Gezeichnete Evidentia: Zeichnen auf kolorierten Papieren in Süd und Nord von 1400 bis 1700 9783110760750, 9783110634495

Drawings on paper produced in color or primed in color play a prominent role in the art of drawing in the early modern p

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German Pages 320 Year 2021

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis / Contents
Vorwort und Dank / Preface
Gezeichnete Evidentia. Zur Einführung / Drawn Evidentia. Introduction
Gezeichnete Evidentia. Zur Einführung / Drawn Evidentia. Introduction
(Inter-)Medialität bei Lorenzo Monaco / (Inter)mediality in the OEuvre of Lorenzo Monaco
Von Licht und Stein?
Intermediale Verfahren im studietto
Zur Auslotung der Farbigkeit / Exploring Colourfulness
auf giftig-grünem Kreidegrund
Weiß auf Schwarz
Assimilation an die Malerei: Die Suche nach dem Mittelton / Assimilating Painting: The Search for the Midtone
Farbgrund und Glanzpunkt
Free Ground
Blaue und nicht-weiße Papiere: Zwischen Stilmerkmal und Ökonomie / Blue and non-white Papers: Stylistic and Economic Choices
Govert Flinck’s Figure Studies on Blue Paper
Zeichnen auf nicht-weißen Papieren
Kunsttechnologische Untersuchungen / Art-technological Investigations
Recycling durch Grundierung
Drawing Techniques on Coloured Ground Paper
Epilog / Epilogue
Au fond – am Farbgrund der Zeichnungen. Epilog / Au fond – on the Colour Ground of the Drawings. Epilogue
Bildnachweise / Image Credits
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Gezeichnete Evidentia: Zeichnen auf kolorierten Papieren in Süd und Nord von 1400 bis 1700
 9783110760750, 9783110634495

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Gezeichnete Evidentia

Iris Brahms (Hrsg.)

Gezeichnete Evidentia Zeichnungen auf kolorierten Papieren in Süd und Nord von 1400 bis 1700 mit einem Epilog von Anne Eusterschulte

De Gruyter

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Freunde, Förderer und Ehemaligen der Freien Universität Berlin e. V., der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein, des Arbeitskreises Niederländisches Kunst- und ­Kulturgeschichte e. V. und des Lehrstuhls von Prof. Dr. Anne Eusterschulte.

ISBN 978-3‑11-063449-5 e-ISBN (PDF) 978-3‑11-076075-0 Library of Congress Control Number: 2021949544 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandabbildung: Hendrick Goltzius, Sine Cerere et Libero friget Venus (Detail), ca. 1600, Feder, braune Tinte und Öl auf blaugrau grundierter Leinwand, 105,1 × 80,0 cm, Philadelphia, Philadelphia Museum of Art, Inv. Nr. 1990-100-1 © Philadelphia Museum of Art Covergestaltung: Katja Peters, Berlin Satz: LVD GmbH, Berlin Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.degruyter.com

Inhaltsverzeichnis / Contents

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Iris Brahms Vorwort und Dank / Preface

Gezeichnete Evidentia. Zur Einführung / Drawn Evidentia. Introduction Iris Brahms   20 Gezeichnete Evidentia. Zur Einführung / Drawn Evidentia. Introduction (Inter-)Medialität bei Lorenzo Monaco / (Inter)mediality in the Œuvre of Lorenzo Monaco Philippa Sissis   59 Von Licht und Stein? Ein Versuch zu den Berliner Blättern Lorenzo Monacos Iris Helffenstein  79 Intermediale Verfahren im studietto Zu Materialästhetik und Medialität von Verre églomisé und Goldgrund im ­italienischen Spätmittelalter bis Lorenzo Monaco Zur Auslotung der Farbigkeit / Exploring Colourfulness 103

Claudia Reufer auf giftig-grünem Kreidegrund Zeichnungen auf farbigem Grund im sog. Gozzoli-Album

125

Iris Brahms Weiß auf Schwarz Die Umkehrung der Evidenzerzeugung und ihre optischen wie ästhetischen Folgen

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Inhaltsverzeichnis / Contents

Assimilation an die Malerei: Die Suche nach dem Mittelton / Assimilating Painting: The Search for the Midtone 153

Elvira Bojilova Farbgrund und Glanzpunkt Techniken und Ästhetiken des Reflexionslichts in der Kunstliteratur um 1600

173

Joost Keizer Free Ground The Structure of Drawing in the Dutch Republic

Blaue und nicht-weiße Papiere: Zwischen Stilmerkmal und Ökonomie / Blue and non-white Papers: Stylistic and Economic Choices 197

Alexa McCarthy Govert Flinck’s Figure Studies on Blue Paper The Role of Materials in Stylistic Development

Armin Häberle 217 Zeichnen auf nicht-weißen Papieren Ökonomische und bildkünstlerische Reflexionen bei Vouet, Poussin, Dughet und van Dyck Kunsttechnologische Untersuchungen / Art-technological Investigations 243

Michael Venator Recycling durch Grundierung Zu einem Blatt von Caspar Fraisinger

253

Erzsébet Mózer Drawing Techniques on Coloured Ground Paper Case Studies from the Museum of Fine Arts, Budapest – Collection of Prints and Drawings

Epilog / Epilogue 272

Anne Eusterschulte Au fond – am Farbgrund der Zeichnungen. Epilog / Au fond – on the Colour Ground of the Drawings. Epilogue

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Bildnachweise / Image Credits

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L‘image est l’évidence de l’invisible.*

*  Jean-Luc Nancy, Au fond des images, Paris 2003, S. 30.

Vorwort und Dank

Mit kolorierten Papieren ist die viel besagte und individuell erfahrene Unbestimmtheit des weißen Blattes überwunden, zumal wenn es sich um eine eigens aufgetragene Farbschicht handelt, bevor der erste Strich ansetzt und die Fläche stört. Unter diesem heuristischen Sammelbegriff verstehen wir in diesem Band jedoch auch Papiere, die bei ihrer Herstellung nicht geblichen und mitunter in der Masse eingefärbt wurden, so dass sie in der fokussierten Zeitspanne von 1400 bis 1700 dann vor allem grau oder blau waren. So oder so stellt bei dieser besonderen und gleichwohl über die Alpen hinweg früh geläufigen Zeichentechnik eine einfarbige Fläche den Ausgangspunkt für die Ausführung dar und man könnte fragen, ob dies eine Hilfestellung für den initialisierenden Impuls der Linienführung mit sich bringt oder die Ehrfurcht vor der somit bereits belegten und farbatmosphärisch besetzten Fläche nur noch wächst. Derartige Überlegungen versetzen die Zeichentechnik in ein Spannungsfeld von Arbeitsökonomie und Nobilitierung, doch sucht der Band noch mehr herauszuarbeiten. Denn grundlegend tragen die Aufsätze dazu bei, anhand vielsagender Fallbeispiele aus Süd und Nord das Potenzial dieser Technik aufzudecken und in größere Zusammenhänge zu stellen. Dabei geht es einerseits um die vielfältigen Möglichkeiten der materiellen wie manuellen Ausführung sowie die Modalitäten der eigens begünstigten Licht-Schatten-Modellierung, andererseits um die daraus hervorgehenden Deutungshorizonte wie Medienreferenzen und mediale Emanzipationsaspekte, Farbsuggestionen und ‑semantiken, Stilmerkmale und Abstraktion, Erneuerungsprozesse und Recycling sowie Kontinuitäten und Anachronismen. Sowohl mit Blick auf die Traktatistik als auch unter Einbindung aktueller Methoden der Bild­ theorie gelingt es, aus den geschilderten Übergänglichkeiten letztlich Ausprägungen dessen zu ermitteln, was gezeichnete Evidentia ausmacht. Denn die Korrelation von materiellem Ausgangspunkt, der medialen Umsetzung samt ästhetischen Präsenzmodi in unlöslicher Verschränkung mit dem Gegenstand der Darstellung führt zu Fragen der Evidenzerzeugung, der bildlichen Referenzialität auf die Wirklichkeit wie der Selbstreflexivität des Mediums. Aspekte

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Preface

Using coloured papers circumvents the well-known fear of the blank page – particularly when there is a specially applied layer of colour, which is stirred up and disturbed as the first stroke is added. In this volume we use the term ‘coloured paper’ heuristically to include paper that was not bleached during production and was often dyed in the pulp, which in the period from 1400 to 1700 resulted mainly in grey or blue paper. In either case, the common feature of the resulting drawing technique, which was widespread across the Alps, is the monochrome surface providing the starting point for execution. One could ask whether this assists in bringing about the first impulse for a line drawing, or whether it merely increases the reverence for the surface thus already occupied by a colour. These considerations place the drawing technique in a field of tension between an economy of working procedures and a revaluation of drawing itself, and the volume addresses further questions. The contributions uncover the potential of drawing on coloured paper on the basis of significant case studies south and north of the Alps, which place the technique in larger contexts. They discuss the manifold possibilities of material and manual execution, including the modalities of modelling with light and shadow, which the technique specifically favours. Furthermore, the essays explore the interpretive horizons that emerge from this, such as references to other media and the emancipation of drawing itself, allusions and semantics of colour, stylistic features and abstraction, processes of renewal and recycling, as well as continuities and anachronisms. Considering both treatises and current methods of image theory, we can ultimately determine what constitutes drawn evidentia from these interpretive possibilities. The correlation of the material starting point, its realisation in a particular medium with aesthetic modes of presence and its indissoluble entanglement with the object of representation leads to questions of evidence generation, the pictorial reference to reality as well as the self-reflexivity of the medium. Aspects of the evidentia of an image are also dealt within contributions which do not specifically mention the term but negotiate it subcutaneously.

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Vorwort und Dank

zur Evidentia eines Bildes werden auch da behandelt, wo der Begriff nicht eigens fällt, jedoch subkutan verhandelt wird. Das Konzept ermöglicht es, ein bislang in der Forschung randständiges, jenseits der ästhetischen, optischen und bildtheoretischen Dimension verhandeltes, im Gegensatz dazu in der Zeichenkunst und ‑theorie häufig vorkommendes Phänomen methodisch aktuell sowie multiperspektivisch darzulegen. Erstmals wird die spezifische Zeichentechnik als zeitlich und regional übergreifendes Thema auf eine internationale Diskursebene geführt. Die Ergebnisse begegnen so nicht nur einem Desiderat der Forschung, indem sie eine veränderte Perspektivierung von Zeichentechniken und ‑verfahren in der Frühen Neuzeit in den Fokus rücken. Sie zeigen darüber hinaus die enorme Relevanz kunsttheoretischer wie ‑praktischer Entwicklungen und machen damit prinzipiell deutlich, wie grundlegend und unverzichtbar eine Intensivierung der Frühneuzeitforschung innerhalb der Kunstwissenschaften aber auch weit darüber hinaus im transdisziplinären Kontext ist. Mit der gleichermaßen materialsensitiven wie theoretischen Exploration von »Zeichnungen auf kolorierten Papieren« sowie der Einbeziehung von Transferbeziehungen im europäischen Kontext stellen die mit diesem Band vorliegenden Forschungsbeiträge, die gerade in ihrem Zusammenspiel innovative Perspektiven entwickeln, einen ersten Schritt dar, Zeichentechniken in ihrer produktions- wie rezeptionsästhetischen Komplexität zu erfassen und ihnen einen entsprechenden Stellenwert in der Forschung zu sichern. Der Band ermöglichte mir, das Thema meiner 2016 erschienenen Dissertation Zwischen Licht und Schatten. Die Tradition der Farbgrundzeichnung seit Albrecht Dürer über die darin primär behandelten nordalpinen Kunstlandschaften des 15. Jahrhunderts hinaus zeitlich wie regional zu erweitern sowie die angewandten bildwissenschaftlichen Zugänge und kunsttechnologischen Untersuchungen auf internationaler Ebene mit engagierten Forscher*innen zu diskutieren. Einen Auftakt für den Band bildete ein großzügig von der Kollegforschergruppe BildEvidenz an der Freien Universität Berlin im Juni 2018 ausgerichteter Workshop. Für die wunderbare Gelegenheit, die Veranstaltung in diesem motivierenden und anregenden Rahmen durchführen zu dürfen, danke ich allen Beteiligten und vor allem Klaus Krüger sowie Friederike Wille sehr herzlich. Denn hier konnte das Konzept erstmalig mit internationalen Wissenschaftler*innen erprobt und aus wie in mehrfacher Perspektive diskutiert werden; Dank gilt daher auch allen, die mit Ideen und Kritik weitere Impulse gegeben haben.1 Die Erstellung des Manuskripts gestaltete sich dank der außerordentlich guten Zusammenarbeit aller Autor*innen als eine inspirierende Tätigkeit und es freut mich sehr, dass wir so zu einem ineinander verzahnten Konzept gelangt sind, das weitere Forschung anregen möge. Meinen herzlichen Dank spreche ich daher Elvira Bojilova, Armin Häberle, Iris Helffen-

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Siehe Kerstin Godschalk: [Tagungsbericht zu:] Gezeichnete Evidenz auf kolorierten Papieren in Süd und Nord von 1400 bis 1650 (Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz – Geschichte und Ästhetik, Freie Universität Berlin, 22.06.2018). In: ArtHist.net, 10.07.2018. Letzter Zugriff 18.06.2021. .

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Preface

The volume presents the phenomenon of drawing on coloured papers that has hitherto been marginal in research, negotiated beyond the aesthetic, optical and image-theoretical dimension. In contrast, it is wide-spread in the art and theory of drawing. Here, we discuss it from multiple perspectives and apply current methodologies. For the first time, the specific drawing technique is considered internationally and in a broad span of times and regions. The results thus not only meet a desideratum of bringing into focus a changed perspective on drawing techniques and procedures in the early modern period. They also show the relevance of developments in art theory and practice and thus make clear how fundamental and indispensable it is to increase research on the early modern period within art history but also in a transdisciplinary context. With an exploration of »drawings on coloured papers« that is in equal parts sensitive to their material and the theoretical context and aware of artistic knowledge transfer in the European context, the research contributions presented in this volume represent a first step towards understanding drawing techniques in their aesthetic complexity in the contexts of production and reception and securing them an appropriate status in research. The volume enabled me to expand the topic of my dissertation Zwischen Licht und Schatten. Die Tradition der Farbgrundzeichnung seit Albrecht Dürer (published 2016), which primarily dealt with drawings produced north of the Alps in the 15th century, both with regard to periods and regions. Its aim is to discuss the applied approaches and art-technological investigations into the technique on an international level with committed researchers. A workshop generously hosted by the Kollegforschergruppe BildEvidenz at the Freie Universität Berlin in June 2018 was the prelude to this. For the wonderful opportunity to hold the event in this motivating and stimulating setting, I would like to thank all those involved and especially Klaus Krüger and Friederike Wille. This was the first time that the concept could be discussed from multiple perspectives and with international scholars; I am grateful to all those who provided further impetus with ideas and criticism.1 The preparation of the manuscript turned out to be an inspiring activity thanks to the extraordinarily good cooperation of all authors, and I am very pleased that we have arrived at a study that may inspire further research. I would therefore like to express my heartfelt thanks to Elvira Bojilova, Armin Häberle, Iris Helffenstein, Joost Keizer, Alexa McCarthy, ­Erzsébet Mózer, Claudia Reufer, Philippa Sissis, Michael Venator and especially Anne Eusterschulte, who supported the project both with ideas and energy for the philosophical epilogue that ties everything together, and financially with a generous printing cost subsidy. I would also like to thank Tina Bawden for her thoughtful editing of the English translations, the Arbeitskreis Niederländische Kunst- und Kulturgeschichte e. V. for a generous subsidy in

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See Kerstin Godschalk: [review of:] Gezeichnete Evidenz auf kolorierten Papieren in Süd und Nord von 1400 bis 1650 (Kolleg-Forschergruppe BildEvidenz – Geschichte und Ästhetik, Freie Universität Berlin, 22.06.2018). In: ArtHist.net, 10.07.2018. Last access 18.06.2021. .

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Vorwort und Dank

stein, Joost Keizer, Alexa McCarthy, Erzsébet Mózer, Claudia Reufer, Philippa Sissis, Michael Venator und besonders Anne Eusterschulte aus, die das Projekt sowohl ideell und dynamisch mit dem alles verklammernden philosophischen Epilog als auch finanziell mit einem großzügigen Druckkostenzuschuss unterstützt hat. Außerdem danke ich Tina Bawden für das stets gedankenvolle Lektorat der englischen Übersetzungen, dem Arbeitskreis Niederländische Kunst- und Kulturgeschichte e. V. für diesbezügliche Zuwendungen sowie Valeska von Rosen für guten Rat. Auch ohne die weiteren ebenso großzügigen Druckkostenzuschüsse der Ernst-­Reuter-Gesellschaft e. V. der Freien Universität Berlin sowie der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften wäre das Buch nie zustande gekommen. Ihnen allen sei herzlich für die Unterstützung gedankt! Iris Brahms

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Preface

this regard, as well as Valeska von Rosen for good advice. Without the equally generous printing subsidies from the Ernst-Reuter-Gesellschaft e. V. of the Freie Universität Berlin as well as from the Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften, the book would never have been published. My sincere thanks go to all of them for their support! Iris Brahms

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Gezeichnete Evidentia. Zur Einführung

Drawn Evidentia. Introduction

Iris Brahms

Gezeichnete Evidentia Zur Einführung

Der Grund ist die Kraft des Bildes, sein Himmel und sein Schatten.1

Um die Leere des weißen Papieres zu überwinden, möchte ich zunächst auf jenen materiellen Aspekt abheben, der zum Ausgangspunkt der in diesem Band eigens thematisierten Zeichentechnik gereicht. Denn mit der Wahl farbigen Papiers als Grundlage für den Zeichenvorgang war die mitunter schier unüberwindbar erscheinende Schwelle der makellosen Leere vor dem ersten Strich bereits gezähmt. So ist auch das Einfärben von Buchseiten eine spätantike Technik, die das Mittelalter hindurch tradiert wurde (Abb. 1).2 Als „eine Figur des Anfangs“3 bezeichnete Gottfried Boehm denn auch den Mal- oder Zeichengrund und bedachte damit alle vorstellbaren Erscheinungsformen von der prähistorischen Höhlenmalerei bis zu gegenwärtigen Positionen der Kunst.

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Jean-Luc Nancy, Am Grund der Bilder, Übers. Emmanuel Alloa, Zürich/Berlin 20122, S. 20. Originalausgabe: Au fond des images, Paris 2003. Christian Kiening, Martina Stercken (Hrsg.), SchriftRäume. Dimensionen von Schrift zwischen Mittelalter und Moderne, Zürich 2008, S. 208–209 (Christoph Eggenberger). Mit weiterführender Literatur siehe: Charlotte Denoël u. a., Illuminating the Carolingian era: new discoveries as a result of scientific analyses, in: Herit Sci 6, 28 (2018), pp. 1–19: https://doi.org/10.1186/s40494-018-0194‑1 [letzter Abruf: 30.07.2021]. Neue Forschungsperspektiven verspricht der von Fabrizio Crivello, Teresa d’Urso und Federica Toniolo ausgerichtete Studientag „Il manoscritto purpureo dalla Tarda antinchità al Novecento“ am 1.12.2020: https://arthist.net/archive/23962 [zuletzt abgerufen: 23.11.2020]. Gottfried Boehm, Der Grund. Über das ikonische Kontinuum, in: Gottfried Boehm, Matteo Burioni (Hrsg.), Der Grund. Das Feld des Sichtbaren, München 2012, S. 29–92, S. 29. S. darüber hinaus zum Grundbegriff ground und campo in der Kunsttheorie Jeroen Stumpel, On grounds and backgrounds: some remarks about composition in Renaissance painting, in: Simiolus 18, 4 (1988), S. 219–243.

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Iris Brahms

Drawn Evidentia Introduction

It [the ground] is the force of the image, its sky and its shadow.1

In order to overcome the blank page, I would first like to emphasise the material aspect that serves as the starting point for the drawing technique that is the topic of this volume. By choosing coloured paper as the basis for the drawing process, the first hurdle of overcoming the perfect blankness of the sheet had already been taken before the first stroke. Dyeing parchment for the production of luxury manuscripts is a late antique technique that was continued throughout the Middle Ages (fig. 1).2 Gottfried Boehm called the painting or drawing ground “a figure of the beginning”3 and considered all conceivable forms of appearance from prehistoric cave painting to contemporary positions in art.

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Jean-Luc Nancy, The Ground of the Image, Jeff Fort (transl.), New York 2005, p. 7. Original edition: Au fond des images, Paris 2003. – At this point I would like to thank Tina Bawden for her conscientious editing of the English translation. Christian Kiening, Martina Stercken (eds.), SchriftRäume. Dimensionen von Schrift zwischen Mittelalter und Moderne, Zurich 2008, pp. 208–209 (Christoph Eggenberger). With further literature see: Charlotte Denoël et al., Illuminating the Carolingian era: new discoveries as a result of scientific analyses, in: Herit Sci 6, 28 (2018), pp. 1–19: [last accessed: 30.07.2021]. New research perspectives are promised by the study day “Il manoscritto purpureo dalla Tarda antinchità al Novecento” organised by Fabrizio Crivello, Teresa d'Urso and Federica Toniolo on 1.12.2020: https://arthist.net/archive/23962 [last accessed: 23.11.2020]. “eine Figur des Anfangs”: Gottfried Boehm, Der Grund. Über das ikonische Kontinuum, in: Gottfried Boehm, Matteo Burioni (eds.), Der Grund. Das Feld des Sichtbaren, Munich 2012, pp. 29–92, p. 29. On the concepts of ground and campo in art theory, also see Jeroen Stumpel, On grounds and backgrounds: some remarks about composition in Renaissance painting, in: Simiolus 18, 4 (1988), pp. 219–243.

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Iris Brahms

1. Positionen aus der Philosophie4 Jean-Luc Nancy attestiert dem Grund (fond) eine latente Unsichtbarkeit: „Er verschwindet in seiner Grundeigenschaft, die darin besteht, nicht zu erscheinen.“5 Daher könne man sogar sagen, „der Grund erscheint als das, was er ist, indem er verschwindet.“6 Und in dieser Eigenschaft stecke „der nicht-wahrnehmbare (intelligible) Sinn des Bildes, der als solcher am Bild vernommen wird.“7 Nun lässt sich an den spezifischen Zeichentechniken, die in diesem Band thematisiert werden, feststellen, dass der Grund bzw. die farbige Grundierung gerade nicht von der Zeichnung verdeckt wird, sondern vielmehr eine ganz aktive Rolle in den Darstellungen einnimmt. Streng genommen verschwindet nicht einmal das Papier als ‚Träger‘, sofern einerseits die spezifische Materialstruktur (Pergament, Papier, Karton) und Eigenfarbigkeit der Papiere die Weise bestimmt, wie eine Einfärbung oder farbige Grundierung in Erscheinung tritt und zudem bei farbig grundierten Papieren nicht selten etwas vom Untergrund durchscheint oder an den Rändern durchblitzt. Weiterhin besitzt das jeweilige Papier stets auch eine haptische Wahrnehmungsdimension, d. h. prägt in seiner materialen Beschaffenheit die taktile Erfahrung, etwa wenn man eine Zeichnung in Händen hält oder in einem Konvolut blättert, was die meisten Zeichnungen aufgrund ihres überschaubaren Formats und ihrer flexiblen wie mobilen Handhabung zulassen. So scheint auf den ersten Blick für die in diesem Band behandelten Zeichnungen auf kolorierten Papieren nur eingeschränkt zu gelten, was Nancy, vor allem in Bezug auf Gemälde, als charakteristisch für ein Bild konstatiert: „Es ist von einem Grund abgehoben und aus einem Grund herausgeschnitten. Es ist abgelöst und entbunden.“8 Doch diese Ablösung ist keine Trennung vom oder gar ein Zum-Verschwinden-Bringen des farbigen Grundes, sondern vielmehr ein Interagieren, das seine Kraft aus dem Ineinanderwirken von Materialitäten, Tonalitäten und zeichnerischem Duktus gewinnt, d. h. aus einem Hervortreten von Differenziertheit in Formfindungsprozessen und figurierenden Akten, die den Grund in seinen atmosphärischen, semantischen wie kontrastive Akzentuierungen fundierenden Qualitäten einbeziehen und wirksam werden lassen. So sind es die Überlegungen zur Wahrnehmung eines Distinkten, mit denen Nancy Bilder kategorial von anderen Dingen abhebt, sowie die Betonung eines Surplus, wodurch sie sich gegenüber bloß repräsentativen Darstellungsfunktionen unterscheiden, die einen Ausgangspunkt dafür bilden, das Verhältnis von farbigem Grund (fond) und Bildcharakter in Hinblick auf Zeichnungen genauer zu bestimmen. Birgt doch der Farbgrund ein Eigenleben und zugleich eine 4

Dieses Unterkapitel der Einleitung, der philosophische Auftakt des Bandes also, basiert auf einem engen Austausch mit Anne Eusterschulte, woraus eine direkte Abstimmung mit dem Epilog hervorging, so dass die beiden Teile zu Beginn und zum Ausklang des Bandes eine dicht verwobene Klammer bilden, die zur weiteren transdisziplinären Auseinandersetzung mit dem Phänomen des Grundes anregen möge. 5 Nancy 2012 (wie Anm. 1), S. 20. 6 Ibid. 7 Ibid. 8 Nancy 2012 (wie Anm. 1), S. 18.

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Gezeichnete Evidentia / Drawn Evidentia

1  Syrien, Der Zürcher Purpur-Psalter, 6. Jh., Gold- und Silbertinte, Mennige auf purpurn­ gefärbtem Pergament, 22 × 15,5 cm, fol. 147r, Zürich, Zentralbibliothek, Inv. Nr. RP 1 1  Syria, The Zurich Purple Psalter, 6th century, gold and silver ink, lead red (minium) on purple parchment, 22 × 15.5 cm, fol. 147r, Zurich, ­Central Library, inv. no. RP 1

1. Positions from Philosophy4 Jean-Luc Nancy attests a latent invisibility to the ground (fond): “It disappears in its essence as ground, which consists in its not appearing.”5 Therefore, one can even say that the ground “appears as what it is by disappearing.”6 And in this quality lies “the insensible (intelligible) sense that is sensed as such, self-same with the image.”7 However, the specific drawing techniques that are the subject of this volume demonstrate that the ground or the coloured grounding is not in fact concealed by the drawing, but rather takes on a very active role. Strictly speaking, not even the paper disappears as a ’substrate’: The specific material structure (parchment, paper, cardboard) and inherent colour of the papers determines the way in which dyeing or colouring takes to the material. In the case of papers with coloured grounds it is not uncommon for something of the paper to show or remain visible at the edges. Furthermore, paper always possesses a haptic dimension of perception, i. e. its ma4

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This subchapter of the introduction, the philosophical prelude to the volume, is based on a close exchange with Anne Eusterschulte. Our exchange resulted in direct coordination with the epilogue, so that the two parts at the beginning and at the end of the volume form a tightly woven bracket that may inspire further transdisciplinary engagement with the phenomenon of the ground. Nancy 2005 (as fn. 1), p. 7. Ibid. Nancy 2005 (as fn. 1), p. 8.

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Iris Brahms

verlebendigende Kraft, die sich im Zusammenspiel mit der zeichnerischen Faktur, der Bewegtheit zeichnerischer Gesten, dem Interagieren von Materialien, Strichführungen, Konturierungen und Strukturierungen und schließlich in Licht- und Schattenwirkungen austrägt oder gar auslebt. So kommt der jeweiligen farbigen Grundierung oder Einfärbung in ihrer flächigen Präsenz zum einen ein Höchstmaß an Abstraktion zu, d. h. eine noch in sich ruhende und doch keineswegs undifferenzierte, in Nuancen je variierende Farbmodalität, die das gesamte zeichnerische Blatt geradezu durchwirkt – und für dieses latente Changieren des monochromen Grundes spielen wiederum Papierstruktur, Deckkraft, Farbwahl und Auftrag eine entscheidende Rolle. Zum anderen besitzt der Grund eine je eigene Potentialität, Tiefe und bewegende Farbigkeit, die sich in die Zeichnung einschreibt, sie gleichsam in ein spezifisches Licht taucht, in einen Farbraum eingehen lässt, wie mit einem Schleier überzieht oder ihr farbgetränkt sein Leben einhaucht und so eine je eigentümliche Erscheinungsweise verleiht, die sich einer begrifflichen Eindeutigkeit oder Fassbarkeit verweigert und ihre Evidenz erst im Vollzug des Bildgeschehens zu Tage treten lässt. Für die in diesem Band untersuchten künstlerischen Arbeiten sind die Weisen dieser wechselseitigen Distinktion von Farbgrund und Ausdifferenzierung im zeichnerischen Prozess entscheidend. Weist das Distinkte, so Nancy, auf eine Entfernung, ein Ungreifbarwerden des Bildes im Unterschied zum Zugriff auf empirische Dinge, so ist dieses Vor-Kommen oder Heraustreten des Bildes, das uns vor Augen tritt und berührt, zugleich von einer „verborgenen, unabnehmbaren Seite untrennbar: die dunkle Seite des Bildes, dessen Unterseite, Textur oder Subjektil“9. Es ist diese Intimität des Bildes, die an die Oberfläche tritt, die es aus seinem Grund hervorzieht – im Sinne des zeichnerischen Zugs (trahere) –, sich in Unterschiedenheit und distanzierter Gestalt auszieht und damit zugleich von einer Kraft zeugt, die sich je in der Zurückgezogenheit hält. Wie ein Himmel der sich ausspannt, so fasst es Nancy, um in seiner Distanziertheit von der irdischen Welt eben diese in ein distinktes Licht zu setzen. Dieses vermag die Kunst als in sich konzentrierte Intensität einer ästhetischen Eigenwirklichkeit. Und für diese Evidenzerfahrung ist das unauftrennbare Verhältnis von Grund und Erscheinung im Bild bzw. in unserem Kontext, in der Zeichnung, konstitutiv. Bedenkt man vor diesem Hintergrund die Mehrdeutigkeit des Begriffes „Grund“, dann eröffnen sich weitere Dimensionen der Reflexion, die Prinzipien der philosophischen Metaphysik, Erkenntnistheorie bzw. Logik, aber ebenso ästhetischer Theoriebildungen aufrufen. Dass sich „das philosophische Denken unter dem Gesichtspunkt der Begründung orientiert hat [und] in gewisser Weise ein Denken des Grundes gewesen sein mag,“10 verweist auf eine Entwicklung der philosophischen Begriffsverwendung, an deren Anfang jedoch nicht ein kausallogisches Begründungsverhältnis bzw. die Relation von Grund (causa) und Folge steht, sondern ein metaphysisches Grundverhältnis, das aller Erfahrung vorausgeht. Wenn Jean-

  9 Nancy 2012 (wie Anm. 1), S. 10. Zur Phänomenologie des subjectile als Grund der Malerei bei Antonin Artaud sowie Jacques Derrida siehe den Epilog zu diesem Band. 10 Gertrud Kahl-Farthmann, Der Satz vom zureichenden Grunde. Von Leibniz bis Kant, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 30 (1976), S. 107–122, S. 107.

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Gezeichnete Evidentia / Drawn Evidentia

terial composition shapes the experience of holding a drawing in one's hands or leafing through an album, which most drawings allow due to their manageable format and their flexible and mobile handling. What Nancy states as characteristic of a picture, especially in relation to paintings, seems therefore applicable only to a limited extent to the drawings on coloured papers discussed in this volume: “It is detached from a ground [fond] and it is cut out within a ground. It is pulled away and clipped or cut out.”8 Yet this detachment is not a separation from or even a disappearance of the coloured ground, but rather an interaction that gains its power from the interplay of materialities, tonalities and draughtsmanship, i. e. from form-finding processes and figurative acts that include the ground in its atmospheric, semantic and accentuating qualities, allowing them to become effective. Nancy categorically distinguishes pictures from other things by positing the perception of a distinctive, emphasising a surplus, which distinguishes them from mere representational functions. This may form a starting point to determine the relationship between the coloured ground (fond) and the character of the picture more precisely with regard to drawings. After all, the coloured ground has a life of its own and is at the same time a vitalising force that is expressed or even lived out in the interplay with the graphic constellation (Faktur), the movement of drawing gestures, the interaction of materials, line, contouring and structuring and finally in the effects of light and shadow. Thus, the respective coloured ground or dye in its two-dimensional presence contributes a maximum degree of abstraction, i. e. a flat, yet by no means homogeneous, nuanced colour modality, which virtually permeates the entire drawing sheet. Paper structure, degree of opacity, choice of colour and application again play a decisive role for this latent oscillation of the monochrome ground. The ground also has its own potentiality, depth and dynamic colourfulness, which inscribes itself in the drawing, immerses it, as it were, in a specific light, allows it to enter into a colour space, covers it as if with a veil or breathes its colour-soaked life into it. Thus, the ground lends the drawing a peculiar mode of appearance that refuses to be conceptually unambiguous or graspable and only allows its evidence to emerge in the course of the pictorial event. For the artistic works examined in this volume, it is important to analyse the ways in which this reciprocal distinction between colour ground and differentiation in the drawing process works. If the distinctive, according to Nancy, points to a distance, to the way in which an image, as opposed to empirical things, becomes intangible, then this coming forward or coming out of the image, which appears before our eyes and touches us, is at the same time inseparable from a “hidden surface, from which it cannot, as it were, be peeled away: the dark side of the picture, its underside or backside, or even its weave or its subjectile”9. It is this intimacy of the image that comes to the surface, that draws it out of its ground in the sense of the draughtsman's trait (trahere), that draws itself out in distinction 8 9

Nancy 2005 (as fn. 1), p. 7. Nancy 2005 (as fn. 1), p. 2. On the phenomenology of the subjectile as the ground of painting in Antonin Artaud as well as Jacques Derrida, see the epilogue to this volume.

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Luc Nancy das Bild (bar religiöser Zuschreibungen) als ‚Realpräsenz‘11 fasst, dann lässt sich dies mit einer Tradition philosophischen Denkens des Grundes in Beziehung setzen, die für die ästhetische Auseinandersetzung mit gezeichneter Evidentia einen Hintergrund bildet. Gehen wir zurück auf die Verwendung des Terminus ‚Grund‘ in der mittelalterlichen, sogenannten mystischen Philosophie, die für Martin Heidegger12 und vermittelt so auch für Nancy grundlegend ist, dann ist Grund sowohl als Ausdruck einer räumlichen Tiefe oder Abgründigkeit gefasst wie als Tragendes oder Fundament. Als Innerstes oder Herzensgrund weist er auf die Einwohnung eines unergründlichen Gottes, dessen Bild die Seele in sich trägt bzw. dem sie sich in Einkehr in den Seelengrund verähnlicht, der aber ebenso als Beweggrund des Willens wirksam wird und nach außen tritt und so die Vorstellung eines kausalen Begründungsverhältnisses impliziert. Die theologisch-philosophische Grundlegung einer unergründlichen Heiligkeit weist, lösen wir sie von subjektiven, verinnerlichten Erfahrungsformen, bereits auf ästhetische Transformationen in Hinsicht auf die farbige Grundierung als Fundament und zugleich unergründliche, lebendige Tiefendimension des Bildes voraus. Die Reflexion auf die Doppelbewegung von Sich-auf-den-Grund gehen und Willensbewegung wirkt bis in den Leibnizschen Satz vom zureichenden Grund (raison suffisante) hinein. Gilt Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) als derjenige, der den Satz vom zureichenden Grund zum Prinzip erhoben hat, so ist hier zunächst eine metaphysische Grundlegung formuliert, die auf ein absolutes Prinzip (Gott) als Voraussetzung von Sein und Erkennen führt, das sich selbst der Erkenntnis entzieht: „Im Sinne des zureichenden Grundes finden wir, dass keine Tatsache als wahr oder existierend gelten kann und keine Aussage als richtig, ohne dass es einen zureichenden Grund [raison suffisante] dafür gibt, dass es so und nicht anders ist, obwohl uns diese Gründe meistens nicht bekannt sein mögen.“13 Hierauf gründen sich spätere Ansätze, die apriorischen Bedingungen von Erfahrung bzw. ein abstraktes Verständnis von Kausalität zu bestimmen, so etwa bei Immanuel Kant. Doch halten wir an dieser Stelle inne, um wieder auf die ästhetische Frage nach dem Farbgrund bzw. der gezeichneten Evidenz auf kolorierten Papieren zurückzulenken. Der skizzenhafte Rekurs auf philosophische Konzepte mag einerseits abermals das wechselseitig konstitutive Verhältnis von Grund und zeichnerisch entworfenem Erscheinungsraum herausstellen, andererseits aber die Dimension eines unergründlichen Grundes oder Potentials, wie es für die farbigen Papiere in Anschlag gebracht werden kann. Wenn Heidegger, auf den sich Nancy vielfach bezieht, die Diskussion des Satzes „Nihil est sine ratione.“ – „Nichts ist ohne Grund.“14 erneut aufnimmt und festhält, dass letztlich die Warum-Frage darin ungeklärt bleibe, sich aber positiv gewendet ergebe: „Grund heißt Sein. Sein heißt Grund.“15, dann wird damit eine selbst unzugängliche Ermöglichungsbedingung dessen bestimmt, was in das

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Nancy 2012 (wie Anm. 1), S. 24. Martin Heidegger, Der Satz vom Grund, Stuttgart 2006. Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadologie, § 32, Frankfurt a. M. 1998, S. 27. Heidegger 2006 (wie Anm. 12), S. 13. Heidegger 2006 (wie Anm. 12), S. 205.

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and distanced form, and thus at the same time bears witness to a power that always remains secluded. Like a sky that stretches out, as Nancy puts it, in order to set the earthly world in a distinctive light precisely in its detachment from it. Art can do this as the concentrated intensity of an aesthetic reality of its own. And for this experience of evidentia, the inseparability of ground and appearance in the picture, or in our context in the drawing, is constitutive. Considering the ambiguity of the term “ground” against this backdrop opens up further dimensions of reflection – principles of philosophical metaphysics, epistemology or logic, but also aesthetic theories. The fact that “philosophical thought has been oriented towards the idea of rationale (Begründung) [and] therefore may in a certain sense have been a reasoning (Denken des Grundes)”10 points to a development of the philosophical use of terms. At the beginning, however, there is no causal reasoning or rather the relation of cause (causa) and effect, but a basic metaphysical relation that precedes all experience. When Jean-Luc Nancy conceives of the image (far from religious attributions) as 'real presence'11, we can relate this to a tradition of philosophical thinking about “ground” that forms one backdrop for the aesthetic engagement with drawn evidentia. If we go back to the use of the term 'ground' in medieval, so‑called mystical philosophy, which is fundamental for Martin Heidegger12 and, via him, also for Nancy, then ground is conceived both as an expression of a spatial depth or abyss and as support or foundation. As the innermost ground of the heart, it points to the dwelling of an unfathomable God whose image the soul carries within itself and which it resembles in its contemplation. God, however, also becomes effective as the motive of the will and steps outwards, thus implying the idea of a causal relationship of rationale. If we detach it from subjective, internalised forms of experience, the theological and philosophical foundation of an unfathomable holiness already points to aesthetic transformations. With regard to coloured grounding in drawing, we may see the ground as the foundation and at the same time the unfathomable, deeply dynamic dimension of the image. Reflection on the double movement of getting to the heart of the matter (ground), i. e. to the heart of oneself, and the movement of the will has an impact on Leibniz's Principle of Sufficient Reason (raison suffisante). If Gottfried Wilhelm Leibniz (1646–1716) is to be considered the one who elevated the proposition of sufficient reason to a principle, then a metaphysical foundation is formulated here that leads to an absolute principle (God) as the prerequisite of being and cognition, which itself eludes cognition: “And that of sufficient reason, in virtue of which we hold that there can be no fact real or existing, no statement true, unless there be a sufficient reason, why it should be so and not otherwise, although 10 Gertrud Kahl-Farthmann, Der Satz vom zureichenden Grunde. Von Leibniz bis Kant, in: Zeitschrift für philosophische Forschung 30 (1976) pp. 107–122, p. 107: “das philosophische Denken unter dem Gesichtspunkt der Begründung orientiert hat [und] in gewisser Weise ein Denken des Grundes gewesen sein mag”. English translation by Tina Bawden. 11 Nancy 2005 (as fn. 1), p. 11. 12 Martin Heidegger, The principle of reason, Reginald Lilly (transl.), Bloomington 1991. Original text: Der Satz vom Grund, 1955–56.

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Dasein und damit ins Erscheinen tritt. In Anlehnung an diese Überlegungen lässt sich vielleicht ein vorläufiger Deutungshorizont für Zeichnungen auf bzw. aus Farbgründen formulieren: In ihrem Sein scheint ihre Berechtigung zu sein auf, ihr Grund als Potentialis, mit dem sie je interagieren. Entsprechend fungieren die farbigen Grundierungen in ihrer spezifischen Präsenz nicht nur als Markierung des Bild- und Blickfeldes bzw. als Absetzung oder Distanznahme von dem Umgebenden, von dem sie sich abheben und einen Bildraum bilden, sondern Farbgrundierungen lassen zugleich etwas auf oder aus sich erstehen, was sich gleichermaßen von ihnen ab- und heraushebt. Aus diesem doppelten Distinktionsverhältnis lassen sie sich als Grund und Begründung verstehen und ermöglichen es, das Bild, so Nancy, als Evidenz eines zugrundeliegenden Unsichtbaren zu betrachten, das instantan, als singuläre Variation eines „Sinn- oder Wahrheitsganzen“ hervortritt.16

2. Positionen der Zeichentechnik Für die Zeichentechnik griffen die Künstler entweder zu meist blau eingefärbten Papieren bzw. carte azzurre (Abb. 2), deren gestampfte Papiermasse aus blauen Arbeitslumpen bestand, wobei zur Intensivierung häufig Farbstoffe wie das europäische Waid oder das aus Asien importierte Indigo hinzugefügt wurde.17 Oder aber – zumal nördlich der Alpen vor 1500 nicht anders denkbar18 – sie grundierten die Blätter häufig in mehrfachen Schichten einer Farbe. Hierbei stellten sich zunächst Präferenzen von Grün und Grau heraus (Abb. 3.a– b), wobei sich das Farbspektrum in Italien schon während des 15. Jahrhunderts immens bis hin zu Rosa- und Gelbtönen erweiterte (Abb. 4.a–f). Nördlich der Alpen wurden die Farben der Grundierungen erst nach 1500 mit Albrecht Altdorfer stärker variiert (Abb. 5.a–f), blieben jedoch eher im Bereich der unbunten, gedeckten Farben.19 Mit Urs Graf und Niklaus Manuel trat ein grelles Karminrot oder Orange hinzu.20

16 Nancy 2012 (wie Anm. 1), S. 27. 17 Iris Brahms, Schnelligkeit als visuelle und taktile Erfahrung. Zum chiaroscuro in der venezianischen Zeichenpraxis, in: Magdalena Bushart, Henrike Haug (Hrsg.), Interdependenzen – Künste und künstlerische Techniken. 1430 – 1550, Köln u. a. 2015, S. 205–229 mit weiterführender Literatur. 18 Iris Brahms, Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016. 19 Brahms 2016 (wie Anm. 18), S. 70–73, S. 81–84. 20 Siehe Christian Müller, Urs Graf. Die Zeichnungen im Kupferstichkabinett Basel, in: Beschreibender Katalog der Zeichnungen, Bd. III. Die Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts, Teil  2B, Basel 2001, Zeichnung Nr. 72, Farbtaf. 14: Urs Graf, Dirne, das Kleid anhebend, 1516, Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. U. X.67; Michael Egli, Hans C. von Tavel, Niklaus Manuel. Catalogue raisonné, 2 Bde., Basel 2017, Bd. 2, Nr. 40 mit Farbabb.: Niklaus Manuel, Hexe, den Schädel Manuels durch die Lüfte tragend, 1513, Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. U. X.6 und passim. – Urs Graf fertigte auch verschiedene Weißlinienschnitte an (Müller 2001, Druckgraphik Nr. 12, 13, 16, 17) und zeichnete mit weißen Linien einen Bannerträger auf dunkelbraunviolett grundiertes Vergé: Urs Graf, Schreitender Bannerträger, 1514, Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. U.XVI.51; Müller 2001, Zeichnung Nr. 49, Farbtaf. 8.

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these reasons usually cannot be known by us.”13 This is the basis for later approaches determining the a priori conditions of experience or an abstract understanding of causality, for example by Immanuel Kant. To return to the aesthetic question of coloured ground and the drawn evidentia of coloured papers: The brief recourse to philosophical concepts may once again emphasise the interdependence of the ground and the space created by a drawing, but on the other hand, the dimension of an unfathomable ground or potential, as it can be brought into play for the coloured papers. When Heidegger, to whom Nancy refers many times, reiterates the discussion of the sentence “Nihil est sine ratione.” – “Nothing is without reason.”14 and states that ultimately the Why remains unresolved in it, but turned positively it emerges: “’Ground/ Reason’ means ‘being’. ‘Being’ means ‘ground/reason’.”15 If this is the case, then an inaccessible enabling condition of what enters into existence and thus into appearance is determined. Based on these considerations, it is perhaps possible to formulate a provisional interpretive horizon for drawings placed on or emerging from coloured grounds: In their being the substantiation to exist becomes apparent, their ground as potential with which they continuously interact. Coloured ground layers mark the extent of the picture (and field of vision), setting it apart from what surrounds it and forming a pictorial space. At the same time, coloured grounds allow something to emerge, allow something to visually take shape, lifted from and at the same time distinct from the ground. Due to this double distinction, we may understand coloured grounds as reason (Grund) and substantiation (Begründung) and make it possible to view the image, according to Nancy, as evidence of an underlying invisibility that emerges instantaneously, as a singular variation of a “totality of sense or a truth”.16

2. Positions of the Drawing Technique For drawing on coloured ground, artists used either blue paper – or so‑called carte azzurre (fig. 2) made of blue working rags, often with dyes such as European woad or indigo imported from Asia added for intensification.17 Alternatively, artists primed the sheets with multiple layers of one colour – this was the only conceivable way of obtaining coloured paper north of the Alps before 1500.18 For this technique, green and grey were preferred 13 Gottfried Wilhelm Leibniz, Monadology, ed. Robert Latta, New York 2021, § 32. Original text: Monadolo­ gie, 1714. 14 Heidegger 1991 (as fn. 12), p. 3. 15 Heidegger 1991 (as fn. 12), p. 126. Ground, reason and cause are linked in the German Grund, which allows thought about these concepts as connected in continental European philosophy of the 20th century. 16 Nancy 2005 (as fn. 1), p. 12. 17 Iris Brahms, Schnelligkeit als visuelle und taktile Erfahrung. Zum chiaroscuro in der venezianischen Zeichenpraxis, in: Magdalena Bushart, Henrike Haug (eds.), Interdependenzen – Künste und künstle­ rische Techniken. 1430–1550, Cologne et al. 2015, pp. 205–229 with further reading. 18 Iris Brahms, Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016.

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2  Hendrick Goltzius, Sitzende Frau mit stehendem Kind, 1590/91, schwarze und weiße Kreide, auf blauem Vergé, 387 × 623 mm, Haarlem, Teylers Museum, Inv. Nr. K III 020 verso 2  Hendrick Goltzius, Seated Woman with Standing Child, 1590/91, black and white chalk, on blue vergé paper, 387 × 623 mm, Haarlem, Teylers Museum, inv. no. K III 020 verso

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3.a  Taddeo Gaddi, Tempelgang Mariens, um 1328, Metallstift, braun laviert, weiß gehöht, auf grün präpariertem Vergé (oben schwarz, unten blau überarbeitet), 366 × 285 mm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 1222 3.a  Taddeo Gaddi, Presentation of Mary, c. 1328, metalpoint, brown wash, heightened with white, on green prepared vergé paper (reworked black above, blue below), 366 × 285 mm, Paris, Musée du Louvre, inv. no. 1222

3.b  Franken, Geburt Christi, 1482, Feder in Schwarz, weiß gehöht, rosa, gelb und braun koloriert, auf grün präpariertem Vergé, 266 × 188 mm, Erlangen, Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 88 3.b  Franconia, Birth of Christ, 1482, pen-andink drawing in black, heightened with white, coloured pink, yellow and brown, on green prepared vergé paper, 266 × 188 mm, Erlangen, University Library, inv. no. B 88

initially (fig. 3.a–b), although the colour spectrum in Italy had already expanded immensely during the 15th century to include shades of pink and yellow (fig. 4.a–f). North of the Alps, the colours of the grounds were only more varied after 1500 with Albrecht Altdorfer (fig. 5.a–f), but remained more in the range of achromatic, muted colours.19 Urs Graf and Niklaus Manuel added a glaring red or orange.20 19 Brahms 2016 (as fn. 18), pp. 70–73, pp. 81–84. 20 See Christian Müller, Urs Graf. Die Zeichnungen im Kupferstichkabinett Basel, in: Beschreibender Katalog der Zeichnungen, vol. III. Die Zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts, part 2B, Basel 2001 Zeichnung no. 72, table 14: Urs Graf, Harlot, lifting the dress, 1516, Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, inv. no. U. X.67; Michael Egli, Hans C. von Tavel, Niklaus Manuel. Catalogue raisonné, 2 vols., Basel 2017, vol. 2, no. 40 with table: Niklaus Manuel, Witch, carrying Manuel's skull through the air, 1513, Basel,

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4.a  Filippino Lippi, Liegende Gewandstudie, letztes Drittel des 15. Jhs., Metallstift, schwarze Kreide, weiß gehöht, auf gelblich-grün präpariertem Vergé, 125 × 180 mm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 9862 4.a  Filippino Lippi, Reclining Drapery Study, last third of the 15th century, metalpoint, black chalk, heightened with white, on yellowish-green prepared vergé paper, 125 × 180 mm, Paris, Musée du Louvre, inv. no. 9862 4.b  Fra Filippo Lippi, Weibliche Gewandstudie, 1460–69, Silberstift und schwarze Kreide, braun laviert, auf orange-rosa präpariertem Vergé, 307 × 166 mm, London, The British Museum, Inv. Nr. 1895,0915.442 4.b  Fra Filippo Lippi, Female Drapery Study, 1460–69, silverpoint and black chalk, brown wash, on orange-­pink prepared vergé paper, 307 × 166 mm, London, The British Museum, inv. no. 1895,0915.442

4.c  Benozzo Gozzoli, Belagerung von Perugia durch den Gotenkönig Totila, 1461, Metallstift, Feder in Braun, weiß gehöht, auf violett präpariertem Vergé, 316 × 420 mm, Florenz, Gallerie degli Uffizi, Inv. Nr. 333 E 4.c  Benozzo Gozzoli, Siege of Perugia by Totila, 1461, metalpoint, pen and brown ink, heightened with white, on purple prepared vergé paper, 316 × 420 mm, Florence, Gallerie degli Uffizi, inv. no. 333 E

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4.d  Sandro Botticelli (Kreis/Werkstatt), Gewandstudien, um 1500, Silberstift, weiß gehöht, auf rosa präpariertem Vergé, 200 × 280 mm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 678v 4.d  Sandro Botticelli (Circle/Workshop), Drapery Studies, c. 1500, silverpoint, heightened with white, on pink prepared vergé paper, 200 × 280 mm, Paris, Musée du Louvre, inv. no. 678v

Gezeichnete Evidentia / Drawn Evidentia

4.e  Benozzo Gozzoli, einer der Dioskuren mit Pferd, 1447–49, Silberstift, grau ­laviert, weiß gehöht, auf blau präpariertem Vergé, 359 × 246 mm, London, The British Museum, Inv. Nr. Pp. 1,18 4.e  Benozzo Gozzoli, One of the Dioscuri with Horse, 1447–49, silverpoint, grey wash, heightened with white, on blue prepared vergé paper, 359 × 246 mm, London, The British Museum, inv. no. Pp. 1,18

4.f  Filippino Lippi, Portraitstudie, letztes Drittel des 15. Jhs., Metallstift, schwarze Kreide, weiß gehöht, auf gelbocker präpariertem Vergé, 120 × 98 mm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 2665 4.f  Filippino Lippi, Study for a Portrait, last third of the 15th century, metalpoint, black chalk, heightened with white, on yellow-ochre prepared vergé paper, 120 × 98 mm, Paris, Musée du Louvre, inv. no. 2665

The choice of colour tone was sometimes a matter of semantic connotations; for example, in her contribution to this volume, Claudia Reufer discusses how a delicate shade of pink (fig. 6.a–b) used for the ground creates a striking correspondence with the skin tone of the figures in the so‑called Gozzoli album in Rotterdam. The classification of the ground colour as a so‑called midtone turns out to be more important. Giorgio Vasari states the following: “Other drawings in light and shade [chiaroscuro drawings; IB] are executed on tinted [col­ oured; IB] paper which gives a middle shade [midtone; IB]. […] This method is very pictorial,

Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, inv. no. U. X.6 and passim. – Urs Graf made also various white-line woodcuts (Müller 2001, Druckgraphik no. 12, 13, 16, 17) and drew a banner bearer with white lines on a dark brown-violet prepared vergé paper: Urs Graf, Striding standard bearer, 1514, Basel, Kunstmuseum, Kupferstichkabinett, inv. no. U.XVI.51; Müller 2001, Zeichnung no. 49, table 8.

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5.a  Albrecht Altdorfer, Hexensabbat, 1506, Feder in Schwarz, weiß gehöht, auf ziegelrot präpariertem Vergé, 179 × 124 mm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 18.867 5.a  Albrecht Altdorfer, Witches' Sabbath, 1506, pen and ink in black, heightened with white, on brick-red prepared vergé paper, 179 × 124 mm, Paris, Musée du Louvre, inv. no. 18.867

5.b  Albrecht Altdorfer, Der tote Pyramus, ca. 1510/11, Feder in Schwarz, weiß gehöht, auf blau präpariertem Vergé, 213 × 156 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 83 5.b  Albrecht Altdorfer, The Dead Pyramus, c. 1510/11, pen-and-ink drawing in black, heightened with white, on blue prepared vergé paper, 213 × 156 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 83

5.c  Albrecht Altdorfer, Hl. Hieronymus, ca. 1510, Feder in Schwarz, weiß gehöht, auf blaugrün präpariertem Vergé, 306 × 144 mm, London, The British Museum, Inv. Nr. 1904,0711.1 5.c  Albrecht Altdorfer, St. Jerome, c. 1510, pen-and-ink drawing in black, heightened with white, on blue-green prepared vergé paper, 306 × 144 mm, London, The British Museum, inv. no. 1904,0711.1

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5.d  Albrecht Altdorfer, Zwei allegorische Frauendarstellungen (Pax und Minerva), 1506, Feder in Schwarz, weiß gehöht, auf rotbraun präpariertem Vergé, 173 × 123 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 1691 5.d  Albrecht Altdorfer, Two allegorical representations of women (Pax and Minerva), 1506, pen-and-ink drawing in black, heightened with white, on red-brown prepared vergé paper, 173 × 123 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 1691

5.e  Albrecht Altdorfer, Christus am Ölberg, 1509, Feder in Schwarz, weiß gehöht, auf rostbraun präpariertem Vergé, 210 × 157 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 111 5.e  Albrecht Altdorfer, Christ on the Mount of Olives, 1509, pen-and-ink drawing in black, heightened with white, on rust-brown prepared vergé paper, 210 × 157 mm, Berlin, Kupferstich­ kabinett, KdZ 111

5.f  Albrecht Altdorfer, Opferung Isaaks, um 1511, Feder in Schwarz, weiß gehöht, auf graugrün präpariertem Vergé, 192 × 158 mm, Wien, ­Albertina, Inv. Nr. 3.212, D. 217 5.f  Albrecht Altdorfer, Sacrifice of Isaac, c. 1511, pen-and-ink drawing in black, heightened with white, on grey-green prepared vergé paper, 192 × 158 mm, Vienna, Albertina, inv. no. 3.212, D. 217

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Bei der Wahl des Farbtons ging es zwar mitunter auch um farbsemantische Konnota­ tionen, so entsteht beispielsweise bei einem zarten Rosaton (Abb. 6.a–b) der Grundierung eine schlagende Übereinstimmung mit dem Hautton der Figuren, worauf Claudia Reufer in ihrem Beitrag zum sogenannten Gozzoli-Album in Rotterdam zu sprechen kommt. Doch als wesentlicher stellt sich die Einstufung der Grundierungsfarbe als sog. Mittelton heraus. Bei Giorgio Vasari liest es sich wie folgt: „Chiaroscuro-Zeichnungen führt man auf farbigem Papier aus, das den mittleren Tonwert darstellt. […] Diese Methode ist sehr malerisch und vermittelt eher das Prinzip des Kolorits.“21 Einleuchtend ist diese Bilanz insofern, als man von dieser Ausgangsbasis aus mit einem dunkel zeichnenden Instrument wie einem Silberstift (s. Abb. 3.a, 4.a–f) oder einer Feder (s. Abb. 3.b, 5.a–f), einem Pinsel (Abb. 7.a) oder schwarzer Kreide (Abb. 7.b) zeichnen, um daraufhin – und das ist weitaus seltener auf weißem Papier festzustellen22 – mit Bleiweiß etwa die Reflexionen einer fingierten Beleuchtung herauszumodellieren sowie Glanzlichter zu setzen. Es geht also unter weitgehendem Ausschluss von Bunt- und Lokalfarben um die Licht-Schatten-Verteilung, und mehr noch um deren über die gesamte Figur hinweg ausbalancierte Gestaltung. Dieser ganzheitliche Blick auf die Komposition lässt sich in der Kunsttheorie schon bei Alberti bemerken und mit Leonardo auf eine komplexere Stufe bringen, bevor in den venezianischen Kunstdialogen Mitte des 16. Jahrhunderts die Prämisse einer unione dei colori formuliert wird.23 Dem Zeichnen auf kolorierten Papieren ist die „ganzheitliche“ Behandlung des Grundes von vornherein eingeschrieben, auch wenn nicht zu jeder Zeit und auf jeder Zeichnung dieses Potential tatsächlich ausgeschöpft wurde. Dennoch waren eine gesonderte Wahrnehmung und Problematisierung dessen unumgänglich, wie sich die entstehende Figur zum Grund verhält, wie sie sich davon abhebt oder damit verschmilzt. Entsprechend steckt auch bei einem linearen Duktus idealerweise in jedem Strich jenseits seiner formal-deskriptiven Funktion immer auch eine Information zum Licht-Schatten-Wert sowie zur räumlichen Anbindung, etwa durch die Anordnung, Ausrichtung oder ab- oder anschwellende Ausführung. So aufwendig das Verfahren durch die Präparierung des Papiers erscheinen mag, ist die Technik doch mit Blick auf das angedeutete Darstellungspotential von einer überschaubaren Selektion an Materialien bestimmt. Mithin liegt darin der Grund, dass in diesem Verfahren überhaupt eine solche Fokussierung wesentlicher Darstellungsfragen zum Helldunkel möglich war.

21 Giorgio Vasari, Einführung in die Künste der Architektur, Bildhauerei und Malerei. Die künstlerischen Techniken der Renaissance als Medien des disegno, Mattheo Burioni (Hrsg.), Berlin 20122, S. 104. 22 Zu den herausragenden Ausnahmen gehört Matthias Grünewalds Zeichnungsœuvre, siehe u. a. Iris Brahms, Mit Licht gemalt und gezeichnet. Grünewalds Zeichnungen und Grisaillen, in: Michael Roth, Antje-Fee Köllermann (Hrsg.), Matthias Grünewald. Zeichnungen und Gemälde (Ausst. Kat. Kupferstichkabinett/Berlin), Ostfildern-Ruit 2008, S. 54–61. 23 Vgl. Jana Graul, „Il principio e la porta del colorire“. Zur Rolle farbiger Fonds in der Florentiner Zeichnung des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 52 (2008), S. 6–22; Brahms 2015 (wie Anm. 17).

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6.a  Pisanello, Taccuino di Viaggio, Allegorie der Luxuria, um 1426, Feder in Braun, auf mit rötlicher Wasserfarbe überzogenem Vergé, 129 × 152 mm, Wien, Albertina, Inv. Nr. 24018r 6.a  Pisanello, Taccuino di Viaggio, Allegory of Luxuria, c. 1426, pen-and-ink drawing in brown, on vergé paper with reddish wash, 129 × 152 mm, Vienna, Albertina, inv. no. 24018r

6.b  Meister des Tucher-Altares, Apokalyptischer Christus mit den Heiligen Petrus und Johannes Evangelista, 1440er, Feder und Pinsel in Grau, grau laviert, weiß gehöht, auf mit rötlicher Wasserfarbe überzogenem Vergé, 248/257 × 191 mm, Erlangen, Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 29 6.b  Master of the Tucher Altar, Apocalyptic Christ with Saints Peter and John Evangelista, 1440s, pen and brush in grey, grey wash, heightened with white, on vergé paper with reddish wash, 248/257 × 191 mm, Erlangen, University Library, inv. no. B 29

and best shows the scheme of colouring.”21 This midtone allows the artist to draw with a dark drawing instrument such as a silver point (see figs. 3.a, 4.a–f) or a pen (see figs. 3.b, 5.a–f), a brush (fig. 7.a) or black chalk (fig. 7.b), in order then – and this is far less common on white paper22 – to use lead white to model out reflections of a fictitious source of light,

21 Giorgio Vasari, Introduction to the three arts of design, architecture, sculpture and painting, prefixed to the Lives of the most excellent painters, sculptors and architects, Louisa Maclehose, Gerard Baldwin Brown (eds.), New York 1970, p. 213. 22 Among the outstanding exceptions is Matthias Grünewald's œuvre of drawings, see, among others, Iris Brahms, Mit Licht gemalt und gezeichnet. Grünewalds Zeichnungen und Grisaillen, in: Michael Roth,

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7.a  Albrecht Dürer, Kopf des Jesusknaben, 1506, Pinsel in Schwarz und Grau, grau laviert, weiß gehöht, auf blauem Vergé, 273 × 210 mm, Wien, ­Albertina, Inv. Nr. 3106 7.a  Albrecht Dürer, Head of the Twelve Year Old Christ, 1506, brush drawing in black and grey, grey wash, heightened with white, on blue vergé paper, 273 × 210 mm, Vienna, Albertina, inv. no. 3106

7.b  Vittore Carpaccio, Profilbildnis eines Jünglings, 1490er, schwarze Kreide, laviert, weiß gehöht, auf blauem Vergé, 265 × 187 mm, ­Oxford, Ashmolean Museum, Inv. Nr. 0282 7.b  Vittore Carpaccio, Profile portrait of a youth, 1490s, black chalk, wash, heightened with white, on blue vergé paper, 265 × 187 mm, ­Oxford, Ashmolean Museum, inv. no. 0282

3. Positionen des Buchkonzeptes Von diesem Punkt geht der Ansatz des Bandes aus: Zwar kommt in anderen Zeichentechniken das Licht-Schatten-Studium ebenso vor, das neuzeitliche Zeichnen ist letztlich kaum ohne dem zu denken, aber vor allem das Zeichnen auf kolorierten Papieren begünstigte es und stellte damit einen wesentlichen Nutzen im Vorfeld von Malerei dar. Die ästhetisch äußerst ansprechende Technik war zudem besonders für bildlich abgeschlossene Kompositionen geeignet, was zum Status eigenständiger Kunstwerke führte. In beiden Funktionsbereichen geht es eklatant um Aushandlungsprozesse, die die tatsächliche Materialität markieren, welche in der medialen Mittlerfunktion sinnstiftend eingesetzt wird, um mit Darstellungsstrategien von Referenz und Präsenz die Betrachtenden zu erreichen. Unter den Zeichentechniken bietet sicherlich diejenige, für die ich im Deutschen gern den Begriff der „Farbgrund-

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for example, as well as adding highlights. The technique of drawing on coloured paper thus focuses on balancing the distribution of light and shadow across the entire figure, to the exclusion of bright and local colours. We can observe this holistic approach to composition as early as Alberti in art theory, and Leonardo brings it to a more complex level before the premise of a unione dei colori was formulated in Venetian art discourse in the mid-16th century.23 The pervasive role of the ground is inscribed in the technique of drawing on coloured paper from the outset, even if this potential was not exploited at all times and in every drawing. Nevertheless, a certain awareness and problematisation of how the emerging figure relates to the ground, how it stands out from it or merges with it, were unavoidable. Accordingly, even with a linear style, ideally each stroke always contains information on the light-shadow value as well as on the spatial connection beyond its formally descriptive function. These values are conveyed through the arrangement, alignment or a swelling or diminishing stroke. Even if the process of preparing the paper may seem elaborate, the technique is characterised by a manageable selection of materials and considerable representative potential nevertheless. This is the reason why this process made it possible to pose essential questions of chiaroscuro representation.

3. Positions of the Book Concept This is the book’s starting point: While other drawing techniques equally allow studying light and shadow and it is near impossible to conceive of early modern drawing without this focus, it was drawing on coloured papers that favoured the chiaroscuro above all and thus represented an essential step in the preparation of painting. The aesthetically appealing technique was also suitable for pictorially self-contained compositions, and led to works of art in their own right. Both areas of use are clearly about materiality as a basis for pictorial fiction, engaging viewers with representational strategies of reference and presence. The drawing technique for which I would like to establish the term “Farbgrundzeichnung” in German24 enables the artist to suggest how the subsequent painting should be executed, already integrating semantic and functional content and material in their complex interaction. – This is a premise that the painting of the maniera moderna, as Vasari described the

Antje-Fee Köllermann (eds.), Matthias Grünewald. Zeichnungen und Gemälde (exh. cat. Kupferstichkabinett/Berlin), Ostfildern-Ruit 2008, pp. 54–61. 23 Cf. Jana Graul, “Il principio e la porta del colorire”. Zur Rolle farbiger Fonds in der Florentiner Zeichnung des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 52 (2008), pp. 6–22; Brahms 2015 (as fn. 17). 24 Brahms 2016 (as fn. 18), pp. 59–65; Iris Brahms, Am Übergang zum Sichtbaren. Graphische Techniken und das Helldunkel, in: Claudia Lehmann, Norberto Gramaccini, Johannes Rößler, Thomas Dittelbach (eds.), Chiaroscuro als ästhetisches Prinzip. Kunst und Theorie des Helldunkels 1300–1550, Berlin/New York 2018, pp. 223–239, pp. 237–239.

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zeichnung“ etablieren möchte,24 besonderen Anhaltspunkt für Fragen, wie ein Bild mit welchem semantischen und funktionalen Gehalt ausgeführt werden müsse, damit es die unterschiedlichen Anforderungen in ihrer jeweiligen Komplexität ineinander verschränkt und mit seiner materiellen Bestimmung zum Ausdruck bringt. – Eine Prämisse, die die Malerei der maniera moderna, womit Vasari den Stil der Spätrenaissance bezeichnete,25 zu ihrer künstlerischen Vollendung führte, da sie dem Bild laut Klaus Krüger „in Hinblick auf eine religiöse oder sei es auch soziale oder ethische Wertbestimmung den Geltungsstatus einer verbindlichen Sinnhaltigkeit und übergreifend anerkannten Relevanz verlieh.“26 Es wird in den Beiträgen, die Fallstudien südlich wie nördlich der Alpen der Frühen Neuzeit zusammentragen, verfolgt, welche materiellen Bedingungen zu welchem Darstellungsmodus führten, aber auch wie diese Voraussetzungen im Dienste der medialen Vermittlung zu besonderen Kompositionsstrukturen entwickelt wurden, um die Aussage verständlich und innerhalb der sakralen oder profanen Kontexte angemessen zu gestalten. Dabei gehört zur Leitfrage, inwieweit hier eine herauszuhebende Korrelation zwischen Mittel und Semantik besteht. Lässt sich mit Gottfried Boehms und Matteo Burionis Band „Der Grund. Das Feld des Sichtbaren“ von 2012 eine ganze Reihe wertvoller Anknüpfungspunkte für das Thema ermitteln,27 ist doch ein wesentlicher Unterschied zu den Farbgrundzeichnungen entscheidend, nämlich dass die mit Kreide- oder Gipsgrund glatt gespachtelte Holztafel für eine Malerei des 15. Jahrhunderts zum Beispiel gemeinhin zur vollständigen Übermalung bestimmt war. Wenn sich Boehm und Burioni dem Grund als technische Voraussetzung für die künstlerischen Darstellungen widmen und diese Grundbedingung zum kulturhistorischen Ausgangspunkt für jedwede Spur oder Darstellung machen, wird die Frage danach aufgeworfen, wie sehr sich die Textur dieses Grundes bzw. Untergrundes auf das „fertige“ Erscheinungsbild auswirkt. Dieser Aspekt wird zumal bei Gemälden dringlich, die den Malgrund partiell im abgeschlossenen Stadium der Malerei stehen lassen. In Ausnahmen gibt es solche Beispiele auch schon im 15. Jahrhundert, wie am Melun-Diptychon Jean Fouquets zu beobachten ist.28 Auf der Antwerpener Tafel (Abb. 8) sind die Haare der Madonna am Hals nicht wie alles andere detailreich ausgeführt, was wohl damit zu erklären ist, dass diese Partie ansonsten zu präsent wäre und von den offenbar für wichtiger erachteten Details und Anordnungen ablen-

24 Brahms 2016 (wie Anm. 18), S. 59–65; Iris Brahms, Am Übergang zum Sichtbaren. Graphische Techniken und das Helldunkel, in: Claudia Lehmann, Norberto Gramaccini, Johannes Rößler u. a. (Hrsg.), Chiaroscuro als ästhetisches Prinzip. Kunst und Theorie des Helldunkels 1300–1550, Berlin/New York 2018, S. 223–239, S. 237–239. 25 Giorgio Vasari, Die Anfänge der Maniera Moderna. Giorgio Vasaris Viten. Proemio, Leonardo, G ­ iorgione, Correggio, Alessandro Nova (Hrsg.), Hildesheim 2001. 26 Klaus Krüger, Grazia. Religiöse Erfahrung und ästhetische Evidenz, Göttingen 2016, S. 68. 27 Boehm/Burioni 2012 (wie Anm. 3). 28 Stephan Kemperdick (Hrsg.), Jean Fouquet. Das Diptychon von Melun (Ausst. Kat. Gemäldegalerie/ Berlin), Petersberg 2017.

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8  Jean Fouquet, Melun-Diptychon, rechter Flügel: Von Engeln umgebene Madonna, 1452/1460, Eichenholz, 94,2 × 85,4 cm, Antwerpen, Koninklijk Museum voor Schone Kunsten, Inv. Nr. 132 8  Jean Fouquet, Melun diptych, right wing: Madonna surrounded by angels, 1452/1460, oak wood, 94.2 × 85.4 cm, Antwerp, Koninklijk ­Museum voor Schone Kunsten, inv. no. 132

style of the late Renaissance,25 led to its artistic perfection, since, according to Klaus Krüger, it gave the image “the status of a binding meaning and recognized relevance with regard to a religious, social or ethical value.”26 The contributions bring together case studies both south and north of the Alps in the early modern period, in order to trace which material conditions led to which modes of representation. They also consider how these conditions were developed into compositional structures in order to make a statement comprehensible and appropriate within the sacred or profane contexts. The central question here is to what extent there is a correlation between artistic means and semantics. The 2012 volume edited by Gottfried Boehm and Matteo Burioni on the topic of the ground as field of the visible identifies a whole series of valuable points for our topic.27 Nevertheless, there is one essential difference between the ground of painting and coloured ground drawings: A wooden panel in the 15th century, smoothed with a ground layer of chalk or plaster was usually intended to be overpainted completely. When Boehm and Burioni turn their attention to the ground as a technical prerequisite for artistic representation and turn the ground into the cultural and historical starting point for any and every trace or representation, their approach raises the question how much the texture of this ground or ground layer affects the “finished” appearance.

25 Giorgio Vasari, Die Anfänge der Maniera Moderna. Giorgio Vasaris Viten. Proemio, Leonardo, Gior­ gione, Correggio, Alessandro Nova (ed.), Hildesheim 2001. 26 Klaus Krüger, Grazia. Religiöse Erfahrung und ästhetische Evidenz, Göttingen 2016, p. 68. Translated by Tina Bawden. 27 Boehm/Burioni 2012 (as fn. 3).

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ken würde. Später dann erfährt beispielsweise mit Rembrandt die sogenannte Imprimitur – also die abschließende, eingefärbte Schicht des Malgrundes – eine neue Wertigkeit, indem sie im Zuge des Malprozesses an verschiedenen Stellen nicht vollends verdeckt ist, wie etwa auf dem Berliner Leinwandgemälde mit Moses zerschmettert die Gesetzestafeln der lockere Darstellungsmodus insbesondere um die Figur herum weitreichend den schlammigen Ton der Imprimitur für die raue Wirkung der felsigen Umgebung einbezieht (Abb. 9).29 Warum nun ausgerechnet Rembrandt keine Farbgrundzeichnungen anfertigt, sondern zu eher günstigen Papieren greift, die er häufig im Hintergrund der Darstellung flächig laviert, hat Joost Keizer zum Thema seines Beitrags in diesem Band gewählt. Im Gegensatz zur Imprimitur ist in grundierten Zeichnungen die Farbigkeit des Papiers oder der Grundierung nicht nur erster Vorbereitungsschritt, sondern sie bleibt als ästhetisches Charakteristikum auch nach Vollendung des Zeichenprozesses nahezu vollständig bestehen und erhält besonders in einem großzügig aufgetragenen Duktus eine atmosphärische Wirkungsebene (Abb. 10, s. Abb. 4.c). Wieweit Künstler sich diesen Umstand zunutze gemacht haben, was er begünstigte und welche möglicherweise anachronistischen und zukunftsweisenden Experimente daraus hervorgingen, wird in unterschiedlichen Fallstudien dieses Bandes herausgestellt. Mit dem gesteckten Rahmen wird u. a. das Ziel verfolgt, ästhetische Erscheinungsformen, verfahrenstechnische Variationen und mitunter materielle Besonderheiten aufzufächern, um nicht zuletzt Aufschlüsse über die Funktionsbreite der Zeichnungen wie über ihren im Wandel befindlichen Status zu ermitteln. Festzuhalten ist, dass sich die Forschung zu verschiedenen Zeichentechniken seit dem Millennium intensiviert hat. So gibt es Untersuchungen eigens zu Metall- und Silberstiften, zum Rötel und zum sog. Pastell,30 um nur eine kleine Auswahl zu nennen. Diese Untersuchungen stehen letztlich vor dem Hintergrund einer Erweiterung der kunsthistorischen Forschung durch kunst-anthropologische Aspekte sowie einer Zuwendung zu den künstlerischen Materialien, Herstellungsprozessen und ‑bedingungen, die eine ebenso grundlegende wie bereichernde Perspektive zum bis heute platonisch geprägten Kanon bieten.31 Der mit ehrwür29 vgl. Nicola Suthor, Rembrandts Rauheit. Eine phänomenologische Untersuchung, Paderborn 2014. 30 Siehe etwa für einen Überblick: Stacey Sell, Hugo Chapman (Hrsg.), Drawing in Silver and Gold. ­Leonardo to Jasper Johns (Ausst. Kat. National Gallery of Art/Washington, The British Museum/London, Oxford / Princeton, NJ 2015; Iris Brahms, REV‑CONF: Red Chalk Drawings. Sources, Techniques and Styles, c. 1500–1800 (Florence, Italy, September 18–19, 2019), in: ArtHist.net, Dec 16, 2019 , aufgerufen am 29.9.2020; Thea Burns, Philippe Saunier (Hrsg.), The Art of the pastel, New York 2015. 31 Aus der inzwischen reichen Literatur seien herausgegriffen: Hans Belting, Bild-Anthropologie. Entwürfe für eine Bildwissenschaft, München 2001; Philip Sohm, Style in the art theory of early modern Italy, Cambridge 2001; Christiane Kruse, Wozu Menschen malen. Historische Begründungen eines Bildmediums, München 2003; Nicola Suthor, „Il pennello artificioso“. Zur Intelligenz der Pinselführung, in: Helmar Schramm u. a. (Hrsg.), Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert, Berlin 2006, S. 114–136; Philippe Cordez, Werkzeuge und Instrumente in Kunstgeschichte und Technikanthropologie, in: Philippe Cordez, Matthias Krüger (Hrsg.), Werkzeuge und Inst-

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9  Rembrandt, Moses zerschmettert die Gesetzes­ tafeln, 1659, Leinwand, 168,5 × 136,5 cm, Berlin, Gemäldegalerie 9  Rembrandt, Moses Breaking the Tablets of the Law, 1659, canvas, 168.5 × 136.5 cm, ­Berlin, Gemäldegalerie

10  Albrecht Dürer, Kopf des Evangelisten Markus, 1526, Bleizinngriffel, weiß gehöht, auf beige präpariertem Vergé, 373 × 264 mm, ­Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 46 10  Albrecht Dürer, Head of St Mark the Evangelist, 1526, lead pencil, heightened with white, on beige prepared vergé paper, 373 × 264 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 46

This aspect becomes particularly urgent in paintings that partially retain the ground layer in the completed stage of painting. There are a few such examples in the 15th century, as can be observed in Jean Fouquet's Melun diptych. In the Antwerp panel (fig. 8),28 the hair visible behind the Madonna's neck is not executed in as much detail as everything else, probably to ensure that this part does not become too present, distracting from details and arrangements considered more important. Later, the so‑called imprimatura – that is, the final, coloured layer of the painting ground – acquires a new value in that it is not completely concealed in various stages of the painting process. In Rembrandt’s canvas painting of Moses Breaking the Tablets of the Law in Berlin, for example, the loose mode of depiction especially around the figure incorporates the muddy tone of the imprimatura for the rough effect of Moses’ rocky surroundings (fig. 9).29 Why Rembrandt, indeed, does not make 28 Stephan Kemperdick (ed.), Jean Fouquet. Das Diptychon von Melun (exh. cat. Gemäldegalerie/Berlin), Petersberg 2017. 29 cf. Nicola Suthor, Rembrandts Rauheit. Eine phänomenologische Untersuchung, Paderborn 2014.

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digen Begriffen wie memoria und fantasia belegte, an den Intellekt des Künstlers gebundene und idealisierte Disegno-Diskurs der neuzeitlichen Kunsttheorie soll durch den neueren Zugriff keinesfalls in Abrede gestellt werden.32 Vielmehr wird angestrebt, die künstlerische Reflexion über Material und Technik sowie über die aufwändig einstudierte und fortwährend perfektionierte Handfertigkeit in Zusammenhang mit den großen Denkfiguren zu setzen und ein Ineinandergreifen dieser komplexen Aushandlungsprozesse als eine unabdingbare, unlösliche Verflechtung sich gegenseitig befruchtender Prozesse zu verstehen. Die nicht zwingende, wenngleich mehrfach legitimierte Kolorierung des Zeichengrundes verhilft zu einer intensivierten und facettenreichen Ausdruckskraft dessen, was in diesem Band unter Evidentia verstanden wird.33 Denn als Surplus eröffnet die Kolorierung weitere Dimensionen, die freilich nicht eindeutig aufzuschlüsseln sind, sondern sich zwischen Abstraktem wie dem Anschein des Atmosphärischen und dem scheinbar Konkreten wie der Plastizität oder der Semantisierung des Farbtons bewegen. In der Tat ist der häufigste Anlass für die Kolorierung des Papiers, eine höhere Komplexität für die Licht-Schatten-Modellierung zu erzielen, indem sich dezidiert die Schattierungen und Lichtreflexionen vom farbigen Mittelgrund aus schon allein von den materialen Bedingungen aus unmissverständlich differenrumente, Berlin 2012, S. 1–20; Wolf-Dietrich Löhr, „Autorità del pennello“. Der Pinsel als Werkzeug und Bedeutungsträger im Tre- und Quattrocento, in: Valeska von Rosen u. a. (Hrsg.), Poiesis. Praktiken der Kreativität in den Künsten der Frühen Neuzeit, Zürich/Berlin 2013, S. 111–153.; Valeska von Rosen, Das Porträt des Bildhauers Juan Martinez Montañés, in: Andreas Beyer u. a. (Hrsg.), Poiesis. Über das Tun in der Kunst, München 2014, S. 1–22; Christy Anderson, Anne Dunlop, Pamela Smith (Hrsg.), The matter of art. Materials, practices, cultural logics, c. 1250–1750, Manchester 2014; die auf inzwischen fünf Bände angewachsene Tagungsreihe von Magdalena Bushart, Henrike Haug (Hrsg.), Interdependenzen. Die Künste und ihre Techniken, Köln 2015-laufend. 32 Wolfgang Kemp hob in seiner bis heute aktuellen Begriffsgeschichte zum disegno 1974 durchaus die vormalige Praxisbezogenheit des disegno bei Petrarca, Cennini, Ghiberti, Filarete und Michelangelo hervor, die infolge Vasaris zunehmend zugunsten einer sich schärfer konturierenden Definition zur Nobilitierung des Disegno-Prinzips an den Rand der Diskussion gedrängt wurde [Wolfgang Kemp, Disegno. Beiträge zur Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 19 (1974), S. 219–240, S. 224–227]. Ulrich Pfisterer folgerte indes ausgehend von Federico ­Zuccaris L‘Idea de‘scultori, pittori e architetti (1607) für die Theoretiker des Cinquecento die Einsicht, dass schon allein bezüglich des Schlüsselbegriffs der vollkommenen Schönheit (bellezza) eine „Geringschätzung der Ausführung gegenüber dem geistigen Entwurf“ nicht zu halten sei. Er begründete dies folgendermaßen: „Wenn sich vollkommene Schönheit nicht durch Gesetze umschreiben läßt, dann gewinnt die konkrete Ausführung des concetto in der Zeichnung als dem Ausdruck des individuellen und ursprünglichen ‚Schaffensvorgangs‘ an Wert.“ [Ulrich Pfisterer, Die Entstehung des Kunstwerks. Federico Zuccaris „L‘Idea de‘scultori, pittori e architetti“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 38 (1993), S. 264–265]. Siehe auch Valeska von Rosen, Mimesis und Selbstbezüglichkeit in Werken Tizians. Studien zum venezianischen Malereidiskurs, Emsdetten/Berlin 2001, S. 426–427; Verena Krieger, Die Farbe als ‚Seele“ der Malerei. Transformationen eines Topos vom 16. Jahrhundert zur Moderne, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 33 (2006), S. 91–112, S. 92; Iris Brahms, Einleitung: Warum Farbe notwendig ist für die Geschichte der Zeichnung, in: Iris Brahms (Hrsg.), Farbe aufs Papier! Synergie und Divergenz in Zeichnungen der Frühen Neuzeit, Petersberg 2020, S. 12–27. 33 Hierzu grundsätzlich auch Gabriele Wimböck, Karin Leonhard, Markus Friedrich (Hrsg.), Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Berlin 2007.

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coloured ground drawings, but resorts instead to cheap papers, which he often treats with a flat wash as background of the representation, is the subject of Joost Keizer's contribution in this volume. In contrast to the imprimatura, in coloured ground drawings the colour of the paper or the ground is not only the first preparatory step, but it remains almost completely in place as an aesthetic characteristic even after the drawing process has been completed. Particularly in drawings with a generous ductus, the ground can thereby acquire an atmospheric level of effect (fig. 10, see fig. 4.c). The various case studies in this volume highlight the extent to which artists took advantage of this feature of drawing on coloured ground, which artistic intentions it aided, and which potentially anachronistic and innovative experiments emerged from it. One of the aims of this volume is to explore aesthetic manifestations, variations in artistic procedure and also material peculiarities in order to gain insights into the range of functions of the drawings and their changing status. Research on various drawing techniques has seen an increase since the turn of the century. There are studies specifically on metal and silverpoint, on red chalk and on the so‑called pastels,30 to name but a few. These studies should be seen against the background of an expansion of art-historical research to include aspects of the anthropology of images as well as an attention to artistic materials, processes and conditions of physical production, which offer a perspective that is as fundamental as it is enriching for the canon which has remained Platonic to this day.31 Our approach in this volume is in no way intended to deny the idealised disegno discourse of early modern art theory, bound to the artist's intellect and is docu-

30 See for instance for an overview: Stacey Sell, Hugo Chapman (eds.), Drawing in Silver and Gold. L­ eonardo to Jasper Johns (exh. cat. National Gallery of Art/Washington, The British Museum/London, Oxford / ​ Princeton, NJ 2015; Iris Brahms, REV‑CONF: Red Chalk Drawings. Sources, Techniques and Styles, c. 1500–1800 (Florence, Italy, September 18–19, 2019), in: ArtHist.net, Dec 16, 2019 , last accessed 29.9.2020; Thea Burns, Philippe Saunier (eds.), The Art of the pastel, New York 2015. 31 There is a large body of literature on this topic. The following publications may be singled out: Hans Belting, An Anthropology of Images. Picture, Medium, Body, Thomas Dunlap (transl.), Princeton/Oxford 2011; Philip Sohm, Style in the art theory of early modern Italy, Cambridge 2001; Christiane Kruse, Wozu Menschen malen. Historische Begründungen eines Bildmediums, Munich 2003; Nicola Suthor, “Il pennello artificioso”. Zur Intelligenz der Pinselführung, in: Helmar Schramm et al. (eds.), Instrumente in Kunst und Wissenschaft. Zur Architektonik kultureller Grenzen im 17. Jahrhundert, Berlin 2006, pp. 114– 136; Philippe Cordez, Werkzeuge und Instrumente in Kunstgeschichte und Technikanthropologie, in: Philippe Cordez, Matthias Krüger (eds.), Werkzeuge und Instrumente, Berlin 2012, pp. 1–20; Wolf-Dietrich Löhr, “Autorità del pennello. Der Pinsel als Werkzeug und Bedeutungsträger im Tre- und Quattrocento, in: Valeska von Rosen et al. (eds.), Poiesis. Praktiken der Kreativität in den Künsten der Frühen Neuzeit, Zurich/Berlin 2013, pp. 111–153; Valeska von Rosen, Das Porträt des Bildhauers Juan Martinez Montañés, in: Andreas Beyer et al. (eds.), Poiesis. Über das Tun in der Kunst, Munich 2014, pp. 1–22; Christy Anderson, Anne Dunlop, Pamela Smith (eds.), The matter of art. Materials, practices, cultural logics, c. 1250–1750, Manchester 2014; the conference series by Magdalena Bushart, Henrike Haug (eds.), Interdependenzen. Die Künste und ihre Techniken, Cologne 2015-ongoing.

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zieren lassen. Damit – so sollte man meinen – entstünde auch mehr Klarheit in der Darstellung. Die unabdingbare Überlagerung besteht jedoch darin, dass die jeweilige Kolorierung die gesamte Darstellungsfläche bedeckt und demzufolge als Grundlage für jedes Detail der Darstellung gilt. Wenn es nun farbsemantisch triftig scheint, Mariens Mantel in Blautönen wiederzugeben, muss der Umstand ausgehalten werden, dass ihr Gesicht ebenso blau ist. Umgekehrt kann es besonders überzeugend sein, einen hellroten Grundierungston als Inkarnat anzusehen; doch zugleich sind Haar und Kostüm derselben Figur ebenfalls zartrosa eingefärbt, solange nicht partiell einige Farben ergänzt werden. Was aus dieser einheitlichen Farbigkeit demzufolge vor allem hervorgeht, ist eine intensivierte atmosphärische Wirkung, die selbstredend suggestiven Charakters ist.34 Die durch den Farbfond und die weiße Modellierung erweiterten Darstellungsmittel einer Zeichnung führen zwar einerseits zu erhöhter Präzision, doch andererseits zu einer dem Visuellen eigenen Komplexität und Präsenz, die sich nur bedingt begrifflich fassen lässt. In dieser Referenzialität des Medialen, d. h. der materielle Produktionsverlauf des Bildes als Bezugsgröße der Wirklichkeit sowie die stets mitzudenkende Selbstreferenzialität der Bilder, kommt die Verweiskategorie der Evidentia ins Spiel. Der offene Zeichnungsduktus spannt sich wie ein Netz über die farbige Grundierung. In seiner Transparenz gibt er den Blick auf die Fläche frei, animiert sie jedoch im gleichen Zug aus ihrer Zweidimensionalität heraus zu einer plastischen Figuration. Dadurch wird sowohl der Zeichenvorgang an sich anschaulich, als auch das Sehen an sich thematisiert wird, indem die Schwelle zur Fiktion offenbar wird. Aus dieser Wahrnehmung entsteht eine andere ästhetische Erfahrung. Mit der Nachvollziehbarkeit des Zeichenvorgangs bei der Betrachtung geht ein intensivierter Einblick in produktionsästhetische Lösungen einher, so dass weit mehr als üblich ein Verständnis für den Herstellungsprozess in die Rezeptionsästhetik einfließt. In beiden Perspektiven verbleibt der Farbgrund im Potentialis und wird nie ganz konkret in die Darstellung eingebunden. Vielmehr trägt er als diffuse Mitte zu einem semantischen Changieren zwischen körperlichem Volumen und atmosphärischer Tiefenräumlichkeit bei. Durch etwaige Akzentsetzungen des Zeichenvortrags – seien es pointierte Glanzlichter, verstärkte Schattierungen oder auch buntfarbige Ergänzungen – wird die Blickführung der Betrachtenden gelenkt, wobei umgekehrt das Abdriften bestimmter Partien einkalkuliert ist und damit Übergänglichkeiten entstehen, die mit dem semantischen, atmosphärischen Potential des Farbgrundes verschmelzen. Die zwischen Bestimmtheiten und Übergänglichkeiten situierte Farbatmosphäre stellt die Möglichkeit der Verschiebung bereit, wenn etwa Momenthaftes eine Bewegung einführt, die einen Weitergang andeutet. Diese Optionen bedingen ein Evidentia initiierendes Zeichnen, das in den Beiträgen – wenn auch nur selten explizit benannt, im Hintergrund verhandelt wird. Denn jenseits des Begrifflichen, letztlich unsichtbar finden die Evidenzphänomene einen Niederschlag im Da34 Grundlegend zum Begriff des Atmosphärischen siehe Gernot Böhme, Atmosphäre. Essays zur neuen Ästhetik, Frankfurt a. M. 1995; ders., Anmutungen. Über das Atmosphärische, Stuttgart 1998; vgl. auch Dieter Mersch, Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, München 2002, S. 11, 273 und passim.

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mented by venerable terms such as memoria and fantasia.32 Rather, the aim is to place artistic reflection on material and technique as well as on the continually rehearsed and perfected manual dexterity in the context of the great figures of thought and to understand the interlocking of these complex processes of negotiation as mutually enriching processes. The non-compulsory, albeit repeatedly legitimised colouring of the drawing ground helps to intensify the multifaceted expressive power of what is understood by evidentia in this volume.33 Colour opens up further dimensions, which admittedly cannot be clearly broken down, but move between the abstract, such as the appearance of the atmospheric, and the seemingly concrete, such as plasticity or the semantisation of the colour tone. In fact, the most common reason for colouring paper is to achieve a higher complexity for the lightshadow modelling because shadowing and highlights are distinguished from the middle ground by material alone. This – one would think – would result in more clarity in the rendering. There is an indispensable layering, however, which derives from the fact that the colour of paper or ground covers the entire surface and consequently serves as the basis for every part of the picture. If artists wanted to use blue paper to depict Mary’s cloak as blue for semantic reasons, for example, they had to consider that her face would equally be blue. Conversely, it might be particularly convincing to regard a light red grounding tone as flesh tone; but the hair and garment of the same figure would also be pale pink without the addition of further colours. What emerges above all from this uniformity of colour is an intensified atmospheric effect, which is of course suggestive in character.34 The means of rep32 In his 1974 concept history of disegno, which is still relevant today, Wolfgang Kemp certainly emphasised the former practical relevance of disegno in Petrarch, Cennini, Ghiberti, Filarete and Michelangelo, which, as a result of Vasari, was increasingly pushed to the margins of the discussion in favour of a more sharply contoured definition for the appreciation of the disegno principle [Wolfgang Kemp, Disegno. Beiträge zur Geschichte des Begriffs zwischen 1547 und 1607, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 19 (1974), pp. 219–240, pp. 224–227]. Ulrich Pfisterer, however, concluded for the theorists of the Cinquecento on the basis of Federico Zuccari's L'Idea de'scultori, pittori e architetti (1607), that a “disregard for execution over intellectual design” could not be maintained with regard to the key concept of perfect beauty (bellezza) alone. He justifies this as follows: “If perfect beauty cannot be circumscribed by laws, then the concrete execution of the concetto in the drawing gains value as the expression of the individual and original 'creative process'.” [Ulrich Pfisterer, Die Entstehung des Kunstwerks. Federico Zuccari's “L'Idea de'scultori, pittori e architetti”, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 38 (1993), pp. 264–265]. See also Valeska von Rosen, Mimesis und Selbstbezüglichkeit in Werken Tizians. Studien zum venezianischen Malereidiskurs, Emsdetten/Berlin 2001, pp. 426–427; Verena Krieger, Die Farbe als 'Seele' der Malerei. Transformationen eines Topos vom 16. Jahrhundert zur Moderne, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 33 (2006), pp. 91–112, p. 92; Iris Brahms, Einleitung: Warum Farbe notwendig ist für die Geschichte der Zeichnung, in: Iris Brahms (ed.), Farbe aufs Papier! Synergie und Divergenz in Zeichnungen der Frühen Neuzeit, Petersberg 2020, pp. 12–27. 33 On this, in principle, see also Gabriele Wimböck, Karin Leonhard, Markus Friedrich (eds.), Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Berlin 2007. 34 For a fundamental discussion of the concept of the atmospheric, see Gernot Böhme, Atmosphäre. ­Essays on the New Aesthetics, Frankfurt a. M. 1995; idem, Anmutungen. Über das Atmosphärische, ­Stuttgart 1998; cf. also Dieter Mersch, Was sich zeigt. Materialität, Präsenz, Ereignis, Munich 2002, pp. 11, 273 and passim.

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zwischen von Wirklichkeitsbezug und Eigenwirklichkeit der Zeichnungen, zwischen Fiktion und Materialität, womit eine Repräsentierbarkeit bestritten wird, die von Momenthaftigkeit geprägt ist. Momenthaftigkeit im Zeichenprozess, die sich auf die Figurationen auswirkt, ja, sich darin widerspiegelt, und sich im Blick der Betrachtenden wiederfindet. Aus der zeichnerischen Evidentia wird gezeichnete Evidentia, die einen wachsamen, bewegten Blick einfordert, um ihre Spielarten zu erfassen.

4. Positionen der Forschungsbeiträge in diesem Band Den chronologischen Auftakt bildet das Kapitel (Inter‑)Medialität bei Lorenzo Monaco, dessen Berliner Blätter einer Reise der Hl. Drei Könige sowie einer Heimsuchung sich ausführungstechnisch zwischen Farbgrundzeichnung und Miniaturmalerei situieren. Die beiden Beiträge von Philippa Sissis und Iris Helffenstein stellen Lorenzo Monacos Werk in intermediale Zusammenhänge: Sissis beobachtet eine ästhetische Assimilation der rotbraun grundierten Pergament-Blätter an geschnittene Steine und sieht Lorenzo Monacos Wirken durch humanistische Kreise inspiriert, die sowohl Sammlungen solcher Kameen und Gemmen der Antike anlegten, als auch deren Abformen und Kopieren förderten. Helffenstein indes widmet sich Tafeln mit integrierten Verre églomisé, nicht zuletzt mit dem Hinweis auf eine grundsätzliche Nähe der Darstellungskomponenten von Farbgrundzeichnung und Verre églomisé-Arbeiten durch einen einheitlich-opaken Farbfond als Hintergrundfolie der Figurationen. Als produktiv zu machenden Unterschied ist hierbei die absolute Gegensätzlichkeit in deren Reihenfolge innerhalb des Werkprozesses zu beachten. Ist die Grundierung für die Zeichnung der Ausgangspunkt, bildet die schwarze Farbschicht bei den Hinterglasradierungen den abschließenden Arbeitsschritt. Über den insgesamt ähnlichen graphischen Duktus der beiden Medien hinaus lässt sich eine gesteigerte Sakralität an den Glasradierungen durch die Präsenz des Goldes gegenüber den Pergamentblättern ausmachen und hier einmal mehr auf die in Bewegung geratene Semantisierung des Farbgrundes abheben. Denn es treten zwei unterschiedlich mimetische Ebenen aufeinander und stellen einen intermedial dicht verschränkten Wechsel des Darstellungsmodus heraus, wie Sissis eingehend darlegt. Zeichnet sich die Darstellung auf dem rotbraunen Fond gegenüber der mimetisch aufgefassten Himmelszone als artifizielle, mithin abstrakte Reflexion ab, treten unterschiedliche Ausprägungen der Evidenz vor Augen, die im Ringen um Repräsentation doch keine ästhetischen Brüche verursachen, wohl aber die visuellen Kräfte zuspitzen oder gar herausfordern. Das darauffolgende Kapitel Zur Auslotung der Farbigkeit nimmt daher Bezug auf denkbare Bedeutungsebenen der zugrundeliegenden Farbe. Claudia Reufer unternimmt anhand des sogenannten Gozzoli-Albums in Rotterdam eine Engführung zur Funktion der Farbgrundierung als ungefähren Mittelton, indem zuerst Schatten und daraufhin Lichter die körperhafte Farbschicht umspielen und plastisch einfangen. Trotz dieser tonalen Produktivität des Grundes ermittelt Reufer anhand der mehrfachen grün grundierten Blätter einen skulpturalen Anschein der Figurationen, während die rosa präparierten Papiere eine gewisse Verlebendigung bewirken. Letztlich lässt sich diese Beobachtung auch auf Cennino Cenninis Libro

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resentation in a drawing were extended by the coloured background and the white modelling and led to increased precision, but also to a complexity and presence inherent in the visual, which can only put into words to a limited extent. The category of evidentia comes into play when we consider the referentiality of the medium, i. e. the way in which the material production process of the drawing remains palpable as a reference point to reality as well as the self-referentiality of the images. The open drawing style expands over the coloured ground like a net. Its transparency allows a view of the surface, but at the same time transforms its two-dimensionality into a plastic figuration. In this way, the drawing process itself becomes perceptible. Seeing itself is thematised by revealing the threshold to fiction. A different aesthetic experience emerges from this perception. The awareness of the drawing process during viewing means that far more than usual, an understanding of the production process flows into reception. In both production and reception, the coloured ground remains a potential, never quite integrated into the representation. Rather, it contributes to a semantic oscillation between physical volume and atmospheric depth. The viewer's gaze is guided by any accentuation within the drawing – be it precise highlights, intense shading or even brightly coloured additions. Conversely, it is taken into account that certain parts drift away, thus creating transitions that merge with the semantic, atmospheric potential of the coloured ground. The colour atmosphere, situated between determination and transitoriness, provides the possibility of displacement, for instance when momentary elements are shown in movement, suggesting a temporal continuation. These options call for the kind of drawing that initiates evidentia, which is negotiated implicitly in the contributions. Evidentia is situated in the realm of the non-discursive or ungraspable, ultimately invisible in‑between of the drawings' reference to reality and their own reality, between fiction and materiality, thus belonging to a type of representation characterised by the momentary. Traces left by the drawing process have a temporal component; a line drawn quickly can express the movement of a figure, paralleled or taken up by a viewer’s glance. The evidentia of drawing becomes drawn evidentia, which demands a vigilant, moving gaze to grasp its varieties.

4. Positions of the Research Contributions in this Volume The chronological prelude is provided by the chapter on (Inter)mediality in the Œuvre of Lorenzo Monaco, whose Berlin drawings of the Journey of the Magi and Visitation are situated between coloured ground drawing and miniature painting in terms of execution. The two contributions by Philippa Sissis and Iris Helffenstein place Lorenzo Monaco's work in intermedial contexts: Sissis observes an aesthetic assimilation of the red-brown parchment sheets to cut stones and sees Lorenzo Monaco's work as inspired by humanist circles, where collections of such cameos and gems from antiquity were established and their copying promoted. Helffenstein, meanwhile, analyses panels with integrated verre églomisé, observing a fundamental proximity of the representational components of coloured ground draw-

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dell’Arte (um 1400) zurückführen, wonach helle Farben (chiari colori) eine warme und angenehme Wirkung haben und dunkle Töne (scuri) mit einer kalten, distanzierten Ausstrahlung verbunden werden.35 Die Farbe verbleibt demnach auf einer assoziativen Ebene der Semantisierung und zeigt sich in dieser Hinsicht erneut eng verbunden mit der tiefgreifenden Darstellungskomponente der Evidentia, die in ihrem nicht-fixierten, vielmehr changierenden Status eine flexible und zugleich anregende Rezeption erforderlich macht. Hieran knüpft Iris Brahms‘ Beitrag an, insofern sie ausschließlich schwarz grundierte Zeichnungen behandelt und die an die Grenze zur Sichtbarkeit getriebenen Zeichenexperimente vor dem Hintergrund der auf Alhazen (965–1039/40) basierenden Sehtheorie betrachtet. Sie stellt somit eine Gefährdung der Evidenz zur Diskussion, indem das Dazwischen von Materialität und Imagination, von der medialen Vermittlungsfunktion des Kolorits und der rezeptionsästhetischen Wirksamkeit aus Balance gerät und damit sowohl die Präsenz der Darstellung als auch deren Repräsentation an Intensität verliert. Elvira Bojilova stellt im Kapitel Die Suche nach dem Mittelton als Assimilation an die Malerei mit einem dichten Diskurs, der sich aus Kunsttheorie von ca. 1600 und Forschungsgeschichte speist, anhand von Hendrick Goltzius‘ Farbgrundzeichnungen und Farbholzschnitten die aktivierende Bedeutung des Grundes heraus, auf dem die Glanzlichter gegensätzlich zu Walter Benjamins Postulat ihre Identität erhalten. Daran wird einmal mehr deutlich, wie notwendig der Ansatz dieses Bandes ist, dem Farbgrund eine aktivierende Rolle der Evidenzerzeugung beizumessen, der als Ausgangspunkt und Voraussetzung das besondere Oszillieren zwischen Farbton und Farbatmosphäre von Vornherein in die Darstellung einschreibt. Dieser Grund ist es denn auch, der die um die Lichtgestaltung erweiterte Zeichenweise einfordert, womit Kontraste sowohl differenzierter aufgefächert als auch harmonisch eingebunden werden können. Daraus ergibt sich aber auch die besondere Eignung für die Vorbereitung von Modellierungen in der Malerei, weshalb der Farbgrundzeichnung an sich etwas Malerisches attestiert wird. Diese Konnotation macht Joost Keizer zum Anlass, Rembrandts Vermeidung zu erläutern, auf Farbgründen zu zeichnen. Denn anders als die niederländische Traktatistik Glauben macht, die allein von blauen und nicht von weißen Zeichenpapieren spricht, wählt Rembrandt für seine Zeichnungen fast ausschließlich das regionale Vergé von geringerer Qualität und befreit sich somit von vielerlei Ansprüchen, die zu seiner Zeit an Zeichnungen gestellt wurden: Er macht das naturweiße Papier zum Ausgangspunkt seines Zeichnens, entspricht damit nicht dem von der Kunsttheorie überlieferten Standard und stellt sich der größeren Herausforderung, die Licht-Schatten-Modellierung allein mit dunkler Feder aus der Helligkeit zu entwickeln. Ein ganz anderes Aushandeln von Evidentia findet hier statt, indem in gesteigerter Abstraktion Figurationen entstehen, die 35 Siehe James Gavel, Colour. A Study of its Position in the Art Theory of the Quattro- & Cinquecento, Stockholm 1979, S. 47; Moshe Barasch, Light and Color in the Italian Renaissance Theory of Art, New York 1978, S. 7. Cennini rät zum leichten Rosaton für die Fleischfarbe eines lebenden Menschen, während er für die Darstellung eines toten die Verwendung von grünlichen Farbtönen (verdaccio) empfiehlt. Siehe Cennino Cennini, Das Buch von der Kunst oder Tractat der Malerei des Cennino Cennini da Colle di Valdelsa, übersetzt v. Albert Ilg, Osnabrück 1970 [11871], S. 96–98, Cap. 147–148.

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Gezeichnete Evidentia / Drawn Evidentia

ing and verre églomisé, which both work with a uniformly opaque colour as background for the image. The difference to point out here is the way in which the creation of this background is at opposite ends within the work process for the two respective techniques. While the ground is the starting point for the drawing, the black layer of paint is the final step in reverse glass painting. Beyond a similar graphic style of the two media, an increased sacrality can be discerned in the glass paintings in comparison to the parchment through the presence of gold, and here once again the semantisation of the coloured ground can be emphasised. For two different mimetic levels come into contact with each other and highlight an intermedial, densely intertwined change in the mode of representation, as Sissis explains in detail. If the depiction on the reddish-brown background contrasts with the mimetic sky zone as an artificial, i. e. abstract, reflection, different forms of evidence come to the fore, which in the struggle for representation do not cause any aesthetic breaks, but rather sharpen or even challenge the visual forces. The following chapter, Exploring Colourfulness, therefore refers to conceivable levels of meaning of the underlying colour. On the basis of the so‑called Gozzoli album in Rotterdam, Claudia Reufer analyses the function of the coloured ground as an approximate midtone, in that first shadows and then lights play around the corporeal layer of colour and capture it vividly. Despite this tonal productivity of the ground, Reufer observes a sculptural appearance of the figures on sheets prepared with green ground layers, while pink papers bring about a certain vivacity. Ultimately, this observation can also be traced back to Cennino Cennini's Libro dell'Arte (around 1400), according to which light colours (chiari colori) have a warm and pleasant effect and dark tones (scuri) are associated with a cold, distanced aura.35 Colour thus remains associative and in this respect shows itself to be closely connected with the profound representational component of evidentia, which is similarly semantically open. Iris Brahms' contribution ties in with this, insofar as she deals exclusively with drawings on black grounds and considers these as drawing experiments pushed to the limits of visibility against the background of the theory of vision based on Alhazen (965– 1039/40). These drawings enable the discussion of a threat to evidentia in that the in‑between of materiality and imagination, colour and the possibility of its reception, are thrown out of balance and thus both the presence of depiction and its representation lose intensity. In the chapter Assimilating Painting: The Search for the Midtone, Elvira Bojilova uses Hendrick Goltzius's coloured ground drawings and coloured woodcuts to analyse the activating significance of the ground upon which the highlights obtain their “identity”, contrary to Walter Benjamin's postulate. Her contribution draws on art theory from around 1600 and the history of research. This makes it clear once again how necessary the approach of this 35 See James Gavel, Colour. A Study of its Position in the Art Theory of the Quattro-  & Cinquecento, ­Stockholm 1979, p. 47; Moshe Barasch, Light and Color in the Italian Renaissance Theory of Art, New York 1978, p. 7. Cennini advises the use of a light shade of pink for the flesh color of a living person, while for the depiction of a dead one he recommends the use of greenish hues (verdaccio). See Cennino Cennini, Das Buch von der Kunst oder Tractat der Malerei des Cennino Cennini da Colle di Valdelsa, Albert Ilg (transl.), Osnabrück 1970 [11871], pp. 96–98, cap. 147–148.

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indes vermeintlich klar wirken, wobei sich die dicht verschränkten Dimensionen im Zusammenspiel von Papier und Tusche einer Konkretisierung entziehen und umso mehr Momenthaftigkeit ausdrücken, welche nur mit einem bewegten Blick produktiv gemacht werden kann.36 So zelebriert Rembrandt die Eigenheiten des Zeichenmediums gegenüber der Malerei auch mit seinem abbreviatur- und skizzenhaften Duktus, der trotz der allgemeinen Wertschätzung bildhafter Kompositionen schnell auf dem Kunstmarkt astronomische Summen erzielt. Der Stil und dessen Wandlung im Laufe eines Œuvres wird im anschließenden Kapitel Blaue und nicht-weiße Papiere: Zwischen Stilmerkmal und Ökonomie in Alexa McCarthys Beitrag zum Thema. Sie zeigt anhand von Govert Flincks Verwendung blau eingefärbten Vergés im Spätwerk dessen Reflexion italienischer, insbesondere venezianischer Kunst auf und macht daran eine dem klassischen Stil verhaftete Gegenposition gegenüber Rembrandt fest. Aus der Eigenwirklichkeit der Zeichnungen lässt sich mithin eine aufkommende Vorliebe der einflussreichen Klientel ermitteln, so dass die Verwendung blauen Papiers auch marktstrategischen Überlegungen entsprochen haben wird. Gleichwohl manifestiert sich über den Wirklichkeitsbezug der Zeichnungen hinaus ein Verhältnis zu den Gemälden, für die sie als Vorstudien dienten. Denn die gezeichnete Monochromie steht der gemalten Buntfarbigkeit gegenüber wie die kleinformatigen Figurenstudien auf dem Papier sich von den großformatigen Kompositionen der Gemälde unterscheiden. Aus diesen materiellen und formalen Unterschieden heraus ist die Frage nach ästhetischen Strategien der Evidenzerzeugung produktiv zu machen. Anders stellt Armin Häberle eine irgend ästhetisch konnotierte Wertung der nicht-weißen Papiere in den Zeichnungscorpi von Simon Vouet, Nicolas Poussin, Gaspard Dughet und Anthonis van Dyck außer Reichweite und setzt in seiner Erklärung für die Verwendung der günstigeren Papiere vielmehr auf ökonomische Aspekte. Dabei legt er erhöhten Wert auf methodische Reflexionen der Kunstwissenschaft und macht statistische Erhebungen zur Grundlage einer Erweiterung des Deutungsspektrums wie zugleich von dessen Regulierung und Differenzierung. Nichtsdestotrotz lässt sich kaum in Abrede stellen, dass eine etwaig eingefärbte Grundfläche einen anderen Zugang für den Zeichenprozess eröffnet, mithin ein anderes Reflexionsniveau dafür bereithält, welche medialen Referenzen eine Zeichnung zulässt, wie sie beispielsweise auf Reliefs rekurrieren kann. In dieser Hinsicht sind die Aushandlungsprozesse der Evidentia zu erweitern, als etwa auch dahingehend, dass die materielle und koloristische Beschaffenheit des Trägermaterials ohne direkte Überarbeitung in die bildsemantische Bedeutungsebene überführt und durch die Komponenten der Darstellungsebene animiert werden kann, um etwa Himmel zu meinen. Kunsttechnologische Untersuchungen schließen sich an diese Überlegungen unmittelbar an. So macht Michael Venator den seltenen Fall einer recycelten Monotypie zum zentralen Gegenstand seines Beitrags. Von recycelt lässt sich insofern sprechen, als die einstige Druckgraphik die Erstnutzung des Papiers ausmacht, bald darauf jedoch von einer dunkel36 Allgemein dazu: David Ganz, Stefan Neuner (Hrsg.), Mobile Eyes. Peripatetisches Sehen in den Bildkulturen der Vormoderne, München 2013.

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volume is to attribute an activating role of the generation of evidentia to coloured ground, which prescribes the special oscillation between colour tone and colour atmosphere for the representation from the outset. It is the coloured ground that calls for an expanded drawing method focused on the rendering of light, enabling contrasts to become either more pronounced or more harmoniously integrated. This, however, is also why the technique is so suitable for the preparation of modelling in painting, which is why coloured ground drawing itself is said to have something painterly about it. Joost Keizer uses this connotation as an opportunity to explain Rembrandt's avoidance of drawing on coloured grounds. Contrary to what Dutch treatises suggest, which speak only of blue, and not of white drawing paper, Rembrandt almost exclusively chose the regional vergé of lesser quality for his drawings. He thereby frees himself from many of the demands that were placed on drawings at his time: He makes naturally white paper the starting point of his drawing, thus not conforming to the practice standardised by art theory and facing the greater challenge of developing lightshadow modelling from brightness with only a dark pen. A completely different negotiation of evidentia takes place here: Increasingly abstract forms emerge, with a densely entangled interplay of paper and ink eluding visual concretisation, their fleetingness only caught by a moving gaze.36 Rembrandt celebrates the peculiarities of drawing in comparison to painting with his abbreviated and sketching style, which despite the general appreciation of pictorial compositions at the time quickly sold at a very high price on the art market. Style and its transformation over the course of an œuvre is the subject of Alexa ­McCarthy's contribution to the subsequent chapter Blue and non-white papers: Stylistic and Economic Choices. Discussing Govert Flinck's use of vergé dyed blue in his late work, she shows his reflection of Italian, especially Venetian, art and establishes a counter-position to Rembrandt that is rooted in the classical style. The drawings reflect an emerging preference among the influential clientele, which suggests that the use of blue paper may also have corresponded to strategic market considerations. Nonetheless the drawings do not only refer to reality, but they also relate to the paintings for which they served as preparatory studies. Thus, the drawn monochrome contrasts with the colourful paintings, just as the small figure studies on paper differ from the large-format compositions of the paintings. These material and formal differences raise the question of aesthetic strategies of the generation of evidentia. In contrast, Armin Häberle argues against any aesthetic concerns at play in the choice of non-white papers in drawings by Simon Vouet, Nicolas Poussin, Gaspard Dughet and Anthonis van Dyck. Instead, he considers economic aspects in his explanation for the use of the cheaper papers. Drawing on statistics, he is able to argue that art history’s interpretive repertoire might be thus expanded, and that statistics offer a way of regulating and differentiating possible art historical interpretation. Nevertheless, we cannot deny that a coloured ground allows a different way of approaching the drawing process, adding to the kind of intermedial references drawing can make (e. g. relief). In this respect, the negotiation pro36 In general: David Ganz, Stefan Neuner (eds.), Mobile Eyes. Peripatetisches Sehen in den Bildkulturen der Vormoderne, Munich 2013.

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grauen Grundierung überdeckt wurde, worauf derselbe Künstler – kein geringerer als Caspar Fraisinger (1550/60–1599) – eine neue Darstellung mit Licht und Schatten zeichnete. Neben die ästhetische Vielseitigkeit kolorierter Papiere stellt sich ein dezidiert materialökonomischer Aspekt ein, der Fragen nach Ansehen und Modernität graphischer Techniken und Sujets nach sich zieht und in dieser Weise Präferenzen bestimmter ästhetischer Strategien der ­Evidenz­erzeugung offenlegt. Zu vertieftem Materialverständnis verhilft Erzsébet Mózer mit ihren umfassenden Untersuchungen der reichen Bestände von Farbgrundzeichnungen in der Graphischen Sammlung des Museums für Schöne Künste in Budapest. Anhand der ausgewählten Fallstudien aus Nord und Süd stellt sie verbindliche Schlussfolgerungen zur regional übereinstimmenden bzw. abweichenden Anwendung dieser Zeichentechnik zur Verfügung, die eine gewisse Kontinuität auch für die Aushandlungen von Evidenzeffekten nahelegen. Innerhalb dieses zeitlich über 300 Jahre und örtlich über weite Regionen Europas gespannten Rahmens entwickelt sich ganz von allein ein Erzählstrang, der von der intermedialen Bedeutsamkeit der Zeichentechnik (Sissis, Helffenstein), über die weitgehend abstrakte, nicht minder wirksame Evokationskraft der Grundierung samt ihrer materialästhetischen und semantischen Dimension geht (Reufer), aus dem Dazwischen des Grundierungstons zur Licht-Schatten-Modellierung bei der außer Balance geratenen Lichtmodellierung auf schwarzen Fonds eine Gefährdung der Evidenz aufspürt (Brahms), da diese Grundlage den identitätsbildenden Ausgangspunkt für die Linienzeichnung darstellt und ein Surplus an Informationen und Konnotationen liefert (Bojilova), die Rembrandt jedoch um der Freiheit willen und zur Positionierung der Zeichnung vermied (Keizer), die jedoch zum Ausdruck von Govert Flincks Spätstil wurde (McCarthy), bei französischen Künstlern des 17. Jahrhunderts wenngleich nicht wenig mehr als eine ökonomische Dimension zu haben schien (Häberle), um 1600 allerdings als so modern galt, dass eine Monotypie davon überdeckt wurde (Venator) und nördlich wie südlich der Alpen über die Jahrhunderte hinweg weitgehend konstant blieb (Mózer). Mit Anne Eusterschultes Epilog wird die ästhetische Frage nach der Evidenz des Grundes in eine abschließende bildphänomenologische Betrachtung überführt und in ein Verhältnis zu philosophischen Überlegungen gesetzt, um damit auf der Basis der hier versammelten Studien mögliche weiterführende Perspektiven zu eröffnen.

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Gezeichnete Evidentia / Drawn Evidentia

cesses of evidentia in drawings can be expanded. For example, the material and colour of the substrate can work semantically without further drawing or addition of pigment to serve as a representation of the sky. The contributions in Art-technological Investigations follow on directly from these considerations. The rare case of a recycled monotype is the central subject of Michael Venator’s article. Caspar Fraisinger’s (1550/60–1599) print constitutes the first use of the paper, which the same artist then covered with a dark grey ground to add his drawing. In addition to the aesthetic versatility of coloured papers, the decidedly economical re‑use of material here raises questions about the prestige and modernity of graphic techniques and subjects and in this way reveals the preferences of certain aesthetic strategies of evidence generation. Erzsébet Mózer's comprehensive study of the rich collection of coloured ground drawings in the Department of Prints and Drawings of the Museum of Fine Arts in Budapest provides a deeper understanding of the material. On the basis of selected case studies from the North and South, she provides authoritative conclusions on the application of this drawing technique and its regional consistencies or differences, which suggest a certain continuity also for the negotiation of evidence effects. Within this framework, which spans more than 300 years and a range of regions within Europe, we may see a developing narrative ranging from the intermedial significance of the drawing technique (Sissis, Helffenstein), to the largely abstract, yet no less effective evocative power of the ground together with its material, aesthetic and semantic dimensions (Reufer). We can trace a threat to evidentia from the in‑between of the ground tone to the modelling of light and shadow and the even more difficult modelling of light on black ground (Brahms). The ground is an important starting point for the identity of line drawing and provides a surplus of information and connotations (Bojilova), which Rembrandt, however, avoided for the sake of freedom and for the positioning of the drawing (Keizer), while it became an expression of Govert Flinck's late style (McCarthy). In the case of French artists of the seventeenth century, coloured ground seemed to have little more than an economic dimension (Häberle), while around 1600 it had been considered so modern that a monotype was covered by it (Venator), and it remained largely constant north and south of the Alps over the centuries (Mózer). With Anne Eusterschulte's epilogue, the aesthetic question of the evidentia of the ground is analysed phenomenologically and in relation to philosophical considerations, thus opening up possible further perspectives on the basis of the studies gathered here.

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(Inter-)Medialität bei Lorenzo Monaco

(Inter)mediality in the Œuvre of Lorenzo Monaco

Philippa Sissis

Von Licht und Stein? Ein Versuch zu den Berliner Blättern Lorenzo Monacos

Fast zu übersehen, ist der kleine Stern am oberen Rand von Lorenzo Monacos Blatt mit der Reise der Heiligen drei Könige das Ziel der Reitenden (Abb. 1).1 In nur wenigen Strichen auf das dunkle Himmelsblau gesetzt wird er umso wirkungsvoller, da sein Licht die gesamte Szene zu erhellen scheint. Dieses Licht fällt von oben in das Bild hinein und macht in der Hell-Dunkel-Komposition der Zeichnung die Szene erst sichtbar.2 Es beleuchtet den im Zeigegestus erhobenen Arm des ersten Reiters und lässt Bärte und Gewänder aus dem Dunkel der Grundierung hervortreten. Denn die rot-bräunlich grundierte, durch Linien gerahmte Darstellung, die nur 258 × 182 mm misst, ist vor allem mit Weißhöhungen und dunklen Linien gestaltet. Die feine Zeichnung wirkt in ihrer farblichen Reduktion besonders im Gegensatz zum intensiv blauen Horizont und der Meereslandschaft, die in unterschiedlichen Tönen von Lapislazuli gestaltet sind.3 Bei Betrachtung des Bildes stechen zwei Elemente hervor: Erstens die deutliche Reduzierung der künstlerischen Mittel auf linierte und schraffierte Darstellungen von Figuren und Oberflächen – die Zeichnung, und zweitens die durch die intensive Farbigkeit des Grundtons in den Fokus gerückte Materialität der Grundierung und die im Kontrast heraustretende Präsenz des Himmels. In ihrem Zusammenspiel ergeben sie ein

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Siehe Lorenza Melli, in: Wolf-Dietrich Löhr, Stefan Weppelmann (Hrsg.), Fantasie und Handwerk. ­Cennino Cennini und die Tradition der toskanischen Malerei von Giotto bis Lorenzo Monaco (Ausst. Kat. Gemälde­ galerie/Berlin), Berlin 2008, S. 297–299, Kat. Nr. 15. Eine ikonographische und theoretische Deutung des Himmels und der Lichtsituation stellte Wolf-Dietrich Löhr unter dem Titel »Surge, illuminare…« Fantasie, Licht und Landschaft bei Lorenzo Monaco auf dem von Iris Brahms und Klaus Krüger organisierten Workshop Gezeichnete Evidenz auf kolorierten Papieren in der Kollegforschergruppe BildEvidenz, Freie Universität Berlin (21.–22.06.2018) vor. Ich danke Wolf-Dietrich Löhr für die Einsicht ins Manuskript. Katharina Christa Schüppel, Irene Brückle, Ästhetik des Monochromen um 1400. Zwei Zeichnungen Lorenzo Monacos aus der Sammlung des Berliner Kupferstichkabinetts, in: Löhr/Weppelmann 2008 (wie Anm. 1), S. 201–223, hier S. 211.

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Philippa Sissis

1  Lorenzo Monaco, Die Reise der Heiligen drei Könige, um 1420/23, Feder und Pinsel, braune Tinte, Bleiweiß, Deckfarben in Blau und Grün, auf rot-braun grundiertem Pergament, 258 × 182 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 609

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Von Licht und Stein?

ebenso ergreifendes, wie kunsthistorisch schwer einzuordnendes Objekt, das zwischen Malerei und Zeichnung, Farbreduktion und Farbpräsenz steht. Die Analogie zur Technik der Zeichnung und die Überlieferung ebendieser im Libro dell‘ Arte Cennino Cenninis macht das Blatt in jeder Auseinandersetzung mit frühen Zeichnungen zu einer wichtigen und frühen Referenz, ohne dass es jedoch in diesen Zusammenhängen eingehend betrachtet würde.4 Dies soll hier geschehen. Dabei vorauszuschicken ist jedoch, dass letztlich jede Hypothese zur konkreten Funktion der Berliner Blätter – neben der Reise der Heiligen Drei Könige auch eine Heimsuchung Mariens (Abb. 2),5 die dieselben technischen Eigenheiten zeigt  – ohne neue Quellen nur ein Versuch bleiben, da einerseits all­ gemein zu wenig Vergleichswerke aus dieser Zeit erhalten sind und andererseits die Datierung der Blätter zu ungenau bleibt.6 Zusätzlich gibt die materielle Beschaffenheit der kleinformatigen, auf Pergament aufgebrachten Kunstwerke, die also mobil sind, nur wenig Hinweise auf den ursprünglichen Benutzungskontext.7 Hier soll trotzdessen der Versuch unternommen werden, die Berliner Blätter im Kontext der humanistischen Interessen in Florenz am Beginn des 15. Jahrhunderts zu verorten. In diesem Rahmen spielt die Überset-

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Siehe Bernhard Degenhart, Annegrit Schmitt, Corpus der italienischen Zeichnungen 1300–1450, Teil 1, Bd. 2, Berlin 1968, Kat.-Nr. 171, 172, S. 271–274; Hein-Thomas Schulze Altcappenberg, Die italienischen Zeichnungen des 14. und 15. Jahrhunderts im Berliner Kupferstichkabinett. Kritischer Katalog, Berlin 1995, Nr. 81–82, S. 39–43; Luciano Bellosi, Lorenzo Monaco: The Later Years, in: Angelo Tartuferi, Daniela Parenti (Hrsg.), Lorenzo Monaco. A Bridge from Giotto’s Heritage to the Renaissance, Florenz 2006, S. 45–52; Stephanie Buck, On Relationships between Netherlandish Drawing and Manuscript ­Illumination in the Fifteenth Century, in: Elizabeth Morrison, Thomas Kren (Hrsg.), Flemish Manuscript Painting in Context. Recent Research, Los Angeles 2006, S. 102–116, S. 104; Iris Brahms, Nehmt zu Dank. Emanzipationsprozesse der Handzeichnung vor 1500 in Nord und Süd, in: Daniela Bohde, Alessandro Nova (Hrsg.), Jenseits des disegno. Die Entstehung selbständiger Zeichnungen in Deutschland und Italien im 15. und 16. Jahrhundert, Petersberg 2018, S. 32–51, S. 42. Eine wichtige Ausnahme stellt die vor allem restauratorische und ikonografische Auseinandersetzung mit beiden Berliner Blättern durch Katharina Christa Schüppel und Irene Brückle im Ausstellungskatalog Handwerk und Fantasie dar. Siehe Schüppel/Brückle 2008, S. 201–223 (wie Anm. 1). Lorenza Melli, in: Löhr/Weppelmann 2008 (wie Anm. 1), S. 294–296, Kat. Nr. 14. Die Datierung erfolgt nur auf der Basis stilistischer Vergleiche mit anderen Werken des Künstlers. Luciano Bellosi geht davon aus, dass die Heimsuchung im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts oder sogar vor 1408 entstand. Katharina Schüppel überlegt, ob die Heimsuchung nicht nach der Reise entstanden sein könnte und führt dafür z. B. die Art der Landschaftsdarstellung an. Siehe Schüppel/Brückle 2008 (wie Anm. 1), S. 207. Die Reise der Heiligen Drei Könige wird „aufgrund der dramatischen Kraft der Darstellung, die typisch für Werke Lorenzo Monacos aus den Jahren 1420 bis 1423 ist, einstimmig der reifen Schaffenszeit des Künstlers zugeschrieben.“ Siehe Melli 2009 (wie Anm. 1), S. 297. Siehe Bellosi 2006 (wie Anm. 4), S. 46. Lorenza Melli vermutet aufgrund der Holzwurmlöcher im Pergament, dass Lorenzo Monacos Reise der Heiligen drei Könige als kleines Andachtsbild genutzt worden sein könnte. Diese überzeugende These muss allerdings nicht die erste Nutzung des Werks gewesen sein, denn Iris Brahms weist darauf hin, dass der Zeitpunkt der Entstehung der Löcher nicht zu bestimmen sei. Aus diesem Grund ist ein Rückschluss auf die ursprüngliche Benutzung anders als bei in Büchern zeitnah eingeklebten Zeichnungen schwierig. Siehe Brahms 2018 (wie Anm. 4), S. 42.

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Philippa Sissis

2  Lorenzo Monaco, Heimsuchung Mariens, um 1415/1420 (?), Feder und Pinsel, braune Tinte, Bleiweiß, Deckfarben in Blau und Gelb, auf braun grundiertem Pergament, 257 × 189 mm, Berlin, Kupferstich­ kabinett, KdZ 608

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zung und künstlerische imitatio eine grundlegende Rolle – Aspekte, die Lorenzo Monacos Entscheidung, in seinen Zeichnungen Licht und Materialität zum zentralen Thema zu machen, erklären können.

1. Die Reise der Heiligen drei Könige Zwischen steinigen Felsen reiten drei Männer mit fliegenden Mänteln, dem Leuchten des Sterns folgend, den der Vorderste von ihnen mit gestrecktem Arm am Himmel zeigt. Die starke Vertikalität, in der die galoppierenden Pferde in nach oben strebenden Konturen gezeichnet sind, der Zeigegestus und die nach oben ausgerichteten Köpfe sowie die Bewegung der hinter den zwei oberen Reitern fliegenden Gewänder schildern eine eilige Reise – die auch die Überwindung der großen Strecke andeutet. Diese starke Bewegung steht im Kontrast zu den hoch aufragenden, aber im Verhältnis zu den Reitern klein erscheinenden, Gebirgszügen. In dunklen Linien, die gerade nebeneinandergesetzt wurden, sind architektonische Formen, schmal aufragende Festungen und Türme auf den Gipfeln der Berge vor dem blauen Horizont und zwischen den Felsen unten rechts, dargestellt. Bewegte Schraffuren, die deren Ungeordnetheit den langen, aufstrebenden Linien der Gebäude entgegenstehen, dienen dazu, die schroffen Gebirge zu schildern. Diese unterschiedlichen Anwendungen von linienbasierten Zeichenbewegungen schaffen die Grundstruktur der Darstellung. Ganz ähnliche Arten von Linien brachte der Künstler in Bleiweiß auf,8 um die beleuchteten Flächen eines vom Himmel bzw. vom Stern ausgehenden Lichtes zu schildern. Auch hier sind es Schraffuren, teilweise nur nebeneinander, teilweise auch gekreuzt, die zur Gestaltung genutzt werden. Sowohl unten und damit vor der Gebirgsszene, als auch oben werden Berge und Felsen von Gewässer begrenzt: Im Vordergrund wird dieses nur in vornehmlich weißen Wellenlinien auf demselben rot-bräunlichen Untergrund aufgebracht. Oben setzt sich das Meer jedoch in einem grün-bläulichen Farbton sowohl von der Felsenlandschaft, als auch vom intensiven Himmelsblau darüber ab. Dabei legte, wie Irene Brückle beschreibt, der Künstler zuerst die Grundierung an, indem er den gesamten mit Feder oder feinem Pinsel vorgezeichneten Rahmen ausfüllte.9 Erst nachdem er mit brauner Tinte auch die Details des obersten Abschnitts ausgeführt hatte, die hoch aufragenden Gebäude und die zwei Inseln, trägt er die blaue Farbe darüber auf und schuf so den starken Farbkontrast, der die Darstellung von einer monochromen zu einem farbreduzierten Bild werden lässt. Dabei nutzt der Künstler Grundelemente der Zeichnung, Linie und Schraffur, um das Bild zu gestalten. Dass diese linierte Zeichenstruktur bewusst als Ausdrucksmittel gewählt wurde, erschließt sich aus dem Vergleich mit anderen Zeichnungen Lorenzo Monacos, in denen die technische Ausführung eine ganz andere Formenpalette zeigt. So beispielsweise in der mit Feder ausgeführten, nicht vollendeten historisierten D‑Initiale in New

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Schüppel/Brückle 2008, S. 212. Siehe Ibid., S. 210.

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3  Lorenzo Monaco, Historisierte D‑Initiale mit Szene von Christus, wie er in den Tempel tritt, 1408–11, Feder und Tinte auf Pergament, 305 × 241 mm, New York, Metro­politan ­Museum, Inv. Nr. 1999.391

York, worin Jesus und die Apostel vor dem Tempel dargestellt sind (Abb. 3).10 Hier zeigen sich entschieden gesetzte Linien, die durch ihre unterschiedliche Farbintensität die Sicherheit und auch das Zögern im Entwurf andeuten. Das Profil des Apostels hinter Jesus setzt sich in einer sehr klaren Linie vom Pergament ab. Die beiden Apostelgesichter rechts und links von ihm sind sehr viel vorsichtiger ausgeführt, was von der Vielfalt der möglichen Strichqualitäten zeugt, die der Künstler hier nutzt. Neben diesen verschieden stark betonten oder aber zarteren Strichen sind die Faltenwürfe der Gewänder in unterschiedlicher Opazität ausgeführt. Gerade der lange Mantel links zeigt in der Darstellung der Brustpartie und des lang hinabfallenden Stoffs die Nuancierung der unterschiedlich deckenden Lavierungen. Die architektonische Zeichnung rechts im Bild trägt, wie auch die Gesichter der Apostel, deutliche Spuren eines noch nicht abgeschlossenen Arbeitsprozesses: Architektonische Elemente sind erkennbar, jedoch nicht an allen Stellen mit derselben Sorgfalt ausgeführt. Es bleibt hier bei einem Nebeneinander von vollständig gestalteten Elementen und solchen, die nur angedeutet oder sogar noch völlig offen sind, wie beispielsweise der Himmel, der keinerlei gezeichnete Details zeigt. Bei den Berliner Blättern hingegen sind alle Elemente der Darstellung vollständig ausgeführt– trotz ihrer Natur als Zeichnung sind sie weder Skizzen noch Vorarbeiten.11 10 Siehe Ada Labriola, Seven cut-out drawings, in: Tartuferi/Parenti 2006 (wie Anm. 4), S. 288–291, Kat. Nr. XI. b. 11 Am treffendsten wäre an dieser Stelle die Zuordnung zu selbständigen Zeichnungen, für die es immer wieder Beispiele gibt, die ein frühes Interesse für Zeichnungen als Kunst- und Sammlungsobjekte belegen. Ob diese Kategorie hier passender wäre als eine Miniatur oder farbereduzierte Malerei und ob diese Zuordnung für das Verständnis der Blätter hilfreich ist, wäre zu fragen. Ist es die Nähe zur entwerfenden

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4  Umkreis Lorenzo Monacos, Drei theolo­gische Tugenden (Mäßigkeit, Hoffnung und Tapferkeit oder Gerechtigkeit) und Studien eines sitzenden Mannes, um 1420, Metallstift, Feder, braun laviert, weiß gehöht auf rötlich-braun grundiertem Pergament, 249 × 185 mm, New York, The Metropolitan ­Museum, Inv. Nr. 1975.1.335

Dass der Unterschied im Farbauftrag und der Zeichenstruktur nicht allein mit der Zeichenoberfläche, dem grundierten Pergament, erklärt werden kann, zeigt sich beim Musterblatt mit den Drei theologischen Tugenden (Abb. 4),12 das lange Lorenzo Monaco selbst zugeschrieben wurde.13 Die auf ca. 1420 datierten Tugenden sind als drei eigenständige Figuren ohne räumlichen Zusammenhang auf dem rötlichen Grund des Pergaments platziert. Trotz der Ähnlichkeit des Tons der Grundierung ist die Behandlung nicht nur des gefärbten Praxis der Zeichnung, die den Künstler hier freier bzw. fantasievoller arbeiten lässt, wie Wolf-Dietrich Löhr überlegt? Oder sind die kunsthistorischen Kategorien hinderlich in Betrachtung eines Werks, welches deutlich zwischen den Kategorien steht und sicher nicht innerhalb derselben gedacht wurde, da farbreduzierte Miniaturen und selbständige Zeichnungen sich nicht gegenseitig ausschließen und Facetten derselben Werke sein können. Zur Kategorie der selbständigen Zeichnung siehe vor allem Brahms 2018 (wie Anm. 4). 12 Einige Linien wurden später mit Feder und brauner Tinte nachgezeichnet. Siehe: https://www.met​ ­museum.​org/art/collection/search/459234?searchField=All&sortBy=Relevance&ft=lorenzo+​ ­Monaco&​amp;offset=0&rpp=20&pos=8 [zuletzt abgerufen: 5.5.2020] 13 Neben der Korrespondenz des Farbtons der Grundierung mit den Berliner Blättern stellt eine Beschreibung Vasaris hier die früheste Quelle dar. Er lobte die Zeichnung Lorenzo Monacos: „In unserem Libro de‘ Disegni habe ich von Don Lorenzos Hand die theologischen Tugenden, die in chiaroscuro mit gutem disegno und in einem schönen und anmutigen Stil ausgeführt und wahrscheinlich besser sind als die Zeichnungen jedes anderen Meisters jener Zeit“. Allerdings weist Fabian Jonietz darauf hin, dass die Identifikation der drei Hauptfiguren als theologische Tugenden anzuzweifeln ist. Siehe dazu: Giorgio Vasari, Das Leben des Taddeo Gaddi, Agnolo Gaddi, Buffalmacco, Orcagna, Spinello Aretino und ­Lorenzo Monaco, übers. v. Victoria Lorini, komm. und eingel. v. Fabian Jonietz, Wolf-Dietrich Löhr, ­Johannes Tripps, Berlin 2015, S. 157 und S. 343.

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Malgrunds, sondern auch der Zeichnung in sich deutlich anders gestaltet als bei den Berliner Blättern. Die Grundierung ist auf dem gesamten Blatt mit der Dimension von 249 × 185 mm aufgetragen, einer Fläche, die der Reise der Heiligen Drei Könige nahezu entspricht. Diese scheint zwar, wie am unteren Rand und den Seiten zu beobachten, ebenso sorgfältig abgeschlossen, jedoch ist keine Andeutung eines Rahmens zu erkennen. Auch in der Ausführung der Figuren zeigen sich Unterschiede zum Berliner Blatt: In den Weißhöhungen der Zeichnung der Gerechtigkeit links unten beispielsweise wird die Bewegung des Stoffes über den Knien der Figur mit Linien gestaltet. Diese sind allerdings mit einem Pinsel ausgeführt, der eine variierende Stärke der nebeneinander gesetzten Linien ermöglicht. Im Gegensatz zum linierten Auftrag des Weiß wird die braune Farbe genutzt, um Flächen zu umreißen, wie den Schulter- und Brustpanzer der Iustitia. Auch hier führt der Farbauftrag mit dem Pinsel zu breiteren und weichen Linien und einem lavierenden Verlauf. Diese Beispiele machen deutlich, dass Lorenzo Monacos Entscheidung, die Zeichnung in den Berliner Blättern mit Linien und Schraffuren zu gestalten, sowohl in technischer als auch materieller Hinsicht bewusst getroffen wurde. Die farbige Grundierung dient dabei in der Reise der Heiligen Drei Könige und der Heimsuchung als weiterer Aspekt des Bildausdrucks.14

2. Chiaroscuro Durch das Einrahmen des farbigen Grunds wird dieser zur Masse des dargestellten Motivs. Die Farbe übernimmt hier ohne Binnenstruktur körperliche Dichte und ermöglicht es dem Zeichner, sich vollständig auf die Modellierung der Hell-Dunkel-Komponenten zu konzentrieren.15 Diese Präsenz des Grundtons macht sich Lorenzo Monaco in den Berliner Blättern zunutze, wenn er seine Zeichnung auf die Schatten- und Lichttöne reduziert. Es entsteht ein Bild in Chiaroscuro, das jedoch durch den farbigen Himmel eine weitere Bildebene erhält. Denn durch das Aufbringen dieser zusätzlichen Farbzone widerspricht der Künstler der Wirkung als ausschließlich in Hell-Dunkel zu rezipierendem Werk. Vielmehr wird durch den Kontrast die Körperlichkeit der Grundierung noch einmal betont. Unter dem Himmel, von

14 Die praktischen und ästhetischen Aspekte der Farbgrundzeichnung untersuchte Iris Brahms ausführlich. Siehe dazu: Iris Brahms, Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016. 15 Die Beobachtung, dass der kolorierte Grund innerhalb der Umrisslinie in der Körperlichkeit mitwirkt, machte bereits Joseph Meder, wie Jana Graul anführt. Siehe Jana Graul, An der Schwelle zur Malerei. Farbige Träger in der Florentiner Zeichenpraxis bis 1500, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 37 (2010), S. 73–119, S. 73 und Joseph Meder, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung, Wien 1919, S. 164. Siehe auch Brahms 2016 (wie Anm. 14), S. 88 f. und Iris Brahms, Am Übergang zum Sichtbaren. Graphische Techniken und das Helldunkel, in: Claudia Lehmann, Norberto Gramaccini, Johannes Rößler, Thomas Dittelbach (Hrsg.), Chiaroscuro als ästhetisches Prinzip. Kunst und Theorie des Helldunkels 1300–1550, Berlin/Boston 2018, S. 223–239, S. 229.

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dem das Licht ausgeht und welches die Komposition erst sichtbar werden lässt, wird die restliche Bildfläche zu einem Ganzen. In der Art der Zeichnung, die sowohl das Licht instrumentalisiert als auch Flächen zugunsten von dreidimensional visualisierenden Linien vermeidet, versucht der Künstler nicht, in einer sich selbst versteckenden Technik eine mimetisch nachempfundene Plastizität zu schaffen. Das Hell-Dunkel macht den Hauptteil des Bildes zu einem durch den rötlich-braunen Grund charakterisierten Körper. Der Gegensatz zwischen der blauen Himmelszone und der restlichen Darstellung liegt einerseits im intensiven Blauton begründet, der durch mehrere Schichten der Lapislazuli-Farbe entstand.16 Doch auch die Integration einer der Natur nachempfundenen Himmelsfärbung bildet einen Widerspruch, der die Frage aufkommen lässt, ob es sich hier um denselben Bildraum handelt.17 Da außerdem das am unteren Bild­ rand noch einmal auftauchende Meer nicht farblich von der Reiterszene abgesetzt ist, der Künstler also nicht konsequent Wasser in Blau zeigt, kann man den Himmel und das von ihm ausgehende Licht als einer anderen Bildebene entsprechend lesen: Einer Ebene, die den Raum des Betrachters spiegelt, indem sie die natürliche Lichtquelle – den Himmel – naturgetreu im Bild fortsetzt. Im Zusammenspiel zwischen der Körperlichkeit des braun-rötlichen Bildteils und der Lichtevokation des Himmels zeigt sich die Szene der reitenden Könige wie auf einem Objekt angebracht. Ihr Anblick erschließt sich erst im natürlichen Licht, das aus dem im Bildraum simulierten Himmel auf die Szene fällt. Damit wird die Grundierung genutzt, um die Materialität des Objektes zu evozieren. In der Evokation dieser Materialität kommt dem Farbton des Grunds eine wichtige Bedeutung zu: Denn die rötlich-braune Färbung weicht dezidiert von der bei Farbgrundzeichnungen am weitesten verbreiteten Präparierung in Grün ab.18 Es ist also davon auszugehen, dass die Wahl der Grundierungsfarbe und der Zeichnungsausführung der intendierten Wirkung der Blätter entspricht. Die Oberfläche des materiell präsenten Farbgrunds wird durch die bereits beschriebenen Linien gestaltet, die das rilievo hervorbringen. Sie scheinen neben dem ikonographischen Inhalt, der Narration, Thema der Bilder zu sein.

3. Rilievo Dabei verschwimmt bereits bei Cennino Cennini die Grenze zwischen rilievo als durch zeichnerische Mittel hergestelltes Volumen und einem plastischen Objekt oder auch mit Gips auf

16 Schüppel/Brückle 2008 (wie Anm. 4), S. 211. 17 Luciano Bellosi benannte die abweichende Darstellung des Himmels als einen der wichtigsten Unterschiede zwischen den beiden Blättern, wobei nach ihm die Himmelsverfärbungen in der Reise für eine spätere Datierung sprechen. Siehe Bellosi 2006 (wie Anm. 4), S. 46–47, siehe auch Schüppel/Brückle 2008 (wie Anm. 4), S. 207. 18 Iris Brahms führt aus, dass der am häufigsten genutzte Farbgrund Grün sei, wie auch schon bei Cennini formuliert. Siehe Brahms 2016 (wie Anm. 15), S. 84 f. Siehe auch den Beitrag von Claudia Reufer in diesem Band.

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die Bildtafel aufgebrachten, hervortretenden Formen, die Pastiglia.19 Lassen sich so die beschriebenen Elemente, Farbgrund und linienfokussierte Zeichnung, als eine Evokation eines plastischen Objekts lesen? Nicht nur das rilievo, welches sowohl Malerei als auch tatsächlich dreidimensionale Dinge auszeichnet, eröffnet eine Assoziation zu einem plastischen Objekt – eine Assoziation, die insbesondere durch die Farbigkeit gestützt wird. Dabei hat das Grundmaterial der Farbe bzw. der unterschiedlich genutzten Farben schon einen ganz natürlichen Bezug zu deren mineralischem Ursprung – den Steinen und Erden, aus denen die Farbstoffe für das benutzte Grün, Blau und seltener Braun, Grau, Rot-Braun und auch Schwarz gewonnen werden.20 Anders jedoch als die Terra Verde,21 deren Farbton auch in Wandmalereien im monastischen und spirituellen Kontext genutzt wird,22 ergibt sich bei der rot-bräunlichen Farbe ein assoziativer Zusammenhang zu formbaren Tonerden oder auch Gemmen und Kameen, insbesondere solchen in Karneol oder rotem Sardonyx, wie sie im Laufe des 15. Jahrhunderts zunehmend in Sammlungsinventaren zu finden sind. Die hell- bis dunkel­ orangefarbenen Karneol-Steine stellten das am weitesten verbreitete Material für Gemmen der Antike dar.23 Auch in den Sammlungen der Humanisten, in denen die Steine vom Amulett zum Sammlungsobjekt wurden,24 waren Karneole präsent, wie beispielsweise das sogenannte Siegel Neros, das 1428 in der Sammlung Cosimo de‘ Medici (1389–1464) nachweisbar ist.25 Auch Lorenzo il Magnifico (1449–1492) besaß eine Sammlung mit diversen rötlichen Steine.26 Doch antike Steinschnitte waren keine Neuentdeckung des 14. oder 15. Jahrhunderts: Die Auseinandersetzung mit Gemmen oder sogenannten Siegelsteinen in verschiedenen (naturphilosophischen) Traktaten wie von Albertus Magnus bezeugt die konstante Fas-

19 Siehe Christopher R. Lakey, Scholastic Aesthetics and the Medieval‚ Origins of Relief/rilievo, in: Lehmann/ Gramaccini/Rößler/Dittelbach 2018 (wie Anm. 15), S. 125–140, S. 127. 20 Siehe zu den verschiedenen Farben Brahms 2016 (wie Anm. 15), S. 84–88. 21 Siehe Graul 2010 (wie Anm. 15), hier ab S. 75. Siehe auch Almut Schäffner, Entwicklung und Bedeutung der monochromen Wandmalerei der italienischen Renaissance, Weimar 2009. 22 Siehe dazu insbesondere die Untersuchungen von Katherine Stahlbuhk im Rahmen ihrer noch nicht veröffentlichten Dissertation: https://khiflorenz.academia.edu/KatharineStahlbuhk [zuletzt abgerufen: 15.9.2020]. 23 Erika Zwierlein-Diehl, Antike Gemmen und ihr Nachleben, Berlin/New York 2017, S. 307. 24 Ibid, S. 266. 25 Es befindet sich heute unter der Inv. Nr. 26051 im archäologischen Museum in Neapel. Die Datierung der Präsenz in der Sammlung gibt nicht den frühesten Zeitpunkt an, zu dem dieser Stein sich in Florenz befand, da gerade für den Beginn des 15. Jahrhunderts eine Rekonstruktion der verschiedenen Kameenund Gemmensammlungen aktuell unmöglich ist. Denn die überlieferten Inventare sind erst später entstanden, so z. B. das der Sammlung des Venezianers Pietro Barbo, später Papst Paul II., das 1457 nicht weniger als 243 Kameen verzeichnet. Siehe Martin Hirsch, Die Wiederentdeckung des Steinschnitts in der Florentiner Renaissance, in: Magdalena Bushart, Henrike Haug (Hg.), Technische Innovationen und künstlerisches Wissen in der Frühen Neuzeit, Köln 2015, S. 99–136, hier S. 99. 26 Ibid., S. 268. Siehe auch die Online-Ausstellung „The Gem collection of the MANN“ des Museo archeologico von Neapel: https://artsandculture.google.com/exhibit/the-gem-collection‑of-the-mann/pgJi8kv​ 2qQrBLw [zuletzt abgerufen: 15.10.2020]

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zination, die von ihnen ausging.27 Für den humanistischen Sammler stellten sie Zeugnisse und Artefakte dar, die eine direkte Verbindung zur Antike ermöglichten. Einerseits wurde ihre Existenz z. B. in Plinius‘ Naturgeschichte überliefert und darin sogar einige Objekte konkret beschrieben.28 Die Humanisten und Sammler konnten so die schriftliche Überlieferung mit dem erhaltenen Objekt abgleichen und teilweise durch Künstlersignaturen Werke antiker Künstler identifizieren, aber auch die Darstellungen zunehmend in ihren mythologischen Motiven verstehen.29 Als Kunstobjekte, die die Spuren der Arbeit der antiken Künstler trugen, waren die geschnittenen Steine jedoch auch Artefakte, die die historische Kontinuität und das Erbe der Antike faktisch greifbar machten. Seit etwa 1400 waren das Sammeln und die über die Rezeption dieser Kleinkunstwerke inspirierten Schöpfungen ein für Florenz besonders typisches Phänomen.30 Lorenzo Ghiberti (1378–1455) überliefert in seinem Dritten Kommentar seine Betrachtung eines Chalzedons, der sich in der Sammlung des Humanisten Niccolò Niccoli (1364–1437) befand: Unter anderen antiken Sammelstücken hatte er [also] diesen Chalzedon, der zu den am vollkommensten gearbeiteten Werken zählte, die ich je sah […]. Alle Kenner und Meister der Bildhauerei und Malerei meinten ohne Ausnahme, diese Skulptur sei eine wunderbare Sache mit all den Maßen und Proportionen, die eine Statue oder Skulptur haben müsse, und sie wurde von allen Fachleuten überschwänglich gelobt. Bei starkem Licht konnte man sie nicht so gut erkennen. Die Ursache [hierfür] liegt darin, daß bei feinen Steinen, mit vertieft geschnittenen Bildern, starkes Licht und dessen Reflexion die Wahrnehmung verhindert. Besagte Skulptur sah man am besten, wenn man die geschnittene Seite zum starken Licht hindrehte. Dann sah man sie vollkommen.31

27 Siehe dazu Philippe Cordez, Albertus Magnus und die Steine von Venedig, in: Augart/Saß/Wenderholm 2019 (wie Anm. 27), S. 191–205. 28 Insbesondere am Beginn des 37. Buches beschreibt er Siegelringe, später die verschiedenen Arten von Edelsteinen. Siehe C. Plinius Secundus d. Ä., Naturkunde, Lateinisch-Deutsch, Buch 37: Steine: Edelsteine, Gemmen, Bernstein, hrsg. und übersetzt von Roderich König und Joachim Hopp, Düsseldorf 2007. 29 Zwierlein-Diehl 2017 (wie Anm. 24), S. 265. 30 Hirsch 2015 (wie Anm. 24), S. 99. 31 „Fra l’altre egregie cose io uidi mai è uno calcidonio intaglio incauo mirabilmente et quale era nelle mani d’uno nostro cittadino, era il suo nome Nicholaio Nicholi: fu huomo diligentissimo et ne’ nostri tempi fu inuestigatore et cercatore di moltissime et egregie cose antiche si in scripture si in uolumi di libri greci et latini, et infra’ ll’altre cose antiche aueua questo calcidoni el quale è perfettissimo più che cosa io uedessi mai. […] essa scultura per tutti i periti et amaestrati di scultura o di pittura sanca scordanza nell’ una ciascuno diceua essere cosa marauiglosa con tutte le misure e’ lle proportioni debbe auere alcuna statua o scultura, da tutti li ingegni era lodata sommissimamente. Non si comprendeua bene una forte luce. La ragione è questa che le pietre fini e’ llustrate essendo in cauo, la forte luce e’ lla reflexione d’ esse occultano la conprensione. Detta scultura non si uedeua meglo che uolgere la parte cauata in uerso la forte luce, allore si uedea perfettamente.“ Klaus Bergdolt, Der dritte Kommentar Lorenzo Ghibertis:

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5  Künstler unbekannt, Diomedes mit Palladium, wahrscheinlich 2. Hälfte 15. Jahrhundert, Bronze, 51 × 41 mm, New York, The Metropolitan Museum of Art

6  Lorenzo Ghiberti, Die Opferung Isaaks, 1401, 440 × 380 × 105 mm, Bronze, zum Teil ­vergoldet, Florenz, Museo Nazionale del Bargello, Inv. Nr. 203 Bronzi

Wie Ghiberti hier am Beispiel der sogenannten Diomedes-Gemme (Abb. 5) hervorhebt, die heute nur in Abdrücken aus der frühen Renaissance überliefert ist, macht erst die Interaktion von Objekt und Licht die eingeschnittene Darstellung sichtbar.32 Dabei wird aus Ghibertis Kommentar nicht nur deutlich, dass sich die Auseinandersetzung mit der Wirkung von rilievo direkt aus der Betrachtung von antiken Gemmen erschließen konnte. Er dokumentiert darüber hinaus das allgemeine Interesse, das solchen Objekten entgegengebracht wurde. ­Martin Hirsch stellt außerdem heraus, dass die frühe Aneignung dieser antiken Werke in anderen, zur Abformung geeigneten Materialien als dem Steinschnitt selbst geschah, der in Florenz

Naturwissenschaften und Medizin in der Kunsttheorie der Frührenaissance, Weinheim 1988, S. 32–36. Siehe auch Zwierlein-Diehl 2012 (wie Anm. 24), S. 267. 32 Siehe zu dieser Gemme Hirsch 2014 (wie Anm. 26), besonders S. 102. Ghiberti leitet diese Beschreibung direkt von den Sehtheorien Alhazens ab, dessen De aspectibus er in seinem Kommentar kompiliert. Das arabisch verfasste Werk Alhazens wurde an der Wende des 12. und 13. Jahrhunderts ins Lateinische übersetzt. Siehe zu Alhazen: Lakey 2018 (wie Anm. 20), S. 129. Siehe auch: Graziella Federici Vescovini, Alhazen vulgarisé: Le De li aspecti d’un manuscrit du Vatican (moitié du XVe siecle) et le troisième Commentaire sur l’optique de Lorenzo Ghiberti, in: Arabic Sciences and Philosophy, 8 (1998) S. 67–96. Siehe ferner Iris Brahms’ Beitrag in diesem Band.

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erst 1477 wieder praktiziert wurde.33 Während sich also einerseits ein deutliches Interesse der Künstler und Sammler, darunter Leonardo Bruni,34 Ciriaco d’Ancona35 und weitere humanistisch Interessierte, zeigt, findet die künstlerische Aneignung in der Überführung in anderen Formen statt. Neben Abformungen und Abdrücken, die die Stücke in einem Material wie Wachs, Gips und Bronze reproduzierten, werden in der künstlerischen Produktion auch einzelne Details aufgenommen wie beispielsweise die Haltung und körperliche Spannung des Isaak im Bronzeentwurf Ghibertis (Abb. 6), der sich motivisch mit dem sogenannten Siegel Neros in Verbindung bringen lässt.36 Das zunehmende Interesse der Florentiner Künstler, Auftraggeber und Sammler an antiken Steinen zeigt sich somit vor allem in der Transformation dieser Artefakte. Bevor genauer auf den Aspekt der Transformation eingegangen werden kann, muss jedoch gezeigt werden, dass Lorenzo Monaco sich als reifer Künstler am Ende seiner Karriere nicht fernab dieser jüngeren humanistisch interessierten Kreise bewegte.

4. Humanisten und Künstler Stilistisch wurde in der Forschung bereits die Nähe zwischen Lorenzo Monaco und Künstlern wie Ghiberti hergestellt.37 Während Lorenzo Monaco am Beginn des 15. Jahrhunderts als überaus erfolgreicher Künstler sich sicher nicht gezwungen sah, den neuen Strömungen der Kunst zu antworten, sondern auf die vertrauten Grundlagen seiner künstlerischen Erfahrungen vertrauen konnte,38 sollte hier doch bedacht werden, dass auch auf dem Höhepunkt einer Karriere neue Interessen der Auftraggeber eine Rolle spielen können. Diese „neuen“ Interessen, die im Kern gar nicht so neu sind, da sich Elemente der studia humanitatis bereits in verschiedenen Kontexten seit dem 13. Jahrhundert zeigten,39 erhalten in Florenz um 1400 eine neue Relevanz.  33 Hirsch 2014 (wie Anm. 26), S. 106. 34 Dieser erwartete im Jahr 1407 vergeblich eine Gemme, die er Niccoli zum Geschenk machen wollte, wie aus einem Brief zu erfahren ist. Siehe dazu Zwierlein-Diehl 2012 (wie Anm. 24), S. 268. 35 Siehe Michail Chatzidakis, Ciriacos Numismata und Gemmae. Die Bedeutung der Münz- und Gemmenkunde für die Altertumsforschungen des Ciriaco d’Ancona, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz, 54/1 (2010–2012), S. 31–58. 36 Hirsch 2014 (wie Anm. 25), S. 102. 37 Diane Finiello Zervas schreibt, dass seit dem Monte-Oliveto-Altar im Palazzo Davanzati, der 1410 vollendet wurde, der Einfluss der Bildhauerkunst des frühen 15. Jahrhunderts im Werk Lorenzo Monacos deutlich wird. Siehe Diane Finiello Zervas, Lorenzo Monaco, Lorenzo Ghiberti, and Orsanmichele: Part I, in: The Burlington Magazine, 133/1064 (1991), S. 748–759, S. 754. 38 Diesen Zweifel an Luciano Bellosis Interpretation, der die Reise der Heiligen Drei Könige als „result of a pure visionary madness“ versteht, die „polemically accentuated, like a hysterical reaction to Brunelleschi’s perspective experiments“ funktioniert, formulierte auch Wolf-Dietrich Löhr in seiner ikonografischen Auseinandersetzung mit dem Blatt als Reflexion der Kraft der Fantasie. Siehe Löhr 2018 (wie Anm. 2) und Bellosi 2006 (wie Anm. 4), S. 45. 39 Siehe dazu ganz grundsätzlich Ronald G. Witt, In the Footsteps of the Ancients. The Origins of humanism from Lovato to Bruni, Leiden 2000.

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7  Giovanno Matociis, gen. Mansionario, Historia Augusta, 1310–1337, Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana, Ms. Chig. I. VII 259, fol. 13r

8  Simone Martini, Frontispiz Vergil, um 1336, 410 × 265 mm, Deckfarben auf Pergament, Mailand, Biblioteca Ambrosiana, S. P. 10/27, fol. 1v

Unter anderem durch die aktive Förderung der Studien und ihrer Anhänger durch ­ oluccio Salutati (1331–1406), den Kanzler von Florenz, geht das Interesse an humanistischen C Themen und Motiven schnell weit über den kleinen Kreis der Mitglieder des Studio fiorentino hinaus.40 Dabei ergibt sich nicht nur ein personelles Nebeneinander von sogenannten Humanisten und Künstlern, sondern immer wieder werden Kollaborationen oder zumindest ein Austausch greifbar wie beispielsweise in der Abbildung von antiken Münzen in der Chronik des Veronesen Giovanni Mansionario (gest. 1337), die zwischen 1310 und 1337 entstand (Abb. 7).41 In dieser Geschichte der römischen Kaiser werden antike Münzen in den Margi-

40 Brian Maxson zeigt auf, dass neben den gelehrten humanistischen Kreisen in Florenz auch ein sehr viel breiteres Interesse für humanistische Themen existierte. Somit wäre eine Ausrichtung auf humanistisch interessierte Auftraggeber nicht nur an eine kleine Gruppe von Florentiner Publikum gerichtet. Siehe Brian Maxson, The humanist world of Renaissance Florence, New York 2014, S. 18 ff. 41 Dieses ist nur eines von drei Exemplaren, die von Giovanni Mansionarios Chronik erhalten sind, wobei dieses autografe Exemplar das vollständigste ist. Der zweite Codex findet sich in Verona, Biblioteca Capitolare, Cod. 204. Ein dritter Codex, der auf 1313 datiert wird, wird in Rom (Biblioteca Vallicelliana, Ms. D. 13) aufbewahrt. Siehe Henrike Haug, hic in figura et texte habitue. Bezugsfelder diagrammatischer Formen in einer Mailänder Stadtchronik des 14. Jahrhunderts, in: Das Mittelalter, 22/2 (2017), S. 351–376, hier S. 363–364. Siehe auch: Johannes Helmrath, Die Aura der Kaisermünze. Bild-Text-­

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nalien abgebildet, so dass die antiken Münzporträts der Herrscher neben ihre Viten stehen. Die humanistische Sammlung und die künstlerische Ausstattung dieses Werks hängen also zusammen.42 Auch die Miniatur (Abb. 8), die Simone Martini als eine Art postcard für das Vergil-Manuskript Petrarcas schuf, stellt ein Werk dar, das humanistische Interessen in künstlerische Form übertrug: Es bildet einerseits den Autor Vergil und seinen Kommentator Servius ab, deren Werke in dem Band zu lesen sind, und verbindet außerdem durch drei eigenhändige Distiche die Komposition mit dem Denkprozess des Humanisten Petrarca (1304–1374). Dieser entwarf höchstwahrscheinlich dieses Frontispiz mit dem Künstler gemeinsam.43 Auch in Lorenzo Monacos Umfeld ist die Auseinandersetzung mit humanistischen Themen präsent: Diane Finiello Zervas wies in ihrer Auseinandersetzung mit der Ausstattung von Orsanmichele darauf hin, dass Lorenzo Monaco dort seit 1412 als einer von sechs Kapellanen angestellt war und so in direkter Umgebung der Werke von Ghiberti, Donatello und Gianni di Banco arbeitete.44 Besonders in der Szene der Krönung Mariens in Santa Maria degli Angeli sieht sie einen direkten Zusammenhang mit dem zeitgleich fertiggestellten ­Johannes dem Täufer Ghibertis (Abb. 9). Nun zeigt sich gerade an dieser Skulptur des Bildhauers auch ein deutlicher Hinweis auf seine Auseinandersetzung mit ästhetischen Vorstellungen, die mit der studia humanitatis verbunden sind: Denn die Schrift, die auf der Rolle in der Hand des Täufers angebracht wurde, zeigt eine antike Capitalis. Diese Schrift war über mehrere Jahrhunderte hinweg durch gotische Buchstabenformen abgelöst worden. Erst mit dem Studium antiker Inschriften, die nicht nur auf ihren Inhalt, sondern auch in ihrem grafischen Aspekt betrachtet wurden, findet man in künstlerischen Arbeiten wieder die mit kla-

Studien zur Historiographie der Renaissance und zur Entstehung der Numismatik als Wissenschaft, in: ­Johannes Helmrath, Albert Schirrmeister, Stefan Schlelein (Hrsg.), Medien und Sprachen humanistischer Geschichtsschreibung, Berlin/New York 2009, S. 99–138; Robert Weiss, The study of ancient numismatics during the Renaissance (1313–1517), in: The Numismatic Chronicle, 8 (1968), S. 177–187. 42 Andere, ähnlich funktionierende Beispiele sind: 1. Florenz, Biblioteca Medicea Laurentiana, Ms. Plut. 64.4, Sueton, De vita Caesarum, um 1416, in welchem Suetons Kaiserviten mit farbigen Profilporträts in runden Bildflächen ergänzt wurden, die in ihrer Form noch an Münzen erinnern, sich jedoch durch die farbige Ausführung und vor einem blauen Hintergrund auch von diesen Artefakten unterscheiden. 2. Fermo, Biblioteca Comunale, Ms. 81, Sueton, De vita Caesarum, um 1350, Hier werden kleine Brustbilder von Münzdarstellungen abgeleitet. Siehe Francis Haskell, Die Geschichte und ihre Bilder. Die Kunst und die Deutung der Vergangenheit, München 1995, S. 37 ff. 43 Mit Postcard bezeichnet Kathryn M. Rudy Miniaturen, die nicht während des ursprünglichen Produktionsprozesses eines Manuskripts geplant und realisiert, sondern erst nachträglich eingefügt wurden. Siehe Kathryn M. Rudy, Postcards on Parchment. The social lives of Medieval Books, New Haven/London 2015, S. 3. Die ganzseitige Miniatur, die Simone Martini für Petrarca malte, steht inhaltlich in engem Zusammenhang mit den im Manuskript enthaltenen Werken Vergils im sogenannten Codex Ambrosianus aus dem Besitz Petrarcas (Mailand, Biblioteca Ambrosiana, Ms. 79 inf.). Simone Martini schuf sie zwischen 1338–1343 für das Manuskript, das bereits 1325 im Auftrag von Petrarcas Vater angefertigt wurde. Siehe Wolf-Dietrich Löhr, Lesezeichen: Francesco Petrarca und das Bild des Dichters bis zum Beginn der Frühen Neuzeit, Berlin 2010, S. 176 ff. 44 Zervas I 1991 (wie Anm. 41), S. 754.

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9  Lorenzo Ghiberti, Hl. Johannes der Täufer (Detail), 1412, Bronze, Florenz, Orsan­michele

ren und geraden Linien gestalteten Buchstabenformen.45 Neben Ghiberti, in dessen zumindest geographischer Nähe Lorenzo Monaco während seiner Tätigkeit in Orsanmichele also verkehrte und der ein aktives Mitglied und auch Mediator der Übertragung humanistischer Motive in die künstlerische Produktion war, gibt es einen weiteren Vermittler. Denn im Kloster Santa Maria degli Angeli, in welchem Lorenzo Monaco 1391 sein Gelübde ablegte und insbesondere an der Buchproduktion beteiligt war,46 wirkte seit 1400 Ambrogio Traversari (1386–1439). Neben seinem Engagement für den Orden der Kamaldulenser stand dieser bereits früh dem humanistischen Kreis um Coluccio Salutati nahe.47 Als Übersetzer griechischer Texte ins Lateinische interessierten ihn insbesondere die Schriften der Kirchenväter. Während er scheinbar wenig konkretes Interesse an künstlerischen Aktivi-

45 Ghiberti zeigt sich auch durch die Benutzung einer humanistischen Kursivschrift für seinen persönlichen Gebrauch als humanistischen Interessen verbunden. Siehe Francis Ames-Lewis, The intellectual life of the early Renaissance artist, New Haven 2000, S. 26. 46 Siehe dazu George R. Bent, Monastic art in Lorenzo Monaco’s Florence. Painting and patronage in Santa Maria degli Angeli, 1300–1415, Lewiston 2006. 47 Charles L. Stinger, Humanism and the Church Fathers: Ambrogio Traversari (1386–1439) and the Revival of Patristic Theology in the Early Italian Renaissance, Albany 1977.

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täten im öffentlichen Raum hatte,48 stand er den Überlegungen der Interdependenz von Schrift in ihrer Ästhetik und ihrer Wirkung auf den Leser sehr nahe – einer anderen Facette der Interaktion zwischen Humanisten und der künstlerischen Produktion dieser Zeit.49 Die öffentliche Präsenz humanistischer Themen nahm immer weiter zu und das Verständnis der mit humanistischen Studien verbundenen Motive verbreitete sich. Dies führte zu neuen Themen bei Auftraggebern und Sammlern, in welchen unter anderem Elemente der humanistischen Studien in der künstlerischen Praxis sichtbarer gemacht wurden. Denn während es schon immer gängiger Bestandteil des künstlerischen Prozesses war, Motive und Material intermedial zu interpretieren,50 wird die Erhebung dieser Transformationsprozesse zu einem Motiv ein Element, dass solche Kunstwerke mit der Interaktion des ersten Publikums der Sammlung antiker Artefakte verbindet – denn die Übersetzung bzw. Übertragung stellt gerade am Beginn des 15. Jahrhunderts eines der Kernmotive humanistischer Tätigkeit dar.

5. Übersetzung Die Übersetzung ist dabei zunächst im üblichen Sinn als die Übertragung griechischer Texte ins Lateinische zu verstehen. Mit der Ankunft Manuel Chrysoloras‘ (1353–1415) 1397 in Florenz bekommt sie einen bedeutenden Platz innerhalb der Gruppe von Studierenden der studia humanitatis um Coluccio Salutati. Dabei ging es den humanistischen Lesern vor allem darum, die z. B. von Cicero gepriesene Eloquenz Platons rezipieren zu können, die sich in den ihnen vorliegenden mittelalterlichen Übersetzungen nicht vermittelte. Da die Übertragung literarischer Eloquenz in der im Mittelalter verbreiteten Übersetzungstechnik nicht im Fokus stand, entwickelten die Humanisten eine neue Technik, die weniger dem einzelnen Wortsinn, als vielmehr der literarischen Qualität des Textes gerecht werden sollte.51 Die Grundidee dieser Art der Übersetzung war es, den „künstlerischen Effekt“ in die andere Sprache zu

48 Georgia Clarke weist nach, dass sich frühere Thesen, nach denen Traversari direkt in das Entstehen künstlerischer Konzepte involviert war, schwer aufrecht zu erhalten sind. Siehe Georgia Clarke, ­Ambrogio Traversari: artistic adviser in early fifteenth-century Florence?, in: Renaissance Studies, 11 (1997), S. 161– 178. 49 „Niccolis Freund Ambrogio Traversari übertrug daher auch den Begriff der Reinheit von der Grammatik auf die anschaulichere Form der Lettern und sprach von der ‚puritas und suavitas‘ der Schriftzeichen.“ (Ambrogio Traversari, Epistolarium, Bd. 2, Lib. XI, 19) Hier zitiert nach Ulrich Pfisterer, Donatello und die Entdeckung der Stile. 1430–1445, München 2002, S. 94. 50 Gerade im Konzept des Paragone zeigt sich die wiederkehrende Aushandlung des Verhältnisses zwischen verschiedenen Materialien und künstlerischen Techniken. Aber auch außerhalb von dieser kunsttheoretischen Kategorie gibt es immer wieder Phänomene von Imitation und Evokation verschiedenster Materialien in anderen Techniken, so z. B. von Stoffelementen in der Buch- und Wandmalerei. Siehe dazu z. B. Anna Bücheler, Ornament as argument. Textile pages and textile metaphors in early medieval manuscripts, Berlin/Boston 2019. Siehe ferner den Beitrag von Iris Helffenstein in diesem Band, die sich der Intermedialität in Lorenzo Monacos Werk insbesondere anhand von Verre églomisé widmet. 51 Siehe James Hankins, Plato in the Italian Renaissance, 2 Bde., Leiden 1990, Bd. 1, S. 42.

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Philippa Sissis

übertragen.52 Leonardo Bruni beschrieb diese Praxis ad sententiam in einem Vergleich mit der Arbeit des kopierenden Malers, der den Stil des Modells erkennen und übertragen muss.53 Eine solche Übersetzung machte die Interpretation des Übersetzers zu einem Hauptbestandteil der Übertragung.54 Denn nur indem dieser entscheidet, was die Essenz des Textes ausmacht, konnte er ein Äquivalent in der eigenen Sprache finden. Neben dieser grundsätzlichen Subjektivität erfolgte eine Dekonstruktion des Textes in seine ästhetischen Momente, die dann in der anderen Sprache ihre Entsprechungen finden und zu einem funktionierenden Ganzen wieder zusammengefügt werden mussten. Der bildhafte Vergleich mit der Tätigkeit eines Malers, der seine Kopie in derselben Komposition und mit denselben Farben anfertigt, hebt den künstlerischen Aspekt deutlich hervor. Während also in der künstlerischen Praxis ein konstantes Arbeiten mit Modellen und VorBildern üblich ist, wird die Idee der Übersetzung und Umformung gerade in humanistischen Kreisen – und solchen, die ihnen nahestehen – seit 1400 präsenter. Es wird von einer Handhabung, die nicht nur seit Langem (vielleicht seit immer) im künstlerischen Kontext Teil der Ausbildung und Bildfindung ist, für ein zunehmend humanistisch interessiertes Publikum auch zu einem Motiv, das in der Komposition sichtbar gemacht werden kann – sei es in Form der bereits erwähnten Abdrücke und Abformungen oder motivischen Anleihen, die durch die Evokation der Quelle als Transformation erkennbar sind. Dabei ist ein zentraler Gedanke der frühen Humanisten nicht die mechanische Rekonstruktion antiken Stils – ihre imitatio ist vielmehr eine Aufnahme gerade so vieler Aspekte des „Alten“ und ihre Kombination mit den modernen Elementen, die das Produkt in die eigene Zeit einschrieben, dass sowohl das evozierte Original, als auch der moderne Urheber im Endprodukt, sei es literarisch oder grafisch, präsent sind. Dies zeigt sich beispielsweise in der Ästhetik der humanistischen Bücher, die Poggio Bracciolini und Niccolò Niccoli seit etwa 1400 eigenhändig kopieren und gestalten.55 Indem Lorenzo Monaco das Moment der künstlerischen Übersetzung des visuellen Eindrucks von Steinschnitten in einer kleinformatigen Darstellung zum Bildthema macht, schafft er ein Werk, welches diese humanistische Mode aufnimmt. Der Übersetzungsakt zeigt sich dabei in der technischen Umsetzung der Zeichnung. Dass diese in Linien und Schraffuren 52 Ibid., S. 44. 53 Ibid., S. 45. Siehe auch James Hankins, On the Correct Way to Translate (1424/1426), in: Gordon ­Griffiths, James Hankins, David Thompson (Hrsg.), The humanism of Leonardo Bruni. Selected Texts, New York 1987, S. 217–229, hier S. 220. 54 Entsprechend wurde Manuel Chrysoloras, der Mitinitiator dieser Technik war, mehr als Kommentator, denn als Übersetzer bezeichnet. Siehe Hankins 1990 (wie Anm. 51), S. 44–45. 55 In meiner (noch unveröffentlichten) Dissertation legte ich eine detaillierte Analyse der Beziehung zwischen Manuskripten, die als Modelle genutzt werden, mit jenen vor, die eigens von den frühen Humanisten angefertigten wurden, insbesondere denen die Poggio Bracciolini abschrieb. Siehe dazu: Philippa Sissis, Script as image: Visual Acuity in the Script of Poggio Bracciolini, in: Roberta Ricci (Hrsg.), Poggio Bracciolini and the Re(dis)covery of Antiquity: Textual and Material Traditions, Proceedings of the Symposium held at Bryn Mawr College on April 8–9 2016, Florenz 2020, S. 119–148.

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Von Licht und Stein?

arbeitet, evoziert die abtragende Praxis des Steinschnitts. Der farbige Grund gibt die Grundlage der Assoziation von rotfarbigen Steinen.

6. Schluss Es ist festzuhalten, dass Lorenzo Monaco mit den Berliner Blättern sowohl zeichentechnisch, als auch in der Farbreduktion der Ausführung kein völliges Neuland betritt. Wie durch die Ausführungen Cenninis überliefert, stellt das Zeichnen auf farbigem Grund einen wichtigen Teil der zeichnerischen Praxis und Ausbildung dar. Dass diese Art von Zeichnung auch zu eigenständigen Werken führen kann, zeigt sich in den wenigen erhaltenen Blättern, die weder Studien noch Vorstufen zu anderen Werken sind. Dabei ist neben der Zeichnung die monochrome Malerei – vor allem im Buch, aber auch auf der Tafel oder Wand – eine mögliche Quelle für solche Bildideen. Was die Berliner Blätter jedoch einzigartig macht, ist die Art der Linienführung sowie das Zusammenspiel und gleichzeitig die Irritation, die durch den farbigen Grund und das intensive Kolorit des Himmels kreiert werden. Lorenzo Monaco wählt hier die ihm vertrauten künstlerischen Mittel und schafft mit ihnen ein aus der Fläche des Pergaments gestaltetes rilievo, das durch das „natürliche“ Licht des Himmels beleuchtet und dadurch erst sichtbar wird. Gerade im kleinen Format dieser Zeichnung auf Pergament wird dabei nicht nur die Nahsichtigkeit, sondern auch die mögliche Bewegung des Bildträgers zum Potential der individuellen und intensiven Begegnung mit dem Bild. Während aufgrund nicht überlieferter Dokumentation weder der Auftraggeber, noch der frühe Aufbewahrungs- oder Betrachtungskontext klar sind, zeigt sich das Florentiner Publikum des frühen 15. Jahrhunderts als von antiken Gemmensteinen begeistert. Es wäre ein Schritt aus den üblichen Betrachtungsfragen nach Zeichnung und Farbreduktion heraus, wenn die hier von Lorenzo Monaco geschaffenen Werke als eine Inszenierung von Transformation gelesen würde. In der Fokussierung auf die Darstellung in Linien und das Aufbrechen der grundierten Fläche durch einen lichtwerfenden Himmel wird die Szene zu einem Bild im Bild, das wie geschnitten seine Darstellung nur unter Licht sichtbar werden lässt.

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Iris Helffenstein

Intermediale Verfahren im studietto Zu Materialästhetik und Medialität von Verre églomisé und Goldgrund im italienischen Spätmittelalter bis Lorenzo Monaco

Leon Battista Alberti gilt gemeinhin als derjenige, der mit seinen ab 1435 verfassten Schriften Malerei, Skulptur und Architektur als die drei Hauptgattungen künstlerischen Schaffens nachhaltig festgeschrieben hat.1 Dass es indes bereits vor Alberti und der zunehmenden Fixierung künstlerischer Gattungen im Sinne eines Systems der Künste, der Benennung ihrer jeweiligen Charakteristika und darauf basierend ihres wertenden Vergleichens ein Bewusstsein für unterschiedliche Gattungen und ihre Eigenheiten gab, haben punktuelle Untersuchungen zu Kunstliteratur und künstlerischer Praxis hinlänglich gezeigt.2 Gerade dieses Be-

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Der Beitrag basiert auf einem Vortrag, den ich im Mai 2019 im Rahmen des Workshops „Intermediale Verfahren und ästhetische Evidenz. Differenzen, Übergänglichkeiten, Interferenzen in den Künsten der Frühen Neuzeit“ an der Freien Universität Berlin gehalten habe. Für zahlreiche Hinweise danke ich Iris Brahms, Britta Dümpelmann, Yannis Hadjinicolaou, Andreas Huth, Sven Jakstat, Klaus Krüger, Ann-­ Sophie Lehmann, Evonne Levy, Elke Werner und Friederike Wille. Für Unterstützung bei der Bildbeschaffung danke ich Carolin Geide. Aus der umfangreichen Literatur siehe etwa Oskar Bätschmann, Kunstgattungen, Bildgattungen, Schemata, in: Siegfried Mauser (Hrsg.), Theorie der Gattungen, Laaber 2005, S. 34–35; Erich Achermann, Das Prinzip des Vorrangs. Zur Bedeutung des Paragone delle arti für die Entwicklung der Künste, in: Herbert Jaumann (Hrsg.), Diskurse der Gelehrtenkultur in der Frühen Neuzeit. Ein Handbuch, Berlin/Boston 2011, S. 179–209. Zur Frage des Medienbewusstseins vgl. Michaela Krieger, Grisaille als Metapher. Zum Entstehen der Peinture en Camaieu im frühen 14. Jahrhundert, Wien 1995, bes. Kap. E. Kriegers Postulat, dass ein solches Medienbewusstsein erst um 1300 einsetzte, während die Gattungen zuvor als austauschbar angesehen wurden, ist jedoch nicht unwidersprochen geblieben. Dazu und zum Ganzen: Iris Wenderholm, Bild und Berührung. Skulptur und Malerei auf dem Altar der italienischen Frührenaissance, München 2006, S. 57 und passim; Britta Dümpelmann, Veit Stoß und das Krakauer Marienretabel. Mediale Zugänge, mediale Perspektiven, Zürich 2012, S. 13–29 und passim. Ein einschlägiges Beispiel ist Giotto Zyklus der Tugenden und Laster in der Paduaner Arenakapelle von ca. 1305, in dem Steinreliefs kunstvoll imitiert und zugleich selbstbewusst als Malerei ausgestellt werden. Dazu ausführlich: Krieger 1995, S. 54–67; Riccardo Luisi, Le ragioni di una perfetta illusione. Il significato delle decorazioni e dei finti marmi negli affreschi della cappella Scrovegni, in: Chiara Frugoni, L’affare migliore di Enrico. Giotto e la cappella Scrovegni, Turin 2008, S. 377–396; Klaus Krüger, Figuren

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wusstsein wird hier als Voraussetzung dafür verstanden, Phänomene des Intermedialen als künstlerische und ästhetische Praxis zu untersuchen.3 Implikationen für die Prozesse von Produktion und Rezeption sowie semantische und ästhetische Dimensionen dieser intermedialen Aushandlungen im italienischen Spätmittelalter sollen im Folgenden anhand zweier Fallbeispiele aufgefächert werden. Auf der Seite der Produktion ist dabei von einem informiert-überlegten und kreativ-experimentellen Umgang mit Techniken und Materialien auszugehen, der in einer interdiszi­ plinären Werkstattpraxis wurzelte. Diese kannte keine klare Abgrenzung, wie sie heutige Museumspräsentationen häufig konstruieren, wenn Tafelbilder und Skulpturen getrennt ausgestellt und alle weiteren Objekte unter dem Schlagwort des Kunsthandwerks separat verwahrt werden. Cennino Cennini fasst in seinem um 1400 geschriebenen Künstlerhandbuch, dem Libro dell’arte, das vielfältige Aufgabenspektrum in einer Malerwerkstatt als „lavorii di mano“ zusammen, d. h. als Arbeiten der Hand.4 Darunter versteht er vor allem die einzelnen Schritte des Zeichnens und Malens auf Papier, Wand und Tafel, doch erläutert er auch etwa das Aufbringen von Gipsreliefs auf Bildtafeln, die Vergoldung von Skulpturen oder das Anfertigen von Turnier-Helmen. Aus anderen Quellen wissen wir, dass zum Arbeitsspektrum des Malers auch Entwurfszeichnungen für Steinskulpturen, Reliefs und Goldschmiedeobjekte gehören konnten.5

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der Evidenz. Bild, Medium und allegorische Kodierung im Trecento, in: Peter Strohschneider (Hrsg.), Literarische und religiöse Kommunikation in Mittelalter und Früher Neuzeit, Berlin/Boston 2009, S. 904– 929. Siehe zum Ganzen auch Iris Helffenstein, Wissenstransfer in Bildprogrammen des Trecento. Allegorie, Imitation und Medialität, Paderborn 2021, Kap. II.4. Unter den Begriff der Intermedialität werden hier im weiteren Sinn solche künstlerischen Praktiken gefasst, bei denen mindestens zwei gemeinhin als distinkt wahrgenommene Medien miteinander interagieren. Dazu einführend Irina O. Rajewsky, Intermedialität, Tübingen u. a. 2002. Im Tre- und Quattrocento konnte diese Interaktion auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden: von der Kombination unterschiedlicher Medien in einem Kunstwerk, wie etwa Malerei und Skulptur bei Grabmälern, bis zur Imitation oder Evokation eines Mediums in einem anderen. Vorläufige Überblicksdarstellungen für diese Zeit etwa bei John Pope-Hennessy, The Interaction of Painting and Sculpture in Florence in the Fifteenth Century, in: The Journal of the Royal Society for the Encouragement of Arts, Manufactures and Commerce 117:5154 (1969), S. 406–424; Marco Collareta, Il primato del disegno. Un percorso attraverso le arti minori, in: Angelo Tartuferi (Hrsg.), L’eredità di Giotto. Arte a Firenze 1340–1375 (Ausst. Kat. Le Gallerie degli Uffizi/ Florenz), Florenz/Mailand 2008, S. 57–65; Machtelt Israëls, „Sculpted Painting“ in Early Renaissance Florence, in: Beatrice Paolozzi Strozzi, Marc Bormand (Hrsg.), The Springtime of the Renaissance. Sculpture and the Arts in Florence 1400–60 (Ausst. Kat. Palazzo Strozzi/Florenz, Musée du Louvre/Paris), Florenz 2013, S. 151–157. Cennino Cennini, Il libro dell’arte, Fabio Frezzato (Hrsg.), Vicenza 2004, S. 64, Kap. IIII. Zum Libro: Wolf-Dietrich Löhr, Stefan Weppelmann (Hrsg.), Fantasie und Handwerk. Cennino Cennini und die Tradition der toskanischen Malerei von Giotto bis Lorenzo Monaco (Ausst. Kat. Gemäldegalerie/Berlin), München 2008. Zur Bedeutsamkeit der Hand in Cenninis Konzeptualisierung künstlerischer Tätigkeit siehe darin: Wolf-Dietrich Löhr, Handwerk und Denkwerk des Malers. Kontexte für Cenninis Theorie der Praxis, S. 152–177. Zur intermedialen Werkstattpraxis vgl. Wolf-Dietrich Löhr, Stefan Weppelmann, „Glieder in der Kunst der Malerei“. Cennino Cenninis Genealogie und die Suche nach Kontinuität zwischen Handwerkstradition,

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1  Umbrisch (?), Kreuzigung, ca. 1370–1380, Verre églomisé, Holz, Reliquien, 16,3 × 14 cm (ohne Rahmen), London, Victoria and Albert Museum, Inv. Nr. 4486–1858

Werkstattpraxis und Historiographie, in: Ausst. Kat. Berlin 2008 (wie Anm. 4), S. 13–43, hier S. 23; Wolf-­ Dietrich Löhr, Vorläufige Vollendung. Die Künste in Florenz im 14. Jahrhundert und ihr Erbe, in: Andreas Schumacher (Hrsg.), Florenz und seine Maler. Von Giotto bis Leonardo da Vinci (Ausst. Kat. Alte Pinakothek/München), München 2018, S. 27–37, hier S. 32–34. Vgl. auch Erling S. Skaug, Painters, Punchers, Gilders or Goldbeaters? A Critical Survey Report of Discussions in Recent Literature about Early Italian Painting, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 71:4 (2008), S. 571–582 zu den anspruchsvollen Techniken der Goldbearbeitung, für die – wie Skaug überzeugend argumentiert – die Maler selbst zuständig waren.

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2  Tommaso da Modena zugeschrieben, Flügel eines Reliquiar-Diptychons mit Verre églomisé-­ Tafel, ca. 1350–1377, Tempera und Blattgold auf Holz, Marmor- und Keramikfragmente, 45,6 × 21 × 2,2 cm sowie umbrisch, Annunziata und Kreuzigung Christi, erste Hälfte 14. Jahrhundert, Verre églomisé und Reliquien, Baltimore, The Walters Art Museum, Inv. Nr. 37.1686

Exemplarisch belegt dies der vielseitige Output von Cenninis Zeitgenossen Lorenzo Monaco, dessen intermediale Dimension bisher zu wenig Beachtung gefunden hat.6 Neben Buch-, Tafel- und Wandmalerei gehören dazu auch Lorenzo Monacos schwer zu klassifizierende und gewissermaßen zwischen den Gattungen stehende, mit Feder und Pinsel in Tinte, Deckfarben und Bleiweiß auf grundiertem Pergament ausgeführte Blätter im Berliner Kupfer­

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Eine umfassende Würdigung Lorenzo Monacos als intermedialer Künstler steht bislang noch aus. Der umfangreiche aktuelle Katalog Angelo Tartuferi, Daniela Parenti (Hrsg.), Lorenzo Monaco. A Bridge from Giotto’s Heritage to the Renaissance (Ausst. Kat. Galleria dell’Accademia/Florenz), Florenz 2006 trägt zwar die relevanten Werke zusammen, setzt diese aber weiterhin vor allem zum Zweck des Stilvergleichs zueinander in Beziehung.

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Intermediale Verfahren im studietto

stichkabinett (s. Abb. 1 und 2 in Sissis‘ Beitrag).7 Darüber hinaus entstanden in der Florentiner Werkstatt Lorenzo Monacos kleine Werke in einer speziellen Technik vergoldeten Glases, der Cennini ein in vielerlei Hinsicht bemerkenswertes Kapitel widmete.

1. Un membro di gran divozione Im Rahmen seiner Behandlung von Verfahren der Glasmalerei erläutert Cennini die Anfertigung einer Art Hinterglasradierung, einer delikat-diffizilen Technik, die heute meist als Verre églomisé bezeichnet wird.8 Auf die Rückseite einer Glastafel wurde hierbei Goldfolie aufgebracht, in die dann die Darstellung mit einer Nadel geritzt wurde. Anschließend wurden die Leerflächen freigeschabt und mit deckenden Farben übermalt, um einen effektvollen Kon­ trast zu erzeugen, wie es eindrucksvoll eine Kreuzigungstafel in London vor Augen führt (Abb. 1).9 Diese in der kunsthistorischen Forschung wenig beachtete Technik muss einst hoch geschätzt und weit verbreitet gewesen sein: Eine angesichts des fragilen Materials erstaunlich große Zahl erhaltener Tafeln dokumentiert eine rege Produktion seit ihrer Entstehung im späten 13. Jahrhundert bis zu Lorenzo Monaco und darüber hinaus. Die eigentümliche Technik des Verre églomisé fiel – anders als ihre historischen Vorläufer und die bei Cennini ebenfalls beschriebene, arbeitsteilig ausgeführte Glasmalerei für Fenster – ganz in das Metier des Malers.10 Gleichwohl stand sie mit ihrer speziellen Synthese aus Materialien, Instrumenten und Verfahren sowie ihrer visuellen Anmutung zwischen un  7 Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 608 (Heimsuchung Mariens) und KdZ 609 (Reise der Hl. Drei Könige). Zur Klassifizierungsproblematik etwa: Stephanie Buck, On Relationships between Netherlandish Drawing and Manuscript Illumination in the Fifteenth Century, in: Elizabeth Morrison, Thomas Kren (Hrsg.), Flemish Manuscript Painting in Context. Recent Research, Los Angeles 2006, S. 103–116, hier S. 103, 105; Iris Brahms, NEHMT ZV DANK. Emanzipationsprozesse der Handzeichnung vor 1500 in Nord und Süd, in: Daniela Bohde, Alessandro Nova (Hrsg.), Jenseits des disegno. Die Entstehung selbstständiger Zeichnungen in Deutschland und Italien im 15. und 16. Jh., Petersberg 2018, S. 32–51. Zu den Blättern siehe außerdem den Beitrag von Katharina Christa Schüppel und Irene Brückle sowie Kat. Nr. 14 und Kat. Nr. 15 (Lorenza Melli) in Ausst. Kat. Berlin 2008 (wie Anm. 4). Siehe außerdem den Beitrag von Philippa Sissis in diesem Band.   8 Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 192–194, Kap. [CLXXII]. Diesem Kapitel sind auch, wenn nicht anders angegeben, die nachfolgend im Text zitierten Formulierungen Cenninis entnommen. Zur Technik und ihrer Geschichte: Frieder Ryser, Verzauberte Bilder. Die Kunst der Malerei hinter Glas von der Antike bis zum 18. Jahrhundert, München 1991, die Umschreibung als Hinterglasradierung hier auf S. 35; Silvana Pettenati, The Decorated Glass, in: Marco Ciatti, Max Seidel (Hrsg.), Giotto. The Santa Maria Novella Crucifix, Florenz 2002, S. 203–216; Cristina De Benedictis, Devozione e produzione artistica in Umbria. Vetri dorati dipinti e graffiti del XIV e XV secolo, Florenz 2010, S. 9–13. Zur im 19. Jahrhundert geprägten Bezeichnung des „Verre églomisé“: Rudy Eswarin, The Terminology of Verre Eglomisé, in: Journal of Glass Studies 21 (1979), S. 98–101.   9 De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 92, Kat. Nr. 24. 10 Zur Arbeitsteilung bei Glasfenstern: Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 191–192, Kap. [CLXXI]; siehe auch Collareta 2008 (wie Anm. 3), S. 58; De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 12–13. Zu Verre églomisé als von Malern ausgeübtes Verfahren im 13. und 14. Jahrhundert sowie einer von Glasmachern ausgeführten Vorläufer-Technik des 10./11. Jahrhunderts: Ryser 1991 (wie Anm. 8), S. 35.

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terschiedlichen lavorii und deren Erzeugnissen. Aufgrund der gläsernen Oberfläche, der Farb­reduktion und der dominanten Rolle des Goldes wird das fertige Produkt häufig mit Goldschmiedearbeiten mit transluzidem Email verglichen.11 Erinnert das ritzende, material­ entfernende Verfahren an die Technik der Gravierung, so mag es im Resultat aufgrund der schwarz erscheinenden Linien im Metall auch frühe Nielli evozieren. Mit Blattgold und „in Öl zerriebenen Farben“ (cholori macinati ad olio) kamen zweifelsohne Werkstoffe aus Tafeloder Buchmalerei zum Einsatz; die Nadel war nach Cennini wie ein Pinsel zu halten (sì cchome fusse un pennelletto).12 Zudem vergleicht Cennini die Handhabung dieser Nadel, bei der nur mit der Spitze zu arbeiten sei, mit derjenigen der Feder beim Zeichnen.13 Das im Wesentlichen graphische Verfahren, bei dem sich das Modellieren der Figuren weitgehend auf zwei Farben – die Farbe des Grundes respektive der Linie – konzentrierte und Plastizität durch deren Helldunkelkon­ trast erzeugt wurde, hatte die Verre églomisé-Technik in der Tat mit der Zeichnung auf „Tä­ felchen“ oder gefärbten Papieren gemein, mit der sich Cennini zu Beginn des Libro ausführ­ lich befasst.14 Während in der Forschung eine Nähe des Verre églomisé zu erhaltenen Zeichnungen des Trecento aufgrund ästhetischer Kriterien konstatiert wird, findet bei Cen­ nini eine Engführung beider Techniken in Bezug auf den Herstellungsprozess statt.15 Seine Ausführungen zur fein zugeschnittenen Spitze, zum vorsichtigen Ansetzen der Nadel auf dem Goldglas, dem allmählichen Aufbauen der hellen, mittleren und schattigen Partien und zur Notwendigkeit, sich mit leichter, ausgeruhter Hand seinem Werk zu widmen, ähneln so nicht von ungefähr seiner Anleitung für den Einstieg in die Zeichenkunst.16

11 Siehe Dillian Gordon, The Mass Production of Franciscan Piety. Another Look at Some Umbrian verres églomisés, in: Apollo 140:394 (1994), S. 33–42, hier S. 34; Paolo Torriti, I vetri dorati e graffiti dell’antica scuola senese, in: Maurizio Boldrini, Marta Brignali (Hrsg.), La grande stagione degli smalti. L’oreficeria senese tra il Duecento e il Quattrocento (Ausst. Kat. Palazzo Pubblico/Siena), Siena 1995, S. 19–26, hier S. 19–20. 12 Zum Verweis auf Niello und Buchmalerei: Silvana Pettenati, I vetri dorati graffiti e i vetri dipinti, Samm­ lungskatalog Turin, Museo Civico d’Arte Antica, Turin 1978, S. XXV; Pettenati 2002 (wie Anm. 8), S. 209; De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 12. 13 „Poi va’ lavorando sì cchome penneggiassi, perché ’l detto lavoro non si può fare se non di punta“. Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 193, Kap. [CLXXII]. 14 Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 65–87, Kap. V–XXXIIII. 15 Vergleiche mit Zeichnungen z. B. in: Pettenati 1978 (wie Anm. 12), S. XXV, 10–12, Kat. Nr. 7; Pettenati 2002 (wie Anm. 8), S. 209 und S. 214 Anm. 39; De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 12. Zudem wird bei diesem Vergleich vielfach die sichere und rasche Zeichnung (fermo e pronto disegnio) hervorgehoben, derer es nach Cennini für die Anfertigung einer solchen Goldglas-Tafel bedarf und die in Beschreibungen bisweilen in topischer Weise als unmittelbar, spontan und expressiv gewertet wird, so dass diese Werke ästhetisch zu den hochwertigen Zeichnungen des Trecento gezählt werden. Siehe etwa Colin Eisler, Verre églomisé and Paolo di Giovanni Fei, in: Journal of Glass Studies 3 (1961), S. 30–37 und Torriti 1995 (wie Anm. 11). 16 Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 66–67, Kap. VIII, S. 70–71, Kap. XIII, S. 81–82, Kap. XXVIIII. Siehe auch Silvana Pettenati, Vetri a oro del Trecento padano, in: Paragone. Arte 24:275 (1973), S. 71–80, hier S. 73.

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Schließlich betont Cennini, dass in einem Zustand ungestörter Ruhe zu arbeiten sei und sieht dementsprechend eine ideale Arbeitsatmosphäre vor, bei der sich der Künstler allein in sein „Arbeitskämmerchen“ zurückzieht. In diesem studietto sei der Tisch an das Fenster zu rücken, „wie um zu schreiben“ (sì cchome da scrivere). Eben hier solle der Künstler nun „nicht mit Hast“ zu Werk gehen, sondern „con gran diletto e piacere.“ Das Konzentrierte und Zurückgezogene dieser Arbeit passt zu ihrer Charakterisierung gleich zu Beginn des Kapitels, wenn Cennini von der Technik des Verre églomisé mit ungewohnter Emphase als „vaga, gientile e perlegrina quanto più dir si può“ schwärmt.17 Er definiert sie als „Aufgabe von großer Frömmigkeit“ und ordnet sie der Herstellung von Reliquiaren zu.18 Und tatsächlich finden sich viele der erhaltenen Verre églomisé-Tafeln in genau diesem Bereich.19 Die fromme und andächtige Tätigkeit des Künstlers in seinem studietto nahm demnach die Rezeption dieser kostbaren Täfelchen vorweg. Denn sie werden in der Regel allein kontempliert worden sein, in einer Mönchszelle, einem Studierzimmer oder an einem Ort individueller Andacht, ohne Ablenkung und mit großer Konzentration, in einem Akt von „großer Frömmigkeit“. Aufgrund ihres kleinen Formats und der Zartheit der Ausführung forderten sie eine nahsichtige Betrachtung heraus, womit die Position der Rezipienten zur Tafel derjenigen des Künstlers bei der Arbeit gleichkam.20 Die sich hier ausdrückende Wertschätzung dieser Tafeln sowie die implizierte Rezeptionshaltung gingen dabei, wie zu zeigen sein wird, Hand in Hand mit den dargestellten Sujets einerseits und der Materialästhetik des Verre églomisé andererseits.

2. Ein Diptychon für ein Diptychon Verre églomisé-Tafeln, die von ihrer Beschaffenheit und Anfertigung her ohnehin auf die interdisziplinäre Praxis der Malerwerkstatt verweisen, wurden zudem häufig in Reliquiare und liturgische Objekte integriert, mit denen sie in einen intermedialen – und intermateriellen – Zusammenhang traten.21 Exemplarisch für diese Praxis steht ein komplexes Objekt in Baltimore, das in seiner konkreten Gestaltung jedoch singulär ist (Abb. 2): Ein vergoldeter 17 Etwa zu übersetzen als „zierlicher, anmutiger und seltener (oder einzigartiger) als man es zu sagen vermag“. Zu dieser Passage siehe auch die etymologische Anmerkung Fabio Frezzatos in Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 192 Anm. b. 18 „membro di gran divozione per adornamento d’orlique sante“. Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 192, Kap. [CLXXII]. 19 Dazu: Dagmar Preising, Bild und Reliquie. Gestalt und Funktion gotischer Reliquientafeln und ‑altärchen, in: Aachener Kunstblätter 61 (1995/1997), S. 13–84, hier S. 25–29; De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 11 und passim. 20 Dazu auch: Wolf-Dietrich Löhr, Die Perle im Acker. Francesco di Vannuccios Berliner „Kreuzigung“ und die Eröffnung der Wunden, in: Stefan Weppelmann (Hrsg.), Zeremoniell und Raum in der frühen italienischen Malerei, Petersberg 2007, S. 160–183, hier S. 164–165. 21 Ein Konzept der Intermaterialität entwirft Thomas Strässle, Einleitung. Pluralis materialitatis, in: Thomas Strässle, Christoph Kleinschmidt, Johanne Mohs (Hrsg.), Das Zusammenspiel der Materialien in den Künsten. Theorien – Praktiken – Perspektiven, Bielefeld 2013, S. 7–23.

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Holzrahmen mit Spitzgiebel, Fialen und Krabben enthält viele kleine Felder unterschiedlichen Formats, die mit geschnitzten Reliefs, Marmor- und Keramikfragmenten sowie in Tempera ausgeführten Tafelbildern mit Heiligendarstellungen gefüllt wurden. Die Figuren mit dem höchsten Grad an Heiligkeit sind indes den Verre églomisé-Tafeln vorbehalten: die Annunziata im Giebel sowie die Kreuzigung Christi im Zentrum des Flügels (Abb. 3).22 Auf dieser zentralen Glastafel umgibt ein Rahmenband die Kreuzigungsdarstellung, in dem sich Heiligenbüsten in der Verre églomisé-Technik mit transparenten Glasfeldern abwechseln, hinter denen sich Reliquienpartikel mit identifizierenden Authentiken befinden.23 Da der Annunziata im Giebel ihr Gegenüber in Form des Verkündigungsengels Gabriel fehlt, muss es sich bei dem Objekt um den rechten Flügel eines Diptychons handeln. Das bereits in früheren Jahrhunderten in unterschiedlichen Ausprägungen angewandte Verfahren, Glas zu vergolden und mit einer figürlichen Bemalung oder Radierung zu versehen, war längere Zeit nicht praktiziert worden, als es unter ungeklärten Umständen im Italien des späten 13. Jahrhunderts wieder aktiviert und technisch weiterentwickelt wurde. Wie Quellen und materielle Zeugnisse nahelegen, waren franziskanische Werkstätten in Umbrien maßgeblich daran beteiligt.24 Hier entstanden zahlreiche kleinformatige Églomisé-Diptychen, die in der Regel einem wiederkehrenden Aufbau folgten, den modellhaft ein solches Objekt in Melbourne dokumentiert (Abb. 4): Während die Giebelfelder die Verkündigungsszene aufspannen, stehen sich in den Hauptfeldern des Diptychons Christi Geburt und Kreuzigung gegenüber. Beide Felder rahmt ein breiter Streifen, der abwechselnd Reliquienfächer und Halbfiguren von Heiligen bzw. die Evangelistensymbole enthält.25 Eines dieser Reliquiar-Diptychen wurde offenbar mehrere Jahrzehnte nach seiner Anfertigung demontiert und seine Hauptbestandteile in den Flügel in Baltimore integriert (Abb. 2). Die mehrfach belegte Praxis, ältere Goldgläser ihrer Fassung zu entnehmen und neu zu inszenieren, bestätigt im vorliegenden Fall auch die stilistische Bestimmung.26 Demnach kön22 Federico Zeri, Ursula E. MacCracken, Italian Paintings in the Walters Art Gallery, Baltimore 1976, Bd. 1, S. 63–65 mit Kat. Nr. 38 (Federico Zeri); Preising 1995/1997 (wie Anm. 19), S. 56–57, Kat. Nr. 10; De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 72, Kat. Nr. 6; Martina Bagnoli u. a. (Hrsg.), Treasures of Heaven. Saints, Relics, and Devotion in Medieval Europe (Ausst. Kat. The Cleveland Museum of Art/Cleveland, The Walters Art Museum/Baltimore, The British Museum/London), New Haven/London 2010, S. 203, Kat. Nr. 118 (Chiara Valle). 23 Bei den Reliquien handelt es sich neben dem Holz des Heiligen Kreuzes und einem Stein des Heiligen Grabes überwiegend um Knochenfragmente unterschiedlicher Heiliger. Siehe Preising 1995/1997 (wie Anm. 19), S. 57. 24 Vgl. Irene Hueck, Ein umbrisches Reliquiar im Kunstgewerbemuseum Schloß Köpenick, in: Forschungen und Berichte 31 (1991), S. 183–188; Gordon 1994 (wie Anm. 11); De Benedictis 2010 (wie Anm. 8). 25 De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 101, Kat. Nr. 31. 26 Für weitere Beispiele dieses Verfahrens aus dem Tre- und Quattrocento vgl. Preising 1995/1997 (wie Anm. 19), Kat. Nr. 37–39; De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), Kat. Nr. 32. Zur Quattrocento-Praxis, künstlerische Arbeiten des Trecento in moderne Formate zu übertragen und als Werke der Vergangenheit zu inszenieren: Klaus Krüger, Medium and Imagination. Aesthetic Aspects of Trecento Panel Painting, in: Victor M. Schmidt (Hrsg.), Italian Panel Painting of the Duecento and Trecento, Washington, D. C. 2002, S. 56–81, hier S. 56–60.

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nen die Goldglas-Tafeln der umbrischen Églomisé-Produktion im Kontext des Franziskanerordens in der ersten Hälfte des Jahrhunderts zugeordnet werden. Insofern die Temperabilder Tommaso da Modena zugeschrieben werden, muss der Flügel als Ganzes jedoch erst später und an einem anderen Ort zusammengefügt worden sein, nämlich im dritten Viertel des

3  Kreuzigung Christi, Detail eines Diptychon-Flügels (wie Abb. 2)

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4  Pietro Teutonico (zugeschrieben), Reliquiar-Diptychon, ca. 1320, Verre églomisé, Holz, Reliquien, 20,3 × 24,4 × 1,8 cm (geöffnet), Melbourne, National Gallery of Victoria, Felton Bequest, 1936, Inv. Nr. 3651‑D3

14. Jahrhunderts in Norditalien.27 Hierzu wurden die Glastafeln aus ihrer ursprünglichen Rahmung gelöst, deren Grundstruktur mit zentralem Hauptfeld, kleinen Rahmenfeldern und Giebel aber durch den neuen Holzrahmen in vergrößertem Format aufgegriffen und mit zusätzlichen Materialien und Techniken gefüllt. Die hohe Präsenz an Franziskanerheiligen auf den Temperabildern des in Baltimore verwahrten Flügels legt nahe, dass auch dieser bzw. das zu rekonstruierende Diptychon im Kontext des Bettelordens angefertigt wurde. Tatsächlich dürfte dieses Diptychon speziell zu dem Zweck hergestellt worden sein, die älteren Verre églomisé-Tafeln zu beherbergen. Innerhalb dieses hybriden Werks erhalten die vergoldeten Glastafeln folglich auch durch ihre Provenienz einen besonderen Stellenwert: Bereits mit einem gewissen Alter und Status ver27 Die Tommaso da Modena zugeschriebenen Temperabilder werden auf ca. 1350–1377 datiert. Siehe zuletzt Ausst. Kat. Cleveland/Baltimore/London 2010 (wie Anm. 22), S. 203, Kat. Nr. 118 (Chiara Valle). Zu den Gläsern: Hueck 1991 (wie Anm. 24), S. 185; De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 72, Kat. Nr. 6.

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sehen, fungieren sie ihrerseits als eine Art Reliquie. Wie eine Preziose ins Zentrum gesetzt, wird die Églomisé-Kreuzigung als Fokus- und Höhepunkt der andächtigen Betrachtung inszeniert – also durchaus der sich bei Cennini artikulierenden Hochschätzung dieser Technik entsprechend.

3. Werkstattwissen und die Materialästhetik von Verre églomisé Dass Verre églomisé-Diptychen solch eine Bedeutung beigemessen wurde, dürfte – neben der offensichtlichen Wertigkeit der Reliquien – auch in der ihnen eigenen Ästhetik und Medialität begründet liegen. Denn während das Églomisé-Verfahren des 13. und 14. Jahrhunderts der Forschung häufig als billige Ersatztechnik zur arbeitsökonomischen Imitation kostbarer Email- und Kristallarbeiten gilt,28 ist meines Erachtens vielmehr davon auszugehen, dass die spezifische Beschaffenheit und Ästhetik von vergoldetem Glas dessen Einsatz in kleinformatigen Objekten für die Andacht überhaupt erst motivierte. Als Voraussetzung hierfür ist eine Entwicklung in der Gestaltung von Reliquiaren anzunehmen, welche seit dem 13. Jahrhundert zunehmend die Sichtbarkeit der darin enthaltenen Reliquien gewährleisteten.29 Glas, als transparentes Medium, war dafür eine naheliegende Wahl. Bei der seit dem ausgehenden 13. Jahrhundert weiterentwickelten Technik der Vergoldung und Radierung hinter Glas, wiederum, wurde die Darstellung, anders als bei älteren Beispielen aus Spätantike und früherem Mittelalter, nicht mehr durch eine weitere Glasschicht über der Goldfolie versiegelt,30 wodurch es möglich wurde, Reliquien direkt unter der Goldglastafel zu positionieren. Daraus resultierten Reliquiartafeln mit einer zuvor ungekannten Durchdringung von figürlichen Darstellungen in Gold und hinter dem Glas sichtbaren Reliquien: Denn die Reliquienpartikel mitsamt der Authentiken erscheinen visuell auf derselben Ebene wie die Figurenzeichnung, so dass beide als Elemente derselben Oberfläche wahrgenommen und in Bezug zueinander gesehen werden – zumal sämtliche Bereiche eine Kontemplation aus nächster Nähe erfordern (Abb. 3, Abb. 4). Das für diese Technik und ihre Ästhetik so entscheidende Gold galt im Mittelalter bekanntlich als besonders geeignetes Material für die Darstellung von Heiligen, namentlich aufgrund seines Geldwertes, seiner natürlichen Qualitäten der Dauerhaftigkeit und Reinheit sowie seiner Leuchtkraft und seines Glanzes: Es sind Qualitäten, die jeweils weitere semantische Ebenen annehmen konnten, wenn sie auf die Heiligen übertragen und auf das Wesen des Göttlichen hin gedeutet wurden.31 Auf Verre églomisé-Tafeln erscheint Gold als die Sub28 Siehe etwa Emma Zocca, Vetri umbri dorati e graffiti, in: L’Arte N. S. 10, 42:3 (1939), S. 174–184, hier S. 177; Gordon 1994 (wie Anm. 11), S. 34; De Benedictis 2010 (wie Anm. 8), S. 9. 29 Siehe etwa Martina Bagnoli, The Stuff of Heaven. Materials and Craftmanship in Medieval Reliquaries, in: Ausst. Kat. Cleveland/Baltimore/London 2010 (wie Anm. 22), S. 137–147. 30 Vgl. Ryser 1991 (wie Anm. 8), S. 35–36; Pettenati 2002 (wie Anm. 8), S. 203–209. 31 Die jüngere Forschung zum Thema hat deutlich gezeigt, dass nicht grundsätzlich über Wertungen von Gold gesprochen werden kann, sondern diese jeweils am Einzelfall zu untersuchen sind. Siehe etwa Ellen J. Beer, Marginalien zum Thema Goldgrund, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 46 (1983), S. 271–

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stanz, aus der die Heiligenfiguren modelliert werden, so dass es zugleich metaphorisch ihre Essenz charakterisiert. Die Anbringung von Gold hinter Glas hat zudem eine spezifische visuelle Anmutung zur Folge, die sich durch den beiden Materialien inhärenten Effekt der Spiegelung und der Reflexion bzw. Brechung von Licht auszeichnet.32 Bei Kerzenlicht betrachtet dürfte der Eindruck eines beinahe immateriellen Strahlens und Leuchtens entstanden sein. Der Kontrast von glänzendem Gold und tiefem Schwarz dominiert meist die Farbästhetik der Darstellung, während allenfalls Akzente in Rot, Blau oder Grün vorgesehen sind. So betont Cennini nicht nur in seinen Kapiteln zu Zeichnungen auf kolorierten Papieren, sondern auch in Bezug auf die Verre églomisé-Technik den Prozess des plastischen Modellierens der Figuren, wofür ein möglichst dunkler, am besten schwarzer Grund von besonderem Vorteil sei, vor dem sich die Figuren wie skulptiert abhöben.33 Bei Werken wie der Kreuzigung auf dem Flügel in Baltimore signalisiert die Konzentration auf Gold und Schwarz – gerade auch im Gegensatz zu den in mimetischer Polychromie wiedergegebenen Heiligenfiguren der Temperatäfelchen  – einen gewissen Abstraktionsgrad oder eine Enthobenheit (Abb. 2). Der dunkle Grund und das leuchtende Edelmetall ziehen den Blick an, binden Aufmerksamkeit und lenken die kontemplierende Zuwendung auf die Schlüsselszenen der Heilsgeschichte.34 Transparenz und Farbigkeit, Glanz und Dunkelheit, Figur und Gold sind dabei untrennbar miteinander verbunden. Mit den verschiedenen Medien und Materialien des Flügels in Baltimore – natürlichen (Marmor), künstlichen (Keramik) und künstlerischen (Verre églomisé, Temperamalerei, Relief­ ornamente) ebenso wie dem eigentümlichen ‚Material‘ der Reliquie – werden unterschiedliche Rezeptionsweisen herausgefordert: haptisch, visuell, spirituell. Einzeln oder in Verbindung miteinander wahrgenommen, aktivieren die ikonischen und anikonischen Felder

286; Iris Wenderholm, Aura, Licht und schöner Schein. Wertungen und Umwertungen des Goldgrunds, in: Stefan Weppelmann (Hrsg.), Geschichten auf Gold. Bilderzählungen in der frühen italienischen Malerei (Ausst. Kat. Gemäldegalerie/Berlin), Berlin 2005, S. 100–113; Michael Philipp, Vom Kultbild zum Abbild der Wirklichkeit. Zur Entwicklung der Malerei in Italien 1250–1500, in: Ortrud Westheider, ­Michael Philipp (Hrsg.), Die Erfindung des Bildes. Frühe italienische Meister bis Botticelli (Ausst. Kat. Bucerius Kunst Forum/Hamburg), München 2011, S. 12–33; Iris Wenderholm, Anna Degler (Hrsg.), Der Wert des Goldes – der Wert der Golde (= Zeitschrift für Kunstgeschichte 79:4, Sonderband), Berlin 2016. 32 Siehe auch Löhr 2007 (wie Anm. 20), S. 164. Zur Wirkung bei Sonnen- und Kerzenlicht vgl. auch Virginia Brilliant, A Framework for Devotion in Trecento Siena. A Reliquary Frame in the Cleveland Museum of Art, in: Peregrinations 4:3 (2014), S. 66–94, hier S. 84. 33 „Ma sopratutto il negro avanza, che tti scholpiscie le fighure meglio che nessuno altro cholore.“ Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 194, Kap. [CLXXII]. Zum Modellieren auf kolorierten Papieren bes. S. 72–73, Kap. XVI, S. 80, Kap. XXVII, S. 83–85, Kap. XXXI, S. 85, Kap. XXXII. Zu diesen Kapiteln: Iris Brahms, Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016, S. 48–50. 34 Allgemein zu Abstraktion und „semantische[r] Verdichtung“ durch Farbreduktion und/oder schwarzen Grund sowie zur Ästhetik schwarzer Gründe siehe auch Brahms 2016 (wie Anm. 33), S. 39, 87–88, 179–182.

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religiöses Wissen und regen eine Reflexion über die Natur, Bedeutung und Erfahrbarkeit der Heiligen an. Der Einsatz in Form geschnittener Steine könnte so durch ihre Herkunft oder frühere Verwendung motiviert worden sein, aber auch durch ihre ästhetischen, materiellen oder semantischen Dimensionen: Zu bedenken wären hier sowohl die organische und wie blutgefleckt wirkende Anmutung des dunkelrot durchzogenen Marmors, christliche Steinmetaphorik im Allgemeinen oder auch Bezüge zu den Reliquien, unter denen sich Steinfragmente vom Heiligen Grab befinden.35 Die Heiligen selbst werden einerseits in effigie vergegenwärtigt, d. h. vermittelt durch die Tafel- und Verre Églomisé-Bilder, die von figürlicher Ähnlichkeit gekennzeichnet, aber uneigentliche Repräsentationen sind. Andererseits sind sie in corpore anwesend, d. h. in ihren Reliquien, die materiell präsent sind, aber in keiner Ähnlichkeitsbeziehung zu den Heiligen stehen.36 Wenn diese in ihren Reliquien, d. h. visuell reizloser und letztlich materiell wertloser Materie, als gegenwärtig gedacht wurden, so mag die Gnadenkraft, Kostbarkeit und verklärte Leuchtkraft, die ihrem immateriellen Auferstehungsleib zugeschrieben wurde, in den wertvollen Goldgläsern materiell und ästhetisch aufgerufen werden. Insofern sind die vielfältigen Bedeutungsdimensionen und Wahrnehmungsweisen in der komplexen Verdichtung von Materialität und medialer Verfasstheit angelegt. Den vielschichtigen Umgang mit Materialästhetik und medialen Verweisen hat das Verre églomisé-Verfahren mit anderen künstlerischen Techniken gemein, die gerade über das Mittel der Farbreduktion auf die verwendeten Materialien aufmerksam machen.37 Mit Helldunkelkontrast, linienbasierter Darstellung, Goldpräsenz und Glasoberfläche werden verschiedene intermediale Bezüglichkeiten hergestellt: Gerade auch in Verbindung von Darstellungsgegenstand und funktionaler Bestimmung rufen Verre églomisé-Tafeln die Assoziation insbesondere von Werken der Schatzkunst auf. Dass letztere jedoch auf günstige und schnelle Weise imitiert werden sollten, widerlegen die bei Cennini beschriebene, andächtige und sorgsame Arbeitsweise und der großzügige Einsatz von Gold ebenso wie die gerade nicht imitative, sondern für das Verre églomisé spezifische Farb-, Material- und Wirkungsästhetik.

35 Zu den Reliquien siehe oben (Anm. 23). Zu dem in unterschiedlichen Modi durchgespielten Einsatz von gemaltem und realem Stein in einem Tafelreliquiar Naddo Ceccarellis, das sich ebenfalls in der Sammlung des Walters Art Museum in Baltimore befindet, siehe C. Griffiths Mann, Relics, Reliquaries, and the Limitations of Trecento Painting. Naddo Ceccarelli’s Reliquary Tabernacle in the Walters Art Museum, in: Word & Image 22:3 (2006), S. 251–259, hier S. 253–257. 36 Allgemein zu den jedem Reliquiar inhärenten Paradoxa von Materialität und Immaterialität, Kostbarkeit und Wertlosigkeit siehe etwa Bruno Reudenbach, Gia Toussaint, Die Wahrnehmung und Deutung von Heiligen. Überlegungen zur Medialität von Reliquiaren, in: Das Mittelalter 8:2 (2003 [2004]), S. 34–66 sowie am Beispiel eines Tafelreliquiars: Beth Williamson, Matter and Materiality in an Italian Reliquary Triptych, in: Gesta 57:1 (2018), S. 23–42. 37 Vgl. dazu Brahms 2016 (wie Anm. 33), bes. S. 183–186.

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4. Lorenzo Monacos Altenburger Kreuzigung: Materie und Materialität der Passion38 Eine reflektierte Handhabung von künstlerischen Materialien und intermedialen Referenzen bezeugt auch eine kleinformatige Kreuzigungstafel aus der Florentiner Werkstatt Lorenzo Monacos (Abb. 5).39 Sie diente wohl ihrerseits als Objekt der individuellen Andacht und dies vermutlich für einen Auftraggeber, der dem Kamaldulenser-Orden angehörte oder zumindest nahestand: ein Orden, der sich in Florenz um 1400 durch die Verbindung mystisch geprägter Frömmigkeit mit einem städtisch-kultivierten Anspruchsniveau auszeichnete.40 Die Tafel zeigt den Leib Christi zugleich eingesunken und aufgespannt, gehalten durch die Nägel, die Hände und Füße am Kreuz fixieren. Kleine, in den Goldgrund geprägte Engel halten Schalen bereit, um das Blut aus den Wunden des Erlösers aufzufangen. Am Fuß des Kreuzes kauern drei Eremiten-Heilige, die zugleich Ordensgründer wurden: Benedikt auf der linken Seite und Romuald auf der rechten blicken in konzentrierter Versunkenheit auf den Gekreuzigten, während Franz von Assisi in der Mitte leidenschaftlich das Kreuz umarmt. Neben der verinnerlichten Kontemplation des Erlösers, die die Heiligen Benedikt und Romuald bildimmanent vorleben, dient vor allem die zentrale Rückenfigur des Franziskus der Identifikation des vor dem Bild knienden Betrachters:41 Als historisches Leitbild für eine körperlich geprägte Passionsfrömmigkeit, demonstriert er gewissermaßen einen hands‑on-Ansatz der Andachtsübung.42 Er hält das Kreuz fest umschlungen und kommt den Beinen des Gekreuzigten so nahe, dass er sie fast berührt. Während in mittelalterlichen Textquellen zur Andachtspraxis dem Sehen mit seinen unterschiedlichen Facetten besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde, konnten gleichfalls der Tastsinn und die taktile Wahrnehmung eine bedeutende Rolle spielen. In Schriftzeugnissen zu Andachtspraktiken führen bisweilen gerade die unmittelbaren, körpergebundenen

38 Eine ausführlichere Fassung der folgenden Abschnitte erscheint in dem Band: Jutta Eming, Kathryn Starkey (Hrsg.), Things and Thingness in European Literature and Visual Art, 700–1600, Berlin/Boston 2022, S. 23–46. 39 Miklós Boskovits, Daniela Parenti (Hrsg.), Da Bernardo Daddi al Beato Angelico a Botticelli. Dipinti fiorentini del Lindenau-Museum di Altenburg (Ausst. Kat. Museo di San Marco/Florenz), Florenz 2005, S. 110–111, Kat. Nr. 22 (Sonia Chiodo); Ausst. Kat. Hamburg 2011 (wie Anm. 31), S. 156, Kat. Nr. 17 (Wolf-Dietrich Löhr); Klaus Krüger, Bildpräsenz – Heilspräsenz. Ästhetik der Liminalität, Göttingen 2018, S. 82–97. 40 Zum Orden und seiner Florentiner Niederlassung, Santa Maria degli Angeli, der ursprünglich auch Lorenzo Monaco angehörte: George R. Bent, Monastic Art in Lorenzo Monaco’s Florence. Painting and Patronage in Santa Maria degli Angeli, 1300–1415, Lewiston 2006, bes. Kap. 1–4. Zur vermuteten Lokalisierung des Auftraggebers in Santa Maria degli Angeli: Krüger 2018 (wie Anm. 39), S. 83–85. 41 Ausführlich zur Relation zwischen Betrachter und Heiligenfiguren: Krüger 2018 (wie Anm. 39), S. 82–97. 42 Vgl. Miklós Boskovits, Immagine e preghiera nel tardo Medioevo. Osservazioni preliminari, in: Arte Cristiana 76 (1988), S. 93–104. Zur Ikonographie des Franziskus am Kreuz und ihrer Relevanz in Andachtspraktiken: Ketti Neil, St. Francis of Assisi, the Penitent Magdalen, and the Patron at the Foot of the Cross, in: Rutgers Art Review 9/10 (1988–1989), S. 83–110.

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5  Lorenzo Monaco, Christus am Kreuz mit den Heiligen Benedikt, Franziskus und Romuald, ca. 1405–1407, Tempera und Blattgold auf Holz, 56,4 × 42 cm, Altenburg, Lindenau-Museum, Inv.  Nr. 23

Sinne des Tastens und Schmeckens zu besonders intensiven religiösen Erfahrungen.43 Die andachtstheoretische Bedeutsamkeit plastischer Werte, welche den Effekt von Tatsächlichkeit produzierten, den verifizierenden Tastsinn ansprachen und eine unmittelbare Sinneserfahrung ermöglichten,44 mag sich auch in der künstlerischen Praxis gespiegelt haben, wenn 43 Aus der umfangreichen Literatur zum Themenbereich des Sehens siehe etwa: Sixten Ringbom, Devo­ tional Images and Imaginative Devotions. Notes on the Place of Art in Late Medieval Private Piety, in: Gazette des Beaux-Arts 73 (1969), S. 159–170; Jeffrey F. Hamburger, The Visual and the Visionary. The Image in Late Medieval Monastic Devotions, in: Viator 20 (1989), S. 161–182; Jeffrey F. Hamburger, Anne-Marie Bouché (Hrsg.), The Mind’s Eye. Art and Theological Argument in the Middle Ages, Princeton, N. J. 2006. Zum Tastsinn und weiteren Sinnen: David Summers, The Judgement of Sense. Renaissance Naturalism and the Rise of Aesthetics, Cambridge 1994 (Nachdruck d. Ausg. v. 1987), Kap. 1 und S. 130–131; Jacqueline E. Jung, The Tactile and the Visionary. Notes on the Place of Sculpture in the Medieval Religious Imagination, in: Colum Hourihane (Hrsg.), Looking Beyond. Visions, Dreams, and Insights in Medieval Art and History, Princeton, N. J. 2010, S. 203–240; Caroline Walker Bynum, Christian Materiality. An Essay on Religion in Late Medieval Europe, New York 2011, bes. S. 38, 65–67, 101–104; Richard Newhauser, The Senses, the Medieval Sensorium, and Sensing (in) the Middle Ages, in: Albrecht Classen (Hrsg.), Handbook of Medieval Culture. Fundamental Aspects and Conditions of the European Middle Ages, Berlin/Boston 2015, Bd. 3, S. 1559–1575. 44 Zur Bedeutsamkeit des Plastischen und Haptischen in Devotionspraktiken des Mittelalters außerdem: Geraldine A. Johnson, Touch, Tactility, and the Reception of Sculpture, in: Carolyn Wilde, Paul Smith (Hrsg.), A Companion to Art Theory, Oxford 2002, S. 61–74; Wenderholm 2006 (wie Anm. 2), bes. S. 57–64, 109–114, Kap. V; Adrian W. B. Randolph, Touching Objects. Intimate Experiences of Italian Fifteenth-Century Art, New Haven 2014.

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6  Sienesischer oder Pisaner Maler und Nino Pisano, Kreu­ zigung Christi mit Maria und Johannes, um 1365, Blattgold und ­Tempera auf Holz, polychrom gefasstes Holzkruzifix, 72 × 30 × 10,5 cm (Tabernakel), Florenz, Privatbesitz

etwa auf einer Goldgrund-Tafel mit gemalten Begleitfiguren ein plastisches Kruzifix samt Golgatha-Felsen aufgebracht wurde, wie es bei einem kleinen Tabernakel in Florentiner Privatbesitz der Fall ist (Abb. 6).45 Doch auch die Malerei allein entwickelte Techniken dieses – doch immer nur scheinbar greifbaren – Präsentmachens. Wie andächtig oder exaltiert die Frömmigkeitsübungen vor der Kreuzigungstafel aus der Werkstatt des Lorenzo Monaco waren, können wir heute nicht mehr rekonstruieren, wohl aber fragen, welche darin angelegt sind (Abb. 5). Dem Stichwort des Franziskus folgend richten sich die Rezeptionsangebote der Altenburger Tafel in affekt-stimulierender Weise auf die materiellen Aspekte der Passion, wobei diese in paradoxer Weise ausgespielt werden,

45 Gert Kreytenberg, Ein Tabernakel mit Kruzifix von Nino Pisano und Luca di Tommè, in: Pantheon 58 (2000), S. 9–12; Wenderholm 2006 (wie Anm. 2), S. 160, Kat. Nr. 25, Kap. V. Zur medienreflexiven Dimension und Betrachterrelation solcher Werke: Klaus Krüger, Mimesis als Bildlichkeit des Scheins. Zur Fiktionalität religiöser Bildkunst im Trecento, in: Thomas W. Gaehtgens (Hrsg.), Künstlerischer Austausch. Artistic Exchange, Berlin 1993, Bd. 2, S. 423–436, hier S. 425–426.

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7  Lorenzo Monaco (wie Abb. 5), Detail

um das Übersinnliche sinnlich zu vermitteln. Nahm das Blut Christi im Rahmen der Passionsfrömmigkeit des 13. und 14. Jahrhunderts, auch jenseits seiner eucharistischen Relevanz, eine durchaus wörtliche Bedeutung als sicht-, berühr- und sogar trinkbarer „Gnadenquell“ an, so waren auch das Kreuzesholz und das Gestein des Golgathafelsens begehrte Kontakt­ reliquien.46 Zu den devotionalen Praktiken, die Pilger an dem vermeintlich historischen Kreuzigungsort selbst vollzogen, gehörte das Berühren, gar Eintauchen in die Felsspalten.47 Blut, Kreuz und wundenhaft aufgesprungener Felsen erhalten als materielle Zeugen der Kreuzigung auf der Altenburger Tafel eine paradox-verstörende Präsenz, indem etwa der grell beleuchtete Felsgrund fast aggressiv in den Betrachterraum hineinzuragen scheint, das Kreuz im oberen Bereich den gemalten Binnenrahmen überschneidet und das in dicken Tropfen senkrecht nach unten fließende Blut von dem Goldgrund selbst abzuperlen scheint: Materie auf Materie (Abb. 7).48 Wenn folglich in der Altenburger Tafel sinnliche Reize und übersinnliche Glaubenswahrheiten verschränkt werden, dann wird dieser Effekt durch intermediale Referenzen gesteigert, die in produktiver Weise den Materialcharakter der Tafel reflektieren und das semantische Verweisspektrum erweitern. Wie beschrieben umfasste Lorenzo Monacos Tätigkeitsprofil im Sinne der lavorii di mano vielfältige Arbeiten, die seine intensive Ausein-

46 Dazu: Peter Dinzelbacher, Das Blut Christi in der Religiosität des Mittelalters, in: Norbert Kruse, Hans Ulrich Rudolf (Hrsg.), 900 Jahre Heilig-Blut-Verehrung in Weingarten, 1094–1994, Sigmaringen 1994, Bd. 1, S. 415–434, Zitat auf S. 429; Caroline Walker Bynum, The Blood of Christ in the Later Middle Ages, in: Studies in Christianity and Culture 71 (2002), S. 685–714. 47 Siehe die Beiträge von Yamit Rachman Schrire und Bruno Reudenbach in Hans Aurenhammer, Daniela Bohde (Hrsg.), Räume der Passion. Raumvisionen, Erinnerungsorte und Topographien des Leidens Christi in Mittelalter und Früher Neuzeit, Bern 2015. Zu Kontaktreliquien auch: Bynum 2011 (wie Anm. 43), S. 131–139. 48 Siehe auch Ausst. Kat. Hamburg 2011 (wie Anm. 31), S. 156, Kat. Nr. 17 (Wolf-Dietrich Löhr) und Krüger 2018 (wie Anm. 39), S. 86–89.

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8  Lorenzo Monaco, Kruzifix, ca. 1405–1410, ­Tempera auf Holz, 184 × 194 cm, Florenz, Galleria dell’Accademia, Inv. Nr. 1890, n. 3153

9  Lorenzo Monaco, Maria mit dem Kind und Heiligen, 1408, Verre églomisé, 29,5 × 23 cm (mit Rahmen), Turin, Palazzo Madama – Museo Civico d’Arte Antica, Inv. Nr. 0140/VD

andersetzung mit den künstlerischen Mitteln des Präsentmachens und ihrer jeweiligen Wirkung ermöglichten.49 So sind aus seiner Werkstatt auch mehrere Kreuzigungstafeln wie diejenige in der Florentiner Accademia erhalten, bei denen Bildträger und Dargestellter form­ identisch sind und deren vermeintlich leibliche Präsenz in der Flachheit der Tafel reflexiv gebrochen wird (Abb. 8).50 Auch Werke in der Verre églomisé-Technik haben sich, mit und ohne Reliquiar-Funktion, aus Lorenzo Monacos Werkstatt erhalten, wie etwa eine Madonnentafel in Turin belegt (Abb. 9).51 Eine typische Art der rahmenden Dekorationen dieser Glastafeln zeigt Blatt- und Blütenranken, entweder in Gold vor dunklem Grund oder umgekehrt. Einen ebensolchen Rahmen weist auch die Altenburger Tafel auf, nun allerdings nicht als Hinterglasradierung,

49 Siehe auch oben (Anm. 4–6). 50 Zu den betreffenden Werken: Miklós Boskovits, Su Don Lorenzo, pittore camaldolese, in: Arte Cristiana 82:764–765 (1994), S. 351–364 sowie Ausst. Kat. Florenz 2006 (wie Anm. 6), Kat. Nr. 7, Kat. Nr. 25. Zur Medialität solcher Tafeln: Krüger 1993 (wie Anm. 45), bes. S. 425. 51 Zwei weitere Werke befinden sich in Lyon, Musée des Beaux-Arts und Paris, Musée du Louvre. Zu diesen Tafeln: Laurence B. Kanter u. a. (Hrsg.), Painting and Illumination in Early Renaissance Florence 1300– 1450 (Ausst. Kat. The Metropolitan Museum of Art/New York), New York 1994, S. 223–226, Kat. Nr. 27 (Laurence B. Kanter).

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sondern in der für die Tafelmalerei typischen Sgraffito-Technik ausgeführt (Abb. 7).52 Als Binnenrahmen auf der Tafel selbst tritt er an die Stelle der üblicherweise mit Punzwerkzeugen in den Goldgrund geprägten Bordüren. Mit dieser in der Tafelmalerei unüblichen Gestaltung des Binnenrahmens evoziert Lorenzo Monaco die kostbare und diffizile Technik des Verre églomisé und damit zugleich die sakrale Würde und materielle Authentizität der Objekte, für die sie typischerweise eingesetzt wurde. An die Ästhetik solcher Tafeln mit ihrer begrenzten Farbpalette erinnert auch die auf wenige Töne reduzierte Farbgestaltung der Altenburger Tafel, bei deren Konzentration auf Gold sowie Weiß-, Schwarz- und Brauntöne nur das rote Blut – zugleich die einzige Buntfarbe der Tafel – Farbakzente setzt. Zudem ist dem Goldgrund Kostbarkeit einerseits materiell zu eigen, andererseits wird sie durch dessen Bearbeitung in medialer Bezüglichkeit aufgerufen. Die vielfältigen Prägeund Ritztechniken oder auch plastischen Auflagen, mit denen die Goldgründe in der italienischen Tafelmalerei versehen wurden, standen zweifelsfrei in intermedialer Referenz zu Goldschmiedearbeiten.53 Diese bezog sich nicht nur auf formale und ästhetische Kriterien, sondern betraf das konkrete Material, die Instrumente und die Techniken der Goldschmiedekunst.54 Sowohl letztere als auch die Tafelmalerei verfügten über eine lange Tradition der Gold-Bearbeitungstechniken, so dass weder von einem Abhängigkeitsverhältnis noch der Absicht der Imitation auszugehen ist.55 Vielmehr wurde ein verbreiteter und vertrauter, mit bestimmten Konnotationen versehener Gegenstandsbereich – derjenige der Schatzkunst – evoziert, so dass dessen Ästhetik und Bedeutung die Goldgrundtafeln in latenter Weise anreicherte. Der Materialcharakter des Goldgrundes blieb in der Tafelmalerei dieser Zeit stets präsent.56 Die Bearbeitungstechniken hoben die Materialität des Goldes und damit auch die des Bildes selbst zusätzlich hervor, wobei die illusionistische Darstellung durch die materielle Präsenz gebrochen wurde. Lorenzo Monaco entwickelte wie auch andere Künstler um 1400 Strategien, um diese – scheinbar zunehmend als solche wahrgenommene – Spannung in Aushandlung mit dem Bildsujet produktiv zu machen und die Goldbearbeitungstechniken in diesem Zuge den Möglichkeiten des eigenen Mediums zu unterstellen.57 Denn während 52 Zur Sgraffito-Technik: Norman E. Muller, The Development of Sgraffito in Sienese Painting, in: Luciano Bellosi (Hrsg.), Simone Martini. Atti del Convegno, Florenz 1988, S. 147–150. 53 Zur Bearbeitung des Goldgrundes in dieser Zeit: Skaug 2008 (wie Anm. 5). 54 Siehe Beer 1983 (wie Anm. 31), S. 276–278; Bastian Eclercy, „Granare“. Zur historischen Terminologie des Goldgrunddekors im Traktat des Cennino Cennini, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 51:3/4 (2007), S. 539–554. Vgl. Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 162–165, Kap. [CXLI] bis [CXLIII]. 55 Dazu Erling S. Skaug, Stippled Angels and „Forgotten Haloes“, in: Cornelia Aman, Babette Hartwieg (Hrsg.), Das Göttinger Barfüßerretabel von 1424, Petersberg 2015, S. 395–402, hier S. 398–401. 56 Siehe auch oben (Anm. 31). 57 Allgemein zur Spannung zwischen Goldgrund und figürlicher Darstellung: Beer 1983 (wie Anm. 31), S. 279; Philipp 2011 (wie Anm. 31), S. 15. Vgl. dazu auch die Beispiele in: Andrea De Marchi, Angles Stippled in Gold. The Perugia Madonna, in: Laura Laureati, Lorenza Mochi Onori (Hrsg.), Gentile da

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Iris Helffenstein

10  Lorenzo Monaco (wie Abb. 5), Detail

Punz- und Punktierwerkzeuge üblicherweise für Zierleisten, Nimben und Gewanddekor genutzt wurden, setzte Lorenzo Monaco sie im Bereich der figürlichen Darstellung ein, nämlich für die Engel als zwischen Himmel und Erde vermittelnden Wesen (Abb. 10). In origineller Weise prägte er sie in den Goldgrund ein und verlieh ihnen durch Punktierung und den modellierenden Auftrag von dunklen Schatten und weißen Glanzlichtern Körperlichkeit, während die Reflexion und Streuung des Lichts in den Vertiefungen sie ungreifbar und flüchtig erscheinen lässt.58 Diese Bearbeitung des polierten Goldgrundes bringt die Oberfläche zum Flimmern und sorgt für den Effekt von Beweglichkeit, was bei der Beleuchtung mit Kerzenlicht noch verstärkt worden sein dürfte. In Lorenzo Monacos Altenburger Tafel werden also transzendente Jenseitigkeit und flirrende Immaterialität sowohl mit dem scheinbar Plastischen, räumlich Gegenwärtigen als auch dem materiell und medial Präsenten in Spannung versetzt. In Auseinandersetzung mit dem Thema der Darstellung führt der evokative Einsatz von Plastizität, Materialität und In-

Fabriano and the Other Renaissance (Ausst. Kat. Spedale di Santa Maria del Buon Gesù/Fabriano), Mailand 2006, S. 94–95; Andrea De Marchi, Oro come luce, luce come oro. L’operazione delle lamine metalliche da Simone Martini a Pisanello, fra mimesi e anagogia, in: Arturo Carlo Quintavalle (Hrsg.), Medioevo. Natura e figura. La raffigurazione dell’uomo e della natura nell’arte medievale, Mailand 2015, S. 701–715. Siehe auch Krüger 1993 (wie Anm. 45), S. 424–428 und Victor M. Schmidt, Painted Piety. Panel Paintings for Personal Devotion in Tuscany, 1250–1400, Florenz 2005, Kap. 5 zum weiteren Feld der produktiven Spannung zwischen bildlich-illusionistischer Darstellung und forcierter materieller Präsenz. 58 Zur Hell-Dunkel-Modellierung: Beate Fricke, A Liquid History. Blood and Animation in Late Medieval Art, in: RES. Anthropology and Aesthetics 63/64 (2013), S. 53–69, hier S. 65. Bei einer verwandten Technik werden Punzierungen in unterschiedlicher Dichte eingeprägt, um den Effekt des plastischen Hervortretens zu erzeugen. Zu dieser von Cennini bezeichnenderweise granare a rilievo genannten Technik, siehe Cennini 2004 (wie Anm. 4), S. 161–162, Kap. CXL; Eclercy 2007 (wie Anm. 54), S. 544; Skaug 2015 (wie Anm. 55), mit Überlegungen zum gezielten Einsatz gerade für Engel, die auch Cennini als eines der wesentlichen Anwendungsgebiete nennt.

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Intermediale Verfahren im studietto

termedialität unter den Bedingungen der Malerei zu einer produktiven Irritation von Raum und Wahrnehmung, Greifbarkeit und Entzug. Lässt sich folglich mit Blick auf unterschiedliche Strategien des Intermedialen konstatieren, dass in der Altenburger Tafel die übergeordnete ‚mediale Logik‘ des Tafelbildes dominiert, so spielen in Werken wie dem Flügel in Baltimore gerade der Kontrast oder die Vielfalt der Medien und Materialien eine entscheidende Rolle. Diese intermedialen Verfahren können als Mittel der Aufmerksamkeitsbindung, der Anreicherung mit semantischen Dimensionen oder ästhetischer Anmutung sowie der Aktivierung von Seh- und Reflexionsvorgängen verstanden werden. Die Interaktion mit multisensorischen Rezeptionsweisen ist gerade bei solchen kleinformatigen Werken ein weiterer konstitutiver Faktor der Bedeutungsproduktion, fordern sie doch ein Einlassen heraus, das körperliche, emotionale und intellektuelle Komponenten einbindet.

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Zur Auslotung der Farbigkeit

Exploring Colourfulness

Claudia Reufer

auf giftig-grünem Kreidegrund Zeichnungen auf farbigem Grund im sog. Gozzoli-Album

Im Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam wird unter der Signatur I 562 ein zwanzig Blatt umfassendes Album aufbewahrt, das aus dem Musterbestand der Werkstatt Benozzo Gozzolis stammt und das sich durch eine besonders abwechslungsreiche Farbigkeit der Papiere auszeichnet.1 Das Zeichnen auf koloriertem Papier ist von Gozzoli selbst wie auch von seinem Umkreis bekannt, wobei die Farbpalette von Ocker über Grün und Violett bis zu einem tiefdunklen Blau reicht. Demgegenüber ist die Farbigkeit im Album reduzierter: Leuchtend grüne oder pinke und gedeckte, bräunlich grüne Kreidegründe wechseln sich mit nicht grundierten, vom Eigenton des Papiers bestimmten Seiten ab. Die grün und pink kolorierten Blätter sind lediglich auf einer Seite grundiert. Dieses für Gozzoli und seine Werkstatt nicht unübliche Vorgehen hat zur Konsequenz,2 dass unterschiedliche zeichnerische Verfahren der

Der Beitrag entstand im Rahmen des Sonderforschungsbereich 980 „Episteme in Bewegung. Wissenswandel von der Alten Welt bis in die Frühe Neuzeit“. Für Unterstützung und Anregung sei vielfach gedankt. Ein besonderer Dank gilt Albert Elen und Arnold Nesselrath sowie Iris Brahms und Jana Graul für zahlreiche Hinweise und spannende Diskussionen. 1 Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv. Nr. I 562, ca. 229 × 160 mm. Die Zeichnungen des Albums werden um 1460/70 datiert, während das Album zu einem späteren Zeitpunkt entstand. Zur Unterscheidung von „Album“, „Zeichnungsbuch“ oder „Skizzenbuch“ siehe zuletzt Albert J. Elen, (Artists‘) Drawing-Books and (Collectors‘) Albums: Similarities and Differences, in: Vita Segreto (Hrsg.), Libri e album di disegni 1500–1800. Nuove prospettive metodologiche e di esegesi storico-critica, Rom 2018, S. 1–10. 2 Vgl. Satyr und Löwe, Dresden, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. C 6. Siehe Bernhard Degenhart, Annegrit Schmitt, Corpus der italienischen Zeichnungen 1300–1450, Teil 1: Süd- und Mittelitalien, 4 Bde., Berlin 1968, Bd. I–2, S. 459, Kat. Nr. 399. Lorenza Melli, I disegni italiani del Quattrocento nel Kupferstich-Kabinett di Dresda, Florenz 2006, S. 94–98, Kat. Nr. 17. Auch Zeichnungen aus der Gozzoli-Werkstatt in Chantilly, Musée Condé, F. R. I–5 (Kopf eines Mönches); Windsor Castle, Royal Library, Inv. Nr. 12812 (Kopf eines jugendlichen Mannes) und Florenz, Uffizien, Inv. Nr. 101E sind lediglich einseitig grundiert. Zwei der dunkelgrün grundierten Seiten im Album (fol. 2v und 3v) weisen ebenso wie fol. 12v, 13v und 20v eine gelbe Grundierung auf der Rückseite bzw. Klebespuren darüber auf. Diese Seiten wurden jedoch nicht für Zeichnungen genutzt.

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Claudia Reufer

Modellierung auf einem Blatt zur Anwendung kommen – auf der einen Seite Federzeichnungen mit Kreuzschraffur oder flächigen Lavierungen und auf der jeweils anderen Seite Farbgrundzeichnungen, deren Erscheinungen von langen weißen Strichen geprägt sind (Abb. 1 und 2).3 Zugleich ergeben sich dadurch im gesamten Album neben dem kontinuierlichen Farbwechsel stets variierende Erscheinungsweisen der Oberfläche in einem Rhythmus von opaken Grundierungen und der unbehandelten Papierstruktur. Als weiteres Merkmal kann angesehen werden, dass einzelne Motive in mehreren Versionen von verschiedenen Händen vorhanden sind. Dies und die variierende Qualität sowie die Unsicherheit in der Strichführung in einigen Zeichnungen ließen die Forschung in den Rotterdamer Zeichnungen die Arbeit mehrerer Schüler Gozzolis erkennen.4 Trotz der großen Bekanntheit des Albums hat es nicht allzu viel Aufmerksamkeit in der Forschung erlangt. Besonderes Interesse fand es im Zusammenhang mit der Musterbuchtradition und vermag hier Aufschlüsse zur Werkgenese und Werkstattpraxis zu geben.5 In der Ausbildung des Malers war das Kopieren vorbildhafter Zeichnungen ein grundlegender Schritt – sowohl für das Erlernen der Technik als auch das (Kennen‑)Lernen und Sammeln von Motiven, die zu einem späteren Zeitpunkt für eigene Arbeiten verwendet werden konnten.6 Im Nachzeichnen mit der Feder – so zeigte Wolf-Dietrich Löhr anhand von Cennino Cenninis um 1400 entstandenen Libro dell’arte eindrücklich auf – prägen sich die Linien

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Zur Charakteristik des Zeichenstils Gozzolis siehe prägnant Lorenza Melli, Benozzo disegnatore di carte colorate, in: Enrico Castelnuovo, Alessandra Malquori (Hrsg.), Benozzo Gozzoli. Viaggio attraverso un secolo, Pisa 2003, S. 115–128, S. 123; dies., Il disegno per Benozzo, in: Bruno Toscano, Giovanna ­Capitelli (Hrsg.), Benozzo Gozzoli. Allievo a Roma, maestro in Umbria, Mailand 2002, S. 117–129. Während Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), S. 478 in drei Zeichnungen die Hand Benozzo Gozzolis erkannten, sah Albert Elen, Drawing evolution or revolution? From workshop model-book to personal sketchbook, in: Michael Kwakkelstein, Lorenza Melli (Hrsg.), From Pattern to Nature in Italian Renaissance Drawing. Pisanello to Leonardo, Florenz 2012, S. 34–50, S. 43 f. in allen die Arbeit von Werkstatt­ angehörigen. Siehe auch Francis Ames-Lewis, Training and practice in the early Renaissance Workshop. Observations on Benozzo Gozzoli’s Rotterdam-Sketchbook, in: Stuart Currie (Hrsg.) Drawing 1400– 1600. Invention and Innovation, Aldershot 1998, S. 26–44, S. 26; Melli 2002 (wie Anm. 3), S. 129. Michael Wiemers, Zur Funktion und Bedeutung eines Antikenzitats auf Benozzo Gozzolis Fresko ‚Der Zug der Könige‘, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 50 (1987), S. 441–470; Francis Ames-Lewis, Benozzo Gozzoli’s Rotterdam Sketchbook Revisited, in: Master Drawings 33 (1995), S. 388–404; Robert Scheller, Exemplum. Model-Book Drawings and the Practice of Artistic Transmission in the Middle Ages (ca. 900– ca. 1470), Amsterdam 1995, Kat. Nr. 36, S. 370–380; Ames-Lewis 1998 (wie Anm. 4); Elen 2012 (wie Anm. 4). Siehe schon Cennino Cennini, Il libro dell’arte, Fabio Frezzato (Hrsg.), Vicenza 2003, S. 65 (Kap. V): „[…] dal disegno t’incominci […]“. Zur zeichnerischen Ausbildung siehe Ames-Lewis 1998 (wie Anm. 4). Zu Gozzolis Verwendung von Musterzeichnungen siehe Wiemers 1987 (wie Anm. 5) und Michael Wiemers, Bildform und Werkgenese. Studien zur zeichnerischen Bildvorbereitung in der italienischen Malerei zwischen 1450 und 1490, München/Berlin 1996, S. 79–117. Zur Verbreitung von Motiven im Rotterdamer Album siehe v. a. Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), Bd. I–2, z. B. S. 484, Kat. Nr. 450 und S. 626, Kat. Nr. 634; Ames-Lewis 1995 (wie Anm. 5), Ames-Lewis 1998 (wie Anm. 4).

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auf giftig-grünem Kreidegrund

1  Folio aus dem Gozzoli-Album, Zeichnung eines Fußes nach einem Gipsabguss, Schaf von einem Kind gefüttert, um 1460/70, Metallstift, Feder und Weißhöhungen auf grün grundiertem Papier, 229 × 160 mm, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv. Nr. I 562 8r

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2  Folio aus dem Gozzoli-Album, Zwei lesende Heilige, liegendes Rind, das von einem Kind gefüttert wird, um 1460/70, Silberstift, braune Feder und Pinsel, 229 × 160 mm, ­Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv. Nr. I 562 9r

nicht nur dem Zeichenträger, sondern zugleich dem Gedächtnis des Zeichners ein.7 Neben diesem Wissen, das sich nur im praktischen Nachvollzug erlangen lässt, erwerben die Schüler im Kopieren auf farbigen Zeichenträgern weitere Kenntnisse, etwa in Bezug auf die Verwendung und Wirkung von Farben, die ebenso im Bereich des Impliziten, begrifflich nicht hinreichend Fassbaren zu verorten sind, worauf zurückzukommen sein wird.8 Die Farbigkeit der Seiten fand in Besprechungen des Albums zwar stets Erwähnung, wurde hinsichtlich der Funktion und Bedeutung jedoch eher am Rande behandelt.9

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Wolf-Dietrich Löhr, Dantes Täfelchen, Cenninis Zeichenkiste. Ritratto, disegno und fantasia als Instrumente der Bilderzeugung im Trecento, Das Mittelalter 13 (2008), S. 152–183, bes. S. 163. Zu implizitem Wissen siehe Michael Polanyi, Implizites Wissen, Frankfurt a. M. 1985; zum Bereich des Nicht-Begrifflichen siehe exemplarisch Joachim Bromand, Guido Kreis (Hrsg.), Was sich nicht sagen lässt. Das Nicht-Begriffliche in Wissenschaft, Kunst und Religion, Berlin 2010. Zu Erfahrungswissen als ein aufgrund somatischer Dimensionen nicht objektivierbares, propositional nur mit Verlust vermittel­ bares Wissen siehe Christina Schaefer, Esperienza. Zur Diskursivierung von Erfahrungswissen in Leon ­Battista Albertis Libri della famiglia, Working Paper des SFB 980 Episteme in Bewegung, No. 15/2019, Freie Universität Berlin (https://refubium.fu-berlin.de/handle/fub188/17607). Ausnahmen bilden Lorenza Melli, Sui ‚Libri di disegni‘ di Benozzo Gozzoli: l’Assedio di Perugia degli Uffizi e gli Studi di teste dell’Accademia di Venezia, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 44 (2000), S. 169–192; Jana Graul, „Il principio e la porta del colorire“. Zur Rolle farbiger Fonds in der Florentiner Zeichnung des 14. und 15. Jahrhunderts, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 52 (2008), S. 6–22. Hier wie auch in Melli 2003 (wie Anm. 3) werden die Seiten jedoch ebenfalls nicht in der spezifischen Wirkung ihrer Farbigkeit oder Zusammenstellung behandelt.

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auf giftig-grünem Kreidegrund

Das Zeichnen auf kolorierten Trägern ist in Italien seit dem frühen 14. Jahrhundert bezeugt und üblich.10 Cennini erwähnt diese als eine grundlegende Technik, die er aufgrund der Erweiterung der Tonalität um eine Trägerfarbe als Pforte zur Malerei bezeichnet. Die Wahl des Farbtons ist dabei potenziell unbegrenzt und obliege dem Zeichner: „e puoi fare le tuo’ tinte o in rossetta, o in biffo, o in verde, o azurrine, o berrettine, cioè colore bigie, o incarnate, o come ti piacie.“11 Dies deckt sich mit dem Bestand erhaltener Farbgrundzeichnungen, die das gesamte Spektrum aufweisen.12 Bereits 1919 konstatierte Joseph Meder, dass der Zeichenträger in seinem Charakter, d. h. sowohl durch seine Oberflächenbeschaffenheit wie Glätte oder Rauheit, als auch durch die Farbigkeit gleichermaßen Anteil am Resultat, dem Effekt einer Zeichnung beitrage.13 Dennoch blieb dieser Aspekt der Zeichnung lange Zeit unberücksichtigt. Erst im Zuge eines gesteigerten Interesses an Fragen zur Materialität wurde die Grundierung nicht mehr lediglich als ein vorbereitender Schritt angesehen, sondern als ein integraler Bestandteil der Zeichnung. Besonders in jüngerer Zeit wurden dabei neben ökonomischen und funktionalen Aspekten verstärkt technische und ästhetische Dimensionen farbiger Fonds in den Blick genommen.14 Dass ein farbiger Fond ein anderes graphisches Arbeiten befördert und erfordert, bei dem die plastische Darstellung von Körpern durch das Setzen von Licht und Schatten in besonderer Weise herausgearbeitet werden kann, ist in der Forschung mittlerweile common sense.15 Welche Funktion die farbige Grundierung dabei jeweils übernimmt, wie sich das Spiel mit ästhetischen Effekten gestaltet und

10 Iris Brahms, Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016, S. 70–72. Siehe auch Graul 2008 (wie Anm. 9), bes. S. 7 f. und Jana Graul, An der Schwelle zur Malerei. Farbige Träger in der Florentiner Zeichenpraxis bis 1500, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 37 (2010), S. 73–119; Annamaria Petrioli Tofani, I materiali e le tecniche, in: dies., Gianni Carlo Sciolla, Marco d’Anna, Simonetta Prosperi Valentini Rodinò (Hrsg.), Il disegno. Bd. 1: Forme, tecniche, significati, Cinisello Balsamo 1991, S. 184–251. 11 Cennini 2003 (wie Anm. 6), S. 72 (Kap. XV). 12 Vgl. Graul 2010 (wie Anm. 10), bes. S. 81 und 91, die eine Tendenz von Präparierungen in eher gedeckten Farben zu einer ansteigend bunt gefächerten Palette im Verlauf des Quattrocento konstatierte. Diese erkläre sich aus einem gewandeltenVerständnis der Auswirkung von Licht auf Farbe bei Leonardo da Vinci und einem damit zusammenhängenden, sich wandelnden mimetischen Anspruch. Siehe auch Brahms 2016 (wie Anm. 10), S. 70 f. Zu Farbgrundzeichnungen und Vorteilen gegenüber etablierten Begriffen wie „Helldunkelzeichnung“ oder „Chiaroscuro-Zeichnung“ siehe ibid., bes. S. 59–65 sowie Iris Brahms, Am Übergang zum Sichtbaren. Graphische Techniken und das Helldunkel, in: Claudia Lehmann, Norberto Gramaccini, Johannes Rößler u. a. (Hrsg.), Chiaroscuro als ästhetisches Prinzip. Kunst und Theorie des Helldunkels 1300–1550, Berlin/New York 2018, S. 223–239, S. 237–239. 13 Joseph Meder, Die Handzeichnung ihre Technik und Entwicklung, Wien 21923 [1919], S. 164. 14 Siehe bes. Graul 2008 (wie Anm. 9); Graul 2010 (wie Anm. 10), die für italienische Zeichnungen der Frage nach technischen, funktionalen, ästhetischen und ideengeschichtlichen Aspekten farbiger Gründe nachgeht, und Petrioli Tofani 1991 (wie Anm. 10), S. 207. Für den nordalpinen Raum siehe bes. Brahms 2016 (wie Anm. 10); Brahms 2018 (wie Anm. 12). 15 Siehe zuletzt Claudia Lehmann, Norberto Gramaccini, Johannes Rößler u. a. (Hrsg.), Chiaroscuro als ästhetisches Prinzip. Kunst und Theorie des Helldunkels 1300–1550, Berlin/New York 2018; Brahms 2016 (wie Anm. 10), bes. S. 88–91.

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welche Wirkweisen sie vor Augen stellt oder evoziert, ist weniger leicht zu beantworten.16 In der kunsttheoretischen Literatur werden die Wirkungsweise und Ausdruckskraft von Farbe erst später und weniger in theoretisch-systematisierender Weise zu fassen versucht. Das mag nicht zuletzt dadurch begründet sein, dass sich das Phänomen Farbe, das gleichermaßen subjektives Erfahren und objektive Stimuli umfasst,17 begrifflich nicht hinreichend fassen lässt. Die Frage nach der wirkungsästhetischen oder gar wahrnehmungspsychologischen Dimension von Farben im 15. Jahrhundert ist daher schwierig und muss weitgehend spekulativ bleiben. Dennoch stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, welchen Anteil die farbigen Kreidegründe im Rotterdamer Album an den Zeichnungen und damit im Werkstattkontext haben. Inwiefern wird in den Zeichnungen der Zusammenhang von Farbe, Licht und Textur reflektiert und wie werden die flächige Farbigkeit des Grundes mit der Linearität graphischer Ausarbeitung ausgehandelt? Letztlich gilt zu fragen, inwiefern mit der Praxis des Zeichnens auf farbigem Grund eine Sensibilisierung für die Materialität und ästhetische Wirkungsweise von Farbe einhergeht. Zunächst soll jedoch noch eine Anmerkung zur Erhaltung des Albums angefügt werden, da sie für die Beantwortung derartiger Fragen nicht unwichtig ist. Das Buch hat sich nicht im ursprünglichen Umfang und Zustand erhalten. Neben dem Kernbestand in Rotterdam lassen sich neun weitere Zeichnungen aufgrund der ähnlichen Foliierung, des ähnlichen Formats und aus stilkritischen Gründen als zum Corpus gehörig zählen.18 Aber auch abgesehen von einer rudimentären Erhaltung entspricht das heutige Album nicht der einstigen Erscheinungsweise. Im Zuge einer Neubindung vermutlich im späten 18. oder frühen 19. Jahr-

16 Vgl. Brahms 2016 (wie Anm. 10), S. 88 und 169, die neben einer atmosphärischen Wirkung auch ein vereinheitlichendes Moment des Grundes hervorhob. Siehe auch John Gage, Kulturgeschichte der Farbe. Von der Antike bis zur Gegenwart, übersetzt v. Magda Moses und Bram Opstelten, Ravensburg 1993, S. 132. 17 Siehe dazu John Gage, Colour and Meaning. Art, Science and Symbolism, London 1999, S. 11; Claudio Roller, Farbe und Repräsentation. Eine philosophische Studie zur Farbwahrnehmung, Würzburg 2016, bes. S. 133–174. 18 London, British Museum, Inv. Nr. Pp, 1.6 und Pp, 1.7; Venedig, Gallerie dell’Accademia, Inv. Nr. 102 und 104; Cleveland, Museum of Art, Inv. Nr. 37.24; Stockholm, Nationalmuseum, Inv. Nr. NMH 31/1863 und NMH 33/1863, NMH 34/1863 und NMH 35/1863 und NMH 57/1863 und 58/1863; Paris, Louvre, Inv. Nr. R. F. 435. Der auf fol. 32 vermerkte Hinweis „carte 85“ lässt auf ein ehemals wesentlich umfangreicheres Konvolut schließen. Siehe auch Albert Elen, Italian Late-Medieval and Renaissance Drawing-­ Books from Giovannino de’Grassi to Palma Giovane. A codicological approach, Leiden 1995, S. 223; Scheller 1995 (wie Anm. 5), S. 371. Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), Bd. I–2, S. 478 f., die im Rahmen des Corpus der italienischen Zeichnungen eine Rekonstruktion des ursprünglichen Zeichnungsbuches versuchten, ordneten dem Bestand weitere neun Zeichnungen zu, deren Zuschreibungen jedoch hypothetisch blieben. Zum Zusammenhang zweier Zeichnungen (Florenz, Gabinetto dei Disegni e delle Stampe, Inv. Nr. 333 E und Venedig, Gallerie dell’Accademia, Inv. Nr. 102 und 104) mit taccuini Gozzolis siehe Melli 2000 (wie Anm. 9), bes. S. 182 f.; Melli 2002 (wie Anm. 3), S. 126 f.

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auf giftig-grünem Kreidegrund

hundert19 wurden jeweils zwei Zeichnungen durch zwei horizontale Papierstreifen oben und unten sowie drei vertikale Streifen in der Falz sowie an den Außenseiten verbunden, so dass „pseudo-bifolios“20 entstanden, die anschließend gebunden werden konnten – eine höchst ungewöhnliche Art der Montierung.21 Dass die Zeichnungen auch vorher schon in Buchform gebunden waren, legen – auch wenn dies letztlich hypothetisch bleiben muss – sowohl die alte Foliierung als auch Abnutzungspuren in den Ecken nahe, die beim Umblättern entstanden.22 Die heutige Abfolge ist das Resultat einer systematisierenden Zusammenstellung auf Grundlage der farbigen Grundierung: Pink zu Pink und Grün zu Grün etc. Um das Gegenüber gleicher Farben auf den Doppelseiten zu gewährleisten, konnten Recto- und Verso-Seiten willkürlich vertauscht werden, wie sich an alten Fingerspuren an der Falz zeigt.

1. Fuß und Schaf, Gips und Wolle „Silberstift, braune Feder, Bister und weißer Pinsel auf giftig-grünem Kreidegrund“23 – so lauten die Angaben von Bernhard Degenhart und Annegrit Schmitt für das heutige Folio 8r (Abb. 1). Aus dem bis heute kraftvoll und leuchtenden grünen Fond werden in drei Registern übereinander ein in starker Verkürzung wiedergegebener rechter Fuß sowie darunter ein Schaf, das von einem Kind gefüttert wird, herausgearbeitet. Das untere Drittel weist keine Zeichnung auf, scheint durch eine gleichmäßige dunklere Färbung jedoch gleichwohl gestaltet – nachträglich, wie man an den Trocknungsrändern zum Schaf hin erkennt.24 Die Wahl

19 Vgl. Arthur E. Popham, A Book of Drawings of the School of Benozzo Gozzoli, in: Old Master Drawings 4 (1929/30) H. 16, S. 53–58, S. 53; Elen 1995 (wie Anm. 18), S. 224; Elen 2018 (wie Anm. 1), S. 2. Siehe auch Elen 2012 (wie Anm. 4), S. 43 f. 20 Scheller 1995 (wie Anm. 5), S. 373. 21 Ich danke Albert Elen für den entsprechenden Hinweis. 22 Elen 1995 (wie Anm. 18), S. 223; Siehe auch Melli 2002 (wie Anm. 3), S. 127. Mindestens drei heute bekannte Blätter (Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), Bd. I–2, Kat. Nr. 438, 439 und 444) fanden Eingang in den Besitz Giorgio Vasaris. 23 Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), Bd. I–2, S. 485 f., Kat. Nr. 454. Entgegen der damaligen Annahme von Degenhart und Schmitt besteht die Grundierung aus Knochenpulver, das mit verschiedenen Farben versetzt und in Wasser gelöst mit dem Pinsel aufgetragen werden konnte. Ich danke Albert Elen für diese Information. 24 Aufgrund fehlender technologischer Untersuchungen ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht mit Sicherheit zu sagen, ob es sich bei diesem dunkleren Farbfeld um eine Übermalung mit einer pigmentierten Schicht handelt oder um einen zu einem unbekannten Zeitpunkt hinzugefügten transparenten Überzug, der mit der Zeit nachgedunkelt ist. Vermutlich ist eher von einer Festigungsmaßnahme auszugehen, wobei sich allerdings die Frage stellt, warum ausgerechnet der Teil fixiert wurde, der keine Zeichnung aufweist. Eine Präparierung eines Farbgrundes wäre hingegen höchst ungewöhnlich. Ich danke Albert Elen (Rotterdam) sowie Thomas Klinke (Köln) und Carsten Wintermann (Weimar) für ihre Einschätzungen. Das Übermalen von Teilen des Grundes wäre zwar ebenfalls ein höchst ungewöhnliches Vorgehen, ist für Gozzoli und seinen Umkreis jedoch bei einer weiteren Zeichnung nachgewiesen: Venedig, Gallerie ­­­dell’Accademia, Inv. Nr. 102 und 104 (wie Anm. 18), wo eine Hälfte des grünen Blattes zu einem späte-

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der Farbe sei vom Gefallen des Zeichners abhängig (o come ti piacie), so Cennini im Kapitel „disegnare in charta tinta“.25 Die gebräuchlichste Farbe zum Grundieren sei jedoch Grün: „È vero che lla tinta verde, chomunemente per la più giente, s’uxa più e più, ed è chomunale, sì per l’aombrare e sì per imbiancheggiare“.26 Damit führt Cennini eine funktionale und praxisorientierte Begründung an – Grün eigne sich gleichermaßen gut zum Setzen von Weißhöhungen (sì per imbiancheggiare), als auch dem Abschattieren (sì per l’aombrare) – und hebt damit den „neutralisierenden Helldunkelgehalt[…] für die Anlage von tonalen Modellierungen“ hervor.27 Die Anfertigung der farbigen Präparierung erläutert Cennini ebenfalls am Beispiel des grünen Farbtons, der sich aus einer halben Nuss terra verde, einem Viertel Ocker und halb so viel biacca, sowie einer Bohne Knochenpulver und einer Bohne Zinnober zusammensetzt.28 Sowohl terra verde als auch Ocker können, da es sich um in der Natur vorkommende Pigmente handelt, stark im Farbton variieren. Auf diesem Blatt wie auf drei weiteren im Rotterdamer Album fiel die Wahl auf ein farbintensives, helles Grün, von dem sich die Weißhöhungen ebenso wie die dunkle Tinte gut abheben. Diese spezifische Farbmischung veranlasste Degenhart und Schmitt dazu, im damals noch ausschließlich schwarz-weiß gedruckten Corpus der italienischen Zeichnungen das Attribut „giftig“ zur näheren Charakterisierung der Farbwirkung anzufügen. Vermag diese Bezeichnung auch die Vorstellung einer ungewöhnlich intensiven Farbigkeit zu vermitteln, so ist sie doch eher Ausdruck des subjektiven Empfindens der beiden Kunsthistoriker, der die nachfolgende Rezeption gleichwohl zu steuern oder zu beeinflussen vermag. Der Fuß auf Folio 8r ist im starken Lichteinfall von rechts gezeigt, so dass auf der linken Seite ein langer Schlagschatten entsteht. Die Umrisse sind mit Metallgriffel angelegt und die Oberflächenstruktur anschließend durch ein Gefüge aus sorgfältig nebeneinander gesetzten dünnen weißen und graubraunen Linien im Licht bzw. im Schatten aus dem Grund herausgearbeitet. Dabei wird der Fuß – wie Leon Battista Alberti es für runde Formen empfiehlt – in eine helle und eine dunkle Seite aufgeteilt.29 Durch mehr oder weniger starke Strichverdich-

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ren Zeitpunkt vom Künstler selbst mit einer opaken, rosa Schicht überdeckt wurde. Siehe zu den technologischen Untersuchungen des Venezianer Blattes Melli 2000 (wie Anm. 9), S. 183–188. Cennini 2003 (wie Anm. 6), S. 71 (Kap. XV). Siehe dazu Graul 2008 (wie Anm. 9), S. 9 und Graul 2010 (wie Anm. 10), S. 75. Cennini 2003 (wie Anm. 6), S. 72 (Kap. XV). „Eigentlich ist die grüne Farbe bei den meisten in Anwendung, stets mehr und mehr, und am gebräuchlichsten sowohl zum Schattiren als zu Aufsetzen der Lichter.“ Übersetzung von Albert Ilg: Das Buch von der Kunst oder Tractat der Malerei des Cennino Cennini da Colle di Valdelsa, übersetzt v. Albert Ilg, Osnabrück 1970 [11871], S. 11 f. Graul 2010 (wie Anm. 10), S. 77. Schon um 1200 beschrieb Innozenz III. Grün als color medius. Siehe dazu Moshe Barasch, Light and Color in the Italian Renaissance Theory of Art, New York 1978, S. 142. Siehe auch Gage 1993 (wie Anm. 16), S. 82. Die Erklärung für die Präferenz des grünen Tons ist vermutlich in einer Kombination mehrerer Aspekte zu finden, wie Graul 2008 (wie Anm. 9), S. 8 f.; Graul 2010 (wie Anm. 10), bes. S. 77–79 und Brahms 2016 (wie Anm. 10), S. 81–85 betonten. Cennini 2003 (wie Anm. 6), S. 73 f. (Kap. XVI). „Ma quanto ad imitare il chiarore col bianco e l’ombra col nero, ammonisco molto abbino studio a conoscere distinte superficie, quanto ciascuna sia coperta di lume o d’ombra.“ Leon Battista Alberti,

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3  Doppelseite aus dem Gozzoli-Album, Sieben Studien nach der plastischen Abformung eines Fußes (v), Zwei Studien nach der plastischen Abformung eines Fußes, Ranke und Bischof (r), um 1460/70, Silberstift, Feder und Weißhöhungen auf grün grundiertem Papier, 229 × 320 mm, Rotterdam, ­Museum Boijmans Van Beuningen, Inv. Nr. I 562 5v–6r

tungen werden die plastischen Eigenschaften des Fußes, etwa am Knöchel, der Ferse und den Zehen, erreicht. Einzig die markante Aderung läuft diesem Liniensystem entgegen und ist mit weißem Pinsel in ihrem Verlauf nachgezogen. Bemerkenswerterweise lässt der starke Gebrauch weißer und dunkler Farbe den Mittelton im Objekt nur bedingt in seiner eigenen Farbigkeit hervortreten. Das Motiv des Fußes mit dem markant eingeknickten kleinen Zeh ist zur Zeit Gozzolis weit verbreitet.30 Auf Folio 5v–6 (Abb. 3), nur zwei Seiten vor dem bereits besprochenen Blatt, finden sich über die Seite verteilt ebenfalls Zeichnungen von Füßen in variierenden Ansichten und in unterschiedlichen Graden der Vollendung.31 Während auf dem Verso zwei der Füße lediglich mit wässrigem Pinsel in ihren Umrissen angelegt sind und einige Binnenmodellierungen bzw. Schattierungen zum Umraum hin aufweisen, sind die restlichen Füße Della Pittura  – Über die Malkunst, Oskar Bätschmann, Sandra Gianfreda (Hrsg.), Darmstadt 2002, S. 140–145. 30 Siehe etwa Francesco del Cossa, Fußstudie nach einem plastischen Modell. Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 27500. Ein ähnlicher Fuß findet sich im Codex Vallardi: Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 2261. 31 Siehe zu diesem Blatt Ames-Lewis 1995 (wie Anm. 5), S. 399. Im Museum Boijmans Van Beuningen befindet sich eine weitere Zeichnung des Fußes (Inv. Nr. MB 977 verso), die Benozzo Gozzoli selbst zugeschrieben wird.

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plastisch ausgearbeitet und mit Weißhöhungen versehen, die deutlich die Adern, das Sprunggelenk und den Knöchel herausarbeiten. Hier wie auch in der New Yorker Zeichnung nach einer antiken Skulptur von Gozzoli werden die Bruchkanten des fragmentierten Modells und damit zugleich die steinerne oder gipserne Materialität des Vorbilds geradezu ausgestellt, indem sie als Zentrum der intensivsten Lichteinstrahlung mittels flächig aufgetragenem Weiß gestaltet sind.32 Die oberen Füße werden zudem durch starke, in gleicher Weise spitzwinklig zulaufende Schlagschatten im Raum verortet, wobei die Ursache für diese spezifische Form nicht zu erkennen ist. Erklären ließe sie sich durch eine nach hinten begrenzte Standfläche, die beim Kopiervorgang von einer anderen Zeichnung nicht übernommen wurde.33 Weniger die Beobachtung und zeichnerische Fixierung der Einwirkung von (sich veränderndem) Licht auf der Oberfläche war offenbar Motivation für die Zeichnung. Eher scheint die Seite exemplarisch vor Augen zu führen, wie Gegenstände mittels Schatten und Licht sukzessive aus dem Grund heraus-, in den Bereich der Sichtbarkeit treten und sich von der Umgebung abheben.34 Auf Folio 8r (Abb. 1) ist eine Standfläche, auf der der Fuß platziert ist, eingezeichnet. In starkem Kontrast zum Hintergrund ist sie in flächig lavierter Manier in Weiß dargestellt – strukturiert einzig durch die leicht körnige Beschaffenheit der ansonsten sehr homogenen Oberfläche. Wie auch Leonardo empfahl, ist der auf die weiße Fläche fallende Schlagschatten in seiner Intensität differenziert wiedergegeben.35 Allerdings wird er nicht allein durch eine zunehmende Verdichtung dunkler Pinselstriche oder eine zunehmend dunklere Lavierung erzeugt, sondern besteht großteils aus der Ansichtigkeit des grünen Zeichengrunds selbst. Der Grundton des Zeichenträgers fungiert somit sowohl als Mittelwert etwa innerhalb des Fußes, kann an anderer Stelle aber zugleich dem Bereich des Schattens zugehörig sein. Insofern scheint auch auf diesem Blatt weniger die Fixierung optischer Phänomene, wie sie in der Natur beobachtet werden können, die Darstellung zu bestimmen, als vielmehr eine genuin zeichnerische Logik, in der die Gerichtetheit der weißen und dunklen Linien sowie

32 Benozzo Gozzoli, Zeichnung nach einer antiken Skulptur, 172 × 84 mm, Silberstift mit Weißhöhung auf grau grundiertem Papier. New York, Cooper-Hewitt National Design Museum, Inv. Nr. 1901-39-2971. Vgl. Wiemers 1987 (wie Anm. 5), S. 448, der in der Darstellung des Fragmentierten nicht nur ein künstlerisches, sondern mehr noch ein „dokumentarisches Interesse an der Antike“ sah. Zur Deutung der Zeichnung im Zusammenhang mit Diskursen über die künstlerische Freiheit siehe Ulrich Pfisterer, Künstlerische potestas audendi und licentia im Quattrocento. Benozzo Gozzoli, Andrea Mantegna, Bertoldo di Giovanni, in: Römisches Jahrbuch der Bibliotheca Hertziana 31 (1996), S. 107–148, S. 123–125. 33 Es liegt daher die Vermutung nahe – wie auch bei anderen Zeichnungen des Konvoluts schon bemerkt wurde – dass der Lichteinfall nicht von einem vor Augen stehenden Objekt beobachtet, sondern von ­einer vorliegenden Zeichnung übertragen wurde. Im späten Cinquecento betont Giovanni Paolo ­Lomazzo, dass der Maler sich nicht damit zufriedengeben solle, die Licht-Schatten-Gebung von Mustern zu übernehmen. Siehe Barasch 1978 (wie Anm. 27), S. 141. 34 Siehe zur Farbgrundzeichnung im Zusammenhang mit der Sichtbarmachung besonders Brahms 2018 (wie Anm. 12). 35 Siehe Janis Bell, The Treatise on Painting as a Guide to Nature: Light and Color, in: Constance Moffatt, Sara Taglialagamba (Hrsg.), Leonardo da Vinci – Nature and Architecture, Leiden/Boston 2019, S. 24.

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die Flächigkeit der Lavierungen in ein rhythmisches Spiel mit der Farbigkeit des Grundtons und der Struktur der Oberfläche eintreten. In diesem Sinn fügt sich auch die Darstellung des Schafes ein, das sich in der Methode der graphischen Realisierung vom Fuß unterscheidet. Statt mit langen dünnen Linien wird das Fell sowohl in den hellen als auch dunklen Partien in einer punktierenden Manier auf das Grün gesetzt. Cennini empfiehlt, eine wollene Textur in der Wandmalerei durch die tatsächliche Aufrauhung der Bildoberfläche zu erzielen, also gerade nicht durch die malerische Nachahmung der Textur, sondern materialiter durch die Duplikation der darzustellenden Oberflächenbeschaffenheit.36 Demgegenüber wird hier, wie auch auf einer Zeichnung im Louvre aus dem Umkreis Pisanellos, das Schaffell mit graphischen Mitteln imitiert.37 Die Zusammenstellung von Motiven auf einer Seite, die zum einen ein Interesse an der Antike bezeugen und zum anderen einem eher höfischen Geschmack entsprechen, mag im Rahmen von Werkstattbüchern, die durchaus eklektischem Charakter aufwiesen, nicht ungewöhnlich erscheinen. Was beide Motive vereint ist jedoch auch ihre weiße Farbe – die Farbe des Gipses und des Schaffells. Das Weiß imitiert somit einerseits die Lokalfarbe und evoziert andererseits durch die Farbkonsistenz sowie die spezifische graphische Gestaltung von Linien und Punkten zugleich die Textur der Oberflächen samt Lichtgestaltung.38 Zwar handelt es sich bei den Zeichnungen vermutlich um die Werke von Schülern in der Ausbildung, doch ist in der Werkstatt Gozzolis durchaus ein hohes intellektuelles und reflektiertes Niveau zu erwarten. Aus dem im Album dokumentierten breiten Interesse an aktuellen künstlerischen Entwicklungen und Diskursen, der Sammlung von Abgüssen in der Werkstatt und dem Zeichnen nach antiken Skulpturen folgerte Francis Ames-Lewis, dass die Werkstatt Benozzo Gozzolis als „an early and embryonic precursor of the sixteenth-century

36 Cennini 2003 (wie Anm. 6), S. 166 (Kap. CXLIV): „Egli è alchuna voltaa fare parere in muro un riverscio, o un vestire che paia proprio panno di lana. E per tanto, quando ài smaltato, pulito et cholorito, riserbati quello che vuoi far di dietro. E abbi tanta assiciella piana, pocho maor d’una tavola da giuchare; e, con sprizando acqua chiara col penello nel detto o ssu per lo detto luogho, va’ rimenando a ttondo con questa assiciella. La chalcina viene ruvida e mal pulita. Lasciala stare e ccholoriscila come sta, sanza pulire; e parratti proprio panno, over drappo di lana.“ Siehe dazu Barasch 1978 (wie Anm. 27), S. 8 f. und 112; Ernst Gombrich, Light, Form and Texture in XVth Century Painting, in: Journal of the Royal Society of Arts 112 (1964), S. 826–849, S. 836. 37 Paris, Louvre, Inv. Nr. 2396, Ziege, Schaf und zwei Schildkröten, 269 × 188 mm, Metallstift, braune Feder und Pinsel. Siehe Bernhard Degenhart, Annegrit Schmitt, Corpus der italienischen Zeichnungen 1300– 1450. Teil III – Verona. Pisanello und seine Werkstatt, München 2004, S. 414, Kat. Nr. 752. 38 Graul 2008 (wie Anm. 9), S. 15 f. verwies am Beispiel des Knabenkopfs (Windsor, Royal Library, Inv. Nr. 12811 r) ebenfalls auf ein Interesse im Œuvre Gozzolis an der graphischen, zwischen Linearität und Flächigkeit variierenden Darstellung unterschiedlicher Oberflächentexturen. Barasch 1978 (wie Anm. 27), S. 114 hob hervor, dass die Textur schon bei Cennini in Zusammenhang mit Farbe erscheine. Bei Paolo Pino dann, so Barasch weiter, wird die Nachahmung in der Malerei durch Farbe zum Hauptargument ihrer Überlegenheit gegenüber der Skulptur.

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accademia del disegno“ verstanden werden könne.39 Dass es sich nicht um ein Musterbuch im Sinne eines reinen Motivvorrats handelt, sondern es auch einen theoretischen Anspruch erhebt, zeigte Ulrich Pfisterer eindrücklich anhand des heute ersten Blattes auf, das das leicht abgewandelte Diktum des Horaz aufweist: „Pictoribus atque poetis semper fuit et erit equa potestas.“40 Pfisterer deutete die Rückseite zurecht in Zusammenhang mit dieser mittig auf die Seite gesetzten und bildbestimmenden Inschrift. Denn die Darstellungen der donna morta und der Ranke mit ihrem sigillum auf dem Verso können als bildlicher Verweis auf das ästhetische Problem der schönen Darstellung des Hässlichen sowie auf Vitruvs Diskussion über Monstrositäten verstanden werden. Mit zeichnerischen Mitteln werde dergestalt die begriffliche Forderung auf dem Recto illustriert und die „verkürzt zitierte Fassung im Sinne von Wagemut und künstlerischer Freiheit“ bildlich präzisiert.41 Nicht nur diese Seite, die im 18. Jahrhundert programmatisch quasi als Frontispiz dem gesamten Buch vorangestellt wurde, sondern das Album als solches wird dadurch in einem kunsttheoretischen Diskurs von ars und ingenium verortet. Dies betrifft neben der motivischen Ebene auch die zeichnerischen Techniken, die spezifische Verwendungsweise von Materialien und die nicht zuletzt durch die Farbigkeit der Papiere erzielten ästhetischen Effekte.

2. Vielfalt und Intensität der Farben Bei (Muster‑)Büchern (zumindest den erhaltenen) sind farbig grundierte Seiten eher selten, was den besonderen Status des Albums unterstreicht. Im Falle des sog. Libro degli Anacoreti bewirkt der nahezu durchgehend gelbe Farbton den Eindruck von Einheitlichkeit und Zusammengehörigkeit trotz des heterogenen Materials.42 Demgegenüber weist sich das Album in Rotterdam durch eine Pluralität von Farbtönen aus, die von Seite zu Seite einen zunächst 39 Ames-Lewis 1998 (wie Anm. 5), S. 34. Über die Ausbildung Gozzolis ist wenig bekannt. Vermutet wird aufgrund von Autographen mit sehr schönliniger Handschrift, dass Benozzo eine gute Schulausbildung erhalten hatte. Zur Ausbildung siehe Anna Padoa Rizzo, Benozzo Gozzoli. Un pittore insigne, „pratico di grandissima invenzione“, Mailand 2003, S. 16 f. 40 Pfisterer 1996 (wie Anm. 32), S. 118–125. Die Seite, die heute das Deckblatt darstellt, trägt die alte Nummerierung 31. 41 Ibid., S. 123. Zu Benozzos Selbstbild und seinem künstlerischen Selbstbewusstsein siehe Francis Ames-­ Lewis, Benozzo Gozzoli e l’immagine di sé come artista, in: Enrico Castelnuovo, Alessandra Malquori (Hrsg.), Benozzo Gozzoli. Viaggio attraverso un secolo, Pisa 2003, S. 27–40, der Fragen bzgl. des intellektuellen, v. a. humanistischen Anspruchs Gozzolis anhand von (Grab‑) Inschriften und Selbstporträts nachging. 42 Lombardisch, sog. Libro degli Anacoreti, ca. 1400–1425, Silberstift, Bister und biacca auf gelb und rosa grundiertem Papier, 132 × 97 mm, Rom, Istituto Centrale per la Grafica, Inv. Nr. F. N. 2834–2863. Ein­ stiche der alten Bindung belegen, dass das heute mit 30 Einzelblättern aufbewahrte Konvolut einst zu einem Buch gebunden war. Zu diesem kleinen Buch, das neben 25 Szenen aus dem Leben des Hl. ­Antonius auch Zeichnungen von Tieren, religiöse Themen wie z. B. einen Gnadenstuhl oder Propheten aufweist und in den Umkreis Michelino da Besozzos verortet wird, siehe Scheller 1995 (wie Anm. 5), S. 292–298, Kat. Nr. 27; Elen 1995 (wie Anm. 18), S. 188–190, Kat. Nr. 12; Anna Delle Foglie, Il ‚Libretto degli Anacoreti‘ e il ‚Libro di Giusto‘. Due taccuini di disegni tra Tardogotico e Rinascimento, Rom 2019.

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unvorhersehbaren Wechsel der Farben zur Folge hat und so bei jedem Blättern immer wieder andere Erscheinungsweisen, graphische Modi und ästhetische Erfahrungen entfaltet. Nicht nur das kräftige Grün der beiden Doppelseiten besticht durch seine Farbintensität. Auch die ebenfalls zwei Doppelseiten umfassenden Blätter auf leuchtend-pink grundiertem Papier heben sich in maximaler Weise vom Tonwert des Papiers wie auch dem zu Beginn des Albums eingeordneten gedeckt-grünen Farbton ab. Farbige Grundierungen, so konnte Graul aufzeigen, kamen besonders häufig bei detaillierten Figurenstudien zum Einsatz.43 Als ein Beispiel mag Folio  10 auf pinkem Grund dienen (Abb. 4): die Zeichnung eines sitzenden Mannes, der den linken Fuß auf das rechte Bein gelegt hat – eine Abwandlung des berühmten spinario-Motivs – sowie eines in starker Verkürzung gezeigten, liegenden Mannes. Beide Figuren sind in vergleichsweise komplexen Haltungen wiedergegeben, wobei die Angaben von Weißhöhungen und Schattierungen eher summarisch und in Form erläuternder Funktion eingesetzt sind. Auch in dieser Zeichnung kommt dem Studium von Körpern, wie sie im Licht erscheinen, offenbar eher eine beigeordnete Bedeutung zu. Die opake Grundierung mit Knochenpulver – ein technisches Verfahren, das nach Cennini bis zu fünf Lagen umfasst – ist aufwendig und nimmt mehrere Stunden in Anspruch, u. a. da es ein jeweiliges Glätten zur Herstellung der recht homogenen Oberfläche bedarf.44 Allein zur Tradierung eines Motivs scheint dieses Verfahren im Kontext von Schülerzeichnungen sehr aufwendig. Doch wurden Papiere auch farbig präpariert, wenn vorbildhafte Motive oder Bildfindungen „zur Aufbewahrung und zum Werkstattgebrauch festgehalten werden sollten“, so Graul.45 Die Buntfarbigkeit ließe sich unter diesem Aspekt allgemein mit Aufwertungs- und Nobilitierungsbestrebungen verstehen. Eine solche Auszeichnung durch die Farbigkeit spielte jedoch bei der Anfertigung des ursprünglichen libro und der Anordnung der Seiten keine Rolle; jedenfalls wurden die buntfarbigen Seiten nicht automatisch als ‚Vorderseite‘, als Recto aufgefasst.46 Im Buch waren die kolorierten und ungrundierten Seiten offenbar willkürlich, dadurch aber gleichberechtigt nebeneinander eingebunden.47 Ein unmittelbarer, semantischer Anteil des Pink ist im Unterschied zur Passionsfolge aus der Werkstatt Fra Angelicos, die auf ähnlich leuchtend-pink koloriertem Grund ausgeführte wurde, ebenfalls nicht anzunehmen.48 Handelt es sich bei der nicht mehr vollständigen Serie kleinformatiger Zeichnungen des ‚Lehrers‘ Benozzo Gozzolis49 tatsächlich um Bilder für ein 43 44 45 46 47

Graul 2008 (wie Anm. 9), S. 12. Graul 2010 (wie Anm. 10), S. 80. Graul 2008 (wie Anm. 9), S. 12. So sind z. B. fol. 6, 7, 8 und 9 jeweils auf der Seite nummeriert, die nicht farbig behandelt wurde. Siehe auch den Rekonstruktionsversuch der ursprünglichen Abfolge anhand der alten Nummerierung bei Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), Bd. I–4, Kat. Nr. 434–459. 48 Graul weist nachdrücklich darauf hin, dass von der Bedeutung des Farbtons „d. h. der spezifischen Intensität einer Farbe und deren Buntkraft, aber auch symbolischer Implikationen“ nur sehr vorsichtig gesprochen werden könne bzw. diese zu relativieren seien. Siehe Graul 2008 (wie Anm. 9), S. 12. 49 Wird in der aktuellen Forschungsliteratur Vasaris Angabe, dass Gozzoli bei Fra Angelico seine Ausbildung erhalten habe, mittlerweile zurückgewiesen, da dieser im Orden keinen ‚normalen‘ Werkstattbetrieb hatte führen können, so ist seine Zusammenarbeit mit dem Mönch jedoch in vielerlei Weise prägend

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4  Folio aus dem Gozzoli-Album, Sitzender Mann, den linken Fuß auf das rechte Bein gelegt, liegender Mann in Verkürzung, um 1460/70, Silberstift, Feder und Weißhöhungen auf pink grundiertem Papier, 229 × 160 mm, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv. Nr. I 562 10r

5  Werkstatt Benozzo Gozzolis, Ein nackter Mann auf einem Block sitzend, den linken Fuß über das rechte Bein gelegt, um 1460/70, Metallstift über Griffelvorzeichnung, graubraune Lavierung und Weißhöhungen auf violett grundiertem Papier, 226 × 150 mm, London, The British Museum, Inv. Nr. Pp, 1.7

Reliquiar,50 lässt dies die Wahl für die Farbe zugleich im thematischen Bezug erscheinen – die Evokation der Passion durch den roten Farbton. Ein vergleichbarer Zusammenhang zwischen der Farbwahl und dem Thema der Darstellung ist in der Zeichnung des Albums indes nicht gegeben. Es soll im Folgenden nicht darum gehen, eine Semantik der Farben oder ihrer gewesen. Die Gemeinsamkeiten sind so groß, dass sich die Hände in den Werken in Florenz, Rom und Orvieto kaum unterscheiden lassen. Siehe Diane Cole Ahl, Benozzo Gozzoli, New Haven/London 1996, S. 6. 50 Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv. Nr. I 234–240; Cambridge, Fogg Museum of Art, 1939.114 und 115. Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), Bd. I–2, S. 451 f., Kat. Nr. 374–383. Der Zweck dieser Bilderserie ist bis heute nicht eindeutig geklärt. Johnathan Bober und Pia Palladino halten es jedoch für wahrscheinlich, dass es sich um kleine Bilder für ein Reliquiar handelt. Agnes Mongan, Konrad Oberhuber, Jonathan Bober (Hrsg.), I grandi disegni italiani dell Fogg Art Museum di Cambridge, Mailand 1988, S. 86 (J. Bober); Laurence B. Kanter, Pia Palladino (Hrsg.), Fra Angelico (Ausst. Kat. The Metropolitan Museum/New York 2005), New York/New Haven 2005, S. 254 (P. Palladino). Siehe auch Iris Brahms, NEHMT ZV DANK. Emanzipationsprozesse der Handzeichnung vor 1500 in Nord und Süd, in: Daniela Bohde, Alessandro Nova (Hrsg.), Jenseits des disegno. Die Entstehung selbstständiger Zeichnungen in Deutschland und Italien im 15. und 16. Jahrhundert, Petersberg 2018, S. 32–51, S. 43.

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symbolischen Implikationen auf die Zeichnungen im Album zu übertragen. Doch ist die Farbwahl in ihrer Leuchtkraft und Intensität so auffallend, dass ein weiterer Blick auf die Wirkung unterschiedlicher Farben und damit verbundener Evokationen vielversprechend erscheint. Neben den leuchtenden Farben verwenden Gozzoli und seine Werkstattangehörigen für die Grundierung auch gedeckte Farbtöne (s. etwa Abb. 6). Die Farbwahl lässt sich also nicht mit einer generellen Vorliebe des Künstlers oder seiner Schüler erklären. In seiner spezifischen Zusammenstellung bietet das Album zusammen mit weiteren erhaltenen Zeichnungen Gozzolis und seiner Werkstatt aufgrund der Wiederholung von Motiven und Figuren die Gelegenheit, der Frage nach den ästhetischen Effekten der Farben im direkten Vergleich nachzugehen. So zeigen zwei Blätter, Folio 10 und eine weitere Version im British Museum, den spinario (Abb. 4 und 5), wobei die beiden Figuren sich hauptsächlich durch eine andere Farbnuance der Zeichenträger unterscheiden.51 Während die Rotterdamer Kopie auf pinkem Papier gezeichnet wurde, ist der Londoner Zeichengrund in einem gedämpften, dunkleren Farbton gehalten.52 Alberti zählt Schwarz und Weiß entgegen der aristotelischen Tradition nicht zu den eigentlichen Farben, sondern sie tragen zur Entstehung der Farbarten (species) bei. Schwarz oder Weiß verändern durch Beimischungen die Erscheinung einer Farbe.53 Ebenso wie Alberti sah auch Demokrit, so sein Kommentator Theophrast, den jeweiligen Weißanteil als ausschlaggebend für eine strahlende Wirkung der Farbe an.54 Demnach unterscheiden sich die beiden Zeichnungen – und das mag banal klingen – maßgeblich durch ihr grundlegendes Erscheinen, durch mehr oder weniger Strahl- und Leuchtkraft je nach Weißbeimischung. Obwohl der Unterschied in der Wirkung dieser beiden Rottöne sich nur auf einer sehr allgemeinen Ebene fassen und die Konsequenz für die Wahrnehmung der jeweiligen Zeichnung sich einer begrifflichen Fixierung entzieht, wirken sie gleichwohl im Hintergrund und haben durchaus Anteil an der Rezeption des Dargestellten. Vor allem im 16. Jahrhundert gingen u. a. Lodovico Dolce und Giovanni Paolo Lomazzo verstärkt der Ausdruckskraft von Farben nach. Dabei versuchten sie, Schattierungen und Nuancen von Farben in ihrer Wirkweise zu benennen, was Moshe Barasch im Zusammen-

51 Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), S. 482, Kat. Nr. 440; Ames-Lewis 1995 (wie Anm. 5), S. 394, 398. 52 Wie die nahezu exakt gleiche Verteilung der beleuchteten Stellen am Körper nahelegen, handelte es sich auch in diesem Fall vermutlich um Kopien nach einer gezeichneten Vorlage. 53 Leon Battista Alberti, Das Standbild  – Die Malkunst  – Grundlagen der Malerei, Oskar Bätschmann (Hrsg.), Darmstadt 2000, S. 212 f. „[…] siquidem crescente umbra coloris claritas et albedo deficit, lumine vero insurgente clarescit et fit candidior.“ – „[…] wenn denn bei wachsendem Schatten Leuchtkraft und Helligkeit einer Farbe schwinden, während die gleiche Farbe dann, wenn das Licht zunimmt, zu leuchten beginnt und strahlender wird.“ Zur Unterscheidung von color genera und color species bei Alberti siehe Charles Parkhurst, Leon Battista Alberti’s Place in the History of Color Theories, in: Marcia B. Hall (Hrsg.), Color and Technique in Renaissance Painting. Italy and the North, Locus Valley/New York 1987, S. 161–204; Samuel Y. Edgerton, Alberti’s Color Theory. A Medieval Bottle without Renaissance Wine, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 32 (1969), S. 109–113. 54 „That black and red are present is patent to the eye; its brilliance [phaneron] and lustre [lampron] testify to the presence of white, for white produces such effects.“ G. M. Stratton 1917, Theophrastus and the Greek Physiological Psychologie before Aristotle, S. 136 f. (hier zit. n. Gage 1999 (wie Anm. 17), S. 72).

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hang mit dem Bemühen sah, die Ambiguität von Farbe zu verstehen.55 Lomazzo kommt in seinem Trattato dell’arte della pittura, scoltura et architettura (1584) auch auf die Farbwirkungen zu sprechen. Das entsprechende Kapitel zu De gl’effetti che causano i colori beginnt mit dem Statement, dass alle Farben aufgrund ihrer jeweiligen Qualität verschiedene Empfindungen bei den Betrachtern hervorrufen.56 Dabei spielt eine tradierte Symbolik oder Semantik einzelner Farben eine untergeordnete Rolle. Als entscheidend für die Wirkung werden vielmehr ihre Helligkeit und Intensität verstanden.57 So vermitteln Rottöne – je nachdem ob es sich um „alquanto rossi“, „colori rossi, […] violacei, purpurei“ oder „purpurei chiari“ handelt – z. B. einen Eindruck von Fröhlichkeit und Leichtigkeit oder von Wildheit oder grazia und dolcezza. Dabei betont Lomazzo, dass Farben maßgeblich visuelle Sinneseindrücke seien, die im Geist (animo) ihre Wirkung entfalten. Von einem Anteil der ratio an der Verarbeitung der Farbwahrnehmung spricht er nicht. 1548 merkte Paolo Pino in seinem Dialogo di Pittura an, dass es unmöglich sei, die Vielfalt der Farben mit Worten zu erklären, da jede Farbe für sich oder in Kombination unterschiedlichste Wirkungen erzielen könne.58 Wird das Phänomen Farbe in seiner Komplexität somit an der Grenze des Sagbaren verortet, so geht Pino doch davon aus, dass das Wissen um die Eigenschaften und Verwendungsweise von Farben jedem [Maler] klar sei: „essendo cosa tanto chiara appresso ognuno“. Für die Wirkung einer Farbgrundzeichnung ist jedoch nicht ausschließlich die jeweilige Farbigkeit des Fonds entscheidend. Hell oder dunkel grundierte Zeichnungen haben vielmehr auch eine andere Erscheinung bzw. Wahrnehmung des Zusammenspiels konturierender, lavierender und höhender Zeichenmittel zur Folge.59 Bei der Zeichnung des Rossebändigers 55 Moshe Barasch, Renaissance Color Conventions. Liturgy, Humanism, Workshop, in: Marcia B. Hall (Hrsg.), Color and Technique in Renaissance Painting. Italy and the North, Locus Valley/New York 1987, S. 137–150, S. 143. Barasch spricht in diesem Zusammenhang in Abgrenzung von einer lang etablierten liturgischen Farbkonvention von einer „humanistic color convention“. 56 Gian Paolo Lomazzo, Scritti sulle arti, Roberto Paolo Ciardi (Hrsg.), 2 Bde., Florenz 1974, Bd. 2, S. 177: „Or per cominiciare, troviamo che i colori neri, lucidi, terrei, plumbei et oscuri generano per gli occhi nell’animo del riguardante la qualità loro, la quale non è altro che tristezza, tardità, pensiero, melancolia e simili. I colori nerei, verdi, di color di zaffiro, alquanto rossi, o oscuri, di color di oro mischi con l’argento, cioè flavo, rendono soavità e giocondità. I colori rossi, ardenti, focosi, o flammei, violacei, purpurei e di color di ferro ardente e di sangue, causano spirito, acutezza nel guardare e quasi inducono fierezza et ardire, svegliando la mente per l’occhio, non altrimenti che il fuoco. I color d’oro, gialli e purpurei chiari e più lucidi fanno l’uomo intento nel guardare e rendono grazia e dolcezza.“ 57 Gage 1999 (wie Anm. 17), S. 68 f. gibt zu bedenken, dass Farbe im Mittelalter nicht einzelnen Farbtönen (hue) entsprechend konzeptioniert waren, sondern entlang einer Skala von Helligkeit. 58 Paolo Pino, Dialogo di Pittura (1548): „Sono infinite le cose appertinenti al colorire et impossibile è isplicarle con parole, perché ciascun colore o da sé o composito può far più effetti, e niun colore vale per sua proprietà a fare un minimo dell’effetti del naturale, però se gli conviene l’intelligenzia e pratica del buon maestro; et io, ch’intendo ragionare con chi è nell’arte perito, non m’istenderò altrimenti nella specie e proprietà de’colori, essendo cosa tanto chiara appresso ognuno.“ Zit. n. Barbara Tramelli, Giovanni Paolo Lomazzo’s Trattato dell’Arte della Pittura. Color, Perspective and Anatomy, Leiden/Boston 2017, S. 103. 59 Daneben spielt für die Wirkung natürlich auch die Zusammenstellung von Motiven auf einer Seite, die Kombination mit einem nur in Umrissen angelegten Kopf im Profil (British Museum, Pp, 1.7), die Veror-

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6  Folio aus dem Gozzoli-Album, Bildnis eines Geist­lichen, um 1460/70, Silberstift, weißer Pinsel auf grünem Grund, 229 × 160 mm, Rotterdam, Museum Boijmans Van Beuningen, Inv. Nr. I 562 3r

im British Museum, dem Satyr und dem Löwen in Dresden60 oder dem Bildnis eines Geistlichen auf Folio  3 des Albums (Abb. 6) fiel die Wahl für die Grundierung auf eher dunkle Farbtöne. Dieser stellt nicht mehr den Mittelton dar, sondern bietet dem Modellieren ins Licht wesentlich mehr Spielraum bis zum Erreichen von Glanzlichtern. Während die konturierenden und modellierenden Linien mit dem Metallstift und der Feder sich weniger gut vom Grund abheben – eine Wirkung, die sich mit der Zeit verstärkt, da die Tinte zunehmend vom farbigen Grund absorbiert wird61 – tritt die weiße Farbe in den Vordergrund, wobei das Erkennen der Form maßgeblich durch deskriptive Schraffuren in Weiß gewährleistet wird.62

tung von Motiven im Raum oder ein tonales Zusammenspiel von Zeichenmittel und Zeichnungsgrund eine wichtige Rolle für die Wirkung. Siehe auch Graul 2010 (wie Anm. 10), S. 92 f. 60 Melli 2006 (wie Anm. 2). 61 Melli 2000 (wie Anm. 9), S. 174; Melli 2003 (wie Anm. 3), S. 117. 62 In Aufnahmen mittels Infrarotreflektographie zeigt sich deutlich, dass die Figur des Rossebändigers in Metallstift konturiert und mit Feder und Tinte modelliert wurde. Hugo Chapman, Marzia Faietti (Hrsg.), Fra Angelico to Leonardo. Italian Renaissance Drawings (Ausst. Kat. The British Museum/London, Le Gallerie degli Uffizi/Florenz), London 2010, S. 119, Kat. Nr. 14. Siehe auch Graul 2010 (wie Anm. 10), S. 118, Anm. 119. Im Falle der Benozzo Gozzoli zugeschriebenen Zeichnung der Belagerung von Perugia wurde die braune Tinte, wie Untersuchungen mit Röntgenfluoreszenz und Ultraviolettem Licht ergeben haben, mit der Zeit vom grundierten Papier absorbiert und zunehmend unsichtbar. Siehe Melli 2000 (wie Anm. 9), S. 174; Melli 2003 (wie Anm. 3), S. 117. Vgl. Graul 2010 (wie Anm. 10), S. 82 sowie S. 116, Anm. 71.

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7  Werkstatt Benozzo Gozzolis, Stehender Jüngling mit Löwe, um 1460/70, Silberstift, Feder und Pinsel in Bister, weißgehöht auf grün grundiertem Papier, 223 × 157 mm, Stockholm, Nationalmuseum, Inv. Nr. 57/1863

8  Werkstatt Benozzo Gozzolis, Aktstudie eines stehenden Jünglings, um 1460/70, Feder, weiß gehöht, violett grundiertes Papier, 204 × 130 mm, Wien, Albertina, Inv.  Nr. 12r

Die Figuren wirken dadurch weniger in ihrer Gestalthaftigkeit modelliert als durch Licht in Erscheinung getretene Oberflächen und Formen, wie auch Francis Ames-Lewis anmerkte.63 Steht beim Spinario eine Variation des Tonwerts vor Augen, so wurden die Zeichnungen eines stehenden Jünglings in Stockholm und Wien auf unterschiedlichen Farbtönen – auf grünem respektive violettem Grund – realisiert (Abb. 7 und 8).64 Mag die Farbwahl auch schlicht durch die Verfügbarkeit eines freien, bereits grundierten Blattes bedingt gewesen sein, so lassen sich in der Zusammenschau doch verschiedene Wirkweisen farbiger Grundierungen vermitteln, ohne sie zu explizieren. In einer Benozzo Gozzoli selbst zugeschriebenen Zeichnung mit männlichen Kopfstudien in Venedig wird dies nachgerade forciert, indem sie 63 Ames-Lewis 2003 (wie Anm. 41), S. 38. 64 Degenhart/Schmitt 1968 (wie Anm. 2), Bd. I–2, S. 483, Kat. Nr. 444 und S. 487, Kat. Nr. 462. Die Zeichnung aus Stockholm, die aus dem Besitz Vasaris stammt, weist die alte Nummerierung 36 auf und gehörte damit zum ursprünglichen Bestand des Zeichnungsbuches aus der Gozzoli-Werkstatt. Für die Wiener Zeichnung, die aus dem Besitz Padre Sebastiano Restas stammt, ist eine Zugehörigkeit zu diesem Bestand ebenfalls wahrscheinlich, kann aufgrund der fehlenden Nummerierung jedoch nicht belegt werden.

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auf giftig-grünem Kreidegrund

9  Benozzo Gozzoli, Männliche Kopfstudien, um 1452–1460, Silberstift und weißer Pinsel auf pink und grün grundiertem Papier, 226 × 178 mm, Venedig, Gallerie dell'Accademia, Inv. Nr. 102r–104r

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zur Hälfte grün und zur Hälfte pink grundiert ist (Abb. 9).65 Diese ungewöhnliche Erscheinung ist das Ergebnis einer späteren Übermalung der linken (vormals ebenfalls grünen) Hälfte mit pinker Tempera, wie Melli zeigen konnte.66 Im unmittelbaren Nebeneinander der Farben wird so deren je eigene Wirkung und das Zusammenspiel unmittelbar erfahrbar und nachvollziehbar. Für die Wirkung der einzelnen farbigen Blätter ist ihr Eingebundensein in einem Buch nicht unerheblich. So können Assoziationen mit der Farbe, die sich bei der Betrachtung einer Zeichnung einstellen, Auswirkungen auf die Rezeption einer anderen Seite haben. Im jetzigen Zustand des Rotterdamer Albums sind grün grundierte Seiten vermehrt für Darstellungen aus Gips oder Stein verwendet. Dies mag dem Zufall der Überlieferungssituation geschuldet sein und insgesamt muss die Zuordnung sehr flexibel verstanden werden.67 Doch stellt sich gerade in der Zusammenstellung im Album der Eindruck ein, dass der kühle, grüne Farbton mit relativ hohem Weißanteil eine gewisse Skulpturalität, eine steinerne oder gipserne Materialität zu evozieren scheint. Die Figur eines Bischofs auf Folio 6r (Abb. 3) erscheint durch diesen Grundton sowie durch die Nachbarschaft mit den Zeichnungen des Fußes nach einem plastischen Modell ebenfalls eher wie die Zeichnung einer Skulptur. Im Gegenzug vermag die pinke Farbe in Kombination mit darauf realisierten ‚anatomischen‘ Figurenstudien, eine gewisse Lebendigkeit zu suggerieren.68 Im Kontext des Albums kann so auch die Zeichnungen des Jünglings aus Stockholm eine steinerne Wirkung hervorrufen, die sie isoliert betrachtet vielleicht nicht hat. Im ursprünglichen libro der Gozzoli-Werkstatt waren neben Zeichnungen des Meisters auch solche von Schülern verschiedener Ausbildungsgrade eingebunden. Diese Zeichnungen, die unterschiedliche graphische Techniken umfassten, konnten während der Ausbildung der Lehrlinge als Vorbilder für das kopierende Zeichnen verwendet werden. Lässt sich die farbige Grundierung zahlreicher Seiten allgemein mit Nobilitierungsbestrebungen und einem Ausstellen künstlerischen Könnens in Zusammenhang bringen, so haben die Farbgrundzeichnungen in der Ausbildung der Maler auch eine weitere funktionale Bedeutung. Im Prozess des Zeichnens auf farbigem Grund übte der Lehrling im performativen Nachvollzug nicht nur die modellierenden Bewegungsabläufe ein, sondern erlangte zugleich Kenntnisse im Um-

65 Giovanna Nepi Scirè, Annalisa Perissa Torrini (Hrsg.), Da Leonardo a Canaletto. Disegni delle Gallerie dell’Accademia (Ausst. Kat. Gallerie dell’Accademia/Venedig), Mailand 1999, S. 26–29, Kat. Nr. 4 (G. Nepi Scirè). Zur Genese und Erhaltungszustand dieser Zeichnung siehe Melli 2000 (wie Anm. 9), S. 186. 66 Ibid.; Melli 2002 (wie Anm. 3), S. 121. Die grüne Hälfte (Inv. Nr. 104) trägt dieselbe alte Nummerierung („34“) wie die Seiten im Rotterdamer Gozzoli-Album, daher ist anzunehmen, dass es einst ebenfalls Bestandteil des libro Benozzo Gozzolis war. 67 So ist festzuhalten, dass eine bestimmte Farbe nicht einer bestimmten Gattung, wie z. B. Antikennachzeichnungen, Figurenstudien oder Zeichnungen nach plastischen Modellen vorbehalten ist. 68 Entgegen der hier geschilderten Wirkung der Farben wurde Grün etwa bei Hildegard von Bingen mit Verlebendigung in Verbindung gebracht. Siehe dazu Brahms 2016 (wie Anm. 10), S. 85.

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auf giftig-grünem Kreidegrund

gang mit und ein Gespür für die Wirkung von Farben. Dabei scheint die lineare und modellierende Erfassung von Körpern und der Erscheinung von Oberflächen in sich veränderndem Licht nur eine von mehreren Rollen gespielt zu haben. Vielmehr zeugen die Zeichnungen auch von einem genuin zeichnerischen Vorgehen, in der tonale Flächen und lineare Gefüge, Oberflächenstrukturen und ein Evozieren von Texturen auf jeder Seite neu miteinander in Aushandlung treten und komponiert werden.

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Weiß auf Schwarz Die Umkehrung der Evidenzerzeugung und ihre optischen wie ästhetischen Folgen

Wenn wir etwas „Schwarz auf Weiß“ vor uns haben, legt u. a. der Volksmund nahe, dass etwas geklärt ist und eine Tatsache geschaffen wurde. Die gewichtige Metapher macht Glauben, dass etwas klar und deutlich definiert ist, sowie es in der äußersten Kontrastierung von schwarzer Schrift auf weißem Papier fixiert wurde. Unter Ausschluss von Farbe sind es also die Extremkontraste von Hell und Dunkel, an denen man festhält, nicht zuletzt weil sie „sich gegenseitig ausschließen und doch im Wechselspiel aneinander gebunden sind.“1 Zwischen Licht und Finsternis bzw. dem damit seit jeher2 verbundenen Gegensatzpaar – Weiß und Schwarz – spannen sich gemäß den optischen Erkenntnissen des Aristoteles je nach Eigenhelligkeit zunächst fünf Grundfarben, die gar den Farbreigen des Regenbogens ergeben.3 Nutzt die Malerei eine ähnliche Farbpalette (Abb. 1), treibt sie offenbar auch ihr Spiel

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Der Beitrag basiert auf einem Exkurs meiner Dissertation (Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016, S. 117, 179–182) und erweitert die Thematik vor dem Hintergrund der damaligen Sehtheorien sowie forschungsaktueller Fragen zur Evidentia. Dieter Bremer, Hinweise zum griechischen Ursprung und zur europäischen Geschichte der Lichtmetaphysik, in: Archiv für Begriffsgeschichte 17 (1973), S. 7–22, S. 7. Vgl. Brahms 2016 (wie Anm. *), S. 24 mit Verweisen auf die Dichtung des Alkmaion von Kroton (5. Jh. v. Chr.) sowie auf Empedokles (ca. 493–ca. 433) und Demokrit (* um 460 v. Chr.). Aristoteles, De Anima, II, 7, 418 b 11, in: Aristoteles, Über die Seele, Griechisch / Deutsch, Horst Seidl (Hrsg.), Hamburg 1995, S. 98–99. S. Aristoteles, Über die Farben, erläutert durch eine Übersicht der Farbenlehre der Alten von Karl Prantl, (Neudruck der Ausgabe München 1849), München 1978, S. 95; Aristoteles, De sensu et sensilibus, III, 439 a/b, IV, 442 a, in: Aristoteles, On the soul. Parva Naturalia on Breath, Bd. 8, W. S. Hett (Hrsg.), Cambridge (Mass.) 1964, S. 228–231, 244–245. S. auch Charles ­Parkhurst, Leon Battista Alberti’s Place in the History of Color Theories, in: Marcia B. Hall (Hrsg.), Color and Technique in Renaissance Painting: Italy and the North, New York 1987, S. 161–204, 167; David ­Summers, Vision, Reflection, and Desire in Western Painting, Chapel Hill, NC 2007, S. 11–12; Brahms 2016 (wie Anm. *), S. 24–25. – Zur spätmittelalterlichen Rezeption der aristotelischen Lehre gegenüber dem platonischen System s. Hans Gerhard Senger, Aristotelismus vs. Platonismus. Zur Konkurrenz von

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1  Farberden und ‑kreiden © Eva-Louise Fowler, 2011, Sedgwick Museum of Earth Sciences, University of Cambridge

mit dem absoluten Gegenteil: mit einer Farbreduktion fern von Buntfarben, häufig als Monochromie bezeichnet, um freilich sehr Unterschiedliches zu erreichen.4 Die graphischen Künste sind grundlegend von der Erscheinung des weißen Papieres geprägt (Abb. 2). Als „the white art“ wurde es von Peter Bower bezeichnet, womit nicht zuletzt auf die Wahrnehmung verschiedenster Erscheinungsformen des so wesentlichen Materials aufmerksam gemacht werden sollte.5 Denn so sehr das Papier zum universellen Faktor kultureller Überlieferung wurde, so wenig findet es in der alltäglichen, ästhetischen wie wissenschaftlichen Betrachtung angemessene Beachtung.6 Auch dieser Beitrag will dieses Desiderat nicht erfüllen, vielmehr soll die Farbigkeit des Papiers bzw. seiner Grundierungen

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zwei Archetypen der Philosophie im Spätmittelalter, in: Albert Zimmermann (Hrsg.), Aristotelisches Erbe im arabisch-lateinischen Mittelalter, Berlin/New York 1986, S. 53–80. Aus der reichen Literatur sei auf jüngere Publikationen verwiesen wie: Magdalena Bushart, Gregor Wedekind (Hrsg.), Die Farbe Grau, Berlin/Boston 2016; Claudia Lehmann, Norberto Gramaccini, ­Johannes Rößler, Thomas Dittelbach (Hrsg.), Chiaroscuro als ästhetisches Prinzip. Kunst und Theorie des Helldunkels. 1300–1550, Berlin/Boston 2018. Peter Bower, The White Art. The Importance of Interpretation in the Analysis of Paper, in: John Slavin, Linda Sutherland (Hrsg.), Looking at Paper. Evidence and Interpretation, Ottawa 2001, S. 5–16. Zu jüngeren Ansätzen gehören: Caroline Fowler, The Art of Paper. From the Holy Land to the Americas, New Haven/London 2019; das von Daniel Bellingradt (Erlangen) 2019 ins Leben gerufene Netzwerk “The Paper Trade in Early Modern Europe”: https://earlymodernpapertrade.home.blog/the-network/ [zuletzt abgerufen: 9.10.2020]; die “Paperology Reading and Activity Group”: www.artefactlab.ca/​ ­paperology  [zuletzt abgerufen: 9.10.2020]; die von Shira Brisman, Caroline Fowler und Steve Hindle

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Weiß auf Schwarz

2  Nahansicht in Streiflicht von weißem Vergé aus dem 17. Jahrhundert

behandelt werden. Immerhin kann mit dem Beitrag ein Brückenschlag gelingen, indem er grundierte Papiere in den Blick nimmt, die jedoch jenseits einer etwaigen Buntfarbigkeit anzusiedeln sind. Denn es geht um den kompromisslosen Schwarz-Weiß-Kontrast, der durch die Grundierung in Schwarz zustande kommt (Abb. 3) und unsere Sehgewohnheiten vollends auf den Kopf stellt.7 Somit ist ein methodischer Ansatz aufgerufen, der künstlerische Techniken – mit Hartmut Böhme gesprochen – im Dienst der „Exploration der visuellen Welt“8 versteht und sie mitunter als Vorläufer theoretischer Abhandlungen und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse begreift, wenn sie diese nicht sogar zeitweise erst anregen. Hierfür gilt das 15. Jahrhundert als intensive Phase des Umbruchs, in der Gegensätzliches aufeinanderstößt und innerhalb und trotz des christlichen Kanons die Gewissheit über die göttliche Erleuchtung

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organisierte virtuelle Tagung “Ecologies of Paper in the Early Modern World” am 5./6.11.2020 (Huntington Library, San Marino). Daraus ergibt sich auch die Signifikanz von Philostratus‘ Beispiel eines mit weißer Kreide portraitierten Dunkelhäutigen, worauf selbst zu Zeiten, als schwarze Federlinien auf weißem Papier geläufig für die Wiedergabe hellhäutiger Personen waren, häufig verwiesen wird, um die Vielseitigkeit an Farbbedeutungen und deren Abstraktion zu veranschaulichen. Siehe Moshe Barasch, Light and Color in the Italian Renaissance Theory of Art, New York 1978, S. x, xix. Hartmut Böhme, Das reflexive Bild. Licht, Evidenz und Reflexion in der Bildkunst, in: Gabriele Wimböck, Karin Leonhard, Markus Friedrich (Hrsg.), Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, Berlin 2007, S. 333–368, S. 347.

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den Errungenschaften durch naturwissenschaftliche Messungen, instrumentelle Beobachtungen des Lichts und Thesen der Optik kaum vereinbar gegenübersteht. Dass die Kunst in dieser Hinsicht einen besonderen Anteil hat, liegt nicht zuletzt an der seit der Antike tradierten herausragenden Stellung des Sehsinns innerhalb der Sinneshierarchie, die die Verfeine-

3  Dummy von Carsten Wintermann, Weimar

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Weiß auf Schwarz

rung der künstlerischen Techniken zweifelsohne beförderte.9 Wenn im Folgenden eine ins Extreme getriebene und daher seltene Zeichentechnik aufgegriffen wird, geschieht dies unter der Annahme des visuellen Experiments, das vor dem Hintergrund der zeitgemäßen Sehtheorien theoretisierbar ist, ohne dass etwaige Schriftquellen exakt mit den analysierten Aushandlungsprozessen auf den Blättern übereinstimmten,10 diese jedoch vorwegnehmen können.11 Gegenstand der Untersuchung ist mithin „das Licht als agens naturale, als erste, ursprüngliche Naturkraft (virtus)“12, das laut Andreas Speer den „Zugang für die Erfassung der Wirkweisen und Strukturen der Natur im Ausgang von den beobachtbaren Phänomenen bietet.“13

1. Schwarzer Grund als Evokation kostbarer Kunstfertigkeit Die schwarze Grundierung begünstigt die Darstellung mit in Weiß getauchtem Pinsel. So entsteht zwar ein sehr gewohnter Kontrast von Schwarz und Weiß, doch die Umkehrung der Kontrastverhältnisse von Linie und Fläche, von Zeichnungsakt und dessen ebenso bedeutend in die Semantik und Ästhetik der Darstellung eingehende Vorbereitung der Grundfläche bewirkt eine ungewöhnliche Kenntlichmachung und gar Thematisierung des Weiß-aufSchwarz, zumal dieser Kontrast letztlich mit einem nahezu pechschwarzen Grund und hellweißer Deckfarbe perfektioniert ist.14 Denn im Gegensatz dazu erscheint nicht jede Schreiboder Zeichnungstinte schwarz, sondern tritt je nach Konstellation und Pigmentdichte auch als Graubraun in Erscheinung oder konnte sich dahin verändern.15 Hinzu kommt, dass nicht jedes geblichene Papier schneeweiß war oder sein sollte. Auf den schwarz grundierten Zeichnungen hingegen ging es um das Ausreizen der extremen Kontraste.

  9 Jan-Dirk Müller, Evidentia und Medialität. Zur Ausdifferenzierung von Evidenz in der Frühen Neuzeit, in: Wimböck/Leonhard/Friedrich 2007 (wie Anm. 8), S. 59–84, S. 68. Zur Stellung des Sehsinns seit der Antike siehe Robert Jütte, Augenlob – oder die (Neu‑)Bewertung des Sehsinnes in der Frühen Neuzeit, in: Wimböck/Leonhard/Friedrich 2007 (wie Anm. 8), S. 41–58. 10 Zumal sich Literatur des Spätmittelalters mit Material zur Optik fast nicht erhalten hat, siehe Lindberg 1987, S. 221–222. S. auch Frank Fehrenbach (Der Fürst der Sinne, in: Horst Bredekamp (Hrsg.), Sehen und Handeln, Berlin 2011, S. 141–154, S. 144) mit dem Hinweis auf das Desiderat, die Auswirkungen von Alhazens Emanationstheorie auf die Bildtheorie und noch vielmehr auf die Bildpraxis um 1300 zu untersuchen. 11 Michael Baxandall, Löcher im Licht. Der Schatten und die Aufklärung, München 1998, S. 161–162. 12 Andreas Speer, Licht und Raum. Robert Grossetestes spekulative Grundlegung einer sientia naturalis, in: Jan A. Aertsen, Andreas Speer (Hrsg.), Raum und Raumvorstellungen im Mittelalter, Berlin/New York 1998, S. 77–99, S. 90. 13 Ibid. 14 Dennoch soll nicht in Abrede gestellt werden, dass es sich auch hierbei nie um ein wahres Weiß oder Schwarz handelt, sondern auch diesen Kontrastfarben stets eine chromatische Komponente anhaftet, vgl. auch Parkhurst 1987 (wie Anm. 3), S. 165. 15 Siehe etwa Iris Brahms, Georg Dietz, Georg Josef Dietz, Kate Edmondson et al., Art and Science: Analysing Dürer’s early pen and ink drawings, in: Stephanie Buck, Stephanie Porras (Hrsg.), The Young Dürer: Drawing the Figure (Ausst. Kat. The Courtauld Gallery/London), London 2013, S. 89–105.

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4  Oberrhein (?), Musterblatt mit Evangelisten­ symbolen, verschiedenen Tieren und einem Wilden Mann, um 1430/40, Pinsel in Weiß auf schwarz grundiertem Vergé, 209 × 144 mm, Frankfurt a. M., Städelsches Kunstinstitut, Inv. Nr. 638

Um eine gleichmäßige, opake Grundierung zu erreichen, bedurfte es mehrerer Farbschichten. Damit diese Präparierung so schwarz wie auf dem eindrucksvollen und gut lesbaren Musterblatt mit Evangelistensymbolen, verschiedenen Tieren und einem Wilden Mann im Städel (Abb. 4) gelang, verwendete man hauptsächlich Rußpartikel – so ist es schon in Cennino Cenninis Malerhandbuch aus dem frühen 15. Jahrhundert (§ 37) zu lesen, und so zeigen es jüngste kunsttechnologische Untersuchungen.16 Das Weiß wird darauf zunächst dünn und durchaus mit breiterem Pinsel aufgetragen, in einem weiteren Schritt erst werden mit der Pinselspitze prägnante Linien gezogen, die bis heute in hoher Pigmentdichte eines pastosen Farbauftrags strahlend weiß erscheinen. Der Zeichner vermied Überschneidungen der Tiere, Fantasiewesen und Evangelistensymbole, so dass sie teilweise „kunstvoll aufein-

16 Jenny Bescoby, Judith Rayner, Supports and Preparations, in: Janet Ambers, Catherine Higgitt, David Saunders (Hrsg.), Italian Renaissance Drawings. Technical Examination and Analysis, London 2010, S. 23–38, S. 33–36. Allerdings wurden hier keine schwarzen Grundierungen untersucht, so dass der Hinweis von Doris Oltrogge (Köln), Kohlepartikel würden sich mit Gummi Arabicum nicht verbinden, das Desiderat kunsttechnologischer Untersuchungen anhand der hier behandelten Zeichnungen herausstellt. An anderer Stelle bemerkte Oltrogge mit Robert Fuchs jedoch, dass „z. B. Seifenkraut beim Anreiben von fettem Ruß mit wasserlöslichen Bindemitteln wie Gummiwasser zugefügt“ wurde, siehe Fuchs/ Oltrogge, Farbenherstellung, in: Uta Lindgren (Hrsg.), Europäische Technik im Mittelalter, 800 bis 1400. Tradition und Innovation, Berlin 1996, S. 435–449, S. 445.

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Weiß auf Schwarz

5  Franko-flämisch, Emailkästchen, um 1430/35, Regensburg, Domschatzmuseum

ander Bezug nehmen“.17 Stephanie Buck hob mit dieser Feststellung auf eine Rhythmik der Anordnung ab, „die eher dem künstlerischen Gespür und Geschick des Zeichners beim Füllen der Fläche als einer bewussten kompositorischen Berechnung zu verdanken ist.“18 So könnte einzig die Bewegung des Wilden Mannes rechts oben in Reaktion auf den herannahenden, wenn sich auch abwendenden Hirschen zu verstehen sein und inhaltlich als Jagdszene interpretiert werden. Doch es bleibt im Vagen: Sowohl weil die schwarze Fläche die räumlichen Bezüge zu absorbieren scheint, als auch aus dem Grund, dass die Relationen der beiden Figuren unklar sind. Zurückzuführen ist letzteres jedoch nicht darauf, dass der vermutlich oberrheinische Zeichner der 1430/40er Jahre derlei Figur-Raum-Verhältnisse nicht hätte verdeutlichen können. Vielmehr kommt hierbei die Funktion des Blattes als Mustersammlung einerseits, andererseits die spezifische Ästhetik der ungewöhnlichen schwarzen Zeichnungsfläche zum Tragen. Diese steht höchstwahrscheinlich in Zusammenhang mit Email-Arbeiten wie dem franko-flämischen Emailkästchen im Regensburger Domschatzmuseum (Abb. 5).19

17 Stephanie Buck, Wendepunkte deutscher Zeichenkunst. Spätgotik und Renaissance im Städel (Ausst. Kat. Städelsches Kunstinstitut/Frankfurt), Frankfurt a. M. 2003, S. 41–42, S. 41. 18 Buck 2003 (wie Anm. 17), S. 41–42. 19 Renate Eikelmann, „mit Niderlenndischen schmelzwerch“. Das Regensburger Emailkästchen, in: ­Reinhold Baumstark (Hrsg.), Schatzkammerstücke aus der Herbstzeit des Mittelalters. Das Regensburger Emailkästchen und sein Umkreis (Ausst. Kat. Bayerisches Nationalmuseum/München), München 1992, S. 37– 58.

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Das Blatt veranschaulicht daher, wie bereits im Musterrepertoire auf das Zielmedium alludiert werden konnte. Angesichts dieser Äquivalenz der Medien sollte jedoch nicht von einer zu eng verfolgten Nachahmung in der Zeichnung ausgegangen werden. Wie häufig anhand von Material­ evokationen in der Buch- wie Tafelmalerei beobachtet werden kann, ging es hierbei selten um die Wiedergabe beispielsweise einer exakt bestimmbaren Steinsorte.20 So ist nicht ­verwunderlich, dass die Glanzeffekte der mitunter transluziden Glasmasse (Silberschmelz), ­welche die Grundlage für die Figurationen bildet, kaum einen Widerhall in der Grundierung des Papiers finden. Ebenso wenig wurde auf die tatsächliche Einfärbung des Glasflusses in Dunkelblau, Dunkelgrün oder ‑violett in der zeitgemäßen Emailkunst geachtet, sondern vor allem auf die eigentliche Wirkung abgehoben, die mehr schwarz denn irgendwie farbig ist.21

2. Schwarzer Grund als Schatten der Natur Eine unklare räumliche Konstellation wie von Hirsch und Mann auf dem Frankfurter Blatt zeigt sich sogar bei einer bildlich geschlossenen Komposition auf schwarzem Grund, nämlich auf der wohl süddeutschen Zeichnung in Wien mit dem Heiligen Georg im Kampf gegen den Drachen, auf der die Prinzessin Cleodolinda, die Hände zum Gebet gehalten, im Mittelgrund kniet (Abb. 6). Es wird zu zeigen sein, dass die erhöhte Verunklärung der räumlichen Bezüge der schwarzen Grundierung geschuldet ist. Cennino Cennini umschreibt zu Beginn des Libro dell’Arte (um 1400) den künstlerischen Darstellungsprozess mit einer ebenso faszinierenden wie oszillierenden Metapher. Die Malerei bedürfe „der Fantasie und der Ausführung mit der Hand […], um nie gesehene Dinge zu finden, die sich verbergen im Schatten der natürlichen [Dinge], und sie mit der Hand festzuhalten, indem jenes gezeigt wird, was nicht ist.“22 Wenn sich die zu entdeckenden Dinge in der unklaren Sphäre eines Schattens befinden sollen, wird sowohl die produktive Kraft der Fantasie angesprochen, als auch ihre zerstörerische Dimension. Denn sie kann

20 Isabella Augart, Maurice Saß, Iris Wenderholm, Steinformen – Stein formen, in: Augart/Saß/Wenderholm (Hrsg.), Steinformen: Materialität, Qualität, Imitation, Berlin/Boston 2019, S. IX–XIX, S. XII. 21 Dies zeigt auch die Wasserfarbenzeichnung eines franko-flämischen Bergkristallbechers der Zeit mit einer Fassung in Maler-Email aus dem um 100 Jahre späteren Halleschen Heilsbuch in der Aschaffenburger Hofbibliothek (ms 14, fol. 329v; Ausst. Kat. München 1992 [wie Anm. 19], S. 42–43, Abb. 24). – Erscheint dem menschlichen Auge der Grund in der Emailkunst tatsächlich schwarz, verfeinerte sich auch der Farbensinn insofern, als zunächst Dunkelgrün und Dunkelblau unter Schwarz subsumiert wurden [vgl. Brahms 2016 (wie Anm. *), S. 86], was Hugo Magnus etymologisch darlegte. S. Hugo Magnus, Die geschichtliche Entwicklung des Farbensinnes, Leipzig 1877, S. 29, 38, 41–42. Vermutlich lassen sich hierfür auch ökonomische Beweggründe anführen, da so die Verwendung teurerer Farbpigmente umgangen werden konnte. 22 Wolf-Dietrich Löhr, Dantes Täfelchen, Cenninis Zeichenkiste. Ritratto, disegno und fantasia als Instrumente der Bilderzeugung im Trecento, in: Das Mittelalter 13 (2008), S. 152–183, S. 169.

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6  Süddeutschland, Kampf des Hl. Georg, 1430/40, Pinsel in Weiß auf schwarz grundiertem Vergé, 181 × 129 mm, Wien, Albertina, Inv. Nr. 3053

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unter der Prämisse der Naturähnlichkeit auch zu „schattenhaften Einbildungen“ und damit zu Täuschungen führen, wie Wolf-Dietrich Löhr weitreichend herausgestellt hat.23 Um dieser Gefahr zu begegnen, ist sich Cennini der Notwendigkeit einer gezielten Selektion bewusst, die er durch Schulung mittels Nachzeichnen von Werken angesehener Meister zu lenken intendiert und dabei vor allzu wechselhaftem Bezug warnt.24 In der Passage geht es aber auch grundlegend um die Gesetzmäßigkeit des Sichtbaren infolge von Lichteinwirkung, die zugleich und unweigerlich Schatten hervorruft.25 Daran knüpft sich denn auch Cenninis Naturbezug, der in unserem Zusammenhang letztlich eine der bildenden Kunst zugrundeliegende Auseinandersetzung ausmacht, die ebenso wesentlich für die Evidenzbildung ist. Die in der Folge etwa von Filippo Villani um 1382 vertretene Aufwertung der Malerei durch überzeugende „Naturähnlichkeit“26 bedeutet bekanntlich nicht eine exakte Wiederholung des Sichtbaren in der Malerei – wie immer diese aussehen könnte; vielmehr geht nach Anne Eusterschulte „gleichermaßen Gesehenes, durch seine Zeitlichkeit dem Blick Entzogenes“27 in die Darstellungen ein, so dass letztlich aus einer Distanz Prinzipielles des Natürlichen ermittelt wird und Dinge sowie Geschehnisse wiedergegeben werden, als hätten sie sich so verhalten oder zutragen können. Dabei wird eine selbstreflexive Vertiefung erreicht, insofern sich die Kunst in ihrer Wiedergabefunktion von Natur zu erkennen gibt und damit die Aufgabe von Kunst wie überhaupt des Sichtbaren und Sichtbarmachens thematisiert wird. Hartmut Böhme stellte für das 15. bis 17. Jahrhundert eine Intensivierung solcher Prozesse heraus, infolge „die visuellen Strategien, die Bilder zur Evidenzerzeugung entwickeln, sich weder auf die Präsenz des Heiligen im Bild noch auf eine Unmittelbarkeit des Sehens berufen können“28. Stattdessen gehe es darum, „die malerischen wie perzeptiven Voraussetzungen von Evidenzerfahrungen selbst ins Bild zu bringen“29, was soviel heißt, dass Nachahmung und Abweichung zur semantischen Verdichtung um die Frage des Bildstatus eingesetzt werden. Gerade aus der gesteigerten Virtuosität, in der Natur und Kunst zusammenzufallen scheinen und die Täuschung zur Perfektion getrieben werde, entstehe die entlarvende Enttäuschung, bloß ein Bild vor sich zu haben. Insofern Böhme diese Evidenz mit der Erfahrung des Entzugs und des Undarstellbaren verband und diese Erfahrung bis zur vollkommenen Leere und dem Tod weiterdachte, stellt sich die Frage nach einer spezifischen und konsequenten Übereinstimmung mit der hier thematisierten Zeichentechnik, deren alles absorbierendes Schwarz eine unendliche Leere meinen kann, aus der sich nur mühsam figurative Silhouetten zu erheben vermögen. 23 Löhr 2008 (wie Anm. 23), S. 171. 24 Ibid. 25 Löhr 2008 (wie Anm. 23), S. 175–177. Siehe ferner Baxandall 1998 (wie Anm. 11), bes. S. 17–18. 26 Löhr 2008 (wie Anm. 23), Mittelalter, S. 154. 27 Anne Eusterschulte, Imitation naturae. Naturverständnis und Nachahmungslehre in Malereitraktaten der frühen Neuzeit, in: Hartmut Laufhütte (Hrsg.), Künste und Natur, Wiesbaden 2000, S. 791–807, S. 794. 28 Böhme 2007 (wie Anm. 8), S. 331–332; Klaus Krüger, Grazia. Religiöse Erfahrung und ästhetische Evidenz, Göttingen 2016, S. 28. 29 Böhme 2007 (wie Anm. 8), S. 332.

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Laut Böhme ziehen Tod und Leere wie ein Sog in den Bildraum ein, „der an der Präsenz der Dinge zerrt und diese gleichsam evakuiert.“30 Produktiv erweise sich diese Selbstreflexivität jedoch hinsichtlich einer neueren Positionierung der Bilder zur Wissensgenerierung; sie tragen zum Diskurs über die Visualisierung experimentell bei, indem sie jenseits von Theorie und Traktatistik durchaus vorwegnehmend dringlich gewordene Fragen verhandeln wie: „Ahmt Kunst die ‚Welt im Augenschein‘ nach oder ist sie eine Technik der Sichtbarmachung? Ist dasjenige, was sinnlich zu Tage liegt, die durch Sinnesevidenz stabilisierte Wahrheit oder gerade die Täuschung?“31 Die Innovationsfähigkeit in Bezug auf die Erprobung visueller Gesetze durch Bilder wird an einer Korrespondenz zwischen Künstler und Auftraggeber erneut deutlich: In den späten 1520er Jahren war Lorenzo Lotto für eine Serie von Intarsienentwürfen typologischer Impresen für den Chor von Santa Maria Maggiore in Bergamo beauftragt. In diesem Kontext nicht anders vorstellbar war die Vorgabe eines theologisch jeweils klar festgelegten Sinnbezuges höchste Prämisse, worauf Lotto erwiderte, dass diese Zusammenhänge – so ja nicht geschrieben – allein aus der Vorstellungskraft [imaginatione] „ans Licht kommen können“[porti a luce].32 Klaus Krüger erkannte in der metaphorischen Äußerung den Anspruch einer „besonderen ästhetischen Evidenz“ und leitete aus dieser „bildgeprägten Imagination“ das medieneigene Spezifikum der Malerei gegenüber sprach- und theoriefundierten Kommunika­ tionsweisen ab, indem diese Evidenz als privilegierte Wahrnehmungskategorie „der Malerei die Aura einer ebenso irreduziblen wie unfasslichen Authentizität sichert.“33 Wie Böhme hält auch Krüger daran fest, dass sich diese Evidenz normativen Definitionen entziehe. Aus der Repräsentation naturbasierender Darstellungen entstehe in den Bildern nun zwar der Faktor von Präsenz, doch bedeute dies keineswegs eine semantische Eindeutigkeit. Vor allem durch das Moment der Unersichtlichkeit, des Entzogenen gewinne die Kategorie der Evidenz – so paradox es klingen mag – an Bedeutung, indem sie – so möchte ich hinzufügen – das Potential der Auseinandersetzung mit dem Bild steigert. Hierzu noch einmal Krüger: „Von dieser Seite aus gesehen, warte sie [die ästhetische Evidenz; IB] damit [mit dem Moment der Unersichtlichkeit; IB] im Grunde mit den Zügen einer Negativitätsästhetik auf, einer Negativität, welche die Kunst ungeachtet aller für sie reklamierten Bedingung der Immanenz und naturalità in einen metaphysisch konnotierten Status erhebt.“34 Und auch hier lässt sich die Frage stellen, ob eine solche Negativität an den schwarz grundierten Zeichnungen augenfällig wird, zumal sie die Sehgewohnheiten verkehren und dadurch jenseits einer Eindeutigkeit herausfordern.

30 Böhme 2007 (wie Anm. 8), S. 332; Gabriele Wimböck, Karin Leonhard, Markus Friedrich, Evidentia. Reichweiten visueller Wahrnehmung in der Frühen Neuzeit, in: Wimböck/Leonhard/Friedrich 2007 (wie Anm. 8), S. 11–40, S. 25. 31 Böhme 2007 (wie Anm. 8), S. 332. 32 Krüger 2016 (wie Anm. 28), S. 99. 33 Ibid. 34 Ibid.

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Die Überlegung, dass Cenninis „Schatten der natürlichen Dinge“ unweigerlich mit der schwarzen Zeichnungsfläche zusammenfällt, der metaphorische Schatten nun in der Abstraktion des Erscheinungsbildes der Zeichnung gar materialisiert ist, lässt sich kaum umgehen. Damit jedoch ist dieser Schatten als Projektionsfläche der sichtbaren Dinge alles andere als „nur“ Metapher für die Bedingungen menschlichen Sehens. Vielmehr ist diese natürliche Folge von einfallendem Licht letztlich zur Voraussetzung des Sehens geworden, von dem sich die Dinge abheben. Bevor es Licht gab, war alles auf der Welt dunkel, wenn man an Genesis (Gen 1,3) denken und damit die Bedeutung von Licht für den Menschen als Urphänomen andeuten möchte, laut Joseph Ratzinger „in dem er an den geheimnisvollen Grund der Dinge zu rühren glaubt, an die Macht, die seinem Leben vorausgeht und es trägt.“35 Zieht man die von Künstlern des 15. Jahrhunderts reflektierte Sehtheorie heran,36 stellt auch der Bildhauer Lorenzo Ghiberti im 3. Teil seiner Commentarii (um 1447–1455) in Kenntnis von Alhazens (965–1039/40) De aspectibus Licht als die Voraussetzung des Sehens heraus. Er hätte die Wiener Georgszeichnung als Bestätigung seiner Erläuterungen sehen können, denn die Figurationen stehen in hinreichendem Licht, um gerade mal ihre Silhouetten zu erkennen zu geben. Zudem erscheinen Farben in dunkler Umgebung oder in schwachem Licht trübe.37 Ob die von Menschenhand aufgetragene Farbpaste, dicht mit Kohlepartikeln versetzt, als Folge des Lichtes – nämlich als Schatten – zu verstehen ist oder als vehemente Dunkelheit vor dem Eintreffen von Licht, ist schwer zu entscheiden. Ghiberti zitiert Witelo damit, dass sich Schatten und Finsternis ausbreiten, wenn das Licht fehle.38 Er verfeinert diese Feststellung dahingehend, dass im Schatten ein ganz kleines Licht vorherrsche, „fast gar keines“, die Finsternis jedoch „ganz frei von Licht“ sei: „Es ist in der Finsternis nicht mehr möglich zu sehen, wie man im Schatten noch sehen kann.“39 Immerhin jedoch treten die Figurationen auf der Zeichnung durch leichte Beleuchtung hervor,40 womit gerade die Sichtbarwerdung an der Schwelle zur Dunkelheit thematisiert wird.41 Jenseits ihrer tatsächlichen materiellen Zusammensetzung erreichen sie eine andere Seinsebene: die der Evokation, (Dis‑)Simulation, Präsentation.

35 Joseph Ratzinger, Licht und Erleuchtung. Erwägungen zu Stellung und Entwicklung des Themas in der abendländischen Geistesgeschichte, in: Studium Generale, 13 (1960), S. 368–378, S. 368. Vgl. auch Bremer 1973 (wie Anm. 1), S. 8 zur Anschauung von Licht und Finsternis im vorplatonischen Denken. 36 Klaus Bergdolt, Der dritte Kommentar Lorenzo Ghibertis. Naturwissenschaften und Medizin in der Kunsttheorie der Frührenaissance, Weinheim 1988, S. LXIII. Vgl. Parkhurst 1987 (wie Anm. 3), S. 167. 37 Bergdolt 1988 (wie Anm. 36), S. 36. Vgl. ibid, S. 20: „Ist das Licht dagegen schwach, erscheint der Körper dunkel, und das Auge wird seine Farbe nicht unterscheiden können. Und er scheint dann fast schwarz.“ 38 Bergdolt 1988 (wie Anm. 36), S. 8. 39 Bergdolt 1988 (wie Anm. 36), S. 10. 40 Vgl. Baxandall 1998 (wie Anm. 11), S. 165: die “Zeichnungen arbeiten aus dem Beschatteten ins Beleuchtete.“ 41 Vgl. Iris Brahms, Am Übergang zum Sichtbaren. Graphische Techniken und das Helldunkel, in: Lehmann/ Gramaccini/Rößler/Dittelbach 2018 (wie Anm. 4), S. 223–239.

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Im Bildzusammenhang einer steilen Landschaftsanordnung entstehen auf dem Blatt mit dem Hl. Georg eng aneinanderliegende Relationen der Figuren. Auf dem Hochformat, das offenbar knapp bemessen für die Fülle an Kompositionselementen ist, kommt es sogar zu Überschneidungen, die indes keine Berührung meinen. Tatsächlich sind räumliche Distanzen zwischen den sich partiell überlagernden Figuren zu denken, die einerseits von der eher zweidimensional bestimmten Staffelung subsumiert, andererseits aber auch vom unerbitt­ lichen Schwarz absorbiert werden. Die evozierte Räumlichkeit kann somit kaum mit einem Widerhall an konkreten Angaben und Linienformationen aufwarten. Weit gefehlt, dass ein ambitionierter Künstler um 1430/40, wie das Blatt vage datiert wird, nicht auch schon eine aus heutiger Sicht überzeugendere Tiefenstaffelung hätte ausführen können. Stilkritische Einordnungen stellen das Blatt in Zusammenhang mit Konrad Witz,42 der gerade für seine fernen Horizonte topographischer Landschaften bekannt ist. Berühmt ist Witz selbstredend auch für frappierende optische Beobachtungen, die er in einem völlig neuen Zugriff als bildkünstlerische Elemente in seine Darstellungen integriert: Seien es prägnante Schlagschatten, die gar aus dem Betrachtungsraum in die Komposition hineinzufallen scheinen;43 seien es Spiegelbilder auf dem und durch Lichtbrechung hervorgerufene Verzerrungen unter Wasser. In der Passage der legenda aurea zum Hl. Georg ist bekanntlich von einem „verderbenbringenden Drachen“ [draco pestifer] die Rede, der alle „mit seinem Hauch“ verseuchte [accedens omnes inficiebat] und der ohne die Beschwichtigung täglicher Opferung von Schafen und später gar von Söhnen und Töchtern „die Luft verpestet hätte, so dass die meisten umgekommen wären“ [aerem inficiebat, quod plurimi interibant].44 Lässt sich hier der üble Hauch synästhestisch mit dem Schwarz der Bildebene in Verbindung bringen, liegt die farbsemantische Gleichsetzung der Farbe Schwarz mit dem Bösen nahe.45 Diese Asso­ 42 Otto Benesch, Meisterzeichnungen der Albertina, Salzburg 1964, S. 335, Nr. 63. Während Benesch für eine Datierung um 1445 plädiert, ordnet Fritz Koreny das Blatt als oberdeutsch (rheinisch?) um 1430/40 ein: Old master drawings from the Albertina (Ausst. Kat. National Gallery of Art/Washington, Pierpont Morgan Library/New York), Washington 1984, S. 182, Kat. Nr. 1. 43 Baxandall 1998 (wie Anm. 11), S. 159: „Daß die Lichtquellen so oft und so klar diesseits der Bildebene liegen, ist sehr wichtig.“ 44 Bruno W. Häuptli (Hrsg.), Jacobus de Voragine, Legenda Aurea, Freiburg/Basel/Wien 2014, 2 Bde., Bd. 1, S. 812/813). 45 Bremer 1973 (wie Anm. 1); Tzotcho Boiadjiev, Die Nacht im Mittelalter, Würzburg 2003, bes. S. 11–17, 14: „Die Nacht ist mit dem Tod verwandt.“ Nicolaus von Cues (1401–1464) schlägt die für das dialektische Ineinander des Seins von Identität und Differenz in Anschlag gebrachte Andersheit dem Dunkel zu, während die Einheit das Licht sei [Historisches Wörterbuch der Philosophie, 5 (1980), ad vocem Licht, Sp. 282–289, 285 (W. Beierwaltes)]. Diese Konnotation mag zur seit Cusanus tradierten, gleichwohl paradoxen Lichtsymbolik im Widerspruch stehen, wonach Licht zur Dunkelheit führe, „und diese wieder zum Lichte“ (Kurt Goldammer, Lichtsymbolik in philosophischer Weltanschauung, Mystik und Theosophie, in: Studium Generale, Bd. 13 (1960), S. 670–682, 673). Letztlich geht daraus die Regelmäßigkeit des Kosmos hervor (Goldammer 1960, S. 674). Doch bemerkt bereits Dionysius um 500 das voneinander abhängige Gegensatzpaar Licht und Dunkel als je von Gott bewohnt. Denn das „göttliche Dunkel ist das unzugängliche Licht, in dem Gott, wie es heißt, wohnt. Es ist wegen der überhellen Helligkeit unsichtbar

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ziation lässt sich besonders produktiv machen, wenn Georg am Schluss der Legende „als Licht der Wahrheit“ [Georgi, lumen veritatis] angesprochen wird.46 – Somit steht die konsequente Abwesenheit von Licht, die mit Tod und Trauer verbunden ist, da der Drache bereits fast alle Kinder der libyschen Stadt Silena verschlungen hat, dem in mehrfacher Hinsicht erhellenden Licht gegenüber, das nicht nur die Wahrheit zu Tage fördert, sondern auch dem Unbändigen ein Ende setzt. Während Georg nun an prägnanter Stelle im Bild in seiner ausholenden Geste auf dem wehrhaft voranpreschenden Ross mit zahlreichen Details seines Kostüms ausgestattet ist, wofür das Weiß in unterschiedlichster Weise aufgetragen wurde und somit verschiedentliche Texturen differenziert sind, ist die Quantität an Weiß schon allein beim ohnehin marginalisierten sowie von der Blattkante überschnittenen Ungeheuer stark zurückgenommen. Vom spezifischen Gebrauch lässt sich demnach eine farbsemantische oder gar synästhetische Ebene des Guten ablesen, das über das Böse siegt.47 Es mag ein Übriges leisten, die Darstellung vor allem als ein Ringen um die Voraussetzung des Sehens zu verstehen, als ein Ausloten der Sehkraft und Sehstärke. Denn das Dargestellte setzt seine Sichtbarkeit gegen alle Widerstände, gegen die prägnante Lichtlosigkeit der Grundfläche, mit allen Dynamiken und aller Strahlkraft durch, um der im Mittelalter negativ beurteilten Unbestimmtheit als „ein Zeichen für den Entzug des göttlichen Schutzes“48 zu entgehen. Bildimmanent geschieht das, was Ghiberti etwas später anhand der Lichteinwirkung auf ein tatsächliches Relief festhalten sollte: Das Auge könne „die Muster feiner Reliefdarstellung an einem dunklen Ort nicht wahrnehmen“49. Insofern, aber auch mit Blick auf die stilkritische Zuordnung in die Nähe von Konrad Witz, scheint die Überlegung nicht ganz abwegig, in der stilistisch eigenen und seltenen Pünktelmanier des Farbauftrags eine Relation zu Alhazens Erklärung zur Wahrnehmung von Formen durch das Auge zu vermuten, indem jeder einzelne Punkt mittels eines direkten

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und wegen des Übermaßes der überwesentlichen Lichtausgießung unzugänglich.“ [nach Josef Koch, Über die Lichtsymbolik im Bereich der Philosophie und der Mystik des Mittelalters, in: Studium Generale, Bd. 13 (1960), S. 653–670, 656; vgl. Hans Blumenberg, Licht als Metapher der Wahrheit. Im Vorfeld der philosophischen Begriffsbildung, in: Studium Generale, Jg. 10, H. 7, 1957, S. 439–441; Boiadjiev 2003, S. 60]. Häuptli/de Voragine 2014 (wie Anm. 44), S. 820/821. Häuptli/de Voragine 2014 (wie Anm. 44), S. 814/815: „Da winkte ihnen der heilige Georg zu und sagte: ‚Fürchtet euch nicht, der Herr hat mich dazu zu euch gesandt, dass ich euch von den Plagen des Drachen erlöse. Glaubt nur an Christus. Jeder von euch soll sich taufen lassen, und ich werde diesen Drachen töten.’ Da ließen sich der König und alle Leute taufen.“ [Tunc beatus Georgius innuit eis dicens: ‚Nolite timere, ad hoc enim dominus me misit ad vos, ut a poenis vos liberarem draconis. Tantummodo in Christum credite et unusquisque vestrum baptizetur et draconem istum occidam.’ Tunc rex et omnes populi baptizati sunt.] Boiadjiev 2003 (wie Anm. 45), S. 29, vgl. S. 446. Bergdolt 1988 (wie Anm. 36), S. 36. Weiterführend s. Christopher R. Lakey, „le sculture sottili“: Light, Optics, and Theories of Relief in Ghiberti’s third Commentary, in: Fabian Jonietz, Wolf-Dietrich Löhr, Alessandro Nova (Hrsg.), Ghiberti Teorico. Natura, arte e coscienza storica nel Quattrocento, Mailand 2019, S. 191–203.

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immateriellen Sehstrahls vom Gegenstand zum Auge führt.50 Denn diese Darstellungsweise dürfte eine vertiefte Reflexion veranschaulichen, insofern sie die häufige Wiedergabe nicht verdunkelter, gar greller Figuren vor dunkler Folie eines Sternenhimmels in mittelalterlichen Bildern hinter sich lässt.51 So scheint auch für die Selektion der äußersten Kontraste von Schwarz und Weiß Aristoteles‘ Lehre von der Abwesenheit und Präsenz von Licht wesentlich zu sein.52 Darüber hinaus geht es um die Darstellung des Unbeschreiblichen, Unfasslichen, was Bildinhalt wie Bilderlebnis prägt, und damit geht es auch laut Krüger um jene ambigue Komponente des ästhetischen Evidenzbegriffs der Neuzeit, die das Dazwischen der Konstellationen von Präsenz und Repräsentation, von Unmittelbarkeit und Vermitteltheit, von Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit mit ausmacht.53

3. Schwarzer Grund als optische Herausforderung Aus heutiger Sicht scheint der Innenraum auf Mairs von Landshut Thronendem Heiland (Abb. 7)54 von Dissimulation geprägt zu sein. Fern einer perspektivischen Konstruktion wie mittels der Sehpyramide, die auf den Betrachter bezogen dessen Wirklichkeitskategorien von vorn – hinten, oben – unten klären könnte, zielt der Zeichner mit dem Einsatz von Zirkel und Lineal vor allem auf eine nahezu symmetrische Anordnung sowie sorgfältige Ausführung der architektonischen und geometrischen Elemente ab. Die unstimmigen Verkürzungen, die sich prinzipiell trotz der Abweichungen auf Euklid berufen könnten,55 erschweren das Verständnis für die angestrebte Dreidimensionalität der Fiktion. Die betonte Aufsicht des halbkreisförmigen Podestes unter dem segnenden Christus und der in dessen Kopfhöhe in die Diagonale strebenden Wandkompartimente kollidiert mit der frontalen Anordnung des Heilands und der durch das Gewölbe evozierten Untersicht, die letztlich durch das relativ gedrungene Gewölbe kaum Wirkung entfalten kann. Im Vergleich zu den beiden vorangegangenen Beispiele, deren Motive ohne Kontur­ linien von der Binnenmodellierung her aufbauen, verfuhr Mair von Landshut um 1500 also

50 Lindberg 1987 (wie Anm. 10), S. 157–158, S. 221. Gleichwohl assoziierte Otto Benesch diese Zeichentechnik, in der das Weiß mit kurzen Strichen und Punkten aufgetragen wird, mit der „stippled manner“ von Nielli, siehe Benesch 1964 (wie Anm. 42), Nr. 63. Fritz Koreny verglich die Manier mit Teigdrucken oder Schrotblättern, siehe in Ausst. Kat. Washington/​ New York 1984 (wie Anm. 42), Nr. 1. 51 Vgl. Boiadjiev 2003 (wie Anm. 45), S. 448. 52 Wie Anm. 3. Vgl. Jonas Gavel, Colour. A Study of its Position in the Art Theory of the Quattro- and Cinquecento, Stockholm 1979, S. 13–17; Boiadjiev 2003 (wie Anm. 45), S. 450–451. 53 Krüger 2016 (wie Anm. 28), S. 104. 54 Alfred Stix (Hrsg.), Die Zeichnungen der deutschen Schulen bis zum Beginn des Klassizismus, Beschreibender Katalog der Handzeichnungen in der Graphischen Sammlung Albertina, Bd. IV / V, Wien 1933, S. 32, Nr. 213 (Tietze/Tietze-Conrat). 55 Frank Büttner, in: Ulrich Pfisterer (Hrsg.), Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe, ad vocem Perspektive, Stuttgart 2011, S. 332–336, S. 333.

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7  Mair von Landshut, Thronender Heiland, um 1500, Pinsel in Weiß auf schwarz grundiertem Vergé, 213 × 159 mm, Wien, Albertina, Inv. Nr. 4847

anders, doch stellen sich ähnliche Fragen nach den räumlichen Relationen ein: Thront der Heiland vor dem Raum und das Kirchenschiff öffnet sich dahinter als eine Art Zitat oder Vision? In Anbetracht ähnlicher Kompositionen in Mairs Druckgraphik, wobei ganz gewöhnlich eine schwarze Linienplatte auf weißes Papier abgedruckt wurde,56 lässt sich die Komplikation ausmachen, die der tiefschwarze Grund als undurchdringliche, in die Tiefe driftende, dabei vehement präsente Dunkelheit57 für die Darstellung in Weiß verursacht. Das Schwarz wird kaum räumlich eingefasst und erhält daher sogar eine verschleiernde Dimension; aus der grundlegenden Verschattung werden reliefhafte Strukturen schemenhaft herausmodelliert, so dass letztlich auch das sakrale Personal als Vision statt als vorgegebene Wirklichkeit inszeniert scheint. Darstellungsstrategisch verdichtet kommt so nicht das unmittelbare Se-

56 Hierzu zwei willkürlich herausgegriffene Kupferstiche Mairs auf weißem Papier, die ebenso Figuren in Kirchenräumen zeigen: The Illustrated Bartsch: Early German artists, 2 (1980/91), TIB 018, TIB 022. 57 Büttner 2011 (wie Anm. 55), S. 332: „So ist die These, dass sich die Erscheinung der Farbe mit Abstand vom Betrachter verdunkle, aufgegriffen und von Cennini auch schriftlich festgehalten worden.“; vgl. Summers 2007 (wie Anm. 3), S. 12.

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8  Süddeutschland, Maria im Strahlenkranz, um 1450, Holzschnitt, weiß auf grün getöntem Vergé, 292 × 204 mm, Nürnberg, Stadtbibliothek, ­Graphische Sammlung, ohne Inv. Nr.

hen, sondern ein religiös reflektiertes Sehen zum Ausdruck, das nie gesehene Dinge kraft der Fantasie vor Augen führt. „Zu einem eigentümlich entmaterialisierten Eindruck der Figur“58 führt laut Peter Schmidt die umgekehrte Farbstruktur auf einem süddeutschen Holzschnittfragment um 1450, das eine Madonna mit Strahlenkranz zeigt (Abb. 8): Auf dunkelgrün getöntem Papier ist ein Holzschnitt in Weiß abgedruckt. Schmidt schreibt weiter: „Dass auf jede nachträgliche Kolorierung verzichtet wurde, die zu jener Zeit noch ganz selbstverständlich zum Holzschnitt gehörte, spricht für ein Bewusstsein des Produzenten für diese ungewöhnliche Wirkung.“59 – Die Binnen- wie Außenkonturlinien stehen in Weiß auf einer einheitlich dunkelgrünen Fläche, wobei deren variierte Linienstärke für eine räumliche Anordnung und gewisse Plastizität sorgt. Aus dem in seiner klaren Wiedergabe auch auf das vergleichsweise große Format60 abgestimmten Darstellungsmodus ergibt sich eine komplexe Rezeptionsebene. Denn die Zeichnung dürfte bei Prozessionen getragen worden und daher kaum zur Nahsicht bestimmt gewesen sein. Der Anschein, dass sich die Figur wie eine Vision aus dem dunklen Grund

58 Peter Parshall, Rainer Schoch (Hrsg.), Die Anfänge der europäischen Druckgraphik. Holzschnitte des 15. Jahrhunderts und ihr Gebrauch (Ausst. Kat. National Gallery of Art/Washington, Germanisches Nationalmuseum / Nürnberg), Nürnberg 2005, S. 92–94, S. 92 (Peter Schmidt). 59 Ibid. 60 Im fragmentierten Zustand misst das Blatt bereits knapp 30 cm Höhe und gut 20 cm Breite und dürfte in Hinblick auf die Standardformate von Papierbögen und Holzschnitten um etwa 10 cm ergänzt werden, siehe ibid.

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9  Meister E. S., Thronende Madonna, um 1465–1467, Weißlinienschnitt auf schwarz grundiertem Vergé, Ø 107 mm (zum Oktagon geschnitten), Basel, Kunstmuseum, Inv. Nr. Aus K.6.49b

erhebt, dürfte sich erst recht bei mäßiger Beleuchtung eingestellt haben, wenn der Papiergrund visuell mit dem Umraum zu verschmelzen scheint.

4. Schwarzer Grund als Experiment Wurde der Madonnenholzschnitt von Schmidt als einmaliges Experiment deklariert, ist dem ein ebensolches kleineren Formats von 108 mm Durchmesser (Abb. 9)61 an die Seite zu stellen, das schon allein verfahrenstechnisch überraschend ist. Der um die Mitte des 15. Jahrhunderts am Oberrhein tätige Meister E. S. widmete sich in der Druckgraphik ausschließlich dem von der Goldschmiedekunst her entwickelten Kupferstich. Auf weißem Papier geben die Darstellungen im Tiefdruckverfahren zuvor ungeahnte Feinheiten von Licht-Schatten-Wirkungen wieder. Um die Druckerschwärze aus den eingeschnittenen Linien auf das Blatt zu bringen, wird es leicht befeuchtet, und hoher Druck der Presse aufgewendet. Wenn der Meister allerdings die absolute Umkehrung der Kontraste verfolgte, nämlich eine weiße Darstellung auf schwarzem Grund, erweist sich die Unverträglichkeit der Grundierung mit der notwendigen Befeuchtung als problematisch.62 – Wie dem Meister im 15. Jahrhundert 61 Brahms 2016 (wie Anm. *), S. 181, Taf. III.58 mit weiterführender Literatur. 62 Ich danke Peter Pollaert von der Druckerwerkstatt der UdK für lange Diskussionen und eigene Experimente hierzu. – Darauf nun einen Holzschnitt – also im Hochdruck quasi einen Stempel in Weiß abzu-

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ein dann doch hochqualitativer Abzug gelingen konnte, ist tatsächlich höchst erstaunlich und bedürfte weiterer kunsttechnologischer Untersuchungen. Allerdings spricht die Erhaltung nur eines Sujets in dieser Technik, das wiederum in mindestens vier Abzügen63 erhalten ist, dafür, dass es hiermit bei einem „experiment for personal interest“64 – so Ad Stijnman – blieb, welches in seinem waghalsigen verfahrenstechnischen Aufwand der Exklusivität des Blattes um nichts nachsteht. Die Fragen, welcher Entstehungshorizont hier in Anschlag zu bringen ist, und was mit der Umkehrung von Weiß auf Schwarz erzielt bzw. bezweckt wurde, wenn es sich nicht vorwiegend um die Zurschaustellung drucktechnischer Virtuosität handeln sollte, sind nicht leicht zu beantworten. Denn anders als Magdalena Bushart generell die „Entwicklung der Druckgrafik“ als „Erfolgsgeschichte der Bildkünste“ bezeichnete,65 war dem Weiß-aufSchwarz-Druck sicher aus Mangel an Effizienz gerade keine weitreichende Verbreitung beschieden. Dennoch lässt sich auch hier die Ausdifferenzierung der Erfahrung von tiefster Schwärze und damit konfrontiertem weißsilbernem höchstem Glanz66  – wie es Werner Busch sinngemäß formulierte – feststellen, die die gesamte Geschichte der Druckgraphik begleitet. Sicher ist nicht zu gering zu schätzen, welches Erstaunen unter Kunstschaffenden wie Rezipierenden mit der Umkehrung der Kontraste, dem Weiß auf Schwarz also, hervorgerufen wurde, wie sehr die Sehgewohnheiten hiermit irritiert waren und auch noch heute sind. Zudem lässt sich beim Sujet des Meisters E. S. besonders der gesamte farbsemantische Reigen von Schwarz aufrufen: Die assoziative Kostbarkeit kann mit dem diffizilen Herstellungsverfahren verknüpft werden, sowohl Christi Kreuznimbus wie der Zeisig auf seinem Arm deuten auf die Passion und die der Erlösung vorausgehende Trauer hin. Darüber hinaus mögen Assoziationen zu ebenso für Kostbarkeit stehende Materialien und Techniken von Objekten aus Kirchenschätzen wie zum Kristallschnitt oder auch zu Perlmuttreliefs entstehen. Dass das Blatt jedoch als Entwurf zur Ausführung eines Perlmuttreliefs angefertigt wurde, wie es Robert Koch und Clemens Sommer 1942 vorschlugen, scheint weniger plausibel, als es hierfür im Nachhinein verwendet worden sein konnte.67 Wenn man aufgrund des Formats, der fingierten Rahmung und vor allem der schwarzen Hintergrundfolie an die

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drücken, wie im Fragment der Madonna eben gesehen –, wäre kaum ein Problem, da die Befeuchtung des Papiers hierbei zwar üblich, jedoch nicht gleichermaßen zwingend war. in Basel, Darmstadt, München und Washington, siehe Brahms 2016 (wie Anm. *), S. 181. Ad Stijnman, Engraving and Etching. 1400–2000. A History of the Development of Manual Intaglio Printmaking Processes, London 2012, S. 44–45. Magdalena Bushart, Schwarz auf Weiß. Medienreflexion im druckgrafischen Werk Albrecht Altdorfers, in: Bildwelten des Wissens, 8 (2011), Nr. 2, S. 74–85, S. 74. Werner Busch, Schwarz auf Weiß oder Weiß auf Schwarz. Das Ausloten druckgrafischer Möglichkeiten, in: Monika Wagner, Helmut Lethen (Hrsg.), Schwarz-Weiß als Evidenz. „With black and white you can keep more of a distance, Frankfurt a. M. 2015, S. 80–97, S. 82. Robert Koch, Clemens Sommer, A Mother of Pearl Carving after the Master E. S., in: Journal of the Walters Art Gallery, V (1942), S. 122–124.

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um 1450 in Mode kommenden Nielli denken möchte,68 könnte die Zeichnung durch diesen Aufschwung angeregt worden sein. Ähnlich wie auf Mair von Landshuts Thronendem Heiland ist das heilige Personal auch hier nach vorn gerückt und wird somit vom sich dahinter öffnenden Raum hinterfangen, als dass eine räumliche Einbettung der Figuren besondere Prämisse wäre. Diese Ambivalenz von einerseits perspektivisch motivierten Verkürzungen der Tischkanten beispielsweise und andererseits gezielter Betonung des nahezu raumlosen Reliefcharakters wird auch hier auf dem Schwarz zu einer eigenen Darstellungsqualität. Das Absorbieren einer Tiefenräumlichkeit wird unterstützt durch die symmetrischen Öffnungen, deren Wand dazwischen entsprechend eines Fensterkreuzes erneut auf die Passion verweist und zugleich der Rückenlehne eines Thrones nahekommt. Doch damit ist noch nicht geklärt, dass dieser Bauabschnitt eine Überdachung trägt und in einem räumlichen Dazwischen über dem Kopf der Maria ihre Krone schwebt. Erneut scheinen die unterschiedlichen Tiefenstaffeln zusammenzufallen und die Darstellung von der zweidimensionalen Fläche gedacht, aufgebaut und bestimmt zu sein. Und dennoch – freilich ohne eine Kontinuität – entsteht eine eigentümliche Tiefen­ dimension, die um so mächtiger wird, je tiefer man sich in die Darstellung versinkt: So fällt das Gewand der Maria über den zweifachen Rundrahmen, so übertreten auch einige Pflanzenblätter die Rahmung und markieren den Anstoß zur Reflexion über die Grenzen des Bildes. Auch entsteht durch die Strahlen der Nimben, die schwebende Krone und die ans Kreuz gemahnende Architektur eine Sphäre religiöser Signifikanz. Zudem wird der Blick in die Tiefe mit einer am Fluss liegenden Stadt links sowie einer auf schroffen Felsen gelegenen Burg rechts bespielt, deren Ferne durch zarte Linien suggeriert wird. Es scheint daher zwei eklatant voneinander zu unterscheidende Modi oder Einstellungen des Blickes zu geben, die sich angesichts der Prägnanz von Schwarz ergeben: Eine, die über die Oberfläche hinweggleitet, und eine zweite, die sich vertieft und das Dargestellte reflektiert. Diese Beobachtung mag sich mit bekannten Sehtheorien von Alhazen über Roger ­Bacon und John Pecham zu Witelo decken, sie sogar veranschaulichen und damit die weißen Darstellungen auf schwarzen Grundierungen zum Vorgehen erheben, das explizit die Sehgewohnheiten erprobt. Denn demnach treten die species laut Frank Büttner als „immaterielle Bilder, similitudines ihrer Gegenstände, die mehr transportieren als die optischen Daten“, da sie virtuell zum „Inbegriff aller Eigenschaften des Objektes“69 (intentiones) werden, über das Euklidsche Modell der Sehpyramide ins Auge. Mit dem in deren Achse verlaufenden Zentralstrahl ist präzises Sehen möglich. Daraus ergeben sich jedoch auch zwei Modi des Sehens: Einerseits der aspectus simplex zum oberflächlichen Betrachten, andererseits der intuitio für ein tieferes Verständnis.70 Alhazen erklärt dies optisch mit der Stärke und 68 Ich danke Werner Busch für die Diskussion. Vgl. Busch 2015 (Anm. 66), S. 81–82. 69 Frank Büttner, Das messende Auge. Meßkunst und visuelle Evidenz im 16. Jahrhundert, in: Wimböck/ Leonhard/Friedrich 2007 (wie Anm. 8), S. 263–290, S. 274–275. 70 Bergdolt 1988 (wie Anm. 36), S. LXXIV; David Summers, The Judgment of Sense. Renaissance ­Naturalism and the Rise of Aesthetics, Cambridge et al. 1987, S. 154. Siehe auch Saleh B. Omar, Ibn al‑­Haytham’s Optics: A Study of the Origins of Experimental Science, Menneapolis/Chicago 1977.

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Klarheit senkrecht einfallender Sehstrahlen, aus denen allein die Sehpyramide – als Sehen ermöglichende Ansammlung von Strahlen – bestehe; David Lindberg erläuterte es folgendermaßen: „Da Brechung schwächt, ist dieser eine ungebrochene Strahl stärker als alle anderen, und Punkte, die durch ihn gesehen werden, werden in größter Klarheit und sogar ohne jede Irrtumsmöglichkeit wahrgenommen.“71 Das konzentrierte visuelle „Abtasten“ des Sichtbaren „durch eine schnelle Bewegung des Auges“72 ermögliche es, „daß jeder Punkt durch den Mittelpunktstrahl wahrgenommen wird.“73 Es ist ein Schritt zur Verarbeitung der Eindrücke durch die inneren Sinne der Seele, wodurch die intentiones erfasst werden und der Wahrnehmungsakt vollendet wird. Infolge der Vertiefung in die Darstellungen auf schwarzem Grund entsteht – so ließe sich folgern – ein Verständnis für das ungewöhnliche Seherlebnis, das aus Erfahrung das Gesehene sinnstiftend zusammenfügt, jedoch auch Irritierendes aufdeckt. Hieran wären – würde es den Rahmen dieses Beitrags nicht sprengen – Aspekte der Erfahrungsgeschichte des Sehens anzuschließen, wie sie interdisziplinär verfolgt werden.74 Im Zuge eines biologisch-anthropologischen Ansatzes wären Konstanten und Gemeinsamkeiten zu ermitteln, um individuelle Diskontinuitäten nicht zu überschätzen sowie einer bloßen Historisierung des Körpers entgegenzutreten.75 Eine Sinnengeschichte des Sehens müsse insofern „nicht zwingend untheoretisiert bleiben“, wie Gabriele Wimböck, Karin Leonhard und Markus Friedrich feststellten, doch sei sie „nicht vorrangig auf eine epistemologisch-­ erkenntnistheoretische […] Analyse des Sehens ausgerichtet“.76 Angesichts sakraler Sujets wäre die subjektive Erfahrung des Sehens zweifellos vor dem Hintergrund sozialer Kommunikation zu spiegeln, zumal die Religion – so Rudolf Schlögl – zum „fragilsten unter den individuellen Erfahrungsräumen“ gehöre, da sich ihr Wirkungsfeld ja gerade nicht auf das sinnlich Wahrnehmbare stütze, sondern aus dem Transzendenten speise.77 Umso mehr sind Bilder, die religiöse Innerlichkeit entstehen lassen,78 als Teil sozialer Kommunikation in einer Erfahrungsgeschichte des Sehens zu analysieren.

71 Lindberg 1987 (wie Anm. 10), S. 157. 72 Lindberg 1987 (wie Anm. 10), S. 158. 73 Ibid. 74 Robert Jütte, Geschichte der Sinne. Von der Antike bis zum Cyberspace, München 2000, S. 17–28; Jakob Tanner, Wie machen Menschen Erfahrungen? Zur Historizität und Semiotik des Körpers, in: Körper macht Geschichte, Geschichte macht Körper. Körpergeschichte als Sozialgeschichte, Bielefelder Graduierten-Kolleg Sozialgeschichte (Hrsg.), Bielefeld 1999, S. 16–34. 75 Robert Jütte, Einleitung. Auf den Leib geschrieben, in: Historische Zeitschrift. Beihefte, 31 (2001), S. 31– 36, S. 31. 76 Wimböck/Leonhard/Friedrich 2007 (wie Anm. 30), S. 20. 77 Rudolf Schlögl, Einleitung. Von der gesellschaftlichen Dimension religiösen Erlebens, in: Historische Zeitschrift. Beihefte, 31 (2001), S. 271–280, S. 271. 78 Vgl. Thomas Lentes, Der mediale Status des Bildes. Bildlichkeit bei Heinrich Seuse – statt einer Einleitung, in: David Ganz, Thomas Lentes (Hrsg.), Ästhetik des Unsichtbaren, Bildtheorie und Bildgebrauch in der Vormoderne, Berlin 2004, S. 13–74, S. 49.

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5. Schwarzer Grund als Gefährdung der Evidenz? Liegt in der Zeichenkunst auf schwarzen Grundierungen, die gegenüber der unbestimmten Weite von weißem Papier eine präsente Undurchdringlichkeit vertreten, ein besonders hoher Abstraktionsgrad zugrunde und wird insofern der Bildstatus augenfällig thematisiert, entsteht über diese Auseinandersetzung Evidenz. Doch lotet diese Technik ausgerechnet auch die Grenzen des Sichtbaren aus, indem das wirkungsstarke Schwarz die weißen Darstellungen allein silhouettenhaft freizugeben scheint. Insofern steckt in diesem Verfahren auch eine Gefährdung der Evidenz, die nur mit Geschick und Erkenntnisfähigkeit der künstlerischen Praxis zur gelungenen Herausforderung werden kann.79 Anstelle des Leerraums, den Erwin Panofsky für das weiße oder blanke Papier als „Symbolform eines leeren Raumes“80 in Anschlag bringt, tritt weit weniger oder zumindest eine andere Unendlichkeitsvorstellung. Vielmehr scheint die Fläche besetzt, undurchdringlich lichtlos, eher ein Loch in ungeahnte Tiefe zu sein als unendliche Weiten und Höhen zu verheißen. Aus der absoluten Sättigung von Pigmenten muss sich die Darstellung mit aller Anstrengung erheben, was nur mit strahlender Lichtstärke gelingen kann. Pures Licht entzieht sich jedoch dem Fassbaren, es erscheint als ephemeres Phänomen nicht substantiell und gibt keine Gewissheit dafür, dass die Figurationen im nächsten Augenblick immer noch zu sehen sein werden. So erhält letztlich die Erkenntnis, dass im Moment der Ausführung das Dargestellte immer schon vergangen ist, besondere Brisanz.81 – Wenngleich sich in diesem Ringen um die Sichtbarkeit auch etwas Mystisches einstellen kann, möchte ich eher darauf hinaus, dass mit der Wahl der Farbe Schwarz eine eigentümliche Unergründlichkeit des Grundes einhergeht, so dass nunmehr im Verbund mit der ephemeren Lichtmodellierung eine Verkehrung der mit Klarheit und Deutlichkeit konnotierten Darstellungsmittel hervorgeht. Eine unausweichliche Kompromisslosigkeit entsteht. Denn genauso wenig wie auf weißem Papier gibt es auf einem schwarzen Blatt ein Dazwischen im Sinne eines ungefähren Mitteltons zwischen den hellen und dunklen Valeurs, aus deren Zusammenspiel die Darstellung erst lebensecht ersteht. 79 Vgl. Wimböck/Leonhard/Friedrich 2007 (wie Anm. 30), S. 24–25. So auch in Nachtdarstellungen, die in naturgetreuer Konsequenz letztlich für die Visualisierung ungeeignet sind. Hinzu kommt die Vorstellung von Nacht als „‚negative Universalie‘, die Widerlegung jeder Ordnung und Harmonie, der Art und des Maßes, nach dem Gott alles Seiende erschaffen hat. […] Ihre Konstituente ist die Negation, und die Negation hat keine Gestalt.“ [Boiadjiev 2003 (wie Anm. 45), S. 446]. 80 Erwin Panofsky, Das erste Blatt aus dem „libro“ Giorgio Vasaris. Eine Studie über die Beurteilung der Gotik in der italienischen Renaissance, in: Städel-Jahrbuch, 6 (1930), S. 25–72, S. 31. 81 Vgl. etwa Jacques Derridas Darlegungen zum Ursprung der Zeichnung und den praxisbedingten Abweichungen vom Blick auf ein Modell zum Blick auf das Blatt, die immer auch eine Form des Entzugs bergen. Seine Repräsentationskritik hat in der Beobachtung seinen Ausgangspunkt, dass die auf dem Papier ansetzende Stiftspitze stets den Beginn und Impuls der Linie verdeckt. Siehe Jacques Derrida, Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen, München 1997, S. 9–16, 53–56 und passim. Originalausgabe: Mémoires d’aveugle. L’autoportrait et autres ruines (Ausst. Kat. Musée du Louvre), Paris 1990.

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Weiß auf Schwarz

Somit kommt das Dazwischen bildlicher Charakteristika wie Präsenz und Repräsentation, Unmittelbarkeit und Vermitteltheit, Eigentlichkeit und Uneigentlichkeit82 ins Wanken, steuert auf eine Negation der Bildlichkeit zu, die jedoch Ausdruck der intensiven Reflexion über den Bildstatus und die Gesetze des Sehens ist. Insofern erhält die Visualisierung an der Schwelle zur Unkenntlichkeit und Unsichtbarkeit umso mehr Nachdrücklichkeit sowohl durch die künstlerische Praxis als auch durch die erfahrungsgeschulte, experimentelle Verfahrensweise. Sie konnte zur Theoriebildung anregen und hat bis heute nicht an Faszination verloren.

6. Farbreigen auf Schwarz Das besondere Interesse Hans Pleydenwurffs am Kolorit veranschaulicht eine um 1460 zu datierende, außergewöhnliche Zeichnung, die ausgerechnet auf schwarzer Grundierung eine Ansammlung Streitender Vögel (Abb. 10) zeigt.83 Das Gefieder ist mit dem Pinsel in Weiß, Gelb, Rot und Blau ausgeführt, dessen Stofflichkeit voluminöse Leichtigkeit und schillernder Glanz durch den an- und abschwellenden, federnden Duktus vermittelt wird. Beispiellos heben sich die in leichte Federn gehüllten Vogelkörper vom in die Tiefe ziehenden opaken Schwarz ab. Blau-Rot-Gold geben ikonographisch die Pfauenfächerfarben an, welche zugleich die Farben des Regenbogens in sich vereinigen. Auch wenn die Vögel sich keiner Art zuordnen lassen, wird sich ein Deutungsrahmen aus der lang tradierten, in die christliche Ikonographie aufgenommenen Farbigkeit für jene mythischen Vögel ergeben. Wie bei Phönix und Hahn kreist er um „Morgenröte“ und „Auferstehung“.84 Insofern wird auch ikonographisch die Kraft der Farben sinnfällig, die sich mit einem Eigenleuchten aus der Tiefe des Schwarz herauszulösen scheinen.85 Die von Ghiberti rezipierten Passagen Alhazens zu den Bedingungen des Sehens erhalten hier eine neue Di­ mension: Das lichtlose Schwarz verteidigt seine Dunkelheit gegenüber den im Licht ste­

82 Krüger 2016 (wie Anm. 28), S. 104. 83 Stephanie Buck, Guido Messling, Zeichnen vor Dürer. Die Zeichnungen des 14. und 15. Jahrhunderts in der Universitätsbibliothek Erlangen (Kat. Universitätsbibliothek/Erlangen), Petersberg 2009, S. 104–108, Kat. Nr. 38 (Stephanie Buck). 84 Fritz Haeberlein, Grundzüge einer nachantiken Farbenikonographie, in: Römisches Jahrbuch für Kunstwissenschaft, 3 (1939), S. 76–126, S. 92; auch Boiadjiev 2003 (wie Anm. 45), S. 107–109. Zur theologischen Deutung der Morgenröte siehe Boiadjiev 2003 (wie Anm. 45), S. 27, 31–35. – Auch wenn es sich unter Ausschluss des Blaus um die von Plinius hervorgehobene Vierfarbenmalerei handeln könnte, liegt eine direkte Bezugnahme auf die Quelle doch nicht nahe. Für Andrea Mantegnas Virtus Combusta (London, British Museum, Inv. Pp, 1, 23) indes scheint Marzia Faiettis These plausibel (Hugo Chapman, Marzia Faietti (Hrsg.), Fra Angelico to Leonardo. Italian Renaissance Drawings (Ausst. Kat. The British Museum/London, Galleria degli Uffizi/Florenz), London 2010, S. 140–141, Nr. 22). 85 Hieran schließen Überlegungen zum Topos der Lebendigkeit von Bildern an, vgl. Frank Fehrenbach, Calor nativus – Color vitale. Prolegomena zu einer Ästhetik des ‚Lebendigen Bildes‘ in der Frühen Neuzeit, in: Ulrich Pfisterer, Max Seidel (Hrsg.), Visuelle Topoi. Erfindung und tradiertes Wissen in den Künsten der italienischen Renaissance, München/Berlin 2003, S. 151–169, bes. S. 161.

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10  Hans Pleydenwurff, Streitende Vögel, um 1460, Pinsel in roter, blauer, ockerfarbener, gelber und weißer Gouache auf schwarz grundiertem Vergé (darunter rotbraun getönt), 190/183 × 259/283 mm, Erlangen, Universitätsbibliothek, Inv. Nr. B 53

henden und erst dadurch sichtbar werdenden Figurationen. Indes erinnern die bunten Vögel auf der Erlanger Zeichnung an ein traditionelles Beispiel für Illusion, woran Ghiberti anschließt: Die Federn des Pfau […] ändern für das Auge mit der Tageszeit oder zu verschiedenen Zeiten ihre Farbe, je nach den Lichtverhältnissen, die über ihnen herrschen. Diese Erörterungen machen klar, daß die Farbtöne farbiger Körper nur in Abhängigkeit von den Lichtverhältnissen erkannt werden können, die über ihnen herrschen.86 Veranschaulicht ist hiermit eine auf Aristoteles zurückgehende und von Alhazen weiterhin postulierte Ansicht, dass es sich zwar bei selbstleuchtenden Körpern um eine substantielle Form des Lichts handele, von einem selbstleuchtenden Körper angestrahlte undurchsichtige Körper hingegen werden von einer akzidentellen Form erhellt.87 Wenn nicht ein fantastisches Eigenleuchten der Vogelkörper gemeint sein sollte, so dürften die Tiere aus dem unendlichen Schatten in eine lichte Ebene hervorgetreten sein, in der die wechselhafte Farbigkeit ihres Gefieders auch im Zuge ihrer Bewegungen von der Intensität des Lichtein-

86 Bergdolt 1988 (wie Anm. 36), S. 38. Vgl. Summers 1987 (wie Anm. 70), S. 170. 87 Lindberg 1987 (wie Anm. 10), S. 148.

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Weiß auf Schwarz

falls abhängig ist. Die physikalische Beschaffenheit der für das Sehen verantwortlichen Strahlen ist damit freilich nicht geklärt,88 doch bedarf es für ein solches Blatt keiner weiteren Bestimmung, als Sehverhältnisse mit Mitteln der künstlerischen Ausführung zu erproben. Hieraus konnte seine Relevanz für die Theoriebildung hervorgehen.

88 Eine wesentliche Frage Alhazens, der die Erläuterung der Mathematiker, selbstleuchtende Körper geben die Hitze von Feuer ab, parallel bestehen lässt. Siehe ibid.

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Assimilation an die Malerei: Die Suche nach dem Mittelton

Assimilating Painting: The Search for the Midtone

Elvira Bojilova

Farbgrund und Glanzpunkt Techniken und Ästhetiken des Reflexionslichts in der Kunstliteratur um 1600

Walter Benjamins kurze Abhandlung Über die Malerei oder Zeichnen und Mal (1917) eröffnet mit einer provokanten Überlegung zum Wesen graphischer Linien, deren Charakteristikum für Benjamin – in Abgrenzung zu anderen Klassifikationen der Linie etwa als geometrisches Gebilde  – ihre Beziehung zum Bilduntergrund darstellt; dergestalt, dass sich zeichnerische Linien und Untergrund stets reziprok zu einander verhalten. Lakonisch und ohne seinen Gedanken eine eingehendere Begründung folgen zu lassen schrieb er: Die graphische Linie ist durch den Gegensatz zur Fläche bestimmt. […] Die graphische Linie bezeichnet die Fläche und bestimmt damit diese, indem sie sich selbst als ihrem Untergrund zuordnet. Umgekehrt gibt es eine graphische Linie auch nur auf diesem Untergrunde, sodass eine Zeichnung, die ihren Untergrund restlos bedecken würde, aufhören würde, eine solche zu sein. […] Die graphische Linie verleiht ihrem Untergrunde Identität.1

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Der vorliegende Text entstand im Rahmen meiner vom Kunsthistorischen Institut in Florenz  – Max-Planck-Institut geförderten Dissertationsschrift. Erste Ideen zum hier skizzierten Themenfeld konnte ich im Sommer 2016 am Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München im Rahmen der von Claudia Steinhardt-Hirsch organisierten Tagung Drawing. Imagination and Perception vorstellen. Ich danke den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Kupferstichkabinetts der Hamburger Kunsthalle und des Kupferstichkabinetts der Staatlichen Museen zu Berlin, die mir bei der Recherche engagiert zur Seite standen. Walter Benjamin, Über die Malerei oder Zeichen und Mal, in: Rolf Tiedemann, Hermann Schweppenhäuser (Hrsg.), Walter Benjamin. Gesammelte Schriften, 1917, 3  Bde., Frankfurt a. M. 1977, Bd. 2, S. 603–607, S. 603 f. Als diskursive Gegenposition kann hier lediglich exemplarisch auf Alan Badious Versuch einer Definition des Verhältnisses von zeichnerischer Linie und ihrem Untergrund verwiesen werden: „Was aber ist eine Zeichnung? Eine Zeichnung ist ein Komplex aus Markierungen. Diese Markierungen haben keinen Ort. Warum? Weil in einer echten, einer schöpferischen Zeichnung die Markierungen, die Spuren, die Linien in den Hintergrund nicht mit einbezogen oder eingeschlossen sind. Es sind im Gegenteil die Markierungen, die Linien – die Formen, wenn man so will –, die den Hintergrund als offenen Raum schaffen.“ Alan Badiou, Zeichnung, in: David Espinet, Toni Hildebrandt (Hrsg.), Suchen, Entwerfen, Stiften. Randgänge zum Entwurfsdenken Martin Heideggers, Paderborn 2014, S. 249–254,

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Während Benjamins Ausführungen der rein theoretischen Justierung von Linie und Grund dienten und auf kein spezifisches Bildwerk verwiesen, finden sich in anderen Zusammenhängen der Zeichnungsforschung Bestrebungen einer konkreten Anwendbarkeit dieses Verhältnisses von Zeichenuntergrund und Linie. Die folgenden Überlegungen nehmen Benjamins Gedanken lediglich zum Ausgangspunkt und stellen ihn insofern auf den Kopf, als dass sie weniger der von ihm vorgeschlagenen Dichotomie von Untergrund und Linie folgen, als ihre symbiotische Beziehung aufzudecken versuchen. Die formalen Gestaltungselemente im graphischen Œuvre von Hendrick Goltzius um 1600 etwa wurden bemerkenswerterweise wiederholt unter ‚formalästhetischen‘ Gesichtspunkten diskutiert oder gar als stilistisches Merkmal des Künstlers charakterisiert. Unter diesen methodischen Prämissen verwies bereits Emil Reznicek 1961 darauf, dass das um 1600 entstandene Werk Sine Ceres et Baccho friget Venus (Abb. 1) den „‚missing link‘ in der bisher bekannten Entwicklung des Künstlers“ darstelle.2 Zwei Fragen, die auf breite Resonanz stießen und zu unterschiedlichen Antworten anregten, waren für Reznicek bei dieser Einordnung entscheidend. Sie spiegeln zugleich Benjamins Interesse an der Beziehung von Grund und Linie wieder: Einerseits problematisierte Reznicek grundsätzlich, wie Zeichnungen und Farbholzschnitte auf farbig grundierten Papieren ausgeführt wurden,3 um Glanzlichter zum Ausdruck zu bringen; andererseits fragte er danach, wie sich dieses eine Werk (Abb. 1) in

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S. 249. An anderer Stelle vertieft Badiou den Gedanken: „Ebendarin liegt das Problem des Zeichnens: In einem Sinn existiert das Papier als materieller Träger, als abgeschlossene Totalität, während die Zeichen oder Linien von sich aus gar nicht existieren, sondern im Bereich des Papiers eine Gestalt bilden müssen. In einem anderen und maßgeblicheren Sinn jedoch ist das Papier als Hintergrund inexistent, denn als solcher – als offene Trägerfläche – wird es erst von den Zeichen geschaffen. Es ist diese Art der beweglichen Reziprozität zwischen Existenz und Inexistenz, die das eigentliche Wesen des Zeichnens konsti­ tuiert.“ Alan Badiou, zit. n. Lisa Pon, weg zeich(n)en [drawing away], in: Inge Hinterwaldner, Michael Hagner, Vera Wolff (Hrsg.), Einwegbilder, Paderborn 2016, S. 259–284, S. 276 f. [Badious Beitrag erschien erstmals: Alan Badiou, Drawing, in: Lacanian Ink 28, 2006, S. 42–49, S. 44]. Emil K. J. Reznicek, Die Zeichnungen von Hendrick Goltzius, 2 Bde., Utrecht 1961, Bd. 1, Kat. Nr. 131, S. 289. Reznicek stellte dabei fest, dass die 1606 entstandene und ebenfalls auf Leinwand ausgeführte Variante desselben ikonographischen Typs ebenso als ein verbindendes ‚Scharnier‘ in Goltzius‘ Œuvre fungiert habe (Eremitage, St. Petersburg, Inv. Nr. OP‑18983). – Der Titel des Werks nimmt Bezug auf eine Passage aus Terenz‘ Komödie Eunuchus (4. Akt, 5. Sz., V. 732), die im Verlauf des 16. Jahrhunderts zum Sprichwort avancierte. Bereits Nancy Bialler verwies in ihrem – noch heute – grundlegenden Beitrag zu Goltzius‘ Farbholzschnitten darauf, dass Farbholzschnitte in der Forschung irritierenderweise als isolierte Gattung betrachtet wurden, sodass Zusammenhänge und Synergien zu den benachbarten graphischen Techniken weitgehend unterblieben. Nancy Bialler (Hrsg.), Chiaroscuro Woodcuts. Hendrick Goltzius. 1558–1617 and his time, (Aus.Kat. Rijksprentenkabinet/Amsterdam, The Cleveland Museum of Art/Cleveland) 1992, S. 12. Der kürzlich von Naoko Takahatake herausgegebene Katalog arbeitete dieses Desiderat ansatzweise auf: Naoko Takahatake (u. a.), The Chiaroscuro Woodcut in Renaissance Italy (Aus. Kat. Los Angeles County Museum of Art/L.A., National Gallery of Art/Washington) München u. a. 2018. Ad Stijnman und Elizabeth Savage erweiterten den Horizont u. a. um technologische Untersuchungen: Ad Stijnman, Elizabeth Savage (Hrsg.), Printing colour 1400–1700. History, Techniques, Functions and Receptions, Leiden u. a. 2015.

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Farbgrund und Glanzpunkt

1  Hendrick Goltzius, Sine Cerere et Libero friget Venus, ca. 1600, Feder, braune Tinte und Öl auf blaugrau grundierter Leinwand, 105,1 × 80,0 cm, Philadelphia, Philadelphia Museum of Art, Inv. Nr. 1990-100-1

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2  (Detail von Abb. 1) Hendrick Goltzius, Sine Cerere et Libero friget Venus, ca. 1600, Feder, braune Tinte und Öl auf blaugrau grundierter Leinwand, 105,1 × 80,0 cm, ­Philadelphia, Philadelphia ­Museum of Art, Inv. Nr. 1990-100-1

einem übergeordneten Kontext in Goltzius‘ Œuvre um 1600 einfügte, da er zu dieser Zeit in seinen Arbeiten vermehrt farbige Papiere4 nutzte und kurz darauf den Kupferstich vollends aufgab. Lawrence W. Nichols‘ Aufsatz The ‚Pen Works‘ of Hendrick Goltzius (1992) legte im Anschluss an diese Fragen die inhaltliche Akzentsetzung insbesondere auf die historische Kontextualisierung des Venus-Bildes, bei der er eine verlebendigende Wirkung des blauen Grundes beobachtete.5 Dass er sich Benjamins Dichotomie von Grund und Linie womöglich nicht in dieser Radikalität angeschlossen hätte, lässt seine Zusammenfassung der Werkanalyse vermuten, die die Einheit von Farbigkeit des Grundes, Reflexlicht und Schraffurlinie unterstrich. Diese Beobachtung erlangt in einer Detailaufnahme schlüssige Evidenz (Abb. 2), denn für ihn, so scheint es, verleiht in der Umkehrung zu Benjamin der Untergrund den Linien ihre Identität. Er formulierte diesen Gedanken wie folgt: Opaque highlights work in conjunction with translucent scumbling atop pen lines, all coalescing with the uniform tonality of the ground. The effect of the whole, therefore, is not so much that of a heightened drawing but of something entirely new.6 4

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Michiel C. Plomp, The Beauty or the Different Guises of Nature. Studies of the Natural World and Landscapes, in: Huigen Leeflang, Ger Luijten (Hrsg.), Hendrick Goltzius (1558–1617). Drawings, prints and paintings (Aust.Kat. Rijksmuseum/Amsterdam, Metropolitan Museum of Art/New York, The Toledo Museum of Art in Toledo/Ohio), Zwolle 2003, S. 169–203, Kat. Nr. 71, S. 195. Lawrence W. Nichols, The „Pen Works“ of Hendrick Goltzius, in: Philadelphia Museum of Art Bulletin, 88, 373/374 (1992), S. 4–56, S. 20 f. Nichols 1992 (wie Anm. 5), S. 22. Der wortgleiche Kommentar über das Verhältnis von Linie und Grund findet sich auch in: Leeflang/Luijten 2003 (wie Anm. 4), Kat. Nr. 99, S. 275.

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Farbgrund und Glanzpunkt

Die nachfolgenden Überlegungen vollziehen sich in zwei Schritten und in einem bewussten historischen Bruch, um diese von Nichols beschriebenen symbiotischen Verhältnisse von Farbgrund und Glanzlicht nachzuvollziehen. Dieser Bruch erfolgt einerseits entlang der kunstliterarischen Reflexion über künstlerische Techniken, mit denen sich in den graphischen Künsten Glanzlichter erzeugen ließen, und andererseits in einer an Bildvergleichen orientierten Ausführung, die diese Überlegungen einer grundlegenden Revision unterzog und zugleich Kunstwerke in je unterschiedlichen Konstellationen und Gegenüberstellungen neu kontextualisierte und interpretierte.

1. Blaugrund und Glanzpunkte: Techniken und ihre kunstliterarischen Reflexionen Das auf Leinwand angefertigte Werk mit der Darstellung von Sine Ceres et Baccho friget Venus ist das Einzige seiner Art7 und war aufgrund technischer Besonderheiten immer wieder Gegenstand von kunstliterarischen Debatten; die erste zeitgenössische Beschreibung der Leinwand dient als Basis für die darauffolgenden Ausführungen und findet sich in Karel van Manders Het Leven (1617), in dem er detalliert auf die reziproke Beziehung von Technik und Ästhetik eingeht: Hierauf kam es Goltzius in den Sinn auf präparierter oder mit Ölfarbe grundierter Leinwand mit der Feder zu zeichnen. Denn wie gross die Pergamentblätter auch waren, so waren sie für seine grossen Absichten und sein Genie doch viel zu klein. Also machte er sich an‘s Werk und zeichnete auf eine ansehnliche präparierte Leinwand mit der Feder eine nackte Frauengestalt nebst einem grinsenden Satyr, sehr hübsch und gut erfunden. Er setzte hier auch Lichter auf und ging an manchen Stellen mit Farbe in‘s Fleisch, worauf er das ganze firnisste. Dieses Stück besass der Maler Hans Badens zu Amsterdam. Später bekam es der Kaiser. Dieser wunderte sich sehr über die Technik, in der es gemalt („ghedaen“; Anm. E. B.) war und befahl einige Künstler zu sich, damit sie ihn aufklärten; diese waren jedoch ebenso erstaunt; denn es ist sehr eigenartig und wirkungsvoll zu sehen.8 7

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Goltzius experimentierte auch mit anderen Techniken; so kombinierte er für die Allegorie der Sorgfalt (NH 516/I) sowie für die Allegorie der Weisheit (NH 518/I) Kupferstich und Farbholzschnitt, um einen vergleichbar oszillierenden Effekt zwischen Farbigkeit und Linearität zu erzeugen wie bei der Philadelphia-Leinwand. Neben der hier diskutierten Version von Sine Ceres et Baccho friget Venus gibt es freilich zahlreiche weitere Kunstwerke, deren Technik mediale Grenzen überschreitet, darunter beispielsweise Giovanni Bellinis Beweinung Christi, die in ihrem Erscheinungsbild in monochromer Pinselführung die Federzeichnung zu imitieren scheint (Florenz, Uffizien, Inv. Nr. 1890 no. 943) oder Willem van de Veldes d. Ä. Seeschlachten, die mit Feder, Pinsel und gelegentlich mit Kreide auf Leinwand angefertigt wurden und übergroßen Kupferstichen gleichen. Karel van Mander, Das Leben der niederländischen und deutschen Maler des Carel van Mander, ­Haarlem 1617, 2 Bde., zit. n. Hanns Floerke, München/Leipzig 1906, Bd. 2, S. 249 [„Hier nae quam Goltzio in den sin, op gheprimuerde oft van Olyverwe bereyde doecken metter Pen te teyckenen: Want hoe groot de

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Van Manders Beschreibung bleibt jedoch so gut wie singulär. Nur wenige Textpassagen aus zeitgleichen kunsttheoretischen Schriften lassen sich darüber hinaus über diese Gestaltung von Glanzlichtern verzeichnen, wovon einer aus einem weiteren Text van Manders stammt.9 Dabei handelt es sich um eine Anweisung zu einer speziellen Behandlung der Baumkronen, die sich im Grondt der edel vry schilder-const (1604) im 8. Kapitel Von der Landschaft findet, worin er gleichermaßen die besondere Eignung farbigen Papiers für das Aquarellieren von Bäumen betont, als auch die Notwendigkeit, dass Künstler ihre Aufmerksamkeit insbesondere auf das einem gleißenden Lodern der Farben gleichkommenden („verscheyden verwen vlammen“) Farbspiel der Blätter richten sollen.10 Bezeichnenderweise findet sich die Passage

Pergamenten waeren, sy vielen hem nae zijn groot voorneem en gheest noch veel te cleen. Des gingh hy toe, en teyckende met de Pen op eenen paslijcken grooten gheprimuerden doeck een naeckt Vrouwenbeeldt, met eenen lachenden Satyr daer by, seer aerdigh en versierigh ghedaen, en heeft daer oock op gehooght, en een weynigh de naeckten t‘som plaetsen met verwe aengheroerdt, en daer op vernist: desen hadde van hem Franciscus Badens, Schilder t‘Amsterdam. Na der handt creegh hem den Keyser, die over desen handel hem heel verwonderde, hoe dit ghedaen was, roepende daer over eenighe van der Const, die oock verwondert waren: want het heel seldtsaem en wercklijck te sien is.“ Ibid., S. 248]. Cf. hierzu auch van Manders Beschreibung der Version von Sine Ceres et Baccho friget Venus im British Museum: Karel van Mander, Die Grundlage der edlen und freien Malerkunst, worin ihre Gestalt, Ihre Art und ihr Wesen der lernbegierigen Jugend in verschiedenen Teilen in Form eines Gedichtes vorgetragen wird, Haarlem 1604, zit. n. Rudolf Hoecker, 7. Kapitel: Von der Reflexion, Spiegelung oder dem Widerschein, § 48, S. 188. Cf. hierzu Klusik-Eckert, die argumentierte, die Beschreibung der Philadelphia-­ Leinwand als „seldtsaem en wercklijck“ beruhe weniger auf der Faktur als vielmehr im Wesentlichen auf der kontrastierenden Wirkung des Werks von Nah- und Fernsicht, die die Technik weitgehend hinter den visuellen Eindruck zurücktreten lasse. Die Autorin geht indes nicht darauf ein, dass Schraffur ebenso wie Pinselstriche grundsätzlich in der Fernsicht verschwinden, sodass es wahrscheinlicher erscheint, „seldtsaem“ wortwörtlich und als verwunderten Kommentar über die seltene Technik des Kunstwerks zu lesen. Jacqueline Klusik-Eckert: Gemalte Zeichnung oder gezeichnetes Gemälde? Überlegungen zu den Gattungsgrenzen um 1600, in: Daniela Bohde, Alessandro Nova (Hrsg.), Jenseits des disegno. Die Entstehung selbstständiger Zeichnungen in Deutschland und Italien im 15. und 16. Jahrhundert, Petersberg 2018, S. 163–179, S. 171.   9 Die Aufarbeitung der Optikgeschichte um 1600 stellt noch immer ein Desiderat dar, David Lindbergs Arbeit ist hier grundlegend: David C. Lindberg, Theories of Vision from Al‑Kindi to Kepler, Chicago/ London 1976. Zuletzt ging Sven Dupré u. a. mit Rekurs auf Lindberg dem Glanz in der niederländischen Kunst nach: Sven Dupré, The historiography of perspective and reflexy-const in Netherlandish art, in: Nederlands kunsthistorisch jaerboek 61 (2011), S. 34–61. Paul Taylor und Philipp Weiss hingegen widmeten sich im Anschluss an Otto Hirschmann der Darstellung von Lichtphänomenen in der Kunstliteratur der Niederlande im 17. Jahrhundert: Paul Taylor, Flatness in Dutch Art: Theory and Practice, in: Oud Holland 121, 2/3 (2008), S. 153–184; Philipp Weiss, We(d)erschijn als Kernbegriff der Diskussion des malerischen Lichtes bei Karel van Mander, in: Claudia Fritzsche, Karin Leonhard, Gregor J. M. Weber (Hrsg.), Ad fontes! Niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts in Quellen, Petersberg 2013, S. 35–53 sowie: Otto Hirschmann: Hendrick Goltzius als Maler 1600–1617, Haag 1916. 10 „Verscheyden bladers machmen wel ghebruychen/ Bysonder op verscheyden verwen vlammen/ Geel/ groen eyck-loof bleeck blad van wilge struycken.“ Van Mander 1604 (wie Anm. 8), 8. Kapitel: Von der Landschaft, § 38, S. 212 [„Verschiedene Blattarten soll man gebrauchen und besonders auf den Glanz der verschiedenen Farben achten, auf gelbes und grünes Eichenlaub, und auf die blassen Blätter des Weidengesträuchs.“ Übersetzung nach ibid., S. 213]. Hoecker übersetzt hier das wortwörtliche „Lodern

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Farbgrund und Glanzpunkt

neben einem Hinweis zu Wolkendarstellungen, in denen sich das Licht wie „geschmolzenes Gold“ breche („ghesmolten Goudt soo blinckt“),11 was die einzige Erwähnung von Glanz in Verbindung mit Naturdarstellungen bei van Mander ist. Er benennt ferner den Zusammenhang zwischen blau grundiertem, als Mittelton dienendem Papier und graphischer Markierung, deren Verhältnis für ihn eine aktive Rolle in der Darstellung der Gegenstände einnimmt;12 obgleich er den Stellenwert der Glanzlichter für die Generierung der Bildästhetik im Allgemeinen betont, wird lediglich Parmigianinos Behandlung der Lichtpartien in chiaroscuro-Holzschnitten explizit erwähnt.13 Fraglich bleibt indes, ob sein Vermerk zur Beziehung von Farbgrund und Linie nicht als Gemeinplatz gelesen werden kann, der seine Gültigkeit auch dann nicht verliert, wenn er im Zusammenhang mit weißem Papier verstanden wird. Vergleichbare Beobachtungen, die den Stellenwert des weiß belassenen Papiers zum Erzielen eines chromatischen Mittelwerts hervorheben, finden sich u. a. bei Benvenuto Cellini,14 während zeitgleich Giorgio Vasari dieses harmonische Verhältnis von Grund und Linie für den Farbholzschnitt mit ähnlichen Worten beobachtete, der ihm wie eine lavierte Zeichnung erschien. In der Lebensbeschreibung Ugo da Carpis, der selbst auf die Wesensverwandt-

verschiedener Farben“ als „Glanz“. Für Reznicek stellte Goltzius‘ Technik die Bestrebung dar, die „italienische Manier“ zu kopieren, aufgrund dessen sich der „farbig unnatürliche Charakter dieses sonst ganz naturgetreu wiedergegebenen Motivs“ erkläre. Reznicek 1961 (wie Anm. 2), Bd. 1, Kat. Nr. 402, S. 429. 11 Van Mander 1604 (wie Anm. 8), 8. Kapitel: Von der Landschaft, § 5, S. 198. 12 „Ghy meugt van als doen /artseren/ en wasschen/ Nae den lust ws gheests met een vierich poogen/ In het conterfeyten u handen rasschen/ Tot Kool‘ en Crijt/ op Papier graeuw als asschen/ Oft een bleeckachtich blaeuw/ om op te hoogen/ En op te diepen: doch wilt niet ghedoogen/ Hooghsel en diepsel malcander t'aencleven/ Wilt grondt tusschen beyden vry plaetse gheven.“ Van Mander 1604 (wie Anm. 8), 2. Kapitel: Vom Zeichnen oder der Zeichenkunst, § 10, S. 58 [„Ihr mögt dann mit feurigem Eifer je nach eurer Lust entweder schraffieren oder aquarellieren; lasst dann zum genauen kopieren mit Kohle und Kreide eure Hände eilen, und lernt auf aschgrauem und fahlblauem Papier das Höhen und Schattieren. Doch erlaubt nicht, dass Licht und Schatten aneinanderstossen, lasst für den Grund dazwischen freien Platz.“ Übersetzung nach ibid., S. 59]. Siehe dazu ferner die Beiträge von Joost Keizer und Alexa McCarthy in diesem Band. 13 Van Mander 1604 (wie Anm. 8), 2. Kapitel: Vom Zeichnen oder der Zeichenkunst, § 12, S. 59. An anderer Stelle verweist er darüber hinaus auf die Version von Sine Cerere et Libero friget Venus, die heute im British Museum aufbewahrt wird (Inv. Nr. 1861.6.8.174) sowie auf Albrecht Dürers Kupferstich mit Hieronymus im Gehäus (SMS 70), der für den lichtdurchfluteten Innenraum Berühmtheit erlangte: Van Mander 1604 (wie Anm. 8), 7. Kapitel: Von den Reflexionen, Spiegelungen oder dem Widerschein, § 56, S. 192. 14 „Con la penna si disegna intersegando vna linea sopra l'altra, et dove si vuol far più ombre si soprappone più linee, e dove manco, vi si fanno manco linee: fin tanto che si viene à lasciar la carta bianca per i lumi. Questo modo di disegnare è difficilissiomo, & pochi sono quegli che eccellentemente habbiano disegnato ben di penna [...].“ Benvenuto Cellini, Due trattati di Benvenuto Cellini Scultore Fiorentino, uno dell‘ oreficeria, l‘altro della scultura, Florenz 1568, Buch 2, S. 60 [„Mit der Feder zeichnet man, indem man eine Linie über der anderen kreuzt und dort, wo man mehr Schatten erzeugen will, mehr Linien übereinanderlegt und dort, wo der Schatten fehlen soll, auch die Linien fehlen, dergestalt, dass man das Papier weiß belässt, um die Lichter hervorzubringen. Diese Art des Zeichnens ist die schwierigste und nur die allerwenigsten haben gut mit der Feder gezeichnet.“ Übersetzung E. B.].

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schaft der Drucktechnik mit der Zeichnung verwies („et utile a molti che hanno piacer di disegno“),15 heißt es dazu ausführlich: […] Ugo da Carpi war der Erste, der sich darin versuchte und dem es glücklicherweise gelang, mit zwei Platten zu drucken, von denen er die eine wie im Kupferstich dazu benutzte, um die Schatten zu schraffieren und die andere, um die Farben zu drucken, […] während er die Lichter im Papier aussparte, sodass die Platte nachdem sie gedruckt wurde so erschien, als sei der Druck mit Weiß gehöht. Auf diese Weise verfuhr Ugo mit einer chiaroscuro-Zeichnung Raffaels […]. […] Nachdem ihm dies gelang, schöpfte er Mut und versuchte, einen Druck mittels drei farbiger Holzplatten herzustellen: die erste war für die Schatten, die zweite hatte eine hellere Farbe („piú dolce“) und war für den Mittelton bestimmt und die dritte, die aus den Platten herausgeschnitten wurde, ließ das Weiß des Papiers stehen und bildete die hellsten Lichtpunkte.16 Dieses hier unter drucktechnischen Voraussetzungen beschriebene Zusammenspiel aus unterschiedlichen Farbnuancen in Kombination mit Glanzlichtern wurde auch auf andere Weise umschrieben. Bereits Leonardo hatte in seinen Notizen ausführliche Beobachtungen zum farblichen Changieren des Laubwerks angestellt. In nuce, heißt es dort, setzten sich die Farben der Blätter aus dreierlei zusammen: Schatten, Reflex und Transparenz („onbra, lustro e transparentia“).17 Dass die Blätter der Bäume in ihrer Farbigkeit zudem je nach Standpunkt des Betrachters mal grüner, mal gelblicher oszillieren, griff van Mander implizit wieder auf. In Unkenntnis von Leonardos Beobachtungen, notierte auch Paolo Pino in seinem Dialogo della pittura (1548), dass die mit chiaroscuro in Verbindung gebrachte Zeichentechnik auf blauem Papier („carta tinta“) mit Feder, Lavierung und Weißhöhung ausgeführt werden solle, damit die Lichtregie der Gegenstände durch die vereinheitlichende Wirkung des Papiers verstärkt werde („si può 15 Ugo da Carpi 1516, Antrag auf Patentierung des Farbholzschnitts an den venezianischen Senat, zit. n. Anton Reichel, Die Clair-obscur-Schnitte des des XVI., XVII. und XVIII. Jahrhunderts, Zürich u. a. 1926, S. 30. 16 Giorgio Vasari, Le vite de‘ piu eccellenti pittori scultori e architettori (…), 7 Bde. [1962–1966], hier: Vita di Marcantonio Raimondi, Bd. 5, Paola della Pergola (Hrsg., u. a.), Mailand 1962, S. 203 [„[…] Ugo da Carpi […] fu quegli che primo si provò, e gli riuscí felicemente, a fare con due stampe, una delle quali a uso di rame gli serviva a tratteggiare l‘ombre, e con l‘altra faceva la tinta del colore […] [e] lasciava i lumi della carta in modo bianchi, che pareva, quando era stampata, lumeggiata di biancca. Condusse Ugo in questa maniera con un disegno di Raffaello, fatto di chiaro scuro […]. La qual cosa essendoli riuscita, preso animo, tentò Ugo di far carte con stampe di legno di tre tinte. La prima faceva l‘ombra, l‘altra, che era una tinta di colore piú dolce, faceva un mezzo, e la terza, graffiata, faceva la tinta del campo piú chiara et i lumi della carta bianchi.“ Übersetzung E.B.]. 17 Leonardo da Vinci, Manuskript G., fol. 10, § 423, zit. n. Jean Paul Richter, The literary works of Leonardo da Vinci, 2 Bde., London 1983, Bd. 1, S. 215. An anderer Stelle brachte Leonardo in seinem Malereitraktat neben den separaten Kapiteln zu Glanz- bzw. Reflexionslichtern die oszillierende Farbe der Baumblätter und die ihnen eigenen Reflexionslichter mit ihrer glatten Oberfläche in Verbindung, die zugleich ihre Lokalfarbe kaschierte: Lionardo da Vinci: Das Buch von der Malerei nach dem Codex Vaticanus (Urbinas) (…), dt./ital. Ausg., übers. von Heinrich Ludwig, 3 Bde., Wien 1882, Bd. 1, § 223, S. 253.

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bene unire il tutto, & dar piu mezze tinte, & piu chiare“).18 Pinos im Kern auf das Rezeptionsangebot des farbigen Papiers abzielender Vermerk und Leonardos Beobachtung der natürlichen Lichtverhältnisse treffen sich jedoch in einem Punkt: beiden ist der Versuch gemeinsam, eine vereinheitlichende Wirkung – „unire il tutto“ bzw. „transparentia“ – zu benennen.

2. Blaugrund und Glanzpunkte: Kontexte und Vergleiche Nichols‘ formal-ästhetische Beobachtungen, die sich vornehmlich am blauen Grund und den goldenen Glanzlichtern orientieren, wurden zum zentralen Ausgangspunkt für den Vergleich von Goltzius‘ Sine Ceres et Baccho friget Venus (Abb. 1) mit der etwa zeitgleich entstandenen Serie von zwei Baumstudien auf blau grundiertem Papier (Abb. 3).19 Trotz grober Parallelen der Zeichnung in Philadelphia und der Hamburger Studie, könnte die Darstellung der Baumblätter gerade in Bezug auf die Glanzlichter kaum unterschiedlicher sein. Während sie bei Sine Ceres et Baccho friget Venus den Formen des Untergrundes folgen und wie ein farbiges Echo der darunterliegenden Schraffur fungieren, entwickeln sie bei der Hamburger Baumstudie kaum Bezug zum Untergrund und wirken so, als lägen sie losgelöst vom Untergrund und den dort indizierten Formen wie quasi-autonome Entitäten auf dem Bild. Derartige Bezüge zwischen Liniengefüge, Grund und die unterschiedliche Behandlung der Glanzlichter waren möglicherweise auch der Impetus für eine gänzlich andere kunsthistorische Kontextualisierung der Baumstudie, die vom Vergleich mit Goltzius‘ Federkunststücken oder der Version von Sine Ceres et Baccho friget Venus in Philadelphia abrückt und stattdessen eine Landschaftszeichnung Federico Baroccis als ‚Vorbild‘ benennt (Abb. 4).20 Indizien dafür, dass Goltzius den aus Urbino

18 Paolo Pino, Dialogo di pittura (…), Venedig 1548, fol. 15r–v. Cf. hier auch u. a. Giovanni Battista ­Armenini, Trattato della pittura (…), Ravenna 1587, S. 52. Zu Pino und Farbgrundzeichnungen weiterführend: Iris Brahms, Schnelligkeit als visuelle und taktile Erfahrung. Zum chiaroscuro in der venezianischen Zeichenpraxis, in: Magdalena Bushart, Henrike Haug (Hrsg.), Technische Innovationen und künstlerisches Wissen in der Frühen Neuzeit, Köln (u. a.) 2015, S. 205–229. 19 Nichols 1992 (wie Anm. 5), S. 25. Neben der hier gezeigten Baumstudie gibt es eine weitere Einzelstudie eines Baumes auf blauem Papier, die dem Hamburger Stück sehr ähnelt (Paris, Fondation Custodia, Inv. Nr. 3084) sowie eine kompositorisch leicht abweichende Darstellung (Oxford, Ashmolean Museum, Inv. Nr. 1962.17.34). 20 Der Hamburger Bestandskatalog verweist direkt auf die hier gezeigte Landschaftsstudie Baroccis. Die größte von den heute zwanzig bekannten Landschaftszeichnungen des Künstlers wurde verschiedentlich einer Reihe von Gemälden des Künstlers zugeordnet, jedoch blieben die Bezüge stets vage. David Klemm, Italienische Zeichnungen 1450–1800 (Ausst. Kat. Hamburger Kunsthalle), 3 Bde., Köln u. a. 2009, Bd. 1, Kat. Nr. 31, S. 82. Für eine detaillierte Auflistung der Publikationen, die sich um topographische Bestimmung bemühten: Eckhard Schaar, Italienische Zeichnungen der Renaissance aus dem Kupferstichkabinett der Hamburger Kunsthalle (Ausst.Kat. Hamburger Kunsthalle), Ostfildern-Ruit 1997, Kat. Nr. 3, S. 82. Der Vergleich von Goltzius‘ Baumstudien mit denen Baroccis, der bereits von Emil Reznicek gezogen wurde, wird ebenso in jüngeren Beiträgen unternommen, allerdings auch mit Verweis auf die technischen Unterschiede, die beide Werkgruppen aufweisen: Leeflang/Luijten 2003 (wie Anm. 4), Kat. Nr. 71, S. 195 sowie mit Verweis auf formal-stilistisch ähnliche Bildlösungen bei Hans Bol, Gillis van Coninxloo III. und Maarten van Valckenborch d. Ä. Ibid., Kat. Nr. 72, S. 196. Cf. zu Goltzius und Barocci auch: Reznicek

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3  Hendrick Goltzius, Baumgruppe in einem Wald, ca. 1600, Feder in schwarzer Tinte, Pinsel in Deckfarben auf blau grundiertem Papier, 283 × 196 mm, Hamburg, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 21977

stammenden Künstler oder sein Werk kennenlernte, der zum Zeitpunkt von Goltzius‘ Italienreise bereits in hohem Alter war, gibt es indes nicht, und wenngleich der Versuch unternommen wurde, Baroccis großformatige Landschaftsstudie mit seinem gleichzeitig entstandenen Gemälde Madonna des Hl. Johannes (Urbino, Galleria Nazionale delle Marche) in Verbindung zu bringen, bleibt die Möglichkeit bestehen, dass die Zeichnung nicht mit Blick auf dieses oder ein anderes Gemälde entstand.21 In Baroccis Landschaftsstudie erfährt der Baum in der linken Bildhälfte seine Modellierung – und das ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten zu Goltzius‘ Baumstudie – durch den mit Feder gezogenen Kontur, eine sanfte Lavierung und die kon­ trastreiche Höhung. Über weite Teile der Komposition, vor allem aber im Bildvordergrund im Bereich der Böschungen und Wiesen, verlieren die Weißhöhungen auf ähnliche Weise wie in Goltzius‘ Baumstudie ihren Bezug zum Bilduntergrund: Die Weißhöhung ist hier weniger ein Glanzpunkt als vielmehr direkte Ausdrucksmöglichkeit der Formbeschreibung selbst.22 1961 (wie Anm. 2), Bd. 2, Kat. Nr. 397, S. 402 u. S. 410. – Zu Goltzius‘ weiteren Federkunststücken, die hier nicht diskutiert werden, gehören u. a. folgende Arbeiten: Sine Cerere et Libero friget Venus, London, The British Museum, Inv. Nr. 1861.6.8.174; Bacchus, Venus und Ceres, St. Petersburg, Eremitage, Inv. Nr. OP‑18983; Junger Mann mit Tulpe und Schädel, New York, Pierpont Morgan Library, Inv. Nr. III, 145; Merkur, Oxford, Ashmolean Museum, Inv. Nr. P. I. 51 A; Goltzius‘ rechte Hand, Haarlem, Teylors Museum, Inv. Nr. 58; Grotesker Kopf, Edingburgh, National Galleries of Scotland, Inv. Nr. D 5507. 21 Andrea Emiliani, Federico Barocci, 2 Bde., Ancona 2008, Bd. 1, Kat. Nr. 16 u. Kat. Nr. 16.6, S. 150–153. 22 Karel G. Boon trieb diese Beobachtung auf die Spitze, als er davon ausgehend in Baroccis Baumstudien eine grundlegend andere stilistische Prägung erkennen wollte, da diese „very different in the treatment

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4  Federico Barocci, Berglandschaft mit Fluss, ca. 1565, Feder und braune Tinte, graubraun laviert, weiß gehöht auf blauem Papier, 274 × 408 mm, Hamburg, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 21056

Die unterschiedliche Behandlung der Höhungen tritt insbesondere im direkten Vergleich mit einem weiteren Bildwerk zu Tage, das des Öfteren mit der Hamburger Baumstudie in einem Atemzug genannt wird. Der vermutlich von Niccolò Boldrini geschnittene Farbholzschnitt Baum mit Ziegen (Abb. 5), wurde aufgrund der Monumentalität des Baummotivs in Goltzius‘ Blatt (Abb. 3) zum Vergleich herangezogen. Diese Gegenüberstellung mag durch eine aus methodischer Sicht übermäßige Engführung von Traktatliteratur und Kunstproduktion gefördert worden sein, da van Mander in seinem Grondt der Edel vry Schilder-Const im 8. Kapitel zu Landschaftsdarstellungen explizit auf venezianische Künstler verweist, wenn auch nicht namentlich auf Boldrini.23 Wie sich seine Bemerkung auf Jacopo Tintorettos Landof foliage“ seien. Karel G. Boon, The Netherlandish and German Drawings of the XVth and XVIth Centuries of the Frits Lugt Collection, 3 Bde., Paris 1992, Bd. 1, Kat. Nr. 107, S. 198. Eine ähnliche stilistische Analyse findet sich in einem von Walter L. Strauss angeführten Bildvergleich, der die Ähnlichkeit der Baumkronen von Goltzius‘ Der Prophet Elijah (H. 363a) und seiner Arkadischen Landschaft (H. 377) herausarbeitete: Walter L. Strauss, Hendrick Goltzius 1558–1617. Complete Engravings and Woodcuts, 2 Bde., New York 1977, Bd. 2, S. 689. 23 Hier nennt er Tintoretto, Tizian und einen Künstler aus Brescia, bei dem es sich aller Wahrscheinlichkeit um Girolamo Muziano handelt: „D‘Italisch om te schilderen Landouwen Weynich/ maer constich/ schier sonder ghenooten Wesend‘/ en laten meestmaels maer aenschouwen En verschietend‘ insien/ en seer vast bouwen Gronden en Steden […].“ Van Mander 1604 (wie Anm. 8), 8. Kapitel: Von der Landschaft, § 24, S. 206 [„Es gibt wenige Italiener, die Landschaften malen, die aber sind kunstreich und haben fast keine Genossen. Sie lassen vielfach einen Durchblick von perspektivischer Wirkung sehen und fest gefügte Gründe und Städte […].“ Übersetzung nach ibid., S. 207].

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5  Niccolò Boldrini (?) nach Domenico Campagnola (?) oder Tizian (?), Baum mit Ziegen, ca. 1530/35, Farbholzschnitt (B. XII.151.20), 495 × 217 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. 168–1879

schaften deuten lässt, muss offen bleiben, da sich keine von dessen Landschaftszeichnungen erhalten haben und Landschaftsdarstellungen in Gemälden vor allem seinen niederländischen Schülern zuzuschreiben sind.24 Gleichzeitig birgt der Bildvergleich zu Boldrinis Baum mit Ziegen seine Fallstricke, denn Goltzius‘ Baumstudie weist gerade bezüglich der Glanzlichter nicht den gleichen Grad an einheitlicher Wirkung auf; bei Boldrini fällt insbesondere die enge Symbiose zwischen Liniendruck und Glanzlichtern auf, die selbst wie weiß geschnit-

24 Die Kontroverse über diese Aussage van Manders griff Karel G. Boon wieder auf, als er einen venezianischen ‚Einfluss‘ auf Goltzius‘ Landschaftsstudien von der Hand wies. Boon 1962 (wie Anm. 22), Bd. 1, Kat. Nr. 107, S. 198. Cf. hierzu u. a. Otto Hirschmann, Hendrick Goltzius. Mit einem Titelbild und 49 Tafeln, Haag 1920, S. 136 f. u. S. 142.

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tene Schraffurlinien erscheinen und damit wie Komplementärformen des Liniendruckes, nicht aber wie quasi-autonome Elemente, die dem Betrachter in Goltzius‘ Zeichnung entgegenzuspringen scheinen. Im Fall von Boldrinis Druck erinnert die Grund-Linien-Beziehung möglicherweise an Cellinis Beschreibung des Verhältnisses von Zeichengrund und Linie25 oder an Raffaelo Borghinis Anmerkungen zum Zeichnen mit der Feder, in denen das Verhältnis von Grund und Linie als eines charakterisiert wird, welches dadurch entstehe, dass beim Schraffieren mit der Feder das Weiß des Papiers als Lichtpunkt stehen gelassen werde.26 Das Potenzial der Schraffur, neben Schatten auch Lichtpartien erzeugen zu können, basiert folglich nicht allein auf die Gestaltungs- und Kombinationsmöglichkeiten der Linien, sondern vielmehr auf den Linien in Zusammenspiel mit den weißgelassenen Stegen des Papiers dazwischen – eine Beobachtung, die erstmals von Georg Johann Sulzer in seiner Allgemeine Theorie der schönen Künste (1771) versuchsweise quasi-rezeptionsästhetisch gewendet wird.27 Pinos Überlegung zum vereinheitlichenden Charakter des Blaugrundes stoßen hier an ihre Grenzen. Mindestens in gleichem Maß wie der Farbgrund ist in allen hier gezeigten Beispielen die Linie das verbindende und vermittelnde Element zwischen Farbgrund und Glanzlicht, sodass sich erst aus ihrem Zusammenspiel, wie etwa in Boldrinis Baum mit Ziegen (Abb. 5), der Eindruck einer mimetischen Naturdarstellung entsteht. Dass es ausgerechnet die graphische Linie gewesen sein soll, die Objektqualitäten in veristischer Weise einzufangen vermochte, erscheint zunächst aufgrund der mangelnden natürlichen Entsprechung in der perzipierten Welt kontraintuitiv. Gleichzeitig war die rein auf die Linie angewiesene Federzeichnung im Verlauf des 16. und noch bis weit ins 17. Jahrhundert hinein diejenige Zeichentechnik, deren ästhetische Effekte am ambivalentesten diskutiert wurden. Ihre Bewertung in der Kunsttheorie dieser Zeitspanne pendelte zwischen höchster Kunstfertigkeit und übermäßig verschulter Technik, aus Künstler keinen Nutzen ziehen konnten.28 Kunst25 Cellini 1568 (wie Anm. 14), S. 60. 26 „Si può disegnare con la penna sola, lasciando i lumi della carta, il qual modo è molto difficile, ma molto à maestra mano conveniente.“ Raffaello Borghini, Il Riposo, Florenz 1584, S. 140 [„Man kann mit der Feder zeichnen, indem man das Weiß des Papiers („i lumi della carta“) stehen lässt, was sehr schwierig, aber sehr geeignet ist für die geschulte Hand.“ Übersetzung E. B.]. 27 Dort beschreibt Sulzer, dass „[ganz] feine und zarte Striche zwischen starken und eng aneinanderstehenden etwas glänzendes [verursachen] […]“, sodass „die wahre Gestalt der Körper auf die natürliche Weise [dargestellt wird].“ Georg Johann Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste in einzeln: nach alphabetischer Ordnung der Kunstwörter auf einander folgenden, Artikeln abgehandelt, Leipzig [1771] 1792, Bd. 4, S. 327 f. – Der von Lisa Jordan und mir im Januar 2018 am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut in Kooperation mit dem Gabinetto dei Disegni e delle Stampe degli Uffizi organisierte Workshop mit dem Titel „Leerstellen graphischer Künste – Funktion, Ästhetik und Bedeutung des nicht bezeichneten Raumes“ widmete sich diesem Desiderat der Grapikforschung. 28 In der dichten Quellenlage zu diesem Aspekt der Zeichentechnik kann hier lediglich exemplarisch auf einige wenige Schriften verwiesen werden, u. a.: Cellini 1568 (wie Anm. 14), S. 60, Giulio Mancini, Consi­ derazioni sulla pittura, 1620/21, 2 Bde., zit. n. Marucchi 1956/57, Bd. 1, S. 15 f., Samuel van ­Hoogstraten 1678, S. 30 f., Gérard de Lairesse, Grondlegginge ter teekenkonst: zynde een korte en zeekere weg om door middel van de geometrie of meetkunde, de teeken-konst volkomen te leeren, Amsterdam 1701,

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6  Hendrick Goltzius, Porträt von Gillis van Breen, ca. 1600, Feder und braune Tinte, braun laviert auf Vergé, 223 × 178 mm, Amsterdam, Rijksprenten­kabinet, Inv. Nr. RP‑T‑2000-1

werke wie Goltzius‘ Porträt Gillis van Breen (Abb. 6)29 demonstrieren jedoch ostentativ ihre diversen Einsatzmöglichkeiten – hier im direkten Kontrast zwischen skizzenhafter Andeutung des Torsos und kupferstichartiger, minuziöser Erfassung der Gesichtsphysiognomie, die insbesondere durch die Gegenüberstellung und den Kontrast der Techniken vollplastisch hervortritt. Die Zeichnung führt ferner vor Augen, dass die Linien ihre mimetische Qualität erst im Verbund der Schraffur gewinnen, denn nur hier erscheinen die Leerstellen im Bereich der Haare des Porträtierten wie Glanzlichter im Sinne Borghinis, auf die die sich verjüngenden Tailles der Schraffur zulaufen und somit gleichsam den Blick des Betrachters auf die Licht­ regie des Bildwerks lenken.30

S. 70, Roger de Piles, Les premiers elemens de la peinture pratique: enrichis de figures de proportion mesurées sur l‘antique (…), Paris 1684, S. 11. 29 Leeflang/Luijten 2003 (Anm. 4), S. 167, Nr. 58. 30 Ähnliche Effekte des durch graphische Linearität erzeugten Glanzes von Objektoberflächen finden sich auch in Kupferstichen des Künstlers wieder, wovon das nur wenige Jahre zuvor entstandene Porträt Dirck Volckertsz. Coornhert (Holl. 180) mit dem schimmernden Gewand des Porträtierten das wohl markanteste Beispiel bildet. Diese Verzahnung aus zeichnerisch umgesetzter und physikalisch fundierter Optik blieb zur Zeit der Entstehung des Porträts weitgehend unreflektiert. Mir ist lediglich ein Traktat bekannt, das auf die Wesensverwandtschaft von Zeichnung, Optik und katoptrischen Phänomenen verweist: Giovanni Paolo Lomazzo, Trattato dell‘arte della pittvra, scoltvra, et architettvra (…), Mailand 1584, S. 254.

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7  Hendrick Goltzius, Junger Mann mit Wanderstock, ca. 1598, Farbholzschnitt (NH 306/II), 111 × 64 mm, ­Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv. Nr. RP‑O‑OB‑10.311

Die Darstellung von harmonisch wirkenden Glanzlichtern wie in Boldrinis Baum mit Ziege beschränkte sich nicht allein auf rein lineare Prämissen, sondern schloss die Farbe des Grundes mit ein. Nancy Bialler beispielsweise beobachtete einen ähnlichen Effekt auch in Hinsicht auf Goltzius‘ Farbholzschnitte, da das Zusammenspiel von Linien- und Farbblock vor allem die Gefahr berge, dass das Ensemble aller Platten ein dissonantes Gesamtbild ergebe.31 Sie kommt daher mit Blick auf eine bestimmte Version des Jungen Mannes mit Wanderstock (Abb. 7) zum Schluss, dass die Verwendung eines einzelnen Farbblocks – hier ein helles Gelbgrün – zwangsweise die Rolle des Linienblockes erhöhe, der nicht wie sonst im Zusammenspiel mit mehreren Farbblöcken und Glanzlichtern konkurrieren müsse.32 Die Feststellung 31 Bereits Walter L. Strauss verwies darauf, dass sich Goltzius‘ Holzschnitte in zwei Gruppen unterteilen: eine Gruppe, bei der der Linienblock auf blauem Papier gedruckt wurde und die sich durch eine dominante Linearität auszeichnen, die nicht auf eine Ergänzung durch Farbblöcke angewiesen ist, sowie eine Gruppe, bei der der ursprüngliche, auf weißem Papier gedruckte Linienblock zu einem späteren Zeitpunkt um Farbblöcke ergänzt wurde. Strauss 1977 (wie Anm. 22), Bd. 2, S. 687. 32 Bialler 1992 (wie Anm. 3), Kat. Nr. 53, S. 191. Auch an anderer Stelle findet sich der Zusammenhang von Linie und Glanzlicht wieder. So hatte Otto Hirschmann für die Holzschnittfassung der heute in Frankfurt befindlichen Kreidezeichnung von Gillis van Breen (Frankfurt a. M., Städel Museum, Inv. Nr. 807) nur ein harsches Geschmacksurteil übrig, das unmittelbar mit dem Einsatz von Glanzlichtern zusammenhängt: „Diese Zeichnung ist datiert 1588; der Holzschnitt muß in größter zeitlicher Nähe entstanden sein. Der Kopf wiederum hat aber bei der Übertragung auf den Holzstock viel verloren. Wenn die Haare dort elegant gekräuselt waren, wirken sie hier altertümlich schematisch. […] Die Brust, die […] in Profilansicht kommt, erscheint durch die aufgesetzten Glanzlichter übermäßig gerundet. So hübsch sich diese

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erfasst von einer technischen Seite her sehr präzise eine Beobachtung, die im Zentrum dieses Beitrags steht. Ähnliche Problematisierungen des Zusammenspiels von Papiergrund und graphischen Spuren nahm bereits Erwin Panofsky in Bezug auf Albrecht Dürers Holzschnitte vor, dabei vornehmlich am ‚Stilwandel‘ nach dessen Italienreise interessiert. Panofskys Augenmerk lag – ähnlich wie für Reznicek in Bezug auf Goltzius‘ Sine Ceres et Baccho friget Venus (Abb. 1) – primär auf dem sich verändernden graphischen Stil Dürers, den er anhand seiner Holzschnitte und Kupferstiche wie folgt zu fassen versuchte, wobei er auch die Bedeutung des Farbgrunds in besonderer Weise würdigte: The post-Venetian woodcuts and engravings differ from the pre-Venetian ones in the same way that ordinary pen and ink drawings differ from drawings on colored paper heightened with white: they give what may be called a clair-obscur effect. This term is borrowed from those woodcuts which are printed from two blocks in two different tones. The outlines and the deepest shadows are cut upon the ‚key block‘ which is inked with black or the darkest tone desired. The lighter shadows are cut upon a ‚tint block‘ which supplies the middle tone, and the highlights are cut into both blocks so that, when printed, the white paper will show. The principle of the clair-obscur woodcuts is indeed the same as that of drawings on colored paper heightened with white. In both cases the lights and shadows are set out against a neutral middle tone in relation to which they appear as positive and negative values–with the only difference that the woodcuts express this middle tone by printer‘s ink and suggest the lights by white paper, whereas the drawings suggest the middle tone by colored paper and express the lights by heightenings.33 Panofsky führte diesen Gedanken anschließend weiter aus und leitete daraus wiederum ab, dass Dürer nach seiner Italienreise einen „harmonischen Mittelton“ in seinen Graphiken gegenüber einem ehemals „polyphonen System“ favorisierte – Begriffe, mit denen er die sich verändernde Strichführung von Dürers Graphiken zu belegen pflegte.34 Wenngleich die Harmonisierung des Bildgrundes zweifelsohne im Vordergrund seines Interesse stand, überging er den Farbgrund als Mediator zwischen Linienplatte und den Glanzlichtern allzu schnell.

hingeworfenen Lichter auf der Halskrause machen, so unangebracht wirken sie, als Striche hingesetzt, auf der Stirn und auf dem Gewand. Die neue Technik verleitet den Meister dazu, die möglichen Effekte, unbekümmert um ihre Wirkung, ausgiebigst zu verwenden.“ Hirschmann 1920 (wie Anm. 24), S. 129. An anderer Stelle beschreibt Hirschmann den Farbholzschnitt hingegen wertfrei: Otto Hirschmann, Verzeichnis des graphischen Werks von Hendrick Goltzius, 1558–1617, Leipzig 1921, Kat. Nr. 375, S. 163. 33 Erwin Panofsky, Die Kulmination des Kupferstiches, in: Jeffrey Chipps Smith (Hrsg.), The Life and Art of Albrecht Dürer, Princeton (u. a.) [1954] 2005, Kap. V: Reorientation in the Graphic Arts; the Culmination of Engraving, 1507/11–1514, S. 132–171, S. 133 f. Kursivierungen übernommen. 34 Hierzu weiter: Elvira Bojilova: „In dem Gesang der Linie offenbart sich die Wahrheit der Form” – Die Faktur der Graphik als Metapher, in: Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft, 64, 2 (2019), S. 209–234.

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Denn der Farbgrund, gegen den sich die Linien scheinbar abheben, ist hier, gerade wenn in mehrfarbigen Platten aufgetragen, keinesfalls ‚neutraler Mediator‘ und damit der Linie gegenüber passiv, wie von Panofsky und auch, wenngleich mit einem anderen Impetus, von Benjamin beschrieben.35 Neben dem Jungen Mann mit Wanderstock demonstriert eine weitere Farbholzschnittserie Goltzius‘ Sensibilität für dieses Verhältnis von Linienblock und Farben. Die Serie Hercules und Cacus (Abb. 8) – der einzige Farbholzschnitt des Künstlers, der sich mit dem Jahr 1588 genau datieren lässt – zeigt das Interesse des Künstlers an tonalen Nuancierungen, die mitunter nur minimale Veränderungen der Farben auf den einzelnen Blättern der Serie beinhalten,36 wobei die Serie aus einem von den Farbblöcken unabhängigen Linienblock entstand. Die Farb- oder Tonblöcke waren ihrerseits so konzipiert, dass zwei eng verwandte chromatische Werte als Komplementärformen zum Linienblock fungierten. Wenngleich das subtile Verhältnis von Linienblock und Reflexion (Abb. 9) faszinierte,37 ist die darüber hinausreichende Frage, wie die immer wieder beobachteten formalen Bezüge zwischen den hier diskutierten Kunstwerken motiviert und im Einzelnen zu begründen sind, nicht leicht zu beantworten. Eine Problematik liegt dabei in der großen Bandbreite an unterschiedlichen Techniken und Materialien. Tatsächlich überwiegen aber die Unterschiede in der ästhetischen Wahrnehmung technisch bedingter Abweichungen und können erst dann ansatzweise aufgehoben werden, wenn die Glanzlichter wie im Fall mancher Farbholzschnitte per Hand ergänzt wurden und damit die Gattungsgrenzen verschwimmen.38 Selbst dann scheinen diese durchlässigen Gattungsgrenzen aber nur solche Details zu betreffen, denn im Allgemeinen kann der Holzschnitt seine medialen Bedingungen nicht verbergen. In vielerlei Hinsicht kann das die Phila­

35 Im aktivierten Grund liegt eine Erklärung für Nichols‘ Beobachtung, dass die Glanzlichter in Goltzius‘ Porträt eines Mannes im Profil (Haarlem,Teylers Museum, Inv. Nr. N 060) nicht den Eindruck erwecken, als stünden sie wie etwa in Sine Ceres et Baccho friget Venus in einem symbiotischen Verhältnis zum blauen Grund und zur Linienzeichnung. Denn der Kontrast zwischen den Tönen scheint derart groß, dass er nur durch einen vermittelnden Tonwert aufgehoben werden könnte. Nichols 1992 (wie Anm. 5), S. 22–25. 36 Das Interesse spiegelt sich auch in einer Reihe zeitgleich entstandener Zeichnungen wider. Nichols 1992 (wie Anm. 5), S. 25. Der Zusammenhang wird auch von Strauss betonte, der Bartholomäus Sprangers lavierte Zeichnungen als Inspiration für Goltzius‘ Serie Hercules und Cacus sah: Strauss 1977 (wie Anm. 22), Bd. 2, Kat. Nr. 403, S. 696. Hierfür auch: Marjolein Leesberg, Hendrick Goltzius‘s Chiaroscuro woodcuts revisited, in: Stijnman/Savage 2015 (wie Anm. 3), S. 163–170, S. 163 f. 37 Cf. hier hingegen Otto Hirschmanns Beobachtungen, der ähnlich wie Panofsky einen formalen Bezug zu weiß gehöhten Zeichnungen herstellte, das Werk jedoch schnell u. a. aufgrund der „krickligen Lichter“ als „Anfängerarbeit“ abtat: „Die Lichter sind auf eine kleinliche Weise in den Tonplatten ausgespart; jeder Muskelberg bekommt seine paar Strichelchen, die hier noch die Weißhöhung imitieren wollen. […] Die Strichlagen der Modellierung ist sehr kompliziert; sie sind aus der Stichtechnik einfach übernommen. Wir finden Striche, die wie Kupfertaillen geschwungen, ja geschwellt sind, z. B. auf dem rechten Oberschenkel des Herkules […].“ Hirschmann 1920 (wie Anm. 24), S. 128. 38 In Goltzius‘ Œuvre finden sich einige Farbholzschnitte, die in dieser Technik gearbeitet wurden, darunter drei der Vier kleinen Landschaften (H. 378, H. 379 und H. 381).

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8  Hendrick Goltzius, Hercules und Cacus, 1588, Farbholzschnitt (NH 304/I), 410 × 333 mm, Amsterdam, Rijksprenten­ kabinet, Inv. Nr. RP‑O‑OB‑10.468

9  (Detail von Abb. 8) Hendrick Goltzius, Hercules und Cacus, 1588, Farbholzschnit (NH 304/I), 410 × 333 mm, Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv. Nr. RP‑O‑OB‑10.468

delphia-Leinwand ebenfalls nicht. Die große Gemeinsamkeit zur Serie Hercules und Cacus – und dieser Bildvergleich wurde bisher meines Wissens nach im Gegensatz zu vielen anderen Modellanordnungen nicht unternommen39 – ist, dass in beiden Fällen die Farbgründe, wie von Panofsky postuliert, neutral sind. Die Farbgründe sind hier nun ganz in Pinos Sinn – und hieran lehnte sich auch Nicholas‘ Argument an40 – aktive Vermittlungselemente zwischen den Linienformen und den Höhungen („unire il tutto“). Eine der Varianten der Serie Hercules und Cacus veranschaulicht zugleich auch die Möglichkeit einer Umkehrung eben dieser Beobachtung: Der Probedruck der Serie, entstanden auf dem Verso eines der späteren Abzüge, ist exzeptionell (Abb. 10). Hier sieht man die nun mehr blassen Linien der Glanzlichter, die hier keine weitere Einbindung durch einen fortgeführten Druckprozess erhielten. Wenngleich sich das Verhältnis im Druckprozess umkehrt und somit die weißen Glanzlichter den eigentlichen Grund des Papiers durchscheinen lassen, während der farbige Tonblock den tatsächlichen Farbauftrag ausmacht, wird hier im endgültigen Bild dieses Verhältnis aufgehoben: Die hellen Lichter treten ihrer Natur nach dem Betrachter entgegen, sodass der Tonblock als dahinterliegend empfunden wird.41 Eindrücklich führt der Druck vor Augen, dass 39 Zwar verweist Nichols selbst auf die Serie Hercules und Cacus und ihr subtiles Spiel mit Farbe, doch ist sie für ihn lediglich eins von vielen Beispielen und wird an dieser Stelle lediglich als Exempel für einen aus interdependenten Blöcken geschnitzten Holzschnitt herangezogen. Nichols 1992 (wie Anm. 5), S. 25. Dazu weiter: Leesberg 2015 (wie Anm. 36), S. 167 f. 40 Nichols 1992 (wie Anm. 5), S. 22. 41 Cf. Vasari 1568 (wie Anm. 16), Bd. 5, S. 203.

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Farbgrund und Glanzpunkt

10  Hendrick Goltzius, Hercules und Cacus, 1588, Farbholzschnitt (NH 304/III), 410 × 333 mm, ­Amsterdam, Rijksprentenkabinet, Inv. Nr. A 933

Benjamins einleitende Überlegungen ihren theoretischen Charakter kaum abstreifen können: Nicht die mittels kurzen Linien herausgearbeiteten Glanzlichter „verleihen ihrem Untergrunde Identität“,42 sondern vice versa. 42 Benjamin [1917] 1977 (wie Anm. 1), S. 604.

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Free Ground The Structure of Drawing in the Dutch Republic

White paper was the exception, a challenge to convention. If not in practice, then at least in theory.1 When seventeenth-century Dutch authors discussed the use of paper, they usually mentioned how easily it could be colored. Here is Karel van Mander, writing in the century’s opening years: You can do everything: hatching and washes, according to the inclinations of your talent; with fervent dedication, by copying, exercise your hands in the use of charcoal and chalk, on paper, either grey like ash or pale blue, in order to produce heightened or deepened effects. But do not let those highlights or dark accents touch each other: leave the ground [grondt] between them free.2 Van Mander mentions no white paper. For him, the ground is colored, either grey or blue. Existing in between the added highlights and dark shadows, the ground’s color was medial. It was dark enough to afford the addition of white highlights and light enough for the drawn lines – with pen, chalk, or charcoal – to stand out. The ground was meant to look neutral. It chose no sides, neither of black nor white, and not the side of the subject depicted. The ground never pretended to assume the proper colors of the thing depicted. It took no responsibility to depict. Emerging in between the dark and light patches of depiction, it was 1

2

There is no reliable count of the ratio between white and colored ground in early modern European drawing practice. Translations are my own, unless otherwise attributed. I would like to thank Iris Brahms for her comments on an earlier draft of this paper. Karel van Mander, Het schilder-boeck, Haarlem 1604, fol. 9r.: “Ghy meught van als doen, artseren, en wasschen, nae den lust ws gheests met een vierich pooghen,Te teyckenen op Papier dat grondt heeft, om hoogen en diepen is seer voorderlijck. In het conterfeyten in handen rasschen, Tot Kool‘ en Crijt, op Papier graeuw als asschen, Oft een bleeckachtich blaeuw, om op te hooghen, En op te diepen: doch wilt niet ghedooghen, Hooghsel, en diepsel malcander t‘AenclevenDatmen hooghsel en diepsel nietsal te by malcander brenghen. Wilt grondt tusschen beyden vry plaetse gheven.”

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free. The white and black lines added to the paper should not touch, wrote Van Mander, for contact between the two would confine the ground’s freedom: “Leave the ground between them free.” When seventeenth-century Dutch writers sketched the history of drawing, they made it seem as if white surfaces came late. Accounts of the deepest history of drawing mostly include colored surfaces. Rembrandt’s pupil Samuel van Hoogstraten wrote that ancient draftsmen drew on palm wood, others on beech or limewood covered with wax, in which artists would incise forms with a metal pen, laying bare the color of the wood.3 The benefit of drawing in wax, Van Hoogstraten knew, was that it could be heated and then removed if the drawing wasn’t up to standards. Later, people began to use the bark of trees, “that is, the thin skin in between the bark and the tree,” which the ancient Romans called liber.4 We then read that the Egyptians invented a new sort of paper, made of bulrush, a technique that was also used for modern Dutch and Chinese paper, and that perhaps inaugurated the white ground of drawing.5 Whiteness was reserved for parchment, an exception in the history of drawing. “We also use white parchment,” wrote Van Hoogstraten, quickly adding that he and his contemporaries employed “white and blue papers, or prepared [paper], either bluish, ash-grey, yellow, pink, green or in the color of skin [vleesverwich], [applied] with a sponge, dipped in water and some ink, soot, or mixed with any kind of paint one wishes for.”6 Nudes, hands and tronies (portraits) should be drawn with red chalk on white paper, but black chalk was better applied to blue paper, where it could be paired with white chalk.7 And like Van Mander before him, Van Hoogstraten advised the draftsman to have the ground remain visible in between the dark and light areas of chalk. Drawing on pallid parchment was reserved for amateurs (lief hebbers). The aspiring young artist should draw a lifesize human figure on sheets of grey-white paper, pasted together and its surface brushed with a ground (strijk’er een grond over).8 In 1701, Gerard de Lairesse wrote that drawing on white paper was of little use to painters.9 Drawing on blue colored paper offered better opportunities to copy ancient statues in their full, three-dimensional form, with the darker areas left blank to suggest shadow and the chalk lines accompanied by white highlights.10 When preparing for painting, drawings on colored paper did not only better resemble the procedure of painting, with colors applied to a first layer of toned, often brownish or reddish ground; de Lairesse also believed

  3 Samuel van Hoogstraten, Inleyding tot de hooge schoole der schilderkonst: anders de zichtbaere werelt, Rotterdam 1678, p. 30.   4 Ibid., p. 30.   5 Ibid., p. 31.   6 Ibid., p. 31.   7 Ibid., p. 31.   8 Ibid., p. 32.   9 Gerard de Lairesse, Grondlegginge ter tekenkonst, Zynde een korte en zeekere wege om door middel van de Geometrie of Meetkunde, de Teeken-Konst volledig te leeren, Amsterdam 1701, p. 70. 10 Ibid., pp. 30, 71.

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that a drawing on colored paper was a more efficient way of preparing for a painting. “And whereas some draw their image on white paper,” he wrote, “they always need two or more drawings.”11 And then there was Willem Goeree, who believed that white paper was good for drawing with chalk, just like de Lairesse had written, but that the painter better use colored paper because it provided the possibility for highlights. By Goeree’s day, in the early eighteenth century, you could buy pre-colored paper in shops  – ash-grey, grey, pinkish, blue – but it wasn’t too much work to color your own paper either, Goeree added.12 Drawing consisted of more than lines on paper. What constituted the medium in the seventeenth-century Netherlands had as much to do with the materials with which lines were added as with the color of the surface on which the artist drew. The paper’s ground helped to bring the aesthetics of drawing into focus, not just as a medium existing in the service of painting, sculpture or engraving, but also as an artform that listened to its own internal structures and habits. This essay explores the role of colored grounds in the slow movement of the art of drawing towards freedom and independence in seventeenth-century Dutch art. The essay takes Rembrandt as a case study. Theorists and practitioners from Van Mander to Goeree treated drawings on colored paper for their affordances.13 A colored ground afforded the artist to draw as if working with a brush on the colored grounds of a panel or a canvas. White could be added for highlights, darker tones for shadows. Pitched against the white grounds of regular, unprepared paper, the colored ground approximated painting best. Listening to these authors, drawings on colored ground seemed to be denying the medium-specificity of pure drawing –: with its dark lines set against a bright background, with lines readable as the traces of an artist’s movement. Most seventeenth-century writers championed a kind of drawing pressed in the service of the art of painting, even in treatises dedicated to the art of drawing. Many of them suggested that the choice to use a colored ground was motivated by the function of drawing: the ground was colored or remained white depending on the end product drawing prepared for. And yet, none of these authors made functional distinctions between the different colors of the ground. When to use blue grounds? When yellow? When grey? Van Mander mentioned grey and blue paper, but treated them as if they were the same, as part of one functional category. Van Hoogstraten mentioned white, blue, bluish [blaeuwachtich], ash-grey, yellow, pink, and skin-color [vleesverwich], but remained silent on when to use what color.14 Blue, grey, and brownish paper could come pre-colored, the other colors had to be added with a sponge. De Lairesse once wrote that blue offered the best ground when an artist was preparing for a painting, but he did not say why it was better than pink, grey, yellow or brown grounds.15 Nor did he write that there was a differ-

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Ibid., p. 72. Willem Goeree, Inleydinge tot de al‑gemeene teyken-konst, Amsterdam 1705, pp. 97–98. For affordances, see James J. Gibson, The Ecological Approach to Visual Perception, Boston 1979. Van Hoogstraten 1678 (as fn. 3), p. 31. De Lairesse 1701 (as fn. 9), p. 71.

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ence in texture between pre-colored and colored paper. De Lairesse did not mention a preference for blue-colored paper again. When he wrote about the techniques and materials of coloring the ground of paper, he preferred aesthetics over a functional approach. “In order to cover paper with a good ground,” the draftsman should take good ink, sustainable and mixed with gum Arabic, dilute it with rainwater, the amount depending on how much highlights you want to use, “and mix it with a tiny bit of red earth [Rood-aarde], in order to soften the harsh blueness [harde blaauwigheid]” of the ink.16 De Lairesse gives no functional reason for why the “harde blaauwigheid” should be balanced by a sniff of red, except for that it is more pleasant on the eye. What emerges within discussions about the function of the colored ground are aesthetics considerations: digressions on the beauty of drawing as such. Drawing was both instrumental in that it prepared for a final product that superseded the importance of the preparatory sheet of paper and self-sufficient, existing as an artwork that referenced only itself. Drawing’s self-sufficiency emerged gradually in the medium’s western history (the history of south-east asian drawing is a different story).17 The oscillation of drawing between dependence and freedom was built into ancient western stories about the medium. Pliny reported that the art of drawing had been invented by Kora of Sicyon, the daughter of the potter Butades, who just before her lover departed for a long journey, traced the shadow of the young man’s profile cast on the wall, after which her father filled the outline with clay, modeled according to the features of the departed. Butades destroyed the drawing by making the relief, the first clay-relief ever made, relegating his daughter’s work a mere auxiliary role.18 Seventeenth-century authors elaborated upon Pliny’s story. Joachim von Sandrart, for instance, wrote that Kora had used charcoal to trace the outline, and, citing other passages from Pliny, elaborated that the art of drawing was improved upon when Plygnoto Thasio added colors to lines. In Sandrart’s conception of drawing, the medium improved the moment it began to approximate painting – an art of coloring.19 In other ancient narratives, drawing instead provided a role-model for painting. Pliny recounted that one day Apelles sailed to the island of Rhodes to meet his famous colleague and competitor Protogenes. When Apelles entered Protogenes’s studio, he found his col16 De Lairesse 1701 (as fn. 9), p. 73. 17 For a good discussion of the concept of autonomy in drawing, see Daniela Bohde, Alessandro Nova, Selbständige Zeichnungen: Begriffe, Funktionen, Perspektiven, in Bohde/Nova (eds.), Jenseits des Disegno? Die Entstehung selbständiger Zeichnungen in Deutschland und Italien im 15. und 16. Jahrhundert, Petersberg 2018, pp. 9–29. 18 Pliny, Natural History, 35.135. For the close relationship between drawing and relief see also Philippa Sissis’s contribution in this volume. 19 Joachim von Sandrart, Der Teutschen Academie, Nürnberg 1676, vol. II, Preface, p. 3. On this myth and others chronicling the origins of drawing and painting, see Gerhard Wolf, The Origin of Painting, in: RES: Anthropology and Aesthetics 36 (1999), pp. 60–78. For a recent discussion of the relationship between color and drawing in art theory see Iris Brahms, Einleitung: Warum Farbe notwendig ist für die Geschichte der Zeichnung, in: Farbe aufs Papier! Synergie und Divergenz in Zeichnungen der Frühen Neuzeit, ed. by Iris Brahms, Petersberg 2020, pp. 12–27.

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league absent. An old woman watched over Protogenes’s paintings. She asked for Apelles’s name. In place of an answer in words, Apelles left one in paint. On a large unfinished panel that stood on an easel in the middle of the room, he painted an extremely thin line, a signature of his prowess as Greece’s greatest painter. Upon his return to the studio, Protogenes recognized the delicacy of the line, a single mark with no representational responsibility save for the painter’s unique trace of making. “No one else could have drawn anything so perfect,” Protogenes spoke in recognition of Apelles’s steady hand. He picked a different color and drew an even thinner line over the narrow trace of Apelles’s brush. Apelles returned and retraced his colleague’s line with an even thinner one. At that point Protogenes declared himself beaten. The two preserved the picture for posterity. Pliny saw it in Rome shortly before its destruction by fire. Pliny’s story about the picture was popular in the seventeenth-century Netherlands, where it featured as a celebration of drawing, not just of painting. Those who knew about the art of drawing (Teycken-const) and the art of painting greatly admired the co‑authored picture of three thin lines. Whereas Pliny’s text leaves open the possibility that the panel Apelles encountered had been an unfinished painting of some unspecified subject, Van Mander believed that the work consisted of an entirely bare canvas (eenen rouwen doeck) with just three lines in three different colors. And Van Mander speculated further. The lines, he said, could not have been straight, for there was nothing special about drawing straight lines. Schoolmasters, writers and others could do a much better job than painters at drawing straight, thin lines. Van Mander rather believed that the lines consisted of contours – of an arm, a leg or a portrait (tronie). And he added that outlines belonged to the art of drawing. The three lines drawn by the two Greek masters were testimony to the artists’ control of drawing, not just of painting. Van Mander ended his discussion with the caveat that Apelles drew every day, hence the proverb “Nulla dies sine linea,” not a day without a drawn line.20 In this seventeenth-century version of the story, the autonomy of drawing consisted of curved lines drawn across an unprepared piece of canvas, instead of a panel, as Pliny wrote. Updated to the demands of seventeenth-century materials – canvas instead of panel – the work drew attention as the first autonomous drawing in the history of western art: an object consisting of a ground and some outlines with undefined representational responsibility. The emancipation of drawing had been a long time coming in Europe by the time people like Van Mander were writing. In 1636, Cornelis Pietersz. Biens published a short treatise on the art of drawing that was not only written for apprenticing artists, but was also targeted at an audience of art-loving amateurs (liefhebbers), a growing audience for the collecting of high-quality drawings in the Dutch Republic.21 And yet, little had prepared seventeenth-century critics for the direction in which Rembrandt began to push drawing.

20 Van Mander 1604 (as fn. 2), fols. 78r–v. Van Mander’s argument was adopted by Samuel van Hoogstraten 1678 (as fn. 3), pp. 331–333. 21 Biens’s treatise was published by E. A. de Klerk, ‘De Teecken-Konst: Een 17e-eeuws Nederlands traktaatje, in: Oud Holland 96.1 (1982), pp. 16–60, with the reference to ‘liefhebbers’ on p. 48.

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Rembrandt’s quickly drawn sketches fetched high prices in a market saturated with paintings, prints, statues and some finished drawings. Arnold Houbraken, a pupil of Rembrandt’s pupil Samuel van Hoogstraten, saw a drawing of a Last Supper by Rembrandt that was once owned by the Amsterdam merchant Sibert van der Schelling, who also possessed a large portrait by Rembrandt, and that Houbraken saw in the collection of Jan Six.22 The drawing, perhaps identical to a pen and ink drawing of the Last Supper in Berlin, fetched over twenty ducats, an enormous amount of money, considering that it was no more than “just a sketch with pen on paper.”23 The independence of drawing was fought for at ground level. Rembrandt was perhaps the seventeenth-century’s most pronounced defender of the value of art’s ground. His paintings foregrounded the surface of the canvas in unprecedented ways, as many critics starting in Rembrandt’s own time have noticed and elaborated upon.24 Much less has been written on the ground of Rembrandt’s drawings; there is no systematic study of Rembrandt’s use of colored paper.25 What follows offers an interpretation of Rembrandt’s colored grounds in comparison to his painted grounds and in relation to the growing autonomy of the medium of drawing. Its aim is not to offer anything systematic, but rather an analysis of a few cases by Rembrandt. Many of the sheets on which Rembrandt drew were regular, laid pieces of paper made in the Netherlands. Only a couple of early sheets dating from Rembrandt’s Leiden period have an Italian watermark.26 There are a few drawings on thick, granular cartridge paper, and a handful on prepared parchment. Twenty-six drawings on Japanese paper survive. A substantial amount of paper Rembrandt used was left white.27 Rembrandt did not use one

22 For the Rembrandt self-portrait in the collection of van der Schelling, see Cornelis Hofstede de Groot, M. C. Visser, Die Urkunden über Rembrandt (1575–1721), The Hague 1906, pp. 448–449 (no. 393). 23 Arnold Houbraken, De groote schouwburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen, Amsterdam 1721, vol. p. 270. 24 For Rembrandt’s ground in painting, see David Bomford, Rembrandt, London 2006 (for the Rembrandt pictures at the National Gallery, London); Nicola Suthor, Rembrandts Rauheit: Eine phänomenologische Untersuchung, Paderborn 2014. 25 There are, however, good, albeit short overviews of his drawing materials and techniques, among them Peter Schatborn, Material und Technik der Zeichnungen Rembrandts, in: Thea Vignau-Wilberg (ed.), Rembrandt auf Papier: Werk und Wirkung (exh. cat. Alte Pinakothek/Munich, Rembrandthuis / Amsterdam), München 2002, pp. 29–45. 26 For the paper Rembrandt used in his early Leiden period, see Peter Schatborn, Notes on Early Rembrandt Drawings, in: Master Drawings 27.2 (1989), pp. 118–127. 27 It is difficult to supply numbers or percentages because of disagreement among Rembrandt specialists about what exactly comprises the artist’s drawn oeuvre. For the history of Rembrandt attributions, see Peter Schatborn, William W. Robinson, The History of the Attribution of Drawings by Rembrandt and his Pupils, in: Holm Bevers et al. (ed.), Drawings by Rembrandt and his Pupils: Telling the Difference, Los Angeles 2009, pp. 31–42. There is some discussion about what constitutes the core group of Rembrandt drawings against which all other attributions need to be measured; see Martin Royalton-Kisch, Peter Schatborn, The Core Group of Rembrandt Drawings II: The List, in: Master Drawings 49.3 (2011), pp. 323–346.

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1  Pieter Lastman, Nude Male Model, Half-Length, ca. 1624, red chalk on orange-yellow prepared paper, 190 × 158 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, inv. no. RP‑T‑1983-457

kind of ground or one sort of paper for a specific subject. Parchment is used for both portraits and landscapes, white paper for finished studies and rough sketches, for landscapes, portraits and figure studies. He employed Japanese paper for his twenty-three drawings after Mughal miniatures, for one drawing of four Mughal elders at the British Museum, but also for two drawings of Elsje Christiaens.28 The drawings on Japanese paper were, however, all drawn within a relatively short period during Rembrandt’s life, between the late 1650s and the 1660s. Some of them received an additional brown tint as a ground, others were left their proper brown, yellowish shine. A survey of Rembrandt’s colored grounds shows a remarkably limited range in colors. They vary from white to grey and from yellowish-brown to light brown. The phase in which Rembrandt covered the ground of his paper with a thin layer of yellow paint was short-lived: it remained confined to the years he spent in his teacher Pieter Lastman’s studio beginning around 1624. Around that time, Lastman was making a series of drawings in red chalk on a light-orange prepared ground in preparation of the large history paintings he was making.29 One of these is Lastman’s red chalk drawing of a nude young man in Amsterdam (fig. 1). Lastman added an orange tone to his paper that comes close to the thinly applied chalk lines describing the figure. What emerges is a figure drawn with several outlines ranging in tonal-

28 The drawings of the hanged Elsje Christiaens are two sheets in New York by Rembrandt and two in Munich and Cambridge (MA) by Rembrandt pupils. For those sheets, see Vignau-Wilberg 2002 (as fn. 25), pp. 143–149. 29 Rembrandt owned paintings and drawings by Lastman; see Walter L. Strauss, Marjon van der Meulen, The Rembrandt Documents, New York 1979, p. 377 (1656/12, nos. 163–164).

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2  Rembrandt, Seated old man with his hands folded in his lap, ca. 1631, red and black chalks on pale yellow prepared paper, 226 × 157 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, inv. no. KdZ 1151

ity of which the lightly drawn lines almost disappear against the colored background and the more firmly sketched lines read as definitive. Rembrandt adopted Lastman’s use of red chalk, which he would only sparingly return to, and in a few cases, he, too drew on a lightly colored ground. One such drawing is the red chalk sketch of a seated man with his hands folded in his lap drawn on a lightly tinted yellow surface, now in Berlin (fig. 2).30 Rembrandt’s mishmash of red chalk lines, some of them reinforced with black chalk, performs an entirely different function than Lastman’s chalk lines. In the pupil’s drawing, the lines form dark, unlit areas in the figure’s face and the folds of his robe. Rembrandt added the red chalk to contrast it to the yellow ground, not to merge with it. Rembrandt’s incessant redrawing of the lines and the pressure he exerted onto his piece of chalk, pushing red chalk to its darkest extreme, almost seem to forget about the function of the colored ground, or at least the function Lastman had attributed to it. Whereas Lastman strove for identity between ground and chalk, Rembrandt aimed for difference. Both his chalk and the paper’s ground live independent lifes. They can do without each other. Their independence was studied, not a coincidence. Note the difference between the colors of Rembrandt’s ground in the drawing in Berlin and the colored ground of Lastman’s drawing in Amsterdam. The tone of Lastman’s ground moves in the direction of the tone of the chalk he used; it is closer to orange than

30 For the drawing, see Holm Bevers, Rembrandt: Die Zeichnungen im Berliner Kupferstichkabinett, Ostfildern 2006, pp. 32–34, no. 4.

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3  Hendrick Goltzius, One of the Dioscuri on the Quirinal, 1590/91, black chalk, heightened with white on blue paper, indented for transfer, 398 × 317 mm, Haarlem, Teylers Museum, inv. no. K III 002

to yellow. Rembrandt’s tone is lighter: it is better described as yellow than as orange. And there was not a moment in Rembrandt’s drawing process when he tried to make the ground look more orange-like, to make it resemble the grounds of his master’s drawings. Instead, Rembrandt’s dark lines reinforce the light color of their ground. Not a single drawing by Rembrandt on blue ground survives, one of two tints mentioned by Van Mander in 1604 and the color consistently recommended in later, seventeenth-century treatises for draftsmen who prepared for painting. Dutch artists before and after Rembrandt did draw on blue paper. Hendrick Goltzius drew one of the Dioscuri on the Quirinal in Rome with black chalk heightened with white on blue paper, for example (fig. 3). A drawing by Rembrandt’s pupil Govert Flinck of a reclining nude model with black chalk and white highlights on blue paper shows that artists in Rembrandt’s immediate circle also used blue paper (fig. 4).31 Again, note the contrast between master and pupil. When Rembrandt drew a nude female model, this time seated on a stool, he took a piece of cheap paper from a record keeping book and sketched his model with pen and brush in brown ink, with some white highlights and reinforced the contour lines with black chalk (fig. 5). The record paper’s ruling lines are still visible to the left and right of the seated figure.

31 See Alexa McCarthy’s essay on Govert Flinck’s use of blue paper in this volume.

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4  Govert Flinck, Reclining Female Nude, ca. 1650, black chalk with white highlights on blue paper, 27 × 41 mm, New York, The Metropolitan Museum of Art, inv. no. 1998.426

There is a simple explanation for Rembrandt’s resistance against the use of blue paper, the favorite ground color in seventeenth-century texts on drawing. Blue was recommended for drawings done in preparation for paintings and for drawings after antique statues and plaster casts, like Goltzius’s drawing after the Quirinal figure.32 There are no extant drawings by Rembrandt’s hand after antique sculpture or plaster casts, a surprising lack because he did own a substantial collection of casts after ancient portrait busts and other antique statuary.33 And only a few drawings by Rembrandt’s hand can be identified with actual painted figures or compositions, reinforcing the idea that Rembrandt painted without preparing his compositions extensively on paper.34 That Rembrandt never used a blue ground for his drawings detaches his drawing praxis from his painting practice. Compared to the incessant and consistent emphasis that painters

32 For the latter, see Goeree 1705 (as fn. 12), pp. 97–98. 33 Rembrandt owned 12 busts of Roman emperors, for which see Strauss/van der Meulen 1979 (as fn. 29), pp. 383–385 (1656/12, nos. 323–334), where also is mentioned a book of drawings after ancient sculpture and plaster casts in his collection. 34 For the curious disconnect between Rembrandt’s pictures and his drawing practice, see Marijn Schapelhouman, Rembrandt en de kunst van het tekenen, Zwolle 2006, pp. 73–85; Martin Royalton Kisch, Rembrandt’s Sketches for his Paintings, in: Master Drawings 27.2 (1982), pp. 128–145. Rembrandt did prepare drawings to transfer for prints; these are all in black chalk and almost without exceptions on white paper – a rare instance in Rembrandt’s drawn oeuvre where a single medium and technique is reserved for one and the same purpose.

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5  Rembrandt, Nude Model by a Stove, ca. 1661–1662, pen and brush with brown ink, white highlights on record keeping paper, 292 × 175 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, inv. no. RP‑T‑00-227

should use blue grounds for their drawings in the period’s art theoretical texts, Rembrandt’s drawing practice stands on its own, removed from the base function of drawing as a preparatory tool for other, more dominant and valued media like painting and sculpture. The relative self-sufficiency of Rembrandt’s drawings finds expression in Rembrandt’s decision to sign some of them. Twenty-one drawings by Rembrandt with his signature survive. They vary in medium and ground; among them are three drawings of old men in red chalk that Rembrandt drew in Leiden; there are small sketches, like the three quickly drawn interpretations of a print of Leonardo’s Last Supper, two in red chalk and one with pen and ink, two finished drawings of the Mennonite priest Cornelis Ansloo, and a cottage near the woods drawn with black ink and wash. The signed drawings are spread over his whole oeuvre; the earliest dated drawing was signed in 1630, the latest in 1661. Signing drawings was not a common practice among Dutch seventeenth-century artists, and no other Dutch artist signed his drawings as frequently as Rembrandt. It is even difficult to find precedents in European drawings of the sixteenth and early seventeenth century. Around 1594, Hendrick Goltzius signed a highly finished drawing depicting an allegory of Spring with his monograph in the lower right corner, but left the rest of his drawings unsigned.35 The only seventeenth-century Dutch artist who put his name to drawings at 35 New York, Metropolitan Museum of Art, 61.25.1. For the drawing, see Christiane Lauterbach, Masked Allegory: The Cycle of the Four Seasons by Hendrick Goltzius, 1594–1595, in: Simiolus: Netherlands Quarterly for the History of Art 31.4 (2004–2005), p. 310.

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6  Rembrandt, Sketch after Leonardo’s Last Supper, ca. 1635, red chalk, heightened with white on pale greyish prepared paper, 125 × 210 mm, ­London, The British Museum, inv. no. 1900,0611.7

some frequency was Rembrandt’s contemporary Jan van Goyen. Many of Van Goyen’s landscapes with black chalk on white paper, mostly sketched outside, have dates on them, and a couple carry Van Goyen’s monogram VG, added with small letters in bottom corners of his sheets. Rembrandt’s signatures on drawings are different to Van Goyen’s, however. They are usually written large across the bottom of the sheet, with his first name fully spelled out, and sometimes with the addition of a Latin clause like fecit; a few come with dates. His signatures are that of a painter-etcher, the kind of professional used to signing his works. At the same time, they are unlike the monograms that European printmakers like Albrecht Dürer and Hendrick Goltzius sparingly added to their drawn sheets. And even more crucial, Rembrandt’s signed drawings are sketch-like and quickly drawn; they are entirely unlike the carefully finished sheets by Dürer, Goltzius, Van Goyen and others who signed.36 There are three signed drawings by Rembrandt after Leonardo da Vinci’s Last Supper that illustrate my point.37 All three are sketches; none of them resemble anything like a finished drawing. Take the small drawing in the British Museum, the second in the sequence (fig. 6). It is signed “Rembrandt” at the bottom. The lower half of the letters has been trun-

36 For Rembrandt’s negotiation between finish and non-finish in his drawings, see Nicola Courtright, Origins and Meaning of Rembrandt’s Late Drawing Style, in: The Art Bulletin 78.3 (1996), pp. 485–510. 37 Martin Royalton Kisch, Catalogue of Drawings by Rembrandt and his School in the British Museum, online catalogue 2010, (no. 11).

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cated when the sheet was cut, but Rembrandt’s characters would have been almost the size of the six apostles he drew. Before he began to draw, Rembrandt colored the paper with a pale greyish brown wash. He took a drawing by the artist Pieter Soutman – or an unidentified print after the drawing – as his point of departure. Rembrandt’s drawing is a work in progress, a palimpsest of a series of rethinking and recalibrations of his example. He first sketched the contours of the figures with light lines that follow his model and then began to rethink. As he put more pressure on his chalk and his lines thickened, he decided to change the positions of both Saint James and Saint Andrew. He covered both with white paint, clearly visible as a contrast against Rembrandt’s colored ground, and then redrew them with red chalk. This is pure drawing. Rembrandt’s lines index his rethinking; there is no hiding that this drawing is a work full of reconsiderations and corrected mistakes, a collusion of white paint against a meticulously applied ground covered with a mishmash of light, dark, thick and thin lines that sometimes describe the final pose of figures, at other instants are the remnants of earlier thoughts, and in a few places take on no representational responsibility at all. A thin doodle drawn on top of the white erasing first James indexes nothing figural. It is just there to neutralize the stark whiteness of the corrective paint, to balance the whiteness with the grey-brown of the paper’s ground. That almost transparent line serves as a lasting placeholder for Rembrandt’s colored ground. In their unfinishedness, these signed drawings foreground the autonomy of drawing in Rembrandt’s mind. Neither preparatory for something painted, nor imitating the completeness of modern painting, the signed drawings embrace the sketch as independent, as an artwork in and of itself that resembled nothing Rembrandt’s contemporaries considered good, finished work. Not that Rembrandt was the first to produce such quickly drawn sketches; they had been emerging from early modern European workshops at the latest since Leonardo da Vinci started making them in the 1480s.38 But to declare the sketch as a valuable object in and of itself, ready to be sold as an artwork to the highest bidder and signed by its maker, was unprecedented. Filippo Baldinucci had heard a story from the Danish painter Bernhard Keil, who worked in Amsterdam and was close to Rembrandt’s patron and in‑law Hendrik van Uylenburgh between 1645 and 1648, about one of Rembrandt’s drawings that was sold for the astronomical sum of thirty ducats “on which little, or nothing could be seen.”39 In a market for drawings dominated by highly finished drawn products, the prices for Rembrandt’s quick sketches continued to amaze.40

38 For Leonardo as the inventor of the sketch, see David Rosand, Drawings Acts: Studies in Graphic Expression and Representation, Cambridge 2002, pp. 61–111. 39 Filippo Baldinucci, Delle notizie de’ professori del disegno da Cimabue in qua, Florence 1773, vol. 18, pp. 63–64. 40 For the market for finished drawings and Rembrandt’s exceptional status, see Peter Schatborn, Van Rembrandt tot Crozat: vroege verzamelingen van tekeningen van Rembrandt, in: Nederlands kunsthistorisch jaarboek 32 (1981), pp. 1–54; Bert Meijer, Rembrandt nel Seicento Toscano, Florence 1983, pp. 14, 43–44 (note 70); Julius Held, The Early Appreciation of Drawings, in: Latin American Art and the

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Emancipating drawing from the medium of painting also meant to embrace drawing’s economical means.41 Rembrandt used a self-cut reed pen with which he applied self-made iron-gall or bister (made from candle soot) to regular Dutch paper known for its inferior quality when compared to Italian and French paper.42 The brownish and grey-brown grounds of Rembrandt’s colored paper look like the discolored tone of white paper after it has been exposed to too much light for too long. It looks like the old scrap paper Rembrandt used for his account keeping and on which he sometimes drew (for example, fig. 5). Modern research on Rembrandt’s colored grounds is made difficult because of the lack of distinction modern scholars are able to draw between Rembrandt’s intentionally applied colored grounds and unintentional discoloration. The only reason modern specialists know that the brown ground of Rembrandt’s Last Supper sketch in London is not discolored white ground is because Rembrandt’s colored wash is clearly visible on the sheet’s reverse.43 The cheapness of Rembrandt’s drawings contrasted with the artist’s attempts to drive up the prices for his etchings. Rembrandt created different states in order to make unique print runs for an elite clientele and, importantly, starting in the 1640s, began to print almost all of his etchings on expensive paper he imported from Japan.44 Japanese paper was smoother and shinier than European paper; because it was not laid, it lacked the clearly visible chains in European paper products. The paper Rembrandt used was made of the inner bark of a gampi tree that was ground to pulp and was then mixed with clay as filler and that acted at the same time as a coloring agent.45 Rembrandt sparingly used Japanese paper for his drawings. Except for his two drawings of Elsje Christiaens, he reserved the costly paper for his twenty-three remarkable drawn copies after Mughal miniatures and one drawing of four Mughal wise men. In these twenty-four cases, Rembrandt coordinated the far eastern subject of his drawings with an eastern paper ground.46

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Baroque Period in Europe: Studies in Western Art (Acts pf the Twentieth International Congress of the History of Art, volume III), Princeton 1963, pp. 72–95. It should be pointed out that blue paper would have fitted Rembrandt’s economical approach because it was cheaper than white paper. I owe this observation to Iris Brahms; see her Schnelligkeit als visuelle und taktile Erfahrung. Zum chiaroscuro in der venezianischen Zeichenpraxis, in Magdalena Bushart, Henrike Haug (eds.), Interdependenzen: Künste und künstlerische Techniken, 1430–1550, Cologne/ Weimar/Berlin 2015, pp. 205–229. That Rembrandt still opted to avoid blue paper reinforces my argument that the avoidance was motivated by its attachment to the art of painting. Early modern authors already commented upon the inferior quality of Dutch paper compared to French and Italian paper; see Goeree 1705 (as fn. 12), pp. 97–98. Royalton Kisch 2010 (as fn. 37), no. 11. Sometimes artists only covered one side of the sheet with color. Rembrandt is an exception to the rule that still lacks an explanation. Jaco Rutgers, Timothy J. Sandring, Rembrandt: Painter as Printmaker (exh. cat. Denver Art Museum/ Denver), New Haven/London 2018. For the production of Japanese paper, see D. Hunter, Papermaking: The History and Technique of an Ancient Craft, New York 1974; T. Barrett, Japanese Papermaking: Traditions, Tools, and Techniques, New York 1983. For the drawings, see B. P. J. Broos, Rembrandts Indische miniaturen, Spiegel Historiael 15 (1980), p. 218 from pp. 210–218; Peter Schatborn, Tekeningen van Rembrandt, zijn onbekende leerlingen en navol-

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7  Rembrandt, Portrait of Shah Jahan, ca. 1656–58, pen and brown ink, with brown wash and opaque white on Japanese paper toned with light brown wash, 69 × 71 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, inv. no. RP‑T‑1930-41

But in his drawings on oriental paper he treated the ground differently than in the etchings on the same support. To some of the sheets he added the same kind of light brown tone he also added to the Dutch sheets he used, like the small drawing copying a Moghul miniature portrait of Shah Jahan at the Rijksmuseum (fig. 7). Rembrandt tried to copy the style of the figure’s dress as well as the subtle, thin washes the Moghul artist drew the dress and accessories with. But when it came to the ground of his drawing, he radically departed from his example. The original miniature, now lost, would have been drawn in various shades of bright colors, including greens, reds, oranges, yellows and blues, like the miniature of Shah Jahan and Dara Shikoh at the Chester Beatty Library in Dublin (fig. 8). Almost all of the miniatures that have been proposed as Rembrandt’s examples have elaborately drawn backgrounds with landscapes, flowers, trees and sometimes figures. Rembrandt instead focused on the figure only, leaving the background out, as he usually did in his drawing practice.47 This way, he made the visual language of these Moghul artists over into the language of European draftsmanship. He replaced the colors of the Moghul examples with the monochrome shades of drawing, he exchanged the ground for the look of old European paper, and he made the background around Shah Jahan’s face look like his own drawing idiom. He surrounded the contours of the Moghul emperor with coarse strokes of diluted

gers, The Hague 1985, pp. 126–131 (no. 58), with earlier literature; Schapelhouman 2006 (as fn. 34), pp. 17–24, fig. 15; Stephanie Schrader, Rembrandt and the Inspiration of India (exh. cat. J. Paul Getty Museum/Los Angeles), Los Angeles 2018. 47 Peter Schatborn, Rembrandt van Rijn, Shah Jahan, Amsterdam, ca. 1656–ca. 1658, in: Jane Turner (ed.), Drawings by Rembrandt and his School in the Rijksmuseum, online coll. cat. Amsterdam 2017: hdl. handle.net/10934/RM0001.COLLECT.28577 (accessed 2 March 2019).

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8  Bichitr, Jujhar Singh Bundela Kneels in Submission to Shah Jahan, ca. 1630–40, opaque water­color and gold on paper, 390 × 270 mm (page), Dublin, The ­Chester Beatty Library, inv. no. CBL In 07A.16

ink added with a broad brush. The strokes, with clearly visible traces of the brush’s hairs, are pitched against the fine brushstrokes Rembrandt drew the rest of the figure with. Once outside the figure, in the free space of the drawing’s ground, Rembrandt added his own: the sketchiness that not only looked Rembrandt-like but that also found its home in a tradition of European sketching at least a century-and-half old. Rembrandt probably owned the Moghul miniatures he copied in his drawings. An entry in the inventory of items drawn up after his bankruptcy in 1656 lists an art book “filled with curious miniature drawings [teeckeninge] next to several woodcuts and engravings of various costumes.”48 The wording in the entry, perhaps compiled with the help of the master himself, is interesting, for it calls the Indian works “drawings,” teeckeninge. Today, scholars of Moghul art refer to such miniatures as paintings, making the color painted with count more than the paper material painted on. Rembrandt’s culture instead made the ground count for the ontology of drawing, a medium that in the West was grounded after all in paper. For Rembrandt, the Indian miniatures probably passed as autonomous drawings,

48 Strauss/van der Meulen 1979 (as fn. 29), p. 369 (1656/12, no. 203).

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surely free from painting, the structure of which he wished to introduce to the European continent in Europe’s own language of drawing. Rembrandt’s drawings were one way to compare the history of European art as a history of European art with other art histories that were emerging at the time. The arrival of so much art from India, Japan, China and the New World in the port of Amsterdam and other European harbors made Europeans realize that European art was different from other continents.49 It made them realize, with a sudden intensity, that there was such a thing as European Art. When Samuel van Hoogstraten chronicled the history of art, he first took a traditional approach to western periodization. Following in the footsteps of writers like Lorenzo Ghiberti and Giorgio Vasari, he wrote that art had flourished in Greece and Rome and then, with the rise of Christianity and its successive waves of iconoclasm, had fallen into steep decline. “It had all been stiffy [plomp] and indecent [lomp] and barbaric what they painted, sculpted, built or made in those centuries,” he said.50 But Van Hoogstraten realized that what had earlier been considered the history of art was in fact just a partial history, a history of western art only. “How bad the state of art was here in the West [hier in ‘t westen], is also demonstrated by the old medals of the Goths,” he continued, “after all art was dead, to such an extent that nowhere in Europe, not to mention the other parts of the world, except perhaps for Japan and China, not a single master in painting could be found.” In Van Hoogstraten, the development of European art is a European development whose trajectory he called “western” [in ‘t Westen] and which he pitched against the high quality art of Japan and China. Western art preceding Cimabue, who revived western painting, was practiced by mainly Byzantine artists (Grieksche Schilders) who painted “nothing else than stiff figures with flat heads and round hats with a tip [klapmutsen], just as or even worse than Indian pottery [Indiaensche porseleynen].”51 The “Indiaensche porseleynen” consisted of Maya, Inca or Aztec earth ware imported to Europe whose visual language resembled nothing of the realism Van Hoogstraten took as the measure of good art.52 After its revival in Italy, European art slowly picked up pace. By Van Hoogstraten’s own time, he wrote, art was flourishing more than “in the East”, in ‘t oosten.53 And then there was Willem Schellinks, a Dutch painter who shared a mutual friend with Rembrandt, and whose acquaintance with art from the East had made him think, long before Van Hoogstraten, that European art was inferior to Indonesian painting. Like Van Hoog-

49 For the objects of trade between Amsterdam and Asia, see Karina Corrigan, Jan van Campen, Femke Diercks (eds.), Asia in Amsterdam: The Culture of Luxury in the Golden Age, Amsterdam 2015. 50 For Ghiberti’s argument, see Lorenzo Ghiberti, Commentarii, Julius von Schlosser (ed.), Berlin 1912, pp. 35–36. On Vasari’s periodization, see Patricia Rubin, Giorgio Vasari: Art and History, New Haven/ London 1995. 51 Van Hoogstraten 1678 (as fn. 3), pp. 253–254. 52 Van Hoogstraten uses the term “Indiaenen” en “Indiaensche” in other places to describe the indigenous peoples of Mexico, that is, the Maya’s, Inca’s, and Aztecs; see Van Hoogstraten 1678, pp. 153, 154, 341. 53 Ibid., pp. 333–334.

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straten would later, Schellink worked with a concept of European art, the quality of which migrated throughout the continent. The art of Europe had reached a first peek in quality in the hands of the Greeks, who passed on art’s crown (de konst-kroon) to the Romans (Latynen), and were followed by the Germans and French. But none of them could compete with the art of the Gujarati (Gusuratt), the people who inhabited the West coast of India. Mocking Europe, the Indian painters triumphed over Europeans. Even the Chaldeans, inventors of painting, or the Mongolian and Peruvian artists could not compete with the art of the Gujarati.54 Compared to seventeenth-century ideas of the world history of art, including Asian painting, Maya pottery, and Inca feather painting, the history of European drawing stood out as something singularly European. No artworks from the East or the New World Rembrandt, Van Hoogstraten and others saw on the markets of European harbor cities like Amsterdam resembled anything like a rough sketch by Raphael, Leonardo da Vinci, Titian, Michelangelo or Rembrandt. Not a single continent celebrated the unfinished, the first few lines trusted to paper, like the seventeenth-century European lovers and collectors of art: men and women prepared to pay sky-high prices for just a rough sketch by a master from Amsterdam who liked to portray himself as a man laboring.55 And no other continent had attached so much value to producing artworks with the tools of the writer, with pen and black or brown ink only. The quill or reed pen, the materials Rembrandt used most as a draftsman, were the most unpainterly of all the drawing materials available to him. Drawing with pen and ink was practically useless to prepare for painting. Listen to De Lairesse one more time: Drawing with the pen is a fruitless labor, more suitable to the schoolmaster than anyone else, [it merely serves] to entertain the youth or to waste time, except when it is done by engravers, who bring it to practice, it is bad and without foundation.56 Engraving, with its dark lines printed on white, sometimes faintly colored paper and deprived of highlights, resembled pen drawings on white paper best. Willem Goeree, too, advised artists against the use of a writing pen to prepare for painting. Only pick up the pen when you are making preparatory drawings for an engraving or an etching.57 No coincidence,

54 Klioos Kraam, vol verscheidene gedichten, Leeuwarden 1656, pp. 352–353. 55 For Rembrandt’s insistence that he was a painter painting, not a gentleman making art, see Svetlana Alpers, Rembrandt’s Enterprise: The Studio and the Market, Chicago 1988; H. Perry Chapman, Rembrandt’s Self-Portraits: A Study in Seventeenth-Century Identity, Princeton 1990. 56 De Lairesse 1701 (as fn. 9), p. 70: “Het teekenen met de Pen is een vruchteloozen arbeid, meer eigen aan een School meester, als iemand anders, om de Jongelingen wat op te houden, en tyd te doen verkwisten; niet teegenstaande de Graveerders, het echter in praktyk zoeken te brengen, zo is het doch kwaalyk, en zonder fondament.” 57 Goeree 1705 (as fn. 12), p. 62.

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9  Rembrandt, Landscape with a Stone Bridge, ca. 1638, oil on panel, 29.5 × 42.4 cm, Amsterdam, ­Rijksmuseum, inv. no. SK-A-1935

then, that Rembrandt was one of seventeenth-century Europe’s most avid etchers, a man whose quirky, drawing-like etched lines were famous all over Europe.58 And yet, Rembrandt’s grounds separated etching from drawing. The fine Japanese paper he started using from around 1646 for his etchings only served as a surface of a few exceptional drawings. The majority of Rembrandt’s sketched work, including the sheets that he gave to friends like Jan Six or that were sold at high prices, was done on plain, white, brownish or greyish tinted Dutch paper. Rembrandt’s ground told the difference between one medium and another. It separated drawings from other works on paper and it emancipated drawing from painting. In Rembrandt’s paintings, the grounds fulfill a mimetic function that it does not serve in his drawings. The unpainted ground in his paintings, colored light-yellowish-brown when he painted on panel and grey for canvas, fulfilled a depicting role.59 For instance, in The Stone Bridge, painted on wood around 1640, Rembrandt left the ground visible in the upper

58 Baldinucci 1773 (as fn. 39), vol. 18, p. 65. 59 For the colors of Rembrandt’s grounds, see Ernst van de Wetering, Rembrandt the Painter at Work, Amsterdam 2006, pp. 17–23, 129–130.

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right corner in order to depict the yellowish glow of the sun reflected on the dark storm clouds; the muddy, yellowish river bank in the foreground, too, consists of the same ground (fig. 9).60 In Rembrandt’s drawings, the ground serves no mimetic purpose. Rembrandt’s grounds often do not help to create a three-dimensional effect on the paper’s surface. Nor do they assume the middle position between light and shadow that traditionally helped draftsmen to create convincing renderings of round objects. For instance, in the red chalk drawing of the Last Supper in the British Museum, Rembrandt did not use the white lead paint to add highlights, but to correct parts of the drawing, a practice he adopted more often in his drawings. In fact, Rembrandt probably used white paint more frequently to erase drawn lines than he used it to indicate the light parts on the depicted subject. The carefully crafted advice by writers from Van Mander to Goeree about the use of colored paper never stuck to Rembrandt’s drawing practice. In Rembrandt, the selection of colored grounds instead presented drawing as drawing, as a medium that was above all distinguished from painting and etching. The ground constituted the medium’s freedom. The ground holds; it marks an ontological prior to: a condition and origins from which all other things emerge. The ground exists in virtue of its supporting something, offering the basis of existence. Grounding is ontologically prior to what is grounded. Grounding relations are supposed to back explanations.61 The existence of a line depends on what holds the line. The ground is the beginning, the basis. Seventeenth-century writers use the word “grond” (or sometimes spelled “grondt”) to indicate the basic principles of art. Van Mander subtitled his Schilder-boeck (Book on the Art of Painting) as the “grondt der Edel Vry Schilderconst,” the ground of the free art of painting. De Lairesse called his treatise on the art of drawing the Grondlegginge ter tekenkonst, the grounding principles of the art of drawing. The title page of Goeree’s Introduction to the General Art of Drawing declared that the book explains the “grounds [gronden] and character traits” of the art of drawing. In all these texts, the word grond constantly moved between reality and metaphor. Both the principles of the arts of painting and drawing, it also meant the color of the paper and the ground we stand on. Literally grond meant soil, the earth. Houbraken called painted landscapes gronden (grounds).62 For Rembrandt, the ground was essential for grounding drawing as an art. What separated drawing from all other media, except printmaking, was that it was done on paper; that is why Rembrandt’s inventory lists his Moghul paintings as “drawings.” Compared to canvas and panel, paper was cheap. And Rembrandt almost never stepped away from paper’s inferior materiality. He only did in the twenty-six exceptional drawings on Japanese paper. But even there, he cov-

60 Elsbeth Wiemann, Jenny Gaschke, Mona Stocker, Die Entdeckung der Landschaft: Meisterwerke der niederländischen Kunst des 16. & 17. Jahrhunderts, Stuttgart 2005, pp. 13–24. 61 Martin Heidegger, Der Satz von Grund, Stuttgart 2006. 62 Houbraken 1721 (as fn. 23), p. 71.

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ered the expensive paper with an average brownish ground and diluted black ink that he coarsely applied with a brush, like he did in the portrait of Shah Jahan. One important function of Rembrandt’s paper grounds was to signal the freedom of the art of drawing. And once free, cheap materials could be converted into expensive traces of exceptional human labor.

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Blaue und nicht-weiße Papiere: Zwischen Stilmerkmal und Ökonomie

Blue and non-white Papers: Stylistic and Economic Choices

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Govert Flinck’s Figure Studies on Blue Paper The Role of Materials in Stylistic Development

1. Introduction Arnold Houbraken (1660–1719) remarked that Govert Flinck (1615–1660), having mastered Rembrandt’s manner of painting, “with great difficulty and effort,” transitioned towards what Houbraken called a “clear” manner of execution characterized by the conventional ideals of form and symmetry (helder schilderen).1 Houbraken referred to this style as “Italiaansche penceelkonst” (Italian brushwork).2 Indeed, scholars have repeatedly observed that Flinck was an artist who shifted away from the fluid, expressive style of his master in the early 1640s.3 Flinck’s figure studies on blue paper from this period demonstrate this stylistic shift, which was informed by academic drawing sessions with his Amsterdam contemporaries, including Jacob Backer (1609–1651), Jacob van Loo (1614–1670), and Ferdinand Bol (1616–1680). These drawings are evidence of Flinck’s attempts to capture the intricacies of the human form, the additional color provided by the blue support contributing

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I am grateful to Iris Brahms, Elsje van Kessel, Alice Isabella Sullivan, Arthur K. Wheelock Jr., and Lara Yeager-Crasselt for their insights. Arnold Houbraken, De groote schouburgh der Nederlantsche konstschilders en schilderessen, 3 vols., Amsterdam 1718–1721; rev. ed., The Hague 1753; reprint, Amsterdam 1980, vol. 2, pp. 18–27, esp. p. 21. Ibid., as cited in Albert Blankert et. al., Dutch Classicism in Seventeenth-Century Painting, Rotterdam 1999, p. 15. See also Eric Jan Sluijter, On diverging styles, different functions, and fame: Govert Flinck, Ferdinand Bol, and Rembrandt as history painters, in: Stephanie Dickey (ed.), Ferdinand Bol and Govert Flinck: New Research, Zwolle 2017, pp. 20–43; Tom van der Molen and Valentina Vlasic (eds.), Govert Flinck – Reflecting History, Kleve 2015, pp. 24–25. This change in style is noted throughout the literature, appearing in Joachim von Moltke’s monograph, Govaert Flinck: 1615–1660, Amsterdam 1965, pp. 10, 27–37, 44–45, as well as more recent scholarship about Govert Flinck and his career, including Eric Jan Sluijter, Govert Flinck, in Rembrandt’s Rivals: History Painting in Amsterdam, 1630–1650, Amsterdam 2015, pp. 106–108; Stephanie Dickey (ed.), Ferdinand Bol and Govert Flinck: New Research, Zwolle 2017; Norbert Middelkoop, David De Witt (eds.), Ferdinand Bol and Govert Flinck – Rembrandt’s Master Pupils, Zwolle and Amsterdam 2017; Erna Kok, Netwerkende kunstenaars in de Gouden Eeuw: de succesvolle loopbanen van Govert Flinck en Ferdinand Bol, Hilversum 2016; Erna Kok, Culturele ondernemers in de Gouden Eeuw: de artistieke en sociaal-economische strategieën van Jacob Backer, Govert Flinck, Ferdinand Bol en Joachim van Sandrart, Amsterdam 2013.

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to a sense of three-dimensionality. Painter and writer Karel van Mander (1548–1606) echoed Giorgio Vasari’s (1511–1574) Le vite (1550; 1568) when he stated that “drawing is the father of painting […] and the portal to many of the arts.”4 The observations made in the practice of drawing from life (near het leven) could be applied to painted compositions derived from the imagination (uyt den gheest), infused with memory (van onthout). Flinck’s figure studies on blue paper were integral to his stylistic shift, as his careful articulations of the body through black chalk and white heightening on blue paper reflect the ideals upon which he founded this “clear” manner.5 Van Mander emphasized the importance of light and shadow in rendering forms in space, and recommended the use of light and dark chalks on paper that is muted in color like “ash” or “pale blue.”6 He asserted that young artists must seek the tutelage of a “good master” in order to “compose, sketch, shade, and work up neatly, ‘first with charcoal, then with chalk or pen.’”7 Van Mander encouraged artists to draw everything in their field of vision, the human body being a critical component to master, particularly in reference to its presence in history painting, the most esteemed of artistic genres.8 He warned against allowing the light and dark to touch each other, leaving the blue mid-tone to show through.9 This consideration of the harmony produced by the subtle gradation of tones pertains to the transition between light and dark and the concept of the mezzo, or “in between”.10 Texts by Leon Battista Alberti (1404–1472), Leonardo da Vinci (1452–1519), and Gerard de ­Lairesse (1641–1711), among others, discuss the rendering of mid-tones, the “in-between color,” mezzo, or tweede tint.11 For draughtsmen, this “in between” color is facilitated by   4 Karel van Mander, Den Grondt der Edel vry Shilder-Const, Hessel Miedema (ed.), 2 vols., 1604, facsimile reprint, Utrecht 1973, vol. 1, pp. 98–101; Giorgio Vasari, Le vite de’ più eccellenti architetti, pittori, et scultori, Rosanna Bettarini, Paola Barocchi (eds.) (2nd ed., 1568), Florence 1966–1987, vol. 1, p. 111. Van Mander translated portions of Vasari’s 1568 edition of Le vite as the foundation of his chapters on Italian Renaissance painters. See Amy Golahny Insights into the Dutch Vasari: Carel van Mander’s Life of Titian, Canadian Journal of Netherlandic Studies 21, no. 1 (2000), pp. 8–17; Amy Golahny, Rembrandt – Studies in his Varied Approaches to Italian Art, Leiden 2020, pp. 122, 144, 179.   5 This study focuses on paper that is dyed blue during production and / or made from blue fabrics, rather than that which is prepared with a tonal wash after its production. For more on this subject, see Peter Bower, Blues and Browns and Drabs: The Evolution of Colored Papers, in: The Broad Spectrum, Harriet Stratis, Britt Salveson (eds.), London, 2002, pp. 42–48.   6 Van Mander [1604] 1973 (as fn. 4), vol. 1, pp. 102–103.   7 Ibid., translated in Wilhelm Martin, The Life of a Dutch artist in the Seventeenth Century I: Instruction in Drawing, in The Burlington Magazine 7, no. 26 (1905), pp. 125–131, p. 126.   8 Van Mander [1604] 1973 (as fn. 4), vol. 1, pp. 100–101.   9 Van Mander [1604] 1973 (as fn. 4), vol. 1, pp. 102–103. 10 Leonardo da Vinci, Treatise on Painting / Codex Urbinas Latinus 1270, trans. 1956, vol. 1, p. 232, no. 842; Leonardo da Vinci, Libro di pittura, Carlo Pedretti, Carlo Vecce (eds.) Florence 1995, vol. 3, p. 398, no. 679. 11 Leon Battista Alberti, Il Nuovo de Pictura di Leon Battista Alberti, Rocco Sinisgalli (ed.), Rome, 2011, p. 89; Da Vinci 1956 (as fn. 10), vol. 1, p. 283, no. 842; Da Vinci 1995 (as fn. 10), vol. 2, p. 398, no. 672, also as discussed in Moshe Barasch, Light and Color in the Italian Renaissance Theory of Art, New York 1978, p. 51; Gerard de Lairesse, Groot Schilderboek, Amsterdam, 1707, pp. 15–19; Paul Taylor, Colou-

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Govert Flinck’s Figure Studies on Blue Paper

the mid-tone of blue paper, enabling artists to capture the complexities of their chosen subject through a range of tones, bringing the drawing one step closer to a painting, and, in turn, closer to life. Although, as Peter Schatborn has indicated, none of Flinck’s drawings of the nude female form can be traced to an extant painting by the artist, these studies are visually related to paintings by Flinck’s Venetian and Netherlandish predecessors and contemporaries, and would have served as points of reference for figures in painted compositions.12 Drawing on blue paper was an important practice in Flinck’s stylistic transition, as he utilized the tonality of the colored support and the malleability of black chalk, a friable material that can be easily absorbed into the textured surface of the colored paper, to refine how his figures interact with space in positions drawn from life, and informed by artistic precedents. Govert Flinck was born into a prosperous Mennonite family in the German city of Kleve. His father, Teunis Govertz Flinck, was a cloth merchant appointed to the distinguished position of steward of Kleve in 1625.13 In his biography of Flinck, Arnold Houbraken noted that Flinck’s decision to become an artist was directly connected to a visit that Lambert Jacobsz. (1598–1636), a Mennonite artist from Leeuwarden, made to Kleve in the late 1620s.14 Flinck’s parents entrusted Lambert Jacobsz. with their son, and he traveled to Leeuwarden to take up an apprenticeship in the older master’s studio.15 While studying with Lambert Jacobsz., Flinck met Jacob Backer, a fellow pupil who would also work with Flinck in ­Amsterdam.16 In Leeuwarden, Flinck would have observed the success Lambert Jacobsz. garnered through the production of large-format history paintings animated with clearly defined figures and bright colors. Between late 1633 and early 1635, Flinck traveled to A ­ msterdam to take up a position in the studio of the Mennonite art dealer Hendrick ­Uylenburgh (ca.  1584/89–1661), for which Rembrandt oversaw production.17 When ­Rembrandt left to start his own studio in the Nieuwe Doelenstraat in late 1635/early 1636,

ring Nakedness in Netherlandish Art and Theory, in: De Clippel, Van Cauteren, Van der Stighelen (eds.), The Nude and the Norm in the Early Modern Low Countries, Turnhout, 2011, pp. 65–79, esp. p. 7. 12 Peter Schatborn, Drawings, in: Tom van der Molen, Valentina Vlasic (eds.), Govert Flinck – Reflecting History, Kleve 2015, p. 81. 13 For a biography, see Petra Jeroense, Govaert Flinck (1615–1660): Eine Künstlerbiographie, in: Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte 63 (1997), pp. 73–112. 14 Houbraken 1718–1721 (as fn. 1) vol. 2, p. 20. 15 Ibid. 16 Ibid. Houbraken also maintained that Backer was Flinck’s roommate in Leeuwarden. 17 Lambert Jacobsz. and Uylenburgh had ties, as demonstrated by June 1636 inventory of Lambert Jacobsz.’s possessions at the time of his death, which noted that the two sent each other artworks to sell on consignment. Jaap van der Veen, Hendrick Uylenburgh’s art business. Production and trade between 1625 and 1655, in: Friso Lammertse, Jaap van der Veen (eds.), Uylenburgh & Son: Art and Commerce from Rembrandt to De Lairesse 1625–1675, Zwolle and Amsterdam, 2006, p. 160 and p. 175.

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Flinck took over his position at the helm of the Uylenburgh studio, where he would remain for several years before becoming an independent artist.18 Italian art historian and biographer Filippo Baldinucci (1624–1697) first referred to the Uylenburgh enterprise as “la famosa Accademia di Eulenborg”.19 Indeed, in the year Flinck spent under Rembrandt’s tutelage, he cultivated a style that reflected that of his master. Flinck produced works that so closely emulated Rembrandt’s that, according to Houbraken, they were often “mistaken for real paintings by Rembrandt and sold as such”.20 Joachim von Sandrart (1606–1688), a German artist and historian who lived in Amsterdam when Flinck was overseeing Uylenburgh’s studio, also noted the artist’s ability to follow Rembrandt’s style.21 This observation indicates that even after Rembrandt began his own enterprise, the Uylenburgh studio continued to capitalize on the style that he had popularized there. Flinck’s affinity for Rembrandt’s style is evident in his earliest extant signed and dated drawing, Man in Middle Eastern Costume Standing in a Landscape, 1638, executed in black chalk on vellum (fig. 1). In this study, the broad black chalk lines intimate form, rather than delineate it. Similarly, Flinck’s Female Nude, Seated, a Letter in Her Left Hand [Seated Nude as Bathsheba with David’s Letter] from the same period (fig. 2) recalls Rembrandt’s Nude Woman with a Snake of ca. 1637 in its rapid and loosely-hatched red chalk lines on laid paper.22 In rendering a setting for his Bathsheba, Flinck drew an irregular cross-hatching

18 William W. Robinson, A Seated Nude Woman as Diana, in: Drawings from the Age of Bruegel, Rubens, and Rembrandt, William R. Robinson, Susan Anderson (eds.), New Haven and London, 2016, pp. 133, no. 36. For more the subject of Flinck’s time in the Uylenburgh studio, see, for example, Lammertse/Van der Veen 2006 (as fn. 17), pp. 160–69; Eric Jan Sluijter, Rembrandt’s Rivals: History Paintings in Amsterdam 1630–1650, Amsterdam, pp. 100–106; David de Witt, Govert Flinck Learns to Paint Like Rembrandt, in Middelkoop/De Witt (as fn. 3), pp. 18–39; 19 Jaap van der Veen discusses how in the 1920s, Jan Six made note of Baldinucci’s reference to Uylenburgh’s enterprise as an academy, which has influenced subsequent scholarship. Van der Veen questions whether this assessment is justified, as we know relatively little about the mechanics of the workshop. Jan Six, La Famosa academia di Eeulenborg, in: Jaarboek der Koninklijke Akademie van Wetenschappen te Amsterdam (1925–1926): 229–241, cited in Lammertse/Van der Veen 2006 (as fn. 17), pp. 117. 20 Houbraken 1718–1721 (as fn. 1) vol. 2, p. 21. 21 Joachim von Sandrart, Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, Nuremberg 1675– 1680, scholarly annotated online edition, Thomas Kirchner, Alessandro Nova, Carsten Blüm, Anna Schreurs, Thorsten Wübbena (eds.) 2008–2012, http://ta.sandrart.net/en/text/545#p545.5 [accessed November 20, 2018]. 22 Rembrandt van Rijn, Nude Woman with a Snake, ca. 1637, red chalk with white gouache heightening, 247 × 137 mm, J. Paul Getty Museum, Los Angeles, inv. no. 81.GB.27. A reclining female nude in the collection of the Nationalmuseum, Stockholm, has been attributed to both Rembrandt and Flinck. Peter Schatborn considers the drawing to be a stylistic link between Flinck’s Rembrandtesque nudes and his nudes on blue paper. Rembrandt / Attributed to Govert Flinck, Reclining Female Nude Seen from Behind, early 1630s, or ca.  1639, black and white chalk, 195 × 234 mm, Nationalmuseum, Stockholm, inv. no. 33/1956. Peter Schatborn, Govert Flinck, in: Drawings by Rembrandt and His Circle: Telling the Difference, Holm Bevers, Lee Hendrix, William W. Robinson, Peter Schatborn (eds.), Los Angeles 2009, p. 63, fig. 3b; Schatborn, The Early, Rembrandtesque Drawings of Govert Flinck, in: Master Drawings 48, no. 1 (Spring 2010), p. 8, fig. 4.

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1  Govert Flinck, Man in Middle Eastern Costume Standing in a Landscape, 1638, black chalk on vellum, 152 × 110 mm, The Maida and George Abrams Collection, Fogg Art Museum, Harvard University, Cambridge, Massachusetts, inv. no. 1999.123.46

2  Govert Flinck, Female Nude, Seated, a Letter in Her Left Hand [Seated Nude as Bath­sheba with David’s Letter], ca. 1637–1638, red chalk, 342 × 232 mm, École nationale supérieure des Beaux-Arts, Paris, inv. no. MU 390

pattern with lines of varying boldness and spacing, suggesting an outdoor setting. Yet, Flinck’s blue paper drawings from the 1640s evince a new mode of representation (figs. 3, 5, and 9), as the artist defined his figures using a network of regularly placed, diagonally hatched lines, and added the third dimension of color through which to convey form and space.23 This technique resulted in smooth and delicately modeled figures.

23 Govert Flinck, Reclining Female Nude, Seen from Behind, 1643, black chalk and white heightening on blue preparation, 240 × 390 mm, Rijksmuseum, Amsterdam, Gift of M. Baur de Boer-van Kollenburg, Hergiswill, inv. no. RP‑T‑1982-76; Govert Flinck, A Seated Nude Woman as Diana, ca. 1645–1650, black and white chalk on blue antique laid paper, 383 × 244 mm, The Maida and George Abrams Collection, Fogg Art Museum, Harvard University, Cambridge, Massachusetts, Gift of George Abrams in honor of Bill Robinson and Peter Schatborn, inv. no. 2019.301; Govert Flinck, Seated Female Nude, 1647, black and white chalk on blue paper, 315 × 265 mm, Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP‑T‑1891‑A‑2460.

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3  Govert Flinck, Reclining Female Nude, Seen from Behind, 1643, black chalk and white heightening on blue paper, 240 × 390 mm, Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP‑T‑1982-76

2. Drawing on Colored Paper In Il libro dell’arte, Italian artist and writer Cennino Cennini (ca. 1360–ca. 1440) wrote that drawing on colored paper is a fundamental step towards mastering painting in color.24 While the colored papers Cennini described were prepared with tonal washes comprised of various pigments (the recipes for which he includes in his text), his tenet extends to all colored supports. The range of tones available in colored papers can facilitate modeling when one uses light and dark chalks of various colors. A drawing by Venetian artist Carletto Caliari (1570– 1596), a son of Paolo Veronese (1528–1588), exemplifies the sense of depth created by the interaction between chalk and colored paper. In his Head of a Man of ca. 1596 (fig. 4), Caliari animated the face through his painterly blending of black, white, and colored chalks with the blue paper support.25 The result is a study with highly finished and carefully articulated facial features. The contrast of the garments, seemingly formed quickly through rapid strokes of black chalk, further reinforce the naturalism of the man’s visage. The ruddiness of the man’s complexion, accomplished by the bold application of red and brown chalks, heightens the image’s humanity and verisimilitude.26

24 Cennino Cennini. Il libro dell’arte, ed. and trans. Lara Broecke, London, 2015, p. 35. 25 Carletto Caliari, Head of a Man, ca.  1596, black, white, and colored chalks on blue paper, 272 × 187 mm, Ashmolean Museum, Oxford, inv. no. WA 1954.9. 26 I am grateful to Elsje van Kessel for her thoughts on this drawing.

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4  Carletto Caliari, Head of a Man, ca. 1596, black, white, and colored chalks on blue paper, 272 × 187 mm, Ashmolean Museum, Oxford, inv. no. WA 1954.9

The earliest extant mention of blue paper dates to a Bolognese statute of 1389, which serves to codify standards for price, quality, size, and weight.27 Standard-sized white papers, “fine-quality royal” (reali fini), cost “5 Bolognese lire and 10 soldi per ream.” Listed immediately following, are “royal blue” papers (reali azzurre) which sold for “4 Bolognese lire per ream.”28 Therefore, blue paper was less expensive to produce and procure. When we consider blue paper, we often associate it with Venice due to the number of extant drawings by sixteenth-century Venetian artists on this material. One of the Venetian artists to adopt blue paper early on was Vittore Carpaccio (1465–1520), who often employed black and white chalk on blue paper for his figure studies in the late fifteenth century.29 However, evidence suggests that the first use of blue paper for drawings occurred outside of Venice. Lorenza Melli cites a drawing by Giovanni da Modena, which depicts a procession, dating from

27 A. F. Gasparinetti, Ein altes Statut von Bologna. Über die Herstellung und den Handel von Papier, in: Papiergeschichte 6, no. 3 (1956), pp. 45–47; Dorothea Burns, Making Space for the Materiality of Blue Paper, in Histoire du papier et de la papeterie, Actualités de la recherche – II, Paris, site de l‘HiCSA, Claude Laroque (ed.), December 2020, pp. 4–21. 28 Burns 2020 (as fn. 27); Carmen Bambach, The Purchases of Cartoon Paper for Leonardo‘s “Battle of Anghiari” and Michelangelo‘s “Battle of Cascina”, in: I Tatti Studies in the Italian Renaissance 8 (1999), pp. 105–133, fig 6. 29 See, for example, Vittore Carpaccio, Three Bishops, 1490s, black chalk with grey-brown wash and white bodycolor on blue paper, later touched with pen and ink, 197 × 219 mm, British Museum, London, inv. no. 1946, 0713.3.

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ca. 1410–1420.30 According to Melli, this drawing may be the earliest extant documented use of blue paper for the purpose of drawing.31 Da Modena worked in Bologna, the same city in which blue paper was codified in the 1389 statute.32 By the mid- to late sixteenth century, Venetian artists including Lorenzo Lotto (ca. 1480– 1557), Palma Vecchio (ca. 1480–1528), Jacopo Tintoretto (1518/19–1594), Paolo Veronese, and Titian (ca. 1488–1576) utilized blue paper for figure studies.33 Its texture varied considerably, and artists such as Titian, whose compositions are most often comprised of black chalk or charcoal with white heightening, rather than ink and wash, preferred a more textured paper. The less expensive the paper, the less refined it was, which allowed the natural chalk substance to be absorbed into the paper at varying degrees.34 This interplay contributed to the achievement of rilievo, or the ability to model three-dimensional forms on a flat surface.35 These drawings provide a counterargument to Vasari’s Tuscanocentric view that the Venetians had mastered colore without the concept of disegno. These drawings, in fact, demonstrate how Venetian artists viewed the relationship between disegno and colore to be a symbiotic rather than an antagonistic one.36 The appreciation for blue paper had spread to the Netherlands by the late sixteenth century.37 According to Henk Voorn, before 1674, the paper produced in the Zaan region of the Netherlands was either blue or grey.38 Mills in Egmond were most likely the first in Holland to produce blue paper.39 Voorn noted the mention of a dye vat in 1620, suggesting that blue paper was already being made at this time.40 The paper was produced from blue cotton

30 Giovanni da Modena, Riding Procession with a Princess, Two Men, and Pages, ca. 1410–1420, pen and brown ink, brown watercolors in the background, and traces of black and white chalk on blue paper, 342 × 460 mm, Kupferstich-Kabinett, Dresden, inv. no. C 150. See Lorenza Melli, I Disegni Italiani del Quattrocento nel Kupferstich-Kabinett di Dresda, Florence 2006, pp. 30–35, no. 2. 31 Ibid., pp. 30–35, no. 2, as cited in Burns 2020 (as fn. 27); Iris Brahms, Schnelligkeit als visuelle und taktile Erfahrung: Zum chiaroscuro in der venezianischen Zeichenpraxis, in: Technische Innovationen und künstlerisches Wissen in der Frühen Neuzeit, Magdalena Bushart, Henrike Haug (eds.), Vienna 2015, p. 209. 32 Melli 2006 (as fn. 30) pp. 30–35, no. 2, esp. p. 33. Melli writes that the sheet is made of a unique piece of blue paper that represents one of the oldest examples of this type of paper support, made from blue-colored pulp. 33 Catherine Whistler, Venice & Drawing 1500–1800: Theory, Practice and Collecting, New Haven 2016, p. xviii. 34 Brahms 2015 (as fn. 31) pp. 213–214, 218–220; Whistler 2016 (as fn. 33), p. xxi. 35 On the concept of rilievo, see, in particular, Luba Freedman, Rilievo as an Artistic Term in Renaissance Art Theory, in Rinascimento 29 (1989), pp. 217–247. 36 See Paul Hills, Venetian Colour: Marble, Painting and Glass, 1250–1550, New Haven 1999. 37 Artists working in the Netherlands during the late sixteenth and early seventeenth centuries, including Hendrick Goltzius (1558–1617) and Abraham Bloemaert (1564–1641), drew on blue paper. 38 Henk Voorn, De geschiedenis der Nederlandse papierindustrie, Haarlem 1960–1985, vol. 1, p. 76. 39 Ibid., vol. 1, p. 240. 40 Ibid.

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and linen rags, dyed with indigo and / or woad,41 enhanced with logwood dye.42 Dutch papermakers eventually maintained their own mills for processing logwood.43 Litmus or turnesol derived from European lichens such as Lacca coerulea and rocella and juices obtained from blueberry, violet, safflower, or cornflower also yielded blue dye.44 A notarial deed preserved in the Stadsarchief, Amsterdam dated to November  23rd, 1635 refers to the production and sale of blue paper. Jan Adriaensz., a papermaker in Apeldoorn in Veluwe, supplied Bette Weijers of Amsterdam with paper. Upon Weijers’ death in 1632, his widow, Giertje Jans, continued to sell paper. The document states that Adriaensz. sent Jans eight reams of blue paper and twelve reams of sugar paper so that she could sell it for him. Adriaensz. authorized Crijn Joosten of Amsterdam to claim the outstanding payment from Jans on his behalf.45 This document indicates that blue paper, tied with the production of paper for wrapping sugar, was already an active commodity in Amsterdam by 1635, around the time of Flinck’s arrival in the city.

3. Flinck’s Drawing Style, as Informed by his Practice during the 1640s and 1650s There is no evidence to suggest that Flinck used blue paper during his time in Rembrandt’s workshop. Indeed, Rembrandt’s extant oeuvre demonstrates that he did not draw on blue paper. While it is perhaps possible that Rembrandt’s drawings on blue paper no longer survive, it is more likely that the material did not suit his stylistic needs.46 Instead, he utilized grey cartridge paper and a combination of bistre or iron gall ink and wash to explore tonality in his drawings.47 Flinck’s earliest extant drawing on blue paper with broad strokes of pen

41 Woad (Isatis tinctatoria), also called dyer’s woad or glastum, is an herb in the mustard family, the leaves of which are a source of blue dye. 42 Roy Perkinson, Summary of the History of Blue Paper: The American Institute for Conservation: The Book and Paper Group Annual 16 (1996), http://cool.conservation‑us.org/coolaic/sg/bpg/annual/v16/bp1610.html [accessed October 08, 2018]. 43 Voorn 1960–1985 (as fn. 38), vol. 1, p. 25. 44 Irene Brückle, The historical manufacture of blue-colored paper, in: Paper Conservator 17 (1993), p. 22. 45 Notarial Archives, Stadsarchief, Amsterdam, 23 November 1635 [with other deeds from 1633], archive number  5075,  inventory number  518, folio 246 verso-247 recto, https://archief.amsterdam/archief/​ 5075/518. [accessed February  24, 2020]. It is important to note that the document is dated 1635, though it is bound with other documents from 1633. I am grateful to Monique Peters for her advice, as well as her transcription and translation of this document. 46 See also the contribution of Joost Keizer in this volume. 47 I am grateful to Leonore van Sloten and Ilona van Tuinen for discussing with me Rembrandt’s drawing practice and the lack of extant drawings attributed to Rembrandt on blue paper. Rembrandt’s drawing materials were the subject of an illuminating interdisciplinary symposium held at the Rijksmuseum on 6 and 7 of February 2020.

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and ink over black chalk is dated around 1638, after Flinck had left Rembrandt’s tutelage.48 Yet, it still evokes the master in style and subject. This drawing of a Seated Old Man with a Raised Hand evokes Rembrandt’s numerous drawn, etched, and painted ruminations on the effects of age.49 Flinck began to utilize the combination of blue paper with black chalk and white heightening in the early 1640s in order to depict carefully modeled figures in a variety of positions. He drew some of these figures from life, but he also sought other sources of artistic inspiration. Peter Schatborn has noted that the majority of the drawings attributed to Flinck are datable to the 1640s, several years after his time with Rembrandt, and that they exhibit Flinck’s development of his own, non-Rembrandtesque, style.50 As he cultivated this style, Flinck often drew with black chalk heightened with white, which, combined with the inherent tonality of the blue paper, presented new opportunities for the creation of form and depth – ideal for depictions of the human body. Visual and documentary evidence indicate that throughout the 1640s and 1650s, a group of artists including Flinck, Jacob Backer, Jacob van Loo, and Ferdinand Bol, used blue paper when drawing nude female models from life in academic drawing sessions.51 As such, the same model can be seen in the same pose, although from slightly different angles, in drawings by both Flinck and Backer.52 In a document associated with the 1658 prosecution of prostitute Caterina Jans, Flinck, Bol, and Van Loo are among the artists who declared that Jans posed naked before them on more than one occasion.53 The collaborative environment in which these drawings were produced problematizes the attribution history of this existing corpus of blue paper figure studies, yet the visual relationships between these drawings and extant painted compositions provide further insight into this artistic practice. For example, Backer’s expressive blue paper drawing of a seated female nude from ca. 1650 in Cambridge (Mass.)

48 Schatborn 2010 (as fn. 22), p. 13. 49 Govert Flinck, Seated Old Man with a Raised Hand, ca. 1638, pen and brown ink over a sketch in black chalk on blue paper, 245 × 181 mm, National Gallery of Victoria, Melbourne, Felton Bequest, inv. no. 1923.1278.784-3. See, for example, Rembrandt van Rijn,  Old Man Seated with Folded Hands, ca. 1631, black and red chalk on reddish-yellow washed paper, incised, 226 × 157 mm, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, inv. no. KDZ 1151; Rembrandt van Rijn, Three Studies of a Bearded Man on Crutches and a Woman, ca. 1632–1634, pen and brown ink, ruled framing lines in pen and brown ink, 152 × 185 mm, British Museum, London, inv. no. Gg,2.252. 50 Peter Schatborn 2009 (as fn. 22), pp. 58–79; Schatborn 2010 (as fn. 22); Peter Schatborn, Govert Flinck and Ferdinand Bol: Drawings, in: Dickey 2017 (as fn. 3). 51 See Judith Noorman and David De Witt, Rembrandt’s Naked Truth: Drawing Nude Models in the Golden Age, Zwolle 2016; Judith Noorman, Art, Honor and Success in the Dutch Republic: The Life and Career of Jacob van Loo, Amsterdam University Press, 2020, esp. pp. 99–126. 52 Govert Flinck, Nude Woman, 1648, black and white chalk on blue paper, 36.3 × 24.9 cm, Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, inv. no. KDZ 1327; Jacob Backer, Seated Female Nude, black and white chalk on blue paper, 288 × 228 mm, Maida and George Abrams Collection, Boston, Mass., inv. no. 1.2018.204. 53 Noorman/De Witt 2016 (as fn. 51) p. 156.

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served as a preparatory study for his important, large-scale history painting depicting Venus, Adonis and Cupid.54 Prior to the 1650s, the presence of nude female models in the artist’s studio, even within an academic framework, was morally questionable and highly unusual.55 Eric Jan Sluijter and Erna Kok have argued that it was not until late in the seventeenth century in both Italy and the North that drawing nude female models from life became commonplace.56 In ‘t Light der Teken en Schilderkonst (1643), Crispijn van de Passe the Younger (ca. 1597 – ca. 1670) argued for the importance of academic life drawing sessions in the ability to convey welstant, which he defined as a sense of naturalism infused with grace and beauty.57 Indeed, Flinck’s nude studies on blue paper exude this aesthetic quality, which is further enhanced by the colored support.

4. Venetian References Flinck’s drawing of a Reclining Female Nude, Seen from Behind of 1643 in the Rijksmuseum (fig. 3) and his highly-finished A Seated Nude Woman as Diana of 1645–1650 (fig. 5) both relate to paintings that depict stories from Ovid’s Metamorphoses, centering on the goddess Diana. This subject, which would have appealed to court patrons, provided an opportunity for the depiction of the nude female form in a variety of active poses. The positions of the figures in Flinck’s Reclining Nude and Diana are similar to those in Jacob van Loo’s painting of the subject (fig. 6), which, in turn, reflects Titian’s inventive Diana and Callisto, 1556–1559

54 Jacob Backer, Seated Female Nude (Study for Venus), ca. 1650, black and white chalk on blue antique laid paper, double framing line in brown ink, 323 × 232 mm, The Maida and George Abrams Collection, Fogg Art Museum, Harvard University, Cambridge, Mass., inv. no. 2013.170; Jacob Backer, Venus, Adonis and Cupid, ca. 1650–1651, oil on canvas, 200 × 236.4 cm, Kurhessische Hausstiftung, Schloss Fasanerie, Eichenzell. See also Peter van den Brink and Jaap van der Veen, Jacob Backer (1608/9–1651), Zwolle 2008, pp. 71–73, pp. 168–170, no. 37; pp. 198–199, no. 55; Sluijter 2015 (as fn. 3), pp. 110–127. 55 Eric Jan Sluijter, Rembrandt and the Female Nude, Amsterdam 2006, pp. 319–320; Noorman/De Witt (as fn. 51), p. 4 and p. 131. See also Volker Manuth, ‘As stark naked as one could possibly be painted…’: the reputation of the nude female model in the age of Rembrandt, in: Julia Lloyd Williams (ed.) Rembrandt’s Women, Edinburgh 2001, pp. 47–53. 56 Sluijter 2006 (as fn. 55), p. 321; Eric Jan Sluijter, The Nude, the Artist and the Model: The Case of Rembrandt, in: De Clippel/Van Cauteren/Van der Stighelen 2011 (as fn. 11), pp. 11–31; Erna Kok, The Female Nude from Life: On Studio Practice and Beholder Fantasy, in: De Clippel/Van Cauteren/Van der Stighelen 2011 (as above), pp. 40–41. 57 The book’s illustrations, depicting nudes in a variety of poses, resonate throughout the blue paper drawings and paintings that were produced by Flinck, Backer, and Van Loo. An example is Jacob van Loo’s drawing of a recumbent female nude (Kupferstichkabinett, Staatliche Museen zu Berlin, inv. no. 1328), which is a study for a figure in his Scene with Bacchantes, 1653, in the Rijksmuseum, Amsterdam. See Judith Noorman, On Truth and Beauty: Drawing Nude Models in Rembrandt’s Time, in: Noorman/De Witt 2016 (as fn. 51), pp. 25–30; Noorman 2020 (as fn. 51) pp. 105–122.

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5  Govert Flinck, A Seated Nude Woman as Diana, ca. 1645–1650, black and white chalk on blue antique laid paper, 383 × 244 mm, The Maida and George Abrams Collection, Fogg Art Museum, Harvard University, Cambridge, Massachusetts, Gift of George Abrams in honor of Bill Robinson and Peter Schatborn, inv. no. 2019.301

(fig. 7).58 Van Loo, who painted Diana on numerous occasions, based his ­depictions of the goddess on his own drawings, as well as on other sources of artistic inspiration.59 In his painting of the subject from 1649 (fig. 8), Jacob Backer situated the goddess with her back to the viewer in a position that is also markedly similar to Flinck’s Reclining Female Nude (fig. 3). Titian’s painting of Diana and Callisto, one of the six poesie commissioned by King Philip II of Spain (1527–1598) between 1551 and 1562, was a highly influential composition for Northern artists, in part because the Dutch printmaker Cornelis Cort (1533–ca. 1578)

58 Titian’s depiction of the story set a precedent, as the discovery of Callisto’s pregnancy was not often included in the repertoire of sixteenth-century book illustration. Eric Jan Sluijter, Diana and Her Nymphs Surprised by Actaeon and the Discovery of Calisto’s Pregnancy, in: Sluijter 2006 (as fn. 55), pp. 165–194, esp. p. 174. 59 See, for example, Jacob van Loo’s Reclining Female Nude, ca. 1650–1660, black and white chalk on blue paper, Leiden, Leiden University Libraries, inv. no. PK‑T‑AW‑287 and Jacob van Loo, Danaë, 1650s, oil on canvas, 62 × 74 cm, The Kremer Collection, The Netherlands.

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Govert Flinck’s Figure Studies on Blue Paper

6  Jacob van Loo, Diana and Callisto, ca. 1654, oil on canvas, 99.1 × 81.3 cm, Paris, Fondation Custodia, Frits Lugt Collection, inv. no. 2013–S.23

reproduced it, with some variations, in 1566.60 Titian’s Diana and Callisto was subsequently emulated by Hendrick Goltzius (1558–1617) in his engraving of 1590.61 This print was part of Goltzius’ Metamorphoses project, which began in 1588, and though never finished, was originally intended to include some 300 prints.62 Peter Paul Rubens (1577–1640) responded to Titian’s Diana and Callisto with his own interpretation of the story in a commission he

60 Titian used the term ‘poesie’ when referring to this series of artworks in his correspondence with King Phillip II. See, for example, the letter dated 23 March 1553, in Celso Fabbro, et al. (ed.) Tiziano: Le Lettere, Pieve di Cadore 1989, p. 158, no. 124. This is the earliest extant document of the poesie, as noted by Thomas Dalla Costa, The Poesie in correspondence, in: Titian: Love, Death, Desire, Matthias Wivel (ed.), London 2020, pp. 193–202 [196], 217, n. 1; David Rosand, Ut Pictor Poeta: Meaning in Titian‘s Poesie, in: New Literary History 3, no. 3 (1972), pp. 527–546. 61 See, for example, Workshop of Hendrick Goltzius, Diana Discovering the Pregnancy of Callisto, from the series Ovid’s Metamorphoses, ca. 1590, sheet: 212 × 259 mm, plate: 176 × 251 mm; Philadelphia, Philadelphia Museum of Arts, inv. no. 1985-52-1558, and Diana and her nymphs discover Callisto‘s pregnancy, 1590, Plate: 176 × 251 mm, London, The British Museum, inv. no. 1947,0412.3.27. 62 Sluijter 2006 (as fn. 55), p. 175.

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7  Titian, Diana and Callisto, 1556–1559, oil on canvas, 187 × 204.5 cm, ­National Gallery, London and National Galleries of Scotland, inv. no. NG6616

8  Jacob Backer, Diana and Her Nymphs, 1649, oil on canvas, 150.5 × 193 cm, The State Hermitage Museum, St Petersburg, inv. no. ГЭ ГЭ-2767

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Govert Flinck’s Figure Studies on Blue Paper

received from Philip IV of Spain (1605–1665), in which he reoriented the composition by placing the focus upon Callisto, rather than Diana. Tarnya Cooper has described how drawings from life might be infused with inspiration taken from drawn copies and reproductive prints after painted compositions.63 Such copies served as “visual exemplars that could be assimilated by a vast artistic community and used on a wide scale as prototypes for drawings by both trained and student artists”.64 The human figure was considered not only an extremely important motif, but also one that was difficult to represent with accuracy. Visual prototypes provided guidance for artists in the challenging territory of the nude female body.65 Flinck and his fellow artists absorbed these prototypes into their artistic repertoires. An appreciation for Titian and the Venetian school is evident in the positions of the figures that these artists drew from life, as well as the choice of blue paper, itself. The dissemination of prints after Titian’s poesie, as well as a growing taste for Italian drawings in the North, allowed artists such as Rembrandt and Flinck, who never traveled to Italy, to study these compositions.66 Roelof van Gelder and Jaap van der Veen have argued that works by Titian were the most sought-after of any Venetian artist in the Netherlands.67 Rembrandt’s collection included Titian’s drawings and prints, as did that of Jan Six (1618– 1700).68 The 1656 inventory of Rembrandt’s insolvent estate includes a section on kunstboecken (art books), where one finds “a very large book with almost all of the work by Titian”.69 Houbraken remarked that it was Flinck’s practice to visit artists and collectors, such as Jan Six, who possessed “superb Italian paintings and also excellent works on paper,”70 and

63 Tarnya Cooper, Early Modern collecting in Northern Europe: copied drawings and painted prototypes, in: Stuart Currie (ed.), Drawing 1400–1600: Invention and Innovation, Aldershot 1998, 226–244. Caroline Fowler also discusses, citing Rubens, that Italian paintings provided examples that are imprinted on the mind and “impress themselves onto the senses.” Caroline Fowler, Drawing and the Senses: An Early Modern History, Turnhout 2016, p. 89, and passim. 64 Cooper 1998 (as fn. 63), p. 244. 65 Peter Schatborn, Dutch Figure Drawings from the Seventeenth Century, Amsterdam 1981, p. 23. 66 Although Flinck never traveled to Italy, he did visit Antwerp around 1645, where he would have seen work by Rubens and Van Dyck. Piet Bakker, Govaert Flinck, in: Arthur K. Wheelock Jr., Lara Yeager-Crasselt (eds.) The Leiden Collection Catalogue, 3rd ed., New York 2020, https://theleidencollection.com/ artists/govaert-flinck/ [accessed August 4, 2020]. Van Dyck, in particular, drew on blue paper. 67 Ben van den Boogert, Roelof van Gelder, and Jaap van der Veen, Rembrandt’s Treasures, Zwolle 1999, p. 24. 68 Whistler 2016 (as fn. 33), p. 237. On Jan Six’s collection of Italian drawings, see Bert W. Meijer, Disegni italiani in Olanda Collezioni di disegni di oggi e di ieri, in: Anna Forlani Tempesti, Simonetta Prosperi Valenti (eds.), Disegno e disegni: per un rilevimento delle collezioni dei disegni italiani: gioranata di studi, Firenze 13 novembre 1999, Florence 2003, pp. 79–107. 69 The inventory of Rembrandt’s insolvent estate (Cessio Bonorum) [Fol. 34v.] (25–26 July 1656), Register van Invitarissen B, DBK 364, f. 29r–38v: 34v, Amsterdam, Stadsarchief, document/remdoc/e12722 [accessed November 20, 2018]. 70 Houbraken 1718–1721 (as fn. 1) vol. 2, p. 23, as cited in Jonathan Bikker, Willem Drost (1633–1659): A Rembrandt Pupil in Amsterdam and Venice, New Haven and London 2005, pp. 22–23.

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9  Govert Flinck, Seated Female Nude, 1647, black and white chalk on blue paper, 315 × 265 mm, Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP‑T‑1891‑A‑2460

that Flinck owned Italian paintings from which “he knew to select the beautiful and use it for his own ends”.71 Flinck and his contemporaries would have also known the Reynst collection, formed by Jan Reynst (1601–1646) and his elder brother Gerard (1599–1658). The collection was com71 Houbraken 1718–1721 (as fn. 1) vol. 2, p. 23, as cited in Ibid., p. 23.

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Govert Flinck’s Figure Studies on Blue Paper

prised of some 140 paintings, which included works by Titian, Tintoretto, Andrea Schiavone (ca. 1500–1563), and Veronese, many of them coming from the estate of Venetian nobleman Andrea Vendramin (ca. 1565–1629).72 The renown of the Reynst Collection reached Amalia van Solms-Braunfels (1602–1675), Princess consort of Orange, wife of Standholder Frederick Henry, Prince of Orange (1584–1647), and one of Flinck’s patrons during the 1650s.73 Furthermore, twenty-four paintings and twelve antique sculptures from the Reynst Collection formed the so‑called “Dutch Gift” given from the States of Holland and West Friesland to King Charles II of England in 1660.74 One of the paintings contained in this gift was a Reclining Venus by Giovanni Cariani (ca. 1490–1547), an exemplar of the Venetian reclining nude.75 This gift and the provenance of these Venetian paintings are further testaments to their popularity among court patrons. Their influence can be seen throughout Flinck’s drawings of female nudes on blue paper, which he continued to explore as he cultivated this style.

5. Flinck’s Painting Style During the Last Decade of His Career Flinck’s drawings on blue paper resonate in his painted compositions through the last years of his life. In his 1647 drawing of a Seated Female Nude (fig. 9), Flinck depicted a woman in an animated pose, leaning and gesturing to her left, as she glances to her right, delicately grasping the fabric covering her right knee.76 Flinck achieved the diaphanous quality of the drapery through the use of white heightening, particularly evident in the passages that cover her right hip. The figure’s inviting glance reflects that of the shepherdess in his Elegant Shepherdess Listening to a Shepherd Playing the Recorder in an Arcadian Landscape of 1654 (fig. 10), as well as his Bathsheba with King David’s Letter of 1659. The smoothly modeled forms and intricately creased fabrics in his drawings are echoed by those in his later painted compositions.77 Flinck utilized his Mennonite and Remonstrant contacts to secure connections with merchants and government officials, and the resulting commissions demonstrate a similarly re72 See Friso Lammertse, Gerrit Uylenburgh, art dealer and painter in Amsterdam and London, in: ­Lammertse and Van der Veen 2006 (as fn. 17), pp. 61–114, particularly pp. 66–71. Anne-Marie S. Logan, The ‘Cabinet’ of the Brothers Gerard and Jan Reynst, Amsterdam and New York 1979; Emil Jacobs, Das Museo Vendramin und die Sammlung Reynst, in: Repertorum für Kunstwissenschaft 46 (1925), pp. 15–38. 73 Logan 1979 (as fn. 72), p. 9. See also Peter van der Ploeg and Carola Vermeeren, Princely Patrons: The Collection of Frederick Henry of Orange and Amalia of Solms, Zwolle 1997, pp. 128–131, no. 8. 74 See Logan 1979 (as fn. 72), pp. 75–86. 75 Sluijter 2015 (as fn. 3), pp. 118–119. 76 Govert Flinck, Seated Female Nude, 1647, black and white chalk on blue paper, 315 × 265 mm, Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. RP‑T‑1891‑A‑2460. 77 Govert Flinck, Elegant Shepherdess Listening to a Shepherd Playing the Recorder in an Arcadian Landscape, 1654, oil on canvas, 139 × 170 cm, The Leiden Collection, New York; Govert Flinck, Bathsheba with King David‘s Letter, 1659, oil on canvas, 115 × 87 cm, The State Hermitage Museum, St. Petersburg, inv. no. ГЭ-2824.

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10  Govert Flinck, Elegant Shepherdess Listening to a Shepherd Playing the Recorder in an Arcadian Land­ scape, 1654, oil on canvas, 139 × 170 cm, The Leiden Collection, New York

fined manner of execution.78 Flinck’s commission for the Arquebusier’s headquarters, Militia Company of District XVIII, under the Command of Captain Albert Bas and Lieutenant Lucas Conijn (1645), which he knew would hang alongside Rembrandt’s The Night Watch (1645) also represents this “clear” manner of painting in its bright colors and carefully rendered details.79 This commission may have aided Flinck in securing another prestigious undertaking, a canvas depicting the classicizing Allegory of the Birth and Death of Wilhelm Heinrich III of Brandenburg (ca. 1648–1650) that he painted for the Grand Elector of Brandenburg, Frederick Wilhelm, and his wife, Louise Henriette, who was the oldest daughter of Stadholder Frederick Henry and Amalia van Solms-Braunfels.80 In this allegorical composition, the deceased infant Wilhelm Heinrich III is surrounded by the Roman deities Minerva, Fortuna, Venus, Cupid, and Juno, as well as putti. Van Solms-Braunfels would become one of Flinck’s patrons a few years later, commissioning her own allegorical portrait with similar details.81

78 Flinck had ties to the Remonstrant community through his wife Ingitta Thovelingh (ca. 1620–1651), daughter of a wealthy director of the Dutch East India Company. Erna Kok, Govert Flinck, Ferdinand Bol and Their Networks of Influential Clients, in: Van Sloten/Middelkoop 2017 (as fn. 3), p. 67. 79 Erna Kok, Govert Flinck, Ferdinand Bol and Their Networks of Influential Clients, in: Van Sloten/Middelkoop 2017 (as fn. 3), pp. 59–79, esp. pp. 65–67. Govert Flinck, Militia Company of District XVIII, under the Command of Captain Albert Bas and Lieutenant Lucas Conijn, 1645, oil on canvas, 347 × 244 cm, Rijksmuseum, Amsterdam, on loan from the city of Amsterdam, inv. no. SK‑C‑371; Rembrandt van Rijn, Night Watch, Militia Company of District II under the Command of Captain Frans Banninck Cocq, 1642, oil on canvas, 379.5 × 453.5 cm, Rijksmuseum, Amsterdam, on loan from the city of Amsterdam, inv. no. SK‑C‑5. 80 Govert Flinck, Allegory of the Birth and Death of Wilhelm Heinrich III of Brandenburg, ca. 1648–1650, oil on canvas, 115.5 × 82.5 cm, Potsdam, Stiftung Preussische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, Schloss Oranienburg, inv. no. GK I 5249. 81 Ibid., pp. 68–71; Saskia Beranek, Govert Flinck and the Houses of Orange and Brandenburg: networks and influence, in: Dickey (ed.) 2017 (as fn. 3), pp. 67–81.

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Govert Flinck’s Figure Studies on Blue Paper

Flinck painted Allegory of the Death of Frederick Henry and the Continuation of the Orange Dynasty in 1654 for Amalia van Solms-Braunfels in memory of her husband.82 The following year, she commissioned Flinck to paint the now lost Glorification of the Children of Frederick Henry.83 Her collection did not contain works by Italian masters, which is somewhat unusual given the popularity of Italian art amongst contemporary connoisseurs in the Netherlands.84 However, Flinck’s paintings were situated with those by painters who worked in a courtly, Italianate Flemish Baroque style, including Anthony van Dyck (1599–1641),85 Gerard van Honthorst (1592–1656), and Thomas Willeboirts Bosschaert (1613–1654).86 Flinck’s Allegory, with its vivid colors, swirling atmospheric details, and allegorical antique elements, such as putti painted in grisaille mourning over Frederick Henry, resonate with the paintings in its company. Furthermore, Flinck’s deliberate rendering of figures and glistening fabrics, as well as grisaille pictorial elements recall his blue paper figure studies. Flinck’s ability to depict historical subjects was recognized at the end of 1659, when he was awarded a commission to paint twelve large-format compositions for the new town hall in Dam Square. The commission was comprised of four paintings of famous heroes of antiquity and a cycle of eight paintings depicting the uprising of the Batavians against the Romans. It required Flinck to deliver two paintings a year for six consecutive years.87 Flinck’s sudden, untimely death at the age of forty-five, only two months after securing the lucrative commission, sadly precluded him from fulfilling it. Nevertheless, the fact that he received this prestigious commission speaks to the elevated reputation Flinck had garnered as a history painter. The techniques that Flinck developed through his participation in life drawing sessions with his Amsterdam contemporaries resonate continually in paintings he created during the last two decades of his career. In an effort to transition towards a “clear” and “bright” style, Flinck worked to refine the most challenging of subjects to inform his painted compositions – the human figure observed from life. The practice of drawing from life on blue paper demonstrates Flinck’s attention to the changing tastes amongst influential circles in Amsterdam, and they exhibit his awareness of Venetian drawings, paintings, and prints present in the Netherlands. Flinck’s working practices and the materials he selected were critical to the development of his mature style, which was particularly suitable for the prestigious commissions he received for portraits, allegories, and history paintings during the 1640s and 1650s.

82 Govert Flinck, Allegory of the Death of Frederick Henry and the Continuation of the Orange Dynasty, 1654, oil on canvas, 307 × 189 cm, The Hague, William V Gallery, on loan from the Rijksmuseum, Amsterdam, inv. no. SK‑A‑869. 83 Van der Ploeg/Vermeeren 1997 (as fn. 73), p. 48. 84 Ibid., p. 55. An interest in showcasing the artistic accomplishments of the north may account for this absence. 85 Beranek 2017 (as fn. 81), pp. 67–81, esp. pp. 74, 81, n. 35. 86 The collection contained his Annunciation of ca.  1645–1647 (Museum Schloss Mosigkau, Dessau-­ Mosigkau). 87 Kok 2017 (as fn. 79), p. 58.

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Armin Häberle

Zeichnen auf nicht-weißen Papieren Ökonomische und bildkünstlerische Reflexionen bei Vouet, Poussin, Dughet und van Dyck

Papier als Bildträger hat seit dem Beginn seiner Herstellung in Europa einen beispiellosen Aufstieg erlebt. Das früheste Zeugnis abendländischer Papierproduktion, findet sich in der von Muhammad al‑Idrīsī zwischen 1138–1154 verfassten Schrift Kitâb nuzhatu ’l-muštāq fī-’htirāqi ’l-āfāq:1  Von dort nach Játiva [Xátiva, Spanien], zwölf Meilen. […] Man stellt dort Papiere her, von denen man nichts Vergleichbares in bewohnten Gebieten findet. Und das sowohl im Okzident als auch im Orient weitverbreitet ist.2 Über die Verortung hinaus gibt al‑Idrīsī über den Vergleich zu hochpreisigen Textilien Hinweise zur Werthaltigkeit von Papier, und deutet für beide Produktfamilien eine Kundenpräferenz für reinweiße Erzeugnisse an: Von der Stadt Játiva nach Bocairent, vierzig Meilen Richtung Westen. […] Man stellt dort weiße Stoffe her, die zu sehr hohem Preis verkauft werden, da sie jahrelang haltbar sind. Sie sind bemerkenswert weich und fein, dergestalt, dass sie, aufgrund ihrer Weiße und ihrer Feinheit, dem Wert von Papier entsprechen.3

1 Muh.ammad al‑Idrīsī, Idrîsî. La première géographie de l’Occident, Henri Bresc, Annliese Nef (Hrsg.), übers. aus dem Arab. von Chevalier Jaubert, Paris 1999, S. 13–19 (alle Übers. hieraus aus d. Franz./Lat. d. d. Autor). 2 Ibid., S. 276. 3 Ibid., S. 277.

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Der Bedarf an Papier stieg stetig an.4 Die Erfindungen des Buchdruckes und der Druckgraphik wirkten als die zentralen Katalysatoren für eine ausufernde Produktion von immer weiter ausdifferenzierten Papieren.5 Dabei scheint die Wertschätzung für reinweiße Papiere eine Konstante in ihrer Qualitätsbeurteilung zu sein. Schon Paulus Paulerinus hob im Eintrag zum Papiermacher seines Liber viginti arcium (um 1460) hervor, dass dem Produkt durch Kochen und „Iuncus marinus“* eine weiße Farbe gegeben werde.6 Dem 1568 erschienenen Ständebuch „Eygentliche Beschreibung Aller Stände auff Erden“ von Hans Sachs und Jost Amman zufolge ist das perfekte Produkt des „Papyrer[s]“ „schneeweiß und glatt“.7 Auch der verzögerungsfreie Techniktransfer des in Frankreich von Claude-Louis comte Berthollet entwickelten Chlor-Bleichverfahrens für Textilien (1790–1791) in die Papierherstellung durch die Brüder Taylor in Toronto (1792) deutet eine ungebrochene Bevorzugung von weißen gegenüber melierten oder naturfarbenen Papieren an.8 Heutzutage ist der Werkstoff Papier eine leicht verfügbare und preisgünstige Halbware. Lange war die Rohstoffbeschaffung der limitierende Faktor der Papierproduktion.9 Die Herstellungskosten konnten erst nach der Ausweitung der Rohstoffbasis von Naturfasern und Gewebeabfällen auf Holz durch die Erfindung des chemischen Aufschlusses der Zellulose aus Holzschliff und die Mechanisierung der Arbeitsprozesse radikal gesenkt werden.10 Diese technologischen Umbrüche vollzogen sich jedoch erst im 19. Jahrhundert.11 Nichtsdestotrotz

  4 Karl Keim, Das Papier. Seine Herstellung und Verwendung als Werkstoff des Druckers und Papierverarbeiters, Stuttgart 1956, S. 17; Sandra Schultz, Papierherstellung im deutschen Südwesten. Ein neues Gewerbe im späten Mittelalter, Berlin 2018, S. 45, Online: https://doi.org/10.1515/9783110583717 [zuletzt abgerufen: 2.10.2018].   5 Keim 1956 (wie Anm. 4), S. 38–39.   6 Paulus Paulerinus, Liber viginti arcium (ff. 185ra–190rb), Prag 1997, S. 48: „Papireista est artifex sciens parare papirum secundum maiorem aut / minorem subtilitatem. Cuius materia, ex qua operatur, est omnis pannus lineus aut laneus putrefactibilis, / cui coccione forti donatur albedo cum iunco marino. Cuius instrumenta sunt: caldaria, furni, antra, / iuncus, forme, fusoria et alia.“ *“Iuncus marinus“ bezeichnet wohl ein Binsengewächs. Vgl. Schultz 2018 (wie Anm. 4), S. 41–42, Anm. 194.   7 Hans Sachs und Jost Amman, Eygentliche Beschreibung / Aller Staende auff Erden, […], Franckfurt am Mayn 1568, unpag. [S. 47, 55], Dresden, SLUB, Lit.Germ.rec.B.2039. Online: http://digital.slub-dresden. de/id278811973/1 [zuletzt abgerufen: 10.03.2019].   8 Claude-Louis Berthollet, Éléments de l’art de la teinture, 2 Bde., Paris 1791, Bd. 1, S. 235–236 und ders., Essay on the new method of bleaching: by means of oxygenated muriatic acid […], Dublin [1790?]. Dies ermöglichte, auch gröbere oder farbige Fasern als Rohstoff für weiße Papiere zu nutzen [Keim 1956 (wie Anm. 4), S. 41]. Keim benennt abweichend Carl Wilhelm Scheele als Entdecker der Chlorbleiche. Berthollet dürfte aber die entscheidenden Impulse für diesen Techniktransfer geliefert haben. John Taylor erwarb um 1850 das erste nordamerikanische Patent zur Papiergewinnung aus Holzschliff. [cf. William Murray, Pulp and paper: The reduction of toxic effluents (BP‑292E), [Ottawa] 1992, Online: http://publications.gc.ca/collections/Collection‑R/LoPBdP/BP/bp292‑e.htm (letzter Zugriff am 16.3.2018)].   9 Keim 1956 (wie Anm. 4), S. 18–19. 10 Ibid., S. 60–61, 83, (91–)99–110. 11 Ibid., S. 18–19.

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Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

eignen sich gerade Papiere aus Hadern- oder Naturfasern besonders für künstlerische Aufgaben.12

1. Die Frage nach der künstlerischen Intention. Die Eingrenzung von ereignisdichten ‚Wahrscheinlichkeitswolken‘ als hermeneutischem Modell Ungeachtet der ökonomischen Faktoren, der Marktbevorzugung reinweißer Papiere und ihrer Universalität lassen sich Präferenzen in der Nutzung von bestimmten Farbtönungen bei einzelnen Künstler*innen in Bezug auf konkrete Anwendungen erkennen. Diese scheinen nicht ausschließlich von ökonomischen oder äußeren Faktoren bestimmt, sondern von bildkünstlerischen Überlegungen getragen zu sein. Damit stellen sich Fragen nach den spezifischen mal- und zeichentechnischen Konditionen, die eine konkrete Eigenfarbe des Bildträgers attraktiv erscheinen lassen. Da anzunehmen ist, dass die Motivationslage zur Nutzung farbiger Papiere grundsätzlich multifaktoriell geprägt ist – also ökonomische und bildkünstlerische oder andere Entscheidungen gleichzeitig oder miteinander verschränkt bestehen können –, gewinnt die Abwägung der Plausibilität und wahrscheinlichen Wirksamkeit solcher Einzelfaktoren innerhalb der kunsthistorischen Hermeneutik an Gewicht. Die Aufklärung der Intention künstlerischer Entscheidungen innerhalb der Werkgenese stößt in der Retrospektive allerdings sichtlich an die Grenzen möglicher Erkenntnisfähigkeit. Dennoch bin ich der Überzeugung, dass eine valide, über Spekulationen hinausreichende Näherung möglich und sinnvoll ist. Voraussetzung dafür ist jedoch eine Perspektive, die sich im Wesentlichen auf Abschätzungen stützt, die im Folgenden anhand der Fallbeispiele deutlicher werden wird. Angesichts der Pluralität der für Künstler*innen relevanten Faktoren bei der Papierwahl (beispielsweise die Materialkosten, die Oberflächenstruktur und deren Verhalten zu Zeichenmitteln, um nur wenige zu nennen) erfordert eine valide Näherung an die konkrete historische Situation, die Fülle der Möglichkeiten auf ihre Eintretenswahrscheinlichkeit und Plausibilität hin zu prüfen. Durch die Plausibilitätsabwägung von Eintretenswahrscheinlichkeiten lässt sich so ein Ereignisraum innerhalb des gesamten, von den Faktoren13 aufgespannten Möglichkeits12 Schultz 2018 (wie Anm. 4), S. 64; Max Doerner, Malmaterial und seine Verwendung im Bilde, Thomas Hoppe (Hrsg.), Stuttgart 1994, S. 128. 13 Der Begriff Faktor hat den Vorzug, dass damit auch immaterielle Aspekte in ihrer Bedeutung für eine Entscheidung bezeichnet werden können. Letztlich geht es, im Gegensatz zur hierarchiefreien heuristischen Beschreibung von Netzwerken der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT), um die Beschreibung von Eintretenswahrscheinlichkeiten und die Abschätzung der Wirksamkeit gleichzeitig vorhandener und ggfs. auch gleichzeitig aktiver Faktoren auf einen Handlungsstrang oder ein Ergebnis. Das Modell steht im Gegensatz zur ANT, die als Übertragung von Modellen der Graphentheorie in die Sozial- und Kunstwissenschaft verstanden werden kann, anderen mathematischen Beschreibungsmodellen der Wahr-

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Armin Häberle

raumes eingrenzen, der so die Folie einer historischen Einordnung bilden kann. Eine Ereignisdichte kann stärker zu einzelnen Faktoren hin verlagert sein, sich um einen Faktor konzentrieren oder gleichwahrscheinliche, gleichwertige sowie gleichzeitige Faktoren miteinander verschränken. In der Konsequenz bedeutet dies für die Historik – im Gegensatz zu autoritativen Behauptungen – ein größeres Maß an Unschärfe der Interpretation zu akzeptieren und anzuerkennen, dass gegensätzliche Muster gleichzeitig und gleichwertig nebeneinander Bestand haben können oder müssen. Das Beschreiben von Wahrscheinlichkeitsräumen für Handlungen oder Ergebnisse sowie die Eingrenzung ereignisdichter Bereiche in ihnen entspricht nach meiner Auffassung besser dem ambiguen Charakter der Objekte, erscheint in geringerem Umfang präjudizierend und reflektiert das enorme Maß an Nicht-Wissen, mit dem die historische Rückschau konfrontiert ist. Auch wenn diese Vorgehensweise aus logischen Gründen den wahrscheinlichsten Fall präferiert, so bleibt selbst der unwahrscheinlichste Ausnahmefall als Möglichkeit bestehen und diskutierbar. In der Konsequenz sind Deutungen nicht unabhängig von der Fragestellung und ihres faktoriellen Koordinatensystems, das ihnen zugrunde liegt, denkbar. Dieses Reflexionsvermögen öffnet aber neue Möglichkeiten, auch Grenzbereiche des Wissens valide abschätzend zu untersuchen, oder durch die Identifikation von Mustern, Aussagen über fragmentierte oder verlorene Objekte zu treffen.

2. Zeichnen auf nicht-weißen Papieren: Exkurs zur Gegenwartskunst Es ist vor einem Blick auf das 17. Jahrhundert lohnend, den gegenwärtigen Stellenwert nicht-weißer Papiere in der künstlerischen Arbeit zu betrachten, da so Differenzen oder Kontinuitäten in ihrem Gebrauch auffallen können. Viele Künstler*innen der jüngeren Vergangenheit nutzten Alltagspapiere oder Massendruckerzeugnisse als Bildträger.14 Die denkbaren Motivationen sind vielfältig. Sie reichen von ökonomischen Überlegungen oder materialästhetischen Aspekten bis hin zur künstlerisch-politischen Positionierung. Dies kann in einer Fokussierung auf die dem Papier intrinsischen und inhärenten Qualitäten münden, wie sie in den Lichtzeichnungen (‚sun on paper‘) Ernst Caramelles manifest wird (Abb. 1). Der Künstler setzte das Papier der Sonneneinstrahlung aus, wobei er dessen bleichende Wirkung (Fototendering) mittels abdeckender Schablonen steuerte.15 Die destruktive Wirkung des scheinlichkeitstheorie und ‚Fuzzy Logik‘ näher, die sich meiner Auffassung nach besser eignen, sich den (Mikro‑)Prozessen der Bildfindung und Werkerarbeitung im Atelier anzunähern. 14 Exemplarisch für die erhebliche Kunstproduktion auf Alltagspapieren sei hier lediglich auf einige Arbeiten Gabriel Vormsteins [Online: http://gabrielvormstein.com/ [zuletzt abgerufen: 20.01.2019]], Eva ­Hesses [No title, 1967, Allen Memorial Art Museum, Oberlin College, Ohio, Inv. Nr. 1977.52.13; dies., No title, 1968, ebd., Inv. Nr. 1977.52.76.57 F], auf Paul Theks Arbeiten auf Zeitungsbögen [vgl. Alfred Kren (Hrsg.), Amerikanische Zeichnungen der siebziger Jahre, München 1981, Kat. Nr. 83–88] und auf Kippenbergers Zeichnungen auf Hotelbriefpapieren [vgl. Martin Kippenberger, Hotel-Hotel, Köln 1992] verwiesen. 15 Sabine Folie, Katharina Murschetz (Hrsg.), mumok Pressemitteilung: Ernst Caramelle. Ein Résumé, mumok Museum moderner Kunst – Stiftung Ludwig Wien, 2018, S. 2. Online: https://www.mumok.at/sites/ default/files/pt2_caramelle_de.pdf [zuletzt abgerufen: 20.01.2019].

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Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

1  Ernst Caramelle, „Untitled“, 2013, Sun on paper / Sonnenlicht auf Papier, 360 × 259 mm, Courtesy the artist and Peter Freeman, Inc. Photograph by ­Nicholas Knight Studio

Lichtes auf das Papier verwandelt sich in ein produktives Gestaltungsmittel, das in der Chromolyse die eigene Vergänglichkeit in sich trägt.16 Mit der Sichtbarmachung dieser Wirkung lotete Caramelle das reflexive und künstlerische Potential des Werkstoffes aus, und macht dadurch dessen materielle Differenzen sichtbar.17 Die zu Beginn des Zeichnens angedachte Funktion ist für die Papierwahl relevant. Die Künstler*innen der Gegenwart produzieren in aller Regel prospektiv und ohne Materialvorgaben von außen. Für sie steht außer Frage, dass es sich bei allen ihren Äußerungen, selbst noch so vagen Skizzen bereits um eigenständige und unmittelbar in den primären Kunstmarkt einspeisbare Produkte handelt. Es ist folglich keine Funktionsfrage, sondern letztlich eine durch die Künstler*innen selbst vorgenommene Definition der Objektqualität, ob und in welcher Form eine Zeichnung den Markt erreicht.18 Schon die ‚Hotel-Zeichnungen‘ Martin Kippenbergers fungierten in diesem Sinn als unmittelbar marktfähiges Produkt. Für die unter der Strömung „Minimalism“ subsumierten Künstler*innen wurde die Zeichnung zur individuellen Notation und folglich zum Zeugnis von künstlerischem Schaffen in der sukzessive 16 Zu den physikalischen Grundlagen vgl. N. Kuramoto, „The photodegradation of synthetic colorants“, in: Physico-chemical principles of color chemistry., London u. a. 1996, S. 196–253, S. 197–201, S. 204. 17 Siehe Sabine Folie u. a., Ernst Caramelle. Ein Resümee, Köln 2018. 18 Vgl. das Urteil des Amtsgerichts Köln: dpa, „Skizzen aus dem Müll. Was ist Gerhard Richters Altpapier wert?“, in: Augsburger Allgemeine, Augsburg 24.04.2019, unpag. Online-Ausg.: https://www.​­augsburger-​ allgemeine.de/kultur/Was-ist-Gerhard-Richters-Altpapier-wert-id54135821.html [zuletzt abgerufen: 24.04.2019].

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Armin Häberle

von individuellen Zügen befreiten, industriellen oder an andere delegierten Fabrikation ihrer Kunstwerke.19 Die Zeichnungen verbürgen gewissermaßen den Kunstcharakter als ‚Gedankenspur‘ der so erdachten Werke.20 Historisch lässt sich eine Korrelation zwischen der produktionsseitigen Verschiebung von manueller Papierherstellung zur industriellen Massenfertigung und der sukzessiven Verschmelzung von papierner Grundlage und aufgetragener Darstellung zu einer vollständig integrierten Einheit in der künstlerischen Arbeit beobachten, die die Grenzen von Bild (Zeichnung) und Träger (Papier) äußerst unscharf werden lässt. Die künstlerischen Zuspitzungen der jüngeren Vergangenheit, wie sie sich beispielhaft in den Lichtzeichnungen Caramelles ausdrücken, zwingen in ihrer logischen Konsequenz die zeitgenössischen Künstler*innen, die Materialität des Bildgrundes und sein semantisches Potential immer und schon zu Beginn des Schaffensprozesses zu reflektieren.

3. Annäherung an das 17. Jahrhundert Im 17. Jahrhundert stellte sich die Ausgangslage anders dar. Papier war zu keinem Zeitpunkt im Überfluss verfügbar.21 Dessen Herstellung litt massiv unter den Konflikten des Dreißigjährigen Krieges.22 Daneben erscheint die überwiegende Zahl der künstlerischen Zeichnungen stärker funktionsgebunden oder war prospektiv auf zu realisierende andere Werke hin ausgerichtet. Neben der unmittelbaren Beauftragung von Zeichnungen bei Künstler*innen, beispielsweise Portraits oder vorwissenschaftliche Objektaufnahmen wie das „museo cartaceo“ Cassiano dal Pozzos, gibt es nur wenige Hinweise darauf, dass die hier näher betrachteten Künstler Simon Vouet, Nicolas Poussin, Claude Gellée oder Gaspar Dughet Zeichnungen in einer zur Gegenwart vergleichbaren Weise, unaufgefordert und als freies Marktprodukt hergestellt hätten.23 Selbst ihre Antiken- und Landschaftsstudien zielten zuallererst auf die nachfolgende Gemäldeproduktion.24 Das schloss eine spätere Verwertung keineswegs aus, zumal 19 Meredith Malone, „The porous practice of drawing: System, seriality, and the handmade mark in Minimal and Conceptual Art“, in: Meredith Malone (Hrsg.), Notations: Contemporary drawing as idea and process, St. Louis 2012, S. 1–22, S. 3–4. Online: http://notations.aboutdrawing.org/wp-content/uploads/ Malone_Notations_Essay_2012.pdf [zuletzt abgerufen: 15.04.2017]; Richard Armstrong, „Zeichnen“, in: Kren 1981 (Anm. 14), S. 11–13, S. 12. 20 Ibid. 21 Keim 1956 (wie Anm. 4), S. 40. 22 Ibid., S. 40. 23 Siehe Francis Haskell, Jennifer Montagu (Hrsg.), The Paper Museum of Cassiano dal Pozzo. A Catalogue Raisonnée. London 1996. Zur Weigerung Gellées, Zeichnungen zu veräußern, vgl. Marcel Röthlisberger, „Bemerkungen zum zeichnerischen Oeuvre von Claude Lorrain“, in: Zeitschrift für Kunstgeschichte Bd. 24/2 (1961), S. 163–176, S. 163. In den Niederlanden und für Anthonis van Dyck könnte sich das anders darstellen, vgl. nachfolgende Anm. 24 und Franz Wilhelm Kaiser, Michael North (Hrsg.), Die Geburt des Kunstmarktes: Rembrandt, Ruisdael, Van Goyen und die Künstler des Goldenen Zeitalters, München 2017. 24 Es wurde angenommen, im 17. Jahrhundert hätten Künstler auch außerhalb der Niederlande unabhängig von Auftraggeber*innen eigenständige Projekte begonnen. Konrad Oberhuber postulierte, Poussin

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Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

die Zeichnungen im 17. Jahrhundert bereits das rege Interesse von Sammler*innen fanden, doch spricht gerade das Anhäufen von Zeichnungen in den Werkstätten als Arbeitsgrundlage und Vorlagenfundus gegen die Vorstellung von Zeichnungen als primärem Marktprodukt.25 Für die folgenden Reflexionen zur Intentionalität bei der Verwendung farbiger Papiere erscheint die Funktionsaufklärung der Zeichnungen deshalb ein wesentlicher Deutungsschlüssel.

3.1. Zur Produktion und Werthaltigkeit weißer und nicht-weißer ­Papiere im 17. Jahrhundert Die Papiere des 17. Jahrhunderts bestehen aus einem Gemisch von aus Lumpen aufbereiteten Fasern.26 Ihre spätere Eigenfarbe hängt im Wesentlichen vom Reinheitsgrad des benötigten Wassers und der Fasern ab.27 Schon geringe Verschmutzungen oder ein hoher Eisengehalt konnten die Herstellung weißer Papiere vereiteln.28 Hochweiße Papiere enthalten nahezu ausschließlich helle, gut gereinigte Fasern.29 Da bei der Produktion vorindustrieller Papiere die Fasern lediglich gewaschen, aber nicht chemisch gebleicht wurden behalten sie ihre natürliche Grundtönung.30 Die Bezeichnung nicht-weiße Papiere bezieht sich deshalb ausschließlich auf in der Substanz deutlich farbige, mischfaserige (melierte) Papiere mit einer hohen Fraktion an farbigen Fasern oder auf in der Masse durchgefärbte Papiere. Zwar kann eine später aufgetragene Farbgrundierung ähnlichen künstlerischen Zielen dienen, doch



25

26 27 28 29

30

habe zwischen 1619 und 1635/40 eine Großzahl an „Präsentationsblättern“ auf Vorrat angelegt, um sie potenziellen Käufern vorzulegen [Konrad Oberhuber, Poussin. The Early Years in Rome. The Origins of French Classizism, New York 1988, S. 17]. Diese These lässt sich nach jüngerem Forschungstand und in großen Teilen verlorenem Bestand nicht aufrechterhalten. Es ist wahrscheinlich, dass es gerade in Rom eine spekulative Vorab-Produktion von Zeichnungen als Marktangebot z. B. für Reisende oder andere Künstler*innen gegeben hat. Doch für die hier zur Rede stehenden Künstler fehlt die Evidenz, dass sie an einem solchen „freien, prospektiven Markt“ partizipiert hätten. Insofern deutet sich eine Differenz zwischen ihnen zur Lage in den Niederlanden an [siehe Kaiser/ North 2017 (wie Anm. 23)]. Bspw. der Sammler Everhard Jabach, vgl. Gudrun Calov, „Jabach, Eberhard (IV)“, in: Neue Deutsche Biographie, München 1974, S. 209 ff. Online: https://www.deutsche-biographie.de/pnd122266994. html​#ndbcontent [zuletzt abgerufen: 10.10.2017]. Schultz 2018 (wie Anm. 4), S. 55, 58, 60–61. Ibid., S. 56–61; Doerner/Hoppe 1994 (wie Anm. 13), S. 127. Schultz 2018 (wie Anm. 4), S. 56–57; Doerner/Hoppe 1994 (wie Anm. 12), S. 127. Da im 17. Jahrhundert für die Herstellung von weißem Papier nur Hanf- und Leinenhadern tauglich waren, konnten bei der Herstellung von Pack- und anderweitigen (grau/braunen) Gebrauchspapieren auch Wollhadern eingesetzt werden [Schultz 2018 (wie Anm. 4), S. 62]; Meder benannte nicht-weiße Papiere als Natur- oder Tonpapiere, was eine irreführende Terminologie darstellt, da gerade blaue Papiere häufig noch zusätzlich mit Farbstoffen behandelt wurden, während sich melierte und weiße Papiere aufgrund ihrer Fasermischung unterscheiden [Joseph Meder, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung., Wien 1923, S. 174–179]. Es ist daher sinnvoller, von weißen oder farbigen Papieren zu sprechen. Schultz 2018 (wie Anm. 4), S. 57, Anm. 281.

223

Armin Häberle

steht in dieser Betrachtung die Untersuchung der gezielten Auswahl und Nutzung unveränderlicher, dem Material inhärenter Eigenschaften im Zentrum des Interesses. Der Weiß-Grad und die Produktionskosten eines Papieres hingen weitestgehend von der manuellen Aufbereitungskette der Grundstoffe und der Wasserqualität ab.31 Reinfarbige, vor allem aber reinweiße Papiere waren folglich von höherer Güte, misch- und grobfaserige Papiere mit brauner, grauer, grau-grüner oder grau-bläulicher Grundtönung geringwertiger.32 Dennoch konnte ein rein blaufaseriges Papier durchaus geschätzt werden.33 Das häufige Auftreten blauer Papiere ließe sich teilweise auch dadurch erklären, dass die Grundstoffe mit Waid gut zu färben waren und zumindest regional das Aufkommen blauer Lumpen höher gegenüber andersfarbigen gewesen sein könnte.34 Für die Niederlande wurde der höchste Verbrauch an blauem Papier behauptet, doch wurde diese Annahme nicht durch systematische Evaluationen untermauert.35 Demgegenüber ist auffällig, dass die sogenannten „Skizzenbücher“ überwiegend weißes Papier enthielten (Tab. 1).36 Darin vorkommende farbige Papiere sprechen für eine nachträgliche Bindung von zuvor bezeichneten Einzelblättern.37 Weißes Papier gestattete die 31 Schultz 2018 (wie Anm. 4), S. 53–54, Tab. 2, S. 55–57, S. 67. 32 Ibid., S. 64. 33 Carlo Cesare Malvasia und Domenico Barbieri, Felsina pittrice: vite de pittori bolognesi, Bologna 1678, Bd. 2, IV, S. 185. Online: https://archive.org/details/felsinapittricev02malv_0 [zuletzt abgerufen: 06.06.2016]; vgl. auch Iris Brahms, „Schnelligkeit als visuelle und taktile Erfahrung. Zum chiaroscuro in der venezianischen Zeichenpraxis“, in: Magdalena Bushart, Henrike Haug (Hrsg.), Interdependenzen – Künste und künstlerische Techniken. 1430  – 1550, Köln u. a. 2015, S. 205–229, S. 208–209 und Abb. 52–54. 34 Ibid., S. 64, 66: siehe Berthollet 1791 (wie Anm. 8) und Bd. II, S. 80–101 (Blaufärbung). Der Fabrikant Albrecht Kaeferstein rechnete 1838 mit einem jährlichen Aufkommen von ca. 4 Pfund Lumpen aller Art pro Person. Die Fraktion an gebleichten (weißen) Leinenhadern betrage davon jedoch nur etwa ein Pfund, also circa 25 % [Albrecht Ludwig Kaeferstein, „Papier“, in: Johann Samuel Ersch, Johann Gottfried Gruber (Hrsg.): Allgemeine Encyclopädie der Wissenschaften und Künste, Dritte Sektion: O–Z. 11. Teil, Leipzig 1838, S. 101, zit. n. Schultz 2018 (wie Anm. 4), S. 66]; Meder 1923 (wie Anm. 29), S. 175; vgl. auch Doerner/Hoppe 1994 (wie Anm. 12), S. 195. 35 Meder 1923 (wie Anm. 29), S. 177. 36 Bestand von „Skizzenbüchern“ insgesamt im British Museum: https://www.britishmuseum.org/collec​ tion/​search?keyword=drawing&keyword=sketch&keyword=book&dateFrom=1400&eraFrom=ad&date​ To=1650&eraTo=ad=ad&view=grid&sort=object_name__asc&page=1 (abgerufen am 04.10.2019); Stefan Musil, Das Skizzenbuch des Stefano della Bella aus der Albertina in Wien. Diplomarbeit, Universität Wien, 2008, S. 3, 31 A. Online: http://othes.univie.ac.at/711/1/06-02-2008_8826633.pdf [zuletzt abgerufen: 04.10.2016]. 37 Die Begrifflichkeit „Skizzenbuch“ ist problematisch, da sie Funktion und Charakter der darin enthaltenen Zeichnungen vorwegnimmt. Dabei stellen sich die aus der Frühen Neuzeit erhaltenen Bücher nur selten als funktional eindeutige Objekte dar. Sie wurden oft neugebunden oder entstanden nachträglich [vgl. Röthlisberger 1961 (wie Anm. 23), S. 164]. Van Dycks Skizzenbuch seines Italienaufenthaltes (1621– 1627) dürfte am nächsten an der modernen Vorstellung des vorgefertigten „Skizzenbuches“ sein [London, The British Museum, Inv. Nr. 1957,1214.207.1]. Vgl. auch London, The British Museum, Inv. Nr. Oo,6.80 und Marcel Röthlisberger, Claude Lorrain. The Drawings, Berkeley, Los Angeles 1968, No. 429; vgl. Brahms 2015 (wie Anm. 33), S. 207.

224

Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

Zur Materialität und Farbe sogenannter „Skizzenbücher / sketch books“ bis Mitte des 17. Jahrhunderts Vermutl. Künstler Entstehung

Benennung

Seiten: Materia­ lität und Farbe

Aufbewahrungsort

1440–1470

Bellini, Jacopo

1474–1482

Giorgio, „Opusculum Francesco di de architecture …“

Papier, weiß

London, The British Museum

1947,0117.2

1500–1599

Anonym, („Pseudo-­ Pacchia“, sienesisch ?)

Papier, weiß

London, The British Museum

1954,1126.2, 1954,1126.3 (Teile eines 16 Folia umfassenden Zeichenbuches)

1500–1599

Dosio, ­Giovanni Antonio

„Codex Berolinensis“

Papier, weiß; Berlin, SMB eingeklebte Zeich­ Kupferstich­ nungen (Antiken- kabinett studien) auf weißem Papier

79 D 1 (89 folia mit über 200 eingeklebten Zeichnungen)

um 1514/15 Anonyma

„Bambaja-­ Skizzenbuch“

Papier, weiß

Berlin, SMB Kupferstich­ kabinett

Pergament

Rom, Istituto Nazionale d’Archeologia e della Storia dell‘arte

KdZ 1500 – 1514; 1516, 1518, 1522 – 1524, 1527; KdZ 15505 KdZ 15607, KdZ 15611, KdZ 15612, KdZ 20006, KdZ 20007, (54 + 10 Seiten) MMS. 254 (55 folia)

1500–1520

a

b

Ripanda,b Jacopo zugeschr.

„Jacopo Papier, weiß London, The Bellini ­album“ ­(flächig gestrichen British Museum mit weißer Grundierung zur Vor­ bereitung der Silberstift-Zeichnungen

Inv. Nr. 1855,0811.1

Siehe Peter Dreyer und Matthias Winner: „Der Meister von 1515 und das Bambaja-Skizzenbuch in Berlin“ in: Jahrbuch der Berliner Museen, 6 (1964), S. 53–94; Joseph George Jr. Rushton, Italian Renaissance figurative Sketchbooks 1450–1520, Ph.D.-Diss., University of Minnesota, Minnesota 1976, ProQuest Dissertations & Theses Global: The Humanities and Social Sciences Collection. (302790951), Online: https://search.proquest.com/doc​ view/​302790951?accountid=11004 (Stand: 20.7.2017), Cat. XIV. Rushton 1976, Cat. XV.

225

Armin Häberle

Zur Materialität und Farbe sogenannter „Skizzenbücher / sketch books“ bis Mitte des 17. Jahrhunderts Vermutl. Künstler Entstehung 1500–1520

1516 1520–1556

1532–1535

Umkreis von Jacopo Ripandac Ripanda, Jacopod Anonym, (Umkreis Girolamo da Carpi) Aspertini, „Aspertini Amico sketch-book (London I)“

um 1550

Palma, Jacopo Anonym

1575–1640

Anonym

1600–1630

Anonyme

1621–1627

Dyck, ­Anthonis van Goyen, Jan van Bella, ­Stefano dellaf

1544–1628

1626–1627 1633–1636

c d e f

Benennung

Seiten: Materia­ lität und Farbe

Aufbewahrungsort

Papier, weiß

Oxford, Ash668 molean Museum (63 folia)

Pergament

Lille, Palais des Beaux-Arts London, The British Museum

387 (14 folia) 1950,0816.2

London, The British Museum

1898,1123.3.45

Paris, Fondation Custodia London, The British Museum London, The British Museum London, The British Museum

4808

Papier, weiß

London, The British Museum

1957,1214.207.1

Papier, weiß

London, The British Museum Wien, Albertina

1946,0713. 1078.63 11242 bis 11314

Papier, weiß

Pergament, natur, größere Seitenzahl mit brauner Tinte lasierend in Mittelton grundiert „Modelbook“ Papier, gelbbraun grundiert Papier, weiß Papier, weiß

„Ornaments / For / Furniture / &c.“, „Mus. / Brit. / Bibl. / Sloan“, „5249 / Plut. / XCVII.B.“ and „SL. / 5249.“ „Italian sketch-book“

„Della Bella Skizzenbuch I“

Die Blätter 12–15 und 29–32 bestehen aus blauem Papier, alle anderen aus weißem Papier.

Papier, weiß

Inv. Nr.

1978,1216.20 1975,U.1589.35 SL,5249.2

Ibid., Cat. XVI. Ibid., Cat. XVII. Online: https://www.britishmuseum.org/research/collection_online/collection_object_details.aspx?objectId=​ 718010&partId=1&object=20377&page=14 Stand: 04.01.2016 Stefan Musil, Das Skizzenbuch des Stefano della Bella aus der Albertina in Wien. Diplomarbeit, Universität Wien, Wien 2008, S. 3. Online: , Stand: 04.10.2016.

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Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

Zur Materialität und Farbe sogenannter „Skizzenbücher / sketch books“ bis Mitte des 17. Jahrhunderts Vermutl. Künstler Entstehung 1633–1636

[1633] 1636–1637 1638–1640

1638–1640 1635–1682

1636–1676 1644–1645 1645–1677

Benennung

Seiten: Materia­ lität und Farbe

Aufbewahrungsort

Inv. Nr.

Bella, ­Stefano dellag Bella, ­Stefano dellah Gellée, Claude

„Della Bella Skizzenbuch II“ „Tacuino A“

Papier, weiß

Wien, Albertina

11315 bis 11330a

Papier, gelblich

Florenz, Galleria degli Uffizi

5946-6042

„Campagna book“

Papier, blau

London, The British Museum

Gellée, Claude Gellée, Claude

„Tivoli book“

Papier, weiß

Oo,6.97; Oo,7.148; Oo,7.183 Oo,6.80

Courtois, Jacques Berchem, Nicolaes Borssom, Anthonie van

„Liber veritatis“

London, The British Museum Papier, überwieg- London, The end weiß, mehrere British Museum blaue Papierbögen eingebunden Papier, weiß London, The British Museum Papier, weiß London, British Museum Papier, weiß London, British Museum

1957,1214. ff. Allgemeine Beschreibung unter: 1957,1214.6) 1946,0713.1087 1920,0214.2.117 1854,0628.111.1

g Ibid. h Ibid., S. 31A

universellste Nutzung und ließ sich beliebig färben oder grundieren. Für die Produktion vorgebundener Zeichenbücher scheint dieser Faktor der maßgebliche zu sein, der den Kostenvorteil melierten Papiers marginalisierte. Die Werthaltigkeit von Papier lässt sich im 17. Jahrhundert auch mittelbar an der Etablierung spezifischer sozialer Praktiken ablesen. Die großzügige Nutzung der knappen Ressource konnte Papier zu einem wichtigen und grenzüberschreitend mobilen Ausdruck sozialer Distinktion werden lassen. Vergleicht man die wohl nach 1643 verfasste Notiz des französischen Königs Ludwig XIV., die Briefe seines Ministers François Sublet de Noyers und die Schreiben Poussins , so drückt sich die Hierarchie der sozialen Stellung auch in der Schriftgröße und den Leerstellen der Schreiber aus.38 Poussins Briefe können hinsichtlich des spar38 Louis XIV., [Note autographe de Louis XIV sur la visite des jardins de Versailles], Manuskript, Versailles, Paris, Bibliothèque nationale de France, RESERVE FOL‑VE‑1318, Online: https://gallica.bnf.fr/ark:/12148/ btv1b52506954p [zuletzt abgerufen: 19.03.2019]; Nicolas Poussin, Lettres autographes du peintre Ni-

227

Armin Häberle

samen Umgangs mit Papier als prototypisch für viele Künstler*innen seiner Zeit gelten.39 Für sie spielten ökonomische Aspekte bei der Auswahl ihrer Papiere als Bildträger offensichtlich eine große Rolle. Nur so lassen sich die Vielzahl von Brief- und Kalkulationsrudimenten auf den Blättern oder die Kontamination von Zeichnungen mit nicht-korrelierenden Darstellungen erklären. Das semantische Potenzial von Papier scheint für die Zeichner*innen im 17. Jahrhundert daher weitgehend ohne Relevanz gewesen sein.40

3.2 Die künstlerische Praxis: Hinweise in Quellen Die Quellenlage, die uns Auskunft über Kriterien der Materialwahl der Künstler*innen für konkrete Aufgaben geben könnte, ist dürftig.41 Ebenso fehlen solide Hinweise auf während der Künstlerausbildung eingeübte Praktiken der Materialauswahl. Giovanni Battista Armenini gab 1587 lediglich orientierende Hinweise darauf, in welchem bildkünstlerischen Zusammenhang die Verwendung nicht-weißer Papiere stehen könnte, wobei er für die meisten Anwendungen weißes Papier empfahl: Weil Zeichnungen auf verschiedene Art und Weise und mit unterschiedlichen Materialien gemacht werden, zum Wohlgefallen derer die sie gut machen, wenngleich man sieht, dass sie im Grunde eine Sache sein können, scheint es uns notwendig, um jede Konfusion aufzulösen, hier nur vier Arten zu behandeln, da sie grundsätzliche Arten sind und im modernen Gebrauch am häufigsten benutzt werden. Die erste nun sagen wir sei jene, die nur dort mit der Feder zeichnet, wo man Schatten sieht, und die auf weißem Papier gemacht wird, das ähnlich ist zu jenem auf dem Kupferdrucke gemacht sind. Die zweite dagegen erzeugt die Schatten als Aquarell, auf gleichartigem Papier. Ebenso hat die dritte dieselbe Ordnung, aber auf gefärbtem Papier irgendeiner Farbe, um die Spitzlichter aufscheinen zu lassen, welche dort stärker als bei den anderen in Erscheinung treten; und die letzte wird mit roter oder schwarzer Kreide gemacht.42

39

40

41

42

colas Poussin, […] Paris, Bibliothèque nationale de France, Français 12347, Beispiele: fol. 25, 53. Online: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b9009621b [zuletzt abgerufen: 02.12.2012]. Der großzügig geschriebene Brief Simon Vouets vom 1. Juni 1629 [Paris, Fondation Custodia, Coll. F. Lugt, Inv. Nr. 7200] deutet eher auf dessen hohe soziale Stellung bei Hofe hin und scheint eine Ausnahme zu sein [Abb. in: Jacques Thuillier u. a., Vouet. Paris 1990, S. 112]. Exemplarisch für viele Blätter im Œuvre Poussins: London, British Museum, Inv. Nr. 1948-8‑5-2 verso; Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv. Nr. 905E; Sankt Petersburg, Ermitage, Inv. Nr. 8373 verso; Bayonne, Musée Bonnat, Inv. Nr. NI 47; Rom, Istituto Nazionale per la Grafica, F. C. 125570; Malibu, The Paul-Getty-Museum, Inv. Nr. 86.GA.470; Cleveland, Museum of Art, Inv. Nr. 83.197. Auch im Werk Lodovico Cigolis (1559–1613) finden sich häufig Hilfszeichnungen: Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 905 verso. Ulrich Pfisterer, „Der Kontrakt des Zeichners. Burent Fabritius und die ’disegno’-Theorien der Frühen Neuzeit“, in: Hein‑Th. Schulze-Altcappenberg (ed.), Disegno. Der Zeichner im Bild der Frühen Neuzeit, Berlin 2007, S. 45–53, S. 47 und Anm. 9. Hervorhebung durch den Verfasser. Giovanni Battista Armenini, De veri precetti della pittura (Libri Tre), Ravenna 1587, S. 52. Online: https://archive.org/details/deveriprecettide00arme [zuletzt abgerufen:

228

Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

Daneben gab Armenini an, dass für Lavierungen ein dickes, stark geleimtes Papier mit geringerer Saugfähigkeit zu bevorzugen sei.43 Für die Ausführung von Chiaroscuro-Zeichnungen sei das Papier zunächst mit einer möglichst gering-pastosen Farbe („il qual non abbia corpo“) mitteltonig zu grundieren um dann darauf die Zeichnung mit dunkler Farbe anzulegen und die Lichter durch Höhungen mit Bleiweiß herauszuarbeiten.44 Federico Zuccari betonte die besondere Tauglichkeit blauer, als auch im Rauch gegilbter Papiere unabhängig davon, ob darauf mit trockenen oder flüssigen Medien gezeichnet werden sollte.45 Von Interesse war hier offensichtlich die Mitteltonigkeit des Papieres völlig unabhängig von dessen Eigenfarbe, da es die Entwicklung der Darstellung durch abdunkelnde Ausformung von Schatten oder aufhellende Angabe der lichten Bereiche ermöglicht. Zuccaris Räuchertönung ist ein unschätzbarer Hinweis auf den hohen Stellenwert, den eine höchst differenzierte Tonwertsteuerung von Bildträgern für künstlerische Zeichnungen am Übergang vom 16. zum 17. Jahrhunderts hatte. Joachim von Sandrart stellte in der Teutschen Akademie 1675 ebenso graues Papier in diesen Zusammenhang der Tonwertsteuerung: Es geschihet aber die Zeichnung auf Papier/ entweder durch den Rötel/ so ein zarter und linder Stein/ leicht zu schaben und zu schneiden/ auch in unserm Teutschen Gebürg zu finden ist; oder aber durch schwarze Kreide gleicher Gattung/ welche uns Holland überschicket. Andere nehmen bloß eine Feder/ und lassen dem weißen Stoff/ es sey gleich Papier oder Tuch/ seine Liechte und Helle. Es ist zwar schwer/ aber die gewöhnliche meisterhafte Manier/ daß man auf graulicht Papier mit schwarz schattiret/ und mit weiß erhöhet: deren sich die meisten gebrauchen.46

43 44 45

46

17.02.2016]. (Übers. d. d. Verf.), ital. Orig.: „Ma perche i disegni si fanno per/ varie vie, & con diverse materie à compiacimento di chi ben li fanno,/ se ben si vede poi essere in sustantia quasi un’istessa co-/sa, nondimeno noi per leuare ogni confusione, di quattro modi/ solamente ci è parso di douer trattar quiui, si come modi princi/pali, & più all’uso moderno adoperati. Il primo adunque di-/cemo esser quello che si fa colla penna solamente tratteggian-/do, doue si vede che vanno l’ombre, & si fa sù la carta bianca,/ & è simile à quei dissegni che son fatti su le stampe di rame./ Il secondo è con l’acquarello in vece dell’ombre, su le medesime/ carte; cosi il terzo à quell’istesso ordine, ma è su le carte tinte/ di qualche colore, per farni apparire i lumi nelle sommità, i qua/li vi sono di più che à li altri, & l’vltimo vien fatto col lapis/ rosso o nero.“ Armenini 1587 (wie Anm. 42), S. 55. Ibid., S. 54. Federico Zuccari, L’Idea De’ Pittori, Scultori, Et Architetti, Torino 1607, Libro II, S. 13–14 [Digit. S. 100– 101] http://rara.biblhertz.it/Gh-ZUC931-2070 [zuletzt abgerufen: 20.11.2015]. Derartige, mit Rauch getönte Papiere sind phänomenologisch nur sehr schwer zu identifizieren. Wissenschaftlich wurden sie noch nicht thematisiert. Erst Otto Piene hat das Konzept 1959 künstlerisch wieder aufgegriffen [„Rauchzeichnung“, 1959, Marburg, Sammlung Hilde Eitel, ohne Inv. Nr.]. Joachim von Sandrart, Teutsche Academie der Bau-, Bild- und Mahlerey-Künste, TA 1675, I, Buch 3, S. 62 http://ta.sandrart.net/-text-149 [zuletzt abgerufen: 17.02.2016].

229

Armin Häberle

Carlo Cesare Malvasia verband 1678 die Technik der Weißhöhung auf blauem Papier mit dem Portraitzeichnen und Ausbildungsaspekten.47 Thomas Ratcliffe und Thomas Daniels empfahlen 1688 für das Zeichnen mit Farbpastellkreiden, neben weißem auch blaues Papier in verschiedenen Tonwerten vorzuhalten, das [in England] allerorten verfügbar sei.48 Auch wenn die letztgenannten Quellen schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts liegen, belegt die ungebrochene Kontinuität nahezu deckungsgleicher Aussagen eine anhaltende Präferenz farbiger Papiere für Chiaroscuro-Zeichnungen mit Weißhöhungen oder deren Kombination mit Kreiden.

3.3 Die künstlerische Praxis: Phänomenologische Beobachtungen Bei kollaborativen Architekturausstattungen und umfangreichen Wandmalereien gibt es Hinweise darauf, dass die Zeichenmaterialien für alle Beteiligten zentral beschafft und nicht frei gewählt wurden.49 Auch innerhalb der Künstlerwerkstätten wäre dies vorstellbar, doch bleiben uns die täglichen Praktiken der Materialbeschaffung, informellen Entscheidungsfindung und Arbeitsteilung darin weitestgehend verborgen. Während sich im Œuvre Poussins kaum Hinweise auf die Nutzung farbiger Papiere finden, weisen der Bestand von Zeichnungen Gellées ebenso wie die 206 Blätter van Dycks im British Museum eine signifikant hohe Fraktion an farbigen Papieren auf.50 Auch bei Vouet fällt der hohe Anteil mischfaseriger Papiere mit grauer, beige-bräunlicher, grau-blauer oder grau-grüner Grundtönung innerhalb der vorbereitenden Zeichnungen seiner häufig hochgradig arbeitsteilig ausgeführten Werke ins Auge.51 Vouet wurde auch als Lehrer hochgeschätzt.52 Sein prominentester Schüler war der französische König Louis XIII.53 Die einzig überlieferte von dessen Portraitzeichnungen ist mit Pastellkreiden auf einem in der Masse nachträglich im Atelier gefärbtem, ursprünglich hellem Papier ausgeführt (Abb. 2). Der braune Mittelton des Hintergrundes bietet hier den optimalen Helligkeits- wie Farbwert für 47 Malvasia/Barbieri 1678 (wie Anm. 33), Bd. 2, IV, S. 185: „Io presì (seguitaua) vn cuor di leone, e studiando la sera, pri-/ma d’andarmene a letto, viste in vno fpecchio opposto le mie mani, ch’erano/ assai pittoriche e buone, in iscorti bizzarri, disegnandole in carta azzura lumeg-/giate di biacca, le introducono ne’ ritratti.“ 48 Thomas Ratcliffe und Thomas Daniel, The excellency of the pen and pencil, […], London 1688, S. 13. 49 Vgl. Christoph Orth, Die Galerie Alexanders VII. im Quirinalspalast in Rom. Studien zur Malerei, Ausstattungspraxis und päpstlicher Repräsentation im römischen Seicento, unpubl. Dissertation, Universität Bonn 2018, Kat. Nr. 86, S. 306 ff. und Nr. 98, S. 316 ff. 50 Vgl. Windsor Castle, Royal Collection, Inv. Nr. RCIN 911985, 911988, 911997 und 990036. Die Attribution der Landschaftszeichnungen in der Albertina an Poussin ist unsicher]; British Museum Online-collection: https://www.britishmuseum.org/collection/search?agent=Anthony%20van%20Dyck&tech​ nique=drawn&school_style=Flemish&view=grid&sort=object_name__asc&page=1 [zuletzt abgerufen: 10.08.2018]. 51 Thuillier u. a. 1990 (wie Anm. 39), S. 355–483. 52 Paris, Musée du Louvre, RF 54529 Recto. 53 Thuillier u. a. 1990 (wie Anm. 39), S. 38, 111; Barbara Brejon de Lavergnée, „Dessins“, in: Thuillier u. a. 1990 (wie Anm. 39), S. 355–483, S. 357. Meder 1923 (wie Anm. 29), S. 179.

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Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

2  Louis XIII., König von Frankreich, Portrait von René Potier, Seigneur und Duc de Tresme, 1635, Pastellkreiden auf braun getöntem Papier, 181 × 151 mm, Paris, Musée du Louvre, D. A. G., RF 54529r; Annotation oben links mit Feder und brauner Tinte: „(R)EN E B(P)OTIER DUC. / DE TRESME. / peint par le Roy louis / 13.“; Anno­ tation oben rechts mit Rötel: „AETATIS SUAE / 56 163(2 oder 5 ?)“

die in Vier-Kreiden-Technik ausgeführte Zeichnung. In den nichtdeckenden Passagen lassen sich so Braunockertöne simulieren. In Kombination mit roter Kreide gelingt dem Zeichner die Darstellung lebendigen Inkarnats, mit Weiß der Eindruck fein schimmernder Stofflichkeit der Kleidung und mit schwarzer Kreide die dunkelbraune Haarpracht. Die Tönung des Papieres ist in Kombination mit dem teilweise durchscheinend aufgetragenen Zeichenmittel ein gleichwertiger, symbiotischer Träger von Farb- wie Helligkeitswerten und somit elementar für die Konstituierung der Darstellung. Für den König dürfte der Preis des Papieres irrelevant gewesen sein. Die Wahl, ein weißes Papier durchzufärben, könnte im Gegenteil dazu gedient haben, die Nutzung preisgünstigerer farbiger Papiere zu vermeiden. Ästhetisch begünstigt die Durchfärbung im Gegensatz zum Anstrich ein homogenes Erscheinungsbild. Während die bildkünstlerischen Vorteile des nicht-weißen Papieres hier auf der Hand liegen, scheint die Eigenfarbe des Papierträgers aber oft von geringerer Relevanz für den eigentlichen bildkonstitutiven Prozess zu sein. Vielmehr ergibt sich aus der relativen Beliebigkeit der Eindruck, die Tonalität und nicht die Kolorierung dominierte, wie von Armenini angedeutet, zusammen mit ökonomischen Aspekten die Auswahl. Kurzum, die Künstler scheinen an den nicht-farbigen Eigenschaften des Papiers interessiert gewesen zu sein. An einem Komplex aus dem Werkstatt-Kontext Vouets wird dies besonders anschaulich (Abb. 3, 4).54 Für Vouet typisch ist die ganzfigurige oder partielle Erarbeitung einzelner Figu54 Siehe Richard Harprath und Barbara Brejon de Lavergnée, Simon Vouet: 100 neuentdeckte Zeichnungen aus den Beständen der Bayerischen Staatsbibliothek, München 1991; Gerin-Pierre, Claire u. a.., Simon Vouet ou l’éloquence sensible, Paris 2002.

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3  Simon Vouet, Der tote Christus, vor 1641, schwarzer Stift (vermutl. Kreide), weiß gehöht, beiges Papier; 374 × 269 mm, Bayerische Staats­ bibliothek München, BSB Cod. Icon. 397b fol. 7

4  Simon Vouet, Engel, der den Leichnam Christi hält; für eine „Grablegung“, vor 1641, schwarzer Stift (vermutl. Kreide), weiß gehöht, beiges Papier, 410 × 266 mm, Bayerische Staatsbibliothek München, Foto: Staat­ liche Graphische Sammlung München, BSB, Cod. Icon 397b fol. 83

ren oder Draperien auf einem mischfaserigen, mäßig rauen Papier von beiger, manchmal auch gräulicher, grau-grüner oder grau-blauer Tönung.55 Dies sind jedoch keine unabhängigen Einzelstudien, sie entstanden vielmehr in einem konkreten Produktionszusammenhang. In dem separierten Bildpaar des toten Christus und des auf ihn bezogenen Engels erscheint eine bei Vouet und in seiner Werkstatt häufig zu beobachtende Arbeitsweise, die die ökonomische und arbeitsteilige Entwicklung seiner Bilder erlaubte.56 Für das heute verlorene Gemälde der Grablegung Christi, das durch eine 1641 entstandene Druckgraphik und die sie vorbereitende Zeichnung von Pierre Daret de Cazeneuve erschlossen werden kann, existierte wahrscheinlich noch eine dritte, vergleichbare Figurendarstellung (Abb. 5, 6).57 Ob sich Daret bei der Umsetzung auf das Gemälde oder weitere Vorarbeiten stützte, bleibt offen, doch wäre die Nutzung von Zeichnungen aus werkprozes-

55 Vgl. Brejon de Lavergnée 1990 (wie Anm. 53), S. 355–483. 56 Thuillier u. a. 1990 (wie Anm. 39), S. 36–39. 57 in: Gerin-Pierre u. a. 2002 (wie Anm. 55), S. 82–83.

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Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

5  Pierre Daret [de Cazeneuve] nach Simon Vouet, Grablegung Christi, um 1641, Rötel auf weißem Papier, 545 × 407 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv. Nr. RP‑T‑00-768

6  Pierre Daret [de Cazeneuve] nach Simon Vouet, Grablegung Christi, 1641, Druckgraphik (exakte Größe unbekannt), Paris, Privatsammlung, Verbleib unbekannt

sualer Perspektive und durch seine enge Einbindung in Vouets Atelier plausibler.58 Seine Wahl des Rötels auf weißem Papier ergibt auch mit Blick auf die zur Druckgraphik hinführenden Transferverfahren Sinn.59 Vouets Separierung der Szene in Einzelfiguren gestattete Dimen­ sionsänderungen, Modifikationen und Reprisen. Die Einzelfigur des Christus war so in leichter Modifikation erneut in einem ähnlichen Gemälde verwertbar.60 Die Größe der Zeichnungen liegt meist in einem optimierten Maßstab, der die Übertragung auf große Flächen als auch Verkleinerungen erleichtert. In Vouets nahem Umfeld spielte die Zeichnung als Medium des Lehrens und Lernens eine große Rolle.61 Die trockenen Zeichenmittel wurden in seinem Atelier sichtlich bevorzugt.62 Mitteltonige Papiere erleichtern die zeichnerische Modellierung von Volumen in einer Zwei-Kreiden-Technik allein dadurch, dass die Schatten von jener Tonalität aus vertieft werden, die das Papier bereits anbietet. Die Lichter können reziprok in 58 Vgl. Jacques Thuillier u. a. 1990 (wie Anm. 39), S. 73–80. 59 Die rote Kreide lässt sich direkt auf den schwarzen Ätzgrund umkopieren und bleibt zur weiteren Bearbeitung lesbar. Vgl. Ratcliffe/Daniels 1688 (wie Anm. 48), S. 52. 60 Simon Vouet, Grablegung Christi, 1636–1638, Öl auf Leinwand, 151,4 × 149,8 cm; Le Havre, MuMa Musée d‘art moderne André Malraux. 61 Thuillier u. a. 1990 (wie Anm. 39), S. 39, 42, 111. 62 Barbara Brejon de Lavargnée 1990 (wie Anm. 53), S. 357.

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gleicher Weise entwickelt werden, wie dies in den zuvor genannten Quellen Armenini, Sandrart, Malvasia und Zuccari beschrieben wurde. Farbiges Papier gestattet, im Gegensatz zum weißen Blatt, das Zeichnen mit weißen und schwarzen Konturlinien. Der helligkeitsreduzierte Bildträger wirkt folglich per se kontrastausgleichend, was einer harmonisierten Gesamtdarstellung von Anfang an entgegenkommt.63 Damit scheint die Tonalität im Falle einer Mehr-Kreiden-Technik der bildkünstlerisch dominante Faktor zu sein, demgegenüber die Eigenfarbe des Papieres bei der Auswahlentscheidung zurücktritt. In München befindet sich zudem eine Reihe von durch Nachzeichnung abgeleiteten Darstellungen Vouets, deren Kernmerkmal die Beleuchtungsumkehr um circa 160–170° von links oben zu zentral von unten ist. Vermutlich bereiteten sie größere Wanddekoration vor (Abb. 7).64 Der Grundton des Papieres erleichtert solche Umsetzungen, denn die zeichnerische Modellierung einer gedrehten, virtuellen Beleuchtung, selbst wenn sie bereits modal schematisiert wurde, wäre eine schwierigere Aufgabe, wenn sie mit einem solitären Zeichenmittel über den vollen Kontrast zwischen Weiß und Schwarz hinweg bewältigt werden müsste. Wie beim vorhergehenden Bild-Paar spielen die aus den nicht-farbigen Aspekten des Papiers resultierenden bildkünstlerischen Vorteile bei der Auswahl wahrscheinlich eine große Rolle, wenngleich der geringere Preis im Rahmen von Vouets optimierter Produktivität ein gleichwertiges Auswahlkriterium dargestellt haben dürfte.65 Man könnte annehmen, dass ähnliche Aufgaben, hier die Darstellung fingierter Reliefs, zu einer generellen Bevorzugung bestimmter Papier- und Farbqualitäten führen könnte. In der Sammlung der Zarin Katharina II. befanden sich Zeichnungen, die bisher als Teil von unter der Leitung Poussins von seinen Mitarbeitern gefertigten, die Ausstattung der Grande Galerie des Louvre vorbereitenden Arbeiten betrachtet wurden.66 Bei den gruppierten Darstellungen handelt es sich um Episoden der Herkules-Mythen als fingierte Reliefs in Form rechteckiger oder runder Bildfelder. Was die Serien besonders interessant macht, ist der Einsatz von Feder und Pinsel mit Eisengallustinte in Kombination mit einer gelb oder rosa getönten Höhung auf unterschiedlich farbigen Bildträgern. Die Zeichnungen, die an eine gezielte Materialfiktion von Gold oder Bronze denken lassen, sind auf braun durchgetöntem, auf blauem sowie auf gelb und gelb-braun gestrichenen Papieren ausgeführt. Die rosa-getönte Höhung verleiht dem Tondo auf blauem Papier (Abb. 8) einen subtilen koloristischen Eigenwert, der als Imitatio der visuellen Erscheinungen metallischer Reliefs ungewöhnlich erscheint. Durch die Kombination mit der farbig gebrochenen Höhung gewinnt der Farbwert des Papieres gegenüber den zuvor erörterten nicht-farbigen Aspekten an Bedeutung.

63 64 65 66

Vgl. Meder 1923 (wie Anm. 29), S. 176. Claire Gerin-Pierre u. a. 2002 (wie Anm. 55), S. 68. Vgl. Jacques Thuillier u. a. 1990 (wie Anm. 39), S. (23–37) 39–60. Walter Friedlaender und Anthony Blunt, The drawings of Nicolas Poussin: catalogue raisonné. Bd. 4 / 5, London 1963, S. 11–23, 185–198, A71–A122; Pierre Rosenberg und Louis-Antoine Prat, Nicolas Poussin, 1594–1665: catalogue raisonné des dessins, Milano 1994, Bd. 2, S. 742–766, A1–A74.

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Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

7  Links: Simon Vouet (um 1635–1640?): Sitzender Poet, nach rechts gewendet (Studie für die Figur des Dante Alighieri), schwarze Kreide, weiß gehöht, beiges Papier, 370 × 256 mm / Rechts: abgeleitete Darstellung des Sitzenden Poeten, Vouet-Werkstatt (ab/nach 1635): Pan, schwarze Kreide, weiß gehöht, mit Rötel quadriert, beiges Papier, 350 × 215 mm, Bayerische Staatsbibliothek München, SGSM/BSB Cod. Icon. 397b fol. 63 und Icon. 397b fol. 75

Dughet gehört zu jenen Künstlern, die häufig auf farbige Papiere für Landschaftszeichnungen zurückgriffen.67 Doch fällt schon im Kernbestand auf, dass der Farbton in seiner koloristischen Qualität auch hier von untergeordneter Bedeutung zu sein scheint. Vielmehr muss man die Papierwahl Dughets, ähnlich wie bei van Dyck, in diesem Kontext als willkürlich und retrospektiv schwer nachvollziehbar bezeichnen.68 Eine Bilanz, die eher an Faktoren wie die momentane Verfügbarkeit am Arbeitsplatz und ökonomische Entscheidungen des Künstlers denken lässt.69 Verbindend wäre aber zwischen all den unterschiedlichen Färbun67 Z. B. der Bestand im Museum Kunstpalast, Düsseldorf: Gaspard Dughet (ca. 1660) Landschaft mit dem Propheten Elias und dem Engel auf dem Berge Horeb, mkp.KA (FP) 4047; Gaspard Dughet (ca. 1660) Landschaft mit Bergstadt und Wasserfall, mkp.KA (FP) 4039; Gaspard Dughet (1635–1637) Felsstudie (für die Wandgemälde im Palazzo Muti-Bussi), mkp.KA (FP) 8049; Wien, Albertina, Klassische Landschaften, Inv. Nr. 15212 und 15213. 68 Vgl. den Bestand im British Museum, London. 69 Siehe Marcel Röthlisberger, Gaspard Dughet: Rome 1615–1675, New York; London 1975 und Marco Chiarini, Gaspard Dughet, 1615–1675, Paris 1990.

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8  Anonym (Werkstatt Nicolas Poussins?), Her­kules und Atlas, 1600–1700, Feder und Pinsel mit brauner Tinte über Grafit-Vorzeichnung, rosa gehöht (Ausmischung aus Weiß-Gelb-Rot), auf blauem Papier, Durchmesser ca. 230 mm, Sankt Petersburg, ­Ermitage, Inv. Nr. OP‑8001

gen das Merkmal des zum Mittelton hin verschobenen Helligkeitswertes, der der Technik der Kreidezeichnung entgegenkommt. Eine Landschaftszeichnung, Teil einer Gruppe von vier gleichartigen Blättern eines uns heute unbekannten Künstlers, sticht durch die unter arbeitsökonomischen wie bildkünstlerischen Aspekten bemerkenswerte Wahl von farbigem Papier hervor (Abb. 9).70 Dessen Grundton liefert ein homogenes Himmelblau. Die Kombinationstechnik erlaubt über den Einsatz lasierender Gelbockertöne zudem die Gewinnung von Grünnuancen durch das Zusammenspiel von Transparenz der Farbe und Reflexion des blauen Papiers. Mit Deckfarben, insbesondere mit weiß-gebrochenen Tönen kann die Lichtreflexion des Bildgrundes reduziert

70 die weiteren Inv.-Nr. 1886,0513.4, 1895,0915.1067 und 1932,1012.2 (Online: https://www.british​ ­museum.​org/collection/search?keyword=dyck&keyword=wouters [zuletzt abgerufen: 10.07.2019).

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9  Anonym (ehemals Anthonis van Dyck / Frans Wouters zugeschrieben), Landschaft mit Bäumen vor einem Erdwall und Buschwerk, 1637–1659, Aquarell und Gouache, über schwarzer Kreide auf hellem, blau-grauem Papier, 240 × 387 mm, London, The British Museum, Inv. Nr. 1936,1010.22

und eine stimmige Landschaftsdarstellung mit modulierter Bildräumlichkeit erzeugt werden.71

Schlussbetrachtung In den Fallbeispielen scheinen verschiedene Spielarten von bildkünstlerischen, arbeits- und materialökonomischen Entscheidungen bei der Materialwahl durch die Künstler*innen auf. Materialsemantische Überlegungen haben im 17 Jahrhundert einen deutlich anderen Stellenwert als in der Gegenwartskunst. Rückprojektionen aus dem gegenwärtigen Erfahrungsschatz sind folglich besonders problematisch. Dennoch wurde sichtbar, dass der Nutzung nicht-weißer Papiere im 17. Jahrhundert im Wesentlichen drei basale Auswahlkriterien zugrunde liegen konnten, deren Relevanz für die von den Künstler*innen getroffenen Entscheidungen im Einzelfall jeweils genauer zu bestimmen sind: 1. Es gibt eine ganze Reihe von Zeichnungen, bei denen die koloristischen Qualitäten, ob blau, grau, grün oder braun, für die Wahl des Papieres von nachgeordneter Rolle waren. Sofern sie überhaupt für die Darstellung eine Rolle spielten, so lässt sich als verbindendes 71 Doerner/Hoppe 1994 (wie Anm. 12), S. 195.

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10  Nicolas Poussin, Die Letzte Ölung, um 1644, Feder und Pinsel mit brauner Tinte über Spuren von Graphit, auf weißem Papier, 217 × 332 mm, Paris, Musée du Louvre, D. A. G., Inv. Nr. 32429r

Merkmal lediglich festhalten, dass es die nicht-farbigen oder unbunten Eigenschaften der Papiere sind, die sie für bestimmte Techniken günstig erscheinen ließen. Insbesondere bei der Kontraststeuerung von Kreidezeichnungen, aber auch bei den ursprünglich grauen Lavierungen mit Eisengallustinte lässt sich dies nachvollziehen. 2. Demgegenüber stehen Blätter, bei denen die Künstler die koloristischen Qualitäten der farbigen Bildträger in symbiotischer Weise einzusetzen wussten. Das gewinnt gegenüber farbig grundierten Papieren deshalb besondere Beachtung, weil die Oberflächenstruktur des Bildträgers unangetastet bleibt, ein Fakt, dem schon Armenini Bedeutung beimaß, wenn er für färbende Aufstriche eine Farbe geringer Pastosität forderte.72 3. Die Materialkosten schwingen bei jeder Materialwahl mehr oder weniger stark mit. Dieser Faktor ist daher immer in die Deutung miteinzubeziehen und nicht marginalisierbar. Wie groß der Kontrast zwischen weißem und nicht-weißem Papier sein kann, lässt sich am Vergleich zweier Zeichnungen Poussins ermessen. Während die Darstellung der Letzten Ölung (Abb. 10) ihre Bildwirkung aus dem gegen das Papierweiß gesetzten Tinte schöpft, büßt die in identischer Technik auf einem farbigen Papier ausgeführte Zeichnung der Todes72 Vgl. Anm. 54; Armenini 1587 (wie Anm. 42), S. 55.

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Zeichnen auf nicht-weißen Papieren

11  Nicolas Poussin, Christus am Ölberg, 1636–1638, Feder und Pinsel mit brauner Tinte, über Vorzeichnung mit schwarzer Kreide, auf blauem Papier, 174 × 241 mm (aus zwei Fragmenten, die unabhängig voneinander in die könig­ liche Sammlung kamen), Windsor Castle, Royal Collection, Inv. Nr. RCIN 911997

angst Christi am Ölberg (Abb. 11) etwas dieser aus dem Maximalkontrast resultierenden Vitalität ein. Der Vergleich beider Blätter verdeutlicht, dass die bildkünstlerischen Entscheidungen zugunsten der einen oder anderen Materialvariante häufig unscharf bleiben. Nähern kann man sich nur über den Abgleich der der jeweiligen Zeichentechnik innewohnenden Eigenlogiken und ihrer Relation zu den intrinsischen Qualitäten des Bildträgers. Durch die Abschätzung der Wahrscheinlichkeit und Plausibilität der genannten Einzelfaktoren in Bezug zur konkreten künstlerischen Aufgabenstellung oder Funktion ergibt sich in der Gesamtschau so eine jeweils neu zu bestimmende, individuelle Wahrscheinlichkeitsverteilung und Ereignisdichte der für die Material- und Technikwahl wirksamen Faktoren einer Zeichnung. Diese Form der Abschätzung bildet eine elementare Grundlage der werkprozessualen Analyse, die näherungsweise Rückschlüsse auf die Intention künstlerischer Entscheidungen ermöglicht.

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Kunsttechnologische Untersuchungen

Art-technological Investigations

Michael Venator

Recycling durch Grundierung Zu einem Blatt von Caspar Fraisinger

Eine auf den ersten Blick unspektakuläre Zeichnung aus der Sammlung des Verfassers bringt eine überraschende Facette in die Diskussion um Zeichnungen auf farbigem Grund. Das hier erstmals publizierte beidseitig benutzte Blatt ist nicht signiert, obwohl Größe und Machart die Verwendung als Präsent, z. B. für ein Album amicorum, nahelegen (Abb. 1 und 2, recto und verso).1 Es fügt sich gut in das Werk von Caspar Fraisinger (Ochsenhausen bei Memmingen ca. 1560–1599 Ingolstadt), der meist in Ingolstadt in Bayern tätig war.2 Die

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Recto Feder in Schwarz, laviert, Deckweißhöhung auf grauer Grundierung, Einfassungslinie in schwarzer Feder; Verso Feder in Eisengallustinte, laviert, mit Aufschriften im Bild „Anchises, Ascanius“; oben links „188:“, unten (partiell verloren): „…Eneas senator ex troya …“. 183 × 128–125 mm, naturweißes Vergé, Kettlinienabstand 26–28 mm, Verlauf horizontal. Restaurierung an ehemaliger horizontaler Mittelfalte, geglättete Quetschfalten am rechten Bildrand. Provenienz: Erworben 1998 in der Galerie Sabrina Förster/Düsseldorf. Zur speziell in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts verbreiteten Mode, sich Freundschaftsalben zuzulegen, eine aktuelle Übersicht mit weiterführender Literatur von Iris Brahms, Facebook vorausgriffen. Stammbuchblätter im Kontext, in: Thomas Ketelsen, Ricarda Hüpel (Hrsg.), Wir. Glauben. Kunst (Ausst. Kat. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud/Köln), Köln 2019, S. 26–33. Bei doppelseitiger Zeichnung wie hier, ist eine solche Verwendung allerdings unsicher. Die meisten Beiträge waren nur einseitig illustriert, z. B. die Auswertung bei Gerhard Seibold, Hainhofers »Freunde«. Das geschäftliche und private Beziehungsnetzwerk eines Augsburger Kunsthändlers und politischen Agenten in der Zeit vom Ende des 16. Jahrhunderts bis zum Ausgang des Dreißigjährigen Krieges im Spiegel seiner Stammbücher, Regensburg 2014; dort werden unter Hunderten nur eine Handvoll doppelseitig illustrierter Blätter geführt. Grundlegend zu Fraisinger (auch Freisinger, obwohl er meist Fraisinger signiert hat) immer noch: Friedrich Thöne, Caspar Freisingers Zeichnungen, in: Zeitschrift des deutschen Vereins für Kunstwissenschaft, 7 (1940), S. 39–63, mit Werkverzeichnis der Zeichnungen (dort geführte Zeichnungen im Folgenden als Thöne und entsprechende Nr.); aktuelle Ergänzungen bei Emanuelles Brugerolles, David Guillet, Caspar Freisinger, in: Dürer et son temps. dessins allemands de l’École des Beaux-Arts, hrsg. v. Emanuelles Brugerolles, Ausst. Kat. École des Beaux-Arts/Paris, Paris 2012, S. 374–381. Gut vergleichbar sind zwei jüngst von Iris Brahms publizierte Blätter, Thöne 33 und eine Neuzuschreibung, in: Ausst. Kat. Köln 2017 (wie Anm. 1), Kat. Nr. 36 (= Thöne 33), ebenfalls doppelseitiges Blatt, davon eine Seite bildhaft in iden-

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1  Caspar Fraisinger, Allegorie mit Venus, Feder in Schwarz, laviert, weiß gehöht auf grau grundiertem Vergé, 183 × 128/125 mm, Sammlung des Autors

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Recycling durch Grundierung

2  Caspar Fraisinger, Äneas verlässt mit Anchises und Ascanius das brennende Troja, Feder in Eisengallustinte, laviert, auf naturweißem Vergé (Verso von Abb. 1)

von Fraisinger gepflegten „Reminiszenzen an Werke der Meister der Donauschule“3 sind sowohl in der Technik des Chiaroscuro auf dem Recto wie in den beiderseitigen archaisierenden Architekturdetails im Hintergrund nachvollziehbar. Das Thema des Verso, Aeneas trägt Anchises aus dem brennenden Troja, ist als Allegorie der Pietas filiorum ein beliebter Topos für Widmungsblätter.4 Das Recto wiederum ist nachgerade ein Leitmotiv der Kunst Fraisingers. Er hat zahlreiche bildhafte Zeichnungen hinterlassen, in deren Zentrum solche leicht- oder unbekleideten weiblichen allegorischen Figuren die Szene beherrschen.5 Dabei scheint er eine Vorliebe für ungewöhnliche, wenigstens für heutige Betrachter*innen vieldeutige Motive zu haben. So hat Szilvia Bodnár ein Blatt

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tischem Chiaroscuro, und Kat. Nr. 59. Hier sind die Federtechnik und die zarte Lavierung dem Verso verwandt. Zit. nach Thomas da Costa Kaufmann, Drawings from the Holy Roman Empire 1540–1680 (Ausst. Kat. Art Museum, Princeton University/Princeton, National Gallery of Art/Washington, Museum of Art, ­Carnegie Institute/Pittsburgh), Princeton 1982, S. 130. Als solches in einem der beliebtesten, häufig aufgelegten Emblembücher: Andrea Alciati, Liber emblematorum, Frankfurt 1566–1567, Emblem‑Nr. LXXIII „Die Lieb der Kinder gegen iren eltern“ [sic] (Ausgabe mit dt.-lat. Paralleltext). Sicher nicht zufällig beherrscht eine solche Darstellung auch den Arbeitstisch in seinem gezeichneten Selbstportrait in Budapest, abgebildet bei Szilvia Bodnár, On the Draughtmanship of Caspar Freisinger, in: Bulletin du Musée hongrois des Beaux-Arts, 106/107 (2007), S. 91–106, Abb. S. 92.

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in Wolfegg, das bisher als Venus oder Juno interpretiert worden war, recht überzeugend als Allegorie der Nacht gedeutet.6 Eine Zeichnung in Dessau von 1595 wird in der Literatur als Darstellung der Venus angesprochen.7 Das ist naheliegend, ist sie doch von einem geflügelten Knaben, Amor, begleitet. Andererseits trägt sie Zepter und Krone, was zur Venus nicht passen will. Mit der hier dargestellten Figur teilt sie die ephebenhaft schlanken Hüften, anscheinend ein Ideal in späteren Jahren Fraisingers, während sich die extrem hohe Stirn fast durchgehend bei seinen Frauengestalten findet. Auch hier spricht einiges für die Interpretation als Venus: Die Frau trägt in der linken Hand einen Gegenstand, der wohl ein flammendes Herz darstellt.8 Unklar ist ihre Beziehung zu dem liegenden Mann links, dessen Kopf im verlorenen Profil am linken Bildrand angeschnitten ist. Er scheint sich aufrichten zu wollen. Seine linke Hand und die Rechte der stehenden Nackten scheinen einen runden Gegenstand zu berühren, ohne dass klar wäre, ob er von ihr zu ihm oder umgekehrt gereicht würde. Gegen eine Identifizierung des Liegenden mit dem Hirten Paris spricht sein militärisches Kleid. Reicht Venus einem ihrer Liebhaber den Preis ihrer Schönheit, den goldenen Apfel, den sie im Parisurteil gewonnen hatte? Man könnte in Versuchung sein, einen Bogen zum Verso zu spannen, indem man auf der Vorderseite Venus mit Anchises als jugendlichem Auserwählten, von dem sie den Aeneas empfangen haben soll, erkennt, während auf der Rückseite derselbe Anchises gezeigt ist, der als hinfälliger Greis vom gemeinsamen Sohn aus Troja gerettet wird. Nach dem Verso zu urteilen muss das Blatt an allen Seiten um einige Millimeter beschnitten sein, dabei sind die Zahl „188“ links oben, wohl eine alte Paginierung, und die Beschriftung unten angeschnitten worden. Ob dem Recto, insbesondere links, vielleicht noch größere Teile der Darstellung fehlen, ist ebenso spekulativ wie die Frage, ob der Randverlust auch zum Verlust einer Signatur geführt haben könnte. Wenn auch in der Deutung der sichtbaren Seiten Fragen offen bleiben, dann ist das eigentliche Rätsel jedoch dem ersten Blick verborgen. Erst im Durchlicht offenbart sich eine dritte Darstellung auf dem Blatt. Sie ist unter der deckenden grauen Grundierung des Recto verschwunden und daher im Auflicht praktisch nicht zu sehen. Dabei führt auch dieses von der Grundierung verdeckte Bild wieder zum Thema des farbigen Grundes, nicht bunt, sondern schwarz, das Motiv als helle Linien im Durchlicht erkennbar (Abb. 3). Es sind mehr oder weniger flüchtige, unzusammenhängende Skizzen, unten am Bildrand ein liegender Mann, oben rechts ein sich aufbäumendes Pferd, links, um 90 Grad gedreht, ein Teil eines weiteren

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Ibid., S. 103. Thöne 18. Ihm folgen Brugerolles, Guillet 2012 (Anm. 2) mit weiterführender Literatur. Zum flammenden Herz als Venussymbol: Arthur Henkel, Albrecht Schöne (Hrsg.), Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII. Jahrhunderts, Stuttgart/Weimar, 1996 (Reprint der Ausgabe 1967), Sp. 1753–54; zeitgenössische Beispiele bei Sally Metzler, Bartholomeus Spranger. Splendor and Erotism in Imperial Prague (Ausst. Kat. Metropolitan Museum/New York), New Haven/London 2014, unter Kat. Nr. 131.

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3  Caspar Fraisinger, Skizzen in Weißlinientechnik, Monotypie auf Vergé (Abb. 1 im Durchlicht)

Pferdes, daneben weitere Studien von Armen und der unteren Körperhälfte eines Liegenden. Stilistisch fügt sich auch dies in Fraisingers Werk, insbesondere der Liegende unten ist eine fast genaue Wiederholung eines Schächers in seiner lavierten Federzeichnung eines Kalva­ rienbergs9. Formal erscheint die Durchlichtaufnahme wie eine Weißlinienzeichnung. Eine solche wird aber mit Deckweiß auf dunklerem Grund ausgeführt. Im Durchlicht wären dabei die im Auflicht hellen Stellen dunkler, da dort eine zusätzliche Schicht, nämlich das Deckweiß, liegt. Hellere Linien im Durchlicht wie hier bedeuten aber, dass an diesen Stellen das Pigment der ersten schwarzen Schicht fehlt. Als Erklärung wäre ein Auskratzen der Farbe auf dem Papier vorstellbar oder ein Abdruck von einem anderen Bildträger. Das Papier ist sehr dünn und fein. Ein Kratzen auf einem solchen Papier hätte unweigerlich zu einer Beschädigung geführt, was hier nicht der Fall ist. Damit bleiben nur die Hypothese eines Abdruckes, eines Weißlinienstiches,10 oder die eines Umdrucks, eines Abklatsches

  9 Germanisches Nationalmuseum/Nürnberg Inv. Hz 4027, Kapsel 466, abgebildet bei Heinrich Geissler (Hrsg.), Zeichnung in Deutschland. Deutsche Zeichner 1540–1640, Bd. 1 (Ausst. Kat. Staatsgalerie Stuttgart), Stuttgart 1979/1980, S. 163–164, Nr. D 32 (Zuschreibung an Fraisinger von Heinrich Geissler). 10 Tilman Falk, Formschneider, Formschnitt, in: Reallexikon zur Deutschen Kunstgeschichte, X (2004), Sp. 190–224, als digitale Resource: RKD-Labor, URL: http://www.rkdlabor.de/w/oldid=89293 [zuletzt abgerufen: 26.10.2020]; André Béguin, Dictionnaire technique de l’estampe. A‑F, Brüssel 1977, S. 47–62 (ad vocem bois).

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Michael Venator

4  Caspar Fraisinger, Äneas verlässt mit Anchises und Ascanius das brennende Troja (Abb. 2, im UV‑Licht)

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Recycling durch Grundierung

oder einer Monotypie, wobei die gleichförmige Schwärzung für die Monotypie spricht.11 Der Aufwand eines Weißlinienstiches scheint für ein solches Skizzenblatt inadäquat. Eine Monotypie ist hingegen mit der Leichtigkeit einer normalen Zeichnung machbar.12 Hier ist von der Dunkelgrund- bzw. Schwarzgrundtechnik auszugehen. Dabei wird die Kupferplatte zunächst gleichförmig eingefärbt, in der Regel mit Druckerfarbe, und dann mit einem feinen Hölzchen oder anderen spitzen Gegenstand wie mit einem Zeichenstift die Farbe nicht aufgetragen, sondern entfernt. Im Druck erscheinen dann die gezeichneten Linien weiß auf dunklem Grund. Die Annahme, dass die erste Farbschicht Druckfarbe war, die in früher Zeit grundsätzlich für Monotypien Verwendung fand, und damit von der wasserlöslichen grauen Grundierung der sichtbaren Chiaroscuro-Zeichnung abweicht, findet eine weitere Stütze in der UV‑Aufnahme des Verso (Abb. 4).Während die graue Grundierung des Recto an den Stellen mit den weißen Motiven durchschlägt, wird sie dort, wo die erste dunkle Farbschicht erhalten ist, blockiert. Am besten sieht man das Durchschlagen am sich aufbäumenden Pferd oben. Fraisinger, der als Autor der drei Zeichnungen vorgeschlagen wird, hatte die Voraussetzungen für eine Monotypie zur Verfügung, zumindest in den letzten Jahren seines Wirkens. Er hat ab 1595 einige wenige Radierungen angefertigt, damit also Zugang zu allem erforderlichen Material einschließlich einer Druckpresse. Die wenigen Abzüge seiner Radierungen wirken wie ungereinigte Probedrucke, teils mit Fehlern in der Ätzung, so dass gut vorstellbar ist, dass er selbst gedruckt hat und die Platten nicht einem professionellen Drucker anvertraut hat.13 Bei Künstler*innen, die konsequent rechtshändig oder linkshändig arbeiten, kann anhand des Verlaufs von Parallelschraffen geschlossen werden, ob ein Blatt primär gezeichnet oder durch Abdruck seitenverkehrt wiedergegeben ist. Der Linienverlauf, bei Rechtshändigkeit typisch von links unten nach rechts oben, wird in der Spiegelung des Drucks schein11 Abklatsch und Monotypie sind beides Varianten desselben Umdruckverfahrens. Es wird jeweils eine ebene Fläche mit Farbe bemalt oder bezeichnet, anschließend das resultierende Bild auf ein Papier umgedruckt. Ein solcher Abdruck von einer Vorlage auf Papier heißt Abklatsch (oder Contre-épreuve), ein solcher von einer Druckplatte Monotypie. Oft ist die Unterscheidung im Einzelnen schwierig. Als Indiz für den Abklatsch kann die Verwendung von Rötel, auch schwarzer Kreide oder Tinte gelten, während für die Monotypie die Verwendung von Druckfarbe spricht. Ein kaum zu differenzierender Grenzfall wäre ein (technisch möglicher) Abklatsch von einer Monotypie. Er ist in der Regel nur beweisbar, wenn sich die originale Monotypie erhalten hat. Eine pragmatische Unterscheidung findet Carla Esposito Hayter, Il monotipo, Mailand 2007. Für sie ist vereinfacht ein Umdruck eine Monotypie, wenn das Ergebnis ein finales Kunstwerk darstellt; alles andere ist Abklatsch. Für eine differenziertere Sicht auf den komplexen Sachverhalt, insbesondere zu einer Aufhebung dieser Grenzen, siehe Thomas Ketelsen (Hrsg.), Der Abklatsch. Eine Kunst für sich (Ausst. Kat. Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud/ Köln = Der un/gewisse Blick, Heft 15), Köln 2014. 12 Grundlegend weiterhin Sue Welsh Reed, Monotypes in the Seventeenth and Eighteenth Centuries, in: The Painterly Print. Monotypes from the Seventeenth to the Twentieth Centuries, hrsg. v. John P. O’Neill, Margaret Aspinwall, Ausst. Kat. Metropolitan Museum/New York, Museum of fine Arts/Boston, New York 1980, S. 3–9. 13 Gelistet bei Karel Gerald Boon, Robert Wouter Scheller (Hrsg.), F. H. W. Hollsteins German Engravings, Etchings and Woodcuts. Ca. 1400–1700, Vol. VIII. Dürr-Friedrich, Amsterdam o. J., ad vocem Fraisinger.

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bar linkshändig.14 Für Fraisinger ist dieses Kriterium jedoch nicht brauchbar, er schraffiert sicher in beiden Richtungen.15 Zweifellos ist die Annahme einer Monotypie aus der bayerischen Provinz kurz vor 1600 eine gewagte Hypothese. Bedeutet sie doch, dass die Annahme einer Erfindung durch Giovanni Battista Castiglione16 zu revidieren und zudem die Erfindung um einige Jahrzehnte vorzudatieren ist. Andererseits kann man sich fragen, wieso die naheliegende Ableitung der einfachen Technik der Monotypie aus dem Druckvorgang nicht überhaupt viel früher erfolgt ist. Die zahlreichen Neuerungen um 1600 haben auf anderen Gebieten schon lange dazu geführt, das romantische Bild vom genialen Erfinder aufzugeben zugunsten dessen, dass Erfindungen bzw. deren Wahrnehmung nicht selten erst als Reflex auf ein aufnahmebereites soziales Umfeld des Erfinders entstehen.17 So mag man sich auch die Entwicklung der Monotypie vorstellen.18 Denn dass Farbe nicht nur durch radierte oder gestochene Linien auf das Papier übertragen wird, ist jedem, der einmal einen Druckvorgang gesehen hat, bekannt: Zum einen führt im Hochdruck, speziell im Chiaroscuro-Holzschnitt, das Färben einer Fläche des Druckträgers dazu, das gleichmäßige Farbflächen gedruckt werden können.19 Zum anderen führt unzureichendes Putzen einer Kupferplatte zusätzlich zum gewünschten Abdruck der geätzten oder gravierten Linien auch zu einem Grauschleier auf dem Papier, ein unachtsamer Griff auf die Platte hinterlässt im Druck einen Fingerabdruck. Von der Wahrnehmung solcher, gemeinhin als Fehler eingestuften Zufallsprodukte zum bewussten Experiment mit der Farbe auf der blanken Platte ist es nur ein Schritt, der eigentlich in jeder Druckwerkstatt in der Luft lag. Ein bewusstes Experimentieren verlangt aber Überfluss, und zwar in erster Linie am kostbaren und teuren Papier. Und insofern ist vielleicht nicht zufällig ein solches Blatt aus Süddeutschland mit seiner langen Tradition des Zeichnens auf grundiertem Papier20 überkommen: Der Künstler konnte entspannt dem Ergebnis entgegensehen. Bei Nichtgefallen wird eine Grundierung darübergelegt – fertig zur Wiederverwendung des teuren Rohstoffs Papier. 14 Scheinbare Linkshändigkeit als Erkennungsmerkmal von Umdrucken bereits bei Joseph Meder, Die Handzeichnung, Wien 1919, S. 540. Die Thematik aus einem etwas anderen Blickwinkel bei Richard Jung, Über Zeichnungen linkshändiger Künstler von Leonardo bis Klee: Linkshändermerkmale als Zuschreibungskriterien, in: Semper attentus: Beiträge für Heinz Götze zum 1. August 1977, Berlin 1977, S. 190–218. 15 Vgl. z. B. die Zeichnung Thöne 21 (mit Abb.), ähnlich in der Radierung Hollstein Nr. 1, Ecce Homo (siehe Boon/Scheller, wie Anm. 13). Dort haben die Männer links hinter Christus je gegenläufige Parallelschraffuren. 16 Welsh Reed 1980 (wie Anm. 12). 17 So z. B. Gabriele Wimböck, Wie ein Dieb in der Nacht. Künstlerkonkurrenz und Innovationsdruck um 1600, in: Ulrich Pfisterer, Gabriele Wimböck (Hrsg.), »Novità«. Neuheitskonzepte in den Bildkünsten um 1600, Zürich 2011, S. 489–517, mit weiterführender Literatur. 18 Ähnlich äußert sich zur „Entdeckung“ der Monotypie auch Anthony Griffiths, Monotypes, in: Print Quarterly, 5, 1 (1988), S. 56–60. 19 Béguin 1977 (wie Anm. 10). 20 Iris Brahms, Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016.

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Recycling durch Grundierung

Papier, Prototyp eines ökologischen Produkts avant la lettre, entstand über Jahrhunderte aus Abfall, aus Lumpen, wurde recycelt, gleichzeitig durch das Recycling veredelt und zu einem Luxusprodukt. So ist auch dieses rätselhafte Blatt nicht nur eine bereits ansehnliche Chiaroscuro-Zeichnung, sondern verbirgt und konserviert auch dank seiner erneuten Verwendung eine Inkunabel der Drucktechnik – ebenfalls also Mehrwert durch Recycling. Es wäre zu hoffen, dass im Rahmen einer systematischen Untersuchung solcher Blätter vielleicht noch die eine oder andere entsprechende Überraschung ans Tageslicht käme.

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Erzsébet Mózer

Drawing Techniques on Coloured Ground Paper Case Studies from the Museum of Fine Arts, Budapest – Collection of Prints and Drawings

There are more than 10,000 drawings in the Collection of Prints and Drawings of the Museum of Fine Arts in Budapest. Among them, there are 250 drawings on coloured grounds from the early 14th to the 20th century. These works give a good overview of the history, the types and the characteristics of this drawing technique. Through the study of coloured grounds, we learn something about the specific methods of various artists. The materials used for diverse coloured grounds can even help with identifying, localizing and dating the artworks. Therefore, as in the case of every art technique, exact knowledge and comprehensive analysis is indispensable in case of coloured grounds.

1. Types of Coloured Grounds Coloured grounds are a specific component of certain drawings, creating the base for drawing with silverpoint, pen, brush or chalk. The ground-colour respectively the grounding is the preparation of the surface of the paper or parchment. It helps smooth the drawing surface and prevents the surface from absorbing lines and modelling.1 The ground-colour therefore forms a layer between the paper or parchment and the drawing. Coloured grounds need to resist exterior and physical effects as well as protecting the first-hand material (paper or parchment) from wetness.2 The ground coat with various layers not only emphasizes and enforces the colours, but it regulates the material’s absorbing capacity that can be realized with an adequately dense layer. The various white pigments’ strong covering power (such as lead white and calcium carbonate) plays an important role in emphasizing the colours and were also used as fillers for the regulation of opacity. In certain cases, these white pigments have become dis-

1 2

Művészettörténeti ABC, ed. by Albert Molnár, Lajos Németh and Pál Voit, Budapest, 1961, p. 19. Pál Molnár‑C., A képzőművészet iskolája, Budapest 1976, p. 42.

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coloured.3 The cheapest and most widespread filler was chalk but also plaster was used as a filler named »gesso sottile« in medieval recipes. From beginning on there were grounds of bone dust most common. The practice of preparing grounds for paper is preceded by parchment grounds. Scribes tried to alter the parchment’s surface for texts written with hard writing instruments. The stylus was a linear instrument used for writing and drawing from ancient times continuously up to the 16th century and later.4 Its lines are light grey and easy to erase, this is why it was popular for drawing exercises and studies. There are different types of styluses made with various alloys of lead, tin, copper and silver or even gold which results in smoother or harder consistencies.5 Fine drawing and writing was impossible to achieve on the surface of untreated parchment or paper, so it was smoothed with a pumice stone. However, this surface was not smooth enough for a pen to move across it evenly and for the ink to extend well. For this purpose, a coat with chalk was necessary. The soft chalk was spread drily on the surface with a piece of linen and a smoother, or it was applied with fingers. Chalk dust is very soft and sticks to the rough surface of the parchment or paper in a thin layer. The disadvantage is that the pigments of the drawing instrument become pale and the lines disappear almost completely over time. When paper came over from the Arab world and Asia to Europe, draughtsmen had similar problems because the surfaces of the early papers tend to be fairly rough. The papers were mostly sized with starch or gelatin on both sides to avoid the roughness, but nevertheless fine writing and drawing were impossible with a hard metal stylus. The bone dust did not stick well on the paper’s uneven surface, and to solve this problem it was sized with a thin ground layer. When dry, this surface was suitable for lines with pen and ink. The foundation made from bone dust and water-based binder was dabbed onto this prepared surface of the paper with a paint brush.6 Even if coloured ground papers appeared in Florence as early as the first half of the 14th century, it is not clear whether the technique was first used there for drawings.7 In view of the extant drawings it seems like it spread from Florence to other Italian art centres, coming into use not much later in Germany and the Netherlands.8 The question whether this was a parallel development or one informed by Italian art production remains open.9 Whereas the 3 4 5 6 7 8

9

Kurt Wehlte, A festészet nyersanyagai és technikái, Budapest 1994, p. 410. Stacey Sell, Hugo Chapman (eds.), Drawing in Silver and Gold. Leonardo to Jasper Johns (exh. cat. National Gallery of Art/Washington, The British Museum/London), Oxford / Princeton, NJ 2015. Herbert Hutter, A művészi rajz története és technikája, Budapest 1968, p. 125. Joseph Meder, Die Handzeichnung. Ihre Technik und Entwicklung, Vienna 1923, pp. 86–87. The idea of coloured parchments is not new and to find in much earlier books, see Iris Brahms’ introduction. Iris Brahms, Zwischen Licht und Schatten. Die Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016, pp. 144–145, p. 174, 182, 186–189: Netherlandish examples go back to the 1380s, German drawings on coloured ground paper/parchment are detectable since 1430/40 whereas the earliest Bohemian works are from around 1410. Brahms 2016 (as fn. 8), pp. 73.

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Drawing Techniques on Coloured Ground Paper

coloured ground papers in early Italian examples are mainly green, blue or pink, the drawings in Germany and Netherlands were mostly on green or grey paper, in which the grey was usually mixed from ivory black (one of the carbon black pigments) and white pigment.10 Among them there are also papers prepared with a pink wash.11 During the 16th century in the regions North of the Alps the grounds came in a wider range of colours, including yellow, orange and brown. The range was even greater in Italy where grey, brown, green, blue, red, yellow and ochre belonged to the most common hues. The colour of the grounds changed in a similar way to imprimaturs in painting, with the following difference: In painting, the paint covers the coloured grounds, but on paper the original colour of the ground remains, upon which the drawing is executed as in a preliminary drawing or sketch with modelling of light and shadow.12 During the early Renaissance, the ground was made up of several layers. However, older drawings have thicker coloured grounds. In German speaking countries the coloured ground of bone dust was called »verbeinte« and »bone inlay« paper.13 Different types of earth pigments were mixed in with the bone dust in order to avoid the pale colour, instead creating a coloured mid-tone. On the coloured support light and shadow could effectively be modelled. Making bone dust ground was a very laborious and difficult task for an artist, so materials which were easier to handle came into general use, such as lead white, plaster and pulverised sepia-gristle. The lead white ground was in practice from the 15th century up to the 19th century. In the 17th century the so‑called papierplatre, the plastered paper came into use as well. Little cards were grounded for miniature portrait-drawings and landscapes. An ivory colour was realized by softening the upper layer, into which the lights could be scratched. The preparation was similar to any other lead white ground.14 There are important sources about the basic materials of coloured grounds in the descriptions of painting techniques. At the same time, these recipe-books are inexact and incomplete perhaps because of some secrets of the craft. We cannot be sure whether the instructions were followed. There is the further difficulty of pigment, colour and material names. The purchase of some materials was difficult and expensive, too. Some of them are unprocurable, synthetic and artificial. In the end, the old recipe-books serve as a starting point for the research of grounded papers. Joseph Meder (1857–1934), for example, tried to reconstruct the use and preparation of grounds and diverse surfaces based on the old painting books. It can be stated from the descriptions and from the scientific research that there were three types of coloured grounds.

10 11 12 13 14

Hutter 1968 (as fn. 5), p. 16. Brahms 2016 (as fn. 8), pp. 174–177. Wehlte 1994 (as fn. 3), pp. 387–425. Meder 1923 (as fn. 6), pp. 88–89. Meder 1923 (as fn. 6), pp. 88–90.

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1  Albrecht Dürer, Mary Magdalene (detail), 1523, silverpoint on white prepared paper, 195 × 135 mm, Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. 17

a) Simple white grounds This is a layer containing bone-ash or chalk as a filler and a binding medium. The white preparation was used for silverpoint-drawings. It is a dense ground covering the rough surface of the paper. It renders the surface even, which was a necessary condition for silverpoint. This grounding technique was popular mainly North of the Alps. The drawing of Mary Magdalene by Albrecht Dürer (fig. 1) is a typical example for this technique. Although the ground is discoloured today, the thick application is eye-catching. It contains solid bone dust and chalk. The silverpoint reacted with it and turned brown. Despite the thick coating layer the rope-line resulting from the production of laid paper is clearly visible next to Mary Magdalene’s left shoulder. b) Simple coloured grounds This type of ground contained a sort of pigment in addition to filler and binder. Silverpoint drawings could have coloured or white grounds. Chiaroscuro drawings instead are most likely executed on coloured grounds which serves as contrast to the modelling of white heightening. On Hans Hoffman’s Study of two hands (fig. 2) the blue bone dust ground is thickly added, in which the vertical traces of the paintbrush are well visible. The blue pigment is cupriferous, presumably it is azurite. c) Translucent coloured grounds It contains only pigments, vegetable dyes and binder without any filling material such as bone powder or chalk. This type did not cover the surface reliably, so it gave only a liquid, coloured ground and it did not even out superficial imperfections. These tonal papers were

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Drawing Techniques on Coloured Ground Paper

2  Hans Hoffman, after Albrecht Dürer, Studies of Hands (detail), c. 1580, pen and black ink heightened with white on blue ­prepared paper, 238 × 251 mm, Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. 142

3  Monogrammist AT, after Albrecht Altdorfer, A Castle in Ruins, 1556, pen and brush in black ink heightened with white on yellow prepared paper, 256 × 217 mm, Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. 228

used for pen drawings and studies in the 14th and 15th century and became suitable also for charcoal and chalk drawings in the 16th century.15 The Monogrammist AT executed the drawing with Ruins of a Castle after Albrecht Altdorfer in 1556 (fig. 3) with black ink and lead white on a thin ochre ground. The rough paper’s surface is well visible through the evenly spread ground. This thin ground proved to be appropriate for the artist to draw dynamic thin lines with the pen in black ink as well as with the brush in lead white.

2. Materials and Techniques of Coloured Grounds Earth pigments and vegetable dyes were in use for the grounds as well as inorganic pigments. The pigments were mixed with a filler and a binder. In most cases, the earth pigments for the coloured grounds contain iron oxide. Their colour depends on the chemical substrate 15 Bettina Bünte, Farbig gestrichene Papiere des 14.–16. Jahrhunderts in der Verwendung als Zeichengrund, Staatliche Akademie der Bildenden Künste, Diplomarbeit, Stuttgart 1996, pp. 17–20.

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content of the mineral, the production technique and the location. Based on this division the earth pigments in the diagram 1 could appear in the coloured grounds. Besides the earth pigments, the vegetable dyes also had important roles in the colouration of the grounded papers. The preparation of these dyestuffs was a complex and lengthy process.16 The vegetable dyes were mixed with mineral pigments, so the fillers are in most cases white mineral pigments which differ in their compounds such as silicates, sulfates, carbonates, oxides and sulfides. Inorganic pigments are crystalline materials that selectively absorb light, so the more they break, the lighter the colour.17 The organic paint binders such as gum arabic or glutin have a high molecular weight, film forming characteristics and ideal sticking ability. Because of the latter they impregnate materials. The difference between the surface sizing and the binder is the following: When a film forming material gets to the paper’s surface directly, it functions as glue layer, sizing or protective coat. When some kind of pigment, colouring matter or filler is mixed with a film forming material, it becomes a binder. These materials, drying and semi-drying oils, vegetable and animal glues, gums, casein, egg-white and egg-yolk, waxes and resins were used in ancient times, which resulted in the development of the very diverse painting techniques.18 The role of adhesive material is to bind the coloured pigment particles together and to fix them to the base coat. Still the adhesive materials are not homogeneous materials. They contain to a certain amount liquefactive and diluting materials already in their natural condition, which determines the later film forming.19 Earth p ­ igments

Inorganic pigments

Vegetable dyes

Ochre

Lead white

oxide red

Fillers

Paint binders

Complementary elements

Yellow comBone dust mon buckthorn

Gum arabic

Eisel

Auripigment

Croceate

calcium carbonate

Glutin glues

Carbamide

Sinopia

Cinnabar

Brazilwood

Plaster

Green Earth

Grünspan

Sap green

Umbra

Smalt

Indigo

Vivianit

Egyptian blue

Vegetable black

Alum

Carbon black diagram 1: Materials for coloured grounds20

16 Ágnes Kemendi, Festőnövények, Budapest 1989, p. 45. 17 Beatrix Kastaly and Ildikó Kozocsa Beöthyné, Az oklevelek és kódexek festékei és károsodásai, a kódexfestés technikája in Kéziratok, nyomtatványok és grafikák író- és festékanyagai: öszetételük, készítésük, vizsgálatuk, károsodásuk, rögzítésük, ed. by Beatrix Kastaly, Budapest 1994, p. 24. 18 Ágnes Tímárné Balázsy, Műtárgyak szerves anyagainak felépítése és lebomlása, Budapest 1993, p. 198. 19 Wehlte 1994 (as fn. 3), pp. 186–190. 20 Bünte 1996 (as fn. 15), pp. 17–20.

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Drawing Techniques on Coloured Ground Paper

In general, the coloured grounds are mixed from chalk, plaster and glue. Whereas the parchment was prepared with a mixture of plaster, bole and glue, the grounds for paper tend to be similar to the grounding of wooden panels, even if adapted to the paper’s characteristics. In general practice, both sides of the paper were first impregnated with gluey water.21 This sizing coat was added once or twice to the paper’s surface. The application of a rather thin glue coat caused a bright, soft surface of the paper. When a more liquid solution was used, however, it did not change the paper’s surface so much, because the hot glue imbibed faster and better into the paper. This priming was repeated three or four times to allow the layer to become uniform.22 The advantages and disadvantages of the sized paper were wellknown. It was also known that every paper-based object becomes wavy due to humidity. This is why it was necessary to daub the back side of the paper with an impermeable layer.23 When the paper was prepared in this manner, the next step was the application of the ground. The ingredients of the ground were lead white and chalk, or plaster, or both of them mixed with a binder. The chalky base was applied in the opposite direction to the preceding coats with a paint brush. Repeating the application process not more than four times – otherwise it became too rigid – the brush traces were not visible. If the ground dried completely, its entire surface was rubbed with pumice to get rid of any remaining roughness. A condition for the good preservation of the paper that the ground fixes the dye well. Especially on the back side of its painting layer the ground has to withstand mainly the wet after spreading to the sized paper, so it had to be neither too dense nor too soft to avoid the dyes sliding in. At the same time it must not be scratched or roughed. In general, there are usually two bases: bone paste and chalk paste. Bone paste has a high sticking power in a very diluted liquid mixture. It has a fairly dark colour, which however does not affect the coloured ground. After drying the paste was less sensitive to humidity. To bolster this characteric even more, Venetian terpentine or linseed oil was added and boiled together with the glue. The chalk base was not fragile because of the additional linseed oil or honey. For a more enduring and whiter ground in a further step one-quarter of plaster was added to the base mixture of chalk. The chalk paste has a similar density as syrup and it was spread uniformly onto the dried base in warm conditions or with a paint brush. If there was a rough surface, this was burnished with pumice when dry, in case the surface was very soft this was done with ossa di sepia. If the base became too soft by burnishing,

21 Géza Elemér Gasparetz, A mikrokémia a festészettörténet szolgálatában, Doktori értekezés, Budapest 1911, p. 18. 22 Ede Balló, Az olajfestés mestersége, Budapest 1918, p. 28. 23 Linseed oil has the disadvantage that it is susceptible to turning over, especially if it meets with the catalyst carrier lead white. Large grain seeds originating from India are not suitable for painting compared to the smaller grains from the Baltic region and from the Netherlands. The quality of the linseed oil is determined by the ground characteristics, purity of seeds and pressing methods. Wehlte 1994 (as fn. 3), pp. 444–447.

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a bit of chalk liquor was mixed into the diluted glue-water, with which the surface was coated thinly once again, so it became more rigid and less absorptive.24 In the Middle Ages a mixture of bone dust (bone ash) with spittle or glue-water as binder was used. The fine pulverised plaster stone was mentioned, too. Later, when the unburnt plaster dust or chalk was blended with glue-water, there was only the thinly applied grounding in practice. Cennino Cennini wrote various recipes for the preparation of different coloured grounds (diagram 2).25

colours of coloured grounds/materials

green

meat colour

rubescent pink – peach

purple or violet

indigo colour

grey

lead white

+

+

+

+

+

+

ochre

+

cinnabar

+

+ +

sinopia

+

amethyst

+

indigo green earth

+ +

+

black

+

bone dust

+

+

+

+

+

+

glue

+

+

+

+

+

+

diagram 2: Coloured grounds and their materials according to Cennino Cennini

In the Collection of Prints and Drawings of the Museum of Fine Arts in Budapest there are green, blue, grey, brown, yellow, red and pink coloured grounds. The simple coloured ground, filler, binder and pigment gave a thick, uniform surface because of its ingredients. In many cases, the verso sides of the papers also have a similar uniform surface. Most of the drawings are made with black ink and white heightening on these surfaces because the earth pigments made the material too hard for silverpoint. Cornelis Engebrechtsz’ study sheet from around 1517 (fig. 4. a–b) was probably formally included in a sketchbook. This can be inferred from the use of both sides of the paper. The head studies of the drawing are ideal examples for the modelling of light and shadow, which are preliminary studies for a triptych made in Engebrechtsz’s workshop.26 The thick and

24 Balló 1918 (as fn. 22), p. 28. 25 Cennino Cennini, Il libro dell’arte o trattato della pittura, ed. by Fernando Tempesti, Milano 1975, pp. 39–40, § XVIII–XXII. 26 Dürertől Daliig A Szépművészeti Múzeum legszebb rajzai (From Dürer to Dali catalogue of the Museum of Fine Arts), ed. by Teréz Gerszi, Budapest Szépművészeti Múzeum, Budapest 2000, p. 168.

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Drawing Techniques on Coloured Ground Paper

4. a–b  Cornelis Engebrechtsz, Study with character heads (recto), Drapery study (verso), c. 1517, pen and brush and black and brown ink heightened with white on grey prepared paper, 121 × 160 mm, ­Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. 1413

uniform surface of the grey ground contains lead white and bone black. The highlighting of the light modelling was applied with lead white cover paint. In general the other type of ground is the pellucid coloured ground, which contains few pigments, vegetable dyes and adhesive. This base did not cover the surface uniformly. It gave only a diluted coloured ground, so it could not equalize the paper’s surface imperfections. This type of ground was made in two ways: the diluted ground coat was spread either with a paint brush or with a sponge. Also, dry ground was used with fine pulverised pigments e. g. in yellow ochre which was rubbed onto the paper’s surface with the finger or a rag. The traces of paint brush and sponge remain easily visible on the thinly sized papers. Those tinted papers were used for metalpoint, for pen-and-wash drawings in the 14th and 15th century whereas coal and chalk drawings presumably did not start before 1500.

3. Art Technological Investigations and Case Studies The art technological investigations of the coloured ground drawings in the Museum of Fine Arts in Budapest were conducted with X‑ray fluorescent spectrometry (without any deconstruction) and with manual ED‑XRF technique for the assessment of the chemical constitution of papers.27 The drawings made with bone, plaster or chalk coloured grounds were easily distinguishable. In Italy and Germany similar materials were used for white grounds made for the use of metalpoint, but in the cases of coloured grounds there were differences. In the Netherlands and Germany darker pigments were used for the coloured grounds, so the diverse tones of grey, brown and green grounds were widespread (diagram 3).

27 The investigations were conducted by Máté Szabó, researcher of the Hungarian Academy of Sciences, Institute for Geological and Geochemical Research, Archaeometry Research Group, Petrography and Mineral Chemistry Laboratory.

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diagram 3: Diagram of the referred materials of coloured grounds and its proportions28 (barna – brown, piros – red, vörös – raddle, rózsa – pink, sárga – yellow, zöld – green, fehér ‑white, kék – blue, szürke – grey)

Later ochre and blue were also used for colouring the bone dust and/or chalk groundings. Chalk was definitely popular because of the vicinity to the great chalk (calcium carbonate) mineral fields in Rügen, Lower Saxony, Northern France and Champagne. In Italy bone dust and plaster from Girgenti in Sicily and Castellina in Tuscany were used. The latter is different from chalk because it contains sulfate, which is well distinguishable in the analyses. In Italian drawings there is a higher diversity in combinations of the coloured grounds regarding colour and thickness detectable. There were yellow, red, blue, green, grey, brown and purple coloured grounds. Several papers were grounded thickly, also on the verso side, sometimes with different colours. Some papers are thinly prepared: the base contains only pigments and binder without any filling material. There are no great differences in the usage of pigments. In most cases, iron oxide pigments were popular because these cover every colour from yellow to dark brownish-black well. It is possible to discern production methods with the naked eye. Although traces of the paint brush are visible, the simple bone dust grounds have solid and nicely balanced surfaces. In Leonardo da Vinci’s red chalk drawing – a Head study of a warrior (fig. 5) – it is clear that the translucent pink coat was added with vertical brushstrokes and covers a white bone dust ground, which still gleams. This method of applying by brush was easily accomplished, repeating the process only to emphasize the pink tint in the case when the first grounding did not suffice.

28 Instrument parameters used for measurement: SPECTRO x SORT Combi type hand X‑ray fluorescence (hXRF) spectrometer, Peltier cooled SDD detector, »Light Elements« calibration for larger mass elements, »Environmental« calibration for testing medium mass elements, measuring window 3 mm in diameter, measurement time 60, 90 sec, the measurement was made through Milar foil.

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Drawing Techniques on Coloured Ground Paper

5  Leonardo da Vinci, Head study of a warrior (detail), c. 1504–1505, red chalk on white prepared paper with pink overlay, 226 × 186 mm, Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. 1774

6 a–b  After Raffaello, Diogenes, with fluoroscopy, 16th century, metalpoint heightened with white on blue prepared paper, 191 × 255 mm, Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. K. 67. 25

The blue ground of the Diogenes-drawing after Raffaello (fig. 6.a) is made with bone dust, too.29 The blue comes from a cupreous pigment such as Egyptian blue which was ideal for transparent painting. Here, the horizontally applied ground is equally well visible. In transmitted light the traces of paint brush can also be seen in the other direction, which originates from the sizing of the verso side (fig. 6.b). On the unknown Swabian artist’s drawing from the 15th century with an Annunciation (fig. 7) the greenish-grey coloured ground is applied thickly, whereas the drawing is executed with black ink and lead white. The coloured ground contains chalk (calcium carbonate), 29 Raffaello Santi: Study for the figure of Diogenes in the »School of Athens«, c. 1509–1510, silverpoint on pink grounded paper, 244 × 284 mm, Städel Museum, Frankfurt am Main, Inv. No. 380.

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7  Swabian, Annunciation (detail), late 15th century, pen and black ink heightened with white on greenish-grey prepared paper, 137 × 101 mm, Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. 12

8  Master of the Giovanelli Madonna, Scene from a Tale of Chivalry, c. 1400, brown pen and heightened with white on greenish blue pre­pared paper, 148 × 182 mm, Budapest, ­Museum of Fine Arts, inv. no. 1778

yellow ochre (iron oxide hydrate), vivianite (natural blue iron phosphate) and a bit of lead white. The lead content of the white colour can be inferred from the discolouration caused by sulphur in the atmosphere (oxidation). This aesthetic damage is retrievable with chemical treatment during restoration. There is some blackish discoloration also in the grounding, which proves the presence of the above mentioned lead white pigment. On the thick coloured ground a vertical trace of lubrication is visible. This could be the last coat of the ground, which was applied in several layers to make the coloured ground resistant to humidity. The paper’s rough surface can still be seen. The backside of the drawing is prepared with the conventional sizing layer. One of the earliest drawings in the Budapest collection is a work of the Master of the Giovanelli Madonna from the end of 14th century with a scene from a Tale of Chivalry (fig. 8). The preliminary study for a fresco was drawn onto a greenish blue coloured ground containing chalk. Similarly to the previous drawing vertical traces of sizing the paper are visible under the thick grounding. The greenish blue colour is probably given by azurite, vivianite and yellow ochre.30 A perfect example for the red coloured ground is Parmigianino’s drawing showing Venus disarming Cupid (fig. 9). The coloured ground consists of pale red iron oxide, gypsum, and a little bone powder, which was probably applied to the paper by blotting with a 30 Erzsébet Mózer, Bolognese artist: Scene from a tale of chivalry. The conservation of a drawing, in: Bulletin du Musée Hongrois des Beaux-Arts 119 (2014), pp. 101–103.

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Drawing Techniques on Coloured Ground Paper

9  Parmigianino, Venus disarming Cupid, c. 1527– 1530, pen, wash, brown ink and black chalk ­heightened with white on red prepared paper, 188 × 143 mm, Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. 1890

10  Circle of Jörg Breu the Elder, Saint Christopher (detail), c. 1500–1505, black ink on pink prepared paper, 235 × 203 mm, Budapest, Museum of Fine Arts, inv. no. 289

sponge. The drawing was rendered like a watercolour, going from light to dark finally heightening with lead white. So it could be a model for a chiaroscuro woodcut. The paper by the follower of Jörg Breu is also grounded by blotting: The draughtsman made a light pink ground for his black ink drawing with Saint Christopher (fig. 10). The daubed ground can be presumed because of the lack of any trace of brush strokes, but there are inhomogeneous parts probably caused by the thinness of the layer. Lighter or darker

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smudges deriving from the rough structure of the laid paper are clearly visible. On this prepared surface drawing was a dynamic process. The artist used chalk and iron oxide for the coloured ground.

4. Conclusion In summary, there are no great differences between the materials and the techniques in the case studies of prepared papers North and South the Alps from the 14th to the 16th century. This argues for a widespread exchange of artistic practices both through travel and through trade routes, because materials sourced far away were conditionally available, if costly. Nevertheless, local preferences should not be denied, which did not only concern certain materials, but also included specific approaches to image production. This is why independent solutions were always developed in parallel.

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Epilog

Epilogue

Anne Eusterschulte

Au fond – am Farbgrund der Zeichnungen Epilog

Le fond … est la force de l’image, son ciel et son ombre.1

1. Fond Nehmen wir die der Einleitung zu diesem Buch vorangestellte Formulierung „Der Grund ist die Kraft des Bildes, sein Himmel und sein Schatten»2 nochmals auf, um abschließend das Verhältnis von Grund (fond) und Bild (image), wie es Jean-Luc Nancy vor allem in Bezug auf Malerei und Dichtung formuliert hat, nun in Hinblick auf „Farbgrundzeichnungen“3 bzw. das Zeichnen auf farbigen Papieren zu öffnen. Dazu werden wir einigen theologisch-metaphysischen Motive nachgehen, die sich bei Nancy andeuten, um ein reicheres Konzept für die Spezifik des farbigen Grundes von Zeichnungen zu gewinnen, werden einige Aspekte der phänomenologischen Bildtheorie exemplarisch mit einer berühmten Zeichnung von Lorenzo Monaco in Dialog setzen. Festzuhalten ist zunächst, dass der Terminus Grund (fond) in unserem Kontext nicht im Sinne einer rationalen Begründung oder Ursache (causa, ratio) von etwas zu fassen ist, sondern vielmehr auf ein materiales, zeichnerisch-praktisches und vielfach theologisch-metaphysisch konnotiertes Gründen in (fonder, fond, fondement, fondamental in Rückführung auf das lat. fundus bzw. profunditas) zurückweist und dabei eine ebenso essentielle wie konkrete, gegenständliche Dimensionen von Tiefe (au fond de qc.) impliziert sowie räumli-

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Jean-Luc Nancy, Au fond des images, Paris 2003, S. 23 Jean-Luc Nancy, Am Grund der Bilder, Zürich/Berlin 20122, S. 20. Ich nehme hier eine Terminologie auf, die Iris Brahms (Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016) entwickelt bzw. konzeptionalisiert hat und danke an dieser Stelle für eine Fülle von Anregungen und Diskussionen.

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Au fond – on the Colour Ground of the Drawings Epilogue

Le fond … est la force de l’image, son ciel et son ombre.1

1. Fond Let us take up again the formulation that precedes the introduction to this book, “The ground is the force of the image, its sky and its shadow”2, to conclude by considering the relationship between ground (fond) and image (image), as formulated by Jean-Luc Nancy above all in relation to painting and poetry, now regarding “Farbgrundzeichnungen” in German3 or drawing on coloured papers. To this end, we will trace some theological-metaphysical motifs that are hinted at in Nancy's work to gain a richer concept of the specificity of the colour ground of drawings and will set some aspects of the phenomenological image theory in dialogue with a famous drawing by Lorenzo Monaco as an example. It should first be noted that the term reason (fond) in our context is not to be understood in the sense of a rational justification or cause (causa, ratio) of something, but rather refers back to a material, graphic-practical and often theologically-metaphysically connoted founding (fonder, fond, fondement, fondamental recurring to the Latin fundus or profunditas) and thereby implies an equally essential and concrete, representational dimension of depth (au fond de qc.) as well as spatial notions of the deepest ground from which something ascends or into which something descends. Especially the allusions to the emergence

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Jean-Luc Nancy, Au fond des images, Paris 2003, p. 23. Jean-Luc Nancy, The Ground of the Image, Jeff Fort (transl.), New York 2005, p. 7. I adopt here a terminology developed and conceptualised by Iris Brahms (Zwischen Licht und Schatten. Zur Tradition der Farbgrundzeichnung bis Albrecht Dürer, Paderborn 2016) and must thank her for her many suggestions and discussions.

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che Vorstellungen eines tiefsten Grundes, aus dem etwas auf- bzw. in den etwas hinabsteigt, birgt. Gerade die Anspielungen auf Emergenz- und Immersionsphänomene, wie sich prominent an Vorstellungen etwa eines Meeresgrundes (fond de la mer) oder der Tiefsee (les fonds sous marins) entwickeln lassen, weisen auf einen Tiefengrund und setzen so eine Art abschließenden Grund (gleich dem Meeresboden) voraus, sei er erreichbar oder eine Untiefe (fond d’un abîme). Sie deuten hin auf einen räumlichen Bereich bzw. auf die Erfahrung eines Volumens und damit auf einen Grund, aus dem sich eine Fülle sowie eine zeitliche Bewegungsdynamik begründet. Es mag zunächst ungewöhnlich erscheinen, hier Konnotationen eines Meeresgrundes ins Spiel zu bringen, doch wir werden sehen, dass sich hieran Phänomene beschreiben lassen, die wichtige Indizien für den Grund im übertragenen Sinne, d. h. für die Applikation auf den Grund der Seele oder des Herzens (fond du coeur), auf Erkenntnisprozesse sowie schließlich den fond in den Künsten bergen. Was sich in all diesen Konnotationen andeutet ist die paradoxe Vorstellung eines lebendigen, intimsten und zugleich fernsten, uneinholbaren Quellgrundes, der konstitutiv ist für ein produktives Gestaltwerden, sei es in sprachlichen, poetischen, bildnerischen oder plastischen Hervorbringungen. Indem etwas Gestalt gewinnt, sinnlich in Erscheinung tritt und somit erfahrbar wird, artikuliert sich Grund des Erscheinens und zeigt sich in seiner vorgängigen Potentialität an. Wenn wir dieses Zur-Erscheinung-Kommen als Emergenzphänomen beschreiben, dann heißt das auch, dass aus einem Zusammenwirken von Elementen etwas hervorkommt, gleichsam auftaucht, was über die Eigenschaften von partikularen Momenten hinausgeht und hervorbricht. Ein solches Vor-Kommen aus dem Grund des farbigen Papiers bzw. die Vorstellung eines spontan anmutenden Heraustretens des Bildes mag bereits vorausdeuten auf die materiale Interaktion von Farbgrund und zeichnerischer Formfindung, d. h. auf eine Dimension von Unwillkürlichkeit innerhalb einer jeden Bildkomposition, die sich aus dem Zusammenspiel von farbiger Grundierung und künstlerischer Technik, Duktus, Zeichenmaterialien, Linienführung, Farbwahl bis hin zur plastisch herausgearbeiteten Figur ergibt. Das Kolorit des Grundes ist stets mehr als eine Hintergrundfläche, sondern vielmehr in seiner semantischen wie materialen, je spezifischen Gegebenheit etwas, worauf der zeichnerische Prozess reagiert, etwas, das sich in die Zeichenpraxis einmischt und eine Dynamik in Fluss bringt, die Farbwerte, Tönungen, Hell- und Dunkelwerte miteinander kommunizieren und in einem anderen Licht erscheinen lässt. Wenn wir die farbigen Grundierungen in ihrer jeweiligen Beschaffenheit, wie sie in diesem Band thematisiert werden, auch daraufhin betrachten, dass sie je in sich eine Binnenstruktur besitzen, also keineswegs vollends homogen sind, sondern im Verhältnis zum Papier oder Karton, der Weise des Auftrags, der Schichtung, der Verteilung auf dem Blatt, der Opazität oder Transparenz des gewählten Kolorits etc. ein Eigenleben mitbringen, dann lässt sich der farbige Grund als ein Fluidum begreifen, aus dem etwas im Zuge des zeichnerischen Eingehens auf den Grund in ein farbig differenziertes Licht tritt, sich figürlich artikuliert und so zur Evidenz kommt. Doch der Vorstellungsbereich des Meeresgrundes ist ebenso mit Gefahren eines auf den Grund Gehens (aller aux fond des choses) konnotiert, sei es als abgründiger, endloser, verschlingender Abgrund (abyssus, abîme), als Leere, Dunkelheit oder gar schwindelerregender

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and immersion phenomena, as can be prominently developed in ideas of, for example, a seabed (fond de la mer) or the deep sea (le fonds sous marins), point to a depth ground and thus presuppose a kind of concluding ground (like the seabed), be it accessible or a shallow (fond d'un abîme). They indicate to a spatial area or the experience of a volume and thus point to a ground, which develops an abundance as well as a temporal dynamic of movement. At first glance it may seem unusual to bring connotations of a seabed into play here, but we shall see that phenomena can be described here that bear important clues for the ground in the figurative sense, i. e. for the application to the ground of the soul or the heart (fond du coeur), to processes of cognition and finally to the fond in the arts. What is implied in all these connotations is the paradoxical idea of a living, most intimate, and at the same time most distant, uncatchable source ground that is constitutive for a productive becoming of form, be it in literary, poetic, pictorial, or sculptural productions. When something takes shape, appears sensually and thus becomes tangible, the ground of appearance articulates itself and shows itself in its preceding potentiality. If we describe this coming‑to-appearance as an emergence phenomenon, then this also means that something comes forth due to an interaction of moments, and this emergence, as it were, goes beyond the properties of components. Such a coming forth out of the ground of the coloured paper or the idea of a spontaneous emergence of the image may already foreshadow the material interaction of the colour ground and the inventive drawing process of finding the form, i. e., it shows also non-volitional dimensions within each image composition, which result from the interplay of coloured grounding and artistic technique, ductus, drawing materials, line management, colour choice to the sculpturally worked out figure. The colour ground is always more than a background surface, but rather in its semantic as well as material, each specific given, something to which the drawing process reacts, something that interferes with the drawing practice and brings a dynamic into flow, which allows colour values, tints, light and dark values to communicate with each other and appear in a different light. Looking at the coloured primers in their respective properties, as they are thematised in this volume, we have to consider that each ground has a specific internal structure and is by no means completely homogeneous, but rather possess a life of its own depending on the paper or cardboard, the manner of colouration, the layering, the distribution of colour on the sheet, the density or transparency of the chosen colour. The colour ground can then be understood as a fluid from which something emerges into a differentiated coloured light in the course of the drawing process, articulates itself figuratively and thus becomes evident. But the imaginary realm of the bottom of the sea is also connoted with the dangers of getting to the heart of matters (aller aux fond des choses), be it as an abysmal, endless, devouring abyss (abyssus, abîme), as emptiness, darkness or even as a dizzying whirlpool4

4

Leibniz, for example, whose reflections will be referred to in more detail below, determines that the soul always contains a wealth of unconscious perceptions. When the perceptions of the soul blur into one another without any distinction, like a stupor or faintness, so that the soul loses itself in a fluid indifference, it falls into a state of vertigo. Yet these very unconscious perceptions are at the same time the

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Strudel4 einer ins Indifferente führenden Dynamik.5 Es geht uns jetzt um diese Momente einer Potentialität, einer Kraft, die aus einem noch Ungeschiedenen, gleichsam Verschmolzenen (fondre), über sich hinausdrängt und etwas hervortreten lassen kann, aber ebenso in der Gegenrichtung als etwas vorgestellt werden kann, das etwas in sich zurückzieht, in die Formlosigkeit zurücknimmt. Diese Dynamik wird sowohl für künstlerische Prozesse des Bildwerdens grundlegend, sofern wir nicht nur die Herausbildung aus dem farbigen Bildgrund in den Blick nehmen, sondern ebenso sehen können, wie Figuren gleichsam in diesen zurücksinken, in die Farbfläche eintauchen, von einer farbigen Atmosphäre eingenommen werden oder sich in diese scheinbar auflösen. Die Rede von einem Meeresgrund mag uns weiterhin ein Absinken oder Versinken assoziieren lassen, also Prozesse einer Sedimentierung, Ablagerung, eines Abtauchens und damit Unsichtbar-Werdens, was in der Übertragung auf Seelenmodelle sowohl für Memoriakonzepte wie für den Komplex unbewusster Vorstellungen relevant ist, aber wiederum auch für das Zeichnen auf farbigem Papier in Betracht gezogen werden kann, sofern hiermit Dimensionen zeitlicher Tiefe sowie stillschweigende, unartikulierte semantische Implikationen angesprochen sind. Steht die Wahl eines Farbgrundes bzw. die Gestaltung einer Farbatmosphäre doch stets in einem Traditionsgefüge von malerischen Praktiken, Werkstätten, kulturellen Farbsemantiken und historischen Bedeutungszuweisungen, die implizit stets mitschwingen. Dass gerade der Phänomenbereich Meer in einer langen geistesgeschichtlichen Tradition eine enge Verbindung mit Seelenmodellen eingeht, mag abermals unterstreichen, dass das Verhältnis des Grundes zum Erscheinen an der Oberfläche eben diesen körperlich-geistigen Grund als dynamische, produktive Tiefe bestimmbar macht, deren Lebendigkeit affektive körperliche Zustände, Passionen bzw. Dynamiken des Begehrens einschließt.6

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So bestimmt etwa Leibniz, auf dessen Überlegungen im Folgenden eingehender rekurriert wird, dass die einfache Seele stets eine Fülle von unbewussten Perzeptionen in sich birgt. Wenn die Vorstellungen der Seele ohne jede Distinktion ineinander verschwimmen, gleich einer Betäubung oder Ohnmacht, ist die Seele gewissermaßen nicht bei sich, verliert sich in einer fluiden Ungeschiedenheit, gleich einem Schwindelzustand. Doch eben diese unbewussten Perzeptionen sind zugleich die unerlässliche Grundlage jedes Denkens, gleichsam das Reservoir, aus dem das Denken schöpft. Vgl. Gottfried Wilhelm Leibniz, Philosophische Schriften, hrsg. u. übers. v. Hans Heinz Holz, Darmstadt 1965, Bd. 1, Kleine Schriften zur Metaphysik. Monadologie, § 21, S. 449. Im Hinblick auf die schöpferische Potentialität eines solchen gleichsam ozeanischen Grundes unbewusster Regungen sei hier exemplarisch auf eine berühmte Stelle bei Schelling verwiesen, der in der Freiheitsschrift von einem „ewig dunkle[n] Grund“ in Gott (S. 30), gleich einer Sehnsucht zur Schöpfung spricht, die als „wogend wallend Meer“ unbewusster Gedanken über sich hinausdrängt (S. 33). Schelling rekurriert mit seinen Spekulationen zum Ungrund u. a. auf die spekulative Metaphysik Jacob Böhmes und Friedrich Christoph Oetingers. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, hrsg. v. Thomas Buchheim, Hamburg 1997, S. 30, 33. Erinnert sei hier, um nur wenige Beispiele aufzuführen, an antike Kennzeichnungen des Gemütszustands als Meeresruhe (γαλήνη), an hellenistische Konzepte von Ataraxie (Seelenruhe), die an der Metapher der Meeresstille entwickelt werden (z. B. bei Epikur, dem Skeptiker Pyrrhon von Elis oder in der stoischen Tradition), aber auch an die Modellierung der Seelendynamik bei Augustinus in Rekurs auf die Gefahren

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Au fond – am Farbgrund der Zeichnungen / Au fond – on the Colour Ground of the Drawings

of a dynamic that leads into indifference5. We are now concerned with these moments of a potentiality, i. e., with a force which, out of something still undivided, as it were fused (fondre), presses beyond itself and lets something emerge, but which can also be imagined the other way around as something that withdraws something into itself or takes it back into formlessness. This dynamic becomes also fundamental for artistic processes of creating images: we can not only experience the emergence of figures out of the colour ground, but can likewise see how figures sink back into it, as it were, immerse themselves in the coloured surface, are taken over by a colour atmosphere or seemingly dissolve into it. To talk in terms of a seabed may further make us associate a sinking or submerging, i. e., processes of sedimentation, deposition, immersion and thus becoming invisible. Applied to models of the soul such a sinking is relevant both for concepts of memory and for the complex of unconscious ideas. But it can be further considered as well for drawing on coloured paper, insofar as dimensions of temporal depth but also tacit, inarticulate semantic implications are addressed. After all, the choice of a colour ground or the execution of a colour atmosphere always is embedded in a tradition context of painterly practices, workshops, cultural colour semantics and historical attributions of meaning, which implicitly always resonate. The fact that the phenomenon of the sea is closely linked to models of the soul in a long tradition of intellectual history may once again underline that the relation of the ground to the appearance on the surface makes precisely this bodily-mental ground explicable as a dynamic, productive depth whose liveliness includes affective bodily states, passions, and dynamics of desire.6

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indispensable basis of all thinking, the reservoir, as it were, from which thinking draws. Cf. Gottfried Wilhelm Leibniz, Philosophische Schriften, ed. and transl. by Hans Heinz Holz, Darmstadt 1965, vol. 1, Kleine Schriften zur Metaphysik. Monadology, § 21, p. 449. Regarding the creative potentiality of such a quasi-oceanic ground of unconscious impulses, we may remember a famous passage by Schelling, who speaks of an ‘eternally dark ground’ in God (see p. 30), like a longing for creation, which itself like a ‘surging sea’ of unconscious thoughts (see p. 33). ­Schelling's speculations on the Ungrund refer to the speculative metaphysics of Jacob Böhme and Friedrich ­Christoph Oetinger, among others. Friedrich Wilhelm Joseph Schelling, Philosophische Untersuchungen über das Wesen der menschlichen Freiheit und die damit zusammenhängenden Gegenstände, ed. by Thomas Buchheim, Hamburg 1997, pp. 30, 33 (Translation A. Eu.) Let us recall here, to give just a few examples, ancient descriptions of the state of mind as calmness of the sea (γαλήνη), Hellenistic concepts of ataraxia (calmness of the soul), which are developed on the metaphor of calmness of the sea (e. g., in Epicurus, the sceptic Pyrrhon of Elis or in the Stoic tradition), but also Augustine's modelling of the dynamics of the soul with reference to the dangers of affective turbulence, whereby the sea implies both the ideal of stillness and the dangers of a troubled sea (soul), up to the aesthetics of the 18th century in the context of aesthetic discussion. This is a recurring theme in eighteenth-century aesthetics in the context of the discussion on affect control or the regulation of affective states, as evoked again and again in Johann Joachim Winckelmann's famous formulation: “Just as the depth of the sea remain calm always, no matter however much it may rage on the surface, so the expression of Greek figures, whatever passions they may be subject to, reveal a great and placid soul”. (On Art, Architecture, an Archaeology, Translated by David Carter, Rochester 2013, p. 42). See in detail P. Probst, U. Dierse, Seelenruhe, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, ed. by Joachim Ritter and Karlfried Gründer, Basel 1995, vol. 9, col. 94–99.

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Aus einer phänomenologischen Betrachtungsweise, die wir im Folgenden an Maurice Merleau-Ponty rückbinden, kann Jean-Luc Nancy so ein Differenzierungsgeschehen beschreiben, wonach erst im Bild, im In‑Erscheinung-Treten an der Oberfläche, der Grund distinkt wird. Indem er sich in eine Vielschichtigkeit von Ausdrucksweisen entfaltet, wird er stets als verborgener Grund bzw. als treibende Kraft erfahrbar, d. h. als Movens eines Evidenzgeschehens. In Wirklichkeit ist der Grund nur im Bild als Grund distinkt: Es ist zugleich die Tiefe (profondeur) eines möglichen Schiffbruchs und die Oberfläche (surface) des leuchtenden Himmels. So gesehen schwimmt das Bild im Wellengang, leuchtet es in der Sonne, über dem Abgrund (abîme), vom Meer gebadet, das, was es gefährdet, trägt es und läßt es glänzen. Derart ist das Intime, es bedroht und fasziniert aus der Entfernung, in die es sich zurückzieht (retire).7 Das Meer, transluzent und opak zugleich, figuriert hier als materiales, vielschichtiges, farbig schimmerndes, bewegtes Fluidum, in dem das Bild erscheint, wie in einem lebendigen Medium, in dem sich Lichtdurchflutung und Verdichtung durchdringen. Und an dieser Stelle können wir den farbigen Grund assoziieren, in dem die Zeichnung gleichsam badet. Das zeichnerische Bild stellt sich selbst als eine changierende Erscheinung dar, die sich in unterschiedlichen Lichtbrechungen und Farbmodi bewegt bzw. diese strukturiert und entsprechend Sichtverhältnisse und Blickführungen zeigt, sofern sich im Vollzug der zeichnerischen Bewegung eine Dynamik von Differenzierungen, Gestaltfindungen und Figurationen entfaltet. Der farbige Grund und die Figuren durchdringen und formen sich wechselseitig, sei es, dass Linien, Schraffuren, malerische Flächenbildungen das grundierende Farbfeld konturieren, einfassen, plastisch ausformen und damit semantisch explizieren, so dass aus ein und demselben Grund ein zerklüftetes Felsmassiv, Stadtarchitekturen, Reiter und Pferde heraustreten, wie auf dem Blatt Die drei Weisen aus dem Morgenland in einer Landschaft (1420/23) von Lorenzo Monaco (Abb. 1).8 Sei es, dass das Kolorit eben diese Figurationen gewissermaßen in eine dynamische Bildformation zusammenzieht, die nicht nur eine Sektion des Bildraumes, gleich einer horizontalen Schicht, die innerhalb des Bildaufbaus den größten Raum

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affektiver Turbulenzen, womit das Meer gleichermaßen das Ideal der Stille wie die Gefahren einer aufgewühlten See (Seele) impliziert, bis zur Ästhetik des 18. Jahrhunderts im Kontext der ästhetischen Diskussion um die Beherrschung von Affektzuständen, wie sie an Johann Joachim Winckelmanns berühmter Formulierung immer wieder aufgerufen wird: „So wie die Tiefe des Meers allezeit ruhig bleibt, die Oberfläche mag noch so wüten, eben so zeiget der Ausdruck in den Figuren der Griechen eine große gesetzte Seele.“ (Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildkunst, 1775). Siehe detailliert hierzu P. Probst, U. Dierse, Seelenruhe, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hrsg. v. Joachim Ritter u. Karlfried Gründer, Basel 1995, Bd. 9, Sp. 94–99. Nancy 20122 (wie Anm. 2), S. 27; Nancy 2003 (wie Anm. 1), S. 31. Siehe zu Lorenzo Monaco die kunsthistorischen Beiträge von Philippa Sissis und Iris Helffenstein in diesem Band.

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From a phenomenological point of view, which we will link back to Maurice Merleau-­ Ponty in the following, Jean-Luc Nancy can thus describe a process of differentiation, according to which the ground only in the image appears as distinct, i. e., by means of appearing on the surface. By unfolding into a complexity of modes of expression, it can always be experienced as a hidden reason or as a driving force, i. e., as the movens of an event of evidence. In reality, the ground is not distinct as ground except in the image: without the image, there would only be indistinct adherence. More precisely: in the image, the ground is distinguished by being doubled. It is at once the profound depth of a possible shipwreck and the surface of the luminous sky. The image floats, in sum, at the whim of the swells, mirroring the sun, poised over the abyss, soaked by the sea, but also shimmering with the very thing that threatens it and bears it up at the same time. Such is intimacy, simultaneously threatening and captivating from out of the distance into which it withdraws.7 The sea, translucent and opaque at the same time, figures here as a material, multi-layered, colourfully shimmering, moving fluid in which the image appears, as if in a living medium in which light flooding and condensation interpenetrate each other. And at this point we can associate the colour ground in which the drawing bathes, as it were. The drawn image presents itself as a changing appearance that moves in different refractions of light and colour modes, or structures them, and accordingly shows viewing modes and gaze directions, insofar as a dynamic of differentiations, form inventions and figurations unfolds in the drawing process. The colour ground and the figures mutually interpenetrate and shape each other. Be it that lines, hatchings, painterly surface formations contour, frame, plastically form and thus semantically explicate the grounding colour field, so that a craggy rock massif, city architectures, riders and horses emerge from one and the same ground, as in the painterly drawing The Three Wise Men from the East in a Landscape (1420/23) by Lorenzo Monaco (fig. 1).8 Be it that the colouring somehow contracts these figurations into a dynamic pictorial formation, which not only marks a section of the pictorial realm, like a horizontal layer, which takes up the largest space within the composition, but also suggests semantics of a temporal movement or an episode within a narrative. Light, applied in fine hatched white heightenings, pours in Monaco’s pictorial composition over the entire colour ground, modulated in shades of warm earth tones. It brushes the mountain ranges, makes the bodies of the mounts and riders, their movements, and gestures prominent in their rising agility, cascades down onto rock formations, reveals a city architecture in the lower area and is finally reflected in swells and eddies on the sea in the lower area of the image, where a ship with 7 8

Nancy 2005 (as fn. 2), p. 13; Nancy 2003 (as fn. 1), p. 31. On Lorenzo Monaco, see the art historical contributions by Philippa Sissis and Iris Helffenstein in this volume.

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einnimmt, auszeichnet, sondern ebenso Semantiken einer zeitlichen Bewegung bzw. einer Episode innerhalb eines Narrativs andeutet. Licht, angelegt in feinen schraffierten Weißhöhungen, ergießt sich in Monacos Bildkomposition über den gesamten, in warmen Erdfarben durch Abtönungen modulierten Farbgrund. Es streift die Gebirgszüge, lässt die Körper der Reittiere und Reiter, ihre Bewegungen und Gesten in ihrer aufstrebenden Bewegtheit hervortreten, fließt kaskadenartig auf Felsformationen hinab, bringt eine Stadtarchitektur im unteren Bereich zum Vorschein und reflektiert sich schließlich in Wellengang und Wirbeln auf dem Meer im unteren Bildbereich, auf dem ein Schiff mit geblähtem Segel umtreibt. Fällt dieses Licht von oben in den Bildraum hinein bzw. hinab in die Tiefe bis zum Meeresspiegel, so steht es in einer Spannung zum dramatisch gezeichneten, diagonal ausgerichteten Aufwärtsklimmen der Weisen und ihrer Reittiere, wozu die Größenverhältnisse beitragen, die insbesondere die Suchenden, Ausspähenden in ihrem Ringen mit der Gebirgslandschaft zeigen. Keines der Reittiere kann Fuß fassen, vielmehr wirkt der steile Aufstieg bedrohlich, birgt Gefahren des Absturzes, des Scheiterns an den Klippen der Felsmassive. Und doch sind die Figuren zugleich über den Farbgrund mit diesen Felsrücken, Klüften und Spalten verbunden, zeigen doch auch die Felsformationen mitsamt den gleichsam aus dem Berg herausgewachsenen, aus dem Stein gehauenen Stadtarchitekturen im oberen Bereich eine aufstrebende, in eine andere Sphäre vordringende Stoßkraft, sofern sie in diesen Bereich vorragen, wie die Zeigegeste des rechten Reiters oder, so in der oberen, mit Blautönen gedeckten Meeres- und Himmelsregion, wie die aus den Wassern auftauchenden Felsinseln. Gleißendes Licht fließt aus dieser Region in den unteren Bildraum, doch wenig wahrscheinlich mutet an, dass dieses ausströmende, fluide Licht, das hier in die Tiefen hinabfließt bzw. auf den Rücken der Agierenden aus dieser hinaufsteigt, von dem fragilen Stern ausgeht, der hier weniger als Leitgestirn ins Bild gesetzt ist, sondern vielmehr als gesuchtes Lichtzeichen der Ankunft (vgl. Mt 2,1–12). Das Blatt konfrontiert mit einer Fülle von Herausforderungen, die in der Forschung weit diskutiert sind. An dieser Stelle mögen nur einige Aspekte angedeutet werden, die für die Frage nach dem farbigen Grund der Zeichnung relevant werden. So verweist das Blatt von Lorenzo Monaco darauf, wie bei Zeichnungen auf farbigem Grund Regime von Flächigkeit und Räumlichkeit für den Betrachter ineinander umschlagen können. Mag man dies für kein Spezifikum der Farbgrundzeichnungen halten, so intensiviert das Hervor- und Zurücktreten des Grundes aber die Reflexion auf ein partielles Ineinanderstehen von Hintergrund, Mittelgrund und Vordergrund bzw. von Räumlichkeit und Flächigkeit in besonderer Weise. Wir sehen die Gebirgsformation als eine Art Trennscheide zwischen einem aus den Meerestiefen im unteren Bildbereich in ein und demselben Grundkolorit modellierten, plastisch hervortretenden Geschehen, das an eine klare Grenzlinie tritt (auch wenn diese von aufstrebenden Fels- und Stadtgesten sowie der zeigenden Hand überlagert werden), und dem Register des in deckenden Blautönen, Weißhöhungen und feinen Zeichenstrukturen dargestellten oberen Meereswassers samt Horizontlinie und Himmel. Sind wir Zeugen eines Aufstiegsszenariums, das gewissermaßen über einen Gebirgskamm auf die andere Seite vordringt? Und doch stoßen hier völlig divergierende Darstellungsmodi und Farbkonzepte von Raumtiefe und Weite, Nah- und Fernsicht aufeinander. Begegnen sich hier Rück- und

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1  Lorenzo Monaco, Die Reise der Heiligen drei Könige, um 1420/23, Feder und Pinsel, braune Tinte, Bleiweiß, Deckfarben in Blau und Grün, auf rot-braun grundiertem Pergament, 258 × 182 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 609 1  Lorenzo Monaco, The Three Wise Men from the East in a Landscape, c. 1420/23, pen and brush, brown ink, white heightening, blue and green, on red-brown prepared parchment, 258 × 182 mm, Berlin, Kupferstichkabinett, KdZ 609

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Vorderseiten eines Geschehens in jeweils differenten Farbatmosphären? Das Schwellengeschehen bzw. die Bewegung eines Übertritts wird deutlich in Szene gesetzt. Weist die farblich dezidiert abgesetzte obere Bildsphäre auf ein Jenseits der bewegten, aus den Wassern aufsteigenden Gebirgswelt, d. h. stoßen wir in den Raum einer Verheißung vor, über dem der Stern von Bethlehem steht? Vor dem Hintergrund der vorausgeschickten Überlegungen zum Farbgrund der Zeichnungen thematisiert das Blatt geradezu das Sehen bzw. den antizipatorischen, über das Gegebene hinausweisenden Modus des Sehens, der sich nicht nur offenbarungstheologisch, sondern ebenso phänomenologisch fassen lässt. Nicht nur zeigen die Figuren innerhalb des Bildgeschehens eine Auseinandersetzung mit der Möglichkeit von Seherfahrung, Voraussicht, Erkenntnissuche, sofern sowohl die Blickgesten der Reitenden wie der Reittiere in ihrer jeweiligen Darbietung intensive Gestiken von Ausspähen, Ausschauen bzw. Abwehren einer Blendung zeigen. Auch die zusätzlichen Bildfiguren, der Reiter am rechten Bildrand, die kleine Figur in einer Felsspalte im unteren Bildbereich, das Pferd, das seinen Kopf zurück in den Abgrund wendet, weisen auf das Sehen und beziehen die Betrachtenden ein. Aber ebenso zieht die malerisch-zeichnerische Modellierung der Bildebenen bzw. ihr Umspringen, das InsLicht-Setzen von Farbigkeiten und haptischen Qualitäten, d. h. die Exponierung des Materialwerdens von Seherfahrung in künstlerischer Gestaltgebung (Morphologien von Gestein, Wasser, Himmel, Leiblichkeit), die Reflexion der Betrachter auf das zeichnerische wie theologische Sehen. Tiefe, auch im Sinne einer hinabziehenden, riskanten, emotional aufwühlenden Tiefe, aber nicht weniger als Erprobung künstlerischer Darstellungsmodi, wird gegenwärtig. Ein weiterer Aspekt, der sich an diesem Blatt eingedenk der vorausgeschickten Betrachtungen zur Tiefe des Grundes geradezu aufdrängt, ist das Verhältnis von Grund und Oberfläche bzw. von Emergenz und Submersion aus dem farbigen Grund: gleich einer immanenten Reflexion auf den Charakter der Bildgenerierung aus dem Grund. Die Allusionen auf eine primordiale Scheidung von Himmel und Erde, d. h. das theologische Schöpfungsgeschehen, sind hier allerorten zu greifen und verbinden sich mit einer eschatologischen Ankündigung, einem Vorzeichen einer kommenden Welt, die hier am Horizont als Stern erscheint. Aber ebenso können wir hier innerhalb des Bildes selbst eine Thematisierung der Frage von Figur und Grund wahrnehmen, wenn wir wiederum an die Metapher der Meerestiefe und das Vor-Kommen und gleichsam Offenbarwerden der Figuren aus dem Grund bzw. deren stete Interaktion denken. So konstituiert die zeichnerische Bewegung aus dem Farbgrund eine Bilddynamik, die in Lichtzeichnung und Farbdifferenzierung hervortritt und, aufgeladen mit der theologischen Semantik von Licht und Dunkel, plastische Oberflächenlandschaften entstehen lässt. Diese Überlegungen mögen uns wieder auf generellere Betrachtungen zum Grund zurückführen: Stets erfährt die Materialität der Farbebenen bzw. der zeichnerischen Farbgebung eine immanente Reflexion. Das lässt sich ebenso für den Umgang mit Glanzlichtern, Lichthöhungen, den Wechsel von malerischen und zeichnerischen Mitteln der Lichtführung beobachten, die vor und auf farbigem Grund als Setzungen der Hand exponiert hervortreten und zugleich in eine je spezifische atmosphärische Farbmodulation eingebettet sind. Nicht

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a blown sail is drifting. While this light falls from above into the pictorial realm and reaches down into the depths to sea level, it is at the same time in tension with the dramatically drawn, diagonally aligned upward climbs of the wise men and their mounts. The proportions, which particularly expose the seekers and scouts in their struggle with the mountain landscape, contribute to the tension. None of the mounts can gain a foothold; rather, the steep ascent seems threatening, harbours dangers of falling, of failing against the cliffs of the rock massifs. And yet, the figures are connected to these rocky ridges, crevices and fissures via the colour ground, since the rock formations, together with the city architectures in the upper area, which have grown out of the mountain, as it were, and have been hewn out of the stone, also show an upward thrust, advancing into another sphere. They project into this realm like the pointing gesture of the horseman on the right or, so in the upper sea and sky region covered with blue and green tones, like the rocky islands emerging from the waters. Glistening light flows from this region into the lower part of the image, but it seems unlikely that this outflowing, fluid light, which here flows down into the depths or rises from the depths onto the backs of the actors, emanates from the fragile star, which is not so much depicted here as a guiding star, but rather as a sought-after light sign of the coming (cf. Mt 2,1–12). The composition confronts a wealth of challenges that are widely discussed in research. At this point, only a few aspects may be mentioned that become relevant for the question of the colour ground in drawings. Lorenzo Monaco's painterly drawing, for example, points out how, in drawings on a colour ground, regimes of two-dimensionality and three-dimensionality can change into one another for the viewer. This may not seem to be a specific feature of coloured ground drawings, but the emergence and recession of the ground intensifies in a special way the reflection on a partial juxtaposition of background, middle ground and foreground, or of three-dimensionality and two-dimensionality. We can see the mountain formation as a kind of partition between two pictorial regimes: We perceive the sculpturally modelled figure program executed in one and the same basic colour from the sea depth in the lower part to the mountain formations, the three riders forming its center. The ascending movement reaches a borderline, so to speak, even if this boundary is overlaid by rising gestures of the rock and city formations as well as by the pointing hand. They are projecting into the sphere above where a see surface is depicted in opaque greenish tones, with white heightening and fine character structures, and above which, again separated by a fine horizon line, a bluish sky extends. Are we witnessing an ascent scenario that, as it were, advances over a mountain ridge to the other side? Completely divergent modes of representation and colour concepts as well as modes of spatial depth and expanse, close‑up and distant view interact here. Do the back and front sides of an event meet here in different colour atmospheres? The threshold event or the movement of a crossing is clearly staged. Does the upper sphere of the image, with its decidedly different colours, point to a world beyond the turbulent mountain world rising from the waters, i. e., are we entering the sphere of a promise above which the star of Bethlehem stands? Against the background of the preceding considerations on the colour ground of the drawings, the drawing virtually thematises seeing or the anticipa-

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nur figuriert die zeichnerische Faktur den Grundton, sie steht auch in einem Resonanzverhältnis, reagiert also auf die je spezifische Tönung des Bildraumes. Ebenso gilt umgekehrt, dass die Farbgrundierung den Umgang mit Licht und Dunkel, Chiaroscuro, strukturbildenden Höhen und Tiefen, den Einsatz von farbigen Zeichenmaterialien, Linienstärken etc. je moduliert und farbig interpretiert. Kommen wir nochmals auf den fluidalen Charakter der Farbgrundierung und ihre Tiefendimension zurück, aus der sich ein Figurenprogramm plastisch herausbildet. Hatte Nancy dieses Vor-Kommen des Bildes gleich einem bewegten Farbspiel auf dem Meer beschrieben, so deutet sich darin sowohl das Unabsehbare bzw. geradezu Bedrohliche eines verschlingenden Abgrundes an, aber auch die Assoziation einer Tiefe als Ruheort, in den sich etwas zurückzieht. Diese Doppelbewegung ist für die Überlegungen zum farbigen Grund der Zeichnungen zentral. Der Farbgrund der Zeichnung lässt sich einerseits betrachten als Ort der Eröffnung eines Emergenzgeschehens oder einer ästhetischen Fulguration,9 d. h. als Aufleuchten eines Bildes in einer Farbatmosphäre, ohne dass der Erscheinungscharakter zeichnerischer Gestaltfindung wie das Operieren mit Farbigkeit sich schlichtweg aus den Eigenschaften der Komponenten, Schichtungen oder der immanenten Bewegtheit des Grundes ableiten ließe. Entscheidend werden vielmehr Faktur und Duktus der künstlerischen Ausführung in Verbindung mit unvorhersehbaren Dynamiken der interagierenden Materialien. Damit lässt sich neben den gezielt eingesetzten technischen Verfahren künstlerischer Praxis die Dimension dessen beschreiben, was sich im zeichnerischen Prozess erst im zeitlichen Vollzug entfaltet und in unserem Zusammenhang als eine Dimension gezeichneter Evidenz bestimmt werden kann. Doch die genuine Spannung, die sich im Respondenzverhältnis von Figur und Grund beobachten lässt, weist ebenso auf einen Sog oder eine Immersion des farbigen Grundes (gleichsam eine Submersionskraft der Farbe), so als zöge sich das zeichnerische Bild wieder in den Grund zurück, um mit diesem zu verschwimmen oder in diesem zu verschwinden. Halten wir an dieser Stelle die Bestimmungsgründe, die wir bis hierher ausgehend von Vorstellungen eines Tiefengrundes, wie etwa des Meeresgrundes, gewonnen haben fest: Der Fond ist konnotiert mit Tiefe bis zur Abgründigkeit, er weist auf unterschwellige Kräfte, die Dynamik eines changierenden Fluidums; damit verbinden sich Vorstellungen von Fülle, Dichte, Volu-

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Der im biologischen Kontext von Konrad Lorenz geprägte Begriff Fulguration, der als Synonym zu Emergenzphänomenen das blitzartige Auftreten von neuen Eigenschaften in Bezug auf komplexe Systeme bestimmt, bildet den Hintergrund für die ästhetische Fulguration als Modus einer Evidenz der Seherfahrung: „Das blitzhafte Aufleuchten von Farben, der reine Augenblick, das Feld, das sich uns gegenüber präsentiert und das wir auf einen Schlag erfassen, der uns treffende Anblick, die Präsenz, die sich aus einer Folge von Bewegungssequenzen aufbaut, das Erscheinend-Unbestimmte, das unsere Aufmerksamkeit herausfordert, die schiere Gegenwart […] all dies sind Zeitphänomene, die wir nur, oder doch in besonderem Maße, von Bildern kennen und die sich, als gesteigerte Präsenz, als Erinnerungsraum oder als Vorschein, zwischen die alltäglichen Zeitsynthesen stellen und unsere Zeitordnung verstören.“ Ludger Schwarte, Fulguration. Zur Bildlichkeit der Zeit, in: Erscheinung und Ereignis. Zur Zeitlichkeit des Bildes, hrsg. v. Emmauel Alloa, München 2013, S. 71–84, hier S. 72.

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tory mode of seeing that points beyond the given, which can be grasped not only in terms of revelation theology but also phenomenologically. Not only do the figures within the pictorial realm show an examination of the potential of visual experience, foresight, the search for knowledge, insofar as both the gaze gestures of the riders and the mounts in their respective presentation show intensive gestures of spying out, looking out or warding off a glare. The additional figures in the picture, the rider on the right edge of the image, the small figure in a crevice in the lower part, the horse turning its head back into the abyss, also point to seeing and involve the viewer. But the painterly-drawing modelling of the pictorial planes and the way they turn over, the highlighting of colours and haptic qualities, i. e., the exposure of the materialisation of visual experience in artistic shaping (morphologies of rock, water, sky, corporeality), also draws the viewer's reflection on the drawing and theological seeing. Depth, also in the sense of a descending, risky, emotionally stirring depth, but no less as a testing of artistic modes of representation, becomes present. Another aspect of this drawing, which, in view of the preceding reflections on the depth of the ground, is almost imposing, is the relation between ground and surface or between emergence out of or submersion into the colour ground: like an immanent reflection on the character of image generation from the ground. Allusions to a primordial separation of heaven and earth, i. e., the theological event of creation, can be grasped here everywhere and are combined with an eschatological announcement, a portent of a world to come, which appears here on the horizon as a star. But we can also perceive a thematisation of the question of figure and ground within the image itself, if we think of the metaphor of the sea depth and the coming forth and, as it were, revelation of the figures from the ground or their constant interaction. Thus, the vivid drawing constitutes a pictorial dynamic out of the colour ground, which emerges in light depiction and colour differentiation and, charged with the theological semantics of light and dark, gives rise to sculptural surface landscapes. These considerations may lead us back to more general reflections on the ground: The materiality of the colour field or of the colouring in the drawings always experiences an immanent reflection. This can also be observed in the handling of highlights, light heightenings, the alternation of painterly and graphic means of guiding light, which stand out in front of and on a colour ground as settings of the hand and at the same time are embedded in a specific atmospheric colour modulation. Not only does the facture of the drawing configure the basic tone, but it also resonates, that is, it reacts to the specific colouration of the respective pictorial realm. In the same way, the colour grounding modulates and colourfully interprets the handling of light and dark, chiaroscuro, structure-forming heights and depths, the use of colour drawing materials, line thicknesses, etc. Let us return once more to the fluid character of the colour ground and its depth dimension, out of which a figure program emerges vividly. If Nancy had described this coming forward of the image like an interplay of colours on the surface of the sea, this suggests both the unforeseeable and almost threatening nature of a devouring abyss, but also the association of a depth as a place of rest into which something withdraws.

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men – einer je spezifischen Voluminosität der Farbe10 – aber zugleich eine Undurchdringlichkeit und vor allem die Idee einer Potentialität und Ungeschiedenheit, aus der etwas in die Sichtbarkeit aufsteigt oder aber in eine undifferenzierte Tiefe, einen Quellgrund oder Boden hinabsinkt. Aspekte von Dunkelheit, lichter Ferne, Ungreifbarkeit einer profunden Farbigkeit verbinden sich mit Konnotationen eines entzogenen Potentials, das sich der Sichtbarkeit als solche nicht preisgibt und doch in Erscheinung tritt. Denn selbst dann, wenn der Farbgrund, wie bei den in diesem Band thematisierten Zeichnungen, deutlich hervortritt und sich ins Bild setzt, fügt die Rede von einer Potentialität, Tiefe und materialen Voluminosität nochmals eine andere Dimension hinzu: ein Vermögen, das sich erst in actu, in der zeichnerischen Ausführung, in seiner vielgestaltigen Kraft zeigt. Bei all diesen Konnotationen von (Meeres‑)Grund (fond) handelt es sich um Beobachtungen, die sich an konkreten Phänomenen der Erfahrungswelt gewinnen lassen. In Übertragung auf andere Gegenstandsbereiche bzw. als Metaphernkomplexe werden sie zu Modellen philosophischer, ästhetischer wie kunstpraktischer Begriffsbildungen. Aus einer phänomenologischen Betrachtung, wie sie Nancy für die Malerei entfaltet, sind die räumlichen Beschreibungsweisen von Tiefe bzw. Grund und Oberfläche nicht als topologische Modelle im Sinne eines geometrischen Raumes zu verstehen. Wie bereits bei Merleau-Ponty weisen sie ein auf René Descartes zurückführendes Koordinatenmodell von Flächenausdehnung in messbarer Höhe und Breite bzw. Raumvorstellungen, die sich über die Begrenzung zu einem umgebenden Raum bestimmen, für die Malerei zurück. Hier geht es nicht um die Fähigkeit der Malerei, eine perspektivische Illusion von Dreidimensionalität zu erzeugen bzw. einen Bildraum zu konstruieren, sondern um Bedingungen eines Aufscheinens aus dem Potential eines Grundes. Fraglos ist die Erzeugung eines Perspektivraums für die Auseinandersetzung mit malerischen wie zeichnerischen Bildern, wie die Beiträge in diesem Band zeigen, eine grundlegende Analyseebene. Doch die phänomenologische Untersuchung verfolgt einen anderen Weg. Sie orientiert sich nicht auf eine geometrische Grundlegung der Bildpro-

10 Vgl. etwa die phänomenologischen Reflexionen bei Maurice Merleau-Ponty in Hinsicht auf eine: „primordiale Tiefe, die der Tiefe im Sinne einer Beziehung zwischen den Dingen oder auch zwischen den Ebenen, dieser objektivierten von der Erfahrung losgelösten und in Breite verwandelten Tiefe, noch zugrunde liegt und ihr ihren Sinn verleiht, selbst aber die Dichtigkeit eines Mediums ohne Dinge ist. Lassen wir uns zur Welt sein, ohne sie aktiv uns zuzueignen, in einer Einstellung, wie auch gewisse Krankheiten sie begünstigen, so heben die Ebenen sich nicht mehr voneinander ab, die Farben verdichten sich nicht mehr zu Oberflächenfarben, sondern zerstreuen sich um die Gegenstände herum und werden zu atmosphärischen Farben; erwähnen wir z. B. einen Kranken, der, um auf einem Blatt Papier zu schreiben, erst mit der Feder eine Schicht von Weiß durchstoßen muß, ehe er an das Papier gelangt. Diese Voluminosität [voluminosité] variiert je nach der betreffenden Farbe und ist gleichsam der Ausdruck ihres qualitativen Wesens. So gibt es denn eine Tiefe, die noch nicht zwischen den Gegenständen statthat und um soviel weniger Abstände von einem zum anderen ermißt, sondern die einfache Offenheit der Wahrnehmung für ein kaum qualifiziertes Dingphänomen ist.“ Maurice Merleau-Ponty, Phänomenologie der Wahrnehmung (Phénoménologie de la perception), aus dem Französischen übersetzt und eingeführt durch eine Vorrede von Rudolf Boehm, Berlin 1966, S. 322. Hierzu: Georges Didi-Hubermann, Der Mensch, der in der Farbe ging, Zürich/Berlin 2009, S. 76.

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This double movement is central to the reflections on the colour ground of the drawings. On the one hand, the colour ground of the drawing can be seen as origin of an emergence or an aesthetic fulguration,9 i. e., as the lighting up of an image in a specific colour atmosphere. Yet the appearance of the drawn form as well as the interaction with the respective colouring cannot simply be deduced from the properties, layering or the immanent movement of the colour ground. Rather, the decisive factor is the facture and ductus of the artistic execution in connection with the unpredictable dynamics of the interacting materials. In addition to the specifically applied technical procedures of artistic practice, this allows us to describe the dimension of what unfolds in the drawing process over time and can be defined in our context as one dimension of drawn evidence. But on the other hand, the genuine tension that can be observed in the responding relation between figure and ground also points to a pull or an immersion of the colour ground (a submersion power of colour, as it were), as if the drawn image were drawing back into the ground to blur with it or disappear into it. At this point, let us record the characteristics we have obtained up to this point on the basis of ideas of a deep ground, such as the bottom of the sea: The fond is connoted with depth and even abysmalness, it points to subliminal forces, the dynamics of an oscillating fluid; this is associated with ideas of abundance, density, volume – a specific voluminosity of colour10 – but at the same time an impenetrability and above all the idea of a potentiality and indistinctness, from which something rises into visibility or sinks down into   9 The term fulguration, coined in the biological context by Konrad Lorenz, which as a synonym for emergence phenomena determines the lightning-like appearance of new properties in relation to complex systems, forms the background for aesthetic fulguration as a mode of an evidence of visual experience: “The lightning flash of colours, the pure moment, the field that presents itself to us and that we grasp in a single stroke, the glance that strikes us, the presence that builds up from a sequence of movements, the apparitional indeterminacy that challenges our attention, the sheer presence [… These are all temporal phenomena that we know only, or to a particular degree, from images and that, as an increased presence, as a space of memory or as an epiphany, place themselves between the everyday syntheses of time and disturb our temporal order.” Ludger Schwarte, Fulguration. Zur Bildlichkeit der Zeit, in: Erscheinung und Ereignis. Zur Zeitlichkeit des Bildes, ed. by Emmauel Alloa, Munich 2013, pp. 71–84, here p. 72 (translation A. Eu.). 10 Cf. for example the phenomenological reflections in Maurice Merleau-Ponty: “As we indicated at the beginning, we must rediscover beneath depth as a relation between things or even between planes (which is an objectified depth, detached from experience, and transformed into breadth) a primordial depth that gives the former one its sense and that is the thickness of a medium devoid of things. When we let ourselves be in the world without actively taking it up, or in an illness that encourages this attitude, planes are no longer distinguished from each other, colors no longer condense into surface colors, but rather diffuse around objects and become atmospheric colors (for example, one patient who writes on a sheet of paper must pierce with his pen a certain thickness of white prior to reaching the paper). This [voluminosité] varies with the color in question, and it is somehow the expression of this qualitative essence. There is, then, a depth that does not yet occur between objects, that, a fortiori, does not evaluate the distance from one to another, and that is the simple opening of perception to a phantom of a thing that has hardly any qualities.” Maurice Merleau-Ponty, Phenomenology of Perception (Phénoménologie de la perception), translated by Donald A. Landes, New York 2012, p. 278. See on this: Georges Didi-Hubermann, Der Mensch, der in der Farbe ging, Zurich/Berlin 2009, p. 76.

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duktion, fragt nicht nach Perspektivpunkten, sondern nach der leiblichen Wahrnehmung und der manuellen Umsetzung von Seherfahrungen im zeichnerisch-malerischen Prozess. Es ist das künstlerische Verfahren, die Dinge über die Gestaltwerdung von Entfernung, Linien, Farben und Formbildungen im Bildraum erst werden zu lassen. Diese dynamische Bildgenese versteht sich ausdrücklich nicht als Abbilden eines äußerlich Gegebenen, nicht als räumliche Konstruktion, sondern als eine leibgebundene Generierung von Bildern, die der Künstler zur Welt bringt, indem er ihren Grund11 wirksam werden lässt, aus dem ein Bildraum aufgeht. Gemäß einer solchen phänomenologisch orientierten Bestimmung von Welterfahrung, die in jedem künstlerischen Tun je wirksam wird, deutet sich ein Rekurs auf metaphysische Seelenvorstellungen bzw. philosophisch-theologische Bestimmungen eines Grundes an, aus dem die Welt hervorgeht und ins Leben tritt, der aber selbst die präreflexive, dem rationalen bzw. empirischen Erkennen je vorausliegende Ebene der Welterfahrung ist. Entsprechend ist er mit begrifflichen Mitteln nicht einzuholen, sondern zeigt sich in der Kunst als Ausdruck einer spezifischen Seherfahrung.12 Dieses Weltwerden im Medium des Bildes als Bewegung, die nach Außen tritt, geht hinter eine Subjekt-Objekt-Trennung zurück. Es ist ein „Nullpunkt der Räumlichkeit“13, so formuliert es Merleau-Ponty, aus dem sich Weltwahrnehmungen entfalten. Sie setzen nicht bei einem distanzierten Betrachter an, dem die Welt ein Objekt der Wahrnehmung ist, sondern lassen die räumlich erfahrene Welt im Sehen entstehen: „Ich sehe ihn [den Raum] nicht nach seiner äußeren Hülle, ich erlebe ihn von innen, bin in ihm eingefangen.“14 Das heißt zunächst einmal, dass Erfahrung durch den Leib hindurchgeht, der in das Gewebe der Welt eingelassen ist, und mit dem Gesehenen in leiblicher Berührung steht. Der Sehende ist gleichsam inmitten der Phänomene, ganz von ihnen vollgesogen und zugleich ist es eine geistige Erfahrung, eine lebendige Vorstellungstätigkeit, aus der sich die künstlerische Bilderzeugung entfaltet. Gemäß dieser dialektischen Struktur von Leib und Geist vollzieht sich Sehen in der Mitte, als Medium, zwischen Sicht und Sichtbarem und dieses Zwischen ist leibgebunden. Der Künstler ist mit den Dingen in Berührung, sie treten gleichsam durch den Leib in ihn ein, erzeugen im „Leib ein Echo“, so Merleau-Ponty in Bezug auf Cézanne, und dieser Resonanzraum an leiblich empfangenen, innerlich ausgebildeten Vorstellungen wendet sich in Malerei wieder nach außen: Er tritt im künstlerischen Verfahren wieder in die Welt 11 Anstelle der ontischen Aufladungen, die sich hier andeuten, und die Nancy immer wieder in Bezugnahme auf Martin Heidegger adressiert, werden wir seine Überlegungen stärker an Maurice Merleau-­ Ponty und damit an die künstlerische Erfahrung, Praxis sowie das leibliche Sehen der Farbgrundzeichnung rückbinden. 12 Fokussieren Merleau-Pontys phänomenologische Überlegungen vor allem das leibliche Sehen als Modus somatisch-geistiger Welterfahrung, um diese in der Weise eines „aufweisenden Grundfreilegens“ (­Heidegger) zu bestimmen (Vgl. Hans Werner Arndt, Vorwort, in: Maurice Merleau-Ponty, Das Auge und der Geist. Philosophische Essays (L'Œil et L'Ésprit), hrsg. u. übers. v. Hans Werner Arndt, Hamburg 1984, S. 7), die in künstlerischen Praktiken offenbar wird, so legt Nancy den Akzent auf ein Erscheinen aus dem Grund der Bilder. 13 Merleau-Ponty 1984, S. 31. 14 Ibid.

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an undifferentiated depth, a source ground or bottom. Aspects of darkness, luminous distance, intangibility of a profound colourfulness combine with connotations of a withdrawn potential that does not reveal itself to visibility as such and yet appears. For even if the colour ground, as in the drawings discussed in this volume, clearly emerges, and sets itself into the scene, to speak of a potentiality, depth and material voluminosity adds yet another dimension: a capacity that only reveals itself in actu, in the execution of the drawing, in its multiform power. All these connotations of (sea) ground (fond) are observations that can be gained from concrete phenomena in the world of experience. When transferred to other subject areas or as metaphor complexes, they become models of philosophical, aesthetic and art-practical conceptualisations. From a phenomenological point of view, as Nancy develops for painting, the spatial descriptions of depth or ground and surface are not to be understood as topological models in the sense of a geometric space. As already in Merleau-Ponty’s reflections, they reject a coordinate model of surface extension in measurable length that goes back to René Descartes, or concepts of space that are determined by the limitation to a surrounding space. What is at stake here is not painting's ability to create a perspective illusion of three-dimensionality or to construct spatiality, but rather about preconditions of an appearance arising by the potential of a ground. Unquestionably, the creation of a perspectival space is a fundamental level of analysis for the analysis of paintings and drawings, as the contributions in this volume show. But the phenomenological investigation follows a different path. It is not oriented towards a geometric foundation of image production, does not ask about perspective points, but about bodily perception and the manual realisation of visual experiences in the drawing-painting process. It is about the artistic process of making things become real through the shaping of distance, lines, colours and shapes in the pictorial realm. This dynamic genesis of the image is explicitly not understood as a representation of something external, not as a spatial construction, but as a body-bound generation of images that the artist brings into the world by letting the ground become effective, wherefrom a pictorial realm arises.11 Corresponding to such a phenomenologically oriented description of world experience, which becomes effective in every artistic activity, a recourse to metaphysical ideas of the soul or philosophical-theological definitions of a primordial ground, out of which the world emerges and comes into life, is indicated. This foundation itself is, as it were, a pre-reflexive level of world experience, preceding rational or empirical knowledge. Accordingly, it cannot be caught up with conceptual means, but shows itself in art as an expression of a specific visual experience. This formation of a realm in the medium of the image as a movement that appears on the surface is preceded by concepts of a subject-ob-

11 Instead of the ontic charges that are implied here, and which Nancy repeatedly addresses referring to Martin Heidegger, we will relate his reflections more strongly to Maurice Merleau-Ponty and thus to artistic experience, practice as well as the bodily seeing of the coloured ground drawing.

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des Sichtbaren zurück: „Jenes innere Äquivalent, jene sinnliche Formel (formule charnelle) ihrer Gegenwart, die die Dinge in mir erwecken, warum sollten sie nicht einen wiederum sichtbaren Linienzug hervorrufen, in der jeder andere Blick die Motive wiederfinden würde, die seiner Sicht der Welt unterliegen?“15 Dieser Gedanke, insbesondere in Hinsicht auf zeichnerische Verfahren, wird uns zu Nancy und Derrida führen. Doch sei an dieser Stelle das Bildwerden selbst als dynamischer Prozess unterstrichen, der nicht als repräsentierendes, fixierendes Abbilden zu verstehen ist, sondern eher im Sinne eines revelativen Geschehens, d. h. eines Offenbarwerdens im Bild, das vom Vollzug künstlerischer Welterfahrung im Gestus der malerisch-zeichnerischen Bewegung der Linien und Farben zeugt und die Betrachtenden in ein Sehen dieser produktiven Bewegung einbezieht: gezeichnete Evidenz. Entsprechend zieht Jean-Luc Nancy in Die Lust an der Zeichnung (Le plaisir du dessin) eine Überlegung von Max Loreau (De la création) heran: „Die entstehende Form ist ungesagte Wirklichkeit, die dabei ist, das erste Mal offenbar zu werden. (…) Die dargestellten Objekte dienen dazu, ihre eigene Erscheinungsbewegung zu offenbaren: Sie haben die Funktion, sich vorwegzunehmen, vor jenes zurückzuführen, was sie zu sein scheinen.“16 Dieser antizipatorische Gestus der Zeichnung ist von Nancy wie Derrida vielfach betont worden.17 Die zeichnerische Bewegung, über die erst etwas Form und Gestalt gewinnt, sich plastisch entfaltet und damit den Bildraum konstituiert, greift nicht auf etwas Vorhandenes zu, sei es die Annahme eines ideellen Konzepts (concetto, idea, forma mentis) im Geist des Künstlers, sei es ein mutmaßlich abbildender Bezug auf empirische Objekte. Zeichnung bestimmt sich unter diesen phänomenologischen Voraussetzungen nicht durch eine Nachträglichkeit der Darstellung, sondern ist vielmehr Vorwegnahme einer Präsenz aus dem Grund des Möglichen, einer realité non dite, die über die zeichnerische Bewegung überhaupt erst ins Leben tritt. Rufen wir uns abermals das Blatt Die drei Weisen aus dem Morgenland in einer Landschaft von Lorenzo Monaco in Erinnerung, dann fällt sofort in den Blick, dass die Reiterfigur, die im rechten Bildbereich kurz vor der Schwelle zum oberen Bildbereich ihren weisenden Arm

15 Ibid., S. 281. 16 Jean-Luc Nancy, Die Lust an der Zeichnung, aus dem Französischen von Paul Maercker, Wien 2013, S. 26. Ders., Le Plaisir au dessin, Paris 2009, S. 24–25: „La forme e naissant est réalité non dite en voi d’être manifestée pour la première fois. … Les objets figurés servent à manifester leur propre mouvement d’apparition: ils ont function de s’anticiper, de remonter avant ce qu’ils paraissent être.“ 17 Derrida weist hier insbesondere auf die antizipatorische, vorwegnehmende Bewegung der Hand, ein Berühren, das dem Sehen vorausgeht und sich gleichsam in den Raum vortastet und diesen so erst erfahrbar macht. Die Zeichnung einer solchen vorausweisenden Hand (bei Derrida, die eines Blinden) heißt nicht nur, „daß man hier auf das, was man zeichnet, mit Hilfe dessen aufmerksam macht, womit man zeichnet, mit dem eigenen Körper als einem Werkzeug, als dem Zeichnenden der Zeichnung“, sondern weist ebenso auf ein Erkunden eines Raumes, der noch nicht oder nicht mehr sichtbar ist, ein vortastendes Vorsehen und damit eine Eröffnung von Vor- und Nachzeitigkeit. Siehe Jacques Derrida, Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen, hrsg. u. mit einem Nachwort versehen v. Michael Wetzel, aus dem Französischen von Andreas Knop und Michael Wetzel, München 1990, vgl. S. 12, siehe S. 15; Ders. Mémoires d’aveugle. L’autoportrait et autres ruines, Paris 1990, S. 12, vgl. S. 15: „Ils explorent – et cherchent à prévoir là où ils ne voient pas, ne voient plus ou ne voient pas encore.»

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ject separation. It is a “zero point of spatiality”12, as Merleau-Ponty puts it, from which perceptions of the world unfold. They do not begin with a distanced spectator for whom the world is an object of perception, but let the spatially experienced world emerge in the act of seeing: “I do not see it [space] according to its exterior envelope; I live in it from the inside; I am immersed in it.”13 This means first of all that experience is received through the body, which is immersed in the weave of the world, and is in bodily touch with what is experienced. The person who sees is, as it were, within the phenomena, completely infused by them, and at the same time it is a mental experience, a living imaginative activity, out of which the artistic creation of images unfolds. According to this dialectical structure of body and mind, seeing takes place in the middle, as a medium, between sight and the visible, and this in‑between is body-bound. The artist is in touch with things, they enter him, as it were, through the body, generate an echo in the body, so Merleau-Ponty in reference to Cézanne, and this resonating space of bodily received, inwardly formed perceptions turns outward again in painting: It re‑enters the world of the visible in the artistic process: “Things haven an internal equivalent in me; they arouse in me a carnal formula of their presence. Why shouldn’t these [correspondences] in their turn give rise to some [external] visible shape, in which anyone else would recognize those motifs which support his own inspection of the world? Thus, there appears a ‘visible’ to the second power, a carnal essence or icon of the first.”14 This thought, especially with regard to drawing processes, will lead us to Nancy and Derrida. At this point, however, it is important to emphasise that becoming an image is itself a dynamic process that is not to be understood as a representative, fixed depiction, but rather in the sense of a revelatory event, i. e. a revelation in the image that bears witness to the procedure of artistic world experience in the gesture of the painterly-drawing movement of lines and colours and involves the viewer in seeing this productive movement: drawn evidence. Accordingly, in The Pleasure in Drawing (Le plaisir au dessin), Jean-Luc Nancy draws on a reflection by Max Loreau (De la création): “The nascent form is an unspoken reality on the way to becoming manifest for the first time. […] The represented objects serve to manifest their own movement of appearance: their function is to anticipate themselves or to surface before what they appear to be.”15 This anticipatory gesture of drawing has been emphasised many times by Nancy and

12 Maurice Merleau-Ponty, Eye and Mind, in: Basic Writings, ed. by Thomas Baldwin, London, New York 2004, p. 309. 13 Ibid. 14 Maurice Merleau-Ponty, Eye and Mind, in: The Primacy of Perception and Other Essay on Phenomenological Psychology, the Philosophy of Art, History and Politics, ed. by James M. Edie, Evanston, Northwestern University Press 1964, p. 164. 15 Jean-Luc Nancy, The Pleasure in Drawing, translated from French by Philip Armstrong, Fordham University Press 2013, p. 14.; idem, Le Plaisir au dessin, Paris 2009, p. 24–25: “La forme e naissant est réalité non dite en voi d’être manifestée pour la première fois. … Les objets figurés servent à manifester leur propre mouvement d’apparition: ils ont function de s’anticiper, de remonter avant ce qu’ils paraissent être.”

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ausstreckt, mit dem Gesichtsfeld unterhalb der Trennlinie der Bildebenen situiert ist, die Augen verbleiben im Bereich der Gebirgslandschaft. Es ist der diagonal ausgestreckte Arm, der Zeigefinger, der die Ausrichtung der Blicke der Begleiter auf den Stern weist und so vorwegnehmend in eine andere Sphäre, eine erwartete und zugleich verheißene Zeit. In diesem Erscheinen offenbart sich das Bildwerden im manuellen Prozedere als komplexes Evidenzgeschehen: In die Faktur der Zeichnung fließt die lebendige Bewegung der zeichnenden Hand, ihre spezifische Rhythmik, die körpergebundene Blickweise, die geistige Auffassung, kompositorische Formgebung, der Umgang mit Materialien, Techniken etc. ein und damit der gesamte leiblich-geistige Akt zeichnerischer Praxis. Weisen des Interagierens von Farbigkeiten, Strichführung und Auftrag mit dem farbigen Grund sowie semantische Implikationen von Material- und Motivwahl zeigen sich dabei je imprägniert von der historischen Situiertheit des Zeichnenden, einem zeitspezifischen Umgang mit Sujets, materialen Techniken, aber auch Transpositionen und Innovationen. Halten wir fest: Aus phänomenologischer Betrachtungsweise macht der künstlerische Prozess im Bild eine Weise des leiblichen Sehens sichtbar. Es versetzt das zurück ins Sichtbare, was durch leibliche Welterfahrung in die Vorstellung eingeht, diese erfüllt, und nun aus diesem Innen wieder in ein sinnliches Außen zurückgetragen wird. Nicht als mimetisches Abbild, sondern als Bildwerden einer je singulären Welterfahrung. In diesem Sinne ist für Merleau-Ponty „das Auge dasjenige, was durch einen bestimmten Eindruck der Welt bewegt wurde und es durch die Züge der Hand ins Sichtbare zurückversetzt.“18 Das Sehen ist damit stets eine leiblich gebundene Welterfahrung. „Indem der Maler der Welt seinen Leib leiht, verwandelt er die Welt in Malerei“19 und dies gilt in spezifischer Weise für die Zeichnung und ihren farbigen Grund. Aus phänomenologischer Perspektive verkennt eine dichotome Setzung von Subjekt und Objekt der Betrachtung bzw. die damit implizierte Externalisierung der Welt das leibliche Zwischen. Der Grund der Bilder ist weder der menschliche Geist als Ort der Projektion von mentalen Vorstellungen noch deren Repräsentation in Bildwerken. Malerei wie Zeichnung machen eine Erfahrung sichtbar, vermöge derer die wahrnehmbare Welt nicht als vergegenständlichte Außenwelt begriffen wird, sondern als eine durch alle Sinne empfangene Welt, die aus der Bildtiefe gleichsam plastisch hervortritt. Bezugnehmend auf Paul Klee und wiederum in Anspielung auf eine fluide Fülle bzw. ein Meer von Eindrücken offenbart sich im malerisch-zeichnerischen Duktus ein Modus von Sehen, der im künstlerischen Bild an die Oberfläche tritt: „Ich glaube, daß der Maler vom Universum durchdrungen werden und es nicht selbst durchdringen wollen muß […] Ich warte darauf, innerlich überflutet, überschüttet zu werden. Vielleicht male ich, um wieder emporzutauchen.“20

18 Merleau-Ponty 1984 (wie Anm. 12), S. 283. 19 Ibid., S. 278. 20 Ibid., S. 286.

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Derrida.16 The drawing movement, through which something first takes form and shape, unfolds plastically and thus constitutes the pictorial realm, does not rely on what is already there, be it the assumption of an ideal concept (concetto, idea, forma mentis) in the artist's mind, or be it a presumably depictive reference to empirical objects. Drawing, under these phenomenological presuppositions, is not characterized by an imitative representation, but is rather an anticipation of a presence based on the ground’s potential, a realité non dite, which only comes into being through the drawing process. If we recall once again The Three Wise Men from East in a Landscape by Lorenzo Monaco, we immediately notice that the equestrian figure, who stretches out its pointing arm in the right-hand part of the image at the threshold to the upper part, is situated with its face below the dividing line of the image planes; the eyes remain in the mountain landscape. It is the diagonally outstretched arm, the index finger, which points the gazes of the companions to the star and thus anticipates another realm, an expected and at the same time promised time. The process of becoming an image reveals itself as a complex process of evidence by the manual procedure: The lively motion of the drawing hand, its specific rhythm, the body-bound way of looking, the mental conception, the compositional shaping, the handling of materials, techniques etc. flow into the facture of the drawing and thus the entire bodily-mental act of drawing practice. Ways of interacting colourfulness, line management and application with the colour ground as well as semantic implications of the choice of material and motif show themselves impregnated by the historical situation of the draughtsman, a time-specific handling of sujets, material techniques, but also transpositions and innovations. Let us note: From a phenomenological point of view, the artistic process makes visible a way of bodily seeing within the image. It transfers that back into the visible what enters the imagination through bodily experience, to then be returned from this inside into a sensual outside. Not as a mimetic image, but as a becoming image of a singular world experience. In this sense, for Merleau-Ponty, the eye “is that which has been moved by some impact of the world, which it then restores to the visible through the offices of an agile hand.”17 Seeing is thus always a bodily-bound experience of the world. “It is by lending his body to

16 Derrida refers here in particular to the anticipatory movement of the hand, a touching that precedes seeing and, as it were, feels its way into the space and thus makes it tangible. The drawing of such an anticipatory hand (in Derrida's case, that of a blind man) does not only mean “to draw attention to what one draws with the help of that with which one draws, the body proper [corps propre], as an instrument, the drawer of the drawing, the hand of the handiwork “, but also points to an exploration of a space that is not yet or no longer visible, an anticipatory foresight and thus an opening of pre- and post-timeliness. See Jacques Derrida, Memoirs of the Blind. The Self-Portrait and Other Ruins, translated by Pascal-Anne Brault and Michael Naas. A volume int the Parti-pris series form the Louvre, Chicago 1993, cf. pp. 4–5, see p. 15; idem, Mémoires d'aveugle. L'autoportrait et autres ruines, Paris 1990, p. 12, cf. p. 15: “Ils explorent – et cherchent à prévoir là où ils ne voient pas, ne voient plus ou ne voient pas encore.” 17 Merleau-Ponty 2004 (as fn. 12), p. 297.

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Es ist zu Recht bestritten worden, dass dies ein Spezifikum des Bildes in der Moderne ist,21 wie es Merleau-Ponty nahelegt und es ist signifikant, dass Nancy seine Überlegungen zum Bildwerden aus dem Grund an einem Gemälde von Hans von Aachen entwickelt.22 Wir werden daher im Folgenden einigen frühneuzeitlichen Voraussetzungen nachgehen. Doch was uns hier im Moment interessieren soll, ist die Überlegung, das künstlerische Weltwerden nicht aus einer Haltung empirischer Distanzwahrnehmung zu bestimmen, sondern aus dem malerischen bzw. zeichnerischen Akt, der durch den Körper des Künstlers geht, so als wären die Farben auf der Leinwand „aus einer ursprünglichen Tiefe hervorgegangen“ und aus der Leinwand „an der rechten Stelle ausgeströmt“.23 Was Merleau-Ponty der Moderne zuschreibt, können wir für die Zeichnungen auf farbigem Grund in Anschlag bringen. Es ist bezeichnend, dass Merleau-Ponty in diesem Zusammenhang wiederholt ein Fluidum aufruft, um dieses Emergieren des Bildlichen, das durch das leibliche Sehen geht, erfahrbar zu machen: Wenn ich auf dem Grunde des Schwimmbeckens durch das Wasser hindurch die Fliesen sehe, sehe ich sie nicht trotz des Wassers und der Reflexe, ich sehe sie eben durch sie hindurch vermittels ihrer. Wenn es nicht jene Verzerrungen, jene durch die Sonne verursachten Streifen gäbe, wenn ich die Geometrie der Fliesen ohne diesen Leib sähe, dann würde ich aufhören sie zu sehen, wie sie sind, wo sie sind, nämlich, weiter weg als der sich selbst gleiche Ort. Vom Wasser selbst, vom Vermögen des Wäßrigen, vom flüssigen und spiegelnden Element kann ich nicht sagen, daß es im Raume sei: Es ist nicht anderswo, aber es ist nicht im Schwimmbecken. Es bewohnt es, materialisiert sich in ihm, ist nicht in ihm enthalten […] Diese innere Belebtheit ist es, dieses Ausstrahlen des Sichtbaren, die der Maler unter den Namen ‚Tiefe‘, ‚Raum‘, ‚Farbe‘ sucht.24 Diese phänomenologisch beschriebene Dynamik eines leiblichen Zwischen, gleichsam eines Eintauchens in eine fluide Wahrnehmung, die sich im künstlerischen Prozess auf den Umgang mit Tiefe, Raum und Farbe abzeichnet und sich als Thematisierung des Sehens auf die Betrachtenden überträgt, bringt Lebendigkeit zur Ausstrahlung – ein Evidenzgeschehen. In Farbgrundzeichnungen wird sie in spezifischer Weise erfahrbar, denn der Farbgrund durchwirkt das gesamte zeichnerische Bildgeschehen, ist selbst ein Zwischen bzw. voluminöses Medium, durch das und in dem sich die Komposition eines Bildes realisiert. Der farbige Grund scheint immer durch, er trägt das Figurenprogramm, das gleichsam in ihm sein Habitat findet, umfängt es und taucht es in seine Farbigkeit; er wirkt als Kontrastfolie wie Medium farbiger Ausstrahlung, als Feld zeichnerischer Formfindung; bisweilen zeigt er sich als licht Vorscheinendes, überzieht die Figuren mit seiner Transparenz, dann wieder bindet er 21 Vgl. hierzu „Raum“, in: Günter Figal, Erscheinungsdinge. Ästhetik als Phänomenologie, Tübingen 2010, S. 252. 22 Hans von Aachen: Junges Paar mit Börse, um 1596, 63x50 cm, Öl auf Leinwand, Kunsthistorisches Museum Wien. 23 Merleau-Ponty 1984 (wie Anm. 12), S. 35. 24 Ibid., S. 34.

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the world that the artist changes the world into paintings”18 and this applies in a specific way to drawing and its colour ground. From a phenomenological perspective, a dichotomous setting of subject and object of observation, or the externalisation of the world implied by it, fails to recognise the bodily in‑between. The ground of the images is neither the human mind projecting mental ideas nor their representation in pictorial works. Painting as well as drawing make visible an experience by which the perceptible world is not understood as an objectified external world, but as a world perceived through all the senses, which emerges as it were plastically from the depth of the image ground. Referring to Paul Klee and again alluding to a fluid abundance or a sea of impressions, a mode of seeing is revealed in the painterly-drawing style that comes to the surface in the artistic image: “I think that the painter must be penetrated by the universe and not want to penetrate it […] I expect to be inwardly submerged, buried”19 It has been rightly contested that this is not a specificity of the image in modernity,20 as Merleau-Ponty suggests, and it is significant that Nancy develops his reflections on becoming an image according to a painting by Hans von Aachen.21 We will therefore explore some early modern presuppositions below. But what should interest us here for the moment is the consideration that the artistic bringing forth of a realm is not based on an attitude of empirical distance perception, but on a painterly or drawing act that passes through the artist's body, as if the colours on the canvas had “emanated from some primordial ground” and “exhaled at the right place ».22 What Merleau-Ponty ascribes to modernism can be applied to the drawings on colour ground. It is significant that Merleau-Ponty repeatedly invokes a fluidity in this context to make this emergence of the pictorial realm, which passes through bodily seeing, tangible: When through the water’s thickness I see the tiled bottom of the pool, I do not see it despite the water and the reflections; I see it through them and because of them. If there were no distortions, no ripples of sunlight, if I saw, without the flesh, the geometry of the tiles, then I would stop seeing the tiled bottom as it is, where it is, namely, farther away than any identical place. I cannot say that the water itself – the aqueous power, the syrupy and shimmering element – is in the space; all this is not somewhere else either, but it is not in the pool. It dwells in it, is materialized there, yet

18 Ibid., p. 294. 19 Ibid., p. 299. 20 Cf. on this “Raum”, in: Günter Figal, Erscheinungsdinge. Ästhetik als Phänomenologie, Tübingen 2010, p. 252. 21 Hans von Aachen: Couple with a Mirror, c. 1596, 63x50 cm, oil on canvas, Vienna, Kunsthistorisches Museum. 22 Maurice Merleau-Ponty, Eye and Mind, in: The Merleau-Ponty Reader, ed. by Ted Toadvine and Leonard Lawlor, Evaston; Illinois 2007, p. 370.

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sie in eine Verdichtung zurück oder umfängt sie mit seiner Tiefe und in all diesen Spielarten exponiert sich das Material und macht die Seherfahrung bewusst. Von einem phänomenologischen Ansatz aus sind all die räumlichen wie zeitlichen Erfahrungsmodi, die hierbei aktual werden, Ausdrucksweisen der Interaktion von Grund und Oberfläche. Betonen wir dies abermals: Eine solche Betrachtungsweise setzt in unserem Kontext die zeichnerischen Verfahren im Umgang mit Perspektivräumen nicht außer Kraft. Sie mag komplementär hierzu dazu verhelfen, ästhetische Potentiale des Grundes (fond) aufzurufen, die der kunstgeschichtlichen Tradition keineswegs fremd sind, um diese für Zeichnungen auf farbigem Grund weiterzudenken. Nehmen wir auch hierfür ein Beispiel in den Blick.

2. Fond und Expression In der kunsthistorischen Begriffsverwendung ist der Grund (fond) vor allem für malerische Techniken der Vorbereitung des Bildträgers definiert: Betrachten wir exemplarisch Claude-­ Henri Watelets Dictionnaire des arts de peinture (1782), das dem Malgrund einen Artikel widmet und festhält, dass der Fond einerseits das Material des sogenannten Bildträgers meint, also etwa eine Wand, Putz, Metall, Holz, Marmor; andererseits die Vorbereitung dieses Bildgrundes mit einer Grundierung oder Beschichtung (Öl-, Leim-, oder Kalkgründe; die farbige Untermalung bis hin zur Imprimitur etc.).25 Doch fond ist für Watelet keineswegs nur das, was hinter den Figuren liegt, nicht bloß die präparierte Hintergrundfläche einer Komposition, sondern das, was die Bildszene durchsetzt und sie vorwegnimmt (il entrecoupe la scène & la devance), das Sujet belebt, ihm Ruhe gibt, um räumliche Ebenen und Flächen auszubilden.26 In gewisser Weise artikuliert sich auch hier der vorwegnehmende Charakter eines Potentials: la devance. Vor allem aber wird der Grund zu einem entscheidenden Moment in Hinsicht auf den Ausdruck (expression): Wer sollte, so Watelet, nicht anhand des Verhältnisses von Grund und Figur auf einem Tableau unmittelbar spüren, dass der Ausdruck sowohl durch die Anlage des Grundes zerstört aber auch verlebendigt werden kann? Der Grund kommt also keineswegs zum Verschwinden, er durchwirkt die malerische Komposition, bestimmt ihre Ausdruckskraft,27 wirkt über die Anlage von Flächigkeit, Kont-

25 Claude-Henri Watelet, Dictionnaire des arts de peinture, sculpture et gravure, par M. Watelet, de l’académie Françoise, Paris 1792, tom. II, S. 337: „FOND. Ce terme a plusieurs acceptions en peinture. On appele fond la matière sur laquelle on fait le tableau: un fond de mur, de plâtre, de cuive, de bois, de marbe, &c. On nomme de même l’apprêt ou l’enduit imprimé sur ces matières. En e sens, on dit un fond à l’huile, un fond à la colle, un fond blanc, gris, rouge, &c.“ 26 „Le fond n’est seulement ce qui se voit derrière les figures, ni le dernier plan de la composition; souvent il entrecoupe la scène & la devance, il anime le sujet, lui donne du repos, & en indique les plans.“ (Ibid., S. 339) 27 „Les routes de l’art des fonds que nous venons de faire parcourir à nos lecteurs, semblent nous dispenser de nous arrêter long-tems sur ce qui tient à l’expression Qui ne sentira pas d’arpès tous les rapports

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it is not contained there; […] This inner animation, this radiation of the visible, is what the painter seeks beneath the names of depth, space, and color.23 This phenomenologically described dynamic of a bodily in‑between, an immersion, as it were, in a fluid perception, which emerges in the artistic process by means of the handling of depth, space and colour. It is transferred to the viewer as a reflection of seeing and brings vividness to radiate – an event of evidence. In coloured ground drawings it can be experienced in a specific way, because the colour ground permeates the entire pictorial process of drawing, is itself an intermediate or voluminous medium through which and in which the composition of a drawing is realised. The colour ground always shines through, it sustains the figure program, which as it were finds its habitat in it, it covers it and immerses it in its colourfulness; it acts as a contrasting foil as well as a medium of colour radiance, as a field of drawing form-finding; at times it shows itself as something that emerges in light, covers the figures with its transparency, then again it binds them back into a density or envelops them with its depth and in all these variations the material exposes itself and makes the visual experience conscious. From a phenomenological approach, all the spatial and temporal modes of experience that become actual here are expressions of the interaction of ground and surface. Let us emphasise this once again: in our context, such an approach does not invalidate the drawing procedures dealing with perspective spaces. Rather, it may complement them by calling up aesthetic potentials of the ground (fond), which are by no means unfamiliar in the art historical tradition, to think them further for drawings on colour ground. Let us take a look at an example of this as well.

2. Fond and Expression In art historical usage of the term, ground (fond) is defined above all for painterly techniques of preparing the image carrier: Let us take as an example Claude-Henri Watelet's Dictionnaire des arts de peinture (1782), which devotes an article to the painting ground and states that fond means, on the one hand, the material of the so‑called image carrier, i. e. a wall, plaster, metal, wood, marble, for example; on the other hand, the preparation of this painting ground with a primer or coating (oil, glue, or lime grounds; the coloured underpainting up to the priming, etc.).24 But for Watelet, fond is by no means only what lies behind the figures, not merely the prepared background of a composition, but what infuses the pictorial scene and anticipates it (il entrecoupe la scène & la devance), animates the subject, and

23 Ibid., p. 371. 24 Claude-Henri Watelet, Dictionnaire des arts de peinture, sculpture et gravure, par M. Watelet, de l'académie Françoise, Paris 1792, tom. II, p. 337: “FOND. Ce terme a plusieurs acceptions en peinture. On appele fond la matière sur laquelle on fait le tableau: un fond de mur, de plâtre, de cuive, de bois, de marbe, &c. On nomme de même l’apprêt ou l’enduit imprimé sur ces matières. En e sens, on dit un fond à l’huile, un fond à la colle, un fond blanc, gris, rouge, &c.”

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rastierung, Atmosphäre und nicht zuletzt die Wahl des Farbtons (teinte), die Setzung von Licht und Dunkel, das Zusammenspiel von Figur und Grund. Es geht hier also nicht allein um eine Vorbereitung des Trägermaterials, sondern um den Ausdruck (expression), der durch die spezifische Weise der Imprimitur gewonnen wird. Für Watelet enthalten diese Charakteristika des Grundes (in Bezug auf Erfindung, Farbgebung, Wirkung, Ausführung, Ausdruck) etwas, das für alle anderen Künste in Anschlag gebracht werden kann.28 Zwar behandelt er in Rekurs auf den Barock bin zur zeitgenössischen Kunst ausschließlich die Malerei – eine Tendenz, die sich in neueren Studien fortsetzt – doch sie mögen die Aufmerksamkeit für die Potentiale des materialen fonds intensivieren.29

3. Intime Präsenz Wir kehren zu Jean-Luc Nancys Überlegungen zurück und damit zu der Frage, wie ein Bild (image) zeitgleich, in zweifacher Weise aus seinem Grund (fond) hervortritt. Das Bild ist auf zwei simultane Weisen getrennt. Es ist von einem Grund abgehoben (détachée d’un fond) und aus einem Grund herausgeschnitten (découpée dans un fond). Es ist abgelöst (décollée) und entbunden (détourée). Die Ablösung (décollement) entfernt das Bild und läßt es vor-kommen: läßt es zu einem ‚vor‘ werden (porte en avant: il en fait un ‚devant‘), einem Gesicht an dem Ort, wo der Grund gesichts- und oberflächenlos blieb. Der Ausschnitt (découpage) bildet dort Ränder, wo sich das Bild einrahmt: es ist das templum, das die römischen Auguren in den Himmel schrieben. Es ist der Raum des Heiligen oder besser das Heilige als Verräumlichung, welche unterscheidet.30 Folgen wir diesem Gedanken in Hinsicht auf den zeichnerischen Prozess, dann löst sich das Bild von seinem Grund einerseits dadurch, dass es nach vorne tritt, aus dem Kontinuum löst

que nous venons d’etablir entre les figures et le fond du tableau, que l’expression peut en être détruite, ou den devenir plus vive? […] Des plans très-simples, des masses énormes, des jours très-rares, ajouteront aux horreurs de la prison qui enferme le triste et innocent Joseph.“ (Ibid., S. 342). 28 „Main nous ne considererons ici le mot fond que relativement à l’art de peindre. Sous cette acception on peut examiner le fond du tableau dans toutes les parties de l’art; savoir, par rapport à l’invention dans les compositions pittoresques et poëtiques, dans le coloris, dans l’effet, dans l’exécution, & même dans l’expression. Suivons donc le mot fond sous tous ces points de vue.“ (Ibid., S. 337). 29 Auch in neueren Studien ist vornehmlich die Malerei adressiert: Martine Lacas, Au fond de la peinture. Une poétique de l’arrière-plan, Paris 2008 und so auch bei Nancy. Wenngleich dieser der Zeichnung eine eigene Studie gewidmet hat, wird die Frage nach dem Grund (fond) darin nicht explizit thematisch. 30 Nancy 20122 (wie Anm. 2) S. 18–19. Nancy 2003 (wie Anm.1), S. 21–22: „Elle est détachée d’un fond et elle est découpée dans un fond. Elle est décollée et détourée. Le décollement (Ablösung) l’enlève et la porte en avant: il en fait un ‚devant‘, une face, là où le fond restit sans face et sans surface. Le découpage (Ausschnitt) fait des bords, où l’image s’encandre: c’est le templum trace sur le ciel par les augures romains. C’est l’espace du sacré ou plutôt le sacré comme espacement que distingue.“

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gives it rest to shape spatial planes and surfaces.25 In a way, the anticipatory character of a potential is also articulated here: la devance. Above all, however, the ground becomes a decisive moment in terms of expression: who should not, asks Watelet, immediately sense by means of the relation between ground and figure on a tableau that expression can be both destroyed and enlivened by the disposition of the ground? The ground therefore does not disappear at all, it affects the painterly composition, determines its expressiveness,26 influences the creation of expansion, contrast, atmosphere and not least the choice of colour tone (teinte), the placement of light and dark, the interplay of figure and ground. So, it is not just a matter of preparing the carrier material, but of the expression that is gained by the specific manner of the priming. For Watelet, these characteristics of the ground (in terms of invention, colouring, effect, execution, expression) contain something that can be applied to all other arts.27 Although he deals exclusively with painting (from the early modern period to his era) – a tendency that continues in more recent studies – his reflections may intensify attention to the potentials of the material fonds.28

3. Intimate Presence We return to Jean-Luc Nancy's reflections and thus to the question of how an image emerges simultaneously in a twofold way from its ground (fond). The image is separated in two ways simultaneously. It is detached from a ground [fond] and it is cut out within a ground. It is pulled away and clipped or cut out. The pulling away raises it and brings it forward: makes it a ‘fore’, a separate frontal surface, whereas the ground itself had no face or surface. The cutout or clipping creates edges in which the image is framed: it is the templum marked out in the sky by the

25 “Le fond n’est seulement ce qui se voit derrière les figures, ni le dernier plan de la composition; souvent il entrecoupe la scène & la devance, il anime le sujet, lui donne du repos, & en indique les plans.” (Ibid., p. 339) 26 “Les routes de l’art des fonds que nous venons de faire parcourir à nos lecteurs, semblent nous dispenser de nous arrêter long-tems sur ce qui tient à l’expression Qui ne sentira pas d’arpès tous les rapports que nous venons d’etablir entre les figures et le fond du tableau, que l’expression peut en être détruite, ou den devenir plus vive? […] Des plans très-simples, des masses énormes, des jours très-rares, ajouteront aux horreurs de la prison qui enferme le triste et innocent Joseph.” (Ibid., p. 342). 27 Main nous ne considererons ici le mot fond que relativement à l’art de peindre. Sous cette acception on peut examiner le fond du tableau dans toutes les parties de l’art; savoir, par rapport à l’invention dans les compositions pittoresques et poëtiques, dans le coloris, dans l’effet, dans l’exécution, & même dans l’expression. Suivons donc le mot fond sous tous ces points de vue.” (Ibid., p. 337). 28 In more recent studies, too, it is primarily painting that is addressed: Martine Lacas, Au fond de la peinture. Une poétique de l'arrière-plan, Paris 2008 and Nancy. Although the latter has dedicated a separate study to drawing, the question of the ground (fond) is not explicitly thematic in it.

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und im Zuge der zeichnerischen Bewegung plastisch ausformende Kraft gewinnt. Dieses Hervortreten konstituiert und strukturiert nicht nur die räumliche Entfaltung, sondern birgt stets ein zeitliches Vortreten. Vermöge der zeichnerischen Linienführung gewinnen Konturen, Überzeichnungen, skulptural anmutende Ausformungen mit deckenden Farben lebendige Gestalt, um im selben Zuge die Tiefenwirkung des Grundes plastischer zu modellieren. Andererseits und im gleichen Zuge ist es der Ausschnitt, der diesem Vor-Kommen eine Rahmung gibt. So können wir vielfach bei Kompositionszeichnungen auf farbigem Papier beobachten, dass das kolorierte Feld entlang der Blattkante mit Linien eingefasst erscheint – sei es von Seiten des Künstlers oder eines späteren Sammlers – und damit als Feld exponiert wird, in dem sich ein Geschehen entbirgt. Nancy spielt auf eine Praxis der römischen Auguren ab, mit einem Krummstab einen Bereich zu umzeichnen, d. h. als Luftzeichnung ein Feld des Himmels (templum) auszuweisen, um in diesem imaginierten Rahmen anhand der eingefassten Zeichen Deutungen über den Götterwillen und Geschicke vorzunehmen. Das so gerahmte templum mitsamt seinen Zeichen wird zum Erscheinungsraum eines möglichen Zukünftigen. Wiederum kommt damit die antizipatorische Geste, die Nancy dem Bild zuschreibt, zum Austrag aber auch ein änigmatischer, schwebender Charakter der Bildphänomene im Sichtraum bzw. Himmel. Der ausgezeichnete Bezirk wird zum Feld einer tiefen Betrachtung (contemplatio) von Zeichen, die in der Einfassung eine Konstellation bilden und über ihre Gegebenheit hinaus auf etwas Außerzeitliches zu weisen scheinen. Wenn auf Zeichnungen mit schwarzem oder tiefdunklem Farbgrund lichte, in weißen Tönen gehaltene Lineaturen bzw. Figurationen angedeutet werden oder geradezu schwebend aus dem Dunkel hervortreten, erhalten diese Lichtzeichnungen dann nicht so etwas wie den Charakter einer Konstellation von Zeichen, die auf ein Geheimnis weisen? In all diesen Phänomenen artikuliert sich eine Auseinandersetzung mit der Seherfahrung an den Rändern des Wirklichen. Wenn Nancy das Bild als Verräumlichung und Verzeitlichung des Heiligen bestimmt, dann können wir das Hervortreten des Bildes im künstlerischen Prozess wie ein schöpferisches fiat lux sehen, als blitzartige visio oder als Geschehnis einer illuminatio, die durch das Material bricht. Und abermals mögen wir dabei den Blick auf das Blatt von Lorenzo Monaco wenden, um sowohl einen sukzessiven, zeitlichen Charakter als auch eine Verrräumlichung eines Offenbarungsgeschehens zu erfahren, innerhalb derer der Stern, wie ein fernes und nahes Heilszeichen in einem Himmelsgrund erscheint. Ein Offenbarwerden im Licht bzw. Farbgeschehen prägt die Bilddynamik und zeugt doch von einem Nichterscheinenden, seinem inhärenten Grund. Ein Bild, so Nancy, zeugt in paradoxer, indirekter Weise von seinem Grund. Wenn es das Wesen (essence) des Grundes ist, nicht zu erscheinen („ne pas apparaître“), also gleichsam immer unsichtbar und uneinholbar zu bleiben, so erscheint er als essentieller Grund gerade in seinem Nichterscheinen („en disparaissant“) als eine Initimität, die sich im Entzug anzeigt.31 31 Nancy, der immer wieder mit theologischen Figuren operiert, spricht in diesem Zusammenhang auch von einer „Realpräsenz“ des Heiligen im Bild (vgl. Nancy 2003 [wie Anm. 1], S. 27; Nancy 20122 [wie

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Roman augurs. It is the space of the sacred or, rather, the sacred as a spacing that distinguishes.29 If we follow this consideration regarding the drawing process, then the image detaches itself from its ground on the one hand by coming forth, i. e., by detaching itself from the continuum and gaining plastically formative power within the drawing process. This emergence not only constitutes and structures the spatial unfolding, but also always involves a temporal projection. By drawing lines, contours, overdrawing, sculptural formations with opaque colours gain a lively shape, and at the same time the depth of the ground is modeled more vividly. On the other hand, and in the same process, it is the cut-out character that gives this occurrence a frame. Thus, we can often observe in composition drawings on coloured paper that the coloured field appears enclosed with lines along the edge of the sheet – whether by the artist or a later collector – and is thus exposed as a field in which an event unfolds. Nancy alludes to a practice of the Roman augurs to outline an area with a crook, i. e., to designate a field of the sky (templum) by such an aerial drawing, to make interpretations about the god’s will and destinies in this imagined frame based on the enclosed signs. The templum framed in this way, together with its signs, becomes the space of appearance of a possible future. Again, the anticipatory gesture that Nancy ascribes to the image comes to the fore, but also an enigmatic, floating character of the pictorial phenomena in the visual space or sky. The distinguished district becomes the field of a contemplation (contemplatio) of signs that form a constellation in the enclosure and seem to point beyond their givenness to something extra-temporal. When light lineatures or figurations in white tones are hinted at in drawings with black or deep-dark colour backgrounds, or when they emerge almost floatingly from the darkness, do these light drawings not then have something like the character of a constellation of signs that point to a secrecy? In all these phenomena, an engagement with visual experience at the edges of the real is articulated. When Nancy defines the image as the spatialisation and temporalisation of the sacred, then we can see the emergence of the image in the artistic process as a creative fiat lux, as a flash-like visio or as the occurrence of an illuminatio that ruptures through the material. And once again we may turn our gaze to Lorenzo Monaco's drawing to experience both a successive, temporal character and a spatialisation of an event of revelation, within which the star appears like a distant and near sign of salvation in a celestial ground. A revelation in the light or colour event characterises the image dynamics and yet testifies to a non-appearance, its inherent ground.

29 Nancy 2005 (as fn. 2) p. 7. Nancy 2003 (as fn.1), p. 21–22: “Elle est détachée d’un fond et elle est découpée dans un fond. Elle est décollée et détourée. Le décollement (Ablösung) l’enlève et la porte en avant: il en fait un ‘devant’, une face, là où le fond restit sans face et sans surface. Le découpage (Ausschnitt) fait des bords, où l’image s’encandre: c’est le templum trace sur le ciel par les augures romains. C’est l’espace du sacré ou plutôt le sacré comme espacement que distingue.”

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Nancy bringt theologische Allusionen ins Spiel, um das Phänomen des Bild-Werdens aus dem Grund zu beschreiben, die sich u. a. auf Ansätze der negativen Theologie (etwa Eriugenas apparitio non apparentis, Erscheinen des Nichterscheinens) zurückführen lassen. Auch wenn es hier nicht um eine theologische Auslegung geht, sondern um eine strukturelle Phänomenologie des Grundes, werden die Voraussetzungen, um diese Kraft des Grundes zu explizieren, deutlicher, wenn wir sie konkreter an theologische Quellen zurückbinden und zugleich im Blick auf die ausgewählte Zeichnung auf farbigem Grund konkretisieren. Für Nancy offenbart sich der Grund, und zwar gerade so, dass er ganz im Bild aufgeht oder in dieses eingeht: „Der Grund steigt im Bild zu uns auf (le fond monte à nous dans l’image)“32 und wird erfahrbar als unergründliche Tiefe. Das Bild ist also keineswegs eine Manifestation oder ein Erscheinen des Grundes selbst, allenfalls vermittelt und dies auch dann, wenn in der Malerei der Grund vielfach in die Komposition einbezogen oder partiell offengelegt wird oder, wie im Falle der Farbgrundzeichnung, das Kolorit alles in ein Fluidum zieht und durchtränkt. Die Rede von einem Nichterscheinen könnte für unseren Zusammenhang so abwegig erscheinen. Doch auch dann, wenn in Farbgrundzeichnungen diese Fundierung in Verbindung mit der Papierstruktur selbst keineswegs dem Blick entzogen ist, wird sie doch je als bezeichnete gegenwärtig und weist damit auf etwas Vorgängiges. Weder ist ein Bild für Nancy eine Repräsentation noch so etwas wie ein Schleier, unter dem sich etwas entdecken ließe. Vielmehr kennzeichnet er eine spezifische Kraft (force) des Bildes bzw. einen Druck (la pression), den „der Grund auf die Oberfläche ausübt (la pression que le fond exerce sur la surface)“33. Der Grund besitzt demnach eine Lebendigkeit, ein Potential, das über sich hinausdrängt, in die zeichnerische Bewegung, die Bilddynamik und in das Sehen der Betrachtenden einfließt. Sein Eigenleben entfaltet eine unsichtbare, materialgebundene Aktivität, die als über sich hinausdrängende Kraft an die Oberfläche drängt (und dringt). Doch dürfen wir uns dies analog zu einem topographischen Modell von sichtbarer Oberfläche und verdeckter Kehrseite vorstellen, etwa wie bei einer Münze, deren Unterseite verdeckt ist, die sich aber schlichtweg umwenden ließe. In die Rede von einer Oberfläche (surface) spielt stets die Bedeutung von face (lat. facies; Gesicht, Antlitz) hinein, so dass es Gesicht zeigt, selbst blickend zu erkennen gibt und den Blick des Betrachters auf sich zieht. Und wir mögen hier wieder die theologische Anspielung auf ein verheißenes Sehen von Angesicht zu Angesicht (facie ad faciem; Paulus, 1 Kor 13, 12) im Sinn haben. Entsprechend bringt das Bild gerade, indem es sich aus seinem Grund herauslöst bzw. von diesem ins Erscheinen gedrängt wird (pression), diesen Grund als „ungreifbaren Nicht-Ort (inpalpable non-lieu)“ zum Ausdruck (ex-pression). So ist der Grund des Bildes für Nancy eher die Rückseite (revers), d. h. der „nicht-wahrnehmbare (intelligible) Sinn des Bildes, der als solcher am

Anm. 2], S. 24), um damit einen Präsenzmodus anzudeuten, der raumzeitliche Kontinuitäten unterbricht. Der Grund (fond) rückt in die Nähe zu einer Art von Gottesgegenwart, die im materialen Bild als heilige Intimität real wird, sich als intime Wahrheit offenbart. 32 Nancy 20122 (wie Anm. 2), S. 27; Nancy 2003 (wie Anm. 1), S. 31. 33 Nancy 20122 (wie Anm. 2), S. 20; Nancy 2003 (wie Anm. 1), S. 23.

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According to Nancy, an image bears witness to its ground in a paradoxical, indirect way. If it is the essence of the fond not to appear (“ne pas apparaître”), that is, to remain, as it were, always invisible and uncatchable, then it appears as an essential fond precisely in its non-appearance (“en disparaissant”) as an intimacy that indicates itself in withdrawal.30 Nancy brings theological allusions into play to describe the phenomenon of becoming an image from the ground, which can be traced back to approaches of negative theology (such as Eriugena's apparitio non apparentis, appearance of non-appearance), among others. Even though we are not concerned here with a theological interpretation but with a structural phenomenology of the ground, the preconditions for explicating this force of the ground become clearer if we refer them more concretely back to theological sources and at the same time concretise them in view of the selected drawing on a colour ground. For Nancy, the ground reveals itself in such a way that it is completely absorbed in the image or enters it: “The ground rises to us in the image (le fond monte à nous dans l'image)”31 and becomes tangible as an unfathomable depth. The image is thus by no means a manifestation or appearance of the ground itself, at best mediated, and this is also the case when in painting the ground is often included in the composition or partially revealed or, as in the case of the coloured ground drawing, the colouring draws everything into a fluidity and saturates it. So speaking of a non-appearance might seem unreasonable for our context. But even then, if in coloured ground drawings this foundation itself, which is always bound to the paper structure, is by no means withdrawn from the view, it becomes present each time as already signified and thus points to something preceding it. For Nancy, an image is neither a representation nor something like a veil under which something could be discovered. Rather, it marks a specific force (force) of the image or a pressure (la pression) that “the ground exerts on the surface (la pression que le fond exerce sur la surface)”32. The ground thus possesses a liveliness, a potential that pushes beyond itself and flows into the dynamic of the drawn image, and into the viewer's vision. It unfolds an invisible, material-bound activity that presses (and penetrates) to the surface as a force pushing beyond itself. But we must not think of this like a topographical model of visible surface and concealed reverse side, as in the case of a coin whose underside is concealed, but which could simply be turned around. The meaning of face (lat. facies; face, countenance) always plays into the meaning of a surface, so that it shows face, reveals itself in a glancing way and attracts the viewer's gaze. And here we may again have in mind the theological allusion to a promised seeing face to face (facie ad faciem; Paul, 1 Cor 13, 12). Accordingly, the image, precisely by detaching itself from its ground or being forced by it into appearance (pression), expresses this 30 Nancy, who repeatedly operates with theological figures, also speaks in this context of a “real presence” of the sacred in the image (cf. Nancy 2003 [as fn. 1], p. 27; Nancy 2005 [as fn. 2], p. 13), thus suggesting a mode of presence that interrupts spatiotemporal continuities. The ground (fond) can be understood like a kind of God-presence that becomes real in the material image as sacred intimacy and reveals itself as intimate truth. 31 Nancy 2005 (as fn. 2), p. 13; Nancy 2003 (as fn. 1), p. 31. 32 Nancy 2005 (as fn. 2), p. 8; Nancy 2003 (as fn. 1), p. 23.

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Bild vernommen wird [le sens insensible (intelligible)] comme tel senti à même l‘image.“34 Er wird fühlbar bzw. sinnlich empfunden, sofern seine Kraft das Bild durchdringt, es gleichsam ins Leben ruft. Mehr noch. In diesem Sinne des templum entbirgt sich ein Moment der Intensität, in dem der rückwärtige Grund in Raum und Zeit eintritt und sich der Betrachtung (con-templatio) darbietet.35 Nancy greift immer wieder auf theologische Figuren zurück (templum, sacré intimité, présence réelle), um auf das Oszillieren von Erscheinen und Nichterscheinen (apparaître, disparraître), Tiefe und Höhe, Licht und Dunkel bzw. auf das Changieren von Grund und Bild hinzuweisen und damit auf einen ästhetischen Präsenzmodus, aus dem sich der spezifische Wahrheitsanspruch der Kunst speist. Diese phänomenologischen Betrachtungen können als Folie dienen, um der theologischen Bestimmung des Grundes in Hinsicht auf das zeitliche wie räumliche Hervor-Treten des Grundes im Bild exemplarisch mehr Gewicht zu verleihen. Spielt doch der Grund fond (lat. fundus, profunditas) in theologisch-metaphysischen Diskussionen eine entscheidende Rolle. Etwa wenn es um die Frage geht, wie das Göttliche bzw. die metaphysische Wahrheit auf dem Grunde der menschlichen Seele gegenwärtig ist und in welcher Weise es vergegenwärtigt wird. Die Rede von einem Seelengrund, der mit einer uneinholbaren Tiefe assoziiert wird, ist bereits bei Augustinus angelegt36 und wird, prominent etwa bei Meister Eckhart,37 bestimmend für eine lange Tradition theologisch-metaphysischer Spekulationen über die Gotteserfahrung auf dem Grund der Seele, so etwa bei Tauler oder Seuse. Wenngleich hierbei stets das Ineffable dieses Grundes Betonung findet, sind die spekulativen Versuche, dieses Uneinholbare zu beschreiben, ein Quellpunkt bildlicher Auskleidungen. Vor allem aber prägen die Vorstellungen eines dunklen, unverfügbaren und doch konstitutiven Grundes der Seele ästhetische Theorien bzw. Konzepte einer produkt­

34 Ibid. 35 In Bezug auf die Überlegung, dass das Bildgeschehen als Seherfahrung den Grund gleichsam rückwärtig erfährt, sei auf eine Stelle des AT hingewiesen – und wir mögen hier auch Lorenzo Monacos Einbettung der Drei Weisen in das zerklüftete Gebirge vor Augen haben: In Ex 33,18–23 bittet Moses Gott den Herren, er möge sich ihm in seiner Herrlichkeit zeigen, was jedoch jedem Menschen verwehrt ist. Und doch gewährt Gott Moses, seine Herrlichkeit im Vorübergehen, aus einer Felsspalte, zu sehen: „Wenn meine Herrlichkeit vorüberzieht, stelle ich dich in den Felsspalt und halte meine Hand über dich, bis ich vorüber bin. Dann ziehe ich meine Hand zurück, und du wirst meinen Rücken sehen. Mein Angesicht aber kann niemand sehen.“ 36 Hierzu Andreas Speer, Im Verborgenen des Geistes: ‚abditum mentis‘ bei Augustinus und Meister Eckhart, in: Das Selbst und sein Anderes. Festschrift für Klaus Kaehler, hgg. v. Markus Pfeier und Smail Rapic, Freiburg i. Br., S. 56–80. 37 Eckhart etwa spricht von einem Licht (Seelenfünklein), in das sich das Göttliche eingebiert, einbildet oder ergießt, ohne erfasst werden zu können, und so sucht die Seele ihren Grund: „es will in den einfaltigen Grund, in die stille Wüste, in die nie Unterschiedenheit hineinlugte […] In dem Innersten, wo niemand daheim ist, dort (erst) genügt es jenem Licht und darin ist es innerlicher, als es sich selbst ist [Augustinus]; denn dieser Grund ist eine einfaltige Stille, die in sich selbst unbeweglich ist; von dieser Unbeweglichkeit aber werden alle Dinge bewegt“. Meister Eckhart, Deutsche Predigt 34, in: Meister Eckhart Deutsche Predigten und Traktate, hrsg. u. übers. v. Josef Quint, Darmstadt 2003, S. 220.

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ground as an “impalpable non-place (inpalpable non-lieu)” (ex-pression). Thus, for Nancy, the ground of the image is rather the reverse, i. e., the “non-insensible (intelligible) sense, that is sensed as such, self-same with the image [le sens insensible (intelligible)] comme tel senti à même l'image.”33 It is felt or sensually sensed insofar as its power permeates the image, brings it to life, as it were. Moreover, in the sense of templum a moment of intensity unfolds in which the backward ground enters space and time and presents itself to contemplation (con-templatio).34 Nancy repeatedly falls back on theological figures (templum, sacré intimité, présence réelle) in order to refer to the oscillation of appearance and non-appearance (apparaître, disparraître), depth and height, light and dark, or to the oscillation of ground and image, and thus to an aesthetic mode of presence from which art's specific claim to truth is fed. These phenomenological considerations can serve as a foil to lend more weight to the theological definition of the ground with regard to the temporal and spatial emergence in the image. The ground or fond (Latin fundus, profunditas) plays a decisive role in theological-metaphysical discussions. For example, concerning the question of how the divine or metaphysical truth becomes present on the bottom of the human soul and how it is enacted. The metaphor of a ground of the soul, which is associated with an uncatchable depth, is already present in Augustine35 and, prominent for example in Meister Eckhart.36 It is crucial for a long tradition of theological-metaphysical speculations about the experience of God in the depth of soul, for example in Tauler or Seuse. Even though the ineffable nature of this ground is always emphasised, the speculative attempts to describe this ineffable nature are a source of figurative concepts. Above all, however, the ideas of a dark, unavailable and yet constitutive ground of the soul shape aesthetic theories or conceptualisations of a produc-

33 Ibid. 34 With regard to the consideration that the pictorial occurrence as a visual experience makes the ground present ‘backwards’, as it were, we should refer to a passage in the OT – and we may also have Lorenzo Monaco's embedding of the Three Wise Men in the rugged mountains in mind here: In Ex 33:18–23, Moses asks God the Lord to show His glory, but this is denied to any human being. And yet God grants Moses to see his glory in passing, from a cleft in the rock: “Behold, there is a place by me where you shall stand on the rock, and while my glory passes by I will put you in a cleft of the rock, and I will cover you with my hand until I have passed by.Then I will take away my hand, and you shall see my back, but my face shall not be seen.” Ex 33: 21–23, The Holy Bible, English Standard Version 2001. 35 Andreas Speer, Im Verborgenen des Geistes: 'abditum mentis' bei Augustinus und Meister Eckhart, in: Das Selbst und sein Anderes. Festschrift für Klaus Kaehler, ed. by Markus Pfeier and Smail Rapic, Freiburg i. Br., pp. 56–80. 36 Eckhart, for example, speaks of a light (Seelenfünklein) in which the divine is embedded, imagined or poured out without being able to be grasped, and so the soul seeks its ground: “it wants to go into the simple ground, into the quiet desert, into which no difference has ever looked […] in the innermost part, where no one is at home, there (only) it is sufficient for that light, and in it it is more inward than it is itself [Augustine]; for this ground is a simple silence, which in itself is immobile; but from this immobility all things are moved”. Meister Eckhart, Von der Einheit mit Gott, Deutsche Predigt 34, in: Meister Eckhart Deutsche Predigten und Traktate, hrsg. und übers. v. Josef Quint, Darmstadt 2003, p. 220 (translation A. Eu.).

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iven, bilderzeugenden Kraft der Seele. Hier ist insbesondere auf Leibniz zu verweisen,38 dessen Konzept unbewusster Wahrnehmungen auf dem Grunde der Seele über die Ästhetik Baumgartens zu einer maßgeblichen Referenzquelle des 18. Jahrhunderts und weit darüber hinaus wird.39 Es ist nicht zuletzt die Leibniz’sche Vorstellung eines Grundes der Seele, die in der phänomenologischen Philosophie in transponierter Form nachhallt. Halten wir zunächst fest, dass sich in theologischen Konzepten ein Grund der Seele andeutet, die sich in inneren Bildern bzw. einer ästhetischen Vergegenwärtigung (expressio, repraesentatio, imitatio die) manifestiert. Der Grund der Bilder im kunsttheoretischen Verständnis steht in enger Beziehung zu dieser theologisch-metaphysischen Tradition von Seelentiefe, Abgrund, Ein-Bildung und Offenbarwerden einer göttlichen Wahrheit, d. h. einer sinnlichen Vergegenwärtigung einer übersinnlichen Wahrheit. Das paradoxe Zugleich von Tiefe und Höhe, intimster Nähe und Ferne, die sich in theologischen Figuren andeutet, weist auf Dimensionen eines ästhetischen Wahrheitsgeschehens voraus und verhilft dazu, die Rede von einem Grund (fond) in der Kunst als Hervortreten eines Glanzes (splendor), als spezifisches Licht bzw. Farbatmosphäre, in die das Bild eintaucht bzw. das ihm aus seinem innersten Grund zufließt, es unterscheidet und durchdringt, zu verstehen. Der Grund schimmert immer durch bzw. färbt den Erscheinungsraum. Das Bild ist, so formuliert es Nancy, ein lebendiger Ausdruck (expression) und Abdruck (empreinte) des intimen Grundes40, seine lebendige Materialisation. Ausdruck (expression) ist ein zentraler Begriff in der Monadologie bzw. Metaphysik von Leibniz und es ist kein Zufall, dass das Konzept der Monade, deren eine jede die gesamte 38 In diesem Sinne spricht auch Leibniz, der sich u. a. auf die Kirchenväter wie auf mystische Theologen beruft, von einer göttlichen Durchleuchtung der Seele (lumen illuminans omnem hominem): Nach Leibniz sind die Vorstellungen der Seele nicht über körperliche Organe vermittelt, gelangen also nicht von außen in den Geist, sondern kraft göttlicher Einrichtung einer prästabilierten Harmonie von Körper und Seele sind im menschlichen Geist je schon alle möglichen Ideen latent gegenwärtig: „unsere Seele drückt (exprime) Gott und das Weltall und alle Existenzen aus.“ (Leibniz 1965 (wie Anm. 4), Metaphysische Abhandlung, S. 131) Letztendlich ist für Leibniz Gott der Gegenstand aller Wahrnehmungen, nicht äußere Wahrnehmungen: „So haben wir in unserer Seele die Ideen aller Dinge nur vermöge der dauernden Einwirkung Gottes auf uns, das heißt, weil jede Wirkung ihre Ursache ausdrückt (exprime) und weil so das Wesen unserer Seele ein gewisser Ausdruck (expression) oder eine gewisse Nachahmung (imitation) oder ein gewisses Bild (image) des göttlichen Wesens, Denkens und Willens und aller Ideen ist, die darin beschlossen liegen“ (Ibid., S. 137), was alle zukünftigen Ideen und Handlungen einschließt. Wenngleich für den Menschen der göttliche Plan, der sich durch die Individuen vollzieht, unbegreiflich bleibt, gilt es, den Grund, „altitudinem divitiarum, die Tiefe und den Abgrund (la profondeur et l‘abyme) der göttlichen Weisheit anzuerkennen.“ (Ibid., S. 143). 39 Hierzu die Studien von Hans Adler, Bodenlosigkeit als Grund – Erkenntnis und Anschauung als Kryptographie der Seele in der Aufklärung, in: Gottfried Boehm, Matteo Burioni (Hrsg): Der Grund. Das Feld des Sichtbaren, München 2012, S. 302–315; Ders., Die Prägnanz des Dunklen. Gnoseologie – Ästhetik – Geschichtsphilosophie bei Johann Gottfried Herder, Hamburg 1990; Ders., Fundus Animae – der Grund der Seele Zur Gnoseologie des Dunklen in der Aufklärung, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 (1988), S. 197–220; Charlotte Kurbjuhn, Kontur. Geschichte einer ästhetischen Denkfigur, Berlin 2014. 40 Nancy 20122 (wie Anm. 2), S. 18; Nancy 2003 (wie Anm. 1), S. 21.

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tive, image-generating power of the soul. Here, we should refer in particular to Leibniz,37 whose concept of unconscious perceptions at the bottom of the soul, via Baumgarten's aesthetics, became an authoritative source of reference in the 18th century and far beyond.38 It is not least Leibniz's concept of a ground of the soul that resonates in transposed form in phenomenological philosophy. Let us first note that in theological concepts there is often a notion of the ground of the soul, which manifests itself in inner images or an aesthetic visualisation (expressio, repraesentatio, imitatio dei). The ground of images in the theoretical approaches to art is closely related to this theological-metaphysical tradition of the depth of the soul, the abyss, the unification and revelation of a divine truth, i. e., a sensual realisation of a supersensible truth. The paradoxical simultaneity of depth and height, intimate closeness, and distance, which is implied in theological figures, points ahead to dimensions of an aesthetic truth and helps to understand the concept of a ground (fond) in art as the emergence of a splendour (splendor), as a specific light or colour atmosphere in which the image is immersed or which flows to it from its innermost ground, distinguishing and permeating it. The ground always shimmers through or colours the space of appearance. The image is, as Nancy puts it, a living expression and imprint (empreinte) of the intimate ground39, its living materialisation. Expression is a central concept in Leibniz's monadology and it is no coincidence that the metaphysical concept of the monad, each of which visualises the entire world from a specific point of view, i. e. presents in individual perspective and thus expresses it, has become so

37 In this sense, Leibniz also speaks of a divine illumination of the soul (lumen illuminans omnem hominem). According to Leibniz, the ideas of the soul are not mediated by bodily organs, and thus do not enter the mind from outside, but rather, by virtue of the divine institution of a pre-stabilised harmony of body and soul, all possible ideas are already latently present in the human mind: “Our soul expresses (exprime) God and the universe and all essences.” (Leibniz, Discourse on Metaphysics and the Monadology, transl. by Georg. R. Montgomery (1902, revised by Albert R. Chandler 1924), digireads.com 2020, cf. Discourse on Metaphysics, § XXVI) Ultimately, for Leibniz, God is the object of all perceptions, not external perceptions: “We have in our souls ideas of everything, only because of the continual action of God upon us, that is to say, because every effect expresses (exprime) its cause and therefore the essences of our souls are certain expressions, imitations or images of the divine essence, divine thought and divine will, including all the ideas which are there contained.” (Ibid., § 28), which includes all future perceptions and actions. Although for man the divine plan that takes place through individuals remains incomprehensible, it is necessary to acknowledge the, “altitudinem divitiarum, the unfathomable depth of the divine wisdom (la profondeur et l‘abyme) der göttlichen Weisheit anzuerkennen.” (Ibid., § 30). 38 On this, the studies by Hans Adler, Bodenlosigkeit als Grund – Erkenntnis und Anschauung als Kryptographie der Seele in der Aufklärung, in: Gottfried Boehm, Matteo Burioni (eds.): Der Grund. Das Feld des Sichtbaren, Munich 2012, pp. 302–315; idem, Die Prägnanz des Dunklen. Gnoseologie – Ästhetik – Geschichtsphilosophie bei Johann Gottfried Herder, Hamburg 1990; idem, Fundus Animae – der Grund der Seele Zur Gnoseologie des Dunklen in der Aufklärung, in: Deutsche Vierteljahresschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte 62 (1988), pp. 197–220; Charlotte Kurbjuhn, Kontur. Geschichte einer ästhetischen Denkfigur, Berlin 2014. 39 Nancy 2005 (as fn. 2), p. 7; Nancy 2003 (as fn. 1), p. 21.

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Welt aus einem je spezifischen Blickpunkt vergegenwärtigt, also individuell ins Bild setzt und damit ausdrückt, in transformierter Weise für ästhetische Theorien der Moderne so wirkmächtig geworden ist, um künstlerische Produktivität bzw. den Status des Kunstwerks zu bestimmen (z. B. bei Mallarmé, Merleau-Ponty, Benjamin, Adorno). Konzepte des malerisch-zeichnerischen Prozesses, innerhalb dessen sich die Gestaltfindung und ‑werdung aus einem jeweiligen Grund entwickelt und gleichsam entbirgt, gehen parallel mit einer langen Tradition von Reflexionen über den seelischen Imaginationsraum bzw. die Entstehung von mentalen Bildern und der Weise, wie das ‚Vor-Augen-Stellen‘ (sub oculos ponere) als instantane, lebendige Evidenzerfahrung sich über Konzepte eines Tiefengrundes der Seele fundiert. Vielfach sind es schöpfungstheologische Konzepte sowie Modelle einer gestuften, mathematischen Explikation von Räumlichkeit aus einem punktualen Anfang, die hier wirksam werden.41 Das aber heißt keineswegs, dass dieser Grund clare et distincte (Descartes) zu Bewusstsein käme, ganz im Gegenteil ist es die Figur des dunklen Grundes, einer unauslotbaren Tiefe der Seele, der für die Begründung künstlerischer Produktivität wie ästhetischer Erfahrungen wirksam wird. Die von Leibniz entwickelten Überlegungen zu einem gleichsam vorbewussten, d. h. präreflexiven aber keineswegs leeren, sondern vielmehr eine noch ungeschiedene, konfundierte Fülle von vorstellungsermöglichenden Ideen (petit perceptions) enthaltende Tiefe der Seele – ihr „propre fonds“42 – wird zur Voraussetzung für Baumgartens ästhetisches Konzept eines fundus animae und so zu einer zentralen Kategorie in der Ästhetik des 18. und 19. Jahrhunderts. Leibniz unterscheidet in seiner Erkenntnistheorie zwischen Bewusstseinsgraden der Monaden bzw. Ebenen der Wahrnehmungs- und Vorstellungstätigkeit. Grundsätzlich ist die Seele ständig aktiv, sie ist stets wahrnehmend tätig und erzeugt Vorstellungen, doch nimmt sie diese Vorstellungstätigkeit nicht immerzu bewusst wahr. Leibniz entwickelt eine Theorie der unterschwelligen Vorstellungstätigkeiten und Wahrnehmungsaktivitäten. In jedem Denkakt sind unendlich viele kleine, unbewusste Vorstellungen (petites perceptions) gegenwärtig, die in der Seele – in Korrespondenz mit dem Körper – als ihrem dunklen Grund schlummern, seien sie dunkel (obscure), d. h. gänzlich ungeschieden und undeutlich, oder verworren (confuse) und das heißt zwar deutlich, aber nicht klar voneinander unterscheidbar, und schließlich vollends klar und distinkt, wie es dem reinen Denken zukommt. Das Denken ist für Leibniz ein Akt stufenweiser Bewusstwerdung bzw. begrifflichen Distinktion qua Aufhellung: die unbewussten Vorstellungen werden gleichsam ins Licht der Klarheit gebracht. Uns interessieren die konfundierten, gleichsam fluiden (lat. confundo, auch: ineinander fließen, zusammengießen), unbewussten Vorstellungen, die der Seele deutlich gegenwärtig sind, aber keine Trennschärfe erlauben, denn hier bahnt sich ein Ansatz an, der für die Be41 Hierzu ausführlich Thomas Leinkauf, Philosophische Implikationen des Begriffs ‚Grund‘ am Beispiel der Vorstellung eines propre fonds bei Leibniz, in: Boehm/Burioni 2012 (wie Anm. 39), S. 278–298, hier 282. 42 „Man muß nämlich sagen, daß Gott die Seele oder jede wirkliche Einheit dieser Art von Anfang an so geschaffen hat, daß ihr durch eine vollkommene Spontaneität in Anbetracht ihrer selbst und doch in vollkommener Übereinstimmung mit den Dingen außer ihr alles aus ihrem eigenen Grund (son propre fonds) entstehen muß.“ Leibniz (wie Anm. 4), Neues System, S. 219.

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effective in a transformed way for aesthetic theories of modernity in describing artistic productivity or the status of the artwork (e. g. in Mallarmé, Merleau-Ponty, Benjamin, Adorno). Concepts of the painterly-drawing process, within which the finding and creation of form develops and, as it were, emerges from a particular ground, go hand in hand with a long tradition of reflections on the realm of the soul's imagination or the emergence of mental images. Also, modes of internal 'visualisation' (sub oculos ponere) as an instantaneous, vivid experience of evidence is often founded on concepts of a deep ground of the soul. In many cases it is theological concepts of creation as well as models of a graduated, mathematical explication of spatiality from a punctual beginning that become effective here.40 But this does not at all mean that this is a reason which comes to consciousness clearly and distinctively (clare et distincte; Descartes); on the contrary, it is the figure of the dark ground or of an unfathomable depth of the soul which becomes effective for the founding of artistic productivity as well as aesthetic experiences. The considerations developed by Leibniz on a preconscious, i. e., pre-reflexive but by no means empty, but rather containing a still undivided, confounded abundance of imagination-enabling ideas (petit perceptions) – the soul's “propre fonds”41 – becomes the prerequisite for Baumgarten's aesthetic concept of a fundus animae and thus a central category in 18th- and 19th-century aesthetics. In his epistemology, Leibniz distinguishes between degrees of monadic consciousness or levels of perceptual and imaginative activity. In principle, the soul is constantly active, it is all active perceptively and generates ideas, but it does not always consciously perceive this imaginative activity. Leibniz develops a theory of subliminal imagination and perception activities. In every act of thinking, an infinite number of small, unconscious ideas (petites perceptions) are present, which slumber in the soul – in correspondence with the body – as its dark ground, whether they are obscure (obscure), i. e., completely undifferentiated and unclear, or confused (confuse), i. e., clear but not distinguishable from one another, and finally completely clear and distinct, as is the case with pure thinking. For Leibniz, thinking is an act of gradual awareness or conceptual distinction qua elucidation: the unconscious perceptions are, as it were, brought into the light of clarity. We are interested in the confuse and fluid (somehow confounded; Latin: confundo, to flow into one another, to pour together), unconscious ideas that are clearly present in the soul, but do not allow for any distinction. Here an approach is developed that will become fundamental for the definition of genuine aesthetic experience and points ahead to the artistic practice of drawing on colour ground: Something emerges, as it were, from the dark ground into the light. The line forms itself into the shape of a figure, becomes the expression 40 Thomas Leinkauf, Philosophische Implikationen des Begriffs 'Grund' am Beispiel der Vorstellung eines propre fonds bei Leibniz, in: Boehm/Burioni 2012 (as fn. 38), pp. 278–298, p. 282. 41 “It is this, that God at first so created the soul, or any other real unity, that everything must arise in it from its own inner nature [de son propre fonds] with a perfect spontaneity as regards itself and yet with a perfect conformity to things outside of it.” Gottfried Wilhelm Leibniz, The Monadology and other Philosophical Writings, translated with introduction and notes by Robert Latta, Oxford 1898, cf. New System of the Nature, p. 313.

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stimmung genuin ästhetischer Erfahrung grundlegend wird und auf die künstlerische Zeichenpraxis auf farbigem Grund vorausweist: Es tritt gleichsam etwas aus dem dunklen Grund ans Licht, die Linie formt sich zur Bildgestalt aus, wird zum Ausdruck einer immanenten Dynamik, in die eine Fülle von nicht distinguierbaren Momenten hineinwirken. Erinnern wir uns nochmals an Nancys Kennzeichnung des Bildes als ein Changieren in einem Wellengang. Nach Leibniz können wir, wenn wir etwas verworren (confuse) wahrnehmen, einen intensiven Gesamteindruck haben, ohne jedoch die Fülle von Einzelmomenten (impressions), die in die Wahrnehmung unbewusst eingehen, differenzieren oder gar benennen zu können. Das prominente Beispiel, an dem Leibniz dies verdeutlicht, ist das Meeresrauschen. Vom Ufer aus wird man ein lautes Rauschen hören, doch das setzt voraus, dass eine Vielzahl von ungeschiedenen Einzelgeräuschen, aus denen sich die Gesamtkomposition ergibt, auf die Wahrnehmung eindringen, d. h. das Geräusch einer jeden einzelnen Welle (bruit des chaque vague) hören, obgleich jedes dieser geringen Geräusche (petits bruits) nur in der verworrenen Gemeinschaft (dans l’assemblage confus) mit allen übrigen zusammen, d. h. eben im Meeresbrausen, faßbar ist und man es nicht bemerken würde, wenn die Welle, von der es herrührt, die einzige wäre. Denn die Bewegung dieser Welle muß doch auf uns irgendeinen Eindruck machen, und von jedem Einzelgeräusch, so gering es auch sein mag, müssen wir doch irgendeine Perzeption haben, sonst hätte man auch von hunderttausend Wellen keine, da hunderttausend Nichtse zusammen kein Etwas ausmachen. Man schläft niemals so tief, daß man nicht immer noch eine schwache und verworrene Empfindung hätte (On ne dort jamais si profondement qu’on n’ave quelque sentiment foible et confus).43 Wir erleben das Meer in seinem Wellengang, in seiner mannigfaltigen Bewegung, als ein Spiel von Wogen und hören das Rauschen. Unbewusst sind uns alle einzelnen Wahrnehmungen der partikularen Phänomene gegenwärtig, doch bewusst wird uns ein ineinandergeflossener Gesamteindruck. Dieses Beispiel wäre auf die Wahrnehmung von Farbigkeit, auf Lichtbrechungen und das Schimmern und Changieren des Meeres in Tönungen der Wellen zu erweitern.44 Was sich hier als Komposit aus einer Vielzahl von Momenten zeigt – als Assem-

43 Gottfried Wilhelm Leibniz, Philosophische Schriften, hrsg. u. übers. v. Wolf von Engelhardt und Hans Heinz Holz, Darmstadt 1985, Bd. III/1, Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand, S. XXIII. 44 An anderer Stelle spricht Leibniz von Farbeindrücken: „Wenn wir übrigens Farben und Gerüche wahrnehmen, so haben wir jedenfalls keine andere Perzeption als die von Gestalten und Bewegungen (figurarum et motuum perceptionem), aber so vielfältig und klein, daß unser Geist in diesem seinem gegenwärtigen Zustande nicht dazu ausreicht, sie einzeln deutlich (distincte) zu betrachten, und daher bemerkt er nicht, daß seine Perzeptionen von Gestalten und winzigen Bewegungen zusammengesetzt ist. So empfinden wir, wenn wir eine grüne Farbe wahrnehmen, die aus gelben und blauen Stäubchen gemischt ist, nichts anderes als eine ins Winzigste gehende Mischung von Gelb und Blau, auch wenn wir dies nicht bemerken und uns ein neues Wesen vorgaukeln.“ Leibniz 1985 (wie Anm. 4), S. 46–47.

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of an intrinsic dynamic in which a wealth of indistinguishable moments has an effect. Let us recall once again Nancy's description of the image as oscillating in a wave. According to Leibniz, when we perceive something confused (confuse), we can have an intense overall impression without, however, being able to differentiate or even name the abundance of individual moments (impressions) that enter into perception unconsciously. The prominent example Leibniz uses to illustrate this is the sound of the sea. From the shore, one will hear a loud roaring, but this presupposes that a multitude of undifferentiated individual noises, from which the overall composition results, penetrate the perception. And for an even better understanding of the petites perceptions which we cannot individually distinguish in the crow, I am wont to employ the illustration of the moaning or sound of the sea, which we notice when we are on the shore. In order to hear this sound as we do, we must hear the parts of which the whole sound is made up, that is to say the sounds which come from each wave, although each of these little sounds makes itself known only in the confused combination of all the sounds taken together, that is to say, in the moaning of the sear, and no one of the sounds would be observed if the wave which makes it were alone. For we must be affected a little by the motion of this wave, and we must have some perception of each of these sounds, however little they may be; otherwise we should not have the perception of a hundred thousand waves, for a hundred thousand nothings cannot make something.42 We experience the sea in its rolling waves, in its manifold motion, as a play of waves and hear the roar. Unconsciously, all the individual perceptions of the phenomena are present to us, but consciously we become aware of an overall impression that merges into one. This example could be extended to the perception of colourfulness, refractions of light and the shimmering and changing of the sea in the tones of the waves.43 What appears here as a composite of a multitude of moments – as an assemblage of unconscious forces – can again be seen, by analogy with the colour ground of the drawing, as the expression of a dynamic whose potentials unfold from the ground and its depth dimensions. It is significant that Leibniz correlates the role of unconscious perceptions with the aesthetic experience of a je ne sais quoi:

42 Leibniz 1898 (as fn. 41), cf. New Essays on the Human Understanding, pp. 371–772. 43 Elsewhere Leibniz speaks of colour impressions: “Furthermore, when we perceive colors or smells, we certainly have no perception other than that of shapes and of motions, though so very numerous and so very small that our mind cannot distinctly consider each individual one in this, its present state, and thus does not notice that its perception is composed of perceptions of minute shapes and motions alone, just as when we perceive the color green in a mixture of yellow and blue powder, we sense only yellow and blue finely mixed, even though we do not notice this, but rather fashion some new thing for ourselves.” Gottfried Wilhelm Leibniz, Meditations on Knowledge, Truth, and Ideas, in Philosophical Papers and Letters. The New Synthese Historical Library (Texts and Studies in the History of Philosophy), ed. L. E. Loemker, Dordrecht 1989, Vol. 2, pp. 291–295, cf. 295.

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blage von unbewussten Kräften – kann wiederum in Analogie zum Farbgrund der Zeichnung als Ausdruck einer Dynamik betrachtet werden, deren Potentiale sich aus dem Grund und seinen Tiefendimensionen entfalten. Es ist bedeutsam, dass Leibniz die Rolle der unbewussten Wahrnehmungen mit der ästhetischen Erfahrung eines je ne sais quoi korreliert: Diese kleinen Perzeptionen […] bilden das ‚Ich-weiß-nicht-was‘ (je ne sçay qouy), diesen Geschmack nach etwas, diese Vorstellungsbilder von sinnlichen Qualitäten, welche all in ihrem Zusammensein klar (clairs dans l’assemblage), jedoch in ihren einzelnen Teilen verworren sind (confus dans les parties); und sie bilden auch jene Eindrücke, die die umgebenden Körper auf uns machen, und die das Unendliche in sich einschließen, jene Verbindung, die jedes Seiende mit dem ganzen Universum besitzt. Man kann sogar sagen, daß vermöge dieser kleinen Perzeptionen die Gegenwart mit der Zukunft schwanger geht und mit der Vergangenheit beladen ist.45 Es geht an dieser Stelle nicht darum, das metaphysische Denken von Leibniz zu rekonstruieren, sondern darum, ein Konzept unbewusster Vorstellungen zu exponieren, die gleichsam aus dem Grund in das, was in der Erfahrung bewusst wird und das heißt zum Ausdruck kommt, hineinspielen. Sofern für Leibniz jede Seelenmonade das ganze Universum potentialiter in sich konzentriert, um es aus einem je spezifischen Blickpunkt darzustellen (exprimer), so sind die kleinen, unbewussten Vorstellungen für diese Einheit des Möglichen konstitutiv: Sie bergen das Potential aller vergangenen wie möglichen zukünftigen Zustände, gleichsam die dynamische, ungeschiedene Fülle eines Grundes und seiner Entfaltungsdynamiken. Sie sind aber auch bestimmend für die irreduzible Individualität eines jeden Grundes – und wir mögen jetzt an den Farbgrund denken. Für Leibniz sind die unmerklichen oder unbewussten Perzeptionen konstitutiv für Individualität und Identität, sofern sie Spuren und Ausdrucksformen (traces ou expressions) vorheriger Zustandsformen der wahrnehmenden Seele wahren und so in kontinuierliche Verbindung mit dem Jetzt wie einer prospektiven zukünftigen Weise, sich zu entfalten, setzen. In Übertragung auf das Zeichnen auf farbigem Grund ließe sich formulieren: Die Spezifik und Unverwechselbarkeit eines jeden farbigen Grundes liegen auch darin, dass die Färbung, ihre Weise das Papier zu durchdringen, die Spuren des Einfärbungsprozesses, Unregelmäßigkeiten, Tönungen, Ausdrucksformen der künstlerischen Faktur usw. für das Erscheinen des zeichnerischen Bildes kraft des zeichnerischen Prozesses ebenso konstitutiv sind wie für die Betrachtung einer Zeichnung. Wenn Merleau-Ponty davon spricht, dass ein Maler das malt, was er gesehen hat, weil ihm die Welt Chiffren des Sichtbaren eingraviert habe, so dass dieses Sehen „eine Spiegelung oder eine Konzentration des Universums ist“, dann spielt er neben Heraklit (DK B 89) auf

45 Leibniz (wie Anm. 43), S. XXV.

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These petites perceptions […] form this something I know not what [je ne sçay qouy], these tastes, these images of sense-qualities, clear in combination but confused in the parts, these impressions which surrounding bodies make upon us, who contain infinity, this connexion which each being has with all the rest of the universe. It may be said that in consequence of these petites perceptions the present is big with the future and laden with the past.44 What is at stake here is not to reconstruct Leibniz's metaphysical thinking, but to expose a concept of unconscious perceptions that play, as it were, out of the ground into what becomes conscious and is expressed in experience. Insofar as for Leibniz every monadic soul potentially concentrates the whole universe and represents it from a specific point of view (exprimer), the small, unconscious ideas are constitutive for this unity of the possible: They hold the potential of all past as well as possible future states, as it were the dynamic of the ground, its undivided fullness, and its dynamics of unfolding. But they are also determinative of the irreducible individuality of every ground  – and we may now think of the colour ground. For Leibniz, the imperceptible or unconscious perceptions are constitutive to individuality and identity insofar as they preserve traces and expressions (traces ou expressions) of previous states of the perceiving soul and thus place them in continuous connection with the now as with a prospective future mode of expression. Transferring this to drawing on a colour ground, one could formulate: The specificity and distinctiveness of each colour ground also lie in the fact that the colouration, its way of penetrating the paper, the traces of the colouring process, irregularities, tints, expressions of artistic facture, etc. are just as constitutive for the appearance of the drawn image by virtue of the drawing process as they are for the contemplation of a drawing. When Merleau-Ponty states that the painter paints what he has seen because the world has engraved him with ciphers of the visible, so that this “vision is a mirror or concentration of the universe”, he is alluding to Leibniz (alongside Heraclitus; DK B 89).45 But where Leibniz surrenders the dynamics of inner world and outward expression to thought, a phenomenological approach posits corporeality and rejects the windowless monads of Leibnizian metaphysics: Painting evokes nothing […] What it does is much different, almost the inverse. It gives visible existence to what profane vision believes to be invisible; thanks to it we do not need a ‘muscular sense’ in order to possess the voluminosity of the world. This

44 Leibniz 1898 (as fn. 41), cf. New Essays on the Human Understanding, pp. 372–373. 45 “Furthermore every substance is like an entire world and like a mirror of God, or indeed of the whole world which it portrays, each one in its own fashion; almost as the same city is variously represented according to the various situations of him who is regarding it. Thus the universe is multiplied in some sort as many times as there are substances, and the glory of God is multiplied in the same way by as many wholly different representations of his works.” Leibniz 2020 (as fn. 37), § 10.

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Leibniz an.46 Doch wo Leibniz die Dynamik von innerer Welt und nach Außen tretender Expression dem Denken überantwortet, setzt ein phänomenologischer Ansatz bei der Leiblichkeit an und weist die fensterlosen Monaden der Leibniz’schen Metaphysik zurück: Die Malerei bringt nichts zu Bewußtsein […] Sie macht etwas ganz anderes, fast das Umgekehrte: Sie verleiht demjenigen sichtbare Existenz, was das profane Sehen für unsichtbar hält, sie bewirkt, daß wir keinen ‚Muskelsinn‘ brauchen, um den Umfang der Welt zu erfassen. Dieses verschlingende Sehen öffnet sich über die ‚visuellen Gegebenheiten‘ hinaus auf ein Gewebe des Seins, dessen vereinzelte visuelle Botschaften nur die Zeichensetzungen oder Zäsuren sind – und es bewohnt das Auge, wie der Mensch sein Haus.47 Vor phänomenologischem Hintergrund ist das Auge Fenster der Seele. Im Sehen vollzieht sich ein Empfänglichwerden für eine latente Struktur, was nichts mit einer empirischen, objektivierenden Beobachtung zu tun hat, die dann ihre formale Repräsentanz in einem rein geistigen Vorstellungsakt fände. „Ein Maler kann nicht zugeben, daß unsere Offenheit zur Welt illusorisch oder indirekt sei, daß das, was wir sehen, nicht die Welt selbst sei, daß der Geist nur mit seinen eigenen Gedanken oder mit einem anderen Geist zu tun habe. Er akzeptiert den Mythos von den Fenstern der Seele mit allen seinen Schwierigkeiten.“48 Der Leib wird zum Organ der Berührung mit der Welt und es ist die manuelle Faktur, die dies sichtbar macht, ein Sehen sichtbar macht und gewissermaßen im Bild inkarnieren lässt, ihm ein Inkarnat verleiht. Für unseren Zusammenhang ist hier entscheidend, dass die Seele – und wir denken jetzt stets an das Pendant der Seele, den Farbgrund einer Zeichnung – nicht als tabula rasa oder als passive Instanz gedacht wird, sondern selbst eine je eigene, tiefste Perspektivierung – oder sagen wir – Färbung und Tonalität mitbringt, einen fond, der in den jeweiligen Vergegenwärtigungsprozess bzw. den aktualisierenden Vollzug zeichnerischer Bewegung eingeht und mit diesem in fortwährender Verhandlung steht. So wenig wie ein weißes Blatt neutral ist, bringt es doch je eine materiale Textur, einen Ton, eine Haptik mit, um so mehr birgt ein Farbgrund ein spezifisches Potentialitätsspektrum, das im zeichnerischen Vollzug aktual wird. Der so gefasste Fond verweigert sich der Reduktion auf den Status einer Farbfläche, auf die etwas aufgetragen würde, ebenso wie Konnotationen von ‚Bildträger‘ oder ‚Hintergrund‘, der im Zuge der zeichnerischen oder malerischen Ausformung zum Verschwinden gebracht würde. Vielmehr weist er auf eine Tiefe, mediale Voluminosität und materiale Potentialität, die das Erscheinen zeichnerischer Figuren dynamisch durchdringt, 46 „Zudem ist jede Substanz wie eine ganze Welt und wie ein Spiegel Gottes oder vielmehr des ganzen Alls, das jede auf ihre Weise ausdrückt, etwa so, wie ein und dieselbe Stadt sich gemäß der verschiedenen Standorte dessen, der sie betrachtet, darstellt. So wird das All auf gewisse Weise ebenso oft vervielfältigt, wie es Substanzen gibt.“ Leibniz 1985 (wie Anm. 4), S. 79. 47 Merleau-Ponty 1984 (wie Anm. 12), S. 20. 48 Merleau-Ponty 1984 (wie Anm. 12), S. 40.

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voracious vision, reaching beyond the ‘visual givens,’ opens upon a texture of Being of which the discrete sensorial messages are only the punctuations or the caesurae. The eye lives in this texture as a man lives in his house.46 Against a phenomenological background, the eye is the window of the soul. In seeing a receptivity for a latent structure takes place. This has nothing to do with an empirical, objectifying observation, which would then find its formal representation in a purely mental act of imagination. “A painter cannot agree that our openness to the world is illusory or indirect, that what we see is not the world itself, or that the mind has to do only with its thoughts or another mind. He accepts, with all difficulties, the myth of the windows of the soul”.47 The body is the organ of getting in touch with the world and the manual facture of the drawing artist makes this visible, makes a seeing visible and in a sense incarnates it in the image, gives it an incarnate. What is decisive here for our context is that the soul – and we are now always thinking of the soul's counterpart, the colour ground of a drawing – is not thought of as a tabula rasa or as a passive instance, but rather itself brings along its own respective profoundest perspectivisation – or let us say – colouring and tonality, a fond that not only enters into the respective process of representation by the enactment of drawing but is in continuing negotiation with it. Just as a white sheet of paper is not neutral, but brings with it a material texture, a tone, a haptic, etc., a colour ground holds a specific spectrum of potentiality that is actualised in the process of drawing. Thus conceived, the fond refuses to be reduced to the status of a coloured surface onto which something is applied, as well as connotations of ‘image carrier’ or ‘background’, which would disappear in the course of the drawing or painting process. Rather, it points to a depth, medial voluminosity and material potentiality that dynamically permeates and shapes the appearance of drawn figures and, as it were, incorporates his life into them. But the ground only appears as a prior potential through the drawn form. Jean-Luc Nancy, in his reflections on drawing, recalls a formulation by Merleau-Ponty, according to which the drawn line is a dislocation of equilibrium on the indifference of white paper, whereby this indifference, however, does not mean a lack of properties, but rather indicates a still undifferentiated capacity. Nancy thus revises the opinion that the line is something like an appearance on an empty background (“l'apparition d'un être sur le vide du fond”). The drawn line is not an application, but rather it delimits, separates, and modulates a spatiality that is already prior (spatialité preélable), and in this sense it testifies to an artistic seeing that becomes visible in the image.48

46 Merleau-Ponty 2004 (as fn. 12), p. 298. 47 Merleau-Ponty 2007 (as fn. 22), p. 375. 48 Nancy 2009 (as fn. 15), p. 84.

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durchformt und ihnen gleichsam sein Leben einverleibt, das erst durch dies zeichnerische Form als vorgängiges Potential zum Erscheinen kommt. Wenn Jean-Luc Nancy in seinen Überlegungen zur Zeichnung eine Formulierung von Merleau-Ponty aufruft, wonach die zeichnerische Linie eine Verrückung des Gleichgewichtes auf der Indifferenz des weißen Papieres sei, diese Undifferenziertheit jedoch nicht Eigenschaftslosigkeit, sondern ein noch ungeschiedenes Vermögen indiziere, so revidiert er damit die Vorstellung, die Linie sei so etwas wie eine Erscheinung auf einem leeren Hintergrund („l’apparition d’un être sur le vide du fond“). Die zeichnerische Linie ist nicht aufgetragen, sondern sie begrenzt, scheidet und moduliert eine Räumlichkeit, die je schon vorgängig ist (spatialité prélable) und zeugt darin von einem künstlerischen Sehen, das sich ins Bild setzt.49 Wenn Bildwerke etwas zum Vorscheinen bringen und gleichsam Vorderseiten (surface) sind, dann deshalb, weil sie einen Grund im Rücken (revers) haben,50 eine Zone der Tiefe, die stets durchscheint und mit den zeichnerischen Gesten und Formfindungen interagiert, so dass erst im Wirkgefüge wechselseitiger Interventionen, sei es Zusammenspiel oder Gegeneinander, ein Prozess der Evidenzerzeugung wirksam wird. Ein solches Bildgeschehen verweigert sich dichotomen Modellen von Grund und Figur, weil der materielle Grund den zeichnerischen Prozess stets an die Hand nimmt, mitläuft und umfärbt bzw. die zeichnende Hand je in einer Farbatmosphäre agiert, diese distinkt werden lässt: Ein Sehen im Farbraum gezeichneter Evidenz. Si le dessin ouvre l’espace, la couleur couvre (c’est son sens premier) cette ouverture. Ce n’est pas qu’ell referme, c’est qu’elle en garde le secrect.51

49 Nancy 2009 (wie Anm. 16), S. 84. 50 Vgl. Jacques Derrida, Forçener le subjectile (Das Subjektil entsinnen), in: Paule Thévenin/Jaques Derrida, Antonin Artaud. Zeichnungen und Portraits, übersetzt v. Simon Werle, München 1986, S. 51–109. Der von Derrida in Auseinandersetzung mit den künstlerischen Arbeiten von Antonin Artaud bzw. dessen verwundender, zerstörerischer Umgangsweise mit dem Malgrund dekonstruierte Terminus Subjektil widersetzt sich einer Deutung im Sinne von Träger, Darunterliegendes bzw. einem Verständnis von Leinwand oder Papier als bloße Trägermedien, um stattdessen den Prozess der (mitunter gewaltsamen) Entbindung aus einem konstitutiven, materialen Grund bzw. dessen Schichten (couches) zu indizieren, der dem künstlerischen Prozess als Zugrundeliegendes, d. h. als Materie und Matrix, vor- und eingelagert ist. Vgl. S. 98. 51 Nancy 2009 (wie Anm. 16), S. 82; Nancy 2013 (Anm. 16), S. 148: „Wenn die Zeichnung den Raum öffnet, dann deckt (das ist die Hauptbedeutung) die Farbe diese Öffnung. Nicht, dass sie sie verschließen würde, sie bewahrt nur deren Geheimnis.“

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If pictorial works bring something to light and are, as it were, fronts (surface), then it is because they have a ground in the back (reverse),49 a zone of depth that always shines through and interacts with the drawing gestures and inventions of form, so that only in the effective structure of reciprocal interventions, be it interaction or counter-interaction, a process of evidence generation become effective. Such a process of drawing refuses dichotomous models of ground and figure, because the material ground always takes the drawing process by the hand, runs along with it and re‑colours it, respectively the drawing hand acts in a colour atmosphere, allows it to become distinct: Seeing in the colour realm of drawn evidence. Si le dessin ouvre l’espace, la couleur couvre (c’est son sens premier) cette ouverture. Ce n’est pas qu’ell referme, c’est qu’elle en garde le secrect.50

49 Cf. Jacques Derrida, Forçener le subjectile (Forgetting the Subjectile), in: Paule Thévenin/Jaques Derrida, Antonin Artaud. Zeichnungen und Portraits, translated by Simon Werle, Munich 1986, pp. 51–109. The term subjectile, deconstructed by Derrida in his examination of the artistic works of Antonin Artaud and his wounding, destructive way of dealing with the painting surface, resists an interpretation in the sense of carrier, underside or underlay of canvas or paper as merely a medium, in order to indicate instead the process of (sometimes violent) liberation from a constitutive, material ground or its layers (couches), which precedes and is embedded in the artistic process as underlying matter, i. e. as matter and matrix. Cf. p. 98. 50 Nancy 2009 (as fn. 15), p. 82; Nancy 2013 (as fn. 15), p. 115: “If drawing opens space, color covers this opening (this is its primary meaning). It is not that it closes it off, but rather that it keeps it secret.”

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Bildnachweise / Image Credits Brahms, Einführung /Introduction Abb. 1 © Zentralbibliothek Zürich; Abb. 2 © Teylers Museum Haarlem; Abb. 3.a © Musée du Louvre, RMN, S. Maréchalle; Abb. 3.b, 6.b © Graphische Sammlung der Universitätsbibliothek Erlangen; Abb. 4.a © Musée du Louvre, RMN, Foto A. Didierjean; Abb. 4.b, 4.e, 5.c © The Trustees of the British Museum; Abb. 4.c: Hugo Chapman, Marzia Faietti (Hrsg.), Fra Angelico to Leonardo. Italian Renaissance Drawings (Ausst. Kat. The British Museum/London, Galleria degli Uffizi/Florenz), London 2010, S. 117; Abb. 4.d © Musée du Louvre, RMN, Foto M Jeanneteau; Abb. 4.f © Musée du Louvre, RMN; Abb. 5.a © Musée du Louvre, RMN, Foto Michel Urtado; Abb. 5.b, 5.d, 5.e, 10 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Foto Jörg P. Anders; Abb. 5.f, 6.a, 7.a © Albertina, Wien; Abb. 7.b: Keith Christiansen, Stefan Weppelmann (Hrsg.), Gesichter der Renaissance. Meisterwerke italienischer Portrait-Kunst (Ausst. Kat. Gemäldegalerie/Berlin, The Metropolitan Museum/New York), München 2011, S. 363; Abb. 8: Kemperdick 2017 (Anm. 33), S. 31; Abb. 9 © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie, Foto Jörg P. Anders.

Sissis Abb. 1, 2 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Foto Jörg P. Anders; Abb. 3, 4, 5 © New York, The Metropolitan Museum of Art; Abb. 6 © bpk / Scala – courtesy of the Ministero Beni e Att. Culturali; Abb. 7 © Vatikan, Biblioteca Apostolica Vaticana; Abb. 8 © akg-images// Mondadori Portfolio/Veneranda Biblioteca Ambrosiana/Mauro Ranzani; Abb. 9 © Andreas Huth.

Helffenstein Abb. 1 © Victoria and Albert Museum, London; Abb. 2, 3 © The Walters Art Museum, Baltimore. Acquired by Henry Walters with the Massarenti Collection, 1902; Abb. 4 © Public Domain, Fotografie: National Gallery of Victoria, Melbourne; Abb. 5, 7, 10 ©Lindenau-Museum Altenburg, Fotograf: Bernd Sinterhauf; Abb. 6: Kreytenberg 2000 (Anm. 45); Abb. 8 © Florenz, Gabinetto Fotografico delle Gallerie degli Uffizi; Abb. 9 © Turin, Palazzo Madama  – Museo Civico d’Arte Antica, Fotografie: Studio Fotografico Gonella 2020, mit freundlicher Genehmigung der Fondazione Torino Musei, alle Rechte vorbehalten.

Reufer Abb. 1-4, 6 © Museum Boijmans Van Beuningen, Rotterdam; Abb. 5 © Trustees of the British Museum; Abb. 7 © Benozzo Gozzoli / Bildupphovsrätt i Sverige; Abb. 8 © Albertina, Wien; Abb. 9 © Gallerie dell’Accademia di Venezia. Archivio fotografico.

Brahms Abb. 1 Stella Panayotova (Hrsg.), Colour. The Art & Science of Illuminated Manuscripts (Ausst. Kat. Fitzwilliam Museum/Cambridge), London/Turnhout 2016, S. 26; Abb. 2 © Archiv der Autorin; Abb. 3 © Carsten Wintermann, Weimar; Abb. 4 Buck 2003 (wie Anm. 17), S. 41; Abb. 5 Ausst. Kat. München 1992 (wie Anm. 19), S. 131; Abb. 6, 7 © Albertina, Wien; Abb. 8 Ausst. Kat. Washington/Nürnberg 2005 (wie Anm. 58), S. 93; Abb. 9 © Kunstmuseum, Basel, Foto: Martin P. Bühler; Abb. 10 Kat. Erlangen 2009 (wie Anm. 82), S. 105.

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Bildnachweise / Image Credits

Bojilova Abb. 1, 2 © Philadelphia Museum of Art: Purchased with the Mr. and Mrs. Walter H. Annenberg Fund for Major Acquisitions, the Henry P. McIlhenny Fund in memory of Frances P. McIlhenny, bequest (by exchange) of Mr. and Mrs. Herbert C. Morris, and gift (by exchange) of Frank and Alice Osborn, 1990, 1990-100-1; Abb. 3: Leeflang/Luijten 2003 (Anm. 4), S. 197; Abb. 4: Schaar 1997 (Anm. 20), S. 74; Abb. 5: Alexander Dückers (Hrsg.), Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, Berlin 1994, S. 265; Abb. 6: Leeflang/Luijten 2003 (Anm. 4), S. 167; Abb. 7, 8, 9, 10 © Amsterdam, Rijksmuseum.

Keizer Fig. 1, 5, 7, 9 © Amsterdam, Rijksmuseum; Fig. 2 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Foto Jörg P. Anders; Fig. 3 © Teylers Museum Haarlem; Fig. 4 © The Metropolitan Museum of Art; Fig. 6 © The Trustees of the British Museum; Fig. 8: Schrader 2018 (as fn. 46), pl. 2.

Mc Carthy Fig. 1, 5 © President and Fellows of Harvard College; Fig. 2 © Beaux-Arts de Paris, Dist. RMN-Grand Palais / Art Resource, NY; Fig. 3 © Amsterdam, Rijksmuseum, Gift of M. Baur de Boer-van Kollenburg, Hergiswill; Fig. 4 © Ashmolean Museum, University of Oxford; Fig. 6 © Fondation Custodia, Collection Frits Lugt, Paris; Fig. 7 © National Gallery, London / Art Resource, NY; Fig. 8 © The State Hermitage Museum, Photo by Pavel Demidov; Fig. 9 © Amsterdam, Rijksmuseum; Fig. 10 © Image courtesy of The Leiden Collection, New York.

Häberle Tab. 1 © Armin Häberle, Berlin; Abb. 1 © Ernst Caramelle und Peter Freeman, Inc., Photo: Nicholas Knight Studio; Abb. 2 © Réseau des Musées nationaux Paris, RMN-Grand Palais, Photo T. Le Mage ; Abb. 3, 4, 7 © Bayerische Staatsbibliothek München, Alle Photos: Staatliche Graphische Sammlung München, aus: Gerin-Pierre, Claire u. a., Simon Vouet ou l’éloquence sensible. Dessins de la Staatsbibliothek de Munich (exh. cat. Musée des Beaux-arts/Nantes), Guy Tosato (Hrsg.), Paris 2002, S. 67, 69, 83, 85; Alle Aufnahmen: Courtesy Staatliche Graphische Sammlung München; Abb. 5 © Amsterdam, Rijksmuseum; Abb. 6: Jacques Thuillier u. a. 1990 (wie Anm. 39), S. 75; Abb. 8 © Ermitage, Sankt Petersburg; Abb. 9 © The Trustees of the British Museum; Abb. 10 © Réseau des Musées nationaux Paris, RMN-Grand Palais, Photo Michèle Bellot; Abb. 11 © Royal Collection Trust / Her Majesty Queen Elizabeth II 2020.

Venator Abb. 1-4 © Archiv des Autors.

Mózer Fig. 1-10 © Budapest, Museum of Fine Arts – Collection of Prints and Drawings.

Eusterschulte Abb. 1 © Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Foto Jörg P. Anders.

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