Gewalt und Gelächter: 'Deutschsein' 1914–1945 3515123822, 9783515123822

Was haben Gewalt, Gelächter und Deutschsein miteinander zu tun? Martina Kessel analysiert, wie in der deutschen Gesellsc

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German Pages 296 [298] Year 2019

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Table of contents :
Inhaltsverzeichnis
I. Einleitung: Gewalt und Gelächter. ‚Deutschsein‘ 1914–1945
II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben
1. Deutschwerden durch Krieg: „Kampf und Lachen“
2. Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff
3. Zeitlichkeit: Vorwärts statt verhandeln
4. Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz
5. Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘
III. Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik
1. ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie
2. Das Ernste und Heitere nach Versailles: Den Frieden abwerten
3. Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter
IV. Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum
1. Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich
2. „Das Lachen wird Euch noch vergehen“: Die Erzählung vom ‚Juden‘ als ‚Täter‘
3. Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf‘
4. „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg
5. Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik
V. Gewalt vergessen machen? „Gelächter im Nationalsozialismus“ nach 1945
Quellen- und Literaturverzeichnis
Abkürzungen
Bildnachweise
Danksagung
Namensregister
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Gewalt und Gelächter: 'Deutschsein' 1914–1945
 3515123822, 9783515123822

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Martina Kessel

Gewalt und

Gelächter ‚Deutschsein‘ 1914–1945

Geschichte Franz Steiner Verlag

Martina Kessel

Gewalt und Gelächter ‚Deutschsein‘ 1914–1945

Franz Steiner Verlag

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar. Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig und strafbar. © Franz Steiner Verlag, Stuttgart 2019 Satz: DTP + TEXT Eva Burri, Stuttgart Druck: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier. Printed in Germany. ISBN 978-3-515-12382-2 (Print) ISBN 978-3-515-12383-9 (E-Book)

Inhaltsverzeichnis I.

Einleitung: Gewalt und Gelächter. ‚Deutschsein‘ 1914–1945 . . . . . . . . . . . . . . 7

II.

Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 1 . 2 . 3 . 4 . 5 .

Deutschwerden durch Krieg: „Kampf und Lachen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 Zeitlichkeit: Vorwärts statt verhandeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz . . . . . . . . . . . . . . 67 Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

III. Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1 . 2 . 3 . IV.

Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum . . . . . . . . . . . . . . 149 1 . 2 . 3 . 4 . 5 .

V.

‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie . . . . 95 Das Ernste und Heitere nach Versailles: Den Frieden abwerten . . . . . . . 113 Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter . . . . . . . . 127

Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich . . . . . . . . . . . . . . . 149 „Das Lachen wird Euch noch vergehen“: Die Erzählung vom ‚Juden‘ als ‚Täter‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf ‘ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg . . . . . . . . 204 Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik . . . . . 219

Gewalt vergessen machen? „Gelächter im Nationalsozialismus“ nach 1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249

Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Bildnachweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 290 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

I. Einleitung: Gewalt und Gelächter. ‚Deutschsein‘ 1914–1945

K

urz nach Beginn des Ersten Weltkriegs, am 1 . Oktober 1914, attackierte Theodor Fritsch jüdische Deutsche als die „lachenden Dritten“: Er behauptete, sie würden aus jedem Krieg zwischen Deutschland und anderen Ländern Profit schlagen, versteckt hinter der Maske dessen, der für die deutsche Seite blute .1 Vor dem Krieg hatte der bekannte antisemitische Agitator das berüchtigte Handbuch der Judenfrage publiziert und den Reichshammerbund gegründet, der nach 1918 im Deutschen Schutz- und Trutzbund aufging . Nicht von ungefähr legte Fritsch nach Kriegsbeginn nach . Während jüdische Deutsche hofften, durch ihren Kriegseinsatz endlich vorbehaltlos als Deutsche akzeptiert zu werden, wollte er genau das verhindern . Deshalb entwarf er sie als ‚Dritte‘, als Menschen, die weder deutsch seien noch zu anderen Nationen gehören, ihre Nichtzugehörigkeit aber maskieren würden . Mit dem Topos vom Gelächter lud er seinen Angriff emotional noch auf: Indem er jüdischen Deutschen zuschrieb, über andere zu lachen, unterstellte er ihnen, diese nicht nur schädigen, sondern auch beschämen zu wollen . Nationalsozialistische Aktivisten setzten tatsächlich Spott ein, um Verfolgte zu beschämen und zu erniedrigen . Nach der Annexion Österreichs 1938 verschleppten die Deutschen Tausende jüdischer Männer in Konzentrationslager, darunter auch den Sportjournalisten Dr . Maximilian Reich . Die SS in Dachau verwandelte die Ankunft der Österreicher höhnisch in ein regelrechtes Spektakel, das sich bei einem Besuch Heinrich Himmlers wenig später wiederholte .2 Reich erinnerte sich, dass die SS jeden Satz Himmlers mit beifälligem Gelächter quittiert und sich besonders amüsiert habe, als ihr Chef einen älteren Industriellen fragte, ob er wisse, warum er in Dachau sei . Als der Gefragte verneinte, hätten sich Himmler und seine Begleiter vor Lachen geschüttelt und ersterer sofort Dunkelarrest angeordnet, damit der Verhaftete „darüber nachdenken“ könne .3 Fritsch, Burgfrieden, 506 . S . Albanis, German-Jewish Cultural Identity, 37 . Zur Figur des Dritten u . a . Holz, Nationaler Antisemitismus, 543 . Breger/Döring (Hg .), Figur des/der Dritten . 2 Wünschmann, Before Auschwitz, 168 ff ., hier 174 . 3 Reich, Die Mörderschule, 96 f . Reich emigrierte nach seiner Freilassung nach England . 1

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I . Einleitung: Gewalt und Gelächter . ‚Deutschsein‘ 1914–1945

Wie hingen die beiden Situationen zusammen? Himmlers Spott war für die Betroffenen nicht komisch, sondern bedrohlich, und Fritsch hörte selbstredend nicht wirklich jemanden lachen . Die Momentaufnahmen stehen vielmehr dafür, dass beide über Identität verfügen wollten . Fritsch verweigerte jüdischen Deutschen ihr Deutschsein mit dem Topos vom Lachen; die SS agierte mit Gelächter ihre Verletzungsmacht gegenüber denen aus, die sie als ‚nichtdeutsch‘ markierte und verfolgte . Entsprechend dreht sich mein Buch ausdrücklich nicht um Komik, sondern um zwei andere Leitfragen: Zum einen, welche Vorstellungen von Deutschsein Akteure vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der NS-Zeit im (Reden über) Gelächter ausagierten; zum anderen, wie sie rechtswidrige Gewalt mit Spottpraktiken in vorgeblich ‚rechtmäßiges‘ Verhalten umdeuteten . Überlebende der Shoah haben vielfach beschrieben, dass sie nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit Spott gequält wurden, und nicht nur von Gewaltakteuren im engeren Sinne . Warum aber? Der Hohn ging über das Ziel eines Völkermordes hinaus . Das heißt, er wäre nicht notwendig gewesen, um Juden in Deutschland und Europa zu ermorden . Um ihn zu erklären, ist die Geschichtsdeutung wichtig, die Fritsch 1914 beschwor, also von Juden nicht nur ‚ausgebeutet‘, sondern ‚verlacht‘ und ‚beschämt‘ zu werden . Wenn ich den Topos vom Gelächter analysiere, geht es um die Geschichte dieser Projektion . Denn mit der Unterstellung, beschämt und erniedrigt worden zu sein, begründeten auch Nationalsozialist/innen, warum sie reale Beschämung und Erniedrigung zu einem Strukturelement der Verfolgung machten .4 Ich verstehe Gelächter also als Sinnangebot und Verhaltensweise, um ‚deutsch‘ als Differenz zu ‚jüdisch‘ zu etablieren und Gewalt auf emotionalisierende Weise zu rechtfertigen . Anders gesagt, ich fokussiere weniger auf Antisemitismus in Deutschland als auf der Frage, wie Deutschsein gefasst wurde, um Antisemitismus (oder die Abwehr anderer ‚Nichtdeutscher‘) scheinbar plausibel zu machen . Denn um die Ausgrenzungsund Verfolgungsbereitschaft von Menschen zu erklären, die ihr ‚Deutschsein‘ in den Mittelpunkt stellten, ist nicht nur entscheidend, wie sie andere in ‚Andere‘ verwandelten . Zentral ist, dass und wie sie sich mithilfe dieser Projektionen zu ‚Deutschen‘ machten . Ich nehme das (Reden vom) Gelächter daher als roten Faden, um zu diskutieren, mit welchen Sinnstrukturen Zeitgenossen die angebliche Differenz ‚deutsch vs . jüdisch‘ so verankerten, dass ihr antijüdisches Handeln scheinbar selbstverständlich erschien .5 Um wiederum zu erklären, warum Fritsch vom Lachen sprach und die SS spottete, um einen angeblich unüberbrückbaren Gegensatz zu markieren, ist entscheidend, dass beide auf einen lange verankerten, spezifischen Humorbegriff rekurrierten . In der Forschung gilt Humor meist als Oberbegriff für verschiedene Spielarten wie Satire, Karikatur, Spott oder Ironie .6 Im Vordergrund steht zudem häufig die Frage, ob er subversiv oder affirmativ sei . Bereits diese Dichotomie ist problematisch, denn (angeblich) scherzhafte Praktiken können beides zugleich sein . Zudem können sie noch Vgl . Kap . IV . Confino, World without Jews, deutet in analoger Weise das Verbrennen der hebräischen Bibel als Zeichen, den jüdischen Ursprung des christlichen Abendlandes ausradieren zu wollen . 5 Inspirierend: Olin, From Bezal’el to Max Liebermann . S . a . Feldman, Conceiving Difference . 6 Oder für Situationen, die Vergnügtsein herbeiführen, Korte/Lechner, History and Humour, 11 . 4

I . Einleitung: Gewalt und Gelächter . ‚Deutschsein‘ 1914–1945

ganz anderes bedeuten . Menschen handeln mit Spott und Gelächter Ehrbegriffe aus, lösen oder verschärfen Spannungen . Die Entscheidung, wer mit wem über wen oder was lachen darf, verweist auf die ‚heiligen Kühe‘ einer Gesellschaft, auf Überzeugungen oder Werte, die nicht karikiert werden dürfen . Zudem bearbeiten Akteure Statushierarchien und Machtbeziehungen, wenn sie sich darüber verständigen, wen sie gemeinsam öffentlich verspotten .7 All diese Aspekte spielen im Buch eine Rolle . Doch erschließen auch sie sich erst dann, wenn zunächst der Begriff des Lachens in der deutschen Kultur in den Blick kommt, der in sich bereits ein spezifisches Verständnis von Deutschsein und Politik signalisierte . Denn in Deutschland stand der Begriff der Heiterkeit – mit Trabanten wie Humor oder Lachen – für eine konkrete Deutung von Geschichte und Identität . Der Topos existierte in diesem Sinne seit der Zeit um 1800, wurde aber im Ersten Weltkrieg breit wirksam . Seit 1914 überschwemmten Anekdotenhefte das Land, deren Titel Humor im Felde, Kampf und Lachen oder Ernstes und Heiteres versprachen . Sie transportierten die Einstellung, die Michael Geyer als „katastrophischen Nationalismus“ bezeichnet hat:8 Die Überzeugung, dass nicht demokratische Politik, sondern nur Kampf und Krieg eine Nation produzieren würden, die genuin ‚deutsch‘ sei . Um ihre Sicht anschaulich zu vermitteln, erzählten die Autoren Geschichte anhand von militärischen Führungsfiguren oder Soldaten ohne Rang, die vertrauensvoll zu den Helden aufschauten . Ihre Anekdoten verherrlichten erstens nichtdemokratische Politik, indem sie ein nichtdemokratisches Persönlichkeitsideal inszenierten: Nur wer kämpfe, statt demokratisch zu verhandeln, sei deutsch . Zweitens schrieben die Hefte die Gewalt um, die gegen internationale oder völkerrechtliche Übereinkünfte verstieß: Sie deuteten den Zugriff auf Grenzen, Räume und Körper dann als ‚gerecht‘, wenn er den deutschen Kriegszielen diene .9 Anders gesagt: Im Ersten Weltkrieg etablierten Kriegsverfechter/innen die Sinnfigur des ‚lachenden deutschen Soldaten‘, der auch dann ‚im Recht sei‘, wenn er gegen das Völkerrecht verstoße . Drittens verbreiteten Anekdoten das binäre Deutungsmuster vom ‚richtigen vs . falschen Lachen‘, um festzulegen, wer dieses Deutschsein für sich reklamieren dürfe: Wen sie ausgrenzen wollten – ob Demokrat/innen, Kriegsgegner/innen oder jüdische Deutsche -, dem attestierten sie ein ‚falsches Lachen‘ . Mit dem Kürzel schrieben sie den Angegriffenen eine ‚falsche Politik‘, eine ‚falsche Identität‘ oder beides ein . Dieses Sinnmuster zirkulierte Fritsch in seiner Polemik . Mein Buch erzählt die Geschichte des Ernsten und Heiteren, wie ich es im Folgenden nenne, vom Ersten Weltkrieg bis zum Ende der NS-Zeit . Eine Kernthese ist, dass seine Anhänger/innen Identität und Gewalt bereits im Ersten Weltkrieg mithilfe dieses Sinnmusters codierten . Wer nach 1918 die Revolution oder die Republik ablehnte, zeitweise oder dauerhaft, diffamierte die Demokratie ebenfalls nicht nur als politisch inakzeptabel, sondern als Identitätsverlust für ‚wahre Deutsche‘ . Im Kontext konkurrierender Politikmodelle platzierten sich die Nationalsozialisten in den zwanziger Jahren, U . a . Kessel, Landscapes . Bremmer, Rodenburg (Hg .), Kulturgeschichte des Humors . Konkret nach Komik in autoritären Regimen fragen die Beiträge in Caplan/Feldman (Hg .), Laughing out loud . 8 Geyer, Insurrectionary Warfare, 516 . 9 Vgl . Kessel, Gelächter . Dies ., Laughing about death . 7

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I . Einleitung: Gewalt und Gelächter . ‚Deutschsein‘ 1914–1945

indem sie weniger konkrete Politik als Identitätspolitik anboten und dazu das ausschließende Verständnis von Deutschsein radikalisierten . Nach 1933 realisierten Engagierte auch mit Spottpraktiken eine entsprechende Gesellschaft und deklarierten die dafür eingesetzte Gewalt als ‚rechtmäßig‘ . Gerade die Form, in der sie handelten, reflektierte die Legitimationsmuster, auf die sie sich beriefen . Die NS-Gesellschaft war attraktiv, weil sie das Gefühl von Differenz garantierte . Deutschsein toppte Demokratie . Ich frage also nicht, ob Zeitgenossen das, was sie als heiter bezeichneten, komisch fanden, und schon gar nicht, ob wir darüber lachen können oder dürfen . Das Ernste und Heitere fungierte vielmehr als eine „Matrix des Imaginären“:10 Es war ein Verknappungsbegriff für ein ganzes Set von Identitätsbehauptungen und Zuschreibungen . Mit den darin gebündelten Sinnstrukturen entschieden Menschen über ‚Deutschsein‘; sie beschrieben ihre eigene Geschichtsdeutung als ‚Wahrheit‘ und entzogen damit und durch den Modus des angeblich Scherzhaften ihr Vorgehen der Diskussion . Um ihren Weg als den einzig möglichen darzustellen, setzten sie das Ernste und Heitere diskursiv, symbolisch und körperlich ein: Sie nutzten es als Beschreibungsmuster, um Akteure und Politikangebote zu bewerten und zu hierarchisieren, und sie agierten es aus, um als deutsch aufzutreten . Das Erzählmuster lieferte, mit Foucault gesprochen, ein alltägliches Regulierungswissen . Denn Menschen unterhielten sich auf diese Weise über Identität sowie über die Wege, die von ihnen gewünschte Ordnung herzustellen . Erfahrbar und fühlbar machten Akteure ihre Vorstellungen, indem sie sie in Handlungsstrukturen, soziale Beziehungen und Machtverhältnisse übersetzten .11 Ich binde mich entsprechend in die Forschung ein, die Prozesse von „meaning construction“ in den Blick nimmt, die Art und Weise, wie Zeitgenossen ihrer Welt Sinn gaben und danach handelten .12 Dabei steht im Vordergrund, wie der Topos vom Gelächter dazu diente, Vorstellungen von (kollektiver) Identität und das Plausibel-Machen von Gewalt zu verknüpfen . Denn Sinnproduktion zwischen 1914 und 1945 bedeutete auch und gerade, rechtswidrige Gewalt in etwas vorgeblich Legitimes umzudeuten, und dieser Prozess setzte nicht erst im Nationalsozialismus ein .13 Wenn ich von Identität rede und einen weiteren heiß umstrittenen Begriff benutze, sei betont: Nicht ich behaupte ein angeblich festlegbares, gleichsam wesenhaftes So-Sein . Vielmehr beanspruchten die historischen Akteure, die ich analysiere, ein ‚wesenhaftes‘ Deutschsein fixieren zu können, jenseits von rechtlicher Gleichstellung . Ich möchte gerade entziffern, auf welche Weise sie Deutschsein als nichtjüdisch herstellten und diese Einstellung zunehmend radikalisierten .14 Denn die SS beanspruchte mit ihrem Spott, zuerst eine Grenze zwischen Der Begriff bei Sémelin, Elemente, 39 . Anderson, Imagined Communities, 19, zufolge erschließen sich Gesellschaften weniger durch Ideologien als durch ihre kulturellen Bedeutungssysteme . Butler, The Psychic Life, 32, zufolge etablieren sich Menschen als Subjekte, indem Handlungsmöglichkeiten (agency) und die Verinnerlichung gesellschaftlicher Setzungen zusammenspielen, als „gleichzeitige Entfaltung und Regulierung des Subjekts“ . 12 Stone, Holocaust Historiography and Cultural History, bes . 49 f . 13 Weinhauer/Ellerbrock, Perspektiven, 11, zu Gewalt als kommunikativer Praxis, die verschiedene Ordnungs- und Sinnangebote vernetzt . Zum Ersten Weltkrieg Horne/Kramer, German Atrocities . Zum Nationalsozialismus u . a . Buggeln, Gewalt, 18 ff . Zu kultureller Gewalt Münzner, Hiller, 19 ff . 14 Zur langen Tradition dieser Einstellung Meyer, Jüdische Identität, v . a . 116–126 . 10 11

I . Einleitung: Gewalt und Gelächter . ‚Deutschsein‘ 1914–1945

gedachten Identitäten ziehen zu dürfen, um dann den Verfolgten zu unterstellen, die Linie ‚unrechtmäßigerweise‘ zu überschreiten . Nach 1945 verwischte die (west)deutsche Gesellschaft gezielt diese Geschichte des Gelächters . Stattdessen kanonisierte die Nachkriegsgesellschaft die engführende Deutung, Scherze im Nationalsozialismus seien ein Widerstandsakt nichtjüdischer Deutscher gewesen, die damit ihr Leben riskiert hätten .15 Sammlungen, die nach 1945 Witze aus der NS-Zeit zirkulierten, speisten die populäre Selbstbeschreibung als nichtjüdische Leidensgemeinschaft .16 Damit blendeten sie andere Bedeutungen aus und rückten auch aus dem Blick, dass Humor selbst eine Form von Gewalt und Erniedrigung gewesen war . Außerdem verdeckte der Zugriff, wie geläufig die in der NS-Zeit wirksamen Verhaltensweisen schon lange vor 1933 gewesen waren, um Menschen als zugehörig oder nicht zugehörig zu markieren . Die beiden österreichischen Kunsthistoriker Ernst Kris und Otto Kurz dagegen, die in den dreißiger Jahren nach England emigrieren mussten, wiesen bereits 1934 auf eine andere Bedeutung von Humorpraktiken hin . Sie entlarvten nicht nur den Mythos vom ‚großen Künstler‘, der angeblich von allen gesellschaftlichen Bedingungen unabhängig sei und dessen Aura Hitler zeitgenössisch für sich reklamierte .17 Sie betonten auch, wie wichtig Anekdoten für die gesellschaftliche Projektion eines solchen ‚Führers‘ seien, und fanden es irreführend, sie als Quelle auszumustern, weil sie angeblich trivial und wenig aussagekräftig seien . Stattdessen deuteten Kris und Kurz Witze und joviale Geschichtchen als elementaren Teil der Konstruktion großer Helden . Denn sie würden die Identifikation mit der Leitfigur erleichtern, die man dergestalt in den Alltag hineinhole .18 In diesem Sinne verstehe ich Anekdoten, Spott und das Reden über Gelächter als ‚Geschichtsschreibung im Alltag‘:19 Als Handlungsweisen vermittelten sie kollektive Vorstellungen von Deutschsein, Geschichte und Politik und ließen sie gefühlte Wirklichkeit werden . Als Geschichtserzählung en miniature bildeten sie Ereignisse nicht einfach ab, sondern stellten sie ihrerseits her und schrieben ihnen in verdichteter Form einen Sinn zu . Ihn gilt es zu dechiffrieren .20 Identität und Politik festlegen: Das ‚Ernste und Heitere‘ im 19. Jahrhundert Um das Sinngefüge des Ernsten und Heiteren genauer zu erklären, skizziere ich zunächst vier darin verflochtene Deutungsmuster, die sich bereits im 19 . Jahrhundert entwickelten und ab 1914 breitenwirksam wurden . Mit dem Rückblick beschwöre ich weder eine deterministische noch eine eindimensionale Geschichte . Es geht umgekehrt Meier/Sellin, Vox populi, 18 . Anders bereits Hill, Humour . Wöhlert, Der politische Witz . Merziger, Nationalsozialistische Satire . 16 Zu deren Fortdauer bis in die jüngste Gegenwart Jureit/Schneider, Gefühlte Opfer . 17 Schwarz, Geniewahn . Pyta, Hitler, für die frühen 1920er Jahre und den Zweiten Weltkrieg . 18 Kris/Kurz, Legende vom Künstler, 31 . 19 Fineman, History of the Anecdote, 57, zu Anekdoten als „smallest minimal unit of the historiographic fact“, als kompakten Verweis auf ‚das Reale‘ bzw . dessen Imagination . S . a . Kessel, Gelächter, 102– 107 . 20 Zu letzterem mit Blick auf Karikaturen Schäfer, Vermessen, 95 . 15

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I . Einleitung: Gewalt und Gelächter . ‚Deutschsein‘ 1914–1945

um Zugriffe auf Identität und Politik, die nicht immer dominant waren, aber auch nie verschwanden und deshalb in der ersten Hälfte des 20 . Jahrhunderts angeeignet und verändert werden konnten . Das Ernste und Heitere stammte aus der Zeit um 1800, als das alte Reich zusammenbrach, aber nicht eine Nation an dessen Stelle trat . In Deutschland gab es weder eine Revolution, die die Moderne einläutete, noch eine einheitliche Grenze oder politische Struktur für alle, die sich als deutsch verstanden . Stattdessen definierten (preußische) Deutungsmächtige Deutschsein kulturell; sie fassten die ‚Nation ohne Nation‘ durch Dimensionen wie Sprache und christliche Konfession, Kategorien wie Geschlecht und ‚Rasse‘ oder pauschal die deutsche Kultur . Tatsächlich handelten Menschen auf vielfältige Weise Selbstverständnisse und Zugehörigkeiten aus .21 Dennoch überdauerte die Perspektive bis in das 20 . Jahrhundert . In meinem Analysezeitraum prägte der Zugang nicht nur Debatten darüber, wer dazugehöre, sondern auch, welche Form von Politik als deutsch gelten dürfe . Seit der Zeit um 1800 war erstens die Begriffskombination im Titel selbst die Botschaft . Intellektuelle wie Friedrich Schiller oder Johann Gottlieb Fichte definierten die Abwesenheit einer Nation als ernstes oder gar tragisches Phänomen . Die Bereitschaft, die Nation im Kampf zu kreieren, beschrieben sie dagegen als Heiterkeit oder Humor . Davon abweichende Positionen galten als ironisch oder spöttisch . Das richtete sich gegen diejenigen, die ironische Selbstreflexivität als Signum der Moderne fassten und dafür plädierten, dass Identität eben kein homogenes, irgendwie wesenhaftes Ding sei .22 Das begriffliche Paradox, Kampfbereitschaft Heiterkeit zu nennen – eine heitere Entschlossenheit zum Krieg, um das vorgeblich ernste Problem der fehlenden Nation zu lösen -, erklärt, warum spätere Kontroversen um die Deutungshoheit über deutsche Geschichte mit dem Stichwort des Ernsten und Heiteren geführt wurden . Wer sich darauf berief, plädierte für Krieg als Ursprung nationaler Einheit, ohne es ausbuchstabieren zu müssen . Zudem ließ diese Perspektive nur eine Nation und keinen anderen politischen Verbund als adäquaten Rahmen für ‚Deutschsein‘ zu . Um 1800 beschrieb die Debatte die reale politische Vielgestaltigkeit als ‚tragisch‘ und akzeptierte nur das kämpferische Drängen auf eine Nation als ‚deutsches‘ Verhalten . Zweitens lenkte das Ernste und Heitere daher immer dann, wenn andere für Demokratie plädierten, fort von Fragen wie Gewaltenteilung, Wahlrecht oder politischer Repräsentation . Nach der Revolution von 1848 etwa präsentierten Anekdotenhefte Kampf und Krieg als einzig richtigen Weg zur Nation, um die Erinnerung an demokratische Möglichkeiten zu überlagern . Sie feierten die antinapoleonischen Kriege des frühen 19 . Jahrhunderts in ihrer ‚menschlichen‘ und ‚gemütlichen‘ Seite .23 Wer heiter und entschlossen gegen andere kämpfe, so die Botschaft, sei denen überlegen, die widerstreitende Interessen demokratisch aushandeln wollten . Scherzhefte aus den sog . Zu Deutschen im Ausland u . a . O’Donnell (Hg .), Heimat abroad . Methodisch-theoretisch Harders, Migration . 22 Bohrer (Hg .), Sprachen, zufolge lehnten die Verfechter des ‚Ernstdiskurses‘ Ironie als Ausdruck moderner Selbstreflexivität ab . Entsprechend verurteilten sie Gegenpositionen zu ihrer eigenen als ‚spöttisch‘ . Bausinger, Lachkultur, 21, spricht daher von einer „unrühmliche(n)“ Geschichte des Humorbegriffs seit 1800 . Kessel, Gelächter, 101 . 23 U . a . Ebersberg, Am Wachfeuer . 21

I . Einleitung: Gewalt und Gelächter . ‚Deutschsein‘ 1914–1945

Einigungskriegen meldeten enthusiastisch Vollzug . Sammlungen wie Humor und Ernst des deutschen Kriegers von 1866 oder Humor im Felde von 1870 beschrieben entweder mutige Soldaten, die mit einem Scherz auf den Lippen kämpften . Oder sie stellten politisch-militärische Befehlshaber als joviale Leitfiguren dar, etwa Friedrich II . oder „Papa“ Wrangel, den preußischen General und Oberbefehlshaber in den Marken, der die Revolution von 1848 in Berlin niedergeschlagen hatte .24 Indem sie die Bonhomie von Militärs und Königen inszenierten, präsentierten sie die Reichsgründung als rein militärisches Phänomen und blendeten Entwicklungslinien jenseits von Krieg aus – ‚kriegerische Persönlichkeit‘ statt Demokratisierung . Der Ansatz verschwand auch nach der Reichsgründung nicht, im Gegenteil . Gerade weil es zu Demokratisierungsprozessen im Kaiserreich kam, stellten Ernst und Heiter-Protagonist/innen eine solche Entwicklung als Problem dar . Der Humortopos blieb ein antidemokratischer Kampfbegriff, um Demokratie als bloße Zersplitterung zu diskreditieren und einen Mangel an ‚wahrer‘ Einheit zu behaupten . Das Aushängeschild der konservativen Revolution, Arthur Moeller van den Bruck, plädierte 1910 mit dem Titel Lachende Deutsche dafür, einem ‚demokratischen Verfall‘ mit kriegerischer Kunst und Politik zu begegnen; er kanonisierte eine Riege nichtjüdischer „großer Männer“ seit Rembrandt, um zu suggerieren, dass die verhasste Demokratisierung keine ‚großen Köpfe‘ mehr zulasse .25 Dieser Humordiskurs war in der kulturellen Pluralisierung vor 1914 nicht unbedingt dominant, doch verschwand er auch nie . Deshalb war er verfügbar, um bei Kriegsbeginn zu einem wichtigen Stichwort der Mobilisierung zu werden . Drittens, und das klang bei Moeller van den Bruck bereits an, beanspruchten Ernst und Heiter-Akteure, nicht nur in Sachen Politik, sondern auch mit Blick auf Kunst die ‚Wahrheit‘ zu sagen . In der Debatte um Deutschsein spielte Kunst im 19 . und 20 . Jahrhundert eine ähnlich bedeutsame Rolle wie Bildung . Die bürgerliche Kultur verlieh nicht nur Bildung, sondern auch Kunst einen quasireligiösen Charakter . Entsprechend wichtig und umstritten war, wer als kreativ und was als Kunst gelten dürfe, erst recht, als sich die Unterhaltungsbranche ausdifferenzierte . Im Vormärz und der Revolution von 1848 etablierten sich Satire, Lachtheater oder Karikaturen auch in Deutschland als populäre Unterhaltungsformen und zugleich als Mittel, um politische Kritik zu üben .26 Seitdem achteten Anhänger/innen der herrschenden Ordnung darauf, ihrerseits heitere Unterhaltung für ihre Politik zu nutzen und nicht den Kritiker/innen als Instrument zu überlassen .27 Zugleich sprachen sie denen, die Politik und Kunst demokratisieren wollten, ästhetische Qualität ab . Anders gesagt: Sie verurteilten Demokratisierungswünsche politisch als „zersetzend“ und künstlerisch als „unästhetisch“ .28 Auch hier ging es nicht darum, zu definieren, was Humor und Satire als Genre jeweils ausmache oder unterZ . B . Humor und Ernst, 8, 21 f ., 15 . Humor im Felde . Zum Spott über Frankreich Koch, Teufel, u . a . 486 . Moeller van den Bruck, Lachende Deutsche . 26 Hier nur Townsend, Forbidden laughter . 27 Als in den 1860er Jahren wieder einige regierungskritische Zeitschriften erscheinen durften, etablierten Konservative beispielsweise eine kurzlebige Zeitschrift mit dem sinnigen Titel Der kleine Reactionair . Sie wollten dem ‚zuchtlosen‘ Witz der Demokraten ‚echten Humor‘ entgegensetzen, Hippen, Kabarett, 46 . 28 Mit weiterer Literatur Kessel, Gelächter, 102 . 24

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I . Einleitung: Gewalt und Gelächter . ‚Deutschsein‘ 1914–1945

scheide . Die Topoi erlaubten vielmehr, Demokratisierung argumentfrei abzulehnen: Wer missliebigen Politikern oder Künstler/innen ‚Heiterkeit‘ absprach und sie stattdessen als ironisch oder spöttisch klassifizierte, sprach ihnen ab, deutsch zu sein . Wer dagegen ernst und heiter auftrat, beanspruchte, den ‚wahren‘ Kampf für die Nation zu führen . Diese Linie drehten Anhänger/innen der Matrix im 20 . Jahrhundert weiter, um ‚Dichter und Denker‘ in ‚rechtmäßige Richter und Henker‘ zu verwandeln .29 Viertens schließlich inszenierte das Ernste und Heitere seit dem 19 . Jahrhundert jüdisch und deutsch als Gegensatz . Das Kürzel umschrieb im Grunde die Position, die der Staatsrechtler Adam Heinrich Müller 1808 vertrat . Er hatte irritiert festgestellt, dass es außer den Deutschen nur ein weiteres Volk gäbe, das eine ‚Nation ohne Nation‘ darstelle, nämlich die Juden . Doch lehnte Müller das Judentum als mögliches Vorbild entschieden ab . Er behauptete stattdessen, es stehe „mit seinem innersten Wesen mit der Deutschheit im Widerspruch“, so dass „die Deutschen“ nur „mit Widerwillen“ hinsehen würden .30 Müller übersetzte den konfessionellen Unterschied zwischen Judentum und Christentum in den angeblich wesenhaften Gegensatz von ‚jüdisch vs . deutsch‘ . Seine Umdeutung reagierte darauf, dass neben der ständischen Gesellschaft auch das Christentum mit der Aufklärung seinen umfassenden Anspruch verloren hatte, Ordnung zu begründen, so dass ‚der Jude‘ als Gegenbild ‚des Christen‘ überflüssig wurde .31 Wer Juden auch in einer modernen Gesellschaft ausschließen wollte, und zwar konstitutiv und nicht nur situativ, brauchte daher andere Sinnmuster, um eine angeblich inhärente, unüberbrückbare Differenz behaupten zu können . Angesichts der Demokratisierungsdebatten im Vormärz entwickelten protestantische Eliten die Denkfigur eines ‚jüdischen Witzes‘, um Juden als ‚nichtdeutsch‘ zu markieren . Als Heinrich Heine die deutsche Politik ironisierte, karikierte er auch den Gestus der Erhabenheit, den Fichte und Schiller inszeniert hatten . Prompt grenzten einflussreiche Protestanten ihn als nicht zugehörig aus: Heine sei spöttisch und nicht humorvoll, also ‚nichtdeutsch‘ .32 Wer Juden nicht als deutsch akzeptieren wollte, konnte seitdem auf die Formel von der ‚jüdischen Ironie‘ zurückgreifen . Sie darf ebenso wenig als tatsächliche Eigenschaft verstanden werden wie das Konstrukt des ‚herzlichen deutschen Soldaten‘ . Beides waren diskursive Muster, die den konfessionellen Unterschied zwischen Juden und Christen in den Gegensatz von ‚jüdisch vs . deutsch‘ umwandelten . Wenn Kritik an der herrschenden Ordnung als ‚jüdisch‘ galt oder Einlassungen von jüdischen Deutschen als ‚ironisch‘ abqualifiziert wurden, dann hieß das jeweils, die Aussage oder die Person als ‚nichtdeutsch‘ zu verurteilen . Denn antijüdische Projektionen sagten nichts aus über Juden . Sie reflektierten ein Denken, das sich auf eine christliche Tradition berief, wie

Vgl . Kap . II .2 . Den Ausdruck zitiert auch Petropoulos, Art as politics, 310 . Zum Absolutheitsanspruch dieser „Kriegskultur“ vgl . Hull, Absolute Destruktion . 30 Müller, Vom echten Deutschen, 157 f . Aly, Warum die Deutschen, zu Antisemitismus auch in demokratischen und liberalen Milieus . 31 Gilman, Salome, 100 . Von Braun, Blut und Blutschande, 84 ff ., zufolge übersetzte die bürgerliche Kultur des 19 . Jahrhunderts ein Kernmuster christlicher Judenfeindschaft ins allgemein Kulturelle: ‚Den Juden‘ als ‚Zweifler‘, der eine absolut gesetzte christliche Wahrheit, die Offenbarung, nicht anerkenne . 32 Chase, Inciting Laughter . 29

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nah oder fern auch immer, und mithilfe einer Feindsetzung die eigene Welt ordnen wollte .33 Dieser Hintergrund beleuchtet, warum gerade selbsterklärt „humoristische“ Blätter im Kaiserreich jüdische Deutsche besonders aggressiv angriffen .34 Spottkarten und Belletristik schrieben deutschen Juden ein vorgeblich ‚höhnisches Lächeln‘ ein, um sie wie Fritsch als Figuren zu markieren, die andere ‚beschämen‘ oder ‚erniedrigen‘ würden . Der Prozess verschärfte sich im Kaiserreich, als jüdische Deutsche rechtlich gleichgestellt und jüdische und protestantische Bürgerliche sozio-kulturell nicht mehr zu unterscheiden waren . In dem Maße, in dem wahrnehmbare Unterschiede abnahmen, wurde eine wesenhafte Differenz behauptet .35 Das reagierte im Zweifel darauf, dass jüdische Deutsche vielfach vorführten, dass Deutschsein nicht durch (kulturelle) Abgrenzung hergestellt werden musste . Nach innen verbanden sie jüdische und christliche Traditionen, in welcher Form auch immer . Nach außen entwarfen manche deutschjüdische Intellektuelle einen transnationalen Heimatbegriff: Sie spürten vergessenen polnischen und kaukasischen kulturellen Traditionen nach, um jüdischen Deutschen die Identifikation mit einem weit zurückreichenden Judentum zu ermöglichen und so den Vorwurf auszuhebeln, Juden hätten weder Heimat noch Volkstradition .36 Das heißt, sie präsentierten ‚Grenzüberschreitung‘ als Mehrwert, um Identität aus vielen kulturellen Bezügen herzustellen . Doch im Kaiserreich, das selbst ein global player geworden war und viele transnationale Biographien aufwies, sollte der Topos vom Gelächter verhindern, dass eine deutschjüdische Existenz als selbstverständlich deutsch empfunden würde . Der antijüdische Impuls zielte nicht immer schon auf Vertreibung oder gar Vernichtung .37 Aber, und das war langfristig entscheidend: Das Skript des Ernsten und Heiteren akzeptierte jüdische Deutsche zu keinem Zeitpunkt als deutsch . Wohl blieb seine Verwendung ambivalent, und nicht alle, die es nutzten, grenzten aus . Jüdische Deutsche griffen ihrerseits darauf zu, um ihr Deutschsein zu leben . Doch wer sie nicht als deutsch anerkennen wollte, verwandte dieselbe Erzählung, um nur ein nichtjüdisches Deutschsein als selbstverständlich erscheinen zu lassen . Deutschsein: Eine ‚imagined identity‘38 Zu Beginn des Ersten Weltkriegs stand im Ernsten und Heiteren somit ein komplexes Muster zur Verfügung, um nichtdemokratische Politik zu sakralisieren und jüdische Deutsche nicht als Deutsche zu akzeptieren . Für das Ausgestalten einer modernen Gesellschaft war entscheidend, dass seine Anhänger/innen der deutschen Gesellschaft Nirenberg, Anti-Judaism . Dazu Koch, Teufel, 179 f ., 189 . Zur Visualisierung Haibl, „Antisemitische Bilder“, 243 ff . 35 Vgl . Jensen, Gebildete Doppelgänger, u . a . 75–77 . Hax, „Gut getroffen“, bes . 97–101 . Aly, Europa, betont den Neid auf soziale Aufsteiger . 36 Brenner, Jüdische Kultur, 29, 40 f . Man könnte zuspitzen, dass diejenigen, die für Identität qua Abgrenzung plädierten, eine solche ‚Identität des Überschusses‘ nicht erreichen würden . 37 So Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker . 38 In Anlehnung an Anderson, Imagined community . 33 34

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eine systematische Ausgrenzung nach innen einschrieben, indem sie Deutschsein als nichtjüdisch fixierten . Zudem fassten sie Kampfbereitschaft und Demokratisierung als Gegensatz und beanspruchten, in Sachen Identität, Politik und Kunst die ‚Wahrheit‘ zu sagen . Mit dem Kürzel des ‚richtigen vs . falschen Gelächters‘ riefen sie alle Positionen ab . In der ersten Hälfte des 20 . Jahrhunderts erhielt das Sinngeflecht enorme Konjunktur, wobei es die Ideologisierung von Gesellschafts- und Identitätsvorstellungen reflektierte und speiste . Daher sei abschließend noch kurz skizziert, um welche konkrete Vorstellung von Deutschsein seine Anhängerschaft stritt und wie sie kulturelle Sinnstrukturen vernetzte, um sich durchzusetzen . Erstens beanspruchten Ernst und Heiter-Protagonist/innen seit dem Beginn des Ersten Weltkriegs ein Selbstverständnis für sich, das bis dahin durch verschiedene politische Lager zirkuliert war . Als statushöchste Form von Deutschsein galt seit dem 19 . Jahrhundert der ‚(gebildete) Künstler-Soldat‘ .39 Die Denkfigur imaginierte einen Mann, der die angeblich in der Moderne auseinanderdriftenden Handlungsbereiche von Kunst, Bildung/Wissenschaft und Militär/Politik in seiner Person integriere und deshalb als ‚Künstler‘ zu verstehen sei . Vor 1914 war das Konstrukt sozial elitär und geschlechterspezifisch gebrochen, aber politisch offen: Männer der Oberschichten setzten es als Distinktionsmerkmal in jede Richtung ein; doch griffen nicht nur Konservative darauf zu, sondern Anhänger verschiedener Politiken, bis hin zu Pazifisten . Alle begründeten ihren Anspruch auf Einfluss und Herrschaft, indem sie reklamierten, Kunstsinn, Bildung und politisches Engagement für Deutschland zu verbinden . Sie mussten nicht wirklich Künstler, Soldat oder Wissenschaftler sein, sondern andere davon überzeugen, dass sie jeweils am geschicktesten Geist und Macht symbolisch verknüpften . Genau dieser Anspruch galt als ‚deutsch‘, so dass, wer wollte, die Sinnfigur als nichtjüdisch dachte .40 Das Potential und die Gefahr der Projektion war, dass sie quer zu politischen Strukturen lag und für alles einsetzbar war . Man konnte damit im Kaiserreich eine Demokratie avisieren . Man konnte mit der Aura des modernen Künstlers, der sich keinem anderen Maßstab unterwerfen müsse als der eigenen Intuition, aber auch jede Gewalt rechtfertigen .41 Die Geschichte des Ernsten und Heiteren zeigt, wann und wie diese Problematik sich entfaltete . Im Ersten Weltkrieg und erst recht in der Weimarer Republik stritten politische Lager scharf darum, wer das symbolische Kapital des ‚Künstler-Soldaten‘ reklamieren dürfe . Die Nationalsozialisten griffen in den zwanziger Jahren auf alle skizzierten Sinnmuster zu und verschmolzen auch auf diese Weise ‚nationalsozialistisch‘ und ‚deutsch‘ .42 Nicht von ungefähr fasste Freikorps- und SA-Anführer Manfred Freiherr von Killinger das Vorgehen der SA 1927 mit dem Titel Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben: Er reklamierte das Image des ‚Künstler-Soldaten‘, um Gewalt gegen Juden und die Republik in das ‚kreative‘ Herstellen einer neuen Ordnung umzuschreiben .43 Ich nutze daher das Konzept des ‚(gebildeten) Künstler-Soldaten‘, um 39 40 41 42 43

Zum Konzept und zum Folgenden Kessel, Langeweile . Dies ., Einleitung, 11 ff . S . a . Köhne, Geniekult . Vgl . Kap . II .2 . Kessel, Langeweile . Zu dieser Gleichsetzung Confino, World without Jews, bes . 34 ff . S . a . Geyer, Stigma of violence, 93 . Killinger, Ernstes und Heiteres . Vgl . Kap . III .3 .

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Identitätspolitik zwischen 1914 und 1945 zu diskutieren, auch wenn der Führerbegriff geläufiger sein mag . Doch geht es darum, zu fragen, welche Eigenschaften und Fähigkeiten denn genau einem ‚Führer‘ eingeschrieben wurden, um ihn als integrationsfähig zu feiern . Darüber gab das Ernste und Heitere Aufschluss . Damit bin ich bei der zweiten Linie, die für meine Analyse wichtig ist . Denn es reichte nicht aus, das statusgenerierende Ideal zu reklamieren . Wer so anerkannt sein wollte, musste sich auch in andere Deutungselemente der deutschen Kultur einschreiben . Dazu gehörten in der ersten Hälfte des 20 . Jahrhunderts Konstrukte von Zeit und Raum, Arbeit und Reinheit, Geschlecht, Sexualität, Körpern und Gefühlen . Um Status und Zugehörigkeit zu- oder abzuerkennen und das Verhältnis von Recht und Gewalt zu codieren, bündelten Zeitgenossen diese Sinnmuster im Ernsten und Heiteren . Dabei fassten sie jede Dimension auf binäre Weise und markierten manche Akteure beispielsweise als ‚produktiv‘, andere als ‚nichtproduktiv‘, je nachdem, wer als deutsch oder nichtdeutsch gelten sollte .44 Zugleich übersetzten sie alle Aspekte aufeinander: Eine ‚produktive‘ Figur erschien als zukunftsfähig, eine ‚unproduktive‘ nicht . Wer ‚Künstler-Soldat‘ sein wollte, musste entsprechend als ‚produktive‘ oder ‚kreative‘ Person gelten . Wer wiederum gedachten Gruppen wie Demokraten und Juden einschrieb, ‚destruktiv‘ zu sein, unterstellte ihnen auch, das Ideal nicht zu erreichen oder es gar zu gefährden . Das heißt auch, dass die Akteure kulturelle Deutungsmuster und nicht biologistische nutzten, um eine inhärente Differenz zwischen ‚deutsch‘ und ‚nichtdeutsch‘ zu produzieren . Wer Demokratisierung und multiple Identitäten ablehnte, nutzte nicht immer den Rassebegriff, der im Globalisierungs- und Partizipationsschub um 1900 nach innen und außen dazu diente, bei wachsender Verflechtung Differenz behaupten zu können . Zeitgenossen nutzten auch und vor allem Alltagskonzepte mit langer Dauer .45 Dabei interessiert im Folgenden vorrangig, wie ‚Deutsch-Humoristen‘ Identität und Handlungsoptionen engführten: Sie behaupteten Eindeutigkeit, indem sie nur ein binäres Entweder-Oder gelten ließen und im Nullsummenmodus zuspitzten .46 Daher zeigt die Geschichte des Ernsten und Heiteren auch, wie unauffällig Demokratie und parlamentarische Praxis unterlaufen werden können . Antidemokratisches und antijüdisches Denken war zwar selten subtil . Doch war es schwerer zu entziffern oder ernst zu nehmen, wenn es in dichotome Konstrukte wie ‚herzliches Lachen vs . spöttischer Hohn‘ eingeschrieben war . Aber gerade diese Formel emotionalisierte Debatten um Identität und Politik: Sie verwandelte politische oder militärische Konflikte in angebliche Gefühlsdramen; sie beschuldigte Deutsche mit nichtchristlichem Hintergrund, ein ‚wahres‘ Deutschsein zu ‚beschämen‘; und sie entkoppelte die Vorstellung, Zu Binarität als Mittel, ‚das Normale‘ zu produzieren, Hödl, Pathologisierung . Zu Geschlecht Clintock, Imperial Leather . Zu Sexualität als Erzählmuster, um Geschichte zu deuten, Herzog, Sex after Fascism . 45 Latzel, Wehrmachtssoldaten, 586 f ., zu Reinheit als ‚alltagsrassistischem‘ Muster mit langer Dauer . Zur Kritik am Rasseparadigma für den Nationalsozialismus Pendas/Roseman/Wetzell (Hg .), Beyond the Racial State . 46 Vgl . Kaldor, 10 years of terror: Ihr zufolge darf Carl Schmitts Freund-Feind-Schema, demzufolge Krieg aus Feindschaft folge, nicht als Ist-Beschreibung verstanden werden . Vielmehr erschaffen Gesellschaften ‚Freunde und Feinde‘, um bestimmten Fragen auszuweichen, und erzeugen möglicherweise gewaltsam eine Situation, die so aussehe, als ob es tatsächlich nur ‚Freunde oder Feinde‘ gäbe . 44

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‚im Recht zu sein‘, von tatsächlichem Verhalten und völkerrechtlichen oder demokratischen Normen . Die Nationalsozialisten radikalisierten das Sinngeflecht, um zu behaupten, dass nur sie ein ‚wahres Deutschsein‘ vor dessen ‚Zerstörung‘ durch Juden und Demokratie ‚schützen‘ würden . Somit standen sie zwar politisch rechts, mit ihren Sinnstrukturen aber mitten in der deutschen Gesellschaft . Buchstruktur und Quellen Das Buch ist übergreifend chronologisch strukturiert, während die Kapitel zum Ersten Weltkrieg, zur Weimarer Republik und zur NS-Zeit systematisch organisiert sind . Die Daten 1914/18 oder 1933/45 verstehe ich als Gliederungshilfen, nicht als eindeutige Zäsuren . Denn das Ernste und Heitere durchzog den gesamten Zeitraum und konnte gerade deshalb verändert werden . Und doch waren Kriegsausbruch, Revolution und NS-Machtergreifung entscheidend: Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die Systemwechsel in Weimarer und NS-Zeit beeinflussten Wahrnehmungen und Handlungsspielräume massiv . In den Kapiteln zum Ersten Weltkrieg analysiere ich jeweils einzelne Elemente des Ernsten und Heiteren . Der erste Teil diskutiert zwar primär die Verbreitung und widersprüchliche Nutzung des Topos . Doch wird er bereits hier als hate speech sichtbar sowie als Gefühlspolitik, die der Denkfigur des ‚lächelnden Soldaten‘ einschrieb, ‚im Recht‘ zu sein . Der zweite Abschnitt dreht sich um das Konstrukt des ‚gebildeten Künstler-Soldaten‘ und die Versuche von Kriegsmaximalisten, dessen soziale Reichweite zu steuern . Drittens zeige ich, wie Kriegsverfechter Vorstellungen von Zeitlichkeit, Politik und Geschlecht mit Täter-Opfer-Projektionen verbanden, um Demokratisierung und einen Verhandlungsfrieden als Schwäche zu delegitimieren . Viertens interessiert, wie Scherze in Bild und Wort den völkerrechtswidrigen Zugriff auf Raum und Körper in ‚rechtmäßiges‘ Verhalten umdeuteten . Fünftens entfalte ich die Gefühls- und Körperpolitik, die demokratische und jüdische Deutsche zu ‚Nichtdeutschen‘ abstempelte . Die Kontroversen in der Weimarer Republik drehten sich ebenfalls darum, wer deutsch und ein ‚Künstler-Soldat‘ sein dürfe . Der Blick auf die Zeit nach 1918 richtet sich weniger auf einzelne Deutungsmuster als darauf, wie das Gesamtgeflecht in verschiedenen Kontexten wirkte . Zunächst geht es darum, wie Revolutions- oder Republikgegner/innen der frühen Jahre Zeit, Raum, Arbeit oder Körper als Differenzkategorien verwandten, um Demokraten und Juden als nichtdeutsch und die Republik als Raum von Beschämung und Verletzung zu diskreditieren . Der zweite Abschnitt analysiert Anekdotensammlungen als Teil der künstlerischen Moderne, die nie nur aus Avantgarde bestand . Den Krieg zu erinnern hieß, deutsche völkerrechtswidrige Gewalt auch nach 1918 als ‚Kunst‘ zu sakralisieren, um sie als ‚rechtmäßig‘ deklarieren zu können . Der dritte Teil schlüsselt auf, wie die Nationalsozialisten nach ihrer Neuorganisation 1925 ihr Angebot von Deutschsein und Geschichte mithilfe des Ernsten und Heiteren strukturierten . Hitler inszenierte sich als ‚Künstler-Soldat‘, veränderte die überkommene Denkfigur jedoch, um mehr Menschen anzusprechen .

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Das dritte Großkapitel entfaltet das Ernste und Heitere als Identitätspolitik nach 1933 . Zunächst geht es um die Verbreitung durch Medienprofis und Institutionen sowie die Verwendung im Alltag . Zweitens interessiert, wie Zeitgenossen ihr Deutschsein in Unterhaltungsritualen herstellten; Karnevalisten etwa führten jedes Jahr aufs Neue vor, wie ihre Verletzungsmacht gegenüber den Verfolgten wuchs, indem sie deren Leid nachspielten . Drittens diskutiere ich Witze der Mehrheitsgesellschaft, die weniger Distanz zum Nationalsozialismus signalisierten als den geschickten Umgang mit einem Kommunikationsmodus, der en vogue, aber auch missverständlich war . Viertens analysiere ich den Doppelsinn von Humor als heiterer Unterhaltung und unerbittlicher Härte bei SS und Wehrmacht . Der fünfte Abschnitt schließlich nimmt den ‚Karneval der Gewalt‘ in der Shoah in den Blick . In einem Imperium der Beschämung verwandelten Gewaltakteure ihre imaginierte Geschichte des ‚Beschämt- und Verletzt-Werdens‘ in systematische Herabwürdigung und mörderische Gewalt . Ihr Handeln strukturierten sie durch Kernkategorien der deutschen Kultur, mit ihrem Spott behaupteten sie, ‚im Recht‘ zu sein . Im Schlusskapitel erörtere ich vor einem knappen Resümee kurz, wie Scherzsammlungen nach 1945 die Humorpraktiken der NS-Zeit vordergründig ausblendeten, deren Gewalt aber im Witz und als Witz weiterzirkulierten . Die Analyse stützt sich auf unterschiedliche Quellen . Begonnen habe ich mit Anekdotensammlungen, die von Medienprofis, Laien oder Organisationen wie dem Militär stammten . Ergänzend vermitteln Bierzeitungen von Soldaten, Feldzeitungen, Feldpostbriefe oder politische Reden, wie Zeitgenossen die Sinnstrukturen des Ernsten und Heiteren durch die Gesellschaft zirkulierten . Als visuelles Material dienen Zeichnungen und Karikaturen, aber auch Fotografien von Karnevalsumzügen . Für die Weimarer Zeit nutze ich die Bildpolitik der Münchner Zeitschrift Simplicissimus bis 1925 sowie Hitlers Reden seit 1925 als serielle Quellen – nicht, um zu behaupten, dass der Simplicissimus schon in der frühen Weimarer Zeit nationalsozialistisch agierte, sondern um zu zeigen, wie die Nationalsozialisten lange vertraute Entwürfe von Deutschsein und Politik aneigneten und für Anhänger/innen entsprechend verstehbar waren . Für die Perspektive der Verfolgten ziehe ich neben veröffentlichten Quellen die digitalisierten Bestände der Wiener Library in London heran . Dieser Quellenbestand war der einzige von mir benutzte, der Begriffe wie Humor, Witz, Spott etc . als eigene Suchbegriffe auswies . Denn die Selbst/Zeugnisse der Verfolgten, die hier gesammelt sind, betonten den Spott und die „Witze“ der deutschen Mehrheitsgesellschaft als eigene Dimension von Verfolgung, Folter und Qual . Die Quellen vermitteln somit auch auf dieser Ebene die Diskrepanz, die zwischen der Erfahrung der Leidtragenden und den Deutungsmustern der Verfolgergesellschaft klaffte . Shulamit Volkov hat den antijüdischen Impuls in der deutschen Gesellschaft als kulturellen Code gefasst, der größere gesamtgesellschaftliche Aussagen machte, statt nur Juden zu stereotypisieren .47 Ich verstehe den Topos vom Gelächter als kulturellen Code, der umgekehrt eine grenzziehende und potenziell ausgrenzende Vorstellung von Deutschsein in die moderne Gesellschaft einschrieb . Dabei setze ich Begriffe wie ‚Deutschsein‘ oder ‚nichtdeutsch‘ in einfache Anführungszeichen, da es um Kategorien 47

Volkov, Antisemitismus als kultureller Code .

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geht, mithilfe derer Identitäts- und Ordnungsmuster produziert wurden . In entsprechend formulierten Sätzen ist die Problematik wohl auch ohne Anführungszeichen verstehbar . Außerdem möchte ich nicht die Vielfalt von Selbstverständnissen auf allen Seiten einebnen, wenn ich von jüdischen und nichtjüdischenDeutschen spreche . Wer Deutschsein fixieren wollte, beanspruchte vielmehr in selbstreferentieller Weise, diese Grenze ziehen zu dürfen . Wohl laufe ich zumindest scheinbar Gefahr, die Geschichte jüdischer Deutscher wieder nur als die Geschichte der ‚Anderen‘ zu schreiben . Doch geht es genau darum, dass sie als solche gesetzt wurden, mit einer Vielzahl von Sinnstrukturen, die Deutschsein als nichtjüdisch fixierten .48 Daher sind auch die Begriffe Demokraten und Nichtdemokraten problematisch . Denn die Bereitschaft, Deutschsein nichtjüdisch zu fassen, lag quer zu politischer Verortung, genauso quer wie zu Geschlecht oder Klasse . Über diesen Punkt ließen (zu) viele Deutsche die Weimarer Republik stolpern . Nichtjuden verwandelten das Ernste und Heitere zwischen 1914 und 1945 in eine hermetische ‚Geschichtsschreibung im Alltag‘, um eine deutschjüdische Existenz als ultimative Gefahr für Deutschsein zu projizieren . Das macht die Geschichte dieser Matrix des Imaginären auch für die Gegenwart relevant .

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S . a . Kirsten Heinsohn in Berek u a ., Vom Erfolg ins Abseits, 4 .

II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben 1. Deutschwerden durch Krieg: „Kampf und Lachen“

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einrich Zille war vor 1914 bekannt als mal sozialkritischer, mal nostalgischer Zeichner des Berliner Unterschichtenmilieus . Während des Ersten Weltkriegs aber unterstützte er die mediale Mobilmachung . In seinen Bildgeschichten kommentierten zwei pommersche Landwehrmänner, genannt Vadding und Korl, gelassen und in breitem Platt alle Widrigkeiten des Krieges .1 1915 und 1916 erschienen zwei Bände über Vadding in Frankreich . Ebenfalls 1916 folgte Vadding in Ost und West: Soldaten von der Ostfront hatten sich beschwert, dass es immer nur um die Westfront gehe2 – die Zeichnungen waren offenkundig populär . In diesem Bändchen stellte Zille die beiden Freunde als väterlich schmunzelnde (Besatzungs)Soldaten dar, die in ein französisches Örtchen zurückkehrten und von dessen Einwohnern, Frauen, Kindern und einem korpulenten, älteren Mann, lächelnd begrüßt wurden .3 Zille schrieb Besatzern und Besetzten ein gemeinsames Lachen zu, das die Frage nach Recht und Legitimität der Besatzungsherrschaft überflüssig zu machen schien: Indem die Zivilbevölkerung die Besatzer fröhlich in Empfang nahm, erschienen diese als akzeptierte Herrscher . Damit deutete der bekannte Künstler auch das brisante Problem der deutschen Völkerrechtsverletzungen um . Mit ihrer Kriegserklärung verhinderte die deutsche Regierung die räumliche Begrenzung der Konflikte im Sommer 1914 und löste stattdessen den Ersten Weltkrieg aus . Mit dem Einmarsch ins neutrale Belgien und ihrem gewaltsamen Zugriff auf die Zivilbevölkerung aber erwarben sich die Deutschen den Ruf der „Barbaren“ – die Alliierten kritisierten die deutschen Verstöße gegen das

Zunächst im Ulk, der „politisch-satirischen“ Beilage des Berliner Tageblatts, dann im handlichen Kleinformat . 2 Engel, Zum Geleit, in: Vadding in Ost und West, o . S . (7) . 3 Vadding in Ost und West, o . S . (31) . Mit dem Kommentar zu Jeanne d’Arc, der Eckfigur am Haus, erinnerte Zille an den deutschen Sieg von 1870–71: „Süh Korl, Johanna steht, un ümmer kehr’ ick wieder!“ 1

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

Völkerrecht mit breitem internationalem Echo als „German atrocities“ .4 Bevölkerungsdeportationen, Zwangsarbeit, die Zerstörung von Kulturgütern sowie die Politik der ‚verbrannten Erde‘ bei der Zurücknahme der Front im März 1917 gaben der alliierten Kritik im Laufe des Krieges weitere Nahrung . Die deutsche Regierung leugnete nicht, mit dem Einmarsch in Belgien widerrechtlich gehandelt zu haben . Den übrigen Vorwürfen aber stellten Politiker und veröffentliche Meinung das Hohelied der deutschen „Kultur“ entgegen,5 einen Begriff also, der sui generis jeden Verdacht deutscher Gräueltaten widerlegen sollte . Zille lieferte ein prominentes Beispiel für die in diesem Kulturbegriff steckende Matrix des Imaginären: Seine Projektion vom Lachen stellte Krieg und Besatzung als legitim, notwendig und einvernehmlich dar . In den folgenden Kapiteln diskutiere ich, wie Verfechter/innen des Ernsten und Heiteren die Denkfigur des ‚gebildeten Künstler-Soldaten‘ einsetzten, um zu mobilisieren und doch in einer sich dynamisierenden Kriegsgesellschaft ihre erwünschte Ordnung zu sichern; wie sie Entwürfe von Zeit und Raum mit ihrem Entwurf von Deutschsein verflochten, um Rechtsbrüche plausibel erscheinen zu lassen; und schließlich, wie sie Deutschsein als nichtdemokratisch und nichtjüdisch festschrieben . In diesem Abschnitt stehen zunächst Verbreitung, Produzent/innen und Zensur im Mittelpunkt . Doch wird bereits hier deutlich, warum der Topos des ‚lachenden Soldaten‘ im Kriegsverlauf wichtig blieb, obwohl manche ihn ästhetisch zu konventionell fanden und Soldaten kritisierten, dass Humor den Krieg unangemessen wiedergebe .6 Denn der ‚deutsche Michel in Uniform‘ signalisierte den Anspruch, unabhängig vom Verhalten ‚im Recht‘ zu sein . Zudem fungierte der Humordiskurs als Gefühlspolitik und hate speech: Mithilfe der binären Sinnstruktur vom ‚richtigen vs . falschen Lachen‘ oder von ‚Humor vs . Hohn‘ verwandelten Ernst und Heiter-Protagonist/innen den militärisch-politischen Konflikt in ein Drama von Beschämen und Beschämt-Werden . Zum einen werteten sie die militärischen Gegner auf diese Weise als unehrenhaft ab . Zum anderen griffen sie kriegskritische Geister im eigenen Land nicht nur politisch an, sondern schlossen sie aus der statushöchsten Vorstellung von Deutschsein aus . Humor allerorten Der Krieg wurde am Anfang nicht überall begrüßt und am Ende nicht von allen abgelehnt . Der Kriegskonsens war bereits 1914 fragil, und im Verlauf des Krieges klafften Wahrnehmungen und Erfahrungen von Zivilisten und Soldaten, Front und Etappe immer stärker auseinander .7 Doch unterstützten gerade Bürgerliche den Krieg oft bedingungslos bis zur Niederlage, auch dann noch, als sie primär Leid und Belastung spürten .8 Die Kapitulation gilt ebenfalls nicht mehr als Folge eines offenen oder verkappten Horne/Kramer, German Atrocities . Dülffer, Regeln gegen den Krieg, 103 ff ., zur deutschen Position vor 1914 . 5 U . a . Brandt, Kriegsschauplatz, 45 f ., 120 . 6 Zu letzterem Ulrich, Augenzeugen, 195 . Bösch, Disziplinierung, 225 . 7 Meteling, Ehre, 362 . 8 Molthagen, Ende, 80, 206, 217, 231 . Wierling, Familie im Krieg . 4

1 . Deutschwerden durch Krieg: „Kampf und Lachen“

Militärstreiks, sondern als „ordered surrender“ . Nicht die Disziplin brach zusammen, sondern die bis zuletzt hohe Belastbarkeit der Soldaten wurde endgültig überstrapaziert .9 Bis 1918 gab es eine kritische Masse im Heer, die die anderen mitriss, bis sich angesichts der amerikanischen Ressourcenübermacht die Meinung durchsetzte, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei . Vertraute Sinnstiftungen mobilisierten bis zuletzt die Kräfte, etwa christliche Vorstellungen, nationale Treue oder Pflichtbewusstsein .10 Dass die Selbst/Mobilisierung so lange funktionierte, lag aber auch daran, dass Menschen aus allen Schichten den Krieg bis zu seinem Ende nicht nur als aufgezwungenes, unbeherrschbares Leid verstanden . Sie sahen ihn auch als Chance, sich heroisch zu bewähren .11 Anekdoten reflektierten das breite Meinungsspektrum . Humor war eine diskursive Arena, die von Medienprofis und Laien, Zivilisten und Soldaten gleichermaßen gestaltet wurde . Viele beteiligten sich mit Scherzen und Spottkarten am Reden über Krieg und Kriegsgesellschaft .12 Denn Witze konnten fast jede Botschaft vermitteln, Kriegseuphorie ebenso wie Angst, Kritik und Entsetzen . Die einen appellierten ans Durchhalten oder unterstrichen ihren Kampfwillen . Andere kritisierten das Klassenheer, Versorgungsengpässe oder die Fragmentierung der Kriegsgesellschaft . Die systematische Botschaft des Ernsten und Heiteren aber lag quer zur inhaltlichen Vielfalt, denn die Formel zog diskursive Grenzen: Die Kritik sollte sich nicht gegen den Krieg oder das politische System an sich richten . Wer den Krieg prinzipiell hinterfragte oder gar die deutschen Rechtsverstöße, verließ in der Regel das ästhetische Zeichensystem der vorgeblichen Jovialität . Entsprechend war das ostentativ Harmlose hoch politisch . Zum einen etablierte das Ernste und Heitere subtil ein nichtdemokratisches Politik- und Identitätsmodell als Norm . Es führte zum anderen vor, wie man über Krieg und Kriegsgesellschaft reden konnte, ohne argumentieren zu müssen . Drittens beanspruchten Autor/innen, die Wahrheit über den Krieg zu liefern . Je häufiger die Mini-Erzählungen zirkulierten, desto eher war ein medial versiertes Publikum erzählerisch darauf vorbereitet, dass Anekdoten Deutungshoheit über deutsche Geschichte beanspruchten . Meist implizit schwang ein weiterer Aspekt mit: Karikaturen und Anekdoten hatten in der bürgerlichen Kultur der Vorkriegszeit nicht unbedingt einen hohen Status . Nun werteten Produzent/innen sie zu Kunst auf, um Position gegen die Avantgarde zu beziehen . Sie behaupteten, dass ihre konventionelle, gegenständliche Ästhetik in der Krise der Repräsentationskultur des frühen 20 . Jahrhunderts den Krieg selbst und das Handeln und Leiden von Menschen besser erfasse als andere Richtungen moderner Kunst . Gerade weil die Leitvorstellung von Deutschsein involvierte, Krieg als ‚Kunst‘ zu deuten, war

9 Hier nur Watson, Enduring, 184–231 . 10 Latzel, Deutsche Soldaten, 269–275, 318–320 . In der sinkenden Siegeszuversicht 1918 sieht er einen

markanten Unterschied zum Zweiten Weltkrieg, ebd . 324 . Watson, Enduring, 81 ff . 11 Wierling, Familie im Krieg . Meteling, Ehre, 277 . 12 S . a . Rüger, Laughter and War . Es gilt für den gesamten Untersuchungszeitraum, dass Propaganda kein top down-Phänomen war, sondern vorhandene Einstellungen aufgreifen musste, um erfolgreich zu sein, Brandt, Vom Kriegsschauplatz, 20 f .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

dieser Aspekt wichtig . Denn wer den Krieg als Anekdote erzählte, trat als ‚Künstler-Soldat‘ auf und codierte inhaltlich und performativ das Verhältnis von Gewalt und Recht . In diesem schreibintensiven Medienkrieg signalisierte Ernstes und Heiteres zunächst Loyalität . Die knallbunten Titelblätter der erfolgreichen Serie TornisterHumor lagen in Kiosken und Bahnhofsbuchhandlungen aus .13 Nachdem der Krieg an der Westfront zum Grabenkrieg geworden war, übersetzten sie mit fröhlichen Bildern die Botschaft der militärischen Führung, unter allen Umständen durchzuhalten und den Angehörigen nur Positives zu übermitteln . Der Gefreite Knetschke etwa erschien 1915 als gemütlich rauchender Soldat, der schmunzelnd auf das Photo seiner Frau oder Freundin schaute . Die Zeichnung empfahl, dass heitere Briefe die Beziehung zwischen Front und Zuhause emotional stabilisieren würden .14 Hinter der Figur in Großaufnahme erstreckte sich ein scheinbar unzerstörtes Territorium . Dieses Bild hatte geradezu didaktischen Klassencharakter: Die Unterschichten sollten sich angesprochen fühlen . Doch zirkulierten Mitglieder aller Schichten das Narrativ . Soldaten jeder sozialen Herkunft verschickten heitere Szenen fürs Album zu Hause,15 neben Fotos ‚ihrer‘ Gegend inklusive Zerstörung,16 mit denen sie ihre militärische Überlegenheit unterstrichen . Zu den Autor/innen gehörten Einzelpersonen wie die Berliner Telegraphen-Beamtin Octavia Jaedicke, die 1915 im Selbstverlag Ernstes und Heiteres in Versen veröffentlichte und sich damit als Frau in die öffentliche Kriegsdebatte einklinkte;17 protestantische Geistliche wie Paul Fischer, der im März 1918 in der Soldatenpredigt Das rechte Lachen zum Durchhalten aufrief;18 und bekannte Simplicissimus-Autoren wie Thomas Theodor Heine, Eduard Thöny und Ludwig Thoma, die 1915 den berüchtigten Band Gott strafe England herausbrachten und in der Folge bereitwillig Texte und Bilder für die staatlich gelenkte In- und Auslandspropaganda lieferten .19 Simplicissimus-Redakteur Peter Scher musste seinen Titel Kampf und Lachen 1915 nicht mehr erklären: Er besang die deutsche Nation, die im Krieg zu ihrer Einheit finde .20 In ihrer schieren Masse bildeten Witzhefte oder andere Unterhaltungsangebote aber auch einen Wirtschaftsfaktor und ein Konsumgut, denn Humor ging immer . Wem nichts einfiel, der konnte sich einkaufen, denn Scherze waren Handelsware . Eine „Fr . Linser“ aus Berlin-Pankow etwa bot 1915 in der Zeitschrift Der Brummer. Lustige Kriegs-Blätter für 60 Pfennig „1000 Witze“ an, zusammen mit neuen Kriegsliedern und Briefmarken .21 Spottkarten hatten die höchste Auflage bei Bildpostkarten, einem zentralen Kommunikationsmittel .22 In Freiburger Kinos war neben Erotik und Kriminalfilmen die Vorkriegsklamotte Fräulein Feldgrau der Renner . Konfessionelle Gruppen warnten zwar regelmäßig, dass Popkultur einen moralischen Niedergang auslöse . Doch 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22

StAM, Pol . Dir ., 6671 . Mühlen-Schulte, Feldpostbriefe, Cover . Fischer, Propagandistische Funktion, 70–72 . BayHStA, Abt . IV, Kriegsbriefe 346/9, 346/13 . Jaedicke, Feldgrau . Fischer, Das rechte Lachen . Vgl . Brocks, Bunte Welt, 203 ff . Scher, Kampf . Zum Antisemitismus des Simplicissimus Geyer, Verkehrte Welt, 30 . Der Brummer . Lustige Kriegsblätter, 1915, Nr . 60, 7 . Metken, „Ich hab’ diese Karte“, 140 .

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die Begeisterung für sex, crime and fun ließ nur dann nach, wenn es im Kino wegen Kohlemangels zu kalt war .23 Zu den Konsumenten zählten Zivilisten wie Soldaten . Zwar kritisierten Militärs und Frontpresse die Zivilgesellschaft dafür, dass die Unterhaltungsbranche in Reich nicht einbrach,24 und monierten, dass der Krieg zu positiv gezeichnet werde .25 Doch suchten Soldaten in den 900 bis 1000 Feldbüchereien und Buchläden an der Westfront ihrerseits nach heiterer Ablenkung . Der Kult der Klassiker, den die Militärspitze propagierte und Autoren wie Ernst Jünger im Nachhinein inszenierten, reflektierte keineswegs die durchschnittlichen Lesegewohnheiten . Eine Statistik von 1917, von der Heeresführung als repräsentativ anerkannt, zeigte, dass Unterhaltungslektüre und Humor beliebt waren, im Gegensatz zu Klassikern und weiterbildender Lektüre .26 Die Leihstellen konnten den Bedarf nicht decken, Angehörige mussten zusätzliche „geistige Liebesgaben“ schicken . Auch hier rangierte Humor ganz oben, ebenso wie bei deutschen Kriegsgefangenen .27 Wohl stritten Politiker und Öffentlichkeit ständig darüber, ob man Frohsinn verbreiten dürfe .28 Sie bejahten die Frage dann, wenn die Angebote zum „Ernst der Zeiten“ passen würden .29 Entsprechend unübersichtlich war die Lage: Trierer Kinos warben ab 1915 mit dem Zusatz „Lachen! Lachen! Lachen!“ für Lustspiele . Die Münchner Polizei dagegen untersagte Filmhinweise wie „Urkomisch“, weil sie dem Ernst der Zeit widersprächen .30 In dieser Situation zeigte sich der diskursive Wert der Formel Ernstes und Heiteres . Denn sie suggerierte, ‚angemessen‘ über den Krieg zu sprechen . Walter Kollo nannte ein Musical Extrablätter: Heitere Bilder aus ernsten Zeiten .31 Der Berliner Bilderbogen-Verlag beschrieb seine „Deutschen Kriegsbilderbögen“ im Oktober 1914 typischerweise als „ernst-satirische( .)“ Kunst und hob ihren Nachrichtenwert hervor, um die Zensur passieren zu können .32 Gefühlspolitik und hate speech: ‚Humor vs. Hohn‘ als Täter-Opfer-Verkehrung Der Krieg beflügelte den langfristigen Aufschwung von Populärkultur somit eher, als dass er ihn stoppte . Unterhaltung lenkte ab; sie erlaubte, politische Botschaften zu lancieren, und versprach mit unhistorischen Plots und wiederkehrenden Mustern Sicherheit im Alltag .33 Alle großen kriegführenden Nationen nutzten Humor, um zu un-

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Chickering, Great War, 377–381 . Lipp, Meinungslenkung, 244 f . Ulrich, Augenzeugen, 118 . Natter, Literature at War, 154 f . Heise, „Ein Gruß den Unsrigen!“, 95 . Zu Kriegsgefangenen Pöppinghege, Im Lager unbesiegt, 246 . Baumeister, Kriegstheater . Chickering, Great War, z . B . 378 ff . Stark, All Quiet, 62 . Braun, Patriotisches Kino, 104, 107 . Jelavich, Berlin Cabaret, 120 . BayHStA, Abt . IV, M Kr 13345/8 . Zur Kitschdebatte Brocks, Bunte Welt, 38–44 . Zu letzterem Bausinger, Ironisch-witzige Elemente .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

terhalten, den Gegner zu verspotten oder die eigene Regierung zu kritisieren .34 Auch deutsche Soldaten kritisierten in spöttischen Liedern spätestens ab 1915 das Klassenheer und die unzureichende Versorgung; andere signalisierten Resignation oder Distanz zum Krieg .35 Dass Humor auf deutscher Seite dennoch entschieden zur kulturellen Kriegführung diente und nicht zur transnationalen Verständigung einlud, lag daran, dass es eben nicht nur um heitere Unterhaltung ging . Denn Humorprotagonisten überhöhten den Begriff zu einem Zeichen von ‚Deutschsein‘ und ‚Wahrheit‘ . Er kreiste um Differenz, statt auf gemeinsame Leiden hinzuweisen . Es überrascht nicht, dass Humorakteure die Deutschen als überlegen darstellten . Das machten fast alle, die sich äußerten . Aufschlussreicher ist, wie selbstverständlich sie das binäre Konstrukt von ‚Humor vs . Hohn‘ als Zeichen nutzten, um Deutschsein qua Differenz zu entwerfen und ihrem Identitätskonstrukt den Anspruch auf Herrschaft einzuschreiben . Eine Rezension im Berliner Tageblatt von Zilles erstem Heft 1915 buchstabierte das seit dem späten 18 . Jahrhundert vertraute binäre und zugleich zirkuläre Muster aus, in dem das geschah: Sie stellte Deutschsein nicht argumentativ her, sondern narrativ, und stabilisierte das Eigene durch die Projektion des Anderen . Sie ließ eine Reihe von Zuschreibungen zirkulär aufeinander verweisen und markierte Zilles Figuren als deutsch, indem die Gegenbegriffe die Franzosen abwerteten . Das heißt, Deutschsein erschien als ehrenhaft, weil und solange die Franzosen als unehrenhaft charakterisiert waren, oder als gemütvoll, weil man den Franzosen in der Tradition des 18 . und 19 . Jahrhunderts ‚kalte Rationalität‘ zuschrieb . Zudem erhob die Rezension Zilles Zeichnungen zu Kunst und damit Vadding und Korl implizit zu ‚Künstler-Soldaten‘, obwohl sie keine gebildeten Männer waren . Indem der Text ihnen ‚richtige‘ Kunst, ‚richtiges‘ Gefühl und Arbeitsbereitschaft einschrieb, unterstellte er nicht nur kämpferische, sondern auch charakterliche Überlegenheit und blockte den „Barbaren“-Vorwurf ab: Zwei Mächte, die den Franzosen unverständlich sind, Gemüt und Humor, rücken hier in den kräftigen Gestalten der beiden Berliner Landwehrmänner in Frankreich vor und nehmen siegreich von den Eigentümlichkeiten französischer Kultur Besitz . Sie predigen keinen Haß, sie verhöhnen keinen Besiegten, sie schimpfen nicht und prahlen nicht: es sind eben deutsche „Barbaren“, die ohne Geschrei und Geflunker ihre Pflicht tun und dabei immer noch Zeit zu einem herzlichen Lachen übrig haben . Man muß diese köstlichen, auch zeichnerisch glänzenden Bilder mit den geschmacklosen und giftigen Karikaturen des Westfranzosen Waltz, genannt Hansi, vergleichen, um rasch zu erkennen, auf welcher Seite mehr Freundlichkeit des Charakters und mehr ruhige Zuversicht zu finden sind .36

Der elsässische Grafiker und Zeichner Jean-Jacques Waltz hatte bereits vor 1914 antideutsche Zeichnungen und Postkarten produziert und kämpfte im Ersten Weltkrieg als Freiwilliger . Er war im Wortsinn Künstler und Soldat und verkörperte die Denkfigur, die während des Krieges auch in England und Frankreich wichtig wurde .37 Die Rezen34 35 36 37

Französische Zeitschriften kritisierten deutlicher die eigene Kriegführung, vgl . u . a . Douglas, War . Olt, Krieg und Sprache, Bd . 1, bes . 129, 133 ff ., 158 f . Berliner Tageblatt, abgedr . in: Vadding in Frankreich, Folge 1, 63, sowie in: Vadding in Ost und West, 64 . Beaupré, Soldier-writers .

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sion aber verweigerte ihm den Status . Sie verknüpfte Waltz mit Hass und Hohn, Unehre und Nicht-Kunst, Zilles Soldaten dagegen mit Pflichtgefühl und herzlichem Gelächter, Ehre und Kunst .38 Mit ihrer binären Konstruktion von ‚Humor vs . Hohn‘ speiste die Rezension das Deutungsmuster der Täter-Opfer-Verkehrung und die Selbstbeschreibung als ‚Opfer‘, die in Deutschland vom 19 . Jahrhundert bis in die Gegenwart eine wichtige Rolle spielten . Wer im Kaiserreich Krieg und Expansion befürwortete, beschwor, durch die anderen Großmächte eingekreist und bedroht zu werden; so begründete man die eigenen Kriegsziele und deutete einen Angriffs- in einen Verteidigungskrieg um .39 Nach 1918 gab ein Großteil der Gesellschaft den Siegermächten sowie deutschen Juden und Demokraten die ‚Schuld‘ am Versailler Vertrag; die dadurch gleichsam gesicherte Selbstbeschreibung als Opfer diente dazu, Diskussionen darüber auszuweichen, welche ursächliche Rolle denn die deutsche Kriegs/Politik gespielt hatte . Im Nationalsozialismus entwarf die deutsche Mehrheitsgesellschaft Kapitalismus, Kommunismus und Judentum als absolute ‚Feinde‘, um sich selbst als ‚bedroht‘ beschreiben zu können . Nach 1945 wiederum stellten sich nichtjüdische Deutsche als Opfer ‚der Nationalsozialisten‘ dar .40 Dabei war entscheidend, dass es sich in keinem Fall um das Abbilden einer tatsächlich so gegebenen Situation handelte . Die kulturelle Logik funktionierte vielmehr umgekehrt: Der Wunsch, sich als Opfer darzustellen, setzte eine Täterprojektion voraus . Wer sich als Opfer entwerfen wollte, ‚brauchte‘ somit ein Feindbild . War die Täter-Opfer-Verkehrung erst einmal diskursiv verankert, dann diente sie als engführendes Sinnangebot . Denn attraktiv war die Opferselbstbeschreibung, weil sie erlaubte, Diskussionen über Alternativen auszuweichen und nur die jeweils eigenen Vorstellungen als den einzigen möglichen Weg zu beschwören . Im Ersten Weltkrieg beschrieben Scherzhefte, Gedichte und Bildpostkarten daher die Gegner regelmäßig als höhnisch, die Deutschen dagegen nicht nur als ehrenhaft und mutig, sondern auch als jovial .41 Auf diese Weise emotionalisierten sie die Täter-Opfer-Verkehrung zusätzlich . Der Forschung zu hate speech zufolge haben diejenigen, die Gewalt initiieren oder legitimieren wollen, mit einer Entmenschlichung der ‚Anderen‘ weniger Erfolg als mit der Behauptung, ein angebliches Unrecht rächen zu müssen .42 Denn letzteres stachelt gezielt Wut und Rachegefühle an . Indem die Zille-Rezension beschwor, dass die Deutschen verhöhnt würden, unterstellte sie, auch beschämt und erniedrigt zu werden . Die Franzosen als höhnisch zu markieren, verwandelte militärische Gegner also in Akteure, die die Deutschen auf unehrenhafte und beschämende Weise herabwürdigen würden . Das reflektierte paradigmatisch die humorige Gefühlspolitik . Denn Hass war nicht einfach vorhanden als Gefühl . Der Text beschrieb die Franzosen Allerdings deute Ulk-Herausgeber Fritz Engel Zille ein wenig um, um ihn zu einer nationalen Referenzfigur zu machen: Zille habe sich nicht geändert, sondern drücke seine „Wahrheitssuche“ nun angemessen aus, indem er seine Vorkriegsironie ins „Positive und Bejahende“ wende, Zum Geleit, in: Vadding in Frankreich, F . 1, 6 . 39 Zum Erfolg in der deutschen Bevölkerung während des Krieges Watson, Enduring, 49 f . 40 Zimmermann, Täter-Opfer-Dichotomien, 214 . Herf, Jewish Enemy . Moeller, War Stories . 41 Hinz, Deutsche ‚Barbaren‘, 350 . 42 Lillie u . a ., This is the hour of revenge . 38

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vielmehr als hasserfüllt und höhnisch, um die eigene Deutung des Krieges emotional wirksam zu machen und Gefühle im eigenen Land aufzupeitschen .43 Die Erzählung vom ‚herzlichen Deutschen‘, der gegen ‚höhnische Gegner‘ kämpfe, verwandelte somit nicht nur eine Niederlage, sondern bereits einen potentiellen Verhandlungsfrieden in die scheinbar unausweichliche Erfahrung von Beschämt-Werden und Ehrverlust . Die deutschen Hassparolen rückten auf diese Weise ebenso aus dem Blick wie die komplexen Ursachen des Krieges . Stattdessen lieferte das Bild vom ‚höhnischen Anderen‘ eine eingängige Formel für die Kategorie vom sog . Notstand, mit der die deutsche Führung die Rechtsverstöße legitimierte; denn diese Formel beschwor eine Notsituation, die nicht weiter begründet werden müsse, aber zu sofortiger Aggression berechtige .44 Daher erklärten Scherzlieferanten auch nicht weiter, sondern ließen es einfach so stehen, wenn sie Humor auf deutscher Seite wahlweise als Zeichen eines guten Gewissens deuteten45 oder als Symbol von Stärke, Gefühlskontrolle46 und Wahrheitsliebe .47 Entsprechend stachelten Feldzeitungen in kritischen Phasen zum Durchhalten an, indem sie die Gegner als höhnisch und Verhandeln als unausweichliche Entehrung und Beschämung entwarfen . Kurz nach Beginn des deutschen Angriffs bei Verdun warnte Landsturmmann Schäfer auf dem Titelblatt der Armee-Zeitung im März 1916 davor, nach Frieden zu rufen, weil die Gegner dann nur höhnisch lachen und sich überlegen fühlen würden .48 Im August, sechs Wochen nach dem Beginn des alliierten Gegenangriffs an der Somme, setzte der Champagne-Kamerad das Deutungsmuster ein: Als gefallene deutsche und gegnerische Soldaten im Himmel aufmarschiert seien, habe Petrus die Deutschen sofort an ihrer ordentlichen soldatischen Haltung erkannt und ihrer These vom Verteidigungskrieg gelauscht, die da lautete: „Wir suchten friedliche Verständigung – und ernteten Hohn“ . Dann habe er ihnen zugesichert, dass sie als erste ins Himmelreich einziehen dürften .49 Ganz nebenbei unterstrich die Feldzeitung die christliche Färbung des Humorbegriffs . Auch als die deutsche Frontpresse im Sommer 1918 an die Arbeiterschaft appellierte, den alliierten Flugblättern nicht zu glauben, die ihnen Hilfe versprächen, fehlte das Kürzel nicht . Mit „kalter Berechnung“, so warnte der Champagne-Kamerad, würden die Gegner Frauen und Kindern aushungern, um „höhnend“ den deutschen Zusammenbruch herbeizuführen .50 Parallel praktizierten Vertreter eines Siegfriedens ihrerseits das, was sie außen- und innenpolitischen Gegnern oder auch nur Skeptikern vorwarfen: Sie setzten ein diffamierendes Gelächter ein, um Argumenten auszuweichen . Der Kladderadatsch etwa überschüttete den Militärhistoriker Hans Delbrück bereits im Herbst 1914 mit Spott . Delbrück hatte eine neue Strategie gefordert, weil er einen langen Krieg voraussah . Er Zu dieser Handlungsstruktur generell Ahmed, Cultural Politics, 43 . Hull, Scrap, u . a . 44 ff . Politiker und Juristen im Ausland betonten zwar, dass es das Modell im internationalen Recht nicht gebe, doch in Deutschland bediente es wie die These vom Angriffskrieg die Opfer-Täter-Verkehrung . 45 So der völkische Autor Bewer, 200 Kriegslieder, 2 . Döring, Deutscher Humor, 3 f . 46 Markolf, Deutscher Kriegshumor, 3 . 47 Floerke, Deutsches Wesen, 95–98 . Im Umkehrschluss erschienen die Alliierten als Lügner . 48 Armee-Zeitung, Nr . 184, 18 .3 .1916, Titelblatt . 49 Champagne-Kamerad, Nr . 36, 20 .8 .1916, 2 . 50 Champagne-Kamerad, Nr . 139, 11 .8 .1918, 14 . 43 44

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distanzierte sich also keineswegs vom Krieg, brachte sich aber als Zivilist in militärische Angelegenheiten ein, was in Deutschland als ungemessen galt .51 Im Laufe des Krieges polemisierte der Berliner Bühnenautor und Landwehrhauptmann Paul Oskar Höcker in der von ihm geleiteten Liller Kriegszeitung gegen einen Verständigungsfrieden: Man solle dessen Verfechtern, die garantiert nie im Schützengraben gelegen hätten, einfach nur sagen, dass die starke Faust diesen Krieg gestalte, und sie ansonsten auslachen .52 Statt Diskussion empfahl er einen ‚Spott der wahren Kämpfer‘, um diejenigen zum Schweigen zu bringen, die politische Alternativen erörtern wollten . Andere Optionen höhnisch abzuwerten, signalisierte den deutschen Soldaten daher: Durchhalten war Pflicht . Bis Kriegsende forderten Feldzeitungen und Feldprediger von ihnen, nur das Lachen der Zuversicht zuzulassen .53 Dass die veröffentlichte Meinung der Figur des jovialen Soldaten einschrieb, ‚im Recht‘ zu sein, trug wiederum entscheidend dazu bei, dass diese auch nach den großen Abnutzungsschlachten von 1916 nicht verschwand . In diesem Jahr suchte die Militärführung militärisch und medienpolitisch effektiver zu werden .54 Doch konnten sich Experten nie wirklich einigen, welche Formen und Inhalte sie bevorzugten . Die staatliche Kommunikationspolitik wertete visuelle Medien zwar auf, nachdem Werbefachleute moniert hatten, dass die wortlastige Propaganda zu kompliziert sei ‚fürs Volk‘ . Aber welche Bilder es sein sollten, blieb umstritten . Die Debatte drehte sich vor allem um die Gefühle, die man anstacheln wolle . Die einen optierten weiterhin für optimistische Angebote, die beruhigen sollten, indem sie weder Niederlagen noch andere unliebsame Informationen weitergaben . Offensivere dagegen wollten Angst und Hass erzeugen, um zum Durchhalten aufzupeitschen . Dafür empfahlen sie entweder Visionen der Zerstörung, die bei einem alliierten Sieg auch in Deutschland drohen würde, oder sog . Gräuelpropaganda über die Behandlung deutscher Kriegsgefangener und alliierte Verstöße gegen das Kriegsrecht, unabhängig davon, ob es diese tatsächlich gebe . In der zweiten Kriegshälfte tauchten daher alle möglichen Varianten auf . So schaute ab 1917 Fritz Erlers heroischer Frontkämpfer mit Stahlhelm und hohlen Augen als neue Kriegsikone von Plakatwänden herab, weil Werbeexperten die traditionelle Michelfigur allein zu schlafmützig fanden . Diese aber verschwand keineswegs .55 Der Simplicissimus koppelte ab 1916 pastorale Bilder einer unversehrten deutschen Heimat mit Projektionen von deren Zerstörung, die im Falle der Niederlage ins Haus stünde . Andere Medien dagegen behaupteten, dass ein tapferes Lachen, wahlweise Galgenhumor, mit jedem Problem fertig werde . Sie bespielten in Tonfall, Bildern und Werbung die Figur des jovialen Soldaten, wie „Quaddrichs Feldpostbriefe aus der Schambanje“ in der Feldzeitung Der Champagne-Kamerad 1917 .56 Durchhalten und Pflichtbewusstsein stellte 1916 das Heft „Vom Kammrad“ in den Vordergrund: Es versicherte, selbst ältere Familienväter würden diesen Krieg als notwendige, unerlässliche Arbeit akzeptieren, 51 52 53 54 55 56

Llanque, Demokratisches Denken, 31 . Vgl . Lipp, Meinungslenkung, 202 . Zur Feldpresse Nelson, Deutsche Kameraden, 93 . Fischer, Das rechte Lachen . Schmidt, Belehrung, 147 f ., zum ganzen Absatz . Lipp, Meinungslenkung, 156 ff ., sieht ein völliges Umsteuern . Der Champagne-Kamerad, Nr . 101, 18 .11 .1917, 6 .

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auch wenn sie lieber zu Hause geblieben wären .57 Die Flieger und Sieger aus demselben Jahr nahmen nicht von ungefähr einen Hundekopf ins Bild . Der Verweis auf deutsche Tierliebe sollte den Vorwurf der Inhumanität als absurd abblocken .58 Unter den offiziösen Blättern stach seit Kriegsbeginn Höckers ultranationalistische Liller Kriegszeitung hervor . Sie erschien seit Dezember 1914 drei Mal wöchentlich und produzierte 1916–1917 mehrere Lustige Büchel mit Zeichnungen von Simplicissimus-Redakteur Karl Arnold, der auch für die Kriegszeitung arbeitete . Höcker, der einen siegfixierten Durchhaltehumor propagierte, inszenierte eine sich zensurfrei über den Krieg austauschende Frontgemeinschaft . Er empfahl die Hefte mit den Worten, jetzt käme zu den Soldaten zurück, was sie selbst beigetragen hätten .59 Humor von (fast) allen Damit lag er nicht ganz falsch . Denn Menschen unterschiedlichster Position speisten den humorigen Diskurs, auch wenn professionelle Publizisten und Bildungsbürger überwogen . Für letztere sei an dieser Stelle nur der deutschjüdische Dramatiker und Theaterkritiker Julius Bab genannt . Er wurde doppelt performativ zum Künstler-Soldaten, zunächst als Publizist, dann als freiwilliger Landsturmmann, also im Wortsinn als patriotischer Körper . Der 1880 geborene Schriftsteller arbeitete in der Weimarer Republik für die Weltbühne und war Mitglied im Exekutivkomitee des Central-Vereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (CV) . Nach 1933 gehörte Bab zu den Gründungsmitgliedern des Kulturbundes deutscher Juden, dessen Bezeichnung die Machthaber bald verboten, weil sie die Beschreibung von Juden als deutsch nicht mehr tolerierten . 1938 musste er das Land verlassen und floh über Frankreich in die USA, wo er 1955 starb . Im Ersten Weltkrieg popularisierte auch Bab den Humorbegriff . So gab er in den ersten Kriegsjahren eine Serie von Gedichtheften heraus, die er 1919/20 teilweise neu auflegte, dann, um die Unterstellung vom ‚jüdischen Drückeberger‘ zu widerlegen .60 1915 schilderte er in dem Bändchen Soldatenlachen die paradigmatische Denkfigur des ‚lachenden Deutschen‘: Dieser vermittle „blutigen Ernst“ mit den „drolligen“ Seiten des Lebens und führe vor, das nicht nur nationales Pathos, sondern auch triviale Scherze zum Sieg führen könnten . Babs Anthologie war in mehrfacher Hinsicht typisch . Zum einen klassifizierte er Karikaturen und Witze als Kunst . Zum anderen betonte er die Beiträge „unbekannter“ Poeten aus dem Militär, um die nationale Integration durch Kultur und Krieg zu demonstrieren, obwohl das meiste von Offizieren oder aus bekannten Zeitungen stammte . Heinrich Lersch etwa, einen bekannten sozialistischen, katholischen Expressionisten, beschrieb er als „Kesselschmied aus München-Gladbach, jetzt Soldat“ . Lersch Brinitzer, Vom „Kammrad“, 2 . Vgl . Kessel, Laughing about Death . Lokbrie [i . e . Lokesch, Brie], Flieger und Sieger . 59 Das lustige Büchel der Liller Kriegszeitung I, 5 . Zu Arnolds Arbeit für die Kriegszeitung Strobl, Arnold, 20 . 60 Albanis, German-Jewish Cultural Identity, 187 f . Bereits 1916 zweifelte er am Krieg, ebd . 185 f . 57 58

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besang den patriotischen Tod und ließ heimkehrende Sieger Hurra schreien .61 Es folgte ein Klassiker aus dem Kladderadatsch von 1870, der Kriegsschlager „Das Haar wächst mir zur Mähne“ . Er überdauerte in den Zweiten Weltkrieg, als Soldaten ihn ebenfalls gerne als Eigendichtung an Feldzeitungen verkauften und dafür Zigaretten erhielten, weil sie sich auf die Weise loyal am Reden über den Krieg beteiligten .62 Nachdem Bab durch den Band selbst bereits Kunst und Krieg verschmolzen hatte, untermauerte er im Nachwort noch einmal ausdrücklich, dass er auch lebensweltlich so handele: Er habe als Landsturmmann in Ostpreußen mittlerweile die Theorie für die Praxis eingetauscht .63 Als perfekter Dichter-Denker-Soldat brachte Bab Schreiben und Leben zur Deckung, indem er für den Krieg schrieb und vom Schreibtisch zum Landsturm ging . Spätestens nach dem Ersten Weltkrieg musste er erleben, dass die deutsche Gesellschaft Deutschen mit jüdischem Hintergrund absprach, Künstler-Soldaten (gewesen) zu sein . Gleichzeitig suchten Medienmacher gezielt nach Soldatendichtern ohne Rang, um deren Repräsentationskraft zu nutzen . Sie forderten Soldaten regelmäßig auf, „hübsche, spaßige“ Geschichten einzusenden, die sie erlebt oder gehört hätten .64 Humorproduktion funktionierte daher nicht nur intermedial, sondern auch interaktiv . Dialekt war erwünscht, um die Verschmelzung von nationaler und regionaler Zugehörigkeit zu suggerieren . Auch wenn Soldaten sich über die herablassende Botschaft von Schreibtischstrategen ärgerten, mit „wahrem Fronthumor“ alle Unbill des Krieges zu ertragen:65 Sie nutzten ihrerseits den Modus, um ihre Kompetenz oder die strategische Relevanz ihrer Einheit zu unterstreichen . Denn es ging keineswegs darum, den Krieg zu leugnen oder auszublenden . Vielmehr beurteilten Soldaten untereinander die Fähigkeit zum Scherzen als Status- und Distinktionsmerkmal . Wer Todesgefahr so abfederte, verwandelte sich von einem Neuling in eine erfahrene Respektsperson der soldatischen Gemeinschaft . Witze halfen, die seelische Balance zu halten, indem sie unmenschliche Bedingungen in menschliche Dimensionen übersetzten .66 Wenn Soldaten sich um Veröffentlichung bemühten, mochte dies ähnliche Gründe haben . Sie durften öffentlich mitsprechen und den Einzelnen als mal kauzigen, mal alltagsweisen Helden sichtbar machen . Auf diese Weise traten sie auch in einem Krieg, der das individuelle Handeln zu entwerten schien, als eigenständiger Charakter auf, der sein Schicksal beeinflusse . Witzsammlungen offerierten einen Raum, in dem Soldaten sich artikulieren konnten . Waren die Beiträge namentlich gekennzeichnet, dann gaben sie fast immer Scherze wieder, die aus der Vorkriegszeit

Bab, Soldatenlachen, 5 f . Zu Lersch Bründel, Zeitenwende, 77, zu seiner späteren Abkehr vom Krieg 113, 125 . 62 „Das Haar wächst mir zu Mähne, die Seife wird uns fremd, Wir putzen keine Zähne, wir wechseln auch kein Hemd . Durchnäßt sind unsere Kleider, Oft bleibt der Magen leer, Von Bier und Wein gibt’s leider auch keinen Tropfen mehr . Es quillt in Schuh und Socken, Der Dreck spritzt bis zum Ohr, das einz’ge, was noch trocken, sind Kehle und Humor . Doch dieser Heroismus hat auch ’nen großen Reiz, uns geht der Rheumatismus für’s Vaterland durchs Kreuz“, Bab, Soldatenlachen, 9 . 63 Bab, Soldatenlachen, Nachwort . 64 Markolf, Deutscher Kriegshumor, Innenumschlag . 65 Ulrich, Augenzeugen, 66 . S . a . Meteling, Ehre, 335 f . 66 Watson, Self-deception, 254, sieht dies bei Engländern und Deutschen . 61

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stammten und einen Teil des überkommenen sozialen Wissens bildeten .67 Ihre kommunikative Bedeutung hing also nicht davon ab, wie originell sie waren . Vielmehr halfen bekannte Wendungen denen, die keine eigenen Worte fanden, über den Krieg zu reden .68 Für das Verständnis diskursiver und kommunikativer Bedeutungen ist eine analytische Trennung zwischen ‚authentischen‘ und ‚fiktiven‘ Darstellungen daher weder hilfreich noch nötig .69 Denn Witze und Anekdoten lieferten alltägliche Beschreibungshilfe: Indem sie immer neu das Sagbare beschrieben, boten sie an, wie man das, was sich nicht beschreiben ließ, umrunden konnte . Gleichzeitig dienten sie zur Positionierung oder Selbstversicherung . Neue, verstörende Erfahrungen konnten in den Erfahrungsschatz integriert und für den Einzelnen erzählbar gemacht werden, genauso wie Gefühle von Zugehörigkeit, Stolz oder Entsetzen . So lautete ein typischer Witz, dass Soldaten sich freuten, in einem Flussbett zu kampieren, weil sie endlich wieder in einem Bett schlafen könnten .70 Das Bonmot erkannte gerade in seiner Trivialität die Entbehrungen des Krieges an und schrieb den Männern einen souveränen Umgang mit Gefahren zu . Dafür war gleichgültig, ob der Erzähler die Ereignisse so erfahren hatte oder nicht . Was für die späte Weimarer Republik betont worden ist, galt bereits für die Kriegszeit: Wer sich als authentisch beschrieb, meinte nicht wirklich Erlebtes, sondern reklamierte Deutungshoheit .71 Zumindest bis Ende 1917 litten Feldzeitungen nicht an einem Mangel an Einsendungen, wobei lebhaft um Form und Inhalt gestritten wurde . Manche Soldaten monierten die soziale Schlagseite der Zeichnungen, die keine höheren Dienstränge ironisierten; andere bevorzugten traditionelle Formen . Der Champagne-Kamerad thematisierte die Differenzen im November 1917 ausdrücklich, um sie dann beiseite zu wischen . Redakteur und Unteroffizier Hans Holtz registrierte zwar den Vorwurf, dass der Spott nie Vorgesetzte träfe . Doch wich er ihm mit dem Satz aus, diese hätten sicher nichts dagegen, mit „goldenem Humor“ betrachtet zu werden . Stattdessen behauptete er das Einverständnis aller mit dem Klassenheer: Spott über Offiziere verrate die sprichwörtliche Zuneigung zum jovialen Vorgesetzten . Dann druckte das Heft nur das leicht verfremdete Selbstporträt eines Mitarbeiters sowie eine typisch humorige Skizze ab . Dazu erklärte Holtz mit dem Seufzer des echten Künstlers, man könne es nie allen recht machen, werde aber genau das weiter versuchen .72 Humor sollte durchhalten helfen, statt Anstöße zu geben, das Heer oder die Gesellschaft zu reformieren . Noch als die Stimmung nach dem Scheitern der Frühjahrsoffensive 1918 radikal kippte, kurbelten Feldzeitungen die Humorproduktion an . Dies belegt erneut, wie disparat das Meinungsspektrum am Ende des Krieges war . Zwar gestand Der Champagne-Kamerad im Mai 1918 ein, dass Humor als Loyalitätsnarrativ nicht mehr richtig Zu Hause im Kohlenkasten schlafen, um sich langsam wieder an Komfort zu gewöhnen, Schloemp, Der fidele Landsturm, 48 . 68 Dazu generell Bausinger, Ironisch-witzige Elemente, 252 . 69 Brocks, Bunte Welt, 53 . Vgl . Kessel, Gewalt schreiben, auch für das Folgende . 70 Trara – die Feldpost, 14 . 71 Für die Weimarer Republik Linder, Princes . Ulrich/Ziemann, Krieg im Frieden, 15 f . 72 Champagne-Kamerad, Nr . 100, 11 .11 .1917, 6 f . 67

1 . Deutschwerden durch Krieg: „Kampf und Lachen“

funktioniere, da nun zu wenig heitere Erzählungen eingesandt würden .73 Doch während Gerüchte behaupteten, dass der Kronprinz Hindenburg erschossen habe, und ein Stimmungsbericht vom August 1918 notierte, dass Heeresberichte über eine „gelungene Loslösung vom Feind“ nur noch verspottet würden,74 propagierte die Frontzeitung im selben Monat geläufige Sinnangebote: Sie appellierte an einen „Frohsinn“, der „Arbeitsfreudigkeit“ schaffe, verschmolz also Arbeit, Krieg und Heiterkeit .75 Daneben beschrieb der euphemistisch benannte Text „Fröhliche Fahrt“ kunstsinnige Soldaten als Zellen deutscher Einheit und Siegesgewissheit: In einem Urlauberzug an die Front hätten zuerst die Bayern, dann die Preußen ein regionales Lied und schließlich alle zusammen ein nationales, also verbindendes Soldatenlied gesungen .76 Im selben Sinne warb die Feldzeitung im September erneut um lustige „wahre Geschichtchen“ als bestem Stimmungsmacher, nun allerdings deutlich als letzte Rettung in „miesen Zeiten“ .77 Die vorletzte Ausgabe im Oktober pries das gerade veröffentlichte Büchlein Landser unter sich. Eine lustige Auslese aus dem „Champagne-Kamerad“ an: Dessen „treffende Schilderungen aus dem Kriegsleben im Gewande des Humors“ böten sich nicht nur zur Erholung an, sondern auch als schönes Andenken .78 Bis zuletzt zirkulierten diese Sinnmuster, die auch nach 1918 wichtig bleiben sollten: Krieg als vielleicht unschöne, aber notwendige Arbeit; Humor nicht nur als Zeichen für Mut, sondern für ‚Rechtmäßigkeit‘; sowie die Matrix vom ‚Künstler-Soldaten‘, der unbeirrt kämpfe und so Heer und Gesellschaft integriere . Bis zuletzt setzte die Selbst/Mobilisierung der deutschen Gesellschaft somit auf Humor als Kitt . Im Zuge der sog . zweiten Mobilisierung ab 1917 schlug der Goethebund dem Innenministerium „Bunte Abende“ mit vaterländischer Dichtung, heiteren Schützengrabenerzählungen und Kinoeinlagen vor, um so die massiven Proteste gegen die Unterversorgung zu stoppen; allein in Berlin fanden von November 1917 bis Januar 1918 etwa hundert solcher Abende statt .79 Auch an der Front spornten Bataillonskommandeure ihre Einheiten durch gemeinsame Unterhaltung an . Während der Frühjahrsoffensive 1918 ersetzten sie den sog . „vaterländischen Unterricht“ durch Kabarettabende, an denen nun sogar Vorgesetzte karikiert werden durften .80 Bürgerliche ermahnten sich trotz individueller Trauer bis Kriegsende, fröhliche Briefe zu schreiben, um ihr Durchhalten zu demonstrieren .81 Im letzten Kriegsjahr aber erfuhren zu viele Menschen die Situation als Spiele ohne Brot . An dieser Erfahrung richteten die Deutschen bekanntermaßen ihre Politik im Zweiten Weltkrieg aus, die besetzten Länder auszubeuten und den Krieg auf Kosten der dortigen Bevölkerung zu führen . Champagne-Kamerad, Nr . 125, 5 .5 .1918, 4 . Zit . nach Ullrich, Revolutionierung, 280 f . 75 Champagne-Kamerad, Nr . 140, 18 .8 .1918, 1 . Zur Identifikation von Krieg und Arbeit Lüdtke, German Work . 76 Champagne-Kamerad, Nr . 140, 18 .8 .1918, 4 . 77 Champagne-Kamerad, Nr . 144, 15 .9 .1918, 12 . 78 Champagne-Kamerad, Nr . 148, 13 .10 .1918, 8 . 79 Altenhöner, Kommunikation, 227 . 80 Mit Erfolg, vgl . Meteling, Ehre, 300 f . S . a . Baumeister, „L’effet“, 259 f . 81 Molthagen, Ende, 288–290 . 73 74

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

Wie interessiert staatliche Behörden am Humornarrativ waren, wie engagiert manche Künstler mitzogen und wie sich politisches, wirtschaftliches und individuelles Interesse verzahnten, zeigte schließlich auch die staatlich organisierte Auslandspropaganda .82 So kaufte die im Oktober 1914 gegründete Zentralstelle für Auslandsdienst seit Kriegsbeginn manche Schriften, um sie im Ausland zu verbreiten, etwa 1915 und noch einmal 1917 Friedrich Stieves Unsere Feinde, wie sie die Deutschen hassen .83 Die Sammlung präsentierte französisches und englisches Lob über Deutschland aus der Vorkriegszeit, um die antideutsche Kriegspropaganda als unlogisch zu karikieren . Stieve betrieb dieselbe Gefühlspolitik wie Zilles Rezensent: Er markierte die Gegner als ‚Feinde‘, indem er ihnen ‚Hass‘ unterstellte und diesen als ‚falsches Gefühl‘ klassifizierte . Auch die Lustigen Blätter, den Ulk und den Kladderadatsch bezog die Zentralstelle billiger und stornierte die Abonnements erst Anfang 1919 .84 Auch Bildpostkarten wurden bestellt . Das Bild- und Film-Amt, angesiedelt bei der Nachrichtenstelle des Generalstabs, hatte seit 1917 eine Graphische Abteilung, die zuständig für die amtliche Bildpolitik war . Sie orderte 1917 und 1918 mehrere Millionen Bildpostkarten mit Motiven von Zille oder dem Zeichner und Illustrator Walter Trier, um sie ins neutrale Ausland zu schicken .85 Außerdem arbeiteten Karikaturisten direkt für staatlich-militärische Instanzen . Karl Arnold, dessen antisemitische Zeichnungen für die Liller Kriegszeitung auch als Postkarten liefen, bat Anfang 1918 um Informationen über Dänemark, um seine Angebote auf die Stimmung dort auszurichten .86 Die Graphische Abteilung engagierte neben Arnolds Simplicissimus-Kollegen Olaf Gulbransson und Thomas Theodor Heine auch den Karikaturisten Alexander M . Cay (i . e . Alexander M . Kaiser) .87 Cay hatte sich mit seinem englischsprachigen, an Neutrale gerichteten Band War Cartoons empfohlen, der die Kriegsgegner verunglimpfte und 1916 in zweiter Auflage erschien . Auch Cay demonstrierte, wie wichtig die Sinnfigur des Künstler-Soldaten war, um Grenzen zu ziehen: Er sprach ausländischen Künstlern mit Blick auf Kunst und Persönlichkeit ab, das Ideal zu verkörpern . Ihre Zeichnungen verurteilte er als unästhetisch und verlogen, den Zeichnern selbst unterstellte er Homosexualität . Den bekannten holländischen Karikaturisten Louis Raemakers etwa klammerte er aus dem heteronormativen Konzept von Männlichkeit aus, indem dieser für seine „Greuelzeichnungen“ nicht nur den Kranz der Ehrenlegion von Poincaré, sondern auch einen dicken Kuss von Mann zu Mann erhielt .88 Künstler nutzten also die Gelegenheit, die der Krieg bot, um sich als nationale Sinnstifter anzubieten,89 und gingen mitunter weiter, als sie sollten . Als der englische Weise, Der ‚lustige‘ Krieg, 184 f . BArch, R 901/71247, Bl . 2–16 . 84 BArch, R 901/72133, Bl . 28–44; R 901/72135; R 901/72136, Bl . 2–5; R 901/72141, Bl . 1–2 . 85 in Absprache mit dem Kriegspresseamt, das seit 1915 die Nachrichtenpolitik ins In- und Ausland kontrollierte, Kestler, Deutsche Auslandsaufklärung, 52 . 86 BArch, R 901/71104, Bl . 43 . S . a . Kestler, Auslandsaufklärung, 159 . Peters (Hg .), Spott und Hetze, 745, 784 . 87 Schmidt, Belehrung, 169 . 88 Cay, War cartoons, 6 . Das Auswärtige Amt hoffte auf Gulbransson, um Raemakers zu kontern, BArch, R 901/71865, Bl . 299 . 89 Kestler, Auslandsaufklärung, 127 . Schmidt, Belehrung, 170, sieht nur ein aus Not geborenes Engagement ungeliebter Künstler . 82 83

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Kriegsminister Kitchener 1916 starb, weil sein Schiff auf eine Mine lief und sank, wollte das Außenministerium seinen Tod nicht diskutiert haben . Jugend, Simplicissimus und Kladderadatsch ließen ihn dennoch als Symbol Englands auf den Meeresgrund sinken .90 Zugleich aber schlüpfte ein Kriegskritiker wie George Grosz bei der Bildstelle unter und verhinderte so die erneute Einberufung . Er sollte zusammen mit Helmut Herzfeld in einem Zeichentrickfilm den amerikanischen Kriegseintritt lächerlich machen . Doch verzögerten sie zunächst den Produktionsprozess und legten dann ein Ergebnis vor, das nicht gefiel . Harry Graf Kessler, zu dem Zeitpunkt deutscher Gesandter in Bern und Förderer des in seinen Augen besten jungen Berliner Expressionisten, half zwar, ihm die Stelle zu sichern .91 Er regte im Mai 1918 aber vergeblich an, Grosz’ Zeichnungen für Postkarten- und Bilderbuchausgaben in verschiedenen Preisklassen zu verwenden .92 Kritik und Kontrolle Denn moderne Kunst hatte im Kaiserreich keine Massenbasis, ein Phänomen, dass sich auch in der Weimarer Republik nicht grundlegend änderte . Zudem argumentiert Jay Winter meines Erachtens überzeugend, dass in diesem Krieg, der so viel Vertrautes zerstörte, herkömmliche, vertraute künstlerische Angebote eher halfen als avantgardistische, um Entsetzen, Trauer und Angst zu bewältigen .93 Anekdotenhefte fungierten gerade aufgrund ihrer konventionellen Ästhetik auch im industrialisierten Krieg als ‚Geschichtsschreibung im Alltag‘ . Sie vernetzten neue Erfahrungen mit den Siegen des 19 . Jahrhunderts und formten auf diese Weise ein kollektives Gedächtnis, das manche Aspekte erinnerte und andere vergessen machte . Ein traditionelles Erscheinungsbild konnte Normalität suggerieren und prophezeien, dass eine momentan verschwundene Welt nach einem Sieg zurückkehren würde . Doch half auch eine konventionelle Ästhetik nicht immer bei einer Zensurpolitik, die bis Kriegsende uneinheitlich und unübersichtlich blieb .94 Die Behörden regulierten liberale und linke Medien zwar deutlich stärker als konservative, griffen aber auch bei letzteren ein .95 In der frühen Kriegszeit traf es vor allem hurrapatriotische Produkte, die die Gegner verspotteten, aber auch die deutschen Anstrengungen kleinredeten .96 Ab 1916 ging es meist um sog . Hungerpostkarten und Friedenssehnsucht . Doch tauchten gerade diese Motive immer wieder auf . Das reflektierte zum einen, wie stark die Spannungen in der Gesellschaft waren . Zum anderen aber waren sich die Behörden regelmäßig so uneins, dass Produzenten hoffen konnten, durchzukommen, und sich Weise, Der ‚lustige‘ Krieg, 189 . Faure, Im Knotenpunkt, 85 . 92 BArch R 901/71104, Bl . 1–6 . 93 Dazu Winter, The Great War . 94 Vgl . Brocks, Bunte Welt, 29–37 . 95 Schmidt, Belehrung, 66–69 . S . a . Geyer, Verkehrte Welt, 32 f . 96 Verhey, Spirit, 284 . Die Behörden waren durch den karnevalesquen Charakter der ersten Kriegswochen aber auch deshalb irritiert, weil er einen Kontrollverlust über die Bevölkerung implizierte, ebd . 169 . 90 91

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den Markt nie ganz aus der Hand nehmen ließen .97 Als im Sommer 1917 das Gerücht zirkulierte, dass Zehntausende von Eiern verfault seien, während die Bevölkerung hungere, forderte eine vom Silberstein-Verlag vertriebene Postkarte, den Verantwortlichen aufzuhängen .98 Das bayerische Kriegsministerium verwarnte den Verlag scharf, während das Innenministerium den „frechen Unfug“ und die „verhetzenden Geschmacklosigkeiten“ zusätzlich nachträglich verbieten wollte .99 Kriegsminister von Hellingrath lehnte jedoch hellsichtig zwei Mal ab: Die Karte sei schon so oft gekauft worden, dass ein nachträgliches Verbot wirkungslos bleibe .100 Außerdem wehrten sich die Verlage . Die Münchner Kunst- und Verlagsanstalt Andelfinger verwies im August 1916 auf den Eigensinn der Käufer: Sie könne ja nichts dazu, wenn Käufer ihre „harmlosen“ Karten „eigenmächtig“ mit „unpassendem“ Text versähen .101 Andere Unternehmen führten den Erhalt von Arbeitsplätzen an .102 Den Nachdruck einer beliebten „Todesanzeige für den letzten Brotlaib“ konnten Münchner Zensoren erst stoppen, als sie Anfang 1918 die Druckplatten und Formen beschlagnahmten .103 In diesem disparaten Kontext ist vor allem aufschlussreich, wie selbstverständlich antisemitische Botschaften während des gesamten Krieges passieren durften .104 Für Scherz als Kommunikationsmodus selbst ist wichtig – und das gilt für meinen gesamten Analysezeitraum -, dass er ein bloß dichotomes Muster von subversiv oder affirmativ sprengte und andere Logiken sichtbar machte . So fungierte Spott als Ventil, ohne automatisch Distanz zum Krieg oder zum politischen System zu signalisieren . Dafür gab es trotz der widersprüchlichen Zensur klare Sagbarkeitsregeln: Kritik am behördlichen Versorgungsdesaster war legitim, solange parallel Kampfbereitschaft aufblitzte . So warf die Unterhaltungszeitschrift Der Brummer 1916 in Anlehnung an Heines Loreley-Gedicht „Ich weiß nicht, was soll es bedeuten“ dem Oberkommando vor, mit seiner Preispolitik die ehemals vollen Schlachterläden leergefegt zu haben . Daneben zeigte ein Bildwitz einen französischen Soldaten, der einen Handkarren mit Gerümpel zog und einem Offizier erklärte, dies sei alles, was die Deutschen von seiner Kompanie übriggelassen hätten . Heine gehörte keineswegs zur Ahnengalerie des Ernsten und Heiteren . Doch der Vorwurf, die Oberste Heeresleitung (OHL) verführe die Deutschen wie die Loreley mit irreführendem Gesang, war akzeptabel, solange die deutsche Überlegenheit gefeiert wurde .105 Zahlreiche Spottkommentare verrieten statt Fundamentalkritik daher eher die Einstellung, dass eine Bevölkerung, die an allen Fronten kämpfe, sich beschweren dürfe, wenn die Regierung sie nicht angemessen versorge . So auch das paradigmatisch überschriebene Heft Uns kann keiner von 1916, das die miserable Nahrungslage thematiZ . B . Brocks, Bunte Welt, 30–33, 44 . Robert, Image, bes . 117–125 . Kessel, Talking War, 96 ff . BayHStA, Abt . IV, M Kr Bild- und Postkartensammlung, 2996 . 99 BayHStA, Abt . IV, M Kr 13345/1, 13 .7 .1917, Nr . 2304 a 67 . 100 BayHStA, Abt . IV, M Kr 13345/1, Nr . 134438 A, 26 .8 .1917, Betr . Postkarten-Zensur . 101 BayHStA, Abt . IV, M Kr 13345/1 . Der Verleger hoffte süffisant, dass die Karte „Der fleischlose Tag“ akzeptiert würde, da das abgebildete Eiergericht doch so einladend sei . 102 BayHStA, Abt . IV, M Kr 13 345/8 . 103 BayHStA, Abt . IV, M Kr Bild- und Postkartensammlung, 3439; M Kr 13345/1, No . 392 P 5 . 104 Kimmel, Methoden, 249 . Jahr, Antisemitismus, 252 . 105 Der Brummer, 1916, Nr . 97, S . 3 . 97 98

1 . Deutschwerden durch Krieg: „Kampf und Lachen“

sierte: Es karikierte einen dicken Schlachter mit einem Schnauzbart, der an Hindenburg oder Ludendorff erinnerte, als „Lebensmitteldiktator“, der einer jungen Frau in einem mit Fleischwaren übervollen Laden zuvorkommend zuflötet: „Von jetzt an werden Sie prompt bedient werden!“106 Der Mythos Hindenburg brach jedoch erst dann kurz ein, als Frontsoldaten ihn im Sommer 1918 als realen „Schlächter“ kritisierten .107 Die Zeichnung von 1916 reflektierte eher das Selbstverständnis als kämpfende Opfernation, die auch unter ihrer eigenen Regierung leide und deshalb meckern dürfe . Die Einschätzung wird dadurch bestätigt, dass tabuisierte Reaktionen wie offenes Entsetzen oder grundsätzliche Kritik an der deutschen Politik in der Regel die ästhetischen Formeln des Ernsten und Heiteren verließen . Eine Karte von 1917 hatte den bitteren Text: „Seht was kommt hier anspaziert, ausgerichtet zur Parade, Nun das sind alte Knochen, die kommen heim in wenigen Wochen!“108 Sie wurde ebenso kassiert wie eine scharfe Attacke gegen nationalprotestantische Pfarrer, die aus sicherer Entfernung zum „Menschenzerstückeln“ hetzen würden .109 Wer schließlich die deutschen Völkerrechtsverletzungen kritisierte, erhielt noch weniger Gehör als die, die ‚nur‘ die Gefallenenzahlen ansprachen . Als der Schriftsteller und spätere Ministerpräsident der bayerischen Räterepublik Kurt Eisner sich 1915 ironisch zur deutschen Politik äußerte, reagierten militärische Instanzen im Reich scharf: Es handele sich um eine „Verächtlichmachung der deutschen Kriegsführung“ und „empfindliche Verletzung des vaterländischen Gefühls“ . Entsprechend beschnitten sie Eisners Publikationschancen .110 Die Wortwahl war typisch: Wer das Ernste und Heitere implodieren ließ, galt als jemand, der die Nation ‚verletze‘ . An der Front griff die OHL ab 1916 schärfer zu .111 Auch ästhetisch traditionelle Karikaturen wurden kassiert, wenn sie das Missverhältnis zwischen dem industrialisierten Krieg und dem menschlichen Körper mit dem Satz ironisierten: „Wertvoll ist Rumpfrückwärtsbeuge zum Beschuß der Luftfahrzeuge .“112 Fitness blieb zwar eminent wichtig in diesem Krieg . Die Herrschaft über einen zerfetzten Raum, in dem Ordnung sich immer wieder auflöste, forderte disziplinierte Körper, ganz abgesehen vom allgegenwärtigen Schlamm, in dem Soldaten auch ohne Feindeinwirkung regelrecht ertranken . Doch die Karikatur gymnastiktreibender Soldaten als menschlicher Kanone bezweifelte die Strategie, Menschen gegen Technik in den Tod zu schicken . Andere Soldaten unterliefen den Mobilisierungsappell geschickt, indem sie Photographien nutzten, die zeitgenössisch nicht als subversives Medium galten . Im September 1915 ließ sich ein Grenadierregiment in der Champagne photographieren . Dabei hängte es über den Spruch am Unterstand: „Nichtswürdig ist die Nation, die nicht ihr Alles freudig setzt an ihre Ehre“ ein Kleidungsstück so über den Balken, dass vom ersten Wort nur noch „würdig“ zu lesen war .113 106 107 108 109 110 111 112 113

Uns kann keiner, 35 . Von der Goltz, Hindenburg, 47 . BayHStA, Abt . IV, M Kr 13345/1, 27 .7 .1917 . BayHStA, Abt . IV, M Kr 13345/1, 6 .3 .1917 . Grau, Eisner, 312 ff ., Zitat 314 . Lipp, Meinungslenkung, 48 f ., 54 ff . BayHStA, Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung, 98 . Meteling, Ehre, 259 . Ein Füsilierbataillon zeigte im Juli 1918 die Plakataufschrift „Wenn blos ken

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

Kritik im zivilen Bereich war eher möglich als an der Kriegführung, im Rahmen der geschilderten Unübersichtlichkeit .114 Als der Unmut über die immer schlechtere Versorgungslage zunahm, versuchten die Berliner Behörden ihn zu kanalisieren . Sie erlaubten Kabarettisten, Politiker zu karikieren, wenn auch nur in Pantomime . Mit diesem Zugeständnis gelang es dem Stellvertretenden Generalkommando in Berlin, die Bühnen seinerseits für Durchhalteappelle zu nutzen .115 Hindenburg gehörte als jovial geltender Übervater ausdrücklich zu denen, denen man sich schmunzelnd nähern durfte . Der Generalfeldmarschall besetzte somit auch auf dieser Ebene die symbolische Lücke, die die Implosion der kaiserlichen Autorität riss .116 In Witzheften rückte neben Hindenburg auch Friedrich der Große an die Stelle des Kaisers . Beide suggerierten, dass nur Krieg die deutsche Nation ‚groß‘ mache, und zirkulierten auch nach 1918 in diesem Sinne als Symbolfiguren . Das trug dazu bei, dass es den Demokraten weder im Krieg noch in der Weimarer Republik gelang, die demokratischen Anfänge im 19 . Jahrhundert als wirksame Geschichtstradition und Basis für Zukunftsvisionen durchzusetzen .117 Zusammenfassend könnte man aus der widersprüchlichen Aufladung des humorigen Codes im Ersten Weltkrieg zunächst schließen, dass sich seine Bedeutung nicht systematisieren ließe . Doch gerade indem Zeitgenossen um Inhalte und Formen stritten, werteten sie das Ernste und Heitere als nicht-argumentative Kommunikationsform auf, um sich über den Krieg und ihre Gesellschaft zu verständigen . Jenseits der diversen Inhalte fixierte der Topos an sich Kampf als Maßstab für Deutschsein . Wer wollte, entwertete auf diese Weise auch demokratische Diskussion als politische Praktik . Zudem schrieben Zeitgenossen der Sinnfigur des ‚lachenden deutschen Soldaten‘ ein, ‚im Recht‘ zu sein . Einzelne oder Gruppen traten mit der Erzählweise als ‚Künstler-Soldaten‘ auf, die mit Krieg und Kunst, Kampf und Humor die Nation integrieren und verteidigen würden . Den Krieg, die politische Struktur oder die deutschen Völkerrechtsverletzungen in Frage zu stellen, galt dagegen als ‚verletzend‘ . Die binäre Formel von ‚Humor vs . Hohn‘ entwertete eine solche Position als ‚höhnisch‘ bzw . ‚beschämend‘ . Auf diese Weise emotionalisierte das Ernste und Heitere noch zusätzlich die Täter-Opfer-Verkehrung, die bereits im Diktum vom Verteidigungskrieg steckte . Denn einen Verhandlungsfrieden als beschämendes Verlacht-Werden zu dramatisieren, machte Alternativen zu einem Siegfrieden schwerer sagbar . Um ihre Position zusätzlich abzuschotten, agierten Kriegsmaximalisten wiederum so, wie sie es anderen vorwarfen: Sie machten Andersdenkende lächerlich . Die Neigung, diejenigen zu verspotten, die das Kämpfen nicht als ultimative Sinnstiftung und Maßstab für Deutschsein verstanden, überdauerte den Krieg . Dasselbe galt für die Sinnfigur des ‚lächelnden Künstler-Soldaten‘, die suggerierte, unabhängig vom tatsächlichen Handeln rechtmäßig und gerecht zu sein .

Friede ausbricht“; es artikulierte Friedenssehnsucht, ohne Kampfbereitschaft vermissen zu lassen, ebd . 303 . 114 Chickering, Great War, 390 . 115 Rüger, Laughter and War, 30 ff . Das Haus Hohenzollern blieb ausgenommen . 116 Zu Hindenburgs symbolischer Präsenz Pyta, Hindenburg, u . a . 106 ff . 117 Brie, Unser Kronprinz, 38 . Generell zu Traditionsbildung Reimann, Der große Krieg, 238–243 .

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

2. Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff Die Denkerfäuste schultern die Gewehre Das Dichterauge zielt mit sichrem Blick, Es leuchtet hell – so wie Alldeutschlands Ehre, und der Poet schafft so sein Meisterstück … … Wir sind das Volk der Dichter und der Denker; Ja, Freunde, alles wo es hingehört: Wir sind das Volk der Richter und der Henker Für jeden Schurken, der den Frieden stört .118

Begeistert verwandelte Gustav Hochstetter bei Kriegsbeginn Dichter und Denker in Richter und Henker und leitete das ‚Recht‘ zum Richten und Strafen aus der Annahme ab, dass sie nun auch tatkräftige Soldaten geworden seien . Zur Legitimation führte der Redakteur der Lustigen Blätter eine typische Ahnengalerie aus Bildung, Kunst und Militär an . In seinem himmlischen „Kaffee Walhalla“ trafen sich zuerst Scharnhorst, Gneisenau und Yorck, dann kamen Goethe und Schiller, Fichte und Körner dazu und schließlich die ‚heilige Dreifaltigkeit‘ aus Politiker Bismarck, Militär Moltke und Künstler Wagner .119 Hochstetter inszenierte auf paradigmatische Weise die Denkfigur des gebildeten Künstler-Soldaten . Sie war ein Schlüssel für das Aushandeln von Deutschsein im Ersten Weltkrieg, in zweierlei Hinsicht . Zum einen blendete der Publizist die Frage nach der Rechtmäßigkeit von Gewalt aus, indem er Krieg als Kunst und Krieger als Künstler dachte . Kunst galt im Selbstverständnis der Moderne als Raum, der sich weder einer parlamentarischen Mehrheit noch einem Finanzregime oder Rechtssystem unterwerfen müsse . Kunst brauche keine Argumente, so das Diktum der bürgerlichen Kultur im 19 . Jahrhundert, sondern folge der Intuition des ‚großen Künstlers‘ . Dessen ‚große‘ Emotionen wiederum, so diese Sinnstruktur weiter, könnten ‚große Taten‘ generieren .120 Ich betone ausdrücklich: Das Selbstverständnis als Künstler-Soldat führte nicht zwingend dazu, Krieg oder gar Verstöße gegen das Völkerrecht gutzuheißen . Hochstetter aber leitete aus der Selbstbeschreibung den Anspruch ab, eigenes Recht setzen zu dürfen – als Signum einer Moderne, die auf Persönlichkeit statt auf demokratische Verfahren setze . Wer Gewalt und ihre Vollstrecker auf diese Weise ästhetisierte, legitimierte auch den Bruch von internationalem Recht . Zum anderen suchten Autoren während des Krieges mithilfe der Denkfigur zu mobilisieren und dennoch eine sich dynamisierende Kriegsgesellschaft in der von ihnen gewünschten Ordnung zu halten . Sie wollten darüber verfügten, wer Künstler-Soldat sei und wer nicht . Daher zogen sie Grenzen, zunächst entlang der Kategorien Geschlecht Hochstetter, Wir sind wir, 15 f . Er beschwor den „Verteidigungskrieg“ und attackierte die Engländer, die er wie viele andere als eigentlich ‚natürliche Verbündete‘ sah, Hochstetter, Wir sind wir, 89–91 . 120 Zu diesem Konnex Kessel, Das Trauma der Affektkontrolle . 118 119

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

und Klasse, aber auch, indem sie Kritik am Krieg verurteilten, so dass das Nachdenken über politische Alternativen erneut als Persönlichkeitsdefizit erschien . Quer dazu lag die Grenzziehung deutsch/jüdisch: Hochstetter, ein Künstler jüdischer Herkunft, der 1942 nach Theresienstadt verschleppt wurde und dort 1944 starb, warb enthusiastisch für den Krieg, indem er das Persönlichkeitsideal als Kernstruktur deutscher Geschichte inszenierte und sich dort einschrieb . Andere aber verweigerten jüdischen Deutschen bereits im Ersten Weltkrieg prinzipiell den symbolischen Bonus, m . E . weil diese überproportional mitkämpften und demonstrierten, dass sie das Ideal erfüllten . Wer das Ernste und Heitere dergestalt einsetzte, verwandelte das Loyalitätsnarrativ in ein Ermächtigungsnarrativ, um über Identitätsvorstellungen und ‚Rechthaben‘ zu entscheiden . Alle Regulierungsansprüche zusammengenommen reflektierten auch, dass Zeitgenossen das Künstler-Soldaten-Bild nicht nur auf eine Figur an der Spitze der Nation bezogen, sondern damit gesamtgesellschaftliche Ordnung aushandelten . Die Sinnfigur blieb auch unberührt, als sich zunächst kriegsbegeisterte Künstler und Intellektuelle vom Krieg distanzierten . Ebenso redundant wie ironiefrei lancierte das Ernste und Heitere soldatische nichtjüdische Helden, die Krieg und Kunst verbänden und deshalb ihre eigenen Regeln in Sachen Gewalt setzen dürften . Der gebildete Künstler-Soldat vor 1914 Die prestigeträchtige Sinnfigur des männlichen, großen Künstlers, der die Welt diachron und synchron integriere, spielte lange vor 1914 eine wichtige Rolle . Das Persönlichkeitsmodell meinte weder nur die Kooperation von Handlungsbereichen wie Kunst, Wissenschaft und (Militär)Politik, noch spiegelte es einen antimodernen Impuls . Vielmehr galt der moderne renaissance man als kreatives Individuum schlechthin, weil er angeblich querintegrativ agiere: Diachron, so die Projektion, übersetze eine solch charismatische Figur eine heroische Vergangenheit durch den gegenwärtigen Kampf in eine glorreiche Zukunft . Synchron verbinde sie die Handlungsfelder von Wissen, Kampf und Kunst .121 Wer beanspruchte, qua Persönlichkeit zu integrieren (oder qua Männerbund, falls gerade kein Genie zur Hand war), stellte sich daher auch als natürliche Führungsfigur dar .122 Die Denkfigur des gebildeten Künstler-Soldaten speiste sich aus verschiedenen Deutungssträngen, die in das 18 . Jahrhundert zurückreichten . Der Geniekult war seit der Weimarer Klassik präsent .123 Den Künstler-Soldaten heroisierte die bürgerliche Kultur seit den napoleonischen Kriegen . Künstlerbiographien und Schlachtenmalerei des 19 . Jahrhunderts deuteten Geschichte mit diesem Zugriff . Sie präsentierten ein männliches Genie, das kunst- und politikfähig sei und deshalb die Nation erschaffe .124 Anekdoten lieferten dasselbe en miniature . Die Imagination vom ‚großen Künstler‘ war Kessel, Einleitung, 10 ff . Berg/Thiel/Walter (Hg .), Mit Feder und Schwert, betonen die Kooperation von Funktionsbereichen . 122 Zur Setzung als männlich Wenk, Mythen von Autorschaft . 123 Köhne, Geniekult . 124 Kessel, Einleitung, mit Literatur . 121

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

entsprechend eminent politisch und stand keineswegs für politische Indifferenz .125 In seinem Kultbuch Rembrandt als Erzieher inszenierte Julius Langbehn 1896 das Modell . Er erklärte die Triade „Bauer, Künstler, König“ zum idealen Bund, allerdings nur in einem autoritären System – denn „Vielherrschaft“ sei von Übel – und in scharf antisemitischer Prägung .126 1924 knüpfte der erste Hitlerbiograph Georg Schott ausdrücklich an Langbehn an, um Hitler als ‚geborenen Künstler-Soldaten‘ und Alternative zu Hindenburg zu präsentieren .127 Dass Kris und Kurz wie einleitend erwähnt 1934 die Legende vom ‚großen Künstler‘ demontierten, darf nicht übersehen lassen, dass genau diese Imagination eine zentrale Rolle spielte, um politische Ansprüche auszuhandeln . Im Kaiserreich war das Persönlichkeitsideal noch ein Claim der Eliten . Im Krieg gegen Frankreich 1870–71 etwa verherrlichten kriegsbegeisterte Studierende den älteren Moltke als perfekten Künstler-Soldaten, der ihnen mehr beibringe als jeder andere Professor .128 Doch suggerierten Anekdoten bereits jetzt, dass auch Soldaten ohne Offiziersrang zu ‚kleinen Poeten‘ und Repräsentanten der Nation werden könnten, sofern sie entschieden kämpften . Wenn Scherze als „Poesie im Feld“ galten, durften sich alle, die so redeten, als Künstler-Krieger fühlen, auch wenn sie nicht zur gebildeten Elite zählten . Die seit dem 18 . Jahrhundert auf einen klassischen Kunstbegriff gebuchte bürgerliche Kunstreligion erweiterte sich um Anekdoten, sofern sie den Krieg unterstützten; dann galten sie als Praktik, sich in die neue Nation zu integrieren . Scherzhefte führten vor, welche Art von Politik gemeint war . Soldaten sollten sich nicht für Wahlrecht, Gewaltenteilung oder Parlamentarisierung engagieren, sondern in der gemeinsamen Liebe zu Nation und Kunst treffen .129 Seit 1871 gehörte es zum nationalistischen Habitus, Kampf, Kunst und Bildung zusammenzudenken . Vor allem das wilhelminische vaterländische Milieu inszenierte sich als Heer gebildeter Künstler . Seine eng verflochtenen Turn-, Gesangs- und Schützenvereine gaben sich nationalistisch, monarchistisch und opferbereit . Sie marschierten singend, turnend und schießend gegen die von ihnen behauptete Verweichlichung der zivilisierten Welt an . Und alles unbedingt gleichzeitig, wie der Zeichner und Schriftsteller Franz Graf von Pocci treffend karikierte: „Und wer nur turnt, nur schießt, nur singt, armselig ist, wer das vollbringt; ein Schurke, wer im Deutschen Reich nicht turnt, nicht schießt und singt zugleich!“130 Dieses Milieu lehnte auch eine deutschjüdische Identität ab .131 Es sprach deutschen Juden den symbolischen Bonus und Integrationskraft ab . Den genialischen Charakter der Figur betonten ihre Anhänger/innen um so entschiedener, je stärker der elitäre Charakter im Kaiserreich unter Druck geriet .132 Denn Letzteres die These von Lange, Genies . Langbehn, Rembrandt als Erzieher, 178 f .: Der König von Gottes Gnaden, der Künstler von Geistes Gnaden und der Bauer von Volkes Gnaden müssten zusammenhalten, damit Deutschland „unbesiegbar“ sei . 127 Schott, Volksbuch, 31 . Vgl . Kap . III .3 . 128 Becker, Bilder, 190 . Kessel, Gelächter . Zur sozialen Schichtung militärischer Heldenideale Meteling, Ehre, 51 . 129 Vgl . Humor im Felde, 54, dort auch die Überschrift „Poesie im Felde“ . 130 Zit . nach Klenke, Der singende „deutsche Mann“, 20 . 131 Kimmel, Methoden, 31 . 132 Kessel, The ‚whole man‘, bes . 14–24, auch zum Folgenden . Köhne, Geniekult . 125 126

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

als Frauen, Unterschichten und jüdische Deutsche forderten, an Bildung, Kunst und Politik oder überhaupt als Bürger/innen teilzuhaben, griffen sie auch auf diesen Status zu . Darauf reagierten männliche christliche Eliten, indem sie sich selbst noch entschiedener als ‚ganze Männer‘ darstellten, die alle Handlungsräume und menschlichen Eigenschaften vereinen würden: Leidenschaftlich und einfühlsam wie ein Künstler, aber nicht, wie die Konstruktion von Weiblichkeit es behauptete, den Emotionen ausgeliefert, sondern jederzeit kontrolliert . Männliche Eliten unterfütterten ihren Anspruch, trotz der gesellschaftlichen Umbrüche im Kaiserreich die Führung zu behalten, indem sie Kunst und Politik als Handlungsfelder aufeinander bezogen und als Domäne männlicher, implizit christlicher Oberschichten definierten . Doch war das Ideal vor 1914 zwar sozial elitär und geschlechterspezifisch gebrochen, aber nicht politisch exklusiv . Liberale und Pazifisten beanspruchten ebenso wie Radikalkonservative, Politik wie Kunst und Kunst als Politik zu machen und dadurch die idealen Vertreter der Nation zu sein . Denn wer so anerkannt war, erwirtschaftete symbolisches Kapital für die eigene Politik, wie immer sie aussah .133 Vaterländische Konservative behaupteten, mit ihrer Kunstreligion über den Parteien zu stehen . Sie würden die ‚wahren‘ Werte der Nation wie Mannhaftigkeit verkörpern und das große Ganze im Auge behalten, statt sich im politischen Alltag zu verlieren .134 Ihre These, die Nation sei immer noch ‚zerrissen‘, beschrieb keinen Ist-Zustand . Vielmehr ließen sie Pluralisierung nur als Zersplitterung gelten, statt Demokratisierung oder eine Vielfalt von Lebensentwürfen als Chance zu interpretieren . Heinrich Mann dagegen plädierte für den politischen Dichter, um eine Republik nach französischem Vorbild herbeizuführen . Der literarische Expressionismus bildete die emphatische Rede vom Führer aus,135 während der linke, aber nicht-marxistische Quergänger Kurt Hiller ein männlich-aristokratisches, pazifistisches Künstlerideal favorisierte .136 Helmuth von Moltke eiferte ganz praktisch seinem Onkel nach, der sich den Status mit seiner erfolgreichen Kriegführung gesichert hatte . Dass Moltke der Jüngere ständig den Faust bei sich trug, Cello spielte und ein eigenes Malstudio hatte, gefiel dem Kaiser, der ihn 1906 zum Generalstabschef ernannte .137 Typisch für den (Selbst)Entwurf als genialer, soldatischer Künstler-Politiker war auch der zu Beginn des Weltkriegs 17jährige Otto Braun, Sohn der Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Lily Braun und des sozialdemokratischen Politikers und Publizisten Heinrich Braun . Ungeachtet ihrer unterschiedlichen Einstellung zum Krieg (der Vater skeptisch, die Mutter eine ‚Kriegerin‘) erwarteten beide von ihrem Sohn, das Ideal zu verkörpern . Der junge Offizier selbst stellte sein griechisch inspiriertes Heldenbild im Laufe des Krieges nie in Frage, verband es aber zunehmend mit demokratischen Überlegungen .138 Symbolischen Gewinn versprachen sich also viele von der Identifikation . Entscheidend war, wie und wofür sie sie einsetzen wollten .

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Kessel, Langeweile, u . a . 321–330 . Klenke, Der singende „deutsche Mann“, 19 . Fröschle, Dichter als Führer, 212 f ., mit weiteren Beispielen . Kessel, Langeweile, 318, 326–330 . Münzner, Hiller . Mombauer, Moltke, 51 f ., 64 . Seine Vorliebe für Rudolf Steiner erregte größeres Misstrauen . Wierling, Familie im Krieg .

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

Krieg als Identitätsbeweis Wie attraktiv das Bild des Künstler-Soldaten war, zeigten Akademiker und Intellektuelle diverser politischer Couleur, als sie den Ausbruch des Krieges als endgültige Verschmelzung von Buch und Schwert, Kunst und Krieg feierten . Damit kehre ich nicht zur These eines ungebrochenen Hurrapatriotismus zurück, sondern betone, wie stark sie den Krieg identitätspolitisch aufluden . Denn dass viele Künstler/innen, Akademiker/innen und Intellektuelle trotz aller Ernüchterung weiter mitzogen, lag auch daran, dass sie nun performativ das Distinktionspotential eines ‚gebildeten Künstler-Soldaten‘ abriefen . Wer nicht an die Front ging, eignete sich mit dem Akt des Schreibens den symbolischen Nimbus an, Kampf und Kunst zu verschmelzen und dadurch das eigene Deutschsein zu beweisen . Der französische Literat Romain Rolland lud seine deutschen Kollegen kurz nach Kriegsbeginn ein, zwischen deutscher Kultur und Militärstrategie zu unterscheiden, um sich auf diese Weise von den deutschen Völkerrechtsverletzungen zu distanzieren . Doch ging genau das am Selbstverständnis derjenigen vorbei, die Krieg und Kultur identifizierten, etwa im „Aufruf der 93“ im Herbst 1914, als bekannte Akademiker den Krieg glorifizierten . Sie bestanden darauf, dass die deutsche Gewalt rechtmäßig sei, weil sie nicht nur eine überlegene Kultur, sondern eine überlegene Identität abbilde . Thomas Mann zelebrierte den gebildeten Künstler-Soldaten 1914 mit den Worten: „Wie hätte der Künstler, der Soldat im Künstler nicht Gott loben sollen für den Zusammenbruch einer Friedenswelt, die er so satt, so überaus satt hatte!“139 Scher jubelte 1915 in Kampf und Lachen: „Das Volk ist Bismarck worden (sic, MK) – durch die Tat!“140 Zum Subtext der deutschen Kultur gehörte nicht nur die Ästhetisierung von Gewalt, sondern auch die Ästhetisierung derer, die sie ausübten . Wie es Friedrich Gundolf formulierte, einer von Stefan Georges Ultraästheten, der Produktion und Destruktion verband: Wer stark genug sei, zu schaffen, habe ein Recht, zu zerstören .141 Hindenburg und die Kunst des Krieges Für zahllose Zeitgenossen war Hindenburg der Künstler-Krieger schlechthin . Sein Alter, seine Gesetztheit und sein geschickter Zugriff auf die Deutung des Krieges kamen ihm ebenso zugute wie die Implosion der kaiserlichen Autorität . Wolfram Pyta hat gezeigt, wie systematisch der Generalfeldmarschall seinen Ruf als ‚Wissenschaftler und Künstler des Krieges‘ bearbeitete . So malten zahlreiche Künstler ihn nach seinem Kommando . Sein Charisma, also die symbolische Aufladung von Person und Politik, wurde zugleich nicht top down durchgesetzt, sondern in einem dichten gesellschaftlichen Kommunikationsprozess produziert .142 Anekdoten attestierten Hindenburg regelmäßig Zit . in Jelavich, German Culture, 45 . Walter Hasenclever verstand sich als „geistiger Krieger“ und den Krieg als Neuaufbau, vgl . Tramer, Beitrag, 330 . 140 Scher, Kampf und Lachen, 17 . 141 Vgl . Jelavich, German Culture, 44 . 142 Pyta, Hindenburg, 290 . Ebd ., 192, zu Hindenburg als „omnipräsentem Medienphänomen“ . 139

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wissenschaftliches Können und kunstvolle Kriegführung im Einsatz für die Nation . Die bürgerliche Presse schrieb ihm vor allem Bildung zu, die für das Selbstbild adliger Militärs nicht immer zentral war: Sie ernannte den hohen Offizier, der sein Metier „wie ein Künstler“ beherrsche, zum „Dr . aller Fakultäten“ ehrenhalber oder zum Professor .143 Hindenburgs Ausstrahlung basierte nach dem Sieg bei Tannenberg wesentlich darauf, dass er nun als querintegrierende Figur galt, die alle Handlungsbereiche repräsentiere: Den Hindenburg-Anekdoten zufolge führte er als Theologe Gottes Gericht und als Jurist das weltliche Gericht gegen die Feinde durch; als Arzt operiere er Preußen; als Philosoph bringe er „durch Nacht und Tücke“ Weisheit und Wahrheit wieder ans Licht und setze Freiheit und Pflicht gegen Lüge und Niedertracht durch; als Ingenieur schließlich berechne er den klugen Plan für die Siegesbahn .144 In der Anekdotensammlung Vom Lachen, herausgegeben von dem Trivialschriftsteller Friedrich Schiller, machte Hindenburg als Jurist mit den Russen ruhmvoll kurzen Prozess; als Philosoph vermittelte er ihnen einen Begriff vom kategorischen Imperativ; als Arzt ließ er sie seine Operationen spüren, und als Priester lehrte er sie mit dem Schwert beten .145 Wenig überraschend hieß es auch, dass Hindenburg „tiefen Ernst“ mit „launigem Humor“ verbinde .146 Hindenburg galt nicht nur als Mann, der in der Gegenwart alle Handlungsbereiche verschmelze . Er schien auch temporal eine ‚kontinuierliche‘ Heldengeschichte zu verkörpern . Der Feldmarschall festigte seinen Nimbus unter anderem dadurch, dass die Öffentlichkeit ihn als Mann ohne Nerven sah, der unbeirrt fortschreite . Zwar erkannten Beobachter, dass Ludendorff der eigentliche Architekt der Schlacht von Tannenberg gewesen war . An diesem aber blieb die Sprachregelung hängen, er habe bei Tannenberg die Nerven verloren . Das Bild einer ‚weibischen‘ Unbeständigkeit kam auch wieder auf, als Ludendorff nach der fehlgeschlagenen Frühjahrsoffensive 1918 Nervosität erkennen und sich wegen Erschöpfung nervenärztlich behandeln ließ .147 Wohl ironisierten manche Künstler während des Krieges das Dichter-DenkerKämpfer-Ideal, wie der Philosoph Salomo Friedländer, als Satiriker unter dem Anagram Mynona bekannt . Er mokierte sich 1916 in der Humoreske Schwarz-Rot-Weiß oder Deutschlands Sieg über England unter Goethes Farben über den Heldenmythos und das deutsche Denken im Entweder-Oder . Dessen Anhänger/innen karikierte er als strikte Jünger von Goethes Farbenlehre, die wissenschaftlich als falsch erwiesen war: Sie würden sich ähnlich wie Goethe gegenüber Newton darin verrennen, Recht zu haben . Goethe werde zuletzt lachen, versprach Friedländer spöttisch, wenn Deutschland auch wissenschaftlich siege,148 unter dem „Farben-Generalfeldmarschall Goethe“, diesem „Über-Hindenburg aller Farbenlehre!“149 Kurt Tucholsky scherzte zwar, dass Friedländer mehr bewirke als „dicke Wälzer an Humor“: „Man lacht . Man rollt sich . Man trudelt Markolf, Deutscher Kriegshumor, 46, der den Reichstagsabgeordneten Dr . Stephan v . Licht aus der Wiener Neuen Freien Presse zitierte . 144 Schloemp, Hindenburg-Anekdoten, 40 f . 145 Schiller, Vom Lachen, 14 . 146 Zit . nach Kimmel, Methoden, 110 . 147 Von der Goltz, Hindenburg, 22 . 148 Mynona (Anagram für Anonym), Schwarz-Weiß-Rot, 2260 . 149 Mynona, Schwarz-Weiß-Rot, 2260, 1157 f . 143

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

über alle Treppengänge des stolzen Weltenbaus .“150 Der Mythos des „Dr . aller Fakultäten“ blieb jedoch immun gegen diesen Spott und trug dazu bei, dass das Militär und nicht die Demokraten profitierten, als der monarchische Führungsanspruch erodierte . Der Offizier als Künstler-Soldat Wie verbreitet das Künstler-Krieger-Ideal in der deutschen Gesellschaft war und wie attraktiv die Chance, daran zu partizipieren, zeigte sich jedoch darin, dass es nicht für Hindenburg reserviert blieb . Zwischen dem ehrenpromovierten Generalfeldmarschall und der Figur des jovialen Soldaten stand die Repräsentation des Offiziers als einem gebildeten, kunstsinnigen Helden – als Prototyp einer deutschen Kultur, die sich im Krieg vollende . Gerade dem Personal der zweiten Führungsebene schrieben Humoristen den idealen Status zu, um daraus die Rechtmäßigkeit des deutschen Vorgehens abzuleiten . Der Anspruch, ‚im Recht‘ zu sein, spielte hier eine besonders markante Rolle, denn Offiziere vermittelten zwischen der Spitze und den Mannschaften . Die Deutschen nannten ihre Besatzung in Belgien und Frankreich gerne „hart, aber gerecht“,151 nachdem Kaiser und Kanzler bei Kriegsbeginn den ‚rechtmäßigen‘ Charakter des Krieges betont hatten . Anekdoten beschrieben Offiziere ebenfalls ausdrücklich als gerecht . Dem bis dahin eher erfolglosen Max Jungnickel brachte Das lachende Soldatenbuch mit der Denkerstirn endlich einen Erfolg, es erschien 1917 in der vierzehnten Auflage . Er nannte „seinen Leutnant“ einen „schimmernden Kerl“ wie aus einem Stück von Kleist oder Schiller, der sich auszeichne, weil er „rücksichtslos, froh, lächelnd und gerecht“ sei .152 Jungnickel etablierte diese Zuschreibungen also seinerseits als zirkuläres Verweissystem . Andere Autoren beschrieben Offiziere als Künstler, um sie gegen den Vorwurf unrechtmäßiger Kriegführung zu immunisieren . Otto Erich Wussow reproduzierte 1915 in Humor im Felde Passagen aus dem Berliner Lokalanzeiger, der die Feldpostbriefe eines Paul Dahms aus Sedan abgedruckt hatte . Die Briefe beschrieben ein von Soldaten verfasstes Theaterstück, dessen Held, ein junger, schneidiger Oberleutnant und Regimentsadjutant, „alles in einer Person“ gewesen sei: Regisseur, Schauspieler und Autor, der humoristische und ernste Heldengedichte, Theaterstücke und Schlachtgesänge verfasst und zugleich als mehrfach dekorierter, todesmutiger Soldat allen voran die feindliche Artillerie gestürmt habe .153 Auch Wussow blockte das alliierte Schlagwort der „deutschen Barbarei“ ab, indem er seinem Helden einen überlegenen Kunstsinn und positiv besetzte Gefühle attestierte . Denn, so hieß es, sein „moderner Körner“ wecke mit Humor, also mit Kampfbereitschaft, „Begeisterung“, ergo das ‚richtige‘ Gefühl .154 Den querintegrativen individuellen Helden ergänzte Wussow durch die symbolische Integration des Klassenheeres qua Kunst: Ein kriegsfreiwilliger Architekt, ein Kunstredakteur 150 151 152 153 154

Ebd ., 3506 . Schaepdrijver, Populations under Occupation, 251 . Jungnickel, Lachendes Soldatenbuch, 18 . Wussow, Humor im Felde, 33 f . Wussow, Humor im Felde, 34 .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

als Unteroffizier der Landwehr und ein Dekorationsmaler als Soldat hätten bei Kasinoabenden Prosa und Verse vorgetragen und eine Pionierbaracke ausgemalt .155 Die Sammlungen beschworen die Liebe zur Kunst als inhärenten Beweis für Anstand und Ehrenhaftigkeit, ergänzt durch die Liebe zu Kindern und Tieren .156 Indem sie ihren Helden diese Emotionen einschrieben, markierten sie sie als deutsch und blendeten die Frage von Recht und Unrecht aus . Parallel sprachen deutsche Witzhefte einmal mehr den Kriegsgegnern ab, die Sehnsuchtsfigur des Künstler-Soldaten zu verkörpern . Alfred Brie etwa feminisierte die Engländer, indem er eine Operettentruppe im Schottenröckchen als „Englisches Theater im Felde“ vor britischen Soldaten auftreten ließ . Im „Deutschen Theater in der Kronprinzenarmee“ dagegen tasteten sich der Opernsänger und Rittmeister Walter Kirchhoff, der Schauspieler, Regisseur und Leutnant Paul Wegener sowie der Sänger, Schauspieler und Meldereiter Karl Clewing in voller Montur gemeinsam durch einen Winterwald – drei Künstler, die militärisch-künstlerische Überlegenheit signalisieren sollten .157 Andere ließen Shakespeare nach Deutschland emigrieren, weil Weimar ihm mehr gebe als sein Heimatland .158 Ein ergänzendes Motiv war, die Deutschen in Trümmern Klavier spielen zu lassen:159 ‚Kultur‘ als Zeichen des Rechthabens . Vor allem französische Karikaturisten nahmen die deutsche Selbstbeschreibung treffsicher auseinander . Das lag wohl auch daran, dass sich die jeweiligen Heldenentwürfe ähnelten .160 Doch war der Kontext ein anderer, wie ich im nächsten Kapitel erläutere: In Frankreich drängte das militärische Denken das zivilgesellschaftliche nicht an den Rand .161 Französische Kommentatoren spießten jedes Element der deutschen Trias einzeln auf .162 Der feinsinnige Künstler erwies sich als hinterhältiger Kunstzerstörer, der Kathedralen und Bibliotheken zerschoss; der klassisch Gebildete als perfider Wissenschaftler, der verbotenes Gas produzierte, und der ehrenhafte Militär als rücksichtsloser Mörder, der Zivilisten grundlos von hinten erschoss . Französische Karikaturen zeichneten den deutschen Professor und brandschatzenden Soldaten, die mit Leichen den Weg von Wissenschaft und Kultur pflasterten: „Que voulez-vous? C’est pour la Kultur!“163 Demgegenüber erhoben auch deutsche Kunsthistoriker die deutsche Kriegführung zu Kunst, um den Barbarenvorwurf zu unterlaufen . Hermann Ehrenberg von der Universität Münster übersetzte Kunst und Kampf aufeinander und leitete aus ‚deutschen Wussow, Humor im Felde, 40–42 . Zu letzterem auch Brocks, Bunte Welt, 130 f . Tierliebe etwa in: Wir halten durch, 20 . 157 Brie, Unser Kronprinz, 51 . Brie, Die dicke Berta, 17, verwandelte Möchtegernkünstler in Männer, indem ein Soldat beim Schießen besser traf als beim Klavierspielen . Brie wurde 1942 nach Theresienstadt deportiert und starb im Dezember des Jahres, 72-jährig . 158 Cay, War Cartoons, 16 . Simplicissimus, Jg . 21, H . 3, 18 .4 .1916, 43: Die Russen würden seine Texte schwärzen, die Engländer sein Haus in eine Munitionsfabrik verwandeln, die Italiener seinen Gipskopf verkaufen, und nur die Deutschen würden seine Stücke im besetzten Lille aufführen 159 Mielert, Bunte Bilder, 123 f . Erinnerungskonstruktion nach 1945 könnte auf dieses Motiv hin befragt werden, etwa in deutschen Stalingrad-Filmen und weiterhin als Botschaft, ‚im Recht‘ (gewesen) zu sein . 160 Vgl . Horne, Soldiers, 223–249, bes . 226, 230 f . 161 Dazu Mombauer, Moltke, 160 . Vgl . Kap . II .3 . 162 Vgl . Grand-Carteret, Caricatures, 10 . 163 Zit . nach Demm (Hg .), Der Erste Weltkrieg, 157 . 155 156

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

Gefühlen‘ ein ‚deutsches Recht‘ und ‚deutsche Wahrheit‘ ab . In dem Maße, so Ehrenberg, in dem die Deutschen ihre Theorien in Tat verwandeln würden, zeige ihre Kunst gegenüber der „blutleeren“ Schlachtenmalerei der Vorkriegszeit die „richtigen“ Leidenschaften . Deshalb sah Ehrenberg auch das „Recht“ auf deutscher Seite .164 Sein Tübinger Kollege Konrad Lange ernannte die deutschen Soldaten ebenfalls zu Kulturbewahrern . Er versprach, dass der Barbareivorwurf sich als haltlos herausstellen werde, sobald der französische Einfluss auf die deutsche Kultur beseitigt sei .165 Lange verriet allerdings auch, welch diskursive Mühe es kostete, scheinbare Eindeutigkeit zu erzeugen . Denn während er deutsche Karikaturen bemüht als Kunstform aufwertete, die man nicht mit „gouvernantenhaften Bedenken“ herabsetzen solle, verschwieg er ausdrücklich all die soldatischen Spottlieder, die nicht ins Bild passten .166 Manche der Wissenschaftler wiederum, die im Besatzungsapparat mitarbeiteten, hielten bildlich fest, wie sie Krieg und Bildung verbanden: Sie ließen sich in Uniform am Besatzungsschreibtisch photographieren, militärisch vom Ordensband bis zum stechenden Blick .167 Männlich = Nicht-weiblich Es ist vielfach betont worden, dass es während des Krieges nicht zu einer grundlegenden Verschiebung der Geschlechterverhältnisse kam . Vielmehr wurden Tätigkeiten von Männern symbolisch aufgewertet, um das herkömmliche Statusgefälle zu sichern, als Frauen Arbeitsplätze von Männern übernahmen . Das umfassende Engagement von Frauen war entscheidend, um die Kriegsgesellschaft überhaupt so lange funktionieren zu lassen . Doch reagierte diese empfindlich auf jede Veränderung von Handlungsräumen . Frauen sollten sich einbringen, ohne den Anspruch zu erheben, politische Akteure zu sein .168 Wie selbstverständlich Geschlecht als symbolisches System für soziale Ordnung galt, zeigte sich darin, dass jedes normativ nicht vorgesehene Verhalten mit Prostitution und Vaterlandsverrat gleichgesetzt wurde .169 Anders formuliert: Frauen, die neue Handlungsräume betraten, traf schnell der Vorwurf, die Nation in beschämender Weise verletzungsoffen zu machen . Anekdoten umrissen auf unterschiedliche Weise, dass ein Künstler-Soldat nur männlich denkbar sein solle . Direkt unterfütterten sie die Hierarchisierung, indem sie nur Militärangehörige so präsentierten . Indirekt zogen sie die Grenze mit Witzen über Oberschichtfrauen, die Verwundete durch das Deklamieren von Gedichten belästigen würden, also offenkundig weder Kunst noch Krieg verstünden .170 Darüber hinaus klammerten Anekdoten Frauen als historische Akteure aus, indem sie neue Formen von Frauenerwerbsarbeit als temporär darstellten . Das blieb auch bestehen, als die Oberste 164 165 166 167 168 169 170

Ehrenberg, Der Krieg, 5, 8, 25–27 . Lange, Krieg und Kunst, 31 f . (im Februar 1915 zunächst als Vortrag) . Lange, Krieg und Kunst, 13, 15 . Vgl . u . a . Roolf, Eine „günstige Gelegenheit“? 151 . Aus der Fülle der Literatur hier nur Planert, Antifeminismus, 274, passim . Planert, Antifeminismus, 219 . Z . B . Brie, In der Heimat, 28 . Generell zum Thema Kotthoff (Hg .), Gelächter .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

Heeresleitung ab 1916 alle gesellschaftlichen Ressourcen auf den Krieg ausrichtete und mit dem sog . Hindenburgprogramm die Rekrutierung von Frauen noch vorantrieb . Indem Witze das Verhalten von Frauen karikierten, zielten sie auf deren Denken und Fühlen . So suggerierten sie, dass Frauen selbst jede neue Arbeit in den vertrauten Parametern des häuslichen Daseins interpretieren würden, also der herkömmlichen Definition von Weiblichkeit verhaftet blieben . Eine junge Friseurin etwa konterte das Lob eines fast kahlen Mannes: „Das haben Sie aber fein raus, Marie!“ mit dem Satz: „Ick denke mir halt immer, ick hab‘ eine Pellkartoffel vor mir!“171 Auch wenn die Antwort spöttisch gewendet werden konnte: Der Witz empfahl, dass Frauen neue Arbeiten ausführten, ohne eine neue geschlechterspezifische Ordnung zu fordern . Das war umso eingängiger, als sich bei Putz- und Räumberufen in der Tat primär der Ort und nicht die Arbeit änderte .172 Publizisten verweigerten vor allem den Frauen, die nun anders als vorher und öffentlich tätig waren, sachliche Kompetenz im neuen Job . Je weiter entfernt die neue Arbeit von häuslichen Dienstleistungen war, desto entschiedener rückten sie den weiblichen Körper, weiblich besetzte Tugenden oder die geforderte Orientierung auf den Mann in den Blick . So hieß es beispielsweise, eine Frau lenke Kutschpferde deshalb besser als erwartet, weil sie von Kindheit an gelernt habe, wie man den Mann am Zügel lenke .173 Eine bemerkenswerte Leerstelle der Hefte, die die Kriegsgesellschaft thematisierten, betraf entsprechend Rüstungsarbeiterinnen . Auch wenn diese mehrheitlich nicht neu im Arbeitsmarkt waren, sondern aus anderen Erwerbsbereichen in die Rüstungsproduktion wechselten, waren sie mit dieser Arbeit nun gleichsam nah am Krieg . Trivialliterarisch war die Positionierung primär sagbar, indem Frauen sie freiwillig wieder verließen, um in traditionelle Gefilde zurückzukehren . Der Simplicissimus tolerierte die Rüstungsarbeiterin im Bild des Dienstmädchens, das sich im November 1917 zum häuslichen Dienst zurückmeldete, weil es ungefährlicher sei, einen Stapel Geschirr fallen zu lassen als eine Granate .174 Dieser klassische Topos der ‚dummen Frau‘ war die diskursive Voraussetzung, um den ‚Künstler-Soldaten‘ als ‚authentischen‘ Deuter des Krieges nur männlich zu denken . Scherze schrieben fest, dass Frauen nicht verständig über den Krieg reden könnten; und weil sie ihn nicht verstünden, könnten sie auch nicht den Nimbus des Künstler-Kriegers reklamieren, sondern nur durch normativ akzeptierte Beziehungen partizipieren . Außerdem regulierten Anekdotenschreiber die Teilhabe an der politischen und öffentlichen Rede sowie den Anspruch, als legitime Stimme gehört zu werden, indem sie Witze über Frauen veröffentlichten, aber keine von Frauen . Wenn Frauen im Witz redeten, dann, um das Stereotype der politischen Unfähigkeit zu bestätigen . Hier traf es gerne Frauen der Mittelschichten, mitunter über Bande gespielt . So hatte Frau Pollack Gäste, hörte von einem jungen Assistenzarzt, dass Hygiene im Feld das Wir halten durch, 56 . Kroeger, Humor, 51 . 173 Wir halten durch, 13 . Vgl . Kroeger, Humor, 50 . Andere Sprechakte lasteten Frauenvereinen die Bürokratisierung an, die dem Wust militärischer Instanzen geschuldet war, Lokesch, Fräulein Feldgrau, 24 . 174 Simplicissimus, Jg . 22, H . 33, 13 .11 .1917, 418 . 171 172

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

Auftreten von Epidemien reduziere, und antwortete: „Ach Gott, werden die jetzt auch schon knapp?“175 Einladungen gehörten zur bürgerlichen Kultur . Doch distanzierte die Praktik der Namensgebung die belachte Person als eventuell nicht wirklich deutsch, sondern polnischstämmig . Generell aber schrieb das Ernste und Heitere den Anspruch auf Autorschaft und Authentizität als männlich fest . Der Künstler-Soldat der Unterschichten Während Humoristen immer wieder eine vorgeblich unverrückbare Grenze zwischen weiblich und männlich beschworen, schwächten sie mit Blick auf die Unterschichten den sozial elitären Charakter der Heldenfigur zumindest partiell ab . In den ersten eineinhalb Kriegsjahren dominierte mit Blick auf das Klassenheer zunächst die Botschaft, dass der Krieg zivile Unterschiede nivelliere . So führte Musketier Philipp eifrig und vor allem schweigend alle niederen Dienste für seinen berlinernden Unteroffizier aus, während dieser seinem Kumpel grinsend erklärte, dass Philipp in Zivil Professor sei .176 In dem Maße aber, in dem der Unmut über das Klassenheer zunahm, boten Bildungseliten auch Unterschichtsoldaten den Status des Künstler-Soldaten an . Unter einer Bedingung: Sie würden sich dann als Künstler erweisen, wenn sie bis zu einem deutschen Sieg durchhielten . Zwar warben Herausgeber seit Kriegsbeginn um Soldaten als Humorlieferanten . Doch beschrieben sie sie vor allem seit den großen Schlachten von 1916 explizit als Künstler-Soldaten . So begeisterte sich Paul Schüler im Berliner Tageblatt in seiner Rezension von So leben wir! Lustiges Kriegsbilderbuch des Landwehrmanns Schusser 1916 über feldgraue Dichter, die den „gewöhnlichsten Dingen“ des alltäglichen Dienstes eine humoristische Seite abgewinnen und somit alles in Dichtung verwandeln könnten .177 Ernst Döring widmete den „Feldgrauen als Helden und Dichter“ 1917 einen ganzen Band . Er pries die Soldaten, die heldenhaft kämpfen und zugleich – als gute deutsche Männer – den Drang verspüren würden, mit „zarten Fäden des Gemüts“ ihre „neue Welt“ zu umspannen und das Erlebte in Worte zu fassen: „… und so werden diese einfachen Feldgrauen in ihren schmucklosen und doch künstlerischen Darbietungen wahre Volksdichter!“178 Fred Hardt jubelte in einem Band über die deutschen Schützengraben- und Soldatenzeitungen von 1917, wie viele Männer er gefunden habe, die gar nicht gewusst hätten, dass sie Künstler seien . Paternalistisch rühmte er das hohe geistige Niveau derer, die sich für die Geschichte der eroberten französischen und belgischen Städte interessieren, lettischen Märchen und polnischen Volksliedern nachspüren und aus zerschossenen Häusern Altvätergerät für ein kurländisches Bauernmuseum zusammentragen würMit dem polonisierten Namen, Uns kann keiner, 22 . S . a . Brie, In der Heimat, 11 . Vgl . Kroeger, Humor, 63 . 176 Mielert, Bunte Bilder, 324–325, s . a . 69–73 . Der Brummer . Lustige Kriegs-Blätter, Nr . 30, 1915, 6 . 177 Anzeige für: So leben wir! Lustiges Kriegsbilderbuch des Landwehrmanns Schusser . Reich und schreckhaft illustriert von Landsturmmann Sommer, in: Lokesch, Wir halten durch . 178 Döring, Unsere Feldgrauen, Vorwort . 175

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

den .179 Ihre Gewalt oder mögliche Plünderung, so seine Botschaft, sei nicht destruktiv, weil sie dazu diene, die Erinnerung an zerstörte Kulturen wach zu halten . Doch ging es den Autoren nicht um eine Reform des Klassenheeres oder der Klassengesellschaft . Das verriet die Art und Weise, in der sie das für sozialen Aufstieg und Status in Deutschland entscheidende Element der Bildung einbrachten . Denn in fiktiven Feldpostbriefen fochten Arbeiter im Feld schwerere Kämpfe mit der deutschen Grammatik aus als mit den Gegnern .180 Unterschichtmännern Kunstsinn zu attestierten, offerierte ihnen neues symbolisches Kapital, um sie zum Durchhalten zu bewegen . Gleichzeitig versicherten die breit inszenierten Grammatikfehler, dass ‚das Volk‘ nicht gebildet genug sei, um Politik, Militär oder Gesellschaft tatsächlich aktiv beeinflussen zu dürfen . Eine Bildungsdifferenz zu zelebrieren hatte selbstredend nichts mit tatsächlicher Bildung zu tun . Die Autoren wollten verhindern, dass die Statusaufwertung die herkömmliche Sozialstruktur in Frage stelle . Deutungsmächtige Eliten zementierten die soziale Differenz zusätzlich, indem sie das bewusste Selbstverständnis als Künstler und den Wunsch, Kunst auszuüben, Offizieren oder Gebildeten im Heer zuschrieben . Michel in Uniform dagegen agierte anekdotisch eher unbewusst als Künstler und bewies so seine Zugehörigkeit zum überlegenen Kulturvolk, ohne innenpolitisch unangenehm aufzufallen . Wussow zufolge gingen selbstverständlich alle Mannschaftsgrade mit den Offizieren ins Theater, würden sich aber unsicher fühlen, weil sie die „Symphonien des Krieges“ gewohnt seien .181 Wie effektiv das Partizipationsangebot im Ersten Weltkrieg war, ist schwer zu bestimmen . Der 19jährige Volksschullehrersohn Wilhelm Weihrauch, dessen Regiment tatsächlich in einem Theater lag, fand es nur „furchtbar traurig(…)“, dass das Theater völlig verdreckt worden sei: „Da überläuft es einen heiß und kalt, und man sagt sich, ist es möglich, daß vernünftige Leute Krieg führen .“182 Doch wandten sich Kriegsgefangene ab 1916 auffällig intensiv Poesie und Dichtung zu,183 weil sie sich damit, so denke ich, trotz Gefangenschaft als ‚Künstler im Feld‘ darstellen konnten . Manche Frontsoldaten wiederum deuteten Zerstörung als kreative Fähigkeit . Bei ihrem Rückzug auf die sog . Siegfried-Linie 1917 zerschlug die deutsche Armee das zivile Leben südöstlich von Arras vollständig .184 Stabsarzt Georg David Bantlin von der Infanteriedivision 26 notierte im März des Jahres, dass die Zerstörung von Metz-en-Couture seiner Einheit regelrecht Spaß gemacht habe . Mit gemischten Gefühlen, aber nicht ohne Stolz über die Perfektion der Vernichtung erwartete er den üblichen Vorwurf: „Barbaren werden uns jetzt die Engländer wieder in allen Zungen nennen, und sie werden auch ein barbarisches Stück Erde vorfinden: keinen Brunnen, der nicht gesprengt und durch künstliche Verunreinigung unbrauchbar gemacht worden wäre, keinen Keller und kein Haus, das nicht noch von dem uns nachrückenden Zerstörungstrupp gesprengt würde .“185 Allerhand 179 180 181 182 183 184 185

Hardt, Die deutschen Schützengraben- und Soldatenzeitungen, 5–6, Zitat 5 . Z . B . Mühlen-Schulte, Feldpostbriefe des Gefreiten Knetschke, mit entsprechenden ‚Antworten‘ . Wussow, Humor im Felde, 33 . Zit . nach Molthagen, Ende, 348 f . Pöppinghege, Im Lager unbesiegt, 244 . S . a . Feltman, Stigma, 106–135 . Geyer, Rückzug, 174–178 . Zit . nach Hirschfeld u . a . (Hg .), Die Deutschen an der Somme, 264 f .

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

„grimmiger Soldatenhumor“ zeige sich, so Bantlin weiter . Dann zitierte er „Stabsarzt Fritz“, der den Engländern ein Gedicht auf einer Toilettentür hinterlassen habe, um die britischen kolonialen Truppen als Affront gegen eine christliche Zivilisation zu deuten: You crie: poor little Belgium Poor Ireland you don’t care Protecting culture, God and law You brought the niggers there I know you’re always hypocrites Now hear, what I you tell, Our Germany will go to head But you oh, go to hell! With every good wish for a Happy Xmas u . [and] bright New Year at Metz en C . Yours Truly Herman186

Die Gruppe eines Leutnants hinterließ am Gefechtsstand in Péronne im März 1917 einen mit Ratten und Sekt gedeckten Tisch, verziert mit Handgranaten und einem Zettel: „Lieber Tommy, Guten Appetit! Nicht ärgern, nur wundern!“187 Die spöttische Zeile „Nicht ärgern, nur wundern“ malten die abziehenden Deutschen in Riesenbuchstaben auch auf ein großes Holzschild, das sie an das komplett zerstörte Rathaus des Ortes hängten .188 Zu diesem Zeitpunkt hatten sich deutsche Soldaten und offiziöse Medien bereits gleichermaßen als Verteidiger französischer Kulturgüter an der Somme etabliert, die sie vor den Franzosen und Engländern retten würden . Der Topos der Verteidiger und Kulturbewahrer überdauerte unverändert in die Weimarer Republik .189 Das inhärent als ehrenhaft gedachte Künstler-Soldaten-Ideal sollte gegen den Barbarenvorwurf schützen . Es mochte zur Durchhaltebereitschaft bis zur Frühjahrsoffensive 1918 beigetragen haben, dass gebildete Eliten seinen sozialen Radius für Männer bedingt ausweiteten . Dass das Angebot aber nur galt, wenn Unterschichtsoldaten ihrerseits jede Kritik am deutschen Vorgehen abblockten, zeigte ein weiterer fiktiver Feldpostbrief . Darin erklärte „Seiflik Klappidudek“ – offenkundig als Arbeiter polnischer Herkunft gedacht – seiner Braut 1916 stolz, dass er kein Michel mit Vorliebe für seichte Kultur mehr sei, sondern sich zum kriegsverständigen Tatmenschen gewandelt habe . Deshalb lehne er jede Kritik als verfehlt ab: Und damit du blos nicht tust saggen, dieser Kriggsplan war kein Velkerrecht, da erklehre ich gleich, das is preußischer Musketiär nicht mähr der deutscher Michel, wo sich lies frieher tolle Opereten ieber die Ohren chauchen . Sonnern verstät dieser was von Pollitik un Stellunkskampf .190

186 187 188 189 190

Abgedr . in: Hirschfeld u . a . (Hg .), Die Deutschen an der Somme, 197 . Tagebuch Hugo Natt, abgedr . in Geyer, Rückzug, 189 . Auf einer Abbildung zu erkennen, ebd . Krumeich, Deutsche Erinnerung, 232 f . Seiflik Klappidudek’s Feldpostbriefe, 46 .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

‚Männlich‘ = ‚deutsch‘ = ‚nichtjüdisch‘ Das partielle Angebot an Unterschichtmänner markierte um so deutlicher, wie scharf das Ernste und Heitere jüdische Deutsche systematisch aus dem statushöchsten Konstrukt von Männlichkeit ausgrenzte . Auch hier ist eine Rückblende auf die Zeit vor 1914 wichtig . Denn bereits im Kaiserreich entwarfen manche Zeitgenossen Deutschsein um so entschiedener als nichtjüdisch, je weniger sich protestantische und jüdische Bildungsbürger unterschieden .191 Wer nicht akzeptieren wollte, dass Menschen deutsch und jüdisch waren oder einen entsprechenden kulturellen Hintergrund hatten, beschrieb jüdische Deutsche als ‚zerrissen‘, um ihnen jede Integrationskraft abzusprechen . Gängig war auch, sie entweder als übersexualisiert oder überintellektuell zu karikieren .192 Der inhaltliche Widerspruch war irrelevant, denn die Kernaussage war identisch: Ein Jude sei nicht im Gleichgewicht und könne deshalb weder eine Nation produzieren noch integrieren . Darüber hinaus schlossen Bildungseliten jüdische Deutsche aus jedem einzelnen Element der Künstler-Soldaten-Matrix aus . So hieß es, dass Juden keine Wissenschaftler seien, weil sie nur die Gedanken anderer verhandeln würden;193 dass sie keine Künstler, sondern nur Kunsthändler seien – die archetypische Repräsentation des männlichen Juden in der Moderne als einer Figur, die unbezahlbare Kunst in der vulgären Welt der Gegenwerte entwürdige;194 und schließlich, dass sie inhärent unfähig zum Kämpfen seien; denn Spottkarten inszenierten mit Vorliebe einen ‚jüdischen Körper‘, der in sich militärisch ‚unzulänglich‘ sei .195 Das deutsche Militär machte jüdische Männer selten zu Offizieren, weil es sie weder real noch symbolisch als Vertreter des männlich gedachten Staates akzeptierte . Deutschjüdische Intellektuelle notierten bereits im Kaiserreich, dass das Heldenideal in sich ausgrenzte . Sie artikulierten, dass die Vision vom Genie ein soziales Konstrukt war und kein wesenhafter Anspruch .196 Sie benannten das Paradox, in das die Mehrheitsgesellschaft eine deutschjüdische Existenz hineinzwang . Denn so eloquent jüdische Intellektuelle auch auf ihre Produktivität in Kunst und Wissenschaft197 oder die Teilnahme an Kriegen verwiesen – Alfred Philippson zählte nach seiner Deportation nach Theresienstadt stolz vier nahe Verwandte auf, die im 19 . Jahrhundert gekämpft hatten198 –: Keiner konnte eine Differenzbehauptung aushebeln, die nicht auf tatsächliches Verhalten abhob, sondern Deutschsein festschrieb, indem sie Grenzen zog .199 191 192

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Jensen, Gebildete Doppelgänger, zu diversen Stereotypisierungen 103 f . Kessel, Langeweile, 268 . Zur Nichtakzeptanz multipler Zugehörigkeit Silberstein, Becoming Jewish,

So der Philosoph und Nationalökonom Eugen Duehring, vgl . Jensen, Gebildete Doppelgänger, 175 f . 194 Nochlin, Modernity, 26 . 195 U . a . Glorius, „Unbrauchbare Isidore“, 222–226 . 196 Köhne, Geniekult, 21 . 197 Bland, Anti-Semitism, 56–58 . 198 Erinnerungen Philippsons, 145 . 199 Gilman, The Jew’s Body, u . a . 193 . Soussloff, Introducing Jewish Identity, 10, u . Bland, Anti-Semitism, bes . 44–47, zu jüdischen Intellektuellen, die jüdische, christliche und säkulare Traditionen verbanden und sich auf diese Weise ihrerseits als ‚Künstler-Soldaten‘ platzierten . 193

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

Deshalb erfüllte sich nicht die Hoffnung, durch die Kriegsteilnahme nach 1914 als Deutsche akzeptiert zu werden . Die Ressentiments hörten nie auf und verschärften sich ab 1916/17 noch . Theodor Wolff, einer der deutschjüdischen Wortführer, sprach sich seit 1915 gegen Annexionen aus . Nicht nur wurde seine Zeitung kurzzeitig verboten, während antisemitische Blätter verschont blieben . Der bekannte Theologe Theodor Haecker sprach ihm auch öffentlich das Recht ab, über deutsche Kultur zu reden oder gar die deutsche Kriegsführung im Namen deutscher Kultur zu verurteilen . Haecker nannte es eine „groteske Perversion“, dass jüdische Deutsche sich als geistige Führer anböten, während sie in seinen Augen den „Durchbruch des Geistes“ verhindern würden .200 Die sog . „Judenzählung“ von 1916 sanktionierte die Angriffe . Mit der Zählung jüdischer Kriegsteilnehmer suggerierte auch das Kriegsministerium, dass jüdische Deutsche dem Persönlichkeitsideal möglicherweise nicht gerecht würden . Es folgte denen, die behaupteten, Juden würden sich vor dem Kriegsdienst drücken . Die Führung untermauerte die Schräglage noch, als sie sich weigerte, die Ergebnisse bekannt zu geben, die die überproportional hohe Beteiligung jüdischer Männer dokumentiert hätten .201 Betroffene reagierten erschüttert, traurig und zornig auf die beschämende Ehr- und Rechtsverletzung, gegen die sie sich nicht wehren konnten . Zwar realisierten nur wenige so klar wie Walther Rathenau, dass, je mehr jüdische Deutsche für Deutschland fielen, dies den Hass nur noch steigern würde .202 Doch wurde der 17jährige Freiwillige Ernst Simon durch seine Erfahrungen im Heer zum Zionisten, während Georg Meyer, der sich durch die Zählung persönlich geohrfeigt fühlte, den double bind artikulierte: „Im Frieden würde ich den Abschied nehmen, jetzt muss ich natürlich erst recht aushalten .“203 Wie zerbrechlich die Hoffnung war, durch die Kriegsteilnahme als deutsch akzeptiert zu werden, notierte auch der Philosoph, Kulturwissenschafter und Physiker Julius Goldstein in seinem Kriegstagebuch . Er war einer der wenigen jüdischen Offiziere und sensibel für Praktiken der Grenzziehung . Er beschrieb, wie ein anderer Offizier ihn nach dem Besuch eines unangenehmen „Schnüffelkommandos“ gefragt habe, ob dessen Mitglied namens Aron Jude sei . Allerdings sei es ihm im Nachgang peinlich gewesen, als er realisiert habe, mit wem er gerade sprach .204 Der Frankfurter Anwalt Julius Meyer, der während des Novemberpogroms 1938 in Buchenwald inhaftiert wurde und nach seiner Freilassung nach England floh, verzahnte seinen Bericht über die Erfahrungen im Konzentrationslager mit Rückblicken auf den Ersten Weltkrieg, den er als Soldat in Frankreich erlebte . 1938 kam ihm eine Situation vom Dezember 1914 in den Sinn, als er einem Soldaten, mit dem er sonst gut auskam, den Befehl eines Offiziers hatte überbringen müssen . Sein Kamerad habe die Aufgabe nicht ausführen wollen und Meyer schließlich angeschrien: „Un’ von an’ Juden lass’ i’ mir überhaupts Zit . nach Friedländer, Die politischen Veränderungen der Kriegszeit, 43 . Vgl . Kap II .5 . Hecht, Deutsche Juden, 62: Es stellte sie stattdessen nach 1918 dem radikalen Antisemiten Alfred Roth zur Verfügung, u . a . Hauptgeschäftsführer des Deutschen Schutz- und Trutzbundes . 202 Jochmann, Ausbreitung, 427 . 203 Hecht, Deutsche Juden, 59–61, Zitat 59 . 204 Goldstein, Der jüdische Philosoph, 149 . 200 201

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

nix sag’n!“ Der Betreffende entschuldigte sich zwar anschließend bei Meyer . Dieser aber realisierte im Rückblick, wie tief die Einstellung verankert war .205 Im persönlichen Umgang war es während des Ersten Weltkrieges durchaus schambesetzt, einem jüdischen Deutschen den Status und das Recht zum Befehlen abzusprechen, doch eher im Nachhinein . Als die innenpolitischen Kontroversen sich verschärften, attackierten rechte Aktivisten jüdischdeutsche Politiker erst recht auf der Identitätsebene . Als der sozialdemokratische Reichstagsabgeordnete Dr . Oscar Cohn 1917 die parlamentarische Kontrolle der militärischen Führung forderte, diffamierte ein Kommentator sein Plädoyer für mehr Demokratie als ‚jüdisch‘ und deshalb als nicht akzeptabel . Mit einem Spottgedicht kritisierte er Cohn nicht mit politischen Argumenten, sondern warf dem Reichstagsabgeordneten vor, sich fälschlich als Künstler-Krieger auszugeben . Er machte ihn lächerlich, um deutsch und jüdisch als unvereinbar zu markieren:

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Wie heißt der Feldherr groß und stark, Der kluge Man [sic] von Eisen, Der, deutsch bis in das tiefste Mark, Den Feind zerdrückt wie weichen Quark, Die Zähne ihm zu weisen? Ist’s Hindenburg? Ist’s Ludendorff? O nein, das ist doch klar wie Torf! Er trat erst auf die Bretter, Doch jedes Kind besingt ihn schon, O Deutschland, deinen Retter, Den Marschall Doktor Cohn!

Wie herrlich kleidet ihn der Zorn! Wie seine Worte sausen! Er ist der Mann vom alten Korn Und kommt wie dieser aus dem Born Des Kümmels, aus Nordhausen! Wie Hindenburg das Grauen fasst, Weil Cohn ihm auf die Finger passt! Putzt Cohn nur seine Brille, Da zittert Mariann’ und John . Selbst Roosevelt wird stille, Vorm Marschall Doktor Cohn!

Wie Cäsar, Alexander, Fritz Und Moltke er verkolkte! Seht, wie der Cohn mit Geist und Witz Aus ihrem Kuchen wie der Blitz Frisch die Rosinen polkte! Er braust daher wie Wetterschlag, Der Doktor Cohn aus Guttentag . Heil uns, daß wir ihn haben! Ihr Scharnhorst, Clausewitz und Roon, Ihr seid nur Waisenknaben, Vorm Marschall Doktor Cohn!

Der Cohn zerreißt uns ritsch und ratsch, Was sonst uns imponierte, Er spricht: „Der U-Bootkrieg ist Quatsch, Von Tannenberg auch das Getratsch War’s, was uns längst genierte! O Deutschland, greif ’ den höchsten Lohn, Geh’ über diesen Rubi-Cohn Mit deinem ‚Klassenheere‘ . Ja, setz’ ihn auf den Herrscherthron Dir, Vaterland, zu Ehre, Den Marschall Doktor!“206

WL, Julius Meyer, 048-EA-0558, P .II .d ., No . 77, 1940, 105 . Zit . nach Kimmel, Methoden, 222 f .

2 . Identität: ‚Künstler-Soldaten‘ im Angriff

Hochstetter hatte alle deutschen Soldaten mit einer Ahnengalerie aus Kunst, Bildung und Militär/Politik ausgestattet . Dieses Gedicht aber unterstellte dem gebildeten deutsch-jüdischen Politiker Cohn, alles in den Schmutz zu treten, was ehrenvoll sei, von Tannenberg bis zum U-Boot-Krieg . Rechte Kreise diffamierten auch ein Plädoyer für die belgische Souveränität als „jüdisch“ .207 Anders gesagt: Sie werteten die Diskussion völkerrechtlicher Prinzipien als ‚nichtdeutsch‘ im Sinne von ‚jüdisch‘ ab . Wieder andere wollten das Rederecht für deutschjüdische Künstler dahingehend einschränken, dass diese keine „deutschen“ Offiziere beschreiben dürften . Der Bund der Landwirte akzeptierte deutschjüdische Künstler nur dann, wenn sie eigene ‚Schwächen‘ „lächerlich machen“ und damit, wie es suggestiv hieß, „lachendes Verständnis“ beim Publikum ernten würden .208 Der BdL verkehrte die Selbstironie deutschjüdischer Entertainer somit in eine ‚wahre Selbstbeschreibung‘, eine Umdeutung, die in der Weimarer Republik richtig brisant wurde .209 Den Künstler-Soldaten zu inszenieren, zielte somit in zwei Richtungen . Zum einen legitimierten Meinungsmacher völkerrechtswidrige Gewalt, indem sie deutsche Militärs als Künstler-Soldaten verherrlichten . Ihnen die Aura des Künstlers zu geben, sollte den Vorwurf aushebeln, rechtswidrig zu handeln . Denn wer Krieg wie Kunst gestalte, so die Botschaft, dürfe den Krieg nach eigenen Regeln führen . Zum anderen bearbeiteten Ernst und Heiter-Protagonisten soziale Ordnung, indem sie manchen das Ideal zubilligten und anderen verweigerten . Gerade weil Frauen neue Handlungsräume besetzten, schrieben Witze das Identitätsideal als männlich fest . Den Klassencharakter dagegen lockerten Anekdotenhefte ab 1916 partiell . Unterschichtsoldaten durften sich als Künstler-Soldaten fühlen, sofern sie weiterkämpften und weder Klassenheer noch Klassengesellschaft in Frage stellten . Der antijüdische Impuls dagegen lag quer zu Klasse und Geschlecht . Frauen und Unterschichten gehörten zur Nation, solange sie normkonform agierten . Nichtjüdische Deutsche schlossen jüdische Deutsche dagegen aus dem statushöchsten Modell von Deutschsein und Männlichkeit aus, gerade weil diese im Ersten Weltkrieg den Dreiklang von Bildung, Kunstsinn und Kampf für die Nation vollendeten . Julius Bab trat mit dem Ernsten und Heiteren als deutscher Künstler-Soldat auf . Wer aber ‚deutsch‘ und ‚jüdisch‘ als Gegensatz fassen wollte, setzte dieselbe Projektion von Deutschsein ein, um eine imaginäre Grenze zu ziehen .

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Kimmel, Methoden, 136 . Wie es im Herrnfeld-Theater geschehen sei, zit . nach Kimmel, Methoden, 153–155 . Dazu Jelavich, When are Jewish Jokes . Vgl . Kap . III .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

3. Zeitlichkeit: Vorwärts statt verhandeln Die Bespannungsabteilung eines Minenwerfer-Bataillons überschrieb an Weihnachten 1916 in Cambrai, einem wichtigen Versorgungsort für die deutschen Truppen, ein 60seitiges Erinnerungsheft mit dem Titel Ernstes und Heiteres. Das Büchlein transportierte vieles: Der Titel signalisierte Durchhaltebereitschaft, und mit den heiteren Versen brachten die Männer ihre Erfahrungen in eine mitteilbare Form . Zudem setzten auch sie die Opferselbstbeschreibung und die Kategorie Arbeit als Sinnmuster ein, um den Krieg zu erklären; sie deuteten ihn als Verteidigungskrieg und versprachen, den „Ernst der blutigen Arbeit“ durch frohe Unterhaltung zu „mildern“ .210 Vor allem aber betonten sie ihre Mentalität des Vorwärts, um als wichtige historische Akteure aufzutreten . Nur wenige aus der ursprünglichen Einheit hatten die Schlachten bei Verdun und der Somme überlebt, und die riesigen Gefallenenzahlen waren gegenwärtig . Doch in einem Beitrag antwortete ein Soldat auf die Frage, wie ein Kampf gelaufen sei, mit den Worten: „Gut, es geht vorwärts“ . Daraufhin der Erzähler: „– das alte Wort belebt . Vorwärts geht’s . Man erlebt wieder ein Stück Weltgeschichte mit aus unmittelbarer Nähe . Wir sind ja nur Teile des Ganzen .“211 Am nächsten Morgen habe man 3 .000 Gefangene gemacht, also einen vollen Erfolg verbucht . Mit der Kategorie des Vorwärts, zeitlich und räumlich gefasst, deuteten die Männer den Kriegsverlauf und ihren Ort darin . Solange es gefühlt vorwärtsging, empfanden die Minenwerfer ihr Leben jenseits aller Verluste als Vollzug deutscher Geschichte . Während der Einzelne im industrialisierten Krieg austauschbar erscheinen mochte, gaben die Männer ihrem Handeln mit dem Ernsten und Heiteren einen Sinn . Sie feierten ihr Überleben und stellten sich als überlegen dar, indem sie sich performativ den Status als soldatische Respektsperson und den gesellschaftlichen Nimbus des Künstler-Soldaten aneigneten . Dazu gehörte, unbedingt ‚nach vorne‘ zu gehen . Seit Generalfeldmarschall Blücher in den napoleonischen Kriegen den Beinamen „Marschall Vorwärts“ erhalten hatte, prägte das Offensivdenken das strategische Denken und die symbolische Aufladung des Militärischen in Deutschland . Die Professionalisierung und Industrialisierung des Krieges im Kaiserreich führten zwar dazu, dass weniger stürmische Haudegen als ‚Wissenschaftler und Künstler des Krieges‘ die populäre Imagination besetzten .212 Doch wie das Beispiel Hindenburg zeigte: Wer als ‚Künstler-Krieger‘ gelten wollte, musste als unbeirrbar und ‚kontinuierlich‘ erscheinen . Nicht nur die Deutung von Geschichte, auch der Entwurf von Identitäten war temporal strukturiert .213 Im Folgenden geht es darum, wie Ernst und Heiter-Protagonist/innen das unbedingte Weitermachen als einzig mögliche Handlungsweise erscheinen ließen . Dazu vernetzten sie ihren temporalen Entwurf von Deutschsein mit anderen Sinnangeboten . So werteten sie eine demokratische Diskussionskultur ab und verschärften die bereits vor 1914 vorhandene Neigung, zivilgesellschaftliches Handeln gegenüber mi210 211 212 213

Ernstes und Heiteres aus dem ersten Jahr, Widmung . Ernstes und Heiteres aus dem ersten Jahr, 40 f . Ein weiteres Beispiel: Molthagen, Ende, 72 . Pyta, Hindenburg . Generell zum Dogma des Vorwärts Hürter, Hitlers Heerführer . Hier nur Kessel, Langeweile .

3 . Zeitlichkeit: Vorwärts statt verhandeln

litärischem zu delegitimieren . Um demokratisches Handeln als identitätspolitischen Irrweg zu markieren, nutzten sie Geschlecht als symbolisches System: Sie beschrieben Verhandlungsbereitschaft als Weg ins Desaster, indem sie sie als unmännlich entwarfen . Politische Alternativen zum Krieg zu erwägen, galt in diesem Deutungshorizont als persönliche Schwäche, die eine ganze Nation ins Verderben stürze . Auch in diesem Kontext schotteten die Deuter der Nation ihr Sinnkonstrukt mit Gefühlspolitik ab: Ihr Ernstes und Heiteres inszenierte Geschichte als emotionales Drama, um nur den eigenen Weg als gangbar darzustellen . Als die politischen Kontroversen sich ab 1916 verschärften, spitzten Verfechter eines Siegfriedens immer entschiedener zu, dass niemand ein ‚Künstler-Soldat‘ sein könne, der für Verhandlungen eintrete . Stattdessen forderten Anekdoten bis Kriegsende dazu auf, Gefühle und Körper trotz aller Beschädigung durch den Krieg auf das absolute Vorwärts zu richten . Verhandeln als ‚Schwäche‘ Bereits der divergierende Umgang mit dem Künstler-Soldaten-Ideal zeigte, wie Zeitlichkeitsmuster genutzt wurden, um Vorstellungen von Deutschsein zu lancieren . Wer als Künstler-Politiker verstanden wurde, galt als zukunftsfähig . Wer Führung beanspruchte, reklamierte daher, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft verbinden und der Geschichte die erwünschte Richtung geben zu können . Es hing jedoch von der politischen Kultur im weiteren Sinne und ihrer spezifischen Nutzung ab, ob Akteure das lineare Denken in ein absolutes Vorwärts übersetzten, um andere politische Optionen auszublenden . Denn das Zeitverständnis war nicht nur ein deutsches Phänomen . Doch in Deutschland war politisches Denken und Handeln bereits vor 1914 von einer Abneigung gegen Diskussionen geprägt . Die Eliten aller großen Milieus begegneten dem sozialen Wandel und den Forderungen nach Demokratisierung im Kaiserreich mit einem präventiven und beredten Schweigen, statt demokratische Diskussionen praktisch einzuüben .214 Wer nicht zur Leitungsriege gehörte, sollte Diskussion vermeiden, um Grundsatzdebatten auszuweichen . Somit unterstellten politische Eliten auch, dass Debatten tatsächlich sofort Basiskonflikte auslösen würden . Deshalb empfahlen sie, überhaupt nicht zu diskutieren, statt ihre Milieus zu ermutigen, das sachliche Aushandeln politischer Differenzen zu üben . Sie tolerierten höchstens eine monologische Gesprächsstruktur . Denn wenn es doch zu einem Streitgespräch kam, solle man kompromisslos streiten und keinesfalls die Meinung ändern . Kompromisse einzugehen galt als Niederlage und Schandfleck männlicher Ehre, statt als erfolgreiche Vermittlung von Differenzen oder als erwünschtes Zeichen von Selbstreflexion . Dazu passte die Leitlinie der deutschen Armee, unter keinen Umständen zurückzuweichen, sondern Zurückgehen als Niederlage und Vorrücken als Sieg zu deuten .215 Die militärische Doktrin reflektierte eine politische Kultur, die Verhandlungs- und Kompromissbereitschaft als ‚unmännlich‘ und, so ist zu ergänzen, als ‚jüdisch‘ abwer214 215

Owzar, „Reden ist Silber“, 332 f ., und passim zu diesem ganzen Absatz . Dazu Meteling, Ehre, 59 .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

tete .216 Das heißt nicht, dass alle diese Perspektive unterschrieben .217 Aber gerade weil sich auch Pazifisten und Liberale vor 1914 als Künstler-Soldaten aufgestellt hatten, fokussierten Kriegsmaximalisten auf ‚Persönlichkeit‘: Wer Alternativen zum Siegfrieden entwickelte, dem warfen sie ein Persönlichkeitsdefizit vor, um ihrerseits Diskussionen auszuweichen . Geschlecht diente somit als symbolischer Marker, um ungewollte Politik in ‚nichtdeutsches‘ Verhalten umzudeuten . Wohl mag das Denken ohne Alternative bzw . das ausschließliche Reden von Offensivkrieg und Entscheidungsschlachten im Sommer 1914 ziel- und konturlos erscheinen .218 Doch nur Kriegführung als männlich gelten zu lassen und die Welt zu diesem Zweck in ‚Freund oder Feind‘ aufzuteilen, diente dazu, Diskussionen als unmöglich oder überflüssig abzuwehren .219 Verhandeln abzuwerten trug dazu bei, demokratische Prozesse generell zu delegitimieren . Im Kaiserreich war es geläufig, parlamentarische Kompromisse als Gegensatz zu einer ‚großen Tat‘ zu diffamieren .220 Wie Jan Rüger und Annika Mombauer gezeigt haben, unterschied sich die deutsche politische Kultur von der englischen und französischen nicht so sehr durch ihre Faszination für das Militär . Begeisterung für militärisches Zeremoniell prägte alle drei Gesellschaften ähnlich stark . Wichtiger war die umgekehrte Frage, wie sehr das Zivile das Militärische beeinflussen konnte bzw . ob das Militär die Zivilregierung respektierte . In England und Frankreich war letzteres deutlich der Fall . Der französische Befehlshaber Joffre etwa suchte ausdrücklich das Gespräch mit der Regierung hinsichtlich der brisanten Frage, ob die französische Armee ebenfalls in Belgien einmarschieren solle . Gemeinsam entschieden sich militärische und zivile Führung gegen den möglichen Zeitgewinn und für den Respekt vor internationalen Vereinbarungen .221 In Deutschland dagegen beharrte das Militär darauf, dass nationale Stärke nur seine Domäne sei . Der deutsche Generalstab unter Moltke sprach Angriffspläne 1914 nicht mit politischen Instanzen ab . Er hielt die Regierung aus dem Informationsfluss und der Entscheidungsfindung heraus, um eine friedliche Lösung in letzter Sekunde zu verhindern .222 Da das Militär aufgrund der deutschen Verfassung Politik stärker beeinflusste als in Großbritannien und Frankreich und die Oberste Heeresleitung während des Krieges ihre Machtfülle zu Lasten von Monarchie und ziviler Regierung ausweiten konnte, wirkte sich die Abwertung des Zivilen massiv aus . Dabei trafen zivile männliche Akteure in Deutschland – erst recht, wenn sie demokratische Praktiken von Kompromiss und Verhandeln bevorzugten – nicht nur auf das Militär als politisch einflussreiche Institution mit hohem Status . Sie waren auch damit konfrontiert, dass als männliche ‚Künstler-Kämpfer‘ nur diejenigen galten, die sich ohne Wenn und Aber hinter den Krieg stellten . Vgl . Kap . III .5 . Zu Konflikten zwischen Diplomaten und Militärs Hull, Scrap . 218 Leonhard, Büchse, 66, 79 . Zu Bethmanns Taktieren, Russland als Kriegstreiber darzustellen, um die SPD ins Boot zu holen, und zum Unterlaufen der englischen Friedensbemühungen ebd ., 102 . 219 Vgl . Kaldor, 10 Years of Terror, zu Carl Schmitt . 220 Kessel, Langeweile, 257–270 . 221 Mombauer, Moltke, 160 . Zu England Rüger, Great Naval Game, 127–129 . 222 Mombauer, Moltke, 16, 18, zur Geheimhaltung des geplanten Angriffs auf die Lütticher Festung bes . 216 ff . 216 217

3 . Zeitlichkeit: Vorwärts statt verhandeln

Geschlecht war genau wie Zeitlichkeit attraktiv als symbolisches System, um Kritik am Entweder-Oder abzuwehren, da das Beschriebene als ‚natürlich‘ erschien . Jemanden als männlich oder nicht männlich zu charakterisieren, lancierte Wertungen, ohne sie weiter erklären zu müssen . Diese wiederum sicherten Ordnungsmodelle und Machtansprüche gegen alternative Deutungen ab . Zugleich stützten sie die Grundlinie des Ernsten und Heiteren, Politik anhand von Identitätsentwürfen zu bewerten . War diskursiv erst einmal verankert, dass nur Durchhalten männlich, Verhandlungsbereitschaft aber nicht-männlich sei, dann konnte die öffentliche Beschädigung der Geschlechteridentität hohe soziale und politische Kosten verursachen .223 Gerade wenn man Geschlecht als symbolisches System in den Blick nimmt, zeigt sich zudem, wie einige der zeitgenössischen Sinnmuster sich gegenseitig verschärften . So forcierte die Selbstbeschreibung als Opfer die kulturelle Logik, nur unbedingtes Kämpfen als männlich zu beschreiben . Denn im Kontext des modernen Geschlechterdenkens war die Opferselbstbeschreibung durchaus brisant . Eine Opferprojektion wurde in der Regel durch Weiblichkeit symbolisiert; Weiblichkeit suggerierte die Unfähigkeit, sich selbst zu verteidigen . Je dramatischer sich nun deutsche Akteure als Opfer inszenierten, desto eher mochten sie Gefahr laufen, als feminin oder schwächlich deklariert zu werden . Attraktiv war die Opferthese wie erwähnt, weil sie Kritik am eigenen Vorgehen abblockte – waren andere als ‚Täter‘ gesetzt, erübrigte sich scheinbar jede Diskussion . Um aber der drohenden Gefahr der Feminisierung auszuweichen, vertraten gerade diejenigen, die sich als Opfer inszenierten, einen übersteigerten Männlichkeitskult . Er sollte beweisen, dass sie von anderen zum Opfer gemacht würden und nicht selbst für ihre behauptete Opferposition verantwortlich seien . Die zirkuläre Deutung konnte nur verändert werden, wenn man auf die Selbstbeschreibung als Opfer verzichtete und Männlichkeit nicht automatisch mit Krieg oder Kampf identifizierte . Nach 1918 aber führten die Niederlage und die Wut über den Versailler Vertrag dazu, dass die Opferselbstbeschreibung noch breiter als zuvor durch die deutsche Gesellschaft zirkulierte und kriegerische Männlichkeit nun erst recht als Maßstab für ‚Deutschsein‘ galt . ‚Kontinuität‘ als ‚Leistung‘ In der deutschen politischen Kultur des Sommers 1914 galt jedes Handeln, das als Nachgeben gedeutet werden konnte, als beschämend .224 Dem Anspruch, ‚männlich geradeaus‘ zu gehen, unterlag gerade Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg als Spitze der zivilen Führung . Als Bethmann 1919 auf die Entscheidung vom Sommer 1914 und seine damalige Rolle zurückblickte, wählte er eine aufschlussreiche Formel: Man hätte dem Deutschen Reich eine „Selbstentmannung“ zugemutet, wenn man von ihm erwartet hätte, Österreich-Ungarn deshalb nicht zu unterstützen, weil absehbar gewesen sei, dass Russland eine Durchkreuzung seiner Balkanpläne nicht hinnehmen wür-

223 224

Werner, „Hart müssen wir hier draußen sein,“ 7 . Kessel, Demokratie, 82 . Mombauer, Moltke, 126, 132 .

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de .225 Seine verwinkelte Erklärung bestätigte, wie wichtig ihm die Geschlechteridentität war, um als tatkräftige, ‚kontinuierliche‘ Persönlichkeit zu erscheinen . Moltke wiederum wurde vor dem Krieg kritisiert, weil er den Schlieffen-Plan abgeändert und nicht strikt das Original weiterverfolgt habe . Doch führte gerade sein prinzipielles Beharren auf dem Plan dazu, dass die deutsche Führung nach der Niederlage an der Marne keine Alternative parat hatte . Prompt forderten seine Gegner dann, dass Deutschland „Männer“ statt Moltke brauche .226 Wenig später wurde er abgelöst . Kriegszielmaximalisten nutzten Geschlecht als symbolisches System erst recht während des Krieges, um öffentliches Nachdenken über politische Alternativen lächerlich zu machen . Gleich nach Kriegsbeginn erregte Bethmann Hollweg den Zorn der neuen Rechten und etlicher Militärs, als er die Verletzung der belgischen Neutralität öffentlich als Fehler deklarierte .227 Großadmiral Tirpitz, der die Opposition gegen den Kanzler systematisch schürte, verhöhnte ihn nicht von ungefähr als „Schlappmichel“ Bethmann .228 Das bedeutete auch, Verhandlungswillen als ‚jüdisch‘ zu stigmatisieren . Denn immer dann, wenn Bethmann Hollweg nicht offensiv für U-Boot-Krieg und Annexionen eintrat, traf ihn die Unterstellung, er sei der „Kanzler des deutschen Judentums“ .229 Auch diese Formulierung sprach jüdischen Deutschen Kampfbereitschaft ab . Gleichzeitig verrieten Tirpitz und Bethmann mit ihrer Wortwahl, dass ihr Verständnis von Männlichkeit sich im Blick auf Kampf traf; sie teilten dasselbe gesellschaftliche Ordnungsmuster und Wertesystem und rangen darum, wessen Politik es besser verkörpere . Geschlecht als symbolisches System konnte (und kann) nur deshalb wirken, weil es so breit akzeptiert war . Es in Frage zu stellen, rührte in der deutschen modernen Gesellschaft an Kernprozesse von Identitätsformierung . Der ständige Aufruf zu Nervenstärke appellierte an das Vorwärts als Maßstab, um die Durchhalterhetorik gegen Kritik zu immunisieren . Der westfälische Heimat- und Reiseschriftsteller Fritz Mielert, in der NS-Zeit Leiter der Dortmunder Reichsschrifttumskammer, spitzte es in seinen Bunten Bildern von 1915 beispielhaft zu (sie trugen den wenig überraschenden Untertitel Ernstes und Heiteres für das deutsche Volk): Nur ein „unerschütterliches Eintreten für das einmal ins Auge gefasste Ziel“ sei „mannhaft“ .230 Die humorige Imagination von Zukunft blieb im Siegergestus hängen und unterfütterte die bereits während des Krieges entstehenden Dolchstoßlegenden .231 Männern, die nicht an der Front waren und/oder auf Verständigung hofften, drohte die Liller Kriegszeitung den entscheidenden Statusverlust an: Sie seien „flaumweiche Gesellen“ und ihre Kritik an einem Siegfrieden „unmännliche Bedenken“ .232 Bethmann Hollweg, Betrachtungen, 142 f . S . a . Clark, Sleepwalkers, 359 . Mombauer, Moltke, 105, 285, Zitat 272 . 227 Mombauer, Moltke, 230 . 228 Zit . nach Thoß, Nationale Rechte, 39 f . 229 Zit . nach Zechlin, Deutsche Politik, 518 f . Der spätere NS-Kampfbegriff „System“ wurde bereits im Wort vom „B-System“ oder „System Ballin-Rathenau“ etabliert, ebd . 522 . 230 Mielert, Bunte Bilder, 26 . 231 Engelhardt, Kleiner Knigge . Floerke, Gärtner (Hg .), Kriegsanekdoten, 215 f . Zum ‚Dolchstoß‘ Barth, Dolchstoßlegenden . 232 Zit . nach Lipp, Meinungslenkung, 224 . S . a . Kessel, Gelächter . 225 226

3 . Zeitlichkeit: Vorwärts statt verhandeln

Wie tief dieses Sinnmuster verankert war, verrieten gerade die Soldaten, die den Krieg ablehnten oder zumindest zeitweise darunter litten . Denn sie versteckten ihre Gefühle, um nicht als unmännlich gescholten zu werden . So hätte der Gefreite Wilhelm Münz Weihnachten 1914 lieber zu Hause gefeiert als in Ovillers an der Somme . Doch schrieb er dem Pfarrer seines Heimatortes Schornbach, dass er und seine Kameraden sich nicht „als weichliche deutsche Männer und Jünglinge“ zeigen wollten, sondern ausharren und siegen würden, damit sein Dorf nicht genauso zerstört werde wie Ovillers .233 Diese Spannung blieb auch dann erhalten, als sich die Sehnsucht nach einem wie immer gearteten Kriegsende ausbreitete . Wohl fragten Soldaten einen Lehrer, der nach einem Gefangenenaustausch im „vaterländischen Unterricht“ über seine Zeit in französischer Gefangenschaft sprach, wie sie sich gefahrlos gefangen nehmen lassen könnten .234 Doch litten gerade deutsche Kriegsgefangene erkennbar unter der Angst, im sicheren Lager als feige zu gelten . Gerade im Vergleich zeigte sich der übersteigerte Fokus auf Männlichkeit . Britische und französische Lagerzeitungen hoben deutlich weniger auf harte Männlichkeit und soldatische Ehre ab . Der englische Vorschlag, Charlie Chaplin zwischen die Fronten zu schicken, um den Krieg durch gemeinsames Gelächter zu beenden, wäre Rainer Pöppinghege zufolge in deutschen Lagerzeitungen undenkbar gewesen .235 Auch eine Gruppe von Offiziersaspiranten, die im Mai 1916 den Verteidigungskrieg und die deutsche Opferposition besang, beschwor die Mentalität des Vorwärts . Sie betonte wie die eingangs zitierte Bespannungsabteilung die Bereitschaft, angesichts von „Tausend“ Feinden konsequent „gradaus“ zu gehen .236 Mit der geläufigen Formel beschrieben sie ihre Teilnahme als wichtig . Gerade nach Kriegsende blieb es bedeutsam, das eigene Soldatentum im Rückblick so deuten zu können . Denn überlebt zu haben verwandelte sich nach 1918 in die Selbstwahrnehmung, durchgehalten zu haben, also bis zum Ende ein Mann geblieben zu sein . Das nahmen auch die Soldatenräte für sich in Anspruch, Männer also, die für eine neue politische Ordnung plädierten .237 Männlichkeit, verstanden als konsequentes Durchhalten ohne jedes ‚Schwanken‘, blieb nach 1918 ein entscheidender Parameter für Selbstverständnisse, um unterschiedlichen politischen Positionen Status zu verleihen . Doch wirkte ebenfalls die Deutung weiter, kämpferische Männlichkeit als Gegensatz zu ziviler, demokratischer Politik zu verstehen . Weimarer Politiker wie Gustav Stresemann versuchten, die Spannung aufzulösen und das Eintreten für die Republik als männlich zu deuten . Die Nationalsozialisten dagegen nutzten die Gemengelage in den zwanziger Jahren, um nur sich selbst als ‚kontinuierlich‘ und alle anderen als ‚schwankend‘ und ‚schwach‘ zu markieren .

Zit . nach Hirschfeld u . a ., Die Deutschen an der Somme, 39 . Ulrich, Augenzeugen, 77 f . S . a . Ziemann, Gewalt, 13 . 235 Pöppinghege, Im Lager unbesiegt, 179, 248, 253, Chaplin-Beispiel 252 . 236 BArch MA, MSG 2/3647, Bierzeitung der 1 . Komp . Offizier-Aspirantenkursus Hauptmann von der Osten, Lockstedter Lager, 14 .5 .1916, o . S . 237 So Lipp, Meinungslenkung, 106, 134, 171 f . 233 234

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Körper und Gefühle Das Dogma des Vorwärts normierte in sich bereits Gefühle . Doch bearbeiteten Anekdoten in der gesamten Kriegszeit auch explizit, wie Körper und Emotionen zu kontrollieren seien, um Durchhalten als einzig akzeptable männliche Leistung zu präsentieren .238 Das betraf besonders markant Gefühle wie Angst oder Friedenssehnsucht . Witze empfahlen Galgenhumor und ein leichtes Phlegma, um über Todesangst hinwegzukommen: Es sei doch viel angenehmer, beim Schneeschnippen über der Erde zu frieren, statt darunter zu liegen .239 In Briefen äußerten Soldaten ihre Ängste jedoch durchaus, wenn auch mitunter über Bande, so im Vergleich, dass die Franzosen „mehr Angst als wir“ hätten .240 Indem sie sich als immer noch überlegen positionierten, machten sie sich weniger angreifbar . Dabei waren gerade in den ersten Monaten auch Berufssoldaten und Offiziere überwältigt vom Massensterben . Der Regimentskommandeur von Oberleutnant Gotthard Heinrici war von den Verlusten eines Tages an der Ostfront im Oktober 1914 so geschockt, dass er auf dem Kampfplatz in Tränen ausbrach .241 Die mediale Repräsentation und der öffentliche Sprachgebrauch klammerten Entsetzen und Tränen aber aus . Sie feierten stattdessen das Vorwärts: Der individuelle Siegeswille solle auch einen schrecklichen Krieg in eine siegreiche Zukunft verwandeln . Eine besonders scharfe Diskrepanz zwischen anekdotischer Text- und Bildpolitik und den Erfahrungswelten betraf daher die grauenvolle Versehrung soldatischer Körper im industrialisierten Krieg . Denn der unversehrte männliche Körper stand nicht nur für Siegeszuversicht und Kontinuität . Er symbolisierte im Diskurs über gesellschaftliche Ordnung auch einen Herrschaftsanspruch nach innen und außen .242 Daher blieb die Darstellung von Verletzungen hoch normiert – zumal, weil Soldaten angesichts der zerstörten Körper, mit denen sie konfrontiert waren, ihre Angst sehr wohl ausdrucksstark ansprachen . Sie sehnten sich nicht nur nach einem „Heimatschuss“,243 sondern entsetzten sich darüber, so zu fallen, wie sie es ansehen mussten . Durch die Kugel zu sterben, scheine nicht schwer, schrieb ein Soldat . Doch „zerrissen, in Stücke gehackt, zu Brei zerstampft zu werden, ist eine Angst, die das Fleisch nicht ertragen kann .“244 Versteht man mit Mary Douglas den menschlichen Körper als Symbol sozialer Zusammenhänge,245 dann suggerierte das Ausblenden von Versehrtheit eine intakte Nation . Soldaten selbst dagegen schrieben: „… habe doch mit eigenen Augen wahrgenommen, wie Körperteile in die Luft flogen, so ein ganzer Rußki 3–4 Meter in der

Ich klammere die disparaten Zeiterfahrungen zwischen Warten und extremer Verdichtung aus . Hier nur zu Zukunftsträumen Reimann, Der große Krieg, 246–250 . 239 Brinitzer, Vom „Kammrad“, 32 . Trara, – die Feldpost, 47, thematisierte die Angst und das Entsetzen derer, die eine Todesnachricht erhielten, nachdem das ganze Dorf auf die Schritte des Postboten gelauscht hatte . 240 Latzel, Deutsche Soldaten, 215 . 241 Hürter, Hitlers Heerführer, 75 . 242 Kienitz, Beschädigte Helden . Lipp, Meinungslenkung, 137 f ., zu sprachlichen Ausblendungsformen . 243 Molthagen, Ende, 79 . 244 Zit . nach Latzel, Mißlungene Flucht, 188, s . a . 190, 197 . 245 Douglas, Natural Symbols, 70 . 238

3 . Zeitlichkeit: Vorwärts statt verhandeln

Luft schwebte .“246 Während die miserable Nahrungslage und die nassen Gräben ständig auftauchten und Kritik daran legitim war, unterfütterte der Humordiskurs mit Blick auf psychisch und physisch Verletzte den funktionalen Umgang der deutschen Gesellschaft: Rentenansprüche abwehren und die Männer so schnell wie möglich wieder fit machen . In der frühen Kriegszeit wanderten deutsche Verletzte mit der belle blessure des 19 . Jahrhunderts durch Witzhefte, etwa einem verbundenen Arm, während die Medien schwere Verletzungen oder Tod bei den Gegnern verorteten .247 So verspottete Der gemütliche Sachse 1915 einen zerfetzten „indischen Schlangenbeschwörer“ .248 Die Zensur konfiszierte dagegen Zeichnungen, die das völlige Verschwinden der Körper thematisierten, also die Erfahrung, die die Soldaten entsetzte und den Hinterbliebenen das Trauern erschwerte .

Abb . 1, Kriegspostkarte, Kanonier G . Ritzer249

Zwar gab der Krieg dem modernen Sozialstaat wesentliche Impulse . Hinterbliebene, Kriegsopfer und Inflationsgeschädigte empfingen staatliche Versorgungsleistungen, so dass der Staat als Garant der sozialen Existenz von einzelnen und Gruppen aufgewertet wurde . Doch prägten die nachhaltigen Folgen erst die Sozialpolitik der Weimarer Republik .250 Zu Kriegsbeginn hatte Hochstetter Ansprüche aggressiv abgewehrt . In nationalchristlicher Rhetorik nannte er es einen fröhlichen Tod, mit 33 zu sterben . Sein Satz „Ich will keine Altersrente von dir haben, Vater Staat!“ unterstellte, dass jeder, der Zit . nach Latzel, Soldaten des industrialisierten Krieges, 133 . Im Bild beinamputierter bettelnder Italiener, Simplicissimus, Jg . 22, H . 19, 7 .8 .1917, 247 . 248 Der gemütliche Sachse, Jg . 20, H . 3, 1915, unpagin . (10) . 249 BayHStA, Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung, 3329 . Winter, Sites of Memory, zum Problem des fehlenden Leichnams . Brocks, Bunte Welt, 212, sieht nur festhängende Stiefel . 250 Geyer, Verkehrte Welt, 41 . 246 247

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dem Tod nicht heiter ins Gesicht sehe, dem Sozialstaat auf der Tasche liegen wolle .251 Der Appell an Versehrte, ihre Verletzungen zu verbergen und anderen einen verunsichernden Anblick zu ersparen, wurde im Verlauf des Krieges nicht subtiler . So versteckte ein Beinamputierter seinen Körper unter einer Decke und lüftete sie nur kurz, um angeberischen Stammtischstrategen, die sich mit ihren Andenken an 1914 brüsteten, seine „bleibende Erinnerung“ zu zeigen .252 Andere Scherze leugneten bereits, dass Verstümmelungen sichtbar seien . Als ein Soldat auf Heimaturlaub auf die Frage, was er sich wünsche, antwortete: „Eine Wurst, so lang wie von einem Ohr zum anderen“, hieß es, das könne er sofort haben . Darauf reagierte er „lächelnd“, das sei gar nicht so leicht, denn das linke Ohr läge irgendwo bei Dünaburg .253 Ernst Walter Trojan trivialisierte noch 1918 die grässlichen Gesichtswunden von Soldaten . Einer seiner Frohgemuten Invaliden wurde von einer Handgranate an der Schläfe getroffen . Dennoch blinzelte er den Oberleutnant fröhlich aus seinem halboffenen linken Auge an und sächselte aus dem „verschwollenen, kaum zu öffnenden Mund“, dass die französischen Dinger nichts taugen würden: Eine deutsche Granate hätte ihm den Kopf abgerissen .254 Auch diese diskursive Linie schlug auf die Weimarer Republik zurück . Denn dann wurden die zerstörten Körper öffentlich sichtbar gemacht, aber dem politischen Körper der Demokratie angelastet . Körpersymbolik aber spielte bereits während des Krieges eine wichtige Rolle, um den Umgang mit Zeit und Raum zu lenken . Wer den Siegfrieden wollte, verbreitete mit dem Zeichen des unversehrten oder unverwüstlichen Körpers Zuversicht oder wehrte Ansprüche der eigenen Bevölkerung ab . Das hieß umgekehrt: Nur wer unbeirrbar an einem Siegfrieden festhalte, sei ein ‚Künstler-Soldat‘ . Wer dagegen innen- und außenpolitisch verhandeln wollte, musste damit rechnen, diesen Status zu verlieren und als unmännlich angegriffen zu werden . Als die Kontroversen um Demokratisierung und Verhandlungsfrieden sich ab 1916 intensivierten, lag dies auch an einer weiter verschärften Bild-Sprache . Sie lud Körperprojektionen nicht nur temporal auf . Sie vernetzte sie auch mit Deutungen von Raum und Grenze, um nur die als ‚männlich und gerecht‘ zu etablieren, die den Krieg weiterhin vorbehaltlos unterstützten .

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Hochstetter, Wir sind wir, 73 . S . a . Kessel, Laughing about death . Robinson, Die Hindenburgstraße, 105–108 . Lokesch, Wir halten durch, 14 . Trojan, Büchlein, 55 .

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

4. Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz Die Deutschen besetzten allein in Belgien und Frankreich ein Gebiet, in dem über neun Millionen Menschen lebten . Ihren gewaltsamen Umgang mit Zivilisten begründeten sie wie im Krieg gegen Frankreich von 1870–71 vor allem mit dem Vorwurf, von Freischärlern angegriffen worden zu sein, also von irregulären Kämpfern, die nicht dem Kriegsrecht unterstanden .255 Die deutsche Seite rief nach „Vergeltung“ für die oft nur imaginierten Überfälle . Indem sie französische oder belgische Zivilisten kriminalisierte, verfestigte sie die These vom Notstand .256 So unterschiedlich die Besatzungspolitik in Ost und West sowie die Reaktionen der Bevölkerung auch waren:257 Wer so redete, stellte sich erneut als Opfer dar . Deutsche Kritiker der Kriegführung konnten sich zwar im eigenen Land nicht durchsetzen . Aber dennoch war das Vorgehen in der zerklüfteten Meinungslandschaft kein Selbstläufer – darauf verweisen die ständigen Angebote, Grenzüberschreitungen in ‚gerechte‘ Handlungen zu verwandeln . Denn soldatisches Selbstverständnis kreiste seit dem 19 . Jahrhundert um den ehrenhaften, patriotischen Mut des Einzelnen . Es mochte durchaus durch den alliierten Vorwurf erschüttert werden, ein Mörder und kein Soldat zu sein . Hier setzten Anekdoten an – und diese erörtere ich zunächst -, die das Verhältnis von Gewalt und Recht umcodierten: Sie machten entweder das Völkerrecht selbst oder die Kritik an Deutschland lächerlich, um das widerrechtliche Überschreiten von Grenzen aus dem Blick zu rücken . Zweitens diskutiere ich, auf welche Weise Bilder und Texte völkerrechtswidrige Gewalt von einer destruktiven in eine ‚produktive‘ Praktik verwandelten . Denn Zeitgenossen vernetzten Projektionen von Raum und Körper mit den sog . ‚deutschen Tugenden‘ Arbeit und Reinheit, um gewaltsame Rechtsverstöße als ein ‚kreatives‘ Verhalten derer zu projizieren, die sie als deutsch setzen wollten . Und ein ‚Künstler-Soldat‘ galt, wie erwähnt, inhärent als ‚gerecht‘ . Raum ist ebenso wenig wie Zeit oder Körper eine ahistorische Konstante . Er ist seinerseits ein Konstruktions- und Ordnungsprinzip sozialen Handelns und zugleich eine Dimension, die Akteure durch ihr Verhalten konstituieren . Erst Wahrnehmungen und Praktiken bringen ein Verständnis von Raum hervor bzw . verwandeln bloße Orte in sinnerfüllte Räume, um Michel de Certeau zu paraphrasieren .258 Wer Herrschaft etablieren will, greift auch auf den Raum zu, etwa indem Phänomene, die eine andere Gesellschaftsordnung repräsentieren, zerstört und durch eigene öffentliche Zeichen ersetzt werden .259 Die spektakulären Kathedralen- oder Bibliothekszerstörungen der Deutschen waren in diesem Sinne ebenfalls gewaltsame Identitätspolitik . Reims als Krönungskathedrale war eminent politisch, während die Bibliothek von Löwen Bildung repräsentierte . Die Gebäude anzugreifen, signalisierte auf einer sichtbaren topographischen Ebene, Frankreich und Belgien als Nation das Kämpfer-Künstlertum abzusprechen . 255 256 257 258 259

Horne/Kramer, German Atrocities . Hull, Scrap, 55, 58 . Meteling, Ehre, 98 . Schaepdrijver, Populations under Occupation . De Certeau, Praktiken im Raum, 345 ff . Christ, Dynamik, 213, für die NS-Zeit und mit weiterer Literatur zu Raum .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

Doch ging der deutsche Zugriff auf Raumdeutung noch darüber hinaus . Die Prozesse von Sinnstiftung, die ich hervorhebe, zielten auf das Verständnis von Grenze(n) . Annemarie Sammartino hat die paradoxe Deutung der deutschen Ostgrenze nach 1918 analysiert: Die Deutschen beschrieben sie dann als durchlässig und überschreitbar, wenn sie die deutsche Expansion nach Osten begründeten; doch sollte die Grenze ein unüberwindbares Bollwerk sein, wenn es darum ging, Immigranten aus Osteuropa abzuwehren .260 Der Blick auf die Westgrenze im Krieg kreiste in ähnlicher Weise um das Verhältnis von Recht und Gewalt . Vor allem die in der deutschen Kultur seit langem bedeutsamen Kategorien Arbeit und Reinheit dienten dazu, Fragen von Rechtmäßigkeit und Verletzungsanspruch zu codieren . Dabei gilt auch für diese Bedeutungskomplexe, dass sie nicht per se bedeutsam waren, sondern mit Bedeutungen aufgeladen wurden, um Ordnungsmodelle plausibel erscheinen zu lassen .261 Vor allem in der frühen Kriegszeit ließen Humorprotagonisten die deutschen Grenzverletzungen in einer Vision unzerstörter Räume und Körper verschwinden, indem sie deutsche Besatzungssoldaten als produktive Kräfte darstellten . Nach den Abnutzungsschlachten von 1916, die die Brutalität des Krieges endgültig in den Raum zeichneten,262 drehten sie das Narrativ . Nun schrieben sie den Verhandlungsbereiten und Kriegsmüden im eigenen Land zu, (Verhaltens)Grenzen zu verletzen und damit die Zerstörung von Räumen und (deutschen) Körpern herbeizuführen . Sie fassten Arbeit und Reinheit als binäre Deutungsmuster, um Akteure und Verhaltensweisen als deutsch vs . nichtdeutsch und in ihrer Logik als ‚rechtmäßig‘ vs . ‚nichtrechtmäßig‘ zu fassen . Wie alle gedachten Dichotomien dienten auch diese der imperialen deutschen Kultur als Ikonographie der Grenzziehung, um eine jeweils beschworene Differenz selbstverständlich wirken zu lassen . Das ‚Recht‘ der ‚Barbaren‘: Gewalt im Scherz, Gewalt als Scherz Die Kritik der „Barbarei“ wehrte die deutsche Seite ab, indem sie den Begriff aneignete und zurückblendete . Die Zensur dämmte Gerüchte über Freischärlerangriffe kaum ein,263 im Gegenteil: Unterhaltungsliteratur lieferte Horrorgeschichten frei Haus . Gleich das erste Heft der Serie Soldaten-Bücher, ab 1914 „zur Kurzweil“ der Soldaten veröffentlicht, behauptete, dass französische oder belgische Freischärler übel im eigenen Land gehaust hätten . Die Deutschen dagegen – „Wir Barbaren-!“ – hätten die Zivilgesellschaft versorgt .264 Der Band lieferte also nicht nur die ikonische Repräsentation des ehrenhaften deutschen Soldaten . Er zirkulierte bereits jetzt die nach dem Krieg dominant

Sammartino, The Impossible Border . Generell Clintock, Imperial Leather, 170 und passim . 262 Wilson, Landscape, 144 f . 263 Nur eine Zensuranweisung wandte sich, um deutsche Katholiken zu beruhigen, gegen Gerüchte über katholische Geistliche, die angeblich die Bevölkerung aufpeitschen würden, Altenhöner, Kommunikation, 203 . 264 „Wir Barbaren-!“, 7–10 . S . a . Brocks, Bunte Welt, 130 f . 260 261

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

werdende Deutung, die Alliierten hätten den Kriegsraum und das zivile Leben dort ihrerseits zerstört .265 Der Literatur- und Kunsthistoriker Karl Quenzel veröffentlichte 1915 mit Wir „Barbaren“ ein weiteres typisches Beispiel . Er definierte den Barbarentopos als „Ehrentitel“ und verschob die Vorwürfe, indem er notierte, wie Russen polnische Juden misshandelt hätten . Auch Quenzel zirkulierte Vorstellungen von Arbeit und Opfer als Legitimationsmuster: Die deutsche Kriegführung sei opferfreudige, energische und unermüdliche „Arbeit“ .266 Unterhaltungsmedien im Reich speisten die Opfer-Täter-Verkehrung, indem sie einer breiten Öffentlichkeit die Partisanenfixierung vermittelten . Der gemütliche Sachse druckte regelmäßig Vexierbilder ab, in denen Erwachsene und Kinder nach „versteckten Franctireurs“ oder nach deutschen Soldaten suchen konnten, die „von Franctireurs beschossen“ würden .267 Anekdoten blendeten die deutsche Gewalt gegen Zivilisten keineswegs aus . Sie beschrieben sie im Gegenteil drastisch, um sie in legitimes Kriegsverhalten oder in Alltagstugenden zu verwandeln . Auf diese Weise integrierten sie zum einen Informationen über das Verhalten der deutschen Armee in das verfügbare soziale Wissen . Zum anderen übersetzten sie eine mögliche Irritation über rechtlich nicht gedeckte Gewalt in ein positiv besetztes Legitimations- und Erinnerungswissen .268 Bonmots und Zeichnungen paraphrasierten einzelne Armeebefehle, um Zivilisten als Freischärler darzustellen . Das 12 . Armeekorps hatte am 15 . August 1914 verkündet, dass alle Einwohner, die mit Schusswaffen angetroffen würden, damit rechnen müssten, erschossen zu werden .269 Ein typischer ‚Witz‘ erklärte 1915, dass die Bewohner eines Dorfes in der Champagne ein bayerisches Regiment offenkundig für Bleisoldaten gehalten und aus den Fenstern beschossen hätten, allerdings nur solange, bis die Bayern ihre Verwunderung überwunden und den „Fensterschützen“ eine arge Enttäuschung bereitet hätten – nicht ohne Geiseln zu nehmen .270 Paul Oskar Höcker vermarktete seinen Kriegseinsatz bereits 1915 erfolgreich in seinem Buch An der Spitze meiner Kompanie, das in der Weimarer Republik immer neue Auflagen erlebte . Er beschrieb ausführlich, wie sie angebliche franctireur „an die Wand gestellt“ hätten, weil das „Gesindel“ ‚nicht-soldatisch‘ gehandelt habe .271 Fritz Mielert unterfütterte das Bild einer perfiden Zivilbevölkerung: Die Deutschen hätten ruhig schlafen können, nachdem sie drei „Franktireur“ erhängt und einen weiteren aufgespießt hätten . Den zeitgenössisch überzogenen französischen und englischen Zeichnungen, auf denen deutsche Soldaten Babys mit Bajonetten erstachen, hielt er die „wahre“ Geschichte des „edelmütigen“ Offiziers entgegen, der ein Ehepaar habe erschießen lassen und das vierjährige Kind seiner eigenen, kinderlosen Frau schickte: „Hoch klingt das Lied vom braven Mann!“272 Zur Weimarer Zeit Krumeich, Die deutsche Erinnerung, 311–338 . Quenzel, Wir „Barbaren“, 3, 243–246 . Stabsarzt Hermann Paul Klunker nannte sein Kriegstagebuch aus der französischen Gefangenschaft Die Große Nation und wir Barbaren . 267 Der gemütliche Sachse, Jg . 20, H . 7, 1915, o . S . (12) . Ebd ., Jg . 20, H . 2, 1915, o . S . (4) . 268 Vgl . Kessel, Laughing about Death, auch zum Folgenden . 269 Horne/Kramer, German Atrocities, 162 . 270 „Die Übung“, in: Brie, Pension Debberitz, 28 . Gemeint war das Kriegsgefangenenlager Döberitz . 271 Höcker, An der Spitze meiner Kompanie, 22–27, 31, 45 f . Vgl . Kessel, Gewalt schreiben, 238 ff . 272 Mielert, Bunte Bilder, 32, 39 . 265 266

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Völkerrechtswidrige Gewalt als Erfolgsgeschichte zu präsentieren, konnte auch als Schutz gegen Mitleid dienen, denn Herablassung und Häme erschwerten Mitgefühl .273 Spott baute Distanz zum Geschehen auf, konnte eigene Ängste bannen und die Erkenntnis verhindern, dass Soldaten auf jeder Seite ähnliche Erfahrungen machten .274 So beschrieb Richard Merker 1915, wie ein Bataillon durch eine belgische Ortschaft gezogen und „alles Männliche und auch alle Schinken- und Speckseiten“ mit sich genommen habe . Denn man hätte ja leben müssen und wäre nicht gerne „von hinten“ erschossen worden . Als sie auf einer Türschwelle einen „verwundeten Franktireur“ und eine dicke Sau sahen und der Kommandant sagte: „Nehmt das Schwein mit“, fragte ein Soldat: „Welches denn, Herr Major?“275 Ein solches Reden erschwerte die Reflexion darüber, dass ein Zivilist kein Partisan sein musste und Anspruch auf Schutz hatte . Das Tornister-Wörterbuch für Soldaten, dass für die Quartiersuche Sätze anbot wie: „Wenn Sie das geringste gegen mich arrangieren, werden Sie erschossen,“ lieferte aber nicht allen den Maßstab . Der Feldpostsekretär Wilhelm Münz notierte, dass er noch nie so gehandelt habe und angesichts dieser Empfehlung froh sei, nicht zur gegnerischen Seite zu gehören .276 Scherze machten die alliierte Kritik an deutschen Rechtsbrüchen lächerlich, unabhängig davon, ob die Gewalt sich gegen Menschen, neutrale Grenzen oder Gebäude richtete . Die Texte verorteten die Verletzung von Körpern, Räumen und Häusern somit auf derselben narrativen Ebene . Sie nahmen eine semantische und denkerische Einebnung vor, die ihrerseits das Töten von Menschen distanzieren konnte . Der kommunikative Anspruch war zudem, durch Spott Diskussion gar nicht erst aufkommen zu lassen . Entsprechend lautete ein ‚witziger‘ „Korpsbefehl“, dass Kunstwerke nicht zerstört werden dürften, die englischen und französischen Truppen aber nicht als Kunstwerke zu betrachten seien .277 Anekdoten transportierten Gräuelgeschichten über das russische Verhalten in Ostpreußen, indem sie der russischen Armee eine militärisch unangemessene Politik der verbrannten Erde zuschrieben .278 Deutsche Zerstörungslust tauchte dagegen als lustiger Irrtum ungebildeter Unterschichtsoldaten auf . In „O, diese Fremdwörter“ bezog eine Batterie Quartier in einem russischen Dorf . Als ein Artillerist sich beim Hauptmann beschwerte, dass der Dorfwirt ihm altes Hammelfleisch teuer als Rindfleisch verkauft habe – ein geläufiges antisemitisches Stereotype -, befahl der Hauptmann zornig: „Boykottieren, fertig .“ Als der Mann wenig später zurückkam und meldete: „Herr Hauptmann, melde gehorsamst, Boykottierung fertig“, trat der Hauptmann „ahnungsvoll“ ans Fenster und sah am Ende der Dorfstraße einen Mann händeringend auf den Trümmern seines Hauses stehen .279

So Bergson, Lachen . Maase, Wer findet denn so etwas komisch? 883 . 275 Merker, „Kriegs-Humor“, 9 . 276 Horne, Weg zur Somme, Zitat 38 . 277 Markolf, Deutscher Kriegshumor, 26 . 278 Sie zündeten ein Haus an, um eine Wurst zu braten, Simmel, Wer lacht da, 23, s . a . 40 . Wutki Kaputki, 10 . 279 Brie, Die dicke Berta, 34 . 273 274

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

Indem Humoristen anboten, wie Rechtsbrüche erzählt werden könnten, lenkten sie fort von Diskussionen . Eine Postkarte von Fritz Raupp trivialisierte 1915 den Vorwurf eines fehlenden Rechtsverständnisses: Unter dem Titel Mangelnder „Rechts“begriff zeigte sie einen dämlichen Rekruten beim Drill, der sich in die falsche Richtung drehte und dabei erstaunt guckte:

Abb . 2: Fritz Raupp, Mangelnder „Rechts“begriff280

Der Simplicissimus mokierte sich 1916 mit der Bemerkung „Mei, dös is a sauberes Völkerrecht!“ über die schlechte Versorgung: Bayerische Soldaten bekämen erst ab fünf Uhr nachmittags Bier .281 Ein Tangolehrer und ein Professor für Völkerrecht klagten sich in einer deutschen Kneipe über kümmerlichen Essensresten gegenseitig ihr Leid, dass ihre Berufe zur Zeit leider überflüssig seien282 – auch ein Spiegel der geringen Anerkennung des Völkerrechts in der deutschen Rechtswissenschaft, in der noch 1931 nur ein Lehrstuhl dafür existierte .283 Umgekehrt schrieben Anekdoten die Position von Reichskanzler Bülow vor der zweiten Haager Konferenz von 1907, sich im Krieg durch keine obligatorischen Rechtssätze gebunden zu fühlen,284 den Alliierten zu .285 Sie popularisierten die These des Auswärtigen Amtes, dass das Völkerrecht suspendiert sei, wenn eine Seite es verletzen würden – womit sie die Gegner meinten, denen sie Rechtsbrüche zuschrieben .286 Von der österreichischen Front in Mitteleuropa existieren Fotografien, die Hinrichtungen ohne Gerichtsverfahren und andere Morde öffentlich dokumentierten . Die 280 281 282 283 284 285 286

BayHStA, Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung, 73 . Simplicissimus Jg . 21, H . 18, 1 .8 .1916, 218 . Brie, In der Heimat, 48 . Toppe, Militär und Völkerrecht, 427 . Dülffer, Regeln gegen den Krieg, 103–137 . Feldgrauer Humor, 35 . Dazu Hull, Absolute Destruction, 127 .

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eigene Gewalt öffentlich sichtbar zu machen, konnte und kann als integrierendes, gemeinschaftliches Ritual verstanden werden: Es demonstriert in der Figur des Gehängten eine äußere ‚Gefahr‘, benennt einen ‚Schuldigen‘ und stabilisiert mit dessen ‚Opferung‘ die Moral der eigenen Soldaten . Gerade die Wahrnehmbarkeit des gemeinsamen Vorgehens mochte dabei gemeinschaftsbildend auf Seiten der Täter wirken .287 Dass manche der Verantwortlichen darüber hinaus Fotos von Hinrichtungen mit sich trugen, auf denen sie zufrieden lächelten, kann man mit Anton Holzer als „Lächeln der Henker“ interpretieren: Sie bewiesen sich selbst und anderen mit dem visuellen ‚Beweis‘, stärker gewesen zu sein – und das immer neu . Denn auf dem Foto war der Getötete weiterhin anwesend, so dass das Bild die momentane Erfahrung totaler Überlegenheit wiederholbar machte . Es erneuerte immer wieder das Empfinden von Herrschaft, das ansonsten auf den Moment der Überwältigung beschränkt war .288 Auch wenn Holzer zufolge Fotografien dieser Art auf deutscher Seite seltener waren, erfüllten Anekdoten und Zeichnungen eine ähnliche kommunikative Funktion . Zwar blieb die Zensur auch hier uneinheitlich . Doch schien sie ein bestimmtes Verhältnis von Gewalt und Disziplin zu bevorzugen . Gewaltdarstellungen wurde nicht per se aussortiert, sondern Bilder, die einen Verlust an Selbstkontrolle oder aber Leichtfertigkeit implizierten . Gewalt sollte in der Art und Weise, in der sie ausgeübt wurde, als deutsche Tugend präsentierbar sein . Zensiert wurde beispielsweise zu Kriegsbeginn eine bunte Postkarte zum Thema „Barbaren in Feindesland“: Der dicke Berliner, der sich auf den belgischen Repräsentanten setzte und johlte: „Mensch! Hier bleib ick, vastehst’ de!“, eignete sich nur bedingt als Kultfigur .

Abb . 3: Kriegspostkarte 1914289 287 288 289

Holzer, Lächeln der Henker, 81, 100 . Holzer, Lächeln der Henker, 92 . Hoffmann-Curtius, Trophäen, 71 f . BayHStA Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung, 304 .

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

Auch eine Karte, die das Erhängen der Gegner 1914 als „Landsturms letzte Arbeit“ beschrieb und so den Kriegsaufwand trivialisierte, kam nicht durch . Doch bestätigte sie ihrerseits zentrale Deutungsmuster: Krieg als Arbeit und ein joviales Lächeln als Zeichen für ‚Deutschsein‘ und Überlegenheit .

Abb . 4: Julius Mannheimer, Kriegs-Gedenkpostkarte 1914290

Grenzüberschreitung als ‚deutsch‘: Produktiver Körper, gereinigter Raum Raumimaginationen spielten im Kolonialismus eine wichtige Rolle, um Herrschaft zu begründen . Es war ein wiederkehrendes Muster, das kolonisierte Land als jungfräulich, leer oder unmarkiert zu beschreiben . Die Unterstellung, niemand habe das Land bisher strukturiert, diente als Legitimation für die Inbesitznahme; wer das Land überblicke und ihm eine vorher angeblich nicht vorhandene räumliche Struktur gebe, so hieß es, verleihe sich das Recht, zu kontrollieren und zu besitzen .291 Gleichzeitig schrieben die Kolonisierer das Land als weiblich und sich selbst sowie den Prozess des Eroberns und Besetzens als männlich fest und behaupteten mit Geschlecht als symbolischem System die Natürlichkeit ihrer Herrschaft .292 Die Schädlings- und Ungeziefermetaphorik wiederum zirkulierte in Deutschland seit dem 19 . Jahrhundert zwischen wissenschaftlichen und gesellschafts/politischen Kontexten . Sie ist als Symbolmuster aus dem Ersten Weltkrieg bekannt, um Menschen und Räume zu hierarchisieren, wird allerdings häufig auf Osteuropa bezogen .293 Doch strukturierten eine kolonisierende Raumdeutung und die Ungeziefersemantik auch die Wahrnehmung der Westfront, nachdem sich der Bewegungskrieg in einen Grabenkampf mit offenem Ende verwandelt hatte . Vor allem in den ersten Kriegsjahren diente die Michelfigur dazu, zerstörende und rechtswidrige Besatzungsgewalt in ‚produktive‘ und ‚reinigende‘ Praktiken zu verwandeln . Sie vernetzte Raum- und SubjektBayHStA Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung, 2839 . Hier nur Pratt, Imperial Eyes, 201–208 . 292 Vismann, Starting from Scratch, für Kontinuitäten zum Nationalsozialismus . Kessel, Gewalt schreiben, 239 ff . 293 Jansen, „Schädlinge“, 250 . Liulevicius, War Land . 290 291

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entwürfe, die die deutschen Grenzverletzungen in Visionen unzerstörter Landschaften und Körper verschwinden ließ . Den Krieg als Ordnungsproduktion und Reinigung repräsentierte z . B . ein Michel mit Mütze, Pfeife und einem zufriedenen, überlegenen Gesichtsausdruck . Er fegte mit einem gigantischen Besen auf einem Feld die Miniaturfeinde wie Unkraut auf einem Haufen zusammen und zertrat dabei einen winzigen Soldaten unter seinem großen Fuß .

Abb . 5: Der deutsche Michel, Kriegspostkarte294

Die Bildsemantik war zusätzlich geschlechtlich konnotiert, um die Gewalt zu legitimieren . Denn eine friedliche Szene mit Frauen und Kindern im Hintergrund evozierte die soldatisch-männliche Beschützerfunktion . Die Franzosen waren nur als minimierte und überwältigte Feinde zugelassen . Der ‚reinigende‘ Bauern-Soldat dagegen bildete das paradigmatische Gegenteil eines Grenzverletzers . Die Skizze aktualisierte einen längerfristigen Identitätsdiskurs und ein Bildgedächtnis, als sie den nichtlegitimierten Umgang mit Raum und Menschen in rechtmäßiges und ehrenvolles Verhalten verwandelte . Krieg als Reinigung und Produktion zu verstehen, stellte mental maps vom Innen und Außen her und kartierte, wer binnengesellschaftlich und transnational welchen Ort und Anspruch habe .295 Auch in der Erinnerungskonstruktion zu 1870–71 spielte der fleißige Bauern-Soldat eine wichtige Rolle . Der Arzt und Geheime Sanitätsrat Konrad Küster berichtete in seinen Memoiren Ernstes und Heiteres von 1907 ausführlich über den „sehr kurzen Prozeß“, den die Deutschen mit den Abgedr . in Weigel/Lukan/Peyfuss, Jeder Schuss, 121 . Kessel, Gewalt schreiben, 239–244 . In der Wahlpropaganda von 1912 verjagte Michel jüdisch gezeichnete Feinde mit dem Knüppel, Kimmel, Methoden, 69 . 294 295

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

„pisangs“ (paysans = Bauern, MK) gemacht hätten: am Wegrand ihr eigenes Grab schaufeln lassen und erschießen .296 Er evozierte ebenfalls das Bild des produktiven Besatzers . Fleißige deutsche Soldaten, so schrieb er, hätten „in geeigneten Fällen“ zum Pflug gegriffen und stundenlang den Acker gepflügt . Küster monierte, „der“ französische Mann habe „spuckend und mit den Händen in den Hosentaschen als Zuschauer“ danebengestanden:297 Anders: Er habe weder ehrenvoll gekämpft noch gearbeitet . Eine andere Variante im Weltkrieg klammerte Gewalt und die Frage der Rechtmäßigkeit der Besatzung ganz aus und definierte den Ort nicht einmal mehr durch minimierte Feinde .

Abb . 6: Feldbestellung in Feindesland, Kriegspostkarte298

Nur die kokettierende Verbindung der Bildunterschriften, „Wir Barbaren“ links unten und „Feldbestellung im Feindesland“ rechts, verwies auf den Besatzungsraum . Die Zeichnung zeigte den Soldaten-Sämann mit Mütze, Stiefeln und langer Bauernschürze, die er mit der linken Hand raffte, während er mit der rechten Hand Samen ausstreute . Am Feldrand saß ein zweiter deutscher Soldat, der Brot an französische Kinder verteilte . Indem sie sich vertrauensvoll um ihn scharten, untermauerten sie seine Darstellung als Vaterfigur . Die Vatersymbolik wiederum suggerierte einen deutschen Besatzungsstaat, der den Raum schütze . Im Hintergrund war ein Örtchen mit einer unzerstörten Kirche zu sehen, die den Vorwurf, Kathedralen zu zerstören, ad absurdum führte . Auch dieses Bild arbeitete mit kolonialem Denken, visualisiert in Raum und Körpern . Das Land auf den Zeichnungen war zwar strukturiert, aber es zeigte keine französischen Männer als Produzenten . Deren Abwesenheit lud den deutschen Soldaten zusätzlich als väterlichen und produktiven Charakter und damit als vorgeblich natürlichen, legitimen Herrscher auf . Außerdem federte das Bild den alliierten Vorwurf der Vergewaltigung ab, mit dem die Alliierten das deutsche Vorgehen belegten . Es gab tatsächlich relativ unberührte Gegenden im okkupierten Territorium, während der Raum Küster, Ernstes und Heiteres, 91 . Küster, Ernstes und Heiteres, 123 . 298 Abgedr . in Weigel/Lukan/Peyfuss, Jeder Schuss, 128 . Zur Umdeutung des Barbarenvorwurfs u . a . Brocks, Bunte Bilder, 130 f . 296 297

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der Front buchstäblich zerfetzt war . Im imaginaire social des Soldaten als Landmann dagegen verwandelte sich der überwältigte Raum generell in unzerstörtes jungfräuliches Land, sanft geöffnet durch die Hand des Sämannes und auf seinen Samen wartend . Gleichzeitig war der Soldat nicht länger hilflos im Graben festgehalten . Er war kein austauschbares, wartendes Element in einem industrialisierten Stellungskrieg mehr, sondern ging aktiv, mit ausholenden Schritten, einer respektierten Arbeit nach . Und schließlich brachte er nicht länger den Tod, sondern startete mit seinem (männlichen, väterlichen) Samen einen neuen Lebenszyklus – in einem Land, das er durch seine Arbeit erst recht in Besitz nahm .299 Wer nicht verstand, konnte im Simplicissimus nachlesen . Dort erklärte es im Mai 1915 die Französin Madeleine ihrem kleinen deutschen Begleiter Fritz, also eine ‚gute‘ Französin und ein deutscher Junge als nicht bedrohliche männliche Figur: Der Mann, der das Feld pflüge, sei kein „Feind“, sondern ein „Deutscher“,300 also qua Zuschreibung eine produktive und nicht destruktive Ordnungsfigur . Diese Stilisierung der Westfront war weder ein Einzelfall noch ein rein medialer Topos .301 Die Hamburger Hugo Schmidt und Oscar Gossler, zeitweise Kommandanten besetzter Orte an der Westfront, schilderten ausführlich deren friedlichen Alltag und rühmten die deutsche Zivilverwaltung, die die Lage der Zivilisten verbessere . Offen gaben sie den Ausbeutungscharakter ihrer Politik zu: die dortige Landwirtschaft stelle die deutsche Versorgung sicher . Beide genossen ihren Machtzuwachs als Gutsherren und Befehlshaber ihrer Mannschaft .302 Im Hintergrund der Raumdeutung stand, etwas subtiler als der Arbeits- und Leistungsbegriff, der Heimattopos, ausgeweitet auf die frontier der Grabenzone . Auch das Konzept von Heimat hatte bereits im 19 . Jahrhundert Identitätsentwürfe organisiert . Im Kaiserreich diente es dazu, lokale und regionale Verbundenheit mit der neugeschaffenen nationalen Zugehörigkeit zu vermitteln .303 Im Ersten Weltkrieg griffen Zeitgenossen zum Heimatbegriff, um die territorialen Ansprüche Deutschlands zu umreißen und gleichzeitig deutsche Unschuld zu implizieren .304 Der Heimatbegriff lancierte also seinerseits die Opferthese, um das deutsche Vorgehen zu legitimieren, als räumlich gedachte Analogie zum Humortopos . Humor und Heimat kamen daher gerne im Doppelpack, als narrative und räumliche Imagination einer Nation, die sich widerspruchsfrei und ohne demokratische Verfahren einige . Der Champagne-Kamerad bewarb im November 1917 prominent platziert das Heft Wie der brave und tapfere Kanonier Müller seinen Krieg erlebte . Er annoncierte das „fröhliche Büchlein vom Leben bei der Batterie“ zusammen mit einem Heft über die die „Stämme unserer Heimat“, in der Hoffnung, dass die „sonnigen“ Bilder die Leser erfrischen würden .305 Vgl . Kessel, Gewalt schreiben, 241–244, auch für das Vorhergehende . Simplicissimus, Jg . 20, H . 7, 18 .5 .1915, 75 . Kessel, Gewalt schreiben, 241–244 . Brocks, Bunte Welt, 183, bezeichnet die Vorstellung von wogenden Weizenfeldern im Kampfgebiet dagegen als absurd . 301 Vgl . Brandt, Kriegsschauplatz, 40–46 . 302 Molthagen, Ende, 84, 103 . 303 U . a . Confino, Nation . 304 Reimann, Der große Krieg, 118 . Pöppinghege, Im Lager unbesiegt, 109 . Nübel, Durchhalten, u . a . 240 ff . 305 Champagne-Kamerad, Nr . 99, 4 .11 .1917, 8 . 299 300

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

Arbeit und Heimat verwiesen aufeinander, als Deutungsmuster der longue durée, die bis zuletzt mobilisierten . Und doch blieb der anekdotische Blick auf Frankreich ambivalent . Frankreich galt als Erbfeind . Aber die deutsche Hierarchisierung von Kulturen platzierte den westeuropäischen Nachbarn über osteuropäische oder Länder mit nicht-weißer Bevölkerung . Frankreich war ein proximate other, kein absolute other, fast wie das Eigene, aber nicht ganz .306 Daher verrieten Bilder von Landerschließung, die mit der imperialen Struktur des produktiven Selbst vs . nicht-produktiven Anderen das Geschehen an der Westfront erklärten, zweierlei . Einerseits zeigten sie, wie selbstverständlich das deutsche Überlegenheitsgefühl als Legitimationsstruktur war . Andererseits aber vermittelten Visionen vom gezähmten Westen, die den Angriffskrieg in eine produktive Leistung übersetzten, wie notwendig es war, lang vertraute Muster zu aktivieren, um mögliche Kritik abzuwehren . In jedem Fall belegten die trivial-elegischen Bilder eines bewältigten Territoriums, dass das ius terrendi die Oberhand haben solle über das ius scriptum völkerrechtlicher Vereinbarungen .307 Grenzüberschreitung als ‚nicht-deutsch‘: Zerstörter Raum, zerrissener Körper Wie bedeutsam Raumkonstrukte gerade in ihrer Veränderbarkeit waren, zeigte sich auch, als sich ab 1916 die Symbolik von Raum und Körper verschob . Die Bildsprache selbst änderte sich nicht immer, mochte einem medial versierten Publikum also vertraut sein . Nur schrieb sie nun allen, die keine unbedingten Krieger waren, zu, Subjektund Verhaltensgrenzen zu überschreiten und deshalb ihrerseits Räume und Körper zu ‚verletzen‘ . Hier werden die Begriffe Verletzungsmächtigkeit und Verletzungsoffenheit von Heinrich Popitz wichtig . Popitz versteht darunter die konkrete Macht, zu verletzen, oder den Zwang, sich verletzen lassen zu müssen .308 Doch waren die Deutungsmodi zunächst auch als Projektionen zentral, um Akteure zu delegitimieren . Denn um Verhandlungsbereitschaft zu entwerten, rückten Bild- und Textwitze die Zerstörung von Raum und Körpern stärker als zuvor in den Vordergrund: Sie markierten eine murrende und eine diskutierende deutsche Zivilgesellschaft als ‚verletzend‘ . Seit der Kontroverse über die Ausrichtung von Propaganda 1916 brachte der Simplicissimus auch bedrohliche Bilder, um zum Durchhalten anzustacheln . Werbefachleute hatten der Regierung empfohlen, denen, die sich über die Kriegsfolgen beschwerten, deutlich zu machen, was ihnen drohe, wenn die Feinde „ins Land“ kämen . In ihren Worten hieß das, den Unterschied zwischen den „vom Feind besetzt gewesenen Gebieten“, also dem Raum des deutschen Angriffes, und dem bislang unzerstörten deutschen Territorium klarer zu machen .309 Der Simplicissimus kontrastierte im Herbst zunächst düstere, stilisierte Kraterlandschaften, Zeichen des ‚Niemandslandes‘ der Front, mit Visionen unzerstörter altdeutscher Heimat . Dann füllte die Zeitschrift die dunklen 306 307 308 309

Im Kontext von Mimikry und Spott: Bhabha, Location of Culture, 123 . Zum ius terrendi im frühen 20 . Jahrhundert Vismann, Starting from Scratch . Popitz, Phänomene der Macht, 73, passim . Zit . nach Schmidt, Belehrung, 94 .

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Krater mit toten Franzosen .310 Parallel führten Bilderserien eines vorindustriellen, unzerstörten Deutschland vor Augen, was die Deutschen bei einer Niederlage verlieren würden .311 Wie sich die Zivilbevölkerung verhalten sollte, signalisierte ein älterer ‚Bauern-Krieger‘, der auf deutschem Boden seine Sense schärfte .312 Ein Jahr später projizierte die Zeitschrift noch entschiedener die Verwüstungen, die die Kriegsgegner in der „Heimat“ anrichten würden, wenn die Deutschen nicht durchhielten .313 So stigmatisierte sie auch Verhandlungsbereitschaft als zerstörerisch . Wilhelm Schulz untermauerte im April 1917 seine Werbung für die Kriegsanleihe mit Vorher-Nachher-Zeichnungen von idyllischen Dörfchen und Schutthaufen: Nur Ruinen würde es noch geben, wenn die Deutschen die Alliierten ins Land ließen .314 Schulz und Gulbransson führten ihre eigene Kampagne gegen Unzufriedene: 1917 und 1918 spielten sie prominent positioniert den Kontrast zwischen der zerfetzten französischen Erde und einer noch heilen deutschen Heimat durch .315 Im ersten Bild plädierten deutsche Zivilisten für einen Verhandlungsfrieden, weil eine alliierte Besatzung nicht schlimmer werden könne, als es ohnehin schon sei . Die folgende Zeichnung zeigte ein zerstörtes Haus, aus dem die Gegner das Mobiliar abtransportierten .316 Die Zeichner buchstabierten das Opfer-Täter-Konstrukt aus, demzufolge die Deutschen sich als vorgeblich angegriffene Opfer weiter wehren müssten, um nicht durch einen leichtfertig eingegangenen Frieden erneut zum Opfer zu werden . Der veränderten Symbolik vom Raum entsprach die Repräsentation der Körper . In den ersten beiden Kriegsjahren assoziierten visuelle body politics zerfetzte oder explodierende Körper genau wie den verwüsteten Raum vornehmlich mit den Gegnern . Ab 1916 dagegen lasteten sie etwaigen Kritikern auch mit Bildern zerfetzter Körper an, Täter gegen die eigene Nation zu sein . So fragte Karl Arnold im Simplicissimus im Oktober 1917, ob „Herr Fettkloß“, der über das schlechte Essen im Reich meckere, sich vielleicht von den Engländern bei Tisch bedienen lassen wolle – der Schmerbauch suggerierte einen Profiteur . Im nächsten Bild flog die Front in die Luft, ein Mensch war zerfetzt, nur die Gliedmaßen waren noch zu sehen, aber weder Rumpf noch Kopf . Oder, so die

Beispielhaft Simplicissimus, Jg . 21 ., H . 26, 26 .9 .1916, 319 . Ebd ., Jg . 21, H . 43, 21 .1 .1917, 547 . Beispielhaft: Frühling 1916, in: Simplicissimus, Jg . 21, Nr . 19, 30 .5 .1916, 116 . Ebd ., Jg . 20, H . 2, 13 .4 .1915, 24, 28 . Ein älteres bäuerliches Arbeitspaar pflügte jedes Frühjahr durch stimmungsvoll belichtete Felder, Simplicissimus, Jg . 21, H . 52, 27 .3 .1917, 672 . Akteure, die aufgrund von Geschlecht oder Alter keine Soldaten waren, versprachen somit auch mit zyklischen Zeitmustern den Frieden . 312 Kessel, Gewalt schreiben, 239 f . Doch verschwand die Figur auch an der Front nicht, Nübel, Durchhalten, 349 . 313 Bereits Simplicissimus, Jg . 20, H . 2, 13 .4 .1915, 24 . Ebd ., Jg . 21, H . 52, 27 .3 .1917, 672 . Ebd ., Jg . 22, H . 26, 25 .9 .1917, 324 . Ebd ., Jg . 23, H . 19, 6 .8 .1918, 232 . Feldzeitungen operierten eher mit Vergewaltigungsvisionen durch „farbige Horden“, Lipp, Meinungslenkung, 208 . Aufgeben implizierte somit, deutsche Frauen nicht geschützt zu haben, vgl . Eifler, Seifert (Hg .), Soziale Konstruktionen . 314 Simplicissimus, Jg . 22, H . 1, 3 .4 .1917 . 315 Simplicissimus, Jg . 22, H . 1, 3 .4 .1917, 4 . Ebd ., Jg . 23, H . 18, 30 .7 .1918, 211 f . Ebd ., Jg . 23, H . 30, 22 .10 .1918, Titelblatt, 369 . 316 Simplicissimus, Jg . 23, H . 30, 22 .10 .1918, Titelblatt u . 369–370 . 310 311

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

zweite passend bebilderte rhetorische Frage, ob er sich vor Wytschaete sein Essen selbst holen wolle, um im Maschendraht des Niemandslandes zu enden .317 Generell aber konnte es der Simplicissimus seit den Abnutzungsschlachten 1916 nicht mehr vermeiden, deutsche Verwundete oder Amputierte zu zeigen .318 In dem Maße, in dem versehrte Körper in den Blick kamen, pointierten die Zeichner daher zusätzlich, welcher Kunst sie politische Aussagekraft zubilligten . So betonte Gulbransson während der Schlacht von Verdun, dass seine gegenständliche Kunst weiterhin besser als die Avantgarde erfasse, was Menschen im Krieg widerfahre . Im Mai 1916 ließ er einen Soldaten mit verbundenem Arm ein Bild betrachten, auf dem Körperteile durch eine zerrissene Welt flogen . Während Soldaten mit zerfetzten Körpern konfrontiert waren, sagte sein Protagonist: „Den ‚Krieg‘ hoaßt er dös Bildl? Naa, gar aso schlimm is er do net .“319 Der vom Außenministerium so geschätzte Zeichner lehnte die künstlerische Zerstückelung des Subjekts ab, das er als intakt und deutbar darstellen wollte . Sein jovialer Soldat hielt öffentlich fest, dass eine Kunst, die den als deutsch markierten Körper auflöse, nicht die Wahrheit über Krieg und Identität erzähle . Reinheit vs. Schmutz Schließlich prägte die Reinheitsmetaphorik das Bild vom Bauern-Soldaten . Die dichotome Strukturierung der Welt durch das binäre Sinnmuster ‚Reinheit vs . Schmutz‘ lieferte eindrückliche Zeichen für jede Art der Grenzbestimmung . Sie grenzte nicht nur Phänomene voneinander ab, sondern rief zum Handeln auf . Typisch waren Michel-Postkarten mit der Botschaft: „Ich räume auf – mit Russen, Franzosen und sonstigem Ungeziefer“ .320 Die redundante Ungeziefermetaphorik traf also nicht nur Osteuropa, sondern alle Gegner . Der Unterschied lag darin, dass Serben und Russen immer als unrein erschienen . Mit Blick auf Frankreich dagegen tauchten Schmutz- und Säuberungsprojektionen dann auf, wenn die deutsche Seite den westlichen Alliierten eine Grenzverletzung zuschreiben wollte . Reinheit als Differenzkategorie hat temporale und räumliche Bedeutung . Hier sei Mary Douglas zitiert, die Schmutz räumlich als Phänomen ‚am falschen Platz‘ benannt hat .321 Douglas zufolge bedeutet die Charakterisierung von Phänomenen als schmutzig aber nicht, dass eine soziale Ordnung versagt habe; sie signalisiere im Gegenteil, dass ein System, dass mit dieser Kategorisierung arbeite, um seine soziale Ordnung zu legitimieren, perfekt funktioniere, sofern es den Schmutz beherrsche . Entsprechend wichtig aber wird die Demonstration der Herrschaft bzw . der ständig neu initiierte Prozess der ‚Reinigung‘ . Denn weder Reinheit noch Schmutz haben in sich einen symbolischen Simplicissimus, Jg . 22, H . 31, 30 .10 .1917, 399, verband innere und äußere ‚Abweichung‘: Kolonialtruppen würden den begehrten Fettkloß am Spieß braten, wenn er ihnen in die Hände fiele . 318 Schneider, Soldaten, 58 f . 319 Simplicissimus, Jg . 21, H . 7, 16 .5 .1916, 82 . 320 BayHStA Abt . IV, M Kr Bild- und Postkartensammlung, 2748 . S . a . ebd ., 3618 . 321 Douglas, Reinheit und Gefährdung, 208 f . Zu ‚Reinheit‘ als Gewaltstruktur Hoffmann-Curtius, Trophäen, 68 . 317

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Sinn, sondern müssen immer neu beschworen werden, um als Markierung zu fungieren . Löst eine Gesellschaft die von ihr behauptete Spannung, indem sie den Schmutz beseitigt, symbolisiert das neutralisierte Phänomen den Prozess und den ‚Erfolg‘, Ordnung hergestellt zu haben . Anders formuliert: Der ständige Verweis auf ‚Schmutz‘ als ‚Gefahr‘ bleibt wichtig für die Sinnkonstruktion des Eigenen als ‚rein‘ . Denn nur das Beschwören einer Bedrohung, im Sinne eines Flirtens mit der Gefahr, generiert immer neu die Ordnung stiftende Energie .322 Gerade der Topos vom Schmutz verflocht nationale oder binnengesellschaftliche Grenzziehungen mit einem antijüdischen Impuls . Denn wer ‚deutsch‘ und ‚jüdisch‘ als Gegensatz fasste, arbeitete lange vor 1914 mit dieser Kategorie . Im Kaiserreich assoziierten Karikaturen jüdische Einwanderer mit dem öffentlich nicht tolerierbaren Schmutz von Körperausscheidungen .323 Auf diese Weise verwandelten sie die Gegenwart von Nicht-Erwünschten in einen ‚Angriff ‘ auf Subjektgrenzen . Thomas Theodor Heine beispielsweise karikierte 1904 die Verwandlung von „Kleiderhändler Moische Pisch“ aus Tarnopol in den Posener Händler mit Pariser Mode „Moritz Wasserstrahl“ und schließlich in den Berliner Kunsthändler „Maurice Lafontaine“ . Die Namensgebung konnte Spott, aber auch Ekel provozieren . Zudem arbeitete Heine mit räumlichen Kategorien . Ein polnischer Händler für Alltagsbedarf wandele sich schrittweise in einen deutschen Kunsthändler, der jedoch per Definition unter französischem Einfluss stehe und so eine ‚wesenhafte‘ Differenz verrate . Heine suggerierte, dass die wachsende Nähe den gedachten Unterschied nicht tilgen könne; er stellte jüdische Einwanderer als absolute other dar, die nie zu Deutschen würden .324 Um das Geschehen an der Westfront einzuordnen, nutzten die Deutschen das binäre Muster Reinheit vs . Schmutz auf doppelte Weise . Zum einen schrieben sie den Kriegsgegnern auf diese Weise zu, die Grenze des Militärischen zu verletzen . Um eine Figur als ‚Freischärler‘ zu projizieren, war sie ‚schmutzig‘ gezeichnet . Eine Zeichnung verankerte den Gegensatz, indem sie eine entsprechende Figur mit einem deutschen Soldaten kontrastierte und durch jeden Aspekt der Kleidung und der Haltung in einen Gauner verwandelte . Die Skizze, die nur durch die verballhornte Anrede „Monsieur“ auf die Westfront als Kontext verwies, stellte das Halstuch im offenen Hemd gegen den zugeknöpften Kragen; die Schiebermütze gegen die Pickelhaube; den mit geballter Faust über die Schulter geworfenen Rucksack gegen den korrekt getragenen Tornister; die orientalisierende Pluderhose gegen die Uniformhose; das zivile Schuhwerk gegen den festen Stiefel sowie die verdrehte, unsoldatische Körperhaltung gegen den geschlossenen, aufrechten Gang: „Der Kulturträger: So, Herr Mosjöh, nu kannste Kultur machen in Deutschland; wa hamm da noch massenhaft Moorboden!“325 Die Kombination der Körper war zunächst wichtig, um Differenz visuell plausibel erscheinen zu lassen . Im Anschluss ließen sich auch separate Visualisierungen codieren und decodieren . Denn Dazu Sng, Figure3, 66 . Reisenfeld, Collecting, 115 f . Klein, Alltags-Antisemitismus, 159 ff ., zum Thema der Notdurft auf Spottkarten . 324 Vgl . Reisenfeld, Collecting, 115 f . 325 Brie, Pension Debberitz, 21 . S . a . Quenzel, Helden, Bd .2, 72 f . 322 323

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

je geläufiger Körper als Gegenentwürfe erschien, desto selbstverständlicher waren auch allein abgebildete Figuren als Differenzentwurf in sich lesbar . Zum anderen blockte die Reinigungsmetaphorik den alliierten Vergewaltigungstopos ab, also den Vorwurf, dass die Deutschen körperliche und nationale Grenzen verletzten . Dazu verwandelten Zeichnungen die Akte der Überschreitung in alltägliche Sekundärtugenden . Eine Skizze zeigte einen massigen deutschen Soldaten auf Patrouille, dreckig, abgerissen und mit wildem Bart, der mit dem Messer in der Hand auf eine entsetzte französische oder belgische Waschfrau zustürzte . Sie schrie, offenkundig vor Angst, vergewaltigt oder umgebracht zu werden . Doch er schnitt bloß ein Stück ihrer Seife ab und raste zu seinen Kameraden zurück, damit sie sich endlich wieder ordentlich waschen könnten, was sie seit Tagen hätten entbehren müssen .326 Das Bild verwandelte das Wissen über die Besatzungspolitik in die Möglichkeit, sich selbst als rein zu verstehen . Wer kritisiert wurde, unzulässig die Grenzen von Räumen und Körpern zu missachten, sollte sich mit dem Anspruch verteidigen können, nur Reinheitsgebote beachtet zu haben . Im Blick auf die Ostfront tauchte der Topos der Unreinheit dagegen systematisch auf .327 Dies scheint dadurch erklärbar, dass Osteuropa in der deutschen Hierarchisierung der Kulturen tiefer stand als der Westen . Doch dass die Entwertung Osteuropas zu einer Wiederholungsstruktur gerann, rekurrierte vielleicht auch darauf, dass Deutschland eine mit Osteuropa verflochtene Geschichte hatte . Es gab einen ‚deutschen Osten‘ als Raum von Übergängen, verzahnten Kulturen und fließenden Grenzen, so dass Gregor Thum zufolge nicht nur Angst, sondern auch Faszination den Blick prägten .328 Wenn man diese Verflechtungen bedenkt, dann scheint, dass Anekdoten die Differenz bzw . die Sehnsucht nach Grenzziehung umso schärfer betonten, je verzahnter die Geschichte des Eigenen mit der des Anderen war . Angesichts der Vision eines ‚deutschen Ostens‘ fixierten Zeitgenossen eine Fremdheit, die nie belegt werden konnte,329 und untermauerten den korrespondierenden Anspruch auf deutsche ‚Säuberung‘ . Das Oberkommando an der Ostfront verfestigte die auch in Feldpostbriefen sichtbare Wahrnehmung Osteuropas als dreckiger, sumpfig-grundloser, verwanzter Unendlichkeit . Es schrieb eine harte Säuberungshaltung vor, um die militärisch-utopische Vision des ewigen Besitzes zu legitimieren .330 Dass Witzsammlungen ständig die deutsche Überlegenheit inszenierten, konnte aber auch die Angst vor einer Niederlage bannen oder die Sorge bearbeiten, in einem als uferlos und entdifferenziert wahrgenommenen Raum unbemerkt zu sterben .331 Scherze über ‚unfähige Russen‘ versprachen ein baldiges Ende des Zweifrontenkrieges .332 Witze über russische Kriegsgefangene wiederum, die in der Gefangenschaft ‚deutsche Menschlichkeit‘ kennenlernen würden, lenkten 326 327 328 329 330 331 332

sen“ .

Buchner, Kriegshumor, 67 . S . a . Höcker, An der Spitze, 85, 94 . Vgl . Kessel, Laughing about death . Reimann, Der große Krieg, 210 . May, Deutsch sein, 547 ff . Thum, Mythische Landschaften . Zur diskursiven Wiederholungsstruktur Bhabha, Location of Culture, 110 . Liulevicius, War Land, 151–158 . Reimann, Der große Krieg, 210–212, 214–222 . May, Deutsch sein, 549 . U . a . Brie, Pension Debberitz, 58, zur neuen Maßeinheit „Kilorussen (KR) = 1 .000 gefangene Rus-

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

den Blick fort von der seit 1915/16 einsetzenden Spirale der Gewalt gegen Kriegsgefangene, die z . T . direkt hinter der Front arbeiten mussten .333 Vor allem aber blendeten Karikaturen im Kontext des deutsch-russischen Konflikts den Barbarenvorwurf systematisch in Säuberungsprozesse um . Die Zeichnung „Deutsche ‚Greueltaten‘“ zeigte zwei zerlumpte, auf ihre Schippen gestützte Russen, von denen einer klagt: „Soll sich gebaut werden Badeanstalt für Gefangene russisches . Iwan Iwanowitsch, Brüderchen meiniges, frag ich: Wo bleibt Völkerrecht?“334 Die Karikatur „Von der deutschen Barbarei“ zeigte einen russischen Gefangenen, der angstvoll in einer Badewanne hockte und von einem vergnügten Deutschen mit Rote-Kreuz-Zeichen kräftig geschrubbt wurde .335 Eine Bilderserie im Simplicissimus von 1915 zeigte einen russischen Kriegsgefangenen, der gebadet, frisiert, neu eingekleidet und anschließend photographiert wurde . Als das Bild die Angehörigen erreichte, lamentierten diese entsetzt, was der Arme bei den „Wurstmachern“ habe durchmachen müssen .336 Den Umgang mit russischen Kriegsgefangenen als säuberndes Bad darzustellen, übersetzte eine Gewaltpraxis in eine produktive Modernisierungsmaßnahme . Karikaturen verwandelten die behauptete kulturelle Überlegenheit in ‚Rechthaben‘ . Die Kategorie Nicht-Reinheit verband erneut das ‚Feindliche‘ mit dem ‚Jüdischen‘, um Reinigung als Schutz des nationalen Körpers zu präsentieren . Denn die Scherze knüpften an Vorkriegswitze wie den über Veiteles an, der in der Zeitung las, dass man einen Wasserstrahl auf eine aufrührerische Menge gerichtet habe, und entsetzt sagte: „Wie grausam . Hätten sie’s nicht können erst probieren mit’m Schießen?“337 Und sie verankerten im Bild/Gedächtnis, dass gewaltförmiges Handeln ein legitimes ‚Reinigen‘ von Bevölkerung und Raum sei . Im Mai 1933 reproduzierte der Kladderadatsch die Bildserie von 1915 über die „Wurstmacher“ fast identisch, nur dass dann ein „Edelkommunist“ im Konzentrationslager ‚gereinigt‘ wurde .338 Es sei abschließend festgehalten, dass der zeitgenössische offizielle Kriegsdiskurs den Umgang deutscher Soldaten mit ihren Gegnern häufig für zu milde hielt, ohne dies verhindern zu können .339 Mit Spottnamen gaben Soldaten ihren Gegnern mitunter menschliche Züge, zumindest im Verhältnis zum Zweiten Weltkrieg, als ‚die Russen‘ in ‚den Russen‘ verwandelt wurden .340 Es kam zu situativen Nichtangriffspakten, und deutsche und russische Soldaten feierten schon vor der russischen Februarrevolution symbolische Waffenbegräbnisse an der Ostfront .341 Auch offizielle Stimmen spotteten schärfer über ausländische Politiker als über gegnerische Soldaten .342

Vgl . Hinz, Die deutschen ‚Barbaren‘ . Zur Gewalt selbst Jones, Violence . Wutki Kaputki, 7 . 335 Wutki Kaputki, 12 . Ein weiterer wurde widerstrebend hingeführt . 336 Simplicissimus Jg . 20, H . 19, 10 .8 .1915, 227 . Abgedr . in Hinz, Die deutschen ‚Barbaren‘, 358 . 337 Zit . nach Kimmel, Methoden, 59 . Zu ähnlichen Mustern in der französischen Algerienpolitik Ross, Fast cars . 338 Abgedr . in Haarmann (Hg .), „Pleite“, 167 . 339 Lipp, Meinungslenkung, 231 . 340 Latzel, Deutsche Soldaten, 225 . 341 Baumeister, Kriegstheater, 286–288 . 342 May, Deutsch sein, 537–547 . Kestler, Auslandsaufklärung, 128 f . 333 334

4 . Räumlichkeit: Grenz- und Körperverletzung im Scherz

In dieser Spannung fungierte anekdotische Bild-Sprache als Deutungsreservoir, um zu definieren, wessen Grenzüberschreitung ‚rechtmäßig‘ sei . Witze und Anekdoten verwandelten deutsche Gewalt gegen Räume und Körper in produktive und säubernde Praktiken . Praktische Beispiele boten an, wie Kritik an deutschen Völkerrechtsverstößen lächerlich gemacht und das eigene Selbstverständnis als ehrenvoll gesichert werden könne . Im Umkehrschluss hieß das: Wer militärische Gegner, innenpolitische Zweifler/ innen oder jüdische Deutsche als schmutzig, unproduktiv oder ‚Grenzverletzer‘ angriff, sprach ihnen auch ab, ‚im Recht‘ zu sein .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

5. Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘ Es ist schon vielfach angeklungen, rückt nun aber in den Mittelpunkt: Das Ernste und Heitere diente als Bild- und Textregime, um Deutschsein als nichtdemokratisch und nichtjüdisch zu entwerfen und eine dergestalt strukturierte Ordnung als normal erscheinen zu lassen .343 Auch das geschah häufig, indem man nicht über Deutschsein sprach, sondern umgekehrt jüdische Deutsche und Demokratievertreter/innen als ‚Nichtkämpfer‘ und ‚Grenzverletzende‘ attackierte . Die gedachten Gruppen wurden gerade deshalb als solche entworfen und angegriffen, weil sie auf Möglichkeitsräume jenseits binärer Sinnstrukturen verwiesen . Denn wer Alternativen zum Siegfrieden entwarf oder christliche und jüdische kulturelle Traditionen verschmolz, statt sie antithetisch zu setzen, öffnete jeweils ‚dritte Räume‘, die den Modus des Entweder-Oder unterliefen .344 Demgegenüber wurde das binäre Denken mit denselben Differenzmustern abgeschottet, die dazu dienten, den ‚lachenden deutschen Soldaten‘ als ‚rechtmäßig‘ zu platzieren: Reinheit vs . Schmutz, Mut vs . Feigheit, sowie das Konstrukt ‚richtiger vs . falscher Gefühle‘ . Denn um Demokratieforderungen nicht nur abzublocken, sondern als illegitim abzuwerten, inszenierten Ernst und Heiter-Protagonist/innen auch den Konflikt zwischen politischen Systemen als Gefühlsdrama, in dem die Demokratie als gefährlich, weil gefühlskalt erschien . Dieses Dispositiv der Unterscheidung versah Körper und Gefühle auf zweierlei Weise mit Bedeutung .345 Zum einen verschwanden diffamierte Identitäten nicht, analog zum europäischen Kolonialismus, der das nicht-weiße Gesicht auch nicht ausblendete . Sie wurden vielmehr untergeordnet, indem man sie als ekelerregende, ‚falsche‘ Körper oder Gefühle darstellte . Meinungsmacher praktizierten ein koloniales Regime, indem sie diverse Grade der Abweichung vom gedachten Deutschsein beschrieben, um nur die Figur als deutsch zu markieren, die sie allein so anerkennen wollten .346 So lassen sich Feindreihen ausmachen, die gegnerische und jüdische Soldaten qua Körpermarkierung in eine gestufte Hierarchie verwandelten . Zum anderen aber erlaubte das auf diese Weise hergestellte soziale Wissen, Zeichnungen, die nur den jovialen Soldaten abbildeten, als Repräsentation von ‚Deutschsein‘ zu begreifen . Ihr Blickregime ließ dann doch nur noch ein Gesicht zu, das als deutsch gelten sollte, und machte den Prozess der Hierarchisierung unsichtbar . Daher spreche ich nicht von einer politischen und Medienlandschaft, in der auch Antisemitismus vorkam . Vielmehr führte das ständig aktualisierte ‚Denken in Differenz‘ dazu, dass aufrechte Körper in akkurater Kleidung und mit behäbigem Schmunzeln als ‚deutsch‘ im Sinne von ‚nichtjüdisch‘ galten .347 Zeichnungen nur des ‚humoriHall, Spektakel, 115, fasst als Repräsentationsregime die Praktiken, die eine gewünschte Ordnung herstellen sollen . 344 Zu ‚dritten Räumen‘ Bhabha, Location of Culture, 53 ff . Zu „gedachten und gemachten Ordnungen“ Heinsohn, Konservative Parteien, 107 ff . 345 Maasen u . a ., Bild-Diskurs-Analyse, 8, zur Unterscheidung, die der Ausgrenzung vorausgeht . Paul, Das visuelle Zeitalter, 129, 179, zu visueller Kultur als Praxis des Un/Sichtbarmachens . 346 Generell Deleuze, Guattari, Das Jahr Null, 244 . Zum Ersten Weltkrieg u . a . Das (Hg .), Race . 347 Mit Blick auf Kunstgeschichte als Fach Olin, From Bezal’el to Max Liebermann . 343

5 . Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘

gen Soldaten‘ unterfütterten ein Regime von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit, das auch ohne explizite Benennung des angeblich ‚Nichtdeutschen‘ auskam . Das ‚Denken in Differenz‘ wiederum wurde auch dadurch perpetuiert, dass Spott über jüdische Deutsche sagbar, sichtbar und hörbar blieb . Ernst Lissauer, der den vielzitierten Hassgesang gegen England verfasste, beschrieb im Dezember 1914, wie tief ihn der öffentliche Hohn gegen jüdische Deutsche traf . Der Spott nahm somit nach Kriegsbeginn keineswegs ab, sondern negierte offen die hohe Kampfbereitschaft deutscher Juden . Lissauer stellte entsetzt fest, dass Komiker in Kneipen weiterhin johlend bejubelt würden, wenn sie jüdische Soldaten als untauglich oder feige verspotteten .348 Denn Witze waren effektiv, weil sie einer Diskussion auswichen, und wer sich beschwerte, erschien höchstens als humorlos . Demokratisches Verhandeln: ‚Schmutzig‘, ‚gefühllos‘, ‚verletzend‘ Der antidemokratische Impuls verschärfte sich 1917, als Russland aus dem Krieg ausschied und US-Präsident Wilson mit dem Kriegseintritt der USA die Demokratisierung Deutschlands zum Kriegsziel erklärte . In Deutschland nahm die Demokratiediskussion erst ab 1916 wieder Fahrt auf und spitzte sich im Juli 1917 mit dem Sturz Bethmann Hollwegs zu . Hindenburg, der den Kanzlersturz orchestrierte, demonstrierte nachdrücklich die antiparlamentarische und antipluralistische Einstellung der OHL . Er wertete Kompromisse verächtlich ab und heizte gesellschaftliche Spannungen an, indem er Friedensvertreter mit Begriffen wie „Blutegel“ als Profiteure und Ausbeuter der Nation verurteilte .349 Demokraten mussten sich daher besonders patriotisch geben, um ihre Position zu rechtfertigen . Dennoch traf sie der Vorwurf, die Nation im Krieg zu schwächen, vor allem, wenn sie die extremen Machtforderungen der Militärs in Frage stellten .350 Vor allem zwei symbolische Referenzmuster erhielten dabei Konjunktur: Reinheit vs . Schmutz sowie die Inszenierung von Demokratie als Gefühlsdesaster .351 Den Reinheitsdiskurs führte einmal mehr der Simplicissimus . Er visualisierte Demokratien in Europa und den USA als ‚eklig‘, indem er sie mit Fäkalien assoziierte . Diese Referenz zeigte, dass es nicht darum ging, politische Sachverhalte humoristisch aufzubereiten, sondern Gefühle wie Ekel zu provozieren, um die eigenen Positionen durchzusetzen .352 Im September 1918 spritzte ein dicker Wasserstrahl englische Parlamentarier nach allen Seiten weg353 – ‚schmutzige Ereignisse‘, so die Botschaft, müssten ‚bereinigt‘ werden . Im Umkehrschluss erschien die deutsche Gesellschaft solange als ‚rein‘, wie sie nicht auf Parlamentarisierung setze, sondern auf Vertrauen zu einer paternalistischen Führung . Vgl . Albanis, German-Jewish Cultural Identity, 230 . Pyta, Hindenburg, 257 ff ., Zitat 261 . 350 Llanque, Demokratisches Denken, 28, 157 f ., 192 ff . 351 Karikaturen, die die Alliierten als militärische Gegner aufs Korn nahmen, blieben bei traditionellen Stereotypen wie ‚saufende Russen‘ oder ‚zahnlose Engländer‘, vgl . Heihoff, Karikaturen . 352 So Schäfer, Vermessen, 68, zu antisemitischen Karikaturen in der Weimarer Republik . 353 Simplicissimus, Jg . 23, H . 25, 17 .9 .1918, 307 . 348 349

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Da das Symbolsystem Schmutz Juden, osteuropäische Gegner und Freischärler gleichermaßen abwertete,354 assoziierte es auch demokratische Vorstellungen mit diesen ‚Negatividentitäten‘ . Zudem verwies Reinheit in temporaler Hinsicht auf ‚Ursprung‘ . Das Verschmutzungsszenario verweigerte Demokraten daher nicht nur das Recht, gegenwärtige Politik zu machen; es sprach ihnen auch ab, eine legitime historische Tradition zu verkörpern .355 Wer einen Verhandlungsfrieden abwehren wollte, inszenierte darüber hinaus den Kampf gegen die westlichen Demokratien theatralisch als Gefühlsdrama . Dem autoritären deutschen System innige Gefühle zu attestieren, gab ihm dieselbe Aura des Rechtmäßigen, die der ‚lächelnde deutsche Soldat‘ erhielt, wenn man ihm Liebe zu Kunst, Kindern und Tieren einschrieb . Wer die Liebe der Deutschen zu ihrer Führung lobte, meinte daher nichtdemokratische Politik, ohne es sagen zu müssen, während Demokraten gefühlskalt wirkten . Thomas Theodor Heine ließ Michel während der Juli-Krise 1917 aus einem Haus schießen, das von wilden Bestien umzingelt war, während Uncle Sam ihm gleich von zwei Seiten riet, jetzt seine Behausung umzubauen, weil der Termin günstig sei .356 Das Bild der belagerten Burg war im Luther-Deutschland auch ohne Worte verstehbar, um Friedensangebote als doppelzüngig anzugreifen . Im Septemberheft des Simplicissimus forderte Wilson den deutschen Adler auf, mit dem „ekelhaften Fliegen“ aufzuhören und sich auf der demokratischen Seite niederzulassen: einer mit Leim beschmierten Stange .357 Im Oktober 1917 führte der US-Präsident Michel mit verbundenen Augen und Blindenstock auf den Abgrund zu und versicherte ihm, er bräuchte nichts zu sehen, weil er geführt werde .358 Während Papiergeld und Briefmarken den Slogan „Gott strafe England (und Amerika“) im Land verbreiteten,359 stand das „demokratische England“ im Simplicissimus für verhungerte Menschen, schlecht versorgtes Vieh und fehlende soziale Sicherheit,360 das „demokratische Amerika“ für Lynchjustiz, zerrüttete Familien und unechte Gefühle .361 Auch die Rede vom Hass stellte immer wieder eine binäre, wesenhaft gedachte Differenz her: Deutscher Zorn galt als gerecht und produktiv,362 englische Wut dagegen als Zeichen von ‚im Unrecht sein‘ .363 Diese Gefühlspolitik verknüpfte die Symbolmuster Geschlecht und Gelächter . Franklin und Eleanor Roosevelt sollte es später im SS-Journal Das Schwarze Korps regelmäßig treffen, erleichtert durch die tatsächlich prominente Rolle, die die Ehefrau des Präsidenten in der Öffentlichkeit spielte . Im Ersten Weltkrieg diente das Ehepaar Wilson als Zeichen, um die USA als profitorientiert und gefühlskalt zu denunzieren . Kimmel, Methoden, 193 . Holzer, Lächeln der Henker, 51 . Karikaturen von Kolonialsoldaten bei Brie, Pension Debberitz . 355 Von Braun, Reinheit, 5 . Zum Vergangenheitsdiskurs generell Reimann, Der große Krieg, u . a . 243 ff . 356 Simplicissimus, Jg . 22, H . 18, 31 .7 .1917, 222 . 357 Simplicissimus, Jg . 22, H . 26, 25 .9 .1917, 323 . 358 Simplicissimus, Jg . 22, H . 28, 9 .10 .1917, 352 . 359 Welch, Germany, 59 . 360 Simplicissimus, Jg . 22, H . 26, 25 .9 .1917, 335 . Ebd ., Jg . 22, H . 28, 9 .10 .1917, 361 . Ebd ., Jg . 22, H . 29, 16 .10 .1917, 375 . 361 Simplicissimus, Jg . 23, H . 22, 27 .8 .1918, Titelblatt, 264, 269–270 . S . a . Lipp, Meinungslenkung, 210 . 362 Schuster, Humor im Weltkrieg, mit dem Untertitel: Kriegs-Zornbilder . 363 Floerke, England der Feind, als erster Band der Serie Dokumente des Hasses . 354

5 . Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘

Der Brummer brachte auf einem Titelblatt von 1916 einen hämisch grinsenden Wilson mit Friedenstaube, der Kriegsmaterial an die Entente lieferte, während seine Frau im Hintergrund warnte: „Männe, halt die Taube fest, erst müssen wir noch ein Geschäft machen .“364 Die smarte Geschäftsfrau, die den Krieg aus Kalkül verlängere, bildete das Gegenmodell zur ‚deutschen‘ Frau, die zu blanker Kalkulation nicht in der Lage sei(n dürfe) . Auch das ‚falsche Lachen‘ des Präsidenten war leicht zu decodieren: Wer sich darauf einlasse, so der Tenor, werde unweigerlich beschämt . Und sei, so ergänzte die Liller Kriegszeitung, selbst eine schambesetzte Figur: Die Zeitung identifizierte Demokratie mit Männlichkeitsverlust, indem sie Reichstagsabgeordnete als verweichlichte, verweiblichte Männer attackierte, die lieber zu Hause blieben statt als echte Männer an die Front zu gehen .365 Nach der Entlassung Bethmann Hollwegs 1917 rückten die Demokraten statt einer überragenden Führerpersönlichkeit das Parlament und die Parteien als Demokratieträger in den Mittelpunkt .366 Doch traten sie gegen ein antidemokratisches Verständnis von Politik und Deutschsein an, das neben Kontinuität und Kampfbereitschaft auch die Kategorien Reinheit und wahre Begeisterung für sich beanspruchte . Optionen jenseits des Siegfriedens galten als entehrend . Wer für Frieden oder Verständigung plädierte, traf nicht nur auf politischen Gegenwind, sondern auf die Abwertung der eigenen Persönlichkeit . Die Niederlage beendete diesen Prozess nicht, sondern verschärfte ihn noch . Denn die Kapitulation galt gerade wegen der identitätspolitischen Aufladung des Krieges nicht nur als militärisch-politisches Problem, sondern als Verletzung von Identitätsvorstellungen . Wer die Demokratie ablehnte, griff nicht nur das politische System, sondern Demokraten persönlich an . Jüdischdeutsch als ‚Grenzverletzung‘ Es wird kontrovers diskutiert, wie präsent antisemitisches Verhalten während des Ersten Weltkrieges war und wie es erfahren wurde . Tim Grady weist zu Recht darauf hin, dass jüdische und nichtjüdische Soldaten den Krieg ähnlich erlebten und nicht alle Juden Antisemitismus wahrnahmen367 – ein wichtiger Punkt, um zu verstehen, warum zahlreiche Männer mit jüdischem Hintergrund nach 1933 darauf vertrauten, als ehemalige Frontsoldaten respektiert zu werden . Doch verschärfte die Mehrheitsgesellschaft nach 1914 ihre Ressentiments . Vorurteile, die zuvor „Ostjuden“ galten, trafen nun auch deutsche Juden .368 Zudem blieb es selbstverständlich, sie öffentlich beschämen zu dürfen: Jüdische Deutsche zu verunglimpfen, war trotz der Burgfriedensrhetorik üblich Der Brummer . Lustige Kriegs-Blätter, Nr . 70, 1916, Titelblatt . Nelson, Deutsche Kameraden, 95 . 366 Llanque, Demokratisches Denken, 193, wobei manche auf den Frieden hofften, um ihre Ziele durchzusetzen . 367 Grady, German-Jewish Soldiers . S . aber Panter, Jüdische Erfahrungen, 179 ff . 368 Mosse (Hg .), Deutsches Judentum . Bergmann/Wetzel, Antisemitismus, bes . 439–448 . Ich zitiere diese schon etwas älteren Arbeiten, weil sie vermitteln, wie vielfältig und indirekt Antisemitismus geäußert wurde . 364 365

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und nahm ab 1916 noch zu .369 Frontkämpfer zu sein schützte deutschjüdische Soldaten gerade nicht davor, als illoyale ‚Grenzüberschreiter‘ verdächtigt zu werden .370 Während der berühmte Philosoph Hermann Cohen jüdische Deutsche 1916 dazu aufrief, die Überlegenheit der deutschen Kultur im Ausland zu verbreiten,371 grenzten Karikaturen und Witze deutsche Juden aus zwei zentralen Imaginationen der Kriegszeit aus: der ‚Frontgemeinschaft der Kämpfenden‘ und der ‚Opfergemeinschaft der Leidenden‘ .372 Dabei changierte die Form des Othering mit Blick auf jüdische Deutsche . Von den Kriegsgegnern setzten die Deutschen sich auf binäre Weise ab, weil das gleichsam reichte: Ein Franzose war kein Deutscher . Jüdische Deutsche aber waren deutsch, und jüdische Soldaten agierten als ‚ideale‘ Deutsche . Deshalb diffamierten ihre Gegner/ innen sie nun als ‚gefährliche Dritte‘, die nirgendwo und sicher nicht in Deutschland dazugehören würden . Darüber hinaus markierten Karikaturen seit Kriegsbeginn die Kriegsgegner als ‚jüdisch‘ . Anders formuliert, sie identifizierten die ‚Zweiten‘ mit dem ‚Dritten‘, ungeachtet der politischen Unterschiede zwischen Kapitalismus und Zarenreich oder Kommunismus . Denn es ging erneut nicht um inhaltliche Kohärenz, sondern darum, sowohl die ‚Zweiten‘ als auch den ‚Dritten‘ durch die Verschmelzung als noch gefährlicher erscheinen zu lassen:373 Wer auch immer als ‚jüdisch‘ dargestellt war, würde dieser Logik zufolge nicht nur Deutschland, sondern deutsche Identität angreifen . Die Gegner als ‚jüdisch‘ Seit Kriegsausbruch identifizierten Zeichnungen die jüdische mit der gegnerischen Geschichte und machten deutsche Juden so zum Fremdkörper in der deutschen Geschichte .374 Das sog . „Verbrecheralbum“ im Simplicissimus verlieh ausländischen Politikern aus Ost und West 1914 ‚jüdische Nasen‘ .375 Die Spalte verschwand zwar bald . Doch blieb das Muster bestehen, die Gegner als jüdisch zu semantisieren, die man angreifen oder als lügnerisch markieren wollte . So tauchten englische Kriegsgefangene als das „auserwählte Volk“ auf, das von „barbarischen Deutschen“ in die Gesellschaft johlender und saufender Russen gezwungen würde .376 Zudem war das ‚Denken in Feinden‘ in einer Sprache des Verrats formuliert: Italiener erschienen dann als jüdisch, als sie auf Seiten der Kriegsgegner kämpften .377 Russische Politiker wiederum traf es regelmäßig,378 um ein Kulturgefälle zu behaupten .

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Kimmel, Methoden, 87 ff . Panter, Jüdische Erfahrungen, u . a . 43 ff ., 357 f . In seinem berühmten Aufsatz Deutschtum und Judentum, Brenner, Jüdische Kultur, 42 . Vgl . Kessel, Talking War, auch für das Folgende . Breger/Döring, Figuren des/der Dritten, 9 . Dies im Gegensatz zu Altenhöner, Kommunikation, 282 . Simplicissimus, Jg . 19, H . 26, 29 . Sept . 1914, 374 . Brie, Pension Debberitz, 36 . Simplicissimus, Jg . 20, H . 12, 22 . Juni 1915,143 . Simplicissimus, Jg . 21, H . 9, 5 . Mai 1916, 107 .

5 . Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘

Humoristen aktualisierten alle geläufigen Stereotype, ob Profitgier, Aggressivität oder Schmutz .379 Normativ formulierte „Kriegsbriefe“ aus dem besetzten Osteuropa beschrieben Russen als Verbrecher, Deutsche als Ordnungsstifter und Juden als Anwohner ohne Heimatgefühl: Die Russen legten Feuer, die Deutschen löschten es und die Juden sahen gleichgültig zu .380 Karl Arnold zeichnete eine „Liller gemischte Gesellschaft“ als jüdisch .381 Höckers Ausfall 1914 gegen die „schmutzigen“ und „feigen“ Franzosen war kein Einzelfall, er stand nur zusätzlich in einem Bestseller .382 Die politischen Verschiebungen nach 1917 beflügelten das Motiv, dass „amerikanisch-jüdische Geldgeber“ „bolschewistische Ideen“ nach Deutschland importieren halfen .383 Alle anderen politischen Systeme als jüdisch zu markieren, hieß, sie als Angriff auf Identität zu lesen, erst recht, wenn sie in der eigenen Gesellschaft formuliert wurden . ‚Der Jude‘ als ‚Gegner‘ Witze über deutschjüdische Soldaten waren auf der Bühne ebenso gängig wie in Printmedien . In wichtigen Räumen der Vergesellschaftung grenzten Akteure sich auf diese Weise ab, im Offizierskorps gehörten sie zum „guten Ton“ .384 Der einflussreiche Sportfunktionär Carl Diem, der 1936 die Olympischen Spiele organisierte, verspottete typischerweise genau das Verhalten bei jüdischen Deutschen, das er bei anderen als versierten Umgang mit Gefahr respektierte, nämlich sich bei Beschuss flach auf den Boden zu werfen .385 Repräsentativ war der Umgang mit Ernst Lissauer, der den Spott so bitter reflektierte . Das Theaterpublikum applaudierte frenetisch, wenn sein Haßgesang gegen England auf der Bühne deklamiert wurde .386 Ihm aber sprachen viele ab, deutsch zu sein . Julius Goldstein notierte entsetzt, wie ein Tischgespräch mit 17 evangelischen Geistlichen im Februar 1916 in Vouziers verlief . Fast alle seien sich einig gewesen, dass Lissauer England nach dem Krieg Abbitte leisten werde, da nationale Gefühle bei ihm nur anempfunden sein könnten . Goldstein zufolge protestierte nur ein einziger Gesprächsteilnehmer, dass man den Juden Unrecht tue, da sie bluten würden wie alle . In das betretene Schweigen hinein habe ein anderer schnoddrig kommentiert, dass man sie dafür auch zu Leutnants mache und ihnen Eiserne Kreuze gebe . „Man antisemitelte“, schrieb Goldstein bitter .387 Deutschjüdische Publizisten verglichen den „Lügenfeldzug“ der Alliierten mit dem Hass gegen die Juden in Deutschland . Dass sie ihre Expertise im Der ehemalige russische Kriegsminister Suchomlinow, 1915 abgesetzt und später zum Tode verurteilt, habe das Urteil nur mit der Bitte kommentiert, die Galgenlieferung übernehmen zu dürfen, so der Simplicissimus, Jg . 21, H . 9, 30 .5 .1916, 107 . 380 Kimmel, Methoden, 195 f . 381 Peters (Hg .), Spott und Hetze, 745, 784 . 382 Höcker, An der Spitze, 79, 82, 85, 94, 113, 166 . 383 Zit . nach Schmidt, Belehrung, 135 . S . a . Kimmel, Methoden, 145–147 . 384 Angress, Militär, 79 . Im BdL nahmen sie nach 1916 nur deshalb ab, weil man Juden wieder öffentlich angreifen konnte, Kimmel, Methoden, 217 . 385 Schäfer, Militarismus, 356 f . 386 Jelavich, German Culture, 32 . Zur Debatte Albanis, German-Jewish Cultural Identity, 232–256 . 387 Goldstein, Der jüdische Philosoph, 114 f . 379

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

Umgang mit Ausgrenzung anboten, war eine geschickte Geste, um die Diffamierung zugleich anzusprechen und zu überwinden .388 Doch konnten sie sich gegen die Anhänger/innen eines wesenhaften Deutschseins nicht durchsetzen . Körperdarstellungen fungierten gerade in diesem Kontext als Zeichen, um Nichtbelegbares plausibel zu machen . Dass Karikaturen primär auf jüdischen Männern fokussierten, lag auch daran, dass in der Moderne Männlichkeit als Maßstab für Subjektivität und Voraussetzung für politisches Handeln galt . Entsprechend sollte Identität per se entwertet werden, wenn man Männer auf ihre Körper reduzierte . Für Weiblichkeit dagegen galt der Körper immer schon als der angemessene Ort .389 Darüber hinaus repräsentierten Körper nicht nur Identitäts- und Ordnungsmodelle, sondern waren der Ort der ultimativen Erfahrung symbolischer Strukturen . Bereits die Darstellung oder Imagination von Körpern, so Eric Santner, verlieh einer gewünschten Ordnung Gewissheit und Wirklichkeit .390 In diesem Sinne platzierten Postkarten und Unterhaltungsmedien Juden als Nicht-Kämpfer und Nicht-Kämpfer als ‚jüdisch‘ . Karikaturen behaupteten, dass Juden nicht unter dem Krieg leiden würden bzw . per se nichtsoldatisch seien .391 Die jüdische Turnbewegung hatte schon vor dem Krieg demonstriert, dass Körper nicht essentialisierbar seien .392 Demgegenüber suggerierten Karikaturen ein ums andere Mal, dass ein deutschjüdischer Soldat ein Widerspruch in sich sei . Eine Kriegspostkarte von 1914 zeichnete einem Mann in Uniform eine ‚jüdische Nase‘ ein und ließ seinen Körper wie ein Fragezeichen erscheinen . Nur die Arme und Hände waren senkrecht an den Körper gepresst . Der Text markierte den Körper noch zusätzlich als inhärent undiszipliniert, da die Figur sich beschwerte: „Wie soll ich was melden, wenn ich nix reden kann mit die Händ!“393 Ein weiterer Zweizeiler ergänzte: „Na, Herr Isaakstein, kann sich Ihr Sohn, der Soldat, denn in Frankreich auch mit der Bevölkerung verständigen? – Ä Frag’, wo mei’ Moritz so schön reden kann mit de Händ’!“394 Gerade die sorgfältig zensierten Feldzeitungen zogen mit . Das Zeebrügger Tageblatt. Jahreszeitung für Humorersatz brachte an Silvester 1916 die Anzeige: Anmutslehre-Körperkultur Rythmische [sic] Bewegungen . Meine vornehmen Herren-Sonder-Zirkel (Einzel- und Gruppenausbildung) bringe ich einem p . p . Publikum in empfehlende Erinnerung . Individuelle Behandlung . Unterrichtstunde: 1–2 Uhr mittags . Blankenberg, großer Markt, Isidor Duhnkahn-Kuhbein . Korporal .395

Die Armee-Zeitung aus St . Quentin zirkulierte im August 1917 den Topos vom jüdischen Drückeberger: „Vorstellung auf der Eisenbahn: von Bredow, Leutnant der Reserve . – Lilienfeld, dauernd untauglich .“396 388 389 390 391 392 393 394 395 396

Hecht, Deutsche Juden, 69 . Garb, Modernity, 26 . Santner, Mein ganz privates Deutschland, 188 . Kimmel, Methoden, u . a . 213 ff . Baumeister, Kriegstheater, 92–105, v . a . 95–97 . Kessel, Talking War . Wildmann, Der veränderbare Körper . Abgedr . in Peters (Hg .), Spott und Hetze, 724 . Der gemütliche Sachse, Jg . 20, H . 1, Neujahrsnummer 1915, Kriegsnummer, o . S . (8) . BArch MA, MSG 2/5346, Zeebrügger Tageblatt, 4 . Armee-Zeitung, Nr . 391, 11 .8 .1917, 8 .

5 . Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘

Die öffentliche Beschämung signalisierte eine innere soziale Schließung, quer zu sozialer Schichtung und entlang der imaginären Grenze deutsch/jüdisch: Es durfte nicht selbstverständlich sein, dass jüdische Deutsche kämpften .397 In diesem Sinne waren Körper Projektionsfläche und Politikfeld . Verzerrte, verbogene Körpergrenzen suggerierten, dass die deutsche Nation gefährdet sei, wenn man Juden als deutsche Soldaten akzeptiere .398 Nichtaufrechte, schräge oder verkrümmte Körper markierten diese als ‚nichtdeutsch‘ und ‚grenzüberschreitend‘ . Der angebliche Scherz fixierte Juden als unmilitärisch-unmännlich und ließ Protest als Mangel an Humor erscheinen . Entsprechend signalisierten die Zeichnungen nichtjüdischen Soldaten: Galt nichtkämpfen als jüdisch, musste jeder, der aufgeben wollte, damit rechnen, als jüdisch stigmatisiert zu werden . Aus der ebenfalls beschworenen Leidensgemeinschaft klammerten Zeitgenossen jüdische Deutsche aus, indem sie sie als Profiteure oder Kriegsgewinnler zeichneten . Eine Kriegspostkarte von 1918 nannte einen scheinbaren Möbeltransportwagen „Malz, Schieber und Co .“ . Der Zivilist, der ganz links als Chef auftauchte, war nicht nur durch eine entsprechende ‚Nase‘, den fetten Bauch und gebogenen Körper als jüdisch markiert, sondern durch ein Lächeln, das seine Freude über den ‚Erfolg‘ implizierte .

Abb . 7: Kriegspostkarte 1918399

Flugblätter von 1918, die Juden als feige markierten, nutzten ebenfalls das Zeichen des ‚falschen Gelächters‘: „Überall grinst ihr Gesicht, nur im Schützengraben nicht“ .400 Ihre Gegenwartsbeschreibung übersetzte sich in die Konstruktion von Kriegserinnerung . Leutnant Helmut Dräger, der den Krieg unverwundet überstand, verfasste danach ein langes Gedicht, in dem er das schreckliche Sterben mit stinkenden, verwesenden Körpern beschrieb . Aus diesem Leid klammerte er „Jud’ und Reklamierte“ aus, denen er auch ‚Rechtmäßigkeit‘ absprach: Sie hätten „zu Hause“ gut gelebt, mit „Bosheit gegen

Neckel, Status und Scham, 212 ff ., zu sozialen Schließungen durch Beschämung . Zu „unkomischen Witzen“, die mit Körpergrenzen arbeiten, um Gefährdung zu evozieren, Douglas, Reinheit, 162 . 399 BayHStA Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung, 3700 . Vgl . Kessel, Talking war, 94 f . 400 Zit . nach Angress, Das deutsche Militär, 77 . 397 398

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

alles Klare“ gehetzt und erfolgreich das „Rechtsempfinden beim gemeinen Mann“ „verwirrt“ .401 Feind-Hierarchien Eine Differenz zwischen jüdischen und nichtjüdischen Soldaten zu behaupten, ähnelte auf den ersten Blick dem Spott über die Kriegsgegner . Letztere erhielten ebenfalls lächerliche Körper, unangemessene Kleidung und unmilitärische Bewegungen, als Gegensatz zu ‚aufrechten Deutschen‘ . So signalisierten beispielsweise die militärischen Riesenschritte von Schipper Hans und Schipper Franz raumgreifende, ‚deutsche‘ Kraft . Das Cover ließ die beiden auf die Betrachter zu und über den Bildrand hinausmarschieren, um das Jetzt zu erobern, aufrecht, den Spaten wie ein Bajonett in der Hand, um als Schipper Gräben oder Befestigungen zu sichern .402 Die Gegner dagegen waren zu fett, zu dürr und zu krumm . Ihr unproportioniertes körperliches Verhältnis zueinander machte auch die Vorstellung lächerlich, dass sie militärisch überzeugend kooperieren könnten .403 Doch obwohl Körper und Kleidung jüdische Soldaten und Kriegsgegner auf ähnliche Weise als Andere abbildeten, platzierten Karikaturisten jüdische Soldaten im Vergleich in der Hierarchie ganz unten . Das zeigte sich etwa, wenn es um Feigheit ging, als ultimative Gegenprojektion zum Deutschsein . Anekdotisch ergaben sich nicht nur russische, sondern auch französische Soldaten ständig .404 „Auch ein Standpunkt“ unterstellte 1915 zwei übergelaufenen Franzosen, dass sie aus Feigheit sogar ihre nationale Zugehörigkeit wechseln würden: „Pardon, monsieur, nous avons gedacht, lieber gefangener Allemand als totter Français!“405 Eine Postkarte von 1915 erzählte eine augenscheinlich ähnliche Geschichte über einen russischen oder polnischen Juden, der sich begeistert ergab: „Nix schießen! Mei’ Krieg is zu End!“406 Auch wenn die Textbotschaft ähnlich wirkte: Die Körperdarstellung unterschied zwischen einem immer noch Ähnlichen und einem ganz Anderen, der deshalb gefährlicher als andere sei, weil er auch im Eigenen lebe . Die erste Karte zeigte einen straff aufgerichteten deutschen Soldaten, in properer Uniform und gestützt auf ein Gewehr, dessen Positionierung die aufrechte Haltung spiegelte . Ihm standen zwei hohläugige Franzosen in schlotternden Kleidern gegenüber, die aber noch als Soldatenmäntel erBArch MA, MSG 2/5091, „Das Frontschwein, wie es kämpfte, liebte und starb“, Helmut Dräger, Leutnant im Infanterie-Rgt . 75 (aus dem Nachlaß von Julius Degener), o . D ., 67 . 402 Mühlen-Schulte, Schipper Hans, Cover . 403 Lumpaci Vagabundus . Der Titel erinnerte an Johann Nestroys Posse von 1833, die bis ins 20 . Jahrhundert in Volkstheatern gespielt wurde, und schloss so an einen Wissensbestand an . Ich danke Levke Harders für den Hinweis . 404 Ein französischer Infanterist etwa antwortete 1915 auf die Frage, warum er sich gegen seine Gefangennahme nicht einmal gewehrt habe: „Lieber fünf Minuten feige als das ganze Leben tot!“ Brie, Aus unserer Gulaschkanone, 44 . Das bedeutete auch, dass ein deutscher Soldat nie so denken und handeln dürfe . 405 Brie, Pension Debberitz, 39 . 406 Abgedr . in Peters (Hg .), Spott und Hetze, 734 . 401

5 . Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘

kennbar waren . Die Gestik des einen kennzeichnete ihn als Franzosen, die Körperhaltung aber wirkte durch die am Körper gehaltenen Oberarme immer noch symmetrisch, zumal beide Männer aufrecht standen . Dem als jüdisch Gezeichneten dagegen sprach der Zeichner den soldatischen Charakter ab durch die asymmetrische Körperhaltung, das weggeworfene Gewehr, die fliegende Umhängetasche, die hochgerissenen Arme und flüchtenden Beine . Sie waren abgesetzt von den durchgedrückten Beinen und der ordentlich gegürteten Jacke des aufgerichtet stehenden, deutsch gezeichneten Soldaten, aber auch der Franzosen . Auch das Grinsen stach vom aufeinander bezogenen jovialen Schmunzeln des deutschen Soldaten und dem halb traurigen Blick der Franzosen ab . Denn dieser Aufgebende freute sich offenkundig, ohne einen Ehrverlust zu empfinden, dass „sein Krieg“ zu Ende sei, ein devianter Dritter, der echten Soldatenmut verhöhne . Die zahllosen Ungezieferwitze wiederum, die die reale Läuseplage thematisierten, erhielten dadurch einen doppelten Boden, dass manche Postkarten Juden mit Ungeziefer assoziierten, um die Bedrohung des nichtjüdischen Körpers zu suggerieren .407 Eine im März 1916 verschickte Postkarte, „Gruss aus russisch Polen“, bildete links einen bärtigen Kopf mit der Bezeichnung „Russisch poln Jude“ ab . Rechts öffnete eine riesige, gepanzert und bedrohlich gezeichnete „Russisch-polnische Laus (bestia pisacca)“ gierig das Maul . Beide schauten nach innen, so dass sie den handschriftlichen Text in der Mitte von beiden Seiten umzingelten, als Symbol für gefährliche Materie, die den individuellen oder nationalen deutschen Körper angreife .408 „Seiflik Klappidudek“ wiederum schrieb seiner Verlobten, wie sich eine Ratte in seinem Hosenbein verfangen und die anderen ihn verprügelt hätten im Versuch, die Ratte zu treffen . Daraufhin sei die Hose geplatzt und die Ratte entschwunden, nur um einen Franzosen auf Patrouille in die Hände der Deutschen zu treiben .409 Oberflächlich eine Klamotte aus dem Schützengraben, verband die Anekdote das Ungeziefer zuerst mit einem polnisch Markierten, der geschlagen wurde, und dann mit dem Franzosen, der prompt in deutsche Hände fiel . Sie gemahnte an ein berühmtes Gedicht des englischen Künstler-Soldaten Isaac Rosenberg, „Break of Day in the Trenches“, über die Ratte, die zwischen den Engländern und Deutschen hin- und herhusche und die Hände aller Toten berühre . Santanu Das zufolge verschob Rosenberg den antijüdischen Topos der Ratte ironisch, indem er das Tier als einzige Kosmopolitin feierte .410 Die deutsche Anekdote aber verschmolz das Zerrbild des ‚wandernden Juden‘ mit Nichtdeutschen, so dass, wer auf die Ratte einschlage, auch den Feind besiege . Die Denkstruktur, dass Soldaten Opfer von ‚Ungeziefer‘ seien, das sie vernichten dürften, blieb scheinbar im Scherz verhaftet und machte sich so unangreifbar .

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Zur NS-Zeit Musolff, Metaphor, 45 f . Abgedr . in Peters (Hg .), Spott und Hetze, 740 . Seiflik Klappidudeks Feldpostbriefe, 12–16 . Das, Crossing over No-Man’s Land, 121 .

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II. Das Ernste und Heitere im Ersten Weltkrieg: Dabeisein und Rechthaben

Identitätspolitik im Bild Körperbilder konnten somit entweder verschwinden lassen, dass sie Deutschsein über Ausgrenzung produzierten, oder vorführen, wie sie das Selbstverständnis durch Gegenbilder erzeugten . Für ersteres standen einige Titelblätter des Tornister-Humors . Sie verbargen das Blickregime und die Unterscheidungsprozesse, welche die sichtbaren Körper als Künstler-Soldaten oder teilhabende Figuren auswiesen . Legt man diese Bilder aber neben antisemitische Karikaturen, dann wird deutlich, wie sie Deutschsein körperlich einschrieben, indem sie Andere nicht zeigten . Der sprichwörtliche Landser mit einer ‚passenden‘ Frau auf dem Cover des Heftes Küchendragoner411 und die Fliegeroffiziere auf dem Heft Flieger und Sieger412 waren durch die Signatur der kontrollierten Gestik, der akkuraten Kleidung, der aufrechten Haltung und des jovialen Lächelns immer schon als deutsch gekennzeichnet . Der nichtdeutsch gedachte Körper kam hier erst gar nicht in den Blick . Wohl untermauerten die Bilder auch die soziale Schichtung in Heer und Gesellschaft: Die Unterschichten trugen ein gemütlich-breites Lächeln, die Offiziere einen überlegenen Ausdruck zur Schau . Doch indem alle den jovialen deutschen Kampfhumor repräsentierten, boten sie auch Unterbürgerlichen an, Künstler-Soldaten zu sein oder, im Fall der Frau, durch ihren männlichen Begleiter am Prestige zu partizipieren . Die Gemeinsamkeit unterschied sie von denen, die, bildlich ausgeblendet, weder am individuellen Status noch am nationalen Zusammengehörigkeitsgefühl teilhaben sollten . Körperbilder fungierten als unsichtbarer Vergleich, indem sie die Hierarchisierung und das Unsichtbarmachen aus dem Blick rückten . Raum- und Körperzeichnungen dagegen, die gedachte Identitäten zusammenführten, attackierten Juden nicht nur als nicht zugehörig, sondern als ‚verletzend‘ . Zwei Zeichnungen sollen abschließend verdeutlichen, wie sie das Drohpotential der Figur des Dritten radikalisierten, wenn sie diese nicht nur mit dem Zweiten verbanden, sondern im Eigenen verorteten . Die erste Karte, eine „Kriegs-Gedenk-Postkarte 1914“, zeigte jüdische Kriegsgefangene aus Paris, London und Warschau mit einem deutschen Bewacher . Dieser war von den Gefangenen durch eine halbhohe Wand getrennt und schaute überlegen schmunzelnd von außen in den Raum der Gefangenen . Wie ein Bilderrahmen im Bild akzentuierte die Öffnung seine Distanz und den Unterschied der Haltung . Der Bildtext bot einmal mehr an, dass Juden weder Heimat- noch Nationalgefühl hätten und für keinen Staat loyal kämpfen würden . Indem sich alle drei Gefangenen lächelnd mit dem Allerweltsnamen Meyer vorstellten, erschienen sie als der sich multiplizierende Dritte, als transnationale Überschreitungsgefahr, weil sie konfessionelle oder familiäre Loyalitäten sicher höher schätzen würden als nationale: „In deutscher Gefangenschaft! Gestatten Sie, daß ich mich vorstelle? Meyer aus Paris! Meyer aus London! Meyer aus Warschau!“413 Die Figuren waren orientalisierend gezeichnet, in der für deutsche Feindbildentwürfe typischen Kleidung und Haltung, die Lokesch, Küchendragoner . Lokbrie, Flieger und Sieger . Auch der BdL beschrieb vor 1914 primär das ‚Jüdische‘, nach Kriegsbeginn dann ‚das Deutsche‘, gemeint als Differenzkategorie, Kimmel, Methoden, 229 . 413 Abgedr . in Peters (Hg .), Spott und Hetze, 716 . 411 412

5 . Differenz: Demokraten und Juden als ‚nichtdeutsch‘

sie feminisierte und fremdländisch-unmännlich wirken ließ . Ihr Grinsen suggerierte das Vergnügen darüber, dass sie sich über Grenzen hinweg trafen, statt sich bekämpfen zu müssen . Auch ihr Bewacher schmunzelte, doch auf eine Weise, die Überlegenheit suggerierte . Denn die Darstellung von Kriegsgefangenen hieß auch, dass sie beherrschbar seien . Im August 1917 dagegen rückte Erich Schilling die ‚Gefahr‘ in den Raum des Eigenen und suggerierte ‚Verletzung‘ von innen . Unter dem Titel „Unter Schiebern und Schleichhändlern“ verschärfte er noch den Topos der Drückeberger und Profiteure, indem er eine Dichotomie von ‚zerstörten‘ vs . ‚zerstörenden Körpern‘ inszenierte . In einem weitgehend leeren Lokal saßen fette Männer mit ‚jüdischen Nasen‘, die hofften, dass sie nicht ohne Vorwarnung von der Regierung „mit dem Frieden torpediert“ würden . Hinter ihnen stand ein Soldat mit Armbinde, Kopfverletzung und Krücke erschöpft, aber aufrecht im Raum . Dahinter waren Kellner mit Getränken erkennbar, als Sinnbild einer sich vergnügenden, nichtkämpfenden Zivilgesellschaft .414 Jüdisch markierte Schieber mit einem verletzten Soldaten zu kontrastieren, lancierte den Subtext von ‚verletzten nichtjüdischen‘ vs . ‚nichtverletzten jüdischen‘ Körpern . Das Bild verschärfte das Stereotyp des Nicht-Kämpfens, indem es Juden die Verletzung nationaler und individueller Körpergrenzen einschrieb: Ein im Kampf Verletzter, so die Botschaft, könne kein Jude sein, sondern nur ein ‚Deutscher‘, der von ‚Juden‘ verletzt würde . Ernst und Heiter-Protagonist/innen machten Politik qua Identitätspolitik . Sie werteten Demokraten und jüdische Deutsche einerseits auf analoge Weise ab, indem sie sie mit Schmutz und ‚falschen Gefühlen‘ verbanden und dergestalt auch alle Unterschiede zwischen Akteuren einebneten . Andererseits aber markierten sie Juden wesenhaft als Dritte, die nirgendwo dazugehörten . Beschämende Witze und Karikaturen schrieben jüdischen Deutschen ein, ‚unrechtmäßig‘ räumliche und zugleich Identitätsgrenzen zu überschreiten und weder zu kämpfen noch zu leiden . Wenn Zeitgenossen die Zweiten, ob kapitalistisch, zaristisch oder kommunistisch, mit dem Dritten identifizierten, verwandelten sie politisch-militärische Konflikte in einen Angriff auf deutsche Identität . Zudem verliehen sie der autoritären deutschen Politik dieselbe Aura der Rechtmäßigkeit wie dem ‚lachenden deutschen Soldaten‘, indem sie beiden innige Gefühle einschrieben . Eine Demokratie in Deutschland galt in diesem Deutungshorizont einerseits als schwach, andererseits aber genau deshalb als Raum von Gefährdung . Denn eine Demokratie, so der Tenor, sei nicht nur ‚gefühlskalt‘, sondern lasse den ‚Dritten‘ zu und lade dergestalt dazu ein, Deutschland von innen her ‚aufzulösen‘ . Der Wille, Deutsche mit jüdischem Hintergrund auszugrenzen, wurde gerade dann sichtbar, wenn diese kämpften, litten, sich als go between anboten oder die Kriegspolitik kommentierten . Er prägte die Kriegszeit und verschärfte sich durch die Deutung von Niederlage und Versailler Vertrag . Anekdotische Bild-Sprache lancierte, dass ‚verletzende und beschämende jüdische Körper‘ die ‚verletzten und beschämten nichtjüdischen Körper‘ bedrohen würden . Wer sich für die Weimarer Demokratie engagierte, trat gegen diese dramatisierende Verkehrungslogik an . Simplicissimus, Jg . 22, H . 22, 28 .8 .1917, 283 . Die These von Robert, Image, Soldaten und Profiteure seien nicht zusammen gezeigt worden, trifft somit nicht ganz zu . 414

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III. Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik 1. ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie

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ütend griff der Simplicissimus im Februar 1919 die Siegermächte an, als sie den Versailler Vertrag aushandelten: Sie würden nicht nur die deutsche Großmachtposition, sondern die Identität des ‚Künstler-Soldaten‘ zerstören wollen . Auf dem Titelblatt verspottete ein hochmütiger Amerikaner einen verzweifelten Deutschen: „So, Deine Handelsflotte bist du nun auch los . Jetzt kannst du wieder das Volk der Dichter und Denker werden .“1 Bis zur Niederlage hatte die Zeitschrift darauf beharrt, dass die ‚Dichter-Denker‘ im Krieg ihre Erfüllung als ‚Künstler-Soldaten‘ fänden . Nun suggerierte sie, dass die Siegermächte die Deutschen in handlungsunfähige ‚Dichter-Denker‘ zurückverwandeln und damit Deutschsein an sich entwerten und verhöhnen wollten . Das Bild entwarf das Spannungsfeld, das die Weimarer Republik prägte: Wer erfolgreich sein wollte, musste als Künstler-Politiker gelten . Wer aber den Versailler Vertrag akzeptierte oder anderweitig mit den Siegermächten zusammenarbeitete, dem würde zumindest der Simplicissimus diesen Status nicht zugestehen – eine wichtige symbolische Praktik in einer Gesellschaft, in der sich viele hauptsächlich darin einig waren, den Versailler Vertrag abzulehnen . Das Beispiel beleuchtet, dass sich Kontroversen in der Weimarer Republik nicht nur um Vorstellungen von Politik und Gesellschaft drehten . Sie kreisten wesentlich um die Frage, wer ‚deutsch‘ und zudem ein ‚Künstler-Soldat‘ sein dürfe . Die Demokratie schuf eine grundlegend neue Situation . Indem sie nominell allen erlaubte, Politik und Gesellschaft mitzugestalten, ermöglichte sie auch allen, auf den höchsten Subjektstatus zuzugreifen .2 Wichtige und politisch so unterschiedlich ausgerichtete Figuren wie Ernst Toller, Kurt Eisner, Walter Rathenau oder später Gustav Stresemann wurden von Anhänger/innen daher nicht nur als Politiker, sondern begeistert als Dichter-Den-

Simplicissimus, Jg . 23, H . 48, 25 .2 .1919, 605: „Am Ziel“ . Zur fortgesetzten Konstruktion geschlechterspezifischer Differenz aber Heinsohn, Parteien und Politik . Münzner, Hiller, zur symbolischen Gewalt gegenüber deutschen Juden . 1 2

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

ker-Politiker gefeiert .3 Gerade weil deren Wähler/innen den Umschwung begrüßten und andere erleichtert über das Kriegsende waren, setzten Revolutions- und Republikgegner/innen nun erst recht identitätspolitisch an, um die Demokratie als nichtdeutsch und ihre Vertreter als unmännlich zu diffamieren . Bekanntermaßen war die Republik ein Eldorado für Spötter jeder Couleur . Doch unterschieden sie sich in ihrer Zielsetzung, auch wenn alle Seiten identische Begriffe wie Ehre und Anstand benutzten . Kurt Tucholsky oder Kurt Hiller ironisierten die Demokratie, um sie zu verbessern, verteidigten sie aber dann, wenn sie gefährdet schien .4 Die Protagonist/innen des Ernsten und Heiteren dagegen hebelten Argumente durch Spott aus, um ihre Weltsicht nicht weiter begründen zu müssen . Doch nutzten sie auch andere geläufige Sinnstrukturen, die aus dem Weltkrieg überkommen waren, um die Republik als Raum von Beschämung, Entrechtung und Identitätsverlust zu diffamieren . Entsprechend geht es weiterhin weder um Komik noch um eine Gesamtdarstellung von Humor, sondern um die Art und Weise, wie die Demokratie delegitimiert wurde . Wer für die Weimarer Republik eintrat, musste nicht nur damit leben, als politisch unfähig angegriffen zu werden . Wer sich demokratisch engagierte, den traf die Unterstellung, ‚Deutschsein‘ schlechthin zu ‚beschämen‘ . Denn um die Demokratie als per se ‚nicht gelingend‘ und als Gegensatz zu Deutschsein zu entwerfen, diskreditierten Republikgegner/innen die Weimarer Ordnung als Raum ‚falscher Gefühle‘ und ‚falscher Körper‘ und deren Repräsentanten als ‚nichtdeutsch‘ und ‚nicht rechtmäßig‘ .5 Bisher hatte ich jeweils bestimmte Elemente des Ernsten und Heiteren in den Mittelpunkt gerückt . Im Folgenden diskutiere ich, welche Rolle das Gesamtgeflecht in drei Zeitschienen bzw . Handlungsräumen der Weimarer Republik spielte . Zunächst geht es um Sprach-Bilder von Raum, Arbeit oder Gefühlen in den früheren Weimarer Jahren, die Demokraten und Juden als ‚verletzende und beschämende Körper‘ und auf diese Weise als ‚nichtrechtmäßig‘ zeichneten . Der zweite Teil analysiert Kriegsanekdoten und andere Erinnerungsentwürfe, die wenig überraschend für Revanche plädierten . Aufschlussreicher ist, dass sie die deutschen Völkerrechtsverletzungen des Ersten Weltkriegs weiterhin als Kunst sakralisierten, um sie als ‚rechtmäßig‘ zu deuten . Drittens zeige ich, wie die Nationalsozialisten seit ihrer Neuformierung 1925 das Ernste und Heitere nutzten, um ihre Identitätspolitik inhaltlich und performativ zu strukturieren . Hitlers Helfer entwarfen ihn als ‚Künstler-Soldaten‘, veränderten aber das herkömmliche Konstrukt, um es für eine breite Öffentlichkeit attraktiv zu machen . Zudem übten NS-Politiker in der Weimarer Zeit mit ihrem Publikum ein, sich mit Gelächter zu verständigen – nicht als langfristige Planung des Völkermordes, sondern als Konsenspraktik, die es erlaubte, Argumenten auszuweichen und Ziele offen zu lassen, um möglichst viele mitzunehmen . Gerade weil das Ernste und Heitere Deutungsmuster bündelte, die auf den ersten Blick unscheinbar wirken mögen, zeigt seine Geschichte nach 1918, auf welch unaufVgl . Tramer, Beitrag der Juden, 371 . Zur republikanischen Geniesehnsucht Lange, Genies . Münzner, Hiller, z . B . 117 ff ., im Gegensatz zu Bavaj, Von links, der diesen Unterschied nicht einrechnet . 5 Vgl . Kessel, Demokratie . 3 4

1 . ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie

fällige Weise Demokratie verunglimpft und unterlaufen werden kann . Die Nationalsozialisten verschleierten keineswegs, dass ihr Gelächter ein Synonym für Gewalt war . Doch lässt sich ein nichtdemokratischer oder antijüdischer Impuls unauffälliger transportieren, wenn er in selbstverständlich gemachte Konstrukte wie Zeit, Arbeit oder Männlichkeit eingeflochten ist . Die Nationalsozialisten nutzten diese und andere Ordnungserzählungen, die schon lange zirkulierten . Sie erfanden sie nicht, sondern eigneten sie an und radikalisierten sie . Auf diese Weise standen sie nicht (nur) rechts außen, sondern in der Mitte der Gesellschaft . Der Ort der Republik Vorweg nur einige Ergebnisse der Weimarforschung als Rahmung: Erstens gilt die Weimarer Zeit nicht mehr als Kombination von ‚schillernder Kunst und scheiternder Politik‘ . Vielmehr wird auf der einen Seite das leidenschaftliche Engagement für die Demokratie deutlich .6 Auf der anderen Seite hatte die Avantgarde auch nach 1918 keine Massenbasis und verdrängte zu keinem Zeitpunkt konventionelle kulturelle Angebote und Wünsche .7 Zweitens ist die Deutung des politischen Spektrums allein im RechtsMitte-Links-Schema überholt: Die Sehnsucht nach Führer, ‚Volksgemeinschaft‘ und kämpferischer Männlichkeit durchzog die ganze Gesellschaft, sie wurde nur jeweils anders gedeutet .8 Das hieß drittens aber auch: Männlichkeit blieb als Kategorie entscheidend, um Status und Anerkennung auszuhandeln . Die geschlechtlichen Freiräume, die gerne mit der Weimarer Republik verbunden werden, galten nur bedingt und verärgerten oder verstörten zugleich viele Zeitgenossen . Als es dem rechtsnationalen Lager ab Mitte der zwanziger Jahre gelang, Leitmotive wie Heldentum zu besetzen, gerieten Republikaner unter Druck: Sie mussten sich nun ihrerseits in Straßenschlachten als männlich beweisen .9 Viertens zeichnet sich daher statt der gängigen Beschreibung der Weimarer Zeit als Krise bis 1923, Beruhigung ab 1924 und erneuter Krise ab 1929 eine andere Periodisierung ab . Ein vor 1914 einsetzender und 1916 wieder intensivierter demokratischer Aufbruch reichte Kirsten Heinsohn zufolge bis etwa Mitte der 1920er Jahre, während es danach zu einer nichtdemokratischen Umformung kam .10 Diese aber war auch deshalb möglich, weil zu viele Zeitgenossen jüdischen und demokratischen Deutschen seit 1918 die Niederlage und den Versailler Vertrag anlasteten, um sich nicht mit anderen Ursachen wie der deutschen Kriegspolitik auseinanderzusetzen . Gewalt gegen jüdische Achilles, With a passion . So schon von Saldern, „Kunst für’s Volk .“ Vgl . Kap . III .2 . 8 Hier nur Schumann, „Kultur“, 237, mit weiterer Literatur . 9 Dabei schenkte sich allerdings keine Seite etwas . Ziemann, Contested Commemoration . Weinrich, Weltkrieg als Erzieher, 106 ff ., zeigt, wie die Rechten im sozialdemokratischen Milieu wildern konnten, weil Jüngere Heldengeschichten faszinierender fanden als das Leid des Krieges . 10 So Heinsohn, Parteien und Politik . Ihr zufolge überdauerte die Re-Maskulinisierung ab Mitte der 1920er Jahre bis in die 1980er Jahre . Zur Kontextualisierung der Revolution Weinhauer u . a . (Hg .), Germany . 6 7

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

Deutsche hörte seit der Niederlage nicht mehr auf .11 Konservative Bürger, Akademiker, die Mehrheitsmeinung in der Provinz und radikale Antisemiten empörten sich gleichermaßen über den „verderblichen Einfluss der Juden“ in einer Kultur, die zeitgenössisch immer als politisch galt .12 Seit 1925 registrierten Beobachter/innen nicht nur, dass die Nationalsozialisten vor allem in ländlichen Regionen langsam, aber stetig erfolgreicher wurden . Sie notierten auch, dass gewaltförmiger Hohn und öffentliche Beschämung zunahmen: Schadenfreude als politisches Prinzip, wie es der Jurist und Syndikus des Central-Vereins Ludwig Holländer nannte .13 Der CV bemerkte zudem, dass Turn-, Sport-, Sing-, Schützen- und Kriegervereine parallel zum Erstarken der NS-Bewegung bereits ab 1926/27 jüdische Mitglieder ausschlossen . Gerade die Mitgliedschaft in einem dieser Vereine bedeutete viel:14 Sie manifestierte den Status eines gebildeten Künstler-Soldaten, während der Ausschluss darauf zielte, ihn Juden nicht zuzugestehen . Die Nationalsozialisten nutzten die wirtschaftliche Entspannung ab 1924, um Geld und Mitglieder zu sammeln .15 Die Stadtgesellschaft in Köln wiederum begegnete dem NS-Angebot bereits wenige Jahre später ihrerseits mit einer Politik der Exklusion . Katholische Eliten hatten jüdische Deutsche zunächst bereitwilliger akzeptiert als protestantische, weil katholische und jüdische Würdenträger ähnlich konservativ dachten . Seit 1928 jedoch kappten sie wirtschaftliche und berufliche Kontakte, weil sie Angst hatten, das eigene Milieu an die Nationalsozialisten zu verlieren .16 Diese Prozesse bedeuteten auch, dass sich das Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Kunst vom Kaiserreich zur Republik auf paradoxe, nicht-lineare Weise entwickelte . Denn in der Demokratie verengte sich der gesellschaftliche und künstlerische Raum des Sagbaren und Machbaren für deutschjüdische Komiker im Vergleich zur Monarchie .17 Deutschjüdische Kabarettisten hatten das Zugehörigkeitsthema um 1900 gerne persifliert: Sie witzelten über sich selbst als eine Gruppe, die wie die Bayern oder Sachsen kulturelle Eigenarten habe . So schrieben sie sich in die neue Nation ein, nur ohne sich auf eine Region zu beziehen . Bereits Mitte der zwanziger Jahre dagegen riet der CV zur Selbstzensur . Er fürchtete, dass die Selbstironie deutschjüdischer Künstler nun in eine ‚wahre Selbstbeschreibung‘ verzerrt würde .18 Denn selbst die Gerichte im SPD-regierten, republiktreuen Preußen definierten verbale antijüdische Gewalt nur mehr als lässliche Sünde .19 Der monarchische Staat hatte seine jüdischen Bürger geschützt, solange sie der Zensur folgten und Kaiser und Kirche in Ruhe ließen, weil er auf seinem Gewalt- und Deutungsmonopol bestand . Dass sich der demokratische Staat stärker aus U . a . Hecht, Deutsche Juden, mit weiterer Literatur . Zit . nach Friedländer, Das Dritte Reich, Bd . 1, 123 ff . Geyer, Verkehrte Welt, 93, 119 . 13 Barkow, Alfred Wiener, 12 f . 14 Hecht, Deutsche Juden, bes . 187 ff ., 269 ff ., 273 f . Zur Vielfalt deutschjüdischer Positionen hier nur Gillerman, Germans into Jews . 15 Horne/Kramer, German Atrocities, 366 . Barth, Dolchstoßlegenden, 405 . 16 Wenge, Integration, 349–357, 424 ff . 17 Jelavich, Performing High and Low, auch zum Folgenden . 18 Jelavich, When are Jewish Jokes . 19 Petersen, Zensur, 131 . Die Exekutive schritt nur ein, wenn der Ruf im Ausland tangiert schien, Jahr, Antisemitismus, 261 ff . 11 12

1 . ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie

der Gesellschaft zurückzog, bedeutete primär, deren antijüdische Gewaltbereitschaft weniger zu regulieren . Wenn der Weimarer Staat aber sanktionierte, dann zielte sein konservatives Personal auch beim Humor schärfer gegen links als rechts . Konservative Gruppen appellierten wie im Kaiserreich an den Staat, Zensurverfahren gegen künstlerische Angebote einzuleiten, die ihnen missfielen .20 Das heißt, sie setzten auch in der Demokratie auf eine staatliche Regulierung zivilgesellschaftlicher Konflikte, statt sie selbst friedlich auszutragen . Die Vorzensur war zwar weitgehend abgeschafft . Doch selbsternannte Tugendwächter nutzten weiterexistierende Paragraphen zu Blasphemie und Pornographie, um linksliberale Satire als ‚zotig‘ oder ‚schmutzig‘ anzugreifen . Peter Jelavich zufolge verzichteten die NS-Eliten nach 1933 ihrerseits auf eine umfassende formelle Vorzensur, weil auch sie sich auf die kulturellen Wachhunde in der deutschen Gesellschaft verlassen konnten . In der Weimarer Republik rückten die Verfahren auch dann, wenn sie ergebnislos blieben, konservative oder nationalsozialistische Vorstellungen ins Rampenlicht . Kam es zu einer Verurteilung, erhielten liberale Spötter meist schärfere Strafen als Angreifer von rechts .21 Diese im Rückblick sichtbaren Prozesse markieren die Republik nicht als immer schon gescheitert . Doch wurden warnende Stimmen nicht ernst genommen . Das lag zum einen daran, dass alle Seiten identisch klingende Begriffe und Symbole verwandten, bei denen nicht immer sofort wahrnehmbar war, wie sie definiert wurden . Zum anderen und vor allem lag es jedoch daran, dass sich keine stabile Mehrheit fand, die gegen antijüdische Ausschreitungen protestierte . Die Demokratie konnte ausgehebelt werden, weil (zu) viele in allen Milieus und Lagern ihr Selbstverständnis als ‚deutsch‘ durch Aus- oder Abgrenzung konturierten . Denn laut protestierte die deutsche Gesellschaft in der Weimarer Republik höchstens gegen Sachbeschädigung, etwa wenn jüdische Friedhöfe geschändet wurden . Tote, Verletzte und Vertriebene beschwieg sie eher .22 Demokratie schien nur dann akzeptabel, wenn sie die grundlegenden Formen von Differenz bestehen ließ, die die Mehrheitsgesellschaft in Identitätsvorstellungen einschrieb . ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Das Narrativ der ‚Grenzverletzung‘ An Ernst Toller und Walther Rathenau, zentralen Figuren der frühen Weimarer Republik, lässt sich exemplarisch zeigen, wie wichtig und umkämpft der Status als Künstler-Soldat oder Künstler-Politiker gerade aufgrund der Niederlage war . Nach Kriegsende griffen Demokraten und Linke wieder öffentlich darauf zu . Der Publizist Kurt Hiller erhoffte bereits im Kaiserreich und erst recht nach 1918 eine Herrschaft der klügsten Köpfe .23 Nun feierte er den expressionistischen Schriftsteller, kurzzeitigen Vorsitzenden 20 21 22 23

Jelavich, Paradoxes of Censorship, auch zum Folgenden, bes . 271–275 . Petersen, Zensur, 144 ff . Hecht, Deutsche Juden, 262 ff . Eine „Logokratie“, vgl . generell Münzner, Hiller .

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der bayerischen USPD und Mitverfechter der dortigen Räterepublik Ernst Toller als „Dichter-Denker-Kämpfer“ .24 Republikgegner aber sprachen Toller den Status ab, wie Adolf Stein, ab 1920 Leiter des Deutschen Pressedienstes im Hugenberg-Konzern und einflussreicher deutschnationaler Agitator gegen die Republik . Stein verunglimpfte den deutschjüdischen Künstler, den die bayerische Justiz nach der Zerschlagung der Räterepublik zu mehreren Jahren Festungshaft verurteilte, politisch, künstlerisch und menschlich . Er attackierte Toller als „Jungchen“, als temporal als nichterwachsen, als „Galizier“, ergo räumlich als ‚fremd‘, und als „krankhafte(n) Auswuchs des unseligen November“, also als ‚ungesund‘ . Tollers Dramenfigur Hinkemann, den Kriegsheimkehrer, dem die Genitalien weggeschossen worden waren, beschrieb er als „entmannten Mann“, der über die Bühne gezerrt werde .25 Stein diskreditierte Toller ästhetisch und politisch, indem er ihm vorwarf, die Heldenfigur des Soldaten öffentlich als sexuell versehrt darzustellen und somit – in Steins Augen – zu beschämen . Walter Rathenau wurde im Juni 1922 von Rechtsradikalen ermordet . Zuvor hatten ihn (nicht nur) Völkische beschuldigt, ein die Nation von innen zerreißender ‚Antichrist‘ zu sein . Im Ersten Weltkrieg hatte Rathenau als Wirtschaftsorganisator eine aggressive Politik verfochten; als Außenminister repräsentierte er das Land ab Januar 1922 in einer politisch brisanten Vermittlungsfunktion mit hohem Status . Rathenau agierte als Politiker und Literat, er reflektierte über moderne Gesellschaft und beschrieb sein Handeln als Unternehmer und Politiker ausdrücklich als Kunst . Zeitgenossen und Nachgeborene feierten ihn zumindest nach seiner Ermordung als Universalisten und „Dichter von Geburt“, der die „Zerrissenheit der Zeit“ in sich aufhebe .26 Aber selbst Republikaner akzeptierten ihn wegen seiner jüdischen Herkunft nicht rückhaltlos als Künstler-Politiker .27 Die Deutsch-Völkischen Blätter wiederum unterstellten ihm Anfang der zwanziger Jahre, die Vision in ihr Gegenteil zu verkehren: „Höllisches Recht, höllische Sitte, höllische Kunst, höllische Moral verbreitest du um dich her“ .28 Sie verurteilten Rathenau, der sich jahrelang als „jüdischer Kriegsgewinnler“ und der Vertreter von „Judenrepublik“ und „Erfüllungspolitik“ verunglimpfen lassen musste, als ‚teuflischen Dritten‘: Er täusche sein ‚Deutschsein‘ vor und infiltriere alle Handlungsbereiche der Gesellschaft, um sie von innen zu zerstören . Wer Toller und Rathenau dergestalt als ‚beschämende‘ und ‚verletzende‘ Körper angriff, diskreditierte auch die Republik . Der Wunsch von Republikgegner/innen, Demokratie als eine ‚verletzende Ordnung‘ zu entwerten, die dem imaginierten Deutschsein nicht gerecht werde, machte das Ideal des Künstler-Kämpfers zum Sprengsatz . In England oder der jungen Tschechoslowakei galten auch kämpferisch auftretende Demokraten als charismatisch; dort war der Führergedanke mit demokratischer Politik vereinbar . Dass sich in Deutschland die Nationalsozialisten das Image sicherten, lag nicht nur daran, dass es zu wenige geeignete Demokraten gab .29 Es lag auch daran, 24 25 26 27 28 29

Zit . nach Tramer, Beitrag der Juden, 371 . Zit . nach Schütz, Rumpelstilzchens Republik, 162 . Grau, Eisner, 373, für weitere Angriffe . Zit . nach Delabar/Heimböckel, Der Phänotyp, 8 . Lange, Genies, 90 . Zit . nach Friedländer, Die politischen Veränderungen, 60 . So Föllmer, Führung: Sie hätten z . B . zu sehr auf kollektive Führung gesetzt .

1 . ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie

dass das rechte wie linke Lager Demokratie und Zivilgesellschaft als schwach und unmännlich abwerteten, indem sie entweder das Fronterlebnis dramatisierten oder die revolutionäre Gewalt .30 Ein entscheidendes Abwertungsnarrativ fasste Demokraten als ‚Verbrecher, Deserteure und Zuhälter‘ . Der bekannte Topos der „Novemberverbrecher“ kam also selten allein, sondern wurde mit geschlechtlichen und militärischen Assoziationen gekoppelt, die zeitgenössisch noch entehrender wirkten . Jeder Punkt für sich suggerierte bereits ‚Unrecht‘ . Alle zusammen evozierten eine Figur, die die Gesellschaft von innen zerstöre – das Negativ eines Künstler-Soldaten . Die rechtlich, militärisch und sexuell-moralisch aufgeladenen Register, die jeweils Devianz suggerierten, emotionalisierten in spezifischer Weise: Sie assoziierten Demokratie und Frieden mit beschämender und entehrender Grenzüberschreitung . Denn die ‚unheilige Dreifaltigkeit‘ markierte Demokraten als dreifache ‚Täter‘ gegen die deutsche Nation: Sie seien weder ‚im Recht‘ noch Kämpfer und zwängen überdies ihr eigenes Land, sich mit den Alliierten zu prostituieren . Vor allem die Zuhältermetapher fungierte als suggestives, antisemitisch aufgeladenes Bild, um Demokraten als ‚verletzende‘ Figuren zu diskreditieren: Sie würden den Körper der Nation beschädigen, indem sie selbst Grenzen überschreiten oder den Siegermächten die Überschreitung erlauben würden . Kurz: Demokraten würden Deutschland verletzungsoffen machen .31 Diese Formeln verkehrten den Deutungsrahmen ‚Opfer und Täter‘ auf ähnliche Weise, wie es in der These des Verteidigungskriegs 1914–18 geschah . Demokraten und Juden wurden als Täter und Nicht-Männer projiziert, wobei die Formel von der „Judenrepublik“ die gedachten Gruppen homogenisierte und miteinander verschmolz .32 Wer mitzog, konnte sich als Opfer und doch männlich darstellen, ohne dies begründen zu müssen . Die Demokratie wertete das Argumentieren als politische Praktik auf . Deshalb verschärften Antirepublikaner/innen die Täterzuschreibung, um der Republik keinen Raum und keine Zeit zu geben, sich zu beweisen . Stattdessen koppelten sie ‚Gegnerschaft‘ und ‚Unrecht haben‘ . Es war auch diese diskursive Gewöhnung, Andersdenkende und Juden nicht nur als Gegner/innen zu fassen, sondern mit ‚Unrecht‘ zu assoziieren, die die nationalsozialistische Gewaltherrschaft nach 1933 verankern half . Denn Menschen unterschiedlicher sozialer und politischer Herkunft lehnten dann nicht unbedingt den extralegalen Charakter der Gewalt ab . Sie hielten sie vielmehr für akzeptabel oder notwendig, weil sie „Ordnung“ schaffe, und waren nur dann irritiert, wenn sie zu brutal war oder sich gegen das eigene Milieu richtete .33 Begeisterte Nationalsozialisten wiederum traten nach 1933 selbstverständlich als die „Gerechten“ auf .34 Die ständige Verschmelzung von Ju-

Schumann, Politische Gewalt, auch zum gegenseitigen Überbieten rechter und linker Gewalt . Vgl . Kessel, Demokratie, auch zum Folgenden . Hier werden wieder Popitz’ Begriffe von verletzungsmächtig und verletzungsoffen als eine Struktur des Imaginären wichtig . 32 Jahr, Antisemitismus, 253 . S . a . Schüler-Springorum, Gender . 33 Moore, „Noch nicht mal zu Bismarcks Zeiten“, 180 ff . Kogon, SS-Staat, 418 . Klemperer, Zeugnis, Bd . 1, 121 . 34 Sternheim-Peters, Habe ich denn alleine gejubelt, 35 . 30 31

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

den, Demokraten und Kommunisten mit ‚Nicht-Recht‘ machte diese aber bereits in der Weimarer Republik zu ‚Feinden zum Anfassen‘ . Der Simplicissimus der frühen Weimarer Jahre etwa skizzierte Weimarer Politiker wiederholt als ‚unheilige Dreifaltigkeit‘ und ‚Grenzverletzer‘ . Zwar sank die Auflage der Zeitschrift von 86 .000 Vorkriegsexemplaren auf 30 .000 danach .35 Doch wer antirevolutionäre Botschaften und das Beharren auf einem wesenhaften Deutschsein in den Verknappungsformeln von Spott und Gelächter lesen wollte, wurde gerade nach dem Krieg hier fündig .36 Auch wenn die Zeitschrift später vernunftrepublikanischer agierte: Zunächst nutzte sie ein ähnliches Bildregime wie während des Krieges, um Demokratie zu verunglimpfen . Denn nun beschwor sie, dass ihre Drohszenarien der zweiten Kriegshälfte eingetreten seien, durch eine Revolution, die sie nicht nur als Ordnungs-, sondern auch als Freiheitsverlust definierte – Freiheit klassisch konservativ definiert als Einordnung des Individuums in eine gedachte Gemeinschaft .37 Zudem warf die Zeitschrift den Revolutionären vor, das ‚feindliche Gelächter im Eigenen‘ zu provozieren und unmännlichen Figuren Macht und Raum zu überlassen .38 Die Alliierten zeichnete sie als wirren Reiter unter einem ‚weibischen‘ Gewand, der über den hingesunkenen deutschen Kaiser-Ritter triumphierte .39 Innenpolitisch unterstellte sie den Revolutionären, verfettete, jüdisch gezeichnete ‚Deserteure‘ statt beinamputierter Soldaten mit Arbeitsstellen zu versorgen .40 Über die deutsche Kriegspolitik nachzudenken, galt als freiwillige Selbstentmachtung, die die Verachtung anderer einlade: Als Kurt Eisner 1918 empfahl, die deutsche Kriegsschuld anzuerkennen, hieß es, dass er nur die hämische Freude der Entente provoziere .41 Diese Formeln verwandelten Demokratie in eine entehrende Zwangslage . Sie operierten zudem im Modus des Entweder-Oder, der nicht nur bei den radikalen Parteien, sondern weit darüber hinaus beliebt war, um die Welt zu fassen . Zeitgenossen bildeten damit nicht tatsächlich problematische Situationen ab . Vielmehr nutzten sie die narrative Struktur, um eine Welt, die sie ablehnten, in einen simplen und dramatischen Plot zu übersetzen: Wer eine totale Bedrohung an die Wand malte, wertete die eigene Position als einzig gangbaren Weg auf .42 Nominell bietet Demokratisierung die Chance, das Denken im Entweder-Oder zu überwinden . Stattdessen lehnten diese Akteure Kompromisse und Verhandeln weiterhin mit dem Gestus der Alternativlosigkeit ab . Mit dem Abwertungsnarrativ emotionalisierten sie ihre Krisenprojektion zusätzlich; denn mit dem Dreiklang vom ‚Verbrecher, Deserteur und Zuhälter‘ unterstellten sie denen, die sie angriffen, ein mehrfaches und beschämendes Unrecht . Während der Ruhrbesetzung, die die Deutschen lagerübergreifend aufwühlte, rückte eine sexualisierende Bild/Semantik in den Vordergrund, die noch augenfälliger 35 36

30 . 37 38 39 40 41 42

Christ, Glanz, 10, 13 . Zur Zeitschrift generell Simmons, War, 47 . Zu Chefredakteur Ludwig Thoma Geyer, Verkehrte Welt, Vgl . Rösch, Weniger Ordnung, 118 . Zur Feminisierung der Republik s . a . Krammer u . a . (Hg .), Staat in Unordnung . Simplicissimus, Jg . 23, H . 35, 26 .11 .1918, 437 . Simplicissimus ., Jg . 23, H . 41, 7 .1 .1919, 510 . Ähnlich ebd ., Jg . 23, H . 50, 11 .3 .1919, 648 . Ebd ., Jg . 23, H . 38, 17 .12 .1918, 475 . Vgl . Graf, Either-Or, u . a . 605 ff ., 614 .

1 . ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie

eine Verletzung von Raum- und Körpergrenzen beschwor . Sexualität als Ordnungserzählung war ebenfalls seit dem 19 . Jahrhundert geläufig, um Politiken oder Akteure als bedrohlich oder inakzeptabel zu konstituieren, mit Heterosexualität als Norm . Kriegsteilnehmer von 1870–71 etwa, die beanspruchten, den Franzosen moralisch und militärisch überlegen gewesen zu sein, traten als männlich auf, indem sie ihre Gegner als unmoralisch oder unmännlich verurteilten .43 Nach 1918 beschworen Revolutionsromane von rechts und links das Bild einer ihre ‚natürlichen‘ Grenzen überschreitenden Frau, die je nach politischer Präferenz des Autors entweder (rechte) Soldaten oder (linke) Arbeiter ‚entmanne‘ .44 Legenden über sexuelle Verschwörungen von Juden ergänzten den Kanon, um Demokraten, Juden und Siegermächte als Vertreter einer ‚widerrechtlichen‘, ‚widerlichen‘ und ‚gefährdenden‘ Politik aufeinander zu beziehen .45 Wenn Zeitgenossen ihre Position in sexualisierte Metaphern fassten, konnten sie damit rechnen, verstanden zu werden . So beschrieben verschiedene politische Lager den Versailler Vertrag als Vergewaltigung .46 Während des Krieges hatten die Alliierten den deutschen Einmarsch in Belgien mit diesem Bild gedeutet . Nun wandten Deutsche den Topos gegen die Siegermächte und unterstellten ihnen, das zu tun, was sie den Deutschen fälschlich angelastet hätten . Wer den politischen Rechtsakt des Versailler Vertrages als moralisch inakzeptable, gewalttätige und beschämende Transgression und Grenzverletzung imaginierte, lagerte Phantasien von Übermächtigung und Grenzverletzung in das Reden über Politik ein . Im Bild der Vergewaltigung wurde der nationale Körper zum Opfer innerer und äußerer Feinde, zugespitzt im Schlagwort der „schwarzen Schmach“, welches medienwirksam Übergriffe durch farbige Besatzungssoldaten evozierte .47 Diese Sprache verwandelte den Frieden in eine unwürdige Situation . Der Zuhältertopos als außen- und innenpolitischer Kampfbegriff ergänzte das Bild der Vergewaltigung . Der Simplicissimus visualisierte die französische Besatzung gerne als Bordell .48 Anfang Januar 1923 grinste ein effeminierter französischer Offizier mit Wespentaille und breiten Hüften, roten, spitzen Stiefelchen und Sektglas vom Titelblatt, um ihn herum nach dem Motto „Leben und sterben lassen“ Verhungerte und ein Sektkübel, hinter ihm die französische Kaserne, rechts und links jeweils mit „Bordell“ überschrieben .49 Parallel traf die Kettenbeschreibung militärischer, moralischer, sexueller und rechtlicher Devianz die deutsche Demokratie . Karl Arnold attackierte die Franzosen die gesamte Weimarer Zeit hindurch, widerrechtlich Grenzen überschritten zu haben .50 Im November 1923 unterstellte er aber auch deutschen Separatisten, „vom Bordellwirt zum Minister“ zu werden: Ein fetter Mann verabschiedete sich von Litzmann, Ernstes und Heiteres, 85 f . Küster, Ernstes und Heiteres, 51, 58 f . Vgl . Zur Nieden (Hg .), Homosexualität und Staatsräson, zu Heterosexualität als Norm . 44 Kittstein/Zeller, „Friede“ . Vgl . Kessel, Demokratie, 89 . 45 Hecht, Deutsche Juden, 205 . 46 Kessel, Demokratie, 88 f . Mass, Weiße Helden, 75 ff ., 105–128, 131, 139 . 47 Vgl . Mass, Weiße Helden . 48 Im Dezember 1922 empfahl ein französischer Offizier einer Frau, deren Wohnung er zwangsräumte, zu bleiben, die Wohnung werde ein Bordell . Simplicissimus, Jg . 27, H . 37, 13 .12 .1922, 535 . 49 Simplicissimus, Jg . 27, H . 40, 3 .1 .1924, Titelblatt . 50 Strobl, Arnold . 43

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Bordellmädchen mit dem Versprechen, er werde sie als Ehrenjungfrauen in der rheinischen Republik wieder sehen .51 Das Titelblatt fügte ein imaginäres ‚Unrecht‘ hinzu: Ein französischer Offizier hatte gehört, dass ein für die Pfalz vorgesehener neuer Minister nicht vorbestraft sei, hoffte aber, dieser sei „trotzdem zuverlässig“ .52 Zudem spielte die Zeitschrift geschickt mit Humorkonventionen . Statt die Franzosen zu verspotten, stellte sie sie als feige Sieger dar, die ihrerseits die wehrlosen Deutschen verspotten würden . So erneuerte sie die Deutung, nicht ehrenvoll besiegt worden zu sein, sondern zu Unrecht verlacht und beschämt zu werden .53 Auch wenn unklar ist, ob Hitler den Simplicissimus las: Die Zeitschrift lag in den Lesestuben der Truppenteile aus, denen er nach 1918 angehörte .54 Wie sehr er Arnold persönlich schätzte, zeigte sich an Hitlers 50 . Geburtstag 1939 . Zu diesem Anlass ließ Adolf Wagner, Gauleiter und bayerischer Innenminister, Hitler über 200 Zeichnungen von Arnold schenken .55 Wie geläufig der Vergewaltigungsbegriff war, zeigte sich beispielsweise, wenn Gustav Stresemann ihn aufgriff, um seine diffamierende Wirkung aufzulösen . Stresemann war 1923 kurzzeitig Kanzler und bis 1929 Außenminister, und er versuchte wiederholt, demokratische Politik gegen die emotionalisierende Abwertung zu schützen, sie sei unmännlich . Auch er erwähnte den Vergewaltigungsbegriff . Doch deutete er weder den Versailler Vertrag noch die Besetzung von Rheinland und Ruhrgebiet als unauslöschliche Schmach, die nur durch die Beseitigung der Demokratie getilgt werden könne . Stattdessen wollte er Deutschland durch eine Politik des Verhandelns und ein Netzwerk internationaler Verträge wieder eine Machtposition sichern . Als er im Reichstag am 6 . März 1924 ausführlich für die Annahme des vorliegenden Gutachtens für den Dawes-Plan zur Regelung der Reparationsfrage plädierte, sprach er völlig unvermittelt, aber nur ein Mal von „der Vergewaltigung“ .56 Dann erklärte der DVP-Vorsitzende, vor allem an den Deutschnationalen Karl Helfferich gewandt, dass der bloße Gestus der Empörung der Regierungsverantwortung nicht gerecht werde . Stattdessen entfaltete er seine Leitlinie, dass politisches Pflichtbewusstsein bedeute, die Rechte und Pflichten aller Seiten genau zu klären . Stresemann unterstrich so zunächst seine nationale Gesinnung und schrieb sich in eine emotionale Gemeinschaft jenseits politischer Differenzen ein . Im zweiten Schritt aber verwahrte er sich gegen eine destruktive Gefühlspolitik, die alliierte und demokratische Politik nur als Überwältigung zulasse . Er forderte stattdessen, Hass und Wut konstruktiv zu kontrollieren und vor allem jenseits der bloßen Selbstbeschreibung als ‚Opfer‘ die Aufgabe anzugehen, die Demokratie aufzubauen . Entsprechend kommentierte Stresemann auf einer Metaebene, wie politische Praxis aussehen solle . Mehrfach warnte er davor, Sachdiskussionen ausschließlich auf die emotionale Ebene zu verschieben bzw . nur dort zu lassen . Er kritisierte die DeutschnaSimplicissimus, Jg . 28, H . 35, 26 .11 .1923, 432 . Ebd ., Jg . 28, H . 35, 26 .11 .1923, Titelblatt . 53 Schneider, Soldaten im Simplicissimus, 80 . 54 Plöckinger, Unter Soldaten, 225 . 55 Strobl, Arnold, 32 . Zu Arnolds guter Position in der NS-Zeit ebd . 32 ff . 56 Stresemann, Reden, 130 . Vgl . Kolb, Stresemann, 99 f . Kessel, Demokratie, 102 ff ., auch zum Folgenden . 51 52

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tionalen und Nationalsozialisten dafür, die Regierung immer nur lächerlich zu machen, statt zu argumentieren . Auch lehnte er es ab, die Aufgabe des passiven Widerstandes im Ruhrgebiet während seiner Kanzlerschaft in den Termini von Feigheit oder Mut zu bewerten . Stattdessen erinnerte er an die Verantwortung der Regierung, Kosten und Nutzen für die Bevölkerung abwägen zu müssen .57 Stresemann machte so zum einen die Praktik seiner Gegner transparent, Politik steuern zu wollen, indem sie Demokratie mit Beschämung gleichsetzten . Zum anderen rückte er Gefühlskontrolle und Arbeit als männliche demokratische Tugenden in den Mittelpunkt . Anders gesagt, er entmilitarisierte und entemotionalisierte den Arbeitsbegriff und bezog ihn auf das mühevolle und wenig hochglanztaugliche Tagesgeschäft demokratischer Politik . Hitler dagegen nutzte nach seiner Rückkehr auf die politische Bühne 1925 das zeitgenössisch vertraute Zeichensystem, um andere persönlich zu treffen und so auch ihre Politik zu entwerten . Im Oktober 1925 attackierte er in Wismar Republikaner und Juden als „Zuhälter“ .58 Im Dezember des Jahres verurteilte er die Verträge von Locarno als „politische Entrechtung“ und den Versailler Vertrag als „militärische Entmannung“ .59 Er projizierte das wesentlich von Stresemann ausgehandelte internationale Vertragsnetz von Locarno und den Friedensvertrag somit als ‚Kastration‘ und tiefgreifende ‚Verletzung‘ einer politisch ‚potenten‘ Männlichkeit . In einem Aufruf an „deutsche Volksgenossen“ im März 1925 attackierte Hitler „Judenpack“ und „zugewanderte[s] Gesindel“ und zugleich Demokraten als Nicht-Männer, indem er behauptete, die „Halben“ [Männer, MK] im Eigenen könnten die ‚Angreifer‘ nicht besiegen .60 Ab 1925 verurteilte der NS-Politiker Demokratie und Judentum so oft als unmännliche Schwäche, dass die Abwertung auch dann hörbar war, wenn er sie nicht explizit machte . Demokraten und Juden als Vergewaltiger und Zuhälter zu beschreiben unterstellte, dass sie angeblich notwendige, eindeutige Grenzen verletzen würden, nach innen und außen . Die Gerichte in der Weimarer Republik erkannten bereits selten den Zusammenhang zwischen Antisemitismus, Hass auf die Republik und Verachtung für die Demokratie an .61 Die hier diskutierten Formeln lagen erst recht unterhalb einer justiziablen Schwelle . Sie suggerierten aber in hoch politischer Aufladung, dass Demokraten die deutsche Nation verletzbar machen würden, erst recht, wenn sie jüdisch seien . Außerdem ließ dieser Diskurs die Niederlage und den Versailler Vertrag nur als einen unlöschbaren Makel zu, der erst dann ‚bereinigt‘ sei, wenn der Verursacher, die Republik, verschwinde . Theodor Fritsch hatte deutsche Juden 1914 von ‚Zerrissenen‘ in angeblich ‚Zerreißende‘ verwandelt . Demokratiekritiker verschärften das Zerrbild nach 1918, indem sie Juden und Demokraten die Verletzung von nationalen und Körpergrenzen unterstellten .62 Der Demokratie als politischem System warfen sie vor, diese ‚Gefahr‘ nicht nur zuzulassen, sondern auf beschämende Weise einzuladen .

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Stresemann, Reden, 115 f ., 125 . RSA, I, 171, NSDAP-Versammlung Wismar, 8 .10 .1925 . RSA, I, 250, 16 .12 .1925 . RSA, I, 62, Aufruf „Deutsche Volksgenossen“, 25 .3 .1925 . Jahr, Antisemitismus, 254 . Die Rheinische Zeitung assoziierte Schächten mit Vergewaltigung, vgl . Wenge, Integration, 381 .

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Raum und Grenzen Kombinierte Raum- und Körperdarstellungen, die Grenzverletzungen suggerierten, hatten nach 1918 wohl eine noch größere Resonanz als während des Krieges . Denn die hitzige Debatte um die reale oder imaginierte Beschädigung von Grenzen riss nach der Niederlage nicht mehr ab .63 Und über Raum zu reden, hieß, Identität zu thematisieren . Grenzen waren nach 1918 ein hoch sensibler Punkt, auf verschiedenen Ebenen: Binnengesellschaftliche Handlungsräume verschoben sich; die Position im internationalen System war gravierend verändert; die Friedensverträge tangierten räumliche Grenzen . Spektakuläre Raumdarstellungen fixierten den Friedensvertrag daher als Verletzung . Landkarten zeichneten die Vorkriegsgrenze rot ein, als ‚blutende Grenze‘ des ‚eigentlichen‘ nationalen Körpers, gegen dessen Ostgrenzen chaotisch gezeichnete ‚Angreifer‘ anbrandeten .64 Der Simplicissimus aktivierte auch in diesem Kontext mit Körper- und Raumvorstellungen ein kollektives Bildgedächtnis, um internationale Verträge als Gefährdung einer ‚deutschen produktiven Männlichkeit‘ zu verurteilen . Während des Krieges hatte Michel als Sämann die deutsche Grenzverletzung in eine ‚produktive‘ Tätigkeit verkehrt . Den französisch-tschechischen Bündnis- und Freundschaftsvertrag im April 1924, der die sog . Kleine Entente in Osteuropa verstärkte, beschrieb die Zeitschrift dagegen als akute Gefahr, durch die Siegermächte und ihre Verbündeten eingekreist und bedroht zu werden: Michel bearbeitete auf dem Titelblatt als friedlicher Kleinbauer sein winziges Stück Land, während Waffen von allen Seiten den dünnen Zaun durchbrachen .65 Geschlechtersymbole repräsentierten demokratische Politik somit nicht als ein immer wieder notwendiges Aushandeln, sondern als Phänomen von Überwältigt-Werden und Unterlegenheit . Michel bildete Deutschland als produktiv-männliche Nation ab, die aber nicht in Frieden arbeiten dürfe . Die 1918 geborene Melitta Maschmann, in der NSZeit eine begeisterte BDM-Funktionärin, erinnerte sich noch in den 1960er Jahren an die Landkarte, die sie als kleines Kind in der Weimarer Zeit im Briefkasten gefunden habe . Diese habe ein schwächliches kleines Mädchen auf dem deutschen Territorium und einen kräftigen Jungen auf dem polnischen abgebildet, der auf allen Vieren „angriffslustig“ in Richtung der deutschen Grenze gekrabbelt sei . Ihr Vater habe ihr erklärt, dass die Babys für die Geburtenrate des jeweiligen Landes stünden, und ihr eingeschärft, dass der Junge vor Gesundheit und Kraft strotze, so dass er eines Tages das kleine deutsche Mädchen überrennen werde .66 Die Karte visualisierte augenfällig die Behauptung, dass die Demokratie ein potentiell starkes Deutschland feminisiere und einem ungezügelten Angriff von außen überlasse, während nur ein nichtdemokratischer Staat ‚unverletzte‘ Grenzen garantiere und entsprechend ‚männlich‘ sei . Es war umso schwerer, dieser Zu Grenzdebatten u . a . Conze, Brandwunden . Kopp, Germany’s Wild East, 134 f . Der Staatstheoretiker Ernst Thiessen verstand Staatlichkeit als Macht, über die eigenen Grenzen zu bestimmen; deshalb verurteilte er den Versailler Vertrag 1924 als widerrechtliche Auslöschung deutscher Staatlichkeit an sich, ebd . 176 . 65 Simplicissimus, Jg . 29, H . 2, 7 .4 .1924, Titelbild . 66 Maschmann, Fazit, 69 . 63 64

1 . ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie

Konstruktion zu begegnen, als republikanische Regierungen hinsichtlich der Grenzfrage mit einer paradoxen Konstellation kämpften . Sie unterstützten die heimliche Aufrüstung der Republik, um sie verteidigungsfähig zu machen . Doch konnten sie sich ihre Politik aufgrund der Versailler Bestimmungen nicht öffentlich zugutehalten, so dass erneut Antidemokraten das symbolische Kapital als ‚Grenzschützer‘ ernteten67 – indem sie Demokraten abwerteten, um selbst als kämpferische Männer auftreten zu können . Weimar und die ‚falschen Körper‘ ‚Weimar habe all die falschen Körper‘ – auch auf diese Formel ließen sich die Angriffe auf die Republik bringen . Angesichts real versehrter Männerkörper und der Niederlage eines männlich gedachten Staates wurden Körperbilder nach 1918 noch bedeutsamer, um die Demokratie als Raum von ‚Gefährdern‘ und ‚Gefährdeten‘ auszumalen . So symbolisierten zwei gegensätzliche Weiblichkeitsbilder, wer ‚bedrohlich‘ und wer ‚bedroht‘ sei . Ein Zerrbild der femme fatale etwa verknüpfte die Inflation mit der Verschiebung weiblicher Handlungsräume: Eine junge Frau tanzte auf Bergen von Papiergeld, sexualisierend komplett in hautenges, schwarzes Leder gekleidet und lasziv mit langer Zigarettenspitze agierend .68 Im Simplicissimus dagegen repräsentierte eine abgezehrte und im Inflationsgeld versinkende Mutterfigur die deutsche Nation als Opfer: Sie schaute gerade noch mit dem Oberkörper aus der ‚Flut‘ und hielt ihr ausgemergeltes Kind mit letzter Kraft hoch . Die Wassersemantik beschwor, dass Körper- und Nationsgrenzen ‚überflutet‘, also gefährdet würden .69 In diesem Spannungsbogen ‚verletzender vs . verletzter Körper‘ stand der mediale Angriff auf Reichspräsident Ebert mit dem berüchtigten Bild in Badehose, das am Tag seiner Vereidigung im August 1919 veröffentlicht wurde und danach weiterzirkulierte, um den SPD-Politiker herabzuwürdigen .70 Ebert war nicht schneidig in Uniform oder respektabel im Anzug, sondern zeigte den entblößten, schlaffen Bauch des mittleren Alters . Die Badeszene hätte zum Zeichen nahbarer, ziviler Politik werden können . Doch das Foto operierte mit dem Gegensatz zu einer heroisierten soldatischen Männlichkeit, indem es den Zivilisten und Demokraten als ‚falschen Körper‘ und nicht-akzeptables Deutschsein darstellte . Eine Welle von Schmähbildern entwertete die private, nicht zur Veröffentlichung gedachte Situation gegenüber dem militärischen Habitus der Vergangenheit . Eine Postkarte der Deutschen Tageszeitung „Einst und jetzt“ verurteilte Ebert als beschämend für den Staat, welchen er repräsentiere: Oben und unten erschienen Bismarck und Hindenburg in Uniform, auf Denkmalsockel montiert .

Dazu hier nur Bergien, Die bellizistische Republik . Widdig, Culture and Inflation, 202 . Zur ‚neuen Frau‘ als Krisensymbol Canning, Gender, 116 f . Zur geschlechtlichen und antijüdischen Struktur der ‚Dolchstoßlegenden‘ Hoffmann-Curtius, Terror . 69 Widdig, Culture and Inflation, 198 . Zur Wassermetaphorik der deutschen Freikorps nach wie vor Theweleit, Männerphantasien . 70 Vgl . Mühlhausen, Weimarer Republik entblößt . 67 68

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

Abb . 8: Spottkarte über Reichspräsident Ebert71

Die Bilder waren immens wirkmächtig; sie initiierten eine sechsjährige Hass- und Hohnkampagne, bis zu Eberts Tod 1925 . Der Reichspräsident wehrte sich vergeblich gegen die öffentliche Verhöhnung, während der abgedankte Kaiser ohne Probleme einen ihm nicht genehmen Film verbieten lassen konnte .72 Beobachter/innen konnten daran ablesen, wie gefährlich, aber auch wie erfolgreich eine dauernde, öffentliche und spöttische Verachtung war . Hitler zeigte sich nur bekleidet und auch im Hochsommer nie in Badehose, weil er Angst hatte, sich lächerlich zu machen .73 Seine Angst erklärte er mit diesem Foto . Daran erinnerte sich Henriette von Schirach, die Tochter seines Fotografen Heinrich Hoffmann und Ehefrau von Baldur von Schirach, noch 1980 in ihren hagiographischen Anekdoten um Hitler .74 Ihr wenig später indizierter Band gehörte zu den Veröffentlichungen, die überzeugte Nationalsozialisten in den späten 1970er und 1980er Jahren publizierten, als die Bundesrepublik auf die Gewalt der RAF und deren Bewältigung fixiert war . Das Stichwort des Lachens war für Anhänger/innen auch zu dem Zeitpunkt noch entzifferbar . Das Ebertfoto machte alle ‚Körper des Königs‘ (Ernst Kantorowicz) verächtlich, um Demokratie als Entmännlichung festzuschreiben . Es unterstellte dem Sozialdemokraten nicht nur, einen defizitären politischen Körper zu repräsentieren und den Raum der Nation nicht zu schützen . Es sprach ihm auch in temporaler Hinsicht die als männlich geltende Fähigkeit ab, eine große Vergangenheit in eine bessere Zukunft zu führen . In diesem Sinne verspottete Adolf Stein Ebert 1919 als „Friedrich den Vorläufigen“ .75 Der SPD-Präsident, so die Botschaft, würde das imaginierte Bedrohungsszenario aus zer71 72 73 74 75

Abgedr . in Mühlhausen, Weimarer Republik entblößt, 240 . Stiasny, Kino, 335 . Kershaw, Hitler, Bd . 1, 362 . Schirach, Anekdoten, 109 . Zit . nach Schütz, Rumpelstilzchens Republik, 158 .

1 . ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie

fetzten, verhungernden oder bedrohlichen Körpern nicht kraftvoll auflösen . Die Verachtung für den physischen Körper des zivilen Reichspräsidenten erschwerte es, den symbolischen Körper der Republik positiv zu besetzen . Stattdessen eroberte zunächst der Vergangenheitsheld Hindenburg die Bühne, während Hitler sich ab 1925 als Mann der Zukunft entwarf, der in ein leuchtendes Morgen führe .76 Nicht von ungefähr etablierte eine Postkarte von 1933 Hitler als Herrscher über Zeit und Geschichte, indem sie ihn auf gleiche Ebene neben Friedrich den Großen, Bismarck und Hindenburg stellte . Der obere Rand von Hitlers Uniformmütze ragte jedoch noch über die von Hindenburg hinaus und markierte den aufwärts gerichteten Blick des neuen Kanzlers als visionär . Letztlich konnte auf dieser Ebene nur der ‚Nationsgründer‘ Bismarck mit seinem Spitzhelm mithalten . Seine Kopfbedeckung neigte sich ein wenig in Richtung Hitlers Mützenrand, so dass die Karte Hitler als Bismarcks Vollender anbot .77 Arbeit vs. Nicht-Arbeit = Recht vs. Nicht-Recht Auch der Arbeitsbegriff diente als binäres Konstrukt dazu, ‚Rechtmäßigkeit‘ zuzuweisen oder abzuerkennen, oft verbunden mit dem Zeichen des ‚falschen oder richtigen Lachens‘ . Während des Ersten Weltkriegs hatte das Ernste und Heitere deutsche Grenzüberschreitung in produktive Arbeit umgedeutet . Nach 1918 griff der Simplicissimus die Revolutionäre als Chaoten und Arbeitsverweigerer an und verurteilte ihre Politik als Gegensatz einer ‚großen Tat‘ . Im Dezember 1918 stellte er dem Anspruch der Arbeiterund Soldatenräte, das politische Leben zu gestalten, einen überdimensionierten Arbeiter entgegen . Dieser schaute auf ein Gewimmel von gestikulierenden kleinen Männern mit aufgerissenen Mündern und ‚jüdischen Nasen‘ – die Revolution als ‚jüdisches Produkt‘ – und stellte fest, es sei an der Zeit, die Hände wieder zum Arbeiten zu gebrauchen statt zum Reden .78 Im Januar 1919 folgte ein bayerischer Schuster, der unter dem Motto „Alte Schule“ verkündete: „I arbeite, und wann’s mi für a Gegenrevolutionär haltet!“79 Parallel verurteilten Zeitgenossen die französische Besatzung des Ruhrgebietes mithilfe des Arbeitsbegriffes als ‚unrechtmäßig‘ . Zeichnungen und Plakate karikierten die Franzosen als unproduktiv und chaotisch und suggerierten so, dass sie im Unrecht seien .80 Wohl ließ erst der passive Widerstand deutscher Eisenbahner und Zechenarbeiter 1923 die Wirtschaft kollabieren . Doch drehte der Simplicissimus die Kausalität um: Im März prallten zwei Züge unter der Regie eines französischen Sensenmannes aufeinander, dann folgte ein deutscher Bauer, dem es genug sei, seinen Jungen im Arm, den Pflug in der Hand und – was sonst – ein „fröhliches Herz“ zu haben .81 Ein grinsender Mit Blick auf die Reichspräsidentenwahl 1932 Graf, Zukunft, 245 . Abgedr . in Kershaw, Hitler, Bd . 1, 539 . 78 Simplicissimus, Jg . 23, H . 40, 31 .12 .1918, 498 . 79 Simplicissimus, Jg . 23, H . 44, 28 .1 .1919, 553 . Zur Entwertung bereits der Revolution von 1848 als ‚Faulheit‘ Kessel, Langeweile, 337 . 80 Simplicissimus, Jg . 27, H . 45, 5 .2 .1923, 637 . Ebd ., Jg . 27, H . 46, 12 .2 .1923, Titelblatt, 643, 644 . Ebd ., Jg . 27, H . 49, 5 .3 .1923, 679 . 81 Simplicissimus, Jg . 27, H . 51, 19 .3 .1923, 703, 712 . 76 77

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Affe mit Messer im Maul signalisierte, dass die „German atrocities“ nur ein „Gräuelmärchen“, die Siegermächte aber tatsächlich ‚Verbrecher‘ seien .82 Plakate unterstellten den Franzosen die Maxime ‚Gewalt vor Recht‘: Entweder erschossen sie grinsend vom Panzer herab spielende Kinder83 oder knüpften mit Geiselerschießungen das Recht am Galgen auf .84 Der „Wahnsinnige von Versailles“, der als Riese hinterlistig und tierhaft durch ein deutsches Dorf kroch und ein kleines Kind im Maul schleppte, fungierte in sich als Gegenbild zum ‚aufrechten Bauern-Soldaten‘ . Auch dieses Bild beschwor ‚deutsches Rechthaben‘, indem es ‚französisches Unrecht‘ behauptete: Die Franzosen würden ‚verletzen‘ und ‚vernichten‘, statt zu ‚reinigen‘ und zu ‚produzieren‘, indem der „Wahnsinnige“ Frauen und Kinder in der idyllischen deutschen Heimat verfolge und morde, während der Deutsche fremde Felder bestellt habe .85 Erneut erschien die Demokratie als Raum, der ‚Verletzung und Entehrung‘ zulasse . Daneben gab es eine Reihe hitziger Debatten über die Frage, ob das positive Recht rechtmäßig oder gerecht sei . Das Thema bewegte viele Gemüter, die Beteiligten waren nicht automatisch antirepublikanisch eingestellt . Doch distanzierten sich manche Teilnehmer/innen der Grenzdebatte vom Völkerrecht . In ihrer Empörung über den Versailler Vertrag lehnten sie ein multilaterales System mit völkerrechtlich garantierten Grenzverläufen ab .86 Auch manche derer, die in der Inflation ihre Ersparnisse verloren, empfanden die Gesetze als ungerecht, die andere gewinnen ließen . Richter benutzten Konzepte wie „lebensnah“ oder „Gerechtigkeitsgefühl“, um Recht zu sprechen, oder sprachen vom „Kampf des Rechtes gegen das Gesetz“ .87 Besonders scharf wirkte sich der Streit um die Kriegsverbrecherprozesse aus . Frankreich führte nach dem weitgehend wirkungslosen Leipziger Verfahren von 1921 eigene Gerichtsverfahren ohne die deutschen Angeklagten durch .88 Das deutsche Außenministerium, die Reichswehr, nationalistische Verbände und Akademiker heizten die Empörung darüber immer neu an und stellten dem demokratischen Rechtsbegriff eine ‚deutsche Gerechtigkeit‘ entgegen . Juristen definierten die Prozesse als Ehrverletzung, negierten die strafrechtliche Belangbarkeit von Kriegshandlungen und schrieben die ganze Republik hindurch gegen das Verfahren an .89 Der Deutsche Juristentag in Bamberg bot sich 1921 als „Kerntruppe“ zum „Wiederaufbau des Vaterlands mit den Mitteln des Rechts“ an und sprach von einer „störende[n] Verunglimpfung der Gerechtigkeitsidee“ .90 Regelmäßig assoziierten die Vertreter/innen dieser ‚deutschen Gerechtigkeit‘ jüdische Deutsche mit ‚Unrecht‘ . Schon als die Alliierten 1919/20 forderten, die größten Kriegsverbrecher auszuliefern, wollte der Deutsche Schutz- und Trutzbund jüdische Simplicissimus, Jg . 27, H . 45, 5 .2 .1923, Titelblatt . Abgedr . in Krumeich, „Ruhrkampf “, 23 . 84 Simplicissimus, Jg . 28, H . 14, 2 .7 .1923, 168 . Ebd ., Jg . 28, H . 25, 17 .9 .1923, 312 . 85 Simplicissimus, 27 . Jg ., H . 3, 19 .04 .1922, 33 . ‚Frauen und Kinder‘ fungierten als Kollektivsingular, um eine Opferposition angesichts einer angeblich überwältigenden Gefahr zu beschwören . 86 Conze, Brandwunden . 87 Zit . nach Geyer, Verkehrte Welt, 220, 391 . 88 Horne/Kramer, German Atrocities, 357 . Zu den Verfahren ebd . 329–355 . 89 Vgl . Hankel, Leipziger Prozesse, 12 . 90 Zit . nach Wiggenhorn, Verliererjustiz, 412 . 82 83

1 . ‚Verbrecher, Zuhälter, Deserteure‘: Narrative gegen die Demokratie

Politiker und Intellektuelle vor Gericht stellen, weil diese die Niederlage verschuldet hätten . Während des Prozesses plädierte der Verband erneut für ein „Deutsches Volksgericht“, um Persönlichkeiten wie Oskar Cohn, den Verleger Rudolf Mosse oder Theodor Wolff zu „verurteilen“ .91 In dieser Atmosphäre blieben Mörder von rechts nicht nur ungeschoren, sondern konnten sich auf ihr Rechtsverständnis berufen . Einer der Drahtzieher der Ermordung Rathenaus, der Buchhändler Grenz, behauptete in typischer Verkehrung, das Attentat sei die „Ausführung eines Rechtsanspruches“ gewesen im „Auftrag“, sich „vor der Judengefahr selbst [zu] schützen“ .92 Die Nationalsozialisten banden sich auch hier ein, als sie seit ihrer Neuorganisation 1925 ihre Gewalt nicht als destruktives Handeln, sondern als produktive Leistung für einen großen historischen Wurf definierten . Hitler nutzte und speiste die Empörung, indem er regelmäßig den Vorwurf von Kriegsverbrechen zurückwies . Seine Wut darüber, dass manche Deutsche fragen würden, ob der Gegner nicht doch Recht habe,93 implizierte allerdings, dass genau das 1925 noch geschah . In den Folgejahren beharrte er um so entschiedener darauf, dass die Deutschen im Krieg „aus lauter Humanitätsduselei“ zu mild und zu human gewesen und deshalb zum ‚Opfer‘ jahrzehntelanger Reparationszahlungen geworden seien .94 Zeitgenossen nutzten somit das binäre Zeichen des ‚richtigen vs . falschen Gelächters‘ auch und gerade nach 1918, um die Demokratie und ihre Repräsentanten als unwürdig und ‚unrechtmäßig‘ abzuwerten . Anders gesagt: Die Demokratie wurde diffamiert, indem man ihren Vertreter/innen vorwarf, Deutschsein zu verletzen . Denn wer Demokraten und Juden als ‚Verbrecher, Zuhälter und Deserteure‘ attackierte, verwandelte politische Opponenten und jüdische Deutsche in ‚Täter‘, die moralische, rechtliche, körperliche oder räumliche Grenzen auf widerrechtliche Weise überschreiten würden . Sprach-Bilder von Vergewaltigung und Zuhälterei speisten die Obsession mit (angeblich) verletzten Grenzen und übersetzten sie in suggestive Körper-Bilder . Arbeit als binäre Kategorie diente parallel dazu, den Siegermächten und allen, die mit ihnen kooperierten, ‚Rechtmäßigkeit‘ abzuerkennen . Die diffamierende Sprache traf besonders jüdische Befürworter/innen der Demokratie: Gerade angesichts eines politischen Systems, das endlich volle Gleichberechtigung versprach, sollten sie keine integrierenden ‚Künstler-Politiker‘ sein dürfen . Stattdessen unterstellten ihnen ihre Gegner/innen, den identitätspolitischen Körper von innen zu ‚zerreißen‘ . Vor diesem Hintergrund war es ein kleiner Schritt für die Nationalsozialisten, von Entmannung zu sprechen und zu behaupten, durch die Demokratie und alle, die sie unterstützten, im ‚Kern‘ ‚zerstört‘ zu werden .

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Jochmann, Ausbreitung, 463 f . Vgl . Jochmann, Ausbreitung, Zitat 465 . RSA, I, 21, Februar 1925 . RSA, II/2, 531, 9 .11 .1927 .

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

2. Das Ernste und Heitere nach Versailles: Den Frieden abwerten Karl Kraus veröffentlichte Anfang der zwanziger Jahre Die letzten Tage der Menschheit . Darin sang „Kommerzienrat Ottomar Wilhelm Wahnschaffe“ ein Couplet, in dem er alle Versatzstücke des schneidigen deutschen Überlegenheitsdenkens durchdeklinierte . Derweil stellte ein unsichtbarer Chor das „Gelächter des Auslandes“ dar .95 Außerdem priesen zwei deutsche Handlungsreisende im Zug ihre Waren an und resümierten zufrieden, dass, wenn der Deutsche ernst mache, beim Volk der Dichter und Denker auch der Humor zu seinem Recht komme .96 Spöttisch entzifferte der berühmte Satiriker Humor als Zeichen für Gewaltbereitschaft und das ‚ausländische Gelächter‘ als Kunstgriff, mit dem die Deutschen sich als Opfer beschrieben . Bis heute prägen die Namen der demokratischen Ironiker wie Kraus oder Kurt Tucholsky die Wahrnehmung der Weimarer Kultur .97 Diese aber realisierten, wer zeitgenössisch gut ankam . Tucholsky und der Österreicher Fritz Grünbaum, der oft in Deutschland auftrat, beklagten in den frühen zwanziger Jahre den Erfolg nationalistischer Unterhalter, die mit ihrer Polemik gegen den Versailler Vertrag und die Republik das zahlungskräftige Publikum anzogen .98 Tucholsky notierte 1922, wie aktiv das nationale Lager die Bühne nutzte, als weiterhin wichtigen sprachlichen Resonanzraum neben einer explodierenden visuellen Kultur . Eine Rechtspartei habe sich an einen Berliner Komiker „herangemacht“ und ihn gebeten, gegen Geld „die gute, alte Zeit“ auf Kosten der neuen zu loben . Zwar habe dieser abgelehnt .99 Doch wie irritiert die deutsche Gesellschaft darauf reagierte, dass Satire nun tatsächlich das ganze politische und künstlerische Spektrum bespielte, brachte erneut Tucholsky auf den Punkt: „Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel .“100 Demokratische Ironie ging von Platz zwei ins Rennen . Vor allem, was das Militär betraf . Im Folgenden geht es nach einem kurzen Blick auf die vielschichtige Weimarer Kultur darum, dass es nach der Niederlage gerade keine ironische Reflexion über Krieg und Militär geben sollte . Kriegsanekdoten gehörten zu der Schwemme von Literatur, die nach 1918 den Krieg weiterführte .101 Zwar wirkten sie eher unauffällig . Doch ließen auch sie die Revolution nicht als Beginn eines geschätzten Friedens zu, sondern nur als Zeichen für Ordnungs- und Herrschaftsverlust, und verankerten die Deutung mit dem Stichwort des Lachens . Ehemalige Offiziere inszenierten sich als ‚Künstler-Soldaten‘, um ihre Beteiligung an den Völkerrechtsverletzungen des Krieges zu legitimieren . Zudem traten Deutsch-Humoristen gegen die Avantgarde an . Während Künstler wie Otto Dix die Versehrungen, die während des Krieges nicht gezeigt werden durften, nun in den Blick rückten, boten die Protagonisten des Ernsten und Heiteren ihren jovialen Duktus als ‚heilende‘ moderne Kunst an . Wenig überraKraus, Die letzten Tage, 391–397 . Ebd ., 388–390, bes . 390 . 97 Zu linker Satire Haarmann, Pleite, u . a . 34, 71 . S . a . Simmons, War . 98 Jelavich, Berlin Cabaret, 126 ff ., und generell zu Kabarett in der Weimarer Zeit . Greul, Bretter, 203 . 99 Greul, Bretter, 203 . 100 Zit . nach Haarmann, Pleite, 33 . 101 U . a . Schöning, Versprengte Gemeinschaft . 95 96

2. Das Ernste und Heitere nach Versailles: Den Frieden abwerten

schend fassten sie die Avantgarde als ‚jüdisch‘ und klammerten sie auf diese Weise aus ihrer Vorstellung von ‚deutsch‘ aus . Kunst als Identitätsarena Es ist bereits vielfach betont worden, dass die Weimarer Moderne nicht mit Avantgarde gleichzusetzen ist . Zwar demonstrierte die preußische Regierung durch ihre Kunstpolitik, dass und wie eine freie Kunstszene zu Demokratisierung beitragen könne .102 Doch dominierten herkömmliche Modi auch in der Republik, in alten wie neuen Medien . Viele Zeitgenossen zogen vertraute Unterhaltungsformen vor und warfen der künstlerischen Moderne vor, undeutsch zu sein und die ‚deutsche‘ Kultur zu feminisieren .103 Theater spielten Mitte der zwanziger Jahre ähnliche Unterhaltungslustspiele und Volksstücke wie im Kaiserreich, die nichts mit Kraus und Tucholsky zu tun hatten .104 Avantgardistisch zu sein, hieß zudem keineswegs per se, demokratisieren zu wollen . Das berühmte, expressionistisch beeinflusste Händelfestival Göttingens schloss geschlechterkonservative Positionen nicht aus, auch bevor Mitte der zwanziger Jahre Werktreue die avantgardistischen Interpretationen wieder ablöste . Moderne Kunst passte mit konservativen Auffassungen in Politik oder Gesellschaft zusammen und umgekehrt .105 Manche Künstler/innen wiederum, die im Lauf der zwanziger Jahre zu konventionellen Kunstformen zurückkehrten, störten sich am Einfluss der Expressionisten . Andere lehnten die Avantgarde ab, weil sie das Subjekt fragmentiere, während sie selbst von ‚Persönlichkeit‘ träumten .106 Wenn man jedoch davon ausgeht, dass es im Künstlerischen wie Politischen darum ging, sich als Künstler-Krieger zu entwerfen, dann mag ein Wechsel zwischen Kunstmodi, die aus heutiger Sicht radikal anders scheinen, den Akteuren selbst nicht als abrupter Bruch erschienen sein . Künstler/innen wanderten zwischen avantgardistischen und traditionellen Ansätzen, eigneten sich manches teilweise an oder vertraten Positionen, die inhaltlich anders, aber symbolisch ähnlich waren . Manche entwarfen sich mit verschiedenen Ausdrucksformen als ideale Persönlichkeit und versuchten so ihre Marktchancen zu erhöhen . Der Maler Conrad Felixmüller etwa trat schon in seiner expressionistischen Phase als Künstler-Kämpfer auf, bevor er sich herkömmlichen Kunstformen zuwandte,107 die das Ideal immer schon für sich beansprucht hatten . Der Simplicissimus allerdings beharrte einmal mehr auf Eindeutigkeit: Nur, wer die Politik der Siegermächte ablehne, sei ein Künstler-Politiker – ein gegenständlicher Kunstmodus und christliche Ahnen vorausgesetzt . Und wie immer, wenn die Zeitschrift Identitätspolitik machte, arbeitete sie am und mit einem visuellen Gedächtnis . Im Ersten Weltkrieg waren unter der Überschrift „Deutsches Theater“ Künstler als tapfere Offiziere für Deutschland marschiert . 102 103 104 105 106 107

Kratz-Kessemeier, Kunst für die Republik . Von Saldern, „Kunst fürs Volk“ . Grimm, Neuer Humor, 130 . Imhoof, Becoming a Nazi Town, 75 . Frank, Beyond the Republic, 58 . Van Dyke, Felixmüller’s Failings, 181, 190 .

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

1922 tanzte bei Wilhelm Schulz unter demselben Titel ein fettes Schwein auf obszöne Weise nach Dressuranweisungen Woodrow Wilsons, der wie eine Mischung aus französischem Revuedirektor und dunkelhäutigem Uncle Sam mit Hakennase und Peitsche aussah . Er wies Goethe, Schiller, Kleist, Lessing und Hebbel brüsk zurück: „Stören Sie uns nicht, meine Herren! Wir führen nur noch französische Schwänke auf!“108 ‚Ernstes und Heiteres‘ als Kriegführung im Frieden In diesem vielschichtigen Kontext blieb die im Krieg diskursiv etablierte Botschaft des Ernsten und Heiteren für Interessierte durchgängig hörbar . Typisch für die unmittelbare Nachkriegszeit waren nicht nur linke oder dadaistische Satirezeitschriften . Denn Mundartgedichte, Geselligkeitsratgeber und Kriegserinnerungen polemisierten gegen die Republik und beanspruchten, ‚wahre‘ Kunst zu sein . Der Postüberwachungsoffizier Martin Berger, während des Krieges Korrespondent konservativer Zeitungen im Elsass, signalisierte mit dem Untertitel Ernstes und Heiteres seine Position: Die Anekdoten, die seine Autorität im Krieg unterstrichen, waren ‚heiter‘, Straßburg war eine ‚deutsche‘, nun ‚französisch besetzte‘ Stadt, und die Politik der SPD „dummes Zeug“ .109 Der Deutsch-Nationale Handlungsgehilfen-Verband inszenierte den Krieg in einem Geselligkeitsratgeber von 1924 als positives Erlebnis . Sein Kanon nichtjüdischer Autoren verriet das zugrundeliegende Identitäts- und Politikverständnis: Schwänke von Hans Sachs, Ludwig Thoma und Fritz Reuter sollten helfen, eine als „wenig heiter“ beschriebene Gegenwart zu ertragen .110 Humoristen platzierten sich als ‚eigentliche‘ Modernevertreter, indem sie die Avantgarde als ‚jüdisch‘ markierten .111 Gustav Manz aktualisierte das selbstreferentielle Muster, Witz und Ironie als ‚jüdisch, kalt und herzlos‘ zu beschreiben und den Humorbegriff mit den Attributen ‚deutsch, herzlich und heil(end)‘ zu verbinden . In einer Neuauflage von Hundert Jahre Berliner Humor lehnte er es 1923 entschieden ab, die Weimarer Moderne nur mit dem vielzitierten „Berliner Witz“ gleichzusetzen . Er lobte das Berliner „Herz“, dass man für „gemütvoll-behaglichen“ Humor brauche und das sich neben dem „scharfe[n] Akzent der neuberlinischen Ironie“ behaupte – mit ‚Neuberlin‘ als Kürzel für ‚jüdisches‘ Wohngebiet .112 Max Brinkmann stereotypisierte Schieber 1921 als jüdische Emporkömmlinge, die in „Berlin W“ für teures Geld unverständliche Bilder kaufen würden, um dann nicht zu wissen, wie man sie hängen müsse .113 Der Kabarettist Hans Reimann war bekannt für seine Sachsenparodien .114 Doch polemisierte er in seinem Kabarettbuch von 1924 auch entschieden antisemitisch und antipazifistisch .115 108 109 110 111 112 113 114 115

Simplicissimus, Jg . 27, H . 9, 31 .5 .1922, 120 . Berger, Aus den letzten Tagen, 18, 35 f . Sowie die „Spaßmacher“, die schon im Krieg „geholfen“ hätten, Deutsche Geselligkeit, unpagin . (1, 3) . Zum Phänomen generell Reisenfeld, Collecting, 116 . Manz, Hundert Jahre Berliner Humor, 3–5, Zitate 5 . Zu ‚Neuberlin‘ Wein, Antisemitismus, 440 . Brinkmann, Kleiner Knigge, 48–53 . Greul, Bretter, 205 . Reimann, Kabarettbuch, 16 f ., 24 f .

2. Das Ernste und Heitere nach Versailles: Den Frieden abwerten

Andere handelten direkt und persönlich . Der Deutsche Schutz- und Trutzbund organisierte seit seiner Gründung 1921 nicht nur Knüppelattacken gegen das „Land der Judenkunst“ .116 Seine Mitglieder legten jüdischen Deutschen auch gebastelte Fahrkarten für eine Ausreise nach Palästina ohne Wiederkehr in die Briefkästen . Ein Kaufhausinhaber namens Bernheim in Passau erhielt im August 1923 eine Karte mit dem Text: „Lieber Israel! Anbei eine Fahrkarte nach Jerusalem . Die Karte kostet nichts, denn die Bayern sind froh, wenn sie den Knoblauchgeruch nicht länger einatmen müssen .“117 Melitta Maschmann erinnerte sich noch in den 1960er Jahren daran, dass sie 1930 als Zwölfjährige einem deutschjüdischen Mädchen ihrer Klasse einen „politischen Scherzartikel“ für deren Vater mitgegeben habe – so nannte sie noch in der Rückschau die „Fahrkarte nach Jerusalem“ mit dem Kleingedruckten: „und nicht zurück“ . In diesem Fall schien der zivilgesellschaftliche Kontext noch zu funktionieren . Zumindest behauptete Maschmann rückblickend, sie habe einen Skandal provoziert und sich bei der Mutter des Mädchens entschuldigen müssen, um zu vermeiden, dass ihre eigenen Eltern in die Schule bestellt würden .118 Karneval und Fastnacht, zumindest im Rheinland und in Südwestdeutschland eine wichtige „fünfte Jahreszeit“, boten eine weitere ‚heitere‘ Bühne, Deutschsein als Opfer von Juden und Siegermächten zu inszenieren . Auch das war nicht trivial . Karneval war hoch ritualisiert und ein für Dorf- und Stadtgesellschaften bedeutsamer Identifikationsrahmen . Identität in diesem Kontext performativ herzustellen, war eminent hörbar und sichtbar . Der Kölner Karneval, der ab 1925 wieder Saalsitzungen und zwei Jahre später Umzüge abhalten konnte, stellte nicht nur ein wichtiges Ritual im Jahresablauf dar, sondern bildete eine zentrale Machtachse der städtischen Gesellschaft . Und er band viele ein: Kommunale Eliten, Vereine, Schulklassen und Einzelpersonen trafen sich nicht nur für ein paar närrische Tage, sondern über Monate, um zu planen und vorzubereiten . Hier zeigte sich dieselbe Spannung wie in Sing- oder Schützenvereinen . Mitglied in Karnevalskomitees zu sein, bedeutete sozialen Status und potentiell Einfluss . Deshalb war es in kleinen rheinischen Gemeinden schwer möglich, als Jude Mitglied zu werden .119 Büttenredner machten sich nicht nur mit Angriffen gegen die Republik, die französische Besatzung und den Völkerbund einen Namen .120 Sie pöbelten auch gegen Juden . Beliebte Karnevalslieder empfahlen: „Die Jüdde wandern uss“ .121 Die junge Doris Liffmann, 1915 als Tochter polnischer Juden in Köln geboren, liebte Karneval . Sie fühlte sich als „100 % kölsches Mädchen“ und sehnte die Karnevalstage herbei, in denen der Alltag ausgesetzt schien: „Ich habe den Rosenmontag, ach da habe ich drauf gewartet wie auf den Messias . Das habe ich so gern gehabt .“122 Auf der Kölner Eröffnungssitzung im Februar 1925 aber erhielt der Volkstumsdichter Hans Jonen riesigen Beifall, als er 116 117 118 119 120 121 122

Zit . nach Hecht, Deutsche Juden, 238 . Zit . nach Hecht, Deutsche Juden, 132, s . a . 120, 130–132 . Maschmann, Fazit, 39 . S . a . Jahr, Antisemitismus, 275 . Wildt, Volksgemeinschaft, 82 . Leifeld, Kölner Karneval, 50, 323 . Zur Weimarer Republik auch 37, 45 . Wenge, Integration, 196–202 . Zur Diffamierung deutscher Juden als Parvenü ebd . 205 . Zit . nach Wenge, Integration, 196 . S . a . Bloch, Das verlorene Paradies, 41, 46, zur Fasnacht .

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

das Leid der „Deutschen“ unter ‚Kriegsgewinnlern‘ besang . Zwei Jahre später kontrastierte ein Büttenredner Michels „goldene Arbeit“ mit „viel Reden“ und beschrieb es als Happy End, dass der deutsche Held das „faule Wuchergesindel“ verjagt und so die Luft ‚gereinigt‘ habe .123 Doch lässt sich auch für die Weimarer Zeit festhalten, dass der Titel Ernstes und Heiteres nicht automatisch eine antirepublikanische, antijüdische oder revanchistische Botschaft implizierte . Gerade weil die Semantik prominent blieb, konnte sie auch als Aufmerksamkeitsgenerator dienen, um die deutsche Politik im Ersten Weltkrieg zu ironisieren . Der 1924 in Colmar veröffentlichte, deutschsprachige Band Schwowestückle machte mit Kriegswitzen „aus dem Elsaß und der übrigen Front“ das nun wieder französische Elsass genussvoll zum geographischen Mittelpunkt des Krieges . Elsässische Soldaten waren vom deutschen Militär im Krieg überaus misstrauisch behandelt worden . Nun verspottete die Sammlung deutsche Soldaten, die nicht ans Denken gewöhnt seien, und ironisierte das Lamentieren über die Opferposition: „Der schöne Himmel: Im Schützengraben am Isonzo . Der Italiener zu einem im jenseitigen Graben liegenden deutschen Feinde: ‚Vien qua, tedesco . Komm herüber, Deutscher, komm zu uns nach Italien . Über uns lacht ständig der blaue Himmel‘ . – ‚Ach was, Maccaroni, lautete die Antwort, ich bleib wo ich bin . Über uns lacht die ganze Welt‘ .“124 Kein Scherz: Das Militär Spott über das deutsche Militär aber war hoch sensibel, denn die Beschränkungen durch den Versailler Vertrag galten als unerträgliche Beschneidung von Macht und Ehre . Steins Angriff auf Toller hatte es bereits gezeigt: Aus konservativer Sicht sollte niemand ein Künstler-Politiker sein dürfen, der die Armee ernsthaft ironisierte oder aber Versehrung ungeschönt und ohne harmonisierendes Fazit zeigte . Der Aufruhr um Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues Ende der zwanziger Jahre hatte zahlreiche Vorläufer . Gerade in der frühen Weimarer Zeit reagierte das Theaterpublikum empört, wenn Künstler/innen den Krieg und seine Folgen anders als im Humor-, Revanche- oder heroischen Trauermodus bearbeiteten . Brechts ironische Ballade vom toten Soldaten endete 1922 in Tumulten, 1923 gab es bei der Münchner Premiere von Im Dickicht die erste NS-Parkettaktion mit Einsatz von Reizgas .125 Ann Linder hat überzeugend betont, dass die deutsche Literatur über den Krieg im Gegensatz zur britischen jede Bereitschaft vermissen ließ, den Krieg zu ironisieren oder vorzuführen, wie herkömmliche Vorstellungen über das Kämpfen desillusioniert worden seien . Stattdessen strukturierten deutsche Kriegsautoren ihre Texte über das Narrativ des Bildungsromans – genau wie m . E . Hitler seine Reden ab 1925 . Für einen Bildungsroman wiede-

Zit . nach Wenge, Integration, 201 . Zu Jonens Passförmigkeit ab 1933 Leifeld, Kölner Karneval, 331 f . 124 Schwowestückle, 8 . 125 Greul, Bretter, 209, 236 . Barth, Dolchstoßlegenden, 517 . 123

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rum kam kein experimenteller Stil in Frage, sondern nur ein konventioneller, der ein ‚geschlossenes‘, essentialisierbares und eindeutig abgrenzbares Subjekt imaginierte .126 Auch für den Film gilt das Militärische als „schwarzer Bodensatz“, nach 1918 zunächst in der Fridericus-Rex-Version des tragischen Helden, ab Mitte der zwanziger Jahre als Militärklamotte .127 Am zeitgenössischen Friedrich- oder Hindenburg-Kult arbeiteten Medien und Politiker ebenso mit wie ein zahlendes Publikum; alle Seiten favorisierten ‚große Männer‘, die drängende politische Fragen mit militärischer ‚Kunst‘ lösen würden . Als der südwestdeutsche Zeitungsredakteur Sofoni Herz die Masse vaterländischer Friedrich-Filme kritisierte und für „moderne Problemstücke“ warb, verbot ihm der örtliche Kinobetreiber prompt den Zugang . Herz musste in langwierigen Gesprächen zusichern, nicht noch einmal „so kritisch“ zu sein, bis er wieder ins Kino durfte .128 Das Militär galt weiterhin als Raum, in dem sich die Verwicklungen der Zivilgesellschaft ‚lösten‘ . Denn in dieser Vision einer nationalen Gemeinschaft zerstörte Unterordnung Individualität nicht, sondern brachte im Gegenteil den erhofften sozialen Lohn .129 Marschierende Einheiten wurden so wenig lächerlich gemacht wie die Figur des kunstsinnigen und todesmutigen Offiziers . Als komisch galt auch in der Weimarer Zeit der Tollpatsch, der die Füße nicht ordentlich auf die Erde bekam und immun war gegen jede ironische Brechung . Das machte Militärschwänke jenseits konkreter Milieus so attraktiv .130 Seit Ende der zwanziger Jahre stieg ihre Anziehungskraft noch . Denn nun war das Publikum es zunehmend leid, Diskussionen über Themen wie Abtreibung oder Prostitution in Radio und Literatur zu verfolgen . Zahlende Zuschauer/innen zogen vorgeblich unpolitische Darstellungen vor, und Friedrich der Große galt nicht als tendenziös . Peter Jelavich zufolge waren pro-republikanische Stimmen nach dem nationalsozialistischen Stimmenzuwachs von 1930 nur noch selten im Radio zu hören . Gegen demokratische Diskussionen in den Medien wirkte sich von da an auch aus, dass diese ihrerseits lieber auf Heiteres setzten als auf kontroverse politische Themen . Sie wollten ihr Publikum in der Wirtschaftskrise halten oder, wie beim Film, den Wechsel zum Tonfilm und die Stärke der amerikanischen Konkurrenz abfedern .131

Linder, Princes, 120–126, 136–138 . Remarques Buch lehnten diese Autoren „lächelnd“ ab, ebd . 116 f . Zu Hitler Kap . III .3 . 127 Hickethier/Bier, Unterhaltungskino I: Militärschwänke, 71 . Stiasny, Kino, 340 ff . 128 AZAB, bMs Ger 91 (96), Sofoni Herz, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30 . Januar 1933, 13 f . Der Friedrich-Kult inszenierte, dass der Preußenkönig Kunst, Militär und Politik verschmolzen habe, Gay, Weimar Culture, 122 f . 129 Däniker, Truppe, zu der diskursiven Energie, mit der Unterordnung im Militär als männlich markiert wird . 130 Hickethier/Bier, Unterhaltungskino I: Militärschwänke, 88–90 . Brandt, Vom Kriegsschauplatz, 169–189, zum „öffentlichen Vergessen“ republikanischer oder kriegsablehnender Haltungen . 131 Jelavich, Berlin Alexanderplatz,73, 146 f ., 149–155 . Zum Kino bes . Ross, Media, auch zur Überschneidung der Rezeptionsgewohnheiten in verschiedenen Milieus . 126

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Scherzende Soldaten: ‚Sieger‘ über eine demokratische Zivilgesellschaft Auch für Anekdotensammlungen war entscheidend, dass sie nicht den Frieden als eine Errungenschaft feierten, die es zu verteidigen gälte, sondern kompromisslosen Kampf als Grundtenor des Politischen . Wie die übrige Kriegsliteratur ließen sie nur den Soldaten als authentischen Deuter des Krieges zu .132 Doch transportierten sie ihre Botschaft in der Leitmetapher vom Lachen: Es sei nicht nötig, über die Ursachen der Niederlage und der Revolution nachzudenken, solange man an das ‚Lächeln der eigentlichen Sieger‘ glaube . Indem Witzhefte einen soldatischen Humor priesen, der alles Schwere vergessen lasse, schrieben sie auch fest, die eigene Position nicht über den Scherz hinaus begründen zu müssen . Peter Ernst Eiffe etwa wischte 1927 in Splissen und Knoten. Heiteres aus der Kaiserlichen Marine die heikle Frage des Matrosenaufstandes vom November 1918 explizit beiseite . Der Kapitänleutnant a . D . wollte gerade nicht analysieren, warum die drei „untrennbaren Säulen“ Frohsinn, Kameradschaft und Disziplin zusammengebrochen seien, sondern Dunkles verblassen und den „Frohsinn“ und „Heldengeist“ der deutschen Flotte leuchten lassen .133 Eiffe blendete Angst, Ohnmacht oder Verweigerung als authentische Erfahrungen aus . Seine invented memories134 ließen als Gefühlsgemeinschaft nur lachende, also kampfbereite Soldaten zu . Der Band speiste das Reservoir narrativer Strategien, das deutsche Kultur mit Kampf identifizierte und demokratisches Handeln implizit als unmännlich markierte . 1941 nahm die Wehrmacht Eiffes Sammlung in ihre Hitliste empfehlenswerter Humorbücher auf .135 Generell verschob die ‚Geschichtsschreibung im Alltag‘ den thematischen Schwerpunkt . Anekdotenhefte während des Krieges hatten die Front und die Zivilgesellschaft gleichermaßen thematisiert . Nun lag der Schwerpunkt auf dem Krieg . Den Krieg als Anekdote zu erzählen, begann somit während des Ersten Weltkrieges, intensivierte sich jedoch beträchtlich in der Weimarer Republik und wurde in der NS-Zeit endgültig gehypt . Die Dominanz dieses erzählerischen Zugriffs in der Zeit nach 1918 mochte dazu beigetragen haben, dass Soldaten, die den Zweiten Weltkrieg mitmachten, nach 1945 häufig in Anekdotenform erzählten, im Gegensatz zu Männern, die bereits im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten .136 Nach 1918 verschärften die Autoren manche Sinnstrukturen und veränderten andere . Erstens forcierten sie die temporale Struktur soldatischer Männlichkeit: Ein Kämpfer müsse gerade nach 1918 erneut auf Sieg setzen . Implizit werteten sie so eine dauerhaft friedliche Verständigung mit den Siegermächten ebenso ab wie parlamentarische Praxis . Hitler beschwor in fast jeder Rede nach 1925, dass eine von Demokraten, Juden und moderner Kunst angeblich gedemütigte Gegenwart eine ehrenvolle Vergangenheit beschäme,137 um dann seinerseits eine glorreiche Zukunft anzubieten . Sigmund 132 133 134 135 136 137

Linder, Princes . Ulrich/Ziemann, Krieg, 15 f . Eiffe, Splissen und Knoten, xiv . Der Begriff bei Barth, Dolchstoßlegenden, 411 . Vgl . Kap . IV .4 . Dazu Rosenthal, Erzählbarkeit, 9 . Kershaw, Hitler, Bd . 1, 196 .

2. Das Ernste und Heitere nach Versailles: Den Frieden abwerten

Graff bediente dasselbe Muster . Er arbeitete in der Weimarer Republik bei der Wochenschrift Der Stahlhelm; in der NS-Zeit wachte er als Lustspielautor und Theaterzensor im Propagandaministerium über ‚deutsche‘ Kultur . In seinen Frontwitzen von 1926 beklagte er das „bittere Ende“ von 1918 nur, um den Humor der Frontsoldaten zu feiern, der neuen Ruhm ermöglichen werde .138 Auch er markierte den Krieg als heroische Zeit, die Republik als Schwundstufe und ein hartes Lachen als Zeichen des zukünftigen Triumphes .139 Und als männlich: Angesichts der Präsenz von Frauen in Politik und Kunst der Weimarer Republik dienten Kriegsanekdoten auch dazu, Frauen weiterhin als Akteurinnen einer öffentlichen Verständigung über den Krieg auszublenden und das Recht zur spöttischen Rede für Männer zu reservieren .140 Zweitens stellten Anekdoten den Soldaten deutlicher als während des Krieges als Körper im Schmerz dar . So reagierten sie vielleicht auch auf die zeitgenössische Behauptung, dass Deutschland den Krieg verloren habe, weil die ausländische Propaganda effektiver gewesen sei . Nun, so hieß es, wollten sie nichts mehr beschönigen, sondern den Schmerz mit einem Scherz in beflügelnde Erinnerung verwandeln .141 Als CarlAlbrecht Oertel 1932 Kurzgeschichten über Soldaten, die kurz vor Kriegsende erschossen, verschüttet oder wahnsinnig geworden seien, mit „Warum“ überschrieb, stellte er den Krieg gerade nicht in Frage . Er beschrieb die Gefallenen- und Verwundetenzahlen nur deshalb als sinnlos, weil sie nicht zum Sieg geführt hätten .142 Doch suggerierte der Fokus auf Schmerz auch, dass die Demokratie diesen nicht heile, sondern nur Revanche die ‚Wunde‘ von 1918 schließen könne . Drittens nutzten Publizisten das Konstrukt von Nicht-/Reinheit, um ‚Recht‘ zu definieren . Im Simplicissimus beschrieb Eduard Thöny die französische Regierung als nicht satisfaktionsfähig: Er ließ den französischen Ministerpräsidenten Poincaré am April 1924 mit einer deutschen Protestnote auf die Toilette gehen, um sie dort einer „eingehenden Würdigung“ zu unterziehen .143 Der Publizist und Verleger Wilhelm Schlichting markierte Demokraten und Juden 1931 mit Analmetaphern und Schmutzvisionen als ‚nichtdeutsch‘ .144 Wie verbreitet auch Reinheitssemantik und Fäkalbezug über Lagergrenzen hinweg waren, um politische Gegner als ‚Schmutz‘ und ‚falsche Präsenz‘ auszugrenzen, zeigte das SPD-nahe Blatt Lachen links . Eine Karikatur verspottete den Stahlhelm 1927 als schwarz-rot-weißen Fluss von Unrat, der sich durch das Brandenburger Tor wand . Prompt karikierte John Heartfield (vormals Helmut Herzfeld) die Graff, Dicke Luft, 155 . Auch Erbelding, Vor Verdun, VII–VIII, forderte in seinen „ernsten und heiteren“ Erinnerungen an Verdun, dass der Frontkämpfergeist die „Ketten“ der Gegenwart zerreißen und deutsche Zukunft erobern müsse . 140 Zur Präsenz SPD-naher Kabarettistinnen Herlemann, „Wir waren doch überall dabei gewesen“, 127 . 141 Geyer, Ernstes und Heiteres, 2 f ., 1932 und erneut 1933 . 142 Oertel, Hurra, bei Landsersch, 93–99, 100–107 . 143 Simplicissimus, Jg . 29, H . 4, 21 .4 .1924, 59 . Neben unerträglichem ‚Schmutz‘ schrieb er dem demokratischen Politiker auch noch aristokratisches Gebaren zu, da ihm ein Diener die Toilettentür öffnete . Es ging um die Finanzierung von deutschen Sachleistungen an Frankreich . 144 Schlichting, Derber Humor, 150 (gegen Demokraten), antijüdische Stereotype 95 f ., 125, sowie 106 f ., 131 . Zur Entwertung der Demokratie durch Fäkalsprache auch Schmersahl, Demokratie, 161– 168 . 138 139

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SPD als zu lasch und suggerierte in einer Fotomontage, in der ein Arbeiter den Kot beseitigte, dass nur die KPD effektiv genug gegen rechts vorgehe .145 Witzproduzenten wussten, wie sie sich verstehbar machten . Viertens buchstabierten manche aus, dass nicht nur der Inhalt, sondern der Spott selbst eine Praktik war, ‚Deutschsein‘ herzustellen . Otto Freiherr von Dungern-Oberau zufolge hatte sich seine Einheit bei der Flucht von Juden vor russischen Schrapnells „vor Lachen gebogen“ .146 Anders: Seine soldatische Lachgemeinschaft etablierte sich als ‚deutsch‘, indem sie sich darüber amüsierte, dass Juden bei Lebensgefahr flüchteten . Auch er ließ weder die Suche nach Deckung noch Angst und Schmerz als genuine und legitime Erfahrung von Juden zu . Stattdessen agierte er im und mit Gelächter aus, über die Deutung des Krieges zu verfügen . Darüber hinaus assoziierte er Juden explizit mit ‚Unrecht‘, indem er unterstellte, sie hätten seine Arbeit als Oberrichter im Krieg durch „Mauscheln“ verhindert .147 Fünftens schließlich traten ehemalige Militärs als ‚Künstler-Soldaten‘ auf: Sie erläuterten pointiert, wie sie Bildung, Kunstsinn und Kampfgeist im Krieg verbunden hätten . Major Oscar Liagré publizierte seine 149 Augenblicksbilder mit dem Untertitel Manch Ernstes und viel Heiteres bereits 1923 und nutzte 1933 für eine erneute Auflage . Er schwärmte in Korpsbrudermanier, er habe Kunst „gekneipt“ in Gent, Brügge, Antwerpen, Mechelen und Löwen, also Stätten deutscher Herrschaft und Zerstörung . Zudem behauptete auch er, dass die Gesellschaft durch Kunst im Krieg integriert worden sei: Er beschwor eine „andächtige Gemeinde“ aus Soldaten, Offizieren, Verwundeten und Krankenschwestern bei der Eröffnung des deutschen Theaters in Lille an Weihnachten 1914 . Liagré berief sich auf den damaligen Schriftleiter der Lustigen Blätter Rudolf Presber, der den „Barbaren“-Vorwurf abgeblockt habe mit der Behauptung, es sei eben deutsche „Barbarenart“, mitten im Krieg „Kunsttempel“ zu errichten und dem „Schönheitsdurst“ des deutschen Gemüts Genüge zu tun .148 Schließlich inszenierte der Major seine volksnahe Seite und zeigte dabei auch, um welche Kunst es ging: Er habe nicht nur leidenschaftlich gerne seine Leipziger Zeitung gelesen, sondern sich mit seinem Leutnant „gemütlich“ um die Lustigen Blätter, den Kladderadatsch, die Wiener Muskete und Höckers Liller Kriegszeitung gestritten .149 Major Eugen Erbelding zitierte in seinen Erinnerungen an Verdun zwar weniger ausführlich diese Referenzsysteme aus dem Krieg, dozierte aber ebenfalls abwechselnd über Schlachten und Kunst .150 Beide Autoren leugneten gerade nicht die Gewalt im Krieg, sondern verliehen sich mit ihren Kunstverweisen die Aura der Rechtmäßigkeit . Vor allem Liagré belebte den Partisanenmythos mit scharfen Worten . Er rühmte sich, die Achtung seiner Leute durch sein mutiges Vorgehen gegen „Freischärler“ erworben zu haben .151 Indem beide als kunstsinVgl . Simmons, War, 53 . Dungern-Oberau, St . Georg hilf, 76 f ., Zitat 77, zum Stolz auf die „germanische Männerschaft“ 119 . 147 Dungern-Oberau, St . Georg hilf, 93–98 . 148 Liagré, 149 Augenblicksbilder, 122 . 149 Liagré, 149 Augenblicksbilder, 151 f . 150 Erbelding, Vor Verdun, 3 . 151 Liagré, 149 Augenblicksbilder, 3 f ., 6 f ., 8 . Zu Regimentsgeschichten Meteling, Ehre, 218 . Zu Pazifisten im Ausland, die auch dem Westen Völkerrechtsverstöße vorwarfen, Horne/Kramer, German Atrocities, 367 ff . 145 146

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nige Männer auftraten, reklamierten sie, keine ‚Barbaren‘, sondern im Recht gewesen zu sein .152 Genau diese Vision bediente Heinrich Hoffmann, der als Photograph Hitlers Bildpräsenz organisierte .153 Ab Mitte der zwanziger Jahre projizierte er Hitler als perfekte Verkörperung ernst-heiterer, kunstsinniger Verletzungsmacht . Während zahlreiche Politiker und Kabarettisten Hitler lächerlich machten, bot dieser sich als ‚Künstler-Politiker‘ an, der seine Männer niemals im Stich lasse . Als Kämpfer und Kamerad entwarf er sich, indem er sich mit im Straßenkampf verwundeten SA-Männern oder bei Beerdigungen fotografieren ließ . Die Symbolik gemeinsamer Trauer stärkte den Zusammenhalt der SA, beeindruckte aber auch die Landbevölkerung und bürgerliche Zielgruppen der NSDAP .154 Indem die Fotografien entwarfen, wie NS-Anhänger für ihre Ziele leiden würden, suggerierten sie ihrerseits, dass die Demokratie ein Raum der ‚Verletzung‘ sei . Den heiteren, optimistisch wirkenden Hitler stellte Hoffmann direkt daneben, gerade in den wirtschaftlich schwierigen frühen dreißiger Jahren . Ein entspannter Mann im Anzug lächelte die Betrachter/innen direkt an . Der Text erläuterte, dass Hitler sich über die falschen Anschuldigungen seiner Gegner amüsiere, wie Sektgelage, jüdische Freundinnen, Luxusvilla und französische Gelder:

Abb . 9: Heinrich Hoffmann, Hitler wie ihn keiner kennt155

Mit einem Lächeln, das die Augen zu erreichen schien, lud der Herr mit Hut, einem bürgerlichen Signum, dazu ein, seine Erheiterung über diese unterstellten ‚Grenzüber152 153 154 155

Kröger, Hanseaten im Westfronthumor, 124–126, beschwor ‚deutsche Kinderliebe‘ . Zu Hoffmanns home stories über Hitler vgl . Hardtwig, Performanz, 76 . So Herz, Hoffmann & Hitler, 178 f . Hoffmann (Hg .), Hitler wie ihn keiner kennt, 40 .

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schreitungen‘ zu teilen . Im Tage-Buch, einer überparteilichen Wochenschrift, die früh den nationalsozialistischen Gewaltcharakter diagnostizierte, warnte der Publizist Kurt Reinhold 1932 zwar ausdrücklich, dass Hoffmann einen Mann, der viele Gesichter habe, als „frohen Lächler“ inszeniere .156 Doch signalisierte das Kreisporträt die Vision eines vollkommenen und in sich ruhenden Menschen, der Einheit und Schutz garantiere . Parallel beschrieb Hitler sich als querintegrierenden Führer, der Kunst und Politik, Wirtschaft und Moral einige und „reinige“ und ein „ewiges Schwanken“ durch Festigkeit und Autorität ersetze .157 Spott für Argumente, Spott gegen Argumente Es war in der Weimarer Republik nicht immer leicht zu entziffern, wer demokratische Praktiken spöttisch befördern oder aushebeln wollte . Denn die Linken mokierten sich übereinander, verschiedene Lager verspotteten die Nationalsozialisten, und Hohn von rechts und links traf die Republik an sich .158 Doch notierten manche wohl, dass das Ernste und Heitere sich als Deutungsstruktur gegen demokratische Praxis an sich richtete . Die SPD versuchte ausdrücklich, das Kürzel für demokratische Praxis zu gewinnen . Der Journalist Erich Kuttner vertrat die SPD im preußischen Landtag und galt als einer ihrer besten Redner . Er floh 1933 in die Niederlande, wurde 1942 nach Mauthausen verschleppt und dort ermordet . 1924 forderte er als Chefredakteur der Zeitschrift Lachen links, sich mit Heiterkeit die Seele zu befreien, um dann ernst und argumentativ für die Republik zu streiten .159 Die Chance, Scherz und Ironie in demokratischer Absicht einzubringen, hing jedoch davon ab, wieviel Raum die Gesellschaft einem Spott ließ, der die Welt durch Ausgrenzung und Erniedrigung organisierte . Und dieser gesellschaftliche Kontext löste sich nicht auf . Mit kultureller Gewalt, beschämenden Praktiken und physischen Angriffen versuchten Antirepublikaner/innen Demokraten, vor allem aber jüdische Deutsche persönlich zu treffen . Zwar setzten sich Republikaner/innen in Ministerien und Gerichten, die SPD und einzelne Länderregierungen immer wieder für den Schutz deutscher Juden ein .160 Doch war signifikant, dass sie dies auch in der Republik tun mussten . Die Weimarer Verfassung schützte nicht gegen individuelle Diskriminierung oder Hetze gegen Bevölkerungsteile . Das Gesetz zum Schutz der Republik, nach der Ermordung Rathenaus 1922 verabschiedet, wollte eher vage die „Verächtlichmachung der verfassungsmäßig festgestellten Staatsform“ ahnden .161 In welcher Form jüdische Deutsche öffentlich beschämt wurden, thematisierte dagegen die Berliner Welt am Montag Zit . nach Herz, Hoffmann & Hitler, 196 . Klöss (Hg .), Reden, 91 . 158 Die KPD verhöhnte Hitler 1932 als effeminierte, bourgeois-bayerische, katholisch-düstere Figur, Brown, Weimar Radicals, 111 . Zur kommunistischen Bildsprache Paul, Kampf um Symbole, 425 . Zu Gelächter im Reichstag Mergel, Parlamentarische Kultur, 306 ff . 159 Lachen links, Jg . 1, Nr . 1, 11 .011924, 2 . 160 Jahr, Antisemitismus, 253–284 . Wie selbstverständlich antijüdische Topoi zirkulierten, zeigte aber auch Lachen links: „Wucherer“ waren als jüdisch markiert, Lachen links, Jg . 1, H . 1 ., 11 .01 .1924, 9 . 161 Jahr, Antisemitismus, 254 . 156 157

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1922 . Nach dem Freispruch eines völkischen Hauslehrers, der seine Jungengruppe vor einem jüdischen Friedhof dreimal hatte ausspucken lassen, kommentierte sie, man hätte ihm „das Brandmal seiner Ekelhaftigkeit öffentlich“ aufdrücken müssen .162 Politisch oder gesellschaftlich aktive jüdische Deutsche wiederum lebten wie im Ersten Weltkrieg das statushöchste Konstrukt von Deutschsein . Ihr Engagement nahm zunächst noch zu . Gegenüber der Drohprojektion des ‚gefährdenden Dritten‘ bot sich beispielsweise Julius Bab erst recht als go between an . Er pries weiterhin die „Doppelheit“, in der sich deutsche und jüdische Wurzeln gegenseitig stimulieren würden . Doch stufte er den jüdischen Einfluss herunter, um nicht noch schärfere Abwehr zu provozieren .163 Moritz Goldstein zitierte angesichts des prominenten DNVP-Slogans „Gegen die Judenherrschaft“ bei den Reichstagswahlen im Mai 1924 das Fontane-Wort, dass Nichtjuden nicht von Juden regiert werden wollten . Doch beharrte er trotz seiner Ansicht, dass dies ein grundlegendes Muster sei, wie viele andere darauf, dem „Geist“ die Treue zu halten, also der deutschen Kultur .164 Ab Mitte der zwanziger Jahre zogen sich jedoch zahlreiche Akteure aus Wirtschaft, Politik und gesellschaftlichen Organisationen zurück,165 in dem Zeitraum, in dem die Nationalsozialisten systematisch Interessengruppen aufbauten . Denn in der Demokratie verengte sich der Raum des Sag- und Machbaren für jüdische Deutsche . Auf Karikaturen und hämischen Spott konnte man nur schwer antworten . Und nicht antworten zu können, gilt als ‚unmännlich‘,166 so dass diese Spannung nicht erst in der NS-Zeit, sondern lange vor 1933 ausgehandelt werden musste . Deutschjüdische Kabarettisten agierten so, wie es der Central-Verein in bezeichnender Wortwahl forderte, nämlich dass deutsche Juden „überall ihren Mann stehen“ sollten .167 Doch sorgte der CV sich gerade über diejenigen, die öffentlich Stellung bezogen, aus Sorge, dass Antisemiten jüdischen Deutschen den Scherz im Mund herumdrehten . Wie berechtigt diese Annahme war, führte auch Hitler vor . Er leitete antijüdische Sottisen gerne ironisch aus dem Alten Testament her168 oder karikierte, was er als ‚jüdischen Humor‘ essentialisierte . In einer NSDAP-Versammlung in Weimar am 28 . Oktober 1925 griff er Juden und moderne Kunst an, indem er ein imaginäres Zwiegespräch verballhornte: Darin antwortete ein jüdischer Geschäftspartner auf die Frage nach dem Wohin, er führe nach Posemuckel, nur um vom Fragenden der Lüge geziehen zu werden .169 Implizit unterstellte Hitler, dass Juden immer lügen würden; explizit ergänzte Zit . nach Jahr, Antisemitismus, 264, kursiv im Original . Albanis, German-Jewish Cultural Identity, u . a . 195 f . 164 Albanis, German-Jewish Cultural Identity, 135–139 . Für die Vielfalt der Positionen u . a . Gillerman, Germans into Jews . 165 Hecht, Deutsche Juden, 367 . 166 Generell Kuch/Hermann, Symbolische Verletzbarkeit, 208 . 167 Zit . nach Hecht, Deutsche Juden, 274 . 168 Herbst, Hitlers Charisma, 84 . 169 „Zwei Juden sitzen zusammen in der Bahn, zu machen ein feins Geschäft . Fragt der eine: Nu, Stern, wohin willst Du denn? Warum willst Du das wissen? Nu, ich möchte eben gern wissen . – Ich fahre nach Posemuckel! Ist nicht wahr, Du fährst nicht nach Posemuckel . Ja, ich fahre nach Posemuckel . Also Du fährst wirklich nach Posemuckel und sagst auch noch, Du fährst nach Posemuckel, also was lügst Du denn!“ RSA, I, 195 . 162 163

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er, dass ein „deutsch“ denkender Mensch die futuristische Malerei so unverständlich finde wie den Witz . Im April 1926 hielt der Central-Verein zwei Protesttreffen gegen deutschjüdische Humoristen ab, um sie an selbstironischen Sketchen zu hindern . Einer der Kritisierten war Kurt Robitschek, Direktor des Kabaretts der Komiker in Berlin . Er hatte im erfolgreichsten Kabarett der Weimarer Zeit bereits 1924 Anti-Nazi-Sketche aufgeführt; nun appellierte er an die Redefreiheit, um sich nicht einengen zu lassen .170 Diese aber nutzte auch Hitler, als er im Dezember 1927 auf einer Parteiversammlung in München seinen Sketch wiederholte . Nun verglich er selbstironische Kommentare von deutschen Juden mit einer demokratischen Presse, die höchstens unbeabsichtigt die Wahrheit sage . Der Völkische Beobachter notierte „Große Heiterkeit“ .171 Demgegenüber zeigten jüdische Anhänger/innen der Republik immer wieder, dass nationalsozialistisches Denken demokratische Freiheit zerstöre . Robitschek fuhr fort, Hitler und Mussolini zu karikieren, obwohl die Nationalsozialisten ihn scharf angriffen .172 Der in Bayern tätige Verwaltungsjurist Siegfried Lichtenstädter griff 1926 das Leitmotiv des Ernsten und Heiteren auf, um die Widersprüche des Identitätsdiskurses zu ironisieren . In Antisemitica. Heiteres und Ernstes, Wahres und Erdichtetes machte ein jüdischer Gerichtsvollzieher in der Stadt Anthropopolis politisch, rechtlich und moralisch alles richtig, aus antisemitischer Sicht aber alles falsch . Außerdem karikierte Lichtenstädter den Anspruch, ein nichtjüdisches Deutschsein wesenhaft fassen zu können, indem er Hindenburg und Bismarck, den ‚Künstler-Soldaten‘ schlechthin, anekdotisch eine jüdische Abstammung gab .173 Andere jüdische Deutsche setzten das Ernste und Heitere als Zeichen ihres Deutschseins ein . Mit einem Vortrag über „Ernstes und Heiteres aus der C . V . Arbeit“ gelang dem Central-Verein von Schlüchtern 1926 die erfolgreichste Veranstaltung seit Einrichtung der lokalen Gruppe: Es kamen über 220 Zuhörer .174 Das eigentliche Problem der deutschen Identitätspolitik aber benannte der Österreicher Fritz Grünbaum . In dem Sketch „Grünbaum gegen Grünbaum“, in dem er sämtliche Rollen spielte, führte er 1930 vor, dass die Verschmelzung verschiedener kultureller Traditionen und Sprachen als ‚unrechtmäßige Grenzüberschreitung‘ galt . Zunächst zeigte er sich selbst an, mit seinen Gedichten den „guten Geschmack“ beleidigt zu haben . Denn er kenne zwar Wilhelm Busch und Jean Paul, also „wahrhafte Humordichtung“, habe aber trotzdem seine berühmten „Grünbaum-Gedichte“ geschrieben und dergestalt „Dreck in die deutsche Literatur geschleudert“ . Aber, so die ironische Wendung, seine Gedichte seien deshalb ein „unentschuldbarer Stilmischmasch“, weil er nach jedem Jargonwort aus dem Jiddischen „erschrocken nach dem Hochdeutschen“ schiele .175 Als Staatsanwalt beantragte er, sich zum Lesen seiner eigenen Verse zu verurJelavich, When are Jewish Jokes, 34 ff . RSA, II/2, Rede NSDAP-Versammlung München, 19 .12 .1927, 584 . Schlichting, Derber Humor, 24, druckte in seinem antisemitischen Band den Witz ab, dass Oppenheimer von seinem Anwalt erfuhr, dass in seinem Prozess „die gerechte Sache“ gesiegt habe, und zurückdrahtete: „Sofort Berufung einlegen!“ 172 Jelavich, When are Jewish Jokes, 39 . 173 Antisemitica, 14–97 . 174 Wildt, Volksgemeinschaft, 161 . 175 Grünbaum, Grünbaum contra Grünbaum, 5 f . 170 171

2. Das Ernste und Heitere nach Versailles: Den Frieden abwerten

teilen . Als sein Verteidiger forderte er Freispruch, weil er sowieso meschugge und nicht zu belangen sei .176 Grünbaum persiflierte, dass die Mehrheitsgesellschaft jedes Dazwischen und Verschmelzen als bedrohlichen ‚Unrat‘ darstellte, als Dritten, den es nicht geben dürfe . Als deutschsprachiger österreichischer Humorist verband er jiddisch und deutsch und setzte jiddisch ironisch als Maßstab . Damit benannte er die zirkuläre Weise, Deutschsein zu entwerfen: Zuerst Grenzen zu ziehen und dann diejenigen als Feinde zu markieren, die eine Differenz zwischen Juden und Nichtjuden als nicht belegbar erwiesen . Nach der Annexion Österreichs 1938 verschleppte die Gestapo Grünbaum nach Dachau . Dort trat er vor anderen Inhaftierten auf, um ihnen Mut zu machen, bis er im Januar 1941 an den Folgen der Behandlung im Lager starb .177

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Ebd ., 39 f ., 58 . Wünschmann, Before Auschwitz, 176 .

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

3. Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter Als die Nationalsozialisten sich zwei Jahre nach dem Putschversuch von 1923 neu aufstellten, strukturierten sie ihr Angebot mit der Matrix des Ernsten und Heiteren . Seit 1925 traten sie inhaltlich und performativ mit dem Schlagwort ‚Heiterkeit vs . Hohn‘ als ‚wahre Deutsche‘ auf und markierten Andersdenkende als ‚nichtdeutsch‘ . Sie diffamierten die Demokratie als Raum der Beschämung und versprachen Nichtjuden ein ‚Lachen der Sieger‘, wenn sie die Republik bekämpften . Zudem übten Hitler, Goebbels und Co . gemeinsam mit ihrem Publikum Spott als politische Praktik ein, um Diskussionen auszuweichen und ihre Version von Identität und Politik als ‚rechtmäßig‘ zu verankern . Hitler griff mit theatralisierten Auftritten auf das Prestige des soldatischen ‚Künstler-Politikers‘ zu .178 Dass er das machte, wundert vor dem Hintergrund des bisher Gesagten nicht . Fast alle, die Macht und Einfluss anstrebten, traten so auf . Doch änderten die Nationalsozialisten das Imaginäre, indem sie die im Krieg sichtbaren Grenzziehungen verschärften . Zum einen hängten sie Bildung tief und stilisierten Hitler zum ‚geborenen Künstler-Soldaten‘, der sich deshalb von den alten Eliten unterscheide . Zum anderen boten sie so auch all den nichtjüdischen Deutschen den Status an, die nicht zu den herkömmlichen Bildungsschichten gehörten, ohne letztere auszuklammern . Es mussten nur alle bereit sein, die Demokratie abzuschaffen .179 Schließlich sakralisierten sie nicht nur Gewalt im Krieg, sondern jede Gewalt gegen Demokratie und Judentum als ‚kreative Politik‘ . Die Exklusionspolitik wurde nach 1933 sukzessive radikalisiert, um dem von Saul Friedländer diagnostizierten prophetischen Politikstil auch nach der Machtübernahme zu entsprechen . Doch änderte sich die Signalsprache spätestens seit Mitte der zwanziger Jahre nicht mehr . Wer sie verwandte, reklamierte zunächst einmal, gegenüber allen anderen politischen Positionen ‚im Recht zu sein‘, weil er oder sie eine neue Gesellschaft ‚schüfe‘ . Der Vorteil dieses politischen Stils war, nicht sagen zu müssen, wie die versprochene Ordnung genau aussehen würde .180 Wenn ich in diesem Kapitel auf Hitler fokussiere, sage ich daher nicht, dass er die Vernichtungspolitik bereits vor 1933 entwarf . Auch sehe ich ihn nicht als alleinige Schlüsselfigur . Es geht darum, wie die Nationalsozialisten in ihrem zweiten Anlauf den Topos vom Gelächter aneigneten und radikalisierten, um sich ihrerseits als ‚wahre Deutsche‘ gegen die Demokratie zu profilieren . Der Simplicissimus hatte in den frühen Weimarer Jahren das Sinngeflecht des Ernsten und Heiteren gegen Revolution, Republik und Siegermächte gewandt, um einen Identitätsverlust in der Demokratie zu beschwören . Im Folgenden nutze ich Hitlers Reden von 1925 bis 1933 als serielle Quelle, um den nationalsozialistischen Zugriff auf die Matrix des Imaginären zu diskutieren .181 Wenn Schwarz, Geniewahn . Im Anschluss Pyta, Hitler, der auf den Nachkriegsjahren fokussiert . Zur Bedeutung von Kunst bereits Werckmeister, Hitler . Spotts, Hitler . Petropoulos, Art . 179 Ich sehe ähnlich wie Simms, Against a ‚world of enemies‘, den starken antidemokratischen Impuls . Er bedeutete jedoch nicht, dass Antikapitalismus wichtiger als Antisemitismus war . Es musste aus NSSicht zunächst die Demokratie beseitigt werden, um alle ‚Feinde‘ besiegen zu können . 180 Roseman, Late Obsessions, 142, und generell zur jüngsten Debatte um Hitler von 1918 bis 1923 . 181 Für diesen Zeitraum gibt es eine kritische Edition, vgl . RSA, für die NS-Zeit dagegen immer noch nicht . 178

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

man dabei nicht Antisemitismus, Antikommunismus oder Antikapitalismus als roten Faden nimmt, sondern die Rolle von Gelächter, erhalten Hitlers Auftritte eine hörbare identitätspolitische Struktur und seine Monologe einen dialogischen Charakter . Doch reichte es wie erwähnt nicht aus, nur den Anspruch auf die Idealfigur zu erheben . Auch die Nationalsozialisten schrieben sich in andere Sinnmuster ein, die das Ernste und Heitere bündelte, wie Zeit, Raum, Arbeit oder Sexualität . Sie versprachen nicht nur einen dritten politischen Weg jenseits von Kapitalismus und Kommunismus . Indem sie Juden als ‚zerstörende Dritte‘ angriffen, traten sie identitätspolitisch als ‚kreative Dritte‘ auf, die ein ‚großes Werk‘ vorhätten:182 Eine neue Gesellschaft, die nur noch ihre Version des Künstler-Soldaten zulasse, aber nicht mehr den ‚gefährdenden Dritten‘ . Dabei kam ihnen zugute, dass der Opferdiskurs sich nun durch die ganze Gesellschaft zog, weil sich Menschen milieuübergreifend angesichts des Versailler Vertrages als Verlierer einer unfairen Politik fühlten . Geschickt verbanden die Nationalsozialisten daher das Sinnmuster ‚Täter-Opfer‘ mit der Deutungsstruktur ‚Sieger vs . Verlierer‘: Sie boten ihren Anhänger/innen an, sie aus angeblichen ‚Opfern-Verlierern‘ in Sieger zu verwandeln, ohne dass sie sich als Täter fühlen müssten; denn als ‚Täter‘ galten diejenigen, die in einem zirkulären Referenzsystem immer schon als solche gesetzt waren . Hitlers Bühnenpräsenz lag auch daran, dass er regelrecht verkörperte, wie man Spott nutzen könne, um diese Deutung von Geschichte in reale Verletzungsmacht zu verkehren . Der Performancepolitiker redete nicht nur darüber . Er führte lebhaft vor, wie man vom ‚unschuldigen Verlierer‘ zum ‚rechtmäßigen Sieger‘ werde und doch den Opfergestus beibehalte, der Gewalt plausibel machen sollte . Auch die Wiederholungsstruktur seiner Reden war performativ wichtig .183 Wiederkehrende Muster tragen dazu bei, Botschaften als sagbar und machbar zu verankern, erst recht, wenn sie gemeinsam eingeübt werden . Hitler monologisierte zwar gerne, doch sorgte er zumindest vor größerem Publikum für ein ausgeprägt dialogisches Element: Seine Zuhörer/innen antworteten auf seine zunehmend geläufigen Stichworte und Halbsätze mit Gelächter und Ergänzungen . Sie trugen dazu bei, politisches Reden und Handeln bereits in der Republik in Prozesse ritueller Hierarchisierung zu verwandeln . Ich verstehe Hitlers Auftritte seit 1925 daher als den regelmäßigen Einsatz einer im Verlauf leicht angepassten Erzählung, die eine gegenseitige Erwartungserwartung zwischen Redner und Publikum produzierte und einlöste . Denn er baute immer stärker das aus, was gut ankam . Dabei setzte der NS-Politiker nicht nur sein Gefühl für die große Bühne ein, sondern bespielte sorgfältig zeitgenössisch wichtige Sinnangebote . Er präsentierte sich als perfekter Mann, indem er sich in Vorstellungen von Arbeit oder Zeitlichkeit einschrieb . Nicht nur ein kollektives Gedächtnis braucht Medien, seien es Metaphern, Körper, Bilder oder Orte .184 Auch eine kollektive Gegenwartswahrnehmung entsteht durch visuelle, textliche oder performative Sinnstiftungsangebote . In diesem Sinne reagierten Hitler, Goebbels und Co . auf Stimmungen und produzierten sie . Dazu nutzten sie verLoewy, Deutsche Identitäten, beschreibt Antisemitismus in Deutschland allgemeiner als projektive „Auserwähltheitskonkurrenz“ . 183 Zur Inszenierung Herbst, Hitlers Charisma, 99 ff ., 103 f ., dessen Deutung von Charisma als Propagandacoup aber zu kurz greift, ebd ., 14, 137 ff . Pyta, Hitler, zur sinnbetonten Politik . 184 Dazu Assmann, Erinnerungsräume . 182

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

traute Deutungsmuster, die auch denen Anschluss boten, die politisch nicht mit allem einverstanden waren . Auf diese Weise waren sie erfolgreich . Denn um Hitler zum Star zu machen, war die Reaktion des Publikums so wichtig wie seine Reden selbst . Der Ghostwriter: Georg Schott Hitler merkte schnell, dass sein Antisemitismus ankam . Als er nach der Revolution für die Reichswehr als Redner auftrat, reagierte sein Publikum besonders begeistert auf diese Art Spott . 1920 forderte er die „Entfernung“ jüdischer Deutscher, nicht, weil er ihre Existenz ablehne, sondern weil ihm das „eigene“ Volk wichtiger sei als eine „fremde Rasse“ . Bei dem Einschub, er gratuliere der „übrigen Welt zu ihrem Besuch“, notierte das Protokoll „große Heiterkeit“ .185 Zu diesem Zeitpunkt plädierte Hitler dafür, Juden im Sinne Langbehns gesetzlich zu bekämpfen und zu vertreiben, wobei er gezielt mit politischen und sozialen Deklassierungsängsten spielte .186 Als er nach der Haft in Landsberg 1925 in die Öffentlichkeit zurückkehrte, systematisierte er seinen Selbstentwurf als ‚Künstler-Politiker‘ . Denn Hitler verstand sich schon zuvor nicht als gescheiterter, sondern als verkannter Künstler .187 Seit Mitte der zwanziger Jahre entwickelte sich die NSDAP zur Führerpartei, mit ihm als Regisseur und Hauptdarsteller eines auf offener Bühne vollzogenen Aktes, durchgestylt und systematisch trainiert .188 Spott gehörte als inhaltliches und performatives Ritual zur immer gleichen Choreographie; ein verhaltener, sarkastischer Anfang ging in persönliche Angriffe über, während etliche Reden mit aufpeitschenden Appellen endeten .189 Birgit Schwarz zufolge schätzte Hitler auch nach 1933 sarkastische Männer, solange sie seine Persönlichkeitskriterien „soldatisch“ und „visionär, aber pragmatisch“ bedienten und mit ihm souverän umgehen konnten .190 Sich selbst entwarf Hitler allerdings als Genie, indem er alle Zulieferer ausblendete . Für seine nach 1925 hermetisch werdende Selbstdarstellung lieferte meines Erachtens der erste Hitlerbiograph Georg Schott eine Steilvorlage, als er 1924 das hagiographische Volksbuch vom Hitler veröffentlichte . Darin machte Schott sowohl das Sinnmuster ‚Humor vs . Hohn‘ als auch den Topos vom genialischen Künstler-Krieger zum Schlüssel für NS-Identitätspolitik . Schott galt lange als „schwülstig mystifizierend“,191 was gerade nicht erklärt, warum der Goetheliebhaber Hitler verehrte .192 Er selbst führte dies weitHitler, Sämtliche Aufzeichnungen, 201 . Zur Rolle in der frühen (NS)DAP Ullrich, Hitler, Bd . 1, 137, 153 ff . 186 Ullrich, Hitler, Bd . 1, 102 . 187 Schwarz, Geniewahn, 38 f ., 86 . 188 Herbst, Hitlers Charisma, 94 . 189 Kershaw zufolge beklatschte das Publikum vor allem antisemitische Ausfälle, Kershaw, Hitler, Bd .1, 198 . 190 Schwarz, Geniewahn, 234, mit Blick auf Hans Posse, Hitlers Sonderbeauftragten für Kunstfragen . 191 Nill, „Reden wie Lustmorde“, 30 f . Kershaw, Hitler, Bd . 1, 280, nennt Schott „mystisch“ und „pseudoreligiös“ . 192 Schmitt, Homo narrans, 97, nennt Schotts Hitlerdeutung als „Seher“ zwar „unvorstellbar“, erläutert aber seine ‚Opferinszenierung‘: Das „deutsche Aschenputtel“ sei von „fremdem Pack“ mit „Hohn“ von 185

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

schweifig aus . Hitler ärgerte sich allerdings über das Buch193 – ein selbsternanntes Genie hat keinen Ghostwriter, der die Blaupause auch noch veröffentlicht . Daher zunächst eine kurze Skizze des Bandes, der ähnlich wie Hitlers Reden durch alle möglichen Themen mäanderte, aber ebenfalls eine klare Struktur erhielt, wenn man ihn als heroisierenden Entwurf eines ‚Künstler-Soldaten‘ las . Georg Schott (1882–1962) war Theologe, übte den Beruf aber nur kurz aus und lebte als Privatgelehrter und Märchenforscher in München . Er gehörte also seinerseits nicht zum bürgerlichen Establishment . Schott war Goetheexperte, Langbehn-Adept und Houston Chamberlain-Verehrer . Er stellte Hitler und sich selbst gleich im ersten Satz in genau diese Genealogie: Goethe habe sich Langbehn zufolge gegen jede „biographische Kleinkrämerei“ gewandt, so dass auch er, Schott, lieber „das reine Sein“ von Adolf Hitler aufspüren wolle, statt sich im biographischen Detail zu verlieren .194 Nach zahllosen Goethereferenzen im Text brachte er zum Schluss ein direktes Zitat aus Faust II: „Den lieb ich, der unmögliches begehrt!“195 Damit formulierte er das Grundprinzip gebildeter Hitlerverehrer . Diese erklärten Hitler mit Goethe, so dass der Versuch, zwischen einem Goethe-Deutschland und einem völkischen Deutschland zu unterscheiden, an ihrer Wahrnehmung vorbeigeht . Hitler selbst erkor genau das Faust-Zitat nach 1933 zu einem Lieblingsmotto .196 Schott empfand Hitler erstens als genialischen Künstler-Politiker, weil dieser Herz und Kopf verbinde und deshalb immer im richtigen Moment leidenschaftlich agiere .197 Hitler selbst redete in den folgenden Jahren ständig von „Leidenschaft“, die nur der wecken könne, der sie in sich trage,198 und verurteilte die Demokratie als Gefühlstragödie . Denn er attestierte nichtjüdischen Deutschen, besonders begeisterungsfähig zu sein, diese Eigenschaft in einer ‚Republik ohne Persönlichkeiten‘ aber nicht ausleben zu können .199 Zweitens schrieb Schott Hitler zu, Zeit und Raum diachron und synchron zu integrieren: Er verbinde Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft und repräsentiere sämtliche Gruppen einer Gesellschaft, ob Gelehrte, Künstler, Beamte, Arbeiter, Offiziere, Soldaten oder Bauern .200 Hitlers entsprechende Selbstbeschreibung spiegelte die Hamburger Lehrerin Luise Solmitz im April 1932 begeistert: Hitler „rette“ „den preußischen Prinzen, den Gelehrten, den Geistlichen, den Bauern, den Arbeiter, den Erwerbslosen aus der Partei“ in das „Volk hinein“ .201

Haus und Erbe verjagt worden, weshalb er die gewaltsame Beseitigung des Judentums gefordert habe, ebd ., 98 f . 193 So Pyta, Hitler, 172 f ., der dies damit erklärt, dass Schott Hitlers Antisemitismus öffentlich gemacht habe . Doch war diese Einstellung spätestens seit 1919 erkennbar . 194 Schott, Volksbuch, 17 . Angaben zu Schott: Deutsches Literatur-Lexikon, Bd . 16, Bern 1996, Sp . 209 . 195 Schott, Volksbuch, 307 . 196 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 84 . 197 „Doktrinäre“ dagegen kämen entweder zu früh oder zu spät, Schott, Volksbuch, 19 . Nill, „Reden wie Lustmorde“, 33 . Wildt, Volksgemeinschaft, 199 f ., zur Aufladung des Führergedankens als schöpferisch . 198 Herbst, Hitlers Charisma, 183 . 199 Z . B . am 15 .6 .1932 in Darmstadt, RSA, V, 1, 178 . 200 Schott, Volksbuch, 40, 44, 70, 131 f . 201 Zit . nach Wildt, Volksgemeinschaft, 197 f .

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

Drittens stattete Schott Hitler mit einer statusgenerierenden Ahnengalerie aus . Indem er ihn als prophetischen und religiösen Menschen beschrieb, als „Demütigen“, „Getreuen“ und „Willensmenschen“, als „Erzieher“, „Erwecker“ und „Befreier“,202 erinnerte er an Topoi in Langbehns Rembrandt-Buch und übertrug Hindenburgsche Ehrentitel auf Hitler . Den Demokraten lastete der Theologe an, alle Handlungsbereiche der Moderne zu „verfälschen“,203 also ‚falsch‘ zu handeln . Jüdische Deutsche dagegen attackierte er als ‚teuflische Mimikry‘ des ‚Deutschen‘,204 unterstellte ihnen also, ‚falsch‘ zu sein . Es fehlte kein gängiges Stereotype, von der jüdischen Vorherrschaft in der Wirtschaft bis zur Unterstellung, Juden würden das ‚deutsche‘ Volk mit der Weimarer Verfassung beschämen oder verhöhnen .205 So verwandelte auch er die Demokratie in einen Raum von Erniedrigung und Verletzung . Viertens buchstabierte Schott das Verhältnis von Recht und Gewalt aus . Auch er entkoppelte seine Vorstellung von Gerechtigkeit vom demokratischen Recht . Mit Blick auf die Machtfrage riet er Hitler zunächst zum gesetzlichen Weg und nicht zu einem erneuten Putsch .206 Vielleicht betonte Hitler deshalb später so entschieden, in Landsberg selbst auf die Idee gekommen zu sein .207 Zugleich aber machte Schott die Legitimität von Gewalt ausdrücklich von den jeweiligen Akteuren und ihren Zielen abhängig und nicht von der demokratischen Rechtsordnung . Er betonte, dass der legale Weg Gewaltausübung keineswegs verhindere, sofern man ihren Erfolg zum Maßstab nehme: Die „Maulschelle am rechten Ort und zur rechten Zeit“ sei keine „Barbarei“, sondern „erlösende Tat“ .208 Gewalt gegen den Rechtsstaat galt ihm daher als Beweis, dass Hitler nicht nur Künstler und Denker, sondern auch Kämpfer sei: Er kehre nach getaner Arbeit – dem Kampf auf der Straße – in die Schaltzentrale zurück .209 Indem der Theologe Hitler fünftens als geborenes Genie präsentierte, bot er ihn als Alternative zu den Konservativen an: „Politik ist Staatskunst . Und wahre Politiker werden genauso geboren, wie Künstler geboren werden . ‚Auf Kunst‘ lässt sich nicht studieren! Auch auf Staatskunst nicht .“210 Hitler nutzte auch diese Formulierung, etwa in Dresden 1928,211 um zu legitimieren, warum er sich demokratischen Regeln nicht beugen müsse . Seine Herkunftserzählung richtete sich gegen die herkömmlichen Eliten, mit Stichworten wie armer Anfang, Leistung, Kampf und Erfolg des Genies . Somit erzählte er einen Bildungsroman, der sich eher an die untere Mittelschicht oder an Menschen mit einem nicht gradlinigen Bildungsweg richtete als an etablierte BildungsZit . nach Kershaw, Hitler, Bd . 1, 279 f ., der die Inbrunst schwer verständlich findet . Schott, Volksbuch, 130 f . 204 Ebd ., 18 f . 205 Ebd ., 152–158, 164 . 206 Eine „Revolution“ könne nur auf gesetzlichem Wege erfolgreich sein und nicht mit Hilfe der „Menge“, die ein Spielball der Parteien sei, Schott, Volksbuch, 297 . 207 Zu diesem Anspruch Ullrich, Hitler, Bd . 1, 196 . 208 Schott, Volksbuch, 288 . 209 Ebd ., 31 . Indem Schott die Deutschen zum „Sondervolk“ erklärte, attestierte er ihnen, dass sie auch im Recht neue Wege gehen dürften, ebd ., 136 . Zu Hitlers Selbstentwurf als Heilsbringer Geyer, Verkehrte Welt, 314 . 210 Schott, Volksbuch, 126 . 211 RSA III/1, 90 . 202 203

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

bürger . Die mittleren Führungsränge der SS hatten häufig genau diesen Hintergrund . Viele von ihnen politisierten sich nicht aufgrund von Arbeitslosigkeit, sondern wegen einer gebrochenen Bildungskarriere, so dass nicht die Wirtschaftskrise entscheidend war . Angetrieben von Statusbewusstsein und sozialem Aufsteigerstreben holten sie das Studium später nach, denn herkömmliche Bildung verlor mitnichten ihre Attraktivität .212 Nur bot die NS-Gesellschaft andere Räume und Zugänge für sozialen Aufstieg, so dass neben den Akademikern des Reichssicherheitshauptamtes auch die Platz fanden, die nicht den herkömmlichen Weg gegangen waren . Und schließlich beschrieb Schott Hitler als Meister des Ernsten und Heiteren, was ebenfalls bisher Hindenburgs Domäne gewesen war . Auch hier betonte der ‚Wesensbiograph‘ die Differenz zum Generalfeldmarschall: Hätten die alten Eliten ihre Macht qua Herkunft oder Bildung beansprucht, äußere sich das Genie des Autodidakten Hitler nicht in gelehrten Abhandlungen, sondern „in Scherz und Ernst, im köstlichen Mutterwitze und in Worten tiefster Lebensweisheit“ .213 Immer wieder markierte Schott Hitler als Hindenburgs legitimen Erben, der aber anders als dieser die ganze Gesellschaft erreiche . Wie die Anekdotenhefte inszenierte Schott Humor zudem als Zeichen einer Opfererzählung: Er beteuerte, dass Hitlers „köstliche(r) Humor“ alles „tiefe Leid“ „mit neuem Mut“ ertragen lasse . Nach eigenem Bekunden hatte er 1924 bereits 60 Hitlerreden gehört, die von „furchtbaren Dingen“ erzählt hätten (also von Niederlage, Revolution und Demokratie), bis am Ende Hitlers „goldener Humor“ (sprich: seine Kampfbereitschaft) alles überstrahlt habe214 – erneut die Weimarer Republik als Sündenfall der deutschen Geschichte und ihr Beseitigung als Weg, um Niederlage und Revolution ungeschehen zu machen . Mit allen gängigen Hass- und Hohntopoi gegen Juden, Demokraten, Linke und moderne Kunst schottete Schott seine Deutung ab, dass Demokratie ein Raum von Überwältigung und Entehrung sei . Als Schlüsselfigur diente ihm, demokratische Praxis einerseits und deutschjüdische Identität andererseits als ‚Beschämung des Deutschen‘ zu diffamieren: Sie seien „höhnisch grinsende Wirklichkeit“ und „Teufel“ in Menschengestalt,215 die Weimarer Verfassung eine „Verhöhnung“ des „deutschen Volkes“ durch „die Juden“,216 die republikanische Staatsform „Hohn“ auf die Idee eines ‚deutschen‘ Staates .217 Wer dagegen die NS-Politik verspotte, führte ihm zufolge eine „hohnlachend(e)“ jüdische Herrschaft herbei .218 Schott emotionalisierte seine Drohkulisse des ‚feindlichen Gelächters‘ noch, indem er sie mit Unreinheit assoziierte: . Er markierte die von ihm Angegriffenen als ‚Täter‘, als er ihnen vorwarf, „das Heiligste in den Kot“ zu treten . Indem er eine widerliche und unangemessene Grenzverletzung suggerierte, legitimierte er Gewalt gegen alle, die er angriff .219 In der NS-Zeit kehrten Überzeugte Harten, Himmlers Lehrer, 526 f . Schott, Volksbuch, 243 . 214 Ebd ., 35 . 1934 waren es 200 . 215 Ebd ., 54 . Pazifisten traf derselbe Hass . 216 Ebd ., 108 f . 217 Schott, Volksbuch, 105 . Wer über Hitler als „Genie“ oder als religiösen Menschen lache, sei unweise oder lasse den nötigen Ernst vermissen, ebd ., 50, 55 . 218 Ebd ., 171, 114 . 219 Ebd ., 176 . 212 213

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

die Projektion um und ließen sie real werden, indem sie die hebräische Bibel und die Verfolgten tatsächlich in den Schmutz traten .220 In der Ausgabe von 1924 beendete Schott seine Täterphantasie mit der Prophezeiung, dass Hitlers Gegnern das Lachen vergehen werde, wenn „die Deutschen“ sich endlich gegen „Vergewaltigung, List und Ehrlosigkeit“ wehren würden .221 1934 behauptete er, dass die Prophezeiung zehn Jahre zuvor ein Wagnis gewesen sei, angesichts der spöttischen gegnerischen Presse .222 Umso wichtiger war ihm die psychologische Wirkung, dass die Machtübernahme seine self-fulfilling prophecy glaubwürdig mache .223 Dasselbe Muster von Prophetie und triumphalem Vollzug setzte Hitler ein .224 Hitlers Passionsgeschichte Denn Hitler strukturierte seine Auftritte ebenfalls durch das Sinnmuster ‚Humor vs . Hohn‘ und versprach seinen Anhänger/innen das ‚Gelächter des Siegers‘ . Seine biographisierte Geschichtserzählung ist bekannt, die Gründungslegende vom namenlosen Frontsoldaten, der mit sieben Getreuen ausgezogen sei, um das Land zu retten .225 Dramaturgische Spannung aber gab er ihr durch die Semantik des Ernsten und Heiteren: Seine Feinde hätten ihn „verspottet, verachtet und verfolgt“, ohne aber seinen Aufstieg verhindern zu können . Kurz nach der Neugründung der NSDAP legte er in Nürnberg am 2 . März 1925 das Motiv der Folgezeit fest: „Erst verspottet, wurde die Bewegung zum Symbol eines neuen politischen Glaubens .“226 Im Juli erklärte er in Stuttgart, die Bewegung sei zuerst „totgeschwiegen“, dann „ausgelacht und für verrückt erklärt“ und schließlich „blutig“ bekämpft worden, weil man sie anders nicht stoppen könne .227 Seit 1925 organisierte Hitler seinen Selbstentwurf durch den Dreischritt des ‚ausgegrenzt, verlacht, verfolgt‘ . Als „verfolgende Unschuld“ fasste Karl Kraus 1933 die nationalsozialistische Selbstbeschreibung und erklärte damit rückblickend auch das deutsche Vorgehen im Ersten Weltkrieg .228 Anderen Totschweigen und Verlachen vorzuwerfen, war nicht trivial: Die Formeln suggerierten, dass Deutungshoheit und Ehre tangiert würden . Spätestens seit Mitte der zwanziger Jahre nutzten die Nationalsozialisten Gelächter in diesem Sinne als totalisierendes Verhalten, um Politik als emotional verfasste Arena von Erniedrigung und Rache festzuschreiben . Bereits 1919 hatte Hitler Juden ein ‚falsches Lachen‘ eingeschrieben: Er behauptete, dass ‚der Jude‘ die Nation

Dazu Confino, Why did the Nazis . Schott, Volksbuch, 304 f . 222 Schott, Volksbuch (1934), 44 . 223 Ebd ., 9 . 224 Friedländer, Jahre der Vernichtung, 315 . S . a . Sauer, Rede, u . Musolff, Metaphor, 53 . 225 Dazu Kershaw, Hitler, Bd . 1, 143 ff ., 184 ff . 226 RSA, I, 2 .3 .1925, 30 . Schwarz, 227 RSA, I, Stuttgart, 8 .7 .1925, 112 . 228 Kraus, Dritte Walpurgisnacht, 194 (posthum 1956 veröffentlicht) . S . a . Hambrock, Dialektik, 80, zur Täter-Opfer-Verkehrung . Doch teile ich nicht seinen pathologisierenden Ansatz . Er attestiert Himmler ein Verharren in „adoleszenten Mustern der Wirklichkeitsaneignung“, ebd . 85 . 220 221

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

nicht nur durch angebliche Laster, sondern auch durch Spott zerstöre .229 Ab 1925 nutzte Hitler „Lächerlichkeit“ systematisch als höhnischen Kampfbegriff, um die Demokratie als Raum von Ehrverlust und Schwäche zu diskreditieren .230 Der Topos der ‚höhnischen Feinde‘ tauchte überall auf, um allerorten als ‚verlachte Opfer‘ auftreten zu können . Er mochte plausibel erscheinen, weil tatsächlich viele über Hitler lachten . Politisch brisant war er, weil er immer neu politische Kritik in eine Beschämungsabsicht umdeutete . Der Stahlhelm feierte sich 1925 als Verbund großer Männer und Frontsoldaten, der das „wahre“, weil über den Parteien stehende Deutschland verteidige . Der Weg sei mühsam gewesen, jetzt aber würden sich „Zweifel und Spott und Hohn“ nicht mehr heranwagen .231 Hitler legte an Neujahr 1926 nach: „Was von so vielen einst verlacht wurde, hat sich besser bewährt, als die meisten ahnten .“232 Goebbels nutzte das Bild der verspotteten, doch unschlagbaren Nationalsozialisten in seiner Kampagne gegen den Berliner Polizeipräsidenten Bernhard Weiss . Seine Hetzschrift Das Buch Isidor von 1928 signalisierte im Untertitel Ein Zeitbild von Lachen und Hass sowie im Text selbst, dass die Weimarer Justiz die Nationalsozialisten ausgelacht, terrorisiert und schließlich verboten habe .233 Himmler beendete den sog . Verlobungsund Heiratsbefehl für die SS im Dezember 1931 mit der Wendung: „Spott, Hohn und Mißverstehen berühren uns nicht; die Zukunft gehört uns!“234 Der Völkische Beobachter übersetzte das Ernste und Heitere in die apokalyptische Semantik, dass Hitler „bitterernste“ Wahrheiten durch „bitteren Spott“ verkünde235 oder mit „beißender Ironie“ den bürgerlichen Kampf gegen Marxismus und Kommunismus geißele .236 Nicht von ungefähr brüstete sich der österreichische Schriftsteller Wladimir von Hartlieb im April 1933 mit Ich habe gelacht. Satiren gegen die Linke Europas als ‚Sieger‘ . Genüsslich beschrieb er seine und die nationalsozialistische Methode: Er habe als Künstler die verhasste Demokratie nicht argumentativ, sondern durch höhnische, persönliche Angriffe töten wollen .237 Auch die Beispiele aus Hitlers Reden ließen sich verlängern .238 Entscheidender aber waren systematische Aspekte und leichte Akzentverschiebungen im Zuge des Erfolgs . Deuerlein, Hitlers Eintritt, 204 . Entweder diffamierte er die Republik als „lächerlich“, also als ‚schwach‘, RSA, II/2, NSDAP-Versammlung München, 9 .11 .1927, 527, oder unterstellte, sie mache das deutsche Volk „lächerlich“, RSA, II/2, 534 . 231 Kleinau, Stahlhelm-Jahrbuch 1925, 13 f . 232 RSA, I, Aufruf „An alle Nationalsozialisten“, 1 .1 .1926, 265 . 233 Goebbels/Mjölnir, Das Buch Isidor, 83 . Zu Mjölnir, i . e . Hans Schweitzer, s . Fulda, Die vielen Gesichter . 234 Zit . nach d’Alquen, Die SS, 10 . 235 RSA, I, 217 . 236 RSA, II/1, 6 .4 .1927, 240 . S . a . RSA, II/2, NSDAP-Versammlung Landsberg, 23 .4 .1928, 793, u . RSA, II/2, NSDAP-Versammlung München, 21 .3 .1928, 749 . Der Miesbacher Anzeiger hob das Gelächter des Publikums hervor und nannten Hitler „sachlich“ scharf, aber „kernhaft“ und „deutsch“, RSA, II/2, 3 .2 .1928, 660 . 237 Er wollte nur Unterlegene angreifen, zumal die, die er hasse und verabscheue, Hartlieb, Ich habe gelacht, 11 f ., 217–251 . Er votierte für den ‚Anschluss‘ und widmete den Band „in verehrungsvoller Freundschaft“ Dr . Hanns Floerke, einem der Vielschreiber des Ersten Weltkriegs . 238 Nur einige Belegstellen: Propaganda gegen den Young-Plan, RSA, III/2, 20 .11 .1929, 471 . Sein „Programm“ von 1932, RSA, V/1, 7 . Rechenschaftsbericht NSDAP München, 23 . Mai 1930, RSA, III/3, 229 230

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

Erstens verglich Hitler sich bekanntermaßen mit Jesus und seine Bewegung mit dem Urchristentum .239 Dabei ist weniger aufschlussreich, die NS-Ideologie als politische Religion zu deuten, als zu sehen, dass die deutsche Kultur zutiefst geprägt war durch christliche Symbole und Semantiken .240 Mit dem Sinnbild des zuerst verspotteten und dann verklärten Verkünders rief Hitler eine Deutung ab, das auch diejenigen verstanden, die nicht mehr kirchlich gebunden waren . Mit den Worten „verlacht, nicht ernst genommen und […] dennoch da“ präsentierte Hitler sich als einzig legitimer Messias und diskreditierte eine rechtsbasierte Demokratie als Raum säkularer Hoffnungen .241 Dabei trat er nicht als Dulder auf, sondern als Kämpfer, dessen Passionsgeschichte Anhänger/innen zu Auserwählten mache .242 Ausdrücklich nicht nur Männer, sondern auch Frauen forderte er auf, Bindungen zu Vergangenheit und Umwelt zu lösen – also zeitlich und räumlich, diachron und synchron -, um sich ihren Märtyrerstatus zu sichern .243 Dass er zweitens seine Spott-Performanz in dem Maße ausbaute, in dem sie erfolgreich war, belegt erneut, wie sensibel er auf sein Publikum reagierte . Bereits 1927 nutzte er den Dreischritt vom ‚Totschweigen, Verlachen, Unterdrücken‘ nicht mehr nur als ein Redeelement, sondern als Gliederungsstruktur . Am 26 . März schilderte er in Ansbach zuerst eine „Periode der Lächerlichkeit“ und dann eine „Periode des Verfolgtwerdens und des Verbots“ .244 Dann wieder spaltete er das Bild vom ‚feindlichen Lachen‘ in den Dreischritt „verlacht, verhöhnt, verspottet“ auf, der noch rhythmischer klang . Im Jahr 1928 wurde sein Redeverbot auch in Preußen und somit reichsweit aufgehoben . Seitdem versprach und forderte er nicht nur während, sondern zusätzlich noch am Ende seiner Reden, das ‚feindliche Gelächter‘ verschwinden zu lassen, was den Wiedererkennungswert erhöhte . Im September 1928 beendete er einen Aufruf an die NSDAP mit dem Appell: „Ich erwarte, daß jeder Parteigenosse im höchsten Sinne seine Pflicht erfüllt, auf daß den Feinden unseres Volkes dereinst das Lachen vergehen möge .“245 Auch wenn Hitler mit einer analogen Formel ab 1939 das Ziel umriss, Juden zu vernichten, lese ich den Satz von 1928 nicht als Zeichen, dass er den Genozid bereits dann plante . Zu dem Zeitpunkt zementierte er meines Erachtens Feindbilder, um gewaltsame, nichtargumentative Politik als ‚heilende‘ und ‚kreative‘ Praxis zu legitimieren . Diese Deutungsstruktur aber blieb konstant und entsprechend lesbar .

24 .5 .1930, 202 . Presseerklärung zum Eintritt Fricks in die thüringische Regierung 1930, RSA, III/3, 23 .1 .1930, 38, ebd . 58 . Am Ende einer Rede vor 10 .000 Menschen in der Kölner Rheinlandhalle, als er in christlicher Semantik anstelle des „heutigen Verfalls“ ein „mächtiges Deutsches Reich der Ehre und der Freiheit, der Kraft und der Macht und der Herrlichkeit“ ankündigte, RSA, III/3, 18 .8 .1930, 359 . S . a . RSA, II/2, Aug . 1927, 508 f . 239 U . a . Rißmann, Hitlers Gott, z . B . 44 . Wiener, Als das Lachen, 41, zur Mischung von Pathos und Spott . 240 So Black, Death in Berlin, 98 . 241 RSA, II/2, Aug . 1927, 508 f . 242 Eindrücklich am Beispiel der Riefenstahl-Filme Wildmann, Begehrte Körper, 111 f . 243 RSA, II/1, Rede SA-Versammlung, München, 11 .9 .1926, 63 . 244 RSA, II/1, Ansbach, 26 .3 .1927, 194 . 245 RSA, III/1, 27 .9 .1928, 114 (kursiv im Original) .

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

Drittens formulierte Hitler seine politische Biographie ebenfalls ab 1928 nicht mehr nur als Versprechen, sondern als erfolgreichen Vollzug: Er behauptete, seine Partei sei bereits eine Massenbewegung .246 Das war zahlenmäßig zu dem Zeitpunkt übertrieben, fungierte jedoch als Teil des prophetischen Erzählmusters, zumal die Partei langsam, aber stetig bei ländlichen Lokal- und Regionalwahlen dazu gewann . Bis 1932, dem Erfolgsjahr auch auf Reichsebene, fügte Hitler noch hinzu, dass seinen Gegnern das Lachen schon vergangen sei .247 Das mochte durch das Verstummen demokratischer Stimmen im Radio durchaus plausibel scheinen . Nach einer Parteiversammlung in Worms am 12 . Juni 1932 beschrieb der Rhein- und Hesse-Bauer Hitlers Angebot, Nationalismus und Sozialismus zu integrieren . Dann hob die Zeitung kursiv hervor, wie dessen Antwort an die „Neider“ ausgefallen sei: „Ich habe sie noch im Kopf, all die Urteile und höre noch das Lachen über uns . Und heute ist ihnen das Lachen vergangen!“248 In den dramatischen Wahlkämpfen von 1932 mit ihren aufsehenerregenden Deutschlandflügen und fast 150 Auftritten ließ Hitler nie die magische und emotionalisierende Formel aus, dass er und seine sieben Gefährten „verlacht, verhöhnt, verspottet“ worden seien, um dann zu siegen: in Bad Kreuznach und Koblenz am 21 . April 1932,249 in Delmenhorst am 25 . Mai,250 in Bad Zwischenahr am 27 . Mai,251 in Wuppertal am 24 . Juli .252 Ob die Entourage tatsächlich unter den Wiederholungen litt, sei dahingestellt .253 Denn das Publikum zog mit . Am 26 . Juli 1932 quittierten Zuhörer in Gera die Meldung, den demokratischen „Parteiburschen“ sei das Lachen gründlich vergangen, mit „Bravo“ .254 Viertens schließlich unterstrich der NS-Politiker mit dem Kürzel vom ‚siegreichen Gelächter‘, dass er allen Nichtjuden die symbolische Integration anbot, wenn sie der Republik den Rücken kehrten . Bei seinem Auftritt im Berliner Sportpalast im November 1928 wandte er sich zum ersten Mal ausdrücklich an alle gesellschaftlichen Gruppen, indem er zusicherte, national sei jeder, der nach innen „zu seinem Volke“ stehe, und Sozialist, wer für das Recht des Volkes nach außen eintrete .255 Vor dem Durchbruch zur Massenpartei in den Reichstagswahlen vom September 1930 verkündete Hitler, die Zukunft gehöre demjenigen, der sich „lachend als Deutscher“ und nicht mehr als Arbeiter oder Bürger entwerfe .256 In welche kulturelle Tradition er sich und seine Gefolgschaft dabei stellte, zeigten Referenzen an Kultfiguren aus Kunst und Politik, an Beethoven und Wagner, FriedRSA, III/1, 30 .11 .1928, 261 . Bereits 1926 hatte er angekündigt, dass die Macht der Gegner schwinde, da sie angesichts der wachsenden NSDAP verbittern würden, statt das „rechtsprechende Lachen von einst“ zu lachen, RSA, I, Broschüre „Die Südtiroler Frage und das Deutsche Bündnisproblem“, 12 .2 .1926, 287 . 248 RSA, V/1, 166 (kursiv im Original) . 249 RSA, V/1, 83 . 250 RSA, V/1, 134 f . 251 Noch mal abgedruckt im dortigen Wochenblatt, RSA, V/1, 139 . 252 RSA, V/1, 266 . 253 So Ullrich, Hitler, Bd . 1, 338 . Goebbels dagegen notierte immer genau den jeweiligen Erfolg . 254 RSA, V/1, 272, 26 .7 .1932 . In Radolfzell am 29 . Juli, RSA, V/1, 286, und auf der Propagandaschallplatte vom Juli 1932, RSA, V/1, 219 . 255 Kershaw, Hitler, Bd . 1, 389 . 256 RSA, III/3, 10 .8 .1930, 322 . 246 247

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rich den Großen und Bismarck .257 Wohl hängten die Nationalsozialisten herkömmliche Bildungswege tief, um ihren Chef und sich selbst als genialisch darzustellen und die Bevölkerung jenseits der klassischen Bildungseliten anzusprechen . Die Kultur aber, die sie vor einem ‚jüdischem Einfluss‘ zu retten versprachen, war die der herkömmlichen Gebildeten, während Hitler sich auf diese Weise in eine Abfolge berühmter ‚Künstler-Soldaten‘ stellte .258 Zum Beispiel: SA Die SA als paramilitärische Formation setzte nationalsozialistische Identitätspolitik bereits in der Republik um, in ihrem Straßenkampf und erzählerisch . Der Freikorps-Kommandant und SA-Führer Manfred Freiherr von Killinger war ein Drahtzieher u . a . bei der Ermordung von Matthias Erzberger 1921 . Durch seine Erzählform aber trat er als kunstsinniger Deuter der Welt auf und definierte seine Gewalt als ‚schöpferisch‘ und ‚legitim‘ . In seinem Band Ernstes und Heiteres aus dem Putschleben verpackte Killinger 1927 die Gewalt der SA in Anekdoten .259 Auf diese Weise beanspruchte er mit der Aura des Künstler-Kämpfers, ‚rechtmäßig‘ zu handeln . Analog machten SA-Gruppen das Zusammenschlagen politischer Gegner zum Kneipenwitz .260 Der Kult von Jugendlichkeit und Gewalt allein erklärt nicht die Attraktivität der SA, ihn vertraten auch die Kommunisten .261 Doch waren die Nationalsozialisten wirtschaftlich wenig(er) radikal und vor allem programmatisch offener . Daher ließen sie auch einen größeren Handlungsspielraum als die Kommunisten, wenn es darum ging, „dem Führer zuzuarbeiten“ .262 Vor allem aber inszenierten sie systematisch das statushöchste Identitätsideal . Dass Hitler ab 1930 oberster SA-Chef war, garantierte den Mitgliedern gleichsam institutionell, dasselbe ‚Deutschsein‘ wie er zu verkörpern . Während die Kommunisten die Klassengesellschaft wirtschaftlich umformen wollten und dafür einen ‚neuen Menschen‘ forderten, versprachen die Nationalsozialisten ein statushohes, nichtjüdisches Deutschsein, das allen offenstehe, die eine ausgrenzende Gesellschaft herstellten . Als Zeichen ihres Deutschseins offerierten sie, ein ‚Siegerlächeln‘ zurückzubringen, welches die Demokratie angeblich zerstört habe . In ländlichen Gebieten, die für den Aufschwung von SA und NSDAP besonders wichtig waren, galten SA-Mitglieder denn auch weniger als Schlägertypen, sondern als Veranstalter fröhlicher Feste, die für willkommene Abwechslung sorgten oder anderweitig praktische Hilfe gaben .263 RSA, III/1, 93 . Doch mochte Hitler auch eine als humoristisch geltende Genremalerei, die von Bildungseliten belächelt, in einer deutschnationalen Rezeptionsgeschichte aber als „Kunst fürs Volk“ inszeniert wurde, Schwarz, Geniewahn, u . a . 34 ff . 259 Killinger, Ernstes und Heiteres . Er war von 1933 bis 1935 Ministerpräsident von Sachsen . 260 Reichardt, Faschistische Kampfbünde, 429–432, 456 f ., 454 . Zu diesem Verhalten in der Gewaltwelle 1933/34 Wachsmann, Dynamics of Destruction, 19 . 261 Den NS-Kult betont Siemens, Stormtroopers, 87 . 262 Brown, Weimar Radicals, 151 . Zum Begriff Kershaw, Working towards the Führer . 263 Longerich, Die braunen Bataillone, 74 ff ., 97–100 . Siemens, Stormtroopers, u . a . 200 ff . 257 258

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Als Hitler den Machtanspruch der SA 1934 gewaltsam kappte, um sie zu disziplinieren und die Einbindung der Reichswehr nicht zu gefährden, blieb das Ernste und Heitere als ‚Geschichtsschreibung im Alltag‘ erst recht wichtig . Denn als SA-Mitglieder nun ihre eigene Geschichte schrieben, um ihre Bedeutung hervorzuheben,264 präsentierten sie sich mithilfe des Humorbegriffs als die wahren Traditionsträger . Killingers Buch wurde bis 1941 elf Mal aufgelegt . Carl Springer rief 1939 mit Humor aus der Kampfzeit dazu auf, die Vergangenheit durch seine „humorvollen Schilderungen“ anzueignen, um mit den „alten Kämpfern“ Gegenwart und Zukunft zu meistern .265 Sich so aufzuwerten, war auch deshalb wichtig, weil die SA nach ihrem Machtverlust zunächst zivile Aufgaben erhielt . Um die Öffentlichkeit zu beruhigen, präsentierte die Leitung ihre Mitglieder als ordentliche, berufstätige Familienväter und friedliche Nachbarschaftshelfer . Doch galt letzteres als Aufgabe von Frauen und kam nicht gut bei den Männern an .266 Es ging somit auch darum, ihr Selbstverständnis als männlich zu stabilisieren, als sie neben der Organisation von Sommerfestivals relativ schnell wieder ihre Gewaltexpertise einbringen konnten: Bei antijüdischen Ausschreitungen, bei der Übernahme von Schieß- und Reitvereinen sowie als paramilitärische Kraft in der außenpolitischen Expansion ab 1938 .267 Die Rolle des Ernsten und Heiteren im SA-Kontext nach 1934 reflektierte ein systematisches Problem der NS-Zeit . Denn eine Gesellschaft, die ständig zur Selbstermächtigung gegen andere aufrief, musste sicherstellen, gegen wen die Gewalt sich nicht wenden dürfe . Gewalt sollte zur Vergesellschaftung dienen, ohne die ‚Eigenen‘ zu treffen . Heitere Filme und Witzhefte führten vor, wie das ging .268 Der höchste Lohn dieser Selbstkontrolle war, den Status des Künstler-Soldaten explizit zugesichert zu bekommen . Das stellte die weltanschauliche Schulung den SA-Mitgliedern in den dreißiger Jahren in Aussicht, wenn sie ihre Gewalt nur gegen sog . ‚Feinde‘ richteten, also nicht länger auf einer eigenen politischen Linie bestanden . Der Postangestellte und Trivialschriftsteller Friedrich-Joachim Klähn, SA-Brigadeführer und Chef des Stabsamtes der Obersten SA-Führung, unterfütterte 1934 mit Anekdoten vom Sturm 138 zunächst das Selbstverständnis, die NS-Herrschaft überhaupt erst ermöglicht zu haben .269 Dann forderte er mit heiteren Laienspielen und Anweisungen für Kameradschaftsabende zu kreativer Geselligkeit auf . Er selbst konzipierte nur den Rahmen und lud SA-Mitglieder ein, ihn mit „heiteren“ Szenen zu füllen .270 „Kunstschaffenden“ in der SA erklärte er, dass Unterhaltung einen Mann nicht abwerte; vielmehr trage er zur Integration der Gesellschaft bei, wenn er Gleichgesinnte emotional anspreche . Der gemeinsame Kampf, so sein Fazit, vermittele die gegensätzlich scheinenden Figuren des Soldaten und Künstlers .271 Vgl . Behrenbeck, Kult . Springer, Auf geht’s . Zum Geleit, unpaginiert . 266 Koonz, Nazi Conscience, 86 f . Longerich, Die braunen Bataillone, 223 . 267 Zu diesen Aufgaben Siemens, Stormtroopers, 198–204 . 268 Vgl . Mühlenfeld, Pleasures, 216 f . Longerich, Die braunen Bataillone, 141 f . 269 Klähn, Sturm 138, mit dem Untertitel Ernstes und viel Heiteres aus dem SA-Leben . 270 Klähn, Das gute Quartier, 3 (unpagin) . S . a . Ständer (Sturmhauptführer und Musikreferent der Obersten SA-Führung), Der Heitere Kameradschaftsabend . Ähnlich die SS, s . Wilke, „Hilfsgemeinschaft“, 185–205 . 271 Klähn, Soldat und Künstler . 264 265

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Trotz ihrer unterschiedlichen Rolle im NS-System agierten SA, SS und Wehrmacht in dieser Hinsicht identisch . Sie konzipierten Unterhaltung wie Gewalt als ein- und ausschließende Praktik .272 Mit beidem konstituierten sich die Männer als Gruppe und als überlegen . Doch ging die Bedeutung ihrer ‚Heiterkeit‘ noch darüber hinaus: Sie riefen eine Geschichtsdeutung ab, die ihr Vorgehen legitimiere, ohne weiter erklärt werden zu müssen . Denn sie reklamierten, ‚Künstler-Soldaten‘ und deshalb ‚im Recht‘ zu sein . Den ‚Beweis‘ für ihr Deutschsein erbrachten sie im Handeln: Im gewaltsamen Spott gegenüber den Verfolgten und im Scherz mit der Mehrheitsgesellschaft . Recht und Gewalt: ‚Sieger-Verlierer‘, ‚Täter-Opfer‘ Zurück zur Weimarer Republik: Während Stresemann den deutschen Opferkult kritisierte, reproduzierten die Nationalsozialisten eine imaginäre Hierarchie von ‚verletzenden und beschämenden jüdischen Körpern‘ vs . ‚verletzten und beschämten deutschen Körpern‘ . Indem Hitler versprach, sie umzukehren, legitimierte er antidemokratische Gewalt: Er forderte, jüdische Deutsche anzugreifen, damit jeder sehe, wer der „Schuldige“ sei .273 Mit dem Bild eines ‚jüdischen Lächelns‘ suggerierte er Schadenfreude und den Wunsch zu beschämen . Im November 1928 attackierte er jüdische Deutsche im fränkischen Hersbruck, „lächelnd“ hinter „Marxisten und Demokraten“ zu stehen und geduldig auf das Ende Deutschlands zu warten, das der politische Streit herbeiführen würde .274 Die Nationalsozialisten führten fort, was radikalnationalistische Zeitschriften im Ersten Weltkrieg vorgemacht hatten: Alle politischen Gegner als jüdisch zu markieren, ungeachtet ihrer Unterschiede, um jedes Alternativmodell in einen Angriff auf Identität zu verwandeln . Im März 1929 hieß es, dass hinter der marxistischen Botschaft der Gleichheit „der Jude“ stünde, „der sich wälzt vor Lachen über deine Narrheit“ und nur auf Herrschaft ziele .275 Auch wenn Hitler gegen Ende der Republik explizite Hetze gegen jüdische Deutsche unterließ oder vage blieb, um die konservative Rechte zu bedienen:276 Das Kürzel des Gelächters fehlte ebenso wenig wie seine Verkehrung von Schuld und Recht . Die Aura der Rechtmäßigkeit verlieh Hitler sich schon früher . 1923 erweiterte er den Begriff des Notstandes, der während des Ersten Weltkriegs so wichtig gewesen war, um das Konzept der Notwehr . Er verurteilte die Demokratie also nicht nur als allgemeine Bedrohung, sondern als konkreten Angriff . Deshalb schrieb er in Mein Kampf „das Recht der Notwehr und des Notstandes“ zum „natürlichen Recht“ des Volkes um, das wirksamer sei als die Verfassung . So gab er sich das Recht, sich gegen das Parlament

Orth, Concentration camp personnel, 51 . Harten, Himmlers Lehrer, 320 . BArch, NS 8/197, Bl . 10, Sept . 1940 . 273 Herbst, Hitlers Charisma, 225 . RSA, I, 22 . 274 RSA, III/1, 30 .11 .1928, 275 . Im August 1928 forderte er, auch christliche Gegensätze zu überwinden, weil jeder Unterschied nur dem „ewig lachenden Juden“ in die Hände spiele, RSA, III/1, 31 .8 .1928, 43 . 275 RSA, III/2, 59 . 276 Longerich, Hitler, 191 . 272

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zu stellen .277 Nach 1925 inszenierte er sich als „kraftvoller Mann“, der selbst sein „Recht“ vertrete .278 Wenn er Rechtsabkommen oder Verhandlungen als „Bitten und Betteln“ verurteilte und forderte, dass „das Schwert“ das Recht bestimmen müsse,279 entwarf er sich auch temporal als Mann, der nie aufgebe .280 Den Rechtsanspruch fassten die Nationalsozialisten ihrerseits im Zeichen des Lachens . Hitler versprach, allen ‚Gegnern‘ ein ‚falsches Lächeln‘ vom Gesicht zu wischen, ob es sich um Parteigenossen handelte, die ihm entgegentraten,281 politische Opponenten oder Vertreter des Staates . Als bei einem Zusammenstoß von Nationalsozialisten und Kommunisten in Schleswig-Holstein im März 1929 zwei SA-Männer und ein Kommunist starben, behauptete Hitler, die Polizei habe beim SA-Begräbnis lachend die Hände in den Taschen behalten .282 In seiner Sicht: Sie hätten die Toten ‚entehrt‘ . Pathetisch ergänzte er, dass die Bauern die Polizeiwaffen ihrerseits „grimmig verlacht“ hätten: „Und dieses Lachen pflanzt sich fort, und es ist die vernichtendste Antwort, die man dieser sogenannten ‚Autorität‘ überhaupt erteilen kann .“283 Das Angebot, Anhänger/innen aus ‚Opfer-Verlierern‘ in ‚rechtmäßige Sieger‘ zu verwandeln, ohne dass sie sich als Täter fühlen müssten, funktionierte aber nur, wenn die Bevölkerung mitzog . Wer Juden als ‚Täter‘ diffamierte, machte das Diktum von der „Judenrepublik“ wirksam . Diese Bereitschaft stachelte das Gewaltpotential an und bildete einen Schlüssel zum Erfolg der NSDAP284 – im erwähnten Sinn, dass die Legitimation von Gewalt besser funktioniert, wenn man suggeriert, ein angebliches Unrecht rächen zu müssen, als wenn man die Verfolgten ‚nur‘ abwertet . Der Schriftsteller und Landwirt Erich Bloch harrte in den dreißiger Jahren noch in seiner Heimat im Allgäu aus, musste aber nach dem Novemberpogrom fliehen . Er erlebte vor 1933 und nach 1945, wie manche Nichtjuden die Täter-Opfer-Verkehrung lebten . Sein Vater, ein Anwalt, erhielt 1930 Drohbriefe mit dem Text: „Saujude, warte nur, wir werden uns rächen für das, was ihr uns angetan habt!“285 Als Bloch 1951 nach Wangen zurückkam, um juristische Dinge zu regeln, stellten sich einige Gesprächspartner/innen als noch bedrohter dar als er, indem sie die nationalsozialistische Landwirtschaftspolitik kritisierten: Diese hätte ihnen massiv geschadet, wenn nicht das Kriegsende dazwischengekommen wäre: „… uns wäre es so schlimm ergangen wie Ihnen, noch schlimmer sogar!“286 Wie selbstverständlich die Opferselbstbeschreibung war, zeigten auch manche, die sich nach 1933 ausdrücklich nicht als Nationalsozialisten verstanden: Sie reklamierten ebenfalls ein größeres Leid Kershaw, Bd . 1, Hitler, 269 f . Zitate nach Hitler, Mein Kampf, Bd . 2, 1691 . RSA, II/2, München, 2 .5 .1928, 807 . 279 RSA, III/1, 18 .9 .1928, 94 . 280 Als er im Oktober 1929 ankündigte, mit legalen Mittel „nieder(zu)werfen“, was sich ihm „illegal“ entgegenstelle, erklärte er, dass er nicht die Verfassung meine, sondern die „Legalität“ einer im Kampf erfolgreichen Nation, RSA, III/2, 25 .10 .1929, 419 . 281 Er behauptete, sie machten sich über seine „Gutmütigkeit“ lustig, RSA, I, 21 .9 .1925, 161 . 282 RSA, III/2, 16 .3 .1929, 109 . 283 RSA, III/2, 17 .3 .1929, 114 . 284 Mosse, Crisis of German Ideology, 292, zufolge gelang es den Nationalsozialisten, revolutionäre Sehnsüchte in eine antijüdische Revolution zu kanalisieren . 285 Bloch, Das verlorene Paradies, 83 . 286 Ebd ., 91 . Zu den Opfererzählungen nach 1945 Moeller, War Stories . 277 278

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gegenüber denen, die zwangsemigrieren mussten . Marie Sachs, die 1939 nach England auswanderte, musste zuvor ihren gesamten Hausstand verkaufen . Ein Ehepaar, das sich für einen bestimmten Gegenstand interessierte, kann noch ein zweites Mal allein vorbei . Die beiden vertrauten Sachs an, dass sie die Nationalsozialisten hassten, und fügten hinzu: „Wir beneiden Sie, dass Sie dieses Land verlassen und in die Freiheit können!“287 Nach 1933 drehten NS-Überzeugte nur das ‚Sieger-Verlierer‘-Konstrukt, indem sie ihre Macht mit schierer Gewalt feierten . Die Täter-Opfer-Struktur dagegen ließen Nichtjuden gerade bestehen, wobei sie Juden besonders prononciert in der Phase der Vernichtungspolitik als ‚Täter‘ und ‚Schuldige‘ verunglimpften .288 Mit der Begründung, ‚Täter‘ vernichten zu müssen, bevor sie selbst ‚wieder‘ zu ‚Opfern‘ würden, erlaubten sie sich, ihre Gewalt zu verschärfen .289 Den Deutungsrahmen aber, der den Weg in eine Gewaltgesellschaft plausibel machen sollte, entfalteten sie bereits in der Republik . Am 23 . Mai 1928 unterstellte Hitler vor der Partei in München eine „tausendjährige jüdische Methode“, ‚Feinde‘ zu „ersticken“: Zuerst mit „gemeinsten Verdächtigungen und Beschimpfungen“, dann mit Terror und schließlich mit „Okkupation“ .290 Die NS-Gesellschaft kehrte das imaginäre Szenario schrittweise in die reale Vertreibung und Vernichtung um . Spott als Performanz Hitler bevorzugte immer Massenveranstaltungen . Das mag auch persönliche Gründe gehabt haben .291 Doch war es in kleinem Kreis schwieriger, einem tatsächlichen Argumentieren auszuweichen, und darin lag weder seine Stärke noch sein Interesse . Schon seine ersten öffentlichen Auftritte eröffneten ihm andere kommunikative Möglichkeiten: Wenn Hitler Juden oder „Kriegsgewinnler“ angriff, antworteten die Zuhörer mit der gebrüllten Forderung, diese aufzuhängen oder zu verprügeln .292 Seine spöttische Verachtung honorierten sie mit Gelächter . Hitlers Reden waren im Wortsinn Unterhaltung, indem er vor seinem Publikum abwesende Angegriffene verspottete . Mit einem interaktiven, ein- und ausschließenden Gelächter übte er mit den Zuhörenden die Pose des Rechthabens ein . Hitler setzte somit auf eine Produktion von Macht, die gezielt intersubjektiv strukturiert war und auf Nuancen in den Reaktionen der Zuhörerschaft reagierte . In der Weimarer Zeit entwickelte er das performative Muster, das er nach 1933 fortführte: Er stellte den ‚Feinden‘ sarkastisch rhetorische Fragen und machte sie in höhnischen Zwiegesprächen lächerlich . Zuhörer/innen klatschten nicht nur . Im Zuge der wachsenden Gewöhnung an das Gesagte lachten sie gerade bei offen gelassenen Sätzen beifällig und drückten so ihren Konsens aus . WL, 051-EA-0808, P .III .f ., No . 74, 1 . Friedländer, Das Dritte Reich, Bd . 2, 430 ff ., 689 ff . Herf, The Jewish Enemy . 289 Vgl . Sémelin, Säubern und Vernichten, 26 f . 290 RSA, II/2, 849 f . 291 Kershaw, Hitler, Bd . 1, 177 f ., zufolge brauchte Hitler ekstatische Massen, um ein persönliches Vakuum zu füllen . Das erklärt jedoch nicht die gesellschaftliche Bindekraft . 292 Kershaw, Hitler, Bd . 1, 191 . 287 288

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

Die Wiederholung und das Offenlassen übten eine gegenseitige Erwartungserwartung und das ergänzende Verstehen ein, das ein wichtiges Kommunikationselement in der NS-Zeit wurde .293 Hitler lud das Publikum durch Schlüsselwörter und Auslassungen ein, ihm zu antworten . Mit Blick auf Kunst etwa sprach er im Januar 1928 vom „blasierten Jüngelchen“ oder „Lebegreis“, denen die ‚richtigen‘ Deutschen zögerlich beim Klatschen folgen würden, weil sie Angst hätten, als Kunstbanausen zu gelten – avantgardistische Künstler also als Männer, die entweder unerwachsen oder zu alt seien (Frauen nahm er hier erst gar nicht in den Blick) . Auch Schott hatte Gewalt gegen die Avantgarde als legitim definiert . Hitlers Zuhörer forderten, diesen Künstlern „eine hineinzuhauen“,294 und zogen als Lachgemeinschaft gewaltsam eine Grenze . Er selbst versprach bis dato unbekannten Künstlern Karrierechancen, wenn sie sich anschlossen .295 Dass die Rededuelle mit anderen Parteien vom Gelächter lebten, weil ihn viele Opponenten verspotteten, kam Hitler letztlich zugute . Auf diese Weise blieb er im Gespräch, während er mit seiner festgefügten Welterklärung aus dem Stand jedes sachliche Argument verhöhnte .296 Aber er griff den Spott über sich auch umso pointierter auf, je besser sein Sarkasmus beim Publikum ankam . Als Zentrumspolitiker ihn Anfang 1928 als „politischen Priester“ verspotteten, konterte er in zwei langen Reden, deren antiklerikale und antisemitische Häme das Publikum mit großem Gelächter belohnte .297 Für die identitätssichernde Wirkung des Hohns war diese Reaktion des Publikums so wichtig wie die Rede selbst . Denn um rituelle Erniedrigung wirksam werden zu lassen, braucht es eine Öffentlichkeit, die verletzende Praktiken gesellschaftlich umsetzt . Gelächter war ein effektives Mittel, Zuschreibungen zu bestätigen .298 Der Spott, den Hitler vorführte und sein Publikum erwiderte, machte Zugehörigkeit physisch erfahrbar und drückte Zustimmung körperlich aus . Auch dass die Nationalsozialisten und andere Gegner/innen der Weimarer Demokratie im Modus moralisierender Entrüstung agierten, konnte ihre Gruppensolidarität stärken . Denn öffentliche Empörung, die andere beschämt, kann zu einer gemeinsamen rituellen Zerstörung der beschuldigten Person führen . Das gelingt vor allem dann, wenn Vorfall und Täter als ‚außergewöhnlich‘ dargestellt und ihnen außeralltägliche Dimensionen zugeschrieben werden . Scham dagegen bindet Menschen nicht unbedingt aneinander, sondern verhindert eher, dass sie sich zu einer durchsetzungsfähigen Einheit zusammenfinden .299 Die Nationalsozialisten behaupteten im Absolutheitsmodus, dass sie als ‚echte Deutsche‘ auf ungeheure, erniedrigende Weise beschämt würden – ein effektives Instrument, um sich nicht auf demokratische Prozesse einzulassen, und für sie selbst die Begründung, andere zu beschämen . Sie peitschten die Empörung über das angebliche ‚Unrecht‘ immer neu an, gerade als die wirtschaftliche Beruhigung Mitte der zwanziger Jahre dazu einlud, die 293 294 295 296 297 298 299

Zur NS-Zeit Sauer, Rede, 420 . RSA, II/2, 26 .1 .1928, 654 . Ebd . Diesen schrieb er die ‚richtige‘ Leidenschaft zu, ebd . 656 . Kershaw, Hitler, Bd .1, 192, 302 f . Koonz, Nazi Conscience, 25 f . Kuch/Herrmann, Symbolische Verletzbarkeit, 203 . Garfinkel, Bedingungen, 51 f .

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III . Nicht nur Tucholskys: Die Weimarer Republik

Demokratie erst einmal arbeiten zu lassen . Hitler übersetzte nicht nur vorhandene Gefühle in politische Dynamik . Die NS-Bewegung produzierte und provozierte immer neu Angst und Abwehr, indem sie Demokratie nur als Raum einer beschämenden Überwältigung und Unterlegenheit zuließ . Ihr Angebot war im Ernsten und Heiteren vorformuliert: Hass gegen die, die sie als ‚Täter‘ angriff .300 Mit ihrer zirkulären Gefühlspolitik forderten und versprachen Nationalsozialisten nicht nur Verletzungsmacht, sondern auch, ‚im Recht zu sein‘ . Arbeit, Zeitlichkeit, Sexualität: Männlichkeit beanspruchen Doch reklamierten sie nicht einfach nur, das ersehnte Genie zu stellen . Um plausibel zu machen, dass er das statusgenerierende Idealbild des Künstler-Soldaten repräsentiere, eignete Hitler sich auch andere wichtige Sinnstrukturen an . Ich fokussiere hier auf den Dimensionen Arbeit, Zeit und Sexualität, obwohl man in einem selbstreferentiellen Horizont an jedem Punkt ansetzen könnte . Mit dem in Deutschland so wichtigen Arbeits- oder Leistungsbegriff stellte Hitler regelmäßig eine angeblich wesenhafte Differenz her . Mit der Behauptung, ‚deutsch‘ sei ‚produktiv‘ und ‚jüdisch‘ ‚destruktiv‘, zirkulierte er ein geläufiges Motiv des antijüdischen Arsenals .301 Für sich selbst reklamierte er das bürgerliche Leistungsethos . Die These des faulen Führers, der keinen bürgerlichen Arbeitsstil gepflegt habe, chaotisch gewesen sei und nichts zur Organisation der Partei beigetragen habe, wird konterkariert durch die Intensität und Energie, mit der er sein Redepensum bewältigte .302 Zudem vermittelte Hitler den Eindruck unermüdlicher Tätigkeit, indem er vom „weiterarbeiten“ oder „arbeiten wie nie zuvor“ redete und versprach, bis zum Wahltag und sofort nach jeder Wahl beharrlich zu arbeiten . Sebastian Haffner hat schon vor Jahren betont, dass Zeitgenossen den Hitler-Mythos in den dreißiger Jahren nicht mit Verweis auf dessen Redekunst verankerten, sondern mit dem Hinweis, wie viel er ‚geleistet‘ habe .303 Wohl halfen die wirtschaftliche Erholung und die Aufrüstung der dreißiger Jahre . Das Selbstbild aber schuf Hitler vorher . In der Wirtschaftskrise bedienten die Nationalsozialisten die Sehnsucht nach Gestaltungskraft, indem sie als leidenschaftliche und zuversichtliche Macher auftraten, die handeln statt abwarten würden, wenn sie denn entscheiden dürften .304 Hitler griff selbstbewusst den Vorwurf auf, kein konkretes Programm zu haben, und verwandelte ihn in den Pluspunkt, ‚authentisch‘ zu sein . Vor der preußischen Landtagswahl vom 24 . April 1932, in der die NSDAP sich von 1,8 % auf 36,3 % zur stärksten Partei steigerte, kokettierte er, tatsächlich kein Programm zu liefern – allein am 23 . April 1932 in fünf Zum Fokus auf Hass hier nur Kershaw, Hitler, 368 f . RSA, I, Rede NSDAP-Versammlung Zwickau, 15 .7 .1925, 128 f . RSA, I, NSDAP Wismar, 8 .10 .1925, 172 . Zudem betonte er symbolische Anerkennung anstelle materieller Entlohnung, um Interessenkonflikten die Spitze zu nehmen, vgl . Wildt, Begriff der Arbeit . 302 So Schwarz, Geniewahn, 62, gegen die frühere These bei Kershaw, Hitler, Bd . 1, 433 f . 303 Haffner, Anmerkungen, 47 . 304 Graf, Zukunft, 326 und passim . 300 301

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

Orten in Schleswig-Holstein, darunter Kiel und Flensburg . Er bot sich auf diese Weise als ‚ehrlich‘ an, während andere nur versprechen, aber nichts leisten würden . Energisch forderte er Zuhörer/innen auf, am Wahltag ihre „Pflicht“ zu tun, und versicherte: „Morgen findet eine Wahl statt . Ich verspreche Ihnen, daß ich übermorgen wieder zu arbeiten beginnen werde!“305 Er beließ es somit nicht beim Anspruch des Genialischen, sondern schrieb sich in das klassisch bürgerliche Leistungsethos ein . Zu Hitlers doing gender gehörte des Weiteren, als ‚Mann, der nie kapituliert‘, aufzutreten .306 Dass er sich temporal als unbeirrbar gab, war nicht nur zweckrationale Vermarktungsstrategie .307 Durchhalten galt als Zeichen von Männlichkeit, der Hindenburg-Mythos drehte sich darum, und wer politische Anerkennung wollte, musste Kontinuität versprechen . Auch hier verschaffte Hitler sich preußische Ahnen: Friedrich I ., so behauptete er, sei oft verspottet worden und habe doch aus Brandenburg Preußen gemacht .308 Wie attraktiv das Motiv des verkannten Sehers war, zeigte sich, als auch Brüning darauf zugriff . Im Herbst 1931 scheiterte der Versuch, eine deutsch-österreichische Zollunion durchzusetzen, vor dem Völkerbund und dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag . In seiner Regierungserklärung vom 13 . Oktober 1931 verteidigte sich Brüning damit, dass auch Bismarck den Mut gehabt habe, unpopuläre Politik zu machen, und verspottet und verhöhnt worden sei, um bei der Wende zum Besseren dann der große Nationalheld zu werden .309 Doch die Nationalsozialisten setzten sich auch von autoritären Konservativen ab, indem sie die gesamte Parteienlandschaft als temporale Hierarchie fassten . Die Linken beschrieb Hitler als unerwachsen und der Gegenwart nicht gewachsen, Liberale und Konservative als Greise, die weder Gegenwart noch Zukunft im Griff hätten . Ihnen stellte er tatkräftige Nationalsozialisten gegenüber, die eine glorreiche Kontinuität sichern würden . Dazu verflocht er Zeitlichkeit mit der dritten hier diskutierten Ordnungserzählung, also Sexualität . In den zwanziger Jahren gelang es eher älteren Politikern, sich auf die Demokratie einzustellen . Hitler nutzte das jugendliche Alter vieler Anhänger, um sexuelle Kraft und ‚kreative‘ politische Kompetenz gleichzusetzen . 1930 kritisierte er, dass die Republik nur die „alten Männer“ ans Ruder lasse,310 und versicherte, auch gegen Hindenburg gerichtet, mit jugendlichem Heroismus „greisenhafte Sterilität“ zu überwinden .311 Er trat als Macher auf, als er forderte, die Zukunft selbst zu formen, statt es auf kommende Generationen zu verschieben .312 Diesen Appell griff die Wehrmachtsunterhaltung 1942 wieder auf, als die Zeit der schnellen Siege vorbei war .313

RSA, V/1, 96 . In Schwenningen versicherte er am 9 . April 1932, er werde Leistung und Arbeit für sich sprechen lassen, RSA, V/1, 44 . 306 So auf einer NSDAP-Versammlung in Würzburg am 6 . April 1932, RSA, V/1, 34 . 307 So Herbst, Hitlers Charisma, 187 f . 308 RSA, V/1, 23 . S . a . RSA, V/1, 75, 18 .4 .1932, Görlitz . 309 Vgl . Gerwarth, Bismarck Myth, 137 . Zur Wahrnehmung Brünings bei Republikanern Lange, Genies, 203 f . 310 RSA, III/3, 2 .5 .1930, 174 . 311 RSA, III/3, 2 .8 .1930, 294 . S . a . RSA, III/1, 6 .7 .1928, 10 . 312 RSA, II/2, NSDAP-Parteitag Nürnberg, 21 .8 .1927, 497 . 313 Voggenreiter, Geballte Ladung, 6 . Vgl . Kap . IV .4 . 305

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Schließlich verwandte auch Hitler die sexualisierenden Sinnfiguren von Vergewaltigung und Zuhälterei, um unzulässige Grenzverletzungen zu suggerieren . Schott hatte ebenfalls Weimarer Museen diffamiert, die moderne Kunst ausstellten, als „öffentliche Häuser“ und „Kulturbordelle“, die „Scherze“ mit dem Heiligsten der deutschen Kultur treiben und sie unflätig beschmutzen würden .314 Parallel inszenierte er die Demokratie als unmoralische und widerrechtliche Überwältigung . Denn ihm zufolge würden Hitlergegner „die Wahrheit vergewaltigen“, wenn sie diesen als Putschisten abqualifizieren würden .315 Hitler wiederum diskreditierte Kurt Eisner und dessen Mitstreiter in der bayerischen Räterepublik noch posthum als „Zuhälter“ .316 Parteien und Gewerkschaften warf er vor, hörig zu sein .317 Bei der Reichspräsidentenwahl 1925 attackierte er andere nicht nur als „Lump“ und „Vagabund“, sondern als „Zuhälter“ und „Franzose“,318 also als nationale und moralisch-sexuelle ‚Grenzverletzer‘ . Nicht nur die Revolutionäre von 1918 verunglimpfte er entweder als „Zuhälter“319 oder als „kleine impotente Geister“ .320 Auch als antiliberale Konservative sich von der NSDAP abwandten, hieß es, sie seien „impotent“ .321 Im Zuge ihres Aufschwungs verbreiteten die Nationalsozialisten systematisch die Matrix der ‚unheiligen Dreifaltigkeit‘ . Goebbels behauptete im Reichstag eine „Vergewaltigung der Minderheit“ und attackierte die SPD als „Partei der Deserteure“ .322 Hitler zeichnete Demokraten genüsslich als Feiglinge, indem er bildhafte Ausdrücke reihte: Ein Republikaner sei jemand, der „kapituliert, die Fahne einpackt, preisgibt und abrückt“ .323 Im Februar und März 1930 stimmte sein Publikum lebhaft zu, als er zwar „äußerliche“ Ruhe und Ordnung konstatierte, aber behauptete, dass es keine „Männer“ mehr gäbe .324 Heiterkeit erntete er auch, wenn er andere rechte Parteien wie die Deutschnationalen hämisch als Nicht-Männer angriff .325 Mit der sexualisierenden Überwältigungsrhetorik verurteilte Hitler demokratische Praxis als ‚Verletzung‘ . Sich selbst bot er als einzige Figur an, die das ‚Drama‘ der ‚Gefährdung‘ beenden könne . Anhänger/innen versprach er Teilhabe an dieser Macht . Prompt ahndeten NS-Gerichte Witze über einen impotenten oder homosexuellen Hitler weit schärfer als Bonmots, die nur seine Ehe- und Kinderlosigkeit karikierten .326 Denn sie machten lächerlich, dass er seine Machtansprüche auch mit dem Ordnungsmodell heterosexueller, potenter und ‚kreativer‘ Männlichkeit plausibilisierte .

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Schott, Volksbuch, 133 f ., 181, 187 . Zur Debatte um Kultur u . a . von Saldern, „Kunst fürs Volk“ . Schott, Volksbuch, 83 . RSA, II/1, Rede NSDAP-Versammlung München, 13 .4 .1927, 258 . RSA, I, 84 . RSA, I, Rede NSDAP-Versammlung Wismar, 8 .10 .1925, 171 . RSA, II/1, Rede NSDAP-Versammlung München, 24 .5 .1927, 317 . RSA, II/2, 21 .11 .1927, 555 . RSA, III/3, 2 .8 .1930, 294 f . Mergel, Parlamentarische Kultur, 426 ff ., Zitate 457 u . 459 . RSA, II/2, Rede NSDAP-Versammlung München, 24 .2 .1928, 671 . RSA, III/3, 24 .2 .1930, 99 . S . a . ebd ., 1 .3 .1930, 114 . RSA, II/2, 21 .8 .1927, 494 . Dörner, „Heimtücke“, 192 .

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

Männlichkeiten in Weimar: Demokratisches Recht vs. Aura des ‚Rechtmäßigen‘ Die nationalsozialistische Identitätspolitik trug dazu bei, dass Männlichkeit auch in der Weimarer Republik der entscheidende Marker blieb für den Anspruch, ‚große Politik‘ zu machen . Zugleich ließ sie es durch die ständige, aggressive Wiederholung immer normaler erscheinen, Juden, Demokraten und Kommunisten als ‚unrechtmäßig‘ und ‚verletzend‘ zu diffamieren . Allerdings forcierten beide extremen Parteien von links und rechts eine Männlichkeitskonkurrenz, indem sie die Demokratie als schwach angriffen . Sie setzten die anderen Parteien zunehmend unter Druck, zupackende Männlichkeit anders zu demonstrieren als durch demokratische Praxis .327 Vor allem gegen die SPD gerichtet wurden Diskussion und Kompromiss als ‚Waffe der Frau‘ diffamiert, als demokratische Schwäche und hinterhältige Absicht, die Nation zu entmännlichen .328 In diesem Kontext trat Hitler als hypermännlich auf . Dabei entwarf er eine nationalsozialistische Ordnung entlang der Achse jüdisch/nichtjüdisch und versprach allen Nichtjuden unabhängig von Geschlecht oder Klasse die Teilhabe . Doch achtete er sorgfältig darauf, Männern das im engeren Sinne politische Handeln vorzubehalten . Frauen bot er an, am NS-Verständnis von ‚Deutschsein‘ zu partizipieren, wenn sie eine auf Gleichwertigkeit und Ergänzung angelegte Geschlechterordnung akzeptierten .329 So forderte er dazu auf, beim Wählen „Mann und Weib“ zu sein und eine „klare Entscheidung“ zu treffen, so wie er und seine Mitkämpfer „Männer“ gewesen seien .330 Da die Angst vor ‚unmännlichen Männern‘ und neuen Handlungsräumen für Frauen die Weimarer Gesellschaft prägte, hatte die Männlichkeitsrhetorik einen weiten Resonanzraum .331 Wohl waren manche Frauen aus dem rechten Lager enttäuscht, dass die NS-Gesellschaft in letzter Instanz immer männliche Vorgesetzte vorsah . Doch boten die Nationalsozialisten Männern und Frauen an, durch eine wörtlich verstandene Verletzungsmacht eine angeblich verlorene oder angegriffene Identität zu sichern .332 In ähnlicher Weise attackierte Hitler zwar immer die Demokratie, nicht aber eine moderne Gesellschaft tout court . In der Regel griff er Personen an, die nicht auf eine Mehrheit rechnen konnten – auch das eine Möglichkeit für Skeptiker/innen, das NS-Programm partiell zu akzeptieren . An Hitlers Beschämungswitzen kann man ablesen, dass er vor allem diejenigen als Konkurrenz empfand, die ihrerseits als ‚Künstler-Politiker‘ galten . Vielleicht diffamierte er Kurt Eisner deshalb so häufig noch posthum, weil dieser genau die Fähigkeiten gezeigt hatte, die Hitler beanspruchte:333 Auch Eisner war 1918 eher unbekannt, begeisterte aber mit seinem rhetorischen Talent junge Frontsoldaten und Künstler, die mit der bayerischen SPD-Führung unzufrieden Schumann, Politische Gewalt . Zu den Kommunisten u . a . Sewell, The Party . Schulz, Ästhetisierung, 151, 205 . 329 Harvey, Weibliche Gemeinschaft, 253, zur Aufwertung von Weiblichkeit durch den Ausschluss der Unerwünschten, als ‚gleichwertige‘, nicht gleichberechtigte Kameradin im NS-Männerbund . 330 RSA, V/1, 264 . 331 Heinsohn, Parteien und Politik, u . Kessel, Demokratie, sowie die übrigen Beiträge in diesem Band . 332 Kramer, Volksgenossinnen, 52 f ., zur Integration von Frauen aus konträren politischen Lagern, die sich durch die Dolchstoßlegenden getroffen gefühlt hatten . 333 Pyta, Hitler, 133, vermutet, Hitler habe Eisner aufgrund seines Kunstsinns geschätzt . Es kann also auch sein, dass er eine frühere Neigung nach links überblendete . 327 328

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waren .334 Eisner musste persönliche Angriffe ertragen, garantierte aber dennoch in der aufgepeitschten Revolutionszeit Ruhe und Ordnung, befriedigte so das Bedürfnis nach Sicherheit und bemühte sich, verschiedene politische Lager zu integrieren .335 Doch hoffte Eisner, die deutsche Bevölkerung über Bildung und Diskussion zur Demokratie zu erziehen . Das unterschied ihn fundamental von denen, die ihn als „Vaterlandsverräter“ brandmarkten, weil er die deutschen Völkerrechtsverletzungen bereits während des Krieges kritisiert hatte .336 Wenn Hitler Eisner als ‚Zuhälter‘ verhöhnte, dann rechnete er mit der gesellschaftlichen Angst und dem Ärger, dass Geschlechtergrenzen sich auflösen könnten: Nur ein Milieu wie Schwabing, das Männer mit langen Haaren und Frauen mit Bubikopf zulasse, so schäumte er, bringe „geniale“ Menschen wie Eisner hervor; dieser werde aufgewogen durch „jeden Straßenfeger, der seinen Quadratmeter Straße gewissenhaft kehrt“ .337 Doch solange Stresemann Außenminister war, blieb er Hitlers bevorzugtes Ziel, gerade weil es dem Vorsitzenden der DVP gelang, den Versailler Vertrag friedlich zu revidieren .338 Stresemanns Anhänger/innen feierten ihn als charismatischen Künstler-Politiker, weil er sich in ihren Augen vom ‚Parteimann‘ zum ‚Staatsmann‘ entwickelt habe .339 Stresemann war wie Hitler ein sozialer Aufsteiger, erreichte aber nicht zuletzt durch seine Heirat mit der Industriellentochter Käte Kleefeld eine ganz andere gesellschaftliche Position .340 Er war lange überzeugter Monarchist gewesen . Auch nach 1923 unterschied er sich weniger in seinen Werten von den Konservativen als in der Akzeptanz demokratischer Prozesse .341 Er lehnte Gewalt als Instrument regulärer Politik ab, plädierte aber für die herkömmlichen Leitwerte Arbeit, Ordnung und Autorität sowie eine „deutsche Freiheit“, die er klassisch konservativ als Einordnung des Individuums in eine Allgemeinheit verstand .342 Mit Literaturzitaten und Gedichten belegte Stresemann sein standing als ‚Künstler-Politiker‘ .343 Politisch plädierte er für Kompromisse als Konfliktlösungsmodus und für die sukzessive Lösung von Problemen, statt ständig den großen Wurf zu fordern . Damit war er den Verhandlungsstilen der Engländer, Amerikaner und Franzosen näher als dem Nullsummenverständnis von Politik in Deutschland .344 Vor allem der Vergleich mit Stresemann beleuchtet, wie dessen Gegner ihre Selbstbeschreibung als Opfer einsetzten, um Ultra-Maskulinisierung und Gewalt zu verherrlichen . Die Nationalsozialisten verschärften das geläufige Konstrukt, sich selbst als OpSo Grau, Eisner, 319–325, 330 f ., 352 f . Grau, Eisner, 331, 361 ff . 336 Grau, Eisner, v . a . 314, 385 ff ., 441 . Antisemitische Angriffe im Simplicissimus, Jg . 23, H . 46, 11 .2 .1919, 586 . 337 RSA, II/1, 18 .1 .1927, Rede Schleiz, 127 . 338 Longerich, Hitler, 192 ff . Zur identitätspolitischen Deutung Kessel, Demokratie, 102 . 339 Lange, Genies, 161 ff . 340 Kolb, Stresemann, 27 . 341 Kolb, Stresemann, 96 . 342 Stresemann, Reden, 315 f . 343 Pohl, Grenzgänger, 79 ff ., kritisiert ihn als unoriginell, verfehlt so aber die Bedeutung des Verhaltens an sich . 344 Zu letzterem auch Geyer, Verkehrte Welt, 165, mit Blick auf Lohn- und Gehaltskonflikte . 334 335

3 . Hitler in Weimar: Dialogischer Hohn, Konsens im Gelächter

fer darzustellen, indem sie andere als ‚Täter‘ bezeichneten . Sie beanspruchten physische und strukturelle Verletzungsmacht, um ihre gedachte Welt umzukehren . Stresemann dagegen kritisierte den bloßen Opfergestus und definierte die mühevolle demokratische Alltagsarbeit und Suche nach Kompromissen als Zeichen von Männlichkeit . Prompt attackierte Hitler den Politiker des Ausgleichs als „wankelmütig“ .345 Die DNVP unterstellte dem Außenminister und seinem jüdischen Schwiegervater, an französischen oder tschechoslowakischen Waffenfirmen beteiligt zu sein; so suggerierte sie eine mehrfache, unredliche ‚Grenzüberschreitung‘ .346 Im März 1929 verhöhnte Hitler Stresemanns Körper, um ihm das Recht auf politische Führung abzusprechen: „Die Meinung aber, daß … das Schicksal den wohlbeleibten Korpus des Herrn Dr . Gustav Stresemann ausersehen haben könnte, ist ohne Zweifel eine frevlerische Lästerung der Allmacht des Herrn .“347 Ähnlicher Hohn traf die Politiker, die der NSDAP aktiv mit Rechtsmitteln begegneten . Den bayerischen Landtagspräsidenten Georg Stang, der die Nationalsozialisten 1932 des Saales verwies, als sie trotz Verbots in Uniform gekommen waren, verspottete Hitler als „Stank“ .348 Indem er lautmalerisch Unreinheit inszenierte, sprach er Stang ab, deutsch zu sein . Die Nationalsozialisten griffen somit in ihrem zweiten Anlauf systematisch auf das Ernste und Heitere zu . Georg Schott übersetzte die Matrix des Imaginären in nationalsozialistische Identitätspolitik . Er verschärfte deren selbstreferentiellen Charakter, den Hitler in seiner Passionsgeschichte der Nationalsozialisten adaptierte: Als ‚Gerechte‘ von ‚infamen Feinden‘ „beschämt, verlacht und verfolgt“ zu werden, ohne dass diese ihren Erfolg bremsen könnten . Zudem schrieb Hitler sich in Sinnmuster wie Arbeit, Zeit oder Geschlecht ein . Das gemeinsame Gelächter mit Anhänger/innen wiederum übersetzte den gewaltförmigen Spott in eine gesellschaftlich wirksame rituelle Erniedrigung . Die Nationalsozialisten versprachen, die Deutschen aus ‚Verlierern‘ in ‚Sieger‘ zu verwandeln, ohne dass sie sich ob ihrer Gewalt als ‚Täter‘ fühlen müssten; denn als ‚Täter‘ projizierten sie immer die von ihnen Angegriffenen . Wer mitzog, schottete sich mit einem dialogschließenden Gelächter auch dagegen ab, argumentieren zu müssen . Nach 1933 realisierten Überzeugte und die, die es wurden, ihre verfolgende Gesellschaft nicht nur mit Gewalt, sondern auch mit theatralisch inszenierter, spöttischer Beschämung .

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RSA, II/2, Rede NSDAP-Versammlung München, 2 .5 .1928, 802 . Kessel, Demokratie, 102 . RSA III/2, 9 . Vgl . Rißmann, Hitlers Gott, 48 . RSA, V/1, 196 .

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IV. Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum 1. Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

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ie Gaudi könnt ihr euch vorstellen . In Socken und Nachthemd steht der Herr Innenminister in der Halle, umgeben von einer Menge SA und SS, die vor Lachen nicht wissen wohin . Dann kommen sie und treten dem weinenden Innenminister mit ihren schweren Stiefeln auf die große Zehe, dass er zwischen ihnen hopst von einem Bein aufs andre .“1 So beschrieb Lina Heydrich, die Frau von Reinhard Heydrich, in einem Brief an ihre Eltern, wie SA und SS nach der Absetzung der bayerischen Regierung im März 1933 den verhafteten Innenminister Karl Stützel im „Braunen Haus“ vorführten, der NSDAP-Zentrale in München . Stützel hatte 1925 das Redeverbot für Hitler initiiert . Nun traf ihn eine theatralisch inszenierte Gewalt: Ein beschämend entblößter Körper, das Herrscherspiel mit Schmerz und Angst, und schließlich Hohn und Gewalt als Ersatz für Argumente . Die Nationalsozialisten hatten ihren Anhänger/ innen ein ‚Gelächter der Sieger‘ versprochen, und Heydrich genoss das Spektakel . Gewaltförmiger Spott war der Schlüssel zu ihrem Selbstverständnis, und mehr noch dessen theatralische Struktur . Indem Heydrich dem ‚Schauspiel‘ applaudierte, und sei es nur brieflich, beanspruchte sie ihrerseits, ‚kreativ‘ und ‚im Recht‘ zu sein . Die deutsche Gesellschaft in der NS-Zeit war eine dynamische Ordnung, eine interaktive Machtproduktion in the making .2 Die Forschung hat die vielfältigen im/materiellen Angebote diskutiert, die die ausschließende Gesellschaft attraktiv machten, und gezeigt, auf welch vielfältige Weise sich Zeitgenossen einbrachten und gemeinsam oder konflikthaft ihre Vorstellung von Welt realisierten .3 Eliten und große Teile der Bevölkerung schlossen einen Sozialkontrakt, wie Michael Geyer es nennt, dessen ‚Ertrag‘ Heydrich, Leben, 40 . Ihr Mann verband Geige und Gewalt . Confino, A World without Jews . 3 Gerade die Forschung zur sog . ‚Volksgemeinschaft‘, aus der Fülle hier nur Schmiechen-Ackermann u . a . (Hg .), Der Ort der ‚Volksgemeinschaft‘ . Latzel/Mailänder/Maubach (Hg .) Geschlechterbeziehungen . 1 2

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

auf dem Ausschluss jüdischer Deutscher und Andersdenkender basierte .4 Das Ernste und Heitere fasse ich als den korrelierenden kommunikativen und performativen ‚Vertrag‘, um die ausschließende Gesellschaft herbeizuführen und zu legitimieren . Akteure behaupteten, einen ‚höhnischen Feind‘ besiegen zu müssen, und traten in ihrer Verkehrungsstruktur als ‚lustiges Volk‘ auf .5 Mit dem Code des Gelächters und binären Konstrukten von Zeit und Raum, Arbeit und Reinheit zogen sie Grenzen gegenüber denjenigen, die nicht dazugehören sollten . Dabei erlaubte das Ernste und Heitere, sich unterschiedlich aufzustellen: Mal projizierten Akteure eine Welt ohne Juden, ohne deren Entstehung zu thematisieren . Dann wieder inszenierten sie öffentlich und theatralisch, wie sie den Verfolgten Existenz und Leben nahmen . In jedem Fall forderten sie mit ihrem Gelächter, über Verletzbarkeit und Verletzungsmacht entscheiden zu dürfen . Im ersten Schritt diskutiere ich die regelrechte Explosion des Ernsten und Heiteren ab 1933, in den Medien und im Alltag . Bekannte und Unbekannte traten als ‚Künstler/ innen‘ an und verhandelten intensiv über den richtigen Dreh, also: wie Gewalt zu thematisieren sei . Zweitens analysiere ich, wie u . a . Karnevalisten zwischen 1933 und 1939 jedes Jahr vorführten, wie ihre Verletzungsmacht wuchs . Der dritte Abschnitt thematisiert Witze der nichtjüdischen Bevölkerung, die das öffentlich Sagbare umrissen und politische Entwicklungen kommentierten . Viertens rücken SS und Wehrmacht in den Blick, die den doppelten Zeichencharakter des Gelächters zementierten, als unerbittliche Gewalt und heitere Unterhaltung . Abschließend geht es um die Strukturen der Beschämung in der Shoah, die durch Kernkategorien der deutschen Kultur organisiert waren . In einem ‚Karneval der Gewalt‘ zwangen Gewaltakteure die Verfolgten, das ihnen zugeschriebene ‚Nicht-Deutschsein‘ in ‚noch lebenden Bildern‘ zu ‚beweisen‘, bevor sie sie ermordeten . Während die Mehrheitsgesellschaft Ausgrenzung und Vernichtung als Witz und im Witz inszenierte, gelang es Verfolgten mitunter, sich mit Humor zu helfen . Unter Lebensgefahr machten sie sich mit Scherzen Mut und stabilisierten ihr Selbstgefühl . Dass eine Kommunikation auf Augenhöhe für sie jedoch prinzipiell nicht vorgesehen war, zeigte gerade die systematische Bedeutungsverkehrung . Im April 1933 übernahm die SS das Konzentrationslager Dachau in einer regelrechten Gewaltexplosion . Einige Mitglieder trieben vier Häftlinge, die an dem Tag bereits ausgepeitscht worden waren, vorgeblich zur Strafarbeit in den Wald . Dort fragte ein SS-Mann die Häftlinge, ob die Last, die sie trugen, nicht allzu schwer sei . Erwin Kahn, seit Errichtung des Lagers gefangen, antwortete, es sei nicht allzu schlimm . Die Antwort war der Satz: „Dir wird dein dreckiges Lachen schon vergehen“ und ein Kopfschuss von hinten .6

Geyer, Krieg, Staat und Nationalismus, 263 . Zur Verkehrungsstruktur im NS generell Neumann, Weltanschauung . 6 Zit . nach Wachsmann, KL, 70 . Kahn überlebte schwer verletzt, weil ein Polizist seine Erschießung verhinderte und ihn in ein Münchner Krankenhaus bringen ließ . Kahn konnte seiner Frau noch erzählen, was geschehen war, bevor ihn jemand ermordete, möglicherweise der Wachmann vor dem Krankenzimmer, ebd . 4 5

1 . Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

‚Lustiges Volk‘ in ‚heiterem Kampf ‘: Gemeinsam die Gegenwart formen Die Zahl der in der NS-Zeit veröffentlichten Titel zum Ernsten und Heiteren war endlos und ihr Erfolg groß . Die Bertelsmann-Bestseller Lachendes Leben oder Lustiges Volk von Johannes Banzhaf zählten zu den zwanzig Büchern mit der höchsten Auflage .7 Die Titel waren Programm . Günther Büttner machte 1935 mit Frohe Menschen – frohes Schaffen Werbung für den Arbeitsdienst .8 Der „Westwallarbeiter“ Otto Pudlik verherrlichte 1940 in Der Westwall lacht Krieg als ‚fröhliche Arbeit‘ .9 Die Bezirksleitung des weiblichen Arbeitsdienstes Pommern-West nannte ihr „Erinnerungsbuch“ für „Führerinnen und Arbeitsmaiden“: „… und heiter alle Arbeit“ .10 Landser lachen, ein bis 1944 mehrfach aufgelegtes Heft mit Kriegswitzen, offerierte eine „best of “-Auswahl aus der beliebten Radiosendung Soldaten-Kameraden 1940–1941 .11 Intermedial und interaktiv: Mit dem humorigen Code beschrieben sich alle als kreative Produzent/innen von Gesellschaft, wo immer sie tätig waren . Damit legten sie auch fest, wer über die Deutung der eigenen Erfahrungen verfügen dürfe und wer nicht . Victor Klemperer notierte die Kehrseite: Antijüdische Beschämungswitze und deren Wirkung . Die Teilnehmer/innen einer Kaffeefahrt im August 1933 hätten die Begrüßung des Begleiters mit NS-Phrasen wenig beklatscht, den folgenden Witz aber minutenlang belacht und mit Applaus belohnt: Eine jüdische Dame will sich ihr Haar ondulieren lassen, aber der Friseur lehnt ab: „Bedaure vielmals, gnädige Frau, aber das darf ich nicht .“ „Sie dürfen nicht?“ „Unmöglich! Der Führer hat beim Judenboykott feierlich versichert, und das gilt noch heute allen Gräuelmärchen zum Trotz, es dürfe keinem Juden in Deutschland ein Haar gekrümmt werden .“12 Klemperers Beobachtung bestätigte die Meinungsforschung, die in der NS-Zeit Konjunktur erhielt . Umfragen zufolge lehnte ein Großteil der Bevölkerung offen ideologische Beschallung ab, ob sich die Propagandaleitung umhörte, der Sicherheitsdienst der SS (SD) oder die Wehrmacht .13 Bei einem öffentlichen Beschämungsscherz aber, der die Ausgrenzung beschrieb und in Sprechakt und Applaus noch einmal performativ wiederholte, zog das Publikum begeistert mit . Denn der Code bot Vorzüge . Er symbolisierte die Macht, die Verfolgten gemeinsam zu verspotten, ohne dass diese antworten konnten – in sich bereits ein Zeichen für Selbstermächtigung und Unterordnung . Gleichzeitig erlaubte ein Scherz auch untereinander, auf Argumente zu verzichten und den Gewaltcharakter des eigenen Handelns zu verschleiern . Ein Witz kommentierte, ohne etwas zu ‚sagen‘, und verwandelte die VerAdam, Lesen, 162 . Merziger, Nationalsozialistische Satire, 301, der das vielfältige Aushandeln von ‚deutschem Humor‘ in der Populärkultur zeigt . Ich teile jedoch nicht seine Kernthese, dass Satire in der NS-Zeit verschwunden sei . Zu Humor in autoritären Regimen auch Caplan/Feldman (Hg .), Laughing out loud . 8 Büttner, Frohe Menschen . 9 Pudlik, Der Westwall lacht . Fritz Todt rühmte im Vorwort, dass der „unverwüstliche deutsche Humor“ diese „ernste Arbeit“ begleite . 10 Flieger, „… und heiter“ . 11 Schröter (Hg .), Landser lachen . 12 Klemperer, LTI, 48 f . 13 BArch MA, RW 6/176, Bl . 92, OKH, 28 .2 .1940 . BArch, NS 18/483, Bl . 1–58, 1942 . 7

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

folgten erkennbar in ein Tabu .14 Drittens agierten Zeitgenossen den ‚Sieger-Verlierer‘und ‚Opfer-Täter‘-Konnex aus, indem sie ihre Verletzungsmacht eindringlich sichtbar machten, das Leid der Betroffenen aber weglachten . Und schließlich galt Scherzen als Kunst, die alle beherrschen könnten, um sich als Erschaffer/innen von Gesellschaft zu fühlen und sich auf diese Weise ‚ins Recht‘ zu setzen . Der Modus des Scherzhaften prägte daher nicht nur die Populärkultur, sondern auch die Kommunikation in Berufsverbänden oder Behörden . Der aus einer Bergarbeiterfamilie stammende Kabarettist Fred Endrikat, seit den zwanziger Jahren als Kabarettist bekannt, war nach 1933 enorm erfolgreich . 1936 trat er mit seinem Kabarett Die Arche bei den Olympischen Spiele auf .15 Als er 1935 der Reichsbetriebsgemeinschaft Bergbau in der Deutschen Arbeitsfront heitere Gedichte anbot, lehnte diese dankend ab, weil sie bereits „auf Monate“ eingedeckt sei . Sie erbat sich aber einige „Kumpelschnurren“, auch wenn es diese ebenfalls schon „in rauen Mengen“ gäbe .16 Die Hauptvereinigung der Deutschen Milch- und Fettwirtschaft wiederum erläuterte in ihrer Lustigen Milchfibel von 1939 mit Reimen und Zeichnungen, dass Milchbauern verantwortlich seien für eine „deutsche Nahrungsfreiheit“ . Sie erklärte, wie man Krankheitskeime beseitige – kleine Teufelchen, gemütlich ins Stroh gekuschelt – und mahnte, die Ratschläge der Kontrolleure zu beherzigen . Erfolg versprach sie dann, wenn die Produzenten sich nicht als zivilgesellschaftliche Akteure, sondern als Kämpfer an der Milchfront verstünden . Neben einer kleinen Kanne von fünf Litern stand ein Mann im grauen Zivilanzug, der beschämt die Hände vor dem Körper rang; neben einer großen Kanne von 20 Litern winkte breitbeinig und grinsend ein militärisch gekleideter, kräftiger Typ mit einem Bündel Geldscheine .17 Schulhefte wiederum übten mit Kindern ein, was die Kernbegriffe meinten: ‚Humor‘ meine das Engagement für eine nationalsozialistische Gesellschaft, ‚Ironie‘ Distanzierung . Elisabeth Fischbach erklärte 1934 in einem Schülerheft von deutscher Art, dass ein „Humorist“ ein „tiefer Lebensbejaher“ sei, der „Verbundenheit mit anderen Menschen“ signalisiere . Ein „Satiriker“ dagegen – jemand, der den Nationalsozialismus ablehne – „verneine“ die Welt und demonstriere „Nicht-Verstehen“ .18 Sie übte so auch ein, dass der Begriff des Lebens für Nationalsozialisten reserviert sei . Wie wichtig heitere Unterhaltung in der NS-Zeit war, ist vielfach betont worden .19 Hier setzte sich der Trend seit den späten zwanziger Jahren fort, als das Publikum immer deutlicher für vordergründig unpolitische Unterhaltung optiert hatte . Den Wunsch artikulierte es auch nach 1933: Zeitgenossen forderten heitere Unterhaltung, die nicht explizit ideologisch sein solle . Goebbels, der im Radio zunächst direkte politische Botschaften lancieren wollte, gab schnell nach, als Zuhörer/innen protestierten .20 Von da Kühne, Belonging, 90, zum porösen „Kult der Geheimhaltung“ während der Shoah . Müller, „Willkommen“, 238–246, 260 f ., der ihn aber für unpolitisch hält, ebd . 236, 261 f . 16 DKA Mainz, LK/E/43, Deutsche Arbeitsfront, Reichsbetriebsgemeinschaft Bergbau, 17 .9 .1935, an Endrikat . 17 Lustige Milchfibel, 27 . 18 Fischbach, Deutscher Humor, Vorwort . 19 Aus der Fülle hier nur Schulte-Sasse, Entertaining the Third Reich . 20 Pater, Producing a Cheerful Public . 14 15

1 . Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

an einigten sich Politik, Populärkultur und Publikum auf heitere Angebote, die gesellschaftspolitische Botschaften subtiler transportierten . Humor war deshalb ein erfolgreiches Marktphänomen, weil er nicht nur unterhielt, sondern eine sorgsam dosierte, kommunikativ verkappte Partizipationsbereitschaft bediente .21 Dabei blieben ästhetisch vielschichtige Angebote erhalten, auch wenn NS-Puristen sich darüber ärgerten .22 Auch hohe NS-Funktionäre, die sich mit Kunstgaben untereinander als neue Elite platzierten, schenkten einander keine germanischen Wurfspeere, sondern mitunter Kunst, die öffentlich tabuisiert wurde .23 Vor allem während des Krieges entwickelten sich die NSDAP und die Wehrmacht zu Großproduzenten von Scherzheften . Das Feldpost-Heft des Völkischen Beobachters von 1943, Darüber lache ich noch heute. Soldaten erzählen heitere Erlebnisse, war ein Beststeller mit 2,6 Millionen verkauften Exemplaren .24 Soldaten-Alltag kam auf 2,2 Millionen, Im Angriff und im Biwak sowie Darüber lacht der Soldat auf 1,2 bzw . 1 Million Stück .25 Sicher war dies kein freier Markt; der parteieigene Verlag Eher publizierte und versandte die Hefte an die Wehrmacht . Dennoch waren es nicht nur top down-Angebote, denn der Völkische Beobachter warb vorab um Beiträge von Soldaten . Für Darüber lache ich noch heute wollte er weit über 10 .000 Einsendungen erhalten haben .26 Denn wer mitmachte, erhielt den ultimativen symbolischen Lohn . Völkische und rechtsnationale Verleger buchstabierten es aus: Sie hätten eine politische Aufgabe, die militärisch organisiert sein müsse . Sie erklärten das Buch zur Munition, den Verleger zum „Feldherrn“ und das Verlagswesen zum „Generalstab, der seine Truppen zusammenhält“, indem er Texte „auswählt, mobilisiert, ausrüstet, in die Breite verteilt“ und ihren „Einsatz ordnet und führt“ .27 Wer so schrieb, hielt nicht nur Hitler, sondern sich selbst für einen Künstler-Soldaten . Beste Voraussetzungen also für Humorautor/innen, die schon vorher aktiv waren, und alle, die es werden wollten . Der Markt dafür hatte sich seit Mitte der zwanziger Jahre wieder stabilisiert, aber nach der Machtübernahme nutzten bis dato Unbekannte die Vertreibungspolitik als Chance, um die Bühnen zu erobern . Ihre Titel verrieten, wie geläufig ihnen die Semantik des Lachens war: Sie versprach Prestige, Einkommen und den höchsten symbolischen Status . Mitarbeiter des Propagandaministeriums lasen eingesandte Theatermanuskripte .28 Sie wurden mit Texten wie Der fidele Bauer oder Die lustigen Steirerleut derart überrannt, dass ihnen die Jovialität schnell verging . Hans Drewanz etwa, der 1935 die Operette Wer zuletzt lacht einreichte, bat mehrfach um gezielte Kritik, damit er sein Opus verbessern könne . Die kritischen Leser hielten Kessel, Gewalt schreiben, 250 . Zahlreiche Beispiele bei Merziger, Nationalsozialistische Satire . Zu Theaterkomödien Grange, Hitler laughing, xix, passim . Zur Kontinuität unter nichtjüdischen Kunstschaffenden ebd ., 29 . Zur Vertreibung als ‚Marktchance‘ für Nichtjuden Trommler, A Command Performance, 130 f . 23 Dazu Petropoulos, Art as politics, 179 ff . 24 Adam, Lesen, 323 . Zur Kontinuität dieses Stils nach 1945 Adam, Traum, 188 . 25 Adam, Lesen, 294 . 26 Ebd ., 293 . 27 Als „überraschendes“ Phänomen zit . von Lohff, Das Buch als Tat, 242 . 28 Zur Steuerung der Spielpläne ab 1934 Rischbieter, „Schlageter“, 218 . Zur Buchzensur Lewy, Harmful . 21 22

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

es jedoch für „hoffnungslos“ . So konnte ihn selbst sein Titel nicht retten, der Hitlers Kernbotschaft aufgriff . Der Absagebrief war fast so deutlich wie der interne Vermerk .29 Im Ringen um Manuskripte handelten Schreibende und Kommentatoren gemeinsam aus, wie eine NS-Gesellschaft im Entstehen erzählerisch zu konturieren sei . Erstere baten um Kritik, letztere vermittelten, was wegzulassen sei – nicht als simple Manipulation, denn alle beteiligten sich an der diskursiven Regulierung, indem sie bestimmte Lesarten der Welt vorzogen und andere marginalisierten oder ausschlossen .30 Die Begutachter führten unpolitisch wirkende Texte herbei, indem sie ausdrücklich politische Botschaften kritisierten . Autor/innen setzten die Hinweise prompt um . Richard Rheinsbergers Komödie Die Frankenthaler galt 1935 zunächst als völlig „indiskutabel“, weil die Handlung überlagert werde von Karikaturen des Völkerbundes, der „Novemberlinge“ oder des Parlamentarismus . Doch gelang ihm so geschickt zu streichen, dass er unter dem Titel Die Wolkensteiner eine zweite Chance erhielt .31 Die gemeinsame Arbeit am Text zielte einerseits darauf, die als ‚Feind‘ Markierten und ihre Verfolgung erzählerisch eher auszublenden . Damit signalisierten NS-Instanzen auch, wie Otto Normalschriftsteller sich an Politik beteiligen solle: Nicht als Krawallmacher, sondern mit harmonisierenden Parallelbeschreibungen, die Deutschland als ‚judenfrei‘ entwarfen . Zudem sollte die Gesellschaft ihre Differenzen lachend lösen, durch Familie, Freunde, Nachbarn oder Kollegen, ohne Regierung und vor allem ohne Polizei, in einem wortlosen Gefühl, das Gemeinsamkeit suggerierte . In diesem Sinne begeisterte Walter Carkos 1934 die Leser im Propagandaministerium . Sein Trubel in Heitersbach galt als „ein Stück Leben mit in Frohsinn aufgelösten Konflikten in Form einer Unterhaltung“;32 es demonstriere das Führerprinzip mit dem Handwerksgesellen Hans, der durch sein Können zum Erfinder wurde . Der Oberstleutnant der Reserve Karl Peroutka bewies seine „dramatische Fähigkeit“ und seinen „Humor“ in dem „zeitgemäßen Volksstück“ Der lachende Herrgott . Er entlarvte einen geldgierigen Bürgermeister und gliederte ihn wieder in die Gesellschaft ein, geläutert durch die Heirat mit einer Haushälterin .33 Auch wenn Carkos und Peroutka nicht ausdrücklich die Weimarer Zeit als Verfallsgeschichte beschrieben, projizierten sie die NS-Zeit erkennbar als die ‚goldenen dreißiger Jahre‘ . Sie boten eine Gegenwartswahrnehmung an, die die Nachkriegsgesellschaft nach 1945 in die Konstruktion von Erinnerung verwandeln konnte, als sie eine nationalsozialistische Gesellschaft ohne Gewalt, aber auch ohne Juden erinnerte . Auch während des Krieges gingen die freiwilligen Einsendungen weiter . Nun kamen die Texte gut an, die Korruption verurteilten, die Verfolgungspolitik aber zurückhaltend behandelten .34 Das Ausblenden entsprach Hitlers Handlungsprinzip, dass er in den dreißi-

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BArch, R 55/20178, Bl 193–200 . Kessel, Gewalt schreiben, 250 f ., auch zum Folgenden . Lowry, Ideology and Excess, 129 ff . BArch, R 55/20194, Bl . 253, 257, 259, 261 . BArch, R 55/20170, Bl . 69 . BArch, R 55/20186, Bl . 190–194 . BArch, R 55/20211, Bl . 103–110 .

1 . Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

ger Jahren mehrfach erläuterte: Wichtige Anliegen auf keinen Fall zu diskutieren oder schriftlich festzulegen, sondern einfach zu erledigen .35 Andererseits aber verschwand weder die Gewalt noch die verzerrende Abwertung der Verfolgten je narrativ oder visuell . Das betraf nicht nur reißerische Medien wie den Stürmer oder Das Schwarze Korps . Auch die Humorsemantik selbst fungierte als Form kultureller Gewalt . Denn Titel wie Heitersbach vermittelten diskursiv, dass die Ausgrenzung bereits vollzogen sei oder bald geschehen werde . Außerdem nutzten Aktivisten den Topos des Lachens, um sich explizit über die Opfer der Lagerpolitik lustig zu machen . Heitersbach wimmelte von fröhlichen Menschen, die tatkräftig und lachend ihre NS-Gesellschaft organisierten . Parallel erläuterte Adolf Stein unter seinem Pseudonym Rumpelstilzchen in Sie wer’n lachen! von 1934 spöttisch die Parallelwelt des Konzentrationslagers Oranienburg: Dort „erziehe“ man Regimegegner zu Ordnung und Disziplin und bereite auf diese Weise den Zuschauer/innen „Freude“ .36 Das war der entscheidende Punkt: Es gab immer Parallelerzählungen, zwischen denen das Publikum wählen konnte . Walter Hofmann etwa, Schriftleiter beim Schwarzen Korps, zeichnete unter seinem Pseudonym „Waldl“ heitere, nur mitunter etwas störrische Nichtjuden . Als „Bogner“ karikierte er bis Kriegsende die Alliierten, die er als ‚jüdisch‘ markierte . Breitenwirkung erhielten seine Bilder zusätzlich, als er 1936 einige unter dem einschlägigen Titel Lacht ihn tot! separat veröffentlichte .37 Die jüdisch Semantisierten blieben immer ‚gefährlich‘, so dass auch Hofmann die Denkfigur vom ‚immer gleichen Juden‘ lancierte, der deshalb so gefährlich sei, weil er seine Erscheinung verändern könne . Dass in seiner Mehrheitsgesellschaft ‚jüdisch‘ gezeichnete Figuren auftauchten, suggerierte eine stete Gefahr für ‚die Deutschen‘ . Und es hieß: Jedes als ‚jüdisch‘ stigmatisierte Verhalten müsse aufhören, bevor eine nationalsozialistische Gesellschaft realisiert werden könne .38 Das Privileg, die Gewalt nicht wahrnehmen zu müssen, klagten manche Einwohner noch während des Holocaust ausdrücklich ein . Eleonore Gusenbauer, die nahe Mauthausen lebte, bat darum, dass die „unmenschlichen Handlungen“ entweder unterblieben, weil es ihre Nerven nicht aushalten würden, dauernd halb erschossene Juden im Straßengraben liegen zu sehen, oder aber „dort gemacht werden, wo man es nicht sieht“ .39 Die Missbilligung des gelben Sterns durch Nichtjuden interpretiert David Bankier ähnlich; der Stern machte die verbliebenen Juden sichtbar, die als noch lebende Zeugen vorführten, wie mörderisch die Gesellschaft war .40 Unterhaltungsangebote lieferten, was Zeitgenossen forderten: Manches wahrnehmen und anderes ausblenden zu dürfen . Die Debatte, was denn nun akzeptable NS-Kunst sei, riss jedoch ebenfalls nie ab . Hitler reagierte deutlich geduldiger als das Propagandaministerium auf den NiveauVgl . Kap . IV .2 . Rumpelstilzchen, Sie wer’n lachen!, 7 f . 37 Waldl (i . e . Hofmann), Lacht ihn tot, o . S . 38 Auch er fasste die behauptete Differenz somit nicht biologisch, sondern kulturell . Zur Debatte um den „Rassenstaat“ Pendas/Roseman/Wetzell (Hg .), Beyond the Racial State . 39 Zit . nach Friedländer, Jahre der Vernichtung, 324 . 40 Bankier, Öffentliche Meinung, 177 f . 35 36

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

verlust, den die eigene Politik produzierte . Vor 1933 hatte er versprochen, unbekannte Künstler zu fördern, sofern sie leidenschaftliche Nationalsozialisten seien .41 In den dreißiger Jahren bedauerte er zwar, dass es immer noch mehr Handwerker als Genies gebe, mahnte aber 1939 zur Geduld, da Handwerk die Voraussetzung für Genie sei .42 Die öffentliche Diskussion lud aber auch süffisante Kommentare ein . Im August 1940 kritisierte das Propagandaministerium den Lustigen Sachsen, dass dessen Titelbilder zu friedensmäßig seien . Schriftleiter Bergmann antwortete, sie würden ja gerne anders . Doch sei es nicht einfach, gute Mitarbeiter zu finden, zumal der Witz nicht „gar zu billig“ sein dürfe .43 Andere Witzproduzenten sicherten sich ab . Günter Stöve, der Anekdoten zum Weitererzählen anbot, markierte nicht nur sog . ‚Meckerer‘ als „zynisch“ und „ironisch“ . Er beteuerte auch ausdrücklich, dass seine Scherze über „große Männer“ wie Hitler und Göring deren Würde nicht antasten, sondern nur die sprichwörtliche Zuneigung demonstrieren würden .44 Zeit und Raum erobern: Das verletzungsmächtige Subjekt Einerseits wirkten Witzhefte wie Reichsparteitage to go . Sie holten unauffällig und doch explizit in den Alltag, was die NS-Festivals mit Pomp und Getöse inszenierten: Eine temporale ‚Ursprungsgeschichte‘ seit dem Mittelalter; den Anspruch auf Verletzungsmacht in einem ausgedehnten Raum; und die angebliche Einheit von „Geist und Tat“ .45 Andererseits aber waren sie ganz anders . Denn sie vermieden den monumentalen Gestus, der bis heute als NS-Ästhetik gilt . Sie suggerierten stattdessen durch ihre Alltäglichkeit, dass die Nicht-Demokratie der normale Zustand des Politischen sei, zu dem die Gesellschaft nach den Weimarer ‚Exzessen‘ zurückkehren solle . Und sie luden ein, mit Scherzen beizutragen . Dafür gab es bis Kriegsende Personal, Geld und Papier .46 Anekdotenhefte spitzten drei Dimensionen zu, die der Diskurs über das Lachen seit dem Ersten Weltkrieg verknüpft hatte: Deutsch sein bedeute, Raum und Zeit durch eine verletzungsmächtige Männlichkeit zu beherrschen . Zunächst aber setzten sie auf der prinzipiellen emotionalen Ebene an: Sie forderten unbedingte Begeisterung . Ohne es zu sagen, werteten sie auf diese Weise Diskussion als Konfliktlösung und die Suche oder Forderung nach Argumenten als ‚nichtdeutsch‘ ab . Dass Nationalsozialismus Identitätspolitik sein wollte, zeigte sich etwa, wenn seine Verfechter/innen die gefühlsmäßige Bindung „froher“ Zeitgenossen forderten, statt konkrete Zukunftsentwürfe anzubieten . Der Verhaltensratgeber Sieh dich an! Heiteres Buch mit ernstem Inhalt für Jung und Alt betonte in der Phase der Machtverankerung 1935, dass der ideale Zeitgenosse weder „zimperlich“ noch schlapp oder lau sein dürfe .47 Noch im Herbst 1941 skizzierte 41 42 43 44 45 46 47

RSA, II/2, 26 .1 .1928, 654 . Schwarz, Geniewahn, 206 f ., 211 . BArch, R 55/20964, Bl . 1–2 . Stöve, Aus vergnügter Feder, 5, 7 . Kritik an ‚Meckerern‘ auch bei Krimmer (Hg .), Stundenbuch, 7 . Zu den Parteitagen Karow, Deutsches Opfer, 19 ff ., Zitat 24, 64 ff . Trommler, A Command Performance, 124–129, zu Unterhaltung als Konsumgut . Michael, Sieh dich an, bes . 17 (Zitate), 26–33, 52–56 .

1 . Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

der Propagandaberater Ribbentrops, Karl Megerle, das Leitbild des „frohen, lebensnahen, mutigen und gesunden Menschen“ im zukünftigen neuen Europa, statt genaue politische Ziele zu formulieren .48 Leidenschaftlichkeit – das ‚richtige‘ Gefühl, welches ‚richtige‘ Politik signalisiere – berechtigte in diesem Deutungshorizont, über Raum und Zeit zu herrschen . Der Anspruch auf Raum artikulierten Mundartsammlungen vor allem während des Krieges . Sie ließen die gewaltsame Expansion als selbstverständlich erscheinen, indem sie regionale Zugehörigkeit mit der Teilhabe an einer expandierenden Nation identifizierten . In Anekdoten und Schnurren aus allen deutschen Gauen erneuerte Karl Lerbs 1940 das Deutungsmuster vom ‚dreißigjährigen Krieg‘ seit 1914 .49 Mit der Formel präsentierte er den Zweiten Weltkrieg als unausweichlich . Als die Stimmung ab 1941/42 deutlicher zu schwanken begann – was nicht automatisch einen Loyalitätsverlust bedeutete50 -, forderten Humoristen nachdrücklich, Deutschsein mit Krieg zu identifizieren . Sammlungen mit regionalem Fokus priesen Humor als „souveräne“ Einstellung, um innenpolitische Differenzen zu überwinden .51 Sie forderten, die Gemeinschaft über das „eigene Ich“ zu stellen52 und sich an „vorderster Front“ einzubringen .53 Eine harmonische Nation zu behaupten, hieß keineswegs, dass regionale Spannungen verschwanden . Im Gegenteil, die erboste Kampagne des sächsischen Gauleiters Mutschmann gegen Hans Reimanns Sachsenparodien war legendär .54 Aber der Heimatbezug sollte Soldaten anstacheln . Und er behauptete einen wesenhaften Gegensatz: Er unterstellte eine ‚jüdische Heimatlosigkeit‘ und schrieb Deutschsein seinerseits als nichtjüdisch fest . Sammlungen wiederum, die eine Auswahl nichtjüdischer Dichter seit dem Mittelalter kanonisierten, entwarfen Zeitlichkeit . Sie legitimierten die Gegenwart temporal, indem sie den Nationalsozialismus als Höhepunkt der Entwicklung vom ersten bis zum dritten Reich präsentierten . Die Auswahl sprach deutschjüdischen Künstlern das Recht ab, die deutsche Geschichte als die ihre zu erzählen . Einige Anthologien spannten den zeitlichen Horizont nur vom ersten bis zum zweiten deutschen Reich . So schufen sie geschickt eine kulturelle Tradition, die sowohl die umkämpfte Literatur der Weimarer Republik als auch explizite NS-Literatur ausklammerte . Sie blendeten die erste Demokratie als nicht traditions- und erinnerungswürdig aus und boten denen etwas an, die möglicherweise weder die Weimarer noch die NS-Ordnung mochten, sich aber mit den Klassikern identifizierten .55 Denn auf Goethe oder Beethoven bezogen sich (fast) alle in Deutschland . Wie wichtig Temporalität für die deutsche Selbstwahrnehmung war, zeigte sich ebenfalls besonders deutlich während des Krieges . Als die deutsche Expansion stockte, Zit . nach Longerich, Propagandisten, 89, zu Megerle ebd . 62 f . Lerbs, Die Drehscheibe, 7, 1940 bereits in der vierten Auflage . Entsprechend vorsichtig wäre mit dem Deutungsmuster eines ‚dreißigjährigen Krieges‘ umzugehen . 50 Dazu Stargardt, Der deutsche Krieg . 51 Oelsen, Till Eulenspiegels Erben, 183 . 52 Kiesgen/Spael (Hg .), Rheinischer Volkshumor, 259, damals in der vierten Auflage . 53 Ebd ., 6 . U . a . Deiters, Da lacht der „Große Michel“ . 54 Merziger, Nationalsozialistische Satire, 127 ff ., zufolge verschwanden Reimanns Sachsenwitze ab 1940 . 55 Vgl . Kessel, Gewalt schreiben, 251 . 48 49

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

passten Politik und Medien die Zeitachsen sorgfältig an . Von 1918 bis etwa 1941 forderten Humorautoren, sich durch Siege für 1918 zu revanchieren . Danach inszenierten sie zwar weiterhin einen ‚dreißigjährigen Krieg‘ . Doch erinnerten sie lieber an die schnellen Siege von 1939 bis 1941, wie Bernd Poieß in seinen Soldaten-Geschichten von 1943 . Oder sie beschworen die Erfolge gegen Frankreich 1871 und 1813/14, um die Deutung ‚Sieg nach langer Leidenszeit‘ abzurufen .56 Politiker inszenierten ebenfalls den großen Bogen . Hitler verglich sich gerne mit Friedrich dem Großen . In den letzten Monaten imitierte er den preußischen Feldherrn körperlich, inklusive dessen Gebrechlichkeit im Alter, was manche Generäle beeindruckte .57 Die NS-Gesellschaft übersetzte ihren Anspruch, Zeit und Raum zu beherrschen, indem sie beides für jüdische Deutsche immer enger fasste . In den Lagern wollte die SS den Inhaftierten die Erinnerung an ihre Vergangenheit, den Sinn in der Gegenwart und Ziele für die Zukunft nehmen . Doch gelang ihnen dies nie in der Totalität, in der sie es anstrebten .58 Unfreiwillig komisch bestätigte Generalmajor Ludwig Krug, wie elementar das unbedingte Geradeaus war, um als männlich anerkannt zu werden . Beim Attentat auf Hitler war er bereits in britischer Gefangenschaft . Dort wollte er sich von den deutschen Verbrechen distanzieren, ohne aber als Wendehals zu erscheinen . Unter allen Umständen wollte er den Eindruck vermeiden, „eben auch plötzlich ein umgeschwenkter Dings“ zu sein . Er beteuerte: „Das bin ich nicht . Das lehne ich entschieden ab“ . Seine Zuhörer, ebenfalls hochrangige Offiziere, versicherten ihm umgehend zu ihren eigenen Gunsten, dass daran kein Zweifel bestehe: Der Nationalsozialismus sei „idealistisch gedacht“ die „einzige Rettung“ gewesen .59 Die Beteiligung an der Vernichtungspolitik zu leugnen und doch nicht als ‚schwankend‘ zu erscheinen, blieb die Leitlinie der Selbstdarstellung auch nach 1945 . Als drittes Kennzeichen einer ‚deutschen‘ Identität und Gesellschaft galt Verletzungsmächtigkeit . Das forderten vor allem Kriegsanekdoten, neben Regionalhumor und literarischen Ahnengalerien das dritte gängige Format . Etliche Sammlungen boten wie Otto Doderer 1940 „Heiteres und Besinnliches aus dem Ersten Weltkrieg“ an .60 Auch diese Angebote fassten die Zeit seit 1914 als ‚dreißigjährigen Krieg‘, in dem ‚die Deutschen‘ sich ununterbrochen gegen ‚anbrandende Feinde‘ hätten wehren müssen . Josef Ludwig Müller, der als „Peter Poddel“ Witzhefte für Soldaten vertrieb, beschwor ‚anständige deutsche Besatzer‘: Er nahm 1938 einen Text von Georg Mühlen-Schulte aus dem Ersten Weltkrieg auf, der die Zivilbevölkerung besetzter Gebiete als hinterhältig charakterisiert hatte .61 Wie vor 1933 galt der Krieg als Einheitsgenerator und der Soldat als heroische Vollzugsperson: Der ‚ideale Deutsche‘ zeige sich im Kampf . Hans Wendt kündigte an, das „Versprechen“ der deutschen Geschichte einzulösen . Für ihn

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Poieß, Soldaten-Geschichten, 105–110 . S . a . Richter/Ebeling (Hg .), Humor in Feldgrau, 3 . Schwarz, Geniewahn, 302 ff . Zum Anspruch Sofsky, Ordnung, 61 ff . Zu Häftlingen als Akteuren u . a . Suderland, Extremfall, 24 ff . Zit . in Neitzel, Abgehört, 323 (kursiv im Orig .) . Doderer, Das Landserbuch, bes . 10, 201 f . Müller, Soldatenhumor, 105 .

1 . Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

hieß das, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Kampf zusammenzuführen, ohne zu fragen, ob sich der Krieg in Zielsetzung und Art verändert habe .62 Der Rückbezug auf den Ersten Weltkrieg kann in seiner systematischen Bedeutung gar nicht überschätzt werden .63 Denn er speiste den Zusammenhang zwischen der Opfer-Täter-Verkehrung und der Zuspitzung von soldatischer Männlichkeit als unerbittlich . An die Niederlage zu erinnern, hieß, die Opferposition zu beschwören . Analog attackierte Hitler auch nach 1933 Andersdenkende als „Vergewaltiger“ und unterstellte ihnen, körperliche und nationale Grenzen zu ‚verletzen‘ .64 Unerbittliche Härte gegen die ‚Täter‘ sollte beweisen, dass die Deutschen nur durch sie und nicht durch eigenes Handeln in einer Opferposition gelandet seien . Rezensionen unterstrichen, wie nationales und individuelles Selbstverständnis verschmelze: Die Nation werde dann wieder verletzungsmächtig sein, so hieß es, wenn Soldaten „echten“ Humor, also unerbittliche Härte zeigen würden . Die Neue Augsburger Zeitung attestierte den Soldaten in Wendts Stube 118 zudem, dass ihr Lachen „die Wahrheit“ sage .65 Anders: Sie seien ‚im Recht‘ . Diese Botschaft konnte auch individuellen Zweifeln vorbeugen . Während des Krieges führten Ernst und Heiter-Autoren Raum, Zeit und Verletzungsmacht gerne zusammen . Dabei operierten auch sie mit dem Lebensbegriff, der suggerierte, dass nur mit Krieg einer elementaren Gefährdung zu begegnen sei . Karl Seibold, der im Auftrag des NS-Lehrerbundes auch über Schulerziehung publizierte, bot 1943 in Deutschland lacht. Volkhafter Humor zuerst Soldatenwitze, dann regionale Schwänke und schließlich „philosophische“ Deutungen des „deutschen Lachens“ an . Sein Fazit: Man müsse „der Weisheit letzten Schluss“ „unter Tränen lächelnd“ erfüllen .66 Als Weisheit galt das „neue deutsche Weltbild“, das „in kraftvoller Lebensbejahung zur Lebensbehauptung“ aufrufe und den „Lebenskampf “ als höchste Form „nordischen Daseins“ zelebriere .67 Dass dieser Lebensbegriff darauf gründete, Verfolgten das Leben zu nehmen, führte SS-Obergruppenführer Friedrich Jeckeln vor . Der Höhere SS- und Polizeiführer Russland-Süd ließ in Kamenez-Podolsk in der Ukraine am 26 ., 27 . und 28 . August 1941 23 .600 Juden ermorden . Ein Angehöriger des beteiligten Polizeibataillons 320 erinnerte sich 1961, dass Jeckeln zunächst einige der Leidtragenden zurückhielt, darunter einen Mann im grauen Anzug . Jeckeln habe das Bataillon aufgefordert, sich diesen Mann gut anzuschauen: „Das ist ein typischer Jude, den man ausrotten muss, damit wir Deutschen leben können“ .68 Wer dem Feindbild nicht entsprach, der, so wohl Jeckelns Botschaft, ‚verschleiere‘ seine ‚Grenzüberschreitung‘ nur . Das Ernste und Heitere fungierte somit in der NS-Zeit als populärer Speicher, um zuerst Ausgrenzung und dann den Vernichtungskrieg als rechtmäßig zu legitimieren . Sammlungen, die den Krieg verherrlichten, waren dabei selten über das Regime des 62 63

Wendt, Stube 118, vom Wehrmachtsverlag zwischen 1939 und 1940 zehn Mal neu aufgelegt . S . a . Krumeich (Hg .), Nationalsozialismus und Erster Weltkrieg . Wegner, Hitlers politische Soldaten,

64

Vgl . Kapitel IV .2 . Beide abgedr . in Wendt, Stube 118 . Seibold, Deutschland lacht, dritte Seite Vorwort, o . S . Ebd ., erste Seite Vorwort, o . S . Zit . nach Mallmann/Rieß/Pyta (Hg .), Deutscher Osten, 87 .

66 . 65 66 67 68

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Verschweigens organisiert . Manche dramatisierten die Beschämungserzählung, um Opfer- und Täterposition umzukehren . Georg Volkmann beschwor 1934, dass die Deutschen im Ersten Weltkrieg wegen ihrer „Anständigkeit“ verhöhnt worden wären, während die Gegner sie betrogen hätten . Er ließ keinen Zweifel, wie sie mit „stehlenden russischen Kriegsgefangenen“ und „verstockten Polen“ umgegangen seien, wohlgemerkt bürokratisch korrekt: „Hier draußen macht man mit solchen Burschen wenig Federlesens . Einige Schritte beiseitegeführt, eine Kugel, erledigt . Währenddessen wurde ein kurzes Protokoll geschrieben .“69 Hans Riebau, Hans Reimann und Manfred Schmidt wiederum mokierten sich offen über Kritik am Vernichtungskrieg in Polen . In Lachendes Feldgrau erwähnten sie eine britische Zeitungsnotiz von 1939, die deutsche Gewalt gegen Zivilisten in Lublin kritisiert habe . Sie versicherten ihren Lesern spöttisch, die Deutschen hätten nur einen fast tauben alten Mann mit schlechten Augen aus einem Park getragen .70 Mit der Gartenmetapher reproduzierten sie das kolonialisierende Denken, dass die Polen nicht in der Lage seien, ihr Land zu bestellen .71 Für Eingeweihte aber verwiesen sie auf die Praktik, Juden, die alters- oder krankheitsbedingt nicht selbst gehen konnten, zum Hinrichtungsort zu schaffen . Der Schriftleiter des Völkischen Beobachters, Wilhelm Utermann, verband den Topos der Tierliebe mit der Hell-Dunkel-Metaphorik, um ‚Recht‘ und ‚Unrecht‘ zuzuschreiben: Ein weißer Bataillonshund habe die Deutschen „im Dunkel dieser schmierig-lumpigen Judassöhne“ besonders erfreut .72 Wohl zeigte die Masse der Texte, wie viel diskursive Energie es brauchte, um die deutsche Verkehrung von Recht und Unrecht immer neu zu vermitteln . Doch verständigten sich die Autoren auch spöttisch über den Vernichtungskrieg, ohne (noch) konkreter werden zu müssen . Karrieren der Heiterkeit Drei besonders erfolgreiche Autoren seien kurz vorgestellt, deren Karrieren den Nationalsozialismus überspannten . Heinz Steguweit verfocht bereits im Ersten Weltkrieg den Kampf als männliche Bewährungsprobe, ab 1933 war er Kulturredakteur des Westdeutschen Beobachters, seit 1934 Landesleiter der Reichskulturkammer Köln-Aachen sowie Autor im Schwarzen Korps .73 Bis in die späten 1960er Jahre publizierte er in Schulbüchern .74 Steguweit popularisierte zentrale Sinnmuster: Konflikte seien im gemeinsamen Gelächter aufzulösen,75 also nicht argumentativ . Kunst inszenierte er als Funktionsäquivalent, das die Klassengesellschaft integriere: Die Frau des Fabrikbesitzers am Volkmann, Wir Barbaren, 63 . Zu ‚Anständigkeit‘ Gross, Anständig geblieben . Wilhelm Hape, ein ehemaliges Mitglied des Husarenregiments Zieten, streute 1935 beiläufig ein, dass ein Zietenhusar sich bei einem „Pollacken“ nicht entschuldigen müsse, wenn er ihm die Stiefel wegnehme, Hape, „Husarenstreiche“, Vorwort, 34 . 70 Riebau/Reimann/Schmidt, Lachendes Feldgrau, 142–143 . Das Heft erschien erneut 1942 und 1943 . 71 Zu diesem Konstrukt Bauman, Modernity, 70 . 72 Utermann (Hg .), Im Angriff, 12 . Zum Topos Reinheit Kipp, „Großreinemachen“ . 73 Harten, Himmlers Lehrer, 482 . 74 Sarkowicz/Mentzer (Hg .), Literatur in Nazi-Deutschland, 60 . 75 Steguweit, Stelldichein der Schelme, 17–20, 46–54, 72–80 . 69

1 . Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

Klavier musizierte mit einem Arbeiter mit Violine .76 1938 forderte er nachdrücklich, sich Mit vergnügten Sinnen einzubringen, indem er das NS-Diktum der ‚richtigen vs . falschen Revolution‘ erneuerte: ‚Falsche‘ Revolutionäre hätten nichts zu verlieren und würden Ordnung zerstören, ‚richtige‘ hätten alles zu gewinnen und würden „für die Ordnung“ rebellieren .77 Schließlich verurteilte er eine demokratische Zivilgesellschaft als unehrenhaft und ‚unrecht‘: „Parler“ heiße auf Deutsch „reden“, „la menterie“ bedeute „Lüge“, also sei klar, was „Parlament“ nur bedeuten könne .78 Die Waffen-SS empfahl ihren Mitgliedern 1944, sein Theaterstück Die Gans aufzuführen, beschrieben als „feines Rüpelspiel im Kampf gegen Rechtsverdreher“ .79 Den Deutungsrahmen spielerisch anzueignen, sollte Energien für den Krieg mobilisieren . Auch Johannes Banzhaf gehörte zu einem Netzwerk von Publizisten, die in der NSZeit ihre größten Erfolge feierten und nach 1945 manches beiläufig strichen, um bis weit in die Nachkriegszeit zu publizieren . Sein Verkausschlager Lustiges Volk von 1937, u . a . mit Walter Flex, Fritz Reuter und Steguweit, kam 1943 als Volksausgabe in der 15 . Auflage auf den Markt .80 Der Sammelband Lachendes Leben, von 1939 bis 1943 jedes Jahr neu aufgelegt, enthielt eine Hitler-Hommage von Steguweit: Ein furchtloser deutscher Maler überlistete nach dem Ersten Weltkrieg schelmisch einen französischen Wucherer in Köln und verteilte den verdienten Lohn selbstlos an die Bevölkerung . Darauf habe sich ganz Köln „schlapp“ gelacht und dem „Wucherer“ so lange die Schadenfreude in den Laden geschrien, bis auch dieser seinen Lohn an „Bedürftige“ verteilt habe .81 In der 29 . Auflage von 1968 fehlte der Text . Stattdessen waren die ebenfalls vor und nach 1933 erfolgreichen Walter Kiaulehn und Josef Ludwig Müller dabei, mit tumben Texten über Skifahren und glutäugige Mexikanerinnen .82 Dass diese Autoren nach 1945 weiter Karriere machten und sich gegenseitig stützten, trug dazu bei, dass verfolgte Schriftsteller/ innen dauerhaft aus dem kulturellen Gedächtnis ausgeblendet blieben .83 Schließlich feierte der beliebte sudetendeutsche Schriftsteller und Politiker Wilhelm Pleyer, wie spöttische Beschämung Innen-Außen-Grenzen performativ herstelle . 1943 beschwerten sich Kaufinteressierte, dass seine Bücher ausverkauft seien .84 Die Waffen-SS verwandte seine Durchhaltegedichte in Morgenfeiern .85 Pleyer war in den zwanziger Jahren als Mitglied der Deutschen Nationalpartei in der Tschechoslowakei aktiv . In der Bundesrepublik forderte er eine sudetendeutsche Identität . Er war ein Aushängeschild der Sudetendeutschen, bis sein Rechtsradikalismus Mitte der sechziger Jahre zumindest öffentlich zu peinlich wurde .86 1941 beschrieb er in Kämpfen und Ebd ., 46–54 . Steguweit, Mit vergnügten Sinnen, 119 f . 78 Ebd ., 117 . S . a . ebd . 71 f ., 78, 115–128 . 79 Vom Spiel, 34 . Vgl . Steguweit, Die Gans . 80 Banzhaf, Lustiges Volk . S . a . Merziger, Nationalsozialistische Satire, 301 . 81 Heinz Steguweit, Das Bild des Wucherers, in: Banzhaf, Lachendes Leben (1939), 218–224, Zitat 223 . 82 Banzhaf, Lachendes Leben (1968), mit Müller als „Peter Poddel“ . 83 Vgl . Adam, Traum, z . B . 319 ff . 84 Meldungen aus dem Reich, Bd . 12, 4655 . 85 Harten, Himmlers Lehrer, 223 . 86 Er war beteiligt am 1950 gegründeten Deutschen Kulturwerk Europäischen Geistes, einer Sammelstätte für NS-Eliten, Sarkowicz/Mentzer (Hg .), Literatur in Nazi-Deutschland, 58, 63, 292 f . 76 77

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Lachen die psychosoziale Effektivität eines ausgrenzenden Gelächters, das Diskussionen verhindere, das eigene Tun distanziere und die Gegner beschäme: In den zwanziger Jahren hätten sie ihr eigenes Selbstbewusstsein mit Witzen gestärkt, indem sie ihre Gegnern auf Karikaturen reduziert hätten .87 Nun wollte er die Deutschen mit Geschichten aus dem „Grenzland“ unterstützen: Er versicherte, dass ein „hartes“ Lachen Selbstbewusstsein und Siegeshoffnung stärke, wenn man die „Artillerie des Witzes“ „planmäßig“ einsetze .88 Wenig überraschend empfahl die SS auch seine Texte zur weltanschaulichen Schulung .89 Interaktive Alltagskunst: Viele Führer/innen Der Scherzmodus prägte nicht nur Medien und Organisationen, sondern auch die alltägliche Kommunikation, gerade nach 1939 . Sicher: Es gab immer alle möglichen Einstellungen zum Krieg . Doch auch viele derer, die den Ersten Weltkrieg erlebt hatten und weder 1939 noch 1941 begeistert reagierten, waren entschlossen, kriegsbedingte Entbehrungen auszuhalten .90 Am Tag des Angriffs auf die Sowjetunion notierte Klemperer sogar eine „allgemeine Volksvergnügtheit“ in Dresden: „Eine neue Gaudi, eine Aussicht auf neue Sensationen, neuen Stolz ist der russische Krieg für die Leute, ihr Schimpfen von gestern ist ebenso vergessen wie ihre gestrigen Reden über den ‚friedlichen Durchmarsch‘ .“91 Für sie war nicht der Krieg das Problem, sondern das Ausbleiben eines raschen Sieges . Während es von den Einzelnen abhing, wie sehr sie demokratische Teilhabe vermissten, luden Medienproduzenten die Bevölkerung zum Mitmachen ein . Radio und Printmedien erbaten Volkslieder, Witze oder lustige Erlebnisse, Radio Breslau sofort ab 1933 .92 Während des Krieges gingen manche Hits anschließend als Feldpostsendung an die Front, auch jetzt mit dem Zusatz, es käme zu den Soldaten zurück, was sie selbst geliefert hätten . Die Radiosendung „Soldaten – Kameraden“ vom Reichssender Leipzig begeisterte Hörer/innen an Sonntagnachmittagen 1940 und 1941 bis nach Allenstein und Königsberg .93 Alfred Schröter, der die Sendung begann, veröffentlichte eine best-of-Auswahl unter zugkräftigen Titeln wie Hau Dunnerkiel und Landser lachen .94 Er betonte im ersten Band, der 1943 in die siebte Auflage ging, dass die meisten Einsendungen von Soldaten stammten . In der Tat waren zahlreiche Texte namentlich und mit Dienstgrad gezeichnet . Gerhard Pallmann aus der Reichsstudentenführung bestätigte die Wirkung der Sendung: Sie habe viele Soldaten angeregt, selbst Lieder zu dichten, die dann im Alltag gesungen würden, keine patriotischen über Tod und Fahne, sonPleyer, Kämpfen und Lachen, 4 . Ebd ., 7 . 89 Harten, Himmlers Lehrer, 277, 339 . 90 Kramer, Volksgenossinnen, 54, 87 f . 91 Klemperer, Ich will Zeugnis ablegen, Bd . 1, 601 . Ein Handlungsreisender habe Anti-Nazi-Witze erzählt, mit dem Zusatz: „Volkswitz muss sein, wenn er sich in Grenzen hält .“ 92 Pater, Producing a Cheerful Public, 112 . 93 Meldungen, Bd . 4, 1 .4 .1940, 940 f . Meldungen, Bd . 4, 9 .5 .1940, 1118 . 94 Schröter (Hg .), Hau Dunnerkiel! Ders . (Hg .), Landser lachen . 87 88

1 . Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

dern lustige oder verwegene . Da jeder Soldat sich freue, wenn ‚seine‘ Verse zu hören seien, lobte Pallmann Lieder als „Führungsmittel“ und mahnte, dass man besser erziehen könne, wenn man nicht gleich gegen angeblich Triviales protestiere .95 Bei Wehrmacht, SA und SS rannte er offene Türen ein . Frauen konnten sich auf dieselbe Weise effektiv engagieren . Die NS-Gaufrauenschaft in Münster war im März 1937 stolz darauf, die „Agitation“ der Kirchen gegen aktive Nationalsozialisten mit einem heiteren Abend so erfolgreich beantwortet zu haben, dass die lokale NSDAP-Leitung sie bat, ähnliches für die Partei zu organisieren .96 Schulklassen lernten ausgrenzen, indem sie eine Art Monopoly mit dem Titel „Juden raus!“ spielten .97 Medienproduzenten erbaten nicht nur Material, sondern forderten auch auf, Witze weiterzuerzählen, um ein ‚lustiges Volk‘ zu werden . Zwar warnten etliche Profis vor Humor als Stolperfalle . So bot Wilhelm von Scholz 1938 Scherze zur Weiterverwendung an . Er riet aber, unbedingt bei der Vorlage zu bleiben, um nicht die Pointe zu verderben .98 Doch drohte keineswegs nur Kritik ‚von oben‘, sondern der kulturelle Wachhund von nebenan . Ständig beschwerte sich jemand, dass die Popkultur zu wenig ‚deutsch‘ sei .99 Auch im NS etablierte Kabaretts mussten ihr Programm anpassen, wenn sich zu viele darüber aufregten . Der Leiter des Berliner Kabaretts der Komiker zwischen 1938 und 1944, Willi Schaeffers, war von Goebbels selbst ernannt worden . Die Revue „Es war einmal …“ von 1943 persiflierte Grimms Märchen . Darin antwortete Aschenputtel auf die Frage, ob es keine Großmutter habe, diese seien nicht mehr modern und kämen nur noch im Ahnenpass vor . Studienrätin Dr . Louise Vogel regte sich darüber ebenso auf wie über Einlagen, die sie als „Negertänze“ empfand . Ihr Fazit: Die Revue sei „Amerikanisch, nicht deutsch!“ Auf Anweisung von Reichsdramaturg Dr . Schloesser nahm Schaeffers die Show aus dem Programm .100 Entsprechend war immer erkennbar, wie Zeitgenossen sich gerne abholen ließen . Der SD verspottete 1940 zwar die Vorliebe für leichte Unterhaltung, riet aber ebenso süffisant, sie zu nutzen .101 Zeitgenossen signalisierten in Scherzen und Versen, also in Kunstformen, die in der deutschen Kultur geläufig waren, ihre Zustimmung .102 1935 fasste eine Familie aus Berlin-Siemensstadt ihre Hitlerverehrung in die Anekdote, dass die siebenjährige Tochter Hitler heiraten wolle und dafür brüderlichen Spott ertragen müsse . Martin Bormann dankte mit den wohlwollenden Worten, mit der „netten, so lebendigen kleinen Episode“ hätten sie Hitler „eine wahre Freude“ gemacht .103 Semantisch verorteten Zeitgenossen tödliche Gewalt auf derselben Ebene wie heitere Unterhaltung . Gerd Knabe, der während des Krieges Karriere in der Waffen-SS machte und bis in die 1980er Jahre im selben Tenor als Kabarettist durch die BRD BArch, NS 18/39, Bl . 2–13, hier Bl . 7–8 . Meldungen aus Münster, 182 . 97 Lehrer nannten überdies die Bank, an der sie jüdische Kinder platzierten, „Israel“, Koonz, Nazi Conscience, 149 f . 98 Scholz, Buch des Lachens, 7–12, bes . 7 f . 99 Ärger über schlüpfrige Ansagerwitze z . B . in Meldungen, Bd, 5, 2 .12 .1940, 1825 f . 100 BArch, NS 18/540, Kabarett der Komiker, Bl . 1–8 . 101 Meldungen, Bd . 5, 1576 . Zum Ärger über die ‚seichten‘ Vorlieben ebd ., 1492 f . 102 Gedichte an Hitler in Eberle (Hg .), Briefe an Hitler, z . B . 117–120 . 103 Eberle (Hg .), Briefe an Hitler, 218–221 . 95 96

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

reiste, inszenierte Himmler als jovialen Übervater, der schmunzelnd seinen Spitznamen „Reichsheini“ goutiert habe .104 Der Name gehörte zu einer Begriffsserie: Die erfolgreiche Schauspielerin Kristina Söderbaum, verheiratet mit Regisseur Veit Harlan, hieß „Reichswasserleiche“, weil sie filmisch oft ins Wasser ging, nicht zuletzt in Harlans Jud Süß . Auch der „Reichserntehelfer Mussolini“ war geläufig105 – eine der vielen antiitalienischen Spitzen, denen zufolge Italiener weder kämpfen noch arbeiten, sondern sich nur engagieren würden, wenn es etwas zu holen gäbe . Das Pogrom von 1938 verschwand im bis heute gängigen Terminus „Reichskristallnacht,“ der die Gewalt auf bloße Sachbeschädigung reduzierte .106 Gerade nach Kriegsbeginn war es üblich, Engagement scherzhaft zu demonstrieren . Im Sommer 1940 tauchte der Abendgruß „Ich wünsche Ihnen eine splitterfreie Nacht“ auf .107 Im September 1940 gab es in Betrieben in Ascherleben und Magdeburg „Einladungen zum Kellerfest“ .108 Wie im Ersten Weltkrieg teilte die Bevölkerung auf Schildern öffentlich ihre Einstellung mit . Nach einem Luftangriff im Januar 1943 hängte der Untermieter von Sigmund Graff das Schild aus seiner Berliner Wohnung: „So kriegen sie uns nicht klein“ .109 Lübecker Geschäftsleute verkündeten im April 1942 im Schaufenster: „Hier wird Katastrophenbutter verkauft!“110 Wehrmachtsangehörige ehrten mit heiteren Skizzen oder Bilderbüchern einen scheidenden Kommandanten, hielten ihre Skatrunde fest, bedankten sich für KdF-Abende oder verspotteten die Etappe .111 Auch hier war die ästhetische Bandbreite beträchtlich, mit jazzigen Zeichnungen, die gerade noch gegenständlich genug waren, um durchzugehen .112 Wie selbstverständlich Scherze als Zeichen galten, sich im Nationalsozialismus zu engagieren, verrieten Alben mit handschriftlich notierten Witzen . An Weihnachten 1939 wurde ein (Poesie)Büchlein mit dem Titel „Humor seit 1933“ verschenkt . Es reflektierte die persönliche Mühe: Jede Seite war mit einem handschriftlichen Witz versehen . Eine Zeichnung verspottete den Leiter der Deutschen Arbeitsfront Robert Ley, auch bekannt als „Reichstrunkenbold“ .113 Das dargestellte „Legespiel mit Streichhölzern“ behauptete, Ley sei Jude und habe seinen Namen von Levi zu Ley geändert: „Durch Verlegen eines Streichholzes mach aus einem Juden einen Arier .“114 Dass der Spott über Knabe, Lachen, 37 . Herzog, Heil Hitler, 153 . Gamm, Flüsterwitz, 121 . 106 Gamm, Flüsterwitz, 95, zur verschleiernden Bedeutung 147 . Nur als Sachbeschädigung bei Vandrey, Der politische Witz, 93 . Ein Frontzeitungsartikel über akzeptable Witze nannte Berlin 1944 „Reichstrümmerfeld“, Kamerad am Feind, Nr . 78, 8 .10 .1944, 3 107 Meldungen, Bd . 5, 4 .7 .1940, 1339 . 108 Ebd ., Bd . 5, 2 .9 .1940, 1528 . 109 Im Nachhinein distanzierte Graff sich empört davon, Graff, Von S . M ., 332 . 110 Oder: „Hier geht das Leben weiter!“, Meldungen, Bd . 10, 3598, 9 .4 .1942 . 111 BArch MA, RH 12/21, Tätigkeitsbericht des Inspekteurs der Panzertruppe / In 6, 1943–Febr . 1944, Humoristisches Bilderbuch . BArch MA, MSG 2/5270, 2 . Buch über Doppelkopfspiele beim Stab XXVIII . Armee-Korps im Winter 1942/43 in Trubnikoff Bor, April 1943 . BArch MA, MSG 2/5095, Fünf Monate Rußlandeinsatz des Panzer-Jäger-Rgt . 656, Humoristische Skizzen . 112 BArch, R 56 I/1, Bl . 8 . 113 Vandrey, Der politische Witz, 68 . 114 Anon ., Humor seit 1933 . Mein herzlicher Dank an Herrn Helmut K . für die Möglichkeit, es zu sehen . Vgl . Kessel, Race and Humor, für den Absatz . 104 105

1 . Das „lustige Volk“: Eine Gesellschaft verständigt sich

führende Politiker, die kulturellen Normen nicht entsprachen, Zustimmung demonstrierte, signalisierte die zweite Seite des Albums . Hier waren die lächelnden Gesichter von Hitler, Goebbels, Göring und Heß aufgeklebt, sorgfältig aus Zeitungspapier ausgeschnitten, als Zeichen, dass man dieselbe Sprache spreche wie die politische Führung . Als Einladung zum Mitmachen formuliert, trug das Heft dazu bei, die deutsche Gesellschaft als Spiegelung von „Kitsch and Tod“ (Saul Friedländer) zu leben . Heiterkeit als Grenzziehung wiederum lebten diejenigen, die jüdischen Deutschen jeden Scherz verwehrten . Im Februar 1935 sprengten rund 200 Angreifer einen humoristischen Vortragsabend des jüdischen Kulturbundes in Fulda .115 Sie zerstörten einen Rückzugsraum, der bereits nur noch punktuell vorhanden war . Dass die Mehrheitsgesellschaft so reagierte, verriet kein „magisches Denken“, das eine ‚Befleckung‘ befürchtete, wenn deutsche Juden deutsche Kunst aufführten .116 Es zeigt vielmehr erneut, dass Scherzen als Praktik galt, um ‚deutsch‘ zu sein . Dabei sehnten sich die Angegriffenen danach, für Momente unbeschwert zu sein . „Sie werden lachen; ich möchte lachen“, schrieb ein Betroffener .117 Doch das Gelächter sollte denen vorbehalten sein, die sich damit das Recht zuschrieben, andere zu verletzen . Ein letztes Beispiel aus der unmittelbaren Nachkriegszeit vermittelt, wie sich gerade die NS-Politiker mit dem Ernsten und Heiteren ihrer selbst vergewisserten, die das Kriegsende als Zusammenbruch erlebten . Werner Best, einer der „Theoretiker der Vernichtung“,118 wurde im Gefängnis in Dänemark 1946 depressiv . Seine Macht war verloren, und seine Frau kritisierte ihn nun ebenfalls, weil sie seine harte Entschiedenheit vermisste . Als öffentliche und private Anerkennung fortfielen, begann er, launige kleine Novellen zu schreiben . Nun trat er mit dem Rückgriff auf das alltägliche ‚Narrativ der Sieger‘ als nationalsozialistischer ‚Künstler-Soldat‘ auf: Als vielseitig interessierter Held mit ‚Verstand und Herz‘, ob es um Geiselerschießungen in Frankreich ging oder einen deutschen General, der nach der Entlassung aus der Haft in Nürnberg seiner Frau nicht im Wege stehen will und (ausgerechnet!) in die sowjetische Besatzungszone geht . Die Selbstdarstellung als moderner Friedrich der Große bedeutete jedoch nicht, dass Best „weltfremd und unerwachsen“ geblieben war .119 Mit der Geschichtsschreibung en miniature unterstrich er vielmehr seine wichtige Rolle in der Vergangenheit . Zugleich trat er als Inbegriff nationalsozialistischen ‚Deutschseins‘ auf, das den äußeren Rahmen des Systems überdauere .

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Kulka/Jäckel, Juden in geheimen Stimmungsberichten, CD-ROM, Dok . Nr . 819 . Friedländer, Jahre der Vernichtung, 124 . Zit . nach Brenner, Jüdische Kultur, 236 . So nannte ihn sein Mitarbeiter Walter Bargatzky, Herbert, Best, 283 . So Herbert, Best, 422 . Titel und Beschreibungen ebd . 421 .

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

2. „Das Lachen wird Euch noch vergehen“: Die Erzählung vom ‚Juden‘ als ‚Täter‘ Im Zuge des Novemberpogroms 1938 schloss die NS-Führung auch das Berliner Büro des Central-Vereins . Hans Oppenheim, seit 1935 Redakteur der CV-Zeitung, erlebte den Gestapoauftritt mit . Er floh nach dem Pogrom zunächst nach Holland und hielt am 22 . November in Delft seine Erinnerungen fest: Kurz nach 13 Uhr erschienen 3 Beamte der Staatspolizei in Civil, besetzten die Telefonzentrale und holten die Anwesenden aus sämtlichen Räumen . Sie mussten Hut und Mantel anziehen, wurden kurz visitiert und dann einzeln entlassen . Die Räume des CV wurden versiegelt, die Schlüssel zu den Räumen und die Schlüssel zum Safe den Beamten übergeben . Keiner der Anwesenden wurde verhaftet . Der Ton bei der Durchführung der Aktion war energisch, aber korrekt . Es fielen lediglich hier und da Worte wie „das Weitere werden Sie sehen“, „Das Lachen wird Ihnen noch vergehen“ (es hatte natürlich kein Mensch gelacht) und Ähnliches .120

„Das Lachen wird ihnen noch vergehen“ – der Topos vom ‚jüdischen Hohn‘ oder ‚höhnischen Juden‘ zirkulierte jahrelang durch die deutsche Gesellschaft, bevor Hitler ihn in seiner vielzitierten Rede vom Januar 1939 aufgriff . Mit dem Hinweis, es habe natürlich niemand gelacht, unterstrich Oppenheim, wie unmöglich es war, das Imaginäre durch tatsächliches Verhalten zu korrigieren . Im Folgenden geht es darum, wie nichtjüdische Deutsche die Verfolgten in ‚Täter‘ verwandelten: Zum einen, indem sie ihnen ein ‚falsches Gelächter‘ einschrieben, um zu suggerieren, sie würden ‚die Deutschen‘ verhöhnen, zum anderen, indem sie ihre eigene Verletzungsmacht lachend ‚aufführten‘ . Dazu zählten in den dreißiger Jahren auch Karnevalsumzüge . Deren Akteure traten als Herrscher/innen über Grenzen auf, ähnlich wie Hitler in seinen sketchartigen Reden . Alle führten die Täter-Opfer-Verkehrung körperlich auf, in einem Theater der Erniedrigung, in das sie die Ausgegrenzten symbolisch zurückholten, um sie als nichtdeutsch und unterlegen zu repräsentieren . Sie schlüpften in die Rolle von Angreifern und Angegriffenen und führten vor, wie sie die Deutungsmuster ‚Sieger-Verlierer‘ und ‚Opfer-Täter‘ nun überkreuz verbanden . Hitler agierte als Sieger, indem er demokratisches Verhalten lächerlich machte . Sein Publikum nahm anderen Meinungen lachend den Raum . Karnevalisten verkleideten sich als Juden, um Zuschreibungen auf die Verfolgten lebendig werden zu lassen . Indem sie die Verfolgten als ‚Verlierer‘ und ‚Täter‘ spielten, traten sie selbst als ‚Sieger‘ auf, die sich nicht als Täter fühlen müssten . Indem sie die Vertriebenen und Entrechteten in lebenden Bildern verkörperten, mit der Straße als Bühne, banden auch sie ihr Publikum in das soziale Wissen ein . Die Theatralik gehörte zu den Praktiken der Beschämung, mit denen Engagierte ihre Wunschgesellschaft strukturierten . Bereits die sog . Prangerumzüge, in denen SA und andere Beteiligte jüdische und nichtjüdische Deutsche durch die Straßen trieben, etablierten eine Hierarchie von Ehre und Ehrverlust jenseits demokratischer Strukturen . Die Betroffenen mussten sich selbst als ‚Täter/innen‘ anklagen, indem man ihnen 120

Barkow/Gross/Lenarz, Novemberpogrom 1938, 113 .

2 . „Das Lachen wird Euch noch vergehen“: Die Erzählung vom ‚Juden‘ als ‚Täter‘

Schilder mit der Aufschrift „Rasseschänder“ aufzwang .121 Karnevalisten dagegen bemächtigten sich der Körper der Verfolgten, indem sie sie auf stereotypisierende Weise spielten . Ich hatte bereits angeführt, dass Körper nicht nur soziale Ordnung repräsentieren, sondern der Ort der ultimativen Erfahrung symbolischer Strukturen sind .122 Beim Herstellen einer Ordnung kann der Körper selbst zum Träger des Bildes werden, das Menschen von sich und anderen entwerfen .123 Mit der körperlichen ‚Übernahme‘ ‚des Juden‘ verliehen Laienspieler/innen ihrer gewünschten Ordnung Gewissheit und Wirklichkeit: Sie schufen die Bilder, mithilfe derer sie ihre Gewalt begründeten . Hitler doppelte die NS-Politik theatralisch, indem er karikierte, wie Gegner seines Vorgehens scheiterten . Karnevalisten etablierten sich als ‚Deutsche‘, indem sie die Körper der Leidtragenden für Momente ‚aufführten‘ und dann wieder ‚ablegten‘ . Der Topos vom ‚jüdischen Hohn‘ Es war ein Kernmuster der NS-Gesellschaft, die Verfolgten als ‚Täter‘ zu beschreiben .124 Das Kürzel des ‚falschen Gelächters‘ emotionalisierte die Projektion . In der Regel kurz vor Ausschreitungen oder einer Verschärfung der Maßnahmen behaupteten die Medien, von Juden verhöhnt worden zu sein . So unterstellte das Berliner 12-Uhr-Blatt unmittelbar vor den sogenannten „Kurfürstendammkrawallen“ am 15 . Juli 1935, jüdische Deutsche hätten die schwedische Filmkomödie Petterson & Bendel verspottet . Die Zeitung rief dazu auf, dem „jüdischen Treiben“ einen Riegel vorzuschieben .125 Im niedersächsischen Obernkirchen forderte ein Pamphlet im August 1935, einem „blonde(n)“ „jüdischen Frauenzimmer“ „aufs Maul zu schlagen“, wenn die Frau „weiter wie bisher die deutschen Volksgenossen beleidigt und höhnt!“126 Unter der Überschrift „Juden lachen in Berlin“ dementierte die Deutsche Wochenschau vom 1 . August 1935 englische Berichte über Antisemitismus . Sie behauptete, es sei „alles beim Alten“, da die angeblich „hingemordeten“ Juden „unter dem Schutz des Deutschen Reiches“ nach wie vor ihr „Unwesen“ gegen „die Deutschen“ treiben würden .127 Die folgenden Ausschreitungen in ganz Deutschland stoppten Politiker erst Anfang September, um dann die Nürnberger Gesetze zu präsentieren, von denen sich manche der Verfolgten sogar eine Regulierung und Beruhigung der Lage erhofften .128 Der Kunsthistoriker und Publizist Wilhelm Stapel, der in den dreißiger Jahren im „Reichsinstitut für die Geschichte des neuen Deutschland“ arbeitete, trieb die Täterprojektion noch weiter . Er behauptete 1937, Juden hätten sich nicht nur unberechtigterweise zu Deutschen gemacht, sondern wollten Wildt, Volksgemeinschaft, 232 ff ., 248, 365 ff . S . a . Schüler-Springorum, Gender . Santner, Mein ganz privates Deutschland, 188 . 123 Marek, Überschuss, 27 . 124 Wildt, Volksgemeinschaft, 313–319, bes . 318 . 125 WL, 065-WL-1624, Various Reports and press notices from the Jewish Central Information Office: Der Artikel des Berliner 12 Uhr-Blattes,1 f ., Zitat 2 . 126 Zit . nach Werner, Die kleinen Wächter, 546 (kursiv im Original) . 127 WL, 065-WL-1624, Various Reports and press notices from the Jewish Central Information Office, Amsterdam, 6 . August 1935, Vor gesetzgeberischen Maßnahmen, 3 . 128 Longerich, Hitler, 450 . 121 122

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„die Deutschen zu künstlichen Juden“ machen,129 in seinen Augen also in das Negativ verwandeln . Die Weimarer Demokratie deutete auch er als „Zeit der Schande“, weil sie es den „triumphierenden jüdischen Literaten“ erlaubt habe, über den „tiefen, schweren, langsamen Zorn der Deutschen spotten zu dürfen“ .130 Eine Postkarte aus der Ausstellung „Der ewige Jude“ buchstabierte das Verkehrungsmuster bildlich aus . Reißerisch projizierten die bekannten Übertretungsbegriffe, in der Weimarer Zeit durch Juden körperlich und emotional verletzt worden zu sein: „Juden verhöhnen und vergewaltigen deutsches Recht“ .131 Die Karte bildete u . a . den Strafrechtsreformer Johannes Werthauer ab, der 1933 nach Paris geflohen war und dessen Praxis der spätere Vorsitzende des sogenannten Volksgerichtshofes Roland Freisler übernahm; Dr . Otto Liebmann, den Herausgeber der Deutschen Juristenzeitung in der Weimarer Republik; sowie den SPD-Politiker Ernst Heilmann, Vorsitzender der preußischen Landtagsfraktion und Mitglied des Reichstags . Indem die Karte die Juristen und Politiker zusammen mit Iwan Kutisker zeigte, der Schlüsselfigur im sog . Kutiskerskandal der späten zwanziger Jahre, unterstellte sie ihnen, ein perfides Finanzgebaren vertuscht und für sich genutzt zu haben . Heilmann war sofort 1933 verhaftet worden, die SS quälte ihn in verschiedenen Lagern bis zu seiner Ermordung 1940 .132 Der Handlungsappell, ein ‚jüdisches Gelächter‘ zu ‚bestrafen‘, traf längst Menschen und ihre Körper, bevor Hitler ihn im Januar 1939 bestätigte: Ich bin in meinem Leben sehr oft Prophet gewesen und wurde meistens ausgelacht . In der Zeit meines Kampfes um die Macht war es in erster Linie das jüdische Volk, das nur mit Gelächter meine Prophezeiungen hinnahm, ich würde einmal in Deutschland die Führung des Staates und damit des ganzen Volkes übernehmen und dann unter vielen anderen auch das jüdische Problem zur Lösung bringen . Ich glaube, daß dieses damalige schallende Gelächter dem Judentum in Deutschland unterdes wohl schon in der Kehle erstickt ist .

Dann fasste er ‚Juden‘ als ‚Täter‘: Er werde die „jüdische Rasse in Europa“ vernichten, falls sie „wieder“ einen Weltkrieg beginne .133 Eugen Kogon bestätigte 1946 die Einschätzung Klemperers, dass viele nichtjüdische Deutsche seit Beginn der NS-Zeit überzeugt gewesen seien, ‚gerecht‘ zu handeln; sie stützten ihre Selbstwahrnehmung, indem sie die Leidtragenden als Verbrecher diffamierten134 – eine Projektion, die, wie diskutiert, bereits in der Weimarer Zeit diskursiv verankert wurde . Wie überrumpelt und schockiert dagegen viele Verfolgte durch die Angriffe waren, belegt deren Hoffnung, dass die Verkehrung von Rechtsbegriffen nicht umfassend das Handeln bestimmen werde . Die Geschichte jüdischer Deutscher war geStapel, Die literarische Vorherrschaft, 13 . Stapel, Die literarische Vorherrschaft, 22 . 131 1939 als Postkarte verschickt, abgedr . in Peters (Hg .), Spott und Hetze, 952 . 132 Wachsmann, KL, 55 f ., 222 f . 133 Domarus (Hg .), Hitler, Bd . 2 .1, 1058 . Zu Hitlers Rekurs auf die Prophezeiung Sauer, Rede, und Kap . IV .4 . 134 Kogon, SS-Staat, 418, der es nur der Autoritätsgläubigkeit zusprach . 129 130

2 . „Das Lachen wird Euch noch vergehen“: Die Erzählung vom ‚Juden‘ als ‚Täter‘

prägt durch die rechtliche Emanzipation, und viele glaubten auch nach dem politischen Ende der Demokratie an einen rechtsförmigen Umgang . So lebten sie ihrerseits das statushohe, als männlich definierte Prinzip, unter allen Umständen an Überzeugungen festzuhalten . Nur verfochten sie einen rechtsstaatlichen Rechtsbegriff, den andere bereits vor 1933 als Gegensatz einer ‚deutschen Gerechtigkeit‘ abgelehnt hatten . Den seit 1907 als Anwalt tätigen Ludwig Bendix inhaftierten die Nationalsozialisten nach 1933 mehrfach unter falschen Anschuldigungen, etwa, Kommunist zu sein . Er versuchte jedes Mal, seine Ehre wiederherzustellen oder anderen Inhaftierten Gerechtigkeit zu verschaffen . Schließlich sorgten seine Kinder dafür, dass die Eltern nach Palästina emigrierten . Denn sie hatten erlebt, wie ihre Umgebung sich von ihnen abwandte und vom ‚Kommunismus‘ des Vaters munkelte, statt ihnen zu helfen .135 Der öffentliche Spott und der erzwungene Verlust an Würde wirkten wie geplant als eigene Dimension von Schmerz und Erniedrigung . Beim Boykott jüdischer Geschäfte am 1 . April 1933 war der damals 29jährige deutschjüdische Arzt Martin Andermann schockiert über die „Verhöhnung größten Stils“ durch eine „vergnügte Jagdgesellschaft“ . So nannte er die nichtjüdischen Zuschauer/innen, die sich in großer Zahl durch die Straßen schoben, um, wie er es empfand, nur ja nichts zu verpassen .136 Andermann zog 1934 von Berlin in seine Heimatstadt Königsberg zurück, weil er hoffte, dass es dort besser sei, und floh von dort nach Buffalo in den USA . 1939 nahm er an einem Preisausschreiben der Harvard University teil, das nach den Erfahrungen jüdischer Deutscher vor und nach 1933 fragte . In seinem Beitrag hielt er fest, dass einige derer, die sich den Boykott angeschaut hätten, Mitleid mit persönlichen Bekannten gezeigt hätten . Doch hätten auch sie nicht die Gewalt an sich in Frage gestellt . Denn Andermann zufolge empfanden es die Mitleidigen als „schrecklich“, dass „Unschuldige“ darunter leiden müssten, was andere „verbrochen“ hätten .137 Sie akzeptierten somit die prinzipielle Zuschreibung von Täterschaft auf jüdische Deutsche und wollten nur Menschen ausnehmen, die sie persönlich kannten . Manche der Verfolgten wagten sich nicht mehr auf die Straße, weil sie Gewalt fürchteten . Aber auch der Hohn, der ihnen das Deutungsrecht absprach, machte öffentliche Räume für sie immer weniger begehbar . Der Profi: Hitler als Kabarettist Hitler nutzte Spott nach 1933 erst recht, um seine Kommunikation zu strukturieren, oder besser: Spott war die Struktur seiner Redeweise . Hildegard von Kotze und Helmut Krausnick haben schon früh darauf hingewiesen, dass er jeder Situation auswich, in der er sich hätte lächerlich machen können, seine Reden aber gerne kabarettistisch auflockerte .138 Als Hitler im November 1938 tschechoslowakische Diplomaten karikierte, Wünschmann, Before Auschwitz, 41–43, 137–139 . AZAB, bMs Ger 91 (6), Martin Andermann, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30 . Januar 1933, 91, 105 . 137 Ebd ., 106 . 138 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 42, 68 . Beobachter notierten den ständigen Hohn in seiner Stimme, ebd . 39 . 135 136

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empfand ein zeitgenössischer Zuhörer seine Rede wie den Auftritt eines geübten Conferenciers in einem Münchner Kabarett .139 Außerdem, und das war die entscheidende Kehrseite, erhielt Hitler für seine Parodien den größten Applaus .140 In den dreißiger Jahren spottete er über das Ausland und dessen Friedensbemühungen, über die Deutschen, die ihm angeblich noch den Mangel an Hühnereiern zur Last legen würden,141 und im selben Atemzug über diejenigen, die ihre Unterdrückung beklagen würden . Er zog gerne die Antiintellektuellenkarte und machte Beamte lächerlich .142 Aber Sarkasmus über die Mehrheitsgesellschaft irritierte schnell, weil Häme für die ‚Feinde‘ reserviert bleiben sollte . Größeren Beifall und Gelächter bekam Hitler dann, wenn er über Gegner im In- und Ausland spottete und in fiktiven Zwiegesprächen die Zweifler abwertete, die ihn als ‚Phantast‘ und ‚Narren‘ bezeichnet hätten, während er an die Zukunft und die Wiederrichtung der deutschen Macht geglaubt habe .143 Ob ‚alte Kämpfer‘, Kreisleiter, Bauarbeiter oder NS-Frauenschaft, Gelächter gab es für den Spott über die ‚Feinde‘, die sich in ihm geirrt hätten .144 Sketchartige Einlagen kamen gut an, wie in München im Mai 1937, als er Kolonien für Deutschland forderte, um Rohstoffe zu erlangen: „Nicht, weil mir das einen Spaß macht, weil wir dort ein paar Neger haben, na, so Wilde, die haben wir bei uns auch noch, da brauchen wir gar nicht nach Afrika zu gehen, nicht wahr?“145 Hitler sprach seine Hörer/innen direkt und emotional an . Er heischte um Einverständnis für seine spöttische Verachtung und bekam die Zustimmung im Gelächter . Wohl sicherten die außenpolitischen Erfolge ohne Krieg in den dreißiger Jahren seinen Status .146 Doch mit Spott signalisierten Politiker und Bevölkerung ihre gegenseitige Zustimmung und den empfundenen Siegerstatus .147 Am 10 . November 1938, am Tag nach dem Pogrom und etwa einen Monat nach der Annexion des Sudetenlandes, karikierte Hitler tschechoslowakische Diplomaten und „Intellektuelle“ in Deutschland: Letztere würden ihn ständig vor Katastrophen warnen, aber nach dem jeweils nächsten Erfolg fragen, warum er nicht gleich tabula rasa gemacht habe . Mit der direkten Anrede: „Glauben Sie mir, ich habe Zuschriften bekommen!“,148 ließ Hitler das Publikum an der angeblichen Unlogik teilnehmen, mit der er zu kämpfen habe . Heiterkeit und lebhafter Beifall belohnten das Angebot, die Anhänger/innen in ein fröhliches Einvernehmen über bornierte Skeptiker einzubinden . Zur Bildikone in den dreißiger Jahren avancierte allerdings nicht Hoffmanns Foto des zivil gekleideten Hitler, der sein Publikum aus dem Gartenidyll heraus anlächelt . Diese Rolle erhielt das Cover, das Auslandspressechef Ernst Hanfstaengl 1934 für seine Sammlung internationaler Hitlerkarikaturen benutzte: Es zeigte einen soldatischen, Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 263 . Ebd ., 116 . 141 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 87, 95, 252 . 142 Ebd ., 200 f . 143 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 223, s . a . 249, 254 f . 144 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, z . B . 96–98, 150 f ., 217 f . 145 Ebd ., 218 . 146 Kershaw, Hitler . 147 Leni Riefenstahl inszenierte in ihrem Olympiafilm ein gemeinsames Gelächter erfolgreicher Sportler mit Hitler als ‚Verschmelzungsritual‘ vor der Siegerehrung, Wildmann, Begehrte Körper, 118 . 148 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 277 f ., Zitat 278, kursiv im Original . 139 140

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kontrollierten Herrscher in Uniform . Auch diese Seitenansicht aber hob die Lachfältchen an den Augen in einem ansonsten sorgfältig faltenfreien Gesicht hervor . Hitler schaute überlegen lächelnd auf kleine Männer herab, die als geifernde Intellektuelle gezeichnet waren und ihn mit tropfenden Tintenspeeren attackierten – ‚bloßes Reden‘ statt ‚große Taten‘ . Auch ihre Körperhaltung wies sie als unsoldatisch und machtlos aus: zwergenhaft, krumm, verbogen .149 Während Hanfstaengl alle abgedruckten Karikaturen kommentierte, um die Deutungshoheit des Regimes zu belegen, attestierte das Cover Hitler, über jeden Spott erhaben zu sein . 1935 druckte der „Verlag der Kriegsfreiwilligen von 1914–15“ Hitler, schmunzelnd und in Seitenansicht, in dem Band Lachen unterm Stahlhelm erneut ab . Doch fehlten nun die Intellektuellen – die Leerstelle markierte die Macht, die Opposition verschwinden zu machen .150 Vor allem die Seitenansicht von Hitlers Kopf erhielt ikonographischen Charakter . Deshalb versuchten auch Mitglieder des Widerstandes, sie zu nutzen . Sie projizierten Hitlers Kopf auf eine Postkarte und verwandelten ihn auf der Rückseite in eine zerfließende Teufelsfratze .151 Doch konnten sie die Wirkung eines lachenden Hitler auch nach Kriegsbeginn nicht brechen . Der SD notierte vielmehr, dass immer dann, wenn die Stimmung schwankte, ein Bild mit der Botschaft „Der Führer lacht“ die Zuversicht am besten stabilisiere . Denn es suggeriere, dass die politische Führung die Lage im Griff habe .152 Die Verkehrung der Verletzung: Gewalt und Unrecht Victor Klemperer hielt nach der gewaltsamen Ausschaltung der SA 1934 fest, wie selbstverständlich seine Bekannten die Morde als rechtmäßig akzeptierten . Sowohl ein freundlicher Postbote als auch ein nicht nationalsozialistischer Bildungsbürger hätten identisch reagiert: Hitler habe seine Gegner eben „verurteilt“ . An seiner Legitimation hätten sie nicht gezweifelt .153 Andere beschrieben die Inhaftierung von Kommunisten in Konzentrationslagern als „Probezeit“, bevor man sie als Nationalsozialisten akzeptieren könne .154 Entscheidend für die schnelle Verankerung des NS-Rechtsverständnisses in den dreißiger Jahren war die Akzeptanz von Gewalt als ‚rechtmäßig‘, solange sie sich gegen sog . ‚Feinde‘ richte . Doch ließen NS-Instanzen auch nach 1933 keine Gelegenheit aus, nationalsozialistische Politik explizit als rechtmäßig zu verankern . Die Regierung veränderte den überkommenen Rechtskorpus nicht, sondern ergänzte ihn durch die sogenannten ‚Rechtsquellen‘ „Führer“, „Volk“ und „Blut“, um die bestehenden Gesetze in ihrem Sinne auslegen zu können .155 Hitler erläuterte in seiner Regierungserklärung zum sog . „Ermächtigungsgesetz“, Gerichtsurteile müssten so elastisch sein, dass sie die Erhal149 150 151 152 153 154 155

Hanfstaengl, Tat gegen Tinte, Cover . Lachen unterm Stahlhelm, 69 . Vgl . May, Inszenierung, 570 . Meldungen, Bd . 4, 20 .6 .1940, 1284 . S . a . ebd ., Bd . 6, 27 .2 .1941, 2045 . Klemperer, Zeugnis, Bd . 1, 121 . Moore, „Noch nicht mal zu Bismarcks Zeiten“, 179–184 . Dazu Rüther, Entartetes Recht .

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tung der avisierten Gesellschaft garantierten .156 Am 14 . Oktober 1933 wertete er wie gehabt internationale Verträge mit dem Satz ab, der Versailler Vertrag habe „das Recht endgültig der Gewalt“ weichen lassen .157 Bauarbeitern in Berchtesgaden erklärte er 1937 spöttisch, dass diejenigen, die sich auf das „Recht“ beriefen, ihm „sein eigenes Recht“ streitig machen würden, so dass er lieber über „das deutsche Recht“ verfüge und auf die Zustimmung anderer verzichte .158 Wehrmacht und SS verwandten diesen Begriff von ‚Gerechtigkeit‘, als sie im Zweiten Weltkrieg Straffreiheit für Rechtsverstöße garantierten, die im Namen der „völkischen Gemeinschaft“ erfolgen würden .159 Hitlers ständiger Rekurs auf die Weimarer Republik hatte dieselbe systematische Bedeutung wie der Rückbezug auf den Ersten Weltkrieg: Er behauptete, ‚Opfer‘ (gewesen) zu sein . Seine Reden inszenierten emotionalisierend den Gegensatz von ‚Nicht-Achtung‘ vor und ‚Achtung‘ nach 1933 .160 Auf diese Weise reklamierte er, Ehre und Anerkennung zurückerobert zu haben . Die Wiederholungsstruktur war auch jetzt nicht irrelevant: Sie wies Hitler als Beherrscher der Zeit und glaubhaften Propheten aus, der eine ‚schmachvolle‘ Vergangenheit in eine glorreiche Gegenwart und Zukunft verwandele und das angeblich unerfüllte Potential der deutschen Geschichte realisiere . Auch einzelne Topoi mit Signalwirkung änderten sich nicht gegenüber der Weimarer Republik . Der Begriff der Vergewaltigung fungierte weiterhin als Grammatik der Täter-Opfer-Verkehrung . Hitler begründete jeden neuen Ermächtigungsschritt mit der Formel, um entehrendes, verletzendes Überwältigt-Werden zu suggerieren . 1934 verurteilte er die Weimarer Republik und deren Rechtssystem vehement als Situation der Schwäche und Demokraten wie gehabt als „Deserteure“ und „Meuterer“ . Er allein, so hieß es, habe Deutschland vor diesen „Vergewaltigern“ gerettet .161 Schulhefte erklärten Kindern und Jugendlichen, dass der Versailler Vertrag eine „Vergewaltigung“ gewesen sei .162 Vor der Annexion Österreichs 1938 beschrieb Hitler auch die Politik des österreichischen Kanzlers Schuschnigg als „Vergewaltigung“ Österreichs und jede Opposition gegen den sog . „Anschluss“ als „Rechtsvergewaltigung“ .163 Die Zerschlagung der Tschechoslowakei wurde ebenfalls mit der suggestiven Formel begründet, die dort lebenden Deutschen vor der „Vergewaltigung“ gerettet zu haben .164 Und immer diente der Topos vom ‚falschen‘ und ‚richtigen‘ Gelächter als Zeichen: Hitler verurteilte die Weimarer Republik als einen Zeitraum, in dem ein „anständiger Mensch“ keine anderen Aussichten gehabt hätte als „höchstens verfolgt […] oder verlacht werden, ausgespottet werden, vertrieben werden vom Arbeitsplatz .“165 So viele Witze sein Publikum Klöss (Hg .), Reden, 100 . Klöss (Hg .), Reden, 121 f . 158 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 217 f . Gelächter quittierte die Häme über spanische Republikaner, die nur gebetet, aber zu wenig gekämpft und gearbeitet hätten – auch hier der Rekurs auf Arbeit und Kampf . 159 Dazu Radtke/Lingen/Theel, Straffreiheit, u . a . 237–239 . 160 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 88 . 161 Ebd .,136 f . 162 Blind, Die Vergewaltigung Deutschlands im Vertrage von Versailles . 163 Kotze/Krausnick „Es spricht“, 181, 184 . 164 Ebd ., 195 . 165 Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 107 . 156 157

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über die Endloserzählung der „14 Weimarer Jahre“ auch machte: Das ‚Gelächter der Sieger‘ ließ es sich nicht nehmen, das die neue Verletzungsmacht signalisierte . Spott statt Befehle: Geteiltes Wissen, dynamische Macht Auch Wissen wurde interaktiv hergestellt, und sei es das Wissen, nicht genauer über die Entstehung politischer Entscheidungen informiert zu werden . Wer Hitler schon vor 1933 zugehört hatte, setzte bereits Lückenhaftigkeit voraus, als dieser die Regierung übernahm, und fing sie durch gezielte Rezeptions- und Lesestrategien auf . Klemperer spricht vom „distanzierenden Lesen“, das zwischen Wissen und Nichtwissen das Ahnen geschoben habe . Politiker wiederum hätten indirekt formuliert, anspielend, um die Reichweite der Interpretation einzuschränken . Wer die Anspielungen verstand, habe auch begriffen, dass es keine weiteren Informationen geben werde .166 In Berlin zirkulierte ein Spruch, der den Mangel an demokratischer Mitsprache karikierte, aber auch von Mitverantwortung entlasten mochte: „Der Herrjott ahnt et, der Führer weeß et und dir jeht’s nischt an .“167 Mit seinem performativen Spott führte Hitler das in der Weimarer Zeit eingeübte Prinzip der unvollständigen Rede weiter . Nur wies er nach 1933 ausdrücklich darauf hin, dass er seine Ziele nicht ausbuchstabiere, weil gerade diese Unberechenbarkeit seine Politik den Demokratien überlegen mache . Parallel ließ er nur Gehorsam und die Bereitschaft zur Unterordnung als männlich gelten, mit dem üblichen Zirkelschluss, Demokratie als Männlichkeitsverlust zu verurteilen . In einer Rede vor Kreisleitern auf der Ordensburg Vogelsang am 29 . April 1937 attackierte er Demokraten als „verweichlicht“; ein „wirklicher Mann“ sei nur der, der gehorchen könne .168 Auch das Vertrauen der Bevölkerung erhalte eine Führung dann, so Hitler, wenn sie überzeugend als „absolut“ „harte, wirklich tapfere Männer“ auftrete .169 Verächtlich ergänzte er, die Führung dürfe „der Masse“ ihre Politik erst dann mitteilen, wenn diese bereits vollzogen sei, ohne vorher um Zustimmung zu bitten . Denn dann werde es sicher zustimmend heißen, das habe man sich schon gedacht . Gerade die Verachtung für demokratische Mitsprache und Zivilgesellschaft belohnten die Kreisleiter mit Gelächter .170 Sie akzeptierten das Angebot einer gemeinsamen Herrschaft, die ihr Vorgehen weder erklären noch begründen müsse . Ein Publikum, das im Spott zustimmte, agierte meines Erachtens keineswegs pathologisch .171 Eine solche Interpretation unterstellt den zeitgenössischen Akteuren ein psycho-soziales Problem . Sie lenkt genau wie die Deutung Hitlers als pathologischer Figur von der politischen Kultur ab, die die zeitgenössischen Verständigungsrituale erst hervorbrachte und wirksam machte . Hitler sprach die Kreisleiter ausdrücklich als 166 167 168 169 170 171

Zit . in Sauer, Rede, 420 . Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 40 . Ebd ., 130, 135 f . Ebd ., 145 . Ebd ., 148 ff . So die These von Sauer, Rede, 417 f .

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‚kleine Führer‘ an, in ihrem Herrschaftsbereich und auf ihrer Handlungsebene . Das Prinzip des Delegierens oder die Vorstellung, ‚dem Führer zuzuarbeiten‘, erklärte er schmeichelnd damit, dass seine Zuhörer genau die Männer seien, die die Gesellschaft brauche: Sie übernähmen Verantwortung, könnten aber auch delegieren und bürokratische Zwänge locker sehen . Der Ton kam gut an .172 An dieser Stelle erläuterte er auch, dass Komplizenschaft durch ein gemeinsames Handeln entstehe, das nie bis ins Letzte erklärt werde und doch gemeinsames Wissen bedeute .173 Und er führte vor, wie sich das komplizenhafte Wissen im Spott äußere . Mal karikierte er ins Absurde getriebene bürokratische Regeln, dann wieder verhöhnte er die Selbstverpflichtung von Demokraten, das eigene Vorgehen zu erklären . Sein Spott über die Presse in demokratischen Ländern rief Beifall, vor allem aber „Lachen“ oder „Gelächter“ hervor .174 Er sei grundsätzlich für die Demokratie in anderen Ländern, sagte Hitler unter stürmischer Zustimmung der Kreisleiter . Genüsslich machte er Diskussion als politische Praxis lächerlich: Mit einem für ihn typischen Sketch, der Persiflage zweier demokratischer Politiker, erläuterte er, wie diese sich ihre gegenteilige Meinung brieflich unterbreiten würden, und das auch noch in Gegenwart ihrer Stenotypistin, so dass sie dann „schon anstandshalber gezwungen …“ seien – aber wozu, ging im Gelächter der Zuhörer unter .175 Mit seinem Gelächter ersparte das Publikum es Hitler, konkret zu werden, und trug so dazu bei, dass das NS-System funktionierte . Der gemeinsame Spott ersetzte die Notwendigkeit, klare Aussagen über Ziele und Wege zu machen . Er reflektierte und verschärfte zugleich den polykratischen Charakter des politischen Systems, indem Vagheit und verschleiernde Sprache die Konkurrenz aller untereinander anstachelten und dazu beitrugen, die Politik zu radikalisieren . Macht war kein ein für allemal gegebenes Phänomen, sondern musste auch und gerade im NS-System ständig neu erkämpft oder behauptet werden . Entsprechend gingen manche lieber einen Schritt weiter als andere, um mithilfe der ‚Leitwährung‘, der Politik der Ausgrenzung, im Machtkampf zu punkten .176 Auch Goebbels führte vor, wie man Pläne mit und im Gelächter ansprach und zugleich schwer greifbar machte . Als er auf dem Parteitag 1935 im Anschluss an Hitler zu Parteifunktionären sprach, lachten diese an genau der Stelle, auf die in der Druckfassung Pünktchen folgten . Hier ging es um Goebbels‘ Botschaft, dass die deutsche Führung jüdischen Deutschen immer die kleine Hoffnung lasse, dass die Schikanen nun ein Ende hätten, um zu verhindern, dass sie bereits jetzt an die Weltöffentlichkeit appellierten .177 Wie eingeschliffen und beruhigend die Redemuster waren, zeigte sich daran, dass Hitlers Zuhörer verunsichert reagierten, wenn sie, selten genug, mit Selbstironie konfrontiert waren . Im April 1937 erklärte Hitler den Kreisleitern, dass natürlich auch die „harten Männer“ an der Spitze mal „Blödsinn“ machen würden und er selbst „am allerKotze/Krausnick, „Es spricht“, 162 . Die Gemeinschaft des Wissens sei die „größte Kameradschaft der Tat“, Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 168 . 174 Ebd ., 150 . 175 Vgl . ebd ., 154 f . 176 Bloxham/Kushner, Holocaust, 133 . 177 Musolff, Metaphor, 48 . 172 173

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meisten“, weil er ja auch das Meiste machen müsse; laut Protokoll reagierten sie mit nur „schwachem Gelächter“ .178 Als Hitler am 10 . November 1938 seine Parodie tschechoslowakischer Diplomaten mit der Bemerkung ergänzte, das deutsche Volk habe schon so viel überstanden, es werde auch ihn überstehen, gab es einen Moment der Stille . Erst dann begannen wenige zu lachen, um schließlich die anderen zu stürmischem Applaus mitzureißen .179 Die ungewohnte Selbstironie machte nicht die Abwesenden zum Objekt des Spotts, der Redner und Publikum vereinte . Sie forderte vielmehr dazu auf, Hitler selbst und damit auch den eigenen Blick auf den Nationalsozialismus zu reflektieren . Danach aber nahm der Redner sein Publikum gleich wieder mit: Er mokierte sich wie erwähnt über den sprichwörtlichen ungläubigen Thomas, der ihn zuerst warne und dann beschimpfe, weil er nicht weit genug gegangen sei . Bisher habe ich primär organisierte Nationalsozialisten als lachendes Publikum erwähnt, auf deren Reaktion sich NS-Politiker meist verlassen konnten . Am 8 . November 1938 etwa erinnerte Hitler vor sog . „alten Kämpfern“ an den Putsch von 1923 und beschwor so einmal mehr die bekannte Passionsgeschichte . Seine Zuhörer belachten seinen Spott über Churchill und Duff Cooper, den nach dem Münchner Abkommen zurückgetretenen englischen Kriegsminister, der die Politik des Appeasement ablehnte .180 Die Öffentlichkeit dagegen reagierte weniger berechenbar auf den Spott über die Siegermächte des Ersten Weltkriegs . Zu Hitlers großem Ärger begrüßten viele Deutsche den britischen Premier Neville Chamberlain bei der Münchner Konferenz 1938 herzlich als Friedensvertreter, obwohl Hitler ihn nach allen Regeln der Kunst lächerlich gemacht hatte .181 Der Wunsch nach Frieden war stärker als der Spaß an der Verachtung . Und doch blieb das nicht die einzige Reaktion . Denn war die deutsche Expansionspolitik wieder einmal aufgegangen, ohne einen Krieg auszulösen, dann tauchten erst recht Witze auf – manche sicher aus Erleichterung, andere aber, um die eigene Macht zu feiern . Einige funktionierten nur lautmalerisch, so dass wir davon ausgehen können, dass sie mündlich zirkulierten . Nachdem die Slowakei am 14 . März 1939 aus dem tschechoslowakischen Staatsverband ausgetreten war, bestellte Hitler den tschechischen Staatspräsidenten Emil Hácha nach Berlin . Dieser beugte sich dem deutschen Druck . Am Folgetag rief Hitler in der Prager Burg das „Protektorat Böhmen und Mähren“ aus, begleitet vom Einmarsch mehrerer Divisionen in die Regionen . Ein Witz, der in keiner Sammlung nach 1945 auftauchte, beschrieb das Vorgehen: Im März 1939 wird der tschechoslowakische Präsident Emil Hácha von Hitler eingeladen . Einziges Ziel des Besuchs: Er soll das Protektoratsabkommen absegnen . Hácha betritt Hitlers Zimmer, nickt verhalten mit dem Kopf und sagt: „Hácha!“ Hitler: „Lachen Sie nicht, unterschreiben Sie!182

Die Pointe mochte wohl den allgegenwärtigen Code des Lachens karikieren, konnte aber auch den Stolz ausdrücken, die deutschen Grenzen ohne Krieg ausgedehnt zu 178 179 180 181 182

Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 146 . So argumentieren Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 266 f .; Textstelle selbst 280 . Vgl . ebd ., 249, 252, 254 f ., 257 . So das Argument von Kotze/Krausnick, „Es spricht“, 231 . Schriftliche Mitteilung von Elisabeth v . C ., 10 .12 .2008 .

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haben . Der Dreisatz wiederum: „Die Deutschen grüßen jetzt mit AHOI . – Wieso? – Adolf Hitler ohne Interessen,“ rekurrierte auf die Begrüßungsformel „ahoi“ im Tschechischen, die „hallo“ oder „tschüs“ bedeutete .183 Auch sie konnte, je nach Kontext oder Redner/innen, die These der Saturiertheit ironisieren oder die Großmachtrolle feiern . Auf vielfache Weise luden Politiker und Unterhalter das Publikum zum ‚Gelächter der Sieger‘ ein . Als Hitler am 7 . März 1936 die Remilitarisierung des Rheinlandes begründete, versprach er, ein Volk, das nicht nur weinen, sondern auch „herzlich lachen“ könne, gegen den Kommunismus zu schützen .184 Andere Auftritte waren mit einem Unterhaltungsprogramm gerahmt . Der nach Dachau verschleppte Maximilian Reich erinnerte sich an eine ins Konzentrationslager übertragene Radiorede Hitlers, der ein Vorprogramm in Gestalt eines lustigen Bierabends in Hamburg vorausgegangen sei .185 An dieser Stelle sei nur ein Beispiel genannt, wie geläufig es war, auch die Vernichtungspolitik während des Krieges im Spott zu erzählen . Hans Frank, der das sog . Generalgouvernement leitete, kopierte Hitlers Sarkasmus und seine Art, sich als historische Figur zu entwerfen, die zukünftig erinnert werde . Am 2 . August 1943, während der sog . „Aktion Reinhardt“, der Ermordung aller Juden in diesem Herrschaftsgebiet, hielt er bei einer NSDAP-Großkundgebung im Opernhaus in Lemberg eine Rede . Darin übertrug er Hitlers Gründungslegende auf sich selbst: Er werde in seinen zukünftigen Memoiren beschreiben, wie er „mit fünf Mann in Posen“ eingezogen sei, wo „Juden umeinander liefen, von einer Scheußlichkeit, dass man sich wundern muss, dass die Erde ihren Betrieb nicht eingestellt hat .“ Als er die Ermordung von etwa zwei Millionen Juden im Generalgouvernement 1942 und 1943 mit der Bemerkung umriss, die Deutschen hätten mit „Insektenpulver“ dafür gesorgt, dass sich „ein deutscher Mensch“ in Polen wieder aufhalten könne, stimmten seine Zuhörer mit Beifall und Heiterkeit zu . Auch Frank wandte sich direkt an sein Publikum . Nach der Bemerkung, in Lemberg solle es „Tausende und Abertausende von diesen Plattfußindianern“ gegeben haben, die nun nicht mehr zu sehen seien, fragte er verschwörerisch: „Ihr werdet doch am Ende mit denen nicht böse umgegangen sein?“ Als Antwort notierte das Protokoll erneut „große Heiterkeit“ .186 Vor 30 „Reichsrednern“, die er in Krakau am selben Tag empfing, wiederholte er seine ‚Show‘ . Er spottete, dass in einer Situation „klarer Fronten“, nämlich ‚Hakenkreuz vs . Jude‘, die Deutschen „mit dreieinhalb Millionen Juden begonnen“ hätten, während nun nur noch einige Arbeitskompanien vorhanden und „alles andere [sic, MK] […] – sagen wir einmal – ausgewandert“ sei .187 Joachim Fest bezeichnete Franks Zynismus moralisch zutreffend als „humorige Niedertracht“ .188 Erklären aber lässt er sich als Praktik, sich mithilfe des breit zirkulierenden Codes als kompetenter Führer darzustellen . Hitler enthob Frank trotz massiZit . Nach Hirche, Der „braune“ und der „rote“ Witz, 134 . Für die Erklärung danke ich Bärbel Kuhn . Klöss (Hg .), Reden, 165 . Das ‚Weinen‘ suggerierte ‚deutsche Opfer‘ . 185 Mit beklatschten Scherzen etwa über ein gelungenes Doppelfest, bei dem man vormittags gut geratene Kartoffeln aus- und nachmittags die missratene Schwiegermutter eingegraben habe, Reich, Mörderschule, 146 f . 186 Alle Zitate nach Schenk, Hans Frank, 313 . 187 Zit . nach ebd ., 305 . 188 Fest, Gesicht, 295 . 183 184

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ver Korruptionsvorwürfe und Proteste anderer Politiker und Funktionäre nicht seines Postens im besetzten Polen .189 Vielleicht hatte es damit zu tun, dass Frank Hitler im Spott genauso kopierte wie mit seinem Kunstraub und demonstrativen Kunstkonsum .190 Verkörperte Macht, verkörpertes Wissen In den dreißiger Jahren ließ die Mehrheitsgesellschaft jüdische Deutsche einen ‚sozialen Tod‘ sterben . Wie sie das machte, inszenierte sie jedes Jahr aufs Neue in Karnevalsumzügen: Sie machte die Ausgegrenzten kontrolliert wieder sichtbar, indem sie deren Schicksal ritualisiert nachspielte . Karneval als prominenter Raum politischer Unterhaltung wird in Anlehnung an Michail Bachtins Analyse der Vormoderne gerne als ‚verkehrte Welt‘ verstanden; Nichtherrschende dürften die Herrschenden für ein paar Tage verspotten, um dann in die übliche Ordnung zurückzukehren . Doch greift diese Interpretation nicht für die NS-Zeit, als Karnevalisten ihre Herrschaft über jüdische Nachbarn ausagierten . Karneval war und ist nicht automatisch subversiv, auch wenn seine Akteure mehr anstreben, als nur etwas abzubilden . In der NS-Zeit fungierte er als Ritual, um Grenzen zu ziehen und zugleich das gesellschaftliche Wissen über die eigene Macht theatralisch vorzuführen . Karnevalisten machten Verletzungsmacht als Spektakel erfahrbar . Die gesellschaftliche Bedeutung von Karneval nahm nach 1933 nicht ab, sondern zu . Lokale und nationale Instanzen verfolgten gemeinsam das wirtschaftliche Interesse, den Tourismus anzukurbeln . Es gelang ihnen, Karneval in den dreißiger Jahren zu einem ertragreichen, von der Bevölkerung angenommenen touristischen Highlight zu machen . Kraft durch Freude bot erfolgreich verbilligte Tickets und günstige Fahrten an, um gezielt Arbeiter/innen anzusprechen . In manchen Städten schlossen Geschäfte am Karnevalsdienstag um 13 Uhr, um allen das Mitmachen zu ermöglichen . Die Stadt Speyer plante für 1939 einen „Tag der närrischen Volksgemeinschaft“, der, ‚gereinigt‘ von allen ‚Feinden‘, zur Erlebnisgemeinschaft werden sollte .191 Auch beim Karneval verzahnten sich Gleichschaltung und Selbstgleichschaltung . Der Zugriff des Regimes zeigte sich im organisatorischen Zusammenschluss aller Vereine im Bund Deutscher Karneval von 1937 . Noch aufschlussreicher war jedoch das Verbot, in Uniform aufzutreten: Es reflektierte die Sorge, mit dem Appell an kollektive Heiterheit auch Gelächter über NS-Symbole zu provozieren . Daher durften Kostümierte auch weder den „deutschen Gruß“ entbieten noch Hakenkreuzfahnen schwenken .192 Dennoch blieb das Publikum ein unberechenbarer Faktor . Wenn Zuschauer/innen sich ungeplant in Preisverleihungen einschalteten, konnte es sein, dass Veranstalter den Pro„Im Westen liegt Frankreich, im Osten wird Frank reich“ war ein geflügeltes Wort, Schenk, Hans Frank, 243 . 190 Zum Raub Schenk, Hans Frank, 248, 361, 369, zu Kunst ebd . 263, 289, 295 . 191 Engelskircher, Karneval, 44 ff ., 65 f ., 74 . 192 Ebd ., 75, 81 f . Komödien verzichteten wohl aus demselben Grund auf den Hitlergruß . 189

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grammteil im nächsten Jahr strichen .193 Obwohl es dabei selten um fundamentale Opposition ging, sollte die öffentliche Demontage politisch gehypter Figuren vermieden werden . Auch die jeweiligen Beiträge öffneten unterschiedliche Spielräume . So mochten Büttenreden oder Lieder durchaus versteckte Botschaften signalisieren . Motivwagen dagegen ließen weniger Spielraum, weil kommunale Amtsträger und Parteifunktionäre sie diskutierten und Oberbürgermeister und Gauleiter sie absegneten .194 Das heißt aber ausdrücklich nicht, dass die politische Führung die Motive diktierte . Für den organisierten Kölner Karneval hat Marcus Leifeld gezeigt, dass die herkömmliche Deutung als Hort des Widerstands nur insoweit zutraf, als die Führungsriege sich Einmischung von außen verbat . Das gelang Verhandlungsführer Thomas Liessem gerade deshalb, weil er schon seit 1931 Parteimitglied war . Aufgrund der engen personellen Vernetzung mit den NS-Eliten sowie der bekannt nationalkonservativen Einstellung des Vereins verzichtete der neue Oberbürgermeister auf eine offensive Gleichschaltung .195 Selbst der ‚Deuter der Nation‘ Heinz Steguweit zog gegen die Kölner Granden den Kürzeren: Nicht, weil diese Antinazis gewesen wären, sondern weil sie die Machtquerelen in der Nomenklatura so geschickt nutzten, dass die politische Führung Steguweit zurückpfiff, als er sich über die Karnevalsleitung lustig machte, was die Kölner unerhört fanden .196 Die Bereitschaft, die Exklusionsprozesse der dreißiger Jahre nachzuspielen, prägte zahlreiche Umzüge in West- und Süddeutschland . Sie trat also gerade in katholischen Regionen auf, die lange als resistent gegen nationalsozialistisches Denken galten . Ein Anstoß lag darin, dass Karneval nun wie das Verbreiten von Witzen als ‚kreative Kunst‘ galt . Das Mitmachen bedeutete, Gesellschaft nicht nur zu kommentieren, sondern herzustellen und so den höchsten symbolischen Status abzurufen . Explizit erläuterte dies ein Begleittext des Vereins Münchner Fasching zum Umzug von 1935, in dem auch ein Panzer mitfuhr . Der Autor erklärte Karnevalisten ausdrücklich zu Künstler-Soldaten . Nach der rhetorischen Frage, ob sich die Feder nicht sträube, Fasching und Wehrmacht nebeneinander zu setzen, identifizierte er emphatisch den „lustigen Kumpan im buntesten Kleid“ mit dem Militär: Die Integration der Gesellschaft sei vollzogen, wenn niemand mehr wisse, wer in der „lustige(n) Gesellschaft“ Künstler oder Soldat sei .197 Wer theatralisch die eigene Herrschaft verkörperte und unterhaltsam vorführte, dass Ausgrenzen ‚Deutschsein‘ definiere, erhielt den ultimativen symbolischen Lorbeerkranz . Die Züge bildeten die Symbiose von Kunst und Kampf auch organisatorisch ab . Denn dass sie in den dreißiger Jahren immer länger wurden und die Teilnehmerzahlen stiegen, lag auch daran, dass SA-Spielmannszüge, HJ-Kapellen, BDM und Wehrmachtseinheiten mitmarschierten .198 Letztere verkleideten sich gerne als außenpolitische ‚Feinde‘ . In Speyer war die Wehrmacht im Zug von 1938 gleich mehrfach vertreten . Eine Bataillonskapelle trat in friderizianischen Uniformen auf, umging so das Verbot, Uniform zu tragen, und band sich in die heroisierte Tradition ein; andere stellten pan193 194 195 196 197 198

Leifeld, Kölner Karneval, 331 f . Leifeld, Kölner Karneval, 68, 333 . S . a . Dietmar/Leifeld, Alaaf, 42–44, für hitlerkritische Verse 45 . Leifeld, Kölner Karneval, v . a . 57 ff ., 76 ff . Ebd ., 92, 316–318 . Zit . nach Dietmar/Leifeld, Alaaf, 156 . Engelskircher, Karneval, 50 .

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tomimisch „Valencia-Bolschewisten“ dar, regierungstreue Truppen aus dem spanischen Bürgerkrieg, denen die Pfälzer Tagespresse zuschrieb, Europa in Unordnung stürzen zu wollen; eine dritte Gruppe spielte die „Leibgarde des Negus“, eine „schwarze Masse“, die den Medien zufolge „wild“ heulte und mit „vorsintflutlichen“ Gewehren schoss .199 Lokale Honoratioren, Vereine, Berufsverbände oder Schulklassen wiederum spielten die Verfolgten . Auch die SA führte beim „Reichswettkampf “ im Sommer 1935 wiederholt ihren ‚Verteidigungskampf ‘ und Sieg gegen ‚innere Feinde‘ auf . Dabei posierten SA-Leute selbst als Kommunisten oder fuhren die tatsächlich Verfolgten auf Wagen durch die Städte, um sie am Ende erneut zu ‚überwältigen‘ . Die Körper von Verfolgern und Verfolgten in einem Tanz der Bedeutungen zu choreographieren, mochte wohl dazu dienen, die revolutionäre Energie der SA in ein rein formales Spektakel zu bannen, wie Timothy Brown argumentiert .200 Doch scheint mir die Bedeutung darüber hinaus zu gehen, wenn Karnevalisten sich ritualisiert jedes Jahr als ‚Juden‘ verkleideten und dann die stereotypisierenden Mäntel und Bärten wieder ablegten, um ihr ‚Deutschsein‘ zu unterstreichen . Zum einen kommunizierten Bevölkerung und Elite auf diese Weise miteinander . Sie signalisierten sich gegenseitig, dass sie die jeweilige Gewalt akzeptierten .201 Zum anderen aber machte das gemeinsame Gelächter die Degradierung der Verfolgten sozial wirksam, indem es sie öffentlich beschämte . Drittens teilten Karnevalisten spielend mit, dass sie es nicht nötig hätten zu argumentieren, während jüdische Deutsche nicht mehr antworten konnten; die Handlungsbereitschaft der einen bezeichnete den Handlungsverlust der anderen Seite, wobei ‚nicht reden können‘ wie erwähnt als Feminisierung galt . Schließlich und wesentlich: Indem Karnevalisten eine angeblich absolute Grenze in beide Richtungen spielerisch überwanden, erwiesen sie sich als Herrscher über Differenz . Der Versuch von Verfolgten dagegen, sich als Nichtjuden auszugeben, galt als illegitime Mimikry . So schrieben nichtjüdische Akteure fest, dass ihre Identität darin bestehe und sie zugleich ermächtige, Grenzen zu ziehen . Doch demonstrierten Laienspieler/innen auch, dass es (ihnen) nicht reichte, jüdische Deutsche ein einziges Mal auszuschließen . Sie inszenierten jedes Jahr aufs Neue, wie sie die Verfolgung radikalisierten . Jeder Umzug vergrößerte die gesellschaftliche Komplizenschaft und machte körperlich spürbar, wie die Verletzungsmacht des nichtjüdischen Selbst wuchs . Das wohl prominenteste Motiv war die Zwangsemigration . Doch stellte die Bevölkerung auch die Enteignung oder den Rechtsverlust der Verfolgten dar . Manche Wagen verwandelten beschämende Karikaturen in riesige Pappmachéfiguren . Der Kölner Rosenmontagszug von 1936 thematisierte ein halbes Jahr nach den sog . Nürnberger Gesetzen die Rechtsverluste jüdischer Deutscher . In den beiden Vorjahren hatten die Kölner einige antisemitische Motive aus Rücksicht auf touristische Interessen gestrichen .202 1936 aber zogen Berittene eine überlebensgroße, satirisch verzerrte Figur auf Rädern durch die Straßen . Eine mit einem Paragraphen bemalte Tonne stellte einen Zit . in ebd ., 54 f . In Speyer gab es einen Verbindungsoffizier der Wehrmacht, dem die Karnevalsgesellschaft 1938 einen Orden verlieh, ebd ., 78 . 200 Brown, Weimar Radicals, 121 f . 201 S . a . Matthäus, Antisemitic Symbolism, 203 . 202 Leifeld, Kölner Karneval, 183 . 199

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‚Gesetzeshüter‘ dar, der mit schweren Militärstiefeln der jüdisch markierten Figur so auf die Krawatte trat, dass er sie fast strangulierte . Die Wagenaufschrift lautete: „Dem haben sie auf den Schlips getreten“, auf rheinisch: „Däm han se op d’r Schlips getrodde“ .203 Die Wagenbauer inszenierten den Zusammenbruch demokratischer Strukturen, indem sie vorführten, wie nationalsozialistische Rechtssätze jüdischen Deutschen die Luft zum Leben abschnürten . Sie unterstellten durch den Gesichtsausdruck und die Gestik der strangulierten Figur auch, dass diese sich fälschlich als unschuldiges Opfer gerieren würde . Jetzt aber ‚vergehe‘ ihr ‚das Lachen‘, da die Mehrheitsgesellschaft über Gefühle und Körper verfüge . Ein anderer Wagen verspottete die lokale NS- und Karnevalsgröße Wilhelm Ebel: Er war im Jahr zuvor genau vor der Ehrentribüne vom Pferd gefallen .204 Wer wollte, konnte das als Beweis nehmen, wie ‚subversiv‘ Karneval weiterhin (gewesen) sei, und damit den anderen Wagen in der Konstruktion von Gegenwart und Erinnerung überblenden . Häufig aber, und das ist das Phänomen, das mich hier interessiert, spielten Kinder und Erwachsene selbst den „Auszug der Juden nach Israel“ . Sie verwandelten Karikaturen in ‚lebende Bilder‘, indem sie ‚jüdisch‘ semantisierte Pappnasen trugen, die es offenkundig in jeder Größe zu kaufen gab, oder lange schwarze Gewänder . Damit imitierten sie orthodoxe oder sog . „Ostjuden“ und behaupteten, dass jüdische Deutsche immer ‚fremd‘ geblieben seien . Andere untermalten die Vertreibung musikalisch, indem sie bekannte Lieder umdichteten in den Text: „Adam zog den größten Möbelwagen, Eva mußt‘ die Kaffeemühle tragen, Kain, der trug die große Gipsfigur, und das kleine Abelchen die neue Eieruhr .“205 Bei den Wagen engagierten sich wichtige kommunale Vergesellschaftungsinstanzen . Im Fastnachtsumzug von 1934 im württembergischen Singen präsentierten der Kleinkaliber-Schützenverein und der Wirte-Verein einen Karnevalswagen als Eisenbahnabteil und versahen ihn mit der Aufschrift „Von Berlin nach Palestina“ (sic) .206 Vereinsmitglieder ‚verkleideten‘ sich als ‚Juden‘ und schauten lachend aus den Fenstern . Dass sie den ersten Preis bei der Prämiierung der Wagen gewannen, mag als Ergebnis einer ideologischen Vorentscheidung gelten . Die Teilnahme selbst aber belegte die Bereitschaft, mitzumachen .

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Dietmar/Leifeld, Alaaf, 124 . Leifeld, Kölner Karneval, 333 . Persönliche Mitteilung von Monika B ., 21 .1 .2009 . Zum Folgenden auch Kessel, ケッセル, マルティナ (Verkörperte Herrschaft) .

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Abb . 10: Fasnachtszug Singen, 1934: „Von Berlin nach Palestina“207

In Marburg inszenierten Teilnehmer im Februar 1936 die Zwangsemigration, indem sie Hausmobiliar auf ihrem Wagen verschnürten und den Wagen selbst mit der Überschrift „Auf nach Palästina!“ versahen . Zusätzlich führten sie ein großes Plakat mit, das mitteilte: „Nur RM (Reichsmark, MK) 10 .50 für Vergnügungssteuer sind baldmöglichst an die Stadthauptkasse zu zahlen“ .208 Die Akteure mochten den Topos der ‚jüdischen Ausbeutung‘ meinen oder noch unterstreichen, dass sie eine phantasierte Verfolgung in reale und auch ökonomisch ergiebige Vertreibungsgewalt verwandelt hatten . Denn die Zwangsabgabe im Rahmen der sog . Reichsfluchtsteuer traf in erster Linie jüdische Deutsche, die emigrieren mussten . Sie war 1931 eingeführt worden, um die Steuerflucht von Vermögenden ins Ausland zu verhindern . Die Behörden setzten jedoch 1934 die Bemessungsgrenze der darunterfallenden Vermögen von 200 .000 Reichsmark auf 50 .000 Reichsmark herab, so dass überproportional jüdische Emigranten ihr Vermögen verloren .209 Der Wagen beschrieb die Zwangsemigration als heiteres Vergnügen, deren Betroffene billig davonkämen, und amüsierte sich darüber, die Vertriebenen noch wirtschaftlich ausnutzen zu können . Die Männer trugen meist lange Bärte, als Zeichen orthodoxer Haartracht, sowie lange schwarze Mäntel, runde Hüte oder Zylinder . Die Fotografie ließ einige lachende Zuschauer/innen erkennen, ebenso wie eine Aufnahme des Singener Umzug von 1938, in dem eine Gruppe unter dem Motto „Die letzten Libanontiroler hauen ab“ die Zwangsemigration mit kleinen Koffern und überdimensionalen Pappnasen nachstellte:

Stadtarchiv Singen . Auch abgedr . auch in Hesse/Springer (Hg .), Vor aller Augen, 85 . Abgedr . in Hesse/Springer (Hg .), Vor aller Augen, 84 . Ähnliche Beispiele aus Köln, Mainz, Koblenz und Nürnberg in Dietmar/Leifeld, Alaaf, 122–128 . 209 Zürn, Forcierte Auswanderung, 489, 496 . 207 208

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Abb . 11, Fasnachtsumzug Singen, 1938: „Die letzten Libanontiroler hauen ab“210

Auch den Zwangsverlust von Eigentum, Beruf und Wirtschaftsbeziehungen spielten Karnevalisten nach . Ein Wagen im Schwabacher Umzug von 1936 stellte unter dem Titel „Firmenwechsel“ dar, dass die beiden Geschäftsleute Moritz Rosenstein und David Bleicher im Jahr zuvor ihre Geschäfte aufgeben mussten . Die Aufschrift „David Bleichstein“ zog die Namen zusammen, unterstellte also eine einheitliche jüdische ‚Identität‘:

Abb . 12: „Firmenwechsel“, Schwabach, 1936, Fotografin Käthe Schönberger211

Der Wagen verballhornte generell den Existenzverlust jüdischer Deutscher . Die langen schwarzen Gewänder und weiten Hemdsärmel suggerierten darüber hinaus, dass es sich nur um schäbige kleine Händler oder osteuropäische Juden gehandelt haben 210 211

Stadtarchiv Singen . Auch abgedr . in Hesse/Springer (Hg .), Vor aller Augen, 85 . Stadtarchiv Schwabach . Auch abgedr . in Hesse/Springer (Hg .), Vor aller Augen, 91 .

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könne, sprachen den Betroffenen also die Zugehörigkeit zum deutschen Wirtschaftsbürgertum oder zum Deutschsein an sich ab . In Nürnberg agierten Metzger auf einem Wagen der Nürnberger Fleischerinnung wie eine lebendige Variante der Lustigen Milchfibel . Sie spielten vor, wie sie jede Handelsbeziehung zwischen Juden und Nichtjuden gekappt hätten . Dazu ‚verkleideten‘ sie sich mit auffälligen künstlichen Hakennasen, Bärten und Schläfenlocken . Ihr Leitmotiv „Es war einmal“ war ein geläufiger Eingangssatz für Märchen, die ein ‚gutes Ende für die Guten‘ und ein ‚böses Ende für die Bösen‘ boten . Mit der Referenz an eine wichtige Traditionslinie ‚deutscher‘ Kultur signalisierten die Metzger ihr persönliches ‚Märchen‘, deutschjüdische Kollegen vertrieben und alle Beziehungen aufgehoben zu haben .

Abb . 13: „Es war einmal“, Faschingsumzug Nürnberg212

Die Positionen von ‚Siegern‘ und ‚Verlierern‘ nachzuspielen und sich dabei als ‚Opfer‘ der Verfolgten darzustellen, blieb eine beliebte Unterhaltung . Die Hitlerjugend trainierte ihre Mitglieder in dieser Weise . Reinhold Gröper, ein enthusiastisches Mitglied, meldete sich 1944 als 15jähriger gegen den Willen seiner zwar nationalsozialistischen, aber zu dem Zeitpunkt auch pragmatischen Eltern freiwillig zur Waffen-SS . Er hoffte bis zuletzt auf den deutschen Sieg und war im Frühjahr 1945 enttäuscht, nicht mehr mit der SS kämpfen zu können . Der begeisterte Laienschauspieler betreute auf ‚Kinderlandverschickung‘ nach Rottweil die Laienspielschar der HJ . Bei einem erfolgreichen „Bunten Abend“ vom 20 . Juli 1944 (vor der Nachricht über das Attentat) spielte er u . a . auf folgende Weise mit: „Außerdem ‚beschummelte‘ ich noch einige auf jüdisch, ‚foppte‘

Abgedr . in Centrum Industriekultur Nürnberg (Hg .), Unterm Hakenkreuz, 52 . Ich danke Ulrich Prehn für den Hinweis . 212

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einige so und pries die seltsamsten Waren an .“213 Das Spiel ‚jüdische Betrüger, deutsche Betrogene‘ rief dazu auf, die ‚Gefahr‘ zu beseitigen . Auch die „politischen Kurzszenen“ Rothstein und Co ., die im Juni 1942 im Radio liefen, verwandelten die Verfolgten in Täter und stachelten dergestalt zum Kampf an . Hier machte der jüdische Bankier Rothstein mit allen Alliierten Geschäfte, betrog alle Seiten und peitschte sie zum Krieg gegen Deutschland auf .214 Der Erfurter SD bedauerte, dass die „beliebte“ Sendung um 19 Uhr gesendet werde, also zu früh, um von allen gehört werden zu können .215 Hörer/innen lobten die Serie insgesamt, vor allem aber den Sprecher des Rothstein . Gleichzeitig forderte das Publikum, die Propaganda nicht zu deutlich werden zu lassen, um nicht die Wirkung der Sendung zu schwächen .216 Sie zollten demjenigen Beifall, der ‚den Juden‘ als ‚Täter‘ spielte, wollten aber in der Schwebe eines komplizenhaften Gelächters bleiben . Geläufig bewegten sich die Redenden auf dem schmalen Grat, Juden als ‚Betrüger‘ und ‚Kriegstreiber‘ vorgeführt zu bekommen, ohne die Folgen kennen zu müssen . Diese Praktiken waren kein abstraktes Phänomen . Karneval war ein jährliches Ritual, das die Beteiligten wochenlang beim Planen, Wagenbauen, Helfen und Zuschauen involvierte . Akteure, die zwangsverkaufte Geschäfte namentlich benannten und die Betroffenen verkörperten, lebten noch einmal vor, wie sie soziale Kontakte in Überwältigung verwandelt hatten, in der die Leidtragenden weder mitreden noch den Raub umkehren durften . Sicher war die Einstellung des Publikums nicht erfassbar, oder anders: Es gab immer Beifall und Ablehnung .217 Doch war die Anerkennung, die Karnevalswagen erfuhren, nicht automatisch das Ergebnis eines gesteuerten Prozesses oder Gruppendrucks . Abgesehen davon, dass immer mehr Touristen hinreisten, notierten Nicht-Nationalsozialisten begeisterte Reaktionen . Elisabeth Schmitz, Mitglied der Bekennenden Kirche und Kritikerin der Judenverfolgung, hielt fest, dass Zuschauer in Nürnberg 1933 am heitersten die „ausziehende Judensippschaft“ aufgenommen hätten, die, wie die Fränkische Tageszeitung prahlte, in „naturgetreuen Nachbildungen zu sehen“ gewesen sei .218 Wichtig bleibt vor allem das Handeln an sich . Die Laienschauspieler agierten ihr Geschichtsverständnis aus, indem sie den Dreischritt des Verachtens, Verspottens und Verjagens nachspielten . Sie machten sich zu ‚Siegern‘, indem sie ‚besiegte Juden‘ spielten, und markierten ihr ‚Deutschsein‘, indem sie für Momente die konstruierte Identität des Anderen verkörperten . So verwandelten sie jüdische Deutsche in eine homogene Feindkategorie .219 Vor allem aber machten sie die eigene Ermächtigung spürbar, gerade indem sie den Duktus des potentiellen Opfers beibehielten: Das ständige Reden vom ‚jüdischen Hohn‘ inszenierte Nichtjuden als Verlachte, während Karnevalisten die imaGröper, Erhoffter Jubel, 184 . Ein ähnliches Filmbeispiel von 1941 bei Welch, Nazi Propaganda, 234 f . 214 Stache, Rothstein & Co . 215 Kulka/Jäckel, Juden in geheimen Stimmungsberichten, CD-ROM, Dok . Nr . 3446 . 216 Meldungen, Bd . 10, 3810, 11 .6 .1942 . 217 Dietmar/Leifeld, Alaaf, 125 . Zu Kritik an Prangerumzügen (primär dann, wenn es Nichtjuden traf) Wildt, Volksgemeinschaft, 232 ff . 218 Schmitz, Zur Lage der Nichtarier, 5 f . 219 Wünschmann, Before Auschwitz, bes . 133 ff . 213

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ginierte Beziehung zwischen ‚jüdischen Tätern‘ und ‚deutschen Opfern‘ in die faktische Hierarchie von nichtjüdischen ‚Siegern‘ und jüdischen ‚Verlierern‘ verwandelten . Mit ihrer Kleidung, mit Perücken, falschen Nasen und Wagenaufschriften fixierten sie jüdische Deutsche als ‚nichtdeutsch‘, als Menschen, die angeblich fixierbare Identitätsgrenzen zu Unrecht überschreiten würden . Mit dem Abstreifen der Kleidung traten Karnevalisten in die Position der ‚Sieger‘ zurück . Sie erklärten ihr nichtjüdisches Selbst nicht in biologisierenden Termini, sondern verkörperten ihr ‚Deutschsein‘, indem sie mit Grenzen spielten, die für das verfemte Sein unüberwindbar sein sollten . Ihr Selbstverständnis bestand darin, vorgeblich absolute Grenzen ziehen zu dürfen, nicht zuletzt, indem sie sie spöttisch übertraten . Mit dem paradoxen Zugriff, dass die grotesk überzeichnete Verkleidung immer als solche erkennbar war, entwarfen sich Karnevalisten als ‚Künstler-Soldaten‘ . Mit wiederkehrenden und erwartbaren Ritualen demonstrierten sie nicht nur, wie ihr Handlungsspielraum wuchs, sondern dass sie das Subjektideal erfüllten . Offenkundig stärkte es das Zusammengehörigkeits- und Überlegenheitsgefühl, im Kreis derer, die ‚dazu gehörten‘, die Verluste und erzwungene Sprachlosigkeit des Anderen nachzuspielen . Mediale Zeichensysteme in lebende Bilder zu überführen, machte die eigene Dominanz fühlbar . Während Pseudowissenschaft und Fotografien jüdischen Deutschen eine unzulässige Mimikry des ‚deutschen Originals‘ unterstellten, führten Karnevalisten vor, wie sie den ‚Feinden‘ die ‚Maske‘ vom Gesicht rissen .220 Ob sie mit ihrem Lachen das ‚Lächeln des Siegers‘ markierten oder den Verfolgten ‚Falschheit‘ attestierten, muss offenbleiben . Entscheidend war der öffentliche Charakter ihrer Vorführung . Er machte die symbolische Verletzung effektiv, indem Zuschauer/innen durch ihren Blick das Mitgeteilte bestätigen, gleichgültig, ob sie innerlich zustimmen oder nicht .221 Als performative Präsenz verliehen Zuschauer/innen den Karnevalisten Legitimität, indem sie sie gewähren ließen und andere Ansichten öffentlich ausschlossen .222 Das Crossdressing als ‚Feind‘ machte die erwünschte Ordnung am Körper spürbar . Ohne direkt auf den physischen Körper der Verfolgten zuzugreifen, bestätigte die öffentliche Inszenierung als performatives Ritual die behauptete Grenze zwischen dem Selbst und dem Anderen . Die Verfemten durften die imaginäre Trennlinie nicht überschreiten, es sei denn auf Anweisung der Machthabenden . ‚Differenz‘ so zu realisieren, machte die Gratifikation spürbar, ‚dazu zu gehören‘ . Die ritualisierte Unterhaltung verwandelte das Alltagswissen über die Verfolgung in eine Machtdemonstration . Die Rolle der Ausgegrenzten zu übernehmen, bedeutete gerade nicht, die Ambiguität jeder Identitätsvorstellung zu akzeptieren . Die Grenzen in jede Richtung zu überschreiten, zeigte stattdessen, wozu Mitglieder dieser Gesellschaft sich ermächtigten: Die Leidtragenden für Momente in einer verfemten Gestalt auftauchen zu lassen, um ihre Identität zu verzerren und ihren Lebensraum und ihre Lebenschancen zu kontrollieren .

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Zu diesem Anspruch generell Loewy, „Ohne Masken“ . Kuch/Herrmann, Symbolische Verletzbarkeit, 203 . Leifeld, Kölner Karneval, 23 .

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3. Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf ‘ Ich habe die Inszenierung körperlicher und emotionaler Verletzungsmacht zuerst diskutiert, bevor ich mich der Frage zuwende, wie die Mehrheitsgesellschaft Scherze untereinander aushandelte . Denn der Blick auf ‚Humor‘ in der NS-Zeit wird bis heute verstellt durch die Deutung, die die (west)deutsche Gesellschaft nach der Shoah kanonisierte: Sie entwarf die nichtjüdische Bevölkerung als ‚Opfer der Nationalsozialisten‘, die mit Witzen Widerstand geleistet habe .223 Ich möchte tatsächlichen Widerstand keinesfalls minimieren; es wurden auch nichtjüdische Deutsche für Witze ermordet . Doch beurteilten die NS-Gerichte in der Regel zunächst die Person und dann das Gesagte . Wer als problematisch oder gar als ‚nichtdeutsch‘ galt, wurde für Scherze verurteilt oder ermordet, für die andere mit leichter Geldstrafe davonkamen oder Gelächter ernteten .224 Die Nachkriegssammlungen dagegen verwischten alle Unterschiede . Sie blendeten zudem aus, dass Witze eine Kernpraktik gewesen waren, um nationalsozialistisch zu agieren .225 Im kommunikativen Gedächtnis aber zirkuliert dieses Wissen ebenfalls bis heute . Als Eric Johnson Interviews für eine Studie zur NS-Zeit führte, unterhielten sich einige Befragte köstlich mit Witzen von früher . Die ehemals Begeisterten wussten auch, dass sie damit weder kritisiert noch Angst vor Repression gehabt hatten .226 Im Folgenden diskutiere ich zunächst die Hoffnung von Exilanten, dass Witze tatsächlich Widerstand einläuten würden . Im Anschluss geht es darum, wie Zeitgenossen stattdessen Scherz- und Spottpraktiken als kommunikativen und performativen ‚Vertrag‘ ausagierten, indem sie lobten und kritisierten, Anerkennung als ‚gute Nazis‘ einforderten oder sich distanzierten . Neben den In-Scherzen verschwand zudem nie der Topos vom ‚Gelächter der Anderen‘, mit dem die Verfolgung von Anfang an begründet worden war . Denn als die deutsche Herrschaft zu bröckeln begann, reagierten manche nicht nur, indem sie die eigene Regierung schärfer verspotteten . Sie empörten sich auch über ein angebliches ‚Gelächter‘ derer, die sie bis dato beherrscht hatten . Ihre Wut betraf weniger die drohende Niederlage als den Zusammenbruch ihrer identitätspolitischen Herrschaft . Im Exil: Die Hoffnung auf Widerstand oder heitere Unterhaltung für Deutschland Manche Exilpolitiker hofften zunächst, dass die große Zahl der Witze in der NS-Zeit tatsächlich fundamentale Opposition signalisierte . Deshalb veröffentlichte der nach Frankreich geflohene Pazifist Ernst Friedrich 1934 eine Sammlung zeitgenössischer Bonmots . Der sozialdemokratische Redakteur Franz Osterroth, der zunächst in die Tschechoslowakei flüchtete, brachte als „Jörg Willenbacher“ 1935 eine weitere heraus . Doch Friedrich war auch skeptisch . Sein Berliner „Museum gegen den Krieg“ hatten 223 224 225 226

Vgl . Kap . V . Wöhlert, Politische Witze . S . a . Merziger, Nationalsozialistische Satire, 13, 244 f ., 318 f . Johnson, Der nationalsozialistische Terror, 279 ff .

3 . Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf‘

die Nationalsozialisten sofort zerstört, ihn selbst nach dem Reichstagsbrand Ende Februar kurzzeitig verhaftet . Er wusste, wie brutal Gewalt und Folter Menschen zum Schweigen brachten .227 Während Osterroth hoffte, dass die „Waffe der Waffenlosen“228 einen Aufstand gegen die NS-Regierung ankündigte, fiel Friedrich auf, dass nach der Ermordung Ernst Röhms vor allem Spott über dessen Homosexualität zirkulierte . Nur der Vollständigkeit halber nahmen beide einige Varianten auf . So übersetzten Bergleute im Ruhrgebiet das Pausenzeichen des Berliner Senders, den Refrain „Volk ans Gewehr!“, in: „A … an die Wand! Röhm geht durchs Land!“229 Witze über Homosexualität demonstrierten, wie ambivalent Kommunikation qua Witz war . Sie erlaubte einerseits, die ausschließlich machtorientierten Umschwünge der NS-Politik zu benennen . Der in die USA geflohene Marcus Ernst erzählte für das Harvard-Preisausschreiben einen Klassiker: Zwei Männer seien im Gefängnis gelandet, weil der eine vor dem 29 . Juni 1934 behauptet habe, dass Röhm homosexuell sei, und der andere nach dem 30 . Juni das Gegenteil .230 Man konnte sich andererseits aber auch als loyal erweisen, indem man Röhm auf diskursiv akzeptable Weise ausgrenzte . Auch der folgende Scherz irritierte das Bild einer auf Widerstand sinnenden Gesellschaft: „Eine große deutsche Zigarettenfabrik legte ihren Packungen Bilder der SA-Führer bei . Ein SA-Mann forderte seine Kollegen zu einer Wette auf und antwortete auf die Frage, welche denn: ‚Na ja, tot oder lebendig? Wer gewonnen hat, bekommt das Bild!‘“231 Sozialdemokraten im Exil warnten daher bereits 1933, dass die Zahl der NS-Anhänger/innen ebenso unterschätzt werde wie deren Rekrutierung aus dem sozialdemokratischen Milieu .232 Die Gestapo registrierte weit deutlicher als Beobachter aus dem Exil, dass die Bevölkerung jede Entwicklung sofort in Witze fasste, ohne sich unbedingt zu distanzieren . Nach der Bekanntgabe der Nürnberger Gesetze sammelte die Geheimpolizei zahlreiche Witze über die „Judenfrage“ . Die Bielefelder Bevölkerung etwa reagierte auf das Verbot für jüdische Deutsche, Hausangestellte unter 45 Jahren zu beschäftigen, mit dem Spruch, dass das Marienstift, ein Altersheim für Frauen, aufgelöst und die Bewohnerinnen als Hausangestellte für Juden arbeiten würden .233 Osterroth gab unter dem Titel „Rund um den Arierparagraphen“ wieder, wie entspannt die Mehrheitsbevölkerung die NS-Gesetze kommentierte, etwa indem sie Schiller verballhornte: „Drum prüfe, wer sich ewig bindet, ob sich kein Jud’ im Stammbaum findet .“234 Friedrich, Man flüstert, 4, 6–10 . Willenbacher, Deutsche Flüsterwitze, 6 f . 229 Ebd ., 29, s . a . 76 f . Friedrich, Man flüstert, 27, 16 f . 230 AZAB, bMs Ger 91 (151), Marcus Ernst, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30 . Januar 1933, 121 . 231 Willenbacher, Deutsche Flüsterwitze, 76 . 232 Moore, „Noch nicht mal zu Bismarcks Zeiten“, 180 . 233 Kulka/Jäckel, Juden in geheimen Stimmungsberichten, CD-ROM, Dok . Nr . 1311 . Landmann, Der jüdische Witz, 555, schrieb mit ihrer Version den Verfolgten Selbstironie zu: „Vielleicht können Sie mir statt dessen zwei Stück à dreiundzwanzig Jahre bewilligen?“ 234 Willenbacher, Deutsche Flüsterwitze, 33 . Manche ironisierten scheinbar den Rassismus: Brauche ein SA-Kämpfer eine Bluttransfusion, dürfe ein Jude Blut spenden, wenn er Frontkämpfer sei . Witze, die die Gestapo „wenig geschmackvoll“ fand, behielt sie für sich, Kulka/Jäckel (Hg .), Juden in geheimen Stimmungsberichten, CD-ROM, Dok . Nr . 1081 . 227 228

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Etliche Wendungen stammten aus der Zeit vor 1933 und wurden nur leicht umgeschrieben, als die demokratische Meinungs- und Willensbildung fortfiel . Spott über Hindenburg als regierungsunfähig war auch vor 1933 gängig .235 Auch die sog . „Beefsteak-Witze“ des „Außen braun, innen rot“ über die Kommunisten, die in den späten zwanziger Jahren in der Hoffnung in die SA eintraten, sie politisch drehen zu können, zirkulierten seitdem . Die Sprechakte versicherten auch in den ersten NS-Jahren, dass man in SA-Uniform Kommunist bleiben könne, weil alle es so machen würden .236 Eine zeitgenössische Variante lautete, dass ein ausländischer Journalist Thälmann im Gefängnis besuchen durfte, ihm anbot, ihm einen Gefallen zu tun, auch wenn er gefährlich sei, und Thälmann nach mehrfachem Zögern antwortete: „Wenn Sie durchaus für mich etwas tun wollen: bitte, grüßen Sie mir meine SA .“237 Die Variante war nach 1945 schwerer sagbar, weil Thälmann von 1933 bis 1944 inhaftiert blieb und dann ermordet wurde . Andere Versionen aber suggerierten nach 1945, dass man ‚dagegen‘, aber ‚machtlos‘ gewesen sei .238 Während des Krieges wiederum spielten deutsche und österreichische Emigrant/ innen eine wesentliche Rolle für die britische Auslandspropaganda . Die Zwangsemigrant/innen trugen dazu bei, dass die BBC ihren deutschen Sender von reiner Informationspolitik auf Unterhaltungssendungen umstellte . Sie waren in einer paradoxen Situation: Aufgrund ihrer Expertise und ihres Wissens um die deutschsprachige Kultur konnten sie vom Exil aus das Publikum erreichen, das sie im Herkunftsland nicht mehr hatten ansprechen dürfen .239 1938 bot die BBC zunächst eine „Stimme der Wahrheit“ mit politischen Kommentaren und Nachrichten in deutscher Sprache an . Ab 1940 entstand eine von dem Schauspieler Walter Rilla geleitete Unterabteilung, die das reine Informationsprogramm auflockern sollte .240 Der Umschwung reagierte darauf, wie erfolgreich heitere Unterhaltung in Deutschland war . Mit Erfolg: Einige Sendungen der BBC liefen die gesamte Kriegszeit und erreichten ein Millionenpublikum . Ikonisch wurden die Briefe des Gefreiten Adolf Hirnschal an seine Frau Amalia in Zwieselsdorf . Der österreichische Journalist und Kabarettist Robert Lucas (geboren als Robert Ehrenzweig) schuf die Figur, die an den Gefreiten Schwejk erinnerte: Er entlarvte die Widersprüche der deutschen Propaganda, indem er sie als vorgeblich biederer Nationalsozialist wörtlich nahm . Nebenbei lieferte Lucas Informationen über den Kriegsverlauf . Von Ende 1940 bis Mai 1945 jede Woche ausgestrahlt, erreichte die Figur Kultstatus in Deutschland, weil sie die dortige Selbstwahrnehmung traf .241 Denn die Sendung rief nicht zum Widerstand auf, sondern bestärkte das Selbstverständnis, ‚Opfer der Nationalsozialisten‘ und deshalb nicht verantwortlich zu sein . Hillenbrand, Underground Humour, 1 ff . Brown, Weimar Radicals, 119, 136 . Willenbacher, Deutsche Flüsterwitze, 74 . 237 Willenbacher, Deutsche Flüsterwitze, 75 . 238 Gamm, Flüsterwitze, 146: Ein „lebensmüder“ Mann habe dem Führer einer SA-Kolonne „Heil Moskau!“ zugerufen . Der habe nur eindringlich geflüstert: „Halt’s Maul, Mann; in der letzten Reihe marschiert ein Nazi!“ 239 Ganor, Fobidden Words, 3 . 240 Brinitzer, Hier spricht London, 107 . 241 Ganor, Forbidden Words, 12 ff ., auch zur ambivalenten Rezeption der jüdischen Sprecher/innen in England . 235 236

3 . Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf‘

Auf die Frage seines Kumpels Fritz Ziegenbart, wie man Deutschland ausrotten könne, antwortete Hirnschal am 6 . Juni 1942: Man müsse die Armee weit weg in die Sowjetunion schicken, Osteuropäer, die die Deutschen hassten, ins Reich senden, den USA den Krieg erklären und den Bombenangriffen im Reich tatenlos zusehen . Denn das könne sich nur jemand ausdenken, der Deutschland tatsächlich zerstören wolle .242 Dasselbe behauptete der gegen Kriegsende kursierende Witz, dass Hitler sich bei der deutschen Kapitulation den Schnurrbart abreiße und den Alliierten militärisch Meldung mache, seinen letzten „Geheimauftrag“ ausgeführt zu haben, nämlich die Vernichtung Deutschlands . In seiner Witzsammlung von 1967, die eine nichtjüdische Leidensgemeinschaft inszenierte, die Verfolgung gezielt trivialisierte und die Vernichtung ganz ausblendete, stellte Max Vandrey diese Variante ganz ans Ende .243 Mit dem dramatischen Finale speiste er die Deutung, eine einzige übermächtige Figur habe das Land von innen „vernichtet“ . Der kommunikative Vertrag, Teil eins: Partnerschaft auf Augenhöhe Das konsensbasierte autoritäre Regime funktionierte jedoch gerade deshalb so gut, weil viele Zeitgenossen mit Humor ernst genommen werden wollten . Indem sie aushandelten, wie das aussehen könne, und die Regierung scharf kritisierten, wenn sie den Ton verfehle, bearbeiteten sie auch Machtverhältnisse . Goebbels erklärte zwar im Völkischen Beobachter, dass Engagierte witzeln und sich auch mal beschweren dürften .244 Doch regten sich Stimmen aus der Bevölkerung hörbar auf, wenn sie fanden, er oder andere würden sich ihnen gegenüber im Ton vergreifen . Als die Brennessel die deutsche Gesellschaft 1934 verspottete, noch nicht auf der Höhe der Zeit zu sein, gab es so scharfe Reaktionen, dass die nationalsozialistische Satirezeitschrift schnell zurückruderte: Leser/innen kritisierten die Verantwortlichen als „Juden“, „Zuhälter“ und „Perverse“ .245 Es waren gerade irritierte NS-Anhänger/innen, die die geläufigen Denunziationsbegriffe gegen die eigene Elite wandten . Sie kannten die politische Sprache und deren Wirkung, Akteure und Handlungen als nichtdeutsch zu diskreditieren, und nutzten sie, um ‚angemessene‘ Kommunikation einzufordern . Forderte Goebbels einfach nur ein „Bekenntnis zum Führer“, statt zu spotten, erhielt er prompt gute Noten .246 Engagierte erinnerten an die ‚Vereinbarung‘, die sie getroffen hätten: Es sei „so viel netter“, mit Humor politisch „erzogen“ zu werden als mit langweiligen Parteiveranstaltungen und Schulungskursen .247 Ihre Botschaft bestätigte die erwähnten Meinungsumfragen: Sie wollten keine offene Propaganda, sondern Politik mit ‚lustiger Note‘ . Die Kurzfilme Tran und Helle etwa, die in der frühen Kriegszeit in der Wochenschau vor dem Hauptfilm liefen, offerierten eine theatralisch inszenierte, kontrollierbare Kom242 243 244 245 246 247

Lucas, Briefe, 84 f . Vandrey, Der politische Witz, 149 . Jelavich, Berlin Cabaret, 248 . Zit . nach Merziger, Humour in the Volksgemeinschaft, 132 . Meldungen, Bd . 4, 1032 . Zit . nach Stahr, Volksgemeinschaft, 179 .

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pensation für demokratische Diskussionen: Namentlich leicht verstehbar, diskutierten sie das Für und Wider der jeweiligen Politik .248 Zuschauer/innen schickten Vorschläge für Themen ein und kommentierten das Gebotene . Ratschläge im August 1940, wie man mit Kriegsgefangenen umgehen solle, wurden begrüßt; Hinweise, wie man generell zu Frankreich stehen solle, galten dagegen als „an den Haaren herbeigezogen“249 – die Redenden fühlten sich in ihrer politischen Kompetenz unterschätzt . Auch Klemperer notierte, wie schnell heiter formulierte Vorgaben wirkten . Das Wort vom „Kohlenklau“, mit dem die Regierung im Winter 1942/43 zum Sparen aufrief, sei sofort in Dresden zirkuliert .250 Weil Humor so gut ankam, überlegten die Behörden während des Krieges sogar, „Höflichkeitskampagnen“ in diesem Modus zu betreiben .251 Sie sollten sog . ‚Meckerer‘ einfangen, meines Erachtens aber auch den ständigen Appell zur Selbstermächtigung . Im Vernichtungskrieg drohte die Forderung, rücksichtslos vorzugehen, wenigstens zu Beginn die Disziplin in der Wehrmacht zu unterlaufen .252 Jovial-didaktischer Benimmunterricht im Reich konnte ähnlichen Gefahren unter Zivilisten vorbeugen, in jedem Fall aber ‚Meckerei‘ als unhöflich kritisieren . Doch beschloss im März 1943 ein Kreis um den Staatssekretär im Propagandaministerium und Goebbels-Vertrauten Leopold Gutterer, lieber zuverlässige Männer und Frauen zu engagieren, um die Stimmung in der Bevölkerung zu beobachten und im Zweifel handfest einzugreifen .253

Der kommunikative Vertrag, Teil zwei: Die Sensibilität für Machtbeziehungen Wie deutlich Zeitgenossen Spott als Indikator für Machtbeziehungen verstanden, zeigten auch die Reaktionen auf die Häme, die Politiker und Medien während des Krieges über die Alliierten ausgossen . Solange die Deutschen siegten, kam der Sarkasmus gut an . Protest gab es dann, wenn Einzelne ihren Beitrag zum Krieg nicht hinreichend gewürdigt fühlten oder der Hohn über die Alliierten die ersehnten konkreten Informationen über den Kriegsverlauf ersetzte Auch diese Sprecher/innen wandten sich nicht vom Krieg oder der NS-Gesellschaft ab, sondern wollten ihr Engagement honoriert wissen . Nach Kriegsbeginn hatte das Publikum zunächst Spaß an Hans Fritzsche, einem bekannten Radiokommentator und ab Ende 1942 Leiter der Rundfunkabteilung .254 Auch er kopierte Hitler: Fritzsches Markenzeichen waren sarkastische ‚Zwiegespräche‘ mit den Alliierten, in denen er das deutsche Überlegenheitsgefühl verkörperte . Auf dem Höhepunkt deutscher Macht 1940 freuten sich Hörer/innen, wenn er die Kriegs248 249 250 251 252 253 254

Stahr, Volksgemeinschaft, 178–180 . Meldungen, Bd . 5, 1518 . Klemperer, LTI, 111–115 . BArch, NS 18/40, „Mehr Höflichkeit“ . Böhler, Auftakt, 235, 245 . BArch, R 55/619, Bl . 5–6 . Zu Biographie und Publikumsreaktionen Bonacker, Goebbels’ Mann .

3 . Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf‘

gegner als „Phantasten“ und „Narren“ beschimpfte .255 Ein Hörer in Bayreuth begrüßte eine Persiflage von Duff Cooper im Mai 1940: „Der soll nur recht viel reden . Dann haben wir Unterhaltung und unsere Propaganda Stoff .“256 Doch als die Kriegslage unübersichtlicher wurde, verlor der Moderator an Gunst . Kritiker rieten ihm explizit, Sefton Delmer von der BBC nicht länger zu verspotten, weil das der Kriegslage nicht entspreche und es dem englischen Kollegen nur erleichtere, Fritzsche „lächerlich zu machen und durch den Cacao zu ziehen“ .257 So kommentierten sie nicht nur die politische Lage . Sie verstanden Spott als Ehrverletzung, die sie einsetzen, aber nicht selbst erfahren wollten . Zeitgenossen ärgerten sich aber auch, wenn sie ihre Leiden nicht gewürdigt fühlten, etwa wenn die Medien die Bombenangriffe bagatellisierten .258 Eine westfälische Gauzeitung redete 1942 Angriffe auf Bochum, Dortmund und Wattenscheid klein . Prompt zählten Anwohner/innen empört auf, dass die Engländer immerhin ein Großkaufhaus vernichtet, mehrere Hotels unbewohnbar gemacht, eine Zeche zum Stillstand gebracht und Verkehrswege unterbrochen hätten .259 So unterstrichen sie, wie gut sie die Probleme bewältigten . Berichteten die Medien dagegen über die Bombenschäden, dann hieß es, die Regierung beweise ihr „Vertrauen in die Bevölkerung“260 – die Redenden fühlten sich als Partner einer gemeinsamen Anstrengung gewürdigt . Wieder andere wollten endlich Siege sehen, statt immer nur dieselben Witze zu hören . Diese Akteure distanzierten sich häufig explizit vom Völkerrecht . Gegen England, so hieß es, solle die Führung endlich „dreinhauen, dass es kracht“ .261 Andere fanden Deutschland „zu anständig“, da in ihren Augen nur die Engländer gegen das Völkerrecht verstießen . Angesichts der englischen Bombenangriffe hielten sie „deutsche Ritterlichkeit“ für nicht mehr angemessen, wohl aber die Zerstörung englischer Wohngebiete262 und eine „grenzenlose Vergeltung“ .263 Als die Regierung die Bombardierung Londons abbrach, warfen Luftwaffenoffiziere Hitler prompt vor, „zu human“ und „zu gefühlvoll“ gewesen zu sein .264 Als in der Sowjetunion der nächste schnelle Sieg ausblieb, irritierte die Informationspolitik, da sie Superlative nun mit Vagheit kombinierte . Auch jetzt hielt die Be„Dumm geboren“, „nichts hinzu gelernt“, „alles vergessen“: „Politische Zeitungs- und Rundfunkschau“ vom 23 . Juli 1940, vgl . Meldungen, Bd . 5, 29 .7 .1940, 1427 . Vgl . Hitlers Reichstagsrede vom 19 . Juli 1940, Klöss (Hg .), Reden, 257 f . 256 Ein Hörer fand die Ironie über US-Botschafter Bullitt effektiver als Angriffe, weil sie ihn „menschlich“ erledige . Meldungen, Bd . 4, 3 .5 .1940, 1087 . Im September 1940 regte jemand an, alliierte Flugblätter mit dem Titel So haben sie gelogen zu publizieren, weil „hochtrabende Redensarten“ von der nahen deutschen Kapitulation so lustig seien, ebd ., Bd . 5, 1596 . Die Broschüre Wie sie lügen war bereits seit Oktober 1939 auf dem Markt, lief aber trotz Verschickung über die Parteigliederungen schlecht . BArch, NS 18/61, Bl . 17, 19–20 . BArch, NS 18/60, Bl . 28–30, 34 . Denn im Ersten Weltkrieg war ein solcher Spott zum Bumerang geworden . 257 Bonacker, Goebbels’ Mann, 91–117, Zitat 98 . 258 Ebd ., 95 . 259 Meldungen, Bd . 9, 12 .3 .1942, 3451 . 260 Ebd ., Bd . 5, 12 .9 .1940, 1565 . 261 Meldungen, Bd . 5, 1 .8 .1940, 1435 . S . a . ebd ., Bd . 5, 15 .8 .1940, 1471 . 262 Ebd ., Bd . 5, 12 .9 .1940, 1565 . 263 Ebd ., Bd . 5, 12 .9 .1940, 1563 . 264 Zit . nach Neitzel/Welzer, Einleitung, 9 . 255

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völkerung den Medien deren eigene Formeln entgegen . Sie wollte die Wahrheit über den Krieg hören265 statt Formeln wie „elastische Verteidigung“ oder „Pendeln der Front“, wie im Wehrmachtsbericht vom 13 . Dezember 1941 . Dazu hieß es süffisant, die Semantik erinnere an die englischen Berichte, die so „stark ironisiert“ würden .266 Verärgerte Zeitgenossen monierten ausdrücklich, dass die deutsche Regierung den englischen Premierminister für dessen Offenheit verhöhne .267 Diese Kritik riss nicht mehr ab . Wenn die Armee „planmäßige Bewegungen kämpfend“ ausführe, so ein empörter Kommentar im Februar 1943, wisse man nicht einmal, ob vorwärts oder rückwärts .268 Statt nach der Konferenz von Teheran im Dezember 1943 im 12-Uhr-Blatt die Schlagzeile „Hohngelächter antwortet den Nullen“ zu lesen,269 wollten Leser/innen wissen, was dort entschieden worden sei . Dennoch verschwand weder der Spott über die Alliierten noch die Bereitschaft des jeweiligen Publikums, mitzulachen . Als Hitler den gescheiterten englischen Landungsversuch in Dieppe im August 1942 karikierte, gab es beifällige Heiterkeit: … wenn wir zum Kaukasus vorstoßen, dann ist das nichts, wenn wir die Ukraine besetzen, wenn wir die Donezkohlen in unseren Besitz bringen, das ist alles nichts, wenn wir fünfundsechzig oder siebzig Prozent des russischen Eisens bekommen, das ist gar nichts, überhaupt nichts, wenn wir das größte Getreidegebiet der Welt dem deutschen Volk und damit Europa praktisch erschließen, gar nichts, wenn wir uns die Ölquellen dort sichern, das ist auch nichts (Publikum: hoho) . Alles das ist nichts . Aber wenn kanadische Vortruppen mit einem englischen kleinen Schwänzlein als Anhang nach Dieppe kommen und sich dort neun Stunden (hahahahahahaha, kollektiv) man kann schon sagen mühselig zu halten vermögen, um dann endgültig vernichtet zu werden (hahahahahahaha, kollektiv), dann ist das ein ermutigendes, staunenswertes Zeichen der unerschöpflichen siegerischen Kraft, die dem britischen Imperium zu eigen ist . (Hahahahahahahahaha bravoooooooooo, Beifall inkl . Lachen) .270

Der Ärger, England nicht besiegt zu haben, verschärfte noch die Häme .271 Der Münsteraner Kaufmann Albert Neuhaus, zu dem Zeitpunkt mit seiner Artillerieeinheit an der Ostfront, zitierte Goebbels in einem Brief an seine Frau: „Da kann man tatsächlich wie Jos . Göbbels (sic) sagen, ha, ha, ha! So etwas Hirnverbranntes kann man auch nur den Engländern zutrauen .“272 Hitler änderte seine Auftritte auch im weiteren Verlauf des Krieges nicht .273 Er erntete noch im September 1944 Heiterkeit, als er Parteifunkti-

Stahr, Volksgemeinschaft, 182, bereits für die Zeit davor . Meldungen, Bd . 9, 18 .12 .1941, 3103 . Ebd . Bd . 6, 12 .12 .1940, 1860 . 267 Meldungen, Bd . 9, 8 .1 .1942, 3135 . 268 Meldungen, Bd . 12, 1 .2 .1943, 4735 . 269 Ebd ., Bd . 15, 6113, 9 .12 .1943 . 270 Zit . nach Beck, Politische Reden, 21 f . 271 Der englische General MacArthur habe keine „hinreißende(n), sondern höchstens ausreißende Fähigkeiten“, zit . nach Domarus (Hg .), Hitler, Bd . 2/II, 1875, Rede vom 26 .4 .1942 . 272 Zwischen Front und Heimat, 21 .8 .1942, 592 . 273 Pyta, Hitler, sieht einen Verhaltenswandel zu einer textorientierten Vorgehensweise . 265 266

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onäre in München spöttisch an das Verschwinden der Zeitungen Münchner Post und Bayrischer Kurier nach der Machtübernahme erinnerte .274 Doch achteten die Instanzen sorgfältig darauf, ob die Bevölkerung mit der oder über die eigene Propaganda lachte . Wenn das Publikum gestellt wirkende Wochenschauen verspottete, kam sofort die Mahnung, solche Bilder zu vermeiden .275 Denn Ironie ließ das ‚lustige Volk‘ eher kollabieren als punktuelle Kritik . Entsprechend arbeitete die Wehrmacht bis Kriegsende daran, die ersehnte Mischung von Information und Unterhaltung zu liefern, um authentisch zu wirken .276 Sie engagierte Soldaten als ‚Künstler-Krieger‘, die auch dann noch Vertrauen einflössten, als die offizielle Berichterstattung zur militärischen Lage an Überzeugungskraft verlor . Verfolgte dagegen schöpften Hoffnung, als die Deutschen den Kriegsverlauf immer gewundener umschrieben . In ihrem Brieftagebuch erzählte die Holländerin Mirjam Bolle, die nach Bergen-Belsen deportiert und in letzter Sekunde durch einen Austauschtransport nach Palästina gerettet wurde, im März 1943 einen Witz über einen holländischen Nazi . Dieser füttert ein Kaninchen liebevoll fett, findet aber, als er es zum Schlachten holen will, nur noch den Zettel vor: „Planmäßig geräumt“ .277 Der kommunikative Vertrag, Teil drei: Die Erwartungserwartung aushandeln Eliten und überzeugte Mitglieder der Bevölkerung erwarteten voneinander, sich gegenseitig scherzend zu bestätigen . Dennoch führte der ambivalente Charakter vieler Sprechakte und die zeitgenössische Begeisterung fürs Denunzieren dazu, dass Witze auch für engagierte Nationalsozialisten zu Treibsand werden konnten . Manchen gelang es jedoch, die Selbstdarstellung als ‚heitere Deutsche‘ noch vor Gericht einzusetzen . Die meisten Verfahren wegen sog . ‚politischer Witze‘ gingen auf Denunziation zurück, doch hingen Strafen primär davon ab, wie die Richter die Person beurteilten .278 Gemessen an der großen Zahl der Witze, die die Gestapo kannte, verfolgte sie relativ wenige Nichtjuden unter dem sog . Heimtücke-Paragraphen . Hier operierte sie weniger mit offener Repression als dem Unsicherheitsfaktor, ob sie zuschlagen würde .279 Wer dagegen wirklich nicht mitmachte, auch so eingeschätzt wurde und dann noch witzelte, musste mit allem rechnen . Ein 28jähriger Dekorateur verspottete 1938 die Nürnberger Gesetze als unbegründetes Zeug, das über einen Nürnberger Trichter in die Köpfe gepfropft werde . Ein NS-Gericht verurteilte ihn zu drei Jahren Zuchthaus und fünf Jahren Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte .280 Wer prinzipiell ‚dazugehörte‘, konnte jedoch vorbringen, nur scherzend das ‚heitere Volk‘ realisiert zu haben . Den Gipser Georg Burkart sprach das Sondergericht Mün274 275 276 277 278 279 280

Vgl . Beck, Politische Reden, 24 . Meldungen, Bd . 3, 740 f . Vgl . Kap . IV .4 . Bolle, Tagebuchbriefe, 92 . Wöhlert, Der politische Witz . Mechler, Kriegsalltag, 81 . Przyrembel, ‚Rassenschande‘, 483 . S . a . Mechler, Kriegsalltag, 85–88 .

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chen 1935 frei, nachdem er einen oft variierten Witz erzählt hatte: Ein Mann kaufte Bilder von Hitler, Göring und Goebbels und merkte zu Hause, dass nur das Hitlerbild eine Öse zum Aufhängen habe . Zurück im Laden, erklärte ihm die Verkäuferin, dass Hitler aufgehängt und die beiden anderen an die Wand gestellt gehörten . Das Gericht hielt zwar den Witz für gehässig, aber nicht die Gesinnung des Angeklagten . Es glaubte ihm, dass er oft Witze von anderen gehört habe und nur zur Unterhaltung habe beisteuern wollen .281 Das galt auch noch während des Krieges .282 Zwar führten die Behörden das Hören von ‚Feindsendern‘ als neuen Straftatbestand ein, es gab mehr Gerichtsverfahren, und die Strafen wurden ab 1943 von durchschnittlich sechs auf zehn Monate Gefängnis erhöht .283 Doch erhielt der 1896 geborene Michael Merk 1944 ‚nur‘ sechs Monate Gefängnis . Er hatte auf die Frage, wann der Krieg beendet sei, geantwortet, wenn Hitler wieder in Landsberg säße und ein neues Buch schreibe mit dem Titel Mein Irrtum . Das Gericht hielt das zwar für eine „unverschämte“ Aussage, die Hitler massiv herabsetze . Aber es betonte Merks Kriegsdienst mit Auszeichnung und ein kriegsbedingtes Leiden . Merk galt nicht als „Staatsfeind“, sondern als politisch unauffälliger „Schwätzer“, der wirklich glaube, nur einen Scherz nacherzählt zu haben .284 War jemand aber normativ vorverurteilt, gab es andere Strafen . Den Wagnergehilfen Franz Prinz verurteilte ein Sondergericht in München 1944 für das Hören des Senders Beromünster und für das Singen des gängigen Liedes „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei, im Frühjahr der Führer, im Mai die Partei“ zu zwei Jahren Zuchthaus; denn er galt als „haltloser“ Trinker .285 Doch blieb in einem zweiten Schritt auch der Inhalt wichtig . Denn für eine andere Variante als die, die Burkart 1935 straffrei erzählt hatte, erhielt August Greiter zeitgleich drei Monate Gefängnis: Sie verweigerte Hitlers Zugriff auf die Passionsgeschichte . Ein Verurteilter habe sich als letzte Gnade Bilder von Hitler und Goebbels erbeten, die er rechts und links von sich aufhängen wollte, um dann ruhig zwischen zwei Verbrechern zu sterben . Greiter markierte die politische Führung explizit als Verbrecher und sich als Opfer . Prompt lieferte der Richter eine bemühte Unterscheidung zwischen „nicht zersetzenden“ Witzen, die „in humorvoller Weise“ die tatsächlichen oder vermeintlichen Schwächen großer Männer thematisierten und unproblematisch seien, und „humorlosen“ Witzen, die den Betroffenen ‚missachteten‘ und deshalb „zersetzend“ seien .286 Während des Krieges verhängten die Gerichte auch die Todesstrafe, etwa wenn es hieß, dass ein sterbender Soldat wissen wolle, für wen oder was er sterbe, woraufhin Bilder von Hitler und Göring neben ihn gestellt wurden und er kommentierte, dass er nun wie Christus sterbe .287 Der Sprechakt verweigerte die Deutung von Hitler als kämpfendem

StAM, Staatsanwaltschaften, 8192 . Z . B . StAM, Staatsanwaltschaften, 10468 . 283 Generell Dörner, „Heimtücke“ . 284 StAM, Staatsanwaltschaften, 13849 . 285 StAM, Staatsanwaltschaften, 12857 . 286 StAM, Staatsanwaltschaften 8194, Unterstreichung im Original . Bauer, Sprache, 174, für Urteile bis zu zwei oder gar vier Jahren, wenn jemand Hitler als „Gottesgeißel“ bezeichnete . 287 Rapaport, Laughter, 254 f . 281 282

3 . Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf‘

Messias und implizierte, dass nur der sich mit Jesus vergleichen dürfe, der tatsächlich als Soldat sterbe . Auch Kommentare über Hitlers Männlichkeit waren riskant . Wie erwähnt, war es gefährlicher, ihn als homosexuell oder impotent zu beschreiben, als seine Ehe- und Kinderlosigkeit zu karikieren .288 Letzteres passte zum Bild des Messias, der sich für sein Volk opfere, indem er auf eine eigene Familie verzichte . Homosexualität dagegen bedeutete angesichts von Sexualität als Ordnungserzählung, Hitler als ‚nicht männlich‘ darzustellen und ihm den Anspruch auf politische Führung abzusprechen . Den Steinbrucharbeiter Karl Schade aus Enzen verurteilte das Sondergericht Hannover im April 1939 zu einem Jahr Gefängnis . Er hatte Hitlers Anspruch, ein idealer deutscher Mann zu sein, mit dem Trinkspruch verspottet, Hitler sei „kein Mann, sondern halb Weib halb Mann“ und „selbst nicht arisch“ .289 Briefschreiber/innen während des Krieges wiederum streuten Distanzierungsformeln ein, um die schwer kontrollierbare Rezeption ihrer Scherze einzufangen . Auch wer die Kriegspropaganda ironisierte, konnte sich so als Teil eines ‚lustigen Volkes‘ geben, das Probleme scherzend bewältige . Stereotyp hieß es, man habe einen Witz gelesen oder gehört,290 und wahr sei er natürlich auch nicht, aber komisch . Dr . Hans E . schützte sich gegen den Heimtücke-Vorwurf, indem er seine Pointe sofort kommentierte . Er erzählte aus einem Münsteraner Luftschutzbunker: „Tünnes fragt Schäl: ‚Sag‘, verlieren wir diesen Krieg?‘ ‚Nee‘, sagt Schäl, ‚den behalten wir‘ .“ Er fügte prompt hinzu: „Wenn es so auch nicht kommen wird, ist der Witz doch ausgezeichnet .“291 Den Witz schriftlich weiterzugeben, deutete aber auch an, dass er sich nicht wirklich bedroht fühlte, wenn er so redete . Schließlich zeigten sich die oft diskutierten Differenzen zwischen NS-Instanzen auch in der Frage, was wie zu ahnden sei, wobei sie in diesem Krieg die Grenzen im Reich enger zogen als an der Front . So regten sich Gauleitungen im Herbst 1942 wochenlang über den Spruch „Nicht ärgern, nur wundern“ auf, der auf Wandkacheln nicht nur in Gaststätten, sondern auch Dienststellen hing . In Heilsberg in Ostpreußen entfernte die SA Kacheln aus dem Schaufenster des Glasermeisters Schulz, während die Gauleitung empfahl, „schärfstens“ gegen die Herstellerfirma Müller in München vorzugehen .292 Das OKW aber empfahl die Devise im Februar 1942 in seinen Mitteilungen für die Truppe als Durchhalteparole,293 das Artillerieregiment 183 verwandte sie in einer Bierzeitung von 1940–41 .294 Einen größeren Sagbarkeitsspielraum hatten auch Eisenbahner, die das Regime für den Krieg brauchte . Das „Lied der Eisenbahner im 288 289

ihn .

Dörner, „Heimtücke“, 192 . Zit . nach Werner, Die kleinen Wächter, 530 . Ein Mieter, dem Schade gekündigt hatte, denunzierte

Ein Soldat schickte während der Belagerung von Leningrad das Scherzgedicht, dass Weihnachten ausfalle: Josef sei Soldat in Russland, Maria im Pflichtjahr, das Christkind evakuiert, die drei Weisen bekämen keine Einreiseerlaubnis usw . und wegen des Esels lohne es nicht, ergänzt mit: „So steht’s geschrieben in einem Bunker .“ BfZ, Sammlung Sterz, Otto J ., 7 .11 .1941 . 291 BfZ, Sammlung Sterz, Dr . Hans E ., Münster, 19 .4 .1942 . 292 BArch, NS 18/522, Bl . 42–45 . 293 BArch MA, RW 4/1262, MfT, Nr . 175, Febr . 1942, 2 . 294 BArch MA, MSG 2/2051, Bierzeitung des Art .-Reg . 183, 83 . Inf . Div ., 1940–41, 8 . 290

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Osten“, auf Ende 1941 datiert, mokierte sich nicht nur über die mangelnde Versorgung aufgrund einer Kriegsplanung, die den Winter nicht eingerechnet habe . Es ließ auch den Kameradschaftsmythos implodieren, denn es warf der Wehrmacht vor, knappe Güter nicht zu teilen . Der Text wurde im Februar und März 1942 gleich mehrfach denunziert, die Behörden schoben ihn jedoch nur hin und her . Erich Jaißer vom Verkehrsministerium nahm die Eisenbahner in Schutz . Er wies den Leiter des Reichspropagandarings, Walter Tießler, auf unklare Kommandoverhältnisse hin und versicherte, die Männer fühlten sich nur nicht hinreichend gewürdigt, würden aber weder gegen den Krieg noch ihre Arbeit protestieren . Letztlich hofften alle auf deutsche Siege, um die Stimmung und damit auch die Zusammenarbeit zu verbessern .295 Denn Eisenbahner transportierten nicht nur Nachschub und Soldaten, sondern auch die Verfolgten in die Lager . Der kommunikative Vertrag, Teil vier: Autoritäre Herrschaft als Abgabe von Verantwortung Dass vielfache Denunzieren zeigte, dass Mitglieder der Mehrheitsbevölkerung weiterhin vom Staat erwarteten, Dinge zu ‚klären‘, die ihnen nicht gefielen . Dieselbe Disposition verrieten aber auch zahllose Witze über Hitler, Göring oder Goebbels: Die Sprechakte verschoben die Verantwortung für jedes Handeln auf eine kleine, namentlich benennbare Elite . Zeitgenossen traten auf diese Weise als ‚Opfer‘ weniger NS-Granden auf, deren Handeln sie nicht beeinflussen, sondern nur erleiden könnten . Vor allem diese Kommentare waren nach 1945 nicht nur sagbar, sondern Trumpf . Denn sie machten vergessen, wie die Gesellschaft die Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik getragen und umgesetzt hatte . Aber auch in der NS-Zeit selbst positionierten sich Erzähler/ innen auf diese Weise keineswegs nur als hilflos, sondern auch als politisch gut informierte Öffentlichkeit . Zahlreiche Hitlerwitze lassen zwar ohne Kontextwissen keine Aussage zu, ob sie fundamentale Kritik spiegelten oder nicht . So wurde Hitler als Schwundstufe gegenüber berühmten Vorgängern verspottet, indem man einen „Hitlerhering“ folgendermaßen erklärte: „Wir nehmen einen Bismarckhering, reißen ihm das Maul auf, nehmen ihm das Gehirn heraus und der Hitlerhering ist fertig!“296 Eine andere Variante beschrieb Hitler als „Schweinehund“: Der unerkannt bleibende Führer erfahre von Hofbesitzern, dass sie nur die fiesen Hofhunde auf den Namen Adolf tauften .297 In jedem Fall aber schrieben auch diese Witzerzähler Hitler die Verantwortung zu . Beliebt war auch, jede Handlungsmöglichkeit gegen das deutsche Regime nur den Alliierten zuzuweisen: „Hitler, Himmler, Göring und Goebbels sitzen im Luftschutzbunker . Ein Volltreffer . Wer ist gerettet? Das deutsche Volk .“298 In manchen ‚Scherzen‘ blitzte zwar das Wissen auf, wer tatsächlich welches Leid erlitt, etwa in der Frage: „Worin 295 296 297 298

BArch, NS 18/569, Lied der Eisenbahner im Osten, Bl . 1–6 . Willenbacher, Deutsche Flüsterwitze, 14 . Oder: „Ein Bismarckhering ohne Kopf “, ebd . Ebd ., 15 f . Danimann, Flüsterwitze, 50 .

3 . Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf‘

besteht der Unterschied zwischen einem Krematorium und einer Versammlungshalle? Im Krematorium wird man verbrannt, in der Versammlungshalle nur verkohlt .“299 Wie selbstverständlich es aber war, sich selbst als Opfer zu verstehen, signalisierte ein Hamburger Anfang 1945 . Er beschwerte sich darüber, dass die Alliierten so lange bräuchten, um den Krieg zu gewinnen . Als klar war, dass die Deutschen den Krieg weder siegreich noch von sich aus beenden würden, verschob er die Verantwortung für das Ende der Kämpfe von der einen politischen Elite auf die andere und beschrieb zugleich die Vorkriegsgesellschaft als erstrebenswert: „Jetzt aber soll der Tommy kommen und Schluss machen, damit wir wieder ein vernünftiges und geordnetes Leben führen können .“300 Göringwitze wiederum karikierten vordergründig gerne dessen Eitelkeit und Ordenssucht . Doch lebten die Sprechakte von seiner Gewaltbereitschaft . Er galt selbstverständlich als Drahtzieher des Reichstagsbrandes,301 und auch wer außenpolitische Machtansprüche thematisierte, brachte ihn gerne ins Spiel . So hieß es, Hitler habe, um den Papst zu gewinnen, zuerst Papen, dann Goebbels nach Rom geschickt, aber vergeblich . Dann sandte er Göring und erhielt nach drei Tagen das Telegramm: „Aufgabe erledigt . Papst tot . Vatikan brennt . Tiara passt . Dein Heiliger Vater .“302 Das mochte zum Gelächter über den Macht- und Ordenssüchtigen einladen . Telegrammstil und Inhalt aber priesen die Effektivität eines Mannes, der gewaltsam handele, statt zu reden . Während zahlreiche Witze Hitler als Aufschneider, Irren oder Leichtgewicht persiflierten, waren andere so doppelbödig wie die Faszination mit Göring . Wer die Zerstörung der Demokratie oder die Ausschaltung der SA mit dem Satz kommentierte: „Die deutsche Reichsverfassung wird geändert und durch einen einzigen Paragraphen ersetzt: Der Führer ernennt und erschießt die Minister,“303 mochte auch Genugtuung suggerieren, eine ‚schwache‘ Zivilgesellschaft mit ihrem parlamentarischen ‚Gerede‘ endlich hinter sich gelassen zu haben . Witze über Himmler und die SS aber waren immer eindeutig: Sie verwiesen auf Tod und Mord . Während Nachkriegssammlungen Hitler, Göring und Goebbels ganze Kapitel widmeten, nahmen sie Himmlerwitze seltener auf . Doch waren sie weder zeitgenössisch noch im Nachhinein eine Leerstelle,304 sondern transportierten unverschlüsselt das soziale Wissen der Bevölkerung . Vandrey streute 1967 einige Aussagen ein, die das grausame deutsche Vorgehen als Witz präsentierten . Ein Einzeiler attestierte Himmler die Ungerührtheit, die dieser in seiner berüchtigten Rede in Posen 1943 gefordert hatte: „Und auch bei der achten Leiche bleibt sich Heinrich stets der gleiche .“305 Auch den häufiger auftauchenden Glasaugen-Spruch druckte Vandrey kommentarlos ab: Bei einer Razzia im Generalgouvernement habe ein SS-Mann einem Juden, der dabei „aufgegriffen“ worden sei, das Leben versprochen, wenn er errate, welches Auge des SS-Mannes ein Glasauge sei . Der Gefragte lag richtig, mit dem Argument, es habe ihn so 299 300 301 302 303 304 305

Ebd ., 16 . Zit . nach Wette u . a . (Hg .), Das letzte halbe Jahr, Dok . 88, 397 . S . a . Steinert, Hitler, 569 . Willenbacher, Deutsche Flüsterwitze, 8 f . Meier/Sellin, Vox populi, 42 . Ebd ., 10 . Wöhlert, Der politische Witz, 117, meint dagegen, Himmler sei zu „schrecklich“ für Witze gewesen . Vandrey, Der politische Witz, 111 .

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

menschlich angeblickt .306 Die Vernichtungsgewalt zirkulierte somit auch in der Nachkriegszeit im und als Scherz . Andere Sprechakte vermittelten das zeitgenössische Wissen in der Sinnstruktur des ‚Die da oben – wir hier unten‘: „Was unsere Führer doch so alles für uns tun: Hitler stiehlt für uns, Himmler mordet für uns, Göring frisst für uns, Goebbels lügt für uns und Heß bittet für uns .“307 Die SS hatte ausdrucksstarke Spitznamen wie „Seine Sadisten“ oder „Himmlersche Heerscharen“ . Irene Dahlgrün hoffte auf eine Kriegswende, als sie im Dezember 1944 aus der Mark Brandenburg schrieb: „Unser Gunter gehört nun auch zu den himmlischen Heerscharen (Volkssturm) und macht tüchtig Dienst . Es muss ja nun alles gut werden, wenn jeder schießen kann und darf .“308 Die Struktur der Hitler-, Göring- oder Himmlerwitze änderte sich nicht . Sie erlaubte während und nach der NS-Zeit, Politik als Handlungsfeld und Verantwortung einer kleinen Elite zu entwerfen . Die Politikkommentare wurden zwar in dem Maße bissiger, in dem sich die Infrastruktur in Deutschland auflöste . Doch entlasteten sie die Redenden weiterhin von jeder Verantwortung . Nach 1945 verwandelten sie diese Deutung von Gegenwart in das dominante Konstrukt von Vergangenheit . Dabei blendeten Witzerzähler/innen auch aus, dass sie trotz der Empörung über die NS-Regierung, die ihre Versprechen nicht gehalten habe, darauf beharrten, dass nur sie ihre Regierung verspotten dürften; sie setzten sich noch auf diese Weise als geschlossene Gesellschaft in Szene . Die parallele Empörung über ein ‚Gelächter der Anderen‘ aber signalisierte, dass nicht alle die Herrschaft über andere missen wollten . Das ‚Gelächter der Anderen‘ Denn als Zeit und Raum wieder eng wurden für den deutschen Machtanspruch, explodierte ein wütender Hass auf diejenigen, die die Shoah und den Vernichtungskrieg überlebten – nicht nur, weil sie Zeugen des Holocaust waren, sondern weil sie den Zerfall der deutschen Herrschaft auf subjektpolitischer Ebene repräsentierten . Besonders während des letzten Kriegsjahres registrierten Deutsche ein ‚Gelächter der Anderen‘, bei dem offenbleiben muss, ob es tatsächlich zu hören war . Ihre Wortwahl zeigte jedoch einmal mehr, wie selbstverständlich der Topos vom Lachen den Anspruch reflektierte, über Identität zu verfügen . Wer ein ‚Lachen der Anderen‘ hörte, empörte sich darüber, dass diese Herrschaft über andere kollabierte . Die Mehrheitsgesellschaft beanspruchte in der gesamten NS-Zeit mit der Semantik vom Gelächter, im Recht zu sein, so oft Einzelne auch den Bruch zwischen einer herkömmlichen Kriegsmoral und dem Vernichtungskrieg als Problem empfanden .309 Das Reden über ‚deutsche Gerechtigkeit‘ und ‚deutschen Anstand‘ prägte die Selbstverstän306

ling .

Vandrey, Der politische Witz, 127 . Bei Wiener, Als das Lachen, 16, befragte Himmler einen Häft-

Danimann, Flüsterwitze, 51 . BfZ, Sammlung Sterz, Irene D ., z . Zt . Beeskow/Mark, 12 .12 .1944 . Ein Offizier kommentierte die Sondermeldung vom 10 .09 .1943, deutsche Truppen hätten den „Schutz“ des Vatikans übernommen, nun sei der Papst dem Himmler näher als dem Himmel, Wiener, Als das Lachen, 16 . 309 Dazu hier nur Werner, „Hart müssen wir hier draußen sein“, 5 f ., 25 . 307 308

3 . Humor als ‚kommunikativer Vertrag‘: ‚Ein Volk, das sich beschweren darf‘

digungsprozesse während des Krieges, intensivierte sich aber noch einmal, als die Front zu bröckeln begann . Die NS-Führung hatte angesichts der lebhaften Kommentare aus der Bevölkerung immer sorgfältig darauf geachtet, wie diese über das Verhältnis von Recht und Gewalt dachte . Bei Kriegsbeginn eruierte der SD, wie gut sich die Mehrheitsgesellschaft mit Rechtsgrundsätzen im Krieg auskenne . Im Juni 1940 hob er kursiv das Ergebnis hervor: Viele wüssten nichts über international festgelegte rechtliche Regeln der Kriegführung, etwa im Umgang mit Kriegsgefangenen .310 Ab 1944 stachelte die sog . wehrgeistige Führung die Kampfbereitschaft deutscher Soldaten an, indem sie ihnen regelmäßig versicherte, sie hätten im Gegensatz zu ihren Gegnern ein ausgeprägtes „Rechtsbewusstsein“ .311 Die Frontzeitung Kamerad am Feind erneuerte die Opfer-Täter-Verkehrung im November 1944 . Sie sinnierte eineinhalb Seiten lang, dass die Deutschen eher „zu anständig“ gewesen seien bei ihrem Vormarsch in Russland, obwohl sie oft „betrogen“ worden wären . Zu den deutschen Tugenden zählte sie „deutsche Gerechtigkeit“ .312 Oberleutnant Peter G . hoffte auf göttlichen Beistand, damit die Deutschen „Gerechtigkeit“ erführen – für sein NS-Credo, es komme nicht darauf an, wo, sondern dass man die Front halte .313 Unteroffizier Otto D . sprach umgekehrt Juden jeden Sinn für Gerechtigkeit ab . Seiner Frau erklärte er, dass sie siegen müssten, weil „die Juden“ sonst alles „ausrotten“ würden, was „deutsch“ sei, ein „furchtbares und grausames Hinmorden .“314 Gerade die kollektive Umdeutung von Gerechtigkeitsmaßstäben entsetzte die Betroffenen . Kurz vor der Auflösung des Ghettos von Lodz appellierte ein Tagebuchschreiber an seinen Gott, dass er doch verstehen müsse, dass nicht die Verfolgten die Sünder und die Deutschen der Messias seien .315 Wer auf deutscher Seite im Laufe des Krieges das eigene Leiden betonte und nach ‚Gerechtigkeit‘ rief, hörte nicht auf, Gegner und Verfolgte im ‚Unrecht‘ zu sehen . Leutnant Hans Helmut C . beschwor nach der Invasion im Juni 1944, dass die vielen Opfer deutscher Nichtjuden nur einen tieferen Sinn haben könnten: Es müsse derjenige im „Kampf um das nackte Leben“ siegen, der „im Recht“ sei, und das seien die Deutschen; auch wenn die Gegner mehr Material hätten, hätten sie noch lange nicht Recht .316 Die Feldpostprüfstellen meldeten ab Herbst 1944 die ganze Bandbreite der Stimmungen, darunter auch Sätze wie: „Was haben wir verbrochen, daß es uns so schlecht geht .“317 Ein Infanterist war im August 1944 so durchdrungen vom Rechtsanspruch, dass er sich wunderte, warum die rumänische Bevölkerung die Deutschen so hasste, „trotzdem wir doch nur Gutes für sie taten“ .318 Der bis zuletzt überzeugte Nationalsozialist Fred Wirrer, der in den Kämpfen um Berlin fiel, verstand nicht, warum die Rote Armee die Deutschen ins eigene Land verfolgte . Er schrieb seiner Frau am 8 . April 1945, dass er zu 310 311 312 313 314 315 316 317 318

Meldungen, Bd . 4, 13 .6 .1940, 1250 . S . a . Kühne, Belonging, 96 . BArch MA, RH 13/72, Unterlagen zur wehrgeistigen Führung der Truppe, Nr . 17, Jan . 1944 . Neben Bescheidenheit, Treue und Ehrlichkeit, Kamerad am Feind, Nr . 89, 10 .11 .1944 . BfZ, Sammlung Sterz, Oberleutnant Peter G ., 16 .8 .1944 . BfZ, Sammlung Sterz, Unteroffizier Otto D ., 16 .8 .1944 . Friedländer, Jahre der Vernichtung, 661 . BfZ, Sammlung Sterz, Leutnant Hans Helmut C ., 20 .6 .1944 . BArch MA, RH 13/49, Bl . 114 . BfZ, Sammlung Sterz, R ., 28 .8 .1944 .

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ihr „rasen“ wolle, „an den Feind, an diese Hunde, die so weither kommen, denen wir nichts getan, und die uns gleich zertreten wollen .“319 Die deutsche Energie gegen Kriegsende spiegelte daher nicht nur „Kraft durch Furcht“,320 den Wunsch zu überleben und die Hoffnung auf Frieden . Sie reflektierte auch die Empörung, dass eine ‚gerechte‘ Herrschaft zu Ende gehe . Wohl signalisierte die Angst, nun zur Rechenschaft gezogen zu werden, bei manchen ein rudimentär vorhandenes Unrechtsbewusstsein . Doch trat es erst zu Tage, als die deutsche Macht erkennbar bröckelte . Als die Front auf Sobibor vorrückte, fragte der dort eingesetzte Franz Wolf einen „Arbeitsjuden“: „Was wirst du nach dem Krieg mit mir machen, wenn du mich triffst?“321 Einen entscheidenden Hinweis, warum die deutsche Gesellschaft bis zuletzt eine so hohe Bindekraft entwickelte, lieferten dagegen diejenigen, die Flüchtlinge aus den Konzentrationslagern oder anderen Räumen des Terrors den Mordformationen wieder in die Arme jagten .322 Das Ende des Systems würde ihren privilegierten Subjektstatus beenden . Gerade das Reden vom Gelächter verriet, dass die deutsche Herrschaft nicht nur auf Territorien und Gesellschaften zielte, sondern auf Subjekte, deren Blicke, Mimik und Gestik sie kontrollieren wollte .323 Die Besessenheit mit dem ‚Gelächter der Anderen‘ reflektierte die Angst, die Verfügungsgewalt über Menschen, Zeit und Raum wieder zu verlieren . In Mysłowice in Oberschlesien, das 1922 Polen zugesprochen und 1939 von Deutschland annektiert worden war, beschwerte sich Unteroffizier A . M . im August 1944, dass er es sich „in Deutschland“ gefallen lassen müsse, dass „die anderen Herren“ sich „aufspielten“ . Nachdem die Deutschen „die ganzen Jahre gekämpft und gelitten“ hätten – so seine Opferdeutung -, müsse er Schützengräben ausheben, während zwei Ukrainer „so große Bogen spucken“ würden, dass er nicht wisse, ob er noch „zu Deutschland oder schon zu Russland“ gehöre .324 In den Konzentrationslagern hebelten Häftlinge unter Lebensgefahr den Anspruch der SS aus, über die Identität der Deportierten zu verfügen . Am 14 . Juli 1944 etwa trugen französische Gefangene in Bergen-Belsen Kleidung in ihren Nationalfarben .325 Doch drang wenig davon nach außen . Als Zwangsarbeiter/innen, Kriegsgefangene und andere Nichteinheimische aber Anfang 1945 in Berlin ihre verordneten Nationalitätsabzeichen abnahmen und sich in ihren eigenen Sprachen verständigten – aus Sicht der Einheimischen „frech und höhnisch“ über die Zerstörungen in Deutschland -,326 verweigerten sie gleich mehrfach sicht- und hörbar den deutschen Zugriff auf ihr Selbstverständnis . Nach der Auflösung des SD 1944 waren Wehrmachtsoffiziere in der sog . „Mundpropaganda“- Aktion damit beauftragt, die Stimmung der Bevölkerung zu sondieren .327 Sie notierten regelmäßig die Wut der Einheimischen über ein solches Ver319 320 321 322 323 324 325 326 327

Wirrer (Hg .), Ich glaube, 320 (kursiv MK) . Dazu Wette, Zwischen Untergangspathos, 10 . Zit . nach Berger, Experten der Vernichtung, 315 . Zu diesem Verhalten u . a . DeMerit, Representations of History . Christ, Dynamik, 239 ff ., zur „Erziehung des Blicks“ und zum Lesen körperlicher Zeichen . BArch MA, RH 13/49, Bl . 92 . Laqueur, Bergen-Belsen Tagebuch, 73 . Vgl, Kap . IV .5 . Vgl . Wette u . a . (Hg .), Das letzte halbe Jahr, Dok . 72, 217; Zitat Dok . 79, 290 . Dazu Berghahn, Meinungsforschung im „Dritten Reich“ .

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halten der Nichtdeutschen . Wenn die Beherrschten ihr Selbstverständnis markierten, indem sie das ihnen aufgezwungene Zeichen der Deutschen abnahmen, untergruben sie Hierarchien, die selbstverständlich schienen . Die deutsche Empörung entzündete sich zum einen daran, Dinge tun zu müssen, zu denen man jahrelang andere hatte zwingen können . Zum anderen ging es darum, dass die bis dato Kontrollierten nun ihrerseits auf Zeit und Raum zugriffen – zumindest in der deutschen Wahrnehmung . Seit 1944 schwoll die Zahl der Lagerinsassen im Deutschland der Grenzen von 1937 noch einmal enorm an, auch durch die sogenannten Todesmärsche aus weiter östlich gelegenen Konzentrationslagern . Die Bevölkerung nahm die Anwesenheit deutlich zur Kenntnis . Allerdings realisierten viele, dass es nicht mehr opportun sei, von ‚Juden‘ zu sprechen . Sie wechselten bereits vor Kriegsende zum Sammelbegriff „Ausländer“, der Unterschiede zwischen Personengruppen einebnete .328 Die Deutungsstruktur blieb jedoch dieselbe, nämlich ein rigoroses Nullsummendenken . Dass die bisher Beherrschten nun eigene Handlungsmöglichkeiten eroberten, verstand die deutsche Bevölkerung als totalen Verlust für sich selbst . So kritisierten Berliner, dass „meist sehr gesund aussehende Ausländer“ in Kinos anzutreffen wären, so dass ‚Deutsche‘ keinen Platz fänden .329 Sie sahen ‚Ausländer‘ scheinbar unkontrolliert zu allen Zeiten und in allen Räumen auftauchen und fühlten deshalb ihre eigenen Privilegien verloren gehen . Ihre Forderung, Identitätshierarchien aufrechtzuerhalten, strukturierten sie mit den geläufigen Differenzkategorien Arbeit und Reinheit . So hörten die Offiziere in Berlin, München und Nürnberg, dass „Ausländer“ Sauberkeit und Ordnung wiederherstellen sollten . Gerade weil die, die als nichtdeutsch galten, auf einmal immer und überall präsent schienen, wollten Deutsche „Ausländer“ heranziehen, um den Schmutz in den zerstörten Städten zu beseitigen .330 Eine Fahrt in der Berliner S-Bahn provozierte die wütende Bemerkung, man solle sich die auf den Bahnhöfen „herumlungernden Ausländer greifen“ und die Wagen von ihnen reinigen lassen .331 Einheimische schrieben ‚Ausländern‘ ein, ‚faul‘ und ‚hämisch‘ zu sein . Denn bereits das Gefühl, beobachtet zu werden, entfachte Hass . Die deutsche Herrschaft war auch eine Macht des Zu/Sehens und der Blickkontrolle gewesen . Wochenschaubesucher, Soldaten und Besatzungstruppen hatten belustigt zugeschaut, wenn sie oder andere die Verfolgten zu erniedrigender Arbeit zwangen .332 Nun regten sich Deutsche auf, weil sie amüsierte Blicke spürten . Seit dem Spätsommer 1944 hatten viele Deutsche nur die Alternative zwischen schießen oder graben; wer nicht kämpfte, baute Gräben, Panzerfallen oder Straßensperren .333 Oberst Wasserfall, der die Stimmungskampagne leitete, meldete im Februar 1945 aus Berlin: „Am 4 .2 . sahen nachmittags Grossman, Juden, 412 f ., für die Zeit nach der Kapitulation . Wette u . a . (Hg .), Das letzte halbe Jahr, Zitat Dok . 65, 163; s . a . Dok . 66,172 („aufreizendes Benehmen“) . 330 Wette u . a . (Hg .), Das letzte halbe Jahr, Dok . 72, 215 . S . a . Dok . 76, 247 . 331 Zit . nach Wette u . a . (Hg .), Das letzte halbe Jahr, Dok . 81, 326, 31 .3 .1945 . Andere kritisierten, dass „Ausländer“ sich immer „anstößiger“ und „rüpelhafter“ benehmen würden, so dass sie – auch „aus hygienischen Gründen“ – separate S-Bahn-Abteile forderten, ebd ., 330, 31 .3 .1945 . 332 Manoschek (Hg .), „Es gibt nur eines“, 17, weitere Verweise auf ‚Arbeit‘ 38, 62 . 333 Kershaw, Das Ende, 135 . 328 329

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ausländische Arbeiter belustigt zu, wie Deutsche am Johannesstift in Spandau Schützenlöcher usw . aushoben .“334 Ihr Blick wirbelte mehr als eine Hierarchie durcheinander . Auch die Struktur, dass ‚deutsche‘ Frauen über ‚nichtdeutsche‘ Männer geherrscht hatten, löste sich erkennbar auf, wenn ‚Ausländer‘, wie es hieß, „mit den Händen in der Tasche“ und „lachend“ zusahen, wie „deutsche Mädchen und Frauen ungewohnte Erdarbeiten“ verrichteten .335 Nicht nur die Umkehr der Arbeit, auch das Beobachtet-Werden und erst recht jeder Anschein von Gelächter rührten ans Innerste deutscher Selbstverständigung . Die Frage, warum die deutsche Bevölkerung sich auch in den letzten Monaten nicht gegen die NS-Herrschaft wandte, lässt sich nicht nur durch den Terror im eigenen Land oder einen übersteigerten Nationalismus beantworten .336 Ein Protest in letzter Sekunde hätte bedeutet, die Opferselbstbeschreibung aufzugeben und Verantwortung zu übernehmen . Über die NS-Elite zu spotten, erlaubte dagegen, den Selbstentwurf als ohnmächtig leidendes Volk beizubehalten und die eigene Rolle in der Verfolgergesellschaft auszublenden . Daneben aber demonstrierten Zeitgenossen ihre Verletzungsmacht bis zum Ende . Soldaten, die bis Kriegsende erbittert kämpften, bewiesen so ihr ‚Deutschsein‘ .337 Mit der Mordenergie auf den sog . Todesmärschen reagierte die SS Doris Bergen zufolge darauf, dass sie sich mit ihrem ‚Erfolg‘ in der Shoah fast um ihre ‚Arbeit‘ gebracht hatte . Gewaltakteure hatten den Massenmord als Politikfeld genutzt, als Chance für Einfluss, Distinktion und Identitätspolitik . Auf dem Rückmarsch richteten sie ihre Tötungskompetenz gegen Sinti und Roma, Zivilbevölkerung und ‚Partisanen‘ der besetzten Gebiete, Zwangsarbeiter/innen und schließlich kriegsmüde Deutsche .338 Ein Überlebender eines Todesmarsches erinnerte sich daran, dass die SS ihre Verletzungsmacht hervorhob, indem sie Witze riss und beim Schießen lachte . Als Jugendliche eines Ortes sich daran beteiligten, entkommene Gefangene zu verfolgen, begründeten sie es mit dem Satz: „Wir gehen auf Jagd, um die Zebras abzuschießen“ .339 Andere Deutsche demonstrierten ihre Handlungsmacht, indem sie Überlebenden mit Abwehr und Abscheu statt Hilfsbereitschaft begegneten; manche setzten „Fremdarbeiter“ bis zuletzt als Zwangsarbeiter/innen ein oder richteten sie in den letzten Monaten willkürlich hin, statt sie lebend den Gegnern zu übergeben .340 Sie wollten nicht akzeptieren, dass ihre identitätspolitische Herrschaft zu Ende ging .

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Zit . nach Wette u . a . (Hg .), Das letzte halbe Jahr, Dok . 76, 247 . Zit . ebd ., Dok . 83, 349 . Diese Faktoren betont Bessel, Germany 1945, 7, 392 . Werner, „Hart müssen wir hier draußen sein“ . Bergen, No end in sight, 293 f . Blatmann, Todesmärsche, 285, Zitat 516 . S . a . Vestermanis, Ortskommandantur Libau, 253 . Beispiele bei Kershaw, Das Ende, 325–327, der aber keine konsistente Politik mehr sieht, 328 .

4 . „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg

4. „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg Im „Östlichen Alphabet“, einem Silbenrätsel in der Frontzeitung Panzerfaust vom Mai 1943, brachte Unteroffizier Jupp Deuter ‚deutschen Humor‘ auf den Punkt: Er listete auf der linken Seite alle Buchstaben des Alphabets untereinander, ergänzte bei jedem Buchstaben ein Wort und lieferte auf der rechten Seite die soldatische ‚Übersetzung‘ . Bei „H“ stand: „Humor = mit Gewalt“ .341 Wie mit Partisanen umzugehen sei, buchstabierte die Besatzungsmacht auf einer Plakatkarikatur aus, die sie Ende 1941 auf der Krim aufstellte: „Wenn sich Partisanen regen – versäume nicht, sie umzulegen“ .

Abb . 14: Wehrmachtsplakat auf der Krim, Ende 1941342

Leutnant Otto K . beschrieb das Erhängen von Partisanen im November 1941 brieflich als „kleine Luftattraktionen“, die Festgenommene vorführen müssten, „wobei sie zwischen Kopf und Baumast nur eine kurze Strickleitung aufzuweisen“ hätten . Er prahlte damit, dass „ihr Auftreten“ sich schon reduziert habe, denn: „Ein solches Schaustück spricht sich doch schneller herum als angeschlagene Verfügungen gelesen werden .“343 Hilde K . schließlich, die an der Vertreibungs- und Germanisierungspolitik im besetzten Polen teilnahm, schilderte ihrer Ausbilderin brieflich als Scherz, wie „Brüderchen“, ein befreundeter ‚volksdeutscher‘ Schutzmann, ein „Judenweib“ ausgeplündert habe, um sie und ihre Kollegin mit Möbeln auszustatten: „Dem Judenweib wurde erklärt, die Gegenstände werden ‚ausgeborgt‘ (als Lore und ich das hörten, sind wir fast vor Lachen geplatzt) .“344 Unterschiedliche Handlungsräume, dasselbe Verhalten: Alle inszenierten Panzerfaust . Feldzeitung für die Soldaten einer Panzerarmee, hg . v . d . Feldeinheit 10792, Nr . 186, 2 . Jg ., im Mai 1943, o . S . 342 BfZ, DC 125 .2 . Friedländer, Jahre der Vernichtung, 414, zum Schmerz der jüdischen Bevölkerung darüber, dass die nichtjüdischen Einheimischen über die deutschen Karikaturen lachten . 343 BfZ, Sammlung Sterz, Leutnant Otto K ., 23 .11 .1941 . 344 Zit . nach Harvey, „Wir kamen in vollkommenes Neugebiet rein“, 93 . 341

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

mit Scherzen ihre Verletzungsmacht und unterhielten sich spöttisch über Verfolgung und Vernichtungskrieg . Die deutsche Politik bot allen, die mitmachten, einen Zuwachs an Macht und Status an, jenseits materieller Bereicherung .345 Soldaten am unteren Ende der militärischen Hierarchie waren nicht mehr nur mittelbar am deutschen Machtzuwachs beteiligt, sondern herrschten im Alltag über andere .346 Frauen erhielten Führungspositionen und dehnten ihren Aktionsradius aus .347 Indem Männer und Frauen ihr Handeln in Überlegenheitswitze fassten, traten sie zudem als Künstler-Soldaten auf . Manche amüsierten sich noch darüber, die Gewalt zu verschleiern . Parallel machten Bilder von lachenden Zivilisten aus den besetzten Gebieten Gewaltstrukturen unsichtbar . Die Propagandaillustrierte Ilustrowany Kurjer Polski (IKP), die die Deutschen in Polen herausgaben, zeigte am 10 . März 1940 auf dem farbigen Titelblatt sechs strahlende Frauen mit der (polnischsprachigen) Unterschrift: „Wir fahren nach Deutschland“ .348 Im Folgenden diskutiere ich zunächst, wie SS und Wehrmacht ihren Mitgliedern das ‚Künstler-Soldatensein‘ anboten . Zweitens geht es um Unterhaltung in der Wehrmacht, drittens um Unterhaltung durch die Wehrmacht, die im Kriegsverlauf immer wichtiger wurde . Denn die Bevölkerung vertraute dem ‚heiteren Soldaten‘ auch dann noch, als die offiziellen militärischen Berichte nicht mehr überzeugten . Soldaten schützten sich mit Galgenhumor und bitterem Spott gegen Schmerzen, Verlust, Entbehrung und Entsetzen, während sie den Menschen zu Hause ihr schieres Überleben signalisierten . Dann wieder stand das Gelächter für die Verletzungsmacht, die sie reklamierten . In jedem Fall wussten sie sich in einem dichten gesellschaftlichen Verweiskontext aufgehoben . Opfersein, Künstlertum, Männlichkeit: Sinnstrukturen im Vernichtungskrieg Das nationalsozialistische Deutschsein kreiste um Verletzungsmacht . Vor allem die SS formulierte diese Doktrin seit ihrer Etablierung . Sie erzog zum Morden, indem sie Toleranz mit Schwäche gleichsetzte .349 Gewalt warf daher für ihre Mitglieder immer eine hohe soziale Rendite ab .350 Doch fungierten Termini von Männlichkeit und Härte jenseits spezifischer (Kriegs)Situationen oder Formationen als Grammatik der Gewalt . Sie bildeten einen seit langem verankerten Referenzrahmen, der deshalb im NS radikalisiert werden konnte und über Organisationsgrenzen hinaus verbindlich war .351 Das Aly, Hitlers Volksstaat, zur materiellen Dimension . Zu Korruption im Lagersystem Wachsmann, KL, 436 ff . Zu Statusfragen u . a . Werner, Die kleinen Wächter . 346 Rass, „Menschenmaterial“, 263–276, bes . 273 ff . 347 U . a . Mailänder Koslov, Gewalt . 348 Abgedr . in Struk, Photographing the Holocaust, 62 . 349 Hier nur Wachsmann, Dynamics, 21 . Harten, Himmlers Lehrer, 307, zu Konflikten um Verhaltensweisen . 350 Wachsmann, KL, 441 . Zu diversen Gewaltmotiven hier nur Berger, Experten der Vernichtung, 310 ff . 351 Werner, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg, 287 . Neitzel/Welzer, Soldaten, sowie Gudehus u . a . (Hg .), Führer, beziehen den Deutungsrahmen der Wehrmacht stärker nur auf den Krieg . 345

4 . „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg

Selbstverständnis als gewaltsame ‚Künstler-Soldaten‘ wurde bei der SS nur schneller sichtbar, weil sie bereits in den dreißiger Jahren für die Konzentrationslager zuständig war . SS-Mitglieder führten im Modelllager Dachau seit der Übernahme des Lagers ein „Theater des Terrors“ auf . Vor allem Männer in einer Position, die potentiell eine SS-Karriere eröffnete, demonstrierten ihre Übermacht auf theatralische Weise .352 Sie inszenierten sich in kleinen Sketchen als ‚Künstler der Gewalt‘, als ‚kreative‘ Gewaltakteure, die sich dergestalt für höhere Aufgaben empfahlen . Gerade SS und Wehrmacht bündelten in der scheinbar selbsterklärenden Formel von ‚Heiterkeit vs . Hohn‘ die Opfer-Täter-Verkehrung . Wie missverständlich die Begriffe sind, sei noch einmal betont . Die NS-Gesellschaft trat als ‚Sieger‘ und ‚potentielles Opfer‘ auf, indem sie die Verfolgten als ‚Verlierer‘ und ‚ewige Täter‘ präsent hielt, gerade als sie sie ermordete . Im Laufe des Krieges mochte die Opferselbstbeschreibung in dem Maße plausibler wirken, je mehr Gefallene, Verwundete und Geschädigte es auf deutscher Seite gab . Doch zielte sie vorgängig darauf, die eigene Gewalt zu legitimieren, indem nur von deutschen Opfern, nicht aber den Opfern der Deutschen die Rede war . Gewalt als ‚Kunst‘ zu sakralisieren, übertrug den Anspruch, eigene Regeln setzen zu dürfen, auf den Vernichtungskrieg . Denn als Kunst galt vieles, Beethoven zu spielen, einen Fröhlichen Feierabend zu gestalten oder Verfolgung und Vernichtung theatralisch zu inszenieren .353 Daher erzählten SS und Wehrmacht in ihrem jeweiligen Geschichtsunterricht erstens die deutsche Geschichte im Modus der Opfer-Täter-Verkehrung . Beide Organisationen lehrten, dass die Deutschen in ihrer Geschichte immer wieder von ‚höhnischen Feinden‘ zum Opfer gemacht und erniedrigt worden seien . Die SS behauptete, dass perfide Andere die Deutschen seit dem Mittelalter zum Scheitern gezwungen hätten . Nun sei die SS gefordert, dieses ‚Schicksal‘ umzukehren .354 Nach dem Attentat auf Heydrich mahnte Himmler SS-Ortsgruppen- und Gruppenführer am 9 . Juni 1942 in Berlin in der typischen Heiterkeitsformel, etwas vorsichtiger als Heydrich und doch so unerbittlich entschlossen wie er zu sein: „Wir wollen uns ja unser frohes und fröhliches Gemüt bewahren und wirklich mit einer heiteren Stirn dem Schicksal entgegengehen .“355 Am 6 . Oktober 1943 unterstrich er vor Reichs- und Gauleitern in Posen, dass die SS ungeachtet aller Verluste niemals ihren „Humor“, also „den Mut“ verloren habe .356 Nach dem Attentat auf Hitler im Juli 1944 delegitimierten die Mitteilungen für die Truppe implizit alle Kritiker/innen, indem sie die deutsche Geschichte nicht nur als Opfergeschichte, sondern als Geschichte eines Beschämt-Werdens erzählten: Unter dem Titel „Fröhliche Herzen“ warfen sie den Gegnern vor, das „anständige deutsche Volk“ seit ‚dreißig Jahren‘ „vor den Augen der Welt“ herabsetzen zu wollen, mit „ungeheuerlichen moralischen Anschuldigungen“ . Dagegen empfahlen die Mitteilungen „unbändigen

Dillon, Dachau, 133 . Zu Spott in der Wehrmacht seit 1939 Kühne, Belonging, 59, 73 ff . Vgl . Kap . IV .5 . 353 Auch der systematische Kunstraub war m . E . eine Form, sich als ‚Künstlersoldat‘ zu entwerfen . Dazu nur Iselt, „Sonderbeauftragter des Führers“ . 354 Harten, Himmlers Lehrer, 456 . 355 Himmler, Geheimreden, 148 . 356 Himmler, Geheimreden, 182 . 352

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Stolz“ auf das, was die Deutschen „gekonnt, ausgehalten und vollbracht“ hätten .357 Das konnte man je nach Wissen und Neigung auf ein rein militärisches Vorgehen beziehen oder auf die Vernichtungspolitik . Zweitens erhoben SS und Wehrmacht während des Krieges alle ihre bereitwilligen Mitglieder ausdrücklich zu Künstler-Soldaten . Als Legitimationserzählung für den Krieg beschrieben Politiker, Publizisten und Kunsthistoriker die Deutschen als Retter von Kunst sowie den deutschen Krieg als ‚Kunst‘ . Himmler warf der Roten Armee vor, die abendländische Kunst zerstören zu wollen .358 Andere sekundierten, dass die deutschen Truppen diese retteten .359 Friedrich Heiss wiederum feierte ein deutsches Heer, das die Kriegführung in Polen zu „Kunst“ erhoben habe,360 also einen Feldzug, der bereits ein Vernichtungskrieg war . Auch Wilm Burghardt leugnete deutsche Täterschaft, indem er Deutschsein in Kunst und Krieg 1942 zirkulär durch Kampfkraft und Kunst definierte und die ‚Feinde‘ als „barbarisch“ verteufelte .361 Wenn Mitglieder anderer Professionen sich als ‚kämpfend‘ darstellten, mochten sie ihrerseits als ‚Künstler/innen‘ auftreten, die im jeweiligen Beruf den Krieg unterstützen würden . Der ältere Bruder von Wilhelm Pleyer, der 1898 geborene Kleo Pleyer, wechselte tatsächlich von seiner Geschichtsdozentur an der Universität Berlin an die Front, wo er 1942 als Oberleutnant fiel . In Volk im Feld rühmte er Krieg als Verschmelzung von Wissenschaft mit Handwerk und Kunst .362 Er sah darin den Kern deutscher Kultur und pries deren symbolische Integrationskraft über soziale Grenzen hinweg, für alle, die als ‚deutsch‘ galten . Denn, so Pleyer, den „inneren“ Kern des deutschen Soldaten hätten alle „Denker und Dichter soldatischer Gesinnung“ geformt, neben Kant, Schiller und Beethoven auch der „letzte märschekomponierende Musikfeldwebel“ .363 Auch Pleyer behauptete einen lebensgefährlichen Angriff, um das Morden zu begründen: „… der deutsche Soldat tötet, damit sein Volk leben kann .“364 Ein Aufseher in Buchenwald fasste es knapper: Man sei nicht mehr im Land der Dichter und Denker, sondern der Richter und Henker .365 Um sich publikumswirksam als ‚Künstler-Soldaten‘ zu platzieren, präsentierten Wehrmacht und SS Kunsterzeugnisse aus den eigenen Reihen gerne öffentlich . Bei einer Ausstellung in Oslo veröffentlichte die Wehrmacht 1941 die Broschüre Soldaten und Künstler . Drei Jahre später stellte die Abteilung VI der Höheren SS- und Polizeiführer (HSSPF) dort Werke von SS-Mitgliedern aus .366 Im ‚Alltag‘ der Vernichtung verflocht BArch, MA, RW 4/1264, MfT, Nr . 351, August 1944, 2 . Reichsführer SS, Der Untermensch . 359 Höhne, Unsere Wehrmacht, 135 . 360 Heiss, Sieg im Osten, 13 . 361 Burghardt, Kunst und Krieg, 87 . 362 Pleyer, Volk im Feld, 31 . Zu Pleyer Haar u . a . (Hg .), Handbuch der völkischen Wissenschaften, 477 ff . 363 Pleyer, Volk im Feld, 20 f . Die Leipziger Lachende Welt, Jg . 66, 1943, Nr . 18, 1 .5 .1943, inszenierte eine durch Kunst und Krieg integrierte Gesellschaft: Vier Soldaten hätten den 53 . Geburtstag ihres Hauptmanns mit Kammermusik begleitet, ein Künstler, ein Buchhalter, ein Kellner und ein Feingoldschläger . 364 Pleyer, Volk im Feld, 33 . 365 Vgl . Kogon, SS-Staat, 86 . 366 Soldaten und Künstler . Harten, Himmlers Lehrer, 367, s . a . 243, ohne die Deutung . 357 358

4 . „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg

auch Himmler Gewalt und Kultur . Im Juli 1942 informierte er sich in Auschwitz darüber, wie effektiv die Vernichtungspolitik mittlerweile war; er sah zu, wie Juden aus den Niederlanden ermordet wurden . Am Abend unterhielt er sich in bester Laune mit einer Tischgesellschaft über Bilder und Bücher . Kommandant Rudolf Höß war ganz gebannt durch seine „Aufgeräumtheit“ und „frischen Erzählungen“ .367 Mitglieder einer Unterhaltungstruppe der Polizei wiederum baten, an der Erschießung von Juden während der Räumung des Gettos in Luków teilnehmen zu dürfen, obwohl sie weder über entsprechende Weisung noch eigene Waffen verfügten . Mit ihrer Initiativtat machten sie sich, die keine Frontsoldaten waren, zu ‚Künstler-Soldaten‘ .368 Erst in diesem Kontext funktionierte Hitlers Anspruch, der ultimative ‚Künstler-Soldat‘ zu sein . Sein Charisma hing davon ab, dass andere ihn so verherrlichten – etwa Generalfeldmarschall Erich von Manstein, der Hitlers architekturgeprägtes Strategieverständnis als „schöpferisch“ pries .369 Wie tief verankert das Sinnkonstrukt war, zeigte sich daran, dass es in die Zeit nach 1945 überdauerte: Der Bestsellerautor Heinz G . Konsalik heroisierte die Wehrmacht in den 1950er und 1960er Jahren als Beschützer der abendländischen Kultur gegen Osteuropäer und ‚kulturlose‘ Amerikaner, besonders deutlich in Sie fielen vom Himmel .370 Das Legitimationsmuster verschwand auch danach nicht . 1988 nahm Gerd Knabe es für die SS in Anspruch . Sein Band Lachen um Adolf Hitler brachte auf dem Cover das ikonische Bild des lächelnden Hitler in Seitenansicht . Im Buch selbst überschrieb Knabe eine angebliche Begebenheit aus den letzten Kriegswochen mit dem Titel „Anekdote ’45“: Eine SS-Division habe in einem Schloss bei Wien eine Shakespeare-Ausgabe gefunden und mit dem kommandierenden SS-Obergruppenführer Bittrich, der um „eine kleine Rolle“ gebeten habe, mit verteilten Rollen Maß für Maß gelesen . Knabe verherrlichte alle Anwesenden als ‚Künstler-Soldaten‘ mit dem Satz, Bittrich habe die Zusammenkunft als „schönste Stunde“ des Krieges gerühmt .371 Drittens fassten SS und Wehrmacht Deutschsein als unerbittliche Männlichkeit . Der Wunsch, sich als männlich zu empfinden und von anderen so akzeptiert zu werden, war eine entscheidende Motivation, um an der Vernichtungspolitik teilzunehmen . Wer sich entzog, war zwar nicht unmittelbar bedroht, konnte aber in der Gruppenhierarchie abrutschen, einen Karriereknick erleben oder, entscheidend, das eigene Selbstwertgefühl tangieren, wenn er die Härteforderung verinnerlicht hatte .372 Wohl gab es immer Soldaten, SS-Männer oder Polizisten, die den Massenmord ablehnten, etwa, weil sie fürchteten, ihre soldatische Ehre zu gefährden . Doch waren es zu wenige, um meinungsbildend zu werden .373 Auch in den Lagern reichte eine zahlenmäßig kleine Gruppe aktiver Gewalttäter, die andere mitzog und Tausende von Häftlingen 367 368

Zit . nach Friedländer, Jahre der Vernichtung, 432 . Neitzel/Welzer, Soldaten, 186, sehen nur den Wunsch, etwas Verbotenes ohne Sanktionsgefahr zu

369

Zit . nach Schwarz, Geniewahn, 287 . Konsalik, Sie fielen vom Himmel . Harder, Erfahrung Krieg, 41, zu dessen Rolle im NS . Knabe, Lachen, 96 . Werner, „Hart müssen wir hier draußen sein“, 12, zum ganzen Absatz . Ders ., „Noch härter“ . Kühne, Belonging, 114 f .

tun . 370 371 372 373

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

kontrollierte .374 Die kritische Masse gewaltbereiter Akteure nahm deshalb so viele mit, weil der Normierungsappell nicht nur auf Verhalten, sondern auf Identität zielte . Im überschaubaren Netzwerk eines Lagers führte die Härtenorm dazu, dass Männer, die zweifelten, sich entweder nicht laut äußerten oder sogar sich selbst als „zu schwach“ beschrieben, um nicht als Kritiker der anderen zu erscheinen und sich dadurch aus dem Kameradenkreis zu katapultieren .375 Der Auftrag zur Härte hieß mitnichten, Tränen oder Zeichen von Schwäche ganz zu tabuisieren, schon gar nicht untereinander in kleinen Kampfgruppen . Doch forderte er die kulturelle Kompetenz, Schmerz, Trauer oder Abscheu auf eine Weise auszudrücken, die das eigene Selbstverständnis und die gegenseitige Wahrnehmung als männlich intakt ließ . Um jeden Zweifel als unmännlich zu markieren, setzte die Militärführung auch in diesem Krieg auf die Kategorie Sexualität als Identitäts- und Ordnungserzählung . Nach dem Angriff auf die Sowjetunion spottete das OKW über „Gevatter ‚Vorsichtig‘“ und „Onkel ‚Butterweich‘“ . Es verwandelte, wie Frank Werner formuliert, den klassischen Appell an Selbstdisziplin in eine offene Gewaltaufforderung: Der Appell an Männlichkeit stellte Mordbefehle als ‚natürliches‘ Verhaltensideal dar .376 Die Bestsellersammlung Landser lachen machte 1943 diejenigen als sexuelle und militärische Versager lächerlich, die nachfragten . Die Witzfigur des „sterilen Heinrich“ disqualifizierte jedes Überlegen als unmännlich: Auf einem Geschäftszimmer sitzt der „sterile Heinrich“, ein Gefreiter, der nur seine Schreibmaschine kennt, bestimmt den Krieg nicht gewollt hat und in seinem Leben weder geküsst hat noch geküsst wurde . Als wir im Januar und Februar 1942 von den Bolschewisten arg bedrängt wurden und auch die Banden sehr unbequem waren, meinte Heinrich: ‚Warum denn gleich auf diese Menschen schießen, die werden dadurch doch noch viel wütender . Man könnte es doch zunächst einmal im Guten mit ihnen versuchen .‘ Praktisch hat Heinrich diesen Vorschlag nie ausgeführt .377

Soldaten agierten wie Karnevalisten als Regisseure der Grenzziehung . Eine Wehrmachtsabteilung, die im Sommer 1942 eine Ausbildung in der Nähe von Berlin durchlief, spielte mit dem Opfertopos: Sie setzte das Los der Verfolgten spöttisch mit ihrem eigenen gleich und verriet dabei ihr genaues Wissen über die Ausgrenzungspolitik . Sie beklagte in einer Bierzeitung, dass Unterhaltungsangebote schwer zu erreichen gewesen seien, denn: „Juden und Soldaten gehen zu Fuß .“378 Seit April 1942 durften jüdische Deutsche in Deutschland keine öffentlichen Transportmittel mehr benutzen . Soldaten hatten dagegen den höchsten sozialen Status, unabhängig von der Hierarchieebene . Die Soldaten zelebrierten das Wissen über den Unterschied und die Macht, ihn zu bestimmen . Ähnlich hatte eine Bierzeitung im Militärcamp Döberitz im Herbst 1941 den Beginn der systematischen Deportationen aus Deutschland kommentiert . Sie setzte eine 374 375 376 377 378

Buggeln, Arbeit, 659 ff . Berger, Experten, 337 . Werner, „Hart müssen wir hier draußen sein“, 12 . Lass/Weber (Hg .), Landser lachen, 81 . BArch MA, MSG 2/2094, 12 . Vgl . Kessel, Race and Humor, auch zum folgenden Absatz .

4 . „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg

„Vermisstenmeldung“ in ihre Bierzeitung, die spöttisch blonde Haare und blaue Augen mit Plattfüßen und dem Namen Isidor verband: Achtung! Achtung! Vermisst wird seit dem 3 .12 .1941 der einheimische Ausbilder der 4 . Abteilung, Isidor Kettler . Vermisstenmeldung! Der Vermisste ist 1,70 groß, blond, schlank, verheiratet . Besondere Merkmale: blaue Augen, Plattfüße . Der Vermisste hat vermutlich seinem sehr bewegten Leben ein Ende gemacht . Sollte jemand den Vermissten sehen, so ist das nur sein Geist . Friede seiner Asche!379

Die Gruppe inszenierte eine ‚unrechtmäßige‘ und prompt ‚scheiternde‘ Aneignung von ‚Deutschsein‘ und demonstrierte die Macht, ‚Juden‘ die ‚Maske des Deutschen‘ vom Gesicht reißen zu können . Andere amüsierten sich bei einem Kameradschaftsabend darüber, sich für 50 Mark den Schädel „ratzekahl“ scheren zu lassen, gerade weil das ein Haarschnitt war, „wie man ihn bei uns nur an gewissen Kategorien von Menschen findet“ .380 Das gemeinsame Wissen machte die Inszenierung zum Überlegenheitswitz, mit dem die Beteiligten sich gegenseitig bestätigten, ‚Sieger‘ über die karikierten Verfolgten zu sein . Das soziale Wissen spiegelte auch ein zynischer Kommentar, der die Vorliebe für Abkürzungen karikierte . Während des Krieges trugen Seifenstücke Nummern sowie die Aufschrift RIF (= Reichsstelle Industrielle Fette) . Aufgeschlüsselt wurde sie auch mit: „Rein Jüdische Fette“ .381 Die Kernstruktur, ‚deutsch‘ und ‚männlich‘ als Gegensatz von ‚jüdisch‘ zu verstehen, fehlte selten . Um vor Ermüdung zu warnen, projizierten Feldzeitungen wie die Medien generell einerseits die ‚Negatividentität‘ des ‚jüdischen Bolschewisten‘ oder ‚jüdischen Kapitalisten‘ . Sie identifizierten immer aggressiver alle Kriegsgegner mit dem ‚Dritten‘, um den Wunsch nach einem Kriegsende zu delegitimieren . Entsprechend zeichneten Karikaturen und Frontzeitungen die Alliierten, gerade auch die USA, nicht nur als profitgierig, feige oder sexuell deviant, sondern durch körperliche Marker und Gefühlseinschreibungen als ‚jüdisch‘ . Sie dramatisierten die militärische Gegnerschaft als Angriff auf Deutschsein, so dass ein Überlaufen angeblich die eigene Identität zerstöre . Auch hier diente der Verweis auf Kunst dazu, die Demokratien ebenso abzuwerten wie die Sowjetunion: Die USA wurden als kulturloses Imperium attackiert, dessen ‚jüdische Lenker‘ die „deutsche“ Kultur mit ihren Kirchen und Museen würden zerstören wollen .382 Dass andererseits jede binnengesellschaftliche Skepsis als going Jewish verfemt wurde, zeigt erneut, dass diese Identitätspolitik die Kernstruktur der deutschen Politik war . Mögliche Zweifler in den eigenen Reihen galten nicht als ‚russisch‘ oder ‚bolschewistisch‘, sondern als ‚jüdisch‘ . Das OKW ließ nicht nach im Bemühen, eine eventuelle Distanzierung in einen ultimativen Identitäts- und Statusverlust zu verwandeln . Im September 1943 hieß es, dass jeder, der am deutschen Sieg zweifle, die „jüdische Intrige“ BArch MA, MSG 2/1829, 16 . Kessel, Race and Humor, 394 f . Utermann, Darüber lache ich heute noch, 8 . Vgl . Kessel, Gewalt schreiben, 256 . 381 Briefliche Mitteilung Dr . Paul S ., 15 .12 .2008 . 382 U . a . Der Durchbruch . Soldatenzeitung der Ostfront, Folge 465, 27 .8 .1944, 7 . Ebd ., Folge 470, 1 . Oktoberausgabe 1944, 7 . 379 380

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

des „natürlich“ aus England stammenden „Flüstercohn“ befolge, der nur „Verachtung und Spott und Hohn“ verdiene .383 Im folgenden Monat warnte das OKW unter der Überschrift „Kennst du den neuesten Witz?“ vor „geistvollen“ Bonmots, mit denen „Juden“ das deutsche Militär seit dem Kaiserreich „verächtlich“ gemacht hätten .384 Ein Jahr später signalisierte der Kamerad am Feind, wie besorgt die Wehrmacht mittlerweile auf vieldeutige Witze reagierte . Im Oktober 1944 führte er unter der Überschrift „Was haltet ihr vom politischen Witz?“ bemüht aus, welche Witze politisch korrekt seien . Dazu gehörten auch V-Waffen-Witze, solange sie zum Durchhalten aufriefen . Wer aber „führende Männer verächtlich“ mache und „unseren Glauben in den Kot“ ziehe, so hieß es in der typischen Unreinheitsformel, dem solle man scharf über den Mund fahren . Als ultimative Gegenfigur aber wählte die Feldzeitung die, von der sie annehmen konnte, dass sich auch Kriegskritiker nicht mit ihr identifizierten: Ein alter Kaftanjude steht in Warschau vor einem Plakat mit der Aufschrift: „Die Juden sind unser Unglück“ . Er fragt einen vorübergehenden Soldaten nach dem Text, da er nicht lesen könne . Der deutsche Soldat schreit den Juden an: „Die Juden sind unser Unglück!“ Darauf der alte Jude: „Hoffentlich, daitscher Kamerad, hoffentlich!“385

Der Text behauptete, dass der Witz von einem „schmierigen Juden“ stamme, der sich gegen Bezahlung selbst verspotte . Doch traf die Ironie unwillentlich den Kern des deutschen Selbstverständnisses: Es würde dann, aber auch nur dann implodieren, wenn die deutsche Gesellschaft ihre Opfer-Täter-Verkehrung und die so begründete, ultimative Hierarchisierung von Identitäten aufgab, statt Krieg und Vernichtungspolitik damit voranzutreiben . Unterhaltung in SS und Wehrmacht: Gewaltsam heiter Um dagegen gewappnet zu sein, führten SS und Wehrmacht während des Krieges eine Hitliste von Humorbüchern . Die Wehrmacht wusste, dass Soldaten lieber Lustspiele sahen, als ideologisch beschallt zu werden .386 Dasselbe galt für die militärischen SS-Verbände, die sich über zu viel Theorie beschwerten .387 Aus dem Fundus des Ernsten und Heiteren favorisierte die SS neben Wilhelm Pleyer und Steguweit den Hausschatz des deutschen Humors von Karlheinz Richter . Er beteuerte im Vorwort, alle Juden aus der Fröhlichen Runde ausgeschlossen zu haben .388 Bernd Poieß von der Wehrmachts-Truppenbetreuung führte 1938 anschaulich vor, wie ein fröhlicher Abend mit Liedern und BArch, MA, RW 4/1263, MfT, Nr . 283, Sept . 1943, 1 f . Ich danke Frank Werner für den Hinweis . BArch, MA, RW 4/1263, MfT, Nr . 290 A, Oktober 1943, 2 . Panzerfaust . Feldzeitung für die Soldaten einer Panzerarmee, hg . v . d . Feldeinheit 10792, Nr . 199, im August 1943, o . S, markierte Gerüchte als ‚jüdisch‘: „Wir gehen gebückt, wir gehen krumm, mit gierigen, blähenden Nüstern!“ 385 Kamerad am Feind, Nr . 78, 8 .10 .1944, 3 . 386 Hirt, „Die Heimat“, auch zum Kompetenzgerangel in Sachen Unterhaltung . 387 Harten, Himmlers Lehrer, 207 f ., 298 ff ., 342 . 388 Richter, Fröhliche Runde, Vorwort . Kreismuseum Wewelsburg, SS-Oberabschnitt West, Die Mannschaftsfeiern in der SS, 19 . Mein herzlicher Dank an Karsten Wilke für den Hinweis auf diese Quelle . 383 384

4 . „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg

Geschichten gelinge .389 Die SS empfahl ihn ebenso wie Josef Ludwig Müller (alias „Peter Poddel“) mit dem Fröhlichen Feierabendbuch .390 Das OKW wählte seine eigenen top ten: 1940 Doderers Landserbuch über 1914–18, im Jahr darauf Schröters Landser lachen und Eiffes Splissen und Knoten .391 Jede Waffengattung hatte ‚ihre‘ Sammlungen,392 und es gab Vorträge zu „deutschem Humor“ . Das OKW engagierte 1943 den Gefreiten Fritz Diettrich, der mit Erfolg über „Humor in deutscher Dichtung“ redete; die SS bespielte das Thema im November 1944 .393 Wie selbstverständlich der übergeordnete Kulturbegriff selbst dazu diente, Massenmord als ‚Kreation‘ einer neuen Gesellschaft zu fassen, zeigte die Lager-SS: Sie nannte das öffentliche Erhängen von Gefangenen zynisch „deutsche Kulturtage“ .394 Daneben standen „deutsche Kulturtage“, die Wehrmacht und SS mit professioneller Unterhaltung versorgten, von Beethoven bis zum bunten Abend .395 Die Komödie Ein ganzer Kerl von Fritz Peter Buch etwa führte vor, wie eine herkömmliche Geschlechterhierarchie auch im Krieg erhalten werde – wohl auch, um Soldaten zu beruhigen .396 Das Kinopublikum machte Heimatfilme diesen Stils in den dreißiger, vierziger und fünfziger Jahren zum Erfolg . Dass nicht alle den geforderten Ton trafen, zeigte das OKW, als es nachdrücklich „gesunden H u m o r“ statt „dialektischer Witzeleien“ oder „wimmernde[r]“ Vokalquartette forderte, die an die „verweichlichten“ Comedian Harmonists erinnern würden .397 Parallel warnten SS und Gestapo ihre Mitglieder, nicht durch „jüdische Zoten“ zu „entarten“ .398 Publizisten sicherten sich prompt ab: Sie brächten „derbe Männerwitze“ für „richtige Männer“ .399 Der klarste Beweis für die Einstellung blieb das Handeln . Bomberpiloten stellten auf dem Weg nach England englische Tanzmusik ein, sobald sie die Frequenz bekamen . Doch erhob niemand Einspruch, solange sie angriffen .400 In diesem Sinne zielte die Auswahl von Humorbüchern darauf, nicht nur Profis die Unterhaltung zu überlassen, sondern Soldaten zum Mitmachen zu bewegen . Denn in der Wehrmacht galt es als großer Fehler des Ersten Weltkriegs, die Mannschaften nur beschallt und zu wenig involviert zu haben . Im Zweiten Weltkrieg achtete sie penibel darauf, ihre Mitglieder nicht nur gut zu unterhalten, sondern aktiv einzubinden . Selbst als ‚Künstler‘ aufzutreten, machte Deutschsein körperlich und emotional selbstPoieß, Kamerad, erzähl, 237–238 . Kreismuseum Wewelsburg, SS-Oberabschnitt West, Die Mannschaftsfeiern in der SS, 19 f . 391 BArch MA, RW 6/426, Bücher für die Wehrmacht, OKW, Abt . Inland, Listen vom 15 .4 .1940, 15 .8 .1940, 15 .4 .1941 u . 15 .6 .1941 . 392 Hier nur Alexander, Aufwind . 393 BArch MA, RH 45/2, Jan . 1943, Redner-Verzeichnis . Harten, Himmlers Lehrer, 215 . 394 Zit . nach Wachsmann, KL, 616 . 395 Etwa in Warschau im Oktober 1940, Harten, Himmlers Lehrer, 244, s . a . 251 . 396 Sie wurde 1941 mehrfach für die Waffen-SS in Cholm und Zamosc gespielt, Harten, Himmlers Lehrer, 244 . Latzel u . a . (Hg .), Geschlechterbeziehungen, als Überblick zur Forschung . 397 BArch, NS 8/197, Bl . 10, Sept . 1940, (im Original gesperrt gedruckt) . Hirt, „Die Heimat“, zum Angebot . 398 Kreismuseum Wewelsburg, SS-Oberabschnitt West, Die Mannschaftsfeiern in der SS, 18 . Kulka/ Jäckel (Hg .), Juden in geheimen Stimmungsberichten, CD-ROM, Dok . Nr . 1435 . 399 Richter/Ebeling (Hg .), Humor in Feldgrau, 4 . 400 Koch, Wunschkonzert, 160–165 . 389 390

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

verständlich und konnte Zweifel, Skepsis und Unbehagen einhegen . Selbst produzierte Aufführungen galten als erfolgreicher als passive Rezeption, um zu entspannen und den Zusammenhalt zu steigern .401 Wehrmachtsbroschüren wie „Künstler im Feld“ von 1940 im sog . Protektorat Böhmen und Mähren machten Angebote .402 Vor allem nach dem Angriff auf die Sowjetunion wollte die Wehrmacht einen Stimmungsknick wie im Ersten Weltkrieg verhindern .403 Als klar war, dass ein schneller Sieg ausblieb, versprach das OKW 1942 allen, die bunte Abende oder Kabarett einstudierten, den symbolischen Bonus: Dann werde sich zeigen, so hieß es, wie viele „Künstler und Artisten aller Art“ jede Einheit habe .404 Ab 1943 warb die Wehrmacht mit Nachdruck um Soldaten als Laienkünstler, um Kampfgeist zu demonstrieren und anzustacheln . Das OKH forderte im Mai 1943 an der Ostfront und im Februar 1944 an der Westfront dazu auf, heitere Anekdoten einzusenden . Sie sollten knackig, heldenhaft und gerne im regionalen Modus sein, also „unsere ostpreußische Pionierkompanie“ beschreiben . Hilfreich wurden Themen genannt, vom Batteriehund bis zur Feldküche .405 Im Februar 1944 meldeten die Verantwortlichen, dass „in steigendem Maße“ Erlebnisberichte von der Ostfront eingegangen und von der Presse gerne gedruckt würden . Das kam dem OKH entgegen: Es kurbelte nun „eine Berichterstattung aus der Truppe“ an der Westfront an, „insbesondere im Hinblick aufkommende Kampfhandlungen“ .406 Angesichts der erwarteten alliierten Landung sollten Scherze mobilisieren und Stärke demonstrieren . Der Erfolg der Werbung lag sicher auch daran, dass Soldaten Extrarationen erhielten . Doch nahmen sie ihrerseits am Reden über den Krieg teil . Man musste nicht kreativ sein, sondern für gute Stimmung sorgen . Unteroffizier Werner R . erhielt zusätzliche Zigaretten für seinen „Nettuno-Seufzer“ .407 Es war der bekannte Vers über Dreck und Schlamm als soldatischem Biotop . Doch signalisierte R . damit, in Italien durchzuhalten, nachdem die Alliierten im Januar 1944 bei Nettuno gelandet waren und im Mai die deutsche Kampflinie bei Monte Cassino durchbrachen . Die 291 . Infanterie-Division, im Spätherbst 1942 am Wolchow stationiert, reflektierte etwas ironischer den Humorappell . Sie nannte sich „Humorsuchkommando“ oder „Abt . 1a/Hu(mor)“ und schimpfte im Wolchowlied frustriert über das „Sumpfloch“ an der Ostfront, in dem sie ausharren müsse .408 Extrarationen, Ablenkung, öffentliche Teilhabe und die Chance, Kritik am langen Krieg auf akzeptierte Art zu formulieren, alles mochte eine Rolle spielen . Als ‚künstleHirt, „Die Heimat“, 342 f . BArch MA, RW 6/176, Bl . 167 . 403 BArch MA, RH 15/115, Bl . 69–71 . 404 BArch MA, RW 6/440, Bl . 1–4, Zitat Bl . 4 . Das durfte wieder karikiert werden: Eine Gruppe gaukelt einem General Engagement vor, während sie sonst bei Regen nur missmutig herumhing, Alexander, Aufwind, 5 f . 405 BArch MA, RH 13/37, 2 .5 .1943, ohne Blattzählung . 406 BArch MA, RH 13/37, 23 .2 .1944 . 407 BfZ, Sammlung Sterz, Feldpostbrief Soldat Nicky B ., 3 .6 .1944 . 408 BArch MA, MSG 2/4625, Gedichte, Lieder und humoristische Befehle der 291 . Infanterie-Division (Elchkopfdivision, 1942–1944), produziert vom Humorsuchkommando, der elfundneunzigste Amwolchowsteher (Abt 1a/Hu(mor) . Ebd ., Betr . Förderung der Heimatgesänge, Das Wolchowlied . 401 402

4 . „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg

risch agierende Kämpfer‘ stellten sich Soldaten aber auch auf eine Stufe mit berühmten Kriegshelden . Der beliebte General Dietl etwa, der die deutschen Truppen in Norwegen und Finnland führte, erhielt 1942 ein ganzes Heft Ernstes und Heiteres zu seinen Ehren .409 Derweil unterzeichnete Otto Krimmer sein Stundenbuch vom fröhlichen Herzen, 1942 und erneut 1944 veröffentlicht, mit „im Felde“ . Er betonte den authentischen Charakter seines Angebots, als er von einem Artillerieüberfall erzählte und die lebensgefährliche Nähe zum Gegner unterstrich .410 Kurt Ziesel war tatsächlich Panzersoldat, als er im Mai 1940 die Sammlung Krieg und Dichtung publizierte . Er sicherte allen Beiträgern bereits mit dem Untertitel zu: Soldaten werden Dichter, Dichter werden Soldaten, bevor er zusätzlich betonte, sie hätten ihre Beiträge von der Front gesandt .411 Frontzeitungen warben auch in diesem Krieg bis zum Schluss um Beiträge . Ab Herbst 1944 rückten sie pointiert regionale Anekdoten und Bräuche in den Blick .412 In der Spalte „Großdeutschland lacht“ stellte die Feuerwehr von Oktober bis Dezember die Berliner Schnauze, Pfälzer Humor und Sachsenwitze vor . Nostalgische Texte über einzelne Dörfer und Bräuche appellierten an Heimatgefühle . Politische Erklärungen wischte die Schriftleitung nun ausdrücklich beiseite; Die Feuerwehr wolle nur „lachen“, statt Langwieriges zu lesen .413 Die politische Botschaft steckte aber immer schon in Text und Tenor . Die Selbstverständigungsprozesse in den Konzentrationslagern waren identisch . Die Lagerleitung von Auschwitz organisierte regelmäßig heitere Abende fürs Personal .414 Ob sie „Angriff der Komiker“415 oder „Humorvoller Angriff “ hießen:416 Der Titel umriss den Anspruch, eine verletzungsmächtige Kampf- und Kunstgemeinschaft zu sein . Der Pedant Höß regte sich zwar auf, dass Zuschauer/innen die Schemel wegrückten und auf den Fensterbänken saßen, was sein Ordnungsgefühl störte .417 Als er aber von Mai bis Juli 1944 vorübergehend als Kommandant nach Auschwitz (zurück)berufen wurde, um die Ermordung der ungarischen Juden zu organisieren, gab er den Wunsch Himmlers an die SS weiter, besonders auf den „Nachwuchs an schaffenden Künstlern in der Waffen-SS“ zu achten und ihm künstlerische Talente zu nennen .418 Himmler, der gerne seine schwere Verantwortung für die sogenannte ‚Endlösung‘ betonte, wollte gerade die Einsatzgruppen durch Kameradschaftsabende, Musik und Vorträge entspannen und „in die schönen Gebiete deutschen Geistes- und Gemütslebens“ einführen .419 Zwar betranken sich etliche trotz der Warnung vor Alkohol gerade vor DeportatioWeinberger (Hg .), Kamerad Dietl . Krimmer (Hg .), Stundenbuch, 202 . 411 Ziesel, Krieg und Dichtung, 466 . 412 Die Feuerwehr, Nr . 18, dritte Novemberfolge 1944, 10 . 413 Berliner Humor, in: Die Feuerwehr, Nr . 14, zweite Oktoberfolge, 1944, 8; Pfälzer Humor: Ebd ., Nr . 17, zweite Novemberfolge, 1944, 8; Sachsenhumor: Ebd ., Nr . 19, erste Dezemberfolge, 1944, 8 . 414 Standort- und Kommandanturbefehle, z . B . 295, 326, 377, 447 . S . a . Harten, Himmlers Lehrer, 298– 303 . 415 Friedländer, Jahre der Vernichtung, 537 . 416 Harten, Himmlers Lehrer, 300 . 417 Standort- und Kommandanturbefehle, 295 . Es zeigte, wie lebhaft der Abend verlief . 418 Im Juli 1944, Standort- und Kommandanturbefehle, 472 . 419 Zit . nach Kwiet, Erziehung zum Mord, 449, generell 448–451 . Friedländer, Jahre der Vernichtung, 290 . 409 410

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

nen .420 Doch im Alltag der Vernichtungspolitik spielte auch die eingeübte Unterhaltung eine wichtige Rolle . Die sog . T4-Reinhardt-Männer, in den Vernichtungslagern Belzec, Sobibor und Treblinka aktiv, musizierten und sangen bei ihren abendlichen Treffen, wie sie es in den NS-Organisationen gelernt hatten .421 In diesem Deutungs- und Handlungsrahmen war es weder „kurios“ noch eine „bizarre Alltagsgestaltung“,422 dass die Wehrmacht noch in den letzten Monaten der deutschen Besatzung der Niederlande einen Wettbewerb für handwerkliche und geistige Produkte auslobte und die besten Ergebnisse öffentlich prämieren wollte . Der Ansatz fungierte in der gesamten Kriegszeit als wichtige Ebene affektiver Mobilisierung, bis zu Wettbewerben um den schönsten Bunker, deren emotionale Bedeutung der Artillerieaufklärer Albert Neuhaus eindringlich beschrieb .423 Die Militärführung signalisierte damit, dass sie die Männer trotz der drohenden Niederlage als ‚Künstler-Soldaten‘ anerkenne . Als solcher noch angesichts der Niederlage aufzutreten, galt wiederum als Zeichen, sich gegen ein Ende wie 1918 zu sperren, also: nie aufzugeben . Wer mitmachte, bewies in diesem Sinnhorizont sein ‚Deutschsein‘ .424 Unterhaltung durch die Wehrmacht: Die Sehnsucht nach dem ‚heiteren Künstler-Soldaten‘ Mit der Suche nach Laienkünstlern reagierte das OKW auch auf die Sehnsucht der Bevölkerung, den heiteren Soldaten zu sehen oder zu hören . Deren Wunsch spiegelte unterschiedliche Bedürfnisse . Heitere Soldaten waren schlicht am Leben, signalisierten Zuversicht und emotionale Stärke . In den ersten beiden Jahren symbolisierten soldatische Scherze die schnellen Siege einer verletzungsmächtigen Nation . Zunehmend wichtiger wurde dann der Aspekt, die Rhetorik der Superlative in den Alltag zu übersetzen . Für die Menschen im Reich unterbrachen Scherze das angespannte Warten auf Nachricht besser als Belehrung, zumal wenn Wehrmachtsberichte nichts hergaben . Soldaten drückten in Spott und Ironie eine ganze Skala von Gefühlen aus, etwa ihre Sehnsucht, heimzukehren . All dies trug dazu bei, dass sie Heiteres von der Front berichteten, aber auch von zu Hause einforderten . Zugleich aber blieb Humor das Zeichen für Verletzungsmächtigkeit und wurde bis zuletzt so inszeniert . Der Publikumswunsch war Programm für die Wehrmacht . Denn der SD bemerkte nach Kriegsbeginn nicht nur süffisant, dass die politische Kommunikation im Land ohne Sottisen nicht mehr funktioniere .425 Er betonte auch, wie wichtig Ernstes und Heiteres für die Stimmung sei . Gerade weil der SD die Skepsis gegenüber Wehrmachtsberichten notierte, wurde die parallele Beobachtung wichtig, dass das Publikum immer Harten, Himmlers Lehrer, 251, zur Alkoholwarnung 270 . Berger, Experten, 332 . 422 So Zimmermann, Die deutsche militärische Kriegführung, 325 . 423 Zwischen Front und Heimat, 615, 651 f . 424 So verstehe ich auch das intensive Kulturleben, das Hans Frank 1944 in Krakau inszenierte, also nicht nur als Ablenkung angesichts der absehbaren Niederlage, so Schenk, Hans Frank, 354 . 425 Meldungen, Bd . 5, 2 .9 .1940, 1526 . Ebd ., Bd . 12, 18 .1 .1943, 4696–4699 . S . a . ebd ., 25 .1 .1943, 4714– 4717 . 420 421

4 . „Humor = Mit Gewalt“: ‚Unterhaltung‘ im Vernichtungskrieg

dann, wenn es den Soldatenhumor der Wochenschauen „echt“ finde, auch dazu neige, alles Andere zu glauben .426 Die zynische SD-Botschaft, dass die Bevölkerung sich angesichts soldatischer Heiterkeit mit dem Krieg identifiziere,427 beflügelte den Wunsch der Medienmacher, erkennbar gestellte Szenen zu vermeiden . Denn das Publikum teilte mit, welche Angebote es ‚echt‘ fand . Gerade weil Scherze die Hoffnung stärkten, wollte niemand sie missen, und wenn sie kamen, waren sie oft zu kurz .428 Nach erfolgreichen Radiosendungen waren Liederhefte mit Soldatenliedern schnell vergriffen .429 Am attraktivsten fand das Publikum die Kombination von „Ernst und Heiterkeit“, also sachliche Information, spannende Kampfszenen und heiteres Soldatenleben .430 Wochenschaubilder der Waffen-SS aus Finnland beeindruckten Zuschauer/innen Ende August 1941, weil der starke feindliche Widerstand die deutsche ‚Leistung‘ erkennen lasse . Der SD hob kursiv hervor, dass das Publikum darauf achtete, ob „lachende oder vergnügt aussehende deutsche Soldaten“ zu sehen seien, als Beweis, in schweren Kämpfen gesiegt zu haben .431 Als die schlechte Versorgung des Heeres im Winter 1941/42 beunruhigte, halfen Szenen aus dem Lagerleben, etwa ein aus einer Milchkanne gezimmerter Ofen .432 Zuschauer/innen freuten sich, wenn Soldaten, die Leningrad belagerten, fröhlich mit ihrer steif gefrorenen Wäsche winkten . Persönliche Szenen lockerten das Pathos der Berichte auf .433 Bei der Schlacht um Stalingrad machten derartige Szenen den Angehörigen bis zuletzt Hoffnung .434 Das OKW investierte daher einiges, um soldatische Fröhlichkeit ins Reich zu vermitteln . Es gab mit dem Bund deutscher Volkskunst-Vereine und der Münchner Heeresbücherei ein Wörterbuch der deutschen Soldatensprache heraus, „deren gesunder und erfrischender Humor dem ganzen Volke erschlossen werden sollte“, wie das Berliner 12-Uhr-Blatt im November 1941 verkündete .435 Das OKW ermunterte Soldaten in einer Sonderschrift, auch dafür Beispiele einzusenden .436 Wohl mokierten sich Wehrmachtsangehörige über didaktische Ratschläge, wie sie heiter nach Hause schreiben sollten . Doch appellierten sie ihrerseits an Angehörige, „Humor“ und „Mut“ nicht zu verlieren . Albert Neuhaus beschwerte sich regelmäßig, dass seine Frau zu wenig fröhlich sei . Er riet ihr im April 1943 paternalistisch, dass es ihm helfe, „zu Hause ein frohes Frauchen zu wissen“ . Sie müsse einsehen, dass man mit guter Laune besser arbeiten könne und über scheinbar Schweres leichter hinwegkäme .437 Soldaten nutzten den humorigen Code aber auch, um Kriegsmüdigkeit, Materialknappheit und Zorn über die Kriegführung zu äußern oder Informationen wei426 427 428 429 430 431 432 433 434 435 436 437

Ebd ., Bd . 9, 8 .1 .1942, 3139 . Ebd ., Bd . 4, 17 .6 .1940, 1267 . Ebd ., Bd . 8, 20 .11 .1941, 3012 . Ebd ., Bd . 4, 3 .6 .1940, 1209 . Ebd ., Bd . 9, 19 .2 .1942, 3342 . Ebd ., Bd . 8, 28 .8 .1941, 2704 (Hervorhebung im Original) . Ebd ., Bd . 8, 11 .12 .1941, 3078 . Ebd ., Bd . 8, 18 .9 .1941, 2775 f . Ebd ., 30 .10 .1941, 2934 . Ebd ., Bd . 12, 17 .12 .1942, 4578 . BArch, NS 18/1026, Bl . 39 (Zitat), 43 . BArch MA, RW 6/424, Aufruf zur Sammlung der deutschen Soldatensprache 1942 . Zwischen Front und Heimat, 822, 838 .

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terzugeben . Angesichts der geschwundenen deutschen Lufthoheit notierte der SD im Dezember 1943 ärgerlich eine „Besprechung im Führerhauptquartier von 1950“, die „die Vergeltung“ noch einmal vertagt habe: Man habe sich nicht einigen können, ob die beiden deutschen Flugzeuge neben- oder hintereinander fliegen sollten .438 Militärangehörige klagten über die Kriegsdauer,439 mangelnden Urlaub, schlechte Versorgung440 oder die Feldpost .441 Wohl mochte Richard S . es bitter meinen, doch traf er im November 1944 auch den erwünschten Ton mit dem Witz, den er „von einem Feldwebel gehört“ haben wollte – erneut die geläufige Distanzierungsformel . Ein General habe „vorne“ Stellungen besichtigt und einen Gefreiten hinter dem M . G . gefragt, was er mache, wenn er keine Munition mehr habe: „Weiterschießen, Herr General, damit der Feind nicht merkt, dass ich keine Munition mehr habe .“442 Auch Soldaten, die jede Hoffnung aufs Überleben verloren hatten, belegten, dass der Humorbegriff für Kampfgeist stand . An Silvester 1942 beschrieb der Gefreite Bruno Kaliga aus Stalingrad seiner Familie sein Entsetzen, seine Sehnsucht, den Hunger und die Erschöpfung . Er fügte hinzu: „Meine Lieben, ich dürfte euch dies alles ja garnicht schreiben, aber ich habe keinen Humor mehr im Leibe, und das Lachen ist mir vollständig vergangen . Man ist nur noch ein Bündel zitternder Nerven … Wenn man mich wegen dieses Briefes vors Kriegsgericht stellt und erschießt, so möchte ich glauben, wäre es für den Körper eine Wohltat .“443 Andere wiederum signalisierten nach der alliierten Landung in der Normandie mit Scherzen ihre wiedererwachte Siegeszuversicht . Sie hofften auf den versprochenen Gegenschlag . Vor allem aber fühlten sie sich von der Führung auf Augenhöhe anerkannt, weil diese die schwierige Lage nun nicht mehr ignorierte . Spott über die militärischen Gegner fungierte somit noch in den späteren Kriegsjahren als vertrauensbildende Maßnahme, sofern er die deutschen Verluste nicht klein redete und Soldaten sich als ‚Partner‘ im gemeinsamen Krieg ernst genommen fühlten . Selbst Fritzsche bekam wieder Komplimente, solange er nichts verschwieg: „Und auch Fritzsche sprach eben, und man atmet auch ganz anders auf .“444 Der in Bordeaux stationierte Hauptmann Richard D . fand, dass Fritzsche „wieder recht ironisch und vertrauensvoll“ gesprochen habe, auch wenn Rom „leider futsch“ sei .445 Nach der alliierten Landung tauchten serienweise V-Waffen-Witze auf, die die Sprache der Superlative karikierten, indem sie die Erfolge ins Absurde übertrieben . So konnte man auch kritisieren, ohne den Rahmen des SagMeldungen, Bd . 15, 6187, 27 .12 .1943 . Etwa, dass Hitler, Stalin und Roosevelt friedlich zusammen im Himmel sind, sich irgendwann an den Krieg erinnern und ihnen der himmlische Dienstälteste Methusalem entsetzt erklärt, sein Jahrgang werde eingezogen, BfZ, Sammlung Sterz, Hauptmann Emerich P ., 1 .7 .1943 . 440 BfZ, Sammlung Sterz, Oberleutnant Helmut H ., 9 .12 .1942 . 441 BfZ, Sammlung Sterz, Oberleutnant Hans S ., 9 .12 .1942 . 442 BfZ, Sammlung Sterz, Soldat Richard S ., 24 .11 .1944 . Zu Durchhalteappellen Kessel, Gewalt schreiben, 254 f . 443 Ebert (Hg .), Feldpostbriefe aus Stalingrad, 241 f . 444 BfZ, Sammlung Sterz, Obergefreiter Rudolf B ., 16 .6 .1944 . 445 Nebenbei nutzte auch er den Leistungsbegriff zur Kriegsdeutung . Denn D . hoffte auf eine deutsche Gegenoffensive, um sich nicht ärgern zu müssen, „wenn die ganze Arbeit hier umsonst gewesen wäre“ . Sammlung Sterz, Hauptmann Richard D ., 6 .6 .1944 . 438 439

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baren zu verlassen . Unteroffizier Werner F . aber, ein überzeugter Nationalsozialist, erneuerte die Selbstbeschreibung als Opfer: Seine Einheit freue sich, dass „nun vergolten“ werde, worunter Deutschland seit Jahren zu leiden gehabt hätte . Der Wehrmachtsbericht habe alle begeistert, Goebbels‘ spöttischer Satz „Hilfe, wir werden ermordet“ werde viel zitiert, und „natürlich“ seien „sofort“ die ersten Witze aufgetaucht: Beim ersten V-Schuss habe es zwei Millionen Tote gegeben, und die leere Hülse sei mit 60 Gefangenen zurückgekommen .446 Diese Vielfalt der Stimmen blieb bis zur Kapitulation erhalten . Der Durchbruch mahnte im September 1944, dass scharfe Witze nur dann okay seien, wenn man weiterkämpfe: „Sag mal, August, kennst du nicht einen neuen Witz? – Jawoll . Aber den jeb’ ick nur an alte Stammkundschaft ab!“447 Doch SS-Oberscharführer Mayer, der auf Korsika in englische Kriegsgefangenschaft geriet, war zuversichtlich: „Bis jetzt hat der Adolf immer gehalten, was er versprochen hat . Wer zuletzt lacht, lacht am besten!“448 Werner F . versicherte im April 1945, dass seine Einheit nicht den „Humor“ verlieren, sondern sie sich untereinander fragen würden: „Bist du schon amerikanischer Staatsbürger?“ Er hoffte auf einen neuen Angriff nach Ende des schlechten Wetters, um „den Russen“ zu „schlagen“, „bis er nicht mehr kann“ .449 NS-Aktivistinnen fühlten sich ihrerseits wertgeschätzt, wenn sie als ‚Kämpferin‘ oder ‚Kameradin des Kämpfers‘ galten, und demonstrierten bis zur Niederlage einen regelrechten „Partizipationshunger“, um sich der NS-Gesellschaft als würdig zu erweisen .450 Den Verfolgten aber half, dass die Deutschen auf der Flucht waren . Kitty Hart, die nicht nur Auschwitz-Birkenau überlebte, sondern auch den Todesmarsch ins Reich, erinnerte sich, wie sie und andere über die SS und die Vertriebenen lachten, denen sie im Februar 1945 begegneten, als schiere Überlebenshilfe und um sich Mut zu machen .451

446 447 448 449 450 451

BfZ, Sammlung Sterz, Unteroffizier Werner F ., 19 .6 .1944 . Der Durchbruch . Soldatenzeitung der Ostfront, Folge 496, vierte Septemberausgabe, 1944, 12 . Zit . nach Straub, Wahrnehmungen, 322 . BfZ, Sammlung Sterz, Unteroffizier Werner F ., 1 .4 .1945 . Kramer, Volksgenossinnen, 54, 87 f ., Zitat 87 . Hart, Aber ich lebe, 151, 158 .

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5. Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik Abel Herzberg war Rechtsanwalt und ein bekannter holländischer Zionist . Die deutschen Besatzer verschleppten ihn zunächst nach Westerbork, dann nach Bergen-Belsen . In seinem Tagebuch beschrieb er im September 1944, wie ein polnischer Rabbiner, der die jüdischen Gesetze befolgte, so gut es eben ging, sich weigerte, seinen Bart abzurasieren, obwohl es ein auffälliger Bart war . Er habe Rabbiner S . als „typischen polnischen Juden“ ausgewiesen und zur Zielscheibe für den Spott der ganzen SS gemacht . Die SS schikanierte die Häftlinge, von denen sie wusste, dass sie Rabbiner waren, ganz besonders, weil diese als einflussreiche Führer des Judentums galten; daher versuchten manche, ihre Stellung zu verbergen . Wohl hatten Rabbiner in Bergen-Belsen mitunter größere Überlebenschancen, weil die deutschen Machthaber sie als wertvolle Geiseln für Austauschaktionen betrachteten .452 Aber das wussten Häftlinge nicht unbedingt, oder sie konnten sich nicht darauf verlassen . Die Weigerung war daher lebensgefährlich . Doch, so Herzberg weiter, die SS habe befehlen können, was sie wolle, Rabbiner S . habe sich nicht rasiert: „Deutschland fällt, das Dritte Reich fällt, der Bart von R . S . fällt nicht . Und sage nun noch einer, dass die Juden nicht organisieren können . So, meine Herren des Mythos, ja so macht ein Volk Geschichte .“453 Herzberg hielt fest, wie wichtig Akte alltäglicher Selbstbehauptung in einem Raum waren, in dem die Verfolgten keine Rechte hatten . Die Weigerung des Rabbiners stärkte seine Überzeugung, dass es den Deutschen nicht gelingen werde, das Judentum zu zerstören .454 Herzberg selbst schaffte es sogar im Lager, demokratische Rechtsstrukturen zu etablieren, eine Lagerjustiz von Häftlingen für Häftlinge, die Diebstähle untereinander ahndete .455 Neben dem Spott notierte er noch eine weitere Herrschaftspraktik der SS, die die Häftlinge emotional und physisch treffen sollte: den Schmutz . Der Jurist beschrieb die furchtbaren Bedingungen in Bergen-Belsen . Diese verschlimmerten sich durch die Explosion der Häftlingszahlen im letzten Kriegsjahr, als die Deutschen so viele Gefangene wie möglich ins Reichsgebiet trieben, noch einmal dramatisch . Allein im März 1945 starben 18 .000 Häftlinge .456 Herzberg verzweifelte fast daran, dass die Gefangenen von ihren Körpern überwältigt, zu Schmutz und Durchfall verurteilt und zur Aufgabe einer privaten Hygienemoral gezwungen würden . Doch resümierte er stolz, dass sie nie den Kern der öffentlichen Moral aufgegeben hätten, sondern zu Verhaltensweisen gezwungen würden, die sie unter normalen Umständen niemals akzeptiert hätten .457 Herzberg benannte Kernelemente der Vernichtungspolitik . Denn die Verfolgenden inszenierten den Holocaust als einen regelrechten ‚Karneval der Gewalt‘ . Darin diente ihr Spott zum einen als zusätzliche Folterpraktik . Doch töteten Gewaltakteure nicht nur, sondern führten ihre Verletzungsmacht gerade während der Shoah theatralisch auf . In 452 453 454 455 456 457

Rahe, „Höre Israel“, 48 . Herzberg, Zweistromland, 120 . Herzberg, Zweistromland, 134 . S . a . ebd ., 53 . Ebd . Andere Beispiele bei Wünschmann, Before Auschwitz, 165 . Wachsmann, Dynamics, 35 . Herzberg, Zweistromland, 208 .

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

ihrem Hohn agierten sie daher zum anderen die Deutung von Geschichte, Gegenwart und Zukunft aus, mit der sie den Genozid legitimierten, und signalisierten zugleich, dass sie nichts begründen müssten . Karnevalisten machten ihre ‚Geschichtsschreibung im Alltag‘ lebendig, indem sie die Verfolgten als ‚nichtdeutsche Verlierer‘ darstellten . In den Prangerumzügen mussten die Betroffenen sich selbst als ‚Täter/innen‘ bezichtigen . In der Shoah weiteten Verfolger/innen als Regisseure des Schreckens beide Formen aus . An dieser Stelle fällt es mir endgültig schwer, den Begriff des ‚Künstler-Soldaten‘ zu verwenden, der die zirkuläre Selbstbeschreibung meinte, Gewalt in ‚Rechthaben‘ verkehren zu dürfen . In der Shoah zwangen Gewaltakteure die Leidtragenden, vor ihrer Ermordung ein unendlich oft zugeschriebenes ‚Nicht-Deutschsein‘ als ‚noch lebende Bilder‘ zu verkörpern . Die Betroffenen sollten vorführen, dass sie ‚unrein‘ und ‚Täter/ innen‘ seien, als ob alles, was ihnen eingeschrieben wurde, zuträfe . Die Art und Weise, wie Verfolger/innen ihre Gewalt ausübten, diente daher nicht nur dazu, sich als Gruppe und Komplizen zu konstituieren .458 Sie traten als ‚Künstler-Soldaten‘ auf, indem sie ihre Verletzungsmacht theatralisch inszenierten . Dabei organisierten sie ihr Vorgehen mithilfe wichtiger Elemente der deutschen Kultur . Sie verwandelten Kampfbereitschaft und Bildung, Reinheit und Arbeit im Fadenkreuz ihres Hohns in Folterstrukturen, indem sie die Verfolgten zwangen, einen ‚Negativspiegel‘ dieser Dimensionen zu liefern . Im Folgenden geht es darum, wie Gewaltakteure den Holocaust durch zentrale Sinnangebote der deutschen Kultur strukturierten und die Shoah als Identitätspolitik deuteten . Dabei nutze ich wesentlich Zeugnisse der Leidtragenden . Sie zeigen, wie Betroffene unabhängig von ihrer Herkunft oder dem jeweiligen Lagercharakter Hohn als Schlüssel oder eigene Dimension von Folter erlebten . Am Ende gehe ich kurz darauf ein, dass für Spott und Scherze ähnliches galt wie für andere Praktiken des Selbst: Während sie den Verfolgern dazu dienten, die Verfolgten zu quälen, gelang es manchen Inhaftierten auch, sie als Überlebensressource zu nutzen . Indem sie subtil die vollkommen asymmetrischen Machtbeziehungen karikierten, behielten sie die Deutungshoheit über ihr Schicksal . Theatralische Herrscher über die Körper der Anderen Um die Verhältnisse in der Shoah zu erfassen, ist kein Machtbegriff angemessen, der auch nur ein minimales Maß an Zustimmung aller voraussetzt . Denn die Macht der NS-Herrscher/innen war unausweichlich . Die Leidtragenden mussten sich dazu verhalten, während die Machthabenden Übermacht produzierten und zur Schau stellten .459 Unberechenbarkeit gehörte zu den Herrschaftstechniken: Für ein bestimmtes Verhalten wurden die Gefangenen an einem Tag angeschrien, an einem anderen Tag ermordet .460 Doch ist zu unterscheiden: Wohl zielten die Gewalthabenden auf totale

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So Kühne, Belonging . Mailänder Koslov, Gewalt, 28 . Buggeln, Arbeit, 384 .

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Herrschaft, und ihr Handeln war von den Verfolgten nicht zu beeinflussen .461 Aber die Forschung betont zu Recht, Häftlinge als Subjekte und Agierende und nicht nur als zwangsweise Reagierende zu verstehen . Inhaftierte bestimmten auch in den Lagern ihr Identitätsverständnis, ihren Zugriff auf Zeit und Raum, ihre Deutung von Familie und professioneller, geschlechtlicher oder konfessioneller Zugehörigkeit .462 Nur waren sie immer gezwungen, sich in ihrem Selbstverständnis neu zu positionieren . Das galt für kürzere Haftzeiten in den dreißiger Jahren, die für die Betroffenen nicht als begrenzt erkennbar waren, wie für die Häftlingsgesellschaften der Kriegszeit, aus denen es kein Entkommen geben sollte . So lebten die Verfolgten ihre herkömmlichen „Ideen von Gesellschaft“ auch in dieser Extremsituation, während gleichzeitig neue, den Lagerbedingungen geschuldete Strukturen und Phänomene entstanden, wie etwa neue Eliten .463 Dies galt auch für die Verfolgergesellschaft . Mit dem immer stärker ausdifferenzierten System der Konzentrationslager schufen die Deutschen eine gigantische neue Makrostruktur, die zahlreiche Optionen für finanzielle Einkünfte, sozialen Aufstieg und Machterwerb bot . Zur Begründung aber setzten nichtjüdische Deutsche dieselben Muster ein wie vor dem Krieg . Sie leiteten jede Verschärfung ihrer Politik und jeden neuen Krieg mit projektiven Schuldzuweisungen ein, um Verhaftungen, Gewalt und Expansion zu begründen .464 Wohl reflektierten manche der Verantwortlichen an der Spitze, dass die Beschuldigungen faktisch nicht zutrafen .465 Genau deshalb, so kann man sagen, markierte die NS-Gesellschaft Verfolgte und Inhaftierte als ‚Gefahr‘ und richtete sie so zu, dass die Zuschreibungen visuell und physisch scheinbar zutrafen .466 In der Ausübung der Gewalt verzahnten sich individuelle und strukturelle Faktoren: Die individuelle Disposition trug dazu bei, wie jemand den verfügbaren Handlungsraum nutzte; bestimmte Schlüsselpositionen wiederum positionierten die Täter in einem Umfeld der Gewalt, das die Ausübung zusätzlich erleichterte .467 Doch war gerade die Form wichtig, die sie ihrer Gewalt gaben, denn darin teilten sie mit, welchen ‚Sinn‘ sie ihr einschrieben . In Dachau etwa war die Position des Schutzhaftlagerführers ein Nadelöhr, um in die Elite der Lageraristokratie vorzustoßen . Gerade diese Männer empfahlen sich für höhere Aufgaben, indem sie ihre Macht in ‚spaßigen‘ Sketchen vor den Häftlingen inszenierten .468 Generell verkünden Akte extremer und öffentlich vollzogener Gewalt Vorstellungen von Identität, während sich die Täter/innen auch durch Sofsky, Ordnung des Terrors . Hier nur Heß u . a . (Hg .), Kontinuitäten . 463 Zum ersten Punkt Neurath, Gesellschaft, u . Suderland, Extremfall, zum zweiten Hájková, Die fabelhaften Jungs, 120 ff . 464 Bergen, Instrumentalization . Böhler, Auftakt . Zur Kontinuität der Deutungsmuster auch Confino, World without Jews . 465 Hilberg, Anatomie, 49–56 . 466 S . a . Dillon, Dachau, 143 . 467 Buggeln, Arbeit, bes . 388 ff ., 441, 479–484 . 468 Beispiele bei Dillon, Dachau, bes . 119–133 . S . a . Wachsmann, KL, 139 f . Hans Loritz, Kommandant in Esterwege, Dachau und Sachsenhausen, kommentierte Folter mit Gelächter und richtete seine Härte vor allem gegen die Häftlinge, die am unteren Ende der Lagerhierarchie standen, vgl . Riedel, Ordnungshüter und Massenmörder, 246 f . Zum Spott von Schutzhaftlagerführer Heinrich Forster und Rapportführer Hermann Campe in Sachsenhausen ebd . 251 . 461 462

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

die Öffentlichkeit ihres Handelns als Gemeinschaft konstituieren .469 Doch die eigene Verletzungsmacht nicht nur auszuüben, sondern im ‚Gelächter des Siegers‘ öffentlich zu inszenieren, ging darüber hinaus . Es bedeutete, sich performativ als ‚Künstler des Mordens‘ anzubieten, als ‚kreative Schöpfer‘ qua Vernichtung, um als ‚ideale Deutsche‘ den eigenen Karriereanspruch zu untermauern . In ihrem Spott ‚erzählten‘ diese Akteure ihre Version von Identität und Geschichte, mit der sie den Genozid begründeten . Im Novemberpogrom 1938 traten SA-Mitglieder theatralisch als Regisseure des Schreckens auf . Während sich die Bevölkerung vielfach an den Ausschreitungen beteiligte, verschleppten die Machthaber über 26 .000 meist bürgerliche jüdischdeutsche Männer nach Dachau, Buchenwald und Sachsenhausen .470 Indem die SA die Verhaftungen öffentlich durchführte, schuf sie den Rahmen für ihren eigenen ‚Auftritt‘ . Die Betroffenen mussten in Stadthallen oder temporären Verhaftungslokalen warten, während die Bevölkerung dem Transport zuschaute .471 Die organisierte Art des Zugriffs erinnerte den nach Buchenwald verschleppten Julius Meyer an die sorgfältig geplanten deutschen Geiselnahmen im Ersten Weltkrieg .472 Der Kern ihrer Selbstermächtigung bestand für die SA vielfach darin, die Angegriffenen zu einer kollektiven Selbstbezichtigung zwingen zu können . Laut hörbar und im Chor mussten die Verhafteten sich aller möglichen ‚Verbrechen‘ beschuldigen, die immer darin gipfelten, sich selbstverständlich als Deutsche zu fühlen . Gerade der Zwang, das eigene Selbstverständnis als Deutsche öffentlich verhöhnen zu müssen, traf viele der verhafteten Bürgerlichen tief . Für die Verfolger/innen lag ihr Statusgewinn darin, den Betroffenen das Deutschsein absprechen zu können: Sie konnten ihnen verbieten, sich auf Dimensionen zu beziehen, die als deutsch verstanden wurden und zugleich Status generierten, wie Kriegsteilnahme, Bildung oder Sprachfähigkeit .473 Die SA ließ sich ihr eigenes ‚Deutschsein‘ aber auch dadurch bestätigen, dass die Verfolgten den behaupteten Gegensatz von ‚jüdisch‘ und ‚deutsch‘ körperlich, gestisch und stimmlich demonstrieren mussten . Die symbolischen Muster, die SA und andere 1938 inszenierten, waren nicht neu . Gleich nach der Machtübernahme hatten SA-Mitglieder sorgfältig bestimmte Referenzen ausgewählt, um zu demonstrieren, dass und wie sie zu ‚Siegern‘ geworden seien . Rubin Weinmann aus Berlin, den sie 1933 verhafteten, warfen sie vor, illegale Broschüren zu vervielfältigen (er hatte einige in der Wohnung bei seiner Verhaftung) . In der Haft zwangen sie ihn unter anderem, vor einem Bild von Ebert, das sie ausschließlich zu diesem Zweck noch einmal an die Wand gehängt hatten, einige hebräische Worte zu sagen . Dann musste er sich vor einer Reihe von fünf SA-Männern verbeugen, sich mit „Herr Jude Weinmann, beschnitten“ vorstellen und davor und danach das Lied singen: Hier nur Sémelin, Elemente, 23 f . Appadurai, Dead certainty . Das Pogrom sollte die Emigration forcieren und Deutsche in die Feindkategorie ‚Jude‘ verwandeln, Wünschmann, Before Auschwitz, 5 f ., 9 f ., 76 ff . Zur Bevölkerung Longerich, Die braunen Bataillone, 235 f . 471 Vgl . Nachama/Hesse (Hg .), Vor aller Augen, 90, 110–116 . S . a . Loewenberg, Kristallnacht . 472 WL, 048-EA-0558, P .II .d ., No . 77, 1940, 7–9 . 473 Die Betroffenene wiederum versuchten ihr Selbstbild zu stabilisieren, indem sie die Verfolger ‚entbürgerlichten‘, Wünschmann, Konzentrationslagererfahrungen, 51 f . 469 470

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum Warum bin ich denn so traurig, warum mache ich mir denn solche Sorgen, vielleicht bin ich schon morgen in Oranienburg . Das große Glück kam über Nacht gegangen, die Nazi’s haben mich gefangen . Warum bin ich denn so traurig, warum mache ich mir denn solche Sorgen, vielleicht bin ich schon morgen mausetot .474

Die SA rasierte ihm und seinem ebenfalls verhafteten Freund Horst Rosenzweig zudem scharf den Kopf, und als Weinmanns Kopfhaut zu bluten anfing, musste Rosenzweig ihm den Kopf ablecken . Am Ende wurden beide gezwungen, zu einer von der SA aufgelegten Schallplatte einen „Negertanz“ aufzuführen .475 Die Verweise waren sorgsam ausgewählt, um die intersubjektiven Gewalt- und Herrschaftsbeziehungen auszugestalten . Die SA nutzte einen typischen Dreiklang der Feindmarkierung, als sie Demokraten, Juden und Schwarze miteinander identifizierte und die Verhafteten zwang, sich hier einzuschreiben . Als die Betroffenen die Verletzungsmächtigkeit der SA besangen, mussten sie mit allen Sinnen agieren: Sie mussten die Täter-Opfer-Verkehrung akustisch ausagieren und ihre eigene Zukunft negieren . Mit der Rasur implizierten die Täter einen Identitätsverlust der Verhafteten . Mit der Beschneidung mussten die Häftlinge eine körperliche Differenz laut benennen, die die Mehrheitsgesellschaft gerne als Zeichen einer wesenhaften Grenze interpretierte . Wie radikal die SA-Männer ihre ‚Bilder im Kopf ‘ in eine von den Verfolgten vorzuführende ‚Realität‘ verwandelten, zeigten sie schließlich, als sie Rosenzweig einen ‚blutleckenden Juden‘ verkörpern ließen . Die SA spürte ihre Macht nicht nur durch die Verhaftung anderer . Sie ließ sich ihr Gegenwartsbild von ‚heiteren nichtjüdischen Siegern‘ und ‚traurigen jüdischen Verlierern‘ noch einmal vorspielen . Beim Pogrom 1938 beließen zahlreiche Aktivisten es nicht beim Wort Jude . Sie wollten „Saujuden“, „Scheißjuden“ oder „Judenschweine“ hören, also eine Selbstherabsetzung durch die Schmutzassoziation oder die Selbstbezichtigung als Betrüger . Den Oberarzt bei der deutschen Eisenbahn Edgar Rhoden hielt die SS sieben Monate in Dachau und Buchenwald fest . Er beschrieb, wie im Transportzug nach Dachau einer der Verhafteten immer, wenn ein Offizier an ihrem Abteil vorbeikam, laut rufen musste: „Herr Oberleutnant, 10 Judenschweine zur Stelle“ .476 Ein anderer Deportierter berichtete, sie seien in Buchenwald nur als „Lude“, „Zuhälter“ oder „Betrüger“ angeredet worden; jede korrekte Antwort auf die Frage, was sie „bisher“ gewesen seien, habe Schläge zur Folge gehabt .477 Ein jüdischer Deutscher, der bei einem Fluchtversuch WL, 048-EA-0523, Ref . P .II .C ., No . 607, 4 f . WL, 048-EA-0523, Ref . P .II .c ., No . 607, 5 . 476 WL, 055-EA-1014, P .III .h . No . 51, 1 f . Rhoden gelang am 17 . August 1939 die Ausreise nach London, als Begleiter eines der letzten Kindertransporte nach England . 477 WL, 046-EA-0450, Books . B . 193, 1 . 474 475

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

nach Belgien Mitte November 1938 verhaftet und nach Oranienburg gebracht worden war, berichtete von Zwangssprechchören: „Wir sind Verbrecher, wir haben die Ermordung des deutschen Diplomaten von Rath auf dem Gewissen!“478 Ein Wiener Rechtsanwalt, der verhaftet, aber nicht in ein Lager verschleppt wurde, erlebte das Frage- und Antwortspiel der SS mit Fragen wie: „Weißt Du Jud, warum du hier bist?“ und der höhnischen Nachfrage auf seine Berufsangabe: „Wie viele hast du betrogen, mehr als Zehntausend?“479 „Jordanplantscher“ galt als scherzhafte Anrede .480 Dr . Fritz Schreier, der Anfang April 1938 nach Dachau verschleppt wurde und danach nach Philadelphia zwangsemigrierte, notierte, dass der „Humor“ der SS darin bestand, mit Tod und Strafen zu drohen . Zu den „Witzen“ gehörte, dass ein Posten einen Häftling aufforderte, sich bei einem anderen Posten mit den Worten zu melden, er sei ein „Saukerl“ oder „Saujud“ .481 Wie verankert die Verkehrung der Rechtsbegriffe war und wie SA und ihr Publikum interagierten, zeigte auch das Vorgehen gegen einen bekannten jüdischen Anwalt, der beim Pogrom 1938 bei der Polizei gegen Pöbeleien protestierte . Ein SA-Mitglied schnitt ihm vor einer „lachenden Menge“ Hose und Unterhose ab und zwang ihm ein Plakat auf den Rücken mit der Aufschrift: „Solch dreckiger Saujude soll nicht weiter über uns richten!“482 Manche der Deportierten, die 1938 wieder entlassen wurden, erfuhren Zuspruch oder Unterstützung durch die Bevölkerung . Andere dagegen, die auf der Rückreise vom Lager äußerlich und durch ihre ängstliche Haltung als ehemalige Lagerinsassen erkennbar waren, mussten sich von Mitreisenden erneut verhöhnen lassen .483 Wie wichtig es war, die eigenen Gefühle gerade im Blick zu kontrollieren, wusste auch der untergetauchte Heinz Landwirth . Er lernte gezielt, Gleichgültigkeit, geheimes Einverständnis oder auch Spott zu signalisieren . Mit einem falschen holländischen Pass ausgestattet, schaffte er es, Zivil- oder Militärstreifen spöttisch, leicht ungeduldig oder mit der Duldermiene des „Pflicht ist Pflicht“ ruhig anzusehen . Gegenüber KL-Insassen oder Zwangsarbeiter/innen aber fühlte er sich als „Abtrünniger“, der „sein Leben rettete und sonst nichts“ .484 Schon vor dem Krieg setzten aktive Nationalsozialist/innen Gewalt häufig als einzige Kommunikationsform ein, um mit Verfolgten zu interagieren . Indem sie Argumenten auswichen, demonstrierten sie, dass sie Diskussion nicht nötig hätten . Ihre Einstellung wurde von Beobachter/innen bestätigt: Wie bei der feindlichen Übernahme des ‚Jüdischseins‘ im Karneval sicherten Direkttäter/innen und Zuschauer/innen sich auch bei Deportationen gegenseitig zu, so handeln zu dürfen . Rhoden beschrieb, wie das Wachpersonal eine ‚lustige Vorführung‘ organisierte, als sie auf dem Bahnhof in Weimar ankamen . Häftlinge mussten sich auf den Boden werfen, Turnübungen machen und sich schlagen lassen, während Reisende aus einem Zug vom gegenüberliegenden 478 479 480 481 482 483 484

WL, 046-EA-0450, Books, B . 297, 1 . WL, 046-EA-0450, Books, B . 209, 1 . Neurath, Gesellschaft, 125 . WL, 055-EA-1039, P .III .h . No . 482, 13 . AZAB, bMs Ger 91 (8), „Aralk“, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30 . Januar 1933, 36 . Wünschmann, Before Auschwitz, 207 f . WL, 050-EA-0703, P .III .d . No . 197, 23 f .

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Gleis zuschauten, die Frauen lachend, die Kinder jubelnd . Als deren Zug abgefahren sei, hätten sie der SS dankend zugewunken .485 Auf diese Weise stimmte das Publikum dem verletzenden Handeln zu und machte es sozial wirksam . Wolfgang Langhoff, den die Machthaber in der frühen NS-Zeit über ein Jahr inhaftierten, erinnerte sich ebenfalls an Gesichter voll Mitleid und an andere voll Hohn, die den Abtransport auf jeder Station beobachtet hätten .486 Ein weiterer Machtfaktor bestand darin, den Verhafteten auf verschiedenen Ebenen vorzuführen, dass nicht sie die Deutungshoheit über ihr Schicksal hätten . Das betraf zunächst elementar das Rederecht selbst . Denn wer zum falschen Zeitpunkt, nicht wie vorgesehen oder mit einem Tonfall oder Blick antwortete, den das Gegenüber zufällig nicht goutierte, riskierte Verletzung oder mehr . Doch zwangen die Machthabenden den Verfolgten darüber hinaus eine Erzählung ihres Schicksals auf, die nicht ihre eigene war . Dabei nahmen sie die auf den Straßen eingeübten Hämepraktiken in die Lager in Deutschland und im besetzten Europa mit . Lagerhäftlingen in Sachsenhausen hängten sie Spottschriften um den Hals mit Inschriften wie „Wir Juden sind die Zerstörer der deutschen Kultur“ .487 Gerieten Entflohene der SS während des Krieges wieder in die Hände, dann verhöhnte das Lagerpersonal die Betroffenen vor deren Ermordung, indem es sie mit dem Spottvers um den Hals durch die Baracke führte: „Ich bin wieder da“ .488 Im Verkehrungsmodus der deutschen Deutungskultur signalisierte der Satz nicht nur die misslungene Flucht, sondern verwies auf die baldige ‚Abwesenheit‘ im Tod . Verfolgte spürten den Hohn als zusätzliche, eigenständige Verletzung . Die Häftlingskleidung machte sie gezielt lächerlich . Manchen gelang es, über den „karnevalsartigen“ Aufzug zu lachen, um sich zu trösten .489 Auch der dialogische Duktus von Politikern und Publikum war bekannt . Ein in Buchenwald Inhaftierter erinnerte sich, dass Goebbels auf dem Parteitag von 1938 englische Berichte verspottet habe, denen zufolge Lagerhäftlinge von morgens 4 bis abends 8 arbeiten müssten . Der Minister habe hämisch kommentiert: „- und daran sind sie dann gestorben (höhnisches Beifallslachen)“490 – ein weiterer Dialog des ‚lustigen Volkes‘ . Wer in den dreißiger Jahren unter der Maßgabe sofortiger Ausreise wieder freigelassen wurde, konnte oft nicht über die ‚Unterhaltungsspiele‘ und ‚Belustigungspraktiken‘ der SS in den Lagern sprechen – nicht nur, weil es verboten war, sondern weil die Erfahrung so schrecklich gewesen sei, wie eine jüdische Deutsche festhielt, die 1939 als 44jährige von München nach Detroit floh .491 Die Erfahrung, dass Mitglieder der Bevölkerung dem Hohn öffentlich zustimmten, verschärfte noch die Erfahrung der Vereinzelung und des Unrechts . Auch die EheWL, 055-EA-1014, P .III .h . No . 51, 9 . Moore, „Noch nicht mal zu Bismarcks Zeiten“, 172 . 487 WL, 046-EA-0450, Books, B . 323, 1 f . 488 Zit . nach Mailänder Koslov, Gewalt, 351 . 489 WL046-EA-0450, Books, B 340, 6, anon . S . a . A . Schweid, in: WL-064-EA-0906, P .III .h . (Auschwitz), 26 . Zum Spott der SS über die Rasur Hart, Aber ich lebe, 84 . Wünschmann, Konzentrationslagererfahrungen, 55 . 490 WL, 046-EA-0450, Books, B . 300, 2 . 491 AZAB, bMs Ger 91 (8), „Aralk“, Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30 . Januar 1933, 49 . 485 486

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

frauen der Häftlinge von 1938 trafen auf spöttische Reaktionen . So bekamen sie von den Behörden oder SA-Männern zu hören, sie würden es schon erfahren, wenn ihre Angehörigen gestorben seien .492 Die damals 16jährige Herta Rosenthal, die wenig später selbst nach Riga verschleppt wurde, notierte bei der ersten Deportation aus Leipzig 1941, dass viele Zuschauer/innen dem Abtransport lachend zugesehen hätten .493 Klemperer kommentierte Hitlers Formel vom Gelächter bitter: Die Juden seien die einzigen, denen er Wort gehalten habe .494 Als die Vernichtung an die Stelle von Ausgrenzung und Vertreibung rückte, änderten sich diese Verhaltensweisen nicht . Die erzwungene Selbstbezichtigung blieb ein entscheidendes Moment, damit Verfolger/innen ihre Macht spüren und durch die ‚Täterprojektion‘ im Umkehrschluss als ‚rein‘ oder ‚produktiv‘ auftreten konnten . In Buchenwald zwang Kommandoführer Schmidt 1943 einen Gefangenen fast jeden Tag, sich nackt auszuziehen, auf einen Baum zu klettern und zu schreien: „Ich bin eine dreckige Judensau!“495 In Ravensbrück attackierten die Aufseherinnen Greta Bösel und Emma Zimmer die Häftlinge als „faule Juden“ oder „jüdische Schweine“; die überlebende Ida Hirschkron sagte über Zimmer aus, dass sie unterschiedslos geschlagen und kranke, arbeitsunfähige Frauen zur Bestrafung vorgeschlagen habe .496 Bei den Massenmorden an der Front schrien manche Täter direkt vor dem Mord die Opfer als „Judensäue“ an . Auch sie wandten sich nicht nur an die Leidenden, sondern an Zuschauende, um ihre Verletzungsmacht zu bestätigen .497 Der französische Widerständler und Theologe Aimé Bonifas erlebte ebenfalls, wie Anwohner/innen die Gewaltakteure unterstützten . Als er 1943 nach Buchenwald deportiert wurde, begleiteten einige Weimeraner die Häftlinge mit hämischem Gelächter, als sie auf ihrem Weg ins Konzentrationslager durch den Ort geführt wurden . Ein „Gretchen auf ihrem Fahrrad“ habe geschrien: „Warum bringt ihr sie nicht einfach alle um?“498 Doch so genau Verfolgte den Hohn registrierten, so entschieden beteuerten sie ihren Mut, durchzuhalten . Anne Karten aus Homberg machte der in Essen wohnenden Familie Kern am 20 . September 1941 nach der Einführung des gelben Stern Mut, zumal ihre Umgebung sie deswegen offenkundig nicht unter Druck setzte: Habt Ihr Euch mit dem Gelbgestirn auch schon angefreundet? Ich finde, dass sich in diesem Fall das Wort: ‚Es wird nichts so heiß gegessen wie gekocht‘, fabelhaft bewährt . Unsere lieben Mitmenschen lassen unseren linken Busen vollkommen links . Und wir wollen das ganze Ordnungssystem links lassen und dafür diejenigen sein, die zuletzt lachen . Aber findet Ihr nicht auch, dass wir darum schon ein klein wenig auf Vorschuss lachen dürfen?499

Reich, Als mein Mann, 261 f ., s . a . 269 . Friedländer, Jahre der Vernichtung, 335, s . a . 361 f . 494 Mieder, Sprichwörter, 9 . 495 Kogon, SS-Staat, 90 . 496 Zit . nach Wünschmann, Before Auschwitz, 227 f ., auch zum Problem, als Juden und Deutsche verfemt zu werden . 497 Christ, Dynamik, 113 . Zur Bedeutung von Raum und Öffentlichkeit im Holocaust ebd . 106 ff . 498 Zit . nach Fings, Public face, 119 . 499 WL, 049-EA-0639, P .III .a . No . 304, 1 . 492 493

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Die Essener Gestapo, die den Brief abfing und am 27 . September an die Leitstelle Düsseldorf weiterleitete, behauptete prompt, dass die Betroffenen nicht beeinträchtigt seien, sondern die Maßnahme im Gegenteil noch „lächerlich machen“ würden .500 Mirjam Bolle notierte in ihrem Brieftagebuch für ihren Verlobten am 24 . Dezember 1943, dass in der Zeitung gestanden habe, dass die Berliner Bevölkerung angesichts der Bombardierungen nicht mehr lache . Sie ergänzte: „Weißt du noch, ich hatte dir einmal geschrieben, Hitler habe gesagt, den Juden werde das Lachen vergehen . Wirklich, es ist uns vergangen, aber ihnen auch! Und noch immer versuchen wir, das Beste daraus zu machen .“501 Eine Frau, deren Schwester beim gemeinsamen Fluchtversucht aus Majdanek entkommen konnte, während sie wieder gefasst wurde, fand die Kraft, ihren Henkern kurz vor ihrer Ermordung ins Gesicht zu schreien, nicht nur dass, sondern wie deren Herrschaft ein Ende finden werde: „Heute lacht ihr, morgen wird man über euch lachen!“502 Sie benannte, wie die Deutschen ihren Machtanspruch artikulierten . Kampfbereitschaft und Bildung, Verkehrungsdimensionen von Bürgerlichkeit Doris Bergen hat darauf aufmerksam gemacht, dass nichtjüdische und jüdische Deutsche ihre Handlungsmöglichkeiten während des Holocaust in der Rückschau oft geradezu spiegelverkehrt beschrieben . Mitglieder der Tätergesellschaft behaupteten, nichts gewusst zu haben oder ohnmächtig gewesen zu sein . Die Überlebenden dagegen, die im Regime der Vernichtung Funktionen innehatten, die sie vor unlösbare Alternativen stellten, betonten ihre agency jenseits jeder realistischen Möglichkeit, die Situation tatsächlich beeinflussen zu können . Zumindest narrativ verwandelten sie ihre mangelnden Handlungsspielräume in die Vorstellung, gehandelt zu haben, häufig um den Preis eines überhöhten Schuldgefühls, für den Tod anderer verantwortlich zu sein .503 Dass die Verfolgergesellschaft die Verfolgten so oft zwang, sich in der einzigen öffentlich oder laut zulässigen Erzählweise ihrer selbst als feige oder handlungsunfähig zu beschreiben, mochte zu deren späterer Betonung von agency beigetragen haben . Zugleich hat die Lagerforschung zahllose Formen der Selbstbehauptung sichtbar gemacht, die Gefangene den Versuchen entgegenstellten, ihr Selbstverständnis zu zerstören . Kim Wünschmann etwa hat gezeigt, wie wichtig es den 1938 Verhafteten war, ihre Selbstwahrnehmung als bürgerliche Männer und aufrechte Soldaten wenigstens erzählerisch oder im Nachhinein wiederherzustellen . In der Situation totaler Ausgesetztheit empfanden sie es nun als heroisch, Spott und Gewalt mit dem Ideal des Revolutionärs, der Bürgers und des Soldaten vor Augen schweigend und stoisch zu ertragen, ohne zu verhandeln und sich damit in ihren Augen auf das Nicht-Niveau der Verfolger einzulassen .504 Denn die Behandlung zielte gerade darauf, ihnen den Status des Soldaten abzusprechen . Bereits beim Boykott von 1933 hatten viele Betroffene ihre militäri500 501 502 503 504

Ebd . Bolle, Tagebuchbriefe, 217 f . Zit . nach Lipman, Laughter in Hell, 22 . Bergen, No End in Sight, 294–299, bes . 295 f . Wünschmann, Männlichkeitskonstruktionen, 207 f .

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

schen Abzeichen angelegt, um ihren Kampf für Deutschland im Ersten Weltkrieg zu dokumentieren . Nach der Verhaftung 1938 mussten sie als erstes diese Ehrenzeichen ablegen . Ein ehemaliger Soldat, der sein Verwundetenabzeichen präsentierte, bekam zu hören: „Wir werden dir hier noch ein zweites Verwundetenabzeichen besorgen .“505 Edgar Rhoden musste sich selbst als feige besingen: Ich bin ein Jude, kennt ihr meine Nase, in hohem Bogen schwebt sie mir voran, im Kriege war ich feige, wie ein Hase, jedoch im Schachern stellt ich meinen Mann .506

In manchen Situationen wiederum zeigten sich in dieser Hinsicht Brüche bei Gewaltakteuren . Mitunter blitzte auf, dass und wie manche daran ‚arbeiteten‘, die nationalsozialistische Deutung noch zu verinnerlichen . Das Regime gestand Juden, die im Ersten Weltkrieg gekämpft hatten, zumindest anfangs noch zu, kämpferisch gewesen zu sein . Das Gesetz über das Berufsbeamtentum nahm die ehemaligen Frontkämpfer zunächst von den Berufsverboten aus . Maximilian Reich zumindest machte die Erfahrung, dass ein Blockführer aufhörte, ihn zu beschimpfen, als er seine Erfahrung als Offizier betonte . Der Aufseher hatte polemisiert, dass alle österreichischen Soldaten im Ersten Weltkrieg feige gewesen seien . Als Reich gegen seine übliche Gewohnheit die Fassung verlor und ihm vorwarf, er sei zu jung, um jemanden zu beurteilten, der acht Jahre Offizier gewesen sei, brach der Blockführer den Austausch ab .507 Allerdings hatte der Mann, der offenkundig eher in nationalen als völkischen oder rassistischen Kategorien dachte, die jüdischen Gefangenen auch ansonsten nicht mit höhnischer Verachtung behandelt . Zugleich aber erlaubte ihm seine Position, ein Gespräch abzubrechen, das ihn verunsicherte . Hier setzten der Spott der Machthabenden sowie der Entzug des Rederechtes und die erzwungene Selbstverunglimpfung der Häftlinge an: Sie wollten den Raum für Zweifel beseitigen . Für die verhafteten Männer war es zentral, ihr Männlichkeitsverständnis zu stabilisieren . Dazu mussten sie das Verhältnis von Ehre und Scham unter Zwang für sich neu aushandeln .508 Ein Verhafteter unterstrich die „Festigkeit“, mit der ein anderer Mann sich weigerte, sich selbst als „Scheißjuden“ zu bezeichnen, sondern sich einen „Juden“ nannte, und dafür beschimpft und geschlagen wurde . Der Betroffene erschien ihm als der eigentliche Soldat .509 Auf der Seite der Herrschenden dagegen diente die Projektion des ‚feigen Juden‘ noch während der Shoah dazu, die Ermordeten zu verspotten . Der Soldat S . M . schrieb in einem Brief vom 7 . Dezember 1942, dass pro Woche 7000 bis WL, 046-EA-0450, Books, B . 323, 3, anonym . WL, 055-EA-1014, P .III .h . No . 51, 2 f . 507 Reich, Mörderschule, 181 f . 508 Wünschmann, Männlichkeitskonstruktionen, 207 . Dies ., Konzentrationslagererfahrungen, 49 ff . 509 WL, 046-EA-0450, B . 323, 2, anon . Ein anderer Häftling sollte behaupten, dass er seiner Stellung als höherer Beamter unwürdig gewesen sei, ebd .,7 . 505 506

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

8000 Juden in Auschwitz ankämen, um den „Heldentod“ zu sterben .510 Er karikierte die Opfer als ‚nichtkämpfende Juden‘ . Bildung und Sprachmächtigkeit waren weitere Elemente deutscher Bürgerlichkeit . Sie gehörten ebenfalls zu den Praktiken des Selbst, die im Lager Trost spenden und genau deshalb lebensgefährlich werden konnten . Denn die Verhafteten erwiesen sich damit als die deutschen Bürger, die sie waren, was das herrschende Denken jedoch als ‚illegitimen‘ Angriff auf Deutschsein diffamierte . Julius Meyer entwarf seine Mitgefangenen als ideale Gebildete, die ihr Selbstverständnis auch im Gewaltkontext beibehielten . Er beschrieb, wie einige Akademiker beim stundenlangen Appell eine philosophische Diskussion begonnen hätten, um dann gedankenverloren die Ordnung aufzulösen und zwischen den Blocks von Gefangenen spazieren zu gehen . Damit steckten sie andere an, bis alle diskutierend umhergewandert seien – Häftlinge im Philosophenspaziergang . Meyer erinnerte sich, wie er die anderen händeringend gebeten habe, doch nicht den Zorn und die Gewalt der SS auf sie alle herab zu beschwören . Doch sei es in diesem Fall noch einmal gut gegangen .511 Ein anderer habe Englisch gelernt und die Kommentare von Mithäftlingen ignoriert, dass es unmöglich sei, zu lernen, wenn einem der Zwang, Steine zu schleppen, das Gehirn „austrocknen“ lasse .512 Indem er wohl an die Emigration dachte, gestaltete er seine eigene Zukunft im Kopf . Meyers Angst, dass die SS gewaltsam auf die Gelehrsamkeit der Häftlinge reagieren könne, war nur zu berechtigt . Denn wenn die SS jüdische Häftlinge dabei überraschte, wie sie ihre deutsche Kultur lebten, zwang sie sie, gegeneinander zum ‚Täter‘ zu werden . Maximilian Reich erlebte, wie zwei seiner Mitgefangenen akademische Dispute begannen, wenn sie sich unbeobachtet wähnten . Als ein Aufseher sie trotz Reichs Warnung erwischte, mussten sie sich gegenseitig blutig schlagen .513 Denn das Verhalten sollte ihnen nicht mehr zustehen, sondern galt als widerrechtliche Grenzüberschreitung . Edgar Rhoden erlebte ebenfalls, wie ein SS-Mann zwei Häftlinge zwang, einander blutig zu schlagen514 – auch dieser Aufseher zwang die beiden in die Position eines ‚Täters‘ . Wenn Machthabende jüdische Häftlinge zu Unterhaltungszwecken gegeneinander boxen ließen, verwandelten sie sie ebenfalls in ‚Angreifer‘ .515 Sie selbst erfuhren ihre absolute Macht, indem sie das ‚Vorführen‘ der imaginierten Negatividentität erzwingen konnten . Andere machten Häftlinge zum Komplizen beim Morden . Eugen Kogon klang das höhnisch-zufriedene Gelächter eines SS-Aufsehers in den Ohren, der einen polnischen Häftling zwang, jüdische Häftlinge lebendig einzugraben . Das gelang dem SS-Mann zwar erst im zweiten Anlauf: Er zeigte dem Polen, der sich zunächst weigerte, dass er dann selbst so sterben werde . Dann trampelte der Aufseher lachend den Boden über

Zit . nach Friedländer, Jahre der Vernichtung, 537 . WL, 048-EA-0558, P .II .d . No . 77, 90 f . 512 WL, 048-EA-0558, P .II .d . No . 77, 90 . 513 Reich, Mörderschule, 140 . S . a . Neurath, Gesellschaft, 186 . 514 WL, 055-EA-1014, P .III .h . No . 51, 7 . 515 Manche Häftlinge konnten aber auch ihre Situation verbessern oder sich als kämpferisch und stark wahrnehmen, s . Springmann, Boxen . 510 511

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

den Eingegrabenen fest, ließ sie fünf Minuten später wieder ausgraben und beide, den einen tot, den anderen gerade noch lebendig, ins Krematorium bringen .516 Ein Ausüben dessen, was als ‚deutsche Kultur‘ galt, gestatteten SA und SS nur, um den unterlegenen Status der Gefangenen und sich selbst als Kunstliebende zu inszenieren . So gehörte erzwungene Musikausübung zum Zwangsregime . Der 1938 verhaftete Erich Guttmann aus Potsdam (in London dann Eric Goodman) empfand es als „schamlose(n) Hohn“, zur Erheiterung der SS auf dem Weg von der Arbeit ins Lager fröhliche Lieder singen zu müssen . Es war für ihn fast so schlimm wie die Tortur, wenn die SS einen Kübel warmer Suppe über den hungrigen Männern ausschüttete und ihnen lachend zurief, ob ihnen nun warm würde .517 Doch war Musik auch Überlebenshilfe . Gefangene, die jahrelang in Buchenwald oder Sachsenhausen waren, schöpften Kraft, wenn sie das Lied von den „Moorsoldaten“ umdichteten .518 Auch der Verkehrungsmodus führte nicht dazu, dass deutsche Verfolgte die Kultur, die sie mit Verfolger/innen teilten, als sinnlos entwerteten . So hielt ein Professor Dr . Blum am 1 . Mai 1944 einen Vortrag in Theresienstadt über „Humor aus Ost und West“ .519 Gerade deutsche Bildungsbürger/innen mit jüdischem Hintergrund lobten die Mitgefangenen als ideale Persönlichkeiten, die es auf humorvolle Weise schafften, anderen Mut zum Durchhalten zu geben .520 Denn die Fähigkeit zum Lachen und Scherzen half beim Überleben . Die Bereitschaft, sich anderen noch in extremsten Bedingungen heiter zuzuwenden, mochte für Momente Entsetzen lindern und Hoffnung geben . Machthabende dagegen nutzten noch andere Elemente der deutschen Kultur, um die neue Hierarchie von den Betroffenen bestätigen zu lassen . Bürgerliche Männer hatten seit dem 19 . Jahrhundert voreinander den Hut gezogen, um sich gegenseitig eine hohe und gleichrangige soziale Position zu bestätigen . Indem jüdische Bürger nun den Hut vor den Gewalthabern ziehen mussten, sollten sie die neue Schichtung entlang einer behaupteten Differenz statt durch Leistung, Bildung, Herkunft oder Vermögen markieren . Als Dr . Arthur Flehinger nach seiner Verhaftung 1938 auf der Polizeiwache in Baden-Baden ankam, hatte sich bereits ein notorisch bekannter Polizist davor aufgebaut, vor dem alle Verhafteten den Hut ziehen mussten .521 Als ein nach Sachsenhausen Verschleppter sich bei der Ankunft für einen Moment unbeobachtet fühlte und seinen Hut wieder aufsetzte, schrie ihn ein SS-Mann an: „Du Scheißjude, gibst du zu, dass du ein Scheißjude bist!“522 Wie wichtig die symbolische Gratifikation auch im besetzten Osteuropa war, zumal, wenn man nicht zum Establishment der deutschen Besatzung zählte, zeigte Dieter S .: Als Mitglied des Reichsarbeitsdienstes fühlte er sich als Soldat, weil Juden schon von weitem den Hut vor ihm zogen .523 Kogon, SS-Staat, 116, außerdem 77, 84, 97, 119 f ., 253 . Vgl . Lang, Questioning Dehumanization, 241 . WL, 048-EA-0569, P .II .d . No . 528, Zitat 13, 34 f . 518 Brauer, Musik, 10, 373, 387 . 519 WL 058-EA-1265, P .III .h . No . 306, 23 (Richard A . Ehrlich) . 520 WL 059-EA-1374, P .III .h . No . 1106 (Theresienstadt), 7: Gertrude Spies über den Arzt Dr . Julius Spanier in Theresienstadt . 521 WL, 048-EA-0559, P .II .d . No . 93, 1 . 522 WL, 046-EA-0450, Books, B . 323, 2, anonym . Der Betroffene habe „mit Festigkeit“ auf der Antwort bestanden: „Ich bin ein Jude“ . 523 Werner, Soldatische Männlichkeit, 292 f . S . a . Manoschek (Hg .), „Es gibt nur eines“, 18 . 516 517

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Den Völkermord legitimieren: ‚Grenzüberschreitung‘ projizieren und provozieren Eine Postkarte von der „Großen Antibolschewistischen Ausstellung“ 1938 visualisierte unter dem Titel „Der Jude verlässt das Ghetto“ das Phantasma des ‚wandernden‘, des ‚grenzverletzenden Juden‘ . In fast expressionistischer Bildsprache tauchte ein riesiges Ungeheuer mit bedrohlich verschwimmenden Körpergrenzen aus einem geöffneten Tor auf und näherte sich einem Dörfchen am unteren Bildrand, dass (noch) in hellem Licht lag . Die Karte knüpfte an die Heimatzeichnungen seit 1914 an, die die Gefahr einer gegnerischen Invasion, einer jüdischen Unterwanderung und entsprechend der Zerstörung Deutschlands von innen und außen imaginiert hatten . Über dem heimeligen Örtchen türmte sich dunkel-bedrohlich die kalte Steinburg des Ghettos . Sie entließ eine Geistergestalt, deren Krallenfinger und gespenstische Augenhöhlen sichtbar waren, deren verräterische Kleidung sich aber nach unten in Wolken auflöste, als sie sich von hinten-oben dem Städtchen näherte . Der Text behauptete, dass die rechtliche Emanzipation der Juden ‚der‘ Geschichte eine falsche Richtung gegeben habe, da sie die Juden mit den „Wirtsvölkern“ gleichgestellt habe, in Preußen 1812 durch Hardenberg .524 Auch diese Drohprojektion inszenierte, dass eine ‚deutsche Gerechtigkeit‘ einem positiven Recht überlegen sei, das Menschen gleichstelle . Gerade während der Shoah intensivierten deutsche Medien und Politiker die Täter-Opfer-Verkehrung . Als Goebbels 1943 die Medien zur systematischsten antisemitischen Kampagne bis dato anpeitschte, forderte er vor allem Sensationsgeschichten, in denen ‚der Jude‘ der „Schuldige“ sei .525 Dazu gehörte, auch das Judentum Osteuropas als ‚Grenzüberschreitende‘ zu verfemen . Hermann Erich Seifert behauptete in seinem 1941 erschienenen Buch Die Juden an der Ostgrenze, dass osteuropäische Juden unbedingt nach Westen kommen wollten, um als ‚gefährdende Dritte‘ die NS-Welt zu ‚zerstören‘ . Er nannte das „Ostjudentum“ den „Regenerationsquell des Weltjudentums“ .526 Dabei unterstellte er, dass auch osteuropäische Juden die von ihm als eindeutig erwünschte Freund-Feind-Polarität auflösen würden . Denn, so führte er aus, „der Jude“ stünde immer „zwischen den Völkern“ und spiele den „Zwischenträger und „Verräter“, also den ‚gefährdenden Dritten‘ . Seifert markierte Juden auch als Gegensatz einer nationalsozialistisch, aktiv und diszipliniert gedachten „Volksmenge“, indem er sie als ‚quallige‘ „Masse“ beschrieb, „träge“ schlendernd und jedem Fremden ausweichend, um sich hinter ihm wieder zusammenzufinden .527 Zudem definierte er die Armut in Osteuropa nicht als materielles Elend, sondern als ‚Verhärtung‘: Sie erlaube es den Menschen, mit „jüdischen Tricks“ ihre Ziele zu erreichen, etwa die Wanderung nach Westen .528 Seifert schrieb Juden in Osteuropa somit ‚Verhärtung‘ zu, als negativen Gegenbegriff einer ‚deutsch‘ besetzten ‚Härte‘ . Goebbels beschwor immer schriller eine jüdische Mimikry, mit der Ostjuden sich von äußerlich erkennbaren ‚Ghettojuden‘ in nicht mehr Erkenn524 525 526 527 528

Abgedr . in Peters (Hg .), Spott und Hetze, 892 . Friedländer, Jahre der Vernichtung, 504 . Seifert, Juden, 29 f ., 38 f . Seifert, Juden, 11 . Seifert, Juden, 29 f ., 38 f .

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

bare verwandeln würden, gestern in der Judengasse und morgen ‚täuschend deutsch‘ .529 In Jud Süß führte Veit Harlan suggestiv vor, wie eine solche Verwandlung vor sich gehe . Akteure der Vernichtungspolitik erzwangen entsprechende ‚noch lebende Bilder‘, um Juden als ‚Juden‘ vorzuführen . Sie griffen in den besetzten Ländern wie in Deutschland anhand vorab existierender Körperstereotype und Verhaltenszuschreibungen auf die Zivilbevölkerung zu .530 Jahrzehnte lang waren Identitäten und Verhaltensweisen, die man ausgrenzen wollte, als ‚jüdisch‘ markiert worden, indem Körper als schmutzig, verrenkt oder lachhaft erschienen . Nun zwangen Soldaten oder Mitglieder der Besatzungsstruktur in Osteuropa die Verfolgten, zur Erheiterung der Betrachter/innen zu singen, zu tanzen, sich in die Hose zu machen, auf die Knie zu fallen und um ihr Leben zu betteln .531 So brachten die Verfolger die Leidtragenden dazu, die Verzerrung zu verkörpern . Mit ihrem Leben ‚im Osten‘ erlaubten sich die Besatzer, ihre emotional grundierten Vorurteile nicht nur ‚live‘ zu (er)leben, sondern herzustellen .532 Mit Folterpraktiken schrieben sie die angegriffenen Körper, die sie vorab als ‚jüdisch‘ fassten, als ‚jüdisch‘ fest .533 Wehrmacht und SS definierten Gewalt vor allem dann als ‚Spaß‘, wenn sie sie gegen Körperteile richteten, die vorgängig als Zeichen eines ‚jüdischen Körpers‘ galten, also Bärte, Nasen oder Genitalien .534 Gewaltakteure griffen gerade auf die Menschen zu, deren Aussehen dem Stereotyp glich, um sie zu verhöhnen und zu verletzen . Bart und Schläfenlocken waren körperlich sichtbare Zeichen orthodoxer Juden . Entsprechend beliebt war das sogenannte „Bartspiel“, das Abschneiden, Anzünden oder Abrasieren dieser Zeichen . Gezielt ging es darum, die Betroffenen zu verletzen, um die eigene Verletzungsmächtigkeit und die Verletzungsoffenheit der verfolgten Männer ritualisiert und öffentlich zu bestätigen .535 Jüdische Überlebende betonten, dass gerade das Verletzen als „Judenspiel“ galt und zur Belustigung diente .536 Indem sie sich verletzen lassen mussten, wurden Leidtragende zudem kollektiv feminisiert – sie sollten spürbar keine Handlungsmacht mehr haben, sondern sich ohnmächtig fühlen . Umgekehrt hieß das: Verletzungsmächtige Verfolger/innen hielten ihre Gesellschaft für die ‚männlichste‘ schlechthin . Die jüdische Kultur in Osteuropa war noch deutlich stärker über religiöse Bräuche charakterisiert als in Deutschland . Der Zugriff auf religiöse Symbole und jüdische Feiertage symbolisierte daher erst recht, dass der Angriff einer jüdisch definierten Identität galt . An Jom Kippur 1939 war eine derartige ‚Truppenunterhaltung‘ besonders lebhaft .537 Friedländer, Jahre der Vernichtung, 109, 232 . Der Historiker Theodor Schieder beschrieb die jüdische Assimilation an die sowjetische Gesellschaft als „Tünche“, damit „das jüdische Element“ umso besser wirtschaftliche Schlüsselstellungen besetzen könne, ebd . 326 . 530 Christ, (Un-)Sichtbare Körper, 4 . 531 Kühne, Belonging, 102 . 532 Mailänder Koslov, „Going east“, 579 . Nach dem Einmarsch in die Niederlande amüsierten sich deutsche Soldaten darüber, wie Juden panisch zu flüchten versuchten, indem sie sich Taxifahrern gegenüber gegenseitig überboten, vgl . Friedländer, Jahre der Vernichtung, 147 f . 533 Gebauer, Räume des Anderen, 329 . 534 Christ, (Un-)Sichtbare Körper, 7 . 535 U . a . Löw, Juden im Getto Litzmannstadt, 71 . 536 Heer, Killing Fields, 64 . Kühne, Belonging, 73–77 . 537 Friedländer, Jahre der Vernichtung, 53 f . 529

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Ein Überlebender berichtete, dass eine in Tschutschin stationierte Wehrmachtseinheit sich jeden Samstag, also am Sabbath, damit „amüsiert“ habe, Juden wahllos zu quälen und zu erschießen .538 Über den Gaskammerkomplex von Treblinka hängten die Aufseher einen Davidstern und vor einen Eingang einen Toravorhang, auf dem zu lesen war, dies sei das Tor des Herrn, der Gerechte werde hindurchgehen .539 Die SS verkehrte das sakrale Zeichen von Zugehörigkeit, Trost und Gerechtigkeit in ein Symbol des Todes, um die Häftlinge emotional und psychisch zu treffen . Auch und gerade in diesem Zusammenhang zwangen die Deutschen die Leidtragenden, ‚Grenzen zu überschreiten‘ und sich gegen andere Verfolgte oder religiöse Kultgegenstände zu wenden . Wenn Nichtjuden die hebräische Bibel verbrannten, schrieben sie das Judentum aus der Geschichte heraus und feierten sich selbst als ‚Erschaffer‘ eines christlichen Abendlandes .540 Zusätzlich aber verwandelten sie die Verfolgten in ‚Täter‘, indem sie sie zwangen, sich gegenseitig mit Kot zu beschmieren, Exkremente mit Torarollen aufzuwischen, Ritualgegenstände zu beschädigen oder mit Füßen zu treten .541 Um eine ‚deutsche Geschichte‘ scheinbar plausibel zu machen, mussten jüdische Verfolgte ihre Religion und andere Betroffene auf schmerzhafte und erniedrigende Weise ‚angreifen‘ . Doch auch hier galt, dass manche Leidtragende neue Überlebensenergie aus ihrem religiösen Selbstverständnis zogen .542 Mit Blick auf den realen Raum im Lager führte die SS ebenfalls vor, dass sie mit Grenzen spielen durfte . Sie zwang die Inhaftierten, verbotene Linien zu überschreiten, um sie dann wegen des ‚Grenzübertritts‘ zu ermorden . Der 1909 in Posen geborene Heinz Brandt wurde 1942 nach dem Tod Heydrichs von Sachsenhausen nach Auschwitz gebracht und überlebte das Zweiglager Budy von Oktober 1942 bis zur Evakuierung im Januar 1945 . Er beschrieb, wie Aufseher einem Häftling die Mütze vom Kopf rissen und ihn erschossen, als er sie auf Kommando zurückholte .543 Charlotte Delbo, die Ravensbrück und Auschwitz-Birkenau überlebte, erlebte, wie die SS Häftlingen befahl, über die Postenkette hinauszugehen, was streng verboten war, um sie dann zu ermorden und das ‚erlegte Wild‘ lachend zu besichtigen .544 Delbo notierte die Bedeutung des Spotts: Er signalisiere, wer in diesem Moment noch über/leben dürfe .545 Sie selbst konnte kurz vor der Befreiung des Lagers mit Hilfe eines Rotkreuz-Transportes nach Schweden ausreisen . Mit dem Satz: „This must have been the commanding officer’s final joke“ beschrieb sie, dass noch bei ihrem Ausmarsch aus dem Lagertor vier SS-Männer auf sie zielten und sie nicht wusste, ob sie in letzter Sekunde erschossen würde oder nicht .546 Heer, Killing Fields, 64 . Rahe, „Höre Israel“, 44 f ., zur Bedeutung religiöser Symbole ebd . 49 . 540 Confino, A World without Jews . 541 Beispiele in Rahe, „Höre Israel“, 39 . Vestermanis, Ortskommandatur Libau, 253 . 542 Rahe, „Höre Israel“ . 543 WL, 054-EA-1012, P .III .H . No . 1174b (Auschwitz), 2 . S . a . Reich, Mörderschule, 209 . 544 Delbo, Auschwitz and after, 68 f . Andere Aufseher warfen eine Zigarette fort, befahlen einem Häftling, sie zu holen, und erschossen ihn dann, Dr . Heinz D . Feldheim, in: WL, 055-EA-1018, P .III .h . No . 143 (Dachau, Buchenwald), 4 . Feldheim betonte die Grausamkeit von Hans Loritz . 545 Delbo, Auschwitz and after, 191 . 546 Ebd ., 218 . 538 539

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

Immer wieder erzwangen Gewaltakteure somit ein Handeln der Häftlinge, das die Ausweglosigkeit hervorhob, indem es einen unauflöslichen double bind darstellte . Mitunter setzte der Zwang direkt auf der Ebene des Gelächters an . So mussten Häftlinge in einem nie berechenbaren Kontext entscheiden, ob sie über einen ‚Scherz‘ der Machthaber lachten oder nicht . Als ein SS-Mann nach einem gehässigen Kommentar des Schwarzen Korps über Maximilian Reich zu diesem sagte: „Meine Hochachtung, Herr Greuelpropagandaredakteur!“, lachten alle Häftlinge und Reich selbst besonders herzlich, weil er Schlimmeres erwartet hatte .547 Herzberg notierte im Tagebuch, dass die SS in Bergen-Belsen, wenn sie betrunken war, „auf ihre Art freundlich“ war und „frivole Bemerkungen“ machte . Er bedauerte zwar, dass manche Häftlinge pflichtschuldig lachten .548 Doch benannte er die Herrschaftsstruktur . Denn wenn ein Scharführer durch die Baracken lief und etwas zum Judenältesten sagte, das als Witz gemeint war, dann musste dieser „untertänigst“ lachen .549 Besonders gefährlich war, wenn ein SS-Mann einen Witz machte, den seine Untergebenen nicht komisch fanden . Den Häftlingen blieb fast keine Wahl, als sich der höheren Hierarchieebene anzuschließen, während die unteren Ränge den Alltag auf potentiell lebensgefährliche Weise bestimmten: „Der Hauptscharführer hatte einen Witz gerissen . Der Scharführer fand das nicht witzig . Die Bürobelegschaft schlug sich auf die Seite des Hauptscharführers, lachte und wurde dafür vom Scharführer mit dem Entzug von drei Tagesrationen Brot bestraft .“550 Regelmäßig nutzte das Lagerpersonal den Topos des ‚falschen Lachens‘, um absolut gemeinte Hierarchien zu markieren . Maximilian Reich wusste nach kurzer Zeit in Dachau, dass der Satz des Lagerblockführers „Was lachst du mich so dreckig an, jüdischer Sauhammel?“, wortlos hinzunehmen war,551 dass aber auch sein Schweigen nichts garantierte . Zugleich behauptete der Blockführer damit in der Opfer-Täter-Verkehrung eine agency der Gefangenen, die sein eigenes Handeln überblendete . Als SS-Mitglieder in Buchenwald einen Häftling zu Tode prügelten, beschrieben sie die Tat mit den Worten, der Tote habe eine „Freikarte nach Palästina“ erhalten .552 Auch sie verbargen ihre Täterschaft narrativ, indem sie das Handeln auf den Ermordeten verschoben . Zugleich belegten sie die lange Dauer der Spottformel, die aus den zwanziger Jahren stammte . Ihr Spott signalisierte den Anspruch, dass der Mord begründet sei durch eine ‚Täterschaft‘ der Verfolgten und kein Argument brauche . Wie vertraut es in den Lagern war, dass der Topos vom Lachen Gewaltbeziehungen strukturierte, zeigte auch ein Gespräch in Theresienstadt zwischen Richard Friedmann, einem Mitglied der „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“, und deren Leiter Hans Günther . Günther war SS-Sturmbannführer und Mitarbeiter Eichmanns in Österreich; in Theresienstadt hieß er „der lächelnde Henker“ .553 Friedmanns Witwe, Dr . Cäcilie Friedmann, überlieferte das Gespräch . Günther habe ihren Mann nach einem militä547 548 549 550 551 552 553

Reich, Mörderschule, 204 . WL, 056-EA-1142, P .III .h . No . 1058 (Dachau), 3 . Herzberg, Zweistromland, 51 . Ebd ., 129 . Ebd ., 179 . Reich, Mörderschule, 148 . WL, 046-EA-0450, Books, B . 203, 2, unterzeichnet: Ein Häftling des K . Z . Buchenwald . http://www .ghetto-theresienstadt .info/pages/g/guentherh .htm (abgerufen am 17 .02 .2018) .

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rischen Misserfolg der Deutschen angebrüllt, er solle bloß nicht so gut gelaunt sein: Wenn es den Deutschen schlechter gehe, würden die Juden als erste nichts mehr zu lachen haben . Darauf habe Friedmann geantwortet, dass er sich schon auf die Zeit freue, in der er nichts mehr zu lachen habe . Als die Deportationen von Theresienstadt begannen, habe Günther einen weiteren Mitarbeiter gefragt: „Was sagt nun Friedmann – lacht er immer noch?“554 Wissensvorsprung statt Argumente Denn mit Gelächter verständigten sich Gewaltakteure untereinander auch über ihren Wissensvorsprung, der als wichtige Struktur der Hierarchisierung fungierte .555 Kitty Hart, die als deutsche Zwangsarbeiterin in Deutschland arbeitete, bis ihre Tarnung aufflog, erinnerte sich an das Lachen der SS-Männer, die vor der Deportation nach Auschwitz eine „Tanzstunde“ für den kommenden Tag ankündigten und damit eine Scheinerschießung meinten .556 Als ein von Theresienstadt nach Auschwitz Deportierter von seiner Frau und seiner kleinen Tochter getrennt wurde und einen Aufseher fragte, wann er die beiden wieder sehen werde, antwortete dieser lachend, er solle auf einen bestimmten Rauchfang achten, wenn dort Rauch aufsteige, dann seien das Frau und Kind .557 Soldaten lachten noch in der Gefangenschaft über den Befehl ihres Offiziers, in Italien in jedem Ort, in den sie gekommen seien, erst einmal „zwanzig Mann“ umzulegen . Die Begründung des Offiziers spiegelte den Plausibilisierungsmodus der NS-Gesellschaft: Die grundlosen Morde sollten sicherstellen, „dass wir erst mal Ruhe haben hier, dass die nicht auf dumme Gedanken kommen!“558 Gemeinsames soziales Wissen produzierten Mitglieder der Wehrmacht oder Angehörige der Besatzungsstrukturen zudem, indem sie Beschämung und Verletzung im Bild festhielten und im Reich bekannt machten . Soldaten an der Ostfront fotografierten nicht nur die Leichen von Ermordeten . Sie machten auch Aufnahmen von Männern, die ein Schild mit der Aufschrift „Wir Juden sind die größten Schufte“ hochhalten mussten, klebten die Fotos auf Postkarten und schickten sie nach Hause .559 Sie inszenierten die ‚Täterschaft‘ der Verfolgten und ihre eigene Macht, ihnen die ‚Maske‘ vom Gesicht reißen zu können . Sich selbst als Gewaltakteure im Bild festzuhalten, machte gerade in diesem Krieg den Moment der totalen Verletzungsmächtigkeit wiederholbar . Deshalb ließen sich manche lachend auf oder neben Leichen fotografieren, schnitten lachend Seitenlocken ab oder berührten die Ermordeten, um den ‚Besitz‘ der ‚Beute‘ und damit den eigenen WL, 049-EA-0605, P .II .e . No . 1068, 44 . Dazu generell Friedländer, Jahre der Vernichtung . 556 Hart, Aber ich lebe, 48 . S . a . Protocol M . L . 1889–1947, in: WL, 047-EA-0516, P .II .c . No . 153, 2, die sich an das schallende Gelächter der „schönen Gestapo-Männer“ beim Abtransport nach Auschwitz erinnerte . 557 WL, 059-EA-1345, P .III .h . No . 554 (Theresienstadt), 27, Vally Fink (Prag), From Theresienstadt to London . 558 Zit . nach Neitzel/Welzer, Soldaten, 125, 129 . 559 Abgedr . in: Kugelmann, „Judenblut“, 290 . 554 555

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

Erfolg zu präsentieren . Die Fotografie bewies, dass sie das osteuropäische Judentum tatsächlich überwältigt hatten .560 Nun reklamierten sie das ‚Gelächter des Siegers‘ . Der Lehrer Michael Zylberberg erinnerte sich, dass Mitglieder der Besatzungsmacht den Friedhof des Warschauer Ghettos wie ein Kino oder eine Ausstellung benutzten, um sonntags mit ihren Freundinnen spazieren zu gehen und zu fotografieren . Emmanuel Ringelblum, der Retter des dortigen Ghettoarchivs, registrierte, dass vor allem der Lagerort für die Leichen die Besucher/innen anzog . Der Historiker, Pädagoge und Schriftsteller Chaim Aron Kaplan beschrieb, wie Deutsche am 19 . Mai 1941 Ghettoinsassen auf dem Warschauer Ghettofriedhof zwangen, im Kreis um einen Haufen nackter Leichen einen chassidischen Tanz aufzuführen, und das ‚Schauspiel‘ filmten .561 Sie traten als Regisseure des Schreckens auf, indem sie die Verfolgten zu ‚Hauptdarsteller/innen‘ des eigenen Leidens machten . Breit zirkulierte Witzhefte informierten ihrerseits über Gewaltpraktiken und boten nun an, wie die Shoah spöttisch um-erzählt werden könne . Ein junger Jude namens Weichselbaum flüchtete 1938 als 16jähriger nach Paris und war beim französischen Widerstand aktiv, bevor er u . a . nach Auschwitz und Majdanek deportiert wurde . Er sah, wie SS-Männer in Auschwitz-Birkenau sich einen Spaß daraus machten, fünf Kinder hintereinander aufzustellen und zu versuchen, mit einem Mal durch ihre Köpfe zu schießen . Bei sog . ‚Kraftproben‘ fassten die Männer Kinder an den Füßen und versuchten, die Körper zu zerreißen . Die Häftlinge, die die Körper aufsammeln mussten, wurden alle ermordet . Weichselbaum überlebte nur deshalb, weil er den Mantel eines anderen anhatte und mit einer falschen Nummer notiert worden war .562 Elsa Kafka erlebte in Lodz, wie Deutsche Kinder mit dem Kopf gegen die Wand schleuderten, um Platz zu schaffen für neue Transporte .563 Der Polizeisekretär Walter Mattner, beim SSund Polizeistandortführer Mogilew in der Verwaltung tätig, meldete sich freiwillig zu einer Massenerschießung und berichtete seiner Frau stolz, wie sie Säuglinge im Flug erschossen .564 In ihrem Beststeller Landser lachen von 1944 schrieben Werner Lass und Hans Adolf Weber diese Praxis in ein „jüdisches Greuelmärchen sowjetischer Kommissare“ um . Sie platzierten den Kommentar zwischen Witzen über schlechte Versorgung, betonten im Kontext also deutsche Entbehrungen . Dann forderten sie die Soldaten auf, entweder stur zu schweigen oder Fragen spöttisch abzufedern: Es gehört nun mal zu den Eigenarten des Soldaten, manchmal „stur wie ein Panzer“ zu sein . Das bringt das Soldatenleben mit sich . Wie oft wird beispielsweise nach einem Kameraden gefragt, ohne eine vernünftige Antwort zu bekommen . Bei energischer Nachfrage heißt es schließlich: „Der hat Karbid gefressen, Wasser drauf getrunken und ist geplatzt!“ Bei uns gab es noch eine weitere Formulierung . Ein Kamerad erzählte nämlich ein jüdisches Greuelmärchen, das die neuen sowjetischen Gefangenen von ihren Kommissaren gehört hatten . Danach werfen deutsche Soldaten Kinder in die Luft und schießen sie ab . Wenn jetzt nach einem 560 561 562 563 564

Struk, Photographing the Holocaust, 63–66, 112 . Alle Beispiele bei Struk, Photographing the Holocaust, 80 . WL, 053-EA-0911, P .III .h . No . 382, 20 . WL, 056-EA-1084, P .III .h . No . 30 (Lodz-Litzmannstadt/Auschwitz), 3 . Mallmann/Rieß/Pyta (Hg .), Deutscher Osten, 28 .

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum Kameraden gefragt wird, der zufällig abwesend ist, lautet die Antwort: „Den ham’se in die Luft geschmissen und abgeschossen!“565

Schmutz als Folter und ‚Ordnungserzählung‘ Schmutz war eine überwältigende Zwangserfahrung für die Verfolgten . Genau in diesem Sinne war er gemeint . Ich erinnere daran, dass die Kategorie Schmutz Mary Douglas zufolge nicht das Versagen eines Systems signalisiert, sondern dessen Überlegenheit, sofern es den Schmutz beherrsche . Dabei sind weder Reinheit noch Schmutz im symbolischen Sinne gegeben, sondern müssen, wenn sie soziale Ordnung kategorial begründen sollen, immer neu hergestellt werden . Eine Ordnung, die sich auf Reinheit beruft, betrachtet Douglas zufolge das, was sie als Schmutz bezeichnet, solange als ‚Gefahr‘, wie der ‚Schmutz‘ noch nicht undifferenziert, die ursprüngliche Identität also noch erkennbar sei . Die ‚Ordnung‘ habe jedoch gesiegt, wenn gleichsam nur noch Schmutz zu sehen sei und die Identität darin verschwinde .566 Einen gefährdenden Schmutz zu beschwören, treibt demzufolge immer neu dazu an, die als schmutzig charakterisierten Phänomene in Nicht-Identität zu überführen . Doch damit ‚Schmutz‘ zum Symbol des Weges zur Herrschaft werden kann, ist Douglas zufolge auch ein ritueller Rahmen wichtig, innerhalb dessen die Produzenten der ‚Ordnung‘ ihre Beseitigung von ‚Schmutz‘ inszenieren . Als diesen Rahmen verstehe ich die ritualisierte Verknüpfung der Verfolgten mit imaginiertem und real erzwungenem Schmutz . Darüber hinaus konstatiert Douglas, dass eine Gesellschaft steril und starr werde, wenn sie angeblich völlige Reinheit erlangt habe, weil sie dann auch keine Veränderungen, Mehrdeutigkeiten oder Kompromisse mehr zulasse .567 Wenn und solange also eine Gesellschaft in Anspruch nimmt, ihre Identität über die binäre Struktur ‚Reinheit vs . Unreinheit‘ zu konstruieren, spornt sie immer neu dazu an, ‚Schmutz‘ wahrzunehmen . Wenn ‚Schmutz‘ gerade durch sein Verschwinden die Überlegenheit der Gesellschaft symbolisiert, die behauptet, gefährdet gewesen zu sein, dann muss die ‚Bedrohung‘ stets neu evoziert werden, um die Ordnung stiftende Energie zu generieren .568 In der NS-Weltsicht hieß das, immer neue ‚Feinde‘ zu beschwören, die durch die Assoziation mit Schmutz als solche gekennzeichnet wurden . Daher teile ich die Position von Jonathan Lang, dass die Gewaltakteure im Holocaust nicht (nur) darauf zielten, die Verfolgten zu dehumanisieren, sondern ihre Herrschaft über Menschen vorzuführen .569 Denn die gerade noch wahrnehmbare, hier: die fast im Schmutz versunkene Subjektposition der Inhaftierten war die Voraussetzung dafür, die eigene Herrschaft als absolut zu spüren . Gefühle von Macht und Hass basieren auf intersubjektiven Beziehungen . Ein Gefühl der Überlegenheit kann aber nur schwer aufrechterhalten werden, wenn die Überwältigten ausschließlich als Tiere 565 566 567 568 569

Lass/Weber (Hg .), Landser lachen, 57 f . Douglas, Reinheit, 208 f ., auch für das Folgende . Ebd ., 208–210 . Sng, Figure3, 63, 66 ff . Lang, Questioning Dehumanization, 240 f ., auch für das Folgende .

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

imaginiert werden . Zudem war der Prozess wichtig, um das Gefühl von Übermacht zu spüren, ähnlich wie im repetitiven Charakter der Karnevalsumzüge . Indem die Verfolger immer neue Verfolgte zwangen, sich in Dreck starrende Wesen zu verwandeln, die schwer zu unterscheiden waren, führten sie deren Erniedrigung vor und machten ihre eigene Position intersubjektiv immer neu erfahrbar .570 Gewaltakteure verwandelten vertraute, mediale Zeichensysteme auf verschiedene Weise in gelebte Erfahrung . Die Gefangenen den Gesetzen schierer Körperlichkeit und sicht- und spürbar der beschämenden Herrschaft von Unrat zu unterwerfen, war nur ein Modus . Für die Häftlinge aber war er zentral, wie etwa Anita Wallfisch-Lasker erinnerte . Sie überlebte als Cellistin im Lagerorchester zunächst Auschwitz und dann Bergen-Belsen . Wallfisch-Lasker registrierte, wie leicht es war, die Häftlinge „dreckige Schweine“ zu nennen, wenn sie unter Durchfall litten und stundenlang Appell stehen mussten, ohne die Möglichkeit, zur Latrine zu gehen .571 Überlebende benannten immer wieder die Herrschaftspraktik, die Verfolgten in den Schmutz zu drücken, um ihre Widerstandskraft zu schwächen . Maximilian Reich notierte, dass die Lagerbedingungen es fast unmöglich machten, die Forderung der Machthaber nach Sauberkeit einzuhalten .572 Pelagia Lewinska fasste ihre zwanzig Monate in Auschwitz in das eine Stichwort „Dreck“ . In ihrem Entsetzen über den unbeschreiblichen Schmutz, in den sie alle hineingestoßen wurden, realisierte sie schnell, dass er kein Ergebnis von Unordnung war . Sie erkannte ihn vielmehr als Resultat der zielstrebigen Politik der SS, die jüdischen Inhaftierten im Dreck und den eigenen Exkrementen untergehen zu lassen, um ihnen Selbstachtung und Kraft zu nehmen . Sie ergänzte in bezeichnender Wortwahl, dass die SS „with their well-cultivated sense of humor“ jede Frau, die sie stolpern oder mühsam gehen sahen, sofort in den Dreck getreten hätten . Auf diese Weise hätten sie den Menschen in ein „ridiculous monster of mud“ verwandelt, so dass es selbst den Inhaftierten schwer geworden wäre, einander ohne Abscheu anzusehen: „Mud was the queazy foundation of our life; it constituted a purpose and meaning for Auschwitz .“573 In der Shoah spitzten Gewaltakteure die Deutungstradition zu, Gewalt in ‚Reinigung‘ umzudeuten . Während die Lager-SS die Häftlinge ständig mit Fäkalausdrücken wie „Scheiße“ assoziierte,574 nannten die Organisatoren der Euthanasie die ‚Probeläufe‘ zum Genozid 1941 „Totbadeaktion“ .575 Gruppenerschießungen in geschlossenen, gekachelten Räumen leiteten sie mit dem Ruf ein: „Die ersten sechs Mann zum Baden!“576 In Treblinka wies eine Tafel mit der Aufschrift „Zur Badeanstalt“ den Weg zu dem Haus, in dem die Vergasung stattfand .577 Die Machthaber führten den Leidtragenden in dem Moment, in dem sie in den Raum hineingehen mussten, ein letztes Mal vor Augen, dass sie als ‚Schmutz‘ galten . Allerdings ‚unterhielten‘ sich auch ukrainische Wachmänner in Lang, Questioning Dehumanziation . S . a . Mailänder Koslov, Gewalt, 360 . Lasker-Wallfisch, Ihr sollt die Wahrheit erben, 123 . Zum Verlust an Würde auch Reich, Mörderschule, 116 . 572 Reich, Mörderschule, 175 f . 573 Lewinska, Twenty months, 87 f . 574 Aschenberg, Sprachterror, 53 . Zur Feindbildproduktion s . a . Kipp, „Großreinemachen“ . 575 Zit . nach Orth, Concentration camp personnel, 52 . 576 Zit . nach Kogon, SS-Staat, 187 . 577 Zit . nach Kogon, SS-Staat, 238 . 570 571

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

Treblinka mit Latrinenscherzen . Richard Lazar berichtete, dass einmal hunderte polnischer Gefangene bei einem Abendappell ein wehmütiges Lied gesungen hätten . Der Wachmann Lalka haben ihnen danach vorgeworfen, sie würden noch auf den Latrinen ihre Sitzungen abhalten . Daher habe er als neuen ‚Spaß‘ einen leicht schwachsinnigen kleinen Häftling mit Kaftan, Rabbinermütze und schwerer Peitsche ausgestattet und ihn zum Herrn über die Latrine ernannt, der darauf zu achten habe, dass die ‚Sitzungen‘ nicht länger als zwei Minuten dauerten578- auch hier die Herabwürdigung religiöser Symbole, um Identität zu treffen . Indem Verfolger/innen die Verfolgten mit Exkrementen, schambesetzten Handlungen oder der Latrine zusammenzwangen, medial und im Alltag der Verfolgung, ließen sie die kulturellen Repräsentationen ‚real‘ werden, mithilfe derer sie ihr Vorgehen begründeten . Eine Postkarte von 1939: „Einst betrogen die Leut‘, Latrine schrubben heut“, war mit dem handschriftlichen Zusatz „Aus Polen“ versehen . Der gedruckte Kommentar schrieb die Betroffenen als ‚Schuldige‘ und als ‚Verlierer‘ fest . Die Zeichnung bestätigte die aus deutscher Sicht erfolgreiche Überwältigung: Zwei Männer mit Eimer und Waschlappen näherten sich einem Abort im Freien . Mit ihren gesenkten Köpfen bestätigten sie auch durch die Körperhaltung den ‚Erfolg‘ des deutschen Angriffs auf Polen .579 Der damals 57jährige Siegfried Schäfer entging 1939 zwar der Deportation, musste aber in einem Arbeitskommando die Toiletten der Fernzüge am Lehrter Bahnhof in Berlin säubern . Als er um eine Scheuerbürste bat, schrie ihn Oberinspektor Bandmann an, die Juden seien es doch gewohnt, im Dreck zu wühlen .580 Der jüdische SPD-Politiker Ernst Heilmann erlitt seit 1933 die ganze Bandbreite erniedrigender Schikanen, die die Gewaltorganisatoren sich ausdachten . Die Oranienburger SA ‚ernannte‘ ihn zum „Scheißhausdirektor“: Er musste mit wenigen anderen die vier Toiletten, die für über tausend Gefangene vorhanden waren, mitunter mit den Händen säubern . Dann wieder musste er sich selbst mit Exkrementen beschmieren und so den ganzen Tag zubringen .581 Wohl gelang es auch in dieser Hinsicht manchen Inhaftierten, sich die Deutungshoheit anzueignen . In Dachau verhöhnte die SS das Grubenkommando, das die Latrinen leeren musste, als „Kommando 4711“ . In Buchenwald dagegen ging der Name auf Gefangene zurück, die sich damit ermutigten .582 Doch ist für die Struktur der Verfolgung wie der Vernichtung entscheidend, dass die Zwangsherrschaft damit arbeitete, die eigene Verkehrungslogik mithilfe kultureller Normen, die als ‚deutsch‘ galten, an den Körpern vorzuführen und in sie hineinzuzwingen . Ein am 10 . November 1938 verhafteter Wiener beschrieb die weitere widerliche Herrschaftspraktik, inhaftierte Juden nicht nur Boden und Stiefel küssen, sondern auch Speichel vom Boden auflecken zu

Rahe, „Höre Israel“, 46 . Abgedr . in Peters (Hg .), Spott und Hetze, 946 . 580 WL, 049-EA-0661, P .III .B . No .616, 1 f . Als Schäfer eine Gürtelrose im Gesicht bekam, schrieb ihn der Bahnhofsarzt krank, so dass er acht Wochen ins Krankenhaus kam . Später arbeitete Schäfer bei einer „Edelwald-Gesellschaft“, dessen Besitzer, Ernst Schröder, er als Helfer der Verfolgten pries . 581 Wachsmann, KL, 58, 65 f . 582 Warmbold, Lagersprache, 139 . 578 579

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lassen .583 Neben ‚blutleckenden‘ mussten die Verfolgten auch ‚speichelleckende Juden‘ verkörpern . Der gewaltsame Spott signalisierte, dass der ‚Erfolg‘ für Verfolger/innen umso höher sein mochte, je schmutziger diejenigen tatsächlich waren, die sie zuvor als ‚schmutzig‘ definiert hatten . Zachary Sng zufolge ist der Prozess, ‚Ordnung‘ herzustellen, um so zufriedenstellender, je ‚gefährlicher‘ das zu ‚Besiegende‘ gilt . Je deutlicher die Fallhöhe, je stärker also die Ordnung durch das, was als Schmutz gelte, bedroht erscheine, desto größer falle die Befriedigung aus, eine als ‚gefährlich‘ markierte Identität im Schmutz verschwinden zu lassen .584 Die NS-Besatzung nutzte jede Gelegenheit, um die Verfolgten mit tabuisiertem Schmutz zu verbinden . Bei der systematischen Zerstörung jüdischer Kulturdenkmäler im besetzten Osteuropa, zu denen auch Friedhöfe gehörten, verwandelten die Deutschen das Grab eines berühmten Zaddik in Ciechanów in eine öffentliche Latrine .585 Sie hierarchisierten die Kulturen, indem sie die letzte Ruhestätte einer als heilig verstandenen Führungsfigur beschmutzten . Mit der Lagerfolter gingen sie den Schritt weiter, die Inhaftierten die Verschmutzung selbst herbeiführen zu lassen . Denn die Aborte in Auschwitz waren Lewinska zufolge so konstruiert, dass die Häftlinge gar nicht verhindern konnten, nicht nur sich selbst, sondern auch andere zu beschmutzen .586 Der alltägliche Machtgewinn lag darin, die Verfolgten zunächst als ‚jüdisch‘ zu identifizieren und dann sukzessive in Dreck, Verwahrlosung und das Ausgeliefertsein an den Körper stoßen zu können . Indem sie die Häftlinge in den Schmutz zwangen, erlaubten sich die Machthaber, ihre Positionierung als herrschendes Subjekt zu sehen und zu spüren . Hier setzte die bereits vielfach notierte Überlebenspraktik von Gefangenen an, sich gegenseitig beim Sauberhalten zu helfen . Weil sie wussten, dass der Schmutz sie körperlich und emotional überwältigen konnte, hielten sie sich gegenseitig zu Sauberkeit an . Lasker-Wallfisch beschrieb, wie sie sich trotz ihrer zunehmenden Schwäche aufgrund der Unterernährung in Bergen-Belsen gegenseitig beaufsichtigten, um nicht der Versuchung nachzugeben, sich in der Winterkälte nicht am ganzen Körper zu waschen .587 Lewinska und eine Freundin setzten der Erniedrigung ihr Handeln entgegen, als sie sich als Zeichen ihrer Freundschaft versprachen, die andere niemals im Dreck zum Sterben liegen zu lassen .588 Häftlinge versuchten, ihr Aussehen zu pflegen, um ihre Selbstachtung zu behalten und einen weiteren Tag zu überleben, nicht zuletzt, indem sie die Wahrnehmung der Täter lenkten, so gut es die Unberechenbarkeit erlaubte . Denn mitunter folgten die Täter ihren Bildern im Kopf so automatisch, dass sie schlanke und ihnen schön erscheinende Menschen etwas weniger prügelten als andere, wenn auch die ‚Erleichterung‘ immer zufällig blieb .589 Elsa Kafka, die Lodz und Auschwitz überlebte, mutmaßte, dass sie deshalb manchmal einen Hauch leichter behandelt wurde, 583 584 585 586 587 588 589

WL, 046-EA-0450, Books . B . 219, 1 . Sng, Figure3, 63–66, 70 . Rahe, „Höre Israel“, 41 . Lewinska, Twenty months, 87 . Lasker-Wallfisch, Ihr sollt die Wahrheit erben, 149 . Lewinska, Twenty months, 87 . WL, 046-EA-0450, Books . B . 184, 1938, 1, anonym . S . a . Neurath, Gesellschaft, 136 .

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weil sie nicht ‚jüdisch‘ aussah, und ihre blonden Haare deshalb nicht ganz geschoren, sondern nur ganz kurz geschnitten wurden .590 Deportierte karikierten auch, wie die alltäglichen Überlegenheitspraktiken der SS implodierten, wenn diese ihrerseits Angst um ihr Leben bekamen . Die deutsche Jüdin Renata Laqueur wurde zunächst in Holland interniert und im März 1944 nach Bergen-Belsen verschleppt . In ihrem Scherzgedicht „Strandbad Bergen-Belsen“ schilderte sie an Ostern 1944, wie SS-Männer sich bei einem amerikanischen Bombenangriff panisch in den Dreck geworfen hätten, so dass Verfolgende und Verfolgte im Schmutz nicht mehr zu unterscheiden waren: … Der heroische Moff wirft sich neben den Juden, zitternd liegen sie hinter den Abfallgruben . Und als der Rest noch durch die Gegend saust, sind die „Amis“ schon über uns weggebraust . … Der Wachturm steht leer, der Moff liegt versteckt irgendwo platt auf dem Boden ausgestreckt …591

Arbeit als Identitätsvollzug Arbeit diente in unterschiedlicher Form als Herrschaftsinstrument, im Regime der Zwangsarbeit, in dem die Herrschenden Gefangene zu Tode arbeiteten, oder im Spott über Verfolgte, die mit Zahnbürsten Straßen schrubben mussten .592 Auch hier wurden Direkttäter/innen durch Zuschauende gestützt oder angefeuert . Soldaten schauten zum „Gaudium“ zu,593 während Zuschauer/innen der Wochenschauen die Bilder mit Gelächter und zustimmenden Zurufen kommentierten .594 Darüber hinaus aber mussten Verfolgte immer wieder sinnlose Arbeiten ausführen . Jüdische Häftlinge wurden in verschiedenen Lagern dazu gezwungen, Sand, Matsch oder Säcke mit Stroh oder feuchtem Salz ohne konkretes Ziel hin- und herzutransportieren, außer dem einen, sie zu zweckloser Arbeit zwingen zu können .595 Das hörte auch nicht auf, als systematische Zwangsarbeit eingesetzt hatte . Die ungarische Jüdin und Auschwitzüberlebende Gertrud Deak musste, wenn ihre Zwangsarbeit im Lager wegen Nachschubproblemen stockte, Steine sammeln und zusammenstellen, nur um sie dann wieder auseinanderzunehmen und an anderer Stelle neu zu beginnen .596

590 591 592 593 594 595 596

WL, 056-EA-1084, P .III .h . No . 30 (Lodz-Litzmannstadt/Auschwitz), 4 . Laqueur, Bergen-Belsen Tagebuch, 27 f . Moff: niederländischer Spottname für Deutsche . Buggeln, Arbeit . Scharnberg, „Juden lernen arbeiten“ . S . a . WL, 046-EA-0450, B . 189, Bl . 1 . Manoschek (Hg .), „Es gibt nur eines“, 17 . Seifert, Juden, 83 . Goldhagen, Hitlers willige Vollstrecker, 348, 360, 434, 654 . WL, 054-EA-0977, P .III .h . No . 864 (Auschwitz), 1944–1945, 12 .

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

Auch hier ging es um mehr als Ausbeutung und Erniedrigung: NS-Akteure ließen ihre Identitäts- und Geschichtserzählung ‚wahr‘ werden . Die Häftlinge sollten ‚beweisen‘, unproduktiv zu ‚sein‘, indem sie zwecklose Arbeiten verrichteten . Die Deutschen definierten sich als produktiv, wenn und indem sie ‚Juden‘ als parasitär oder zerstörerisch markierten, als unfähig, etwas zu schaffen und auf Dauer zu stellen . Wenn Häftlinge Sand oder Steine aufeinanderschichteten und wieder auseinandernahmen, um an anderer Stelle neu zu beginnen, wenn sie Schmutz zusammenkehren und das Erreichte wieder zerstören mussten, demonstrierten sie in den Augen der Machthabenden, keine produktive Arbeit zu leisten, sondern nur zu ‚zerstören‘ . Wenn hochrangige SS-Mitglieder Buchenwald besuchten, mussten jüdische Häftlinge sich in diesem Sinne laut bezichtigen; sie mussten im sogenannten „Judenlied“ singen, dass sie das deutsche Volk „Jahrhunderte“ lang betrogen hätten, während „der Deutsche“ sie nun „durchschaut“ habe und sie deshalb „zur ersten echten Arbeit“ müssten .597 Die SS vermittelte ihre Sinnkonstruktion in den Konzentrationslagern nicht nur mit der berüchtigten Wendung über dem Eingang „Arbeit macht frei“ . Sie pflasterte die Lagerstraßen zusätzlich mit Tafeln, die Aufschriften trugen wie: „Es gibt einen Weg zur Freiheit . Seine Meilensteine heißen: Gehorsam, Fleiß, Ehrlichkeit, Nüchternheit, Sauberkeit, Opfersinn, Ordnung, Disziplin und Liebe zum Vaterland“ .598 Die Botschaften signalisierten, dass die ‚Freiheit‘ der Arbeit für Häftlinge im Tod bestand . In Sachsenhausen ergänzte ein Gefangener das in weißen Buchstaben ins Eisentor eingelassene „Arbeit macht frei“ daher mit dem Satz: „Ja, im Krematorium drei .“599 Nationalsozialisten verschärften die Verkehrung noch mit moralischen Kategorien . Als Gegenbegriff zu ihrer reklamierten ‚Anständigkeit‘ galt ‚Frechheit‘ . Der Gefreite H . N . kontrastierte ‚deutsche Leistung‘ mit ‚frecher Arbeitsverweigerung‘ . Er schilderte im September 1940, wie in einer Stadt, deren Bevölkerung zu 80 % aus Juden bestanden habe, diese zum Straßenbau oder Sprengen gezwungen wurden . Die Zuschauer hätten sich über die betrübten oder schmerzverzerrten Gesichter der Betroffenen amüsiert . Denn, so erklärte er die Heiterkeit, die Arbeit sei so beschaffen gewesen, dass sie „bei uns“ jeder Junge hätte leisten können . Als die Betroffenen „gemerkt“ hätten, dass niemand sie bedaure, seien die „gewohnte Frechheit“ und „Langsamkeit“ zurückgekehrt .600 Der Gefreite Hans J . hielt es im Oktober 1941 für „richtig“, dass man ‚die Juden‘ „zur Arbeit anhält“ . In Riga hätten jüdische „Damen“, mit Stern auf Brust und Rücken gekennzeichnet, die Straße fegen müssen, wobei er sich über ihren Gesichtsausdruck empörte: „Und dabei doch noch diese frechen Visagen!“601 Auch der Ingenieur H . J ., der im August 1942 mit der deutschen Heeresmission in Rumänien war, nutzte und speiste das binäre Skript vom ‚faulen jüdischen Angreifer‘ und ‚fleißigen deutschen Opfer‘: Er „holte“ sich Juden, wie er sagte, um Baracken zu verladen, die an die Wehrmacht in der Sowjetunion gehen sollten . Dabei nannte er es eine „gelungene Ironie des SchickEs ging weiter, dass sie „umsonst … Hass und Zwietracht ausgesät“ hätten, denn nun sei es „zu spät, für immer (…) zu spät“, Kogon, SS-Staat, 308 . 598 Zit . nach Kogon, SS-Staat, 124 . 599 Zit . nach Warmbold, Lagersprache, 270 . 600 Zit . nach Manoschek (Hg .), „Es gibt nur eines“, 17, s . a . 38, 62 . 601 BfZ, Sammlung Sterz, Gefreiter Hans J ., 5 .10 .1941 . 597

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sals“, dass Juden ausgerechnet im deutschen Krieg gegen „Plutokratie“ und „Judentum“ „auch mal das Arbeiten lernen“ müssten .602 Wie selbstverständlich umgekehrt die Besatzungsmacht ihre Gewalt als Arbeit oder Leistung definierte, dokumentierte beispielsweise ein Kompaniechef, der in Weißrussland an Massenermordungen beteiligt war . Er schrieb seinem Bruder im Oktober 1941: „Wir sind jetzt fleißig auf der Jagd . Jeden Tag mussten mehrere jüdische Partisanen dran glauben . Da geht’s immer wild her . (…) Wir räumen auf mit der Bande, das wäre was für Dich .“603 Hans Frank berichtete am 18 . Januar 1945 seiner Frau Brigitte, dass er bei der überstürzten Flucht aus Krakau alle „unsere deutschen Menschen“ habe retten können, und nannte es ein „furchtbar ernstes Arbeiten .“604 Nichtjuden an der Front wie in den Lagern verstanden ihren Handlungsort als ‚alltäglichen‘ Arbeitsplatz .605 Manche deuteten die Shoah als ‚größte Leistung‘ . SS-Oberscharführer Gerhard Poppenhagen, ein gebildeter Mann und Lagerführer des Jägerstab-Außenlagers Helmstedt-Beendorf, erklärte einem französischen Häftling, dass die Deutschen „ein Werk“ zu vollenden hätten und eine Theorie des Mitleids deshalb fehl am Platz sei .606 Allerdings signalisierte die Wortwahl auch sein Bewusstsein, dass Mitleid gezielt ausgeblendet wurde . Karl Jäger, Chef einer Untereinheit der im Norden der Sowjetunion operierenden Einsatzgruppe A, berichtete im Dezember 1941 über das Vorgehen des Einsatzkommandos 3 . Er deutete das Vorgehen als männliche Leistung, indem er detailliert auflistete, welche Schwierigkeiten er kompetent überwunden habe: Ich kann heute feststellen, dass das Ziel, das Judenproblem für Litauen zu lösen, vom Einsatzkommando 3 erreicht worden ist . In Litauen gibt es keine Juden mehr, außer den Arbeitsjuden incl . ihrer Familien (…) Die Durchführung solcher Aktionen ist in erster Linie eine Organisationsfrage . Der Entschluss, jeden Kreis systematisch judenfrei zu machen, erforderte eine gründliche Vorbereitung jeder einzelnen Aktion und Erkundung der herrschenden Verhältnisse in dem betreffenden Kreis . Die Juden mussten an einem Ort oder an mehreren Orten gesammelt werden . Anhand der Anzahl musste der Platz für die erforderlichen Gruben ausgesucht und ausgehoben werden . Der Anmarschweg von der Sammelstelle zu den Gruben betrug durchschnittlich 4 bis 5 km . Die Juden wurden in Abteilungen zu 500, in Abständen von mindestens 2 km, an den Exekutionsplatz transportiert .607

Der Arzt Friedrich Mennecke, der in Psychiatrieanstalten und Konzentrationslagern die Menschen auswählte, die im Zuge der Euthanasiepolitik ermordet werden sollten, dokumentierte akribisch, was er als seine enorme ‚Leistung‘ empfand . Am 19 . November 1941 schrieb er seiner Frau, dass er demnächst im Männer-Konzentrationslager Groß-Rosen „arbeiten“ werde, was etwa 14 Tage dauern werde, denn „im Kz . kann man pro Tag 70–80 erledigen .“ Am 12 . Januar 1942 notierte er zufrieden, dass nun die erste 602 603 604 605 606 607

Zit . nach Manoschek (Hg .), „Es gibt nur eines“, 62 . Zit . nach Heer, Killing Fields, 63 . Zit . nach Schenk, Hans Frank, 361 . Mailänder Koslov, „Going east,“ 568 . Buggeln, Arbeit, 412 ff ., Zitat 414 . S . a . Aly/Heim, Vordenker der Vernichtung, u . a . 168 ff . Zit . nach Roseman, Wannsee, 44 f .

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„Arbeitsperiode“ im neuen Jahr beendet sei .608 Männer wie Jäger und Mennecke empfanden Vernichtung als ihr ‚Meisterwerk‘ . Über/Leben Die Überlieferung, wie Verfolgte ihre Verfolger/innen wahrnahmen, ist außerordentlich disparat . Zahllose Betroffene hatten nie zuvor mit den Gewaltakteuren zu tun gehabt, Gefangene trafen auf Kapos oder andere Mittelsmänner statt auf das Führungspersonal, bei anderen schob sich das Entsetzen vor die Erinnerung . Zudem verfügte die (westdeutsche) Nachkriegsgesellschaft nach Kriegsende weiterhin darüber, was wie erzählt werden dürfe . Sie tolerierte keine Emotionen von Überlebenden, diese sollten faktennah und nüchtern berichten . Die deutsche Öffentlichkeit reagierte mit Unmut, wenn Zeugen in den frühen Nachkriegsprozessen ihre Erfahrungen auf eine Weise erzählten, die der Gewalt ein Gesicht gab .609 Wehrmachtsveteranen und Ex-Nazis dagegen durften jede Menge Pathos einsetzen .610 Doch benannten Überlebende gerade in ihren frühen Zeugnissen zwei zentrale Erfahrungen: Zum einen die Grausamkeit, die über einen Tötungsbefehl ‚von oben‘ hinausging, zum anderen die breite Beteiligung, ob Menschen nun unmittelbar im Gewaltakt involviert waren oder nicht .611 Sie hielten die Begeisterung fest, mit der Männer und Frauen sich im Holocaust engagierten, nicht nur, um zu töten, sondern um das Töten und Zufügen von Schmerz zu inszenieren und mitzuerleben . Dieser Enthusiasmus reflektierte nicht nur individuelles Exzesshandeln, dafür war er zu häufig . Es ging darum, den eigenen Verfügungsanspruch zu leben . Auch wenn Leidtragende die deutsche Kultur nicht kannten oder deren Verkehrungsmodus nicht realisierten: Sie beschrieben die Art und Weise, wie die, denen sie zwangsweise begegneten, ihr Überlegenheitsgefühl ausagierten und über Identität verfügten . Die Belege lassen sich nicht immer nach Ort und Lager, nach nationaler und sozialer Herkunft aufschlüsseln . Doch deuteten Betroffene den Hohn als Folterstruktur eigener Art und hielten auch fest, dass er mit ihrem eigenen Entsetzen korrelierte .612 Sie notierten die theatralische Grundstruktur, die sich im Laufe der NS-Zeit nicht änderte, ebenso wie das Muster, dass Verfolger/innen ‚kreative‘ Einfälle untereinander durch Anerkennung belohnten . Maximilian Reich zufolge beschrieb es die SS als „Witz“, den Häftlingen zunächst zu gestatten, sich vor dem Transport von Dachau nach Buchenwald 1938 Proviant in der Kantine zu kaufen, um ihn dann vor der Abfahrt zu konfiszieren . „Stürmische Beifallsrufe“ und lautes Gelächter der Blockführer habe die Idee des Stabsoffiziers belohnt .613 Chil Rajchman, der 1942 nach Treblinka deportiert wurde und 1943 beim Lageraufstand fliehen konnte, gab den „Witz“ des stellvertre608 609 610 611 612 613

Mennecke, Innenansichten, 203, 322 . Vgl . Wachsmann, KL, 283 ff ., 289–300 . Cramer, Der erste Bergen-Belsen-Prozess 1945, bes . 85–89 . Roseman, Holocaust-Täter, u . a . 228 f . Ebd ., 232, 234 . Eindrückliche Beispiele in Friedländer, Jahre der Vernichtung, 426, 562 . Reich, Mörderschule, 216 .

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tenden Lagerkommandanten Kurt Franz wieder, einen Toast darauf zu trinken, „bald die Juden Englands empfangen zu dürfen“ .614 Willy Goerner, Mitglied der jüdischen Ghettowache in Theresienstadt und in Außenarbeitskommandos in der Nähe von Berlin eingeteilt, erinnerte die besonderen „Späße“ des SS-Obersturmbannführers Franz Stuczka . Dieser ließ an freien Sonntagen gerne „Häufchenmachen“: Das heißt, er teilte die Arbeitskommandos nach verschiedenen Kriterien in kleine Gruppen ein, um sie dann stundenlang stehenzulassen .615 Elisabeth vom Kleeten-Nykerk aus Amsterdam, im Mai 1944 nach Birkenau deportiert, verwies darauf, dass Josef Mengele seine Opfer lachend auswählte .616 Die Tschechin Ilona Vohryzkovã¡ wurde im Januar 1943 von Theresienstadt nach Auschwitz deportiert . Im Gerichtsverfahren gegen Dr . Carl Clauberg, der medizinische Experimente an Frauen durchgeführt hatte, gab sie 1958 dessen zynische Witze zu Protokoll .617 Dr . Waldemar Hoven, Lagerarzt in Buchenwald, der ebenfalls Häftlinge für Experimente missbrauchte, pfiff Kogon zufolge einmal nach zahlreichen tödlichen Injektionen: „Und wieder geht ein schöner Tag zu Ende …“ .618 Über den Kommandanten des Lagers Jungfernhof bei Riga, SS-Oberscharführer Rudolf Seck, hielt der aus Hamburg dorthin verschleppte Bertold Kohn Ähnliches fest . Seck habe einmal lachend erzählt, wie er eine Gruppe Männer von Jungfernhof zum benachbarten Vernichtungslager Salaspils gebracht habe . Die Männer hätten zunächst nicht vom Laster steigen wollen, so dass er sich den ‚Spaß‘ gemacht habe, einen von ihnen zu erschießen; daraufhin seien die anderen seinem Befehl gefolgt .619 Auch Lucie Levi erinnerte sich daran, wie Seck es in Jungfernhof inszeniert habe, Menschen systematisch umzubringen: „er lachte und machte Witze dabei“ .620 Diese Berichte spiegelten keine Sprachregelungen, die sich erst im Nachhinein verfestigt und durch Wiederholung eingeschliffen hätten . Sie reflektierten die zeitgenössische Semantik der Verfolgergesellschaft, die ihrerseits in die Nachkriegszeit überdauerte . Denn auch Zeugen auf Täterseite wählten in frühen Nachkriegsprozessen das Wort „Spaß“, um Gewaltpraktiken zu kennzeichnen . Der Wiener Boryslaw-Prozess betraf Angehörige der Schutzpolizei im Ghetto Boryslaw in der Ukraine . Deren Mitglied Josef Pöll gab 1947 zu Protokoll, dass es dem Kommandeur, Hauptmann Wüpper, sowie seinem Kollegen Leopold Mitas „vielfach sogar Spaß“ gemacht habe, Erschießungen durchzuführen . Mitas habe jedes Mal, wenn er Exekutionen vorzunehmen hatte, gesagt, er gehe wieder „auf ein großes Fest“ .621 Im Majdanek-Prozess vor dem Landgericht Düsseldorf (1975–1981) beschrieb eine Überlebende, die Aufseherin Hildegard Lächert habe „lachend“ den Stuhl unter einem Mädchen weggestoßen, dass die SS nach einem Rajchman, Ich bin der letzte Jude, 112 . WL, 059-EA-1342, P .III .h . No . 545 (Theresienstadt), 11 . 616 WL, 054-EA-0971, P .III .h . No . 581 (Birkenau), 1 . 617 WL, 054-EA-0991, P .III .h . No . 882, Auschwitz, 3 . 618 Kogon, SS-Staat, 166 . 619 WL, 056-EA-1132, P .III .h . No . 1021b, 1 f . 620 WL, 056-EA-1130, P .III .h . No . 1021, 1 . 621 Zit . in Geldmacher, „Wir als Wiener“, 153 . Pöll galt seinerseits als überaus brutal, ebd ., 154 . Pöll und Mitas wurden 1948/49 von einem sowjetischen Militärtribunal zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt . Nach ihrer Rückkehr nach Österreich 1955/56 erhielt Mitas in einem neuen Prozess 1956 lebenslänglich, Pöll 20 Jahre Haft . Beide wurden in den folgenden zwei Jahre entlassen, ebd ., 161 f . 614 615

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Fluchtversuch erhängte .622 Da sich die ehemaligen Häftlinge aber unterschiedlich erinnerten, wurde Lächert trotz der Anhörung von 150 Zeuginnen für diesen Fall nicht verurteilt .623 Die Situation der Verfolgten war jedoch nicht nur dadurch strukturiert, dass die Machthabenden sich mit ihrem Spott als verletzungsmächtige ‚Künstler-Soldaten‘ gerierten . Diese nutzten die Lager auch dazu, sich ihren künstlerischen Sinn von Gefangenen bestätigen zu lassen . In diesen Kontext gehört, dass das Ritual der Kunstgabe während des Krieges ausgeweitet wurde: Nun bekamen Hitler, Göring oder SS-Mitglieder Fotoalben, die die deutschen ‚Leistungen‘ im Vernichtungskrieg anschaulich festhielten .624 Außerdem mussten Häftlinge für die SS musizieren und Theater spielen .625 Schließlich mussten sie Humor auf die Bühne bringen, auch das im Zweifel, um die nationalsozialistische Spottstruktur zu bestätigen . Der Kommandant von Buchenwald, den Häftlinge regelmäßig betrunken erinnerten, forderte für Neujahr 1938 „eine Woche Humor“ .626 Dabei wagte es der verantwortliche Berliner Conferencier, vor der versammelten SS seine Aufführung als das „freieste Theater des Reiches“ zu bezeichnen: Hier könne man über jeden Witz lachen, ohne zu befürchten, ins Lager zu kommen .627 Es gelang ihm, mit einem Witz, der auch von der SS hätte stammen können, die Entrechtung zu beschreiben . Zwar war jeder Versuch der Verfolgten, ihre Individualität sichtbar zu erhalten, potentiell lebensgefährlich, so dass Häftlinge häufig versuchten, in der Masse unsichtbar zu werden .628 Aber wie mit jeder anderen kulturellen Praktik, die sie sich nicht nehmen ließen, konterkarierten Betroffene auch mit Gelächter den Zugriff auf ihre Identität .629 Reich beschrieb, wie Fritz Grünbaum, Paul Morgan und Hermann Leopoldi, einige der berühmtesten Kabarettisten Österreichs, zusammen mit deutschen Häftlingen in Dachau von Baracke zu Baracke zogen, um mit Sketchen und heiteren Vorträgen aufzumuntern, immer in Gefahr, von der SS aufgescheucht und bestraft zu werden . Nur diese Komiker ließ Reich als „Barden des ‚deutschen‘ Humors“ gelten .630 Auch in Buchenwald erlebte er öfter Kabarett . Denn, so Reich trocken, es seien ja „genügend bedeutende Künstler“ unter ihnen gewesen .631 Selbst während der Shoah versuchten Verfolgte, ihre Erfahrungen mit Witzen aufzufangen oder sich mit Sarkasmus gegen unerträgliche Schmerzen zu wappnen . Die Machtansprüche der Deutschen zu karikieren, mochte helfen, den Verlust von Würde Zit . nach Mailänder Koslov, Gewalt, 357 . Ebd ., Gewalt, 363 . Angeklagt wegen Mordbeihilfe in 1196 Fällen, wurde sie 1981 wegen gemeinschaftlicher Beihilfe zum Mord an mindestens hundert Menschen zu zwölf Jahren Haft verurteilt, ohne die Strafe absitzen zu müssen, da eine Haftstrafe in Polen sowie die Untersuchungshaft angerechnet wurden . 624 Struk, Photographing the Holocaust, zu Hitler und Göring 24 f ., zu SS-Männern in Auschwitz 107 . 625 U . a . Rovit/Goldfarb (Hg .), Theatrical Performance . 626 Daniel, „The Freest Theater“, 120 . 627 Ebd ., 153 . 628 Wiedemann, Alltag im Konzentrationslager, 110 . 629 Lipman, Laughter in Hell, v . a . Kap . 5 . Zu anderen Praktiken u . a . Heß u . a . (Hg .), Kontinuitäten . 630 Reich, Mörderschule, 98 . 631 Ebd ., 251 . Julius Meyer notierte den „grimmigen Humor“ derer, die jahrelang in Buchenwald gefangen waren, WL 048-EA-0558, P .II .d . No . 77, 88 . 622 623

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IV . Gewalt im Gelächter: Verletzungsmacht in Zeit und Raum

zu ertragen und Beziehungen untereinander zu erleichtern .632 Ironisch kommentierten Deportierte, wie neue soziale Hierarchien im Lager oder Ghetto entstanden: In Theresienstadt hieß es, früher sei der Schneider David Jonas „maßnehmend“ gewesen, nun sei er „maßgebend“ geworden .633 Dr . Emil Blum aus Wien spottete darüber, dass der Verlust des bisherigen Status manche dazu brachte, ihre frühere Stellung zu überhöhen: Als sich zwei Dackel in Theresienstadt begegneten, antwortete der eine auf die Frage des anderen, was er früher gewesen sei: „Ein Bernhardiner“ .634 Die unglaubliche Anstrengung, sich über sich selbst lustig zu machen, blieb ein Teil des Weiterlebens, wie es die in Ravensbrück inhaftierte Anise Postel-Vinay formulierte . Die Fähigkeit, immer noch lachen zu können, war für sie der Beweis, dass sie menschlich geblieben seien, obwohl die NS-Gesellschaft die jüdisch-christlichen Werte von Mitleid und Mitleiden aufgegeben habe .635 Wie schwer Selbstironie in den Gewalträumen war, hielt auch Oberregierungsrätin Dr . Martha Mosse aus Berlin fest . Sie notierte, dass die extreme Enge in Theresienstadt, die keine Privatsphäre erlaube, auch die Fähigkeit erschwere, über sich selbst zu lachen .636 Eindringlich beschrieben Häftlinge, dass es nicht nur die großen Grausamkeiten waren, die das Leben unerträglich machten, sondern die unendliche Kette kleiner Nadelspitzen .637 Mit Scherzen artikulierten Häftlinge ihre Sprachmächtigkeit und Deutungshoheit, im Wissen, unberechenbare Reaktionen und möglicherweise ihre Ermordung zu provozieren . Mitunter gelang es ihnen, die Verständigung untereinander zu erleichtern, indem sie nationalsozialistische Semantiken benutzten . So umgingen sie das Verbot, die Verbrechen als solche zu benennen, und suchten der Gefahr auszuweichen, der ‚Greuelpropaganda‘ angeklagt zu werden . Mit einer zitierenden und zugleich von sich weisenden Übernahme des Tätervokabulars konnten sie einander sagen, was ihnen zustieß .638 So rückte ein Häftling einem schwer Schleppenden die Last mit den Worten zurecht: „Komm her, du fauler Jude, ich leg dir den Balken besser auf die Schulter . So – jetzt wird er dich nicht drücken .“ Andere kolportierten Witze der Tätergesellschaft: „Ihr stinkfaulen Juden, habt ihr schon das neueste gehört: ‚Jüdischer Radfahrer beißt deutschen Schäferhund‘?“639 Sie gaben Humor den Sinn zurück, Mitleid auszudrücken und Widersprüche im System der Macht zu karikieren . Doch bargen Scherze als Praktiken des Selbst neben der unmittelbaren Gefahr, entdeckt zu werden, noch ein weiteres Problem: Denn nach einem möglichen Überleben könnte es heißen, dass es doch nicht so schlimm gewesen sein könne, wenn man Zeit, Raum und Kraft zum Scherzen gehabt habe . Deportierte Künstler und Künstlerinnen, die im Lager oder Ghetto ironische Erzählungen oder Theaterstücke verfassten, wussten nicht nur, wie gefährlich es war, die SS subtil zu verspotten oder erkennbar das eigene 632 633 634 635 636 637 638 639

Warmbold, Lagersprache, bes . 262–285 . WL, 062-EA-1489, P .III .i . No . 509 (Poland), 29, Else Pintus . WL, WL 059-EA-1359, P .III .h . No . 716 (Theresienstadt), 1 . Rovit, Introduction, 7–10 . WL, 059-EA-1373, P .III .h . No . 1088 (Theresienstadt), 3 . Hier nur Reich, Mörderschule, 175 f . Warmbold, Lagersprache, 142 . Zit . nach ebd ., 139 .

5 . Ein Imperium der Beschämung: Vernichtung als Identitätspolitik

Selbstverständnis zu artikulieren . Sie sahen auch die paradoxe Situation voraus, dass sie ihre Deutungshoheit über ihr eigenes Schicksal möglicherweise nicht über die Zeit der Gewaltherrschaft hinaus würden retten können . Denn falls es ihnen gelänge, die Lager zu überleben, würde ihnen niemand die furchtbaren Erfahrungen abnehmen, wenn sie die Witze aus der Todeszone weitererzählten . Die französische Widerstandskämpferin Germaine Tillion wurde 1943 nach Ravensbrück deportiert . Sie schrieb dort auf gestohlenem Papier eine komische Oper, die Glucks Orpheus in der Unterwelt parodierte und die sie Le Verfügbar aux Enfers nannte . Doch Tillion wollte ihre Texte nach ihrem Überleben nicht veröffentlichen . Denn sie fürchtete, dass diejenigen, die ihre Leidenserfahrungen nicht geteilt hätten, denken würden, sie hätte sich wunderbar amüsiert, obwohl sie die Oper unter Lebensgefahr geschrieben hatte .640 Damit nahm sie vorweg, dass die Gesellschaft der Verfolger/innen den Leidtragenden nicht nur während, sondern auch nach der Shoah das Recht absprach, ihr Schicksal selbst zu erzählen und damit gehört zu werden .

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Rovit, Introduction, 7–10 . Zum Stück auch Rothstein, Erschaffung eines Kulturraumes .

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V. Gewalt vergessen machen? „Gelächter im Nationalsozialismus“ nach 1945

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elächter mochte verhallen, doch es brannte sich ein . Überlebende der Shoah beschrieben, wie Verfolger/innen sie mit ‚Scherzen‘ quälten . Doch wurde diese Erfahrung auch dann noch nicht gerne gehört, als die bundesdeutsche Gesellschaft die Shoah in den 1980er Jahren in ihre öffentliche Gedenkkultur aufnahm . Typisch waren eher Reaktionen in einer Kölner Ausstellung von 1993 über die NS-Zeit . Besucher/innen waren sofort berührt durch Bombensplitter . Sie konnten sich vorstellen, wie Menschen „danach“ aussähen – schließlich waren Bomben auf Deutschland gefallen . Dass aber die Ausstellung den bekannten Kölner Komponisten heiterer Lieder Willi Ostermann in die Nähe von Konzentrationslagern rückte, missfiel den meisten: „Theater und Frohsinn will man da nicht“ .1 Zu reflektieren, dass Gewalt als ‚Spaß‘ gegolten hatte und umgekehrt, hätte das Selbstbild der Mehrheitsgesellschaft und ihrer Rolle im Nationalsozialismus gestört . Sie definierte sich bis weit in die Gegenwart als nichtjüdische Leidensgemeinschaft, überdeckte aber diesen Prozess, indem sie zugleich behauptete, dass ihre Leiden ein Tabu seien, das man nicht ansprechen dürfe .2 Die Opferselbstbeschreibung gelang auch deshalb, weil Witzsammlungen gleich nach 1945 festlegten, was Gelächter im Nationalsozialismus bedeutet habe . Es wurden, wie erwähnt, genau die Scherze als sagbar kanonisiert, die die nichtjüdische Bevölkerung als Opfer einer kleinen Elite entwarfen . Entsprechend trat ein, was Germaine Tillion befürchtet hatte: Das, was nach 1945 als „Humor in der NS-Zeit“ galt, nahm den Verfolgten im Nachhinein die Deutungshoheit über ihre eigenen Erfahrungen . Robert Moeller hat gezeigt, dass es kein generelles Schweigen nach 1945 gab, sondern im Gegenteil ein intensives Reden über den Krieg, das sich jedoch um die deutschen Opfer und nicht die Opfer der Deutschen drehte .3 Witze gehörten zu diesem Reden . Nur verbargen sie die deutsche Gewalt auch jetzt nicht, sondern ließen sie zumindest punktuell Zenner, Wirkung einer Ausstellung, 51 . Zu diesem Konnex Schmitz/Seidel-Arpaci (Hg .), Narratives of Trauma . Jureit/Schneider, Gefühlte Opfer, zufolge integrierte die Erinnerungskultur seit den 1980er Jahren jüdische Leidtragende, indem sie eine Gemeinsamkeit aller Opfer konstatierte . So konnte das eigene Selbstbild als Opfer beibehalten werden . 3 Moeller, War stories . 1 2

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V . Gewalt vergessen machen? „Gelächter im Nationalsozialismus“ nach 1945

im Scherz und als Scherz auftauchen . Sie zirkulierten ein Wissen weiter, das nach wie vor auf diese Weise mitgeteilt werden konnte . Wenn man fragt, wohin die Ausgrenzungsenergie wanderte, die sich im Spott geäußert hatte, kann man zuspitzen: Sie blieb dort . Zudem verfügten die Sammlungen weiterhin über Identität, indem sie ‚deutsch‘ als Gegensatz zu ‚jüdisch‘ fixierten . Daher noch ein kurzer Blick auf die Reproduktion bestimmter Sprechakte nach 1945, bevor ich zum Schluss komme . „Adolf der Mächtige, Hermann der Prächtige“: NS-Witze nach 1945 Gleich 1946 erschienen die ersten Sammlungen mit „Witzen im Nationalsozialismus“ . Deren Herausgeber schrieben fest, dass sie mit Gelächter Widerstand geleistet hätten, während in Nachkriegsprozessen wie erwähnt durchaus zu hören war, dass manche Gewaltakteure Erschießungen als ‚Fest‘ gefeiert hatten . Mit seinem programmatischen Titel Witz contra Nazi projizierte der Verleger Richard Hermes eine nichtjüdische Leidens- und Widerstandsgemeinschaft . Er wirkte umso überzeugender, als er seiner eigenen Aussage zufolge wegen öffentlicher Kritik im Gefängnis gesessen hatte .4 John Alexander Meier und Kurt Sellin brachten ebenfalls 1946 das Bändchen Vox Populi. Geflüstertes. Die Hitlerei im Volksmund heraus . Sie präsentierten bereits im Einband das „leidende und lachende deutsche Volk“ als „Verfasser“ .5 Die Botschaft, unter Lebensgefahr gehandelt zu haben,6 ergänzten sie und andere durch die Aussage, nichts gewusst zu haben .7 So blendeten sie andere Erinnerungen aus oder sprachen ihnen ab, legitim zu sein . Dabei half, dass die Witze selten kontextualisiert waren . In der Regel benannten die Bände weder Sprecher/innen noch Adressat/innen oder die Kommunikationssituation . Die frühen Bände wurden stilbildend, mit ihren Thesen, ihrer (Plot)Struktur und der Auswahl der Witze . In praktischer kleiner Form boten sie an, sich über die eigene Rolle im Nationalsozialismus zu verständigen: Mit Scherzen opponiert und dafür mit einem Bein im Konzentrationslager gestanden zu haben . Zwar unterstrich Harry Harden bereits 1952 in Als wir alle Nazis waren, dass nicht nur Oppositionelle, sondern auch Mitläufer gewitzelt hätten, weil es so prickelnd gewesen sei .8 Doch betonte er um so ärgerlicher in Richtung Alliierte, dass „das deutsche Volk“ mit „Gaskammern, Morden und anderen Bestialitäten“ nichts zu tun gehabt habe; die Besatzungsmächte sollten doch „wirklich“ nur die „Schuldigen“ verurteilen . Sich schmunzelnd über das eigene Mitmachen zu verständigen, so die Botschaft, dürfe nicht dazu führen, dass sich andere ein Urteil anmaßten . Zugleich zirkulierte er beiläufig antisemitische Stereotype, die die Verfolgung trivialisierten: „Einzelne gehässige Äußerungen“, so fügte er hinzu, hätten nicht rassistische, sondern wirtschaftliche Beweggründe gehabt .9 4 5 6 7 8 9

Hermes, Witz contra Nazi, 15 . S . a . Königswarter, Witz als Waffe . Meier/Sellin, Vox populi . Meier/Sellin, Vox populi, 18 . Besonders aggressiv Harden, Als wir alle Nazis waren, 102 . Harden, Als wir alle Nazis waren, 3 f . Harden, Als wir alle Nazis waren, 101 f .

V . Gewalt vergessen machen? „Gelächter im Nationalsozialismus“ nach 1945

Während die reine Widerstandsthese also frühzeitig brüchig wurde, verankerten die Sammlungen weiterhin die zweite Botschaft: Die nichtjüdische Mehrheitsgesellschaft als Opfer, die mit ‚den Nationalsozialisten‘ nichts zu tun gehabt hätte . Das Selbstverständnis überdauerte bis in die jüngste Zeit . Rudolph Herzog betonte in Heil Hitler 2006 zwar auch, dass nicht alle Witze auf Widerstand gebürstet gewesen seien .10 Doch beschrieb er seinerseits die NS-Politik als „ideologisches Blendwerk“, der gegenüber „die Menschen auf der Straße“ ihr „mulmiges Gefühl“ verdrängt hätten .11 Während der Besatzungszeit 1945–49 erschienen mehrere Bände, danach im Schnitt etwa alle zehn Jahre entweder Neuauflagen oder ein bis zwei neue Publikationen . Sie wurden zunehmend selbstreferentiell .12 Das heißt, sie reproduzierten das Standardset, das nach der NS-Zeit etabliert worden war . Die Auswahl verstetigte sich etwa dadurch, dass das Buch von Hans-Jochen Gamm, Der Flüsterwitz im Dritten Reich, von 1963 bis in die 1990er Jahre mehrfach neu aufgelegt wurde, 2006 als CD .13 In diesem Kanonisierungsprozess überformten sich das kommunikative und kulturelle Gedächtnis bis in die Gegenwart . Denn fragt man heute nach Witzen aus der NS-Zeit, hört man in erster Linie die, die nach 1945 regelmäßig gedruckt wurden .14 Nimmt man die Sammlungen bis in die 1980er Jahre in den Blick, dann speisten sie in den ersten Jahrzehnten die Deutungsmuster, die in der Bundesrepublik generell diskursiv dominierten .15 In den 1940er und 1950er Jahren zirkulierten sie die These von Widerstand und Nichtwissen . Vor allem letztere war, wie bei Harden, emotional aufgeladen, geradezu hasserfüllt gegenüber den Alliierten, die sich eine Entscheidung über Schuldfragen anmaßen würden . In den sechziger Jahren lieferte Gamm eine stärker gewundene Darstellung . Er verurteilte den Holocaust, schrieb aber ebenfalls den Gegensatz von „Deutschen“ und „Juden“ fort . Interessant für die Zeit seit den späten 1970er Jahren dagegen ist, dass der Witzdiskurs nun zumindest von den wissenschaftlichen und öffentlichen Perspektiven abwich, die sich verschoben . Denn Geschichtswissenschaft und Medien beschäftigten sich nun auch in Deutschland intensiver mit den jüdischen Verfolgten . Seit den 1990er Jahren kam die Frage nach Täterschaft und der gesellschaftlichen Verankerung der Vernichtungspolitik dazu . Parallel aber verherrlichten überzeugte Nationalsozialisten die Gewaltgesellschaft . Dazu nutzten sie das offenkundig weiterhin verstehbare Kürzel vom Gelächter – wie die Anekdoten um Hitler von Henriette von Schirach von

Herzog, Heil Hitler, 10 f ., 191 f ., 254 . Herzog, Heil Hitler, 43 . 12 So auch Rosenfeld, Hi Hitler, der u . a . die Welle von Hitleriana der letzten Jahrzehnte im Netz diskutiert . 13 Gamm, Flüsterwitz . 14 Zur Ambivalenz von Erinnerungskonstruktion u . a . Rosenthal, Erzählbarkeit . Auf eine Witz-Nachfrage in der FAZ 2008 erhielt ich über 800 Rückmeldungen, für die ich mich hier noch einmal herzlich bedanke . Ca . 90 % betrafen austauschbare Bonmots, denen zufolge Hitler, Göring und Goebbels entweder an allem schuld oder besonders dämlich waren, während die nichtjüdische Bevölkerung litt und spottete . 15 Zur Erinnerungspolitik in der Nachkriegszeit hier nur Moeller, War Stories . Schmitz/Seidel-Arpaci (Hg .), Narratives of Trauma . 10 11

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1980 oder Gerd Knabes Lachen um Hitler von 1988 zeigen .16 Anders gesagt: In dem Maße, in dem intensiver diskutiert wurde, wie breit die Ausgrenzungs- und Vernichtungspolitik gesellschaftlich verwurzelt gewesen war, hätten bereits die herkömmlichen Witzsammlungen erratisch wirken können . Stattdessen inszenierten NS-Überzeugte noch zusätzlich das Bild einer ‚lustigen‘ und ‚kunstsinnigen‘ NS-Gesellschaft . Dass sie in diesem Zeitraum publizierten, lag sicher an ihrem Alter: Sie hinterließen ihr Erbe nun schriftlich . Es lag aber möglicherweise gerade auch daran, dass die deutschen Verbrechen in den Fokus rückten sowie die Frage, wie sich die Bevölkerung insgesamt engagiert habe, über einzelne Funktionseliten hinaus . Dagegen stellten Schirach und Knabe ihre Version: Die NS-Gesellschaft als überlegene Form des Politischen, die ‚Recht gehabt habe‘ . Knabe betonte 1988 mokant, dass seit den 1960er Jahren keine Witzbände mehr erschienen seien, so dass er diese Lücke füllen wolle .17 Den Raum bekam er wohl auch deshalb, weil die Republik in den späten 1970er und 1980er Jahren obsessiv mit der Gewalt von links und der ‚Normalisierung danach‘ beschäftigt war . Zwar wurden manche Bände, die mit ‚Lachen‘ im Titel kokettierten, indiziert . Doch sollte man die Erinnerungslinie nicht übersehen: Sie lancierte immer noch den Anspruch, ‚im Recht (gewesen) zu sein‘ . Was boten die frühen Bände noch an, um stilbildend zu wirken? Zunächst die geläufigen Spitznamen „Adolf der Mächtige, Hermann der Prächtige“, von Hermes ergänzt durch „Joseph der Schmächtige und Röhm der Verdächtige“ .18 Meier/Sellin und andere setzten die ersten drei Spitznamen auch als Überschriften für eigene Kapitel ein, in denen sie Witze über die jeweilige Person bündelten . Der Verweis auf Röhm fiel bei ihnen fort . Stattdessen ergänzten sie das Kapitel „Übrige Verdächtige“, das Figuren wie Rudolf Heß thematisierte .19 Die Namensgebung reflektierte den doppeldeutigen Blick auf die NS-Elite: Einerseits konnte man auf diese Weise weiterhin eine kleine Gruppe bekannter Männer als allein verantwortlich darstellen . Waren ganze Kapitel mit den Spitznamen überschrieben, dann wies bereits die Buchstruktur sichtbar jede Verantwortung diesen wenigen zu und entlastete den Rest der Bevölkerung . Andererseits aber reflektierten die Vornamen den vertrauten, sprichwörtlich liebevoll-spöttischen Umgang der Bevölkerung mit ‚ihrer‘ Regierung . Hermes distanzierte Röhm daher nicht nur, indem er die zeitgenössische Verurteilung reproduzierte, sondern auch, indem er ihn mit Nachnamen nannte .20 Zudem war und blieb die Auswahl an Witzen typisiert . Es zirkulierten vor allem die Versionen, die auf persönliche Eigenheiten abhoben . Göringwitze karikierten Uni-

Schirach, Anekdoten um Hitler . Knabe, Lachen um Hitler . Knabe, Lachen um Hitler, 3 . 18 Hermes, Witz contra Nazi, 121 . Göring und Goebbels erhielten hier bereits entsprechend benannte Kapitel . 19 Meier/Sellin, Vox populi . Wiener, Als das Lachen tödlich war . 20 Im Text nutzte er Sexualität als symbolisches System dann auch, um Hitler zu pathologisieren: Dieser sei sexuell ebenfalls „nicht normal“ gewesen, Hermes, Witz contra Nazi, 17 f . Vandrey, Der politische Witz, nutzte noch 1967 die Kapitelstruktur mit Vornamen, auch für Röhm mit „Ernst – der Verdächtige“ . 16 17

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formwahn und Eitelkeit .21 Bei Goebbels standen Redemanie und Sexbesessenheit im Mittelpunkt .22 Andere Scherze nahmen 200%ige aufs Korn, die gerne als Frauen bzw . ‚Nazi-Schlangen‘ präsentiert wurden, oder mokierten sich über Parteimitglieder, die sog . „Goldfasane“, als inkompetente Konjunkturritter .23 Hermes erwähnte aber auch den Spitznamen der SS als „Himmlersche Heerscharen“, mit der Vermutung, die SS habe im Polenfeldzug Generaloberst Werner von Fritsch ermordet, den 1938 ausgebooteten früheren Oberbefehlshaber des Heeres .24 Er zirkulierte das soziale Wissen über die SS weiter, bezog deren Gewalt aber auf die Konkurrenz der NS-Eliten untereinander . Mit ihrem Fokus auf Hitler und Co . etablierten die Bände vordergründig eine klare Dichotomie: diktatorische Entscheidungselite vs . hilflose Mehrheit . Das augenzwinkernde Wissen um eine ausschließende Gesellschaft, die sich auch mit Witzen über ihren Charakter verständigt hatte, konnte hören, wer wollte . Die Verfolgungspolitik tauchte entsprechend nur knapp auf, mit ebenfalls sprechenden Überschriften . Hermes räumte dem Abschnitt „Die Rassenschande!“ gut fünf von 173 Seiten sein .25 Meier und Sellin wiesen in Vox Populi drei von 146 Seiten dem „Rassenfimmel“ zu . Mit ihrer Wortwahl erklärten sie die Vernichtungspolitik zur pathologischen Verirrung der Herrschenden und speisten somit eine weitere Deutung, die die ersten Nachkriegsjahrzehnte bestimmte . Gamm wählte für das Kapitel über Verfolgung und Vernichtung den ambivalenten Titel „Judenwitze“ .26 Das konnte Witze über Juden oder Witze von jüdischen Deutschen meinen, markierte in jedem Fall aber Juden und Deutsche als nichtidentisch . Der Anspruch, weiterhin eine inhärente Differenz herzustellen, lässt sich auf verschiedenen Ebenen ausmachen .27 So trennten der standardisierte Inhalt, die Überschriften und die Sprache selbst zwischen ‚Deutschen‘ und ‚Juden‘ . Denn die Hefte schrieben auch die Opfer-Täter-Verkehrung der NS-Zeit sprachlich fort . Meier/Sellin nannten ebenso wie Gamm das Pogrom von 1938 eine „Vergeltung“ für das Attentat von Herschel Grünspan auf den Botschaftsangehörigen von Rath in Paris: „Guter Rat ist teuer, sagten die Juden nach Grünspans Attentat und Görings Vergeltung .“28 Konkrete Repression dagegen tauchte in anderen Kapiteln auf und bezog sich implizit eher auf nichtjüdische Deutsche . Hermes etwa verwies ein einziges Mal auf Unterdrückungsstrukturen, als er „politische Häftlinge“ erwähnte .29 Des Weiteren standen unveränderte Spottbotschaften direkt neben Scherzen, die die Herausgeber Verfolgten zuschrieben . Hermes druckte unkommentiert die Anzeige einer Der Benzinbezug würde gesperrt, weil „Hermanns“ Uniform gereinigt würden, Hermes, Witz contra Nazi, 95 . 22 Hermes, Witz contra Nazi, 106–120 . 23 Hermes, Witz contra Nazi, 53, 81 . 24 Hermes, Witz contra Nazi, 52 . 25 Hermes, Witz contra Nazi, 130–136 . 26 Gamm, Flüsterwitz, 95 . 27 S . a . die Beiträge in Chin u . a . (Hg .), After the Nazi Racial State, zum Phänomen, dass rassistische Politik nach 1945 im Zweifel mit dem Kulturbegriff operierte, statt mit dem tabuisierten Rassebegriff . 28 Meier/Sellin, Vox populi, 106 . Gamm, Flüsterwitze, Texte 95 f . 29 Hermes, Witz contra Nazi, 88 f . 21

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Münchner Faschingszeitung von 1935 ab: „Der letzte Hirsch in fränkischer Jagd zum Abschluss freigegeben . Angebote zu richten an Str . (Streicher), Nürnberg“ .30 Der Text zelebrierte in der NS-Zeit selbst wie auch im Nachhinein, wie Engagierte ihre Übermacht karnevalistisch gefeiert hatten . Die folgenden Texte überschrieb der Herausgeber mit Bittere Scherze! Dazu konstatierte er, dass „die Zeit der Witze indessen“ bald „vorbei“ gewesen sei . Stattdessen hätten „Judengeschichten“, so sein Kommentar, „resigniert und bitter“ geklungen . Als Akteure tauchten primär jüdische Deutsche auf . In einer der Mini-Geschichten lag der alte Davidsohn auf dem Sterbebett, von seiner Familie umgeben . Hermes ließ ihn „in grimmig-resignierter-schadenfroher Vorwegnahme“ sagen: „Lachen möcht’ ich, wenn’s drüben auch nix wär!“31 Die Wortwahl „schadenfroh“ erschloss sich hier nur mithilfe des überkommenen Deutungshorizontes der Jahrzehnte zuvor . Meier und Sellin dagegen brachten eine Passage, die das Wort ‚erklärte‘, indem sie ‚Juden‘ die ‚falschen Gefühle‘ einschrieb . Im Einband beschrieben die Herausgeber das „deutsche Volk“ als „lachend und leidend“ . Im Band selbst nahmen sie kommentarlos die antijüdische Projektion auf, dass „Juden“ keine echte Freude, sondern nur Schadenfreude empfinden könnten – und, ganz nebenbei, auch nicht kreativ seien: KDF heißt Kraft durch Freude und ist eine NS-Gemeinschaft, die natürlich keine Juden aufnimmt . Da die Juden aber alles nachahmen, was die Arier erfinden, so gründen sie auch einen Verein und nennen ihn KdS=Kraft durch Schadenfreude .32

Andere Sammlungen trivialisierten die Shoah, indem sie wie in der NS-Zeit selbst die Gefahren für Verfolgte und Nichtverfolgte parallelisierten, in Kapiteln, die sich vordergründig um andere Themen drehten . Hermes bot den Zweizeiler zum öffentlichen Erinnern an, den ich bereits zitiert habe: „Verbrennungsgrade: Worin besteht der Unterschied zwischen einem Krematorium und einer Versammlungshalle? Im Krematorium wird man verbrannt, in der Versammlungshalle nur verkohlt!“33 Der Satz spielte mit dem Wissen über die Vernichtungspolitik und bot an, sich über die grundlegende Differenz der Lebenschancen zu amüsieren . In den 1960er Jahren markierten zwei Bände die Bandbreite der widersprüchlichen Positionierungen zum Nationalsozialismus . Gamm prangerte die „ungeheuren Verbrechen der Nationalsozialisten gegen die Juden“ an, blieb aber hinsichtlich der Akteure vage .34 Max Vandrey dagegen inszenierte nachdrücklich eine nichtjüdische Leidensgemeinschaft . Er blendete den Holocaust ganz aus, so dass für die Zeit ab 1939 nur der ‚deutsche Krieg‘ im Mittelpunkt stand, und trivialisierte gezielt auch die Verfolgung der Vorkriegszeit .35 Stattdessen erneuerte er die Formel vom „scharfe[n] jüdische[n] Hermes, Witz contra Nazi, 130 . Hermes, Witz contra Nazi, 131 . Zudem nannte er nur natürliche Todesfälle . 32 Meier/Sellin, Vox populi, 106 . 33 Hermes, Witz contra Nazi, 137, neben einem Witz über Kommunisten in SA-Uniform und dem Vergleich Hitlers mit einem Blinddarm: „Beide sind stets leicht gereizt und vollkommen überflüssig!“ 34 Gamm, Flüsterwitz, 105 . 35 Vandrey, Der politische Witz, 120–124, also knapp 4 von 149 Seiten . Er führte den Antisemitismus der Weimarer Republik auf die Immigration von Ostjuden, jüdische Korruption und schlechte Kunst zurück, erneuerte also diffamierende antijüdische Stereotype . Für die Zeit nach 1933 betonte er die 30 31

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Witz“ .36 In dieser Hinsicht blieben auch Gamms Formulierungen gewunden . Er attestierte jüdischen Deutschen, „Selbstironie“ entwickelt zu haben, weil sie sich als Minderheit in ihrer „prüfungsreichen Geschichte“ immer wieder „selbstkritisch“ hätten „prüfen“ müssen . Mit Blick auf Deutschland nannte er „das Geschehene“ eine „tiefe seelische Wunde des deutschen Volkes“, die auch „in Zukunft noch Not bereiten“ könne .37 Damit meinte er zwar die Nichtaufarbeitung . Dennoch wirkte nur die nichtjüdische Nachkriegsgesellschaft verletzt, während Juden als prüfungsbedürftig erschienen .38 Grundsätzlich boten Witze nach 1945 dieselben Vorteile wie davor: Sie stabilisierten das Selbstbild des Opfers in einer Mini-Plotstruktur, die schwer angreifbar war und unauffällig zirkuliert werden konnte . Witze erlaubten weiterhin, Argumenten auszuweichen und sich stattdessen gemeinsam zu amüsieren . Der Modus des vorgeblich Scherzhaften schrieb auch nach 1945 fest, wer deutsch sei und wer nicht, und definierte ‚deutsch‘ als Gegensatz zu ‚jüdisch‘ . Manche Angebote ließen wie in der NS-Zeit offen, ob man sich über die oder mit der NS-Elite mokierte . Doch verankerten auch sie die Verantwortung bei einer kleinen Zahl von Akteuren . Andere Sprechakte betonten den nichtjüdischen Ermächtigungszuwachs . Sie wiederum erlaubten wie gehabt, die Gewalt zu benennen, ohne sich konkret zu positionieren . Zudem konnten Anekdoten das Identitätsverständnis der Jahre zuvor lancieren: Wer sich vor 1945 als ‚lächelnde/r Deutsche/r‘ verstanden hatte, mochte auch danach im Witz beanspruchen, ‚im Recht‘ (gewesen) zu sein . Das Beharren auf diesem Ernsten und Heiteren untergrub die alliierten Versuche in der Besatzungszeit, die Bevölkerung mit ironischen Filmen zum Nachdenken anzuregen .39 Die meisten Deutschen wollten gerade nach der Niederlage nicht argumentieren müssen . Die bis in die 1960er Jahre beliebten Heimatfilme zeigten stattdessen das vertraute ‚lachende Volk‘, auch jetzt ohne jüdische Deutsche – die deutsche Heimat, die den Bankrott von Staat und Nation auffange .40 Mitunter diente eine neue ‚unheilige Dreifaltigkeit‘ dazu, unerwünschte Akteure als ‚Grenzüberschreitende‘ zu markieren . Im Raum Frankfurt gab es Kneipen, die von vertriebenen oder geflohenen osteuropäischen Juden geführt und von schwarzen US-Soldaten besucht wurden, die dort deut„Ausnahmen“ für Juden durch NS-Politiker . Im Kapitel zum Zweiten Weltkrieg verwies nur die kommentarlose Passage zum „Glasauge“ des SS-Mannes auf den Holocaust, ebd . 127 . Den deutschen Angriff auf Polen legitimierte Vandrey mit dem Hinweis, „Beobachter“ hätten bereits beim Versailler Vertrag einen weiteren Krieg vorausgesagt, weil „kein Staat es dulden könne, von einer seiner Provinzen durch einen Korridor fremden Gebietes getrennt zu sein“ . Die englische Garantie für Polen verurteilte er implizit als kriegsauslösend mit der Bemerkung, der „polnische Diktaturstaat“ hätte sich sonst Hitlers Forderungen gegenüber wohl konzilianter gezeigt ., ebd .125 . 36 Vandrey, Der politische Witz, 123 . 37 Gamm, Flüsterwitz, 94, zur „moralischen Unsicherheit“ 105 . 38 Ähnlich ambivalent war seine Variante der Frage nach dem Glasauge des SS-Mannes . Hier erklärte der Verfolgte seine richtige Antwort damit, es habe so einem menschlichen Ausdruck . Gamm folgerte, dass der Mensch „im Untergang ganz frei“ sei, sobald er die Todesfurcht überwunden habe: Denn „der Jude“ habe sich nicht mehr um die „Launenhaftigkeit“ des Mächtigen gekümmert, sondern sich alle „Chancen“ „‚verscherzt‘“, Gamm, Flüsterwitz, 106 . Er präsentierte die Ausweglosigkeit als Wahl, die Übermacht der SS im erzwungenen Tod implodieren zu lassen, und suggerierte mit der Wortwahl, die Verfolgten hätten ihr Schicksal beeinflussen können . 39 Zu diesen Versuchen Merkel, Kapitulation . 40 Confino, „This lovely country“, 237 .

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sche Frauen trafen . Die Bevölkerung projizierte die Kneipenbesitzer als Ausbeuter, die GIs als inakzeptable Männer und die Frauen als Prostituierte .41 Neben Heimatfilmen begeisterte sich das Publikum zumindest bis in die 1960er Jahre für Kriegsfilme . Diese Vorliebe spiegelten Witzsammlungen mit einer bezeichnenden Leerstelle: Die Wehrmacht war tabu . Nur Kritik an einer unfähigen Militärbürokratie war zulässig, weil deutsche Soldaten auf diese Weise wieder als Opfer erschienen . Marga Buchele verklärte 1955 das Schweigen über die Wehrmacht und die Niederlage zur „natürliche[n] Pietät des Volkes“: Diese habe „dem Witz und seiner zersetzenden Kraft [sic, MK] eine bemerkenswerte Grenze gesetzt“ .42 Stattdessen feierte Konsalik wie erwähnt joviale Soldaten und gebildete Offiziere, die abendländische Kulturgüter vor den ‚kulturlosen Amerikanern‘ gerettet hätten: Die Wehrmacht als Verbund nichtjüdischer ‚Künstler-Soldaten‘ aus allen Schichten . Zwar geriet der Erfolgsautor schon 1960 ins Visier kritischer Bürger/innen und der Justiz, doch noch ohne langfristige Konsequenzen .43 Das Selbstverständnis als soldatische Kunst- und Kulturbewahrer blieb ein roter Faden für Identitäts- und Erinnerungskonstruktionen . Landserromane und illustrierte Zeitschriften feierten aber nicht nur das Pflichtbewusstsein und den Mut der Wehrmacht, sondern auch der SS . Sie sicherten beiden Organisationen ‚frisch-fröhliche Haltung‘ und ‚klare Linie‘ zu .44 Nicht nur Knabe setzte hier an . Auch der Bundesverband der ehemaligen Waffen-SS beanspruchte das Persönlichkeitsideal, um die Organisation von Unrecht freizusprechen . Herausgeber Herbert Taege gab seinem Band Heiteres aus dem Brotbeutel gekrümelt, der 1975 im Osnabrücker Munin-Verlag erschien, den Untertitel Anekdoten, Possen, Schnurren . Im Vorwort erklärte er, dass er der „Verzeichnung“ der Waffen-SS als verbrecherischer Organisation entgegenwirken wolle, indem er das „lustige Lichtlein ihres Humors in den dunklen Tagen“ zeige .45 Auch er nutzte den Humorbegriff somit als Zeichen, dass die Waffen-SS ‚im Recht gewesen‘ sei . Generell entwarf Taege deren Mitglieder als ‚ideale Deutsche‘, indem er sie als militärisch diszipliniert, streng gehorsam und immer absolut zuversichtlich beschrieb . Sein Band glorifizierte Paul Hausser und Sepp Dietrich, die ranghöchsten Waffen-SS-Kommandeure . Hausser wurde nie für die unter seiner Leitung begangenen Kriegsverbrechen in der Sowjetunion und Italien angeklagt . Nur Haussers Schrift Waffen-SS im Einsatz von 1960 war im selben Jahr indiziert worden .46 Dietrich und andere SS-Männer waren 1946 wegen der Ermordung von 70 US-Soldaten im Malmedy-Prozess verurteilt worden . 1975 inszenierte Taege gerade Dietrichs Einheit als ‚Künstler-Soldaten‘ . So hieß es, die von den Amerikanern inhaftierten SS-Männer hätten durch die geöffneten Zellenfenster Geige gespielt, um den Angeklagten den Höhn, GIs and Fräuleins . Zum Deutungsmuster ‚Nichtrechtmäßigkeit‘ oder zur binären Praktik, osteuropäische Juden unter den displaced persons abzulehnen, indem man sie den ‚guten deutschen Juden‘ gegenübergestellte, vgl . Schulze Wessel, Reformulierung, 151, passim . 42 Buchele, Der politische Witz, 183 . Es handelte sich um ihre Dissertation an der LMU München . 43 Harder, Erfahrung Krieg, 122 f ., zur kurzzeitigen Indizierung von Sie fielen vom Himmel . 44 Schornstheimer, „Harmlose Idealisten“, 640, zu Arthur Nebe, SS-Gruppenführer im Generalrang und im Herbst 1941 Kommandant der Einsatzgruppe B, als einem Illustrierten-Held, 637 ff . für eindrückliche Zitate . 45 Taege (Bearb .), Heiteres aus dem Brotbeutel . Mein herzlicher Dank an Karsten Wilke für den Band . 46 Wilke, „Hilfsgemeinschaft“, 84 . 41

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Rücken zu stärken47 – Reinhard Heydrich schwebte im Raum . Feldforschung aus den 1980er Jahren wiederum zeigt, dass es in diesem Jahrzehnt erneut möglich und geläufiger wurde, öffentlich Auschwitz-Witze zu erzählen .48 Die Beispiele signalisieren, dass die Sinnfigur des ‚Künstler-Soldaten‘, der ‚im Recht‘ sei, weil er (gewaltsam) eine neue Gesellschaft ‚kreiere‘, zumindest im rechten Milieu der 1970er und 1980er Jahre noch vertraut war . Das Schlagwort vom Lachen signalisierte Anhänger/innen, dass ihre bevorzugte Gesellschaftsform der Demokratie überlegen sei . Und es stand für den Anspruch, Deutschsein durch Ausschluss festlegen zu dürfen . Anekdoten eigneten sich als Kommunikationsform, Botschaften zu transportieren, gerade weil sie nicht die großen Schlagzeilen bestimmten . Sie fungierten immer noch als Erzählform, um Hitler und andere NS-Figuren ‚groß‘ und zugleich ‚nahbar‘ zu machen und sich mit ihnen auf eine Stufe zu stellen . Wir brauchen mehr Forschung zur jüngsten Vergangenheit, um zu verstehen, ob die im Buch diskutierten Deutungsmuster seitdem verschwunden sind . Heute flackert wieder Gelächter auf, um Gewalt gegen Menschen zu begleiten, deren Teilhabe an der deutschen Gesellschaft und am Deutschsein abgelehnt wird .49 Zu fragen ist, ob dahinter immer noch oder wieder ein Nullsummendenken steht, demzufolge ‚die Deutschen‘ ‚alles‘ oder doch ‚zu viel‘ verlören, wenn sie neue Mitglieder aufnähmen, die nicht immer schon als ‚deutsch‘ definiert sind . Ein solches Nullsummendenken stellt nicht immer die politische Demokratie in Frage . Doch wird es meist dann laut, wenn es zu Demokratisierungsschüben kommt oder der Zugang zu Ressourcen debattiert wird, ob Bildung, Arbeitsmarkt, wohlfahrtsstaatliche Unterstützung, politische Partizipation oder grundsätzliche Zugehörigkeit . Das rechtsradikale Milieu wiederum operiert offen mit der unheimlichen Wiederkehr des vorgeblich Komischen . Die Mitglieder des sog . Nationalsozialistischen Untergrundes ermordeten über Jahre Menschen, die sie nicht als Deutsche akzeptierten . Auf ihrem Bekennervideo führte die Comicfigur Paulchen Panther wie ein Conférencier ‚durchs Repertoire‘ der Morde .50 Auch falls das Video nicht direkt die NS-Gesellschaft zitierte: Es inszenierte die Morde performativ als ‚Kunst‘ oder ‚Unterhaltung‘ . Das war in der NS-Zeit der Kunst-Griff, um Gewalt als ‚rechtmäßig‘ zu verkünden .

Taege (Bearb .), Heiteres aus dem Brotbeutel, 277 f . Dundes/Hauschild, Kennt der Witz kein Tabu . Herzog, Heil Hitler, 228, beharrte noch 2006 darauf, dass nur die Leidtragenden selbst über die Vernichtungspolitik gescherzt hätten, um sich zu wappnen . Rosenfeld, Hi Hitler, zu jüngeren Komödien über die NS-Zeit . Richardson, „Heil Myself “, 292, warnt zu Recht davor, dass diese, wenn sie auf Hitler als Individuum fokussieren, Fragen nach gesellschaftlicher Verantwortung ausblenden . 49 Bei Anschlägen auf Asylbewerber- und Flüchtlingsheime war Gelächter zu hören, so Ramelsberger, Einblick . Beim Anzünden einer Flüchtlingsunterkunft reagierten Teilnehmende johlend und lachend auf die Polizei, die den Platz räumen wollte, Pollmer, Routine . Ein Panzer in einem Karnevalszug von 2016 trug die Aufschrift „Ilmtaler Asylabwehr“, vgl . Fuchs/Hordych, Zwischen Gaudi und Staatsanwalt . 50 Schultz, „Unglaublich präzise“ . An dem Ort in Rostock, an dem sie Mehmet Turgut erschossen, einen jungen Mann, der seit zwei Wochen dort arbeitete, stand auf dem Pflaster später „Dönermord, haha“ . Auf eine angrenzende Hauswand war ein lachendes Gesicht gemalt, mit einem Hinweis auf die Homepage der Nationalen Sozialisten Rostocks, vgl . Ramelsberger/Schmeken, Tatort Deutschland . 47 48

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Gewalt und Gelächter: Eine Geschichte der Beschämung „Die geraubte Scham“ hat Ruth Klüger es genannt, überwältigt und in jeder Hinsicht entblößt zu sein, entwürdigt durch höhnische Blicke und Spott .51 Leidtragende mussten sich in den dreißiger und den vierziger Jahren verhöhnen und demütigen lassen, in der Ausgrenzung und Verfolgung der frühen Jahre wie in der Deportations- und Vernichtungspolitik ab 1938/39 . Die Mehrheitsgesellschaft agierte ein Identitätsverständnis aus, dessen einzelne Elemente schon lange zirkulierten und seit der Niederlage 1918 immer hermetischer zugespitzt worden waren: Sie markierte jüdische Deutsche als ‚grenzüberschreitend‘ oder ‚grenzverletzend‘, als ‚Täter/innen‘ gegen ein Deutschsein, das vorgeblich wesenhaft zu fassen sei und auf jeden Fall als nichtjüdisch . Die Demokratie galt als Raum, der diese ‚Verletzung‘ möglich mache und deshalb zu zerstören sei . Die Täterprojektion diente dazu, sich selbst als ‚Opfer‘ zu platzieren, Diskussionen über Politik auszuweichen und die eigene Linie als einzig gangbare darzustellen . Die Akteure machten ihre Täter-Opfer-Verkehrung emotional wirksam, indem sie Juden – und allen anderen, die sie als ‚Feinde‘ beschrieben -, ein ‚höhnisches Lachen‘ einschrieben . Auf diese Weise suggerierten sie, nicht nur ‚gefährdet‘ und ‚verletzt‘, sondern auch ‚erniedrigt und beschämt‘ zu werden . Nach 1933 verwandelten die, die mitzogen, diese gedachte Geschichte in die reale Beschämung und Verletzung derer, die sie als ‚Täter‘ darstellten . Um als ‚Sieger‘ und zugleich als weiterhin ‚gefährdete Opfer‘ aufzutreten, stereotypisierten sie die Verfolgten als ‚Verlierer‘ und ‚Angreifende‘, während sie die Verfemten selbst vertrieben und ermordeten . ‚Kunst und Krieg‘ wurde weder zwangsläufig in Spott und Völkermord übersetzt noch von allen . Doch nutzten hinreichend viele den Code des Gelächters, um ihr Deutschsein auf diese Weise zu etablieren und ihre Gewalt mit und im Spott als ‚gerecht‘ darzustellen . Wenn ich daher abschließend einige Ergebnisse noch einmal systematisiere, sei erstens festgehalten, dass Anhänger/innen des Ernsten und Heiteren der modernen Gesellschaft in Deutschland eine systematische Ausgrenzung nach innen einschrieben, indem sie Deutschsein als nichtjüdisch definierten . Das sagt wenig darüber aus, wie Zugehörigkeit tatsächlich verhandelt wurde, zumindest vor 1933 . Doch steckte das Diskurs- und Handlungsmuster als mal stiller, mal lauter Vorbehalt die Bedingungen dafür ab, was Gershom Sholem den „Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch“ genannt hat: Die Verweigerung eines Gespräches auf Augenhöhe, in dem alle bedingungslos gleichberechtigt gewesen wären .52 Zweitens unterstreicht die Geschichte vom ‚Gelächter‘ ein weiteres systematisches Muster: Protagonist/innen verschärften die Ausgrenzung in dem Maße, in dem Demokratisierungs- oder Partizipationsprozesse sie verringerten oder aufhoben . Gegner/innen der Weimarer Republik setzten identitätspolitisch an, um demokratische Praxis als ‚Zerstörung‘ des ‚wahren Künstler-Soldaten‘ zu diffamieren, nicht zuletzt, weil zunächst deutschjüdische Politiker und Künstler als solche gefeiert wurden . Ich bin mit meinem Fokus scheinbar von einem wichtigen Trend der Forschung abgewichen, die Ambigui51 52

Klüger, weiter leben, 121 . Sholem, Wider den Mythos vom deutsch-jüdischen Gespräch, bes . 7 f .

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tät jeder Vorstellung von Identität aufzuzeigen, die Hybridität, das Dazwischen und Nicht-Nur . Doch ging es hier darum, wie Akteure zwischen 1914 und 1945 gerade die Möglichkeit, das eigene Selbstverständnis durch vielfache Bezüge herzustellen, abwehrten und verurteilten . Wer politische und identitätspolitische ‚dritte Räume‘ nicht akzeptieren wollte, radikalisierte eine engführende Vorstellung von Deutschsein immer dann, wenn deutlich wurde, dass man sie gerade nicht wesenhaft definieren oder nur durch Abgrenzung herstellen könne . Anders gesagt: Die Demokratie wurde abgelehnt, weil sie Grenzen aufhob, die in Identität und Gesellschaft eingeschrieben bleiben sollten . Drittens ist, um mit Zygmunt Baumann zu sprechen, die NS-Gesellschaft nicht so weit weg oder so anders, wie man es gerne denken würde . Zwar bleibt zu hoffen, dass sich das Ernste und Heitere als breit wirksames Sinn- und Handlungsgeflecht aufgelöst hat . Doch existierten die einzelnen Muster, die darin vernetzt wurden, vorher und verloren ebenso wenig wie Anekdoten selbst auch danach nicht das Potential, als Differenzkategorie aufgeladen zu werden . Die Analyse zeigt zudem, wie Zeitgenossen Kategorien, die schon länger zirkulierten, in Gewaltinstrumente ummünzten, indem sie sie in übergreifende Sinnangebote einbanden . Dazu gehörte die Täter-Opfer-Verkehrung, die als Beschämung inszeniert wurde, um andere in ‚Feinde zum Anfassen‘ zu verwandeln . Wer die (populärkulturellen) Debatten 1914–18 verfolgte oder mitmachte, den Simplicissimus der frühen Weimarer Jahre durchblätterte oder die Politik der Häme gegenüber Ebert beobachtete, bekam ein ums andere Mal vorgeführt, wie man anderen eine Erniedrigungsabsicht einschreiben konnte, um die eigene Gewalt als ‚gerecht‘ zu markieren . Der Topos des Gelächters mochte unbedeutend klingen, war aber ein Instrument, um andere in ‚Täter‘ gegen das eigene ‚Leben‘ umzudeuten . Das heißt auch, dass wir den furchtbaren Spott nicht pathologisieren dürfen, sondern als Ansatzpunkt nehmen können, der etwas über die Beweggründe und Motivstrukturen der Handelnden aussagt . Die Nationalsozialisten gaben ihrer Passionsgeschichte seit den 1920er Jahren dramaturgische Spannung, indem sie nicht nur behaupteten, verfolgt, sondern auch, zu Unrecht verlacht und beschämt zu werden . Performativ setzten sie seit den zwanziger Jahren mit Spott auf eine intersubjektiv organisierte Produktion von Macht . Diese interaktive Dynamik gerät in Hitlers Reden dann in den Blick, wenn man auf Gelächter fokussiert und dessen dialogische Momente hört . Der Topos vom ‚Hohn der Anderen‘ traf jüdische Deutsche und politische Gegner, aber auch die Demokratie an sich . Denn sie wurde als Raum verteufelt, der alle anderen zulasse und zuerst beseitigt werden müsse, um dann gegen andere vorzugehen . Dass die Nationalsozialisten ihre Täter-Opfer-Verkehrung nicht änderten, heißt meines Erachtens nicht, dass einige wenige den Genozid früh planten und zielbewusst umsetzten; sie adaptierten nur ein Muster, das in der deutschen Gesellschaft gerne genutzt wurde, um Argumenten mit einem Entweder-Oder auszuweichen . Die Formen und Ziele der Verfolgung veränderten sich im prophetischen Politikstil der NS-Zeit, der immer neu ‚bewies‘, dass es ‚gefährliche Täter‘ gäbe, die stetig aggressivere Gewalt ‚erfordern würden‘ . Das Gelächter signalisierte eine andere Kontinuität: Es zeigte, wie langfristig erfolgreich die Plausibilisierungserzählung war, angeblich beschämt und erniedrigt zu werden und dann, als ‚Erschaffer/innen‘ einer neuen Gesellschaft, das Imaginierte um-

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kehren zu ‚dürfen‘ . Ob diese Botschaften des Gelächters nach 1945 verschwunden sind, mag bezweifelt werden . Denn Witzhefte kombinierten auch dann den Opfer- und Siegergestus . Die Redeweise erlaubte weiterhin, nicht nur Gewalt zu erzählen, scheinbar ohne etwas zu sagen, sondern unauffällig gewaltförmig zu handeln . Denn sie fixierte ‚deutsch‘ auch jetzt als Gegensatz zu ‚jüdisch‘; hielt fest, wer was wie erinnern und sagen dürfe; und diente mitunter dazu, das nationalsozialistische Deutschsein zu feiern . Für die NS-Zeit ist es mir immer schwerer gefallen, den Begriff des ‚Künstler-Soldaten‘ zu benutzen, der diese Selbstdeutung strukturierte . Er war so anschlussfähig, weil er zwischen vielen politischen Lagern wanderte, und die Nationalsozialisten konnten sich so revolutionär geben, weil der Status zuvor elitär gefasst war . Sie radikalisierten die aus dem Ersten Weltkrieg überkommene Sinnstruktur, die eigene Gewalt als ‚kreativ‘ und deshalb als ‚rechtmäßig‘ zu setzen . Dies Identitätsangebot erklärt den theatralischen Charakter so vieler Gewaltsituationen im Nationalsozialismus . Menschen mit und ohne Funktion schrieben sich in die imagined identity ein, mit der sie sich erlaubten, über Recht und Unrecht zu entscheiden . Die Bildhaftigkeit ihres Vorgehens reflektierte, dass jahrzehntelang ‚falsche Körper‘ inszeniert worden waren, um eine ‚Verletzung‘ nicht nur nationaler und gesellschaftlicher, sondern von Identitätsgrenzen zu projizieren . Nach 1933 übertraten die Regisseure der Gewalt ihrerseits Körpergrenzen oder zwangen die Leidtragenden, verfemende Körper-Bilder auszuagieren, ergo: sich als ‚nichtdeutsch‘ zu ‚beweisen‘ . Entsprechend plädiere ich dafür, auch diese Gewalt nicht als das Andere der Moderne zu verstehen, sondern als inhärente Möglichkeit und Gefahr . Es ist jeweils zu fragen, wer sie wie legitimiert und scheinbar plausibel macht und wer welche Sinnangebote und Ordnungsmuster durch gewaltsames oder gewaltförmiges Vorgehen vernetzt und vermittelt . Das Ernste und Heitere drehte sich wesentlich darum, festzulegen, wessen Gewalt scheinbar ‚kreativ‘ und ‚rechtmäßig‘ sei und wessen nicht . Es entschied über die Legitimität von Gewalt, indem es Handeln von Rechtsnormen abkoppelte und mit der Bewertung von Akteuren verband . Bereits während des Ersten Weltkriegs blitzte die Möglichkeit auf, eine Loyalitätserzählung in ein Ermächtigungsnarrativ zu übersetzen: Manche nutzten das Ernste und Heitere, um die eigene Kampfbereitschaft zu demonstrieren, andere schrieben die deutsche Verletzung von Raum- oder Körpergrenzen in ‚produktives Handeln‘ um . Den Subtext ‚deutsch vs . jüdisch‘ transportierte das Sinngeflecht vor und nach 1914, zunächst übersetzt in symbolische und kulturelle Gewalt . In der Weimarer Republik ließen seine Anhänger/innen es nur noch als Erniedrigungserzählung zu, die keine andere Option erlaube als die Beseitigung der Demokratie, um dann mit verschiedenen Gewaltformen gegen ‚Andere‘ vorzugehen . Die Praktiken der spöttischen Beschämung in der Shoah wiederum bestätigen, dass es nicht ausreicht, nur von einer Entmenschlichung der Verfolgten zu sprechen, um den Charakter und die Motive der Vernichtung zu erfassen . Vielmehr gestalteten die Ausführenden den Völkermord als ein unendliches Netz prozesshafter intersubjektiver Beziehungen, wie kurz auch immer . Sie zwangen die Verfolgten, als ‚Verlierer‘ und ‚Täter‘ zu agieren, und platzierten sich selbst auf diese Weise als verletzungsmächtige ‚deutsche Sieger‘, die sich angeblich immer neu wehren müssten . In der Mikrophsysik der Macht markierten sie wie in der Makrostruktur der Vernichtung ihren Anspruch,

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Körper und Gefühle derer verletzen zu dürfen, die als ‚Täter‘ gesetzt waren . Parallel präsentierten joviale Geschichtchen das Endprodukt, eine Gesellschaft ohne Juden, oder beschrieben den Weg, einen ‚heiteren Kampf ‘ oder ein ‚hartes Gelächter‘, beides ausgelegt, um Fragen oder Zweifel zu verhindern . Die Shoah als Identitätspolitik zu fassen, erklärt schließlich, warum die Bindekraft der nationalsozialistischen Gesellschaft für manche bis Kriegsende oder darüber hinaus nicht nachließ . Die These, dass Hitlers Charisma nach Stalingrad 1943 linear eingebrochen sei, ist bereits überholt . Doch kann man weitergehen . Überzeugte verstanden nicht nur die rein militärische Ebene als Möglichkeit, ‚Erfolge‘ zu generieren, sondern den Holocaust . Die Anziehungskraft der nationalsozialistischen Gesellschaft und ihres Aushängeschildes Hitler brach für diese Akteure deshalb nicht ein, weil alle zusammen in der Shoah das ‚Erfolgsversprechen‘ einlösten, Deutschsein endgültig als nichtjüdisch zu etablieren . Darauf deutet auch die Wut derer hin, die gerade dann ein ‚Gelächter der Anderen‘ hörten, als die deutsche Herrschaft zu bröckeln begann . Sie empörten sich nicht so sehr darüber, den Krieg zu verlieren, als darüber, dass ihre identitätspolitische Herrschaft zu Ende ging . Gershom Sholem sprach vom hoffnungslosen „Schrei[ .] ins Leere“, den niemand beantwortet habe .53 Wer die Shoah als ‚großes Werk‘ der nationalsozialistischen Gesellschaft verstand und sich selbst als Vollzugsperson, übertönte den Schrei mit Gelächter .

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Sholem, Wider den Mythos vom „deutsch-jüdischen Gespräch“, 8 .

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Ungedruckte Quellen Bundesarchiv Berlin (= BArch) R 55 Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda R 56 I Reichskulturkammer/Zentrale R 901 Auswärtiges Amt NS 8 Kanzlei Rosenberg NS 18 Reichspropagandaleiter der NSDAP Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg (= BArch MA) MSG 2 Sachthematische und biographische Sammlung zur deutschen Militärgeschichte RH 1 Chef der Heeresleitung / Oberbefehlshaber des Heeres RH 12–6 Inspektion der Schnellen Truppen des Heeres (In 6) RH 13 General z . b . V . im OKH RH 15 OKH/Allgemeines Heeresamt RH 45 Einheiten der Propagandatruppe des Heeres RW 4 OKW/Wehrmachtführungsstab RW 6 OKW/Allgemeines Wehrmachtamt Hauptstaatsarchiv München, Abt . IV, Kriegsarchiv (= BayHStA, Abt . IV) Kriegsbriefe Kriegsministerium (= M Kr) Kriegsministerium Bilder- und Postkartensammlung (= M Kr Bilder- und Postkartensammlung) Staatsarchiv München (= StAM) Polizeidirektion München Staatsanwaltschaften am Landgericht München I Württembergische Landesbibliothek / Bibliothek für Zeitgeschichte, Stuttgart (= BfZ) Sammlung Reinhold Sterz Wiener Library London (= WL) Eyewitness Testimony Collection: Testaments to the Holocaust Wiener Library Publications Archiv des Zentrums für Antisemitismusforschung Berlin (=AZAB) Houghton Library (Harvard University), bMs Ger 91, Preisausschreiben Harvard „Mein Leben in Deutschland vor und nach dem 30 . Januar 1933“ Deutsches Kabarettarchiv Mainz (=DKA) LK/E/43, Fred Endrikat Kreismuseum Wewelsburg SS-Oberabschnitt West, Die Mannschaftsfeiern in der SS . Nur für den Dienstgebrauch, Wuppertal o . J .

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Quellen- und Literaturverzeichnis

Zeitschriften/Zeitungen Armee-Zeitung, 1916–1917 Champagne-Kamerad, 1915–1918 Der Brummer . Lustige Kriegsblätter, 1914–1918 Der Durchbruch . Soldatenzeitung (an) der Ostfront, 1942–1944 Der gemütliche Sachse, 1914–1918 Die Feuerwehr, 1944 Die lachende Welt, 1941–1943 Kamerad am Feind, 1943–44 Lachen links, 1924 Ostfront-Illustrierte, 1943 Panzerfaust, 1943–44 Simplicissimus, 1914–1925

Gedruckte Quellen Alexander, Graf Michael, Aufwind . Humorvolle Begebenheiten aus dem Leben unserer Luftwaffe, hg . von der Wehrbetreuung der Luftwaffe, Berlin 1942 . Antisemitica . Heiteres und Ernstes, Wahres und Erdichtetes, von Dr . Mehemed Emin Efendi (i . e . Siegfried Lichtenstädter), Leipzig 1926 . Bab, Julius, Soldatenlachen, Berlin 1915 . Banzhaf, Johannes (Hg .), Lachendes Leben . Ein Buch voll herzhaften Humors, Gütersloh 1939 . Banzhaf, Johannes (Hg ., Lachendes Leben, Ein Buch voll herzhaften Humors, Gütersloh 1968 . Banzhaf, Johannes (Hg .), Lustiges Volk . Ein heiteres Geschichtsbuch, Gütersloh 151943 . Barkow, Ben / Raphael Gross / Michael Lenarz (Hg .), Novemberpogrom 1938 . Die Augenzeugenberichte der Wiener Library, London, Frankfurt a . M . 2008 . Berger, Martin, Aus den letzten Tagen im deutschen und den ersten Wochen im französisch besetzten Straßburg . Kleine Erlebnisse in großer Zeit . Ernstes und Heiteres aus den Erinnerungen eines Postüberwachungsoffiziers, Lahr/Baden 1919 . Bethmann Hollweg, Theobald von, Betrachtungen zum Weltkrieg, 1 . Teil: Vor dem Kriege, Berlin 1919 . Bewer, Max, 200 Kriegslieder . Der Kaiser im Feld . Deutsches Kriegsgebetbuch . Flotten-Kriegslieder . Humor ins Feld . Aus Feldbriefen und dem Volksmund in Verse gebracht und Manches selbst gemacht, Leipzig 1916 . Blind, Ernst, Die Vergewaltigung Deutschlands im Vertrage von Versailles und im Youngplan . Ein geschichtliches Arbeitsheft (=Ferdinand Schöninghs Schülerhefte von deutscher Art, Nr . 121), Paderborn, Würzburg 1934 . Bloch, Erich, Das verlorene Paradies . Ein Leben am Bodensee 1897–1939, bearb . v . Werner Trapp, Sigmaringen 1992 . Bolle, Mirjam, „Ich weiß, dieser Brief wird dich nie erreichen .“ Tagebuchbriefe aus Amsterdam, Westerbork und Bergen-Belsen, Frankfurt a . M . 2006 . Brie, Alfred (Hg .), Unser Kronprinz . W(itzige) T(ornister-)B(erichte) von Ihm und seiner Armee, Berlin 1915 . Brie, Alfred, Die dicke Berta . Bomben- und Granatsplitter, Berlin 1915 . Brie, Alfred, Aus unserer Gulaschkanone . Saftige Brocken-Sammlung aus dem Schützengraben, zusammengetragen von A . B ., Berlin 1915 . Brie, Alfred, In der Heimat . Kontrollversammlung der Witze und lustigen Bilder, ausgemustert von Alfred Brie, Berlin 1915 . Brie, Alfred, Mudding im Krieg . Frauenarbeit hinter der Front, Berlin 1919 . Brie, Alfred, „Pension Debberitz“ . Englischfranzösischrussischhindustanischhottentotischzuavischaustralischkanadische Kulturbilder aus einem deutschen Gefangenenlager, mit weißen und farbigen Aufnahmen, festgehalten von Alfred Brie, Berlin 1915 . Brinitzer, Albert, Vom „Kammrad“ . Feldgraue Kostproben aus meiner Soldatenzeit . Erstes Bändchen erlebten Humors und Stimmungs„zaubers“ mit lebensgetreuen Photographien und einigen Liebesgaben, von wohlmeinender Seite beigesteuert, sowie dem Neuen Exerzier-Reglement (nebst Schießvorschrift) als Anhang, Berlin 1916 .

Quellen- und Literaturverzeichnis Brinitzer, Carl, Hier spricht London . Von einem, der dabei war, Hamburg 1969 . Brinkmann, Max, Kleiner Knigge für Schieber . Mit 33 Federzeichnungen von eigener Hand, Berlin 1921 . Buch, Fritz Peter, Ein ganzer Kerl . Komödie in 5 Akten, Berlin 1938 . Buchele, Marga, Der politische Witz als getarnte Meinungsäußerung gegen den totalitären Staat . Ein Beitrag zur Phänomenologie und Geschichte des inneren Widerstandes im Dritten Reich, München 1955 . Buchner, Eberhard, Kriegshumor, 1 . Teil, 2 . Bändchen, München 1914 . Büttner, Günther, Frohe Menschen – frohes Schaffen . Bilder aus dem Arbeitsdienst . Mit 23 Federzeichnungen, Breslau 1935 . Burghardt, Wilm, Kunst und Krieg, Dresden 1942 . Cay, Alexander M . (i . e . Alexander M . Kaiser), War cartoons, Berlin 21916 . d’Alquen, Gunter, Die SS . Geschichte, Aufgabe und Organisation der Schutzstaffeln der NSDAP, Berlin 1939 . Danimann, Franz, Flüsterwitze und Spottgedichte unterm Hakenkreuz, Wien 1983 . Das lustige Büchel der Liller Kriegszeitung I, Lille 1916 . Deiters, Heinrich (Hg .), Da lacht der „Große Michel“ . Hamburger Geschichten, Anekdoten und Döntjes, Hamburg 1941 . Delbo, Charlotte, Auschwitz and after, New Haven, London 1995 . Deutsche Geselligkeit . Vorschläge und Anregungen für die Pflege guter Geselligkeit, zusammengestellt und hg . von der Abt . 17 (Allg . Bildungswesen) im Deutsch-nationalen Handlungsgehilfen-Verband (Hamburg), Spandau-Johannesstift, Nr . 201: Deutscher Humor für den geselligen Teil, 1924 . Die lustige Milchfibel, hg . v . Hauptvereinigung der Deutschen Milch- und Fettwirtschaft, Berlin 1939 . Doderer, Otto, Das Landserbuch . Heiteres und Besinnliches aus den Feldzeitungen des Weltkrieges . Den Frontsoldaten von 1914–1918 ihren Kameraden von 1939–1940, Oldenburg, Berlin 1940 . Domarus, Max (Hg .), Hitler . Reden und Proklamationen 1932–1945, 4 Bde ., München 1965 . Döring, Ernst (Hg .), Unsere Feldgrauen als Helden und Dichter . Wahre Begebenheiten und Stimmungsbilder aus dem Weltkrieg, Berlin 21917 . Döring, Ernst (Hg .), Deutscher Humor aus dem Weltkriege 1914–1915, Reutlingen 1915 . Dungern-Oberau, Otto Freiherr von, St . Georg hilf! Ein Reiterleben in Krieg und Frieden, Berlin 1931 . Eberle, Henrik (Hg .), Briefe an Hitler . Ein Volk schreibt seinem Führer, Bergisch Gladbach 2007 . Ebersberg, Julius, Am Wachfeuer . Militärische Erzählungen und wahre Geschichten zur Unterhaltung und Erhebung alter und junger Soldaten und Soldatenfreunde, Stuttgart 1856 . Ebert, Jens (Hg .), Feldpostbriefe aus Stalingrad, Göttingen 2003 . Eiffe, Peter Ernst, Splissen und Knoten . Heiteres aus der Kaiserlichen Marine, Magdeburg 1927 . Ehrenberg, Hermann, Der Krieg und die Kunst, Münster 1915 . Engelhardt, Wilhelm, Kleiner Knigge für heimkehrende Sieger nebst kurzer Instruktion über die Heimat . Mit Original- Illustrationen von Heinrich Zille, 1 .–10 . Tausend, Berlin 1918 . Erbelding, Eugen, Vor Verdun! Ernstes und Heiteres in Wort und Bild . Aus dem Kriegstagebuch eines Frontoffiziers, Stuttgart 1927 . Erinnerungen Alfred Philippsons an die Kriegszeit 1870/71, in: Deutsche Jüdische Soldaten . Von der Epoche der Emanzipation bis zum Zeitalter der Weltkrieg, hg . v . Militärgeschichtlichen Forschungsamt, Potsdam 1996, bearb . v . Frank Nägler, 143–146 . Ernstes und Heiteres aus dem ersten Jahre unseres Bataillons (der Bespannungs-Abteilung des Minenwerfer-Bataillons), unverkäufliches Geschenk, Weihnachten 1916, Cambrai: Bespannungs-Abteilung des Minenwerfer-Bataillons, 1916 . Fischbach, Elisabeth (ausgew .), Deutscher Humor seit Wilhelm Busch (= Schöninghs Schülerhefte von deutscher Art, Nr . 126), Paderborn, Würzburg 1934 . Fischer, Paul, Das rechte Lachen, Stuttgart 1918 . Flieger, Charlotte, … und heiter alle Arbeit . Ein Erinnerungsbuch für alle Führerinnen und Arbeitsmaiden des Bezirkes II Pommern-West, Berlin 1941 . Floerke, Hanns, Deutsches Wesen im Spiegel der Zeiten, Berlin 1916 . Floerke, Hanns (Hg .), England der Feind! Beweisstücke britischen Vernichtungswillens . Mit zahlreichen Karikaturen und Tendenzbildern aus englischen Zeitschriften, München 1917 . Floerke, Hanns, Georg Gärtner (Hg .), Kriegsanekdoten und Kriegserlebnisse . Heiteres und Ernstes aus dem Großen Kriege, München 41915 .

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Quellen- und Literaturverzeichnis Lokesch, Artur, Fräulein Feldgrau, ein Buch von Helden, Jungfrauen u . Heldenjungfrauen, Berlin 1916 . Lokbrie (Artur Lokesch und Alfred Brie), Flieger und Sieger . Luftiges und Lustiges aus Deutschlands „Tauben“-Schlag, losgelassen von Lokbrie, Berlin 1916 . Lokesch, Artur, Küchendragoner . Ein Schatzkästlein häuslichen Humors aus Herz- und Speisekammern, gesammelt von A . L ., Berlin 1917 . Lucas, Robert, Die Briefe des Gefreiten Hirnschal: BBC-Radio-Satiren 1940–1945, hg . v . Uwe Naumann, Wien 1994 . Lumpaci Vagabundus . Eine lustige Offensive gegen unsere Feinde, durchgeführt von Artur Lokesch, Berlin 1916 . Manz, Gustav (Hg .), Hundert Jahre Berliner Humor . Ein heiteres Stück Kulturgeschichte, neue veränderte Auflage, Berlin 1923 . Markolf, Tony (ges . u . hg .), Deutscher Kriegshumor 1914, Köln 1914 . Maschmann, Melitta, Fazit . Mein Weg in der Hitler-Jugend . Mit einem Nachwort von Helga Grebing, München 1979 . Meier, John Alexander / Sellin, Kurt, Vox Populi: Geflüstertes . Die Hitlerei im Volksmund, Heidelberg 1946 . Meldungen aus Münster 1924–1944, Geheime und vertrauliche Berichte von Polizei, Gestapo, NSDAP und ihren Gliederungen, staatlicher Verwaltung, Gerichtsbarkeit und Wehrmacht über die politische und gesellschaftliche Situation in Münster, eingel . und bearb . von Joachim Kuropka, Münster 1992 . Meldungen aus dem Reich 1938–1945 . Die Geheimen Lageberichte des Sicherheitsdienstes der SS, hg . v . Heinz Boberach, 17 Bde ., Herrsching 1984 . Mennecke, Friedrich, Innenansichten eines medizinischen Täters im NS . Eine Edition seiner Briefe 1935–1947 . Bearb . v . Peter Chroust, Hamburg 1988 . Merker, Richard, ‚Kriegs-Humor .‘ Heiterkeit und Satire im Weltkriege 1914/15 . Eine Sammlung humorvoller Begebenheiten zur Erheiterung für jetzt und später . Jedem Leser draußen und daheim frohe Stunden bereitend . Verfaßt, gesammelt und hg . v . R . M ., Dresden 1915 . Michael, Herbert, Sieh dich an! Ein heiteres Buch mit ernstem Inhalt für jung und alt, Dresden 1935 . Mielert, Fritz, Bunte Bilder aus dem größten aller Kriege . Ernstes und Heiteres für das deutsche Volk, Regensburg 1915 . Moeller van den Bruck, Artur, Lachende Deutsche, 2 . Ausg ., erw . u . teilw . veränd ., Minden 1910 . Mühlen-Schulte, Georg, Die Feldpostbriefe des Gefreiten Knetschke . Mit Erlaubnis der Empfängerin Anna Kwacktüpfel-Neucölln, zusammengestellt und mit würdigen Bildern geschmückt von G . M .S ., Berlin 1915 . Mühlen-Schulte, Georg, Schipper Hans und Schipper Franz . Urberliner Humor im Feld und daheim . Erlauscht von G . M . –S ., Berlin 1916 . Müller, Adam Heinrich, Vom echten Deutschen (1808) in: Heinz Ludwig Arnold (Hg .), Deutsche über die Deutschen . Auch ein deutsches Lesebuch, München 1972, 156–158 . Müller, Josef Ludwig (Pseud . Peter Poddel), Soldatenhumor aus 5 Jahrhunderten, Hamburg 1938 . Mynona (d . i . Salomon Friedländer), Schwarz-Weiß-Rot, oder Deutschlands Sieg über England unter Goethes Farben (1916), in: Heinz Schöffler (Hg .), Der Jüngste Tag . Die Bücherei einer Epoche, Bd . 3, Frankfurt a . M . 1981, 1157–1160 . Oelsen, Herbert Freiherr von, Till Eulenspiegels Erben . Der Humor deutscher Landschaften . Mit 36 Federzeichnungen des Verfassers, Oldenburg 1943 . Oertel, Carl-Albrecht, „Hurra, bei Landsersch!“ Ernstes und Heiteres aus großer Zeit, Frankenburg i . Sa . 1932 . Peters, Juliane (Hg .), Spott und Hetze: Antisemitische Postkarten; 1893–1945 . Aus der Sammlung Wolfgang Haney, Berlin 2008 . Pleyer, Wilhelm, Kämpfen und Lachen . Erlebnisse, Leipzig 1941 . Pleyer, Kleo, Volk im Feld, Hamburg 1943 . Poieß, Bernd, „Kamerad, erzähl!“ Geschichten für Jung und Alt, Leipzig 1938 . Pollmer, Cornelius, Routine, in: Süddeutsche Zeitung, Nr . 43, 22 .02 .2016, 3 . Pudlik, Otto, Der Westwall lacht . Das lustige Westwallbuch, niedergeschrieben und bebildert vom Westwallarbeiter Otto Pudlik, Berlin 1940 . Quenzel, Karl (Hg .), Helden und Kameraden . Ernstes und Heiteres aus dem großen Kriege, 2 Bändchen, Leipzig 1915 .

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Quellen- und Literaturverzeichnis Werner, Frank, „Noch härter, noch kälter, noch mitleidloser“ . Soldatische Männlichkeit im deutschen Vernichtungskrieg 1941–1944, in: Anette Dietrich / Ljiljana Heise (Hg .), Männlichkeitskonstruktionen im Nationalsozialismus . Formen, Funktionen und Wirkungsmacht von Geschlechterkonstruktionen im Nationalsozialismus und ihre Reflexion für die historische Praxis, Frankfurt a . M . 2013, 44–63 . Werner, Frank, Soldatische Männlichkeit im Vernichtungskrieg . Geschlechtsspezifische Dimensionen der Gewalt in Feldpostbriefen 1941–1944, in: Veit Didczuneit / Jens Ebert / Thomas Jander (Hg .), Schreiben im Krieg – Schreiben vom Krieg . Feldpost im Zeitalter der Weltkriege, Essen 2011, 283– 294 . Wette, Wolfram (Hg .), Das letzte halbe Jahr . Stimmungsberichte der Wehrmachtpropaganda 1944/45, Essen 2001 . Wette, Wolfram, Zwischen Untergangspathos und Überlebenswillen . Die Deutschen im letzten halben Kriegsjahr 1944/45, in: Ders . (Hg .), Das letzte halbe Jahr . Stimmungsberichte der Wehrmachtpropaganda 1944/45, Essen 2001, 9–37 . Widdig, Bernd, Culture and Inflation in Weimar Germany, Berkeley u . a . 2001 . Wiedemann, Frank, Alltag im Konzentrationslager Mittelbau-Dora . Methoden und Strategien des Überlebens der Häftlinge, Frankfurt a . M . 2010 . Wiener, Ralph, Als das Lachen tödlich war . Erinnerungen und Fakten 1933–1945, Rudolstadt 1988 . Wierling, Dorothee, Eine Familie im Krieg . Leben, sterben und schreiben 1914–1918, Göttingen 2013 . Wiggenhorn, Harald, Verliererjustiz . Die Leipziger Kriegsverbrecherprozesse nach dem Ersten Weltkrieg, Baden-Baden 2005 . Wildmann, Daniel, Begehrte Körper . Konstruktion und Inszenierung des „arischen“ Männerkörpers im „Dritten Reich“, Würzburg 1998 . Wildmann, Daniel, Der veränderbare Körper . Jüdische Turner, Männlichkeit und das Wiedergewinnen von Geschichte in Deutschland um 1900, Tübingen 2009 . Wildt, Michael, Volksgemeinschaft als Selbstermächtigung . Gewalt gegen Juden in der deutschen Provinz 1919 bis 1939, Hamburg 2007 . Wildt, Michael, Der Begriff der Arbeit bei Hitler, in: Marc Buggeln / Michael Wildt (Hg .), Arbeit im Nationalsozialismus, München 2014, 3–24 . Wilke, Karsten, Die „Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit“ (HIAG) 1950–1990 . Veteranen der Waffen-SS in der Bundesrepublik, Paderborn u . a . 2011 . Wilson, Ross J ., Landscapes of the Western Front . Materiality during the Great War, New York 2012 . Winter, Jay, The Great War and the Persistence of Tradition: Languages of Grief, Bereavement and Mourning, in: Bernd Hüppauf (Hg .), War, Violence, and the Modern Condition, Berlin, New York 1997, 33–45 . Winter, Jay, Sites of memory, sites of mourning. The Great War in European cultural history, Cambridge 1995 . Wöhlert, Meike, Der politische Witz in der NS-Zeit am Beispiel ausgesuchter SD-Berichte und Gestapo-Akten, Frankfurt a . M . u . a . 1997 . Wünschmann, Kim, Die Konzentrationslagererfahrungen deutsch-jüdischer Männer nach dem Novemberpogrom 1938, in: Susanne Heim / Beate Meyer / Francis R . Nicosia (Hg .), „Wer bleibt, opfert seine Jahre, vielleicht sein Leben .“ Deutsche Juden 1938–1941, Göttingen 2010, 39–58 . Wünschmann, Kim, Männlichkeitskonstruktionen jüdischer Häftlinge in NS-Konzentrationslagern, in: Annette Dietrich / Ljiljana Heise (Hg .), Männlichkeitskonstruktionen im Nationalsozialismus . Formen, Funktionen und Wirkungsmacht von Geschlechterkonstruktionen im Nationalsozialismus und ihre Reflexion für die historische Praxis, Frankfurt a . M . 2013, 201–219 . Wünschmann, Kim, Before Auschwitz . Jewish Prisoners in the Prewar Concentration Camps, Cambridge, London 2015 . Zechlin, Egmont, Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969 . Zenner, Christiane, Wirkung einer Ausstellung, in: „Drittes Reich“ und Nachkriegszeit 1933–1948 . Eine Auswahl aus den Beständen des Kölnischen Stadtmuseums, bearb . von Christine Doege u . a ., hg . von Werner Schäfke, Köln 1993, 29–57 . Ziemann, Benjamin, Contested Commemorations . Republican War Veterans and Weimar Political Culture, Cambridge 2013 . Ziemann, Benjamin, Gewalt im Ersten Weltkrieg . Töten – Überleben – Verweigern, Essen 2013 .

Quellen- und Literaturverzeichnis Zimmermann, John, Die deutsche militärische Kriegführung im Westen 1944/45, in: Rolf-Dieter Müller (Hg .), Der Zusammenbruch des deutschen Reiches . Bd . 1: Die militärische Niederwerfung der Wehrmacht, München 2008, 277–489 . Zimmermann, Moshe, Täter-Opfer-Dichotomien als Identitätsformen, in: Konrad Jarausch / Martin Sabrow (Hg .), Verletztes Gedächtnis . Erinnerungskultur und Zeitgeschichte im Konflikt, Frankfurt a . M . 2002, 199–216 . Zürn, Gaby, Forcierte Auswanderung und Enteignung 1933 bis 1941 – Beispiele Hamburger Juden, in: Arno Herzig (Hg .), Die Juden in Hamburg von 1590 bis 1990, Bd . 2, Hamburg 1991, 487–497 . Zur Nieden, Susanne, Homosexualität und Staatsräson . Männlichkeit, Homophobie und Politik in Deutschland 1900–1945, Frankfurt a . M . 2005 .

Internetseiten http://www .ghetto-theresienstadt .info/pages/g/guentherh .htm (abgerufen am 17 .02 .2018) .

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Abkürzungen

AZAB BArch BArch MA BayHStA BdL BfZ CV DKA DNVP DVP MfT M Kr NSDAP OHL OKW OKH SD StAM USPD WL

Archiv des Zentrums für Antisemitismusforschung Berlin Bundesarchiv Berlin Bundesarchiv Militärarchiv Freiburg Bayerisches Hauptstaatsarchiv Bund der Landwirte Württembergische Landesbibliothek / Bibliothek für Zeitgeschichte, Stuttgart Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens Deutsches Kabarettarchiv Mainz Deutsch-Nationale Volkspartei Deutsche Volkspartei Mitteilungen für die Truppe Kriegsministerium München Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Oberste Heeresleitung Oberkommando der Wehrmacht Oberkommando des Heeres Sicherheitsdienst der SS Staatsarchiv München Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschlands Wiener Library London

Bildnachweise

Abb . 1: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung . Abb . 2: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung . Abb . 3: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung . Abb . 4: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung . Abb . 5: Sammlung Lukan, Wien . Abb . 6: Sammlung Lukan, Wien . Abb . 7: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Abt . IV, M Kr Bilder- und Postkartensammlung . Abb . 8: Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte, Heidelberg . Abb . 9: Heinrich Hoffmann (Hg .), Hitler wie ihn keiner kennt . 100 Bilddokumente aus dem Leben des Führers, Berlin 1932 . Abb . 10: Stadtarchiv Singen, 432 Archiv der Poppele-Zunft 1863 e . V ., Foto „Von Berlin nach Palästina“ (Fasnachtsumzug 1934) . Abb . 11: Stadtarchiv Singen, 432 Archiv der Poppele-Zunft 1863 e . V ., Foto „Die letzten Libanontiroler hauen ab“ (Fasnachtsumzug 1938) . Abb . 12: Stadtarchiv Schwabach, Foto 809 B, Photographin Käthe Schönberger . Abb . 13: Fleischer-Innung Mittelfranken-Mitte . Abb . 14: Württembergische Landesbibliothek / Bibliothek für Zeitgeschichte .

Danksagung

Es ist mir eine große Freude, all denen zu danken, die mich bei der Arbeit an diesem Buch unterstützt und ermutigt haben . Zunächst danke ich den Mitarbeiter/innen aller Bibliotheken und Archive, in denen ich gearbeitet habe . Dazu gehört auch die Universitätsbibliothek Bielefeld, deren Mitarbeiter/innen seit vielen Jahren verlässliche Hilfestellung geben . Mein herzlicher Dank geht zudem an die Gerda Henkel Stiftung, die mich mit einem einjährigen Forschungsstipendium unterstützte . Diese Bereitschaft, Einzelforschung zu fördern, ist unersetzbar . Bärbel Kuhn, Kirsten Heinsohn, Levke Harders, Klaus Weinhauer, Bettina Brockmeyer, Frank Werner, Ulrike Schulz, Dirk Schumann, Verena Kessel und Mark Roseman haben frühere und noch frühere Fassungen teilweise oder ganz gelesen und klug und weiterführend kommentiert – dafür allen ein ganz herzliches Dankeschön! Bei Levke Harders möchte ich mich ganz besonders für ihr konstruktives Engagement bedanken, sie las alles zwei Mal . Ihr sowie Bettina Brockmeyer und Jana Hoffmann bin ich zudem dankbar für die anregende Zusammenarbeit im Arbeitsbereich . Stephanie Hippe und Thomas Reuß haben als Hilfskräfte sorgfältig mitgedacht, auch für ihre Mitarbeit meinen besten Dank . Judith König unterstützte mich mit ihrer enthusiastischen redaktionellen Arbeit . Mit zahlreichen Kolleginnen und Kollegen im In- und Ausland durfte ich das Thema diskutieren . Ich kann nicht alle hier aufführen, ich weiß nur, dass mir jedes Gespräch geholfen hat, und bedanke mich für offene Ohren, kritische Rückmeldungen und liebenswürdige Geduld . Martina Kessel

Namensregister

Andermann, Martin 169 Arnold, Karl 30, 34, 76, 87, 103, 104 Bab, Julius 30, 31, 55, 123 Bandmann, Oberinspektor 238 Bantlin, Georg David 50, 51 Banzhaf, Johannes 151, 161 Beethoven, Ludwig van 135, 157, 205, 206, 211 Bendix, Ludwig 169 Berger, Martin 114 Best, Werner 165 Bethmann Hollweg, Theobald von 59, 60, 83, 85 Bismarck, Otto von 39, 43, 107, 109, 124, 136, 143 Bittrich, Wilhelm 207 Bleicher, David 182 Bloch, Erich 139 Blücher, Gerhard Leberecht von 56 Blum, Emil 246 Blum, Prof . Dr . 229 Bösel, Greta 225 Bolle, Mirjam 193, 226 Bonifas, Aimé 225 Bormann, Martin 163 Brandt, Heinz 232 Braun, Heinrich 42 Braun, Lily 42 Braun, Otto 42 Brecht, Bertold 116 Brie, Alfred 46, 157 Brinkmann, Max 114 Brüning, Heinrich 143 Buch, Fritz Peter 211 Buchele, Marga 256 Bülow, Bernhard von 69 Büttner, Günther 151 Burghardt, Wilm 206 Burkart, Georg 193, 194 Busch, Wilhelm 124 Carkos, Walter 154 Cay, Alexander M . 34

Chamberlain, Houston Stewart 129 Chamberlain, Neville 175 Chaplin, Charlie 61 Churchill, Winston 175 Clauberg, Carl 244 Clausewitz, Carl von 54 Clewing, Karl 46 Cohen, Hermann 86 Cohn, Oscar 54, 55, 111 Cooper, Duff 175, 191 Dahlgrün, Irene 198 Dahms, Paul 45 Deak, Gertrud 240 Delbo, Charlotte 232 Delbrück, Hans 28 Delmer, Sefton 191 Deuter, Jupp 203 Diem, Carl 87 Dietl, Eduard 213 Dietrich, Sepp 256 Diettrich, Fritz 211 Doderer, Otto 158, 211 Döring, Ernst 49 Dräger, Helmut 89 Drewanz, Hans 153 Dungern-Oberau, Otto Freiherr von 120 Ebel, Wilhelm 180 Ehrenberg, Hermann 46, 47 Ebert, Friedrich 107, 108, 221, 259 Eiffe, Peter Ernst 118, 211 Eisner, Kurt 37, 95, 102, 144–146 Endrikat, Fred 152 Erbelding, Eugen 120 Erler, Fritz 29 Ernst, Marcus 187 Felixmüller, Conrad 113 Fichte, Johann Gottlieb 12, 14, 39 Fischbach, Elisabeth 152 Fischer, Paul 24 Flehinger, Arthur 229

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Namensregister Flex, Walter 161 Frank, Brigitte 242 Frank, Hans 176, 177, 242 Franz, Kurt 244 Freisler, Roland 168 Friedländer, Salomo (Pseud . Mynona) 44 Friedmann, Cäcilie 233 Friedmann, Richard 233, 234 Friedrich, Ernst 186, 187 Friedrich I . 143 Friedrich II . 13 Fritsch, Theodor 7, 8, 9, 15, 105 Fritsch, Werner von 253 Fritzsche, Hans 190, 191, 216 Gamm, Hans-Jochen 251, 253–255 Gneisenau, August von 39 Goebbels, Joseph 126, 127, 133, 144, 152, 163, 165, 174, 189, 190, 192, 194, 196–198, 217, 224, 230, 251–253 Göring, Hermann 156, 165, 194, 196–198, 245, 251–253 Goerner, Willy 244 Goethe, Johann Wolfgang von 39, 44, 114, 128, 129, 157 Goldstein, Julius 53, 87 Goldstein, Moritz 123 Gossler, Oscar 74 Graff, Sigmund 119, 164 Greiter, August 194 Gröper, Reinhold 183 Grosz, George 35 Grünbaum, Fritz 112, 124, 125, 245 Grünspan, Herschel 253 Günther, Hans 233, 234 Gulbransson, Olaf 34, 76, 77 Gundolf, Friedrich 43 Gusenbauer, Eleonora 155 Gutterer, Leopold 190 Guttmann, Erich 229 Hácha, Emil 175 Haecker, Theodor 53 Hanfstaengl, Ernst 170, 171 Harden, Harry 250, 251 Hardt, Fred 49 Harlan, Veit 164, 231 Hart, Kitty 217, 234 Hartlieb, Wladimir von 133 Hausser, Paul 256 Heartfield, John (Helmut Herzfeld) 119 Hebbel, Friedrich 114 Heilmann, Ernst 168, 238 Heine, Heinrich 14, 36 Heine, Thomas Theodor 24, 34, 78, 84 Heinrici, Gotthard 62 Heiss, Friedrich 206 Helfferich, Karl 104

Hermes, Richard 250, 252–254 Herz, Sofoni 117 Herzberg, Abel 218, 233 Heß, Rudolf 165, 198, 252 Heydrich, Lina 149 Heydrich, Reinhard 149, 205, 232, 257 Hiller, Kurt 42, 96, 99 Himmler, Heinrich 7, 8, 133, 164, 196–198, 205–207, 213, 253 Hindenburg, Paul von 33, 37, 38, 41, 43–45, 54, 56, 83, 107, 109, 117, 124, 130, 131, 143, 188 Hitler, Adolf 11, 18, 19, 41, 96, 104, 105, 108, 109, 111, 116, 118, 121–124, 126–147, 149, 153–156, 158, 159, 161, 163, 165–177, 189–192, 194–198, 205, 207, 225, 226, 245, 251–253, 257, 259, 261 Hochstetter, Gustav 39, 40, 55, 63 Höcker, Paul Oskar 29, 30, 67, 87, 120 Hoffmann, Heinrich 108, 121, 122, 170 Hofmann, Walter 155 Holländer, Ludwig 98 Höß, Rudolf 207, 213 Holtz, Hans 32 Hoven, Waldemar 244 Jaedicke, Octavia 24 Jäger, Karl 242, 243 Jaißer, Erich 196 Jeckeln, Friedrich 159 Joffre, Joseph 58 Jonas, David 246 Jonen, Hans 115 Jungnickel, Max 45 Jünger, Ernst 25 Kafka, Elsa 235, 239 Kahn, Erwin 150 Kaliga, Bruno 216 Kant, Immanuel 206 Kaplan, Chaim Aron 235 Karten, Anne 225 Kessler, Harry von 35 Kiaulehn, Walter 161 Killinger, Manfred Freiherr von 16, 136, 137 Kirchhoff, Walter 46 Kitchener, Horatio Herbert 35 Klähn, Friedrich-Joachim 137 Kleefeld, Käte 146 Kleeten-Nykerk, Elisabeth Vom 244 Kleist, Heinrich 45, 114 Klemperer, Victor 151, 162, 168, 171, 173, 190, 225 Knabe, Gerd 163, 207, 252, 256 Körner, Theodor 39, 45 Kogon, Eugen 168, 228, 244 Kohn, Berthold 244 Kollo, Walter 25 Konsalik, Heinz G . 207, 256

Namensregister Kraus, Karl 112, 113, 132 Krimmer, Otto 213 Kris, Ernst 11, 41 Krug, Ludwig 158 Küster, Konrad 72, 73 Kurz, Otto 11, 41 Kutisker, Iwan 168 Kuttner, Erich 122 Lächert, Hildegard 244, 245 Landwirth, Heinz 223 Langbehn, Julius 41, 128–130 Lange, Konrad 47 Langhoff, Wolfgang 224 Laqueur, Renata 240 Lass, Werner 235 Lazar, Richard 238 Leopoldi, Hermann 245 Lerbs, Karl 157 Lersch, Heinrich 30 Lessing, Gotthold Ephraim 114 Levi, Lucie 244 Lewinska, Pelagia 237, 239 Ley, Robert 164 Liagré, Oscar 120 Lichtenstädter, Siegfried 124 Liebmann, Otto 168 Liessem, Thomas 178 Liffmann, Doris 115 Lissauer, Ernst 83, 87 Lucas, Robert 188 Ludendorff, Erich 37, 44, 54 Mann, Heinrich 42 Mann, Thomas 43 Manstein, Erich von 207 Manz, Gustav 114 Maschmann, Melitta 106, 115 Mattner, Walter 235 Mayer, SS-Oberscharführer 217 Megerle, Karl 157 Meier, John Alexander 250, 252–254 Mengele, Josef 244 Mennecke, Friedrich 242, 243 Merk, Michael 194 Merker, Richard 68 Meyer, Georg 53 Meyer, Julius 53, 54, 221, 228 Mielert, Fritz 60, 67 Mitas, Leopold 244 Moeller van den Bruck, Arthur 13 Moltke, Helmuth von (der „ältere“) 39, 41 Moltke, Helmuth Johannes Ludwig von (der „jüngere“) 42, 54, 58, 60 Morgan, Paul 245 Mosse, Martha 246 Mosse, Rudolf 111 Mühlen-Schulte, Georg 158

Müller, Adam Heinrich 14 Müller, Josef Ludwig (pseud . „Peter Poddel“) 158, 161, 211 Münz, Wilhelm 61, 68 Mussolini, Benito 124, 164 Mutschmann, Martin 157 Neuhaus, Albert 192, 214, 215 Newton, Isaac 44 Oertel, Carl-Albrecht 119 Oppenheim, Hans 166 Ostermann, Willi 249 Osterroth, Franz (i . e . Jörg Willenbacher) 186, 187 Pallmann, Gerhard 162, 163 Papen, Franz von 197 Paul, Jean 124 Peroutka, Karl 154 Philippson, Alfred 52 Pleyer, Kleo 206 Pleyer, Wilhelm 161, 206, 210 Pocci, Franz Graf von 41 Pöll, Josef 244 Poieß, Bernd 158, 210 Poppenhagen, Gerhard 242 Postel-Vinay, Anise 246 Presber, Rudolf 120 Prinz, Franz 194 Quenzel, Karl 67 Raemakers, Louis 34 Rajchman, Chil 243 Rath, Ernst Eduard von 223, 253 Rathenau, Walter 53, 95, 99, 100, 111, 122 Raupp, Fritz 69 Reich, Maximilian 7, 176, 227, 228, 233, 237, 243, 245 Reimann, Hans 114, 157, 160 Reinhold, Kurt 122 Remarque, Erich Maria 116, 117 Reuter, Fritz 114, 161 Rheinsberger, Richard 154 Rhoden, Edgar 222, 223, 227, 228 Richter, Karlheinz 210 Riebau, Hans 160 Rilla, Walter 188 Ringelblum, Emmanuel 235 Robitschek, Kurt 124 Röhm, Ernst 187, 252 Rolland, Romain 43 Roon, Albrecht von 54 Roosevelt, Eleanor 84 Roosevelt, Franklin 84 Rosenberg, Isaac 91 Rosenstein, Moritz 182 Rosenthal, Hertha 225 Rosenzweig, Horst 222 Sachs, Hans 114

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Namensregister Sachs, Marie 140 Schade, Karl 195 Schäfer, Siegfried 238 Schaeffers, Willi 163 Scharnhorst, Gerhard von 39, 54 Scher, Peter 24, 43 Schiller, Friedrich 12, 14, 39, 45, 114, 187, 206 Schiller, Friedrich 44 Schilling, Erich 93 Schirach, Baldur von 108 Schirach, Henriette von 108, 251, 252 Schlichting, Wilhelm 119 Schloesser, Rainer 163 Schmidt, Hugo 74 Schmidt, Manfred 160 Schmitz, Elisabeth 184 Scholz, Wilhelm von 163 Schott, Georg 41, 128–132, 141, 144, 147 Schreier, Fritz 223 Schröter, Alfred 162, 211 Schüler, Paul 49 Schulz, Wilhelm 76, 114 Seck, Rudolf 244 Seibold, Karl 159 Seifert, Hermann Erich 230 Sellin, Kurt 250, 252–254 Simon, Ernst 53 Söderbaum, Kristina 164 Solmitz, Louise 129 Springer, Carl 137 Stang, Georg 147 Stapel, Wilhelm 167 Steguweit, Heinz 160, 161, 178, 210 Stein, Adolf 100, 108, 116, 155 Stieve, Friedrich 34 Stöve, Günter 156 Streicher, Julius 254 Stresemann, Gustav 61, 95, 104, 105, 138, 146, 147 Stuczka, Franz 244 Taege, Herbert 256

Tillion, Germaine 247, 249 Tirpitz, Alfred von 60 Thälmann, Ernst 188 Thöny, Eduard 24, 119 Thoma, Ludwig 24, 114 Tießler, Walter 196 Toller, Ernst 95, 99, 100, 116 Trier, Walter 34 Trojan, Ernst Walter 64 Tucholsky, Kurt 44, 96, 112, 113 Utermann, Wilhelm 160 Vandrey, Max 189, 197, 254, 255 Vohryzkovãj, Ilona 244 Vogel, Louise 163 Volkmann, Georg 160 Wagner, Adolf 104 Wagner, Richard 39, 135 Wallfisch-Lasker, Anita 237, 239 Waltz, Jean-Jacques 26, 27 Wasserfall, Oberst 201 Weber, Hans Adolf 235 Wegener, Paul 46 Weichselbaum 235 Weinmann, Rubin 221, 222 Weihrauch, Wilhelm 50 Weiss, Bernhard 133 Wendt, Hans 158, 159 Werthauer, Johannes 168 Wilson, Woodrow 83–85, 114 Wirrer, Fred 199 Wolf, Franz 200 Wolff, Theodor 53, 111 Wrangel, Friedrich von 13 Wüpper, Hauptmann 244 Wussow, Otto Erich 45, 50 Yorck, Ludwig Graf von Wartenburg 39 Ziesel, Kurt 213 Zille, Heinrich 21, 22, 26, 27, 34 Zimmer, Emma 225 Zylberberg, Michael 235

Was haben Gewalt, Gelächter und Deutschsein miteinander zu tun? Martina Kessel analysiert, wie in der deutschen Gesellschaft zwischen 1914 und 1945 Scherz- und Spottpraktiken eingesetzt wurden, um Identitätsvorstellungen auszuhandeln und Gewalt zu legitimieren. Zum einen geht Kessel der Frage nach, wie Zeitgenossen eine Vorstellung von Deutschsein etablierten, die sie als nichtjüdisch fassten: Mit ihrer Identitätspolitik ließen die Akteure Antisemitismus scheinbar ‚selbstverständlich‘ wirken. Zum

anderen untersucht sie, warum und wie nichtjüdische Deutsche Spott einsetzten, um Gewalt gegen jüdische Deutsche, Andersdenkende oder Kriegsgegner in eine vorgeblich ‚kreative‘ und ‚legitime‘ Praktik umzudeuten. Der Weg von den deutschen Völkerrechtsverstößen im Ersten Weltkrieg bis zur Shoah war nicht unausweichlich und nicht alle machten ihn mit. Die, die mitzogen, signalisierten jedoch gerade mit ihrem Hohn, dass sie Ausgrenzung, Verfolgung und schließlich Vernichtung als Identitätsvollzug verstanden.

ISBN 978-3-515-12382-2

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7835 1 5 1 23822

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