhetische Illusion des „NichtIdentischen“ verstärken ihre gegenseitige Abschließung. An die Stelle der Liturgien, an die Stelle des gemeinsamen Festes, welches einen „shared horizon of substantive conviction“140 voraussetzt, tritt das Spektakel. Und so entsprechen sich „purely functional work and purely fictional private and irresponsible enjoyment.“141 „We are still watching ourselves as actors rather

137 Ebd., 160. Auch ebd., 159: „All cultures begin in liturgy which fuses the repetition of ideal value with the physical inscription upon bodies, places, times and motions.“ Pickstock meidet an dieser Stelle den Ritualbegriff wegen dessen Suggestion eines gleichsam mechanischen Wiederholungsverhaltens. Hingegen gilt für die Liturgie: „The term ,liturgy‘ assumes that ritual as a kind of signifying system is possible only in terms of its organization around some privileged transcendent signifier“. 138 Ebd., 168. 139 Ebd., 159. 140 Ebd., 169. 141 Ebd., 170.

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than participating as worshippers.“142 Dagegen gilt, dass die Liturgie das Ästhetische und das Ethische, Kunst und Politik, integriert, die Liturgie ist eingebettet in die Alltagsvollzüge, sie ist lebensweltlich grundiert. So hebt sie den Alltag und das konkrete Selbst im liturgischen Akt in die Teilhabe am Transzendenten, ohne dass darin Welt und Selbst negiert werden.143 Die Liturgie lebt als Muster, als „pattern“, immer von Gabe und Gegengabe und prägt so in liturgischen Gesellschaften, wie der des christlichen Mittelalters, auch das Wirtschaften, das nicht zur bloßen Akkumulation von Kapital wird, sondern immer in die Gegenseitigkeit des Gebens und Nehmens zurückgebunden wird. Ist das Modell einer solchen Gesellschaft für die Moderne denkbar? – fragt Pickstock. Deutlich ist, wie die Moderne schwankt zwischen universalistischen und lokalistischen/partikularistischen Entwürfen des gemeinsamen Lebens. So gilt für die Moderne, „that the only way out of nihilism is either to embrace some particular local belief-system, or else once more to make some claims about a universal truth.“144 Nur für eine von der Eucharistie her geprägte liturgische Praxis kann nach Pickstock gelten, dass Universalität und Partikularität sakramental versöhnt sind. Die unnahbare Transzendenz Gottes und die direkteste Präsenz des Sakraments lassen einer großen Vielfalt Raum, sie erlauben Differenz: „unlimited variety in space and time of different intimations of the transcendent truth.“145 So kann die christliche Liturgie die Vielfalt der Traditionen integrieren und trotzdem auf das eschatologisch Neue ausgerichtet sein: „for Christianity there is no immanent universal, and instead, the universal is only accessible through the various, specific, timebound traditional customary paths.“146 Nach Pickstock ist so auch eine besondere Form von Differenzkultur möglich in der Vermittlung von immer schon miteinander in Beziehung stehenden Wahrheitsansprüchen. Der Konflikt hat hier keinen ontologischen Status: „Human difference can be modified and integrated in such a way that they can be complexly united in a continuous liturgical circle through space and time.“147 So steht die eucharistische Liturgie für die Versöhnung des Differenten, denn sie lebt von der Gabe: „Only the gift from above does not have to be defended, and only this gift gives the community as peace: the integration of space and time, individual with collective, universal with locality.“148 Pickstock sieht so eine von der Liturgie geprägte politische Praxis des Öffentlichen als Möglichkeit einer sozialen Ordnung, die Sozialität und Dif142 143 144 145 146 147 148

Ebd. Ebd., 164. Ebd., 172. Ebd. Ebd., 175. Ebd., 177. Ebd., 178.

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ferenz in gleicher Weise lebbar sein lässt, ohne der Agonalität und einer Hypostasierung des Konflikts zu verfallen. Natürlich muss Pickstock bei aller Faszination durch die liturgische Gesellschaft des christlichen Mittelalters zugeben, dass der Konflikt seine soziale Realität behalten wird, aber, so sagt sie, eine liturgische Gesellschaft lebt in eschatologischer Zeitdimension und sie lebt in tradierbaren und faktisch tradierten sozialen Praxisformen, die Vermittlungen ermöglichen, indem sie das Differente aufeinander beziehen: „Of course, there are conflicts between irreconciable visions of the true, the good, and the beautiful. But to posit these transcendent realities at all, is to deny any ontological and ultimate status to such conflict, and is to presuppose the possibility that human differences can be modified and integrated in such a way that they can be complexly united in a continuous liturgical circle through space and time. Here we would have respect for localities, but at the same time confederation would also have to speak a specific and concrete – if also richly complex – language. Confederation would have to pursuit specific liturgical, not liberal, abstract and quasi-liturgical goals. But is not this political project the very telos of the West itself ?“149

In dieser letzten Bemerkung von Pickstock, die doch wohl mehr ist als eine nur rhetorische Frage, soll sich zeigen, dass im Projekt der „Radical Orthodoxy“, nicht nur eine radikale Kritik der Moderne ausgedrückt ist, sondern gleichzeitig eine Genealogie der Moderne, die tief angelegt ist in den klassischen Texten des Westens – „Plato and the Hebrew Bible“150 und in den diesen Texten entsprechenden Praxisformen. Diese Lesart hängt allerdings am Recht, die Tradition der klassischen Metaphysik auch unter den Bedingungen der PostPostmoderne in ihrem Wahrheitsanspruch aufzunehmen: „This suggests that participation in the metaphysical sense is the key to making possible participation in the social sense.“151 Von ihrem Anspruch her ist das von Pickstock formulierte theologische Projekt in der Lage eine Integration ohne Exklusionen zu denken. Die Liturgie „is in principle free from any exclusions. Everyone simply by virtue of his or her humanity is admitted to the Body of Christ, without obliterating their differences.“152 Allein die Taufe, die als solche offen für alle steht, schafft eine Differenz, die aber unabhängig ist von spezifischen Zugangsvoraussetzungen. All dies steht für einen „lack of fetishised boundaries“ in der Liturgie und schafft so neue Bedingungen für eine soziale Praxis der Integration des Differenten. Und so schließt Pickstock mit der zusammenfassenden These: „What liturgy therefore might offer us is a way of aligning ourselves with social order, not through an alienation of ourselves

149 150 151 152

Ebd., 177. Ebd., 176. Ebd., 179. Ebd., 173.

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towards an abstract law, nor an organic whole. But rather through the natural turning towards the series of human others.“153 Pickstocks Texte betonen sehr stark die versöhnende soziale Komponente einer liturgischen Praxis, die deutlich in ihren politischen Dimensionen gelesen wird. Mit ihrer Betonung der platonischen Idee der „Partizipation“ wird es möglich, das konflikthafte Potential des Politischen zu entschärfen und auf der Zeitachse in die Richtung einer in der Liturgie zeichenhaft schon gegebenen Versöhnung zu verschieben, die sich künftig, im „continuous liturgical cycle through space and time“154 noch empirisch realisieren wird. Diese platonische Linie verwischt allerdings, dass die radikale Modernitätskritik bei Pickstock und ihren Mitstreitern des „Radical Orthodoxy“-Projekts durchaus agonal formuliert ist, die Signatur des Angriffs trägt, die die Kollateralschäden der „realisation of perfect community“155 aufweist. So oder so wird man, wo theologisch unter den Bedingungen der Moderne gedacht wird, der Differenz nicht entgehen. Blicken wir noch einmal von Pickstock her auf Peterson, so können wir folgendes festhalten: Peterson stellte Liturgie, Zeugnis und Agape als Ort der Evidenz, der Selbstpräsentifikation Gottes in die eschatologische Zeitbestimmung hinein. In der Agonalität zwischen altem und neuem Äon markiert er die Grenzen erheblich deutlicher als Pickstock dies tut. Der Bezug auf das Politische wird bei Peterson dadurch unter der Hand einseitig auf Abgrenzung und Konflikt gestellt. Oben schon haben wir allerdings die Frage gestellt, ob unter den verschärften Differenzierungsbedingungen der Gegenwart die Lektion Petersons nicht sehr genau gehört und gelernt werden muss – nicht um „fetischisierte Grenzen“156 zu errichten, sondern um der Differenzfähigkeit des Evangeliums willen. Petersons agonaler Begriff der Öffentlichkeit, sein Plädoyer für Liturgie, Zeugnis und Agape als Evidenzorten der Öffentlichkeit der Herrschaft Christi, lebt von der Plausibilität seiner eschatologischen Bestimmung. Wo auch die Gegenwart nicht ihren Selbstdiagnosen überlassen wird, sondern mit dem Charakter der eschatologischen Zeitbestimmung ernst gemacht wird, dass wir uns im Raum der Öffentlichkeit Christi zwischen seiner ersten und seiner zweiten Ankunft dort wird sich Petersons Begriff der spezifisch kirchlichen Öffentlichkeit, der kosmischen, der eschatologischen Öffentlichkeit bewähren – auch wenn er auf die Bedingungen eines freiheitlichen pluralistischen Gemeinwesens weiter gedacht werden muss und darin ergänzungsbedürftig bleibt.

153 154 155 156

Ebd., 179. Ebd., 177. Milbank, Augustinism, 232. S.o., Pickstocks Rede von den „fetishised boundaries“.

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7. Erik Peterson: Ekklesiologie für eine ökumenische Kirche der Zukunft?

In unserer Untersuchung haben wir versucht, Erik Petersons Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit in seiner Genese zu rekonstruieren und in seinem systematischen Profil zu interpretieren. Wir haben Petersons Theologie in der Art ihrer argumentativen und rhetorischen Präsentifikation der Wirklichkeit Gottes beschrieben (Kapitel 3). Petersons Begriff der Öffentlichkeit haben wir interpretiert als eine Politische Theologie, die sich unter den Bedingungen der Moderne in apokalyptischen Kategorien artikuliert (Kapitel 4). Die Wirklichkeit der Kirche konnten wir in Petersons Ekklesiologie als eine distinkte Form von Öffentlichkeit verstehen, die bleibend zu unterscheiden ist von den Öffentlichkeiten des Staates und der „Super“-Öffentlichkeit der Gesellschaft (Kapitel 5). Und wir haben die Feier des Gottesdienstes als Inbegriff der „Kernpraktiken“ (R. Hütter) rekonstruiert, in denen die Kirche ihre spezifische Öffentlichkeit gewinnt (Kapitel 6). Nachdem wir diesen langen Weg der Interpretation zurückgelegt haben, wollen wir schließlich auf unsere Ausgangsfrage zurückkommen: Kann die Arbeit Petersons eine Hilfe sein, um einen theologischen Begriff der kirchlichen Öffentlichkeit unter den gegenwärtigen Bedingungen des beginnenden 21. Jahrhunderts zu entwickeln? In der Linie unserer Interpretation fanden wir immer wieder, dass Petersons Denken programmatisch ein Denken unter den Bedingungen der Moderne ist. Peterson reagiert als Theologe auf gesellschaftliche Differenzierung. Peterson gibt sich nicht damit zufrieden, ein autonomes Politisches oder Ökonomisches oder Gesellschaftliches neben einem ebenso abgegrenzten ausdifferenzierten Teilbereich „Religion“ stehen zu lassen. Er protestiert mit den Mitteln des Begriffes und mit den Mitteln rhetorisch geformter Polemik gegen die Logik der Ausdifferenzierung und formuliert den die gesamte Wirklichkeit umfassenden Anspruch des Evangeliums von der Thronbesteigung Christi mit den begrifflichen Mitteln der biblischen Apokalyptik. Peterson begegnet der Logik der Ausdifferenzierung also mit der Behauptung von Differenz – und damit verstärkt Peterson die Ausdifferenzierung gegen die er protestiert. Wir sprachen von der „paradoxen Modernitätsverstärkung“, die uns im Denken Petersons so eindrücklich begegnet. Im Namen des Evangeliums reklamiert Peterson die Souveränität des Kyrios Jesus Christus gegenüber einer sich von theologischer Autorität und ekklesialer Tradition emanzipierenden Moderne – und damit ermutigt Peterson dazu, dass die Kirche als

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differente Lebensform unter den Bedingungen der Moderne selbstbewusst eine Differenzkultur entwickelt und praktiziert. Die der Kirche eigene Öffentlichkeit lebt aus der Präsenz des erhöhten Herrn Jesus Christus in der Feier der Liturgie. Hier ist der Kern der ihrer Lebensform eigenen Praxis, hierhin muss die Kirche immer wieder zurückkehren in der geradezu selbstvergessenen Feier des Sakraments am Thron Gottes, im Gotteslob, in dem sie sich selbst übersteigt und schon unter den Bedingungen der vergehenden Welt Anteil gewinnt an der eschatologischen Vollendung. Diese Vollendung ist in Christus schon realisiert, aber sie steht unter den Bedingungen der befristeten und vergehenden Zeit noch aus als endgültige „Apokalypsis“ der im ersten Kommen Christi noch im „Mysterium“ verborgenen Gottesherrschaft. Wenn Peterson programmatisch von dem „spezifisch kirchlichen (dem kosmisch-religiösen) Öffentlichkeitsbegriff“1 spricht, dann ist damit dieser im himmlischen Gotteslob verankerte Begriff der Öffentlichkeit gemeint, der im denkbar weitesten Horizont die kosmische Herrschaft Gottes thematisiert und – damit alle anderen Öffentlichkeiten, politische wie gesellschaftliche, als nur partikulare Formen von Öffentlichkeit begrenzt. Gleichwohl denkt auch Peterson diese „kosmische“ Öffentlichkeit nicht als selbstgenügsam, sondern als bezogen auf die Wirklichkeit der politischen und gesellschaftlichen Welt. Unter den Bedingungen des politischen Totalitarismus kann Peterson diesen Bezug aber zunächst nur als Agon, als krisenhaften Zusammenstoß, als Bestreitung, denken. Jeder positiv würdigende Bezug auf die diskursiven Praktiken, auf die vermittelte Praxissituation der Freiheit, fehlt bei Peterson. Die pluralistische Gesellschaft der Demokratie nimmt Peterson allerdings nur verzerrt als Tyrannis der Immanenz in kultur-, technik- und ökonomiekritischer Manier wahr. Dieser antidiskursive Zug ist dem Denken Petersons zutiefst eingeprägt und bestimmt seine Ekklesiologie, seinen Begriff des Dogmas und seine Wahrnehmung des Phänomens des Dogmatischen, und von daher auch seinen Theologiebegriff. Peterson ist immerzu auf dem Weg in eine Eindeutigkeit, die nicht in der Lage ist, Differenz zu vermitteln. Er gibt schließlich der Versuchung nach, den Kirchenbegriff undialektisch anzulegen und mit seiner Konversion zum römischen Katholizismus lässt auch die innere Spannung nach, die Petersons Theologie der 20er Jahre auszeichnete. Der eschatologische Vorbehalt wird externalisiert und in die politischen Auseinandersetzungen der 1930er Jahre hinein projiziert – sehr plausibel auf die nationalsozialistische Ideologie hin. Aber was bleibt, wenn die Situation des Martyriums vorbei ist und die Kirche ihren Platz in einem pluralistischen Gemeinwesen bestimmen muss – und dabei nur selten „agonal“ argumentieren kann? Die bleibende Bedeutung von Petersons Texten und ebenso die Bedeut1 AS 1, 186.

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samkeit seines Lebensweges liegt nicht zuletzt darin, dass Peterson die konfessionellen Gegensätze als intellektuelle und geistliche Spannungen austrug, die als Antriebskräfte seinen Weg nachhaltig bestimmten. Wenn Peterson aus der Dialektik dieser Spannungen heraus genommen wird und affirmativ positionell gelesen wird, geht man gerade am Eigentlichen seines Vermächtnisses vorbei. Manche Ansätze der neueren römisch-katholischen Rezeption Petersons lesen Peterson von der aufgelösten Spannung her in einem legitimatorischen Gestus für einen sich der Moderne gerade verschließenden Katholizismus her. Ein ästhetisierendes Liturgieverständnis kann dieser Gefahr ebenso erliegen wie eine einsinnige Zurechnung der Dialektik der Aufklärung auf eine nur außerhalb der Kirche liegende „Welt“. Gegenüber solchen affirmativen Peterson-Rezeptionen geht es darum, Peterson gerade in seinen Spannungen als eine ökumenische Gestalt zu würdigen. Wir können in seinem Werk Konturen ausmachen für eine Kirche der Zukunft, die in einer sich immer weiter pluralisierenden, auch in religiöser Hinsicht sich pluralisierenden, Gesellschaft die ihr anvertraute, ihr als Lebensquell eingestiftete kosmische Öffentlichkeit der Herrschaft Christi in einer differenten und doch anschlussfähigen Lebensform vertritt. Dies scheint mir doch der wesentliche Ertrag des von Peterson formulierten Begriffes der kirchlichen Öffentlichkeit zu sein: Ermutigung zu einer Differenzkultur des Christlichen und eine Theologie als Differenzexerzitium, als Beschreibungsform einer Differenz ermöglichenden Praxis. Dabei wird es darum gehen, Petersons apokalyptische Denkfiguren so zu reformulieren, dass eine nicht bloß entlarvende Lesart der Moderne übernommen wird. Die Praxissituation endlicher Freiheit ist radikal zu würdigen als durch das Evangelium von Jesus Christus eröffnete Lebensform. Wo Peterson in der evangelischen Kirche nach dem Ende des landesherrlichen Kirchenregiments nurmehr einen Öffentlichkeitsverlust wahrnimmt, gilt es den Blick zu richten auf die quasipolitischen neuen Öffentlichkeitsformen, die kompatibel sind zu den politischen Lebensformen der liberalen Demokratie. Für die evangelische Theologie liegt die Aufgabe darin, in ökumenischer Verantwortung Formen der Synodalität dogmatisch zu reflektieren und zu öffnen für die von Peterson (und auch von den Männern und Frauen der Bekennenden Kirche) gestellten Fragen nach der spezifischen Form kirchlicher Autorität. Petersons ekklesiologische Theorie der Öffentlichkeit wurde formuliert in einer Situation des Übergangs zwischen Monarchie und Staatskirchentum einerseits und pluralistischer Demokratie andererseits. Dieser Konfiguration blieb Peterson zeit seines Wirkens verhaftet. In der Frage, wie er politisch die Möglichkeit von Öffentlichkeit unter den Bedingungen der Moderne überhaupt einschätzte, war er den politischen Kategoorien Schmitts auch in in ihren Aporien tief verpflichtet. Öffentlichkeit ist in diesem Paradigma nur möglich innerhalb des politischen Formprinzips der Repräsentativität, die ihrerseits aber abgezogen ist ausschließlich von vormodernen politischen Formen. Der Schluss ist dann unausweichlich, dass

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Öffentlichkeit dann nur entweder usurpiert werden kann von politischen Kräften, die willkürlich vormoderne Formen des Politischen totalitär oder plebiszitär erneuern – oder aber Öffentlichkeit ihren – vielleicht einzig – legitimen Ort in der Kirche hat, die in strikter Differenz zu derartiger politischer Praxis lebt. Die Öffentlichkeit der Kirche wird sich aber gerade unter den Bedingungen der pluralistischen Gesellschaft zu bewähren haben. Von Peterson wären jenseits seiner Verengungen und Wahrnehmungsdefizite dann drei Bestimmungen des Öffentlichen zu lernen: Die Öffentlichkeit der Kirche wird: 1. eschatologisch zu bestimmen sein, sie wird 2. aus dem Gottesdienst, der Liturgie, dem Sakrament leben, und sie wird 3. ihre Selbstbeschreibung als dogmatische Rede anzulegen haben und damit in der Wirklichkeit Gottes verankert sehen. 1. Wenn wir von der kirchlichen Öffentlichkeit reden, ist der eschatologische Horizont und die bis ins Einzelne gehende eschatologische Bestimmtheit der theologischen Rede von der kirchlichen Öffentlichkeit zu beachten. Eine theologische Theorie der Öffentlichkeit kann es sich nicht erlauben, sich den politikwissenschaftlich oder gesellschaftstheoretisch bestimmten Deutungsmustern von Öffentlichkeit ohne tief greifende Revisionen von deren kategorialen Bestimmungen anzuschließen. Wenn Luhmann in seiner Religionstheorie als primäre Leistung der Religion definiert: „Realität zu konstituieren, indem sie etwas zur Beobachtung bereitstellt, was nicht unter diese Kategorien (scil. der Beobachtbarkeit) fällt“2, dann codiert Luhmann einen Zusammenhang, den die Theologie von der räumlichen Metaphorik der Systemtheorie in ihr eigenes temporal bestimmtes Paradigma zurück übersetzen muss: von Öffentlichkeit kann theologisch nur so die Rede sein, dass die jenseits der Grenze der Selbstbeschreibung befindliche Wirklichkeit Gottes die geschichtliche Zeit konstituiert, die Zeit der Auseinandersetzung, die Zeit, in der jede in sich geschlossene Immanenz radikal in Frage gestellt wird durch die Wirklichkeit des in Christus angebrochenen neuen Äon. Daher gilt, mit einem Wort von Ingolf U. Dalferth: „Vor Gott gibt es keine Beobachter“3. In der eschatologischen Bestimmtheit diese Horizontes von Öffentlichkeit kommt dieses von Gott schon längst gnädig und heilvoll „Entschiedene“ (H. Schlier) jenseits der agonal bestimmten Zeit zur Geltung. Mit dieser eschatologischen 2 Luhmann, Religion, 35. 3 Dalferth, 55 f. über „die Öffentlichkeit vor Gott“: „Diese Öffentlichkeit steht quer zu allen Öffentlichkeiten, die wir durch Kommunikation mit anderen Menschen konstituieren (können). Sie ist deshalb auch nicht nur auf eine derartige Öffentlichkeit zu beschränken, weder auf die interne Öffentlichkeit der christlichen Kirche noch auf die gestuften und vernetzten Öffentlichkeiten ihrer kulturellen Umwelt. Es gibt nichts, was nicht im Licht der Öffentlichkeit vor Gott bedacht werden könnte und müsste, und es gibt deshalb auch keine Öffentlichkeit unter Menschen, die nicht prinzipiell und faktisch in dieser Öffentlichkeit loziert wäre. Das deutlich zu machen ist Aufgabe der Theologie. Sie kann das aber nicht tun, ohne sich selbst und ihr eigenes Tun in der Öffentlichkeit vor Gott loziert zu wissen.“

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Bestimmtheit rückt die Theologie alle Konflikte und Kooperationen, alles Gegeneinander und Miteinander, in den größeren Horizont Gottes und relativiert es von daher. 2. Diese eschatologische Bestimmtheit des theologischen Begriffes von Öffentlichkeit ist aber nicht nur so etwas wie eine hermeneutische Klammer, die relativierende Deutungsaktivitäten ermöglicht. Bei Peterson kommen eschatologische Öffentlichkeit und liturgisch-sakramentale Präsentifikationen zusammen. Wir fanden, wie sich dies auch in Petersons theologischem Stil widerspiegelt. Aber hinter dieser sprachlich-textuellen Außenseite seiner Theologie liegen starke Präsenzen im propositionalen Gehalt seiner Texte, die deren bis heute währende Faszination ausmachen. Im Sakrament ist nach Peterson „das Historische in das Eschatologische“4 hinein aufgelöst – und es ist bleibende „Aufgabe“5 der Kirche, diese Auflösung in ihrer sakramentalen und liturgischen Praxis zu vollziehen. Damit widersetzt sich Peterson den Verdünnungstendenzen, einer schlechten Hermeneutisierung der Theologie6, die das Theologische nur noch in einem Deutungsverhalten ohne oder mit ganz reduzierten Präsenzerfahrungen festmachen möchte. Theologie lebt von der Präsenz Gottes – im Sakrament, in der Verkündigung/Proklamation der Thronbesteigung Christi. Diese Präsenz in ihrer Leiblichkeit ist nicht aufzulösen in den theologischen Begriff hinein, nicht restlos zu vermitteln in sprachliche Formen oder gar davon zu ersetzen – sie bleibt allen Beschreibungen voraus7 und ist doch angewiesen auf eine an sie sich anlagernde Deutungskultur. Petersons Denken lebt von diesen starken Präsenzen, an die allein eine distinkte Lebensform nur anknüpfen kann, um sich zu einer Praxisform zu verdichten, die im eigentlichen Sinne des Wortes Differenzkultur sein kann. Diese starken Präsenzen wird das neuzeitlich ausgedünnte westliche Christentum neu aufzusuchen haben. Es braucht und kann sie nicht „herstellen“, sie sind ihm vorgegeben. Erst im Kontext einer solchen Lebensform verliert das apokalyptische Pathos auch den fatalen Geschmack eines bloß abstrakten Widerspruchs, es wird lebbar zwar als Differenzexerzitium, aber findet auch seine Bezogenheit, die der ethisch verantworteten Gestaltung von der Erfahrung der Präsenz Gottes her dringend bedarf. Nur wenn die Kirche derart aus der liturgisch gefeierten Selbstpräsentifikation Gottes lebt, wird sie auch in der Lage sein, die Arenen der politischen 4 5 6 7

AS 2, 146. Ebd. Aber vgl. als Beispiel für eine nicht „verdünnte“ Hermeneutik: Figal, Gegenständlichkeit. Vgl. Assel, Geheimnis, 369: „Teilnahme an der Hingabe Jesu ist im Abendmahl eingesetzt in Form von Nicht-Repräsentation. Dieser Einsetzung folgt die Gemeinde, indem sie vom verbalen Zeichen zum ikonischen Zeichen übergeht, vom Gebet zum richtigen Schweigen.“ Und 371: „Im Abendmahl tritt die gottesdienstliche Gemeinde, die im trinitarischen Namen Gottes begründet ist und die diesen Grund im Glaubensbekenntnis ausspricht, heraus in ein Stehen vor Gott, das sie in ihre sprachliche Homologie und Eucharistie noch nicht einholen kann. Dies ist das Werk des Heiligen Geistes über den Gaben von Brot und Wein.“

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und gesellschaftlichen Öffentlichkeit aufzusuchen, ohne gleichzeitig von deren differenten Praxisformen aufgesogen zu werden. Umgekehrt: wo die Kirche nicht mehr aus der Liturgie, aus dem gehörten und gepredigten Wort Gottes, aus dem Sakrament lebt, dort verliert sie ihre Differenzfähigkeit und wird von der „Gesellschaft“ als „Super-System“ (Wannenwetsch) mediatisiert. In eine andere Richtung gewendet: wenn die Kirche aus diesen starken Präsenzen lebt, kann sie ihre eigenen Kontingenzen ertragen. Sie ist nicht darauf angewiesen, die Spuren ihres Gewordenseins zu verwischen und das Dogma als ideologische Maskierung zu verwenden, um sich vor kritischen Diskursen zu imprägnieren. Der „eschatologische Vorbehalt“ wird gerade hier wirksam werden: die eigene Institutionalität kritisch zu relativieren. Peterson stellt für ein solches Verfahren das dialektische Werkzeug bereit, die eignene Relativität stark zu machen. Er hat es selbst je länger desto weniger eingesetzt. 3. Ihre distinkte Öffentlichkeit wird die Kirche nur erhalten können, wenn sie ihre Identität in der Selbigkeit Gottes verankert weiß und sie dies auch aussprechen kann. Dies zu tun ist Aufgabe der Theologie, die bleibend auf kirchliche Lehre bezogen ist und selbst vom Dogma der Kirche zehrt. Material bedeutet dies, dass die Theologie von den altkirchlichen Grundentscheidungen herkommt, vom trinitarischen und christologischen Dogma, das den Anspruch erhebt, vom Sein Gottes so zu reden, dass es, bei aller Analogizität, diesem Sein Gottes entspricht8, das heißt: dem nachspricht, wie Gott sich selbst ausgesprochen hat in Jesus Christus, dem Fleisch gewordenen Wort, und im geschriebenen Wort der Heiligen Schrift. Die Kirche steht zwischen den beiden Versuchungen, einerseits sich selbst „After Dogmatics“9 zu positionieren und die Vorgegebenheit des Dogmas in historistische Relativierungen hinein aufzulösen, oder andererseits sich positionell zu verfestigen, das Dogma lehrgesetzlich zu positivieren – und darin einem Fundamentalismus zu verfallen. Die eigentlich kirchliche Öffentlichkeit im Sinne Petersons wird nur Bestand haben, wenn die Kirche den Mut hat, weiter oder wieder dogmatisch zu reden – aber das Dogma verstehen kann als Einweisung in den Raum der Selbstpräsentifikation Gottes, an den Ort, wo Gott sich von sich selbst als er selbst zeigt. So könnte Peterson Lehrer sein für eine ökumenische Kirche der Zukunft: eschatologische Öffentlichkeit, zehrend von der Selbstpräsentifikation Gottes durch Christus im Heiligen Geist, ausgesagt in Dogma, kirchlicher Lehre und Theologie.

8 Vgl. Mielke, Identität. 9 Hütter, „After Dogmatics“?

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Literatur Die Abkürzungen folgen dem „Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete“ (IATG) von Siegfried Schwertner. Bei mehreren Titeln eines Autors ist der verwendete Kurztitel durch kursiven Satz hervorgehoben.

Erik Peterson Titel von Erik Peterson werden, soweit im Rahmen der Ausgewählten Schriften erschienen, nach dem dortigen Fundort zitiert und mit dem Sigel AS und dem betreffenden Band sowie ggf. einem kursiv gesetzten Kurztitel bezeichnet. Peterson, Erik, Ausgewählte Schriften, hg. v. B. Nichtweiß, Würzburg, 1991 ff. –, Ausgewählte Schriften Bd. 1, Theologische Traktate, mit einer Einleitung v. B. Nichtweiß, Würzburg 1991 (München 1951). –, Ausgewählte Schriften Bd. 2, Marginalien zur Theologie, mit einer Einführung von B. Nichtweiß, Würzburg 1995 (München 1956). –, Ausgewählte Schriften Bd. 3, Johannesevangelium und Kanonstudien, aus dem Nachlass hg. v. B. Nichtweiß unter Mitarb. von K. Anglet und K. Scholtissek, Würzburg 2003. –, Ausgewählte Schriften Bd. 4, Offenbarung des Johannes und politisch-theologische Texte, aus dem Nachlass hg. v. B. Nichtweiß und W. Löser, Würzburg, 2004. –, Ausgewählte Schriften Bd. 5, Lukasevangelium und Synoptica, aus dem Nachlass hg. von R. v. Bendemann, Würzburg 2005. –, Ausgewählte Schriften Bd. 6, Der Brief an die Römer, aus dem Nachlaß hg. v. B. Nichtweiß unter Mitarb. V. F. Hahn, Würzburg 1997. –, Ausgewählte Schriften Bd. 7, Der erste Brief an die Korinther und Paulus-Studien, aus dem Nachlass hg. v. H.-U. Weidemann, Würzburg 2006. –, Ausgewählte Schriften Bd. 9,1+2, Theologie und Theologen, Bd. 9/1: Texte; Bd. 9/ 2: Briefwechsel mit Karl Barth u. a., Reflexionen und Erinnerungen, hg. v. B. Nichtweiß, Würzburg 2009. –, Ekklesia. Studien zum altchristlichen Kirchenbegriff, hg. v. B. Nichtweiß und H.–U. Weidemann, Würzburg 2010. –, Frühkirche, Judentum und Gnosis, Freiburg 1959. –, Das Problem der Bibelauslegung im Pietismus des 18. Jahrhunderts, in: ZSTh 1 (1923) 468 – 481, jetzt in AS 9/1, 209 – 223. –, Zum Gedächtnis von Max Scheler, in: ThBl 7(1928), Sp. 165 – 167, jetzt in AS 9/1, 559 – 561.

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Sachregister

Abendmahl 66, 211, 231f., 234–237, 261 Absenz 52, 58, 72, 80, 170, 193, 208 Agape 17f., 20, 54, 161, 170, 193f., 241f., 256 Agon 20, 110, 113f., 129–131, 161, 166, 178f., 181, 191, 204, 219, 234, 237, 258 agonal 89, 103, 256, 258, 260 Akklamation 10, 19, 48, 76, 84, 104, 122f., 142, 147f., 154, 199, 203, 205, 220f., 231 Antichrist 54, 146, 151, 170, 174, 176–179, 248 Antimodernität 16, 247 Äon 19f., 70, 129f., 135, 147–149, 154f., 161–164, 167, 170f., 173, 182, 191f., 194, 201, 205, 208, 213, 218, 220, 232, 234, 236, 241, 247, 256, 260 Apokalypse 19, 22, 45f., 48f., 77, 90, 137–140, 146f., 152, 155, 168f., 179, 218f., 228, 230f. Apokalypsis 57, 61, 63, 69, 77, 84, 129, 131, 133, 151, 163, 170, 192, 258 Apokalyptik 54, 88, 127, 143, 164, 168, 170, 172, 248, 257 apokalyptisch 88, 116, 146, 159, 163, 167, 169 Apostel 47, 77, 129, 131, 195, 197, 199–203, 205 Argumentation, Argument 27, 38, 42, 44f., 50–53, 66, 74, 84, 93, 101, 115, 139, 143, 153, 167, 170, 172, 175f., 219, 228, 230, 238f., 241f. Ausdifferenzierung 12, 15, 25, 28, 33f., 38, 41, 67, 79, 153, 245

Autonomie 15, 38, 79, 133, 143, 148, 175, 180 Autorität 15, 28, 51f., 60, 63, 72, 90, 92–95, 98, 101f., 111, 113, 127, 140, 143f., 187, 189f., 198, 200–202, 206–209, 241, 257 Chronos 162, 172f., 191f. Dämonen 177 Demokratie 9 – demokratisch 17f., 31, 33f., 47, 55, 90, 103, 123, 138, 149, 175f., 200, 213, 258 Dezision 85, 92, 113, 170, 177, 197, 224, 227, 232, 240, 243 Dezisionismus 102, 130 Dialektik 30, 39, 41, 52, 54f., 59, 62, 77, 85, 106, 126, 129, 131, 147, 159, 161, 168, 170, 172, 182, 193, 196, 201, 206, 208, 226, 248 Differenz 14–16, 20f., 27, 38, 62f., 92, 116, 126, 150f., 163, 168, 171, 191, 212, 214–216, 225, 247, 254–259 Diskontinuität 62, 149, 154, 158, 173, 232, 239, 241 Distanz 10, 19, 44, 46f., 67, 69, 74–76, 78f., 83f., 91, 205, 210, 250 Dogma 16f., 20, 45, 50–53, 57, 61–63, 74, 84, 96f., 100, 131f., 144, 165, 171, 189, 197, 206f., 212, 214, 237–240, 242, 262 Eigentum 136 Eindeutigkeit 200, 240, 248, 258 Ekklesia 19f., 23, 86f., 122, 147, 154, 198f., 212, 219, 221, 223, 230, 233f., 244

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Sachregister Ekklesiologie 11, 20f., 95f., 141, 191, 199f., 203, 206, 210–213, 232, 257f. Ekstase 158 Engel 70, 77, 137, 157f., 171, 202, 206, 212, 218f., 221–228, 231, 250 Entscheidung 41, 51, 53, 58, 93f., 101, 112, 115, 118, 128, 130, 133, 169, 172, 182, 184, 186, 188f., 195–198, 200f., 203, 205, 219, 222, 227, 229, 238–241 Epiphanie 69, 82, 158 Erbsünde 107f., 114f. Eschatologie 58, 132, 139, 142, 148, 171, 174, 195 – eschatologisch 19, 21, 38, 114, 146, 163, 167, 195, 208, 212–214, 254, 260 Eucharistie 171, 215, 231f., 238, 244, 254, 261 Evidenz 42, 48, 53f., 56f., 113, 240f., 247, 249, 252, 256 Ewigkeit 130, 162, 223, 232 Feier 14, 20, 37, 54, 66, 157f., 167, 171, 193, 218, 233, 235, 243, 250, 257f. Feind 84, 113f., 119f., 122f., 137, 140, 149, 151f., 166 Freiheit 6, 27, 32, 51f., 76, 79, 93, 103, 124, 126, 182, 189, 196–198, 209, 258 Gebet 14, 101, 151, 172, 193, 208, 211, 261 Geschichtsphilosophie 67, 112, 167 Geschichtstheologie 19, 110, 159, 164 Gesellschaft 11f., 21, 25–36, 38, 75, 85f., 97, 100f., 103, 109, 118, 125, 144, 146, 211, 214, 218, 244–247, 249, 253–255, 257–260, 262 Gottesdienst 9, 19, 26, 37, 69, 86, 127, 206, 218f., 221f., 224, 229–231, 243–247, 249, 260 Häretiker 108, 151f. Heis Theos 10, 22 Herrlichkeit 54, 131, 134, 146f., 160, 173, 175, 180, 192, 221f. Herrschaft 20, 25–27, 29, 33, 37f., 54, 62, 70, 87, 102, 104, 109f., 113, 125, 130f., 134f., 137–143, 147f., 151–153,

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156f., 161f., 168, 172, 174, 177, 179f., 191–194, 197, 200f., 218, 221–223, 227, 232f., 241, 249, 256, 258f. Himmelfahrt 52, 57, 207 Identität 14, 17, 20, 37, 83, 121, 141, 155, 168, 175, 182, 197, 199, 202, 240, 244, 246, 250f., 253, 262 Imperator 20, 47f., 128, 138, 150 Imperium 69, 132, 138, 151, 153f., 156, 159, 163f., 191f., 194, 201 Individualismus 94f., 215 Inkarnation 45, 50, 52, 61, 108, 130, 159, 164, 171, 238, 240 Institutionalisierung 15, 67 Inszenierung 15, 48, 64, 84, 191 Johannesevangelium 22, 160, 231, 237f. Juden 51, 129, 150, 163, 195 Kairos 49, 162, 186, 193 Kaiserkult 138, 140, 155 Kirche aus Juden und Heiden 51, 163 Kirchenrecht 51, 93, 98, 188, 190, 196f., 199–201 Kompensation 75, 81 Komplexitätsreduktion 13, 177 Konflikt 71, 89, 103, 129, 132, 134, 137, 142, 145, 161, 173, 176, 178, 182, 184f., 192f., 200, 213, 216, 222, 227, 247, 254–256 Konfrontation 9, 19, 21, 37, 155f., 160, 170, 185, 204, 206 konkret 20, 39, 45, 50–52, 62f, 77, 114, 128, 134, 149, 161f.,172f., 195f., 198, 206, 254 Konkretion 45, 51, 54, 59 Konversion 16, 21, 23, 60, 62, 72, 80, 84, 91, 258 1. Korintherbrief 22, 176, 199, 201f., 205, 231–233, 252 Körper 64, 66f., 77, 141 Körperschaft 90, 192 Kosmos 9, 66, 69, 77f., 135, 157, 162, 168, 172, 177f., 202, 221f., 226f., 240, 242

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Sachregister

Krieg 48, 75, 112, 152, 178 Kult 147, 206, 218–220, 229–231, 233, 242 Kulturprotestantismus 37, 72, 80, 90 Kyrios 20, 48, 130, 136, 142f., 150, 154f., 170, 172, 182, 191, 229f., 234, 249, 257 Legitimation 26f., 29, 33, 87f., 102, 109, 114, 128, 131f., 140, 143 Legitimität 29, 31, 34, 37, 51, 93, 101, 103, 107, 110, 115, 130f., 140, 144f., 164, 182, 189, 196f., 202, 239, 245 Lehre 20, 74, 92, 98, 103, 106, 108, 115, 132, 151, 165, 190, 195f., 206, 211, 214, 238f., 262 Leib 45, 47, 50, 62, 66, 70, 77f., 128, 131, 147, 153, 155, 158, 160, 165, 193, 201, 204, 221f., 232, 234–238, 249 Leiden 15, 54, 62, 147, 156, 163, 180, 194, 203, 211, 219 Leviathan 104, 108, 111, 113, 118, 124–126, 133f. Liberalismus 19, 55, 69, 79, 95, 103, 107, 114f., 119f., 124, 132, 136, 142, 152, 163, 165, 189, 212 Liturgie 16–18, 20, 37, 54, 61, 63, 69, 71, 76, 84f., 107, 141f., 146, 154, 157, 159, 170, 193f., 205f., 218–224, 227f., 230f., 233, 240–244, 247, 249–256, 258, 260, 262 Lobpreis 158, 171, 220–224, 227, 229, 231, 240, 243 Lukasevangelium 10, 22 Macht 18–20, 25–27, 31, 48, 54, 62, 69, 77–79, 86, 100f., 103f., 106, 109, 111, 114, 118, 120f., 125, 127–129, 133–139, 141, 147, 150, 154–157, 161–163, 168, 173–183, 192–194, 196, 198, 200f., 215, 223, 247, 249 Mächte 19f., 77, 86, 89, 114, 124–127, 130, 133, 155, 179f., 241 Machtparadigma 133f., 148, 161, 170, 173, 180, 182, 191, 194 Märtyrer 17, 46–48, 59, 63, 72, 77, 91,

129, 131, 147, 153, 155–157, 163, 165, 177–179, 193, 203, 205, 230 Martyrium 20, 61, 63, 70, 77, 91, 112, 156f., 170, 193 Massenmedien 12–14, 17, 26, 28, 30 Menschensohn 48, 78, 150, 152, 156, 162, 195, 203 Metaphysik 33, 41, 55, 63f., 66f., 106–108, 119, 133, 137, 173, 176, 223, 225, 236, 252, 255 Moderne 9, 12, 14–16, 21, 27, 32f., 38, 63f., 66f., 73, 75, 79, 81, 87, 89, 106, 117, 119, 123, 125, 127, 139, 142–146, 155, 158, 161, 164, 166, 168, 176, 179–181, 236, 239, 243f., 252–257 modernitätskritisch 19, 38, 142 Modernitätsverstärkung 37f., 257 Monotheismus 20, 39, 53, 88, 105, 108, 131f., 144 Mysterientheologie 233 Mythologie 113, 115 Mythos 54, 111–115, 121, 126f., 140–143, 147 Nationalsozialismus – nationalsozialistisch 10, 19, 23, 89f., 104, 108, 126, 139, 152, 156, 179, 204, 234, 248 Nationalstaat 163, 166f. Neuprotestantismus 19, 72, 89, 231 Offenbarung des Johannes 22, 155, 157, 162, 168, 219, 228 Öffentlichkeit 9, 11–21, 23–39, 43, 49f., 63, 66, 70, 75–78, 83, 86–91, 94f., 97–99, 101, 105–107, 112, 116f., 119–123, 130, 136f., 143–146, 151–154, 156, 160, 162, 168, 172, 177, 180, 183, 188f., 191, 193f., 197, 201, 203–205, 211, 214, 218, 222, 227f., 230–234, 240–249, 252, 256–262 Öffentlichkeitsbegriff 9, 18–21, 26, 39, 46, 83, 85–90, 94, 96f., 100–102, 107, 120, 136, 184, 189, 223, 258 Öffentlichkeitscharakter 83f., 97–100 Öffentlichkeitsverlust 16, 90, 101

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Sachregister

ökonomisch 29f., 117, 119, 121, 140, 149 Ordnung 20, 32, 51, 62, 66f., 73, 87, 103–106, 110f., 113f., 116, 127, 129, 132, 137, 139f., 157, 160, 165, 175–179, 186, 199, 201, 222f., 225, 227, 230, 254 Organisation 33, 37, 105, 123 Paradoxie 37, 141, 143 Parlamentarismus 112, 120f., 123 Performativität 40 Phänomenologie 54–56, 63, 68, 71 Pluralismus 21, 31, 71, 110, 121, 166, 179, 213 Polemik 41, 44f., 47, 52, 55, 61, 72, 84, 91, 104, 116, 126, 133, 135–137, 152, 163, 166, 175f., 186, 199, 257 Polis 19f., 23, 27, 57, 76, 87, 104, 122, 138–140, 142, 147, 154, 211f., 218, 220, 244, 249 Politik 13f., 25, 27, 36, 54, 69, 105, 107f., 111, 113, 124, 132, 140, 148f., 159, 163, 165, 175, 189, 217, 249, 252, 254 Politische, das 17, 25, 27f., 36, 39, 78f., 86–88, 102f., 105f., 108f., 111f., 114–116, 119f., 124, 128f., 131f., 137, 140f., 143–145, 147f., 153f., 160f., 173, 179f., 182f., 191f., 201, 205, 227,230, 25f. Politische Theologie 39, 79, 86–88, 105, 108, 111, 114, 116, 128, 131f., 143, 145, 183, 257 politische Theologie 19, 21, 38, 79, 88, 103, 105, 113, 121, 132, 143f., 167, 183, 191, 213 Präsentifikation 18, 39f., 44, 46f., 49f., 53, 58, 64, 69f., 74, 78, 82, 84, 154, 158, 170, 191, 241, 249, 257 Präsenz 9, 12, 14, 18–20, 26, 38, 46, 48, 52f., 57, 62, 64–66, 68, 70, 72, 77f., 82–85, 139, 141, 154f., 158, 163, 170, 182, 191, 193, 201, 208, 238, 240, 249, 251f., 254, 258, 261

277

Praxis 11f., 14, 20, 29, 37f., 57, 61, 71f., 79, 83f., 86f., 102, 107, 110, 114f., 117, 121, 143, 146, 148f., 153, 172, 174, 176, 182, 192, 203, 216, 224f., 227, 240, 242f., 246f., 253–256, 258f., 261 Praxisform 21, 79, 193, 224, 227, 261 Praxisformen 12, 14f., 17f., 20, 32, 37f., 191, 193, 199, 211, 214, 243, 255, 262 Private , das 29f., 118f. Publizität 14f., 27f., 69, 77, 101, 119, 122, 144, 156, 160f., 163, 194, 230 Radical Orthodoxy 22, 83, 181, 212f., 249, 255f. Ratsversammlung 20, 86, 142, 147, 198 Raum 11–15, 18f., 27, 29f., 33, 46, 48, 51, 55f., 59, 61, 63, 71, 73, 75–78, 82, 84–86, 89, 95, 98, 106, 114, 127, 149, 153f., 156f., 159f., 168, 173, 186–188, 191, 194, 196, 203, 207, 214, 227, 237, 240f., 244f., 247, 252, 254, 256, 262 Räume 13, 153–155, 158, 173, 212 Realismus 130, 177, 179, 204, 237 Realpräsenz 82, 237–239 Rechtsanspruch 86, 103, 126, 128, 130, 134, 201 Reflexion 11f., 14, 20, 46, 48, 74, 84, 163, 202f., 205, 209, 247 Reichstheologie 164, 234 Repräsentation 57, 89, 101, 104, 106f., 109, 117–119, 121–123, 132, 138–141, 143f., 146, 150, 174f., 192–194, 199, 201, 205, 208, 232, 241, 261 Restauration 166f. Revolution 68, 70, 80, 110, 128, 143, 166, 196, 248 Rhetorik 39, 44f., 49f., 52f., 57–61, 64, 84, 94, 246, 249 Romantik 63, 69, 112, 167, 205 Römerbrief 10, 22, 103, 135, 148, 201, 234 Sakrament, Sakramente 14, 208, 219, 232, 237

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Sachregister

– sakramental 19, 54f., 58, 62f., 129f., 157, 171, 191, 199, 201, 223, 232–236, 238–240, 242, 247, 249, 260–262 Seinsordnung 62, 77, 225 Souveränität 101, 108, 128, 130, 134, 158, 198, 207, 257 Staat 25, 27f., 30f., 33, 36, 38, 47, 70, 72, 77, 80, 84, 86, 89–91, 97, 100, 103f., 111, 113, 118f., 121f., 124–126, 129, 132–134, 138, 148, 155, 165, 175f., 183–185, 188f., 192, 199, 213, 215 Stil 39–41, 43–45, 49, 58, 75, 85, 261 Subjektivität 61f., 64, 70, 76, 81, 85, 115, 135, 205, 209, 236, 249 Sukzession 93, 202 Technik 111, 119, 133, 166, 174 Theopolitik 103 Thron 9, 19f., 26, 37, 54, 77f., 140, 146f., 154f., 157f., 160, 193, 211, 218–221, 227–229, 240–243, 258 Thronbesteigung Christi 103, 128–130, 132–135, 159, 163f., 173, 180, 191, 201, 231, 248, 257, 261 Totalisierung 16f., 19, 37f., 62, 88, 104, 131, 133f., 142, 173 Totalitarismus 9, 49, 79, 85, 91, 143, 146, 152, 258

Vollmacht 97, 118, 182, 187, 201, 238 Was ist Theologie? 5, 10, 39, 41, 43f., 50, 52, 59, 75, 152, 171, 206, 224f., 238f. Wiederkunft Christi 20, 52, 110, 163, 170, 191, 201, 232 Wirklichkeit 12f., 20, 27, 34, 38, 42, 52, 54, 70, 77, 81, 83, 89, 91, 105, 109, 112, 117, 147, 151, 153–155, 157f., 160, 166, 174, 177, 179, 188, 191, 193f., 196f., 203f., 207f., 213, 218–220, 223, 225f., 236, 238–240, 242, 247, 252, 257f., 260 Zeit 5, 10f., 16, 20–23, 36, 39, 42, 44–46, 49, 52, 55, 57, 64, 68, 75, 78, 82, 84, 109f., 116, 124, 127, 129f., 133f., 138, 143, 149, 151, 153–155, 159–165, 167–170, 172f., 175, 177, 179f., 182, 189, 191f., 195, 199–201, 204f., 208f., 212, 214, 222, 224f., 232, 234, 237, 258, 260 Zeuge der Wahrheit 46f., 49, 61–63, 157, 173, 177 Zeugnis 17f., 20, 37, 46, 48, 54, 84, 129, 146, 154f., 191, 193f., 210, 218f., 241f., 256

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Personenregister

Adams, Paul 42, 136f. Agamben, Giorgio 22, 73, 155 Assel, Heinrich 5, 14, 79, 103, 206, 261 Assmann, Jan 87, 102, 156 Augustin 216 Bakunin, Michail 112, 127 Ball, Hugo 111, 224 Baraldi, Claudio 19 Balthasar, Hans Urs von 23 Barth, Karl 10, 23, 42–44, 46, 91, 97, 206–211, 225f., 231 Bauer, Karl-Adolf 5, 44, 90, 186, 190 Benckert, Hermann 190 Bendemann, Reinhard von 5, 10, 40, 170, 173, 226 Benjamin, Walter 169, 196 Berlin, Isaiah 155, 167 Biti, Vladimir 71 Blumenberg, Hans 56f. Bohrer, Karlheinz 63 Bonhoeffer, Dietrich 190 Bourdin, Bernard 105 Brokoff, Jürgen 168–170 Brunner, Peter 214, 225, 248 Buber, Martin 103 Bultmann, Rudolf 44, 52, 206 Casel, Odo 234, 242 Cassirer, Ernst 236 Cavanaugh, William T. 22, 182, 192, 212, 215–217 Dalferth, Ingolf U. 37, 260 Dempf, Alois 69 Deuser, Hermann 71 Diadochus von Photike 225 Dibelius, Otto 97, 101, 184f. Diem, Hermann 59

Donoso Corts 167 Evagrius Ponticus 224f. Foucault, Michel 67 Frank, Manfred 41, 85, 140 Gloege, Gerhard 190 Gogarten, Friedrich 41, 45, 55, 70, 225 Graf , Friedrich Wilhelm 68, 72, 168 Greenblatt, Stephen 65 Grillo, Andrea 247 Groh, Ruth 114f. Gumbrecht, Hans Ulrich 65–68, 79, 82f., 158, 236 Habermas, Jürgen 15, 17f., 26, 28–33, 36, 123 Haecker, Theodor 23 Hagemann, Tim 50, 58–61 Hahn, Ferdinand 10 Hamann, Johann Georg 42 Harnack, Adolf von 9, 16, 39, 83f., 88, 90–92, 94–97, 100–102, 131, 183f., 223 Hauerwas, Stanley 212 Hebekus, Uwe 53, 77, 122, 141 Hegel, Georg F.W. 27, 167 Heidegger, Martin 68, 75 Held, Klaus 56 Herms, Eilert 189, 208, 249 Herrmann, Wilhelm 225 Hirsch, Emanuel 79, 186 Hobbes, Thomas 89, 104, 111, 124–127, 134 Hofmann, Hasso 107–110, 117 Honecker, Martin 97 Husserl, Edmund 56f. Hütter, Reinhard 171, 191, 193, 208–214, 257, 262

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Personenregister

Jauß, Hans Robert 71 Jüngel, Eberhard 39, 46 Jünger, Ernst 78, 169, 196 Kelsen, Hans 110 Kemmann, Ansgar 57 Kierkegaard, Sören 50, 58–63, 84, 91, 189, 204f. Kodalle, Klaus-Michael 54, 114f. Koepgen, Gregor 225 Lehmann, Karl 6, 39 Lethen, Helmut 65, 73–76, 78, 80 Lienemann, Wolfgang 27, 34 Löser, Werner 47, 152, 163, 228 Löwith, Karl 167 Lübbe, Hermann 71 Luhmann, Niklas 12f., 18, 26, 34, 37f., 260 Luther, Martin 42, 95f., 236 Maistre, Joseph de 167 Mannheim, Karl 75 Maritain, Jaques 63, 227 Marquard, Odo 81 Marx, Karl 29 McCormack, Bruce 80, 208 Meier, Heinrich 106–108, 114f. Menke, Christoph 204 Milbank, John 22, 83, 133, 157, 161, 173, 180–182, 215f., 256 Nichtweiß, Barbara 5, 10, 23f., 39, 41–46, 49, 54, 58, 63, 88, 104f., 109, 114f., 122, 126f., 132, 151, 160, 163f., 208, 218, 234 Nietzsche, Friedrich 162, 167 Nowak, Kurt 68, 70f. Nüssel, Friederike 72 O’Donovan, Oliver 22, 143–147 Otto, Rudolf 75 Paulus 22, 130, 135, 150, 155, 202f., 205 Perelman, Chaim 50–53 Pickstock, Catherine 17, 22, 83, 212, 249–256

Plessner, Helmuth 75f., 79 Proudhon, Pierre-Joseph 112, 166 Quervain, Alfred de 248 Rapp, Wolfgang 57 Rasmusson, Arne 212 Ritschl, Albrecht 55, 225, 227 Sauter, Gerhard 43, 80, 170f. Scheler, Max 55, 75 Schiewe, Jürgen 29, 36 Schimank, Uwe 12, 34–37 Schlier, Heinrich 80, 172, 200, 226, 240, 248, 260 Schlögel, Karl 159 Schmidt, Christoph 103 Schmitt, Carl 9f., 16f., 20f., 23, 34, 39f., 55, 63, 78, 88f., 101f., 104–128, 130–134, 137, 140–143, 147, 149–153, 166f., 169, 175, 191f., 198, 201, 204f., 216, 224, 228, 264 Scholz, Frithard 47, 61–63 Sequeri, Pierangelo 247 Sohm, Rudolf 190 Sorel, Georges 112, 179 Souletie, Jean-Louis 105 Spillner, Bernhard 41 Stapel, Wilhelm 79, 188 Steinbrink, Bernd 50f., 94 Stolleis, Michael 109 Strauß, Leo 114f. Stroh, Ralf 231 Taubes, Jacob 22, 40, 110, 115f., 126f. Tönnies, Ferdinand 75 Ueding, Gert 50f., 94 Volkmann, Ute 34–37 Wannenwetsch, Bernd 243–245, 247–249, 262 Weber, Max 28, 55, 139, 197 Weidemann, Hans-Ulrich 23, 205

© 2012, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Göttingen ISBN Print: 9783525563717 — ISBN E-Book: 9783647563718