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German Pages [708] Year 2017
KONRAD SCHEURMANN ANDRÉ KARLICZEK [HG.]
GESPRÄCHSSTOFF FARBE
MF | 1
Konrad Scheurmann | André Karliczek (Hg.)
GESPRÄCHSSTOFF FARBE Beiträge aus Wissenschaft, Kunst und Gesellschaft
2017
BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen, so sie nicht konkrete Personen meinen, gelten gleichwohl für jedes Geschlecht.
Impressum Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Umschlagabbildung: Tomás Saraceno. Poetic Cosmos of the Breath, 2007 Airshow in Gunpowder Park, London, UK, 2007. Courtesy the artist; Tanya Bonakdar Gallery, New York; Andersen's Contemporary, Copenhagen; Pinksummer contemporary art, Genoa; Esther Schipper, Berlin. © Photography by Studio Tomás Saraceno, 2007 TS_P0950-B3-00822 © 2017 Böhlau Verlag GmbH & Cie. Lindenstraße 14, D-50674 Köln Tel.: (0049) 0221 92428-500 E-Mail: [email protected] www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Die Herausgeber haben sich sorgfältig bemüht, die Inhaber der Bildrechte zu ermitteln. Sollten im Einzelfall Nutzungsrechte nicht abgeklärt sein, so bitten die Herausgeber um eine Kontaktaufnahme. Konzeption: Konrad Scheurmann Redaktion: Konrad Scheurmann, André Karliczek, Katharina Arlt mit Unterstützung von Tino Kühne, Maria Mathiszik, Manuela Wippich Korrektorat: Kathrin Polenz, Jena, für die Herausgeber Anja Borkam, Jena, für den Verlag Transkription: Linnéa Bergsträsser, Manuela Wippich Kapiteleinleitungen und Texte zu den Künstler- und Kunstseiten zwischen den Kapiteln: Konrad Scheurmann Einbandgestaltung: Frieder Kraft, werkraum media, Weimar Satz: Frieder Kraft und Christian Brüheim, werkraum media, Weimar mit Unterstützung von André Karliczek Gestaltung: Frieder Kraft, werkraum media, Weimar
ISBN 978-3-412-50994-1
Gefördert durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Zusammenhang mit dem BMBF-Verbundforschungsprojekt „Farbe als Akteur und Speicher. Historisch-kritische Analyse der Materialität und kulturellen Codierung von Farbe – FARBAKS“ im Rahmen der Förderrichtlinie „Die Sprache der Objekte. Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen“, Förderkennzeichen: 01OU1312 Unterstützt von EIPOS e. V., Dresden
in memoriam Olaf Breidbach 8. 11. 1957 – 22. 7. 2014
Inhalt 9
Ulrich Bachmann Farb-Licht-Klaviatur
Einführung 12
Konrad Scheurmann und André Karliczek Gesprächsstoff Farbe. Zu den wissenschaftlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Dimensionen von Farbe
24
Dank
26
Kapitel I: Facetten der Farbforschung
27
Kazuo Katase Schale, 24.03.2012
30
Karl-Siegbert Rehberg Immaterielle Materialität – Die Macht der Farben im Horizont eines neuen „Animismus“ Susanne Marschall und Annette Werner Grundlagen der Farbforschung Almut Kelber Die Farbe liegt im Auge des Betrachters – Farben und Farbensehen im Tierreich Eckhard Bendin Die Ebenen unserer Farberfahrung – Ein Phänomen im Oktavformat Bruno Haas Die Farbe und ihre Systeme Matthias Bruhn Malen nach Zahlen. Von natürlichen zu virtuellen Farben
50 58 66 72 84
88 a 89
Perspektivwechsel I
92
Olaf Breidbach † Überlegungen zur Farbe. Nachgedachtes und Nachgelassenes Markus Zedler Von vermischten Sinnen und Farben – Impulse aus der Erforschung der Synästhesie Wassily Kandinsky Farben, Töne und Instrumente Philipp Ritter Wird die Bipolare Störung durch nicht-visuelle Lichteffekte moduliert?
96
101 102
Juliana Do Essence, aus der Serie Spectrum
106
Kapitel II: Farbe als Sammlungsgegenstand
107
Andreas Hofer Postkartenhimmel
110
Michael Markert Lust auf Farbe. Von Sammlern und Sammlungen Ein Fachgespräch über farbwissenschaftlich-kulturgeschichtliche Sammlungen und das Sammeln von Farben Michael Markert Die Stimme der Dinge. Zur materiellen Kultur von Farbe in wissenschaftlichen Sammlungen Mario Pellin Farbe und Material, eine Sprache mit anspruchsvoller Grammatik. Über das Schweizer Material-Archiv
124
134
144
Perspektivwechsel II
145
Martina Löw Einfache Vielfalt – Farbe beim Wort genommen
148 152
Bettina Gruber-Scheller Farbe − Mimesis − Literatur Charlotte von Schelling Von den Fabriken am Rhein nach Asien. Kulturtransfer durch die Bildwelten historischer Farbstoffetiketten
160
Kapitel III: Farbe als Sprache
161
OLED – Licht der Zukunft? Ausstellung im Gewerbemuseum Winterthur, 2015
164
André Karliczek Farbe und Erkenntnis – Gedanken zu einer Geschichte der Wahrnehmung oder Evolution der Farben Karin Leonhard Verlorene Farben – gewonnene Einsichten: Systematisches Sehen in der Mikroskopie Antoni van Leeuwenhoeks Regula Valérie Burri und Nikolaus Weiskopf Farbe in der neurowissenschaftlichen Bildgebung – Ein Fachgespräch Inga Gryl und Olaf Kretzer Unter analytischem Blick – Kosmische Farben
182
196 204
2|3
214
226 236
Art in science group: Fabricio Tamburini, Freddy Paul Grunert, Cristina Fiordimela Light. What is light? Tim Otto Roth und Konrad Scheurmann Spektrale Revisionen – Ein Fachgespräch Anne Dippel, Hans Drevermann, Andreas Salzburger und Konrad Scheurmann Bildstrategien am CERN – Ein Fachgespräch über das Sichtbarmachen des Unsichtbaren
248
Perspektivwechsel III
249
Hans Drevermann Jet energy measurement with the ATLAS detector, CERN, event-display
252
Cristina Fiordimela und Freddy Paul Grunert Light in Spirituality
262
Kapitel IV: Farbe als künstlerisches Ausdruckmittel
263
Herzog & de Meuron Wendeltreppe in der Universitätsbibliothek Cottbus
266
Henrik Karge Jenseits des Polychromiestreits. Gottfried Sempers Wahrnehmungstheorie der Farben Ralf Weber Die Re-Materialisierung des Materiellen Moritz Behrens, Patrik Tobias Fischer und Sabine Zierold Medienarchitektur: Dynamiken und Kommunikation im Stadtraum Felicitas Rhan Bunte Propaganda – Ästhetik und soziokulturelle Bedeutung der Farbfotografie in der Zeit des Nationalsozialismus Katharina Arlt Zwischen Auftrag und Avantgarde – Materialität und Experiment früher Farbfotografie der DDR am Werkbeispiel von Wolfgang G. Schröter Susanne Marschall Farbe und Animation Barbara Ehnes, Olaf Freese und Konrad Scheurmann Vorhang auf, Licht an! Farbästhetik und Farbdynamik auf der Bühne – Ein Fachgespräch
284 294 308
324
344 354
370
Perspektivwechsel IV
371
rosalie WAGNER – Heldendisplay
374
Hildegard König Andachtsräume – Farbe als Medium von Transzendenz. Beobachtungen zu zeitgenössischen Installationen Shihoko Iida und Vincent Walsh UNICOLOR 2014 – Carsten Nicolai’s Video Installation
382
Inhalt
388
Kapitel V: Farbe als Code
389
Tomás Saraceno Poetic Cosmos of the Breath, 2007
392
Anna-Brigitte Schlittler Schwarz tragen Gerhard Bauer „The Flag of War“ – Das Kolorit des Krieges Hans-Konrad Schmutz Nach Farben sortiert – Zur Großforschung an deutschen Schulkindern nach der Reichsgründung
402 416
422
Perspektivwechsel V
423
Pamela Rosenkranz Our Product
426
Alexander Engel Verstehen oder verwerten? Farbstoffexperten zwischen Wissenund Wirtschaft vor und in der Industrialisierung Armin Reller Color ex Materia – Lux ex Machina Ute Hasenöhrl „Denn die einen sind im Dunkeln und die andern sind im Licht …“ – Globalhistorische Perspektiven auf Lichtmangel und Lichtverschmutzung
430 436
442
Kapitel VI: Farbe als Speicher
443
Roland Fuhrmann Spektralsymphonie der Elemente
446
Thomas Danzl und Konrad Scheurmann Zwischen Tradition und Moderne – Ein Fachgespräch Zur Einordnung Bruno Tauts in die Epoche farbiger Architekturkonzepte des 20. Jahrhunderts unter denkmalpflegerischen Aspekten Winfried Brenne Farbe bekennen! Ingrid Blom-Böer, Stephanie Dietz und Jana Hainbach Bruno Taut und die Authentizität der Farbigkeit Corinna Engel Studien zum Künstlermaterial im 19. Jahrhundert Christoph Herm Farbveränderungen in der Malerei Thomas Prestel Prüfstand Lichtbeständigkeit – Bestimmung der Lichtempfindlichkeit von Kunstobjekten Reinhard Buchholz Neue Farbstofflieferanten – Von Pilzen und ihren färberischen Potentialen Horst Hartmann Farbige Stoffe im Kontext technologischer Entwicklungen – Von klassischen Färbemitteln zu wertvollen Funktionsmaterialien
460 466 484 498 510
520 532
4|5
546
Perspektivwechsel VI
547
Stefan Muntwyler Pigmentaufstriche
550
Albrecht Pohlmann Farbgewinn und Farbverlust: Die Fotoschicht als prekärer Speicher Christian Lölkes Farb-Materialität – 3D-Druck: Werkzeug und künstlerisches Medium Alexander Eychmüller, Nikolai Gaponik und Luisa Sonntag Quantenpunkte als Farbstoffe
558 564
572
Kapitel VII: Farbe als Lehrmittel
573
Ingo Nussbaumer „CP-18“
576
André Karliczek Farbtheorie und wissenschaftliche Erkenntnis Tino Kühne, Maria Mathiszik und Manuela Niethammer Aus der Forschung in die Lehre. Farbe als Kontext interdisziplinären Lernens – Eine Potenzialanalyse Eckhard Bendin Kreiselscheiben als historische und didaktische Instrumente Kati Bergmann In den Blick genommen – Farbinstrumente als Forschungsobjekte Kati Bergmann, Martina Löw und Kay Saamer Forschung am bewegten Farbobjekt. Ein Ergebnisbericht Kay Saamer Überlegungen zu einer Klassifizierung didaktischer und wissenschaftlicher Farb-Kreiselscheiben und ihrer Antriebe
588
600 608 618 632
634
Perspektivwechsel VII
635
Willy Puchner Die Farben der Antarktis Puchners Farbenlehre
638
Georg Simmel Das Märchen von der Farbe Wiederabdruck
Inhalt
640
Farb-Lehrmittel
641
Sinta Werner CMYK-Raum, Eingangshalle der Schule München-Sendling
644
Ulrich Bachmann Farben unterwegs II – Eine Farb-Licht Installation Eckhard Bendin Filmmodule zur Farbenlehre Kati Bergmann Zur Rekonstruktion des Farbraummodells der TGL 21 579 Axel Buether eDidaktik Plattform colour.education Stefanie Wettstein und Lino Sibillano Haus der Farbe – Fachschule für Gestaltung in Handwerk und Architektur Paul Bürki und Andreas Hofer Installation mit einer erarbeiteten Farbpalette Florian Bachmann und Marcus Pericin Farb-Licht-Box Ingo Nussbaumer Kunstgriff Schablone Martina Löw und Kay Saamer Präziser Farbkreiselantrieb für Forschung und Lehre Timo Rieke visual haptics lab Michael Tausch Experimentierkoffer für forschend-entwickelndes Lernen Stefan Muntwyler und Konrad Scheurmann I SEND YOU THIS CADMIUM RED … Ein Briefwechsel über Farben von John Berger und John Christie
645 646 648 649 650 651 652 654 656 657 658
660
Anhang
661
Daniel Hausig licht.lokal
664
Autorenverzeichnis
682
Verbundforschungsprojekt „Farbe als Akteur und Speicher. Historisch-kritische Analyse der Materialität und kulturellen Codierung von Farbe – FARBAKS“
686
Abbildungsverzeichnis
695
Farbflaschen bei Georg Kremer Farbmühle Kremer Pigmente
698
Derek Jarman Zitate aus: Chroma. Ein Buch der Farben
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26. Was uns mißtrauisch machen kann, ist, daß manche drei Grundfarben zu erkennen glaubten, manche vier. Manche hielten dafür, daß Grün eine Zwischenfarbe von Blau und Gelb sei, und mir, z. B., kommt das falsch vor, auch abgesehen von jeder Erfahrung. Blau und Gelb, sowie Rot und Grün, erscheinen mir als Gegensätze – aber das mag einfach daher rühren, daß ich gewöhnt bin, sie im Farbenkreis an entgegengesetzten Punkten zu sehen. Ja, welche Wichtigkeit hat für mich (sozusagen psychologisch) die Frage nach der Zahl der Reinen Farben?
Ludwig Wittgenstein, Werkausgabe Band 8 Bemerkungen über die Farben Über Gewißheit Zettel Vermischte Bemerkungen Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 508 Frankfurt am Main 1984 aus Bemerkungen über die Farben, Teil III, hrsg. von G.E.M. Anscombe, S. 45
Ulrich Bachmann Farb-Licht-Klaviatur
Die Kunstinstallation Farb-Licht-Klaviatur, erstmals realisiert im Gewerbemuseum Winterthur 2008, war eine aus dem Labor in den Ausstellungsraum transferierte Versuchsanordnung zur Erforschung und Schärfung der Farb-Licht-Wahrnehmung. Ulrich Bachmann und seinem Team im Farb-LichtZentrum der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) ging es um die Interaktion zwischen dynamischem farbvariablem LED-Licht und pigmentreich farbig gefassten Oberflächen, in die der Besucher als Mitwirkender einbezogen war. Das Wechselspiel zwischen Beleuchtungs- und reflektiertem Licht geriet zu einem intensiven Erlebnis. Nicht nur wurde Licht als etwas Stoffliches wahrgenommen, auch die gewohnten Regeln der Farbwahrnehmung wurden infrage gestellt. Die Farb-Licht-Klaviatur zählt zu den Ikonen der experimentellen Farb-Licht-Forschung. Ulrich Bachmann lebt in Zürich, Schweiz. Publikation: Ulrich Bachmann. Farbe und Licht. Materialien zur Farb-Licht-Lehre | Colour and Light. Materials for a Theory of Colour and Light, Sulgen, Zürich 2011. www.farbeundlicht.ch
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KONRAD SCHEURMANN ANDRÉ KARLICZEK
Gesprächsstoff Farbe. Zu den wissenschaftlichen, künstlerischen und gesellschaftlichen Dimensionen von Farbe
Quo vadis? Das Märchen von der Farbe 1904 verfasste der Soziologe Georg Simmel ein bis heute weitgehend unbekanntes Märchen von der Farbe.1 Die neue Farbigkeit der Großstädte, das Aufkommen der Leuchtreklamen und eine bis dahin unbekannte Fülle neuer Farbreize ließen ihn die moderne Industriestadt auch farblich als fremd geworden, geradezu märchenhaft wahrnehmen. Poetisch-allegorisch beschreibt Simmel die koloristische Überforderung seiner Zeitgenossen angesichts der immensen Entwicklung immer neuer synthetischer Farbstoffe und damit auch bis dato unbekannter Farbtöne und Einfärbungen des Alltags, die wir uns gern als grundlegende und radikale Veränderung der bis dahin bekannten Farbumwelt vorstellen dürfen. Mit dem Märchen von der Farbe schildere Simmel, so Hans Peter Thurn in seinem Buch Farbwirkungen. Soziologie der Farbe, „die Freisetzung der Farbe in der modernen Welt sowie die chromatische Ratlosigkeit seiner Mitbürger“.2 Thurn sieht das Märchen im Kontext der Analyse Simmels von der industriell und monetär-kommerziell geprägten Großstadt und ihrer Gesellschaft und bezieht sich dabei auch auf Simmels Schlüsseltext Die Großstädte und das Geistesleben von 1903.3
Neben der „Expansion der Palette“4 zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die man aus heutiger Sicht keineswegs als ein bloß historisches Phänomen abtun kann, sondern angesichts unserer eigenen überbordend-allgegenwärtigen Farbigkeit und uns entgegenstrahlender Bildschirmlichter durchaus als ein aktuelles Thema betrachten muss, liefert Simmels Märchen, das im Schlusskapitel des Buches wiedergegeben ist, viele Stichworte zu den Hauptaspekten des vorliegenden Sammelbandes. So ist die Hauptfigur eine unbekannte Farbe ohne Namen, die behelfsweise ‚Grülpchen‘ genannt wird, deren Existenz und Identität aber von einer exakten und sinnstiftenden Benennung und damit einer möglichen Zuordnung zu bekannten Farben abhängig ist. Bereits in dieser Ausgangssituation spiegelt sich die menschliche Sprachlosigkeit angesichts neuer (Farb )Erfahrungen, die aus den Schwierigkeiten der Verbalisierung und Einordnung des Neuen in den Bestand des Bekannten resultiert. Durch die zeitgenössische Loslösung der Farbenproduktion von natürlichen Ausgangsstoffen hin zu ungewohnt leuchtenden Farbtönen – man denke nur an Fuchsin oder Magenta –, erschien eine einfache Denomination, also eine Benennung der Farben nach bekannten Naturobjekten, in vielen Fällen nicht mehr möglich
zu sein. Damit erweiterten die neuen (synthetischen) Farben den Erfahrungsraum der Menschen, die deshalb um Begriffe zur Beschreibung des Unbekannten rangen. Selbst in den wissenschaftlichen Disziplinen sind Farbbezeichnungen auch gegenwärtig noch nicht identisch und Farbnormungen, also die Versachlichung von Begriffen, suchen sich zwischen der poetischen Nichtverbindlichkeit von Farbnamen und den mathematisch codierten Farbmetriken zu behaupten. Mit der Namenlosigkeit des farbigen Hauptakteurs in Simmels Märchen verbinden sich aber noch weitere Assoziationen, wenn das Grülpchen etwa zur Bestimmung seines Platzes im Reich der Farben auf den Regenbogen verwiesen wird, der „jenseits des Violett ein Asyl für verlorene Farben hat“5. Dort im Unsichtbaren, im Ultravioletten und jenseits davon manifestiert sich die Fragwürdigkeit des anthropozentrischen Blicks auf die Welt der Farben und lässt an seinem allgemeinen Geltungsanspruch zweifeln. In diesen Bereich des dem Menschen Verschlossenen, der ihm gleichsam als kritisches Spiegelbild seiner Weltsicht dienen kann, blickt in Simmels Märchen nun auch der Zauberer Colorum, den das Grülpchen um Hilfe bittet. Colorum ist eine Nachteule, die im Dunklen Farben sieht, wozu kein Mensch mehr in der Lage ist. Doch auch er kann dem Grülpchen aus dem ihm Sichtbaren nur antworten, dass es die Farbe ist, die es gar nicht gibt. Zu diesem Komplex von Wahrnehmen und Erkennen äußern sich gleich mehrere Texte dieses Sammelbandes, die sich etwa mit der Visual Ecology und dem Farbsehen bei Tieren, mit Wahrnehmung und Erkenntnis oder mit der Evolution visueller Systeme und deren gestaltender Kraft in der Umwelt befassen. Im vergeblichen Versuch der unbekannten Farbe, sich selbst über das Auffinden eines Farbkomplements zu bestimmen, das ihr aufgrund einer angenommenen farbsystematischen Hermetik verheißen ist, wird sie selbst zum Widerspruch, zum Regelbruch, der die Beschränktheit des bisherigen Denkens offenbart. Die unbekannt namenlose Farbe, die es nicht gibt, erfordert ein Überdenken, ein Erweitern des Systems und provoziert nicht nur eine Offenheit für neue Blickwinkel, sondern möglicherweise eine vollständige Revision und Revolution. Die Existenz eines derart Neuen zielt nun auf dessen Realisierung, die aber nur außerhalb eines gängigen Systems/Denkens erfolgen kann und dementspre-
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chend gleichermaßen kreative wie anarchistische Akteure wie etwa Künstler auf den Plan ruft. Einigen gelingt es, in ihren Werken Naturwissenschaft und Kunst zu verknüpfen. An solchen Schnittstellen ist dann die Offenheit gegenüber Systemen und die Überschreitung von Grenzen gefordert. So agieren z. B. Astrophysik, Quantenphysik und Photonik gewissermaßen jenseits des Ultravioletten, um bei der oben eingeführten Metapher zu bleiben, in einem Bereich, der außerhalb der menschlichen Erfahrung liegt. Um in diesem aber überhaupt etwas denken zu können, bedarf es in der Regel bildlicher Übersetzungen des nur qua Detektion als Messwert Erfahrbaren. Diese in der Regel von Künstlern geschaffenen Bilder sind keine bloßen Abbilder von etwas, sie erschaffen einen neuen Denkraum und sind so Mittler zwischen den Welten. In der Person des Malers Clixorin, der sich von der Unbekanntheit und Exklusivität des Grülpchen überwältigen lässt und es eher als Malmittel, als stilprägendes Material denn als echte Farbe verwendet, spiegeln sich die Künstler jener Zeit, die in ekstatischer Euphorie dem Rausch der neuen Farben erlagen und erst im Nachgang, in der raschen Vergänglichkeit ihrer neu-farbigen Werke einen hohen Preis zu zahlen hatten. Um dieses Verhältnis der Akzeptanz und Rezeption neuer farbgebender Stoffe in der Malerei oder Fotografie sowie ihres bewussten Einsatzes kreisen mehrere Beiträge, die vorwiegend im weiter unten vorgestellten Forschungsprojekt FARBAKS entstanden sind und die Lebendigkeit – aber auch die Zeitlichkeit – des Materials der Farben thematisieren. Schließlich findet die Farbe ohne Namen im Opal ein Zuhause, der mit seinem irisierenden und durch Interferenzen entstehenden Farbspiel ein Symbol für das weite Spektrum des Themas Farbe liefert, aber vor allem auch das Nichtfassbare, das nur begrenzt Definierbare, die Unverbindlichkeit sowie die vielen Blickwinkel, unter denen man sie betrachten kann, geradezu verkörpert. (Abb. 1) Damit ist der Opal gleichsam ein Emblem für das Konzept des Sammelbandes, der nicht nur die uns so direkt und einfach zugängliche Augenfälligkeit, sondern eben auch jene unfassbare Vielschichtigkeit, das Schillern und ins Unsichtbare sich verlierende Changieren, das Wissen und das (Noch)Nicht-Wissen um Farbe zum Thema hat.
A B B . 1: O P A L , H E R K U N F T A U S T R A L I E N ( F O T O : H A N N E S G R O B E )
Zur Komplexität der Farbwahrnehmung Simmels Märchen von der Farbe ist ungeachtet seiner eigenen Historizität geeignet, einige Grundfragen zur Farbigkeit der Welt aufzuwerfen und sie als spezifisches Phänomen der Moderne zu skizzieren. Zum „Gesprächsstoff“ in Wissenschaften, den Künsten und der Gesellschaft ist Farbe insbesondere im Kontext ihrer industriellen Herstellung avanciert. Dadurch haben sich auch Fragen der Wahrnehmung radikalisiert. Ist es häufig schon schwierig, sich über die Benennung oder konkrete Abgrenzung eines bestimmten Farbtons zu verständigen, den alle Anwesenden vor Augen haben, erscheint der Versuch einer allgemein verbindlichen sprachlichen Definition von dem, was Farbe sei, als nahezu unmöglich. Zu verschieden sind die Kontexte und Erscheinungsweisen, in denen uns Farbe entgegentritt. Gleichwohl scheint alles, was wir visuell wahrnehmen, durch Licht und Farbe bestimmt. Unsere gesamte Lebenserfahrung basiert zu einem großen Teil auf dem Seh- bzw. dem Gesichtssinn, auf der unmittelbaren Erfahrung von Licht, Material und Farbe als einer kognitiven Einheit. Erfahren lassen sich Farben
daher nur im Akt des Sehens, eine rein sprachliche Vermittlung weckt hingegen höchstens eine undeutliche und dunkle Erinnerung.6 Und so können sich die meisten Menschen damit begnügen, Farben als durch gebrochenes Licht hervorgebrachte Sinneseindrücke oder als Differenzwert zur Unterscheidung strukturloser Flächen zu verstehen. Das darf insofern nicht verwundern, als für unser Sehen und unser tägliches Zurechtkommen in der Welt eine allgemeingültige, konzeptionelle Bestimmung der Farben im Grunde unbedeutend ist, denn wir alle haben eine präreflexive Vertrautheit mit dem damit Bezeichneten – wir sehen Farben respektive Licht, oder besser: Wir sind in der Lage, dieses differenziert wahrzunehmen. In unserem Alltag funktioniert das hervorragend. Wir greifen zielsicher reife, rote Früchte, queren Straßen bei grünem Ampellicht und werden, wie die Bienen von einer leuchtenden Blüte, von neonbunten „Sale“-Schildern angezogen. Diese Ebene des Funktionierens und unbemerkten Selbstbezugs des Farbsehens führt – und das nicht erst in der heutigen Zeit – zu einer gedanklichen Externalisierung der sich im Grunde bloß im Individuum verfangenden Farberfahrungen. Weil wir unsere visuelle Wahrnehmung als injektiv empfinden, d. h. als unmittelbares und authentisches Spiegelbild der uns umgebenden Welt, verstehen wir die bloß geistig
Konrad Scheurmann und André Karliczek
wahrgenommenen Objekte oder Eigenschaft der Dinge als Realien – video ergo est! Es ist interessant, dass uns dieser Trugschluss bei anderen Wahrnehmungen, z. B. dem Empfinden von Schmerz beim Schlag mit einem Hammer, nicht unterläuft, denn niemand käme auf die Idee, den gefühlten Schmerz im Hammer zu verorten. Befasst man sich aber näher mit der Wahrnehmung von Farbe, ihren physiologischen Voraussetzungen und zerebralen Prozessen, so muss man zur Kenntnis nehmen, dass das, was wir Farbe nennen, keine Eigenschaft des von uns so farbig Wahrgenommenen ist, da es keine injektive Beziehung zwischen einem visuellen Reiz und der Farbe gibt, die wir wahrnehmen. Wir müssen deshalb weiterhin zur Kenntnis nehmen, dass wir diese Reize in einer – nur für unser Leben in seiner spezifischen Umwelt gültigen – bedeutsamen Art und Weise interpretieren. Diese Art und Weise hebt auf die Nützlichkeit der Farbwahrnehmung für unser Verhalten und damit unser Überleben ab und bleibt daher auch zukünftig anpassungsfähig. Farbwahrnehmungen sind in diesem Sinne erfolgversprechende Deutungen, die insofern unsere Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Man kann daher sagen, dass sich in unserem Farbsehen der erfolgreiche Umgang unserer Spezies – und ihrer Vorgänger – mit ihrer Umwelt widerspiegelt. Wir sehen also die farbige Welt von heute mit den Augen und Reaktionen von gestern. Das bedeutet auch, dass mit anderen Sinnstrukturen ausgerüstete Wesen die Welt durchaus anders wahrnehmen, da für sie andere Aspekte relevant sind, für die sie wiederum ein passendes Set an Sinnesorganen und neuronalen Strukturen entwickelt haben. Es ist uns aufgrund dessen auch nicht gegeben, uns in diesen anderen Erfahrungsraum hineinzubegeben. Hilfsmittel, die z. B. das Sehen der Bienen oder der Fische simulieren, basieren auch auf unserem System der Interpretation. Dies mag einerseits verunsichern, weil deutlich wird, dass unsere Farbwahrnehmung nur eine Beschreibung der Welt neben weiteren ist, andererseits liegt in dieser Unsicherheitserfahrung aber auch eine potentielle Freiheit, über vertraute Grenzen hinweg sich Fremdem, anderen Erfahrungen anzunähern. Auf dem Terrain des schillernden und kaum einzugrenzenden Gegenstand Farbe eröffnet solch unsichere Offenheit vielfältige, auch spielerische Verknüpfungen auf den unterschiedlichsten Ebenen von Naturerfahrung und kulturellem Gestaltungswillen, aber auch zwischen Fachbereichen und Disziplinen aus Wissenschaft und Anwendung, pointiert formuliert von der Farbmetrik bis zu künstlerischen Äußerungen.
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So beginnt das Buch Gesprächsstoff Farbe nicht mit dem Versuch einer verengenden Begriffsbestimmung der Farben,7 sondern in dem Bewusstsein, dass auf der eingangs angerissenen Problematik anthropozentrischer Welterfahrung und ihrer evolutionär-ökologischen Bedingtheit die uns eher geläufigen soziokulturellen Ebenen praktischer Nutzungszusammenhänge, theoretisch-epistemischer Setzungen sowie künstlerisch-ästhetischer Ausdrucksformen aufsatteln. Farben erscheinen uns so als Kommunikationsmedium, besitzen Erkenntnis- und Gebrauchswert, sind Konsum- und Wirtschaftsfaktor, fungieren als Gestaltungsmittel, unterstützen die Diagnostik und wirken als Therapeutikum, sind Marketinginstrument und Trendsetter … So können wir, zumindest vorsichtig, im Wissen um die Wahrnehmungsgebundenheit der Farberfahrung über Farbe als Entität sprechen, und obwohl wir damit auf jeweils ganz unterschiedliche Ursachen und Entstehungsweisen abheben, ist ein Verständnis des Bezeichneten, sind Gespräche über Farbigkeit möglich.
Zur Komplexität der Farbanwendung Mit den Phänomenen Licht und Farbe verbinden sich hochkomplexe Technologie- und Materialentwicklungen, denen man große Wirkungspotentiale für die Ausgestaltung der Zukunftsgesellschaft zuweist.8 Das indizieren u. a. Programme unterschiedlicher Förderinstitutionen und -verbünde wie auch Projekte hochspezialisierter Forschungseinrichtungen, die sich in der Grundlagen- wie Anwendungsforschung unter den Themen Photonik oder funktionelle Farbstoffe den spezifischen Qualitäten des Lichts bzw. innovativer Materialien widmen.9 Von den optischen Kommunikationstechnologien über die Energie- und Messtechnik, die Biophotonik mit ihren Auswirkungen in Medizin und Life Sciences10 bis hin zu speziellen Kristall- und Materialforschungen oder den für die Licht- und Solartechnik wie für die medizinische Diagnostik geeigneten funktionellen Farb- und Botenstoffen spannt sich der Bogen dieser Zukunftstechnologien.11 Nicht von ungefähr wurde gerade der hochdotierte Forscherpreis der Else Kröner-Fresenius-Stiftung an den amerikanischen Wissenschaftler Karl Deisseroth vergeben, der ein neues Grundlagenforschungsfeld, die Optogenetik, entwickelt hat, mit deren Hilfe es möglich sein soll, einzelne Zellen gezielt per Lichtimpuls zu aktivieren bzw. zu deaktivieren. Vorzugsweise in der Hirnforschung könne die Optogenetik künftig vielleicht zu therapeutischen Verfahren heranreifen.12 Auch die Astrophysik und die Teilchen-Grundlagenforschung
nutzen die duale Eigenschaft der Lichtwellen und deren sichtbare Erscheinungen ebenso wie die nur messbaren unsichtbaren Spuren zur Interpretation der Strukturen von Kosmos und Materie. Welch präzises Messinstrument Licht, hier in Form des gebündelten Laserstrahls, sein kann, hat nicht zuletzt der erstmals im Frühjahr 2016 und zum wiederholten Mal im Januar 2017 gelungene Nachweis der Gravitationswellen bewiesen.13 Kann der Laie viele dieser Erkenntnisse eher nur staunend zur Kenntnis nehmen, nutzt er bereitwillig und unbefangen die aus diesen Forschungsfeldern extrahierten massentauglichen Anwendungen, z. B. der Kommunikations-, Medien- und Verkehrstechnologien, die ihm den Alltag unabhängiger, flexibler und attraktiver zu gestalten versprechen. Farbiges Hightechlicht definiert den Stadtraum als Beleuchtung wie als architektonisches Element ebenso neu wie die private Inneneinrichtung, intelligente Fasern versprechen nicht nur leuchtend-schillernde Kleidung, sondern auch kleidsame gewebebasierte und gerätelose Kommunikationstechnik. Die Schutzkleidung der Sicherheits- und Rettungskräfte mit ihren thermochromen Farbmarkierungen sei hier nur als ein schon länger gebräuchliches Beispiel genannt.14 Mit welcher Dynamik und in welch kurzer Zeit sich die LED- bzw. OLED-Technik im Straßenraum, der KFZ-Lichttechnik, vor allem aber im Unterhaltungsund Eventbereich durchgesetzt haben, scheint angesichts der stetigen Neuerungen kaum noch im Bewusstsein zu sein. Gleiches gilt für die Energieund Solartechnologie, die ebenfalls auf intelligenten, in diesem Fall lichtabsorbierenden Farbstoffen basiert.15 Aspekte dieser Technologieentwicklungen werden in mehreren Beiträgen dieser Publikation diskutiert. Farbe spielt auch bei so komplexen Problemstellungen wie der IT-Sicherheit oder der militärischen Tarnung im Rahmen von Mustererkennung oder Verschlüsselung eine Rolle.17 Farbcodierungen in bildgebenden Verfahren helfen in den Geowissenschaften und der Tiefseeforschung, das Profil des Globus nachzuzeichnen, in der Klimaforschung Krisenzonen zu detektieren. In Gestalt von Hightechstoffen stehen Farben bei der Nachhaltigkeits- und Ressourcendebatte im Fokus, sind doch die in bildgebenden Kommunikations- und Unterhaltungsgeräten in Form von Display- oder Bildschirmbeschichtungen eingelagerten Farbstoffe nur in Kombination mit Metallen aus dem Kreis der sogenannten Seltenen Erden zum Leuchten zu bringen. Der verantwortliche Umgang mit diesen Ressourcen und ihre gezielte Rückgewinnung sind für eine langfristige Existenz dieser, die
Welt ‚in Farben, schöner als in der Natur‘ inszenierenden Technologien von entscheidendem Belang.18 Dass und wie sehr schließlich das Druckgewerbe und die Drucktechnologie spezielle Farbstoffentwicklungen begünstigt haben, findet in einigen Beiträgen Berücksichtigung.19 Diese Industrie benötigt ständig neue Trendfarbstoffe – man denke nur an die aufwändigen Verpackungen für die ‚farbstoffsüchtige‘ Kosmetikbranche – sowie qualitätsgarantierende Farbmessverfahren und -geräte. In diesem Berufsfeld vollzieht sich zurzeit ein erheblicher Wandel durch den Siegeszug der 3D-Druckverfahren, deren farbbezogene Qualitätsfragen noch gar nicht in den Blick genommen worden sind, deren Produkte aber neben der Anwendung in Industrie und Feinmechanik, in der Orthopädie und Prothetik schon weit in den Alltag vorgedrungen sind. Hier den Schritt von nur bunt zu farbig gestaltet zu gehen, ist eine technische wie eine gestalterische Herausforderung Wie die Neuerungen aus den farbtechnologischen Denkfabriken und Produktionen aber den Alltag vor allem in den stetig wachsenden Ballungsräumen beeinflussen, wie sich auch die medientechnischen Entwicklungen auf die Realitätswahrnehmung auswirken, das steht aktuell im Fokus von Forschung und Wissenschaft wie auch Analysen zu potentiellen Veränderungen von Wahrnehmung und Verhalten und zur gesellschaftlichen Akzeptanz der technischen Produkte hinsichtlich ihrer Qualität. Gleichermaßen werden aber auch die Schädigungspotentiale, die mit den Licht- und Farbtechnologien verbunden sind, thematisiert. Dazu zählen Umweltbelastungen wie der Verlust der Nacht,20 mit dem virulente Folgeerscheinungen zusammenhängen: Störung des TagNacht-Zyklus bei Mensch, Tier und Pflanze, Störung der Artenvielfalt durch Verdrängung der Dunkelheit, Sehstörungen oder neue Augenkrankheiten durch die ganztägig genutzten lichtbasierten Bildoberflächen.21
Schnittstelle Kunst Seismographisch reagieren die Künste auf diese Phänomene und formulieren von der Malerei und der Medienkunst über Theater, Film und Fotografie bis hin zu Design, Architektur und Stadtgestaltung eigene prospektive Konzepte. Von der Hinterfragung farbtheoretisch basierter Kunst bis zu Werken, die die Schnittstellen von Kunst und Naturwissenschaft ausloten, reichen die kreativen Interpretationen und Kommentierungen der digital geprägten bild- und farbaffinen Gesellschaft. Dies erinnert an die Reak-
Konrad Scheurmann und André Karliczek
tionen von Künstlern auf die Ausbreitung der Elektrizität in den 1920er Jahren; stellvertretend seien László Moholy-Nagy und seine kinetischen Lichtskulpturen und die Lichtkunstobjekte von Walter Dexel genannt oder ähnliche Überlegungen von Wilhelm Ostwald aus der gleichen Zeit. Aber auch die visionären Entwürfe farbiger Licht- und Glasarchitekturen von Hans Scharoun oder Bruno Taut seien hier exemplarisch für die expressionistisch geprägten, jedoch so nie realisierten Stadtkonzepte erwähnt. Gerade Letzterem und seinen wegweisenden und heute noch adaptierten Farbkonzepten gibt dieser Band einen besonderen Raum,22 steht Taut doch für eine differenzierte Farbgestaltung, ein Begriff, der angesichts der gegenwärtig überbordenden Farblichtinstallationen in den Cities unbedingt in eine Debatte um eine qualitätsvolle Ausgestaltung des Stadtraums gehört. Der Lichtkunst widmen sich nicht nur spezielle Festivals, auch Sammlungen, wie das Zentrum für Internationale Lichtkunst Unna, konzentrieren sich auf diese das Immaterielle, auch das Ephemere von Licht und Farbe thematisierenden Werke namhafter Künstler von Heinz Mack, Otto Piene über Dan Flavin, Mario Merz bis zu Micha Kuball, Daniel Hausig, Helga Griffiths, Olafur Elisson und James Turrell.23 Nicht zuletzt haben sich die Lichtkünstler, vergleichbar vor allem den Malern, die Bühnen erobert, inszenieren dramatische Lichträume für Schauspiel und Oper und finden im Kreis von Lichtgestaltung und Bühnenbild ihre kongenialen Dialogpartner. Stellvertretend sei hier an die kürzlich verstorbene Künstlerin rosalie erinnert, Autorin beeindruckender Lichtinstallationen als Interventionen im Stadtraum, für Ausstellungen und für die Obernbühne. Künstler und Künstlerinnen wie Wolfgang Laib, Kazuo Katase, Anita Albus, Juliane Do, Elisabeth Arpagaus oder Stefan Muntwyler, die sich in jeweils spezieller Weise ganz dem Bann des Sinnlich-Haptischen der verführerischen Pigmente hingeben, die sie zumeist selbst aus der Natur gewinnen und auch, im Sinne des Wortes, hand-werklich verarbeiten, bilden das Komplement zur technikbasierten Lichtkunst. Auch diese Künstler, auch ihre Werke finden in Sammlungen und Ausstellungen ihr fasziniertes Publikum.24 Und so, wie sich die einen hochprofessionellen Technikern anvertrauen, versichern sich die anderen der Fachkenntnis von ausgewählten Pigmentspezialisten.25 Aus dem Dialog von Naturwissenschaft, IT-Technologie und künstlerischer Kreativität haben sich mittlerweile neue Felder der Kunstproduktion aufgetan,
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die transdisziplinäre Werke und Inszenierungen generieren und in ihrer Vielschichtigkeit die Vorstellungen von Wirklichkeit und Welterfahrung auf den Prüfstand stellen.26 So verwundert es nicht, dass sich die Kunstkonzepte und die Wissenschaftsbilder auf der Ebene der Ästhetik zunehmend anzunähern scheinen, werden doch die bildlichen Verlautbarungen aus den Zentren jedweder Grundlagenforschung, meist Übersetzungen von Denkmodellen, immer aufwendiger gestaltet und medientauglich farbig inszeniert. Ihr verlockend perfekter Realitätsgrad verspricht – durchaus zu hinterfragende – Gewissheiten hinsichtlich der visualisierten Phänomene.27
Die Gliederung der Publikation Aus dem Dargelegten wird verständlich, dass sich das Phänomen Farbe einem monodisziplinären Zugriff ebenso entzieht wie vereinfachenden technisch-wissenschaftlichen Reduktionismen oder verengenden artistischen Doktrinen. Farben im hier gedachten Sinn können nur in ihrer ganzen Breite, in der lebendigen Vielfalt möglichst facettenreicher Diskursivität aufgefächert werden. Dieser Überzeugung fühlt sich die vorliegende Anthologie verpflichtet.28 Sie unternimmt den Versuch, der wechselseitigen, befragend-analytischen Durchdringung kultureller Farbpraktiken in Handwerk, Wissenschaft und Kunst sowie in Architektur, Mode und Medien nicht nur in einem zeitlich abstrakten Raum, sondern auch historisch nachzuspüren und ihre vielfarbigen Fäden so zu einem möglichst dichten Geflecht innovativer, analytischer, spannender, aber auch unterhaltsamer Erzählstränge zu verweben. Einleitend versammelt der Band thematisch übergreifende Beiträge zur Farbforschung und -wahrnehmung, zu philosophischen und gesellschaftlichen Aspekten der Farberfahrung und ihrer Funktionalisierung. Das zweite Kapitel widmet dem Sammeln von Farbe, den Sammlern und den Sammlungen mit einem speziellen Fokus auf universitären Farbstoff- und Farbtheoriesammlungen und ihren Zukunftsaufgaben sowie ausgewählten namhaften außeruniversitären Material- und Privatsammlungen. Anschließend stehen die sprachlichen und übersetzerischen Potentiale von Farbe im Fokus, die ihr als Medium in den Grundlagenforschungen naturwissenschaftlicher Disziplinen und speziellen hochtechnologischen Anwendungen zugewiesen werden. Das vierte Kapitel richtet seinen Blick auf die Farbe in Kunst und Gestaltung, u. a. auf architekturbezogene bzw. fotografie- und filmhistorische Fragestellungen, auch unter dem Blickwinkel des
dauerhaften Erhalts der farbigen Informationen. Private Vorlieben und gesellschaftliche Farbordnungen werden in Kapitel fünf untersucht, von der individuellen Inszenierung über das Abbilden von Konflikten bis zum Sortieren von Menschen reicht hier das Spektrum, vom Farbgenuss bis zur ideologischen Verengung. Die nachfolgenden Beiträge widmen sich der Materialität der Farbe und diskutieren beispielweise Aspekte der Erhaltung des kulturellen Erbes am Beispiel substantiell bedrohter Architekturfarbigkeit sowie licht- und klimabedingter Farbverluste an Gemälden. Wie die Forschungen für die Lehre nutzbar zu machen sind, lotet das abschließende Kapitel mit seiner Analyse von Lehrplänen, Angeboten an Farbexperimenten und ausgewählten Lehrmitteln aus.
nologiegeschichtlichen Disziplinen widmete sich in engem Austausch zwischen den unterschiedlichen Forschungsmethoden acht komplexen Fragestellungen zum Thema Farbe, die sich annähernd chronologisch an der Farb- und Farbtheoriegeschichte seit 1800 orientieren.30 Es führt damit Forschungen der letzten Jahre fort und hat darüber hinaus zu weiteren Projekten angeregt.31
„Farbe als Akteur und Speicher“ (FARBAKS)
Wie es der Titel bereits vermuten lässt, war ‚Farbe‘ im Vorhaben gleichermaßen als ‚Akteur‘ und ‚Speicher‘ relevant und wurde damit im Sinne der ActorNetwork Theory 32 sowohl als aktiv wirksames und gestaltendes als auch als tradierend-vermittelndes Objekt im Kontext gesamtgesellschaftlicher Beziehungsgeflechte und ihrer Entwicklung befragt und beforscht. Das Forschungsprojekt konzentrierte sich daher in einem ersten Schwerpunkt unter dem Blickwinkel des Materials und der Materialität auf das Problemfeld der Farbstoffe, nämlich auf die Fragestellungen der Verluste bzw. drohenden Verluste hinsichtlich kulturellen Wissens, der Sicherung von Kulturgut und der Rückgewinnung von Fertigkeiten im Umgang mit Farbmitteln des 19. und 20. Jahrhunderts.33 Die Bündelung der fachlichen Kompetenz aller Antragsteller zielte darauf, ‚altes‘ Wissen wieder zu aktivieren, nachhaltig vor dem Vergessen zu bewahren und für die kunstwissenschaftliche Forschung und die Restaurierungswissenschaft zur Verfügung zu stellen. Das betrifft gleichermaßen die bildende Kunst wie die Architekturfarbigkeit oder die lichtsensiblen Schichten der Medien Fotografie und Film.34 Hier konnten Ergebnisse erzielt werden, die den Fachdiskurs z. B. der europaweiten Forschungen zu den Malmaterialien der Künstler der klassischen Moderne um neue Aspekte zu erweitern vermag. Auch die Forschungen zu der frühen Farbfotografiegeschichte während der NS- und der DDR-Zeit geben neue Hinweise hinsichtlich der Beständigkeit von lichtsensiblen Farbschichten.35
Konzipiert wurde der vorliegende Band aufbauend auf den Forschungen und Ergebnissen des interdisziplinären, vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanzierten Verbundforschungsprojekts „Farbe als Akteur und Speicher. Historisch kritische Analyse der Materialität und kulturellen Codierung von Farbe“ (FARBAKS), an dem sich von 2014 bis 2017 die Technische Universität und die Hochschule für Bildende Künste Dresden, die Friedrich-Schiller-Universität Jena und die Technische Hochschule Köln als Verbundpartner beteiligt haben.29 Das in seiner interdisziplinären Zusammensetzung innovative Verbundprojekt aus natur- und geistes-, kunstund gesellschaftswissenschaftlichen sowie tech-
Ein weiterer Fokus richtete sich auf die kritische Hinterfragung der Gültigkeit der Standardisierungsund Systematisierungsbestrebungen, denen die Farbe nicht erst, aber besonders seit dem 19. Jahrhundert und der industriellen Herstellung von Farbstoffen unterzogen wird, heute speziell im Kontext digitaler Farbanwendung. Verbunden war dies mit der Analyse von Theorien der Farbwahrnehmung und deren experimentelle Überprüfung hinsichtlich der theoretischen Setzungen.36 Im Abgleich mit den chemischen Analysen der infrage stehenden Objektbelege kann man berechtigt an den Verbindlichkeitsbehauptungen von Farbreferenzsystemen Zweifel anmelden.
Der einleitend thematisierten Multiperspektivität der angesprochenen Fragestellungen sucht die Publikation durch Perspektivenwechsel Rechnung zu tragen, die sich jedem Kapitel anschließen und die zuvor diskutierten Themen aus anderen Blickwinkeln kommentieren. Diese können eher praktisch orientiert sein oder spezifische wissenschaftliche Farbanwendungen vorstellen. Ganz ähnliche Perspektivenerweiterungen ermöglichen die zwischen die einzelnen Kapitel platzierten Bildkommentare von Künstlern und Gestaltern. Der Ausschnitt aus der Installation des Künstlers Tomàs Saraceno poetic cosmos of the breath (TS_P09049-D5-00611) erschien deshalb in seiner Poesie des durch Interferenzen erzeugten Farbenspiels, das durch die Bewegung einer textilen Hightechfolie in aufsteigender Luft ausgelöst wird, geeignet, als Covermotiv die Vielschichtigkeit, Vielseitigkeit und Faszination des Themas Farbe zu versinnbildlichen. (Abb. 2)
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A B B . 2 : T O M Á S S A R A C E N O . P O E T I C C O S M O S O F T H E B R E AT H , 2 0 0 7 ( © P H O T O G R A P H Y B Y S T U D I O T O M Á S S A R A C E N O , 2 0 17 )
Sozialwissenschaftliche Fragestellungen zu individuellen und allgemeinen, aber auch gruppenspezifischen Anwendungen bestimmter Leitfarben wie auch zu politischen und Hierarchien definierenden Farbcodes bildeten einen dritten Themenkreis, der das inszenatorische und manipulatorische Potential des Mediums ebenso in den Blick nahm wie die Strategie, sich mittels der Farbe zu verbergen.37 Anhand künstlerischer Äußerungen wurde hier der Fokus auf deutsch-deutsche Parallel- bzw. divergierende Entwicklungen von ‚Farbcodes‘ vor und nach der deutschen Vereinigung gerichtet. Als zentrale Schnittstellen des Projekts dienten die universitären Sammlungen in Dresden, Köln und Jena. Ihre Bestände zur materiellen bzw. zur theoretisch-wissenschaftlichen Farbgeschichte zeugen von entsprechenden Forschungstraditionen, haben allerdings in der Forschung wie der Lehre über Jahrzehnte keine Beachtung mehr erfahren und sind in ihrem historischen Wert heute buchstäblich neu zu entdecken. Die an der TU Dresden angesiedelte Historische Farbstoffsammlung sowie die Sammlung Farbenlehre wurden dabei von der großen Materialsammlung der Restaurierungswissenschaften an der HfBK Dresden und der TH Köln sowie den wissenschaftshistorischen Sammlungen des Ernst-
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Haeckel-Hauses in Jena flankiert. Dieser komplexe Fundus lieferte zu großen Teilen die Materialbasis für Analysen, Recherchen und Experimente. Komplettiert wurde die Objektbasis durch Kooperationen mit Museen (z. B. den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden) und Privatsammlern (z. B. Sammlung Andreas Schwarz, Sammlung Harald Küppers38, Sammlung Martina Löw) und einem europaweiten Netz von Experten und Einrichtungen, die bereitwillig die Forschungen des Projekts unterstützten.39 (Abb. 3) Welche Bedeutung das Sammeln zur Kulturgeschichte der Farbe hat und welche Anforderungen an solche Sammlungen heute aus Wissenschaft und Forschung und der Kulturpolitik gestellt werden, dem widmen sich Beiträge zur Sammlungs-, Dingund Objektforschung.40 Durch FARBAKS ist es gelungen, diese Sammlungen als Teil des jeweiligen universitären Gedächtnisses wieder in den wissenschaftlichen Fokus der Fachwelt zu rücken und sie außerdem in Lehr- und Vermittlungskonzepte einzubeziehen. Das Wissen um die besonderen Qualitäten und Potentiale von Farbe und Licht, aber auch um die Defizite in der Farbbildung haben zwei Folgeprojekte initiiert, das LernLaborFarbe der TU Dresden und
das interdisziplinär und international konzipierte Wissensforum Farbe – Licht, das zu einem An-Institut an der TU Dresden weiterentwickelt werden soll. Die beiden Gründungen sind gewissermaßen die institutionellen ‚Erben‘ des FARBAKS-Projekts und werden die dort begonnenen Forschungen fortsetzen und in neue Vermittlungskonzepte übersetzen. Auch wenn sich ein Forschungsverbund wie FARBAKS multiperspektivisch konstituiert hat, unterliegt er doch auch einer gewissen Innensicht, die des Korrektivs und der Ergänzung durch externer Expertise bedarf. Eine Gruppe von Kooperationspartnern und Kooperationspartnerinnen hat das Forschungsprojekt kritisch begleitet und kreativ bereichert. Sie ergänzen die Beiträge dieses Bandes um vielfältige Perspektiven, Forschungs- und Denkansätze. Sie befördern so ein lebendiges internationales Fachgespräch, das seine Inspiration aus wechselnden Spiegelungen, neuen Erkenntnissen und alternativen Sichtweisen gewinnt und insgesamt dazu beigetragen hat, ein breites Spektrum der Farbkultur zu eröffnen. Daraus können sich nicht zuletzt neue Forschungsperspektiven ergeben. So sollte beispielsweise das Disziplin übergreifende Thema der farbigen Wissenschaftsbilder, vor allem jener mit dem Terminus ‚Das technische Bild‘ bezeichneten medialen Artefakte, hinsichtlich ihrer Wirklichkeit generierenden Strategien und ihrer Auswirkungen auf die Überlagerung von Weltmodellen und Lebensrealität unbedingt vertieft werden. Darin einbegriffen gehört sowohl der interdisziplinär und interkulturell weit zu fassende Vergleich der nonverbalen Sprachpotenziale der Farbe als auch die Analyse der Veränderung von Wahrnehmungsmustern und Kommunikationsverhalten, ausgelöst durch die neue, farbintensive und Farbcodes nutzende Bildsprache der Apps.41 Wiederum ganz material-, objekt- und sammlungsorientiert, sollte die fächerübergreifende Rückgewinnung farbiger und farbwissenschaftlich relevanter Artefakte in die universitäre Forschung und Lehre und damit die ‚Rehabilitierung‘ universitärer historischer Dokumente als Bausteine für das Selbstverständnis der Hochschulen vorangetrieben werden. Dient dies doch letztendlich der allgemeinen Sensibilisierung für einen qualitätvollen Umgang mit der ‚Kunst‘ der Farbe.
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Simmel, Georg: Das Märchen von der Farbe, in: ders.: Gesamtausgabe in 24 Bänden, Bd. 20: Postume Veröffentlichungen. Ungedrucktes. Schulpädagogik, Frankfurt a. M. 2004, S. 302–303. Siehe dazu auch: Schivelbusch, Wolfgang: Licht, Schein und Wahn. Auftritte der elektrischen Beleuchtung im 20. Jahrhundert, Lüdenscheid 1992. Thurn, Hans Peter: Farbwirkungen. Soziologie der Farbe, Köln 2007, S. 70–73. Georg Simmel: Die Großstädte und das Geistesleben, in: Die Großstadt. Vorträge und Aufsätze zur Städteausstellung. Jahrbuch der Gehe-Stiftung Dresden, hg. v. Th. Petermann, Bd. 9, Dresden 1903, S. 185–206. Thurn, Hans Peter 2007 (wie Anm. 2), S. 71. Simmel, Georg 2004 (wie Anm. 1), S. 302. Die Physiologie des Sehens sowie der anatomische Aufbau des Auges werden innerhalb dieses Bandes nicht zentral behandelt. Hier sei auf die umfangreiche Fachliteratur verwiesen. Auch hier sei wiederum auf die umfangreiche Fachliteratur verwiesen. Siehe BMBF-Förderschwerpunkt Photonik: http://www.photonikforschung.de/; https://www.bmbf.de/de/photonik-637.html (beide 01.08.2017) und das VDI Technologiezentrum, das sich als Projektträger des BMBF der Photonik-Forschungsförderung widmet. Cluster funktionelle Farbstoffe Bitterfeld-Wolfen: https://www.unternehmen-region.de/de/5710.php (01.08.2017). Photonics21, die europäische Technologieplattform für Photonik http://www.photonikforschung.de/innovationsunterstuetzung/ netzwerk0/photonics210/ (01.08.2017); Photonik-Fachzeitschrift mit Online-Ausgabe für die optischen Technologien: http://www.photonik.de/ (01.08.2017) und BioPhotonik. Optische Technologien in den Life Sciences http://www.photonik.de/?cid= 21236 (01.08.2017); vergleichbare Förderinitiativen und Plattformen existieren sowohl auf der Ebene der Bundesländer wie auch international. Aktuell, auf Basis von Photonen: Erstes abhörsicheres Quanten-Videotelefonat, in: http://www.photonik.de/ erstes-abhoersicheres-quanten-videotelefonat/150/21301/359060 (05.10.2017). „Einzigartig und revolutionär“: Jenaer Konzept für Photonik in der Infektionsforschung erhält Bestnoten vom Wissenschaftsrat, Pressemitteilung der Leibniz-Gemeinschaft vom 17.07.2017. Pressemitteilung der FSU Jena vom 16.3.2016 zur Stiftungsprofessur von Kalina Peneva: Prof. Dr. Kalina Peneva hat die neue Stiftungsprofessur „Funktionale Farbstoffe, Marker und molekulare Sensoren“ an der Uni Jena inne. Sie forscht an wasserfesten funktionellen Farbstoffen, die in der Tumordiagnostik oder in der Mikroskopie eingesetzt werden können. Siehe Lenk, Uschi: Dank Farbe das Ziel finden, 16.3.2017, https://idw-online.de/de/news647922 (29.7.2017). Drei Artikel zur Optogenetik und dem mit dem Forscherpreis ausgezeichneten amerikanischen Wissenschaftler Karl Deisseroth in der FAZ, Natur und Wissenschaft, 8.6.2017, Müller-Jung, Joachim: Mit kaltem Licht in finstere Seelen, http://www.faz.net/aktuell/ wissen/leben-gene/der-therapeutische-nutzen-der-optogenetik-15048208.html (01.08.2017); Lutterotti, Nicola von: Wie das Licht seinen Weg in die Köpfe findet, http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/fresenius-preis-fuer-bioingenieur-karldeisseroth-15048216.html (01.08.2017); Interview mit Karl Deissroth: Der Mann, der kranke Hirne zum Leuchten bringen will, unter http://www.faz.net/aktuell/wissen/leben-gene/interview-mit-karl-deisseroth-15048228.html (01.08.2017). Forscher des Klinikums Carl-Gustav-Carus der TU Dresden sind ebenfalls an dem Grundlagen-Verbundforschungsprojekt zum nicht-visuellen Sehen NiviL beteiligt: https://tu-dresden.de/med/der-bereich/news/studie-untersucht-unterschiede-der-wirkung-von-licht-aufgesunde-und-bipolar-erkrankte, siehe hierzu den Beitrag in Kapitel 1 dieses Bandes. http://www.faz.net/aktuell/wissen/weltraum/nachweis-von-gravitationswellen-ist-epochale-entdeckung-14068387.html (01.08.2017), http://www.zeit.de/wissen/2016-06/gravitationswellen-einstein-nachweis-cnrs (01.08.2017), http://www.scinexx.de/ wissen-aktuell-21520-2017-06-02.html (01.08.2017). Anfang des Jahres 2013 berichtete die zweite Ausgabe der Zeitschrift GRID. Zeitschrift für Gestaltung, Graphic + Industrial Design über Reaktive Farben: http://www.haute-innovation.com/de/publikationen/reaktive-farbe.html (02.08.2017). Peters, Sascha: Materialrevolution. Neue nachhaltige und multifunktionale Materialien für Design und Architektur, Basel 2010; Bd. 2, 2014. https://www.welt.de/wissenschaft/article148078043/Wie-neue-Supertextilien-die-Welt-veraendern.html https://www.emft. fraunhofer.de/de/forschung/geschaeftsfelder/sensormaterialien.html zu organischen Solarzellen: http://www.mz-web.de/ bitterfeld/anhalt-bitterfeld-ein-energiebuendel-in-dunkelrot-7431488. Zu Leuchttextilien: http://www.hitaltech.de/Anwendungen/ anwendungen.html, http://www.titv-greiz.de/index.php?id=smart-textiles, http://www.leg-thueringen.de/newsroom/ medieninformationen/details/news/textilien-fuer-interaktives-licht-und-medikamentenfreie-therapie/ (alle: 17.08.2017). Beispiele sogenannter smarter Materialien, zu denen auch spezielle funktionelle Farbstoffe gehören: https://www.iap.fraunhofer.de/de/Forschungsbereiche/Funktionale_Polymersysteme/chromogene_polymere/Thermochrome_Kunststoffe.html; https://www.iap.fraunhofer.de/de/Pressemitteilungen/2017/Thermochrome-Bio-Pigmente.html; Ritter, Axel: Smart Materials in Architektur, Innenarchitektur und Design, Basel, Berlin, Boston 2007; http://www.spiegel.de/wissenschaft/ mensch/brueckenbau-intelligente-farbe-schuetzt-vor-katastrophen-a-133072.html (alle: 01.08.2017). Kapitel 3, 5 und 6. Die 2015 mit dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden veranstaltete interdisziplinäre FARBAKS-Tagung „Camouflage. Tarnung, Täuschung, Mimikry – in Farbe verborgen“ hat hierzu und zu anderen hier aufgeführten Farbproblemfeldern zahlreiche erhellende Ergebnisse erbracht. Siehe auch: Ausstellungskatalog 1914. Die Avantgarden im Kampf, hrsg. von der Bundeskunsthalle Bonn, kuratiert von Uwe M. Schneede, Köln u. Bonn 2013. Siehe Kapitel 5. Siehe Kapitel 6. Siehe Forschungsverbund „Verlust der Nacht“ der Leibniz-Gemeinschaft, http://www.verlustdernacht.de/ (31.07.2017) sowie das europäische Netzwerk LoNNe, http://www.cost-lonne.eu/ (31.07.2017); Meier, Josiane / Hasenöhrl, Ute / Krause, Katharina / Pottharst, Merle (Hg.): Urban Lighting, Light Pollution and Society. London u. New York 2015. Zur drohenden Kurzsichtigkeit durch Smartphones siehe http://www1.wdr.de/verbraucher/gesundheit/smartphone-machtkurzsichtig-100.html, http://www.nachrichten.at/nachrichten/gesundheit/Augenaerzte-Gesellschaft-2050-halbe-Weltbevoelkerungkurzsichtig;art114,2576100 (beide: 02.08.2017). Siehe Kapitel 6.
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23 Lichtkunstfestivals gibt es mittlerweile von Sidney bis Tallin, von Berlin bis New York als eine weltumspannende Eventszene. Deshalb sei hier nur auf wenige Veranstaltungen hingewiesen: Lichtsicht. Projektionsbiennale in Bad Rothenfelde, http://www.lichtsicht-biennale.de/ (01.08.2017); Lichtkunstfestival Aufstiege in Stuttgart und Umgebung (2016), http://www.kulturregion-stuttgart.de/fileadmin/editorial-content/dokumente/programm/Aufstiege_Programmheft.pdf (01.08.2017); Urban Lights Ruhr http://www.urbanekuensteruhr.de/de/projekt/urban-lights-ruhr (01.08.2017) und das Zentrum für Internationale Lichtkunst in Unna http://www.lichtkunst-unna.de/ (31.07.2017). 24 Die Erwähnung bestimmter Namen konzentriert sich hier auf einige im Kontext dieses Bandes bzw. für FARBAKS relevante Persönlichkeiten. Die Traditionsreihe ließe sich von Yves Klein, Jackson Pollock und Helen Frankenthaler über Mark Rothko, Robert Ryman, Ad Reinhardt, Barnett Newman bis zu Richard Serra und Gotthard Graubner ziehen. Auf einschlägige Kunstrichtungen und Künstlergruppen kann hier nicht näher eingegangen werden. 25 Speziell für Künstler und Restauratoren siehe: Kremer Pigmente, Aichstetten, http://www.kremer-pigmente.com/de (31.07.2017); Dirk Weber, Bonn, https://www.dirkweberbonn.de/ (31.07.2017). Für Gestaltung und Restaurierung von moderner Architekturfarbigkeit siehe beispielsweise: Katrin Trautwein, Farbmanufaktur kt.color in Uster, Schweiz, http://www.ktcolor.ch/de/kt.color.aspx (31.07.2017). 26 Hinsichtlich der Vernetzung von Farblichtkunst und Naturwissenschaft sind zuallererst die Ausstellungen und Forschungen des Zentrums für Kunst und Medien (ZKM) in Karlsruhe als innovativ und horizonterweiternd zu nennen, hat sich dieser Ort doch als ein Kreativlabor für den interdisziplinären Dialog erwiesen, nicht zuletzt sichtbar in dem Ausstellungszyklus Globale 2015/2016. 27 Groß, Dominik / Duncker, Tobias Heinrich (Hg.): Farbe – Erkenntnis – Wissenschaft. Zur epistemischen Bedeutung von Farbe in der Medizin (Anthropina: Aachener Beiträge zur Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin 1), Berlin 2006; Lucht, Petra / Schmidt, Lisa-Marian / Tuma, René: Tagungsbericht. Visualisierung von Wissen und Bilder des Sozialen: Soziale Praktiken, Herstellungsprozesse und Deutungen – Aktuelle Entwicklungen in der visuellen Soziologie, Workshop der Sektion Wissenssoziologie und des Fachgebiets Allgemeine Soziologie der TU Berlin, Technische Universität Berlin, 8.–9. April 2011, https://www.as.tu-berlin.de/ fileadmin/fg225/Videos/Tagungsbericht_lang.pdf (01.08.2017); Schnettler, Bernt / Pötzsch, Frederik S.: Visuelles Wissen, in: Handbuch Wissenssoziologie und Wissensforschung, hg. v. Rainer Schützeichel, Konstanz 2007, S. 472–484. Siehe dazu Kapitel 3 in diesem Band. 28 Da an dieser Stelle jede Auswahl von farbbezogener Literatur, Ausstellungen und Tagungen willkürlich und naturgemäß unvollständig ausfallen würde, sei auf die umfangreichen Hinweise in den Beiträgen dieser Publikation verwiesen sowie auf die üblichen Recherchemöglichkeiten. 29 Für einen ausführlichen Überblick über die konkreten Forschungsfragen, Methodiken und Ergebnisse der Teilprojekte sowie des gesamten Verbundvorhabens siehe die Projektwebseite unter: www.farbaks.de (31.07.2017), siehe auch die Gliederungsübersicht im Anhang. Zu dem Förderprogramm „Die Sprache der Objekte. Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen“ siehe: Die Sprache der Objekte. Kulturelles Erbe bewahren, erforschen und vermitteln, hg. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, Bonn 2016; siehe: http://pt-dlr-gsk.de/de/983.php.(17.08.2017). Die Förderrichtlinie „Sprache der Objekte“ fußt auf den Empfehlungen des Wissenschaftsrats vom Januar 2012: Empfehlungen zu wissenschaftlichen Sammlungen als Forschungsinfrastrukturen, Drs. 10464-11, Berlin 28 01 2011, https://www.wissenschaftsrat.de/download/archiv/10464-11.pdf (17.08.2017); siehe auch: Koordinierungsstelle für wissenschaftliche Universitätssammlungen in Deutschland, Hermann von Helmholtz-Zentrum für Kulturtechnik, Humboldt-Universität zu Berlin http://wissenschaftliche-sammlungen.de/de/ (01.08.2017). 30 Die Mitglieder des FARBAKS-Forschungsverbundes sind im Autorenverzeichnis ausgewiesen. 31 Forschungsprojekt COLORAMA der TU Dresden zur Digitalisierung der Farbmusterbücher der Historischen Farbstoffsammlung; Forschungsprojekt KÖRPER UND MALEREI der HfBK Dresden, Anatomische Lehrsammlung und Gemäldesammlung; Forschungsprojekt WELTBUNT der Hochschule Niederrhein Krefeld, FB Chemie, Farbstoffsammlung. 32 Siehe zur Actor-Network Theory u. a.: Bellinger, Adréa / Krieger, David J. (Hg.): ANThologie. Ein einführendes Handbuch in die Akteur-Netzwerk-Theorie, Bielefeld 2006; Roßler, Gustav: Der Anteil der Dinge an der Gesellschaft. Sozialität – Kognition – Netzwerke, Bielefeld 2016; Law, John / Hassard, John (Hg.): Actor network theory and after, reprinted, Oxford 2007; Latour, Bruno: Reassembling the social. An introduction to Actor-Network-Theory, Oxford 2007. 33 TU Dresden, Historische Farbstoffsammlung: Horst Hartmann, Reinhard Buchholz; HfBK Dresden, Kunsttechnologie, Konservierung und Restaurierung: Christoph Herm, Thomas Danzl, Thomas Prestel, Jana Hainbach und unterstützend Ivo Mohrmann; TH Köln, CICS: Robert Fuchs, Doris Oltrogge, Stephanie Dietz, Ingrid Blom-Böer. 34 HfBK Dresden, TH Köln, TU Dresden, Institut für Kunst- und Musikwissenschaft: Jürgen Müller, Henrik Karge, Katharina Arlt, Corinna Engel, Felicitas Rhan. 35 HfBK, TH Köln, TU Dresden. 36 FSU Jena, Ernst-Haeckel-Haus: Olaf Breidbach, André Karliczek; TU Dresden, Lehrstühle Gestaltung & Raumgestaltung, Gebäudelehre & Entwerfen: Ralf Weber, Eckhard Bendin, Kati Bergmann. 37 TU Dresden, Institut für Soziologie: Karl-Siegbert Rehberg, Paul Kaiser; FARBAKS-Tagung Camouflage 2015 mit dem Militärhistorischen Museum der Bundeswehr in Dresden. 38 Harald Küppers hat seine Sammlung der Sammlung Farbenlehre an der der TU Dresden geschenkt. 39 Hier ist vor allem der herausragende Verbund des Schweizer Materialarchivs zu nennen: http://www.materialarchiv.ch/ (30.07.2017). 40 Siehe hierzu unter vielen anderen: Heesen, Anke te, Lutz, Petra (Hg.): Dingwelten. Das Museum als Erkenntnisort (Schriften des Deutschen Hygiene-Museums Dresden; 4), Köln, Weimar u. Wien 2005; dies. / Michels, Anne (Hg.): Auf/Zu. Der Schrank in den Wissenschaften, Berlin u. Boston 2007; Korff, Gottfried: Museumsdinge deponieren – exponieren, hg. v. Martina Eberspächer, Gudrun Marlene König u. Bernhard Tschofen, 2., ergänzte Aufl., Köln, Weimar u. Wien 2007; Adamowsky, Natascha / Felfe, Robert / Formissano, Marco / Toepfer, Georg / Wagner, Kirstin (Hg.): Affektive Dinge. Objektberührungen in Wissenschaft und Kunst, Göttingen 2011, Hartmut Böhme gewidmet, darin: Fehr, Michael: Farbe: Das Ding zwischen den Welten. Eine Anmerkung zu Hartmut Böhmes „Fetischismus und Kultur“, S. 213–223. Siehe dazu Kapitel 2 in diesem Band. 41 Hier sei verwiesen auf die Forschungen und Publikationen von eikones in Basel sowie von dem Cluster Bild-Wissen-Gestaltung mit dem Bereich Das technische Bild an der HU Berlin: https://www.eikones.ch/; https://www.interdisciplinary-laboratory.hu-berlin.de/ de/bwg/; https://www.interdisciplinary-laboratory.hu-berlin.de/de/content/das-technische-bild/ (alle drei: 01.08.2017); empfohlen seien z. B.: Hinterwaldner, Inge / Buschhaus, Markus (Hg.): The picture´s image. Wissenschaftliche Visualisierung als Komposit, München u. Paderborn 2006; Ammon, Sabine / Hinterwaldner, Inge (Hg.): Bildlichkeit im Zeitalter der Modellierung. Operative Artefakte in Entwurfsprozessen der Architektur und des Ingenieurwesens, Paderborn 2017.
Konrad Scheurmann und André Karliczek
A B B . 3: M U S T E R K A R T E F Ü R A Q U A R E L L FA R B E N , D E TA IL (F O T O: K R E M E R P I G M E N T E )
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KONRAD SCHEURMANN ANDRÉ KARLICZEK
Dank
Die Herausgeber möchten zuallererst den Autorinnen und Autoren auf das Herzlichste für ihre Beiträge zu der jetzt vorliegenden Publikation danken. Die Bereitschaft aller, das in seinem Design außergewöhnliche interdisziplinäre Konzept dieser Publikation mitzutragen, es durch Gespräche und Rat fördernd zu begleiten und so Gesprächsstoff Farbe zu dem thematisch weit gespannten attraktiven Spektrum zu verhelfen, ist von uns stets sehr geschätzt worden. Ein gleichermaßen herzlicher Dank gilt den Künstlerinnen und Künstlern, die mit ihrer bereitwilligen Genehmigung zur Abbildung der ausgewählten Werke dem Band eine besondere Note bildlicher Kommentierung verliehen haben. Unser ganz besonderer Dank richtet sich an Tomás Saraceno für die das Thema des Bandes ideal interpretierende Cover-Abbildung. Die reichhaltige Bebilderung speist sich aus den Beständen zahlreicher Sammlungen, Archive, Museen, wissenschaftlicher und kultureller Einrichtungen, Institute, Verlage, Privatpersonen und Bildrechteinhaber, denen wir hiermit ebenfalls unseren Dank aussprechen.
Für besonders förderliche Gespräche, für konstruktive Kritik, für unterschiedliche Formen der Unterstützung inhaltlicher und auch organisatorischer Art, ohne die ein so komplexes Buch gar nicht gelingen kann, sind wir vielen Personen zu Dank verpflichtet. Zuerst sei ganz besonders Peter Weibel gedankt, dessen inhaltliche Beratung und Autorenvorschläge zum Thema Schnittstelle Kunst und Naturwissenschaft sehr zur Aktualisierung und Schärfung dieses Themenschwerpunkts beigetragen haben. Auch Ulrich Bachmann, Florian Bachmann, Winfried Brenne, Thomas Danzl, Andreas Hofer, Georg Kremer, Harald Küppers, Ivo Mohrmann, Stefan Muntwyler, Mario Pellin, Marcus Pericin, Albrecht Pohlmann, Andreas Schwarz, Lino Sibillano, Bitten Stetter und Stefanie Wettstein haben mit ihrer fachlichen Expertise das Buchprojekt, aber auch das zugrunde liegende Forschungsprojekt FARBAKS stets förderlich unterstützt, wofür ihnen unser herzlicher Dank gilt. Für die besondere freundschaftliche Begleitung des Forschungsvorhabens und des Werdens der Publikation gebührt Hildegard König, Martina Löw, Werner Mankel, Markus Rigert und Kay Saamer ein ganz persönlicher und herzlicher Dank. Er schließt in ganz besonderer Weise Ingrid Scheurmann ein. Sie alle standen immer, auch bei
kritischen Phasen, mit Rat und Tat zur Seite. Anne Dippel, Hans Drevermann und Andreas Salzburger möchten wir für ihre Einladung zum CERN und die Einblicke in dessen Arbeit herzlich danken. Den Vorständen und Mitgliedern des Deutschen Farbenzentrums, der Deutschen farbwissenschaftlichen Gesellschaft, der Deutschen Lichttechnischen Gesellschaft sowie den fachspezifischen Partnern des FARBAKS-Netzwerks danken wir sehr für ihre kollegiale und fachlich unterstützende Begleitung des Projekts. In freundschaftlicher Verbundenheit möchten wir für die dreijährige Zusammenarbeit an dem Forschungsprojekt den Bearbeiterinnen und Bearbeitern sowie den Vorhabenleitern gleichermaßen herzlich danken. Einen ebensolchen Dank richten wir an die Leitungen der am Verbund beteiligten Universitäten und Hochschulen, an die Kolleginnen und Kollegen in den Personal-, Finanz- und Organisationsverwaltungen, in den Fakultäten und Instituten, ebenso an die Kustodie der TU Dresden, die stets bereitwillig das Projekt organisatorisch und in den Gremien unterstützt hat. Wir danken Jürgen Müller für die Unterstützung durch das DFG-geförderte Format „Support the Best“ der TU Dresden.
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Das Zustandekommen der Publikation haben im Hintergrund sehr hilfreich Juliane Berndt, Anja Krahl, Katrin Bartelk und Evelyn Sommer begleitet. Dafür danken wir sehr. Für die redaktionelle Mitarbeit danken wir herzlich Katharina Arlt, ebenso für das Lektorat Kathrin Polenz und Anja Borkam. Die Gestaltung der Publikation und die intensive Begleitung deren Produktion lag in den Händen von Frieder Kraft, werkraum media, sowie seinen Partnern Christian Brüheim (Satz) und Dirk Koritnik (mediale Betreuung). Ihnen allen gebührt unser herzlicher Dank. Wir danken ebenfalls dem Böhlau-Verlag, vertreten durch Hartmut Liehr, für die verlegerische Betreuung der Publikation sowie dem Druckhaus Gera für die ausgezeichnete drucktechnische Umsetzung. Dass diese Publikation auch erscheinen kann, verdankt sich der Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), dem die Herausgeber hiermit im Namen aller am Forschungsprojekt und der Publikation Beteiligten einen besonders herzlichen Dank aussprechen, in den auch ausdrücklich der Projektträger beim DLR eingeschlossen ist.
Kapitel I Facetten der Farbforschung
Facettenreich wie ein Farbfächer eröffnet der Beitrag von Karl-Siegbert Rehberg das einführende Kapitel und ruft damit exemplarisch das interdisziplinäre Spektrum des Bandes insgesamt auf. Farbe wird hinsichtlich ihres Stellenwerts im Kontext von Wissenschaft und Forschung, von Kunst, Gesellschaft und Individuum, von Sprachkultur und Semantik sowie in durchaus kritischer Distanz hinsichtlich ihrer Einbindung in die neuesten Kulturdiskurse der Dingund Materialforschung diskutiert. Die nachfolgenden Autorinnen und Autoren widmen sich dem Gegenstand Farbe jeweils fokussierter, weisen Forschungsfelder in der Wahrnehmungs-, Kommunikations- und Kognitionsforschung aus, in denen das individuelle wie das gesellschaftliche Farberleben und Farbagieren ausgelotet werden. Sie unternehmen bezüglich individueller und kollektiver Identitätsmuster, die mit tradierten Farbpräferenzen verbunden sind, den gerade aktuell gewordenen interkulturellen Vergleich mit den außereuropäischen Kulturkreisen und ‚Farbidentitäten‘ (Susanne Marschall/Annette Werner). Eine noch weitergehende Öffnung des Fachdiskurses fordert Almut Kelber in ihrem Beitrag über das Farbensehen in der Tierwelt, der den anthropozentrischen Blick infrage stellt und unsere Farb- und Welterfahrung als nur eine von vielen möglichen ausweist. Wie diese Farberfahrung sich
stufenweise zu einem komplexen sensiblen und differenzierten Farbbewusstsein ausbilden lässt, beschreibt Eckhard Bendin. Philosophisch-kritisch nähert sich Bruno Haas der Farbe und analysiert, ob und wie Farbe ein Gegenstand von Forschung sein kann oder sich eher als eine Vielheit von Fragestellungen in diverse Disziplinen aufspaltet wie Newtons Lichtstrahl. Verbindend sieht er im Kontext von Farbsystematisierungen bzw. Überlegungen zu der Herausbildung einer Farbgrammatik das deiktische Potential der Farbe als ein verbindendes Element. Ganz entschieden prägt dieser verweisende Charakter der Farbe die modernen Wissenschaftsbilder, vor allem die der Naturwissenschaften, deren Entwicklungsgeschichte und Professionalisierung sich Matthias Bruhn widmet. Den Perspektivwechsel leitet Olaf Breidbach ein, der sich zu den physiologischen, psychologischen und kulturellen Voraussetzungen und Mustern der (Farb-)Wahrnehmung, zu den Fragen nach der Wahrheit der technischen Bilder und der Geschichte und Anwendung der Farbe immer wieder wegweisend geäußert hat. Markus Zedler und Philipp Ritter berichten von ihren Grundlagenforschungen an besonderen Ausprägungen wie auch Störungen der menschlichen Farb- bzw. Lichtwahrnehmung.
Kazuo Katase Schale, 24.03.2012
Schwebend hebt sich die große Schale aus dem changierenden Bildgrund hervor. Ihr präzise austariertes Gleichgewicht und ihre aus leuchtender Farbigkeit geformte Plastizität erwecken den Eindruck von stabiler Schwerelosigkeit, großer Ruhe und Konzentration. Mit der bloßen Hand und einem Tuch Schicht für Schicht aufgetragene und in das Büttenpapier eingeriebene Farbpigmente scheinen sich aus dem Stofflichen in Licht zu wandeln und die Schale zwischen Fülle und Leere, zwischen Gehaltensein und Halten auszubalancieren. Die meditativen transzendenten Werke des seit langem in Deutschland lebenden japanischen Künstlers, in denen Leere absolute Fülle meint – das Enthalten der Welt –, bewegen sich philosophisch-künstlerisch zwischen den beiden Kulturen, ein Grenzbereich, den der documenta-Künstler Katase schon in seinen Fotografien, Skulpturen, Installationen, Landschaftsarbeiten und Bühnenbildern ausgelotet hat. Kazuo Katase lebt in Kassel. Publikation: Kazuo Katase. Gegenwart, Josef Albers Museum Quadrat, Bottrop 2013 www.kazuo-katase.com
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K A R L- S I E G B E R T R E H B E R G
Immaterielle Materialität – Die Macht der Farben im Horizont eines neuen „Animismus“* Dem Andenken von Elfi Martin (3. 4. 1944 – 24. 6. 2017) gewidmet
I. Farbe als Modellfall Spätestens seit den durch farbig illuminierte Festarchitekturen und (in China längst zuvor schon hochentwickelte) Feuerwerke1 erhellten „absolutistischen“ Barockhöfen, über die durch künstliches Licht überhaupt erst ein ‚Nachtleben‘ ermöglichenden Straßenbeleuchtungen der Städte, durch welche noch im Halbdunkel Schattierungen und Farbwerte2 miterzeugt wurden, bis hin zu den urbanen Lichtund Farbüberflutungen seit dem 20. Jahrhundert ist buchstäblich „die Nacht zum Tag geworden“.3 Kosmo- bzw. Astronauten sehen auf dem „blauen Planeten“ überall die großen Lichtagglomerationen der dicht besiedelten Ballungszonen und Megacitys, dabei bis 2011 noch einmal herausgehoben das kleine Belgien mit seinen durchweg gelb-orange beleuchteten Autobahnen.4 Ein Symbol für das deutsche Wirtschaftswunder war die Frankfurter Zeil mit ihren geradezu amerikanisch wirkenden blinkend-farbigen Leuchtreklamen, überboten selbstverständlich von Londons Piccadilly Circus (dessen berühmteste Lichtreklamewand neuerdings als ein fassadenfüllender, hochauflösender Bildschirm erscheint und diesen Stadtraum neu definieren wird – Abb. 1) oder New Yorks Times Square. Andreas Hebestreit schließt aus diesen Dauerfarbspielen:
„Wenn die ganze Welt farbig ist, dann ist auch die Farbe eine ganze Welt“, um kulturkritisch fortzufahren, dass das Fernsehen, dieser „Hausaltar des elektronischen Zeitalters“, durch seinen „ständigen Farbenrausch“ eine Welt erzeuge, die „aus farbigen Punkten“ zusammengesetzt sei: „Das Farbfernsehen hat keine Farben, weil es alle Farben hat.“ Es sei somit adäquater Ausdruck einer Gesellschaft, „die unter einem ständigen Sehnervenkitzel täglich mehr von ihrer Identität“ aufgebe.5 Manche glauben auch, dass in einer Umwelt, deren „Farbfolgen immer schneller und greller“ werden, auch die reflexive und theoretische Wahrnehmung der Farbereignisse eingeschränkt werde, beispielsweise wenn „vordem allgemein verbreitetes Wissen um Farben und deren Deutungsgehalte ebenso geschwunden ist wie das Bewusstsein für deren stofflichen wie immateriellen Gehalt“.6 Die Wirkungskraft der Farben und deren theoretische Erfassung haben zur kulturwissenschaftlichen Verschiebung der Perspektive beigetragen, wie sich das in zahlreichen Tagungs-, Aufsatz- und Buchtiteln zeigt.7 Dadurch wurde auch die Themenwahl des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) bereichert, das unter dem Titel „Die Sprache der Objekte“ mehr als zwanzig Ver-
A B B . 1: P I C C A D I L L Y C I R C U S : L I C H T R E K L A M E N I N D E N 19 6 0 E R J A H R E N U N D H E U T E ( F O T O O B E N : A N D R E W E I C K , 19 6 2 ; U N T E N L I N K S : D A V I D T A I T / O C E A N O U T D O O R , 2 0 17; U N T E N R E C H T S : © D P A , 2 0 17 )
bundprojekte ermöglicht hat. In diesem Kontext steht auch der in Dresden koordinierte Verbund „Farbe als Akteur und Speicher – FARBAKS“8, in welchem farbanalytisch gewonnene Erkenntnisse mit kulturellen Entwicklungen bis zu den anthropologischen Voraussetzungen der Weltkonstitution durch den Menschen miteinander in Verbindung gebracht wurden. Etwa sind unter Einbeziehung psychophysischer Grundbedingungen der Farbwahrnehmung, die in verschiedenen Epochen entwickelten materiellen Träger und Mittel der Farberzeugung, Farbgebung, Farberhaltung und ihrer Verwendung ebenso behandelt worden wie aus verschiedenen analytischen Perspektiven auch unterschiedliche farbmetrische Systeme und schließlich die ganze Gesellschaften prägenden Farbwirkungen.9 So zeigt sich, dass ein Verständnis der Konstitutionsbedingungen und Wahrnehmungseffekte von Farbe eine intensive gegenseitige Kenntnisnahme und Zusammenarbeit unterschiedlicher natur- und kulturwissenschaftlicher Disziplinen voraussetzt. Das kann durchaus in die Nähe einiger Prämissen und ontologischer Annahmen einer neuesten, modischen Verschmel-
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zung von Natur- und Kulturbegriffen geraten, wie sie besonders Bruno Latour entwickelt hat (was in Abschnitt III.2 kritisch reflektiert wird). Zunächst soll jedoch die mit dem material turn verbundene neue Sichtweise10 auf zuweilen vernachlässigte Dimensionen einer (notwendig immer von Menschen konstruierten, gleichwohl nicht inexistenten) Realität positiv aufgenommen werden, zumal darin der ‚Zeitgeist‘ das Motto Edmund Husserls „Zurück zu den Sachen“ auf neue Weise zu variieren scheint.11 Farbe erweist sich als Modellfall ‚immaterieller Materialität‘ und zugleich als ein Schlüssel für die Bestimmung des Menschen als eines „homo symbolicus“ oder „animal symbolicum“ (Ernst Cassirer).12 Nicht nur einzelne außeralltägliche Symbol- und Sinnproduktionen, beispielsweise rituelle Praktiken, nicht nur die Weltdeutungsmächte, die Künste, kulturelle Konzepte von Feindschaft oder Gastfreundschaft, Architektur- und Wohnformen, Vorstellungen von Liebe, Gemeinschaft, Gefahrenkonstellationen und die von alledem geprägten unterschiedlichsten Wissensordnungen sind symbolisch codiert.
Vielmehr hat jede Handlung auch eine symbolisierende Seite. Und wenn wir uns mit den menschlichen Sinnen befassen, mit dem Sehen und Hören, dem Fühlen und Riechen, sodann mit der Sprache, wird deutlich, dass uns die gesamte Welt nicht verfügbar ist, ohne immer auch mit einer symbolischen Verweisungsdimension verbunden zu sein.13 Das gilt umso mehr auch für unser Thema, wenn in neueren Interpretationen des Farbenwunders etwa behauptet werden kann, Farbe existiere gar nicht, weil sie keine „wohlgeformte ‚physikalische Art‘“14 sei. Ludwig Wittgenstein sah in den Farben ebenfalls keine „Dinge, die bestimmte Eigenschaften haben, so dass man ohne weiteres nach Farben suchen, sich Farben vorstellen könnte, die wir noch nicht kennen“.15 Dann gilt eben: „Farbe ohne ein sehendes Auge gibt es nicht“.16 Auch sind die Seheffekte des Farbigen nie unmittelbar und autonom, sondern über ein Drittes, das Licht, vermittelt, jedoch des Weiteren auch über die Abschattierungen und Kontraste, ohne welche dieses uns nichts sehen ließe: Befände man sich in gleißender Helle, ginge es einem, als wenn man aus Platons Höhle herausträte und erblinden müsste.17 Auch sind für die Farbempfindung „durch Textur, Transparenz- und andere Eigenschaften hoch charakterisierte farbige Komplexe“ entscheidend und nicht isolierte Einzelfarben.18 Übrigens hat der seine Farbtheorie durch erste Prismenversuche unter dem Eindruck der südlichen Sonne gewonnen habende19 und heute auch farbtheoretisch wieder ins Spiel kommende20 Johann Wolfgang von Goethe21, der – jenseits seiner Ablehnung der schon damals weitgehend als gültig angesehenen Newton’schen Theorie von den im Licht enthaltenen Spektralfarben22 – so viel über Farben und Nichtfarben und ihre Gebundenheit an Kontraste wusste,23 hat diesen Aspekt des konstitutiven Wechselverhältnisses zwischen den Gegenständen und dem Licht in seiner berühmten Studierzimmerszene in „Faust I“ eindringlich zum Ausdruck gebracht, wenn er Mephistopheles sagen lässt: Ich bin ein Teil […] der Finsternis, die sich das Licht gebar Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht, Und doch gelingt‘s ihm nicht, da es, so viel es strebt, Verhaftet an den Körpern klebt. Von Körpern strömt‘s, die Körper macht es schön, Ein Körper hemmt‘s auf seinem Gange, So, hoff‘ ich, dauert es nicht lange, Und mit den Körpern wird‘s zugrunde gehn (Goethe: Faust I, Studierzimmer, Z. 1350-1358).
Diese Relationalität steigert sich noch in späteren Analysen der Farbe, die weder durch ein „homogenes […] noch ein autonomes Attribut“ bestimmbar ist, weshalb sich die traditionellen Unterscheidungen ihrer bloß objektiven oder subjektiven Erfassung nicht mehr als fruchtbar erweisen dürften, da Farben sich dieser Dichotomie zu entziehen scheinen. Dass sie „als solche nicht in der physikalischen Welt existieren“, heißt eben nicht, „dass es sie nicht gibt“. Vielmehr hat die neuere interdisziplinäre Forschung eine Ansicht überwunden, in der die naturwissenschaftliche Analyse von der „Fülle und Reichhaltigkeit“ unseres Erlebens absehen könne. So hatte schon Wittgenstein keinen Keil mehr „zwischen physikalische und phänomenologische Farbzuschreibungen treiben“ wollen, denn sie seien so ununterscheidbar wie Schmerz und Schmerzverhalten.24 Zunehmend wird anerkannt, dass eine Perspektive notwendig sei, welche die Farbentstehung als zerebral erzeugte Wirkungsrelation begreift, in welcher im Gehirn die Außeneindrücke und Rezeptionsformen des optischen Systems synthetisiert und Möglichkeiten geschaffen werden, die inneren Codierungen zugleich als real zurückzuspiegeln auf eine als ‚so seiend‘ vorgestellte Umwelt – was pragmatisch ja ziemlich erfolgreich zu sein scheint.25 Insofern hat Farbe sich auch als ein Gegenstand grundsätzlicher Reflexionen erwiesen, etwa als Bestätigung der zentralen These Immanuel Kants, wonach die Formen unserer Sinnlichkeit und unseres Verstandes Bedingungen der Möglichkeit unserer Erkenntnis sind — und so auch ihrer Grenzen. Für die Erläuterung der Nichterkennbarkeit des „Dings an sich“ hat der Königsberger Philosoph sogar das Beispiel der Farben (von denen er im Sinne des Klassizismus nicht viel hielt) zur Plausibilisierung angeführt. So heißt es in § 3 der transzendentalen Ästhetik, dass „etwa Farben, Geschmack etc. mit Recht nicht als Beschaffenheiten der Dinge, sondern bloß als Veränderungen unseres Subjekts“ betrachtet werden müssen, „die so gar bei verschiedenen Menschen verschieden sein können“. Äußere Gegenstände oder ein „empirisches Ding an sich“ sind „nichts anderes als bloße Vorstellungen unserer Sinnlichkeit, deren wahres Correlatum […] das Ding an sich selbst“ ist, welches „gar nicht erkannt wird, noch erkannt werden kann“.26 Schopenhauer bestätigte diese Ansicht im Rahmen seiner Farbtheorie, indem er die „ganz subjektive Wesenheit der Farbe“ als „Vorschule“ eines „gründlicheren Verständnisses der kantischen Lehre“ empfiehlt.27
Karl-Siegbert Rehberg
II. Kultursoziologische Dimensionen 1. Farben und Künste Farben sind selbstverständlich von zentraler Bedeutung für die bildenden Künste als einem Medium der Weltrepräsentation. Deren immer auch schon Farbelemente enthaltende Bildhaftigkeit war seit Beginn der Menschheitsgeschichte auf das Engste mit der Entwicklung von Wissensordnungen verknüpft. So waren Kunstwerke – bleibt man beim ‚europäischen‘ Fall – schon seit der Antike mit der Schaffung von Weltbildern eng verbunden. Auch im Mittelalter konnte eine überwältigende Schönheit und ins Spirituelle projizierbare Farbigkeit zu Ausdruck und Spiegelung umfassender Ordnungsvorstellungen werden. Umberto Eco betonte für das (doch nicht so ‚dunkle‘) Mittelalter die damals „außerordentliche Empfänglichkeit für die sinnlich wahrnehmbaren Aspekte der Realität“.29 Das galt schon für das „Bildlicht“ der Ottonischen Buchmalerei30 und umso mehr für die von Gold, Silber und Edelsteinen glänzenden Kultgegenstände oder überwältigend vielfarbigen Fenster in den Kirchen, in welchen der Glanz des Reiches Gottes sich widerspiegeln sollte.31
A B B . 2 : J A N V A N E Y C K : G E N T E R A LT A R , M A R I A , D E T A I L A U S D E R D E E S I S - G R U P P E , M I T T E LT A F E L , U M 14 3 2 , S T. - B R A V O K AT HE D R A L E , G E N T
Bis in das 19. Jahrhundert hinein erschienen Farben jedoch zumeist als Eigenschaften der unterschiedlichen Objekte, also z. B. der Mineralien, Pflanzen und Tiere. Seit Hermann von Helmholtz und Hermann Günther Grassmann hat man die Farben dann als physiologische Größe verstanden, die auf einem messbaren objektiven Substrat, den Wellenlängen des Lichts beruhten. Erst in jüngster Zeit werden Farben nicht nur als physiologische Reaktionen auf Lichtreize verstanden, sondern auch als aus Erinnerungen an individuelle, aber auch aus phylogenetischen Handlungszusammenhängen gespeiste Wahrnehmungen in verschiedenen Reizsituationen und Umweltbedingungen: Wir sehen Farben nicht, weil sie objektiv wahrnehmbar sind, vielmehr weil wir sie – allerdings im Kontext von Lichtreizen – situationsgebunden etwa bei Nahrungs- und Partnersuche oder der Bestimmung von Feinden (und nicht nur in solchen elementaren, auch das tierische Leben betreffenden Dimensionen) miterzeugen und qualifizieren. Farbe wird so auch zu einem „Kunstprodukt kultureller Prozesse“. „Janusgesichtig“ blicken die Farben „zugleich in die äußere objektive und in die innere subjektive Welt“.28
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In der Renaissance begannen manche Künstler, sich über alle rein handwerkliche Kunstlehre dadurch zu erheben, dass sie herausstellten, mit dem neuesten wissenschaftlichen Wissen und der ihm zugrunde liegenden Methodik vertraut zu sein. Daraus ergaben sich ambivalente Beziehungen, insofern im Paragone, also dem Wettstreit der Künste, für die farbige Malerei ins Feld geführt wurde, dass allein sie die Fülle der Welt in allen ihren Nuancen ins Bildnerische übersetzen könne und deshalb einen Vorrang vor den anderen Kunstgattungen beanspruchen dürfe.32 In allen Epochen der Menschheitsgeschichte schufen farbige Darstellungen imitative oder überhöhende Bilder der Macht der Natur, mythischer Personalisierungen oder überhaupt der uns zugänglichen Welt. Beispielsweise faszinierte der im 15. Jahrhundert gelungene Durchbruch einer leuchtenden Ölmalerei, deren auf Giorgio Vasaris Mitteilungen basierende Erfindung legendenhaft verkürzt für lange Zeit allein dem Jan van Eyck (in Übernahme in Italien zuerst durch Antonello da Messina) zugeschrieben wurde. In der Weltgerichtszone von Jan (und evtl. auch Hubert) van Eycks Genter Altar heißt es auf dem ihr Haupt umrahmenden Nimbus der Himmelskönigin Maria (nach dem biblischen Buch der Weisheit
[Salomonis] 7, 29 u. 26 in der deutschen Übersetzung von Martin Luther): „Denn sie ist herrlicher als die Sonne / und übertrifft die Schönheit der Sterne [stellarum dispositio = Sternbild]. / Sie ist strahlender als das Licht. / Denn sie ist ein Abglanz des ewigen Lichts und ein fleckenloser Spiegel des göttlichen Wirkens [ohne Trübung der göttlichen Majestät] und ein Bild seiner Güte.“33 (Abb. 2) Eine derartig glänzende, auch durch den Firnis intensivierte malerische Farbigkeit konnte als bildhafte Annäherung an die ‚wirkliche‘ Darstellung der Welt in allen ihren Abstufungen empfunden und dadurch selbst zum Faktor der Bejahung himmlischer und irdischer Ordnungen werden. Für die innerweltlichen Herrschaftshierarchien galt etwa für Gewänder und heraldisch-bunte Kampfszenen der adeligen Kriegereliten,34 dass sich deren Macht in einer den Alltag transzendierenden Farbigkeit zeigte. Allerdings konnten die Farben von ihrem Quellmedium, dem Licht, auch auf den zweiten Platz verwiesen werden. Das gilt vor allem für die Verschärfung der Konturen und Farbgebungen durch eine dramatisch-eindringende, die Personen aus ihrer Umgebung herausschneidende Lichtflut bei Caravaggio und der nach ihm benannten Maltradition. In der römischen Kirche S. Maria del Popolo wird Saulus vom göttlichen Lichtstrahl zu Boden geworfen, überall schuf der Maler experimentell durch Spiegeleffekte erzeugte „Schwerthiebe des Lichts und Schattenstrudel“.35 (Abb. 3) Es entstanden Kontrasträume von nächtlich anmutendem Dunkel und gleißender Sonnenhelle, die zugleich ortlos und ohne erkennbare Quelle bleibt.36 Die revolutionierende Funktion dieses „Bildlichts“ bedeutet: Es „bringt Leben“.37 Ein ganz anderer, intimer Aufschein von durchdringendem Kerzenlicht hebt die Gemälde Georges de La Tours aus der im Louvre zu durchreitenden trostlosen Reihung französischer Historienbilder schlagartig hervor. Zweihundert Jahre später erscheint in Phillip Otto Runges und Caspar David Friedrichs Bildern ein sakralisierendes Hintergrundleuchten, während eine Kulmination der Farbenpracht sich im Impressionismus, sodann bei den sehanalytisch inspirierten Pointilisten und Fauves38 siegreich durchsetzte, durch welche „die reine unvermischte Farbpaste […] zum Lichtträger, das Licht zu einer Funktion der Farbe“ wurde – so etwa bei Georges Seurat; Claude Monet wurde sogar eine „pantheistische Lichtreligion“ zugeschrieben.39
A BB. 3: C A R AVA G GIO: DIE BEK EHRUNG DE S PAULUS, 2. FA S S UNG, U M 16 0 4 , S A N T A M A R I A D E L P O P O L O ( C E R A S I - K A P E L L E ) , R O M
Die Fülle des Realen verband sich mit der intensivsten Farbigkeit auch in den ‚demokratisierten‘ Medien des Farbphotos, dann des Farbfilms oder Farbfernsehens, in deren technischer Perfektionierung aber auch schon ein Umschlagpunkt denkbar wird.40 Hier kann vermutet werden, was die Übermacht der Farbigkeit selbst in den bildenden Künsten verdächtig machen konnte, dass sie nämlich durch ihren suggestiven Oberflächenglanz keineswegs die Wirklichkeit abbilde, sondern durch die Kraft ihrer Eigenwerte stattdessen einen bloß ästhetischen Illusionismus erzeuge – also das Gegenteil von ‚Wahrheit‘. Einflussreich war im Klassizismus und in der Romantik dafür die Idealisierung der von Johann Joachim Winckelmann irrtümlich als farblos angesehenen griechischen Statuen. Dieser Künder „edler Einfalt“ und „stiller Größe“ gestand der Farbe allenfalls zu, zur Schönheit zwar beitragen zu können, „auch wenn sie nicht die Schönheit selbst“ sei.41 Caroline Schlegel jedenfalls sah in dem für Raffael atypisch dünnen Farbauftrag in dessen Sixtinischer Madonna geradezu ein Siegel ihrer Transzendenz:42 „Müßte das Bild nicht beynah ohne Kolorit bestehen können?“43 (Abb. 4) Die Beziehung zwischen den Farben und der Erzeugung des Schönen blieb in der philosophischen Ästhetik jedenfalls umstritten.44
Karl-Siegbert Rehberg
ABB. 4: Z W EI GEM Ä L DE R A FFA EL S ZUM V ERGL EICH DER UN T ER SCHIEDLICHEN FA RBGEBUNG: 1. R A F F A E L : S I X T I N I S C H E M A D O N N A , 1512 , S T A A T L I C H E K U N S T S A M M L U N G E N D R E S D E N , G E M Ä L D E G A L E R I E A LT E M E I S T E R ( L I N K S ) ; 2 . R A F F A E L : M A D O N N A D I F O L I G N O , 1511 / 12 , V A T I K A N I S C H E M U S E E N , R O M ( R E C H T S )
Ähnliche Umwertungen ereilten auch die (nach Experimenten schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts) am Beginn des 20. Jahrhunderts dann farbigen Kamera-Bilder, deren Durchbruch und massenhafte Verbreitung nun die Daguerreotypie und andere seit dem frühen 19. Jahrhundert sich entwickelt habende Formen der Schwarz-Weiß-Photographie (ebenso die entsprechenden Filme) mit einem eigenen Reiz ausstattete. Angesichts der Kunstphotographie entdeckte man nach deren späterer Durchsetzung als einem legitimen künstlerischen Genre ebenfalls die Wahrheitswerte gerade schwarz-weißer Aufnahmen – man könnte sagen deren ‚Strukturwahrheit‘. Ein Misstrauen gegen die Farbigkeit zeigte sich – um nur eine einzige der dramatischen Farb-Innovationen beispielhaft anzuführen – im Kampf Hans Sedlmayrs gegen die Moderne und deren Verdrängung der „Kunst der Linie“ durch die „Kunst des diffusen Farbflecks“, wie er sie schon in Williams Turners „dramatischen Lichtevokationen“ sah.45 Ein derart „kosmischer Lichttaumel“46 konnte auch so interpretiert werden, dass er jedes Wahrheitskriterium der Kunst zugunsten ihrer radikalen Autonomisierung auflöse, in der nur noch das Kunstwerk selbst Geltung beanspruche und seine ‚Wahrheit‘ nur noch in sich selbst zu tragen behaupte. Turner selbst
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hätte sein gewagtes ‚Kräftespiel des Lichtes‘ wohl treffender durch den von ihm verehrten Goethe beschrieben gesehen, der gerade in der Farbigkeit die vom Menschen erzeugte „Summe seiner eigenen Tätigkeit als Realität“ sah.47 (Abb. 5) Lange zuvor schon (so in den Schreckensbildern von Hieronymus Bosch oder Pieter Bruegel d. Ä.) waren etwa die Höllendarstellungen48 in verzehrende Gluten getaucht worden und eine unheimliche Farbigkeit sah man auch in den Szenerien des Mansù Desiderio. Turners viel weitergehender (und von Sedlmayr verabscheuter) Schritt in die bewusste Abstraktion ist durch eine von John Ruskin überlieferte Bemerkung des Malers tatsächlich bezeugt: Dem soll er auf die Frage nach der Bedeutung seiner letzten Gemälde geantwortet haben: „Rot, Gelb und Blau!“.49 Übrigens kann man auch neue Berührungen der künstlerischen Moderne mit früheren Epochen aufzeigen, näherte sich die bildnerische Abstraktion in manchem auch dem Mittelalter, insofern das Licht den Farben „wieder immanent, also Eigenlicht“ wird, das bei Piet Mondrian und Wassilly Kandinsky „ikonenhaft strahlende Farblichtflächen“ schafft.50 (Abb. 6) Das gilt neuerdings auch für die Kirchenfenster prominenter Künstler, am eindrücklichsten für das 106 m2 große und aus 11.263 Quadraten in
ABB. 5: JOSEPH M A LLORD W ILLI A M T URNER: LICH T UND FA RBE ( G O E T H E S T H E O R I E ) – D E R M O R G E N N A C H D E R S I N T F L U T, 18 5 3 , T A T E G A L L E R Y, L O N D O N
A B B . 6 : W A S S I L Y K A N D I N S K Y, K O M P O S I T I O N I V, 19 11, K U N S T S A M M L U N G NORDRHEIN-W E S TFA LEN, DÜS SELDORF
72 Farben zusammengesetzte Farbfenster, welches durch das einfallende Sonnenlicht den Innenraum des Kölner Doms in ein prismatisch anmutendes Farbenspiel taucht51. (Abb. 7)
2. Gesellschaftsfarben57 Schon in frühen Statusordnungen in den unterschiedlichsten Kulturen und gesteigert in den hochkulturell-ständisch fixierten Hierarchien gab es soziale Positionierungssymbole, die sich etwa in festgefügten Kleidervorschriften und Farbzuordnungen manifestierten. Aber auch in der mit den modernen Gesellschaften verbundenen (selbst wieder massenhaften) Individualisierung blieben zwar freier bestimmbare, für einzelne Gruppen jedoch nach wie vor normierend wirkende Farbordnungen von Bedeutung. Noch immer bestimmt das die Kleidung und Zurichtung des Körpers (Haarfarben, Tätowierungen etc.), gibt es Gruppenfarben und eine frei bestimmbare ‚Heraldik‘. Aber eine soziale Prägung von Farbordnungen zeigt sich nicht nur in körperlichen Erkennungsmerkmalen. Vielmehr sind auch die vom Menschen geschaffenen Umwelten, sind etwa die Farbabstufungen von Siedlungen, regionalen Architekturen etc. in hohem Maße gesellschaftlich bedingt und zugleich prägend für die darin lebenden Menschen. Das lässt sich auch an den Gesellschaftsfarben unterschiedlicher Regionen und sogar Länder, so auch für die den öffentlichen Raum prägende Farbund Farblosigkeitssymbolik im geteilten Deutschland aufzeigen. Das beginnt mit der Differenz von ‚grauen‘ Dörfern und Städten, die in früheren Zeiten überall bestimmend und in der DDR bis zu deren Zusammenbruch ebenfalls allgegenwärtig waren, und geht bis zur Buntheit der ‚angestrichenen Gesellschaften‘, wie der Bundesrepublik, der Schweiz oder Schwedens bzw. einer mit dem Verfall vermischten lebendigen Farbigkeit in den mediterranen Ländern. Auch
Das flirrend Bewegende der Farben, also eine künstlerische Erforschung im Betrachten der Objekte, stand im Mittelpunkt der OP-Art und kinetischen Kunst. Das war beispielsweise ein Impuls für die auf die speziellen Effekte der Farbmischungen berechneten Werke der Gruppe ZERO, welche durch die Immaterialität das „Erlebnis des Schönen“, also „reine Emotion“ als eine neue Wirklichkeit entstehen lassen wollte.52 Das Wechselspiel der „reinen Farben“ mit der sie schaffenden „Reinheit des Lichts“ sollte durch ein „Kontinuum des Flutens“ den „ganzen Menschen“ erfassen.53 Verbindungen einer derartigen geistig-körperlichen Dynamisierung zeigen sich auch in konzeptionellen Annäherungen zwischen den bildenden Künsten und der Musik, wie sie im Ineinander-Übergehen von Farbigkeit und Rhythmisierung etwa Kandinsky programmatisch entwickelt hat.54 Auffallend ist dabei, dass die schon seit der Aufklärung entwickelten Gesamtsysteme einer Farbharmonie oft in Beziehung gerade zur Musik gesetzt wurden.55 Eine andere, mit rhythmischen Assoziationen eng verbundene gegenseitige Übersetzung der Farben in ein anderes Medium ist berühmt geworden durch Arthur Rimbauds Gedicht Voyelles (1871/1883), der damit die „Farben der Vokale“ zum Ausdruck bringen wollte, damit auch eine „Verwandtschaft zwischen Farbe und Ton“.56
Karl-Siegbert Rehberg
A B B . 7: G E R H A R D R I C H T E R : F E N S T E R I M S Ü D Q U E R H A U S D E S K Ö L N E R D O M E S , 2 0 0 7
hier kann eine ins Auge stechende Farbigkeit ohne Patina oder Auflockerungen als Wahrheitsverlust angesehen werden, wenn mir etwa eine Dresdner Künstlerin nach der ‚Wende‘ gekränkt sagte: „Jetzt nehmen sie uns auch noch das bisschen Grau.“ Aber gesellschaftliche Differenzen zeigen sich auch in den Kleidermoden, den Gebrauchsgegenständen bis hin zu den Autos – überall erzeugt die Farbigkeit Distinktionswerte. Das gilt für die Farbsymbolik in Ritualen, wie sie sich in Körperbemalungen und vorgeschriebenen Bekleidungen für gewisse Anlässe zeigt, etwa wenn (wenigstens in den meisten der christlich geprägten Länder) Schwarz als Ausdruck der Trauer oder in buddhistischer Tradition die Gegenfarbe Weiß konventionell als angemessen empfunden wird. Für das komplementäre Schwarz mag man an den Habit vieler christlicher Mönchsorden denken. Aber es gibt auch das, sich über die Buntheit des niedrigen Lebens erhebende, strenge höfische Schwarz in Burgund und später die im Bürgertum weit verbreitete männliche Seriositätskleidung. In den 1950er Jahren zeigte sich diese Variante von ‚Farblosigkeit‘ als Erkennungsmerkmal der schwarzgekleideten Existentialisten und seit den 1980ern waren es (wiederum in Paris) Künstler, die diese Habitusfarbe nun als Selbstpräsentation eines coolen, antibürgerlichen Auftretens erneut in Umlauf gebracht haben. Inzwischen ist diese Farbe globalisiert, von den Protesteinkleidungen des „Schwarzen Blocks“ bis hin zu den Kämpfern des „Islamischen Staates“. (Abb. 8) Und selbstverständlich sind alle diese, ursprünglich
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eine Distanzierung von etablierten Ordnungen ausdrücken sollenden (Nicht-)Farben längst schon kommerzialisiert und dadurch verallgemeinert worden.58 In vielen Kulturen wirkt eine entgrenzte Farbigkeit nicht distinktiv, sondern vergemeinschaftend. Das gilt für alle Feste der Aufhebung, zuweilen Umkehr der Standesunterschiede oder der Verschmelzung in einer höheren Ordnung, etwa für die römischen Saturnalien und alle Varianten karnevalesker Verkehrung von Hierarchien, so bis heute eindrucksvoll für die (unter verschiedenen Namen) in Indien gefeierten Holi-Feste. Das Besprengen mit gefärbtem Wasser oder die körperliche Markierung durch zuvor auf dem Altar geweihtes Farbpulver heben während der ausgelassenen Feiern sogar die Geschlechterund Kastenunterschiede auf: Statt des Weiß der Brahmanen, des Rots der Kshatriyas, des Gelbs der Vaishyas, des Schwarz der Shudras vereint alle die Buntheit der Farbmischungen; das gilt auch für die kasten- und farblosen Dalits bzw. Parias (die „Unberührbaren“). Während die Färbungsmittel früher eine naturale Quelle hatten, erweisen sich die heute verwendeten synthetischen Farben nicht selten als gesundheitsgefährdend – nicht gerade eine farbmaterielle Betätigung der ideellen Farbigkeit dieser, alle spirituell-sozialen Reinheitsgebote zumindest relativierenden, (Gegen-)Rituale. (Abb. 9)
A B B . 8 : R O G I E R V A N D E R W E Y D E N : H E R Z O G K A R L D E R K Ü H N E V O N B U R G U N D ( I N J Ü N G E R E N J A H R E N A L S G R A F V O N C H A R O L A I S ) , 14 6 0 / 14 6 4 , S T A A T L I C H E M U S E E N P R E U S S I S C H E R K U LT U R B E S I T Z , G E M Ä L D E G A L E R I E B E R L I N ( L I N K S ) ; ‚ S C H W A R Z E R B L O C K ‘ W Ä H R E N D E I N E S ‚ W E E K L Y R U N D O W N ‘ D E R P I T T S B U R G H S T U D E N T S O L I D A R I T Y C O A L I T I O N A M 2 4 . 0 1. 2 0 17 ( R E C H T S )
III. Farbtheorien im Horizont des jüngsten Neo-Materialismus 1. Farben und Farbbegriffe Wenn die Konstitution einer farbig erscheinenden Welt grundlegend mit den Wahrnehmungsapparaturen unterschiedlicher Lebewesen – und in der hier dargestellten Argumentation vor allem des Menschen – verbunden ist, so kommt dabei auch dem Aspekt der Benennung, d. h. der Bedeutungszuschreibung des Wahrgenommenen eine wichtige Rolle zu. Mit Verwunderung nimmt man die Behauptung wahr, dass das Altgriechische keine Worte gekannt haben soll für das, was wir „Blau“ nennen. Darauf hatte Goethe schon 1810 hingewiesen, während William Gladstone dasselbe über das Fehlen des Farbwortes „Grün“ berichtet hat.59 Das kann nicht bedeuten, dass die Griechen keine Worte für die sie umgebenden Farbwerte gehabt hätten, vielmehr – und das scheint durch verschiedene Forschungen bestätigt worden zu sein – gibt es in den Erscheinungen des Farbigen unterschiedliche Wahrnehmungsdimensionen. So behauptet Rainer Mausfeld etwa, dass es in unterschiedlichen Kulturen anfangs dynamische Aspekte (wie das Changieren) waren, die sprachlich hervorgehoben wurden. Ähnlich hat Rudolf Hochegger für Griechenland ursprüngliche Farbbezeichnungen wie „glänzend, leuchtend,
brennend, flimmernd, schmutzig, verbrannt etc.“60 gefunden, während eine umschriebene, auf Modellen der Farbabstufung beruhende Begrifflichkeit erst viel später erfunden worden sei.61 So habe Theophrast noch 500 Jahre nach Homer Edelsteine, die wir als „blauen Lapislazuli“ identifizieren, ohne ein bestimmtes Farbwort beschrieben.62 Das alles hatte Goethe in einem Abschnitt seiner Farbenlehre auch schon geahnt, in dem er bei den Griechen von Farbbegriffen ausging, welche in ihren sinnlich bestimmten Eigenschaften „unbestimmt“ geblieben seien. Aus der Betrachtung, sowohl des griechischen als des römischen Sprachgebrauches ergibt sich, „daß sie generelle Benennungen der Farben statt der speziellen und umgekehrt diese statt jener setzen. Ihre Farbenbenennungen sind nicht fix und genau bestimmt, sondern beweglich und schwankend, indem sie nach beiden Seiten auch von angrenzenden Farben gebraucht werden“.63 Auch ethnologische Forschungen haben die Grundtendenz dieser Annahmen bestätigt. Ian Davies hat für den in Namibia lebenden Stamm der Himba jüngst gezeigt, wie die sensuelle Wahrnehmung der Unterscheidung von Grün und Blau sich verschieben kann: Während Kleinkinder diese noch als unterschiedlich wahrnehmen, macht die sprachliche Klassifikation den Unterschied für Erwachsene ‚unsicht-
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A B B . 9 : H O L I - F E S T 2 0 10 , R A D H A R A N I T E M P L E , B A R S A N A , U T A H P R A D E S H , I N D I E N
bar‘.64 Hebestreit65 etwa stellt mit Lazarus Geiger, der das schon 1871 vertreten hatte, fest, dass es sich nicht um eine Evolution der Farbwahrnehmungen, vielmehr um eine der Benennungen handele. Dahin passt Ludwig Wittgensteins Programm: „Wir wollen keine Theorie der Farben finden […], sondern die Logik der Farbbegriffe.“66
deren Wirkungsmacht. Seit längerem schon gewannen auch die lieux de mémoire an Bedeutung, wurden vermeintlich authentische Orte zu Stützen eines institutionalisierten, kulturellen Erinnerns. Durch Virtualität und Sachpräsenz „verweben sich Geist und Materie, Geschichte und Gegenwart, ohne sich wechselseitig zu tilgen“.70
2. Neo-Materialismus oder eine Rückverzauberung der Welt Wie eingangs erwähnt, sollen die hier erörterten Farbstudien und -theoreme schließlich noch in den Zusammenhang neuester Kulturdiskurse gestellt werden. Seit etwa einem Vierteljahrhundert ist eine Bedeutungserhöhung der Dinge bis hin zur Behauptung einer „agentiellen“ Befähigung derselben zu beobachten. Das ist – als wolle man nach dem Untergang der doktrinären ML-Konstruktionen einen begrifflich freigewordenen Platz neu besetzen – verbunden mit einem neuen Vertrauen in eine „neomaterialistische“ Ontologie.67 Nachdem wir durch den, durchaus erhellenden linguistic turn vierzig Jahre lang darin eingeübt waren, die Welt „als Text“ zu verstehen und eine (de-)konstruktivistische Ent-Ontologisierung als Selbstverständlichkeit angesehen wurde,68 geht es nun gegenüber postmodernen und poststrukturalistischen Entmaterialisierungen69 um eine neue Faszination der Dinge und
Ein Hauptautor, durch den die selbsttätige Wirksamkeit der Dinge zunehmend ins Spiel gebracht wurde, ist prominent und metaphernreich: Bruno Latour.71 Er hatte in seinen empirischen, wissenschaftssoziologischen Untersuchungen in naturwissenschaftlichen Labors Formen der Konstitution von „Hybriden“ festgestellt, die auch in alltäglichen Konzepten der Natur-Gesellschafts-Koppelung sichtbar werden, etwa wenn in der Politik ebenso wie in wissenschaftlichen Erörterungen vom „Ozonloch“ und von den technischen Reaktionen oder Prognosen seiner Bedrohlichkeit die Rede ist: „Ein roter Faden verbindet die esoterische Wissenschaft mit den Niederungen der Politik, den Himmel über der Antarktis mit irgendeiner Fabrik am Rande von Lyon, die globale Gefahr mit der nächsten Wahl oder Aufsichtsratssitzungen“.72 Selbstverständlich lässt sich die experimentelle und kommunikative Erzeugung eines ‚Naturphänomens‘ ohne die Diskursgeschichte seiner Erforschung und massenmedialen Verbrei-
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tung73 gar nicht denken. Jedoch – so Latour – führe die Öko-Krise dazu, dass man die Entgegensetzung von „Menschen und […] nicht-menschlichen Wesen“ aufgeben müsse: „Diese Grenzziehung ist absurd“.74 Der von ihm behaupteten „Großen Trennung“75 im Prozess der Modernisierung setzt er ein „generalisiertes Symmetrieprinzip“ entgegen, mit dem er auf jede Vorannahme über natürliche oder technische Ursachen prinzipiell verzichten will.76 All das gilt, ihm zufolge, z. B. auch für Rohstoffvorkommen, Aids oder das Waldsterben. Derartigen Tendenzen,77 Dinge und Objekte zu „Akteuren“, vielleicht auch ‚nur‘ zu „Aktanten“ als einem vorsichtigeren Ausdruck für Wirkmächtigkeiten in einem Netzwerk zu erklären, ist jedoch mit Zweifeln zu begegnen, wenngleich diese Begriffsausweitung von menschlichen Aktionsbegriffen auf „non-humans“78 in Erinnerung zu rufen vermag, dass Dinge nicht nur als „tote“ Objekte menschlicher Manipulation, vielmehr auch von ihrer, die menschlichen Aktivitäten mitbestimmenden Seite zu betrachten sind – doch ist das nicht ganz neu. Die mit jedem Paradigmenwechsel, so auch dem material turn,79 neuartigen Perspektivierungen sind nicht selten verbunden mit der Gefahr einer Überdehnung derartiger, anfangs überraschender Hypothesen und Resultate. So ist inzwischen eine zuweilen objekttrunkene Rückverzauberung der Welt bis hin zu einer neuen Magie der Dinge zu beobachten, so in Latours Verkündigungen einer versöhnten, alle substantiellen Trennungen aufgehoben habenden Welt oder in der – kaum weniger formelhaft bleibenden – magischen Aufladung der Bilder und ihrer unbestreitbaren Wirkungsintensitäten durch Horst Bredekamp.80 Dabei geht dieser zu Recht davon aus, dass es schon in den frühesten Stadien der Menschheit ästhetische, oft farbig markierte spirituelle oder innerweltlich machtvoll wirksame Objekte gegeben habe. So entstanden Bilder, welche später in einigen Kulturen als „Kunstwerke“ verstanden wurden. In den frühen Gesellschaften waren diese Bildrepräsentanten stets eng mit magischen Praktiken verbunden.81 Aber das rechtfertigt den ‚rettenden Rückgriff‘ auf einen, alle Gegensätze auflösenden Neo-‚Animismus‘ doch wohl noch nicht. Bredekamp, früh schon mit den in Wunderkammern erzeugten Hybridwelten bestens vertraut,82 hat in seinen Frankfurter Adorno-Vorlesungen des Jahres 2007 eine Bildwirkungstheorie vorgestellt, die ihn zu einer bedenklichen ontologischen „Personalisierung“ des reichen kunsthistorischen Materials (ver-) führte, nämlich zur These nicht nur einer Macht der
A B B . 10 : Y V E S K L E I N B E I E I N E R M A L- P E R F O R M A N C E I M R A H M E N S E I N E R S E R I E „ A N T H R O P O M E T R I E D E L‘ E P O Q U E B L E U E “ A M 9. M A R Z 19 6 0 I N D E R G A L E R I E I N T E R N A T I O N A L E D ‘A R T CON T EMP OR A IN, PA RIS
Bilder, vielmehr deren Handlungsmächtigkeit. Im Hintergrund das ‚Bild der Bilder‘, das vera icon von Christi Antlitz, mitführend, werden die weinenden oder blutenden, jedenfalls unmittelbar wundertätigen Gnadenbilder des römischen und orthodoxen Katholizismus kaum behandelt, obwohl diese – z. T. bis heute in einer nicht nur säkularisierten Welt, sondern davon geprägten Religion – als wirklich aktional, als schicksalhaft ‚eingreifend‘ angesehen und angebetet werden.83 Bredekamp geht nach den Höhlenmalereien lieber von intellektuellen Diskursen (Platon, Heidegger und Lacan) aus. Sodann entwickelt er drei Varianten von „Bildakten“, nämlich die aus der „Lebendigkeit des Bildes“ gewonnenen „schematischen“, durch den „Austausch von Körper und Bild“ ermöglichten „substitutiven“ und schließlich durch die Form erzeugten „intrinsischen“ Formen einer Aktivierung von Bildern.84 Zwar finde ich viele seiner zur Illustration gesammelten Beispiele implausibel, so etwa die Bildinhalte spielerisch aufgreifenden tableaux vivants als Exempel für eine in den Bildern ruhende Aktionsbereitschaft oder die ebenfalls nicht besonders eigenaktiven „surrealistischen Puppen“.85 Demgegenüber erweist sich eine lebendige Vorstellung von magischer Bildmacht gerade in Bilderstürmen, in denen diese gefährlichen Objekte vor allem deshalb ganz oder teilweise zerstört bzw. in „Götzenkammern“86 gefangenge-
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setzt werden müssen. Sucht man nach einem aktivierenden Agens bei Dingen und stofflichen Trägern, so ist für Bredekamp und in einem übertragenen Sinne durchaus auch für die hier referierten Forschungen die „Agilität der Farben“87 gewiss eine naheliegende Kategorie. Für einige der mittelalterlichen Kreuzigungsdarstellungen mochte man die Körperlichkeit der längst bekannten Figuren auch an der Materialität des Bildes, sogar dessen Leinwandgrund festmachen, so, als „ob […] das lebendige Kunstwerk […] unmittelbar […] selbst agiere“. In diesen Darstellungen kann die Plastizität des wie fließend und herabtropfend erscheinenden roten Blutes die Körperlichkeit des gequälten Heilands erlebbar machen, wie umgekehrt sein Gesicht sich im Schweißtuch der Veronika erhalten haben soll.88 Diese suggerierte Lebendigkeit wird mit einer umgekehrten, die Produktion eines Bildes ermöglichenden Körperpräsenz kurzgeschlossen, nämlich mit „Anthropometrie“-Abdrücken von nackten, von Yves Klein mit seinem betörenden Blau überzogenen, Körpern, die durch rhythmische Berührungen der Leinwand Spuren einer bewegten Farbigkeit zurückließen. (Abb. 10) Monochrom zu malen bedeutete für Klein, „in eine Zone des Immateriellen“ zu gelangen, „in der [er sich] bewusst wurde, ein Europäer zu sein, rechtgläubiger Christ, der an die Auferstehung des Leibes, an die Wiederauferstehung des Fleisches – mit Vernunft – glaubt“.89 Kein Wunder, dass Action Painting nicht weniger als Performances, in welche der eigene Körper in gefährlicher Weise verstrickt wird, tatsächliche Versuche sind, die Physis ekstatisch in Bildformen zu überführen. Jedoch scheint es Bredekamp in einem nicht-metaphorischen Sinn um die wirkliche Eigentätigkeit der Bilder zu gehen – oder ist es am Ende doch (wie das in einem kurzen Nachwort noch schnell eingeführt wird) das menschliche, „mit Adlerflügeln ausgezeichnete Auge“90, dem es auf der Basis entlasteter Umgangserfahrungen im Zusammenspiel von Hand, Auge und zerebraler Verarbeitung gelingt, etwas aus diesem Erlebenszentrum zurückzuspiegeln und dadurch mit den Dingen in einen ‚Dialog‘ zu treten? Zumindest auf diese Weise wird die so erzeugte Faszinationskraft der Objekte immer neu erlebbar. Die mit dem Menschen als Gattungswesen eng verknüpfte Fähigkeit sprachlicher Benennungen des Wahrnehmbaren wie des Imaginierten wird auch von Vertretern dieser neuen Perspektive kaum zu bestreiten sein. Das zunehmende Interesse an der „Interaktion“ zwischen Lebewesen und Dingen (vielleicht braucht man dann als neues Wort „Intraaktion“91) ist getragen von dem Verzicht auf jede Vorentscheidung über die Relationen zwischen Unbe-
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lebtem und Belebtem, sodann zwischen der Fülle der Welt und den an sie herangetragenen Formen einer möglichen Sinnhaftigkeit.92 Insofern wird die kulturelle Vermittlung aller Sachzusammenhänge zwar nicht geleugnet, neuerdings jedoch die Notwendigkeit bestritten, aus ihr immer sinnbezogene Kategorisierungen abzuleiten. Verbunden ist das mit der Verneinung aller Sondermerkmale des Menschen,93 auch gegenüber solchen Theorien, welche – wie die Philosophische Anthropologie – dessen evolutionäre Entwicklung aus der Tierreihe durchaus voraussetzen. So ging (darin George Herbert Meads Überlegungen zur Dingkonstitution ähnlich) auch bereits der Philosoph und Soziologe Arnold Gehlen von einer Herausforderung durch die Dinge aus, indem er deren Eigenwertigkeit großen Einfluss beimaß. Ausdrücklich analysierte er, wie „objektive Gegebenheiten“ für die Menschen immer auch eine Dimension der Potentialität eröffneten und insofern motivbildend wirken können. Er nannte das den „Daseinswert“ der Dinge und ging von der Anschaulichkeit ihres möglichen „Erfüllungswertes“ aus, welcher eine Reaktion auslösen kann, durch die ein Ding dann in einer bestimmten Weise zu nutzen oder zu meiden ist. Dabei spielt dessen Materialität durchgängig eine vorrangige Rolle. Insbesondere im experimentellen Verhalten zeigt sich diese fungible Verknüpfung „von Wahrnehmung, Handlung, Dingreaktion“ und möglichen Sacherfolgen, die immer auch von den, metaphorisch [!] gesprochen, „Dingantworten“ abhängig sind.94 All dies lässt sich zeigen ohne die Annahme, dass die Dinge selbst „handelten“. Der gleichwohl diskursive Erfolg derartiger Entgrenzungen und der zeitbedingte Kritikverzicht gegenüber den Versprechungen einer neuen ‚Einheit der Welt‘ – und dies gerade in einem Zeitalter, das durch eine zuvor nie dagewesene funktionale Ausdifferenzierung gesellschaftlicher Teilbereiche charakterisiert sein soll95 – ist ethisch begründet96 und deshalb so einladend: Entgehen will man der langen und hochmütigen Geschichte einer Unterwerfung der Natur, wie sie sich im jüdischen und christlichen Bezug auf Gottes Befehl beruft, den Luther (den hebräischen Ursinn abendländischaktivistisch verschiebend) übersetzt hat als: „Macht euch die Erde unterthan“ (Gen. 1, 28). John Milton sah in der durch Arbeit veränderten Welt sogar ein „viel seel‘geres Paradies“ als das verlorene.97 Latour setzt dagegen, dass die Menschen fast sämtliche Kulturen und Naturen durch ihre wissenschaftlichen, technischen, administrativen, ökonomischen und religiösen Revolutionen „gewaltsam und blutig
zerstört“ hätten.98 Bildhaft imaginiert er neuerdings eine versöhnte „Gaia-Welt“99 (Abb. 11), in welcher die „nicht wiedergutzumachenden Verbrechen gegen die […] natürlichen und kulturellen Welten“ erkannt werden könnten. Jedoch sei die Konsequenz daraus noch nicht gezogen worden, erst recht habe sich noch kein Wille zur Umkehr entwickelt. Ganz ähnlich hatten in den 1960er Jahren Herbert Marcuse und Jürgen Habermas ein neues Verhältnis zwischen den Menschen und der äußeren Natur kühn-utopisch für möglich gehalten und alle Formen einer zweckgerichteten Rationalität als „eigentümliche Verschmelzung von Technik und Herrschaft“ verstanden. Marcuse glaubte sogar, dass diese unselige Verknüpfung durch den alternativen Entwurf einer „neuen Technik“ überwunden werden könne.100 Dem allerdings widersprach Habermas, weil er die Menschwerdung insgesamt mit dem Prinzip technischer Prozesse verbunden sah.101 Stattdessen forderte er, anstelle der „ausgebeuteten Natur […] die brüderliche“ zu suchen und „Tieren und Pflanzen, selbst den Steinen Subjektivität zuzumuten“, jedenfalls „mit Natur [zu] kommunizieren, statt sie, unter Abbruch der Kommunikation bloß [zu] bearbeiten“. Allerdings sei das erst möglich, wenn die Menschen es gelernt hätten, untereinander „zwanglos“ zu kommunizieren. Erst dann könnten sie sich „als das Andere dieses Subjektes [der Natur]“102 erkennen. Ähnlich hatte Ernst Bloch schon in seinem Hauptwerk Das Prinzip Hoffnung die Ersetzung der „Überlistertechnik“ durch eine neue „Allianztechnik“ gefordert, durch welche der Mensch „in ein nichtausbeuterisches Verhältnis zu sich selbst und zur Natur treten“ könne.103 Bei aller Eindrücklichkeit solcher kritischen Apelle und der Notwendigkeit, ein neues Verhältnis zur Natur herzustellen, weil deren mögliche Schonung zur Überlebensfrage der Menschheit geworden ist, sollte das Thema der „Materialität“104 doch weder zu einem apokalyptischen noch „zu einem sentimentalen Projekt“ geraten.105 Die Kulturbedeutung der Scham über das der Natur Angetane führt auch außerwissenschaftlich allzu leicht zu einer faszinierend-neuen Auratisierung von Objekten bis hin zur Suggestion ihrer Seelenhaftigkeit.106 Ich denke, dass die Eindrücklichkeit und Prägekraft von Formen der Dingpräsenz und ihrer – gerade auch künstlerischen und darin wiederum farbigen – Wirkungsweise unbestreitbar sind, glaube jedoch nicht, es sei das Sprechen von der Eigenmächtigkeit der Dinge in irgendeiner Weise „unmittelbarer“ als jede noch so sinnorientierte kulturelle Setzung.
In diesem Sinne hat man es tatsächlich nicht mit bloß manipulierbaren Gegenständen zu tun, sondern mit gewonnenen und zuweilen künstlich erzeugten Substanzen, die so etwas wie ein „Eigenleben“ besitzen und deren Strahlkraft, aber auch Gefährlichkeit (wie bei dem giftigen Bleiweiß, das für lange Zeit „das wichtigste Pigment in der Geschichte der westlichen Malerei“107 gewesen ist) sie zu dynamischen Größen im Umgang mit ihnen macht. Auf die Farben bezogen, wie sie aus allen möglichen Materialien, aus den Erden (welche zur Quelle einer frühen und vielverwendeten Malfarbe wie dem Ocker wurde) oder aus den Steinen (aus denen Pigmente zu gewinnen sind), aber auch aus Tiersubstanzen und menschlichen Leichen, schließlich als anorganische fast unbegrenzt erzeugbar wurden, sind gerade deren Eigenwirkungen unübersehbar. Hier vollzieht sich stets eine Art von „Dialog“ zwischen reagiblen Lebewesen und diesen zugleich stofflichen und in der Perzeption erst hergestellten Farbeffekten. Aber ein irgendwie intentionales Handeln oder Sich-Verhalten lässt sich nur auf der Grundlage nicht ausgewiesener Handlungs-Kategorien und vager Intentionalitätsannahmen behaupten. Zu Recht also sagte die Belting Schülerin Christiane Kruse gegen Bredekamps zauberisches Angebot: „Die Lebendigkeit, die wir den Bildern übertragen, sind reine Zuschreibungen. Wir haben uns die Regeln für den Gebrauch der Bilder selbst gemacht, sind aber noch weit davon entfernt, diese zu verstehen“.108 Stattdessen werden die uns geläufigen anthropomorphen Alltagsbegriffe, in denen wir mit den uns umgebenden Maschinen zuweilen kommunizieren, in vom Zeitgeist vorgegebene „Tatbestände“ verwandelt. Wie Reimut Reiche in seiner grundlegenden Kritik an Bredekamps Behauptung eines „Handelns der Bilder“ herausgearbeitet hat, möchte dieser, in seinem gesamten Werk phantasievoll Bildwelten eröffnende Kunsthistoriker, nun die konstitutive Bedeutung der Sprache für das Weltverhältnis der Menschen relativieren und damit gegen deren „Bildangst“ die produktive, vielleicht sogar befreiende Rolle von Bildern ins Bewusstsein heben. Reiche hat gezeigt, wie die Kraft der Bilder, mit denen wir konfrontiert sind, oder die, etwa im Traum, in uns selbst erzeugt werden, im Prozess ihres „Begreifens“ mit Begrifflichem verbunden werden109 – ohne dass logozentrisch deren Zweitrangigkeit für die Wahrnehmung der Welt behauptet würde. Entscheidend für den Leistungsaufbau des Menschen ist (wie Gehlen mit Herder sagte)110 die „Sprachmäßigkeit“. Das meint nicht nur „Sprache“ oder gar „Sprechen“, vielmehr die Codierung aller sinnlichen Erfahrungsdaten
Karl-Siegbert Rehberg
A B B . 11: P L A K A T Z U D E M A U S B R U N O L A T O U R S G L E I C H N A M I G E M P R O J E K T HE R V O R G EG A N G E NE N T HE AT E R S T Ü C K S „G A I A G L O B A L C I R C U S “ V O N P I E R R E D U B I G N Y, D A S 2 0 13 U N T E R D E R R E G I E V O N F R E D E R I Q U E A I T T O U AT I U ND C HL O E L AT O U R V O N D E R A C C E N T E T S OIF COMPAGNIE IN TOULOUSE UR AUFGEF ÜHR T W URDE.
(gewonnen durch Fühlen, Sehen, Hören, Schmecken oder Riechen) und deren Vernetzung im menschlichen Gehirn. So entstehen plastische und stets relationale Verknüpfungen unterschiedlichster Erfahrungen und sensitiver Erregungen auf einer Metaebene zumindest sprachanaloger Verarbeitungssysteme, deren Daten frei montierbar und in immer neue Zusammenhänge überführbar sind. Insofern gibt es weder eine losgelöste oder einseitig dominante „Macht“ des Wortes noch auch der Bilder.
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*** Auch für die interdisziplinäre Forschung bieten „eindimensionale Farbenlehren, die für alle Disziplinen und Anwendungsbereiche Gültigkeit“ beanspruchen, keine Grundlage mehr.111 Wenn das mechanistische Wahrnehmungsmodell der cartesianischen Spaltung der Welt überwunden ist, muss man sich auch auf phänomenologische Verfahren der Beobachtung einlassen und eine disziplinübergreifende gemeinsame Basis finden, „nicht in Form einer alles integrierenden Dachtheorie“112, sondern in einer aus der gemeinsamen Lebenspraxis und Kooperation entstehenden Sprache über die Gegenstände.113 Aus allen diesen Überlegungen möchte ich am Ende trotz der, viele Erkenntnisse ermöglicht habenden, Zusammenarbeit im FARBAKS-Verbund die in dessen Titel verwendete Formulierung „Farbe als Akteur“ doch in Frage stellen. Aber auch das zeigt den Ertrag gemeinsamer Reflexion.
Endnoten * Herzlich danke ich für seine Mitarbeit Martin Siebert, der Entscheidendes bei der Erarbeitung der für den Aufsatz verwendeten Materialien und bei der Fertigstellung des Textes beigetragen hat, sowie Konrad Scheurmann für sehr wichtige Anregungen und seine unermüdlich sachlich-engagierte Ermöglichung dieses Einführungstextes, sodann auch Bruno Haas und Rose Marie Schulz-Rehberg für präzisierende Korrekturvorschläge sowie André Karliczek für ebenfalls weiterführende Hinweise. 1
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Theodor W. Adorno sah in den Feuerwerken einen Aspekt des Kunstwerkes, in dem die Leibhaftigkeit göttlicher Erscheinungen präsent würden, denn es sei „empirisch Erscheinendes […], Himmelszeichen und hergestellt in eins, Menetekel, aufblitzende und vergehende Schrift, die doch nicht in ihrer Bedeutung nach sich lesen läßt“, in: Adorno, Theodor W.: Gesammelte Schriften, Bd. 7: Ästhetische Theorie, hg. v. Gretel Adorno u. Rolf Tiedemann, Frankfurt a. M. 1970, S. 125. Es sind hier Verknüpfungen von Materialität und Imagination fast poetisch verdichtet, ohne die heute suggerierte und hier kritisierte (Abschn. III.2) ontologische Ineinssetzung von Belebtem und Unbelebtem nahezulegen. Siehe Schivelbusch, Wolfgang: Lichtblicke. Zur Geschichte der künstlichen Helligkeit im 19. Jahrhundert, München 1983 (S. 11 u. 125–130) über den nicht realisierten „Sonnenturm“ am Trocadéro, der das Pariser Stadtzentrum hätte erleuchten sollen. Siehe ebd. und ders.: Licht, Schein und Wahn. Auftritte der elektrischen Beleuchtung im 20. Jahrhundert, Lüdenscheid 1992 u. ders.: Das verzehrende Leben der Dinge. Ein Versuch über Konsumtion, München 2015. Siehe Paul, Gerhard: Muster aus Licht. NASA-Nachtbilder aus dem All, in: FAZ, 12.05.2011 sowie zur globalen Lichtverschmutzung den Beitrag von Ute Hasenöhrl im vorliegenden Band. Hebestreit, Andreas: Die soziale Farbe. Wie Gesellschaft sichtbar wird, Wien, Zürich, Berlin u. Münster 2007, S. 3 u. 375 f. Scheurmann, Konrad: Farbiges aus Natur, Kunst und Wissenschaft. Einführung in die Ausstellungsthematik, in: rot. grün. blau. Experiment in Farbe & Licht, hg. v. Konrad Scheurmann, Ilmenau 2008, S. 16–21, S. 16. Was beispielsweise das Interesse der Künstler an theoretischen Grundlagen ihrer Arbeitsmittel betrifft, meinte schon Goethe, Johann Wolfgang von: Zur Farbenlehre. Didaktischer Teil [zuerst 1810], in: ders.: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hg. v. Erich Trunz, Bd. 13, München 1989, S. 314–523, S. 517 (Nr. 900), dass man „bei den Malern eine Furcht, eine entschiedene Abneigung gegenüber allen theoretischen Betrachtungen über die Farbe“ finde. Siehe Haraway, Donna: Die Neuerfindung der Natur. Primaten, Cyborgs und Frauen, Frankfurt a. M. u. New York 1995; Tietmeyer, Elisabeth / Hirschberger, Claudia / Noack, Karoline / Redlin, Jane (Hg.): Die Sprache der Dinge. Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf die materielle Kultur (Museum Europäischer Kulturen; 5), Münster, New York, München u. Berlin 2010; Raff, Thomas: Die Sprache der Materialien. Anleitung zu einer Ikonologie der Werkstoffe (Kunstwissenschaftliche Studien; 61), München 2008; Straessle, Thomas / Torra-Mattenklott, Caroline (Hg.): Poetiken der Materie. Stoffe und ihre Qualitäten in Literatur, Kunst und Philosophie (Rombach Wissenschaften; 132), Freiburg i. Br. u. Berlin 2005; Bennett, Jane: Vibrant Matter. Political Ecology of Things. Durham u. London 2010; Breidbach, Olaf: Sehen Wissen. Bemerkungen zu Horst Bredekamps Konzept einer historischen Bildwissenschaft, in: Philosophische Rundschau, Bd. 54, 1, 2007, S. 85–95; Seier, Andrea: Die Macht der Materie. What Else is New? in: Zeitschrift für Medienwissenschaft, Bd. 11, 2, 2014, S. 186–191; Barad, Karen: Agentieller Realismus, Über die Bedeutung materiell-diskursiver Praktiken (Edition Unseld; 45), Berlin 2012, S. 73; Witzgall, Susanne: Macht des Materials / Politik der Materialität. Eine Einführung, in: Macht des Materials / Politik der Materialität (Schriftenreihe des cx centrum für interdisziplinäre Studien der Akademie der Bildenden Künste München), hg. v. Susanne Witzgall u. Kerstin Stakemeier, Zürich u. Berlin 2014, S. 13–27 und dort genannte Arbeiten von Dolphijn, Rick / van der Tuin, Iris: New Materialism. Interviews & Cartographies, Ann Arbor 2012; Bath, Corinna / Bauer, Yvonne / Bock von Wülfingen, Bettina / Saufe, Angelika / Weber, Jutta: Materialität denken. Positionen und Werkzeuge, in: Materialität denken. Studien zur technologischen Verkörperung – Hybride Artefakte, posthumane Körper, hg. v. Corinna Bath et al., Bielefeld 2005, S. 9–30 sowie Barrett, Estelle / Bolt, Barbara (Hg.): Carnal knowledge. Towards a ‘New Materialism’ of arts, London u. New York 2013. Siehe zu diesem Titel des Verbundprojektes die Schlusspassage des vorliegenden Beitrages. Siehe den Beitrag von Bruno Haas im vorliegenden Band. Ähnliche Gedanken zur Sachdominanz wurden schon in der soziologischen „Leipziger Schule“ im Umkreis von Hans Freyer entwickelt, so insbesondere von Linde, Hans: Sachdominanz in Sozialstrukturen (Gesellschaft und Wissenschaft; 4), Tübingen 1972, der die materiellen Objektivationen als „Teil der interpretativen Ordnung der Gesellschaft“ und als „Elemente eines symbolisch vermittelten Sinnsystems“ und „Bedeutungsgefüges“ bezeichnet hat; siehe Miklautz, Elfie: Die Sprache der Dinge. Kunstwissenschaftlicher Symbolbegriff und soziale Realität, in: Kultur und Gesellschaft. Gemeinsamer Kongreß der Deutschen, der Österreichischen und der Schweizerischen Gesellschaft für Soziologie, Zürich 1988, hg. v. Hans-Joachim Hoffmann-Nowotny, Zürich 1989, S. 742 ff. Einem solchen Sachdenken stehen auch Arnold Gehlens anthropologisch begründete Kategorien „Sachlichkeit“ und „Versachlichung“ sowie sein politisch zugespitzter Ausdruck „Sachzwang“ nahe, siehe Gehlen, Arnold: Gesamtausgabe, Bd. 7: Einblicke, hg. v. Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. M. 1978, S. 51 u.ö., ders.: Ende der Geschichte? (1957), in: ders.: Gesamtausgabe, Bd. 6: Die Seele im technischen Zeitalter und andere sozialpsychologische, soziologische und kulturanalytische Schriften, hg. v. Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. M. 2004, S. 336–361, 342 u. ö. und ders.: Moral und Hypermoral. Eine pluralistische Ethik, hg. v. Karl-Siegbert Rehberg, 7. Aufl., Frankfurt a. M. 2016, S. 88 u. 100 f. Siehe zur Entwicklung einer die Farbkonzepte einbindenden Kultursemiotok: Trautsch, Christian: Farbe als Natur- und Kulturzeichen, in: TRANS: Internet-Zeitschrift für Kulturwissenschaften, Nr. 18, Juni 2011; http://www.inst.at/trans/18Nr/II-11/trautsch18.htm (19.01.2017). Cassirer, Ernst: Nachgelassene Manuskripte und Texte, Bd. 6: Vorlesungen und Studien zur philosophischen Anthropologie, hg. v. Gerald Hartung u. Herbert Kopp-Oberstebrink, Hamburg 2005, S. 261 u. ders.: Versuch über den Menschen. Einführung in eine Philosophie der Kultur (Philosophische Bibliothek; 488), Hamburg 1996, S. 51. Siehe z. B. Rehberg, Karl-Siegbert: Symbolische Ordnungen. Beiträge zu einer soziologischen Theorie der Institutionen, hg. v. Hans Vorländer. Baden-Baden 2014, S. 55–61 u.ö. Mausfeld, Rainer: Zur Natur der Farbe. Die Organisationsweise von „Farbe“ im Wahrnehmungssystem, in: Farben. Betrachtungen aus Philosophie und Naturwissenschaften (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1825), hg. v. Jakob Steinbrenner u. Stefan Glasauer, Frankfurt a. M. 2007, S. 332–361, S. 335. Manuskript online unter: http://www.uni-kiel.de/psychologie/psychophysik/ mausfeld/Mausfeld_Farben_Suhrkamp.pdf (06.04.2017). Wittgenstein, Ludwig: Vorlesungen 1930–1935. Cambridge 1930–1932 aus den Aufzeichnungen von John King und Desmond Lee. Cambridge 1932–1935 aus den Aufzeichnungen von Alice Ambrose und Margaret Macdonald (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 865), Frankfurt a. M. 1989, S. 191 f.
Karl-Siegbert Rehberg
16 Mausfeld, Rainer 2007 (wie Anm. 14), S. 4 u. Schierz, Christoph: Farbe immateriell oder Welche Farbe hat das Nichts?, in: rot. grün. blau. Experiment in Farbe & Licht, hg. v. Konrad Scheurmann, Ilmenau 2008, 34–41, S. 37. 17 Siehe Platon: Politeia 514a–518b; Schierz, Christoph 2008 (wie Anm. 16), S. 34 hat am Beispiel der Blindekuh-Restaurants in Zürich und Basel die Frage erörtert, was Blinde sehen, jedenfalls sei „Unsichtbar […] nicht gleich Schwarz“. 18 Siehe den Beitrag von Bruno Haas im vorliegenden Band. 19 Siehe Scheurmann, Konrad 2008 (wie Anm. 6), S. 16, der auf Goethes Beiträge zur Optik verweist und darauf, dass dieser sich von seinen Studien revolutionäre Folgen sowohl in der „Naturlehre als auch der Kunst“ versprach (30.05.1790); siehe auch Trunz, Erich: Nachwort zur Farbenlehre, in: Goethe, Johann Wolfgang von: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hg. v. Erich Trunz, Bd. 13, München 1989, S. 613–640, S. 613. 20 Siehe Boehme, Gernot: Licht und Raum. Zur Phänomenologie des Lichts, in: Symbolisches Flanieren. Kulturphilosophische Streifzüge. Festschrift für Heinz Paetzold zum 60., hg. v. Roger Behrens, Kai Kresse u. Ronnie M. Peplow, Hannover 2001, S. 142–157, S. 144, der die Phänomenologie des Lichts mit Goethes Definition der Farbe als einer „gesetzmäßigen Natur in Bezug auf den Sinn des Auges“ in Verbindung bringt (Goethe, Johann Wolfgang von 1989 (wie Anm. 6), S. 324). Siehe dazu Schopenhauer, Arthur: Ueber das Sehn und die Farben. Eine Abhandlung, hg. v. Julius Frauenstädt, 3., verb. u. verm. Aufl., Leipzig 1870, S. 68: „Die Farben selbst, ihre Verhältnisse zu einander und die Gesetzmäßigkeit ihrer Erscheinung, dies Alles liegt im Auge selbst, und ist nur eine besondere Modifikation der Thätigkeit der Retina.“ 21 Arthur Schopenhauer schrieb an den englischen Maler und Schriftsteller Sir Ch. Eastlake, dass ihm der Entdecker der ThermoElektrizität, Thomas Johann Seebeck, das Versprechen abgenommen habe, der Welt nicht mitzuteilen, dass „Göthe in der That vollkommen Recht und Newton Unrecht habe“ (Vorrede des Herausgebers der 3. Aufl. von Schopenhauer, Arthur 1870 (wie Anm. 20), S. XIII ff.). 22 Siehe Weizsäcker, Carl Friedrich von: Einige Begriffe aus Goethes Naturwissenschaft, in: Goethe, Johann Wolfgang von: Werke. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hg. v. Erich Trunz, Bd. 13, München 1989, S. 539–555, S. 539 f. sowie Goethes Ankündigung seines Werkes vom 18.08.1791, das er als ein studierender „Liebhaber“ nicht nur an „Kenner“ adressiere, in: Ankündigung eines Werkes über die Farben vom geheimen Rat von Goethe, in: Goethe, Johann Wolfgang von 1998 (wie Anm. 6), S. 445–447. 23 Siehe Johann Wolfgang von Goethe: Resultate meiner Erfahrungen [Aufzeichnung vom 15.07.1793], in: Goethe, Johann Wolfgang von 1998 (wie Anm. 6), S. 449. 24 Siehe Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe, Bd. 5: Das Blaue Buch. Eine philosophische Betrachtung (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 505), hg. v. Rush Rhees, Frankfurt a. M. 1984, S. 349, 343 u. 377. 25 Siehe bes. Mausfeld, Rainer 2007 (wie Anm. 14), S. 9 u. 22 ff. 26 Kant, Immanuel: Kritik der reinen Vernunft [zuerst 1781], in: ders.: Werkausgabe, Bd. III, IV, hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1976, S. 77 f.; siehe des Weiteren: S. 86–96 (KrV, trans. Ästhetik § 3, 8) sowie S. 210 (trans. Logik, erste Abteilung, zweites Buch, zweites Hauptstück, dritter Abschnitt, Nr. 2); siehe z. B. auch Kambartel, W.: Farbe, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie, hg. v. Joachim Ritter, Bd. 2, Basel 1972, Sp. 908–910; Häberle, Christoph Johannes: Farben in Europa. Zur Entwicklung individueller und kollektiver Farbpräferenzen, Diss., Universität Wuppertal 1999, bes. S. 6, 25 u. 28 sowie Mausfeld, Rainer 2007 (wie Anm. 14), S. 339 f. 27 Schopenhauer, Arthur 1870 (wie Anm. 20), Vorrede zur 2. Aufl., S. VII f. 28 Siehe Mausfeld, Rainer 2007 (wie Anm. 14), S. 1 u. 16; das von Olaf Breidbach (†) und André Karliczek konzipierte FARBAKSTeilvorhaben ging genau von diesen Prämissen aus. 29 Eco, Umberto: Kunst und Schönheit im Mittelalter, München 1991, S. 68. 30 Siehe Schöne, Wolfgang: Über das Licht in der Malerei, Berlin 1954, S. 20–81. 31 Suger von Saint Denis sah im Gegensatz zur Verdammung der Schönheit durch den Heiligen Bernhard gerade in diesen kostbaren Materialien eine Repräsentation der Idee des übermächtigen Gottes und ein Mittel, den Glauben an eine übersinnlich-geistige Welt zu stärken. So sah man schon im Mittelalter in der belezza materiale eine Erscheinungsweise der „visione della bellezza immateriale e perfetta del Creatore“, weshalb die Herrlichkeit und vielfarbige Schönheit der casa di Dio nicht eine Angelegenheit des Luxus, vielmehr der Frömmigkeit sei; siehe De Benedictis, Cristina: Per la storia del collezionismo italiano. Fonti e documenti, 2. Aufl., Firenze 1998, S. 14. 32 Siehe z. B. Leonardo da Vinci: Traktat von der Malerei, übers. v. Heinrich Ludwig, neu eingel. u. hg. v. Marie Herzfeld, Jena 1909, S. 33, 39 u. ö. 33 Siehe zur „Erfindung” der Ölmalerei: Vasari, Giorgio: Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister von Cimabue bis zum Jahre 1567. Nachdruck der 1. dt. Gesamtausg., hg. v. Julian Kliemann, Bd. 6, Stuttgart 1983, S. 167 f. sowie Scheewe, Ludwig: Hubert und Jan van Eyck. Ihre literarische Würdigung bis ins 18. Jahrhundert, Haag 1933, S. 54 sowie zur Inschrift auf dem Genter Altar die dem Bibeltext folgende und von dem Theologen Matthias Klinghardt (Dresden), dem auch für weitere Hinweise zu diesem Text zu danken ist, ergänzte lateinische Originalfassung: „HAEC EST SPECIOSOR SOLE / SVPER OMNEM STELLARVM DISPOSITIONEM LVCI COMPARATA INVENITVR PRIOR CANDOR EST ENIM LUCIS AETERNAE / SPECVLVM SINE MACVLA DEI MAIESTATIS“. 34 Siehe den Beitrag von Gerhard Bauer im vorliegenden Band. 35 Marini, Maurizio: Caravaggio. Werkverzeichnis, Frankfurt a. M., Berlin u. a. 1980, S. 5. 36 1672 wurde diese Malweise aus der beunruhigenden Fremdheit seiner Person abgeleitet: Caravaggio „war von dunkler Farbe und hatte dunkle Augen, schwarze Augenbrauen und Haare, und so fielen natürlich auch seine Gemälde aus“, zit. in: Longhi, Roberto: Caravaggio, 3. Aufl., Dresden u. Basel 1993, S. 37. 37 Schöne, Wolfgang 1954 (wie Anm. 30), S. 142. 38 Siehe Schröder, Klaus Albrecht / Widauer, Heinz (Hg.): Matisse und die Fauves, Köln 2013. Siehe auch Haas, Bruno: Ankunft der Farben, in: Im Farbenrausch. Munch, Matisse und die Expressionisten, Red. Mario-Andreas von Lüttichau, Göttingen 2012, S. 45–58. 39 Düchting, Hajo: Licht und Schatten. Vom Hell und Dunkel in der Kunst, Stuttgart 2011, S. 9 f. 40 Siehe zu dem eingangs zitierten Negativurteil Hebestreits Anm. 5 sowie Haas, Bruno 2012 (wie Anm. 38), der eine andere Beziehung zwischen schwarz-weißen Pressefotos und der Entgrenzung der Farbigkeit diskutiert. 41 Winckelmann, Johann Joachim: Gedanken über die Nachahmung der griechischen Werke in der Malerei und Bildhauerkunst, hg. v. Bernhardt Seuffert, Stuttgart 1885, S. 29 u. ders.: Werke, Bd. 1: Die Geschichte der Kunst des Alterthums, Dresden 1839, S. 130. 42 Ganz im Gegenteil dazu sah der erste Dresdner Galeriedirektor Carl Heinrich von Heine[c]ken darin Anzeichen einer Fälschung, allenfalls eine Gehilfenarbeit erkennen wollend (siehe Ladwein, Michael: Raffaels Sixtinische Madonna. Literarische Zeugnisse aus zwei Jahrhunderten, 2., vollst. überarb. u. erw. Aufl., Dornach 2004, S. 28) und Jelinek, Ludwig: Madonna Sistina. Eine Monographie,
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Dresden 1899 (S. 9, 85 u. 91), der in seiner verschwörungstheoretisch anmutenden Arbeit eine vielfache, etwa durch die Restaurierungen noch verschlimmerte Fälschung annahm. Johann Joachim Winckelmann und Caroline Schlegel zit. in: Rehberg, Karl-Siegbert: Sakralisierung im Museum. Zur Kunstkarriere eines „Ausnahmebildes“, in: „Man könnt vom Paradies nicht angenehmer träumen“. Festschrift für Harald Marx zum 15. Februar 2009, hg. v. Andreas Henning, Uta Neidhardt u. Martin Roth, Berlin u. München 2009, S. 219–225, S. 221 sowie Brink, Claudia: Der Name des Künstlers. Ein Raffael für Dresden, in: Raffael. Die Sixtinische Madonna. Geschichte und Mythos eines Meisterwerks, hg. v. Claudia Brink u. Andreas Henning, München u. Berlin 2005, S. 53–92, S. 75 f. Bruno Haas wies mich darauf hin, dass für Kant die einfache (nicht-relationale) Farbe lediglich als „angenehm“ wirke (siehe Kant, Immanuel: Kritik der Urteilskraft [zuerst 1790], in: ders.: Werkausgabe, Bd. X, hg. v. Wilhelm Weischedel, Frankfurt a. M. 1978, S. 125 ff.). Wenn Farbe jedoch durch eine Wellenlänge bestimmt wäre, so riefe sie nicht „bloße Empfindungen“ hervor, sondern könnte „schon formale Bestimmung der Einheit eines Mannigfaltigen“ sein und „alsdann auch für sich zu Schönheiten gezählt werden“ (ebd., S. 140). Hegel, Georg Wilhelm Friedrich: Werke, Bd. 15: Vorlesungen über die Ästhetik, Red. Eva Moldenhauer u. Karl Markus Michel, Frankfurt a. M. 1970. (§ 278 [S. 122–125]) lehnte sich in seiner Ästhetik an die Farbenlehre Goethes an und sah in der Farbe das eigentlich Malerische und somit eine „Verschmelzung […] der lebendigen volleren Wirklichkeit mit der inneren Religiösität des Gemüts“, durch welche „die körperliche Gestalt in ihrer Stellung, Bewegung und Färbung [!] nicht bloß ein äußerliches Gerüst bleibe, sondern […] als gleichmäßig schön erscheine“ (ebd., S. 121). Insofern empfand Hegel im Vergleich mit der „klassischen“ Skulptur die Malerei als „romantische“ Kunstgattung; siehe auch Collenberg-Plotnikov, Bernadette: Thesen zur gegenwärtigen Bedeutung der Kunst. Hegels Konzeption zur Malerei in der Berliner Ästhetikvorlesung von 1823, in: Hegel-Jahrbuch 2000, S. 48–53. Siehe Sedlmayr, Hans: Verlust der Mitte. Die bildende Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts als Symptom und Symbol der Zeit, 10. Aufl., Frankfurt a. M., Berlin u. Wien 1985, S. 84. Siehe zwei Beschreibungen von Turners Gemälden in: Düchting, Hajo 2011 (wie Anm. 39), S. 10. Goethe, Johann Wolfgang von 1989 (wie Anm. 6), S. 502 (Nr. 808). Turner malte 1853 ein von dem gigantischen Vulkanausbruch des Tambora auf der Insel Sumbawa (heutiges Indonesien) im Jahre 1816 angeregtes Gemälde mit dem Titel „Der Morgen nach der Sintflut: Moses schreibt das Buch der Genesis (Licht und Farbe [Goethe‘s Theorie])“, Tate Gallery London. Siehe Neidhardt, Uta: Von Paradiesen und Höllen – fantastische Landschaftsmalerei in unruhigen Zeiten, in: Das Paradies auf Erden. Flämische Landschaften von Bruegel bis Rubens, hg. v. Uta Neidhardt u. Konstanze Krüger, Dresden 2016, S. 36–45. Siehe Geimer, Peter: Rot, Gelb und Blau. Kongenial genial!, in: Die Zeit, 23. Oktober 2014 [über Mike Leighs‘ Film „Mr. Turner“]. Turner soll nach Ruskin schlechte Farben benutzt haben, vor deren Unbeständigkeit ihn sogar sein Farbhändler warnte, der prognostizierte, viele der leuchtenden, geradezu explodierenden Farben würden in wenigen Jahren nicht mehr zu sehen sein; siehe auch Finlay, Victoria: Das Geheimnis der Farben. Eine Kulturgeschichte, 11. Aufl., Berlin 2013, S. 158 f. sowie zur Beständigkeit malerischer Materialien auch die Beiträge von Christoph Herm und Thomas Prestel im vorliegenden Band. Düchting, Hajo 2011 (wie Anm. 39), S. 10. Gerhard Richters, von Joachim Kardinal Meisner scharf kritisiertes Fenster im Kölner Dom wurde 2007 enthüllt; inzwischen gibt es Kirchenfenster auch von Neo Rauch im Naumburger Dom (ebenfalls 2007), Markus Lüpertz (2014 in St. Andreas in Köln) und Max Uhlig (in Magdeburg 2014 ff.). Schmitt, Ulrike: Der Doppelaspekt von Materialität und Immaterialität in den Werken der ZERO-Künstler 1957–67; 2013, http://kups.ub.uni-koeln.de/4863/1/SchmittDiss.pdf (06.04.2017), S. 221; siehe auch Pörschmann, Dirk / Visser, Mattijs (Hg.): ZERO 4 3 2 1, Düsseldorf 2012. Schmitt, Ulrike 2013 (wie Anm. 52) S. 60. Siehe Kandinsky, Wassily: Über das Geistige in der Kunst. Insbesondere in der Malerei, rev. Neuaufl., Bern 2004. Helmuth Plessner hat diese Verschmelzung von expressionistischer Malerei und Musik scharf kritisiert, siehe dazu: Rehberg, Karl-Siegbert: Begegnung in Bildern. Anthropologische und soziologische Analysen der bildenden Künste bei Helmuth Plessner und Arnold Gehlen, in: Ästhetik in metaphysik-kritischen Zeiten. 100 Jahre „Zeitschrift für Ästhetik und Allgemeine Kunstwissenschaft“ (Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft; Sonderheft 8), hg. v. Josef Früchtl u. Maria Moog-Grünewald, Hamburg 2007, S. 269–284 sowie zur begrenzten Brauchbarkeit dieser Analogie den Beitrag von Bruno Haas im vorliegenden Band; übrigens hat schon Hegel die Magie des Kolorits als ein „objektloses Spiel des Scheinens“ als so „seelenhaft“ empfunden, „daß sie ins Bereich der Musik herüberzugehen anfangen“ (Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 1970 (wie Anm. 44), S. 80). Siehe Häberle, Christoph Johannes 1999 (wie Anm. 26), S. 20. Siehe Starkie, Enid: Das trunkene Schiff. Das Leben des Jean Arthur Rimbaud, Hamburg 1963, S. 122 mit dem Verweis, dass die Annahme einer Verwandtschaft zwischen Farben und Tönen bereits bei Pierre-Simon Ballanche, E.T.A. Hoffmann, Charles Baudelaire und Honoré de Balzac zu finden sei. Rimbaud habe sich als „visionärer Seher“ verstanden und sich von der Kabbala und Büchern über Magie anregen lassen (S. 115). Während Hans Therre und Rainer G. Schmidt (in Rimbaud, Arthur: Poetische Werke. 2 Bde, hg. v. Hans Therre u. Rainer G. Schmidt, München 1980) behaupteten, der Dichter habe sich „strikt an ein Schema des alchemistischen Prozesses gehalten“ (ebd. Bd. 2, S. 291), verweist Starkie auf ein damals populäres Kinderalphabet, das (nur bei dem Vokal „e“ differierend) 1934 auch in der Nouvelles Revue Française publiziert worden sei; siehe auch die vernichtende Kritik an der deutschen Rimbaud-Ausgabe in: Becker, Peter von: Ich ist ein Anderer, in: Die Zeit, 14.11.1980. Der Autor dieses Beitrags war im FARBAKS-Projekt Leiter des Forschungsthemas 7: „Vom Identifikations- zum Differenzsymbol. Die Farbe als gesellschaftliches Kommunikationsmedium und Ausdruck sozialer Statuslagen im 20. und 21. Jahrhundert“, in dem Paul Kaiser als wissenschaftlicher Mitarbeiter angestellt war; siehe Kaiser, Paul: Farbattacken in die Grauzone. Eigennormen und Symbolpolitik in der DDR-Boheme, in: Gegenstimmen. Kunst in der DDR 1976–1989, hg. v. Andreas H. Apelt u. Christoph Tannert, Berlin 2016, S. 20–27. Siehe den Beitrag von Anna-Brigitte Schlittler im vorliegenden Band und Schawelka, Karl: Fragmentarische Überlegungen zum Thema ‚Schwarz als Stammestracht der Intellektuellen‘, in: rot. grün. blau. Experiment in Farbe & Licht, hg. v. Konrad Scheurmann, Ilmenau 2008, S.42–44. Siehe zum Fehlen präziser Farbausdrücke bei den Griechen zu „Blau“ z. B. Goethe, Johann Wolfgang von 1989 (wie Anm. 6), S. 34 und zu „Grün“ z. B. Gladstone, William E.: Homer and the Homeric Age, Oxford 1858, S. 488 zit. in: Hebestreit, Andreas 2007 (wie Anm. 5), S. 3 sowie Irwin, Eleonor: Colour Terms in Greek Poetry, Toronto 1974; Wirzbicka, Anna: Semantics. Primes and Universals, Oxford 1996 sowie Karliczek, André: Vorwort, in: Farre. Farbstandards in den frühen Wissenschaften, hg. v. Andreas Schwarz u. André Karliczek, Jena 2016, S. 6–12.
Karl-Siegbert Rehberg
60 Mausfeld, Rainer 2007 (wie Anm. 14), S. 12, dort auch das Zitat von Rudolf Hochegger. 61 Siehe zur nicht existierenden Universalität abstrakter Farbbegriffe auch: Casson, Ronald W.: Color shift. Evolution of English color terms from brightness to hue, in: Color categories in thought and language, hg. v. Clyde L. Hardin u. Luisa Maffi, Cambridge 1997, S. 224–239 und zur Farbe „Rot“ im Verhältnis zu Begriffen: Starwson, Galen: Red and ‚red‘, in: Synthese, Bd. 78, 1998, S. 193–232. 62 Siehe Mausfeld, Rainer 2007 (wie Anm. 14), S. 27 sowie zu variierenden Farbunterscheidungen auch Zajonc, Arthur: Die gemeinsame Geschichte von Licht und Bewußtsein, Rheinbek b. Hamburg, 1994, S. 26 f.: Ausgehend von Homers Darstellung, wie Helios den sterblichen Menschen das Licht bringe, kommen in der „Odyssee“ sofort Farbvalenzen ins Spiel, etwa das „weinfarbene Meer“ (das im Original nie als blau, sondern als „schwarz, weiß, grau, purpurfarben oder dunkel“ bezeichnet wird) oder die verschiedenen Blautöne des Wassers und Himmels (der im Original allerdings auch mit „ehern“ oder „bronzefarben“ bezeichnet wird). Dem entsprechen auch die Wortwahlen Rudolf Alexander Schröders (Zürich 1950) in seiner Übersetzung von Homers „Odyssee“: „blausträhniger Gott“ (S. 38), „schwärzliches“ Blut (S. 52), „purpurne“ Woge (S. 37) oder Kissen (S. 119), „schimmernde, blaue Gewässer“ (S. 47) „grauliches Salz“ oder „graue“ Gewässer (S. 386), „purpurner Wein“ (S. 89 u. 148), „blau-buntfarbener Bug“ (S. 47) oder „rotglänzende Wangen“ eines Schiffes (S. 387), „hyazinthenes“ Haar (S.104), glänzendes Erz „mit blau-lasurenem“ Friese (S. 111), überhaupt die „glänzenden“, „strahlenden“, „funkelnd leuchtenden“ etc. Metallfarben. 63 Siehe Goethe, Johann Wolfgang von 1989 (wie Anm. 6), S. 459 sowie eine Passage aus der „Farbenlehre“, die in die Hamburger Ausgabe nicht aufgenommen wurde, in: ders.: Gedenkausgabe der Werke, Briefe und Gespräche, hg. v. Ernst Beutler, Bd. 16, Zürich, 1948, S. 288. 64 Anderson, Alexandra / Davies, Ian R. L. / Sowden, Paul T.: The evolution of grue. Evidence for a new colour term in the language of the Himba, in: Colour studies. A broad spectrum, hg. v. Wendy Anderson, Carole P. Biggam, Carole Hough u. Christian Kay, Amsterdam u. Philadelphia 2014, S. 53–66. 65 Hebestreit, Andreas 2007 (wie Anm. 5), S. 5. 66 Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über die Farben (Bibliothek Suhrkamp; 616), hg. v. G. E. M. Anscombe, Frankfurt a. M. 1979, § 22 (S. 15), zit. in: Rehbock, Theda: Die Farbenlehre: mehr als eine interdisziplinäre Herausforderung, in: 3. Dresdner Farbenforum. Interdisziplinärer Farbentag der Technischen Universität Dresden, Dresden 1997, S. 10–31, S.21. Das ist auch das Anliegen von Hebestreit, Andreas 2007 (wie Anm. 5). 67 Siehe zu dem von Karen Barad eingeführten Terminus „agentiell“ Anm. 7 sowie Coole, Diana / Frost, Samantha (Hg.): New materialisms: ontology, agency, and politics, Durham u. London 2010. 68 Susanne Witzgall (2014 (wie Anm. 7), S. 18) spricht von einer „Erschöpfung linguistischer und (sozial-)konstruktivistischer Ansätze“. 69 Siehe Finke, Marcel / Halawa, Mark A.: Materialität und Bildlichkeit. Einleitung, in: Materialität und Bildlichkeit. Visuelle Artefakte zwischen Aisthesis und Semiosis, hg. v. Marcel Finke und Mark A. Halawa, Berlin 2012, S. 9–20, S. 12, wo auf eine zunehmende „Immaterialisierung“ in der Postmoderne, dabei etwa auf Jean Baudrillards Agonie des Realen (1978) verwiesen wird, mit Stichworten wie „Digitalisierung, Entkörperlichung, Virtualität, Simulation oder Simulacrum“. Demgegenüber habe etwa die Kunstgeschichte sich dem „Material der Kunst“ verstärkt zugewandt; siehe auch Wagner, Monika: Das Material der Kunst. Eine andere Geschichte der Moderne, München 2002. 70 Bredekamp, Horst: Kunstkammer und Grünes Gewölbe. Verspiegelte Dialektik, in: Eröffnung des Historischen Grünen Gewölbes. Erinnerungen an ein einmaliges Ereignis, hg. v. Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Dresden 2007, S. 139–143. 71 Latour, Bruno: Wir sind nie modern gewesen. Versuch einer symmetrischen Anthropologie (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1861), Frankfurt a. M. 2008, S. 7. 72 Ebd.; siehe dazu differenzierter: Andrea Seier (2014 (wie Anm. 7), S. 191), die zwar dieselben Fragen stellt, jedoch anstelle der ontologischen Verschmelzung aller möglichen Phänomene präziser formuliert: Gegenstand sei das „Verhältnis von Diskurs und Materie, von Körper und Apparat, von Technologischem und Sozialem, von Ereignis und Dauer, von Realität und Performativität – all dies prozesshaft und unabschließbar“; der britische Archäologe Collin Renfrew und der Neurowissenschaftler Lambros Malafouris gehen in Absetzung bloßer Gleichsetzungen von einem „Äquivalenzprinzip“, nämlich von der Ähnlichkeit zwischen Prozessen der Außenwelt und den kognitiven Prozessen des Gehirns aus, nehmen also keine Identität, vielmehr eine Synergie durch eine „Verflechtung von Gehirnen, Körpern und Dingen, die sich in Realzeit und Raum entfaltet“ an; zit. in: Witzgall, Susanne 2014 (wie Anm. 7), S. 18. 73 Siehe zur mediengeleiteten Weltwahrnehmung z. B. Gehlen, Arnold: Die Seele im technischen Zeitalter. Sozialpsychologische Probleme in der industriellen Gesellschaft (1957/1972), in: ders. 2004 (wie Anm. 10), S. 1–137, bes.: S. 51–56 („Erfahrung zweiter Hand“) und Luhmann, Niklas: Die Realität der Massenmedien, 2., erw. Aufl., Wiesbaden, 1996, S. 9. 74 Siehe Latour, Bruno: Kann die Menschheit ohne Thunfisch noch dieselbe sein? Ein Gespräch, in: Powision, Jg. 4, 1, 2009, S. 69–73. 75 Siehe Latour, Bruno 2008 (wie Anm. 71), bes. S. 129–133. 76 Siehe Schulz-Schaeffer, Ingo: Akteure, Aktanten und Agenten. Konstruktive und rekonstruktive Bemühungen um die Handlungsfähigkeit von Technik: Sozionik. Soziologische Ansichten über künstliche Sozialität, hg. v. Thomas Malsch, Berlin 1998, S. 129–167. 77 Vorsichtiger bezeichnete Karen Barad 2012 (wie Anm. 7) in ihrem Konzept eines „agentiellen Realismus“ Materialität mit Bezug auf Nils Bohr als „Relationen ohne zuvor existierende Relata“ und prägte dafür den Neologismus „Intraaktion“, zit. in: Witzgall, Susanne 2014 (wie Anm. 7), S. 15. 78 Siehe Latour, Bruno: A collective of humans and non-humans. Following Daedalus’s labyrinth, in: Pandora’s hope. Essays on the reality of science studies, Cambridge, Mass. 1999, S. 174–214, ders.: Will non-humans be saved? An argument in ecotheology, in: Journal of the Royal Anthropological Institute, Bd. 15, 2009, S. 459–475. 79 Auch Marcel Finke und Mark A. Halawa (2012 (wie Anm. 69), S. 15) haben betont, dass die neuen Bestimmungen von Materialität häufig verbunden seien mit einer rationalitätskritischen „Problematisierung der Dominanz des Sinns, der Verabsolutierung des Medialen oder der Hypostasierung des Diskursiven“; siehe zu der damit kritisierten Position auch: Gertenbach, Lars: Kultur ohne Bedeutung. Die Grenzen der Hermeneutik und die Entgrenzung der Kultursoziologie, in: Kultursoziologie im 21. Jahrhundert, hg. v. Joachim Fischer u. Stephan Moebius, Wiesbaden 2014, S. 103–115 und die Kritik wiederum daran in: Rehberg, Karl-Siegbert: Kommentar zu Lars Gertenbach, in: ebd., S. 116–123. 80 Siehe Bredekamp, Horst: Theorie des Bildakts, 3. Aufl., Berlin 2013 und die Rezension von Olaf Breidbach 2007 (wie Anm. 7). 81 Siehe Rehberg, Karl-Siegbert: Kunst, in: Handbuch Anthropologie, hg. v. Eike Bohlken u. Christian Thies, Stuttgart u. Weimar 2009, S. 359–363 und Häberle, Christoph Johannes 1999 (wie Anm. 26), S. 9. 82 Siehe Bredekamp, Horst: Antikensehnsucht und Maschinenglaube. Die Geschichte der Kunstkammer und die Zukunft der Kunstgeschichte, Berlin 1993.
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83 Dieser magische Bildtypus ist breit belegt in Belting, Hans: Bild und Kult. Eine Geschichte des Bildes vor dem Zeitalter der Kunst, 2. Aufl., München 1991; es folgt dann in der Renaissance und mit der frühen flämischen Malerei im 15. Jahrhundert eine Autonomisierung der Bildschaffung: Das „Kunstgemälde“ wird geboren; siehe dazu Belting, Hans / Kruse, Christiane: Die Erfindung des Gemäldes. Das erste Jahrhundert der niederländischen Malerei, München 1994. 84 Das hebt sich deutlich von den unterschiedlichen Varianten der linguistischen Sprechakttheorie ab, der es um die kulturell regulierten Formen und Funktionen der sprachlichen Performanz und Situationsdeutung geht; siehe Bredekamp, Horst 2013 (wie Anm. 80), S. 49 ff. 85 Ebd., S.103 f. u. 150–158. 86 Über die aus den Kirchen entfernten und in „Götzenkammern“ eingeschlossenen Kunstwerke forscht Stefan Dornheim in einem DFG-Projekt am Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde in Dresden; erste Hinweise auf die weithin unbekannten exkludierenden Verwahrungsorte in: ders.: Der Pfarrer als Arbeiter am Gedächtnis. Lutherische Erinnerungskultur in der Frühen Neuzeit zwischen Religion und sozialer Kohäsion (Schriften zur sächsischen Geschichte und Volkskunde; 40), Leipzig 2013. Diesen Hinweis verdanke ich dem sächsischen Landeshistoriker Winfried Müller. 87 Siehe Bredekamp, Horst 2013 (wie Anm. 80), S. 252–272. 88 Ebd., S. 174–178 u. 252–256. 89 Zit. in ebd., S. 258. 90 Siehe ebd., S. 329–333. 91 Siehe Witzgall, Susanne 2014 (wie Anm. 7), S. 15. 92 Gottfried Boehm untersucht in Wie Bilder Sinne erzeugen, was Edmund Husserl (Phantasie, Bildbewusstsein, Erinnerung, in: ders.: Husserliana, Bd. 23: Phantasie, Bildbewußtsein, Erinnerung. Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigung, Den Haag, Boston u. London 1980, S. 1–108, S. 29, § 14) vor ihm „physische Bildlichkeit“ genannt hat; siehe Finke, Marcel / Halawa, Mark A. 2012 (wie Anm. 69), S. 14 sowie Gertenbach, Lars 2014 (wie Anm. 79) und ders.: Entgrenzungen der Soziologie, Weilerswist 2015, dazu den kritischen Kommentar: Rehberg, Karl-Siegbert 2014 (wie Anm. 79). 93 Das ist beispielsweise die alle Autoren verbindende These der Philosophischen Anthropologie; siehe z. B. Fischer, Joachim: Philosophische Anthropologie. Eine Denkrichtung des 20. Jahrhunderts, Freiburg 2013 und Rehberg, Karl-Siegbert: Philosophische Anthropologie und die „Soziologisierung“ des Wissens vom Menschen. Einige Zusammenhänge zwischen einer philosophischen Denktradition und der Soziologie in Deutschland, in: Soziologie in Deutschland und Österreich 1918–1945. Sonderheft 23 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, hg. v. M. Rainer Lepsius, Opladen 1981, S. 160–198. Siehe zur heute geradezu selbstverständlich erscheinenden Gegenthese einer bloß graduellen Differenz von Mensch und Tier etwa Schwarz, Andreas / Karliczek, André: Mit Haut und Haar. Vom Merkmal zum Stigma – Farbbestimmungsmethoden am Menschen, in: dies. 2016 (wie Anm. 59), S. 13–62, S. 16. 94 Siehe Gehlen, Arnold 2016 (wie Anm. 10), S. 11, 13 u. 52. 95 Die Betonung der Ausdifferenzierung moderner Gesellschaften ist längst ins Alltagswissen übergegangen, wurde pointiert jedoch zur Basis der autopoietischen Systemtheorie von Niklas Luhmann. 96 Diana Coole und Samantha Frost 2010 (wie Anm. 67) weisen ebenfalls auf die „drängenden ökologischen, geopolitischen und ökonomischen Herausforderungen“ hin, so dass es neue Formen der Koexistenz geben müsse und eine Betonung „des agentischen Status der Materie und der nicht-anthropozentrischen flachen Ontologie seiner Netzwerke und Assemblagen“, zit. in: Witzgall, Susanne 2014 (wie Anm. 7), S. 19f. 97 John Milton: Paradise Lost [engl. zuerst 1667], zit. in: Weber, Max: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus, in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Religionssoziologie, 1. Bd., 5. Aufl., Tübingen 1963, S. 17–206, S. 80. 98 Latour, Bruno 2008 (wie Anm. 71), S. 173. 99 Siehe Latour, Bruno: Existenzweisen. Eine Anthropologie der Moderne, Berlin 2014, S. 637. 100 Siehe Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch. Studien zur Ideologie der fortgeschrittenen Industriegesellschaft, Neuwied u. Berlin 1967, bes. S. 172 ff. u. 238. 101 Damit gab Jürgen Habermas (Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, in: ders.: Technik und Wissenschaft als „Ideologie“, Frankfurt a. M. 1969, S. 48–103, S. 54–58.) Arnold Gehlens (Anthropologische Ansicht der Technik, in: ders.: 2004 (wie Anm. 10), S. 189–203) Verknüpfung von Technik und dem die menschliche Gattung bestimmenden Entlastungsprinzip recht. 102 Habermas, Jürgen 1969 (wie Anm. 101), S. 57. 103 Siehe Bloch, Ernst: Das Prinzip Hoffnung, Frankfurt a. M. 1959, 783 f. 104 Siehe zur Materialität von Kunstwerken z. B. die Reflexionsfigur einer „inneren Duplizität des Bildes“ von Marcel Finke und Mark A. Halawa (2012 [wie Anm. 69], S. 86–108), wobei die Materialität meistens als „Hardware“ erscheint. Hans Belting spricht vom „Körper des Bildes“, Gottfried Boehm vom „Faktum“, Hans Jonas vom „physischen Vehikel“ oder Husserl vom „Bildding“, zit in: ebd., S. 14. 105 Ebd., S. 17. 106 Man denkt dabei an manche Autoren der Postmoderne, die oftmals unpräzise und verallgemeinernd schon damals vor der „Thanatokratie“ der Vernunft und vor großen Singularen (z. B. „der Kapitalismus“, „die Wissenschaft“ etc.) warnten. Statt homogener Totalitäten, die „von Verbrechen zu Verbrechen“ geführt hätten, wurde eine Kultur der „Kompromisse, Bastelei, Kreuzung und Sortierung“ propagiert (Lyotard, Jean-François: Die Moderne redigieren, in: Wege aus der Moderne. Schlüsseltexte der Postmoderne-Diskussion, hg. v. Wolfgang Welsch, Weinheim 1988, S. 204–214, S. 214). So warnt neuerdings auch Bruno Latour (2008 (wie Anm. 71), 165 f.) davor, die „schon begangenen Verbrechen durch weitere zu überbieten“. 107 Siehe Rutherford Gettins, Chef-Chemiker im Fogg-Museum, zit. in: Finlay, Victoria 2013 (wie Anm. 49), S. 141. 108 Zit. in: Reiche, Reimut: Vom Handeln der Bilder. Horst Bredekamps Frankfurter Adorno-Vorlesungen 2007, in: WestEnd, Bd. 5, 2, 2008, S. 174–181, S. 180. 109 Siehe ebd. 110 Siehe Gehlen, Arnold: Gesamtausgabe, Bd. 3: Der Mensch. Seine Natur und seine Stellung in der Welt, hg. v. Karl-Siegbert Rehberg, Frankfurt a. M. 1993, S. 65 u. ö. 111 Siehe Küppers, Harald: Das Grundgesetz der Farbenlehre, Köln 1978, S. 9 u. 201 ff., zit. in: Rehbock, Theda 1997 (wie Anm. 66), S. 15. 112 Ebd., S. 31. 113 Siehe zu einer Methodologie, die interdisziplinäre Forschungen zwar durch eine gemeinsame theoretische Perspektive zur Entwicklung von Fragestellungen fördern soll, hingegen auf jede verpflichtende Großtheorie verzichtet: Rehberg, Karl-Siegbert 2014 (wie Anm. 13), S. 257–286.
Karl-Siegbert Rehberg
A B B . 12 U N D 13 : H O L I - F E S T D O R T M U N D , 2 0 14 (FOTOS: A NDRE A S K Ä MPER)
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SUSANNE MARSCHALL ANNETTE WERNER
Grundlagen der Farbforschung
Das Farbensehen gehört zu den elementaren Grundlagen der visuellen Wahrnehmung. Allerdings besteht immer noch erheblicher Forschungsbedarf in Bezug auf die Rolle kognitiver Faktoren, die Integration von Farbprozessen in Netzwerke höherer Hirnfunktionen sowie die vielfältigen kulturellen, sozialen und kommunikativen Funktionen von Farben. In Zusammenhang mit der Farbwahrnehmung und den damit eng verwobenen kulturellen Farbpräferenzen sind dies im psycho-physischen Bereich insbesondere jene kortikalen Netzwerke, welche an Gedächtnisbildung, Evaluierung und daraus resultierenden Entscheidungsprozessen beteiligt sind. Letztere unterliegen vielfältigen kulturellen Einflüssen, deren Komplexität am Ende dieses Beitrages anhand der Bedeutung von Farben in Indien und Japan exemplarisch erläutert werden wird. Dies geschieht zur Verdeutlichung der Tatsache, dass Farbforschung stets auch eine kulturhistorische Komponente haben muss, deren Bearbeitung nur in fachübergreifend zusammengesetzten Forschergruppen geleistet werden kann. Als Beispiel kann hier der Tübinger Forschungsverbund Farbe gelten,1 der in seiner interdisziplinären Zusammensetzung insofern Neuland betritt, als an ihm die Fächer Medienwissenschaft, Neurobiologie, Japanologie, Indologie und Sinologie und darüber hinaus Kolleginnen und
Kollegen aus der empirischen Medienforschung, der angewandten Designforschung und der Filmpraxis von der Hochschule der Medien in Stuttgart beteiligt sind. Er ist zudem international breit vernetzt, so dass für jede Form von kulturspezifischen Studien auf etablierte Partnerschaften in den jeweiligen Ländern, in denen eine Studie durchgeführt werden soll, zurückgegriffen werden kann. Ein weiterer Tübinger Schwerpunkt besteht in der Zusammenschau von Animation und Farbe, aus dem an späterer Stelle dieses Buches ein Beitrag folgt.2
Farbe und Wahrnehmung Häufig als eine intrinsische Eigenschaft von Körpern empfunden, ist Farbe, physiologisch betrachtet, ein Konstrukt unseres Gehirns, das die spektralen Eigenschaften von reflektiertem Licht repräsentiert. Dieser Prozess basiert auf der Absorption von Lichtquanten durch drei Klassen von spezialisierten Photorezeptoren, den sogenannten Zapfen. Die Zapfen verfügen jeweils über eine unterschiedliche spektrale Empfindlichkeit: Kurz- (,Blau‘-), Mittel(,Grün‘-) und Langwellen (,Rot‘-Zapfen). Farbwahrnehmung entsteht aufgrund vieler aufeinanderfolgender Verarbeitungsschritte, die in der Retina
(Netzhaut des Auges) ihren Anfang nehmen und erst im Gehirn in mehreren spezialisierten Arealen (insbesondere in h V4 und in den anschließenden Bereichen des inferotemporalen Kortex’) abgeschlossen werden.3 Diese Verarbeitungsschritte, die zu einer robusten, von Beleuchtungsverhältnissen unabhängigen Farbkodierung führen, sind Gegenstand der aktuellen Farbforschung.4 Veränderungen der Farbempfindlichkeit können Indikatoren für ophthalmologische oder neurologische Erkrankungen sein. Ein geringes Farbunterscheidungsvermögen (bis zu zehn Prozent der männlichen Bevölkerung in Europa sind von einer Rot-Grün-Schwäche betroffen) kann für die Berufswahl ausschlaggebend sein (z. B. für Kraftfahrer, Piloten und Polizisten), oder, im Fall von erworbenen Farbsehstörungen, auf Erkrankungen der Netzhaut oder des Sehnervs hinweisen und ist so auch medizinisch von Bedeutung. Die biologische Bedeutung von Farbe als zusätzliche Dimension der visuellen Wahrnehmung ist vielschichtig (vgl. auch die Verbreitung von Farbensehen im Tierreich). Auf der sensorischen und perzeptuellen Ebene leisten chromatische Kontraste einen wesentlichen Beitrag zur Bildanalyse,5 zur Identifizierung und Evaluierung von Objekten6 oder zum schnellen Wiedererkennen von Objekten sowie deren Speicherung im visuellen Gedächtnis.7 Darüber hinaus nutzen Mensch und Tier Farbe als Signal und wichtiges inner- und zwischenartliches Kommunikationsmittel (siehe z. B. Warnfarben). In der menschlichen Kultur, z. B. im Film oder in der Mode, erweitert sich die Dimension der Farbe um die Bereiche der Ästhetik und der Symbolik.8 Die vielfältigen Assoziationen von Farbe mit anderen sensorischen Modalitäten wie Geruch und Geschmack werden im sogenannten Neuromarketing bereits seit Jahren genutzt.9 In diesem Kontext sind Farbpräferenzen, d. h. subjektiv als positiv oder negativ bewertete Farben, von erheblicher Bedeutung, da sie die Beurteilung von Objekten und damit das Kaufverhalten beeinflussen. Die Farbwahrnehmung und die daraus resultierenden Urteile bzw. Vorurteile spielen nicht nur beim Kaufverhalten von Menschen, sondern auch in vielen sozialen Zusammenhängen eine Rolle. Dies geschieht überwiegend unbewusst, bleibt aber genau aus diesem Grund auch nicht ohne Folgen. Auf die Produktwahl wird in Kaufhäusern durch die Lichtgestaltung über den Gemüseauslagen gezielt Einfluss genommen. Aus solchen und vielen anderen Gründen spielen Farben in industriellen Zusammenhängen eine erhebliche Rolle. Sie sind ein Grundelement unserer Lebenswelt, prägen Wohnbereiche, Städte und Landschaften, Mode und Kunst. Generell ist zu
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beobachten, dass Farbe – obwohl allgegenwärtig – auch im gesellschaftlichen Diskurs nur oberflächlich behandelt wird, während sie sich bei genauerer Betrachtung als höchst einflussreich erweist. In Placebo-Studien konnte z. B. nachgewiesen werden, dass die Farbe von Medikamenten deren Wirkung markant beeinflusst.10 Im Kontext des Farbgedächtnisses kommt es demnach zu vielfältigen Assoziationen und Wechselwirkungen mit anderen sensorischen Modalitäten, deren neurowissenschaftliche Grundlagen noch weitgehend unerforscht sind.11 Eine ungewöhnliche Form ist die sogenannte Synästhesie: Hierbei löst die Stimulation einer sensorischen Modalität (z. B. das Sehen von Buchstaben, das Hören von Tönen/Musik oder das Riechen von Düften) die Wahrnehmung einer zusätzlichen, nicht stimulierten Modalität aus, häufig (aber nicht ausschließlich) eine Farbe.12 Bei Farbsynästhesie im Speziellen konnte eine Aktivierung der farbselektiven, kortikalen Region h V4 nachgewiesen werden, wobei die spezifische Funktion dieser Aktivierung noch unklar bleibt.13 Neben genetischen Faktoren scheinen hierbei auch Lernprozesse eine Rolle zu spielen.14 Das Phänomen der Synästhesie ist auch für das Verständnis von normalen Wahrnehmungsprozessen von Bedeutung, bei welchen, wenn auch in geringem Maß, ebenfalls multisensorische Wechselwirkungen erlernt werden: Sobald Kinder erfahren haben, dass rotglühende Objekte heiß sind, wird dieses Wissen gespeichert und z. T. auf andere rote Gegenstände übertragen. Dann kann es zu gleichermaßen gelernten wie assoziativen Verbindungen zwischen einer Farbe und einer Temperaturempfindung kommen. Gedächtnisfarben, ihre Entstehung und ihr Einfluss auf die visuelle Wahrnehmung sowie multisensorische Wechselwirkungen und das Phänomen der synästhetischen Empfindungen beeinflussen auch die Rezeption von Kunst, vor allem von filmischen Inszenierungen, die durch eine subtile Komposition von Bild und Ton hervorstechen.15
Farbe und Kommunikation Farben stellen demnach ein wichtiges Phänomen der Seherfahrung dar und beeinflussen ein weites Spektrum menschlicher Lebensbereiche, u. a. bei der Farbwahl von Autos, Kleidung, Wohnungsausstattung oder im Webdesign. Aus der Grundlagenforschung in der Psychophysik sind bei Europäern geschlechterspezifische Unterschiede in Farbpräferenzen bekannt: So ist die bei allen Europäern zu beobachtende generelle Präferenz für Blau bei Frauen durch eine deutliche Präferenz für Rot überlagert,
bei Männern hingegen für Blau/Grün.16 Diese signifikanten Unterschiede scheinen zusätzlich vom kulturellen Kontext moduliert zu werden, da bei chinesischen Versuchsteilnehmern eine generell stärkere Gewichtung zugunsten von Rot festgestellt wurde und zwar nahezu gleich bei Frauen und Männern (u. a. wird in China die Farbe Rot mit Glück assoziiert). Geschlechtsspezifische Unterschiede fallen auch in der sprachlichen Entwicklung bezüglich der Farbbenennung ins Gewicht. Mädchen entwickeln früher als Jungen ein differenziertes Farbensehen bzw. sie sind schneller in der Lage, Farben sprachlich zu erfassen.17 Die intersubjektiven Differenzen der Farbwahrnehmung zeigten sich vor kurzem an dem enormen Echo der sogenannten Kleid-Illusion in den sozialen Netzwerken und Medien: Ein und dasselbe Foto von einem zweifarbigen Kleid löste bei den einzelnen Betrachtern jeweils völlig unterschiedliche Farbwahrnehmungen (Blau/Schwarz bzw. Weiß/ Gold) aus. Dies zeigte auf beeindruckende Weise, dass Farbe, obgleich als intrinsische Eigenschaft von Körpern empfunden, neurophysiologisch betrachtet ein Konstrukt unseres Gehirns ist und als solches einer deutlichen individuellen Variabilität unterliegt. Der frappierend ambivalente Effekt der ‚Kleid-Illusion‘ belegt einen bislang unterschätzten Einfluss kognitiver Faktoren bei der Entstehung des Farbperzepts; im Fall des Kleides spielen kognitive Faktoren vermutlich bei der Interpretation der Beleuchtungsverhältnisse eine Rolle, was für das annähernde Gleichbleiben der Farbwahrnehmung entgegen wechselnder Beleuchtungsverhältnisse (sogenannte Farbkonstanz) essentiell ist.18 Andere Beispiele für kognitive Einflüsse sind die Wirkung des Farbgedächtnisses, welches dafür sorgt, dass die Farbwerte von Szenen oder Objekten in unserer Erinnerung deutlich gesättigter (geringerer Weißanteil) abgelegt sind, als es ihren farbmetrischen Werten tatsächlich entspricht. Darüber hinaus wird die wahrgenommene Farbe eines Objekts von der im Gedächtnis abgespeicherten Erinnerung, der sogenannten Gedächtnisfarbe, beeinflusst.19 Z. B. wird eine Banane als gelber wahrgenommen, als es ihrer spektralen Reflektanz entspricht,20 ein Eisbär wird auch unter veränderter Beleuchtung als weißer wahrgenommen als ein vergleichbarer Körper ohne solche ‚diagnostische‘ Farbe.21 Zwischen der aktuellen Wahrnehmung von Farben und der Erinnerung an farbige Objekte besteht ein komplexes Wechselspiel. Die psychophysisch messbaren Einflüsse des Farbgedächtnisses sowie die kognitiven Einflüsse auf die Farbwahrnehmung
sind auch für die Rezeption von Kunst von Bedeutung: So nimmt die Gestaltung von Fotofilmen auf den Intensivierungseffekt der Erinnerung durch eine Anhebung der Farbwerte bei der Entwicklung des Films Rücksicht. In einer Studie konnten diese Einflüsse des Farbgedächtnisses direkt als Aktivierung im primären visuellen Kortex sichtbar gemacht werden.22 Derartige Farbeffekte scheinen vor allem bei Objekten mit charakteristischen (diagnostischen) Farben aufzutreten, nicht aber bei Objekten, die in verschiedenen Farben vorkommen.23 Auch vor diesem Hintergrund ist die ästhetische Geschichte des Kinos äußerst aufschlussreich, da der Film als fiktionale und dokumentarische Kunstform die Erscheinungsweisen von Farben in der Wirklichkeit reflektiert, in gewisser Weise ‚archiviert‘ und zugleich ästhetisch deutlich überhöht. Die ursprünglich schwarz-weiße Licht-Kunst, deren Erzeugnisse in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von Hand bemalt oder in Farbbädern monochrom eingefärbt wurden, entwickelte sich durch technologische Innovationen in den 1930er Jahren zu einer Kunst der bewegten Farbkomposition.24 Diese bewog den Gestaltpsychologen David Katz zu der Annahme, das Kino in Farbe könne unser Farben-Sehen schulen, unsere Wahrnehmung für die „Erscheinungsweisen der Farben“25 in der Wirklichkeit schärfen. Der Film verortet sich ästhetisch auf der Schwelle zwischen der Malerei, d. h. der stillen Bildkomposition und dem bewegten Bild, das alle anderen Künste in sich integriert und zugleich aufgrund seiner Disposition als fotografische Kunstform deutliche Wirklichkeitsbezüge herstellen kann. Darum sind Film und Fotografie Schlüsselmedien für die Geschichte der Farben in der Alltagskultur, der Kleidung, der Möbel, der Automobile und des Designs und zugleich sind diese beiden Medien entscheidend an der Entwicklung einer imaginären Erlebnisform von Farben beteiligt, die einen schwer fassbaren und gerade darum emotional wirksamen Teil unserer visuellen Kultur bildet. Das Farbgedächtnis spielt auch in Zusammenhang mit der Bildung von Farbpräferenzen eine wichtige Rolle. Farbpräferenzen können sowohl kontextfrei wie auch objekt-/szenenbezogen sein und weisen universell gültige Gesetzmäßigkeiten, aber auch individuelle Variabilität auf. Darüber hinaus konnte gezeigt werden, dass Farbpräferenzen nicht fixiert sind, sondern sich im Verlauf der Individualentwicklung ändern,26 sowie infolge von Erfahrungen anpassen können.27 So lässt sich eine universelle Tendenz zur Bevorzugung von Blau-Tönen nachweisen,28 jedoch sind auch geschlechtsspezifische Unterschiede erkennbar.29 Weitere Faktoren für Farb-
Susanne Marschall und Annette Werner
präferenzen sind Kontext, Alter sowie semantische und kulturelle Einflüsse.30 Als den Farbpräferenzen zugrunde liegende, neuronale Mechanismen werden hauptsächlich zwei Ursachen diskutiert: a) eine physiologisch fixierte Gewichtung sensorischer Prozesse bei der Farbverarbeitung31 sowie b) die Gewichtung von Farbeindrücken durch kognitive Prozesse, die Farben in Assoziation mit Objekten oder Szenen (positiv oder negativ) bewerten.32 Der sogenannten ecological valance theory 33 zufolge basieren Farbpräferenzen auf einer empfundenen ‚Wertigkeit‘ der Farben in Bezug auf einen zu erwartenden Nutzen. Letzterer wird durch Faktoren wie Kultur, sozialer Kontext, Objektkategorie beeinflusst, ist also hochadaptiv und kann die beobachtete individuelle Variabilität von Farbpräferenzen erklären. Die Frage nach der neuronalen Grundlage von Farbpräferenzen ist mit dem größeren Themenbereich, der Ästhetik, eng verknüpft. Den visuellen Präferenzen, wie auch der Wahrnehmung von Ästhetik im Allgemeinen, liegt die Integration von sensorischen, kognitiven und affektorischen Prozessen zugrunde, an welchen eine Vielzahl von kortikalen und subkortikalen Strukturen beteiligt ist,34 diese verarbeiten und verknüpfen multimodale sensorische Informationen mit Gedächtnisinhalten sowie mit negativen/positiven Bewertungen aus Zentren, welche dem Belohnungssystem und der Emotionsbildung zugeordnet werden.35 Ein wesentliches Schlüsselmedium für die Farbwahrnehmung ist die Sprache. In den 1960er Jahren erforschten die Linguisten Berlin und Kay die „Basic-Color-Terms“ und leisteten damit einen grundlegenden Beitrag zur Prototypensemantik.36 Aus der amerikanischen Sprachwissenschaft stammt die Sapir-Whorf-Hypothese,37 die besagt, dass linguistische Systeme die Wahrnehmung und das Denken des Menschen nicht nur wiedergeben, sondern vielmehr formen. Erfahrungen entstehen in und durch die Sprache, die einem kulturellen Kollektiv zur Verfügung steht. Dabei kristallisiert sich heraus, dass in allen Sprachen übereinstimmende „Basic-Color-Terms“ einer Vielfalt von kulturspezifischen Varianten an Farbbezeichnungen gegenüberstehen. Auch psycho-physisch lassen sich allgemeingültige Prinzipien des Farbensehens von subjektiven, individuellen und kulturspezifischen Varianten unterscheiden, die zur Komplexität des linguistischen Materials erheblich beitragen. So wird beispielsweise die Unterscheidbarkeit von Farben und Farbbereichen deutlich von der Sprache beeinflusst, wie ein Vergleich von Europäern (mit linguistischer Unterscheidung von Blau und Grün)
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mit dem Volk der Berinmo aus Neuguinea (einheitlicher Farbenname für beide Farbbereiche) zeigte.38 Sprachliche Einflussfaktoren prägen auch aus historischer Perspektive die Entwicklung der visuellen Kultur, die auf der anderen Seite vor allem durch Bilder, Rituale, Muster, Stoffe, Kleidung, Materialien und nicht zuletzt Licht und geologische Gegebenheiten bestimmt wird.
Farbe und Kultur Zur Verdeutlichung der potentiellen Komplexität solcher Zusammenhänge sei exemplarisch auf die Bedeutung von Farbe in Indien und Japan hingewiesen. Jeder Asienreisende kennt die Intensität der Farbumgebungen in den verschiedenen asiatischen Kulturen, z. B. in Indien, dessen exzessive Vielfarbigkeit bereits zu einem Werbeklischee der Tourismusindustrie geworden ist. Die Buntheit des kulturell und sozial äußerst heterogenen Subkontinents kann gleichermaßen sprichwörtlich wie buchstäblich genommen werden. Für Uneingeweihte ist die allgegenwärtige, komplexe Zeichensprache der Farben allerdings nur sehr schwer zu entschlüsseln, denn sie beruht auf jahrtausendealten Traditionen und vor allem religiösen Ritualen. Farbe wird in Indien wie ein eigenes Sprachsystem eingesetzt, an dessen Relevanz niemand zweifelt. Sie prägt nicht nur die Dichtung, die Malerei und die skulpturale Kunst, sondern in intensiver Weise auch die heutige Ritualpraxis, die differenzierte Bekleidungspraxis und nicht zuletzt vor allem die indische Kinokultur mit ihrem hohen gesellschaftlichen Stellenwert. Als Medium sozialer, aber auch politischer Identität sorgen Farbsignale zugleich für Distanz zwischen gesellschaftlichen Gruppen und erschweren bisweilen die Kommunikation einer postkolonialen Kultur, die immer noch unter dem Diktat des Kastenwesens steht. Dabei ist zu beobachten, dass sich die symbolische Ordnung der Farben über die Jahrhunderte hinweg in Teilen erhalten und in Teilen kontinuierlich in Bezug auf die sozialen und kulturellen Gegebenheiten gewandelt hat. Vor allem während der historischen Umbrüche spielte Farbe eine herausragende Rolle in der indischen Gesellschaft. So bezeichneten z. B. die Könige der Vormoderne ihre Macht mit dem Begriff citra, gleich Exzellenz. Citra kommt aus dem Sanskrit und bedeutet ‚in vielen Farben schillernd‘. Macht wurde mit dem visuellen Reichtum eines Prismas gleichgesetzt. Der König war strahlend und goldfarben, so wie die Sonne und die Götter. Damals mussten sich die Könige dem Ritual abhiṣ eka unterziehen, bei dem verschiedene, flüssige Farben zum Einsatz kamen. Die Praxis der Farbtaufe von Götterstatuen
heißt auch heute noch abhiṣ eka.39 Dass rituelle Ableger dieser Praxis der Farbtaufe, die vor allem während des Frühjahrs zum sogenannten Holi-Fest praktiziert werden, mittlerweile auf der ganzen Welt gefeiert und in die säkulare Partykultur integriert wurden, gehört zu den unmittelbaren Auswirkungen der Globalisierung. Die kulturelle Komplexität der Farbverwendung in der Gegenwart basiert auf der ganzen Welt und in besonderem Maße in Asien auf verschiedenen Faktoren wie Texten, religiöser Praxis, sozialer Ordnung usw. Auch in Japan müssen die traditionellen Farben auf die altjapanische Rangordnung des Rityuryô-Systems (kan'i jūnikai) zurückgeführt werden, das unter Shōtoku Taishi (574–622) im Jahr 603 nach chinesischen Vorbildern in Japan etabliert wurde. Diese Farbensprache wirkt bis heute nach. Im Rityuryô-System wurde der soziale Rang und die Hierarchie durch bestimmte Farben (kinjiki, verbotene Farben) angezeigt, die dem Hofadel vorbehalten waren. Die niederen Schichten durften nur ‚erlaubte Farben‘ (yurushiiro) verwenden. Die meisten traditionellen Farbbezeichnungen in Japan gehen auf Namen von Pflanzen und Tieren zurück, die diese Farben trugen oder repräsentierten. Hier besteht ein enger Bezug zu den traditionellen Färbetechniken. Zu einer Erweiterung des vorhandenen Farbenspektrums kommt es dann erst in der Moderne, als synthetische Farben verfügbar wurden. Unter Shōtoku Taishi wurde auch der im 6. Jahrhundert nach Japan gelangte Buddhismus heimisch. Das buddhistische Pantheon in Japan, insbesondere das des esoterischen Buddhismus seit dem 9. Jahrhundert, zeichnet sich durch eine komplexe Farbsymbolik aus, die auch großen Einfluss auf die Ritualpraxis besaß. In dieser Zeit kam es zudem zu einer Amalgamierung lokaler Riten (Shintō) und buddhistischer Praktiken, die insbesondere im Bereich der Volksreligion zur Entstehung neuer Strukturen und Praktiken beitrug. Viele dieser Elemente bestimmen mit der ihnen eigenen Farbsymbolik das Leben in Japan bis heute. So findet sich z. B. einer der beliebtesten Glücksbringer in Japan, die Daruma-Figur mit ihrem markanten Rot (Bodhidharma ist ein buddhistischer Heiliger des Zen-Buddhismus), an vielen Stellen des Alltagslebens. Selbst bei politischen Wahlen sind die angemalten Augen der Kandidaten ein beliebtes und markantes Motiv in den Medien.40 Reflektiert man die vielfältigen gesellschaftlichen, sozialen und psychologischen Funktionen, die Farben übernehmen, etwa durch Farbkodierung im Verkehr oder in der Wissenschaft (z. B. im MRT oder in anderen bildgebenden Verfahren), wird unmittelbar deut-
lich, wie oft wir uns in entscheidenden Erkenntniszusammenhängen auf das Zeichensystem der Farbe verlassen müssen. Aus dem Einsatz von semiotisch und symbolisch kulturell unterschiedlich verwendeten Farben ergeben sich Folgen einerseits für die mittlerweile global agierende Wirtschaft, andererseits für die grenzenlos ausgeweitete Kommunikation im Netz. Bedenkt man die Veränderungen der Arbeitswelt durch digitale Medien, so wird deutlich, wie weitreichend die Wirkung von Farben ist. Die meisten Menschen – vor allem in den Industrieländern – arbeiten heutzutage mit Hilfe von Computern und werden mit Benutzeroberflächen konfrontiert, die durch farbige Icons intuitiv bedienbar sein sollen. Eine klare und international nachvollziehbare Farbcodierung erleichtert hier die Orientierung, zumal unser Wahrnehmungssystem für diese Form von visueller Kommunikation optimiert ist. Außerdem nutzen zunehmend viele Bildungseinrichtungen E-Learning-Angebote, die so gestaltet sein müssen, dass der Lernprozess des Benutzers gefördert wird. Welche Wirkungen Farben bei der Wissensvermittlung haben, hängt vor dem Hintergrund der globalen Nutzung auch von kulturellen Farbpräferenzen ab. An die Farbpräferenzen der verschiedenen Kulturen schließen sich aber auch Vorurteilsstrukturen an, vor allem in der Bewertung von Hautfarben oder Geschlechterdarstellungen. Die symbolische Verbindung von Geschlecht und Farbe oder von Alter und Farbe findet in den zu untersuchenden Kulturen jeweils unter anderen Vorzeichen statt. Auch die Beeinflussung des Konsumverhaltens durch Farbe unterliegt ethischen Fragestellungen, da die meisten Käufer sich der unbewussten Wirkungsmechanismen nicht bewusst sind. Trotz der weltweiten Forschungsaktivitäten weist vor allem die interdisziplinär und interkulturell ausgerichtete Farbforschung generell noch erhebliche Forschungslücken auf, was auch mit einem chromophoben Diskurs zu tun haben kann, der über Jahrhunderte hinweg vor allem in intellektuellen Kreisen gepflegt wurde und sich im Übrigen nicht selten mit traditionellen Gender-Diskursen überlappt. So wurde immer wieder das Weibliche mit Farbe, Gefühl, Phantasie und Irrationalität, das Männliche mit Form, Vernunft, Logik und Rationalität assoziiert.41 Aus dieser willkürlichen Zuordnung speist sich die Vorstellung, Farbe sei etwas Nebensächliches, reines Dekor, und dies obwohl die Relevanz von Farben für die Wahrnehmung, die Orientierung und schließlich auch das Wohlbefinden von Menschen vielfach bewiesen und evident ist.
Susanne Marschall und Annette Werner
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Die Autorinnen dieses Beitrags haben den Forschungsverbund in Tübingen ins Leben gerufen. Siehe https://www.uni-tuebingen.de/ fakultaeten/philosophische-fakultaet/fachbereiche/philosophie-rhetorik-medien/institut-fuer-medienwissenschaft/aktuelles.html (13.06.2017). Gegenwärtig begründet der Tübinger Forschungsverbund Farbe ein internationales Forschungsjournal mit dem Titel ColourTurn. Hier werden ab Mitte des Jahres 2017 fortlaufend die Forschungsarbeiten des Forschungsverbunds Farbe und seiner internationalen Partner publiziert. Siehe Gegenfurtner, Karl R.: Cortical mechanisms of colour vision, in: Nature Reviews Neuroscience, Bd. 4, 2003, S. 563–572; Werner, Annette / Pokorny, Joel / Smith, Vivienne / Valberg, Arne / Kremers, Jan / Greenlee, Marc: Psychophysical correlates of identified physiological processes in the human visual system, in: The Primate Visual System. A comparative approach, hg. v. Jan Kremer, New York 2005, S. 311–349. Siehe Werner, Annette: Colour constancy in context. The role of different temporal and spatial scales, in: ECVP, symposium-talk. Perception, Belgrad 2014. Foster, David H.: Color constancy, in: Vision Research, Bd. 51, 7, 2011, S. 674–700; Pearce, Bradley / Crichton, Stuart / Mackiewicz, Michal / Finlayson, Graham / Hurlbert, Anya: Chromatic illumination discrimination ability reveals that human colour constancy is optimised for blue daylight illuminations, in: Public Library of Science One, Bd. 9, 2, 2014, S. 1–11. Siehe Gegenfurtner, Karl R. / Kiper, Daniel C.: Contrast detection in luminance and chromatic noise, in: Journal of the Optical Society of America A, Bd. 9, 11, 1992, S. 1880–1888. Z. B. Reifegrad von Früchten: Siehe Osorio, Daniel / Vorobyev, Misha: Colour vision as an adaption to frugivory in primates, in: Proceedings of the Royal Society London B, Bd. 263, I. 1370, 1996, S. 593–599; Sumner, Petroc / Mollon, John D.: Catarrhine photopigments are optimized for detecting targets against a foliage background, in: Journal of Experimental Biology, Bd. 203, 13, 2000, S. 1963–1986. Siehe Gegenfurtner, Karl R. / Rieger, Jochem: Sensory and cognitive contributions of color to the recognition of natural scenes, in: Current Biology, Bd. 10, 13, 2000, S. 805–808. Siehe Marschall, Susanne: Farbe im Kino, 2., überarb. Aufl., Marburg 2009. Siehe Raab, Gerhard / Gernsheimer, Oliver / Schindler, Maik: Neuromarketing. Grundlagen – Erkenntnisse – Anwendungen, Wiesbaden 2009; Häusel, Hans-Georg (Hg.): Neuromarketing. Erkenntnisse der Hirnforschung für Markenführung, Werbung und Verkauf, München 2007. Siehe Khan, Arif / Bomminayuni, Eswara P. / Bhat, Amritha / Faucett, James / Brown, Walter A: Are the colors and shapes of current psychotropics designed to maximize the placebo response?, in: Psychopharmacology, Bd. 211, 113, 2010, S.113–122. Siehe Raab, Gerhard / Gernsheimer, Oliver / Schindler, Maik 2009 (wie Anm. 9); Häusel, Hans-Georg 2007 (wie Anm. 9). Siehe Ward, Jamie / Mattingley, Jason B.: Synaesthesia. An overview of contemporary findings and controversies, in: Cortex, Bd. 42, 2, 2006, S.129–136; Emrich, Hinderk M. / Schneider, Udo / Zedler, Markus: Welche Farbe hat der Montag? Synästhesie: Das Leben mit verknüpften Sinnen, 2. Aufl., Stuttgart 2004; Cytowic, Richard E.: Synesthesia. A union of the senses, 2. Ed., Cambridge, Mass. u. London 2002. Siehe Rouw, Romke / Scholte, Steven H. / Colizoli, Olympia: Brain areas involved in synaesthesia. A review, in: Journal of Neuropsychology, Bd. 5, 2, 2011, S. 214–242. Siehe Hubbard, Edward M. / Ramachandran, V. S: Neurocognitive mechanisms of synesthesia, in: Neuron, Bd. 48, 3, 2005, S. 509–520. Siehe Marschall, Susanne 2009 (wie Anm. 8); dies.: Fließende Farben – tanzendes Licht. Empfindungsräume im Film, in: SynästhesieEffekte. Zur Intermodalität der ästhetischen Wahrnehmung, hg. v. Robin Curtis, Marc Glöde u. Gertrud Koch, München 2010, S. 207–223; dies.: Die Symphonie der Empfindungen. Synästhesie als Filmerfahrung, in: Was ist Farbe? Bunte Beiträge aus der Wissenschaft, hg. v. Arnold Groh, Berlin 2011, S. 85–110. Siehe Ling, Yazhu / Hurlbert, Anya C.: Role of color memory in successive color constancy, in: Journal of the Optical Society of America A, Bd. 25, 6, 2008, S. 1215–1226. Siehe Bornstein, Marc H.: On the development of color naming in young children: data and theory, in: Brain and language, Bd. 26, 1985, S. 72–93. Siehe Smithson, Hannah E.: Sensory, computational and cognitive components of human colour constancy, in: Philosophical Transactions B, Bd. 360, 1458, 2005, S.1329–1346; Werner, Annette 2014 (wie Anm. 4). Siehe Olkkonen, Maria / Hansen, Thorsten / Gegenfurtner, Karl R.: Color appearance of familiar objects. Effects of object shape, texture, and illumination changes, in: Journal of Vision, Bd. 8, 13, 2008, S. 1–16; dies. / Allred, Sarah R.: Short-term memory affects color perception in context, in: Public Library of Science One, Bd. 9, 1, 2014, S. 1–11. Siehe Hansen, Thorsten / Olkkonen, Maria / Walter, Sebastian / Gegenfurtner, Karl: Memory modulates color appearance, in: Nature Neuroscience, Bd. 9, 2006, S. 1367 f. Siehe Werner, Annette / Zebrowski, Lara / Kelly-Perez, Ismael: The colour of real objects. Influence of surface material, 3D shape and memory, in: 12th Conference of the International Colour Association, Newcastle 2013. Siehe Bannert, Michael M. / Bartels, Andreas: Decoding the yellow of a gray banana, in: Current biology, Bd. 23, 22, 2013, S. 2268–2272. Siehe Schloss, Karen B. / Strauss, Eli D. / Palmer, Stephen E.: Object color preferences, in: Color Research & Application, Bd. 38, 6, 2013, S. 393–411. Siehe Marschall, Susanne 2009 (wie Anm. 8). Siehe Katz, David: Der Aufbau der Farbwelt, 2., völlig überarb. Aufl., Leipzig 1930. Siehe Beke, Lászlo / Kutas, Gábor / Kwak, Youngshin / Sung, Gee Young / Park, Du-Sik / Bodrogi, Peter: Color preference of aged observers compared to young observers, in: Color Research & Application, Bd. 33, 5, 2008, S. 381–394; Taylor, Chloe / Clifford, Alexandra / Franklin, Anna: Color preferences are not universal, in: Journal of Experimental Psychology: General, Bd. 142, 4, 2013, S. 1015–1027. Siehe Strauss, Eli D. / Schloss, Karen B. / Palmer, Stephen E.: Color preferences change after experience with liked/disliked colored objects, in: Psychonomic bulletin & review, Bd. 20, 5, 2013, S. 935–943. Siehe McManus, I. C. / Jones, Amanda L. / Cottrell, Jill: The aesthetics of color, in: Perception, Bd. 10, 6, 1982, S. 651–666; Granger, G. W: Objectivity of colour preference, in: Nature, Bd. 170, 4322, 1952, S. 778–780; Ou, Li-Chen / Luo, Ronnier M. / Woodcock, Andrée / Wright, Angela: A study of colour emotion and colour preference. Part I: Colour emotions for single colours, in: Color Research & Application, Bd. 29, 3, 2004, S. 232–240; Katz, S. E. / Breed, F.S.: The color preferences of children, in: Journal of Applied Psychology, Bd. 6, 3, 1922, S. 255–266.
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29 Siehe Hurlbert, Anya C. / Ling, Yazhu: Biological components of sex differences in color preference, in: Current Biology, Bd. 17, 16, 2007, S. R623–R635. 30 Siehe Palmer, Stephen E. / Schloss, Karen B. / Griscom, William S.: Individual differences in perceptual preference, in: Electronic Imaging, Science and Technology, 2016, S. 1–6. 31 Siehe Hurlbert, Anya C. / Ling, Yazhu 2007 (wie Anm. 29). 32 Siehe Humphrey, Nicholas: The colour currency of nature, in: Colour for architecture, hg. v. Tom Porter u. Byron Mikellides, London 1976, S. 95–98; Ou, Li-Chen et al. 2004 (wie Anm. 28); Schloss, Karen B. et al. 2013 (wie Anm. 23). 33 Siehe Palmer, Stephen E. / Schloss, Karen B.: An ecological valence theory of human color preference, in: Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, Bd. 107, 19, 2010, S. 8877–8882. 34 Siehe Reviews von Brown, Steven / Gao, Xiaoqing / Tisdelle, Loren / Eickhoff, Simon B. / Liotti, Mario: Naturalizing aesthetics: Brain areas for aesthetic appraisal across sensory modalities, in: NeuroImage, Bd. 58, 1, 2011, S. 250–258; Cela-Conde, Camilo J. / Agnati, Luigi / Huston, Joseph P. / Mora, Francisco / Nadal, Marcos: The neural foundations of aesthetic appreciation, in: Progress in Neurobiology, Bd. 94, 1, 2011, S. 39–48. 35 Siehe Knutson, Brian / Rick, Scott / Wimmer, Elliott G. / Prelec, Drazen / Loewenstein, George: Neural predictors of purchases, in: Neuron, Bd. 53, 1, 2007, S. 147–156. 36 Siehe Berlin, Brent / Kay, Paul: Basic color terms. Their university and evolution, Berkley 1969. 37 Siehe Whorf, Benjamin Lee: Language, thought, and reality. Selected writings of Benjamin Lee Whorf, London 2015. 38 Siehe Davidoff, Jules / Davies, Ian / Roberson, Debi: Colour categories in a stone-age tribe, in: Nature, Bd. 398, 6724, 1999, S. 203 f. 39 Wir verdanken diese Textpassage den Hinweisen der Indologin Dr. Elena Mucciarelli, die dem Tübinger Forschungsverbund Farbe angehört. 40 Zu diesem Zusammenhang forscht der Japanologe Professor Dr. Robert Horres, ebenfalls Mitglied des Tübinger Forschungsverbunds Farbe. Siehe zur Farbe Rot: http://rot-webdoku.de/#Startseite und http://rot-webdoku.de/info/ (20.10.2017). 41 Siehe Batchelor, David: Chromophobie. Angst vor der Farbe, Wien 2002.
Susanne Marschall und Annette Werner
Die Sonne schmelzt ganz Moskau zu einem Fleck zusammen, der wie eine tolle Tuba das ganze Innere, die ganze Seele in Vibration versetzt. Nein, nicht diese rote Einheitlichkeit ist die schönste Stunde! Das ist nur der Schlußakkord der Symphonie, die jede Farbe zum höchsten Leben bringt, die ganz Moskau wie das fff eines Riesenorchesters klingen läßt und zwingt. Rosa, lila, gelbe, weiße, blaue, pistaziengrüne, flammenrote Häuser, Kirchen – jede ein selbständiges Lied – der rasend grüne Rasen, die tiefer brummenden Bäume, oder der mit tausend Stimmen singende Schnee, oder das Allegretto der kahlen Äste, der rote, steife, schweigsame Ring der Kremlmauer und darüber, alles überragend, wie ein Triumphgeschrei, wie ein sich vergessendes Halleluja der weiße, lange, zierlich ernste Strich des Iwan Weliky-Glockenturmes. [...] Diese Stunde zu malen, dachte ich mir als das unmöglichste und höchste Glück eines Künstlers.
Wassily Kandinsky: Rückblick, Woldemar Klein Verlag, Baden-Baden 1955, S. 12.
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Die Farbe liegt im Auge des Betrachters – Farben und Farbensehen im Tierreich
Farbe für Kommunikation: Gesehen und nicht gesehen werden Blüten, wohlschmeckende Früchte, farbenfrohe Vögel, Hornissen und Schmetterlinge, sie alle haben eines gemeinsam: Sie heben sich deutlich von der umgebenden Vegetation, dem Boden oder der Rinde eines Baumes ab, vor dem wir sie sehen. Unreife Beeren, Knospen und Tiere in Tarntracht dagegen verschmelzen mit dem Hintergrund. Viele Farben im Tier- und Pflanzenreich haben eine wichtige Funktion für die Kommunikation innerhalb einer Art oder zwischen verschiedenen Arten. Seit Christian Konrad Sprengels bahnbrechender Arbeit Das entdeckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen von 1793 sind wir uns darin einig, dass Blütenfarben nicht in der Erbauung des menschlichen Betrachters, sondern einzig und allein im Anlocken von bestäubenden Insekten, Vögeln oder Fledermäusen ihre Funktion haben. Bei Tieren ist die Lage komplizierter. Die rote Kehle des Rotkehlchens dient der Revierverteidigung, aber die braunen Töne auf Rücken und Flügeln sind der Tarnung vor Beutegreifern geschuldet. Ob Marienkäfer oder Feuerwanzen sich überhaupt für die Far-
ben ihrer Artgenossen interessieren, ist immer noch unbekannt, aber es ist klar, dass ihre rot-schwarze Warnfarbe von Vögeln schnell gelernt und vermieden wird1 und daher einen wichtigen Schutzmechanismus darstellt. Die Farben und selbst komplexe Farbmuster von Tieren müssen also oftmals mehrere Funktionen erfüllen: Warnung und Tarnung, Anlocken von Partnern und Revierverteidigung. Helle oder dunkle Färbung kann zudem auch noch der Aufwärmung oder der Vermeidung von Überhitzung dienen, Pigmente können als Abfallprodukte ausgeschieden und in Haut, Haaren oder Panzer abgelagert werden. Für diese Funktionen sind ausschließlich die physikalischen und chemischen Eigenschaften der Farbpigmente von Bedeutung. Doch immer, wenn Farben für die inner- oder zwischenartliche Kommunikation eine Rolle spielen, werden sie vom Auge des Empfängers wahrgenommen. Das Auge – und das Gehirn – bestimmen, was der Empfänger wahrnimmt: Das Auge des Kolibris sieht die Farbe der roten Blüte, die er bestäubt, aber auch die schillernde Federpracht des balzenden Männchens und den giftigen Käfer. Wie sehen diese Farben aus, mit den Augen des Kolibris gesehen? Das grüne, gut getarnte Insekt ist für unsere Augen
A B B . 1: E I N A U S T R A L I S C H E R A L L F A R B L O R I ( T R I C H O G L O S S U S H A E M A T O D U S ) , W I E E R D E M A U G E E I N E S M E N S C H L I C H E N M O N O C H R O M A T E N , D I C H R O M A T E N U N D T R I C H R O M A T E N E R S C H E I N T. W I E D E R V O G E L S I C H S E L B E R I M S P I E G E L S I E H T, L Ä S S T S I C H N I C H T E I N M A L A N S A T Z W E I S E E R A H N E N ( O R I G N I A L F O T O : M I C H A E L P F A F F, B E A R B E I T U N G : A L M U T K E L B E R ) .
kaum im Gras zu erkennen – aber wie gut ist es vor den Augen des Frosches, der Krähe oder der Gottesanbeterin verborgen, die auf ein Abendessen lauern? Können wir überhaupt wissen, wie Blütenfarben, wie die schillernden Federn der Vögel und Schmetterlinge mit den Augen der Tiere, für die sie gemacht sind, aussehen?
Das Auge des Betrachters: Evolution des Farbensehens Die Evolution des Sehens und des Auges im Erdaltertum führte zur so genannten kambrischen Explosion vor etwa 500 Millionen Jahren.2 Die ersten sehenden Tiere konnten sich vor Feinden in Sicherheit bringen und ihre eigene Beute sehen, waren aber sehr wahrscheinlich noch farbenblind. Wir können nur spekulieren, wann die ersten Tiere ein zweites Sehpigment entwickelten, dies ist sicher mehr als einmal geschehen. Gesichert sind zwei Tatsachen: Erstens ist das Farbensehen im Wasser entstanden – bei Tieren, die vermutlich im seichten Küstenwasser der Meere lebten.3 Zweitens muss die neu entstandene Fähigkeit, nicht nur Hell und Dunkel, sondern auch Licht langer und kurzer Wellenlängen unterscheiden zu können, Vorteile mit sich gebracht haben, denn sie hat sich nicht nur erhalten, sondern auch weit im Tierreich verbreitet.4 Aber zahlreiche der heute lebenden Tierarten sehen die Welt weiterhin in Schwarz und Weiß. Zu ihnen zählt nicht nur eine Vielzahl von Quallen, Würmern und Tiefseefischen. Auch manche Tiere mit komplexem Verhalten und hochentwickelter Intelligenz wie die achtarmigen Tintenfische (Octopus) können
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keine Farben unterscheiden. Diese Tatsache ist gerade deswegen so verblüffend, weil sie sich durch schnelle Veränderung ihrer Chromatophoren (also der Pigmentzellen in der Haut) außerordentlich gut an Farbe und Muster des Untergrundes anpassen können.5 Und selbst unter unseren näheren Verwandten gibt es farbenblinde Arten: Wale und Delphine, Robben und Waschbären, Nachtaffen und Buschbabys sowie mehrere Nagetier- und Fledermausarten. Das Beispiel der Säugetiere zeigt eindrücklich, dass Farbensehen nicht nur mehrere Male im Tierreich parallel entstanden, sondern auch mehrfach wieder verloren gegangen ist. Obwohl Farbensehen sich in den meisten Tiergruppen, in denen wohlentwickelte Augen vorkommen, entwickelt hat, ist es am besten untersucht bei den Wirbeltieren, zu denen wir gehören, und bei den Gliedertieren, zu denen etwa Spinnen, Krebse und Insekten zählen. Die Evolution des Farbensehens bei den Wirbeltieren ist – und bleibt vielleicht für immer – ein Rätsel: Während den Schleimaalen die Augen fehlen, haben die Neunaugen trotz des Namens zwar keine neun Augen, sondern nur zwei, aber in diesen schon vier Farbkanäle und damit tetrachromatisches Farbensehen.6 Diese Fähigkeit ist bei vielen Fischen – beispielsweise dem Goldfisch – und Reptilien – etwa bei den Landschildschildkröten und Eidechsen – sowie fast allen Vögeln erhalten geblieben. All diese Tiergruppen können nicht nur Farben im gleichen Spektralbereich wie der Mensch sehen und unterscheiden, sondern zusätzlich auch im Bereich des Ultravioletten. Sich vorzustellen, wie der Allfarblori (Abb. 1), der schon für unsere Augen alle Farben des
Regenbogens zeigt, für seine Artgenossen aussieht, entzieht sich schlichtweg unserem Vorstellungsvermögen. Dagegen sind Haie und viele Tiefseefische farbenblind und Frösche sowie viele Schlangen, Nachtgeckos und Krokodile vermutlich Trichromaten. Während die Dinosaurier – Vorfahren der Vögel und damit vermutlich Tetrachromaten – die Kontinente beherrschten, verloren dagegen die Vorfahren der Säugetiere zwei ihrer Farbkanäle und sind heute in der Mehrzahl Dichromaten. Damit sieht für die Augen von Hunden, Katzen und Eseln der Allfarblori weitaus weniger spektakulär aus. Rot, Orange und Gelb unterscheiden sich für sie vermutlich nur in der Sättigung und Helligkeit. Die Altweltaffen und manche Neuweltaffen aber haben vor etwa 30 Millionen Jahren wieder einen dritten Farbkanal entwickelt. Diese Neuerung ermöglichte es den Menschenaffen und unseren Vorfahren, reife rote oder gelbe von unreifen grünen Früchten zu unterscheiden, was damals vermutlich einen entscheidenden Evolutionsvorteil darstellte. Noch weitaus vielfältiger als das der Wirbeltiere ist das Farbensehen der Gliedertiere – des größten aller Tierstämme. Die allseits bekannte Honigbiene, deren Farbensehfähigkeit Karl von Frisch vor 100 Jahren beweisen konnte,7 ist uns Menschen darin erstaunlich ähnlich: Wie wir besitzt sie drei verschiedene Sehpigmente in drei Typen von Sehzellen und damit
drei Farbkanäle und trichromatisches Farbensehen. Dass die Empfindlichkeit ihrer Augen zum kurzwelligen Licht verschoben ist, erlaubt ihr, Blütenmuster im Ultravioletten zu sehen, die unseren Augen verborgen bleiben – im Gegenzug sehen aber für ihre Augen rote Blüten weitaus weniger spektakulär aus als für uns, sie sind wohl eher dunkelgelb. Diese merkwürdige Ähnlichkeit zwischen der Biene und dem Menschen hat uns über viele Jahre glauben lassen, dass drei Farbkanäle typisch für Insekten seien, aber inzwischen wissen wir das besser. Die Schwestergruppe der Gliedertiere, die Stummelfüßer, ist zwar oftmals sehr farbenfroh (Abb. 2), aber davon sehen sie selber nichts. Sie verwenden ihr farbenblindes Sehen nur dazu,8 dem hellen Sonnenlicht auszuweichen, um sich in die Laubstreu oder Bodenspalten zurückzuziehen, in denen sie leben. Bei den Gliedertieren hat sich das Farbensehen dann besonders vielfältig entwickelt. Sowohl Spinnen als auch viele Krebse und die meisten Insekten sehen die Welt in Farben – und oftmals sehen sie weitaus mehr Nuancen als wir Menschen. Die farbenprächtigsten Arten der Fangschreckenkrebse (Abb. 2), aber auch Libellen, viele Käfer und die meisten Schmetterlinge (Abb. 2) haben weitaus mehr Farbkanäle als die Biene oder der Mensch: Bis zu 15 Farbkanäle sind bei manchen Arten gefunden worden.9 Was das für die Farbwahrnehmung dieser Tiere bedeutet, können wir kaum vermuten. Wir wissen
Almut Kelber
A BB. 2: FA RBENF ROHE T IERE KÖNNEN FA RBENBL IND SEIN W IE D E R S T U MME L F Ü S S E R E U P E R IPAT O ID E S R O W E L L I L INK S , ODER HOCHKOMPL E X E S FA RBENSEHEN MIT F ÜNF ODER GA R Z WÖLF FA RBK A N Ä LEN H A BEN W IE DER SCHME T TERLING HE L I C O NI U S E R AT O R EC H T S O D E R D E R FA N G S C HR EC K E NK R E B S ( S T O M A T O P O D A ) I N D E R M I T T E ( F O T O S V. L . N . R . : M I R I A M H E N Z E , A LMU T K ELBER, MIK E BOK).
aber, dass viele Tagfalter die Blüten, deren Nektar sie saugen, in anderen und mehr Farbnuancen sehen als Bienen oder Menschen. Schmetterlingsweibchen können u. a. die Qualität der Blätter, auf denen sie ihre Eier ablegen, an der Farbe beurteilen10 und ihre Artgenossen farblich von anderen Arten unterscheiden. Bei vielen Arten sehen gar die Männchen und die Weibchen die Welt in verschiedenen Farben, ganz so, als hätte das eine Geschlecht eine rosarote Brille aufgesetzt.11
Koevolution von Farbsignalen und Farbensehen? Warum haben sich bei Tieren so unterschiedliche Farbsehsysteme entwickelt? In der sinnesökologischen Forschung ist es üblich zu fragen, ob die Sinnesorgane – und nachfolgende neuronale Bearbeitung – eine direkte Anpassung darstellen, um ganz bestimmte Objekte wahrnehmen zu können. Haben sich Farben in der Natur an das Sehvermögen von Tieren angepasst, hat sich das Sehvermögen entwickelt in Anpassung an die in der Natur vorkommenden Farben, hat möglicherweise eine gegenseitige Anpassung – Koevolution – stattgefunden? Das Auflösungsvermögen von Augen und das räumliche Sehen von Menschen und anderen Tieren sind beispielsweise an die Statistik natürlicher Szenen angepasst.12 Das bedeutet, dass wir die räumlichen Frequenzen, die in natürlichen Szenen vorherrschen,
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auch gut wahrnehmen können. Eine ähnliche Denkweise, auf das Farbensehen angewendet,13 kann wertvolle Einsichten erlauben. Es lässt sich beispielsweise zeigen, dass drei Farbkanäle – wie Menschen und Bienen sie besitzen – ausreichen, um die gesamte Farbinformation natürlicher Szenen relativ umfassend aufzunehmen.14 Die sehr ähnliche Empfindlichkeit der menschlichen rot- und grünempfindlichen Sinneszellen ist bestens daran angepasst, reife Mangos, Bananen oder Erdbeeren von unreifen Früchten zu unterscheiden.15 Das Farbensehen des Menschen und allgemein der Primaten hat sich also möglicherweise in Anpassung an recht spezielle Farben entwickelt, denn das bei den Säugetieren vorherrschende Sehen mit zwei Farbkanälen erlaubt es nicht, Grün-, Gelb- und Rottöne gut zu unterscheiden. Unter den Vorfahren der Primaten, die sich von Früchten ernährten, hatten also vermutlich die Individuen, die dank einer Mutation eines Sehpigments treffsicher die reifen Früchte wählen konnten, einen entscheidenden Vorteil. Das mag der Grund gewesen sein, warum diese Mutation sich ausgebreitet hat, wenn wir das auch nicht wirklich vollständig nachweisen können. Die Empfindlichkeit der Sehzellen der Honigbiene ist bestens geeignet, die Farben der Blüten, die sie besuchen, unterscheiden zu können. Allerdings hat sich hier nicht das Sehen an das zu Sehende angepasst. Im Gegenteil: Blüten haben sich entwickelt,
um Bestäuber anzulocken, die den Blütenstaub von Blüte zu Blüte tragen und damit die Bestäubung sicherstellen.16 Ihre Farben sind Anpassungen an das Sehvermögen ihrer Bestäuber: Von Bienen bestäubte Blüten haben die Farben, die von Bienen besonders gut gesehen, unterschieden und wiedererkannt werden, oftmals Blau, Violett oder Gelb sowie ultraviolettes Licht reflektierende Muster. Blüten, die sich an die Bestäubung durch Vögel angepasst haben, haben dagegen oftmals eine rote Farbe, die viele Vögel bevorzugen, die den Bienen als dunkles Gelb nicht stark ins Auge fällt. Den Vögeln erlauben ihre vier Farbkanäle ein Farbensehen in einem erweiterten Spektrum, das sowohl ultraviolettes als auch langwelliges rotes Licht einschließt. Damit sind sie allerdings nicht nur in der Lage, die Farben von Vogelgefieder bestens zu unterscheiden, sondern sie können damit auch Blüten und Früchte gut erkennen – kurz gesagt, sie sehen ganz allgemein die Welt in einer vielfältigen Farbenpracht.17 Obwohl es unter den Vögeln Unterschiede gibt in der Fähigkeit, ultraviolett zu sehen, haben Vögel mit ultraviolett schillerndem Gefieder im Allgemeinen keine anderen Farbkanäle entwickelt als Vögel, deren Federn blau oder rot sind. Es gibt also derzeit keine Hinweise darauf, dass das Farbensehen der Vögel spezifisch an die inner- oder zwischenartliche Kommunikation angepasst ist.18 Ganz im Gegensatz zum Fall der Vögel ist es durchaus möglich, dass sich das unglaublich vielfältige Farbensehen der Schmetterlinge in Anpassung daran entwickelt hat, was diese fliegenden Juwelen sehen und erkennen müssen: ihre Artgenossen. Schmetterlinge haben im Unterschied zu Wirbeltieren ein sehr viel kleineres Gehirn und ein viel kleineres Verhaltensrepertoire. Die Sinnesorgane, also die Augen, sollten nur wichtige Informationen aufnehmen und diese möglichst schon bearbeitet ans Gehirn senden. Daher ist es denkbar, dass einzelne ihrer bis zu 15 Farbkanäle an spezifische Verhaltensaufgaben angepasst sind und dass die für das Finden von Blüten, Paarungspartnern und Eiablagepflanzen notwendige Farbinformation über unterschiedliche Farbkanäle aufgenommen und über verschiedene Bahnen zu verschiedenen Gehirnzentren geleitet wird.19 Bei den Schmetterlingen ist es also durchaus denkbar, dass das Farbensehen sich zumindest teilweise in Anpassung an Kommunikation weiterentwickelt hat. Ob die Farben an das Sehvermögen angepasst sind oder das Sehvermögen an die Farben oder beides – also ob Koevolution stattgefunden hat, ist eine
weiterhin offene Frage. Es gibt aber bei den Schmetterlingen auch zahlreiche Arten, deren Farben eine weitere wichtige Aufgabe erfüllen: den Schutz vor Fressfeinden. Arten, die unauffällig gefärbt sind, sind auf natürlichem Untergrund, wie Baumrinde oder gefallenem Laub, gut getarnt. Farbenprächtige Arten, die oftmals übelschmeckend oder giftig sind, warnen ihre Fressfeinde dagegen oft mit grellen Farben und Mustern. Wichtige Fressfeinde vieler Schmetterlinge sind Vögel – die Färbung vieler Schmetterlinge ist also zumindest teilweise auch eine Anpassung an das Farbensehen der Vögel und an die zwischenartliche Kommunikation mit diesen. Ähnliches gilt sicher auch für manch farbenprächtige Tiere wie Stummelfüßer oder Kraken, die vollständig farbenblind sind. In vielen Fällen ist es aber immer noch vollständig unklar, für welche Augen diese Farben sich entwickelt haben könnten – ja, es gibt in der Natur viele Farben, die reine Begleiterscheinungen anderer Prozesse oder Begrenzungen sind. Grüne Blätter sind grün, weil das Blattgrün rotes und blaues Licht zur Energiegewinnung absorbiert und das restliche Licht – das dem Auge als Grün erscheint – zurückwirft. Viele Pigmente, die ultraviolette Strahlung absorbieren, wie die Karotinoide, haben die vorrangige Funktion, tiefergelegene Gewebe vor Schädigungen durch eben diese energiereiche Strahlung zu schützen. Andere, dunkle Pigmente wie Melanin, die auch infrarote Strahlung absorbieren, helfen Tieren, sich in der Sonne aufzuwärmen. Helle, das Sonnenlicht stark reflektierende Farben helfen dagegen, an einem heißen Tag kaltes Blut zu bewahren. Wieder andere Pigmente sind schlichtweg giftige Abfallprodukte des Stoffwechsels, die in Pigmentzellen abgelagert werden. Eine Funktion als Signale haben sie dann oftmals erst nachträglich erworben. Nicht alle Farben sind also auch Farbsignale.
Warum überhaupt Farbe? Die veränderliche Farbe des Lichtes Warum haben Tiere überhaupt die Fähigkeit entwickelt, Farben – Licht unterschiedlicher Wellenlängen – unterscheiden zu können? Dies ist eine berechtigte Frage, wenn man bedenkt, dass das Spektrum des Lichtes rein physikalisch weitaus weniger Information enthält als die Lichtintensität.20 Darüber hinaus ist Farbensehen mit Nachteilen verbunden: Ein Tier, das in unterschiedlichen Sehzellen unterschiedliche Sehpigmente verwendet, verliert im Gegenzug an räumlichem Auflösungsvermögen oder an absoluter Empfindlichkeit des Sehens.21
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Die Evolution neuer Sinnesorgane und neuer Sinnesleistungen ist in der Regel mit der Evolution eines neuen Verhaltens verbunden, das durch die neue Sinnesleistung ermöglicht oder begünstigt wird. 22 Die Evolution von hochauflösenden Augen hat beispielweise jagenden Tieren einen großen Vorteil verschafft. Welches Verhalten kann die Evolution von Farbensehen begünstigt haben? Diese Frage ist schwer allgemein zu beantworten, da sich Farbensehen im Tierreich mehrmals unabhängig voneinander entwickelt hat. Klar ist aber, dass Farbensehen in seichten Küstengewässern entstanden ist. 23 Der ursprüngliche Evolutionsvorteil steht also wahrscheinlich mit den Lichtverhältnissen und der veränderlichen Farbe des Lichts in flachem Wasser in Zusammenhang. Da Wasser und die Schwebstoffe im Wasser Licht verschiedener Wellenlängen zu unterschiedlichen Graden absorbieren, ändert sich die Farbe des Lichtes mit der Wassertiefe und Wasserqualität dramatisch. Den ersten farbensehenden Tieren mag Farbe daher ein Maß für die Wassertiefe geliefert haben. 24 Möglicherweise noch wichtiger ist, dass unter solchen veränderlichen Lichtverhältnissen die Farbe eines Objektes konstanter ist als seine Helligkeit, vor allem wenn Wellen an der Oberfläche ein ständiges Flimmern von Licht und Schatten verursachen. 25 Das gilt nicht nur unter Wasser, sondern ganz allgemein: Wenn wir aus dem hellen Sonnenlicht in einen dichten Wald treten, so ändert sich die Farbe des Lichtes dramatisch, und im grünen Licht unter dem Blätterdach des Waldes sieht ein roter Apfel, der im Sonnenlicht heller erscheint als grüne Blätter, plötzlich dunkler aus als diese. Die rote Farbe aber bleibt unseren Augen als Erkennungsmerkmal erhalten. Im Laufe des Tages, aber vor allem in der Dämmerung, nach Sonnenuntergang, ändert sich die Farbe des Lichtes und wird zunehmend blau, um später dem gelben Mondlicht oder dem stark rötlichen Sternenlicht zu weichen. 26 Unter Bedingungen veränderlicher Beleuchtungsfarbe ist eine grundlegende Eigenschaft des Farbensehens von ausschlaggebender Bedeutung: die Farbkonstanz. Sie beruht auf mehreren Prozessen im Auge und im Gehirn. Sie ist, soweit wir wissen, bei allen Tieren mit ausgeprägtem Farbensehen vorhanden und bei so unterschiedlichen Tieren wie Honigbienen, Schmetterlingen, Fischen und Vögeln experimentell nachgewiesen. Die Fähigkeit erlaubt es uns, den roten Apfel unter ganz verschiedenen Beleuchtungsverhältnissen als rot wahrzunehmen. Sie erlaubt es einer Biene, eine blaue Blüte, die sie im gelblichen Sonnenlicht besucht hat, auch
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im Schatten wiederzufinden, und Fischen, ihre Artgenossen in unterschiedlicher Wassertiefe zu erkennen.
Anpassungen des Farbensehens an die Umgebung Die veränderliche Farbe des Lichtes ist die Ursache weiterer Anpassungen bei verschiedenen Tieren. Wir haben gesehen, dass Farbensehen selten an die Färbung einer Tierart angepasst ist. Dagegen ist es oftmals an die Lichtverhältnisse angepasst, in denen eine Tierart lebt. Das gilt vor allem für wasserlebende Tiere. Buntbarsche, die Gene für bis zu sieben Sehpigmente besitzen, können ihr Farbensehen an die Lichtverhältnisse in ihrer jeweiligen Umgebung anpassen.27 Die in Süßgewässern lebenden Junglachse beispielsweise besitzen ultraviolettempfindliche Sehzellen, verlieren diese aber, wenn sie ins Meer wandern.28 Solche Veränderungen sind von landlebenden Tieren nicht bekannt, vermutlich, weil sich die Farbe des Lichts da nicht ganz so dramatisch ändert wie im Wasser. Doch gibt es andere, nicht weniger erstaunliche Anpassungen an die Lichtverhältnisse der Umwelt. Mäuse und viele andere Säugetiere haben in der ventralen Hälfte der Retina, die nach oben zum Himmel blickt, mehr Sehzellen, die Licht kurzer Wellenlängen – Ultraviolett oder Blau – wahrnehmen, und in der dorsalen Retina, die auf den Grund blickt, vermehrt Sehzellen, die Licht langer Wellenlängen sehen. Ähnliches ist auch von Schmetterlingen und anderen Tiergruppen bekannt. Manche Tiere, darunter Libellen, Fangschreckenkrebse und Springspinnen sehen gar nur einen kleinen Bereich ihrer Umgebung in Farbe, alles darum herum jedoch nur in Schwarz-Weiß.29 Es ist zu erwarten, dass eine Vielzahl solcher Anpassungen noch ihrer Entdeckung harrt. Die Vielfältigkeit des Farbensehens ist im Tierreich immer noch nur teilweise erforscht.
Farbsehforschung – Wie fragt man ein Tier, was es sieht? Die wichtigste Ursache für unser immer noch sehr lückenhaftes Wissen über das Farbensehen der Tiere liegt in der Unmöglichkeit, Tiere danach zu fragen, was sie sehen und wie die Welt für sie aussieht. Wie können wir überhaupt etwas darüber wissen, welche Tiere Farben wahrnehmen können? Eine wichtige Hilfe hierzu sind erst einmal genetische, anatomische und histologische Studien der Sehpig-
mente und Lichtsinneszellen verschiedener Tierarten. Sie informieren uns über die Möglichkeit, dass eine Tierart Farbensehen haben könnte. Einen wirklichen Nachweis für das Farbensehen von Tieren bieten dagegen nur Verhaltensversuche.30 Obwohl solche Versuche je nach Tierart und spezifischer Fragestellung sehr verschiedene Ausformungen annehmen können, so ist doch die generelle Idee oftmals folgende: Ein Tier wird im Versuch vor die Wahl gestellt, sich für eines von zwei (oder mehreren) Objekten zu entscheiden, und das einzige zuverlässige Kriterium für diese Wahl ist die Farbe. In der Regel wird ein Tier für eine korrekte Wahl belohnt, meist mit Futter, aber manche Tiere führen auch spontane Wahlen aus. Manche Schmetterlinge wählen beispielsweise Blüten nach Farbe, ohne jemals Nektar von einer Blüte getrunken zu haben. Um alle anderen Wahlkriterien außer Farbe ausschließen zu können, muss man sehr sorgfältig vorgehen. Es ist beispielsweise wichtig, dass die Belohnung nicht am Duft erkannt werden kann. Ebenso wesentlich und oftmals weitaus schwieriger ist es, die Helligkeit als Wahlkriterium auszuschließen. Wenn ein Tier, um das an einem Beispiel zu veranschaulichen, zwischen Rot und Blau wählen soll, ist es nicht ausreichend, sicherzustellen, dass beide Farben dem menschlichen Auge gleich hell erscheinen. Sie müssen dem Tier als gleich hell erscheinen – oder, weil wir das in vielen Fällen nicht wissen können –, sie müssen in verschiedenen Helligkeitsvarianten gezeigt werden, so dass die Helligkeit dem Tier keine zuverlässige Information vermittelt. Wenn das Tier die eine Farbe – sagen wir beispielsweise Blau – zuverlässig und unabhängig davon wählt, ob sie heller oder dunkler ist, dann können wir mit ziemlicher Sicherheit den Schluss ziehen, dass es die Farben unterscheiden kann. Auf diese Weise hat man beispielsweise nachweisen können, dass viele Tiere Ultraviolett von anderen Farben unterscheiden können, aber dass die meisten Säugetiere Orange und Gelb nicht als unterschiedliche Farben wahrnehmen.
Die Welt mit anderen Augen sehen Das Interesse, die Sinneswelt von Tieren zu verstehen, ist wissenschaftlich nicht neu. Jakob Johann von Uexkülls Buch Umwelt und Innenwelt der Tiere beschreibt schon 1909 anschaulich, dass jede Tierart in ihrer eigenen durch ihre Sinneswahrnehmung und ihr Verhalten bestimmten ‚Umwelt‘ lebt. Wenn wir auch sicher nicht allen seinen weiteren Gedankengängen folgen wollen, so hat diese Idee seither viele namhafte Forscher inspiriert. Trotzdem fällt es uns immer noch schwer, die Welt ‚mit den Augen von Tieren zu betrachten‘. Wissen um die Farbwahrnehmung von anderen Tieren kann unsere Augen öffnen für Schönheiten, die nicht für uns gemacht sind oder die für uns gar unsichtbar sind, aber für einer Vielzahl von Tieren zu ihrer Umwelt gehören wie der für uns grüne Klee, die rote Rose und die gelbe Banane. Das erlaubt uns ein weniger anthropozentrisches, ein mehr ökologisches Weltbild, in dem wir das Gesehene nicht nur in seiner Beziehung zum Menschen und zur menschlichen Wahrnehmung würdigen. Dies gilt nicht nur in Bezug auf natürliche Wesen, wie Blumen, die sich mit ihren Farben den Bestäubern anbieten, und Tiere, deren Farben sich entwickelt haben, um von Artgenossen erkannt und von Feinden gesehen oder nicht gesehen zu werden. Es gilt auch, wenn wir Menschen neue Objekte schaffen und in die natürliche Umwelt setzen. Auch diese Objekte – Architektur, Windkraftwerke, Straßen und Flugplätze, Möbel, Kleidung, Fahrzeuge und sogar Gartenanlagen – verändern die Welt von Tieren in einer Weise, die wir nicht verstehen können, solange wir sie nur mit unseren eigenen Augen sehen. Das farbige Futter für Haustiere ist für die Tierbesitzer gefärbt, nicht für Hund und Katze. Die Hindernisse auf Reitbahnen sind nicht für Pferde angemalt, sondern für Zuschauer, und die roten Zuchtrosen und Lilien im Ziergarten sind für unser Auge und nicht für das der rotblinden Biene ausgewählt. In noch stärkerem Maße als farbige Objekte ändert farbige Beleuchtung die Welt von Tieren: Gelbe Natriumdampflampen lassen die nächtliche Welt in einem vollständig neuen Licht erscheinen, mit bislang unklarem Effekt für die Tierwelt. Die Welt mit anderen Augen zu betrachten, erlaubt eine erweiterte Wahrnehmung, öffnet neue Dimensionen des Sehens und Denkens und ermöglicht eine ökologischere und weniger anthropozentrische Weltsicht.
Almut Kelber
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ECKHARD BENDIN
Die Ebenen unserer Farberfahrung – Ein Phänomen im Oktavformat*
Die Sinne leben an der Vielfalt der Welt, sie sterben an der Einfalt des Sinnes. Sie kümmern sich um das Heterogene, sie verkümmern am Homogenen. Dietmar Kamper
Die Farbe als ein Erfahrungsphänomen kann man in acht ineinandergefalteten ‚Welten‘ erfassen. Sie stellt sich uns gewissermaßen im ‚Oktavformat‘ dar, hervorgehend aus einer dreifachen, analytischen Brechung, ähnlich dem gefalteten Papierbogen gleichen Namens, der durch dreimalige Falzung eines großen Ganzen schließlich acht Felder bietet. Es geht hierbei ausschließlich um das Erfahren und Erfassen von ‚Farbe als Phänomen‘. Zum besseren Verständnis differenzierter menschlicher Erfahrungsvorgänge interessiert in Bezug auf Farbe auch die Frage nach der Struktur und Wirkungsweise eines hierfür vorstellbaren Gesamtzusammenhanges. Das gefundene Acht-Ebenen-Modell ist bemüht, sowohl Eigenarten als auch Beziehungen der unterschiedlichen Erfahrungswelten als zusammenhängende Struktur darzustellen. In der gebotenen Vereinfachung wird verdeutlicht, wie Qualitäten, Ebenen und Komplexe verknüpft sind und miteinander ein rückkoppelndes System bilden, das der funktionalen Selbstorganisation des menschlichen Wesens und seinem Vermögen als einem organischen, sinnlichsittlichen und geistigen Wesen entspricht. Ein Modell kann helfen, durch strukturelle Transparenz und Verdeutlichen der Kontexte unser Verständnis der Farberfahrung zu erleichtern und zu relativieren.
Dabei müssen wir dessen eingedenk sein, dass unsere Vorstellungswelt subjektiv angereichert ist durch Erfahrungen, die wir selbst einmal gemacht haben. Wir tragen in uns aber vor allem auch einen phylogenetisch vorgeprägten sowie einen soziokulturell-konventionell erworbenen Basisschatz, der sich jeder Wahrnehmungssituation entsprechend zu Wort melden kann. Dabei wirkt unsere sinnesphysiologische Ausstattung als Gesamtorganisation, d. h. alle Ebenen unserer sinnlichen Erfahrung sind konsonierend und kompensativ beteiligt, ebenso wie deren Niederschlag im Unbewussten und Bewussten von synergetischer und synkretischer Natur ist.
Erfahrungsvorgänge und Erfahrungskomplexe Farbe wird allzu oft als unbedeutende Begleiterscheinung gesehen und führt in der Welt unseres Alltags eher ein Schattendasein. Meist im Unbewussten versteckt, lassen wir sie nur gelegentlich auftauchen und Besitz von uns ergreifen. Dann aber kann sie sich uns mit Macht offenbaren und als autonomes Lebensphänomen ins Bewusstsein bringen. Es ist uns nicht nur etwas ‚in den Sinn gekommen‘, sondern es bekommt ‚Sinn‘. Der Erfahrungsvorgang
Erkennen, Empfinden, Wollen und Verstehen Den Vorgang des Erkennens fassen wir auf als elementar raumgreifende, durchdringende Wahrnehmungsfunktion. In ihr werden Leistungen wie Bemerken, Entdecken, Erkennen und Wiedererkennen, Unterscheiden oder Ordnen realisiert. Wir erkennen aber nur diejenigen Eigenschaften der Dinge, die durch einen Sinn unmittelbar empfunden werden. Rot z. B. erkenne ich nur durch ein Erleben von Rot. Das Empfinden zeigt uns die Erlebniseigentümlichkeiten qualitativ an, dazu gehören Leistungen wie Fühlen, Einfühlen und Bewegungen des Gemüts.
der Sinnerfüllung ist ein Teil des Kreislaufes von Erkennen, Empfinden, Wollen und Verstehen. Ein Kreislauf, der auf Sinnerfüllung als Ziel fortwährender sinnlicher Rekursion gerichtet ist. Erkennen und Empfinden, Wollen und Verstehen bezeichnen jeweils Wahrnehmungsleistungen, die den drei Komplexen ‚sinnlich‘, ‚sinnlich-sittlich‘ und ‚geistig‘ zugeordnet werden können. Um in Bezug auf unsere Farberfahrungen die notwendig emergente Beziehung zwischen Sinnlichkeit, Besinnung und Sinnerfüllung zu veranschaulichen, kann man den Gesamtzusammenhang wie ein ‚Oktavformat‘ in acht Ebenen oder ‚Welten‘ ineinander gefaltet auffassen. Dabei handelt es sich um einen Gesamtzusammenhang, der eigentlich immer ein lebendiges, unteilbares Ganzes zu beschreiben sucht, d. h. unsere Wahrnehmungserfahrungen als Ganzes, sowohl in ihrer unendlichen Detailfülle als auch mit ihren reichen Verknüpfungen innerhalb des selbstregulierenden Systems der Wahrnehmung.
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Man könnte den Gesamtkomplex des Erkennens und Empfindens auch als Welt des Vernehmens, Fühlens und Befindens kennzeichnen. Dieser Komplex ist aber auch durchdrungen vom intentionalen Aspekt, dem Wollen. Das Wollen verweist auf Absicht zum willentlichen Handeln, auf den Akt der Tat. Es charakterisiert einen Komplex gerichteter Entwicklung, auch beispielsweise zu Besinnung und Sensibilisierung, zu ästhetisch-ethischer Bildung. Für jenen Komplex sind Intentionen charakteristisch und unerlässlich, d. h. er wird bestimmt durch Gerichtetheit, Zielstrebigkeit und Aufmerksamkeit, durch Einstellungen, Absichten, Erwartungen und Handlungen. Wir sehen oder hören beispielsweise nicht alles und allgemein, sondern intentional und selektiv ‚etwas Bestimmtes‘ heraus. Erst in der Überschau aber werden uns Kontexte und Relationen sichtbar. Durch Akte des Verstehens eröffnet sich uns eine Welt der Offenbarung verborgener Bedeutungen. Durch Deutung, Verständnis, Durchschauen und Überschauen erlangen wir auf jeder der unterschiedlichen Ebenen jeweils ein erweitertes ‚Vorverständnis‘ für die nachfolgenden Wahrnehmungsaufgaben. Dabei gibt es ein kausales, strukturelles, funktionales und ganzheitliches Verstehen.
Die Ebenen unserer Farberfahrung Jeder Sinn ist zunächst ein Quell autonomer Erfahrung. Der Sinneskomplex ermöglicht innerhalb einer Modalität wie auch darüber hinaus Ebenen gerichteter, differenzierter Erfahrung, die man aus analytischer Sicht auch gerichtete ‚Erfahrungswelten‘ nennen könnte. Je nach Intention kann unsere Farberfahrung sich intramodal auf eine bestimmte Qualität richten (z. B. einen bestimmten Farbton
Ebene 1: Modale Qualität > Farbton
und dessen Eigenschaften), auf die Polarität eines bestimmten Gegensatzpaares oder auf die modale Mannigfaltigkeit, die in einem bestimmten Farbakkord aufleuchten oder uns im Farbtonkreis als Totalität entgegenkommen kann. Auch die visuelle Korrelation zwischen Farbe und Form kann gesonderter Gegenstand unserer Aufmerksamkeit sein. Andererseits kann dies auf intermodaler und heteromodaler Ebene sich z. B. auf analoge Zuordnungen (intermodale Analogien), heteromodale Beeinflussungen und die eher seltenen Synästhesien mit ihren adäquaten Sinneseindrücken erstrecken (z. B. Farbe-Ton-Verknüpfungen). Man macht hierfür die Existenz gemeinsamer Bezugspunkte, sogenannte intersensorielle Dimensionen verantwortlich. Der Entwicklungspsychologe Heinz Werner benennt dazu neben der besonders häufigen Dimension Helligkeit als einem gemeinsamen Bezugspunkt zwischen heterogenen Sinneseindrücken u. a. auch Intensität, Rauhigkeit und Dichte.1
Diese Ebene gleicht einem Monolog. Sie richtet sich auf das Singuläre, das Eine, Einheitliche, Einfache, gut Überschaubare, aber auch Einseitige. Die Vorstellungs- und Erfahrungswelt des Farbtons umfasst die dazugehörigen Farbnuancen, wie sie sich in einer tongleichen Ebene zusammenfassen lassen (farbtongleiches Dreieck z. B.) und reicht bis zu eng verwandten Farbtönen.
Schließlich aber kann ohne Vorgänge der Besinnung weder ‚Sinn für Farbe‘ entwickelt noch ‚Sinn in der Farbe‘ gesehen werden. Aus Besinnung und Sinnesschärfung erwachsen induktiv auf hermeneutischer Ebene Sinngebung und Sinnerfüllung als schöpferische Schritte zu neuem Verständnis. So umreißen die acht Ebenen unserer Farberfahrung zwischen den Polen Sinnlichkeit und Sinnerfüllung ein eng verknüpftes, strukturiertes Feld, das auf den ersten Blick vielleicht hierarchisch anmutet, jedoch durch die konsonierenden Vorgänge des Erkennens, Empfindens, Wollens und Verstehens ein integratives, dynamisches Gesamtfeld bildet. Vor dem Hintergrund der Selbstorganisation aller Lebensvorgänge stellt sich uns auch das Feld der Farberfahrung als eine wechselwirkende, gerichtete Struktur dar.
Ebene 2: Modale Polarität > Gegensatzpaar Diese Ebene richtet sich auf den Dialog polarer Gegensätze, der physiologisch begründet (Sukzessivkontrast) in Gegensatzpaaren erscheint. Sie richtet sich nicht nur auf das Eine, sondern auch auf das herausfordernd Andere, das Gegenüber. Das sich gegenseitig herausfordernd Steigernde, aber auch zur Einheit Ergänzende stehen im Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei wirken die polaren Kräfte nicht als unversöhnlich opponierende Dualitäten, sondern als dynamische, einen harmonischen Ausgleich suchenden Kräfte.
Eckhard Bendin
Ebene 4: Visuelle Korrelation > Farbe und Form, Raum- und Gestaltbezug
Ebene 3: Modale Totalität > Farbakkord, Farbspektrum, Farbtonkreis Diese Ebene gleicht einer großen Gesprächsrunde, einer Diskussion, an der sich alle Richtungen beteiligen können. Symbolisch steht hierfür zunächst die Mannigfaltigkeit des Regenbogens sowie der bekannten Farbspektren. Ähnlich jedoch wie bei einem nach Auflösung drängenden Akkord decken diese Phänomene unseren Vorstellungsraum nicht vollständig ab, es schwingen in ihnen noch verborgene, erwartete Qualitäten mit. Ein willkommener Repräsentant unserer Erwartungen ist deshalb der Farbtonkreis, in dem wir alle Richtungen wiederfinden, die unseren Erfahrungsraum strukturieren. Hier gilt nicht nur der Anspruch an das ‚Immermehr‘, an eine gesteigerte Mannigfaltigkeit, wie sie in der überaus reichen Akkordik zum Ausdruck kommt, sondern letztlich die Tendenz zur Erfüllung und restlosen Auflösung im Ideal der Vollkommenheit und Ganzheit.
Durch unseren Gesichtssinn werden Farbe und Form simultan erfasst, wobei man durchaus sagen kann, dass Formen im Gesichtsfeld erst durch den Wechsel von Farbqualitäten (Helligkeit, Sättigung, Farbton) erfahrbar werden. Formerfahrung geschieht in räumlichen Dimensionen durch Grenzbildung, relative Lage- und Größeneinschätzung sowie deren Lesbarkeit im Interesse von Gestaltbildung und Gliederung. Grundlegend hierfür sind elementare Leistungen wie Kontur- und Figurbildungen, Figur-Grund-Differenzierungen sowie Transparenz- und Perspektivinterpretationen (Luft- und Farbperspektive).
Ebene 5: Intermodale Transformation > Farbe und Tasten, Hören, Riechen oder Schmecken Offensichtlich haben unsere Sinne sich seit langem auf Wechselwirkung eingestellt, um Fehlleistungen kompensieren zu können. Diese Art ‚adaptiver Metamorphose‘ geschieht nicht selten auch mit dem Effekt besonderer Schärfung der intakten Sinne. Z. B. berichten Blinde häufig, dass sie zur Raumwahrnehmung eine besondere Sensibilität für Schallinformationen entwickelt haben. Daraus können sie wichtige Informationen über Größe und Beschaffenheit eines Raumes ableiten. Jeder Raum hätte für sie einen ‚Klang‘. Dies zeigt einerseits, dass das Empfinden von Räumlichkeit offensichtlich auf multimodaler Interaktion beruht und hierbei intersensorielle Dimensionen intensiv beansprucht werden. Andererseits kann man demgemäß für Sehende ableiten, dass natürlich auch Farben zu Repräsentanten von Erfahrungs- und Vorstellungsinhalten werden können, die sonst von
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anderen Sinnesmodalitäten vertreten werden. Dies erscheint auch nicht weiter verwunderlich, spiegeln doch in besonderer Weise unser Sprachschatz, dessen geistiger und emotionaler Hintergrund sowie ein ständig interaktiv sich verändernder Sprachgebrauch jene Vorgänge anschaulich wider. Die Sprache arbeitet weitgehend mit Analogien und Verwandtschaften. Einsichten hierzu vermittelten z. B. Ludwig Wittgensteins sprachanalytische Bemerkungen über die Farben.2 Im analogen Reichtum des Symbolischen, Allegorischen und Mystischen, in unseren sprachlichen Metaphern drückt sich die grundsätzliche Fähigkeit zur wechselseitigen Repräsentanz sinnlicher Qualitäten aus. Insbesondere im Poetischen wird jene aufeinander verweisende sinnliche ‚Dichte‘ der Sprache zur bestimmenden Kraft.
zen all unserer Erfahrungen und Erwartungen, das durch eine bestimmte Situation ausgelöst werden kann. Zu derartigen Zuständen gehört auch das Déjàvu-Erlebnis, das Empfinden, die Situation schon einmal erlebt zu haben.
Ebene 7: Adaptive Metamorphose > ‚Sinn‘ für Farbe (Besinnung und Sinnesschärfung)
Ebene 6: Multimodale Interaktion > Farbe sinnesübergreifend, allgemein wirkend Wenn wir das Zusammenwirken der Sinnesman nigfaltigkeit ins Auge fassen, nähern wir uns dem sogenannten Gemeinsinn. Gemeint ist damit die Funktion übergeordneter Wahrnehmungsleistungen; die vornehmlich durch ein zusammenfassendes, übergeordnetes Erkennen charakterisiert ist. In einer derart simultanen Erkenntnisfunktion verbinden sich alle Modalsphären zum Gemeinsinn, dem sensorium commune (nach Herder). Das Erleben eines ‚orchestralen Aufklingens‘ aller Sinnesqualitäten ist die Folge. Dies widerfährt uns besonders im Erlebnis der ‚Anmutung‘, intuitiv hervorgerufen durch ein multimodales, assoziatives Verschmel-
Es handelt sich hier um eine intentionale Erfahrungsebene. Die Frage nach der erforderlichen Besinnung zielt zunächst zwar auf das Didaktische, hat aber in der Konsequenz einen erkenntnistheoretischen Hintergrund. Es geht letztlich um das Erkennen- und Annehmenwollen von Farbe als wesentlichemPhänomen unseres Lebens. Von Natur aus fordert uns Farbe heraus; sie ist zunächst eine Herausforderung an unsere Sinne, damit aber zugleich auch an Besinnung und Sinnesschärfung, dem eigenlichen Nährboden menschlicher und ästhetischer Bildung. Die Ebene der Besinnung fördert das Kennenlernen und die liebevolle Zuwendung. Zwischen dem Vorgang des Erkennens und Liebens besteht ein enger Zusammenhang. Ein dem Gemeinsinn nahekommendes, übergreifendes Erkennen mit geschärften Sinnen ist besonders im Akt des Verliebens und Liebens gegeben. Ohne Ausnahme sind hier alle Sinne hellwach und beteiligt. Zu dieser Art des Erkennens passt auch die Entsprechung, die wir in Luthers Bibelübersetzung finden: „Er ‚erkannte‘ sie ...“, und: „... sie aßen vom Baum der Erkenntnis“.
Eckhard Bendin
Ebene 8: Induktive Metaphysik > Farbe und ‚Sinn‘ (Sinngebung und Sinnerfüllung) Unsere Vorerfahrung scheint vieles bereits zu ‚wissen‘ und – unmerklich fast – der Erfahrung gemäß zu erkennen, d. h. die Angebote zuordnend aufnehmend zu ‚verstehen‘; ein Wechselspiel also zwischen referentiellem Vorwissen, darauf basierenden Annahmen und deren Bestätigung. Daraus erwachsen induktiv Sinngebung und Sinnerfüllung als schöpferische Schritte zu neuem Verständnis. Dies setzt voraus, dass wir auf hermeneutischer Erfahrungsebene auch den Akt des Verstehens als einen Akt induktiver Metaphysik erfüllen (durch Erkenntnis, Deutung, Verständnis, Durchschauen und Überschauen) und unser ‚Vorverständnis‘ für Neues immer wieder derart erweitern.
Sinnlichkeit und Besinnung als Passion Mensch und Welt, Geist und Körper, stehen einander nicht gegenüber, sondern sind – im Sinne der von Maurice Merleau-Ponty formulierten Erkenntnis – „ineinander gefaltet“.3 Ihr ambivalentes Verhältnis widersetzt sich dem auf Eindeutigkeit setzenden Denken. So erscheinen Dietmar Kampers Herausforderung zur „Wahrnehmung als Passion, ein[em] Körper-Denken, das als Denken gegen das Denken begonnen hat“4, ebenso wie Rudolf Arnheims Anstoß zu Anschaulichem Denken durchaus folgerichtig und gerechtfertigt.5
Erst Sinnlichkeit und Besinnung ermöglichen Sinngebung und Sinnerfüllung. In dem Maße, in dem Sinnerfüllung verloren geht, müssen die Ausgangsgrößen Neues reproduzieren. Eine durch Sinnerfüllung ‚erneuerte‘ und bestätigte Sinnlichkeit brauchen wir, um Farbe tief in uns aufnehmen zu können als lebensweltliches Phänomen, das uns belebend entgegenkommt und auch erkenntnisdienlich bereichern kann. Das Ästhetische bedarf der Besinnung und ist insofern schöpferisch, als es aus sich heraus das Ethische hervorruft. Trotz oder gerade wegen unserer zivilisatorischen Errungenschaften, die uns zunehmend mit einer künstlich erzeugten, oft schon an Wahn-Sinn grenzenden, rasanten Reiz- und Bilderflut konfrontieren sowie dadurch auch einem wachsenden Anpassungs- und Selektionsdruck aussetzen, ist nachdrücklich ein ,Zur-BesinnungKommen‘ geboten. Es ist uns als organischen Wesen geboten, jeden vergönnten Lebensgang im Garten unseres Daseins mit neuen, offenen Augen anzutreten und dem ‚Augen-Blick‘, dem farbigen Aufblühen unserer Sinne die höchste Referenz zu erweisen, denn: „Nur an des Lebens Gipfel, der Blume, zündet sich Neues in der organischen Welt, in der empfindenden an.“6
Endnoten * Da die Expertise von Eckhard Bendin hinsichtlich Farbwahrnehmung, Farbtheorie, Farbwissenschaft und Lehre von der Farbe den Herausgebern innerhalb des Forschungsprojekts FARBAKS und bei der Vorbereitung dieser Publikation stets eine kompetente Begleitung bot und seine Stimme im Rahmen von Gesprächsstoff Farbe nicht fehlen darf, ist es den Herausgebern ein besonderes Anliegen, den vorliegenden, schon einmal publizierten Text hier erneut zu veröffentlichen. Eine schwere Krankheit hat Eckhard Bendin daran gehindert, seine weiterführenden fachlichen Erkenntnisse in einem neuen Beitrag vorzustellen. Der Text ist erstmals umfänglich erschienen in: Bendin, Eckhard: Zur Farbenlehre. Studien – Modelle – Texte, Dresden 2010, S. 110–113, hier erweitert um die Abbildungen. 1 2 3 4
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Werner, Heinz: Einführung in die EntwicklungsPsychologie, 4., durchges. Aufl., München 1959. Wittgenstein, Ludwig: Bemerkungen über die Farben, Frankfurt a. M. 1979. Merleau-Ponty, Maurice: Phänomenologie der Wahrnehmung, Berlin 1966. Kamper, Dietmar: Entweder der Sinn oder die Sinne, in: Der Sinn der Sinne (Schriftenreihe Forum; 8), hg. v. d. Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 1998, S. 11–17. Arnheim, Rudolf: Anschauliches Denken. Zur Einheit von Bild und Begriff, Köln 1969. Schiller, Friedrich: Votivtafeln, in: Gedichte, 1. Theil, Leipzig 1800, S. 303.
BRUNO HAAS
Die Farbe und ihre Systeme
1. Farbforschung ist als solche anwendungsbezogen. Sie verfügt weder über eine einheitliche Methode noch über einen einheitlichen Objektbereich. Verschiedene Fächer nehmen an ihr teil: Theorie des Elektromagnetismus, Chemie der Pigmente, Biochemie, Neurobiologie, Psychologie, aber auch Kunst- und Sittengeschichte, Ästhetik, Design und manch andere. Auch heute noch, da man allerorten das interdisziplinäre Forschen ermutigt, bleibt der Dialog oft an der Oberfläche; und das hat seine Gründe. Farbenforschung und -theorie ist keine irgend eigenständige Disziplin.1 Wo sich eine Einheit ergibt, da fußt sie stets in einer Anwendung. Allein, es gibt sehr verschiedene Anwendungen und entsprechend auch sehr verschiedene Kompetenzen. Ein Maler braucht keine Ahnung von Neurobiologie zu haben, um bedeutende Kunstwerke zu schaffen, und ein Spezialist für Messverfahren elektromagnetischer Wellen kann ignorieren, was Heraldik ist, und doch ein neues Instrument erfinden. Die Fragestellungen können so verschieden sein, dass ein Austausch ganz überflüssig wäre. Interdisziplinäre Forschung wird aber erst da sinnvoll und kann auch erst da wissenschaftlichen Standards genügen, wo wirklich eine gemeinsame Frage vorliegt, wo also die
Informationen der einen Disziplin in der anderen gebraucht werden. Bei manchen Disziplinen ist diese Verzahnung durchaus vorhanden. So benutzt der Spezialist für biochemische Vorgänge in der Retina selbstverständlich, was ihm der Physiker über die das Licht erzeugenden elektromagnetischen Wellen sagen kann. Gerade in den technischen Disziplinen, aber auch in der Medizin findet solch ein Austausch seit langem mit Erfolg statt. Schwieriger wird dies, sobald die Naturwissenschaften mit den sogenannten Geisteswissenschaften in Berührung kommen. Und doch ist gerade die Farbe ein Gebiet, wo dieser Austausch immer wieder gesucht worden ist, zumeist ohne oder nur mit begrenztem Erfolg. Das berühmteste, aber keineswegs einzige Beispiel eines solchen Dialoges ist die Auseinandersetzung zwischen den Nachfolgern Goethes und Newtons.2 So fragt es sich, ob es denn überhaupt ein Feld gemeinsamen Forschens über die Farben gibt, in dem der interdisziplinäre Austausch einen wissenschaftlichen Standards genügenden Erkenntniszuwachs gewähren kann, ja in dem dieser Austausch aus sachlichen Gründen notwendig wird. Dass es ein solches Feld geben müsse, hat eigentlich immer schon eingeleuchtet; denn es liegt auf der Hand und wird im Prinzip von niemandem bestritten, dass die Farbe
letztlich eine Empfindung und mithin ein Bewusstseinsphänomen ist, Gegenstand der Psychologie. Damit scheinen aber die Grenzen der Naturwissenschaft überschritten zu sein. Ob freilich Psychologie als eine Geisteswissenschaft zu gelten habe, und welche Art von Psychologie man hier zugrunde legen will, darüber gehen die Geister so weit auseinander, dass wiederum schwer abzusehen ist, wie hier ein konstruktiver Dialog auszusehen hätte.3 Oft stellt man sich das Verhältnis der an der Farbenforschung beteiligten Wissenschaften so vor, dass sie in einer Stufenleiter aufeinander folgen und einander voraussetzen.4 Wilhelm Ostwald hat diese Vorstellung in seiner Farbenlehre verteidigt. Er stellte sich die Farbwissenschaft als ein sich aus dem Allgemeinen immer spezieller aufbauendes Gebäude vor, in dem folgende Disziplinen in genau dieser Reihenfolge zusammenhängen sollten: – Mathetik – Physik – Chemie – Physiologie – Psychologie Ostwald erwähnt noch, dass die auf die Psychologie folgende, also nächst speziellere Wissenschaft, die ‚Soziologie‘ (also Wissenschaft von der Gemeinschaft der ‚Seelen‘ bzw. psychischen Apparate), nichts mehr zur Farbforschung beitrage, worin er sich, wie wir heute im Angesicht einer breiten soziologisch-anthropologisch-historischen Forschung wissen, allerdings getäuscht hat.5 Wie problematisch diese etwas naive Vorstellung von Aufbau und Topik der Wissenschaften ist, wollen wir nachfolgend an dem prüfen, was Ostwald originell als die Mathetik der Farben bezeichnet, worunter er so etwas wie eine mathematisierte Farbenmetrik versteht. In der mathetischen Farbenlehre erläutert Ostwald im Grunde, wie man einen Farbenatlas anlegen sollte, d. h. er erläutert, wie man das Verhältnis zwischen beliebigen gegebenen Farbtönen eindeutig quantifizieren und wie man sie dementsprechend in einem einheitlichen Modell darstellen und durch eine einheitliche Nomenklatur bezeichnen kann. Das Problem der mathetischen Farbenlehre, die seit Ostwald zu einer großen Menge unterschiedlicher Farbmetriken geführt hat, ist freilich, dass man gerne wüsste, was denn hier jeweils mathematisch geordnet wird. Sind es Empfindungen, sind es Pigmente, sind es Lichter? Und wenn es Empfindungen wären, wie kann man sie darstellen und in einen Atlas bringen? Im Atlas können immer nur Proben von Färbungen (Pigmenten) geliefert werden, aber nie Empfindungen, insofern diese etwas ganz Subjek-
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tives, ja Ungreifbares zu sein scheinen. Damit werden aber die Stelle und der Rang der Mathetik in der Abfolge der von Ostwald genannten Wissenschaften unsicher. Und es fragt sich, ob diese Abfolge so einfach progressiv ist, wie Ostwald dachte. Nachfolgend soll erläutert werden, inwiefern die Farbmetrik (also Ostwalds Mathetik) vor Probleme stellt, die nur durch eine enge und aufwändige Zusammenarbeit unterschiedlicher Disziplinen überhaupt behandelt werden können, dass und wie in dieser Zusammenarbeit Natur- und Geisteswissenschaften zusammentreffen, so dass ihre Trennung in einem gewissen Sinne obsolet wird.
2. Das Problem lässt sich in aller Schnelle da lokalisieren, wo Physiologie und Psychologie zusammentreffen. Es ist gewiss kein Zufall, dass gerade in der Farbforschung schon im 19. Jahrhundert die Schwierigkeit der Artikulation von Physiologie und Psychologie sehr deutlich gespürt und virulent diskutiert worden ist. Goethes Reaktion auf Newton ist nicht zuletzt der Ausdruck einer tiefgehenden Depression seitens des Dichters im Angesicht einer Wissenschaft, die den intuitiven Zugang zu den Dingen genau an der Stelle angreift, wo er doch unangreifbar scheinen mochte: in der Wahrnehmung. Wer mit Newton behauptet, weißes Licht sei ein Bündel farbiger Strahlen, der widerspricht dem Augenschein so flagrant, dass ein Goethe schier verzweifeln mochte. Die Geschichte dieser schleichenden Entfremdung des Menschen von der ihn umgebenden Welt durch eine Wissenschaft, welche unsere sinnlich-qualitativen Eindrücke von der Welt zunehmend durch mathematisierbare Modelle ersetzt, die immer unanschaulicher werden, beginnt natürlich lange vor Newton, spätestens bei Galileo, Descartes und Kepler, allein Newtons Optik stellt in dieser Geschichte doch einen ausgesprochen lange und verzweifelt umkämpften Meilenstein dar, vermutlich weil diese mit den Farben ein Gebiet in Angriff genommen hatte, auf dem der intuitive Zugang ganz besonders evident zu sein schien. Im Grunde ist es unbegreiflich, wie lange die Auseinandersetzung zwischen Newton und Goethe – allerdings eigentlich nur geisteswissenschaftlich orientierte – Historiker interessiert hat. Denn freilich ist durch ihre mathematische Methode einzig Newtons Optik von wissenschaftlichem Interesse, auch wenn Goethe eine Reihe von Beobachtungen gemacht hat, die bei Newton nicht verarbeitet sind und in der
Sinnesphysiologie ihre Aufklärung finden. Allein auch auf diesem Gebiet lehrt der Vergleich mit den Arbeiten etwa eines Jan von Purkinje, dass Goethes Beitrag in der Geschichte der Sinnesphysiologie bestenfalls eine kuriose Episode ist.6 Hieraus folgt allerdings nicht, dass Goethes Werk völlig sinnfrei oder gar unbedeutend wäre. Seine Bedeutung hat es aber in erster Linie als Symptom und Ausdruck einer tiefen Krise der Sprache, welche gerade im Deutschland der Kant-Zeit ausbricht und nicht unwesentlich mit dem Namen dieses Philosophen verknüpft zu sein scheint. Goethes Rolle in dieser Krise ist meines Wissens trotz der immensen Literatur noch keineswegs zureichend gesehen worden.7 Ob aber Goethe irgendetwas Gültiges zur Ästhetik der Farben hat beitragen können (woran z. B auch Wittgenstein gezweifelt hat), muss im Angesicht der bis heute prekären Verwissenschaftlichung dieser Disziplin fraglich bleiben.8 Um Physiologie und Psychologie in einer zufriedenstellenden Weise zu artikulieren, müsste im Grunde das sogenannte Leib-Seele-Problem gelöst bzw. überwunden oder als ein falsches Problem evakuiert werden. Ostwald scheint sich die Sache recht einfach vorgestellt zu haben. Für ihn gibt es eine Physik und Chemie der Farben, sodann eine Wirkung derselben durch Licht auf das Sinnesorgan und folglich eine Physiologie derselben. Natürlich sind Vorgänge auf der Retina und neuronale Vorgänge nicht einfach identisch mit der subjektiven Empfindung und somit muss es also auch noch eine Psychologie der Farben geben, die unmittelbar diese Empfindungen behandelt. Hier dachte sich Ostwald auch die Möglichkeit einer Harmonielehre der Farben, die sich u. a. dadurch empfiehlt, schreibt er, dass sie dem Kunsthandwerk an die Hand gehen und ein erfolgreicheres Farbdesign garantieren könne, damit aber auch besseren Profit, zumal in der internationalen Konkurrenz.9 Nun empfiehlt es sich, vor allem wenn man das Problem wissenschaftlich behandeln will, jede Form von Hypostasierung einer ‚Seele‘ zu vermeiden. Die bloße Existenz des Begriffes einer Seele und seine Aporien kann man dabei auch als Symptome dafür nehmen, dass hier eine sachlich einzigartige Konstellation vorliegt, durch deren Analyse man vielleicht positive Anweisungen dafür erlangen kann, wie hier aussichtsreich geforscht werden könnte. Welche Phänomene sind es aber, die sich in dem traditionell durch die Seele bezeichneten Gebiet zeigen? Man könnte antworten: alle Bewusstseinsphänomene und darunter zuerst die Empfindungen, z. B. die Empfindungen der Farbe. Denkt man nun,
diese Empfindungen als scheinbar einfachste Bewusstseinsvorgänge könnten isoliert und für sich auf irgendwelche neuronalen Korrelate bezogen werden, so vergisst man, dass es keine irgend bewusste Empfindung geben dürfte, die nicht zugleich sprachlich oder durch eine andere signitive Funktion vermittelt wäre. Vieles spricht dafür, dass erst diese Vermittlung aus der Empfindung ein seelisches Ereignis macht. Will man aber auf die Hypostasierung der Seele verzichten, was für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Phänomenen unvermeidlich sein dürfte, so wird man das ganze Gebiet der Farbempfindung irgendwie in die Semiologie eingliedern und sich für Formen signitiver Vermittlung der Farbwahrnehmung interessieren müssen. Was hiermit gemeint sei, soll in der Folge näher erläutert werden.10 Von vornherein liegt es allerdings nahe anzunehmen, dass unsere Farbwahrnehmung massiv von der Art abhängt, wie das Farbvokabular in den natürlichen Sprachen die Farbe jeweils artikuliert. Freilich gehen hier die Meinungen weit auseinander. Halten wir uns jedoch an das inzwischen zur Verfügung stehende Material, so können sehr bedeutende Schwankungen von Kultur zu Kultur und von Epoche zu Epoche nicht in Abrede gestellt werden, mag auch die Interpretation dieser Unterschiede uns vor Probleme stellen, denen wir vielleicht noch nicht gewachsen sind.11 Auch hierzu werden wir später noch ein Weniges beitragen. Mag die sprachliche Artikulation auf den ersten Blick auch als eine Überformung einer sogenannten vorprädikativen oder rein empfindungsmäßigen Erfahrung gelten, so scheint diese Vorstellung doch einer eingehenderen Prüfung nicht standzuhalten, zumal wir das Bewusstsein, dem all diese vorprädikative Empfindung angehören soll, eigentlich gar nicht anders denn durch seine Sprachkompetenz definieren können, somit also die Verquickung von Empfindung und Versprachlichung immer schon vorausgesetzt haben. Die Sprache verhält sich hier gemäß der von Derrida im Gefolge Hegels identifizierten Logik des Supplementes: Sie scheint zwar immer erst nachträglich zu den Dingen hinzuzukommen, sie nur zu beschreiben und nichts an ihnen zu verändern; ist sie aber einmal da, so hat sie die Dinge und ihre Erfahrung immer schon verändert. Die Perplexität über diese offenbar an das Wesen der Sprache gebundene Logik des Supplementes hat schon im 18. Jahrhundert die Sprachphilosophie in Atem gehalten; sie könnte uns, wenn recht verstanden und gebraucht, in zentralen Fragen der Farbentheorie gute Dienste erweisen.12 Diese Einsicht ist aber auch in der jüngeren Literatur geltend gemacht worden. So hat Fabian Dorsch die Farbwahrnehmung als eine solche
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definiert, welche durch die nennende Bezugnahme auf ein Korrelat (irgendeinen Gegenstand) anderen Personen mitgeteilt werden kann.13 Auf die Korrelation von Farbwahrnehmung und Sprache (‚Sprachspiel‘) hatte vorher schon Ludwig Wittgenstein in seinen Bemerkungen über die Farbe hingewiesen.14 Dass also die Farbwahrnehmung irgend sprachlich vermittelt sei, mag hingehen; die Frage ist nur, an welcher Stelle dieser Befund in die Farbforschung einzugliedern sei und ob er isoliert für eine solche Eingliederung überhaupt tragfähig genug ist. Dass dies nicht der Fall sei, ist die These dieses Beitrages. Zwischen dem Wort und der Farbempfindung steht noch ein anderes signitives Phänomen: das Bild. Wie aber Farbe und Bild zusammenhängen, ist eine Frage von solchem Umfang, dass an dieser Stelle nur ein paar vorbereitende Hinweise gegeben werden können.15
3. Es muss auffallen, dass es denjenigen Disziplinen, die bisher am meisten Wissen über die Farben produziert haben, eigentlich nie um die Farben selbst gegangen ist, ja dieses Desinteresse an den Farben selbst scheint geradezu die Bedingung für ihren Erfolg gewesen zu sein. Erklärt man die Farben zuerst aus dem bunten Licht, dieses sodann aus Lichtwellen und ihren abweichenden Längen und Frequenzen, fügt dann die Theorie der Lichtwellen in eine breitere Theorie elektromagnetischer Wellen ein, so ist es mit den Händen zu greifen, dass die Farbe dabei immer mehr aus dem Blick gerät, ist sie doch allenfalls ein akzidentelles Begleitphänomen eines kleinen Ausschnittes aus dem ganzen Feld der elektromagnetischen Wellen. Wissenschaftlich ist es natürlich vorzuziehen, den Elektromagnetismus im Ganzen zu behandeln; zumindest ergeben sich aus der Gesamtbetrachtung grundlegendere Einsichten in den Bau des Universums. Greift man aber diejenigen elektromagnetischen Strukturen heraus, welche spezifisch an der Entstehung der Farbwahrnehmung teilnehmen, so geschieht das anwendungsbezogen, weil man z. B. ein technisches Problem lösen will oder Informationen im Rahmen z. B. einer Hypothese der Physiologie braucht. Aber selbst in der Physiologie des Auges steht die Farbe als solche nicht im Mittelpunkt. Hier wird beschrieben, welche Vorgänge sich im Auge, den Sehnerven und eventuell im Gehirn abspielen, wenn gewisse elektromagnetische Wellen auf eine bestimmte Weise auf die Retina fallen. Und wenn wir auch in der Retina sogenannte Sehpigmente beobachten können, die wirklich Farbe
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haben, so hat doch der physiologisch beschriebene Sehvorgang selbst gar keine Farbe. Denn an diesen Pigmenten interessiert nur die filternde Wirkung in Bezug auf die einfallenden Wellen und die chemischphysikalischen Vorgänge im optischen Apparat, die durch dieses Filtern privilegiert werden. Deren exakte Beschreibung ist ohne jede Referenz auf irgendwelche Farbe möglich. Statt der Farbe wird man Wellenlängen, Schwingungsebenen und vieles mehr beschreiben, d. h. diejenigen quantifizierbaren Gegebenheiten, die im Rahmen der dominierenden Theorie und Modellvorstellung aussagekräftig sind. Zwar lassen sich diese Ergebnisse hinterher wieder in Farbe übersetzen, so dass man z. B. feststellt, dass der Vorgang x mit der Wahrnehmung der Farbe y zusammenfällt und daher wohl als die Ursache dieser Wahrnehmung gelten kann. Allein, diese Aequation selbst ist gar nicht der Nerv der wissenschaftlichen Theorie, sie ist nur ihr Saum. Denn das x kann zwar einwandfrei quantifiziert werden, aber gilt das auch für das y? Wie soll denn eine subjektive Empfindung quantifiziert werden? Ihre Quantifikation setzt zwar zunächst eine empirisch-intuitive Näherung voraus, es kommt dann aber alles darauf an, dieselbe durch einen Standard zu ersetzen, den man in der Folge ohne Rekurs auf menschliche Intuition, sondern mit Hilfe von präzisen Messgeräten zur Anwendung bringt. In diesem Sinne hat auch die Physiologie über die Empfindung der Farbe selbst eigentlich nichts zu sagen. Man kann sich darüber wundern, man kann es auch mit Goethe bedauern oder beklagen. Ja, es soll nicht einmal daran gezweifelt werden, dass hier eine Entfremdung von den Phänomenen vorliegt, die vielleicht wirklich zutiefst problematisch ist und, wer weiß?, ihre ethischen Folgen hat. Das ändert aber nichts daran, dass dies eben der Gang der Wissenschaft ist. Man wird durch Goethes und anderer Zweifel allenfalls daran erinnert, dass die mathematischen Wissenschaften ein Wissen ganz bestimmter Art liefern und dass man sich bemühen könnte zu verstehen, wodurch sich diese Art des Wissens auszeichnet, welche performativen Wirkungen auf menschliche Gesellschaft es erzeugt etc. Die Wissenschaft könnte dergestalt selbst in Frage gestellt werden; und es ist auf diesem Gebiet seit Husserls Schrift über die Krisis der europäischen Wissenschaften und Foucaults Arbeit über Wort und Ding einiges geschehen.16 Wir wollen uns hier jedoch nur auf ein Detail in dieser allgemeineren Frage konzentrieren: Wir wollen fragen: Was wird aus der Farbe, wenn man sie in der gekennzeichneten Weise zum Gegenstand eines Wissens macht? Wir behaupten: Sie wird in einer ausgezeichneten Weise zu einem Bild gemacht, und
dies umso mehr, je mehr die Wissenschaft von ihr im Grunde wie gesehen ‚farblos‘ ist. Diese Behauptung mag überraschen, wenn man bedenkt, dass die Wissenschaft von den Farben in der beschriebenen Weise farblos ist. Allein, betrachten wir etwas näher, was sich in der Logik einer ‚Mathetik‘ der Farben, d. h. in den Farbmetriken und Farbatlanten ereignet, so ergibt sich etwas anderes. Dabei werde ich mich auf die Normfarbtafel nach DIN 5033 beziehen, die sich durch ihre wissenschaftliche Bedeutung und allgemeine Bekanntheit als Beispiel besonders anbietet. (Abb. 1) Diese Tafel realisiert die metrisch präzise Darstellung aller möglichen additiven Mischungen nach den von Hermann Günther Grassmann schon 1853 noch hypothetisch aufgestellten mathematischen Gesetzen.17 Jeder Punkt auf ihr bedeutet einen anderen Farbton, der gesondert als homogene Farbfläche dargestellt werden kann. Man kann aber auch einen jeden Farbton mathematisch darstellen, indem man ihn auf die in seiner Mischung anteilig enthaltenen Farben reduziert. Dabei empfiehlt es sich, solche Farben zum Ausgangspunkt zu wählen, aus denen möglichst viele andere gemischt werden können, also etwa das Blau 436 nm, das Grün 546 nm und das Rot 700 nm. Da allerdings deren Mischungen nicht alle Farben abdecken (das Schema zeigt etwa Grüntöne, die nicht auf gerader Linie zwischen dem Blau 436 und dem Grün 546 liegen), so kann der mathematische Ausdruck noch vereinfacht werden, indem man das Ellipsoid in ein etwas weiteres Dreieck einschreibt, dessen Eckpunkte (x, y, z) drei hypothetische Farbtöne bezeichnen, durch deren ebenfalls nur hypothetische Mischung alle anderen Farben eindeutig designiert werden können. Diese hypothetischen Farbtöne kann man zwar weder herstellen, noch sehen, noch (vermutlich) sich vorstellen; das tut aber nichts zur Sache. Mathematisch ist es möglich, die Farbtafel nach DIN 5033 in ein Koordinatensystem einzutragen, das jenseits der extremen Farben einfach weitergeht. Diese Tatsache suggeriert den Gedanken einer Farbe jenseits der geschwungenen Grenze der ellipsoiden Form, einer uns unsichtbaren, an sich (und für andere Wesen) aber vielleicht doch möglichen Farbe. Unsere Farben erscheinen als kontingent. Dieser kontingente Charakter unserer Farben wird in anderen Farbmetriken meist abgefangen, am schlagendsten vielleicht in Runges Farbenkugel, die sich durch ihre suggestive Eleganz unter den Modellen auszeichnet. Runges Farbenkugel entspricht vermutlich zugleich einer künstlerischen, einer Ausdrucks-Funktion, die dem späteren Elaborat fernliegt. Sie stellt die Welt unserer Farben als eine unendliche Totalität dar, zu der ein Außerhalb
A B B . 1: C I E N O R M F A R B T A F E L D I N 5 0 3 3
noch nicht einmal vorstellbar ist, die aber dennoch in sich vollständig und nicht etwa unabgeschlossen ist. Dieser Unterschied hat zunächst nichts mit der Richtigkeit oder Falschheit des einen oder anderen Modells zu tun; er ist allein den Eigenschaften der jeweiligen Darstellung und ihrer ‚Logik‘ geschuldet, wie ich hier provisorisch formulieren möchte. Gehen wir einen Schritt weiter. Jeder Punkt der Farbmusterkarte kann durch eine homogene Probe dargestellt werden. Will man den genauen Ton einer Farbe bestimmen, so wird er mit dieser Probe verglichen. Der Farbvergleich ist überhaupt die empirische Grundlage für die Darstellung einer Farbe aus anderen gemäß den Prinzipien der additiven Mischung nach Grassmann. Diejenigen Farbmuster, die wir im Farbenatlas finden, sind insofern von vornherein ‚Vergleichsfarben‘, d. h. solche, die so aussehen, wie eine andere Farbe aussieht. Dabei muss von allen anderen Gegebenheiten abstrahiert werden, etwa von der Textur des Stoffes, aber auch von der Wirkung des umgebenden Lichtes usw., d. h. die bloße Farbe wird als solche isoliert. Was etwa an einer Stofftextur stört, ist nicht nur die Tatsache, dass auf ihr nicht alle Punkte gleich gefärbt sind, sondern auch ihre taktile Suggestionskraft. So mag eine schwere blaue Seide ‚warm‘ wirken, obwohl
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die bloße Farbe gemäß der Vulgata ‚kalt‘ sein soll. Mit anderen Worten, indem man die Farben isoliert, isoliert man zugleich den Gesichtssinn und seine Wahrnehmung. Dass man die Sinne in dieser Weise isolieren könne, ist in aller Radikalität zuerst wohl von George Berkeley Anfang des 18. Jahrhunderts behauptet worden.18 Ist der Gesichtssinn aber einmal in dieser Weise isoliert, so haben die von ihm produzierten Wahrnehmungen nur noch den Rang von Bildern und ‚Zeichen‘. Denn was man berührt und was man sieht, wird erst dadurch zur Deckung gebracht, dass man das eine auf das andere ausdrücklich bezieht, das eine also als Bild des anderen auffasst. Aus Gründen, die wir hier nicht mehr erörtern können, kommt dabei dem Tastsinn traditionell stets der Vorrang zu.19 Man hat sich immer das auch deshalb so genannte Gesichts-‚Bild‘ eben als das Bild einer tastbaren Wirklichkeit gedacht. Dieser Gedanke setzt freilich irgendeine Art sensualistischer Reduktion im Sinne Berkeleys voraus und schließt die ältere Vorstellung von den Sinnen als Toren der Seele (welche natürlich allesamt in dieselbe Wirklichkeit hinausführen) aus. Wir wollen hier gar nicht fragen, ob diese Reduktion vermeidlich oder notwendig sei; sie liegt jedenfalls auch unseren modernen Farbatlanten und -metriken zugrunde, die vermutlich erst im Gefolge des Sensualismus und der ihn
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begleitenden Bildlichkeit möglich geworden sind. Die darin liegende Auffassung der Farbe als Bild ist im Übrigen zweifellos möglich, sie gestattet eine Menge technischer Anwendungen. Alle diese Farbmetriken stellen die Farben als isolierbare Entitäten dar, damit aber als bloße Bilder. Hierbei legen wir folgende Minimaldefinition des Bildes zugrunde: Bild ist eine Sache, wenn sie dem Sein entnommen ist, d. h. wenn ihre Beziehungen auf anderes Seiende suspendiert sind. Dies geschieht aber mit der Farbe, sobald sie als reine Sichtbarkeit isoliert ist. Man denkt sie dann unabhängig von ihrer räumlich-körperlichen Ausdehnung. Es gibt aber keine Farbe ohne räumlich-körperliche Ausdehnung, wie es auch keine Farbe gibt ohne Textur. Völlige Texturlosigkeit ist selbst nur ein defizienter Modus von Textur und wird auch als solcher wahrgenommen, eben als Ausnahmesituation, von der ein Künstler wie James Turrell in spektakulären Installationen hat profitieren können. Ihn aber schon deshalb für einen tiefen Kenner der Farbe zu halten, wäre ein wenig voreilig.20 Weil Farbe ohne Ausdehnung und ohne irgendeine Körperlichkeit nicht existieren kann, hat man daran arbeiten müssen, Normsituationen zu definieren, die als reine Darstellung der Farbe gelten sollen. So hat es etwa unterschiedliche Auffassungen
über die passende Größe einer Farbenprobe gegeben, ob sie bloß die Fovea der Versuchsperson ausfüllen oder darüber hinausgehen solle usw. Ausschlaggebend ist dabei stets die Effizienz einer Entscheidung im Hinblick auf eine mögliche Normierung, etwa die Konstanz der erzielbaren Ergebnisse durch Ausschluss von sogenannten Störfaktoren. Nur so kann eine technische Nutzung (und korrelativ eine Umsetzung in geregelte und kontrollierbare Experimente) gesichert werden. Hiermit deutet sich zugleich schon an, welcher Art die Bildlichkeit sein wird, die aus dieser Art der Formalisierung der Farbphänomene hervorgeht. Oben war betont worden, dass unsere Farbwahrnehmung sprachlich, oder allgemeiner ‚signitiv‘ vermittelt sei. Damit war die Erwartung geweckt worden, durch Sprache und andere Formen von Bedeutung (etwa das Bild) würden Artikulationen in der Farbwahrnehmung induziert, welche Folgen für die farbmetrische Darstellung hätten. Nun stellen wir etwas anderes fest. Der Anteil der Sprache an der Farbwahrnehmung wird auf das Äußerste reduziert, nämlich auf Gleichheit und Ungleichheit, also auf das mathematische Vokabular der Vergleichung. Hierdurch scheint sich nun allerdings zu entscheiden, dass die Farbe fürderhin ausschließlich als etwas Bildliches in Betracht kommt, als solches, was anderem gleich ist, aber dem Zusammenhang des Seins entnommen. Und soweit scheint allerdings der Beitrag sprachlicher Vermittlung an der Farbwahrnehmung gewisse Folgen zu zeitigen, die es verdienen würden, in die Tiefe weiter verfolgt zu werden. Aber abgesehen davon besteht das gesamte Dispositiv darin, die Intervention der abschätzig oft so genannten natürlichen Sprache zu minimisieren und durch Parameter zu ersetzen, die technisch vermittelt und, wie wir sahen, an ihnen selbst ganz und gar farblos sind. Hierdurch wird, so scheint es, die Form wissenschaftlicher Objektivität garantiert. Damit macht sich die Wissenschaft in gewissen Grenzen von den Wirkungen der natürlichen Sprache unabhängig.
4. Nun werden Farbmodelle nicht allein zu technischen Zwecken hergestellt. Sie dienen auch zur Beschreibung ‚ästhetischer‘ Effekte, also der Art, wie Farben und ihre Zusammenstellungen subjektiv wahrgenommen werden und auf das Gemüt wirken. Schon deshalb haben sich Künstler wie Johannes Itten, Wassily Kandinsky, Joseph Albers und viele andere auf ihre Art für Farbenlehre interessiert. Aber nicht nur Künstler haben sich solchen Fragen zugewendet.
So verfasste der Physiker Eckart Heimendahl in den 1960er Jahren ein Buch, das u. a. vom Kunsthistoriker Wolfgang Schöne, einem der besten Kenner der Geschichte der Farben, in der Malerei rezipiert worden ist.21 Bei diesen Ansätzen geht es nicht so sehr darum, die technische Reproduzierbarkeit eines bestimmten Farbtones zu sichern, als vielmehr so etwas wie eine signitive Artikulation des Farbmaterials zu beschreiben, d. h. zu beschreiben, wie und nach welchen Regeln aufgrund der immanenten Organisiertheit der Farben aus Farben ein sinnvolles, ausdrucksstarkes, schönes oder auch hässliches Ganzes entstehen kann. Hier wird also dem Umstand Rechnung getragen, dass Farbwahrnehmung aufgrund der Logik des Supplementes immer schon und grundsätzlich von den signitiven Überformungen durch Sprache und andere Arten von Sinnhaftigkeit bestimmt ist. Schon allein aus diesem Grund ist die Idee einer ‚Grammatik der Farben‘ an und für sich sinnvoll, bedarf allerdings einer radikalen Historisierung.22 Wir nehmen damit den oben liegengelassenen Faden einer Reflexion über die kulturellen Schwankungen unserer Farbsysteme wieder auf. Die in dieser Literatur gängige (aber freilich riskante) Analogie zur Musik mag erläutern, worum es geht. In der Musik unterscheiden wir, um es schnell zu sagen, die ‚Funktion‘ vom ‚Material‘. Das Material sind die Töne, definiert durch Schallwellen, die wie die Lichtwellen gemessen werden können. Die Funktionen sind das, was den musikalischen Sinn konstituiert. Gerade in der Musik lässt sich ‚Sinn‘ von seiner Grundbedeutung als ‚Richtung‘ (τρόπος) her begreifen, insofern er sich zunächst darin erschöpft, dass eben der eine Ton oder Klang (etwa: Zusammenklang) zu einem anderen ‚hinstrebt‘, übergeht, dass der eine den anderen ‚fordert‘ etc. Dabei fällt sogleich auf, dass die Regeln, nach denen z. B. die Dominante eine Rückkehr zur Tonika fordert, davon abhängen, wie das Tonmaterial artikuliert ist, nämlich z. B. diatonisch, und dass sie folglich historisch wandelbar sind. Nur wenn das Material kategorial irgendwie geordnet und verfasst ist, ist es möglich, in ihm Richtung und Sinn zu erzeugen. Hieraus folgt die genannte Zweiteilung der Musiktheorie. Auf der einen Seite erforscht man diejenigen signifikanten Relationen, durch welche in konkreten Musikstücken ‚Sinn‘ hergestellt wird. Dabei sagt man z. B., dass ein Basston als Dominante funktioniert in Bezug auf einen anderen Basston, der als Tonika funktioniert. Und ich nenne die Art, wie in einem Musikstück ein Element in Bezug auf ein anderes funktioniert, ganz im Allgemeinen seine ‚Funktion‘.23 Diesen sehr abstrakten Begriff einer Funktion kann man ohne weiteres auch auf Bilder und Farben anwenden. Dann spricht man von chromatischen Funktionen,
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wenn man z. B. sagt, dass zwei Farben zusammengehören und einen Akkord bilden, und ihnen dadurch eben eine Funktion zuschreibt. Auf der anderen Seite aber erforscht man auch die Beschaffenheiten des Ton- und Klangmaterials an ihm selbst, in Bezug worauf die Funktionen in konkreten Musikstücken (analog die Farbe für konkrete Malereien) bestimmt werden können. Wenn man aus einem gegebenen Material irgendwie Strukturen, Gestalten, Figuren, d. h. in einem formalen Sinne eben Funktionen (Zusammenhänge) bilden will, so muss dieses Material in sich schon artikuliert sein. Im reinen Chaos kann niemals irgendeine Form gebildet werden. Man lernt dann z. B., dass die Funktion der Dominante in einer bestimmten Weise abhängig ist von dem Intervall der Quinte (welche manchmal durch die Proportion 2 : 3 zwischen den Schwingungslängen zweier Töne definiert wird). Dieser zweite Aspekt betrifft dann also das Material der Musik; die Disziplin, welche dies Material bearbeitet, heißt Akustik. Die so gefasste, d. h. ‚deiktische‘ Funktion konstituiert einen Typus von Sinnkonstitution, der in der bisherigen Semiologie noch nicht hinreichend beachtet worden ist. Sie ist offenbar weder Symbol noch Bild. Ihre Erforschung steckt heute noch in den Kinderschuhen. Methodisch basiert sie auf dem Verfahren der funktionalen Deixis. Dabei geht es darum, diejenigen Relationen zu formalisieren, welche in einem gegebenen Sichtfeld (zunächst: in Bildern) einen Sinn (τρόπος) in dem oben am Beispiel der Musik skizzierten Verstand erzeugen. Um eine solche Relation festzustellen, muss grundsätzlich immer auf die Intuition des Betrachters zurückgegriffen werden. Insofern handelt es sich auch wesentlich immer um deiktische Funktionen, also um solche, die im Einzelfall (deiktisch) empirisch festgestellt (‚gesehen‘, ‚gehört‘) werden müssen. Die Behauptung ist nicht, eine deiktische Funktion liege gleichsam physikalisch oder auch physiologisch objektiv vor, obwohl sie sich auch auf physikalisch-physiologisch begründete Daten stützt. Vielmehr wird behauptet, dass aufgrund einer vorgängigen sinnhaften Gliederung des Materials dieses im konkreten Falle eines Bildes auf diese und jene Art gesehen, d. h. ‚interpretiert‘ wird. Nun stellt man sich leicht vor, eine solche Interpretation sei rein subjektiv und schon deshalb keiner allgemeingültigen Formalisierung zugänglich. Der Fall der Musik zeigt jedoch, dass davon keine Rede sein kann, dass funktional bestimmte Ordnungen des Tonmaterials das Hören und Verstehen von Musik bestimmen, ohne doch universal zu sein, dass es also eine Geschichte solcher Ordnungen gegeben hat, in die man sich eigens einarbeiten kann.24 Die Einarbeitung in ein vergangenes oder sonst ‚frem-
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des‘ deiktisch-funktionales System stellt uns dabei formal vor ähnliche Probleme wie der sogenannte hermeneutische Zirkel, der bekanntlich eigentlich kein ‚Problem‘, sondern nur die Strukturbeschreibung von Verstehensprozessen ist. Es hat sich aber gezeigt, dass nicht nur im Tonmaterial, sondern auch unter den Farben funktionale Zusammenhänge die Wahrnehmung optischen ‚Sinnes‘ vermitteln und dass diese Zusammenhänge historisch wandelbaren Parametern unterliegen, die z. T. mit großer Präzision benannt und belegt werden können.25 Dass man mit bloßen Farben Sinn erzeugen kann, der weder symbolisch noch imaginär vermittelt ist, zeigt u. a. die abstrakte Malerei.26 Wie die Musik im Geräusch und näher im Ton, so haben also die Bildkünste in der Farbe ihr Material. In diesem sehr allgemeinen und formalen Sinn können daher gewisse Erkenntnisse der Musikwissenschaft für die Farbforschung und Bildtheorie fruchtbar gemacht werden.27 So kann man von der Musikwissenschaft lernen, dass die Artikulation des Phänomenbereichs Farbe in einer gewissen Abhängigkeit steht zu der Art, wie die Farbe jeweils im Bild gestaltet und korrelativ sprachlich verstanden worden ist und noch wird. Diese Artikulation schlägt sich aber nieder in der Farbmetrik, in der ja die Farben in eine Ordnung gebracht werden, welche irgendwie unserer Wahrnehmung entsprechen soll. Wenn es aber historisch nachweisbar verschiedene Weisen gibt, das Farbmaterial zu ordnen, so folgt, dass es auch untereinander unvereinbare, aber deskriptiv dennoch gleicherweise gültige Farbmetriken müsse geben können. An dieser Stelle jedoch endet freilich die Analogie zur Musik, und wir kommen vor ein massives Problem, das in der bisherigen Forschung unterschätzt worden ist. Wer die Art kennenlernen will, wie in der gestalterischen Realität die Farbe wirklich eingesetzt wird und wurde, d. h. wer lernen will, wie in der menschlichen Wahrnehmung das Gebiet der Farbe wirklich jeweils artikuliert war und ist, der sollte sich vor der Analogie ‚Ton : Farbe‘ wie ‚Schallwelle : elektromagnetische Welle‘ hüten. Diese Analogie hat u. a. dazu geführt, dass man unter der Farbe die isoliert homogene Farbprobe verstand, von der wir schon hörten, dass sie in einer spezifischen (technischen) Weise bildmäßig ist. Aber nichts entspricht in der Akustik der Bildmäßigkeit isolierter Farbe. Was ist es aber, das die Farbe zum Bild eignet? Die Reduktion der Farbe auf den homogen-texturfreien Farb-‚Ton‘ begründet ihre Bildmäßigkeit offenbar nicht, die ja viel älter ist; sie begründet nur eine besondere und moderne Art der Bildlichkeit.
Bis zum 18. Jahrhundert hat niemals jemand ‚Farbe‘ in dieser Weise verstanden. Und schon deshalb kann auch mit keiner einzigen modernen Farbenmetrik die Artikulation des Farbmaterials beschrieben werden, welche der Funktionalität älterer Malerei zugrunde liegt. Dieses Material ist nämlich nicht nach homogen texturlosen Flächenqualitäten geordnet, ja der Begriff ‚Farbe‘ ist hier als Empfindungsqualität oder Quale gar nicht zureichend definiert. Wohl gemerkt, durch diese Bestimmungen wäre dasjenige Material nicht zureichend in der ihm eigenen Artikulation beschrieben, das der Funktionalität der Bilder jener Zeiten entspricht.28 Wollte man z. B. das berühmte Blau des Fra Angelico in einem modernen Farbenatlas wiederfinden, so könnte man vermutlich zu bestimmten Stellen auf einem blau gemalten Mantel sehr ähnliche Farbproben finden; allein, keine Farbprobe würde diesem Blau als einer Ganzheit und Einheit entsprechen, welche jedoch allein das Korrelat des Wortes ‚Blau‘ (azurro) in der Sprache seiner Zeit war. Freilich handelt es sich da um einen vulgärsprachlichen Gebrauch des Farbvokabulars; allein dieser vulgärsprachliche Gebrauch ist von großer Bedeutung, wenn man sich dafür interessiert, was in der menschlichen Farbwahrnehmung wirklich geschieht (oder zu einem bestimmten Zeitpunkt geschehen ist). Sie gestattet es nämlich, einen Einblick in die Strukturierung des Materials im Hinblick auf seine deiktisch-funktionale Gestaltung für die wirkliche menschliche Wahrnehmung zu gewinnen. Und da müsste man sich wohl einen Farbenkreis vorstellen, in dem nicht homogen-texturlose Farbproben, sondern vielmehr durch Textur, Transparenz und andere Eigenschaften hochcharakterisierte farbige Komplexe anzuordnen wären, die, wie wir aus der Geschichte der Farbenlehre wissen, in einem kontinuierlichen Vektorraum gar nicht darstellbar wären, da z. B. die Farbmischung gar kein maßgebliches Paradigma für die Anordnung dieser Komplexe im System aller Farben gewesen ist.29
genommen. Man denke sich z. B. Mondrians strenge Abstraktionen mit Magentarot statt den übrigens ziemlich verschiedenen Rottönen, denen dieser Maler jedoch immer den Charakter größter Reinheit zu verleihen vermochte. Hier stellen wir also fest, dass technische Entdeckungen auf die sprachlichsignitive Farbenordnung zurückwirken können und insofern eine performative Wirkung auf unsere Farbwahrnehmung ausüben. Lässt sich aus diesen Erörterungen irgendein festes Resultat mitnehmen? Ein solches Resultat liegt zwar weniger in der Absicht dieses Beitrages. Dennoch lässt sich eine Art Ergebnis etwa wie folgt formulieren: Die Farbsysteme (hier zunächst: Farbmetriken) haben offenbar eine Beziehung auf die Art, wie im historischen Zusammenhang die Farben wahrgenommen worden sind und dementsprechend durch funktional aufeinander bezogene Farben jeweils ein Sinn entstehen konnte und kann. Dabei versteht es sich von selbst, dass eine Farbmetrik und allgemeiner ein Farbsystem nie allein steht, sondern stets einem wissenschaftlichen, technischen oder auch nur ästhetischen Zusammenhang angehört, deren jeweilige Besonderheiten die tatsächliche Funktionsweise und Horizonte möglicher Sinnproduktion mitbestimmen (wie z. B. die Funktionsweise von Magentarot im heutigen Farbempfinden auch von der oben zitierten problematischen Rechtsprechung und dem kommerziellen Gebrauch abhängt, welche ihrerseits erst dank gewisser rezenter wissenschaftlicher Entscheidungen möglich geworden sind). In der Erforschung dieser Zusammenhänge, welche heute noch in den Kinderschuhen steckt, könnten die sehr verschiedenen an der Farbe interessierten Disziplinen in einen für alle substantiellen Dialog treten, in dem jede beteiligte Disziplin Lehrende und Lernende zugleich wäre.
In jüngerer Zeit lässt sich die signitiv vermittelte Variabilität der Metrik unserer wirklichen Wahrnehmung z. B. an der Geschichte des Magentarots ablesen. Magentarot wird als Grundfarbe im Vierfarbendruck zur additiven Farbmischung gebraucht. In dieser Funktion ist es zu einer, heutiges Design prägenden Hauptfarbe avanciert, die auch in der Werbung (z. B. Deutsche Telekom) zu beträchtlicher Bedeutung gekommen ist.30 In der Malerei der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielte Magentarot dagegen noch so gut wie keine Rolle31 und wurde auch nicht als ‚reine‘ (=ungemischte) Farbe wahr-
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Farbforschung hat als solche also keine einheitliche, nur für sie charakteristische Methode. Ihre Fragen und Arbeitsweisen ergeben sich aus dem Gegenstand, dieser Gegenstand wird aber methodisch ganz verschieden gefasst je nach der Wissenschaft, in deren Kompetenz er fällt (z. B. Elektromagnetik, Linguistik, Anthropologie). Anwendungsbezogenheit bedeutet formal zunächst nur, dass Farbenforschung als solche sich nicht durch ihre Methode, sondern durch ihr Objekt, also den Gegenstand der Anwendung ihrer vielen Methoden bestimmt. Grundlegend für Farbenforschung wäre demnach die Reflexion auf die Artikulation ihrer vielen Methoden, eine Reflexion, die jedoch in der Folge das Feld der bloßen Farbforschung verlassen würde, wie etwa in der Psycho-Physiologie geschehen ist, die u. a. und nicht zuletzt als Antwort auf Probleme in der Farbenforschung entstanden ist. Hierzu siehe Anm. 3. Aber schon im Mittelalter kennen wir z. T. virulente Kontroversen und Gegensätze z. B. zwischen Albertus Magnus und Roger Bacon im 13. Jahrhundert oder auch zwischen Johannes a Janduno sowie etwas später Johannes Buridanus und den orthodoxen Aristotelikern des 14. Jahrhunderts. Im 16. Jahrhundert fordert Bernardino Telesio den Widerspruch der akademischen Gelehrten heraus, eine wissenschaftsgeschichtlich hochbedeutende Episode. Im 17. Jahrhundert stehen progressive Wissenschaftler wie Guido Scarmiglioni oder auch Robert Boyle gegen die z. B. von Athanasius Kircher vertretene ältere Tradition. Im 19. Jahrhundert ist z. B. der Gegensatz zwischen Hering und Helmholtz wissenschaftsgeschichtlich vermutlich bedeutender als der immer in den Vordergrund gestellte Konflikt zwischen den Goetheanern und den Newtonianern. Zu denken ist hier z. B. an die Auseinandersetzungen zwischen Psychoanalyse und physiologischer Psychologie (z. B. Neuropsychologie). Da beide Disziplinen inzwischen über eine weitverzweigte Spezialliteratur und Methodik verfügen, deren Beherrschung nur durch ein langes Studium erreicht wird, ist der Dialog umso schwieriger. Selbst die Erforschung der Farbwahrnehmung (ein Teil der Wahrnehmungspsychologie) kann ganz verschieden praktiziert werden, zumal auch in diesem Bereich durch die phänomenologisch beeinflusste Psychologie im Gefolge etwa von Merleau-Ponty Wege der Forschung gefunden worden sind, die mit der physiologisch dominierten sogenannten empirischen Psychologie konkurrieren. Dieses Modell, das mutatis mutandis z. B. Auguste Comte Anfang des 19. Jahrhunderts vertreten hat und damit seinen ‚positivistischen‘ Ansatz zu untermauern versuchte, lässt sich genetisch zurückführen auf die aristotelisch-scholastische Ontologie des 13. Jahrhunderts. Man dachte sich dabei stets die grundlegendere Wissenschaft zugleich als die ‚einfachere‘, d. h. als die, deren Prinzipien und Ergebnisse in der nächstfolgenden vorausgesetzt sind. Dieses Verhältnis soll aber nicht reversibel sein, d. h. die grundlegendere Wissenschaft wird im Prinzip als unabhängig von der nachfolgenden aufgefasst, eine Vorstellung, die in jüngerer Zeit vielfältig in Zweifel gezogen worden ist, umfassend zuerst wohl von Hegel. Ostwald, Wilhelm: Mathetische Farbenlehre, Bd. 1: Mathematische Farbenlehre, Leipzig 1918, S. 7–8. Es ehrt Ostwald, dass er den fünften und letzten Band seiner Farbenlehre nicht mehr geschrieben hat, dass er also offenbar selbst das Unzulängliche dieses Aufbaues und seiner Forschungen insbesondere zur „psychologischen“ Farbenlehre zumindest gefühlt hat. Zu Ostwald siehe Pohlmann, Albrecht: Goethe und Ostwald: zwei Außenseiter der Farbenlehre, in: Goethes Farbenlehre und die Lehren von den Farben und vom Färben, hg. v. Magistrat der Stadt Wetzlar, Petersberg 2011, S. 87–99; ders.: Von der Kunst zur Wissenschaft und zurück: Farbenlehre und Ästhetik bei Wilhelm Ostwald (1853–1932), (Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Diss., 2010), Halle (Saale) 2012. Siehe dort die Bemerkungen über die Reaktion der maßgeblichen Künstler auf Ostwalds Harmonielehre der Farben, etwa zu Kandinskys Desinteresse (S. 381) oder Franz Marcs Reserve (S. 220 f.). Jan von Purkinje, einer der Pioniere der Psycho-Physiologie hatte gute Verbindungen zu seinem Kollegen Karl Gustav Carus in Dresden. Unter den Philosophen des frühen 19. Jahrhunderts verdient besonders Herbart als Vorkämpfer einer empirisch-mathematischen Psychologie genannt zu werden. Kurioserweise findet man einige bedeutende Seiten zur Grundlegung der Psycho-Physiologie in Hegels Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften, an denen Hegel bis zur letzten Ausgabe von 1830 intensiv gearbeitet hat, wie die verschiedenen Redaktionen bezeugen. Dagegen z. B. der anspruchsvolle Versuch einer wissenschaftlichen Rehabilitierung Goethes bei Müller, Olaf L.: Goethes philosophisches Unbehagen beim Blick durchs Prisma, in: Farben. Betrachtungen aus Philosophie und Naturwissenschaften (SuhrkampTaschenbuch Wissenschaft; 1825), hg. v. Jakob Steinbrenner u. Stefan Glasauer, Frankfurt a. M. 2009, S. 64–101. Ausführlicher ders.: Mehr Licht: Goethe und Newton im Streit um die Farben, Frankfurt a. M. 2015 mit einem Überblick über die wissenschaftliche Auseinandersetzung zu Goethe im frühen 19. Jahrhundert. Siehe auch Burwick, Frederick: The Damnation of Newton: Goethe’s Color Theory and Romantic Perception, Berlin 1986. Alternativ schlage ich vor, Goethes Farbenlehre als ein Dokument und einen Versuch im Ringen um das Wesen der Sprache zu lesen, und präziser: um das Wesen der Emphase. Unter diesem von Schelling entlehnten Titel ist das Verhältnis der Sprache zur Sache zu denken, d. h. zu derjenigen ‚Sache selbst‘, um die es im Leben geht, dem Gegenstand der Begierde. Goethes Arbeiten zur Farbenlehre haben die Auseinandersetzung um das Sprachwesen begleitet, welche gleichzeitig zuerst durch Kant, dann durch die Antworten Hamanns und Herders, dann in den sogenannten Kant-Krisen etwa bei Kleist und Schiller, schließlich in einer beeindruckenden Palette von Reaktionen (Erfindung der Kunstkritik bei Schlegel, der Hermeneutik bei Schleiermacher, der Linguistik bei Humboldt, usw.) ihren Austrag gefunden hat. Goethes Farbenlehre kann in diesem Zusammenhang als der Versuch gedeutet werden, die Sprachkrise (die Entfremdung der Sprache) dadurch zu überwinden, dass die Natur im ‚Urphänomen‘ und den davon abgeleiteten Erscheinungen selbst zum Sprechen gebracht wird, d. h. uns anspricht und von sich aus die Sprache erfüllt. Hieraus erklärt sich die Faszination dieses Versuches für Zeitgenossen und Nachfolger, man denke an Novalis, Schelling oder auch Schopenhauer. Dass aus einem solchen Interesse und Ansatz am Ende bedeutende Einsichten über die Funktionsweise der Sprache herausfallen, versteht sich von selbst, und hiermit zugleich die Bedeutung von Goethes Intervention für das Wissen. Nur sollte man Klarheit darüber anstreben, in welchem Bereich dieses Wissen letztlich produziert wird und sich dann Gedanken darüber machen, wie dieser Bereich (die Sprachkunde) mit anderen Bereichen (z. B. Mathematik, Physik, Physiologie) etwa zusammenhängt. Dieser Zusammenhang ist freilich nicht so leicht zu überblicken. – Die hier vorgetragene These über Goethes Farbenlehre und ihre spezifische Bedeutung im Rahmen der ‚Sprachkrise‘ um 1800 ist zurzeit Gegenstand breitangelegter Forschungen zu Philosophie, Kunst und Wissenschaftsgeschichte im 18. und 19. Jahrhundert. Insbesondere ein erneutes Studium der Kantischen Philosophie und der ältesten Reaktionen auf sie etwa bei Hamann und Herder hat ergeben, dass Kants Zweifel am Ding an sich und überhaupt seine Transzendentalphilosophie einerseits zwar grundlegende Strukturen der zu Kants Zeiten neuen Wissenschaftlichkeit zu erfassen erlauben, hierbei zugleich aber die bislang als vergleichsweise unproblematisch erlebte Verbindung des Wortes zu seiner Sache radikal bedroht (Dissertationsprojekt François Ottmann), eine Bedrohung, die im Übrigen bis in die Grundfesten der Poesie hinein empfunden worden sind: woraus sich z. B. das um 1800 gerade bei den Romantikern neu erwachende Interesse für die alten, vermeintlich ursprünglichen Sprachen, und darunter erstmals auch für das Sanskrit (F. Schlegel) erklärt (in Vorbereitung: Tagungsband zur Deutschen Indologie um 1800). Die Farbentheorie spielt dabei wie erwähnt nicht nur für Goethe, sondern verstärkt auch bei Schelling und seinem Kontrahenten und zugleich Nachfolger Schopenhauer, beide höchst sensibel für die „edle Gabe
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der Sprache“ (Schelling), eine paradigmatische Rolle, da in ihr das natürliche Phänomen und seine seelische Realität im Subjekt zu koinzidieren scheinen, ein Eindruck, der freilich bereits durch Purkinjes Arbeiten relativiert worden ist. Dabei versucht ein ‚authentischer‘ und unmittelbarer Sprachgebrauch sich gegen eine Art Modellierungsdruck in den Wissenschaften zu behaupten (Dissertationsprojekt Alexandros Daskalakis über die Logik der Modellierung in Hegels Deutung). In dieser Hinsicht möchte ich behaupten, dass die Beiträge von Philipp Otto Runge und Wassily Kandinsky wesentlich bedeutender sind. (Zu Runge siehe Leinkauf, Thomas: Kunst und Reflexion. Untersuchungen zum Verhältnis Philipp Otto Runges zur philosophischen Tradition, München 1987. Zu Kandinsky siehe Zimmermann, Reinhard: Die Kunsttheorie von Wassily Kandinsky, 2 Bde., Berlin 2002.) Ostwald, Wilhelm 1918 (wie Anm. 5), S. 14, sowie seine zahlreichen Publikationen zur Vulgarisation. Man sollte die Bedeutung ökonomischer Erwägungen bei Ausbildung der Farbentheorie nicht unterschätzen. Interessant wäre zu untersuchen, inwiefern ökonomische Erwägungen die Theorie auch in ihrem Inhalt determiniert haben. Welcher Rang gehört unter den Wissenschaften der Semiologie? Einerseits scheint sie eine höchst spezielle, ‚späte‘ Wissenschaft zu sein, weil nur hochentwickelte Lebewesen Zeichen benutzen. Andererseits scheint sie grundsätzlich alle Wissenschaften zu betreffen, insofern jede Wissenschaft eine bestimmte Art von Zeichengebrauch impliziert. Eine so grundlegende Wissenschaft wie die Mathematik besteht geradezu in einem bestimmten Zeichengebrauch und ist ohne ihn schlicht nicht denkbar. Im Übrigen kennt man die Nähe von Semiologie und Logik im Werk ihres Begründers, Charles Sanders Peirce. Siehe etwa die bedeutenden Forschungen des Mediävisten Michel Pastoureau, der ausgehend von systematischen Studien zur Heraldik unzweifelhaft historische Veränderungen in der Ordnung der Farbe hat nachweisen können und seitdem eine umfangreiche Literatur zum Problem inspiriert hat. Insbesondere Pastoureau, Michel: Figures et couleurs. Études sur la symbolique et la sensibilité médiévales, Paris 1986; ders.: Couleurs, images, symboles. Études d’histoire et d’anthropologie, Paris 1989; ders.: Jésus chez le teinturier. Couleurs et teintures dans l’Occident médiéval, Paris 1997; ferner z. B. der Sammelband Dollfus, Pascale / Jacquesson, François / Pastoureau, Michel (Hg.): Histoire et géographie de la couleur, Paris 2013. Schon vor Michel Pastoureau hatte bereits Manlio Brusatin in seinem Buch Storia dei Colori, Turin 1983, grundlegende Arbeit geleistet, siehe auch das Vorwort von Louis Marin zur französischen Ausgabe Histoire des Couleurs, Paris 1986. Ferner Meier-Staubach, Christel / Suntrup,Rudolf: Handbuch der Farbenbedeutung im Mittelalter, 2 Bde., Köln, Wien 2014; Schausten, Monika (Hg.): Die Farben imaginierter Welten. Zur Kulturgeschichte ihrer Codierung in Literatur und Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Berlin 2012; Bennewitz,Ingrid / Schindler, Andrea (Hg.): Farbe im Mittelalter. Materialität – Medialität – Semantik, 2 Bde., Berlin 2011; Horrocks, Chris (Hg.): Cultures of Colour. Visual, Material, Textual, New York u. Oxford 2012; Wandhoff,Heiko / Lechtermann, Christina (Hg.): Licht, Glanz, Blendung. Beiträge zu einer Kulturgeschichte des Leuchtenden, Bern u. a. 2001 und Gage,John: Colour and culture. Practice and meaning from antiquity to abstraction, London 1993; ders.: Colour and meaning art, science and symbolism, London 1999, um nur eine Auswahl einschlägiger Literatur zu erwähnen. Bei der Erforschung kultureller Komponenten in der Organisation unserer Farbwahrnehmung hat bisher die Mediävistik wohl die am weitest reichenden Ergebnisse vorlegen können und ist daher in der Farbforschung von grundlegendem Gewicht. Derrida, Jacques: Mythologie blanche. La métaphore dans le texte philosophique, in: ders.: Marges de la philosophie, Paris 1972, S. 247–324. Dorsch, Fabian: Die Natur der Farben, Heusenstamm 2009. Die Beziehung von Farbwahrnehmung und Nennung formuliert Dorsch in diesem Bikonditional: „Farbe Fi Eigenschaft P i ↔ In der Welt w gilt: P i = unter Normalbedingungen mit dem Fi -phänomenalen Wahrnehmungstypus Wi , von Subjekten S nomologisch korrelierte Eigenschaft“. Damit wird gesagt, dass eine (subjektive) Farbempfindung immer dann einer (objektiven) Gegenstandsbestimmung (Eigenschaft) korreliert ist, wenn man bei Anlass der Empfindung einen gewissen Namen so anwenden kann, dass er gemeinverständlich und intersubjektiv auf einen Gegenstand zu referieren erlaubt. Das Bikonditional löst für Dorsch die Frage nach dem ontologischen Status der Farbe, also die Frage, inwiefern es sinnvoll ist, der Farbe eine subjektive und objektive Existenz zuzuschreiben. Dorschs Arbeit fußt weitgehend auf dem einschlägig von Sidney Shoemaker vertretenen Begriff der Qualia, siehe dessen The first person perspective and other essays, Cambridge 1996, besonders Teil II, S. 95–154. Wittgenstein, Ludwig: Werkausgabe, Bd. 8: Bemerkungen über die Farben. Über Gewißheit. Zettel. Vermischte Bemerkungen (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 508), Frankfurt a. M. 1984, S. 7–112. Dieser Beitrag Wittgensteins hat in der bisherigen Farbforschung zu Unrecht wenig Anklang gefunden. Seine lockere und unsystematische Form machte ihn zu unhandlich. Dabei enthält Wittgensteins Traktat z. T. sensationelle Intuitionen über die Relativität von Farbsystemen. Siehe Kollert, Günter: Weimar – Cambridge und zurück. Goethe, Wittgenstein und die Welt der Farben, Stuttgart u. Berlin 2008, mit der üblichen, durch die Referenz auf Goethe motivierten revisionistischen Tendenz. Hsien-Che Lee hat in seinem Handbuch Introduction to Color Imaging Science, Cambridge 2005, in umfassender Perspektive die heterogenen naturwissenschaftlichen Forschungen zur Farbe im Hinblick auf ihre Bedeutung für das, was wir das Verbildlichen nennen können (imaging), zusammengefasst und aufeinander bezogen. Damit scheint er durchaus die gemeinsame Hinsicht gefunden zu haben, in der alle diese Forschungen trotz ihrer Heterogenität in der Anwendung zusammenkommen. Husserl, Edmund: Husserliana, Bd. 6: Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie. Eine Einleitung in die phänomenologische Philosophie, hg. v. Walter Biemel, Dordrecht 1954; Foucault, Michel: Les mots et les choses. Une archéologie des sciences humaines, Paris 1966. Grassmann, Hermann Günther: Zur Theorie der Farbmischung, in: Poggendorffs Annalen der Physik und Chemie, Bd. 89, 1853, S. 69–84. Im Prinzip befindet sich die Mischfarbe jeweils auf gerader Linie zwischen den sie herstellenden Extremen; durch den Abstand wird der jeweilige Anteil der Ausgangsfarben angegeben. Es ergibt sich automatisch das Verhältnis unter den Metameren, d. h. solchen Farben, die zwar gleich aussehen, aber aus unterschiedlichen Ausgangsfarben gemischt sind. Berkeley, George: An essay towards a new theory of vision (1709), in: The Works of George Berkeley Bishop of Cloyne, hg. v. Arthur Aston Luce u. Thomas Edmund Jessop, Nendeln 1979, S. 159–239. Schon bei Aristoteles, und von ihm her in der gesamten scholastischen Tradition gilt der Tastsinn als die Grundlage aller anderen Sinne (De anima, II). Bei Descartes wird dann sogar der Gesichtssinn geradezu im Grunde als eine Erweiterung des Tastsinnes interpretiert und mit dem Tasten durch einen Stock verglichen, mit dem ein Blinder sich doch in der Welt orientieren kann (dioptrique). Siehe hierzu differenzierter Binczek, Natalie: Kontakt. Der Tastsinn in Texten der Aufklärung (Studien zur deutschen Literatur; 182), Berlin 2007. Zu James Turrell siehe etwa die Bemerkungen von Böhme, Gernot: Phänomenologie des Lichtes, in: James Turrell. Geometrie des Lichtes, hg. v. Kulturbetriebe Unna, Ostfildern 2009, S. 69–78, besonders S. 74 f. mit dem doppelbödigen Vergleich zur Vitrine.
Bruno Haas
21 Heimendahl, Eckart: Licht und Farbe. Ordnung und Funktion der Farbwelt, Berlin 1961 und Schöne, Wolfgang: Über das Licht in der Malerei, 4. Aufl., Berlin 1977. 22 Hierzu etwa Bendin, Eckhard: Zur Farbenlehre. Studien, Modelle, Texte, Dresden 2010, der sogar seinen Versuch einer ‚generativen Grammatik der Farbtöne‘ vorstellt. Siehe auch Küppers, Harald: Die Logik der Farben. Theoretische Grundlagen der Farbenlehre, München 1976, jedoch ganz unhistorisch. Zum Thema der Historisierung siehe Breidbach, Olaf: Radikale Historisierung. Kulturelle Selbstversicherung im Postdarwinismus (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1991), Frankfurt a. M. 1991. 23 Ich spreche auch von ‚deiktischen Funktionen‘, um diesen Begriff der Funktion von anderen Verwendungen desselben Wortes abzugrenzen. Er unterscheidet sich auch von der ‚harmonischen Funktion‘ der Musiktheorie. Hierzu siehe Haas, Bruno: Die Freie Kunst. Beiträge zu Hegels Wissenschaft der Logik, der Kunst und des Religiösen (Philosophische Schriften; 51), Berlin 2003 mit einer Darstellung der allgemeinen Logik deiktisch-funktionaler Analyse im Schlussteil des Buches. In der Musikwissenschaft ist die funktionale Deixis schon von Heinrich Schenker praktiziert worden, siehe ders.: Der freie Satz, Wien 1935. 24 Die in der europäisch-pythagoräischen Tradition stehende Musik basierte darauf, dass aus der Gesamtheit des vorhandenen Geräuschmaterials nur ganz bestimmte homogene Töne und Tonverhältnisse herausgegriffen wurden; diese Auswahl geschah anhand der einfachen Intervalle, deren Systematisierung zur Bildung der diatonischen Leiter führte, die im Übrigen jeweils anders interpretiert und systematisiert wurde und erst im 18. Jahrhundert zur sogenannten gleichschwebenden Temperatur führte, also in etwa zu dem Tonsystem, das ein modernes Klavier umfasst. Durch die pythagoräische Theorie und ihre Nachfolger war also das Tonmaterial geordnet und kategorial aufbereitet; das so organisierte Tonmaterial konnte in sinnvollen funktionalen Einheiten gestaltet werden. Es bestimmte, wie man Musik ‚hörte‘, aber es beschrieb nicht, was sie ‚sind‘. Dabei wurde die kategoriale Unterteilung des Materials in gewisse Intervalle natürlich dadurch abgestützt, dass die Menschen in ihrer Musik einen Sinn (also deiktische Funktionen) vernahmen, so dass auch hier frei nach Wittgenstein erst der Gebrauch das jeweilige Tonsystem ermöglicht, ja definiert. Die Theorie der Tonsysteme beschreibt demnach die Art, wie hierdurch das Ton- (und Geräusch-)Material für menschliche Ohren organisiert ist bzw. war. Wer aber einmal in ein Tonsystem ‚eingehört‘ ist, der hat gewöhnlich Schwierigkeiten mit anderen Tonsystemen. Dies fiel beispielsweise beim Übergang zur Zwölftonmusik auf, die mancher Hörer als Unsinn und bloßen Krach wahrnehmen mochte, weil er die kategorialen Veränderungen im Klangmaterial nicht mitgemacht hatte. 25 Zur Erforschung der Funktionalität von Farben im Bild, welche schon von Kandinsky gefordert worden ist (Über das Geistige in der Kunst, München 1911), siehe Haas, Bernhard / Haas, Bruno (Hg.): Funktionale Analyse. Musik – Kunst – Antike Literatur, Hildesheim 2010. Ferner auch Haas, Bruno: Die ikonischen Situationen, Paderborn 2015 und ders.: Geschichte der chromatischen Systeme (in Vorbereitung). 26 Hierzu siehe Haas, Bruno: Syntax, in: Kandinsky. The path to abstraction, hg. v. Hartwig Fischer u. Sean Rainbird, Ostfildern-Ruit 2006, S. 184–207. Dagegen scheint der Ansatz von Haldemann, Matthias: Kandinskys Abstraktion. Die Entstehung und Transformation seines Bildkonzepts, München 2001, den hier aufgestellten Kriterien noch nicht zu genügen. Seinen z. T. sehr detaillierten Beschreibungsversuchen fehlt im Prinzip der funktionale Charakter. Sie können daher nicht formalisiert werden bzw. gestatten nicht die Ableitung allgemeiner syntaktischer bzw. funktionaler Regeln, also auch keine allgemeinen Aussagen über die kategoriale Verfassung des Materials (z. B. der Farben). Im Grunde muss Haldemann irgendeine vermeintlich zeitlos gültige Theorie vom Material (Farben, aber auch Formen) seinen Analysen unkritisch zugrunde legen. 27 Dabei versteht es sich von selbst, dass aller Unfug, der im Namen dieser Analogie getrieben worden ist, von Newtons Analogisierung der prismatischen Farben und der musikalischen Intervalle über Castels Farbenklavier bis hin zu Ostwalds eigenen Versuchen zur Harmonielehre der Farbe, zunächst zu vermeiden ist, mag er auch in der Folge als symptomatischer Ausdruck wirklicher Probleme eine ganz eigene Aufmerksamkeit verdienen. 28 An dieser Stelle wäre es notwendig, den Begriff einer Bildwissenschaft und korrelativ einen Begriff des Bildes zu entwickeln, die auf die sich hier ergebenden Fragen zu antworten erlaubten. Trotz des schon seit langem verkündeten iconic turn, sehe ich nicht, dass ein methodisch zureichendes Paradigma gefunden wäre. Siehe Maar, Christa / Burda, Hubert (Hg.): Iconic Turn. Die neue Macht der Bilder, Köln 2004. Über den Zustand der Bildwissenschaft und die Disparität der Ansätze kann man sich aus den Sammelpublikationen von Klaus Sachs-Hombach ein Bild machen: Sachs-Hombach, Klaus (Hg.): Bildwissenschaft. Disziplinen, Themen, Methoden (Suhrkamp-Taschenbuch Wissenschaft; 1751), Frankfurt a. M. 2005 oder ders. / Trotzke, Rainer (Hg.): Bilder – Sehen – Denken. Zum Verhältnis von begrifflich-philosophischen und empirisch-psychologischen Ansätzen in der bildwissenschaftlichen Forschung, Köln 2011. Aussichtsreicher vermutlich die medienwissenschaftlichen Ansätze im Umkreis von Friedrich Kittler und Christoph Georg Tholen, die jedoch gewöhnlich unsere Problematik direkt nicht berühren. 29 Der Nachweis dieser These auf das Ausführlichste in: Haas, Bruno: Geschichte der chromatischen Systeme (in Vorbereitung). Siehe ferner Literaturangaben in Anm. 21 und 22. 30 Die markenrechtliche Regelung des Gebrauchs von Farben in der kommerziellen Werbung gestattet es nach deutschem Recht im Rahmen einer europäischen Regelung, Konkurrenten den Gebrauch gewisser Farben und Farbverbindungen zu untersagen, wenn sich das Bestehen einer Verwechselungsgefahr glaubhaft machen lässt. Diese Entwicklung, deren Strukturen und Aporien Markus Bölling in seiner hervorragenden Studie Formaler Markenschutz für Farben? Über die Schutzfähigkeit abstrakter Farbmarken und ihr Verhältnis zur nationalen und internationalen Wettbewerbsordnung, Baden-Baden 2007, kritisch dargestellt hat, konstruieren zurzeit legal in den Köpfen der Menschen eine Art kommerziell vermittelter phantasmatischer Farbenordnung. 31 Übrigens spielt es auch im älteren Vierfarbendruck, etwa bei Christofle Le Blon (Coloritto, or the harmony of colouring in painting, London 1725), seinem Erfinder, noch keine Rolle. Ja ich möchte behaupten, dass sich sein Aufkommen sogar in der Geschichte der Farbphotographie nachzeichnen ließe, dass z. B. die Farbphotographie der 1930er Jahre das Rot noch nicht im Hinblick auf den Magentaton ‚sieht‘. Mit der Entdeckung der additiven Farbmischung war es eben noch nicht getan, den Magentaton auch in der sprachlich-signitiv vermittelten Artikulation der Farberfahrung zu verankern.
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MAT THIAS BRUHN
Malen nach Zahlen. Von natürlichen zu virtuellen Farben
Dass die Verfügbarkeit stabiler und differenzierter Farbstoffe nicht nur ein künstlerisches Problem darstellt, lässt sich an einer wichtigen medizinischen Technik ablesen: der sogenannten Urinschau. Auch wenn sie für Einige zu den eher unappetitlichen ärztlichen Übungen gehören mag, ist sie doch zu allen Zeiten von fundamentaler diagnostischer Bedeutung gewesen, da die Färbung des Urins über bestimmte Krankheiten, Säfte- und Kräfteverhältnisse des Körpers Auskunft geben kann. Es lag nahe, diese Färbungen auf irgendeine Weise festzuhalten, um entsprechende Befunde, etwa in Lehrbüchern, weiterzugeben und zu systematisieren. Dazu bedurfte es besonderer technischer Mittel, die aus Kunst und Handwerk bekannt waren. Hier waren die Erfahrungen am weitesten gediehen, wie Pigmente beschafft und präpariert werden müssten, um sie dauerhaft leuchtend zu erhalten, sei es zur Einfärbung von Textilien, beim Brennen von Keramik oder als Malpalette. Bezeichnend ist nun, dass nicht nur die konkreten Farbstoffe und ihre Herstellung als Brücke zwischen Kunst und Wissenschaft anzusehen sind, sondern auch deren frühe Schematisierungen in Farbtafeln und Farbskalen. Um die verschiedenen Abstufungen der Urinfärbung darzustellen, war Werken wie
Johannes von Kethams Fasciculus Medicinae von 1491 oder Ulrich Pinders Epiphanie Medicorum von 1506 ein Kreismotiv beigefügt, das von Hand koloriert werden musste, um den beobachteten Farbton wiederzugeben. Ein solches Schema, das der Codierung von Farbe als Merkmals- und Bedeutungsträger diente, wurde auch in botanischen und zoologischen Publikationen geläufig; ebenso kehrt es in künstlerischen Traktaten wieder, etwa in Philipp Otto Runges Theorie der Farbenkugel von 1810. Hier vermochte das Kugelmotiv die Schlüssigkeit und Harmonie des natürlichen Farbenspiels zu symbolisieren. Farbe blieb dadurch sowohl Bindeglied als auch Spannungsmoment verschiedener Felder der Gestaltung und Bildgebung: Künstlerische Techniken des Chiaroscuro und der Grisaille haben durchaus den Weg zur physikalischen Erforschung von Bunt- und Grauwerten bereitet, doch die optische Zerlegung des weißen Lichts konnte bisherigen handwerklichen Erfahrungen bei Mal- und Druckfarben auch widersprechen. Die künstlerischen Experimente des 17. und 18. Jahrhunderts haben die physiologischen Untersuchungen zum Farbensehen angeregt und die Bedeutung subjektiver Empfindungen vor Augen geführt, aber auch den Bedarf nach industriell vorgefertigten Tubenfarben gesteigert. Im Zusammenhang
mit dem Buntdruck wurde die Codierung und Normierung von Farben, in Gestalt von Nomenklaturen, Tabellen und Ziffern, zu einer Notwendigkeit, um auch bei einer serienmäßigen Produktion einheitliche Ergebnisse gewährleisten zu können. Ein extremes Beispiel für diese Rationalisierung von Farbe stellen moderne Autolackierungen dar, bei denen mit bloßem Auge unsichtbare Pigmente computergenau eingemischt werden, um bei einem Unfall die eventuell beteiligten Modelle identifizieren zu können.1 Das Hantieren mit konkreten Farbstoffen hat in der Theorie zu einer groben Unterscheidung von ein- und mehrfarbigen Bildern geführt, mit dem Effekt, dass ‚Farbe‘ zum Synonym für Buntheit wurde und als akzidentiell, flüchtig und unwesentlich angesehen werden kann. Dieselbe Unterscheidung macht sich in der Umgangssprache bemerkbar, wenn von farbigen und schwarz-weißen Bildern die Rede ist, wo genauer von mehr- und einfarbigen Darstellungen gesprochen werden müsste. ‚Grafik‘ wird konzeptionell von ‚Malerei‘ unterschieden, obwohl eine Bleistiftoder Tuschezeichnung ebenfalls Farbstoffe einsetzt und ein Gemälde monochrom ausgeführt sein kann. Die Bemalung von Holz- und Steinskulpturen oder der Buchdruck, der ebenfalls noch lange Zeit nachträglich koloriert wurde, haben diese gedankliche Trennung von Farbe und Schwarz-Weiß ebenso weitergetragen wie die spätere Elektronik, deren Fernsehröhren und frühe Computermonitore nur Hell-Dunkel-Darstellungen ausgaben. Buntheit blieb ein dem Mehrfarbendruck vergleichbarer Zusatz oder Kostenfaktor. Diese materielle Realität der Bilderwelt, die durch rare Pigmente, aufwändige Edeldruckverfahren oder kostspielige Monitortechnik definiert war, schien mit den massentauglichen digitalen Medien überwunden zu sein, die durchweg Darstellungen in millionenfacher Farbabstufung ermöglichen. Doch haben auch digitale Medien ihre Physis in Form von Hardware und Schnittstellen und damit ihre physiologisch-psychologischen Bedingungen. Grafikkarten und -anwendungen können auf unterschiedliche Weise konstruiert, Anzeigegeräte und Arbeitsplätze müssen kalibriert werden. Virtuelle Farbräume, wie sie Grafikprogrammen zugrunde liegen, zielen auf konkrete Anwendungen in der analogen Welt, etwa in der Druckvorstufe, und bedürfen im Zuge technischer und funktionaler Weiterentwicklungen stetiger Anpassungen. Als besonders komplex erweist sich die Situation wiederum im medizinischen Kontext von Diagnose und Therapie, wo die tägliche ärztliche Arbeit längst
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durch computerbasierte Verfahren unterstützt wird. Letztere können Messdaten grundsätzlich in Farbe ausgeben oder durch den Einsatz von Falschfarben überhöhen, doch ist dies nicht in allen Fällen wünschenswert, da graustufige Ansichten für das menschliche Auge eine Struktur oder eine graduelle Veränderung nach wie vor eindeutiger wiedergeben. Insofern automatisierte bildgebende Technologien damit betraut sind, Operationsgebiete zu definieren und in wachsendem Maße Befunde und Entscheidungen beeinflussen oder sogar antizipieren, werfen bunte Darstellungen in der Medizin oder vergleichbaren Feldern die dringende Frage auf, wie diese gestaltet und eingesetzt werden müssten, um für alle Beteiligten zuverlässig verwendbar zu sein. Dies betrifft nicht nur Fragen der Konvention (z. B. die Frage der Verbindlichkeit und Eindeutigkeit von Farbtabellen), sondern auch den Umstand, dass die Wahrnehmung und Interpretation von Farben psychologischen Faktoren und individuellen Schwankungen unterliegt. Aus der Kartographie ist beispielsweise bekannt, dass der Eindruck scheinbarer Plastizität einer Oberflächendarstellung von der Kombination und Abfolge der verwendeten Buntwerte abhängt, die nebeneinander auf einer Karte zu sehen sind. Um festzustellen, ob und wieweit Buntheit im naturwissenschaftlich-technischen oder medizinischen Kontext praktikabel und zuverlässig ist, müsste zudem geklärt werden, woher die zugrunde liegenden Semantiken stammen und wie sie sich historisch entwickelt haben. Die Grenzen einer digital definierten Materialität liegen überdies in jenen optischen und haptischen Qualitäten, die sich nicht auf die Skala von Wellenlängen oder Intensitäten reduzieren lassen. Dies macht sich beispielsweise beim computergestützten Scanning wertvoller Kunst- und Kulturgüter bemerkbar, wo farbig gefasste Skulpturen oder reich dekorierte Handschriften und Bücher je nach Anblick und in Abhängigkeit von Beleuchtungen höchst verschiedene Ansichten zeigen, die nur indirekt wiedergegeben werden können. Besonders deutlich wird dies im Falle von schimmernden Beschichtungen auf unebenen oder sphärischen Oberflächen, etwa bei einer Goldbemalung, die am Computer nur mit Mühe faksimiliert werden kann und im schlechtesten Falle schwarz erscheint. Auch wenn sich Volumendaten mit optischen Scans und farbigen Detailansichten kombinieren lassen, bleibt die Summe derartiger Berechnungen ein virtuelles Objekt, bei dem die Beleuchtungseffekte, Reflexionen und perspektivischen Verzerrungen, die für die Wahrnehmung einer solchen Oberfläche ebenso von Bedeutung sind, meist
gefiltert oder künstlich hinzugefügt sind. Abhilfe könnten hier allein bewegliche und stereoskopische Darstellungsmittel bieten. Unterdessen haben die technischen Entwicklungen im Bereich der digitalen Medien eine eigene Form virtueller Farbigkeit entstehen lassen, die inzwischen auch auf die analoge Welt und deren Wahrnehmung zurückzuwirken beginnt. Die fototechnische Industrie wirbt nicht nur seit längerem mit Kameras und Objektiven, die schärfer als das menschliche Auge zu sehen versprechen; sie entwickelt womöglich auch eine eigene, digitale Farbästhetik, welche die Natur in demselben Maße überhöht, wie es bisher die Pigmente der Malerei und des analogen Bilderdrucks getan haben. Beeinflusst also der virtuelle Raum bestimmte Farbmuster und -präferenzen, die sich bis in den Alltag hinein bemerkbar machen? Ergeben sich aus der neuen Ästhetik elektronischer Displays Entwicklungen im analogen Bereich, etwa im Hinblick auf Druckfarben und Druckverfahren? Welche Rolle spielt dabei das blaue Hintergrundleuchten von Monitoren? Führt die Gewöhnung des menschlichen Auges an eine dauerhaft computerbasierte Farbgebung zu einer veränderten Palette im Design von Produkten oder bei der Gestaltung von Architekturen und Umwelt?
Werden Fassaden von Gebäuden in anderen Farben gestaltet oder mit anderen Leuchtmitteln bestrahlt, um einer computergenerierten Vision zu entsprechen, deren Buntheit und Sättigung inzwischen auch den allgemeinen Geschmack beeinflusst? Und werden sich aus derartigen Phänomenen später die Farbpaletten älterer digitaler Darstellungsmedien wieder rekonstruieren lassen, die ihnen zugrunde lagen? Durch den Einsatz neuer Technologien wird damit eine ältere kunsthistorische Fragestellung noch einmal aufgeworfen, nämlich die medien- und stilkritische Frage. Sie würde heute darauf abzielen, ob die Konstruktion von Monitoren, Projektoren und Grafikkarten oder die Gestaltung von Programmen und deren Farbräumen, in Wechselwirkung mit dem menschlichen Auge, die kollektive Wahrnehmung und Bewertung insgesamt beeinflusst. Aus der Kulturgeschichte ist bekannt, dass sich kollektive Farbpräferenzen und politische Farbenlehren durchaus ändern können. Mit der Digitalisierung von Darstellungs- und Reproduktionsmedien, insbesondere aus zeitlichem Abstand betrachtet, könnte sich zumindest noch einmal herausstellen, dass ‚Farbechtheit‘ ihre eigene ästhetische Realität hat und ihre eigene Geschichte schreibt.
Literaturvorschläge Baxandall, Michael: Die Wirklichkeit der Bilder. Malerei und Erfahrung im Italien der Renaissance, Berlin 2013. Boskamp, Ulrike: Primärfarben und Farbharmonie. Farbe in der französischen Naturwissenschaft, Kunstliteratur und Malerei des 18. Jahrhunderts, Weimar 2009. Bushart, Magdalena / Steinle, Friedrich (Hg.): Colour histories. Science, art, and technology in the 17th and 18th centuries, Berlin 2015. Dünkel, Vera (Hg.): Farbstrategien (Bildwelten des Wissens, Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik; 4), Berlin 2006. Gage, John: Kulturgeschichte der Farbe. Von der Antike bis zur Gegenwart, Ravensburg 1994. Helmerdig, Silke / Scholz, Martin: Ein Pixel, zwei Korn. Grundlagen analoger und digitaler Fotografien und ihre Gestaltung, Frankfurt a. M. 2006. Hentschel, Klaus: Mapping the spectrum. Techniques of visual representation in research and teaching, Reprint Oxford 2009. Krüger, Matthias: Das Relief der Farbe. Pastose Malerei in der französischen Kunstkritik 1850–1890, München 2007. Müller, Olaf L.: Mehr Licht. Goethe mit Newton im Streit um die Farben, Frankfurt a. M. 2015. Prinz, Felix (Hg.): Graustufen (Bildwelten des Wissens. Kunsthistorisches Jahrbuch für Bildkritik; 8, 2), Berlin 2011. Reichholf, Josef H.: Der Ursprung der Schönheit. Darwins größtes Dilemma, München 2011. Schawelka, Karl: Farbe. Warum wir sie sehen, wie wir sie sehen, Weimar 2007.
Matthias Bruhn
A B B . 1: C O L O R R A D I O G R A P H I E D E R S [=V ER SUCHSP ER S ON]. V ER SUCH ZUR BIL DV ERBESSERUNG. KONTR A STIERENDE Z WEIFA R B I G K E I T S O L L D E N INF O R M AT I O N S W E R T S C H W A R Z- G R A U - W E I S S E R R Ö N T G E N S T R A H L E N BILDER VERBESSERN.
A BB. 2: RÖN TGENBIL D DER S. IN FA RBÄQUIDENSITEN.
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4. Aber auch das reine Gelb ist heller als das reine, satte Rot, oder Blau. Und ist dies ein Satz der Erfahrung? – Ich weiß z. B. nicht, ob Rot (d. h. das reine) heller oder dunkler ist als Blau; ich müßte sie sehen, um es sagen zu können. Und doch, wenn ich es gesehen hätte, so wüßte ich's nun ein für allemal, wie das Resultat einer Rechnung. Wo trennen sich hier Logik und Erfahrung (Empirie)?
Ludwig Wittgenstein, Werkausgabe Band 8 Bemerkungen über die Farben Über Gewißheit Zettel Vermischte Bemerkungen Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft; 508 Frankfurt am Main 1984 aus Bemerkungen über die Farben, Teil III, hrsg. von G.E.M. Anscombe, S. 41
Juliana Do Essence, aus der Serie Spectrum
Mit leuchtenden Farben, starken, auch komplementären Farbkontrasten, hoher Farbmaterialpräsenz und in großem Format dekliniert Juliana Do in der mehrteiligen, als ein langes zusammengesetztes Werk verstandenen Serie Spectrum das gesamte im Licht beheimatete Farbspektrum – kulminierend verdichtet, gleichsam als pars pro toto, in dem Werk Essence. Als in Malerei übersetzte Farbforschung versteht die Künstlerin diese und andere ihrer Werke, die geprägt sind von dem Ansatz, aus der Abstraktion heraus zu dem Konkreten der Farbe zu
finden. Darin hat sie eine Meisterschaft entwickelt, die noch dadurch gesteigert wird, dass sie aus der Kombination von Malmaterialien und deren spezifischem Auftrag auf dem Malgrund tiefenräumliche Wirkungen erzeugt, die optische Vibrationen zwischen zwei- und dreidimensionalen Wahrnehmungen erzeugen. Mit dem Einfügen von Metallpartikeln und einem pixelartigen Farbauftrag gelingt es ihr in der aktuellen Werkfolge luminous, Interferenzphänome zu erzeugen. Juliana Do lebt in Wien, Österreich. www.julianado.com
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Olaf Breidbach war als Naturwissenschaftler, Philosoph und Künstler ein Wanderer zwischen den Welten. Als Neurobiologe hatte er über die Erforschung der Morphologie von Käfergehirnen ein Konzept interner Repräsentationen von Denkvorgängen entwickelt, von dem aus sich seine Vorstellungen weiter zu einer neuronalen Ästhetik und schließlich bis hin zu einer Theorie der denkenden Anschauung konkretisierten. Die Spezifik des von Breidbach dabei entwickelten Denkens liegt in der Verbindung neurobiologischer Einsichten in die sich nur im Prozess des Denkens formierenden Strukturen und Muster mit philosophischer Kritik über die Möglichkeiten des Erkennens und Wahrnehmens.
Perspektivwechsel
Viel zu früh verstarb der Direktor des im ehemaligen Wohnhaus Ernst Haeckels angesiedelten Instituts für Geschichte der Naturwissenschaft, Medizin und Technik der Friedrich-Schiller-Universität Jena, den die FAZ in einem Nachruf treffend als „Meister des unkonventionellen, ja des undisziplinierten Denkens“ bezeichnete. In dieser Funktion des undisziplinierten, gleichsam aber auch transdisziplinären Denkers hat Olaf Breidbach auch das Verbundforschungsprojekt „Farbe als Akteur und Speicher“ in seiner Konzeption wesentlich geprägt, indem er die gegenseitige Bedingtheit von Wahrnehmung und Geschichte für den Prozess der Genese und Ordnung von (Farb-)Wissen und dessen Rückbindung auf kulturell tradierte Praktiken des Anschauens zur Grundthematik des Teilvorhabens „Die materielle Seite der Farben – Geschichte und Theorie ihrer Entwicklung“ erhob. Eingebunden waren darin seine wegweisenden Forschungen zur Weimarer Klassik, aus denen heraus er sich mehrfach maßgeblich zur Theorieund Wissenschaftsgeschichte der Farbe geäußert hat.
Da ihm ein persönliches Mitwirken an der Realisierung seiner Vision des Forschungsvorhabens verwehrt blieb, wollen die Herausgeber den schmerzlich vermissten Genius Breidbachs über eine kleine Auswahl von geeigneten Zitaten an dieser Stelle des Sammelbandes zu Wort kommen lassen, die natürlich nur einen schlaglichtartig verkürzten Blick auf sein Denken ermöglichen. Der Ausgangspunkt ist dabei die Frage nach der Realität oder Objektivität der Welt, die dem Menschen nur über die Systeme und Funktionen seiner Wahrnehmung erfahrbar wird. An die kritische Reflexion des Wahrnehmens schließt sich für Breidbach unmittelbar die Frage nach den Möglichkeiten einer wissenschaftlichen Objektivität an, die er gern an einer Kulturgeschichte wissenschaftlicher Abbildungen exemplarisch diskutierte.
Überlegungen zur Farbe. Nachgedachtes und Nachgelassenes
OLAF BREIDBACH †
Einleitung: Neuronale Ästhetik – Skizze eines Programms, in: Natur der Ästhetik – Ästhetik der Natur, Wien u. New York 1997, S. 1–18, S. 4.
Die uns zugängliche Welt ist die Realität des Anschauens. Hierbei ist der Mensch nicht das strukturlose Stück Wachs, in dem sich die Außenwelt einfach abbildet. Die Weltsicht, die Aufnahme des Außen ist jeweils schon hochgradig interpretiert. Selbst die Wissenschaft hat keinen Blickpunkt zu eigen, der frei von allen Beschränkungen einer personal, kulturell, biologisch genormten Sicht ihr das „rein“ Objektive vor Augen führt. Auch die Wissenschaft ist gegenüber der Welt verblendet. [...] Die methodologischen Scheuklappen der Wissenschaftsdisziplinen sind derart angelegt, daß der den Betrachtern noch zugängliche Ausschnitt des Umfeldes präzise fokussiert ist. Der Blick des Alltäglichen ist offener, aber auch weniger konzentriert. Die Wissenschaft richtet ihr Sehen an einem schmalen Horizont aus, streicht all das nicht in diesen Rahmen Hineinpassende und beginnt – in diesem Focus einer eng geführten Normierung des Sehens – ihr Anschauen zu ordnen. In der Beschränkung ihrer Sicht erreicht sie höhere Auflösung im noch verbliebenen Gesichtsfeld. Doch befreit auch diese Miniaturisierung, das Mikroskopische ihres Blicks, sie nicht von der Subjektivität, der vor der Betrachtung der Dinge liegende Normierung ihres Sehens.
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Deutungen, Zur philosophischen Dimension der internen Repräsentation, Weilerswist 2001, S. 21.
Farb-, Ton- und Geschmacksqualität reduzieren sich hirnintern auf einen physiologischen Kode, der vom Einzelsignal her nicht mehr erkennen läßt, welche Qualität abgebildet wurde. Es gibt dann Orte im Hirn, deren Reizung bestimmte Empfindungen induziert. Die Geschlossenheit eines Weltbildes ist in den dort verorteten Erregungsschichtungen nicht mehr wahrzunehmen. Keines der Momente, die in dieser physiologischen Rekonstruktion zu finden sind, trägt an sich Bedeutung. Ihre Qualität kommt diesen Einzelreizungen nicht an sich, in der Qualität der von ihnen vermittelten Erregungsintensität zu, sondern nur in dem relativen Bezug, in dem sie sich befinden. Die Zuordnung einer Einzelerregung in dem Verband möglicher Erregungen, ihre relative Verortung, qualifiziert die Einzelerregungen.
Deutungen, Zur philosophischen Dimension der internen Repräsentation, Weilerswist 2001, S. 71.
Die Realität der Welt findet sich nicht in einer Objekti-vierung. Das Objektive ist nur getragen durch das Subjekt Grundlage einer Erfahrung von Welt. Ein Realismus kann nicht im Bezug auf ein Außen, sondern nur als interner Realismus konturiert werden.
Neuronale Ästhetik, Zur Morpho-Logik des Anschauens, München 2013, S. 19 f.
Unsere Sinnesempfindungen sind – neurophysiologisch gesehen – Resultate von neuronalen Zuordnungen, Überlagerungen und Aktivierungen, die dann in unserem Kopf das zusammenmischen, was wir in unserer Reflexion als das Reale glauben ansehen zu können. So wird uns die schon benannte Farbe Rot eben nicht aus dem Außenraum über die Rezeptoren direkt ins Hirn vermittelt. Die sensorischen Prozesse, in denen sich im Auge diese physikalischen Kennungen, die wir vereinfacht als Farbwerte bezeichnen, aus dem Ansprechen der Rezeptoren vermitteln, sind schon auf der neurophysiologischen Ebene erfahrungsabhängig: Vorwissen prägt die Verarbeitung der Sinnesreize schon in der Peripherie. Das, was dann augenintern abgebildet ist, ist aber kein Farbempfinden, sondern eine Reaktion einzelner Nervenzellen, die dann über die hinter sie gestaffelten Bahnen an einen bestimmten Ort im Hirn vermittelt werden. Dort speist sich diese über den Nervenbahnen vermittelte Erregung in ein ganzes Gefüge von Aktivitäten ein. Die Aktivität an diesem Signalempfangsort entscheidet darüber, wie das Hirn mit den Eingaben umgeht. (...) Dieser Bereich liegt nicht fest. Er ist eine in Lernprozessen zu variierende Größe. In den Nervenzellen, die die funktionellen Grundeinheiten des Nervengewebes darstellen, werden nicht einfach Fahnen weitergereicht, auf denen vermerkt ist: ‚visuelle Reizqualität’ oder ‚Geruch’. Wir müssen wissen, wie wir mit den Erregungen umgehen, in denen dann durch dieses Wissen Farbe, Geruchsqualitäten, Töne oder auch Raumbilder entstehen.
Wissenschaftsperformance oder Bilderwissen. Zur Ästhetik und Ästhetisierung wissenschaftlicher Bilder, in: Gegenworte, H. 9, 2002, S. 18–21, S. 20 f.
Die Realität des Bildes ist es, Bild zu sein. Auch die Bilder der Wissenschaften haben diese Realität. In ihnen finden die Wissenschaften ins Bild und binden sich damit an die Anschauungen, die sie in ihrer Disziplin selbst vielleicht kaum mehr reflektieren. Die Normierungen der simulierten Welten, die konservativen Züge des Artifiziellen klopfen dabei Anschauungsformen fest. Dadurch, dass sie diese vom Skizzenblock weg in immer kompliziertere Medien bannen, besteht die Gefahr einer Zementierung traditionell überkommener Anschauungsformen, nach denen diese Medien konfiguriert sind. Die komplexe neue Idee, in derart fixe Formen geführt, hat aber dann vielleicht Schwierigkeiten, selbst in ihrer Idee erfasst zu werden. In den immer komplizierter gestrickten Kostümen medialer Präsentation werden die Formen des Denkens, die sich in den dann generierten Bildern zeigen, einander zusehends ähnlicher. Es gilt, die Bildwelten offen zu halten, die Gartenzwergkultur des Visuellen weit gehend klein zu halten, um in diesen Kostümierungen die Ideen nicht zu verlieren. Das Bild selbst muss offen bleiben, die Ästhetik der Wissenschaften kann sich nicht in der Beschwörung des Bekannten, sondern nur in der Erfassung des Neuen definieren. Die Kunst kann helfen, die damit geforderte Offenheit des Blickes auch den Wissenschaften zu erhalten. Ist die Kunst doch gewohnt, Bilder als Bilder zu bearbeiten, und kann die Kunst dann auch die Wissenschaft in ihren Simulationen, Modellen und Anschauungsmustern mit dem konfrontieren, was sich in dieser Vielfalt des Inszenierten findet: mit ihrem Bild.
Olaf Breidbach †
Neuronale Ästhetik. Zur Morpho-Logik des Anschauens, München 2013, S. 17 f.
Nehmen wir ein Beispiel: Gibt es Rot? Bestimmte Tiefseefische erscheinen uns rot, zumindest, wenn wir sie an das Tageslicht bringen. In ihrem Lebensraum erscheinen sie blau oder schwarz. Die Farbe Rot ist keine für sie kennzeichnende Größe. Es ist etwas, das für uns erscheint. Es ist etwas, das wir an diesen Fischen sehen. Wie wir überhaupt die Farben nach dem begreifen, was wir uns von ihnen vorstellen. [...] Dabei wird uns die Farbe Rot auch nicht über die Rezeptoren direkt ins Hirn vermittelt und dort an einen etwaigen, dieser Farbe eigenen Empfindungsort getragen. Es gibt – in diesem Sinne – im Hirn keine Rot-Zellen; und es gibt auch nicht „die“ rote Farbe. Das Rote ist ein Komplex, den ich je nach Vorgaben, Ausrichtung und Umgebungswerten in dieser oder jener Weise eingrenze. Das bedeutet, die Nervenzellen, in denen sich dieses Rot als Empfindung vermittelt, stehen nicht isoliert, sondern sind in einen Erregungskontext eingebunden, der mitbestimmt, wie sie sich nach Erregung durch einen Rezeptor für Rot (gleich welcher Couleur) einstellen. In diesem Gefüge der miteinander vernetzten Erregungsweiterleitungselemente des Hirnes takten die Zellen alle gleich. Der Bereich, in dem eine entsprechende Aktivierung ‚landet’, die damit getroffene Zuschreibung im Netz der Erregungsmöglichkeiten entscheiden darüber, was wir dann wie sehen. [...] Rot ist nicht eine Markierung der Welt. Rot ist eine Qualität meines inneren Sinnes. [...] Es ist also nicht so einfach mit der Erfahrung. Sie ist kein Spiegel, in dem sich die Welt abbildet; sie ist auch nicht einfach nach Art eines Photoalbums aufgebaut. Vielmehr haben wir es mit einer sehr viel komplexeren und sehr vielschichtigen Reaktion zu tun.
Farbqualitäten entstehen für Goethe also aus dem subjektiven Empfinden heraus. Dabei verstand er Farbe nicht als ein rein physikalisch zu beschreibendes Mischungsverhältnis verschiedener Elemente des Lichtes, so wie Newton sie im Prisma in ihre Teilkomponenten zerlegte. Was auch mit Blick auf seine Zeit nicht verwundern muss. Denn die Newtonsche Korpuskulartheorie war auch im strikt physikalischen Sinne in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts durchaus noch strittig. Es gab noch um 1830 eine ganze Reihe alternativer Vorstellungen davon, was Licht eigentlich sei, und wie demnach dann auch Farbe zu beschreiben wäre. So wird das Licht einerseits als ein Gefüge feiner Teilchen, Korpuskeln, beschrieben. Wird ein kleines, dünnes, frei im Vakuum aufgehängtes Metallplättchen vom Licht beschienen, wird der Beschuss jener Korpuskeln dieses Plättchen in Bewegung versetzen. Und sie werden an der Grenzschicht zwischen Glas und Luft zumindest in Teilen reflektiert. Andererseits zeigt die Brechung des Lichtes an einem Beugungsgitter, dass dieses Licht viel einfacher als Wellenfront zu beschreiben wäre. Verschiedene Farben entsprächen demnach Wellen in unterschiedlichen Energieniveaus. Zudem offenbarte sich in jener Zeit auch noch, dass sich das Spektrum des mit einem Prisma aufzutrennenden Lichtes noch über den Bereich des für uns Sichtbaren hinaus fortschreiben lässt. Der Physiker Johann Wilhelm Ritter (1776-1810) zeigte in Jena um 1801, dass es, ähnlich wie im Bereich der roten Lichtwellen, bei denen in einem Lichtspaltversuch auch über den Bereich des sichtbaren Rots hinaus Wärmestrahlung nachzuweisen war, auch im Bereich des Violetten noch eine Fortschreibung von Wellen gibt. Ritter konnte dies durch eine spezielle Photoreaktion sichtbar machen und somit belegen, dass der Bereich des ultravioletten Lichts existiert, der für uns jedoch direkt nicht sichtbar ist. Er kam auf Grund seiner Theorie von einer polaren Struktur der Naturphänomene auf die Idee, nach solch einem Ultravioletten zu suchen. Denn es musste, der
2010 … System und Kunst der Farbe, Dresden 2009, S. 46.
Zum Verhältnis von Goethe und Newton, in: color continuo. 1810 …
Logik seiner Vorstellung zufolge, entsprechend dem Bereich außerhalb des Roten einen Bereich außerhalb des gegensätzlichen Pols des Lichtes aufzufinden sein. Andererseits bewies die Möglichkeit, dass Licht zu polarisieren ist, dass dieses Licht als Welle eine bestimmte Schwingungspräferenz hat. Und schließlich ließen sich im Licht neben den kontinuierlichen Farbabstufungen auch noch Spektrallinien nachweisen. War Farbe gegebenenfalls sogar ein Stoff oder war Farbe das Resultat einer chemischen Reaktion in der Atmosphäre?
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Ars Chromatika. Zur Behandlung der Farbe durch Athanasius Kircher, in: Ueber die Natur des Lichts – Die Farbe Blau in der Romantik, Wiederstedt 2013, S. 24.
Die Werte der Farbbestimmung, in denen auch wir die komplexen physiologischen Prozesse unserer Farbwahrnehmung skalieren, sind in ihrer jeweiligen kulturellen Einbindung, ja selbst in den erfahrungsbedingten Modifikationen der einzelnen Wirkungszusammenhänge, auch heute nur vorläufig in ein Ordnungsgefüge zu bringen. Die Physikalisierung der Farbspektren und die Neuronalisierung der retinalen Bilderfahrungsmuster haben beide nicht das Problem gelöst, ob und inwieweit Farbempfindungen auf feste Entitäten, auf kulturübergreifende Eich- und Bezugsgrößen gesetzt werden können. Dargestellt werden Momente eines physiologischen Verhältnisses, in dem die Farben in einer Relation zueinander gesetzt sind, aus der sie sich in ihren Farbwerten und ihren Farbbewertungen bestimmen, immer in Referenz auf ein vorgegebenes Farbsystem. Dieses bildet sich in den physiologischen Reaktionen ab. Es kann insoweit plausibilisiert werden. Es kann sich allerdings, da sein Begründungszusammenhang in einem der Physiologie vorgeordneten Erfahrungsgefüge liegt, physiologisch nicht wirklich begründen. Wir operieren insoweit weiterhin in einer tradierten Farbkultur, die uns in ihren Grundbestimmungen, trotz ggf. differenter Ableitungen, auch weiterhin kulturell vermittelt und nicht etwa physiologisch/physikalisch konstituiert erscheint.
Ars Chromatika. Zur Behandlung der Farbe durch Athanasius Kircher, in: Ueber die Natur des Lichts – Die Farbe Blau in der Romantik, Wiederstedt 2013, S. 25.
Und so greifen dann das Vormalige und das Heutige ineinander. Wenn Kircher die Farbigkeit der Luft in den verschiedenen Stufen ihrer Opakizität, im Nebel und im Dunklen wahrnimmt, ist das das Eine. Dass dieses Dunkle dann aber auch in der physiologischen Bestimmtheit eines Schopenhauers zur Referenz der Farbwerte wird, ist das Andere: „Ex varia lucis & umbrae mistura in aëre veluti medio densiore per refractionem fieri infra docebimus“. Und so lässt sich dann nach Kircher auch die Abstufung der Farbwirkungen, die die Blauperspektive zeigt, als Ausweis einer zunehmenden Dichte, des weiter Strecken der sich aufaddierenden Materialität aufzeigen. Und derart lässt sich denn auch fortschreiben, was mit der Farbe der Sonne passiert, wenn sie ins Meer abtaucht. Und so zeigen sich in der Atmosphäre die unterschiedlichen Refraktionsbedingungen für das Licht, in der sich dieses im Meer widerspiegelt, sich in Wolken und Nebeln bricht und so unserem Auge immer wieder neu das Spiel von Licht und Schatten und damit der changierenden Farbigkeit einer sich in ihrer lokalen Materialität jeweils verändernden Welt offeriert: […].
Für die Allgemeinheit weniger nachvollziehbar sind die Verknüpfungen von Farben mit abstrakten oder auch konkreten ‚Gegenständen‘ ohne assoziativen Hintergrund. In diesem Fall spricht man in der Wissenschaft von Synästhesie. In einer Form der Synästhesie, die von den Neurowissenschaften am häufigsten untersucht wird, der Graphem-Farb-Synästhesie, werden gehörte oder gelesene Symbole – Buchstaben, Zahlen,
Viele Farben lassen sich recht unzweifelhaft mit Dingen aus unserer Umwelt assoziieren. Einige Beispiele: Gelb sind Zitronen oder auch die Sonne; grün die Blätter der Pflanzen; rot ist Blut oder glühende Herdplatten; blau ist der Himmel, wenn er nicht grau ist oder viele andere Farben annimmt, und blau wird mit Kälte in Verbindung gebracht. Man kann sagen, solche Verknüpfungen haben wir sukzessive gelernt. Die Assoziationen stimmen mit unseren Erfahrungen überein. Meist werden sogar noch weitere Sinnesreize und -qualitäten involviert, so dass z. B. aus der imaginären gelben Zitrone ein assoziativer Geschmackseindruck werden kann. Wenn wir im Verlauf unseres Lebens dann doch abweichende Erfahrungen machen, können sich derartige Assoziationen auch anpassen.
Perspektivwechsel
Wenn einem Menschen die eigene Synästhesie bewusst wird, oft erst im Erwachsenenalter, so ist das für ihn nicht selten ein einschneidendes Erlebnis, verbunden mit der Erfahrung, anders zu sein und die Welt mit anderen Augen zu sehen, dann auch zu wissen, niemand sonst sieht sie in gleicher Weise. Häufig bemerkt er als Erstes, dass die anderen Menschen gar keine Vermischung der Sinne haben, was von ihm bis zum Zeitpunkt des Bewusstwerdens seiner Andersartigkeit jedoch als selbstverständlich angenommen wurde. Und wenn der Synästhetiker irgendwann merkt, dass z. B. der Partner am Frühstückstisch entgegen aller Erwartungen überhaupt nichts mit der Verkop-
Farben im Kopf: Synästhesie (er-)leben
Wörter – simultan mit einer Farbe wahrgenommen. Es handelt sich nicht um eine Wahrnehmungsstörung im psychopathologischen Sinne, sondern im Gegenteil um eine gesunde Spielart der Evolution, die das menschliche Bewusstsein betrifft, ihm quasi den Luxus einer kreativen, vielschichtigen Lebensform gönnt.
Doch wenn man sich seiner Synästhesie bewusst ist, mag man sich mitteilen. Es ist ein Grundbedürfnis des Menschen, sich zugehörig zu fühlen und auch verstanden zu wissen. Und die Farben, allgemein schon ein zentrales Medium der Verständigung, erlangen für die Kommunikation innerhalb der ‚Gemeinschaft‘ der Synästhetiker eine besondere Bedeutung. Denn das Gefühl, eigentlich verstanden zu werden, wird mit dem sich Bewusstwerden der eigenen und individuell
Nur wenige sprechen in der Allgemeinheit über ihre Synästhesie, denn die Erfahrung zeigt immer wieder, dass derartige Andersartigkeit schnell falsch verstanden und zu Unrecht als eben ‚psychisch doch nicht ganz normal‘ stigmatisiert wird.
pelung von Farben und Zahlen anfangen kann, bedeutet das eine intensive Erkenntnis im Rahmen des Begriffs der Qualia: dass nämlich Erfahrungen verborgen bleiben, auch bleiben müssen, weil das Gegenüber nicht wissen, nicht nachvollziehen kann, wie es ist, anders zu empfinden und wahrzunehmen, mithin der andere zu sein. Was als Phänomen mitteilbar ist, ist auf Seiten der Wahrnehmung nicht unbedingt teilbar.
Von vermischten Sinnen und Farben – Impulse aus der Erforschung der Synästhesie
MARKUS ZEDLER
Eine der vorteilhaft mit der Synästhesie einhergehenden Eigenschaften ist die Kreativität. Deutlich mehr Synästhetiker als in der Normalbevölkerung fanden sich z. B. unter schweizerischen Kunststudierenden. (Wassily Kandinsky war nur einer von vielen berühmten Künstlern, die mit der Synästhesie begabt waren.) Auch in der Musik sind zahlreiche Künstler bekannt, deren Synästhesie sich durch ihr Werk zieht. Komponisten wie u. a. Alexander Skrjabin oder Franz Liszt waren Synästhetiker. Eine synästhetische Vielschichtigkeit hört man insbesondere bei Pianisten, denen es gelingt, einem jeden ‚Faden im Klangteppich‘ einer komplexen Sonate, wie z. B. der 2. Sonaten von Antonín Dvorak oder Sergei Rachmaninow, zur selben Zeit brillant eine wesentliche Bedeutung zu interpretieren und sich gleichermaßen auf die technische Perfektion der Melodie und die begleitende Polyphonie zu konzentrieren. Spezielle Formen der visuellen Wahrnehmungen von Musik sind z. B. farbig erscheinende Intervalle, z. B. orangefarbene Terzen, cyanblaue Quarten. Und das sogenannte absolute Gehör findet sich dann auch häufiger in Verbindung mit der Synästhesie und macht besonders deutlich, dass es sich bei ihr um eine Begabung handelt und um nichts anderes.
ausgebildeten Synästhesie geradezu einem erheblichen Zweifel unterzogen und auf die Probe gestellt. So kombinieren zwar 49 % der deutschsprachigen Graphem-Farb-Synästhetiker mit dem Buchstaben A die Farbe Rot, doch diese Buchstaben-Farben-Kombination ist statistisch die einzige so starke Häufung; schließlich bleibt jeder mit seiner eigenen Synästhesie allein.
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Farben kommen in der Synästhesie nicht nur in Verbindung mit Tönen, Geräuschen, Buchstaben, Wörtern und Zahlen vor. Lange galt die sogenannte Gefühlssynästhesie als eine Randgruppenerscheinung, hauptsächlich weil sie sich weniger gut in Testuntersuchungen reproduzieren lässt. Zum traditionellen Konzept der Gefühlssynästhesie1 beschäftigen sich aktuelle Arbeiten mit den Faktoren sozialen Erlebens innerhalb der synästhe-
Konsequenzen aus der statistischen Berechnung der Buchstaben-Zahlen-Kombinationen im Sinne einer besonderen Förderung bzw. einer speziellen Ausgestaltung des Lebensumfeldes für Synästhetiker sind bisher ausgeblieben, abgesehen von Anfragen aus der Innenarchitektur, farblich harmonische Räume zu gestalten, die statistisch den meisten Synästhetikern zusagen würden. Tatsächlich werden unpassende synästhetische Farb-Sinn-Kombinationen häufig als unangenehm empfunden und erzeugen zumindest längere Bearbeitungszeit in dem sonst so energiesparenden Gehirn (Stroop-Effekt).
Auch häufig beschriebene intuitive Leistungen des synästhetischen Gehirns sind noch nicht sicher belegt, entsprechen aber zahlreichen Beschreibungen von Synästhetikern, bereits früher als andere ‚den richtigen Riecher‘ gehabt zu haben, ohne die Gründe für ihre Intuition exakt darlegen zu können. In jedem Fall bieten die Farben in ihren konsistenten Kopplungscodierungen Orientierungshilfen, die als reines Rechenprodukt des Gehirns keinen physikalisch-visuellen Auslöser in der Umwelt haben, sondern nur die Reize aus anderen Sinnesqualitäten oder aus Emotionen.
Die Häufigkeit der Synästhesie bei Gefühlen, die in der sexuellen Erregung zu Wahrnehmungen in weiteren Sinnesqualitäten führen, wurde lange unterschätzt. Nicht selten liegt bei – hier überwiegend – Synästhetikerinnen als einzige Ausprägung eine farbige Orgasmus-Synästhesie vor, über die selten gesprochen wird. In einer eigenen Untersuchung zeigte sich eine signifikant häufige Trance-Korrelation in der Sexualität der Probandinnen, passend zu den bildhaften Beschreibungen des vielschichtigen intensiven Sexualerlebens. Auf einem der internationalen Hannover’schen Kongresse zum Thema Synästhesie und dem hier beschriebenen Aspekt wurden dem Auditorium leinwandfüllende farbige geometrische Figuren/ Bilder als adäquate Übersetzungen präsentiert, betitelt als Orgasmen.
tischen Verknüpfungen. So gibt es Synästhesien, bei denen z. B. der Eindruck über den Charakter einer Person in Farben gesehen wird und Farben hier als verlässliche Orientierungshilfe dienen können.2 Eine Synästhetikerin beschreibt, dass sie, gleichsam wie mit einem dritten Auge, Menschen farbig sieht.3 Diese Farben korrelieren mit dem Charakter der Person. Lange bevor sie sich diesen Eindruck erklären kann, ist die Wahrnehmung der anderen Person mit einem spezifischen Farbton ausgestattet, der verhältnismäßig sicher zu deren unbewusst wahrgenommenen Charaktereigenschaften passt. Sie wird die Nähe von blauen Menschen suchen und messingfarbene Menschen eher meiden, weil sie sich mit ihnen eher nicht verstehen wird. Statistische Untersuchungen zur Häufigkeit der Korrelationen stehen hier aus und könnten auch ethisch heftig umstritten sein.
Mit der Vielschichtigkeit der Synästhesie geht nach eigenen Untersuchungen an über 100 Synäs-
Besondere Aufmerksamkeit wird derzeit auf die sozialen Facetten der Synästhesie gelegt. Die Synästhesie-Form der sogenannten mirror-touchsynaesthesia stellt eine besondere Begabung dar: Der Synästhetiker fühlt mit seinem Tastsinn, dass sich eine Person mit dem Finger im Gesicht berührt, als ob er selbst berührt werden würde.6 Dieses Phänomen ist messbar und fügt sich auf den ersten Blick in häufige Charaktereigenschaften ein, die insgesamt bei Synästhetikern gemessen und qualitativ untersucht werden konnten.
Die Personifikation von z. B. Symbolen stellt einen herausragenden Grund elterlicher Besorgnis und damit für die Vorstellung des Kindes in der psychiatrischen Sprechstunde dar. Bislang ist jedoch in keiner Weise ein mit dem Phänomen verbundenes Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen verbunden, ausgenommen die Folgen unverhältnismäßiger Besorgnis oder gar Ausgrenzung eines Kindes wegen seiner Synästhesie.5
Nicht nur unidirektional können Charaktereigenschaften und Gefühle farbig wahrgenommen werden. Umgekehrt können auch Farben, Zahlen, Buchstaben, Wörter oder Töne mit Persönlichkeitseigenschaften ausgestattet sein und auch ein charakterliches Verhalten an den Tag legen.4 Eine junge Synästhetikerin (12 Jahre) beschrieb in typischer Weise, dass einige Zahlen sehr freundlich seien. In ihrem Fall waren es die 3 und die 4. Andere Zahlen wiederum seien grimmig oder sogar bösartig, wie die 7 und die 2. In der kindlichen Phantasie konnte das Mädchen beschreiben, wie die Zahlen miteinander Fußball spielten, jede auf ihre Weise, jede nach ihrem Charakter.
Markus Zedler
Die Konzepte für die Synästhesie reichen vom sogenannten Hyperbinding7 im Sinne eines verstärkten binding, das als eine Grundfunktion für die intermodale lntegration menschlichen Bewusstseins angenommen wird, und der Neugeborenen-Theorie,8 in der bei der Synästhesie von einem Relikt aus frühester Kindheit ausgegangen wird, d. h. dass die Hyperkonnektivität des Neugeborenen-Gehirns (vgl. Panästhesie9) sich nicht wie üblich zurückgebildet hat, bis hin zur Kreuzaktivierung benachbarter oder funktional nahe beieinander liegender zerebraler Sinnesareale10 sowie verschiedener Modelle fehlender Hemmfunktionen, z. B. dem sogenannten Disinhibited-FeedbackModell.11 Die Konzepte schließen einander nicht gegenseitig aus. Professor Hinderk Emrich war vor fast 30 Jahren ein Pionier in der europäischen Synästhesieforschung. Er entwickelte die Hypothese der sogenannten limbischen Brücke: Wenn von einer Person etwas wahrgenommen wird, wird der neuronale Impuls unmittelbar durch das limbische System geschickt, wo Emotionen, Gefühle, Triebe und Ängste verarbeitet werden. Das bedeutet, alles
Synästhesieforschung: Erklärungsmodelle für die Synästhesie
thetikerinnen und Synästhetikern eine signifikant stärkere soziale Verantwortlichkeit und Hilfsbereitschaft einher. Sie sind häufiger leistungsorientiert und ehrgeiziger als die Normstichprobe, aber auch empfindsamer. Sie leiden deutlich weniger an körperlichen Beschwerden und machen sich auch weniger Sorgen um ihre Gesundheit. Sie sind erheblich weniger gehemmt, vielmehr extrovertierter, aber auch unkonventioneller und ungenierter und zumindest unter den über 60-Jährigen signifikant mit sich und ihrem Leben zufriedener.
Weil beobachtet werden konnte, dass es in sehr vielen Familien mehrere Synästhetiker gibt, wurde früh von einer Erblichkeit der Synästhesie ausgegangen.12 Sie lässt sich nicht erlernen. So versprach man sich von genetischen Analysen, das Phänomen besser erklären zu können, und versuchte, genetische Kopplungen (linkages) zu identifizieren, die mit dem Phänotyp der Synästhesie verbunden sind; idealerweise an Orten, die bereits aus anderen neurogenetischen Untersuchungen bekannt sind und Verbindungen herstellen könnten zwischen dem Phänomen der Synästhesie und anderen Phänomenen bzw. (Hirn-)Funktionen. Es zeigte sich jedoch in den untersuchten Gruppen eine komplexe genetische Heterogenität. Asher13 untersuchte 196 Personen aus 43 Familien, darunter 121 Synästhetiker, und fand Kopplungen auf dem Chromosom 2q und höchstwahrscheinliche Kopplungen auf den Chro-
wird erst einmal durch eine Bewertung geschickt. Bei der Synästhesie kann man sich die Bewertung partiell ungefiltert vorstellen, bildlich gesprochen wie eine Überbrückung, die sich zu einem anderen Sinneszentrum im Gehirn weitet. Dieses Hin- und Herschicken von neuronalen Impulsen bzw. die Kommunikation zwischen den agierenden Gehirnarealen sowie deren gegenseitige Steigerung der Reizimpulse, aus der heraus die gekoppelte Anregung, die simultane Wahrnehmung entsteht, muss man immer noch als das bislang unerklärte binding bezeichnen. Dabei steht Synästhesie als ein Phänomen mit einer sehr starken Bindung (hyperbinding), das sogar mit mehrfach verknüpften Wahrnehmungen in weiteren Sinnesqualitäten verbunden sein kann, für ein Paradigma in der neurowissenschaftlichen Forschung, für die Frage, wie intermodale Integration und wie letztlich das Bewusstsein funktioniert.
Dass es sich bei der Synästhesie nicht um bloße Einbildung handelt, ist seit der Beschreibung durch Sachs im Jahre 1812 bereits hinreichend in neuropsychologischen und neuroradiologischen Untersuchungen bewiesen worden. In zahlreichen Studien mittels funktionell bildgebender Verfahren wie z. B. der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT), in denen (einfach formuliert) dem Gehirn bei seiner Funktion zugesehen werden kann, werden rechnerisch Hirnareale auf den Bildern farbig markiert, an denen während einer Sinnesempfindung gerade mehr oder weniger Sauerstoff verbraucht wird. Eine vom Autoren erwartete Chromotopographie mit Nachweis spezifischer (synästhetischer) Farbrepräsentanzen ist noch Zukunftsmusik.
Messungen: Nachweis der Synästhesie
mosomen 5q, 6p und 12P, während im Eagleman Labor (Houston) Steffie Tomson14 in zwei von fünf Familien (48 Personen) Kopplungen im Bereich des Chromosoms 16q12.2–23.1 beschrieben werden konnten. Die Vererbbarkeit der Synästhesie, einer Hyperkonnektivität oder einer anderen der Synästhesie zugrunde liegenden neuropsychologischen Eigenschaft wird durch die genetischen Untersuchungen gestützt, aber eine genetische Diagnostik oder eine Erklärung der Funktionsweise der Synästhesie via genetischer Verknüpfungen sind bislang nicht gelungen, vielmehr an ihrer komplexen Heterogenität zunächst gescheitert.
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lm praktischen Alltag bedarf die Synästhesie eigentlich keiner aufwändigen ‚Beweis-Diagnostik‘, nicht nur weil es keine Krankheit ist, sondern auch, weil es eigentlich selten Grund zum Zweifel an den Angaben von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen gibt. Für wissenschaftliche Studien wird überwiegend anhand der Konsistenz der Verknüpfungen festgestellt, ob es sich wirklich um genuine Synästhesie handelt, z. B. im sogenannten Test of Genuiness.17 Es gibt naturalistische Befragungen, aber auch Tests, in denen Farben computergestützt zu den Graphemen zugeordnet werden können.
Die Codierungen der Verkopplungen sind konsistent, in der Regel ein Leben lang. So wird es als Kriterium in der Beschreibung der genuinen Synästhesie gefordert. Ein synästhetisch rotes A bleibt somit ein Leben lang rot. Auf über 150 verschiedene Arten können in der Synästhesie Sinne miteinander vermischt werden. Fünf Prozent zumindest der europäischen Bevölkerung haben wenigstens eine Form von Synästhesie.
Der Begriff der Synästhesie wird von verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen nicht ganz identisch verwendet. Während in der Literatur unter Synästhesie häufig metaphorische Phänomene verstanden werden,15 ist aus neurowissenschaftlicher Sicht die Synästhesie eher nicht metaphorisch, nicht wie z. B. kaltes Blau oder warmes Rot, sondern in der Regel ohne inhaltliche Zusammenhänge, aber mit einer Konsistenz der Verknüpfungen von 90–100 % bei Erwachsenen verbunden.16
Unter der Hypothese der Hyperkonnektivität des Gehirns18 kann Synästhesie als ein Merkmal unter vielen verstanden werden, das aber nicht immer so eindeutig aufzutreten braucht. Es gibt zahlreiche Resonanz auf die Erkenntnisse aus der Erforschung der Synästhesie, in der sich Personen zwar wiederfinden, ohne aber dass sie einen Konsistenztest bestehen würden, was als Hinweis gewertet wird, dass es sich bei der Synästhesie um die Spitze eines Eisbergs von gesunden Normvarianten des Bewusstseins handelt, denen am ehesten gleiche Mechanismen zugrunde liegen und die als Lehrstück für Nichtreproduzierbarkeiten einem neurowissenschaftlichen Hyperreduktionismus heilsam entgegenwirken.19
Ausblick
Endnoten 1 Emrich, Hinderk M. / Schneider, Udo / Zedler, Markus: Welche Farbe hat der Montag? Synästhesie: das Leben mit den verknüpften Sinnen, Stuttgart 2004. 2 Dittmar, Alexandra (Hg.): Synästhesien. Roter Faden durchs Leben?, Essen 2007; Ramachandran, Vilayanur S. / Hubbard, Edward M.: Synesthesia: what does it tell us about the emergence of qualia, metaphor, abstract, thought, and language?, in: 23 problems in systems neuroscience, hg. v. J. Leo van Hemmen u. Terrence J. Sejnowski, Oxford 2006, S. 432–473; Zedler, Markus / Kaluza, Daria / Salas Vilar, Josefa: Synaesthesia, personification, the hyperconnected brain, and identity, in: Actas III Congreso International de Sinestesia, Ciencia y Arte. Ediciones Fundación Internacional Artecittà, hg. v. M José Córdoba, Edward M. Hubbard, Dina Riccòo u. Sean A. Day, Granada 2009, S. 1.3.9. 3 Salas Vilar, Josefa: Synesthetic codes – ways to perceive – ways to create – the third eye, in: Actas III Congreso International de Sinestesia, Ciencia y Arte. Ediciones Fundación Internacional Artecittà, hg. v. M José Córdoba, Edward M. Hubbard, Dina Riccò u. Sean A. Day, Granada, S. 2.1.5.6. 4 Brugger, Peter / Knoch, Daria / Mohr, Christine / Gianotti, Lorena R. R.: Is digit-colour synaesthesia strictly unidirectional? Preliminary evidence for an implicity colored number space in three synaesthetes, in: Acta Neuropsychologica, Bd. 2, 3, 2004, S. 252–258. 5 Zedler, Markus: When synaesthetes join a psychiatrist. Meeting of the UK Synaesthesia Association. Brighton 2010. 6 Blakemore, Sarah-Jayne / Bristow, D. / Bird, G. / Frith, Chris / Ward, Jamie: Somatosensory activations during the observation of touch and a case of vision-touch synaesthesia, in: Brain, Bd. 128, 2005, S. 1571–1583. 7 Emrich, Hinderk M. / Zedler, Markus / Schneider, Udo: Bindung und Hyperbindung in intermodaler Wahrnehmung und Synästhesie, in: Zeitschrift für Semiotik, Bd. 24, 1, 2002, S. 31–37. 8 Maurer, Daphne: Neonatal synesthesia: implications for the processing of speech and faces, in: Developmental neurocognition: speech and face processing in the first year of life, hg. v. Bénédicte de Boysson-Bardies, Scania de Schonen, Peter Jusczyk, Peter McNeilage u. John Morton, Dordrecht 1993, S. 109–124; Maurer, Daphne / Gibson, Laura C. / Spector, Ferrinne: Synesthesia in infants and very young children, in: The oxford handbook of synesthesia, hg. v. Julia Simner u. Edward Hubbard, Oxford 2013, S. 43–63; Maurer, Daphne / Maurer, Charles: The world of the newborn, New York 1988; Maurer, Daphne / Mondloch, Catherine J.: Neonatal synesthesia: a reevaluation, in: Synesthesia: perspectives from cognitive neuroscience, hg. v. Lynn C. Robertson u. Noam Sagiv, Oxford 2004, S. 193–213. 9 Emrich, Hinderk M. / Zedler, Markus / Schneider, Udo 2002 (wie Anm. 7). 10 Hubbard, Edward M. / Brang, David / Ramachandran, Vilayanur S.: The cross-activation theory at 10, in: Journal of Neuropsychology, Bd. 5, 2011, S. 152–177; Ramachandran, Vilayanur S. / Hubbard, Edward M.: Psychophysical investigations into the neural basis of synaesthesia, in: Proceedings of the Royal Society B, Biological Sciences, Bd. 268, 1470, 2001, S. 979–983.
Markus Zedler
11 Grossenbacher, Peter G. / Lovelace, Christopher T.: Mechanisms of synesthesia: cognitive and physiological constraints, in: Trends in Cognitive Science, Bd. 5, 1, 2001, S. 36–41. 12 Emrich, Hinderk M. / Schneider, Udo / Zedler, Markus 2004 (wie Anm. 1). 13 Asher, Julian E. / Lamb, Janine A. / Brocklebank, Denise / Cazier, Jean-Baptiste / Maestrini, Elena / Addis, Laura / Sen, Mallika / Baron-Cohen, Simon / Monaco, Anthony P.: A whole-genome scan and fine-mapping linkage study of auditory-visual synesthesia reveals evidence of linkage to chromosomes 2q24, 5q33, 6p12, and 12p12, in: The American Journal of Human Genetics, Bd. 84, 2, 2009, S. 279–285. 14 Tomson, Steffie N. / Avidan, Nili / Lee, Kwanghyuk / Sarma, Anand K. / Tushe, Rejnal / Milewicz, Dianna M. / Bray, Molly / Leal, Suzanne M. / Eagleman, David M.: The genetics of colored sequence synesthesia: Suggestive evidence of linkage to 16q and genetic heterogeneity for the condition, in: Behavioural Brain Research, Bd. 223, 1, 2011, S. 48–52. 15 Emrich, Hinderk M. / Schneider, Udo / Zedler, Markus 2004 (wie Anm. 1). 16 Dixon, Mike J. / Smilek, Daniel / Cudahy Cera / Merikle, Philip M.: Five plus two equals yellow, in: Nature, Bd. 406, S. 365; Rich, Anina / Bradshaw, John L. / Mattingley, Jason: A systematic, large-scale study of synaesthesia: Implications for the role of early experience in lexical-colour associations, in: Cognition, Bd. 1, 2005, S. 53–84; Simner, Julia / Glover, Louise / Mowat, Alice: Linguistic determinants of word colouring in grapheme-colour synaesthesia, in: Cortex, Bd. 42, 2006, S. 281–289; Simner, Julia / Ward, Jamie: The taste of words on the tip of the tongue, in: Nature, Bd. 444, 2006, S. 438; Smilek, Daniel / Dixon, Mike J. / Cudahy, Cera / Merikle, Philip M.: Synesthetic color experiences influence memory, in: Psychological Science, Bd. 13, 6, 2002, S. 548–552; Smilek, Daniel / Moffatt, B. A. / Pasternak, J. / White, B. N. / Dixon, Mike J. / Merikle, Philip M.: Synaesthesia: A case study of discordant monozygotic twins, in: Neurocase, Bd. 8, 4, 2001, S. 338–342; Skirrow, Caroline / Ward, Jamie: Searching for Shereshevskii: what is superior about the memory of synaesthetes?, in: Quarterly journal of experimental psychology, Bd. 60, 5, 2006, S. 681–695. 17 Asher, Julian E. / Aitken, Michael R. F. / Farooqi, Nasr / Baron-Cohen, Simon: Diagnosing and phenotyping visual synaesthesia: a preliminary evaluation of the revised test of genuiness (TOG-R), in: Cortex, Bd. 42, 2, 2006, S. 137–146; Baron-Cohen, Simon / Burt, Lucy / Smith-Laittan, Fiona / Harrison, John / Bolton, Patrick: Synaesthesia: prevalence and familiarity, in: Perception, Bd. 25, 9, 1996, S. 1073–1079. 18 Zedler, Markus / Kaluza, Daria / Salas Vilar, Josefa 2009 (wie Anm. 2). 19 Emrich, Hinderk M. / Schneider, Udo / Zedler, Markus 2004 (wie Anm. 1).
Weiß Es klingt innerlich wie ein Nichtklang, was manchen Pausen in der Musik ziemlich entspricht, den Pausen, welche nur zeitlich die Entwicklung eines Satzes oder Inhaltes unterbrechen und nicht ein definitiver Abschluß einer Entwicklung sind. (S. 81)
Grün Musikalisch möchte ich das absolute Grün wohl am besten durch ruhige, gedehnte, mitteltiefe Töne der Geige bezeichnen. (S. 80)
Blau Musikalisch dargestellt ist helles Blau einer Flöte ähnlich, das dunkle dem Cello, immer tiefer gehend den wunderbaren Klängen der Baßgeige; in tiefer, feierlicher Form ist der Klang des Blau dem der tiefen Orgel vergleichbar. (S. 78)
Gelb Bei dieser Erhöhung klingt es, wie eine immer lauter geblasene scharfe Trompete oder ein in die Höhe gebrachter Fanfarenton. (S. 76)
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Rot (Vertiefen durch Schwarz) Zinnoberrot klingt wie die Tuba und kann in Parallele gezogen werden mit starken Trommelschlägen. (S. 84/85)
Rot Das helle warme […] erinnert musikalisch auch an den Klang der Fanfaren, wobei die Tuba beiklingt — hartnäckiger, aufdringlicher, starker Ton. (S. 83)
Grau Grau ist klanglos und unbeweglich. Diese Unbeweglichkeit ist aber eines anderen Charakters wie die Ruhe des Grün, welches zwischen zwei aktiven Farben liegt und ihr Produkt ist. Das Grau ist deswegen die Unbeweglichkeit, die trostlos ist. (S. 82)
Schwarz Es ist musikalisch dargestellt wie eine vollständig abschließende Pause, nach welcher eine Fortsetzung kommt wie der Beginn einer andern Welt, da das durch diese Pause Abgeschlossene für alle Zeiten beendigt, ausgebildet ist: der Kreis ist geschlossen. (S. 81)
Wassily Kandinsky Farben, Töne und Instrumente
Wassily Kandinsky: Über das Geistige in der Kunst insbesondere in der Malerei Mit acht Tafeln und zehn Originalholzschnitten Dritte Auflage, München 1912,R. Pieper & Co., Verlag http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/kandinsky1912
Violett Es ist dem Klange ähnlich des englischen Horns, der Schalmei, und in der Tiefe den tiefen Tönen der Holzinstrumente (S. 86)
Rot-Orange Wie eine mittlere Kirchenglocke, die zum Angelus ruft, klingt diese Farbe, oder wie eine starke Altstimme, wie eine Largo singende Altgeige. (S. 86)
Rot (Das kalte Rot) Dieses Bild ist leicht durch höhere klare, singende Töne der Geige zu musikalischem Ausdruck zu bringen. (S. 85)
Rot (Vertiefung durch Blau) Es erinnert doch an ein Element von Leidenschaften tragende, mittlere und tiefere Töne des Cello. (S. 85)
Die Bipolare Störung (manische-depressive Störung) ist mit einer Vielzahl saisonaler und circadianer Besonderheiten assoziiert und es wird vermutet, dass eine veränderte nicht-visuelle Lichtperzeption diese Besonderheiten erklären könnte, die im Rahmen des BMBF Forschungsprojektes NiviL mittels zweier Studien ergründet werden: Studie I beschäftigt sich mit der Melatonin-Suppression; Studie II mit der Phasenverschiebung.
Wir erfassen unsere bewusste Umwelt, farblich, räumlich und strukturell, durch das Licht, welches auf die Netzhaut unserer Augen trifft und über Nervenfasern an die sogenannte Sehrinde im okzipitalen Kortex unseres Gehirns übertragen wird. Das Auge erfüllt aber auch eine weitere – eher bewusstseinsferne – Funktion: Es vermittelt Informationen über die allgemeinen Lichtverhältnisse an Gehirnareale, die die Uhrzeit der inneren Uhr steuern und unsere Wachheit und Stimmung regulieren. Dieser Teil der Wahrnehmung wird daher als ‚nicht visuell‘ bezeichnet, und die zugrunde liegenden Mechanismen werden gerade erst beschrieben und analysiert.
Einleitung
Perspektivwechsel
Das Licht der Umwelt fällt durch einen Linsenapparat bestehend aus Hornhaut, vorderer Augenkammer, Pupille, Linse und Glaskörper auf die Photorezeptoren in der Netzhaut am hinteren Pol des Augapfels. Es werden zwei Typen von Photorezeptoren unterschieden: Stäbchen und Zapfen. Die Stäbchen reagieren auf sehr geringe Lichtstärken, übermitteln jedoch nur ein Schwarz-Weiß-Bild an das Gehirn. Die farbsensitiven Zapfen haben ihre sogenannten Absorptionsmaxima in den Bereichen Dunkelblau, Grün und Rot. Sie sind, im Vergleich zu den Zapfen, aber weniger empfindlich, weshalb man bei geringen Lichtstärken Farben nur sehr schlecht oder gar nicht unterscheiden kann. Bis zum Jahr 2000 wurde angenommen, dass die circadianen Funktionen des Lichtes ebenfalls über diese Photorezeptoren vermittelt werden.
Sehen und die Entdeckung des Melanopsins
Der Beitrag zielt darauf ab, die physiologischanatomischen Grundlagen der Lichtperzeption zu erläutern, die Studienhypothese herzuleiten und das Studiendesign darzulegen.
Jeder Mensch hat einen eigenen inneren Rhythmus. Dieser ist – soweit man weiß – weitgehend
Circadiane Rhythmen
Obgleich bereits 1923 beschrieben, konnten Russell Foster und seine Kollegen im Jahr 2000 nachweisen, dass Mäuse, die weder Stäbchen noch Zapfen hatten und demnach blind waren, ihren ciracadianen Rhythmus an den äußeren Lichtverhältnissen ausrichten konnten.1 Diese Fähigkeit verschwand jedoch bei Mäusen, deren Augen entfernt worden waren. Ein weiteres Photopigment, das sogenannte Melanopsin, war bereits durch Iggy Provencio und Kollegen beschrieben worden – allerdings in den Hautzellen von Fröschen.2 In einer Serie von Experimenten konnte dann nachgewiesen werden, dass sogenannte Ganglienzellen in der Netzhaut von Wirbeltieren dieses Photopigment exprimieren, um die allgemeinen Lichtverhältnisse abzubilden. Das Photopigment eignet sich hierfür vor allem deshalb, weil es sein Absorptionsmaximum im hellblauen Bereich – so wie der Himmel – hat und nur auf anhaltend starkes Licht reagiert.
Wird die Bipolare Störung durch nicht-visuelle Lichteffekte moduliert?
PHILIPP RITTER
Der stärkste Zeitgeber der inneren Uhr ist Licht. Die intrinsisch photosensitiven Ganglienzellen mit dem Pigment Melanopsin registrieren anhaltend starkes Licht im blauen Spektrum und sind damit geeignet, die allgemeinen Lichtbedingungen, insbesondere Tageslicht, zu erkennen. Im Gegensatz zu den anderen Sehpigmenten, die in den Stäbchen und den Zapfen enthalten sind, wird diese Information jedoch nicht-visuell verarbeitet; d. h. Melanopsin dient nicht der Erzeugung eines Bildes im Kopf. Vielmehr stimulieren die melanopsinhaltigen Zellen direkt den SCN, die innere Uhr des Menschen. Durch das einfallende Licht wird der SCN also täglich justiert, um im Einklang mit der Außenwelt zu stehen. Bei weiten Reisen in ost-westlicher Himmelsrichtung kann diese Justierung einige Tage dauern; der sogenannte Jet-Lag entsteht. Über das autonome Nervensystem und den Botenstoff Melatonin teilt der Suprachiasmatische Nukleus allen
genetisch determiniert, also vererbt, und nur unwesentlich beeinflussbar. Der Rhythmus wird dadurch generiert, dass bestimmte Gene – sogenannte Clock-Gene – aktiviert werden und die Produkte dieser Gene – verschiedene Eiweiße – ab einer gewissen Konzentration dafür sorgen, dass die Gene wieder deaktiviert werden. Das resultierende Auf und Ab ist bei den meisten Menschen auf eine Periode eingestellt, die etwas länger als 24 Stunden dauert. Es gibt aber auch Personen mit sehr kurzen Rhythmen (sogenannte Lerchen) und Menschen mit einer sehr langen Periode (sogenannte Eulen). Die dafür verantwortlichen Gene sind z. T. bekannt. Jede Zelle enthält eine innere Uhr, die ‚Master-Clock‘ befindet sich jedoch im Suprachiasmatischen Nukleus (SCN), einer kleinen Region im Hypothalamus.
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Die Bipolare Störung ist eine psychiatrische Störung, welche etwa 0,5 bis ein Prozent der Bevölkerung betrifft und die sich durch den Wechsel von depressiven und manischen oder hypomanischen Episoden auszeichnet. Während Patienten in depressiven Phasen unter Schlafstörungen, Freudlosigkeit, persistierendem Grübeln, Ängsten, innerer Unruhe und Suizidgedanken leiden, kommt es während manischer Phasen zu einem gesteigerten Antrieb, subjektiver Euphorie oder Gereiztheit, einem uncharakteristisch gehobenem Selbstbewusstsein, Rededrang und einer erhöhten Risikobereitschaft, z. T. auch verbunden mit Größenwahn. Als Hypomanien werden Phasen gekennzeichnet, die
Bipolare Störung, circadiane Rhythmen und Licht
Die neuere Forschung zeichnet ein zunehmend komplexes Bild des Einflusses von Licht auf das Gehirn. Neben der Projektion in den Suprachiasmatischen Nuklei haben die melanopsinhaltigen Zellen auch direkte Verbindungen in andere Hirnregionen, insbesondere zum Ventrolateralen Präoptischen Nukleus, der u. a. die Sekretion verschiedener Hormone steuert, sowie zum Mandelkern (Amygdala), der bei Angst und depressivem Verhalten eine große Rolle spielt. Forschungen zur Wirkung von Licht mittels funktioneller Kernspintomographie konnten zudem zeigen, dass blaues Licht den noradrenergen Locus coerulius, welcher u. a. Vigilanz und Aufmerksamkeit reguliert, und Teile des Hippocampus stimuliert.
anderen Zellen im Körper die ‚aktuelle Uhrzeit‘ mit und sorgt dafür, dass die Zellen synchron laufen.
Die Störung scheint in überzufälligem Maße mit Besonderheiten der circadianen Rhythmik und der Licht-Response einherzugehen. Patienten mit einer Bipolaren Störung leiden auch in euthymen Phasen häufiger an persistierenden Schlafstörungen, brauchen länger, um einzuschlafen, und haben einen weniger kontinuierlichen Schlaf.3 Unzureichender Schlaf oder Schlafentzug kann bei Patienten eine manische Phase auslösen. Das Auftreten von Krankheitsepisoden weist in den meisten Ländern ein saisonales Muster mit Gipfeln im Frühjahr und (etwas weniger ausgeprägt) im Herbst auf. Zwei Arbeiten von Michael Bauer und Partnern an 36 Standorten in 23 Ländern legen zudem nahe, dass das Alter bei Ersterkrankung abhängig vom lokalen Anstieg der Lichtintensität in der Heimatregion der jeweiligen Patienten ist. 4 Auf neurohormoneller Ebene konnte in einigen Arbeiten nachgewiesen werden, dass Patienten mit einer Bipolaren Störung bei nächtlicher Exposition mit weißem Licht eine stärkere Suppression des Hormons Melatonin im Vergleich zu gesunden Kontrollprobanden aufweisen.5 In einer kürzlich publizierten randomisiert kontrollierten Studie konnten Tone Henriksen und Kollegen demonstrieren, dass Patienten mit einer manischen Episode deutlich rascher remittieren, wenn sie zusätzlich
kürzer und/oder weniger intensiv ausfallen als Manien. Zwischen diesen Phasen können längere, sogar mehrjährige Zeiträume ausgeglichener Stimmung, der sogenannten Euthymie, auftreten. Es gibt weder biologische Marker, d. h. einen Bluttest oder Vergleichbares, mit dem die Störung sicher diagnostiziert werden kann, noch gibt es ein einheitliches neurobiologisches Modell der zugrunde liegenden Pathomechanismen.
Die bisher publizierten Arbeiten zur MelatoninSuppression weisen methodische Mängel auf, die zu Unsicherheiten bei der Interpretation der Ergebnisse führen. Die spektrale Komposition des benutzen weißen Lichts wurde nicht gemessen und die Pupillen der teilnehmenden Probanden nicht dilatiert, so dass die genaue Lichtmenge, die die Netzhaut erreichte, nicht ermittelt werden kann. Einige Studien wiesen sehr geringe Fallzahlen auf. Die Studien stammen zudem größtenteils aus der Ära vor der Entdeckung des Photopigmentes Melanopsin, so dass keine der Studien mit einem melanopsingewichteten Spektrum gearbeitet hat. Die Antwort auf die Frage, ob Patienten mit einer Bipolaren Störung eine verstärkte Sensitivität des Melanopsin-Systems aufweisen, ist jedoch von großer Bedeutung, da dies einerseits als sogenannter Biomarker fungiert, andererseits aber auch Aufschluss über die zugrunde liegenden Mechanismen der Bipolaren Störung liefern könnte.
Studie I
Die Gesamtheit dieser Befunde legt den Schluss nahe, dass die Bipolare Störung mit Veränderungen – vermutlich einer Hypersensitivität – im System der nicht visuellen Lichtverarbeitung einhergeht.
zur gewohnten Behandlung eine Blau filternde Brille trugen, also jener Wellenlänge, die die intrinsisch photosensitiven Ganglionzellen und das Pigment Melanopsin maximal stimuliert.6
Philipp Ritter
Die ersten, noch unvollständigen Ergebnisse legen nahe, dass bei Patienten mit einer Bipolaren Störung bei melatoningewichteter Lichtexposition am Abend in der Tat eine erhöhte Melatoninsuppression stattfindet. Das Ergebnis der vollständigen Analyse bleibt jedoch abzuwarten.
Es wurden im Zeitraum von Oktober 2015 bis April 2016 insgesamt 116 Probanden rekrutiert, von denen schließlich 92 Probanden (35 Bipolar, 57 Kontrollen) alle drei Studienabende durchlaufen haben. An den Versuchsabenden erhielten die Probanden um 19.00 Uhr eine standardisierte Mahlzeit, um 20.00 Uhr wurde das Licht auf